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German Pages 168 Year 2004
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Band 45
Mittelbare Straftatfolgen und ihre Berücksichtigung bei der Strafzumessung Von Katja Mestek-Schmülling
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
KATJA MESTEK-SCHMÜLLING
Mittelbare Straftatfolgen und ihre Berücksichtigung bei der Strafzumessung
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von G ü n t e r Ko h l m a n n , C o r n e l i u s N e s t l e r J ü rg e n S e i e r, M i c h a e l Wa l t e r S u s a n n e Wa l t h e r, T h o m a s We i g e n d Professoren an der Universität zu Köln
Band 45
Mittelbare Straftatfolgen und ihre Berücksichtigung bei der Strafzumessung Von Katja Mestek-Schmülling
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Hohe Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2002 unter dem Namen Katja Schmülling als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: WB-Druck GmbH & Co., Rieden im Allgäu Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-11023-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Inhaltsverzeichnis 11
Einleitung
A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Abgrenzung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 C. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 D. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1. Kapitel 17
Bestandsaufnahme der wichtigsten mittelbaren Straftatfolgen
A. Beeinträchtigungen wirtschaftlicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Strafrechtliche Mehrfachverfolgung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 C. Beeinträchtigungen beruflicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beeinträchtigungen infolge verwaltungsrechtlicher Maßnahmen . . . . . . . II. Beeinträchtigungen infolge fakultativer disziplinar- bzw. berufsgerichtlicher Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beeinträchtigungen infolge obligatorischer disziplinarischer Maßnahmen IV. Automatischer Verlust der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit, § 45 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Beeinträchtigungen ausländerrechtlicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestimmungen über die Ausweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzlicher Ausweisungsschutz für bestimmte Ausländer . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kapitel Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Schrifttum
29
A. Die Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Die Auffassung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
6
Inhaltsverzeichnis 1. Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf die Berücksichtigung einzelner mittelbarer Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematische Begründung für die strafmildernde Berücksichtigung a) Relevanz mittelbarer Straftatfolgen auf der Ebene der rahmenausfüllenden Strafbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . bb) Annahme der Schuldausgleichstauglichkeit mittelbarer Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Bestimmung des Strafrahmens („minder schwerer Fall“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafmilderung im Rahmen des Spielraums schuldangemessener Strafen zwecks Vermeidung entsozialisierender Wirkungen . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einschränkungen der Rechtsprechung in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . 1. Der soziale Ansehensverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine zusätzliche Belastung durch Nichtgewährung eines unmittelbar aus der Straftat erlangten Gewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die tatrichterliche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mittelbare Straftatfolgen als sog. „bestimmende“ Strafzumessungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Bestimmende“ Strafzumessungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erörterungsbedürftigkeit mittelbarer Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . c) Korrekturen durch die besonderen Umstände des Einzelfalls . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Bewertung der Ausweisungsfälle gemäß § 45 ff. AuslG . . a) 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Diskussion der besonderen Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Notwendige Differenzierung innerhalb der heterogenen Gruppe der Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unzulässige moralische Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Inkonsequente Abgabe der Berücksichtigung besonderer Härten an die Ausländerbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . I. Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Strafzumessung nach § 46 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Relevanz für die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe . . . . . . . . . . a) Position von Streng und Nicolaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Position von Bruns, Walter und Frisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Position von Schäfer, Stree und Lambrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 35 35 35 36 37 38 39 40 41 41 41 42 43 43 44 45 46 46 47 48 49 49 51 52 53 54 54 55 55 57 61
Inhaltsverzeichnis
II.
2. Relevanz für die Feinabstimmung der Strafe im Rahmen der schuldangemessenen Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme eines „minder schweren Falls“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dem Bundesgerichtshof folgende Ansichten innerhalb des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3. Kapitel Kritik an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und am Schrifttum A. Kritik an der Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Findung der „reinen“ Schuldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfehlte Anrechnung beamtenrechtlicher Disziplinarmaßnahmen auf die Strafe aufgrund ihres (angeblichen) „Sanktions“charakters . . . . . . . . II. Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen unter dem Aspekt der Strafempfindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Position von Streng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die generalpräventive Funktion angemessener Schuldverdeutlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Vorwurf der Klassenjustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Position von Nicolaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur Annahme der Schuldausgleichstauglichkeit mittelbarer Straftatfolgen 1. Begründung der kompensatorischen Wirkung mittelbarer Straftatfolgen durch Walter mittels des Rechtsgedankens aus § 60 StGB . . . . . 2. Grundsätzliche Kritik an einer Verwertung des Rechtsgedankens des § 60 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Allgemeine Kritikpunkte zur Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in den Schuldausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die systematische Relevanz der „Wirkungen der Strafe“ im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorwurf der Inkonsequenz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nicht-Aussetzung der Strafe zur Bewährung . . . . . . . . 3. Unvertretbare Unsicherheiten und Zufälligkeiten im Bereich des Schuldausgleichs in Ansehung fakultativer Straftatfolgen . . . . . . . . . B. Kritik an der Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme „minder schwerer Fälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kritik gegen eine Einbeziehung tatunrechts- und tatschuldunabhängiger Gesichtspunkte für die Bestimmung „minder schwerer Fälle“ . . . . . . . . 1. Systematische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entgegenstehende Gerechtigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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71 72 74 75 75 76 76 78 78 79 80 81 81 82 83 84 84 85
8
Inhaltsverzeichnis
II.
3. Ausschließliche Abhängigkeit der Schwereskalen von Unrechts- und Schuldmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
C. Allgemeine Kritik an einer Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unterlaufen disziplinarischer Anknüpfungen an das Strafurteil und mögliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Generalisierende Kriterien für eine eingeschränkte Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Position von Terhorst und Stree . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Position von Streng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
4. Kapitel Entwicklung eines systematischen Konzepts zur Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Auffassungen und Kritikpunkten
90
A. Die unterschiedlichen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B. Kritische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen . . . . . . . . I. Strafmildernde Anrechnung von Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter auf die schuldangemessene Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Strafcharakter disziplinarischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Charakter der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlende gesetzliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte . . . . . (2) Das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die gängige Auffassung innerhalb der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Diskussion und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Strafcharakter disziplinarischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . aa) Disziplinarische Maßnahmen mit (auch) repressivem Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Disziplinarische Maßnahmen mit ausschließlich präventivem Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umgang mit einer (drohenden) doppelten Bestrafung: Gegenseitige Anrechnung oder Verfahrenshindernis nach Art. 103 Abs. 3 GG? . . a) Der Grundsatz „ne bis in idem“ (Art. 103 Abs. 3 GG) . . . . . . . .
92 92 92 93 93 94 94 95 96 98 102 103 103 104 105 106
Inhaltsverzeichnis
II.
aa) Der Grundgedanke der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Beschränkung auf die Bestrafung nach den „allgemeinen Strafgesetzen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Vorstellung des Grundgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . (2) Die allgemeine Ansicht im Schrifttum und in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erstreckung des Art. 103 Abs. 3 GG auf Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 103 Abs. 3 GG als spezifisch strafrechtliche Verfassungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen dieser Betrachtungsweise für die Einbeziehung disziplinarischer Maßnahmen mit Strafcharakter in Art. 103 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konsequenzen für die strafmildernde Berücksichtigung disziplinarischer Maßnahmen bei der Strafzumessung . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafmildernde Anrechnung sonstiger belastender Maßnahmen auf das materielle Übel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Symbolischer Ausgleich der durch den Normbruch bedingten Verletzung durch unmittelbare Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt des Schuldprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnismäßigkeit des materiellen Übels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Absehen von Strafe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Erklärung für straffrei“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) „Täter-Opfer-Ausgleich“ / „Schadenswiedergutmachung“ (4) Kompensatorische Wirkung mittelbarer Straftatfolgen . . cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einfluß mittelbarer Straftatfolgen auf die Strafempfindlichkeit des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auseinandersetzung mit der Kritik an der Relevanz der Strafempfindlichkeit für die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe . . aa) Der Einwand Strengs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Einwand Nicolaus’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Einwand Horns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Diskussion der allgemeinen Kritik hinsichtlich einer strafmildernden Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf das Maß des materiellen Übels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Vorwurf der Inkonsequenz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nicht-Aussetzung der Strafe zur Bewährung
9 106 107 107 107 108 108
110 113 114 115 117 117 119 120 121 122 122 122 123 125 125 125 126 126 127 129 130 130
130 130
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Inhaltsverzeichnis b) Unsicherheiten und Zufälligkeiten im Bereich des Schuldausgleichs in Ansehung fakultativer Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter spezialpräventiven Aspekten im Rahmen der schuldangemessenen Strafe . . . . . . . . . . . 1. Die „Spielraumtheorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die sog. Sozialklausel des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der fehlerhafte Gebrauch der Sozialklausel durch den Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vermeidung entsozialisierender Wirkungen infolge mittelbarer Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafmilderung in Ansehung zwingender mittelbarer Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafmilderung zwecks Aussetzung der Strafe zur Bewährung . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme eines „minder schweren Falls“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Strafrahmensystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des „minder schweren Falls“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) (Subjektiv-)Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Notwendige Korrektur durch (objektiv-)teleologische Auslegung? 3. Ergebnis und Bedeutung für den Strafzumessungsakt . . . . . . . . . . . . .
C. Notwendige Einschränkung der strafmildernden Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen mittels eines generalisierenden Kriteriums . . . . . . . . . . . . . . I. Bewußte Kalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parallele und spiegelbildliche Folgen der dem Opfer zugefügten Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parallele Folgen des dem Opfer zugefügten Nachteils . . . . . . . . . . . . 2. Spiegelbildliche Folgen des dem Opfer zugefügten Nachteils: Die Schadensrestitution nach § 46a Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131 134 136 136 136 137 138 138 139 141 143 143 144 144 145 146 147 148 149 149 150 151 151 153
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Einleitung A. Problemstellung Mittels strafrechtlicher Normen werden bestimmte staatliche Verhaltensanforderungen abgesichert, deren Beachtung der Gesetzgeber als unverzichtbar einschätzt. Begeht ein Mensch eine Straftat, signalisiert er grundsätzlich, daß er die Geltung dieser Verhaltensvorgaben nicht akzeptiert. Der Staat reagiert darauf in Form von Strafe. Der Normverstoß wird in einem strafrechtlichen Verfahren bewertet, um die verletzte Norm zu rehabilitieren und damit letztlich auch zu stabilisieren. Neben der Strafe können den Täter aber auch andere Belastungen treffen, die aus seiner sozialen Stellung, seiner beruflichen Situation oder seiner Nationalität folgen. Diese zusätzlichen Straftatfolgen können den Täter schwer treffen, z. B. dann, wenn sie – bei disziplinarischen oder ausländerrechtlichen Maßnahmen – den Verlust der beruflichen und sozialen Existenz bedeuten. Sie können den Täter aber auch einfach zusätzlich belasten, wie z. B. eine Geldbuße oder eine Gehaltskürzung. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und im Schrifttum ist einhellig anerkannt, daß solche mittelbare Straftatfolgen, die den Täter belasten, strafmildernd bei der Strafzumessung berücksichtigt werden müssen. Kontrovers wird diskutiert, welche mittelbaren Straftatfolgen im einzelnen berücksichtigungsfähig sind und auf welche Weise sich ihre Einbeziehung in das System der Strafzumessung rechtfertigen läßt. Bezugspunkt der Diskussion ist die systematisch in dieser Hinsicht nur oberflächlich fundierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Insgesamt kommt eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung in drei verschiedenen Varianten – möglicherweise kumulativ – in Betracht: erstens bei der Bestimmung des Strafrahmens („minder schwerer Fall“), zweitens auf der Ebene der rahmenausfüllenden Strafbemessung und drittens bei der Modifizierung der endgültig festzulegenden Strafe durch anschließende präventive Überlegungen. Bei den ersten beiden Varianten tritt das Problem auf, daß die mittelbaren Straftatfolgen weder das Maß des verschuldeten Unrechts („Erfolgsunwert“) noch das Maß der Vorwerfbarkeit des Täterhandelns („Handlungsunwert“) berühren. Für die Strafrahmenbestimmung und die strafrahmenausfüllende Strafbemessung sind aber gerade diese beiden Kom-
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Einleitung
ponenten, also das Maß der Strafzumessungs- oder auch Tatschuld, erheblich. Das folgt daraus, daß das Strafrecht ein Schuldstrafrecht ist und Schuld insoweit die in der Tat aktualisierte Schuld bedeutet. Voraussetzung für die Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in die Bestimmung des Strafrahmens oder den Bereich des Schuldausgleichs ist also, daß bei dem jeweiligen Strafzumessungsvorgang auch Gesichtspunkte von Bedeutung sein können, die keinen Einfluß auf den Handlungs- oder Erfolgsunwert haben. Die hierzu vertretenen Auffassungen werden aufgegriffen und zum Anlaß genommen werden müssen, die Gründe zu hinterfragen, die dafür sprechen, mittelbare Straftatfolgen in die Strafrahmenwahl und die rahmenausfüllende Strafzumessung einzubeziehen. Anhand des gefundenen Ergebnisses kann dann geklärt werden, auf welches systematische Fundament sich eine solche Berücksichtigung stellen läßt. Neben der Besprechung dieser zentralen Problematik wird besonders auch auf die in Ansehung ausländerrechtlicher Folgen der Straftat uneinheitliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eingegangen werden müssen. Die Divergenz innerhalb der Rechtsprechung wird daran sichtbar, daß der Bundesgerichtshof mittelbare Straftatfolgen grundsätzlich als sogenannte „bestimmende“ Strafzumessungsgründe bewertet und die ausländerrechtlichen Konsequenzen einer Straftat von dieser Einordnung ausnimmt. Diese Unterscheidung ist von erheblichem praktischem Interesse, da die Bewertung als bestimmender Strafzumessungsgrund die ausdrückliche Erörterung der Folge in den Strafzumessungserwägungen des Tatrichters erforderlich macht. Lösen ausländerrechtliche Folgen der Tat keine materiellrechtliche Begründungspflicht aus, bleibt damit eine fehlerhafterweise unterlassene Strafmilderung unbeanstandet.
B. Abgrenzung des Themas Unter mittelbaren Straftatfolgen werden Beeinträchtigungen des Täters verstanden, die über die jeden treffenden „normalen“ Straftatfolgen hinausgehen. Ihnen ist gemeinsam, daß sie von dem Täter nicht selbst und unmittelbar herbeigeführt werden, sondern entweder infolge der Verurteilung von Gesetzes wegen eintreten, durch den Strafvollzug bedingt sind oder wegen der Straftat bzw. der Verurteilung von seiten Dritter verursacht werden1. 1
Vgl. auch Nicolaus, S. 117, der allerdings die durch den Strafvollzug bedingten Folgen nicht mit in die Definition einbezieht. Auch der BGH hält eine Einbeziehung der beruflichen Folgen durch den Vollzug für erforderlich, BGH, NStZ-RR 1998, 205 = BGH, StV 1998, 375. Ob diese Rechtsprechung einer rechtlichen Überprüfung standhält, wird an gegebener Stelle erörtert werden.
B. Abgrenzung des Themas
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Dabei werden auch solche mittelbaren Straftatfolgen als thematisch relevant angesehen, die vom Strafrichter selbst verhängt werden, die aber nicht als Strafe qualifiziert werden. Ob der Täter beispielsweise aufgrund eines vom Gericht verhängten Berufsverbots nach § 70 StGB oder aufgrund einer Entziehung der Gewerbeerlaubnis nach § 35 GewO durch die zuständige Behörde seinen Beruf für eine bestimmte Dauer nicht mehr ausüben darf, kann hier im Hinblick auf die Beurteilung der zusätzlichen Belastung des Täters neben der Strafe keinen Unterschied machen. Beide Folgen werfen die gleichen systematischen Fragen hinsichtlich ihrer strafmildernden Berücksichtigung bei der Strafzumessung auf. Werden neben der sog. Hauptstrafe durch das Gericht Nebenstrafen verhängt, wie etwa das Fahrverbot nach § 44 StGB oder die fakultativen Straftatfolgen nach § 45 Abs. 2 und Abs. 5 StGB2, wird ihre Relevanz für das Maß der schuldangemessenen Strafe nach allgemeiner Auffassung als unproblematisch angenommen. Als Strafen müssen sie gemeinsam in einem angemessenen Verhältnis zur Strafzumessungsschuld stehen. Insoweit scheiden die Nebenstrafen aus der Betrachtung aus. Von vorneherein außer Betracht bleiben muß darüber hinaus der soziale Ansehensverlust des Täters aufgrund der Tatbegehung. Hierbei handelt es sich um einen regelmäßigen Begleitumstand jedes geahndeten Delikts, dessen Verwertung im Rahmen der Strafzumessung vor dem Hintergrund des Doppelverwertungsverbots nach § 46 Abs. 3 StGB fehlerhaft wäre3. In bezug auf regelmäßige Begleitumstände hat der Bundesgerichtshof für den Fall eines vollendeten Tötungsdelikts entschieden, es gehöre zum regelmäßigen Erscheinungsbild des Delikts, daß der Angeklagte durch seine Tat besonderes Leid über die Familie des Opfers und seine eigene Familie bringe, so daß diese Tatfolgen im allgemeinen nicht strafschärfend berücksichtigt werden dürften4. Da auch der soziale Ansehensverlust zum regelmäßigen Erscheinungsbild einer geahndeten Straftat gehört, wird sich aus dieser mittelbaren Straftatfolge dann auch keine Strafmilderung begründen lassen. Die Beschränkung der Thematik auf die Auseinandersetzung mit mittelbaren Straftatfolgen liegt darin begründet, daß diese eine weitaus größere Bedeutung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung haben als unmittelbare Straftatfolgen. Dies läßt sich zum einen darauf zurückführen, daß sie 2 Zur Qualifizierung als Nebenstrafen: BGH bei Dallinger, MDR 1956, 9; Tröndle/Fischer zu § 45, Rn. 7; Lackner/Kühl zu § 45, Rn. 3; Maurach/Gössel/ Zipf, AT II, S. 526 f.; Hirsch, in: LK zu § 45, Rn. 1, der sie als Sanktionen eigener Art mit schwerpunktmäßig strafrechtlichem Charakter definiert, für die die allgemeinen Strafzumessungsregeln gelten sollen; a. A. Nelles, JZ 1991, 17 (18). 3 Vgl. Schönke/Schröder-Stree zu § 46, Rn. 45a. 4 BGH bei Theune, NStZ 1989, 173 (174).
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Einleitung
im Vergleich zu den unmittelbaren Straftatfolgen eine häufige Begleiterscheinung einer Straftat darstellen, wie im folgenden (1. Kapitel) aufgezeigt wird. Unmittelbare Straftatfolgen stellen hingegen oft tragische Konfliktfälle dar, die sich nur selten ereignen. Zum anderen lassen sich die den Täter unmittelbar infolge der Tat treffenden Schicksalsschläge problemlos auf die Vorschrift des § 60 StGB stützen, weil sie den Täter derart schwer treffen, daß ein Absehen von Strafe naheliegt. Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen in Form einer Strafmilderung bereitet demgegenüber, zumindest was die systematische Begründung angeht, wesentlich mehr Schwierigkeiten. Die wenigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Berücksichtigung unmittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung5 wurden daher auch, wenn überhaupt, nur positiv besprochen6. Hingegen ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung nach wie vor Gegenstand umfangreicher kritischer Anmerkungen und Diskussionen seitens des Schrifttums.
C. Der Gang der Untersuchung Der Gang der Untersuchung erfolgt in vier Schritten. Zunächst wird im 1. Kapitel eine Bestandsaufnahme der denkbaren belastenden Straftatfolgen vorgenommen. Sie soll einen Eindruck von der Reichweite möglicher Belastungen für den Täter durch mittelbare Straftatfolgen vermitteln, um die Bedeutung der Thematik für die tatrichterliche Praxis zu erläutern. Die Darstellung beinhaltet keine Wertung dahingehend, daß diese Folgen im Ergebnis eine Strafmilderung rechtfertigen können. Dies wird erst im 4. Kapitel zu erörtern sein. Im 2. Kapitel werden die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und die Ansicht des Schrifttums zur strafmildernden Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung dargestellt. Im Mittelpunkt des Interesses wird hierbei die systematisch unterschiedliche Handhabung der Problematik durch die höchstrichterliche Rechtsprechung und das Schrifttum stehen. Daneben wird ein Überblick über die inhaltliche Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegeben. Dies erscheint deshalb erforderlich, weil sich der Standpunkt des Bundesgerichtshofs in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt hat. Noch bis Ende der 70er Jahre sprach er sich deutlich gegen eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung aus. Das 3. Kapitel widmet sich der Kritik des Schrifttums gegen die extensive Handhabung der Thematik durch die höchstrichterliche Rechtspre5 6
BGHSt 27, 298 ff.; BGH, NStZ 1997, 121 f. Vgl. Stree, NStZ 1997, 122 f.
C. Der Gang der Untersuchung
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chung, wobei diese Kritik sich immer auch gegen die Auffassungen innerhalb des Schrifttums richtet, die dem Bundesgerichtshof folgen. Die kritischen Überlegungen gehen dabei in mehrere Richtungen: sie beziehen sich im wesentlichen auf systematische Gesichtspunkte, daneben werden aber auch Aspekte erörtert, die gegen eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung überhaupt sprechen. Als allgemeiner Kritikpunkt wird die schwierige Situation des Tatrichters angeführt, der in Ansehung noch zu erwartender fakultativer Folgen prognostisch tätig werden muß und der hierdurch Unsicherheiten und Zufälligkeiten in die Strafzumessung transportieren könnte. Aber auch auf die Gefahr einer „Klassenjustiz“ oder eines Unterlaufens disziplinarischer Bestimmungen wird kritisch eingegangen. Darüber hinaus wird in Ansehung bestimmter mittelbarer Straftatfolgen durch manche Autoren eine kategorische Einschränkung einer Berücksichtigung gefordert. Im 4. Kapitel wird ein eigenes systematisches Konzept erarbeitet, wobei innerhalb der jeweiligen Untersuchungsgegenstände die entsprechenden Auffassungen des Bundesgerichtshofs und des Schrifttums eingehend untersucht und diskutiert werden. Wie einleitend dargelegt, wird hier der Frage nachgegangen, ob eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen schon bei der Bestimmung des Strafrahmens („minder schwerer Fall“), auf der Ebene der rahmenausfüllenden Strafbemessung und/oder bei der Modifizierung der endgültig festzulegenden Strafe durch anschließende präventive Überlegungen in Betracht kommt. Dabei beansprucht insbesondere die zweite Variante eine umfangreiche Erörterung. Der dem eigenen Ansatz insoweit zugrundeliegende Ausgangsgedanke ist, daß das Maß des zu verhängenden materiellen Übels wegen des grundrechtsrelevanten Eingriffs am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz überprüft werden muß. Das Übermaßverbot gebietet es, die Intensität des materiellen Übels so zu bestimmen, daß es in seinem Ausmaß geeignet, erforderlich und angemessen ist, den mit seiner Verhängung durch den Staat verfolgten Zweck zu erreichen. Es wird erläutert, daß das materielle Übel einen (symbolischen) Ausgleich des Freiheitsverzichts der sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen bewirken soll. Läßt sich begründen, daß mittelbare Straftatfolgen im Hinblick auf diesen Ausgleich kompensatorische Wirkung zukommt, können sie das Maß des (sonst) zur Zweckerreichung erforderlichen materiellen Übels reduzieren. Abschließend wird ein von Seiten der Literatur gemachter Vorschlag zu einer kategorisierten Beschränkung der berücksichtigungsfähigen mittelbaren Straftatfolgen aufgegriffen und beurteilt.
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Einleitung
D. Ziel der Untersuchung Das Ziel dieser Untersuchung ist nicht, abschließend eine Lösung zu unterbreiten, mittels derer zukünftig der komplexen und schwierigen Problematik um die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung beigekommen werden kann. Die Bearbeitung versteht sich als (weiteren) Beitrag zur Diskussion. Nach kritischer Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Auffassungen und Problemfeldern wird eine Möglichkeit aufgezeigt, wie die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen strafzumessungssystematisch und verfassungsrechtlich behandelt werden könnte. Würde die in den letzten Jahren etwas eingeschlafene Erörterung der Thematik aufgrund dieser Bearbeitung wieder belebt werden, wäre das Ziel der Arbeit erreicht.
1. Kapitel
Bestandsaufnahme der wichtigsten mittelbaren Straftatfolgen Ob den Täter neben der Strafe zusätzliche Belastungen treffen, hängt insbesondere von seiner beruflichen Stellung ab. Es gibt aber auch andere einschneidende mittelbare Straftatfolgen. In der Folge sollen die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und im Schrifttum am häufigsten besprochenen Folgen kategorisiert dargestellt werden, um einen Eindruck von der Reichweite möglicher Strafmilderungen infolge einer Belastung des Täters durch mittelbare Straftatfolgen zu vermitteln. Die Darstellung wird außerdem veranschaulichen, welche interdisziplinär-rechtlichen Vorgaben und sogar Mechanismen den Eintritt mittelbarer Straftatfolgen bewirken können.
A. Beeinträchtigungen wirtschaftlicher Art Ganz wesentliche wirtschaftliche Einbußen können sich infolge entstandener Schadensersatzansprüche oder hoher Verfahrenskosten aus einem Zivilprozeß ergeben, dies zumindest dann, wenn kein (ausreichender) Versicherungsschutz für den Schaden besteht. Auch die Sperrung des Arbeitslosengelds infolge einer Tatbegehung kann den Täter wirtschaftlich schwer belasten. Eine dahingehende Regelung findet sich in § 144 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. SGB III. Hiernach besteht im Hinblick auf die Gewährung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe eine Sperrzeit für die Dauer von zwölf Wochen, wenn der Arbeitnehmer durch vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat. Ein vertragswidriges Verhalten kann beispielsweise darin liegen, daß der Arbeitnehmer durch einen schuldhaften Verstoß gegen Straßenverkehrsvorschriften die Voraussetzungen für die Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung – etwa als Kraftfahrer – zerstört hat7. Auch strafbares Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber, den Vorgesetzten oder Arbeitskollegen wird bei nicht nur geringfügigen Verstößen regelmäßig vertragswidriges Verhalten darstellen. So kann unter Umständen bereits eine Beleidigung dieser Personen eine Kündigung wegen vertragswidrigen 7
Valgolio, in: Hennig SGB III zu K § 144, Rn. 38 u. 47.
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1. Kap.: Die wichtigsten mittelbaren Straftatfolgen
Verhaltens rechtfertigen, wenn eine auf Wahrung der persönlichen Integrität beruhende Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist8. Neben die Kündigung als belastende, durch den Arbeitgeber bewirkte, mittelbare Straftatfolge tritt also noch die weitere mittelbare wirtschaftlich belastende Folge der Sperrung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe.
B. Strafrechtliche Mehrfachverfolgung im Ausland Eine weitere mittelbare Straftatfolge stellt eine Strafverfolgung der Tat (auch) im Ausland dar. Fälle dieser Art sind insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität denkbar, bei denen sich der Täter wegen einer Tat häufig gleich in mehreren Ländern strafbar macht. Wird der Täter dann wegen derselben Tat im Ausland durch ein ausländisches Gericht bestraft, steht dies einer zusätzlichen Bestrafung vor einem deutschen Gericht nicht entgegen. Das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG, demzufolge mehrfache Bestrafungen aufgrund der „allgemeinen Strafgesetze“ wegen derselben Tat nicht ergehen dürfen, gilt nur für das Verhältnis zwischen innerstaatlichen Gerichten9. Gleichwohl sieht § 51 Abs. 3 StGB vor, daß eine bereits im Ausland vollstreckte Freiheitsstrafe auf eine im Inland verhängte Strafe angerechnet werden muß. Die Vorschrift regelt jedoch nicht den Fall, in dem der Betroffene nach seiner Strafvollstreckung im Inland noch mit einer Freiheitsstrafe im Ausland zu rechnen hat. Für den Ausländer, der zunächst in Deutschland eine Freiheitsstrafe verbüßt, stellt sich die drohende strafrechtliche Mehrfachverfolgung im Ausland also als mittelbare Straftatfolge dar, die ihn zusätzlich zur im Inland verhängten Strafe belastet.
C. Beeinträchtigungen beruflicher Art Am häufigsten sind es berufliche Folgen, die den Täter infolge der Straftat treffen. Denkbare berufliche Konsequenzen sind die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber wegen verlorengegangenen Vertrauens10 oder auch aus Angst um das Wohl der übrigen Mitarbeiter11. Auch das Fernbleiben einer bestimmten Kundschaft aufgrund geschäftlicher 8
Valgolio, in: Hennig SGB III zu K § 144, Rn. 49. Zur Problematik der strafrechtlichen Mehrfachverfolgung türkischer Staatsangehöriger siehe auch Kleinjans. 10 Sog. verhaltensbedingte Kündigung, die i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG in der Regel sozial gerechtfertigt ist (vgl. BAG, DB 1994, 839; LAG Hamm, BB 1996, 331 zu Straftaten allgemein u. Tätlichkeiten im Betrieb). War die Straftat gegen den Dienstherrn gerichtet, kommt sogar eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB in Betracht (vgl. BAG, NJW 1985, 1854; LAG Hamm, DB 1986, 1338). 9
C. Beeinträchtigungen beruflicher Art
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Boykottmaßnahmen sowie eine notgedrungene Geschäftsaufgabe aufgrund einer nicht bewährungsfähigen Freiheitsstrafe können einen Täter ruinieren. I. Beeinträchtigungen infolge verwaltungsrechtlicher Maßnahmen Übt der Täter einen Beruf aus, für den berufsrechtliche Ordnungen eine besondere charakterliche Eignung voraussetzen, kann ihm wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung die Ausübung dieses Berufes durch die jeweils zuständige Behörde versagt werden. So kann einem Gastwirt nach § 15 Abs. 2 i.V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GaststättenG die Betriebserlaubnis aufgrund nicht mehr gewährleisteter Zuverlässigkeit durch Verwaltungsakt entzogen werden12. Einem Arzt oder Apotheker gegenüber kann nach § 5 Abs. 2 S. 1 BÄO bzw. § 6 Abs. 2 BAO die Approbation widerrufen werden, was in der Konsequenz auch zu einem Erlöschen der Erlaubnis zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bzw. zum Betreiben der Apotheke führt, § 2 Abs. 1 BÄO bzw. § 3 Nr. 3 AG. Voraussetzung ist, daß sich aus der strafrechtlichen Verfehlung die „Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs bzw. des Berufs als Apotheker ergibt“13. II. Beeinträchtigungen infolge fakultativer disziplinar- bzw. berufsgerichtlicher14 Maßnahmen Wegen des gleichen Sachverhalts, der dem Strafverfahren zugrunde liegt, kann auch ein Disziplinarverfahren gegen Beamte, Soldaten und Richter, die im folgenden unter der Bezeichung „Bedienstete“ zusammengefaßt dargestellt werden15, sowie gegen Notare oder Angehörige eines einem Standesrecht unterworfenen Berufs eingeleitet werden. 11
BAG, DB 1977, 1322, wo sogar ein Recht zur außerordentlichen Kündigung bejaht wurde. 12 Zu den Voraussetzungen der Zuverlässigkeit als unbestimmten Rechtsbegriff, mit dem gesetzlich im Gewerberecht die Zulassung zu einem Beruf geregelt wird, vgl. Heß, in: Friauf zu § 35 GewO, Rn. 48 ff. 13 §§ 5 Abs. 1 u. 2, 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO; § 6 Abs. 2 BAO i.V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BAO. 14 Auch bei den berufsgerichtlichen Maßnahmen handelt es sich um Disziplinarmaßnahmen, vgl. hierzu Tettinger, S. 198. Daher soll im folgenden die begriffliche Unterscheidung zwischen disziplinarischen und berufsgerichtlichen Maßnahmen, wie sie in den spezialgesetzlichen Bestimmungen zugrundegelegt wird, zwecks vereinfachter Darstellung aufgegeben werden. Beide sollen unter „Disziplinarmaßnahmen“ zusammengefaßt werden. 15 Aufgrund einer weitgehenden Übereinstimmung der beamtenrechtlichen, richterrechtlichen und soldatenrechtlichen Regelungen bezüglich der Folgen bestimmter
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1. Kap.: Die wichtigsten mittelbaren Straftatfolgen
Voraussetzung dafür ist, daß sich das strafrechtlich relevante Verhalten gleichzeitig als dienstliche Pflichtverletzung darstellt. Dabei gilt nicht nur die Verletzung der konkreten innerdienstlichen Pflichten als Verletzung von Pflichten. Auch ein pflichtwidriges Verhalten außerhalb des Dienstes kann eine Pflichtverletzung sein, und zwar dann, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für die Ausübung der Tätigkeit oder das Ansehen des Berufs bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen16. Die Kasuistik des Bundesverwaltungsgerichtes17 zeigt, daß strafrechtliche Verfehlungen im innerdienstlichen wie auch im außerdienstlichen Bereich regelmäßig Pflichtverletzungen darstellen. Der unbestimmte Rechtsbegriff „in besonderem Maße“ bei den außerdienstlichen Pflichtverletzungen schließt nur die Berücksichtigung von Bagatellfällen aus18. Eine Pflichtverletzung kann je nach Schwere der Verfehlung von einem Verweis bis zur Entfernung aus dem Dienst bzw. dem Ausschluß aus dem Berufsstand reichen19. Auf Grund des Umstands, daß im Falle disziplinarischer Maßnahmen neben der Strafgerichtsbarkeit eine weitere Gerichtsbarkeit Folgen an denselben Sachverhalt knüpft, stellt sich auch hier die Frage, ob die gleichzeitige Verhängung von disziplinarischen Maßnahmen neben einer Strafe wegen desselben Sachverhalts gegen Art. 103 Abs. 3 GG verstößt. Das wird vom strafgerichtlicher Verurteilungen bietet sich eine einheitliche Darstellung an. Wo wort- oder bedeutungsgleiche Regelungen zugrundeliegen, werden die Beamten, Richter und Soldaten unter dem Oberbegriff der „Bediensteten“ zusammengefaßt und ihre Stellung wird als Dienstverhältnis bezeichnet. Auf Abweichungen und Besonderheiten der einzelnen Gruppen von Bediensteten wird an den entsprechenden Stellen im Text oder in einer Fußnote hingewiesen. 16 Vgl. z. B. § 77 Abs. 1 S. 2 BBG, §§ 46 DRiG i.V. m. § 77 Abs. 1 S. 2 BBG, § 17 Abs. 2 S. 2 SG, § 67 Abs. 2 WPO, § 113 Abs. 2 BRAO, § 89 Abs. 2 StBerG, § 96 BNotO i.V. m. § 83 Abs. 1 S. 2 LBGNW. 17 Zur Kasuistik des BVerwG siehe die Nachweise bei Fürst/Arndt, in: GKÖD, Bd. I, Teil 5b, Yk § 17, Rn. 21 sowie Dau, § 34, Rn. 48 zum Wehrdisziplinarrecht und Weiss, in: GKÖD, Bd. II, J 515, J 530, J 590, J 910, J 970 zum Bundes- u. Landesdisziplinarrecht. 18 Minz/Conze, Recht des öffentlichen Dienstes, Rn. 137; Fürst/Arndt, in: GKÖD Bd. I, Teil 5b, Yk § 17, Rn. 9. 19 Vgl. § 5 BDO, § 63 Abs. 1 DRiG i.V. m. § 5 BDO (Besonderheiten bestehen für Richter bei einem obersten Gerichtshof des Bundes nach § 64 Abs. 2 DRiG.), § 18 WDO, § 97 Abs. 1 BNotO, § 114 Abs. 1 BRAO, § 90 Abs. 1 StBerG, § 58 HeilBerGNW, § 41 Abs. 2 BauKaGNW (Für die auf landesgesetzlicher Grundlage errichteten Berufsgerichtsbarkeiten der Heilberufe (Ärzte, Apotheker, Tierärzte- und Zahnärzte) und der Architekten, werden im folgenden beispielhaft die nordrheinwestfälischen Regelungen dargestellt. Gesetzliche Grundlagen sind damit einmal das nw. Heilberufsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung v. 27. 4. 1994 (GVBl. S. 204) sowie das nw. Baukammergesetz v. 15. 12. 1992 (GVBl. S. 534).
C. Beeinträchtigungen beruflicher Art
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Bundesverfassungsgericht20 pauschal für jede disziplinarische Maßnahme unter Berufung auf die grundlegende Verschiedenheit disziplinarischer und kriminaler Strafen verneint. Es vertritt die Auffassung, Straf- und Disziplinargewalt unterschieden sich in Rechtsgrund und Zweckbestimmung21. Zur näheren Kennzeichnung des Unterschiedes führt das Gericht aus: „Das strafrechtliche Delikt liegt in der Verletzung eines der von der Rechtsordnung allgemein geschützten Rechtsgüter, in einer Störung der öffentlichen Ordnung. Das disziplinare Vergehen besteht in der Störung der besonderen, nur einem bestimmten Kreis von Staatsbürgern auferlegten Ordnung. Die Kriminalstrafe dient neben der Abschreckung und Besserung der Vergeltung. Die Disziplinarstrafe ist demgegenüber ihrem Wesen nach Zucht- und Erziehungsmittel. Die Kriminalstrafe trifft mit ihren beiden Hauptstrafen den Täter in seinem allgemeinen Staatsbürgerstatus, der Freiheit und dem Vermögen. Die disziplinare Strafe demgegenüber bezieht sich auf den besonderen Rechts- und Pflichtenstatus des Betroffenen“. III. Beeinträchtigungen infolge obligatorischer disziplinarischer Maßnahmen Für Bedienstete und Notare sehen die einschlägigen Vorschriften neben den fakultativ zu verhängenden Disziplinarmaßnahmen auch obligatorische berufsrechtliche Maßnahmen vor: Wird durch ein strafgerichtliches Verfahren ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten eines Bediensteten oder Notars festgestellt, endet das Dienstverhältnis kraft Gesetzes mit der Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils. Diese berufsrechtlichen Folgen treten u. a. bei einer strafgerichtlichen Verurteilung zu mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe wegen einer vorsätzlichen Straftat ein22. Auch bei den selteneren Fällen einer Verurteilung wegen eines Staatsschutzdeliktes23 zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten tritt zwingend der Amtsverlust ein. Eine Disziplinarentschei20 Vgl. hierzu grundlegend BVerfGE 21, 378 (384) u. 391 (398 f.) = MDR 1967, 903 (904). 21 BVerfG, NJW 1967, 1651 (1652). 22 § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BBG, § 24 Nr. 1 DRiG und § 48 Nr. 2 bzw. § 54 Abs. 2 Nr. 2 SG (Die letzten Gesetzesangaben beziehen sich zum einen auf die Berufssoldaten und zum anderen auf die entsprechenden Vorschriften für die Soldaten auf Zeit. Die Soldaten, die auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten, sind hier aufgrund fehlenden Sachzusammenhangs nicht in die Darstellung mit aufgenommen worden.). § 49 BNotG i.V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 LBGNW (§ 49 BNotG verweist bezüglich der Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung auf die entsprechenden Vorschriften für Landesjustizbeamte. Beispielhaft sollen hier die einschlägigen nordrhein-westfälischen Bestimmungen dargestellt werden.). 23 Straftaten nach den §§ 80, 80a, 81 bis 83, 84 bis 90b, 93 bis 100a StGB.
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1. Kap.: Die wichtigsten mittelbaren Straftatfolgen
dung ist in diesem Fall nicht mehr möglich, da der Betroffene wegen der automatischen Beendigung seines Amtsverhältnisses kein Bediensteter bzw. Notar mehr ist. In ihrer rechtlichen Konsequenz hat der Verlust der Berufsrechte die gleiche Wirkung wie die durch das Disziplinargericht ausgesprochene Entfernung aus dem Dienst. Sinn der Vorschriften ist es, überflüssige Disziplinarverfahren zu vermeiden, wenn durch ein Strafverfahren ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten festgestellt worden ist, das gleichzeitig ein derartig schweres Dienstvergehen darstellt, daß es zu einer disziplinargerichtlichen Entfernung aus dem Dienst führen müßte24. Außerdem geht für die Bediensteten mit der Beendigung des Dienstverhältnisses der Verlust der Ansprüche auf die Dienstbezüge und grundsätzlich auf jegliche Versorgungsleistungen einher25. Obligatorische Einbußen können auch noch einen sich im Ruhestand befindenden Bediensteten treffen: Er verliert seinen Anspruch auf Versorgung u. a. dann, wenn er wegen einer vor Beendigung des Dienstverhältnisses begangenen Tat verurteilt wird, die vorher zum Verlust der Rechtsstellung als Bediensteter geführt hätte26. Dasselbe gilt, wenn er wegen einer nach Beendigung des Dienstverhältnisses begangenen vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren oder wegen eines Staatsschutzdeliktes verurteilt worden ist27. Im Zusammenhang mit dem Verlust der Versorgungsrechte ist zu beachten, daß die Empfänger einer Versorgung vom Dienstherrn nachzuversichern sind, sobald sie ihre Versorgungsansprüche verlieren28. Die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung und des Angestelltenversicherungsgesetzes sind von der Vorstellung geprägt, daß die Dienstverhältnisse der Beamten, Richter und Soldaten zur Versicherungspflicht führten, ergäbe sich nicht aus den Vorschriften über die Versicherungsfreiheit ein anderes29. 24 Vgl. Battis, § 48 BBG, Rn. 2 zum Verlust der Beamtenrechte, was auf die übrigen Bediensteten und Notare übertragen werden kann. 25 Vgl. § 49 S. 1 BBG, § 46 DRiG i.V. m. § 49 S. 1 BBG, § 49 Abs. 3 SG. 26 Vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG, §§ 46 DRiG i.V. m. § 59 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG, § 53 Abs. 1 Nr. 1 SG. 27 Vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG, §§ 46 DRiG i.V. m. § 59 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG, § 53 Abs. 1 Nr. 2 SG. Im Unterschied zum Richter- und Soldatenrecht, tritt der Verlust der Versorgungsansprüche des Beamten aufgrund einer Verurteilung nach den §§ 80, 80a, 81 bis 83, 84 bis 90b, 93 bis 100a StGB nur dann ein, wenn die Strafhöhe mindestens sechs Monate beträgt (vgl. § 59 Abs. 1 Nr. 2b a. E.). 28 § 1232 Abs. 4 i.V. m. § 1232 Abs. 1 bis Abs. 3 RVO; § 9 Abs. 4 i.V. m. § 9 Abs. 1 bis Abs. 3 AVG. Der ehemalige Dienstherr hat dabei die gesamten Beiträge aufzubringen, nicht nur den Arbeitgeberanteil (vgl. Saar, S. 179 m. w. N.). 29 Saar, S. 176 m. w. N.
C. Beeinträchtigungen beruflicher Art
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Daher münden in dem Fall, in dem der Verlust der Versorgung eintritt, öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse auf dem Weg über die Nachversicherung in Versorgungsanrechte aus den gesetzlichen Rentenversicherungen30. Allerdings werden Versorgungsanspruch und Rentenversicherungsanspruch infolge der Kürzungen der gesetzlichen Renten der Höhe nach erheblich differieren, so daß sich die Nachversicherung für den Betroffenen letzten Endes als wesentliche Belastung erweisen wird. IV. Automatischer Verlust der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit, § 45 Abs. 1 StGB Eine weitere belastende Folge für den Täter findet sich in § 45 Abs. 1 StGB. Die Vorschrift regelt den befristeten Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des aktiven Wahl- und Stimmrechts. Der Verlust der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit tritt nach § 45 Abs. 1 StGB kraft Gesetzes – als sog. „automatische Folge“ – bei einer Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ein, und zwar auch bei einer Verurteilung wegen Versuchs, Teilnahme31 oder strafbarer Vorbereitung (§ 30 StGB)32. Im Gegensatz zu den fakultativen Statusfolgen nach § 45 Abs. 2 und Abs. 5 StGB wird die automatisch ex lege eintretende Statusfolge nach § 45 Abs. 1 StGB als Nebenfolge und nicht als Nebenstrafe bewertet33. Wenn das Gesetz – so der vereinzelte Versuch einer Begründung – an die Verurteilung wegen einer Straftat ohne weitere richterliche Entscheidung Folgen knüpfe, so beruhten diese nicht auf einem Akt der Strafzumessung. Sie könnten deshalb schon begrifflich nicht Strafe sein34. Mit dem automatischen Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden bzw. Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, verliert der Verurteilte zugleich die entsprechenden Rechtsstellungen und Rechte, die er innehat35. Eine mögliche Ausnahme36 sieht § 47 Bundeswahlgesetz im Hinblick auf den Verlust der Mitgliedschaft im Bundestag als Folge des 30 §§ 1232, 1402 ff. RVO; § 9, 124 ff. AVG; vgl. auch den Erlaß „Nachversicherung in den gesetzlichen Rentenversicherungen für ohne Versorgung ausgeschiedene Beamte, Richter, sonstige zivile Mitarbeiter und Soldaten der Bundeswehr“ vom 11.3.1985 (VMBl S. 96). 31 Vgl. RGStE 60, (126). 32 Tröndle/Fischer zu § 45, Rn. 6. 33 Tröndle/Fischer zu § 45, Rn. 6; Lackner/Kühl zu § 45, Rn. 2; Hirsch, in: LK zu § 45, Rn. 1. 34 Vgl. hierzu den Nachweis bei Nelles, JZ 1991, 17 (18). 35 Vgl. § 45 Abs. 3, 4 StGB. 36 Vgl. § 45 Abs. 4 a. E. StGB.
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1. Kap.: Die wichtigsten mittelbaren Straftatfolgen
Verlustes der Wählbarkeit vor. Hiernach wird über den Verlust der Mitgliedschaft durch Beschluß des Ältestenrates entschieden37. Es befindet sich derjenige in einem öffentliche Amt, der aufgrund seiner Stellung Dienstverrichtungen wahrnimmt, die sich aus der Staatsgewalt ableiten und staatlichen Zwecken dienen38. Hierzu zählen nicht nur alle Ämter der staatlichen Verwaltung und der Justiz, sondern auch die der Körperschaften des öffentlichen Rechts und der öffentlichen Anstalten (Universität und Sozialversicherung39), soweit sie staatlichen Zwecken dienen40. Wahlen in öffentlichen Angelegenheiten meint solche Angelegenheiten, die nicht ausschließlich einzelne natürliche oder juristische Personen und deren Privatinteressen, sondern die Gesamtheit des Gemeinwesens oder das öffentliche Wohl betreffen41. § 45 Abs. 1 StGB hat auf Grund der oben bereits dargestellten spezielleren – weil in den Voraussetzungen enger und in der Folge unbegrenzt gefaßten – Vorschriften über den zwingenden Amts- und Rechtsverlust der Bediensteten und Notare42 für diese Berufsgruppen keine selbständige Bedeutung. Für alle übrigen Betroffenen, für die die Amtsfähigkeit Voraussetzung ihrer beruflichen Tätigkeit ist – z. B. die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer –, ist die Regelung hingegen von Bedeutung. Sie kann sich – trifft sie einen Täter, der ein Amt oder Mandat innehat oder anstrebt – für den Betroffenen als mittelbare belastende Straftatfolge darstellen.
37 Dieser Vorbehalt solle verhindern, daß die Souveränität des Parlaments durch einen Amtsrichter oder eine Strafkammer beeinträchtigt werde, vgl. Nelles, JZ 1991, 17 m. w. N. 38 Vgl. RGStE 62, 24 (26); VGH Stuttgart, NJW 1950, 837. 39 RGStE 41, 121 (129). 40 OVG Münster, DÖV 1954, 439 ff. Hierzu zählen auch Notare, § 49 BNotO, Steuerberater, § 100 StBerG und Wirtschaftsprüfer, §§ 10, 76 WirtschPrüfO.Vgl auch: §§ 37 Abs. 2 Nr. 1, 46 Abs. 2 Nr. 2 StBerG, §§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 20 Abs. 2 Nr. 2 WirtschPrüfO, wo an den Verlust der Amtsfähigkeit noch einmal ausdrücklich Rechtsfolgen (Versagung sowie Widerruf der Zulassung) geknüpft sind. Rechtsanwälte üben zwar kein öffentliches Amt aus. Für sie führen aber die §§ 7 Nr. 2, 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO zur entsprechenden Rechtsfolge (Versagung sowie Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt). 41 Vgl. RGStE 64, 298 (303). Dies sind also vor allem Wahlen zu den Gesetzgebungsorganen, zu den Provinziallandtagen, Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten, aber auch zu den Organen der Sozialversicherung, zu Organen berufsständischer Organisationen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, z. B. der Industrieund Handelskammer. 42 § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BBG, § 24 Nr. 1 DRiG und § 48 Nr. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 2 SG , § 49 BNotG i.V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 LBGNW.
D. Beeinträchtigungen ausländerrechtlicher Art
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D. Beeinträchtigungen ausländerrechtlicher Art Schließlich kann eine Straftat ganz empfindliche aufenthaltsrechtliche Folgen für einen Ausländer haben. Das Ausländerrecht ist Gefahrenabwehrrecht, und ein Ausländer, der straffällig geworden ist, gilt als Störer im Sinne des Ordnungsrechts. Die durch das Straffälligwerden zutage getretene vermeintliche Gefahr soll beseitigt werden, wofür das Ausländerrecht die Ausweisung, ggf. mit anschließender Abschiebung, vorsieht43. Die Ausweisung wird durch einen Verwaltungsakt verfügt, wobei der Ausländerbehörde je nach Straftat und Höhe der strafrechtlichen Verurteilung entweder kein Ermessen, eingeschränktes oder uneingeschränktes Ermessen eingeräumt ist. I. Bestimmungen über die Ausweisung Nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG muß die Ausweisung zwingend verfügt werden, wenn der Ausländer „wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist“44. Regelmäßig verfügt wird die Ausweisung, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG)45. Auch wenn der Täter bestimmte 43
Häufig wird der mit der Ausweisung erstrebte Zweck durch die Ausländerbehörden indirekt auch dadurch erreicht, daß die Aufenthaltsgenehmigung des Betroffenen nicht verlängert wird. Diese Form der Veranlassung zur Ausreise ist aber nicht die adäquate Reaktionsweise und soll daher auch nicht näher erörtert werden. Zu den Praktiken der Ausländerbehörden, vgl. Kleinjans, S. 7. 44 Gleiches gilt, wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, wegen Landfriedensbruchs unter den in § 125a Satz 2 des Strafgesetzbuches genannten Voraussetzungen oder wegen eines im Rahmen einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen Aufzugs begangenen Landfriedensbruches gemäß § 125 des Strafgesetzbuches rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG). 45 Ausgenommen werden sollen aber allein die „untypischen“ Fälle; vgl. z. B. dazu Kanein/Renner zu § 47 Rn. 13. Eine der möglichen Ausnahmen kann dann gegeben sein, wenn der betreffende Ausländer wegen der begangenen Straftat im
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1. Kap.: Die wichtigsten mittelbaren Straftatfolgen
Rauschgiftdelikte (vgl. § 47 Abs. 2 Nr. 2) oder einen einfachen Landfriedensbruch (§ 47 Abs. 2 Nr. 3) begeht, wird er in der Regel ausgewiesen. Die Ausländerbehörde hat dann lediglich zu prüfen, ob in der Person des Betroffenen, den Umständen der Tat oder den Folgen der Ausweisung für den Ausländer im Einzelfall vom Regelfall abweichende besondere Umstände vorliegen, die die von § 47 Abs. 2 AuslG aufgestellte Gefährdungsvermutung zweifelsfrei widerlegen und eine Besserstellung gegenüber anderen Ausländern in vergleichbaren Situationen rechtfertigen würden. Es können insoweit folgende Interessen des Ausländers Bedeutung erlangen: Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet; die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben; die in § 55 Abs. 2 AuslG genannten Duldungsgründe46. Nahezu grenzenlose Möglichkeiten einer Ausweisung eines straffälligen Ausländers eröffnet schließlich die Vorschrift des § 45 AuslG i.V. m. § 46 Nr. 2 AuslG. Hiernach liegt es im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, einen Ausländer auszuweisen, wenn er einen nicht nur geringfügigen oder vereinzelten Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat47, wobei strafbares Verhalten stets einen relevanten Rechtsverstoß im Sinne der Vorschrift darstellt48. Die zu berücksichtigenden Belange des Ausländers nennt § 45 Abs. 2 AuslG. Sie sind identisch mit denen, die auch bei der Regelausweisung zu beachten sind, werden also nur in extremen Ausnahmefällen relevant.
