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German Pages 327 [332] Year 2005
Mittelhochdeutsches Lesebuch
W G DE
Mittelhochdeutsches Lesebuch Herausgegeben von
Sabine Rolle
Walter de Gruyter · Berlin · New York
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017772-2 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin Einbandabbildung: Höfisches Liebespaar beim Ausritt (Große Heidelberger Liederhandschrift, cpg 848, fol. 69r, Autorbild »Herr Wernher von Teufenhöfischen KlassikMittelhochdeutsch< ist ein Sammelbegriff für die verschiedenen hochdeutschen Dialekte, die zwischen ca. 1050 und 1350 n. Chr. im deutschen Sprachraum gesprochen und geschrieben wurden. Das »hoch« verweist dabei auf den Unterschied zu den niederdeutschen Dialekten im nördlichen Teil des deutschen Sprachraums, das »mittel« auf die zeitliche Mittelstellung zwischen Althochdeutsch und (Früh-)Neuhochdeutsch. Ein Unterschied zwischen Mittel- und Neuhochdeutsch besteht etwa in der Diphthongierung bestimmter langer Vokale: Aus mittelhochdeutsch min niuwes hüs wird neuhochdeutsch mein neues Haus. Hier ist nicht der Platz für einen auch nur annähernd vollständigen Überblick über die Abweichungen zwischen beiden Sprachstufen, und die Anschaffung einer Einfuhrung in das Mittelhochdeutsche als Hilfe beim Erlernen dieser »Fremdsprache« ist sehr zu empfehlen (vgl. die Auswahlbibliographie in diesem Buch). Problematisch ist oft nicht nur die vom Neuhochdeutschen abweichende Syntax, sondern auch die fremdartige Orthographie. Im Mittelalter gab es keine Standard-Schreibsprache und schon gar keine festgelegten Rechtschreibregeln für jedes einzelne Wort. Bis zu einem gewissen Grad haben Dichter sich darum bemüht, eine auch überregional verständliche Sprache zu verwenden, doch scheint die mundartliche Färbung ihrer Sprache meist trotzdem durch, und auch die Schreiber der Handschriften haben die Wörter gerne in einer Weise geschrieben, die der Aussprache in ihrem eigenen Dialekt entsprach. Außerdem verwendeten sie verschiedene Abkürzungen
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und diakritische Zeichen, setzten Buchstaben übereinander, schrieben ein ν wo wir heute u schreiben würden und anderes mehr. Die verschiedenen Handschriften weichen so in der Orthographie teilweise stark voneinander ab, und fur einen ungeübten Leser ist es keineswegs einfach, die geschriebenen Worte zu verstehen, selbst wenn er sich an die besondere Handschrift eines Schreibers gewöhnt hat. Viele Herausgeber drucken die Texte daher in einem >normaIisierten< Mittelhochdeutsch ab, das heißt sie passen die in den Handschriften vorgefundene Orthographie einer mittelhochdeutschen Standardsprache an, um das Lesen zu erleichtem. So wird etwa zwischen vokalisch oder konsonantisch gebrauchtem i und j bzw. u und ν unterschieden; lange Vokale werden durch Zirkumflex (") oder Ligaturen (es, oe) bezeichnet, auch wo die Handschrift nur einfache Vokale zeigt; Abkürzungen werden aufgelöst etc. Andere Herausgeber drucken den in den Handschriften vorgefundenen Text in genauer Transkription ab (>diplomatischer< Abdruck). Die Orthographie zeigt demnach auch in den verschiedenen Ausgaben erhebliche Unterschiede; die Art und Grundlage der Eingriffe werden in Vorworten erläutert. Ich habe mich dagegen entschieden, die Unterschiede - die auf den ersten Blick verwirrend erscheinen, an die man sich jedoch schnell gewöhnt - auszugleichen, sondern habe die Graphie in der Regel aus den jeweiligen Ausgaben übernommen. Wo orthographische Besonderheiten das Leseverständnis erschweren könnten bzw. wo ich, um das Leseverständnis zu erleichtern, doch von meinen Vorlagen abgewichen bin, habe ich jeweils gesondert darauf hingewiesen. In einigen Ausgaben werden textkritische Entscheidungen im Text kenntlich gemacht - Wörter, die nicht aus der hauptsächlich benutzten Leithandschrift, sondern aus einer anderen Handschrift stammen, sind ζ. B. gerne durch Kursivdruck hervorgehoben; diese Markierungen sowie Akzentzeichen, die in einigen Ausgaben gesetzt werden um die Versbetonung zu markieren, habe ich generell nicht mit aufgenommen. Auch für das Mittelhochdeutsche gilt, was ebenso auf jede andere Fremdsprache zutrifft: Erfolgreiches Leseverständnis setzt aktives Mitdenken und die sachverständige Benutzung eines guten Wörterbuches voraus. Jede Passage sollte mehrfach gelesen werden, und beim ersten Lesen ist es sinnvoll, sich zunächst auf die Dinge zu konzentrieren, die leicht zu verstehen sind, und sich nicht entmutigen zu lassen von dem, was unverständlich bleibt. Um die Verständnislücken zu schließen, sollten sodann alle im ersten Lesedurchgang etablierten Erkenntnisse, aber auch und gerade außerhalb des Textabschnittes zugängliche Informationen herangezo-
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gen werden: Was weiß ich über die Zeit, die Geschichte, die handelnden Personen etc.? Passt der Satz, die Passage, so wie ich sie verstehe, zu diesem Hintergrundwissen? Wie stelle ich mir den konkreten Ablauf dieser Szene vor? Wörterbücher enthalten eine große Anzahl grammatischer Informationen, die es zu verstehen und mit einzubeziehen gilt. Es ist oft verlockend, aber irreführend, aus der Liste der Übersetzungsvorschläge das erste Wort auszuwählen oder eines, das in den Zusammenhang zu passen scheint, ohne darauf zu achten, ob die Angaben im Wörterbuch zu den Bedingungen im Satz passen: Ist das Verb, für welches die Übersetzung gesucht wird, wirklich ein transitives, schwaches Verb? Und was ist das überhaupt? Es ist wichtig, sich mit den verwendeten Abkürzungen und Fachtermini vertraut zu machen. Hilfreich für das Verständnis mittelhochdeutscher Texte ist es auch, sie nicht nur leise, sondern laut zu lesen - oft ist es nur die Orthographie, die ungewohnt ist und das sofortige Verstehen eines Wortes verhindert; laut ausgesprochen wird es hingegen leicht wiedererkannt. Die wichtigsten Ausspracheregeln und Abweichungen zwischen Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch sollte man sich von Anfang an gut einprägen (z.B. mhd. iu - ausgesprochen als langes ü - wird zu nhd. eu). Im Laufe der Zeit bekommt man dann immer mehr Übung im Lesen mittelhochdeutscher Texte und gewöhnt sich an typische Merkmale, die zu Beginn noch Schwierigkeiten machen, wie etwa die häufigen Genitivergänzungen, die doppelte Verneinung und Verneinungspartikel enlne, die Formen der starken Verben, der vom Neuhochdeutschen abweichende Gebrauch einiger Konjunktionen usw. Die Informationen und Kommentare, die den Textauszügen in diesem Lesebuch beigegeben sind, sollen das Verständnis erleichtern. Zu Beginn eines jeden Abschnitts stehen einige Zeilen, die Basisinformationen zum Text enthalten und andeuten, worum es in der gewählten Passage geht. Es wäre empfehlenswert, schon vor der Lektüre weitere Informationen über Autor und/oder Text zu sammeln; die beste Quelle für einen ersten schnellen Einblick ist wahrscheinlich das Verfasserlexikon (Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, vgl. die Auswahlbibliographie am Ende dieses Lesebuches). In den Anmerkungen am Fuß der Seite stehen vor allem Erklärungen zu Wörtern und Formulierungen, die beim ersten Kontakt mit mittelhochdeutschen Texten erfahrungsgemäß Schwierigkeiten bereiten: unvertraute Verbformen, bei denen der Infinitiv nicht ohne weiteres ersichtlich ist; vom Neuhochdeutschen abweichender Gebrauch von Fällen oder Deklinationsklassen, syntaktisch komplexe und kompli-
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zierte Passagen etc. Ich habe jedoch nicht jedes einzelne heute unbekannte Wort erklärt; die Anmerkungen können und wollen nicht die Benutzung von Wörterbuch und Grammatik ersetzen. Wo erläuterungsbedürftige Formen wiederholt in einer Passage auftauchen, habe ich sie nur beim jeweils ersten Gebrauch angemerkt in der Hoffnung, dass die Erläuterung beim nächsten Mal noch präsent ist. In einem anderen Textausschnitt kann die gleiche Erläuterung allerdings wieder erscheinen, da ich davon ausgehe, dass immer nur eine Auswahl der Textausschnitte, nie das gesamte Lesebuch durchgearbeitet werden wird. Sätzen oder Satzteilen, die, zum Beispiel wegen ungewöhnlicher Wortstellung oder stark verkürztem Ausdruck, schwer zu verstehen sind, habe ich auch gelegentlich Übersetzungsvorschläge beigegeben; dabei kam es mir weniger auf elegante Formulierungen als vielmehr darauf an, die Konstruktion des Satzes nachvollziehbar zu machen. Wo weitere Informationen zum Verständnis nötig sind, etwa wo auf vorangegangene Ereignisse angespielt wird, habe ich kurze Erklärungen beigefugt. Die verschiedenen Textausschnitte sind sicherlich unterschiedlich leicht oder schwer zu verstehen. Bis zu einem gewissen Grad spiegelt sich das in der Menge der Anmerkungen zu jeder Passage wider. Doch wollte ich in keinem Fall die Anmerkungen überhand nehmen lassen; eine Seite, die fast nur aus Fußnoten besteht, wirkt oft eher abschreckend. Die Entscheidung darüber, was ich für erklärungsbedürftig halte, basiert zwar auf meinen Erfahrungen im Unterrichten mittelhochdeutscher Sprache und Literatur, ist aber letztlich doch subjektiv. Jeder Leser wird bestimmte Erklärungen für überflüssig halten und an anderer Stelle Erläuterungen vermissen - Kommentare scheinen nie die Fragen zu beantworten, die man selber stellt! Manches von dem, was zunächst unverständlich erscheint, lässt sich vielleicht aus dem Zusammenhang erschließen, in anderen Fällen kann man Übersetzungen zu Rate ziehen, und letztendlich ist es vielleicht auch nicht so schlimm, wenn man ein Wort oder eine Passage einmal nicht so genau versteht. Aber selbst wenn man den Wortlaut und die Konstruktion ganz genau verstanden zu haben glaubt, heißt das natürlich noch lange nicht, dass der Sinn offensichtlich ist. Jede Übersetzung ist immer zugleich auch Interpretation, und diese Interpretation stützt sich auf mehr als nur den vorgefundenen Wortlaut. Beim Lesen mittelalterlicher Literatur sind es sowohl die poetisch verdichtete, lyrische Sprache, in der viele Texte geschrieben sind, als auch die fremde Gedankenwelt des Mittelalters, die bei der Interpretation Schwierigkeiten machen können. Es wäre schön, wenn Sie das nicht als lästige Hürde, sondern als Herausforderung sehen könnten, und
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wenn das Lesen, Verstehen und Übersetzen der hier gesammelten Textausschnitte Neugier wecken könnte auf diese fremde Welt, so dass Sie Lust bekommen weiterzulesen und mehr zu erfahren.
Abb. I: Palas der Wartburg in Thüringen
Der Palas war das Hauptwohngebäude in einer Burg, das heißt, er enthielt die privaten Wohn- und Schlafsäle, aber auch einen festlichen Hauptsaal für Empfänge und Hoftage. Diese Räume waren mit Kaminen ausgestattet, also heizbar, und hier wurde - entweder im kleineren Kreis der Familie des Burgherren und seines Gefolges oder bei größeren Festen - Literatur vorgelesen bzw. vorgesungen. Die Wartburg wurde 1080 erstmals schriftlich erwähnt und war seit dem 12. Jahrhundert im Besitz der Landgrafen von Thüringen, die als Mäzene Heinrichs von Veldeke, Walthers von der Vogelweide und anderer bedeutender Dichter des Mittelalters bekannt sind.
Zur deutschsprachigen Literatur des Hochmittelalters Autoren und Publikum Die ältesten uns erhaltenen Schriftzeugnisse in deutscher Sprache stammen aus dem 8. Jahrhundert. Es handelt sich dabei um Übersetzungen aus dem Lateinischen: religiöse, so genannte Gebrauchstexte, wie etwa das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis oder Beichtformeln, und Glossare und Vokabulare, d. h. für den Schulunterricht bestimmte Übersetzungen und Erläuterungen zu theologischen Werken. Lesen und Schreiben lernte man im Kloster, und das heißt: Lesen und Schreiben auf Latein; die überwältigende Mehrzahl der im deutschsprachigen Raum entstandenen Texte ist lateinisch. Das ist das ganze Mittelalter hindurch der Fall, doch während Texte auf Deutsch sich im Laufe des Hochmittelalters daneben eine wenn auch kleine, so doch eigenständige Position erobern konnten, waren sie zu Beginn nur ein Nebenprodukt, um das Verständnis lateinischer Literatur zu erleichtern. Noch bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts wurde deutschsprachige Literatur fast ausnahmslos - abgesehen etwa von Rechtstexten wie den Straßburger Eiden von 842, mit denen die beiden fränkischen Könige Karl und Ludwig in althochdeutscher und altfranzösischer Sprache ihr Bündnis beschworen - in Klöstern und für den Gebrauch in Kloster und Kirche produziert. Selbst das älteste erhaltene Zeugnis einer Heldensage in deutscher Sprache, das Hildebrandslied, ist in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts im Kloster Fulda in eine lateinische Handschrift mit theologischem Inhalt eingetragen worden. Die Inhalte der alt- und frühmittelhochdeutschen Literatur waren zumeist geistlicher Art: Bibeldichtungen, Predigten, Heiligenlegenden. Auch naturkundliche Schriften wie etwa der Ältere Physiologus aus dem 11. Jahrhundert oder historiographische Texte wie die Kaiserchronik aus dem 12. Jahrhundert hatten einen heilsgeschichtlichen Rahmen und dienten der religiösen und moralischen Belehrung. Für die Zeit seit der Mitte des 12. Jahrhunderts lässt sich eine neue Entwicklung erkennnen. Erstmals entstand jetzt eine Literatur, die nicht mehr bevorzugt geistliche Inhalte vermittelte und deren Träger, das heißt die Autoren, Auftraggeber und Publikum, an weltlichen Höfen zu finden
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Zur deutschsprachigen
Literatur des
Hochmittelalters
waren: Die Zeit der mittelhochdeutschen höfischen Literatur begann. Gründe für diesen Neuansatz sind nicht genau zu benennen; verbesserte ökonomische Bedingungen und die damit einhergehende Verbesserung des Lebensstandards, aber auch ein neues Selbstbewusstsein des weltlichen Adels werden eine Rolle gespielt haben. Streng genommen war das Neue die Tatsache, dass deutschsprachige Literatur mit weltlichen Themen seit dieser Zeit vermehrt niedergeschrieben wurde und wir daher Zeugnis davon haben. Das ganze Mittelalter hindurch wird es - genau wie davor und danach - auch andere Formen der Literaturproduktion gegeben haben, Lieder, Erzählungen, Dramen, die nie aufgeschrieben wurden und von denen wir entweder gar nicht wissen, oder nur indirekt, durch Spuren, die sie in anderen Werken hinterlassen haben. (Wiederum streng genommen ist das Wort Literatur für diese Formen nicht angemessen, da es aus lateinisch littera = Buchstabe gebildet wurde und ursprünglich also geschriebene Texte bezeichnete. Doch da das Wort heute umfassender gebraucht wird, erscheint es mir zulässig, hier auch mündliche Dichtung als Literatur zu bezeichnen.) Überhaupt ist unser Wissen darüber, was im Mittelalter an Literatur produziert wurde, insofern stark vom Zufall beeinflusst, als wir nur mit den Textzeugen arbeiten können, die sich bis heute erhalten haben. Unzählige andere sind im Laufe der Jahrhunderte zerstört worden und verloren gegangen. Unser Bild von mittelalterlicher Literatur wird von daher zwangsläufig immer fragmentarisch bleiben. Doch zu den Überlieferungsbedingungen und ihren Konsequenzen werde ich weiter unten noch mehr sagen. Die Literatur, die niedergeschrieben wurde und sich damit bis heute erhalten hat, ist die Literatur einer reichen Oberschicht, Literatur, die an Fürstenhöfen entstand und rezipiert wurde. Rezipiert bedeutet dabei gehört, nicht gelesen. Wir begegnen heute Literatur in erster Linie in privater Lektüre: Wir kaufen Bücher von Autoren, die wir nicht persönlich kennen, und lesen sie still, allein für uns. Gelegentliche Autorenlesungen sind eine Ausnahme und dienen entweder der Werbung für den Verkauf der Bücher oder richten sich an ein Publikum, welches die Bücher ohnehin schon aus privater Lektüre kennt. Das war im Mittelalter anders. Nur eine Minderheit konnte überhaupt selbst lesen, und nur die Reichsten konnten es sich leisten, Bücher für ihre kleinen privaten Bibliotheken herstellen zu lassen. Und auch für diese bildete private Lektüre mit Sicherheit eine Ausnahme; Erzählungen und Lieder wurden vor dem Publikum der an einem Hof Anwesenden - Familie des Fürsten, Höflinge, Gäste - mündlich vorgetragen. Lyrik wurde vorgesungen, und auch bei längeren Textformen, d. h. der Epik, ist zumindest teilweise, soweit es sich um in Strophen gedichtete
Autoren und Publikum
XIX
Werke handelt, mit einem gesanglichen Vortrag zu rechnen. Erst seit Ende des 14. Jahrhunderts wurden im deutschsprachigen Raum Romane auch vermehrt in der fur stilles Lesen geeigneten Prosa geschrieben; zuvor waren es entweder >Reimpaare27 alse lange stän, daz si min niht nimet war, so muoz min vröide von ir28 gar vil lihte an allen tröst zergän.
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Sit mich29 min sprechen nü niht kan gehelfen noch gescheiden von der swaere min, so wolde ich, daz ein ander man die mine rede30 hete zuo der saelde sin;
157,21
vert: ,früher, voriges Jahr'. si: Akk., abhängig von verheln-, also ,dass ich ihr nicht verhehlen konnte, wie es um mich stand'. geseit - gesaget: Part. Prät. von sagen, kontrahierte Form, des ist Genitiv-Ergänzung dazu; also ,dessen (davon) habe ich ihr so viel gesagt'. wände: 1. Sg. Ind. Prät. von wcenen,,wähnen, glauben'. Dieser Relativsatz bezieht sich auf ir im vorigen Vers; also etwa ,ich glaubte immer es wäre Spott von denjenigen, die ich von der großen Mühsahl der Liebe erzählen hörte'. engilte: 1. Sg. Ind. Präs. von engelten, .entgelten, büßen'. In diesem Vers fehlen einige Wörter (2 Hebungen). von ir: etwa ,ihretwegen'. mich: Akk.-Ergänzung zu gehelfen und gescheiden in Vers 2. (ge)helfen kann im MHD mit Dativ- oder Akkusativobjekt stehen.
Reinmar
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Und iedoch niht an die stat31, dar ich nu lange bitte und her mit triuwen bat. dar engan32 ich nieman heiles, swenne ez mich vergät. nu gedinge ich ir genäden noch, waζ s! mir äne schulde doch langer tage gemachet hat! Und wiste ich niht, daz si mich mac vor al der weite wol wert gemachen, obe si wil, ich gediende ir niemer mere tac. jö hat si tugende, der ich volge unz an daz zil, Niht langer wan die wile ich lebe.33 noch bitte ich si, daz si mir liebez ende gebe, waz hälfet daz? ich weiz wol, daz si ez niht entuot. doch tuo si ez dur den willen mm und läze mich ir tore sin und neme mine rede vür guot34.
157,31
III Wol ime, daz er ie wart geborn 1
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Wol ime, daz er ie wart geborn, dem dise zit genaedicltch hine gät äne aller slahte seneden zorn und35 doch ein teil dar under sines willen hat. Wie deme nähet manic wunneclicher tac! wie lützel er mir, saelic man, gelouben mac; wan ich nach vröide bin verdäht36
158,1
die mine rede·. Die Verbindung von Possessivpron. mit bestimmtem Artikel ist im MHD häufig, rede hier etwa .Worte, Sprachgewandheit'; also etwa ,so wünschte ich, dass ein anderer Mann meine Worte hätte, um zu seinem Glück zu kommen'. an die stat: ,an der Stelle, dort'. Gemeint ist die Stelle (die Frau), an die Reinmar seine eigenen Worte richtet: Wo er versagt, soll auch niemand anderer zum Ziel kommen. engan·. 1. Sg. Ind. Präs. von gunnen, mit angehängter Negationspartikel; also etwa ,dort gönne ich niemandem Erfolg, wenn er mir versagt ist*. ,nicht länger als solange ich lebe', d. h. .solange ich lebe'. vür guot·. etwa ,mit Wohlwollen'. und: ,der' zu ergänzen, der Relativsatz geht hier weiter. verdäht: Part. Prät. von verdenken-, verdäht sin näch: hier etwa ,in Gedanken gerichtet sein auf, sich sehnen nach'.
Lyrik
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und kan doch meiner werden vrö. mich hat ein liep in trüren bräht. daz ist unwendic. nu s! also! Daz ich min leit so lange klage, des spottent die, den ir gemüete höhe stät. waz ist in liep, daz ich in sage? waz sprichet der von vröiden, der deheine hat? Wolde ich liegen, söst37 mir wunders vil geschehen; sö trüge38 aber ich mich an not, solt ich des jehen. wan länt39 si mich erwerben daz, da nach ich ie mit triuwen ranc? ste iemen danne40 ein lachen baz, daz gelte ein ouge, und habe er doch danc.
158,11
Ich wil von ir niht ledic sin, 158,21 die wile ich iemer gemden41 muot zer werlte hän. daz beste gelt der vröiden min daz lit42 an ir und aller miner saelden wän. Swenne ich daz verliuse, söne hän ich niht und enruoche ouch vür den selben tac, swaz mir geschiht. ich mac wol sorgen umb ir leben: stirbet si, sö bin ich töt. hat si mir anders niht gegeben, so erkenne ich doch wol sende not. Gnade ist endelichen da. diu erzeige sich, als ez an minem heile si.
158,31
söst = so ist. Hier müsste man etwa ergänzen: .Wollte ich lügen, so würde ich sagen, dass mir viel Wunderbares passiert ist.' trüge: 1. Sg. Konj. Prät. von triegen; also ,ich würde mich aber unnötig selber betrügen'. länt: 3. PI. Ind. Präs. von läzen, kontrahierte Form. danne: auf die beiden vorigen Verse bezogen. Also etwa ,dann (wenn ich das erreicht habe, worum ich mich immer aufrichtig bemüht habe) wird niemandem ein Lachen besser stehen (als mir) - darauf wette ich ein Auge'. gernden: Partizipial-Adjektiv zu gern; .verlangend, sehnsüchtig'. Also .solange ich noch etwas von der Welt ersehne'. lit = liget: 3. Sg. Ind. Präs. von ligen, kontrahierte Form. ,das Geld liegt auf ihr' ist Spielmetapher; also etwa .ich habe meine Freude und die Hoffnung auf mein Glück ganz auf sie gesetzt'.
Reinmar
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die ensuoche ich niender anderswä; an ir gebot so wil ich niemer werden vri. Daz si daz sprechent von verlorner arbeit, sol daz der miner einiu43 sin, daz ist mir leit. ich enwände niht, do ich es began, ich engelebte44 noch an ir lieben tac. ist mir da misselungen an45, doch gap ich ez wol, alse ez da lac.
IV Ich wirbe umbe allez, daz ein man 1
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Ich wirbe umbe allez, daz ein man ze wereltlichen vröiden iemer haben sol. daz ist ein wip, der ich enkan nach ir vil grozem werde niht gesprechen wol. lobe ich si, sö man ander vrouwen tuot, daz engenimet si niemer tac46 von mir vür guot. doch swer ich des, si ist an der stat, das47 üz wiplichen tilgenden nie vuoz getrat, daz ist in48 mat! Alse eteswenne mir der lip durch sine boese unstaete ratet, daz ich var und mir gevriunde ein ander wip, sö wil iedoch daz herze niender wan dar. wol ime des, daz ez sö rehte welen kan und mir der süezen arbeite gan49! doch hän ich mir ein liep erkorn,
159,1
159,19
der miner einiu·. auf arbeit bezogen; .soll auch meine Mühe so vergebens sein'. geieben, mit Akk., .erleben'. Also etwa .Ich glaubte nicht, als ich es begann, ich würde bei ihr nicht noch einmal einen verliebten Tag erleben'. dä misselungen an = däran misselungen. Also ,ist mir das nicht gelungen'. niemer tac: .niemals'; .das wird sie niemals als etwas Gutes von mir annehmen'. däs = dä si. Also etwa .sie steht an einem Ort, an dem sie sich nie um Fußbreite von den weiblichen Tugenden wegbewegt hat'. Es ist nicht klar, wer in ist, zu wem hier also .Schachmatt' gesagt wird. Zur Diskussion der Stelle vgl. die Ausgabe von Minnesangs Frühling (s. Auswahlbibliographie) und die dort angegebene Literatur. gan: 3. Sg. Ind. Präs. von gunnen.
Lyrik
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deme ich ze dienst - und waer ez al der weite zorn wil sin geborn.
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Unde ist50, daz mirs min saelde gan, 159,37 daz ich abe ir wol redendem munde ein küssen mac versteln, git51 got, daz ich ez bringe dan! so wil ich ez tougenlichen tragen und iemer heln. und ist, daz s!z vür gröze swaere hat und vehet mich durch mine missetät, waz tuon ich danne, unsaelic man? da nim eht ichz und trage ez hin wider, da ichz da nan", als ich wol kan. 159,10
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Si ist mir liep, und dunket mich, wie53 ich ir vollecliche gar unmaere si. waz darumbe? daz Ilde ich. ich was ir ie mit staeteclichen triuwen bi. nu waz, ob lihte ein wunder an mir geschiht, daz s! mich eteswenne gerne siht? sä denne läze ich äne haz, swer giht54, daz ime an vröiden si gelungen baz: der habe im daz.55 Diu jär diu ich noch ze lebenne hän, swie vil der56 waere, ir wurde ir niemer tac genomen. so gar bin ich ir undertän, daz ich niht sanfte üz ir gnaden mohte komen. ich vröuwe mich des, daz ich ir dienen sol.
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Unde ist: etwa ,und sollte es dazu kommen, und sollte es so sein'. Slt = gibet, 3. Sg. Ind. Präs. von geben, kontrahierte Form. Also ,gibt Gott, dass ich es (das Kissen, den Kuss) wegtragen kann'. nan = nam: 1. Sg. Ind. Prät. von nemen. Nach dunken wird die Konjunktion wie fast gleichwertig mit daz gebraucht, vgl. MHD Grammatik § 457. Also ,und/aber es scheint mir, dass ich ihr ganz und gar gleichgültig bin'. giht: 3. Sg. Ind. Präs. von jehen; also etwa ,dann lasse ich sofort ohne Hass jeden ziehen, der sagt, dass er größere Freuden erlebt habe'. Etwa ,es sei ihm gegönnt'. der: Gen. PL, bezogen auf diu jär, also .wieviele es auch sein mögen'. Auch eines der folgenden ir ist Gen. PI. bezogen auf diu jär: ,νοη denen wird ihr (meiner Geliebten) nie auch nur ein Tag weggenommen werden'.
Reinmar
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si gelönet mir mit llhten dingen wol, geloube eht mir, swenne ich ir sage die not, die ich an dem herzen von ir schulden trage dicke an dem tage.
V Ein wiser man sol niht ze vil 1
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Ein wiser man sol niht ze vil versuochen noch gezthen57, dest58 min rät, von der er sich niht scheiden wil, und59 er der wären schulden doch keine hät. swer wil al der weite lüge an ein ende komen, der hät im60 äne nöt ein vil herzelichez leit genomen. man sol boeser rede gedagen. vräge ouch nieman lange des, daz er ungerne hoere sagen.
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War umbe vüeget mir diu leit, 162,16 von der ich höhe solte tragen den muot? iö wirb ich niht mit kündecheit noch dur versuochen61, alsam vil maneger tuot. ich enwart nie rehte vro, wan so ich si sach. sö gie von herzen gar, swaz min munt wider si gesprach, sol nü diu triuwe sin verlorn, so endarf ez nieman wunder nemen, hän ich underwilen einen kleinen zorn.
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Si jehent, daz staete s! ein tugent, der andern62 vrouwe. so wol im, der si habe! si hät mir vröide in miner jugent
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162,25
versuochen noch gezihen: ,auf die Probe stellen und beschuldigen'. Die zu erwartende Akkusativergänzung fehlt, ist jedoch im Folge vers erläutert, also etwa ,ein weiser Mann soll diejenige nicht zu viel auf die Probe stellen und beschuldigen, von der ...'. dest ~ daz ist. und: hier etwa ,und wenn', also ,wenn er doch keinen wirklichen Gund dazu hat'. im\ hier Reflexivpronomen; ,der hat sich ...'. versuochen: hier etwa ,zur Probe'; also ,ich werbe nicht mit List, noch um sie auf die Probe zu stellen, wie so manch anderer'. der andern·. ,Tugenden' zu ergänzen, also ,Herrin über die anderen Tugenden'.
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Lyrik
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Ez tuot ein leit nach liebe we; 162,34 sö tuot ouch lihte ein liep nach leide wol. swer welle, daz er vrö beste, daz eine er dur daz ander liden sol mit bescheidenlicher klage und gar an arge site, zer weite ist niht sö guot, daz ich ie gesach, so65 guot gebite. swer die66 gedulteclichen hat, der kam des ie mit vröiden hin.67 also dinge68 ich, daz min noch werde rät.
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Des einen und dekeines me 163,5 wil ich ein meister sin, al die wile ich lebe; daz lop wil ich, daz mir beste und mir die kunst diu werlt gemeine gebe69, daz nieman sin leit sö schöne kan getragen. dez70 beget ein wip an mir, daz ich naht noch tac niht kan nü hin eht ich sö senften muot, [gedagen. daz ich ir haz ze vröiden nime. owe, wie rehte unsanfte daz mir doch tuot!
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mit ir wol schoener zuht gebrochen abe, daz ich unz an minen tot niemer si gelobe. ich sihe wol, swer nü vert63 wüetende, als er tobe, daz den diu w!p so minnent e danne einen man, der des niht kan. ich ensprach in nie sö nähe me.44
varn hier etwa .sich benehmen, handeln'. Also ,wer sich rasend benimmt, als ob er nicht bei Verstand wäre'. nähe sprechen: etwa ,mit Worten nahe komen'. Also ,ich bin ihnen niemals mit Worten so zu nahe getreten'. sö guot sö: ,so gut/nützlich wie'; also ,in der Welt ist nichts so gut, meiner Ansicht nach, wie gutes geduldiges Warten'. die: bezieht sich auf gebite, .geduldiges Warten, Geduld'. Etwa .der kam noch stets mit Freuden dahin (2mm Ziel)'. dingen: hier .vertrauen, hoffen'; rät werden, mit Gen. (min): ,Hilfe/Erlösung geben für'. geben hier etwa .zusprechen, zuerkennen', diu werlt ist Subjekt und die kunst Akkusativergänzung, also ,das Lob will ich, das mir erhalten bleibe, dass mir die Welt die Fähigkeit zuspreche, dass niemand sein Leid so schön tragen kann (wie ich)'. dez = daz, abhängig von begen und erläutert im folgenden Satz: .dazu bringt mich eine Frau, dass ich Nacht und Tag nicht schweigen kann'.
Reinmar
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Ich weiz den wec nu lange wol, der von der liebe gät unz an daz leit. der ander, der mich wisen sol üz leide in liebe, der ist mir noch unbereit. daz mir von gedanken ist alse unmäzen we, des überhoere ich vil und tuon, als ich des niht verste. git minne niuwan ungemach, so müeze minne unsaelic sin. die selben ich noch ie in bleicher varwe sach.71
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VI Swaz ich nu niuwer maere sage 1
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Swaz ich nu niuwer maere sage, des endarf mich nieman vrägen. ich enbin niht vro. die vriunt verdriuzet miner klage.72 des man ze vil gehoeret, dem ist allem so. nü hän ich beidiu schaden unde spot. waz mir doch leides unverdienet, daz bedenke got, und äne schult geschiht! ich engelige73 herzeliebe bi, sone hat an miner vröide nieman niht.74
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Die hochgemuoten zihent mich, ich minne niht sö sere, als ich gebäre75, ein wip. si liegent und unerent sich, si was mir76 ie gelicher mäze sö der lip. nie getroste si dar under mir den muot. der Ungnaden muoz ich, unde des77 si mir noch tuot,
165,19
Etwa ,ich habe sie (die minne) schon immer von farblosem Aussehen gefunden'. Sowohl die vriunt (Akk. PL Mask.) als auch miner klage (Gen. Sg. Fem.) sind Ergänzungen zum unpersönlich gebrauchten verdriezen. In der Übersetzung muss die Konstruktion geändert werden, etwa ,die Freunde sind meiner Klage überdrüssig'. engelige: 1. Sg. Ind. Präs. von geligen\ .wenn ich nicht bei meiner Geliebten liege'. ,Dann wird niemand etwas von meiner Freude haben.' gebären als: ,so tun wie'. Also ,dass ich nicht so verliebt sei in eine Frau wie ich tue'. si was mir: ,sie bedeutete mir'. unde des: ,was' zu ergänzen, der ungnäden und des sind beides Genitive, abhängig von erbeiten, also ,die Unbarmherzigkeiten und alles, was sie mir noch antut, muss ich abwarten, so gut ich es kann'.
26
Lyrik
erbeiten, als ich mac. mir ist eteswenne wol gewesen. gewinne aber ich nu niemer guoten tac? 165,28
5
So wol dir, w!p, wie rein ein nam78! wie sanfte er doch zerkennen und ze nennen ist! ez wart nie niht so lobesam, swä düz an rehte güete kerest,79 so du bist. din lop mit rede nieman volenden kan. swes dü mit triuwen pfligest wol, der ist ein saelic man und mac vil gerne leben, dü gist80 al der weite hohen muot. maht81 ouch mir ein wenic vröide geben!
165,37
5
Zwei dinc hän ich mir vür geleit82, diu stritent mit gedanken in dem herzen min: ob ich ir höhen wirdekeit mit minem willen wolte läzen minre sin, oder ob ich daz welle, daz si83 groezer si und si vil saelic wip beste min und aller manne vri84. diu85 tuont mir beide we. ich enwirde ir lasters niemer vrö; verget siu86 mich, daz klage ich iemer me.
3
4
5
78 79
80 81 82
83 84 85 86 87
Ob ich nu tuon und hän getan, daz ich von rehte in ir hulden solte sin, und si vor aller werlde hän87, waz mac ich des,88 vergizzet si darunder min?
166,7
nam·, hier etwa .Begriff, Wort', das Wort wip nämlich. Eingeschobener Relativsatz mit wohl konditionaler Bedeutung (vgl. MHD Grammatik § 450): ,es gab nie etwas so Lobenswertes, wie du es bist, wo immer/wenn du es nach rechter Güte richtest (wenn du gut/richtig handelst)'. gist = gibest: 2. Sg. Ind. Präs. von geben, kontrahierte Form. maht\ 2. Sg. Ind. Präs. von mugen. geleit = geleget: Part. Prät. von legen, vür legen, refl. und mit Akk., ,sich etwas vorstellen, überlegen'. si: Gemeint ist ir hohen wirdekeit. vri bestän, mit Gen.: ,frei bleiben von, verschont bleiben von'. diu: Gemeint sind die beiden genannten Alternativen. siu: Hier ist die Frau gemeint; ,meidet/übergeht sie mich'. haben vor: ,höher halten als, lieber haben als'.
Reinmar
5
27
swer nu giht, daz ich ze spotte89 künne klagen, der läze im90 beide min rede singen unde sagen
unde merke91, wä ich ie spreche ein wort, ezn lige, e ichz gespreche, herzen bi.92
VII Si jehent, der sumer der si hie 1
5
lo
2
5
88 89 90 91 92
93 94
95
96
, Si j ehent, der sumer der si hie, diu wunne diu si komen, und daz ich mich wol gehabe93 als e. nu rätent unde sprechent: wie? der tot hat mir benomen, daz ich niemer überwinde me. waz bedarf ich wunneclicher zit, sit aller vröiden herre Liutpolt in der erde lit,94 den ich nie tac getrüren sach? ez hat diu weit an ime verlorn, daz ir an manne nie sö jämerlicher schade95 geschach.
167,31
Mir armen wibe was ze wol, swenne ich gedähte an in, wie min heil an sime libe lac. sit ich des nü niht haben sol, sö gät mit j ämer hin, swaz ich iemer nü geieben mac.96
168,6
waz mac ich des·. .was kann ich dafür'. ze spotte: hier ,zum Scherz'. im·. Reflexivpron.; ,der lasse sich meine Antwort sowohl singen als auch sagen'. merken hier etwa .achten a u f . ,das nicht, bevor ich es ausspreche, beim Herzen lag'. Also etwa ,... der achte genau darauf, wo ich je ein Wort sage, das nicht von Herzen kommt'. gehabe: hier wohl Konj.; etwa ,dass ich wieder so guter Dinge sein möge wie zuvor'. Dieses Lied ist auch als ,Witwenklage' bekannt: Der hier genannte Leopold wird mit Herzog Leopold V von Österreich identifiziert, der 1194 gestorben ist; das Lied ist aus der Warte seiner Witwe gedichtet. schade hier etwa .Verlust': ,dass sie (die Welt) nie zuvor an irgendeinem Mann einen so beklagenswerten Verlust erlitten hat'. ,was auch immer ich nun noch erleben mag' oder .der Rest meines Lebens'.
Lyrik
28
10
3
5
10
97 98 99 100
101
102 103 104
der spiegel miner vröiden ist verlorn. den ich üz al der weite mir ze tröste häte erkorn97, des muoz ich ane sin. do man mir seite", er waere tot, do wiel" mir daz bluot vonme herzen üf die sele min. Die vröide mir verboten hat mins lieben herren tot also, daz ich ir mer enbern sol. sit des nu niht mac werden rät, in100 ringe mit der not, daz mir min klagendez herze ist jämers vol, diu in iemer weinet, daz bin ich;101 wan er vil saelic man, jö tröste er wol ze lebenne mich, der ist nu hin. waz tohte102 ich hie? wis103 ime gnaedic, herre got! wan tugenthafter104 gast kam in din gesinde nie.'
168,18
erkorn: Part. Prät. von erkiesen, .erwählen' seite = sagete: 3. Sg. Ind. Prät. von sagen, kontrahierte Form. wiel·. 3. Sg. Ind. Prät. von wallen. in = ich en. Hier liegt eine Art doppelte Verneinung vor (in den Versen 4 und 5), die nach nhd. Sprachgefühl pleonastisch ist; vgl. MHD Grammatik § 441. In der Übersetzung wird der abhängige Satz positiv: ,da das nun nicht zu verhindern ist, dass ich mit der Not ringe'. Das ist der Hauptsatz, die Folge aus den vorhergehenden Versen: ,so bin ich es, die ihn alle Zeit beweinen wird'. tohte: 1. Sg. Ind. Prät. von tugen; ,wozu taugte ich hier, was soll ich noch hier'. wis: 2. Sg. Imp. von sin. tugenthafter. Komparativ; ,denn ein tugendhafterer Gast kam nie in dein Gefolge'.
Abb. 3: Walther von der Vogelweide. Miniatur aus der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. Germ. 848)
Die Große Heidelberger Liederhandschrift, auch als Manessische Liederhandschrift bekannt, ist einer der wichtigsten Überlieferungsträger für mittelhochdeutsche Lyrik. Anfang des 14. Jahrhunderts in Zürich entstanden, enthält sie Gedichte von 140 namentlich genannten Dichtern und zudem 138 ganzseitige Miniaturen mit >Porträts< der Dichter. Diese Abbildung hier zeigt Walter von der Vogelweide in der Haltung, in welcher er sich in seinem Gedieh Ich saz üf eime steine beschreibt: mit übereinander geschlagenen Beinen, einen Arm auf das Knie gestützt und das Kinn in die Hand geschmiegt.
Walther von der Vogelweide Über den Dichter ist über sein Werk hinaus nur wenig bekannt. In einer Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten, von den 1190er Jahren bis ca. 1230, produzierte er ein thematisch ungewöhnlich vielfältiges CEvre: Preis- und Scheltlieder, Liebeslyrik, politische Lyrik, Lebenslehre, religiöse Lieder. Er verfasste die Texte, komponierte die dazugehörigen Melodien und trug die Lieder im Dienst verschiedener Mäzene vor höfischem Publikum vor. Die folgende Auswahl soll einen Einblick in die thematische Vielfalt geben.
I
5
10
1
" 3 4
Reichston
Ich saz üf eime steine und dahte2 bein mit beine. dar üf sazte ich den eilenbogen, ich hete in mine hant gesmogen3 min kinne und ein min wange. do däht ich mir vil ange, wes man zer4 weite solte leben, dekeinen rät konde ich gegeben, wie man driu dinc erwürbe, der deheinez niht verdürbe, diu zwei sint ere und varnde guot, daz dicke ein ander schaden tuot. daz dritte ist gotes hulde, der zweier Überguide, die wolte ich geme in einen schrin, ja leider des enmac niht sin, daz guot und weltliche ere und gotes hulde mere zesame in ein herze komen.
8,4
Die Lieder sind nach Tönen, ihrem metrisch-musikalischen Schema, angeordnet, welche mit römischen Ziffern gezählt sind; einige der Töne haben auch Namen. Innerhalb der Töne erfolgt eine Zählung (in arabischen Ziffern) nach Strophen. Die Strophen eines Tones bilden oft keine Liedeinheit, sondern stehen unverbunden nebeneinander; wo dies der Fall ist, habe ich meist nur eine Auswahl der Strophen des Tones aufgenommen. Die Zahlen am rechten Seitenrand verweisen auf eine frühere Ausgabe, von Karl Lachmann; sie werden in der Forschungsliteratur als Identifikationshilfen für einzelne Strophen gebraucht. Bei sich zu einer Liedeinheit zusammen schließenden Strophen habe ich sie nur fur die erste Strophe angegeben. dahte: 1. Sg. Ind. Prät. von decken, .bedecken, legen a u f . gesmogen: Part. Prät. von smiegen. zer = ze der: etwa ,in der, auf der'.
32
Lyrik
20
5
10
15
20
5 6 7
8
9 10
stig und wege sint in benomen: untriuwe ist in der säze5, gewalt vert üf der sträze, fride und reht sint sere wunt. diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden e gesunt.
Ich hörte ein wazzer diezen 8,28 unde sach die vische vliezen, ich sach, swaz in der weite was, velt, wait, loup, ror unde gras. swaz kriuchet unde vliuget und bein zer erden biuget, daz sach ich unde sag iu daz: der6 dekeinez lebet äne haz. daz wilt und daz gewürme, die stritent starke stürme, same tuont die vogel under in, wan daz si habent einen sin: si dühten7 sich zenihte, si enschüefen starc gerihte. si kiesent künege unde reht, si setzent herren unde kneht. owe dir, tiusche zunge8, wie stet din ordenunge, daz nü diu mugge ir künec hät, und daz din ere also zergät! bekerä dich, bekere, die cirkel9 sint ze here, die armen künege dringent dich: Philippe, setze den weisen10 üf, und heiz si treten hinder sich.
säze·. hier etwa .Hinterhalt', also .Treulosigkeit liegt im Hinterhalt'. der: Gen., bezogen auf die Vers 5f. genannten Lebewesen; etwa .keines von ihnen'. dühten\ 3. PI. Ind. Prät. von dünken; konjunktivische Bedeutung, etwa ,sie würden sich nichtig vorkommen'. tiusche zunge: ,deutsche Zunge'; gemeint ist ,Land, in dem Deutsch gesprochen wird'. cirkel = zirkel: .Reif, Krone'; die Kronen der anderen, .armen' Könige. Pars pro toto für die Reichskrone, die mit einem als , Waise' bezeichneten Edelstein verziert war. hinder sich treten: ,nach hinten treten, zurück treten'.
Walther von der Vogelweide
33
II Ottenton 1
5
10
2
5
10
11 12 13 14
15 16 17 18
Herre keiser, sit ir willekomen! der küneges name ist iu benomen," des schinet iuwer cröne ob allen crönen. iuwer hant ist crefte und guotes vol, ir wellent übel oder wol, so mac si12 beidiu rechen unde Ionen. Dar zuo sage ich iu masre: die fiirsten sint iu undertän, si habent mit zühten iuwer kunft erbeitet13. und ie der Missenaere14, der ist iemer iuwer äne wän, von gote wurde ein engel e verleitet.
11,30
Her keiser, ich bin fronebote und bringe iu botschaft von gote: ir habt die erde, er hat daz himeliiche. er hiez iu clagen15, ir sit sin voget, in sines sunes lande broget diu heidenschaft iu beiden lästerliche. Ir mugent im gerne rihten16: sin sun, der ist geheizen Crist, er hiez iu sagen, wie erz verschulden17 welle. nü lät in zuo iu pflihten18. er rihtet iu, da er vogt ist, clagt ir joch über den tievel üz der helle.
12,6
Statt als König kann Otto von Braunschweig jetzt als Kaiser angesprochen werden. Gemeint ist iuwer hant. erbeitet: Part. Prät. von erbiten, .erwarten'; kunft: .Ankunft'. Markgraf Dietrich von Meissen, in dessen Dienst Walther dieses Lied möglicherweise gedichtet hat. clagen, mit Dat.: ,vor jemandem eine Klage vorbringen'. rihten, mit Dat.: jemandem Recht verschaffen'. verschulden: hier etwa .vergelten'. pflihten, mit Dat. und ze: ,sich verbünden mit, sich verpflichten zu'; also etwa ,nun lasst ihn einen Bund mit Euch schließen'.
Lyrik
34
3
5
10
Her keiser, swenne ir Tiuschen vride gemachet staete bi der wide19, so bietent iu die fremeden zungen20 ere. die suit ir nemen an arbeit und süenen al die kristenheit: daz tiuret iuch und müet die heiden sere. Ir tragt zwei keisers eilen: des arn tugent, des lewen craft, die sint des herren zeichen an dem schilte.21 die zwene hergesellen, wan22 woltens an die heidenschaft, waz widerstüende ir manheit und ir milte?
12,18
III Erster Philippston 1
5
10
"
20 21
22
23 24
25
Diu krone ist elter, danne der künic Philippes si. da mugent ir alle schouwen wol ein wunder bi, wie si ime der smit so ebne habe gemachet, sin keiserlichez houbet zimt ir also wol, daz si ze rehte nieman guoter scheiden sol. ir dewederz23 da daz ander niht enswachet. Si liuhtent beide ein ander an, daz edel gesteine wider den jungen süezen man. die ougenweide sehent die fursten gerne. swer nü des riches irre ge24, der schouwe, wem der weise25 ob sime nacke ste: der stein ist aller fürsten leitesterne.
18,29
bi der wide: etwa ,bei der Strafe des Hängens'. Also etwa ,wenn Ihr mit dem Einsatz von Todesstrafe einen deutschen Frieden erreicht'. Anspielung auf Landfriedensbemühungen. Gemeint sind ,alle, die in fremden Zungen sprechen', also Nicht-Deutschsprachige. Anspielung auf das Wappen Kaiser Ottos von Braunschweig, das Adler und Löwe vereinigte. wan: hier etwa ,wenn doch!', also .wenn sie (Adler und Löwe) doch gegen die Heiden ziehen würden!'. ir dewederz·. jedes von beiden'; also etwa .beide entehren einander nicht'. irregän, mit Gen.: etwa ,irregehn an, zweifeln an'. Also ,wer jetzt noch am Reich zweifelt' (d. h., nicht sicher ist, wer der rechtmäßige König ist). Vgl. Anmerkung 10.
Walther von der Vogelweide
2
5
10
3
5
10
35
Ez gienc eines tages, als unser herre wart gebom von einer maget, die er im26 ze muoter hat erkorn, ze Megdeburc der künic Philippes schöne, da gienc eins keisers bruoder und eins keisers kint in einer wät, swie doch die namen drige sint, er truoc des riches zepter und die kröne. Er trat vil lise, im was niht gäch, im sleich27 ein höhgebome küniginne nach, röse äne dorn, ein tube sunder gallen. diu zuht was niener anderswä, die Düringe28 und die Sahsen dienten also da, daz ez den wisen müeste wol gevallen.
19,5
Der in den ören siech von ungesühte si, daz ist min rät, der läz den hof ze Düringen fri, wan kumet er dar, deswär er wirt erteeret, ich hän29 gedrungen, unz ich niht me gedringen mac. ein schar vert üz, diu ander in, naht unde tac. gröz wunder ist, daz iemen da gehoeret. Der lantgräve30 ist so gemuot, daz er mit stolzen helden sine hab vertuot, der iegeslicher wol ein kenpfe wasre. mir ist sin höhe fuor wol kunt: und gulte31 ein fiioder guotes wines tüsent pfunt, da stüend doch niemer ritters becher laere.
20,4
IV Wiener Hofton 1
26
27 28 29 30 31
Mir ist verspart der saelden tor, da sten ich als ein weise vor. mich hilfet32 niht, swaz ich dar an geklopfe.
20,31
im: Reflexivpron.; ,die er sich zur Mutter erwählt hat'. Die Verse sind eine Umschreibung fur ,am Weihnachtstag'. sleich: 3. Sg. Ind. Prät. von slichen\ hier etwa .gemessen schreiten'. Die Thüringer. hän: 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. Landgraf Hermann von Thüringen, an dessen Hof Waither hier Kritik übt. gulte: 3. Sg. Konj. Prät. von gelten, .kosten, wert sein'.
36
Lyrik
5
10
15
5
10
15
32 33 34
35
wie möht ein wunder groezer sin, ez regent beidenthalben min, daz mir des alles niht enwirt ein tropfe! Des fiirsten milte üz (Esterriche fröit dem süezen regen geliche beide liute und daz lant. erst33 ein schoene wol gezieret heide, dar abe man bluomen blichet wunder, und braeche mir ein blat dar under sin vil milte richiu hant, sö möhte ich loben die süezen ougenweide. hie bi s! er an mich gemant.
Der hof ze Wiene sprach ze mir: „Walther, ich solte lieben dir34, nü leide ich dir, daz müeze got erbarmen, min wirde diu was wilent gröz, do lebte niender min genöz wan künic Artüses hof, sö we mir armen! Wä nü35 ritter unde frowen, die man bi mir solte schowen? seht, wie jämerlich ich ste! min dach ist ful, sö risent mine wende, mich enminnet nieman leider, golt, silber, ros und dar zuo kleider, die gap ich unde hat ouch me. nun hab ich weder schappel noch gebende noch frowen zeinem tanze, owe!"
24,33
mich hilfet: .helfen' kann Mhd. auch mit Akk. stehen; also ,es nützt mir nichts'. erst = er ist. lieben, mit Dat.: Jemandem lieb sein, gefallen'. Entsprechend leiden im folgenden Vers: .missfallen'. wä nü: ,wo sind nun'.
Weither von der Vogelweide
37
V König-Friedrichs-Ton 1
5
10
2
5
10
Von Rome voget, von Pülle künic, lät36 iuch erbarmen, daz man bi richer kunst37 mich lät alsus armen, gerne wolde ich, möhte ez sin, bi eigenem fiur erwarmen. Ahl, wie ich danne sunge von den vogellinen, von der heide und von den bluomen, als ich wilent sanc! swelch schoene w!p mir gaebe danne ir habedanc, der lieze ich liljen unde rösen uz ir wengel schinen. Kume ich späte und rite fruo, gast38, we dir, we! sö mac der wirt39 wol singen von dem grüenen kle. die not bedenkent, milter künic, daz iuwer not zerge!
28,1
Ich hän min lehen, al die werlt, ich hän min lehen! 28,31 nü enfürhte ich niht den hornunc an die zehen und wil alle boese herren dester minre vlehen. Der edel künic, der milte künic hät mich beraten40, daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hän. minen nähgebüren dunke ich verre baz getän; si sehent mich niht mer an in butzen wis41, als si wilent täten. Ich bin ze lange arn gewesen an minen danc, ich was so volle scheltens, daz min äten stanc, daz hät der künic gemachet reine und dar zuo minen sanc.
VI Unmutston, Zweiter Ottenion Ahl, wie kristenliche nü der bäbest lachet, swanne er sinen Walhen seit42: „ich hänz also gemachet!" daz er dä seit, des solt er niemer hän gedäht. 36 37 38
39
40 41 42
34,4
lät·. 2. PL Imp. von läzen, kontrahierte Form. bi richer kunst: etwa ,bei/trotz (meiner) herrlichen Kunstfertigkeit'. gast ist auf den Sprecher bezogen; also etwa jetzt komme ich spät an und reite früh wieder weg - weh dir, weh, Fremder'. wirt: etwa .Hausherr'. Gemeint ist also jemand, der in seinem eigenen Haus lebt im Gegensatz zum gast im vorigen Vers. beräten, mit Akk.: etwa .versorgen, beschenken, belohnen'. in butzen wis: etwa ,wie ein Schreckgespenst'. seit = saget: 3. Sg. Ind. Präs. von sagen, kontrahierte Form.
Lyrik
38
5
10
er gihet43: „ich hän zwene Allamän44 under eine kröne bräht, Daz si daz riche sulen stoeren unde wasten. ie dar under vüllen wir die kästen, ich hän si an mmen stoc45 gemenet, ir guot ist allez min. ir tiutschez silber vert in minen welschen schrin. ir pfaffen, ezzent hüenr und trinkent win, unde länt die tiutschen leien magern unde vasten."
VII Under der linden
5
,Under der linden46 an der heide, da unser zweier bette was, da mugent ir vinden schöne beide47 gebrochen bluomen unde gras. Vor dem walde in einem tal, tandaradei, schöne sanc diu nahtegal.
5
Ich kam gegangen zuo der ouwe, do was min friedel komen e. da wart ich enpfangen, here frowe,48 daz ich bin saelic iemer me. Küster mich? wol tüsentstunt, tandaradei, seht, wie rot mir ist der munt.
1
2
43 44
45
46
47
48
39,11
gihet: 3. Sg. Ind. Präs. vonjehen, .sagen'. Allamän, Alemän: .Deutscher'. Die Strophe bezieht sich auf den deutschen Thronstreit von 1198 und die Rolle, die Papst Innozenz III. dabei gespielt hat. stoc: hier .Opferstock'. Also etwa .ich habe sie (die Deutschen) zu meinem Opferstock gefuhrt'. Einfache Anführungszeichen kennzeichnen in Ausgaben mittelhochdeutscher Lyrik so genannte Frauenstrophen, also Strophen, die einer Frau in den Mund gelegt sind. beide bezieht sich auf bluomen unde gras im folgenden Vers; beide ... und: .sowohl als auch'. here frowe bezieht sich auf die Sprecherin selbst; sie wird als .edle Herrin' begrüßt.
Walther von der Vogelweide
3
5
Do hat er gemachet also riche von bluomen eine bettestat. des wirt noch gelachet innecliche, kumt iemen an daz selbe pfat, Bi den rosen er49 wol mac, tandaradei, merken, wä mirz houbet lac.
5
Daz er b! mir lacgeso, wessez iemen, nun welle got, so schämt ich mich, wes er mit mir pflaege, niemer niemen bevinde daz, wan er und ich, Und ein kleinez vogellin, tandaradei, daz mac wol getriuwe sin.'
4
39
VIII Ir suit sprechen willekomen 1
5
2
49 50
51
Ir suit sprechen willekomen: der iu maere bringet, daz bin ich. allez, daz ir habt vernomen, dest51 gär ein wint, nü vräget mich. Ich wil aber miete, wirt min lön iht guot, ich sage vil lihte, daz iu sanfte tuot. seht, waz man mir eren biete.
56,14
Ich wil tiuschen vrowen sagen, solchiu masre,52 daz si deste baz
er ist bezogen auf iemen im vorigen Vers. läge: 3. Sg. Konj. Prät. von Ilgen. Der Konjunktiv hier und in Vers 4 ist bedingt durch den Modus im jeweils übergeordneten Satz; vgl. MHD Grammatik § 469-472. In der nhd. Übersetzung steht Indikativ: ,Dass er bei mir lag, wüsste das jemand ...'. dest = daz ist.
Lyrik
40
5
3
5
4
5
5
52
53
54
55 56 57 58
al der weite suln behagen, äne gröze miete tuon ich daz. Waz wolde ich ze lone? si sint mir ze her. so bin ich gevüege und bitte si nihtes mer, wan daz si mich grüezen schöne. Ich hän lande vil gesehen unde nam der besten gerne war. übel müeze mir geschehen, künde ich ie min herze bringen dar, Daz ime wol gevallen wolte fremeder site, waz hülfe mich, obe ich unrehte strite? tiuschiu zuht gät vor in allen". Von der Elbe unz an den Rin her wider unz an der Unger lant, da mügen wol die besten sin, die ich in der weite hän erkant. Kan ich rehte schowen54 guot geläz und lip, sem mir got55, so swüer56 ich wol, daz hie diu wip bezzer sint danne ander frowen. Tiusche man sint wol gezogen, rehte als engel sint diu wip getan, swer si schiltet, derst57 gar betrogen: ich enkan sin58 anders niht verstän.
Die tiuschen vrowen sind nicht Adressaten, sondern vielmehr Inhalt der mcere; also etwa ,ich will von deutschen Damen so erzählen, dass sie der Welt umso besser gefallen'. in allen: gemeint sind die ,fremden Sitten', also .deutsche Lebensart übertrifft sie alle'. schowen: hier etwa ,erkennen, beurteilen', also ,wenn ich gutes Benehmen und Schönheit richtig erkennen kann'. sem mir got: ,bei Gott'. swüer: 1. Sg. Konj. Prät. von swern; ,so würde ich wohl schwören, dass ...'. derst = der ist. sin : Gen., abhängig von verstän und auf den vorhergehenden Gedanken bezogen; also ,anders kann ich das nicht verstehen'.
Walther von der Vogelweide
5
41
Tugent und reine minne, swer die suochen wil, der sol komen in unser lant, da ist wunne vil. lange miieze ich leben dar inne!
