Minnesangs Wende [2., vermehrte Aufl.] 3111853438, 9783111853437

Mit 14 Abbildungen auf Tafeln. 1. Auflage 1952. Die späthöfische Literatur, des 13. Jahrhunderts bedarf seit langem sta

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German Pages XVIII+200 [222] Year 1967

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Table of contents :
Vorwort v
Abkürzungen x
Die nachklassische Wende und der spätstaufische Dichterkreis l
Burkhard von Hohenfels und der geblümte Stil 7
Die erste Liedergruppe: Eigenschaftsmetaphern 7
Die zweite Liedergruppe: funktionale Metaphern 14
Zwischenformen 29
Szenenlieder 35
Der Dichter 39
Gottfried von Neifen und der deutsche Strophenbau 44
Gleichversige Strophen 47
Ungleichversige Strophen 56
Kanzonen aus Kurzversreihen 62
Die Sonderformen der Erzähllieder 63
Neifens Typen des Strophenbaus 68
Neifens Formalismus im Inhalt 72
Neifens Strophenbau und die Zeitgenossen 77
Ulrich von Winterstetten und der deutsche Leich 91
Die Leichtypen Ulrichs von Winterstetten 93
Die Typen des deutschen Leichs 109
Der Estampie-Typ bei Tannhäuser 110
Tannhäusers Estampie-Typ bei R. v. Rotenburg und K. v. Würzburg 119
Zweiergruppen bei Hadlaub und Gliers 125
Triadische Estampien 126
Zur Geschichte des Estampie-Typs: Rugge 129
Der Lai-Typ 131
Sequenz-Typ 136
Ergebnisse 140
Die Wende: Beginn des Spätmittelalters 143
Aspekt des 13. Jahrhunderts 159
Personen-, Sach- und Liedregister 197
Faksimile-Tafeln I-VII nach Seite 199
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Minnesangs Wende [2., vermehrte Aufl.]
 3111853438, 9783111853437

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MINNESANGS WENDE VON

HUGO KÜHN

2., VERMEHRTE AUFLAGE

MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N 1967

Mit 14 Abbildungen auf Tafeln

1. Auflage 1952

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1967 Alle Rechte vorbehalten · Printed in Germany Satz: Tübinger Chronik, Druckerei- und Verlagsgenossenschaft eGmbH. Einband von Hcinr. Koch, Tübingen

VORWORT ZUR I.AUFLAGE Die späthöfische Literatur, des 13. Jahrhunderts bedarf seit langem statt geistreicher Aperfus einer neuen Untersuchung ihrer Grundlagen mit den inzwischen vermehrten Forschungsmitteln. Einen Versuch dazu - angesetzt am frühesten Zeitpunkt der deutschen Wende und bei einem künstlerisch und historisch einigermaßen geschlossenen Kreis: der schwäbisch-staufischen Lyrik wollen die Studien dieses Bandes geben. Sie wenden verschiedene, z. T. ungewohnte Gesichtspunkte an: inhaltliche und formale, Ergebnisse lateinischer und französischer Philologie und musikgeschichtlicher Liedforschung, scheuen auch nicht das Biographische, das Historische, geistesgeschichtliche und kunstgeschichtliche Parallelen. Die verschiedenen Purismen, die z. Z. im Schwange sind - der philologische, der dichtungsästhetische, der historische usw. - zeigen doch nur, daß man der Sache selbst nicht mehr sicher ist. Der Philologe und Historiker aber kann bei keiner noch so handfesten methodischen Befragung die Dichtung aus dem Griff verlieren, wenn er sein Recht und seine Pflicht wahrnimmt, sie an ihrem Platz im Ganzen der Welt zu begreifen. Er wird dann immer beides zusammensehen: das Fiktive an ihr in Vorstellung und Form (das Philologie und Ästhetik zu verwalten haben) und die Aussage, die vom Stoff ausgeht und durch die Sprachleistung des Werks zu ihm zurückkehrt (die allen sachdienlichen historischen Methoden zugänglich ist). Eine Addition der Fächer, wie sie gerade für das Mittelalter heute temperamentvoll gefordert wird, bringt das allerdings auch nicht zuwege. Es lassen sich jedenfalls nicht Tatsachen und Ergebnisse verschiedener Disziplinen einfach zum Gesamtbild vereinigen - denn man löst sie damit los von der je anderen Wahrheitsbildung des einzelnen Faches, von seinen Gegenständen und Methoden. Auch die übergreifenden Fragen müssen immer von der Einzelwissenschaft ausgehen. Nur in diesem Sinne möchten meine Studien für die deutsche Literaturgeschichte neue Aspekte der mittelalterlichen Form- und Stilforschung fruchtbar machen, wie umgekehrt der vergleichenden Arbeit einige Bereiche der späthöfischen deutschen Lyrik neu und zuverlässig auf-

VI schließen: die Anfänge der geblümten Metaphorik, den Strophenbau und den Leich. Es sind, so hoffe ich, dabei Entdeckungen für beide Teile möglich. Das Wagnis, heute geisteswissenschaftliche Forschungen zu veröffentlichen, ist dem Verlag Niemeyer, Tübingen, außerordentlich zu danken! Aus Raumgründen wurden Darstellung und Nachweise in knappster Form gehalten. Die größte Hilfe für den Leser, Beigabe der Texte, verbot sich von selbst als utopisch, hätte ihre Lektüre ja auch nicht wahrscheinlicher gemacht. Den aufmerksamen Leser wird es kaum verdrießen, die zitierten Sammlungen selbst zur Hand zu nehmen, vor allem die „Deutschen Liederdichter des 13. Jahrhunderts" von Carl von Kraus. Für genaue Orientierung habe ich in jeder Weise zu sorgen versucht. Sehr dankbar bin ich jedoch für die Möglichkeit, die zwei wichtigsten Leich-Melodien im Faksimile beigeben zu können; sie sind, nach Unterrichtung über die Schlüssel, auch für den Laien leicht lesbar, dem musikalischen Fachmann aber wertvoller als Übertragungen. Die Probleme dieser Studien beschäftigen mich seit meiner (ungedruckten) Tübinger Habilitationsschrift von 1939 (Schwäbische Minnesänger. Prolegomena zu einer kritischen Ausgabe); einige Teile daraus - erste Konzeptionen des Hohenfels-Kapitels (seine Metaphernstudien haben damals schon, ohne Kenntnis der Arbeiten von E. R. Curtius, auf ähnliche Wege geführt), der Form-Systematik für Neifen und der Leich-Typen Winterstettens - sind in die betr. jetzigen Kapitel eingeschmolzen. Der Überblick über größere Zusammenhänge wurde dann besonders gefördert durch die Zusammenarbeit mit Georg Reichert und Kurt Wais bei einer 1949 in Tübingen gehaltenen Übung über die Formprobleme des mittelalterlichen Liedes in Musik und lateinischer, französischer und deutscher Literatur. Ganz besonderen Dank schulde ich Carl von Kraus, dessen nie versagende Güte mir schon vor dem Druck die Texte und den Schatz der Anmerkungen, Untersuchungen, biographischen und literaturgeschichtlichen Darstellungen seiner „Deutschen Liederdichter des 13. Jahrhunderts" zugänglich machte. Sie sind immer und mit größtem Gewinn benutzt, auch wo ich neue Wege auf ihre Begehbarkeit zu prüfen versuche. Für die Erlaubnis, das Faksimile der von H. Spanke entdeckten Tannhäuser-Melodie zu veröffentlichen, danke ich dem Herrn Direktor der Handschriftenabteilung der Bayrischen Staatsbibliothek, für freundliche Auskünfte und Vermittlungen Helmut Rosenfeld in München und Heinz Rupp in Freiburg. Gewidmet sei das Buch Hermann Schneider, der die frühen Anfänge betreute, und Paul Kluckhohn. Mein Dank für ihre wissenschaftliche Lehre und ihre Freundschaft ist aus langen Jahren erwachsen. Tübingen, Februar 1952

H. K.

VORWORT ZUR 2. AUFLAGE Meine Studien zur deutschen Literatur im dreizehnten Jahrhundert, beschränkt im Ansatz, aber mit breiteren Ausblicken, werden weiter gebraucht, und der Verlag, dem ich mich von dem verehrten verstorbenen Herrn Dr. h. c. Hermann Niemeyer zu Herrn Robert Harsch-Niemeyer seit meinen wissenschaftlichen Anfängen freundschaftlich verbunden weiß, drängte schon seit Jahren auf eine Neuauflage. Ich habe sie verzögert, weil ich zwar das Buch selbst, das in den spezifischen Materialien und Blickrichtungen der drei Hauptkapitel nicht überholt scheint, nicht umarbeiten wollte, wohl aber die ganze, teils stützende, teils nuancierende, teils weiterführende Forschung seither in einer ausführlichen Rechenschaft als Nachtrag aufarbeiten. Der Nachtrag hat sich ausgeweitet zu einem Versuch über das dreizehnte Jahrhundert, der sowohl die literarhistorischen Ansätze wie die methodischen Reflexionen des Buches weiter zu klären versucht. Stoff und Literaturhinweise dieses Kapitels sind ins Register eingearbeitet. Zu danken habe ich den Rezensenten der ersten Auflage (insbesondere Heien Adolf, Speculum 29, 1954, S. 293 ff., William T. H. Jackson, The Germanic Review 28, 1953, S. 309 ff., A. Moret, Etudes Germaniques 9, 1954, S. 68, F. R. Schröder, GRM, NF 4, S. 73) und zahlreichen Freunden und Kollegen, die mich durch Überreichen von Büchern und Sonderdrucken und durch Gespräch und Zusammenarbeit gefördert haben. Herrn Dr. Christoph Cormeau danke ich für treue Hilfe bei der Redaktion der Anmerkungen und des Registers. Paul Kluckhohn und Hermann Schneider, denen die erste Auflage gewidmet war, sind dahingegangen, ebenso Carl von Kraus und Georg Reichert. Ich widme die zweite Auflage ihrem Andenken in der Hoffnung, daß über gewiß möglichen methodischen Fortschritten Charakter, Wissenschaftsstil und Wissenschaftsmoral ihrer Art nicht untergehen mögen. München, August 1967

H. K.

INHALT Vorwort

V

Abkürzungen

X

Die nachklassische Wende und der spätstaufisdie Dichterkreis

l

Burkhard von Hohenfels und der geblümte Stil Die erste Liedergruppe: Eigenschaftsmetaphern Die zweite Liedergruppe: funktionale Metaphern Zwischenformen Szenenlieder Der Dichter

7 7 14 29 35 39

Gottfried von Neifen und der deutsche Strophenbau Gleichversige Strophen Ungleichversige Strophen Kanzonen aus Kurzversreihen Die Sonderformen der Erzähllieder Neifens Typen des Strophenbaus Neifens Formalismus im Inhalt Neifens Strophenbau und die Zeitgenossen

44 47 56 62 63 68 72 77

Ulrich von Winterstetten und der deutsche Leich 91 Die Leichtypen Ulrichs von Winterstetten 93 Die Typen des deutschen Leichs 109 Der Estampie-Typ bei Tannhäuser 110 Tannhäusers Estampie-Typ bei R. v. Rotenburg und K..v. Würzburg 119 Zweiergruppen bei Hadlaub und Gliers 125 Triadische Estampien 126 Zur Geschichte des Estampie-Typs: Rugge 129 DerLai-Typ 131 Sequenz-Typ 136 Ergebnisse 140 Die Wende: Beginn des Spätmittelalters

143

Aspekt des 13. Jahrhunderts

159

Personen-, Sach- und Liedregister

197

Faksimile-Tafeln I-VII

nach Seite 199

ABKÜRZUNGEN C

Die große Heidelberger („Manessische") Liederhandschrift: Faksimileausgabe Leipzig, Inselverlag, 1925-1929; Abdruck von Friedrich Pfaff, 1909. Carm. Bur. (Schumann) Carmina Burana, hrsg. von Alfons Hilka und Otto Schumann, I. Band Text 1. (1930). 2. (1941). II. Band Kommentar 1. (1930) (mehr bisher nicht erschienen). DTÖ Denkmäler der Tonkunst in Österreich. DTM Deutsche Texte des Mittelalters, hrsg. von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Dt.Vjs. Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Di.u.Vo. Dichtung und Volkstum (Fortsetzung [auch der Bandzählung] des Euphorien von 1934 bis 1944). Heusler Andreas Heusler, Deutsche Versgeschichte, 2. Band (Grundriß der Germanischen Philologie 8,2) 1927 (zitiert: arabische Zahlen = Paragraphen). KLD Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts, hrsg. von Carl von Kraus, 1951 ff., Bd. l Text (zitiert: arabische Zahl = Nr. der alphabetischen Reihenfolge der Dichter, römische Zahl = Nr. des Liedes, arabische Zahlen nach Komma = Strophe und Vers); Bd. 2 Kommentar (zitiert: z. St. = zur Stelle: Einleitungen zu den einzelnen Dichtern und Kommentar zu den einzelnen Liedern, Strophen und Versen). MF Des Minnesangs Frühling, neu bearbeitet von Carl von Kraus, 1944. MFU Carl von Kraus, Des Minnesangs Frühling. Untersuchungen, 1939. MGG Musik in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Friedrich Blume, 1951 ff. MGH Monumenta Germaniae historica. MSH Minnesänger. Deutsche Liederdichter des 12., 13. und 14. Jahrhunderts, gesammelt von Friedrich Heinrich von der Hagen, 4 Teile, 1838. MTU Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. NDB Neue deutsche Biographie, 1953 ff. PMLA Publications of the Modern Language Association, New York. Q.u.F. Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. RL Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, begründet v. P. Merker und W. Stammler, 2. Aufl. hrsg. v. W. Kohlschmidt und W. Mohr, 1958 ff. SM Die Schweizer Minnesänger, hrsg. von Karl Bartsch (Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz 6) 1886, Nachdruck 1964. Wilm.-M. Walther von der Vogelweide, hrsg. u. erklärt von W. Wilmanns, 4. vollständig umgearbeitete Auflage besorgt von Victor Michels, Bd. 2 (Germanistische Handbibliothek I, 2) 1924. WU Carl von Kraus, Walther von der Vogelweide. Untersuchungen, 1935, 2 1966. ZfdA Zeitschrift für deutsches Altertum. ZfdPh Zeitschrift für deutsche Philologie. ZfMusikwiss. Zeitschrift für Musikwissenschaft. ZfrPh Zeitschrift für romanische Philologie.

DIE NACH K L AS SI S CHE W E N D E UND DER SPÄTSTAUFISCHE D I C H T E R K R E I S

Die späthöfische Literatur des deutschen 13. Jahrhunderts, lange nur dem Schema epigonenhaften Absturzes aus klassischer Norm und Blüte überantwortet, hat durch neue literarische Erlebnisse im 20. Jahrhundert manche Rettung erfahren. Keine reicht jedoch bis in die Grundkonzeption hinunter, und das literaturgeschichtliche Bild der Zeit schwebt in Widersprüchen. Einerseits mißt man - durchaus nicht zu Unrecht - die Nachfahren noch immer an den „klassischen" Werten, an Walther, Wolfram und Gottfried, auf die sie sich ja vielfach selbst beziehen. Auf der anderen Seite geht man jeder Spur von Realismus und Naturalismus nach, von Barock oder Expressionismus und wie die neuerlebten Schlagworte alle heißen, würdigt die Lage bei den bestimmenden Dichtern und Werken, bei Rudolf von Ems, Konrad von Würzburg und dem jüngeren Titurel, bei Neidhart, Ulrich von Lichtenstein, Tannhäuser und Fr.auenlob geistesgeschichtlich, psychologisch und soziologisch, schreibt sogar - in dieser Allgemeinheit sicher zu Unrecht - den Abstieg des literarischen Gestaltens überhaupt, die Künstlichkeit der Form wie die neue Stofflichkeit des Interesses, einseitig auf das Konto des Bürgertums. Unerklärt bleibt so nur das einzig zu Klärende: wie sich die Impulse dieser Literatur zwischen literarischer Norm- und Stilgesetzlichkeit, geistesgeschichtlicher Eigengesetzlichkeit und politisch-wirtschaftlich-gesellschaftlicher Funktion verteilen sollen. Die Aufgabe ist allerdings schwierig. Schon historisch bleibt ja die Zeit des Ausgangs der Staufer, des Interregnums und des anhebenden Wegs der Habsburger schwer zu werten, zumal auch hier der jähe Absturz in Deutschland, zuerst vom Glanz Friedrichs I. und Heinrichs VI. bis zu den Anfängen Friedrichs II. und dann noch einmal von Friedrich II. zum blutigen Ende Konradins, den Blick für die neuen Kräfte trüben konnte. Aber eine andere Tatsache mußte ihn schärfen: um 1250 wird, nach manchen Vorbereitungen, eine europäische Epoche, vielleicht die stärkste Wende der mittelalterlichen Ge-

2

Der späthöfische Schematismus als Problem

schichte sichtbar - der Beginn dessen, was man in allen Lebensgebieten das Spätmittelalter nennen darf. Für die Literaturgeschichte aber, wenigstens der um 1200 schon ausgebildeten Gattungen, scheint diese allgemein-historische Epoche völlig überdeckt durch das Fortwirken der klassischen Vorbilder von 1170-1220. Das gilt, mehr noch als für die Epik und die Spruchdichtung, für das höfische Lied fast uneingeschränkt. Eine neue Gruppe hebt sich zwar aus dem traditionellen Minnesang sehr früh und deutlich heraus: die „dörperliche" Dichtung Neidharts. Seinem Einfluß wird dafür fast unbesehen alles aufgepackt, was an „Realismus", an Tanz, Pastourellen-Motiven, höfischer Parodie und antihöfischem Protest im Lied des 13. Jahrhunderts sonst noch erscheint. Beim eigentlichen Minnelied, dem schematischen Lichtenstein-, Neifenund Konrad von Würzburg-Ton, den hundert kleinere Sänger kaum verändert wiederholen, scheint es überhaupt aussichtslos, nach Schul- und Stilzusammenhängen, Vorbildern, Entwicklungslinien, nach historischen und soziologischen Zusammenhängen zu fragen'. Unsere Literaturgeschichten finden in der Regel keine andere Ordnung als die rein landschaftliche, und auch sie nicht als literarhistorisches Problem, sondern nur unter dem, oft noch zweifelhaften, Aspekt rein biographischer Vorfragen. Die Motive des „klassischen" provenzalisch-französisch-deutschen Minnesangs wie der neuen Neidhartschen Mode scheinen, unmittelbar neben Walter von der Vogelweide und Neidhart, zu einem Schematismus zu gerinnen, der fast zeitlos bis zum Ende des Minnesangs dauert. An diesem Schematismus scheiterten alle Versuche, die beziehungslose Masse, seis von innen, seis von außen, zu gliedern. Was man bei einzelnen Dichtern an persönlicheren Erlebnissen oder Stilbildungen zu beobachten glaubte, was mit dem sogenannten Realismus, mit der zeitverbundeneren Spruchdichtung, dem beginnenden bürgerlichen Meistertum zusammenhängt - all das gibt wohl verteilte Lichter, aber keine Sicht der allgemeinen Zusammenhänge und der Entwicklung. Es bleibt nur der Weg, den späthöfischen Schematismus selbst als literaturgeschichtliches Problem neu anzugehen2. Als Ansatzpunkt dafür, will man nicht von vornherein im Unübersehbaren ertrinken, bietet sich am besten die schwäbische Gruppe: Burkhard von Hohenfels, Gottfried von Neifen, Ulrich von Winterstetten. Mit Hohenfels (bei Uberlingen am Bodensee) beginnt der neue Stil schon recht früh und ohne bisher greifbare Zusammenhänge - Hilt1

Vgl. zuletzt Carl von Kraus, Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts (= KLD), 1951 ff., Bd. l, Einleitung. * Was selbstverständlich kein Rückfall in die von K. Burdach gerügte unzulängliche Wertung des Schematischen zu sein hat (Reinmar der Alte und Wahher von der Vogelweide, 2. Aufl. 1928, S. 399).

Der „sdjwabische Zeitpunkt"

3

bolt von Schwangau, stilistisch uneinheitlich und schwer zu datieren, bleibt vorerst besser beiseite. Und dieser Stil setzt sich in dem umfangreichen Werk Neifens (vom Hohenneufen am Albrand) und Winterstettens (bei Ravensburg in Oberschwaben) in historisch und landschaftlich einigermaßen sicherer Kontinuität fort. Sonstige Ansätze dichterischer Persönlichkeiten - der Ulrichs von Lichtenstein in Österreich, der des Truchsessen von St. Gallen Ulrich von Singenberg, der persönliche Weg des Tannhäusers, die Spruchdichter usw. - bieten weder die Kontinuität noch den reinen Stil der Schwaben. Auch er ist durchaus keine problemlose Einheit: bei Burkhard noch mit oft gerühmter „Anschaulichkeit" und „Lebendigkeit" verbunden, wird er erst durch Gottfried von Neifen zum stereotypen und vielfach nachgeahmten Muster ausgebildet, bei Ulrich von Winterstetten schon wieder bewußt dekorativ und persönlich angewendet - bei allen dreien aber zu spürbarer, wenn auch schwer begreifbarer Qualität des Schematismus gesteigert. Insofern steht der deutsche Minnesang jetzt, in seiner oberdeutschen Spätphase, wirklich im „schwäbischen Zeitpunkte" - wenn auch anders und enger als es Bodmer 1758 und Tieck 1803 meinten; auch nicht im Sinne beherrschender Wirkung der Schwaben - da wir ja solche Zusammenhänge bisher noch nicht genau fassen können; jedoch im Sinne des Typischen, das sie vor allem ausbildeten, der stilistischen Grundform, an der alle anderen landschaftlichen und persönlichen Sonderprägungen schließlich doch teilzuhaben scheinen. Zur Erklärung reicht die bisherige stilistische Sicht - der Hinweis auf die Walther- und Neidhartlinie vor allem - nicht aus; ebensowenig aber die geschichtliche: das von Konrad Burdach entworfene, vielfach nachgeschriebene, zuletzt von Hans Naumann neu und kühn historisch aktualisierte Bild des »schwäbischen Kreises" 3. Zusammenhänge zwischen der spätstaufischen, vor allem schwäbischen Reichsverwaltung in Deutschland und den deutschen Dichtern dieser Zeit bestehen sicherlich. Der Reichsschenk und schwäbische Landpfleger Konrad von Winterstetten, König Heinrich (VII.) und Konrad IV. waren Gönner Rudolfs von Ems und Ulrichs von Türheim. Minnesang pflegten nicht nur Hohenfels, Neifen und Winterstetten, Angehörige welfisch-staufischer Ministerialenund Reichsbeamtengeschlechter oder edelfreier Verwaltungsträger. Auch andere Sänger - Tannhäuser, Br. Wernher - suchten, seit Walther eine Tradition, den Hof. In Friedrichs II. und Enzios italienischen, Konradins deutschen Lie3

Hans Naumann, Die Hohcnstaufen als Lyriker, Dichtung und Volkstum (Euphorion) 36, 1935, S. 21-49 (besonders 27 ff.), und zusammenfassend: Deutsches Dichten und Denken von der germanischen bis zur staufischen Zeit (Slg. Göschen), 1938, S. 85 ff.

4

Der spätstaufische Dichterkreis

dem ist uns Minnesang als Beschäftigung der königlichen Kavaliere selbst, wie schon bei Heinrich VI., überliefert. Auch König Heinrich (VII.) - der, in Italien geboren, in Deutschland seit 1220 als gewählter König unter Vormundschaft, seit 1228 mit 17 Jahren selbständig die Verwaltung führte bis zu seiner Revolte und Absetzung durch den Vater 1235* - soll sich die lange Gefangenschaft mit Liedern verkürzt haben 5 : das Gefangenschaf tsminnelied ist wohl ein gesellschaftlich-literarischer Typ, der auch bei Liechtenstein (XLVII) und noch bei Oswald von Wolkenstein wiederkehrt. Die staufische Verwaltung spielte eine bedeutende Rolle für die Dichter jener Zeit - wir werden selbst die Beweise dafür zu vermehren suchen. Die Tradition des Sängerkreises der achtziger Jahre um Heinrich VI. in Italien und dann wieder die Bindung des Minnesangs an Fürsten- und Kaiserdienst durch das großartige Leben Walthers von der Vogelweide hindurch - all das setzt sich hier fort, wirkt sogar jetzt erst in die Breite. Aber gerade diese Kontinuität macht die nachklassische Stilwende um so schwerer begreifbar. Vielleicht war die Politik dieses Kreises kleiner, ihr Sinn nicht mehr so „hoch", ihre Lebensführung weniger „edel" - wir wissen es durchaus nicht sicher. Seine Dichter verraten gerade davon nichts, die Epiker ringen nicht minder nach der Vereinigung von Weltdienst und Gotteslohn wie die „Großen" vor ihnen, seine Lyriker stimmen den reinsten, den bis zur Formel gereinigten Klang der hohen Minne an, daneben einige Tanzlieder, die Walther und Neidhart im „klassischen" Zeitalter schon gerechtfertigt hatten. Mit Recht hat Naumann die so lange tradierte wissenschaftliche Sage zurückgewiesen, der „frivole" Ton am Hof König Heinrichs (VII.) sei die Wurzel des neuen Stils. Und doch läßt diese ganze „Reinheit" klassischen Erbes die innere und äußere Verwandlung nur um so heftiger und beim ersten Wort deutlich werden. Sich wie Naumann mit der formellen Kontinuität genügen zu lassen, ist unmöglich, wenn man über Apercus hinausgeht; und der Gedanke an das Volksliedhafte in dieser neuen Kunst - „in diesen Lyrikern neigt sich das staufische Reich langsam zur ganzen Nation" - setzt eine feingefühlte Nuance in grobe historische Trittsteine um. Wie wird die Stilwende, die schon bei Burkhard von Hohenfels, vielleicht schon vor 1220, unüberhörbar vollzogen ist, begreiflich? Genau genommen 4

Vgl. über ihn das (trotz gewisser Verzeichnungen) sehr gründliche Buch von Emil Franzel, König Heinrich von Honenstaufen. Studien zur Geschichte des „Staates" in Deutschland, Qu. u. F. aus dem Gebiet der Geschichte 7, Prag 1929. 6 H. Naumann a. a. O. Di. u. Vo. 36, S. 31. • H. Naumann a. a. O. S. 31.

Der spätstaufische Dichterkreis

5

sind das zwei Fragen. Ist das Neue, das hier sichtbar wird, überhaupt ein einheitlicher Stil, gemeinsam wenigstens für den relativ fest umschriebenen Kreis der schwäbischen Sänger? Und wenn das so ist: worin liegt seine Kontinuität, wer trägt sie, wo liegen die Ursachen und Hintergründe? Die Antwort läßt sich nicht ins Vorgelände der biographischen Tatsachen abschieben. Denn diese sprechen durchaus nicht so eindeutig für eine enge literarische Kontinuität, wie man es immer wieder nachgesprochen hat. Der (staufische?) Ministeriale Burkhard vonHohenfels am Bodensee, bezeugt schon seit 1212, erscheint 1216 bei Friedrich II., seit 1222 in der Umgebung König Heinrichs (VIL), aber nur im engeren Umkreis seiner Heimat, 1227 ist er mit ihm in der Schweiz - dann, als Heinrich gerade selbständig zu handeln beginnt, verschwindet er aus den Urkunden, um erst 1242 noch einmal aufzutauchen 7 . Umgekehrt begegnet Gottfried von Neifen — aus edelfreiem Geschlecht, das in Gottfrieds lateinisch und französisch gebildetem Vater Heinrich den protonotar des Königs bis 1235 stellte - nur in den letzten Jahren von König Heinrichs Herrschaft, 1234/35, bei ihm in Wimpfen; er kämpft dann allerdings zusammen mit seiner Familie die Empörung König Heinrichs gegen Friedrich II. aus, wird mit seinem Bruder am 21. Juni 1235 (!) im Schwiggerstal (Ermstal östlich des Neckars) vom Bischof von Konstanz, einem Tanner und Nachfolger Heinrichs als protonotar, geschlagen und kurze Zeit gefangen genommen; aber er lebt, nachdem sein Vater sich 1236 aus der Reichsacht lösen konnte, noch bis 1255, ohne näheren Zusammenhang mit dem staufischen Hof. Gottfried kann schlecht schon sechs bis sieben Jahre vor seiner rechtsfähigen Volljährigkeit an König Heinrichs Hof (als Knappe?) den Einfluß des erheblich älteren Hohenfeisers erfahren haben - sein Vater erscheint auch erst seit 1230 dort. König Heinrich selbst bestimmte den neuen Stil sicher nicht, auch nicht seit seiner Heirat 1224; vielleicht lebte er sich in ihn hinein, ihn zu schaffen hatte er nicht die Zeit und nicht das Alter. Die gemeinsamen Stilinteressen und -Vorbilder können überhaupt nur im weiteren Kreis der staufischen Verwaltung lebendig gewesen und geblieben sein. Denn der dritte Dichter aus seiner Mitte, Schenk Ulrich von Wmterstetten (-Schmalneck) begegnet urkundlich frühestens 1241, mehrere Jahre nach König Heinrichs Fall. Schenk Konrad von Tann-"Winterstetten, sein Großvater, hielt sich schon seit 1231 vom Hofe fern; 1235 bestätigt ihn der Kaiser sogleich wieder als Landpfleger von Schwaben und Mitglied des Reichsrats, was er bis zu seinem Tod 1243 bleibt, wie auch sein Schwiegersohn von Schmal7

Vgl. hier und zum Folgenden Darstellung und Literatur in KLD Bd. 2. Dazu E. Franzel a. a. O. und für die Ministerialen: Karl Bosl, Die Reichsministerialität der Salier und Staufer, Schriften der MGH 10, Bd. 2, 1951, Register.