Heimatland erneut eine Bestrafung zu erwarten hat, Fraenkel, 256 f.; Wegner, DÖV 1993, 1034. 46 § 55 Abs. 2 AuslG begründet einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Rechtlich ist eine Abschiebung bei Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach §§ 51, 52 AuslG (politische Verfolgung) oder von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis Abs. 4 AuslG (z. B. Folter, Todesstrafe im Heimatland) sowie im Falle des § 64 Abs. 3 AuslG (fehlendes Einvernehmen der Staatsanwaltschaft). Tatsächlich unmöglich ist eine Abschiebung etwa bei Reiseunfähigkeit oder wenn der Ausländer keinen Paß besitzt, ohne den kein Staat zur Aufnahme bereit ist. 47 Die Ermessensausübung besteht darin, das schutzwürdige Interesse des Ausländers am Verbleiben in Deutschland gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung abzuwägen, vgl. Kanein/Renner zu § 45 Rdn. 12. 48 GK-AuslR, § 46 Rn. 48 m. w. N.; anders liegt es, wenn das Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde, vgl. Fraenkel, S. 252.
D. Beeinträchtigungen ausländerrechtlicher Art
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II. Gesetzlicher Ausweisungsschutz für bestimmte Ausländer Allerdings besteht für bestimmte Ausländer ein erhöhter Ausweisungsschutz, § 48 AuslG: Hiernach werden Ausländer, die einen verfestigten Aufenthaltsstatus besitzen, minderjährig oder heranwachsend sind49 oder deren Asylanträge noch nicht unanfechtbar abgelehnt worden sind, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen50. Ausgeschlossen ist damit die Ausweisung eines straffälligen Ausländers in Ansehung von Bagatellkriminalität51. Verurteilungen auf Grund „schwerer“ oder „mittlerer“ Kriminalität können hingegen schwerwiegende Gründe im Sinne der Vorschrift darstellen, die eine Ausweisung gebieten52. Allerdings müssen stets Anhaltspunkte dafür bestehen, daß neue Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen53. Einen besonderen Ausweisungsschutz genießen EG-Freizügigkeitsberechtigte und vergleichbare Ausländer. Als spezielles Gesetz zur ausländerrechtlichen Behandlung von Arbeitnehmern, selbständigen Erwerbstätigen und deren Familienangehörigen, die die Staatsangehörigkeit eines EG-Mitgliedslandes besitzen, ist das Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – Aufenthaltsgesetz/EWG – heranzuziehen54. Die entscheidende Vorschrift im Zusammenhang mit besonderem Ausweisungsschutz ist § 12 AufenthG/ EWG. Bedeutsam ist insbesondere Absatz 4 der Vorschrift: hiernach genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung allein nicht zur Begründung einer Ausweisung. Vielmehr müssen zusätzliche Umstände hinzutreten. Dies können sein: besondere Schwere oder besondere Begleitumstände der Tat und Wiederholungsgefahr55. Auch das Europäische Niederlassungsabkommen56 gewährt Ausweisungsschutz, was – da die Türkei Beitrittsland ist57 – vor allem bei der Auswei49
Zu den einzelnen Voraussetzungen vgl. § 48 Abs. 1 und Abs. 2 AuslG. Folge des Vorliegens des Schutzes nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 6 (verfestigter Aufenthaltsstatus) ist außerdem die Milderung der Regelungen in § 47 Abs. 1 und 2 AuslG: gemäß § 47 Abs. 3 AuslG wird in den Fällen des § 48 Abs. 1 AuslG die zwingende Ausweisung des § 47 Abs. 1 AuslG zur Regelausweisung und die Regelausweisung zur Ermessensausweisung herabgestuft. 51 Bamberger, Rn. 315. 52 Vgl. BVerwG, NJW 1973, 2077 (2079). 53 Bamberger, Rn. 314. 54 Gemäß § 15c AufenthG/EWG gelten die Vorschriften auch zugunsten von Staatsangehörigen der EFTA-Staaten (Österreich, Finnland, Island, Norwegen, Schweden). 55 Bamberger, Rn. 318 m. w. N. 56 ENA v. 13. 12. 1955 (BGBl. II 1959, S. 997 bzw. 1965, S. 1099). 50
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1. Kap.: Die wichtigsten mittelbaren Straftatfolgen
sung türkischer Staatsangehöriger von großer Bedeutung ist. Art. 3 Abs. 3 ENA bestimmt, daß Staatsangehörige eines Vertragsstaates, die seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates haben, nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder bei schwerwiegendem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder Sittlichkeit ausgewiesen werden dürfen58. Zwischen den schwerwiegenden Gründen des Art. 3 Abs. 3 ENA und denen im Sinne von § 48 Abs. 1 AuslG besteht kein qualitativer Unterschied59. Insgesamt macht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts deutlich, daß die Ausweisung auf Grund von Straftaten großzügig gehandhabt werden soll60. Das zeigt sich u. a. daran, daß der Begriff „schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ schon bei mittelschwerer Kriminalität erfüllt sein soll. III. Zusammenfassung Die Darstellung der ausländerrechtlichen Folgen einer Straftat verdeutlicht, daß das Ausländerrecht ein kompliziertes Geflecht von unterschiedlichen Regelungen für die Ausweisung bereithält. Sie knüpfen an die Staatsangehörigkeit, die Dauer des Aufenthalts oder/und an die Schwere des begangenen Delikts an. Es läßt sich feststellen, daß außer in Bagatellangelegenheiten jeder Ausländer ernsthaft mit einer Ausweisung rechnen muß. Das gilt selbst dann, wenn er einer Personengruppe zugehörig ist, die erhöhten Ausweisungsschutz genießt, vorausgesetzt, daß Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr vorliegen.
57 Das Abkommen ist gem. Bek. v. 21.12.1990 (BGBl. 1991 II, S. 397) für die Türkei in Kraft. Weitere übereinkommende Staaten sind z. B.: Belgien, Dänemark, Italien, Norwegen gem. Bek. v. 30. 7. 1965 (BGBl. II, S. 1099); Irland gem. Bek. v. 26. 10. 1966 (BGBl. II, S. 1519); Griechenland gem. Bek. v. 13. 6. 1975 (BGBl. II, S. 1090). 58 Vgl. hierzu auch Bamberger, Rn. 320. 59 Bamberger, Rn. 321. 60 BVerwG, InfAuslR 1993, 98 ff. Zum alten Recht vgl. BVerwG, InfAuslR 1987, 145; BVerwGE 78, 285; BVerwGE 81, 356.
2. Kapitel
Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Schrifttum In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und im Schrifttum besteht grundsätzlich Einigkeit dahingehend, daß den Täter belastende mittelbare Straftatfolgen bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt werden müssen. Diese inzwischen allgemeine Auffassung ist Folge einer beachtlichen Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Besonders in den letzten zwei Jahrzehnten hat der Bundesgerichtshof immer mehr Erscheinungsformen mittelbarer Straftatfolgen als äußerst belastend für den Täter registriert und ihnen strafmildernde Relevanz für die Strafzumessung zugesprochen. Das Schrifttum hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst ignoriert, sich dann aber ebenfalls mit der Fragestellung auseinandergesetzt. Dabei diskutiert es insbesondere die Problematik, wie sich die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung systematisch korrekt begründen läßt. Dabei können die Auffassungen im Schrifttum in zwei wesentliche Gruppen unterteilt werden: während die einen Autoren mittelbare Straftatfolgen allein bei der Modifizierung der endgültig festzulegenden Strafe durch abschließende präventive Überlegungen gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 StGB berücksichtigen wollen, sehen die anderen mittelbare Straftatfolgen als Umstände an, die bereits auf der Ebene der rahmenausfüllenden Strafbemessung bzw. schon bei der Bestimmung des Strafrahmens („minder schweren Fall“) zu berücksichtigen sind. Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich mit der Frage auseinandergesetzt und eine strafmildernde Anrechnung des Arrests aus dem Wehrdisziplinarrecht auf die (sonst) schuldangemessene Strafe für erforderlich gehalten.
A. Die Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung I. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat sich erstmals im Jahre 1967 mit der Frage auseinandergesetzt, ob der disziplinare Arrest auf Grund seiner Vergleichbarkeit zur (Kriminal-)Strafe nicht auf die (Kriminal-)Strafe angerech-
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
net werden müsse61. Es kam zu dem Ergebnis, daß es mit der im Rechtsstaatsgedanken enthaltenen Idee der Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren sei, daß eine strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Berücksichtigung der disziplinaren Arrestmaßnahme erfolge62. Dabei ließ das Gericht ungeklärt, ob diese Anrechnung durch die Strafvollstreckungsbehörde (Strafvollstreckungslösung63) oder aber bereits bei der Bemessung der Strafe durch den Strafrichter erfolgen solle (Strafzumessungslösung). Unter Ziffer 3a64) seiner Begründung führt es lediglich aus, daß der Gerechtigkeitssatz es ausschließe, „einen Soldaten wegen ein und derselben Tat zunächst eine Freiheitsstrafe nach der Wehrdisziplinarordnung und dann noch eine vom Strafgericht für tatangemessen gehaltene weitere Freiheitsstrafe voll verbüßen zu lassen.“ Er gebiete vielmehr, „bei der Bemessung der Kriminalstrafe, die, wenn auch aus anderen Gesichtspunkten ausgesprochene, ihrer Wirkung nach aber gleichartige disziplinare Freiheitsstrafe anzurechnen“65. In den Entscheidungsgründen macht das Bundesverfassungsgericht deutlich, daß es dem Arrest eine Sonderstellung innerhalb der Disziplinarmaßnahmen einräumt und ihnen (zumindest auch) Strafcharakter zuspricht. So stellt es sich auf den Standpunkt, die Arreststrafe der Wehrdisziplinarordnung weise nicht mehr nur reinen Erziehungscharakter auf66. II. Die Auffassung des Bundesgerichtshofs Die Entwicklung des Bundesgerichtshofs in bezug auf die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen seit dem Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts67 startete nicht aus dem Nichts heraus. Sie bedeutet vielmehr eine theoretische Entfaltung dessen, was der Bundesgerichtshof ansatzweise schon immer gefordert hatte: Umstände, die den Täter belasten und die aus der Tat resultieren, nicht unbeachtet zu lassen, sondern ihnen mit Blick auf die verstärkte Betroffenheit des Täters durch die Kumulation von Strafe und belastender Folge strafzumessungsrechtlich Rechnung zu tragen.
61
BVerfGE 21, 378 ff. = MDR 1967, 904. BVerfGE 21, 378 (384). 63 So vorgesehen z. B. in § 51 StGB. 64 BVerfGE 21, 378 (388). 65 Diese Formulierung ist insoweit zweideutig, als daß im ersten Satz lediglich eine Vergünstigung im Vollstreckungsteil des Verfahrens, im Nachsatz hingegen eine Berücksichtigung bereits bei der Festlegung der Strafhöhe im Erkenntnisverfahren gefordert wird. 66 BVerfGE 21, 378 (383). 67 Im folgenden nur noch als 70er bzw. 60er Jahre etc. bezeichnet. 62
A. Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
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Eine starke Belastung des Täters registrierte der Gerichtshof allerdings zunächst nur in Ansehung von unmittelbaren Straftatfolgen, deren Beziehung zur Tat sehr nah war und deren einschneidende Wirkungen so offensichtlich waren, daß ihre Nichtberücksichtigung jedermann als unbedingt unzumutbar für den Täter hätte erscheinen müssen. So machten Schicksalsschläge, wie beispielsweise erhebliche eigene Verletzungen des Täters bei der Tatbegehung oder das Leid um den Verlust des getöteten Kindes, in den Augen des Bundesgerichtshofs schon Mitte der 70er Jahre eine strafzumessungsrechtliche Berücksichtigung, sei es in Form einer Strafmilderung68 oder auch eines Absehens von Strafe, unausweichlich69. Entsprechend den sich zu mehr Humanität, Resozialisierung und Täterorientierung im Rechtsfolgenbereich entwickelnden kriminalpolitischen Tendenzen der 70er Jahre70, richtete der Gerichtshof seine Aufmerksamkeit in der Folge auch den weniger tragischen, mittelbaren Straftatfolgen zu. 1. Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf die Berücksichtigung einzelner mittelbarer Straftatfolgen
Noch in den 60er Jahren lehnte der Bundesgerichtshof eine generelle Berücksichtigungsfähigkeit mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung ab71. In zwei Entscheidungen, in denen es um den automatischen Verlust der Bedienstetenstellung eines Soldaten infolge einer Verurteilung von über einem Jahr ging, entschied der Gerichtshof folgendes: ebensowenig, wie bei der Bestrafung eines Beamten berücksichtigt werden dürfe, daß er bei einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und darüber seine Beamtenrechte verliere, dürften bei einem Berufssoldaten vergleichbare Erwägungen die Strafzumessung beeinflussen72. Hiermit stellte sich der Bundesgerichtshof zumindest im Ergebnis73 auf denselben Standpunkt, den schon der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone im Jahre 1949 vertreten hatte74. Der Oberste Gerichtshof hatte seine Entscheidung folgendermaßen begründet: es sei unzulässig, den vom Gesetz als notwendige Folge der (Zuchthaus-)Strafe 68
BGH bei Dallinger, MDR 1974, 544 (547). BGHSt 27, 298 (299). 70 Zu den kriminalpolitischen Tendenzen siehe Hassemer, in: Sarstedt-FS 1981, 65 (69 f.). 71 BGH, Beschluß 4 StR 248/62 (unveröffentlicht); BGH, Beschluß 1 StR 487/69 (unveröffentlicht). 72 Vgl. hierzu den Nachweis bei Bruns, Leitfaden des Strafzumessungsrechts, S. 220, der sich auf ein unveröffentlichtes Urteil des BGH (BGH 1 StR 487/69) bezieht. 73 Seine in BGH 1 StR 487/69 vertretene These hat der BGH nicht näher begründet. 74 OGHSt 2, 69. 69
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
vorgesehenen Verlust der Beamtenrechte strafmildernd heranzuziehen, da sonst ein zu Zuchthausstrafe verurteilter Beamter, im Gegensatz zu anderen Tätern, stets einen besonderen Strafmilderungsgrund hätte75. Gegenstand einer weiteren Entscheidung war der Fall eines wegen Untreue zum Nachteil einer Großfirma verurteilten Geschäftsführers (1,5 Mio. DM Schaden). Hier entschied der BGH, daß der Täter sich den Verlust seiner Stellung und die Schädigung seines Ansehens ausschließlich selber zuzuschreiben habe. Dabei handele es sich um die Mindestfolgen der begangenen Straftat, mit denen der Täter von vorne herein habe rechnen müssen76. Die Änderung seiner Rechtsprechung leitete der Bundesgerichtshof mit zwei Entscheidungen aus dem Jahre 197977 ein. Ihnen lagen wiederum Fälle von Beamten zugrunde, die zu mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden waren und denen mit Rechtskraft des Urteils der Verlust der Beamtenstellung drohte. Der BGH stellte sich nunmehr auf den Standpunkt, daß auch eine mit der Strafe verbundene (mittelbare) Nebenfolge die Sanktion empfindlicher machen und für den Tatrichter Anlaß zu einer Milderung sein könne. Wenngleich beamtenrechtliche Disziplinarmaßnahmen an die strafrechtliche Würdigung der Tatschwere anknüpfen und deshalb in der Regel die Kriminalstrafe bei der nachfolgenden Verhängung der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen sein werde und nicht umgekehrt, so sei es andererseits dem Tatrichter nicht verwehrt, eine zwingend vorgeschriebene beamtenrechtliche Konsequenz bei der Straffestsetzung mit in Betracht zu ziehen. Die Formulierung, dem Tatrichter sei es „nicht verwehrt“ die Folge des Verlustes der Beamtenrechte mit in Betracht zu ziehen, war etwas ungenau, denn der Bundesgerichtshof hob die Urteile der Landgerichte auf, womit er eine unbedingte Pflicht zur Berücksichtigung aussprach78. In späteren Entscheidungen hob der Gerichtshof dann landgerichtliche Urteile explizit deshalb auf, weil sie den zwingenden Verlust von Bedienstetenrechten, worunter inzwischen auch der Wegfall der Versorgungsbezüge gefaßt wurde79, nicht in ausreichender Weise bei der Strafzu75
Vgl. OGHSt 2, 69 (72). BGH bei Dallinger, MDR 1969, S. 193 (194, 195). 77 BGH bei Holtz, MDR 1979, 634 (634 f.); BGH, MDR 1980, 271 (272). 78 So auch Terhorst, JR 1989, 184 (185); Es folgten eine Reihe bestätigender Urteile: BGH, StV 1981, 235; BGH, NStZ 1982, 507; BGH bei Mösl, NStZ 1982, 148 (150); BGH, wistra 1983, 28; BGH, wistra 1983, 145; BGH bei Mösl, NStZ 1983, 160 (162, 163); BGH, NStZ 1984, 215; BGH, StV 1985, 454; BGH, StV 1987, 243; BGH, wistra 1988, 64; BGHSt 35, 148 (149); BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2. 79 Vgl. BGH, StV 1985, 454 (455); BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 18; vgl. auch BGH, wistra 1999, 417 (418). 76
A. Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
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messung berücksichtigt hatten80. Im Zusammenhang mit seiner Rechtsprechung zu den beamtenrechtlichen Folgen der Tat machte der Bundesgerichtshof auch keine Ausnahme im Hinblick auf den Fall, daß sich die Straftat gegen die Dienststelle richtete, bei der der Angeklagte beschäftigt war81. In der Folge befaßte sich der Bundesgerichtshof weiter mit den beamtenrechtlichen Folgen und dehnte Anfang der 80er Jahre seine Rechtsprechung dahingehend aus, daß der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen auch nur mögliche Konsequenzen zum Anlaß einer Strafmilderung nehmen könne; also solche Konsequenzen, die durch die Bestrafung ausgelöst werden könnten und die Sanktion sodann empfindlicher machen würden82. Damit hatte der Bundesgerichtshof die Erheblichkeit auch der fakultativen disziplinarischen Maßnahmen gegen einen straffälligen Beamten für die Strafzumessung klargestellt. Erst mit der strafzumessungsrechtlichen Berücksichtigung standesrechtlicher Straftatfolgen Ende der 80er Jahre wurde allerdings deutlich, daß der Bundesgerichtshof die ausdrückliche Auseinandersetzung mit fakultativen Straftatfolgen bei der Strafzumessung in den Urteilsgründen für ebenso erforderlich hielt wie eine Erwägung zwingender mittelbarer Straftatfolgen. Zunächst hob der Bundesgerichtshof ein landgerichtliches Urteil mit der Begründung auf, es lasse nicht erkennen, ob die Strafkammer bei der Bestimmung der verhängten Freiheitsstrafe bedacht habe, daß der Angeklagte im ehrengerichtlichen Verfahren mit der Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft rechnen müsse und daß eine solche Ausschließung seiner Wiederzulassung zum Rechtsanwaltsberuf auf jedenfalls unbestimmte Dauer entgegenstehen würde83. Auch in bezug auf standes- und berufsrechtliche Folgen für Steuerberater84 und Apotheker85 forderte der Bundesgerichtshof eine Auseinandersetzung mit den drohenden Folgen in den Strafzumessungsgründen. Folgen, die das zukünftige Berufsleben negativ beeinflußten, seien nicht nur bei Beamten, sondern auch bei anderen Berufsgruppen strafzumessungsrechtlich zu berücksichtigen.
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So z. B. in BGHSt 32, 68 (79), wo es um die Beendigung des Dienstverhältnisses eines Zeitsoldaten ging. 81 BGH, wistra 1988, 64. 82 BGH, wistra 1982, 225 (226). 83 BGH, NStZ 1987, 133 (134); weiter Entscheidungen zu den Rechtsanwälten folgten in: BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 8; BGH, wistra 1990, 98 (90); BGH, StV 1991, 207. 84 BGH, StV 1987, 529; BGHR § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 22; BGH, wistra 1991, 300. 85 BGHR § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 23.
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
Diese Rechtsprechung konsequent fortführend, wandte sich der Bundesgerichtshof auch den nicht durch Berufsordnungen erfaßten Berufen zu. So hob er ein landgerichtliches Urteil u. a. mit der Begründung auf, den Verurteilten treffe die nicht zur Bewährung aussetzungsfähige Strafe besonders hart, weil sich der Täter als Unternehmer selbständig gemacht habe86. Auch der mögliche Verlust einer Arbeitsstelle für einen 50jährigen Täter ohne große berufliche Perspektiven nach der Verbüßung einer zweijährigen Freiheitsstrafe müsse in den Strafzumessungserwägungen erörtert werden87. Mit diesen Entscheidungen verschaffte der Bundesgerichtshof auch dem beruflichen Schicksal von Selbständigen bzw. Arbeitnehmern strafzumessungsrechtliche Bedeutung. Bei diesen Personen ist die mittelbare berufliche Konsequenz nicht an eine „tadelnde“ Entscheidung geknüpft, sondern ist Folge der Strafvollstreckung, die sie daran hindert, ihre berufliche Existenz aufrechtzuerhalten. Auch in bezug auf wirtschaftliche Nachteile entschied der Gerichtshof, daß diese bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien. So sei nicht nur der Umstand, daß der Täter als Folge der Verurteilung unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen werde, sondern auch der Umstand zu berücksichtigen, daß er damit eine Abfindung in Höhe von 40.000,– DM verliere. Die Auseinandersetzung mit dieser Folge habe darüber hinaus unabhängig davon zu erfolgen, ob der Täter in Kenntnis dieser Folgen gehandelt habe88. In Ansehung eines bereits in einem anderen Land wegen derselben Tat bestraften Täters entschied der Bundesgerichtshof mehrfach, daß auch eine rechtlich zulässige Doppelbestrafung eine zusätzliche Härte für den Täter bedeutete und deshalb strafmildernd bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sei89. Schließlich bestätigte der Bundesgerichtshof auch ein landgerichtliches Urteil, in dem zugunsten der Täter berücksichtigt worden war, daß sie bereits durch berechtigte Angriffe in der Presse belastet worden seien90. Zusammenfassend läßt sich damit sagen, daß der Bundesgerichtshof zwingende und mögliche belastende mittelbare Straftatfolgen, unabhängig davon, ob sie beruflicher, wirtschaftlicher oder sozialer Art sind, bei der Strafzumessung berücksichtigt wissen will, wenn sie für den Täter eine außergewöhnliche Belastung darstellen.
86
BGH, BGH, 88 BGH, 89 BGH, gleich 26. 90 BGH, 87
StV 1998, 375. StV 1995, 296 (297); ähnlich auch BGH, StV 1993, 638 (639). StV 1991, 106 (107). NStZ 1983, 408; BGH, NStZ 1986, 312; BGHR § 46 Abs. 1 SchuldausStV 1990, 64 (65).
A. Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
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Zu den ausländerrechtlichen Folgen der Tat nimmt der Bundesgerichtshof eine besondere Haltung ein, weshalb auf die Berücksichtigung dieser mittelbaren Straftatfolgen weiter unten vertieft eingegangen wird91. 2. Systematische Begründung für die strafmildernde Berücksichtigung
Im Hinblick auf die Frage, auf welcher Stufe des Strafzumessungsvorgangs die mittelbaren Straftatfolgen zu berücksichtigen sind, weist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls eine Entwicklung auf. Während der Gerichtshof sich zunächst nur für eine strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf die (sonst) schuldangemessene Strafe aussprach, weitete er seine Rechtsprechung nachfolgend dahingehend aus, daß mittelbare Straftatfolgen auch für die Bewertung eines „minder schweren Falls“ mit in die Betrachtung einzubeziehen seien. Dabei bauen die Begründungen für die Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in die rahmenausfüllenden Tatschulderwägungen und ihre Relevanz für die Annahme eines „minder schweren Falls“ aufeinander auf, weshalb zunächst die systematische Begründung für die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen auf der Ebene der rahmenausfüllenden Strafbemessung dargestellt werden soll. a) Relevanz mittelbarer Straftatfolgen auf der Ebene der rahmenausfüllenden Strafbemessung Der Bundesgerichtshof bietet keine dogmatisch ausgefeilte Begründung für die Annahme, mittelbare Straftatfolgen seien auf der Ebene der rahmenausfüllenden Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen. Positivrechtlich stützt er sich auf die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB und rechtfertigt das Erfordernis der Strafmilderung anhand mehrerer Gesichtspunkte: aa) Der Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit Zunächst bezog sich der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen auf den Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit. Er rekurrierte darauf, daß eine mit der Strafe verbundene (mittelbare) Nebenfolge die Sanktion für den Täter empfindlicher machen könne92. Im Hinblick auf eine Doppelbestrafung und Mehrfachverfolgung aufgrund der Tat führte er z. B. aus, daß sie „eine zusätzliche Härte für den Angeklagten bedeute“ und daß die Strafe ihn ge91 92
2. Kapitel A. IV. 2. BGH bei Holtz, MDR 1979, 634 (634 f.); BGH, MDR 1980, 271 (272).
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
rade deshalb besonders belaste93. Grundlage für die Strafzumessung sei zwar in erster Linie die Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 S. 1). Doch könne auch seine Strafempfindlichkeit, die mit von den ihn außer der Strafe treffenden Folgen der Tat und von seinen persönlichen Verhältnissen abhänge, für die Strafzumessung von Bedeutung sein, wobei der Bundesgerichtshof auf § 46 Abs. 1 S. 2 StGB verweist94. Auch in einigen darauf folgenden Entscheidungen begründete der Bundesgerichtshof die strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf die (sonst) schuldangemessene Strafe unter Hinweis auf die erhöhte Strafempfindlichkeit des Täters95. bb) Annahme der Schuldausgleichstauglichkeit mittelbarer Straftatfolgen In einer Entscheidung aus dem Jahr 198796, in der es um die Berücksichtigung der Nebenfolge des Verlusts der Beamtenrechte ging, betonte der Bundesgerichtshof erstmals die Schuldausgleichstauglichkeit der mittelbaren Straftatfolge. Die Beendigung des Beamtenverhältnisses führe zu einer erheblichen Verschärfung der staatlichen Reaktion auf die Straftat und müsse deshalb bei der Bestimmung des gerechten Schuldausgleichs beachtet werden97. Er stellte sich auf den Standpunkt, der Verlust der beruflichen Stellung in Verbindung mit der zu verhängenden (Kriminal-)Strafe sei als „Gesamtheit von Sanktionen“ vor dem Hintergrund eines gerechten Schuldausgleichs zu hart98. Die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt in den Formulierungen nur noch darauf ab, ob die an sich verwirkte Strafe in Verbindung mit den belastenden Folgen noch ein (schuld-)angemessenes Gesamtübel darstellt99. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1991100, in der es um die Berücksichtigung einer Mehrfachbestrafung im Ausland ging, betont der Gerichtshof – wieder unter Bezugnahme auf § 46 Abs. 1 S. 2 StGB –, daß die Mehrfachbestrafung für den Verurteilten eine zusätzliche Härte bedeute, 93
Vgl. BGH, NStZ 1983, 408. BGH, a. a. O. 95 BGH, StV 1985, 454 (455); BGH, StV 1987, 243 = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 StGB (Schuldausgleich 2); BGH, wistra 1991, 300. 96 BGHSt 35, 148 ff. = BGH, NStZ 1988, 494 f. = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10). 97 BGHSt 35, 148 (149) = BGH, NStZ 1988, 494 (495) = BGHR Strafsachen (Schuldausgleich 10), S. 1. 98 BGHSt 35, 148 (150) = BGH, NStZ 1988, 494 (495) = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10), S. 2. 99 Vgl. BGH, wistra 1999, 417 (418). 100 BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 26). 94
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die unter dem Aspekt der gesamten ihn belastenden Straftatfolgen bei der Bemessung der Strafe berücksichtigt werden dürfe. Dabei verweist der Bundesgerichtshof auf die Kommentierung bei Horn101, der seinerseits die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs interpretierend feststellt: „Die Tendenz der Rechtsprechung geht dahin, bei der Einschätzung der „angemessenen“ Antwort auf die Straftat nicht allein die Strafe selbst, sondern auch weitere Straftatfolgen für den Täter zu berücksichtigen. Diese Gesamtbetrachtung (die Summe aller Nachteile muß schuldadäquat sein) . . . geht methodisch so vor sich, daß von der zunächst (gedanklich) in der Höhe der Schuldangemessenheit bestimmten Strafe hernach ein gewisser, nämlich jener Teil abgezogen . . . wird, der in etwa dem vom Täter bereits erlittenen oder erst noch in Zukunft zu erduldenden Straf-Surrogat entspricht“.102 Den etwas seltsamen Umstand, daß in manchen Fällen gerade auf Grund der Strafmilderung eine sonst zwingende mittelbare Straftatfolge nicht eintritt, bewertet der Bundesgerichtshof als ein (unbeabsichtigtes) Ergebnis seiner Rechtsprechung zum gerechten Schuldausgleich. Angesprochen sind hier die Fallkonstellationen, in denen beispielsweise zugunsten eines Beamten strafmildernd berücksichtigt wird, daß er bei einer Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe seine Beamtenrechte verlieren wird, vgl. § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BBG. Führt die so begründete Strafmilderung zu einer Strafhöhe unter einem Jahr, tritt die (zwingende) Folge, deretwegen die Strafe gemildert wurde, aber nicht mehr ein. Dieses Resultat glaubt der Bundesgerichtshof aus rechtsstaatlichen Gründen hinnehmen zu müssen, weil nur so eine zu harte und insoweit ungerechte Reaktion des Staates vermieden werden könne103. cc) Zusammenfassung Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß der Bundesgerichtshof mittelbare Straftatfolgen strafmildernd auf die (sonst) schuldangemessene Strafe anrechnet, um eine zu schwere Belastung des Täters, die durch die Kumulation von Strafe und mittelbarer Straftatfolge entstehen würde, durch eine Strafmilderung zu kompensieren. Neben dem subjektiven erhöhten Strafleiden durch mittelbare Straftatfolgen erkennt er außerdem die (objektive) Schuldausgleichstauglichkeit der mittelbaren Straftatfolgen an.
101
Horn, in: sLSK zu § 46 StGB Rn. 137, 139. Horn, a. a. O., Rn. 137. 103 BGHSt 35, 148 (151) = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10), 1 (2) = BGH, NStZ 1988, 494 (495). 102
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
b) Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Bestimmung des Strafrahmens („minder schwerer Fall“) Im Jahre 1984 entschied der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs erstmals, daß beamtenrechtliche Disziplinarmaßnahmen nicht nur im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB strafmildernd auf die (sonst) schuldangemessene Strafe anzurechnen sein sollen, sondern betonte außerdem ihre Relevanz für die Bewertung eines „minder schweren Falls“104. Gleiches entschied er in der Folge auch für weitere mittelbare Straftatfolgen, wie z. B. einen Arbeitsplatzverlust oder eine Verurteilung zu Schmerzensgeldzahlungen105. Diese Entwicklung war inhaltlich konsequent, denn der Bundesgerichtshof bewertete auch die unmittelbaren belastenden Straftatfolgen für den Täter stets als einen strafmildernden Gesichtspunkt, der schon bei der Strafrahmenwahl zu berücksichtigen sein sollte. So bestätigte er in einer Entscheidung aus dem Jahre 1980106 die Entscheidung des Landgerichts, das zugunsten des Angeklagten berücksichtigt hatte, daß dieser durch die Tat seine Tochter verloren hatte, unter deren Verlust der Angeklagte sehr litt. Das Landgericht hatte diesen Umstand innerhalb der im Rahmen von § 213 StGB gebotenen Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zur Annahme eines „minder schweren Falls“ führen lassen. Einen „minder schweren Fall“ nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, wenn das „gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in so erheblichem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Bei dieser Beurteilung ist eine Gesamtbetrachtung aller wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände erforderlich, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen“107. 104 BGH StV 1984, 508. Die doppelte Berücksichtigung widerspricht nicht dem Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB). Da die unbenannten Strafänderungen nur die Ermittlung des Strafrahmens betreffen, lassen sie die Strafzumessung nach § 46 StGB unberührt. Das Verbot versperrt nur die Möglichkeit, den abstrakten Gesichtspunkt, daß es sich um einen minder schweren Fall handelt, zu Buche schlagen zu lassen. Im übrigen ist es zulässig, Umstände, die zuvor schon zur Ermittlung des Strafrahmens beigetragen haben, in die abschließende Gesamtwürdigung einzubeziehen. St. Rspr. des BGH: BGHSt 26, 311; BGH, NStZ 1984, 548; BGH, StV 1984, 151; BGH, NStZ 1985, 216 = BGH, StV 1985, 234; BGH, NStZ 1985, 164; BGH, StV 1985, 54; BGH, StV 1986, 340. 105 BGH, StV 1988, 249; BGHSt 35, 149 f. = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10) = BGH, NStZ 1988, 494; BGH, StV 1989, 249; BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 18); BGH, StV 1992, 154 (155); BGH, StV 1993, 27. 106 Vgl. BGH, StV 1981, 124.
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Eine ausführliche Begründung zu der erweiterten Rechtsprechung lieferte der Bundesgerichtshof in einer seitens der Literatur vielbeachteten Entscheidung aus dem Jahre 1987108. Hier betonte er, daß zu den „nachfolgenden Umständen“ auch die Wirkungen der Strafe auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft gehörten, womit der Bundesgerichtshof auch hier wieder Bezug auf die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nimmt. Ihre Berücksichtigung dürfe nicht auf den Akt der konkreten Straffestsetzung beschränkt werden, sondern habe bereits bei der vorgeschalteten Entscheidung über das Vorliegen eines „minder schweren Falls“ zu erfolgen. Dieser Entscheidung seien alle109 für die Strafzumessung wesentlichen Umstände zugrunde zu legen. Nur durch einen solchen umfassenden Gesamteindruck würde der Richter in die Lage versetzt, zutreffend zu beurteilen, ob der Fall vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweiche, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheine110. Der Bundesgerichtshof führte weiter aus, daß das Unbeachtetlassen des Verlusts der Beamtenstellung bei der Strafrahmenwahl dem Gebot eines gerechten Schuldausgleichs widerspreche. Nur durch die Berücksichtigung der mittelbaren Straftatfolgen bei der Frage nach dem Vorliegen eines „minder schweren Falls“ sei eine zu harte und insoweit ungerechte Reaktion des Staates vermeidbar111. c) Strafmilderung im Rahmen des Spielraums schuldangemessener Strafen zwecks Vermeidung entsozialisierender Wirkungen Einen weiteren Ansatzpunkt für die Berücksichtigung belastender Folgen bei der Strafzumessung verfolgte der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einer Entscheidung aus dem Jahr 1983112. Hierin stützte er sich – zumindest in der Formulierung – auf einen spezialpräventiven Aspekt im Zusam107 BGHSt 4, 8 (9); 8, 186 (188); 26, 97 (99); BGH, GA 1976, 303, 304; BGH, StV 1983, 19, BGH StV 1983, 201 (201 f.); BGH, NStZ 1982, 26; BGH, NStZ 1983, 119; BGH, NStZ 1985, 547. 108 BGHSt 35, 148 ff. = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10) = BGH, NStZ 1988, 494. Zu den Beiträgen aus der Literatur vgl. die Anmerkung von Bruns, JZ 1988, 467 ff.; Streng, NStZ 1988, 485 ff.; Schäfer, in: Tröndle-FS, S. 395 ff. 109 Hervorhebung durch den BGH. 110 BGHSt 35, 148 (149, 150) = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10), 1, 2 = BGH, NStZ 1988, 494 (495). 111 BGHSt 35, 148 (150, 151) = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10), 1 (2) = BGH, NStZ 1988, 494 (495). 112 BGHSt 32, 68 ff.
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
menhang mit den Strafen, nämlich die Vermeidung entsozialisierender Wirkungen durch die Strafe. Er betonte, daß die Folge des zwingenden Verlusts der Beendigung des Dienstverhältnisses eines Soldaten und die damit verbundenen finanziellen Verluste Anlaß sein könnten, zur Vermeidung dieser Folgen auf eine geringere Strafe zu erkennen, um diese negativen Folgen zu vermeiden. Zur Begründung verwies der 3. Strafsenat allerdings auf die entsprechenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur Berücksichtigung beamtenrechtlicher Konsequenzen bei der Bemessung von Strafen gegen Beamte113. Wie gesehen, war es dort aber das Anliegen des Bundesgerichtshofs, durch die strafmildernde Einbeziehung der mittelbaren Straftatfolgen in die Strafzumessung ein zu schweres Gesamtübel zu kompensieren, um einen gerechten Schuldausgleich vornehmen zu können und nicht, entsozialisierende Wirkungen durch die Strafe zu vermeiden. In der Folge der Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1983 findet sich keine Formulierung mehr dahingehend, die Strafmilderung in Ansehung mittelbarer Straftatfolgen erfolge aus dem Grund, entsozialisierende Wirkungen der Strafe zu vermeiden. d) Zusammenfassung Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß der Bundesgerichtshof die mittelbaren Straftatfolgen bei der Strafzumessung nach § 46 StGB, aber auch bei der Strafrahmenwahl zur Begründung „minder schwerer Fälle“ berücksichtigt wissen will, um dem Gebot des gerechten Schuldausgleichs gerecht werden zu können. Eine Strafmilderung im Rahmen des Spielraums der schuldangemessenen Strafe zwecks Vermeidung entsozialisierender Wirkungen wurde vom Bundesgerichtshof zustimmend erörtert. Grundsätzlich fordert er aber die strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf die (sonst) schuldangemessene Strafe aufgrund ihrer schuldausgleichenden Wirkung. Der Bundesgerichtshof nimmt regelmäßig auf die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB Bezug. Unter Wirkungen der Strafe seien nicht nur die gezielten Einwirkungen zu verstehen, die durch die Strafe selbst erreicht werden sollen, sondern auch solche Wirkungen, die nicht intendiert, sondern unbeabsichtigt einträten, wie etwa die Beendigung des Beamtenverhältnisses114. 113
BGHSt 32, 68 (79). Vgl. BGHR Strafsachen, § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10) = BGHSt 35, 148 (149) = BGH, NStZ 1988, 494 (495). 114
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III. Einschränkungen der Rechtsprechung in Ausnahmefällen Diese sehr weitgehende Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in einigen Ausnahmefällen eingeschränkt. 1. Der soziale Ansehensverlust
Zum einen entschied er in einer Entscheidung aus dem Jahr 1982115, daß der Ansehensverlust, der mit der Straftatbegehung bzw. der Verurteilung einherginge, kein strafmildernd zu berücksichtigender Aspekt bei der Strafzumessung sein dürfe. Die tatrichterliche Würdigung, auf Grund der ursprünglich innegehabten und mit hohem Prestige verbundenen Stellung als Stadtdirektor treffe diesen die Verurteilung besonders hart, verwarf er als nicht mehr vertretbar. Denn der Verlust an Ansehen, den jeder Straftäter durch seine Verurteilung erleide, sei eine von ihm zwangsläufig in Kauf genommene soziale Folge seines Fehlverhaltens und damit kein Umstand von besonderem Gewicht. Eine andere Betrachtungsweise würde auf eine Privilegierung von Straftätern in gehobener sozialer Stellung hinauslaufen. Angesichts der Tatsache, daß auch Täter in nicht „gehobenen sozialen Stellungen“ ein Ansehen haben, das sie verlieren können, kann die Begründung des Bundesgerichtshofs nicht überzeugen. Auch andere mittelbare Straftatfolgen sind – soweit der Täter vorsätzlich handelt – von ihm zwangsläufig in Kauf genommene Folgen des normabweichenden Verhaltens. Ein Täter wird sich bei Tatbegehung regelmäßig Gedanken über die Konsequenzen seiner Tat für den Fall ihrer Aufdeckung machen, wobei – abhängig von der jeweiligen Lebenssituation – auch mögliche mittelbare Straftatfolgen in die Überlegungen miteinbezogen werden. Entscheidend ist hier vielmehr der Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung nach § 46 Abs. 3 StGB116. 2. Keine zusätzliche Belastung durch Nichtgewährung eines unmittelbar aus der Straftat erlangten Gewinns
Eine weitere Einschränkung machte der Bundesgerichtshof in folgendem Fall: Die Ehefrau eines Beamten war wegen Beihilfe zum Mord an ihrem Ehemann zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden117. Mittelbare Straftatfolge der Verurteilung war, daß sie nach § 61 Abs. 1 Nr. 4 115 116 117
Vgl. BGH bei Mösl, NStZ 1982, 453 (455). Siehe Einleitung A. Vgl. BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 17).
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BeamtVG ihren Anspruch auf die Witwenversorgungsbezüge verlor. § 61 Abs. 1 Nr. 4 BeamtVG bestimmt u. a., daß der Anspruch der Witwen auf Versorgungsbezüge für jeden Berechtigten mit der Rechtskraft des Urteils erlischt, der durch ein deutsches Gericht im Geltungsbereich dieses Gesetzes im ordentlichen Strafverfahren wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung zur strafmildernden Berücksichtigung zwingender beamtenrechtlicher Disziplinarmaßnahmen entschied der Bundesgerichtshof, daß der Verlust des Anspruchs auf die Witwenversorgungsbezüge in diesem Fall nicht strafmildernd berücksichtigt werden könne. Als Begründung führte er an, die Täterin solle in einem solchen Fall keine strafrechtliche Vergünstigung daraus herleiten können, daß sie die Quelle ihres Wohlergehens durch ein vorsätzliches Verbrechen selbst „verstopfe“. Auch einem Täter, der einen unterhaltsverpflichteten (nicht beamteten) Elternteil töte, sei eine solche Vergünstigung nicht zu gewähren, wenn er als Folge seiner Tat seinen Unterhaltsanspruch verlöre. Das Ergebnis der Entscheidung des Bundesgerichtshofs läßt sich insbesondere vor dem Hintergrund der ratio legis von § 73 Abs. 2 StGB (Verfall) begründen. Hiernach sollen auch nur mittelbar aufgrund eines infolge der Straftat erlangten Rechts erworbene Gegenstände dem Verfall unterliegen und nicht dem Täter zufließen. Den Witwenstatus und den damit verbundenen Anspruch auf Witwenversorgung erlangt die Täterin aufgrund der Tötung des Ehemannes. Der Anspruch auf die Witwenversorgungsbezüge ist ein aus der Straftat resultierender Gewinn, der ihr nicht zugute kommen darf. Die Nichtgewährung eines aus einer Straftat unmittelbar erlangten Gewinns läßt sich nicht in eine Belastung infolge der Straftatbegehung umdeuten. IV. Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die tatrichterliche Praxis In nahezu sämtlichen der Betrachtung zugrundeliegenden veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs hob dieser die vorinstanzlichen Urteile auf. Der Grund für die Aufhebung lag darin, daß der Bundesgerichtshof nicht überprüfen konnte, ob sich das Tatgericht mit diesen seiner Ansicht nach strafzumessungsrelevanten Umständen auseinandergesetzt hatte118. Damit war nicht die Aussage verbunden, der Tatrichter müsse mit118
BGH bei Holtz, MDR 1980, 271 (272); BGH StV 1981, 235; BGH bei Mösl, NStZ 1982, 148 (150, 151); BGH, NStZ 1982, 507; BGH, wistra 1983, 145; BGHSt 32, 68 (79); BGH bei Mösl, NStZ 1984, 158 (161); BGH, NStZ 1983, 408; BGH, StV 1984, 508; BGH, NStZ 1985, 215; BGH StV 1985, 454 (455); BGH NStZ 1986, 312; BGH NStZ 1987, 133 (134); BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuld-
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telbare Straftatfolgen notwendigerweise strafmildernd bewerten. Der Bundesgerichtshof konstatierte lediglich, die Strafzumessungserwägungen müßten erkennen lassen, daß sich das Gericht grundsätzlich mit der betreffenden Frage auseinandergesetzt hat119. 1. Mittelbare Straftatfolgen als sog. „bestimmende“ Strafzumessungsgründe
Die zahlreichen Urteilsaufhebungen des Bundesgerichtshofs weisen darauf hin, daß er mittelbare Straftatfolgen regelmäßig als sog. „bestimmende“ Strafzumessungsgründe bewertet120. a) „Bestimmende“Strafzumessungsgründe Unter „bestimmenden“ Strafzumessungsgründen versteht man Umstände, deren entscheidende Bedeutung für die Strafzumessung sich aufdrängen. Sie sollen für den Tatrichter eine materiell-rechtliche Begründungspflicht herleiten121. Die materielle Begründungspflicht, die der Bundesgerichtshof den Tatrichtern in bezug auf „bestimmende“ Strafzumessungsgründe auferlegt, findet keine Stütze im Gesetz. Sie beruht auf einer generellen Weiterentwicklung der in § 267 Abs. 3 StPO normierten prozessualen Begründungspflicht durch die Rechtsprechung122. Verfahrensrechtlich fordert das Gesetz nur die wahrheitsgemäße Darlegung der Umstände, die das erkennende Gericht bei der Straffindung zugrundegelegt hat123. Die Pflicht auch zur materiell-rechtlichen Begründung beruht auf dem allgemeinen Grundsatz, daß jede Entscheidung eine Mindestbegründung enthalten muß, um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung in sachlicher Hinsicht zu ermöglichen. Wenn das mangels hinreichender Angaben ausgeschlossen ist, muß das Urteil schon auf die allgemeine Sachrüge hin aufgehoben werden, weil nicht auszuschließen ist, daß es auf einem sachlich-rechtlichen ausgleich 2) = BGH, StV 1987, 243; BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 8) = BGH, NStZ 1987, 550 (550, 551); BGH, StV 1988, 18 (19); BGH, wistra 1988, 64; BGH, StV 1988, 249; BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 22); BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 23); BGH, StV 1991, 207; BGH, wistra 1991, 300; BGH, NStZ 1998, 205 = BGH, StV 1998, 375. 119 BGH, a. a. O. 120 Zu den sog. „bestimmenden“ Strafzumessungsgründen vgl. z. B.: BGHSt 24, 268 (271); BGH, JR 1977, 162. 121 Vgl. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 264. 122 Vgl. Bruns, a. a. O., S. 264. 123 Gemäß § 267 Abs. 3 S. 2 StPO müssen die Gründe des Strafurteils die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind.
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Mangel beruht124. Das Schweigen in den Urteilsgründen über bestimmte, sich aufdrängende Strafzumessungsumstände enthält also schon deshalb einen sachlich-rechtlichen Fehler, weil dann nicht zu erkennen ist, ob sich der Tatrichter der Möglichkeit ihrer Verwertung bewußt gewesen ist, ob er eine entsprechende Strafschärfung oder -milderung wenigstens erwogen hat125. b) Erörterungsbedürftigkeit mittelbarer Straftatfolgen Die zahlreichen veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs enthalten die Aussage, daß sich bei den abgeurteilten Fällen die Erörterung der mittelbaren Straftatfolge aufgedrängt hätte. Die Aufhebung der Urteile wird auf die fehlende ausdrückliche Auseinandersetzung gestützt, die dem Bundesgerichtshof die Überprüfung verwehrt, ob sich das Tatgericht tatsächlich über diese strafzumessungsrelevanten Umstände Gedanken gemacht hat. Wann in den Augen des Bundesgerichtshofs eine Erörterung mit mittelbaren Straftatfolgen in den Urteilsgründen erforderlich ist, geht sehr deutlich aus einer Entscheidung aus dem Jahre 1991126 hervor: Dem Beschluß lag der Fall eines Apothekers zugrunde, der von der Vorinstanz zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Der Bundesgerichtshof betonte, daß sich die Erörterung des Gesichtspunktes des Widerrufs der Approbation hier infolge der Höhe der Strafe sowie deshalb aufgedrängt habe, weil der von dem Angeklagten geförderte Vertrieb der unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Tabletten berufsspezifische Bezüge aufweise. In diesem Fall aber seien die beruflichen Folgen „ernsthaft zu erwarten“. Sobald also eine mittelbare Straftatfolge ernsthaft zu erwarten ist, liegt ein sich aufdrängender Strafzumessungsgrund vor, der eine Auseinandersetzung in den Urteilsgründen erforderlich macht. Da diese Auseinandersetzung nicht um ihrer selbst willen verlangt wird, sondern vor dem Hintergrund, daß der Eintritt der Folge den Täter zusätzlich belasten und damit eine Strafmilderung rechtfertigen kann, läßt sich hinter der Einordnung als „bestimmender“ Strafzumessungsgrund auch die folgende Aussage erkennen: Der Eintritt mittelbarer Straftatfolgen stellt regelmäßig eine außergewöhnliche Belastung für den Täter dar, die geeignet ist, eine Strafmilderung zu rechtfertigen.
124 125 126
Vgl. BGH, VRS 20, 127. Vgl. BGH, JR 1977, 162; BGH, StV 1981, 336; BGH, StV 1983, 22. BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 23).
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c) Korrekturen durch die besonderen Umstände des Einzelfalls Der Bundesgerichtshof macht allerdings darauf aufmerksam, daß die Erfordernis einer ausdrücklichen Auseinandersetzung nicht pauschal besteht. Die Frage, ob der Strafzumessungsgrund der Entlassung aus dem Dienst, des Verlustes der Rechte als Beamter, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust von Standesrechten jeweils ausdrücklich genannt werden muß, soll vielmehr vom Einzelfall abhängen. Die sonstigen Umstände der Tat oder des Täters könnten dies als überflüssig erscheinen lassen127. Welche Umstände das sein sollen, läßt sich anhand einer Überprüfung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ermitteln. Fest steht, daß es sich um Umstände handeln muß, die den Urteilsgründen zu entnehmen oder offensichtlich sind. Sollte für den Bundesgerichtshof nicht nachvollziehbar sein, weshalb die Erörterung einer Strafmilderung im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB oder einer Strafrahmenänderung durch das Landes- oder Oberlandesgericht unterblieben ist, würde er die Entscheidungen wegen Nichterwägung eines sich aufdrängenden strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkts aufheben. Eine Auswertung der höchstrichterlichen Entscheidungen ergibt, daß der Bundesgerichtshof die Fallkonstellationen vor Augen hat, in denen der Eintritt einer mittelbaren Straftatfolge zwar ernsthaft zu erwarten ist, für den Täter aber – aus welchen Gründen auch immer – keine Belastung darstellt. Dies geht aus einer Entscheidung hervor, in der es um einen wegen Geldfälschung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Beamten im Ruhestand ging128. Hier erwog der Bundesgerichtshof, daß die Nichterwägung des Verlusts der Rechte als Ruhestandsbeamter gemäß § 59 BeamtVG deshalb rechtsfehlerfrei sein könne, weil diese mittelbare Straftatfolge möglicherweise keine Belastung für den Täter nach sich ziehen würde. Der Bundesgerichtshof thematisierte in seiner Entscheidungsbegründung, daß der seiner Versorgungsrechte entkleidete Beamte im Ruhestand in der Rentenversicherung gemäß § 9 Abs. 4 Angestelltenversicherungsgesetz; § 1232 Abs. 4 RVO nachversichert werde und konstatierte, daß der Umstand einer möglicherweise fehlenden Belastung eine ausdrückliche strafzumessungsrechtliche Erörterung entbehrlich machen könne. Interessant an dieser Entscheidung ist darüber hinaus, daß die erörterte Einschränkung der sonst bestehenden materiell-rechtlichen Begründungspflicht dann nicht greifen soll, wenn in dem zu entscheidenden Fall der gesetzliche Grenzwert der zwingend zu der Folge führenden Freiheitsstrafe 127 128
Vgl. BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 18). Vgl. BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 18).
