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German Pages 524 [525] Year 2015
Perspektiven der Ethik herausgegeben von
Reiner Anselm, Thomas Gutmann und Corinna Mieth
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Björn Görder
Milton Friedmans Freiheitsverständnis Systematische Rekonstruktion und wirtschaftsethische Diskussion
Mohr Siebeck
Björn Görder, geboren 1980; 2001–2009 Studium der Ev. Theologie in Tübingen, Halle a.d. Saale und Stellenbosch/Südafrika; 2009–2012 Promotionsstipendiat des Ev. Studienwerk Villigst e.V. und Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Fernuniversität Hagen; seit 2015 Repentent am Ev. Stift Tübingen.
e-ISBN PDF 978-3-16-153748-6 ISBN 978-3-16-153665-6 ISSN 2198-3933 (Perspektiven der Ethik) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Zugleich Dissertation an der Universität der Bundeswehr München 2014. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Minion gesetzt und von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.
Meinen Eltern
Danksagung Eine zentrale These dieses Buches lautet: Menschen sind für ihre Handlungen verantwortlich. Aber was auch immer sie tun, sie greifen dabei stets auch auf die Leistungen anderer zurück. Das gilt nicht zuletzt dafür, wie dieses Buch entstanden ist. Die vorliegende Publikation ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Januar 2014 an der Bundeswehr Universität München angenommen wurde. Für die hier dokumentierte Analyse und Argumentation mitsamt ihren verbleibenden Schwächen stehe ich selbst gerade. Dass sie überhaupt so weit gediehen sind, verdankt sich vielfältiger Unterstützung. Für sie möchte ich mich bedanken. Prof. Dr. Friedrich Lohmann hat die Arbeit in dieser Form angeregt, mit außerordentlichem Engagement und Wohlwollen begleitet und maßgeblich vorangebracht. Prof. Dr. Dirk Lüddecke hat mit großer Sorgfalt das Zweitgutachten erstellt. Gemeinsam mit dem Herausgeber Prof. Dr. Reiner Anselm haben beide wertvolle inhaltliche Hinweise gegeben, die in die Überarbeitung der ursprünglichen Version eingegangen sind. Meine Auseinandersetzung mit Friedman verdankt sich einer Fülle von Impulsen aus den Kolloquien des Arbeitskreises für theologische Wirtschafts‑ und Technikethik (ATWT) und des Berliner Forums sowie den Kolloquien bei Prof. Dr. Eilert Herms in Tübingen und Prof. Dr. Wilhelm Gräb und Prof. Dr. Notger Slenczka in Berlin. Den Gesprächspartnerinnen und ‑partnern in diesen Kreisen danke ich ebenso wie denjenigen aus der Studienzeit in Tübingen, Halle und Stellenbosch. Die Forschungen im Friedman-Archiv in Stanford wären nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung von Prof. Dr. Brent Sockness und Carol Leadenham. Janet Friedman hat der Publikation von Passagen aus unveröffentlichten Texten ihres Vaters zugestimmt. Finanziert wurde die Arbeit durch ein Stipendium des Ev. Studienwerks Villigst, das zugleich wichtige Freiräume und Impulse für einen interdisziplinären Austausch gab. Prof. Dr. Reiner Anselm, Prof. Dr. Thomas Gutmann und Prof. Dr. Corinna Mieth haben der Aufnahme in die Reihe „Perspektiven der Ethik“ zugestimmt. Bei der Drucklegung unterstützten mich die sorgfältigen Korrekturarbeiten von Ernst und Kai Metzger sowie die freundliche fachliche Begleitung durch den Verlag Mohr Siebeck, namentlich Dr. Stephanie Warnke-De Nobili. Einen Zuschuss zu den Druckkosten haben freundlicherweise die Evangelische Landeskirche in Württemberg, der Freundeskreis der Universität der Bundeswehr München so-
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Danksagung
wie die Evanglische Kirche in Deutschland und die Union Evangelischer Kirchen in der EKD gegeben. Anna Görder hat die Arbeit mehrfach gelesen und unermüdlich diskutiert. Ihr ist wesentlich zu danken, wenn meine Ausführungen für andere nachvollziehbar sind. Doch ihr Verdienst geht weit über das Fachliche hinaus. Sie hat mich ermuntert, ein solches Projekt überhaupt zu beginnen, kontinuierlich zu verfolgen und schließlich bei allen Anfechtungen zu einem Abschluss zu bringen. Auch Marit Marlene Görder hat die Arbeit in ihrer Endphase intensiv begleitet und zentrale Stellen wiederholt durchgekaut. Nichts prägt einen Menschen so sehr, wie die Familie, in der er aufwächst. Meine Eltern Solveig und Ernst Metzger haben in mir das Interesse für soziale und ökologische Anliegen ebenso geweckt wie die Lust an der Disputation. Als Dank dafür und für vielfältige Unterstützung während meines Studiums und meiner Promotion ist Ihnen dieses Buch gewidmet. Markgröningen, Oktober 2014
Björn Görder
Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Teil I
Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund 1. Historischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.1 Die Great Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.2 Der New Deal und der „Moderne Liberalismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.3 Der Zweite Weltkrieg und der Ost-West-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Ideengeschichtliche Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.1 Adam Smith: Die Leistung freier Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.2 Thomas Jefferson: Freiheit als Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.3 John Stuart Mill: Der Nutzen der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.4 Die ältere Chicago School of Economics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.4.1 Frank H. Knight . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.4.2 Jacob Viner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.4.3 Henry C. Simons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.4.4 Friedmans Rezeption der älteren Chicago School . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.5 Friedrich August von Hayek: Freiheit und spontane Ordnung . . . . . . . . . 38 2.6 Ayn Rand: Das freie Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.7 Die Bedeutung der ideengeschichtlichen Hintergründe für die Friedman-Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
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Teil II
Systematische Rekonstruktion 1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1.1 Erkenntnistheoretischer Dualismus: Normative und Positive Ökonomik 50 1.2 Der Freiheitsglaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1.3 Freiheit als Fundamentalkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.4 Utilitaristisch-instrumentelle Argumente für den Freiheitsglauben . . . . . 60 1.5 Das Verhältnis von Freiheit als höchstem Gut und Freiheit als utilitaristischem Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1.6 Die konsequentialistische Struktur von Friedmans pragmatischem Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2. Anthropologische Grundlagen: Nutzenmaximierung und Individualismus 69 2.1 Der Mensch als „Robinson“ – Der individualistische Ansatz . . . . . . . . . . . 69 2.1.1 Methodologischer, ontologischer und normativer Individualismus 69 2.1.2 Die Gesellschaft als Zusammenschluss von Individuen und die Etablierung sozialer Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.1.3 Das Individuum und der soziale Kontext der Familie . . . . . . . . . . . . 74 2.1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.2 Der Mensch als Nutzenmaximierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.2.1 Menschenbild oder Modellannahme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2.2.2 Menschen kennen und verfolgen ihr Eigeninteresse . . . . . . . . . . . . . 80 2.2.3 Eigeninteresse im weiten und Eigennutzen im engen Sinne . . . . . . . 82 2.2.4 Eigeninteresse und Bildungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2.2.5 Eigeninteresse und innere Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2.3 Resümee: Friedmans Umgang mit Individualismus und Nutzenmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“ . . . . . 92 3.1 Die normative Präferenzautonomie als Grundlage des Freiheitsprinzips 92 3.2 Freiheit im negativen Sinne als höchstes soziales Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.3 Freiheit und das Recht an Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.4 Positive Aspekte in Friedmans Freiheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.5 Freiheitsglaube im Gegenüber zu Kollektivismus, Egalitarismus und Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.5.1 Freiheitsglaube und Kollektivismus bzw. Egalitarismus . . . . . . . . . . 106 3.5.2 Freiheit und Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
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4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.1 Begriffliche Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.2 Ökonomische Freiheit als notwendige Voraussetzung bürgerlicher und politischer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.3 Die Bedeutung bürgerlicher Freiheit für politische und ökonomische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4.4 Das paradoxe Verhältnis politischer Freiheit zu ökonomischer und bürgerlicher Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.5 Zyklisches Geschichtsbild als Konsequenz der Verhältnisbestimmung . . 119 4.5.1 Der „Kreislauf “ von Freiheit und Unfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.5.2 Modernisierungsdynamik und „Weg zur Knechtschaft“ . . . . . . . . . . 120 4.5.3 Der zyklische Verlauf der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4.5.4 Die Bedeutung von Ideen für die Abfolge historischer Zyklen . . . . . 123 Exkurs: Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit am Beispiel Chiles und Südafrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
5. Freiheit und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.1 Das Subjekt von Verantwortung: Verantwortungsfähige Individuen . . . . 132 5.2 Die Instanz der Verantwortung: Verantwortung des Individuums vor sich selbst und Vertragspartnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 5.3 Der Gegenstand der Verantwortung: Folgen eigener Handlungen und die eigene Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 5.4 Die Maßstäbe der Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5.5 Hat der individuelle Freiheitsgebrauch moralisch verbindliche Grenzen? 137 5.6 Haben Unternehmen eine soziale Verantwortung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5.7 Hat unternehmerische Freiheit moralisch verbindliche Grenzen? . . . . . . 146 5.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.1 Freiheit und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.1.1 Einkommensgleichheit als Ziel: Stigler und Friedman im Gespräch 153 6.1.2 Die grundlegende Bedeutung personaler Gleichheit . . . . . . . . . . . . . 155 6.1.3 Chancengleichheit als integraler Bestandteil individueller Freiheit . 156 6.1.4 Einkommensgleichheit als Widerspruch zu individueller Freiheit . 158 6.1.5 Verteidigung der Einkommensgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 6.2 Freiheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 6.2.1 Gerechtigkeit im Widerstreit mit Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 6.2.2 Gerechtigkeit in der Argumentation Friedmans . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
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7. Freiheit und Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7.1 Das Problem der sozialen Interdependenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7.2 Die Alternativen der Koordination von Interaktion: Markt und Staat . . . 170 7.3 Vorzüge des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 7.3.1 Vorzüge des Marktsystems aus prinzipiellen Gründen . . . . . . . . . . . 171 7.3.2 Vorzüge des Marktsystems aufgrund positiver Konsequenzen . . . . . 172 7.4 Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 7.4.1 Freiwilligkeit durch Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 7.4.2 Existenz von Märkten: Möglichkeit des Austauschs, Geld‑ und Preissystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 7.4.3 Private Märkte: Privateigentum und Eigenverantwortung . . . . . . . . 177 7.4.4 Informiertheit: Implikationen und Folgen von Interaktionen . . . . . 178 7.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
8. Freiheit und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 8.1 Die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen für freiwillige Interaktion . . 182 8.2 Die Aufgaben des Staates: Sicherstellung von Regeln für freiwillige Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Exkurs: Umweltverschmutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 8.2.2 Existenz von Märkten: Möglichkeit des Austauschs, Geld‑ und Preissystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 8.2.3 Private Märkte: Privateigentum und Eigenverantwortung . . . . . . . . 192 8.2.4 Informiertheit: Implikationen und Folgen von Interaktionen . . . . . 193 8.2.5 Staatliche Aufgaben über die Rahmenordnung hinaus . . . . . . . . . . . 194 Exkurs: Staatliche Aktivität im Bildungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Exkurs: Negative Einkommenssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 8.2.6 Vom Neo-Liberalismus zum Laissez-faire-Liberalismus . . . . . . . . . . 203 8.3 Ökonomische Analyse des politischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.3.1 Politisches Handeln und ökonomische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . 206 8.3.2 Die Logik des politischen Handelns und ihre negativen Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 8.3.3 Die Demokratie als vorzugswürdige Staatsform . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 8.4 Erforderliche Begrenzung staatlicher Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 8.4.1 Machtbegrenzung durch Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 8.4.2 Machtbegrenzung durch Machtteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
9. Freiheit und Moralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 9.1 Die moralische Basis einer freiheitlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 216 9.2 Etablierung einer freiheitlichen Ordnung: Zurücknahme der eigenen Präferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
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9.3 Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung: Gesetzesgehorsam und moralischer Grundkonsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 9.4 Die Entstehung moralischer Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 9.5 Vorausgesetzte Moralität und Normativität individueller Präferenzen . . . 229 9.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Teil III
Kritische Diskussion 1. Fundamentalethische Diskussion von Friedmans erkenntnistheoretischen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1.1 Das Verhältnis von Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1.1.1 Die Differenz von Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1.1.2 Die Bezogenheit von Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1.2 Das Verhältnis von Ökonomik und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1.3 Die Begründungsfunktion der Anthropologie für die Ethik . . . . . . . . . . . 245 1.4 Methodische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
2. Diskussion von Friedmans anthropologischen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . 255 2.1 Der ontologische Individualismus: Ein unbegründeter, folgenreicher Reduktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2.1.1 Die Personalität des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2.1.2 Die Leiblichkeit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2.1.3 Die Sozialität des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2.1.4 Die Relationalität des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2.1.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2.2 Der Mensch als Nutzenmaximierer: Verkürzte Auffassung des menschlichen Strebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2.2.1 Nutzenmaximierung: Zirkuläre Argumentation, problematische Verallgemeinerung und Grenzen des ökonomischen Imperialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2.2.2 Die Entstehung von Präferenzen: Ein „blinder Fleck“ . . . . . . . . . . . . 274 2.2.3 „Revealed Preferences“: Fragwürdige Identifikation von Präferenzen und Wahlakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2.2.4 Präferenzautonomie: Entscheiden Präferenzen über das wahre Eigeninteresse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2.2.5 Präferenzautonomie und innere Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2.2.6 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
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3. Das umfassende Verständnis von Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 3.1 Die Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung in geschöpflicher Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 3.2 Umfassende Freiheit als Verbindung formaler und materialer Aspekte . . 303 3.2.1 „Negatives“ und „positives“ Verständnis von Freiheit . . . . . . . . . . . . 303 3.2.2 Umfassende Freiheit als tatsächliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3.2.3 Die Bedeutung formaler Freiheit für umfassende Freiheit . . . . . . . . 309 3.2.4 Die Evaluierung umfassender Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 3.2.5 Freiheit und Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 3.3 Voraussetzungen umfassender Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 3.3.1 Äußere Hemmnisse umfassender Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3.3.2 Umfassende Freiheit und das Recht an Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . 314 3.3.3 Innere Hemmnisse umfassender Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Exkurs: Umfassende Freiheit und „Freiheit in Christus“ . . . . . . . . . . 322 3.4 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 3.5 Zwischenbilanz: Friedmans Freiheitsverständnis aus Perspektive einer phänomenorientierten Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
4. Dimensionen umfassender Freiheit: Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 4.1 Ökonomische und bürgerliche Freiheit als Dimensionen umfassender Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 4.2 Politische Freiheit im Verhältnis zu umfassender Freiheit . . . . . . . . . . . . . 338 4.3 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
5. Umfassende Freiheit und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 5.1 Subjekte von Verantwortung: Individuen und Institutionen . . . . . . . . . . . 343 5.2 Instanzen der Verantwortung: Die Relate menschlicher Bezogenheit . . . 344 5.3 Gegenstand der Verantwortung: Handlungen und ihre Auswirkungen auf alle Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 5.4 Maßstab der Verantwortung: Die Bedingungen menschlicher Freiheit . . 349 5.5 Verantwortung als moralische Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 5.6 Die soziale Verantwortung in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 5.7 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
6. Umfassende Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 6.1 Freiheit und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 6.1.1 Die grundlegende Bedeutung personaler Gleichheit . . . . . . . . . . . . . 358 6.1.2 Chancengleichheit als integraler Bestandteil von Freiheit . . . . . . . . . 359 6.1.3 Die ambivalente Bedeutung von Ergebnisgleichheit . . . . . . . . . . . . . 361
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6.1.4 Sind relative Einkommensgleichheit und materiale Chancengleichheit Ergebnis formaler Freiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 6.1.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 6.2 Freiheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 6.2.1 Freiheit und Fragen der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 6.2.2 Umfassende Freiheit im Bezug auf Bedürfnis-, Teilhabe‑ und Chancengerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 6.2.3 Umfassende Freiheit im Spannungsfeld von Leistungs‑ und Ausgleichsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 6.2.4 Gerechtigkeit und Wertvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 6.2.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
7. Umfassende Freiheit und Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 7.1 Umfassende Freiheit und die Notwendigkeit gesellschaftlicher Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 7.2 Der Beitrag des Marktes zur Realisierung umfassender Freiheit . . . . . . . . 378 7.3 Idealer und realer Markt: Positive Konsequenzen für alle? . . . . . . . . . . . . . 379 7.3.1 Fehlende Freiwilligkeit: Konzentration ökonomischer Macht . . . . . 380 7.3.2 Unvollständige Informiertheit und mangelhafte Verarbeitung von Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 7.4 Prinzipielle Grenzen des Marktes bei der Realisierung umfassender Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 7.4.1 Markt und Güterallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 7.4.2 Die Dynamik des Wettbewerbs und die Einschränkung umfassender Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 7.4.3 Die normative Basis von Freiheit als Grenze des Marktes . . . . . . . . . 392 7.4.4 Das liberale Paradoxon und die Einschränkung normativer Präferenzautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 7.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
8. Umfassende Freiheit und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 8.1 Individuelle Freiheit als Aufgabe und Grenze staatlicher Ordnung . . . . . 399 8.2 Individuelle Freiheit durch eine effektive Rahmenordnung für den Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 8.2.1 Wettbewerbspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 8.2.2 Maßnahmen zur Beschränkung von Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . 403 8.2.3 Maßnahmen gegen Informationsasymmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 8.2.4 Maßnahmen zur Verhinderung externer Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . 405 8.3 Individuelle Freiheit durch Sicherung politischer Teilhabe . . . . . . . . . . . . 408 8.3.1 Demokratie und umfassende Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 8.3.2 Demokratie als Rahmenordnung für Wertediskurse . . . . . . . . . . . . . 410 8.4 Individuelle Freiheit durch sozialstaatliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 410
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8.4.1 Sicherung sozialer Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 8.4.2 Pflicht zur Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 8.5 Individuelle Freiheit durch Ermöglichung von Selbstreflexion . . . . . . . . . 419 8.6 Leistungsfähigkeit von Staaten im Kontext der Globalisierung . . . . . . . . . 420 8.7 Kritische Würdigung von Friedmans Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
9. Umfassende Freiheit und Moralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 9.1 Moralischer Konsens und Sozialkapital als Basis einer freiheitlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 9.2 Die Bedeutung kultureller Gegebenheiten für die Anwendung der ökonomischen Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 9.3 Der Einfluss der Rahmenordnung auf die Bildung von Präferenzen . . . . 430 9.4 Liberales Ethos und Präferenzautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 9.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
Abschließende Überlegungen 1. Grundlegung einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit . . . 440 1.1 Erkenntnistheorie und normative Präferenzautonomie . . . . . . . . . . . . . . . 440 1.2 Menschliches Handeln und deskriptive Präferenzautonomie . . . . . . . . . . 441 1.3 Individuelle Freiheit als ethischer Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 1.4 Negativer und umfassender Freiheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 1.5 Reflexionsebenen von Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
2. Anstöße zu einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit . . . . . 445 2.1 Freiheit und Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 2.2 Freiheit und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 2.3 Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 2.4 Freiheit und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 2.5 Freiheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 2.6 Freiheit und Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 2.7 Freiheit und Werturteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 2.8 Freiheit und Ethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 2.9 Freiheit und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
Einleitung 1. Thema und Fragestellung der Arbeit 1.) Das Thema „Freiheit“ im politischen Diskurs. Das Thema „Freiheit“ ist in den letzten Jahren omnipräsent. Ergebnisse neurologischer Forschungen und ihre öffentlichkeitswirksame Interpretation haben dazu geführt, dass Fragen nach der Freiheit des Willens (wieder) intensiv diskutiert werden. Strittig ist auch die Bedeutung, welche individueller Freiheit für die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens zukommen sollte – also die Frage, in welchem Maße staatliche Einschränkungen erforderlich oder legitim sind. In diesen Debatten ist eine gewisse Ambivalenz festzustellen: Einerseits kann der Eindruck entstehen, „der Liberalismus“ befände sich auf einem absteigenden Ast, nachdem er sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst in der westlichen Welt als dominierende Weltanschauung etablierte1 und nach dem Zerfall der Sowjetunion in den 1990er Jahren sein endgültiger Triumph und das „Ende der Geschichte“2 ausgerufen worden waren. In Bezug auf die Verwerfungen der aktuellen Wirtschafts‑ und Finanzkrise ist immer wieder das Urteil zu vernehmen, diese habe zumindest den Wirtschaftsliberalismus widerlegt. Sein vermeintlicher Sieg im Wettkampf der Systeme sei vorschnell gefeiert worden.3 In Deutschland musste die FDP als Partei des Liberalismus in den Jahren nach 2009 empfindliche Wahlniederlagen hinnehmen und schied 2013 erstmals aus dem Deutschen Bundestag aus. Andererseits kann auch von einem „libertäre[n] Zeitalter“4 bzw. einer Revitalisierung liberalen Gedankenguts gesprochen werden. In den USA tritt die Tea-Party-Bewegung als Verteidigerin individueller Freiheitsrechte auf. Die Forderung nach Freiheit spielte eine zentrale Rolle im Arabischen Frühling, der im Jahr 2011 die Welt bewegte und veränderte. In Deutschland bezeichnete die Schwarz-Gelbe Koalition in ihrem Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2009 „Freiheit zur Verantwortung“ als „Kompass“ ihrer Politik.5 Mit der Piratenpartei feierte im 1 Zum Erfolg des Wirtschaftsliberalismus in den USA nach dem 2. Weltkrieg vgl. Galbraith 1970, 7–13. Von einer „Renaissance des ökonomischen Liberalismus“ ab den 1960er Jahren spricht Gerhard Wegner (vgl. Wegner 2012, 1–6). 2 Vgl. Fukuyama 1992, xi. 3 Vgl. exemplarisch Habermas und Assheuer 2008; Krugman 2009, 18–40, 221 f.; Eppler 2011, bes. 21–26. 4 Lilla 2014, 37. 5 Vgl. Wachstum. Bildung. Zusammenhalt 2009, 5.
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Einleitung
Jahr 2012 eine politische Gruppierung, die sich unter anderem die individuelle Freiheit auf die Fahnen geschrieben hat,6 zwischenzeitlich aufsehenerregende Erfolge. Mit Joachim Gauck wurde ebenfalls im Jahr 2012 ein Bundespräsident gewählt, der Freiheit als sein „Lebensthema“7 bezeichnet. Am Beispiel der Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA zeigt sich, dass trotz zum Teil massiver öffentlicher Kritik das Ideal freier Märkte einen großen Einfluss auf die gegenwärtige Politik hat. Auch philosophische und theologische Schriften widmeten sich in jüngerer Zeit eingehend dem Phänomen menschlicher Freiheit.8 Die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Kritiker und Befürworter von „Freiheit“ als einer Leitkategorie sozialethischer Überlegungen zeigt, dass mit einer pauschalen Debatte über „mehr“ oder „weniger“ individuelle Freiheit nichts gewonnen ist. Vielmehr gilt es, präzise zu klären, was mit „Freiheit“ jeweils gemeint ist und warum genau diese Form der Freiheit als ethisches Gut zu erachten ist. Erst dann kann diskutiert werden, inwiefern und mit welchen Mitteln die Gestaltung einer sozialen Ordnung sich an der Verwirklichung oder Bewahrung menschlicher Freiheit ausrichtet und ausrichten soll. Diese Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, gesellschaftliche Debatten über Freiheit als sozialethische Kategorie differenziert und sachgemäß zu führen. 2.) Begriffliche Differenzierung: Reflexionsebenen von Freiheit. Das Phänomen menschlicher Freiheit ist vielschichtig. Entsprechend ist es begrifflich schwer zu fassen und Gegenstand unterschiedlichster Kontroversen.9 Aus diesem Grund soll eine begriffliche Differenzierung eingeführt werden, die bei der Formulierung des Themas implizit vorausgesetzt ist und den folgenden Ausführungen zugrunde liegt. Zur Strukturierung des Begriffs lassen sich drei Reflexionsebenen unterscheiden.10 Erstens die Ebene der inneren Freiheit. Auf ihr geht es darum, ob Menschen Subjekt ihres eigenen Lebens, Urheber ihrer Handlungen sind. In diesem Zusammenhang sind Fragen zentral wie diejenigen, ob Menschen völlig durch den Naturzusammenhang determiniert werden oder ob sie selbst darüber entscheiden können, welche Ziele sie verfolgen (Willensfreiheit). Wie mit diesen Fragen umgegangen wird ist ausschlaggebend dafür, ob und in welchem Sinne von einer Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung gesprochen werden kann. Zweitens ist die Ebene der äußeren Freiheit oder Handlungsfreiheit zu 6 Vgl. Piratenpartei Deutschland 2012, Jugendschutz: „Die individuelle Freiheit eines jeden Menschen eines der höchsten Güter, die es zu schützen gilt, und eine Einschränkung dieser ausgehend vom Staat ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Freiheit Dritter beschnitten oder ihre Sicherheit gefährdet wird.“ 7 Gauck 2012. 8 Vgl. exemplarisch Hübner 2011; Sloterdijk 2011; Honneth 2011; Herbst 2012. 9 Vgl. Wildfeuer 2002, 352–358. 10 Der Vorschlag orientiert sich an den drei Reflexionsstufen, die Jörg Hübner in seiner „Ethik der Freiheit“ unterscheidet (vgl. Hübner 2011, 25–29), ist aber im Detail nicht mit ihnen identisch.
1. Thema und Fragestellung der Arbeit
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berücksichtigen. Diese fragt danach, ob die äußeren Umstände es zulassen, dass ein Mensch gemäß seines Planes handelt, oder ob er dabei Einschränkungen unterliegt. Dazu gehören die institutionelle Ausgestaltung des Zusammenlebens und die hier zu verwirklichenden rechtlichen Freiheiten. Drittens ist die Ebene der sittlichen Freiheit zu unterscheiden. Hier geht es darum, ob der Gebrauch menschlicher Freiheit in Einklang mit seinen Voraussetzungen erfolgt. Nach diesem Verständnis können Handlungen nicht als frei gelten, die den Menschen in einen Widerspruch zur eigenen Existenz bringen, zum Beispiel indem sie die Begrenztheit des menschlichen Daseins überwinden wollen. Solche Handlungen mögen in dem Sinne frei sein, dass sie ohne äußeren Zwang gewählt werden. Bestritten wird ihre Freiheit jedoch unter Verweis darauf, dass ihre Wahl auf einen existenziellen Irrtum zurückzuführen und daher nicht „wirklich frei“ ist. Insbesondere in der paulinisch-reformatorischen Rede von der „Freiheit in Christus“ bzw. der „Freiheit eines Christenmenschen“ sowie im Kantischen Autonomiegedanken wird diese Ebene des Freiheitsdiskurses thematisiert. 3.) Milton Friedman als Gesprächspartner. Für die Wahl Friedmans als Gesprächspartner gibt es drei Gründe. Erstens hat Friedman zwar zahlreiche Schriften zum Thema „Freiheit“ verfasst. Er hat sein Verständnis von Freiheit jedoch nie in systematischer Form entfaltet. Insofern erscheint es als angebracht, dieses in Form einer wissenschaftlichen Arbeit zu rekonstruieren. Zweitens vertritt Friedman innerhalb des liberalen Diskurses eine profilierte Position, die zumindest in manchen Fragen als Extremposition wahrgenommen werden kann. In der Auseinandersetzung mit ihm werden daher Grundentscheidungen deutlich, zu denen sich jede Theorie der Freiheit positionieren muss. Und drittens entwickelte sich Friedman im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem der führenden Vertreter des (wirtschaftlichen) Liberalismus in den USA. Seine Theorie gewann zunehmend an Einfluss.11 Insbesondere nach den gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen in Osteuropa vermittelte er eine Weltsicht, die das alte Weltbild des Sozialismus ersetzen sollte.12 In den USA beriefen sich in jüngerer Zeit George W. Bush und der Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2012, Paul Ryan, auf Milton Friedman.13 Auch in der aktuellen politischen Diskussion in Deutschland finden Friedmans Thesen merklichen Nachhall. So erschienen im Jahr 2011 die Bücher „Freiheit statt Kapitalismus“ von Sahra Wagenknecht und „Wir haben die Wahl. Freiheit 11 Vgl.
Jones 2012, bes. 88 f., 111–121. folgende Aussage, die Joseph Stiglitz im April 1990 in seinen Wicksell Lectures in Stockholm machte (Stiglitz 1997, 3): „As many of the ideologues have rejected the Marxian ideology, they have adopted the ideology of free markets. There is a joke that Milton Friedman is the most widely respected economist within the Soviet Union – though his books and articles have yet to be read. He is a symbol of an ideology, and it is an alternative belief system that they seek.“ 13 George W. Bush verlieh Friedman 2002 die Presidential Medal of Freedom und bezeichnete ihn bei dieser Gelegenheit als einen „Hero of Freedom“ (Bush 2002; zu Ryan vgl. Tully 2010). 12 Vgl.
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Einleitung
oder Vater Staat“ von Kurt Biedenkopf, deren Titel stark an Friedmans Schriften „Capitalism and Freedom“ und „Free to Choose“ erinnern.14 Ziel dieses Buches ist es, Friedmans einflussreiches Verständnis von Freiheit präzise nachzuzeichnen und dessen Überzeugungskraft kritisch zu diskutieren. Indem auf systematische Schwächen in Friedmans Theorie hingewiesen wird, sollen Anregungen für ein sachgemäßes Verständnis von Freiheit gegeben werden.15 Friedman beschäftigt sich mit dem Thema „Freiheit“ im Kontext politischer und ökonomischer Fragestellungen. Er beschränkt sich dabei nahezu vollständig auf die zweite Reflexionsebene, also die Frage nach den äußeren Handlungsbedingungen. Die Interpretation und die kritische Diskussion von Friedmans Freiheitskonzept folgen dieser Schwerpunktsetzung.16 Es wird aber zu fragen sein, ob Friedmans Vorgehen dem inneren Zusammenhang der drei Reflexionsebenen gerecht wird.
2. Gliederung und Methode Aus der dargestellten Fragestellung ergibt sich ein Vorgehen in zwei Schritten, die methodisch jeweils unterschiedlich verfahren. 1.) Systematische Rekonstruktion von Friedmans Freiheitsverständnis. Friedman entwickelt sein Verständnis von und sein Engagement für Freiheit in konkreten sozioökonomischen und biographischen Umständen sowie unter dem Eindruck verschiedener prominenter Autoren. Der Friedman-Interpretation ist daher ein
14 Es
liegt nahe, dass weniger Friedmans Titel, sondern der Wahlkampfslogan der CDU aus dem Jahr 1976 die Kontrastfolie für die Wahl von Wagenknechts Buchtitel darstellt. Damit bezieht sie sich jedoch auf einen Diskurs, der in Inhalt und zuspitzender Form wesentlich von Friedman geprägt war. Auf ihn als Antipoden bezieht Wagenknecht sich mehrfach in ihrem Buch (vgl. z. B. Wagenknecht 2011, 183, 357). Bei Biedenkopf gibt es keinen expliziten Bezug auf Friedman, wohl aber eine deutliche Anspielung auf Hayek (vgl. Biedenkopf 2011, 199). Inhaltlich teilt er mit Friedman trotz zum Teil gravierender Differenzen die Vorstellung, dass sich mit dem freien Wettbewerb und dem Staat zwei grundverschiedene Formen der gesellschaftlichen Koordination gegenüberstehen, von denen ersterer entgegen der gegenwärtigen Realität der Vorzug gegeben werden sollte (vgl. Biedenkopf 2011, 18–29). 15 Aus dieser Fragestellung ergibt es sich, dass seine in Deutschland besonders einflussreichen monetaristischen Theorien zur Geldwertstabilität weitgehend ignoriert werden (vgl. dazu Janssen 2006, 62–93; Karabelas 2010, 64 f.). Das schließt keine Wertung ihrer Relevanz oder Gültigkeit ein, sondern folgt aus der Zuspitzung des Themas. Auch Friedman betont, dass Geldpolitik und das Thema der Freiheit im Allgemeinen und dem Wirtschaftssystem im Besonderen zu trennen seien (vgl. TLP, 293). Es ist daher nicht angebracht, wenn Gerald Braunberger die Frage, ob Friedman ein „Liberaler“ sei, an seiner Position in geldpolitischen Fragen festmachen will (vgl. Braunberger 2011). 16 Dadurch unterscheidet sie sich von denjenigen theologischen Arbeiten, die Freiheit primär als dogmatische bzw. soteriologische Kategorie erörtern (vgl. Herbst 2012, 4 f., 452).