6

Die Stilwende

neck, des Dichters Vater, der wenig später starb. Ulrichs Sang wird hauptsächlich in den Jahren von 1240 bis 1260 entstanden sein (Lied X vor 1252!) - einzelne spätere Lieder wie das auf den Tod des Bruders anspielende (XXXVIII, l, 5; auch die Klage um die entschwundene Gesellschafts-Minne XXXVII und XL) verraten im Inhalt die Distanz, aus der heraus der jetzige Geistliche seine alte Kunst zu besonderem Zwecke noch einmal hervorzieht. (Die Anspielung auf den Bruder in dem übermütigen Lied IV bestätigt auch von dieser Seite, daß er zu der wohl bekannt brüderreichen Schmalnecker Familie gehörte.) Er konnte also Burkhard von Hohenf eis vielleicht noch einmal treffen, den seit 1235 dem Hof fernstehenden Neifer kaum öfter - für eine Lebensgemeinschaft als Kunstgemeinschaft spricht jedenfalls nur die geringste Wahrscheinlichkeit. Form und Stil aber gehören schon einer ändern Stufe an als der Burkhards und Neifens: er steht bei Tannhäuser, Konrad von Würzburg, der zweiten Generation der Stilwende. Das Biographische und Historische läßt uns also im Stich. Es verweist höchstens auf den staufischen Hof oder richtiger auf die Familien der staufischen Reichsbeamtenschaft als Zentrum, vielleicht auch nur Sammelbecken der verschiedenen Formen der Stilwende. Es muß versucht werden, in den Liedern dieser Dichter selbst den Einheitspunkt zu finden, aus dem sich Form und Stil wie der Inhalt dieser schematischen Kunst erklären, und diesen Einheitspunkt dann erst in Zusammenhang mit der geschichtlichen Situation zu setzen. Das kann nur so geschehen, daß jeder der drei Dichter einzeln mit seinem ganzen Werk in seinen möglichen Beziehungen untersucht wird, wobei das Augenmerk besonders auf das Schematische darin zu richten sein wird. Davon ist manches schon getan, vor allem für die motivlichen Zusammenhänge mit Minnesangs Frühling, Walther von der Vogelweide und Neidhart, auch mit dem späteren Minnesang8. Für das Neue in Stoff, Motiv, Form und Stil fehlt bisher ein Zugang. Er wird vor allem zu suchen sein. Dabei ergeben sich ganz von selbst für jeden der drei Dichter bestimmte Sonderprobleme als Ausgangs- und Mittelpunkt der Analyse, und sie können dann jeweils schon vergleichend für die zwei anderen Dichter und darüber hinaus für ihre Stellung im ganzen des späthöfischen Minnesangs fruchtbar gemacht werden: bei Burkhard von Hohenf eis die Metaphorik, bei Neif en die Strophenform, bei Ulrich von Winterstetten die Leichdichtung. 8

Zusammengestellt und sehr erweitert K.LD Bd. 2 zu Hohenfels (Nr. 6), Neifen (Nr. 15) und Winterstetten (Nr. 59).

BURKHARD VONHOHENFELS U N D D E R G E B L Ü M T E STIL B u r k h a r d von H o h e n f e l s ist der früheste Dichter der schwäbischen Gruppe. Seine achtzehn Lieder werden allgemein wegen ihrer „Anschaulichkeit", ihrer „lebendigen" Bilder gerühmt. Dies, und die „frische Natürlichkeit" seiner Tanzlieder, gilt als sein Eigentliches und Besonderes. Das Urteil ist jedoch zu summarisch. Wir wollen, um seine Gestalt und seine Stellung in der Zeit zu begreifen, gerade den See dieser Anschaulichkeit etwas ausloten, d. h.: die Originalität seiner Bilder1, dann überhaupt die Art der Anschauung darin und ihren Sinn, schließlich ihre Verwendung, den Stil und die Absicht des Dichters ganz allgemein im Gang von Lied zu Lied prüfen. Dabei ordnen sich von selbst die Lieder in wenige Gruppen. Was an den Zusammenhängen zuerst schwierig erscheinen mag, wird, je mehr die Fäden sich festige^, auch klarer und verständlicher werden. Die erste Liedergruppe: Eigenschaftsmetaphern 1. L ie d V : Bilder von Kampf und Turnier gehen hier, nicht so sehr als festes Gleichnis (wie die reise Morungens etwa MF 145, 33 oder gar das weit verbreitete wunden und heilen), sondern sehr spielerisch nach verschiedenen Seiten gewendet wie das militat omnis amans O v i d s (Am. I , 9,1), durch das ganze Lied hindurch 2. Mins tumben herzen3 hoher mttot want im 1

Die Nachweise von Max Sydow, Burkhard von Hohenfels und seine Lieder, Berlin 1901, wiederholt und vermehrt bei Carl von Kraus, Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts (KLD) Bd. 2, sind dankbar benutzt, dazu sonstige Metaphernsammlungen (meist in Dissertationen) und eigenes Material. 2 Von Erika Kohler, Liebeskrieg, Tübinger Germanistische Arbeiten 21, 1935, S. 119 f. nur zum Teil erkannt. 3 Tumbez herze „personifiziert" oft in Minnesangs Frühling (neu bearbeitet von Carl von Kraus, 1940 = MF): sieh Richard Galle, Die Personifikation in der mittelhochdeutschen Dichtung ..., Diss. Leipzig 1888, S. 40. Betwungen: s. D i e t m a r v o n E i s t MF 32, 2: min herze . . . betwungen stat.

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Burkhard von Hohenfels V

ferner unbetwungen, der $pilt e mit reinen wiben, kiuschen megeden fro fri zallen stunden, hat ir gewalt dem an gesiget, . . . . (l, 3 ff.): er hielt die Minne (im hohen Mut!) für ein leichtes lustiges Turnier, da wars ein Kampf, eine Niederlage, mit Wunden, die nach Heilung rufen 4 . Strophe 2: Do ich genade niht envant (keinen Pardon), mit flühten wände ich fride gewinnen: ich barg mich hinder berge graze, starkiu wazzer, dar zuo wit gevildes. Doch auch die Flucht hilft nicht - „Ihre" ethische Stärke verfolgt und besiegt ihn auch hier: daz si mit rehter giiete hohen muot so tiefe in sorclich truren mir versenket. Ihren hohen muot zeigt mit seinem „Gesinde" Str. 3. Was überhaupt aber wil si mir gewinnen an? (Strophe 4) - ich gibe (so C) ir mich gar für eigen. Jedoch (5, 8): wil friundes not ir gan, tuot si mir unverdienet leit, daz-mag si wol geriuwen*: übertreibt sie das Turnier und schädigt mich, so hat sies zu bereuen, wenn sie einen treuen Freund noch braucht! Ebenso bekannte Metaphern wie den Liebeskrieg und wunden-heilen benutzen auch die ändern Bilder des Liedes. Das ingesinde (3,2) 7 : es sind lauter Eigenschaften der Geliebten, zum Teil mit allegorischer Funktion, darunter als erste die schäme, die ir den Spiegel treit8. Weiter: der fröidegarten (4, 7)'. Einige Wendungen und Bilder haben besonders Wolf ramschen Klang10: « H i l t b o l t v o n S c h w a n g a u KLD II, 8 (= C, MSH und Erich Juethe, Der Minnesänger Hiltbolt von Schwangau, Germanist. Abh. 44, 1913): Ez ist ein wunder, mir wart nie so we, Do ich wol vieren für eigen mich bot. Nu minn ich eine und dehein ander me . . . Ez was ein spil da mit ich umbe gie: Nä 'rkenne ich minne, die 'rkande ich e nie. Hat B u r k h a r d das spiln H i 11 b o 11 s zum Kampf umgedeutet? Der Zusammenhang scheint sicher - wenn es keine gemeinsame Quelle gibt. 5 O v id Amores I, 9, 11-12: Ibit in adversos monies, duplicataque nimbo Flumina, congestas exteret ille nives! Aber B u r k h a r d flieht vor ihr - die bei O v i d verfolgt ist. Die Trennung der Italienfahrt über die Alpen (eher als Kreuzzug) denn das ist hinder ungeverte und harte frömeder wilde: nicht „heroische" Flucht in die Natur (Ehrismann, Litgesch. Schlußband S. 273)! - war für die Dialektik der Liebe schon in MF benutzt (seit H a u s e n MF 47, 9: ich bin hier in der Fremde mein Geist ist dort). Aber hier dient sie nur als Metapher, und die Anschauung so detailliert ins Bild hereinzuziehen - mochte sie beim Weg über die wilden Alpen zugleich auch „erlebt" sein - ist antike Art und bei O v i d vorgebildet! • So gegen KLD. 7 Ein bekanntes Bild: bei G o t t f r i e d , W o l f r a m , R e i n m a r von Z w e i e r , F r a u e n l o b : s. Oskar Saeditig, Über die Bilder und Vergleiche Frauenlobs, Diss. Marburg 1930, S. 43. Sydow 62: L i c h t e n s t e i n 'Frauendienst' 153,20 ff.: . . . gesinde vil . . . zuht und wiplich giiete. Umgekehrt H a u s e n MF 50,15: mm herze ist ir ingesinde. 8 Spiegel der Tugend: sist aller tugent ein Spiegel gar (Wal t her Wilm. - M. XXXII, 18), und sehr verbreitet, z.B. M a m er (Strauch Q. u. F. 14, 1876) XV 181. Ganz ähnlich H a r d e g g e r l , 1,9 (MSH 2, 134a): 50 wil diu mitte daz ir trage Diu schäme der eren Spiegel vor den ougen. Stolle II, 29. 9 Häufig später. Schon G o t t f r i e d , Tristan 18066 ff.: der Paradieses-Garten

Burkhard von Hohenfels IV

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diu siieze kläre (1,1), WAS min schilt (2,6)", krenken-versenken (2, 18 7-8)", fröidenkranke (5, 4) . In demselben Bereidi ist die Vorliebe für neue Wortbildungen üblich (trostfröide 4, 5). Dazu gehört auch das absichtliche metaphorische Ineinander von Bild und Bedeutung: alle Bilder sind ohne Vergleichspartikel eingeführt! Die Form: ungefügte Stollen aus zwei Viertaktern mit Kadenzwechsel (a ba b-); der Abgesang aber (mit fester Zäsur in den ersten Zeilen) ist von einer an die Tlturelstrophe erinnernden Ausdehnung 14 ; dabei stilistisch ziemlich geschachtelt. Dm süeze ... wunder tuot ....... an mir jungen (l, 1-2): fröide , da von ich (so C!) huob diz maere (5, 5): ist der Dichter jung, ist es eines seiner ersten Lieder? Fröide ist ihm das treibende Motiv zu dem maere! Die ändern hier anzufügenden Lieder haben kein durchgehend festgehaltenes Bild, aber weiter viele, im inhaltlichen Zusammenhang metaphorisch verwendete Einzelbilder. Im 2. (= IV) wird, merkwürdig „logisch", zu Anfang (1,3) eine allgemeinste Formel für das lop der Geliebten deduziert: guoter dinge enbeinz vergezzen Ist da, sist Wunsches hostez zil. Das variiert B u r k h a r d aber trotzdem weiter durch die Negation: alle ändern Frauen müssen sich ihr gegenüber schmücken. Auch das ist wieder aus einem allgemeinen Obersatz, wenn auch lückenhaft, deduziert: liebte varwe kan so glesten, daz ...!16. - Sie lockt sin und gedance (Str. 2), der muot ist zu fröiden gesendet, im waer doch hie heime baz (Str. 3) - das ist allerdings kaum mehr Metapher, sondern fast schon Allegorie, und auch das Motiv weist in eine andere, im nächsten Kapitel zu behandelnde Liedergruppe hinüber. Im ganzen aber geht es in Lied IV wie in Lied V um „Ihre" Eigenschaften, nun auch negativ geschildert durch das niden der ändern Frauen (l, 9). Weder wie in V das Bild vom ingesinde, hier als neue, gesuchte Wortbildung: jämer hat mich gingesindet (2,9). Die Gartenmetapher von V auch hier: üz ir herzen blüejet diu vil süeze minne (l, 12). Dazu die ändern Bilder: staeter riuim Herzen. Natürlich F r a u e n l o b und K o n r a d von W ü r z b u r g (Saechtig 58); Sydow 62 z. St. 10 Sydow, 31. 11 Beim K a n z l e r (II, 3) in später Weise Eigenschaften ausbreitend: s. H. Krieger, Der Kanzler, Diss. Bonn 1931, S. 47. Allegorisiert im Leich des w i l d e n A l e x a n d e r . Sydow 24. Ludwig, Der bildliche Ausdruck bei Wolfram, Programm Mies 1889: Parzival 687, 20. Sydow 62: Zupitza zu Virg. 177, 8. 12 Sydow 31. 13 W o l f r a m Titurel 115,3. 14 S. auch Sydow S. 61 f., etwas anders KLD z. St. 15 So mit C gegen KLD.

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Burkhard von Hohenfels V U l

wen stricke (2,11)1 , fröiden spil (l, 2)17, saelden ursprinc (l, II) 1 8 , fröide in leit versenket (2, 3)'* - auch sie viel gebrauchte Metaphern; und auch sie ohne Vergleichswort inhaltlich eingebunden! Sie bezeichnen alle im Grunde inhaltliche Eigenschaften (der Geliebten fröide, melde usw.; so auch das lop mezzen). Manches einzelne verbindet IV mit V20. Die Form: wieder Stollen aus zwei Vierern, wieder ungefügt, dann aber nochmal je zwei nun glatt gefügte Vierer, darauf erst der (im langversigen Schluß auch rhythmisch durch Inreime „komplizierte") eigentliche Abgesang. 3. L i e d V I I I wiederholt eigentlich nur Lied IV, das heißt genauer IV, Strophe l ". Das hartnäckig beliebte lop mezzen wird hier als Wettflug „Ihres" lobes mit dem anderer Frauen verbildlicht, wieder im Vergleich wie bei niden in IV (l, 9). Das fliegende lop kennt neben Wo l f r a m (prls) auch G o t t f r i e d , und kennen besonders spätere Dichter **. Ebenso ein Bild wie fröiden hört (1,1) M ! Die Form zeigt wie in den Liedern IV und V die Entgegensetzung von Stollen und Abgesang: Viererstollen, hier glatt gefügt, der Abgesang stark abgehoben besonders durch die Verschlingung grammatischer und Inreime der zwei Mittelzeilen. 16

Stric besonders bei G o 11 f r i e d : K. Preuß, Stilistische Untersuchungen über Gottfried von Straßburg, Straßb. Stud. I, 1881, S. 52 f.; bei W o l f r a m : Sydow 24, Ludwig 27. 17 Spil z . B . N e i f e n , R e i n m a r v o n Z w e t e r , M a r n e r , K o n r a d v o n W ü r z b u r g , F r a u e n l o b : Saechtig 5 0 . 18 Ursprinc bei W o l f r a m (Sydow 30), aber auch W a l t h e r , R e i n m a r von Zweter, Marner, Konrad von Würzburg, Frauenlob: Saechtig 59. Föns auch im Anticlaudian und in G a l f r i d s Poetria Nova z. B.: s. dazu unten. 19 Versenken bei W o l f r a m (Sydow 31), aber auch F r a u e n l o b 292,17 (Saechtig 59). i0 IV, 3, 6 waz hiljet das: V, 2, 7 daz hilfet niht . . . - IV, 3, 10 gedenken: krenkcn: V, 2, 7 versenket: krenket. IV, 2, 9 gingesindet: V, 3, 2 ingesinde. - IV, 2, 6 swar ich var: V, 2, 4 vlühte . . . S. Sydow 30 f. und KLD z. St. 21 IV, l, 4 sist Wunsches hostez zil: VIII, l, l wünsch. - IV, l, 6 . . . ir minneclicher lip schabet daz sich müezen gesten gegen ir schoene alliu wip: VIII, 2, l eren sol man elliu wip Dur « . . . ir minneclicher lip .... - IV, l, l ir lop . . . mezzen: VIII, 3,1. Do ir lop von Sprunge flouc, . . . al der werlde lop . . . entwichent im . . . ez vert in iemer vor. ** Parz. 539, 17 des pris so hohe e swebt enbor, vgl. Wh. 45, 12; 48, 25; 453, 23. Muot . . . fliegende lob nach tagenden birt: Trist. 16962, s. Preuß 49. Strauch zu M a r n e r XV 61:R e i n m a r von Z w e t e r , K o n r a d von W ü r z b u r g u. a: Roethe zu R e i n m a r von Z w e t e r 34,5. (Sydow und KLD z. St.). 23 S. Saechtig 52. Schon bei W a l t h e r , F r e i d a n k . Und W i n t e r s t e t t e n , R e i n m a r v o n Z w e t e r , M a r n e r , F r a u e n l o b . Sydow 6 4 : L i e h t e n s t e i n 'Frauend,ienst' 39, 5.

Bftrkhard von Hohenfels XIV und XIII

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4. L i e d X I V stellt zur Abwechslung das niden der ändern Frauen an den Anfang. Die Bild-Bereiche vom Garten (saelde. ..in der wiirzegarten kan si brechen Ir rasen ir bluomen ir tugentfrühtig kriutel, l, 6 ff.) und vom Fliegen (ringe swinge sin gemüete... 3,1) kennen wir nun schon. Sie sind hier nur anschaulicher angewandt. Das Bemerklichste in unserem Lied ist aber die überhaupt eigenwillige Stilisierung der Abgesänge (in bewußtem Gegensatz zu den Stollen!) auf W o l f r a m s Art hin, ohne doch Entlehnung oder Kopie zu zeigen: wiinschel- und weckie/-Zusammensetzungeni4; der zitvogel (2, 8); der würzegarten der saelde (l, 7) 2S im Zusammenhang mit dem bekannten enspringen üz dem herzen; sundertriutel (l, 6) ; fröide enzünden (2,7)". Die Form: je zwei (gefügte) Vierer als Stollen, hier durch zweisilbigen Schlagreim der beiden Anfangszeilen geschmückt18, der Abgesang beginnt (wie in IV) mit der wiederholten Stollenanfangszeile, dann wird er ebenfalls ungleich ausladend und rhythmisch kompliziert - hier, wie der zwischen Stollen und Abgesang ausgespielte Stilunterschied zeigt, bewußt so komponiert! Schließlich noch 5. L i e d X I I I : ein lehrhafter Wechsel, durch die drei ersten Strophen nur Sprichwörter und Sentenzen wiederholend, dann formelhafte Aufzählung der fugenden wie etwa in Wa 11 h e r s Wechsel 85, 34. Liegt die gemeinsame Trockenheit in der Gattung? Auch Wa 11 h e r hat in einem ändern, ähnlichen Lied (43, 9) zwei Strophen „Einleitung", zwei Strophen wechselseitige Lehre. Von den fügenden entspricht aber nur der gruoz (auch Wa 11 h e r 85, 34), sonst fordert Wa 11 h e r mehr gesellschaftliches Verhalten - er schließt auch beide Male mit der Minne und einer die Zuhörer einbeziehenden Pointe. B u r k h a r d fordert schon nur mehr objektive Eigenschaften (auch die demuot ist dabei: 4, 4!)**. Es ist eine Zusammenstellung von Eigenschaften wie beim ingesinde des hohen muotes in Lied V, aber zum Teil auch andere als dort. Sie verbindet auch das Urteil der Leute mit diesen Eigenschaften wie die Lieder IV, VIII, XIV. - Wisheit ist mir ze snel (4, 1) 24

Sydow 29 verweist auf das Wörterbuch. B u r k h a r d s wechselgedenken 3, 8 und wünschelgedenken 7, 8 aber wohl selbständige Neubildung. 85 Sydow 67 einiges ähnliche. 28 SundertrAt auch in 'Des Minners Klage': Schmeller, H a d a m a r von Lab e r s Jagd, 1850, S. 689 (s. Wb.), Parz. 437, 26: Sydow 24. 27 Auch F r a u e n l o b : Saechtig 51. - S. Sydow. 18 Dasselbe z. B. Carm. Bur. (Schumann-Hilka) I 17, und (Pseudo-)R e i n m a r MF 199, 25, aber mit anderem Strophenbau. Es ist der in Lai und Leich beliebte Vers! » Welscher Gast 977 ff.!

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Metaphern-Kreise

als Nachklang des Parzival-Anfangs?8e Lobes hei (4,4) ist auch in W o l f r a m s Manier81. Vinster-glesten für swachen rat-tugent3*: ein spätes Bild**. Pflanzen-Wachstum als Bild für Eigenschaften wieder: swä sich bescheidenheit In wtbes herzen geilet, Di» zwiget unde frühtet saelde und ere (5, 4). Krone (5, 8) ist of benützt84. Auch hier metaphorisches Ineinander von Bild und Bedeutung ohne VergleichspartikelJ Die Form hat nur in diesem Lied B u r k h a r d s (neben den beiden Tanzliedern I und VII und neben XVIII, die aber trotzdem „glatte" Formen sind) auch in den Stollen keine Vierer, sondern ungleiche Verse. Der Zusammenhang dieser Lieder ist nicht zu verkennen. Die Verbilderung, das absichtlichste Stilmittel, benützt im Grunde doch nur bekannte Metaphern. Ein paar Bilder kehren mit Vorliebe wieder: Garten und Wachstum (ir fröidegarten V, der saelde würzegarten XIV, uz herzen blüejet minne IV, bescheidenheit zwiget unde frühtet saelde und ere XIII; Bilder aus demselben Bereich dann auch in Lied VI, XV, II: s. unten), Fliegen (das auf den Hauptvergleich der zweiten Liederreihe vordeutet), besonders im fliegenden lop (VIII - dazu dann III). Dies Fliegen verbildlicht das lop mezzen (IV), das eigentlich das Grundthema aller dieser Lieder ist: die vergleichende Hervorhebung der Eigenschaften der Schönen. Sie werden ausdrücklich aufgezählt (als Gesinde V, und XIII), öfter noch negativ variiert im Vergleich (lop mezzen) und besonders im nlden der ändern Frauen (IV, VIII, XIII, XIV - ein bewußter oder unbewußter Rückgriff auf Frühhöfisches?). Alle binden Bild und Bedeutung ineinander ohne ein abstandschaif endes Vergleichswort. Es sind Metaphern, die besonders Wo l f r a m , aber auch G o t t f r i e d der vorher im ganzen eher Bilder-armen deutschen Lyrik vermitteln konnten, und die dann Dichtern wie R e i m a r v o n Z w e ter, M a r n e r , K o n r a d von W ü r z b u r g , F r a u e n l o b - nur die auffälligsten - gemein werden (aber auch lateinisch bis zurück zur Antike, provenzalisch, französisch, zum Teil allgemein menschlich verbreitet). Von einer Originalität B u r k h a r d s kann dabei nicht die Rede sein. Vorbild und Nachahmung zu suchen verbietet jedoch auch schon diese Allgemein30

Sydow 28, Parz. l, 16. Audi Lied III, 3, 3: ir Miez lop. W o l f r a m Parz. 551, 28. (Sydow). 32 So mödue idi dodi gegen KLD festhalten. 33 Saeditig 52: F r a u e n l o b , K o n r a d von W ü r z b ü r g . 34 Vgl. Iwein 10! M o r u n g e n MF 122,9. Parz. 319,10 (Bordiling, Der jüngere Titurel und sein Verhältnis zu Wolfram von Eschenbadi, 1897,164), G o t t f r i e d : aller triuwe ein krone Tristan 1798 (Preuß 57). W i n t e r s t e t t e n XV, 2,9; F r a u e n l o b (Saeditig 41). Zur schäme: M a r n e r XV, 181, 191. (Sydow). 81

Geblümter Stil

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heit - man beschreibt besser gemeinsamen Bestand und gemeinsame Manier: es sind Motive, die vor allem den „geblümten Stil", in der Lyrik von K o n rad von W ü r z b u r g und F r a u e n l o b * 6 an, kennzeichnen (nicht speziell an Wo l f r a m anzuschließen, sondern ebenso an G o 11 f r i e d !) **. In die Linie, die von F r a u e n l o b , K o n r a d von W ü r z b u r g , M a r n e r , R e i n m ä r von Z w e t e r hinauf bis zu W o l f r a m , aber auch G o t t f r i e d , und in der Lyrik zu U l r i c h von G u t e n b u r g zurückführt, gehört nun also auch B u r k h a r d von H o h e n f e l s , zeitlich und methodisch. Am nächsten steht er dabei gerade den späteren Blümern. Dahin zeigt vor allem die objektive eigenschaftliche Bedeutung der Bilder, ihre „Flachheit" (gegenüber der persönlichen „Tiefe" der Bilder etwa bei Morungen), ihre ganz schematische Metaphorik. Im geblümten Stil findet auch B u r k h a r d s „Eigenwilligkeit" ihre weitere Entsprechung über W o l f r a m hinaus: die „harte Fügung" der Gedanken überhaupt (bewußte Absicht in all diesen Liedern); die Bildung neuer Worte37; die gesuchte inhaltliche Entgegenstellung von Stollen und Abgesang; das Sentenziöse (in XIII). Ebenso bewußt sind formal die „ungleichen" Abgesänge gegen die „gleichen" Stollen ausgespielt. Ordnen wir so die „Anschaulichkeit" dieser Lieder ein, so erhält damit zugleich der geblümte Stil der Lyrik eine bisher nicht beachtete Vorgeschichte im 13. Jahrhundert; anscheinend in engerem Anschluß an W o l f r a m 3 8 . Doch nur Stilistisches und Sprachgebrauch verbinden B u r k h a r d mit W o l f r a m , nichts, was im Inhalt Benützung seiner Werke bewiese! Es ist der Stil, der bei W o l f r a m ganz „persönlich" sich gibt bis zu scheinbarem Scherz und Selbstironie - der dann wiedererscheint schon bei R e i n m a r von Z w e t e r , dann bei K o n r a d v o n W ü r z b u r g , und der bei F r a u e n 1 o b vollendet wird als neue subjektive Stilisierung, die aber aus der „Objektivität" ihres Inhalts sich nährt: als „Kunst", aus: „Kessels Grund" (Ettmüller Spruch 165). B u r k h a r d zeigt den Übergang: das Persönliche im Sinne W o l f r a m s ist bereits ganz versiegt; aber aus der Hinwendung zum Inhaltlich-Eigenschaftlichen hat sich auch noch nicht das neue „Pathos der ObjekSB

Vgl. H. Schneider in Merker-Stammlers Reallexikon l, 413 f. s. v. Geblümter Stil; O. Mordhorst, Egen von Bamberg und die geblümte Rede, Berl. Beitr. Genn. Abt. 30,1911; H. Pyritz, Die Minneburg, DTM 63, 1950, S. LXXI ff. se S. Stanislaw Sawicki, Gottfried von Straßburg und die Poetik des Mittelalters, Germanische Srud. 124, 1932, S. 172 f. 87 Verb aus Substantiv: gingesinden IV, 2,9; Komposition: trostfröide V, 4,5; wehselgedenken, wünschelgedenken XIV, 3, 8 und 5, 8; dazu stadelwise XI, 3, 1. Bei Wolfram: Borchling 131 ff. 98 Zusammenstellung Sydow 23-30, KLD Bd. 2.