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
nicht erheblich überschritten wird129. Mit anderen Worten soll sich der Tatrichter trotz zweifelhafter Belastung dann ausdrücklich mit der Folge auseinandersetzen, wenn er, beispielsweise im Fall eines Beamten, eine Strafe von etwa einem Jahr verhängen möchte. Vor dem Hintergrund der dann gegebenen enormen Relevanz der Strafmilderung – zwingender Eintritt bzw. nur fakultativer Eintritt der mittelbaren Straftatfolge –, macht der Bundesgerichtshof eine Rückausnahme von der ursprünglich eingeschränkten Pflicht zur Auseinandersetzung. d) Zusammenfassung Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß der Bundesgerichtshof mittelbare Straftatfolgen dann als „bestimmende“ Strafzumessungsumstände bewertet, die einer ausdrücklichen Erörterung im Rahmen der Strafzumessungserwägungen bedürfen, wenn sie ernsthaft zu erwarten sind. Fehlen entsprechende Erwägungen, sind die Urteilsgründe rechtsfehlerhaft und führen zur Aufhebung des Urteils. Ausnahmsweise soll keine explizite Auseinandersetzung mit den mittelbaren Straftatfolgen erforderlich sein, wenn die zu erwartenden Folgen den Täter nicht (hinreichend schwer) belasten. Allerdings formuliert der Bundesgerichtshof für bestimmte Fälle von dieser Ausnahme eine Rückausnahme: Will der Tatrichter eine Strafe in einer Höhe auswerfen, die sich in dem Grenzbereich der Voraussetzungen für den Eintritt einer zwingenden Straftatfolge bewegt (in den Beamtenfällen also eine Strafe knapp über einem Jahr, vgl. § 48 BBG), muß er auch bei zweifelhafter Belastung den Eintritt der mittelbaren Straftatfolge ausdrücklich erörtern. 2. Besondere Bewertung der Ausweisungsfälle gemäß § 45 ff. AuslG
Eine in diesem Zusammenhang besondere Bewertung erfährt die mittelbare Straftatfolge der Ausweisung nach §§ 45 ff. AuslG in der Rechtsprechung des 1. und 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs. In keiner Entscheidung beanstandeten die Senate die unterbliebene Erörterung einer ernsthaft zu erwartenden zwingenden oder möglichen Ausweisung130. In einer Entscheidung konstatierte der 3. Strafsenat zwar großzügig, die strafmildernde 129 BGHR a. a. O.; vgl. auch BGH, MDR 1978, 623; BGH, MDR 1976, 13; BGH, StV 1983, 102. 130 BGHR Strafsachen § 46 Abs. 2 (Lebensumstände 17) = BGH, wistra 1997, 22 (23); BGHR Strafsachen § 46 Abs. 2 (Ausländer 5) = BGH, wistra 1999, 262 = NStZ – RR 2000, 79 (80); BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 30); BGH bei Detter NStZ 1999, 120 (122); BGH, NStZ 1997, 77.
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Berücksichtigung der Regelausweisung durch das Tatgericht sei wegen der besonderen zugrundeliegenden Umstände als besondere Härte rechtsfehlerfrei gewesen. Eine ausdrückliche Erwägung der ausländerrechtlichen Folge in den Urteilsgründen hielte er aber nicht für geboten131. Konsequenz der divergierenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf ausländerrechtliche Straftatfolgen ist, daß die Tatrichter nicht zu einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit den Folgen einer Ausweisung für den Täter in den Urteilsgründen gezwungen sind. Da eine entsprechende Verpflichtung und damit auch Überprüfbarkeit fehlt, bleibt es letztlich den Tatrichtern überlassen, ob sie sich mit den ausländerrechtlichen Folgen einer Tat für den Täter auseinandersetzen. Es ist ihnen damit völlig freigestellt, eine entsprechende Strafmilderung zu erwägen. Mit dieser Rechtsprechung ist zudem die Aussage verbunden, ernsthaft zu erwartende Ausweisungen stellten regelmäßig keine außergewöhnliche Härte dar. Ansonsten würde es sich bei ihr – ebenso wie bei den übrigen mittelbaren Straftatfolgen – um einen sich aufdrängenden Strafzumessungsumstand handeln. Denn der sich aufdrängende Strafzumessungsgrund wird ja nur deshalb als solcher qualifiziert, weil mittelbare Straftatfolgen den Betroffenen regelmäßig so hart treffen können, daß sie eine Strafmilderung begründen können132. Die unterschiedlichen Auffassungen der Strafsenate bezüglich der mittelbaren Straftatfolge der Ausweisung sollen im folgenden dargestellt und anschließend auf ihren sachlichen Grund und ihre Nachvollziehbarkeit hin überprüft werden. a) 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs betont in seinen Entscheidungen, daß die ausländerrechtlichen Folgen einer Tat in der Regel keine bestimmenden Strafzumessungsgründe darstellten. Eine andere Beurteilung ließe sich nur aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall rechtfertigen133. Diese Rechtsprechung bedeutet eine Umkehrung des Maßstabs, der in Ansehung der übrigen mittelbaren Straftatfolgen vom Bundesgerichtshof angelegt wird. Denn dort sollen die Umstände des Einzelfalls es ausnahmsweise rechtfertigen können, daß die mittelbaren Straftatfolgen in den Urteilsgrün131 BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 StGB (Schuldausgleich 37) = BGH, NStZ 1999, 240. 132 Zur Argumentation vgl. 2. Kapitel A. IV. 1. b). 133 Vgl. BGHR Strafsachen § 46 Abs. 2 StGB (Ausländer 5) = BGH, wistra 1999, 262 = NStZ – RR 2000, 79 f.; BGH bei Detter, NStZ 1999, 122; BGH bei Detter, NStZ 1999, 120 (122).
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
den nicht ausdrücklich erwogen worden sind. Im übrigen führte sonst die Nichtberücksichtigung einer ernsthaft zu erwartenden Folge stets zur Aufhebung des Urteils wegen Vorliegens eines sachlich-rechtlichen Fehlers. Eine nähere Begründung liefert der 1. Strafsenat nicht. Hintergrund seiner Rechtsprechung kann allein die Auffassung sein, ausländerrechtliche Folgen der Tat stellten regelmäßig keine besondere Härte für die Betroffenen dar. Denn Hintergrund der Bewertung der übrigen mittelbaren Straftatfolgen als „bestimmende“ Strafzumessungsgründe ist der Umstand, daß diese Folgen aufgrund der mit ihnen einhergehenden besonderen Belastung potentielle Strafmilderungsgründe darstellen134. Selbst in den Fällen, in denen die verhängte Freiheitsstrafe drei Jahre beträgt und damit nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG zur zwingenden Ausweisung des Ausländers führt, hält der 1. Strafsenat die ausdrückliche Erwägung der ausländerrechtlichen Straftatfolge in den Strafzumessungsgründen für nicht erforderlich135. In einem solchen Fall würde der Bundesgerichtshof in bezug auf alle übrigen Straftatfolgen sogar dann eine explizite strafzumessungsrechtliche Auseinandersetzung vom Tatrichter fordern, wenn die Belastung des Täters durch die Folge zweifelhaft wäre136. b) 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs Der 3. Strafsenat konstatiert etwas vorsichtiger, daß die drohende Ausweisung eines Ausländers nicht ohne weiteres als bestimmender Strafzumessungsgrund anzusehen sei, sondern daß die Frage, ob sie ausdrücklich strafmildernd zu erwähnen sei, von den Umständen des Einzelfalls abhinge137. Oberflächlich betrachtet legt er dabei die Maßstäbe zugrunde, die der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die Berücksichtigung sonstiger mittelbarer Straftatfolgen entwickelt hat. Insbesondere betont er, daß unabhängig von einer mit der Folge tatsächlich verbundenen Belastung dann eine Erörterung regelmäßig vorzunehmen sei, wenn die gesetzlichen Grenzwerte der zwingend zu einer Ausweisung führenden Freiheitsstrafe nicht erheblich überschritten würden138. 134
Vgl. 2. Kapitel A. IV. 1. b). Vgl. BGHR Strafsachen § 46 Abs. 2 StGB (Ausländer 5) = BGH, wistra 1999, 262 = NStZ – RR 2000, 79 f.; BGH bei Detter, NStZ 1999, 122. 136 So in BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 StGB (Schuldausgleich 18); vgl. auch BGH, MDR 1978, 623; BGH, MDR 1976, 13; BGH, StV 1983, 102. 137 BGHR § 46 Abs. 2 (Lebensumstände 17) = BGH, wistra 1997, 22 (23). 138 BGHR § 46 Abs. 2 (Lebensumstände 17) = BGH, wistra 1997, 22 (23). Siehe die völlig andere Auffassung des 1. Strafsenats, S. 59 und die vergleichbare ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, S. 55 f. 135
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Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, daß auch der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die mittelbare Straftatfolge der Ausweisung anders bewertet als die übrigen mittelbaren Straftatfolgen. So macht er die Frage danach, ob für den Täter eine zusätzliche Belastung zu der Verurteilung zu erwarten ist, nicht wie bei den übrigen mittelbaren Straftatfolgen ausschließlich von den tatsächlichen Umständen abhängig. Er hält vielmehr bei der Bewertung der individuellen Belastung auch den Aspekt für entscheidend, daß der Straftäter sein „Bleiberecht durch erhebliche Straffälligkeit verwirkt“139 habe. Hierin steckt eine strafzumessungsrechtliche Wertung, derer sich der Bundesgerichtshof in Ansehung der übrigen Straftatfolgen enthält. Darüber hinaus sollen fakultative ausländerrechtliche Folgen nie einen „bestimmenden“ Strafzumessungsgrund darstellen140. Zur Begründung führt der 3. Strafsenat an, daß in dem Fall, in dem die Ausweisung nicht zwingend vorgeschrieben sei, besondere Härten im Ausweisungsverfahren berücksichtigt werden könnten141. In Ansehung möglicher ausländerrechtlicher mittelbarer Straftatfolgen verlangt der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs also keine ausdrückliche Erwägung in den Strafzumessungsgründen, und zwar – im Unterschied zu den übrigen mittelbaren Straftatfolgen – unabhängig davon, ob sie ernsthaft zu erwarten sind oder nicht. c) Diskussion der besonderen Bewertung Die unterschiedliche Beurteilung der ausländerrechtlichen mittelbaren Straftatfolgen im Verhältnis zu den übrigen mittelbaren Straftatfolgen durch den 1. und 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs läßt sich nur schwer nachvollziehen. aa) Notwendige Differenzierung innerhalb der heterogenen Gruppe der Ausländer Soweit sie auf die Annahme gestützt wird, ausländerrechtliche Folgen der Tat stellten für den Betroffenen regelmäßig keine besondere Belastung dar, muß sie wegen der zugrundeliegenden undifferenzierten Grundprämisse auf Kritik stoßen. Denn die Ausländerpopulation ist keine homogene Gruppe, deren gemeinsame Betrachtung sich rechtfertigen ließe. In dem von dem 1. Strafsenat entschiedenen Fall142 und in vergleichbaren Fällen mag angenommen werden können, die ernsthaft zu erwartende 139 140 141
BGHR § 46 Abs. 2 (Lebensumstände 17) = BGH, wistra 1997, 22 (23). BGHR § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 30. BGH, a. a. O.
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
Ausweisung stelle keine besondere Belastung für den Ausländer dar, weshalb von einer ausdrücklichen Erörterung ausnahmsweise abgesehen werden könne. Die Entscheidung befaßt sich mit einem Nigerianer, dessen Asylantrag abgelehnt worden war und dessen Ehefrau – eine britische Staatsangehörige – sich in England aufhielt und dessen Kind in Nigeria lebte. Für Deutschland hatte er nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, und es konnten keine persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen festgestellt werden, deren Beendigung infolge einer Ausweisung eine außergewöhnliche Härte hätte darstellen können. Eine andere Bewertung erscheint aber im Hinblick auf die seit langer Zeit hier lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen aus den ehemaligen Anwerberländern aufgrund der Aufenthaltsdauer und Integration sachgerecht. Sie stellen die größten Gruppen der ausländischen Wohnbevölkerung dar143. Bei ihnen wird sich eine Ausweisung regelmäßig als außerordentlich belastende mittelbare Straftatfolge darstellen. Fast zwei Drittel aller Türken und Griechen, 71% der Italiener und 80% der Spanier leben schon zehn Jahre und länger in Deutschland144. Zur diesbezüglichen Statistik sei angemerkt, daß die durchschnittliche Aufenthaltsdauer durch die vielen hier geborenen Migrantenkinder gesenkt wird145. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, daß mittlerweile schon die sogenannte dritte Generation heranwächst. Den zahlenmäßigen Einfluß der nächsten Generationen verdeutlicht zum Beispiel der Umstand, daß über 60% der Spanier schon länger als 25 Jahre in Deutschland leben oder rund 50% der Italiener seit mehr als 20 Jahren. Bei den aus dem ehemaligen Jugoslawien (Serbien, Montenegro, Kroatien, Bosnien und Herzegowina) stammenden Migranten lebten 1999 immerhin 43% länger als zehn Jahre in Deutschland146.
142 BGHR Strafsachen, § 46 Abs. 2 StGB (Ausländer 5) = BGH, wistra 1999, 262 = NStZ – RR 2000, 79 f. 143 Die größten Gruppen der ausländischen Wohnbevölkerung bildeten 1998 die Türken mit 28,8%, Staatsangehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien mit 15,3%, die Italiener mit 8,4% und die Griechen mit 5,0%, vgl. die Angaben zur Statistik für das Jahr 1999 der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, S. 7. Hinzu kommen die Spanier, Portugiesen, Marokkaner und Tunesier mit insgesamt 5,0%, vgl. die Statistik a. a. O. 144 Angaben zur Statistik für das Jahr 1999 der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen zur Frage der Aufenthaltsdauer der ausländischen Bevölkerung. Vgl. auch die nahezu identischen Daten von Ende 1997 aus dem Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, S. 18 und Tabelle 7 im Anhang. 145 Vgl. den diesbezüglichen Hinweis zur Statistik im Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, S. 18, 19.
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Die Vernichtung von schulischer, beruflicher und sozialer Existenz, die mit einer Ausweisung von ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen aus den ehemaligen Anwerberländern, zwingend verbunden ist, stellt einen äußerst schwerwiegenden Eingriff in das Leben eines Menschen dar. Die zumeist jungen Betroffenen sind zum Großteil hier geboren und/oder aufgewachsen und haben keinen oder nur geringen Kontakt zu ihrem „Heimatland“. Der besonderen Härte für die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen aus den ehemaligen Anwerberländern würde es wohl eher gerecht werden, wenn ihre Ausweisung als „bestimmender“ Strafzumessungsumstand bewertet würde. Bei ihnen drängt sich wegen der regelmäßig auch ernsthaft zu erwartenden Belastung die Forderung einer ausdrücklichen Auseinandersetzung in den Urteilsgründen auf. Wie oben festgestellt wurde147, müssen selbst Ausländer aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Türken, die einen erhöhten Ausweisungsschutz genießen, ernsthaft mit einer Ausweisung rechnen, wenn Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr vorliegen. Die ausdrückliche Beachtung dieser Folge in den Urteilsgründen hätte letztlich zur bedeutsamen Konsequenz, daß eine unterbliebene Erwägung – ebenso wie bei den übrigen Straftatfolgen – zur Aufhebung des Urteils führen müßte, es sei denn, die aus den Gründen zu entnehmenden besonderen Umstände machten deutlich, daß im konkreten Einzelfall mit der Ausweisung keine Belastung verbunden sein würde. Eine derart gruppenspezifische Betrachtung innerhalb der Migrantenpopulation würde auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Beeinträchtigungen beruflicher Art entsprechen. Denn auch hier entwickelte der Bundesgerichtshof die materielle Begründungspflicht zunächst mit Blick auf die Berufsgruppe der Beamten und Soldaten und (später dann) der Rechtsanwälte, Steuerberater, Apotheker etc. und nicht auf die Gruppe aller Berufstätigen. bb) Unzulässige moralische Bewertungen Die Rechtsprechung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs verwundert im Hinblick darauf, daß sie bei der Beurteilung der besonderen Härte einer Ausweisung berücksichtigen will, daß der Ausländer „sein Bleiberecht durch erhebliche Straffälligkeit verwirkt hat“. Bislang hat sich der Bundesgerichtshof moralisierender Wertungen dergestalt, ob z. B. disziplinarische 146 Vgl. die Angaben zur Statistik für das Jahr 1999 der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen zur Frage der Aufenthaltsdauer der ausländischen Bevölkerung. 147 Siehe 1. Kapitel D. II.
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
Maßnahmen zu Recht erfolgen oder der Täter sich die Folgen selbst zuzuschreiben hat, enthalten. Sie waren nie maßgebend für die Beurteilung, ob die Folge den Täter empfindlich trifft oder nicht. Immerhin wäre es auch in Ansehung von Beamten möglich, die Belastung durch die mittelbare Straftatfolge mit der Begründung zu verneinen, der Betroffene habe seine Rechte als Staatsbediensteter durch erhebliche Straffälligkeit verwirkt und verdiene deshalb keine Strafmilderung. Es bleibt daher festzuhalten, daß die individuelle Belastung des Ausländers jedenfalls nicht davon abhängig gemacht werden kann, ob er „sein Bleiberecht durch erhebliche Straffälligkeit verwirkt“ hat. Eine andere Beurteilung müßte zwangsläufig die (unhaltbare) Aussage zum Inhalt haben, daß der Ausländer – im Gegensatz zu deutschen Straftätern – zu Recht doppelt „bestraft“ werde. cc) Inkonsequente Abgabe der Berücksichtigung besonderer Härten an die Ausländerbehörden Soweit der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs darauf verweist, daß die nur mögliche Folge der Verurteilung nicht zu den „bestimmenden“ Strafzumessungsgründen gehöre, setzt er sich in Widerspruch zu der im Hinblick auf die Berücksichtigung fakultativer beamtenrechtlicher oder standesrechtlicher Folgen entwickelten Rechtsprechung. Hier ist eine Erwägung in Ansehung fakultativer mittelbarer Straftatfolgen nur dann entbehrlich, wenn der Eintritt der mittelbaren Straftatfolgen nicht ernsthaft zu erwarten ist. Auch der mögliche Begründungsversuch, daß bei fakultativen Ausweisungen besondere Härten ohne weiteres noch im Ausweisungsverfahren berücksichtigt werden könnten, überzeugt nicht. Auch in Disziplinarverfahren können besondere Härten, die sich aus einer „doppelten Belastung“ ergeben würden, berücksichtigt werden. So liegt beispielsweise die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ einer disziplinaren Reaktion gegenüber Bediensteten im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstvorgesetzten, vgl. § 3 BDO. Hält dieser eine zusätzliche disziplinarische Ahndung für nicht mehr notwendig, weil die strafgerichtliche Verurteilung Ermahnung genug war, stellt er das Verfahren ein148. Zum Teil versuchen sogar die einschlägigen gesetzlichen Regelungen der doppelten Belastung gerecht zu werden, wie z. B. § 14 BDO, der für den Fall einer gerichtlichen Verurteilung wegen desselben Verhaltens die Möglichkeit einer Verhängung von disziplinarischen Maßnahmen ganz wesentlich einschränkt. Die Vorschrift kommt der Forderung nach Verhältnismäßigkeit der Sanktion durch die Möglichkeit der disziplinaren Berücksichtigung des gleichgearteten Strafrechtseingriffs nach149. Eine vergleichbare Vorschrift enthält u. a. auch § 115b BRAO. 148
Vgl. Claussen/Benneke, Rn. 165, 167 ff.
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Dennoch will der Bundesgerichtshof die beamtenrechtlichen und standesrechtlichen Folgen bereits bei der gerichtlichen Strafzumessung berücksichtigt wissen und überläßt es nicht dem Dienstvorgesetzten, dem Disziplinargericht, dem Ehrengericht oder den gesetzlichen Bestimmungen, die zusätzliche Belastung für den Täter abzuschwächen. Konsequenterweise sollte der Bundesgerichtshof daher auch im Falle einer fakultativen Ausweisung die ausdrückliche tatrichterliche Auseinandersetzung mit einer Strafmilderung bei der Strafzumessung fordern und die Berücksichtigung besonderer Härten nicht an die Ausländerbehörden delegieren. dd) Zusammenfassung Es bleibt damit festzustellen, daß die Rechtsprechung des 1. und 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ohne nachvollziehbare Begründung die mittelbare Straftatfolge der Ausweisung im Hinblick auf ihre Bewertung als „bestimmender“ Strafzumessungsgrund anders beurteilt als die übrigen mittelbaren Straftatfolgen. Soweit der 1. Strafsenat davon ausgeht, eine Ausweisung stelle nie einen „bestimmenden“ Strafzumessungsgrund dar, läßt sich diese weitgehende Diskrepanz zur sonstigen Rechtsprechung zumindest nicht im Hinblick auf den Teil der Ausländerpopulation rechtfertigen, der aus den ehemaligen Anwerberländern stammt. Insoweit wäre eine gruppenspezifische Betrachtung notwendig, da die Ausländerpopulation Deutschlands keine homogen zu beurteilende Gruppe darstellt. Eine ernsthaft zu erwartende Vernichtung von schulischer, beruflicher und sozialer Existenz durch eine Ausweisung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen aus den ehemaligen Anwerberländern macht wegen ihrer besonderen Härte für die betroffenen Täter eine ausdrückliche Auseinandersetzung in den Urteilsgründen erforderlich. Die Abweichung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs überzeugt nicht, soweit er die fakultativen Ausweisungen – unabhängig davon, wie ernsthaft ihr Eintritt und die damit verbundene Belastung zu erwarten ist – pauschal aus den „bestimmenden“ Strafzumessungsgründen ausnimmt. Die Begründung, der Ausländer habe sein „Bleiberecht durch erhebliche Straffälligkeit verwirkt“, ist moralisierend und möglicherweise von der rechtlich nicht begründbaren Vorstellung getragen, Ausländer müßten sich gesetzestreuer verhalten als deutsche Staatsbürger. Auch das Argument, besondere Härten könnten im Ausweisungsverfahren berücksichtigt werden, kann nicht überzeugen, da Aspekte für eine unterschiedliche Bewertung zu den übrigen mittelbaren Straftatfolgen nicht ersichtlich sind. 149 Vgl. Claussen/Janzen zu § 14 BDO, Rn. 1a; vgl. auch Köhler/Ratz zu § 14 BDO, Rn. 1.
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
B. Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen im Schrifttum Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen für den Täter bei der Strafzumessung ist eine im Schrifttum verhältnismäßig wenig beachtete Problematik. Sie ist erst anläßlich des bereits erwähnten Urteils des Bundesgerichtshofs zur Einbeziehung beamtenrechtlicher Disziplinarmaßnahmen in die Bewertung eines „minder schweren Falls“ aus dem Jahre 1987150 ausgiebiger erörtert worden151. In der Folge dieser Entscheidung ebbte die Diskussion allerdings wieder ab. Die Kommentarliteratur streift die Problematik der Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen. Oft beschränkt sie sich auf eine äußerst punktierte Wiedergabe der zu dem Problemkreis ergangenen Rechtsprechung, ohne auf ihren genauen Inhalt einzugehen oder sie zu bewerten. Die Auffassungen des Schrifttums zu der hier behandelten Fragestellung werden danach dargestellt, ob sie mittelbare Straftatfolgen für schuldausgleichstaugliche oder spezialpräventiv bedeutsame Strafzumessungsumstände halten. Die jeweiligen Positionen zu der weitergehenden Frage nach der Bedeutung mittelbarer Straftatfolgen für die Bestimmung eines „minder schweren Falls“, werden im Anschluß an die Erörterung der Bedeutung mittelbarer Straftatfolgen für die Strafzumessung nach § 46 StGB behandelt. I. Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Strafzumessung nach § 46 StGB Das Schrifttum ist sich einig, daß mittelbare Straftatfolgen bei der Strafzumessung nach § 46 StGB – also bei der Festsetzung der Strafhöhe – grundsätzlich strafmildernd berücksichtigt werden müssen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen im Hinblick auf die Frage, ob sie schon auf die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe Einfluß nehmen können oder allein für Strafmilderungen aus spezialpräventiven Gründen innerhalb des Spielraums einer „reinen“ Schuldstrafe in Betracht kommen. 150 Vgl. BGHSt 35, 148 ff. = BGH, NStZ 1988, 494 f. = BGHR Strafsachen, § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10). Diese Rechtsprechung war keinesfalls neu, vgl. BGH, StV 1981, 124; BGH, StV 1988, 249. 151 Eine Ausnahme bilden die Arbeiten von Bruns, der sich kontinuierlich mit dieser Problematik auseinandersetzt: Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 157, 253 f.; ders. Strafzumessungsrecht, S. 360, 409 Fn. 35 (in der Bruns bereits darauf hinweist, daß der Verlust der Beamtenstellung eine sehr einschneidende mittelbare Folge der Bestrafung darstellt, „die cum grano salis auch für die Entlassung nichtbeamteter Täter berücksichtigt werden“ müsse.); ders., Leitfaden des Strafzumessungsrechts, S. 220; ders., MDR 1987, 177 (179), ders., JZ 1988, 467 (468); vgl. auch schon Koffka, in: LK (9. Aufl.) 1974, § 13, Rn. 74.
B. Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen im Schrifttum
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Dabei wird die Bedeutung mittelbarer Straftatfolgen für die Strafzumessung zum Teil danach differenziert, ob sie materiellen Strafcharakter haben oder nicht. 1. Relevanz für die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe
Ein großer Teil des Schrifttums teilt die Auffassung des Bundesgerichtshofs, daß mittelbare Straftatfolgen für die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe152 von Bedeutung sein können. Mit der Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe ist gemeint, daß eine Strafhöhe festgesetzt wird, die sich nicht an Präventionsgesichtspunkten orientiert, sondern allein zum Ausgleich des verschuldeten Tatunrechts geeignet ist. Präventive Aspekte können erst innerhalb des dem Tatrichter verbleibenden Beurteilungsspielraums bei der Quantifizierung der Strafzumessungsschuld (und damit der diesem Maß entsprechenden Strafe) berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung präventiver Gesichtspunkte ist damit nach unten durch die schon schuldangemessene Strafe und nach oben durch die noch schuldangemessene Strafe begrenzt153. a) Position von Streng und Nicolaus Streng154 und Nicolaus155 wollen nur mittelbare Straftatfolgen mit materiellem Strafcharakter in die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe einbeziehen. Straftatfolgen ohne materiellen Strafcharakter sollen nur für die Feinabstimmung der Strafe im Rahmen des Spielraums der „reinen“ Schuldstrafe berücksichtigt werden. Hintergrund dieser Einschränkung ist die Annahme, daß die Strafe stets ein maßgerechtes Gegenstück der Strafzumessungsschuld sein muß. Nur ein Umstand, der auch – zumindest materiell – Strafe ist, kann das zum Ausgleich der Strafzumessungsschuld erforderliche Maß an Strafe reduzieren. Als mittelbare Straftatfolgen mit materiellem Strafcharakter bewerten Streng und Nicolaus solche Folgen, die mit der Intention einer Übelszufügung seitens des Staates verhängt werden156. Denn bei Strafe gehe es inhaltlich um eine staatlich intendierte Übelszufügung157.
152 153 154 155 156 157
Zum Begriff der „reinen“ Schuldstrafe vgl. Horn, in: sLSK zu § 46 Rn. 7. So die sog. Spielraumtheorie des BGH: vgl. BGHSt 7, 86 (89). Streng, NStZ 1988, 485–487; ders., ZStW 108 (1996), 816 ff. Nicolaus, S. 31 ff. Nicolaus, S. 35. Nicolaus, S. 33; Streng, NStZ 1988, 485 (486).
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
Andere Straftatfolgen, die beispielsweise vor dem Hintergrund berufspolitischer Ziele verhängt würden, könnten – auch wenn sie für den Betreffenden einen einschneidenden Nachteil und eine schwerwiegende Belastung darstellten – nicht als „Strafersatz“ der (Kriminal-)Strafe gleichgestellt und in den Schuldausgleich einbezogen werden158. Während Streng159 nur den disziplinarischen Arrest wegen des damit verbundenen Freiheitsentzugs für eine mittelbare Straftatfolge mit materiellem Strafcharakter bewertet, stellt sich Nicolaus auf den weitergehenden Standpunkt, auch die disziplinarische Geldbuße und die Kürzung des (Ruhe-) Gehalts160 sowie die standes- und ehrengerichtlichen Geldbußen161 trügen die materiellen Züge einer spezifisch staatlichen Strafmaßnahme. Hier würden den Betroffenen zielgerichtet Vermögenspositionen entzogen, um sie nachhaltig an ihre beamten- oder soldatenrechtlichen bzw. an ihre berufsrechtlichen Pflichten zu erinnern162. Nicolaus befürwortet allerdings nur die Berücksichtigung solcher Disziplinarfolgen, die im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung schon rechtskräftig verhängt worden sind. Andernfalls sei es Sache der Disziplinarrichter, bei Verhängung der Disziplinarmaßnahme die Kriminalstrafe zu berücksichtigen163. Auch sei vorauszusetzen, daß die Disziplinierungsgründe zugleich auch Strafzumessungsgründe seien164. Die „anrechnende“ Berücksichtigung solle methodisch so vor sich gehen, daß z. B. bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe die Disziplinarmaßnahme in Tagessätze und anschließend in Freiheitsstrafe umgerechnet werde. Sodann könne die auf diese Weise ermittelte Freiheitsstrafe auf die vom Strafrichter auszusprechende Freiheitsstrafe „angerechnet“ werden. Allerdings müsse stets beachtet werden, daß eine vollständige Anrechnung nur dann zu erfolgen habe, wenn alle Disziplinierungsgründe zugleich auch Strafzumessungsgründe seien. Andernfalls sei eine Teilanrechnung vorzunehmen165. Nicht-ahndende mittelbare Straftatfolgen sollen sowohl Streng als auch Nicolaus zufolge – wenn überhaupt – allein spezialpräventive Bedeutung haben und auf der Grundlage von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB im Rahmen der schuldangemessenen Strafe bei der Strafzumessung berücksichtigt wer-
158 159 160 161 162 163 164 165
Vgl. Nicolaus, S. 34. Streng, NStZ 1988, 485 (486). Nicolaus, S. 43. Nicolaus, S. 51. Vgl. Nicolaus, S. 41, 51. Nicolaus, S. 50. Nicolaus, S. 45 f. Nicolaus, S. 48, 49.
B. Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen im Schrifttum
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den166. Dabei führen sie konkret den Aspekt des Vermeidens entsozialisierender Effekte und des Bewirkens präventiver Effekte an167. Allerdings legen Streng und Nicolaus den Begriff der „Wirkungen der Strafe“ iSv § 46 Abs. 1 S. 2 StGB unterschiedlich weit aus. Streng versteht unter Strafwirkungen im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nur die direkten Strafwirkungen und die mittelbaren Folgen der Sanktionierung, lehnt aber die Einbeziehung der mittelbaren Folgen der Straftat selbst als zu weitgehend ab168. Nicolaus hingegen bewertet auch die mittelbaren Folgen der Straftat selbst als Strafwirkungen im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB169. Mit Blick auf die Formulierung „zu erwarten sind“ weist er klarstellend darauf hin, daß erwartungsprognostisch eine Berücksichtigung der Folgen nur dann stattfinden könne, wenn der Eintritt der Folgen aufgrund bestimmter Tatsachen wahrscheinlich sei170. b) Position von Bruns, Walter und Frisch Bruns171, Walter172 und Frisch173 sehen in mittelbaren Straftatfolgen, unabhängig davon, ob es sich um solche mit materiellem Strafcharakter handelt oder nicht, schuldausgleichstaugliche Umstände. Sie erkennen damit an, daß es jenseits der Strafzumessungsschuld Umstände geben kann, die das Maß der „reinen“ Schuldstrafe bestimmen. Die Grundannahme, die jeder dieser Auffassungen zugrunde liegt, ist, daß mittelbare Straftatfolgen im Hinblick auf den Ausgleich der Strafzumessungsschuld eine dem materiellen Übel gleichwertige Wirkung hervorrufen können. Dies halten sie aufgrund der mit den mittelbaren Straftatfolgen verbundenen faktischen Belastung für möglich. Im Detail variieren die Auffassungen der Meinungsvertreter allerdings erheblich. Bruns stellt sich auf den Standpunkt, die den Täter zusätzlich treffenden mittelbaren Straftatfolgen – er nennt beispielsweise beamtenrechtliche Disziplinarfolgen, Gehalts- und Statuseinbußen – seien besondere Strafzumessungsumstände mit Relevanz für die Senkung der Strafe, obwohl sie mit dem verschuldeten Unrecht der begangenen Tat nur entfernt oder gar 166
Streng, NStZ 1988, 485, 497; Nicolaus, S. 82. Streng, a. a. O., 487; Nicolaus, S. 81, 82. 168 Streng, ZStW 108 (1996), 816 (820). 169 Nicolaus, S. 82. 170 Nicolaus, S. 84. 171 Bruns, JZ 1988, 467 f.; ders., MDR 1987, 177 ff.; ders., Das Recht der Strafzumessung, S. 95. 172 Walter, GA 1996, 249 ff. 173 Frisch, in: 50 Jahre BGH, S. 269 (280 ff.). 167
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
nichts zu tun haben174. Mittelbare Straftatfolgen führten zu einem „Strafrabatt“, weil die Gesamtschau aller den Täter belastenden Straftatfolgen dem Unrechts- und Schuldgehalt seiner Tat entsprechen müßten. Sie alle seien in ihren Wirkungen, d.h. auch hinsichtlich der Erreichung der verschiedenen Strafzwecke, irgendwie aufeinander abzustimmen, und zwar dergestalt, daß sie in ihrer Kumulierung noch schuldangemessen seien. Im Interesse sinnvoller gemeinsamer Strafzweckerreichung sei es dann zulässig, die an sich gebotene Freiheits- oder Geldstrafe entsprechend niedriger zu bemessen175. Der sich hieran anknüpfenden möglichen Kritik, dies könne zu einer – unzulässigen176 – Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen, greift er vorweg, in dem er ausführt: nur bei einer (unzulässigen) isolierten Betrachtung dieser Endstrafe könne der falsche Eindruck einer nicht mehr schuldangemessenen Höhe entstehen. In Wahrheit aber bliebe das Ergebnis noch innerhalb des Schuldsühne-, nämlich des Schuldausgleichsprinzips, wobei es ohne große Bedeutung sei, ob man die erwähnten Umstände als „schuldunabhängig“ bezeichne oder nicht: „schuldausgleichstauglich“ blieben sie allemal 177. Bruns weist noch auf den einschränkenden (eigentlich selbstverständlichen) Aspekt hin, daß die fakultativen Straftatfolgen dann nicht berücksichtigt werden dürften, wenn noch ganz ungewiß sei, ob diese überhaupt einträten178. Die Notwendigkeit der Einschränkung leitet er aus dem Wortlaut des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB ab, demzufolge nur die Wirkungen zu berücksichtigen seien, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft auch „zu erwarten“ (Hervorhebung von Bruns) seien179. Neben der schuldausgleichenden Bedeutung mittelbarer Straftatfolgen betont Bruns auch ihre spezialpräventive Relevanz für die Strafzumessung. Bei der spezialpräventiven Klausel des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB gehe es auch darum, den Richter bei der Zumessung der Strafe anzuhalten, daß sie nicht ohne Not einen bereits angepaßten Täter aus der sozialen Ordnung herausreiße. In diesem Zusammenhang seien zusätzliche Nachteile der Bestrafung 174
Bruns, MDR 1987, 177 (180). Bruns, a. a. O. 176 Ob die Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe zulässig ist, wird insbesondere im Hinblick auf eine Unterschreitung aus spezialpräventiven Gründen diskutiert. Grundsätzlich dagegen: BGHSt 24, 132; 29, 319 (321); Jescheck/Weigend, S. 879 f.; Tröndle/Fischer zu § 46, Rn. 19; Lackner/Kühl zu § 46, Rn. 23; a. A. Schönke/Schröder-Stree Vorbem §§ 38 ff., Rn. 18a; Roxin, in: Schultz-Festgabe, S. 473 ff.; ders., ZStW 96 (1984), S. 657; Günther, JZ 1989, 1029. 177 Vgl. Bruns, MDR 1987, 177 (180). 178 Bruns, JZ 1988, 468. 179 Bruns, JZ 1988, 468. 175
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wie etwa beamten- oder soldatenrechtliche Konsequenzen zu berücksichtigen180. Frisch181 begründet die Bedeutung mittelbarer Straftatfolgen für die Bemessung der „reinen“ Schuldstrafe mittels des mit dem Schuldausgleich verfolgten Strafzwecks: der tragende Strafzweck – also der Grund, warum im Anschluß an eine schuldhafte Tat eine der Schuld entsprechende (symbolische) Strafe verhängt werden müsse – sei die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des durch die Tat verletzten Rechtszustands. Ein wichtiger Aspekt bei der Wiederherstellung des Rechts durch Strafe sei der Gesichtspunkt der Straf- oder Opfergleichheit, demzufolge Täter, die in gleichem Maße Schuld auf sich geladen hätten, möglichst auch Strafen erhalten sollten, die sie gleich belasten würden (für sie eine gleiche Leistung oder ein gleiches Opfer beinhalten)182. Sollten Straftäter wegen ihrer Straftat zur Wiederherstellung des Rechts letztlich aber gleiche Lasten tragen, müsse bedacht werden, daß bei einer Reihe von Personengruppen die staatliche Strafe nicht die einzige Reaktion auf die Tat sei, diese Personen vielmehr auch andere staatliche Sanktionen (z. B. beamtenrechtliche Folgen) als Reaktion auf die Tat hinnehmen müßten. Diese zusätzlichen Sanktionen (der Autor bezeichnet sie als Sonderbelastungen) stellten in gewisser Hinsicht auch (wenngleich in bestimmten Teilbereichen) den Rechtszustand wieder her, weshalb sie sich der Strafe zu- oder anrechnen lassen würden183. Mit anderen Worten beeinflußten sie das Ausmaß des Reaktionsbedürfnisses auf die Tat und das Bedürfnis einer (noch) durch Strafe zu erreichenden Normstabilisierung184. Auch dort, wo der Gedanke einer im Rahmen der staatlichen Aufarbeitung der Straftat schon zuteil gewordenen oder noch treffenden Sonderbelastung nicht direkt trage, habe gleiches zu gelten. Maßgebend sei hier die Einsicht, daß in Fällen dieser Art die eingetretene Folge die Sinnhaftigkeit des Rechts verdeutliche und überdies als etwas angesehen werden müsse, was der, der das Recht verletzt, ggf. selbst als Last hinnehmen müsse. Das ermögliche es zugleich, auch diese Folgen – ähnlich der staatlichen Strafe – als wegen der Tat hinzunehmendes Sonderopfer zu qualifizieren, das die Notwendigkeit der Wiederherstellung des Rechts durch den symbolischen Akt der Strafe zumindest teilweise, in gewissen Fällen vielleicht auch überhaupt (§ 60 StGB), überflüssig mache185. 180 181
Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 95. Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 ff.; ders., in: 140 Jahre Goltdammers’s Archiv,
1 ff. 182 183 184
Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 (300). Frisch, a. a. O., 301. Frisch, in: 140 Jahre GA, 1 (17).
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
Flankierend greift Frisch noch einen weiteren, auch vom Bundesgerichtshof erörterten – auf die subjektive Komponente individuellen Strafleidens abstellenden – Begründungsstrang auf: es ließe sich darüber hinaus argumentieren, daß derjenige, der wegen der Tat noch weitere Sanktionen hinnehmen müsse, eine Strafe bestimmter Höhe in der Regel als belastender empfinden werde als ein Täter, der wegen seiner Tat allein mit dieser Strafe zu rechnen habe186. Frisch formuliert außerdem die Aufforderung an den Tatrichter, in Ansehung der Straftatfolgen jedenfalls im Rahmen der vertretbaren Schuldstrafen nach Lösungen zu suchen, die eine Desozialisierung des Täters möglichst verhinderten187. Allerdings leitet er im Gegensatz zu den übrigen Autoren diese Forderung – entsprechend seinem Strafzumessungskonzept, demzufolge der Rekurs auf die Spezial- und Generalprävention überhaupt überflüssig sein soll188 – nicht aus spezialpräventiven Gesichtspunkten ab, sondern aus dem seines Erachtens allein maßgeblichen Strafzweck der Wiederherstellung des Rechts189. Denn eine auf die Wiederherstellung des Rechts zielende Strafe müsse freilich nicht nur abnehmende Erfordernisse der Reaktion auf den Rechtsbruch und besondere Belastungen berücksichtigen, die den Täter im Zusammenhang mit der Tat schon getroffen haben oder noch treffen werden. Sie müsse auch vermeiden, dem Täter das Leben im Rechtszustand selbst zu erschweren190. Auch Walter befürwortet eine Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in die Bemessung der „reinen Schuldstrafe“. Eine Einbeziehung der Folgen in den Schuldausgleich sei über den Rechtsgedanken des § 60 StGB möglich191. Diese Vorschrift fordere (auch jenseits des „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ mit Blick auf eine Strafmilderung) eine täterorientierte Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich ein Delikt unter dem Aspekt einer KostenNutzen-Rechnung per Saldo „gerechnet“ habe, ob das Delikt hinreichend „teuer“ gewesen sei oder – umgangssprachlich – ob der Täter „seinen Speck weg“ habe192. Walter sieht hierin Möglichkeiten, einer zentralen Aufgabe der Strafrechtswissenschaft gerecht werden zu können, nämlich der Begrenzung des Strafübels auf das unumgängliche Maß, der Wahrnehmung der Facetten des 185 186 187 188 189 190 191 192
Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 (301). Frisch, a. a. O. Frisch, a. a. O., 302. Frisch, a. a. O., 306 f. Frisch, a. a. O., 302. Frisch, a. a. O., 302. Walter, GA 1996, 249. Walter, a. a. O., 250.
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ultima-ratio-Grundsatzes193. In diesem Zusammenhang sei in der deutschen und internationalen kriminalpolitischen Diskussion auch von „Alternativen“, wie z. B. zivilrechtlichen Ersatzpflichten (Täter-Opfer-Ausgleich, § 46a StGB), die Rede194. Er stellt sich auf den Standpunkt, daß, wenn derart systemische Konkurrenzregelungen den „Ast der Strafe anzusägen“ vermöchten, hierfür „mittelbare Folgen“ noch vielmehr geeignet sein müßten, die von ihrer Phänomenologie und praktischen Wirkung her der scheinbar so intendierten Übelszufügung viel ähnlicher seien195. Darüber hinaus betont Walter die präventive Bedeutung mittelbarer Straftatfolgen. Sie würden nicht nur aus spezial-, sondern auch aus generalpräventiven Gründen Bestrafungsnotwendigkeiten begrenzen196. So führt er das Beispiel des Betrügers an, der für den Rest seines Lebens finanziell ruiniert sei. Dieser trage nicht nur individuell an der Schuldenlast, er liefere auch für andere ein wenig nachahmenswertes Vorbild. Diese reduzierten Bestrafungsnotwendigkeiten aus präventiven Gründen müßten dann aber (zumindest) auch eine Strafe begründen können, die die Schuld unterschreitet. Denn die übergeordnete präventive Zwecksetzung des Strafrechts eröffne die Frage, ob der Schuldaspekt, der ja allein aus säkularisierten und präventiven Motiven im Gesetz verankert sei, auch ohne präventive Legitimation, gleichsam wie ein dem Zauberlehrling entglittener Besen, noch sein ungehemmtes Eigenleben entfalten dürfe197. c) Position von Schäfer, Stree und Lambrecht Schäfer198, Stree199 und Lambrecht200 legen ihrer grundsätzlichen Befürwortung einer Berücksichtigung mittelbarer ahndender sowie nicht-ahndender Straftatfolgen bei der Strafzumessung folgende Ausgangsüberlegung zugrunde: Strafe müsse nicht objektiv gleich hoch, sondern subjektiv gleich schwer bemessen werden. Je nach dem Grad der Strafempfindlichkeit solle die schuldangemessene Strafe auch bei gleicher gedachter Schuld durchaus verschieden sein können. Insoweit seien neben dem Maß der Strafzumessungsschuld auch mittelbare Straftatfolgen zu berücksichtigen, die zusam193
Walter, a. a. O., 250. Zu der Auseinandersetzung mit Alternativen zum Strafrecht vgl. auch Walter in FS zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 557 f. 195 Walter, GA 1996, 249 (250). 196 Walter, a. a. O., 251. 197 Walter, a. a. O., 250 f. 198 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 429, 633, 642 ff.; ders., in: TröndleFS, S. 395 ff. 199 Schönke/Schröder-Stree zu § 46, Rn. 9b, 55; Vorbem. §§ 38 ff., Rn. 15, 18a. 200 Lambrecht, S. 57 ff. 194
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
men mit der Strafzumessungsschuld erst die Findung der (subjektiv) schuldangemessenen Strafe ermöglichten. Regelmäßig wird dabei auf die Parallelität zur Tagessatzhöhe bei der Geldstrafe verwiesen, die dem Umstand der individuellen wirtschaftlichen Strafempfindlichkeit Rechnung trage201. Nach Schäfer erhöhen (auch) mittelbare Straftatfolgen die individuelle Strafempfindlichkeit des Täters. Um in Ansehung mittelbarer Straftatfolgen eine individuelle Belastungsgleichheit zu erreichen, könne auf den Rechtsgedanken des § 60 StGB zurückgegriffen werden202. Würden die mittelbaren Straftatfolgen nicht dazu führen, daß gemäß § 60 StGB von der Strafe abgesehen werden könne, entweder weil mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe verwirkt sei oder weil die Folgen nicht so schwer seien, daß Strafe offensichtlich verfehlt wäre, müßten die Folgen wenigstens im Hinblick auf den Rechtsgedanken der Vorschrift strafmildernd den Schuldausgleich beeinflussen. Aus der Anwendung des Rechtsgedankens ließe sich so eine Unterschreitung der sonst schuldangemessenen Strafe rechtfertigen203. Praktisch vollziehe sich die Berücksichtigung derart, daß die für die Strafzumessungsschuld erheblichen Umstände auf der einen Seite und dann die Folgen der Tat auf der anderen Seite abgewogen werden müßten204. Schäfer weist darüber hinaus auf die spezialpräventive Bedeutung mittelbarer Straftatfolgen hin. Aus der Forderung des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB folge, daß sozial unerwünschte Folgen einer Straftat zu vermeiden seien. Dementsprechend müsse der Richter prüfen, ob im Bereich des Schuldangemessenen Strafhöhen zur Verfügung stünden, bei denen zwingende oder wahrscheinliche berufliche Folgen nicht einträten205. Auch Stree sieht in mittelbaren Straftatfolgen strafzumessungsrelevante Umstände, die die Bemessung der schuldangemessenen Strafe beeinflussen können206. Es handele sich um Faktoren, die der Strafe bei einem Täter ein ganz anderes Gewicht gäben als bei einem anderen Täter mit gleich schwerer Schuld. Tatfolgen seien für den Täter nicht nur zu berücksichtigen, soweit ein Absehen von Strafe in Frage käme (§ 60), sondern auch für die Strafhöhe207. Allerdings macht Stree Einschränkungen in bezug auf solche Folgen, die der Täter für sich selbst bewußt auf sich genommen hat, da dieser eine strafmildernde Berücksichtigung für solche Folgen nicht ver201
Vgl. z. B. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 412 f. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 424, 633, 642 ff.; Schäfer, in: Tröndle-FS, S. 401. 203 Schäfer, in: Tröndle-FS, S. 401. 204 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 633. 205 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 475. 206 Schönke/Schröder-Stree zu § 46, Rn. 9b. 207 Schönke/Schröder-Stree, a. a. O., Rn. 55. 202
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diene208. Wegen des Doppelverwertungsverbots seien darüber hinaus von der Strafmilderung auch solche Folgen auszunehmen, die typische Auswirkungen der Tat seien209. Ebensowenig sollen, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs210, solche Straftatfolgen strafmildernd wirken, die der Täter (vorsätzlich) herbeiführe, indem er die Quelle für Leistungen an sich zum Versiegen bringe211. Die spezialpräventive Relevanz mittelbarer Straftatfolgen betont auch Stree. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB postuliere die Aufgabe des Strafrechts, Art und Umfang der Strafe so zu bestimmen, daß die Resozialisierung des Täters möglichst vollkommen erreicht werden könne. Deshalb sei zu berücksichtigen, daß eine Freiheitsstrafe bei sozial integrierten Tätern unter Umständen eine desintegrierende Wirkung haben könne. Zu beachten seien in diesem Zusammenhang namentlich die Auswirkungen der Strafe auf das Berufsleben, z. B. den Verlust des Arbeitsplatzes oder die Beendigung eines Beamtenverhältnisses212. Unter Bindung an die gesetzliche Mindeststrafe hält Stree es wie Walter außerdem für zulässig, auf Grund dieser präventiven Überlegungen die schuldangemessene Strafe zu unterschreiten. Wenn z. B. bei schweren Tatfolgen, die den Täter getroffen haben, auf Grund präventiver Überlegungen gänzlich von Strafe abgesehen werden könne, müsse es ebenfalls zulässig sein, auf einen Teil der schuldentsprechenden Strafe zu verzichten213. Lambrecht, die sich vornehmlich mit der Frage beschäftigt, ob beamtenrechtliche Disziplinarmaßnahmen in die Strafzumessung einbezogen werden können, kommt zu dem Ergebnis, daß zwingende beamtenrechtliche Disziplinarmaßnahmen sowohl im Bereich des Schuldausgleichs unter dem Aspekt der individuellen Strafempfindlichkeit214 als auch bei der Fein208 209
Schönke/Schröder-Stree, a. a. O. Schönke/Schröder-Stree, a. a. O. unter Bezugnahme auf Terhorst, JR 1989, 184
(187). 210 BGHR Strafsachen zu § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 17) = BGH bei Holtz, MDR 1998, 491 (491 f.). 211 Schönke/Schröder-Stree zu § 46, Rn. 55. 212 Schönke/Schröder-Stree, Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 15. 213 Schönke/Schröder-Stree, a. a. O., Rn. 18a. 214 Lambrecht, S. 76. Lambrecht selbst nimmt keine ausdrückliche dogmatische Einordnung für die Berücksichtigung der Tatfolgen vor. Die Strafempfindlichkeit wird jedoch nach h. M. – und dieses Verständnis legt auch Lambrecht ihren Ausführungen zugrunde (vgl. Lambrecht, S. 75) – als eine den „persönlichen Verhältnissen“ im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB zuzuordnende Strafzumessungstatsache angesehen, die für den Schuldausgleich Bedeutung haben soll, vgl. BGHSt 7, 28 (31); Maurach/Zipf, AT, TB 2, § 63, Rn. 117 ff.; Schönke/Schröder-Stree zu § 46, Rn. 54; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 196; a. A. Streng, NStZ 1988, 485 (487).