2. Gliederung und Methode
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Kapitel vorangestellt, das in den historischen (I.1) und ideengeschichtlichen Kontext (I.2) von Friedmans Wirken einführt.17 Dem schließt sich die eigentliche Friedman-Interpretation an. Sie erfolgt in systematischem Interesse. Daher spielt die Frage nach traditionsgeschichtlichen Einflüssen bzw. Unterschieden und Gemeinsamkeiten mit Referenzautoren eine untergeordnete Rolle. Sie wird vorwiegend in den Anmerkungen behandelt. Die Interpretation hat mit der Schwierigkeit umzugehen, dass Friedman keine systematische Darstellung seiner politischen Philosophie verfasst hat und kaum detaillierte Begriffsklärungen vornimmt. Äußerungen zur Freiheitsthematik finden sich vornehmlich in populärwissenschaftlichen Schriften, Zeitungsartikeln oder Interviews. Dennoch wird deutlich, dass diesen Beiträgen eine einheitliche Philosophie des Politischen zugrunde liegt. Deren zentrale Thesen sollen aus den vorliegenden Dokumenten rekonstruiert und systematisiert werden. Als Quelle steht folgendes Material zur Verfügung: erstens Friedmans einschlägige Monographien, insbesondere die direkt mit dem Thema befassten Bücher „Capitalism and Freedom“ und „Free to Choose“; zweitens Aufsätze in Fachzeitschriften und Sammelbänden; drittens Zeitungsartikel und ‑kolumnen; viertens Fernsehauftritte und Interviews18; fünftens Briefe und unveröffentlichte Vortragsmanuskripte, die im Milton-Friedman-Archive am Hoover Institute eingesehen worden sind. Bei Spannungen oder Unsauberkeiten in der Argumentation ist der Grundsatz leitend, Friedman so konsistent wie möglich zu interpretieren. Bei kritischen Fragen sind zwar alle einschlägigen Zitate sorgfältig zu prüfen. Sie werden jedoch im Horizont der gesamten Theorie ausgelegt und entsprechend gewichtet. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die zuerst genannten Quellen mit größerer Sorgfalt gestaltet sind und daher in Streitfällen stärker zu gewichten sind. Andererseits zeigt sich gerade im Archivmaterial und in Interviews, dass Friedman auf Anfragen reagieren muss und daher seine Position besonders pointiert formuliert oder offene Fragen klärt. Diese Quellen werden daher besonders dann herangezogen, wenn in den übrigen Texten Fragen offen bleiben. Die Darstellung von Friedmans Verständnis von Freiheit setzt mit seinen erkenntnistheoretischen (II.1) und anthropologischen (II.2) Voraussetzungen ein. Inhaltlich zentral ist das Kapitel II.3, in dem das Freiheitsverständnis selbst thematisiert wird. Dieses wird dadurch weiter profiliert, dass explizit gemacht wird, was dieses Freiheitsverständnis für das Verhältnis von bürgerlicher, ökonomischer und politischer Freiheit (II.4), von Freiheit und Verantwortung (II.5) und von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit (II.6) bedeutet. Darauf aufbauend werden dann die institutionentheoretischen Konsequenzen verdeutlicht, 17 Zu einer historischen Darstellung der Geschichte der libertären Bewegung in Großbritannien und den USA ab den 1940er Jahren (mit einem großen Augenmerk auf Milton Friedman) vgl. Jones 2012. 18 Die Dokumente sind teilweise in Sammelbänden veröffentlicht, teilweise im Internet zugänglich und teilweise als Archiv-Material zitiert.
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Einleitung
die Friedman aus seinem Freiheitsverständnis zieht: Freiheit und Markt (II.7.), Freiheit und Staat (II.8), Freiheit und Moral (II.9). Eine knappe Zusammenfassung schließt die einzelnen Kapitel jeweils ab. Diese Gliederung ist Ausdruck der Überzeugung, dass sich Friedmans Verständnis von Freiheit nicht unabhängig davon klären lässt, wie er die Zentralstellung des Wertes „Freiheit“ begründet und was er daraus für konkrete Konsequenzen zieht. Es ist ein zentrales Anliegen dieser Arbeit, den Zusammenhang dieser Teilaspekte einer Theorie der Freiheit deutlich zu machen. Nur dann kann das Ziel erreicht werden, durch ethische Reflexion einen Beitrag zur Frage zu leisten, in welchem Sinne und auf welche Weise Freiheit ein Leitprinzip gesellschaftlicher und politischer Aktivität sein kann. An diesem Beispiel wird eine allgemeine These deutlich: Materialethische Fragen lassen sich nicht von metaethischen Fragen der Begründung und anwendungsethischen Fragen nach dem Umgang mit konkreten Herausforderungen sozialer Praxis trennen. Implizit kann die Arbeit daher auch als ein Plädoyer gegen eine sich isolierende Verselbständigung ethischer Subdisziplinen und gegen ein Auseinanderdividieren von Fragen praktischer und theoretischer Lebensdeutung verstanden werden. 2.) Kritische Diskussion von Friedmans Freiheitsverständnis. In Teil III wird Friedmans Verständnis von Freiheit einschließlich seiner Voraussetzungen und Konsequenzen kritisch diskutiert. Die Auseinandersetzung mit Friedman zielt nicht darauf ab, alle in der Interpretation herausgearbeiteten Details auf ihre Stimmigkeit und Überzeugungskraft zu befragen. Vielmehr konzentriert sich die Diskussion auf die zentralen Thesen des Friedmanschen Konzeptes. Dieses steht dabei exemplarisch für einen bestimmten Typus des Liberalismus, der ein negatives Verständnis von Freiheit verbindet mit dem Eintreten für einen Staat, der in engen Grenzen einen Ordnungsrahmen für freiwillige Interaktion sicherstellt. Grundlegend für die Kritik an Friedman ist die Formulierung eines Grundkonsenses dahingehend, dass die Möglichkeit der Selbstbestimmung ein wichtiges ethisches Gut darstellt.19 Methodisch argumentiert Teil III durchgehend phänomenorientiert. Gefragt wird also, ob Friedmans Theorie dem Gegenstand entspricht, den sie zu beschreiben beansprucht. Das findet seinen Ausdruck darin, dass sich die Kritik nicht ausschließlich auf Argumente einer bestimmten Disziplin oder einer bestimmten philosophischen bzw. theologischen Tradition beruft. Das gewissermaßen eklektische Vorgehen zieht seine Berechtigung aus der Überzeugung, dass unterschiedliche Ansätze jeweils wichtige Aspekte menschlicher Freiheit beschreiben. Zugleich geht diese Arbeit davon aus, dass eine völlig vorausset19 Diese Arbeit korreliert daher in gewisser Weise mit Karsten Witts Kritik an der Rechtfertigung freier Märkte. Witt hinterfragt die wohlfahrtsökonomische Begründung freier Märkte, indem er utilitaristische Prämissen dieser Begründung akzeptiert (vgl. Witt 2012, 27 f.). Demgegenüber diskutiere ich einen eher deontologisch argumentierenden Liberalismus, indem ich zunächst nach einer gemeinsamen Basis mit diesem frage.
3. Formale Hinweise
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zungslose Wahrnehmung der Wirklichkeit nicht möglich ist. Dem trägt sie dadurch Rechnung, dass sie sich ausdrücklich auf eine evangelisch-theologische20 Sicht der menschlichen Grundsituation bezieht. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass (auch) in der biblisch-reformatorischen Tradition zentrale Einsichten über das Sein des Menschen in der Welt festgehalten sind. Es soll gezeigt werden, wo diese Friedmans Ansatz weiterführen können. Dieses Vorgehen wird im Zuge von Kapitel III.1 begründet und näher erläutert. Formal bleibt die Diskussion durchgehend auf die Friedman-Interpretation bezogen. Da die zentralen Thesen jeweils wiederholt werden, kann Teil III weitgehend unabhängig vom Rest der Arbeit gelesen werden. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf einer eigenständigen Argumentation. Die Einordnung der Diskussion in wissenschaftliche Debatten erfolgt daher primär in den Anmerkungen. Die Gliederung von Teil III folgt derjenigen von Teil II. Dabei geht es darum, zunächst jeweils zentrale Einsichten Friedmans festzuhalten. Es sind jedoch auch Differenzen zu Friedman festzustellen. Diese sind bereits in Fragen der erkenntnistheoretischen (III.1) und anthropologischen (III.2) Grundlegung auszuweisen. Sie führen dazu, dass gegenüber Friedman ein anderes Verständnis von Freiheit bevorzugt wird. Kapitel III.3 führt diese zentrale These aus. Die folgenden Kapitel zeigen dann auf, wo sich daraus Unterschiede in Bezug auf die Dimensionen von Freiheit (III.4) sowie das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung (III.5) bzw. Gleichheit und Gerechtigkeit (III.6) ergeben. Schließlich kann gezeigt werden, dass einem anderen Verständnis von Freiheit auch ein anderes Verständnis der Aufgaben von Markt (III.7), Staat (III.8) und Ethos (III.9) entspricht. Exemplarisch kann dabei auf einige konkrete Fälle eingegangen werden, die auch Friedman anführt. Der Ertrag der Diskussion wird jeweils abschließend in einer kritischen Würdigung von Friedmans Position gebündelt. Der Schluss dieser Arbeit greift die zentralen Einsichten der beiden Hauptkapitel auf. Leitend ist dabei die Frage, inwiefern Friedmans Ansatz zur Entwicklung einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit beiträgt und an welcher Stelle gegen ihn bzw. über ihn hinaus argumentiert werden muss.
3. Formale Hinweise 1.) Zitierweise. Bei der Zitation und in der Bibliographie werden vier Arten von Friedman-Quellen unterschieden: Erstens werden die Monographien der bes20 Die Bezeichnung als „evangelisch-theologische“ Perspektive soll nicht so verstanden werden, dass allein im evangelischen Verständnis das wahrhaft Christliche zum Ausdruck kommt. Vielmehr soll der Begriff die Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass das „evangelische“ Freiheitsverständnis in engem Zusammenhang steht zu dem anderer Konfessionen, und zugleich offenlegen, dass das christliche Freiheitsverständnis hier geprägt von und unter Bezug auf die Tradition der Reformation entfaltet wird.
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Einleitung
seren Wiedererkennbarkeit wegen mit Abkürzungen zitiert, die zu Beginn der Bibliographie erläutert werden. Zweitens werden einzelne Aufsätze oder andere veröffentlichte kleinere Beiträge Friedmans (z. B. Zeitungsartikel) nach dem Jahr der Publikation zitiert. Archivmaterial ist drittens dadurch gekennzeichnet, dass nach der Jahreszahl in Klammern die Signatur des Milton-Friedman-Archivs angeführt wird. Ist neben dem Namen Friedmans ein weiterer Autor genannt, so handelt es sich viertens um ein Interview. Bei Audio‑ oder Videodokumenten wird statt der Seitenzahl eine Zeitangabe gemacht, auf welche Phase des Gesprächs sich ein Beleg bezieht (Minute:Sekunde). Bei längeren Onlinedokumenten wird die Überschrift des Abschnittes angegeben, sofern der Text untergliedert ist. Bei Autoren klassischer Texte wird ihr Name und der Titel des Textes mit der üblichen Form der Stellenangabe angeführt. Texte aller anderen Autoren werden mit Autor und Jahr der zitierten Publikation (nicht des ersten Erscheinens) angeführt. Bei Autoren klassischer Texte folgen diese Angaben in Klammern. Hervorhebungen folgen dem Originaltext, sofern nichts anderes vermerkt ist. Ansonsten gelten die üblichen Konventionen. 2.) Weitere Hinweise. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwende ich in dieser Arbeit ausschließlich grammatische Maskulinformen, wenn beide Geschlechter gleichermaßen gemeint sind. Aus dieser Perspektive noch eine weitere Vorbemerkung: Wenn hier Milton Friedman als Gesprächspartner eingeführt wurde, bedarf dies einer Ergänzung. Vier der als Hauptquellen genannten Monographien („Capitalism and Freedom“, „Free to Choose“, „The Tyranny of the Status Quo“ und „Two Lucky People“) hat Milton Friedman unter Mitwirkung oder gemeinsam mit seiner Frau Rose verfasst. Ihr Beitrag zur Entwicklung seiner Theorie der Freiheit kann im Einzelnen nicht rekonstruiert werden.
Teil I
Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund Dieser einführende Teil trägt der Tatsache Rechnung, dass Friedman sein Verständnis von Freiheit in einem spezifischen soziopolitischen und biographischen Kontext entwickelt hat und dabei von verschiedenen Theoretikern beeinflusst wurde. Ziel des Kapitels ist nicht eine umfassende Darstellung der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge oder der traditionsgeschichtlichen Hintergründe des Liberalismus. Der historische Teil konzentriert sich auf die zentralen Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Friedmans Denkweise nachhaltig geprägt haben. Im ideengeschichtlichen Abschnitt werden ausschließlich Autoren vorgestellt, auf die Friedman sich explizit bezieht. Auch deren Darstellung zielt nicht auf ihre umfassende Würdigung. Vielmehr geschieht sie unter dem Skopus, in welcher Hinsicht sie für die Entwicklung von Friedmans Position relevant waren.
1. Historischer Kontext 1.1 Die Great Depression 1.) Die USA vor der Great Depression. Milton Friedmans Kindheit fällt in eine Zeit großer politischer, ökonomischer und sozialer Dynamik in den USA. Mit dem Eingreifen in den Ersten Weltkrieg hatten die USA die Politik des Isolationismus aufgegeben. Durch Kriegskredite hatten sich auch die wirtschaftlichen Verflechtungen der USA mit Europa intensiviert. In der ersten Phase des 20. Jahrhunderts konnten vermehrt große Teile der Bevölkerung an den Erfolgen der Industrialisierung partizipieren. Es entwickelte sich ein der Massenproduktion entsprechender Massenkonsum, der sich auf Produkte wie Elektrizität, Radios oder Autos richtete und teilweise durch Konsumkredite finanziert war.1 Bereits in den 1920er Jahren zeichnete sich ab, dass mit den beeindruckenden Gewinnen an Wohlstand für breite Schichten der Bevölkerung auch gesellschaftliche Verwerfungen verbunden waren. Von den modernen Produktionsweisen und den sie ermöglichenden staatlichen Investitionen in die Infrastruktur profitierte in erster Linie die städtische Bevölkerung. Technische Innovationen führten auch zu Produktionssteigerungen in der Agrarwirtschaft. Diese jedoch hatten, v. a. nach dem Stopp von Einwanderung und Bevölkerungswachstum, einen Verfall der Preise von landwirtschaftlichen Produkten zur Folge, was insgesamt zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage für die Landbevölkerung führte.2 Auch innerhalb der industriellen Zentren nahmen ökonomische Differenzen zu. Die kapitalintensiven Produktionsweisen führten zu allgemeiner Steigerung von Wohlfahrt, von der die Besitzer von Kapital erheblich stärker profitierten als Arbeiter.3 Schließlich waren in den 1920er Jahren erste Anzeichen für die Instabilitäten des ökonomischen Systems zu erkennen. Die zunehmende Akkumulation von Kapital, eine euphorische Stimmung und eine expandierende Kreditwirtschaft hatten dazu geführt, dass die Finanzmärkte an Bedeutung gewannen. Die amerikanische Zentralbank FED begünstigte durch eine expansive Geldpolitik das Wirtschaftswachstum.4 Beides führte zu einer Überhitzung der Finanzmärkte, die ihr Ende in einer Talfahrt des Dow Jones 1 Vgl.
Kennedy 2001, 21 f.; Guggisberg 2002. 180 f. Kennedy 2001, 16–21, 29. 3 Vgl. Kennedy 2001, 21–25. 4 Vgl. Kennedy 2001, 35 f.; Guggisberg 2002, 198 f. 2 Vgl.
1. Historischer Kontext
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fand. Diese hatte ihren Höhepunkt im Börsencrash am „Schwarzen Donnerstag“ am 24. 10. 1929, hielt aber auch danach noch an.5 Das zweite einschneidende Ereignis für die US-amerikanische Ökonomie zu Beginn der Great Depression war die Bankenkrise des Jahres 1930. Nachdem bereits in den 1920er Jahren immer wieder regionale Banken schließen mussten, beschleunigte sich dieser Prozess ab dem November 1930. Durch die Zahlungsunfähigkeit der „Bank of the United States“ am 11. 12. 1930 spitzte sich die Krise zu. Diese führte zu einer allgemeinen Panik und einem Sturm auf die Banken, was Liquiditätsprobleme für zahlreiche weitere Banken nach sich zog.6 2.) Die Weltwirtschaftskrise und die Great Depression. Die Zusammenhänge zwischen Börsencrash, Bankencrash und Great Depression sind in der ökonomischen und historischen Literatur nach wie vor strittig.7 Jedenfalls markieren die beiden großen Crashs den Beginn der Great Depression. Eine „gewöhnliche“ Rezession hatte in den USA bereits vor dem Börsencrash eingesetzt. Hinzu kamen die Verbindungen der USA mit den europäischen Volkswirtschaften, die Kriegsschulden bei den USA hatten. Durch die gewaltigen Kosten des Ersten Weltkrieges und die Reparationsverpflichtungen Deutschlands war die europäische Wirtschaft massiv geschwächt. Die wirtschaftliche Krise der USA und die isolationistischen Tendenzen der Nachkriegszeit führten dazu, dass die USA Kriegsschulden nicht erließen, sondern vermehrt europäische Kredite zurückforderten und eine protektionistische Handelspolitik einschlugen. Dadurch trugen sie zur Destabilisierung der europäischen Wirtschaft bei. So kam es auch in Deutschland zu einem Bankencrash sowie zu Verwerfungen des auf dem Goldstandard beruhenden internationalen Finanzsystems und der Abschaffung des Goldstandards in Großbritannien. Der Zusammenbruch des internationalen Handels bedeutete eine weitere Schwächung der US-Wirtschaft, die durch die psychologische Wirkung der Vorgänge verstärkt wurde.8 Verschiedene Maßnahmen Herbert Hoovers konnten nicht verhindern, dass sich die ökonomische Krise in den USA zuspitzte. Das Ausmaß an Arbeitslosigkeit und existentieller Armut nahmen schnell dramatische Ausmaße an. Betrug 5 Vgl.
Sautter 2006b, 379 f. Kennedy 2001, 65–67. 7 Insbesondere stehen sich zwei Sichtweisen gegenüber. Die eher von Keynes beeinflussten Historiker und Ökonomen betonen, dass der Börsencrash durch einen überhitzten Kapitalmarkt verursacht wurde und dann zu einem starken Rückgang der Güternachfrage führte, was schließlich ausschlaggebend für die Great Depression gewesen sei (vgl. Galbraith 2009, 127 f., 213–225; Temin 1976, 169–178). Galbraith betont den Zusammenhang des überhitzten Kapitalmarkts mit der Ungleichverteilung von Einkommen (vgl. Galbraith 2009, 214, 216). Eine andere, maßgeblich von Friedman beeinflusste monetaristische Sicht schreibt dem Börsencrash und dem Nachfragerückgang nur eine marginale Rolle zu. Nach dieser Sichtweise war der Bankencrash entscheidend, der durch eine zu restriktive Geldpolitik der FED verursacht wurde (vgl. Kennedy 2001, 39 sowie zu Friedman unten 13 Anm. 17). 8 Vgl. Kennedy 2001, 70–77; Sautter 2006b, 382 f. 6 Vgl.
12
Teil I: Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund
die Arbeitslosenrate 1929 noch 3 %, waren es 1932 nahezu 24 %.9 Im selben Zeitraum halbierte sich das Bruttoinlandsprodukt der USA.10 In den großen Städten waren bis zu 50 % der Bevölkerung arbeitslos. Auf dem Land brach das Einkommen von Bauern um über 70 % ein.11 Weder die traditionellen Wohltätigkeitsorganisationen noch die Kommunen waren in der Lage, die grassierende Armut wirksam zu mildern.12 3.) Milton Friedman und die Great Depression. Milton Friedman wurde 1912 geboren und wuchs in Rahway, einer Kleinstadt in der Nähe New Yorks auf. Seine Eltern waren Ende des 19. Jahrhunderts aus Osteuropa in die USA emigriert und verdienten Geld durch Gelegenheitsarbeiten und mit verschiedenen kleinen Ladengeschäften. Die Familie war nicht wohlhabend, konnte aber Musikunterricht für die Kinder und ein Auto finanzieren.13 Insofern hat sie die Erfahrung gemacht, durch harte Arbeit in bescheidenem Maße an den Wohlfahrtsgewinnen der industriellen Produktion zu partizipieren. Ein staatliches Stipendium ermöglichte es Friedman, von 1928 bis 1932 das College an der Rutgers University zu besuchen, ohne Studiengebühren zu zahlen. Für die gesamte Zeit verdiente er seinen Lebensunterhalt als Schreibkraft in einem Kaufhaus und als Bedienung in einem Restaurant sowie durch weitere Gelegenheitsverdienste mit selbständigen Unternehmungen. Friedman selbst konnte die Zeit der Great Depression im Umfeld der Rutgers University ohne größere wirtschaftliche Einschränkungen überstehen. Auch seine Familie kam glimpflich durch diese Zeit.14 Dennoch bildete die allgemeine Erfahrung der Great Depression den Hintergrund für Friedmans Entscheidung, Wirtschaftswissenschaften zu studieren.15 Zum Lebensthema wurde die Great Depression für Friedman durch seine akademische Forschung. Gemeinsam mit Anna Schwartz analysierte Friedman im Auftrag des National Bureau of Economic Research Daten zur US-amerikanischen Geldpolitik. Aus dieser Forschung entstand unter anderem 1963 der Band „Monetary History of the United States“.16 Im Gegensatz zur allgemeinen These, wonach der Börsencrash und die Great Depression die Schwächen und Vgl. U. S. Department of Commerce 1951, 173. Norton 1990, 727. 11 Vgl. Handlin und Handlin 1994, 51. 12 Vgl. Handlin und Handlin 1994, 55 f.; Kennedy 2001, 85–88. 13 Vgl. TLP, 20–22; Ebenstein 2007, 6–12. 14 Vgl. TLP, 25–28. 15 So zumindest seine rückblickende Darstellung in Friedman 1986a, 82 f.: „The reason I chose as I did was […] not only the intellectual appeal of economics. […] It was at least as much the times […]. The United States was at the bottom of the deepest depression in its history before or since. The dominant problem of the time was economics. How to get out of the depression? How to reduce unemployment? What explained the paradox of great need on the one hand and unused resources on the other? Under the circumstances, becoming an economist seemed more relevant to the burning issues of the day than becoming an applied mathematician or an actuary.“ Vgl. Friedman 2000a, The Great Depression; Friedman und Doherty 1995. 16 Vgl. TLP, 232–234. 9
10 Vgl.
1. Historischer Kontext
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Instabilität des kapitalistischen Systems offenbart hätten, führen Friedman und Schwartz die Great Depression auf eine zu restriktive Geldpolitik der FED zurück.17 Für Friedman wurde dies insofern paradigmatisch, als er das wirtschaftliche System grundsätzlich nicht durch Marktversagen, sondern durch staatliche Eingriffe gefährdet sieht.18
1.2 Der New Deal und der „Moderne Liberalismus“ 1.) Die Wahl Franklin D. Roosevelts als Reaktion auf die Great Depression. Präsident Hoover hatte zunächst versucht, der Depression durch eine teils protektionistische, teils marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik und Appelle an private Wohltätigkeit zu begegnen. Erst 1931 begann er, auch aktiv in die wirtschaftliche Situation einzugreifen.19 Die Bemühungen reichten nicht, 1932 einen triumphalen Wahlsieg Franklin D. Roosevelts zu verhindern. Dieser setzte sich für eine stärkere Rolle der Regierung in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung und die existentielle Absicherung der Bevölkerung ein. Als Gouverneur von New York hatte er auf diese Weise die größten Härten der Depression abfedern und so große Popularität erwerben können.20 2.) Das Programm des New Deal. In Zusammenhang seiner Nominierung als Kandidat der Demokraten hatte Roosevelt einen „new deal for the American people“21 angekündigt. Nach seiner Wahl konkretisierte er diesen New Deal durch eine Politik, die aktiv versuchte, der wirtschaftlichen Depression und ihren Wirkungen entgegenzusteuern. Dabei lassen sich drei Arten von Maßnahmen unterscheiden.22 Erstens sollten kurzfristige Maßnahmen den wirtschaftlichen Abschwung stoppen und akute Notlagen lindern („relief “). Dazu gehörten die zeitweise Schließung von Banken („bank holiday“), die Auszahlung finanzieller Hilfen für Notleidende und staatliche Arbeitsbeschaffung zum Aufbau von Infrastruktur. Zweitens sollten mittelfristige Maßnahmen die Wirtschaft stabilisieren und die Konsumnachfrage stärken und so einen wirtschaftlichen Aufschwung einleiten („recovery“). Zu diesem Zweck wurde etwa der Verzicht auf die Produktion landwirtschaftlicher Güter subventioniert, um den Preisverfall zu stoppen, Mindestlöhne eingeführt, Eigenheimbewohner mit günstigen 17 Vgl.
MHUS, bes. 699; CaF, 45 f., 48–50; FtC, 70–90. CaF, 38; FtC, 90; Friedman und Becker 2003, 48:00; Ebenstein 2007, 124 f. Zu einer kritischen Diskussion dieser Interpretation vgl. Krugman 2007. Krugman weist darauf hin, dass Friedmans empirische Daten zeigen, dass die FED zu wenig getan habe, um einen Rückgang der Geldmenge in den Jahren 1930–1931 zu verhindern. 19 Vgl. Kennedy 2001, 83–85. 20 Vgl. Kennedy 2001, 90 f. 21 Zitiert nach Kennedy 2001, 98: „I pledge you, I pledge myself, to a new deal for the American people.“ 22 Vgl. Kennedy et al. 2010, 671. 18 Vgl.
14
Teil I: Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund
Krediten gefördert und öffentliche Beschäftigung zum Aufbau von Infrastruktur ausgeweitet. Drittens sollte langfristig eine erneute Depression verhindert und eine soziale Grundsicherung geschaffen werden („reform“). Entsprechende Maßnahmen waren Regulierungen des Finanzmarktes, ein System der Einlagensicherung und der Aufbau einer Rentenversicherung.23 Die wirtschaftlichen Erfolge des New Deal sind umstritten. Durch die Vielfalt der Maßnahmen gelang es aber zumindest, in einer Zeit gesamtwirtschaftlicher und persönlicher Turbulenzen existentielle Sicherheit zu gewährleisten.24 3.) Der „Moderne Liberalismus“. Der New Deal stellt einen Einschnitt in der amerikanischen Geschichte dar. Mit ihm übernahm die US-Regierung erstmals systematisch sozialstaatliche und prozesspolitische Aufgaben. Dadurch wandelte sich das Staatsverständnis von großen Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit.25 Roosevelt stellte die Ausweitung der Staatstätigkeit in den Zusammenhang der Sicherung von Freiheit. Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges benannte er später vier Freiheiten als Vision seiner Politik: die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Freiheit von Mangel und die Freiheit von Furcht.26 So kam es im Zuge des New Deal auch zu einer Umprägung des Begriffes „liberal“. Dieser steht in den USA seither für Strömungen, die im politischen Spektrum eher „links“ stehen und sich für die Übernahme sozialstaatlicher Aufgaben starkmachen.27 Die Ablehnung staatlicher Interventionen in die Wirtschaft wird demgegenüber als „libertarian“, manchmal auch als „conservative“ bezeichnet.28 4.) Milton Friedman und der New Deal. Persönlich haben Milton und Rose Friedman vom New Deal profitiert. Beide konnten nach Abschluss ihres Studiums unter schwierigen Rahmenbedingungen Arbeit in Forschungsprogrammen erhalten, die im Zuge des New Deal aufgelegt wurden. Diese dienten einerseits der Arbeitsbeschaffung und andererseits sollten Daten erhoben werden, die für 23 Vgl. zu den Maßnahmen im Einzelnen Kennedy et al. 2010, 672–685; Conkin 1975, 54–58; Guggisberg 2002, 200–205. 24 Vgl. Handlin und Handlin 1994, 59–77; Kennedy 2001, 363–380, bes., 365, 379. 25 Vgl. Handlin und Handlin 1994, 76 f.; Kennedy 2001, 376 f.; Guggisberg 2002, 206–208; Jones 2012, 26. Diese Wandlung war Gegenstand heftiger Kontroversen und Interessensgegensätze (vgl. Conkin 1975, 59–66), kann aber nicht per se als „unamerikanisch“ klassifiziert werden (vgl. Hochgeschwender 2011, 120 f.). 26 Vgl. Roosevelt 1941: „In the future days, which we seek to make secure, we look forward to a world founded upon four essential human freedoms. The first is freedom of speech and expression […]. The second is freedom of every person to worship God in his own way […]. The third is freedom from want – which, translated into world terms, means economic understandings which will secure to every nation a healthy peacetime life for its inhabitants – everywhere in the world. The fourth is freedom from fear – which, translated into world terms, means a worldwide reduction of armaments to such a point and in such a thorough fashion that no nation will be in a position to commit an act of physical aggression against any neighbor – anywhere in the world.“ 27 Vgl. Handlin und Handlin 1994, 45. 28 Zur Entwicklung des „libertarianism“ als Reaktion auf die interventionistische, sozialstaatliche Politik des New Deal vgl. Hochgeschwender 2011, 133–135.
1. Historischer Kontext
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staatliche Intervention und Sozialpolitik von Belang waren.29 Trotz seiner persönlichen Erfahrungen beurteilte Friedman den New Deal zumindest im Nachhinein negativ.30 Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung und Linderung akuter Not („relief “) befürwortete er auch in späteren Jahren angesichts der massiven sozialen Verwerfungen. Eingriffe in das Preissystem und andere Regulierungen der Wirtschaft sowie den Aufbau eines dauerhaften sozialen Netzes hingegen lehnte Friedman ab.31 Für ihn markierte Roosevelts New Deal einen epochalen Einschnitt in der politischen und kulturellen Geschichte der USA. Mit ihm sah er einen Wandel der Gesinnung verbunden, wonach die Verantwortung und Freiheit des Einzelnen gegenüber staatlicher Bevormundung zurücktritt. Darin sieht er den Grund für den Verfall sozialer Strukturen.32 Das neue Verständnis von Freiheit und Liberalismus erschien ihm nicht als eine Fortentwicklung, sondern ein bewusster Bruch mit der freiheitlichen Tradition der USA. Aus diesem Grund gebrauchte Friedman den Begriff „liberal“ weiterhin im Sinne des 19. Jahrhunderts für eine Philosophie, die staatliche Eingriffe auf ein Minimum reduziert sehen möchte.33
1.3 Der Zweite Weltkrieg und der Ost-West-Konflikt 1.) Der Zweite Weltkrieg als ideologisch-gesellschaftspolitischer Konflikt. Der Zweite Weltkrieg hatte seine Wurzeln wesentlich in den revanchistischen Strömungen, die sich in Deutschland nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg verbreiteten. Zu ihrer politischen Durchsetzung trugen die Verwerfungen durch die Weltwirtschaftskrise bei. Ökonomische und machtpolitische Aspekte des Konflikts wurden jedoch „überlagert von gesellschaftspolitisch-ideologischen Kampffronten“.34 Die Expansionspolitik der faschistisch-nationalistischen Kräfte Japan (Japanisch-Chinesischer Krieg ab 1937) und Deutschland („Anschluss“ Österreichs und Münchner Abkommen 1938) waren erste Vorzeichen des Krieges. Deutschlands Überfall auf Polen markiert den Beginn des Zweiten Weltkrieges. 29 Vgl.
TLP, 42–69, bes. 42 f., 55; Ebenstein 2007, 33 f., 53–55. TLP, 58. 31 Vgl. FtC, 93 f.; TLP, 59. Eine Bemerkung Aaron Directors als Reaktion auf die Verlobung seiner Schwester Rose mit Milton Friedman lässt jedoch vermuten, dass Friedman den New Deal ursprünglich deutlicher befürwortete, als er es später zum Ausdruck bringt: „Tell him I shall not hold his very strong New Deal leanings […] against him“ (zitiert nach Ebenstein 2007, 39). 32 Vgl. FtC, 92; TSQ, 134. Zumindest monokausal kann dieser Zusammenhang jedoch nicht plausibel gemacht werden. Bereits durch die Great Depression erodierten traditionelle Bindungen und Rollenmuster (vgl. Kennedy 2001, 86). Auch die ihr vorangegangene Verstädterung und Modernisierung dürfte hierzu einen Beitrag geleistet haben. Ob der New Deal eher Ursache oder Folge dieser Entwicklung war, ist also zumindest strittig. 33 Vgl. CaF, 5 f.; Friedman 1964, 541. 34 Hillgruber 1998, 752. 30 Vgl.
16
Teil I: Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund
Daraufhin erklärten Frankreich und Großbritannien Deutschland den Krieg. Die USA unterstützten die westlichen Mächte aufgrund einflussreicher isolationistischer Strömungen zunächst nur zurückhaltend, weiteten ihre materielle Unterstützung aber sukzessive aus.35 Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor im Dezember 1941 trat die USA aktiv in den Krieg ein.36 Auch Deutschland und Italien erklärten den USA den Krieg. Damit erreichte die Konfliktlinie zwischen liberal-demokratischen Kräften (v. a. USA und Großbritannien) und faschistisch-nationalistischen Staaten (Deutschland, Japan, Italien) eine weltweite Ausdehnung.37 Eine dritte ideologische Gruppierung bildeten die sozialistisch-kommunistischen Kräfte unter Führung der Sowjetunion. Diese verfolgte zunächst die Politik, durch Nichteinmischung die eigene Position im Verhältnis zu den beiden anderen Blöcken zu verbessern (Nichtangriffspakt der Sowjetunion mit Deutschland 1939 und Japan 1941). Mit dem Angriff Deutschlands im Juni 1941 kam diese Politik an ihr Ende. Im Pazifikkrieg hielt die Sowjetunion jedoch an der Politik der Nichteinmischung und dem Nichtangriffspakt mit Japan bis August 1945 fest.38 Durch den gemeinsamen Gegner Deutschland befanden sich die Sowjetunion und die westlich-liberalen Staaten in einer Anti-Hitler-Koalition, die sich bereits zuvor durch materielle Unterstützung der USA für die Sowjetunion angedeutet hatte. In der Folge koordinierten die beiden Blöcke ihr Vorgehen im Kampf um Europa. Dennoch blieb die Kooperation gekennzeichnet durch gegenseitiges Misstrauen, ideologische Differenzen und machtpolitische Interessen.39 2.) Die polare Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit stand der gemeinsame Kampf der liberal-demokratischen Staaten und der sozialistischkommunistischen Sowjetunion gegen die faschistisch-nationalistischen Mächte bereits während des Zweiten Weltkriegs unter dem Vorzeichen einer Konkurrenz um die Vorherrschaft nach Ende des Krieges.40 Anders als Stalin nach Aussagen der USA während des Krieges vermuten konnte, verfolgten diese dabei keine isolationistische Politik, die ihm die politische und ideologische Vorherrschaft in Europa überlassen hätte.41 Dies manifestierte sich 1947 in der Formulierung der Truman-Doktrin, die in Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um 35 Vgl.