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Burkhard von Hohenfels X

tivität" gebildet wie schon bei R e i n m a r von Z w e i e r und bis hin zu F r a u e n l o b . So bleibt B u r k h a r d „formal" in Stil und Inhalt. Die z w e i t e L ie de r gr upp e : f u n k t i o n a l e M e t a p h e r n Deutlich tritt eine Reihe weiterer Lieder zu einer zweiten Gruppe zusammen; mit durchweg anderen Vergleichen (vor allem: die Jagd) verbinden sie einen ganz anderen Stil und andere Form. Im 6. L i e d (= K L D X) bringt die erste Strophe zwar noch einmal ein Bild für die Eigenschaften der Geliebten: den Vergleich mit der Sonne, durch die ganze Strophe festgehalten und mehrfach gewendet: wie die Sterne vor der Sonne, so müssen vor der Schönen die ändern Frauen erblassen. Das ist noch einmal das mrfen-Motiv der ersten Gruppe, die negative Variation der Eigenschaften. Ihr folgt hier die positive: so ist auch ihre ere nicht erborgt39, sondern ihr eigen, wie das Licht der Sonne (im Gegensatz zum Mond oder den Sternen: so muß man die Verbindung sicher verstehen). Und wie die aufgehende Sonne der Welt Frohsinn kündet, so auch Sie, indem sie alle tugent zündet*0. Der deutliche Unterschied zur vorigen Liederreihe, trotzdem deren Hauptmotiv hier noch einmal anklingt, liegt, abgesehen vom „gelehrten" Inhalt, in dem bewußten Abstand von Bild und Bedeutung: das Bild wird hier als Vergleich, rational, mit den ersten Worten festgesetzt: St gelichet sich... - während jene Lieder ebenso bewußt das metaphorische Ineinander pflegten. Nun folgt in der 2. Strophe ein Bild, das fast durch die ganze Gruppe festgehalten werden wird: min wilder muot . . . streich nach fr aide in elliu lant und fiel, von ihren leuchtenden Augen gelockt, auf dieses Wild; ich wurde mit ihm verstrickt. Strophe 3: als der muot wieder fliegen will alse ein valke - hier der Vergleich deutlich ausgesprochen, nochmals mit Vergleichspartikel in fröiden gir, da kann er es nicht mehr: er ist gefangen. Denn „Sie" könnte 39

Gast häufiges Bild bei Wo l f r a m : Sydow 24. Aus gleicher Wurzel oder direkt von W a 11 h e r. 46,15: Alsam der sunne gegen den Sternen stat. S. Wilmanns-Michels z. St. (Sydow 66!); Tristan 12565 von Isot: si gtt der werlde wunne Geliche alsam diu sunne. Sieh auch F r a u e n l o b (Ettmüller) Spr. 55,1. Vergleiche mit dem Verhältnis der Sonne zu den Sternen gibt es unter den vielen Sonne-Vergleichen provenzalisch (Christian Stössel, Die Bilder und Vergleiche der altprovenzalischen Lyrik, Diss. Marburg 1886, S. 61), französisch (Kate Hoffmann, Themen der franz. Lyrik im 12. und 13. Jahrhundert, Diss. Bonn 1936, S. 43 ff.) und sonst (s. KLD z. St.) nicht direkt. Recht ähnliche abei doch französisch (Hoffmann 44). G o t t f r i e d (Preuß 46): besonders der Vergleich von Morgenrot und Sonne für die zwei Isot ist dem funktionalen Vergleich Burkhards im Stil noch näher als W a 11 h e r (46, 15) oder gar M o r u n g e n (MF 129,20 usw.) - Sydow 9 f. 40

Burkhard von Hohenfels XVIII

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seinen wandet merken und wenken, - wie Burkhard, ganz im Jagd-Bilde bleibend, deutet. Offenbar das gleiche Bild hat R e i n m a r41. Aber bei ihm ist es persönlich-inhaltlich auf die ethische Minnedialektik angewandt (hohe gern!). Bei B u r k h a r d bezeichnet es rein formal die subjektive geistige Tätigkeit des Minners. In diesem Sinne vergleicht G o t t f r i e d den mmnenden muot mit dem Vogel an der Leimrute (Tristan 841 ff.) - die funktionalen Vergleiche gehören ja vor allem in seine Art! Nur liegt freilich auch da der Vergleich viel tiefer, der muot steht auch hier in der Dialektik des Wesens der Minne selber - bei B u r k h a r d ist er bloß formal, als rein funktionale Tätigkeit genommen. In noch anderer Wendung hat das offenbar gleiche Motiv ein spätes Lied der Carmina Burana 42 . Jede Strophe führt je ein Bild klar und rational durch: Strophe l die Sonne („Sie"), Strophe 2 der muot als Falke und Strophe 3 seine Zähmung (»Er«). Zu Lied X gehört deutlich das / . L i e d (= X V I I I ) . Zuerst steht, in der ersten Strophe wie dort, auch ein besonderes Bild; das vom Kleid der Freude: ir ottgen swanc gap fröiden kleit - daz zarte enneben enzwei ir hlickes wenken (vgl. X, 2, 9: daz ir sp'dnden ougen swingen . . .). Es ist schon lateinisch allbekannt43. Hier jedoch ist es ziemlich künstlich und etwas knapp - durch die kurzen Verse -, und vor allem ist es rein subjektiv auf des Sängers eigenes Gemüt bezogen, nicht wie üblich auf objektive Eigenschaften. Strophe 2 bringt wieder das Bild vom muot als Falken: Mm muot stößt auf ihr herze wie der Falke - das Vergleich s wort! - auf das luoder stößt44. Strophe 3: „Sie" führt mim herzen sin, der doch nicht zam ist, mit sich, ohne daß er fliehen würde. Das sind genau die gleichen Wendungen des Vergleichs wie in Lied X: in Strophe l auf „Sie" gewandt (ein besonderes Bild), in 41

MF 180,10: ich bin als ein wilder valke erzogen, Der durch sinen wilden muot als hohe gert. Der ist als höh über midi geflogen Unde muotet des er käme wirt gewert Und ftiuget also von mir hin Und erdienet ungewin . . . F. Lauchert, Geschichte des Physiologus, 1889, S. 193 bezieht das Bild B u r'k'h a r d s auf das Einhorn. 42 Carm. Bur. (Schumann II) Nr. 77, Str. 10: Cor michi fatetur, Quod meus fert animus, ut per te salvetur. 4S Wie z. B. G a l f r i d , Poetria Nova, 61 (Faral S. 191): Materiam ... verbis . . . vestire; genau so für wort, rede sehr oft bei G o t t f r i e d (Preuß 54)! Im Roman de la Rose, bei W o l f r a m (Bordiling 160), bei N e i f e n als einziger ausgeführter Vergleich, W a l t h e r v o n K l i n g e n , K o n r a d v o n W ü r z b u r g (13,18), bei F r a u e n lob steht es audi oft, genau in G a 1 f r ids Verwendung (Saeditig 13). Sydow 70 verweist auf Kummer zu Stad. 5, 7; Mhd. Wb. - Nur Beispiele! 44 Isot der minnen vederspil, Tristan 10897, 11985!

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Burkhard von Hohenfels XII

Strophe 2 und 3 „sein" muot (herzen sin XVIII, 3, 2 ist dasselbe, nur des Reimes wegen variiert) als Falke allegorisiert. Hier nur mit mehr bildlichen Details. Genau so wie in Lied X steht auch hier je Strophe nur ein Bild, rational durchgeführt. 8. L i e d X 11 zeigt nicht nur ganz ebenso den muot des Liebenden beim Falkenflug, sondern zerlegt ihn genauer in gedanke - sin - muot - herze ich, und läßt diese psychischen Kräfte getrennt wirken bei der Jagd nach der Geliebten. In Strophe l werden sie beschreibend eingeführt, in Strophe 2 nochmals, wie als genaueste Erklärung der Allegorie dieser geistigen »IchTeile", erzählend vorgeführt: Die wilden gedanke™ schweifen dur aventiure, der sin unterscheidet, die Funktion des muotes bleibt etwas unklar mit dem herzen verbunden - das Lied hatte wohl Schwierigkeiten bei der Darstellung dieser Unterscheidungen. Daneben noch steht (wie in X) das ich: die Person des Sängers, deren geistige Tätigkeit so beschrieben ist: möhte ich fliegen alse ein sneller valke, ich wolt ouch da hin (l, 7)-hier nur wird deutlich der Vergleich ausgesprochen (mit Vergleichswort), während die ändern Stellen sich überhaupt kaum auf das Minne-Anliegen beziehen, fast unbildlich „theoretisch" sind. Minne sloz si - diese verschiedenen Seelenkräfte des Liebenden - zuo ir, der Geliebten (2,7)4'. Strophe 3: sie alle wollen dort bleiben, aber sie wünschten, die Geliebte wäre ebenso bei mir47. Strophe 4 behandelt, etwas außer Zusammenhang, minnedialektisch das Thema: Es zimt ir nicht, meine fröide zu swenden (ausführlicher in Lied VI!)48. - Die Darstellung ist von fast unbildlicher Rationalität, die geistigen Funktionen gedanke-sinmuot-herze werden genau unterschieden und fast theoretisch erörtert. Wie hier in XII die Falknerei, so soll im 9. L i e d (= IX) die Jagd mit der Meute die Tätigkeit von gedanke-sin-muot darstellen. Jagdvorstellungen und Jagdterminologie sind hier so mannigfach gewendet und verwirkt, wie noch in keinem Lied, und auch die Weiterführung des Gedankens in anderen Bildern ist ein wahres Feuerwerk von Tropen (vgl. auch KLD). 45

Wilde gedanke (nidit so gebräuchlich wie wilder muot): nur Tit. 116, 4 und Renner dreimal: Sydcrw 32. 4e R e i n m a r von Z w e i e r 32,3 (KLD). Parz. 292,28. Wollte man weit hinaus, so könnte man an den platonischen Eros denken, der die Erkenntnis leitet und bewegt. 47 Ähnlich nochmal Lied XVI, dasselbe einfacher inhaltlich als Herzentausch V. 48 Beziehung zu V zurück: XII, 4,1: Waz wil st da mit gewinnen . . . was fri nu bin ich eigen - V, 4, l: waz wil si mir gewinnen an? gibe ir mid) gar für eigen!

Burkhard von Hohenfels IX

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Das herze des Sängers sendet den sin aus, wilt zu jagen; der vert zusammen mit dem muote nach; vor ihnen her vert vil gedanke (sie alle also als Jagdhunde, genau wie später b e i H a d a m a r von L a b e r ! ) . Das Wild sind aber offenbar der Geliebten sin-muot-gedanken, die bei ihr in der huote sten (= im „Revier"? Sydow 65). Es hat soviel kiinste, daß der Jäger fuhses kündekeit** brauchte. Strophe 2 zeigt, schon aus dem Bild herausführend, die Überlegenheit des gejagten Wildes, als fast theoretische Spielerei mit diesen psychischen Funktionen: sin-muot-gedanke - so wird mit Allgemeinsätzen logisch bewiesen sind snel-wis-starc. Denn gedenken ist snel vor winde; wiser sin spilt bi menschen*0; muot hat leuwen Sterke61; und mit diesen dreien flieht, ja besiegt und bindet - nicht zwar das Wild die Jäger oder Jagdhunde, wie man aus Strophe l folgern müßte, aber doch „Sie" „Ihn", ihr Geist seinen Geist. Hier wird ganz deutlich, mehr noch als in Lied XII, daß es bei diesem Jagdvergleich nicht auf die Jagd nach der Geliebten, d. h. nicht auf das „Wild" und seinen Fang (wie doch wieder bei H a d a m a r !), nicht auf die Minne selbst ankam - sondern nur noch auf die ganz spielerisch-theoretische Darstellung der geistigen Funktionen sin-muot-gedanke! Strophe 3 (in C 40, KLD Str. 4") sagt - hier wieder Eigenschaften! „Ihre" scboene aus, die ihn zuerst verlockte (Str. 3 Schluß): ir . . . ougen blic wir jet... fröide, ir gruoz ... git saelde und ere, ir schoene ... leit den stric. Blick, Gruß und Schönheit nochmals irgendwie auf gedanke-sin-muot zu beziehen (ähnliches später bei H a d a m a r : s. unten), geht wohl nicht an. Die Beziehungen sind etwas unklar, vielleicht steckt noch anderes dahinter. Aber die Verbindungen sind ja im ganzen Lied ähnlich assoziativ, die Durchführung wird dauernd aufgegeben. Weiter: sie ist ein Fallensteller, der sein Werk versteht: Minne ist der „Leim", der die gedanken an sie bindet, so daß der Gefangene fröiden zol bezahlen muß58. Strophe 4 (C39 = KLD Str. 3!) ist ein richtiges Feuerwerk neuer Metaphern: trtiren hat in mines herzen grünt geankert, fröiden segel weicht von 49

Bezieht sich vielleicht auf die Geschichte aus dem Physiologus: der Fuchs stellt sich tot und fängt die Vögel, die ihn fressen wollen (Lauchert, Physiologus, S. 18, Nr. 15). 50 Ratio als das spezifisch menschliche Seelenvermögen? S. M. Baumgartner, Die Philosophie des Alanus de Insulis, Beitr. z. Philos. d. MA. 2,4,1896,5.92. 51 Allgemein übliche Verbindung, s. z. B. Sydow 15, Borchling 163, Saechtig 54. Oder ist an: Adler (= vert vor winde!) - Mensch - Leu, an die Evangelisten-Symbole gedacht, die schon R e i n m a r von Z w e t e r (Roethe) 8 und 9 benützt? Zur Rechtfertigung s. den Gedankengang oben. 53 Sydow 24: Parz. 185, 12. Bei F r a u e n l o b aber z. B. sechsmal: Saechtig 33 und 64!

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Burkbard von Hohenfels IX

mir 54 . Dann dreifach: S ist mir in dem muot (!) gebildet™, wol versigelt6*, beslozzen da sam der schtn ist in der sunnen". Der Schluß der Strophe bezieht sich vielleicht auf die Greifen-Geschichte eines Physiologus88. Strophe 5 nimmt nochmals die Jagd auf, aber als eigenschaftliche Allegorie: Minne, als Jagdhund, und Treue, als Wild, (nun also Eigenschaften wie bei H a d a m a r ! ) erscheinen in der Handlung59. Dem, der sich zur Treue hält, kann Minne schließlich mit gedanken wunnedich in stnem sinne herzeliep entwerfen90 - und damit ist das Bild doch wieder auf die Geistesfunktionen des Subjekts und ins Formale zurückgewendet! Wahrend also die drei „Falken"-Lieder (X, XVIII, XII) in jeder Strophe e i n Bild nur vielfach wendeten, steht hier wieder, ganz absichtlich offenbar, wie in der ersten Liedergruppe eine ununterbrochene Kette von Metaphern, Vergleichen, Allegorien. Zwar sind es durchweg andere als die der ersten Liederreihe, sie sind aber nicht minder bei den blümenden Dichtern beliebt! Und sie haben auch hier nirgends das Vergleichswort! Trotzdem gehört doch dieses Lied thematisch ganz klar zur zweiten, nicht zur ersten Liedergruppe. Die Theorie von sin-muot-gedanke ist hier eingehender verwendet als jemals bisher. Und die ändern Bilder enthalten doch eben auch nicht die relativ einfachen Eigenschaftsmetaphern der ersten Gruppe. Auch sie sind rational, gedanklich, „gelehrt". Auch sie zeigen, was die rationale Verschlingung des sinmuot-gedanke-Mouvs zeigt: die Absicht eines Höchstmaßes rationaler Verwicklung, stofflichen und gedanklichen Brillierens. 54

Die Schiffahrt als Bild seit der Antike: E. R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, 1948, im Register S. 595: „Schiffahrtsmetaphern'·; provenzalisch: Stössel 19 ff.; in MF (Berger ZfdPh 19, 447): H a r t m a n n 213, 7, D. v. E i s t 38, 35; bei G o t t f r i e d : Preuß 55. - Fröiden segel: auch bei " W o l f r a m (Sydow 23) nicht. Trüren geankert (Sydow 28): Parz. 461, 14. G o t t f r i e d hat: der eren und der triuwe ein habe, Tristan 1595. 55 K o n r a d v o n W ü r z b u r g , F r a u e n l o b : Saechtig 4 6 . 56 G o t t f r i e d insigel, versigeln sechsmal: Preuß 57. F r a u e n l o b : Saechtig 46. Das 2. Büchlein (726: Sydow 65) schöpft aus A l a n s Anticlaudian (Schönbach, Hartmann von Aue, 1894, 219). 87 Sieh Anm. 56 zum 2. Büchlein. 58 An einen mit Steinen beschwerten Wagen soll ein Ochse gebunden werden, um den Greifen, der beides zusammen nicht tragen kann, aber auch seine Klauen nicht mehr so schnell lösen, zu fangen: überliefert nur im syrischen Physiologus, Nr. 29, s. F. Lauchen, Geschichte des Physiologus 83 f. 59 Hier besonders viele termini technici der Jagd (s. Sydow 16, 35 und 65): Wilden strid) varn, spar suochen (Had. v. Lab. Jagd 7 ff.!), phlihten (Had. 299), win (bei W o l f r a m beliebt; F r a u e n l o b : tnins herzen wirt der sin, Leich I, l aber KLD liest für wirte C: wildrer, Sydow: warte!), hertchten (das bilde entwerfen in der Bedeutung aufnimmt?). 80 S. XIV, 4, 8; entwerfen oft so, s. Wörterbuch.

Burkhard von H oben f els XVI

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Hieran schließen sich noch zwei Lieder, die nicht direkt den muot oder gedanke-iin-muot-herze durch das Bild der Jagd mit Falken oder Hunden illustrieren, die aber auch, von bekannten Metaphern ausgehend, den „Geist" des Liebenden in rein formaler Funktion darstellen. 10. L i e d XVI 8 1 : nach einer an R e i n m a r anklingenden Strophe w folgt in Strophe 2 der Hauptvergleich: des Sängers eigenes (!) herze ist ein Turm, auf dem die Geliebte sitzt und jeder Belagerung durch - wiederum ihn selbst (!) mit Lauf wall, Sturmdach, Schleudermaschinen M spottet. Strophe 3: auf seines herzen veste ist sie Königin mit voller Gewalt, sie duldet keinen der Gäste, die seine Sinne dahinladen*4: der muot muß, wie der Affe sein Spiegelbild solange anschaut, bis er gefangeit wird, immer nur „Sie" angaffen". „Sie" sollte, Strophe 4, zum Tausch auch »Ihn" an ir gedanke viur, in ihres herzen kamer M führen: d.h. auch ihn in ihre Gedanken nehmen, an ihn denken. Da sollte ihn nicht wanket zange noch sin hamer verstoßen: kein Wanken sollte ihr Grund geben, ihn aus ihren Gedanken zu entfernen". Strophe 5: „Er" kann neben aller ritterschaft auch Dinge wie Seiltänzerkünste, ja kann an die Sterne (steine KLD?) rüeren -: das ist wohl das bekannte Motiv des B e r n g a r sehen Lügenliedes MF 113, l (oder „Vorspiegelungen eines hochfliegenden Sinns": KLD). Nur sind dort diese "Wunder (erlogene) Folge des (erlogenen) Minne-Frohsinns. Hier stammen sie einfach aus wilden gedanken, aus dem muot, der als umbe swinget: auch sie bedeuten nichts anderes als die rein formale Funktion von gedanke-muot. Ist „Er" davon müde und will ruowen, so muoz er hin zir (wie in X, XVIII): muß 61

Das Lied behandelt Erika Kohler, Liebeskrieg, 118 f. (vgl. Walther 54, 37) zu allgemein. 82 Vgl. die dialektische Einbeziehung des Publikums! Mich müet daz so manger sprichet, Sor mich muoz in jamer schowen: Wer tet dir dix ungemacb? — Bei R e i n m a r z. B.: Warumbe strichet manec man: Wes toert sich der und meinet mich . . . MF 150, 21 usw. 83 An sich bekannte Metaphern; provenzalisch: Stössel 21 f., Kohler 23 f.; W a l t h er 55, 31. Zur Durchführung Sydow 68: W o l f r a m Parzival 206; 1: ir ebenhoehe und ir mangen ..., igel, katzen in den graben! Audi Willeh. 111, 9. 84 ... (mens:) sit timor hospes ibi, non incola: G a l f r i d s Poetria Nova 307 (Faral 206); Sydow 24: Parz. 219, 22. 65 Die Äsopische Fabel. Burkhard verwendet sie ausdrücklidi in Lied II. Muot ist hier = memorial E. R. Curtius a. a. O. S. 524: simia um 1200 ein Modewort der lateinischen Schulpoesie! «e S. dazu unten S. 41 Anm. 118. 87 Wanket zange: Eneit, W o l f r a m (Borchling 162), Strauch zu M a r n e r I 25, Saechtig 44. Das Herz ist aber kein „Schmiede", wie Sydow, Pfaff und KLD meinen, der gedanke viur 4, 2 ist der häusliche Herd (KLD)!

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Burkhard von Hohenfels XVII

man vielleicht an ähnliches wie das cor nostrum inquietum est, donee requiescat in te A u g u s t i n s denken? Zunächst ist es etwas ungereimt. Das Lied ist sichtlich aus der bekannten Burg- und Belagerüngs-Metapher geflossen (vgl. auch geistlich arx castitatis*6, Turm Davids usw.). Merkwürdig aber und B u r k h a r d s Eigentum ist seine Umwendung ins Subjektive: nicht die Geliebte ist die Burg, sondern „Er" belagert nur - ihr Bild in seinem Herzen! Auch hier ist es nur bildliche Darstellung der Erkenntnisfunktionen. - Jede Strophe enthält je eine Wendung des Bildes. 11. L i e d X V I I führt noch ausschließlicher die subjektive Geistestätigkeit im Vergleich durch, ganz als Rätsel in überraschenden Wendungen: der Liebende will - was er jedoch selbst besitzt! - nämlich „Ihr" Bild in seinen Gedanken als Lehen von ihr nehmen. Strophe 2: „Ihre" Zustimmung erst würde seine Freude groß machen: est der wille min ist Formel der Annahme des Lehens; der zinsm ist liehe. 'Er will ja gerne alle Rechtsformeln erfüllen: Belehnung durch Händefalten, Kuß, Bedecken mit dem Kleid70. Strophe 4: Klage, weil „Sie" ihm statt dessen herze und sinne raubt (so nämlich ist der Zusammenhang zu verstehen). Strophe 5: die Minne als seine Herrin muß sein Recht bezeugen und so den Streit schlichten; er will dafür nie seine Pflicht als ihr Untertan versäumen: niemer liebes ahe gän. Der Vergleich ist, recht überraschend, durch viele Ausdrücke und Wendungen des Rechtslebens aufgeputzt. XVII scheint von XVI abhängig zu sein71. Beide Lieder führen ebenfalls eine allegorische Rolle der in ihren Funktionen verselbständigten geistigen Tätigkeit des Menschen in mehreren Wendungen durch - im Unterschied zur ersten Liedergruppe: in Lied V vertritt herze einfach das Ich, das denn auch schon in Strophe 2 an dessen Platze steht; ebenso beim „Tausch" der Herzen V, 4, der dagegen in Lied XVI rein im Sinne der geistigen Funktionen gewendet wird. 68 70

Walter von Chatillon: Carm. Bur. (Sduimann-Hilka) Komm., I, 8, 2. Zins: Sydow 29; W o l f r a m Parzival 293,14; F r a u e n l o b : Saechtig45.

Die Belege aus Grimms Rechtsaltertümern bei Sydow 69 und KLD. Hier die Rechtssymbole zugleich in einer die „Anzüglichkeit" steigernden Reihenfolge! 71 Der Abgesang von XVII, l wiederholt die Reime von XVI! XVI, 1: fröide zern - mannes bilde - mttot so wilde - wtbes niht erwern; XVII: an fröiden niht gezern - trären wilde - fluge ich niht daz waer unbilde (s. auch XVI 5: ich kan fliegen.. ,!)-milte erwern (s. auch XVII, 4: e ich ane wer lib unde guot verliir!). XVI hat den geschlosseneren Gedankengang, XVII ist eher von den Reimworten aus gedacht. Reimentsprechungen noch mehrere: XVI, 3 wil: spil - XVII, 4 spil: vil, XVI, 3 küniginne: sinne - XVII, 4 sinne: minne! Schließlich die Form: beide Lieder bestehen aus Viertakterstrophen mit völlig gleicher Reimstellung; nur die Schlußzeile hat in XVI fünf Takte, in XVII sechs Takte - also offenbare Erweiterung von XVI! Die Stollen sind aber in XVI in sich glatt gefügt, in XVII hart.

„Erkenntnistheorie" des Minnesangs

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Diese Seelenvermögen, die so sehr Burkhards Interesse haben, sind an sidi im Minnesang nicht neu. Ja eigentlidi stehen ähnliche Gedanken überhaupt an seinem Anfang; sie hängen eng mit seinen Grundgedanken zusammen. Der hohe Minnesang fängt ja mit Reflexionen über ein „Erkenntnisproblem" an: da ist ein anderer Mensch, eine Frau, die nimmt meinen Frohsinn, mein Gleichmaß, vor allem aber meine Gedanken, bindet sie an sich, zwingt mich, alles nur durch sie, in der Vereinigung mit ihr zu suchen und zu finden! Dieses naive, aber auch so gegenständliche Erfahren der freien Liebesbindung in der Gesellschaft als „geistige" Verbindung - genau das ist der Grundton der provenzalisch-französisch-deutschen hohen Minnedichtung72. Wo immer sie versucht, sich Rechenschaft über dies Phänomen abzulegen, da geschieht es in der symbolisch-gegenständlichen und -gegenstandsgebundenen Weise der „Zerlegung" des Ich und der „Personifikation" seiner Teile, in ganz naiv körperlicher Vorstellung: mein Herz, meine Gedanken usw. sind bei „Ihr" - meine Augen haben „Sie" in mein Herz gebracht usw. Aus diesem Punkte, aus der naiv körperlichen und gegenständlichen Erfahrung der „geistigen", der gerade in Trennung und Entsagung entdeckten Verbindung der Liebe, lassen sich viele Inhalte, Motive und Bilder des Minnesangs sehr wörtlich und real verstehen und „bewußtseinsgeschichtlich" einsehen jenseits der nur anempfindenden Debatten über Idealismus oder Realismus, Liebe oder Gesellschaftsspiel usw. usw. So erhalten, besonders seit R e i n m a r und seit G o t t f r i e d s Tristan, herze, muot, wille, gedanke usw. eigene und gleich ursprünglich bildliche „Handlung" 7S : Ir herze daz vuor rehte enbor, als ez gevidert waere (Tristan 5244); ze fröiden swinget sich min muot ( R e i n m a r MF 156,12 - ebenso Tristan 16939 z. B.); weniger bildlich heißt es von den Gedanken: N u wellents aber ir willen ban und ledecliche varn als e ( R e i n m a r MF 181,19) oder deutlicher: ez sint gedanke und ougen des herzen jeger tougen ( F r e i d a n k 115,12); etwas ferner steht W a l t h er 99, 27 ff.: gedanke des herzen = Augen: so sehent si (die Geliebte) doch mit vollen ougen herze wille und al der muot! Aber diese geistigen Teilfunktionen des Ich treten im allgemeinen nur einzeln auf, um in der Zerlegung doch das „ganze" Ich zu vertreten. Das gilt auch da, wo mehrere aufgezählt werden: ihre Rollen sind wenig unterschieden, meist sind es eben einfach Aufzählungen. Oder es werden doch nur herze und lip im ganzen einander gegenübergestellt: mir hat 7t

Vgl. Hugo Kühn, Zur Deutung der künstlerischen Form des Mittelalters, Studium Generale, 2. Jhg., S. 114 ff. 73 Stellen bei Richard Galle, Die Personifikation in der mittelhochdeutschen Dichtung, Diss. Leipzig 1888, 38 ff., 50 f., 51 f., 52 f., 53 f. - Auf die genaue Geschichte dieser „Personifikation" kann hier nicht eingegangen werden.

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Erkenntnistheorie als ornatus lat. Poetik

verraten daz herze den lip. Des was ie flizic der muot und die sinne, Daz si mich baten ze verre um ein wip H a u s e n MF 101,31 - muot und sinne wirken hier doch nur für das symbolisdi „ganze" geistige Vermögen. Oder die Reihe: ir schoene - diu ougen -daz herze - der lip bei H a r t m a n n , Iwein 2348, bedeutet Gegenstand - Sinneseindruck - Geist - Ich: als doch „ganze" symbolische Träger der Handlung, ohne eine formale Unterscheidung der Form und Art ihres "Wirkens 74. Im klassischen Minnesang wird ja - im Schema der gesellschaftlichen Liebesbindung - die „freie", frei wählende „Person" und ihre „geistige" Leistung überhaupt erst entdeckt. Was die Bilder B u r k h a r d s v o n H o h e n f e l s davon zunächst unterscheidet, ist seine streng durchgeführte Systematik. Vor allem in IX und XII: die schnellen Gedanken schweifen vor und weit hinaus, sie können bilde entwerfen - der sin folgt ihnen und kann seinen Gegenstand durch Weisheit „überwinden" - der muot folgt mit dem sin und kann diesen Gegenstand durch Stärke „binden", im muot ist dann der Gegenstand eingebildet, eingesiegelt, eingeschlossen - alle drei aber sind vom herzen gesandt. So in IX. Noch genauer in XII: die „wilden" gedanke schweifen aus Beruf und stoßen auf den Gegenstand - der sin lehrt sie, ihn zu unterscheiden -, und er gibt den Gegenstand dem herzen zu sehen, wo er mit gemeinem muote festgehalten wird. Darin steckt nicht weniger als eine genaue mittelalterliche Theorie der Erkenntnisfunktionen des menschlichen Geistes. Woher hat Burkhard diese Neuerung? In des E b e r h a r d u s A l e m a n n u s Laborinthus 73 heißt es (120 ff.): Ratio; cellaque terna sapit. Prima capit, media discernit, tertia rerum Forinas in thalamo posteriore tenet. Phantasia sedet in prima; vis rationis In media; terna vim memorantis habet.