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
abstimmung der Strafe im Spielraum der schuldangemessenen Strafe auf Grund der nach § 46 Abs. 1 S. 2 StGB gebotenen Vermeidung entsozialisierender Wirkungen der Strafe berücksichtigt werden müssen215. Anders als die übrigen Autoren beurteilt sie jedoch den Einbezug fakultativer Straftatfolgen in die Strafzumessung nach § 46 StGB. Fakultative disziplinarische Folgen sollten wegen der differenzierten Ausgestaltung der disziplinaren Rechtsprechung, die für den Strafrichter kaum vorhersehbar sei, unberücksichtigt bleiben216. Diese Behandlung sei auch deshalb geboten, weil sich sonst der Disziplinarrichter durch die Vorgabe des Strafrichters, der einen bestimmten Ausgang des Disziplinarverfahrens angenommen hätte, mit einer entsprechenden Erwartungshaltung konfrontiert sähe, diese Maßnahme nun auch verhängen zu müssen217. 2. Relevanz für die Feinabstimmung der Strafe im Rahmen der schuldangemessenen Strafe
Tröndle/Fischer218, Lackner/Kühl219, Gribbohm220, Horn221 und Terhorst222 bejahen ausschließlich die spezialpräventive Bedeutung mittelbarer Straftatfolgen und befürworten ihre strafmildernde Berücksichtigung allein bei der Feinabstimmung der Strafe im Rahmen des Spielraums der schuldangemessenen Strafe gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 StGB. Allerdings differieren die Ansichten im Detail zum Teil erheblich: Unterschiede bestehen zum einen hinsichtlich der Einschätzung, welcher der spezialpräventiven Aspekte zum Tragen kommt, und zum anderen hinsichtlich der Frage, welche der mittelbaren Straftatfolgen strafmildernd berücksichtigt werden sollen. Tröndle/Fischer223 und Lackner/Kühl224 behandeln die Frage nach der strafzumessungsrechtlichen Relevanz mittelbarer Straftatfolgen nur oberflächlich. Sie bewerten eine Reihe von ihnen, wie z. B. den Verlust der Beamten- und Soldatenstellung bei rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft als Strafzumessungstatsachen, die den persönlichen 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224
Lambrecht, S. 87. Lambrecht, S. 226. Lambrecht, S. 227. Tröndle/Fischer zu § 46, Rn. 5, 25b. Lackner/Kühl zu § 46, Rn. 36, 36a. Gribbohm, in: LK zu § 46, Rn. 25, 25a, 177. Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 17, 35, 39, 138. Terhorst, JR 1989, 184–188. Tröndle/Fischer zu § 46, Rn. 7, 44. Lackner/Kühl zu § 46, Rn. 36, 36a.
B. Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen im Schrifttum
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Verhältnissen gemäß § 46 Abs. 2 StGB des Täters zuzuordnen sein sollen225. Sie seien insoweit „präventionsrelevant“, als sie im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB Wirkungen erwarten lassen, die für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft bedeutsam sind226. Von den Wirkungen seien auch die unbeabsichtigten Nebenwirkungen der Verurteilung erfaßt. Die Darstellung bei Tröndle/Fischer und Lackner/Kühl stiftet insoweit Verwirrung, als sie ihre Auffassung mit Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung untermauert, ohne sich mit dessen differenzierter Auffassung auseinanderzusetzen. So vermitteln sie den Eindruck, auf einer Linie mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu sein, was – da der Gerichtshof mittelbare Straftatfolgen regelmäßig als schuldausgleichstaugliche Umstände bewertet – tatsächlich nicht zutrifft. Auch Gribbohm sieht (ausdrücklich nur) in mittelbaren beruflichen Straftatfolgen (er nennt beamtenrechtliche, disziplinarische, berufs- oder ehrengerichtliche Folgen) einen Unterfall der persönlichen Verhältnisse des § 46 Abs. 2 StGB227 und möchte sie entsprechend der spezialpräventiven Vorgabe des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB im Rahmen des Schuldangemessenen berücksichtigen. Begründend führt er an, daß berufliche Folgen die Auswirkungen der Strafe für das künftige Leben des Täters verstärkten und daher das Sühnebedürfnis minderten228. Die Herstellung eines Bezugs zum Sühnebedürfnis ist (zumindest sprachlich) mißglückt. Denn damit begibt sich Gribbohm in den terminologischen Bereich des Schuldausgleichs, der – zumindest auch – durch Verarbeitung und Annahme des Übels die Sühne des Täters ermöglichen soll229. Was er aber wohl meint ist, daß etwas, was den Täter empfindlich trifft, wie z. B. mittelbare Straftatfolgen, spezialpräventiv wirken kann230. Nach Horn, Vertreter der sog. „Stellenwert-Theorie“231 in modifizierter Ausprägung232, ist aus § 46 Abs. 1 S. 2 StGB das Gebot an den Tatrichter zu entnehmen, sich bei der Suche nach der schuldangemessenen Strafe um „passive“ (Spezial-)Prävention zu bemühen233. Dies soll in dem Sinne vor 225
Tröndle/Fischer zu § 46, Rn. 44; Lackner/Kühl, a. a. O. Lackner/Kühl, a. a. O., Rn. 36. 227 Gribbohm, in: LK zu § 46, Rn. 177. 228 Gribbohm, in: LK zu § 46, Rn. 25. 229 So zumindest noch die ausdrückliche Erwähnung des Strafzwecks der Sühne in BGHSt 6, 125 (127); BGHSt 17, 321 (324), wobei der Begriff der Sühne später terminologisch wieder verschwindet und durch die Formulierung „gerechter Schuldausgleich“ ersetzt wird. 230 Gribbohm, in: LK zu § 46, Rn. 25a. 231 Grundlegend: Henkel, Die richtige Strafe. 232 Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 35. 226
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
sich gehen, daß in jedem Fall diejenige schuldadäquate Strafe festgesetzt wird, die der Wiedereingliederung des Täters „wenigstens nicht abträglich sei“234. Das bedeute, daß der Richter, der Strafvollstreckung in Rechnung stelle, und – bei Freiheitsstrafe – sich die Vollzugswirklichkeit vergegenwärtige, die Strafe immer im Bereich des „schon Schuldangemessenen“, also an der unteren Grenze des „Schuldrahmens“ festmache. In diesem Rahmen will er mittelbare Straftatfolgen für den Täter strafmildernd berücksichtigt wissen235. Zu der im Rahmen seiner Kommentierung dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Berücksichtigung belastender Straftatfolgen bereits für den Schuldausgleich nimmt er eine distanzierte Haltung ein236. Im Hinblick auf die Berücksichtigung disziplinarischer Maßnahmen bei der Strafzumessung äußert er besonders schwerwiegende Bedenken237. Auch Müller-Dietz238 will sämtliche mittelbaren Straftatfolgen unter spezialpräventiven Vorzeichen entsprechend dem Konzept der Folgenorientierung aus § 46 Abs. 1 S. 2 StGB bei der Strafzumessung berücksichtigt wissen. Schließlich spricht auch Terhorst239 mittelbaren belastenden Straftatfolgen spezialpräventive Bedeutung zu und will sie im Rahmen des abgesteckten Schuldrahmens gemäß der Vorgabe des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB berücksichtigen. Dabei legt er seiner Auffassung eine – so auch vom Bundesgerichtshof vertretene – weite Interpretation des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB zugrunde: Unter den „Wirkungen der Strafe“ seien nicht nur die Auswirkungen der Strafe selbst oder des Urteilsspruchs zu verstehen. Auch bereits eingetretene Wirkungen der der Strafe zugrundeliegenden und sie erst begründenden Tat sowie die erst später zu erwartenden belastenden Folgen einer Strafvollstreckung seien hiermit gemeint240. Darüber hinaus seien gegebenenfalls alle Auswirkungen auf dritte Personen zu berücksichtigen, sofern sie nur jedenfalls mittelbar auch den Täter berührten241. Auch 233 Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 35. Entgegen der h. M. legt Horn die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nicht dahingehend aus, daß in ihr der Strafzweck der Spezialprävention seinen Ausdruck gefunden haben soll. Diese Deutung werde nicht vom Gesetzeswortlaut getragen, der nur die („passive“) Berücksichtigung der erwarteten Strafwirkungen und nicht auch eine („aktive“) Erzeugung bestimmter Ergebnisse durch den Einsatz von Strafe bei der Strafzumessung erfasse, vgl. auch Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 17. 234 Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 35. 235 Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 16. 236 Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 138 ff. 237 Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 138. 238 Müller-Dietz, in: Spendel-FS, S. 413 (429 ff.). 239 Terhorst, JR 1989, 184 ff. 240 Terhorst, a. a. O., 184.
B. Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen im Schrifttum
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sollten nicht nur die feststehenden, die bewiesenen Auswirkungen zu berücksichtigen sein, sondern entsprechend dem Grundsatz „in dubio pro reo“ – der auch im Bereich der Strafzumessung gelte – auch die nur möglichen Wirkungen der Tat und der Strafe242. Insgesamt fordert er aber eine zurückhaltende Bewertung des Einzelfalls und eine Besinnung auf die – unter der Herrschaft des Schuldstrafrechts – letztlich untergeordnete Funktion der Vorschrift243. Er formuliert daher einige generalisierende Einschränkungen für die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung nach § 46 StGB, die im Rahmen der Darstellung der Kritik des Schrifttums an der extensiven Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erläutert werden244. II. Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme eines „minder schweren Falls“ Nur wenige Stimmen im Schrifttum halten mittelbare Straftatfolgen für geeignet, „minder schwere Fälle“ begründen zu können. Der Großteil des Schrifttums lehnt die Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Strafrahmenwahl ab. Die unterschiedlichen Auffassungen beruhen auf einem grundsätzlich kontroversen Verständnis von den Voraussetzungen und dem Inhalt „minder schwerer Fälle“. Vereinfacht ausgedrückt meinen die einen, es handele sich um minder schwere Fälle der Tatbestandsverwirklichung, während die anderen mit dem Bundesgerichtshof davon ausgehen, es handele sich um Fälle geminderter Strafwürdigkeit245. Wegen des fehlenden Einflusses mittelbarer Straftatfolgen auf das Tatbild verbietet sich damit für die einen die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafrahmenwahl, wohingegen für die anderen auf Grund verringerter Strafwürdigkeit infolge der Belastung durch die mittelbaren Straftatfolgen eine Berücksichtigung in Betracht kommen soll. 1. Dem Bundesgerichtshof folgende Ansichten innerhalb des Schrifttums
Ein Teil des Schrifttums schließt sich der grundsätzlichen Auffassung des Bundesgerichtshofs an, mittelbare Straftatfolgen könnten die Annahme eines „minder schweren Falls“ rechtfertigen. So fordern Schäfer246, Grib241 242 243 244 245 246
Terhorst, a. a. O., 185. Terhorst, a. a. O. Terhorst, a. a. O., 188. Siehe 3. Kapitel C. II. 1. So Schäfer, in: Tröndle-FS, S. 404. Schäfer, in: Tröndle-FS, S. 404 f.
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
bohm247, Tröndle/Fischer248 und Lambrecht249 unter Bezugnahme auf die dahingehende ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß (zumindest berufliche) mittelbare Straftatfolgen maßgeblich für die Bewertung eines „minder schweren Falls“ sein sollten. Allein Bruns nimmt in diesem Zusammenhang eine differenziertere Position ein. Zwar ist auch er der Auffassung, daß bei der Bestimmung des „minder schweren Falls“ auf Strafwürdigkeitsgesichtspunkte schlechthin abgestellt werden müsse250. Mittelbare Straftatfolgen will er aber nicht als der Tat „nachfolgende Umstände“ verstehen. Hierin sieht er eine Verwechslung der tatsächlichen Voraussetzungen mit einer Rechtsfolge des „minder schweren Falls“251. 2. Gegenpositionen
Ein weitaus größerer Teil im Schrifttum bewertet den „minder schweren Fall“ hingegen als einen Fall minder schwerer Tatbestandsverwirklichung und verneint daher eine Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme eines „minder schweren Falls“. Streng252 beschreibt den „minder schweren Fall“ als einen spezifisch bewerteten Fall, der nur durch Tat und Täter gekennzeichnet sein soll und nicht die zu erwartenden Strafwirkungen im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB betreffe. Die Strafrahmenfindung sei allein unter dem Aspekt des verschuldeten Unrechts vorzunehmen253. Der drohende Verlust einer Amts- oder vergleichbaren Berufsstellung soll auch nach Lackner/Kühl254 den Übergang zum „minder schweren Fall“ nicht begründen können, da er lediglich eine mittelbare, das Tatbild nicht berührende Bestrafungsfolge sei und daher nur bei der konkreten Strafzumessung als präventionsrelevant im Sinne des Abs. 1 S. 2 zu Buche schlagen könne. Stree255 konstatiert, daß es auf die der Tat nachfolgenden Umstände bei der Bestimmung „minder schwerer Fälle“ nur insoweit ankommen könne, 247
Gribbohm, in: LK zu § 46, Rn. 24. Tröndle/Fischer zu § 46, Rn. 44. 249 Lambrecht, S. 99 ff. Allerdings bespricht Lambrecht nur die beamtenrechtlichen Fälle und kommt zu dem generellen Ergebnis, daß nur die zwingenden disziplinarischen Folgen strafzumessungsrechtlich – Berücksichtigung finden dürfen. 250 Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 50. 251 Bruns, JZ 1988, 467. 252 Streng, NStZ 1988, 485 (486). 253 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 210. 254 Lackner/Kühl zu § 46, Rn. 9. 248
C. Zusammenfassung
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als diese Schlüsse auf das Maß der Schuld zuließen. Nicht erforderlich sei, daß sowohl das Unrecht als auch die Schuld wesentlich gemildert seien. Auch er distanziert sich damit von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs256. Auch nach Horn257 und Nicolaus258 sollen mittelbare Straftatfolgen keinen „minder schweren Fall“ begründen können. Vorzugsweise Umstände, die das Tatunrecht und/oder die Tatschuld betreffen, könnten die Tat in einem deutlich milderen Licht erscheinen lassen und damit die Annahme eines „minder schweren Falls“ rechtfertigen259.
C. Zusammenfassung Die Darstellung der verschiedenen Auffassungen im Schrifttum zeigt, daß die Frage nach einer strafmildernden Berücksichtigung mittelbarer belastender Straftatfolgen bei der Strafzumessung und bei der Strafrahmenwahl äußerst differenziert und diskrepant beantwortet wird. Zusammengefaßt stellt sich ein großer Teil der dargestellten Auffassungen aus dem Schrifttum auf den Standpunkt, daß mittelbare Straftatfolgen unter schuldausgleichenden Aspekten bei der Strafzumessung Bedeutung erlangen können. Während dies vereinzelt allerdings nur dann befürwortet wird, wenn es sich um ahndende oder aber um zwingende Disziplinarfolgen handelt, hält der überwiegende Teil eine Berücksichtigung sämtlicher obligatorischer und fakultativer mittelbarer Straftatfolgen für erforderlich. Die Begründungen der einzelnen Ansichten sind vielfältig. Besonders innerhalb der Reihe derjenigen, die mittelbare Straftatfolgen unterschiedslos in den Schuldausgleich mit einbeziehen wollen, wird dieses Ergebnis entweder auf eine gesteigerte Strafempfindlichkeit zurückgeführt, mittels des Rechtsgedankens des § 60 StGB konstruiert, vor dem Hintergrund des tragenden Strafzwecks begründet oder aus dem Begriff des Schuldausgleichs hergeleitet. Die spezialpräventive Relevanz mittelbarer Straftatfolgen wird hingegen – wenn zum Teil auch unter gewissen Einschränkungen – durchweg anerkannt und dementsprechend zumindest die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen für die Feinabstimmung der Strafe im Rahmen der schuldangemessenen Strafe befürwortet. Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang auf die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB verwiesen, der auch die Be255 256 257 258 259
Schönke/Schröder-Stree, Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 48. Schönke/Schröder-Stree, a. a. O. Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 66; 138. Nicolaus, S. 116. Horn, a. a. O., Rn. 50.
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2. Kap.: Straftatfolgen in der Rechtsprechung und im Schrifttum
rücksichtigung unbeabsichtigter Nebenwirkungen der Strafe fordert. Nur selten wird allerdings dargestellt, worin die spezialpräventive Bedeutung der mittelbaren Straftatfolgen im einzelnen genau liegen soll. Auch die Frage, inwieweit mittelbare Straftatfolgen „minder schwere Fälle“ begründen können, wird kontrovers diskutiert. Während der Bundesgerichtshof und ein Teil des Schrifttums den Einfluß mittelbarer Straftatfolgen (zumindest grundsätzlich) für die Bestimmung „minder schwerer Fälle“ bejahen, lehnt ein großer Teil des Schrifttums eine Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme eines „minder schweren Falls“ mangels eines Bezugs zur Strafzumessungsschuld ab. Dazu gehören auch die Autoren, die fordern, bei den nachfolgenden Umständen müsse es sich um solche handeln, die das „Tatbild“ betreffen bzw. „tatbezogen“ seien. Denn das Deliktsbild kann regelmäßig nur von Umständen geprägt sein, welche der Tat selbst innewohnen oder sie begleiten. Damit aber sind insbesondere Umstände angesprochen, die das Tatunrecht oder die Tatschuld betreffen.
3. Kapitel
Kritik an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und am Schrifttum Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung nach § 46 StGB und bei der Strafrahmenwahl wurde vereinzelt schon früh kritisiert260. Eine Vielzahl von kritischen Beiträgen rief jedoch erst das bereits erwähnte Urteil des 2. Strafsenats vom 16. 12. 1987261 hervor, in dem der Bundesgerichtshof zum ersten Mal mit umfangreicher Begründung262 die Notwendigkeit der Berücksichtigung beamtenrechtlicher Disziplinarfolgen unter schuldausgleichenden Gesichtspunkten bereits bei der Strafrahmenwahl betonte. Die Kritik seitens des Schrifttums bezieht sich zum einen auf die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter schuldausgleichenden Gesichtspunkten bei der Strafzumessung nach § 46 StGB und zum anderen auf die angenommene Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Bestimmung „minder schwerer Fälle“. Vereinzelt wird auch die uneingeschränkte Berücksichtigung sämtlicher mittelbarer Straftatfolgen kritisch betrachtet. Hinsichtlich einiger bestimmter Straftatfolgen sollen insbesondere Gerechtigkeitserwägungen gegen eine Strafmilderung sprechen.
A. Kritik an der Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Findung der „reinen“ Schuldstrafe In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und dem Schrifttum besteht Einigkeit dahingehend, daß mittelbare Straftatfolgen keinen Einfluß auf die Strafzumessungsschuld haben. Insoweit bezieht sich die Kritik des Schrifttums auch auf einen anderen im Zusammenhang mit dem Schuldaus260 Siehe Hirsch, in: LK (10. Auflage), § 46, Rn. 90 zurückgehend auf Koffka, in: LK (9. Auflage), § 13, Rn. 74. Koffka und Hirsch sprechen sich zwar grundsätzlich für eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter dem Aspekt der Strafempfindlichkeit aus, fordern aber mit Blick auf das Verhältnis von Kriminal- und Disziplinarrecht auch Einschränkungen. 261 BGHSt 35, 148 ff. = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10) = BGH, NStZ 1988, 494 f. 262 Diesem Aufsehen erregenden Urteil war bereits ein inhaltlich vergleichbarer Beschluß des 2. Strafsenats vom 4. 12. 1987 vorausgegangen, BGH, StV 1988, 249.
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3. Kap.: Kritik an der Rechtsprechung des BGH und am Schrifttum
gleich bedeutsamen Gesichtspunkt. Es geht um die Frage, welchen Einfluß mittelbare Straftatfolgen auf die Findung der angemessenen Antwort auf das verwirklichte Unrecht haben. Während die höchstrichterliche Rechtsprechung, wie gesehen, eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter schuldausgleichenden Gesichtspunkten bei der Strafzumessung für erforderlich hält, kommen die kritischen Stimmen aus dem Schrifttum nach umfangreicher Diskussion der vom Bundesgerichtshof angebotenen und von Teilen des Schrifttums übernommenen Begründungsstränge zu dem Ergebnis, daß nur eine Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen mit Strafcharakter in den Schuldausgleich in Betracht kommt. In der Berücksichtigung aller übrigen mittelbaren Straftatfolgen für die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe wird ein Verstoß gegen das Schuldprinzip gesehen, demzufolge die verhängte Strafe in einem angemessenen Verhältnis zum Grad der Strafzumessungsschuld stehen muß263. Gleiches wird in die Grundlagenformel des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB hineingelesen, die auf das Schuldprinzip Bezug nimmt. Da die Strafe dem Schuldmaß entsprechen muß und sich von ihm weder nach oben noch nach unten lösen darf264, wird in der Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen für die Bestimmung der schuldangemessenen Strafe eine unzulässige Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe gesehen265. Die einzelnen Begründungsansätze des Bundesgerichtshofs und des Schrifttums, eine Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe systematisch zu fundieren, werden von den kritischen Stimmen aus dem Schrifttum, wie im folgenden dargestellt wird, ablehnend diskutiert. I. Verfehlte Anrechnung beamtenrechtlicher Disziplinarmaßnahmen auf die Strafe aufgrund ihres (angeblichen) „Sanktions“charakters Streng266 und Nicolaus267 setzen sich kritisch mit der vom Bundesgerichtshof in BGHSt 35, 148 ff.268 verwendeten Formulierung auseinander, derzufolge eine Anrechnung beamtenrechtlicher Disziplinarmaßnahmen auf 263
Vgl. Streng, NStZ 1988, 485 (487). Vgl. BGHSt 20, 264 (267); 24, 40 ff., 132 ff.; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 39 f. 265 Streng, NStZ 1988, 485 (487); Terhorst, JR 1989, 184 (187). 266 Streng, NStZ 1988, 485 (486). 267 Nicolaus, S. 35 ff. 268 BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 10) = BGH, NStZ 1988, 494 f. 264
A. Straftatfolgen bei der Findung der „reinen‘‘ Schuldstrafe
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die Strafe deshalb in Betracht kommen soll, weil es sich bei ihnen um „staatliche Sanktionen“ handele. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß eine Gleichstellung von disziplinarischen Maßnahmen und (Kriminal-)Strafe grundsätzlich nicht in Betracht komme, weil eine disziplinarische Maßnahme regelmäßig nicht das die (Kriminal-)Strafe kennzeichnende Kriterium der intendierten öffentlich-rechtlichen Übelszufügung enthielte. Eine derartige unmittelbare Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf die Strafe sei nur in den Ausnahmefällen möglich, in denen es sich um Disziplinarmaßnahmen mit materiellem Strafcharakter handele269. Dieses Ergebnis findet in dieser Grundsätzlichkeit Zustimmung auch von anderer Seite innerhalb der Literatur270. Im Detail führt Streng aus, daß die Entlassung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Folge von Straftaten regelmäßig nicht der staatlichen Übelszufügung, sondern der Aufrechterhaltung eines gewissen Vertrauensstatus gegenüber der Beamtenschaft, also einem berufspolitischen Ziel diene. Hierbei ließen sich entsprechende berufliche Sanktionen vorstellen. Streng führt das Beispiel eines Bankangestellten an, der wegen erheblicher Vermögens- oder Eigentumsdelikte verurteilt werde; auch hier erfolge regelmäßig eine Entlassung als Maßnahme mit massiver faktischer Strafwirkung aber nicht-pönaler Zielrichtung zum Zwecke der Aufrechterhaltung eines gewissen Vertrauensstatus innerhalb des Betriebs und auch von außen in die Institution Bank. Aus diesem Vergleich eines Beamten mit einem Angestellten in einem Kreditinstitut lasse sich ersehen, daß der Beamtenstatus für sich keine hinreichende Basis dafür abgebe, berufsbezogene Maßnahmen gegen den Beamten allein schon wegen der Arbeitgeberfunktion des Staates zu staatlichen Sanktionen zu erklären, die deswegen mit der Kriminalstrafe zusammen in den Schuldausgleich einbezogen werden dürften271. Diesbezüglich sei angemerkt, daß der kritisierten Formulierung des Bundesgerichtshofs nicht allzu große Bedeutung beigemessen werden sollte. Denn der Bundesgerichtshof bezieht die beamtenrechtlichen Disziplinarmaßnahmen nicht deshalb in die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe mit ein, weil es sich hierbei um „staatliche“ Sanktionen handelt und er diesen staatlichen Sanktionen Strafcharakter einräumt. Wie die späteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verdeutlichen, berücksichtigt er sämtliche mittelbaren Straftatfolgen, weil er die Kumulation der Belastungen für ein zu großes Gesamtübel hält, das einen angemessenen Ausgleich der Strafzumessungsschuld nicht mehr gewährleistet. Ob es sich dabei um eine staatliche Sanktion, eine drohende Mehrfachbestrafung oder den Verlust eines 269 270 271
Streng, NStZ 1988, 485 (486); Nicolaus, S. 34 ff. Walter, GA 1996, 249. Streng, NStZ 1988, 485 (486).
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3. Kap.: Kritik an der Rechtsprechung des BGH und am Schrifttum
Arbeitsplatzes handelt, soll nach Ansicht des Bundesgerichtshofs keine Rolle spielen272. II. Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen unter dem Aspekt der Strafempfindlichkeit Nach überwiegender Auffassung soll die jeweilige Strafempfindlichkeit beim Schuldausgleich Berücksichtigung finden, da nur die Abschätzung des subjektiven Strafleidens die Zumessung der individuell gerechten Strafe ermögliche273. Denn die schuldangemessene Strafe könne je nach dem Grad der Strafempfindlichkeit des Täters durchaus verschieden sein, so daß – bei gleicher Schuld – die Strafe nicht gleich hoch, sondern gleich schwer bemessen werden müsse274. Wenn die schuldangemessene Strafe je nach dem Grad der Strafempfindlichkeit durchaus verschieden sein könne, dann bedeute dies, daß das Maß der Strafzumessungsschuld nicht alleiniger Maßstab für die schuldangemessene Strafe sein könne. Neben das Maß der Strafzumessungsschuld träten also weitere Faktoren, der Tagessatzhöhe bei der Geldstrafe entfernt vergleichbar, die zusammen mit der Strafzumessungsschuld erst die Festsetzung der schuldangemessenen Strafe ermöglichten275. Zu diesen einzelnen Faktoren sollen neben den Wirkungen der Strafe und des Verfahrens auch die Folgen der Straftat gehören276. Ob eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung unter schuldausgleichenden Aspekten über die Strafempfindlichkeit gerechtfertigt werden kann, wird von Streng277 und Nicolaus278 ebenfalls kritisch diskutiert. Der Bundesgerichtshof hat diesen Weg – wie oben gezeigt – dadurch angedeutet, daß er die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen deshalb für erforderlich hält, weil sie die Kriminalstrafe „empfindlicher machen“279. Wie gesehen, halten auch einige Stimmen aus dem 272
Siehe 2. Kapitel A. II. 1. BGHSt 7, 28 (31); BGH, NStZ 1991, 527; Baumann/Weber, AT, S. 636; Henkel, in: Lange-FS, S. 179 (182 f.); Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 253 f.; Gribbohm, in: LK zu § 46, Rn. 26; Schönke/Schröder-Stree zu § 46, Rn. 54; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 412 f.; ders., in: Tröndle-FS, S. 395 (396); Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 (300); Dencker, StV 1992, 125 (127 f.); Maurach/ Gössel/Zipf, AT II, S. 534 f.; a. A. Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 121; Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 890 f.; Streng, NStZ 1988, 485 (486 f.), ders., Strafrechtliche Sanktionen, S. 210 ff., ders., ZStW 108 (1996), S. 816 (819). 274 Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 197. 275 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 413. 276 Vgl. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 414; 415 ff.; Schönke/SchröderStree zu § 46 Rn. 9b. 277 Streng, NStZ 1988, 485 (486 f.). 278 Nicolaus, S. 67 ff. 273
A. Straftatfolgen bei der Findung der „reinen‘‘ Schuldstrafe
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Schrifttum die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen beim Schuldausgleich unter dem Aspekt der Strafempfindlichkeit für erforderlich280. Auch ihnen wird damit von seiten Strengs und Nicolaus’ Kritik entgegengebracht, die im folgenden dargestellt wird. 1. Die Position von Streng
Streng hält es für zulässig, jede Art kalkulierbarer Strafwirkungen, die sich aus der spezifischen beruflichen, gesellschaftlichen oder persönlichen Situation des Angeklagten ergeben, bei der Frage nach der individuellen Strafempfindlichkeit des Täters zu thematisieren281. Allerdings steht er der weithin gebilligten Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit des Täters schon für die Bemessung der schuldangemessenen Strafe skeptisch gegenüber. a) Die generalpräventive Funktion angemessener Schuldverdeutlichung Er stellt sich auf den Standpunkt, daß der Schuldausgleich im Sinne eines auf gesellschaftliche Notwendigkeiten ausgerichteten Strafrechts nicht an der Zufügung individueller Leiden ausgerichtet sein könne, sondern auf eine allgemein als gerecht nachvollziehbare Rechtseinbuße beim Verurteilten abstellen müsse. Denn beim Schuldausgleich ginge es um eine Gerechtigkeitswertung, orientiert an den allgemeinen Werten der Gesellschaft. Die auf die Bestätigung der verletzten Rechtsordnung gerichtete Schuld- und Strafzumessung habe daher in der Strafhöhe eine überindividuelle „Währung“ zugrunde zu legen, um allgemeinverständlich und konsensfähig zu sein282. Individualisierungen der Strafe seien vom Gesetzgeber unterhalb der Ebene der Strafhöhe in Zeiteinheiten – also schuldindifferent – etwa gemäß § 40 Abs. 2 über die Tagessatzhöhe, gem. § 56 über die Strafaussetzung und gem. § 60 über das Absehen von Strafe vorgesehen. Die Strafhöhe selbst, als plakativer, auf die Allgemeinheit zielender Ausdruck einer Strafe, welche die Gültigkeit und das Gewicht der übertretenen Norm für den individuellen Fall zu bestätigen habe, finde ihre Grenzen jedoch zwingend in der durch § 46 Abs. 1 S. 1 vorgegebenen Schuldbindung283. 279
Siehe 2. Kapitel A. II. 2. a) aa). Siehe 2. Kapitel B. I. 1. c); vgl. Frisch, in: 50 Jahre BGH, 300 ff. 281 Streng, NStZ 1988, 485 (486). 282 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 210 f. 283 Streng, NStZ 1988, 485 (486 f.); vgl. auch Nicolaus, der die Gedanken zur generalpräventiven Funktion des Strafrechts allerdings in anderem Zusammenhang diskutiert, Nicolaus, S. 58 f. 280
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3. Kap.: Kritik an der Rechtsprechung des BGH und am Schrifttum
b) Der Vorwurf der Klassenjustiz Zudem betont Streng, daß sich eine regelmäßige Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit auf der Ebene schon des Schuldausgleichs unweigerlich dem Vorwurf der „Klassenjustiz“ aussetze284. Streng konstatiert, es sei untragbar, einen extrem strafempfindlichen „Feingeist“ für eine schwere Straftat mit nur sechs Monaten Freiheitsstrafe zur Bewährung, hingegen einen als wenig sensibel eingeschätzten „Mann aus dem Volke“ für eine in jeder Hinsicht vergleichbare Tat mit zehn Jahren Freiheitsstrafe zu bestrafen285. Damit greift er einen kritischen Gedanken auf, den auch andere Vertreter aus dem Schrifttum – wenngleich in anderem Zusammenhang – abwägend in ihre Überlegungen zur Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter schuldausgleichenden Gesichtspunkten bei der Strafzumessung mit einbeziehen286. Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen beim Schuldausgleich rufe insoweit den Anschein von „Klassenjustiz“ hervor, als es häufig Täter in gehobenen sozialen Stellungen, wie z. B. Beamte, Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater etc. seien, bei denen mittelbare Straftatfolgen strafmildernd berücksichtigt würden287. Dies sei zwar insofern verständlich, als solche Täter – im Gegensatz zu beruflich weniger exponierten und vermögenslosen – tatsächlich etwas über die eigentliche Strafe hinaus zu verlieren hätten288. Dennoch bedeute eine erhebliche Strafmilderung auf Grund der den Täter belastenden mittelbaren Straftatfolgen eine Privilegierung von Straftätern in gehobener sozialer Stellung289. 2. Die Position von Nicolaus
Nicolaus hingegen stellt die Einbeziehung von Strafempfindlichkeitserwägungen im Bereich des Schuldausgleichs nicht in Frage. Er äußert vielmehr Bedenken gegenüber dem Schritt, mittelbare Straftatfolgen unter den Begriff der Strafempfindlichkeit zu fassen290. Bei dem Begriff der Strafempfindlichkeit gehe es um die Fühlsamkeit des Täters im Hinblick auf das in der Strafe enthaltene Übel. Das in der zu 284
Streng, NStZ 1988, 485 (487). Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 211. 286 Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 197; Müller-Dietz, in: Spendel-FS, S. 430; Terhorst, JR 1989, 184 (187). 287 Nicolaus, S. 54 f. 288 Vgl. Terhorst, JR 1989, 184 (187). 289 Terhorst, JR 1989, a. a. O.; Nicolaus, S. 55; Müller-Dietz, in: Spendel-FS, S. 430. 290 Nicolaus, S. 70 ff. 285
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vollstreckenden Freiheitsstrafe enthaltene Übel aber sei der Freiheitsentzug (Hervorhebung durch Nicolaus). Dementsprechend könnten nur solche in der Person des Täters liegende Umstände bei der Strafempfindlichkeit berücksichtigt werden, die dazu führten, daß der Betroffene den Freiheitsentzug besonders schwer empfinde. Zu diesen gehörten, wie der Bundesgerichtshof zu Recht mehrfach betont habe, vor allem ein hohes Lebensalter und eine krankheitsbedingt reduzierte Lebenserwartung291. Aus der Erkenntnis, daß die Strafempfindlichkeit nur im Hinblick auf das in der Strafe enthaltene Übel bestimmt werden könne, folge zugleich, daß der Betroffene den Freiheitsentzug selbst nicht deshalb als besonders schwer empfinden werde, weil er als Beamter, Rechtsanwalt oder einfacher Arbeiter zusätzlich zum Entzug der Freiheit noch weitere disziplinar-, standes- oder arbeitsrechtliche Konsequenzen zu erwarten habe. Die Frage, wie der Täter den Freiheitsentzug empfinde, werde weder durch die mittelbaren Straftatfolgen selbst noch durch die den Straftatfolgen zugrundeliegenden Umstände beeinflußt. Der Beamte, der aufgrund der Verurteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe seine Beamtenrechte verliere, oder der Rechtsanwalt, der infolge einer solchen Verurteilung die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft zu erwarten habe, empfinde den Freiheitsentzug in der Haft nicht anders als derjenige, dem solche Konsequenzen nicht drohten292. In den Fällen mittelbarer belastender Straftatfolgen sei es also nicht die Strafe selbst, die vom Betroffenen als besonders schwer empfunden werde, sondern die Kumulation von Strafe und den mit der Strafe bzw. der Straftat verbundenen Nebenfolgen. Es hieße den Begriff der Strafempfindlichkeit gründlich zu verkennen, wenn man ihr auch die mittelbaren Straftatfolgen oder die ihnen zugrundeliegenden Umstände zuordne293. Auch der Bundesgerichtshof – so seine Interpretation – ordne daher, entgegen dem ersten Anschein, die mittelbaren Straftatfolgen nicht der Strafempfindlichkeit zu. Die vom Bundesgerichtshof verwendete Formulierung „empfindlicher machen“ drücke vielmehr aus, daß es um eine objektive Verstärkung der Belastung für den Täter infolge mittelbarer Straftatfolgen gehe294.
291
Nicolaus, S. 70 unter Bezugnahme auf BGH, StV 1990, 303; BGH, StV 1987,
345. 292 293 294
Nicolaus, S. 71. Nicolaus, a. a. O. Nicolaus, a. a. O.
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III. Zur Annahme der Schuldausgleichstauglichkeit mittelbarer Straftatfolgen Die Diskussion über den Begründungsstrang des Bundesgerichtshofs295 und eines Teils des Schrifttums296, demzufolge die faktischen Strafwirkungen aus mittelbaren Straftatfolgen als „Strafsurrogat“297 im Wege einer Gesamtbetrachtung auf die Strafe angerechnet werden sollen, erschöpft sich in allgemeinen Einwendungen gegen eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter schuldausgleichenden Gesichtspunkten überhaupt. Sie wird daher auch als solche dargestellt. Die hier eigentlich interessierende Frage, ob Schuld nicht nur durch das Erleiden eines Strafübels, sondern auch durch eine Beeinträchtigung durch nicht-strafrechtliche Folgen ausgeglichen werden kann, wird nicht thematisiert. Die Kritik trägt damit zur Klärung der Frage nach der Schuldausgleichstauglichkeit mittelbarer Straftatfolgen keine entscheidenden Überlegungen bei. 1. Begründung der kompensatorischen Wirkung mittelbarer Straftatfolgen durch Walter mittels des Rechtsgedankens aus § 60 StGB
Soweit sich die allgemeinen Überlegungen zur Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter schuldausgleichenden Gesichtspunkten auf die Vorschrift des § 60 StGB beziehen, stellen sie indirekt den Ansatz von Walter298 in Frage. Dieser hält eine Modifikation des Grundsatzes, daß nur mittelbare Straftatfolgen mit materiellem Strafcharakter als vollwertiges Äquivalent zur Strafe in den Schuldausgleich einbezogen werden können, in Ansehung mittelbarer Straftatfolgen ohne Strafcharakter systematisch über den Rechtsgedanken des § 60 StGB für gerechtfertigt. Dem Grundgedanken des § 60 StGB zufolge sollen schwere Folgen der Tat bei der Strafzumessung in Rechnung gestellt werden, weil einerseits die Schuld des Täters durch die schweren Folgen, die für ihn ähnlich wie eine Strafe gewirkt haben, zu einem Teil bereits ausgeglichen ist („poena naturalis“) und weil andererseits (deshalb) kein Präventionsbedürfnis mehr erkennbar ist299. Die Vorschrift geht also davon aus, daß schwere Folgen der Tat kompensierende Wirkung im Hinblick auf die Strafzumessungsschuld 295
Siehe 2. Kapitel A. II. 2. a) bb). Siehe 2. Kapitel B. I. 1. b). 297 Vgl. Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 137. 298 Siehe 2. Kapitel B. I. 1. b). 299 Vgl. BT-Drucks. V/4094 S. 6; Jescheck/Weigend, AT, S. 862; Wagner, GA 1972, 33; Lackner/Kühl zu § 60, Rn. 1. 296
A. Straftatfolgen bei der Findung der „reinen‘‘ Schuldstrafe
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haben. Die ratio legis beschreibt sie damit als schuldausgleichstaugliche Umstände300. 2. Grundsätzliche Kritik an einer Verwertung des Rechtsgedankens des § 60 StGB
Die Möglichkeit, den Rechtsgedanken des § 60 StGB für die Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in den Schuldausgleich heranzuziehen, wird von Nicolaus bereits im Ansatz kritisiert301. Zum einen wendet er methodische Bedenken gegen eine über den Rechtsgedanken des § 60 StGB begründete Strafmilderung ein: nach Wortlaut („so schwer . . . offensichtlich verfehlt“), gesetzgeberischer Intention sowie Sinn und Zweck des § 60 StGB sei die Regelung auf „exzeptionelle Ausnahmefälle“ zugeschnitten, weshalb aus ihr kein allgemeiner Strafzumessungsgrundsatz abgeleitet werden könne. Dies komme auch in den vom Sonderausschuß302 beispielhaft genannten Fällen deutlich zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang würden ausdrücklich nur besonders „tragische Fälle“303 angesprochen, wie etwa solche, in denen eine Mutter ihr geliebtes Kind durch eine Fahrlässigkeit töte oder die Ehefrau eines Mannes das einzige Opfer eines von diesem fahrlässig verschuldeten Verkehrsunfalls geworden sei oder der Täter selbst eine erhebliche Körperverletzung erlitten habe. Er räumt ein, daß das „Alles-oderNichts-Prinzip“ des § 60 StGB zwar auf Kritik stoßen möge, daß es ihm aber insoweit gerechtfertigt erscheine, als es den Ausnahmecharakter der Vorschrift betone. Unabhängig von den methodischen Bedenken handele es sich bei mittelbaren Straftatfolgen aber auch begrifflich nicht um die in § 60 StGB bezeichneten „Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben“. In diese Rich300
Siehe 4. Kapitel B. II. 1. b) bb) (1). Nicolaus, S. 72 ff. Nicolaus stellt die Ausgangsfrage allerdings etwas anders als Walter, nämlich dahingehend, ob die strafmildernde Berücksichtigung der mittelbaren Straftatfolgen zu einer Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen kann, vgl. Nicolaus, S. 72. Die Auffassungen, die mittelbare Straftatfolgen für schuldausgleichstauglich halten, gehen aber von der kompensatorischen Wirkung mittelbarer Straftatfolgen für die Strafzumessungsschuld aus. Dann stellt sich die Frage nach einer Schuldunterschreitung nicht, denn die Betrachtung des Gesamtübels soll die Findung der schuldangemessenen Strafe ermöglichen. Mittelbare Straftatfolgen werden auf das (sonst!) schuldangemessene materielle Übel strafmildernd angerechnet. 302 Diesbezüglich verweist Nicolaus auf den Bericht des Sonderausschusses, BTDrucks. V/4094, S. 6 f. 303 Diesbezüglich verweist Nicolaus auf die Begründung zum Alternativentwurf AT, 2. Aufl., S. 115, vgl. Nicolaus, S. 73. 301
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3. Kap.: Kritik an der Rechtsprechung des BGH und am Schrifttum
tung deuteten sowohl die vom Sonderausschuß in den Beratungen genannten Fälle als auch die von der Rechtsprechung entschiedenen304 und in der Kommentarliteratur angeführten Beispielsfälle305. Ihnen sei gemeinsam, daß der Täter die schwere Folge jeweils selbst und unmittelbar herbeigeführt habe. Auch der Wortlaut des § 60 StGB spreche für diese Auslegung der Vorschrift. Wenn die Vorschrift von den Folgen der Tat spreche, „die den Täter getroffen haben“ (Hervorhebung durch Nicolaus), so bedeute dies, daß § 60 StGB und dementsprechend auch ein allgemeiner Strafzumessungsgrundsatz, der auf dieser Norm beruhe, nur Folgen betreffe, die zum Zeitpunkt der Urteilsfindung bereits eingetreten (Hervorhebung durch Nicolaus) seien. Gerade dies aber sei bei den mittelbaren Straftatfolgen regelmäßig nicht der Fall306. Schließlich solle eine dem Rechtsgedanken des § 60 StGB entsprechende Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen auch wegen der „widersprüchlichen“ und von „dogmatischen Unstimmigkeiten“ geprägten Fassung der Vorschrift ausscheiden. In diesem Zusammenhang äußert Nicolaus Bedenken allgemeiner Art gegen die Vorschrift des § 60 StGB. Er problematisiert, wann eine Strafe „offensichtlich verfehlt“ sei, und anhand welcher Maßstäbe das Ausschlußkriterium bestimmt werden könne, daß der Täter eine „Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt habe“. Da diese Fragen keiner zufriedenstellenden Lösung zugeführt werden könnten, sei insbesondere von der Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen beim Schuldausgleich über den Rechtsgedanken des § 60 StGB abzusehen307. IV. Allgemeine Kritikpunkte zur Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in den Schuldausgleich Darüber hinaus werden weitere kritische Erwägungen angestellt, die losgelöst von den Begründungssträngen des Bundesgerichtshofs allgemein gegen eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter schuldausgleichenden Gesichtspunkten bei der Strafzumessung sprechen sollen. Zum einen bezieht sich diese Kritik auf die systematische Relevanz von den „Wirkungen der Strafe“ im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB bei der Strafzumessung nach § 46 StGB, des weiteren auf angebliche Widersprüche der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Aussetzung der Vollstreckung der 304
Unter Bezugnahme auf BGHSt 27, 298 ff.; OLG Karlsruhe, JZ 1974, 772 f.; BayOblG, NJW 1971, 766 f.; OLG Celle, NJW 1971, 575 f.; OLG Stuttgart, Justiz 1970, 423. 305 Unter Bezugnahme auf Hirsch, in: LK zu § 60 Rn. 9, 28; Dreher/Tröndle (44. Aufl.) zu § 60, Rn. 2. 306 Nicolaus, S. 73 f. 307 Nicolaus, S. 74 ff.
A. Straftatfolgen bei der Findung der „reinen‘‘ Schuldstrafe
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Strafe zur Bewährung und schließlich auf die Unsicherheiten und Zufälligkeiten, die eine Berücksichtigung oft schwer kalkulierbarer mittelbarer Straftatfolgen in die Strafzumessung trägt. 1. Die systematische Relevanz der „Wirkungen der Strafe“ im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB
Der Bundesgerichtshof308 begründet die Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in den Schuldausgleich unter Hinweis auf die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB. Die Wirkungen der Strafe auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft müßten bei der Bestimmung des gerechten Schuldausgleichs berücksichtigt werden. Ihr Unbeachtetlassen würde dem Gebot eines gerechten Schuldausgleichs widersprechen und zu einer zu harten und insoweit ungerechten Reaktion des Staates führen309. Streng310 und, seinen Gedanken aufgreifend auch Nicolaus311, halten die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen als „Wirkungen der Strafe“ im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB schon für den Schuldausgleich wegen der Systematik des § 46 Abs. 1 StGB für verfehlt. Die sog. Sozialklausel des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB verweise die Berücksichtigung der Strafwirkungen auf eine Ebene unterhalb des Schuldausgleichs, der seinerseits in der Grundlagenformel des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB geregelt sei. Die „Wirkungen der Strafe“ könnten demnach allein innerhalb des Spielraums der schuldangemessenen Strafe im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 1 StGB nach Maßgabe des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB berücksichtigt werden312. 2. Vorwurf der Inkonsequenz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nicht-Aussetzung der Strafe zur Bewährung
Schließlich weisen Streng313 und Nicolaus314 auf eine angebliche Inkonsequenz des Bundesgerichtshofs hin, der auf der einen Seite eine Vermengung von Strafaussetzungsfrage und Findung der konkreten Strafhöhe verneine, auf der anderen Seite aber mittelbare Straftatfolgen bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe berücksichtigt wissen wolle.
308 309 310 311 312 313 314
Siehe 2. Kapitel A. II. 2. a). So in BGHSt 35, 148 (150 f.). Streng, NStZ 1988, 485 (486). Nicolaus, S. 57 f. Streng, NStZ 1988, 485 (486); Nicolaus, S. 58. Streng, NStZ 1988, 485 (487). Nicolaus, S. 65 ff.
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3. Kap.: Kritik an der Rechtsprechung des BGH und am Schrifttum
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, die auch im Schrifttum auf Anerkennung stößt315, darf die Frage der Festsetzung der schuldangemessenen Strafe nicht mit der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung vermengt werden. Es soll rechtlich fehlerhaft sein, eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren zu verhängen, damit die Vollstreckung nach § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann316. Der Tatrichter habe vielmehr zunächst die schuldangemessene Strafe zu finden. Von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, dürfe sich die Strafe weder nach oben noch nach unten lösen. Erst wenn sich ergebe, daß die der Schuld entsprechende Strafe innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB liege, sei Raum für die Prüfung, ob auch die sonstigen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gegeben sind317. Kritisch wird nunmehr seitens Strengs und Nicolaus’ hinterfragt, warum die unmittelbaren Strafwirkungen einer (Nicht-)Aussetzung der Strafe zur Bewährung bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe unberücksichtigt bleiben sollen, während die mittelbaren Strafwirkungen Berücksichtigung zu finden haben318. Unverständnis löst die unterschiedliche Vorgehensweise des Bundesgerichtshofs deshalb aus, weil die Nicht-Aussetzung der Strafe zur Bewährung regelmäßig eine weitaus größere Belastung für den Betroffenen darstelle als die nur mittelbaren Straftatfolgen319. 3. Unvertretbare Unsicherheiten und Zufälligkeiten im Bereich des Schuldausgleichs in Ansehung fakultativer Straftatfolgen
Außerdem bemerkt Streng320, daß die Berücksichtigung von vielfach äußerst schwer kalkulierbaren mittelbaren Strafwirkungen des Verurteilten schon im Rahmen des Schuldausgleichs ein weiteres erhebliches Maß an Unsicherheit und Zufälligkeit in die Strafzumessung hineintrage. Auch Nicolaus321 stellt fest, daß gerade die fakultativen, im Zeitpunkt der Verurteilung noch nicht feststehenden mittelbaren Straftatfolgen Unsicherheiten und Zufälligkeiten für die Strafzumessung mit sich bringen. Dies folge daraus, daß das Gericht in jedem Einzelfall eine Prognose, also ein Wahrscheinlichkeitsurteil über künftige Entwicklungen, hinsichtlich des Eintritts 315
Bruns, JR 1981, 335 (336). BGHSt 29, 319 (321); 32, 60 (65); BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 29). 317 BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Schuldausgleich 29). 318 Streng, NStZ 1988, 485 (487); Nicolaus, S. 65. 319 Nicolaus, S. 65. 320 Streng, NStZ 1988, 485 (486). 321 Nicolaus, S. 57. 316
B. Straftatfolgen bei „minder schweren Fällen‘‘
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mittelbarer Straftatfolgen zu stellen hätte. Derartige Unsicherheiten in der Strafzumessung aber würden dem allgemein anerkannten Bestreben, die Erkenntnis- und Entscheidungsvorgänge der richterlichen Strafzumessung zu rationalisieren, zuwiderlaufen. Darüber hinaus stelle sich in diesem Zusammenhang die weitere höchst problematische Frage, wie die Prognose auszufallen habe, wenn es zwar möglich, aber nicht sicher oder wahrscheinlich sei, daß die mittelbare Straftatfolge eintrete. In diesen häufigen Fällen müsse geklärt werden, ob bei Prognosen im Rahmen der Strafzumessung der Grundsatz „in dubio pro reo“ gelte. Stünde etwa infolge des Auswahlermessens des Disziplinargerichts nicht fest, ob der Beamte wegen der begangenen Straftat aus dem Dienst entfernt werde oder ob er nur eine Gehaltskürzung zu erwarten habe, so müßte der Strafrichter möglicherweise von der schwerstmöglichen Disziplinarmaßnahme, also der Entfernung aus dem Dienst ausgehen. Übertrage man diesen Gedanken auf alle nur möglichen belastenden mittelbaren Straftatfolgen, so müßte der Strafrichter immer die denkbar schwerste Folge in Rechnung stellen. Damit griffen letztlich nahezu für jeden Täter eine Vielzahl von den Schuldausgleich zu berücksichtigenden Strafmilderungsgründen ein. Eine vorhersehbare und an der Schuld orientierte Strafzumessung wäre dann nicht mehr möglich.
B. Kritik an der Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme „minder schwerer Fälle“ Ein großer Teil im Schrifttum wendet sich gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach mittelbare Folgen der Straftat nicht nur bei der Strafzumessung, sondern schon bei der Bestimmung „minder schwerer Fälle“ berücksichtigt werden sollen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein „minder schwerer Fall“ gegeben, wenn „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in so erheblichem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint“322. Bei dieser Beurteilung soll eine Gesamtbewertung aller strafzumessungsrelevanten Umstände erforderlich sein, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Nur nach dem auf diese Weise gewonnenen Gesamteindruck könne entschieden werden, ob der ordentliche Strafrahmen den Besonderheiten des Falls gerecht werde oder zu hart wäre323. 322 BGHSt 4, 8 (9); 8, 186 (188); 26, 97 (99); BGH, GA 1976, 303 (304); BGH, StV 1983, 19; BGH, NStZ 1985, 547; BGHR Strafsachen § 250 Abs. 2 (Wertungsfehler 3); vgl. auch BGHSt 35, 148 (148 f.).