Kennedy 2001, 427–434, 441–454, 469–476. Hillgruber 1998, 770 f. 37 Allerdings gab es zwischen Deutschland und Japan keine aktive Kooperation. Zwischen den USA und Großbritannien blieb sie weitgehend auf den Kampf um Europa beschränkt (vgl. Kennedy 2001, 809). 38 Vgl. Hillgruber 1998, 767, 771. 39 Vgl. Kennedy 2001, 482–485, 479 f., 601, 610–613. 40 Vgl. Kennedy 2001, 580. Bezeichnend ist die Aussage Stalins (zitiert nach Kennedy 2001, 613): „Whoever occupies a territory also imposes his own social system. Everyone imposes his own social system as far as his army can reach.“ 41 Vgl. Kennedy 2001, 679 f., 854. 36 Vgl.
1. Historischer Kontext
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West-Berlin, den Iran, Griechenland und die Türkei stand. Nach ihr sicherte die USA allen Völkern, deren Freiheit bedroht ist, ihre Unterstützung zu.42 Unterstützt wurde diese Politik im selben Jahr durch den Marshallplan, der auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas zielte und zugleich für eine Westbindung der europäischen Staaten warb.43 Institutionalisiert und gefestigt wurde die polare Weltordnung durch die Gründung der Militärbündnisse NATO (1949) und Warschauer Pakt (1955).44 In den Folgejahren kam es zu einer Vielzahl regionaler Konflikte, bei denen es in erster Linie um die Vorherrschaft der beiden Machtblöcke ging (z. B. Koreakrieg 1950–1956, Kubakrise 1962/63, Vietnamkrieg 1964–1975). Eine direkte Konfrontation der USA mit der Sowjetunion konnte angesichts des zerstörerischen Potenzials der beiden Atommächte hingegen verhindert werden.45 Neben Stellvertreterkriegen fand die Auseinandersetzung zwischen beiden Kräften daher vornehmlich in Form eines Wettrüstens sowie auf ideologischer, wirtschaftlicher und symbolischer (Raumfahrt, Sport) Ebene statt. 3.) Die USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst durch die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft war es der USA gelungen, die wirtschaftliche Stärke der Zeit vor der Great Depression wieder zu erlangen. Die Arbeitslosigkeit konnte von 14,5 % im Jahr 1940 auf 1,5 % im Jahr 1945 gesenkt werden.46 Die militärischen und ökonomischen Verluste aller anderen Nationen in Europa und Asien verstärkten die weltweite wirtschaftliche Vorrangstellung der USA.47 Mit dem Marshallplan war auch die Absicht verbunden, Abnehmer für amerikanische Überproduktion zu sichern. Die Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs brachten einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung, der die Konsummöglichkeiten der amerikanischen Bevölkerung weiter wachsen ließ.48 Gesellschaftspolitisch hatte der Zweite Weltkrieg ein Bewusstsein für Pluralität und Toleranz geschärft. Erste Ansätze einer Bürgerrechtsbewegung hatte es bereits zur Zeit des Zweiten Weltkriegs gegeben.49 In den 50er Jahren konnte sie neu belebt werden und insbesondere unter starken gesellschaftlichen Konflikten die rechtliche Gleichstellung von Afroamerikanern durchsetzen.50 Gefährdet war dieses liberale Klima vor dem Hintergrund der Spannungen mit der Sowjetunion in der „McCarthyÄra“ zu Beginn der 1950er Jahre. Im Kampf gegen den Kommunismus sollten
42 Vgl.
Hüttenberger 1998, 1340 f., 1358; Stöver 2007, 69–72. Stöver 2007, 78–83; Gaddis 2007, 45–47. 44 Vgl. Hüttenberger 1998, 1344, 1359; Stöver 2007, 98–103. 45 Vgl. Hüttenberger 1998, 1339. 46 Vgl. U. S. Department of Commerce 1951, 173. 47 Vgl. Kennedy 2001, 856 f. 48 Vgl. Norton 1990, 880–888, 898–902. 49 Vgl. Kennedy 2001, 760–776, bes. 766. 50 Vgl. Norton 1990, 861–864, 936–940. 43 Vgl.
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Teil I: Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund
bürgerliche Freiheiten verteidigt werden. Unter Anwendung fragwürdiger Methoden wurden sie jedoch massiv verletzt.51 4.) Milton Friedman und die ideologischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts. Die Familien von Milton und Rose Friedman sind bereits vor dem ersten Weltkrieg in die USA emigriert. Ein familiärer Bezug zur Gründung der Sowjetunion besteht somit nicht.52 Friedman beschäftigte sich im Zweiten Weltkrieg das erste Mal unmittelbar mit politischen Aufgaben. Die gesamte Kriegszeit über (1941–1945) arbeitete er in Forschungsprojekten, die auf die Überwindung von Herausforderungen in Zusammenhang mit dem Krieg standen. Zunächst arbeitete er für das Finanzministerium an einem Verfahren, das es ermöglichte, die für die Finanzierung des Krieges erforderlichen Steuern einzuziehen. Später war er bei der Statistical Research Group an statistischen Verfahren beteiligt, die die Effizienz von Waffen verbessern sollten. Friedmans Beschreibung dieser Zeit lässt Darstellungen oder Bewertungen der weltpolitischen Ereignisse außen vor. Es wird jedoch deutlich, dass er es als motivierend erlebte, durch seine Forschungstätigkeit einen Beitrag zum Kampf gegen den Nationalsozialismus zu leisten. Vor diesem Hintergrund ist für ihn auch die indirekte Beteiligung an der Entwicklung der Atombombe kein Anlass, das Ziel einer effizienten Waffenproduktion in Zweifel zu ziehen.53 Eine aktive Rolle in den politischen Debatten seiner Zeit übernahm Friedman ab den späten 50er und verstärkt in den 60er Jahren. Er beteiligte sich bei verschiedenen libertären Bewegungen und unterstützte die republikanischen Präsidentschaftskandidaten Goldwater und Nixon. Einen Höhepunkt hatte Friedmans politisches Engagement in den frühen 80er Jahren mit der Unterstützung Ronald Reagans und seiner öffentlichkeitswirksamen Fernsehserie „Free to Choose“.54 Der zeitgeschichtliche Kontext und Friedmans Lebensthema „Freiheit“ legen es nahe, dass sein Weltbild stark von der bipolaren Weltordnung des Kalten Krieges geprägt wurde. Besonders in seinen frühen Schriften wird deutlich, dass er einen bewaffneten Konflikt mit der Sowjetunion jederzeit für möglich hält.55 Vgl. Handlin und Handlin 1994, 179–186; Norton 1990, 844. TLP, 6, 19. 53 Vgl. TLP, 110–123, 131–146, bes. 142, 145 f.; Ebenstein 2007, 41–46. Zu Friedmans Haltung in dieser Zeit vgl. auch folgende Aussage über James Buchanan, die Daniel Stedman Jones aus einem im Friedman-Archiv gefundenen Schreiben an die Federal Reserve Bank zitiert (vgl. Jones 2012, 120): „I do know that he is unquestionably loyal to the United States and the American way of life. He is a strong believer in the virtues of a free market, free enterprise, free price economoy, and a strong opponent of any extension of government interference with the activities of individuals. These sentiments are, of course, fundamentally opposed to those of socialism or communism.“ 54 Vgl. TLP, 333–372, 375–396, 471–515. 55 In einem Brief an George Stigler vom Januar 1951 schätzt Friedman die Wahrscheinlichkeit auf einen russischen Angriff im Frühjahr auf 50 % (vgl. Friedman 2006b, 118). In „Capitalism and Freedom“ (1962) kommt zum Ausdruck, dass er die Gefahr eines 3. Weltkrieges selbstverständlich voraussetzt (vgl. CaF, 57). 51
52 Vgl.
1. Historischer Kontext
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Internationale Konflikte wie in Chile oder Südafrika interpretierte Friedman in der Logik des Kalten Krieges.56 Sein Plädoyer gegen sozialstaatliche Leistungen untermauerte Friedman in „The Tyranny of the Status Quo“ (1983) mit dem Hinweis auf die Bedrohung durch die UdSSR und die daher erforderlichen Ausgaben für das Militär.57 Als Friedman in den 50er und 60er Jahren sein Verständnis von Freiheit entwickelte, tat er dies jedoch nicht im Bewusstsein, einen amerikanischen Konsens im Gegenüber zum sozialistischen Kollektivismus zu formulieren. Vielmehr nahm er die eigene Position als die einer marginalen Minderheit wahr, die sich im Gegenüber zu innenpolitischen Opponenten befand, die stärkere sozialstaatliche Leistungen und wirtschaftliche Regulierungen forderten.58 Die polare Weltordnung spiegelt sich in Friedmans Denken dahingehend wider, dass die einzige Alternative zu einem kollektivistischen Totalitarismus eine freiheitliche Gesellschaft darstellt. Diese Freiheit sah er jedoch weniger durch die Sowjetunion bedroht als durch eine von Roosevelts New Deal geprägte politische Öffentlichkeit in den USA.59 Das galt um so mehr für Großbritannien, dem Friedman 1975 mit 50 %iger Wahrscheinlichkeit das Ende als freiheitliche Gesellschaft prophezeite.60 Diese Frontstellung dürfte auch der Grund dafür sein, dass eine Nähe Friedmans zur Bürgerrechtsbewegung nicht festgestellt werden kann. Zwar wendet er sich klar gegen Rassismus. Stellungnahmen zur Bürgerrechtsdebatte finden sich jedoch nur da, wo Friedman sich gegen Forderungen der „new liberals“ wendet, die durch staatliche Maßnahmen eine verbesserte Integration von Afroamerikanern erreichen und Diskriminierung verhindern wollen.61
56 Vgl.
TLP, 397 f.; Friedman 1977d. TSQ, 69–75. 58 Vgl. CaF, xi; TLP, 335 f., 340–343; Ebenstein 2007, 137. 59 Vgl. CaF, 57; Friedman 1976d, 3–6. Friedman steht damit in Zusammenhang mit der Entwicklung libertärer Strömungen in den USA (vgl. Hochgeschwender 2011, 133 f.). 60 Vgl. Friedman 1976d, 4. 61 Vgl. CaF, 108–118. 57 Vgl.
2. Ideengeschichtliche Hintergründe Friedman entwickelte seine politische Philosophie einerseits vor dem Hintergrund der beschriebenen politischen und ökonomischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Andererseits wurde er darin von einer Vielzahl liberaler Denker beeinflusst. Sie alle verbindet, dass sie für die Freiheit des Individuums eintreten. Durch den jeweiligen historischen Kontext und die jeweils vorherrschende Problemstellung bekommt der Liberalismus ein je eigenes Gepräge. Darüber hinaus zeigen sich bei genauer Betrachtung teilweise erhebliche Unterschiede dahingehend, was unter „Freiheit“ verstanden und wie ihr Wert begründet wird. Die knappe Einführung in Friedmans „liberale Ahnen“ soll einerseits deren Bedeutung für die Entwicklung von Friedmans Theorie würdigen. Andererseits wirft sie Fragen für die Friedman-Interpretation auf, in der erörtert werden soll, wie Friedman innerhalb der liberalen Debatten einzuordnen ist. Die Auswahl der dafür herangezogenen Autoren orientiert sich an Friedmans Selbstaussagen darüber, wer ihn in seiner gedanklichen Entwicklung wesentlich geprägt hat. Ihre Darstellung erfolgt in chronologischer Reihenfolge ihres Wirkens.
2.1 Adam Smith: Die Leistung freier Märkte Adam Smith (1723–1790) gilt als Vater der modernen Ökonomik. Diesen Status verdient er dadurch, dass er erstmals Grundgedanken eines Systems freier Märkte systematisch dargestellt hat, auf die Friedman explizit mehrfach rekurriert. 1.) Arbeitsteilung und Tausch. In seinem ökonomischen Hauptwerk „The Wealth of Nations“ (1776) nimmt Smith seinen Ausgangspunkt von den Ertragssteigerungen, die durch Arbeitsteilung und Spezialisierung erzielt werden. Diese erhöhen den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand. Spezialisierung erfordert zugleich verstärkten Tausch zwischen Menschen, da diese zwar nur wenige Produkte selbst herstellen, aber eine Vielfalt an Produkten für ihren Konsum benötigen. Technisch ist solcher Tausch durch die Entwicklung eines Geldsystems möglich.1 Hinzu kommt eine der menschlichen Natur innewohnende „Neigung zum Tausch“2. Diese lässt sich nach Smith am einfachsten dadurch umsetzen, 1 Vgl.
Smith, Wealth of Nations, I.iv (Smith 1976a, 37–46). Smith, Wealth of Nations, I.ii (Smith 1976a, 25): „the propensity to truck, barter, and exchange one thing for another.“ 2 Vgl.
2. Ideengeschichtliche Hintergründe
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dass das Gegenüber auf den Nutzen hingewiesen wird, den es selbst aus einem vorgeschlagenen Tausch ziehen kann: It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our own necessities but of their advantages.3
In Anbetracht der positiven wie negativen Rezeption dieses Zitates ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Smith auch im unmittelbaren Kontext der Stelle nicht davon ausgeht, die Selbstliebe sei die einzige Motivation für menschliches Handeln.4 Sie ist jedoch die verlässlichste hinsichtlich der in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft permanent erforderlichen strategischen Interaktion mit anderen Menschen. Außerdem bewertet Smith die Selbstliebe nicht negativ, sondern sieht in ihr ein legitimes Motiv menschlichen Handelns.5 2.) Die unsichtbare Hand des Marktes. Der zweite Gedanke aus dem Werk Adam Smiths, der Eingang in die moderne Ökonomik gefunden hat, ist die mit der Metapher der „unsichtbaren Hand“ zum Ausdruck gebrachte Ansicht, dass an egoistischem Interesse ausgerichtete Tauschverhältnisse unintendiert gesamtgesellschaftlich positive Konsequenzen zeitigen. Smith formuliert die These in Bezug auf den Einsatz von Kapital. [H]e [every individual, B. G.] intends only his own gain, and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention. […] By pursuing his own interest he frequently promotes that of the society more effectually then when he really intends to promote it.6
Hintergrund dieser Ansicht ist die in einem deistischen Gottesbild gegründete Vorstellung einer kosmologischen Ordnung, in der auch nicht-tugendhaftes Verhalten positive Konsequenzen hat.7 Smith führt aber auch ökonomische Gründe für das Wirken der „unsichtbaren Hand“ an. Erstens schafft der Einsatz von Kapital Arbeitsplätze und erhöht so die gesamtwirtschaftliche Produktion. Der Einsatz von Kapital erhöht also das Volkseinkommen, indem er die Gesamtsumme der geleisteten Arbeit erhöht.8 Zweitens orientiert sich ein Kapitaleigner, der seinen Gewinn maximieren will, am Tauschwert eines Produktes. Gewinn 3 Smith,
Wealth of Nations, I.ii.2 (Smith 1976a, 26 f.). Raphael 2007, 115 f. 5 Vgl. Gerlach 2008, 1403. 6 Smith, Wealth of Nations, IV.ii.p (Smith 1976a, 456). Die Vorstellung der unsichtbaren Hand begegnet bereits in Smith, Theory of Moral Sentiments, IV.1.10 (Smith 1976b, 184 f.). Hier ist sie auch in Verbindung gebracht mit einer gleichmäßigen Verteilung der erwirtschafteten Güter. 7 Besonders deutlich ist dies in „The Theory of Moral Sentiments“ durch den direkten Bezug auf die Vorsehung (vgl. IV.1.10 [Smith 1976b, 185]). Vgl. Luterbacher-Maineri 2008b, 328–352; Wallacher 2009, 437 ff.; Eckstein 2010, XXXVIIf. 8 Vgl. Smith, Wealth of Nations, I.v, I.viii (Smith 1976a, 50 f., 82 f.). 4 Vgl.
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Teil I: Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund
wird erzielt durch die Produktion von Gütern, für die Knappheit herrscht und daher ein Preis erzielt werden kann, der über ihrem natürlichen Preis (Kosten für Arbeit, Rente und Kapital) liegt. Neben der Steigerung der Gesamtproduktion kommt es also auch dazu, dass effizient genau jene Produkte hergestellt werden, für die tatsächlich Bedarf besteht.9 Staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft steht Smith daher insgesamt skeptisch gegenüber, er lehnt sie jedoch keineswegs vollkommen ab. Dies gilt insbesondere dann nicht, wenn sie zugunsten der ökonomisch Schwachen, z. B. der Arbeiter, erfolgen.10 3.) „Sympathy“ und der unparteiische Beobachter. Die beschriebene positive Dynamik freier Tauschgeschäfte hängt bei Smith jedoch von Annahmen über die Natur des Menschen ab, die er in seiner Moraltheorie – insbesondere in seinem ersten Hauptwerk „The Theory of Moral Sentiments“ (1752) – ausführt.11 Demnach folgt aus dem Einfühlungsvermögen („sympathy“) und der menschlichen Gewohnheit, über andere zu richten, ein allgemein verbreiteter Wunsch, anderen Menschen Freude zu bereiten.12 Der Wunsch nach Moralität ist daher eine zur menschlichen Natur gehörige Neigung, welche soziales Zusammenleben erst ermöglicht: „Nature, when she formed man for society, endowed him with an original desire to please, and an original aversion to offend his brethren. […] Nature, accordingly, has endowed him […] with a desire […] of being what he himself approves in other men.“13 Die Beurteilung unserer Handlungen erfolgt durch den Bezug auf die Frage, wie diese von anderen betrachtet werden.14 Für eine allgemeine Begründung einer auf diesen Grundsätzen aufbauenden Moral gilt es nun, nicht das Wohlgefallen eines konkreten Gegenübers zu erregen, sondern allgemein zustimmungsfähig zu handeln. Zu diesem Zweck dient das heuristische Konstrukt eines unparteiischen Beobachters, der über unser Handeln urteilt.15 Smith geht also davon aus, dass das freie Handeln des Menschen in erheblichem Maße durch die in seinem Gewissen verankerte Vorstellung eines unpar 9 Vgl.
Smith, Wealth of Nations, I.vii (Smith 1976a, 72–78). Vgl. Gerlach 2008; Luterbacher-Maineri 2008a, 298–301; Petersen 1998, 306 f., 317; Satz 2010, 40–44. 11 Vgl. Raphael 2007, 119; Fricke und Schütt 2005, 1 f.; James und Rassekh 2000, 663 ff.; Luterbacher-Maineri 2008a, 327; Petersen 1998, 314. Bereits 1926 vertritt diese Position Walter Eckstein (vgl. Eckstein 2010, XLII). Gegen die z. B. bei Jähnichen (vgl. Jähnichen 2008, 20 f.) vertretene Position ist nicht mit einer Entwicklung zu rechnen, durch die die Thesen aus „The Theory of Moral Sentiments“ für „The Wealth of Nations“ an Relevanz verloren hätten. 12 Vgl. Smith, Theory of Moral Sentiments, I.i.1.3 (Smith 1976b, 9–11, 16–19), III.1.5 (Smith 1976b, 112); Wallacher 2009, 439 f. 13 Smith, Theory of Moral Sentiments, III.2.6 f. (Smith 1976b, 116 f.). Als Ausstattung durch die Natur hat also auch der Wunsch des Menschen, vor einem unparteiischen Schiedsrichter zu bestehen, einen göttlichen Ursprung (vgl. Luterbacher-Maineri 2008b, 348). 14 Vgl. Smith, Theory of Moral Sentiments, III.1.2 (Smith 1976b, 109 f.). 15 Vgl. Smith, Theory of Moral Sentiments, III.1.2 (Smith 1976b, 110). Vgl. dazu Raphael 2007, 34 ff.; Luterbacher-Maineri 2008a, 126 ff.; Sturn 1997, 191 f.; Wallacher 2009, 441. 10
2. Ideengeschichtliche Hintergründe
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teiischen Beobachters und durch den Willen, diesem zu gefallen, geprägt ist.16 Menschliche Selbstliebe ebenso wie ihre durch die unsichtbare Hand vermittelten positiven gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen entfalten sich nach Smith nur innerhalb eines moralischen Rahmens, der Tugendhaftigkeit voraussetzt.17 4.) Friedmans Smith-Rezeption. Smith ist bei weitem derjenige Autor, auf den sich Friedman am häufigsten explizit bezieht. „The Wealth of Nations“ nennt er als eines seiner fünf bevorzugten libertären Bücher.18 Neben den bekannten Zitaten über den Eigennutz des Metzgers und die unsichtbare Hand19 finden sich gelegentlich weitere direkte Smith-Zitate in Friedmans Werken, die als Beleg oder zur Unterstützung seiner eigenen Position dienen.20 Friedman orientiert sich an Smith in der Verwendung des Begriffs der unsichtbaren Hand und durch Rekurs auf das Grundprinzip gesteigerten Allgemeinwohls durch Handeln aus Selbstliebe. Dennoch lässt sich eine intensive Auseinandersetzung mit Smith kaum feststellen.21 Bei der Begründung der Wirkweise der unsichtbaren Hand beruft sich Friedman zwar auf Smith, lässt einen solchen Bezug aber, wenn überhaupt, so nur ganz allgemein erkennen.22 Auch die Rekurse auf die Selbstliebe bleiben im Ungefähren und scheinen nicht in besonderer Weise auf Gedanken Smiths bezogen zu sein. Wenig überraschend ist, dass Friedmans Smith-Rezeption weitgehend auf „The Wealth of Nations“ beschränkt ist. Demgegenüber findet „The Theory of Moral Sentiments“ fast keine Beachtung bzw. der Umgang mit Smiths Moralphilosophie ist von fundamentalen Missverständnissen geprägt.23 Das Desinteresse Friedmans an Smiths moralphilosophischer Grundlegung entspricht der Position seines Lehrers Jacob Viner, der die Theorie von „The Wealth of Nations“ in Widerspruch zu „The Theory of Moral Sentiments“ sieht.24 Ins16 Vgl.
Smith, Theory of Moral Sentiments, III.3.1 (Smith 1976b, 134). z. B. Sturn 1997, 181 f.; Luterbacher-Maineri 2008a, 318 ff., 327; James und Rassekh 2000, 664 ff.; Wallacher 2009, 435 f., 444 ff.; Petersen 1998, 318. 18 Vgl. Friedman 2012b, 108. 19 Ersteres zitiert Friedman in FtC, 189; Friedman 1983c, 165; die unsichtbare Hand in CaF, 133; FtC, 6; Friedman 1987g, 22, 500; vgl. FtC, 189, 292; Friedman 1987g, 21. Milton und Rose Friedman hatten „The Invisible Hand“ ursprünglich als Titel für die Fernsehserie „Free to Choose“ vorgeschlagen (vgl. TLP, 496). 20 Vgl. CaF, 131, 133; FtC, 28 f., 145, 171, 229; Friedman 1986b, 149; Friedman 1976a, 286 f. Bezeichnend ist die Sammlung von Zitaten in Friedman 2012a. Friedman wendet Smiths Aussagen dabei jeweils unmittelbar auf gegenwärtige Problemstellungen an. 21 Friedman erwähnt eine solche auch nicht in seiner Autobiographie. 22 Vgl. FtC, 13. Zu Friedmans eigener (schlichteren) Erklärung vgl. unten II.7.3.2 Vorzüge des Marktsystems aufgrund positiver Konsequenzen. 23 In einem unveröffentlichten Vortrag vor der Mont Pelerin Society geht Friedman auch auf „The Theory of Moral Sentiments“ ein. Allerdings unterliegt er hier gleich drei fundamentalen Missverständnissen und bestätigt so indirekt die hier vertretene These (vgl. Friedman 1976 (MFA 55.21), 50–52): 1.) Friedman unterscheidet eine moralische Ebene, auf der Smith mit „sympathy“ rechne, von derjenigen, auf der er menschliche Interaktion einer wissenschaftlichsystematischen Analyse unterziehe. 2.) Friedman meint, „sympathy“ sei Smiths Ansicht nach selten. 3.) Friedman setzt „sympathy“ gleich mit uneigennütziger Wohltätigkeit. 24 Vgl. Viner 1991a, 92 f., 95 f., 100 f. 17 Vgl.
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gesamt entsteht der Eindruck, dass Friedman Smith quasi zum liberalen „Kirchenvater“ macht.25 Er rekurriert auf ihn als Autorität und geistigen Vater der Grundprinzipien liberaler Wirtschaftstheorie.
2.2 Thomas Jefferson: Freiheit als Naturrecht Thomas Jefferson (1743–1826) hat die Zeit der Gründung und Ausweitung der Vereinigten Staaten von Amerika politisch wesentlich mitgestaltet.26 Sein philosophisches Konzept ist kaum systematisch ausgearbeitet und wesentlich geprägt durch die politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit, insbesondere mit der Kolonialmacht Großbritannien. Ideengeschichtlich wirksam wurde Jefferson vor allem als Hauptautor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, mit der er wesentlich zur Bildung der kulturellen, politischen und ethischen Identität der USA beigetragen hat.27 Die einleitenden Sätze dieses Gründungsdokuments können geradezu als zivilreligiöses Credo verstanden werden: We hold these truths to be self evident: that all men are created equal; that they are endowed by their creator with inalienable rights; that among these are life, liberty & the pursuit of happiness: that to secure these rights, governments are instituted among men, deriving their just powers from the the consent of the governed.28
In ihnen zeichnet sich ab, dass Jeffersons Umgang mit dem Thema Freiheit insbesondere in zwei Punkten von dem Smiths unterschieden ist: Jefferson argumentiert nicht mit den Folgen freien Handelns, sondern mit einem natürlichen Recht auf Freiheit. Und er beschränkt seine Betrachtungen nicht auf den Bereich der Wirtschaft, sondern er entwickelt einen politischen Begriff von Freiheit.
25 So nennt er Adam Smith „our Master“ (Friedman 1986b, 149). Einen entsprechenden Eindruck erweckt auch die Inszenierung der ersten Folge zur Fernsehserie „Free to Choose“ an Smiths Universtät in Glasgow (vgl. FtC-TV, 4) und die Tatsache, dass Friedman bei allen Folgen der Fernsehserie und anderen öffentlichen Auftritten eine Krawatte mit dem Konterfei Adam Smiths trägt (vgl. Friedman 1980 (MFA 225.1)). 26 Von 1785–1789 war er amerikanischer Gesandter in Paris, dann bis 1793 Außenminister der Vereinigten Staaten. Nach einem kurzen Rückzug aus der Politik nach Monticello auf sein landwirtschaftliches Gut bekleidete Jefferson von 1797–1801 das Amt des Vizepräsidenten, von 1801–1809 das des Präsidenten. 27 Vgl. Wills 1980, xiiiff. Der Entwurf Jeffersons wurde nur so geringfügig verändert, dass er mit Recht als „Autor“ der Unabhängigkeitserklärung gelten kann. Strittig ist allerdings, inwiefern dieser Entwurf eigenständige Formulierungen oder Gedanken enthält (zu einer negativen Einschätzung vgl. McDougall 2005). Entscheidend für die Darstellung im Zusammenhang dieser Arbeit ist aber weniger die Frage, wie originell Jeffersons Beitrag war, sondern dass seine Formulierungen einen bedeutenden Referenzpunkt für Friedman darstellen. 28 The Declarations of Jefferson and the Congress, in: Wills 1980, 374. Gegenüber dem Entwurf von Jefferson ersetzt an dieser Stelle lediglich „certain inalienable rights“ das ursprüngliche „inherent and inalienable rights“.
2. Ideengeschichtliche Hintergründe
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1.) Naturrechtliche Begründung der Freiheit. Jefferson geht in der Unabhängigkeitserklärung von einem bei differenzierter Wahrnehmung allgemein einsehbaren Naturrecht aus, das allen Menschen zusteht.29 Als Stifter dieses natürlichen Rechtes benennt er sowohl Gott als auch die Natur selbst.30 Naturrecht ist es für ihn insofern, als es sich aus der Natur des Menschen ableitet.31 Für den Juristen und Politiker Jefferson ist die Bezeichnung als natürliche Rechte auch deshalb wichtig, weil mit ihr eine kritische Spitze gegen positives Recht, insbesondere gegen die britische Herrschaft, verbunden ist.32 Durch die Begründung der Rechte in der menschlichen Natur bekommt Jeffersons Argumentation einerseits einen universalistischen und egalitaristischen Charakter. Andererseits ist dieser nur partiell durchgeführt, was sich etwa an seiner ambivalenten Haltung zur Sklavenfrage oder an seiner Ablehnung von Frauen in politischen Ämtern äußert. Unterschiedliche Rechte werden hier damit begründet, dass Menschen „von Natur aus“ verschieden seien.33 Inhaltlich bestimmt er das Naturrecht als ein Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück. Dass Menschen immer auf das Erreichen bestimmter Ziele ausgerichtet sind, gehört für Jefferson zur Natur des Menschen. Genau genommen geht es ihm bei dieser Formulierung also nicht um das (überflüssige) Recht darauf, etwas anzustreben, sondern um das Recht, dabei nicht illegitimerweise behindert zu werden.34 2.) Freiheit als politische Freiheit. Aus dem historischen Kontext ergibt sich, dass Jefferson Freiheit primär politisch im Sinne der Selbstbestimmung einer politischen Gemeinschaft versteht – also als Grundlage einer Unabhängigkeit der USA von Großbritannien. Freiheit ist für Jefferson immer auf die politische Gemeinschaft bezogen, hat aber auch ein individuelles Element.35 Vom Recht des Individuums auf Freiheit leitet er Legitimität und Grenzen von Regierungen ab. Weil und sofern Regierungen der Sicherheit und dem Glück der Regierten dienen, verdienen sie Achtung und Unterstützung. In dem Maße, in dem sie dies nicht tun, verlieren sie die Grundlage ihrer Rechtfertigung. Das Kriterium guter Regierungsführung ist also, ob ein Regent das Wohl seines Volkes beför29 Vgl. neben der Unabhängigkeitserklärung Jefferson 1984b, 120: „The great principles of right and wrong are legible to every reader“. Vgl. zur naturrechtlichen Begründung bei Jefferson Wills 1980, 190; Sheridan 1995, 155. 30 Vgl. neben der Unabhängigkeitserklärung Jefferson 1984b, 105 („nature“) und 122 („God“). 31 Vgl. dazu die Begründung eines natürlichen Rechtes auf Religionsfreiheit aus der Unverfügbarkeit religiöser Überzeugungen in Jefferson 1984a, 346 f. 32 Vgl. Jefferson 1984b, 120 f. 33 Vgl. Appleby 1995, 58 f.; Leffler 1995, 71 ff. Das Institut der Sklaverei lehnt Jefferson grundsätzlich ab (vgl. Jefferson 1984b, 116), gleichzeitig besaß er selbst bei seinem Tod 200 Sklaven und setzte sich nur sehr zögerlich für die Abschaffung der Sklaverei ein (vgl. Wasser 1995). Zur Frauenfrage vgl. Appleby 1995, 60. 34 Vgl. Wills 1980, 245 ff. 35 Vgl. Jefferson 1984b, 105; Jefferson 1984a, 347 f.
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dert.36 Im Zusammenhang der Unabhängigkeitserklärung zielt Jefferson darauf ab, dass der König und das Parlament von Großbritannien auf vielfältige Weise die Rechte der amerikanischen Bürger verletzen und daraus geradezu eine Pflicht zu aktivem Widerstand gegen diese Regierung erwächst.37 Sein Ideal ist ein von allen Bürgern getragenes republikanisches Staatswesen, in dem die Freiheit der Bürger durch Beschränkung der Macht des Staates gesichert ist.38 3.) Ökonomische Dimension von Freiheit. Grundsätzlich befürwortet Jefferson auch die Freiheit des Handels und den Schutz des Eigentums. Nicht zuletzt an Eingriffen in die amerikanische Wirtschaft entzündete sich der Konflikt mit den britischen Kolonialherren.39 Auch ökonomische Freiheiten bezeichnet er als natürliche Rechte.40 Allerdings ist einschränkend zu sagen, dass ökonomische Freiheit bei ihm einen untergeordneten Stellenwert hat. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man die von Jefferson verfasste Unabhängigkeitserklärung mit dem „Second Treatise“ John Lockes vergleicht. Gerade in Anbetracht der großen Nähe Jeffersons zu Locke fällt auf, dass dieser von drei grundlegenden Naturrechten ausgeht: „life, liberty and property“.41 Jefferson hebt sich also dadurch ab, dass er dem Recht auf Eigentum nicht denselben grundlegenden Status zubilligt und es auch sonst in der Unabhängigkeitserklärung nicht erwähnt. Die egalitaristischen Züge in Jeffersons Philosophie wirken sich auch auf seine Positionierung in ökonomischen Fragen aus.42 Sofern sich bereits ein Gemeinwesen gebildet hat, ist dieses auch für die Verteilung allgemein zugänglicher Güter zuständig, die also quasi in kollektivem Besitz sind. Nur wo dies nicht der Fall ist, greift Jefferson implizit auf Lockes Vorstellung zurück, dass Eigentum an Land dadurch begründet wird, dass ein Individuum dies zu nutzen beginnt.43 4.) Der Mensch als Sozialwesen und republikanische Tugend. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass Jefferson auch Lockes Individualismus nicht teilt. Für Jefferson ist der Mensch ein Sozialwesen. Das Streben nach Glück (happiness) ist für ihn daher – anders als bei Locke – nicht identisch mit dem Streben nach Wohlbefinden (pleasure), sondern umfasst die Sorge um das Wohl anderer. Zur 36 Vgl. Jefferson 1984b, 121: „They know, and will therefore say, that kings are the servants, not the proprietors of the people.“ Bei seiner eigenen Antrittsrede als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bezeichnet er es als Ziel seiner Amtsführung „to be instrumental to the happiness and freedom of all“ (Jefferson 1984c, 496). 37 Vgl. The Declerations of Jefferson and the Congress, in: Wills 1980, 375 ff. sowie Wills 1980, 251. 38 Vgl. Wasser 2004, 83 f.; Sheridan 1995, 157. 39 Vgl. Wasser 2004, 35 f. 40 Vgl. Jefferson 1984b, 108; Jefferson 1984c, 494. Ergänzend sei erwähnt, dass Jefferson in seiner Argumentation für freien Handel auch die ihm bekannte Theorie Adam Smiths bereits voraussetzt (vgl. Wasser 2004, 30 f.). 41 Vgl. Heun 1995, 89 f. 42 Vgl. Wills 1980, 217, 229 ff.; Burstein 19936, 200; Heun 1995, 90, 98. Zu entsprechenden politischen Maßnahmen Jeffersons vgl. Wills 1980, 233 f. 43 Vgl. Jefferson 1984b, 119 f. Zu Lockes Verständnis von Eigentum vgl. unten 317.