Also: Prima capit = phantasia = gedanke (. . bekam in diu gehiure, XII, 2,3)Media discernit = vis rationis = sin (die tet in der sin erkant, XII, 2, 4) Tertia tenet formas rerum in thalamo = vis memorantis = muot (in dem sie beslozzen wird, XII, 2, 7)! 74

Denselben Sinn haben die französischen „Personifikationen" von pcmsers sens - raisons - auch sie ohne systematische Differenzierung. Stellen s. bei Richard Herzhoff, Personificationen lebloser Dinge in der altfranzösischen Literatur, Diss. Berlin 1904, 45 f. 75 Edmond Faral, Les Arts Pootiques du XII« et du XIII* si£cle, 1923, S. 341.

Erkenntnistheorie als ornatus lat. Poetik

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Das entspricht genau der Theorie B u r k h a r d s ! Sie findet sich aber nicht nur hier im Laborinthus E b e r h a r d s des D e u t s c h e n (zwischen 1210 und 1280), sondern in fast all den lateinischen Poetiken des 12. bis 13. Jahrhunderts ausgebildet: bei J o h a n n e s de G a r l a n d i a in seinem Dictionarium (zwischen 1218 und 1246) und, B u r k h a r d noch entsprechender, bei E b e r h a r d s Quelle für diese Stelle, des M a t t h i a s v o n Ve n d 6 m e Ars versificatoria (kurz vor 1175). Faral belegt sie als „theorie psychophrenologique courante" auch bei B e r n a r d S i l v e s t r i s 7 . Welche von diesen oder möglicherweise noch anderen Stellen die genaue Quelle für B u r k h a r d s Verwendung der Theorie der Seelenvermögen war, das ist bei ihrer Ähnlichkeit kaum zu bestimmen. Es kommt auch darauf nicht so viel an. Entscheidend ist jedenfalls dies: daß B u r k h a r d aus lateinischer Stillehre, am wahrscheinlichsten der Poetik des M a t t h i a s von V e n d o m e direkt oder indirekt, durch die Schule, vielleicht sogar durch Studium in Paris oder Organs, eher durch einen gelehrten Vermittler - gleichviel auf welche Weise, diese Theorie kennengelernt hat und sie für die „geistige" Verbindung der hohen Gesellschaftsliebe in deutscher Minnelyrik formal, als „stilistischen" Schmuck verwendet: nicht anders wie auch M a t t h i a s von V e n d ö m e seine Beschreibung des Ulixes damit aufputzt 77 . ;e

Faral 341, Anm. zu Vers 120-126. Über diese Poetiken s. nodi: H. H. Glunz, Die Literarästhetik des europäischen Mittelalters, 1937; Stanislaw Sawicki, Gottfried von Straßburg und die Poetik des Mittelahers, Germ. Studien 124, 1932; E. R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, 1948, S. 483 ff. Wir haben nur seiner Kürze und Übersichtlichkeit halber oben den Laborinthus zitiert. Bei M a t t h i a s von V e n d ö m e , Ars Vers. I 52,19ff. (Faral 124) lautet die entsprechende Stelle: Non cellae capitis in Ulixe vacant, epithetum Officiale tenet prima, secunda sequens. Prima videt, media discernit, tertia servat; Prima capit, media judicat, ima ligat. Prima serit, media recolit, metit ultima; tradit Prima, secunda sapit, tertia claudit iter Die bildliche Einkleidung B u r k h a r d s findet sich aber auch hier, unter des M a t t h i a s Metaphern, nicht. Das Schema des A l a n u s im Anticlaudian (s. Baumgartner, Die Philosophie des Alanus de Insulis, 1921, S. 92 ff.) und nach ihm in T h o m a s i n s Wälschem Gast (s. Otto Leist, Der Anticlaudian, Programm Seehausen 1878-1882): imaginatio - memoria - ratio - intellects entspricht in den Funktionen weniger genau dem gedanke - muot - sin - herze B u r k h a r d s . Aber die sapientia hat auch hier wieder: potentia ingenialis-potestas logistica - virtus recordativa, in verschiedenen Kammern des Gehirns (Baumgartner 94: nach Wilhelm von Conches). Doch die Beziehungen solcher Schemata im Mittelalter - A l a n selbst hat drei verschiedene! - sind schwer festzustellen. 77 Es ist ein Beschreibungsexempel!

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Minne allegoric

Dabei gebraucht B u r k h a r d aber andere Wendungen und Metaphern78, nämlich die, die für die naivere Zerlegung des Ich im Minnesang bereits gegeben waren. So deutlich wie aus B u r k h a r d s Liedern IX und XII ist diese ganz bestimmte Theorie aus den ändern Liedern der Gruppe nicht zu entnehmen. Aber sie alle wenden gleich bewußt rein formale Funktionen des subjektiven Geistes (muot oder herze) ins Bild; auch in verschiedenen ändern noch zu behandelnden Liedern B u r k h a r d s klingt die Theorie an. X und XVIII zeigen muot und herzen sin als den Geist überhaupt; III (s. unten S. 34) verwendet wie XII und IX gedanke - sin (als Falken) - gemüete; sin ist trotz des Plurals hier nicht sensus, sondern auch ratio; in das gemüete (das hier etwas von imaginatio hat?) schließt wünschen ihr Bild! XVI und XVH kennen, neben herze und Denken überhaupt, auch die Sinne als sensus (XVI 3: in des herzen veste laden die Sinne geste). Aber auch das zur ersten Gruppe gehörende Lied IV verbindet gedanke-sin-muot, jedoch wohl ohne genauere Differenzierung; doch ist der muot auch hier ze fröiden gesendet wie in X und XVIII. Lied II schließlich stellt zwar, Körperliches und Geistiges vermischend, einfach nebeneinander sin lip herze muot und ougen (3, 5); aber die gedenken eilen auch hier zu ihr (4, 3) wie in XII. Um die Bedeutung dieser Theorie in B u r k h a r d s Dichtung zu erkennen, müssen wir uns noch genauer mit ihrer bildlichen Einkleidung beschäftigen, mit den Metaphern selbst - der anderen Seite dieser auffälligen Erscheinung. Die vier „allegorischen" Metaphern dieser sechs Lieder - Falkenbeiz, Jagd mit der Meute, Belagerung, Belehnung und Gerichtsstreit - machen nämlich genau auch die inneren Handlungen der deutschen Minneallegorien des 14. und 15. Jahrhunderts aus (wenn man von den Eingangs-Topoi absieht): Jagd mit Falken, Jagd mit Hunden, Burgbeschreibung und Belagerung, schließlich 78

Phantasia - ratio - memoria „fangen - urteilen - binden" zwar auch bei M a t t h i a s von V e n d o me, aber andrerseits „säen - bauen - schneiden" sie, sind „Tür - Herberge - Heim" usw. Ein weiterer Unterschied zu den lateinischen Poetikern und vielleicht ein Hinweis auf die genauere Quelle liegt darin, daß B u r k h a r d das herze als Ausgangspunkt der geistigen Funktionen angibt, während für alle jene die cellae capitis Ausgangspunkt sind. Daß er aber deswegen A l f r e d s von S e r e s h e l l Schrift De motu corporis (ca. 1210) gekannt haben müßte, wo nun wirklidi das Herz als der Sitz der Seele im Sinne der Aristotelischen Psychologie bewiesen wird - gegenüber ihrer platonisdi-augustinischen Lokalisierung im Gehirn bzw. der dreifachen Lokalisierung (Baumgartner 94) - wäre natürlich zu kühn (s. Clemens Bäumker, Beitr. z. Geschichte der Philosophie des Mittelalters 23, 1923). Herze ist hier zudem auch nur allgemeines körperlich-geistiges Symbol der Seele.

Minneallegorie

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die vielgebrauchte Rechtsmetaphorik (meist nur Gerichtsszenen)" - nimmt man aus Burkhards erster Liedergruppe die Garten-Metaphern als (zwar unallegorisdie) Entsprechung der Garten-, Blumen- und Farben-Allegorien seit dem 'Roman de la Rose* hinzu, so versammelt B u r k h a r d alle Themen der viel späteren Minneallegorien vollständig! Von „Handlungen" oder auch nur „Situationen" in ihrer Art kann hier freilich noch nicht gesprochen werden; auch der Begriff „allegorisch" trifft nur in dem Sinn zu, daß auch B u r k h a r d mit diesen Metaphern wirklich „etwas anderes meint" - nämlich die erkenntnispsychologische Theorie (die er ja z. T. fast unmetaphorisch der alten „geistigen" Minneverbindung substitutiert!) -, nicht im Sinn der ausgeführten oder gar glossierten Allegorie (wie schon in G o t t f r i e d s Minnegrotte, dann später z.B. im Leich des w i l d e n A l e x a n d e r , im 'Seif ried Helbling' usw.). Seine Metaphern und die aus ihnen mehr lose als fest aufgebauten Lieder bleiben durchaus noch im Rahmen dessen, was die französische und deutsche Minnesangtradition überlieferte80; nicht einmal die Fabeln, Parabeln und Allegorien der Spruch-, 79

F a l k n e r e i : Zusammenfassung und Literatur: Niewöhner in Stammlers Verfasserlexikon III: ,Der Minne Falkner' (unter H a d a m a r ) , ,Der entflogene Falke' usw. unter Jagdgedichte. - J a g d : H a d a m a r v o n L a b e r s , Jagd', ,D5e Königsberger Jagd', Jagd der Minne', Suochenwirts ,Gejaid', .Brakenjagd', ,Die verfolgte Hindin' usw., s. Ehrismann Literaturgeschidite Schlußband, S. 495 ff., und Niewöhner im Verfasserlexikon II unter H a d a m a r und Jagdgedichte. - B u r g b e s c h r e i b u n g und - b e l a g e r u n g ist der Inhalt der .Minneburg' und all dessen, was dazugehört; ,Minneburg': Ehrismann a.a.O. 501; H. Pyritz DTM 63; Niewöhner im Verfasserlexikon III unter Minne (Kloster der Minne). Allegorische Palastbeschreibungen finden sich schon bei A n d r e a s C a p e l l a n u s , bei G o t t f r i e d (Minnegrotte), dann b e i E b e r h a r d v o n C e r s n e usw. - R e c h t s m e t a p h o r i k : die Allegorien sind zusammengestellt im Verfasserlexikon unter ,Der Minne Gericht' (Niewöhner). - Zum Ganzen: H. Schneider, Merker-Stammlers Reallexikon s. Minneallegorie; H. Niewöhner, Stammlers Verfasserlexikon s. Minnereden und -allegorien; auch E. R. Curtius berührt vieles in seinem o. a. Buch. 80 F a l k e : hot, der minnen vederspil, G o t t f r i e d Tristan 10897 usw. Falke als Symbol für den Geliebten schon beim K ü r e n b e r g e r MF 8, 33 ff.; Falke als Metapher für das geistige Vermögen s. o. S. 21, besonders R e i n m a r MF 180, 10. J a g d : in allen Literaturen; lateinisch: s. A. Spies, Militat omnis amans, Diss. Tübingen 1930. Aus ähnlichem Bereich G u t e n b u r g MF 71, 32: ich hupf ir üf der verte nach. Minne als Jägerin bei G o t t f r i e d und Wo l f r a m : s. Erika Kohler 90 ff., Emil Nickel, Stud. z. Liebesproblem bei Gottfried von Straßburg, Königsberger deutsche Forsch. 1,1927, 16. - B u r g : ebenfalls in allen Literaturen: lateinisch: s. Spies a.a.O.; Provenzalisches: Erika Kohler 23 f.; M o r u n g e n MF 126, 8; G o t t f r i e d Tristan 804: sin sinne . . . fuoren und namen Blanschefluren und fuorten si mit in zehant in Riwattnes herzen lant und kronden sie darinne im zeiner küniginne! - L e h e n s d i e n s t u n d R e c h t s s t r e i t : unendlich oft. - Im klassischen Minnesang bezeichneten diese Metaphern aber die Bindung des Sängers an die Geliebte als persönliches Minneproblem. Die Minneallegorien setzen die gleichen Metaphern meist als Problem von objektiv zur Minne nötigen Eigenschaften

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Minneallegorie

hispel- u n d rerfen-Diditung ( W a l t h e r , R c i n m a r v o n Z w e i e r , S t r i c k e r u.a.) sind heranzuziehen. Und doch muß es überraschen, daß die Themen all der späten (und spätesten) Minneallegorien schon im Minnesang des einen B u r k h a r d von H o h e n f e l s sich fast systematisch zusammenfinden - wenn auch erst aus der knappen, noch im höfischen Minnedienstschema gebundenen Metaphorik ins Allegorische herüberspielend in der Art lateinischer Stilexempel. Wenn sie später (schon im späten 13. Jahrhundert) die Form der breit selbstzweckhaften, „objektiven" allegorischen Darstellung annehmen, so liegt das nur im Zug des allgemeinen Stil- und Lebenswandels (der sich an vielen Beispielen ähnlich belegen ließe). Jedenfalls erhält die in Deutschland bisher nur an H a r t m a n n (Joie de la court)Bi, G o t t f r i e d (Minnegrotte) und W o l f r a m (Titurel - Jüngerer Titurel - H a d a m ä r von L a b e r ) anzuschließende Minneallegorie mit B u r k h a r d von H o h e n f e l s auch einen frühen Ansatzpunkt in der Lyrik (wenn man die Lieder nicht kurzerhand umdatieren will, etwa bis zu dem Burkhard von Hohenfels von 1296 - Bartsch-Golther, Deutsche Liederdichter, 1900 (4. Aufl.), S. LIX -, wofür aber nichts spricht!). Nicht daß wir einen direkten „Einfluß" B u r k h a r d s auf die spätere Minnerede und -allegorie behaupten wollten - der ganze Komplex und seine Entwicklung liegt, ohne Übersicht über die lateinischen und französischen Parallelen, noch viel zu sehr in Dunkel. Aber es zeigt sich nun doch eine sachliche Kontinuität an, sogar ein Ansatzpunkt dieser Entwicklung beim klassischen Minnesang und die Mitwirkung der lateinischen Poetik des 12./13. Jahrhunderts (deren sich schon G o t t f r i e d von S t r a ß b u r g , obgleich anders, bediente!). Eine Allegorie vom späteren Typ (Gespräch nach Natureingang, Rechtsstreit vor dem Hof der Minne) zeigt schon das berühmte lateinische Gedicht De Phyllide et Flora (Schumann Carmina Burana Nr. 92) im 12. Jahrhundert! Noch überraschender ist eine zweite Verbindung. Wir wissen: B u r k h a r d s formalistische erkenntnispsychologische Darstellung des Minneverhältnisses steht in deutlichem Gegensatz zur klassisch-persönlichen Stilisierung dieses Verhältnisses. Aber sie steht auch im Gegensatz zu den meisten späteren Minneallegorien (wie sein geblümter Stil zur beginnenden „Meister"Lyrik, die zu F r a u e n l o b hinführt). Denn da handelt die Allegorie meist in Bewegung. Am nächsten diesseits und jenseits dieser Grenze stehen, sich gegenüber etwa G o t t f r i e d von S t r a ß b u r g und der französische Rosenroman: G o t t f r i e d s thematische „ander werld" der minne (Trist. 58) ist ein „Land", das er mit der Minnegrotte „ausmessen" will (vgl. unten zu A l a n ) ! Der Garten, die Pfeile Amors, der Schlüssel des Herzens im Rosenroman aber sind schon Metaphern für „objektive" Stimmungen und Eigenschaften (vgl. E. R. Curtius a. a. O. S. 132 ff.). 81 Vgl. Hugo Kühn, Erec, in: Festschrift für Kluckhohn-Schneider, 1948, S. 136 ff.

Eigenschaftliche und funktionale Allegorie

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von „objektiv" ethischen Eigenschaften. In der Jagdallegorie H a d a m a r s z. B. sind die „Hunde" nichts anderes als objektive ethische Tugenden und Fehler (Triuwe, Harre, Staete usw., Gewalt, Ende usw., dazu dann noch „Stimmungen" und „Ziele" der Minne wie Senen, Lust, Gelilcke, Genade); die „weidgerechte Jagd" enthält die ethischen Forderungen als objektive Institution. Bei B u r k h a r d handelt es sich nur um die Erkenntnisfunktionen gedanke - sin - mttot und ähnliche. Aber auch bei H a d a m a r ist das Herze der Leithund, es begegnen psychische Funktionen wie Wille, sogar Gedanke, Sin und Muot8*, wenn auch z. T. nur als allegorisierte Redensarten. Die objektiv-eigenschaftliche und die subjektiv-erkenntnisfunktionale Allegorie gehen ja schon seit der Antike immer wieder zusammen (s. dazu unten). Auch B u r k h a r d benutzt - wie die erste Liedergruppe und einzelne Strophen der zweiten zeigen - durchaus die objektiv-eigenschaftlichen Metaphern und Allegorien, sogar schon in der Art des späteren geblümten Stils. In der zweiten Gruppe aber stellt er ihnen die subjektiv-erkenntnisfunktionale Allegorie entgegen, und zwar bewußt bis in viele Details: hier setzt er gern das Abstand schaffende Vergleichswort, hält klare Linienführung und klaren, glatten Stil fest - wenn auch in verschiedenen Nuancen: von der fast „theoretischen" Klarheit in XII bis zur „barocken" Verschlingung in IX -, gibt diesen Liedern fast ausschließlich die metrische Form der glatten gleichversigen Viertakterstrophe83 - wieder im Gegensatz zu den Formen der ersten Gruppe. 88

Vgl. Karl Stejskal, Hadamar von Labers Jagd, 1880, S. XXIV ff.; Gedanke 291: er ist immer verfügbar und macht den puer senex (E. R. Curtius a. a. O. Sadiregister!); Sin 541: daz ich bin ane Sinne . . .; Muot 126 ff. ist ein kleinez hündel . . . sein und niht ze guote . . ., aber strebt, von der Geliebten erregt, immer mit Triuwen, sogar zu Gott; er ist die Geliebte selbst, von ihr .geboren, obgleich vor ihr schon da, usw. 83 Zum Teil mit verlängerter Schlußzeile; nur in IX haben Anfangs- und Schlußzeile des Abgesangs fünf Takte. Zusammen mit N e i f e n hält B u r k h a r d v o n H o h e n f e l s die Spitze im Anteil reiner Vierertöne - Heusler 724, 744, dazu ausführlich unten bei N e i f e n. XVIII gehört als ebenso rationale Komposition glatter Kurzverse in denselben Zusammenhang. Audi noch einige bisher nicht behandelte Lieder gehören mit zu diesem metrischen (auch stilistischen!) Typ (VI, III vor allem). - Zweizeilige Stollen haben XII und, mit auffallend langem Abgesang, X; dreizeilige: XVI und XVII und IX, die letzten beiden zeigen die bei Burkhard fast mit Vorliebe geübte „harte Fügung" der Kadenzen innerhalb der Perioden (die aber offenbar gerade pointierten gedanklichen Verbindungen dient). Die konsequente Ausgestaltung des einen Typs nach verschiedenen Richtungen gibt diesen Liedern fast den Charakter von Stilübungen. X und XVIII haben gleichen Inhalt, sind beide dreistrophig, führen je Strophe ein Bild in mehreren Wendungen durch, und zwar in der ersten Strophe immer ein »inhaltliches" („Ihre" Wirkung: Sonne X, fröiden kleit XVIII), in der zweiten Strophe das Bild des gefangenen, in der dritten das des gezähmten muotes als Falken; die Form aber - bei

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Minne bur g

Auch unter den späteren Minneallegorien gibt es jedoch mindestens eine, die ausgesprochen den formalen Erkenntnisvorgang darstellt: die Minneburg. Die Theorie und vor allem die Allegorie ist viel künstlicher als bei dem Lyriker B u r k h a r d . In einer Säule mit fünf Fenstern stehen zwei „Automaten": die gläserne Gestalt eines Mannes und darüber die stählerne einer Frau. Wenn durch die Fenster von draußen das Bild eines Menschen in den gläsernen Mann fällt, wenn die stählerne Frau sich beugt und dieses Bild im Mann erblickt, dann wird aus dieser Vereinigung ein Kind geboren. Später erfolgt die Deutung: die Säule bedeutet die Seele, die Fenster die fünf Sinne; der Mann ist die Vernunft (die »aufnimmt", was die Sinne bringen), die Frau der "Wille (der sich dem zuneigt); das Kind ist die Minne. Das Ganze in sehr verschachtelter Handlungseinkleidung; die späteren Handlungen - Belagerung und Gericht! - setzen dann wieder meist Eigenschaften in Bewegung. Ist es aber Zufall, daß gerade dieses Werk auch das extreme Muster des geblümten Stils aufstellt, und zwar wieder in bewußter Scheidung: die Allegorien und Deutungen werden in relativ klarem Stil erzählt - hochgeblümt sind dagegen die lyrischen Einlagen (underbint) und die Gerichtsreden84. so starker Gleichheit des Inhalts! - verschieden. XII und IX geben die genaueste Unterscheidung von gedanke - sin - mttot - herze. In Form, Stil und Bild gehört aber XII mehr zu den beiden vorigen, IX nach Form und Stil mehr zu den zwei folgenden Liedern. XVI und XVII sind in Thema, Stil und Form einander fast zu ähnlich. 84 Audi des Dichters „Meister" im geblümten Stil, £ g e n von B a m b e r g , hat in seinen zwei „Reden" manche funktionale Allegorien und Metaphern: in der zweiten rede, Gespräch mit dem herzen, begegnet in 71 schon ir bild in minen gedenken, und noch mehr 93 S.: sust ist in mich gehamert ir bild, in mir verkamert, secretieret in; mit heres kraft und mit kluoger meisterschaft kan ez sich in mich vadmen: sust muoz ich ez begadmen. swann ez sust kümt gevlendert, wie ofte sich danne verenden min sin in manger lei gedanc! da spinnet f antasie den stranc mit sinnes übertrahte, der bindet, daz kein ahte ich ban dann nach dem mündelin, . . . Neben dieser Stelle, die direkt aus den Poetiken angeregt sein könnte, begegnen auch in der ersten rede manche Metaphern, die schon B u r k h a r d zeigt: 29ff. die schwangere Natur (s. unten), 69 sigel, 143 der zungen hamer in mines herzen kamer. Kennt £ g e n die gleichen lateinischen Stilisten, oder vielleicht auch B u r k h a r d selbst?

Burkhard von Hohenfels VI

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Auch hier sei kein direkter „Einfluß" gesucht. Aber beidemal treffen funktional-erkenntnispsychologische Allegorie, Eigenschaftsallegorie und geblümter Stil zusammen, und zwar ebenfalls in „Stilübungen" bewußt getrennt. Beidemal ist lateinische Anregung sicher. Hauptbeispiel und wohl auch Hauptvorbild aller volkssprachlichen Allegorien war der Anticlaudian des A l a n u s a b I n s u l i s (um 1180) . Auch hier steht viel Eigenschaftsallegorie, aber Träger der Handlung sind (u. a.) Phronesif, Prudentia, Ratio, Sensusl In der allegorischen „Handlung" hier, der Himmelsreise , verbinden sich funktionale und eigenschaftliche Allegorie noch aus der Tradition de§ Platonismus: als erkenntnistheoretisch-ethischer Aufbau eines metaphysischen Kosmos. Die Poetiken und gleich ihnen B u r k h a r d nehmen daraus nur formalistische Stilmittel, nebeneinander gebraucht. Die späteren Minneallegorien entwickeln daraus erneut ihre selbstzweckhaft ausgebreitete Darstellung. Zusammenhänge und Anschlüsse im einzelnen bleiben uns vorläufig noch dunkel. Zwischenformen Eine besondere Stellung hat deutlich das 12. L i e d (VI). Hier einzig ist auf Bilder fast ganz verzichtet, außer dem zierlich durchgeführten Ausreuten des Sorgens und Frohsinn-Säen in Strophe 2", und statt der Bilder ist hier „Logik" Trumpf: Diu vil saeldenridie machet daz min herze in swaere wachet, swenne ez solde in ruowe sin. Hohgemüete mir verswindet, swenne in sorgen sich verwindet gar nach ir daz herze min. Sol mir liebe kumber machen? sol mir triuwe fröide wem? wie gezimt ir denne lachen, wils ir friunde also verswachen, si enwelle mich ernern?88 55

Text: Migne Patr. Lat. 210. Vgl. (mit Inhaltsangabe) E. R. Curtius a.a.O. S. 125 ff. Speziell benutzt bei F r a u e n l o b : Pfannmüller, Frauenlobs Marienleich, Qu. u. F. 120, 1913, 2; übersetzt 1300 von H e i n r i c h v o n N e u s t a d t : Marta Marti, Gottes Zukunft von Heinrich von Neustadt, Spr. u. Diditung 7,1911, S. 6 ff. 8e E. R. Curtius a. a. O. Register. 87 Deutsdi schon G u t e n b u r g sehr ähnlich, MF 69, 13; Parz. (Borchüng 163); K o n r a d von W ü r z b u r g usw. usw. Sydow 63. Es ist durch die rationale Durchführung und den Inhalt doch deutlich unterschieden von den „Garten"-Metaphern der ersten Liedergruppe. 88 Interpunktion z. T. anders als KLD.

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Burkhard von H oben f els VI

Besonders die erste Strophe gibt sich so als Glanzstück antithetischer Verschlingung; aber auch die übrigen kennen sie nicht weniger - man kann unmöglich alles zitieren - bis zur Verkettung von leit - liebe, jdmer - hohgemiiete, Sie - Ich am Schluß. Dafür zeigen sie auch noch andere logische Figuren. Zum Beispiel Strophe 3: gnade mag mir fröide machen, fröide nieman sol verswachen: frouwe habt genade min!

Das ist ein vollkommener Syllogismus: Gnade ist mir eine Bedingung der Freude, Freude darf man nicht stören, folglich: Gnade darf sie mir nicht stören! Bildet zwar der Syllogismus8' als conclusio eine der Figuren des A u e tor ad H e r e n n i u m und nach ihm aller mittelalterlichen Poetiken, so kann dergleichen selbstverständlich auch als „natürliche" Logik natürlich vorkommen und kommt in der mittelhochdeutschen Lyrik und Epik oft genug vor. Nur ist hier - durch die betonte Form und bei der Logik des ganzen Liedes gar kein Zweifel an der Absicht. Wir wollen uns sparen, das ganze Lied hindurch jede Wendung mit solchen rhetorischen Figuren zu benennen, aber man kann sicher sein, daß alle rational-formale Untergründe haben. Auch all die merkwürdigen „Allgemeinsätze" (: fröide ensol niht wesen eine, 3,10, Minne, ... solt die dine iemer eren, 4, 9, Genade ... enmac verborgen sin, 3, 3 usw.) werden damit zusammenhängen. Und die zwei letzten Strophen behandeln ihr Thema: mir tuot we swaz si verier et - doch ist mir min trüren leit (5, l O)90 ähnlich wie eine der dialektischen Fragen der Minne-Scholastik des A n d r e a s C a p e l l a n u s . Um aber zu vermuten, daß alles „Logische" unseres Liedes aus einer solchen Minnetheorie stamme, fehlt doch zu sehr das Spezifische des A n d r e a s und ist das Logische zu sehr Stilübung. Die Übertragung gelehrer Motive auf die Minne hat B u r k h a r d nach anderer Quelle, nach der lateinischen Poetik, vollzogen. Die Form unseres Liedes gehört klar zur zweiten Liedergruppe, sie ist fast gleich IX, XVI, XVII. Hier unterstützt die fugenlose Glätte in den Perioden deutlich das Geschliffene des Gedankens - wie in IX und XVII der harte Einschnitt das Pointierte der bildlichen Breite stützt. Und bestimmt den Stil hier gedankliche Bewegung anstatt bildlicher Ausbreitung, bestimmen ihn 8

* E. R. Curtius a. a. O. Sachregister. SoC; KLD: si ir .. .