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3. Kap.: Kritik an der Rechtsprechung des BGH und am Schrifttum
Die Kritiker im Schrifttum lehnen diese Methode der Gesamtbetrachtung ab und konstatieren, eine Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in die Bestimmung „minder schwerer Fälle“ käme deshalb nicht in Betracht, weil sich die Beurteilung „minder schwerer Fälle“ nur an Kriterien auszurichten hätte, die aus dem Bereich von Tatunrecht und/oder Tatschuld stammten324. Die Argumente der kritischen Stimmen im Schrifttum, die über eine allgemeine Kritik an der Methode einer Gesamtbetrachtung überhaupt hinausgehen und die konkret gegen eine Einbeziehung anderer als tatschuld- bzw. tatunrechtsabhängiger Gesichtspunkte bei der Bestimmung eines „minder schweren Falls“ sprechen, sollen im folgenden dargestellt werden325. I. Kritik gegen eine Einbeziehung tatunrechts- und tatschuldunabhängiger Gesichtspunkte für die Bestimmung „minder schwerer Fälle“ 1. Systematische Bedenken
Im Zusammenhang mit den hier in Frage stehenden mittelbaren Straftatfolgen und der Beurteilung ihrer Relevanz für die Annahme eines „minder schweren Falls“ äußern Streng326, Horn327, Frisch und Bergmann328, Neuhaus329 und schließlich Nicolaus330 systematische Bedenken. Jeder „minder schwere Fall“ sei vor dem Hintergrund des jeweiligen Grunddelikts zu sehen. Die Bezugnahme des „minder schweren Falls“ auf den vom Gesetzge323
BGH, a. a. O. Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (945, 953); Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 65, 66. Vereinzelt wird vorgeschlagen, die unbenannten Strafänderungsgründe den Privilegierungstatbeständen und anderen gesetzlichen Vor-Wertungen, wie etwa den gesetzlichen Strafausschließungsgründen, anzunähern, vgl. hierzu Montenbruck, S. 106, 95 ff.; weitergehend Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (953 f.). 325 Die grundsätzlichen Kritikpunkte an der Methode der Gesamtbetrachtung überhaupt, wie etwa verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitsgebotes aus Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (945, 948, 950)) oder Zweifel aus methodisch-logischen Überlegungen heraus, sind akademischer Natur und bleiben hier deshalb ausgeklammert. 326 Streng, NStZ 1988, 485. 327 Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 66. 328 Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (945 f.). 329 Neuhaus, DRiZ 1989, 95 (97 f.). Wobei Neuhaus aus dem semantischen Bezug der „minder schweren Fälle“ zum Grunddelikt allerdings die weitgehende Konsequenz zieht, zur Bestimmung „minder schwerer Fälle“ dürften nur solche Umstände herangezogen werden, die sich auf einzelne Tatbestandsmerkmale des Grunddelikts beziehen. 330 Nicolaus, S. 112. 324
B. Straftatfolgen bei „minder schweren Fällen‘‘
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ber im Grunddelikt typisierten Normalfall komme darin zum Ausdruck, daß er im Gesetz keine isolierte Regelung erfahren habe, sondern stets innerhalb der betreffenden Deliktsvorschrift integriert sei331. Der Begriff des „minder schweren Falls“ beinhalte daher aufgrund seines systematischen Bezugs zum Grunddelikt keinen „Strafzumessungs-Blankoscheck“, sondern setze stets eine spezifische Bewertung des Normalfalls voraus. Hieraus wird abgeleitet, daß nur solche Umstände für die Annahme eines „minder schweren Falls“ relevant sein könnten, die Einfluß auf das Tatunrecht und/oder die Tatschuld hätten. 2. Entgegenstehende Gerechtigkeitserwägungen
Frisch und Bergmann332 führen zudem Gerechtigkeitserwägungen gegen eine Einbeziehung sämtlicher Strafzumessungsumstände zur Begründung eines „minder schweren Falls“ heran. Nicht alle Deliktstatbestände enthielten Regelungen für „minder schwere Fälle“, weshalb es schlicht willkürlich sei, dort unspezifische Strafzumessungsumstände, wie Vorstrafen und Nachtatverhalten, zur Begründung von Rahmenänderungen heranzuziehen, wo es Sonderstrafrahmen gebe, während sie sonst nur innerhalb des (dann alle Fälle abdeckenden) Strafrahmens verarbeitet werden könnten. 3. Ausschließliche Abhängigkeit der Schwereskalen von Unrechts- und Schuldmerkmalen
Darüber hinaus machen Frisch und Bergmann333 darauf aufmerksam, daß „minder schwere Fälle“ zu einer erheblichen Strafrahmenverschiebung und damit zu einer gänzlich neuen, sich vom Normalstrafrahmen deutlich unterscheidenden Schwereskala führten334. Schwereskalen würden jedoch (schon aus sachlogischen Gründen) nicht durch alle strafzumessungsrelevanten Faktoren, sondern typischerweise nur durch einige wenige Merkmale gebildet. Diese durch die Verknüpfung mit einer bestimmten Strafenstaffel für die weitere Bewertung Weichen stellenden Merkmale zeichneten sich durch die qualitative Besonderheit aus, daß sie durchweg für Unrecht und Schuld bedeutsam seien335. 331
Nicolaus, S. 112. Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (950). 333 Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (949 f.). 334 Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (950). Nach heute allgemeiner Auffassung bilden die Strafrahmen vorgeformte, rechtlich bindende Wertmaßstäbe für die richterliche Strafzumessung. Die Grenzwerte des jeweiligen Strafrahmens entsprechen insoweit den Endpunkten einer dem Strafrahmen parallel laufenden, gleichsam kontinuierlichen Schwereskala, auf der alle möglichen Fälle des Deliktstypus einzuordnen sind, vgl. hierzu Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (947) m. w. N. 332
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3. Kap.: Kritik an der Rechtsprechung des BGH und am Schrifttum
II. Zusammenfassung Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß sich die kritischen Stimmen aus der Literatur dagegen aussprechen, andere Umstände als solche, die das Tatunrecht und/oder die Tatschuld betreffen, in die Bestimmung eines „minder schweren Falls“ einzubeziehen. Mittelbare Straftatfolgen können hiernach selbst dann nicht einen „minder schweren Fall“ begründen, wenn man sie als (irgendwie) schuldausgleichstaugliche Umstände anerkennen würde. Denn damit fehlte ihnen immer noch der nötige Einfluß auf das Tatunrecht und/oder die Tatschuld als das Tatbild allein beeinflussende Komponenten.
C. Allgemeine Kritik an einer Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung Die Kritik der Literatur bezieht sich aber nicht nur auf das systematische Fundament für eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung, sondern auch auf allgemeine Probleme im Zusammenhang mit der Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung. Es handelt sich um Überlegungen, die gegen die (nahezu) generalisierende strafmildernde Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung und auch die Literatur sprechen. I. Unterlaufen disziplinarischer Anknüpfungen an das Strafurteil und mögliche Konsequenzen Speziell gegen die Berücksichtigung beamtenrechtlicher Disziplinarmaßnahmen bei der Strafzumessung wird das Argument vorgebracht, sie unterlaufe die Bestimmungen des Beamtenrechts. Aus § 14 BDO ergebe sich, daß die Kriminalstrafe bei den Disziplinarmaßnahmen zu berücksichtigen sei und nicht umgekehrt336. Mit der Berücksichtigung dieser Straffolgen sei die von den Gesetzesvätern vorausgesetzte, solide unabhängige Basis abhanden gekommen. Sie schaffe die Grundlage für einen undurchsichtigen Rückkoppelungsprozeß, bei dem das Beamtenrecht sich nach dem Strafrecht und das Strafrecht sich seinerseits an eben dieser beamtenrechtlichen Regelung orientiere337. 335 Explizit gegen die Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme eines „minder schweren Falls“: Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 (S. 301, Fußnote 101). 336 Koffka, in: LK (9. Aufl.) zu § 13, Rn. 74; Hirsch, in: LK zu § 46, Rn. 90; Streng, NStZ 1988, 485. 337 Streng, NStZ 1988, 485.
C. Kritik mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung
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Im Extremfall führe die Vorweg-Berücksichtigung einer zu erwartenden (zwingenden) Disziplinarfolge zur gezielten Unterschreitung der Voraussetzungen für diese Folge und bewirke so eine widersinnige doppelte Strafmilderung: wegen der zu erwartenden Disziplinarfolge werde die Strafe gemildert und wegen dieser Milderung wiederum trete die Disziplinarfolge schon gar nicht ein338. Die Argumentation läßt sich auf die Bestimmungen des Standesrechts und des Ausländerrechts übertragen, wo die beruflichen bzw. ausländerrechtlichen Folgen der Tatbegehung ebenfalls von der strafrechtlichen Verurteilung abhängig gemacht werden. II. Generalisierende Kriterien für eine eingeschränkte Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen Teilweise wird nach generalisierenden Kriterien für eine eingeschränkte Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung gesucht. 1. Die Position von Terhorst und Stree
Terhorst339 und Stree340 halten eine eingeschränkte Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen in Ansehung solcher Täter für erforderlich, die die Folgen der Tat und der Bestrafung bewußt „einkalkuliert“, sie vorausgesehen und wissentlich in Kauf genommen haben. Unter diesen Fallumständen müßte eine Strafmilderung deshalb versagt werden, weil es auch Fallkonstellationen gebe, in denen die Folgen unbedacht und eher zufällig eintreten würden. Dieser Vergleich erfordere eine unterschiedliche Bewertung der kalkulierten Folgen. Auch das schuldhafte Herbeiführen von Notstandslagen und die Provokation von Gefahren und drohenden Nachteilen könnten dazu führen, dem Täter die Berufung auf rechtfertigende oder entschuldigende Umstände zu versagen341. Terhorst zufolge soll es außerdem der Gerechtigkeit widersprechen, mittelbare Folgen der Tat, die sich als spiegelbildliche und parallele Folgen der dem Opfer zugefügten Nachteile darstellen, dem Täter strafmildernd zugute zu halten342. Unter dem Aspekt, daß ein und derselbe Umstand Folgen für das Opfer wie für den Täter haben könne, erscheine es nicht angängig, diesen Umstand dann für den Täter ins Feld zu führen, wenn dieser Um338 339 340 341 342
Streng, NStZ 1988, 485. Terhorst, JR 1989, 184 (186 ff.). Schönke/Schröder-Stree zu § 46, Rn. 55. Terhorst, JR 1989, 184 (187 f.). Terhorst, a. a. O., (187).
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3. Kap.: Kritik an der Rechtsprechung des BGH und am Schrifttum
stand als typische Auswirkung einer Norm anzusehen sei, die dem Opfer zum Schutz dienen solle343. Habe ein Beamter das Vertrauen seines Dienstherrn grob mißbraucht, Staatsgeheimnisse preisgegeben und sein Land verraten, so müsse es als Hohn empfunden werden, ihm den Verlust seiner Beamtenrechte als Auswirkung der Bestrafung strafmildernd anzurechnen344. 2. Die Position von Streng
Streng äußert sich schließlich kritisch dagegen, unter den Wirkungen der Strafe im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nicht nur die direkten Strafwirkungen und die mittelbaren Folgen der Sanktionierung, sondern insgesamt die mittelbaren Folgen der Straftat zu verstehen. Dies sprenge seines Erachtens den Rahmen des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB345.
D. Zusammenfassung Die Kritik in bezug auf die methodische Einordnung einer Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung läßt sich auf einen einfachen Nenner bringen: mittelbare Straftatfolgen haben weder Einfluß auf das verwirklichte Tatunrecht noch auf den Schuldgehalt der Tat und können damit weder für den „gerechten Schuldausgleich“ noch für die Strafrahmenwahl relevant werden. Da sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch kein vollwertiges Äquivalent zur (Kriminal-)Strafe darstellen, besteht auch nicht die Möglichkeit einer Anrechnung auf die ausgleichende Strafe. Eine Modifizierung des Grundsatzes, daß Schuld nur durch Strafe ausgeglichen werden kann, soll in Ansehung mittelbarer Straftatfolgen über den Rechtsgedanken des § 60 StGB nicht in Betracht kommen. Die ebenfalls im Zusammenhang mit der Frage nach der Schuldadäquanz der Kriminalstrafe aufkommende Überlegung, daß angesichts einer erhöhten Strafempfindlichkeit die Strafe milder ausfallen muß, um einen „gerechten Schuldausgleich“ darstellen zu können, soll nach Auffassung kritischer Meinungen innerhalb des Schrifttums als unbegründet zurückzuweisen sein, da ein auf gesellschaftliche Notwendigkeiten ausgerichtetes Strafrecht nicht an der Zufügung individueller Leiden ausgerichtet werden könne und sich sonst überdies dem Vorwurf der Klassenjustiz ausgesetzt sähe. Trotz einer grundsätzlichen Anerkennung der Berücksichtigungsfähigkeit mittelbarer Straftatfolgen im Rahmen der schuldangemessenen Strafe aus 343 344 345
Terhorst, a. a. O., (186 f.). Terhorst, a. a. O. Streng, ZStW 108 (1996), S. 820.
D. Zusammenfassung
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spezialpräventiven Gründen gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 StGB solle in bezug auf solche Belastungen, die sich als spiegelbildliche und parallele Folgen der dem Opfer zugefügten Nachteile darstellten, bzw. auf solche, die vorsätzlich und kalkuliert herbeigeführt worden seien, eine Einschränkung gemacht werden. Darüber hinaus bedürfe es wegen des Wortlauts des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB einer Beschränkung der berücksichtigungsfähigen mittelbaren Straftatfolgen auf die direkten Strafwirkungen und die mittelbaren Folgen der Sanktionierung. Eine Erstreckung auf die mittelbaren Folgen der Straftat komme nicht in Betracht.
4. Kapitel
Entwicklung eines systematischen Konzepts zur Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Auffassungen und Kritikpunkten A. Die unterschiedlichen Ansätze Vereinzelt wird der Versuch unternommen, bestimmte Disziplinarmaßnahmen unter Betonung ihres materiellen Strafcharakters in die Nähe der (Kriminal-)Strafe zu rücken und so ihre strafmildernde Anrechnung auf die schuldangemessene Strafe zu rechtfertigen. Insbesondere Nicolaus hat den materiellen Strafcharakter des Arrestes, der Geldbuße und der Gehaltskürzung herausgearbeitet und vertritt, daß auf Grund dieses Strafcharakters ihre Teilanrechnung auf die Strafe erforderlich ist. Der Kern der Problematik liegt jedoch nicht in dem vielfach problematisierten Verhältnis von (auch) repressiven Maßnahmen aus dem Disziplinarrecht und der (Kriminal-)Strafe346. Denn der Großteil der mittelbaren Straftatfolgen weist offensichtlich keinen repressiven Charakter auf. Sie sind allein präventiv motiviert, wenngleich sie den Täter zum Teil schwer belasten. Es kann also im wesentlichen nicht darum gehen, eine Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in die Strafzumessung auf Grund ihrer zum Teil bestehenden materiellen Vergleichbarkeit zur Strafe des Kriminalrechts zu rechtfertigen. Entscheidend ist m. E. vielmehr, die Bedeutung von faktischen Belastungen infolge präventiv oder privat veranlaßter Reaktionen auf die Tat für den Schuldausgleich herauszuarbeiten. Der maßgebliche gedankliche Ansatzpunkt muß dabei sein, ob auch Belastungen nicht-strafrechtlicher Art eigenständige Instrumente zur Erfüllung des mit dem Schuldausgleich 346
Hauptsächlich wird diese Problematik im Zusammenhang mit der Frage nach der Auslegung und Reichweite des Art. 103 Abs. 3 GG diskutiert. Art. 103 Abs. 3 GG wird von der h. M. als strafprozessuales Prinzip verstanden, demzufolge sich der Strafklageverbrauch nur auf die Bestrafung nach den „allgemeinen Strafgesetzen“ bezieht. Vgl. hierzu z. B. Baumann, JZ 1964, 612 ff.; Rupp, NJW 1967, 1651; Fliedner, AöR Bd. 99 (1974), 242 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig zu Art. 103 Abs. 3, Rn. 275, 287 ff. jeweils m. w. N.
A. Die unterschiedlichen Ansätze
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durch Strafe verfolgten Zwecks sind. Folge daraus wäre, daß sie jedenfalls dort einen Teil der schuldangemessenen Strafe ersetzen, wo sie dem Strafzweck ebensogut gerecht werden wie die Strafe. Ihre strafmildernde Berücksichtigung würde durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz legitimiert, da die Bestrafung des Täters nur insoweit gerechtfertigt werden kann, wie sie zur Zweckerreichung erforderlich ist. Eine darüber hinausgehende Übelszufügung wäre unverhältnismäßig. Unter anderem vor dem Hintergrund, daß dem Staat die Bestrafung alles Strafbaren im Einzelfall keineswegs unabdingbar erscheint, was sich aus § 153a StPO und der heute geradezu massenhaften Anwendung der Vorschrift ergibt, erscheint dieser gedankliche Ansatz durchaus nachvollziehbar. Ein letzter Ansatzpunkt für die strafmildernde Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in den Schuldausgleich, auf den auch der Bundesgerichtshof und ein Großteil der Literatur zurückgreift, liegt weniger in der Herausarbeitung des Beitrags mittelbarer Straftatfolgen zur Erreichung des mit dem Schuldausgleich durch Strafe verfolgten Zwecks, sondern in dem Rekurs auf die, infolge der zusätzlichen Belastung erhöhten Strafempfindlichkeit des Täters. Bei der Verwirklichung des Postulats, daß Täter, die in gleicher Weise Schuld auf sich geladen haben, auch möglichst Strafen erhalten sollen, die sie gleich belasten, kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß Täter unter verschiedenen Randbedingungen auch durch numerisch gleiche Strafen u. U. ganz verschieden belastet werden. Die Kritiker einer strafmildernden Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf die (sonst) schuldangemessene Strafe bekennen sich hingegen ausschließlich zu einer Strafmilderung unter spezialpräventiven Gesichtspunkten im Rahmen der schuldangemessenen Strafe gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 StGB. Schließlich sollen mittelbare Straftatfolgen nach Auffassung des Bundesgerichtshofs wie auch einem Teil der Literatur zufolge einen „minder schweren Fall“ begründen und damit zu einer Strafrahmenverschiebung führen können. Im folgenden soll jedem der gedanklichen Ansätze für die straftheoretische Legitimierung einer strafmildernden Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung nachgegangen werden. Zunächst wird der Strafcharakter disziplinarischer Maßnahmen untersucht und die (angebliche) Notwendigkeit ihrer Anrechnung auf die Strafe hinterfragt. Im Anschluß daran wird überprüft, ob mittelbare Straftatfolgen als kompensatorisches Mittel für den Schuldausgleich in Betracht kommen. Dafür wird die Frage geklärt werden müssen, was mit dem Schuldausgleich überhaupt erreicht werden soll. In der Folge wird der Einfluß mittelbarer Straftatfolgen auf die Strafempfindlichkeit des Täters diskutiert. Weiter wird die Frage behandelt, ob mittelbare Straftatfolgen im Rahmen der schuldangemessenen
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
Strafe aus spezialpräventiven Gründen gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 StGB strafmildernd berücksichtigt werden und schließlich, ob sie einen „minder schweren Fall“ begründen können.
B. Kritische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen I. Strafmildernde Anrechnung von Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter auf die schuldangemessene Strafe Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts347 und einiger Auffassungen im Schrifttum348 sollen disziplinarische Maßnahmen mit Strafcharakter strafmildernd auf die Strafe angerechnet werden. Während der Strafcharakter disziplinarischer Maßnahmen unterschiedlich beschrieben wird, besteht Übereinstimmung hinsichtlich der Anrechenbarkeit dieser Maßnahmen auf die Strafe. Wie diese Anrechnung erfolgen soll, ob durch den Strafrichter bei der Strafbemessung oder aber durch die Strafvollstreckungsbehörde nach der Strafzumessung, wird in der Regel offengelassen. Im folgenden wird das spezifisch strafrechtliche Element der Strafe herausgearbeitet werden müssen, um den strafrechtlichen Charakter disziplinarischer Maßnahmen feststellen zu können. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter eine Anrechnung auf die Strafe erforderlich machen. Alternativ wird geprüft, ob die Verhängung disziplinarischer Maßnahmen mit Strafcharakter zu einem Verfahrenshindernis vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 3 GG führen kann. 1. Der Strafcharakter disziplinarischer Maßnahmen
Die Auffassungen, denen zufolge jedenfalls Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter auf die Strafe angerechnet werden sollen, erkennen an, daß es Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter gibt. Was nun den Charakter der Strafe ausmacht, wird unterschiedlich beschrieben. Streng und Nicolaus stellen sich auf den Standpunkt, die Strafe sei eine staatlich intendierte Übelszufügung349. Das Bundesverfassungsgericht begründet in dem bereits erwähnten Beschluß zur Anrechnung des Arrestes auf die (Kriminal-) Strafe350 den Strafcharakter des Arrestes mit dem „Gewicht der Freiheitsentziehung“ und der „Eigenart der Freiheitsstrafe im Disziplinarwesen“ so347 348 349 350
Siehe 2. Kapitel A. I. Siehe 2. Kapitel B. I. 1. a). Streng, NStZ 1988, 485 (486); Nicolaus, S. 35. BVerfGE 21, 378 (384 ff.).
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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wie mit ihrem „äußeren Anschein“. Zumindest die in diesem Beschluß verwendeten Kriterien sind weder exakt noch trennscharf, sondern eher beschreibender Natur. Sie bieten keinen Anhaltspunkt für eine befriedigende Abgrenzung strafrechtlicher Maßnahmen von nicht strafrechtlichen Maßnahmen. Sie vergegenwärtigen aber, daß keine Einigkeit darüber herrscht, was unter Strafe (materiell) zu verstehen ist. Deshalb soll im folgenden herausgearbeitet werden, wann eine staatliche Maßnahme Strafcharakter hat. a) Der Charakter der Strafe aa) Fehlende gesetzliche Vorgaben Weder im Grundgesetz noch im Strafgesetzbuch oder in der Strafprozeßordnung findet sich eine Definition von Strafe. Es werden Begriffe wie „Strafe“, „Bestrafung“, „Strafgesetz“ oder „Strafbarkeit“ verwendet, die jedoch nur wenig über die Eigenart staatlichen Strafens besagen, da sich den entsprechenden Gesetzesregelungen nicht mehr als die strafrechtliche Begrifflichkeit entnehmen läßt. Immerhin ist erkennbar, daß Strafe als etwas Einzigartiges begriffen wird, etwas, das sich von anderen staatlichen Eingriffsmaßnahmen unterscheidet, denn das Grundgesetz räumt dem staatlichen Strafen eine verfassungsrechtliche Sonderstellung ein. Die wichtigsten Verfassungsgarantien, die speziell auf das Strafrecht Bezug nehmen, sind der Schuldgrundsatz351, die Gesetzesbestimmtheit der staatlichen Strafgewalt (Art. 103 Abs. 2 GG) mit den einzelnen Gewährleistungsschichten des Bestimmtheitsgebots, des Analogieverbots, des Verbots von Gewohnheitsrecht und des Rückwirkungsverbots, weiter das Verbot der Todesstrafe (Art. 102 GG), das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), das Verbot schlechthin jeder Art einer erniedrigenden, grausamen Strafe352 sowie das Verbot einer lebenslangen Freiheitsstrafe, wenn dem Verurteilten nicht die Chance eingeräumt wird, je wieder seine Freiheit zurückerlangen zu können353. Besonders deutlich wird die exponierte Bedeutung der Strafe auch auf der Ebene der Gesetzgebung, denn das Mittel der Strafe soll als „ultima ratio“ des rechtlichen Schutzes nur dann eingesetzt werden, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für ein geordnetes Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist354. 351 Entwickelt vom BVerfG aus der Menschenwürde (Art. 1 GG), der Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip: vgl. BVerfGE 6, 389 (439); 9, 167 (169); 20, 323 (331); 28, 386 (391); 50, 125 (133). 352 BVerfGE 1, 332 (348); 6, 389 (439). Das Verbot grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Strafen findet sich ausdrücklich auch normiert in Art. 3 EMRK. 353 BVerfGE 45, 187 (223, 245); 64, 261 (272); 72, 105 (113).
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bb) Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts Die Rechtsprechung behilft sich bei der Frage nach dem Strafcharakter von Maßnahmen diverser Kriterien, die im folgenden ansatzweise dargestellt werden sollen. (1) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Im Zusammenhang mit der hier einschlägigen Fragestellung, inwieweit Disziplinarmaßnahmen Strafcharakter aufweisen können, hat sich der Europäische Gerichtshof um die Herausarbeitung von Kriterien bemüht, deren Vorliegen auf das Gegebensein von Strafe schließen lassen355. Die Zuordnung einer Maßnahme zum Disziplinar- bzw. Strafrecht soll sich – nach Auffassung des Gerichtshofs – daraus ergeben, ob die jeweils in Rede stehende Maßnahme nach innerstaatlichem Recht dem Strafrecht oder einem anderen Rechtsgebiet – etwa dem Disziplinarrecht – zuzuordnen ist. Dann werden unter Berücksichtigung entsprechender Gesetzgebungen in den anderen Vertragsstaaten die Natur der Zuwiderhandlung und deren Folgen untersucht. Schließlich soll die angedrohte Sanktion ihrer Natur und ihrer Schwere nach daraufhin beurteilt werden, ob ihr Strafcharakter zukommt356. Allerdings soll die Zuordnung, die das nationale Recht liefert, allenfalls indizielle Bedeutung haben357. Um eine Zuwiderhandlung als strafrechtlich zu charakterisieren, zieht der Gerichtshof zwei konkretisierende Merkmale heran: den „allgemeinen Charakter der Regel“ und den „sowohl präventiven als auch repressiven Zweck der Sanktion“358. Daß letztlich die Schwere der angedrohten Sanktion ausschlaggebend für die Beurteilung des Strafcharakters einer Maßnahme sein soll, zeigt sich daran, daß, obwohl disziplinarische Maßnahmen das Merkmal der Allgemeinheit der in Bezug genommenen Verhaltensnorm nicht erfüllen, sie gleichwohl in den Bereich des Strafrechtlichen fallen können, wenn sie einen bestimmten Schweregrad überschreiten359. 354
BVerfGE 88, 203 (258). EuGRZ 1976, 211 (231 ff.); EuGRZ 1985, 534 (538). Hierbei ging es (u. a.) jeweils um die Überprüfung der Anwendbarkeit von Art 6 Abs. 1 EMRK (unparteiisches Gericht und Auslegung des Begriffs des Vorliegens einer „strafrechtlichen Anklage“). Die Europäische Kommission für Menschenrechte nimmt auf diese Rechtsprechung Bezug, vgl. EuGRZ 1977, 366 (367). 356 Vogler, in: IntKomm-EMRK zu Art. 6, Rn. 197 ff.; Frowein/Peukert zu Art. 6, Rn. 36 ff.; Zur Rechtsprechung vgl. vor allem EuGRZ 1976, 211 (232 f.). 357 Vgl. EuGRZ 1985, 534 (538); EuGRZ 1976, 221 (232). 358 EuGRZ 1985, 62 (68). 355
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Da der Gerichtshof bisher allerdings noch keine Kriterien für die Bestimmung einer allgemeinen Schweregrenze entwickelt hat, von der ab eine Disziplinarmaßnahme in eine strafrechtliche Sanktion umschlägt, sind die Entscheidungen nur punktuell und einzelfallbezogen. Als Strafe betrachtete der Gerichtshof beispielsweise eine Disziplinarmaßnahme gegen meuternde Strafgefangene, gegen die eine zu erwartende Entlassung um 570 Tage hinausgeschoben wurde360. Keine Strafe soll hingegen eine Arreststrafe von fünf Tagen wegen verspäteter Rückkehr aus dem Urlaub darstellen, da dieser Arrest keine zusätzliche oder weitere Freiheitsentziehung darstelle und aus diesem Grund nicht so schwerwiegend sei361. Auch außerhalb des Strafvollzugs und der militärischen Disziplinarverfahren wird für Sanktionen im Berufsrecht der Rechtsanwälte, der Ärzte und Beamten auf diese allgemeinen Merkmale, insbesondere das Merkmal der Schwere, zurückgegriffen362. (2) Das Bundesverfassungsgericht Auch das Bundesverfassungsgericht stellt in der bereits zitierten Entscheidung zur Anrechnung des Arrests nach der Wehrdisziplinarordnung auf die Kriminalstrafe entscheidend auf das Merkmal der Art und Schwere der Maßnahme ab363. Das Bundesverfassungsgericht hat sich aber auch in einer Reihe von anderen Entscheidungen mit der Strafe befaßt und sich bemüht, ihren Begriff mittels weiterer unterschiedlicher Kriterien zu definieren und ihr Wesen zu beschreiben364. Nicht immer verläuft dabei die Argumentation überzeugend: so bedient sich das Gericht beispielsweise des Kriteriums der strafgleichen Wirkung, um zu beurteilen, ob eine gebührenpflichtige Verwarnung als Strafe angesehen werden könne. Es müsse festgestellt werden, ob die gebührenpflichtige Verwarnung auf den Betroffenen wie eine Kriminalstrafe wirke und ob sie dieselben Folgen für ihn habe365. Die Auswirkungen auf den Betroffenen überprüfend, stellt das Bundesverfassungsgericht dann fest, daß die gebührenpflichtige Verwarnung präventiv wirke und Prävention kein Wesensmerkmal der Strafe sei. An dieser Stelle wechselt das Bundesverfassungsge359
EuGRZ 1976, 221 (233); EuGRZ 1985, 534 (538 f.). EuGRZ 1985, 534 (538 f.). 361 EuGRZ 1977, 366 f. 362 EuGRZ 1983, 190 (192); Vogler, in: IntKommEKMR zu Art. 6, Rn. 214 m. w. N. 363 BVerfGE 21, 378 (386). Aber auch BVerfGE 27, 36 (40). 364 Hier sollen nur die wichtigsten Kriterien herausgegriffen werden. Einen gesamten Überblick bieten Appel, S. 213 ff. und Volk, ZStW 83 (1971), S. 405 ff. 365 BVerfGE 22, 125 (131). 360
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richt also die Begründungsebene: Das Kriterium für das Vorliegen von Strafe ist nicht mehr das tatsächliche Betroffensein, sondern der mit der Maßnahme verfolgte Zweck366. Auf den Zweck der Maßnahme stellt das BVerfG dann auch in vielen weiteren Entscheidungen ab, und zwar immer dort, wo es um die Abgrenzung der strafrechtlichen Maßnahmen von den nichtstrafrechtlichen Maßnahmen geht: In Abgrenzung der Kriminalstrafe von den Disziplinarmaßnahmen im Rahmen von Art. 103 Abs. 3 GG verweist das Gericht darauf, daß die Kriminalstrafe – „unbeschadet ihrer Aufgabe, abzuschrecken und zu resozialisieren – Vergeltung für begangenes Unrecht“ sei367. An anderer Stelle wird die Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 92 GG (auch) damit begründet, daß jede Kriminalstrafe „ihrem Wesen nach Vergeltung und Zufügung des Strafübels“368 sei. Insofern sei jede Strafe mit einem Vorwurf verbunden369. Strafe sei die mißbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten370. In anderen Entscheidungen konstatiert das Bundesverfassungsgericht, daß es sich bei der Kriminalstrafe um ein sozialethisches Unwerturteil handeln müsse, und schafft sich somit eine Basis für die Abgrenzung zu den Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts (und wohl auch des Disziplinarrechts), wo der Vorwurf die „Sphäre des Ethischen“ nicht erreichen soll371. cc) Die gängige Auffassung innerhalb der Strafrechtswissenschaft Nach gängiger Überzeugung in der Strafrechtswissenschaft soll das Wesen der Strafe in einem (gravierenden) sozialethischen Unwerturteil über den Täter wegen der von ihm schuldhaft begangenen Rechtsverletzung liegen372. Die Strafe soll insofern stets einen negativen Aspekt und den Cha366 Vgl. zur Bewertung dieser Rechtsprechung auch Volk, ZStW 83 (1971), S. 405 (405 f.). 367 BVerfGE 21, 378 (384); 21, 391 (403 f.). 368 BVerfGE 22, 125 (132). 369 BVerfGE 20, 323 (331); 27, 180 (187). 370 BVerfGE 21, 391 (403 f.). 371 Vgl. BVerfGE 9, 137 (144); 9, 167 (170); 22, 49 (81); 27, 18 ff.; 49, 125 (131 ff.). 372 Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 65; Noll, S. 17 f. m. w. N.; Henkel, S. 7; Armin Kaufmann, S. 265; vgl. auch Maurach/Zipf, StrR AT I, S. 5; Baumann/Weber/ Mitsch, StrafR AT, S. 711; v. Hirsch/Jareborg, S. 17; Kindhäuser, GA 1989, 493 (503); Frisch, Verwaltungsakzessorietät, S. 139; Bockelmann/Volk, StrR AT, S. 2 f.; Stree, Deliktsfolgen, S. 51 f. Zu den verschiedenen Verständnissen vom Begriff der Strafe näher z. B. Müller-Dietz, Strafbegriff, S. 11 f.
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rakter eines Übels tragen, auch wenn ihr im übrigen (spezial-)präventive Wirkungen zugeordnet werden373. Das in der Strafe liegende Übel wird in einem gewollten Eingriff in die Rechtssphäre des Verurteilten gesehen, wobei ohne weitere Gewichtung Freiheit, Vermögen, Freizeit und soziales Ansehen genannt werden374. Von allen staatlichen Sanktionsmaßnahmen soll die Strafe den von ihr Betroffenen deshalb am schwersten belasten, weil zu dem Eingriff in Freiheit oder Vermögen des Verurteilten stets noch ein gravierender sozialethischer Tadel hinzukommt, der zwar keine sicht- und meßbare Einbuße an materiellen Gütern bewirkt, aber einen hochgradigen Diskriminierungseffekt hat375. Dieser Definition von Strafe lassen sich damit zwei Strafelemente entnehmen: zum einen der besondere Zugriff auf die Persönlichkeit (der regelmäßig mit dem sozialethischen Unwerturteil, Tadel oder Vorwurf umschrieben wird), zum anderen die Auferlegung eines materiellen Übels (z. B. Freiheitsentzug oder Verpflichtung zur Geldleistung). Unklar bleibt dabei, wie sich die beiden Elemente zueinander verhalten und ob sie beide für das Vorliegen von Strafe konstitutiv sind376. Die deutliche Mehrheit im Schrifttum scheint dem sozialethischen Unwerturteil das größere Gewicht beizumessen377. Das erscheint insoweit nachvollziehbar, als daß ein zielgerichtetes materielles Übel, isoliert betrachtet, keinen Unterschied zu anderen freiheitsoder eigentumsbezogenen Maßnahmen des Staates aufweist. Die Untersuchungshaft etwa unterscheidet sich mit Blick auf die Belastung des Betroffenen nicht von der Freiheitsstrafe, die Steuerforderung nicht von der Geldstrafe, das Fahrverbot378 als Strafe nicht von der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis379, denn in beiden Fällen wird dem Betroffenen zielgerichtet untersagt, ein Fahrzeug zu führen. Das auferlegte Übel ist, so gesehen, strafrechtlich neutral. Nur durch ihren Mißbilligungscharakter unterscheidet sich die Strafe von allen anderen Zwangsmaßnahmen der Staatsgewalt, und nur, wenn der repressive Charakter der Strafe in diesem Merkmal gesehen wird, läßt sich verstehen und rechtfertigen, daß es auf der einen Seite Reaktionen auf das Verbrechen gibt und geben darf, die, wie die zur Bewährung ausgesetzte 373
Jescheck/Weigend, a. a. O. Jescheck/Weigend, a. a. O. 375 Baumann/Weber/Mitsch, StrR AT, § 34 Rn. 1. 376 Vgl. auch Appel, S. 424. 377 Baumann/Weber/Mitsch, StrR AT, S. 711; Bockelmann, StrR AT, S. 2 f.; Maurach/Zipf, StrR AT, S. 5; Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 65; Noll, S. 18; m. w. N.; Henkel, S. 7; Armin Kaufmann, S. 265; Kindhäuser, GA 1989, 493 (503). 378 § 44 StGB. 379 § 69 StGB. 374
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Strafe, keine Übelszufügungen darstellen und doch echte Strafen sind, und daß es auf der anderen Seite rein generalpräventive Übelszufügungen gibt und geben darf, die keine echten Strafen mehr sind, weil ihnen keine sozialethische Mißbilligung anhaftet380. dd) Diskussion und Ergebnis Die Kriterien, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht zur Begründung des Strafcharakters einer Maßnahme herausgearbeitet haben, sind wenig überzeugend. Soweit der Europäische Gerichtshof auf die Allgemeinheit der in Bezug genommenen Verhaltensnorm abstellt, ist anzumerken, daß es sich hierbei für sich genommen nicht um ein strafrechtliches Spezifikum handelt und dieses daher lediglich geeignet ist, einzelne (Sonder-)Rechtsgebiete negativ auszugrenzen. Sie bietet aber kein positives Kriterium für das Vorliegen von Strafe381. Auch die Schwere der Maßnahme – auf die sowohl der Europäische Gerichtshof als auch das Bundesverfassungsgericht abstellen – kann kein ausschlaggebendes Kriterium für das Vorliegen von Strafe sein. Denn wäre dieser Gesichtspunkt entscheidend, müßten auch anerkanntermaßen nichtstrafrechtliche, gleichwohl aber eingriffsintensive Maßnahmen – etwa die Untersuchungshaft oder freiheitsentziehende Maßregeln – als Strafe qualifiziert werden. Als taugliches Kriterium für die Definition von Strafe verbleibt damit zunächst einmal allein die sozialethisch motivierte mißbilligende hoheitliche Reaktion auf die Tat, die verbunden mit einem materiellen Übel die Rechtsverletzung ausgleichen soll. Dabei kann nicht übersehen werden, daß die Argumentation, es müsse sich um ein sozialethisches Unwerturteil handeln, vor allem dem Bemühen dienen soll, gewisse Maßnahmen aus der strafrechtlichen Betrachtung auszuklammern. So wird in Ansehung von Ordnungs- oder Disziplinarstrafen einfach behauptet, bei der ausgesprochenen Mißbilligung der Rechtsverletzung gehe es nicht um Diskreditierung und Stigmatisierung, sondern allein um Pflichtenmahnung mit der Folge, daß es sich nicht mehr um Strafe handele, weil der sozialethische Vorwurf fehle. Der Versuch, das Kriterium des „sozialethischen Unwerturteils“ rechtlich fruchtbar zu machen, muß bereits im Ansatz auf unlösbare Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Der Staat verteilt mit seinen Maßnahmen zahlreiche 380 381
So Noll, S. 18 f. So auch Appel, S. 271.
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Unwerturteile, die man als sozialethisch bezeichnen kann. Denn bereits darin, daß der Staat bestimmte Verhaltensweisen nicht duldet oder Situationen, an denen einzelne Bürger beteiligt sind, in einer bestimmten Weise beurteilt und bewertet, können sozialethisch relevante Werturteile liegen382. Ein sozialethisches Unwerturteil hat daher nichts spezifisch Strafrechtliches an sich und ist daher nicht in der Lage, die Besonderheit des staatlichen Strafens zu beschreiben. Wie wenig überzeugend das Kriterium der Sozialethik für die Bestimmung des Strafcharakters einer Maßnahme ist, zeigt beispielsweise die gewerberechtliche Einstufung als unzuverlässig nach § 35 GewO383. Auch dort handelt es sich um eine sozial bzw. sozialethisch erhebliche staatliche Maßnahme, die den Betroffenen in den Augen der Öffentlichkeit diskreditiert und stigmatisiert. Käme es allein darauf an, müßte es sich auch bei dieser staatlichen Maßnahme um Strafe handeln, was jedoch nach einhelliger Ansicht nicht der Fall ist384. Im übrigen erscheint es hinsichtlich der Relativität außerrechtlicher Sozialethiken höchst problematisch, den sozialethischen Tadel als Kriterium für das Vorliegen von Strafe heranzuziehen385. Da aber die hoheitliche – nicht sozialethische – Mißbilligung einer Rechtsverletzung, in Verbindung mit der Verhängung eines materiellen Übels, den Strafcharakter einer Maßnahme nicht abschließend umschreiben kann, bleibt zu klären, was das spezifisch Strafende einer Maßnahme ausmacht. Hierfür liefert das Bundesverfassungsgericht einen Anhaltspunkt, wenn es auf den mit der Maßnahme verfolgten Zweck abstellt. Strafe muß final definiert werden, es muß danach gefragt werden, was die jeweilige Mißbilligung erreichen will: (auch) Repression oder (allein) Prävention. Dabei muß natürlich geklärt werden, was genau sich hinter dem Begriff der Repression verbirgt. Während die strafrechtliche Ahndung der Tat früher verschuldetes Unrecht vergelten oder die Sühne der Schuld ermöglichen sollte, spricht man heute – weil diese Strafzwecke weithin als problematisch empfunden werden386 – nur noch von dem zu bewirkenden Schuldausgleich387. Ein so benannter Zweck der strafrechtlichen Ahndung beinhaltet 382
Vgl. Appel, S. 483. Hiernach ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, die auf eine Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in bezug auf sein Gewerbe schließen lassen, sofern die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. 384 Vgl. Appel, S. 484. 385 Vgl. hierzu ausführlich Appel, S. 485 ff.; siehe auch Kelsen, S. 117. 386 Vgl. Stratenwerth, StrafR AT, S. 7 ff. 387 Vgl. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 92. 383
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allerdings nichts Pragmatisches, sondern stellt lediglich die Behauptung auf, Schuld sei mit Strafe auszugleichen. Warum dies so sein soll, bleibt sowohl seitens des Bundesgerichtshofs als auch in weiten Bereichen des Schrifttums unbeantwortet. Dabei hat auch der Bundesgerichtshof inzwischen betont, daß der Schuldausgleich um seiner selbst willen nicht der Zweck der strafrechtlichen Ahndung sein könne388. Fest steht, daß der gerechte Schuldausgleich, demzufolge das Maß der Strafe in einem angemessenen Verhältnis zum Maß der Schuld stehen soll, nicht rein präventiv motiviert sein kann. Denn zum einen wären diese Zwecke nicht geeignet, den Einsatz einer gerade am Maß der Schuld orientierten Strafe zu fordern und zu legitimieren. Zum anderen fehlte dann der strafrechtlichen Ahndung das strafrechtsspezifische repressive Element, denn präventive Funktionen weisen auch andere Sanktionsmittel auf. Weder Spezialprävention noch Generalprävention sind eine Eigenart allein strafrechtlicher Maßnahmen, sondern können vom Schadensersatz bis zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung auch anderen staatlichen Maßnahmen zukommen. Insofern kann es bei der Strafe nicht nur389 darum gehen, bestimmte staatliche Verhaltensvorgaben, die der Gesetzgeber als wichtig einschätzt, zu schützen. Mit der Repression wird vielmehr ein Ziel verfolgt, daß über reine Präventivfunktionen hinausgeht. Es kommt bei der Repression darauf an, den Normverletzer demonstrativ zur Rechenschaft zu ziehen, ihm seine defizitäre Einstellung zur Norm verbindlich vorzuhalten, um so das verletzte Recht wiederherzustellen und dessen Geltung gegenüber dem Rechtsbruch zu bestätigen390. Repressiv gedachte Strafe soll jene Infragestellung der Norm ausgleichen, die mit der Tat als dem Normbruch einhergeht. Ziel ist es, den durch die Tat eingetretenen Geltungsschaden der Verhaltensnorm – der stets auch die Autorität der normsetzenden Instanz betrifft – aufzuheben391. 388
Vgl. BGHSt 24, 40 (42). Zur diesbezüglichen Rechtsprechung des BGH vgl. auch Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 (275). 389 Daß die Strafe auch generalpräventive Funktionen hat, ist offensichtlich. Denn strafrechtliche Sanktionsnormen werden nicht um ihrer selbst willen erlassen, sondern weil auf garantierte und gesicherte Orientierungen im sozialen Leben nicht verzichtet werden kann. Die Strafe hat deshalb die Aufgabe, diese Verhaltensvorgaben zu schützen. Siehe hierzu auch: Schmidhäuser, S. 85. Nach einem neueren Ansatz soll Strafe auch der symbolischen Solidarisierung mit dem Opfer dienen, vgl. hierzu Jerouschek, JZ 2000, 185 (194). Ein derartiger viktimologischer Strafzweck weist strafrechtsspezifische Elemente auf, kann jedoch keine Allgemeingültigkeit beanspruchen, da er nur bei traumaspezifischen Delikten zum Tragen käme. 390 Zu dieser Bedeutung der Strafe als Negation der Negation des Rechts grundsätzlich Hegel, Philosophie des Rechts, S. 152 f.; siehe auch Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 (278); ders., ZStW 99 (1987), 780; Appel, S. 460 ff.; Köhler, StrafR AT, S. 48 ff.; zu den grundsätzlichen Ausführungen Hegels vgl. Seelmann, JuS 1979, 687 ff.; Mayer, in: Engisch-FS, S. 74 ff.; Noll, S. 18.
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So erklärt sich auch der spezifische Eingriffsmehrwert staatlichen Strafens: der Staat trifft im eigenen Interesse zur Rehabilitierung der Norm und der normsetzenden Instanz autoritativ die rechtlich verbindliche, degradierende Feststellung, die Einstellung des Betroffenen zur Norm sei defizitär gewesen. Der Vorhalt der defizitären Einstellung zur Norm richtet sich – anders als das Zivilrecht oder das Polizeirecht – nicht primär auf die Sicherung und Abgrenzung rechtlich anerkannter Interessensphären, sondern auf das Verhältnis des Betroffenen zur Norm und zur normsetzenden Instanz. Wird ein Strafurteil erlassen, enthält dieses die verbindliche staatliche Feststellung, daß die Einstellung zur Norm und zur normsetzenden Instanz defizitär war392. Diese Wertung erfolgt nicht wie in sonstigen Konstellationen, um die Einhaltung der Norm von vorneherein präventiv zu erzwingen oder einen zivilrechtlichen Ausgleich für die Schädigung vorzunehmen, sondern mit dem primären Ziel, die Diskrepanz zwischen dem persönlichen Verhalten und den Anforderungen der Norm aufzuzeigen. Die darin liegende grundlegende Thematisierung des Verhältnisses zu den Normen des Gemeinwesens, die verbindliche Feststellung, daß die Einstellung des Täters zur Norm und zur normsetzenden Instanz defizitär gewesen sei, die darin liegende staatliche Wertung und die unmittelbare Verknüpfung dieser Wertung mit der Person des Betroffenen greifen in besonderer Weise in des Täters allgemeines Persönlichkeitsrecht393 ein. Sie trifft ihn in seinem verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruch394. In einer freiheitlichen Verfassungsordnung, die den Staat zu Distanz und Neutralität verpflichtet, zieht dieser spezifische staatliche Vorhalt der Normverletzung also Eingriffswirkungen nach sich, die keiner anderen staatlichen Eingriffsmaßnahme vergleichbar sind395. Die general- und spezialpräventiven bezweckten Wirkungen dieser strafrechtsspezifischen Maßnahme sind dann zwangsläufige Folge der mittels Mißbilligung und Übelszufügung bestätigten Norm396: Wird gezeigt, daß 391 Frisch, in: Eser/Kaiser/Weigend, S. 201, 241 m. w. N. In diesem Zusammenhang bekommt auch die Übelszufügung ihren Sinn: Sie dient dem symbolischen Ausgleich der Normverletzung und trägt dazu bei, die verletzte Norm zu rehabilitieren. Es wäre verfehlt, das auferlegte materielle Übel an einem gegebenenfalls zurechenbar verursachten Schaden auszurichten. Denn Schadensrestitution ist, sofern überhaupt möglich, Sache des Zivil-, nicht des Strafrechts, vgl. dazu Appel, S. 471; Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 (278). Anders Jakobs, StrafR AT, S. 17, 6 ff., demzufolge das Bezugssystem bei der Begründung von Strafe nicht der Begriff des Rechts, sondern die Bestandsbedingungen der Gesellschaft sind. 392 Vgl. auch Appel, S. 492. 393 Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. 394 Vgl. Appel, S. 492 f., 575. 395 Vgl. Appel, S. 493. 396 Vgl. Appel, S. 466.
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das Normengefüge des Strafrechts funktioniert, daß die normative Steuerung des Rechts letzten Endes die Oberhand behält, wird die jeweilige Norm stabilisiert397. Festgehalten werden kann somit, daß eine staatliche Maßnahme dann Strafcharakter hat, wenn sie mit dem Ziel, die verletzte Norm wiederherzustellen, die defizitäre Einstellung des Betroffenen zur Norm verbindlich feststellt, ihm und anderen dies demonstrativ vorhält und ihm (jedoch nicht zwingend398) ein materielles Übel als Reaktion auf den Widerspruch zur Norm auferlegt. b) Der Strafcharakter disziplinarischer Maßnahmen Streng399 und Nicolaus400 stellen sich auf den Standpunkt, eine Anrechnung von Disziplinarmaßnahmen auf die Strafe sei zumindest dann erforderlich, wenn sie eine intendierte staatliche Übelszufügung beinhalteten, die einen staatlichen Eingriff in die Rechtsgüter des Täters zum Gegenstand habe. Die gezielte Zufügung staatlichen Übels sei, so Nicolaus, Inhalt einer „(zweckfrei verstandenen) Strafe“ und läge dort vor, wo eine Gehaltsbuße, eine Gehalts- oder Ruhegehaltskürzung oder ein Disziplinararrest verhängt würden. Bei diesen Maßnahmen handele es sich nicht um rein dienstliche Sanktionen, die allein die Laufbahn oder Dienststellung des Betroffenen beträfen. Es ginge vielmehr um Maßnahmen, die – wie die Strafe – mit der Intention der Übelszufügung verhängt würden401. Den Betroffenen würden Rechtsgüter (persönliche Freiheit, Vermögenspositionen) mit dem Ziel entzogen, sie nachhaltig an ihre beamten- oder soldatenrechtlichen Pflichten zu erinnern. Gerade die bezweckte Übelszufügung sei es, die den Inhalt dieser Maßnahmen ausmache und ihnen materiellen Strafcharakter verleihen würden402. Da beispielsweise auch die Ausschließung aus dem Beruf eine zielgerichtete Übelszufügung darstellt, kann es nicht allein auf die intendierte Übelszufügung ankommen, um den Strafcharakter der bezeichneten disziplinarischen Maßnahmen zu begründen. Das entscheidende Abgrenzungskriterium zu den nicht-strafrechtlichen Sanktionen ist, wie oben dargestellt, die Mißbilligung der Normverletzung zwecks Wiederherstellung des Rechts. 397 Zur generalpräventiven Funktion strafrechtlicher Sanktionsnormen, Jakobs, StrR AT, S. 6 ff. 398 Vgl. Noll, S. 18 f. m. w. N. 399 Streng, NStZ 1988, 485 (486). 400 Nicolaus, S. 34. 401 Nicolaus, S. 40 f. 402 Vgl. Nicolaus, S. 40 f.