2. Ideengeschichtliche Hintergründe
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Natur des Menschen gehört ein „moral sense“. Jefferson folgt daher auch nicht Lockes auf Eigeninteresse gegründeter vertragstheoretischer Begründung des Staates. Sowohl seine Anthropologie als auch seine politische Theorie gehen davon aus, dass das menschliche Dasein in der Sozialität seine Erfüllung findet. Jeffersons Philosophie hat daher eine moralische Dimension, die über die Legitimierung individuellen Glücksstrebens hinausgeht.44 Eine allein auf Eigeninteresse gegründete Gesellschaft hält Jefferson nicht für überlebensfähig. Eine republikanische Gemeinschaft ist seiner Ansicht nach davon abhängig, dass die Bürger gemeinschaftsfördernde Tugenden entwickeln, zu denen auch die Einschränkung individuellen Vorteilstrebens gehört.45 5.) Friedmans Rezeption von Jefferson. Friedman beruft sich in seiner Staatstheorie allgemein auf die Gründungsväter und Jefferson insbesondere.46 Letzteren stellt Friedman in der Einleitung zu „Free to Choose“ als den Vertreter politischer Freiheit dar, der – neben Adam Smiths Beitrag zur ökonomischen Freiheit – die Grundlage für Friedmans libertäres Freiheitskonzept gelegt habe.47 Später beruft sich Friedman auf Jefferson als Repräsentanten eines Verständnisses von Gleichheit als personale Gleichheit, das exakt seinen eigenen normativen Grundlagen entspreche.48 Auch für die Abkoppelung seines Freiheitskonzeptes von Gerechtigkeitsforderungen beruft sich Friedman auf Jefferson und seine Unabhängigkeitserklärung.49 Insgesamt fällt auf, dass Friedman sich eher in späten und populärwissenschaftlichen Texten auf Jefferson beruft.50 Dies erweckt den Eindruck, dass der Bezug eher illustrativen oder legitimatorischen Charakter hat als dass es sich um einen tatsächlichen philosophischen Einfluss handelt.51 44 Vgl. Wills 1980, 190, 212, 215 f., 235 ff.; Burstein 1993, 3, 22, 209 ff.; Heun 1995, 90. Zu erkenntnistheoretischen Differenzen zwischen Locke und Jefferson vgl. Wills 1980, 182. 45 Vgl. Sheridan 1995, 157, 159, 164 f. 46 Vgl. TSQ, 16 f.; Friedman 1973b, 57. Vgl. auch die Inszenierung des Beginns der fünften Folge („Created Equal“) von FtC-TV, 76 f. 47 Vgl. FtC, 2, 4–7, 284; Friedman 1978b, 99. 48 Vgl. FtC, 129–131. 49 Vgl. Friedman 1977a, 91, 93. 50 In „Capitalism and Freedom“ begegnen lediglich eher allgemeine Hinweise auf die Grundsätze der US-amerikanischen Verfassung (vgl. CaF, 2 f., 24). 51 Gerade entgegengesetzt verhält es sich hingegen mit John Locke. Auf ihn nimmt Friedman an keiner einzigen Stelle explizit Bezug. Der Abgleich mit Locke ist aber insofern relevant, als die Interpretation von Friedmans Freiheitskonzept zeigen wird, dass dieses weit näher an Locke als an Jefferson ist. Friedman beruft sich zwar auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, interpretiert diese jedoch eher in der Tradition Lockes als in der ihres Urhebers Jefferson. Zum Ausdruck bringt er dies dadurch, dass er Jefferson um die Dimension ökonomischer Freiheiten und das Recht auf Eigentum ergänzt (vgl. FtC, 2, 4–7; Friedman 1978b, 99 f.). Friedman scheint kein Interesse an der Frage zu haben, inwiefern dies der Intention Jeffersons entspricht oder zuwiderläuft. Auffallend ist, dass er die Spannung nicht thematisiert, obwohl er in der ursprünglichen Einleitung zu „Free to Choose“ selbst auf das Werk Woods verweist, der diese durchgehend hervorhebt (vgl. Friedman 1979 (MFA 61.8)). Auch Burstein, der sich der Interpretation Woods anschließt, erwähnt in seiner Danksagung, dass Friedman seine Arbeit zumindest teilweise begleitet habe (vgl. Burstein 1993, xiii).
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2.3 John Stuart Mill: Der Nutzen der Freiheit John Stuart Mill (1806–1873) hat eine herausgehobene Stellung innerhalb des angelsächsischen Liberalismus, da er mit seinen Schriften „Principles of Political Economy“ (1848) und „On Liberty“ (1859) Grundprinzipien einer liberalen Gesellschaftsordnung darlegt und dabei politische und ökonomische Aspekte miteinander verbindet. Sowohl seine utilitaristische Argumentation als auch sein Beitrag zur Legitimität staatlicher Regulierung wurden sowohl innerhalb als auch außerhalb des Liberalismus aufgegriffen. 1.) Utilitaristische Begründung des Liberalismus. In der Begründung greift Mill auf den von seinem Vater James Mill mitbegründeten und von ihm selbst bedeutend weiterentwickelten Utilitarismus zurück. In dieser Hinsicht steht er also eher in der Tradition Smiths als in der Jeffersons. Das Recht auf Selbstbestimmung ist für Mill nicht normativer Ausgangspunkt seiner Argumentation, sondern leitet sich aus seinem Beitrag zum allgemeinen Nutzen ab. It is proper to state that I forego any advantage which could be derived to my argument from the idea of abstract right, as a thing independent of utility. I regard utility as the ultimate appeal on all ethical questions; but it must be utility in the largest sense, grounded on the permanent interest of man as a progressive being.52
Damit spricht Mill zugleich aus, was für ihn Nutzen ist. In utilitaristischer Tradition ist für Mill die Maximierung von Glück („happiness“) das zentrale ethische Kriterium. Allerdings grenzt er sich von Bentham ab, indem er betont, Glück sei nicht identisch mit dem Empfinden von Lust („pleasure“).53 Glück liegt für Mill in der aktiven Entfaltung der menschlichen Kapazitäten. Es geht ihm bei der angestrebten Mehrung des Glücks letztlich um die Entwicklung des Menschen, also um Fortschritt der menschlichen Kultur.54 Ob etwas Nutzen stiftet, entscheidet sich für Mill daher nicht daran, ob es das Lustempfinden steigert, sondern daran, ob es zur Durchsetzung von Wahrheit beiträgt. Dies zeigt Mills Argumentation für die Meinungsfreiheit. Diese befürwortet er, weil sie die besten Bedingungen dafür biete, dass sich die Wahrheit im Diskurs durchsetzt, weil sie also den größten Nutzen stiftet.55 Anders als etwa Adam Smith oder der Benthamsche Liberalismus macht er also nicht die Bestrebungen oder Glücksgefühle des Menschen zum Kriterium für Nutzen. Neigungen sind für ihn Quelle der Motivation, 52 Mill,
On Liberty I. (Mill 1977, 224). Mill 1969, 5, 12 f. 54 Vgl. Mill, On Liberty III. (Mill 1977, 261). Daher ist auch der dauerhafte Wert von „happiness“ gebunden an die Formation eines entsprechenden Charakters (vgl. Mill 1969, 175): „I regard any considerable increase of human happiness, through mere changes in outward circumstances, unaccompanied by changes in the state of the desires, as hopeless“. Vgl. Birnbacher 2006, 74; Rinderle 2006, 84 f. 55 Vgl. Mill, On Liberty II. (Mill 1977, 229 f.). 53 Vgl.
2. Ideengeschichtliche Hintergründe
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aber nicht als solche ethisch qualifiziert.56 So legt er großen Wert darauf, dass Menschen eine Haltung entwickeln, die bloßen Egoismus überwindet.57 2.) Private und öffentliche Handlungen. Unter Freiheit versteht Mill die Möglichkeit des Einzelnen, seine Handlungen ohne Einschränkungen durch andere durchzuführen.58 Um die Frage nach den Grenzen der Freiheit zu klären, unterscheidet Mill zwischen einem Bereich privater Handlungen, von denen nur das Individuum selbst betroffen ist, und öffentlichen Handlungen, von denen andere Menschen betroffen sind. Ausschließlich bei letzteren ist es das legitime Recht der Gesellschaft, den Einzelnen in seiner Handlungsfreiheit einzugrenzen. In all things which regard the external relations of the individual, he is de jure amenable to those whose interests are concerned, and if need be, to society as their protector. […] But there is a sphere of action in which society, as distinguished from the individual, has, if any, only an indirect interest; comprehending all that portion of a person’s life and conduct which affects only himself, or if it also affects others, only with their free, voluntary, and undeceived consent and participation.59
Der Privatbereich umfasst demnach nicht nur das Individuum selbst, sondern auch alle Interaktionen, die auf gegenseitigem Einvernehmen beruhen. Einerseits verteidigt Mill den Privatbereich gegen die Einmischung anderer. Andererseits sieht er im öffentlichen Bereich legitime Gründe dafür, Handlungsfreiheit einzuschränken. Sofern Handlungen Auswirkungen auf andere haben, sind diese zu berücksichtigen. Dies schließt nicht nur das Verbot ein, andere zu schädigen, sondern verlangt die Verantwortung, aktiv den Schaden anderer zu verhindern.60 Aus dem Nutzen, den der Einzelne aus der Gemeinschaft zieht, folgt eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft, die diese ggf. auch durch Zwang durchsetzen darf.61 3.) Legitimation und Grenze von staatlichem Zwang. Diese legitime Einschränkung wird vollzogen durch das staatliche Rechtssystem sowie durch moralische Konventionen. Mills zentrale These ist, dass solche Einschränkungen nur zum Schutz der individuellen Freiheit anderer statthaft sind: That principle is, that the sole end for which mankind are warranted, individually or collectively in interfering with the liberty of action of any of their number, is self-protection. That the only purpose for which power can be rightfully exercised over any member of a 56 Vgl. Mill, On Liberty III. (Mill 1977, 263): „Strong impulses are but another name for energy. Energy may be turned for bad use; but more good may always be made of an energetic nature, than of an indolent and impassive one.“ 57 Vgl. Mill, On Liberty III., IV. (Mill 1977, 266, 276 f.); Ulrich 2006, 263. 58 Vgl. Mill, On Liberty I. (Mill 1977, 217): „the nature and limits of the power which can be legitimately exercised by society over the individual“ (Hervorhebung B. G.). 59 Mill, On Liberty I. (Mill 1977, 225); vgl. Mill, On Liberty V. (Mill 1977, 292). 60 Vgl. Mill, On Liberty I (Mill 1977, 225): „A person may cause evil to others not only by his actions but by his inaction, and in either case he is justly accountable to them for the injury.“ 61 Vgl. Mill, On Liberty IV. (Mill 1977, 276); Wolf 2006, 196 ff.
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Teil I: Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund
civilized community, against his will, is to prevent harm to others. His own good, either physical or moral, is not a sufficient warrant.62
Mill geht also davon aus, dass der gesellschaftliche Fortschritt am ehesten dadurch ermöglicht wird, dass Individuen das Recht gewährt wird, frei von Beeinträchtigungen durch andere die eigenen Absichten zu verfolgen. Für den Staat folgt daraus positiv die Aufgabe, diese Freiheit von Zwang durch andere zu schützen. Es folgt daraus aber auch negativ, dass es nicht legitim ist, staatliche Mittel dazu zu verwenden, Menschen vor sich selbst zu schützen bzw. sie zu ihrem Glück zu zwingen. 4.) Staatliche Wirtschaftsordnung. Da wirtschaftliches Handeln als sozialer Akt nicht in den privaten Bereich fällt, darf es grundsätzlich durch den Staat eingeschränkt werden. Mill leitet keinen prinzipiellen Anspruch auf ökonomische Freiheiten aus seinen Überlegungen zum Wert der Freiheit für den Fortschritt ab. Dennoch spricht er sich für die Sicherung von Eigentumsrechten und ökonomischen Freiheiten aus. Er begründet dies aber ausschließlich mit ökonomischen Nutzenerwägungen.63 Geprägt von der ökonomischen Analyse Adam Smiths und insbesondere David Ricardos geht Mill davon aus, dass freie Märkte und freier internationaler Handel zu positiven Effekten führen.64 Protektionismus, staatliche Regulierung von Zinsen, Löhnen und Preisen lehnt er ebenso ab wie Eingriffe bei der Bildung von Gewerkschaften (seien sie behindernd oder befördernd).65 Allerdings geht Mill nicht davon aus, dass sich die positiven Effekte freier Märkte zwangsläufig einstellen. Daher tritt er für zahlreiche Eingriffe in das Wirtschaftssystem ein, die auch die Verpflichtung gegenüber anderen realisieren sollen.66 Beispielsweise befürwortet er ein staatliches Schulwesen und die Schulpflicht, die Einschränkung der Vertragsfreiheit bei langfristigen Verträgen und eine staatliche Sicherung des Existenzminimums.67 Diese Relativierungen der Marktfreiheit brachten ihm den Ruf eines „Sozialisten“ ein.68 5.) Friedmans Mill-Rezeption. Friedman hat sich mit Mill zu Beginn seines Studiums beschäftigt. Später führt er Mills „Essay on Liberty“ auf seiner Liste libertärer Lieblingsbücher69 und gibt er an, sich bei ihm erstmals mit libertärer Philosophie auseinandergesetzt zu haben. Deren Grundsätze seien von Mill 62 Mill,
On Liberty I. (Mill 1977, 223).
63 Vgl. Mill, Principles V.11 § 7 (Mill 1965, 944–947), bes. 945: „Laisser-faire, in short, should
be the general practice: every departure from it, unless by some great good, is a certain evil.“ Vgl. Mill, On Liberty V. (Mill 1977, 293, 305); Mill, Principles V.11 § 2 (Mill 1965, 937 f.); Mill, On Liberty V. (Mill 1977, 305). 64 Vgl. Mill, Principles III.18 § 2 f. (Mill 1965, 589–591). 65 Vgl. Mill, Principles V.10 (Mill 1965, 913–934). 66 Vgl. Rothschild 2006, 36 ff., 45 ff., 51; Ulrich 2006, 259, 269 ff.; Birnbacher 2006, 63 ff. 67 Vgl. Mill, Principles V.11 § 8, 10, 13 (Mill 1965, 947–950, 953 f., 960–962). 68 Vgl. Schlenke 2008, 175. 69 Vgl. Friedman 2012b, 108.
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am gründlichsten ausformuliert worden.70 Diese Darstellung spiegelt sich in Friedmans Werk nur bedingt wider, wenngleich er mehrfach auf Mill als einen der Vordenker des Liberalismus zurückgreift. Dabei bezieht Friedman sich insbesondere auf die Begründung und Beschränkung staatlichen Handelns in Mills „On Liberty“. In „Free to Choose“ erwähnt er Mill neben Jefferson als zentralen Gewährsmann der politischen Dimension von Freiheit und zitiert sein Argument einer legitimen Abwehr von Schaden durch andere durch staatliche Gesetze.71 Direkt beruft Friedman sich auf Mill in seiner Argumentation gegen ein Verbot von Tabakwerbung72 und für die Legalisierung von Drogen.73 Eine große – allerdings nicht explizit ausgewiesene – Nähe zu Mills Gedankengut weist Friedmans Argumentation für die Redefreiheit auf.74 In der Gesamtdarstellung wird sich jedoch zeigen, dass Friedman Mills utilitaristischer Begründung individueller Freiheitsrechte im Ganzen nicht folgt. Insofern zitiert er ihn zwar als historische Autorität und greift einzelne Zitate75 oder auch Argumente Mills auf, nicht jedoch den Kern von dessen philosophischem System. Besonders deutlich wird die Distanz Friedmans zu Mill in ökonomischen Fragen. Da Mill ökonomische Freiheit nicht zu einem normativen Kriterium erhebt und aus Nutzenerwägungen zahlreiche Einschränkungen des Handels befürwortet, gilt er für Friedman als „socialist“.76
70 Vgl.
Ebenstein 2007, 15. Eine intensive Auseinandersetzung mit John Stuart Mill und Adam Smith während des Studiums kommt auch in einem Gedicht zum Ausdruck, das nach Friedmans Angaben an einem Abend mit Studienfreunden entstand: „When I consider how my life is spent / Studying profits, interest and rent / Smith, McCulloch, J. S. Mill, Ricardo Davy / Better drink aquavit, and join the navy.“ 71 Vgl. FtC, 2 sowie ebenso Friedman 1978 (MFA 56.15). 72 Vgl. die folgenden persönlichen Briefe Friedmans: Friedman 1969a (MFA 228.13); Friedman 1969c (MFA 228.13) sowie Friedman 1969b (MFA 228.13). 73 Vgl. Friedman 1997 (MFA 191.8): „[D]oes the government have the right to tell me what I may ingest in my body – John Stuart Mill?“ 74 Vgl. Friedman 1987k, 9: „We seldom recognize the enormous importance of diversified sources of financial and economic support in making it possible for a ‚nut‘ to have his say. You know, today’s nut may be tomorrow’s prophet. The essence of free speech is to preserve the opportunity for nuts to turn into prophets.“ Vgl. CaF, 53. Zu weiteren Parallelen zwischen Friedman und Mill vgl. Ebenstein 2007, 140–142. 75 Neben den bereits angeführten Zitaten aus „On Liberty“ zitiert Friedman drei Stellen aus Mills „The Principles of Political Economy“. Vgl. CaF, 170 (selbes Zitat in FtC, 148); FtC 249 (selbes Zitat in 341, 397); Friedman 1987m, 173. 76 Vgl. Friedman 2006a, 78. Friedman reagiert hier auf den Entwurf Stiglers für einen Aufsatz (vgl. Stigler 1949, 1), in dessen veröffentlichter Form Mill so dargestellt wird, dass er zwar Einwände des Kommunismus aufgreife, aber grundsätzlich den Kapitalismus vorziehe. Zur ambivalenten Einschätzung Mills durch Stigler vgl. auch Stigler 1982a. Jacob Viner, Lehrer von Friedman und Stigler in Chicago, beschreibt die Differenz zwischen einem utilitaristischen Zugang zur Frage freier Märkte und einer prinzipiellen Befürwortung des ökonomischen Liberalismus ebenso wie Mills Tendenz, sozialistische Argumente positiv aufzugreifen (vgl. Viner 1949, 381).
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Teil I: Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund
2.4 Die ältere Chicago School of Economics Der Begriff einer „Chicago School of Economics“ ist erst ab dem Jahr 1950 belegt. Damit kann ihr Entstehen eng mit Milton Friedman in Verbindung gebracht werden, der selbst ab 1946 in Chicago lehrte.77 Dennoch kann von einer „älteren“ Chicago School gesprochen werden. Gemeint sind damit Persönlichkeiten, die das intellektuelle Klima der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Chicago zu Friedmans Studienzeit (1932–1933, 1934–1935) prägten und die sein ökonomisches und politisches Denken nachhaltig beeinflussten. Dazu zählen insbesondere Frank H. Knight, Jacob Viner und Henry C. Simons.78 Diese trugen dazu bei, eine Wertschätzung für individuelle Freiheit zu kultivieren, auch wenn weder zu ihrer Zeit noch später in Chicago eine homogene Meinung herrschte.79 Der Leitfrage dieser Arbeit entsprechend konzentriert sich die folgende Darstellung auf das sozialphilosophische Profil der drei Autoren, insbesondere ihr Verständnis von Freiheit und deren Normativität. Andere Motive, die die Mitglieder der Chicago School of Economics verbinden, werden demgegenüber vernachlässigt.80 2.4.1 Frank H. Knight Frank Knight (1885–1972) kann als „Erzvater“ der Chicago School gesehen werden. Innerhalb dieser Gruppe gehört er zu denjenigen, die sich am intensivsten mit sozialphilosophischen Fragestellungen auseinandergesetzt haben. Ihm ging es weniger darum, ein abgeschlossenes System zu entwickeln, als darum, Begriffe und Theorien zu hinterfragen. Sein Werk ist daher von Spannungen durchzogen, ohne eines eigenen Profils zu entbehren. 1.) Ökonomik, Anthropologie und Ethik. Knight bestimmt das Verhältnis von Ökonomik und Ethik dadurch, dass er verschiedene Perspektiven auf individuelle Wertvorstellungen unterscheidet. Kennzeichen der Ökonomik ist es, dass sie individuelle Wertvorstellungen als gegeben nimmt und danach fragt, wie sie best Vgl. Ebenstein 2007, 129–133. Friedman 1979a, 3; Ebenstein 2007, 20–25; Noppeney 1998, 44–46. Zur Rolle von Aaron Director vgl. van Horn und Mirowski 2010, 200–205. 79 Vgl. TLP, 33–40, 50–55; Stigler 1988, 16–21, 148–150; Patinkin 1981a, 3–16. 80 Insbesondere gilt dies für den methodologischen Ansatz einer empirisch ausgerichteten und mit möglichst schlichten Modellen arbeitenden Ökonomik gegenüber einer mathematisch ausgerichteten Ökonomik (vgl. TLP, 204; Friedman 1979a, 3). Auch der mit Friedman in den Mittelpunkt gerückte Monetarismus und die Debatte darüber, ob diesem in der Chicago School eine „mündliche Tradition“ zugrunde liegt (vgl. Noppeney 1998, 47 f.; Patinkin 1981b, bes. 264 f. sowie die Korrespondenz dazu in Milton Friedman Papers [Hoover Institution Archives, 170.8]), wird hier nicht berücksichtigt. In dieser Frage kann zumindest festgestellt werden, dass die Mitglieder der Chicago School das Interesse an einer auf Geldwertstabilität ausgerichteten staatlichen Geldpolitik verbindet (vgl. bes. Simons 1948b, 38 f.; Simons 1948a, 42) – ein Aspekt, der insbesondere für Friedmans ökonomisches Forschungsprogramm ausschlaggebend gewesen sein dürfte. 77
78 Vgl.
2. Ideengeschichtliche Hintergründe
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möglich erreicht werden können. Dazu gehört es auch, zwischen verschiedenen Werten abzuwägen. Eine Vielzahl anderer Wissenschaften (v. a. Kulturgeschichte, aber auch Psychologie und Biologie) fragt demgegenüber danach, wie Wertvorstellungen entstehen. Der Ethik weist Knight die Aufgabe zu, die Wünschbarkeit konkreter Wertvorstellungen zu erörtern. Ihre Daseinsberechtigung gründet in der verbreiteten Annahme, dass die bestehenden Wertvorstellungen nicht an sich gut sind.81 Erkenntnistheoretisch haben alle drei Wissenschaften gemein, dass sie in einem „Gefühl“ für die Wirklichkeit gründen.82 Die wissenschaftlichsystematische Beschreibung der Wirklichkeit kann diese daher nicht vollständig erfassen. Ethik wiederum kann in ihrem Urteil über Bestehendes nicht auf dessen wissenschaftliche Wahrnehmung gründen. Sie gründet in einer intuitiven Wahrnehmung des Guten. Knight betont jedoch, dass Verständigung und Diskussion über Phänomene, die sich einer wissenschaftlichen Wahrnehmung entziehen, alltäglich und damit auch in Fragen der Ethik möglich ist.83 2.) Freiheit als Wert an sich. Auf einer solchen Intuition gründet Knights Feststellung, dass Freiheit ein Wert an sich sei.84 Die Suche nach Wahrheit kann angesichts der beschränkten menschlichen Erkenntnismöglichkeiten nur diskursiv erfolgen.85 Freiheit ist daher auch, aber nicht nur anzustreben, weil Menschen den Wunsch haben, frei zu sein, oder weil Freiheit ihnen hilft, andere Wünsche zu erfüllen.86 Vielmehr gilt grundsätzlich: Da Menschen in der Regel am Besten in der Lage sind, ihre eigenen Ziele zu beurteilen, sollte im Sinne individueller Freiheit die Gestaltung des eigenen Lebens jedem selbst überlassen werden. Regarding the end of action, it is of the essence of liberalism properly conceived to have no concrete position. The end of action is whatever the individual wants and strives to do, or to get, or to be […]. The theory is that the individual is, in general […] the ‚best‘ judge of his own ends and of the procedure to be used in promoting them.87
Unter Freiheit versteht Knight die Abwesenheit von Zwang durch andere Menschen. Damit wendet er sich gegen einen Begriff von Freiheit, der diese mit Macht, also der Möglichkeit, eigene Ziele zu erreichen, verbindet.88 In dem Vgl. Knight 1951a, 20, 34–39. Knight 1951a, 38 f.: „Apparently we are incapable of picturing anything as existing without putting a spark of our own consciousness into it. […] There is no purely objective reason for believing anything any more than there is for doing anything, and if our feelings tell us nothing about reality then we know and can know nothing about it.“ 83 Vgl. Knight 1951a, 37–40. 84 Vgl. Knight 1947b, 13. 85 Vgl. Noppeney 1998, 239–259. 86 Vgl. Knight 1947a, 55: „Freedom may be, and often was, considered an end or value in itself, and not merely an instrumental to efficiency in realizing other values.“ Vgl. Knight 1941, 100; Nelson 2001, 123 f.; McKinney 1975, 780 f. 87 Knight 1947a, 53 f. 88 Vgl. Knight 1947b, 11; Knight 1941, 89–93, bes. 93: „This inclusion of power in the notion of liberty is highly misleading, though ‚effective freedom‘ is perhaps an admissible expression. Liberty is one thing, and power another […]“. 81
82 Vgl.
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Teil I: Historischer und ideengeschichtlicher Hintergrund
von ihm vorausgesetzten Sinne kann Freiheit für Knight jedoch nicht allein der höchste Wert in individueller wie sozialer Perspektive sein, sondern ist gegen andere Werte abzuwägen.89 3.) Beurteilung der Marktwirtschaft. Der politischen Umsetzung des Wertes Freiheit entspricht eine Gesellschaft, in der Interaktion in der Form freiwilliger Assoziation erfolgt. Im Bereich des wirtschaftlichen Handelns bedeutet dies, dass Knight grundsätzlich eine marktwirtschaftliche Ordnung befürwortet.90 Auffällig ist, dass Knight zugleich ausführlich die Schwächen der Wettbewerbsordnung betont.91 So weist er darauf hin, dass die idealen Bedingungen der ökonomischen Theorie nicht gegeben seien und deswegen die Versorgung mit Gütern durch den Markt nicht so effizient gelinge, wie es die Theorie suggeriert.92 Da die Verteilung von Gütern in der Marktwirtschaft in hohem Maße von Glück und Erbschaft abhängt, kann auch die Verteilungsleistung des Marktes Knight nicht befriedigen.93 Nach Knight verlangt eine Wettbewerbsgesellschaft von ihren Mitgliedern ein am Wettbewerb orientiertes Verhalten, welches in Widerspruch zu den Wertvorstellungen der meisten Menschen steht.94 Damit hängt zusammen, dass sie nicht in der Lage ist, diejenigen Wertvorstellungen zu vermitteln, die sie selbst voraussetzt.95 Die Auswirkungen auf gesellschaftliche Wertvorstellungen beschreibt Knight als einen erheblichen Nachteil einer Wettbewerbsgesellschaft.96 Dennoch erachtet Knight die Marktwirtschaft als das vergleichsweise beste System. Aufgrund ihrer Schwächen und Gefährdungen betont er jedoch, dass sie auf eine moralisch-politische Rahmenordnung angewiesen ist.97 2.4.2 Jacob Viner Schwerpunkte der Arbeit Viners (1892–1970) waren die Entwicklung der Preistheorie, der internationale Handel und wirtschaftshistorische Arbeiten.98 Impulse für Friedmans Zugang zu sozialphilosophischen Fragestellungen dürften vor allem seine Beiträge zur Methodologie und zur Philosophie des „Laissez-faireLiberalismus“ gegeben haben. 89 Vgl. Knight 1941, 108 f.: „Freedom must be regarded as a value and as of the essence of the universe of value. Yet in private conduct and social policy, other values conflict with freedom and must be given preference over freedom, within limits which can only be estimated, or, perhaps to some small extent, determined by experiment.“ 90 Vgl. Knight 1941, 101–105. 91 Vgl. Noppeney 1998, 170–209. 92 Vgl. Knight 1951b, 50–54. 93 Vgl. Knight 1951b, 54–58; Knight 1947b, 9 f. 94 Vgl. Knight 1951b, 58–74. 95 Vgl. Knight 1941, 107. 96 Vgl. Knight 1951b, 50; Knight 1967, 21. 97 Vgl. Noppeney 1998, 270–281. 98 Vgl. Irwin 1991, 6–15; Barber 2010, 342 f.
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1.) Empirische Ausrichtung der politischen Ökonomik. Die herkömmliche Methodik der politischen Ökonomik beschreibt Viner als Deduktion auf der Grundlage introspektiv gewonnener Überzeugungen. Demgegenüber betont er, dass Deduktion in den Sozialwissenschaften stets durch die Methode der Induktion ergänzt werden müsse. Damit erfordert ökonomische Forschung immer auch empirische Forschung, um die für die Induktion erforderlichen Daten zu erheben.99 Viner wendet sich damit gegen Entwürfe einer Wirtschaftsordnung, die allein auf philosophischen Erwägungen beruhen und auf die sorgfältige Evaluation von Konsequenzen verzichten. 2.) Freiheit als relativer Wert. Dem entspricht Viners Zugang zum Liberalismus. Er lehnt es ausdrücklich ab, Freiheit normativ als höchstes Gut vorauszusetzen. Stattdessen tritt er für eine Abwägung verschiedener Werte ein, unter denen neben wirtschaftlicher Freiheit auch andere Aspekte von Freiheit sowie Werte wie Sicherheit, Wohlstand oder Gleichheit zu berücksichtigen sind. Freiheit kommt dabei nicht nur ein instrumenteller Wert zu. Dennoch sollten sich ökonomische Beiträge nach Ansicht Viners darauf konzentrieren, die Konsequenzen einer liberalen Wirtschaftspolitik, insbesondere ihren Beitrag zu ökonomischer Effizienz, herauszustellen.100 Einen „Laissez-faire-Liberalismus“ lehnt Viner ab. Stattdessen betont er die Notwendigkeit, aktiv gegen Monopolbildung vorzugehen.101 Außerdem betont er, dass der Status quo der Verteilung ökonomischer Güter hinterfragt werden müsse, und fordert staatliche Maßnahmen zur Förderung sozialer Gerechtigkeit, die nach Möglichkeit mit den Prinzipien des Marktes kompatibel sein sollen.102 So kommt Viner zum Idealbild einer Gesellschaft, die die Werte der Freiheit und Gerechtigkeit gegeneinander abwägt.103 Viners Wertschätzung ökonomischer Freiheit ist damit weit entfernt von libertären Vorstellungen von Freiheit als höchstem Gut. Vielmehr verbindet er eine prinzipielle Wertschätzung von Freiheit mit einer Achtung vor anderen Werten und utilitaristischen Argumenten. 2.4.3 Henry C. Simons Als dritter Gründervater der Chicago School of Economics gilt Henry Simons (1899–1946). Er beschäftigte sich intensiv mit Fragen der politischen Ökonomik.104 Im Kreis der älteren Chicago School war er derjenige, der mit seinem
99 Vgl. Viner 1917, bes. 236–238, 259 f. Als Beispiel einer deduktiven Methodik in der politischen Ökonomik führt Viner John Stuart Mill an (vgl. Viner 1917, 243–245). 100 Vgl. Viner 1991d, 77; Viner 1991c, 219 f.; Viner 1991b, 346 f., 352 f. 101 Vgl. Viner 1991c, 223. 102 Vgl. Viner 1991c, 223 f. 103 Vgl. Viner 1991c, 225; Viner 1991b, 355 f. 104 Vgl. Jones 2012, 93.