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Burkhard von Hohenfels XV

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„Figuren" an Stelle der „Metaphern", so tritt folgerichtig auch die ReimResponsion auf: die lineare Verschlingung des Wörtlich-Gedanklichen (nicht umsonst beim „Gedankenkünstler" R e i n m a r so beliebt) - konsequent bei B u r k h a r d nur in diesem Lied*1. Auch eines der Szenenlieder, das Gespielengespräch XV, hat das Bild von VI: das erJetten des gemüetes l, 1. Dazu: die liehe, die die sinne erflöuget 3,7; das Gesinde der saelde 4, 5 - das sind fast alle Hauptbilder der ersten Liederreihe. Aber wie hier der Anfang: Ich wil mm gemüete er Jetten . . . sich nicht zu den bloßen Eigenschaftsmetaphern von Gruppe I stellt, sondern mit dem tätigen Ich wie mit der klaren gegenständlichen Durchführung genau VI, 2, l fT. entspricht: uzer muote und uzer herzen Ritttet kumber ttnde smerzen Min vil liebiu frouive guot - und wie ebenso das subjektivfunktionale sinne erfiöugen von dem inhaltlich-eigenschaftlichen fliegen des lobes sich unterscheidet - so gehören überhaupt XV und VI besonders zusammen: „Logik" ist auch das Stilgesetz von XV. So in den Antithesen von: Zwang-Freiheit der Gedanken Strophe l, fröide-sorge Strophe 2, betwungen minne-frie liebe Strophe 3, liebe - leit Strophe 4. Hier finden sich auch viele Sentenzen, wie in VI „Allgemeinsätze": gedanke sint fri l, 4; siieze ist daz da wir t verstoln 3, 8 (Morungen-Ovid); lief liebe, leit leide erringen kan 4,2; \roelich jugent git blüejent alter 4,7; allen zimt hoher muot 5,1. So haben wir zwei „logische" Lieder, VI und XV" - dazu stellt sich aus der ersten Reihe zum Teil auch IV -, deren nur vereinzelte Bilder den Bereichen der ersten Gruppe nahestehen, deren Stil aber in höchstem Maße logisch-rational ist. Nehmen wir gleich den etwas gesonderten Bereich der Bilder der übrigen Szenenlieder hier hinzu, wo sie noch am besten entsprechen. Das andere Gespielengespräch, VII, ist ganz ohne Bilder, und auch die beiden Tanzlieder, I und XI, setzen an Stelle der Bilderfülle der Minnelieder die Fülle ihrer gegenständlichen Tanzdetails. Die wenigen Bilder zeigen die funktionale Metaphorik des Vogelstellers. In I ausschließlich: Liebe luodert und lucket ir friundes gedanc 4,4, und ähnliches auch von der fröide Strophe 5; auch in XI ist der Vogelflug benutzt: truren muose fürder strichen, fröide hate leit besezzen (2, 6) 93. Diese Bilder gehören doch näher zu den Falken-Ver91

Vgl. KLD. z. St. KLD betont die lockere Syntax und lose Reihung der Gedanken in XV als beabsichtigtes Stilcharakteristikum der Mädchen. Aber das läßt sich sehr wohl mit unseren Beobachtungen vereinen. 83 „geschlagen" wie ein Falke. Sydow 29. 82

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Die Metaphern der Szenenlieder

gleichen der zweiten Liederreihe - obwohl sie ohne Vergleichswort stehen als zu den Eigenschaftsmetaphern der ersten. Die „theoretische Psychologie" der zweiten klingt auch sonst an: liebe ... erflöuget die sinne XV, 3,7, dazu das einfache herze senden 5,7; liebe lucket gedanke 1,4,4; sist mir in min herze taugen stahelhertedich gedrucket (memoria!) XI, 5,7. Dazu die WunschLiebe: guot gedenken fröide reizet XI, 3, und: herzeliep mit wünschen triuten XV, 5: auch sie hier theoretische Funktion! Das Bild von der »schwangeren Erde" XI, l zeigt schließlich denselben gelehrten Umkreis wie bei den Minneliedern: es ist allgemein bei Vaganten und späteren Minnesängern bekannt, die Luft als Vater aber nur in G a l f r i d s von V i n s a u f Poetria Nova als Kopie V e r g i l s belegtM. Auch die Systematik aller vier Elemente und das Fremdwort tempern, absichtlich variierend neben dem deutschen Wort gebraucht, zeigen gelehrte Herkunft. Die Form hebt alle vier Tanzlieder als besondere Gruppe ab. XI und XV sind Viertakterstrophen, aber als viermalige Wiederholung gleicher Viertakter-Paare, XI mit Refrain! Auch I ist in den „Daktylen" und im Bau von fremder Art, und auch VII, wieder mit Refrain, wirkt sehr rational. (S. dazu unten Seite 68.) M

Wie schon K. Marold ZfdPh 23, 5 ff. gezeigt hat! KLD wird das Bild der schwangeren Erde aus deutscher Tradition erklärt und Einfluß G a l f r i d s abgelehnt - wie mir scheint mit Unrecht. Poetria Nova 545 ff. (Faral 214): Veri cedit hiems. Nebulas diffibulat aer Et caelum blanditur humo. Lascivit in illam Humidus et calidus; et quod sit masculus aer Femina sentit humus. Flos, filius eius, in auras Exit et arridet matri Bei Ve r g i l heißt es (Georgica II, 325): Turn pater omnipotens fecundis imbribus aether Coniugis in gremium laetae descendit et omnis Magnus alit magno commixtus corpore fetus . . . . Das Fehlen der grammatischen Pointe G a l f r i d s , die Mitwirkung des Wassers dagegen bei B u r k h a r d könnte sogar direkt auf V e r g i l weisen; vielleicht hat ihn B u r k h a r d selbst auf die vier Elemente erweitert: XI, 1: Do der luft mit sunnen viure wart getempert und gemischet, dar gab wazzer sine stiure, da wart erde ir lip erfrischet: dur ein tougenlichez smiegen wart si fröiden frühte swanger, daz tet luft! in wil niht triegen: schouwent selbe üz uf den anger

Burkhard von H oben f els II

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Das 13. L i e d (II) steht noch einmal für sich besonders. Die ersten zwei Zeilen jeder Strophe geben das Beispiel eines Tieres, das der Rest der Strophe für die Minne anwendet. Das Verfahren ist (in Str. 2-5 mindestens) deutlich und absichtlich. Und es ist das Verfahren mittelalterlicher Naturlehren, das des Physiologus M. Von den Tierbeispielen stammt aber anscheinend nur das Einhorn (Str. 5) daher M. Die erste Strophe gibt Beispiele, falke und lerhe, zum Teil als formelhafte Metaphern97. (Die Strophe geht denn auch auf „Sie", auf ihre Eigenschaften - alle folgenden wenden den Vergleich auf „Ihn"!) Strophe 2: wie der Fisch im Netz ist mein Herz". Strophe 3: der Affe und sein Spiegelbild, eine Ä s o p i s c h e FabelM, die B u r k h a r d auch in XVII für den subjektiven muot wie hier für sin - lip - herze - muot ougen anwendet. Strophe 4: wie die Biene ihrem fiirsten, folgen „Ihr" meine Gedanken100. Schließlich Strophe 5: wie das Einhorn, so wird „Er" durch ihre kiusche verdorben. Die als Metaphern nicht eigentlich gebräuchlichen Bilder werden mit der Methode aus lateinischen Quellen stammen, die sich unter den gerade um die Wende des 12. Jahrhunderts aufblühenden Naturlehren, Fabelsammlungen usw. finden lassen, oder aus französischen nachklassischen Physiologus-Entlehnungen (in Deutschland zuerst bei W o l f r a m Einzelnes!). Von eigener „Naturbeobachtung" und Anschauung zu reden, wie man es gerade bei diesem Liede getan hat, sollte schon das Einhorn verbieten101. Und die Möglichkeit, daß das zufällige Auffinden einer Quelle das ganze Urteil plötzlich umkehren kann, bringt diese Betrachtungsweise in Mißkredit. 95

F. Laudiert, Geschichte des Physiologus, 1889. ·· Ziemlich verbreitet: Lauchert, Physiologus S. 22, 193; Strauch zu Marner XV, 16; Parz., K o n r a d von W ü r z b u r g Goldene Schmiede (s. Grimm S. XXXII). Auch französisch (T h i b a u t , der Allegoriker!): Kate Hoffmann 196. 97 R e i n m a r MF 156, 12: ze fröiden swinget sich min muot, Als der valke enfiuge tuot Und der are ensweime. Tristan 4722: stniu wort diu sweiment alse der ar. R e i n m a r von Z w e i e r , F r a u e n l o b : Saeditig 55. Auch provenzalisch: Stößel 57. Gehört zum fliegenden lop der ersten Liedergruppe. Wenket... sam vor valken lerhe tttot ohne Beispiel? 88 Sydow 59: K o n r a d von W ü r z b u r g , Troj. 7834: ir jungez herze sich verswanc als der wilde vrie visch, der «z dem tiefen wage vrisch sich erswinget in ein garn! Der geköderte Fisch oft (Stößel 44). Der Fisch im Netz sonst nicht. 99 Sydow 59; Saechtig 54. 100 Die Biene verschiedentlich bildlich: Müller-Zarncke, Mhd. Wb. l, 116b. Beim M e i s n e r : der Weisel im Anschluß an W a l t h e r s Reichsspruch, s. WilmannsMichels zu 9, 10. B u r k h a r-d s funktionale Wendung wieder nirgends gebräuchlich. 101 So schon R. M. Meyer, ZfdA 46, 1902, Anz. 28, 376 (Besprechung v. Sydow). Die „friedliche" Vereinigung des „Selbstgeschauten und Fabulösen" (KLD Bd. 2 z. St.) ist gewiß möglich, aber die ausgesprochen formale Verwendung von beiden im Gedicht zeigt doch nur den „Stilisten" - nicht den „Beobachter".

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Burkhard von Hohenfels III

Man muß bedenken, worauf es ankommt: daß „Natur" im Mittelalter überhaupt nur im Rahmen menschlicher Deutung und Bedeutung da ist; „Anschauung" also nicht modernes Anschauen eines außen Gegebenen, sondern Anschauung nur in einem anthropomorphen Rahmen: eben dem der Deutung, der Verwendung im Sinne menschlicher Werte oder religiöser Axiologie. Von diesem Rahmen aus lassen sich Inhalte und Form der mittelalterlichen „Anschauung" vollständig ableiten. Auch das ist hier nicht weiter auszuführen. Aber man müßte sich oft klarer sein, daß nicht nur die Leistung eines Dichters, sondern sogar die Abhängigkeit von einer Quelle nur über den Sinn des Bereiches eingesehen werden kann, in dem sie vor sich geht. Das Ganze ist ein Minne-Bestiarius, jedoch eigener Zusammenstellung und ziemlich rational. Überall stehen Vergleichsworte102. Aber auch mehrere Wendungen W o l f ramschen Stils finden wir hier103. Die Form: sechszeilige Viererstrophe, aber mit verschlungenem Zeilen-Anfangs- und -Schlußreim (Pausen) im Abgesang, mischt ebenfalls Rationalität mit gedanklich und rhythmisch retardierenden Motiven. 14. L i e d III. Der Ton ist die überaus häufige siebenzeilige Viererkanzone, mit Anreimung der Schlußzeile. Die Strophen C11-13 (KLD1-3) befassen sich besonders mit „Ihrem" lop und dem Verhältnis der „ändern" dazu1M. Und sie haben fast vollzählig die geblümten Metaphern der ersten Liedergruppe, aber in merkwürdigster Verbindung: „Ihre" Schönheit ist so besonders groß, daß man sich wundern muß, wie sie sie allein tragen kann (Strophe 1); eine „Mehrheitsabstimmung" über ihre Eigenschaften in Strophe 2105; ihre 102

nach . . . . site, sam l, als 2, stts 3 und 4, ich mich genoze 5. Str. 2 jamers lere: Sydow 25: Parz. 28,19 u. ö. Bei Burkhard lere auch XI, 4, 6. Die Abstrakt-Personifikation friheit 2, 5, s. auch XI, Refr. - Fröidenfrühtig: s. fröiden frühte XI, l, 6, tugentfrühtig XIV, l, 8. 104 Str. 1: ir pris kan so hohe strichen ... - VIII, 3, 5: al der werlde lop din do enbor hohe strichen . . . ez -ver in iemer vor, und IV, 1,1: lop mezzen. Str. 2 mit dem merkwürdigen „Mehrheitsbeschluß" über Ihre Eigenschaften, was zu: niden ltden, XIV, l, l und .... nident si die besten schoene und eren, IV, l, 9 sidi stellt. Daz ist ir von herzen swaere, wanz ir selten me gcschach III, 2,6 entspricht: schelten gelten kan si kleine, sit ir weder man noch wip arge wärheit mac gesprechen, XIV, 1,2. Str. 3 suoze ir hellez lop erklinget: XIII, 4,4: ist lobes hel (Sydow: Parz. 551, 28). Dazu Str. 3, 4 noch: irdesch wünsch gar an ir lit: IV, l, 4: sist wunschcs hostez zil. 3,1: in ir herzen saelde entspringet, ditt der werlte fröide git XIV, 1,7: der saelden würzegarten, und IV, l, 11: saelden ursprinc u. a. 108 Vgl. W o l f r a m , Titurel 105, 4: Sigune diu sigehaft «/ dem wal, da man weit magede kiusche unde ir siieze! 103

Burkhard von Hohenfels l

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Wahl zur Herrin durch die Vögel10* (Strophe 3)? Ob diese merkwürdigen, fast witzigen Motive, die sonst nicht bekannt sind, nun B u r k h a r d s »Eigentum" sein mögen oder nicht, jedenfalls ist die Bildlichkeit darin stärker ausgemünzt als in den „flachen" Metaphern der ersten Liederreihe. Die von C selbst, Sydow und KLD zu diesem Lied gerechneten Strophen C 32-33 enthalten ohne Zweifel eine Anwendung der „Erkenntnistheorie" der zweiten Liederreihe: die gedanke, von Ihr gelockt (:X, XVIII), fliegen in Scharen zu ihr, manic giric sin fliegt ihnen nach auf die jagevart, um sie zu bezwingen (: IX); in der nächsten Strophe auch der muot, in den sie durch „Wünschen" kommt: so si min gemüete erluzet, fröide in sorge denn sich muzet. Aber auch hier ist die Bildlichkeit mehr ausgenutzt als in den formalen Vergleichen der zweiten Gruppe (.gemüete erläzet, muzet!). Gerade der swanc (5, 2), der Einbildungsbesitz der Geliebten, nutzt die formale Funktion des Geistes inhaltlich aus: eben als swanc. Kein Vergleichswort! Wenn man Vogelurteil Strophe 3 und fliegen der Gedanken Strophe 4 als genügende gedankliche Verbindung ansehen kann10?, so wird man das Ganze als Lied „zwischen" beiden Liedergruppen betrachten: ein Lied, das die Bereiche beider Gruppen getrennt aufnimmt, aber in einen gedanklich recht witzigen Stil vertieft. Auch so konnte es B u r k h a r d offenbar - auch das ist eine Richtung seiner „Stilexempel". Die Szenenlieder Hier erscheint das Ausgangsproblem noch einmal neu: die Anschaulichkeit B u r k h a r d s ! Ist sie nur Topik, Schmuck, ornatus difficilis, gar ödes Allegorisieren? Spricht hier nicht doch der seit von der Hagen schon bemühte Ritter und Jäger vom Turm am Bodensee? Ohne Zweifel steckt in den Szenenliedern B u r k h a r d s , im »genre objectif" der Tanzszenen und Mädchengespräche eine Fülle von gegenständlichen Details. Die gegenständlichen Tanzmotive im 15. L i e d (= I) entspringen jedoch auch nicht einfach individueller „Beobachtung". Sondern sie entsprechen einem „Anschauungstypus", mit dem die Schlüsse von W i n t e r s t e t t e n s und T a n n h ä u s e r s Tanzleichen besonders eng zusammenhängen müssen108. « Tj7eii der Gesang der Vögel Frohsinn selber ist, müßten sie die Geliebte, die der werlte fröide git, zur Herrin wählen? 107 S. Sydow 60 und danach KLD. 108 Die Aufforderungen wir sun ...., wol üf ... (ganz allgemein in Tanzleichen), so sun wir . . . (noch besonders bei T a n n h ä u s e r Leich I, zweimal). - Die Folge winder-stube (Wi n t er s t e 11 e n Leich III; bei N e i d h a r t nur in den ersten

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Burkhard von Hohenfels XI

Was B u r k h a r d s Lied von diesen und späteren Tanzleichen und -liedern unterscheidet, ist - neben dem Fehlen mancher Motive: der Namensauf ruf ungen, des heia hei! usw. - nicht die Anschauung selbst, sondern höchstens der derbere Charakter des Gegenständlichen. Der Tanz selbst scheint derber als das slichen o h n e gedrange bei W i n t e r s t e t t e n - T a n n h ä u s e r meist. Bei B u r k h a r d heißt es 2, l ff.: ... umbe slifen und doch mit gedrange, ... rucken und zocken und zucken: daz eret den tanz! Dasselbe zeigt auch das einzige Motiv, das den ändern Tanzliedern wirklich fremd ist: swie si da ivenke, so trefs anz gelenke: daz kiutzelt den muot! - vielleicht ein Figurentanz mit Hüftenfassen gegenüber dem sonstigen Reigentanz mit Händefassen109? Nichts Persönliches, nichts N e i d h a r t Eigentümliches in Form und Inhalt "°! Aber, wie in den Minneliedern, eine merkwürdige Vorwegnahme von später Typischem. l 6. L i e d XI ist ein Frühlingstanzlied. In der ersten Strophe begegnen die vier Elemente und das Ve r g i l - Bild von der Ehe zwischen Luft und Erde (s. oben S. 32). Darauf geht es weiter als gegenständliche Erzählung, fortlaufend und mit Tempo - wie auch die glatte Viertakterform fordert. Die Details der Erzählung sind eigen: Auszug aus der Stube wegen der Hitze dort, Regen draußen, eine Alte rät mit witze in die schiure nach gemache (Str. 2), die stadelivise (Str. 3) - das ist geschlossen, ist wohl eigene Erfindung. Aber Strophe 2 soll sicher auf ihre Weise die Vergegenwärtigung des Frühlings in der ersten Strophe fortsetzen: ob dabei hitze und regen noch weiter mit den vier Elementen spielen, vielleicht die schiure wirklich mit witze die beiden ändern, Luft und Erde, irgendwie vereinigen soll? Der Tanz selbst (Str. 3), die stadelwhe, ist hier (als Sommerreigen?) sanfter: er seiner Winterlieder, den, wie die ersten Sommerlieder, rein gegenständlich gehaltenen und nodi nicht diarakteristischen; in den späteren stets die Folge: Winter Liebe!). - Enphahen (für den Sommer ganz verbreitet. Für den Winter: H e r z o g von A n h a l t , KLDI, 1,1). ^Smieren (lachen häufig: W i n t e r s t e t t e n Leich IV, T a n n h ä u s e r Leich III). - Strophe 2: gedrange ( T a n n h ä u s e r Leich III, W i n t e r s t e t t e n Leich III, Leich IV - da gilt es aber eher gedrange zu meiden!). - P fife (Aufzählung von Musikinstrumenten W i n t e r s t e t t e n Leich IV, T a n n h ä u s e r Leiche III und I: doch nicht die p fife). - Vahen ze sänge (in den Leichen nicht. Aber besonders deutlich K i l c h b e r g, K.LD V, Refr.). - Der swanz (in allen Tanzliedern häufig, W i n t e r s t e t t e n Leich III). - Rucken und zocken und zucken (entsprechend: happen und zoppen W i n t e r s t e t t e n Leich III!). Strophe 3: ie der man kiese sin trat daz er minne (entspricht wohl dem so häufigen: wa ist der Leiche und Tanzlieder, und überhaupt dem Suchen der Tänzerin: schon W a l t h er 75,1). 1M Doch s. dazu unten S. 111 Anm. 20. 110 Wie man auch gegenüber der Feststellung KLD: „das Lied ist Neidharts Mädchendialogen nachgebildet wie VII und XV, festhalten muß!

Burkhard von Hohenfels VII

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slichet, man tritt eben unde lise m, und er gibt Zeit zu denken, was jedem aller liebest wäre. Strophe 4 schildert den Inhalt dieses guot gedenken: die Mädchen beim Tanz, höfisch allgemein nur und ohne Namen. Strophe 5 ist eine persönliche Schlußstrophe. Aber auch sie nicht mit der (aus dem Minnesang genommenen) Minneklage N e i d h a r t scher Winterlieder. Sondern Pointe ist die fröiäe. Die beiden ändern Szenen sind Gespielengespräche - aber, anders als bei Neidhart, theoretische Mädchengespräche über Ehe und freie Liebe! Das l 7. L i e d (V 11) gibt ein Gespräch zwischen der Magd m, deren Dienstjahr zu Ende ist, die jetzt die Freiheit gründlich ausnützen will (Str. 1) - und dem reichen Mädchen in demselben Hause (so muß man es verstehen), das unter der festen Hut der Muhme bedauert, nicht auch arm zu sein, „kündigen" zu können und ze frötden zu varn (Str. 3-4). Die Muhme hat ihr das Festkleid verschlossen (wie öfter auch im N e i d h a r t kreis), die Magd beredet sie zum Widerstand. Sehr anschauliche Züge: ich will dich leren sniden, Strophe 4; weiter die Regel, wohl vom Gesellschaftspiel stammend: ich zwiere, swa man zwinket wider mich, Strophe 5. Überhaupt eine ausgezeichnete Psychologie der Personen: diese polternde Magd, die in Quantitäten einholen will, was der Dienst an Vergnügen ihr versagt hat; dieses Mädchen • mit seinen so „reizend" törichten Gedanken: war ich doch lieber arm statt reich (Str. 2), und: ich nehm einen schlechten Kerl (von niedrigem Stand) zum Mann - da wird sie sich ärgern (Str. 5); schließlich diese Muhme selber, die bei der Nichte, sei sie froh oder traurig, die Minne wittert (Str. 3)m ! Weder einen Gegensatz von arm und reich noch von Freien und Unfreien auszuspielen, liegt unserem Gedicht im Sinn. Einzig „freien" Frohsinn und die Lästigkeit der Aufsicht stellt es, sehr logisch, gegeneinander: witzig verdreht in der Figur der „freien" Magd und der „unfreien" Freien und Reichen. So versteht sich auch der Refrain am einfachsten. Außer der sehr allgemeinen motivlichen Berührung - Gespielengespräch, die verschlossenen Kleider, die unliebsame Ehe, was jedoch auch die französische Pastourelle kennt - nichts von N e i d h a r t114! Die Darstellung ist objektiver, auch die Form ist sehr rational aufgebaut (dazu unten S. 68). 111

KLD zieht Wilmanns zu W a l t h e r 19,11 und Haupt zu N e i d h a r t 27,13 an. 111 F. Mohr, Das unhöfische Element in der mittelhochdeutschen Lyrik von Walther an, Diss. Tübingen 1913, S. 81. 113 Mit anderer Interpunktion: trur ich, si giht id) gwinne von liehe not, fröw ich mich: „daz tttot minne!" (wan waer si tot!). 114 Vor allem der gerade hier fehlende Natureingang unterscheidet doch das Lied vom Neidhart-Typ.

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Burkhard von Hohenf els XV

l 8. L i e d V, das zweite Gesprächslied, gibt ohne reale Szenerie, mehr „logisch", in nur lose motiviertem Dialog, die Pointe von VII: „freie" Fröhlichkeit steht gegen lästigen Zwang - den noch deutlicher die unwillkommene Ehe darstellt. Hier wie in den ändern Szenenliedern könnten, wie von Kraus beobachtet hat, die vielen konkreten Details und die freiere Sprache anzeigen, daß B u r k h a r d direkt aus volkstümlichem Brauch schöpfte. Aber alles Persönliche, bei N e i d h a r t wachsend in Inhalt und Form ausgespielt, fehlt B u r k h a r d , vor allem fehlt auch jede ironische Polemik im „Sozialen", fehlt überhaupt das „Dorf als ausdrückliches Motiv, und damit - trotz Berührungen in Motiv oder Wendung us - ein deutlicher Zusammenhang mit N e i d h a r t . Die psychologischen und gegenständlichen Details sind, so haben wir gesehen, an keiner Stelle Selbstzweck, Darstellung um der Anschauung willen, Wiedergabe von Beobachtungen. Die Tanz- und Gesprächsdetails dienen zwar nicht als „stilistische" Mittel wie die Vergleiche (dazu schon oben S. 31 f.). Sie benutzen gegebene Anschauungstypen, erweitern sie vielleicht auch direkt aus volkstümlichem (was nicht heißen muß: altem) Brauch. Die stilistische Absicht aber bleibt auch hier das logische Verstandesspiel. Was bedeuten diese „Anschauungstypen" im genre objectif? Man erklärt sie als Wendung von Idealismus zu Realismus bzw. Naturalismus, aus sozialen Veränderungen, als unhöfisdien, späthöfischen Stil, aus Einfluß alter Dorfpoesie usw. usw. All das bleibt schematisch. Es stellt keinen Zusammenhang her mit den wörtlichen Aussagen der Lieder! B u r k h a r d wenigstens gibt selbst ausdrücklich ein Motiv für diese Gegenständlichkeit an: sie dient der fröide! S i e schildern alle Szenenlieder als den Sinn des Tanzes oder Dialogs. Fröide, Frohsinn, ist aber überhaupt der Zentralbegriff in allen Liedern B u r k h a r d s 1 1 6 , das Grundmotiv auch seiner Bildlichkeit, seines stilistischen Formalismus. Nur einige Beispiele: der „Prozeß" von Lied XVII geht um die „Entwendung" seiner fröide durch die Geliebte; auf dieses Wegnehmen der fröide ist auch VI aufgebaut; nach fröide streift der mitot, als Inhalt von X und XVIII; fröiden wünsch ist es, da von ich httop diz maere, 115

Gespielengespräch, der unliebsame Zukünftige. Den soll du mir zeigen, XV, 3,1: den soll du mir zeigen, N e i d h a r t 16,22, auch unter zwei Gespielen gesprochen; nur will sie hier mit dem von Rinwental varn, statt wie bei B u r k h a r d den Liebhaber (den erzwungenen Ehemann) verjagen. 116 S. auch Sydow 58 ff. passim.

Szenenlied und objektive fröide

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wegen deren er überhaupt zu dichten begann, VI - fröide läßt sidi, enger oder loser verbunden, wirklich in jedem Lied und fast jeder Strophe als Grund seiner Dichtung wörtlich ausgesprochen finden. Daß es gerade die subjektive Vorstellung der Liebe ist (gedenken, wünschen: s. oben), die auch die fröide hervorbringt, zeigt noch einmal den psychologischen Theoretiker B u r k h a r d , die formale Introversion des Minneverhältnisses. Es weist zugleich aber auch auf den allgemeinen Sinn der Verbindung von bildlich-gegenständlicher „Anschauung" und fröide hin. Denn auch den früheren Minnesängern war ja Sinn und Zweck ihres Liedes die fröide, die gesellschaftliche Hochstimmung. Aber der Frohsinn, den Lied und Liebe geben, ist dort immer verbunden mit dem persönlichen Trauern, dem persönlichen Liebesleid; Reflexion über das Leid ist die Sageweise der freien Liebesbindung, des Symbols einer gesellschaftlichen Leistungs- und Persönlichkeits-Ethik11T. Das bleibt auch im späteren Minnelied so. Nur tritt, wie wir sahen, an die Stelle der persönlichen „Leistung" eine formale Objektivität des Minneverhältnisses. Darum gibt es nun auch einen positiven Ausdruck von Liebe als fröide: die objektive Szenendarstellung niederer Minne, die „Anschauung" der Tanzdetails (und in B u r k h a r d s Formalismus: die Vorstellung dieser Anschauung: guot gedenken!) ist positive Freude - die freilich überhaupt nicht mehr „Leistung" bedeutet, sondern eine neue stoffliche Realität des Symbols. N e i d h a r t verwendete den gleichen Anstoß noch auf „klassischer" persönlicher Basis, mit unnachahmlichem Raffinement. Seine Wirkung muß man gerade darum wohl auf die direkten Nachahmer einschränken. Die Tendenz zur Ausbildung objektiver Szenen wirkt aber, getragen von dem allgemeinen Stil- und Lebenswandel, viel breiter; nordfranzösische Parallelformen standen immer bereit (vielleicht auch die Möglichkeit zum Rückgriff auf frühhöfische Rollenszenen?), und es gilt, zunächst die Nuancen und Stilbereiche dieser Anschauungstypen zu sondern, ehe Abhängigkeiten ausgesprochen werden können. Der Dichter B u r k h a r d von H o h e n f e l s ist - als Dichter! - kein frischer Beobachter von Jagd und Schiffahrt am Bodensee, kein Naturtalent - sondern eines der künstlichsten im deutschen Minnesang: Wegbereiter, ja ein erster Höhepunkt des geblümten Stils und der gelehrt-erkenntnistheoretisch aufgeputzten Minneallegorie, ähnlich dem Dichter der Minneburg im 14. Jahrhundert. Man konnte das übersehen, weil diese Dinge hier nicht in der stoff117

Vgl. Hugo Kühn, a. a. O. Studium Generale 2, 1949, S. 114 ff.