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aa) Disziplinarische Maßnahmen mit (auch) repressivem Charakter Der Verweis403 sowie der strenge Verweis404, der im Bereich der Wehrdisziplinarordnung vor der Truppe bekanntgemacht wird, beinhalten eine Mißbilligung einer Normverletzung (auch) zwecks Rehabilitierung der verletzten Norm. Denn die Wertung erfolgt hier nicht nur, um die Einhaltung der Norm von vorneherein (präventiv) zu erzwingen oder einen Ausgleich für Schädigungen vorzunehmen, sondern mit dem Ziel, die Diskrepanz zwischen dem persönlichen Verhalten des Betroffenen und den Anforderungen der Norm aufzuzeigen. Dabei ist dieser Vorhalt der Normverletzung in Ansehung des strengen Verweises noch mit dem materiellen Übel verbunden, die Zurechtweisung vor den Kameraden über sich ergehen zu lassen. Als materielle Übel, die verbunden mit dem Vorhalt der Normverletzung gegenüber dem Zuständigen ergehen, um so die verletzte Norm zu rehabilitieren, stellen sich außerdem die Geldbuße405, die Gehaltskürzung406, die Kürzung des Ruhegehalts407 nach dem Disziplinarrecht sowie, speziell im Wehrdisziplinarrecht, die Ausgangsbeschränkung408 und schließlich der Arrest409 dar. Daß neben der normrehabilitierenden Funktion mit der jeweiligen disziplinarischen Maßnahme auch das Ansehen und die Reinhaltung z. B. der Beamten-, Rechtsanwalt- oder Ärzteschaft usw. bzw. der Schutz der auf diese Berufsgruppen angewiesenen Personen vor weiterer Gefährdung angestrebt wird, stellt den Strafcharakter der Disziplinarmaßnahmen nicht in Frage. Auch die (Kriminal-)Strafe verfolgt schließlich präventive Zwecke. bb) Disziplinarische Maßnahmen mit ausschließlich präventivem Charakter Bei der Degradierung nach §§ 10 BDO, 57 WDO und der Entfernung aus dem Dienst gemäß §§ 11 BDO, 58 WDO bzw. der Ausschließung aus dem jeweiligen Berufsstand, wie beispielsweise nach § 113 Abs. 2 BRAO410, wird den Betroffenen hingegen „nur“ ein materielles Übel auf403 §§ 6 BDO; 19 Abs. 1 WDO; § 90 Abs. 1 Nr. 2 StBerG; § 68 Abs. 1 Nr. 2 WPO; § 114 Abs. 1 Nr. 2 BRAO, § 97 Abs. 1 Nr. 1 BNotO. 404 § 19 Abs. 2 WDO. 405 §§ 7 BDO, 20 WDO, 114 Abs. 1 Nr. 3 BRAO, 90 Abs. 1 Nr. 3 StBerG; § 68 Abs. 1 Nr. 3 WPO; § 97 Abs. 1 Nr. 2 BNotO. 406 §§ 9 BDO, 55 WDO. 407 §§ 12 Abs. 1 BDO, 59 Abs. 2 WDO. 408 § 21 WDO. 409 § 22 WDO.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
erlegt. Das Übel liegt darin, daß der Betroffene seine Dienststelle in der jeweiligen Laufbahngruppe verliert oder sogar sämtliche Berufsrechte einbüßt. Im Gegensatz zu den oben aufgeführten disziplinarischen Maßnahmen erfolgen diese Maßnahmen jedoch nicht unter dem Vorhalt der Normverletzung zwecks repressiver Ahndung der Tat. Die Degradierung z. B. wird allein aus dem Grund verhängt, dem Beamten das Beförderungsamt und die damit verbundene Vorgesetztenstellung zu nehmen, weil er infolge seiner Verfehlung in dem Beförderungsamt nicht mehr tragbar sei411. Ähnlich ist es auch bei der Entfernung aus dem Dienst bzw. der Ausschließung aus dem jeweiligen Berufsstand. Die Verfehlung zerstörte das Vertrauen in die Ausübung der jeweiligen Tätigkeit und das Ansehen in den öffentlichen Dienst bzw. den Berufsstand. Mittels Entfernung des Täters aus dem Beruf solle die Allgemeinheit und der öffentliche Dienst bzw. Berufsstand für die Zukunft vor derartigen Pflichtverletzungen geschützt werden412. Entsprechendes gilt für den gesetzlichen Verlust der Beamtenrechte wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG. Die Vorschrift entspricht in ihrer Intention der „Entfernung aus dem Dienst“ nach § 11 BDO. Sie dient der Vermeidung von Disziplinarverfahren in den Fällen, in denen durch ein Strafverfahren ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten eines Beamten festgestellt worden ist, das gleichzeitig ein derart schweres Dienstvergehen darstellt, daß es in jedem Fall zu einer disziplinarrechtlichen Entfernung aus dem Dienst führen müßte413. cc) Zusammenfassung Im Ansatz ist den Ausführungen Nicolaus’ und Strengs daher zuzustimmen: die Eingriffswirkungen von Disziplinarmaßnahmen sind keineswegs homogen zu beurteilen, sondern reichen von reinen Präventivwirkungen bis 410 Dem entspricht das vorläufige Berufsverbot nach § 150 Abs. 1 BRAO. Dieses Berufsverbot kann verhängt werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß gegen einen Rechtsanwalt auf Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft erkannt werden wird. 411 Vgl. Claussen/Janzen, § 10, Rn. 1. 412 Claussen/Janzen, § 11, Rn. 1; Feuerich/Braun zu § 114 BRAO, Rn. 36; Schippel-Lemke zu § 97 BNotO, Rn. 4. Die Aberkennung des Ruhegehalts bei einem Beamten oder Soldaten gemäß §§ 12 Abs. 2 BDO, 59 Abs. 1, 3 WDO entspricht der Dienstentfernung eines noch aktiven Beamten bzw. Soldaten. Da das Beamten- bzw. Soldatenverhältnis auf Lebenszeit begründet ist, ist auch diese Maßnahme darauf gerichtet, einen für das Berufsbeamtentum bzw. die Bundeswehr nicht mehr tragbaren Beamten oder Soldaten aus dem öffentlichen Dienst auszuschließen. 413 Battis, § 48 BBG Anm. 1.
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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hin zu repressiven Funktionen. Das Disziplinarrecht ist kein homogenes Rechtsgebiet, auch wenn es häufig so aufgefaßt wird. Zurückführen läßt sich dieses Verständnis des Disziplinarrechts auf seine historische Entwicklung. Es ist das Resultat einer „langsam geschehenen Umbildung einer echten Strafrechtsfolge zunächst zu einer Strafrechtsfolge eigener Art innerhalb des Kriminalstrafrechts und schließlich zu einer echten Staatsrechtsfolge, die in vollen Gegensatz zur Strafrechtsfolge“ treten sollte414. Zu einer Entschlackung des Disziplinarrechts hat diese Umbildung jedoch nicht geführt, so daß bei aller grundsätzlichen Anerkennung präventiver Funktionen des Disziplinarrechts zahlreiche repressive Aspekte verblieben sind415. Das hier gefundene Ergebnis verdeutlicht, daß es nicht möglich sein kann, durch Etikettenwechsel strafende Maßnahmen zu rein präventiven Maßnahmen werden zu lassen und damit – wie im folgenden aufzudecken sein wird – gewichtige strafspezifische Verfassungsgarantien auszuhebeln. 2. Umgang mit einer (drohenden) doppelten Bestrafung: Gegenseitige Anrechnung oder Verfahrenshindernis nach Art. 103 Abs. 3 GG?
Infolge der Ausrichtung von disziplinarischen Maßnahmen an den Bestandsbedingungen und der Organisation eines bestimmten staatlichen Teilsystems wird vom Bundesverfassungsgericht416 sowie in weiten Bereichen des Schrifttums angenommen, Disziplinarmaßnahmen dürften ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG neben einer Kriminalstrafe verhängt werden417. Diese allgemeine Ansicht offensichtlich übernehmend, fordern auch Streng418 und Nicolaus419 (lediglich) die Anrechnung der disziplinaren 414 Stock, S. 42. Vgl. auch S. 162: „Während bisher das Disziplinarrecht als das Minus gegenüber dem Kriminalstrafrecht erschien und zu diesem subsidiären Charakter hatte, stellt sich im 19. Jahrhundert unter dem Einfluß des französischen Rechtssystems eine grundlegende Verschiebung ein. Disziplinarrecht und Kriminalstrafrecht treten nebeneinander als zwei selbständige, grundsätzlich voneinander unabhängige Rechtsmaterien.“ Bis dahin dominierte dementsprechend auch die strafrechtliche Auffassung vom Disziplinarrecht, die Ansicht, nach der die Disziplinarstrafe echte Strafe war und ein qualitativer Unterschied zum echten Kriminalstrafrecht nicht angenommen wurde, vgl. die Literaturnachweise bei Stock, S. 210. Erst seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann die Ansicht an Boden, derzufolge Wesensverschiedenheit zwischen der Kriminal- und der Disziplinarstrafe bestehen sollte, vgl. Literaturnachweise bei Stock, S. 208. 415 Vgl. Baumann, JZ 1964, 612 (615). 416 BVerfGE 21, 378 (384). 417 Arndt, DÖV 1966, 809 (811); Thieme, DVBl. 1957, 769 (773); Maurach/Zipf, AT, TBd. I, S. 8 f.; Claussen/Janzen, S. 2; Kunig, S. 387.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
(Straf-)Maßnahmen auf die Strafe. Eine Erörterung dahingehend, ob aufgrund eines möglichen Verstoßes gegen das Verbot der Doppelbestrafung nicht bereits von einem Verfahrenshindernis ausgegangen werden muß, unterbleibt. Im folgenden soll überprüft werden, ob ein nachvollziehbarer Grund dafür besteht, disziplinarische Maßnahmen mit Strafcharakter systematisch aus der Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG auszuklammern. a) Der Grundsatz „ne bis in idem“ (Art. 103 Abs. 3 GG) aa) Der Grundgedanke der Vorschrift Art. 103 Abs. 3 GG verbietet die doppelte Bestrafung derselben Tat und garantiert dem schon bestraften oder rechtskräftig freigesprochenen Täter Schutz gegen erneute Verfolgung und Bestrafung wegen derselben Tat420. Wertsystematisch hat Art. 103 Abs. 3 GG seine Grundlage im Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Die materielle Gerechtigkeit fordert eine tat- und schuldentsprechende Bestrafung für begangene Straftaten. Hat der Staat aber von diesem Strafanspruch Gebrauch gemacht und aufgrund eines Strafverfahrens über die Tat entschieden, dann ist der Strafanspruch verbraucht. Das fordert das Gebot der Rechtssicherheit, das neben der Forderung nach materieller (Einzelfall-)Gerechtigkeit die zweite große Komponente des Rechtsstaatsprinzips ist421. Daneben wird die materielle Gerechtigkeit in ihrer Ausprägung als Verhältnismäßigkeit in Art. 103 Abs. 3 GG auch strafbegrenzend wirksam422.
418
Streng, NStZ 1988, 485 (486); ders., ZStW 108 (1996), 816 (817 f.). Nicolaus, S. 48. 420 BVerfGE 12, 62 (66). Durch Art. 103 Abs. 3 GG ist das Verbot, eine verbrauchte Strafklage zu wiederholen, zum Rang eines Verfassungssatzes erhoben worden, BVerfGE 12, 62 (66). Die Vorschrift hatte in der Weimarer Verfassung keinen Vorläufer. In der europäischen Rechtsgeschichte hat der Grundsatz des „ne bis in idem“ seit der Antike immer wieder Anerkennung, zu Zeiten aber auch Nichtachtung erfahren, Oehler, in: Rosenfeld-FS, S. 145. Das Reichsgericht legte ihn schon in frühen Entscheidungen seiner Rechtsprechung zugrunde: „Der Grundsatz „ne bis in idem“ enthält nicht allein eine Norm des Verfahrens. Es bildet schon einen grundlegenden Satz des Strafrechts, daß die Schuld durch Strafe getilgt wird, und daß deshalb für dieselbe Straftat nur einmal Strafe verhängt werden darf. Es ist damit dem Angeklagten ein materielles Schutzrecht verliehen, RGSt 35, 367 (369 f.); wiederholt in: 41, 152 (153). 421 Dürig, in: Maunz/Dürig (Vorauflage) zu Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 124 (zit. nach Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig zu Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 260). 422 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig zu Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 261. 419
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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bb) Die Beschränkung auf die Bestrafung nach den „allgemeinen Strafgesetzen“ Allerdings verbietet die Vorschrift eine doppelte Bestrafung nur aufgrund der „allgemeinen Strafgesetze“. Was unter diesem Begriff zu verstehen ist, soll im folgenden geklärt werden. (1) Die Vorstellung des Grundgesetzgebers Die Erörterung dieser Formulierung hat bereits im Parlamentarischen Rat breiten Raum eingenommen und wurde später dann vom Bundesverfassungsgericht aufgegriffen423. Konsens bestand im Parlamentarischen Rat dahingehend, daß durch die Beschränkung auf die „allgemeinen Strafgesetze“ die Sondergesetze, also das gesamte Nebenstrafrecht, nicht vom Gewährleistungsgehalt des Art. 103 Abs. 3 GG ausgeschlossen sein sollten. Insoweit gilt nach allgemeiner Ansicht im Haupt- sowie im Nebenstrafrecht der Grundsatz „ne bis in idem“ sowohl innerhalb des jeweiligen Bereichs als auch im Verhältnis zwischen beiden. Allerdings soll auch hier die Rechtsnatur der Sanktion im Einzelfall exakt bestimmt werden und bedarf der Bejahung des Strafcharakters, um die Garantie der Vorschrift auszulösen424. Das Disziplinarstrafrecht, das Ordnungsstrafrecht und das Polizeistrafrecht sollten hingegen den Gegensatz zu den in Art. 103 Abs. 3 GG genannten „allgemeinen Strafgesetzen“ bilden und demgemäß nicht von der Garantie erfaßt sein425. (2) Die allgemeine Ansicht im Schrifttum und in der Rechtsprechung Auch nach überwiegender Ansicht sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung, die sich auf die Vorstellungen des Grundgesetzgebers beruft, sollen „das Disziplinarstrafrecht, das Ordnungsstrafrecht und das Polizeistrafrecht“ den Gegensatz zu den in Art. 103 Abs. 3 GG genannten „allgemeinen Strafgesetzen“ bilden und nicht von der Garantie erfaßt sein426. 423
Von Doemming/Füsslein/Matz, JöR 1 (1951), S. 744. Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig zu Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 286. 425 Zu den Erörterungen des Parlamentarischen Rates, vgl. von Doemming/Füsslein/Matz, JöR 1 (1951), S. 744. 426 Vgl. BVerfGE 21, 378 (383 f.); 66, 337 (357); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig zu Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 287 ff.; Hill, in: Isensee/Kirchhof, Bd. VI, S. 1341 (Rn. 71); Pieroth/Schlink, StaatsR II, Rn. 1107 f. Die Ansicht, Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter seien aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG ausgeklammert, fand nicht immer schon Zustimmung. Vielmehr wurden gegen diese Auffassung von Seiten des Schrifttums bis Ende der 70er Jahre gewichtige Bedenken geltend gemacht. Die Kritik zielte dabei jeweils auf den 424
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
In diesem Zusammenhang wird regelmäßig auf die „Wesensverschiedenheit“ von Kriminal- und Disziplinarrecht Bezug genommen: diese ergebe sich nicht nur aus den unterschiedlichen Zwecken des Disziplinarrechts (Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes) und des Strafrechts (Vergeltung, Abschreckung und Besserung), sondern auch daraus, daß Strafund Disziplinarrecht auf einem anderen Rechtsgrund beruhten. Das strafrechtliche Delikt liege in der Verletzung eines von der Rechtsordnung allgemein geschützten Rechtsguts, in der Störung der öffentlichen Ordnung. Das disziplinare Vergehen bestehe in der Störung der besonderen, nur einem bestimmten Kreis von Staatsbürgern auferlegten Ordnung427. Im Unterschied zur Kriminalstrafe soll die diziplinare Strafe den Täter daher auch nicht in seinem allgemeinen Staatsbürgerstatus treffen, sondern sich (lediglich) auf seinen besonderen Rechts- und Pflichtenstatus beziehen428. Wie dargelegt, läßt sich die „Wesensverschiedenheit“ von Straf- und Disziplinarrecht, was den Zweck und damit den Strafcharakter einzelner Maßnahmen angeht, nicht pauschal begründen. Ob der Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. 3 GG und die besondere Ordnung des Disziplinarrechts es rechtfertigen kann, daß disziplinarische Maßnahmen mit Strafcharakter von der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG nicht umfaßt sein sollen, bedarf näherer Untersuchung. b) Erstreckung des Art. 103 Abs. 3 GG auf Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter Die Fragestellung, ob sich Art. 103 Abs. 3 GG auch auf Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter bezieht, läßt sich unter dem Blickwinkel der Systematik der spezifischen strafrechtlichen Verfassungsgarantien beantworten. aa) Art. 103 Abs. 3 GG als spezifisch strafrechtliche Verfassungsgarantie Die strafrechtlichen Garantien des Grundgesetzes greifen Sicherungselemente auf, die strukturgleich anderen allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien zugrunde liegen, diese jedoch in besonderer Weise verschärfen und forUmstand ab, daß Art. 103 Abs. 3 GG „doppelte Sühne“ verbiete, weshalb eine Doppelbestrafung verfassungswidrig sei, vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig (Vorauflage) zu Art. 103 Abs. 3 Rn. 128 (zit. nach Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig zu Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 288); Lochbrunner, ZBR 1963, 282 (286); ders., DÖD 1964, 81 ff.; ders., DVBl 1965, 308; Thieme, DVBl. 1957, 769 (773). 427 Vgl. BVerfGE a. a. O., 384; Claussen/Janzen, S. 2; Hill, in: Isensee/Kirchhof, Bd. VI, S. 1341 (Rn. 71). 428 BVerfGE 21, 378 (384, 403 f.); 29, 125 (144); 32, 40 (48 f.).
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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cieren429. Die allgemeine grundrechtliche Eingriffsdogmatik, die erhebliche Sicherungen für staatliche Eingriffsmaßnahmen vorsieht, wird von der Verfassung selbst offenbar für nicht ausreichend erachtet, um den spezifischen Wirkungen des Strafrechts effektiv zu begegnen430. So sieht beispielsweise das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG eine strengere Bindung an das Gesetz vor, als sie nach der allgemeinen juristischen Methodenlehre gilt. Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ist – anders als nach allgemeinen Maßstäben – einer Abwägung nicht zugänglich. Das Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG bindet die staatliche Strafgewalt strikter, als der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – etwa mit einem System der Anrechnung – dies fordern würde431. Aus der erhöhten verfassungsrechtlichen Garantiedichte für staatliche Strafmaßnahmen kann auf eine besondere Gefährdungslage geschlossen werden: strafrechtliche Verfassungsgarantien zielen auf spezifische, über die „normale“ Gefährdung hinausgehende Eingriffswirkungen, die sich allein aus der Annahme einer gesteigerten (Eingriffs-)Intensität strafender gegenüber anderen staatlichen Eingriffen erklären lassen432. Die spezifisch strafrechtlichen Eingriffswirkungen könnten zwar größtenteils auch durch die allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien aufgefangen werden. Das repressive Element der strafrechtlichen Normrehabilitierung ist aber – trotz der vielfach in den Vordergrund gerückten Präventivwirkung strafrechtlicher Sanktionsnormen – (noch) so ausgeprägt, daß die spezifisch strafrechtlichen Verfassungsgarantien eine sinnvolle Präzisierung und Konkretisierung der allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien für den speziellen Bereich staatlichen Strafens darstellen433. Angesichts der Funktion des Strafrechts im 429 Speziell zu Art. 103 Abs. 2 GG vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig zu Art. 103 Abs. 2, Rn. 164: „Art. 103 Abs. 2 GG ist aber mehr als eine Bestätigung dieser allgemeinen Eingriffslehren. Er hebt die Strafgewalt heraus und legt sie auf einen Kanon von Rechtsregeln fest, die zwar dieselbe Struktur und denselben Regelungsansatz haben wie die allgemeinen Schutzmechanismen des demokratischen Rechtsstaates, die aber in ihrem Gewicht und ihrer Stringenz besonders hervorgehoben sind.“ Siehe auch BVerfGE 30, 367 (385); 95, 96 (131). 430 Appel, S. 488. Die Systematik der strafrechtlichen Verfassungsgarantien inkonsequent interpretierend: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig zu Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 275, der zwar grundsätzlich anerkennt, daß Art. 103 Abs. 3 GG eine spezifische Ausformung rechtsstaatlicher Gewährleistungen im Blick auf die Besonderheiten strafrechtlicher Sanktionen ist, der aber in Ansehung aller nicht formell strafrechtlichen Sanktionen eine Eingriffsbegrenzung über die allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien für ausreichend erachtet. 431 Vgl. Appel, S. 489. 432 Vgl. Appel, a. a. O. 433 Ihre Striktheit und Stringenz, ihr weiter Ausgriff und das Gewicht ihrer Anforderungen verleihen ihnen eine herausgehobene Bedeutung. Speziell für Art. 103 Abs. 2 GG BVerfGE 30, 367 (385); vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig zu Art. 103 Abs. 2, Rn. 164.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
demokratischen Verfassungsstaat, der mit spezifischen Eingriffsmaßnahmen Normrehabilitierung auf Kosten einzelner betreibt, gewährleisten die Strafgarantien jenes „Mehr“ an Rationalität, Nachvollziehbarkeit und Striktheit der rechtlichen Begrenzung, das ein besonderes verfassungsrechtliches Ordnungsregime zu rechtfertigen vermag434. bb) Folgen dieser Betrachtungsweise für die Einbeziehung disziplinarischer Maßnahmen mit Strafcharakter in Art. 103 Abs. 3 GG Aus dieser systematischen Betrachtungsweise des Art. 103 Abs. 3 GG folgt, daß dann, wenn Disziplinarmaßnahmen (auch) Strafcharakter haben, sie in den Anwendungsbereich des Grundsatzes „ne bis in idem“ fallen. Der strafende Eingriff in die Rechte des Betroffenen hat eine gesteigerte Gefährdungslage zur Folge, vor deren Verdoppelung die spezifisch strafrechtliche Verfassungsgarantie des Art. 103 Abs. 3 GG schützen soll. Etwas anderes – und dahin geht wohl die Argumentation des Schrifttums und des Bundesverfassungsgerichts, wenn auf die besondere Ordnung des Disziplinarrechts rekurriert wird – könnte allenfalls dann gelten, wenn man Disziplinarverhältnisse (weiterhin) als eine Art besondere Gewaltverhältnisse konzipierte, mit der Folge, daß der Bereich des Disziplinarrechts per se dem Anwendungsbereich bestimmter verfassungsrechtlicher Garantien entzogen würde. Eine derartige Auffassung entspricht jedoch nicht dem heutigen Stand der verfassungsrechtlichen Entwicklung435. Sie mag der ursprünglichen Konzeption des Art. 103 Abs. 3 GG entsprechen, bei der der Grundgesetzgeber noch in der Vorstellung verhangen war, die Rechtsfigur des „besonderen Gewaltverhältnisses“ sei eine eigenständige, implizite Beschränkung der Grundrechte, die nicht den verfassungsrechtlichen Garantien unterworfen sei. Mit dem Abschied vom Institut des „besonderen Gewaltverhältnisses“436 muß die Reichweite der Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG allerdings neu bestimmt werden. Sollen Disziplinarverhältnisse nicht zu Sonderrechtsverhältnissen mit einem geminderten Grundrechtsschutz degradiert werden, muß der Grundsatz des „ne bis in idem“ auch hier gelten. Das Merkmal der „allgemeinen Strafgesetze“ ist dem gewandelten allgemeinen Verfassungsrechtsverständnis entsprechend dahingehend zu konkretisieren, daß lediglich die besonderen präventiven Ordnungs- und Zwangsmittel des Disziplinarrechts nicht von 434 435 436
Vgl. Appel, S. 557. So auch Appel, S. 533. Grundlegend BVerfGE 33, 1 (10 f.).
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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der Garantie erfaßt werden und damit auch nicht zu der spezifischen Sperrwirkung führen437. Die strafrechtliche Sanktion darf hingegen vom Staat wegen derselben Tat prinzipiell nur einmal ausgesprochen werden. Dies gilt sowohl innerhalb des Disziplinarrechts (hier ist die Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“ einhellig anerkannt) als auch im (umstrittenen) Verhältnis des Disziplinarrechts zum (Kriminal-)Strafrecht438. Zusammenfassend bleibt damit festzuhalten, daß die disziplinarischen Maßnahmen der Geldbuße, der Gehaltskürzung, der Kürzung des Ruhegehalts sowie der strenge Verweis, die Ausgangsbeschränkung und der Arrest als spezielle Maßnahmen aus dem Wehrdisziplinarrecht von der Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG erfaßt werden. Damit gelten für das Verhältnis von Disziplinar- und Strafverfahren je nach der Reihenfolge der strafrechtlichen bzw. disziplinarischen Verfolgung der Tat folgende zwei Grundsätze: Sofern disziplinarisch relevante Vorgänge als zunächst Straftat verfolgt und rechtskräftig abgeurteilt werden, darf eine disziplinarische Ahndung der Tat nicht mehr erfolgen. Nach dem Grundgedanken des Art. 103 Abs. 3 GG soll die besondere das Strafrecht kennzeichnende repressiv motivierte Mißbilligung für dieselbe Tat nur einmal getroffen werden. Eine beliebige Anrechnung bzw. verhältnismäßige Reduzierung der Strafe wird dieser Forderung nicht gerecht439. Art. 103 Abs. 3 GG verbietet nicht nur, wie der Wortlaut es nahelegen könnte, die mehrfache Verhängung von Strafe wegen derselben Tat. Vielmehr darf eine Tat, die rechtskräftig abgeurteilt ist440, nicht ein zweites 437
So auch Appel, S. 534. Diese konsequente Anwendung von Art. 103 Abs. 3 GG (auch) im Verhältnis von strafenden Maßnahmen zu strafenden Disziplinarmaßnahmen steht einer Disziplinargerichtsbarkeit mit Strafbefugnissen nicht entgegen, jedoch nicht als Gerichtsbarkeit in einem Sonderrechtsverhältnis, sondern als Bestandteil der staatlichen (Straf-)Gerichtsbarkeit. Als solche muß sie berücksichtigen, daß die spezifisch strafrechtliche Sanktion nach Art. 103 Abs. 3 GG für ein und dieselbe Tat nur einmal getroffen werden darf, vgl. Appel, S. 535. 439 So auch Appel, S. 535. Etwas unbefriedigend ist daher die „Anrechnungslösung“ für im Ausland verhängte und vollstreckte Strafen in § 51 Abs. 3 StGB, wo der Gedanke des Grundsatzes „ne bis in idem“ in abgeschwächter Form zum Ausdruck kommt. Man sollte meinen, der Gedanke des „ne bis in idem“ habe sich auch auf die Gerichtsbarkeit zweier oder mehrerer Staaten niedergeschlagen. Indes regeln sowohl das von Deutschland bisher nicht ratifizierte 7. Zusatzprotokoll zur EMRK, in Kraft getreten am 1.11.1988, in Art. 4 als auch Art. 14 VII des VN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte v. 19.12.1966, BGBl. 1973 II, S. 1533, nur ein staateninternes „ne bis in idem“. Vgl. zu dieser Problematik Jung, in: SchülerSpringorum-FS, S. 493 ff. 440 Umfaßt ist also auch der Freispruch. 438
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
Mal Gegenstand einer Verurteilung oder auch nur einer Strafverfolgung sein441. Das hat zur Folge, daß Art. 103 Abs. 3 GG auch der Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen derselben prozessualen Tat entgegensteht, denn auch hier handelt es sich um ein Verfahren, das auf eine Bestrafung hinauslaufen kann. Konsequenz daraus ist, daß damit der Grundsatz des „ne bis in idem“ auch der fakultativen Verhängung von Disziplinarmaßnahmen ohne Strafcharakter (z. B. die Entfernung aus dem Dienst, Ausschließung aus dem Berufsstand) in einem Disziplinarverfahren entgegensteht. Dabei ließen sich gegen die Verhängung rein präventiv motivierter Disziplinarmaßnahmen neben der Strafe grundsätzlich keine Bedenken äußern. Dieses formale Ergebnis entspricht allerdings der Wertung, die das Disziplinarrecht selbst vornimmt, um den Betroffenen vor einer doppelten disziplinarischen Verfolgung zu schützen. Ist der Täter bereits durch eine Disziplinarmaßnahme mit Strafcharakter seitens des Dienstvorgesetzten zur Ordnung gerufen worden (in Betracht kommen hier z. B. Verweis und Geldbuße nach § 29 BDO), soll der Durchführung eines den gleichen Sachverhalt betreffenden förmlichen Disziplinarverfahrens das Verbot der Doppelbestrafung entgegenstehen442. Insoweit führt die sich auf die Disziplinarmaßnahmen ohne Strafcharakter erstreckende Folge aus der konsequenten Anwendung des Art. 103 Abs. 3 GG nicht zu Ergebnissen, die wertungsmäßig nicht heute schon grundsätzlich das Disziplinarrecht bestimmen. Die Vorschriften hingegen, die das Verhältnis zwischen strafgerichtlicher Ahndung der Tat und „zusätzlicher“ Ahndung durch die Disziplinargerichte in Bezug nehmen und letztere nicht grundsätzlich verbieten, sondern nur unter Zweckmäßigkeitserwägungen beschränken wollen443, können nach dem hier gefundenen Ergebnis keinen Bestand haben. Das aufgezeigte Ergebnis fordert damit neue Regelungen oder wenigstens alternative Vorgehensweisen seitens des Disziplinarrechts heraus. Denkbar wäre es, trotz des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens im Disziplinarrecht444, die durch das Strafgericht abgeurteilte Tat als „Einzelhandlung“ aus dem sonst als Einheit zu beurteilenden Dienstvergehen auszuscheiden und im Hinblick auf das verbleibende Dienstvergehen, eine disziplinarische Ahndung zuzulassen445. Bei dem verbleibenden Dienstvergehen würde es 441
Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig zu Art. 103 Abs. 3, Rn. 272. Vgl. Claussen/Janzen zu § 33, Rn. 2a. 443 Vgl. z. B. § 14 BDO; § 115b BRAO. 444 St. Rspr.: BDHE 3, 180 (182); 4, 40 (43); BVerwGE 63, 88. 445 Ausnahmen von dem Grundsatz sind möglich, vgl. Claussen/Janzen, Einl. B, Rn. 7a. Allerdings ist anzumerken, daß nach der Wertung z. B. des § 14 BDO der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens gerade nicht verdrängt werden soll. 442
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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sich dann regelmäßig um ein Dienstvergehen handeln, das unterhalb der Strafrechtsschwelle liegen würde. Darüber hinaus ließe sich in Betracht ziehen, das Disziplinarrecht gänzlich von Maßnahmen mit Strafcharakter zu entschlacken, wie dies von Baumann446 nachdrücklich gefordert wird. Einem Nebeneinander der Verfahren stünden dann keine Bedenken vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 3 GG entgegen. Für den umgekehrten (äußerst seltenen) Fall447, in dem das Disziplinarverfahren dem Strafverfahren vorausgeht, gilt, daß bei vorausgegangener disziplinarischer Ahndung der Tat die Einleitung eines weiteren strafgerichtlichen Strafverfahrens ausgeschlossen ist. Hier könnte die konsequente Anwendung des Art. 103 Abs. 3 GG zu problematischen Konsequenzen führen. Bei schweren Verfehlungen würden Bedienstete bzw. dem Standesrecht unterworfene Täter anderen Tätern gegenüber bessergestellt, da das Disziplinarrecht regelmäßig keine Freiheitsstrafen androht. Dies dürfte im Ergebnis vor dem Hintergrund von Art. 3 GG nicht haltbar sein. Allerdings stellt diese Konsequenz nicht das hier gefundene Ergebnis in Frage, sondern fordert vielmehr den Gesetzgeber auf, sich zu entscheiden, in welchem Verfahren er die Normverletzung geahndet haben will. cc) Konsequenzen für die strafmildernde Berücksichtigung disziplinarischer Maßnahmen bei der Strafzumessung Sollten sich die Rechtsprechung der Disziplinargerichte oder aber die Gesetzgebung für eine der aufgezeigten Möglichkeiten entscheiden, hat das Konsequenzen für die strafrichterliche Entscheidung über die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung. Wählt die Rechtsprechung der Disziplinargerichte die Lösung, derzufolge die strafgerichtlich abgeurteilte prozessuale Tat aus dem (sonst) einheitlichen DienstvergeSelbst dann, wenn eine Pflichtverletzung rechtskräftig strafgerichtlich abgeurteilt wurde, soll eine disziplinarische Ahndung uneingeschränkt (also einschließlich der bereits strafrechtlich abgeurteilten Tat) möglich sein, wenn noch weitere, strafgerichtlich nicht abgeurteilte Pflichtverletzungen vorliegen. Allerdings sieht die Rechtsprechung auch hier Einschränkungen vor, vgl. BVerwGE 73, 166; 33, 314 (317). 446 Baumann, DÖV 1970, 257 (260). 447 Im Regelfall ist ein Disziplinarverfahren bis zur Beendigung des Strafverfahrens auszusetzen, vgl. § 17 Abs. 1 S. 1 BDO; § 118 Abs. 1 BRAO; § 109 Abs. 1 StBerG; § 83 Abs. 1 WPO; § 118 Abs. 1 BNotO. Nur in Ausnahmefällen, beispielsweise wenn die Sachaufklärung gesichert ist oder wenn im strafgerichtlichen Verfahren aus Gründen nicht verhandelt werden kann, die in der Person des Betroffenen liegen (vgl. § 17 Abs. 3 S. 1 BDO), kann das Disziplinarverfahren trotz eingeleiteten Strafverfahrens fortgesetzt werden. Vgl. auch § 76 WDO, demzufolge das Disziplinarverfahren vor dem Strafverfahren stattfinden kann, wenn es sich um einfache disziplinarische Maßnahmen (Geldbuße, Arrest) handelt.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
hen ausgeklammert wird und nur die übrigen disziplinarischen Pflichtverletzungen zum Gegenstand des Disziplinarverfahrens gemacht werden, drohen dem Täter zusätzlich zur strafgerichtlichen Ahndung wegen der in Frage stehenden prozessualen Tat allein die ex lege eintretenden Disziplinarmaßnahmen. Nur diese sind vom Tatgericht als zusätzliche belastende mittelbare Straftatfolgen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt hingegen, wenn sich die Gesetzgebung entscheiden sollte, Disziplinarmaßnahmen mit Strafcharakter aus dem Disziplinarrecht herauszunehmen. In diesem Fall hätte der Tatrichter die strafmildernde Berücksichtigung sämtlicher – also auch der fakultativen – Disziplinarmaßnahmen bei der Strafzumessung zu erörtern. Denn die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen ohne Strafcharakter wäre dann im anschließenden Disziplinarverfahren uneingeschränkt möglich. 3. Ergebnis
Im Ergebnis ist damit festzuhalten, daß es eine Reihe von disziplinarischen Maßnahmen mit Strafcharakter gibt. Aus ihrer Existenz folgt aber nicht, wie von Streng und Nicolaus vertreten, eine unmittelbare gegenseitige Anrechnungspflicht im Straf- bzw. Disziplinarverfahren. Da disziplinarische Maßnahmen mit Strafcharakter von der Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG erfaßt werden, muß vielmehr von einem Verfolgungshindernis ausgegangen werden, wenn die Straftat in einem der Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde. Diese Betrachtungsweise hat zur Konsequenz, daß solche disziplinarischen Bestimmungen, die sich mit dem Nebeneinander von strafgerichtlichen und disziplinarischen Maßnahmen beschäftigen und gestatten (wenngleich nur unter Beschränkungen), keinen Bestand haben können. Die daraus resultierenden Folgen, daß damit auch die Verhängung von rein präventiv motivierten disziplinarischen Maßnahmen ausgeschlossen ist und darüber hinaus, wegen der im Disziplinarrecht geltenden Einheitlichkeit des Dienstvergehens, auch sonstige, strafprozessual nicht erfaßte Pflichtverletzungen nicht weiter verfolgt werden können, sind durch die Rechtsprechung der Disziplinargerichte oder durch den Gesetzgeber abzuschwächen. Für den Strafrichter gilt Folgendes: wird die strafgerichtlich abgeurteilte prozessuale Tat aus dem (sonst) einheitlich zu beurteilenden Dienstvergehen ausgeklammert, mit der Folge, daß die übrigen disziplinarischen Pflichtverletzungen zum Gegenstand des Disziplinarverfahrens gemacht werden können, müßte er allein die ex lege eintretenden Disziplinarmaßnahmen als zusätzlich belastende mittelbare Straftatfolgen bei der Strafzumessung berücksichtigen. Sollte sich der Gesetzgeber dafür entscheiden, Diszi-
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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plinarmaßnahmen mit Strafcharakter aus dem Disziplinarrecht herauszunehmen, hätte er hingegen die strafmildernde Berücksichtigung sämtlicher – also auch der fakultativen – Disziplinarmaßnahmen (ohne Strafcharakter) bei der Strafzumessung zu erörtern. Für den seltenen Fall eines vorausgehenden Disziplinarverfahrens gilt entsprechend, daß die Einleitung eines weiteren strafgerichtlichen Verfahrens ausgeschlossen ist. Etwaige daraus resultierenden Ungleichbehandlungen zwischen den Bediensteten bzw. den Angehörigen eines dem Standesrecht unterworfenen Berufs und sonstigen Tätern sind durch den Gesetzgeber auszuräumen. II. Strafmildernde Anrechnung sonstiger belastender Maßnahmen auf das materielle Übel In der Rechtsprechung und im Schrifttum wird aber nicht nur der rechtliche Umgang eines Nebeneinanders von disziplinarischen Strafmaßnahmen und Kriminalstrafen diskutiert, sondern auch die Frage, wie oder ob sonstige belastende staatliche (oder auch private) Präventivmaßnahmen bei der Strafzumessung berücksichtigt werden können. Insoweit als daß diese Maßnahmen generell ohne Rücksicht auf Art. 103 Abs. 3 GG und eine etwaige vorangegangene Bestrafung getroffen werden können, bedarf diese Fragestellung einer völlig neuen Erörterung. Wie gesehen, fordert der Bundesgerichtshof die Einbeziehung dieser Folgen in den Schuldausgleich unter Hinweis auf die „zusätzliche Härte“448, die „empfindlichere Sanktion“449, das Betroffensein in „besonderem Maße“450, das „nicht mehr angemessene Gesamtübel“451 oder die zu harte „Gesamtheit dieser Sanktionen“452. Dem Bundesgerichtshof geht es folglich um eine Art Härteausgleich zugunsten desjenigen, der wegen der Tat noch weitere Sanktionen hinnehmen muß. Ein systematisches Konzept unterbreitet der Gerichtshof jedoch nicht. Allerdings liefert er mit dem Hinweis auf die empfindlichere Sanktion einen argumentativen Anhaltspunkt: er rekurriert darauf, daß ein zusätzlich belasteter Täter eine Strafe in einer bestimmten Höhe in der Regel als belastender empfinden werde als ein Täter, der wegen seiner Tat allein mit der Strafe zu rechnen habe. Insofern stützt sich der Bundesgerichtshof also auf ein mit der Strafe möglichst zu erzielendes 448 449 450 451 452
BGHR Strafsachen, § 46 Abs. 1 StGB (Schuldausgleich 26). BGH, wistra 1991, 300. BGH, StV 1991, 106 (107). BGH, wistra 1999, 417 (418). BGHSt 35, 148 (149).
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
gleiches subjektives Strafleiden bei Tätern. In diese Richtung gehen auch diverse Begründungen der Literatur. Vor dem Hintergrund einer zu erzielenden Belastungsgleichheit von Tätern bietet sich aber auch eine andere, vom Zweck des Schuldausgleichs mit Strafe ausgehende, Argumentation an, wie sie von Frisch453 vertreten wird: sollen Täter wegen der von ihnen begangenen Rechtsverletzung in gleicher Weise zur Wiederherstellung des Rechts beitragen, müssen sie hierzu auch ein vergleichbares Opfer erbringen. Die durch mittelbare Straftatfolgen betroffenen Täter haben durch die zusätzliche Sanktion bereits einen Teil zur Wiederherstellung des Rechts geleistet. In diese argumentative Richtung gehen wohl auch Walter454 und Bruns455. Während Bruns allerdings lediglich die „Schuldausgleichstauglichkeit“ belastender Maßnahmen ohne Strafcharakter behauptet, ohne dies näher zu begründen, leitet Walter die Anrechnung zusätzlicher Beeinträchtigungen auf die Schuldstrafe aus dem Rechtsgedanken des § 60 StGB her. Nicht zu übersehen ist, daß auch der Bundesgerichtshof im Ansatz zu dieser Begründung tendiert. Das zeigt sich in der Formulierung „nicht mehr angemessenes Gesamtübel“ bzw. der zu harten „Gesamtheit dieser Sanktionen“. Er stellt damit das strafgerichtlich verhängte materielle Übel anderen privat oder staatlich veranlaßten Übelszufügungen gleich und beurteilt die Angemessenheit des materiellen Übels im Hinblick auf die Strafzumessungsschuld mittels einer Gesamtbetrachtung aller den Täter treffenden materiellen Übel. Allerdings bietet er kein nachvollziehbares systematisches Konzept für die so begründete Einbeziehung mittelbarer Straftatfolgen in den Schuldausgleich an. Gerade weil der Bundesgerichtshof nicht deutlich macht, weshalb er annimmt, die Gesamtreaktion müsse dem Schuldmaß entsprechen – äußern die kritischen Stimmen aus dem Schrifttum ganz unterschiedliche Einwände gegen eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen im Bereich des Schuldausgleichs überhaupt456. Die entscheidende Frage nach der Vereinbarkeit der Berücksichtigung mit dem Schuldprinzip hingegen wird nur oberflächlich thematisiert. Es kann nicht ausreichen, die Verletzung des Schuldprinzips damit zu begründen, mittelbare Straftatfolgen hätten keinen Einfluß auf die Strafzumessungsschuld und könnten demzufolge nicht für den Schuldausgleich relevant werden457. Vielmehr ist danach zu fragen, ob sich nicht ein begründbarer Weg finden läßt, schuldunabhängige Umstände in den Schuldausgleich einzubeziehen. 453 454 455 456 457
Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 ff.; ders., ZStW 99 (1987), S. 751 ff. Walter, GA 1996, 249 ff. Bruns, MDR 1987, 177 (179). So bei Nicolaus, S. 53 ff. So Nicolaus, S. 57.
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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1. Symbolischer Ausgleich der durch den Normbruch bedingten Verletzung durch unmittelbare Straftatfolgen
Im folgenden wird zunächst der Inhalt des Schuldprinzips erläutert. Es wird sich zeigen, daß der Schuldgrundsatz durch den Bezug zur Strafzumessungsschuld strafmaßbegrenzende Funktion hat. Nur insoweit kommt ihm eine über den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinausgehende Funktion zu. Er hebelt aber nicht die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus, so daß mittelbare Straftatfolgen durchaus Bedeutung für die Findung der „reinen“ Schuldstrafe haben, soweit sie das erforderliche Maß an Strafe reduzieren können. a) Inhalt des Schuldprinzips Sieht der Gesetzgeber eine Norm vor, hat er im Grundsatz auch ein legitimes Interesse daran, die Verletzung der Norm in einem speziellen Verfahren festzustellen und die Norm nach Möglichkeit durch Vorhalt der defizitären Einstellung zu ihr und durch Auferlegung eines materiellen Übels zu rehabilitieren (Repression)458. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf es keine Strafe ohne Schuld geben (nulla poena sine culpa; Schuldprinzip459). Diesem Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht Verfassungsrang zugemessen und dies aus den Grundlagen der Menschenwürde, der Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung und der Rechtsstaatlichkeit hergeleitet 460. Aus der Würde und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen folge, daß ein Täter nur für schuldhaftes Verhalten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könne und Tatbestand und Rechtsfolge, gemessen an der Idee der Gerechtigkeit, sachgerecht aufeinander abgestimmt sein müßten461. Danach entnimmt das Bundesverfassungsgericht dem Schuldprinzip der Sache nach zwei Gewährleistungen: die Strafbegründungsschuld als Voraussetzung einer jeden strafrechtlichen Ahndung (bezogen auf das „Ob“ der Strafverhängung) und die Strafzumessungsschuld, die auf ein angemessenes Verhältnis der Sanktionsfolgen zur Schwere der Rechtsgutsverletzung sowie dem individuellen Verschulden gerichtet ist (bezogen auf das „Wie“ der Strafverhängung)462. 458
Siehe hierzu 4. Kapitel B. I. 1. a) dd). Auf das Schuldprinzip nimmt auch die Grundlagenformel des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB Bezug, wonach die Schuld die Grundlage für die Strafzumessung ist. 460 BVerfGE 6, 389 (439); 20, 323 (331); 25, 269 (285 f.); 41, 121 (125); 45, 187 (259 f.); 50, 125 (133). 461 BVerfGE 25, 269 (285 f.); 41, 121 (125); 45, 187 (259 f.); 50, 205 (214); 57, 250 (275); 80, 244 (255); 86, 288 (313). 459
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
Im Sanktionsbereich ist die wichtigste Konsequenz des Schuldprinzips das Gebot schuldangemessenen Strafens463. Jede Strafe muß in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Unrechts und zum Verschulden des Täters stehen. In diesen die Strafe begrenzenden Auswirkungen soll sich – so die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts464 – das Schuldprinzip mit dem Verfassungsgrundsatz des Übermaßverbots decken. Bezugspunkt des Schuldgrundsatzes ist das materielle Übel, das in einem angemessenen Verhältnis zur Strafzumessungsschuld stehen muß. Als spezifisch strafrechtliche Verfassungsgarantie erschöpft sich die Bedeutung des Schuldprinzips nicht darin, die nach allgemeinen Grundsätzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der dritten Stufe gebotene Interessenabwägung zu wiederholen. Insoweit wäre das Schuldprinzip überflüssig. Es macht vielmehr deutlich, daß die Bestimmung des angemessenen Maßes an materiellem Übel sich nicht an beliebigen präventiven Wirkungen ausrichten soll, sondern am (repressiven) Prozeß der Normrehabilitierung. Das auferlegte materielle Übel muß stets auf die zu rehabilitierende Norm und das individuelle Verschulden zurückbezogen werden. Damit wird der Maßstab für die Verhältnismäßigkeitsprüfung begrenzt. Das ist sinnvoll, weil sonst je nach Auswahl und Gewichtung der einzelnen erreichbaren Zwecke – gerade mit Blick auf die kaum nachprüfbaren und in weitem Maße auf Prognosen angewiesenen präventiven Wirkungen – Sanktionen höchst unterschiedlicher Schärfe für ein und dieselbe Tat gerechtfertigt werden könnten465. Der Schuldgrundsatz trifft demnach keine Aussage darüber, ob das Maß des aufzuerlegenden materiellen Übels proportional zum Maß der Strafzumessungsschuld sein muß. Durch den Bezug zur Strafzumessungsschuld betont das Schuldprinzip vielmehr, daß der maßgeblich mit der Auferlegung des materiellen Übels verfolgte Zweck in der Normrehabilitation liegt. Daher muß sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung des materiellen Übels als grundrechtsrelevanter Eingriff auch an diesem Zweck ausrichten. Ob mittelbare Straftatfolgen das Maß des materiellen Übels reduzieren können, hängt von ihrer Relevanz im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ab, die im folgenden vorgenommen werden soll. 462
Z. B. BVerfGE 20, 323 (331); 25, 269 (286); 86, 288 (313); 95, 96 (140 f.). BVerfGE 6, 389; 25, 44 (54 f.); 28, 191 (197 f.); 50, 205 (214); 73, 206 (253); 86, 288 (313). 464 BVerfGE 34, 261 (267); 50, 205 (215); 73, 206 (253); 86, 288 (313); 92, 277 (327); dazu Hill, in: Isensee/Kirchhof, § 156 Rn. 23. Zum Verhältnis von Schuldgrundsatz und Verhältnismäßigkeitsprinzip unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. auch Weigend, in: Hirsch-FS, S. 917 (927 ff.). 465 Vgl. hierzu auch Frisch, in: 50 Jahre BGH, 269 (276 f.). 463
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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b) Verhältnismäßigkeit des materiellen Übels Mit jedem durch den Staat auferlegten materiellen Übel ist ein Grundrechtseingriff verbunden. Da bei Festsetzung der Strafhöhe „Strafe“ immer (hypothetisch zu verbüßende) Freiheitsstrafe ist466, ist hier – infolge einer abstrakten Betrachtungsweise467 – entscheidend darauf abzustellen, daß das auferlegte materielle Übel und die Ermächtigung dazu in das Recht auf Freiheit der Person eingreift468. Dieser Grundrechtseingriff ist im folgenden auf seine Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen, denn Art. 1 Abs. 3 GG betrifft ausnahmslos jede staatliche Gewalt, also auch jene staatlichen Instanzen, die von Strafnormen Gebrauch machen, und erklärt damit das Übermaßverbot auch bei der richterlichen Strafzumessung für bedeutsam. Dem Übermaßverbot liegt der Gedanke zugrunde, daß staatliche Maßnahmen nicht prinzipiell unbegrenzt und unbegründet sein dürfen, sondern ihre Rechtfertigung in einem benennbaren Zweck haben und an diesem Zweck in ihrem Umfang und Ausmaß auch gemessen werden müssen469. Es ist zur „Schranken-Schranke“ für alle Grundrechtseinschränkungen geworden470. Dabei sind es drei Teilinhalte (Elemente), die den Rechtsgrundsatz ausfüllen: die Geeignetheit eines Mittels für einen bestimmten Zweck, die Erforderlichkeit des Mittels und schließlich die Angemessenheit der von dem Mittel betroffenen Rechtsgüter oder Interessen471. Insoweit, als der Richterspruch individuell und konkret ausgerichtet ist, muß das auferlegte materielle Übel auch im Einzelfall zur Zweckerreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein (individuellkonkrete Verhältnismäßigkeit472). Bezugspunkt für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des materiellen Übels ist die Strafzumessungsschuld bzw. der mit ihrem Ausgleich verfolgte repressive Zweck der Normrehabilitierung. Dabei läßt sich der Zweck der Auferlegung des materiellen Übels im Prozeß der Normrehabilitation noch weiter konkretisieren: das materielle Übel wird dem Täter im Prozeß der Normrehabilitierung auferlegt, um den Vorteil des Täters, den 466
Vgl. Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 3. Bei einer konkreten Betrachtungsweise müßte wohl dahingehend unterschieden werden, durch welche Strafe, durch Geld- oder Freiheitsstrafe, der Täter belastet wird. Das materielle Übel, das mit Geldstrafen und Geldbußen verbunden ist, stellt in aller Regel einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) dar. 468 Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG; auch Art. 5 EMRK. 469 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig zu Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 71. 470 Stern, S. 764. 471 Stern, S. 775. 472 Vgl. hierzu Gentz, NJW 1968, 1600 (1605). 467
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
dieser durch den Normbruch erlangt, auszugleichen. Wird eine Norm gebrochen, stellt sich der Vorteil des Normbrechers auch als Freiheitsgewinn dar, der durch den Freiheitsverzicht aller anderen, sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen, erlangt wird. Das materielle Übel soll nun die in dem Normbruch liegende Ausnutzung des Freiheitsverzichts der anderen symbolisch ausgleichen473. Bei der Strafe hierfür handelt es sich nicht um eine Vergeltung im Sinne eines ius talionis, das auf einen Schaden an einem konkreten Gut bezogen ist, sondern um den (nur) symbolischen Ausgleich eines unberechtigterweise erlangten Freiheitsvorteils und damit um einen Akt der iustitia retributiva474. Es bleibt zu überprüfen, ob mittelbare Straftatfolgen im Rahmen des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes vor übermäßiger Bestrafung strafmildernden Einfluß auf das zu verhängende Übel haben können. aa) Geeignetheit Welches Maß einer materiellen Übelszufügung geeignet ist – ob z. B. zwei oder drei Jahre Freiheitsstrafe –, um den Zweck der Normrehabilitierung und den symbolischen Ausgleich des durch die Normverletzung erlangten Freiheitsvorteils des Täters zu gewährleisten, kann kaum begründet werden. Hier kommt es darauf an, daß das Maß des auferlegten Übels mit Blick auf die verletzte Norm und die defizitäre Einstellung des Betroffenen zur Norm gerechtfertigt wird475. Es kann seitens des Tatrichters allein dargelegt werden, daß das ausgewählte Strafmaß der gesetzlichen Einschätzung des notwendigen Übels durch die Strafrahmen entspricht und im Verhältnis zu der Behandlung anderer Straftäter mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist. Daß die Auferlegung eines materiellen Übels überhaupt geeignet ist, einen Beitrag im Prozeß der Normrehabilitation zu leisten, muß der Richter nicht für jeden Einzelfall darlegen. Die generelle Geeignetheit der Auferlegung eines materiellen Übels als Reaktion auf die Tat (verbunden mit dem spezifischen Vorhalt der Normverletzung) wird allgemein angenommen. Sie läßt sich vor dem Hintergrund erklären, daß das materielle Übel die in dem Normbruch liegende Ausnutzung des Freiheitsverzichts der anderen symbolisch auszugleichen vermag476. 473
Vgl. Appel, S. 470. Appel, S. 471. Deshalb läge es auch neben der Sache, das auferlegte materielle (Straf-)Übel an einem gegebenenfalls zurechenbar verursachten konkreten Schaden auszurichten oder gar eine Körperverletzung mit einer Körperverletzung zu beantworten. Schadensrestitution ist, sofern überhaupt möglich, Sache des Zivilrechts; vgl. dazu auch Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 157. 475 Vgl. auch Appel, S. 528. 474
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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bb) Erforderlichkeit Ist damit ein geeignetes Maß an materieller Übelszufügung festgestellt worden, schließt sich im Anschluß daran die Frage an, ob dieses Maß für den Ausgleich des Freiheitsverzichts der sich normkonform verhaltenden rechtstreuen Normunterworfenen auch erforderlich ist. Wie oben dargelegt477, stellt das auferlegte materielle Übel kein konstitutives Merkmal der strafrechtlichen Normrehabilitierung dar. Das spezifische strafrechtliche Element bei der Wiederherstellung des Rechts liegt vielmehr in der staatlichen Mißbilligung der defizitären Einstellung zur Norm zwecks Normrehabilitation. Diese weist auch dann Strafcharakter auf, wenn sie – ausnahmsweise – wie etwa bei dem Absehen von Strafe478, der Verwarnung mit Strafvorbehalt479 oder der Straffreierklärung480 nicht mit einem materiellen Übel verbunden wird. Werden die spezifisch motivierte Mißbilligung der Normverletzung und die Auferlegung eines materiellen Übels im staatlichen Verfahren – wie das regelmäßig der Fall ist – verbunden, nehmen sie beide am Prozeß der Wiederherstellung des Rechts teil. Die in Bezug genommenen strafgesetzlichen Wertungen machen deutlich, daß es Fallkonstellationen gibt, in denen es der Gesetzgeber für nicht erforderlich hält, den durch den Normwiderspruch erlangten Freiheitsvorteil des Täters symbolisch durch Auferlegung eines materiellen Übels auszugleichen. Bezüglich des Absehens von Strafe und der Straffreierklärung ist dies – aus der Sicht des Staates – darauf zurückzuführen, daß die Normverletzung bereits aufgrund besonderer Umstände aufgewogen ist. Alternative Kompensationen müssen die Erforderlichkeit eines Ausgleichs mit einem materiellen Übel aber nicht unbedingt überflüssig machen. Wie die Regelung des Täter-Opfer-Ausgleichs bzw. der Schadenswiedergutmachung481 zeigt, können sie unter Umständen die Erforderlichkeit des materiellen Übels auch nur teilweise reduzieren. Sämtlichen Vorschriften ist diesbezüglich letztlich gemein, daß sie, vor dem Hintergrund reduzierter oder völlig entfallender Erforderlichkeit der Auferlegung eines materiellen Übels, schuldunabhängigen Umständen eine den Freiheitsverzicht der rechtstreuen Normunterworfenen kompensierende Wirkung zusprechen, wie im folgenden dargelegt wird.