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Essay „A Positive Program for Laissez-faire“ am konkretesten ein Ideal für eine freiheitliche Gesellschaft entwickelte.105 1.) Utilitaristischer Liberalismus. Simons bezeichnet gesellschaftlichen Fortschritt als höchstes Gut des Liberalismus. Davon abgeleitet erachtet er Freiheit als „relativ absoluten“ Wert, da diese die Entfaltung des menschlichen Potenzials befördert.106 Ihre progressive Funktion entfaltet Freiheit etwa in demokratischen Prozessen oder durch die Gewährleistung von Eigentumsrechten.107 2.) Freiheit und Macht. Simons legt ein Verständnis von Freiheit zugrunde, das Freiheit mit der tatsächlichen Möglichkeit zu handeln – also mit Macht – verbindet.108 Gefährdet ist Freiheit durch die ungleiche Verteilung von Macht. Diese erlaubt es einflussreichen Akteuren, ihre Interessen gegen die anderer durchzusetzen. 3.) Politische und ökonomische Freiheit. Eine ungleiche Verteilung von Macht kann sowohl im politischen als auch im ökonomischen Bereich vorliegen. In beiden Fällen kommt es zu einer Einschränkung. Simons weist darauf hin, dass Macht im einen Bereich auch zu Übergriffen im anderen Bereich genutzt werden kann. Er vertritt daher die Position, dass ökonomische und politische Freiheit nur gemeinsam bestehen können.109 4.) Sicherstellung von Freiheit durch den Staat. Freiheit bzw. eine gleichmäßige Verteilung von Macht verlangen eine Organisation der Gesellschaft gemäß den Prinzipien des Wettbewerbs.110 Vom Staat fordert Simons daher, auf direkte Einflussnahme auf das Marktgeschehen, namentlich das Erheben von Zöllen, zu verzichten.111 Andererseits verweist er auf die Notwendigkeit einer Rahmenordnung, zu der die Bereitstellung eines Geldsystems und die Definition von Eigentumsrechten gehört.112 Durch den Gedanken, dass Freiheit in den tatsächlich verfügbaren Möglichkeiten besteht, kommen bei Simons auch egalitäre Gedanken zum Tragen. So fordert er Maßnahmen, die die Macht großer Unternehmen und Gewerkschaften eingrenzen.113 Die entscheidende Rolle kommt dabei der Abschaffung privater Monopole sowie der Begrenzung von Konzernen und Kartellen zu. Zu diesem Zweck schlägt Simons aus heutiger Sicht drastische Maßnahmen vor (z. B. eine Höchstgrenze für den Besitz eines Unternehmens).114 Im Falle 105 Vgl.
Stigler 1988, 139 f.; Kasper 2010, 331–333. Simons 1948b, 2, 23. 107 Vgl. Simons 1948b, 8 f., 32 f. 108 Vgl. Simons 1948b, 6: „Equality of opportunity is an ideal that free societies should constantly pursue, even at much cost in terms of other ends. Freedom without power, like power without freedom, has no substance of meaning.“ 109 Vgl. Simons 1948a, 43 f. 110 Vgl. Simons 1948b, 4; Simons 1948a, 43. 111 Vgl. Simons 1948a, 42, 69 f. 112 Vgl. Simons 1948a, 42. 113 Vgl. Simons 1948b, 34–36; Simons 1948a, 43, 52 f., 65 f. 114 Vgl. Simons 1948a, 57–60. 106 Vgl.
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natürlicher Monopole lehnt Simons eine Regulierung des Marktes ab und bevorzugt stattdessen eine Verstaatlichung der Eisenbahn oder anderer Güter der Grundversorgung.115 Noch weiter geht er mit der Forderung, der Staat solle aktiv für Chancengleichheit sorgen. Simons befürwortet zu diesem Zweck staatliche Eingriffe zur Förderung von Bildung und Gesundheit sowie auf Umverteilung von Wohlstand zielende Maßnahmen wie eine progressive Einkommenssteuer oder Erbschaftssteuern.116 Sozialstaatliche Aktivitäten gehören für ihn daher zu den Grundaufgaben des Staates.117 Der utilitaristische Zug in Simons’ Argumentation wird dadurch deutlich, dass er staatliche Aktivität nicht nur zum Zwecke der Sicherstellung von Freiheit legitimiert sieht. So fordert er staatliche Maßnahmen zur Begrenzung von Werbung mit dem Hinweis auf deren ökonomische Ineffizienz.118 2.4.4 Friedmans Rezeption der älteren Chicago School Friedman hat unter Knight, Viner und Simons persönlich studiert. Bei Frank Knight war seine spätere Frau Rose Director von 1934–1936 als research assistant angestellt.119 Neben Aaron Director waren Knight und Friedman als Mitglieder der Universität Chicago beim Gründungstreffen der Mont Pelerin Society.120 Während Friedman Knight und Viner zumeist in seine Aufzählung derjenigen Personen, die ihn besonders prägten, einschließt, fehlt Simons hier zumeist.121 Allgemein jedoch betont Friedman, dass seine Weltsicht in Kontinuität zur älteren Chicago School stehe. Er nennt als verbindende Elemente die Betonung freier Märkte, eine an der Geldmenge orientierte Politik der Inflationsvermeidung, das Eintreten für eng begrenztes Regierungshandeln und die Wertschätzung individueller Wahlfreiheit.122 115 Vgl.
Simons 1948a, 51. Simons 1948b, 4, 6 f.; Simons 1948a, 52 f., 57, 65–69. 117 Vgl. Simons 1948a, 42, 118 Vgl. Simons 1948a, 71–73. 119 Vgl. TLP, 35–38, 41–43, 50 f., 155, 193 f.; Ebenstein 2007, 20–25. 120 Vgl. TLP, 158. Später gehörten auch die Gründungsmitglieder George Stigler und Friedrich August von Hayek der Universität an. Zur Mont Pelerin Society vgl. Doherty 2012, 73–84, 121 Vgl. Friedman 1986a, 81–84; Friedman und Doherty 1995; Friedman und Lamb 2000, 12:40; Friedman und Jaworski 2002, 1. Zu einer zwiespältigen rückblickenden Einschätzung Simons durch Friedman aus dem Jahr 1981 vgl. DeLong 1990, 602. Dagegen betont Daniel Stedman Jones die besondere Bedeutung Simons’ für die libertäre Bewegung im im Allgemeinen und Friedman im Besonderen (vgl. Jones 2012, 93). Neben den hier Behandelten erwähnt Friedman insbesondere Homer Jones und Arthur Burns als einflussreiche Lehrer. Beide brachten ihm zu Beginn seines Studiums das Interesse an Wirtschaftswissenschaften und die Grundzüge ökonomischen Denkens nahe (vgl. TLP, 29–32; Ebenstein 2007, 16 f.). Beide müssen hier vernachlässigt werden, da ein hinreichendes Zeugnis über ihr liberales Profil nicht vorliegt. 122 Vgl. TLP, 32; Friedman 1979a, 3; Friedman und Lamb 2000 4:10. Zu verbindenden Elementen der ökonomischen Theoriebildung vgl. oben 32 Anm. 80. 116 Vgl.
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In seinen sozialphilosophisch ausgerichteten Schriften nimmt Friedman so gut wie nie explizit Bezug auf seine Lehrer.123 Dies erklärt er im Vorwort zu „Capitalism und Freedom“ gerade mit deren umfassendem und daher schwer eingrenzbarem Einfluss.124
2.5 Friedrich August von Hayek: Freiheit und spontane Ordnung Friedrich August von Hayek (1899–1992), der neben Wirtschaftswissenschaften auch Jura und Psychologie studiert hat, hat unter den Vertretern des ökonomischen Liberalismus dessen sozialphilosophische Grundlagen vielleicht am intensivsten reflektiert. Aus der Zeit seines akademischen Wirkens ergibt es sich, dass seine ökonomische und philosophische Arbeit insbesondere aus der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus erwächst.125 1.) Der Weg zur Knechtschaft. Eines der frühen Werke Hayeks trägt den Titel „The Road to Serfdom“ (1944) und ist „den Sozialisten aller Parteien“ gewidmet. Noch während des Zweiten Weltkrieges setzte er sich mit dem Zusammenhang von Kollektivismus und Totalitarismus auseinander. Mit Blick auf politische Tendenzen in Großbritannien dient ihm die Entwicklung Deutschlands als Negativfolie. Hayek skizziert zwei alternative Gesellschaftsmodelle, das freiheitliche und das zentraler Planung. Die zentrale These Hayeks lautet, dass Planung und Freiheit inkompatibel seien.126 Während ein liberales Gesellschaftsbild auf dem Prinzip basiere, dass alle Menschen ihre je individuellen Werte verfolgen, ersetzten kollektivistische Systeme diese heterogene Ordnung durch eine einheitliche Vorstellung von einem „Gemeinwohl“. The various kinds of collectivism, communism, fascism, etc., […] all differ from liberalism and individualism in wanting to organize the whole of society and all its resources for this unitary end and in refusing to recognize autonomous spheres in which the ends of the individuals are supreme. In short, they are totalitarian.127
Ein solches System, das nicht die Werte aller Beteiligten achtet, setzt die Untergrabung individueller Autonomie voraus. Es kann nur durch autoritative politische Steuerung und den Einsatz von Propaganda durchgesetzt werden, was seinen totalitären Charakter begründet.128 Charakter und Argumentationsweise von Hayeks Schrift zeichnen sich dadurch aus, dass er die Gesellschaften der USA und Großbritanniens vor die Alternative gestellt sieht, ihre freiheitliche 123 Ausnahme ist eine anekdotische Referenz auf Frank H. Knight (vgl. FtC, 126) und ein kritischer Bezug auf Henry Simons’ Vorschlag zum Umgang mit Monopolen (vgl. CaF, 28). 124 Vgl. CaF, xvi. 125 Vgl. Karabelas 2010, 31–67. 126 Vgl. von Hayek 1999, 40 f. 127 Von Hayek 1999, 63. 128 Vgl. von Hayek 1999, 75.
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Gesellschaftsform zu verteidigen oder in den Totalitarismus abzugleiten. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges stellt er in beiden Ländern eine zunehmende Offenheit für politische Planung fest, die in Widerspruch zu ihrer freiheitlichen Tradition stehe.129 2.) Freiheit als Abwesenheit von Zwang. Die in „The Road to Serfdom“ angelegte Gesellschaftstheorie entwickelt Hayek in späteren Werken weiter und entfaltet sie systematisch in „The Constitution of Liberty“ (1960). Hier stellt er fest, dass der Begriff „Freiheit“ in widersprüchlicher Weise verwendet werde, und legt sich auf einen Gebrauch fest, der ihn mit der Abwesenheit von Zwang durch andere identifiziert.130 Freiheit als soziales Phänomen beschreibt stets die Relation zwischen Menschen.131 Entscheidend ist für Hayek, ob ein Mensch eine geplante Handlung ungehindert durchführen kann oder ob andere in einer Form auf ihn einwirken, die zu einer Verhaltensänderung führt.132 Er grenzt sich damit ab von Konzepten, die unter dem Begriff „Freiheit“ kategorial andere Phänomene behandeln: „politische Freiheit“ im Sinne demokratischer Mitbestimmungsrechte oder im Sinne kollektiver Freiheit als nationale Unabhängigkeit; „innere“ oder „metaphysische Freiheit“ im Sinne von Willensfreiheit, also der individuellen Fähigkeit zur begründeten Wahl zwischen Alternativen; Freiheit als „Möglichkeit“, eigene Wünsche zu erfüllen, also Freiheit als Macht und als Wohlstand.133 3.) Verstreutheit von Wissen und soziale Evolution. Innerhalb des ökonomischen Liberalismus zeichnet sich die Position Hayeks insbesondere durch ihre informationstheoretische Grundlegung aus.134 Den gewichtigsten Grund für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung sieht Hayek in der dezentralen Verteilung von Wissen. Keine Einzelperson kann die Gesamtheit expliziten (reflektierten) und impliziten (habituell verankerten) Wissens vereinen. Durch die Zusammenführung dieses Wissens in der Kooperation von Einzelpersonen kommt es insgesamt zu positiven gesellschaftlichen Entwicklungen.135 Zugleich wird das bestehende Wissen auf praktischer Ebene ständig weiterentwickelt, indem Traditionen an veränderte Umstände angepasst werden und 129 Vgl.
von Hayek 1999, 23. von Hayek 2011, 57: „We are concerned in this book with that condition of men in which coercion of some by others is reduced as much as is possible in society. This state we shall describe throughout as a state of liberty or freedom.“ Vgl. dazu ausführlicher Batthyany 2007, bes. 197–202; Furtmayr 2005, 8–32; Bouillon 1997, 38–42. 131 Vgl. von Hayek 2011, 60. 132 Vgl. von Hayek 2011, 61. 133 Vgl. von Hayek 2011, 61–69. „Economic freedom“ im Sinne des Verfügens über Ressourcen beschreibt er bereits in „The Road to Serfdom“ gerade als Anliegen des Sozialismus (vgl. von Hayek 1999, 29). 134 Vgl. Streißler 1995, bes. 21–36. 135 Vgl. von Hayek 2011, 75–84, bes. 75 f., 80–82; von Hayek 1976, 17–21; von Hayek 1977, 8–34, bes. 8–14, sowie Francke 1995, 8 f.; Sautter 2001, 80 f. 130 Vgl.
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Einzelpersonen innovative Neuansätze ausprobieren.136 Die informationstheoretische Grundlegung des Liberalismus kann daher als eine Form der utilitaristischen Begründung von Freiheit verstanden werden: In einem Prozess sozialer Evolution stellt sich heraus, welche Handlungsweisen dem Zusammenleben tatsächlich dienlich sind.137 Dies hat Folgen für die ideale Organisation der Gesellschaft. Da weder eine intellektuelle Einzelperson oder Elite noch eine politische Mehrheit das gesamte Wissen und Innovationspotenzial einer Gesellschaft abrufen kann, ist eine freiheitliche Gesellschaftsordnung vorzuziehen. Handlungsalternativen werden in dieser nicht von vornherein eingeschränkt, sondern unterliegen ausschließlich der Bewährung im Prozess der sozialen Evolution. So ist sichergestellt, dass das Spezialwissen Einzelner zur Geltung kommen kann und dass sich vorteilhafte Innovationen tatsächlich durchsetzen können.138 Daher sind Ordnungssysteme, die nicht durch zentrale Steuerung, sondern spontan durch Interaktion von Individuen entstehen, grundsätzlich geplanten Systemen überlegen.139 Das marktwirtschaftliche Wettbewerbssystem bekommt so den Charakter eines „Entdeckungsverfahrens“.140 Im Bereich der Ökonomie kommt dem Preissystem eine zentrale Aufgabe für die Koordination unter der Bedingung verstreuten Wissens zu. Ein effizienter, ihrem Wert entsprechender Nutzen von Gütern setzt situationsspezifische Kenntnisse über die Angebots‑ und Nachfragesituation in Bezug auf ein Gut voraus. Die Vielzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt relevanten Faktoren kann nicht von einer zentralen Instanz erfasst werden. Die relevanten Informationen werden stattdessen über das Preissystem transportiert.141 4.) Staatliche Rahmenordnung. Die Sicherung negativer Freiheit ist die Voraussetzung dafür, dass die soziale Evolution sich positiv entfalten kann. Sie erfordert daher die Definition eines Privatbereichs, der dem Zugriff anderer entzogen ist. Zugleich erfordert sie aber auch den Schutz dieses Privatbereichs vor Zwangsmaßnahmen durch andere. Dabei gilt: „[C]oercion of one individual by another can be prevented only by the threat of coercion.“142
136 Vgl.
von Hayek 2011, 74 f., 84–87. Differenz zur biologischen Evolution sieht Hayek darin, dass es in der sozialen Evolution um die Selektion von Institutionen, in der biologischen um die Selektion von Individuen geht (vgl. von Hayek 1977, 23). Keine Differenz besteht zwischen beiden insofern, als letztlich beide deterministisch verlaufen (vgl. Herms 1991b, bes. 196–202). Dass soziale Evolution dennoch nicht vorhersehbar ist, liegt an der unüberschaubaren Fülle an Faktoren, die sie beeinflussen (vgl. von Hayek 1977, 23 f.). 138 Vgl. von Hayek 1976, 28. 139 Vgl. von Hayek 1977, 36 ff. 140 Vgl. Hoppmann 1995, 139 f. 141 Vgl. von Hayek 1945, bes. 519 ff., 525 f. 142 Von Hayek 2011, 206. 137 Die
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Ein staatlicher Ordnungsrahmen wird daher zur Bedingung für persönliche Freiheit und soziale Evolution.143 Die bestmögliche Gewährung negativer Freiheit geschieht durch die Definition allgemeiner Regeln, die Eigentums‑ und Vertragsrechte regeln und dabei Zwang sowie Betrug ausschließen.144 Entscheidend ist jedoch, dass staatliche Eingriffe in der Regel in Form von Gesetzen erfolgen. Im Unterschied zu Befehlen geben diese nicht konkrete Handlungen vor, sondern ein allgemeines Regelsystem. In diesem werden den Einzelnen nicht konkrete Handlungsziele oder ‑weisen vorgegeben, sie erfahren lediglich Einschränkungen dahingehend, wie sie ihre individuellen Ziele verfolgen können.145 Entsprechend gilt auch für staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen, dass sie als Setzung allgemeiner Rahmenbedingungen, nicht aber in Form konkreter Befehle oder Verbote erfolgen sollten.146 5.) Konventionell-moralische Ordnung. Ergebnis der sozialen Evolution ist auch eine moralische Ordnung.147 Erst diese ermöglicht es, auf ein Übermaß (staatlichen) Zwangs zu verzichten.148 Soziale Normen verdanken ihre Existenz den Vorteilen, die sie den Menschen bei der Verfolgung ihrer Ziele gewähren. Von ihnen hängt auch ihre weitere Geltung ab. Though there is a presumption that any established social standard contributes in some manner to the preservation of civilization, our only way of confirming this is to ascertain whether it continues to prove itself in competition with other standards observed by other individuals or groups.149
Es ist daher einerseits erforderlich, dass einzelne Individuen von moralischen Normen abweichen und so deren evolutionäre Überprüfung erfolgt. Andererseits beruht der evolutionäre Vorteil aber gerade darin, dass sie als Regeln allgemeiner Weisheit im Normalfall auch dann befolgt werden, wenn sie vom Einzelnen nicht individuell nachvollzogen werden können. Der konservative Zug, den Hayeks Konzept durch die Anerkennung einer konventionellen Moral bekommt, verstärkt sich in seiner Wertschätzung gesellschaftlicher Eliten über mehrere Generationen hinweg.150 Vgl. Hoppmann 1995, 133. von Hayek 2011, 207–212. 145 Vgl. von Hayek 2011, 217–221. 146 Vgl. von Hayek 2011, 330. Neben dem Schutz vor Zwang und der Gewährung von Eigentumsrechten sind dies insbesondere die Sanktionierung von Verträgen, die Anerkennung freien Markteintritts und Preisfestsetzung sowie die Bereitstellung öffentlicher Güter (vgl. von Hayek 2011, 332 f., 338). Die Etablierung eines Geldsystems zählt Hayek hingegen nicht zu den notwendigen, also auch nicht zu den legitimen Aufgaben des Staates (vgl. von Hayek 1978, bes. 109 ff.). 147 Vgl. von Hayek 2011, 87 f.; von Hayek 1977, 19. 148 Vgl. von Hayek 2011, 122 f., 126–128, 213 f. 149 Von Hayek 2011, 88. 150 So wendet er sich gegen eine staatliche Förderung gleicher Bildungschancen und befürwortet die Möglichkeit des Vererbens mit dem Argument, dass die Kinder wohlhabender Eltern besonders zur Übernahme von Verantwortung qualifiziert seien. Grund dafür sind nach Hayek 143
144 Vgl.
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6.) Friedmans Hayek-Rezeption. Friedman und Hayek arbeiteten sowohl im Rahmen der Mont Pelerin Society als auch an der University of Chicago intensiv und freundschaftlich zusammen.151 Explizite Bezüge auf Hayek sind in Friedmans Werk zur politischen Philosophie selten. Sie betreffen in allgemeiner Form Hayeks programmatischen Buchtitel „The Road to Serfdom“152, seine Darstellung des Preissystems als System zur Vermittlung dezentralen Wissens153 sowie in kritischer Auseinandersetzung Hayeks Vorschlag zu einem nicht von der Regierung verantworteten Geldsystem.154 Dennoch ist deutlich erkennbar, dass Hayeks Gedankengut großen Einfluss auf Friedman hatte.155 Insbesondere betont er, dass er durch Hayek überhaupt erst stärker zur Auseinandersetzung mit politischen Fragen gelangte.156 Die große Wertschätzung Friedmans für Hayeks Werk geht besonders aus seinem Vorwort zu einer Neuauflage von „The Road to Serfdom“ hervor157, das ebenfalls auf seiner Liste der fünf bevorzugten libertären Bücher erscheint.158 Gleichzeitig nimmt auch Hayek bereits in „The Constitution of Liberty“ mehrfach Bezug auf Friedmans Vorarbeiten zu „Capitalism and Freedom“.159 Es ist also nur schwer möglich, Abhängigkeiten zwischen beiden festzustellen. Dies bedürfte einer eigenen vergleichenden werkgeschichtlichen Untersuchung, die für die Fragestellung dieser Arbeit nicht entscheidend ist.160
2.6 Ayn Rand: Das freie Individuum Ayn Rand (1905–1982) wurde in St. Petersburg geboren. Ihre Familie wurde im Gefolge der Oktoberrevolution enteignet. Nach einem Studium der Geschichte neben der biologischen Vererbung vor allem kulturelle Vorzüge, die in der Erziehung vermittelt werden (vgl. von Hayek 2011, 153). 151 Vgl. die Korrespondenz zwischen Friedman und Hayek, Milton Friedman Papers (MFA 28.2 und 154.3). 152 Vgl. CaF, 11; FtC, 6. 153 Vgl. Friedman 1987g, 22; Friedman 1987f, 363; Butler 1985, 21 f. 154 Vgl. Friedman 1987h, 418; Friedman 1987e, 500, 507 f. Zu Friedmans Position in dieser Hinsicht vgl. Friedman 1987e, 513 sowie unten 191. 155 Vgl. TLP, 158; Friedman und Jaworski 2002, Hayek and the Nobel Prize. In einem Brief an Hayek erachtet Friedman seine Sozialphilosophie geradezu als identisch mit der Hayeks: „The series [Free to Choose, B. G.] will deal with my own social, economic, and political philosophy; that is to say, essentially with the subject matter of my Capitalism and Freedom or your Constitution of Liberty“ (Hervorhebungen im Original unterstrichen). In einem Interview schreibt er Hayek den größten Einfluss auf sein eigenes Denken zu (vgl. Friedman und Lamb 2000, 10:40). 156 Vgl. TLP, 333. 157 Vgl. Friedman 1994. 158 Vgl. Friedman 2012b, 109. 159 Vgl. neben dem persönlichen Dank im Vorwort (von Hayek 2011, 42) die zehn im Register aufgeführten Stellen (vgl. von Hayek 2011, 546). 160 Einen Hinweis gibt Friedmans Selbsteinschätzung, die in einem Brief an Hayeks deutschen Verleger zum Ausdruck kommt. Vgl. Friedman 1971 (MFA 154.3): „Hayek is the older man and I am something of his disciple rather than the other way around“.
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und Philosophie emigrierte Rand 1926 in die USA. Dort etablierte sie sich als Schriftstellerin, die ihre philosophischen Gedanken insbesondere in Form von Romanen vortrug und so eine breite Wirkung entfalten konnte. Geprägt ist ihr Werk von einer scharfen Auseinandersetzung mit kollektivistischen Vorstellungen. 1.) Objektivismus. Rand geht in ihrer Philosophie davon aus, dass eine objektive Realität existiert und diese im menschlichen Bewusstsein als solches wahrgenommen werden kann („existence“, „consciousness“ und „identity“ als grundlegende Axiome).161 Sinneswahrnehmungen ermöglichen dem Menschen Zugang zur Realität.162 Mittels der Vernunft können Menschen ihre Wahrnehmungen zu einer kohärenten Sicht der Realität verknüpfen und Kausalitäten erkennen.163 Sensualistisch informierte Vernunft ist für Rand die einzige und eine objektive Form, in der Menschen Wissen über die Realität erwerben können.164 2.) Objektivistische Ethik. Auch ethische Überzeugungen können sich auf keine andere Rechtfertigung berufen als auf eine objektive Wahrnehmung der Realität. Ihre Ethik beschreibt Rand daher als „objectivist ethics“. Dass es für Menschen überhaupt notwendig ist, Ethik zu treiben, liegt in der Verfasstheit des Menschen begründet. Mit Tieren und Pflanzen verbindet den Menschen, dass sie ihr eigenes Leben erhalten müssen. Im Unterschied zu jenen agiert dieser dabei nicht automatisch, sondern er muss sein Handeln an bewusst gesetzten Zielen orientieren.165 Die ethische Frage stellt sich also angesichts der Herausforderung, das eigene Leben durch Setzen von Zielen zu erhalten.166 Die Erhaltung des Lebens wird damit zugleich inhaltlich zum entscheidenden ethischen Kriterium.167 Davon ausgehend unterscheidet Rand zwei moralische Konzepte, die sie strikt als Alternativen versteht: Egoismus und Altruismus. Egoismus erkennt das eigene Leben als ultimatives ethisches Ziel an. Altruismus dagegen verlangt die Unterordnung des eigenen Lebens unter das Leben anderer, verlangt also Selbstopferung. Da der Egoismus aus der Faktizität des Lebens abgeleitet ist, läuft der Altruismus auf die Negation der eigenen Existenz hinaus. Die Alternative zwischen Egoismus und Altruismus erscheint daher als Alternative zwischen Leben und Tod.168 Moralische Werte zeichnen sich für Rand dadurch aus, dass sie dem Menschen zur Selbsterhaltung des eigenen Lebens dienen. Ihre Erkenntnis beruht auf der rationalen Erkenntnis dessen, was unter den Bedingungen des Menschseins zur 161 Vgl.
Rand 1996, 929 f., 948; Peikoff 1993, 3 ff.; Dietz 2011, 264–266. Rand 1996, 948; Peikoff 1993, 39 ff. 163 Vgl. Peikoff 1993, 153. 164 Vgl. Peikoff 1993, 159 ff.; Dietz 2011, 276–279. 165 Vgl. Rand 1989g, 20 f.; Rand 1996, 926. 166 Vgl. Rand 1989g, 24. 167 Vgl. Rand 1989g, 17 f., 25; Rand 1996, 927; Rand 1993, 550. 168 Vgl. Rand 1996, 941–945, 957; Rand 1993, 364 f. 162 Vgl.
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Erhaltung des Lebens förderlich ist.169 Dies sind insbesondere folgende Werte: Vernunft (reason), Ziel (purpose) und Selbstwertgefühl (self-esteem). Mit ihnen korrespondieren die drei Kardinaltugenden, die es Menschen ermöglichen, diese Werte zu erlangen: Vernünftigkeit (Anerkennung der Vernunft als einzig maßgeblichem Zugang zur Wirklichkeit), Produktivität (Anerkennung der Tatsache, dass ein Mensch sein Leben selbst durch produktive Tätigkeit erhalten muss) und Stolz (Anerkennung der Tatsache, dass ein Mensch die zur Selbsterhaltung erforderlichen Tugenden selbst entwickeln muss).170 Als moralisch gilt Rand daher eine Person, die effizient diejenigen Ziele verfolgt, die zur Erhaltung des eigenen Lebens dienen.171 Der Mensch ist selbst gefordert und in der Lage, sich durch Entschluss zum Vernunftgebrauch in diesen Zustand des wahren Menschsein zu bringen. Er verleiht sich durch diese Tugenden zur Selbsterhaltung selbst den Wert, erhalten zu werden.172 Gefühle spielen keine Rolle für die Erkenntnis, welche Werte der Mensch anstreben sollte.173 Insofern grenzt sich Rand von ethischen Systemen ab, die die unmittelbare Durchsetzung des Willens als solche legitimieren.174 Allerdings können Gefühle wie Freude und Schmerz als Indizien dafür wahrgenommen werden, ob ein Zustand dem rational als lebensförderlich Erkannten entspricht.175 Individuelle Glückseligkeit („happiness“), verstanden als die Emotion, welche der Verwirklichung aller lebensförderlichen Werte entspricht, ist daher der Zustand, auf den menschliches Streben ausgerichtet sein sollte.176 3.) Atomistischer Individualismus. Rand versteht den Menschen in geradezu atomistischer Weise als ein Individuum, für dessen Identität die Bezogenheit auf andere Menschen nicht notwendiger Weise Bedeutung hat.177 Das Individuum bestimmt sein Ergehen selbst und ist dabei nicht auf andere angewiesen.178 169 Vgl.
Rand 1989h, xi; Rand 1993, 539; Peikoff 1993, 219. Rand 1989g, 27–30; Rand 1996, 932. 171 Vgl. Rand 1996, 418. 172 Vgl. Rand 1996, 720 f., 931, 934, 968 f.; Rand 1993, 355 f. 173 Vgl. Rand 1989d, 57 f. 174 Vgl. Rand 1989h, xi; Peikoff 1993, 246 f. Beide werfen Nietzsche in diesem Sinne Subjektivismus vor, da er die Gefühle als solche als normative anerkenne, ohne sie rational zu qualifizieren. 175 Vgl. Rand 1989g, 18; Rand 1996, 946; Peikoff 1993, 155 f., 162, 335 f. Entscheidend für die Qualität von Gefühlen ist also, dass die Werte, deren Erfüllung sie anzeigen, rational begründet sind (vgl. Rand 1996, 814). 176 Vgl. Rand 1989e, 56; Rand 1996, 928, 934, 940, 970; Peikoff 1993, 335 ff. 177 Diese Anthropologie repräsentiert die idealisierte Hauptfigur in Rands Roman „The Fountainhead“. Der Architekt Howard Roark ist weder in seinem künstlerischen Schaffen noch in seiner Persönlichkeit geprägt von kulturellen oder familiären Zusammenhängen. Seine Einstellungen erwachsen ausschließlich dem individuellen Vernunftgebrauch, für den der Austausch mit anderen keine grundlegende Bedeutung hat (vgl. Rand 1993, bes. das programmatische Gespräch mit dem Dekan, 20–27). Vgl. dazu auch Rand 1993, 330; Rand 1989d; Rand 1996, 433 sowie Dietz 2011, 270. 178 Vgl. Rand 1996, 36. 170 Vgl.
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Diese anthropologische Position ist für Rand auch in normativer Hinsicht leitend. Ein Individuum, das sein eigenes Leben im Bezug auf andere relativiert, relativiert zugleich das menschliche Leben als höchstes Gut überhaupt und handelt damit unmoralisch. Moralische Tugendhaftigkeit erweist sich für Rand also darin, das eigene Leben als obersten Zweck anzuerkennen und zu verfolgen.179 Sie spricht daher von „rational selfishness“ und der „Virtue of Selfishness“.180 Ein Interesse am Leben und Wohlergehen anderer ist dann moralisch, wenn dieses dem eigenen Leben und Wohlergehen förderlich ist.181 4.) Individuelle Rechte und Freiheit. Wie moralische Werte, so leitet Rand auch moralische Rechte aus der Existenz des Menschen ab. Grundlegend für die objektivistische Ethik ist das Recht zu leben. Da der Mensch selbst für die Erhaltung seines Lebens zu sorgen hat, hat er auch das Recht zu allen dafür erforderlichen Aktivitäten.182 Da Produktivität für die Selbsterhaltung erforderlich ist, sind Eigentumsrechte ein Korrelat des fundamentalen Rechts auf Leben.183 Umgekehrt schließt dieses Recht jeden Anspruch auf die Ergebnisse der Produktivität anderer aus.184 Allgemein gilt: Wie aus der eigenen Existenz die eigenen Rechte folgen, so folgen aus der Existenz anderer dieselben Rechte. Diese durch Verwendung von physischem Zwang zu verletzen, wäre also ein Verstoß gegen die Realität und daher moralisch verwerflich. Freiheit beschreibt für Rand den Zustand, in dem Individuen bei der Ausübung ihrer Rechte nicht gehindert werden. Sie bildet eine zentrale normative Kategorie, da sie überhaupt erst die Möglichkeit bietet, die eigene Existenz zu sichern.185 5.) Politische Ethik und Ethik des Kapitalismus. Trotz seiner individualistischen Verfasstheit ist Sozialität für den Menschen von Vorteil, da sie den Austausch von Wissen und Handel ermöglicht, was den jeweils Beteiligten ermöglicht, ihre Zwecke effizienter zu verfolgen.186 Staatliche Gewalt hat daher die Aufgabe, das
Vgl. Rand 1989g, 30; Rand 1996, 79, 445, 928; Peikoff 1993, 230 ff. 1989h, xi. Vgl. auch den Titel des Sammelbandes: „The Virtue of Selfishness“. 181 Vgl. Rand 1989e, 51 f.; Peikoff 1993, 238 f. Unmoralisch ist hingegen jeder Anspruch an andere, der sich nicht aus ihrem Eigeninteresse ableiten lässt (vgl. Rand 1996, 924 f.). 182 Vgl. Rand 1989c, 110: „There is only one fundamental right (all the others are its consequences or corollaries): a man’s right to own his life. Life is a process of self-sustaining and generated action; the right to life means the right to engage in self-sustaining and self-generated action“. Vgl. Rand 1996, 972; Peikoff 1993, 351 ff. 183 Vgl. Rand 1989c, 110; Rand 1996, 972 f. 184 Vgl. Rand 1989c, 113; Rand 1989c, 113. 185 Vgl. Rand 1989c, 110 (Hervorhebung B. G.): „[T]he right to live means the right to engage in self-sustaining and self-generated action – which means the freedom to take all the actions required by the nature of a rational being for the support, the furtherance, the fulfillment and the enjoyment of his own life.“. 186 Vgl. Rand 1989g, 35; Rand 1989e, 53. 179
180 Rand
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Zusammensein von Menschen zu ermöglichen, indem sie vor der Anwendung von physischem Zwang schützt.187 Aus den individuellen Rechten ergibt sich das Recht, zur Selbstverteidigung und zur Vergeltung von Rechtsverletzungen (einschließlich bei Vertragsbruch) Gewalt anzuwenden. Dieses Recht übertragen Individuen auf ihre Regierung, da es nur so geordnet und objektiv ausgeübt werden kann.188 Die Regierung hat daher (ausschließlich) folgende Funktionen: Polizei (Schutz vor Zwang durch Mitbürger), Armee (Schutz vor Zwang von außen) und Gerichtswesen (Schutz vor Verletzung von Eigentumsrechten und Verträgen).189 Hingegen hat sie nicht das Recht, selbst Zwang zu initiieren und so die Rechte ihrer Bürger zu verletzen. Dies wäre bereits dann der Fall, wenn eine Regierung durch die Erhebung von Steuern Eigentumsrechte verletzen würde. Rand plädiert dagegen für eine freiwillige bzw. auf Gebühren gestützte Finanzierung staatlicher Ausgaben.190 Daraus folgt, dass nur ein freies, kapitalistisches Wirtschaftssystem mit individuellen Rechten vereinbar ist.191 Die moralische Qualität des Kapitalismus liegt darin begründet, dass der Kapitalismus mit der Vorstellung bricht, beim wirtschaftlichen Handeln gehe es um eine gemeinschaftliche Aktivität. Stattdessen geht er von einer freiwilligen Kooperation von Individuen aus. Er basiert also auf der Tugend der Freiheit.192 Er erkennt deswegen den Anspruch des Individuums auf die Produkte seiner Tätigkeit an, wird also der Tugend der Produktivität gerecht. Dies impliziert zugleich, dass jeder Anspruch auf die Produkte der Tätigkeit eines anderen abgelehnt wird.193 Die Begründung des kapitalistischen Wirtschaftssystems erfolgt bei Rand ausschließlich auf Basis individueller Freiheitsrechte. Eine Argumentation zugunsten des Kapitalismus, die auf seinen Beitrag zur Förderung des Gemeinwohls verweist, lehnt sie strikt ab, da die Kategorie des Gemeinwohls objektivistischer Ethik gerade widerspricht.194 Da die Legitimität des Kapitalismus in seiner moralischen Grundlegung begründet ist, lassen sich keinerlei Einschränkungen freiwilliger Kooperation vertreten.195 6.) Friedmans Rand-Rezeption. Ayn Rand wirkte in den USA in etwa zur selben Zeit wie Milton Friedman. Beide leisteten einen erheblichen Beitrag zur Popularisierung und Verbreitung libertären Gedankenguts. Friedman nennt sie 187 Vgl.