IX Nement, frowe, disen cranz59 1
5
2
5
3
5
59
60 61
„Nement, frowe, disen cranz", also sprach ich zeiner wol getanen maget, „so zieret ir den tanz mit den schcenen bluomen, als irs60 üffe traget. Het ich vil edele gesteine, daz mües üf iuwer houbet, obe ir mirs geloubet. sent61 mine triuwe, daz ich ez meine. Ir sit so wol getan, daz ich iu min schappel gerne geben wil, daz beste, daz ich hän. wizer unde röter bluomen weiz ich vil, Die stent so verre in jener heide. da si schöne entspringent und die vogele singent, da suln wir si brechen beide". Si nam, daz ich ir bot, einem kinde vil gelich, daz ere hat. ir wangen wurden rot same diu röse, da si bi der liljen stät, Des erschamten sich ir liehten ougen. doch neic si mir vil schöne.
74,20
75,9
74,28
Dieses Lied wird in den Ausgaben in unterschiedlicher Strophenfolge präsentiert, daher habe ich hier die Lachmannsche Zählung zu jeder Strophe aufgeführt. Cormeaus Ausgabe, die diesem Abdruck zugrunde liegt, verzeichnet die unterschiedlichen Versionen und gibt Literaturhinweise. irs ~ ir sie. Gemeint sind die Blumen: ,wenn Ihr sie auf dem Kopf tragt'. sent: 2. PI. Imp. von sehen, kontrahierte Form, triuwe ist hier etwa als .Ehrenwort, Eid' zu verstehen; also ,seht hier meinen Eid, dass ich es wirklich so meine'.
42
Lyrik
daz wart mir ze löne. wirt mirs iht mere, daζ trage ich tougen.62 4
5
5
5
Mich dühte63, daz mir nie lieber wurde, danne mir ze muote was. die bluomen vielen ie von den boumen bi uns nider an daz gras. Seht, dö muoste ich von fröiden lachen, do ich so wunnecliche was in troume riche, do taget ez und muose ich wachen. Mir ist von ir geschehen,64 daz ich disen sumer allen meiden muoz vaste under diu ougen65 sehen, lihte wirt mir eine66, so ist mir sorgen buoz67. Waz obe si get an disem tanze? frowe, dur iuwer güete rucket üf die hüete. owe, gesashe ichs under cranze!
75,17
75,1
X Leopoldston, Erster Thüringerton, Zweiter Atzeton 1
5
62 63 64 65 66 67 68 69
Owe, daz wisheit unde jugent, des mannes schoene noch sin tugent niht erben68 sol, so ie der l!p erstirbet! daz mac wol clagen ein wiser man, der sich des schaden versinnen kan, Reimär, waz guoter kunst an dir69 verdirbet.
82,24
Etwa , wird mir davon noch mehr zuteil, werde ich es geheim halten'. dühte: 3. Sg. Ind. Prät. von dunken, mit Akk.; ,mir schien'. Etwa ,mir ist wegen ihr etwas passiert, so dass .../Sie hat mich dazu gebracht, dass ...'. under diu ougen: ,ins Gesicht'. mir wirt: etwa ,mir begegnet, ich bekomme (ein Mädchen nämlich)'. buoz sin, mit Gen.: .lossein', also ,dann bin ich meine Sorgen los'. erben: hier absolut, also etwa ,ach, dass Weisheit (etc.) nicht vererbt wird'. an dir: etwa ,mit dir', also ,was an guter Kunst mit dir, Reinmar, vergeht'. Gemeint ist Reinmar von Hagenau, älterer Dichterkollege Walthers, dessen Tod hier beklagt wird.
43
Walther von der Vogelweide
10
Dü solt von schulden iemer des geniezen, daz dich des tages nie wolte verdriezen, dun spraeches ie den vrowen wol < >70 des süln si iemer danken diner zungen. und hetest anders niht wan eine rede gesungen sö wol dir, wip, wie reine ein nam!71 - dü hetest alse gestriten an72 ir lop, daz elliu wip dir iemer gnaden solten biten.
XI Frö Welt, ir suit dem wirte sagen 1
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Frö Welt, ir suit dem wirte sagen, daz ich im gar vergolden habe, min graste gülte ist abe geslagen73, daz er mich von dem briefe schabe. Swer im iht sol74, der mac wol sorgen, e ich im lange schuldic waere, ich wolt ez zeinem juden borgen, er swiget unz an einen tac, so wil er danne ein wette hän, sö j ener niht vergelten mac.
100,24
„Walther, dü zürnest äne not, dü solt bi mir beliben hie. gedenke, waz ich dir eren böt, waz ich dir dines willen lie75, Als dicke dü mich sere baete. mir was vil innekliche leit, daz düz ie sö selten taete. bedenke dich, dm leben ist guot.
In diesem Vers fehlen einige Silben; der Ton erfordert hier drei weitere Hebungen und einen Reim zu Vers 12/13. Der Nebensatz ist abhängig von verdriezen im vorigen Vers, also etwa ,dass es dich nie verdrießen konnte, den Damen (wol ...) zuzusprechen'. Waither zitiert hier eine Zeile Reinmars (MF 165,28). striten an: etwa ,kämpfen/sich einsetzen für'. abe gestagen·. Part. Prät. von abe slahen, hier etwa ,tilgen'. sol: 3. Sg. Ind. Präs. von soln; .schulden'. lie: 1. Sg. Ind. Prät. von lazen, kontrahierte Form. Der Genitiv dines willen ist abhängig von waz, also etwa ,was von deinem Willen ich geschehen ließ'.
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so dü mir rehte widersagest, son wirst dü niemer wol gemuot." Frö Welt, ich hän ze vil gesogen, ich wil entwonen, des ist zit. d!n zart hat mich vil nach betrogen, wand er76 vil süezer fröiden g!t. Do ich dich gesach reht under ougen, do was din schouwen wunderlich " al sunder lougen. doch was der schänden alse vil, do ich din hinden wart gewar, daz ich dich iemer schelten wil. „Sit ich dich niht erwenden mac, so tuo doch ein dinc, des ich ger. gedenke an mangen liehten tac und sich78 doch underwilent her, Niuwan so dich der zit betrage."79 daz taet ich wunderlichen gerne, wan daz ich furhte dine läge, vor der sich nieman kan bewarn, got gebe iu, frowe, guote naht. ich wil ze herberge vam.
XII Zweiter Thüringerton, Erster Atzeton 1
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Mir hat her Gerhart Atze ein pfert erschozzen zlsenache. daz klage ich dem, den er bestät80: der ist unser beider voget. ez was wol drier marke wert.
104,7
er: bezieht sich auf din zart; zart (.Zärtlichkeit') ist maskulin. Hier fehlt Text in der Handschrift; der Ton erfordert zwei weitere Hebungen. sich: 2. Sg. Imp. won sehen. beträgen, mit Akk. und Gen.: .verdrießen, lang werden'; also etwa .schau doch gelegentlich herein, wenn dir die Zeit lang wird'. bestät: 3. Sg. Ind. Präs. von bestän, mit Akk., hier etwa ,unterstehen'. Also ,das bringe ich vor dem zur Anklage, dem er untersteht/dem er zu Diensten steht'.
Walther von der
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nü hoerent froemde sache, sit daz ez an ein gelten gät, wä mit er mich nü zöget81. Er seit von grozer swaere, wie min pfert masre dem rosse sippe waere, daz im den vinger abe gebizzen hat ze schänden, ich swer mit beiden handen, daz s! sich niht erkanden: ist ieman, der mir stabe82?
XIII Owe, w a r sint verswunden alliu mlniu j ä r 1
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Owe, war sint verswunden alliu miniu jär! ist min leben mir getroumet, oder ist ez war? daz ich ie wände, daz iht waere, was daz iht?" dar nach hän ich gesläfen und enweiz es niht. nü bin ich erwachet und ist mir unbekant, daz84 mir hie vor was kündic als min ander hant. liute und lant, dar inn ich von kinde bin erzogen, die sint mir froemde worden, reht als ob ez si gelogen, die mine gespiln wären, die sint trasge unde alt. bereitet ist daz velt, verhouwen ist der wait. wan daz daz wazzer fliuzet, als ez wilent vloz,85 für war, ich wände, min ungelücke wurde gröz. mich grüezet maniger träge, der mich bekande e wol, diu weit ist allenthalben Ungnaden vol. als ich gedenke an manigen wunneklichen tac, die mir sint enphallen, als in daz mer ein slac. iemer mere ouwe.
124,1
zogen: hier etwa ,hinhalten'. Stäben: ,den Eid abnehmen'; ,gibt es jemanden, der mir den Eid abnehmen würde?' Etwa ,Das, von dem ich immer wähnte, dass es etwas wäre, war das etwas?' daz\ ,was' zu ergänzen, also ,das, was mir zuvor bekannt war wie meine Hand'. Vorgestellter Konditionalsatz zum folgenden Vers; etwa .Wäre da nicht das Wasser, das immer noch so fließt wie zuvor - fürwahr, ich glaubte, mein Unglück würde groß.'
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Owe, wie jaemerltche junge liute tuont, den hö vil niuwecliche ir gemüete stuont, die kunnen niuwan sorgen, owe, wie tuont si so? swar ich zer werlte kere, da ist nieman ντό, tanzen, singen 86 zergät mit sorgen gar. nie kristenman gesach sö jaemerltche schar, nü merkent, wie den frouwen ir gebende stät, die stolzen ritter tragent dörpelliche wät. uns sint unsenfte brieve her von Rome komen,87 uns ist erloubet trüren und fröide gar benomen. daz müet mich inneklichen, wir lebten ie vil wol, daz ich nü für min lachen weinen kiesen sol. die wilden vogellin betrüebet unser clage, waz wunders ist, ob ich da von verzage? waz spriche ich tumber man durch mtnen boesen zorn? swer dirre wunne volget, der hat jene dort verlorn, iemer mer ouwe. Owe, wie uns mit süezen dingen ist vergeben88! ich sihe die bittern gallen mitten in dem honige sweben: diu weit ist üzen schoene, wiz, grüen und rot, und innan swarzer varwe, vinster sam der tot. swen si89 nü verleitet habe, der schouwe sinen tröst: er wirt mit swacher buoze grözer sünde erlöst, dar an gedenkent, ritter, ez ist iuwer dinc. ir tragent die liehten helme und manigen herten rinc, dar zuo die vesten schilte und die gewihten swert. wolte got, waer ich der signünfte wert! sö wolte ich nötic man verdienen riehen solt. joch meine ich nit die huoben noch der herren golt, ich wolte selbe90 cröne eweklichen tragen,
In diesem Vers fehlt möglicherweise Text (eine Hebung) in der Handschrift. ,Briefe aus Rom' sind Sendschreiben des Papstes - es wird jedoch nicht klar, worauf genau Walther sich hier bezieht, möglicherweise auf Kreuzzugsaufrufe Innozenz III. oder die Schreiben, mit denen die Bannung Friedrichs II. im Jahr 1227 bekannt gemacht wurde. vergeben·, hier etwa ,vergiften'; also ,Weh, wie wir mit süßen Dingen vergiftet sind'. Gemeint ist diu weit. Die Handschrift hat hier selbe, die meisten Herausgeber haben es jedoch durch scelden ersetzt: ,die Krone der Seligkeit'. Waither ruft hier zur Beteiligung an einem Kreuz-
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die möhte ein soldener mit sime sper bejagen. möhte ich die lieben reise gevam über se91, so wolte ich denne singen wol unde niemer mer ouwe, niemer mer ouwe.
zug auf, bei dem als Belohnung nicht irdischer Reichtum (huoben = Landbesitz und Gold), sondern Vergebung der Sünden lockt. über se: Übliche Bezeichnung für die Fahrt ,über das Meer', in die Kreuzfahrerstaaten im Heiligen Land.
Neidhart Nach der Nennung des Herkunftsortes Riuwental in einigen seiner Lieder wird Neidhart auch von Reuental genannt; ob es sich dabei um einen realen oder fiktiven Ort handelt, ist jedoch nicht sicher. Er hat zwischen ca. 1210 und 1240 in Bayern und Österreich gedichtet; weiteres ist über ihn nicht bekannt. Typisch für seine Lieder ist die Übertragung von Elementen des höfischen Minnesangs in eine dörfliche Umgebung. Nach den jeweiligen Natureingängen unterscheidet man Sommer- und Winterlieder; hier folgen vier Sommerund zwei Winterlieder.
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Ine gesach die heide
Ine1 gesach die heide nie baz gestalt, in liehter ougenweide den grüenen wait: bi den beiden kiese2 wir den meien. ir mägde, ir suit iuch zweien, gein dirre liehten sumerzit in hohem muote reien. Lop von mangen zungen der meie hat. die bluomen sint entsprungen an manger stat, da man e deheine künde vinden, geloubet3 stät diu linde: da hebt sich, als ich hän4 vernomen,
ein tanz von höfschen kinden.
Die sint sorgen äne und vröuden rieh. ir mägede wolgetäne und minneclich, zieret iuch, daz iu die Beier danken, die Swäbe und die Vranken! ir briset iuwer hemde wiz mit siden wol zen5 lanken!
Ine = ich ne: Personalpronom mit angehänger Negationspartikel. kiese = kiesen: 1. PI. Ind. Präs. von kiesen, hier etwa ,erkennen'. Die Personalendung kann fehlen, wenn das Pron. wir folgt; vgl. MHD Grammatik § 240, 1. geloubet = geloup: .belaubt'. hän: 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form.
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„Gein wem6 solt ich mich zäfen?" sö redete ein maget. „die tumben sint entsläfen; ich bin verzaget. vreude und ere ist al der werlde unmaere. die man sint wandelbare: deheiner wirbet umbe ein w!p, der er getiuwert7 waere." „Die rede soltü behalten", sprach ir gespil. „mit vröuden sul wir alten: der manne8 ist vil, die noch gerne dienent guoten wiben. lät9 solhe rede beliben! ez wirbet einer umbe mich, der trüren kan vertriben." „Den soltü mir zeigen, wier mir behage, der gürtel s! din eigen, den umbe ich trage! sage mir srnen namen, der dich minne sö tougenlicher sinne!10 mir ist getroumet hint von dir, din muot der ste" von hinne." „Den si alle nennent von Riuwental und sinen sanc erkennent wol über al, derst12 mir holt, mit guote ich im des lone:
zen = ze den. siden sind hier wohl .Seidenbänder'. Also etwa ,ihr schnürt eure weißen Kleider mit Seidenbändern eng an die Seiten'. gein wem·. Die Präp. gegen, gein wird mhd. vom Dativ gefolgt; also ,für wen'. getiuwerf. Part. Adj. zu (ge)tiuren. tiuwern, .ehren'. Also etwa .keiner wirbt mehr um eine Frau, durch die er geehrt wäre (die ihm Ehre machte)'. der manne: Partitiver Gen. nach vil (vgl. MHD Grammatik § 368); ,es gibt viele Männer, die...'. lät·. 2. PI. Imp. von läzen, kontrahierte Form. Etwa ,in so heimlicher Weise (ohne dass ich es mitbekommen habe)'. din muot der ste: etwa .dein Sinnen steht danach, du willst'. derst = der ist.
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Lyrik
durch sinen willen schöne so wil ich brisen minen lip. wol dan, man liutet nöne13!"
II Nu ist der kiiele winder gar zergangen „Nu ist der küele winder gar zergangen, diu naht ist kurz, der tac beginnet langen, sich hebet ein wünneclichiu zit, diu al der werlde vreude g!t; baz gesungen nie die vogele e noch Sit14. Komen ist uns ein liehtiu ougenweide: man siht der rosen wunder15 üf der heide, die bluomen dringent durch daz gras, schone ein wise getouwet was, da mir min geselle zeinem kränze las16. Der wait hat siner grise gar vergezzen, der meie ist üf ein grüenez zw! gesezzen: er hat gewunnen loubes vil. bint dir17 balde, trütgespil! dü weist wol, daz ich mit einem ritter wil." Daz gehörte der mägde muoter tougen; si sprach: „behalte hinne vür d!n lougen! d!n wankelmuot ist offenbar. wint ein hüetel um din här! dü muost äne dme wät, wilt18 an die schar."
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none: ,die neunte Stunde, Mittagszeit'. e noch sit: wörtlich .zuvor oder seither'; umschreibend für ,nie', also ,schöner haben die Vögel noch nie gesungen'. wunder, mit Gen. (der rosen): ,ein Menge, in Fülle'. lesen: hier ,pflücken, sammeln'. .Blumen' (für einen Kranz) ist zu ergänzen. bint dir: 2. Sg. Imp. von binden, mit Dat., .Kopfputz aufbinden, sich schmücken'. Also .schmück dich rasch, liebste Freundin'. wilt, wil: 2. Sg. Ind. Präs. von wellen. Im vorgestellten Hauptsatz ist ein Verb zu ergänzen; also etwa ,du musst ohne dein Kleid gehen, wenn du zu den andern willst'.
Neidhart
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„Muoter min, wer gap iu daz ze lehen19, daz ich iuch miner waete solde vlehen, dem20 gespunnet ir nie vadem? läzet ruowen solhen kradem! wä nu slüzzel? sliuz fif balde mir daz gadem!"
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Diu wät diu was in einem Schrine versperret: daz wart b!21 einem Staffel üf gezerret. diu alte ir leider22 nie gesach: do daz kint ir kisten brach, dö gesweic ir zunge, daz si niht ensprach.
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Dar üz nam si daz röckel also balde, daz was gelegen in maneger kleinen valde. ir gürtel was ein rieme smal. in des hant von Riuwental23 warf diu stolze maget ir gickelvehen bal.
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III Blözen wir den anger ligen sähen 1
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Blözen wir den anger ligen sähen, end24 uns diu liebe zit begunde nähen, daz die bluomen drungen durch den kle aber als e. heide diust25 mit rösen nü bevangen: den tuot der sumer wol, niht we. Droschel, nahtigal die hoert man singen, von ir schalle berc unt tal erklingen: si vreunt26 sich gegen der lieben sumerzit,
lehen: geliehenes Gut, Lehen'; hier etwa ,wer gab euch das Recht dazu, dass ich euch um meine Kleidung anflehen muss'. dem = der en: Gen., bezogen auf miner wcete, mit angehängter Negationspartikel; also ,νοη der ihr nie auch nur einen Faden gesponnen habt'. bi: hier ,mit'; also etwa ,die (Truhe) wurde mit einem Stab aufgebrochen'. ir leider: ,etwas (für sie) Schlimmeres'. ,in die Hand desssen aus Reuental, in die Hand des Reuentalers'. end, ent: ,bevor, ehe'. Also .bevor die schöne Zeit sich uns näherte*. diust = diu ist.
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diu uns git27 vreuden vil und liehter ougenweide. diu heide wünneclichen lit28. Sprach ein maget: „die wisen wellent touwen. megt29 ir an dem sumer wunder schouwen? die boume, die den winder stuonden val, über al sint si niuwes loubes30 worden riche: dar under singent nahtigal. Losa31, wie die vogele alle dcenent, wie si den meien mit ir sänge kroenent! ja, waen ich, der winder ende hat. Wierät,32 sprinc also, daz ich dirs immer danke! diu linde wol geloubet stät. Da sul wir uns wider hiuwer zweien, vor dem walde ist rosen vil geheien33: der34 wil ich ein kränzel wolgetän üfe hän, springe ich einem ritter an der hende35 in hohem muote. nü wol dan!" „Tohterlin, lä36 dich sin niht gelangen! wil dü die ritter an dem reien drangen,
vreunt = vröuwent: 3. PI. Ind. Präs. von vröuwen. = gibet: 3. Sg. Ind. Präs. von geben, kontrahierte Form. lit = liget: 3. Sg. Ind. Präs. von ligen, kontrahierte Form. megt = muget: 2. PI. Ind. Präs. von mugen, .können, mögen'. niuwes loubes: Gen., abhängig von riche werden; also ,sie sind überall voll geworden mit frischem Laub'. losä: 2. Sg. Imp. von losen (mit zur Verstärkung angehängtem ä); also .horch'. Wierät ist ein Mädchenname. geheien: Part. Prät. (hier stark) zu heien, .wachsen, gedeihen'. der: Gen., bezogen auf rösen, ,νοη denen'. an der hende: etwa ,an der Hand, Seite'. Also ,wenn ich frohgemut an der Seite eines Ritters tanze'. lä: 2. Sg. Imp. von läzen, kontrahierte Form, sin ist Gen., abhängig von gelangen und auf das vorher gesagte bezogen; also .lass es dich nicht danach verlangen'.
Neidhart
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die dir niht ze maze ensulen sin, tohterlin, dü wirst an dem schaden wol ervunden.37 der junge meier muotet din." „Sliezet mir den meier an die versen! ja trüwe ich stolzem ritter wol gehersen: zwiu38 sol ein gebüwer mir ze man? der enkan mich nach minem willen niht getriuten: er, waen39, min eine muoz gestän." „Tohterlin, lä dir in niht versmähen! dü wilt ze tumbe ritters künde40 vähen: daz ist allen dinen vriunden leit. manegen eit swüere41 dü: des wis42 nu äne lougen, din muot dich allez von mir treit43!" „Muoter min, ir läzet iuwer bägen! ich wil mine vriunde durch in44 wägen, den45 ich minen willen nie verhal. über al müezen sin44 die liute werden inne: min muot der strebt gein Riuwental."
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Etwa ,dann wirst du am Ende den Schaden davon haben'. zwiu, ze wiu: .warum, wozu, was'; also ,was soll mir ein Bauer als Mann'. wcen: ich zu ergänzen (vgl. Str. 4, Vers 3). min eine: etwa ,ohne mich'; also ,der muss, glaube ich, ohne mich auskommen'. künde: hier .Bekanntschaft, Umgang'. Also etwa ,du willst aus Dummheit eine Bekanntschaft mit einem Ritter anfangen*. swüere: 2. Sg. Ind. Prät. von swem, .schwören'. wis: 2. Sg. Imp. von sin; ,das leugne nun nicht'. treit = treget: 3. Sg. Ind. Präs. von tragen·, .dein Wunsch trägt dich ganz von mir fort'. durch in: .seinetwegen, für ihn'. den: Gemeint sind mine vriunde·, .denen ich meinen Wunsch nie verheimlicht habe'. sin: Gen., abhängig von innewerden und bezogen auf den folgenden Vers; .überall sollen die Leute das erfahren, dass ...'.
Lyrik
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IV Ez gruonet wol diu beide
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Ez gruonet wol diu heide, mit grüenem loube stät der wait: der winder kalt twanc si sere beide. diu zit47 hat sich verwandelst, min sendiu48 not mant mich an die guoten, von der ich unsanfte scheide. Gegen der wandelunge49 wol singent elliu vogelin den vriunden min, den ich gerne sunge, des50 s! mir alle sagten danc. üf minen sanc ahtent hie die Walhen niht: so wol dir, diutschiu zunge!51 Wie gerne ich nu sande52 der lieben einen boten dar, (nu nemt des war!) der daz dorf erkande, da ich die seneden inne lie53: ja meine ich die, von der ich den muot mit staster liebe nie gewande. Bote, nu var bereite ze lieben vriunden über se! mir tuot vil we
zit: hier .Jahreszeit'; ,die Jahreszeit hat sich geändert (es ist Frühling geworden)'. sendiu not = senendiu not; .Liebeskummer'. wandelunge: hier .Frühlingsanfang'; also ,zum Frühlingsanfang'. des: .etwas' zu ergänzen; .denen ich gerne etwas vorsänge, wofür sie mir alle danken würden'. Das Sänger-Ich befindet sich in diesem Lied fern von der Heimat auf einem Rreuzzug (hie); Neidhart hat vielleicht am 5. Kreuzzug (1217-21) nach Ägypten teilgenommen. Dieser Vers enthält wohl eine Anspielung auf Waither von der Vogelweide; vgl. etwa Waithers Reichston, Strophe 2, Vers 17: owe dir, tiusche zunge. sande: 1. Sg. Konj. Prät. von senden-, .wie gerne ich nun senden würde'. Konjunktiv ebenfalls in Vers 4 erkande: .der das Dorf kennen würde'. lie = liez: 1. Sg. Ind. Prät. von läzen, kontrahierte Form.
Neidhart
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sendiu arebeite. du solt in allen von uns sagen, in kurzen tagen saehens uns mit vröuden dort, wan durch des wages54 breite. Sage der meisterinne den willeclichen dienest min! si sol diu sin, diech von herzen minne vür55 alle vrouwen hinne vür. e ichs verkür56, e wold ich verkiesen, deich der57 nimmer teil gewinne. Vriunden unde mägen" sage, daz ich mich wol gehabe! vil lieber knabe, ob si dich des vrägen, wiez umbe uns pilgerine ste, sö sage, wie we uns die Walhen haben getan! des muoz uns hie betragen. Wirp ez endeltchen, mit triuwen lä59 dir wesen gäch! ich kum dar nach schiere sicherlichen, so ich aller baldist immer mac. den lieben tac läze uns got geieben60, daz wir hin heim ze lande strichen! Ob sich der bote nu süme, sö wil ich selbe bote sin
wäges: Gen. Sg. zu wäc, ,Meer'. Also ,wenn nicht das Meer so breit wäre'. vür: ,vor, mehr als*. verkür. 1. Sg. Konj. Prät. von verkiesen-, .bevor ich auf sie verzichten würde'. der: Gemeint sind alle (anderen) vrouwe. Also ,eher wollte ich darauf verzichten, dass ich bei ihnen Erfolg haben würde'. Zur Verneinung im abhängigen Satz, die nach nhd. Sprachgefühl überflüssig erscheint, vgl. MHD Grammatik § 441. mägen: Dat. PI. zu mäc, .Verwandter'. lä: 2. Sg. Imp. von läzen, kontrahierte Form; ,lass es dir eilig sein (beeile dich)'. geieben, mit Akk.: .erleben'.
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zen vriunden min: wir leben alle küme, daz her ist mer dan halbez mort. hey, waere ich dort! bi der wolgetänen laege ich gerne an minem rüme. Solt ich mit ir nu alten, ich het noch eteslichen dön üf minne lön61 her mit mir behalten, des tüsent herze wurden geil, gewinne ich heil gegen der wolgetänen, min gewerft62 sol heiles walten. Si reien oder tanzen, si tuon vil manegen witen schrit, ich allez mit. e wir heime geswanzen63, ich sage iz bi den triuwen min, wir solden sin z'CEsterriche: vor dem snite sö setzet man die phlanzen.64 Er dünket mich ein narre, swer diesen ougest hie bestät.65 ez waer min rät, lieze er siech geharre und vüer hin wider über se:66
Etwa ,don (Lied), von dem ich mir Liebeslohn erhoffe'. Also ,da hätte ich noch so manches Lied, von dem ich mir Liebeslohn erhoffe, bis jetzt für mich behalten'. gewerft - gewerbe\ ,dann soll mein Gewerbe (das Dichten nämlich) Glück haben (Glück hervorbringen)'. geswanzen: Hier liegt Konj. vor; .bevor wir zu Hause herumstolzieren können'. ,Man muss die Pflanzen erst setzen, bevor man sie schneiden kann.' Im Mai 1219 reiste Leopold VI. von Österreich aus Ägypten ab; kirchliche Führer versuchten vergeblich ihn und andere Kreuzfahrer mit Versprechungen noch länger im Land zu halten. Darauf wird Neidhart hier anspielen: ,Der schiene mir ein Narr, der diesen August hier erlebt.' Vers 4 und 5 sind der Form nach Bedingungssätze (,wenn er sein sinnloses Ausharren seinließe ...'), lassen sich jedoch auch als von Vers 3 abhängig auffassen (vgl. MHD Grammatik § 446); also ,es wäre mein Rat, dass er...'.
Neidhart
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daz tuot niht we; nindert67 waere baz ein man dan heime in siner pharre.
V Sine an, guldtn huon! ich gibe dir weize 1
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„Sine an68, guldtn huon! ich gibe dir weize", (schiere do wart ich vrö) sprach si, nach der69 hulden ich da singe: also vreut den tumben guot geheize durch daz jär. würde ez war, so gestuont nie mannes muot so ringe,70 also mir der mine danne wasre. mac si durch ir geilicheit71 miniu leit wenden? ja ist min kumber klagebaere. Los72 üz! ich heer in der Stuben tanzen, junge man, tuot iueh dan!73 da ist der dorefwibe74 ein michel triinne. da gesach man schöne ridewanzen75. zwene gigen; dö si swigen (daz was geiler getelinge76 wünne), seht, dö wart von zeche77 vor gesungen! durch diu venster gie78 der galm.
nindert = niener. .nirgendwo'. sine an: etwa ,sing los, fang an zu singen'. der: Relativpron., auf si bezogen; ,um deren Huld wegen ich singe'. Etwa ,so stünde es nie einem Mann so leicht ums Herz'. geilicheit: ,Lustigkeit, Fröhlichkeit'. Los: 2. Sg. Imp. von losen, .hören, horchen'; also .horch a u f . Der Tanz in der Stube (statt draußen unter der Linde) ist ein typisches Motiv für die Winterlieder. tuon, refl. und mit Adv. des Ortes: .sich aufmachen'. Also .macht euch auf dorthin'. der dorefwibe: von trünne abhängiger Gen.; also ,da ist ein ganzer Schwärm Frauen'. ridewanzen: .den Ridewanz (ein Tanz) tanzen'. getelinge: hier etwa .Bauernburschen'. von zeche: .der Reihe nach'.
Lyrik
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Adelhalm tanzet niwan7® zwischen zwein vil jungen. 3
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Rümet üz die schämel und die stüele! heiz die schrägen vuder80 tragen! hiute sul wir tanzens werden müeder. werfet üf die stuben,81 so ist ez küele, daz der wint an diu kint sanfte wasje durch diu übermüeder82! so die voretanzer danne swigen, sö suit ir alle sin gebeten, daz wir treten83 aber ein hovetänzel nach der gigen: Gözbreht,84 Willebolt, Gumpreht und Eppe, Willebreht, meiers kneht, Werenbolt und ouch der junge Tuoze, Megenbolt, des meiers sun, und Reppe, Irenwart, Sigehart, Giselher und Frideger und Uoze: der ist ein vil tumber Holingaare85; er get vrien86 durch daz j är (des nemt war!) unde ist doch den meiden gar unmasre.
gie = gierte: 3. Sg. Ind. Prät. vongän. niwan = niuwan: hier ,nur, nicht anders als'. vuder = vürder: hier ,fort, weg'. Also ,heiß die Tischböcke wegtragen'. Etwa , reißt alle Fenster und Türen der Stube auf. übermüeder·. ,Mieder'. treten, mit Akk. (ein hovetänzel): hier etwa .tanzen'. Also etwa ,dann seid ihr alle gebeten, mit uns nach der Geige wieder ein höfisches Tänzchen zu tanzen'. Dieser und die folgenden sind alles Männernamen. Holingcere·. Familien- oder Herkunftsname. vrien: hier .freien, werben'. Also ,der geht das ganze Jahr auf Freiersfiißen'.
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Säht ir ie gebüren so gemeiten, als er ist? wizze Krist! er ist al ze vorderst anme reien. niuwen vezzel zweier hende breiten hat sin swert. harte wert dünket er sich siner niuwen treien:87 diust88 von kleinen vier und zweinzec tuochen, di ermel gent im üf die hant: sin gewant sol man an eim89 oeden kragen suochen. Dörperlich stät allez sin gerüste, daz er treit. mirst geseit90, er sinn91 Engelboltes tohter Även: den gewerp erteile ich im ze vlüste.92 si ist ein wip, daz93 ir lip zaeme wol ze minne einem graven; da von läze er94 sich des wisen tougen! zecke95 er anderthalben hin! den gewin trüege er hin ze Meinze in sinem ougen.96
Etwa ,er glaubt sich seiner neuen Jacke vollkommen würdig'. diust = diu ist. eim = einem, kragen ist hier ,Nacken, Hals'. Also etwa .seine Kleidung kann man an einem törichten Hals (an einem Dummkopf) finden'. geseit = gesaget: Part. Prät. von sagen, kontrahierte Form; ,mir ist gesagt worden'. sinn = sinne: 3. Pers. Sg. Konj. Präs. von sinnen, hier .sich bemühen um'. Etwa .diese Absicht wird ihm, so wie ich es beurteile, Verlust einbringen' - d. h. er wird nichts oder sogar Schaden davon haben. daz: man könnte etwa .solcherart' ergänzen; .sie ist eine Frau solcherart, dass ...'. er: Gemeint ist Uoze. Also .daher lasse er sich das ganz im Geheimen sagen', des ist dabei wohl sowohl auf das vorher Gesagte als auch auf den folgenden Vers bezogen. zecke: 3. Sg. Konj. Präs. von zecken, .sein Spiel treiben, necken'; also etwa .möge er woanders sein Spiel treiben'. Wohl eine - heute unbekannte - sprichwörtliche Wendung; der Sinn ist nur ungefähr aus dem Zusammenhang zu schließen: .von seiner Werbung wird er sicherlich nichts haben, sie wird unerfolgreich bleiben'.
Lyrik
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Imst sin treie nie sö wol zerhouwen97 noch sin kel nie so hei, er enmüge98 si sin wol erläzen. disen sumer hat er si gekouwen99 gar vür brot100. schameröt wart ich, dö si bi ein ander säzen. wirt si mir, der ich da gerne diene, guotes101 gibe ich ir die wal, Riuwental gar vür eigen: deist102 min Höhiu Siene.
VI Sumers und des winders beider vfentschaft 1
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Sumers und des winders beider vientschaft kan ze disen ziten niemen understän. winder der ist aber hiwer mit sinen vriunden komen: er ist hie mit einer ungevüegen kraft; erne hat dem walde loubes niht verlän und der heide ir bluomen unde ir liehten schin benomen. sin unsenftikeit ist ze schaden uns bereit. sit in iuwer huote! er hat uns allen widerseit103. Also hän ich miner vrouwen widersagt: si endarf min niht ze dienestmanne jehen; ich gediene ir williclichen nimmer einen tac,
zerhouwen·. hier etwa .geschnitten' oder .geschlitzt' (zum Schmuck). enmüge: 3. Sg. Konj. Präs. von mugen mit angehängter Negationspartikel, sin ist von erläzen abhängiger Gen.; also .dass er sie nicht gut von sich befreien könnte' - d. h. Uoze ist nicht hübsch oder edel genug, um fur das Mädchen von Interesse zu sein. gekouwen: Part. Prät. von kiuwen, .kauen'. vür brot: .wie Brot'. guotes: von wal geben abhängiger Gen.; also .stelle ich ihr meinen Besitz zur Verfügung'. Verse 1 lf. sind eine zweite Ergänzung zu gibe ich ir. deist = daz ist. Höhiu Siene: Siena in der Toskana; Reuental ist das Siena, also der Besitz, des Sänger-Ichs. widerseit = widersaget: Part. Prät. von widersagen, ,den Kampf erklären'.
Neidhart
5
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Swaz ich nü gesinge, daz sint klageliet: da envreut sich Kitzel leider iemen von. e dö sang ich, daz den guoten liuten wol gezam. sit daz mich daz alter von der jugende schiet, muoz ich dulden, des ich e was ungewon. niemen sich verzihe109, im geschehe vil lihte alsam! wirt er als ich grä, so ist missebieten da. so der wolf inz alter kumt, sö ritet in diu krä.
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sit si guoten vriunt in vindes stricke jagt. ich wil mir ein lange wernde vröne spehen104, diu mich hin ze gotes hulde wol gebringen mac. die105 verliust si mir: deste wirs getrouwe ich ir. si sol wizzen, daz ich ir ze vrouwen wol enbir106. Ist daz niht ein wandel107 an der vrouwen min? swer ir dienet, dem ist kranker lön beschert, si verleitet manegen, daz er in dem drühe lit; des muoz leider liebes lones äne sin, der108 ouch in ir dienste hin ze helle vert. er ist saelic, swer sich von ir verret bi der zit, daz er ze mittem tage sinen phenninc hie bejage, den er um die vesperzit verdienet mit im trage.
3
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spehen, mit refl. Dat. (mir) und Akk.: .auskundschaften, suchen'; also ,ich will mir einen Herrendienst suchen, der lange Bestand hat, und der ...'. die: Gemeint ist gotes hulde. verliuset: 3. Sg. Ind. Präs. von Verliesen, mit Dat. der Pers. etwa Jemanden um etwas bringen'. enbir. 1. Sg. Ind. Präs. von enbern, .entbehren, verzichten auf. Also .dass ich auf sie als Herrin gut verzichten kann'. wandel·. hier etwa .Makel, Fehler'. der ist hier Relativpronomen Bezugs wort zugleich (vgl. MHD Grammatik § 453); also .daher muss leider auch der auf den angenehmen Lohn verzichten, der ...'. verzihe·. 3. Sg. Konj. Präs. von verzihen, refl., .sich lossagen von'; also .niemand möge sich davon lossagen (es leugnen), dass es ihm vielleicht genauso ergehen werde'.
62
Lyrik
5
Ε do komen110 uns so vreuden richiu jar, do die hochgemuoten wären lobesam: nu ist in allen landen niht wan trüren unde klagen, sit der nngevüege dörper Engelmär der vil lieben Vriderune ir Spiegel nam.'11 do begunde trüren vreude üz al den landen jagen, daz si gar verswant. mit der vreude wart versant zuht und ere; disiu driu sit leider niemen vant.
5
Der mir hie bevor in minen anger wuot112 und dar inne rösen zeinem kränze brach unde in hoher wise siniu wineliedel sanc, der beswärte nie so sere mir den muot als ein dinc, daz ich von Willekinde sach. do'r den krumben reien an ir wizen hende spranc, dö swanc er den vuoz, des min vreude swinden muoz. er und Gätzeman gewinnet nimmer minen gruoz.
5
Er spranc winsterthalben an ir wizen hant: houbet unde hals gie im vil vaste entwer"3, dem geliche, als der des libes niht gewalten mac. do wart mir der cede krage"4 alrest bekant. we, wer brähte in ie von Atzenbrucke her? da hat er gesungen vor115 vil manegen viretac: des tuot er wol schin116. er wil also tiuwer sin als der durch daz röckel trat der lieben vrouwen min.
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kämen·. 3. PI. Ind. Prät. von komen, mit Dat., .zuteil werden'. Also ,früher da wurden uns so freudenreiche Jahre zuteil (wir erlebten Jahre voller Freude)'. Der Spiegelraub des Bauern Engelmar am Mädchen Friderun - Zeichen für eine Liebesbeziehung zwischen beiden - ist ein häufig wiederkehrendes Motiv in Neidharts Dichtung. wuot: 3. Sg. Ind. Prät. von waten. entwer. ,hinundher'. Vgl. Lied V (Sine an, guldin huon, ich gibe dir weize), Strophe 5, Vers 12. gesungen vor = vorgesungen. schin tuon, mit Gen. (des): ,zu erkennen geben, zeigen'.
Neidhart 8
5
Minne, wer gap dir so rehte süezen namen, daz" 7 er dir da bi niht guoter witze gap? Minne, höhe sinne solten d!n geleite sin. ich muoz mich ze manegen stunden vür dich schämen: dü verliusest dicke drnen riutelstap. daz dü swachen vriunden gist" 8 din haerin vingerlin, dest 119 d!n ere kranc. daz dü, vrouwe, habest undanc! in din haerin vingerlin ein kneht den vinger dranc.
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Daz siz 120 niht dem ritter an den vinger stiez, do iz in der niuwe und in der wirde was! dannoch 121 hete siz dem knehte wol vür vol gegeben, ich w e i z rehte niht, war umbe si daz liez. lihte was der kneht ir ougen spiegelglas. Minne ist so gewaltic, da si hin beginnet streben, Minne ist so gemuot, der mit werke ir willen tuot, 122 daz si da hin minnet, da ir ere ist unbehuot.
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63
daz leitet hier einen Modalsatz ein (vgl. MHD Grammatik § 464); also etwa ,wer gab dir so wahrlich süßen Namen in der Weise, dass er dir dabei nicht auch rechten Verstand gab' oder einfacher ,ohne dir dabei rechten Verstand zu geben'. gist = gibest: 2. Sg. Ind. Präs. von geben, kontrahierte Form. dest = daz ist; ,davon ist deine Ehre gering geworden'. siz = si ez; ez meint immer noch das heerin vingerlin. dannoch: hier etwa ,auch dann noch, danach immer noch', vür vol: etwa ,als ganz, unversehrt'. Also ,danach hätte sie es dem Knecht immer noch gut als unversehrt unterjubeln können'. Der Form nach ein Relativsatz, ist dies als Konditionalsatz zu verstehen (vgl. MHD Grammatik § 4SS), also ,Minne ist so gesinnt, dass sie sich dort hingibt, wo ihre Ehre ungeschützt ist, wenn einer mit seinem Tun ihrem Willen folgt'.
Abb. 4: Walther von der Vogelweide, „Nu alrest lebe ich mir werde" (La. 14,38ff.), Münstersches Fragment (Münster, Staatsarchiv, Ms VII, 51)
Obwohl mittelhochdeutsche Lyrik in der Regel vorgesungen wurde, haben sich nur sehr wenige Melodien erhalten, darunter diese Melodie zu Waithers so genanntem Palästinalied in dem Fragment einer Liederhandschrift aus dem 14. Jahrhundert. Die Tonhöhe und der Melodieverlauf sind angegeben, es fehlen jedoch Angaben zum Rhythmus bzw. der Tonlänge.
Erzählende Versliteratur
Pfaffe Konrad, Rolandslied, Verse 891-1245 Entstanden vermutlich gegen 1170 im Auftrag Herzog Heinrichs des Löwen als Nachdichtung französischer Lieder über die Kämpfe Karls des Großen im islamischen Spanien, ist das Rolandslied deutlich von der Kreuzzugsideologie der Zeit geprägt. Der folgende Ausschnitt zeigt eine Beratung im Lager Karls: Der Heidenkönig Marsilie hat angeboten, sich taufen zu lassen und Tribut an Karl zu zahlen. Die Fürsten des fränkischen Reiches sind misstrauisch, ob das Angebot ernst gemeint ist.1
895
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'
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Aines morgenes vruo der keiser vorderote2 dar zuo biscove unde herzogen, vile manich vürste ze hove chom3. der keiser in sinen wizzin die fursten vor ime hiez sizzen. er sprach: „owole ir fürsten alle, nu vimemit wie iu diese rede gevalle. der heilige geist gebe ύ den muot, daz ir daz beste dar ane getuot. Marsilie min viant, hat sine boten da here gesant. er biutet4 cristinliche ze lebene, vile goldes ze gebene, ze gisele sinin sun. nu ratet waz wir dar umbe tuon. nu ratet gotes ere. ia ne suoche5 ich nicht mere
Um die Lesbarkeit zu erleichtern habe ich die Graphie gegenüber der gewählten Ausgabe leicht geändert: Konsonantisch gebrauchtes u ist durch ν ersetzt; Abkürzungen und Nasalstriche sind aufgelöst; u mit übergeschriebenem ο ist, je nach Wort, durch uo, üe, u oder ü ersetzt und ο mit überschriebenem ν durch δ bzw. - vor allem beim Namen des Titelhelden - durch o. vorderote = vorderte; altes Präteritum des schwachen Verbs vordem mit vollem Flexionsvokal; ,er rief zusammen'. Volle Flexionsvokale kommen häufig vor; vgl. etwa Vers 927 verwandelet. Andere typische Merkmale der Schreibsprache sind der Gebrauch von i fur e auch in unbetonten Nebensilben (ζ. B. Vers 895 wizzin = wizzen); u , ύ oder ύ für iu und ch für k bzw. ck. Vokallänge ist nicht regelmäßig gekennzeichnet. chom = kom: 3. Sg. Ind. Prät. von kamen. Das Subjekt ist formal ein Singular, auch wenn es eine Vielheit bezeichnet; also etwa .manch ein Fürst kam'. biutet: 3. Sg. Ind. Präs. von bieten. Die folgenden flektierten Infinitive hängen davon ab, also ,er bietet an, christlich zu leben...'. Vers 905 ist ,zu geben' zu ergänzen.
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Erzählende Versliteratur
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wan daz wir so gedingen, daz wir gotes hulde gewinnen." Vf spranc der helt Rolant. er sprach: „Marssilie hat durch liste6 here gesant. er biutet grozzez gedinge. ia mach man da gwinne7 maniger richeite vile, swer iz da nemen wil. ia vurchte ich vile harte, daz der alte mit deme harte uns da mite beswiche. also wir in entwichen, so richtent si uf Mahmeten, so geweldigent8 si lant unde stete; so richsenot9 Marssilie, die cristinheit geliget nidere. so müge wir imir wole glagen: daz wir lange ervochten haben, daz verwandelot10 sich in einer wile, nu virnemit die rede mine: goldes han" ich genuch. du ich mich aller erste uz hup, du ophert ich den lib.12 swanne nu kumet daz cit daz ich den verwandelen scole,13 so getruwe ich gote vil wole, ob ich in sinem dinist ersterbe, daz der sele etlich rat werde14."
suochen: hier etwa .verlangen'; ,ich verlange nichts, als dass wir uns so verhalten,.. durch liste·. ,aus List'. gwinne = gewinnen. Der Ausfall der «-Endung bei Infinitiven ist typisch für die Handschrift, die der Ausgabe zu Grunde liegt. geweidigen·, .überwältigen, Untertan machen'. richsenot·. 3. Sg. Ind. Präs. von richesen, .herrschen'. verwandelot: 3. Sg. Ind. Präs. von verwandeln, refl., .enden, vergehen'. han\ 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. Etwa ,als ich das erste Mal (auf Rriegsfahrt) auszog, da habe ich mein Leben als Opfer dargebracht'. den Up verwandeln: .das Leben beenden, sterben'. Also etwa .wenn nun die Zeit kommt, dass ich sterben muss' - wenn das in Vers 931 erwähnte Opfer also endgültig dargebracht wird.
Rolandslied
940
945
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Olivir der helt guot vür den keiser gestuont; er sprach: „getorste15 ich nu wole, herre, so riete ich dir din ere. du hast gode wole gedienet, di cristinheit ist mit dir gecieret sam daz durch sotene golt. ich sage dir herre, wie du nu tuon scholt16: virende wole din arbeite, la17 din here leite allenthalben unz an daz mere, si ieman18 der daz were, den gerefsen wir harte mit unseren guoten swerten. si müezen einen waren got irkennen. heiz brechen unde brennen ir vile unreine betehus: die tuvele muzen dar uz über allez Sarraguz". den ir guldinen vluz20 heiz si selbe stoeren gote ze lobe unde ze eren. so saget man nuwe mere, wie der romische voget21 were in Marssilien riche. daz rate ich getruweliche. Blanscandiz22 ist ein na retiger man:
rat werden, mit Gen. (der sele): .Rettung geben für'; also ,ich vertraue darauf, dass es Rettung für meine Seele geben wird, wenn ich in Gottes Dienst sterbe'. getorste·. 1. Sg. Ind./Konj. Prät. von geturren, .wagen, sich trauen'; also etwa .dürfte ich es nun wohl wagen'. scholt = solt: 2. Sg. Ind. Präs. von suln, soln. Auch oft als scolt im Text. la: 2. Sg. Imp. von lazen, kontrahierte Form, leite = leiten-, also .lass dein Heer von allen Richtungen ans Meer fuhren'. si ieman·. .sollte es jemanden geben (der das zu verhindern sucht)'. über allez Sarraguz: ,in ganz Saragossa'; hier regiert Marsilie noch. den ir. .ihren'; die Verbindung von bestimmtem Artikel und Possesivpronomen ist häufig, vluz bedeutet hier wahrscheinlich etwa .gegossenes Standbild'. Der Vogt von Rom ist der Kaiser, also Karl. Blanscandiz ist einer der Ratgeber Marsilies; er ist als Bote zu Karl geschickt worden. na retig = nächrcetig: .bedächtig, klug'.
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Erzählende Versliteratur
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geweitiget er widere Yspaniam, so ne gesamnet sich der cristinheit ere hinne vure nimir mere, die wir noetliche haben gewunnen. die heiden gehent23, wir sin in entrunnen." Uf stunt der erzebiscof Turpin, er sprach: „herre got, schephe minem munde ein turlin, daz ich hüte so gerede, also iz dineme24 namen gezeme. Owol du voget von Rome, ia nigent diner chrone alle cristin chünige: mir gevellet vile übele, der25 des morgenes in den wingarten get, daz er vor vesper uz vert. owol ir fursten edele, ir ware gotes helede, uwer wingarte ist wole gebuwen; ir schult wole getruwen, daz ü der himilische wirt, in des namen ir hie birt2S, lone nach uwereme dinge mit einem phenninge: daz ist daz himilriche. de ist27 uns allen gemeinliche uf gestechet ze eineme zile: dar loufet, swer dir wile28. ist diu grünt veste in gote erhaben29, so wil ich u werliche sagen: daz über zimber en mach nicht gewichin. uns nahet daz gotes riche. volgen wir nicht deme swarzen raben.
gehent =jehent\ noch häufiger in dieser Schreibweise. dineme: frühmhd. Dativ des Possessivpronomens; noch öfter, vgl. etwa Vers 985. Dieser vorgezogene Relativsatz bezieht sich auf das er im folgenden Vers. birt: 2. PI. Ind. Präs. von sin. de ist, deist = daz ist. wile: 3. Sg. Ind. Präs. von wellen. Also etwa .dorthin (zum Ziel) läuft, wer es will*. erhaben: Part. Prät. von erheben, hier .errichten'; also etwa .ist das Fundament in Gott errichtet, dann kann der Überbau nicht schwanken'.
Rolandslied
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die muzen die site30 haben, da mane ich uch alle bi: nemit daz grüene oele zwi mit den turteltubin. vestent uweren glouben, dinet uwerem schephere. lat iu wesen ummere31 die gebe Marssilien: ervulte er dizze gebirge von rotem golde, ich ne weiz waz iz mir solde vüre den ewigin lib. nu bedenchet uch in cit. des virlihe der ware gotes sun, qui regnat in etemum." Naimes von Beieren, der was der ratgeben eine, der aller hersten in deme hove, ein tugentlich herzöge. des leben was so lobesam, so32 er dem keiser wole gezam zu allen sinen eren. der sprach zu deme herren: „du ich mich von Beieren hup, du vuorte ich manigen helt guot. du irwelte ich vir tusent helde miner manne; die ne sint noch erslagen noch gevangen. si sint guote knechte; ze der marter33 vindet man si gerechte. verhenget is uns min trechtin, so schult ir vile gewis sin daz wir ü niemer geswichin, noch ze nicheiner ncete entwichen.
site: .Sättigung'; also ,die (Raben) mögen ihre Sättigung haben'. Der Rabe steht für jemanden, dessen Handlungen durch Gier bestimmt werden, während die Taube (Vers 998f.) reinere Motive hat. Zu Grunde liegt Gen. 8,6ff; vgl. etwa den Kommentar zur Stelle in der Ausgabe von Dieter Kartschoke, Stuttgart 1996. ummere = unmcere: .unlieb, verhasst'; also .die Gabe Marsiiiens sei euch verhasst'. so: hier Konjunktion ,(so) dass', also etwa ,dass er dem Kaiser zur Ehre gereichte'. marter: hier ,Opfertod, Martyrium'; also etwa .zum Opfertod findet man sie bereit'.
Erzählende Versliteratur
74
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ich en ruoche umbe ir34 rede. waz masre ist mir Marssilien gebe? wir schulen in daz ire lant,35 wir gevrumen blutigen rant36, wir schulen vol herten37 mit den unseren guoten swerten. ich wirde gerne eilende38 an des meres ende, wir schulen Machmeten virtribin unde alle die mit ime blibin, Appollen sinin gesellen. die sich ze gote gehaben wellen, die entphahen wir mit grozen eren, gevallez39 minem herren. in sinem gnaden stat beidu wistum unde rat ze libe unde ze sele. sin gebot ervülle ich iemir gerne." Der kaiser geswigete vile stille, er marchte40 ir iegelihes willen, getruobet was sin gemuote, iedoch vertrugenz41 sine michile guote, daz er sich is nicht irzeigete. daz houbit er nidir neigete, daz sin42 niman innen wart, einer stille er dö bat, der biscoph sancte Iohannes. ze deme kaisere gerte43 er des urlobes
ir: Gemeint sind die Heiden. Also ,ich achte nicht auf das, was sie sagen'. Hier müsste man ein Verb ergänzen, etwa ,wir müssen in ihr Land ziehen'. rant: der Schildrand; also etwa ,wir werden Schildränder blutig machen'. vol herten: .ausdauern, ausharren'. eilende werden: .heimatlos werden' oder hier etwa ,in die Fremde ziehen'. gevallez = gevalle ez: ,wenn es meinem Herren gefallt'. marchte·. 3. Sg. Ind. Prät. von merken, hier etwa ,genau anhören'. vertrugenz = vertruogen ez; etwa ,doch seine große Güte ließ es geschehen, dass er sich nichts davon anmerken ließ'. sin: Gen., abhängig von innewerden; ,so dass niemand es (seine Sorge) bemerkte'. gern, mit Gen. und präp. Dativ {ze deme kaisere unde zuo allen den herren): .etwas erbitten von jemandem', also etwa ,vom Kaiser und allen am Hof anwesenden Herren erbat er die Erlaubnis' (nach Almaria ziehen zu dürfen).
Rolandslied
1060
1065
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1090 44 45 46 47
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unde zu allen den herren, die in deme hove waren, er sprach: „were iz in mines herren willen uf sine gnade wil ich dingen - , so wolt ich über Valchart44 zue Almarie in de stat, chünden daz gotes wort, ich ne vürchte ne heinin ir tot: wolde got unde were ich is wert daz mich vür oder swert geluterete an deme libe, so were ich an zwivil daz min45 got mochte." sine venige er suochte46 zuo des keiseris vüezen. „ich wil gerne", sprach er, „büezen swaz ich wieder got han getan, ich hup mich uz in gotes namen; ich ne wil die vurch nicht chrump machen. maechte47 ich gotes dienestes icht geschaphen, den tuvel geschenden, ir muole unde ir olbenden48 en ruoche ich nicht mere wider der armen sele. die heiden bietent gwisse, zu sancte Michelis misse wellen si sich toufen; daz en schol in nieman glouben. diu toufe ist daz aller herist, daz solte sin daz aller erist. daz solte min herre an sehen unde solde ordinen ir leben: so wüechse die gotes lere." du sprachen di zwelf herren49,
Valchart = Guadalquivier, ein Fluss in Südspanien. min: Gen., ahängig von ruochen, etwa ,dass Gott sich meiner annehmen würde'. venige {yenje) suochen: .niederknien'. machte: 1. Sg. Konj. Prät. von mugen; etwa ,könnte ich doch Gottes Werk vollbringen und den Teufel zunichte machen'. Gemeint sind die Maultiere und Kamele, die Marsilie Karl angeboten hat.
76
Erzählende Versliteratur
1095
1100
1105
llio
1115
49 50 51 52 53
54 55 56
57 58
were iz in des kaiseres hulden, des rates wolten si gerne volgen. Genelun uf spranc, er sprach: „die fursten haben alle undanc daz si edele unde wise sint. wie man die tumbisten virnimt! die sint nu ze hove ratgeben, die wisen let50 man alle under wegen, die in wole tochten51 ze rate unde ze vechten, die sint nu gare verchoren52. war ist nu chomen die manechvaltiu wisheit? dinen fursten ist iz allen leit daz du in dinen grozen wizzen uns alle lest sizzin." iz get uns an die ere. nu ne zimt54 nicht, lieber herre: din neve Rolant über ruofet uns alle samt. Nahnes vone Beieren der chan in55 wole ze wege zeigen: du wir zu deme bürgetor drangen, du heten si56 die burch gwunnen. daz zurnete Rolant, daz er die Beier vor ime57 vant: helede uz erkorne. man sach si ie da vorne,58 swaz uns her noch geschach.
Die zwölf Fürsten, die in der literarischen Tradition mit Kaiser Karl verbunden sind. let = leet: 2. Sg. Ind. Präs. von läzen; under wegen läzen: .übergehen'. tochten: 3. PI. Konj. Prät. von tugen,,nützlich sein'; diejenigen, die nützlich wären'. verchoren: Part. Prät. von verkiesen, hier etwa .missachten, verschmähen'. D.h. nicht zur Rede kommen lässt - es ist üblich aufzustehen, wenn man im Rat seine Meinung äußert. zimt: 3. Sg. Ind. Präs. von zemen; ,es ziemt sich nicht, dass ...'. in: Pers. Pron., 3. PI. Dat., gemeint sind wohl die vorher angesprochenen Fürsten. Gemeint sind die Männer Naimes' von Bayern; Genelun bezieht sich hier auf eine vorherige Schlacht. ime: Reflexivpron.;,Roland war zornig darüber, dass er die Bayern vor sich fand'. ,Man sah sie (die Bayern) stets vorne (in der Schlacht).'
Rolandslied
1120
1125
1130
1135
1140
1145
1150 59
60 61 62
63 64
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da man sluc oder stach, da waren ie die rechen mit ir scharphen ekken, so iz guoten knechten wole gezam. dar umbe woher si erslan59, were iz nicht under varen. die getorsten ime wole gestaten: die Beire waren sine gaten60. nu strebeter über den Valchart. mennisken bluotes en wart er nie sat unde ander sine gesellen. war ane virsuochent si ir eilen? si heven sich an die heiden: die ne wil ich niemmer geleidigen, wände si an got gehent61 unde der touphe vlizicliche gerent unde der cristinheite gehorsam sint: ze gisel bietent si ir kint.62 Rolant zestoret dir alle din ere, die zwelve ratent dir vil übele, herre." Vf spranc der helt Rolant, er sprach: „Marssilie het ouch ee here gesant vunfzehen graven, die der touphe alle iahen.63 si swuren manigerslachte gebe, die noch hiute sint underwegen. dare widere sante min herre siner manne zwene: Marssilie hiez in die houbet abe slahen. swer nu golt welle haben, der entphahe iz dar übre.64
erslan = erslahen, kontrahierte Form. .Darum wollte er (Roland) sie (die Bayern) erschlagen, wäre es nicht verhindert worden.' sine gaten: hier wohl etwa .seinesgleichen, ihm gewachsen*. an got jehen: ,an Gott glauben, sich zu Gott bekennen'. Marsilie hatte Söhne aus den vornehmsten Familien seines Landes angeboten als Sicherheit dafür, dass er sein Angebot ernst meinte und erfüllen würde. iahen: 3. PI. Ind. Prät. von jehen, mit Gen. (der touphe), hier etwa .versprechen'. Etwa .der empfange mehr als genug davon'; schon vorher einmal (Vers 152ff.) hatte Roland versichert, dass der Kaiser sicher diejenigen belohnen würde, die ihm folgten.