476 477 478 479 480 481
Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 156. Siehe 4. Kapitel B. I. 1. a) dd). § 60 StGB. § 59 f. StGB. § 199 StGB. § 46a StGB.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
(1) „Absehen von Strafe“ So soll gemäß § 60 StGB von Strafe abgesehen werden können, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung der Strafe offensichtlich verfehlt wäre482. In Fällen dieser Art, in denen der Täter als Folge der Rechtsverletzung bereits erhebliche Beeinträchtigungen seiner selbst erfahren hat, erscheinen Tat und Schuld durch die Tatfolgen („poena naturalis“483) als hinreichend kompensiert, so daß das Strafbedürfnis entfällt484. (2) „Erklärung für straffrei“ Nach § 199 StGB kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird. Dabei wird in Ansehung des zuerst Beleidigenden dem Umstand Rechnung getragen, daß diesem durch die im Anschluß an seine Beleidigung erfolgte Gegenbeleidigung bereits ein Übel zugefügt worden ist. Die Gegenbeleidigung hat auf seiner Seite keinen Einfluß auf Unrecht und Schuld. Dennoch erkennt das Gesetz die kompensatorische Wirkung der Gegenbeleidigung im Hinblick auf den Ausgleich der Strafzumessungsschuld an und hält eine darüber hinausgehende materielle Übelszufügung zwecks symbolischen Ausgleichs des Freiheitsverzichts und damit letzten Endes zwecks Normrehabilitation für nicht mehr erforderlich485. (3) „Täter-Opfer-Ausgleich“/„Schadenswiedergutmachung“ Auch die Vorschriften über den Täter-Opfer-Ausgleich bzw. die Schadenswiedergutmachung gemäß § 46a StGB tragen dem Umstand einer ver482
§ 60 S. 1 StGB. Im Gegensatz zur „poena civilis“. 484 BT-Dr V/4094 S. 6; Hamm MDR 72, 66; Schönke/Schröder-Stree zu § 60, Rn. 1; Wagner, GA 1972, 33; Lackner zu § 60, Rn. 1; Eser, in: Maurach-FS, S. 260. Dabei bleibt unklar, ob es sich bei dem (mangelnden) Strafbedürfnis um ein strafrechtsimmanentes Konzept der Strafrechtsbegrenzung handeln soll oder um die verfassungsrechtliche Kategorie der Erforderlichkeit im Rahmen der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Da die Strafjustiz im demokratischen Verfassungsstaat aber keine beliebig freie, sondern eine (auch) verfassungsrechtlich gebundene Gewalt ist, wird sie sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Begrenzung und Einbindung dieser Macht auszurichten haben, vgl. Appel, S. 48 ff. Insoweit ist also unter dem mangelnden Strafbedürfnis die reduzierte Erforderlichkeit des Einsatzes eines materiellen Übels zur Erreichung der Normrehabilitierung zu verstehen. 485 So die herrschende Meinung, vgl. RGSt 70, 330; Hamm JMBlNW 51, 142; Schönke/Schröder-Lenckner zu § 199 StGB, Rn. 1 m. w. N. 483
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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ringerten Erforderlichkeit nach Wiederherstellung des Rechts durch die Auferlegung eines materiellen Übels Rechnung. Ratio legis der Vorschrift ist, daß der Täter hier die von der Norm zu verhindernde Beeinträchtigung zumindest teilweise – entweder durch Überwindung der immateriellen oder aber der materiellen Tatfolgen – selbst behebt486 und dadurch auch die Anerkennung der Norm und deren Geltung dokumentiert. Insoweit kompensiert die freiwillige Teilleistung den Normgeltungsschaden, so daß ein Aufwiegen durch das materielle Übel nur noch eingeschränkt erforderlich ist. (4) Kompensatorische Wirkung mittelbarer Straftatfolgen Werden dem Täter im Zusammenhang mit der Tat und im Rahmen ihrer staatlichen oder auch privaten Aufarbeitung nichtstrafrechtliche belastende Folgen auferlegt, etwa seine Ausweisung verfügt, die Gewerbeerlaubnis entzogen oder das Arbeitsverhältnis gekündigt, kann im Grunde genommen nichts anderes gelten. Auch hier sind es zum Teil ganz erhebliche Einbußen, die den Täter infolge der Tat treffen. Je nach Schwere der Folgen also ließe sich eine strafmildernde Anrechnung dieser Folgen oder gar das Absehen von Strafe vor dem aufgezeigten verfassungsrechtlichen Hintergrund rechtfertigen. Stützen ließe sich die strafmildernde Anrechnung positivrechtlich auf § 60 StGB in entsprechender Anwendung, der nach herrschender Ansicht nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Folgen der Tat umfaßt487. Ob sich aus § 60 StGB ein allgemeiner Strafzumessungsgrundsatz herleiten läßt, demzufolge die Vorschrift aufgrund des in ihr enthaltenen Rechtsgedankens über ihren Wortlaut hinaus auch auf Strafmilderungen angewendet werden kann, wird – wie oben dargestellt488 – kontrovers diskutiert. Soweit sich die Bedenken auf die „widersprüchliche“ und von „dogmatischen Unstimmigkeiten“ geprägte Fassung der Vorschrift stützen, bedarf keiner Diskussion. Der Vorschrift des § 60 StGB soll hier lediglich der Rechtsgedanke entnommen werden, um ihn als allgemeinen Strafzumessungsgrundsatz in die Strafzumessung nach § 46 StGB zu transportieren. Dabei kann es auf die (mißglückte) Fassung der Vorschrift nicht ankommen. Anderes gilt hinsichtlich des betonten Ausnahmecharakters der Vorschrift489. So 486 Meier, GA 1999, 1 (12); Stein, NStZ 2000, 393 (395); Rössner, S. 17; ders., NStZ 1992, 409 (411 f.); Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 875, 896; Steffens, S. 108 ff.; Frehsee, S. 51 ff.; Dölling, ZStW 104, 259 (284); ders., JZ 1992, 494 (498). 487 Vgl. Hirsch, in: LK zu § 60, Rn. 30; Schönke/Schröder-Stree zu § 60, Rn. 6; Schäfer, in: Tröndle-FS, S. 401; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 424; Horn, in: sLSK zu § 60, Rn. 5; Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 863. 488 Siehe 3. Kapitel A. III. 2.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
wird von Seiten der Literatur angeführt, der Gesetzgeber habe mit der Formulierung, es müsse die Verhängung einer Strafe „offensichtlich verfehlt“ sein, klargestellt, daß nur in Extremfällen von Strafe abgesehen werden dürfe. Dahinter verberge sich die Besorgnis des Gesetzgebers, daß die Praxis bei einer generellen Strafmilderungsklausel für Fälle, in denen der Täter überhaupt durch seine Tat auch selbst einen Schaden erlitten habe, die Strafrahmen des besonderen Teils illusorisch würden490. Die Bedenken gegen eine Strafmilderung liegen in der Befürchtung verborgen, eine zu weitgehende Individualisierung der Tatfolgen reduziere die generalpräventive Wirkung der Strafdrohungen. Eine objektive Entsprechung von Tat und Straffolge wird insoweit für wünschenswert gehalten, als so das Typische herausgebildet werde, das dann für andere eine Richtschnur für normkonformes Verhalten abgeben könne. Dies ist – das sei bereits an dieser Stelle bemerkt – keine spezielle Problematik des § 60 StGB. Die Überlegung taucht gleichermaßen in der Diskussion um die Relevanz der Strafempfindlichkeit im Bereich des Schuldausgleichs auf491. An dieser Stelle kann sich die Auseinandersetzung mit der Problematik weitgehender Individualisierungen auf folgende Aussage beschränken: entscheidet sich der Gesetzgeber dafür, individuellen Umständen auf Täterseite kompensierende Wirkung hinsichtlich des mit dem materiellen Übel auszugleichenden Freiheitsvorteils zuzusprechen, wird sich diese Wertung verallgemeinern lassen müssen. Ist einmal durch den Gesetzgeber festgelegt, daß besondere Umstände, die den Täter treffen, den Normwiderspruch grundsätzlich aufwiegen können, reduziert sich dann, wenn solche Umstände vorliegen, auch die Erforderlichkeit eines symbolischen Ausgleichs der Strafzumessungsschuld durch die Auferlegung eines materiellen Übels. Der Gesetzgeber muß sich daher beim Wort nehmen lassen. Die Vorschrift ist konsequent zugunsten des Täters dahingehend zu erweitern, daß mittelbare Straftatfolgen, die nicht so schwer sind, daß sie den Normwiderspruch vollkommen kompensieren, zumindest bei der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB strafmildernd auf das zu verhängende materielle Übel anzurechnen sind492. 489
Müller-Dietz, in: Lange-FS, S. 303, 314, 321; Maiwald, ZStW 83 (1971), 663
(685). 490 Maiwald, a. a. O., (685) unter Bezugnahme auf den Bericht des Sonderausschusses (Drucksache V/4094), S. 7. 491 Siehe hierzu die bereits dargestellte Kritik von Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 210 f.; ders. NStZ 1988, 485 (487). 492 So zumindest im Ergebnis auch die h. M.: Schönke/Schröder-Stree zu § 60, Rn. 12; Tröndle/Fischer zu § 60, Rn. 7; Zipf, JR 1975, 162 (164); Schäfer, in: Tröndle-FS, S. 401; ders., Praxis der Strafzumessung, Rn. 429 ff.; Hirsch, in: LK zu § 60, Rn. 44.
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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cc) Angemessenheit An der Angemessenheit (oder auch Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) des Maßes an materiellem Übel fehlt es, wenn die Belastung des Betroffenen im Verhältnis zu dem durch das Strafmaß erlangten Gewinn an Normrehabilitation außer Verhältnis steht. c) Ergebnis Damit bleibt festzustellen, daß das maßgebend hinter der Auferlegung des materiellen Übels stehende Bedürfnis nach symbolischem Ausgleich des durch die Straftat hervorgerufenen Freiheitsverzichts der sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen – anders als das Unrecht der Tat und die mit Begehung der Tat verwirklichte Schuld im Sinne des Maßes der Verantwortlichkeit für das Unrecht – keine feststehende Größe ist; es unterliegt vielmehr Veränderungen im Sinne möglicher relativierender Abstriche493. Vor dem skizzierten verfassungsrechtlichen Hintergrund läßt sich begründen, daß die Schuldstrafe auch von schuldunabhängigen Faktoren abhängig ist, zumindest soweit diese das Bedürfnis (die Erforderlichkeit) nach (weiterer) Behebung des Freiheitsverzichts der anderen reduzieren. Für die mittelbaren Straftatfolgen ist dies durch § 60 StGB festgeschrieben worden, dessen Rechtsgedanke konsequent in die allgemeine Strafzumessung nach § 46 StGB hineintransportiert werden muß und dort eine Anrechnung der mittelbaren Straftatfolgen auf das (sonst) zu verhängende materielle Übel rechtfertigt. 2. Einfluß mittelbarer Straftatfolgen auf die Strafempfindlichkeit des Täters
Der zweite Begründungsstrang, der vom Bundesgerichtshof und auch vom Schrifttum angeführt wird, um die strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen im Bereich des Schuldausgleichs zu rechtfertigen, stellt auf das, infolge der zusätzlichen belastenden Folgen, erhöhte subjektive Strafleiden des Täters ab. Auch diesem Begründungsstrang zufolge soll das Maß der Strafzumessungsschuld nicht die einzige Kategorie für die Bemessung der schuldangemessenen Strafe sein. Vielmehr soll die schuldangemessene Strafe je nach dem Grad der individuellen Strafempfindlichkeit durchaus verschieden sein können. Neben das Maß der Strafzumessungsschuld sollen solche Faktoren treten, die das Leid des Täters erhöhen und sich deshalb mildernd bei der Findung der schuldangemessenen Strafe auswirken sollen. 493
Vgl. Frisch, ZStW 99 (1987), 751 (781).
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
a) Der Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit Bei dem Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit handelt es sich um einen strafrechtsimmanenten Begriff, der dem Umstand Rechnung tragen soll, daß der eine unter derselben Strafe mehr leidet als ein anderer494. Dementsprechend ist es in der Rechtsprechung495 und dem Schrifttum496 nahezu einhellig anerkannt, daß die schuldangemessene Strafe bei gleicher (gedachter) Schuld je nach dem Grad der Strafempfindlichkeit des Täters verschieden sein kann. Strafe soll nicht gleich hoch, sondern gleich schwer bemessen werden497. Hier findet sich verallgemeinert der Gedanke wieder, der unter dem Aspekt der „Opfergleichheit“ zur Einführung des Tagessatzsystems bei der Geldstrafe geführt hat498. Bei der Verwirklichung dieses Postulats kann nun nicht unberücksichtigt bleiben, daß Täter unter verschiedenen Randbedingungen auch durch numerisch gleiche Strafen unter Umständen ganz verschieden belastet werden. Will man Täter letztlich gleich schwer treffen, muß berücksichtigt werden, daß mittelbare Straftatfolgen – zumindest zum Teil – ganz schwerwiegende Reaktionen auf die Tat darstellen, die den betreffenden Täter die Strafe in bestimmter Höhe in der Regel als belastender empfinden lassen als einen Täter, der wegen seiner Tat allein mit dieser Strafe zu rechnen hat. Insoweit erscheint es nur konsequent, diesen Folgen aufgrund erhöhter Strafempfindlichkeit Bedeutung für den Schuldausgleich beizumessen. Allerdings werden auch kritische Überlegungen gegen eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter dem Aspekt der Strafempfindlichkeit geäußert, die im folgenden diskutiert werden sollen. b) Auseinandersetzung mit der Kritik an der Relevanz der Strafempfindlichkeit für die Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe Die Frage, ob individuelle Randbedingungen des Täters – wie z. B. zusätzliche Belastungen durch mittelbare Straftatfolgen – im Bereich des Schuldausgleichs über den Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit Berücksichtigung finden können, wird, wie gesehen499, unterschiedlich beantwor494
Gribbohm, in: LK zu § 46, Rn. 26. BGHSt 7, 28 (31); BGH, NStZ 1991, 527; BGH, StV 1989, 152 f.; OLG Hamm NJW 1957, 1003. 496 Schönke/Schröder-Stree zu § 46, Rn. 54; Lackner/Kühl zu § 46, Rn. 39; Tröndle/Fischer zu § 46, Rn. 42; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 412 f.; ders., in: Tröndle-FS, S. 396 f.; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 196 f.; Dencker, StV 1992, 127 f.; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, S. 534 ff. 497 Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 197. 498 Vgl. Tröndle/Fischer zu § 40, Rn. 5. 495
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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tet. Über die bereits dargestellten Einwände von Streng und Nicolaus’ hinaus, äußert Horn500 kontextunabhängig erhebliche praktische Bedenken gegen eine Einbeziehung des Gesichtspunkts der Strafempfindlichkeit in die Bemessung der Strafe. Er verneint die Relevanz der Strafempfindlichkeit mit der Begründung, daß in dem Stadium der an dem Maß des verschuldeten Unrechts auszurichtenden Festsetzung der Strafhöhe regelmäßig noch gar nicht entschieden sei, mit welcher Art Strafe der Angeklagte tatsächlich belastet werden solle. Die Frage der spezifischen Strafempfindlichkeit lasse sich daher sinnvoll erst anläßlich und im Rahmen der Entscheidungen über Strafart (§ 47 StGB) und Strafaussetzung (§ 56 StGB) stellen. aa) Der Einwand Strengs Streng ist zunächst einmal darin beizupflichten, daß die strafrechtliche Sozialkontrolle auf positiv-generalpräventiven Überlegungen beruht. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, das Zusammenleben der Menschen zu gewährleisten. Hierzu bedarf es eines Ordnungsgefüges sowie ausreichender Vorkehrungen, damit diese Ordnung respektiert wird501. Die staatliche Sanktionierung der Verletzung solcher Normen, die für die Funktions- und Bestandsfähigkeit einer Gesellschaft als unerläßlich angesehen werden, ist die unausweichliche Folge des Zusammenlebens in einer Rechtsgemeinschaft, die anderenfalls nicht bestehen könnte. Die Mißachtung der Verhaltensvorschriften stellt sich aus der Sicht des Staates als etwas dar, dem es entgegenzutreten gilt, um die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung unter Beweis zu stellen und den Störer sowie die übrigen Normunterworfenen zur (zukünftigen) Beachtung der Vorschriften anzuhalten. Reagierte die Rechtsordnung auf die Verletzung ihrer Vorgaben nicht, ginge die durch die Verhaltenssteuerung angestrebte Rechts- und Orientierungssicherheit über kurz oder lang verloren502. Die generalpräventive Normbewehrung kann nur funktionieren, wenn im Falle eines Widerspruchs zur Norm mit der Strafe reagiert wird, da die Vollstreckung der angedrohten Strafe deren Androhung erst glaubhaft macht503. Damit mit der Strafe etwas Typisches herausgebildet wird, das eine Richtschnur für andere abgeben kann, soll sich die Bestimmung des Maßes des materiellen Übels – so Streng – nicht an individuellen Gesichtspunkten ausrichten, sondern eine überindividuelle „Währung“ zugrundelegen, um allgemeinverständlich und konsensfähig zu sein504. Anderenfalls würde die 499 500 501 502 503
Siehe 3. Kapitel A. II. Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 121. Callies, S. 198. Appel, S. 440. Vgl. Weigend, in: Hirsch-FS, S. 927.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
Aufgabe des Strafrechts zur Normbestätigung durch gerechte Urteile verfehlt werden, es würden sogar zusätzlich Normirritationen hervorgerufen505. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die positiv generalpräventive Funktion des Strafrechts, die Geltung der Norm zu demonstrieren und damit auch künftige Normgeltung zu sichern, durch die Auferlegung eines tatproportionalen materiellen Übels oder nicht vielmehr durch den speziellen Vorhalt der Normverletzung gewährleistet wird. Der Normbruch wird dadurch behoben, daß dem Täter im Strafurteil seine defizitäre Einstellung zur Norm vorgehalten wird und ihm damit die stärkere Position der Norm und der normsetzenden Instanz aufgezeigt wird506. Es wird demonstriert, daß die normative Steuerung durch Recht letzten Endes die Oberhand behält507. Damit verhilft der Vorhalt der Normverletzung der strafrechtlichen Generalprävention zu ihrer besonderen Wirkung; das Recht wird bestätigt, in dem der Täter unter die Normherrschaft zurückgezwungen wird. Der Staat thematisiert die persönliche Beziehung des Betroffenen zur Einhaltung rechtlicher Vorgaben und beantwortet sie durch das Strafurteil zu seinen Ungunsten. Auf diese Weise garantiert und sichert der Staat die notwendige Orientierung im sozialen Leben und schützt damit auch bestimmte staatliche Verhaltsvorgaben, die der Gesetzgeber als besonders wichtig einschätzt. Diese verbindliche Feststellung ist indifferent von den jeweils persönlichen Umständen des Täters zu treffen, es sei denn dieser wird als schuldunfähige Person definiert. Wird das materielle Übel im Verfahren mit diesem Vorhalt der Normverletzung verbunden, nimmt es am Prozeß der Normrehabilitierung teil. Es dient dabei aber lediglich dem symbolischen Ausgleich des Freiheitsverzichts der anderen. Normbestätigende Funktion geht hiervon auch nur in dem Zusammenhang mit dem spezifischen Tadel der Normverletzung aus. Daß der Gesetzgeber bei der Bemessung des materiellen Übels die Berücksichtigung individueller Gesichtspunkte grundsätzlich für zulässig erachtet, verdeutlichen die oben bereits aufgezeigten Vorschriften, das Absehen von Strafe nach § 60 StGB und der Täter-Opfer-Ausgleich bzw. die Schadenswiedergutmachung nach § 46a StGB. Durch diese Vorschriften signalisiert der Gesetzgeber, daß er die generalpräventive Funktion der Strafe nicht durch ein tatproportionales objektiv bestimmtes Maß an materiellem Übel gewährleisten will. Der Auffassung Strengs, einer Berücksichtigung von Strafempfindlichkeitserwägungen im Bereich des Schuldausgleichs stünden positiv-generalpräventive Gesichtspunkte entgegen, kann demnach nicht gefolgt werden. 504 505 506 507
Vgl. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 211. Vgl. Streng, a. a. O. Vgl. Appel, S. 467. Appel, S. 466.
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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Auch die dahingehend geäußerten Zweifel, eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter dem Aspekt der Strafempfindlichkeit berge die Gefahr einer „Klassenjustiz“, sind bei näherer Betrachtung unbegründet. Denn der Bundesgerichtshof berücksichtigt nicht nur beamten- oder standesrechtliche Folgen der Tat, sondern z. B. auch berufliche Nachteile von Freiberuflern508. Auch sind innerhalb der „Beamtenfälle“ Beamte aller Laufbahnen betroffen, also auch Beamte des einfachen und mittleren Dienstes509. Hier wird man kaum von „gehobenen sozialen Stellungen“ sprechen können. Auch anderen, vom sozialen Status des jeweiligen Täters völlig unabhängigen, zusätzlichen Belastungen, wie etwa einer zu erwartenden strafrechtlichen Mehrfachverfolgung im Ausland, trägt der Bundesgerichtshof unter diesem Gesichtspunkt Rechnung510. Soweit es also um die Frage einer Berücksichtigung von mittelbaren Straftatfolgen unter dem Gesichtspunkt besonderer Strafempfindlichkeit geht, ist die Befürchtung, es komme zu einer privilegierten Behandlung von Tätern in gehobener sozialer Stellung, nicht berechtigt. Ob die generelle Berücksichtigung individueller Strafempfindlichkeit es erfordert, die Leidensintensität des einzelnen Täters auch dann differenziert zu beurteilen, wenn keine besonderen Umstände eine Unterscheidung nahelegen, ist von akademischem Interesse und braucht hier nicht erörtert zu werden. An dieser Stelle reicht es zu konstatieren, daß es zwar heikel sein mag, die Strafempfindlichkeit in das Gefüge der Strafzumessung generell einzufügen, es dort im Grundsatz aber unbedenklich ist, wo sich Strafempfindlichkeitskriterien intersubjektiv einigermaßen handfest bestimmen lassen511. bb) Der Einwand Nicolaus’ Auch der Auffassung Nicolaus’, mittelbare Straftatfolgen seien von vorneherein schon gar nicht unter den Begriff der Strafempfindlichkeit zu fassen, weil es bei der Strafempfindlichkeit stets nur um die Fühlbarkeit des Täters gerade im Hinblick auf den Freiheitsentzug gehe512, kann nicht gefolgt werden. Gegen eine derart restriktive Auslegung des Begriffs der Strafempfindlichkeit spricht, daß sich hierhinter ein grundsätzlicher Gedanke verbirgt, nämlich der Gedanke der „Opfergleichheit“. Es soll ein jeweils im Einzelfall als gleich schwer empfundenes Maß an materiellem Übel auferlegt werden, was nur unter Betrachtung der individuellen Rand508
BGH, StV 1998, 375 = NStZ-RR 1998, 205, BGH, StV 1995, 296 (297). Vgl. die entsprechende Aktenuntersuchung von Lambrecht (Fälle: 16, 18, 21– 23), S. 211 ff. 510 BGHR Strafsachen, § 46 Abs. 1 StGB (Schuldausgleich 26). 511 So auch Dencker, StV 1992, 125 (127). 512 Nicolaus, S. 70. 509
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
bedingungen möglich ist. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob es zu einem Freiheitsentzug kommen wird oder nicht. Denn im Bereich des Schuldausgleichs geht es um die Festsetzung der schuldangemessenen Strafhöhe, hypothetisch ausgedrückt in zu verbüßender Freiheitsstrafe. Diese soll ein individuell gerechtes Maß an materiellem Übel darstellen. cc) Der Einwand Horns Aus dem gleichen Grund überzeugt auch der Einwand Horns nicht. Die Feststellung, daß die hypothetisch bestimmte Höhe der Freiheitsstrafe einen Täter, der zusätzlich durch eine mittelbare Straftatfolge belastet ist, stärker belastet als einen Täter, der nur mit einer Verurteilung gemäß dieses Wertes verurteilt wird, kann unproblematisch getroffen werden. Die jeweilige Anrechnungsgröße dieser zusätzlichen Belastung ist dann von der hypothetisch bestimmten Freiheitsstrafe abzuziehen. Daß es sich dabei letztlich um eine Form vergeistigter Strafzumessung handelt, steht der Möglichkeit einer Berücksichtigung des Aspekts der Strafempfindlichkeit nicht entgegen. c) Ergebnis Es ist daher im Ergebnis festzuhalten, daß einer Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter dem Gesichtspunkt der Strafempfindlichkeit vor strafrechtsdogmatischem Hintergrund keine Bedenken entgegenstehen. 3. Diskussion der allgemeinen Kritik hinsichtlich einer strafmildernden Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf das Maß des materiellen Übels
a) Zum Vorwurf der Inkonsequenz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nicht-Aussetzung der Strafe zur Bewährung Wie oben dargelegt, halten Streng und Nicolaus die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für inkonsequent, wonach die unmittelbaren Strafwirkungen einer (Nicht-)Aussetzung der Strafe zur Bewährung bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe unberücksichtigt bleiben, während die mittelbaren Strafwirkungen berücksichtigt werden sollen513. Sie argumentieren, daß die Nicht-Aussetzung der Strafe zur Bewährung regelmäßig eine weitaus größere Belastung für den Betroffenen darstelle als eine mittelbare Straftatfolge514. 513 514
Streng, NStZ 1988, 485 (487); Nicolaus, S. 65. Nicolaus, S. 65.
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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Die strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf die (sonst) schuldangemessene Strafe hat ihren Grund und ihre Rechtfertigung in der kompensatorischen Wirkung besonderer Umstände. Es soll solchen Faktoren strafzumessungsrechtlich Rechnung getragen werden, die den durch den Normwiderspruch erlangten Freiheitsvorteil des Täters aufwiegen oder zumindest teilweise kompensieren. Der Täter hat zwar die Freiheit der anderen ausgenutzt, er erbringt dafür aber bereits ein anderes Opfer, das die Notwendigkeit nach symbolischem Ausgleich durch Auferlegung eines (weiteren) materiellen Übels verringert. Die Nicht-Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung beinhaltet kein zusätzliches Opfer für den Täter, das einen Beitrag zum symbolischen Ausgleich eines unberechtigterweise erlangten Freiheitsvorteils leisten könnte. Die Sichtweise Strengs und Nicolaus’ verdreht den Inhalt des Rechtsinstituts der Strafaussetzung zur Bewährung. Die Strafaussetzung zur Bewährung ist eine spezialpräventiv motivierte Vergünstigung für den Täter, bei dem das Verbleiben in Freiheit die Erwartung eines straffreien Lebens zuläßt515. Liegt keine günstige Sozialprognose vor, verbleibt es bei der Vollstreckung der Freiheitsstrafe, ohne daß dies zu einem kompensatorisch wirkenden zusätzlichen Opfer umgedeutet werden könnte. Der Argumentation von Streng und Nicolaus kann daher nicht gefolgt werden. Ihr Einwand, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof sei inkonsequent, weil sie die NichtAussetzung der Strafe zur Bewährung bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe unberücksichtigt lasse, ist unbegründet. Insoweit, als daß eine fehlende Vergünstigung nicht in eine zusätzliche Belastung umgedeutet werden kann, ist die Rechtsprechung zur Nichtanrechnung einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auf die (sonst) schuldangemessene Strafe auch nicht unter dem Gesichtspunkt erhöhter Strafempfindlichkeit inkonsequent. b) Unsicherheiten und Zufälligkeiten im Bereich des Schuldausgleichs in Ansehung fakultativer Straftatfolgen Es wurden darüber hinaus Bedenken dahingehend geäußert, eine strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf das (sonst) schuldangemessene materielle Übel trage aufgrund der äußerst schwer kalkulierbaren (fakultativen) mittelbaren Straftatfolgen ein erhebliches Maß an Unsicherheit und Zufälligkeit in die Strafzumessung hinein. Das Gericht müßte in jedem Einzelfall eine Prognose, also ein Wahrscheinlichkeitsurteil über
515
(716).
So das traditionelle Vergünstigungsdenken, Frisch, ZStW 102 (1990), 707
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
künftige Entwicklungen, hinsichtlich des Eintritts mittelbarer Straftatfolgen stellen. Diese kritische Erwägung kann insofern nicht vollständig zurückgewiesen werden, als prognostische Feststellungen des Tatrichters regelmäßig problematisch sind. Sollte eine mittelbare Straftatfolge im Zeitpunkt der Urteilsfindung noch nicht eingetreten sein und ist es auch nicht – wegen einer gesetzlichen Anknüpfung an ein bestimmtes Strafmaß – garantiert, daß sie den Täter in Zukunft treffen wird, muß der Strafrichter auf Grund von Wahrscheinlichkeiten die strafmildernde Anrechnung der fakultativ eintretenden Straftatfolge begründen oder versagen. Allerdings ist der Richter auch in anderen Bereichen des Strafzumessungsvorgangs gezwungen, Prognosen anzustellen. So erfordern die Entscheidungen über die Strafaussetzung zur Bewährung516, die bedingte Aussetzung des Strafrestes517 bzw. der Maßregelvollstreckung518 oder auch die Verhängung bzw. Aussetzung eines Berufsverbots519 regelmäßig prognostische Beurteilungen seitens des Tatrichters, sei es in Form einer Gefährlichkeits- oder Kriminalprognose. Da bislang allerdings keine verläßlichen Methoden für sichere Prognosen in diesen Bereichen entwickelt werden konnten520, trifft der Richter sie deshalb nach wie vor weitgehend intuitiv auf Grund seiner Erfahrung. Prognosetabellen oder -tafeln vermögen dabei wertvolle Hilfe zu geben, können aber die intuitive Prognose deshalb nicht ersetzen, weil sie – die Treffsicherheit derartiger Tabellen unterstellt – allenfalls Wahrscheinlichkeiten anbieten. Das Gericht muß aber den konkreten Einzelfall entscheiden, der vom Durchschnitt der Fälle abweichen kann. Ihm ist nicht mit der Erkenntnis geholfen, daß bei einer bestimmten Konstellation die Rückfallwahrscheinlichkeit z. B. bei 70 Prozent liegt, solange niemand sagen kann, ob der Angeklagte zu den 70 Prozent oder den 30 Prozent gehört521. Die Prognose ist günstig, wenn die Wahrscheinlichkeit straffreier Führung in der Zukunft besteht. Es wird nicht verlangt, daß eine bedenkensfreie, jeden Zweifel ausschließende Gewißheit oder auch nur ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad vorliegt522. Insgesamt ist die Prognose auf Tatsachen zu gründen, für die – nicht hingegen für die Prognoseentscheidung selbst – der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt523. 516
§ 56 StGB. §§ 57, 57a StGB. 518 § 67d Abs. 2 StGB. 519 §§ 70, 70a StGB. 520 Einen kritischen Überblick über die einzelnen Prognosemethoden gibt Eisenberg, § 21, Rn. 14 ff. 521 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 131. 522 Schäfer, a. a. O., S. 46. Beides wäre, da es hier um zukünftiges menschliches Verhalten geht, auch gar nicht möglich, vgl. BGH NStZ 1986, 27 = StV 1986, 16. 517
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
133
Das Gesetz läßt immer dann Prognosen zu, wenn es nur mittels einer prognostischen Beurteilung möglich ist, geringst mögliche Eingriffe in die Grundrechte des jeweils Betroffenen zu gewährleisten. Mit der Strafaussetzung zur Bewährung hat der Gesetzgeber ein flexibles Mittel der resozialisierenden Einwirkung auf den Täter ohne Freiheitsentzug geschaffen. Dahinter steht die Erkenntnis einer oftmals desozialisierend wirkenden Freiheitsstrafe524. Der Zweck der Spezialprävention wird also durch das mildere Mittel der Bewährungsauflagen besser erreicht als mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe. Um den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips gerecht werden zu können, verzichtet der Gesetzgeber auf eine abschließende Sicherheit und läßt eine Wahrscheinlichkeit ausreichen. Auch die bedingte Aussetzung der Maßregelvollstreckung erfolgt aus rechtsstaatlichen Gründen. Ist zu erwarten, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird, ist der Maßregelzweck erreicht und eine weitere Einwirkung nicht mehr erforderlich (also unverhältnismäßig). Gleiches gilt für die Aussetzung des Berufsverbots: Sind vom Täter keine erheblichen Rechtsverletzungen unter Mißbrauch seines Berufs mehr zu befürchten, ist eine präventive Einwirkung auf ihn nicht mehr erforderlich, weshalb von einem weiteren Berufsverbot abzusehen ist. Der Gesetzgeber stellt also klar, daß wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß es zur Erreichung des jeweiligen Zwecks nicht (mehr) erforderlich ist, die Strafe zu vollstrecken oder die Maßregel aufrechtzuerhalten, bereits die begründete Wahrscheinlichkeit ausreichen soll, die Strafe zur Bewährung auszusetzen bzw. die Maßregel aufzuheben. Es läßt sich nicht begründen, warum diese Wertung allein in bezug auf die Erreichung spezialpräventiver Zwecke gelten soll. Man wird diese nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gebotene Wertung vielmehr auch bei der Bestimmung der „reinen“ Schuldstrafe zum Zwecke des Ausgleichs des Freiheitsverzichts der sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen zugrundelegen müssen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die Prognose hinsichtlich des Eintritts mittelbarer Straftatfolgen sehr viel sicherer zu treffen sein wird, als die Beurteilung des zukünftigen Verhaltens des Täters. So läßt sich beispielsweise die Ausweisungspraxis der zuständigen Ausländerbehörde grundsätzlich unschwer ermitteln. Zum einen lassen sich Wege einer Kommunikation zwischen Gericht und zuständiger Ausländerbehörde vorstellen. Auch erscheint es möglich, sich anhand verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen einen Überblick über typische Fallkonstellationen und deren Hand523 524
Schäfer, a. a. O., Rn. 132. Vgl. Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 833.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
habung durch die jeweiligen Behörden zu verschaffen. Ähnlich liegt es bei gewerberechtlichen Entscheidungen. In Ansehung disziplinarischer fakultativer Maßnahmen kommt zwar, nach der hier vertretenen Auffassung, die Einleitung eines weiteren Verfahrens wegen Art. 103 Abs. 3 GG nicht mehr in Betracht, so daß sich auch die Frage nach etwaigen prognostischen Beurteilungen des Gerichts nicht stellt. Sollte sich aber der Gesetzgeber zur Entschlackung des Disziplinarrechts von disziplinarischen Maßnahmen mit Strafcharakter durchringen, könnten – in bezug auf die dann zu erwartenden disziplinarischen Maßnahmen (ohne Strafcharakter) – die jeweils umfangreichen Kasuistiken in den einschlägigen Kommentaren525 die Prognose wesentlich sicherer machen. 4. Ergebnis
Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß die beiden aufgezeigten Begründungsstränge ein nachvollziehbares Konzept für die strafmildernde Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen im Bereich des Schuldausgleichs bieten. Die strafzweckorientierte Argumentation Frischs, in die sich wohl auch die Ansätze von Walter, Bruns und – ansatzweise – des Bundesgerichtshofs einordnen lassen, läßt sich vor verfassungsrechtlichem Hintergrund rechtfertigen. Das materielle Übel wird im Prozeß der Normrehabilitation verhängt, um einen symbolischen Ausgleich des Freiheitsverzichts der sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen zu gewährleisten. Danach bestimmt sich die Verhältnismäßigkeit des Maßes des auferlegten Übels allein danach, wieviel materielles Übel zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist. Im Rahmen der Erforderlichkeit muß berücksichtigt werden, daß ein geeignetes Maß an Übelszufügung nur insoweit erforderlich ist, als anderweitige (belastende) Faktoren den Freiheitsverzicht der anderen nicht kompensieren können. Daß eine derartige Kompensation grundsätzlich möglich sein soll, hat der Gesetzgeber in einer Vielzahl von strafgesetzlichen Vorschriften niedergelegt. Sofern der durch den Normwiderspruch erlangte Freiheitsvorteil – aus der Sicht des Staates – aufgrund mittelbarer Straftatfolgen (zumindest teilweise) aufgewogen worden ist, läßt sich der verfassungsrechtliche Gedanke reduzierter Erforderlichkeit auf den Rechtsgedanken der Vorschrift des § 60 StGB stützen, der als allgemeiner Strafzumessungsgrundsatz in die Strafzumessung nach § 46 StGB hineingelesen werden muß und dort zu einer Strafmilderung zwingt.
525 Vgl. z. B. Dau, § 34 (Richtlinien für das Bemessen der Disziplinarmaßnahme, Wehrrecht); Weiss, in: GKÖD II, J 970 (Das materielle Disziplinarrecht, Beamtenrecht); Feuerich/Braun zu § 114 BRAO.
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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Darüber hinaus läßt sich eine strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf das aufzuerlegende materielle Übel auch damit begründen, daß der mit zusätzlichen mittelbaren Straftatfolgen konfrontierte Täter die Sanktion in einer bestimmten Höhe als belastender empfinden wird als ein Täter, der wegen der Tat allein mit dem materiellen Übel zu rechnen hat. Die teilweise innerhalb der Literatur geäußerten Bedenken gegen die Berücksichtigung der individuellen Strafempfindlichkeit im Bereich des Schuldausgleichs sind als unbegründet zurückzuweisen. Auch die Einwände gegen eine strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf das materielle Übel können nicht überzeugen. Zum einen läßt sich dem Bundesgerichtshof keine Inkonsequenz dahingehend vorwerfen, daß er die Nicht-Aussetzung der Strafe zur Bewährung bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe im Gegensatz zu den mittelbaren Straftatfolgen nicht strafmildernd anrechnet. Es konnte keine vergleichbare Interessenlage festgestellt werden, die eine gleiche Behandlung erfordern würde. Bei der Nicht-Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung handelt es sich um eine Vergünstigung für den Täter, die dann nicht erteilt wird, wenn keine günstige Sozialprognose vorliegt. Nur weil die Vergünstigung nicht erteilt wird, wird dem Täter keine zusätzliche Belastung auferlegt, so daß die bedingte Nicht-Aussetzung der Strafe nicht zu einem kompensatorisch wirkenden zusätzlichen Opfer umgedeutet werden kann. Aus demselben Grund ist die Nichtanrechnung einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auch nicht unter dem Gesichtspunkt erhöhter Strafempfindlichkeit inkonsequent. Auch die Kritik, eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen führe zu Unsicherheiten und Zufälligkeiten im Bereich des Schuldausgleichs, kann nicht die Forderung rechtfertigen, materielle Straftatfolgen seien nicht auf das materielle Übel strafmildernd anzurechnen. Das Gesetz kennt eine Vielzahl von Fällen, in denen der Richter eine Prognose hinsichtlich der Kriminalität oder Gefährlichkeit eines Täters treffen muß. Es spricht sich stets dafür aus, die Anforderungen an eine sichere Beurteilung zu begrenzen, um den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht werden zu können. Trifft der Gesetzgeber diese Wertung im Hinblick auf das Erreichen spezialpräventiver Zwecke, wie etwa bei der Strafaussetzung zur Bewährung, ist nicht dargelegt, warum bei dem Zweck der Normrehabilitierung andere Maßstäbe angelegt werden sollten. Im übrigen sind die Prognosen im Hinblick auf den Eintritt fakultativer mittelbarer Straftatfolgen wesentlich sicherer zu treffen als solche über das zukünftige Verhalten des Täters.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
III. Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter spezialpräventiven Aspekten im Rahmen der schuldangemessenen Strafe 1. Die „Spielraumtheorie“
Nach der „Spielraumtheorie“, die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertreten wird526 und die auch im Schrifttum herrschend sein dürfte527, liegt die im Einzelfall schuldangemessene Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens nicht an einem bestimmten Punkt528, sondern in einem gegenüber dem gesetzlichen Strafrahmen wesentlich engeren „Spielraum“. Innerhalb dieses Spielraums sind alle Strafen schuldangemessen. In diesem Spielraum sollen präventive Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. Das Gericht kann aus Gründen der Spezial- oder Generalprävention jeweils an die Unter- oder Obergrenze des Spielraums gehen. Ob es sich bei diesem „Spielraum“ um eine objektiv vorhandene Bandbreite „richtiger“ (= schuldangemessener) Strafhöhen handelt (so kann der Bundesgerichtshof verstanden werden) oder ob durch diesen Spielraum nur das subjektive Unvermögen zum Ausdruck kommt, die schuldangemessene Strafe an einem festen Punkt des gesetzlichen Strafrahmens zu fixieren529, kann letztlich dahingestellt bleiben, da der praktische Unterschied der Auffassungen gering ist. Die Spielraumtheorie entspricht dem Strafzumessungsvorgang, wie er sich in der Beratung tagtäglich bei den Kollegialgerichten abspielt. Dabei stellt der Berichterstatter im Rahmen seines Vortrags nach Abwägung der für die Bemessung der Schuld erheblichen Umstände entweder einen Rahmen zur Diskussion („zwischen zwei und drei Jahren“) oder er schlägt eine ungefähre Strafe („um drei Jahre, keineswegs aber über vier Jahre“) vor530. 2. Die sog. Sozialklausel des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB
Überwiegende Ansicht531 ist, daß – wie bereits oben dargestellt – in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB der Strafzweck der Spezialprävention seinen Ausdruck 526 Vgl. BGHSt 7, 28 (32); 20, 264 (267); 24, 132 (133); BGH, NStZ 1982, 464; BGH, NJW 1987, 2686. 527 Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 281 ff.; Roxin, in: Schultz-FS, S. 466 ff.; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, S. 524 (wo sie Schuldrahmentheorie genannt wird); Schaffstein, in: Gallas-FS, S. 101 ff.; Schönke/Schröder-Stree, Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 10; Streng, in: Müller-Dietz-FS, S. 875 ff. 528 So aber die Auffassung Horns, in: sLSK zu § 46, Rn. 33 ff., Vertreter der sog. Stellenwerttheorie. 529 Schönke/Schröder-Stree, Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 10. 530 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 463.
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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gefunden hat. Nach § 46 Abs. 1 S. 2 StGB sind die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dem Gesetz ist damit zu entnehmen, daß Strafe auf den Täter in seinem sozialen Umfeld ausgerichtet sein muß. Daraus folgt, daß sozial unerwünschte Folgen einer Strafe zu vermeiden sind, soweit dies noch mit einem gerechten Schuldausgleich vereinbar ist und generalpräventive Überlegungen nicht entgegenstehen. Der Richter muß daher prüfen, ob im Bereich des Schuldangemessenen Strafhöhen zur Verfügung stehen, die unerwünschte entsozialisierende Folgen einer Strafe vermeiden. Bezogen auf mittelbare Straftatfolgen bedeutet das, daß zumindest solche Strafhöhen möglichst zu vermeiden sind, bei denen eine entsozialisierende Folge zwingend eintreten wird. 3. Der fehlerhafte Gebrauch der Sozialklausel durch den Bundesgerichtshof
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs532 muß – wie auch von Streng533 und Nicolaus534 kritisiert wird – auf erhebliche Bedenken stoßen, wenn sie die strafmildernde Anrechnung der mittelbaren Straftatfolgen im Bereich des Schuldausgleichs positivrechtlich auf die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB stützt. Zwar spricht nichts dagegen, mittelbare Straftatfolgen als „Wirkungen der Strafe“ zu begreifen. Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB soll aber allein den Strafzweck der Spezialprävention in die Strafzumessung transportieren535. Spezialpräventive Gesichtspunkte wiederum sind ausschließlich im Rahmen der schuldangemessenen Strafe zu berücksichtigen. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB kann daher auch nur innerhalb des Spielraums der schuldangemessenen Strafe eine Strafmilderung rechtfertigen. Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Findung der „reinen“ Schuldstrafe, die in der Grundlagenformel von § 46 Abs. 1 S. 1 StGB geregelt ist, kann § 46 Abs. 1 S. 2 StGB also nicht legitimieren. Allerdings ist der Bundesgerichtshof auch nicht um ein dogmatisch sauberes Konzept für die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei 531 Zur h. M. vgl. z. B. Lackner/Kühl zu § 46, Rn. 27 m. w. N.; a. A.: Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 17, der allerdings die passive Strafwirkungsberücksichtigung als von § 46 Abs. 1 S. 2 StGB für erfaßt ansieht. 532 Siehe 2. Kapitel A. II. 2. a). 533 Streng, NStZ 1988, 485 (486). 534 Nicolaus, S. 57 f. 535 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 445. Generalpräventive Überlegungen finden durch diese Vorschrift keinen Eingang in die Strafzumessung. Hinweise darauf, daß die Strafe im Sinne der positiven Generalprävention die Aufgabe haben kann, die Rechtsordnung zu verteidigen, das Recht durchzusetzen und so zur Erhaltung der Rechtstreue beizutragen, finden sich in §§ 56 Abs. 3, 47 Abs. 1 StGB.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
der Strafzumessung bemüht, sondern braucht eine nur ansatzweise überzeugende Begründung, um das von ihm für richtig gehaltene Ergebnis argumentativ zu untermauern. Der Bundesgerichtshof will zusätzliche Belastungen für den Täter strafmildernd auf die (sonst) schuldangemessene Strafe anrechnen, um so das eigentlich schuldangemessene materielle Übel zu finden. Da ihm neben der Strafzumessungsschuld nur die Präventionszwecke als Begründungsbasis für eine Anrechnung bleiben, die aber auch keine Anrechnung im Bereich des Schuldausgleichs rechtfertigen können, macht er den Wortlaut des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB für sein Vorhaben fruchtbar, löst ihn von dem Gedanken der Spezialprävention und trägt ihn als allgemeine Forderung, Wirkungen der Strafe zu berücksichtigen, in den Bereich des Schuldausgleichs herein. Wie oben dargestellt, ist hier der Rekurs auf den Rechtsgedanken des § 60 StGB zutreffend und kann unter dem Gesichtspunkt, daß Folgen der Tat, die den Täter schwer treffen, das Maß des erforderlichen materiellen Übels reduzieren, als systematische Grundlage für das gewünschte Ergebnis dienen. Auch mit einer erhöhten Strafempfindlichkeit ließe sich das Ergebnis systematisch richtig begründen. 4. Vermeidung entsozialisierender Wirkungen infolge mittelbarer Straftatfolgen
a) Strafmilderung in Ansehung zwingender mittelbarer Straftatfolgen Der Aspekt einer Vermeidung entsozialisierender Wirkungen durch die Strafe kann dann bedeutsam werden, wenn das Gesetz an eine bestimmte Strafhöhe unwiderbringliche Folgen knüpft. Dies ist beispielsweise bei dem zwingenden Verlust der Beamtenrechte nach § 48 BBG oder auch bei der obligatorischen Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG der Fall. Hier hat der Strafrichter Einfluß darauf, ob mit der Verurteilung notwendig eine Entsozialisierung des Täters einhergeht. Der Bundesgerichtshof formuliert ganz allgemein, daß unbeabsichtigte Nebenwirkungen von Verurteilung und Vollzug vermieden werden sollen, etwa die Gefahr, daß die Strafe einen bisher sozial eingepaßten Täter aus der sozialen Ordnung herausreißt536. Mit dieser spezialpräventiv motivierten Begründung entschied der Bundesgerichtshof, wie oben bereits dargelegt537, für den Fall zwingend vorge536
BGHSt 24, 40 (42 f.); Teilweise wird der Gesichtspunkt der Vermeidung einer Entsozialisierung durch eine Strafmilderung ausdrücklich abgelehnt, etwa von Hirsch, der es für unzulässig hält, auf eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr zu erkennen, weil der Täter sonst seine Beamtenstellung verlieren würde, vgl. Hirsch, in: LK zu § 46, Rn. 90.
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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schriebener soldatenrechtlicher Konsequenzen, daß diese Anlaß sein könnten, zu ihrer Vermeidung auf eine geringere Strafe als zu einem Jahr Freiheitsstrafe zu erkennen538. Diese Rechtsprechung ist überzeugend, denn im Falle zwingender Nebenfolgen der Verurteilung hat es das Gericht in der Hand, der Forderung nach umsichtiger Strafzumessung, wie § 46 Abs. 1 S. 2 StGB sie normiert, gerecht zu werden. Die entsprechende Leistung erbringt das Gericht, indem es – wenn möglich – einer zwingenden entsozialisierenden Wirkung der Verurteilung durch Strafmilderung entgegentritt und so die Chancen des Täters verbessert, einen bestimmten sozialen Status nicht zu verlieren. Bestimmte das Gericht in Ansehung eines Ausländers den Spielraum der schuldangemessenen Strafe auf zweieinhalb bzw. dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe, müßte es spezialpräventiv berücksichtigen, daß nur eine Strafe, die unterhalb der Dreijahresgrenze liegt, die zwingende Ausweisung verhindern könnte. Selbstverständlich ist der Einfluß des Gerichts auf die letztlich eintretende Folge begrenzt, denn darauf, ob dann im Wege von Ermessensentscheidungen nach § 45 AuslG nicht dennoch die Ausweisung verfügt wird, hat es keinen Einfluß. Es handelt sich daher lediglich um eine Verbesserung der Chancen des Täters, nicht entsozialisiert zu werden. In Ansehung bloß fakultativ zu erwartender mittelbarer Straftatfolgen läßt sich eine Strafmilderung hingegen nicht damit begründen, es solle eine Entsozialisierung verhindert werden. Die Strafmilderung hätte in diesem Fall keinerlei Einfluß auf den Eintritt der Folge. Nur wenn die Strafe selbst die jeweilige mittelbare Straftatfolge auslösen kann, läßt sich eine Strafmilderung über § 46 Abs. 1 S. 2 StGB rechtfertigen. Insoweit ist der Auffassung Strengs539 zuzustimmen, derzufolge unter den Wirkungen der Strafe i. S. v. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nur die direkten Strafwirkungen und die mittelbaren Folgen der Sanktionierung, nicht aber auch die mittelbaren Folgen der Straftat zu verstehen sein sollen. Anderenfalls würde der Rahmen des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB gesprengt. b) Strafmilderung zwecks Aussetzung der Strafe zur Bewährung Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof es befürwortet, den Eintritt mittelbarer Straftatfolgen zu vermeiden, indem die Strafe im Rahmen des Schuldangemessenen so gemildert wird, daß sie aussetzungsfähig ist540. 537 538 539 540
Siehe 2. Kapitel A. II. 2. c). So auch BGHSt 32, 68 (79). Streng, ZStW 108 (1996), S. 820. BGH, StV 1993, 638 (639).