Rand 1989g, 36; Rand 1996, 973; Peikoff 1993, 363 ff. Rand 1989f, 126–129. 189 Vgl. Rand 1996, 973. 190 Vgl. Rand 1989b, bes. 135. 191 Vgl. Rand 1989c, 117; Rand 2007a, vii; Peikoff 1993, 380 ff.; Dietz 2011, 283 f. 192 Der Gegenentwurf zu einem kapitalistischen Wirtschaftssystem beruht nach Rand auf einem „tribal premise“ (vgl. Rand 2007b, 5, 10 f.). 193 Vgl. Rand 2007b, 19, 23 f. 194 Vgl. Rand 2007b, 12; Peikoff 1993, 392 ff. 195 Vgl. Rand 2007b, 24. 188 Vgl.
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häufig, wenn es darum geht, diesen Beitrag für die allgemeine Debatte zu würdigen. Er erkennt eine große Nähe seiner Ideen zum Konzept Ayn Rands und bewertet ihren allgemeinen Einfluss positiv.196 Zugleich lässt Friedman stets eine gewisse Distanz zu Rand erkennen. So betont er, dass er ihr nie persönlich begegnet sei,197 und wirft ihr Geschichtsvergessenheit vor.198 Insbesondere kritisiert Friedman an Rand, diese sei dogmatisch bzw. intolerant.199 Abgesehen von einer kritischen Auseinandersetzung mit Rands Intoleranz200 zitiert Friedman Rand in seinen schriftlichen Arbeiten nicht. Ihre Werke kannte er nach eigener Aussage aber durchaus.201 Es ist davon auszugehen, dass Rand zwar interne libertäre Debatten prägte und Friedman sich so indirekt mit ihren Thesen auseinandersetzen musste. Darüber hinaus ist aber keine Rezeption von Rands Gedankengut festzustellen.
2.7 Die Bedeutung der ideengeschichtlichen Hintergründe für die Friedman-Interpretation Friedman bezieht sich positiv auf eine Reihe von Autoren. Diese bilden, wie hier deutlich wurde, jedoch keineswegs einen monolithischen Block, sondern vertreten jeweils einen Liberalismus mit unterschiedlichen Ausprägungen. Folgende Unterschiede lassen sich in Friedmans „Ahnengalerie“ feststellen. Erstens begegnen eher utilitaristisch argumentierende Positionen (Smith, Mill, Simons, Hayek) und Positionen, die eher den Eigenwert von Freiheit betonen (Jefferson, Knight, Rand). Zweitens konzipieren die meisten, aber nicht alle (Ausnahme Jefferson) der genannten Autoren Freiheit ausschließlich als die Freiheit menschlicher Individuen. Drittens verstehen manche Referenzautoren Freiheit ausschließlich als Abwesenheit von Zwang (Mill, Knight, Hayek, Rand), während andere Freiheit mit der Möglichkeit verbinden, über Handlungsalternativen zu verfügen (Viner, Simons). Viertens stehen sich Positionen, die Freiheit zum zentralen sozialethischen Wert erklären (Mill, Hayek, Rand), und Positionen, die Freiheit als einen wichtigen Wert neben anderen erachten (Knight, Viner), gegenüber. Fünftens wird das Verhältnis der ökonomischen und der politischen Dimension von Freiheit unterschiedlich gewichtet. Während etwa Adam Smith allein die ökonomische Dimension in den Blick nimmt, hat diese für John Stuart Mill eine 196 Vgl. Friedman 1991b, 17 f.; Friedman 2000a, On Friedrich Hayek and the Mont Pelerin meeting; Friedman und Doherty 1995, 4, 6; Friedman und Lamb 2000, 33:30; Friedman 1976 (MFA 230.12). 197 Vgl. Friedman und Doherty 1995, 6; Friedman und Lamb 2000, 34:50. 198 Vgl. Friedman und Doherty 1995, 6. 199 Vgl. Friedman 1991b, 17 f.; Friedman und Lamb 2000, 34:00, 57:00. 200 Vgl. Friedman 1991b. 201 Vgl. Friedman 1976 (MFA 230.12).
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untergeordnete Bedeutung. Für Ayn Rand oder Friedrich August von Hayek wiederum ist die Unterscheidung kaum von Bedeutung. Sechstens unterscheiden sich die institutionentheoretischen Konsequenzen. Die Konzepte variieren von minimalstaatlichen Vorstellungen, die sogar das Erheben von Steuern ablehnen (Rand), bis hin zu Forderungen nach sozialer Sicherung und ökonomischer Umverteilung mit egalitären Zielen (Viner, Simons). Aus diesen Beobachtungen ergeben sich Fragen für die nun folgende Friedman-Interpretation. Hier wird unter anderem zu klären sein, wie sich Friedman in diesen strittigen Fragen über die Begründung des Freiheitsideals, die Subjekte von Freiheit, das genaue Verständnis von Freiheit, die Relation von Freiheit zu anderen Werten, das Verhältnis der ökonomischen und der politischen Dimension von Freiheit und die institutionentheoretischen Konsequenzen positioniert. Dabei dominiert ein systematisches Interesse. Daher steht nicht die Frage im Vordergrund, welche Rolle die angeführten (und andere) Referenzautoren im Einzelnen für Friedman gespielt haben. Wo Gemeinsamkeiten und Differenzen mit ihnen deutlich werden und helfen, Friedmans Position zu profilieren, wird auf sie – vorzugsweise in den Anmerkungen – hingewiesen.202
202 Eine Diskussion anderer Konzepte erfolgt zwar gelegentlich ebenso, aber weniger gründlich. Das gilt auch dann, wenn andere Autoren thematisch und inhaltlich eine große Nähe zu Friedman aufweisen, wie es etwa bei James M. Buchanan und Robert Nozick der Fall ist.
Teil II
Systematische Rekonstruktion Milton Friedman hat über einen Zeitraum von über 50 Jahren hinweg in unterschiedlichen Weisen zu ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Fragen öffentlich Stellung bezogen. Dabei spielte durchgehend das Thema „Freiheit“ eine zentrale Rolle. Bereits in der Einleitung wurde angedeutet, dass mit diesem Begriff sehr unterschiedliche Vorstellungen verbunden werden. Das vorangehende Kapitel hat gezeigt, dass selbst innerhalb der liberalen Tradition, auf die sich Friedman beruft, erhebliche Unterschiede bestehen. In Anbetracht dessen soll nun nach dem Verständnis von Freiheit gefragt werden, wie es Friedman in seinen Stellungnahmen voraussetzt. Dabei ist der Grundsatz leitend, Friedman zunächst so konsistent wie möglich zu verstehen und darzustellen. Kritische Anfragen werden daher so weit wie möglich zunächst zurückgestellt. Anders als einige seiner Referenzautoren hat Friedman sein Verständnis nicht zusammenhängend entfaltet, sondern zumeist anhand konkreter Fragestellungen entwickelt. Die Interpretation bekommt daher weitgehend den Charakter einer systematisierenden Rekonstruktion. Die Genese von Friedmans Freiheitsverständnis steht nicht im Mittelpunkt dieser Arbeit. Auf eine chronologische Darstellung der Quellen kann daher verzichtet werden. Gelegentlich zeigt sich jedoch beim Versuch, die Vielfalt der Schriften kohärent zu verstehen, dass sich im Laufe der Zeit Zuspitzungen oder Weiterentwicklungen feststellen lassen. Die eigentliche Frage, was Friedman unter „Freiheit“ versteht, wird in Abschnitt II.3 beantwortet. Es zeigt sich aber, dass dies und die Frage, warum Freiheit eine für Friedman so wichtige normative Kategorie ist, nur verständlich wird, wenn man sich zunächst seine erkenntnistheoretischen (II.1) und anthropologischen (II.2) Voraussetzungen vergegenwärtigt. Die begriffliche Klärung gewinnt an Profil, wenn man betrachtet, wie Friedman verschiedene Dimensionen von Freiheit behandelt (II.4) und wie er das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung (II.5) sowie von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit (II.6) bestimmt. Schließlich wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Friedman seine Freiheitstheorie in Auseinandersetzung mit konkreten Fragen über die Gestaltung gesellschaftlicher Institutionen entwickelt. Es wird daher gezeigt, welche Konsequenzen sich aus seinem Vorgehen für die Bedeutung der Institutionen Markt (II.7), Staat (II.8) und Moral (II.9) ergeben.
1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur Dass Freiheit die zentrale Kategorie in Friedmans normativem Konzept ist, zeigt bereits ein flüchtiger Blick auf den Titel seiner beiden populärwissenschaftlichen Hauptwerke „Capitalism and Freedom“ und „Free to Choose“. Ehe das genaue Verständnis von Freiheit und seine sozialethischen Konsequenzen entfaltet werden können, soll zunächst gefragt werden, welchen Stellenwert die zentrale Kategorie in struktureller Hinsicht für Friedmans Argumentation hat. Hierauf eine Antwort zu finden ist das Ziel des ersten Kapitels. Es untersucht daher die formale Struktur von Friedmans Argumentation. Im Einzelnen ist zunächst erkenntnistheoretisch zu klären, in welcher Form Friedman Aussagen über die Wirklichkeit für möglich und wahrheitsfähig hält (1.1). Ausgehend von dem dabei erkennbaren erkenntnistheoretischen Dualismus lässt sich zeigen, dass die Überzeugung von der normativen Zentralstellung von Freiheit am ehesten in der Kategorie des Glaubens gefasst werden kann (1.2). Anschließend soll erörtert werden, dass Friedman sowohl Freiheit selbst als ethisches Fundamentalkriterium heranzieht (1.3) als auch utilitaristisch-instrumentelle Argumente für die Freiheit anführt (1.4), und das Verhältnis dieser beiden Argumentationsweisen zueinander geklärt werden (1.5). Abschließend wird darauf hingewiesen, dass Friedmans Argumentation im Unterschied zu einer utilitaristischen Begründung eine güterethische Argumentationsstruktur aufweist (1.6).
1.1 Erkenntnistheoretischer Dualismus: Normative und Positive Ökonomik 1.) Erkenntnistheoretischer Skeptizismus. Friedman ist grundsätzlich skeptisch bezüglich der Frage, ob Wissen in irgendeiner Form möglich ist.1 Wahre Aussagen über die Wirklichkeit können nach Friedman nicht a priori rein durch logische Schlüsse erzielt werden. Letztere garantieren ein in sich widerspruchsfreies Gedankensystem. Damit ist aber noch nichts über ihren Wirklichkeitsgehalt ausgesagt. Dieser bemisst sich daran, inwiefern sie mit beobachtbaren 1 Vgl. Friedman 1975 (MFA 154.3): „Indeed, I myself find it impossible to attach any meaning to the assertion that a theory is known to be true.“
1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur
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Tatsachen übereinstimmen.2 Friedman entfaltet seine erkenntnistheoretischen Ansichten insbesondere im Zusammenhang seiner Überlegungen zur Methodologie. Dabei steht er explizit in der Tradition von Karl Poppers kritischem Rationalismus einerseits3 und dem Konzept personaler Wahrscheinlichkeit bei James L. Savage und Bruno de Finetti4 andererseits.5 Dem kritischen Rationalismus folgend geht Friedman davon aus, dass die Verifikation von Hypothesen letztlich unmöglich ist, da hierfür ihre Gültigkeit für alle denkbaren (also unendlich viele) Fälle notwendig wäre. Endgültige Gewissheit ist daher schlichtweg nicht möglich. Dennoch ist das Bild eines Menschen von der Welt nicht völlig willkürlich. Eine Hypothese erscheint als um so vertrauenswürdiger, wenn es mehrfach misslungen ist, sie zu widerlegen. Insofern ist Wissen (nur) annäherungsweise möglich.6 Die Theorie personaler Wahrscheinlichkeit ergänzt diese These. Sie geht davon aus, dass Wahrscheinlichkeit nicht in objektiv gegebenen Gesetzmäßigkeiten liegt, sondern eine Einschätzung der jeweiligen Person darstellt.7 Friedman überträgt diese Vorstellung von der Wahrscheinlichkeitstheorie auf die Erkenntnistheorie als ganze.8 Damit ist die Gewichtung, mit der Individuen eine nicht falsifizierte Hypothese für verlässlich halten, je individuell verschieden. Letztlich kann also auch durch wiederholt misslungene Widerlegung Wahrheit nicht objektiv erreicht werden.9 Es kann jedoch gelingen, subjektive Einschätzungen einander zunehmend anzugleichen und so Einigkeit zu erreichen. Objektivität ist für Friedman also nicht durch ein Ausschalten oder Übergehen der Subjektivität möglich, sondern stellt lediglich ein hohes Maß übereinstimmender subjektiver Einschätzungen dar.10 2 Vgl.
Friedman 1987m, 156, 158. TLP, 215; Friedman 1975 (MFA 154.3). 4 Vgl. TLP, 146, 199, 215 f.; Friedman 1975 (MFA 154.3), 2. Mit Savage arbeitete Friedman von 1943–1945 bei der Statistical Research Group in New York zusammen. Gemeinsam mit ihm veröffentlichte er mehrere Aufsätze, die auch methodologische Fragen ansprechen, insbesondere „The Utility Analysis of Choices involving Risk“. 5 Parallelen lassen sich außerdem zur Erkenntnistheorie Frank H. Knights erkennen (vgl. McKinney 1975, 782 f.). Einen Bezug darauf weist Friedman nicht explizit aus. Knight entwickelte seine Wissenschaftstheorie allerdings auch in einer Form weiter, die Friedmans Positivismus gerade entgegensteht (vgl. Emmett 2010, 282–284). 6 Vgl. Friedman 1987m, 157: „Factual evidence can never ‚prove‘ a hypothesis; it can only fail to disprove it, which is what we generally mean when we say, somewhat inexactly, that the hypothesis has been ‚confirmed‘ by experience.“ Vgl. Friedman 1987m, 166. Vgl. zu den Hintergründen Popper 1973, 8, 14 f. sowie De Finetti 1981, 691 f. 7 Vgl. De Finetti 1981, bes. 6–12; Savage 1954, bes. 3 f., 27 ff. 8 Vgl. Friedman 1975 (MFA 154.3), 2. 9 Vgl. Friedman 1987m, 171: „There is never certainty in science, and the weight of evidence for or against a hypothesis can never be assessed completely ‚objectively‘.“ 10 Vgl. Friedman 1975 (MFA 154.3), 2: „They [de Finetti und Savage, denen sich Friedman anschließt, B. G.] claimed that probability judgments are judgments held by individuals separately, that there is nothing objective about any of these, and that the only way to define objec 3 Vgl.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Voraussetzung dafür ist, dass personale Wahrscheinlichkeit von Beobachtungen der Wirklichkeit beeinflusst wird.11 Lediglich die Bewertung und Einordnung solcher Beobachtungen, nicht diese selbst oder gar die Wirklichkeit als solche werden subjektivistisch verstanden.12 Diese Überlegungen haben Konsequenzen dafür, wie überhaupt verlässliche Aussagen über die Wirklichkeit gemacht werden können. Annäherungsweises Wissen und zunehmende Übereinstimmung werden gleichermaßen erreicht durch den wiederholt erfolglosen Versuch, eine Hypothese zu widerlegen. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass eine Hypothese nicht tautologisch oder „leer“ ist, dass sie also grundsätzlich widerlegt werden kann. Ist diese Voraussetzung gegeben, kann empirisch-wissenschaftliche Untersuchung die Validität einer Hypothese überprüfen. [T]he only relevant test of the validity of a hypothesis is comparison of its predictions with experience. The hypothesis is rejected if its predictions are contradicted […]; it is accepted if its predictions are not contradicted; great confidence is attached to it if it has survived many opportunities for contradiction.13
Endgültige Gewissheit ist also in keinem Fall möglich. Empirische Überprüfung kann jedoch durchaus dazu führen, dass bestimmten Thesen intersubjektiv ein hohes Maß an Verlässlichkeit zugeschrieben wird. 2.) Erkenntnistheoretischer Dualismus. Nur empirisch überprüfbare Hypothesen können demnach in einem schwachen Sinne den Status von Wissen erreichen. Friedman vertritt jedoch nicht die Position, dass ausschließlich solche Aussagen überhaupt wahrheitsfähig sind: „Consider the proposition that a theory can be true yet untestable. I have no doubt that is correct.“14 Unter diese Kategorie fallen ethische Normen.15 Friedman geht davon aus, dass diese weder aus empirischen Beobachtungen gewonnen noch rein logisch deduziert werden können. Es gibt vielmehr unterschiedliche in sich konsistente tive probability is in terms of agreement among different person’s subjective probabilities.“ Vgl. Savage 1954, 67 f. 11 Vgl. De Finetti 1981, 169, 223 ff.; Savage 1954, 66 ff., 105 ff., bes. 108. 12 Vgl. Friedman 1987m, 173. Vgl. De Finetti 1981, 8–12, 674 Anm. 4; Savage 1954, 9. Es geht der personalen (so Savage) bzw. der subjektivistischen (De Finetti) Wahrscheinlichkeitstheorie also gerade nicht um einen subjektivistischen Wahrheitsbegriff, nach dem die Wahrheit selbst subjektivistisch wäre (vgl. De Finetti 1981, 674 Anm. 4). 13 Friedman 1987m, 157; vgl. Friedman 1987m, 159. Dass Friedman hier auf die Prognosefähigkeit der Hypothese abzielt, ist nicht grundsätzlich auf die erkenntnistheoretische Grundlegung zurückzuführen. Im Zusammenhang des Zitates diskutiert er jedoch den Umgang mit solchen Hypothesen, die nicht den Anspruch erheben, direkt Aussagen über die Wirklichkeit zu machen, sondern die als Prognosewerkzeuge eingesetzt werden sollen. 14 Friedman 1975 (MFA 154.3), 1. 15 Im Unterschied zu Friedman negiert dies Karl Popper. Vgl. Popper 1992, 70: „Ein normatives Gesetz […] ist es [wahr oder falsch, B. G.] nur in einem metaphorischen Sinn, denn es beschreibt keine Tatsache, sondern legt Richtlinien für unser Verhalten fest.“
1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur
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normative Vorstellungen.16 Damit entfallen für ihn alle Möglichkeiten, normative Dissense intersubjektiv zu lösen. Grundsätzlich stehen sie in ihrem jeweiligen Wahrheitsanspruch unverbindbar nebeneinander. „Fundamental differences in basic values […] can [ultimately, B. G.] only be decided, though not resolved, by conflict.“17 Friedman folgert daraus, dass normative Überzeugungen – wie alle nicht überprüfbaren Hypothesen – nicht den Status von Wissen annehmen können.18 Friedman ordnet seine normativen Überzeugungen daher nicht dem Bereich der Wissenschaft zu.19 Stattdessen führt die Unterscheidung zwischen überprüfbaren und nicht überprüfbaren Aussagen – wiederum in Übereinstimmung mit Poppers kritischem Rationalismus20 – zu einem erkenntnistheoretischen Dualismus. Während letzte Gewissheit in keinem Bereich möglich ist, kann im Bereich des Überprüfbaren zumindest annäherungsweise objektivierbares Wissen erreicht werden. Im Bereich des nicht Überprüfbaren ist weder ein höheres Maß an Gewissheit noch eine intersubjektive Verständigung möglich. Menschen greifen daher immer auf zwei grundverschiedene Arten von Überzeugungen zurück, die es sorgfältig zu unterscheiden gilt: ethische Überzeugungen einerseits und empirisches Wissen andererseits. Am I required to shift my moral, ethical, welfare – or whatever other word one may use for such absolutes – position according as experience in using the hypothesis leads us to accept, reject or modify it? Alternatively, should my willingness to accept, reject or modify an hypothesis about observable phenomena be determined or altered by my ethical and philosophical position? […] Science is science and ethics is ethics; it takes both to make a whole man; but only confusion, misunderstanding and discord can come from not keeping them separate and distinct, from trying to impose the absolutes of ethics on the relatives of science.21
Der erkenntnistheoretische Dualismus führt bei Friedman also nicht dazu, dass er einen der beiden Bereiche als irrelevant erachten würde. Der methodische Umgang hat sich jedoch am unterschiedlichen Zustandekommen der Über16 Vgl. CaF, 187: „This position [Paternalismus, B. G.] is internally consistent and logical. A thorough-going paternalist who holds it cannot be dissuaded by being shown that he is making a mistake in logic. He is our opponent on grounds of principle.“ Vgl. Friedman 1987k, 16. 17 CaF, 24; vgl. Friedman 1987m, 155. 18 Vgl. Friedman 1975 (MFA 154.3), 2: „The assertion that I can know something to be true even if there is no test for it, no way in which I can specify observations which would contradict it, seems to me fundamentally inconsistent with stress on humility.“ 19 Vgl. TLP, 213. 20 Karl Popper unterscheidet zwischen „Naturgesetzen“ und „normativen Gesetzen oder Normen“ (Popper 1992, 69). Erstere können potenziell falsifiziert, letztere nur anerkannt oder abgelehnt werden. Ausgeschlossen ist daher, dass normative Aussagen durch empirische Beobachtungen begründet werden. Vgl. Popper 1992, 77: „Aus der Feststellung einer Tatsache läßt sich niemals ein Satz herleiten, der eine Norm, eine Entscheidung oder einen Vorschlag für ein bestimmtes Vorgehen ausspricht“ (im Original kursiv). 21 Friedman 1955b, 409.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
zeugungen zu orientieren. Dem erkenntnistheoretischen Dualismus entspricht daher auch Friedmans Wissenschaftstheorie. 3.) Wissenschaftstheorie. In Anschluss an John Neville Keynes22 unterscheidet er drei Formen von systematisierten Überzeugungen in der Ökonomik: Ökonomik als „positive science“ darüber, was ist; Ökonomik als „normative science“ darüber, was sein sollte; Ökonomik als „art“, als zum Erreichen des Angestrebten erforderliches Regelwissen.23 Friedman gesteht zwar ein, dass faktisch positive Ökonomik permanent beeinflusst wird von den normativen Ansichten, die den Ökonomen jeweils prägen. Aber zugleich hält er am Ideal einer wertfreien positiven Ökonomik fest.24 Deren entscheidender Grundzug beschreibt er folgendermaßen: Its task is to provide a system of generalizations that can be used to make correct predictions about the consequences of any change in circumstances. […] Positive economics is, or can be, an ‚objective‘ science, in precisely the same sense as any of the physical sciences.25
Im Lichte der erkenntnistheoretischen Grundlegung kann „objektive“ Erkenntnis hier nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Methode verstanden werden, 22 Vgl. Keynes 1891, 31–36, bes. 34 f. Auch bei Keynes liegt der Unterscheidung ein erkenntnistheoretischer Dualismus zugrunde (vgl. Keynes 1891, 41). 23 Vgl. Friedman 1987m, 155. Weder Friedman noch Keynes beziehen sich explizit auf das offensichtlich im Hintergrund stehende Verständnis von Kunst bei Aristoteles. Bei diesem bezeichnet „Kunst“ ein aus Anschauung gewonnenes Regelwissen, das hilft, praktische Herausforderungen zu bewältigen (vgl. Aristoteles, Metaphysik, 980b–982a [Aristoteles 1966, 9 ff.]). 24 Vgl. Friedman 1987o, 4: „A wert-frei economics is an ideal and as most ideals often honored in the breach. The economist’s value judgements doubtless influence the subjects he works on and perhaps also at times the conclusions he reaches. And […] his conclusions react on his value judgments. Yet this does not alter the fundamental point that, in principle, there are no value judgments in economics.“ Vgl. Friedman 1987m, 154: „Laymen and experts alike are inevitably tempted to shape positive conclusions to fit strongly held normative preconceptions and to reject positive conclusions if their normative implications – or what are said to be their normative implications – are unpalatable. Positive economics is in principle independent of any particular ethical position or normative judgments.“ Friedman Verwendung des deutschen Begriffs „wertfrei“ weist darauf hin, dass er hier in der Tradition Max Webers steht (vgl. Weber 1988a, bes. 527–530). Es gibt jedoch keine Hinweise auf einen direkten Bezug auf Weber. Wahrscheinlicher ist eine Vermittlung des Begriffs z. B. durch Frank H. Knight, der sich intensiv mit Weber beschäftigte und ihn erstmals ins Englische übersetzte (vgl. Emmett 2010, 282), oder durch Popper. Dass dieses Ideal grundsätzlich nicht erreichbar ist und dass insbesondere Friedmans „positive“ ökonomische Arbeit stärker von normativen Voraussetzungen beeinflusst ist, als dieser zugesteht, ist überzeugend nachgewiesen von Michael Kraft (vgl. Kraft 2005, bes. 203, sowie McLellan, 114 f.). An dieser Stelle soll jedoch nicht Friedmans These selbst diskutiert, sondern ihre Bedeutung für den Umgang mit der normativen Dimension der Freiheitsthematik geklärt werden. 25 Friedman 1987m, 154; vgl. TLP, 458. Die These einer wertfreien positiven Ökonomik teilt Friedman mit John Neville Keynes (vgl. Keynes 1891, 37–45). Im selben Sinne spricht Popper von den „Naturgesetze[n] der Wirtschaftswissenschaft“ (Popper 1992, 75; Popper 1992, 81). Sie beziehen sich auf Tatsachen, gelten unbedingt und sind falsifizierbar (vgl. Popper 1992, 70).
1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur
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die gänzlich unabhängig von personaler Einschätzung erfolgt. Vollständig lassen diese sich für Friedman wie gezeigt nicht aus dem wissenschaftlichen Urteil ausschließen. Seine Vorstellung objektiver Wissenschaft hat ihren Kern darin, dass die Beobachtung empirischer Phänomene für ihn intersubjektive Verbindlichkeit besitzt.26 Hypothesen, die empirisch überprüfbar sind, sind für ihn Gegenstand möglichen Wissens und objektiver, positiver Wissenschaft.27 Auffällig ist, dass für Friedmans Unterscheidung die Differenz zwischen Natur‑ und Sozialwissenschaften keine grundlegende Rolle spielt. Er erkennt zwar Unterschiede hinsichtlich des empirisch-experimentellen Zugangs zu den jeweiligen Phänomenen.28 Was Friedman jedoch nicht systematisch reflektiert, ist die Frage, ob Naturgesetze und soziale Gesetze gleichermaßen konstituiert werden und ob ihnen von daher dieselbe Geltung zukommt.29 Die ökonomische Kunst basiert in ihrem Urteil über wünschenswerte wirtschaftspolitische Maßnahmen einerseits auf Einsichten über ihre zu erwartenden Folgen, die mit den Mitteln der positiven Ökonomik objektiv festgestellt werden können. Wie diese Konsequenzen beurteilt werden, ist andererseits jedoch von Werten abhängig, die nicht selbst der positiven Ökonomik entnommen werden.30 Normative Ökonomik und ökonomische Kunst enthalten also nicht-wissenschaftliche Elemente, sofern – wie im vorliegenden Zitat – Wissenschaft gleichgesetzt wird mit positiver, empirischer Wissenschaft. Im Unterschied zu letzterer geht es in ihnen um die Systematisierung von Überzeugungen, die nicht möglicher Gegenstand von Wissen sind. Da Friedman von einer prinzipiellen Differenz zwischen ethischen und ökonomischen Positionen ausgeht, ist es auf der Basis unterschiedlicher Werturteile möglich, dass zwei Menschen zwar über die zu erwartenden Folgen einer Maßnahme, nicht aber hinsichtlich der Frage 26 Explizit grenzt Friedman sich damit von der „Praxiology“ Ludwig von Mises ab (vgl. Friedman und Lamb 2000, 1:00:20). Dieser vertritt folgende subjektivistische These: Da menschliches Verhalten Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft darstelle, hätte diese ein „inneres Wissen“ um ihren Gegenstand und damit einen Zugang zum Wissen, der methodisch von dem der Naturwissenschaften prinzipiell unterschieden sei. Vgl. von Mises 1980, 40: „Alles, was unsere Wissenschaft enthält, ist Entfaltung des Begriffes menschliches Handeln. Alles, was wir brauchen, um denkend die Sätze unserer Wissenschaft abzuleiten, ist Wissen um das Wesen des menschlichen Handelns, jenes Wissen, das uns eigen ist, weil wir Menschen sind“. Vgl. von Mises 1980, 3, 31 ff., 39 f. 27 Sein Verständnis von Ökonomik richtet sich daher gegen eine rein formale, nicht auf Empirie bezogene Wissenschaft, wie er es z. B. der Cowles Comission vorwirft (vgl. Ebenstein 2007, 66 f.). 28 Vgl. Friedman 1987m, 154, 158. 29 So betont John Neville Keynes die Differenz zwischen naturwissenschaftlichen und ökonomischen Gesetzen dahingehend, dass letztere in ihrer Wirkweise von Aktionen freier Individuen abhängen und nicht unabhängig von deren ethischen Einstellungen sind (vgl. Keynes 1891, 43 ff., 83 f.). 30 Vgl. TLP, 213; Friedman 1987m, 154. Von einer „moral authority“ der Wissenschaft (so McLellan, 142) geht Friedman also jedenfalls nicht bewusst aus.
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übereinstimmen, ob diese wünschenswert sind.31 Entsprechend betont er auch die kategoriale Differenz zwischen zwei Konzepten von Nutzen („utility“): Nutzen als wissenschaftliche Kategorie der ökonomischen Analyse und als normatives Urteil bezüglich der Wünschbarkeit eines bestimmten Zustandes.32 Friedmans Äußerungen zur Differenz von ethischen Positionen zu Wissen und positiver Ökonomik haben Konsequenzen für die in dieser Arbeit angestrebte Rekonstruktion seiner Position in normativen Fragen. Es zeigt sich, dass er für diese weder eine rationale Letztbegründung noch eine Begründung durch Bezug auf Erfahrung für möglich hält.33 Im Folgenden soll zunächst gefragt werden, ob er darüber hinaus Auskunft über die Herkunft seiner Überzeugungen gibt.
1.2 Der Freiheitsglaube 1.) Indirekte Begründung des Freiheitsprinzips. Friedman geht davon aus, dass für ethische Positionen keine allgemein anerkannte oder verbindliche Begründung möglich ist. Gerade die Unmöglichkeit einer Begründung führt er dann jedoch als Begründung für seine eigene ethische Position an: I regard the basic human value that underlies my own beliefs as tolerance, based on humility. I have no right to coerce someone else because I cannot be sure that I am right and he is wrong.34 [The] real case for freedom is ignorance. If I cannot persuade[,] how can I be sure I am right.35
Die Ansicht, dass die eigenen Wertvorstellungen falsch sein können, ist für ihn ein hinreichender Grund dafür, diese anderen nicht aufzuzwingen, sondern ihnen die Orientierung an je eigenen Wertvorstellungen zu ermöglichen. Die Denkfigur der Argumentation für den Freiheitsglauben mit der Unmöglichkeit von Begründungen soll hier als „indirekte Begründung“ bezeichnet werden. Friedman formuliert diese Argumentation in Auseinandersetzungen mit Ayn 31 Vgl.