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Erzählende Versliteratur
1155
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1165
1170
1175
65 66
67
68 69
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der rat gevellet mir üble: man nimt iz ane gotes ere unde geruwet uns hernach vile sere." Der keiser zumte harte: mit gestreichtem harte, mit uf gewunden granen" hiez er die phacht66 vure tragen, „ir stet mit unzüchten; daz wil ich", sprach er, „richten, wirdet is iuweht mere.67 tuot iz durch gotes ere unde gesamnet iuch einer rede, die uns der heilige geist gebe, daz wir des besten ramen68." si sprachen alle amen. Die Franchen gesament sich drate: mite gemeinem rate69 giengen si uf einen bühel grüene. der sunne schein wole schone. si rieten al umbe, ir iegelich besunder; da riet mannegelich mit grozen sorgen vüre sich, daz in duchte70 daz beste. si besanden71 die geste: zu deme rate dö chom vone Beieren der herzöge, Oigir vone Tenemarche, Dierrich der starche,
Etwa .sich den Bart streichend und die Haare zwirbelnd'. phacht, pfaht: das Gesetz; Karl lässt entweder einen Gesetzestext heranbringen oder aus einem Rechtscodex zitieren (vüre tragen kann beides bedeuten). Etwa ,wenn es etwa weiterhin (noch einmal) passiert'. Das Problem ist, dass die Ratgeber sich nicht auf einen Rat einigen können. rämen, rcemen: .trachten nach, streben nach'. Etwa ,fur eine gemeinsame Beratung'. Die Franken versammeln sich also zu einer Beratung ohne den Kaiser, um ihm dann einen einhelligen Rat erteilen zu können. duchte: 3. Sg. Ind. Prät. von dunken, .dünken, erscheinen'. besanden: 3. PI. Ind. Prät. von besenden, etwa .holen lassen'; die nicht-fränkischen Fürsten (geste) werden geholt, um ihre Meinung zu äußern.
Rolandslied
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Wido vone Wasconie, Ivo vone Albonie, Gotefrit vone Aiune, Ritschart von Tortune, Diebalt von Remis, Heinrich von Garmes, Turpin von Raines, Milun von Aschalbaies, Olivir unde Rolant unde Walthere der wigant, Gergirs unde Gergis unde der maere Anseis; Ansgir was da, Reimunt vone Brittannia. Genelun gestunt in almittin. die fursten begonde er bitten: „wole ir edele herren, ir tuot iz gote zeren72; üebet uwer wisheit; gedenchet an die langen arbeit. ratet alle da zuo, daz min herre einweder73 tuo, neme dere heiden gedinge, vrüme74 die boten hinnen, so iz der cristenheit gezeme, versmahe nicht ir gebe, neme die gisel ze hant unde besezze daz lant, behüete sine bürge, habe ne heine sorge daz er si75 gewerliche vinde: Nables unde Morinde, Valteme unde Pine, da beiten die sine.76
zeren = ze eren: ,ihr tut es zur Ehre Gottes'. einweder. .entweder'; ein ,oder' fehlt. Genelun will, dass der Kaiser handelt, wie er es ihm vorschlägt. Die folgenden Verben {neme, vrüme etc.) sind alle im Konjunktiv; also ,dass mein Herr das folgende tun möge: das Angebot der Heiden annehmen ...'. hinnen vrumen: etwa .wegschicken, zurückschicken'. Gemeint sind die Heiden; ,er möge keine Sorge haben, dass er sie kampfbereit findet'.
Erzählende Versliteratur
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laze uns ze disen ziten zuo unseren kinden riten. versume sich Marssilie, so heven wir uns here widere, zestceren al ire krapht; so ne müet uns diu heidenscapht hinnen vüre nicht mere. daz rate ich minem herren." Dö sprach der biscoph Turpin: „die rede virbiete selbe min trechtin: so vüeren77 wir ane ende. min herre sol dare sende,78 waz die heiden wellen tuon. unde ratet alle da zu: irchieset ü einen wisen man, der uns widere chünne gesagen Marssilien gemuote: ich engetruwe ime neheiner guote. wil er werden cristin, daz versuoche wir mit listin: wir muzzen in so versazen79, ee wir in vri lazzen, daz wir nine zwivilen mere, daz rate ich minem herren." alle di die rede vernamen, herzogen unde graven, si sprachen iz were daz aller beste, du kerten die not vesten80 widir zu des keiseres gesidele. si geleiten81 nidere
In diesem Satz könnte ein ,in' ergänzt werden: In all diesen Orten soll der Kaiser einige seiner Männer zurücklassen, während der Rest nach Hause zurückkehren kann. vüeren: 1. PI. Konj. Prät. von varn; also etwa ,dann würden wir ohne Ergebnis (ohne zu Ende zu bringen, wozu wir gekommen sind) wegziehen'. Hier könnte etwa ,und erkunden lassen' ergänzt werden: ,Mein Herr soll dorthin (zu Marsilie) schicken und erkunden lassen, was die Heiden vorhaben.' versazen·. .verpflichten, festlegen'. notveste: .kampferprobt, tapfer'. geleiten = gelegeten: 3. PI. Ind. Prät. von gelegen, kontrahierte Form. nider(ge)legen: hier etwa .verwerfen, ablehnen'.
Rolandslied
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den rat Genelunes: dannen bechorten82 si sit alle des todes.
beckorten: 3. PI. Ind. Prät. von bekorn; des todes bekorn: ,den Tod erleiden'. Eine typische Vorausdeutung auf künftiges Geschehen.
Herzog Ernst, Verse 4350-4812 Die Geschichte von Herzog Ernst von Bayern, der sich gegen seinen Stiefvater Kaiser Otto auflehnt und daraufhin das Land verlassen muss, ist vom 12. bis zum 16. Jahrhundert immer wieder in verschiedenen deutschen und lateinischen Fassungen niedergeschrieben worden; die Autoren der Bearbeitungen bleiben in der Regel ungenannt. Sie verbindet Erinnerungen an Ereignisse aus der Reichsgeschichte mit Abenteuergeschichten an exotischen Schauplätzen. Im folgenden Ausschnitt, der Fassung Β vom Anfang des 13. Jahrhunderts entnommen, kommt Ernst mit einigen Gefährten im Land Arimaspi an.
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die herren do gedähten1 daz sie strichen in den wait, dö wären die helde bait vil wünnecliche gar. vil lützel sie der lipnar in dem walde funden. dö äzens under stunden würze und swaz ez mohte sin. do kämen die armen pilgerin an ein wazzer, daz was gröz, daz vil snellecliche flöz, lüter unde wol getan, des wären die eilenden man in ir gemüete vil frö. dö gelabten sie sich dö, wan ez was gar vische rieh, die edeln recken lobelich in daz wazzer giengen. mit den henden si ir2 geviengen so vil daz sie sich ernerten3 und dem hunger wol erwerten, des gnädeten4 sie gote tiure. sie brieten sie bt dem fiure: daz mohten sie dö wol hän5. dö suochten die vil küenen man
gedähten·. 3. PI. Ind. Prät. von gedenken, .überlegen, sich vornehmen'. Also ,da nahmen die Herren sich vor, in den Wald zu ziehen'. ir. Gen. PI., gemeint sind die Fische, ir so vil: ,ihrer so viele, so viele davon'. ernern: hier ,retten, am Leben erhalten'. gnaden, genäden: hier .danken'. Also ,dafür dankten sie Gott sehr'. hän = haben; ,das (das Feuer) konnten sie dort anzünden'.
Herzog Ernst
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beide vür unde wider, daz wazzer üf unde nider ob si iender über möhten komen. schier wart in der tröst benomen, daz sie muosen dannen wenden,6 oberhalp von steinwenden, niderhalp von gebirge hoch daz sich üf gen den wölken zöch: daz wazzer da durch hin flöz. daz was starc unde gröz, daz iu daz nieman kan gesagen. do begunden aber die herren klagen ir jämerlich eilende, sie wänden7 nemen ir ende. Sie klageten aber gote ir nöt. harte forhten sie den tot, wan sie niht mohten über komen. als ir e habt vernomen, daz wazzer was tief unde breit, dö nähte in michel arbeit. ir angest was unmäzen gröz. daz wazzer durch den berc schöz zeim8 loche, daz was enge, mit grözem gedrenge ez durch den berc ran. „nu ratet", sprach der küene man9, „wie wir nü werben10, wir müezen hie ersterben, suln wir langer hie bestän." dö sprach der grave sin man" „uns ist der tröst gar benomen. s!t wir niht über mugen komen, wir müezenz nu wägen, nu län12 uns niht betragen
Etwa ,so dass sie wieder umkehren mussten'. wänden: 3. PI. Ind. Prät. von wcenen-, also ,sie glaubten, ihr Ende sei gekommen'. zeim = ze einem. Gemeint ist Herzog Ernst. werben·, hier etwa .handeln, tun'; ,nun gebt einen Rat, was wir jetzt tun sollen'. Graf Wetzel; er ist in Beratungen meist deijenige, der den rettenden Vorschlag macht.
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Erzählende Versliteratur
daz wir machen ein flöz, also starc und also gröz daz wir den lip dar üf bewarn, wir müezen durch daz loch varn: des13 mac nu niht rät wesen. wir sterben oder genesen, daz muoz nu da ze gote stän." dar zuo griffen sie dö sän unde worhten14 schiere ein flöz, daz was starc unde gröz. starke boume sie dar truogen die si mit den swerten abe sluogen: sien15 mohten ander wäfen hän. starc gespenge sie dar an mit widen vaste bunden. dö giengens an den stunden mit sorgen üf daz flöz stän. do bevulhen16 sich die küenen man flizeclich unserm trähtm und der vil lieben muoter sin und allen sinen heiligen. ze himele sie dicke nigen e sie sich liezen in daz loch, daz wunder sagt man uns noch daz den helden dö geschach. sie liten vil gröz ungemach e sie sich dar in liezen. vil dicke sie in17 stiezen manigen unsenften stöz. ir angest diu was vil gröz e si durch den berc kämen. vil manigen schric sie nämen
län: 1. PI. Imp. von läzen, kontrahierte Form, ohne pronominales Subjekt (vgl. MHD Grammatik § 399).,Lassen wir es uns nun nicht verdrießen, ein Floß zu bauen'. des: Gen., abhängig von rät wesen; .dessen gibt es keine Abhilfe (das muss sein)'. worhten·. 3. PI. Ind. Prät. von würken, wirken, .fertigen, bauen'. sien = sie en; ,andere Waffen (anderes Werkzeug) hatten sie nicht'. bevulhen: 3. PL Ind. Prät. von bevelhen, .anvertrauen'. in: Reflexivpron., Dat. PL, also etwa .häufig verletzten sie sich bei manch heftigem Stoß'.
Herzog Ernst
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der in den tot tet bekant. dö half in unser heilant daz sie in den stunden ir not wol überwunden. Sie liten arbeit iedoch, e sie kämen durch daz loch, in einer starken vinster, zer zeswen und zer winster, da sie sich stiezen her und dar. do schein der berc inner gar von maniger hande steine, die wären al gemeine schoene unde wol gevar. ouch was der grünt unden gar in der selben maze erkant.18 Ernst der edele wigant einen stein dar under sach den er üz dem velse brach, der stein gap vil liehten glast. den brähte" sit der werde gast üz der vil starken freise. da von er wart der weise durch sin eilen genant.20 er ist noch hiute wol bekant. ins riches kröne man in siht. von diu21 liuget uns daz buoch niht. ist aber hie dehein man der dise rede welle hän vür ein lügenlichez were,
Etwa .auch war der Grund (des Flusses) ganz in gleicher Weise erkennbar' - d. h. Wände und Grund des Tunnels leuchten von Edelsteinen. brähte: 3. Sg. Ind. Prät. von bringen. ,Den brachte später der edle Reisende (Emst) aus der schrecklichen Gefahr mit.' Gemeint ist der Edelstein; sin eilen meint vielleicht des Steines besondere Leuchtkraft. Ernsts Abenteuer wird hier mit dem als ,Waise' bekannten Stein in der Reichskrone in Verbindung gebracht, von dem auch Walther von der Vogelweide gesungen hat. von diu: .deshalb'. Mit dem buoch ist die Geschichte von Herzog Emst selber gemeint; der Hinweis auf die Reichskrone dient hier zur Bezeugung des Wahrheitsgehalts der Geschichte.
Erzählende Versliteratur
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der kome hin ze Babenberc22: da vindet ers ein ende23 an alle missewende von dem meister derz getihtet hat. ze latine ez noch geschriben stät: da von ez äne valschen list ein vil wärez liet ist. Do die helde begunden nähen da sie den tac sähen, do begunde ouch daz loch witen. sie kämen in kurzen ztten in ein vil gröze lant. des wart der edele wigant mit den srnen vil frö. ze Stade kerten sie do und liezen daz flöz sten. dö begunden dannen gen die recken küene unde bait, sie kämen in einen grözen wait dä sieriutasre24funden, der spräche sie niht enkunden. ze den begunden sie dö gähen. dö sie sie von erste sähen, dö vlöch2S man, wip unde kint. des funden die helde sint so vil brötes daz sie sich ernerten und des hungers erwerten, in was diu kraft entwichen, durch den wait sie strichen, got hete sie dar schiere gesant in ein vil schoene lant: daz was ein künicriche, dä sie vil herliche manige bürge sähen stän. als wir dä von vemomen hän,
Babenberc·. Bamberg. ein ende vinden, mit Gen. (ers = er es): .erfahren, herausfinden'. riutare: ,Bauern'. vlöch: 3. Sg. Ind. Prät. von vliehen; ,da flüchtete Mann, Frau und Kind.'
Herzog Ernst
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daζ lant hiez Arimaspi. des was der edele furste fn in sinem muote vil frö. die helde wären komen dö in eines herren gräfschaft. der häte mit grözer kraft ein schoene burc gebüwen26. des suit ir wol getrüwen, sie was wit und herlich, die liute wären wunderlich die daz lant heten besezzen. sie wären vil vermezzen: des mugen wir niht gelougen. sie heten niht wan ein ouge vorne an dem hirne. sie hiezen einsterne, ze latine hiezens Cyclopes, die helde nähten under des27 der selben bürge wol getän. sie muosen28 gröze angest hän wie man sie hie enphienge oder wie ir dinc29 ergienge und wie ez da solde gestän. „wir suln", sprach der furste sän, „gen üf die gotes genäde30 dar." schiere wurden sie gewar des gräven vor der bürge tor, der mit rittern dä vor kurzwilen in den ziten gie31,
gebüwen·. Part. Prät. von buwen, ,bauen'. Eigentlich swV, hier jedoch starkes Pait. (vgl. MHD Grammatik § 268, Anm. 3). under des: .unterdessen'. muosen: 3. PI. Ind. Prät. von müezen; hier etwa .können, mögen'. ,Sie mochten wohl große Sorge haben, wie man sie hier empfangen würde.' dinc: hier etwa ,Geschick'. Also ,wie ihr Geschick sich erfüllen würde und wie es da (in der Burg) zugehen würde'. üf die gotes genäde: ,im Vertrauen auf Gottes Gnade'; also ,wir werden im Vertrauen auf Gottes Gnade dorthin (zur Burg) gehen'. gie: 3. Sg. Ind. Prät. von gän, gen-, ,der gerade (zu dieser Zeit) mit Rittern dort spazieren ging'.
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Erzählende Versliteratur
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der sie vil minnecliche enphie32 und mit vil grözen eren. dö fuorte er die heren üf ein richez palas. vil liep dem wirte zuo in was33, ir spräche was in unbekant. der herre wincte in mit der hant daz si abe tasten die sarwät. do was ir worden guot rät34. Der grave was ein guoter man. er hiez die geste wol hän35: dar zuo er inz selbe wol erpöt36 (des was den recken vil nöt) in maniger hande wise, mit kleidem und mit spise, daz sie ez wol mohten liden. mit pheller und mit siden hiez sie der gräve kleiden, er was ein man bescheiden, er bekande an ir gebasren daz sie edele liute waeren: des erbarmde in ir ungemach. dä von in guotes vil geschach von im dar näch lange sit. do geviel37 ez an ein höchgezit, daz der künic von dem lande allenthalben sande näch sinen mägen unde man, daz sie niht solden län38 sie kasmen ze hove gar.
enphie = enphienc: 3. Sg. Ind. Prät. von enphähen, kontrahierte Form. liep sin, mit Dat. (dem wirte): etwa .freundlich sein'; also ,der Wirt war sehr freundlich zu ihnen'. rät werden, mit Gen. (ir): etwa ,Hilfe geben für'; also ,nun war ihnen gut geholfen'. hän, haben mit Adv. und Dat.: .behandeln'; ,er befahl die Gäste gut zu behandeln'. erpot: 3. Sg. Ind. Prät. von erbieten, ez wol erbieten, mit Dat. (in): ,gut behandeln, gefallig sein'. geviel: 3. Sg. Ind. Prät. vongevallen, hier .geschehen'. län = läzen; .dass sie es nicht versäumen sollten, zum Hof zu kommen.' Zum Konjunktiv (keemen) in abhängigen Sätzen vgl. MHD Grammatik § 446.
Herzog Ernst
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die fiirsten kämen alle dar witen von dem riche, die herren al geliche, beide nähe und verre. dö kam ouch dirre herre39 ze hove mit grozen eren. vür den künic heren fuort der gräve mit im dan den herzogen und sine man, gewäfent wol ze flize in ir halsberge wize und ir hosen iserin. daz gap allez liehten schin. sie wären vil herliche gar. als ir der künic wart gewar, er neic40 in albesunder und nam in michel wunder:41 wa er die recken haste genomen, oder wannen sie im waeren komen, frägt er den graven sä zehant. er sprach „herre, mir ist unbekant von wannen oder wer sie sin. sie kämen in daz hüs min ichn weiz von wannen gegän, von hunger jämerlich getan, sit hiez ich ir42", sprach der degen, „mit spise vollecliche phlegen min liute, man als43 an in wol siht. si vernement unser spräche niht: ir gebasre ist vil manlich." dö schouwete der künic rieh ir helme schilde unde swert. sie wären im liep unde wert, im geviel vil wol ir leben.
Gemeint ist der Graf von Arimaspi. neic: 3. Sg. Ind. Prät. von nigen, mit Dat. (in), ,sich verneigen vor'. wunder nemen, hier uiipers. und mit Akk. der Person: ,sich wundern'; also ,es wunderte ihn sehr/er wunderte sich sehr'. ir: Gen., abhängig von phlegen-, .seitdem hieß ich sie reichlich mit Speise versorgen'. als, also: hier etwa ,das, wie'; also ,wie man gut an ihnen sieht/erkennen kann'.
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Erzählende Versliteratur
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do bater den graven sie im geben, der grave gaps44 dem künige do. des wart er herzeclichen fro. der recken er sich underwent45 und hiez dö ziehen sä zehant ein vil schoene castellan, stare unde wol getan, vür in üf den hof dar. da bi wolde er nemen war welcher der tiurste wasre. Ernest der degen maere zehant nach dem zoume greif. er spranc dar üf an stegereif und reit ez ritterliche, dö hiez der künic riche in und alle sine man mit dienest als in selben46 hän mit aller hande sachen und wol gereiten machen, und gap in kameraere der in47 bereit wasre swes sie bedorften zuo der not. al sinen liuten er gebot daz sie in dienen solden swie sie selbe48 wolden: daz sie alle gerne täten, sus häte sie got beräten. Also bliben sie bi dem künige hie. dö sich der hof dö zerlie49, der künic ir flizecliche phlac
gaps = gap sie. underwinden, refl. und mit Gen. (der recken): ,sich kümmern um'. als in selben: ,wie ihn (den König) selbst'. Also ,da befahl der König, Ernst und seine Männer so dienstbereit mit allerlei Sachen zu bewirten wie ihn selbst und sie gut auszurüsten'. in: Dat. PL, abhängig von bereit sin; ,und gab ihnen einen Kammerdiener, der für sie bereit stünde, was auch immer sie bräuchten'. sie selbe: Gemeint sind Emst und seine Männer. zerlie: 3. Sg. Ind. Prät. von zerläzen, kontrahierte Form; .auseinander gehen, sich auflösen'. Man geht auseinander, jetzt, wo das Hoffest vorbei ist.
Herzog Ernst
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dar nach vil manigen tac. man huote ir schöne, daz ist war, me danne ein ganzez jär, e sie die spräche künden, dar nach in kurzen stunden hiez er den herzogen gewinnen50 und bat in mit guoten minnen im sagen diu rehten maere, vol welhem lande er waere und wie getanen namen er haete, daz er im daz kunt taete und im sagt diu rehten maere waz mannes er selbe waere und wie er kaeme in daz lant. des antworte im der wigant unde tete im kunt diu maere daz er ein herzöge gwesen waere da heime in sime lande, wie in äne schulde und äne schände vertreip der richsten künige ein51 der von anegenge kein52 ie wurde in dem riche: und sagete im sunderliche des landes site und gebaere und wie er dar komen waere. Do der künic gar vernam diu maere wie er dar kam und von manigen landes siten, und waz er arbeit haete erliten sit er von sinem lande schiet, do gebot er aller siner diet daz sie sich des bewaegen53
gewinnen: hier etwa .holen, vor sich bringen'. ein (und ebenso kein im Folgevers) hier unflektiert mit abhängigem Gen., vgl. MHD Grammatik § 229, Anm. 1. Also .einer der mächtigsten Könige'. der kein·. Gen. mit partitiver Bedeutung, vgl. MHD Grammatik § 368; etwa .von dessen Art es im Reich von Anbeginn an keinen je gegeben hatte'. Oder, ohne Negation: .wie ihn der mächtigste König, den es je im Reich gab, ohne Grund und Vergehen vertrieb'. Ernst erzählt dem König also von seiner (schuldlosen) Vertreibung durch Kaiser Otto.
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Erzählende Versliteratur
4660
4665
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und ir mit filze phlaegen: daζ gebot er für unde wider, des was er im immer sider mit triuwen herzeclichen holt, er gap im silber unde golt und allez daz er wolde hän. also het got ze in getan. Hie läzen wir beliben daz: ich wil iu sagen vürbaz. dem künic von Arimaspi säzen wunderliche liute bi54: Plathüeve wären sie genant und täten im schaden in sin lant und brähten in dicke in arbeit, den wäm die fueze vil breit und alsö den swanen gestalt.55 die fuorten grözen gewalt über hart und über bruoch. sie truogen keiner slahte schuoch. swann56 ungewiter wolde werden, so leite57 er sich üf die erden: so hebet er einen fiioz über sich, daz was genuoc wunderlich, so im daz weter lange war58, den andern fuoz hebte er dar, sö im dirre muode wart, alsö wären sie bewart daz in ze keiner stunde kein weter geschaden künde. Die Plathüeve also gefuoren daz sie hervart swuoren
bewcegen: 3. PI. Konj. Prät. von bewegen, refl. und mit Gen. (des), ,sich anschicken zu, sich entschließen'. Also ,dass sie sich dazu anschicken möchten, sich ihrer (Emsts und seiner Leute) mit Eifer anzunehmen'. bisitzen: etwa ,leben neben, benachbart sein'. ,und wie bei den Schwänen geformt'; die Platthufe haben also Schwanenfuße. swann = swan in: ,wann immer ihnen ein Unwetter drohte'. leite = legete·. 3. Sg. Ind. Prät. von legen, kontrahierte Form. im war: wesen, sin mit Dat. der Person, etwa .widerfahren, dauern'. Also .wenn ihm das Unwetter zu lange dauerte'.
Herzog Ernst
4695
4700
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üf den künic von Arimaspi. sie wären ir gemiietes fri und truogen geschöz freislich. do besanden sie sich inner59 tac und inner naht und wunnen vil groze maht gegen des küniges lande, mit roube und mit brande wolden sie den künic hern und sin riche gar verhern. dem künige kam diu botschaft daz die Plathüeve mit kraft in sinem lande waeren. mit disen starken masren wart er beswasret sere. do gewan der künic here gen in60 vil schiere von recken küene und ziere in vil kurzlichen tagen einen kreftigen magen üf ein heide, diu was breit, dar häten sich diu her geleit. da muose ez durch not scheiden zwischen den hern beiden daz urteil mit dem lebene.61 die Plathüeve vergebene fuorten ir scharph geschütze. ez wart in vil unnütze, do der herzöge in den strit kam. des küniges vanen er do nam und fuorte die vordem schar, die Plathüeve kämen gein im dar mit grözem übermuote gevarn und huoben sich mit den scharn
inner: hier .binnen, innerhalb von'. ,Innerhalb eines Tages und einer Nacht sammelten sie ein Heer'. gen in: Der Präposition gegen, gein, gen folgt mhd. der Dativ. Also ,da sammelte der edle König gegen sie (...) ein starkes Heer (magen)'. Etwa ,da musste die Entscheidung auf Tod und Leben zwischen den beiden Heeren fallen'.
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Erzählende Versliteratur
4725
4730
4735
4740
4745
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62
63 64
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üf ein ander62: dö huop sich not. da von lac dö maniger tot. Der herzöge und sine man kämen sie frumlichen an63, sie sluogen unde stächen unz sie die schar durchbrächen: dö muosens in entwichen, sie wurden freislichen verhouwen an der walstat. üf dem velde manic phat mit toten lac bestrouwen64: des wart von libe gehouwen. der künic von Arimaspi der stuont dem herzogen bi frumlich mit siner schar. sie sluogen die Plathüeve gar daz in vil lützel entran. der herzöge den sige gewan. ez was im wol ergangen, erslagen und gevangen häte er ir65 und sine man daz nieman wol ertrahten kan. Der sige was gewunnen. die da warn entrunnen fluhen ze bürge und ze walde, swä sie sich mohten behalden. der künic besaz die naht daz wal. da was freude unde schal unz an den anderen tac. der künic gebennes sich bewac66.
sich üf einander heben: etwa .aufeinander losgehen'. Also ,die Platthufe gingen mit ihren Scharen aufeinander (gemeint ist wohl auf Emst und seine Männer) los'. ankamen, mit Akk.: jemanden angreifen'. bestrouwen·. Part. Prät. von bestrouwen, eigentlich swV, aber gelegentlich mit starkem Partizip wie hier. Also etwa .mancher Pfad auf dem Feld war mit Toten bestreut, die erschlagen worden waren'. ir: ,so viele' zu ergänzen; also ,so viele von ihnen hatte(n) er und seine Männer erschlagen und gefangen, dass niemand sich das ausdenken kann'. bewac: 3. Sg. Ind. Prät. von bewegen, mit Gen. (hier der flektierte Infinitiv gebennes)·, ,er schickte sich an, Geschenke auszuteilen'.
Herzog Ernst
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er hiez sine lieben man zuo im67 ze hove alle gän und bat sie danken dem herzogen der im so gar vür unbetrogen68 häte behalden al sin ere. des begunde er in vil sere loben durch sin fnimekeit. er sprach, jungelinc gemeit, du hast mir manliche und also frumliche ere unde lip behalden. du solt immer mer gewalden mins landes swaz dus69 haben wil. des sol ich dir lihen also vil durch liebe die ich zuo dir hän daz du selbe maht wol hän beide ere unde ruom." er lech im ein herzogentuom mit liuten und mit lande, sus lönte er dem Wigande. dö gab er sinen mannen, e daz sie schieden dannen, daz sie wurden unnöthaft und geladen mit grözer kraft, grave Wetzel sinen man den hiezen sie zehant dan wisen70 gwaltic dar in, und im undertän sin daz volc gemeinliche, beide arme und riche. daz lobeten sie vil gerne. der künic reit zuo Lücerne: sus was ein sin burc genant.
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im: hier Reflexivpron., also ,zu sich'. vür unbetrogen: , wahrhaftig, ungelogen'. dus = du es. es bezieht sich auf mins landes, ein Gen. abhängig von gewalden. Also ,du sollst immer so viel von meinem Land beherrschen, wie du haben willst'. wisen: hier etwa .leiten, lenken'; ,Graf Wetzel, seinen Mann, hießen sie darauf sogleich, dort mit Vollmacht zu regieren'. Wetzel soll also der oberste Bevollmächtigte in Emsts neuem Herzogtum sein.
96
Erzählende Versliteratur
4790
4795
4800
4805
4810
71 72
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do fiiorte man den wigant üf sin lant mit smen man: do was sin dinc im wol ergän. Dö der herre daz lant gewan, dö machte er im sine man beide willic unde holt, er gap in silber unde golt daz er nieman niht verzech71, er gap hin unde lech daz ieclicher gerne nam. des muost der helt vil lobesam sinen lantliuten allen von schulden wol gevallen, und huoten72 siner ere mit triuwen immer mere durch sin gröze frümekeit. er dolde liep oder leit, des hätens alle mit im phliht.73 ouch versümte sich der grave niht: er hielt mit em ouch sin gewalt. des wurdens beide dö gezalt zen aller tiursten herren die sie74 nähe und verren wisten in keinem lande, sie lebten gar äne schände.
verzech·. 3. Sg. Ind. Prät. von verzihert, .versagen, vorenthalten'. huoten = hüeten; von muost abhängiger Infinitiv, müezen hat hier wohl die Bedeutung .können', also ,und konnte seine Ehre (...) stets bewahren'. Etwa ,ob er nun Freude oder Leid erduldete, sie alle hatten mit ihm daran Anteil'. sie·, hier etwa .man'; also ,so wurden sie beide zu den besten Fürsten gezählt, die man nah und fern in keinem Land besser finden konnte'.
Abb. 5: Ausschnitt aus der Weltkarte von Hereford, Afrika zeigend (Hereford
Cathedral)
Mittelalterliche Weltkarten waren nicht dazu gedacht, ein genaues topographisches Abbild der Erde zu zeigen, vielmehr stellten sie die Welt so dar, wie sie in der Bibel und anderen heiligen bzw. Schulschriften beschrieben war. Im Mittelpunkt lag somit Jerusalem, und im Osten (d. h. oben auf der Karte, da die Karten in der Regel geostet waren) wurde das Paradies eingezeichnet. In dem hier abgebildeten Ausschnitt aus einer gegen Ende des 13. Jahrhunderts in England entstandenen Weltkarte ist der Süden zu sehen, also Afrika mit den dort angesiedelten mythischen Zentauren. Menschen mit Vogelköpfen u. a. Lebewesen wie diese werden etwa im Lucidarius beschrieben und auch Herzog Ernst begegnet einigen davon auf seinen Abenteuerfahrten.
Heinrich, Reinhart Fuchs, Verse 1835-2198 Die politische Gesellschaftssatire in Gestalt einer Fabel ist gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstanden; über den Autor ist außer dem Namen nichts bekannt. Im Mittelpunkt steht der Fuchs Reinhart, der in verschiedenen Einzelepisoden das gesamte Tierreich gegen sich aufbringt. Im folgenden Ausschnitt kommt Reinhart an den Hof des Löwen, des Königs der Tiere, eigentlich um sich vor Gericht fur seine Untaten zu rechtfertigen. Er tritt jedoch als Heilkundiger auf, der den König von einer Krankheit zu heilen verspricht. 1
1840
1845
1850
1855
2 3
4 5
Do Reinhart ze hove qvam, manic tier vreisam Sprach al besvndem: „nv mvget ir sehen wunder, Wo Reinhart her gat, der manic tier gehonet hat. Er ist vern2 Hersantes amis, der si beide hienge vf ein ris,3 Daζ scholde nieman klagen niht, waz solde ir der bosewicht?" ¥)ie ertzvmten knechte sehnten4 vf in von rechte. So klagte sere her Ysengrin, daz im were daz wip sin Gehonet, do sprach der kaplan: „er hat oveh mir leide getan." Dieprecht sprach: „herre kvnic, sehet, wie er stat, der vch vil lasters erboten hat. Nv lazet in evch niht entwenken, Ir svlt in heizen hengen, Wenne5 er ist zware
Die Ausgabe, der dieser Auszug folgt, enthält gelegentlich übereinandergeschriebene Buchstaben; diese sind aus drucktechnischen Gründen hier aufgelöst, ζ. B. Vers 1968 mvest (Ausgabe: e über v), Vers 2035 hvete (Ausgabe: e über v), Vers 2184 boese (Ausgabe: e über o). vern = vrouwen. Hersant ist die Frau des Wolfes Isengrin. Der Form nach ein Relativsatz, ist dieser Satz als Bedingungssatz zu verstehen; vgl. MHD Grammatik § 455: ,wenn jemand sie beide aufhängte, würde das niemand beklagen'. schriten: 3. PI. Ind. Prät. von schrien, hier schwach flektiert. wenne = wände, wan: hier ,denn'. zware = zewäre: .wirklich, wahrhaftig'.
100
1860
1865
1870
1875
1880
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Erzählende Versliteratur
ein verratere." Schantecler clagte sine kint,6 er sprach:„kvnic, wir wizzen wol, daz ir sint Vnser rechter lichtere, dar vmbe ist vil swere, Daz ir disen morder lazet stan. man scholde in nv erhangen han7." Do sprach der rabe Dizelin: „herre, henget den neven min." Reinhartes liste waren groz. er sprach: „waz sol, kvnic, dirre doz? Ich bin in manigen hof kvmen, daz8 ich seiden han vemvmen Svlche vngezogenheit. deswar^ iz ist mir für vch leit." Der kvnic sprach: „iz ist also." vberbrechten verbot man do. Reinhart sprach: „vch enpevtet10 den dienst sin, richer kvnic, meister Pendin, Ein artzt von Salerne," der sehe iwer ere gerne, Vnd dar zv alle, die da12 sint, beide die alten vnd die kint. Vnd geschäht vch an dem libe icht, daz enmvgen sie vberwinden niht. Herre, ich was zv Saleme dar vmme, daz ich gerne Vch hvlfe von disen siechtagen, ich weiz wol, daz allez iwer klagen
Schantecler ist ein Hahn; er klagt hier Reinhart an, eine seiner Töchter totgebissen zu haben, vgl. Verse 1459-1480. han = haben, kontrahierte Form, erhangen han ist ein Infinitiv Perfekt, verbunden mit dem Modalverb; vgl. MHD Grammatik § 313. Also: ,man sollte ihn nun aufhängen'. Die Konjunktion daz wird oft rein syntaktisch verwendet; der inhaltliche Bezug zum übergeordneten Satz ist nicht eindeutig; vgl. MHD Grammatik § 466. Hier könnte man etwa ,aber' oder ,und dennoch' übersetzen. deswar = deiswär: .wahrlich, wirklich'. enpevtet: 3. Sg. Ind. Präs. von enbieten. Salemo ist im Mittelalter berühmt als Zentrum medizinischer Kenntnisse. da: Gemeint ist Salerno; d. h. alle in Salemo möchten den König in hohem Ansehen wissen.
Reinhart Fuchs
1885
1890
1895
1900
1905
1910
1915 13
14 15 16 17
18
101
In dem hovbt ist, swaz iz mvge sin. vch enbevtet meister Bendin, Daz ir vch niht svlt vergezzen, irn B schvlt tegliche ezzen Dirre lactewerien14, die er vch hat gesant." „daz leist ich", sprach der kvnic zehant Vnde liez slifen sinen zom. Reinhart sprach: „vil manic dorn Hat mich in den fVz gestochen in disen siben wochen, Daz tvt mir, kvnic, harte we. vch enpevtet der artzet me, Ob ir einen wolf alden mvget vinden, den schvlt ir heizen schinden, Ovch mvzet ir eines bem hvt han." der kvnic sprach: „daz si der kaplan."15 „Da mite geneset ir, herre gvt. vz einer katzen einen hvt16 Mvzet ir han ze aller not, oder iz were, weizgot, iwer tot." Der kvnic liez do her fvr gan Ysengrinen vnd sinen kaplan. Er sprach: „ir svlt mir iwer hivte gebn, daz beschvld17 ich, die wile ich leben Sol, vmb iwer geslehte zaller stvnt. meister Reinhart hat mir getan kunt Den sichtagen, der mir zaller zit in minem hovbte leider lit18." „Genade, herre", sprach der kaplan, „waz wunders wolt ir ane gan? Den ir habt19 fvr einen artzat,
irn = ir en: In von einem negierten Satz abhängigen Sätzen findet sich oft eine Negation, die nach nhd. Sprachgefühl falsch erscheint; vgl. MHD Grammatik § 441. Also: ,dass Ihr nicht vergessen sollt, täglich diese Arznei zu nehmen'. lactewerien = latwärje, latwerge: Latwerge, eine flüssige Arznei. Der Kaplan des Hofes ist Brun, der Bär. hvt = huoV. ,Hut, Mütze', vgl. Vers 2014. beschulden: hier .vergelten, belohnen'. Also etwa ,das vergelte ich, solange ich leben werde, stets an eurem Geschlecht'. lit = liget, 3. Sg. Ind. Präs. von ligen, kontrahierte Form.
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1920
1925
1930
1935
1940
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Erzählende Versliteratur
vil mangen er getötet hat, Weizgot, denne geheilet, vnd ist vor vch verteilet." Do sprach iz im her Ysengrin: „sol mir alsvst gerichtet sin Vmb min wip, daz ist ein not."20 sinen zagelstrvmpf er her fvr bot: „Sehet, wie mich iwer artzat hinderwert gevneret hat,21 Ovch mag vch wol ergan so." vil gerne weren dannen do Her Brvn vnd her Ysengrin, des enmoht doch niht sin. Sinen konden22 niht entwichen, der kvnic hiez sie begrifen Vil mangen sinen starken kneht. man schinte23 sie, ovch wart Dipreht24 Beschindet also harte, daz qvam von Reinharte. Der sprach: „ditz ist wol getan. ein versoten25 hvn svl wir han Mit gvtem specke eberin26." der kvnic sprach: „daz sol ver Pinte27 sin." Der kvnic hiez her fvr stan Schanteclern. er spach: „ich mvz han Zv einer arztie din wip." „neina, herre, sie ist mir als min lip. Esset mich vnd lazet sie genesen." Reinhart sprach: „des mac niht wesen." Der kvnic hiez Pinten vahen, Schantecler begonde dannen gahen.
haben fvr. ,halten für'. Isengrin klagt Reinhart an, seine Frau Hersant vergewaltigt zu haben. Er hat in einer früheren Episode Reinharts wegen seinen Schwanz verloren. sinen konden = sie enkonden: ,sie konnten nicht'. schinte: 3. Sg. Ind. Prät. von schinden, hier schwach flektiert. Dipreht ist ein Kater. versoten·. Partizipial-Adjektiv zu versieden; ,gekocht'. eberin·, ,νοη einem Eber'. ver Pinte = vrouwe Pinte, die Henne, Frau Schanteclers.
Reinhart Fuchs
1950
1955
1960
1965
1970
1975
28 29 30
31
32 33
103
Do dise rede ergienc also, vz sinem dihe28 sneit man do Dem eber ein stvcke harte groz. der artztie in bedroz. „Einen hirsinen riemen svl wir han." der kvnic hiez her fvr sich stan Den hirz vnd sprach:,.Randolt, einen gvrtel dv mir geben solt, Daz beschvlde ich immer wider dich." „herre, des erlazet mich", Sprach der hirz, „dvrch got. iz mac wol sin der werlde spot, Daz ir dem volget hie, der nie triwe begie29. Der tevfel in geleret hat, daz er sol sin ein artzat." Der kvnic sprach: „Randolt, ich was dir ie vzer mazen holt. Sterbe ich nv von den schvlden din, daz mocht30 dir immer leit sin." Er getorste31 dem kvnige niht verzihen, em mvest im einen riemen lihen Von der nasen vntz an den zagel. Reinhart was ir aller hagel. Reinhart sprach, der wunder kan: „kvnic, werstv ein armman, Sonen kond32 ich niht gehelfen dir. von gotes genaden so habe wir, Da mit dv wol macht33 genesen, wilt dv mir nv gehoric wesen." „Ia", sprach der kvnic, „meister min, swie dv mich heizest, also wil ich sin."
dihe = diech: .Oberschenkel, Keule'. begie = begienc: 3. Sg. Ind. Prät. von begän; also etwa ,der nie Treue gezeigt hat'. mocht: 3. Sg. Ind. Prät. von mugen; .können, sollen'. Also: ,das sollte dir immer Leid sein'. getorste: 3. Sg. Ind. Prät. von geturren, ,sich trauen, wagen'. Also etwa ,er wagte nicht, es dem König abzuschlagen'. sonen kond = so enkond: ,so könnte ich dir nicht helfen'. macht: 2. Sg. Ind. Präs. von mugen.
104
1980
1985
1990
1995
2000
2005
34 35 36 37 38 39 40
41 42
Erzählende Versliteratur
Reinhart konde mangen don: „von dir wil im34 keinen Ion Min meister Bendin, wen35 eines bibers hvt." „daz sol sin", Sprach der kvnic riche, „die sende ich im werliche36." Er hiez den biber fvr sich stan, do mvst er die hvt da lan37. Manic tier daz gesach, igliches zv dem andern sprach: „Waz wol wir hie gewinnen? wir svln vns heben hinnen, Ε wir Verliesen die vel." do hvp sich manic tier snel, Der hof zesleif38 sa. Krimel39 beleip da Vnd die olbente von Tvschelan, die hiez der artzat da bestan, Alsam tet er den elfant, der daz gvte vrteil vant.40 Der kvnic harte riche der bleip da heimlich. Sie fVren alle dannen swinde, do bleip sin ingesinde. Reinhart den kvnic bat, daz er im41 hieze tragen pat. Zehant der kvnic daz gebot. dem lewarten42 was harte not, Iz ist war, daz ich vch sage: daz bat wart schire dar getragen.
im: hier ,für sich'. wen = wan·, hier .außer'. werliche = waerliche: .wahrhaftig, mit Sicherheit'. lan = läzen, kontrahierte Form. zesleif: 3. Sg. Ind. Prät. von zerslifen, .sich auflösen, verschwinden'. Krimel ist ein Dachs. Der Elefant hatte zuvor dafür plädiert, Reinhart noch ein drittes Mal die Chance zu geben, vor Hof zu erscheinen, statt ihn in Abwesenheit zum Tode zu verurteilen. im: hier Reflexivpronomen; ,Reinhart bat den König, sich ein Bad bereiten zu lassen'. lewart = lebart: .Leopard'.
Reinhart Fuchs
2010
2015
2020
2025
2030
2035
2040
43 44 45 46 47
48
105
Iz wart gewermet ze rechte, daz frvmeten gvte knehte, Als iz meister Reinhart gebot, in were leit irz herren tot. In daz bat leit er wurtze gnvc, do satzt er im vf den katzhvt, Dem kvnige mit witzen, in daz bat hiez er in do sitzen. Meister Reinhart, der artzat, greif ein ädern, die zem herzen gat, Er sprach: „kvnic, ir sit genesen vnd mvget nv wol vro wesen: Evch was nv vil nahen der tot, nv hilft vch min kvnst vz der not. Get vz", sprach der artzat, „ir habt gebat, daz iz wol stat.43 Langez bat tvt den siechen weich, ir sit ein lvtzel worden bleich." Der kvnic sprach, wen er siech was, als ein man, der gerne genas: „Din gebot ich gerne erfvllen sol." do hat er44 im gebettet wol Vf sines kapelanes hvt, der im da vor was vil travt. Den kvnic dakt45 er vil warm, daz is got erbarm, Mit einer hvete, di trvk Ysengrin, die verlos er an46 die schvlde sin. Reinhart sich kvndikeite vleiz47, vmb daz hovbt macht er im heiz. Der ameiz des gewar wart, vz dem hovbet tet er eine vart.48 Do kroch er rechte, deswar,
Etwa ,Ihr habt gebadet, und nun ist es gut'/,Ihr habt lange genug gebadet'. er. Reinhart; er bereitet dem König ein Bett auf dem Bärenfell. dakt: 3. Sg. Ind. Prät. von decken-, .zudecken'. an = äne\ also ,die hatte er ohne eigene Schuld verloren'. vleiz: 3. Sg. Ind. Prät. von v/izen; .streben nach, sich üben in', also etwa .Reinhart übte sich in Schlauheit (er war gerissen)'. Ursache der Krankheit des Königs ist eine Ameise, die in seinem Kopf lebt.
106
2045
2050
2055
2060
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2070
49
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Erzählende Versliteratur
fvr sich in daz katzenhar. Der meister do den hvt nam, mit im er an die svnnen qvam, Die liez er schinen dar in. daz wart im ein groz gewin. Den ameyzen er gesach, zorniclichen er zv im sprach: „Ameyze, dv bist tot. dv hast bracht zv grozer not Minen herren. din leben mvstu dar vmbe geben." Der ameyze zv Reinharte sprach: „Iz tet mir not, wan er mir zvbrach49 Eine gvte bvrch, der kvnic her. do geschach mir an michel ser, Daz ich nimmer mac verchlagen: miner mage50 lag da vil erslagen, Dar vmb han ich ditz getan. wiltu mich genesen lan, Ich laze dich in disem walde min vber tvsent bvrge gewaltic sin." Reinhart da gvte svne vant, den gevangen liez er zehant. Des wart der ameyz harte vro, ze walde hvb er sich do. Het er die miete niht gegeben, so mvst er verlom han daz leben. Svst geschiht avch alle tag: swer die miete gegeben mag,51 Daz er da mit verendet52 me, danne der53 sich wendet, Zv erfVllende herren gebot mit dienst, daz erbarme got.
zvbrach·. 3. Sg. Ind. Prät. von zerbrechen. Also etwa: ,es tat Not (es geschah gerechtfertigterweise), da der große König mir eine gute Burg zerstört hat'. mage\ Gen. PI. von mac, .Blutsverwandter'. Vorgestellter Relativsatz, bezogen auf er im folgenden Vers. verenden: hier .vollenden, erreichen'. danne der: Hier könnte man ein Relativpronomen ergänzen; ,als deijenige, der sich umkehrt, um das Gebot seines Herren mit Ergebenheit zu erfüllen'.
Reinhart Fuchs
2075
2080
2085
2090
2095
2100
2105
54 55 56 57
58 59
107
Reinhart do dar wider gie54, do er sinen siechen lie55. Derne kvnige greif er an die stim. er sprach: „wie tvt vch nv daz hirn?" „Wol, meister, daz vch got Ionen sol. ir habt mir gearztiet wol." Er sprach: „wir svln iz ovch noch baz tvn. weiz ieman noch, ob daz hvn Mit petersilien versoten si?" ein trvchsese stvnt da bi. Der sprach: „ia, daz wil ich vch sagen." „nv heizet56 mir her fVr tragen." Daz wart vil schire getan, do hiez er57 in enbizen gan, Reinhart, den herren sin, vnde hiez in sovfen daz sodelin. Der artzat des niht vergaz, vem Pinten er do selbe az; Reinhart, der vngetrevwe slec, Krimein gab er do den ebersspec. Den kvnic hiez er vf stan vnd eine wile sich ergan. Reinhart, der lvtzel trewen hat, den kvnic do genote bat Vmb sinen vrvnt, den helfant, daz er im lihe58 ein lant. Der kvnic sprach: „daz si getan, Beheim sol er han." Des wart der helfant vil vro. der kvnic hiez in do Enphahen,59 als iz was recht. do hvp sich der gvte kneht.
gie = gienc: 3. Sg. Ind. Prät. von gän. lie = liez: 3. Sg. Ind. Prät. von läzen. nv heizet·. ,es' zu ergänzen; also ,lasst es (das gekochte Huhn) mir auftragen*. er. Reinhart; der Name folgt als Apposition im nächsten Vers. ,Da hieß er, Reihnhart, seinen Herren essen gehen.' lihe: 3. Sg. Konj. Prät. von lihen; hier ,zu Lehen geben'. Hier fehlt eine Akkusativergänzung zur Bezeichnung dessen, was der Elefant entgegennehmen soll - etwa eine Fahne als Symbol seines Lehens.
108
2110
2115
2120
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Erzählende Versliteratur
Er qvam dar als ein armman, fVrsten amt er da gewan. Der helfant reit in sin lant, dar in der kvnic hat gesant, Vnd kvndete fremde mere, daz er herre were. Vil harte er zeblowen wart, ovch gerowen60 die widervart. Mochten sie in getan han wunt, em wurdes61 nimmer mer gesvnt. Do Reinhart den helfant gesatzt hatte vber sin lant, Dannoch dovcht62 in der schalkheit genvc niht. den kvnic er genote biten geriet63 Vmme die olbente, sine vrteilerin, er sprach: „sie sol geniezen min. Lat64 sie zem Erstein ebtessinne wesen, so sit ir an der sele genesen. Do ist vil geistlich gebet." der kvnic harte gerne iz tet, Er lech65 iz ir mit der zeswen hant, groze gnade sie do vant. Sie wante66 sin gewisliche ein ebtissinne riche. Do nam si vrlovp da, sie hvp sich danne sa, Geilliche sie vber den hof spranc, sie weste67 Reinharte danc Der vil grozen richeit. des qvam sie sit in arbeit.
gerowen: 3. Sg. Ind. Prät. von geriuwen, mit angehängtem Personalpronomen; also ,auch beschwerte ihn die Rückkehr sehr'. wurdes = wurde des; also etwa ,er erholte sich davon nie mehr'. dovcht 3. Sg. Ind. Prät. von dünken-, ,der Bosheiten dünkte ihn da noch nicht genug'. geraten mit abhängigem Infinitiv etwa ,anfangen zu'; also ,er fing an, den König eifrig für das Kamel zu bitten'. lat: 2. PI. Imperativ von lazen, kontrahierte Form. lech: 3. Sg. Ind. Prät. von lihen. wante = wände: 3. Sg. Ind. Prät. von weenen. weste: 3. Sg. Ind. Prät. von wizzen.
Reinhart Fuchs
2140
2145
2150
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2170 68 69 70 71
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Als sie in daz kloster qvam, swelich ir die mere vernam,68 Der qvam ilende dar. si namen vil genote war69 Vnde vragten, wer sie were, sie sprach: „ich sol vch mere Kvndigen gewerliche. mir hat der kvnic riche Disen gewalt verlihen, daz er si min. ich sol hie ebtessinne sin." Die nvnnen hatten daz ver70 zom, des was die olbente nach verlorn. Do schreiten71 die chlosterwip, des wart der ebtissin lip Zeblven vntz an den tot, mit griffein taten sie ir groze not, Daz wart an ir hvete schin. die nvnnen iagten sie in den Rin. Alsvst lonet ir Reinhart, daz sie sin vorspreche wart.72 Iz ist ovch noch also getan, swer hilfet einem vngetrevwen man, Daz er sine not vberwindet, daz er doch an im vindet Valschs, des han wir gnvc gesehen, vnd mvz ovch dicke alsam geschehen. Alsvst hat bewart sine vrteilere Reinhart. Der artzet was mit valsche da, den kvnic verriet er sa. Er konde mangen vbelen wane, er sprach: „herre, ich wil vch geben einen tranc, So sit ir zehant genesen." der kvnic sprach: „daz sol wesen."
Etwa ,wer auch immer von ihr erzählen hörte'. Hier könnte man eine Akkusativergänzung einfügen: ,sie sahen sie genau an'. ver = vür: ,die Nonnen hielten das für eine Empörung (sie fanden das empörend)'. schreiten: 3. PI. Ind. Prät. von schreien, schrien, hier schwach flektiert und intransitiv; ,schreien, toben'. Auch das Kamel hatte zuvor für Reinhart gesprochen, vgl. Verse 1437-1457.
110
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Erzählende Versliteratur
Do brav er des kvniges tot. Reinhart was vbel vnd rot, Daz tet er do vil wol schin, er vergab73 dem herren sin. Daz sol nieman klagen harte, waz want74 er han an Reinharte? Iz ist noch schade, wizze krist, daz manic loser75 werder ist Ze hove, danne si ein man, der nie valsches began. Swelch herre des76 volget ane not, vnd teten sie77 deme den tot, Daz weren gvte mere, boeselvgenere Die dringen leider allez fVr, die getrevwen blibent vor der tvr. Do dem kvnige der tranc wart78, dannen hvb sich Reinhart Vnde iach79, er wolde nach würzen gan. ern hatte da niht anders getan, Wen daz er ovch anderswa begienc. Krimelin er bi der hant gevienc, Der was sin trvt kvllinc. er sprach: „ich wil dir sagen ein dinc: Der kvnic mac niht genesen. wir svln hie niht lenger wesen." Do hvben sie sich dannen balde mit ein ander vz dem walde.
vergab: 3. Sg. Ind. Prät. von vergeben, mit Dat., hier jemanden vergiften'. want = wände: 3. Sg. Ind. Prät. von wcenen. loser = loscere: hier ,Heuchler, Schmeichler'. des: bezogen auf die vorigen Verse, also etwa .welcher Herr diesem Beispiel folgt'. sie: hier ,man'; also ,wenn man den (den Herren, der auf Schmeichler hört) tötete'. wart: 3. Sg. Ind. Präs. von werden, mit Dat., etwa .zuteil werden, erhalten'. iach: 3. Sg. Ind. Prät. vonjehen, .sagen'.
Heinrich von Veldeke, Eneasroman, Verse 286,15-300,22' Heinrichs Eneasroman wird allgemein an den Anfang der Blütezeit höfischer Literatur gestellt. Vergils Geschichte von Eneas, dem Flüchtling aus Troja, der sich in Italien niederlässt und dort das Geschlecht begründet, aus dem Romulus und Remus, Gründer Roms, hervorgehen werden, wird von Heinrich für ein ritterlich-höfisches Publikum umgeformt. Schon seinen Zeitgenossen gilt sein Roman als rhetorisches Meisterwerk und Musterbuch. Im folgenden Ausschnitt läßt die latinische Königstochter Lavinia Eneas auf abenteuerliche Weise einen Brief zukommen, in dem sie ihm ihre Liebe gesteht.
286,15
20
25
30
Do was diu maget reine in der kemenäten aleine. ir angest diu was vile gröz. die ture si innen beslöz. 2 dö nam des riehen kuneges kint tinten unde permint, als si diu not3 dar zü treib, weit ir nü hören waz si screib in scönem lätine? „ez enbütet4 Lavine Enease dem riehen ir dienest innechlichen, der is ir vor5 alle man, wände sim6 baz gutes gan7, dan allen den dies ie gesach, und si sin8 vergezzen niene mach weder späte noch frü.
10785
10790
10795
10800
Neben dieser Verszählung, die auf die Spalten und Zeilen der Ausgabe Ludwig Ettmüllers von 1852 zurückgeht, ist hier auch die durchgehende Zählung der Ausgabe von Gabriele Schieb und Theodor Frings von 1964 aufgenommen. In der Forschungsliteratur findet man beide Zählungen. Lavinia hat sich in Eneas verliebt. Latinus, Lavinias Vater, ist auch bereit sie mit ihm zu verheiraten, doch Turnus, dem sie zuvor versprochen gewesen war, will seine Ansprüche nicht aufgeben. Daher gibt es Krieg, und ein Zweikampf zwischen Turnus und Eneas ist verabredet worden. Gemeint ist die Liebesnot, in der sie sich befindet. enbütet = enbiutet: 3. Sg. Ind. Präs. von enbieten, .entbieten'. vor/vür sin: ,lieber sein als'. sim = si im. Personalpronomen sind in diesem Text häufig mit anderen Wörtern zusammengezogen; vgl. auch dies = die si im folgenden Vers. gan: 3. Sg. Ind. Präs. vongunnen, ,gönnen'. sin: Gen., abhängig von vergezzen. mach: 3. Sg. Ind. Präs. von mugen. Also ,und da sie ihn nicht vergessen kann'.
Erzählende Versliteratur
112
35
40 287
5
10
15
20
9 10
11 12
13 14 15
unde enbütet im dar zu, daζ her9 der rede si gewis und vil wol gedenke des, daz diu minne vil getüt." also dühtez10 sie gut. do siz gescreib und uberlas und der brief trocken was, gefuchliche" sie in vielt. wisliche si in behielt, des nam si michel häle12. si erwarb eine sträle, ich ne weiz wä sie si nam diu junkfrouwe lussam. daz gevidere si abe bant, den brief si umb den zein13 want, daz lerde sie diu Minne, die scrift kerdes enbinne14 unde bant do die veder so gefuchliche weder, daz daz nieman ne sach, daz der brief drunder lach. Nü höret wie siz ane vienk. zü dem venster sie gienk: do was ez wol mitter tach. liebliche sie da hine sach, da ir daz herze was. dö quam aber Eneas mit smen gesellen dar geriten, des si vil käme hete erbiten15 diu junkfrouwe lussam. dö si gesach daz her quam,
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10810
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her = er. dühtez·. 3. Sg. Ind. Prät. von dunken, mit angehängtem Personalpronomen; also etwa ,so erschien es ihr gut'. gefuchliche = gevuocliche: hier .behutsam'. ,Sie faltete ihn behutsam zusammen.' hälelhcele nemen: .verbergen, geheim halten'. Also etwa ,sie verwahrte ihn klug und verbarg ihn sorgfaltig'. zein: hier .Pfeilschaft'. enbinne: ,nach innen'. erbiten: Part. Prät. von erbiten, .erwarten'; .was sie kaum hatte abwarten können'.
Eneasroman
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des wart ir herze vil frö unde hüb sich vile hö ir gehuge unde ir müt, also noch vil maneger tüt, diu ir herzelieb gesiht. von diu16 ne wundert mich des niht, daz sie frö was dö sin gesach. niht langer sie do lach17, fröltche sie sprank von dem venster üf den bank, schiere enslöz sie die ture und sach in den hof hin iure, diu junkfrouwe wol getan, einen junkheren stän, einen bogen heter in der hant. si lobetes18 got daz sie in vant. her was ir vater mäch19. si winkte im do si in gesach. do des der here wart geware, vil schiere lief her dare unde aiser zü zir quam, dö sprach diu maget lussam „nü tü dorch den willen min, des ich dir immer holt wil sin al die wile daz ich leve20, lieber frunt schöner neve, schüz21 die sträle hin abe wider die da haldent in dem graben bi der müre vile nä. si habent hüt22 wol lange da, daz is mir leit unde zorn, wände siez ouch hie bevorn
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von diu: ,daher'. lach = lac: 3. Sg. Ind. Prät. von ligen\ hier etwa .sich aufhalten*. lobetes = lobete es; das Pron. im Gen. wird im folgenden erläutert, also etwa ,sie lobte Gott dafür, dass'. mäch = mäc: ,Blutsverwandter'. leve = lebe. schüz = schiuz: 2. Sg. Imp. von schiezen. hüt = hiute: .heute'. Also etwa .sie halten sich heute lange da auf.