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Ornatus difficilis

lichen Breite des späteren 13. und des 14. und 15. Jahrhunderts auftreten, sondern noch rein als ornatus, als bloßes Stilkleid eines gerade erst aus der klassisch-persönlichen, „geistigen" Minneverbindung heraustretenden Übergangs-Rationalismus und -Formalismus. Bei R e i n m a r von Z w e i e r , M ä r n er u. a., wo zeitgenössisch ähnliche Stilelemente sich mit neuen inhaltlichen Motiven verbinden, sind sie schon längst erkannt. Nun rundet sich das Bild dieser Stilwende durch den fast am weitesten in die Zukunft vorgreifenden H o h e n f e l s e r besser ab. Er zeigt uns klarer die Ableitung aus dem klassischen Minnesang, aber auch die Hilfestellung der lateinischen Stilisten zum Neuansatz118. 118

Lateinischer Herkunft .sind (s. oben): B u r k h a r d s Systematik der Erkenntnisvermögen als stilistischer Schmuck der Minne-Verbindung; das Gleidinis von Mutter Erde und Vater Luft in XI; sdiullogische Figuren in VI, XV, z. T. auch IV; der „Minnephysiologus" VI! Nodi mandier stilistisdie Zug im einzelnen erhält durch diesen gemeinsamen Rahmen vielleidit Gewicht. So die Absichtlidikeit des Sentenziösen in Lied XIII (der ersten Gruppe): sententia ist nicht nur eine der rhetorischen Figuren (Faral 52, 9), sondern als proverbium zusammen mit exemplum f ü r G a l f r i d , E b e r h a r d , J o h a n n e s d e G a r l a n d i a geradezu eine der beiden Formen, ein Gedicht zu beginnen (Faral 58; E. R. Curtius 65 ff., 442)!Der Anfang von Lied IV: swer ir lop wil rehte mezzen - S ist titgendericher fröiden spil -: Guoter dinge enkeinz vergezzen Ist da: sist Wunsches hostez zil - das ist offenbar eine „Definition", auch eine der rhetorischen Figuren (Faral 52, 20). - Die Liebe zu neuen Wortbildungen (s. oben Seite 13) teilt B u r k h a r d nicht nur mit den Blümern, sondern auch z. B. mit der Poesia E b e r h a r d s des D e u t s c h e n (Est verbi novitas mihi dulcis . . ., Laborinthus 345, Faral 348). - Lied X, l, 8: alle tugent si gar zündet, Daz der werlte fröide kündet, Da von man ir prises giht ruft mit dieser Folge nicht nur das rasche Aufgehen der Sonne (l, 1) auf, sondern tut dies als „gradatio" (Faral S. 52, 19). - Von üblichsten Figuren wie „interrogatio" (Faral S. 52, 7 - bei B u r k h a r d mit offenbarer Absicht in XII, auch XVI), Anaphora oder Duplicatio (Faral 52, 27 - Burkhard X), prosopopia (Faral 72) usw. ganz abzusehen. Natürlich ist auch B u r k h a r d s Hauptinteresse, die Bildlichkeit, den Poetiken nicht minder bedeutungsvoll (s. Faral 90). G a l f r i d behandelt (Poetria Nova 241 ff.) den Vergleich mit oder ohne Vergleichswort - den letzteren findet er besser, wie überhaupt die erste Liedergruppe B u r k h a r d s in stilistischer Hinsicht fast mehr dem Ideal der lateinischen Stilisten entspricht. Unter den bei G a l f r i d ganz besonders häufigen Bildern begegnen die Bilder beider Gruppen B u r k h a r d s . Nur einige Beispiele. Die überhaupt so verbreiteten Metaphern aus dem Gartenbereich : Ordinis ( = Disposition!) est primus sterilis^ ramusque secundus Fertilis et mira succrescit origins ramus In ramos (Poetria Nova 101, Faral 204: B u r k h a r d XIII, 5,4 besd>eidenheit ... zwiget unde fruhet saelde und ere); oder: Hoc genus est plant ae, quod si plante t ur in hör to Aiateriae, tractatus erit jocundior; hie est Rivus jontis, ubi currit fons purior . . .

Wurzeln des geblümten Stils

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Denn ein Neuansatz ist es, nicht nur epigonenhafte Erstarrung. Der hohe Minnesang, Entdeckung der persönlichen, ästhetisch-ethischen Leistung in der höfischen Gesellschaft, hatte sich bereits in innerer Krise zwischen M o r u n gen - R e i n m a r - W a l t h e r selbst aufgelöst - wie die höfische Epik zwischen H a r t m a n n und W o l f r a m 1 1 ' . W a l t h e r s niedere Minne und, zukunftsträchtiger, N e i d h a r t s Szenenlieder hatten den Übergang zu neuen, objektiven Bildern der jröide noch im klassischen Stil gefunden. Aber diese Freude, das weltliche Heil mittelalterlicher Gruppen-Menschen, verlangte nun schon - ebenso wie die neu ergriffenen Themen geistlichen Heils! - den Aspekt einer objektiven Realität, der all die Wandlungen durch das Spätmittelalter hindurch einleiten sollte. Er wird zuerst angestrebt in jenem seltsamen „von weither Reden", das der gemeinsame Untergrund des Stilwandels um 1220 ist: ein Versuch, an Stelle „klassisch"-persönlicher Leistung den höfischen wie religiösen Werten etwas geheimnisvoll Athmosphärisch-Objektives zu geben, indem man sie ebensowohl im Stil mit einem Schleier von ornatus difficilis umgibt wie im Inhalt mit einer Fülle von Kombinationen, kosmischen, historischen, natursymbolischen, religiösen Hintergründen und Zusammenhängen usw. usw. "°. Erst von da aus erklärt sich auch das Einfließen lateinischer Stil- und Inhalts-Gelehrsamkeit in die doch zugleich feste deutsche Tradition! Eben diesen Stil, in W o l f r a m s Titurel (Poetria Nova 256, von der collatio, dem Vergleich, hier zugleich mit dem Bild des ursprinc: bei B u r k h a r d IV, 1). - Der Spiegel (B u r k h a r d V, 3, 5): Rex tuus est -speculum ... (Poetria Nova 330). - Aber audi: Materiam verbis veniat vestire poesis (Poetria Nova 61), ebenso E b e r h a r d : vestio rem verbis variis (Laborinthus 309, Faral 347), auch bei A l a n für die Form (Anticlaudian 404): in noch halb wörtlichem Verstande die vielbenutzte Kleiderallegorie ( B u r k h a r d XVIII, 1). - Quando subit ostia Mentis, sit timor hospes ibi non incola (Poetria Nova 307: eine Eigenschaft allerdings, statt wie bei B u r k h a r d in Lied XVI, 3, 4 funktional die Bilder der Sinne als „Gast" des muotes!). - Ignis ingenii als Metapher (Poetria Nova 215: der gedance viur, auch funktional, B u r k h a r d XVI, 4,1). Das sind nur Beispiele, nur aus dem Anfang der Poetria Nova! Die Bilder A l a n s würden vielleicht noch mehr ergeben. Zu einer vergleichenden Metaphorik fehlen noch viele Voraussetzungen (s. dazu Faral 90). Wilhelm Grimm hat in der Einleitung zur Goldenen Schmiede K o n r a d s von W ü r z b u r g (S. XXII ff.) dazu einen Anfang gemacht. Nur hat das mit B u r k h a r d , bei dem anderen Bereich seiner Dichtung, nicht viel Gemeinsames. E. R. Curtius1 großes Werk (S. 136 ff. u. ö.) ist für uns viel zu weitmaschig. Die von mir benut2ten Sammlungen sind alle mehr zufälliger Art. Und nur wenn man den Stilkreis des jeweiligen Werks mit heranzieht - wie es E. R. Curtius z. T. demonstriert - kann man auf historisch wirkliche Ableitungen rechnen. 119 Vgl. meine Darstellung in: Annalen der deutschen Literatur, hrsg. von H. O. Burger, 1951, S. 99 ff. 180 Etwas Ahnliches liegt der „Romantisierung" der Artusepik, bei Türlin z. B., zugrunde! Vgl. a. Anm. 119 a. O. S. 172.

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Burkhardi Liedergrup pen als Stilübungen

mit der Meisterschaft des Klassikers noch ergriffen, ähnlich auch in dem großartigen religiösen „Walther"-Ton 36,11 ff., fassen wir i n B u r k h a r d s Liedern noch in seinem Ansatzpunkt und ganz im Stoffkreis der höfischen Minne, dazu mit dem besonderen Übergangscharakter des Formalismus ausgestattet, der auch in anderen Kunst- und Lebensgebieten die Wende zum Spätmittelalter bezeichnet. Besonders interessant macht den Vorgang die stilübungshafte Bewußtheit unseres Sängers. In der ersten Liedergruppe greift er, mit Variationen von wenigen Grundmetaphern, dem normalen geblümten Stil der späteren Lyrik vor121 (anscheinend von W o l f r a m s Stil in Bild, Wort und Konstruktion ausgehend), mit metaphorischem Ineinandertreiben von Bild und Bedeutung und Neigung zu* Eigenschaftsbeschreibung, wenn auch in seltsam eigenwillig weitergebildeten Formen wie dem fliegenden lop, dem nidenusw. Die zweite .Liedergruppe pflegt hauptsächlich die Themen der späteren Minneallegorie, aber durchweg in den gelehrt introvertierten erkenntnispsychologischen Stilfiguren mittellateinischer Poetiken. Der Stil ist hier gewollt rational, die Metaphern meist mit Vergleichswort gebraucht - nur um den Unterschied zu bezeichnen, könnte man hier an G o t t f r i e d s von S t r a ß b u r g funktionale Klarheit li2 in Metapher und Allegorie erinnern, gegenüber W o l f r a m s gewolltem Ineinander dort. In Inhalt und Form gibt es jedoch manche Übergänge zwischen beiden Gruppen. Nicht als dritte Liedergruppe, nur als Sonder- und Übergangsformen faßten wir eine Reihe weiterer Lieder zusammen, mit logischen Schulfiguren oder ausgeprägterer Bildlichkeit aus beiden Bereichen. Für all diese Formen liegen Ansatzpunkte durchaus schon in der deutschen Tradition bereit. Die Ausprägung aber steht stark unter dem Eindruck der lateinischen Stilisten um 1200 (dafür eben spricht auch die stilübungshafte Bewußtheit: es ist nicht daran zu denken, die Gruppen im Sinn einer Entwicklung zu ordnen!). Aber auch ein eigenwilliges Fortbilden dieser Anregungen ist nicht zu verkennen. Wieweit französische Vermittlung eine Rolle spielt, darüber müßten Romanisten befinden. Der in manchem vergleichbare T h i b a u t de C h a m p a g n e dichtete wohl später als B u r k h a r d. Auch in den metrischen Formen zeigt dieser jedenfalls etwas Neues gegenüber der deutschen Tradition: gleich versige alternierende Viertakter (mit häufigen Tonbeugungen: KLD 121

Es ist nicht ohne Bedeutung, daß die vergleidierfde Sdiematik der Bilder F r a u e n l o b s in der Dissertation von Saechtig aus den nidit zu vielen Liedern B u r k h a r d s vierzig Entsprechungen gibt: nächst den sechzig aus dem viel umfangreicheren W i n t e r s t e t t e n (!) die meisten aus der ganzen deutschen Lyrik! i«* Vgl. z. B. noch Blancheflurs „erkenntnistheoretisdie" Reflexion über den muot Trist. 1043 ff., oder die Szenen nach dem Minnetrank.

Btirkhards Strophenformen

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Bd. 2) bilden den Grundstock seiner Metrik, in der ersten Liedergruppe kontrastiert gegen die Strophensdilüsse (wie z. T. auch im Inhalt!), in der zweiten meist ganz glatt durchgeführt. Lateinischer (conductus?) und französischer (nordfranzösischer?) Kanzonenstil lassen sich aber wohl noch nicht genügend sondern (s. dazu unten bei N e i f e n). Die Szenenlieder B u r k h a r d s haben vielleicht nicht Kanzonenform. Ihre gegenständlichen Details greifen in I den späteren Tanzleichen T a n n h ä u s e r s und W i n t e r s t e t t e n s vor (zu diesem Typ s. unten bei W i n t e r s t e 11 e n); die ändern stehen unbestimmbar zwischen N e i d h a r t und der französischen Pastourelle. Eine ausgesprochene Pointierungskunst tritt immer wieder hervor. Als eigene Prägung ist auch hier die besondere Rationalität B u r k h a r d s greifbar. Gewisse Züge verbinden den H o h e n f e l s e r mit H i l t b o l t von S c h w a n g a u : die Motiv-Berührung in Burkhards Lied IV (s. oben S. 8), der Anteil der Viertakterstrophen (bei Hiltbolt kommen dazu die „daktylisch" französischen Neun- und Zehnsilbler der H a u s e n schule), der experimentelle, „archaisierende" Charakter in seinem Werk (s. KLD Bd. 2), das „Tanzlied" (KLD X): zeigt sich hier ein „schwäbischer Kreis" an, der zwar kaum etwas mit König Heinrich (VII,), wohl aber mit dem „gelehrten" Neuansatz R u d o l f s von Ems zu tun hat? Die Antwort soll zum Schluß versucht werden.

GOTTFRIED VON N E I F E N UND DER DEUTSCHE STROPHENBAU Audi N e i f e n gilt der Literaturgeschichte nicht als Problem. Bleibt das Urteil über seine Qualität verschieden1, so ist man sich über die Tatsachen seines Stils doch einig: ein Form talent, „mehr Virtuos als Künstler" * aus „Mangel an eigenem Erleben" 3 - ein Epigone, „Schüler R e i n m a r s, aber auch W a l t h e r s und N e i d h a r t s"*. Aber man nimmt damit auch eine Erscheinung wie N e i f e n s Formalismus zu unbedenklich im Sinne des Entwicklungsschemas von Klassikern zu Epigonen. Die vermeintliche Schülerschaft bei R e i n m a r und W a 11 h e r - die bei N e i d h a r t ist auch hier problematisch - deutet zwar Berührungen an, sie bleiben aber, so überzeugend sie sind, doch so am Rande des für N e i f e n Charakterstischen, daß man seinen Stil unmöglich nur von da herleiten kann. So muß man schon auch die Eigenschaften des N e i f e n sehen Formalismus selbst genauer bestimmen und im Rahmen der mittelalterlichen Möglichkeiten beurteilen, wenn das Urteil über seine literarhistorische Stellung wie über seine Qualität nicht auf dem schwankenden Boden vager Vermutungen ruhen soll. Nun weisen aber hier keine inhaltlichen Besonderheiten wie bei B u r k h a r d von H o h e n f e l s auf einen bestimmten Umkreis hin, der stilistische und formale Vorbilder greifbar machen könnte. G o t t f r i e d s Besonderheit ist zunächst nur ein Höchstmaß „objektiver" Formelhaftigkeit all der im bisherigen Minnesang, vor allem bei R e i n m a r und W a 11 h e r und dann, schon formelhafter, bei N e i d h a r t üblichen Motive6 - außer den 1

Vgl. KLD Bd. 2 und H. Schneiders für Qualität wie immer feinfühlige Kritik: Heldendichtung, Geistlichendichtung, Ritterdiditung, Neuausgabe 1943, S. 502 f. * K. Burdach, Reinmar der Alte und Walther von der Vogel weide, 2. Aufl. 1928, S. 393. 3 Ehrismann, Literaturgesch. Schlußband S. 272. * Burdach a. a. O. 392. El. Karg, in Stammlers Verfasser l exikon: „an Walther von der Vogelweide und Neidhart geschult". 6 Zusammenstellung der Parallelen s. jetzt KLD Bd. 2.

Neifen: Inhalt und Form

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Erzählliedern „niederer Minne", die sich allerdings vom Üblichen stärker abheben als B u r k h a r d s Tanzlieder, doch wieder nicht so sicher, daß nicht auch sie einfach als. N e i d h a r t sches Gewächs, vielleicht sogar anonymer Herkunft, angesehen werden könnten. Die Form allein ist es zunächst, die hier entschiedene und auch unterscheidende Eigenschaften zu erkennen gibt. An ihr läßt sich, deutlicher als am Inhalt, ablesen, welch neue Absicht und vielleicht auch welcher neue Anstoß N e i f e n veranlaßte, die bisherige Kunst des Minnesangs aufzugeben. Aber audi der Haupttyp der Bauf ormen im Minnesang, die Strophe aus zwei Stollen und Abgesang, die „Kanzone", ist in ihrer inneren Entwicklung und Typisierung - im Gegensatz zu anderen Formen - so wenig geklärt, daß von sicheren Zusammenhängen noch keine Rede sein kann 6 . Man wird am besten zunächst wieder die auch bei N e i f e n nahegelegte Zuordnung verschiedener Formelemente zu speziellen, aber festen Typen zu erkennen suchen und diese im Rahmen der mittelalterlichen Formen beschreiben7. Denn erst mit der Sicherheit, auch wirklich das Charakteristische und womöglich das bewußt Beabsichtigte bei den Typen getroffen zu haben, sind richtige Vergleiche überhaupt möglich. Eine Vorbemerkung dürfte noch nötig sein über die hier angewendeten metrischen Gesichtspunkte und Bezeichnungen. Man wird sie als Rückfall aus der Hör-Metrik Heuslers in die Papier-Metrik früherer Zeiten beklagen. Dazu kann vorläufig nur gesagt werden, daß sie vielmehr versuchen wollen, einen Schritt weiter zu gehen: auf die - warum sollen wir es nicht auch glauben - historische Metrik des mittelalterlichen Liedes hin. Heuslers Deutsche Versgeschichte (Grundr. d. germ. Phil. 8, Bd. 1-3, 1925 ff.), Abschluß einer ganzen Epoche metrischer Entdeckungen (Sievers, Saran, Plenio), fand die großartig einheitliche Konzeption einer wirklich hörbaren Metrik - ähnlich wie Heuslers Auffassung vom germanischen Heldenlied die einer wirklich dichterischen Leistung. Die Ursachen und Zusammenhänge leitete Heusler vom germanisch-deutschen Sprachbau ab, seine Prinzipien aber - aus dem Takt-Gefühl der Musik des späten 19. Jahrhun6

F. Gennridis Aufstellungen (Formenlehre des mittelalterlichen Liedes, 1932, 240 if.) sind für feinere Unterscheidungen zu allgemein, die Ableitungen bleiben zudem zweifelhaft. Ähnliches gilt für die Systematik bei H. Spanke, Beziehungen zwischen mittellateinischer und französischer Lyrik, Abh. d. Göttingef Ges. d. Wiss. 3. Folge Nr. 18, 1936 (zit. als Abh.). 7 Zusammenstellungen über Strophenbau und Reimtechnik öfter in der N e i f e -Literatur, zuletzt KLD Bd. 2; vergleichende Übersicht über einen größeren Kreis bei Günther Müller, Strophenbindung bei Ulrich von Lichtenstein, ZfdA 60, 1923, 33 ff.; sie sind aber für unsere Zwecke nicht scharf genug. So ist auf Verweise hier meist verzichtet, und das Nötige neu zusammengestellt.

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Heuslers Metrik und die Pormforschung

derts! So steckt eine ganze Dosis von Apriorismen und Prädispositionen in dem im einzelnen sehr gegenstandsnahen Werk - ähnlich wie in Heuslers allgemein-ästhetischer Konzeption der Heldendichtung. Die Minnelyrik aber war mittelalterliche Lied-Dichtung - was nun nicht wieder ein Apriorismus sein soll, sondern die ernsthafte Aufgabe einschließt, musikalische und rein rhetorische Form- und Stil-Bestimmtheit - wie sie sich z. B. in Italien etwa um 1300 voneinander lösen, in Deutschland z. B. bei H u g o von M o n t f o r t - in jedem Falle genau zu scheiden (von dem anders gelagerten Problem im deutschen und französischen 11. und 12. Jahrhundert ganz abgesehen). Die von der Musikgeschichte inspirierte Forschung über das mittelalterliche, vor allem das lateinische und französische Lied (Fr. Ludwig, J. B. Beck, Fr. Gennrich, H. Spanke u. a.) hat sich schließlich aus der auch hier unfruchtbaren Rhythmus-Diskussion gelöst - die Modalrhythmik des „Notre DameStils" um 1200 bildet jetzt die im allgemeinen unumstrittene Grundlage8 und hat vor allem durch Auf schließen eines großen, wenn auch immer noch unzureichenden und schwer zugänglichen Materials einen neuen Grund in vergleichend-historischen Arbeiten gelegt. Auch hier gibt es Apriorismen und zu allgemeine Systematisierungen. Aber sie ändern nichts daran, daß Formforschungen im Minnesang auf diese Zusammenhänge eingehen müssen, auch wo sie nicht selbst vergleichend arbeiten wollen. Denn von hier aus erscheinen die Fragen der metrischen Rhythmisierung, die bei Heusler im Vordergrund standen, mehr sekundär: ob bestimmte Verse volle, klingende, stumpfe oder gar überstumpfe Viertakter sind, ob „heimisch" oder „welsch" empfunden, ob französische Silbenzählung und deutsche Hebigkeit sich grundsätzlich widersprechen oder nicht - all das sind nicht gegenstandslose, aber untergeordnete und im Einzelfall zu entscheidende Fragen, wenn man sie im Rahmen der großen musikalisch-textlichen Formzusammenhänge sieht. Es kommt deshalb wieder mehr auf eine möglichst einfache, rhythmisch neutrale, aber formal vergleichbare Beschreibung der Formen an, als auf die Entscheidung rhythmischer Streitfragen schon durch das metrische Notationssystem. Auch so ist es freilich nicht damit getan, daß man feststellt, ob lokkere Formregelung (freie Füllung, Auftaktfreiheit, Kadenztausch usw.) oder strenge Regelung vorliegt und welche lateinischen oder französischen Formen jeweils Vorbild sein könnten. Besonders die heute wieder populäre Vor8

Vgl. vorläufig (bis zum Erscheinen der weiteren Bände von MGG) H. Besseler, Ars antiqua, in: Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG) hrsg. von Fr. Blume, Bd. l, 1951, Sp. 638 ff.

Neifen: Viertakterstrophen mit Terzinenstollen

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Stellung, als gäbe es in den Literaturen des Mittelalters nur das Gefalle vom Latein zu den Vulgärsprachen und hier nur das vom französischen Vorbild zur deutschen Nachahmung, scheitert an den Tatsachen, wo immer sie genauer ins Auge gefaßt werden. Wir sind, gerade beim Lied, von der Möglichkeit, Vorbilder und Entwicklungen allgemein anzugeben, heute weiter entfernt als es scheinen könnte. Denn vorher muß man eben wissen, was denn jeweils die festen Vorstellungen, die Gattungen, Arten, Typen waren, in denen solche Entwicklungen sich abspielten. Das kann nur durch Einzeluntersuchung der typenbildenden Faktoren, bei den einzelnen Dichtern und kleinsten Gruppen angefangen, und von Fall zu Fall, ohne vorschnelle Generalisierung, erreicht werden. Gleichversige Strophen Die gleichversigen Strophen9 aus vollen Viertaktern - wie sie sich in B u r k h a r d s zweiter Liedergruppe durch motivlich, stilistisch und formal deutliche Absicht zusammenschlössen - bilden auch bei N e i f e n eine eigene Gruppe. Wie bei B u r k h a r d , so sind auch hier die Prachtstücke, vielleicht sogar in ausschließlichem Gebrauch, die Strophen mit D r e i v e r s - S t o l l e n . Es sind bei N e i f e n : (1) VI (2) XXII 9

a- a- b, a- a- b, c- d c- d p10; a- a- b, c- c- b, d e d Ax Ae;

Auch diese Scheidung gleichversiger und ungleichversiger Töne gilt als Rüdcfall in längst veraltete Methoden, diesmal für die musikalische Formforschung (s. Gennrich, Formenlehre S. 3 f.). Aber sie zeigte sidi bei B u r k h a r d v o n H o h e n f e l s und zeigt sich auch bei N e i f e n als historisch wirksam, und davon haben wir auszugehen! 10 Der Vorteil der Heuslerschen Zeichen - sprachlich-rhythmische Eindeutigkeit ist wie gesagt hier ein Nachteil: sie erschweren den Vergleich mit den silbenzählenden Bildern der romanischen (und lateinischen) Verse, präjudizieren auch zum Teil, was uns zur Frage steht. Die in KLD benutzten (an Saran und Plenio anschließenden) Zeichen sind ebenfalls für rasdien Überblick zu kompliziert. So sind zu unseren Zusammenstellungen einfädle, rein „besdireibende" Zeidien gewählt; nur wo das rhythmisdie Bild eindeutig dargestellt werden soll, die Heuslersdien Zeidien. Gezählt werden nur die realisierten Takte; 4 oder a usw. bedeutet einsilbigen, 4- oder ausw. bedeutet zweisilbigen Verssdiluß (gleidi, ob jener stumpf oder voll, dieser klingend oder weiblidi ist), ist Waise; das reidie Spiel der (klar als soldie erkennbaren) Innenreime, Pausen, Körner usw. wiederzugeben ist im allgemeinen nidit nötig; p ist Endreim auf eine „Pause" (mehrfadies p nidit das gleidie Reimwort!); A heißt Auftakt; unterstridiene Taktzahlen oder Reimbuchstaben = „Daktylen"; große Reimbudistaben = Refrain. Zum Vergleidi mit französisdier Silbenzählung: 3 (bzw. 3-) = 5-Silbler; A3 = 6-Silbler; 4 = 7-Silbler; A4 = 8-Silbler; 5 = 9Silbler; A5 = 10-Silbler - wenn Auftakt und Kadenz streng geregelt sind!

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N eifen: Reimschmuck der gle'uhversigen Strophen

(3) (4) (5) (6)

XXXV IX XVIII XXVI

a- a- b, c- ca- b- c, a- ba- b- c, a- ba- b- c, a- b-

b, d- d- d- p; c, d- d- d- 6c; c, d e- e- d; c, d- e d- 5e;

(7) XL V " a- b- c, d- e- p, a- b- c, d- e- p: das Lied hat, einzig in diesem Typ bei N e i f e n , gleichhälftigen Bau anstatt der üblichen Kanzonenform, einige Parallelen sieh Heusler 766; die Art der „Pausen"-Bindung (Anfang auf Schluß der Strophe, aber auch Schluß des zweiten Stollen auf zweite Abgesangszeile) spricht vielleicht mit gegen N e i f e n.

Mit vierzeiligen Stollen: (8) III a- b- c- d, a- b- c- d, e- f e- e- f (vergleichbar R e i n m a r MF 180, 31?).