Friedman 1987m, 155. Friedman 1987l, 217; Friedman 1955b, bes. 407. 33 Dies ist nicht zwangsläufig aus dem erkenntnistheoretischen Dualismus abzuleiten. Denkbar wäre auch, dass mit der positiven Wissenschaft ein empirischer Zugang zur Wirklichkeit verbunden wird und eine Begründung ethischer Normen a priori im Rahmen einer Vernunftethik erfolgt. John Neville Keynes lässt die Frage der Begründung ethischer Normen offen, indem er normative Ökonomik als Teilbereich der angewandten Ethik auffasst, die sich auf die Frage beschränkt, die Relevanz (vorgegebener) normativer Vorstellungen für den Bereich der Wirtschaft auf wissenschaftliche Weise zu reflektieren (vgl. Keynes 1891, 59 f.). Die Frage, ob und wie die Normen selbst begründet werden können, bleibt bei ihm der Metaethik bzw. der materialen Ethik überlassen. 34 Friedman 1991b, 17; vgl. Friedman 1975 (MFA 154.3), 2; Friedman 1990 (MFA 217.10); Friedman 1993 (MFA 217.11). 35 Friedman 1986 (MFA 217.7), 2. 32 Vgl.
1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur
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Rand und Ludwig von Mises. Beide versuchen, „a priori“ – entweder subjektivistisch ausgehend von unmittelbarem Wissen (von Mises)36 oder objektivistisch durch rationalistische Begründung (Rand)37 – allgemein verbindlich eine libertäre Position zu begründen.38 Ihnen hält Friedman vor, mit einer intoleranten Form des Liberalismus in Widerspruch zu dessen Grundprinzipien zu stehen.39 Die Beobachtungen zu Friedmans Erkenntnistheorie zeigen, dass nicht – wie Friedman zu suggerieren scheint – die unterschiedlichen Charaktere der Protagonisten Grund für diese Differenzen sind. Vielmehr teilt Friedman nicht die Position, dass sich das Freiheitsideal in einem für alle unwiderlegbaren Verfahren als das einzig gültige nachweisen lässt. Dass Friedman die eigene Irrtumsfähigkeit betont, bedeutet jedoch nicht, dass er einen ethischen Relativismus vertritt. Er erachtet die Position seiner Gegner für falsch40, hält ethische Positionen also für wahrheitsfähig. Die Differenz zu empirisch überprüfbaren Aussagen liegt ausschließlich darin, dass diese empirisch falsifizierbar, also möglicher Gegenstand von Wissen sind. 2.) Ethische Überzeugung als „Glaube“. Der Tatsache, dass Friedman seine ethischen Grundüberzeugungen nicht mit dem Anspruch auf allgemeine Zustimmung vorträgt, entspricht es, dass er sie mit religiöser Terminologie beschreibt. So bezeichnet er sich als „believer in freedom“41, spricht von einem „faith“42 und „creed“43 und kündigt an „to deliver a sermon“44. In der gemeinsamen Autobiographie formuliert Rose Friedman: „Who would have dreamed that after retiring from teaching, Milton would be able to preach the doctrine of human freedom to many millions of people“.45 36 Vgl.
oben 55 Anm. 26. oben 43. 38 Allerdings gehen sie dabei diametral entgegengesetzte Wege, was von Friedman nur andeutungsweise aufgezeigt wird. Von Mises setzt ein bei allgemein feststellbaren Motivationen menschlichen Handelns. Von da aus vertritt er die These, mit ökonomischer Analyse ließen sich Wertkonflikte in Mittelkonflikte überführen und Freiheit utilitaristisch begründen (vgl. von Mises 1980, 8; von Mises 2000, 19 f.). Ayn Rand dagegen geht davon aus, dass Werte selbst rational erkannt werden können. Individuelle Freiheit ist bei ihr ein unhintergehbares Recht jedes Individuums (vgl. oben 45). Einen weiteren – von Friedman nicht diskutierten – Versuch einer allgemeingültigen Begründung von Freiheit als höchstem Gut stellt Murray Rothbards Rückgriff auf die naturwissenschaftliche Methode dar (vgl. Rothbard 2002b, 9 f.). Interessanterweise haben also mit Friedman, Rand, von Mises und Rothbard einflussreiche libertäre Denker, die in ihren politischen Positiones große Übereinstimmungen aufweisen, gravierende Differenzen in Bezug auf die Begründung ihrer jeweiligen Position. 39 Vgl. Friedman 1991b, 18. 40 Vgl. Friedman 1983b, 86: „The fundamental value is not …“ (Hervorhebung B. G.). 41 FtC, 242; vgl. FtC, 50 und CaF, ix („belief in individualism and private markets“), 13, 33, 50, 74, 87, 188. 42 Friedman 2012c, 6: „We have a new faith to offer“. 43 Friedman 1961b. 44 Friedman 1983a, 60. 45 TLP, 503; vgl. TLP, 516. 37 Vgl.
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Entsprechend kann er sich in der Auseinandersetzung mit dem Paternalismus über divergierende Werte nicht auf Argumente berufen. Ihm bleibt letztlich nur der Rekurs auf seinen „Glauben“: In discussing moral values here, we are concerned with those that have to do with the relations among people, I do not believe that the fundamental value is to do good to others whether they want you or not. The fundamental value is not to do good to others as you see their good. […] I believe that the fundamental value in relations among people is to respect the dignity and the individuality of fellowmen.46
Um die weltanschauliche Perspektivität von Friedmans Position zu betonen, wird in dieser Arbeit in Anschluss an dessen eigene Wortwahl von seinem „Freiheitsglauben“ gesprochen.47 Zu klären ist nun, welcher Status Freiheit innerhalb des Freiheitsglaubens formal zukommt: Ist Freiheit selbst das ethische Fundamentalprinzip oder ist sie das bevorzugte Mittel zur Erreichung anderer Güter?48 Für beide Interpretationen lassen sich in Friedmans Schriften Anhaltspunkte finden, nur eine von beiden lässt sich allerdings an Friedmans Texten konsistent nachweisen.
1.3 Freiheit als Fundamentalkriterium Freiheit begegnet bei Friedman an zentraler Stelle als ein Wert an sich, nicht als Mittel zur Erreichung anderer Güter (z. B. Innovation und gesellschaftlichem Wohlstand). Dies stellt er zu Beginn von „Capitalism and Freedom“ als eine zentrale Komponente liberaler Philosophie dar: „As liberals, we take freedom of the individual, or perhaps the family, as our ultimate goal in judging social arrangements.“49 Der Grad der Freiheit selbst, nicht durch sie ermöglichter Wohlstand oder sittlicher Fortschritt, zeichnet die Qualität einer Gesellschaft aus. Entsprechend dient die Kategorie der Freiheit durchgehend als entscheidendes Kriterium bei der Abwägung von Güterkonflikten. Wo immer Friedman die Frage nach dem 46 Friedman
1983b, 86 (Hervorhebung B. G.); vgl. CaF, 187. Minogue beschreibt den Liberalismus aus denselben Gründen als eine Ideologie (vgl. Minogue 1963, 17): „The intellectual mark of ideology is the presence of dogma, beliefs […]. In addition, ideologies incorporate some kind of general instructions about behavior – ideals or value-judgments […]. In this sense, liberalism is clearly an ideology“. Friedman bezieht sich lobend auf dieses Werk (vgl. Friedman 1965 (MFA 26.19)). Auf die Bezeichnung als „Ideologie“ verzichte ich einerseits deswegen, weil der Begriff bei Friedman selbst nicht begegnet und andererseits, weil mit ihm häufig ein interessengeleiteter Missbrauch von Ideen assoziiert wird. Der Gebrauch „Glaube“ soll in diesem Sinne neutraler lediglich darauf verweisen, dass keine Letztbegründung für bestimmte Positionen angegeben wird. 48 Vgl. Wolff 2009, 1605 f. Wolff unterscheidet sachlich identisch zwischen deontologischem und konsequentialistischem Liberalismus. 49 CaF, 12; CaF, 5. 47 Kenneth
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Verhältnis von Freiheit und ihren Folgen in normativer Hinsicht thematisiert, betont er den normativen Vorrang von Freiheit. Ausdrücklich hält er fest, dass er eine freie Gesellschaft nicht wegen ihrer größeren Produktivität bevorzuge, sondern dass Freiheit selbst der für ihn grundlegende Wert sei.50 Somit werden die Auswirkungen auf den Grad individueller Freiheit zum Hauptkriterium bei der Beurteilung von politischen Maßnahmen. „[T]he immidiate effect of improving our economic well-being [… is] really a secondary goal to preserving individual freedom.“51 So lehnt Friedman Mindestlöhne primär deswegen ab, weil sie eine Einschränkung der Vertragsfreiheit bedeuten.52 Ähnlich argumentiert Friedman bei der Verteidigung von Eigentumsrechten: „The preservation of liberty, not the promotion of efficiency, is the primary justification for private property.“53 Die These, Freiheit sei höchstes Gut und nicht Mittel zur Erreichung anderer Ziele oder eines von mehreren gleichwertigen Zielen, spitzt Friedman in einer Fernsehdiskussion über den Wert der Gleichheit prägnant zu: Jay: […] I still say that he has given us no moral or ethical arguments to explain why he is denying that perfectly proper concern with equality along with freedom, efficiency and other human objectives. Friedman: The answer is that you can only serve one God. […] My objective, my God, if you want, is freedom. The freedom of human beings and the individuals to pursue their own values.54
Dieser bemerkenswerten Zahl von Belegen, die unterschiedlichen Zusammenhängen und unterschiedlichen Phasen von Friedmans Tätigkeit entnommen sind, stehen keine Stellungnahmen gegenüber, die eine utilitaristische Begründung des Freiheitsglaubens erkennen lassen.55 Vielmehr grenzt sich Friedman explizit von utilitaristischen Positionen ab.56 An keiner Stelle äußert Friedman 50 Vgl. Friedman 1986 (MFA 217.7), 2. Gegen Robert H. Nelson (vgl. Nelson 2001, 140, 147 f.) ist Friedman also hinsichtlich des grundlegenden sozialethischen Kriteriums gerade in der Tradition Knights zu verstehen. 51 Friedman 1973b, 57. Vgl. Friedman 1977 (MFA 224.3), 1: „The basic case for freedom is moral[,] not prudential. If so happened that coercive techniques yielded greater material abundance we would be faced with the necessity of balancing the moral virtues of freedom against the material appeal of abundance; fortunately, we need not face that, because freedom yields greater abundance; that is fortunate but not an accident“. 52 Vgl. Friedman 1973b, 58. 53 Friedman 1978b, 100 f. 54 FtC-TV, 96 f. Friedmans Diskussionspartner an dieser Stelle ist Peter Jay, 1977–1979 britischer Botschafter in den USA. 55 Man kann Friedman also keineswegs vorwerfen, er habe diesen Aspekt seiner Argumentation verschleiert (so Crouch 2011, 86). 56 Vgl. Friedman 1955 (MFA 234.11): „I am not an utilitarian“. Vgl. Friedman o. J. (MFA 216.3): „The fundamental philosophy of the Utilitarians, or any philosophy that puts its emphasis on some kind of a sum of utilities […] does not lead to laisser-faire in principle.“ Dieselbe Position vertritt Friedmans Lehrer Frank Knight. Dieser kritisiert Utilitarismus, Pragmatismus und den klassischen Liberalismus dafür, dass sie keinen Eigenwert der Freiheit anerkennen (vgl. Knight 1941, 100; Knight 1947a, 55). Anders ist die Postion vom Jacob Viner,
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
die Ansicht, zugunsten anderer Ziele seien Zugeständnisse beim verwirklichten Grad menschlicher Freiheit zu machen.57 Dennoch führt Friedman zahlreiche konsequentialistische Argumente an, um seine Entscheidung für Freiheit als höchstes Gut zu untermauern. Diese werden im folgenden Abschnitt dargestellt.
1.4 Utilitaristisch-instrumentelle Argumente für den Freiheitsglauben Die Mehrzahl seiner politisch ausgerichteten Schriften widmet Friedman dem Ziel, die positiven Effekte einer freien Gesellschaft auszuweisen.58 In der Einleitung zu „Free to Choose“ stellt Friedman fest: We are still free as a people to choose whether we shall continue speeding down the ‚road to serfdom‘ […], or whether we shall set tighter limits on government and rely more heavily on voluntary cooperation among free individuals to achieve our several objectives. […] If we are to make that choice wisely, we must understand […] how it is that a complex, organized, smoothly running system can develop and flourish without central direction […]. We must understand why it is that attempts to replace cooperation by central direction are capable of doing so much harm.59
Die zu erwartenden Konsequenzen werden also zum Maßstab für politische Entscheidungen. Es ist eine gängige Argumentationsfigur, dass Friedman nicht die Ziele seiner intellektuellen Gegner kritisiert, sondern ihre Mittel als unangemessen beschreibt.60 Exemplarisch lässt sich dies wiederum an Friedmans Ablehnung eines Mindestlohnes verdeutlichen. Friedman argumentiert durchaus auch mit den zu erwartenden Folgen. Das Ziel einer besseren Entlohnung Geringverdienender stellt er dabei nicht infrage. Nach Friedman wäre bei Einführung eines Mindestlohnes jedoch nicht eine Steigerung der Löhne zu erwarten, sondern steigende Arbeitslosigkeit, insbesondere unter gering qualifizierten Jugendlichen aus benachteiligten Gesellschaftsgruppen.61 Auch am Sozialismus einem weiteren Lehrer Friedmans in Chicago, einzuschätzen. Dieser fordert, Freiheit gegen andere Güter abzuwägen und dabei ihren Beitrag zu ökonomischer Effizienz zu betonen, wie er es bei den Utilitaristen Bentham und J. S. Mill beobachtet (vgl. Viner 1991d, 77; Viner 1949, 368–371, 381). Auf dieser Linie argumetniert Friedmans Freund und Kollege George Stigler (vgl. Stigler 1982b, 16, 21). 57 Damit folgt er auch nicht der Position seiner Lehrer Frank H. Knight und Jacob Viner, die Freiheit durchaus gegen andere Werte abwägen (vgl. oben 34, 35). 58 In „Capitalism and Freedom“ beispielsweise legen die Kapitel I und II die Prinzipien der Freiheit dar, Kapitel III–XII sollen die positiven Konsequenzen zeigen, die eine an Freiheit orientierte Gesellschaftsordnung hat. 59 FtC, 6 f. 60 Vgl. Friedman 1983b, 84; CaF, 197; TLP, 432; Friedman und Heffner 1975, 0:00. 61 Vgl. CaF, 180: „Minimum wage laws are about as clear as a case one can find of a measure the effects of which are precisely the opposite of those intended by the men of good will who support it. […] The effect of minimum wage is therefore to make unemployment higher than it otherwise would be.“ Vgl. FtC, 237 f.; Friedman 1987m, 155; Friedman und Heffner 1975, 0:00
1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur
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kritisiert Friedman meist nicht seine Ziele, sondern die gewählten Mittel und ihre negativen Konsequenzen.62 Als Kriterium für die Vorzugswürdigkeit einer freiheitlichen Ordnung zieht er unterschiedliche gesellschaftliche Ziele wie politische Mitbestimmung, stärkere ökonomische Gleichheit oder Abnahme von Rassendiskriminierung heran.63 Besonders treten aber jene Konsequenzen in den Vordergrund, die direkt als Ergebnis wirtschaftlicher Freiheit verständlich zu machen sind: Anreiz zu produktiver Tätigkeit, Innovation und Effizienz.64 Zusammengenommen optimieren sie den „total output“ der Volkswirtschaft.65 In der Sekundärliteratur wird Friedman häufig von diesen Aspekten seiner Argumentation her interpretiert. Die ökonomische Argumentation mit den Konsequenzen von Handlungen und einer Orientierung an Effizienz wird verstanden als Begründung seiner normativen Position. Exemplarisch für diese Position sei Clemens Dölken zitiert: Friedman ist methodologisch immer Ökonom, auf Effizienz in einem neoklassischen bzw. wohlfahrtstheoretischen Paradigma bezogen […]. Friedman plädiert für Wettbewerb, weil dies seine liberale Auffassung von Ökonomik ist. Wettbewerb ist effizient – besonders im Vergleich zu politisch beeinflussten Allokationsverfahren.66
Ähnlich verfährt auch der Ansatz von Abraham Hirsch und Neil DeMarchi, Friedmans politische Theorie pragmatistisch zu interpretieren.67 Derartige Interpretation ziehen ihre Plausibilität daraus, dass Friedman ausführlich auf die positiven Konsequenzen verweist, die eine freiheitliche Gesellschaft nach sich zieht. Es ist jedoch, wie im vorherigen Abschnitt gezeigt, keineswegs der Fall, dass er die ethische Vorzugswürdigkeit einer solchen Gesellschaft mit ihren po62 Vgl.
CaF, 197, 201; FtC, 96; Friedman 1983b, 84 f. z. B. CaF, 5, 9 f., 21, 107; FtC, 146, 148. 64 Vgl. z. B. CaF, 178–189; FtC, 40–51, 100–115. 65 Die Argumentation mit dieser Größe begegnet weit stärker in „Free to Choose“ (vgl. FtC 6, 41, 46, 235) als in früheren Schriften. Keineswegs ist sie die einzige Größe, die Friedman zur Beurteilung heranzieht. 66 Dölken 2004, 161 (Hervorhebung B. G.); vgl. Primeaux 1998, 259; Murray et al. 2005, 31; Barr 1998, 62 f.; Sen 2003c, 11 Anm. 12; Eidenmüller 1998, 67; Wegner 2012, 8, 34–38. Auch Robert Nelsons These, Friedman vertrete im Kern eine neue Form des „progressivism“ (vgl. Nelson 2001, 140, 147–149) basiert auf der Annahme, ihm gehe es primär um die Entfaltung einer Sozialtechnik zum Erreichen bestimmter gesellschaftlicher Ziele. 67 Vgl. Hirsch und DeMarchi 1990, 85–108, 132–150. Beide gehen zu Recht davon aus, dass es eine Spannung zwischen Friedmans Methode in der positiven Ökonomik und in der politischen Ökonomik gibt. Dies erklärt sich dadurch, dass nach Friedmans Wissenschaftsverständnis die politische Ökonomik als „Kunst“ zu gelten hat, die positive und normative Aspekte integriert (vgl. oben 54). Der Versuch einer „Versöhnung“ beider Ansätze dadurch, dass auch Friedmans normative Argumentation konsequentialistisch eingeholt wird, läuft Friedmans Ansatz einer Trennung von positiver und normativer Argumentation zuwider (vgl. auch Knight 1941, 100 f.), sodass Hirsch und DeMarch ihn zu Recht als gescheitert erklären müssen (vgl. Hirsch und DeMarchi 1990, 290). Gegen die Interpretation Friedmans von Dewey aus spricht außerdem, dass er sich auf diesen an keiner Stelle explizit bezieht und eine inhaltliche Auseinandersetzung Friedmans mit dem Pragmatismus nicht nachweisbar ist. 63 Vgl.
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sitiven Konsequenzen begründet.68 Warum er dennoch in derart großem Umfang auch konsequentialistische Argumente für den Freiheitsglauben anführt, soll im Folgenden begründet werden.
1.5 Das Verhältnis von Freiheit als höchstem Gut und Freiheit als utilitaristischem Mittel Die konsequentialistische Verteidigung des Freiheitsprinzips und seine davon unabhängige Begründung stehen nebeneinander und in einer gewissen Spannung zueinander.69 Diese ist bereits angelegt im vielfältigen ideengeschichtlichen Hintergrund, auf den sich Friedman beruft. So spiegelt seine Argumentation die Differenzen zwischen dem Utilitarismus Mills und dem Naturrechtsgedanken der Gründerväter wider, ohne sie über die Andeutungen in den zitierten Passagen hinaus zu thematisieren. Es stellt sich die Frage, welchen Stellenwert das vielfältig begegnende Argument der positiven Konsequenzen einer freiheitlichen Ordnung in Zusammenhang der dargestellten normativen Priorität von Freiheit als Fundamentalkriterium hat. 1.) Die Möglichkeit einer zeitlichen Entwicklung. Auffällig ist, dass in „Free to Choose“ kein expliziter Bezug auf Freiheit als grundlegenden ethischen Wert vorliegt und der Bezug auf die wirtschaftliche Gesamtleistung in den Vordergrund tritt. Dies legt die Vermutung nahe, es handele sich dabei um eine Änderung im Friedmanschen Gesamtkonzept hinsichtlich seiner normativen Begründung. Diese Vermutung ist aber aus mehreren Gründen nicht haltbar. Da Friedman sich selbst nicht dazu äußert, kann erstens jedenfalls nicht von einer bewussten Selbstkorrektur ausgegangen werden. Er selbst vertritt vielmehr ausdrücklich die Ansicht, seine Argumentation habe sich nicht verändert.70 Dies wird zweitens dadurch gestützt, dass er in der Diskussionsrunde der „Free to Choose“ TV-Serie Freiheit als eigentliches ethisches Kriterium bezeichnet.71 Drittens argumentiert er bereits 1960 er in „Capitalism and Freedom“ ausführlich mit den positiven 68 Vgl.
ebenso Gamwell 1984, 17; Gamwell 2000, 316 Anm. 6. Wolff führt Friedman als einen „Hybriden“ an, der Argumente beider Formen des Liberalismus unvermittelt nebeneinander stelle (vgl. Wolff 2009, 1606 Anm. 5). Dagegen soll hier gezeigt werden, dass zwar beide Aspekte in Friedmans Argumentation aufgegriffen werden, dass aber ein klares hierarchisches Gefälle besteht und Friedman nach Wolffs Terminologie im Grunde dem deontologischen Liberalismus zuzuordnen ist. Zur Einschätzung Friedmans als konsequentialistisch durch Raymond W. Bradford vgl. unten 67 Anm. 90. 70 Vgl. CaF, vii. 2002 schreibt Friedman im Vorwort zu einer späteren Auflage von „Capitalism and Freedom“, „Free to Choose“ sei eine erneute Darstellung der „same philosophy“ wie das frühere Werk. 71 Vgl. FtC-TV, 96 f. Dies wird außerdem deutlich in Friedman 1977 (MFA 224.3): „Throughout it seems to me we want to emphasize two different things: (1) there is a purely philosophical, ethical, moral case to be made for individual freedom and for allowing individuals to make their own decisions. (2) Even for those who would not accept that case there is the prudential 69 Jonathan
1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur
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Konsequenzen von Freiheit.72 Insofern ist sowohl in früheren als auch in späteren Phasen ein Nebeneinander beider Argumentationsweisen nachweisbar. 2.) Harmonie von Utilitarismus und Freiheitsglaube. Im Nebeneinander der Argumentationen mit Freiheit als höchstem Gut und Freiheit als Mittel zum Erreichen anderer Güter liegt nicht unbedingt ein Widerspruch. Den entscheidenden Hinweis liefert dabei die bereits zitierte Formulierung, Effizienz sei „a happy, though not accidental, by-product“ von Freiheit.73 Der dafür grundlegende Gedanke, der erst im Zusammenhang der gesamten Freiheitskonzeption völlig durchschaubar gemacht werden kann, ist, dass freie Individuen nur für sie vorteilhaften Interaktionen zustimmen und dass deswegen eine auf Freiheit beruhende Ordnung grundsätzlich immer positive Effekte hat.74 Die Frage, ob im Konfliktfall Freiheit oder positive Konsequenzen vorzuziehen wären, ist für Friedman daher nur theoretischer Natur und kann vernachlässigt werden. 3.) Die diskurspragmatische Funktion konsequentialistischer Argumente. Friedman stellt die Argumentation mit zu erwartenden Folgen einer freiheitlichen Gesellschaft nicht deswegen in den Mittelpunkt seiner öffentlichen Äußerungen, weil sie für ihn systematisch entscheidend ist, sondern weil sie ihm im öffentlichen Diskurs als erfolgversprechender erscheint. Fünf Gründe lassen sich dafür anführen: Erstens kann Friedman im Bereich ethischer Normen nicht in einen argumentativen Diskurs eintreten, da diese sich – nach Maßstab seines erkenntnistheoretischen Dualismus – gar nicht argumentativ erschließen lassen. Daher konzentriert er sich auf jenen Bereich, der ihm mit Mitteln der positiven Ökonomik objektiv zugänglich erscheint. Zweitens wird Friedman durch die Argumentation mit den Effekten von Freiheit seiner (im Folgenden noch zu explizierenden) Sicht des Menschen als Eigennutzmaximierer gerecht. Er appelliert nicht an altruistische Motive oder ethische Ideale, sondern an die Interessen seiner Adressaten und will zeigen, dass diese durch eine freiheitliche Gesellschaftsordnung am besten erreicht werden können. Mit der Argumentation lediglich auf Basis der zu erwartenden Konsequenzen zielt Friedman drittens auf ein weniger konfrontatives Diskursklima und erhofft sich größere Bereitschaft bei den Adressaten, seine Ausführungen aufzunehmen. Technische Mitteldiskurse sind weniger kontrovers als Wertdiskurse und lassen eher eine Korrektur eigener Positionen zu.75 Viertens ist wohl Friedmans Einschätzung der Debattenlage in den USA ausschlaggebend für die so deutliche Dominanz der argument against government intervention. […] We do not want to take the view that the overwhelming argument is the prudential one.“ 72 Auch die Limitierung der Staatsmacht begründet Friedman sowohl mit dem „protective reason“, also dem Schutz der Freiheit selbst, als auch mit dem „constructive reason“, der innovationshemmenden Wirkung staatlicher Regulierung (vgl. CaF, 3). Eine Hierarchisierung beider Gründe lässt sich nicht erkennen. 73 Friedman 1978b, 100 f. 74 Vgl. CaF, 13 f., 22; Friedman 1973b, 42. 75 Vgl. TLP, 341 f.
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Argumentation mit den Konsequenzen. Tatsächlich hält er weniger normative Differenzen als Differenzen hinsichtlich positiver Ökonomik für entscheidend für die meisten politischen Differenzen.76 Dies erklärt Friedmans Argumentationsstrategie beispielsweise bezüglich der Mindestlöhne. Auch wenn er sie selbst aus prinzipiellen Gründen ablehnt, dominieren in seinen Texten Argumente, die sich auf ihre Konsequenzen berufen. Der Grund dafür liegt darin, dass nach Friedmans Wahrnehmung der politische Dissens nicht in Bezug auf gesellschaftliche Ziele, sondern in Bezug auf adäquate Mittel besteht.77 Fünftens hat Friedman mit dieser Argumentation eine bestimmte Zielgruppe vor Augen: die „misguided friend[s]“78. Von „believers in freedom“ unterscheidet sich diese Gruppe dadurch, dass für sie Freiheit nicht das höchste Gut darstellt. Dennoch erachtet Friedman sie als Freunde, weil ihre zentralen Werte Freiheit nicht entgegenstehen, sondern aus Friedmans Perspektive von einer freien Gesellschaft am besten befördert werden.79 Da Friedman die „believers in freedom“ in einer 76 Vgl. Friedman 1987o, 4: „[M]ost differences in economic policy do not reflect differences in value judgments, but differences in positive economic analysis.“ Vgl. Friedman 1987m, 155: „I venture the judgment, however, that currently in the Western world, and especially in the United States, differences about economic policy among disinterested citizens derive predominantly from different predictions about the economic consequences of taking action – differences that in principle can be eliminated by the progress of positive economics – rather than from fundamental differences in basic values, differences about which men can ultimately only fight.“ Vgl. Friedman o. J. (MFA 36.5), 1. Eine ähnliche Argumentation lässt sich auch bei Henry Simons (vgl. Simons 1948a, 40) und Friedrich von Hayek feststellen (vgl. Sturn 1997, 269 unter Verweis auf von Hayek 1977, 124–144). 77 Vgl. Friedman 1987m, 155: „An obvious and not unimportant example is minimum wage legislation. […] The difference of opinion is largely grounded on an implicit or explicit difference in predictions about the efficacy of this particluar means in furthering the agreed-on end.“ Vgl. Friedman o. J. (MFA 36.5). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Einschätzung der Gründe für Dissens unter ökonomischen Experten einer der wenigen greifbaren Dissense zwischen Milton und Rose Friedman besteht (vgl. TLP, 215). Während Milton ganz auf die Kraft des empirischen Argumentes im Horizont positiver Wissenschaft vertraut, betont Rose den Einfluss politischer Weltanschauung auf ökonomische Urteile (vgl. Friedman 1976f, 22). Milton Friedman gesteht an diesem Punkt 1998 ein, dass er sich der Position seiner Frau zunehmend angenähert habe (vgl. TLP, 219). Dies führte nun aber nicht dazu, dass Friedman über mögliche normative Einflüsse auf seine eigene ökonomische Analyse reflektiert hätte. 78 CaF, 187. 79 Insbesondere sind Effizienz und Gleichheit solche Güter (vgl. CaF, 5). Friedman nennt außerdem diverse soziale Anliegen (vgl. SUS, 42 f.; Friedman und Heffner 1975, 5:00), darunter relative ökonomische Gleichheit (vgl. CaF, 195), aber auch Sicherheit bezüglich der Geldwertstabilität (vgl. CaF, 50) als wünschenswerte Ziele. Exemplarisch kann Friedmans Argumentation für eine Liberalisierung der Drogenpolitik angeführt werden (vgl. Friedman 1972c): „I readily grant that the ethical issue is difficult and that men of goodwill may well disagree. Fortunately, we need not resolve the ethical issue to agree on policy – Prohibition is an attempted cure that makes matters worse – for both the addict and the rest of us. Hence, even if you regard present policy toward drugs as ethically justified, considerations of expediency make that policy most unwise.“
1. Erkenntnistheoretische Voraussetzungen und formale Argumentationsstruktur
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Minderheitenposition sieht, setzt er seine Hoffnung auf politische Erfolge darauf, die „misguided friends“ für seine Ziele zu gewinnen. We would prefer to live in a free country even if it did not provide us and our fellow citizens with a higher standard of life than an alternative regime. But I am firmly persuaded that a free society could never survive under such circumstances. […] I believe that free societies have arisen and persisted only because economic freedom is so much more productive economically than other methods of controlling economic activity.80
Das breite Auftreten konsequentialistischer Argumente neben der Argumentationslinie mit Freiheit als zentralem ethischem Wert kann also als diskurspragmatisch motiviert interpretiert werden.81 Es zielt auf ein offenes Diskursklima, berücksichtigt die aktuelle Debattenlage und soll jene ansprechen, die mit dem Freiheitsglauben vereinbare Ziele verfolgen, ohne selbst Freiheit als höchstes Gut anzuerkennen.