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Erzählende Versliteratur 15
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al dise wochen täten. ich vorhte sie verraten minem vater al sin ere. des vorhte ich vile sere, wände sie die borch besehent unde wartent unde spehent, wä diu borch si sö getan, daz man ze storme möge gän, swenne der fride üz get.23 ich vorhte, wandez also stet, daz wirs24 betrogen beliben. mahtü25 si hinnen triben, des weiz ich dir iemer dank, wandir gespräche is al ze lank." Do sprach der edele jungelink „diz is ein angestlich dink, junkfrouwe, des ir geret. mich dunket güt daz irs enberet, want der fride is sö gesworen, daz nieman is sö wol geboren, der in hete zebrochen,26 ezn worde an ime gerochen, ob man ez befunde; hern27 verlöre sin gesunde unde solde küme genesen. ich tätez gerne, mohtez wesen an gröze sorge mine." dö sprach aber Lavine „ezn komt dir nimmer zunstaden28,
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.Wenn der Waffenstillstand vorbei ist.' wirs = wir es; etwa ,ich furchte, dass wir, wenn es so ist, so betrogen werden'. mahtü = maht du: 2. Sg. Ind. Präs. von mugen, mit angelehntem Pron.; also .wenn du sie vertreiben kannst'. Der Relativsatz bezieht sich auf nieman-, also etwa ,dass niemand, der ihn (den Waffenstillstand) gebrochen hätte, so hoch geboren ist, dass es nicht an ihm gerächt würde, wenn man es erführe'. hern = her ne: Pron. mit angehängter Negationspartikel. Auch dieser Satz ist von Vers 288,34 abhängig: ,dass niemand so hoch geboren ist, (...) dass er nicht seine Gesundheit verlöre und kaum am Leben bleiben würde'. zunstaden = ze unstaden\ ,es wird dir nicht zum Nachteil geraten'.
Eneasroman
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dü ne salt niemanne schaden, zü disen stunden salt dü deheinen wunden der rosse noch der lüte,29 desn gebat ich dich hüte, dü maht wol schiezen da bi, daz ez dehein schade si. schüz hin dane verre, daz ez nieman werre30, niwan daz dü si scheides und in31 die habe geleides, da si da haldent al den tach, wandez uns wol geschaden mach, des nis32 doch nehein not." dö tete her alse sime gebot, sin angest was doch vile groz. die sträle her hin abe schöz, als in diu junkfrouwe bat, vor die heren an eine stat. Eneas sach si vallen. done was under in allen nieman der wiste33 wannen si quam. ein ritter die sträle nam und gab si Enease in die hant. den brief her dar ane vant, der under die vederen was geleget. des im sin herze wart al beweget. den zein her enzwei brach, ze sinen gesellen her sprach Eneas der Troiän „si hänt34 uns unrehte getan, die den fride an uns brechen. nü mach ich wole sprechen,
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Partitive Genitive; ,du sollst jetzt keines der Pferde und keinen der Leute verwunden'. werre: 3. Sg. Konj. Präs. von werren, hier etwa .schaden'. Also .Schieß so weit daneben, dass es niemandem schaden möge, nur dass du sie auseinandertreibst'. in: Pers.Pron. Dat. PL; ,und ihnen den Aufenthaltsort verleidest'. nis = en is\ also .darin ist doch keine Gefahr'. wiste: 3 Sg. Ind. Prät. von wizzen. hänt = habent: 3. Pl. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form.
Erzählende Versliteratur
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daz siz an mir beginnen." do begonder sich versinnen unde sprach „ez wirt gut rät umb sus getane missetät." geswäsliche er abe nam den brief derm an dem zeine quam, do hern gesach unde gelas, daz dar an gescriben was, dö wart her frö unde sweich35. der junkfrouwen her geneich36, da si in dem venster lach, si frowete sich dö sin gesach unde neich im hin wider von dem venster hin nider. her neich hin üf und sie her abe. dö reit her näher zu dem graben und sach vil holtllchen dar. des wart ein ritter gewar, der was ein spottäre, swie her ein ritter wäre, her sprach alsus dorch sinen spot „was tut min here, dorch got? war umbe habet her da b! dem turne sö nä? ez is an den rät min, ich wil es äne scholt sin, ob her des missenüzet37, daz man in da schüzet, als ez vil nä komen was."38 dö winkete ime Eneas und hiez in swigen stille, wander sinen willen und sinen side39 erkande. schiere ern dannen sande
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sweich = sweic: 3. Sg. Ind. Prät. von swigen. geneich = geneic: 3. Sg. Ind. Prät. von genigen, mit Dat., ,sich vor jdm. verneigen'. missenüzet = misseniuzet: 3. Sg. Ind. Präs. von misseniezen, mit Gen., .Schaden haben von'. Etwa: ,wozu es ja beinnahe schon gekommen ist'. side = site: ,Sitte, Wesen, Art'.
Eneasroman
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und bevalch im eine boteschaft. da hüb sich diu fruntschaft allererest under in zwein40, als sint an in beiden schein41. Dö frowete sich Eneas, wand im sin herze erlühtet was, daz im diu frowede machte lieht, ie doch ne rümde42 her sich nieht, die grözen froude her versweich. der junkfrouwen her geneich: vil harde sanfte tete43 ir daz umd ime was ouch deste baz. fröliehe sprach der Troiän „disiu borch is hie baz getan, danne si anderswä st." her reit dem venster näher bf, da diu junkfrouwe inne lach, ir antluze her besach, daz also minnechlich was. do markte44 Eneas ir ougen unde ir munt: dö schöz in Amor sä ze stunt mit dem goldinen gere eine wunden sere und Venus diu müder sin45 geschüf daz im daz magedin lieb wart als sin eigen lib, daz im nie weder maget noch wib da vor nie so lieb ne wart. daz geliebete im die vart. Dö hielt der helt edele unz diu sunne gienk ze sedele und al die sine bedröz46,
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under in zwein: .zwischen ihnen beiden'. Gemeint sind Lavinia und Eneas. schein: 3. Sg. Ind. Prät. von schinen, hier etwa ,sich zeigen'. rümde·. 3. Sg. Ind. Prät. von rüemen, refl., ,sich rühmen, prahlen mit, jubeln'. Also ,doch prahlte er nicht damit (mit seiner Freude)'. senfte tuon: etwa .Freude bereiten'; also ,das bereitete ihr große Freude'. markte: 3. Sg. Ind. Prät. von merken, .bemerken, betrachten'. Venus, die Göttin der Liebe, ist die Mutter von Amor, aber auch Eneas.
Erzählende Versliteratur
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sint daz47 in Amor geschöz und her die wunden gewan. ie doch geschüfen sine man, daz her ze herbergen reit und vant sin ezzen al gereit, do her dar zu was gesezzen, done mohter niht ezzen, weder ezzen noch trinken, do her begonde denken an den sanfte tünden brief, daz denken wart im sö lief*8, daz her des ezzennes49 vergaz. mit grözer froude er aber saz, wand im geliebet was sin leben, her hiez in allen gnüch geben, die da vor im säzen. si trunken unde äzen als vil so sis wolden. diez da geben solden, die gäbenz willechliche. Eneas der riche her enaz noch entrank. diu wile dühte in vile lank, want der helt märe gerne ze bette wäre. Do man die tische abe genam und er ze sinem bette quam unde her dar ane lach, neheines släfes her ne phlach50, hern mohte noch enkonde. do her denken begonde mit allen sinnen sinen umb die schönen Lavinen, wie rehte minnechlich sie was,
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bedröz: 3. Sg. Ind. Prät. von bedriezen, ,und es seinen Leuten zu viel wurde'. sint dar. ,da, weil', also ,weil Amor ihn angeschossen hatte'. lief - liep. des ezzennes: Gerundium im Gen., abhängig von vergezzen\ also .dass er das Essen vergaß'. phlach = phlac: 3. Sg. Ind. Prät. vonphlegen,pflegen, släfesphlegen·. ,schlafen'.
Eneasroman
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und umb den brief den her las und waz im dar an was enboten: do begonder heizen unde röten. von minnen erhitzete im sin blüt und verwandelte im51 sin müt. dö wände52 der helt vile märe, daz ez ein ander wewe wäre, suht oder fieber oder ride": hem bekande niht der minnen side, des was her ein unfrö man, unze daz her sich versan, daz ez diu starke minne was. do erzornde sich Eneas, daz im was54 daz ungemach; in zorne er zime selben sprach „waz is diz oder waz sal ez sin? wer hät daz herze min und mine manheit mir benomen? war is min wisheit komen? waz bedarf ich dirre minnen? sal ich des nü beginnen, des ich nie mer55 began? nü was ich doch hie vore ein man, der herze hete unde sin. daz ich nü sus vertöret bin, daz is mir an mich selben zoren56. ich dahtes lutzel hie bevoren do ez mir doch ziteger57 wäre" sprach der helt märe.
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im: Reflexivpron.; also etwa ,νοη der Liebe erhitzte sich sein Blut und seine Stimmung wandelte sich (seine Kraft schwand)'. wände: 3. Sg. Ind. Prät. von wcenen, .wähnen, glauben'. ride = rite: .Fieber'. im was: sin mit Dat. etwa .anheim fallen, befallen'. Also .Eneas erzürnte sich darüber, dass ihm dieses Ungemach anheim gefallen war'. nie mer: hier .noch nie'. zorn sin, mit Dat. und an plus Akk.: .zornig sein/machen auf; .das macht mich auf mich selber zornig'. ziteger: Komparativ von zitec, .zeitgemäß, zur rechten Zeit geschehend'. Also etwa: ,Ich habe zuvor wenig daran (an Liebe) gedacht, wo es mir doch angemessener gewesen wäre.'
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Erzählende Versliteratur
10
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Aber sprach der Troiän „sal mir diz ungmach niht vergän, des müz ich wol sin unfrö. Amor unde Cupidö, die mine brüder solden sin, und Venus diu müder min, von den58 ich da bin geboren, si bescheinent mir vi! grözen zoren. ichn weiz wazs an mir rechen. ich mach wole sprechen, daz ich des nie mer began59, war ich der fromediste60 man, der ie gewan den lib, oder daz blödiste wib, die ie müder getrüch61, sö täten sie mir leides genüch, daz mir nimmer wirs62 moht wesen, wandich ne mach doch niht genesen, es ne werde mir schiere büz.63 nü nähet daz ich vehten müz wider den künen Turnüm, daz ich gerne wil tün und vil genendechliche umb daz kunechriche und umb diz schöne magedin. ob al diu werlt wäre min, sone gewunne ich nimmer ander wib. diz ungemach sal mir den lib schiere krank machen,
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von den: ,νοη denen'. Bezieht sich auf Amor, Cupido (die hier als zwei Brüder angesehen werden) und Venus; also etwa ,aus deren Familie ich stamme'. began: 1. Sg. Ind. Prät. von beginnen·, ,ich kann ehrlich sagen, dass ich das (was sie an mir rächen) nie getan habe'. fromediste: Superlativ von vrum; hier .tapfer, stark' im Gegensatz zu blöde, blcede .schwach, kraftlos'. getrüch: 3. Sg. Ind. Prät. von geträgen, .austragen, zur Welt bringen'. wirs: Komparativ von übele. Hier bezogen auf leides im Vorvers, also etwa ,so täten sie mir genug Leid an, dass mir nie schlimmeres passieren könnte'. buoze werden: ,befreit werden von'; ,da ich doch nicht mit dem Leben davon kommen werde, wenn ich nicht bald davon (von dem Leid) befreit werde'.
Eneasroman
40 294
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sal ich vasten und wachen beidiu naht unde tach, want nieman wol leben mach an ezzen und an släfen. nü solde ich miniu wäfen ze kämpfe bereiten. sal ich nü arbeiten64 beidiu tach unde naht, daz benimt mir schier die maht und den lib und die ere, daz vorhte ich vile sere." Eneas sprach aber me „Minne, ir tut mir al ze we, wan daz ir sin65 niht weit enberen. Minne, sal ez lange weren, sö müz ez mir anz leben gän. Minne, waz hän ich ü66 getan, daz ir mich quelt sö sere? Minne, nemet ir mir min ere, war zu sal67 mir dan der lib? Minne, jan68 bin ich doch niht ein wib, holfez mich iht, ich bin ein man. Minne, al daz ich mach und kan, daz hilfet wider üch niht ein här. Minne, ür bürde is mir ze swär, ichn mach si langer niht getragen. Minne, ichn getar69 von ü niht klagen, swie unsanfte so ir mir tüt. Minne, nü tröstet mir den müt schiere, des is mir not, Minne, waz holfe üch min töt?" Aber sprach Eneas „wie seltsäne mir diz was
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arbeiten·, hier etwa ,sich quälen*. sin: Gen., abhängig von enberen; .Minne, Dir tut mir zu sehr weh - nur dass Ihr darauf nicht verzichten wollt'. ü = tu: Pers.Pron. 2. PI. Dat.; ,was habe ich Euch getan'. war zuo sol: ,wozu nützt'. jan -jä en: Inteijektion jä mit angehängter Negationspartikel. getar: 1. Sg. Ind. Präs. von geturren, .wagen, sich trauen'.
Erzählende Versliteratur
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hie bevor al minen lib70, wände mir nie maget noch wib sus unmäzlichen lieb ne wart, ez was ein unsälich vart, deich71 ze Laurente banechen reit, da von mir disiu groze arbeit komen is und diz ungemach. daz72 man ie von Minnen sprach, wie gewaldech sie wäre, daz was mir vil ummäre, dar üf enahte ich niht ein bast73. ich wände min herze war sö vast gesigelet mit solhem sinne, daz so unmäzliche minne niemer mohte komen dar in. nü is verwandelet min sin und unsanft verkeret. sie hät mich geleret in vile korzer stunt, daz mir e was unkunt hie vor über den dritten tach.74 nü weiz ich wol waz sie tün mach, des ich wol innen worden bin; und hete ich tüsent manne sin und solde ich leben tüsent jär, sö weiz ich wol daz vor war, daz ich ne mohte ir75 wunder gezelen albesunder von der Minne diu si tüt, beidiu ubel unde güt. Genäde (sprach her), Minne,
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al minen lib: ,mein ganzes Leben'. deich = daz ich. Laurentum ist die Stadt und Burg des Latinus. daz ist hier Relativpron. und Bezugswort zugleich: ,das, was man immer von der Liebe erzählt hat'. niht ein bast: .nicht im Geringsten'. Etwa ,bis vor kurzem'. ir: Poss.Pron., bezogen auf minne. wunder hat hier also zwei Bezugswote: ir wunder wunder von der Minne·, .dass ich nie all die Wundertaten aufzählen könnte, die die Liebe vollbringt, gut wie schlecht'.
Eneasroman
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sint daz ich des beginne, deich ü sal dienen, Minne, so bedarf ich güter sinne. der76 helfet ir mir, Minne, e danne ich gar verbrinne. waz hilfet ü daz, Minne, daz ich sus smelze enbinne? genädet ir mir, Minne, e ich den schaden gewinne, getröstet mich, Minne, starkiu kuneginne! bistü min müder, Minne, Venüs, heriu gotinne, ob ich din sun bin, Minne, des77 brink mich schiere inne." Eneas dö aber sprach „mir is diz freisllch ungemach vile gähes ane komen, daz mir die rüwe hat benomen, daz mir e unkunt was. want sint ich den brief gelas, der mir dorch minne wart gesant, und da ich ane gescriben vant daz Lavine mir enbot: wiste ich daz mir min not dar ane gehalden78 solde wesen, ich ne hete in nie gelesen, und daz ich amen solde sus.79 waz wizet mir frou Venüs und Ämör unde Cupidö? ich wiste wol daz frou Dido von minnen leit80 groze not,
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der. Gen., abhängig von helfen und bezogen auf guter sinne-, also ,zu denen verhelft mir, Minne, bevor ich ganz verbrenne'. des: Gen., abhängig von innebringen; also ,ob ich dein Sohn bin, das zeige mir bald'. dar ane gehalden: etwa ,darin aufbewahrt/enthalten'. Nachgestellte Fortführung des dass-Satzes: .Hätte ich gewusst, dass ... und dass ich so dafür büßen würde, ich hätte ihn nie gelesen.'
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Erzählende Versliteratur
15
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81 82 83
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do si ir selben tet den tot. war mir do zer selber stunt zehen teil so von minnen kunt, als ich sider hän81 vernomen, ichn wäre nie von ir komen. Diu was mir (sprach her) vile holt, von diu hän ich sunde und scholt, daz sie verlos ir lib. waz wunders was daz umb ein wib, ob ir diu Minne nam den sin? und daz82 ich ein man bin und vil sterker solde wesen, ichn hän wan einen brief gelesen und eine j unkfrowen gesehen, dä von mir liebe sal geschehen, desne83 hän ich niht genozzen, wan daz mich Amor hat geschozzen dorch daz ouge in daz herze min, als an mir wol wirdet schin, want mir wirs is tüsent stunt, dan ich mit wäfen wäre wunt, mit swerden unde mit speren, daz mich arzäte mohten neren, mit geschozze und mit spiezen: so mohte ich des geniezen, daz mich arzäte bunden, die mich geheilen künden, daz manegem fromen man geschiht. zü dirre wunden84 höret niht salbe noch phlaster. min vinde soln mir laster
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leit: 3. Sg. Ind. Prät. von liden. Die Passage bezieht sich auf ein früheres Verhältnis Eneas' mit der Königin von Karthago, Dido: Dido hatte sich aus Liebeskummer umgebracht, als Eneas sie verließ. hän: 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. und daz: hier .obgleich, aber'. desne: Gen. (mit angehängter Negationspartikel), abhängig von geniezen und bezogen auf die vorigen Verse; also etwa ,davon habe ich nichts gehabt, außer dass ...'. dirre wunden: Gemeint ist jetzt die Wunde, die die Liebe ihm zugefügt hat. hören hier etwa .gehören zu, geben für': ,für diese Wunde gibt es weder Salbe noch Pflaster'.
Eneasroman
5
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und missewende sprechen85, die sich weint an mir rechen,86 und sprechent daz ich sole verzagen. des müz ich von dem briefe klagen, daz her mir ie quam ze hant. wan hete ich in verbrant und mich an ime gerochen! waz hän ich nü gesprochen? (sprach der Anchfses sun) waz mohte mir ein brief getün, diu tinte und daz permint? ich was nü tumber danne ein kint, daz ichs den brief hän gezigen87, daz mohte ich wole hän verewigen." Der here an sinem bette lach, her sprach „here, wä is der tach?" do in des ligennes bedröz, wand sin ungemach was gröz, dö rihter sich üf unde saz. her sprach „war umbe klage ich daz, daz mir doch so lieb was, daz ich den sälegen brief las und Lavlnen sach die maget, diu mir daz leit hat geklaget, daz ir min minne tüt? ne solde mir daz niht wesen gut, daz wäre ein michel unheil. iedoch vorhte ich ein teil, diu wib kunnen liste vil: waz ob si mich betriegen wil, und dem heren Turnüm al daz selbe wil tün oder lthte hät getan (sus sprach der wise Troiän) und tüt daz dorch die scholde88,
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sprechen, mit Dat. und Akk., etwa .zusprechen, nachsagen'. Nachgestellter Relativsatz zu min vinde. gezigen: Part. Prät. von zihen, .zeihen, vorwerfen'; .ich war gerade dümmer als ein Kind, dass ich das dem Brief vorgeworfen habe'.
Erzählende Versliteratur
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88 89
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daz si unser beider holde da mit erwerbe mit sinne89, sweder unser sie gewinne, daz her si minne deste baz? öwi, war umbe sprach ich daz, sö rehte holt ich ir bin? wannen quam mir der unnutze sin, der mir den zwifel geriet? zwäre des ne trouwe ich niht daz si sus ze mir tü: sie is alze kint der zu und z'edele und ze wol getan. ich wil daz wizzen äne wän, daz ez was der Minnen rät an vals90 und äne missetät. Zwäre91 (sprach Eneas) den selben brief den ich dä las den tihte diu Minne. hern moht von wibes sinne niemer so getihtet sin. Lavinä daz magedin, diun getorstez92 niemer bestän, het ez diu Minne niht getan, daz si sie dar zü betwank, min brüder Amor habe dank, der der minnen hät gewalt, daz her si machete sö bait, daz si die künheit ie gewan. ich, der dä solde sin ein man an herzen unde an übe, ichn kondes deheinem wibe nie sö wol gebieten93.
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durch die schulde = hier etwa ,aus dem Grund'. mit sinne: hier wohl etwa ,mit der Überlegung', wobei das folgende Verspaar die Absicht erläutert: ,dass sie unser beider Zuneigung gewinne mit der Überlegung, dass - welchen auch immer von uns sie bekommen mag - dass er sie umso mehr liebe'. vals = valsch: .Falschheit, Betrug'. zwäre = zewäre: ,fürwahr, wahrhaftig'. getorstez = getorste ez: 3. Sg. Ind. Prät. von geturren, mit angehängtem Pers.Pron. Also ,die wagte nie, es (das Schreiben des Briefes) zu unternehmen'.
Eneasroman
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nü müz ich mich genieten94 angest unde sorgen äbent unde morgen beidiu naht unde tach, unz daz ich erdenken mach mit allen sinnen minen, deich die schönen Lavinen der rede innen bringe mit emesthaftem dinge,95 wiez mir umbe ir minne stet, diu mich sus unsanft ane get, dar umbe ich Ilde solhe not. daz96 si mir an ir briefe enbot, ich weiz wol dazs mir niene louch97. swfch der rede, sie ne touch98, läz si betalle bliben, die man soln den wiben sus unmäzer minnen niht bringen innen, wand ez ne wäre nie güt, si worden alze hoch gemüt und alze stolz wider die man. der is wise der sich bewaren kan, swenne es ime not geschiht99. enbüte100 abr ich ir sin niht, daz sie niene weiz, wä von ich bin kalt unde heiz, so vorhte ich vile sere,
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gebieten: hier etwa ,dar-/anbieten, zeigen*. Also ,ich könnte es (meine Liebe, eine Liebeserklärung) einer Frau nie auf so schöne Art anbieten'. genieten, refl., mit Gen.: hier etwa .ertragen'. Dieser daz-Satz erläutert, was er sich ausdenken will: ,wie ich die schöne Lavinia auf eindringliche Weise davon wissen lasse, wie ...' (vgl. MHD Grammatik, § 466,2). daz: ,was' zu ergänzen, also ,das, was sie mir in ihrem Brief anbot'. louch = louc: 3. Sg. Ind. Prät. von liegen, hier .vortäuschen'. touch = touc: 3. Sg. Ind. Präs. von tugen. Also etwa .Schluss mit (wörtlich: verschweig) dieser Rede, sie taugt nichts, lass sie ganz und gar bleiben'. not geschehen: etwa .nötig sein, gut sein (für)'. enbüte = enbiute: 1. Sg. Ind. Präs. von enbieten. Davon abhängig ist sin, welches im rfaz-Satz erläutert wird: .lasse ich ihr jedoch das, was sie nicht weiß, nicht ausrichten, das, wovon mir kalt und heiß ist...'.
Erzählende Versliteratur
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daz si von mir kere ir herze unde ir müt. nein si weiz got noch entüt." Manliche sprach Eneas „wol mich daz ich ie gelas den brief der mir von ir quam, und wol mich daz ich ie vernam, daz ich dar an gescriben vant, unde sälich si diu hant, diu in screib unde vielt, diu in sneit unde behielt und diu in umben zein want und diu die vederen drüf bant mit scöneme sinne, sälich si diu Minne, diu tihte den brief und daz liet.101 ichn vorhte Turnüm nü niet noch alle die sine. sälich si Lavine, diu mir die boteschaft enböt. bestet mich Turnus, deist102 sin tot, ez wirt ein ungelicher kamp als umben lewen und umbez lamp. des bereite103 ich in schiere, ob sin wären viere,104 ich benäme in allen daz leben. Lavine hät mir gegeben künheit unde sin, daz ich zehenstunt sterker bin und küner danne ich e was. sint daz ich den brief gelas." Do verstunt105 sich Eneas,
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Es ist nicht klar, was mit daz liet gemeint ist: ein zusätzliches Minnelied oder vielleicht der Brief selber, der ja - wie der Rest des Romans - immerhin auch gereimt ist. deist = daz ist. bereiten·, hier etwa .lehren, unterrichten, zeigen'. Also ,das (dass es ein ungleicher Kampf ist) lehre ich ihn ganz schnell'. ,Wenn seiner vier wären/wenn es vier von ihm gäbe.' verstunt: 3. Sg. Ind. Prät. von verstau, hier refl., .einsehen, sich besinnen, merken'. ,Da merkte Eneas, dass er ein wenig besänftigt war'.
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Eneasroman
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daz im ein teil gesenflet was unde er rehte was bedaht106. do was zergangen diu naht und was hohe üf der tach. der here an sinem bette lach und slief unz an den undern107. desn darf nieman wundern, der sin kan genemen war108, wände her die naht gar hete uberwachet. daz het diu Minne gemachet. des slief deste vaster der helt äne laster.
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bedaht = bedäkt: Part. Adj., etwa .besonnen'; also ,und er angemessen besonnen (wieder bei richtigem Verstand) war'. under: .Mittag'. war nemen, mit Gen. (sin): hier etwa .prüfen, gründlich bedenken'. Also .darüber soll sich keiner wundern, der ihn (bzw. seine Geschichte) bedenkt'.
Nibelungenlied, 14. Äventiure, Strophe 814 - 876 Das Nibelungenlied basiert auf Sagenkreisen, die mündlich tradiert worden sind und sich zum Teil auf historische Personen und Ereignisse der Völkerwanderungszeit zurückführen lassen. Um 1200 entstand eine schriftliche Fassung für ein höfisches Publikum, deren Autor bzw. Redaktor nicht bekannt ist. Im folgenden Ausschnitt geraten die zwei verschwägerten Königinnen Brünhild und Kriemhild während eines Hoffestes darüber in Streit, welchem ihrer Ehemänner, Gunther oder Siegfried, der gesellschaftliche Vorrang gebührt - ein Streit, der Auslöser fur die Ermordung Siegfrieds sein wird.
814
Vor einer vesperzite huop sich gröz ungemach, daz von manigem recken üf dem hove geschach. si pflägen ritterschefte durch kurzewile wän. dö liefen dar durch schouwen1 vil manic wip unde man.2
815 Ze samene dö gesäzen die küneginne rieh. si gedähten zweier recken, die wären lobelich. dö sprach diu schoene Kriemhild: „ich hän3 einen man,4 daz elliu disiu riche ze sinen handen solden stän5." 816 Dö sprach diu vrouwe Prünhilt: „wie künde daz gesin? ob ander niemen lebte wan sin unde din,6 sö möhten im diu riche wol wesen undertän. die wile lebt Gunther, sö kundez nimmer ergän." 817
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Dö sprach aber Kriemhilt: „nu sihestu7, wie er stät, wie rehte herliche er vor den recken gät, alsam der liehte mäne vor den Sternen tuot? des muoz ich von schulden8 tragen vrcelichen muot."
durch schouwen: ,um zuzusehen'. Die am Hof sich aufhaltenden Ritter halten also im Rahmen des Hoffestes eine Art öffentliches Training ab, bei dem sie ihre ritterlichen Fertigkeiten üben. hän: 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. einen man: zu ergänzen wäre etwa ,einen Mann so geartet (hervorragend), dass ...'. ze handen stän: etwa ,unter der Macht stehen, Untertan sein'. sin und din sind beide im Genitiv nach vorhergehendem niemen wan; ,wenn niemand außer ihm und dir lebte'. sihestu = sihest du: 2. Sg. Ind. Präs. von sehen, mit angehängtem Pers.Pron. von schulden: ,νοη Rechts wegen, notwendigerweise'.
Nibelungenlied
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818 Do sprach diu vrouwe Prünhilt: „swie waetlich si din man, swie biderbe unt swie schcene, so muost du vor im län9 Gunther den recken, den edeln bruoder din. der muoz vor allen künegen, daz wizzest10 waerliche, sin." 819 Do sprach diu vrouwe Kriemhilt: „so tiwer ist wol min man, daz ich in äne schulde niht gelobet hän. an vil manegen dingen so ist sin ere gröz. geloubestu des, Prünhilt, er ist wol Gunthers genöz." 820
„Jane solt du mirz, Kriemhilt, ze arge niht verstän,11 wand' ich äne schulde die rede niht hän getan. ich horte si jehen beide, do ich's aller erste sach, und da des küneges wille an minem libe geschach,
821 Unt da er mine minne sö ritterlich gewan, dö jach12 des selbe Sifrit, er waere 'sküneges man13. des hän ich in für eigen, sit ichs in hörte jehen." dö sprach diu schcene Kriemhilt: „so waere mir übele geschehen. 822
Wie heten sö geworben die edelen bruoder min, daz ich eigen marines wine14 solde sin? des wil ich dich, Prünhilt, vil friuntliche biten, daz du die rede läzest durch mich mit güetlichen siten."
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„Ine mac ir15 niht geläzen", sprach des küneges wip. „zwiu sold ich verkiesen sö maniges ritters lip, der uns mit dem degene dienstlich ist undertän?"16 Kriemhilt diu vil schcene vil sere zürnen began.
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län = läzen. Ewa ,so musst du doch den Held Gunther vor ihm den Vortritt lassen'. wizzest: 2. Sg. Konj. Präs. von wizzen; ,das weißt du wahrlich'. Jane =jä ne; Inteqektion mit angehängter Verneinungspartikel, verstän ze: .auslegen als'; also etwa .wahrlich, Kriemhilt, du sollst mir das nicht als Bosheit auslegen'. jach·. 3. Sg. Ind. Prät. won jehen,,sagen'. man: hier .Lehnsmann'; vgl. auch im nächsten Vers eigen = .leibeigen'. Brünhild spielt darauf an, dass Siegfried sich bei früherer Gelegenheit, während der Werbung Gunthers um Brünhild, als Gunthers Lehnsmann ausgegeben hatte. wine: .Ehefrau'. ir: Gen., abhängig von geläzen und bezogen auf rede; .ich kann sie nicht unterlassen'. Brünhild will nicht auf all die Ritter verzichten, die - mit Siegfried - ihrem Mann zum Lehensdienst verpflichtet sind.
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Erzählende Versliteratur
824 „Du muost in verkiesen, daz er dir immer bi wone17 deheiner dienste; er ist tiwerr danne si Gunther min bruoder, der vil edel man. du solt mich des erläzen, daz ich von dir vemomen hän. 825 Unde nimet mich immer wunder, sit er din eigen ist, unt daz18 du über uns beide so gewaltec bist, daz er dir so lange den zins versezzen hat. der diner übermüete sold' ich von rehte haben rät19." 826 „Du ziuhest20 dich ze höhe", sprach des küniges wip. „nu wil ich sehen gerne, ob man den dinen lip habe ze solhen eren, so man den minen tuot." die vrouwen wurden beide vil sere zomec gemuot. 827 Do sprach diu vrouwe Kriemhilt: „daz muoz et nü geschehen, sit du mines mannes fur eigen hast veqehen, nu müezen hiute kiesen21 der beider künige man, ob ich vor küniges wibe zem münster türre22 gegän. 828 Du muost daz hiute schouwen, daz ich bin adelvri, unt daz min man ist tiwerr, danne der dine si. da mit wil ich selbe niht bescholten sin. du solt noch hinte kiesen, wie diu eigene diu23 din 829 Ze hove ge vor recken in Burgonden lant. ich wil selbe wesen tiwerr, danne iemen habe bekant deheine küneginne, diu kröne ie her getruoc." do huop sich under den vrouwen des grözen nides genuoc.
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biwonen: ,gehören zu, zur Verfugung stehen'. ,Du musst auf ihn verzichten, (darauf) dass er dir jemals mit irgendwelchen Diensten zur Verfügung steht'. unt daz: ,und wenn'; ,und wenn du über uns beide solche Macht hast'. rät haben, mit Gen. (der diner übermüete)·. hier etwa .verzichten können auf. ziuhest: 2. Sg. Ind. Präs. von ziehen, sich ze höhe ziehen: .überheblich sein'. kiesen: hier .sehen, erkennen'. türre: 1. Sg. Konj. Präs. von turren, .wagen'. Wenn Kriemhild vor Brünhild in die Kirche einträte, würde sie damit ihren gesellschaftlichen Vorrang demonstrieren. diu: hier .Leibeigene, Magd'; ,du sollst noch heute Abend erleben, wie deine eigene Magd in Burgund vor den Helden die Hofgesellschaft anfuhren kann'.
Nibelungenlied
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830 Dö sprach aber Prünhilt: „wiltu niht eigen sin, sö muostu dich scheiden mit den vrouwen din von minem ingesinde, da wir zem münter gän." des antwurte Kriemhilt: „entriuwen, daz sol sin getan." 831 „Nu kleidet iuch, mine meide", sprach Sifrides wip. „ez muoz äne schände beliben hie min lip. ir suit wol läzen schouwen, und24 habt ir riche wät. si mac sin25 gerne lougen, des Prünhilt veijehen hat." 832 Man moht' in lihte räten, si suochten richiu kleit. da wart vil wol gezieret manic vrouwe unde meit. do gie26 mit ir gesinde des edelen küniges wip (dö wart ouch wol gezieret der schcenen Kriemhilden lip). 833
Mit drin und vierzec meiden, die brähte si an den Rin27, die truogen liehte pfelle geworht in Aräbin. sus körnen zuo dem münster die meide wol getan, ir warten28 vor dem hüse alle Sifrides man.
834 Die liute nam des wunder, wä von daz geschach, daz man die küneginne also gescheiden sach, daz si b! ein ander niht giengen alsam e. dä von wart manigem degene sit vil sorclichen we. 835
Hie stuont vor dem münster daz Guntheres wip. dö hete kurzewile vil maniges ritters lip mit den schcenen vrouwen, der29 si dä nämen war. dö kom diu vrouwe Kriemhilt mit maniger herlichen schar.
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Swaz kleider ie getruogen edeler ritter kint, wider ir gesinde daz was gar ein wint.
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und·, hier ,wenn', vgl. MHD Grammatik § 445. Die Handlung folgt hier Kriemhild, nachdem die beiden Frauen sich nach ihrem Streit getrennt haben. sin·. Gen., abhängig von lougen und näher erläutert im Nebensatz; ,sie (die Kleidung) mag dem, was Brünhild gesagt hat, gerne widersprechen'. gie: 3. Sg. Ind. Prät. von gän, kontrahierte Form. Rin: der Rhein. Das Fest findet am Hof Gunthers in Worms statt. warten = warteten-, ,auf sie warteten ...'. der. Gen., abhängig von warnemen; etwa ,mit den schönen Frauen, die sie da sahen'.
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Erzählende Versliteratur
si was so rieh des guotes, daζ drizec künige wip ez möhten niht erziugen, daz tete Kriemhilde lip.30 837 Ob iemen wünschen solde, der künde niht gesagen, daz man so richiu kleider gesashe ie mer getragen, also da ze stunden truogen ir meide wol getan, wan ze leide Prünhilde, ez hete Kriemhilt verlan31. 838 Ze samne si do körnen vor dem münster wit. ez tet diu hüsvrouwe durch einen grözen nit, si hiez vil übeliche Kriemhilde stille stän: , ja sol vor küniges wibe nimmer eigen diu gegän." 839 Do sprach diu schoene Kriemhilt (zornec was ir muot): „kundestu noch geswigen, daz waere dir guot. du hast geschendet selbe den dinen32 schoenen lip: wie möhte mannes kebse werden immer küniges wip?" 840 „Wen hästu hie verkebset?" sprach do des küniges wip. „daz tuon ich dich", sprach Kriemhilt. „den dinen schoenen lip den minnet' erste Sifrit, der min vil lieber man. jane was ez niht min bruoder, der dir den magetuom an gewan. 841 War körnen33 dine sinne? ez was ein arger list. zwiu34 lieze du in minnen, sit er din eigen ist? ich hoere dich", sprach Kriemhilt, „an' alle schulde klagen."35 „entriuwen", sprach dö Prünhilt, „daz wil ich Gunthere sagen." 30
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Kriemhilde lip: Kriemhild; ,sie war so reich, dass die Frauen von dreißig Königen sich das nicht hätten leisten können, was Kriemhild getan (sich geleistet) hatte'. verlän = verläzen. ,Hätte sie nicht Brünhild beschämen wollen, hätte Kriemhild es (das prächtige, angeberische Herausputzen ihres Gefolges) unterlassen.' den dinen = dinen. Die Verbindung von Artikel und Possesivpronomen kommt häufig vor; siehe etwa auch die nächste Strophe. körnen: 3. PI. Ind. Prät. von komen\ ,wo war dein Verstand geblieben'. zwiu: .warum, wozu'. Kriemhild spielt hier darauf an, dass Gunther Siegfried um Hilfe gebeten hatte, nachdem Brünhild sich ihm in der Hochzeitsnacht verweigerte. Siegfried hatte Brünhild daraufhin unerkannt in einem Kampf besiegt und sie so gefugig gemacht; bei dieser Gelegenheit hatte er ihr einen Ring und ihren Gürtel, Quelle ihrer übernatürlichen Kräfte, entwendet, jedoch wohl nicht mit ihr geschlafen (siehe Str. 631-680). Brünhild weiß bis zu diesem Zeitpunkt nichts von alledem.
Nibelungenlied
842
„Waz mac mir daz gewerren? din übermuot dich hat betrogen, du hast mich ze dienste mit rede dich an gezogen.36 daz wizze in rehten triuwen, ez ist mir immer leit. getriuwer heinliche37 sol ich dir wesen umbereit."
843
Prünhilt dö weinte. Kriemhilt niht langer lie38: vor des küniges wibe inz münster si dö gie mit ir ingesinde. da huop sich grözer haz: des wurden liehtiu ougen vil starke triieb' unde naz.
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Swie vil man gote gediente oder iemen da gesanc, des dühte39 Prünhilde diu wile gar ze lanc, wand' ir was vil trüebe der lip und ouch der muot. des muose40 sit engelten manic helt küen' unde guot.
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Prünhilt mit ir frouwen si gedähte: „mich muoz des mich so lüte zihet hat er sichs gerüemet,
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Nu kom diu edele Kriemhilt mit manigem küenem man. dö sprach diu vrouwe Prünhilt: „ir suit noch stille stän. ir jähet42 min ze kebesen: daz suit ir läzen sehen. mir ist von iuwern Sprüchen, daz wizzet, leide geschehen."
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Dö sprach diu vrouwe Kriemhilt: „ir möhtet mich läzen gän. ich erziugez43 mit dem golde, daz ich an der hende hän.44 daz brähte mir min vriedel, do er erste bi iu lac." nie gelebte Prünhilt deheinen leideren tac.
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gie fur daz münster stän. Kriemhilt mere hoeren län, daz wortraeze wip.41 ez get an Slfrides lip."
Etwa: ,Du hast mich mit deinen Worten zu deiner Dienerin gemacht.' getriuwer heinliche: Gen., abhängig von umbereit (= unbereit) wesen; etwa ,ich werde dir für ehrliche Vertraulichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen'. lie: 3. Sg. Ind. Prät. von läzen, kontrahierte Form, hier ,ablassen von, zögern'. dühte: 3. Sg. Ind. Prät. von dunken. muose: 3. Sg. Ind. Prät. von müezen; .dafür musste später manch ein Held bezahlen'. Etwa .darüber, dessen das scharfzüngige Weib mich beschuldigt'. jähet: 2. PI. Ind. Prät. von jehen, hier mit Gen. (min) und ze; etwa .bezeichnen als'. Brünhild geht hier erstmals vom du zum ir über. erziugez = erziuge ez, .ichbezeuge es'. Gemeint ist der Ring Brünhilds, den Siegfried ihr gegeben hatte; vgl. Anm. 35.
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Erzählende Versliteratur
848 Si sprach: „diz golt vil edele daz wart mir verstoln und ist mich harte lange vil übele vor45 verholn. ich kum es an ein ende,46 wer mir ez hat genomen." die vrouwen wären beide in gröz ungemüete komen. 849 Do sprach aber Kriemhilt: „ine wils47 niht wesen diep. du möhtes48 wol gedaget hän, und wasre dir ere liep. ich erziugez mit dem gürtel, den ich hie umbe hän, daz ich niht enliuge: ja wart min Sifrit din man." 850 Von Ninnive der siden si den porten49 truoc, mit edelem gesteine; jä was er guot genuoc. dö den gesach vrou Prünhilt, weinen si began. daz muose vreischen Gunther und alle Burgonden man. 851 Do sprach diu küneginne: „heizet here gän den fiirsten vonme Rine.50 ich wil in hceren län, wie mich hat gehoenet siner swester Ιϊρ. si sagt hie offenliche, ich si Sifrides wip." 852 Der künic kom mit recken, weinen er do sach die sine triutinne. wie güetlich er sprach: „sagt mir, liebiu vrouwe, wer hat iu iht getan?" si sprach zuo dem künige: „ich muoz unvroeliche stän. 853 Von allen minen eren mich diu swester din gerne wolde scheiden, dir sol geklaget sin: si giht51, mich habe gekebset Sifrit ir man." dö sprach der künec Gunther: „sö hetes' übele getän."
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vor: nachgestellte Präp., hier mit Akk. (mich); ,und ist schon seit langem zu Unrecht vor mir versteckt worden'. an ein ende komen, mit Gen.: .etwas herausfinden'. ine wils = ich ne wil es. es ist Gen., abhängig von diep: ,ich will nicht Diebin des Ringes sein' (bzw. als Diebin bezeichnet werden). möhtes = möhte es: 2. Sg. Konj. Prät. von mugen, es ist Gen., abhängig von gedagen·, ,du hättest das besser verschwiegen'. porten = borten: Akk. Sg. von borte, ,Borte, Gürtel' (gefertigt aus Seide aus Ninnive). Gemeint ist Gunther. giht: 3. Sg. Ind. Präs. vonjehen.
Nibelungenlied
854
„Si treit52 hie minen gürtel, den ich hän verlom, und min golt daz röte, daz ich ie wart gebom, daz riuwet mich vil sere, dune beredest", künic, mich der vil grözen schände; daz diene ich immer umbe dich."
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Dö sprach der künic Gunther: „er sol her für gän. und hat er sichs gerüemet, daz sol er hceren län, oder sin muoz lougen der helt üz Niderlant."54 den Kriemhilde vriedel den hiez man bringen sä zehant.
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Dö der herre Sifrit die ungemuoten sach, (er'n wesse55 niht der maere) wie balde er dö sprach: „waz weinent dise vrouwen? daz het ich gerne erkant, oder von welchen schulden mich der künic habe besant."
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Dö sprach der künic Gunther: „dä ist mir harte leit. mir hat min vrouwe Prünhilt ein maere hie geseit56, du habes dich des gerüemet, daz du ir schcenen lip allererst habes geminnet, daz sagt Kriemhilt din w!p.
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Dö sprach der starke Sifrit: „und hat si daz geseit, e daz ich erwinde, ez sol ir werden leit, und wil dir daz enpfueren57 vor allen dmen man mit minen höhen eiden, daz ichs ir niht gesaget hän."
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Dö sprach der künic von Rine: „daz soltu läzen sehen, den eit, den du dä biutest58, unt mac der hie geschehn, aller valschen dinge wil ich dich ledic län." dö hiez man zuo dem ringe die stolzen Burgonden stän.59
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treit = treget: 3. Sg. Ind. Präs. von tragen, kontrahierte Form. dune beredest: ,wenn du mich nicht (öffentlich) verteidigst vor ...'. Gemeint ist Siegfried; er soll die Behauptung, er habe mit Brünhild geschlafen, also entweder öffentlich selbst wiederholen oder leugnen. wesse: 3. Sg. Ind. Prät. von wizzen. geseit = gesaget. enpflieren, entvüeren: hier etwa .widerlegen, eidlich für unwahr erklären'. biutest: 2. Sg. Ind. Präs. von bieten. Die Burgunder stellen sich zu einem Ring auf, um offiziell Zeugen der Eidesleistung zu werden.
138
Erzählende Versliteratur
860 Sifrit der vil küene zem eide bot die hant. do sprach der künic riche: „mir ist so wol bekant iuwer gröz unschulde; ich wil iuch ledic län, des iuch min swester zihet, daz ir des niene habt getan." 861 Do sprach aber Sifrit: „geniuzet60 es min wip, daz si hat betrüebet den Prünhilde lip, daz ist mir sicherlichen äne maze leit." dö sähen zuo z'ein ander die guoten ritter gemeit. 862 „Man sol so vrouwen ziehen", sprach Sifrit der degen, „daz si üppecliche Sprüche läzen under wegen. verbiut61 ez dinem wibe, der minen tuon ich sam. ir grözen ungefüege62 ich mich waerliche schäm." 863 Mit rede was gescheiden manic schoene w!p.63 dö trüret' also sere der Prünhilde lip, daz ez erbarmen muose die Guntheres man. dö kom von Tronege Hagene zuo siner vrouwen64 gegän. 864 Er vrägte, waz ir wasre, weinende er si vant. dö sagte si im diu maere. er lobt' ir sä zehant, daz ez erarnen müese65 der Kriemhilde man, oder er wolde nimmer dar umbe vroelich gestän. 865 Zuo der rede körnen Ortwin unt Gemöt da die helde66 rieten den Sifrides tot. dar zuo kom ouch Giselher, der edelen Uoten67 kint. do er ir rede gehörte, er sprach getriuliche sint:
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geniuzet: 3. Sg. Ind. Präs. von geniezen;,Nutzen haben von, sich erfreuen an'. verbiut: 2. Sg. Imp. von verbieten. ir grözen ungeßiege: Gen., abhängig von schämen: ,ich schäme mich wahrhaftig ihrer großen Ungehörigkeit'. Etwa: ,Nach diesen Worten gingen die schönen Damen davon.' vrouwe: ,Herrin'; gemeint ist Briinhild. Hagen von Tronje ist einer der Gefolgsleute Gunthers. müese: 3. Sg. Konj. Prät. von müezen. ,Er gelobte ihr sofort, dass Kriemhilds Mann dafür büßen würde.' die helde: Gemeint sind wohl Gunther und Hagen. Ute ist die Mutter Gunthers und seiner Geschwister.
Nibelungenlied
866
„Ir vil guoten recken, war umbe tuot ir daz? jane gediente Sifrit nie alsolhen haz, daz er dar umbe solde Verliesen sinen lip. ja ist es harte lihte68, dar umbe züment diu wip."
867
„Suln wir gouche69 ziehen?" sprach aber Hagene: „des habent lützel ere so guote degene. daz er sich hat gerüemet der lieben vrouwen min, dar umbe wil ich sterben, ez enge im an daz leben sin."
868
Do sprach der künic selbe: „er'n hat uns niht getan niwan guot und ere, man sol in leben län waz touc70, ob ich dem recken waere nü gehaz? er was uns ie getriuwe und tet vil willecliche daz."
869
Dö sprach von Metzen der degen Ortwln: ,jane mac im niht gehelfen diu gröze sterke sin. erloubet mirz min herre, ich getuon im leit." dö heten im71 die helde äne schulde widerseit.
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Sin72 gevolgete niemen, niwan daz Hagene geriet in allen ziten Gunther dem degene, ob Sifrit niht enlebte, so wurde im73 undertän vil der künege lande, der helt des trüren began.
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Dö liezen siz beliben. spiln man dö sach. hey waz man starker schefte vor dem münster brach vor Sifrides wibe al zuo dem sale dan!74 dö wären in unmuote genuoge Guntheres man.
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harte lihte: hier etwa ,ganz geringfügig'; ,es ist doch wahrlich ganz geringfügig, worum die Frauen sich streiten'. gouch: .Kuckuck, Schmarotzer, Narr', ziehen: hier etwa ,großziehen, mitschleppen'. touc: 3. Sg. Ind. Präs. von tugen, .taugen, nützen'. im: Gemeint ist Siegfried, widerseit = widersaget: Part. Prät. von widersagen. sin: Gen., abhängig von gevolgen; also etwa .niemand verfolgte die Sache weiter außer Hagen, der...'. im: Gunther; wenn Siegfried nicht mehr lebte, könnte Gunther sich seine Länder untertänig machen. al zuo dem sale dan: etwa ,auf dem ganzen Weg bis hin zum Saal'. Die Szene kehrt also kurzzeitig zu den Ritterspielen vom Anfang zurück.
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Erzählende Versliteratur
872 Der künic sprach: „lät75 beliben den mortlichen zorn. er ist uns ze saelden unt ze eren gebom. ouch ist so grimme stark der wundemküene man: ob er sin76 innen wurde, so torste77 in niemen bestän." 873
„Nein er78", sprach do Hagene. „ir muget wol stille dagen. ich getrüwez heinliche also wol an getragen79: daz Prünhilde weinen sol im werden leit. jä sol im von Hagenen immer wesen widerseit."
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Do sprach der künic Gunther: „wie mac daz ergän?" des antwurte Hagene: „ich wilz iuch hceren län. wir heizen boten riten zuo ζ'uns in daz lant widersagen offenliche, die80 hie niemen sin bekant.
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So jehet ir vor den gesten, daz ir und iuwer man wellet herverten. also daz ist getan, so lobt er81 iu dar dienen; des vliuset82 er den lip. so ervar ich uns diu maere83 ab des küenen recken wip."
876 Der künic gevolgete übele Hagenen, sinem man. die starken untriuwe84 begonden tragen an, e iemen daz erfunde, die ritter üz erkorn. von zweier vrouwen bägen wart vil manic helt verlorn.
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lät: 2. PL Imp. von läzen.
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sin·. Gen., abhängig von innen werden·, ,wenn er es/seinen Herausforderer bemerkt'. torste·. 3. Sg. Ind. Prät. von turren, ,wagen'; etwa ,so wagte es niemand, sich ihm entgegen zu stellen' - niemand traut sich, Siegfried zu einem Kampf herauszufordern. nein er: verstärkte Verneinung, etwa ,nein, das wird er nicht'. Etwa: ,ich traue mir zu, es sehr gut heimlich durchzuführen'. Gemeint sind die Boten, die so unerkannt im eigenen Land eine fiktive Kriegserklärung abgeben können. Gemeint ist Siegfried; ,er wird geloben, Euch in dem Kampf beizustehen'.
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vliuset = verliuset: 3. Sg. Ind. Präs. von Verliesen, .verlieren'.
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diu mcere: das Geheimnis von Siegfrieds wunderbarer Unverwundbarkeit. Hagen baut darauf, dass Kriemhild angesichts des drohenden Krieges ihm das Geheimnis verraten wird. die starken untriuwe: vorgestellte Akkusativergängzung; Subjekt ist die ritter üz erkorn. ,Die auserlesenen Ritter fingen an, das große Unrecht zu betreiben, bevor jemand etwas davon herausfand.'
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Abb 6: Nibelungenlied, Handschrift C (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod Donaueschingen 63)
Der in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe aufbewahrte Codex Donaueschingen 63 enthält eine der wichtigsten Abschriften des Nibelungenliedes-, in der Forschung hat diese Abschrift die Sigle C, entstanden ist sie im 2. Viertel des 13. Jahrhunderts. Wie man auf der Abbildung sehen kann, ist der Text durchgehend geschrieben, d. h. die Verse sind nicht auf jeweils einzelne Zeilen eingetragen, sondern nur durch Punkte voneinander getrennt. Der Anfang der Strophen und auch die Eigennamen sind durch rot gestrichelte Majuskeln hervorgehoben, und größere rote Lombarden kennzeichnen Sinn- oder Leseabschnitte. Das abgebildete Blatt 33v enthält das Ende der 14. und den Beginn der 15. Aventiure; der Beginn der neuen Aventiure ist durch eine 5-zeilige rot-blaue Initiale und zusätzlich durch eine (ebenfalls rot geschriebene) Überschrift markiert.
Hartmann von Aue, Iwein,
Verse 3059-3596
Hartmann, nach eigenen Aussagen ein gelehrter Ritter und dienstman, hat zwischen etwa 1180 und 1200 einige Lieder, zwei Artusromane und eine Anzahl kleinerer Erzählungen mit legendenhaften und didaktischen Zügen gedichtet. Der in den 1190em nach französischer Quelle enstandene Iwein erzählt von der Entwicklung des Titelhelden von einem abenteuersuchenden Artusritter zu einem verantwortungsbewußten Landesherren. Der Ausschnitt berichtet, wie Iwein sein Versprechen, binnen Jahresfrist zu seiner Frau zurückzukehren, bricht, von ihr verflucht wird und in Folge dem Wahnsinn verfallt.
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Nü wären si beide1 mit vreuden sunder leide von einem turneie komen und hete her Iwein genomen den pris ze beiden siten. nü was mit höchziten ir herre der künec Artüs ze Karidöl in sinem hüs. dö sluogens üf ir gezelt vür die burc an daz velt. da lägen s! durch ir gemach, unz si der künec da gesach2 und sine besten alle mit vrcelichem schalle: wand im was komen maere wie in gelungen waere: er saget in gnäde unde danc, daz in so ofte wol gelanc. swer gerne vrümeclichen tuot, der dem gnadet,3 daz ist guot: in gezimt der arbeit deste baz. swä man mit worten hie gesaz, diu rede was wan von in zwein.
Gemeint sind Iwein und Gawein, die hier von einer ausgedehnten und erfolgreichen Tumierfahrt an den Artushof zurückkehren. gesehen: hier etwa .besuchen'. Artus und sein Hofstaat besuchen Gawein und Iwein also in ihrem Zelt. Dieser Satz ist der Form nach ein Relativsatz (ohne Bezugswort), hat aber die Bedeutung eines Konditionalsatzes, vgl. MHD Grammatik § 455; also ,wer auch immer sich gern tapfer verhält - wenn einer dem dankt, dann ist das gut: die Mühe gereicht ihm umso mehr zur Ehre'.
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Erzählende Versliteratur
nü kam min her iwein in einen seneden gedanc: er gedähte, daz twelen waer ze lanc, daz er von sinem wibe tete: ir gebot unde ir bete diu heter4 übergangen, sin herze wart bevangen mit senlicher triuwe: in begreif ein selch riuwe daz er sin selbes vergaz und allez swigende5 saz. er überhorte und übersach swaz man da tete unde sprach, als er ein tore waere. ouch nähten im bcesiu maere. im wissagete sin muot, als er mir selbem ofte tuot: ich siufte, so ich vrö bin, minen künftegen ungewin: sus nähte im sin leit. nü seht wä dort her reit sins wibes bote, vrou Lünete, von der6 rate und von der bete daz von erste was komen daz si in häte genomen. si gähte über jenez velt unde erbeizt vür diu gezelt. als schiere si den künec sach, dö kam si vür in unde sprach „Künec Artüs, mich hat gesant min vrouwe her in iuwer lant: unde daz gebot si mir daz ich iuch gruozte von ir,
heter = hete er. Iwein hatte versprochen, nicht länger als ein Jahr von seiner frisch vermählten Frau Laudine wegzubleiben, diese Frist dann jedoch nicht eingehalten. allez swigende'. .völlig stumm'. der: hier Relativpron.; ,νοη deren Rat und Bitte es ursprünglich verursacht worden war, dass...', si in Vers 3106 meint Laudine. Lunete hatte Laudine davon überzeugt, dass Iwein, der Laudines ersten Mann im Kampf besiegt und getötet hatte, einen guten neuen Ehemann und Landesherrn abgeben würde.
Iwein
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und iuwer gesellen über al; wan einen: der ist uz der zal7: der sol iu sin unmaere als ein verrätaere. daz ist hie der her iwein, der niender in den siten schein8, dö ich in von erste sach, daz untriuwe ode ungemach ieman von im geschaehe dem er triuwen veijaehe9. siniu wort diu sint guot: von den scheidet sich der muot. ez schinet wol, wizze Krist, daz min vrouwe ein wip ist, und daz si sich niht gerechen mac. und vorht er den widerslac, so heter sis10 vil wol erlän daz er ir lasters hat getan, in düht" des schaden niht genuoc daz er ir den man sluoc, erne taste ir leides mere und benaeme ir l!p und ere. Her Iwein, sft min vrouwe ir jugent, schcene, richeit, unde ir tugent, wider iuch niht geniezen kan, wan12 gedähtet ir doch dar an waz ich iu gedienet hän13? und het s! min14 genozzen län: ze weihen staten ich iu kam,
äz der zal: ,nicht Teil der Zahl/Gruppe, davon ausgeschlossen'. schein·. 3. Sg. Ind. Prät. von schinen; ,der nicht so erschien, als ich ihn das erste Mal sah, als ob er die Gewohnheit hätte ...'. verjcehe: 3. Sg. Konj. Prät. von verjehen; hier .versprechen*. sis = si es. es ist ein von erlän (kontrahierte Form von erlazen) abhängiger Genitiv, der im folgenden Vers näher erläutert wird: ,dann hätte er sie wohl dessen erlassen (davon verschont), was er ihr an Schande zugefügt hat'. düht: 3. Sg. Ind. Prät. von dunken, dünken. wan: hier Interrogativpron.,,warum... nicht?' hän: 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. min: Gen., abhängig von genozzen län; ,und hättet sie um meinetwillen verschont' oder ,und hättet sie von mir profitieren lassen'.
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Erzählende Versliteratur
dö ich iuch von dem töde nam. ez waere umb iuch ergangen15, het ichz niht undervangen. daz ich ez ie undervienc, daz iuwer ende niht ergienc, des wil ich iemer riuwec sin: wan diu schult ist älliu min; wan daz ichz durch triuwe tete. ez vuocte min rät und min bete daz si leit und ungemach verkös16 der ir von iu geschach: wand ich het ir ze vil geseit17 von iuwer vrümekheit; und daz18 si iu mit vrier hant gap ir lip unde ir lant, daz ir daz soldet bewarn. nü hänt19 ir sö mit ir gevam daz sich ein wip wider die man niemer ze wol behüeten kan. deiswär uns was mit iu ze gäch. da stüende bezzer lön nach dan der uns von iu geschiht: ouch gehiezet20 irs uns niht. Miner vrouwen wirt wol rät21, wan daz ez lasterlichen stät, deiswär unde ist unbillich: si ist iu ze edel und ze rieh
ergangen sin umbe: .geschehen sein um', undervangen: Part. Prät. von undervähen, .abwenden, verhindern'. Also ,es wäre um euch geschehen gewesen, wenn ich es nicht verhindert hätte'. Lunete hatte Iwein vor seinen Verfolgern verborgen, nachdem er Laudines Mann getötet hatte. verkös: 3. Sg. Ind. Prät. von verkiesen; hier etwa .vergeben'. Der Gen. PI. der ist partitiver Subjektsgenitiv zu geschehen; vgl. MHD Grammatik § 362. Also ,dass sie das Leid und den Kummer, die ihr von Euch zugefugt wurden, vergab'. geseit = gesaget: Part. Prät. von sagen, kontrahierte Form. Dies ist ein zweiter Nebensatz zu Vers 3152. hänt: 2. PI. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. Das Perfekt von varn kann mit sin wie auch mit haben gebildet werden; also .Ihr seid so mit ihr umgegangen'. geheizen: hier etwa .versprechen, verheißen'. rät werden, mit Gen. (miner vrouwen): .Hilfe/Rettung geben für'. Also ,Es wird schon Hilfe geben für meine Herrin (sie wird sich schon zu helfen wissen), aber ...'.