In den Strophen dieses Typs dient der Wechsel männlicher und weiblicher Kadenz deutlich und regelmäßig der Strophengliederung: er trennt die einzelnen Perioden. Und zwar mit glatter Fügung innerhalb der Perioden, harter an den Grenzen: regelmäßig weibliche Innenkadenz, männliche Schlußkadenz. Nie Auftakt (außer am Schluß von XXII). Die Einheitlichkeit dieses Typs der gleichversigen Viererstrophe betont N e i f e n nicht auch durch den Inhalt wie B u r k h a r d , sondern nur durch formale Mittel: er reserviert für ihn ausschließlich die Künste des durchgehenden „grammatischen" und „rührenden" Endreims ". Wie den Kadenzwechsel, so läßt er auch sie dazu dienen, den einheitlichen Strophenkörper rhythmisch zu gliedern: sie betonen je dieselbe Gliederungsstelle durch die gedankliche Beziehung gleichklingender oder gleichstämmiger Worte! Man kann das als Herrschaft der Form über den Inhalt „spielerisch" nennen - in der formalen Verwendung sind eher die Früheren spielerisch, die solche Reime gelegentlich und ohne Beziehung zur Strophenform anbringen. Die „Pausen" schließen, in allen Typen, Anfang und Ende der Strophe oder Periode zusammen. Die Formen von B u r k h a r d s v o n H o h e n f e l s zweiter Liedergruppe (samt anderen besonders „rationalen" Liedern) entsprechen diesem Typ 11

In KLD wie zum Teil schon vorher N e i f e n abgesprochen. Grammatischer Reim: VI (hier scheinbar noch mit Schwierigkeiten, wie Wiederholungen usw. zeigen) und ganz virtuos in XXVI (dazu, nur stellenweise, in XX). Rührender Reim: XVIII (dazu noch, ebenfalls bei Reihung gleicher Verse, in der „Pastourelle" XXVII). 12

Viertakterstrophen bei Hohenfels und Winterstetten

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genau. B u r k h a r d (12) VI: a- a- b, c- c- b, d- e d- d- e (N e i f e n III), und (10) XVI: a- b- c, a- b- c, d e- e- 6d ( N e i f e n XVIII) zeigen ihn, in den zwei möglichen einfachen Stollenformen, mit genau gleichem Kadenzwechsel. Aber Burkhard kennt auch die (übliche?) „harte Fügung" innerhalb der Periode in (11) XVII: a- b c, a- b c, d e- e- 6d, und (9) IX: a b c-, a b c-, 5d e- e- 5d. Die Zuordnung der formalistisch-gelehrten Minnepsychologie und der logischen Figuren zu diesem Strophentyp beweist, daß schon B u r k h a r d ihn als eigene „Gattung", und zwar mit dem Kennzeichen besonderer formaler und rationaler Glätte, betrachtet hat. Auch U l r i c h von W i n t e r s t e t t e n hat eine ganze Gruppe entsprechender Lieder (der bei ihm üblich gewordene, meist freier gebaute oder durch Inreime zerlegte Refrain tritt zur geschlossenen Strophenform stets noch zusätzlich hinzu), immer mit Kadenzwechsel, aber darin nur einmal Terzinenstollen: IX a- a- b, c- c- b, d- d- d- b, plus Refrain. (Dazu noch VIII: 4 a a a b b b, 3 c- d c- d, 4 d, plus Refrain?) Bei U l r i c h s übrigen Liedern wiederholt sich zwar noch dreimal der besonders klingende Abgesang von IX (== N e i f e n XXXV und IX; H o h e n f e l s bevorzugte den Abgesang von N e i f e n XVIII!), alle fünf haben aber zweizeilige Stollen: XX a- b, a- b, c- c- c- b, plus Refrain, XXXIV a- b, a- b, c- c- c- c- b, plus Refrain, XIV a- b, a- b, c- c- c- b; Ad- Ad-, Ae- Ae-, 7f- 7f- 7f- 7f-, plus Refrain: eine „doppelte" Kanzone?; dazu: XXVI a- b a- b, c- d c- d, plus langer Refrain: zwiehälftig wie (Pseudo-) N e i f e n XLV und B u r k h a r d s Tanzlieder; und (mit Reimzerlegungen?): XVII a- b c- b, d- e d- e, d- p: die Verse l, 3 und 9 reimen in sich 2a- 2a- usw., auch Vers 5 hat 2b+ einsilbige Pause + 2d-, das legt also rhythmische Dehnung des zweiten Taktes in diesen (oder allen?) ungeraden Versen nahe, die sich auch im Romanischen findet; X (mit Auftakt) A: a b a b, c d c d, d, plus Refrain 4 (E + E) 4 (F + F + F): vielleicht eine französisch-lateinische Refrain-Form aus: vier „Stollen" + „Vorbildungsvers" -f- Refrain?13. 13

Zum „Vorbildungsvers" (Spankes Bezeichnung) vgl. Gennrich, Formenlehre S. 59. Die Syntax von W i n t e r s t e t t e n spricht deutlich für diese Auffassung!

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Herkunft und Formstil: Hausenschttle, Veldeke

Diese Zweiversstollen kennt N e i f e n nicht (auf die anders einzuordnenden Siebenzeiler kommen wir gleich zu sprechen). B u r k h a r d kennt sie schon, in der zweiten Liedergruppe: (6) X a- b, a- b, c d c e- e- d. Es ist die Strophe aus Siebensilblern mit Kadenzwechsel als kommuner französischer Typ M. Dreiversstollen sind dagegen mit Siebensilblern dort nicht zu findenls. Die direkt romanisch ausgerichtete H a u s e n gruppe in MF zeigt viel Vergleichbares. Aber sie bevorzugt die französischen Neun- und Zehnsilbler als „Daktylen" (im dritten Modus!). Von J o h a n n s d o r f und H a r t m a n n bis R e i n m a r und M o r u n g e n gilt ein anderer, weiter ausladender, deutscher Strophenstil (dagegen Vergleichbares unter den Unechten in MF!). W a l t h e r 71,35 (gleich Pseudo-Rug ge MF 99,29) hat nur männliche Kadenz; Abgesang fast gleich in N e i f en XXII. Terzinenstollen mit Viertaktern bei W a 11 h e r öfter (besonders in Spruchtönen), aber hier stets mit freiem auswägendem Abgesang - nicht die objektive Strophen-Rhythmisierung durch bloße Unterbrechungen der glatten Folge (männliche Kadenz als Periodenschluß!) wie bei N e i f e n. Im Charakter ist von früheren Dichtern eigentlich nur Ve l d e k e zu vergleichen, dieser aber sehr. In seinen Formen haben die Viererstrophen noch größeren Anteil, einmal, in seinem künstlichsten Minnelied, auch mit Dreiversstollen (MF 56,1; dazu 58,11, mit Dreitakter-Abgesang - sie gelten Spanke ZfrPh 49, 213 als Veldekes Erfindung; 58,11 macht aber „eher mittellateinischen Eindruck"). Weit mehr allerdings mit zweiversigen Stollen. Vor allem zeigt auch er eine mehr unplastische Strophengliederung durch bloße „Unterbrechungen" der objektiven Folge; ferner, zum erstenmal in MF, Reimkünste wie grammatischen Reim (MF 66, 24 und 37). Man muß da an denselben Herkunftskreis denken1 . Die Strophe könnte eine „Rotrouenge" sein (Gennrich, Formenlehre S. 51, Spanke, Abh. S. 67 ff.)· - Die Tagelieder - XXIX! XXVIII? - lasse ich beiseite: sie bleiben auch bei Verwendung ähnlicher Verse doch der Tradition H o h e n b u r g - B o t e n 1 a u b e n - Wa 11 h e r -Wo I f r a m - L i c h t e n s t e i n verpflichtet. - Das Tagelied, als Gattung, erscheint im übrigen nicht mehr ganz so verwunderlich, wenn man sich klar macht, daß es keine andere Fiktion enthält als das Minnelied überhaupt: beide tragen Dinge, amouröse Tatsachen, laut vor, die als solche nur heimlich und persönlich gesagt werden können, also weder den Liebenden durch den Wächter vom Turm, noch der Geliebten durch den liebenden Ritter in Gegenwart ihres Mannes und der ganzen Hofgesellschaft. Das eine sagt nur episch von dritten Personen, was das andere sogar lyrisch in erster Person vorträgt. 14 Spanke, Abh. S. 46, „romanischer Charakter" des Kadenzwechsels im Gegensatz zum Lateinischen; S. 148 bei W a l t h e r von Ch a t i l I o n lateinische und französische Formen! Auch Heusler sieht für den Wechsel weiblicher und männlicher Kadenz „welsche Muster", 745. 18 Spanke, ZfrPh 49, S. 226 u. ö. 18 Der geringe Einfluß V e l d e k e s in der Lyrik - Heusler 630 - beruht vielleicht ebenso wie diese Entsprechung auf seinem anderen Vorbild: nordfranzösische

Herkunft und Formstil der Viertakterstrophen

5\

Heusler hält trotz Zweifel N e i f e n s Verse für deutsche Viertakter (724, 630); vom einzelnen Vers aus nicht unmöglich - als Strophe gesehen, ist die Regelmäßigkeit und Glätte aber so „starr", daß an der „undeutschen" Art (im Sinn der „heimischen" Viertakter) nicht gezweifelt werden kann. Für Formen mit zweiversigen Stollen ließen sich leicht zahlreiche französische Siebensilbler-Strophen beibringen - aber gerade sie stehen bei N e i f e n völlig im Hintergrund (wenn nicht die ganze Gruppe - s. unten - überhaupt unecht ist). O b B u r k h a r d s und vor allem N e i f e n s so bevorzugte Dreiversstollen deutsche Erweiterung im Formbereich der französischen Siebenund Achtsilblerstrophen sind? Oder stehen mittellateinische Formen dahinter?17 Später wird die Form bei einem bestimmten Stilkreis, dem des N e i f e n sehen Tons überhaupt (vgl. KLD Bd. 2 zu N e i f e n , Einl.), sehr beliebt: N e i f e n (5) XVIII ist z.B. (nur ohne grammatischen Reim) gleich S c h e n k v o n L i m b u r g (KLD N r . 3 4 ) III, S c h e n k v o n L a n d e g g (SM Nr. XXI)18 V und XXII, Hug von W e r b e n w a g (KLD Nr. 27) III, fast gleich H e i n r i c h v o n T e t t i n g e n (SM Nr. XVII) II, 011 o von T u r n e (SM Nr. XXXI) IV. L i c h t e n s t e i n (KLD Nr. 58) aber hat (wie W i n t e r s t e t t e n ) Viererterzinen nur einmal (XXXVII, im Abgesang ein Zweitakter), in einem Lied, das auch dem N e i f e n sehen Stil näher steht als L i c h t e n s t e i n sonst; seine übrigen zahlreichen Viererstrophen gehören zu einem anderen Formkreis. Bei K o n r a d v o n W ü r z b u r g1' entspricht nur Lied III (und V mit Zweivers-Stollen?), er liebt sonst ausladende Formen i n T a n n h ä u s e r s und Wi n t e r s t e t t e n s Art. Hier deuten sich auch für Stil und Inhalt gültige „Schul"-Unterschiede an, auf die noch einzugehen sein wird. Nicht in diese Betrachtung gezogen haben wir die s i e b e n z e i l i g e K a n z o n e (mit Zweivers-Stollen) aus (vollen) Vierern mit Kadenzwechsel. N e i f e n hat sie viermal": Formen, wie für die Epik, an Stelle der provenzalisdien? Vgl. Th. Frings und Gabriele Schieb, Beitr. 69, 1947, wo diese Zusammenhänge für den Inhalt nachgewiesen werden. Spanke betont (Deutsche und französische Dichtung des Mittelalters, 1943, S. 86) den romanischen und mittellateinischen Einfluß auf V e l d e k e , aber auch die Tatsache, daß diese Parallelen ihn um 1240 datieren würden! 17 Spanke ZfrPh 49, S. 191 ff. passim; Dt. u. frz. Dichtung des Mittelalters 1943, S. 86. Lied XLV mit zweimal zwei Terzinen könnte auf die Stabat maier-Strophe weisen: Spanke, Abh. 10, Heusler 761. 18 Karl Bartsch, Die Schweizer Minnesänger, 1886 (zit. als SM). 19 Edw. Schröder, Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg, Bd. III, 1926. 20 Alle vier werden KLD Bd. 2 (wie z. T. schon früher) N e i f e n abgesprochen,

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Siehenzeiler hei N eifen und H oben fels

(9) XIX a- b, a- b, c a- c; (10) XXXVI gleich (11) XLII a- b, a- b, b a- b; mit Pausenreimen: (12) XLIII a- b, a- b, c- c- p.

Bei B u r k h a r d von H o h e n f e l s erscheint sie (in der zweiten und dritten Liedergruppe!) zweimal:

(14) III

a-b, a-b, c-c-b

und, schon mehr zu dem vorigen Typ gehörend: (8) XII a-b, a-b, c-c-8b; dazu noch eine sechszeilige Strophe: (13) II a-b, a-b, p/c-c-/p. Diese siebenzeiligen Viertakter-Kanzonen sind Gemeinplätze in allen mittelalterlichen Literaturen". Bei N e i f e n haben sie alle nur je zwei Strophen, sind noch formelhafter im Inhalt als gewöhnlich, ohne den Ansatz eines Gedankengangs, XIX hat ganz unsystematisch den Natureingang am Schluß der zweiten Strophe - man könnte sie, wenn überhaupt für echt, für eine bei ihm besonders anspruchslose „Gattung" halten, oder auch für „Skizzen" zur Festhaltung von Melodien, schließlich auch für „Tanzlieder" oder „Tanzeinlage-Strophen" .

Der Typ der gleichversigen Viererstrophen wird gestützt durch sein Übergreifen auf Strophen aus f ü n f t a k t i g e n Versen. Den zu N e i f e n s Vierertyp gehörenden strophengliedernden Kadenzwechsel hat allerdings mit Ausnahme von (16) II keines dieser Lieder. Sie führen weiblichen Reim durch. Mit Dreivers-Stollen und ganz gleichversigen Zeilen (bis auf die männlich reimende Schlußzeile) nur in

(13) X 5 a- b- c-, a- b- c-, d- d- p. Die ändern Lieder lichten die langtönige Wiederholung durch kürzere mit viel Wahrscheinlichkeit, gerade auch von der Form her! Trotzdem muß man bedenken, daß wir erst mehr über Umfang, Herkunft und Gebrauchswelt gerade dieser Formkunst des N e i f e n - Kreises wissen müßten, um mit dem gleichen methodischen Recht wie in MF für einen Dichter das Mögliche und das Unmögliche zu scheiden, zumal wo es sich wie hier um eine geschlossene Formgruppe handelt. !1 Sieh z. B. Spanke, Abh. 148 bei W a l t h e r von C h a t i l l o n mit provenzalischen Parallelen. Marie Jessel, Strophenbau und Liedbildung in der altfranzösischen Kunstlyrik, Diss. Greifswald 1917, S. 19: nordfranzösisch gelegentlich Chansonette statt Chanson genannt. Für das Deutsche vgl. z. B. KLD zu Lichtenstein XXX.

Neifen: T ünf takter Strophen

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Verse im Abgesang auf. Schließlich haben auch zwei Lieder hier Auftakt (aber ganz durchgeführt!). Mit Dreiversstollen noch: (14) XLVIII

22

Auft. 5 a- b- c-, a- b- c-, d-, 3d- 3d- 3d-.

Zwei Stollenverse, als siebenzeilige Kanzone, in: (15) XLIV " Auft. 5 a- b-, a- b-, c- c- 7c-; und mit Kadenzwechsel (hier das einzige Mal!):

(16)

II 5 a- b, a- b, 4c 4c A5c.

Als sechszeilige Refrainstrophe: (17) XLVII « 5 a- b-, a- b-, A4C- A5C M: kann auch als Kanzone gelten, der Refrain für N e i f e n im Minnelied nicht gesichert. Die zwei Lieder, die von der ganzen Gruppe in KLD als echt anerkannt werden, zeigen auch in der Form die größte Nähe zu N e i f e n s Viererstrophen-Typ! Weibliche Reime auch als Periodenschluß bedeuten wohl „klingende Sechstakter". Die ganze Gruppe - seit H a u s e n MF 47, 9 und F e n i s MF 81, 30, beides direkte „Kopien welscher Form", bis N e i f e n , L i c h t e n s t e i n , W i n t e r s t e t t e n usw. - hält auch Heusler wie Gennrich und Spanke für Nachbildung französischer 9- und 10-Silbler (792 f.). Sie gehört zur H a u s e n schule; Ve l d e k e kennt sie nicht! Aber auch hier muß innerhalb des Typs der Entwicklungseinschnitt angemerkt werden, der die Bindung der Verse und damit entscheidend den Stil des Strophenbaus ändert. Man muß nur zwei ähnliche Formen vergleichen wie W a 11 h e r 45, 37 (5 a- b- Ac, a- b- Ac, A4d- 5d- A4e A4e A4e) und (Pseudo-) N e i f e n XLVIII (14), das in dieser Hinsicht auch die „echten" Lieder vertreten kann. Nicht nur Kadenzwechsel gliedert die Strophe W a 11 h e r s, sondern die individuellere, plastische Ausgestaltung der Strophe: Auftakt der Stollenschlußverse, Auftakt der Vierheber und individuelle Abwechslung im Abgesang". Bei N e i f e n wiederholt der Abgesangsanfang die konstante Stollenzeile, darauf läuft die Strophe in einer geschlossenen 22

KLD für unecht erklärt. Heusler 703 faßt den Refrain anders auf: in der letzten Zeile Innendehnungen; Richard Weißenfels, Der daktylisdie Rhythmus bei den Minnesängern, 1886, S. 230, setzt den daktylischen Vierheber Zeile 5 seinem Ursprung gemäß den Fünfhebern gleidi: dann ist audi hier 5- durdi die ganze Strophe durdigeführt. KLD setzt die erste Refrainzeile mit Innendehnung als 8- an, die letzte wie wir. Das Lied erklärt von Kraus mit Sievers für unecht. 24 Denn A4d- 5d- A4e . . . als Wiederaufnahme auf die Stollen 5a- 5b- A5c zu beziehen, ist phantasievoll - wenn es aber auch stimmte, so zeigte das gerade den Gegensatz zwischen Aufgesang und Abgesang in der Rückbeziehung. 28

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Walther und Neifen

neuen Gruppe aus, die aber durchgeführten Auftakt und weiblichen Reim der übrigen fortsetzt. Vergleicht man die inhaltliche Bindung in der Strophe: bei W a l t h e r (45, 37, Strophe 1): So die bluomen uz dem grase dringent same si lachen gegen der spilden sunnen, in einem meien an dem morgen fruo, und diu kleinen vogellin wol singent in ir besten wise die si kunnen, waz wünne mac sich da geliehen zuo? ez ist wol halb ein himelriche. suln wir sprechen waz sich deme geliche, so sage ich waz mir dicke baz in minen ougen hit getan, und taete euch noch, gesaehe ich daz.

Wie ist hier das inhaltliche Beziehungsspiel metrisch ausgewogen, durch alle drei Strophen gleich: die schweren getragenen Schilderungen der gleichtaktigen Stollen (Strophe 1: Mai - Strophe 2: die Dame - Strophe 3: beide) darauf die retardierende Rückbeziehung des Abgesangsanfangs (ez ist wol halb ein himelriche Strophe l, der meie bringe uns al sin wunder Strophe 2, owe der mich da welen hieze Strophe 3) - dann in der stollengleichen zweiten Zeile des Abgesangs der Anlauf zur neuen Antwort (Strophe l: suln wir sprechen waz sich deme geltche, Strophe 2: waz ist da so wünnecliches under, Strophe 3: deich daz eine dur daz ander lieze) - die nun in drei Viertaktern Schlag auf Schlag erfolgt (Strophe l: so sage ich waz mir dicke baz hat getan, Strophe 2: ah ir vil minneclicher Up, Strophe 3: her Meie, ir müeset merze sin ). Die inhaltliche, plastische Gedankenbeziehung begründet auch die individuelle Ausgestaltung der Strophenform! Bei (Pseudo-)Neifen (XLVIII, Strophe 1): Nu siht man aber die wunneclichen Heide in spaeher wät mit bluomen wol beschoenet, man hoert die vogel in dem walde singen, den tet der kalte winter vil zu leide; nust aber der wait mit sänge wol bedoenet, den hoert man in diu oren suoze erklingen: sie fröint sich gein des süezen meigen blüete. so sent sich min gemüete nach der vil reinen güete. daz sie mir got behüete.

Dynamischer und statischer Strophenstil

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Statt gedanklicher Rückbeziehung nur Wiederholung objektiv gleicher Worte von Stollen zu Stollen (absichtlich: s. Strophe 3, 1-2: Waz treit iuch für, frow Minne y ob ich ... . waz hilf et ez inch . . . . - 4-5: waz treit inch für, frow Minne, ob ich . . . . waz hilf et inch usw.; s. auch KLD Bd. 2). Der Abgesang schließt in stollengleicher Zeile mit völlig linearem Gedankenfortgang an, und die drei kurzen Verse (weibliche Dreitakter eher, als klingende Viertakter) führen ihn auch inhaltlich (Übergang zum Minneleid Str. 1) in nur beschleunigter Folge als gleichmäßigen „Block" zum Ende. Der Unterschied ist nicht einfach Sache des dichterischen Könnens bzw. des Epigonentums, sondern auch der· Absicht, ein Stilunterschied. Was uns hier angeht, ist die inhaltliche Wurzel der verschiedenen metrischen Versbindung. N e i f e n s Verse (das gilt für ihn wie seine Nachahmer, die das nur weniger glatt und elegant können) führen Inhalt und Metrum als Reihung objektiv gleicher Elemente, nur durch objektive Wiederkehr gleicher Gruppen rhythmisiert, linear gereiht zum Ende. W a l t h e r s Strophe ist in Inhalt und Metrum durch ein individuelles, gedankliches Beziehungsgesetz „plastisch"dynamisch gegliedert. - Auch W a l t h e r ist gelegentlich schon auf dem Wege z u N e i f e n s Form; es findet sich ja auch manches bei ihm schon, was zu N e i f ens Stil gehört (109, l z.B.). Aber auch fast gleiche Formen wie W a l t h e r 63,9 (+112,17: 5 a-b, a-b, 4c 5c) und (Pseudo-) N e i f e n XLVII (17) sind noch verschieden in der Bindung: der Viertakter im Abgesang W a l t h e r s bindet den folgenden Vers so an sich, daß sie beide als geschlossene plastische Gruppe den Stollen entgegengestellt erscheinen. N e i f e n s durchgehende weibliche Reime sollen offenbar schon die Einzelverse nicht so selbstständig werden lassen: Wechsel von kl. und st. Kadenz individualisierte die längeren Verse mehr als dem Dichter lieb war, daher die Vorliebe für gleiche kl. Sechstakter! Obwohl aber der Abgesang als Refrain und durch die Daktylen viel mehr sich abhebt, ist durch die bleibende Kadenz doch mehr objektive Wiederholung in der Strophe. Und selbst eine so waltherisch (durch Wechsel kl. und st. Kadenz, kürzere Verse und individualisierenden Auftakt im Schlußvers des Abgesangs) aussehende Form wie N e i f e n II (16) ist doch nicht so gemeint: der Auftakt ersetzt hier nur die weibliche Kadenz der Stollenvorderzeile bei mannlichem Reim und gleicht so die Schluß gruppe gerade den Stollen an. Diese Lieder heben sich aber bei N e i f e n nicht so klar als Typ heraus wie die gleichversigen Viererstrophen: im Schema sind sie nicht so einheitlich, in der Echtheit z. gr. T. angezweifelt, in der Herkunft vielleicht auch vieldeutig (direkt aus Frankreich oder indirekt über die H a u s e n schule?). Das für N e i f e n als echt Anerkannte stellt sich, in freier Abwandlung, zu

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Neifen: ungleichversige Strophen

seinem Viertaktertyp. Das gilt ebenso, aber hier ganz schematisch, für den einzigen Ton W i n t e r s t e t t e n s , der in diese Gruppe gehört, die BruderKlage XXXVIII (5 a- b, a- b, c- c- b, plus Refrain), dazu vielleicht noch XIX (5 a b a b 8c 8c [mit Binnenreimen] -j- Refrain 5D 5D);-seine sechs- und siebentaktigen Tone XXX und XXXII gehören eher zu N e i fcn VII (38) und L i c h t e n s t e i n XX und XXVI. H o h e n f e i s hat keine Strophe dieser Art. Ungleichversige Strophen Unter N e i f e n s Minneliedern bilden die gleichtaktigen ungefähr die Hälfte. Die andere Hälfte zeigt ungleichversige Strophen. Aber auch sie sind viel einheitlicher als Gruppe und strenger geformt, als man bisher gesehen hat. Am einfachsten ergibt es sich, wenn man die Schemata entsprechend ihrer Stollengliederung zusammenstellt. Stollen 4/5: (18) XXIV: 4- 5, 4- 5, 6 8 (ähnlich R e i n m a r MF 172,11 und Pseudo-R e i n m a r MF 182,34 und 183, 9) (19) XXIX": 4- 5, 4- 5, 4- 4- 5 (ähnlich M o r u n g e n MF 142,19, Pseudo-R e i n m a r MF 172,23 und 192,25, und besonders Wa 11 h e r s „Wechsel" 85,34) Stollen 4/6: (20) V: 4- 6, 4- 6, 5- 3- 5- 6 (entspricht W a l t h e r 42,15, wo aber Stollen und erste Abgesangszeile mit männlichem Reim, und Zeile 6 und 7 vertauscht) (21) XIII: 4- 6, 4- 6, 4 4 - 4 - 6 (Wiederkehr der Stollenreime erst mit Reimumkehr im Abgesang: a- b cd d c- a- c-/b: in der Schlußzeile c- als „Pause". Stilistisch zu (35) und (36): IV und XV) (22) XXVIII: 4- 6, 4- 6, 4-4-4-5 (23) XLIX 25 : 46, 46, A2 246 (variierter Innen-Refrain mit Hei zu Beginn des Abgesangs) Stollen 4/7: (24) VIII: Auf t.: 4 7, 4 7, 4 4 7 (ähnlich H a r t m a n n MF 211,27) (25) XXXIV 25 : 4 7, 4 7, 6 7 (Binnenreime: Stollen 4 2-/5, Abgesang: 2-12-12 7. Durchgehender Auftakt bzw. Auftaktlosigkeit unterscheidet die zwei sehr ähnlichen Formen!) (26) XXXVIII 25 : 4- 7, 4-7, 4 - 3 4 - 5 4-/5 K

KLD für unecht erklärt.

Neifen: ungleichversige Strophen

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Hier sei auch eine Sonderform angereiht, deren Zugehörigkeit zweifelhaft bleibt: Stollen 2/5: (27) XII: 2-/5, 2-/5, 4 A 1-/2-/4 (Wenn man die Stollen als je eine Zeile betrachten will wie KLD, ist es eine Strophe aus zerlegten langen Zeilen. Heusler 656 faßt nur die mittleren Reime im Abgesang, Al-2-, zu einem Vers zusammen, wegen des „Kadenztauschs" in Strophe 5.) /

M

Stollen 3/4/4: (28) XVII : 3- 4- A4, A3- 4- A4, A5 A2- 2- A4 (Ob die Form hierher gehört, ist so fraglich wie ob sie N e i f e n gehört. B r u n o von H o r n b e r g (KLD Nr. 3) hat, nur ohne Auftakt, in IV: 3-4-4 dreimal!) Stollen 3/4/5: (29) XXI: 3- 4- 5, 3- 4- 5, 5 4 - 4 - 5 (Die Reime a a b a a b c d d c greifen auch von Strophe l auf 2 und von 3 auf 4 über, dazu assoniert durch alle 4 Strophen a und c. Vgl. (38) VII. Die Bindung 3- 4-: „schwerklingende auf leichtklingende Viertakter" gilt KLD Bd. 2 z. St. als „selten".) Stollen 4/4/5: (30) XVI: 4- 4- 5, 4- 4- 5, 4 4- 4- 5 (voll übergehender und [z. T., wohl aus Reimnot] rührender Reime, Pausen und sonstiger Klangbindungen) (31) XXXVII": 4- 4- 5-, 4- 4- 5-, 5- 5- 5(im ersten Stollen ein übergehender Reim, und Reimumkehr der Stollen) (32) XXIII Auf t.: 4 4 5-, 4 4 5-, 5 - 4 4 5 (in der Schlußzeile die Pause: 2/A3-; die Kadenzen passen sich dem Auftakt an, um wieder glatte Fügung innerhalb, Absätze am Ende der Perioden zu erzielen! Die Stollen stimmen zu W a l t h e r s Wiener Hof ton 20, 16 und Ottenton 11, 6.) (33) XXXI 2 «: 4 4 5-, 4 4 5-, 5 - 4 4 5 (die zweite Abgesangszeile: variierter Innenrefrain mit wäfena: 2e/2e, ohne Fugung. Durchgehender Auftakt in XXIII variiert allein die sonst völlig gleichen Formen XXXI und XXIII wie schon Bartsch bemerkt. Da dasselbe Verhältnis auch unter echten Liedern begegnet - s. gleich die beiden nächsten - ist es an sich kein Kennzeichen für Nachahmung. Doch spricht vielleicht die fehlende Fugung in den Perioden von XXXI gegen N e i f e n und für Nachahmung von XXIII, obgleich Auftaktlosigkeit sonst bei Neifen bevorzugt wird und Auftakt nur als Variationsmittel erscheint. Aber XXIII variiert seinerseits deutlich XVI durch Auftakt mit Anpassung der Kadenzen!) -* KLD für unedit erklärt.