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
Zwar dürfe das Bestreben, dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen, nicht dazu führen, daß die schuldangemessene Strafe unterschritten werde541. Innerhalb des Spielraums schuldangemessener Strafen treffe den Richter hingegen die Pflicht, die von der Strafe ausgehenden Wirkungen für das künftige Leben des Täters zu berücksichtigen. Hierzu gehöre auch die Vermeidung unbeabsichtigter Nebenwirkungen des Vollzugs, etwa die Gefahr, daß die Strafe einen bisher sozial ausreichend eingepaßten Täter aus der sozialen Ordnung herausreiße542. Deshalb bedürfe es bei nach § 56 StGB nicht aussetzungsfähigen Strafen von knapp über einem Jahr oder knapp über zwei Jahren der Begründung, warum eine Strafe in aussetzungsfähiger Höhe (unter Umständen verbunden mit einer kumulierten Geldstrafe nach § 41 StGB bei Vermögensdelikten) nicht mehr habe verhängt werden können, wenn im übrigen die Voraussetzungen einer Strafaussetzung auf der Hand lägen543. Dieser Rechtsprechung folgt auch ein Teil der Literatur544. Bedeutung hat diese Rechtsprechung im vorliegenden Kontext z. B. dann, wenn sich der Verlust eines Arbeitsplatzes aus dem Umstand ergibt, daß der Täter infolge des Vollzugs der Freiheitsstrafe seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag nicht mehr nachkommen kann. Vorstellbar ist auch, daß ein Selbständiger seine laufenden Geschäfte nicht mehr wahrnehmen kann, das Geschäft aber auf seine Führung angewiesen ist. Von einem Teil des Schrifttums wird eine gedankliche Verknüpfung von Strafzumessungs- und Strafaussetzungsfrage abgelehnt. Die Unzulässigkeit der Verknüpfung ergibt sich für die Vertreter der (modifizierten) Stellenwerttheorie bereits daraus, daß sie die Höhe der Strafe ausschließlich anhand des verschuldeten Unrechts bestimmen wollen. Erst auf der zweiten Stufe sollen Präventionsgesichtspunkte berücksichtigt werden, die damit keinen Einfluß auf die Höhe der Strafe haben545. Aber auch einige Vertreter der Spielraumtheorie lehnen eine Strafmilderung in dem Bestreben, dem Täter eine Strafaussetzung gewähren zu können, ab546. So betont Bruns547, daß Wechselwirkungen zwischen der Strafzumessungs- und der Strafaussetzungsfrage verboten seien, weshalb das Strafmaß unabhängig von den späteren Modifizierungen seiner Vollstreckung selbständig fixiert werden müsse. Der Grund für das Verbot soll sich dabei wohl aus der Methode der 541
So bereits BGHSt 29, 319 (321); 32 (65). Vgl. BGH, a. a. O. (639). 543 BGH, wistra 1993, 297; BGH, NStZ 1993, 584 = StV 1993, 638; StV 1992, 462 = BGHR Strafsachen § 46 Abs. 1 (Begründung 18). 544 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 475. 545 Vgl. insbesondere Horn, in: sLSK zu § 46, Rn. 33 f. 546 Vgl. Bruns, JR 1981, 335 (336). 547 Bruns, JR 1981, 335 (336). 542
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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Strafzumessung ergeben. Bruns begründet seine Annahme nicht, sondern verweist lediglich auf die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof hat ursprünglich generell vertreten, daß das Bestreben, eine aussetzungsfähige Strafe zu verhängen, generell nicht den Prozeß der Strafhöhenfindung mildernd beeinflussen dürfe548. Die Entscheidung über die Aussetzung der Strafe zur Bewährung könne der Richter sinnvoll erst dann treffen, wenn er sich schlüssig geworden sei, welche Gefängnisstrafe er unter Berücksichtigung aller für die Strafbemessung in Betracht zu ziehenden Strafzwecke für die Tat des Angeklagten für schuldangemessen hielte549. Ob es unzulässig ist, die Frage der Strafhöhenbestimmung mit Gedanken der Strafaussetzung zu verknüpfen, soll im folgenden im Hinblick auf die Methode der Strafzumessung überprüft werden. Die Methode der Strafzumessung vollzieht sich im wesentlichen in vier zeitlich und inhaltlich voneinander zu trennenden Schritten: Zunächst ist der anzuwendende Strafrahmen zu bestimmen. Danach folgt die Festsetzung der Höhe der Strafe. Sodann ist in einem dritten Schritt die Art der Strafe zu bestimmen, bevor viertens die Strafart-Folgeentscheidungen zu treffen sind550. Erwägt der Tatrichter bei der Strafhöhenbemessung, ob er zwecks Vermeidung einer Entsozialisierung des Täters die Strafe innerhalb des Schuldrahmens so mildern soll, daß eine aussetzungsfähige Strafhöhe festgesetzt wird, ist er bereits von der Vorstellung geprägt, die Strafe auch wirklich aussetzen zu können. Das bedeutet, daß er die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Strafaussetzung zur Bewährung, die denklogisch der Bestimmung der Strafhöhe nachfolgt, vorgezogen hat. Er entscheidet bei der Strafhöhenbestimmung bereits über die Gewährung der Strafaussetzung und hat nur deshalb Veranlassung, die Strafe im Rahmen des Zulässigen zu senken, um die formale Voraussetzung der Einbzw. Zweijahresgrenze zu schaffen. Das widerspricht der oben dargestellten Methode der Strafzumessung und ist daher unzulässig. 5. Ergebnis
Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten, daß § 46 Abs. 1 S. 2 StGB die Forderung beinhaltet, im Rahmen des Schuldangemessenen Strafhöhen zu 548 So noch BGH, NJW 1954, 39 (40). Unklar hinsichtlich der Frage, ob diese Vermengung nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn es sich um die Bestimmung des angemessenen Schuldrahmens handelt oder generell auch bezüglich der Ausfüllung dieses Rahmens: BGHSt 29, 319 ff. und BGHSt 32, 60 ff. 549 BGH, a. a. O. (40). 550 Horn, in: sLSK, Vor. § 46 Rn. 5.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
finden, die unerwünschte entsozialisierende Folgen einer Strafe vermeiden. Bezogen auf mittelbare Straftatfolgen bedeutet das, daß solche Strafhöhen (wenn dies der Schuldrahmen erlaubt) zu vermeiden sind, bei denen eine entsozialisierende Folge, sei es eine Ausweisung nach § 47 Abs. 1 oder der Verlust der Beamtenrechte nach § 48 BBG, zwingend eintreten wird. Dabei ist der Einfluß des Gerichts auf die letztlich eintretende Folge begrenzt, denn darauf, ob im Wege von Ermessensentscheidungen beispielsweise nach §§ 45, 47 AuslG nicht dennoch die Ausweisung verfügt wird, hat es keinen Einfluß. Es handelt sich lediglich um eine Verbesserung der Chancen des Täters, nicht entsozialisiert zu werden. In Ansehung fakultativer mittelbarer Straftatfolgen läßt sich eine Strafmilderung aus spezialpräventiven Gründen nicht damit begründen, es solle eine Entsozialisierung verhindert werden, da eine Strafmilderung in diesem Fall keinen Einfluß auf den Eintritt der Folge hat. Unzulässig ist es, den Eintritt mittelbarer Straftatfolgen zu vermeiden, indem die Strafe im Rahmen des Schuldangemessenen so gemildert wird, daß sie aussetzungsfähig ist551. Eine Verknüpfung von Strafzumessungsund Strafaussetzungsfrage ist verboten, da sie der Methode der Strafzumessung widerspricht. Erwägt der Tatrichter bei der Strafhöhenbemessung, ob er zwecks Vermeidung einer Entsozialisierung des Täters die Strafe innerhalb des Schuldrahmens so mildern soll, daß eine aussetzungsfähige Strafhöhe festgesetzt wird, ist er bereits von der Vorstellung geprägt, die Strafe auch wirklich aussetzen zu können. Das bedeutet, daß er die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Strafaussetzung zur Bewährung, die denklogisch der Bestimmung der Strafhöhe nachfolgt, vorgezogen hat. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die die strafmildernde Anrechnung der mittelbaren Straftatfolgen im Bereich des Schuldausgleichs auf die Vorschrift des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB stützt, verkennt den Einsatzbereich dieser spezialpräventiv ausgerichteten Vorschrift. Die sog. Sozialklausel des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB kann die strafmildernde Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen nur im Bereich des Rahmens der schuldangemessenen Strafe begründen. Eine Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Findung der „reinen“ Schuldstrafe, die in der Grundlagenformel von § 46 Abs. 1 S. 1 StGB geregelt ist, kann die Vorschrift nicht legitimieren.
551
BGH, StV 1993, 638 (639).
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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IV. Relevanz mittelbarer Straftatfolgen für die Annahme eines „minder schweren Falls“ 1. Die Strafrahmensystematik
Fast durchgehend sieht das Strafgesetzbuch für die in einem Straftatbestand abstrakt beschriebenen Taten als Rechtsfolge keine „absolut“ bestimmte Strafe vor, sondern einen Strafrahmen, der eine ganze Skala von Strafquanten umfaßt. Die Grenzwerte des jeweiligen Strafrahmens entsprechen den Endpunkten einer dem Strafrahmen parallel laufenden, gleichsam unsichtbaren, kontinuierlichen Schwereskala, auf der alle möglichen Fälle des Deliktstypus – von leicht nach schwer ansteigend – einzuordnen sind552. Für besondere Konstellationen eines Falls hat der Gesetzgeber dem Richter die Möglichkeit an die Hand gegeben, den Strafrahmen zu modifizieren. So auch bei den unbenannten Strafrahmenänderungen, bei denen nicht näher beschriebene Voraussetzungen einen „minder schweren“ oder einen „besonders schweren Fall“ begründen sollen. Für die Anwendung dieser Bestimmung gibt das Gesetz dem Richter wenig an die Hand: § 12 Abs. 3 StGB bestimmt lediglich, daß Schärfungen und Milderungen für „besonders schwere“ oder „minder schwere Fälle“ für die Einteilung der Delikte in Verbrechen oder Vergehen außer Betracht bleiben, daß sie also den Charakter einer Straftat nicht verändern, sondern nur Rechtsfolgenmodifikationen ohne Tatbestandscharakter sind553. Die Stellungnahme zur kontrovers geführten Diskussion, ob mittelbare Straftatfolgen für die Annahme eines „minder schweren Falls“ relevant sein können, hängt davon ab, welche Gesichtspunkte zur Prüfung eines „minder schweren Falls“ herangezogen werden dürfen. Wie dargelegt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs554, der weite Teile des Schrifttums folgen555, ein „minder schwerer Fall“ gegeben, wenn „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in so erheblichem Maße abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint“. Bei dieser Beurteilung soll eine Gesamtbetrachtung aller strafzumessungserheblichen Tatsachen in die Bewertung einer Tat als „minder schwerer Fall“ einfließen. Die Gegenposition in der Literatur fordert die ausschließliche Berücksichtigung solcher Umstände, die im Bereich der Strafzumessungsschuld angesiedelt sind556. Da 552 553 554 555 556
Frisch/Bergmann, JZ 1990, 944 (947). Hettinger, in: 140 Jahre GA, S. 81. Siehe 2. Kapitel A. II. 2. b). Siehe 2. Kapitel B. II. 1. Siehe 2. Kapitel B. II. 2.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
die mittelbaren Straftatfolgen weder das Tatunrecht noch die Tatschuld betreffen, sollen sie daher für die Bestimmung „minder schwerer Fälle“ nicht in Betracht kommen. Es wird im folgenden – grob gesagt – überprüft werden müssen, ob das Gesetz (z. B. bei §§ 177 Abs. 5, 212 (in § 213), 224 Abs. 1, 225 Abs. 4, 250 Abs. 3 StGB) „minder schwere Fälle“ der Strafwürdigkeit oder „minder schwere Fälle“ der Tatbegehung meint. 2. Der Begriff des „minder schweren Falls“
Um die aufgeworfene Frage zu klären, bedarf es einer Konkretisierung des maßgeblichen Sinns des „minder schweren Falls“ durch eine grammatische, eine systematische, eine historische und eine teleologische Auslegung des Begriffs557. a) Grammatische Auslegung Nach der gebotenen grammatischen Auslegung ist der Sinn des Gesetzes aus dem Sprachsinn zu erschließen. In erster Linie ist dabei die juristische Terminologie maßgebend558. Im juristischen Sprachgebrauch kann das Wort „Fall“ zum einen als Umschreibung für die Darstellung eines konkreten Vorkommnisses, eines einheitlichen geschichtlichen Vorgangs verwendet werden, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Täter einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (strafprozessualer Tatbegriff)559. Wird ein „Fall“ ermittelt oder verhandelt, geht es demnach um die Aufklärung des verwirklichten Tatunrechts oder der Schuld des Täters bezogen auf einen einheitlichen Lebensvorgang. Allerdings läßt sich außerhalb dieser prozessualen Betrachtung auch begründen, daß sich der Begriff „Fall“ auf einen umfassenden und zeitlich nicht genau begrenzten Lebenssachverhalt bezieht, der sämtliche für die Bewertung der Tat und des Täters maßgebenden Umstände erfaßt. Die grammatikalische Auslegung liefert also keinen richtungsweisenden Anhaltspunkt für die Auslegung des Begriffs des „minder schweren Falls“.
557 Vgl. BVerfGE 2, 266; BGHSt 29, 204 (206); zum Ganzen: Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 154 ff.; Larenz, S. 320 ff. 558 Jescheck/Weigend, StrafR AT, S. 155. 559 Dazu: BGHSt 35, 60 (62), 45, 211 (212); BVerfGE 56, 22 (28).
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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b) Systematische Auslegung Darüber hinaus ist die vom jeweiligen Rechtsgebiet abhängige Relativität von Rechtsbegriffen zu berücksichtigen, weshalb der Begriff des „minder schweren Falls“ auch im gesetzlichen Kontext erschlossen werden muß560. Zu beachten ist deshalb u. a. auch die Stellung einer Vorschrift im Gesetz561 und die Bedeutung gleichlautender Ausdrücke in anderen Vorschriften562. In der Terminologie des Strafgesetzbuchs wird das Wort „Fall“ gleich an mehreren Stellen verwendet. So bestimmt beispielsweise § 176a Abs. 1 StGB, daß der sexuelle Mißbrauch von Kindern „in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2“ mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird. In § 180 Abs. 4 StGB heißt es, daß „in den Fällen der Absätze 2 und 3“ der Versuch strafbar sein soll. Hier bezieht sich der Begriff des „Falls“ jeweils auf eine bestimmte Form der Tatbestandsverwirklichung, so daß dieser Vergleich die Annahme rechtfertigt, auch bei dem „minder schweren Fall“ handele es sich um eine solche minder schwere Tatbegehung. An anderer Stelle wird das Wort „Fall“ in Bezug zu Rechtfertigungsgründen gesetzt. So normiert § 218b Abs. 1 StGB, daß „wer in den Fällen des § 218a Abs. 2 oder 3 eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß . . .“. Dabei beschreibt § 218a Abs. 2 oder 3 StGB die Voraussetzungen, unter denen ein Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig sein soll. Der Erlaubnissatz, der hier das Indiz der Rechtswidrigkeit eines tatbestandsmäßigen Schwangerschaftsabbruchs widerlegt, stellt einen Unrechtsausschließungsgrund dar. Auch in diesem Zusammenhang bezieht sich das Wort „Fall“ auf einen Aspekt der Tatbegehung, nämlich auf das verwirklichte Tatunrecht. Im übrigen knüpft der „minder schwere Fall“ im jeweiligen Gesetz sowohl sprachlich als auch systematisch an den im Grunddelikt typisierten Normalfall an, indem er innerhalb der betreffenden Deliktsvorschrift in einem besonderen Absatz normiert oder in den Absatz der Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens integriert wird. Auch hieraus läßt sich der Schluß ziehen, daß die Annahme eines „minder schweren Falls“ zumindest nur aufgrund solcher Umstände bestimmt werden darf, die die spezifische Tat der Vergewaltigung, der Körperverletzung oder der Tötung kennzeichnen. Bezüglich der systematischen Auslegung des Begriffs des „minder schweren Falls“ ist der Argumentation von Streng, Horn, Frisch/Bergmann, Neuhaus und Nicolaus563 zuzustimmen. Folgte man der systematischen 560 561 562 563
Vgl. Schönke/Schröder-Eser zu § 1, Rn. 39. BVerfGE 64, 394 f.; BGHSt 3, 245. BVerfG, NJW 1986, 1672; BGHSt 4, 304; 44, 175 (177). Siehe 3. Kapitel B. I. 1.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
Auslegung, ließen sich mittelbare Straftatfolgen, da sie keinen Einfluß auf das Tatbild haben, nicht für die Bewertung eines „minder schweren Falls“ heranziehen. c) (Subjektiv-)Historische Auslegung Eine andere Beurteilung in bezug auf die für die Annahme eines „minder schweren Falls“ möglichen Kriterien ergibt sich allerdings aus der entstehungsgeschichtlichen Auslegung des „minder schweren Falls“, worauf auch Schäfer564, Jescheck/Weigend565 und Lambrecht566 hinweisen567. Bis zum Inkrafttreten des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch am 1.1.1975 gab es im unteren Strafrahmenbereich die Wertgruppen der „minder schweren Fälle“, der „mildernden Umstände“ und der „besonders leichten Fälle“. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lag ein „minder schwerer Fall“ (ganz im Sinne der heutigen Auffassung innerhalb der Literatur, wonach die Annahme des „minder schweren Falls“ nur von Umständen abhängen soll, die das Tatunrecht oder die Tatschuld betreffen) dann vor, wenn unter Abwägung der äußeren und inneren Tatumstände die Tat in einem milderen Licht erschien. Der Tat nachfolgende Umstände hatte der Strafrichter zu berücksichtigen, wenn sie den Willen des Täters beeinflußt hatten und Schlüsse auf das Maß der Schuld zuließen568. Strafwürdigkeitsaspekte waren damals von dem Begriff der „mildernden Umstände“ erfaßt. Der Bundesgerichtshof konstatierte diesbezüglich, daß für die Beurteilung, ob „mildernde Umstände“ vorlägen, alle Umstände, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kämen, heranzuziehen seien. Auch der Tat vorausgehende oder nachfolgende Umstände, die mit ihr und der Schuld in keinem Zusammenhang stünden, sollten berücksichtigt werden569. Durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch wurden diese unterschiedlichen Wertgruppen beseitigt und auf den „minder schweren Fall“ reduziert. Dabei sollte nach der Intention des Gesetzgebers der Verzicht auf die mildernden Umstände nicht zu einer Verschärfung gegenüber dem geltenden Recht führen570. Auch der Sonderausschuß bemerkte, daß der 564
Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 578; ders., in: Tröndle-FS, S. 404 f. Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 271. 566 Lambrecht, S. 99. 567 Einen umfassenden Überblick über die Entstehungsgeschichte der „minder schweren Fälle“ bietet Hettinger, in: 140 Jahre GA, S. 77 ff. 568 BGHSt 4, 8 (11). 569 BGHSt 4, 8 (9). 570 BT-Drucks. 7/550, S. 212. 565
B. Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen
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„minder schwere Fall“ die Funktion der bisherigen „mildernden Umstände“ und der „besonders leichten Fälle“ mit übernehmen solle571. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist unter einem „minder schweren Fall“ also ein Fall geminderter Strafwürdigkeit zu verstehen. Steht damit fest, wie der historische Gesetzgeber den Begriff des „minder schweren Falls“ verstanden haben wollte, stellt sich die Frage, ob der Wille des Gesetzgebers mit dem Sinngehalt übereinstimmt, der dem „minder schweren Fall“ heute beigelegt werden muß. d) Notwendige Korrektur durch (objektiv-)teleologische Auslegung? Um der Gegenwartsaufgabe der strafrechtlichen Regelung gerecht werden zu können, ist nach der objektiv-teleologischen Auslegungsmethode auf einen von den Inhaltsvorstellungen des historischen Gesetzgebers abgelösten objektiven Gesetzeswillen abzuheben. Hierbei soll ermittelt werden, was mit einem Gesetz angesichts der gegenwärtigen Fragen und Interessen vernünftigerweise bezweckt sein kann572. Nur mittels dieser zusätzlichen Auslegungsmethode läßt sich feststellen, ob und in welchen Grenzen es gerechtfertigt ist, veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen oder vom historischen Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Fallgestaltungen durch eine zeitgemäße Auslegung Rechnung zu tragen573. Es ist also eine Synthese zwischen subjektiv-historischer und objektivteleologischer Auslegung zu suchen. Die von einigen Autoren hingegen vertretene Annahme, es gebe einen vom Willen des Gesetzgebers unabhängigen objektiven Sinn des Gesetzes574, ist logisch nicht nachvollziehbar; sie verschleiert nur, daß es sich bei einem solchen von den ursprünglichen Zielen des Gesetzes gelösten objektiven Sinn um subjektive richterliche Zwecksetzung handelt, die das Gesetzlichkeitsprinzip mißachten575. Eine synthetische Betrachtungsweise hat also danach zu fragen, ob in Ansehung der historischen Auslegung des Begriffs des „minder schweren Falls“ eine Korrektur des ursprünglich vom historischen Gesetzgeber Gewollten entweder zwecks Anpassung an veränderte Verhältnisse oder aber wegen einer notwendigen Berücksichtigung vom Gesetzgeber damals noch nicht vorausgesehener Fallgestaltungen erforderlich ist. 571
Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. 7/1261, S. 4. Schönke/Schröder-Eser zu § 1, Rn. 43. 573 Vgl. Schönke/Schröder-Eser zu § 1, Rn. 43; Jescheck/Weigend, StrR AT, S. 157; wohl auch Wessels/Beulke, AT, Rn. 57; Roxin, StrR AT, S. 107; Jakobs, AT, S. 77; Larenz, S. 318; Rudolphi, in: sLSK zu § 1, Rn. 32 ff. 574 Zur maßgeblichen Bedeutung der rein objektiv-teleologischen Auslegung: Maurach/Zipf, S. 117; Grünhut, in: Frank-FG, S. 6. 575 Roxin, StrR AT, S. 107. 572
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Für eine derart korrigierende Auslegung sind hier keine Anhaltspunkte ersichtlich. Die Kritik seitens Frisch und Bergmann an der Einbeziehung sämtlicher Strafzumessungserwägungen in die Bestimmung eines „minder schweren Falls“ mag nachvollziehbar sein. Sie war sogar Gegenstand der Diskussionen in der Großen Strafrechtskommission und im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform576. Sie kann aber keine vom Willen des historischen Gesetzgebers abweichende Auslegung des Begriffs des „minder schweren Falls“ rechtfertigen, sondern läßt sich allein auf die (mißglückte) Gesetzeslage beziehen, deren Veränderung dem Gesetzgeber obliegen würde. Die Rechtsanwendung hingegen hat sich, solange der Gesetzgeber an seiner Wertung festhält, mangels veränderter Bedingungen daran zu orientieren, daß im Verhältnis zu den mildernden Umständen keine Verschärfung der Rechtslage eintreten sollte. 3. Ergebnis und Bedeutung für den Strafzumessungsakt
Festzuhalten bleibt, daß der mögliche Wortsinn und der systematische Bedeutungszusammenhang des „minder schweren Falls“ Raum für verschiedene Auslegungen des Begriffs lassen. Während die grammatische Auslegung keinen eindeutigen richtungsweisenden Anhaltspunkt für die Auslegung liefern kann, läßt sich insbesondere aus der Bezugnahme des „minder schweren Falls“ zum Grunddelikt die Annahme rechtfertigen, es handele sich um minder schwere Fälle der Tatbestandsverwirklichung. Nach dem historischen Willen des Gesetzgebers indes soll es sich bei den „minder schweren Fällen“ um minder schwere Fälle der Strafwürdigkeit handeln. Ein etwaiges Bedürfnis nach einer Korrektur der historischen Auslegung durch die objektiv-teleologische Auslegungsmethode besteht nicht. Insofern kann der historische Wille des Gesetzgebers nach wie vor als maßgebend gelten, so daß der Begriff des „minder schweren Falls“ im Sinne einer verminderten Strafwürdigkeit interpretiert werden muß. Das hat zur Folge, daß auch schuldunabhängige Faktoren wie mittelbare Straftatfolgen mit in die Bewertung des „minder schweren Falls“ einzubeziehen sind. Die für die Findung des Strafrahmens verwendeten Gesichtspunkte sind für die Strafhöhenbestimmung keineswegs verbraucht577. Bei der Strafhöhenbestimmung innerhalb des Sonderstrafrahmens ist von Bedeutung, wie gewichtig die Umstände sind, die den Fall zu einem minder schweren Fall machen. Umstände, die gerade ausreichen, einen minder schweren Fall zu 576 Vgl. etwa die Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission: Bd. 4, S. 270 ff., 535; Bd. 5 S. 22 f., 32 f., 72 ff.; Bd. 12 S. 16 ff., 279 f., 285 und die Beratungen im Sonderausschuß: Prot. IV, S. 509 ff.; V, S. 343 ff., 368 ff. (zitiert nach Hettinger, in: 140 Jahre GA, 77 (85), Fn. 37). 577 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 591.
C. Strafmildernde Berücksichtigung bei mittelbaren Straftatfolgen
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begründen, werden innerhalb des Sonderstrafrahmens kaum mehr besonderes milderndes Gewicht haben. Umgekehrt wird mildernden Umständen, die zu einer Strafrahmenverschiebung gerade nicht mehr ausreichen, bei der eigentlichen Strafhöhenbemessung ganz besonderes Gewicht zukommen578.
C. Notwendige Einschränkung der strafmildernden Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen mittels eines generalisierenden Kriteriums Abschließend bleibt die Frage zu erörtern, ob bestimmte Fallkonstellationen generelle Einschränkungen von der grundsätzlichen strafmildernden Berücksichtigungsfähigkeit mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung notwendig machen. I. Bewußte Kalkulation Nach der dargestellten Auffassung von Terhorst und Stree579 soll eine Einschränkung zum einen dann erforderlich sein, wenn der Täter die mittelbare Straftatfolge bewußt „einkalkuliert“, vorausgesehen und wissentlich in Kauf genommen hat. Der Hintergrund dieser Forderung ist, daß man einen berechnenden und einen unbedachten Täter nicht gleichermaßen durch eine Strafmilderung begünstigen dürfe, weil der unbedacht handelnde Täter letztlich weniger Schuld auf sich lade580. Mit dieser Argumentation läßt sich jedoch keine generalisierende Einschränkung in Ansehung kalkulierter mittelbarer Straftatfolgen begründen581. Jeder Täter wird regelmäßig auch die Konsequenzen (also auch die mittelbaren Straftatfolgen) für den Fall einer Entdeckung der Straftat einkalkulieren, wenn er vorsätzlich eine Straftat begeht582. Das bewußte Einkalkulieren von Straftatkonsequenzen ist der vorsätzlichen Straftatbegehung immanent. Allein bei der fahrlässigen Straftatbegehung kalkuliert der Täter negative Folgen aus der Straftatbegehung nicht ein. Der Umstand, daß der eine Täter vorsätzlich, der andere hingegen fahrlässig eine Straftat begeht, 578
Schäfer, a. a. O., Rn. 492. Siehe 3. Kapitel C. II. 1. 580 Vgl. Terhorst, JR 1989, 184 (188). 581 Ebensowenig ließe sich mit entsprechender Argumentation eine notwendige Strafschärfung bei kalkulierenden Straftätern begründen. Vgl. auch die Kritik Walters zum gedanklichen Ansatz strafschärfend zu berücksichtigender erhöhter krimineller Energie ausländischer Straftäter, die eine Ausweisung riskieren, in: H. Kaufmann-FS, S. 493 (504). 582 Stellt man dies in Frage, läßt sich für den Täter, der sich in vollem Bewußtsein der Straftatfolgen zur Tat entschließt, ein erhöhtes Maß an Schuld begründen. 579
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
schlägt sich – durch die für fahrlässige Verhaltensweisen unterschiedlichen Strafrahmen – auf das Maß der Strafzumessungsschuld nieder, an dem sich die Bemessung des materiellen Übels zu orientieren hat. Insoweit werden der berechnende und der unbedachte Täter im Hinblick auf die Strafhöhe letztlich nicht gleich behandelt. Im Hinblick auf die strafmildernde Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen wird hingegen sowohl bei dem fahrlässig als auch bei dem vorsätzlich Handelnden eine vergleichbare Bewertung dahingehend vorgenommen werden müssen, ob der Täter von der mittelbaren Straftatfolge belastet wird. Denn die zusätzliche Belastung durch eine mittelbare Straftatfolge kompensiert den durch die Tat herbeigeführten Freiheitsverlust der sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen. Im Prozeß der Findung des schuldangemessenen materiellen Übels muß daher für den jeweiligen Einzelfall beurteilt werden, ob der erlangte Freiheitsvorteil des Täters aufgrund der mittelbaren Straftatfolge – zum Teil – aufgewogen wird oder ob ein der Strafzumessungsschuld voll entsprechendes materielles Übel die geeignete, erforderliche und angemessene Ausgleichsmaßnahme für die Ausnutzung des Freiheitsverzichts der sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen seitens des Täters ist. Diese Wertung wird man auch bei der Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen unter dem Aspekt der Strafempfindlichkeit zugrundelegen müssen. Es läßt sich nicht begründen, daß der Täter, der die Folgen der Tat bewußt einkalkuliert hat, im Falle ihres Eintritts durch die Strafe nicht schwerer belastet sein wird als ein Täter, der keine zusätzlichen Folgen erleidet. Dem Umstand, daß er die Folgen kalkuliert hat, wird durch den Strafrahmen für das vorsätzlich begangene Delikt ausreichend Rechnung getragen. Es liegt auf der Hand, daß aufgrund vorsätzlicher Straftatbegehung und Einkalkulierung der mittelbaren Straftatfolge auch nicht argumentiert werden kann, bei diesem Täter dürfe in Ansehung einer sonst zwingend eintretenden mittelbaren Straftatfolge der spezialpräventive Gesichtspunkt der Vermeidung einer Entsozialisierung keine strafmildernde Berücksichtigung erfahren. II. Parallele und spiegelbildliche Folgen der dem Opfer zugefügten Nachteile Die weitere von Terhorst583 geforderte generelle Einschränkung, wonach dem Täter solche mittelbaren Straftatfolgen, die sich als parallele und spiegelbildliche Folgen der dem Opfer zugefügten Nachteile darstellen, nicht strafmildernd zugute gehalten werden sollen, überzeugt nur zum Teil. Der 583
Siehe 3. Kapitel C. II. 1.
C. Strafmildernde Berücksichtigung bei mittelbaren Straftatfolgen
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Grund für die Forderung von Terhorst liegt darin, daß die dem Opfer zugefügten Nachteile dem Täter als „verschuldete Auswirkungen der Tat“ nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB, wenn überhaupt, straferschwerend in Rechnung gestellt werden sollen. Würden aber diese Auswirkungen auf der anderen Seite dem Täter als Abzugsgröße zugute gehalten, liefe das im Ergebnis darauf hinaus, daß sich Strafschärfungsgrund und Strafmilderungsgrund gegenseitig aufheben würden. Das hält Terhorst für ein unvertretbares Ergebnis584. Als Beispiel führt der Autor einen Geschäftsführer an, der Gelder seiner Firma veruntreut und deren Vermögen um Millionen geschädigt hat. Der Verlust der Stellung und die hohen Schadensersatzforderungen stellten die parallelen und spiegelbildlichen Folgen der dem Opfer zugefügten Nachteile dar, weshalb es – auch wenn der Täter hierdurch nachhaltig getroffen und vielleicht ruiniert sei – der Gerechtigkeit widersprechen würde, sie dem Täter zugute zu halten585. 1. Parallele Folgen des dem Opfer zugefügten Nachteils
Die Forderung von Terhorst, der zufolge die parallelen Folgen des dem Täter zugefügten Nachteils nicht zu einer Strafmilderung führen sollen, übersieht, daß der Grund für die strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen in ihrer kompensatorischen Wirkung für den Freiheitsverzicht der sich normkonform verhaltenen Normunterworfenen liegt. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb etwa der Verlust einer Stellung, wenn er den Täter schwer belastet, nicht bereits einen Teil des durch den Normwiderspruch erlangten Freiheitsvorteils aufwiegen können soll. Allein mit Gerechtigkeitserwägungen läßt sich die Auffassung von Terhorst also nicht begründen. In Ansehung paralleler Folgen des dem Opfer zugefügten Nachteils läßt sich also die Notwendigkeit einer generalisierenden Einschränkung der strafmildernden Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung nicht begründen. 2. Spiegelbildliche Folgen des dem Opfer zugefügten Nachteils: Die Schadensrestitution nach § 46a Nr. 2 StGB
In bezug auf spiegelbildliche Folgen des dem Opfer zugefügten Nachteils läßt sich hingegen eine Einschränkung im Hinblick auf die strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf die Strafe begründen. Als spiegelbildliche Folgen der Tat kommen Schadensersatzforderungen im Anschluß an begangene Vermögensdelikte in Betracht. 584 585
Terhorst, JR 1989, 184 (186). Terhorst, JR 1989, 184 (187).
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
Die Rechtsordnung erkennt – wie oben dargestellt wurde – an, daß mittelbare Straftatfolgen, die den Täter schwer belasten, grundsätzlich in der Lage sein können, den durch den Normwiderspruch erlangten Freiheitsvorteil des Täters aufzuwiegen. Welche mittelbaren Straftatfolgen dafür in Betracht kommen, obliegt einer Bewertung des Einzelfalls, denn die Vorschrift des § 60 StGB, auf deren Rechtsgedanken sich die Strafmilderung infolge anderweitiger Kompensation grundsätzlich stützen läßt, gibt keine Vorgaben, welche Straftatfolgen im einzelnen in Betracht kommen können. Speziell im Hinblick auf eine Schadensrestitution durch den Täter wird sich das Gericht hinsichtlich einer Strafmilderung an dem Grundgedanken des § 46a Nr. 2StGB zu orientieren haben. Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift vorgegeben, wann er bereit ist, die kompensatorische Wirkung einer Schadensrestitution anzunehmen. Aus der Sicht des Staates wird der Freiheitsverzicht der sich normkonform verhaltenen Normunterworfenen nur dann (teilweise) aufgewogen, wenn die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB vorliegen. Liegen die Voraussetzungen hingegen nicht vor, soll eine Strafmilderung nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB auf Grund finanzieller Leistungen nicht möglich sein. Die Vorschrift ist damit spezieller Ausdruck dessen, wann im Fall einer finanziellen Entschädigung des Opfers, eine Strafmilderung aufgrund des geleisteten Ersatzes in Frage kommen soll. Eine Strafmilderung aufgrund einer Schadensrestitution im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB kommt deshalb bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 46a StGB grundsätzlich nicht in Betracht. Die Ausnahme soll im folgenden dargestellt werden: Nach § 46a StGB kommt es darauf an, ob die Schadenswiedergutmachung vom Täter erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert, denn ein Täter soll sich nicht ohne weiteres mit Schadensersatzleistungen von einer strengeren Bestrafung freikaufen können586. Damit stellt das Gesetz klar, daß der Schaden in einer Weise wiedergutgemacht werden soll, die über eine rein rechnerische Kompensierung des angerichteten Schadens hinausgeht. Erst in der Übernahme der vollen Verantwortung und Wettmachung des Geschehenen unter eigenen Opfern läßt sich ein zur Wiederherstellung des Rechts hinreichender Beitrag erblicken, der es rechtfertigt, gegenüber dem Täter eine besondere Milde walten zu lassen587. Dabei wird das Opfer im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt worden sein müssen, denn Zusagen, den Schaden wiedergutmachen zu wollen, sollen nicht genügen588. 586 587 588
Vgl. BGH, NStZ 1995, 493. Vgl. Schönke/Schröder-Stree zu § 46a, Rn. 5 m. w. N. BGH, NStZ 2000, 83 (84).
C. Strafmildernde Berücksichtigung bei mittelbaren Straftatfolgen
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Dem Grundgedanken der Vorschrift zufolge kann im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB eine Strafmilderung also dann gerechtfertigt sein, wenn der Täter im Zeitpunkt der Entscheidung zwar bereits durch erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht einen Teil des dem Opfer zugefügten Schadens entschädigt hat, diese Teilleistung aber für eine überwiegende Schadenskompensation nicht ausreicht, weshalb § 46a Nr. 2 StGB nicht angewendet werden kann589. Allein der Umstand, daß der Täter wegen einer Tat generell mit hohen Schadensersatzforderungen konfrontiert sein wird, darf nach der Wertung des § 46a StGB keine berücksichtigungsfähige mittelbare Straftatfolge darstellen. Kommt eine Strafmilderung im Rahmen des § 46 StGB wegen nach § 46a StGB nicht genügender Teilentschädigung in Betracht, wird sich diese – im Unterschied zu der strafmildernden Anrechnung der übrigen mittelbaren Straftatfolgen, die über den Rechtsgedanken des § 60 StGB gerechtfertigt werden können – aus dem Rechtsgedanken des § 46a StGB begründen lassen. III. Ergebnis Die von Terhorst und zum Teil auch von Stree geforderten generalisierenden Einschränkungen in Ansehung kalkulierter mittelbarer Straftatfolgen bzw. paralleler Folgen der dem Opfer zugefügten Nachteile halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Hingegen läßt sich eine grundsätzliche Einschränkung im Hinblick auf die strafmildernde Berücksichtigung von hohen Schadensersatzforderungen als spiegelbildliche Folge der dem Opfer zugefügten Nachteile unter Berücksichtigung der Wertung des § 46a StGB begründen. § 46a StGB gibt vor, daß nur unter besonderen Mühen aufgebrachte Schadensersatzleistungen kompensatorische Wirkung im Hinblick auf den Freiheitsverzicht der sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen haben soll. Nur dann, wenn der Täter eine den Anforderungen des § 46a Nr. 2 StGB in quantitativer Hinsicht nicht genügende Teilentschädigung vorgenommen hat, die im übrigen den Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB gerecht wird (erhebliche persönliche Leistung oder persönlicher Verzicht), kann die Schadensrestitution als mittelbare Straftatfolge im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB aufgrund des Rechtsgedankens des § 46a StGB strafmildernd auf das materielle Übel angerechnet werden.
589
Vgl. dazu auch Schönke/Schröder-Stree zu § 46a, Rn. 5.
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4. Kap.: Systematisches Konzept mittelbarer Straftatfolgen
Keine strafmildernde Anrechnung kommt hingegen hinsichtlich zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht erbrachter Schadensersatzleistungen bzw. im Hinblick auf solche Ersatzbeiträge in Betracht, die nicht unter erheblichen persönlichen Leistungen oder Einschränkungen seitens des Täters erbracht worden sind.
Zusammenfassung Die Bestandsaufnahme der möglichen obligatorischen und fakultativen mittelbaren Straftatfolgen hat gezeigt, daß es eine Vielzahl von Fällen gibt, in denen einen Täter, über die eigentliche strafrechtliche Sanktion hinaus, weitere schwere Belastungen treffen können. Die im Mittelpunkt der Diskussion um die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung stehende Fragestellung, ob diese Folgen bei der Strafzumessung nach § 46 StGB strafmildernd auf das (sonst) der Strafzumessungsschuld entsprechende Maß an materiellem Übel angerechnet werden können, konnte grundsätzlich bejaht werden. Allerdings wurde festgestellt, daß die aufgeworfene Fragestellung nur mittels einer Differenzierung der in ihrer Qualität unterschiedlich zu bewertenden mittelbaren Straftatfolgen beantwortet werden kann. Zu unterscheiden waren disziplinarische Maßnahmen (hierunter wurden auch standesrechtliche Straftatfolgen gefaßt) mit Strafcharakter und sonstige belastende mittelbare Straftatfolgen ohne Strafcharakter. Der Strafcharakter disziplinarischer Maßnahmen wurde daran festgemacht, daß sie, anders als andere rein präventiv motivierte staatliche Maßnahmen, zwecks repressiver Normrehabilitierung verhängt werden. Strafe wurde damit final definiert. Es wurde herausgestellt, daß die zwei Elemente, die der Norm zur Wiederherstellung verhelfen, der Vorhalt der defizitären Einstellung zur Norm sowie die Auferlegung eines materiellen Übels sind. Konstitutive Wirkung für die Wiederherstellung des Rechts wurde dabei dem spezifischen strafrechtlichen Tadel zugesprochen, ohne den die Rehabilitierung der Norm schlechterdings nicht erreicht werden kann. Als disziplinarische Maßnahmen mit Strafcharakter wurden der Verweis, die Kürzung des (Ruhe-)Gehalts, die Geldbuße sowie die Ausgangsbeschränkung und der Arrest als spezielle Maßnahmen nach der Wehrdisziplinarordnung ermittelt. Es ließ sich begründen, daß, wenn es um die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme mit Strafcharakter neben einer strafrechtlichen Sanktion geht, nach dem Grundgedanken des Art. 103 Abs. 3 GG eine beliebige Anrechnung dieser Maßnahme auf die (sonst) schuldangemessene Strafe von vorneherein nicht in Betracht kommt. Nach dem Grundgedanken des Art. 103 Abs. 3 GG soll die auf Normrehabilitation gerichtete Mißbilligung der Normverletzung für dieselbe Tat nur einmal getroffen werden. Wird sie in
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Zusammenfassung
einem der beiden Verfahren getroffen, ist diese Feststellung in einem weiteren Verfahren nicht mehr zulässig. Das aufgezeigte Ergebnis zwang zu der Feststellung, daß neue Regelungen oder Vorgehensweisen im Bereich der disziplinarischen Bestimmungen erforderlich sind. Hierzu wurden einige Anregungen gegeben. Abschließend wurde konstatiert, daß die zum Teil bedenklichen praktischen Konsequenzen nicht das hier gefundene Ergebnis in Frage stellen, sondern vielmehr eine Aufforderung an den Gesetzgeber bedeuten, sich zu entscheiden, in welchem Verfahren er die Normverletzung geahndet haben will. Im Hinblick auf alle übrigen mittelbaren Straftatfolgen (ohne Strafcharakter) ließ sich hingegen mittels einer verfassungsrechtlichen Betrachtungsweise die strafmildernde Anrechnung auf die (sonst) schuldangemessene Strafe rechtfertigen. Es wurde festgestellt, daß es im Bereich des Schuldausgleichs auch jenseits der Strafzumessungsschuld eine Begründungsbasis für die strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen gibt. Das dem symbolischen Ausgleich des Freiheitsverzichts der sich normkonform verhaltenden Normunterworfenen dienende materielle Übel beinhaltet – hypothetisch zunächst als Freiheitsstrafe bemessen – einen Grundrechtseingriff und ist daher, wie jeder andere Grundrechtseingriff auch, am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Auf der Ebene der Erforderlichkeit ergibt sich, daß das Strafgesetz selbst, u. a. in § 60 StGB, davon ausgeht, daß der durch den Normwiderspruch erlangte Freiheitsvorteil des Täters – aus der Sicht des Staates – auch aufgrund anderer materieller Übel oder Leistungen, z. B. solcher nach § 46a StGB, aufgewogen werden kann. Gerade in bezug auf die mittelbaren Straftatfolgen erfordert der Rechtsgedanke des § 60 StGB daher in den Fällen, in denen kein Absehen von Strafe in Betracht kommt, eine strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB. Das Schuldprinzip steht dieser Betrachtungsweise nicht entgegen. Als spezifisch strafrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begrenzt der Schuldgrundsatz lediglich die mit der Auferlegung des materiellen Übels zu verfolgenden Strafzwecke auf den Zweck der Normrehabilitation. Die entscheidende, über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinausgehende Aussage des Schuldprinzips ist damit, daß der Bezugspunkt für die Bemessung des materiellen Übels die Strafzumessungsschuld ist. Der Schuldgrundsatz fordert aber nicht, daß das materielle Übel dem Schuldmaß voll entsprechen soll. In der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich herausgestellt, daß die Annahme, § 46 Abs. 1 S. 2 StGB könne die strafmildernde Anrechnung mittelbarer Straftatfolgen auf die (sonst) schuldangemessene Strafe rechtfertigen, nicht begründbar ist. § 46
Zusammenfassung
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Abs. 1 S. 2 StGB ist Ausdruck der Forderung nach einer spezialpräventiven Ausrichtung der Strafe und hat keinen Einfluß auf die Findung der „reinen“ Schuldstrafe. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB kann allein eine spezialpräventiv motivierte Strafmilderung im Rahmen der schuldangemessenen Strafe legitimieren. Dort ist eine strafmildernde Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen aus spezialpräventiven Gründen gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 StGB möglich, wenn sich dadurch der entsozialisierende zwingende Eintritt einer mittelbaren Straftatfolge vermeiden läßt. Als letzte systematische Fragestellung wurde erörtert, ob mittelbare Straftatfolgen bereits für die Annahme eines „minder schweren Falls“ relevant sein können. Hierfür war die Frage zu entscheiden, ob der „minder schwere Fall“ als minder schwerer Fall der Tatbestandsverwirklichung oder als minder schwerer Fall der Strafwürdigkeit zu verstehen ist. Bei der gebotenen Auslegung des Begriffs ergab sich, daß es sich, dem historischen Willen des Gesetzgebers entsprechend, um einen Fall verminderter Strafwürdigkeit handelt. Infolgedessen wurde festgestellt, daß auch Umstände wie mittelbare Straftatfolgen, die keinen Einfluß auf das Tatunrecht und/oder die Tatschuld haben, in die Bestimmung eines minder schweren Falls einzubeziehen sind.
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Sachverzeichnis Absehen von Strafe 14, 60, 62, 69, 78– 80, 88, 116, 122–125, 128, 134, 138, 152 allgemeine Strafgesetze im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG 107, 110 Angriffe in der Presse 34 Anrechnung durch den Strafrichter 30 Anrechnung durch die Strafvollstrekkungsbehörde 30 Apotheker 19–20, 33, 51 Arbeitnehmer 27, 34, 51 Arrest 29–30, 56, 95, 103, 111, 113, 155 Ausländerpopulation 49, 53 ausländerrechtliche Folgen 12 Aussetzung der Strafe zur Bewährung 81–82, 130–131, 135, 139, 141 Ausweisung 25–28, 46–51, 53, 123, 138–139, 142, 149, 165 automatischer Verlust von Amtsverhältnissen 22 berufliche Folgen 18, 62, 65 Berufsverbot 13, 132–133 besonderes Gewaltverhältnis 110 Definition 93 dienstliche Pflichtverletzung 20 Disziplinarmaßnahmen 19–21, 30, 32– 33, 38, 42, 52, 54, 63, 72–73, 86, 90, 92, 94, 96, 102–105, 107–108, 110– 112, 114, 134 Disziplinarverfahren 19, 22, 52, 95, 104, 112–114, 158, 162 Doppelverwertungsverbot 13, 63 EG-Freizügigkeitsberechtigte 27 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch 146
Entziehung der Gewerbeerlaubnis 13 Erklärung für straffrei i. S. v. § 199 StGB 122 Europäisches Niederlassungsabkommen 27 Gehaltskürzung 11, 83, 90, 103, 111 Geldbuße 11, 56, 90, 103, 111–113, 155 Generalprävention 75, 98, 100, 124, 127–128, 137 gerechter Schuldausgleich 36–37, 39– 40, 81, 88, 137 historische Entwicklung des Disziplinarrechts 105 in dubio pro reo 67, 83 Klassenjustiz 129 kompensatorische Wirkung 152–153 Kündigung 17–19
15, 122,
materiell-rechtliche Begründungspflicht 12, 43, 45 materieller Strafcharakter 55–57, 73 materielles Übel 15, 97, 99, 116–125, 127–128, 130–131, 138, 150, 155– 156 Mehrfachbestrafung im Ausland 36 Mehrfachverfolgung im Ausland 18, 34–35, 129 Methode der Strafzumessung 141–142 mildernde Umstände 146–147 minder schwerer Fall 11, 15, 35, 38– 39, 54, 67–69, 83–86, 144–148, 157 (modifizierte) Stellenwerttheorie 140
Sachverzeichnis Nachversicherung 23, 45 Nebenstrafe 23 Nebenstrafen 13 Notare 19, 21–22, 24, 76 Präventionsgedanken 11, 15, 29, 61, 63
167
Strafrahmensystematik 143 Strafrahmenverschiebung 85, 91, 149 Strafzumessungsgründe 12, 43, 48 Strafzumessungsschuld 13, 55, 57, 61– 62, 70–74, 78–79, 116–119, 122, 124–125, 138, 143, 150, 155–156
Rechtsanwälte 24, 33, 51, 64, 76–77, 95, 104 Rechtsstaatsprinzip 106 Rehabilitierung der Norm 101, 109– 110, 118–122, 128, 135, 155 richterliche Prognosen 83, 118, 132– 133, 135
Täter-Opfer-Ausgleich 128, 159, 163–164
Schadensrestitution nach § 46a Nr. 2 StGB 151 Schuldausgleichstauglichkeit 36–37, 78, 116 Schuldprinzip 72, 116–118, 156 Schuldstrafe 54–55, 57, 59, 71–73, 117, 126, 133, 137, 142, 157 Selbständige 34, 140 sozialer Ansehensverlust 13, 41 sozialethisches Unwerturteil 98 Sozialklausel 81, 136–137, 142 Sperrung des Arbeitslosengelds 17 Spezialprävention 39, 54, 56, 58, 60, 62–66, 69–70, 89, 91–92, 100–101, 131, 133, 136–139, 142, 150, 157 Spielraumtheorie 136, 164 Steuerberater 24, 33, 51, 76 Straf-Surrogat 37 Strafbegründungsschuld 117 Strafempfindlichkeit 35, 61–63, 69, 71, 74–77, 88, 91, 124–126, 129–131, 135, 138, 150
Verbot der Doppelbestrafung 18, 20, 90, 92–93, 96, 105–115, 134, 155 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 15, 91, 109, 117, 156 Verlust der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit 23 Verlust der Berufsrechte 20, 22, 32, 54 Verlust des Anspruchs auf Versorgungsleistungen 22, 32 Vermeidung entsozialisierender Wirkungen 39–40, 64, 138 Verweis 20, 103, 111–112, 155
61,
121–122,
Übermaßverbot 15, 119 unbenannte Strafrahmenänderungen 143 unmittelbare Straftatfolgen 13, 117
Widerruf der Approbation 19 Wiederherstellung des Rechts 59–60, 102, 116, 121, 123, 152, 155 Wirkungen der Strafe 31, 39–40, 57– 58, 65–68, 74–75, 78, 80–82, 88–89, 97, 101, 109, 118, 130, 137–140, 164 wirtschaftliche Einbußen 17 Wirtschaftsprüfer 24