Iwein
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daz ir si kebsen soldet, ob ir erkennen woldet waz riters triuwe waere. nü ist iu triuwe immaere. doch sulent ir in alien deste wirs gevallen die triuwe und ere minnent und sich des versinnent22 daz nimmer ein wol vrumer man äne triuwe werden kan. Nü tuon ich disen herren kunt daz si iuch haben vür dise stunt23 vür einen triuwelösen man (da ir wurdet24, da was ich an ensament meineide und triuwelös beide25); und mac sich der künec iemer schämen, hat er iuch mere in riters namen, sö liep im triuwe und ere ist. ouch sulnt ir vür dise vrist miner vrouwen entwesen: si wil ouch äne iuch genesen, und sendet ir wider ir vingerlin: daz ensol niht langer sin an einer ungetriuwen hant: si hat mich her darnach gesant." von herzeleide geschach im daz daz erz verdulte und versaz26 daz siz im ab der hant gewan. si neic dem künege und schiet von dan. Daz smashen daz vrou Lünete
versinnen, refl. und mit Gen. (des): hier etwa ,einsehen, sich erinnern an'; also .ihnen allen (...), die sich daran erinnern, dass ...'. vür dise stunt: .fortan, von diesem Moment an'; vgl. auch Vers 3190. haben vür: .halten für, behandeln als'. dä ir wurdet: ,das' oder .dazu' zu ergänzen; ,als Ihr dazu (zu einem treulosen Mann) wurdet'. beide ... und: .sowohl als auch'. ,Da war auch ich gleichzeitig sowohl meineidig als auch treulos.' versaz: 3. Sg. Ind. Prät. von versitzen; hier .hinnehmen'.
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Erzählende
Versliteratur
dem herren iweinen tete, daz gaehe wider keren, der slac siner eren, daz si so von im schiet daz si in entröste27 noch enriet, daz smaeliche ungemach, dazs28 im an die triuwe sprach, diu versümde riuwe und sin gröziu triuwe sines staeten muotes, diu verlust des guotes, derjämer nach dem wibe, die benämen sinem übe vil gar vreude und den sin. nach einem dinge jämert in, daz er waere etewä daz man noch wip enweste wä und niemer gehörte maere war er komen waire. Er verlos29 sin selbes hulde: wan ern mohte die schulde üf niemen anders gesagen: in hete sin selbes swert erslagen. ern ahte weder man noch wip, niuwan üf sin selbes lip.30 er stal sich swigende dan (daz ersach da nieman) unz daz er kam vür diu gezelt üz ir gesihte an daz velt. dö wart sin riuwe also gröz daz im in daz hime schöz ein zorn unde ein tobesuht, er brach sine site und sine zuht und zarte abe sin gewant,
entröste: 3. Sg. Ind. Prät. von trees ten mit angehängter Negationspartikel. dazs = daz si. an die triuwe sprechen, mit Dat.: ,jdm. die Treue absprechen'. verlos·. 3. Sg. Ind. Prät. von Verliesen, sin selbes: ,seine eigene'; also ,er verlor seine eigene Huld' (d. h. er achtet sich selbst nicht mehr). Dieser Vers ist eine zweite Ergänzung zu ern ahte; also ,er bemerkte weder Mann noch Frau, er achtete auf niemanden als sich selbst'.
Iwein
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daz er wart bloz sam ein hant. sus lief er über gevilde nacket nach der wilde. Do diu juncvrouwe gereit31, nü was dem künege starke leit hern Iweines swaere, und vrägte wä er waere. er wold in getroestet hän unde bat nach im gän. und als in nieman envant, nü was daz vil unbewant swaz man im da gerief,32 wander gegen walde lief, er was ein degen bewaeret und ein helt unervasret33: swie manhaft er doch waere und swie unwandelbasre an libe unde an sinne, doch meistert vrou Minne daz im ein krankez w!p
verkerte sinne unde l!p. der34 ie ein rehter adamas riterlicher tugende was, der lief nü harte balde ein töre35 in dem walde. Nü gap im got der guote, der in üz siner huote dannoch niht volleclichen liez, daz im ein garzün widerstiez, der einen guoten bogen truoc: den nam er im und strälen gnuoc. als in der hunger bestuont, so teter sam die tören tuont:
gereit: 3. Sg. Ind. Prät. von riten. Das Präfix ge- bezeichnet hier wohl die Vorvergangenheit (vgl. MHD Grammatik § 308c); also ,als die junge Herrin weggeritten war*. ruofen mit Akk. (swaz) und Dat. (im): jdm. etwas zurufen'; also ,was auch immer man ihm da zurief, das war völlig nutzlos'. unervceret: .unerschrocken'. der ist hier Bezugswort und Relativpronomen zugleich. Also .derjenige, der stets ...'. ein töre: ,als' zu ergänzen; ,der lief nun sehr bald als ein Irrsinniger im Wald herum'.
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36 37 38 39 40 41 42
Erzählende Versliteratur
in ist niht mere witze kunt niuwan diu eine umbe den munt. er schöz prislichen wol: ouch gie36 der wait wildes vol: swä daζ gestuont an37 sin zil, des38 schöz er üz der maze vil. ouch muose erz selbe vähen, äne bracken ergähen. sone heter kezzel noch smalz, weder pfeffer noch salz: sin salse was diu hungers not, diuz im briet unde söt daz ez ein süeziu spise was, und wol39 vor hunger genas. Dö er des lange gepflac, er lief umb einen mitten tac an ein niuweriute. dane vander niht me liute niuwan einigen man: der selbe sach im daz wol an daz er niht rehtes sinnes was. der vlöch40 in, daz er genas, da bi in sin hiuselm. dane wänder4' doch niht sicher sin unde verrigelte vaste die tür: da stuont im der töre vür. der tore düht in alze gröz: er gedähte „tuot er einen stöz, diu tür vert üz dem angen, und ist um mich ergangen, ich arme wie genise42 ich?" ze jungest do bedähter sich „ich wil im mines brötes43 geben:
gie = gierte: 3. Sg. Ind. Prät. von gärt. .Auch war (ging) der Wald voller Wild.' stän an: etwa .treten in'; also ,wo auch immer das in seine Schusslinie trat'. des: partitiver Gen., bezogen auf wild; .davon schoss er große Mengen'. wol: ,er' zu ergänzen; .und er gut von Hunger verschont blieb'. vlöch: 3. Sg. Ind. Prät. von vliehen; .der floh vor ihm, um sich zu retten'. wänder = wände er: 3. Sg. Ind. Prät. von weenen mit angehängtem Pronomen. genise: 1. Sg. Ind. Präs. von genesen, .verschont bleiben, überleben'.
Iwein
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3315
3320
3325
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so lät44 er mich vil lihte leben." hie gienc ein venster durch die want: da durch rahter45 die hant und leit46 im üf ein bret ein brot: daz suozt im diu hungere not; wand er da vor, daz got wol weiz, sö jaemerliches nie enbeiz47. waz weit ir daz der tore tuo? er äz daz bröt und tranc da zuo eines wazzers4' daz er vant in einem einher an der want, unde rümdez im49 ouch sä. der einsidel sach im nä und vleget50 got vil sere daz er in iemer mere erlieze seiher geste: wand er vil lützel weste wie ez umbe in was gewant51. nu erzeicte der tore zehant daz der tore und diu kint vil lihte ze wenenne52 sint. er was da zuo gnuoc wise daz er nach der spise dar wider kam in zwein tagen, und brähte ein tier üf im" getragen und warf im daz an die tür. daz machte daz er im her vür deste willeclicher bot
43 44 45
46 47 48 49 50 51
52 53
mines brötes: partitiver Gen., .etwas von meinem Brot'. lät: 3. Sg. Ind. Präs. von läzen, kontrahierte Form. rahter = rahte er: 3. Sg. Ind. Prät. von recken mit angehängtem Pronomen; ,da durch streckte er die Hand'. leit(e) = legete: 3. Sg. Ind. Prät. von legen, kontrahierte Form. enbeiz: 3. Sg. Ind. Prät. von bizen, .beißen, essen', mit angehängter Negationspartikel. eines wazzers: partitiver Gen.; ,etwas von einem Wasser, das ...'. ez rumen, mit Dat.: ,sich zurückziehen von, Platz machen'. vleget: 3. Sg. Ind. Prät. von vlehen, vlegen; .anflehen'. gewant sin: ,sich verhalten, Bewandtnis haben'; ,weil er nicht wusste, wie es sich um ihn verhielt'. ze wenenne: flektierter Infinitiv; ,zu gewöhnen, zu erziehen'. im: hier Reflexivpron.; ,auf sich (auf seinem Rücken)'.
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Erzählende Versliteratur
sin wazzer unde sin bröt: erne vorht in do niht me und was im bezzer danne e, unt vant ie diz da gereit.54 ouch galt er im die arbeit mit srnem wiltpraste. daz wart mit ungeraete gegerwet55 bi dem viure. im was der pfeffer tiure56, daz salz, unde der ezzich. ze jungest wenet er sich daz er die hiute veile truoc, unde kouft in beiden gnuoc des in zem libe was not, salz unde bezzer bröt. Sus twelte57 der unwise ze walde mit der spise, unz daz der edele töre wart gelich einem möre an allem sinem libe. ob im von guotem wibe ie dehein guot geschach, ob er ie hundert sper zebrach, gesluoc er viur üz helme ie, ob er mit manheit ie begie58 deheinen lobelichen pris, wart er ie hövesch unde wis, wart er ie edel unde rieh, dem ist er nü vil ungelich. er lief nü nacket beider, der sinne unde der cleider, unz daz in zeinen59 stunden
Hier ist möglicherweise Iwein gemeint, der diz, Wasser und Brot nämlich, immer bereitstehen findet. gerwett: hier .fertig machen' (die Einengung der Bedeutung des Wortes auf ,Leder gerben' erfolgt erst später). Also ,mit Mangel wurde das Wild beim Feuer zubereitet'. tiure sin: ,fehlen'; ,es fehlte ihm der Pfeffer, das Salz und der Essig'. tweln: hier ,sich aufhalten, bleiben'. begie: 3. Sg. Ind. Prät. von began.pris begän: etwa ,eine Ruhmestat vollbringen'. zeinen stunden = ze einen stunden: etwa .eines Tages'.
lwein
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61 62 63
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släfende vunden dri vrouwen da er lac, wol umb einen mitten tac, nä ze guoter maze b! der lantsträze diu in ze riten geschach.60 und also schiere do in ersach diu eine vrouwe von den drin, dö kerte si über in und sach in vlizecllchen an. nü jach61 des ein ieglich man wie er verloren waere: daz was ein gengez62 maere in allem dem lande: und daz s! in erkande, daz was des schult; und doch niht gar. si nam an im war einer der wunden diu ze manegen stunden an im was wol erkant, unde nande in zehant. sl sprach her wider zuo den zwein „vrouwe, lebet her Iwein, so lit63 er äne zwivel hie, ode ichn gesach in nie." ir höfscheit unde ir güete beswärten ir gemüete, daz si von grozer riuwe und durch ir reine triuwe vil sere weinen began, daz einem also vrumen man diu swacheit solde geschehen daz er in den schänden wart gesehen. Ez was diu eine von den drin
geschehen, mit Infinitiv mit ze: etwa ,Grund haben zu'; vgl. MHD Grammatik § 335 Anm. 1 und die engl. Konstruktion ,to happen to'. Also .recht nahe bei einer Landstraße, auf der sie gerade zufällig entlang ritten'. jach: 3. Sg. Ind. Prät. vonjehen\ ,nun sprach jederman davon'. gengez: Nom. Sg. Neut. von genge, ,verbreitet, bekannt'. lit = liget·. 3. Sg. Ind. Präs von ligen, kontrahierte Form.
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Erzählende Versliteratur
der zweier vrouwe64 under in: nü sprach st45 zuo ir vrouwen „vrouwe, ir muget wol schouwen daz er den sin hat verlorn. von bezzern zühten wart gebom nie riter dehein danne min her Iwein, den ich so swache sihe leben, im ist benamen vergeben66, ode ez ist von minnen komen daz im der sin ist benomen. und ich weiz daz als minen töt, vrouwe, daz alle iuwer not, die iu durch sinen übermuot der grave Äliers lange tuot und noch ze tuonne willen hat, der67 wirt iu buoz unde rät, ob er von uns wirt gesunt. mir ist sin manheit wol kunt: wirt er des libes gereit,68 er hat in schiere hin geleit69: und suit ir ouch vor im70 genesen, daz muoz mit siner helfe wesen." Diu vrouwe was des trostes vro. si sprach „und ist der suht71 also daz si von dem hirne gät, der tuon ich im vil guoten rät72, wand ich noch einer salben hän die da Feimorgän machte mit ir selber hant.
, der beider anderen Herrin'. si: Gemeint ist die Dame, die zuvor schon gesprochen hatte. vergeben sin, unpers. und mit Dat. (im): ,vergiftet sein'; also ,er ist gewiss vergiftet'. der: Gen., abhängig von rät werden und bezogen auf not, ,dass ihr von all Eurer Not (...) befreit werdet, wenn...'. Etwa .erlangt er wieder Gewalt über seinen Körper, kommt er wieder zu Kräften'. geleit = geleget: Part. Prät. von legen, kontrahierte Form. im: Gemeint ist - ebenso wie mit in im vorigen Vers - der Graf Aliers. der suht: adverbialer Gen.; etwa ,und steht es um die Krankheit so, dass ...'. rät tuon, mit Gen. (der) und Dat.: etwa ,jdm. Abhilfe schaffen von, befreien von'.
Iwein
3430
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3445
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da ist ez umbe sö gewant daζ niemen himsühte lite, wurd er bestrichen da mite, erne wurde da zestunt wol varende unde gesunt." sus wurden si ze rate" und riten also dräte nach der salben alle dri: wand ir hüs was da bi vil küme in einer mile. nü wart der selben wile diu juncvrouwe wider gesant, diu in noch släfende vant. Diu vrouwe gebot ir an daz leben, do si ir häte gegeben die bühsen mit der salben, daz si in allenthalben niht74 bestriche da mite, niuwan da er die nöt lite, da hiez si si strichen an: so entwiche diu suht dan, under waer zehant genesen, da mite es gnuoc möhte wesen,75 daz hiez si an in strichen, und daz si ir nämelichen braehte wider daz ander teil: daz waere maneges marines heil, ouch sante si bi ir dan vrischiu kleider, seit von gran und deiner linwaete zwei,76 schuohe unde hosen von sei. Nü reit si also balde
ze räte werden: ,sich einig werden, beschließen'. allenthalben niht: Inversion; .nicht überall'. Vorgestellter Relativsatz, das daz im folgenden Vers erläuternd: ,sie befahl, das (die Menge Salbe) bei ihm aufzutragen, womit es genug wäre'. D. h. es soll nicht mehr Salbe verwendet werden als für die Heilung notwendig. Etwa ,zwei aus feinem Wollstoff und feinem Leinen', seit - und ebenso sei in Vers 3456 - ist ein feiner Wollstoff; von gran bezeichnet entweder die Farbe (,scharlachfarben') oder das Material (,aus Haar/Wolle').
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Erzählende Versliteratur
daz si in in dem walde dannoch släfende vant, und zöch ein pfarit an der hant, daz vil harte sanfte truoc (ouch was der zoum riche gnuoc, daz gereite guot von golde), daz er riten solde, ob ir daz got bescherte daz s! in emerte. Do si in ligen sach als e, nüne twelte si niht me, si hafte zeinem aste diu pfarit beidiu vaste, und sleich also Ilse dar daz er ir niene wart gewar, unz si in allenthalben bestreich. da zuo si vil stille sweich77. mit ter vil edelen salben bestreich si in allenthalben über houbet und über vüeze. ir wille was so süeze daz si daz also lange treip unz in der bühsen niht beleip. des waer doch alles unnöt, dä zuo und78 man irz verbot; wan daz si im den willen truoc, esn dühtes79 dannoch niht genuoc, und waer ir80 sehsstunt me gewesen: so gerne sach si in genesen, und dö s!z gar an in gestreich, vil dräte si von im entweich, wand si daz wol erkande daz schämelichiu schände dem vrumen manne we tuot,
sweich: 3. Sg. Ind. Prät. von swigen. Zur Form vgl. MHD Grammatik § 245 Anm. 3. dä zuo und: Durch das Hinzufügen von und erhält dieser Ausdruck Konjunktionscharakter; vgl. MHD Grammatik § 465 Anm. 1. Also ,zumal man es ihr verboten hatte'. dühtes = dühte si: ,es erschien ihr immer noch nicht genug'. ir: Gemeint ist die Salbe; ,und hätte es sechsmal mehr davon gegeben'.
Iwein
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3505
3510
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und bare sich durch ir höfschen muot, daζ si in sach und er si niht. si gedähte „ob daz geschiht daz er kumt ze sinnen, und wirt er danne innen daz ich in nacket hän gesehen, so ist mir übele geschehen: wan81 des schämt er sich so sere daz er mich nimmer mere willeclichen an gesiht." alsus enouete82 s! sich niht unz in diu salbe gar ergienc83 und er ze sinnen gevienc84. Do er sich üf gerihte und sich selben ane blihte und sich so griulichen sach, wider sich selben er dö sprach „bistüz Iwein, ode wer? hän ich gesläfen unze her? wäfen, herre, wäfen! sold ich dan iemer släfen! wand mir hat min troum gegeben ein vil harte richez leben. ouwi waz ich eren pflac die wil ich släfende lac! mir hat getroumet michel tugent: ich hete geburt unde jugent, ich was schcene unde rieh und disem übe vil unglich, ich was hövesch unde wis und hän vil manegen herten pris ze riterschefte bejaget, hat mir min troum niht missesaget.
wan: hier ,denn, weil', des ist Gen., abhängig von schämen und auf das vorher gesagte bezogen: ,denn dessen (darüber) schämt er sich so sehr, dass ...'. enouete: 3. Sg. Ind. Prät. von ougen, mit angehängter Negationspartikel; ,also zeigte sie sich nicht, bis ...'. ergän, mit Akk. (in): hier etwa .durchdringen'; also ,bis die Salbe ihn ganz durchdrungen hatte'. gevienc: 3. Sg. Ind. Prät. von gevähen\ mit ze etwa .kommen zu'.
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Erzählende Versliteratur
ich bejagte swes ich gerte mit sper und mit swerte: mir ervaht min eines hant85 ein vrouwen und ein richez lant: wan daz ich ir doch pflac, so mir nü troumte, unmanegen tac, unz mich der künec Artus von ir vuorte ze hüs. min geselle was her Gäwein, als mir in minem troume schein. si gap mir urloup ein jär (dazn ist allez niht war): do beleip ich langer äne not, unz s! mir ir hulde widerböt86: der87 was ich ungerne äne. in allem disem wäne so bin ich erwachet, mich hete min troum gemachet zeinem riehen herren. nu waz möhte88 mir gewerren, waer ich in disen eren tot? er89 hat mich geffet äne not. swer sich an troume keret90, der ist wol guneret91. Troum, wie wunderlich dü bist! dü machest riche in kurzer vrist einen also swachen man der nie näch eren muot gewan:92 swenner danne erwachet, so hästü in gemachet zeinem tören als ich.
min eines hant: ,meine eigene Hand'. widerbieten·, hier .aufkündigen, entziehen'. der. Gen., abhängig von äne sin und bezogen auf hulde; ,die verlor ich ungern'. möhte: 3. Sg. Konj. Prät. von mugen. tot sin: hier .sterben'. Also ,was könnte mich stören, wäre ich in diesem ehrenvollen Zustand gestorben'. er: Gemeint ist der Traum, geffet = geaffet: Part. Prät. von äffen, .täuschen'. keren, refl. und mit an: etwa ,sich halten an'. guneret = geuneret: ,ehrlos'. Etwa ,der nie Hoffnung auf Ruhm hegte'.
Iwein
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zewäre doch versihe93 ich mich, swie rüch ich ein gehöre si, und waer ich riterschefte bi, waer ich gewäfent unde geriten, ich künde näch riterlichen siten also wol gebären als die ie riter wären." Alsus was er sin selbes gast,94 daz im des sinnes gebrast: und ob er ie riter wart und alle sin umbevart die heter in dem masre als ez im getroumet waere. er sprach „mich hat geleret min troum: des bin ich geret, mac ich ze harnasche komen. der troum hät mir min reht95 benomen: swie gar ich ein gebüre bin, ez turnieret al min sin. min herze ist minem übe unglich: min lip ist arm, daz herze rieh, ist mir getroumet min leben? ode wer hät mich her gegeben96 so rehte ungetanen97? ich möhte mich wol änen98 riterliches muotes: libes unde guotes der gebristet mir beider." als er diu vrischen cleider einhalp bi im ligen sach,
versihe: 1. Sg. Ind. Präs. von versehen-, ,sich verlassen auf, glauben'. gebrast: 3. Sg. Ind. Prät. von gebresten, .fehlen, mangeln'. ,So sehr war er sich selber fremd, dass es ihm an Einsicht (Bewusstsein, Erkenntnis) mangelte.' reht: hier etwa .Stand'; also ,der Traum hat mir meinen Stand weggenommen', d. h. der Traum hat Iwein aus dem Stand, dem er sich hier zugehörig glaubt - dem Bauemstand - , in einen anderen, den Ritterstand, versetzt. hergeben: .herbringen'. ungetän: hier .hässlich, ungeschlacht'; ,wer hat mich so Hässlichen hierher gebracht?' änen, refl. und mit Gen.: .verzichten auf, aufgeben'. ,Ich sollte die ritterlichen Gedanken besser aufgeben: Mir fehlt es sowohl am Aussehen als auch am Besitz.'
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Erzählende Versliteratur
des wundert in, unde sprach „diz sint cleider der99 ich gnuoc in minem troume dicke truoc. ichn sihe hie niemen des s! sin100: ich bedarf ir wol: nü sin101 ouch min. nü waz ob disiu sam102 tuont? sit daz mir e sö wol stuont in minem troume rieh gewant." alsus cleiter sich zehant. als er bedahte103 die swarzen lieh, dö wart er einem riter glich.
der. partitiver Gen., bezogen auf cleider, ,νοη denen'. sin, mit Gen. (des): .gehören', also ,ich sehe hier niemanden, dem sie gehören'. sin: ,sie' zu ergänzen; ,ich bedarf ihrer wohl, nun seien sie also mein'. sam: ,ebenso'; ,was, wenn diese das ebenso tun' (nämlich ihm so gut passen und stehen wie die prächtigen Kleider in seinem angeblichen Traum). bedahte: 3. Sg. Ind. Prät. von bedecken, lieh: ,Haut, Körper'.
Abb. 7: Iwein und Lunete. Wandgemälde auf Schloss Rodenegg in Südtirol
Die Bedeutung, die mittelalterliche Dichtung für ihr Publikum hatte, lässt sich nicht nur an den erhaltenen Handschriften ablesen, sondern auch daran, dass Szenen aus verschiedenen Romanen gerne zur Ausschmückung von Räumen auf Wandteppichen oder als Wandmalerei herangezogen wurden. In einigen Burgen, aber auch Stadthäusern, haben sich Reste solcher Wandmalereien erhalten; das hier abgebildete Beispiel eines Freskos aus der Burg Rodenegg in Südtirol, entstanden im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, zeigt eine Szene aus Hartmanns Iwein: Iwein erhält von Lunete einen Ring, der ihn unsichtbar machen wird, so dass er sich vor seinen Verfolgern verstecken kann.
Wolfram von Eschenbach, Parzival, Verse 508,1-524,8 Wolfram stammt sehr wahrscheinlich aus dem fränkischen (Wolframs-) Eschenbach; über seine Werke hinaus ist sonst jedoch nichts über ihn bekannt. Er hat einige Lieder, einen Legendenroman Willehalm, die fragmentarische Strophenerzählung Titurel und den Parzival gedichtet; dieser zwischen 1200-1210 nach französischer Quelle entstandene Gralroman gilt als eines der bedeutendsten Werke mittelalterlicher Literatur. Der folgende Ausschnitt erzählt davon, wie einer der Helden des Buches, Gawan, das erste Mal Orgeluse begegnet und ihr seine Liebe und seinen Dienst anbietet.
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An der bürge lägen2 lobes were. nach trendein maze3 was ir berc: swä si verre sach der tumbe, er wand4 si liefe alumbe. der bürge man noch hiute giht5 daz gein ir sturmes horte6 niht: si forhte wenec seihe nöt, swä man hazzen gein ir böt. alumben berc lac ein hac, des7 man mit edelen boumen pflac. vigen boum, gränät, öle, win und ander rät, des wuohs da ganziu richeit. Gäwän die sträze al üf hin reit: da ersaher8 niderhalben sin freude und sins herzen pin. ein brunne üzem velse schoz: dä vander, des in niht verdröz,
Der fast 25000 Verse umfassende Parzival wird seit der 1833 erschienen Ausgabe von Karl Lachmann meist in 16 Bücher und innerhalb der Bücher in so genannte Dreißiger, d. h. jeweils dreißig Verse umfassende Abschnitte eingeteilt. Dieser Ausschnitt ist aus dem X. Buch und beginnt mit dem 508ten Dreißiger. lägen: 3. Sg. Ind. Prät. von ligen\ mit an und Dat. etwa ,sich zeigen an'. Also ,an der Burg zeigte sich lobenswerte Meisterschaft der Ausführung'. nach trendein mäze: ,nach der Art eines Kreisels'. wand = wände: 3. Sg. Ind. Prät. von weenen. giht: 3. Sg. Ind. Präs. vonjehen; mit Gen. (der bürge),nachsagen, sagen von'. härte: 3. Sg. Ind. Prät. von haeren, hier etwa ,nützen'; also ,dass ein Sturmangriff gegen sie nichts nützte'. des: Gen., abhängig von pflegen und bezogen auf hac; also ,ein Garten, den man mit edlen Bäumen ausgestattet hatte'. da ersaher = da ersah er: ,da sah er'. Kontraktionen wie diese erscheinen noch öfter.
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Erzählende Versliteratur
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ein alsö cläre frouwen, dier gerne muose schouwen, aller wibes varwe ein beä flürs9. äne Condwirn ämürs10 wart nie geborn sö schoener lip. mit clärheit süeze was daz wip, wol geschict" unt kurtoys. sie hiez Orgelüse de Lögroys, och sagt uns d'äventiur von ir, si wasre ein reizel minnen gir12, ougen süeze an smerzen, unt ein spansenwe des herzen. Gäwän böt ir sinen gruoz. er sprach „ob ich erbeizen muoz mit iweren hulden, frouwe, ob ich iuch des willen13 schouwe daz ir mich gerne bi iu hat, gröz riwe mich bi freuden lät14: sone wart nie riter mer sö frö. min lip muoz ersterben sö daz mir nimmer wip gevellet baz." „deist15 et wol: nu weiz ich ouch daz." selch was ir rede, dö se an in sach. ir süezer munt mer dannoch sprach „nu enlobt mich niht ze sere: ir enpfahtes16 lihte unere. ichn wil niht daz ieslich munt gein mir tuo sin priieven kunt. wasr min lop gemeine,
beä flürs: franz. Lehnwort (belle fleur); ,eine schöne Blüte aller Frauenschönheit'. Condwiramurs ist die Frau des Titelhelden Parzival. geschict = geschicket·, .beschaffen', kurtoys ist ein anderes franz. Lehnwort: .höfisch, edel'. ein reizel minnen gir: etwa ,ein Lockvogel für Liebesverlangen'. willen: hier etwa .Gesinnung, Geneigtheit'; also .wenn ich an Euch die Gesinnung erkennen dürfte, dass ihr ... '. lät = läzet: 3. Sg. Ind. Präs. von läzen; hier etwa .zurücklassen bei'. Also ,dann lässt großer Kummer mich bei Freuden zurück (Kummer macht der Freude Platz)'. deist = daz ist. et ist Füllwort ohne Bedeutung; also .das ist ja schön'. enpfahtes = enpfäht es: .ihr erwerbt davon'.
Parzival
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daz hiez ein wirde kleine, dem wisen unt dem tumben, dem slehten17 und dem krumben: wä riht ez sich danne fur nach der werdekeite kür?" ich sol min lop behalten, daz es die wisen walten. ichn weiz niht, herre, wer ir sit: iwers ritens waere von mir zit19. min prüeven lät iuch doch niht fri: ir sit minem herzen bi, verre üzerhalp, niht drinne. gert ir miner minne, Wie habt ir minne an mich erholt20? maneger siniu ougen bolt, er möhts üf einer slingen ze senfterm würfe bringen, ob er sehen21 niht vermidet daz im sin herze snidet. lät walzen iwer kranken gir üf ander minne dan ze mir. dient nach minne iwer hant, hat iuch äventiure gesant nach minne üf riterliche tat, des lönes ir an mir niht hat22: ir mugt wol laster hie bejagn, muoz ich iu die wärheit sagn." dö sprach er „frouwe, ir sagt mir war. min ougen sint des herzen vär:
sieht', .gerade'. Dieser und der vorige Vers setzen Vers 509,17 fort: ,wäre mein Lob unter den Weisen und Dummen, den Geraden und Krummen weit verbreitet'. Ewa: ,wo soll es sich denn dann noch für eine Prüfung und Auszeichnung seiner Herrlichkeit hinwenden?' zit sin, mit Gen.: ,Zeit sein für'; also ,es wäre Zeit, dass ihr von mir wegreitet'. erholn, mit Akk: etwa .verdienen'; .wie habt ihr Liebe von mir (meine Liebe) verdient?' sehen·, von vermiden abhängiger Infinitiv ohne ze\ vgl. MHD Grammatik § 335a. Also .wenn er nicht vermeidet anzusehen, was ihm sein Herz zerschneidet'. hat = habet: 2. PI. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. Hier mit Gen. (des lönes), etwa .erhalten, bekommen'; also .Lohn dafür bekommt ihr von mir nicht'.
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Erzählende Versliteratur
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die hänt23 an iwerem libe ersehn, daζ ich mit wärheit des muoz jehn daz ich iwer gevangen bin. kert gein mir wiplichen sin. swies iuch habe verdrozzen, ir habt mich in geslozzen: nu lceset oder bindet, des willen ir mich vindet, het ich iuch swä ich wolte, den wünsch ich gerne dolte." si sprach „nu fuert mich mit iu hin. weit ir teilen den gewin, den ir mit minne an mir bejagt,24 mit laster irz da nach beklagt. Ich wiste gerne ob ir der sit, der durch mich getorste25 liden strit. daz verbert, bedurft ir ere. solt ich iu raten mere, spraecht ir denne der volge ja,26 so suocht ir minne anderswä. ob ir miner minne gert, minne und freude ir sit entwert27, ob ir mich hinnen fueret, gröz sorge iuch da nach rüeret." dö sprach min her Gäwän „wer mac minne ungedienet hän? muoz ich iu daz künden, der treit28 si hin mit Sünden. swem ist ze werder minne gäch29, da hceret dienst vor unde nach."
hänt = habent: 3. PI. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. Etwa ,wenn Ihr später die Beute aufteilen wollt, die Ihr mir mit Liebe abgejagt habt*. getorste·. 3. Sg. Ind. Prät. von geturren, .wagen, sich trauen'. Etwa ,und sagtet Ihr dann ,Ja' zu der Befolgung', d. h. .würdet Ihr befolgen was ich Euch rate'. entwert: Part. Prät. zu entwern, hier etwa .berauben'; .dann seid Ihr der Liebe und Freude beraubt'. treit = treget, kontrahierte Form, si: Gemeint ist minne. gäch sin, mit Dat. {swem): .eifrig streben'; also etwa .wenn jemand eifrig nach edler Liebe strebt'.
Parzival
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si sprach „weit ir mir dienst gebn, so müezt ir werliche lebn, unt megt30 doch laster wol bejagn. min dienst bedarf decheines zagn. vart jenen pfat (est31 niht ein wec) dort über jenen hohen stec in jenen boumgarten. mins pferts suit ir da warten32. da hoert ir und seht manege diet, die tanzent unde singent liet, tambüren, floitieren. swie si iuch condwieren,33 get durch si da min pfärt dort stet, unt loest ez üf: nach iu ez get." Gäwän von dem orse spranc. dö het er mangen gedanc, wie daz ors sin erbite34. dem brunnen wonte ninder mite da erz geheften möhte. er dähte, ob im daz töhte35 daz siz ze behalten naeme, ob im diu bete gezaeme. „ich sihe wol wes ir angest hat." sprach si. „diz ors mir sten hie lät: daz behalt ich unz ir wider kumt. min dienst iu doch vil kleine frumt." dö nam min her Gäwän den zügel von dem orse dan: er sprach „nu habt mirz, frouwe." „bt tumpheit ich iuch schouwe," sprach si: „wan da lac iwer hant, der grif sol mir sin unbekant."36
megt = muget: 2. PI. Ind. Präs. von mugen. est = es ist. warten, mit Gen.: hier etwa ,sich kümmern um, in Obhut nehmen'. Etwa ,wohin auch immer sie Euch fuhren wollen'. erbite: 3. Sg. Konj. Prät. von erbiten, .warten, stehen bleiben'. töhte: 3. Sg. Konj. Prät. von tugen, ,ziemen, angemessen sein'. Etwa ,der Griff dort liegt mir fern', d. h. ,ich werde den Zügel nicht da anfassen (wo Gawans Hand gelegen hat)'.
Erzählende Versliteratur
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dö sprach der minne gernde man „frouwe, in37 greif nie vorn dran." „nu, da wil ichz enpfahen," sprach si. „nu suit ir gähen, und bringt mir balde min pfert. miner reise ir sit mit iu gewert." daz dühte38 in freudehaft gewin: do gäht er balde von ir hin über den stec zer porten in. da saher manger frouwen schin und mangen riter jungen, die tanzten unde sungen. Do was min her Gäwän so gezimiert ein man, daz ez si lerte riuwe: wan si heten triuwe, die des boumgarten pflägen. si stuonden ode lägen ode saezen in gezelten, die vergäzen des vil selten, sine39 klageten sinen kumber gröz. man unt wip des niht verdröz, genuoge sprächen, denz was leit, „miner frowen trügeheit wil disen man verleiten ze grözen arbeiten. owe daz er ir volgen wil üf alsus riwebaeriu zil." manec wert man dä gein im gienc, der in mit armen unbevienc durch40 friwentlich enpfahen. dar nach begunder nähen einem ölboum: dä stuont dez pfert:
in = ich en: Pers. Pron. mit angehängter Negationspartikel. Doppelte Verneinung (ne ... nie) ist im Mittelhochdeutschen üblich; also ,ich griff nie vom hin'. dühte: 3. Sg. Ind. Prät. von dünken, dunken, .scheinen, vorkommen wie'. sine = si ne: Pers. Pron. mit angehängter Negationspartikel. Zur Negation in konjunktionslosen abhängigen Sätzen vgl. MHD Grammatik § 441; in der Übersetzung ist der Satz nicht negiert: ,sie unterließen es nicht, seinen großen Kummer zu beklagen'. durch, mit Infinitiv: ,um ... zu'; ,um (ihn) freundlich zu empfangen'.
Parzival
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ouch was maneger marke wert der zoum unt sin gereite. mit einem harte breite, wol geflöhten unde grä stuont derb! ein riter da über eine knicken gleinet41: von dem wart ez beweinet daz Gäwän zuo dem pfärde gienc. mit süezer rede ern doch enpfienc. Er sprach „weit ir rates pflegn42, ir suit diss pfardes43 iuch bewegn. ezn wert iu doch niemen hie. getät ab ir dez waegest44 ie, so suit irz pfärt hie läzen. min frouwe si verwäzen, daz si so manegen werden man von dem libe scheiden kan." Gäwän sprach, ern liezes niht. „öwe des45 dänäch geschiht!" sprach der gräwe riter wert, die halftern löster vome pfert, er sprach, „ir suit niht langer sten: lät diz pfärt näh iu gen. des hant dez mer gesalzen hät, der geb iu für kumber rät. hüet daz iuch iht gehoene miner frouwen schoene: wan diu ist bi der süeze al sür, reht als ein sunnenblicker schür." „nu waltes got," sprach Gäwän. urloup nam er zem gräwen man: als tet er hie unde dort.
gleinet = gelernt: Part. Adj. zu lenen; ,auf eine Krücke gelehnt'. pflegn, mit Gen.: hier etwa .annehmen'; ,wenn Ihr einen Rat annehmen wollt'. diss pfördes = dises pfardes: Gen., abhängig von bewegen; ,Ihr solltet von diesem Pferd ablassen'. wiegest·. Superlativ zu wcege, ,gut, vorteilhaft', hier substantiviert; ,wenn Ihr je das getan habt, was am Vorteilhaftesten ist'. des ist hier Relativpronomen und Bezugswort zugleich; vgl. MHD Grammatik § 453. Also ,wehe über das, was danach geschieht!'
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Erzählende Versliteratur
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si sprächen alle klagendiu wort. daz pfärt gienc einen smalen wec zer porte üz nach im üf den stec. sins herzen voget er da vant: diu was frouwe überz lant. swie sin herze gein ir flöch, vil kumbers si im doch drin zöch. Si hete mit ir hende underm kinne daz gebende hin üfez houbet geleit46. kampfbasriu lide treit ein w!p die man vindet so: diu waer vil lihte eins schimpfes vrö. waz si anderr kleider trüege? ob ich nu des gewüege47, daz ich prüeven solt ir wät, ir liehter blic mich des erlät48. dö Gäwän zuo der frouwen gienc, ir süezer munt in sus enpfienc. si sprach „west49 willekomn, ir gans. nie man so gröze tumpheit dans50, ob ir mich diens weit gewern. öwe wie gern irz möht verbem!" er sprach „ist iu nu zomes gäch, da hoert iedoch genäde nach, sit ir strafet mich so sere, ir habt ergetzens ere.51 die wil min hant iu dienst tuot, unz ir gewinnet lönes muot52.
geleit = geleget: Part. Prät. von legen, kontrahierte Form. Orgeluse hat das gebende, die Bänder ihres Kopiputzes, unter ihrem Kinn gelöst und sich auf den Kopf gelegt. gewüege: 1. Sg. Konj. Prät. von gewähenen, gewogen, .erzählen'. Also etwa ,wenn ich nun davon erzählen wollte'. erlät = erläzet: 3. Sg. Ind. Präs. von erläzen,,erlassen, ersparen'. west: PI. Imperativ von wesen; ,seid willkommen'. dans: 3. Sg. Ind. Prät. von dinsen, .schleppen'. Hier kann ein ,wie Ihr' ergänzt werden: ,nie hat ein Mann so große Blödheit mit sich herumgeschleppt wie Ihr, wenn... '. Etwa .Ihr werdet die Ehre haben (es wird Euch Ehre machen), mich dafür zu entschädigen.' muot, mit Gen. (lönes): etwa .Absicht haben zu, Gefallen finden an'. Also .bis Ihr Gefallen daran findet, mich zu belohnen'.
Parzival
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welt ir, ich heb iuch üf diz pfert." si sprach „des hän ich niht gegert. iwer unversichert hant mac grifen wol an smaeher pfant." hin umbe von im si sich swanc, von den bluomen üfez pfart si spranc. si bat in daz er rite für. „ez waere et schade ob ich verlür Sus ahtbaeren gesellen," sprach si: „got müeze iuch vellen!" swer nu des wil volgen mir, der mide valsche rede gein ir. niemen sich verspreche, ern wizze e waz er reche, unz er gewinne küende wiez umb ir herze stüende. ich künde ouch wol gerechen dar gein der frouwen wol gevar: swaz si hat gein Gäwän in ir zorne missetän, ode daz si noch getuot53 gein im, die räche ich alle von ir nim. Orgelüs diu riche fiior ungesellecliche: zuo Gäwän si kom geriten mit also zornlichen siten, daz ich michs54 wenec tröste daz si mich von sorgen loste, si riten dannen beide, uf eine liehte heide. ein krüt Gäwän da stende sach, des würze er wunden helfe55 jach. do rebeizte56 der werde
getuot: Das Präfix ge- bezeichnet hier futurische Bedeutung; vgl. MHD Grammatik § 306. Also ,oder was sie ihm noch antun wird'. michs = mich es. traesten, refl. und mit Gen. (ei): ,sich Hoffnungen machen auf; also ,dass ich mir (an seiner Stelle) nur wenig Hoffnungen darauf gemacht hätte, dass ...'. wunden helfe·, etwa ,Hilfe bei Verwundungen'; ,(ein Kraut), dessen Wurzeln er Hilfe bei Verwundungen zusprach.' rebeizte = erbeizte: 3. Sg. Ind. Prät. von erbeizen, .absteigen'.
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Erzählende Versliteratur
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nider zuo der erde: er gruop se, wider üf er saz. diu frouwe ir rede ouch niht vergaz, si sprach, Jean der geselle min arzet unde riter sin, Er mac sich harte wol bejagn57, gelernt er bühsen veile tragn58." zer frouwen sprach Gäwänes munt „ich reit für einen riter wunt: des dach ist ein linde, ob ich den noch vinde, disiu wurz sol in wol ernern unt al sin unkraft erwern."59 si sprach „daz sih ich gerne. waz ob ich kunst gelerne?" do fuor in balde ein knappe nach: dem was zer botschefte gäch, die er werben solte. Gäwän sin60 beiten wolte: dö düht em ungehiure. Malcreatiure hiez der knappe fiere: Cundrie la surziere61 was sin swester wol getan: er muose ir antlütze hän gar, wan daz er was ein man. im stuont ouch ietweder zan als einem eber wilde, ungltch menschen bilde. im waz dez här ouch niht so lanc als ez Cundrien öf den mül dort swanc: kurz, scharf als igels hüt ez was.
bejagen, refl.: ,sich beschäftigen, seinen Lebensunterhalt verdienen'. veile tragen·, .feilbieten, verkaufen'. Kurz vor seiner Begegnung mit Orgeluse war Gawan einem Ritter begegnet, der, halbtot von einer Verwundung und von einer Dame beklagt, unter einer Linde lag. Darauf spielt Gawan hier an. sin: Gen., abhängig von beiten·,,Gawan wollte auf ihn warten'. Cundrie ,die Zauberin' wird im VI. Buch ausführlich beschrieben, wo sie als Gralsbotin am Artushof erscheint und Parzival verflucht.
Parzival
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bi dem wazzer Ganjas" ime lant ze Tribaliböt wahsent liute alsus durch not. Unser vater Adam, die kunst er von gote nam, er gap allen dingen namn, beidiu wilden unde zamn: er rekant ouch iesliches art, dar zuo der steme umbevart, der siben pläneten,63 waz die krefte heten: er rekant ouch aller wiirze maht, und waz ieslicher was geslaht. do siniu kint der j are kraft gewunnen64, daz si berhaft wurden menneschlicher fruht, er widerriet in ungenuht. swä siner tohter keiniu65 truoc, vil dicke er des gein in gewuoc66, den rät er selten gein in liez, vil würze er se miden hiez die menschen fruht verkerten unt sin geslähte unerten, „anders denne got uns maz,67 do er ze werke übr mich gesaz," sprach er. „miniu lieben kint, nu sit an saelekeit niht blint." diu wlp täten et als wip: etslicher riet ir breeder lip
Ganjas: der Ganges. Dies ist ein weiterer, nachgestellter Genitiv zu umbevart; der Folgevers ist eine weitere Ergänzung zu rekant in Vers 518,5. Also: ,Er kannte das Wesen eines jeden Dinges, dazu die Bahnen der Sterne und der sieben Planeten und er wusste, was diese fur Kräfte hatten. ' der järe kraft gewinnen·, etwa ,in das Alter kommen'. keiniu: hier .irgendeine'; vgl. MHD Grammatik § 417. tragen·, hier .schwanger sein'. gewuoc: 3. Sg. Ind. Prät. von gewähenen, gewagen; .erzählen, erwähnen'. Das bezieht sich wohl auf Vers 518,19; die Kräuter, in der Schwangerschaft gegessen, verändern das ungeborene Kind und Menschen werden geboren, die anders sind als Gott Adam gestaltet hatte.
Erzählende Versliteratur
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daz si diu were volbrähte, des ir herzen gir gedähte. sus wart verkert diu mennischeit: daz was iedoch Adame leit, Doch engezwlvelt nie sin wille. diu küneginne Secundille, die Feirefiz68 mit riters hant erwarp, ir lip unt ir lant, diu het in ir riche hart unlougenliche von alter dar der liute vil mit verkertem antlützes zil69: si truogen vremdiu wilden70 mal. dö sagete man ir umben gräl, daz üf erde niht so riches was, unt des pflaege ein künec hiez Anfortas. daz duhte se wunderlich genuoc: wan vil wazzer in ir lant truoc für den griez71 edel gesteine: gröz, niht ze kleine, het si gebirge guldin. do däht diu edele künegin „wie gewinne ich künde dises man72, dem der gräl ist undertän?" si sant ir kleincete dar, zwei mennesch wunderlich gevar, Cundrien unde ir bruoder clär. si sante im mer dennoch für war, daz niemen möhte vergelten: man fündez73 veile selten.
Feirefiz ist der Halbbruder Parzivals, Sohn seines Vaters Gahmuret aus der ersten Ehe mit der Heidenkönigin Belakane. zil·. hier wohl expletiv, d. h. als Füllwort oder umschreibend; ,mit verformtem Antlitz'. Im Mittelhochdeutschen können schwach und stark flektierte Adjektive nebeneinander stehen; vgl. MHD Grammatik § 392. für den griez·. ,als Sand' oder .statt Sand'. man ist eine alte, endungslose Genitivform; vgl. MHD Grammatik § 179,2. künde gewinnen·, hier etwa .Bekanntschaft machen'. flindez = fiinde ez; ,man würde es selten zum Verkauf angeboten finden'.
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dö sande der süeze Anfortas, wand er et ie vil milte was, Orgelüsen de Lögroys disen knappen kurtoys. Von wibes gir ein underscheit74 in schiet von der mennescheit. der würze unt der steme mäc huop gein Gäwän grözen bäc. der hete sin75 üfem wege erbitn. Malcreatiure kom geritn üf eime76 runzide kranc, daz von lerne an allen vieren hanc77. ez strüchte dicke üf d'erde. frou Jeschüt diu werde iedoch ein bezzer pfart reit des tages dö Parziväl erstreit ab Orilus die hulde: die vlös se an alle ir schulde.78 der knappe an Gäwänen sach: Malcreatiur mit zorne sprach „her, sit ir von riters art, sö möht irz79 gerne hän bewart: ir dunket mich ein tumber man, daz ir mine frouwen fueret dan: och wert irs80 underwiset, daz man iuch drumbe priset, op sichs81 erwert iwer hant.
Etwa ,ein von der Gier einer Frau hervorgerufener Unterschied'. sin: Gen., abhängig von erbitn und auf 520,3 bezogen. Also ,der (Gawan) hatte auf dem Weg auf ihn (den Verwandten der Kräuter und Steme: Malcreatiure) gewartet'.
76
eime = einem.
77
hanc: 3. Sg. Ind. Prät. von hinken·, MHD ein starkes Verb der Klasse lila. Anspielung auf ein früheres Ereignis: Orilus hatte seine Frau Jeschute falschlich des Ehebruchs verdächtigt und sie zur Strafe unter anderem gezwungen, ein halb verhungertes Pferd zu reiten. Parzival besiegte Orilus im Zweikampf und zwang ihn, sich mit seiner Frau zu versöhnen. irz = ir ez; das ez wird in Vers 520,20 erläutert. irs = ir es; es ist Gen., abhängig von underwisen. .Auch werdet Ihr dessen (darüber; gemeint ist über die Dummheit seiner Tat) unterrichtet in einer Weise, dass ...' sichs = sich es; es ist von erwern abhängiger Genitiv. ,... wenn Eure Hand sich dessen (dagegen; gemeint ist die angedrohte ,Unterrichtung') erwehrt.'
78
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81
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Erzählende Versliteratur
25
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5
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86 87 88 89
sit ab82 ir ein saijant, so wert ir gälünt83 mit stabn, daz irs gern wandel möhtet habn84." Gäwän sprach „min literschaft erleit nie sölher zühte kraft, sus sol man walken gampelher, die niht sint mit manlicher wer: Ich pin noch ledec vor solhem pin. welt ab ir unt diu frouwe min mir smashe rede bieten, ir müezt iuch eine85 nieten daz ir wol meget für zürnen hän. swie freisliche ir sit getan, ich enbaer86 doch sanfte iwer drö." Gäwän in bime häre dö begreif und swang in underz pfert. der knappe wis unde wert vorhtliche wider sach. sin igelmaezec här sich räch87: daz versneit Gäwän so die hant, diu wart von bluote al röt erkant. des lachte diu frouwe: si sprach „vil gerne ich schouwe iuch zwene sus mit zomes site." si kerten dan: dez pfart lief mite, si körnen dä si fluiden ligen den riter wunden, mit triwen Gäwänes hant die wurz üf die wunden88 bant. der wunde sprach „wie'rgienc ez dir, sit daz du schiede89 hie von mir?
ab = aber. Ein sarjant ist ein Fußsoldat im Gegensatz zu einem Ritter. gälünt: Part. Prät. von alünen, .durchprügeln'. wandel haben, mit Gen. (es): etwa .rückgängig machen, ändern'. eine·, hier .allein'; ,so müsst Ihr doch alleine das genießen, was Ihr wohl für Zorn halten könnt'. enbcer: 1. Sg. Konj. Prät. von enbern; .ich könnte Eure Drohungen leicht entbehren'. räch: 3. Sg. Ind. Prät. von rechen, .rächen', MHD ein starkes Verb der Klasse IV. die wunden ist Singular (Akk. Sg. Fem.). schiede·. 2. Sg. Ind. Prät. von scheiden.
Parzival
25
522
5
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90
91 92 93 94 95
96
177
du hast eine frouwen bräht, diu dins schaden90 hat gedäht. von ir schuldn ist mir so we: in Äv'estroit mävoie half si mir schärpfer tjoste91 üf libs und guotes koste. Wellestu behalten dinen Ιϊρ, so lä92 diz trügehafte w!p riten unde ker von ir. nu prüeve selbe ir rät an mir. doch möht ich harte wol genesen, ob ich bi ruowe solte wesen. des hilf mir, getriwer man." dö sprach min her Gäwän „nim aller miner helfe wal."93 „hie nähen stet ein spitäl:" also sprach der riter wunt: „koeme ich dar in kurzer stunt, dä möht ich ruowen lange zit. miner friundin runzit hab wir noch stende al starkez94 hie: nu heb si drüf, mich hinder sie." dö bant der wol gebome gast der frouwen pfärt von dem ast: er woldez ziehen näher ir. der wunde sprach„hin dan von mir! wie ist iuch tretens95 mich sö gäch?" er zöhz96 ir verr: diu frowe gienc nach, sanfte unt doch niht dräte, al nach ir mannes rate. Gäwän üf daz pfärt si swanc.
dins schaden: Gen., abhängig von denken·, ,die an dein Unheil gedacht hat (die Unheil für dich plant)'. helfen, mit Dat. und Gen. (schärpfer tjoste): jemandem verhelfen zu'. lä: Imperativ Sg. von läzen, kontrahierte Form. Etwa .triff die Auswahl aus allem, womit ich dir helfen kann (sag, womit...)'. al starkez bezieht sich auf runzit·, ,das kräftige Pferd meiner Freundin steht noch hier*. tretens: von gäch sin abhängiger Gen.; .warum habt Ihr es so eilig, mich treten zu lassen'. zöhz = zöch ez\ ,er zog es von ihr weg'.
Erzählende Versliteratur
178
523
5
10
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99
innen des der wunde rfter spranc üf Gäwänes kastelän. ich waene daz was missetän. er unt sin frouwe riten hin: daζ was ein sündehaft gewin. Gäwän daz klagete sere: diu frouwe es lachete mere denn inder schimpfes in gezam97. Sit man im daz ors genam, ir süezer munt hin zim do sprach „für einen riter ich iuch sach: dar nach in kurzen stunden wurdt ir arzet für die wunden: nu müezet ir ein garzün wesn. sol iemen srner kunst genesn98, so troest iuch iwerre sinne, gert ir noch miner minne?" ,Jä, frouwe," sprach her Gäwän: „möhte ich iwer minne hän, diu waer mir lieber danne iht. ez enwont üf erde nihtes niht, sunder kröne und al die kröne tragent, unt die freudehaften pris bejagent: der gein iu teilte ir gewin,99 so raetet mir mms herzen sin daz ichz in läzen solte. iwer minne ich haben wolte. mag ich der niht erwerben, so muoz ein sürez sterben sich schiere an mir rezeigen.
gezemen, unpers. und mit Akk. (in) und Gen. (schimpfes): .gefallen, passend finden'. Also etwa ,die Dame lachte mehr darüber, als er es für einen Scherz je passend gefunden hätte (als ihm ein Spaß je gefallen hätte)'. genesen: etwa ,sich am Leben erhalten mit, leben von'. Also ,wenn es darum geht, dass jemand von seinen Fähigkeiten leben muss, dann rettet Euch Euer Verstand'. Der Form nach ein Relativsatz, ist dieser Vers als Bedingungssatz zu verstehen; vgl. MHD Grammatik § 455. teilen gegen: etwa .einsetzen für'. Also ,wenn jemand ihren (gemeint sind die in den vorigen Versen Erwähnten) Gewinn für Euch einsetzen würde, dann würde mir der Sinn meines Herzens sagen, dass ich es ihnen lassen (darauf verzichten) sollte'.
Parzival
524
5
179
ir wiiestet iwer eigen, ob ich vriheit ie gewan, ir suit mich doch fur eigen100 hän: daz dunct mich iwer ledec101 reht. nu nennt mich riter oder kneht, Garzün oder vilän. swaz ir spottes hat gein mir getan, da mite ir sünde enpfahet, ob ir min dienst smähet. solt ich diens102 geniezen, iuch möhte spots verdriezen. ob ez mir nimmer wurde leit, ez krenket doch iur werdekeit."
für eigen: ,als Eigentum, als Leibeigenen'. ledec: hier etwa .unstreitig, unanfechtbar'. 102 diens = dienstes: Gen., abhängig von geniezen. .Sollte ich (den rechtmäßigen) Lohn für meinen Dienst erhalten, so müsstet Ihr Eures Spottes überdrüssig werden.' 100
101
Gottfried von Straßburg, Tristan, Verse 9987-10503 Die Geschichte von Tristan und Isolde, eine der bekanntesten Liebesgeschichten der europäischen Literatur, erzählt von den zerstörerischen Folgen einer ins Absolute gesteigerten Liebe, die alle anderen Bindungen zwischen Menschen in den Hintergrund drängt. Gottfrieds Fassung ist zwischen 1200 und 1220 entstanden. Im folgenden Ausschnitt erkennt Isolde, dass der spilman Tantris, der einen Drachen getötet und damit ihre Hand gewonnen hat, in Wirklichkeit Tristan, der Mörder ihres Onkels Morold, ist.
9990
9995
10000
10005
2 3
4 5
6 7
Die frouwen gierigen beide dan und nämen aber ir spilman in ir fliz und in ir pflege.1 ir beider fliz was alle wege2 mit süezer bedaehtekeit niuwan an diu dinc geleit,3 diu sin helfe solten wesen. ouch was er iezuo wol genesen, lieht an dem libe und schöne var. nu nam Isöt sin4 dicke war und marcte5 in üz der mäze an libe und an geläze: si blicte im dicke tougen an die hende und under ougen6; si besach sin arme und siniu bein, an den ez offenllche schein, daz er so tougenltche hal7. si bespehete in obene hin ze tal: swaz maget an manne spehen sol, daz geviel ir allez an im wol
Tantris/Tristan ist im Kampf mit dem Drachen schwer verwundet worden und wird von Isolde und ihrer Mutter gesund gepflegt. alle wege: ,stets, immer'. geleit = geleget: Part. Prät. von legen, kontrahierte Form, legen an: etwa .verwenden auf; also ,ihrer beider Mühe war (...) auf nichts anderes als die Dinge verwendet, die ihm Hilfe bringen solten1. sin: Gen., abhängig von warnemen; ,nun sah Isolde ihn oft an'. marcte: 3. Sg. Ind. Prät. von merken; hier etwa .beobachten', also ,und beobachtete ihn überaus genau in seinem Aussehen und Verhalten'. under ougen: ,ins Gesicht'. hal: 3. Sg. Ind. Prät. von heln, .verhehlen, verbergen'. An seiner edlen Gestalt wird offenbar, was er zu verheimlichen versucht: seine edle Abstammung (Isolde kennt Tristan nur als spilman bzw. Kaufmann).
Tristan
10010
10015
10020
10025
10030
10035
8
181
und lobete8 ez in ir muote. nu daz diu schoene guote sine geschepfede so rieh und sine site so herlich sunder bespehete unde besach, ir herze tougenliche sprach: „got herre, wunderaere, ist iht des wandelbasre, destu ie begienge oder begast,® und destu an uns geschaffen hast, so ist hie zwäre wandel10 an, daz dirre herliche man, an den du solhe saslekeit libes halben" hast geleit, daz der als irrecliche von riche ze riche sine nötdürfte suochen sol. im solte billich unde wol ein riche dienen oder ein lant, des dinc also waere gewant12. diu werlt stät wunderliche, sö vil manic künicriche besetzet ist mit swacher art, daz ime der einez13 niht enwart. ein lip also gebasre, der so getugendet waere, der solte guot und ere hän. an ime ist sere missetän. got herre, dü hast ime gegeben dem libe ein ungelichez leben." sus redetes ofte diu maget.
lobete: sie ist als Subjekt zu ergänzen. destu -• des du. begienge ist 2. Sg. Ind. Prät. und begast 2. Sg. Ind. Präs. von began, begen. Also etwa: ,wenn irgendetwas davon mangelhaft ist, was du je getan hast oder noch tust'. 10 wandel: hier .Makel, Fehler'; ,daim liegt hierin wahrlich ein Fehler, (nämlich) dass...'. " halben mit Gen.: ,um... willen, wegen, mit Bezug auf. 12 gewant: Part. Prät. von wenden, hier etwa .beschaffen sein'. 13 der einez bezieht sich auf künicriche: ,dass ihm (Tristan) davon nicht eines zukam'.