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Neifen: ungleichversige Strophen

Stollen 4/4/6: (34) XXXII: 4 4- 6, 4 4- 6, 5- 5- 7 (Stollen voller übergehender, in den zweiten Stollen regelmäßig rührender, Reime und Pausen) Stollen 3/3/7: (35) IV: 3- 3- 7, 3- 3- 7, 5- 7- 7 (36) XV Auf t.: 3- 3- 7, 3- 3- 7, 5- 3- 7 (in der Abgesangsanfangszeile übergehender Reim: in der ersten Senkung?! - IV und XV gehören auch stilistisch eng zusammen, IV ist Sommer-, XV Winterlied. Deutlich hier auch unter „echten" Liedern die Variierung fast gleicher Tone durch den Auftakt! In XV sind die Verse innerhalb der Perioden nur bei „klingender" Kadenz gefugt.) Stollen 5/5/7: (37) XXXIII: 5- 5- 7-, 5- 5- 7-, 7- 5- 7(Bei langen Versen setzt auch hier, wie bei den gleichversigen, durchgehende weibliche Kadenz ein.) Schließlich eine Sonderform, Stollen 7/9: (38) VII: 7- 9-, 7- 9-, 7- 7- 8 (Keine Reimbindung innerhalb der Strophen, sondern Strophe reimt auf Strophe, sogar überschlagend; Heusler, 829: im Geschmack des Provenzalen A r n a u t D a n i e l ; romanische Beziehungen s. KLD Bd. 2 zur Stelle. Solch lange Verse nach Spanke aber nur deutsch! Die Form N e i f e n s nennt Heusler 802 „meisterlich". Deutsch diese Reimweise nur noch bei L i c h t e n s t e i n XXXIII, aber mit Viertaktern. - Auch hier durchweg weiblicher Reim.) Ergebnis: 1. N e i f e n baut seine ungleich versigen Perioden ausschließlich vom kürzeren zum längeren Vers, „aufwärts" gespannt. Die einzige Ausnahme ist Lied I (s. unten S. 61). 2. Auch hier überwiegt mit deutlicher Absicht die Auftaktlosigkeit, öfter variiert nur durchgehender Auftakt sonst fast gleiche Tone (auch unter „editen": IV und XV, ebenso XVI und XXIII!). 3. Schon die Gruppe 4/5 in den Stollen ist französisch in älterer Zeit nur einmal belegt (Spanke ZfrPh 49 S. 221), die zu längeren Versen aufsteigenden Stollen nie. In Deutschland finden sich Stollen 4/5 schon D i e t m a r MF 34,19 und J o h a n n s d o r f MF 90,16, alle zweiversigen Stollen N e i f e n s aber bei H a r t m a n n , M o r u n g e n und besonders häufig bei R e i n m a r, von dem sie W a 11 h e r aufnimmt. R e i n m a r vor allem benutzt auch im Verhältnis viel seltener die abwärts gebauten Stollen (5/4 usw.). Die Abgesänge sind aber nur bei H a r t m a n n , M o r u n g e n und Wa l -

Herkunft, Formstil

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t h e r gelegentlidi ähnlich den N e i f e n sehen; bei R e i n m a r fast immer erheblich freier ausgedehnt. Die Dreiversstollen des N e i f e n s c h e n Typs begegnen in MF nicht, bei W a l t h e r nur in Spruchtönen. Eigen und neu ist durchweg der große Zug, der sich in N e i f e n s Aufsteigen von kurzen zu langen Versen, besonders wieder in Terzinenstollen, mit der polierten Glätte der Sprache und Gedanken zu einem doch unverwechselbaren (und auch von den Nachahmern kaum erreichten) Reiz verbindet. 4. Denn auch in diesen „ungleichen" Strophen fehlt fast jede individuelle Ausgestaltung der Versfolge durch frei gestalteten Wechsel in Auftakt, Kadenz, Verslänge usw., wie sie den „klassischen" Stil bestimmte. Sondern sie stellen sich doch wieder eher zur „geordneten Ungleichheit" des romanischen Strophenbaus, ja sie tendieren deutlich noch darüber hinaus auf die reine Wiederholung derselben Versgruppen, nur durch unterbrechende Einschaltungen im Sinne der Kanzonenform rhythmisiert. In 8 von 20 Liedern wiederholt der Abgesang am Schluß den ganzen Stollen, in 7 den Schluß des Stollens, dabei vielfach auch als unterbrechendes Element nur Teile dieser gleichen Perioden verwendend; in 3 Liedern kehrt der Stollenanfang allein im Abgesang wieder. Nur zwei Töne haben völlig neue Abgesänge: die beiden einzigen sechszeiligen*8! Im einzelnen besagt das natürlich nicht viel, metrisch und musikalisch kann die Angleichung noch stärker wirken durch motivliche Verarbeitung. 5. Dies Zurückgreifen des Abgesangs auf die Stollen ist ja bekannt, gerade als Tendenz seit dem 13. Jahrhundert". Aber es hat hier bei N e i f e n offenbar nicht den Sinn formaler Rundung wie beim späteren deutschen Minnesang. Sondern es zeigt denselben besonderen Formstil wie seine gleichversigen Strophen: die objektive Wiederkehr gleicher „Blocks" in einer statischen Stollenwiederholung am Schluß des Abgesangs [in eckigen Klammern das von KLD als unecht Bezeichnete]: 1. Wiederholung des ganzen Stollen nach wiederholter Stollenanfangszeile: XXIX (19), VIII (24), nach halber Stollenanfangszeile (?): [XXXIV] (25); nach anderem Einschub und Stollenanfangszeile: XIII (21). 2. Wiederholung des ganzen Stollen nach wiederholter Stollenschlußzeile: XXIII (32), [XXXI] (33). - 3. Wiederholung des ganzen Stollen nach anderem Einschub: [XLIX] (23), XVI (30). - 4. Wiederholung der Schlußzeile von zwei Stollenzeilen: V (20), nach 3 fremden (?) Zeilen; Wiederholung der zwei Schlußzeilen von drei Stollenzeilen: XXI (29) nach Wiederholung der Stollenschluß- und -mittelzeile; XXXIII (37) nach wiederholter Schlußzeile, XV (36) nach verlängerter Stollenanfangszeile (?); Wiederholung der Schlußzeile von drei Stollenzeilen: IV (35) zweimal, [XXXVII] (31) dreimal, [XVII] (28). - S.Wiederholung nur der Stollenanfangszeile, stets am Abgesangsanfang: XXVIII (22) dreimal, [XXXVIII] (26) dreimal, VII (38) zweimal. - 6. Stollenfremder Abgesang (?): XXIV (18), XII (27), die beiden sechszeiligen Lieder! 19 S. Heusler 822 ff.; Gennrich, Formenlehre S. 245 ff.: „Rundkanzone".

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Neifen: „Bauornamentik"

Strophenganzheit. Man braudit, um das sofort zu sehen, nur wieder mit W a l t h e r zu vergleichen, z.B. W a l t h e r 40,19 und N e i f e n XXIX (19): dort (4- 5, 4- 5, 4 3- 3- 5) setzen die drei ersten Abgesangszeilen mit ihren neuen Versen und Kadenzen den Abgesang als ganzen plastisch den Stollen entgegen, und dieses ganze neue Glied wird durch die stollengleiche Schlußzeile abgerundet - hier (4- 5, 4- 5, 4- 4- 5) glatte objektive Wiederholung. Oder N e i f e n V (20) und Wa 11 h e r 42, 15 (4 6, 4 6, 5 5- 3-A6): W a 11 h e r s bewußte Variierung im Abgesang wägt die Strophe individuell aus - N e i f e n s 5-3-5-6im Abgesang „umspielt" wohl nur den Stollenanfang 4- und mündet mit gleichmäßiger Folge in die Stollenschlußzeile. W a l t h e r s Formen aus plastisch biegsamen Elementen - Beispiele wären uferlos zu geben - werden, in völligem Neueinsatz, bei Neifen abgelöst durch eine beschwingt glatte Folge objektiv aneinandergereihter Bauelemente. Wieweit hinter dem einen und dem ändern äußere Ursachen stecken - vielleicht der Gegensatz von erst aus provenzalisdiem Vorbild, dann aus nordfranzösischer Anregung entwickelten Typen80 - ist so allgemein nicht zu entscheiden. 6. In den ungleichversigen Strophen N e i f e n s waltet so durchaus derselbe strophenbildende Stil wie in den gleichversigen. Trotzdem muß man auch hier erkennen, daß diese Unterscheidung zwei bewußt getrennte Typen bildet. N e i f e n formt in beiden feste „Blocks", aber er unterscheidet die beschwingte Folge gleicher Zeilen dort - und den Aufstieg vom gehemmten zum freien Fließen hier, als verschiedene „Gefäße" der gleichen Gesamtform. Nicht nur der Stil zeigt das (man muß nur etwa Lied XXII mit IV oder XV vergleichen!). Sondern die Absicht äußert sich mit Deutlichkeit, wenn er für diese zweite Gruppe die Künste des „übergehenden Reims" (verstärkt durch besonders reichliche „Pausen": XXXII) reserviert - wie grammatischen und rührenden Endreim für die erste, gleichversige Gruppe. Pointiert bei dieser die gedankliche Beziehung der durch künstlichen Reim betonten Vers-Enden noch den Rhythmus der gleichmäßigen Folge - so spielt die Reim-Verschlinso

Bei den Provenzalen: das „Bestreben, dem Fortschreiten der Gedanken auch in der Musik zu folgen"; im Norden Frankreichs „bunte, fröhliche Entfaltung volkstümlicher Elemente", mit „volkstümlicher Wiederholung eines Motivs": Schläger, Über Musik und Strophenbau der französischen Romanzen, Forsch, z. rom. Phil. (Festgabe für H. Sudiier) 1900, S. 152,151. „Von altersher neigt die nordfranzösische Musik zu scharfer Gliederung und beziehungsreichem Aufbau aus kleinen Teilen"; hier wird „die freie, in weiten Bögen gespannte Melodik der Provenzalen einer strafferen Zucht unterworfen"; die Trouvirekunst selbst ist zwar nicht volkstümlich, sondern spitzfindig, aber von einer breiten spielmännischen Schicht umgeben und durchsetzt: Heinrich Besseler, Die Musik des Mittelalters und der Renaissance, Hdb. d. Musikwiss., 1931, S. 108, 118.

Ungleichversige Strophen bei Hohenfels und Wlnterstetten

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gung von Versende mit folgendem Versanfang nun gerade die Spannung der ungleichversigen Perioden besonders aus. Audi hier also verwendet N e i f e n nur solche „Spielereien", die der Klarheit und dem Glanz der Form dienen. Den für die Gliederung unbrauchbaren, ja ihrer Klarheit schädlichen Schlagreim, den Frühere gelegentlich und von Späteren besonders K o n r a d von W ü r z b u r g , der epische Reimkünstler, pflegen, meidet er. Dabei bleiben diese zahlreichen Reime im Inneren der Verse durchweg in den glatten sprachlichen Fluß der ganzen „Blocks" eingefügt. W i n t e r s t e 11 e n dagegen benutzt sie mehr zur rhythmischen „Zersetzung" der Versganzheiten (Lai-Rhythmik?). N e i f ens oberstes Ziel ist die Klarheit der gruppenweisen Wiederkehr - ihr dient auch der glatte Fall im Innern dieser „Blocks". 7. Diese sehr bestimmten Eigenschaften des N e i f e n sehen zweiten Strophentyps finden sich sonst kaum so zusammen. B u r k h a r d von H o h e n f e l s bildete auch bewußt die erste Liedergruppe aus ungleichversigen Strophen. Aber ihr formaler Sinn ist anders als bei N e i f e n. Er besteht in dem kompakten Gegensatz weitgespannter, komplizierter Abgesänge oder Abgesangsschlüsse gegen die durchweg gleichversigen Viertakter-Stollen. Das Bildungsgesetz dieses konsequent verfolgten Prinzips (aus Reinmars Umkreis?) ist - besonders ohne die Musik - dunkel. Auch bei Neifen sind Vermutungen über die Herkunft und die Absicht seines Typs leider müßig. W i n t e r s t e t t e n schaltet in anderer Richtung fast entgegengesetzt wie N e i f e n mit den ungleichversigen Strophen: er liebt mehr zerlegte Langzeilen und „lange Zeilen" mit ausgesprochener Kleinteilung durch Reime, ähnlich K o n r a d von W ü r z b u r g . Ein „ungleiches" Lied N e i f ens aber zeigt, daß dieser Typ auch ihm nicht ganz unbekannt sein konnte, sondern daß er schon als Typ bestand: (39) P1 4 3- 4 3-, 4 3 - 4 3-, 5- 7-7 (vielleicht Vagantenzeilen in den Stollen?). Die Form entspricht einer ganzen Gruppe W i n t e r s t e t t e n scher Lieder, die durch wechselnde, nur härter gefügte Zusammenstellung von zwei „langen Zeilen" mit Reimzerlegung als Stollen gekennzeichnet ist, und die sich bei W i n t e r s t e t t e n auch inhaltlich durch fehlenden Natureingang, aber Beziehung des Anfangs auf sanc, singen u. ä. besonders abhebt: I, III, XV, XXIII, XXIV (XL?). 11

KLD erklärt die Strophen 3-5 für unecht, Zweifel auch bei Strophe l und 2.

62 Kanzonen aus Kurzversreihen Als weiterer besonderer Typ markieren sich vier Tone bei N e i f e n , die lange Reihen von Kurzversen, mit dem Gesamtbau aber der Kanzone, vereinigen. (40) XXV: 3a 3b 3c 3d, 3d 3c 3b 3a, 3e- 3f- 3e- 3f- 3e- 4p: Reimumkehr der Stollen (Heusler 826 für Vierversstollen noch zwei Belege im späteren Minnesang); Heusler 746 nimmt hier, trotz der Ungefügtheit in den Stollen, Langzeilen 3 v/3 v an wie bei R u g g e MF 102, l (dafür Spanke ZfrPh 49, 223 kein romanisches Beispiel!),G u t e n b u r g imLeich(!) MF 73,21; die Gruppe von „Langzeilen s/s", von dem romanischen H a u s e n MF 48, 32 an, gleich „Alexandriner mit männlichem Schnitt und Schluß". KLD Bd. 2 setzt auch hier lauter stumpfe Vierakter an. (41) XIV: 3a- 3a- 3a- A3a- A3b, 3c- 3c- 3c- A3c- A3b, A5d- A3dA3d- A3d- A5b: Klingende Vierer (Heusler und KLD) sind bei den vielen Kadenzen dicht hintereinander von schwer erträglicher Monotonie; vielleicht musikalisch ein anderer Rhythmus. Heusler 675 will die oben zu einer Zeile mit Binnenreimen zusammengefaßte Schlußzeile lesen: mit ir din mir * mac wenden sende not, mit je einem Takt Pause nach ir und mir. Das klingt sehr hübsch, und die Schlußzeile ist dann ähnlich der Stollenschlußzeile. Aber da sogar die erste Abgesangszeile 5- hat, wird noch mehr die Schlußzeile nach Neif e n s ständigem Gebrauch entsprechend lang sein. (42) XX: 3a- A3b, 3a- A3b, 3a- A3a- 3c; 3a- A3b, 3a- A3b, 3a- A3a- 3c; 3d- A3e, 3d- A3e, 3d- A3e, 3d- A3d- (A)3e: regelmäßig mit „einsilbigem Takt" an Stollen- und Abgesangsanfang (s. Heusler 712 und KLD Bd. 2 z. St.). Auch hier ist schwerklingende Rhythmik monoton, trotzdem die Auftakte Langzeilen 4kl/4s direkt vorschreiben vielleicht auch ein musikalisch anders bedingter Rhythmus? Weißenfels nimmt S. 213 fF. die einsilbigen Takte als „Daktylen", die er auch auf Stollen- und Abgesangs-Schlußvers ausdehnen will (so KLD). Aber dem widerstreben die Verse sprachlich, und die Gleichmäßigkeit des Baus fordert wohl die taktliche Zuordnung dieser Verse zu den entsprechenden rein „trochäischen". Der Kanzonenbau des Ganzen spiegelt sich dreifach, in Stollen und Abgesang noch einmal im kleinen! (43) XLVI 82 : A2a^ 2a- 2a- 3b, A2c- 2c- 2c- 3b, A2d A2d A2e A2e A2e A3d: 38

KLD für unecht erklärt.

N eifen: Kurzvers - Kanzonen

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Heusler 656 „modelt" die vier letzten Zeilen als: 3s 3s (mit Pausen dahinter) 2 3 (in Fugung). Diese verschiedene Sprachlänge derselben Verse ist unwahrscheinlich. Dazu hat Strophe 2 hier statt st. Kadenz und Auftakt des folgenden Verses: kl. Kadenz ohne folgenden Auftakt. (Deshalb setzt KLD auch die Stollen in je einem Vers, den Abgesang in zwei Versen an, wie schon Bartsch.) Bei Heuslers Pause wäre für den Wegfall des Auftakts bei diesem „Kadenzwechsel" kein Grund. Es ist sicher so, daß die zweite Silbe der „klingenden" Reime einfach den sonstigen Auftakt der folgenden Zeile vertritt (der letzten Zeile Strophe 2 fehlt dann in C eine Silbe!) - ein z.B. in W i n t e r s t e t t e n s Leichen ganz häufiger Wechsel. Dazu müssen aber die Verse ohne „Pause" anschließen. - Im Gegensatz zu den drei echten Liedern dieses Typs mit Dreitaktern hat dies, aus ändern Gründen verdächtige Lied allein bei N e i f e n Zweitakter! Diese Lieder können zu den weiter verbreiteten Zweitakter-Reihen in Kanzonenform3S gehören, die auch B u r k h a r d von H o h e n f e l s (7) XVIII (A2a A2b A2c, A2a A2b A2c, (A)3d- A2e A2e A3d-) und W i n t e r s t e 11 e n in XXXVII (A2a- A2a- A2a- 2b, A2c- A2c- A2c- 2b, 4d A2e- A2e- A2e- A2e- A2d) haben. Vorbild vielleicht lateinische Kurzversreihenstrophen? Oder französische „Lai-Strophen"? Einen eigenen Strophenbau bilden sie nicht aus, da sie durchweg mit dem der Kanzone auftreten. Darum wird man kaum einen Zusammenhang mit dem Lai (s. u. bei W i n t e r s t e t t e n ) konstruieren dürfen. Trotzdem heben sich diese Lieder als Sondertyp ab, der im klassischen Minnesang noch nicht auftritt (denn H a u s e n MF 51,33 ist anders). Nur W a l t h e r s ernstes Kreuzlied 76,22 gehört schon zu N e i f e n s Typ! - Der häufige Auftakt- und Kadenz-Wechsel scheint dem objektiven, wiederholenden Baugesetz der vorigen Typen N e i f e n s nicht ganz zu entsprechen. Aber diese Variationen dienen bei N e i f e n doch wohl dazu, gerade die Kanzonengliederung mit objektiver Deutlichkeit hervorzuheben.

DieSonderformen der Erzähllieder Es bleiben nur noch die Lieder des genre objectif. Sie zeigen fast durchweg Sonderformen. Das Lied von der magt am brunnen (44) XXX S4 besteht aus dreimal wiederholtem Stollen, beim drittenmal aber mit verdop33

Heusler nennt 805 „ L i c h t e n s t e i n , K o n r a d von W ü r z b u r g , S c h e n k v o n L a n d e g g , H a d l a u b u n d namentlich W i n t e r s t e t t e n " . Bei L i c h t e n s t e i n ist XXIX (mit angefügten Zweitaktern) ein r eye. 94

KLD wird es N e i f e n abgesprodien.

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Neifen: Erzähllieder

pelter Anfangszeile. Die Verse gelten als sdiwierig durdi eingemischte „Daktylen" M. Meist haben diese Daktylen feste Stelle: als zweiter Takt der zweiten und vierten Halbzeile. Sieht man allein auf die sprachliche Gestalt, dann drängt sich schon auf, daß sie fast ausschließlich Worttypen wie beide be-, jämer ge-, fröiden wol, klag ich den usw. enthalten, also Betonung beide usw. direkt herausfordern. Das dehnt sich aber, faßt man zwei Kurzzeilen zusammen, auf die Langzeile folgendermaßen aus: Rife und anehanc hat die heide betwungen, xxxx —xx —xx Daz ir lichter schin ist nach jämer gestalt xxxx — x x —xx —

Ernstlich widerspricht dieser Lesung nichts im Text, es sind nur einige Formen zu ändern oder zusammenzuziehen3e, die schon Weißenfels S. 243 ff. z. T. richtig gibt, - der aber auch nur „die beliebte Verbindung des dreitaktigen trochäischen und des zweitaktig daktylischen Verses" darin sieht. Wir haben hier durchgehend glänzend gebaute „daktylische" (im dritten Modus: ^] · ^j rj oder Q H · ) Vierfte^er» wenn wir in den ersten vier Silben konsequente Auflösung der musikalischen Länge, also einen rhythmisch gleichen Takt aus vier Silben (^ rj |J rj oder ^ J ^ J) sehen - d. i. Einbeziehung des Auftakts in den dritten Modus 37! Ohne Zweifel dieselbe, aber rhythmisch noch interessantere Form zeigt W i n t e r s t e t t e n XXI, wie die Inreime hier beweisen: I'di wil allen Hüten betiuten mis harzen klage und wie gr'ozen kumber ich lumber nu trage...,

was der Abgesang sogar in zwei Versen zu nur viersilbigen Takten fortsetzt, der Refrain wieder aufnimmt. Ein mitreißender Rhythmus! Dieses Lied voller Pastourellen-Motive hat also als einziges bei N e i f e n die „daktylischen" Vierheber (mit Binnenreim) wie H o h e n f e l s I, die romanische Neun- und Zehnsilbler im „dritten Modus" im Deutschen schon seit H a u s e n nachzubilden pflegten. Der jetzt ganz einfache Bau (4 dakt.: a/b- c/d, a/b- c/d, e/f- e/f- x/d) ist wohl doch als Kanzone anzusehen. Das stimmt zu der Mehrzahl der französischen Pastourellen. 85

KLD sind sie durchweg alternierend rhythmisiert, doch sprechen die oben angeführten Gründe stark dagegen. M Es sind wenige Fälle, während von Kraus viel stärker in die Überlieferung eingreift. 87 F. Gennridb verweist in: Troubadours, Trouveres, Minne- und Meistergesang, Das Musikwerk, 1951, auf seine im Erscheinen begriffene Darstellung der Modalrhythmik. Literatur zur Modalrhythmik bei Besseler MGG I, Sp. 697.

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(45) XLI 38 Uns jungen mannen sanfte mac ... hat zwei Vagantenzeilen plus Refrain und gehört offenbar in Spankes Gruppe der „Zweizeiler mit Refrain" (Abh. 13 ff.), nach ihm eine lateinisch und französisch ausgesprochen „volkstümlich einfache" Form. (Ob auch Pseudo-N e i f e n XLVII (17) hierher gehört, fragt sich und sei nur zur Erörterung gestellt.) Auch Heusler sieht im Gebrauch der Vagantenzeile die Dichter N e i d h a r t , N e i f e n , S t e i n m a r bestärkt durch die französische Pastourelle (743). Das trifft aber für den Bau nicht zu bei N e i d h a r t und hier bei N e i f e n . Den französischen Kanzonenbau der Pastourelle könnte N e i f e n - nicht auf N e i d h a r t s Wegen, sondern auf anderen, französischen - durch eine noch populärere Strophe ersetzt haben. Den Refrain muß man lesen: wan si dahs, wän si dahs, si dähs, si dahs, was besser zu dem „Arbeitsrhythmus" paßt und in den „Daktylen" genau XXX entspricht, nur ist hier der „aufgelöste" Takt ans Ende gesetzt. (46) XXVII Ich wolde nicht erwinden... (in KLD als einzig echtes Erzähllied anerkannt) bietet sich als: 3 a- a- a- a- a- a- K(orn). Heusler meint (647): „Es werden schon Langzeilen 4kl sein." Als kl. Viertakter betrachtet die Verse auch KLD. Aber ist das nicht ein wenig monoton, das sechsmalige -baere in Strophe 2 etwa? Bleiben wir bei den Langzeilen, so liegt näher, als die wenigen, noch zum Teil Ungewissen kl/kl Langzeilen (s. Heusler 746), der in zwei Fünfsilbler geteilte französische Zehnsilbler, mit der als „Reihenstrophe" allerdings scheinbar seltenen weiblichen Zäsur (Spanke Abh. 50) - durch die aber das Lied eine „Romanzenstrophe" wird vom französischen Typus: 10 Silben: a* a' a' 5B (s. Spanke Abh. 56 ff.)! Die Schlußzeilen mit zwei überspringend reimenden Körnern können wir unbedenklich als variierten Wechselrefrain ansehen: Unter N e i f e n s Namen kommen ja überhaupt nur „Klingrefrains" (XLI und XLVII) und variable Refrains (XLIX und XXXI) vor (in KLD alle unecht). Damit hat aber auch dieses Lied ausgesprochen pastourellenhaften Inhalts den Typ einer französischen, alt volkstümlichen Gattung, die auch dort wenigstens in naher Nachbarschaft zur Pastourelle steht. Man kann es nach Spankes Definition auch Rotrouenge nennen (Abh. 68)". Und es teilt wie 38

KLD ebenfalls N e i f e n abgesprochen. Möglicherweise auch nach Gennrichs strenger Definition (Formenlehre 54), denn die Refrainzeile wiederholt ja die (nur durch weibliche Kadenz unterschiedene) Halbzeile des Strophenkörpers, so könnte die Musik ganz gut schon in der vorletzten Zeile das Refrainmotiv gebracht haben. 89

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kaum ein anderes deutsches Lied die pointehaft zugespitzte Art, „den mehr oder weniger galanten Stoff der Pastourelle noch interessanter zu gestalten" ** - wenn auch weniger durch die Refrains, die ja in Deutschland nicht gesellschaftliches Allgemeingut waren wie in Frankreich, als durch die ganze Künstlichkeit. (47) XXXIX 41 , das Büttnerlied, wird dagegen wohl deutsche oder mindestens in Deutschland heimische Langzeilen haben (Auftakt: 3a- 3b 3a- 3b 3b, d. h. also: 4kl/4st 4kl/4st 4st"). Das entspräche auch dem doch wohl volkstümlichen Standeswitz vom Binder besser. Jedenfalls ist die Form so nicht als stollig, d. h. nicht als Kanzone anzusehen. Das Lied hält sich auch in den Reimen von Künstlichkeiten fern. Aber es führt (als b- Reim) a- Assonanz durch 4 von 5 Strophen durch (bant, -, tagen, gesant, baz **). Auch die Vagantenzeilen französischer Pastourellen (Ehrismann ZfdPh 36, 404 f. und KLD z. St.) stehen nicht fern. Es könnte sich auch bei N e i f e n in jedem Lied manches und verschieden kreuzen. (48) XL, das Pilgrimslied, spricht sich dagegen in C selbst offen als Eindringling volksliedhafter Überlieferung aus: es bricht mitten in der Strophe ab, und der Schreiber läßt'hier keinen Raum, wie sonst sogar bei vollständigen, nur nicht fünfstrophigen Liedern. (Denn die ganze zweite Hälfte von Strophe l ist unmöglich Refrain.) Es ist auch nur als „Parallele" zum Büttnerlied angehängt: XXXIX Ez fttor ein biittenaere...: XL Von Walken fuor ein pilgerin.,.; sprach der win XXXIX, 2, l: Sprach der ivirt XL, l, 4; und der Pilger nutzt genau wie der Büttner seinen „Stand" erotisch aus. Dazu wäre dieses Lied unter den Erzählliedern N e i f e n s die einzige „gewöhnliche" Kanzone - noch dazu in späten Formen (A: 4v/4kl 4v/4kl 6kl/4v/6kl, aus ähnlichem Langzeilen-Bereich wie XXXIX)! Was man zugleich als Rückbeweis für die konsequente Sonderstellung der anderen Erzähllieder bei N e i f e n ansehen kann. Das „Wiegenlied" (49) L ist wieder nicht kanzonenförmig: 4a (A)3b- 4c, 40

Gennridi, Formenlehre 54 - die rührenden und grammatischen Reime könnten dabei Neifens Art sein, französische Reimklänge zu überbieten! 41 Von KLD mit den meisten Früheren N e i f e n abgesprochen. 41 „Der halbe Hildebrandston mit verdoppeltem Anvers", Heusler 752. Die späteren Fassungen in der Volksliedüberlieferung verderben den Ton, was für sein Alter (und N e i f e n s Autorschaft?) spricht. 48 Man könnte das zum Anlaß nehmen, die entsprechenden, vieldiskutierten Kadenzen in Str. 2 zu ändern. Doch greift man damit wohl zu stark in die Überlieferung ein.

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4a 3b- 4c, 4C/3C 4/3C44; wenn das auch das einzige ist, was man sicher davon sagen kann. Man könnte es als zweimal Zweizeiler (aus Vagantenzeile plus Viertakter) mit folgendem Refrain ansehen. Die kleine Strophe (50) LI endlich (Auft. 4 a a b b b), die sicher nicht Neifen gehört, ist gänzlich vieldeutig. Heusler (751) sieht darin eine Langzeile plus Dreiversgruppe, auch er hält diese aber nicht für alt und heimisch (749). Nach der Syntax wäre eher a a b, b b zu teilen. Unter G e 11 a r G e d r ü t steht in AC dieselbe Form für ein typisch Neidhartsdies Sommerlied (KLD Nr. 13, IV)! Das genre objectif vereinigt also Formen, von denen eine auf die französische Pastourelle, eine andere auf eine französische „volkstümliche'1 Form und eine (unechte!) vielleicht auf N e i d h a r t s Sommerlieder hinweisen, zum größten Teil von unstolligem Bau - und dies für fast sämtliche „objektiven Erzähllieder" unter N e i f e n s Namen, die zum Teil auch inhaltlich mit ausgesprochenen Pastourellen-Motiven ausgestattet sind. Die Zweifel an N e i f e n s Autorschaft - KLD läßt ihm nur die Pastourelle XXVII (46) - können gewiß gute Gründe anführen; vor allem das Pilgrimlied XL (48) und die Einzelstrophe LI (50) gehören N e i f e n sicher nicht. Im übrigen aber ist für die Entscheidung das Bild bestimmend, das man sich vom Dichter N e i f e n macht. Hält man ihn ausschließlich für einen Formvirtuosen der „hohen" Minne, Μ

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