9
182
10040
10045
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14 15 16
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18 19 20
Erzählende Versliteratur
nu hete ir muoter ouch gesaget ir herren umbe den koufman'4 allez von ende her dan,15 als ir ez selbe habet vernomen, daz dinc, wiez allez her ist komen, und wie er nihtes gerte, wan daz man in16 gewerte frides da nach mere, swenne er dekeine kere naeme in daz künicriche. diz hetes im heinliche von ende unz ende gesaget. Hier under hiez ouch ime17 diu maget ir knappen Paranisen sin harnasch und sin isen wiz unde schoene machen und ze andern sinen Sachen wol unde flizeclichen sehen. nu diz was allez geschehen: ez was schone und wol bereit und über ein ander hin geleit. nu gie18 diu maget heinliche dar und nam es alles sunder war. Nu ergieng ez aber Isolde, also der billich19 wolde, daz si aber ir herzequäle zem anderen male vor den andern allen vant. ir herze daz was dar gewant, ir ouge allez dar wac20,
Gemeint ist Tristan. Etwa ,alles von Anfang bis Ende'. in: Dat. PL, gemeint sind Tristan und seine Gefährten; ,und wie er nichts weiter begehrte, als dass man ihnen von von jetzt an Frieden gewährte, wenn ...'. ime: bezieht sich auf Tristan. Etwa: .Unterdessen hatte die Jungfrau ihrem Knappen befohlen, ihm (für ihn) seinen Harnisch und seine Waffen zu putzen.' gie: 3. Sg. Ind. Prät. von gän, gen, kontrahierte Form. der billich: etwa ,die Fügung, das gerechte Schicksal'. wac: 3. Sg. Ind. Prät. von wegen, hier etwa ,sich richten'; also ,ihr Herz, das war dorthin gewendet, ihr Auge richtete sich geradewegs dorthin, wo die Rüstung lag'.
Tristan
10070
10075
10080
10085
10090
10095 21 22
23 24 25
26 27
183
da der harnasch da lac; und enweiz21 niht, wie si des gezam22, daz s! daz swert ze handen nam, als juncfrouwen unde kint gelustic unde gelengic sint und weiz got ouch genuoge man. si zöch23 ez üz und sach ez an und schouwete ez wä unde wä. nu ersach si den gebresten da: si begunde an die scharten lange unde sere warten24 und gedähte in ir muote: „sam mir got der guote, ich waene, ich den gebresten hän25, der hier inne solte stän, und zwäre ich wil es nemen war26." si brähte in unde sazte in dar: nu fuogte diu lucke und daz vertane stucke und wären alse einbaere, als obe ez ein dinc waere, als ouch gewesen wären27 innerhalp zwein j ären. nu begunde ir herze kalten umbe ir schaden den alten, ir varwe diu wart beide von zorne und von leide totbleich und iesä fiuwerröt:
enweiz: ich zu ergänzen; ,und ich weiß nicht'. gezam: 3. Sg. Ind. Prät. von gezemen, ,sich geziemen, sich gehören für', des ist im folgenden Satz erläutert: ,wie sich das fur sie gehörte, dass sie das Schwert in die Hände nahm'. zöch: 3. Sg. Ind. Prät. von ziehen. warten an, mit Akk. (die scharten): .achten, schauen auf. hän: 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form, gebresten ist hier das Stück, das aus dem Schwert herausgebrochen ist, in Vers 10076 ist die Scharte im Schwert gemeint. Isolde hatte einen Schwertsplitter aus der tödlichen Wunde ihres Onkels Morold gezogen. war nemen, mit Gen.: etwa ,genau ansehen, untersuchen'. Hier ist ,sie' als Subjekt zu ergänzen: ,so wie sie (Scharte und Splitter) vor zwei Jahren auch gewesen waren'.
184
10100
10105
10110
10115
10120
10125
28 29 30 31
32 33 34
Erzählende Versliteratur
„ä," sprach si, „saeldelose Isöt, owe mir unde wäfen28! wer hat diz veige29 wäfen von Kurnewäle30 her getragen? hie wart min ceheim mite erslagen, und der in sluoc, der hiez Tristan, wer gab ez disem spilman? der ist doch Tantris genant." die namen begunde si zehant beide in ir sinnen ahten, ir beider lüt betrahten. „ä herre," sprach si wider sich „dise namen die beswaerent mich, ine kan niht wizzen, wie in si:31 si lütent nähe ein ander bi."32 „Tantris," sprach si, „und Tristan, da ist binamen heinltche an." nu si die namen begunde ze tribenne33 in dem munde, nu geviel si an die buochstabe, da man si beide schephet abe34, und vant in disem al zehant die selben, die si in jenem vant. nu begundes an in beiden die sillaben scheiden und satzte näch als vor und kam rehte üf des namen spor. si vant ir ursuoche dar an: vür sich sö las si Tristan, her wider so las si Tantris; hie mite was s! des namen gewis35.
wäfen·. hier ein Klageruf, im folgenden Vers ,Waffe'. veige: hier .todbringend, tödlich'. Kurnewäle·. Cornwall, Land König Markes; dort war Morold getötet worden. ine = ich ne, Personalpron. mit angehängter Negationspartikel, sin (unpers.) mit Dat. (= in, den Namen): .stehen um, Bewandtnis haben mit'; also ,ich kann nicht wissen (ich weiß nicht), welche Bewandtnis es mit ihnen hat'. Etwa ,sie klingen einander ähnlich'. tribenne = triben: hier etwa .ausprobieren'. dä abe, darabe·. .woraus'; also ,die Buchstaben, woraus man sie beide bildet'.
Tristan
10130
10135
10140
10145
10150
35 36 37
38
39 40
41 42
185
, ja ja," sprach aber diu schcene do, „ist disen maeren danne so, disen valsch und dise trügeheit hat mir min herze wol geseit36. wie wol ich weste37 al dise vart, sit ich in merkende wart38, sit ich an ime lip unde gebär und sin dinc allez also gär besunder in min herze las,39 daz er gebürte ein herre was! wer haete ouch diz getan wan er, daz er von Kumewäle her ze sinen tötvinden vert, und wir in zwirnt40 haben ernert. ernert? erst nü vil ungenesen. diz swert daz muoz sin ende wesen! nu lie, rich41 din leit, Isöt! gelit42 er von dem swerte tot, da mite er dinen oeheim sluoc, sö ist der räche genuoc." si nam daz swert ze handen, si gienc über Tristanden, dä er in einem bade saz. ,jä," sprach si, „Tristan, bistu daz?" „nein frouwe, ich bin ez Tantris." „sö bistu, des bin ich gewis, Tantris unde Tristan: die zwene sint ein veiger43 man;
gewis sin, mit Gen. (des namen): .sicher sein, wissen'. geseit = gesaget, Part. Prät. von sagen, kontrahierte Form. weste: 1. Sg. Ind. Prät. von wizzen; al dise vart: .immer, die ganze Zeit'. Das, was sie wusste, steht in Vers 10136: ,wie gut wusste ich diese ganze Zeit (...), dass er von Geburt ein Adliger war'. werden mit einem Part. Präs. (merkende) kombiniert bedeutet .beginnen' oder ist Füllwort ohne besondere Bedeutung; hier also etwa: .seit ich ihn zum ersten Mal sah'. in sin herze lesen, mit Akk.: .etwas überdenken, aufnehmen, in sein Herz schließen'. zwirnt·, .zweimal'. Dies ist das zweite Mal, dass Tristan von Isolde und ihrer Mutter gesund gepflegt wird; als spilman Tantris verkleidet war er bereits nach seinem Kampf mit Morold schwer verwundet nach Irland gekommen. rieh: 2. Sg. Imperativ von rechen, .rächen'. gelit = geliget: 3. Sg. Ind. Präs. von geiigen, kontrahierte Form, tot geiigen: .sterben'.
186
10155
10160
10165
10170
10175
10180
43 44 45
46 47 48 49 50 51
Erzählende Versliteratur
daz mir Tristan hat getan, das muoz üf Tantrisen gän: du giltest44 minen cehein!" „nein, süeziu juncfrouwe, nein! durch gotes willen, waz tuot ir? gedenket iuwers namen45 an mir: ir sit ein frouwe und ein maget. swä man den mort von iu gesaget,46 da ist diu wunnecliche Isöt iemer an den eren töt. diu sunne, diu von irlant gät, diu manic herze erfröuwet hat, ä, diu hat danne ein ende! owe der liehten hende, wie zimet47 daz swert dar inne!" Nu gie diu küniginne, ir muoter, zuo den türen in: „wie nü," sprach si, „waz sol diz sin? tohter, waz tiutest48 dü hie mite? sint diz schoene frouwen site? hästu dinen sin verlorn? weder49 ist diz schimph oder zorn? waz sol daz swert in diner hant?" „ä, frouwe muoter, wis50 gemant unser beider herzeswaere: diz ist der mordaere, Tristan, der dinen bruoder sluoc. nu habe wir guoter state51 genuoc, daz wir uns an im rechen und diz swert durch in stechen:
veige: hier ,todgeweiht'. giltest: 2. Sg. Ind. Präs. von gelten, .vergelten, büßen für'. gedenken, mit Gen.: .bedenken'; also etwa .bedenkt Euren Namen (wer Ihr seid) bei Eurem Verhalten mir gegenüber'. Etwa , wo auch immer man über den Mord von Eurer Hand erzählen wird'. zimet: 3. Sg. Ind. Präs. von zemen. tiutest = diutest: 2. Sg. Ind. Präs. von diuten, .andeuten'. weder: ist hier Füllwort, also .ist das nur ein Scherz oder Zorn?'. wis: 2. Sg. Imperativ von sin. Also .sei an unser beider Kummer erinnert'. guoter state: Gen., abhängig von haben, .gute Gelegenheit'.
Tristan
10185
10190
10195
10200
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10210
52
" 54
55 56 57 58
59
187
ez enkumet uns beiden niemer baz." „ist diz Tristan? wie weistu52 daz?" „ich weiz ez wol, ez ist Tristan, diz swert ist sin, nu sich53 ez an und sich die scharten54 da b! und merke danne, ob er ez s!. ich sazte iezuo diz stuckelin ze dirre veigen scharten in: owe, do sach ich, daz ez schein55 einbaereliche und rehte als ein." „ä," sprach diu muoter zehant, „Isöt, wes56 hästu mich gemant? daz ich min leben ie gewan! und ist diz danne Tristan, wie bin ich dar an so betrogen!" nu hete ouch Isöt üf gezogen daz swert und trat hin über in. ir muoter kerte zuo zir hin: „lä57 stän, Isöt," sprach si, „lä stän! weist iht, waz ich vertriuwet hän?"58 „ine ruoche59, zwäre, ez ist sin tot." Tristan sprach: „merzi, bele Isöt!" „i, übeler man," sprach Isöt, „i, unde vorderst dü merzi? merzi gehceret niht ze dir: din leben daz läzestü mir!" „nein tohter," sprach diu muoter dö, „ez enstät nu leider niht alsö, daz wir uns mügen gerechen, wir enwellen danne brechen
weistu = weist du. sich: 2. Sg. Imperativ von sehen. scharte (hier und Vers 10188) kann, wie gebreste (s. o.), sowohl die Scharte im Schwert selbst als auch das herausgebrochene Stück bedeuten. schein: 3. Sg. Ind. Prät. von schinen\ hier etwa .aussehen'. wes: Gen., abhängig von manen\ .wessen (woran) hast du mich erinnert'. lä: 2. Sg. Imp. von läzen, kontrahierte Form. Also .lass sein, Isolde'. Etwa: .Weißt du nicht mehr, was ich versprochen habe?' Die Königin hatte Tantris das Versprechen gegeben, dass ihm nichts passieren würde. ine ruoche = ich ne ruoche; etwa .ich kümmere mich nicht darum, das ist mir egal'.
188
10215
10220
10225
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Erzählende Versliteratur
unser triuwe und unser ere.60 engähe61 niht ze sere! er ist in miner huote mit libe und mit guote. ich hän in, swiez dar zuo si komen, ganzliche in minen ftide genomen62." „genäde, frouwe!" sprach Tristan, „frouwe, gedenket wol dar an, daz ich guot unde leben an iuwer ere han ergeben, und enpfienget63 mich also." „du liugest!" sprach diu junge dö. „ich weiz wol, wie diu rede ergie64: sine65 gelobete Tristande nie weder fride noch huote an übe noch an guote." hie mite so liefs in aber an. hie mite rief aber Tristan: „ä, bele Isöt, merzt, merzi!" ouch was diu muoter ie da b!, diu dumehte künigin: er mohte sunder sorge sin. ouch waere er66 zuo den stunden in daz bat gebunden und Isot eine da gewesen, er waere doch vor ir genesen, diu süeze, diu guote, diu siure an wibes muote noch herzegallen nie gewan, wie solde diu geslahen man?
Konditionalsatz, also ,wenn wir nicht unsere Treue und Ehre vernichten wollen'. engähe: 2. Sg. Imperativ von gäben, mit Negationspartikel; also .übereile nichts'. in vride nemen: etwa ,in Schutz nehmen, Sicherheit garantieren'; vgl. Anm. 58. und enpfienget: ir zu ergänzen; ,und Ihr habt mich so (unter diesen Bedingungen) bei Euch aufgenommen'. ergie·. 3. Sg. Ind. Prät. von ergän, kontrahierte Form. ,Ich weiß genau, wie das Gespräch verlaufen ist.' sine = si ne. Mit si ist Isoldes Mutter gemeint. Zur Häufung von Negationen vgl. MHD Grammatik § 438. Ouch woere er: zu lesen als ,und wäre er auch'.
Tristan 10245
10250
10255
10260
10265
10270
67 68 69
70 71
72 73 74 75
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wan daz67 si von ir leide und ouch von zorne beide68 solhe gebasrde haete, als ob siz gerne taete; und haete ouch lihte getan, möhte s! daz herze hän. daz was ir aber tiure69 ze sus getaner siure. doch was ir herze niht so guot, sine haete zorn und unmuot, wan si den hörte unde sach, von dem ir leide geschach. si horte ir vient unde sahen70 und mohte sin doch niht geslahen: diu süeze wipheit lag ir an71 unde zucte si da van. an ir striten harte die zwo widerwarte, die widerwarten conterfeit:72 zorn unde wipheit, diu übele bi ein ander zement73, swä si sich ze handen nement. so zorn an Isolde den vient slahen wolde, so gie diu süeze wipheit zuo: „nein," sprach si74 suoze, „nein entuo!" sus was ir herze in zwei gemuot: ein herze75 was übel unde guot. diu schoene warf daz swert dernider
wan daz: hier zu verstehen als ,wenn auch, zwar'. und - beide: .sowohl - als auch' (vgl. die englische Konstruktion ,both - and'). tiure sin, mit Dat.: .fehlen'; also etwa ,zu derartiger Bitterkeit fehlte ihr aber das Herz'. sahen = sach in: .sah ihn*. ligen an, mit Dat.: .enthalten sein, sich zeigen an'; also etwa .die süße Weiblichkeit zeigte sich an ihr und zog sie davon (von dem Todschlag) weg'. Etwa .die feindlichen Gegensätze', •widerwarte in V. 10262 ist Substantiv: .Gegner'. bi ein ander zemen: .zueinander passen'. Gemeint ist diu süeze wipheit. Die Betonung liegt hier auf ein: .das gleiche Herz war sowohl böse als auch gut'.
190
10275
10280
10285
10290
10295
10300
76 77
78 79
80 81 82
Erzählende Versliteratur
und nam ez aber iesä wider: sine wiste76 in ir muote under übele und under guote, ze wederem77 si solte: si wolte unde enwolte, si wolte tuon unde län78. sus lie79 der zwivel umbe gän, biz doch diu süeze wipheit an dem zome sige erstreit, so daz der tötvint genas und Mörolt ungerochen was. Hie mite warf s! daz swert von ir80, weinende sprach si: „ouwe mir, daz ich ie disen tac gesach!" diu wise, ir muoter, zuo ir sprach: „herzetohter mine, die herzeswaere dine, die selben die sint leider min baz unde harter danne din; nach gotes genäden sin gänt81 dir niht alse nähen alse mir. min bruoder, leider der ist tot: daz was biz her min meistiu nöt. nu furhte ich eine not von dir, entriuwen, tohter, diu gät mir vil näher danne jeniu tuo: mir wart nie niht so liep sö duo82, e daz mir iht an dir geschehe, daz ich rehte ungeme sehe, ich läze e gerne disen haz; ich Ilde sanfter unde baz
wiste: 3. Sg. Ind. Prät. von wizzen; also ,sie wusste nicht'. wederem: Dat. zu weder, .welcher'. Also ,zu welchem von beiden, Übel oder Gut, sie sich wenden sollte'. län = läzen, kontrahierte Form lie: 3. Sg. Ind. Prät. zu län (siehe vorige Anmerkung), sie ist zu ergänzen; also etwa ,so trieb sie der Zweifel hin und her'. ir ist hier Reflexivpronomen: ,sie warf das Schwert von sich'. sin gänt = st en gänt: ,sie (die herzeswcere) gehen dir nicht so nahe wie mir'. duo = du. ,Mir wurde (war) noch nie etwas so lieb wie du.'
Tristan
10305
10310
10315
10320
10325
10330
83 84 85
86 87 88
89 90
91
191
eine swaere danne zwo. min dinc daz stät mir iezuo so umbe den unsaeligen man,83 der uns mit kämpfe sprichet an, wir ensehen genöte dar zuo,84 din vater, der künec, ich unde duo wir haben iemer mere verloren unser ere und werden niemer mere frö."85 Jener in dem bade der sprach dö: „saeligen frouwen beide, ez ist war, ich hän iu leide und aber86 mit grözer not getan, welt ir iuch, alse ir suit, enstan87, so wizzet ir wol, daz diu not niht anders was niwan der tot: den lidet note ein ieclich man, die wile er sich generen kan. swiez aber dar umbe ergangen ist, swie ez iu nü ze dirre frist ze dem truhsaszen ist gewant88, daz keret allez zeiner hant89. dem sol ich ein guot ende geben; ich meine, ob ir mich läzet leben, und es90 enirre mich der tot. frouwe Isöt und aber isöt,91 ich weiz wol, daz ir alle zit sinnic unde saelic sit, getriuwe unde bescheiden:
Etwa ,meine Aufgabe ist es jetzt, mich um den Mann zu kümmern, der ...'. , Wenn wir uns nicht schnell darum kümmern'. Die Zwangslage, auf die die Königin hier anspielt, ist, dass der Truchsess des Landes behauptet, er habe den Drachen getötet und damit die Hand Isoldes verdient. und aber, hier zu verstehen als ,aber nur'; .aber nur aus einer Zwangslage heraus'. enstan, entstän, reflexiv gebraucht: ,sich erinnern'. gewant·. Part. Prät. von wenden. Hier gewant sin mit Dat. und ze\ etwa: ,wie auch immer zur Zeit Eure Sache mit dem Truchsessen steht'. ze einer hant keren: ,sich nicht kümmern um', .darum macht Euch keine Sorgen'. es: Gen., abhängig von irren und auf Vers 10327 bezogen; ,und wenn der Tod mich nicht davon (dass ich alles zu einem guten Ende bringe) abhält'. Beide Frauen, Mutter und Tochter, heißen Isolde.
192
10335
10340
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10355
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Erzählende
Versliteratur
möht ich mich hin ziu beiden einer rede verläzen92 und woltet ir iuch mäzen93 übeler gebaerde her ze mir und ouch des hazzes, den ir Tristande lange habet getragen, ich wolte iu guotiu maere sagen." Isöte muoter Isöt si sach in lange an und wart rot; ir liehten ougen wurden vol. „öwe", sprach si, „nu hcere ich wol und weiz vür war, daz ir ez sit; ich zwivelte unz an dise zit. nu habt ir mir die wärheit ungefräget geseit. öwe, öwe, her Tristan, daz ich iuwer ie gewalt gewan94 so guoten, alse ich iezuo hän, und der95 alsö niht ist getan, daz ich in alsö geüeben müge, als ez mir wege unde tüge! gewalt ist aber sö manicvalt: ich waene, ich mac wol disen gewalt an minem vinde üeben, daz reht sö vil getrüeben96 an einem übelen manne. ja herre, wil ich danne? entriuwen ja, ich waene." Iemitten kam Brangaene diu stolze, diu wise lachende unde lise,
verläzen, reflexiv, mit Gen. und ze: ,sich anvertrauen'. Also etwa .könnte ich mich Euch beiden mit einer Rede anvertrauen' oder .könnte ich Euch etwas anvertrauen'. mäzen, refl. und mit Gen. (übeler gebcerde, des hazzes): ,sich enthalten, aufgeben'. Also .wolltet Ihr Euer feindseliges Verhalten mir gegenüber aufgeben'. gewalt gewinnen mit Gen. {iuwer)·. .Macht gewinnen über'. Also ,oweh, dass ich je Macht über Euch gewonnen habe'. der: bezieht sich auf gewalt, hier Maskulinum. Etwa: .aber die (die Macht) doch nicht so geartet ist, dass ich sie ausüben könnte, wie es mir nützen und helfen könnte'. daz reht getrüeben·. etwa .das Recht verletzen'.
Tristan 10365
10370
10375
10380
10385
10390
193
schone unde wol gestrichen aldort her in geslichen, und sach daz swert da ligen bar, die frouwen beide riuwevar. „wie nü?" sprach diu gefiiege do, „disen gebaerden wiest97 den so? waz masre tribet ir driu? disiu frouwen ougen, wie sint diu alsus trüebe und also naz? diz swert hie lit98, waz tiutet daz?" „sich", sprach diu guote künigin, „Brangaene, herzeniftel min, sich, wie wir alle sin betrogen: wir haben ze blintliche erzogen den slangen99 vür die nahtegalen, dem rappen kerne vür gemalen, der100 der tüben solte sin. wie hin wir, herre trehtin, den vient vür den friunt emert, dem übelen töde zwirnt erwert mit unser selber handen unsern vint Tristanden! sich, warte, er sitzet! deist Tristan.101 nu hän ich zwivel dar an, weder ich mich reche oder entuo102. niftel, waz rastest dü derzuo?" „nein, frouwe, tuot die rede hin! iuwer saelde und iuwer sin diu sint hie zuo ze guot,
97
wiest = wie ist, etwa ,was bedeuten sie'. lit = liget: 3. Pers. Sg. Ind. Präs. von ligen, kontrahierte Form. 99 slange kann Μ HD auch - wie hier - schwach dekliniertes Maskulinum sein. 100 der. Gen. PI., bezogen auf kerne, sin, unpers. und mit Gen., kann als .gehören' übersetzt werden; also: ,dem Raben Kerne vorgesetzt, die den Tauben gehören sollten'. 101 Dieser Vers ist in den Handschriften und Ausgaben unterschiedlich wiedergegeben; einige bieten etwa wa er sitzet (vgl. etwa den Stellenkommentar in der Ausgabe von R. Krohn, Stuttgart 1980; dort auch einige Literaturhinweise dazu). Die vorliegende Fassung könnte etwa so übersetzt werden: .Sieh, schau, er, der dort sitzt, das ist Tristan.' 102 entuo\ ez zu ergänzen; ,ob ich mich rächen soll oder nicht'. 98
194
10395
10400
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Erzählende Versliteratur
daz ir iemer keinen103 muot üf solhe untät gewinnet und iemer so geunsinnet104, daz ir ze manslahte iemer gewinnet ahte105 unde ouch danne zeinem man, des ir iuch habt genomen an ze fride und ze huote. es enwart iu nie ze muote, des ich got wol getrüwen sol. ouch suit ir des gedenken wol, waz rede iuch mit im ane gät, diu niwan umbe iuwer ere stät.106 soltet ir iuwer ere geben umbe keines107 iuwers vindes leben?" „waz wildu danne, daz ich tuo?" „frouwe, da denket selbe zuo: gät hinnen, lät108 in üz gän. die wile muget ir rät hän, waz iu daz waegeste si." hie mite giengens dan si dri durch rät in ir heinliche. Isöt diu sinneriche „seht", sprachs „ir beide, sprechet an, waz mag er meinen, dirre man? er sprach wider uns beide daz, wolten wir lazen disen haz, den wir im lange haben getragen, er wolte uns guotiu maere sagen; waz diz si, des wundert mich." Brangaene sprach: „dä räte ich,
keinen: hier .einen', die Negation ist nhd. überflüssig. Also ,dass Ihr jemals die Gesinnung für eine solche Untat erlangt'. {ge)unsinnen: .unbeherrscht sein, den Verstand verlieren'. ahte gewinnen ze: etwa .Absicht fassen zu, planen'. Etwa: .Auch solltet Ihr sorgfältig überlegen, wie Ihr Euch ihm gegenüber verhaltet, weil davon nichts weniger als Eure Ehre abhängt.' keines: hier .(irgend)eines'; also etwa ,für das Leben irgendeines Eurer Feinde'. lät: 2. PL Imperativ von läzen, kontrahierte Form; also etwa .lasst ihn aussteigen' (aus der Badewanne).
Tristan
10425
10430
10435
10440
10445
10450
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110 1,1 112 1,3
114 115 116 117
195
daz in109 nieman innen bringe dekeiner slahte Undinge, biz wir bevinden sinen muot. sin muot ist lihte vil guot hin ze iuwer beider eren. man sol den mantel keren, als ie die winde sint gewant. wer weiz, ob er in Irlant durch iuwer ere komen ist. hüetet sin110 ze dirre frist und lobet ouch eines" 1 iemer got, daz dirre ungefuege spot umbe des truhsaezen valscheit mit ime sol werden hin geleit"2. got der hete unser ruoche an unserre suoche;113 wan wasre er an den stunden niht kurzliche funden, weiz got, so wasre er iesä tot. wizze Krist, juncfrouwe Isöt, so fuere ez wirs, danne ez var."4 habet niht ungebaerde dar, wan wirt er ihtes115 innen und mag er danne entrinnen, des hat er reht, daz er daz tuo. von diu116 da denket beide zuo: bietet ime ez alse wol,117 alse man von rehte sol.
innebringen, mit Akk. und Gen.: .zeigen'. Also .dass niemand ihm gegenüber irgendeine Art Feindseligkeit zeigt'. sin: Gen., abhängig von hüeten; .beschützt ihn in der nächsten Zeit'. eines ist Gen.; loben, mit Akk. und Gen.: .jemanden loben für'. hinlegen: .beilegen, beenden'. Etwa .Gott hatte sich unser angenommen bei unserer Suche'. Brangäne bezieht sich hier darauf, dass die Frauen den im Kampf mit dem Drachen schwer verwundeten, bewusstlosen Tristan in der Nähe der Kampfstätte gefunden und ihn in Sicherheit gebracht hatten. Etwa: ,dann wäre es schlechter gelaufen als es jetzt laufen könnte'. ihtes: Gen., abhängig von innewerden; .wenn er irgendetwas merkt'. von diu: ,daher, deshalb'. ez wol bieten, mit Dat.: jemanden gut behandeln'.
196
10455
10460
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118 119
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Erzählende Versliteratur
daz rate ich iu, des volget mir: Tristan der ist als edel als ir unde ist höfsch unde wis, vollekomen alle wis118, swie iu daz herze hin zim si, sit ime doch höfschliche bi119. binamen, swes er habe gedäht, in hat ernest üz bräht. sin gewerp und sin gerinc der ist umb emestlichiu dinc." Sus stuondens üf und giengen dan und kamen hin, da Tristan heinliche an sinem bette saz. Tristan sin selbes niht vergaz:120 er fuor üf balde gegen in121 und viel sä gegen in allen hin und lac den höfschen süezen flehliche zuo den fiiezen und sprach ouch mit dem valle: „genäde, ir süezen alle, habet genäde wider mich! lät mich geniezen, daz ich durch iuwer ere und iuwern fromen her bin in iuwer riche komen." diu liehte cumpanie, die liehten alle drie, ieglichiu warf ir ougen dan und sähen alle ein ander an. si stuonden unde er lag also, „frouwe", sprach Brangaene dö, „der ritter lit ze lange da." diu küniginne sprach iesä: „waz wildu nü, daz ich im tuo? min herze stät mir niht dar zuo,
alle wis: ,in jeder Beziehung'. bi sin, mit Dat.: etwa .nahe sein, sich nähern, entgegentreten'. Also ,wie auch immer Euer Herz ihm gegenübersteht, tretet ihm auf höfliche Weise entgegen'. Etwa .Tristan vergaß sich nicht' (er vergaß nicht, was sich gehört). in: Dat. PI. nach gegen; ,er sprang rasch auf und ihnen entgegen und fiel vor ihnen allen nieder'.
Tristan
10490
10495
10500
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124 125
197
daz ich sin friunt gewesen122 müge: ine weiz niht, waz ich tuo, daz tüge."123 Brangaene diu sprach aber ze ir „nu, liebiu frouwe, volget mir, ir und min juncfrouwe Isöt: ich weiz ez wärez alse den tot,124 daz irn in iuwem sinnen unsanfte müget gewinnen vor iuwerm alten leide. so gelobet im doch daz beide, daz er des libes sicher st. er geredet vil llhte da bi sines frumen125 aber eteswaz." die frouwen sprächen: „nü si daz." hie mite sö hiez si in üf stan. nu diz geltibede was getan, si säzen alle viere nider.
gewesen ist Infinitiv, abhängig von mugen; .dass ich sein Freund sein könnte'. tüge: 3. Sg. Konj. Präs. von tugen, .taugen, angemessen sein'. Also .ich weiß nicht, was ich tun soll, das angemessen wäre'. Etwa ,ich weiß es so sicher wie den Tod' = .ich weiß ganz genau'. sines vrumen: Gen., abhängig von eteswaz·,,etwas zu seinem Nutzen; etwas, was ihm nützen könnte'.
Ulrich von Liechtenstein, Frauendienst, Str. 8-68 Zwischen 1227 und 1274 urkundlich bezeugt, spielte Ulrich als Truchsess, Marschall und Landrichter eine wichtige Rolle in der österreichisch-steirischen Landespolitik. Im Frauendienst, einer Art Selbstbiographie, beschreibt er in Ich-Form sein Leben als das eines Minneritters, der mit Tumiererfolgen und Minneliedem die Gunst einer Dame zu gewinnen sucht; sein politisches Wirken wird nicht erwähnt. Die im Text enthaltenen 57 Lieder sind auch unabhängig überliefert. Der folgende Ausschnitt erzählt von seinen Anfängen als Minneritter.
2
3 4
8
Do ich ein cleinez kindel was, do hört ich ofte, daz man las und hört ouch die wisen sagen, daz niemen wol bi sinen tagen erwerben mohte1 werdecheit, wan der ze dienest waer bereit guoten wiben sunder wane; die heten hohen habedanc.
9
Die wisen hört ich sprechen so, daz niemen waere rehte fro noch in der Werlte wolgemuot, wan der ein reine vrowen guot, diu wol von2 tugenden hiez ein wip, hete liep als sin selbes lip. daz heten alle die getan, die gern ere wolden han3.
10
Do ich daz hört, ich was ein kint und tump als noch die jungen sint, so tump, daz ich die gerten reit, und gedaht doch in der tumpheit: sit daz die reinen süezen wip so hohe tiurent4 mannes lip,
mohte: 3. Sg. Ind. Prät. von mugen, ,können, vermögen'. Hier auch konjunktivisch zu übersetzen: ,dass niemand hohes Ansehen erwerben könnte'. von: hier etwa .wegen'; also ,die wegen ihrer Tugenden mit Recht eine Frau genannt werden konnte'. han (hän) = haben. tiuren: hier .achten, ehren'.
Frauendienst
199
so wil ich dienen immer me den vrowen swie so ez mir erge.
6 7
8
11
Lip, guot, muot und dar zu daz leben wil ich den vrowen allez geben und dienen als ich beste kan. und wird ich immer5 ze einem man, min dienst muoz an in geiigen,6 da mit verderben oder gesigen; ich wil in immer dienend sin! sus riet mir daz herze min.
12
In den gedanken, daz ist war, wuohs ich unz in daz zweifle jar, ich gedahte her, ich gedahte hin nach mines jungen herzen sin. mit vrage fiior ich durch diu lant, swa iemen werde vrowen vant, der7 site, der lip, der muot, der tugent erfuor ich gar in miner jugent.
13
Swer lop von guoten wiben sprach, dem sleich ich allez smilend nach; ir lop daz tet mir also wol, daz ich da von wart vreuden vol. mir tet vil manic wiser munt ir lop und ouch ir ere kunt: sie lobten jene, sie lobten die, sie lobten dort, sie lobten hie.
14
Ir aller lobes vernam ich vil, von einer ich doch sagen wil, der lop was in die hoehe chomen; ir lop8 sich heten an genomen
immer, iemer: hier ,je'. Etwa ,mein Dienst soll ihnen gelten, ich werde ihnen dienen'. der: Gen., auf vrowen bezogen; .deren Sitte etc. erforschte ich gründlich in meiner Jugend'. ir lop: Gen., abhängig von annemen; ,um ihr Lob kümmerten sich die Besten des ganzen Landes (die Besten lobten sie)'.
200
Erzählende Versliteratur
die besten gar über elliu lant. swem rehte wart ir tugent bekant, und künde der iht tugende spehen, der muost ir hoher tugende9 jehen.
10 11
12 13
15
Si was der besten uz erchorn10, si was von hoher art gebom, si was schoene, si was guot, si was reiniclich gemuot, si was chusche, senile gar, si was minneclich gevar; von ir vil tugende wart vernomen, si was an tugenden gar volcomen.
16
Man lobt si hohe, daz was reht, ich was der selben vrowen kneht vil nach unz in daz fünfte jar;11 daz ich iu sage, daz ist war. miniu ougen künden nie ersehen an ir unwipheit noch erspehen, si was ouch ze allen ziten guot, in wibes zühten wol gemuot.
17
Do sprach min herze wider mich: „guot vriunt, geselle, wil du dich für eigen einer vrowen geben und ir ze dienest immer leben, daz sol disiu vrowe sin, daz rat ich uf die triwe min; diu ist gar allez wandels12 vri, der sül13 wir sin mit triwen bi."
18
„Ich volge dir, herze, swes du wil, doch ist uns beiden gar ze vil,
hoher tugende·. Gen., abhängig von jehen·, ,der musste ihr große Tugend zubilligen'. erchorn = erkorn: Part. Adj. zu erkiesen; also ,sie war die Erlesenste der Besten'. Wörtlich .beinahe bis in das fünfte Jahr', also ,seit fast fünf Jahren'. D. h. er ist mit sieben (laut Strophe 12 ist er jetzt zwölf) Knappe der Dame gewortden. wandet hier etwa ,Makel, Fehler'; ,sie ist ganz und gar makellos'. sül: 1. PL Konj. Präs. von suln; ,der sollen wir mit Treue zugehören'.
Frauendienst
201
daz wir ir dienen umb den solt, den man von guoten wiben holt, ja ist diu guote vrowe min vil hoher denn wir beidiu sin, si ist ze hohe gar uns gebom, des mac der dienst werden verlorn."
14 15 16 17 18 19
20
19
„Swic14, lip, und höre, ich wil dir sagen, ez wart nie wip bi iemens tagen15 so hoch, so rieh, noch also wert; ist daz16 ein edel ritter gert ir ze dienen sine zit, so daz er herze, lip, guot git17 in ir dienst als er sol, im müge an ir gelingen wol."
20
„Herze, ich swer dir einen eit uf alle min saelicheit, daz si mir ist für18 elliu wip und lieber danne min selbes lip. uf den minneclichen wan, den ich gegen ir vil guten han," so wil ich hiut und immer me ir dienen swie so ez mir erge."
21
Do sich bewac herze und lip ze werben umb daz werde wip, do gie20 ich für die guoten stan und sach si minnelichen an. ich gedaht: wol mich, sol si daz sin, diu werde süeze vrowe min,
swic\ 2. Sg. Imp. von swigen. bi iemens tagen: ,zu irgendjemandes Lebzeit, jemals'. ist daz·. ,wenn'. gü (g>0 = gibet: 3. Sg. Ind. Präs. von geben, kontrahierte Form. fiir, vür: hier etwa ,lieber'; ,dass sie mir lieber ist als alle Frauen'. Etwa .angesichts der lieblichen Hoffnung, die ich der Edlen gegenüber habe'; d. h. in der Hoffnung, dass seine Liebe eines Tages Erfüllung finden wird. gie = gienc: 1. Sg. Ind. Präs. von gän.
202
Erzählende Versliteratur
bi der ich immer mer muoz wesen, bi ir verderben oder genesen.
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22
23 24 25
22
Ich gedaht: waz sol ich dienen ir, daz sich rehte fliege mir fur21 vil manic edel kint, die bi ir hie in dienest sint? der dienet ir liht einez baz. so wirt min vrowe mir gehaz. nu enweiz ich, waz ich anders tuo ich dien ir spat, ich dien ir fruo.
23
Ir mac wol einez dienen me; ich waen, dem doch sin herze iht22 ste gegen ir alsam daz mine stat, und waen si ouch iht so liebe hat als ich si in minem herzen han23. dez einen24 wil ich in vor gan und allen liuten miniu jar, daz weiz ich endelichen war.
24
Eines ofte mir geschach: swenne ich iht schoener pluomen brach des sumers, so daz solde sin, die truog ich sa der vrowen min. nam si die in ir wize hant, so wart mir freuden vil bekant; ich gedaht: da du si griffest an, da han ich in alsam getan.
25
Min vreude war vil ofte groz, swenne ich kom25, da man wazer goz
fiir. hier etwa .vorbei an, vor'; also etwa ,was soll ich in ihren Diensten tun, das mir vor den vielen anderen Jungen, die hier in ihrem Dienst stehen, Nutzen bringt'. iht kann in von waenen abhängigen Sätzen negative Bedeutung haben, vgl. MHD Grammatik § 441; also ,ich glaube, der fühlt ihr gegenüber nicht so wie ich, und ich glaube, er hat sie auch nicht so lieb, wie ich sie in meinem Herzen habe'. han (hän): 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. dez einen·. ,in dieser einen Sache', in ist hier Dat. PI. (.ihnen'), abhängig von vorgän. kom: 1. Sg. Ind. Prät. von komen.
Frauendienst
203
der herzen lieben vrowen min uf ir vil wizen hendelin. daz wazer, da mit si sich twuoc26, verholn ich daz von danne truoc, vor liebe ich ez gar uz tranc; da von so wart min truren cranc.
26 27
26
Kintlich ich ir diente vil, daz ich nu hie verewigen wil; swaz so ein kint gedienen mac, daz dient ich ir unz uf den tac, daz mich min vater von ir nam. da wart mir senlich27 truren ζ am, mir wart der minne kraft bekant in minem herzen sa zehant.
27
Min lip der schiet von danne sa, daz herze min beleih alda, daz wolde mit mir danne niht. daz was ein wunderlich geschiht, daz man den lip von danne treip und daz min herze alda beleip; daz was bi ir naht und tac, daz ez vil selten ruowe pflac.
28
Swa so min lip reit oder gie, min herze kom von ir nie; ez waere tac, ez waere naht, min liebe hete gegen ir die maht, daz ich si ze allen ziten sach von herzen liebe daz geschach. swie verre ich was, ir liehter schin schein nahtes in daz herze min.
29
Ich wil da von niht sprechen me, mir was von gedanken we.
twuoc: 3. Sg. Ind. Prät. von twahen, .waschen'. senlich = sene(c)lich: .sehnsüchtig'; zam werden·, .vertraut, bekannt werden*. Also ,da lernte ich sehnsüchtigen Liebesschmerz kennen'.
204
Erzählende
Versliteratur
in disen dingen28 daz ergie, daz man mich einem herren lie29, der waz vil hoher tilgende rieh, der hiez margrave Heinrich, von OEsterrich was er genant, von sinen tilgenden weit erkant.
28 29
30 31 32 33
30
Er was der vrowen dienstman, mit rehten triuwen undertan; er was in holt, er sprach in wol, also ein islich30 ritter sol, er was milt, er was guot, er was küene, hoch gemuot, mit tumben tump, mit wisen wis, da von so het er lobes pris.
31
Er het umb ere ungemach,31 sin munt nie boeses wort gesprach, er was blid32, er was palt, sin zuht diu was manicvalt; er was staete, er was getriu, den vriunden sieht, niht itniu33, er minnet got von herzen gar, sus lebt der fiirste siniu jar.
32
Der selbe werde herre min sagt mir daz uf die triwe sin: „swer werdecliche wolde leben, der solde sich für eigen geben einer reinen vrowen guot; da von so würd er hochgemuot."
in disen dingen: hier etwa ,zu dieser Zeit', ergie: 3. Sg. Ind. Prät. von ergän. lie = liez: 3. Sg. Ind. Prät. von läzen, kontrahierte Form; mit Akk. und Dat. .überlassen, anvertrauen'. islich = ieslich: jeder'. Etwa ,er nahm um der Ehre willen Mühsal auf sich'. blid = blide: .fröhlich, freundlich'.palt = bait: .tapfer, kühn, mutig'. itniu = iteniuwe: hier etwa .veränderlich, unbeständig'; also ,den Freunden gegenüber aufrichtig, nicht unbeständig'.
Frauendienst
205
er sprach: „ez wart nie werder man, er were den vrowen undertan."
34 35 36 37 38
39 40
33
Er sagt mir in miner jugent vor34 vil der sinen süezen tugent; er lert mich sprechen wider diu wip, uf örsen35 riten minen lip, an prieven36 tihten süeziu wort, er jach, ez waer der tugend hört, „ez tiuret junges mannes lip, der37 suoze sprichet wider diu wip.
34
Süeziu wort mit werchen38 war sin guot gegen werden wiben gar, du solt für war gelouben mir, daz nimmer kan gelingen dir an guoten wiben, wil du in liegen, smeichen; daz ist ein sin, der dir gegen wiben selten frumt und dir für war ze schaden chumt."
35
Swaz er mir sagt, und39 het ich daz ervollet mit den wercken baz, ich waere werder danne ich pin. bi im gie miner j are hin vieriu mit seneclicher not, indes lac min vater tot do muost ich heim als maniger tuot, dem sine vordem40 lazent guot.
36
Mir gab urloup der herre min also, daz al diu fügende sin
vor sagen: hier wohl etwa .vortragen, lehren'. örsen = rossen; ,er lehrte mich auf Pferden zu reiten'. prieven = brieven: ,in Briefen'. der: hier mit konditionaler Bedeutung; ,es ehrt einen jungen Mann, wenn er ...'. werchen = werken. ,Süße Worte und aufrichtige Taten sind das Richtige gegenüber edlen Frauen.' und leitet hier einen Konditionalsatz ein, vgl. MHD Grammatik § 445. sine (sine) vordem: .seine Vorfahren*.
Erzählende Versliteratur
206
an mir vil volleclichen schein, do reit ich gegen Liehtenstein hin heim sa in daz Stirelant, da ich vil turnirens vant von knehten; daz was do der sit, si lernten riterschaft da mit.
41 42
43
37
Do ich da turniren vant des unterwant41 ich mich zehant durch die vil lieben vrowen min. ich gedaht: wil ich ir ze dienste sin, daz muoz mit riterschaft geschehen, man muoz mich under helme sehen ir ze dienest mine tage got geb, daz ich ir gunst bejage.
38
Und sol mir immer pris geschehen, des muoz ich ir ze prise jehen, wan er wirt durch si bejaget; ouch bin ich des vil unverzaget, swaz vrowen gnade si genant, ez42 müg an ir min dientiu hant bi minen jugentlichen tagen noch vil saeliclich bejagen.
39
Do fiior ich turniren knehtes wis durch lernen und durch knehtes pris allenthalben reht driu jar; da wart ich ritter, daz ist war, ze Wiene ze einer hochzit, daz ich da vor noch immer sit so schoene hochzit nie gesach; da was von dringen43 ungemach.
sich underwinden: ,sich verlegen auf, unternehmen'. ez\ bezieht sich auf den vorigen Vers, dientiu ist Part. Adj. zu dienen·, also ,was auch immer von der Gunst der Damen erzählt werden mag, das kann meine dienende Hand bei ihr (...) erreichen'. von dringen: ,vor lauter Gedränge'.
Frauendienst
44 45
46
40
Der fürst Liupolt uz OEsterich gap da sin tohter minneclich von Sahsen einem fürsten wert, der het ir ze einer konen begert. diu hochzit wart so schoene da, daz ich sit niender anderswa so schoene hochzit hab gesehen; des muoz ich von der warheit jehen.
41
Da gap der edel furste wert wol drithalphundert knappen swert, daz was fürstenlich getan, graven, vrien, dienestman, wol tusent rittem oder mer, den gap der edel furste her silber, golt, ros und kleit durch sine hohe werdecheit.
42
Fünf tusent ritter oder baz des werden fürsten brot da az; da was puhurt44, tanzes vil und ander vil manic ritters spil, da was diu herzoginne rieh und ir tohter minneclich und ander vil manic vrowe guot die gaben uns da hohen muot.
43
Da was ouch miner freuden schin diu reine, süeze vrowe min. die tugent riehen45 ich da sach, doch so, daz ich nie wort gesprach wider si ze der hochzit; des was ich truric lange sit. die merker liezen ez niht gesehen, ich meid ez durch ir kranckes46 spehen.
207
puhurt = bühurt: ein Kampfspiel in Mannschaften. die tugent riehen: gemeint ist die vrowe; mhd. geht in der schwachen Adjektivdeklination auch Akk. Sg. Fem. auf -en aus. kranc: hier etwa .elend, böse*.
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Erzählende Versliteratur
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Do si mich under Schilde sach, diu reine, guote, süeze sprach wider einen minen vriund also: „deswar, ich pin des harte vro, daz her Ulrich ist ritter hie warden; do man mir den lie ze knehte, do was er vil klein, ich meine den von Liehtenstein."
45
Do min vriunt daz sagte mir, daz min ritterschaft was ir liep, des freut min herze sich und gedaht also: „waz ob si dich mit willen wil ze ritter han?" der selbe tumbe hoher47 wan der was süeze, der was guot und machte mich vil hochgemuot.
46
Diu hochzit nam ende do, von danne schiet vil maniger vro allenthalben in diu lant. turniren huob man alzehant durch die vrowen dort und hie; der versaz ich einen48 nie, ich wolde da ze in allen sin durch die vil lieben vrowen min.
47
Mir wart daz turniren kunt des einen sumers wol zwelf stunt49; man sach mich ouch tjustirens50 wem vil manigen ritter mit den speren, des lip het ganzes mannes chraft
der selbe tumbe hoher. Mehrere vorangestellte Adjektive können im MHD unterschiedlich flektiert sein; vgl. MHD Grammatik § 392. der ... einen: ,Turnier' (mhd. ein Maskulinum) zu ergänzen. Also ,νοη denen versäumte ich keines'. zwelf stunt: .zwölftnal'. tjustirens: Gen. mit modaler Bedeutung, vgl. MHD Grammatik § 365. Also etwa ,man sah mich auch im Zweikampf (tjost) mit Lanzen gegen so manchen Ritter kämpfen'.
Frauendienst
209
und ouch wol konde ritterschaft, daz mir den sumer nie misselanc. des sagt ich miner vrowen danc.
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48
Der sumer mit freuden ende nam. sa der kalte winder quam, do muost ich minnesiecher man durch not daz turniren lan51, wan ich vant sin leider niht; des het mit mir vil trurens phliht.52 senlich truren was mir bi, des wart min herze selten vri.
49
Min truren und min senedes clagen muost min lip verholn tragen, des was ich ofte vil ungemuot. min vrowe was also behuot, daz ich ir nie ze keiner stunt mohte gemachen rehte kunt, daz si mir was für elliu wip und lieber dann min selbes lip.
50
Mich lie si leider niemen sehen, da von so künde des niht geschehn, daz ich ir sagt den willen min. da von so muoz ich truric sin reht als ein minne unsaelic man. ich enmoht ouch niht die boten han, die daz rehte sagten ir, daz si so herzen liep waer mir.
51
Ich wil iu kürzelichen sagen und die warheit niht verdagen: si west53 sin niht als umb ein har, daz ich ir diente miniu jar.
lan{län) = lazen. Etwa ,deshalb ergriff große Trauer von mir Besitz'. west: 3. Sg. Ind. Prät. von wizzen. sin (sin) ist von wizzen abhängiger Gen. und wird im folgenden Vers erläutert; ,sie wusste nicht das geringste davon, dass ...'.
210
Erzählende Versliteratur
des muost ich durch not trurens pflegen, mich oft in sorgen nider legen, in hohen sorgen fruo uf sten, in sorgen sitzen und gen. 52
Ich leit von sorgen ungemach, nu höret, waz mir do geschach: ich kom uf ein burc geriten, der wirt mich da nach vriundes siten nach sinen eren wol enpfie54. sin wip, min niftel, ouch des niht lie, si sprach: „vil lieber neve min, du solt willechomen sin!"
53
Min niftel nam mich bi der hant und wiste mich von dan zehant sitzen da uns niemen sach. nu hoeret, wie diu guote sprach: „mir ist vil liebe dran geschehen, neve, daz ich dich han gesehen, nu sag an, wie gehabestu dich? und bistu vro, des vreu ich mich."
54
Si smielte und sprach: „ich lache din55, ez sol von dir verswigen sin, ich wil dir vrowen rede sagen, ich was bi vil kurzlichen tagen gevaren zuo der vrowen min; si und ich gedahten din, si vragte, waz du waerest mir, daz du mir pist, daz sagt ich ir.
55
Si sprach: „mir ist von im gesaget er spreche von uns vrowen wol also von rehte ein ritter sol;
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enpfie·. 3. Sg. Ind. Prät. von enphähen, .empfangen', kontrahierte Form. din (din): Gen., abhängig von lachen-, etwa ,ich lache über dich'. Hier fehlt in der Handschrift ein Vers, Reimpaar zum ersten der Strophe.
Frauendienst
211
von im ist mir noch mer geseit57, daz er ze dienste si bereit einer vrowen sunderlich, ob er daz tuot, daz ist ritterlich."
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Ich sprach: „ich han ez ouch vemomen, er hab ein vrowen im58 genomen, diu ist im liep also der lip und lieber vil denne elliu wip; und wer diu si, des weiz ich niht, wan daz er ze allen ziten giht59, si si schoene, si si guot, si si reiniclich gemuot."
57
Alzehant do pat si mich vil vliziclichen, daz ich dich baete, daz du nennest mir die vrowen din, daz lobt60 ich ir, und daz ich ir denne saget, wer si waere, und niht verdaget. daz soltu tuon, neve min; sag mir ir namen, der vrowen din61."
58
„Dir ist mir vrowe ungenant und von mir immer unbekant62 und sicherlichen ungeseit, du wellest63 mir swern einen eit, daz si von dir verewigen si; du solt mir loben ouch da bi, daz din süeze redenter munt mache minen dienest kunt."
geseit = gesaget: Part. Prät. von sagen, kontrahierte Form. im: Reflexivpron. Dat. Sg. Mask.; ,er habe sich eine Herrin erwählt'. giht: 3. Sg. Ind. Präs. von jehen, .sagen'. loben: hier .geloben, versprechen'. der vrowen din: Apposition zu ir; ,sag mir ihren, deiner Herrin, Namen'. unbekant: Part. Prät. von un-bekennen, hier etwa .nicht bekannt machen'; also .meine Herrin (d. h. wer sie ist) wird dir von mir nicht bekannt gemacht'. wellest: 2. Sg. Konj. Präs. von wellen. Hier liegt ein negativ exzipierender Satz vor; vgl. MHD Grammatik § 447. Also ,es sei denn, du wollest mir einen Eid schwören'.
Erzählende Versliteratur
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„Ich wil gegen ir niht sin din bot, ich swer aber dir des wol bi got uf alle mine saelicheit, daz si von mir ist ungeseit. ich bin dir vil wol schuldic des, du solt vil rehte merken wes64; swa ich dir iht gedienen kan, daz wirt vil willeclich getan."
60
„Nu nenne ich dir die vrowen min vil verre65 uf die genade din: du bist bi ir niulich gewesen, mit der min freude muoz genesen und diu für war min herze hat. diu dich mich des vragen bat, wer min liebiu vrowe si, si ist ez selbe, diu falsches vri."
61
„Der red ich niht gelouben wil; friunt, dir waer sin gar ze vil,66 si ist ze hohe dir gebom. wirt si sin67 inne, ez ist ir zom, din dienst nimmer da vervat68. da von ist daz vil wol min rat, und volge mir, daz ist dir guot: nim von ir dienst dinen muot!"
62
„Ez chom ze frum, ez kom ze schaden, ich bin gegen ir so überladen mit lieb und ouch mit seneder not, daz ich für war muoz ligen tot in ir dienst sunder wane, ez ist min muot und min gedanc,
wes: Gen. zum Interrogativpron. waz\ .weshalb'. vil verre: hier etwa ,genau, sicher'; ,nun nenne ich dir meine Herrin sicher in der Hoffnung auf deine Unterstützung'. Etwa ,das wäre zu viel für dich (damit willst du zu hoch hinaus)'. sin (sin): Gen., abhängig von innewerden; ,wenn sie das (dass du sie liebst) erfahrt'. vervat: 3. Sg. Ind. Präs. von vervähen,,helfen, erfolgreich sein'.
Frauendienst
213
daz ich ir immer dienen wil mit triwen an min endes zil69.
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Ob du mir gegen ir niht enfrumest70 und mir niht ze staten chumest, so muoz min vreud ein ende han und ouch min leben schier zergan. wil du mich vor dem tode nem, so soltu ir von mir des swem, daz si mir gar ane argen list diu liebest in minem herzen ist."
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„Neve, waz sol ich sprechen me? got gebe, daz ez dir wol erge, so daz ez si dunke guot. ich sage ir allen dinen muot, des wil ich si71 verewigen niht. in kurzen ziten daz geschiht, daz ich endeliche sage gegen ir din seneliche clage."
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„Ich nige dir, vrowe, unz uf den fuoz, von reht ich immer danchen muoz des, daz din vil getriwer munt wil machen miner vrowen kunt, daz ich ir eigen ritter bin, so daz min herze, lip und sin ir immer mer ist undertan, die wile ich lip und leben han.
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Guot niuwe liet ich von ir han gesungen; des soltu niht lan, du bringest si ze orn ir, und sage schier her wider mir,
an min endes zil: ,bis an mein Ende'. enfi-umest: 2. Sg. Ind./Konj. Präs. von vrumen, mit angehängter Negationspartikel; ,wenn du mir bei ihr nicht beistehst und mir nicht hilfst'. si: verswigen kann mhd. mit Genitiv- (des) und Akkusativergänzung stehen; ,ich werde ihr das nicht verheimlichen'.
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Erzählende Versliteratur
ob si ir gevallen wol. ich lob si immer, als72 ich sol und als ich si ie ze loben pflac. ir güete vol loben niemen mac. 67
Niftel, got gesegen dich!" „vil lieber mac, sam tuo er dich!" „nu la73 mich dir enpfolhen sin." ,ja, daz hab uf die triwe min."74 „ich wil mit dinen hulden vam." „guot vriunt, nu muoz dich got bewarn!" sus ich von miner niftel schiet und sande hin bi ir75 diu liet:
Daz ist ein tanz wise, diu erste
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I
Wibes güete niemen mac vol loben an ein ende gar. min herze bluet nu mangen tac, si machet mich gar sorgen bar, swenne ich si sihe gecleidet stan und also schoene vor mir gan alsam ein engel wolgetan.
II
Ein wip mich des betwungen hat, daz ich ir immer dienen muoz; der lip vil wol ze wünsche76 stat, ir roter munt gibt reinen gruoz. ich han den wünsch an ir gesehen, daz man ir muoz des besten jehen, oder ich enkan niht vrowen spehen.
als, also: hier ,wie'; ,ich lobe sie weiterhin stets, wie ich soll und wie ich sie schon immer zu loben pflegte'. la (lä): 2. Sg. Imp. von läzen, kontrahierte Form; ,lass mich dir empfohlen sein'. Etwa ,ja, bei meiner Treue, darauf kannst du dich verlassen'. bi ir. .durch sie'; ,und sandte durch sie diese Strophen dorthin (zu der Dame)'. ze wünsche: etwa ,wie man es sich nur wünschen kann, vollkommen'. Ähnlich in Vers 5 den wünsch: .Vollkommenheit, höchste Vollendung'.
Frauendienst
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III
Diner reine tröst ich mich noch baz denne ich gedienet77 han. du bist ein, der wil ich mit triwen wesen undert an. des tages, swenne ich dich sehen sol,78 so wart nie manne mer so wol und ist min herze freuden vol.
IV
Hohen muot ich von dir han, des weiz ich niemen mere danc; du bist guot ane argen wan, ich dien dir immer ane wane, nu sprich, daz ez79 din wille si, so ne wird ich nimmer mere vri und wone dir mit dienste bi.
215
Sus schied ich hohes muotes dan und gedaht also: sit daz ich han nach minem willen ir gesant einen boten, der bekant ir tuot al den willen min, so wil ich hohes muotes sin und wil min truren gar uf geben und wil in hohem muote leben.
gedienet: hier .verdient'; also etwa ,auf deine Reinheit verlasse ich mich mehr, als ich es verdient habe'. Dieser Vers ist adverbiale Bestimmung zu beiden folgenden Hauptsätzen; also etwa ,nie ging es einem Mann so gut wie mir an einem Tag, an dem ich dich sehen werde, und mein Herz ist voller Freude an so einem Tag'. ez: Gemeint ist sein Liebesdienst. ,sag, dass es deinem Wunsch entspricht (dass ich dir diene)'.
Der Stricker, Der begrabene Ehemann So genannte Mären oder Schwankdichtungen, kurze Erzählungen in Reimpaaren, sind typisch vor allem für das spätere Mittelalter. Erzählt wird von grotesken, wunderbaren, komischen, gerne auch obszönen Ereignissen oder Personen; gelegentlich, aber nicht zwangsläufig, wird eine Moral daraus gezogen. In der vorliegenden Geschichte, geschrieben etwa in der Mitte oder der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts von einem der bekanntesten Märendichter, steht ein Mann ganz unter dem Pantoffel seiner Frau.
10
Ein man sprach wider sin wip: „du bist mir liep als der lip. zewäre w®restu mir sö rehte holt als ich dir, daz naeme ich vür1 der Kriechen golt. du möhtest mir niemer so holt werden, als ich dir bin. mir ist daz herze und der sin sö sere an dich geslagen, daz ich dirz niemer kan gesagen."
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si sprach: „daz lä 2 werden schin. ich tete durch den willen din s w e s du mich ie gebaete und bin dar an iemer staste. tuo ein dinc des ich dich bite!
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deiswär, da wirbestu mite, sin 3 si wenic oder vil, daz ich iemer allez daz tuon wil, des du gesinnest an mich, und wil des inne bringen dich, daz du noch lieber bist mir tüsentstunt denne ich dir." er sprach: „nu sage, w a z ist daz? daz tuon ich michel vürbaz, denne du sin 4 iemer gegerst,
nemert vür: .eintauschen für, vorziehen'; .wärst du mir so gewogen wie ich dir, dass würde ich dem ganzen Gold der Griechen vorziehen'. lä = läz: 2. Sg. Imp. von läzen, kontrahierte Form. sin: Gen., abhängig von si; bezieht sich auf allez daz im folgenden Vers. Also etwa .damit erreichst du, dass ich stets alles das tun werde - sei es nun viel oder wenig was du von mir verlangst'.
Der begrabene Ehemann
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dar umbe daz du mich gewerst, daz du also sere minnest mich mit triuwen, als ich minne dich." si sprach: „da geloube mir, min trüt, swaz ich gesage dir. ez müet ein ieslichez wip und gät ir rehte an den lip, swaz si geseit5 ir man, daz er des niht gelouben kan. uns entuot kein dine so we." er sprach: „enist des niht me, des du mich bitest?" si sprach: „nein." er sprach: „daz waere ein mort und mein6, wasre ich dir niht des bereit. ich wil dir swern einen eit, wan du mir sö wol behagest, swaz sö du mir gesagest, daz ich daz allez gelouben wil, sin si wenic ode vil, so du mich minnest als ich dich, daz du niemer betriugest mich." als er der rede vollevuor7 und er ir den eit geswuor8, zehant gedähte si dar an: „wie versuoche ich, ob min man gelouben welle, daz ich im sage?" Ez was an einem mitten tage, si sprach: „geselle, ez ist naht, ich hän® uns ze ezzen gemäht. wir suln ezzen und släfen gän." er sprach: „wie hästu sö getan? ez ist noch küme mitter tac." „daz ich din ie sö wol gepflac", sin: Gen., abhängig von gegern. , Das (was ich tun soll) mache ich noch besser, als du je verlangen wirst.' geseit = gesaget: 3. Sg. Ind. Präs. von gesagen. mein: .Frevel, Falschheit'. vollevuor: 3. Sg. Ind. Prät. von vollevarn, .beenden'. geswuor: 3. Sg. Ind. Prät. von geswern, .schwören'. hän: 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form.
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Erzählende Versliteratur
sprach daz wip, „daz ist mir leit. nu hoere ich des die wärheit, daz der manne triuwe boese ist, sit du meineide worden bist in so kurzer wile wider mich, ich wolde und hän versuochet dich, ob din triuwe und din eit haeten deheine staetikeit. nu sihe10 ich unde hoere wol, daz ich dich iemer haben sol vür" ein triuwelösez vaz. waz haete dir geworren12 daz, dö ich dir seite, ez waere naht, haetestu dich wärhaft gemäht13 und hastest gesprochen: ,ez ist war', ich hän mer denne ein halp jär noch baz gehandelt dinen lip, denne ie noch dehein wip ir manne getaete. nu ist din triuwe unstaete. des scheidet sich diu vriuntschaft nu. ich sach ez als wol als du, daz ez küme mitte tac ist, wan daz ichz tete durch den list, daz ich dich da mit ervuor14." vil sere si bi ir libe swuor, ern gewünne15 ir hulde niemer me. diu drö tet im also we, daz er vil küme genas, wan im daz wip so liep was. daz wort er trüricliche sprach: „owe, daz ez mir ie geschach, daz müeze got erbarmen! des was mir werltarmen sihe: 1. Sg. Ind. Präs. von sehen. haben vür. .halten für'. geworren: Part. Prät. von werren, .stören, schaden, ausmachen'. Etwa: .hättest du dich als zuverlässig erwiesen' (nämlich das Versprechen gehalten). ervuor: 1. Sg. Ind. Prät. von ervarn, hier .kennen lernen, erforschen'. gewünne: 3. Sg. Konj. Prät. von gewinnen-, ,er würde ihre Gunst nie mehr erlangen'.
Der begrabene Ehemann
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vergezzen16, sam mir min lip17." do kniete er nider vür daz wip. er sprach: „liebiu vrouwe süeze, gunne mir, daz ich ez büeze und daz ich ez niemer mer getuo. ich wil dir geloben dar zuo, geschehe ez mir iht me, daz ez iemer ungesüenet ste." si sprach: „so wil ichz varn län18. du solt daz vil gewis hän", ez müet mich nu so sere, getuost duz iemer mere, so ist diu vriuntschaft da hin und kumest niemer me, da ich bin." dö was er vrö, daz si den zom so schiere häte verkorn20. Dar nach wol in zwelf tagen dö begunde21 si im aber sagen ein gelogen masre umbe daz, daz si in wolde versuochen baz. si dühte22 an disem maere, daz si sin meister waere; des wart si stolz unde bait. si mähte ein volbat (daz was kalt) und sprach: „ginc23 in, ez ist warm." nu was er des muotes sö arm, daz er dä wider niht ensprach, wan er sich aber des versach24, daz er ir hulde verlür25.
vergezzen, mit Dat. der Person und Gen. der Sache: etwa ,das war mir entfallen'. sam mir min lip: Ausruf der Beteuerung; etwa ,bei meinem Leben'. län = läzen; varn läzen: etwa .durchgehen lassen, verzeihen'. hän = haben·, ,du kannst dessen gewiss sein'. verkorn: Part. Prät. von verkiesen, hier etwa .aufgeben, verzichten a u f . begunde: 3. Sg. Ind. Prät. von beginnen, aber: hier .abermals'. dühte: 3. Sg. Ind. Prät. von dünken, dünken, .dünken, erscheinen'; also etwa ,es erschien ihr in dieser Angelegenheit so, als ob sie sein Meister wäre'. ginc: 2. Sg. Imp. von gän. versach: 3. Sg. Ind. Prät. von versehen, hier .voraussehen, befürchten'. verlür: 3. Sg. Konj. Prät. von Verliesen, .verlieren'.
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Erzählende Versliteratur
swie sere in in dem bade vrür26, er sprach doch: „ez ist warm genuoc." wan er daz so wol vertruoc, des wart ir herze vröuden vol. sit erböt si imz zwir als wol,27 sam si da vor e taste, und beleip dar an so staste, daz si in ir28 mähte so holt: haete si gesprochen: „diu erde ist golt", er haete gesprochen: „ez ist war." daz tet si aber ein halp jär. Nu was ein pfaffe in der stat, der si des libes dicke bat29, swenne erz gevüegen künde. daz treip er unz an die stunde, daz si in minnen began, eines tages sach si ir man von im üz ir stadel gän. er sprach: „daz ist missetän, daz du dem pfaffen so heimlich bist." si sprach: „du liugest, wizze Krist! daz ich dir so holt bin, daz müet aber dinen sin. ez wart nie wip, geloube mir, ir manne holder denne ich dir. wil du des gelouben niht und sprichest du da wider iht, ich tuon dir solhen zom schin, daz wir gescheiden30 iemer sin. swaz ich gespriche und begän, wil du daz niht vür guot hän, daz solt du balde sagen mir, so wil ich mich scheiden von dir." er sprach: „ez ist alles guot,
vrür: 3. Sg. Konj. Prät. von vriesen, .frieren'. ez wol erbieten, mit Dat.: ,gut behandeln'; .seither behandelte sie ihn doppelt so gut'. ir: Reflexivpronomen; ,so dass sie ihn sich so gewogen machte'. des libes biten: etwa .umwerben'. gescheiden: Part. Prät. von schiden\ .dass wir in Zukunft getrennte Leute sein werden'.
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swaz din reiner lip getuot. diniu wort diu sint elliu war. und soldestu leben tusent jär, ich gezihe dich niemer nihtes me." dö tet si im aber baz denne e. si bot ez im wol und dannoch baz. so lange bezzerte si daz, unz si in dar zuo brähte, daz er ze allen ziten dähte: „ich hän daz aller beste w!p, diu ie gewan wibes lip." Dö wart ez so geschaffen, daz si den selben pfaffen so sere minnen began, daz ir erleidete31 der rehte man. daz tet si schin, ich sage iu wie: eines tages er von acker gie32, do begunde si in anesehen. si sprach: „waz ist dir geschehen? daz ich min leben ie gewan!" „waz meinestu, liebe?" sprach der man. si sprach: „da bistu garwe tot an diner varwe. dir wil des tödes smerze iezuo gän an din herze; däne ist leider niht wider.33 ginc an din bette und lege dich nider. we mir, du wil34 sterben! lä mich dirn35 pfaffen erwerben, daz er dir die sele bewar." dö brähte si den pfaffen dar und hiez in36 sprechen sin bihte. des erbat si in vil lihte. er wolde an allen dingen
erleiden: ,verhasst werden'. gie: 3. Sg. Ind. Prät. von gän. Etwa: ,dem steht leider nichts entgegen, das lässt sich nicht ändern'. wil: 2. Sg. Ind. Präs. von wellen. dirn - dir den; ,lass mich den Pfaffen für dich holen'. Hier ist wieder der Ehemann gemeint.
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Erzählende Versliteratur
ir willen Volbringen. des twanc in zweier hande not: daz si imz so wol böt und ouch daz nie dehein man ein wip so rehte liep gewan. do si sin bihte vemämen und er gotes lichnämen37 zuo dem töde genam und der pfaffe danne quam38, dö gap si im an sine hant ein kerzen, diu was schone enbrant, und tet im diu ougen zuo. si sprach: „lieber man, nu tuo sam die39 ouch sint in dirre not, wan, lieber man, du bist tot; dune solt dich niemer me geregen." Si begunde in üf die bare legen; die brähte si vil schiere dar. dö quämen ir gebüren gar. die naht si im wahte40, unz sich der tac üfmahte. zuo der kirchen man in truoc. do roufte si sich unde sluoc41. si gie im weinunde mite und häte klägeliche site. die selemisse man im sane; diu wart iedoch niht ze lanc. dar nach truoc man in ze grabe, si quämen sin beide gerne abe42 daz wip und ouch der pfaffe. dannoch wände43 der äffe, si versuohte in aber also
gotes lichnäm: Leib Gottes, die Hostie; angesichts seines Todes empfängt der Ehemann seine letzte Kommunion. quam = kam. sam die·. ,wie diejenigen, die'. wachen, mit Dat.: .wachen bei, Wache halten bei', hier ist die Totenwache gemeint. ,Sie raufte sich (die Haare) und schlug sich (an die Brust)'. abekomen, mit Gen. (sin): .loswerden'; ,sie wurden ihn beide gerne los'. wände: 3. Sg. Ind. Prät. von weenen, .wähnen, glauben'.
Der begrabene Ehemann
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und wolde dar nach in machen vrö. daz wolde er vil gewis hän. so lange häte er den wän, unz man in in daz grap huop und in vil balde begruop. do ez im an die rehten not gie, do rief er ane alle die, die umbe daz grap wären. er begunde so gebären, als den44 dä twinget der tot. der pfaffe in allen gebot, daz si den segen vür sich txten und got vil tiure basten, daz er den tivel dä vertribe, daz er iht45 lenger belibe bi dem armen lichnämen. „daz werde war. amen", sprach do man unde wip. also verlos46 er sinen Ιΐρ. swaz er gerief und geschrei47, so sprächen doch disiu zwei, diu dä westen48 diu maere, daz ez der tivel waere, und liezen in niht üzgraben. Den schaden muose49 er des haben, daz er satzte ein tumbez w!p ze meister über sinen lip.
als den: ,der' oder .einer' zu ergänzen; ,so wie einer, den die Todesangst bedrängt'. iht: hier ,nicht'; ,dass er (der Teufel) nicht länger bei dem Leichnam bliebe'. verlos: 3. Sg. Ind. Prät. von Verliesen. geschrei: 3. Sg. Ind. Prät. von geschrien, .schreien'. westen: 3. PI. Ind. Prät. von wizzen; ,die wussten, was eigentlich vor sich ging'. muose: 3. Sg. Ind. Prät. von müezen.
Abb. 8: Frau Welt. Plastik am Südportal des Wormser Doms
Frau Welt bzw. ihr männliches Gegenstück, der Fürst der Welt, ist eine allegorische Figur, die ihren Betrachter an die Vergänglichkeit und Sündhaftigkeit der Welt und irdischer Genüsse erinnern soll. Während sie auf der Vorderseite das Abbild einer wunderschönen höfischen Dame zeigt, ist ihre Rückseite von Kröten und Schlangen zerfressen. In dieser Plastik vom Südportal des Wormser Doms, entstanden gegen 1300, ist vor Frau Welt die Figur eines Ritters zu sehen, der ihre Schönheit bewundert.
Konrad von Würzburg, Der Welt Lohn Konrad von Würzburg ist der wohl vielseitigste deutschsprachige Dichter des Mittelalters; Romane, Legenden, lehrhafte Erzählungen, Lyrik mit geistlicher und weltlicher Thematik sind von ihm überliefert. Vermutlich um 1230 in Würzburg geboren und bürgerlicher Herkunft, hat er lange Zeit in Basel gelebt und gearbeitet; dort starb er 1287. Der hier abgedruckte Text ist eine fromme Kuizerzählung, in welcher ein Ritter sich von seinem auf weltliche Ehre ausgerichteten Leben abkehrt.
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Ir Werlte minnaere, vernement disiu maere, wie einem ritter gelanc1 der nach der werlte löne ranc beidiu späte unde fruo. er dähte in manige wis dar zuo wä mite er daz begienge daz er den Ion enphienge werblicher eren. er künde wol gemeren sin lob an allen orten mit werken und mit worten. sin leben was so vollebräht daz sin2 zem besten wart gedäht in allen tiutschen landen, er haete3 sich vor schänden alliu siniu jär behuot; er was hübisch4 unde fruot, schoene und aller tugende vol. swä mite ein man zer werlte5 sol bejagen höher wirde pris6, daz künde wol der herre wis bedenken und betrahten. man sach den vil geslahten7
gelingen muss sich im MHD nicht auf einen konkreten Sachverhalt beziehen, sondern bedeutet ganz allgemein .Glück haben, erfolgreich sein'. sin: Gen., abhängig von gedäht-, ,dass seiner aufs beste gedacht wurde (dass man das Beste von ihm dachte)'. hcete ist hier Indikativ Prät.: ,er hatte sich sein ganzes Leben vor Schande bewahrt'. hübisch = hövesch: .höfisch, wohlerzogen'. zer werlte·. ,in der Welt, auf Erden'. höher wirde ist Gen., abhängig von pris; also etwa ,die Ehre eines hohen Ansehens'.
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üzerweltiu cleider tragen, birsen, beizen unde jagen künde er wol und treip sin 8 vil, schächzabel unde seitenspil daz was sin kurzewile. waer über hundert mile gezeiget im ein ritterschaft9, da waer der herre tugenthaft mit guotem willen hin geriten und haete gerne da gestriten nach lobe üf hoher minne solt.10 er was den frouwen also holt die wol bescheiden wären, daz er in sinen jären mit lange wernder 11 staete in so gedienet haste, daz alliu saeldenhaften wip sinen wünneclichen lip lobten unde pristen. als uns diu buoch bewisten 12 und ich von im geschriben vant, so was der herre genant her Wirent da von Grävenberc. 13 er haete werltllchiu were gewürket alliu slniu jär. sin herze stille und offenbär nach der minne tobte. Sus saz der höchgelobte in einer kemenäten, mit fröuden wol beräten,
vilgeslaht: ,edel, schön'. sin: bezieht sich auf die im vorigen Vers genannten Tätigkeiten; ,er konnte gut jagen und tat es häufig'. ritterschaft: hier etwa .Turnier'; also ,wäre ihm ein Turnier genannt worden, das irgendwo im Umkreis von hundert Meilen stattfand'. Etwa .und hätte dort gem um Ruhm und den Lohn hoher Minne gekämpft'. wernder: Part. Adj. zu wem, .währen, dauern'. Also .mit anhaltender Beständigkeit'. bewisen ist mhd. ein schwaches Verb; also .wie uns die Bücher zeigten'. Ein Wirnt von Grafenberg ist der Dichter des im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts entstandenen Artusromans Wigalois.
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und haete ein buoch in siner hant, dar an er äventiure vant von der minne geschriben. dar obe14 haste er dö vertriben den tag unz üf die vesperzit; sin fröude was vil harte wit von süezer rede die er las. dö er alsus gesezzen was, dö quam15 gegangen dort her ein wip nach sines herzen ger ze wünsche wol geprüevet16 gar und also minneclich gevar daz man nie schoener wip gesach. ir schcene volleclichen brach für17 alle frouwen die nu sint. so rehte minneclichez kint von wibes brüsten nie geslouf18. ich spriche daz ü f 9 minen touf, daz si noch verre schoener was dan Venus oder Pallas und alle die gotinne die wilen phlägen minne. ir antlütz unde ir varwe diu wären beidiu garwe durliuhtec20 als ein spiegellin. ir schcene gap sö liehten schin und also wünneclichen glast daz der selbe palast von ir libe erliuhtet wart, der wünsch21 enhaete niht gespart
dar obe: .darüber, damit'. quam = kam. gepüevet: hier .beschaffen'; also .ganz nach Wunsch (vollkommen) beschaffen'. brechen vür: .vordringen, überragen'. geslouf: 3. Sg. Ind. Prät. von sliefen; mit von etwa .kommen von'. Zum Präfix ge- vgl. MHD Grammatik § 308c. Also .ein so sehr für die Liebe geschaffenes Wesen war noch nie von Frauen Brust gekommen (von einer Frau aufgezogen worden)'. sprechen üf mit Akk., etwa .beschwören bei'. Also ,ich beschwöre das bei meiner Taufe (so wahr ich getauft bin)'. durliuhtec = durchliuhtec; .ganz und gar strahlend wie ein Spiegel'.
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Erzählende Versliteratur
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an ir die sinen meisterschaft, er haete sine besten kraft mit ganzem flize an si geleit22. swaz man von schoenen wiben seit23, der24 Überguide was ir lip. 90 ez wart nie minneclicher wip beschouwet üf der erde, ouch was nach vollem werde ir lip gecleidet schöne, diu cleider und diu cröne 95 diu diu selbe frouwe cluoc25 üf und an ir übe truoc, diu wären also riche daz si sicherliche nie man vergelten künde, 100 ob man sie veile funde. Von Grävenberc her Wirent erschrac von ir wol zwirent, dö si quam geslichen. sin varwe wart erblichen 105 vil harte von ir künfte da. in nam des michel wunder26 sä waz frouwen also quaeme. üf spranc der vil genasme erschrocken unde missevar 110 und enphie27 die minneclichen gar vil schöne als er wol künde, er sprach üz süezem munde: „sint28, frouwe, gote willekomen! swaz ich von frouwen hän29 vernomen, 21 22 23 24
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wünsch: hier etwa der personifizierte Schöpfer aller Vollkommenheit. geleit = geleget: 3. Sg. Ind. Präs. von legen, kontrahierte Form. seit = saget: 3. Sg. Ind. Präs. von sagen, kontrahierte Form. der: Gen. PI., bezogen auf schoenen wiben im vorigen Vers. Also ,was auch immer man von schönen Frauen erzählt - sie war deren Krönung'. cluoc, kluoc: hier etwa .stattlich, schmuck, edel'. wunder nemen: ,wundem'. enphie = enphienc: 3. Sg. Ind. Prät. von enphähen, .empfangen'. sint = sit: 2. PI. Ind. Präs. von sin; ,Seid Gott willkommen, Herrin!' hän: 1. Sg. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form.
Der Welt Lohn
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115 der übergulde sint ir gar." diu frouwe sprach mit zühten dar: „vil lieber friunt, got löne dir! ersehne so sere niht von mir: ich binz diu selbe frouwe doch 120 der du mit willen dienest noch und aldäher gedienet hast, swie du vor mir erschrocken stäst, so bin ich doch daz selbe wip durch die du sele unde lip 125 vil dicke hast gewäget, din herze30 niht betraget, ez trage durch mich höhen muot. dü bist hübisch unde fruot gewesen alliu diniu jär, 130 dm werder lip süez unde clär hat nach mir gerungen, gesprochen und gesungen von mir swaz er guotes kan; du waere31 et ie min dienestman 135 den äbent und den morgen, du kündest wol besorgen höhez lob und werden pris; du blüejest als ein meienris in manicvalter tugende, 140 du hast von kindes jugende getragen ie der eren cranz, din sin ist lüter unde ganz an triuwen ie gein mir32 gewesen, vil werder ritter üzerlesen, 145 dar umbe bin ich komen her, daz dü nach dines herzen ger rnmen lip von hoher kür33 beschouwest wider unde für, 30
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din herze ist Akkusativobjekt zum unpersönlichen betragen. Also etwa ,es wird deinem Herzen nie zu viel, meinetwegen höhen muot zu zeigen'. ware: 2. Sg. Ind. Prät. von sin\ ,du warst ja stets mein Gefolgsmann'. mir: die Präpostion gein, gegen wird mhd. vom Dativ gefolgt. Also etwa .dein Sinn ist stets voll reiner und vollkommener Treue mir gegenüber gewesen'. kür: hier etwa .Ideal, Erlesenheit'. Also .meinen Körper von höchster Erlesenheit'.
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wie schoene ich st, wie vollekomen. den höhen lön, den riehen fromen, den du von mir enphähen mäht34 umb dinen dienest wol geslaht, den solt du schouwen unde spehen. ich wil dich gerne läzen sehen waz lönes35 dir geziehen sol. du hast gedienet mir so wol." Den edeln herren tugentrich dühte36 harte wunderlich dirre frouwen tegedinc, wan si der selbe jungelinc mit sinen ougen nie gesach, und doch diu selbe frouwe sprach, er wasre ir dienestman gesin37. er sprach: „genäde, frouwe min, habe ich iu gedienet iht, entriuwen des enweiz ich niht. mich dunket äne lougen daz ich mit minen ougen iueh vil selten habe gesehen. sit aber ir geruochent j ehen min ze cnehte38, saslic wip, so sol min herze und min lip iu ze dienste sin bereit mit willeclicher arebeit unz üf mines tödes zil. ir hänt39 so höher saelden vil und alsö manicvalte tugent, daz iuwer fröudeberndiu jugent
maht: 2. Sg. Ind. Präs. von mugen, .können, vermögen'. waz lönes: Gen. partitivus (vgl. MHD Grammatik § 368); also etwa ,was an Lohn (welcher Lohn) dir zukommen wird'. dühte·. 3. Sg. Ind. Prät. von dunken, .erscheinen, dünken', dirre frouwen tegedinc ist Satzsubjekt; also ,die Worte dieser Dame erschienen dem edlen, tugendreichen Herren rätselhaft'. gesin = gewesen. jehen, mit Gen. (min) und ze: .erklären zu, ansehen als'. Also ,da aber Ihr, segensreiche Frau, mich als euren Diener anzusehen geruht'. hänt: 2. PI. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form.
Der Welt Lohn
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mir vil wol gelönen mac. 180 wol mich daz ich disen tac gelebet hän! des fröuwe ich mich, s!t daz ir, frouwe minneclich, minen dienst enphähen weit, frouwe an tilgenden üzgezelt, 185 geruochent künden mir ein teil durch40 daz wünnebemde heil daz an iu, schcene frouwe, lit41: von wannen ir geheizen sit42 oder wie ir sit genant, 190 iuwer name und iuwer lant werde mir hie kunt getan, durch daz ich wizze sunder wän ob ich in allen minen tagen ie von iu gehörte sagen." 195 Des antwurt im diu frouwe do, si sprach gezogenliche also: „vil lieber friunt, daz sol geschehen, ich wil dir gerne hie veijehen mines hochgelobten namen. 200 dun43 darft dich niemer des geschamen daz du mir undertaenic bist, mir dienet swaz üf erden ist hordes44 unde guotes, ich bin so hohes muotes 205 daz keiser unde küneges kint under miner crone sint, graven, frien45, herzogen habent mir ir knie gebogen und leistent alle min gebot. 210 ich furhte niemen äne got44,
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durch: ,wegen, um ... Willen'. Also etwa ,um des wonnespendenden Heiles wegen, das sich an Euch, schöne Dame, zeigt: Geruht mir etwas zu erzählen'. lit = liget. 3. Sg. Ind. Präs. von ligen, kontrahierte Form. Etwa ,nach welchem Ort seid Ihr benannt*. dun = du en: Pers.Pron. mit angehängter Negationspartikel. hordes·. Gen. Sg. von hört, .Schatz, Reichtum'. Also etwa ,mir dient alles, was es an Reichtum und Besitz auf Erden gibt'. frien: .Freie, Freiherren".
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Erzählende Versliteratur
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der ist gewaltic über mich, diu Werlt bin geheizen ich, der47 dü nu lange hast gegert. lönes solt du sin gewert von mir als ich dir zeige nü. hie kum ich dir, daz schouwe dü." Sus kertes48 im den rucke dar: der was in allen enden gar bestecket und behangen mit würmen und mit slangen, mit kroten und mit nätern; ir lip was voller blätem und ungefueger eizen49, fliegen unde ämeizen ein wunder50 drinne säzen, ir fleisch die maden äzen unz üf daz gebeine. si was so gar unreine daz von ir blceden libe wac51 ein also egeslicher smac den niemen künde erliden. ir richez cleit von siden vil übel wart gehandelt: ez wart aldä verwandelt in ein vil swachez tüechelin; ir liehter wünneclicher schin wart vil jämerlich gevar bleich alsam ein asche gar. Hie mit schiet si von dannen. daz si von mir verbannen52 und aller cristenheite si!
äne got:,außer Gott, bis auf Gott'. der·. Gen., abhängig von gern und bezogen auf diu Werlt; also ,ich werde ,die Welt' genannt, die du nun schon lange begehrt hast'. kertes = kerte si. eiz: .Geschwür, Eiterbeule'. ein wunder: hier etwa ,in großer Zahl'. wac: 3. Sg. Ind. Prät. von wegen-, mit von etwa .ausgehen von'. verbannen: Part. Prät. von verbannen. ,Sie sei von mir und aller Christenheit verflucht!'
Der Welt Lohn
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derritteredel unde fri, do er diz wunder ane sach, zehant sin herze im des veijach53, 245 er waere gar verwäzen, swer sich wolte läzen an ir dienste vinden.54 von wibe und von kinden schiet er sich aldä zehant; 250 er nam das criuze an sin gewant55 und huop sich über daz wilde mer und half dem edeln gotes her striten an die heidenschaft. da wart der ritter tugenthaft 255 an staeter buoze funden56. er schuof daz57 zallen stunden, dö im der lib erstorben was, daz im diu sele dort58 genas. Nu merkent alle die nu sint 260 dirre wilden werlte kind diz endehafte maere: daz ist also gewähre daz man ez gerne hoeren sol. der werlte Ion ist jämers vol, 265 daz muget ir alle hän vernomen. ich bin sin an ein ende komen59: swer an ir60 dienste funden wirt, 53
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verjach: 3. Sg. Ind. Prät. von verjehen. Das des, also was sein Herz ihm sagt, wird in den folgenden Versen erläutert. Nachgestellter Relativsatz; also ,er, der sich in ihren Diensten finden lassen wollte, wäre ganz und gar verdammt'. Mit dem Aufnähen eines Kreuzes auf den Mantel gab man zu erkennen, dass man sich zum Kreuzzug verpflichtet hatte. ,Das Kreuz nehmen' wird somit zur Kurzformel für ,auf Kreuzzug gehen'. finden an: etwa .anfinden bei'; also ,dort wurde der tugendhafte Ritter bei beständiger Buße angefunden'. Der Kampf gegen Heiden galt als Bußleistung für begangene Sünden. daz wird im folgenden Verspaar erläutert, zallen = ze allen. Also ,er sorgte fortwährend dafür, dass...'. dort: Gemeint ist im Jenseits, nach seinem Tod. an ein ende komen: etwa .Klarheit gewinnen über, erkennen'. Der davon abhängige Gen. sin wird in den folgenden Versen ausgeführt: ,ich habe das erkannt, dass ...'.
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Erzählende Versliteratur
daz in diu fröude gar verbirt61 die got mit ganzer staetekeit 270 den üzerwelten hat bereit. Von Wirzeburc ich Cuonrät gibe iu allen disen rät, daz ir die werlt läzet vam, weit ir die sele bewarn.
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ir: Gemeint ist diu werlt. verbirt: 3. Sg. Ind. Präs. von verbern, hier etwa .meiden, missachten'. Die von Gott ausgehende, personifizierte fröude ist das Satzsubjekt.
Prosa
Der deutsche Lucidarius, 1.52-1.56 Der Lucidarius, geschrieben Ende des 12. Jahrhunderts von einem unbekannten Autor, ist eine Weltkunde in Dialogform, die in drei Büchern die Schöpfung, das Reich der Kirche und jenseitige Dinge behandelt; das hier gesammelte Wissen findet sich oft in anderen Werken wieder, so etwa auch im Herzog Ernst oder im Parzival. Der gewählte Ausschnitt, aus dem ersten Buch, behandelt Indien und seine Bewohner. 1
1.52 Der iunger sprach: Weihes lant lit2 dem paradiso aller nahest? Der meister sprach: Als vns die buoch sagent, in daz paradise mac nieman comen wen3 mit guoten werken. Wen da gat ein fiirine mure vnbe, die reichet in den himel. Da vor stant berge vnde gewelde. Da nach lit ein gro5 ze wuosten. Die ist uol drachen vnde tiere. Da uon4 mac nieman da durch comen. Da nach lit ein lant aller nahest, daz heizet india. Daz lant heizet nach einme wassere daz heizet indus. Daz springet uz eineme5 berge heizet cavcasus. Daz wasser rinnet sunder6 in das rote mer. Jn daz lanth ist muolich ze cuomene7, wen einhalp rinnet daz wendelmer, anderhalp daz was10 ser indus, vnde ist8 so michel gewilde, daz nieman in vier iaren da durch comen mac. Jn india ist ein ysula9, die heizet taprobanes. Dar rinnet daz mer vnbe. Da inne ligent zehin bürge. Jn der ynsuln werden alle iar zuene sumere vnde zuene wintere. Die selbe ynsula ist über iar gruene. 15 1.53 Do sprach der iunger: Wa uon komet daz? Der meister sprach: Daz lant lit dem paradiso aller nahest. Daz wetter, daz sich hebet uon dem paradiso, daz machit daz lant so creftic, daz es ist e-
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Innerhalb der Bücher erfolgt eine Untergliederung in Abschnitte (1.52 steht also fiir Buch 1, Abschnitt 52), wobei jeder Abschnitt mit einer Frage des Schülers (Jüngers) beginnt, dem die Erklärung des Meisters folgt. Zirkumflexe, die in anderen Texten und Ausgaben lange Vokale ausweisen, gibt es in der Ausgabe, der dieser Abdruck folgt, nicht; iu erscheint als li; u und ν werden beide sowohl vokalisch als auch konsonantisch gebraucht. Auffällig ist häufiges th für ht, etwa athe statt ahte. Übereinander geschriebene Buchstaben habe ich aufgelöst; u mit überschriebenem ο erscheint demnach als uo, u mit überschriebenem e als ue usw. lit = liget: 3. Sg. Ind. Präs. von ligen, kontrahierte Form. wen = wan, wanne, wände: hier ,außer', am folgenden Satzanfang ,denn'. da uon: .deshalb'. eineme = einem: alte Dativform; ,das entspring aus einem Berg, der Kaukasus heißt'. sunderit): .nach Süden'. cuomene: flektierter Infinitiv; ,es ist schwer, in das Land zu kommen, denn ...'. vnde ist: ,und es gibt'. ysula-ynsula: ,Insel'.
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Prosa
bin10 gruone. Swa die ynselnn da inne sint, jn deme lande sint zuo11 ynselin. Die eine heizet crisa, die ander heizet ärgere. Die ynselen hant12 vil silbers vnde goldes vnde sint iemer ebin gruene. Bi den selben yselen sint guldine berge. Dez goldes mac nieman gewinnen uor13 den drachen vnde 5 uor den grifen, die dez goldis huotent. Jn india ist ein berc, der heizet Caspius, da uon heizet daz caspenische mer. Zwissent dem mer vnde deme berge vermurte der kunic alexander zueiger slahte lüt14. Die hezent Goc vnde magoc. Die lute essent nith wen rowe tier vnde menschen fleisch. 10 Jndia daz lant ist geteilet in vier vnde uerzic gegene. Da inne ist ouch manigeslathe lüt. Jn deme selbe lande sint drie berge. Der eine heizet garbanus, der ander coatras, der dritte orestras. Die bovme, die dar uffe wassent15, die werdent so hoch, daz sie der lufth16 obin besenget. Jn dem selben walde sint liite, die sint nith wen zwegir17 elin lanc. Die uethent18 wi15 der die creneche. Die selben lute kindent über drü iar vnde werdent selten alter dan athe iar. Die selben lüte buwent den pfefir. Der ist wiz, so er wasset. Die gegine, da der pfefer inne wesset, die ist der nateren so uol, daz die lüte machent grozen rouch, da mitte sie die nateren vertribent. Von deme rouche uerwandelt der pfefir sine varwe, daz er wirt suarz. 20 Der lande, die da heizent india, sind drü. Jn der andern india lit ein gegene. Da inne sint lüte, di heizent Macrobii. Die sint zwelf elen lanc. Die uethint wider die grifen. Die selben lüte sint vor19 geschafen nach den louwen vnde hant vederin vnde nagele alse die arn. Da bi in einer anderen gegene sint lüte inne, die heizent agrocte vnde brag25 manni. Die hant so groze furwize20, daz si comen in ein ander weit, daz si sich selben verbrennent.
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ebin, eben: .gleichmäßig, durchgehend'. " zwo = zwuo, zwene: ,zwei'. 12 hant = habent: 3. PI. Ind. Präs. von haben, kontrahierte Form. 13 vor: hier .wegen'. 14 zueiger slahte lüt: etwa ,zwei Arten von Leuten'. 15 wassent: 3. PI. Ind. Präs. von wahsen. 16 der lufth: ,die Luft'; ,dass die Luft sie oben ansengt'. 17 zwegir = zweier; ,die sind nur zwei Ellen lang'. 18 uethent = vehtent: 3. PI. Ind. Präs. von vehten. creneche: .Kraniche'. 19 vor: hier .vorne'. Sie haben also einen Löwenkopf aber Federn und Krallen wie Adler. 20 furwize = vürwitze, Vorwitze: .Neugier, Ungeduld'; also etwa .die sind so neugierig, in eine andere Welt zu kommen, dass ...'.
Lucidarius
241
Dabi sint lute, die slehent21 ir eigene uorderen, so sie alt werdent, vnde siedent sie vnde machent groz Wirtschaft, so si ezzent ir uater vnde ir muoter. Swer dez da nith endethe22, der duthe sie ein ubel man. Da bi sint lute, die ezzent rowe vische vnde drinkent daz gesalzene mer. Jn 5 dem selben lant ist einerhande lut, daz sint tüter23. Die celent similiche24 buoch zuo menschen. Den ist die uersine25 fur gekeret, die zehin hinder. Si hant athe cehin an den fuezen vnde sezcehin an den henden. Jn ist daz houbet gescaffen nach den hunden, den die clawen sint groz vnde crunb. Die uassint26 sich mit den ruhen hüten, die sie den tierent abeciehent. Vnde 10 so sie sprechin wellint, so bellent sie alse die hunde. Daz heizen wir hunt hobete. Da bi sint wip, so sie kint gewinnent, so sint sie gra. So si denne alt werdent, so sint sie suartz. Die lute werdent vil alt. Da bi sint wib, die ze einem male funfzene kint gewinnent. 15 Da bi sint lüte, die heizent armaspi vnde monoculi. Die hant nuwen ein ouge uor an der stimen. Da bi sint lüte heizen ciclopes. Die hant nuwen einen fuoz. Die loufent balder27 den der uogel fleige. Swen sie aber sizcent, so schetuwen28 sü in selber mit dem fuoze. 20 Da bi sint lute, die hant nith houbetes, wen die ovgen stant in an der ahsein. Vnde für den munt vnde für die nase hant sie zwei locher uor an der brüste. Da bi sint lüte bi dem wasser gangez, die uahent daz obez, daz da rinnet uz dem paradiso. Die enplegent29 ander spise nith, wen daz si lebent dez sma21 22
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slehent: 3. PI. Ind. Präs. vonslahen, hier .totschlagen, schlachten'. endethe = entete, enteete: 3. Sg. Ind. oder Konj. Prät. von tuon, mit angehängter Negationspartikel. duthe = dühte oder diuhte: 3. Sg. Ind. oder Konj. Prät. von dünken-, also etwa ,wer das nicht täte, der käme ihnen wie ein schlechter Mensch vor'. tüter = diutcere: etwa .Monstrum, Ungeheuer' (möglicherweise Lehnübersetzung zu lat. monstrum, was etwa als .mahnendes Zeichen der Götter durch eine widernatürliche Erscheinung' zu verstehen ist; vgl. das Wörterbuch in der Ausgabe, der dieser Text entnommen ist, und F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. von Elmar Seebold, 23., erweiterte Auflage, Berlin 1999, Eintrag .Monstrum'). similiche = sumeliche: .einige, viele'; .einige Bücher zählen sie zu den Menschen'. uersine, verse(ne): .Ferse'. uassint = vazzent: 3. PI. Ind. Präs. von vazzen, .sich kleiden'. balder: .schneller'; .die laufen schneller als ein Vogel fliegt'. schetuwen = schatewen: .Schatten spenden'. Hier reflexiv (in = Reflexivpron. .sich'; also .dann spenden sie sich selber mit dem Fuß Schatten'. enplegent = enpflegent: 3. PI. Ind. Präs. von pflegen, mit angehängter Negationspartikel; ,sie brauchen keine andere Speise'.
242
Prosa
ckez30, den sie hant uon dem obize. So sie aber iergen varent, so fuorent si daz obiz mit in. Wen alse sie einez bcesen stankez verstant31, so sterbent sie sa. 5 1.54 Do sprach der iunger: Sit so manigerhande lute da sament sint, wie kümet daz, daz si einander nith entcetent? Der meister sprach: Daz hat got also geschaffen, daz sie sint vnderscheiden mit wasser vnde mit gebirge, daz sie nith zuo ein ander komen mugen. 10 1.55 Do sprach der iunger: Nu seit32 vns die shrift, daz allez menslich kunne von adame vnde uon euen komen si. Wie sint sie nu so wunderliche verwandelet? Der meister sprach: Adam waz der wiseste man, der ie geborn wart. Do er uz dem paradiso cam, do ercander33 die würzen alle, die der nature wa15 runt34, swel35 wib die eze, daz die geburt dauon verwandelt wurde. Do warnete er sine dothere, daz si der würze nith ezen. Do gewunnen die wip furwiz, wie ez umbe die würze stuende, vnde azent alle die würzen, die in ir uatir hete verboten. Die kint, die do uon den wiben wurden geborn, die uerwandeltin sich nach den würzen vnde misserietent alse ich vor geseit 20 han. 1.56 Do sprach der iunger: Nu sage mir, wie die tier genant sint, die in deme lande sint. Der meister sprach: Jn deme lande sint slangen vnde lintwurme, die sint so 25 michel, daz sie die hirze verslindent, vnde so snel, daz si daz mer vberswiment. Jn dem lande ist ein tier, daz heizet cocrota. Daz ist uor gescafen alse ein esel vnde het fuoze alse ein ros vnde het zuo falcen36 an deme hörne vnde het bein als ein lowe vnde gat ime der munt vnz an die oren,
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dez smackez: Gen., abhängig von leben; ,da sie von dem Geschmack leben, den ...'. verstän: hier etwa .bemerken, wahrnehmen'; ,denn sobald sie einen üblen Geruch wahrnehmen, sterben sie sogleich'. seit = saget, 3. Sg. Ind. Präs. von sagen, kontrahierte Form. ercander = erkante er: hier etwa ,er kannte, er kannte sich aus mit'. warunt = warent: 3. PI. Ind. Prät. von sin; hier mit Gen., etwa .gehören zu'. swel = swelh. Hier könnte etwa ergänzt werden ,er kannte alle Wurzeln, die in der Natur vorkommen, die bewirken, dass - welche Frau auch immer sie äße - die Nachkommenschaft davon verwandelt würde'. zuo falcen: ,zwei Falzen, Fugen'.
Lucidarius
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vnde da die cene soltin stan, da ist ein ganz bein vnde sin stime37 alse dez menschen stimme. Jn dem selben lande ist ein tier, daz heizet cale. Daz ist uor gescaffen als ein eber, vnde ist im der zagil als ein helfender38. Daz het zwei hom. Der 5 iegelich ist einer clafteren lanc. So ez uehtin wil, so leit39 ez eins uf den rucken vnde uihtet40 mit dem anderen, so ez mit deme muode wirt, so leit ez aber daz hin vnde vithet mit dem anderen. Daz tier vorhtet nith wen die swarzen varwe vnde ist so kuene in dem wassere als uf der erde. Jn deme lande sint gel stiere, die prostent41 als die wilden swin. Den reichet der 10 munt uon eime oren vnz an daz andere. Die stiere uehtent ovch mit den hörnen als daz uorder tier42. Vnde werdint die selben stiere geuangen, si enmac nieman gezemen. Jn dem selben lande ist ein tier, daz heizet manticora. Dem ist daz houbet geschafen nach eines menschen houbet, vnde sint ime die cene vnde der 15 ander lip geschafen nach eime leuwen, vnde ist ime der zagil nach eime scorpen43, vnde ist reht bluot uar. Sin stime ist gelich der natheren, so si Wispelt. Daz selbe tier ist sneller mit sime44 loufe dan dehein vogel mit sime fluge. Daz selbe tier isset nith wen menschen fleisch. Jn dem selben lande sint ochsen, die hant drü horn. 20 Jn dem selben lande ist ein tier, daz heizet Monoceroz. Daz ist geschaffen nach eime rosse, daz hovbet nach eime hirze, die fuoze nach eime helfentiere, der zagil als eime swine. Daz hat nuwen ein horn. Daz ist wol vier elen lanc vnde ist schcene als ein karfunkel stein vnde snidet als ein scharsach45. Daz selbe tier ist freslich44. Swaz ime begegint47, daz ersieht ez mit 25 dem hörne. Jn dem wasser, daz da durch daz lant rinnet, da sint innen ale, die sint drizic fuoze lanc.
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sin stime: ,ist' zu ergänzen; ,seine Stimme ist/klingt wie die menschliche Stimme'. helfentier: ,Elefant'; ,und sein Schwanz ist wie bei einem Elefanten'. leit = leget: 3. Sg. Ind. Präs. von legen, kontrahierte Form. uihtet: 3. Sg. Ind. Präs. von vehten. prostent: 3. PI. Ind. Präs. vonprüsten, .prusten, schnauben'. als daz uorder tier: .wie das zuvor geannte Tier'. scorpe, schorpe: ,Skorpion'.
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sime = sinem. scharsach = scharsahs: .Schermesser'. freslich = vreislich: ,wild, gefährlich, schrecklich'. begegint: 3. Sg. Ind. Präs. von begegenen, .begegnen'.
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Prosa
Jn dem selben wasser sint wurme, die sint geschaffin alse die crebeze. Die hant zuene arme, die sint sehs elen lanc. Die wurme sint so stare, daz si die helfande uahent vnde ziehent si mit in48 in daz wasser. Bi dem seibin wasser sint snecken, die sint so michel, daz die lüte guot 5 herberge machint uz den muscheln. Von dem lande comet der stein, der daz isen uf hebet. Der stein heizet magnes. Vnde der stein adamas cumet ouch uon deme lande.
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in: Reflexivpron.; ,und ziehen sie (die Elefanten) mit sich in das Wasser'.
Abb. 9: Der Sachsenspiegel des Eike von Repgow (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. Germ. 164)
Der Sachsenspiegel ist in einigen Handschriften mit durchgehenden Randzeichnungen versehen, welche die im Text festgehaltenen Rechtssätze illustrieren und anschaulich machen. Dieses Beispiel aus einer Handschrift vom Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts zeigt verschiedene Gebote zum Erhalt des Friedens (vgl. Eike von Repgow, Sachsenspiegel, Ausschnitt II, 66: Von deme alden vride des landes im vorliegenden Lesebuch). So unterliegen Geistliche, Frauen und Juden einem besonderen Schutz, ebenso wie Kirchen, Pflüge und Mühlen. Auch an bestimmten Tagen ist Frieden zu halten: am Donnerstag, denn dort vorte got vnse mensheit czv himele, oder am Freitag, denn an einem Freitag machte got den man vn wart des vritages gemarteret durch den man. All diese Bestimmungen sind illustriert. Die Initialen in den Randzeichnungen entsprechen den Anfangsinitialen des illustrierten Abschnittes und erleichtern so die Orientierung zwischen Bild und Text.
Eike von Repgow, Sachsenspiegel Der Sachsenspiegel, im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts von dem rechtskundigen Eike von Repgow verfasst, beschreibt (.spiegelt') die Rechtsverhältnisse im Elbe-Saale-Gebiet seiner Zeit. Er wurde in verschiedene deutsche Mundarten 1 und andere Sprachen übertragen und in manchen Teilen Deutschland bis ins 20. Jahrhundert bei Rechtsentscheidungen zu Rate gezogen. Er hat zwei Teile, Land- und Lehnrecht, je in mehreren Büchern. Hier einige Kapitel aus dem Landrecht. 2 1,1
Wer von gotishalben beschermer des rechtes solle sin. Unde wie manich recht si Zwei swert liz got in ertliche zu beschermene die kristenheit. Dem pabiste 5 daz geistliche, deme koninge daz wertliche3. Derne pabiste ist ouch gesatzt4 zu ritene zu bescheidener zit uf einem blanken pherde, unde der keiser sal im den stegereif halden, durch daz der satel nicht umme wanke. Diz ist de bescheidunge: waz deme pabiste widerstat, daz her5 mit geistlichem gerichte nicht getwingen mag, daz ez der keiser mit wertlichem gerichte 10 betwinge, deme pabiste gehorsam zu wesene6. So sal ouch die geistliche gewalt helfen deme wertlichen rechte, ab man ez bedarf. I, 63 Von deme kamphe. Wer deme anderen kamphes wegeren7 mag 15 1. Wer kemphlichen gruzen8 wil einen sinen genoz, der muz beten den richter, daz her9 sich undirwinden muze eines vredebrechers zu rechte, den
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Eike selbst hat den Text zuerst lateinisch geschrieben bzw. diktiert und dann in seine niederdeutsche (elbostfälische) Mundart übertragen. Ich folge hier der Ausgabe einer mitteldeutschen Version, die für einen unerfahrenen Leser leichter verständlich ist. Vokallänge ist im Text nicht bezeichnet, d. h. für sin in der ersten Überschrift ist sin zu lesen, ritene im ersten Kapitel ist der (flektierte) Infinitiv ritene etc. Die römischen Ziffern bezeichnen das Buch und die arabischen das Kapitel innerhalb des Buches. Die Anordnung der Kapitel folgt keiner erkennbaren Systematik und scheint eher assoziativ. wertliche = werbliche: ,weltlich, irdisch'. gesatzt: Part. Prät. von setzen, hier .erlauben, bestimmen', zu bescheidener zit: etwa ,zu bestimmten Zeiten, zu gegebener Zeit'. her = er. • .. zu wesene: ,zu sein wegeren: .verweigern'. kemphlichen gruzen: , zum Kampf herausfordern'. Hier ist der Kläger selbst gemeint, muze hat im daz-Satz (und auch im folgenden noch häufiger) die Bedeutung .dürfe': ,dass er sich des Friedensbrechers rechtmäßigerweise bemächtigen (ihn anfassen) dürfe'.
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Prosa
her da se10. Wenne im mit orteilen gewiset wirt, daz her ez ton muze, so vrage her, wie her sich sin undirwinden solle, daz ez im helfende si zu sime rechte. So vint man, gezogentliche bi sime houbitgate.11 Wenne her sich sin undirwunden hat unde mit orloube gelazen hat, so sal her im sa5 gen, war umme her sich sin undirwunden habe. Daz mag her ton zuhant, ab her wil, adir12 gespreche dar umme haben. So muz her in beschuldigen, daz her den vride an im gebrochen habe uf des koninges straze adir in deme dorfe. Zu welcherwiz13 her in gebrochen hat, zu der wiz klage her uf in. So beschuldige her in abir14, daz her in gewunt habe unde not an im 10 getan habe, de her wol bewisen muge. So sal her bewisen de wunden adir die narwen, ab15 sie heil sint. So klage her vort, daz her in beroubit habe sines gutes unde im daz genomen habe, also vil, daz ez nicht erger si, ez en si wol kamphis werdig16. Dise dri ungerichte sal her zu male klagen. Welchis her verswiget, her hat sinen kamph verlorn. 2. So spreche her 15 vort: da sach ich selbir in seibin unde beschriete in mit deme gerochte17. Wil herz bekennen, daz ist mir lip, unde bekent herz nicht, ich wil in bereden18 mit alle dem rechte, daz mir daz lantvolk erteilet adir die schephen, ab ez undir koninges banne19 iz. So bete iener einer gewere, de sal man im ton.20 Doch muz der man sine klage wol besseren vor der gewere. Wenne 20 de gewere getan ist, so bite21 iener sine unschult, daz ist ein eit unde ein echt kamph, ab her in zu rechte gegruzit22 hat, unde ab herz vor lemede 10
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se = sehe: 3. Sg. Konj. Präs. von sehen. Der Angeklagte muss also sichtbar, d. h. anwesend sein. Etwa: ,So befindet man: .vorsichtig bei seinem Halsausschnitt". D. h. dem Kläger wird gesagt, er solle den Angeklagten identifizieren, indem er ihn vorsichtig am Halsausschnitt fasst. adir = oder. Der Kläger darf sich über den genauen Inhalt der Anklage beraten. zu welcherwiz: ,in welcher Weise'. abir: hier .abermals, zweitens'. ab = ob: ,wenn'. Also ,oder die Narben, wenn sie (die Wunden) verheilt sind'. kamphis werdig: ,kampfwürdig, einen Zweitkampf wert' Also etwa ,dass er ihm so viel seines Besitzes genommen habe, dass es nicht schlimmer (mehr) sein müsse, um einen Zweikampf wert zu sein'. Zur Negationshäufung vgl. MHD Grammatik § 441. gerochte = geruofe, geruofte: ,Geschrei, Notruf; .ich beschrie ihn mit dem Notruf. Der Kläger bezeugt hiermit, dass er den Angeklagten selbst gesehen und unmittelbar durch lautes Geschrei auf die Untat aufmerksam gemacht hat. bereden: hier .beschuldigen, überführen'. koninges banne: .Königsbann, königliche Gerichtsbarkeit'. Etwa .wenn jener (gemeint ist der Angeklagte) um eine Gewährschaft bittet, so soll man sie ihm versprechen'. bite = biete: 3. Sg. Konj. Präs. von bieten, hier .beteuern, beweisen'. gegruzit: Part. Prät. von grüezen, hier .herausfordern (zum Kampf)'.
Sachsenspiegel
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vulbrengen mag. 3. Itlich man mag kamphes weigeren deme, der snoder23 geboren iz denne her. Der abir baz geboren iz, den en kan der snode gebome nicht verlegen24 mit der bezzeren gebort, ab her en anspricht. Kamphes mag ouch ein man weigeren, ab man in gruzit nach mittage, ez en were er begonst25. Der richter sal ouch phlegen26 eines schildes unde eines swertes deme, den man dar beschuldiget. Kamphes mag ouch ein man sinem magen27 weren, ab si beide so na mage sin, daz her daz selbe sibende28 behalde uf den heiligen, daz sie durch recht nicht zusamene vechten sullen. 4. Der richter sal zwene boten geben ir itlicheme29, de da vechten sollen, die daz sen30, daz man se gerwe nach rechter gewonheit. Leder unde linin ding muzen se an ton also vil, alse se wollen. Houbit unde vuze sint in vore bloz, unde an den handen sollen sie dünne hantzschen haben, ein bloz swert in der hant unde ein ummegegort adir zwei, daz stet an ire kore31, einen senewallen schilt in der hant, da nicht denne leder ane si, ane de puckele, de muz wol isin sin, ein rok ane ermelin bobin der gare32. Vriede sal man deme warve33 gebiten, daz si nimant en irre an irem kamphe bi deme halse34. Ir itlichem sal der richter einen man geben, der sinen boum35 trage. Der en sal se nichtes irren, wen abir ir ein vellet, daz her den boum understecke, adir ab her gewunt wirt adir des bournes bittet. Des solbin en muz her nicht ton, her en habe ez orlop von deme richter.
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snoder = snaeder, Komparativ zu snaede: hier ,gering, niedrig*. verlegen, hier ,ablehnen, zurückweisen'. Der niedrig geborene kann den höher geborenen also nicht mit Hinweis auf den Standesunterschied zurückweisen. begonst: Part. Prät. von beginnen; also etwa ,es wäre denn eher begonnen', d. h. wenn der Zweikampf nicht schon vorher (vor Mittag) angefangen hat. phlegen, pflegen, mit Gen. und Dat.: jemandem etwas zur Verfügung stellen'. magen: Dat. Sg. von mäc, mäge, .Blutsverwandter', na: ,nahe'. selbe sibende: .selbsiebt'. behalden: hier .durch Eid (auf eine Heiligenreliquie) beweisen'. Der Angeklagte muss sechs Eideshelfer beibringen können (er selbst ist damit der siebte), die beschwören, dass eine zum Kampf zu nahe Verwandtschaft besteht. itlicheme: Dat. Sg. Mask, von ieslich, itlich; also ,ihrer jedem, jedem von ihnen'. sen = sehen; also ,die dazu sehen, die darauf achten', gerwen: .ausrüsten'. kore = küre; .das steht in ihrer Wahl'. bobin der gare: .über der Kleidung/Rüstung'. warve = warbe: .Kampfplatz'. bi deme halse: .bei Todesstrafe'. Es ist also bei Todesstrafe verboten, den Kampf zu stören. boum: hier .Stange'. Wie im folgenden beschrieben, dient die Stange dazu, den Kampf unter bestimmten Bedingungen zu unterbrechen.
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Prosa
Nach deme daζ dem warve vride geboten ist, so sollen si36 des warves zu rechte gern, den sal in der richter erloubin. Ortbande sollen se von den swertscheiden brechen, se en habenz37 orlop von deme richter. Vor den richter sollen se beide gegerwet gen unde sweren, der eine, daz de schult 5 war si, da her ienen umme beklaget hat, unde der andere, daz her unschuldig si, daz in got also helfe zu irme kamphe. Die sunne sal man in geliche teilen, alse se von erst zu samene gen. Wirt her verwunden38, uf den man spricht, man richtet ubir in. Vechtit her sige, man lesit39 in mit gewette unde mit buze. 5. Der kleger sal erst in den warf komen, unde ab der ande10 re zu lange irret, der rihter sal in lazen in heischen40 den vronenboten in dem huse, da her sich inne gerwet, unde sal zwene schephen met senden. Sus sal man in laden zume anderen unde zume dritten male. En kumt her zu der dritten ladunge nicht vor, der kleger sal uf sten unde sich zu kamphe erbiten, unde sal zwene siege unde einen stich ton wider den wint. 15 Da mete hat her ienen verwunden41 sogetaner klage, alse her in angesprochen hat, unde sal im der richter richten, alse ab her verwunden were mit kamphe. 11,13 20 Wie man itlich ungerichte richten sal. Welch richter rechtes weigeret 1. Nu vememet umme ungerichte, welch gerichte dar ubir ge. Den diep sal man hengen. Geschit abir in deme dorfe des tages ein dube42, die minre den dri Schillinge wert iz, daz muz der burmeister wol richten des selben tages zu hut unde zu hare43, adir mit dren Schillingen zu losene. So blibit 25 iener erlös unde rechtelos. 2. Diz ist das hogeste gerichte daz der burmeister hat, des selben en muz her nicht richten, ab ez ubimechtig wirt nach der klage44. Umme mehr phenninge unde umme andere varende habe muz her wol richten vorbaz. 3. Diz selbe gerichte get ubir unrecht maz 36
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si: Gemeint sind die Kämpfer; ,so sollen sie rechtsgemäO den (Zutritt zum) Kampfplatz fordern'. habenz = haben ez, also ,wenn sie nicht die Erlaubnis des Richters dazu haben (die Eisenspitze an der Schwertscheide zu belassen)'. verwunden: Part. Prät. von verwinden, .überwinden, besiegen', sprechen üf: .anklagen'. lesit = leezet: 3. Sg. Ind. Präs. von läzen. gewette: .Geldstrafe'. heischen, eischen: .vorladen'; also .dann soll der Richter ihn von einem Gerichtsboten in dem Haus, in dem er sich rüstet, vorladen lassen*. verwunden: hier etwa .überfuhren'. dube = dübe, diube: .Diebstahl'. Strafen zu hüt und zu häre (Haut und Haar) sind Prügelstrafen. Etwa .wenn nach der Klage eine Nacht vergangen ist'.
Sachsenspiegel
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unde ubir Unrechte wage unde obir valschen kouf, ab manz obirwunden wirt. 4. Alle morder unde alle, de den phlug rauben, adir molen45, kirchen adir kirchove burnen, unde verreter unde mortburner, unde die irz herren botschaft 46 werben zu irme vromen, die sal man alle radebrechen. 5. Wer 5 einen man slet47 adir vehet, roubit adir burnet sunder mortbrand48, adir wip adir mait notzogit, unde vridebrechere, unde der in obirhure49 begrifen wirt, den sal man die houbete abeslan. 6. Wer dube adir roub verbürget50, adir imande mit hülfe dar zu sterkit, werden se des ubirwunden, man sal ubir se richten, alse ubir ienen51. 7. Welch kristen man ungeloubig ist adir 10 mit zoubere ummeget adir mit vergiffenisse unde des verwunden wirt, den sal man uffe der hört" burnen. 8. Welch richter ungerichte nicht en richtet, der iz des seibin gerichtes wirdig, daz obir ienen solde gen, der ez getan hat. Nimant en iz ouch phlichtig, des richters ding53 zu suchene, noch im rechtes zu phlegene, de wile her selben54 rechtes geweigeret hat. 15 II, 66 Von deme alden vride des landes. Werne die vridetage nicht helfen 1. Nu vernemet den alden vride, den die keiserliche gewalt bestetiget hat deme lande zu Sachsen mit der guten knechte wilkore55 von dem lande. 20 Alle tage und alle zit sollen fride haben phaffen unde geistliche lute, meide unde wip unde iuden an irem rechte unde an irem libe, kirchen unde kirchhofe unde itlich dorf binnen sinen gruben unde sime zune56, phluge unde molen unde des koninges straze in wassere unde in velde, de sullen steten vride haben, unde alliz, daz dar inkumt. 2. Heilige tage unde gebun-
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molen = mtilen:,Mühlen'. botschaft: hier etwa .Vollmacht', also ,und die die Vollmacht ihres Herren zu ihrem (eigenen) Nutzen ausüben'. slet = stehet: 3. Sg. Ind. Präs. von slahen, kontrahierte Form; ,schlagen', vehet: 3. Sg. Ind. Präs. von vähen, .fangen, gefangen halten'. Etwa .oder (wer) brandschatzt ohne Todesfolge'. obirhure = überhuore: .Ehebruch'. verbürget = verbirget: 3. Sg. Ind. Präs. von verbergen. ienen: Gemeint ist der eigentliche Täter. Mithilfe bei Diebstahl wird also ebenso hart bestraft wie die Tat selbst. hört = hurt: .Scheiterhaufen'. ding: hier .Gericht, Gerichtstag'. Laut Landrecht I, 2 ist jeder in bestimmten Zeitabständen zum Besuch von Gerichtstagen verpflichtet; dies wird hier eingeschränkt. her selben: Gemeint ist der Richter. wilkore = willekür: .freiwilliges Einverständnis'. Etwa ,und jedes Dorf innerhalb seiner Gräben und seiner Umzäunung'.
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Prosa
dene tage57, die sint allen luten zu vridetagen gesatizt, dar zu in itlicher wochen vier tage, der dunrstag, der vritag, der sunabunt unde der suntag. Des dunrstages wiet58 man den kresemen, da man uns alle mete zeichent zu der kristenheit in der toufe. Des dunrstages merte59 unse herre got mit 5 sinen iungeren in deme kilche, da mete began unse e60. Des dunrstages fürte got unse menscheit zu himele unde offente uns den weg da hin, der uns er beslossen was. - Des vritages machte got den man unde wart des vritages gemarteret durch den man. - Des sunabundes rogete61 her, do her himel unde erden gemachet hatte unde allis, daz da inne waz. Her rogete 10 ouch des sunabundes in dem grabe nach siner martere. Des sunabundes wiet man ouch die phaffen zu gotis dinste, die der kristenheit meistere sint. - Des suntages worde wir gesunt62 mit gote umme Adames missetat. Der suntag waz der erste tag, der i gewart unde wirt der letzte, alse wir ufersten sollen von deme tode unde sollen varen zu genaden mit libe unde mit sele, 15 de ez umme got verdienet haben. Dar umme sint dise vier tage gemeine vridetage allen luten, ane die in der hanthaften tat63 gevangen werden adir in des riches achte sint ader vervest64 in deme gerichte. 111,9
20 Von borgezoge65. Von vredebrache. Wer einen man von gerichte gewaldichlichen entphuret 1. Wer bürge wirt eines mannes, in vor zu brengene vor gerichte, unde en mag her sin nicht gehaben, alse her in vor brengen sal, her muz besseren66 nach deme, daz her beklaget iz, wenne her an der klage gewunnen67 ist.
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gebundene tage: ,befriedete Tage'. wiet: 3. Sg. Ind. Präs. von wihen, wien, .weihen'; .donnerstags weiht man das Salböl'. merte: 3. Sg. Ind. Prät. von merren, hier etwa ,sich vereinigen mit'. Gemeint ist das letzte Abendmahl. e = e, ewe: .Gesetz, Glaube, Testament'. rogete = ruowete: 3. Sg. Ind. Prät. von ruowen, .ruhen'. gesunt: Part. Prät. von suonen, .versöhnen'; ,an einem Sonntag wurden wir versöhnt'. hanthafte tat: .auf frischer Tat'. vervest: .geächtet', vervestung ist die vom Grafen für seinen Bezirk verhängte Acht. borgezoge = bürgezoge: .Bürgschaft'. besseren = bezzern: hier .büßen'; also ,er (der Bürge) muss büßen für das, wessen er (der Angeklagte, für den der Bürge einsteht) angeklagt ist'. gewunnen: Part. Prät. von gewinnen, hier .überführt'. Also .wenn er des Vergehens überfuhrt (für schuldig befunden) ist'.
Sachsenspiegel
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Get im de klage an den lip, her muz sin wergelt68 geben, daz sal werden deme kleger unde nicht deme richter, sin gewette hat her aber dar an. 2. Zu der selben wiz sal man den vride besseren, den ein man vor69 den anderen lobit. Bricht abir ein man den vride, den her vor im selben gelobt, ez get im an den halz. Vrede sal man entreden ader besseren an deme gerichte70, da her inne gelobit iz. Nimant en muz ouch klagen binnen vride71 obir den, deme der vride gelobit iz. Bricht abir ein man den gelobeten vride, daz muz man wol ubir in klagen zu kamphe adir ane kamph. Veht72 man in in der hanthaften tat, man richtet ubir en binnen dem vride. Gewinnet man ouch bürge binnen gelobtem vride ader veht man lute, des en mag iener, der ez getan hat, sine bürgen mit sime eide nicht abenemen. 3. Wer abir bürge wirt eines mannes, in vor gerichte zu brengene, kumt der man vor sunder den bürgen unde but73 her sich vor gerichte zu rechte unde mag her daz gezugen74, her hat sine bürgen gelediget. 4. Wer abir borget einen gevangenen weder zu antwertene75, daz muz der bürge vulbrengen, daz her weder geantwertet si, alse sin gelobde stunt76, unde nicht der gevangene man. 5. Welch man einen beklageten man umme ungerichte geweldiclichen77 entphuret, wirt her gevangen mit geruchte78, her sal ieneme geliche pine liden. Kumt her abir enweg, man vervest79 in alzuhant, ab man in in der hanthaften tat gesen hat unde man en beschriet mit dem geruchte unde man daz gezugen mag.
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wergelt: Je nach Stand unterschiedlicher Sachwert eines Menschenlebens. Der Bürge entgeht also der Todesstrafe durch Zahlung einer entsprechenden Summe an den Kläger. Der Richter bekommt das gewette. vor: ,fur'. Also ,auf gleiche Weise soll man den Frieden büßen (d. h. für den Friedensbruch büßen), den ein Mann für einen anderen gelobt'. an deme gerichte: etwa ,in dem Gerichtsbezirk'. Friede ist kein Allgemeinzustand, sondern unterliegt räumlichen und zeitlichen (s. II, 66 und den folgenden Satz) Beschränkungen. binnen vride: ,während des Friedens'. veht: 3. Sg. Ind. Präs. von vähen\ also ,fasst man ihn auf frischer Tat'. but ~ biutet, bütet: 3. Sg. Ind. Präs. von bieten. gezugen = geziugen, .bezeugen'. antwerten, antwurten: hier .überantworten, ausliefern'. Also etwa ,wer aber (wenn jemand aber) dafür bürgt, einen Gefangenen wieder auszuliefern, dann ist der Bürge dafür verantwortlich, dass ...'. Etwa , wie er (der Bürge) gelobt hat'. geweldiclichen, gewalticlichen: ,mit Gewalt'. Wer einen Angeklagten der Gerichtsbarkeit entfuhrt, wird also genauso bestraft, wie der Angeklagte selbst. geruchte = geruofte: .Geschrei, Notruf; vgl. Anm. 17. vervesten: hier .ächten'.
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Prosa
III, 52 Wer den koning kiesen solle. Wer ubir den honing richter sin solle. Wer len an gerichte ubir hals unde hant lief. Wer des keisers, greven, richter si 5 1. Die dutschen sullen durch recht den koning kiesen. Wenne der gewiet wirt von den bischofen, de dar zu gesatzt sint, unde uf den stul zu Achen81 kumt, so hat her koningliche gewalt unde koninglichen namen. Wenne in der pabist wiet, so hat her des riches gewalt unde keiserlichen namen. 2. Den koning kuset82 man zu richtere ubir eigen unde ubir len unde ubir 10 itliches mannes lip. Der keiser mag in allen landen nicht gesin unde alle ungerichte nicht richten zu aller zit, dar umme liet her den fursten graveschaft unde den greven schultheistum. 3. An die vierde hant83 en sal kein len komen, daz gerichte sie obir halz adir obir hant, wenne schultheistum aleine in der graveschaft, durch daz en mag kein richter echte ding geha15 ben ane schultheisen. Wenne klaget man obir den richter, her sal antwerten vor deme schultheizen, wen der schultheize ist ein richter siner schult. Also ist der palenzgreve84 obir den keiser unde der burcgreve obir den markgreven.
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liet·. 3. Sg. Ind. Präs. von When, lien, .verleihen'. Also ,wer Lehen über die Hals- und Handgerichtsbarkeit (Blutgerichtsbarkeit) verleiht'. stul zu Achen: ,der Stuhl (Thron) Karls des Großen in Aachen'. kuset = kiuset: 3. Sg. Ind. Präs. von kiesen, .wählen'. Nach der Heerschildordnung, die Eike in Landrecht I, 3 beschreibt, liegt ein Lehen in der ersten Hand beim König, in der zweiten bei geistlichen Fürsten, in der dritten bei weltlichen Fürsten und in der vierten bei den Freiherren. Freiherren dürfen demnach keine Blutgerichtsbarkeit ausüben; es braucht die Anwesenheit eines Schultheißen. palenzgreve: ,Pfalzgraf.
Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur Die gegen Mitte des 14. Jahrhunderts von dem Regensburger Domherr auf der Basis lateinischer Quellen verfasste enzyklopädische Naturkunde ist in zahlreichen Handschriften und frühen Drucken erhalten und wohl das erste naturkundliche Werk, das einem breiteren Laienpublikum zugänglich war. In sieben Abschnitten ist das Wissen über Mensch, Himmel und Planeten, Tiere, Bäume, Kräuter, Edelsteine und Metalle gesammelt; hier folgen einige Auszüge aus dem Kräuterteil.
Von den Kräutern in ainer gemain.1
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An disem fünften stuck des puochs schüll wir sagen von den kräutern, und des ersten in ainer gemain. Ez ist ain frag, wie so mangerlai kraut auz der erden wahs, seint2 diu erd neur3 ainerlai ist, wan si ist ain ainvaltigz element, daz verantwurt4 man also und spricht, daz diu kräuter niht wahsen noch komen auz ainvaltiger erd, wan daz ertreich, daz wir sehen und greifen und da die paum und diu kräuter auz wahsent, daz ist gemischet auz den vier dementen: feur, luft, wazzer und auz lauterr erd, und deu mischung ist sö mangerlai, daz diu kräuter mangerlai art begreifent5 und mangerlai gestalt. so ist ain ander frag, war umb haiz wir ain erdisch dinch wäzeriger nätür, daz ander feureiner nätür, daz dritt lüftig, daz vierd erdein, seint si doch alleu auz den vier dementen sint gemischt? dar zuo spricht man, daz ain iegleich dinch seinen namen hat nach dem maisten werch6 und von der maisten aigenchait, die ez hat. wie daz nu sei, daz alleu erdischeu dinch auz den vier elementen sein, doch ist ainz hitziger wan daz ander, daz haiz wir feurein, und ainz fauhter wan daz ander, daz haiz wir wäzerig. so ist etleichz gar leiht und zeuht7 über sich, daz haiz wir lüftig. welhez aber gar swasr ist und kalt und under sich zeuht, daz haiz wir erdischer nätür, wie daz sei, daz alleu tier und all paum, kräuter, gesmeid und stain der erd allermaist haben, nu maht8 dü fragen zehant, seint diu dinch alleu der erd allermaist habent, war umb ist dann ir etleichs maistez werch feurein oder wäzerig?
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in ainer gemain: etwa ,im Allgemeinen'. seint = sit: hier .obwohl, wenn'. neur = niur, neweere: ,nur'. Die Diphtongierung von tu zu eu (vgl. MHD Grammatik § 42) ist in diesem Text weitgehend durchgeführt. verantwurt: 3. Sg. Ind. Präs. von verantwurten, .rechtfertigen, begründen'. begreifent: 3. PI. Ind. Präs. von begrifen, begreifen-, hier etwa .umfassen, enthalten'. werch: hier .Wirkung', also etwa ,nach der stärksten Wirkung'. zeuht = ziuht: 3. Sg. Ind. Präs. von ziehen, über sich ziehen: etwa .nach oben streben/ sich bewegen' im Gegensatz zu under sich ziehen, ,nach unten streben'. maht: 2. Sg. Ind. Präs. von mugen, .können, vermögen'.
256
Prosa
dar zuo antwürt ich dir an die andern maister9 und sprich, wie daz sei, daz diu vorgenanten dinch der erden allermaist haben nach der groez, doch hat etleichz ains andern elementes mer näch der kraft, wan ains pfeffers korns groz feurs oder luftes10 hat mer kraft und werks denn gar michel erd oder 5 wazzers. auch nement diu dinch ir kraft von den formen und von den aigenchaiten, die der himel kreft dar ein drückent. noch ist ain frag, seint ain kraut an der kraft kalt ist, daz ander warm, ainz süez, daz ander sawr und pitter und sich ain iegleich dinch nert von seinem gleichen, sam" süez von süezem, saur von saurem, wie mag auz ainerlai erd in dem selben garten 10 mangerlai kraut gewahsen und sich dar inn ernern? dar zuo antwürt man und sprichet, daz diu kräuter mangerlai art auz dem selben ertreich wahsen von mangerlai stern kreften an den himeln, wan ain iegleich form in disen zergäncleichen dingen hat ir aigen stemes kraft in dem himel. seint nu diu vier element mit enander gemischt sint in der erden, da diu kräuter wah15 sent, sam vor gesprochen ist, so zeuht iegleichs sternes kraft des elementes allermaist zuo irm werk, des12 si allermaist bedarf, und so diu kräuter geporn sint, so ziehent si auch ir narung auz den vier elementen näch mer und näch minner, reht als si bedürfent. doch müezent si der erd allermaist haben in irr narung, sam si habent an irem selpwesen13, und dar umb dor20 rent si in dem luft, wenn man si auz der erd zeuht. wie daz sei, daz der luft pei der erd, dä wir wonen, auch gemischt sei auz den vier elementen, doch hat er der14 ze wenig, also daz den kräutem niht genüegt. nu maht dü frägen ains, des daz puoch ze latein15 niht fragt: ob diu kräuter ir kreft all haben von der mischung der vier element? so sprich ich: nain! wan si ha25 bent wunderleicheu werch von der stern kreften, die sich in ir form drückent, reht sam ain gaistleich form oder ain ebenpild ains geminten dinges, daz in den spiegel deiner Vernunft ist gedrückt, daz zeuht dich von ainer stat an die andern; reht in der weis würkent der stern kreft in der kräuter art, und dar zuo helfent ze stunden16 die starken kreft der hailigen wort, dä
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än die andern maister: ,ohne die anderen Gelehrten', also aus eigener Autorität. ains pfeffers korns gröz feurs oder luftes·. partitive Genitive; .Feuer oder Luft von der Größe (Menge) eines Pfefferkornes'. " sam: ,wie'; also .wie etwa Süßes von Süßem sich ernährt'. 12 des: bezieht sich auf elementes-, also ,so zieht die Kraft eines jeden Sternes am meisten von dem Element an sich, das sie am meisten braucht'. 13 selpwesen: .Substanz'; ,so wie ihre Substanz hauptsächlich aus Erde besteht'. 14 der: erde zu ergänzen; ,doch enthält die Luft zu wenig von dem Element Erde'. 15 daz puoch ze latein: Konrads lateinische Hauptquelle, das Liber de natura rerum des Thomas von Chantimpre. 16 ze stunden: .manchmal, gelegentlich'. 10
Das Buch der Natur
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mit man got anruofet und die kräuter beswert17 und gesegent und auch daz edel gestain, sam man daz weichwazzer gesegent. sprichst aber du daz daz gescheh von dem poesen gaist, daz ist niht war, du tuost ez dann in peeser mainung. dü maht ain iegleich dinch wol handeln in übel oder in guot. 5 sage mir, waz ain vogel sünde, der haizt ze latein merops und haizt ze däutsch paumheckel und nistet in den holen paumen, und wenn man im seineu kint versieht18 mit ainem zwickel, so pringt er ain kraut und helt daz für den zwickel, so vert er19 her dan. daz kraut haizt ze latein herba meropis, daz spricht paumhäckelkraut und haizt in der zaubrasr puoch thora und 10 waer niht guot, daz man ez gemaincleich erkennet, wan ez gent sloz gegen im auf; da mit sünte niemant, der gevangen waer auf den leip. ez habent auch andreu kräuter gar wunderleicheu werch, sam patönigekraut und eisenkraut, daz ze latein verbena haizt. ideoch schol man in diu kniel decken in disem sträzenlaufaer,20 wan ez waer niht tugentleich getan, der21 die hai15 lichait fur die hunt würfe und der daz edel gestain under der swein fiiez würfe: zwar22, daz waer unpilleich. ich waiz daz wol, daz liebeu kint selten pröt handeint, da reis23 den hunden etwaz von und andern zuckern. Von dem knoblauch. 20 Allium haizt knoblauch. der ist haiz und trucken mit seiner kraft und ist guot wider die kalten vergift24. dar umb spricht man: knoblauch ist der gepaurn triakers25. er schat auch dem gesiht26 und ganz dem leib, wenn man sein27 ze vil nimt. wer knoblauch rastet und pindet in auf die ädern pei der faust, daz benimt den zenden iren smerzen. gesoten knoblauch 25 sterkt die prust und die stimm und entsleuzt28 den leip und sterkt daz ez-
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beswert: 3. Sg. Ind. Präs. von beswern, .beschwören'. versieht: 3. Sg. Ind. Präs. von verslahen\ hier .einschließen, einsperren'. er. gemeint ist der zwickel; .dann springt er (der Keil) heraus'. Dieser Satz bedeutet sinngemäß, dass man die Zauberwirkung der Kräuter in einem der Allgemeinheit zugänglichen Werk geheim halten sollte. Der Form nach ein Relativsatz, ist dieser Satz konditional zu verstehen: ,es wäre nicht tugenthaft gehandelt, wenn einer ...'; vgl. MHD Grammatik § 455. zwar = zewäre: .fürwahr, wahrhaftig', unpilleich: .unbillig, unrecht'. reis: 3. Sg. Konj. Präs. von risen, reisen, .zufallen'; also etwa .ich weiß wohl, dass liebe Kinder selten mit Brot umgehen, wovon (und von anderen Leckerbissen) den Hunden (nicht) etwas zufiele'. vergift: ,Gift', hier Plural. triaker = driaker: .Theriak', ein Heilmittel; .Knoblauch ist Heilmittel der Bauern'. gesiht: hier .Sehvermögen'. sein: Gen., bezogen auf knoblauch-, ,wenn man seiner (davon) zu viel nimmt'. entsleuzt: 3. Sg. Ind. Präs. von entsliezen, .aufmachen, öffnen'.
258
Prosa
zenkochen29 in dem magen und verzert poes trank und poes fauht in dem magen. aber roch knoblauch tuot in dem haupt we. Von dem aneis. 5 Anisium haizt aneis und haizt auch roemischer venichl, wan daz kraut hat pleter sam der venichl, an daz si ain klain praiter sint, und daz kraut hat sämen, der haizet auch aneis. daz aneis ist an der kraft haiz und trocken und haizt man ez auch süezen kümel und hat die kraft, daz ez entsleuzt und verzert und ist gar guot für die wint in dem leib und wider daz unko10 chen30 in dem magen und ist gar guot wider den örnsiehtum, der von fauht kümt. ez mert auch der frawen milich in den prüstlein und pringt daz harmwazzer vast31 und den frawen ir gewonhait oder ir haimlichait und rainigt die muoter32 von dem weizen fluz, aber ez locket zuo unkäusch, ez zeuht den leip zuo und öffent der niern verschoppen und treibt vergift auz. 15 Von dem basiligen Basilicon haizt ain basilig. daz ist ain kraut, daz hat gar ain edeln smack, der weinet33 ain tail, daz kraut haizt auch traguntea oder serpentaria oder colubrina und ist zwaierlai. daz ain hat klaineu pleter und daz ander grözeu nähent als der minzen pleter. daz kraut ist haiz und trucken und hat 20 die art, sam etleich sprechent, daz ez die slangen veijagt von dem menschen, der ez pei im tregt, und spricht Alexander, daz daz kraut wahse an der stat, da der unk gepom werd.34 daz waiz ich Megenbergaer niht, aber ich waiz daz wol, daz ez die maister ziehent in irn gärtleinn vor ir släfkamern ze Paris, und smecket35 niht, unz daz man ez rüert mit der hant, sö 25 gibt ez ainen smack, der dem herzen wol tuot, reht als ain zühtig weiser man, der vil edels dinges in seiner sei verporgen hat: des prüeft man dick36 niht, unz man in üebet mit fleh, mit gab oder mit andern dingen. 29 30 31 32 33 34
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ezzenkochen: .Verdauung'. unkochen: .schlechte Verdauung'. vast: hier etwa .schnell, stark'; d. h. Anis wirkt harntreibend. muoter: hier .Gebärmutter'. weinen: hier wohl .nach Wein schmecken'. Vgl. in Konrads Kapitel .Von den slangen' den Abschnitt über .Von dem unken': Basiliscus haizt ain unk. der ist ain künich aller slangen, sam Jacobus spricht, wan basiliscus in kriechisch haizt ain künigel ze däutsch. der unk ist ain sunderleich übel auf ertreich. an der leng ist er halbfuezig und hat weizeu flekel auf dem haupt, reht als ob er geziert sei mit ainer krön, den unk vliehent all slangen und fiirhtent in, wan er tcet si neur mit seim anhüchen, aber er tost die laut neur mit seinem vergiftigen anplik. smecket: ,es' zu ergänzen; ,und es riecht nicht, bis ...'. dicke: hier .oft'; also .das erkennt man oft nicht, bevor ...'. Heben: hier .bedrängen'.
Das Buch der Natur
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Von dem kürbiz
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Cucurbita haizt ain kürbiz. daz kraut ist haiz und fauht maezicleich, sam Platearius spricht, die sämen, die in des krauts friihten sint, die sint guot zuo erznei, wenn man sie geseudet, niht roch", si sint guot für der lebem verschoppen und für der gaistleichen gelider apostem38, sam diu prust ist und andreu gelider. der kürwiz ist guot in Süchten, wenn man in seudet oder praet an allez gemächt39 und in dem siechen gibt ze ezzen. wenn man in pächt in taig und in dann zerlaszt in wazzer und zucker tuot zuo dem wazzer, daz ist gar ain guoter syropl den, die in Süchten ligent. wenn man den kürbz seudet und daz wazzer ze trinken gibt dem die leber erhitzet ist, daz hilft in gar wol. Michahel der Schott spricht, der kürbiz praitt sein pluomen in der naht und erzaigt sein ere in der vinster, und sö der tag kümt, sö zeuht er sein pluomen wider zesamen mit ainem abnemen40, unz daz si zuo letzt dürr werdent und abvallent. Awe owe, wir armen sündaer, wie verzer41 wir unser pluomen und unser kraft in der vinster mit pöshait und an dem lieht guoter werk zieh wir uns ein und also dorr wir in unsern tot und in unser vallen. ach und aber ach und we ich armer kürwiz, wie lang hat mich diu werlt in die vinster gezogen und lockt mich noch, wol hin, valschait, wol hin üppichait ain valscher gelust! dü hast weder trew noch wärhait, weder tugent noch kraft, hilf mir, helfaerinn auz diser valschait, ich hoff, ez wer42 niht lang. Von d e m kiimel
Cyminum haizt kümel. daz ist ains krautes säm und ist haiz und trucken an 25 der kraft, sam Platearius spricht, aber daz kraut hat langeu pleter klaineu nähen43 sam diu venichlpleter oder sam diu anetpleter44 und sein pluom ist plaichvar oder gelb lot und der säm ist lengelot und ist mangerlai. etleicher ist swarz und etleicher gelbloht und ainez ist veltkümel und ainez haimisch kümel. der swarz ist kreftiger wan der gelb; er hät die art, daz er die 30 wint gesetzt45 in dem leib und entsleuzt und sterkt und verzert daz kochen
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roch = row. ,roh'; ,wenn man sie kocht, nicht roh'. apostem: ,(mit Eiter gefülltes) Gewächs'. an allez gemächt: etwa ,ohne jede Zutat'. D. h. nach jeder Nacht, wenn die Blüten sich wieder geschlossen haben, sind sie etwas kleiner als zuvor. verzerrt: hier etwa aufbrauchen, vergeuden'. wer: 3. Sg. Konj. Präs. von wem, .währen, dauern'. nähen: .beinahe, fast'. an et, von lat. anethum: .Dill*. gesetzen: etwa .beruhigen, lindern'.
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Prosa
in dem magen und gesetzt auch daz rophatzen und daz heschitzen46. welche ammen wein siedent mit kümel und den trinkent, den mert er die milich und mert der unkäusch sämen gar vil in den mannen, wer des kümels pulvern nimt in ezzen oder in trinken und wermuot dar zuo mischet, der 5 offent im die geng zuo der unkäusch sämen, ist er ain man, oder zuo der milch, ist ez ain fraw. wenn man daz antlütz wescht auz seim wazzer, daz macht ez lauter und clär. ist aber daz man ez zuo dick dar auz wescht, so wirt daz antlütz plaich. wer sein47 maezigen nutz hat, dem macht ez daz antlütz gar schon, aber veltkümel hailt die wunden, wenn man sein pulver 10 dar ein sträwet, und sö man sein pulver mischt mit ezzeich und smeckt dar zuo48, oder tunkt ainen waizel49 dar ein und stecket den in die nasen, dem verstet der rot fluz auz der nasen. wenn man kümel trinkt mit wein, daz hilft für der vergiftigen tier piz. 15 Von den swammen Fungi haizent swammen. die sint mangerlai, aber die pesten in unserr warning50 sint klain und sinbel sam ain huot und wahsent an dem anvang des lenzen und nement ab in dem maien, wan ez ist nie gesehen, daz die selben51 swammen iemd getoett haben oder snell siech gemacht, und die hai20 zent ze latein morachi und haizent ze däutsch maurochen oder in anderr däutsch morhen. iedoch ist daz ze halten von den swammen in ainer gemain, daz die swammen, die truckner art sint, pezzer sint wan die fäuhter art sint; wie wol daz ist, daz si all fauht und kalt sein, doch ist ez mer und minner. aber si pringent in dem menschen unbehend fauhten und poes. daz 25 pest, daz man getuon mag, ist, daz man si gar wol siede mit piren und guoten lautem wein dar auf trink, ez ist auch ainer ander lai swammen, die haizent etleich ze latein boletos und haizent ze däutsch pfifferling, da schol man sich vor hüeten, wan si sint dick gar vergiftig und toetleich. daz waiz ich wol, wan ez geschach ze Wienn in Oestereich, da ainer pfifferling 30 az und trank met dar auf und starb zehant vor dem vaz. ez ist auch ainerlai swammen, die sint zemäl unrain, die sint prait und dick und oben rot mit weizen plaeterln52. wenn man den zuo milch mischt, sö toett er die mukken. 46 47
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rophatzen und heschitzen: .aufstoßen, rülpsen'. sein: Gen., abhängig von nutz haben und bezogen auf das Kümmelwasser; ,wer es mäßig benutzt'. darzuo smecken: ,daran riechen'. waizel = weizel: .Scharpie' (in Streifen gerissene Leintücher). wanting = wonting: hier etwa .Heimat, Region'. die selben: .die genannten, diese'. plceterln: .kleine Blattern, Pocken'.
Das Buch der Natur
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dar umb haizent si mukkenswammen und ze latein muscineci. nu hüet dich vor in allen, daz ist mein rät. Von dem korn 5 Frumentum haizt kom und ist mangerlai. ainz haizt rokkenkorn, daz ander waizenkorn, daz dritt haizet tinkl. iedoch habent diu dreu ain gemain art, daz si den menschen paz fuorent53 wan kainerlai ander korn, und daz ist durch die geleichnüss, die si habent mit menschleicher art. daz pröt, daz kümt von dem melw des korns, daz benimt der prust ir scherpfen und auch 10 der lungen, und so man ez seudet mit öl, sö entsleuzt ez die herten apostem in dem menschen, und sö man ez kewt und ez legt auf der töbigen hund piz, die hailt ez. und wer seinen gar klainen stäup, der von der rnül fleugt, in wazzer flaet54, der55 ist guot wider den röten fluz auz dem leib, idoch wizz, daz der waiz paz fuoret wan daz rokkenkorn, und daz unge15 päutelt56 pröt verschoppet den leip minner denn daz gepäutelt, wan diu nätür zeuht daz gepäutelt ze vast an sich, sö sinket daz ungepäutelt mer an den grünt und suochet des leibes porten paz. wer sich wescht mit den cleien, dem nement si die unsauberkait vast abe. 20 Von der nezzeln Urtica haizet nezzel. daz kraut ist dreirlai. ainz haizet die töt nezzel, diu prent niht und ist doch gestalt sam ain nezzel. diu ander haizt die kriechisch nezzel, diu ist klainer und prent vester wan diu gemain nezzel. diu dritt ist diu gemain. diu nezzel ist an kraft haiz und trucken, aber ir säm 25 hat niht sö vil hitz. si zerpricht die apostem und ist in57 guot und hailsam. aber ir säm und ir asch, der ain pflaster dar auz macht58, daz hilft für daz veich59 und für die geswern, die von hundspizzen koment, und allermaist mit salz, diu pleter gestözen helfent für daz pluotvliezen auz der nasen. ir säm offent vast daz verschoppen in den nasvenstem und anderswä, und ain 30 pflaster dar auz gemacht hilft, daz man die zend leiht auzzeuht. wenn man
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fuoren, vuoren: hier .ernähren'. fleet·. 3. Sg. Ind. Präs. von vlcen, .schwenken, auflösen'. der. Gemeint ist der (in Wasser aufgelöste) Mehlstaub. ungepäutelt = ungebiutelt: .ungesiebt'. in: Personalpron., Dat. PL; gemeint sind die apostem. .... und ist gut für sie und heilsam.' Relativsatz mit konditionaler Bedeutung (vgl. Anm. 21): .wenn einer ein Pflaster daraus macht, hilft das ...'. veich = vic: .Feigwarze', eine Warzenart, die bevorzugt am After oder an den äußeren Geschlechtsorganen wächst.
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Prosa
ir pleter seudet mit gerstenwazzer, daz rainigt die prust und wirft die zaehen fauhten dar auz. diu nezzel erwecket die unkäusch und allermaist ir säm mit wein und offent die kintporten60 an den frawen, alsö daz diu muoter dester leihter zuogevasht6'. und daz selb tuot auch diu nezzel, wenn si 5 diu fraw izt mit zwival und mit aiern. wenn ain fraw ainen undersatz macht mit nezzeln und mit rauten, der pringt si ir gewonhait und öffent der muoter tür. der nezzeln frischeu pleter an ains pflasters stat gelegt laitent die auzgenden muoter" wider an ir stat. ir säm auzgekernt und getrunken mit wein oder diu nezzel selb entsleuzt den leip und macht in vertich. 10
Von der wicken Vicia haizt wick. daz kraut und auch sein säm ist ain pfardfuoter, idoch fuoret ez diu pfart niht wol, wan diu wick ist kalt und wintich. die pawläut sprechent, wenn man die wicken alsö grüen oben absneid und man die 15 grüenen stupfein umbacker63 und läz si erfaulen in dem acker, daz tung den acker auz der mäzen wol; läz aber man die wicken dürr werden, sö derren si den acker, ob man si wol zuo mist läze werden dar inn und machen in unfruhtpaer. Alsö scholt wir uns umbackern mit guoten werken die weil wir vrisch und junch waeren, wan so wir dürr werden von alter, sö 20 dorret mit uns der acker aller guoten werk, wan sö müg wir weder got gedienen noch der werlt.
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kintporten: .Uterus, Muttermund'. zuogevceht: 3. Sg. Ind. Präs. von zuogevähen, zuovähen: .empfangen, schwanger werden'. die auzgenden muoter: .die gesenkte, hervorgetretene Gebärmutter'. D. h. Nesseln sollen Gebärmuttervorfall kurieren können. umbacker: 3. Sg. Konj. Präs. von umbackern, .umpflügen'.
Abb. 10: Berthold von Regensburg. Illustration aus einer Handschrift der Österreichischen Nationalbibliothek (Cod. 2829)
Diese Federzeichnung aus einer Handschrift von 1447 zeigt den Prediger Berthold von Regensburg bei einer Predigt auf dem freien Feld, in Nachbarschaft einer Kirche. Vor seinem Pult kauert dicht gedrängt sein Publikum, Frauen und Männer, jung und alt. Einem der Zuhörer scheint ein kleiner Dämon zu entfahren (oder kämpft der Dämon noch um diese Seele?), während in der rechten oberen Bildecke eine Taube - Sinnbild des Heiligen Geistes - zu sehen ist, die aus dem Himmel auf Berthold herabgleitet.
Berthold von Regensburg, Von den fremeden Sünden Unter dem Namen Bertholds von Regensburg sind zahlreiche lateinische und deutsche Predigten in mehreren, zum Teil stark voneinander abweichenden Fassungen überliefert; wohl nicht alle davon gehen tatsächlich auf den Prediger aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zurück. Im folgenden Text, der, wie die anderen Predigten auch, in einem einfachen, mündlich geprägten Stil geschrieben ist, wird vor den vielfaltigen Arten gewarnt, wie man sich an anderer Leute Sünden mit schuldig machen kann.
Man beget hiute die höchgezit des guoten sant Peters als er enbunden wart üz dem kerker des herren Herödes üz den ketenen.1 Wan der künic Herödes hete sant Petem gevangen unde wolte in gemartelt hän2 unde hete in in grözer huote unde hete in gar vaste versmit3 in ketenen von isin unde 5 dannoch hete er in behüetet mit rittern unde mit verwäpenten4 liuten und er hete zwo huote vor einander, die sin5 tac unde naht huoten mit grözem flize. Unde der almehtige got wolte niht daz er dannoch gemartelt würde, unde got sante im einen engel der in fuorte üz der gevancnisse und üz den iseninen banden und üz dem kerker unde durch die huote bede samt, und 10 er fuorte in zuo Jerusalem in die stat. Und als er in brähte in eine gazzen, dö bekante er sich - wan er was varnde6 reht als er waere in einem troume oder in einem twalme - und als er in dö brähte in die gazzen ze Jerusalem, dö bekante er sich selben unde dühte7 in, wie daz er heim wsere komen. Und also wart der guote sant Peter erlöst üz den ketenen und üz den huo15 ten. Unde ze gelicher wise ist eines ieglichen kristenmenschen sele beslozzen in eime kerker. Der kerker ist des menschen lip: da ist diu sele inne mit manigem widermuote von des libes Sünden. Unde swenne ir den kerker rümen müezet, sö hänt iu die tiuvel geleit8 zwo schar. Diu eine huote ist umbe des menschen eigene sünde; diu ander umbe dine9 fremede 20 sünde. Als der guote sant Peter: der muoste durch zwö huote, wan ir was
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Petri Kettenfeier, gefeiert am 1. August. hän = haben, kontrahierte Form. versmit = versmidet: Part. Prät. von (ver)smiden, .schmieden, einschmieden'. verwäpenten: .bewaffneten'. sin: Gen., abhängig von hüeten; ,die ihn Tag und Nacht bewachten'. er was varnde: etwa ,er lebte, er befand sich'. dühte: 3. Sg. Ind. Prät. von dunken, dünken, im MHD auch mit Akkusativ; ,es erschien ihm, als ob er heimgekommen sei'. geleit = geleget: Part. Prät. von legen, kontrahierte Form; ,so haben euch die Teufel zwei Scharen (als Aufpasser, Kerkermeister) aufgestellt'. Plötzlicher Wechsel zwischen dritter Person (hier: des menschen eigene sünde) und direkter Ansprache in der zweiten Person (dine) ist typisch fiir den Stil der gesamten Predigt.
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Prosa
ietweder iu10 behüetet vestecliche mit starker ritterschaft. Und also muoz ein ieglich mensche, swenne sin sele von sinem libe scheidet, so muoz ez durch zwo huote. Die erste huote legent im die tiuvel umbe sine eigene sünde unde versuochent in gar wol umbe sine eigene Sünde, die der men5 sehe selbe tuot. Unde vindent sie tcetlicher Sünden üf im, wenic oder vil, diu niht gebüezet ist oder geriuwet: die tiuvel vahent iueh in der selben huote unde flierent iueh in daz apgründe der helle, da iuwer niemer rät wirt. Unde vindent sie niht eigener Sünden üf iu, so länt11 sie iueh niht dannoch hin: sie suochent iueh in der andern huote umb iuwer fremede 10 sünde. „Wie, bruoder Berhtolt, wie gefuere ie dehein mensche umbe fremede sünde zer helle?" Ja, manic tüsent menschen sint umbe fremede sünde hin ze helle gevam, unde daz ir niemer mer rät wirt. Unde tuont noch. Wan als man sie ersuochet in der ersten sünde und in der ersten huote umb eigene sünde, und als sie danne niht eigener sünde üf in hänt, so ersuochet 15 man sie in der andern huote umbe ir fremede sünde. Vindet man dan iendert deheine fremede sünde üf in, so frieret man sie in der andern huote dannoch hin ze helle umb ir fremeden sünde als jene umb ir eigene sünde in der ersten huote. - Und ez sint niun leie12 fremede sünde, dä die liute mite begriffen werdent in der andern sünde und in der andern huote. Wie 20 vil der eigenen sünde si, der mac man niht ze ende komen13; wan daz ich fünf tage niht anders taste wan daz ich spreche: „daz ist ein tcetlich eigen sünde," so möht ich inner fünf tagen niht wol gesagen, wie vil tcetlicher eigener Sünden wasren. Aber tegelicher14 Sünden ist dannoch mere danne stoubes in der sunnen si, unde die brinnent tegeliche in dem vegefiure. Die 25 tcetlichen sünde die muoz man hie büezen oder iemer in der helle brinnen. Unde der sint15 niune der fremeden Sünden, unde dar umbe die tiuvel die sele hin fuerent. Die erste fremede sünde daz ist der die sünde heizet tuon16. Daz sint alle die, die dä niht rouben wellent noch nieman morden noch brennen noch 30 andern unrehten gewalt: daz wil er allez niemanne tuon mit sin selbes libe, und er heizet ez ander liute tuon. Dirre, den erz dä heizet tuon, der vert 10 11 12 13 14 15 16
ir ietweder iu: jede von ihnen, beide'. länt = läzent, 3. PI. Ind. Präs. von läzen, kontrahierte Form. niun leie: .neunerlei, neun Arten'. Etwa: ,damit wird man nie fertig werden, sie (die eigenen Sünden) aufzuzählen'. tegeliche Sünden: lässliche Sünden, im Gegensatz zu den Todsünden. der sint: ,es gibt'; vgl. Englisch there are. Ein gutes Beispiel für den oft stark verkürzenden Stil, der typisch für die Predigt ist. Man könnte etwa übersetzen: ,Die erste fremde Sünde ist die Sünde, die derjenige auf sich lädt, der einem anderen befiehlt, eine Sünde zu begehen.'
Von den fremeden Sünden
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umbe sine eigene sünde hin zer helle; dirre, der ez da heizet tuon, der vert umbe die fremede sünde in der andern huote hin zer helle. Unde swelher leie sünde ez da ist, daz17 einer sinen kneht heizet tuon argez, daz heizet allez sament fremede sünde. Der heizet sinen kneht fuoter sniden in eines 5 andern mannes acker oder gras oder holz houwen in eines andern mannes holz oder swaz ir heizet tuon unrehtez, daz sint allez fremede sünde unde sie18 vamt alle in der andern huote umb ir fremede sünde hin zer helle. Diu ander sünde, diu ouch der fremeden Sünden einiu ist, diu heizet die sünde des rates. Swer die sünde raetet, ez si diz oder daz, swelher leie sün10 de ein mensche raetet, ob er die sünde selber tuot oder niht, unde raetet er einem menschen also die sünde: „wol dan zuo dem tanze oder zuo dem trinken oder zuo dem spile oder zuo dem muoshüse oder zuo dem roube oder zuo der manslaht oder zuo dem turnei!" Pfi, trüllerin, wie stet ez umbe dinen rät? Daz zehen tiuvel inner zehen jären niemer geraten mügent, 15 daz raetest dü unde tribest ez zuo in einer wochen. Unde die ungetriuwen rätgeben, die den herren übeliu dinc rätent gein armen liuten unde gein riehen, als der ungetriuwe Achitofel und der ungetriuwe Chusi unde der ungetriuwe Balam19, der mit einem ungetriuwen räte wol vier unde vierzic tüsent menschen ermorte. Und also geschiht ez, daz noch raetet ein un20 getriuwer bairät20, der ein lant oder zwei laet21 unsaelic werden ze leide unde ze schaden von sinem ungetriuwen räte, daz halt slehtes dä von verderbent alle die dar inne sint, unde daz halt manic mensche wirt libelos von ungetriuwen raeten. Unde geschiht22 manic tüsent sünde von ungetriuwen raten unde von Übeln rätgeben. Wan swenne die liute von guote scheident, 25 so tuont sie manige sünde, die sie sus niemer getaeten. Unde jene die vamt umb ir eigene sünde in der ersten huote gein helle; die den bcesen rät gebent, die vamt in der andern huote hin zer helle. Riuwe unde buoze nim ich alle z!t üz. Diu dritte fremede sünde diu heizet gunst der Sünden. Daz ist also gespro30 chen: dü wilt einen niht ermorden noch erslahen noch wunden noch be-
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daz: ,das, was (einer seinem Diener Böses zu tun befiehlt).' sie·. Gemeint sind diejenigen, die diese Sünde begehen. " Achitofel und Chusi (Huschai), Ratgeber Davids bzw. Absaloms, spielen in der Geschichte der Rebellion des Sohnes gegen seinen Vater eine prominente Rolle; siehe zweites Buch Samuel 15-17. Balam = Bileam, eine etwas widersprüchliche Gestalt (vgl. viertes Buch Mose 22-24 und 31), die jedoch vor allem als Verführer Israels bekannt ist; siehe etwa den zweiten Brief des Petrus 2,15. 20 bairät: .falscher Ratgeber, Intrigant'. 21 leet = läzet, 3. Sg. Ind. Präs. von läzen, kontrahierte Form. 22 Unde geschiht: ez zu ergänzen; ,Und es geschieht'. 18
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rouben noch verbrennen noch veruntriuwen, oder dü maht sin23 niht getuon: dü ganst24 sin im aber herzelichen wol, daz im ez ander liute tuon; oder swelher leie sünde ez ist, daz dü einem menschen günnen wilt und im wol ganst daz im übel geschiht an libe oder an sele oder an guote oder an 5 eren oder an friunden, oder an swelhen dingen er im übelez gan25: daz ist der fremeden Sünden einiu. Jener vert umbe sine eigene sünde in der ersten huote hin ze helle der die sünde getuot, mit rehte; der ander vert umbe sine fremede sünde in der andern huote hin zer helle. Ja ist daz der höhesten geböte einez: dü solt dinem ebenkristen günnen daz dü dir selber 10 ganst an dem teile. Diu vierde sünde, diu ouch der fremeden sünde einiu ist, diu heizet die sünde der mithellunge, die da mitheller sint unde jäherren26. Ein herre tuo wol oder übel, so sprechent sie anders niht danne: ,jä, herre, ez ist wol getan." Ez sint die smetzer27 unde die trügener unde die smeicher und die 15 vederleser, die mit so getaner schalkeit sich zuo machent28 ofte, daz ein junger herre wil wasnen alwär, unde kumet in boese gewonheit da von. „Ja, herre, ir suit niemanne vertragen, ir suit den vähen, den slahen." Unde swaz29 des ein herre getuot, sö sprechent sie niht anders wan: ,jä, herre, ir tuot gar wol." Er s! unkiusche mit wiben, er si ein rouber, er si ein man20 slahter, er si ein urliuger30 oder ein beschetzer siner armen liute, oder swelher leie untugent er hat, sie si übel oder arc, sö sprechent sie alle: ,jä, herre." We dir geschehe, dü smetzer, dü smeicher, dü vederleser! Dü machest mit einem herren, daz ein lant da von unsaelic wirt mit dinem ,jä, herre"; wan er wasnet allewär. Unde sö dü hiute ein boesez gejäherrest, sö tuot er 25 mome ein zwirunt bceserz.31 Daz ist allez von diner mithellunge. Sö soltest dü sprechen: „nein, herre, lät32 stän! des tet iuwer vater niht oder ander 23
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maht·. 2. Sg. Ind. Präs. von mugen. sin: Gen., abhängig von getuon; .oder du vermagst es nicht zu tun'. ganst: 2. Sg. Ind. Präs. von gunnen. Auch hier die Genitivergänzung sin; ,du gönnst es ihm aber von ganzem Herzen'. gan: 3. Sg. Ind. Präs. von gunnen. Der Hauptsatz zu diesem Relativsatz ist zu ergänzen; etwa: ,es ist die Sünde derer, die Mitläufer sind und zu allem ja, Herr' sagen.' smetzer: ,Verleumder'. sich zuo machen: etwa ,sich aufmachen, sich begeben zu'. swaz: ,es sei' zu ergänzen; ,was es auch sei, das ein Herr tut'. urliuger: ,Kämpfer, Krieger'; hier eindeutig negativ gemeint; beschetzer: .Ausbeuter'. Etwa: ,Und wenn du heute zu einer Untat ja, Herr' sagst, so begeht er morgen eine doppelt so schlimme.' lät = läzet: 2. PL Ind. Präs. von läzen\ also .nein, Herr, lasst es sein!'
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friunde, ir suit gedenken an iuwer edelkeit und an iuwer selbes ere und got ze vorderste, der aller engel herre ist und ein keiser aller künige." Unde durch den almehtigen got, ir herren, der jungen herren rätgeben, ir suit die herren üz der friheit33 nemen unde suit sie üf daz rehte wisen, oder ir müe5 zet in der andern huote hin zer helle varn umb iuwer fremede sünde. Sö varnt die herren dar in der ersten huote umb ir eigene sünde. Und under armen liuten sint ouch miteheller der sünde, unde die dierne34 sprechent zuo ir frouwen, die da man zuo ir mannen habent: „wie, frouwe, ez tuot manigiu frouwe; ja ist ez niht alse gröze sünde alse man ez machet." Unde 10 die knehte sprechent ofte zuo den, die da trügener an ir antwerke35 sint: ,jä, herre, ez tuot maniger zwirent als vil als ir tuot." Unde swelcher leie sünde ez ist, daz einez dem andern hillet36 und ez im die sünde gefuege machet, daz sint allez fremede sünde, unde jene die ez tuont, die varnt in der ersten huote hin zer helle umb ir eigen sünde; sö vamt die miteheller in 15 der andern huote hin zer helle umb ir fremede sünde. Sö sint die fünften die die sünde schirment unde behüetent. Daz sint alle die, die ashter unde rouber, diebe unde ketzer unde funtherer beschirment wizzentliche in ir bürgen oder in ir steten oder swä sie gewalt habent, oder die in dem banne sint, oder swelcher leie liute ez sint die schedelich sin, 20 die ein herre beschirmet, der ist in der fremeden sünde einer und er vert in der andern huote hin zer helle umbe sine fremeden sünde. Sö vert der, der die sünde üf im hat, umbe sine eigene sünde dar in der ersten huote, und alsus muoz dirre alse wol brinnen iemer mer ewicliche umbe sine fremede sünde alse jener umbe sine eigene; wan der ist sin schilt unde sin frideman 25 und ist sin turn unde sin burc unde sin müre. Man solte armen liuten ab in rihten, sö kerten sich vil lihte vier oder zehen dran, daz sie sin37 für baz niemer mer gedachten. Als sie danne einen beschirmer habent, sö wirt ir aber alle tage ie mer unde ie mer. Und alle die, die sie also behaltent die unvertigen liute unde versprochenen liute, die schedelichen sint der 30 kristenheit, die sint alle in der fremeden Sünden einer und vamt in der andern huote hin zer helle, da ir niemer mer rät wirt. Wer getorste38 rouben
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friheit: hier negativ zu verstehen, etwa ,ihr sollt eure Herren von ihrem willkürlichen Verhalten abbringen und sie auf den rechten Weg weisen'. dierne: .Dienerinnen, Zofen'. antwerke·. .Handwerk'; also etwa ,die in ihrem Handwerk (Beruf) betrügen'. hillet: 3. Sg. Ind. Präs. von hellen, hier etwa .übereinstimmen, bestärken' (wie in miteheller). Also: .Und welcherlei Sünde es ist, in der einer den anderen bestärkt und ihm so die Sünde als akzeptabel erscheinen lässt, das sind alles .fremde Sünden". sin: Gen., abhängig von gedenken; .dass sie es in Zukunft nicht mehr erwägen'. getorste: 3. Sg. Prät. von (ge-) turren, .wagen, sich trauen'.
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Prosa
oder stein oder brennen oder furkoufen oder wuochern oder ebrechen? Der getorste man der aller deheinez getuon der Sünden; unde da von sint sie ewicliche verdampt in der andern huote. Und alle, die unvertige liute in ir hiusem habent wizzentliche, die sint in der fremeden Sünden einer. Als die 5 herren, also sint die armen liute ouch. Diu sehste daz ist ein sünde, ein fremediu sünde, unde heizet nutz der Sünde. Wan alle die sünde solten wem unde rihten unde sie durch miete39 ungerihtet länt unde durch den nutz den sie da von habent, die varnt in der andern huote hin zer helle. Der rihter wil niht ein wuocherer sin, und er laet 10 doch ander liute vil sere wuocheren, durch den nutz, den die geistlichen rihter da von habent und ouch die werblichen. Mali laid, mali religiosi. Daz ist aber gar der sihtige tiuvel40. Und also vertragent sie maniger leie sünde die geistlichen rihter, unde dar umbe so müezent sie iemer verlorn sin. Wan sie wellent nicht furkoufen noch dingesgeben41, noch enwellent 15 niht velscher unde trügener sin an ir antwerken und an ir koufe42: sie wellent aber den nutz haben von den brötbecken, daz er kleinen kouf backet unde bi guoten jären armen liuten hunger machet mit siner trügenheit. Dar umbe nement die rihter ein wenic guotes unde läzent armen liuten grözen schaden tuon. Her rihter, der brötbecke vert in der ersten huote umbe sine 20 eigene sünde zer helle; so suit ir und iuwer genözen in der andern huote da hin varn umbe iuwer fremede sünde. Daz selbe spriche ich ouch zuo den winmannen, die den win veil habent unde die rehten maze niht engebent; und ouch zuo dem pfragener43 unde zuo dem krämer, die niht rehte wäge habent, oder swelcher leie trügenhaften kouf sie veil habent. Durch den 25 nutz den sie da habent, dar umbe müezent sie verdampt sin. Sö länt dise rihter hie ebrechen, dort sippebrechen, diz unde jenz, einz unde daz ander. Swelher leie sünde sie vertragent durch den nutz der in dä von wirt und ir44 niht rihtent, ez si roup oder diepheit oder frevel oder anderz daz man witwen unde weisen rihten solte, daz ist diu sehste fremede sünde. Ouch diu 30 selbe fremede sünde daz ist, der die sünde schirmet durch liebe; sö ist diz durch nutz. Sö wil etelicher niht ein trügener sin weder mit dem koufe oder mit dem antwerke, und er nimet im einen gesellen, der gar ein trügener ist und ein lügener und ein trufator45 und ein tiuscher. Unde der wil gar
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durch miete: etwa .wegen Bestechung'. der sihtige tiuvel: ,der leibhaftige Teufel'. dingesgeben: .Pfandleihe'. koufe: hier ,Ware'. pfragener: .Händler'. ir: bezieht sich auf swelher leie sünde. trufator: .Betrüger'.
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unschuldic sin an siner triigenheit, und er nimet aber den nutz gar gerne an der geselleschaft. Wan swaz sin geselle mit lügenen unde mit triigenheit gewinnet, des nimt er sinen teil. Jener der da liuget unde triuget, der vert in der ersten huote in die helle; der ander vert in der andern huote dar. Und 5 ir frouwen, ir wellet ouch niht unvertigez46 guot gewinnen mit wuocher noch mit furkoufe noch mit triigenheit noch mit roube noch mit deheiner unrehten wise, unde habet aber den nutz vil gerne der da von kumet an guoten kleidern oder an guotem ezzen oder an gemache unde an trinken und an eren und an allen dingen. Und dar umbe so müezent ir den angel 10 tiuhen47, als ir das hünic da süget. Iuwer wirte die vamt in der ersten huote umbe ir eigene sünde in die helle, unde die frouwen in der andern huote umb ir fremede sünde dar. Ir tabemer, ir nemet ouch den nutz der Sünden. Ob ir selbe niemer getopelt48 oder gespilt, so nemet ir von den würfeln unde von dem liehte und von dem brete, von dem phantrehte, von dem 15 zuosehenne. Swelher leie nutz ir von dem spil nemet, sö sit ir in der fremeden sünde einer. Der spiler vert umbe daz spil gein helle in der ersten huote, und alle die da nutz da von habent die vamt in der andern huote dar umb ir fremede sünde. Diu sibende fremede sünde daz sint alle die, die da die sünde verswigent. 20 Als ob man in eines hüs iht trüege daz da verstoln waere unde dü daz verewigest; oder ander sünde, unkiusche oder ebrechen, oder swaz man da verhelte und in niht seite49 unde man dich frägete bi diner wärheit unde dü daz verewigest und daz niht riiegest als dü gefräget bist, oder swelher leie ez ist, daz der man verewiget daz er ze rehte sagen solte, ketzerie oder 25 zouber oder ander schedelichiu dinc, daz er da ze rehte sagen solte. Wan der da verhilt50 der ist ein dieb als wol als jener der da stilt. Diu ahte fremede sünde daz ist, der die sünde niht wert, swä man sie ze rehte wem sol. Daz get aber die rihter an, sie sin geistlich oder werltlich. Alle die sünde, die sie vertragent und ir niht wemt und also hin läzent gen 30 durch miete oder durch liebe oder durch leide oder durch lihtsenftekeit, oder in swelher wise dü ez vertreist5' und sin niht werst, ez si der apt oder die eptissin oder probest oder techant52 oder pfarrer oder vater oder muo46 47
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unvertec: ,unrechtmäßig'. tiuhen, diuhen: hier etwa .einziehen'. Also: ,Und deshalb müsst ihr den Stachel einziehen, wenn ihr dort den Honig saugt.' ise ) topein: .würfeln'. seite = sagete. verhilt·. 3. Sg. Ind. Präs. von verheln, .verbergen, verheimlichen'. vertreist = vertragest; vertragen hier etwa .geschehen lassen'. techant .Dekan'.
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ter, die ir undertänen und ir kinden unrehte fuore vertragent oder unzuht unde sünde und swelher leie ez ist, daz sie ir kinden ze rehte wem suln, alle unzuht und alle sünde und allez übel, unde swä sie des niht tuont, so varnt diu kint umbe ir eigene sünde in der ersten huote hin zer helle; so 5 varnt ir veter und ir müeter und ander, die sünde wem sulnt, die varnt in der andern huote umb ir fremede sünde hin zer helle. Diu niunde fremede sünde daz ist diu sünde, der die sünde niht offent da er sie offenen sol. Als da man elichiu dinc hat - eteswä heizet ez kristenlichiu dinc - da gebiutet53 man hin allen den, die in der pfarre sint, unde 10 fraget aller meniglich, wie ez umb ir nächgebüre ste. Unde swaz der mensche dö verewiget des er gefräget wirt bi der gehörsam54, ez si durch liebe oder durch miete, oder swelich dinc daz ist dar umbe erz verswiget, sö ist er in der fremeden sünde einer unde vert in der andern huote hin zer helle. Sö varnt dise in ir eigenen sünde hin zer helle. 15 Und also wirt der mensche verdampt umbe die fremede sünde als gar als umbe die eigene sünde. Und ir suit wizzen, daz iu niht als schedelich ist als diu sünde. Daz sprichet der guote sant Paulus: „die sünde vellent den menschen in daz apgründe der helle, da sin niemer rät wirt." Unde dar umbe, ir herschaft alle samt, ir habet eigene sünde oder fremede sünde, ir 20 habet kleine sünde oder gröze sünde, sö gewinnet wären riuwen unde gewinnet lüter bihte und enpfahet buoze näch gotes gnaden unde näch iuwem staten, daz ir gesprechen müget als der guote sant Martin. Dö der von dirre Werlte schiet und ouch durch zwo huote fuor, dö sprach er zuo dem tiuvel: „ei var hin, bluotigez tier! dü vindest nihtes niht an mir: ez ist 25 allez samt gebüezet kleine unde gröz." Wan sie ersuochent iuch vil gar unde vil kleine." Unde dar umbe seht für iuch an fremeden sünden und ouch an eigenen sünden, ir junge werlt, die noch äne houbethafte sünde sint. Ir suit iuch dar vor behüeten, wan diu sünde ist vil bezzer ze miden dan ze büezen. Iu wirt niemer mere sö wol wan die wile ir äne sünde sit. Ir 30 hceret wol, wie maniger leie die sünde sint unde wie küme sie ze büezen sint. Unde komet üf den linden wec zem himelriche, als der guote sant Uolnch unde der guote sant Niclaus unde der andern ein michel teil. Die
aber da gesündet habent unde fremede sünde oder eigene hänt getan, die sulnt dar umbe niht verzagen, unde gewinnen wäre riuwe unde komen ze 35 lüterre bihte unde ze buoze näch gotes gnaden und näch iuwem staten: als
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gebiutet: 3. Sg. Ind. Präs. von gebieten, hier mit Dativ; etwa ,da (zu dem elichen dinc, dem Gerichtstag) lädt man alle vor, die in der Pfarre leben'. gehörsam (MHD auch als Femininum): hier etwa ,Gehorsamspflicht'. Etwa: ,Denn sie (die Teufel) untersuchen euch ganz genau und ganz sorgfaltig.'
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die danne üz dem kerker erlceset werdent und ir durch die zwo läge suit vam, die iu die tiuvel legent, daz iuch danne der engel durch die zwo huote geleite zuo Jerusalem in die stat, als dem guoten sant Peter dö geschach, des höhgezit man hiute beget in der heiligen kristenheit, als er von den ketenen erlost wart. Unde dar umbe suit ir in an ruofen, daz er iu erwerbe die gnade unsers herren, daz er iuch enbinde von allen den Sünden, da ir mite gebunden sit an ltbe und an sele, daz ir gewiset und geleitet werdet von den heiligen engein vor allen stricken des tiuvels, vor aller der huote unde vor allen den engesten unde vor allen den noeten, die uns hie üf disem ertliche an ligent von der bürden des fleisches unde von der werlte süeze unde von des tiuvels raeten; unde daz wir komen in die himelischen Jerusalem, da wir uns erkennende werden, daz wir in dem rehten erbeteil sin. Wan alle die wile unde56 wir in dirre werlte sin, sö sin wir in dem eilende und erkennen deheine staetikeit, der wir enpfinden, wan wir niht wan trügenheit und üppikeit hie haben. Da von bekante sich der guote sant Peter, dö er ze Jerusalem in die gazzen kam, do bekante er sich. Vor was er rehte gewesen als er in eime troume waere. Also sin wir in dirre werlte reht als in eime troume, unde da von sullen wir den guoten sant Peter an ruofen, daz er uns helfe umb unsern herren erwerben, daz wir uns erkennende werden in der himelischen Jerusalem. Daz uns daz allen widervar, mir mit iu und iu mit mir, des ersten" an der sele und an dem jungesten suontage an übe und an sele, daz verlihe uns allen samt der vater unde der sun unde der heilige geist. Amen.
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Wart alle die wile unde: des ersten: ,zuerst'.
,denn solange'