1.6 Die konsequentialistische Struktur von Friedmans pragmatischem Liberalismus Die Abschnitte 1.4–1.5 dienten dem Nachweis, dass Friedman seine ethische Position nicht konsequentialistisch begründet. Dies steht nicht im Widerspruch zur 80 Friedman 1996b, vii. Vgl. Friedman o. J. (MFA 220.6): „Believers in freedom would be willing to sacrifice material prosperity for greater freedom. On this ground – if the main theme of my book is correct – those of us who believe in freedom should and would favor a liberal economic policy even if it were less efficient and produced a lower physical output than central planning. But if that were the case, we would have no chance at all. Most people are perforce interested in their immediate material well-being, and can hardly recognize their enormous stake in personal freedom until it has been taken away from them. They would therefore be unwilling to sacrifice clearly perceived material interest for abstract and misunderstood personal freedom.“ Vgl. Friedman 1990, 63; Friedman o. J. (MFA 36.14), 1. 81 In dieser Hinsicht stimmt Friedman mit Hayek überein. Vgl. von Hayek 2011, 52: „Some readers will perhaps be disturbed by the impression that I do not take the value of individual liberty as an indisputable ethical presupposition and that, in trying to demonstrate its value, I am possibly making the argument in its support a matter of expediency. This would be a misunderstanding. But it is true that if we want to convince those who do not already share our moral suppositions, we must not simply take them for granted.“ Vgl. von Hayek 2011, 129; von Hayek 1999, xlv. Eine ganz ähnliche Position nimmt auch Milton Friedmans Sohn David Friedman ein. Auch er geht persönlich von einem intuitiv begründeten Recht auf persönliche Freiheit aus, will sich darauf aber in seiner Argumentation nicht stützen. Vgl. das folgende Zitat von David Friedman in Murray et al. 2005, 34: „That leads to a final conclusion, a tactical decision I made a long time ago: on the whole, while arguing moral philosophy can be entertaining and occasionally enlightening, you ought to spend most of your time arguing economics and history and such instead, because the chance of persuading other people to agree with you, or their persuading you to agree with them, is a whole lot better. […] I already intuitively believe in them [natural rights, B. G.]. As I said, I’m neither purely for one form or the other. I’m not inclined to try to get other people to believe in natural rights because I don’t have any very good arguments for them, and I try to limit myself to persuading people of things I have good arguments for.“
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Beobachtung, dass er sein ethisches Fundamentalprinzip durchweg konsequentialistisch entfaltet. Ausdrücklich betont er, Freiheit sei seiner Ansicht nach das „höchste Gut“ liberaler Philosophie.82 Friedman ist der Ansicht letztlich sei jede ethische Position in Form einer Güterethik formulierbar. Dem Einwand gegen sozialistische Staaten, diese verführen nach dem Prinzip „der Zweck heiligt die Mittel“, hält er entgegen: To deny that the end justifies the means is indirectly to assert that the end in question is not the ultimate end, that the ultimate end is in itself the use of proper means. Desirable or not, any end that can be attained only by the use of bad means must give way to the more basic end of the use of acceptable means.83
Friedmans Ausrichtung an einem höchsten Gut bedeutet, dass er Handlungen daran bemisst, welchen Beitrag sie dazu leisten, dieses (näherungsweise) zu erreichen. Dies impliziert einerseits die Nichtbeachtung von Intentionen und andererseits die Ablehnung von Rigorismus und Utopismus. 1.) Intentionen. Friedman erachtet den Rekurs auf Intentionen im ethischen Diskurs als illegitim. Nicht die mit einer bestimmten Handlung oder politischen Ordnung verbundenen Absichten entscheiden über ihre moralische Qualität, sondern ausschließlich die zu erwartenden Folgen. Capitalism, socialism, central planning are means not ends. In and of themselves, they are neither moral nor immoral, humane nor inhumane. We have to ask what are their results. We have to look at what are the consequences of adopting one or another system of organization. […] Don’t look at what the proponents of one or another system say are their intentions, but look at what the actual results are.84
Bezogen auf das kapitalistische System erachtet er es gerade als einen Vorzug, dass positive Konsequenzen hier nicht von guten Intentionen abhängig seien.85 2.) Utopismus und Rigorismus. Zu betonen ist, dass eine nicht-konsequentialistische Begründung von Freiheit als höchstem Gut nicht zu verwechseln ist mit einer rigoristischen Ethik, die jegliche Einschränkung individueller Freiheit ablehnen würde. Eine solche Position vertritt Friedman nicht. Er lehnt nicht ausnahmslos jede Einschränkung individueller Freiheit ab, sondern bemisst alle Entscheidungen danach, was sie insgesamt zur maximalen Realisierung individueller Freiheit beitragen.86 In Abgrenzung zur rigoristischen Position etwa bei Ayn Rand bezeichnet er seine Position daher als „consequentialist
82 Vgl.
CaF, 5, 12; Friedman 1987i, 494; Friedman 1973b, 57; Friedman 1955a, 361. CaF, 22. 84 Friedman 1983b, 84; vgl. Friedman o. J. (MFA 36.5), 1 f. Friedman 1987g, 34; TSQ, 38; TLP, 432. 85 Vgl. CaF, 11. 86 Vgl. CaF, 39: „His [the liberal’s, B. G.] objective is to preserve the maximum degree of freedom“ (Hervorhebung B. G.). Vgl. CaF, 32; Friedman 1991b, 19. 83 Vgl.
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libertarianism“87. Da Friedman der Ansicht ist, absolute Freiheit sei unter den gegebenen Bedingungen nicht erreichbar, hält er eine rigoristische Ablehnung aller Einschränkungen von Freiheit für utopisch.88 Demgegenüber kann Friedmans Ansatz als eine Form „liberaler Verantwortungsethik“ verstanden werden, die – fundamental orientiert an der Überzeugung, Freiheit sei das höchste Gut – pragmatisch fragt, wie diese unter den gegebenen Umständen bestmöglich verwirklicht werden kann.89 „Konsequetialistisch“ ist also nicht Friedmans Begründung des Freiheitsprinzips, sondern seine Anwendung auf politische Fragen.90 Diese Form des Liberalismus lässt sich daher als „pragmatischer Liberalismus“ (im Unterschied zu pragmatistischem Liberalismus) bezeichnen. Praktische Bedeutung gewinnt dieser Zug insbesondere in Friedmans Legitimierung staatlicher Institutionen und Maßnahmen.91 87 Vgl. Friedman und Robinson 1999, 1:59: „[T]here are two really different versions of liber-
tarianism. The more extreme version of libertarianism has one central principle – it is immoral to initiate force on anyone else. That’s […] the Ayn Rand type of libertarianism. […] [N]ow there’s another brand which is one I would be favorable to which you could call consequentialist libertarianism.“ Hintergrund von Rands Position ist ihr dualistisches Moralverständnis, wonach Einstellungen und Handlungen entweder egoistisch, also lebensfördernd, oder altruistisch, also lebenzerstörend, sind (vgl. oben 43). Jede Form des Kompromisses, etwa die Akzeptanz einiger weniger Kontrollen durch die Regierung, würde dann bedeuten, der Gegenseite ein Recht zuzubilligen und damit die eigene Position aufzugeben. Vgl. Rand 1989a, 80: „There can be no compromise on basic principles or on fundamental issues. What would you regard as a ‚compromise‘ between life and death?“ 88 Vgl. Friedman 1991b, 17, 20. Friedman grenzt sich hier von Ludwig von Mises und Ayn Rand ab, denen er gleichermaßen Rigorismus und Utopismus vorwirft. 89 Es verwundert daher nicht, dass Abraham Hirsch und Neil DeMarchi auch konsequentialistische Argumente in Friedmans politischer Ökonomik nachweisen können (vgl. Hirsch und DeMarchi 1990, 277 f.). Allerdings unterschlagen sie dabei, dass Friedman stets betont, dass in diese auch normative Urteile eingehen. Exemplarisch wird dies am folgenden Zitat deutlich, das bei Hirsch/DeMarchi unvollständig wiedergegeben wird: „In any particular case of proposed intervention, we must make up a balance sheet, listing separately the advantages and disadvantages. Our principles tell us, what items to put on the one side and what items on the other“ (CaF, 32 [Hervorhebung B. G.]). Hirsch und DeMarchi 1990, 278 zitieren nur den ersten Satz, nicht aber den hier kursiv gedruckten. Dadurch entsteht der Eindruck, Friedman argumentiere hier konsequentialistisch im pragmatistischen Sinne. Dagegen sagt Friedman ausdrücklich, dass es ihm um die Abschätzung der Folgen in Bezug auf ein „prinzipiell“ vorgegebenes, nicht in der Folgeabschätzung begründetes, höchstes Gut geht. Der Kontext des Zitates macht deutlich, dass es Friedman um eine Abwägung staatlicher Interventionen hinsichtlich ihres Beitrag zu und ihrer Einschränkung von individueller Freiheit geht. 90 Diese Differenzierung fehlt bei Raymond W. Bradford, der Friedman deshalb als konsequentialistischen Liberalen einordnet (vgl. Murray et al. 2005, 31). Sein Einwand gegen „moralistischen“ Liberalismus (Ayn Rand, Murray N. Rothbard) lautet, dass dieser letztlich entweder alle oder überhaupt keine staatlichen Eingriffe anerkennen müsse (vgl. Bradford 1988b; Bradford 1988a). Dies gilt jedoch nicht hinsichtlich der Begründung, sondern hinsichtlich der Implementierung des Freiheitsideals. 91 Vgl. dazu Friedman und Robinson 1999 sowie unten 8 Freiheit und Staat, bes. 8.1 und die Exkurse. Friedman geht sogar so weit, dass er aufgrund der gesellschaftlichen Konsequenzen den Entzug staatlicher Lizenzen für Taxifahrer ohne Kompensationszahlung fordert, obwohl er
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
1.7 Zusammenfassung Friedman verbindet einen erkenntnistheoretischen Skeptizismus mit einem erkenntnistheoretischen Dualismus. Er geht davon aus, dass Menschen nie endgültig im Besitz von Wahrheit sein können. Auf dieser Grundlage unterscheidet er zwischen Thesen, die empirisch überprüfbar sind und durch wiederholt fehlgeschlagene Falsifikation annähernd den Status von Wissen erreichen, und normativen Aussagen, die einer solchen empirischen Überprüfung grundsätzlich nicht zugänglich sind. Dennoch greift menschliches Handeln auf beide Formen von Überzeugungen zurück. Erstere sind Gegenstand der positiven Ökonomik, letztere werden in der normativen Ökonomik aufgegriffen. Da normative Überzeugungen weder a priori rational noch durch Empirie begründet werden können, ist ihre Anerkennung nicht argumentativ begründet. Friedman charakterisiert sie daher als „Glauben“. Seinem Freiheitsglauben stehen andere, ebenfalls in sich konsistente Wertvorstellungen gegenüber. Diese können letztlich nicht auf argumentativem Wege widerlegt werden. Die Anerkennung von Freiheit als zentraler ethischer Kategorie gründet in einer solchen normativen Grundentscheidung. Freiheit ist für Friedman selbst das ethische Fundamentalkriterium und wird nicht mit ihren positiven Konsequenzen begründet. In dieser Hinsicht grenzt er sich von utilitaristischen oder pragmatistischen Argumentationsweisen ab. Allerdings spielt der Gegensatz beider Argumentationsweisen für Friedman eine untergeordnete Rolle, da für ihn positive gesellschaftliche Konsequenzen aus der Gewährleistung von Freiheit ihrem Wesen nach zwangsläufig erwachsen. Dass er selbst häufig mit den positiven Konsequenzen einer an Freiheit orientierten Ordnung argumentiert, hat primär diskurspragmatische Gründe. Die eigentlichen gesellschaftlichen Differenzen sieht Friedman nicht in normativen Konflikten, sondern in Fragen der positiven Ökonomik. Überdies können mithilfe einer konsequentialistischen Argumentation auch jene „misguided friends“ für eine freiheitliche Gesellschaft gewonnen werden, die nicht selbst Freiheit als höchstes Gut anerkennen, deren Ziele aber mit einer entsprechenden Gesellschaftsstruktur vereinbar sind. Von einer utilitaristischen Begründung zu unterscheiden ist die güterethische Ausprägung von Friedmans pragmatischem Liberalismus. Freiheit bildet für Friedman das höchste ethische Gut. Die Qualität von Handlungen und Institutionen bemisst sich weder an ihren Intentionen noch daran, ob sie rigoristisch jede Verletzung von Freiheit vermeiden, sondern daran, in welchem Maße sie zur Verwirklichung des höchsten Gutes beitragen.
einen moralischen Anspruch auf eine Entschädigung für diese Form der Enteignung anerkennt (vgl. Friedman 1981b, 137).
2. Anthropologische Grundlagen: Nutzenmaximierung und Individualismus Friedman selbst ist der Überzeugung, dass ethische Aussagen stets auf anthropologischen Voraussetzungen basieren.1 Seine eigenen anthropologische Grundlagen legt Friedman jedoch nicht explizit offen. Daher sollen sie in diesem Kapitel rekonstruiert werden. Dabei wird deutlich, dass Friedman den Menschen einerseits streng individualistisch (2.1) und andererseits als Nutzenmaximierer (2.2) auffasst.
2.1 Der Mensch als „Robinson“ – Der individualistische Ansatz Als erstes soll Friedmans individualistischer Denkansatz in den Blick genommen werden. Dieser ist charakterisiert durch eine enge Verbindung von methodologischem, ontologischem und normativem Individualismus (2.1.1). In einem zweiten Schritt wird gefragt, wie das Phänomen der Sozialität und die Entwicklung sozialer Institutionen von diesem individualistischen Ansatz her in den Blick kommen (2.1.2). Schließlich fällt die Sonderstellung der Familie in einem Bereich „zwischen“ Individualität und Sozialität ins Auge (2.1.3). 2.1.1 Methodologischer, ontologischer und normativer Individualismus Es gehört zu den voraussetzungs‑ und folgenreichen Grundelementen von Milton Friedmans Philosophie, dass er in seinem Denken stets vom individuellen Menschen ausgeht. Dabei kommt es zur Verbindung von methodologischen, ontologischen und normativen Aspekten, die hier näher betrachtet werden soll. 1.) Methodologischer Individualismus. Ähnlich wie die hypothetischen Annahmen über den homo oeconomicus2 macht der methodologische Individualismus zunächst keine Aussagen über die Wirklichkeit, sondern stellt ein heuristisches Instrumentarium dar, mit dessen Hilfe bestimmte soziale Phänomene erklärt 1 Vgl. Friedman 1955a, 361: „Principles for social action must be based on both ultimate values and a conception of the nature of man and the world.“ Vgl. Friedman 1967 (MFA 216.12), 1: „Three elements in creed. 1. conception of man 2. objectives 3. Means that will best achieve objectives“. 2 Vgl. dazu unten 2.2.1 Menschenbild oder Modellannahme?
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werden und Prognosen getroffen werden sollen. Grundprinzip ist, dass „eine Gesellschaft bloß als Aggregat von lauter unabhängigen Individuen betrachtet wird“3. Als Idealkonstrukt des (noch) nicht sozialen Menschen dient Robinson Crusoe Friedman als Paradigma seiner Handlungs‑ und Gesellschaftstheorie: „Some hypothetical examples may illustrate the fundamental difficulty [der Debatte über ökonomische Gleichheit, B. G.]. Suppose there are four Robinson Crusoes, independently marooned on four islands in the same neighborhood.“4 Mit Popper verbindet Friedman – im Unterschied insbesondere zu Hayek – die objektivistische Pointe, dass unter Verwendung des methodologischen Individualismus sozialwissenschaftliche Erkenntnisse erreicht werden können, die dem Status naturwissenschaftlicher Erkenntnisse entsprechen.5 Bezeichnend ist aber für Friedman, dass der methodologische Individualismus nicht nur für bestimmte Aspekte menschlichen Zusammenlebens oder zur Erklärung bestimmter Phänomene herangezogen wird, sondern dass er ihn in seiner starken Form anwendet. Wie auch andere Vertreter der neoklassischen Ökonomik und die Vertreter der Österreichischen Schule rekurriert Friedman bei der Erklärung sozialer Phänomene stets auf Handlungen von Individuen. Demgegenüber erscheint die Eingebundenheit in soziale Institutionen, wenn sie auch anerkannt werden mag, nicht als Erklärung individueller Handlungen.6 Seinen Grund hat dies darin, dass Friedman den methodologischen Individualismus ontologisch begründet. 2.) Ontologischer Individualismus. Friedmans forschungsstrategische Argumentation basiert auf einer These über die Beschaffenheit des Menschen und menschlicher Gemeinschaften.7 Die Priorität des Individuums ist nicht nur heuristische Annahme, sondern auch eine sozialontologische Position. Das Individuum wird als „the ultimate entity in society“8 gesehen. Umgekehrt gilt dann für die Gesellschaft: „[T]he country is the collection of individuals who compose it“.9 Wird die Gesellschaft tatsächlich ausschließlich als Zusammenschluss von Individuen verstanden, ist der methodologische Individualismus nicht eines von 3 Koller
2001, 42. 165 (Hervorhebungen B. G.); vgl. CaF, 12; Friedman 1987c, 224–226. 5 Vgl. TLP, 458; Friedman 1987m, 154; zu Hayek und Popper vgl. Udehn 2002, 486 f. 6 Vgl. Udehn 2002, 497–500. Natürlich anerkennt auch Friedman, dass Individuen nicht isoliert existieren und er berücksichtigt durchgehend, dass konkrete gesellschaftliche Rahmenbedingungen insofern entscheidungsrelevant sind, als sie die Handlungsbedingungen für individuelles Verhalten mit bestimmen (vgl. z. B. Friedman 1973b, 45: Die staatliche Unterstützung für Alleinerziehende hat Auswirkungen auf die Stabilität von Familien). Aber die soziale Eingebundenheit wird hier nicht selbst zum motivierenden Faktor, sondern charakterisiert die äußeren Bedingungen, unter denen als individuell verstandene Entscheidungen getroffen werden. 7 Vgl. Herms 2008b, 108 f.; Sturn 1997, 352 ff. 8 CaF, 5. 9 CaF, 1 (Hervorhebung B. G.); vgl. CaF, 13; Friedman 1987n, 42; TSQ, 20; SUS, 59; Friedman 1955a, 360. Explizit beschreibt neben Friedman auch James M. Buchanan seinen Individualismus als „ontological-methodological“ (vgl. Buchanan 1975, 1). Auch er verbindet damit zugleich eine ethische Position (vgl. Buchanan und Tullock 1974, 2, 11–13). 4 CaF,
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mehreren gleichberechtigten Mitteln zur Erklärung bestimmter Phänomene, sondern letztlich das einzige Analyseinstrument, das der Gesellschaft gerecht wird. Friedmans Position ist daher einer Form des methodologischen Individualismus zuzuordnen, die Lars Udehn folgendermaßen charakterisiert: There are some who see methodological individualism as an a priori and universal principle of scientific research: an obligatory rule or categorical imperative unconditionally binding for all social scientists, because it is based on certain self-evident truths about society and our knowledge about it.10
Es fällt auf, dass Friedman diese ontologischen Annahmen nicht weiter begründet, sondern sie selbst als ein begründendes Argument für sein Gesamtkonzept einführt. Es ist davon auszugehen, dass sie ihm als unmittelbar evident erscheinen. Dies scheint, zumindest bezogen auf seinen Adressatenkreis, durchaus berechtigt angesichts ihrer tiefen Verwurzelung in der angelsächsischen Kultur und Philosophie. In einem entsprechend geprägten Kontext hat die These auch auf das Alltags‑ und Selbsterleben hin gesehen eine hohe Plausibilität.11 3.) Normativer Individualismus. Eine weitere Ausprägung erfährt der Individualismus Friedmanscher Prägung dadurch, dass er neben hypothetischen und deskriptiven Momenten auch explizit normativ ist. Die entscheidende normative Kategorie sind für Friedman die Rechte des Individuums.12 Das grundlegende Recht ist für Friedman das Recht, die je eigenen Ziele ungehindert zu verfolgen.13 Es bildet die normative Grundlage von Friedmans Freiheitsglauben. Seine Inhalte werden in Kapitel 3 entfaltet. Zunächst jedoch sollen einige Implikationen des ontologischen Individualismus expliziert werden und die Nutzenmaximierung als zweite anthropologische Grundannahme in den Blick genommen werden. 2.1.2 Die Gesellschaft als Zusammenschluss von Individuen und die Etablierung sozialer Institutionen 1.) Die Gesellschaft als Zusammenschluss von Individuen. Basierend auf seinen ontologisch gegründeten methodologischen Prämissen entwickelt Friedman 10 Udehn 2002, 501. Als Vertreter einer solchen Position nennt Udehn u. a. John Stuart Mill, Ludwig von Mises, Friedrich von Hayek und Karl R. Popper. 11 An einer Stelle „begründet“ Friedman den ontologischen Individualismus dadurch, dass er das kollektivistische Modell einer Überordnung der Gemeinschaft als einzige Alternative darstellt und ablehnt. Allerdings erfolgt auch hier keine argumentative Auseinandersetzung, sondern eher ein Appell an die intuitiv-emotionale Ablehnung von Kollektivismus. Vgl. CaF, 1 f.: „To the free man, the country is the collection of individuals who compose it, not something over and above them.“ 12 Vgl. CaF, 33: „[A] believer in freedom believes in protecting their [the children’s, B. G.] ultimate rights.“ 13 Vgl. Friedman 1972b, 137 f.: „your basic human right to use your capacities as you wish, provided only that you do not interfere with the right of others to do the same“; vgl. CaF, 12.
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seine Gesellschaftstheorie. Nicht in zeitlicher, wohl aber in sachlicher Hinsicht, ist Sozialität sekundär zur Individualität; „Society is a collection of individuals and of the various groups they voluntarily form.“14 Interaktion erklärt sich daraus, dass Individuen freiwillig, also weil sie sich einen persönlichen Nutzen daraus erwarten, in sie einstimmen. Aufgrund der hohen Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung durch Arbeitsteilung ergibt sich in modernen Gesellschaften ein hoher Grad sozialer Verflechtungen.15 Die hohe Komplexität führt zur Herausbildung von Institutionen wie Unternehmen oder einem Geldsystem, die Interaktion koordinieren.16 2.) Die Evolution sozialer Ordnung. Die Erklärung der Entstehung gesellschaftlicher Institutionen aus einer Vielzahl individueller Handlungen hat als logische Konsequenz, dass gesellschaftliche Koordinationsmechanismen nicht bloß als „vorausgesetzt“ oder als in einem einmaligen Akt gesetzt vorgestellt werden. Sie sind vielmehr das nicht intendierte Ergebnis einer Vielzahl von Einzelakten, durch die Individuen jeweils ihr eigenes Interesse verfolgen.17 Mit dieser Vorstellung des „spontanen Entstehens“ gesellschaftlicher Koordinationsmechanismen steht Friedman in der Tradition Hayeks, der – ebenfalls ausgehend vom methodologischen Individualismus – soziale Institutionen als „das unvorhergesehene Ergebnis der Handlungen der Individuen“18 ansieht. Folgende Passage Friedmans erscheint geradezu als Paraphrase von Hayeks Thesen zur Evolution sozialer Systeme: A society’s values, its culture, its social conventions – all these develop in the same way, through voluntary exchange, spontaneous cooperation, the evolution of a complex structure through trial and error, acceptance and rejection. No monarch ever decreed that the kind of music that is enjoyed by the people of Calcutta, for example, should differ radically from the kind enjoyed by residents of Vienna. These widely different musical cultures developed without anyone’s ‚planning‘ them that way, through a kind of social evolution paralleling biological evolution […].19
Grundsätzlich erachtet Friedman in Anschluss an Smith und Hayek dezentral entstandene Institutionen als überlegen gegenüber solchen, die durch geplante
14 Friedman 1987n, 42. Vgl. FtC-TV, 26: „If there is one element that is predominant in my social philosophy, it is that the ultimate unit is the human being, the individual, and that society is a means whereby we jointly achieve our objectives.“ Vgl. CaF, 1 f.; FtC-TV, 84. 15 Vgl. CaF, 12 f. 16 Vgl. CaF, 13 f. 17 Vgl. Friedman 1990, 61: „[I]t was possible through voluntary cooperation to erect extremely complex structures not intended by anyone, and yet structures from which all of the participants benefit.“ Zum Beispiel beschreibt Friedman die historisch gewachsene Sprache, das System der Wissenschaften (vgl. FtC, 25; Friedman 1990, 60) sowie das Wirtschaftssystem (vgl FtC, 13 f.) als Ergebnis multipolarer Interaktionszusammenhänge. 18 Von Hayek 1976, 17; vgl. von Hayek 2011, 74 f.; von Hayek 1977, 36 ff. 19 FtC, 26 f.
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Setzung zentraler Instanzen etabliert werden.20 Völlig zu Recht weist er jedoch darauf hin, dass er selbst und Hayek in eine selbstwidersprüchliche Position geraten. Mit ihren Vorschlägen für eine liberale Gesellschaftsordnung wollen sie einen Vorschlag unterbreiten, der jenem überlegen ist, der sich im Prozess der sozialen Evolution durchgesetzt hat.21 3.) Soziale und biologische Evolution. Die Vorstellung einer Evolution sozialer Institutionen greift zurück auf die biologische Evolutionstheorie. Die Parallele zwischen den beiden Theorien liegt darin, dass der unter den gegebenen Bedingungen optimale Gesamtzustand nicht durch einzelne, geplant vollzogene Akte erzeugt werden werden kann. Er ist vielmehr Ergebnis einer Vielzahl individueller Akte, die nicht mit der Intention erfolgten, diesen Zustand herbeizuführen, sondern jeweils den eigenen Vorteil suchen. Ob die Evolution sozialer Ordnungen auch darüber hinaus als quasi biologischer Prozess verstanden werden kann, hängt von der Frage ab, ob Friedman individuelles Handeln als determiniert erachtet. Gerade im Zusammenhang der Entwicklung gesellschaftlicher Institutionen geht Friedman offensichtlich einen anderen Weg.22 4.) Der Einfluss von Ideen auf die Entstehung sozialer Ordnungen. Von der Frage nach der Determiniertheit sozialer Evolution ist die Frage nach dem möglichen Einfluss von Ideen auf diesen Prozess zu unterscheiden.23 Erfolgt die Setzung der Interaktionsordnung durch polyzentrisches Zusammenspiel einzelner Akteure, so ist sie auch von deren durch Bildung gewonnenen Überzeugung abhängig. Dies betont Friedman an programmatischer Stelle sowohl am Anfang als auch am Ende seines Werkes „Free to Choose“.24 Daher ist es auch schlüssig, dass er
20 Vgl.
von Hayek 2011, 113–118. Bei Hayek ist dies begründet mit der Verstreutheit von Wissen (vgl. oben 39), während für Friedman die positiven Konsequenzen freiwilliger Interaktion und die grundsätzliche Ablehnung zentraler Direktiven maßgeblich sind (vgl. unten 7.3 Vorzüge des Marktes). 21 Vgl. Friedman 1987e, 521 f.: „The element of paradox arises particularly with respect to Hayek. His latest works have been devoted to explaining how gradual cultural evolution – a widespread invisible hand process – produces institutions and social arrangements that are far superior to those that are deliberately constructed explicitly by human design. Yet he recommends in his recent publications on competitive currencies replacing the results of such an invisible hand process by a deliberate construct – the introduction of currency competition. This paradox affects us all. On the one hand, we are observers of the forces shaping society; on the other, we are participants and want ourselves shape society.“ Im selben Dilemma sieht Friedman auch seine Lehrer Homer Jones und Frank Knight (vgl. TLP, 32). 22 Vgl. unten 2.2.5 Eigeninteresse und innere Freiheit. 23 So geht etwa Hayek explizit davon aus, dass Ideen einer von mehreren Faktoren sind, die Verhalten beeinflussen (vgl. von Hayek 2011, 137). 24 Vgl. FtC, 6 f.: „We are still free as a people whether we shall continue speeding down the ‚road to serfdom‘ […], or whether we shall see tighter limits on government and rely more heavily on voluntary cooperation among free individuals to achieve our several objectives. […] If we are to make that choice wisely, we must understand the fundamental principles of our system […].“ Vgl. FtC, xvf., 310.
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betont, dass Ideen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen.25 Im Verlauf dieser Arbeit wird sich zeigen, in welcher Weise Friedman die Vorstellung von der Wirksamkeit von Ideen in sein Geschichtsverständnis integriert.26 2.1.3 Das Individuum und der soziale Kontext der Familie Der dargestellte methodologische Individualismus durchzieht Friedmans gesamte Argumentation. Einige Formulierungen sowie die Tatsache, dass das gewählte Verfahren auf alle gesellschaftlichen Phänomene angewandt wird, weisen auf eine ontologische Fundierung hin. Diese allerdings erfährt in zweifacher Hinsicht eine Relativierung: 1.) Die Bedeutung des sozialen Umfelds. Bei Friedman wird durchaus deutlich, dass das soziale Umfeld große Bedeutung für individuelle Entscheidungen hat. So hebt er die Bedeutung des intellektuellen Umfeldes für die Entwicklung und Behauptung einer weltanschaulichen und wissenschaftlichen Position hervor.27 Friedman unterscheidet sich vom atomistischen Individualismus Ayn Rands also dahingehend, dass er anerkennt, dass sich ein Selbstverständnis immer in sozialen Zusammenhängen entwickelt.28 Dies bedeutet jedoch nicht, dass er damit den Rahmen des methodologischen Individualismus verlassen müsste.29 2.) Die Familie als grundlegende gesellschaftliche Einheit. Anders verhält es sich, wenn Friedman die Bedeutung der Familie in den Blick nimmt. Er verwendet dann Formulierungen, bei denen die Familie an Stelle des Individuums die grundlegende gesellschaftliche Einheit darstellt – und zwar sowohl in normativer30 als auch in ontologisch-methodologischer31 Hinsicht.32 Daher soll im Folgenden untersucht werden, inwiefern diese Passagen die These relativieren, dass Friedman konsequent vor dem Hintergrund eines individualistischen Menschenbild argumentiert. 25 Vgl. Friedman und Becker 2003, 20:18: Friedman: „People who think that there is a rigid status quo that can’t possibly be broken, are wrong. It is rigid, it’s true. But it’s like a pane of glass, when it breaks, it shatters, it doesn’t stay there.“ Becker: „So ideas have important influences?“ Friedman: „They certainly do have important influences.“ Vgl. Friedman und Becker 2003, 47:34; CaF, viiif.; TSQ, 37, 68; WGP, 15; FtC-TV, 169 sowie Nelson 2001, 151. 26 Vgl. unten 4.5 Zyklisches Geschichtsbild als Konsequenz der Verhältnisbestimmung. 27 Vgl. CaF, xvi; Friedman und Becker 2003, 8:00, 31:20; Friedman und Doherty 1995. 28 Vgl. zu Rands Atomismus oben 44. 29 Akademische Kooperation ist dann im Sinne eines freiwilligen Austausches zu beiderseitigem Nutzen zu interpretieren. 30 Vgl. CaF, 12: „As liberals, we take the freedom of the individual, or perhaps the family, as our ultimate goal in judging social arrangements.“ Vgl. CaF, 87; Friedman 1955a, 361. 31 Vgl. CaF, 13: „In its simplest form, such a society consists of a number of independent households – a collection of Robinson Crusoes, as it were. Each household uses the resources it controls to produce goods and services that it exchanges for goods and services produced by other households.“ Vgl. Friedman 1955a, 362. 32 Deutlicher noch als Friedman hebt Frank H. Knight diesen Gedanken hervor (vgl. Knight 1951b, 49; vgl. außerdem Simons 1948b, 4).
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3.) „Individual“ als Abgrenzung des Privatbereichs. Eine mögliche Erklärung für Friedmans Vorgehen bietet sich, wenn man seine Verwendung des Begriffs „individual“ näher betrachtet. Gewichtige Stellen in seiner Argumentation lassen sich so verstehen, dass „individual“ gar nicht unbedingt den Einzelnen im engeren Sinne meint, sondern allgemein den Bereich des Privaten im Unterschied zum von der Regierung beeinflussten Bereich. Dies wird deutlich in Zusammenhang der Diskussion von Faktoren, die zu steigender Kriminalität beitragen: Einer von ihnen „is the change in the climate of opinion, since the time of the New Deal, about the role of the individual and the role of government. That change shifted emphasis from individual responsibility to societal responsibility. It encouraged the view that people are creatures of their environment and should not be held responsible for their behavior. […] A closely associated development has been the change in the character of the family. […] The family no longer serves as fully as it once did as an integrative institution, as a vehicle for instilling values and developing standards of behavior.“33
Friedman stellt hier zwei Systeme einander gegenüber, die er mit den Begriffen „individual“ einerseits und „government“ bzw. „societal“ andererseits in Verbindung bringt. Das eine zeichnet sich aus durch eine starke Rolle der Regierung, gesellschaftliche Verantwortung und Erklärung von Verhalten durch Umwelteinflüsse. Das zweite, von Friedman bevorzugte, betont die Rolle des Individuums und mit ihm der Familie. Diese ist dem Bereich des Individuell-Privaten, nicht des Gesellschaftlichen zugeordnet. An der Ausrichtung entweder am Bereich des Familiär-Privaten oder am Bereich der Gesellschaft – nicht zwischen individuell und sozial – wird die entscheidende Grenze zweier unterschiedlicher Weltanschauungen verortet.34 Folgt man dieser Interpretation, dürfen die Begriffe „individual“ und „societal“ nicht so streng verstanden werden, dass „individual“ ausschließlich auf einzelne Menschen bezogen wird. Überzeugender erscheint es, die entscheidende Differenz nicht als individuell vs. sozial, sondern als freiwillig-vergesellschaftet (privat)35 vs. staatlich-verpflichtend (öffentlich)36 zu beschreiben. 4.) Die Bedeutung der Familie und der ontologisch-methodologische Individualismus. Rückt man Friedmans Aussagen zur Familie ins Zentrum der Betrachtung, so hat dies erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis von Individualität und Sozialität. Friedman weist selbst darauf hin, dass eine individualistische Gesellschaftstheorie zwar theoretisch konzipiert werden kann, dass sie aufgrund 33 TSQ,
134 f. (Hervorhebungen B. G.). Unterscheidung begegnet auch da, wo Friedman die Verantwortung innerhalb der Familie in den Bereich der „individual responsibilty“ im Unterschied zu „social responsibility“ einordnet (vgl. FtC, 106; Friedman 1973b, 45) und wo er Adam Smiths These, der Mensch strebe nach Verbesserung seiner eigenen Situation ergänzt um die Formulierung „and, one may add, the condition of his children and his children’s children“ (FtC, 145). 35 Zum entsprechenden Verständnis von „privat“ bei Mill vgl. oben 29. 36 Vgl. Friedman 1979c, 98: „The conflict affects every aspect of our life: family vs. government; private vs. communal property“. 34 Diese
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der Eingebundenheit des Menschen in familiäre Strukturen aber nicht stringent zur Beschreibung einer konkreten Form des Zusammenlebens herangezogen werden kann.37 Die Familie als Basiseinheit der Gesellschaft zu verstehen, ist mit der These, die Sozialität sei prinzipiell sekundär gegenüber der Individualität, nicht vereinbar.38 Bereits die Notwendigkeit, den Familienbegriff zu definieren (Kernfamilie, Großfamilie usw.), legt stattdessen ein Modell gradueller Sozialität nahe.39 Eine grundsätzliche Infragestellung des ontologisch-methodologischen Individualismus kann bei Friedman jedoch nicht festgestellt werden. Vielmehr begegnen Passagen, in denen er auch die Gründung einer Familie im Horizont dieses Theoriegebäudes zu erklären versucht. Die Familie beschreibt er hier als einen freiwilligen Zusammenschluss von Individuen, die je eigene Interessen verfolgen und dafür die Kooperation innerhalb der Familie nutzen.40 Friedman bietet dafür eine Erklärung an, die dieses Vorgehen wiederum an den normativen Individualismus anbindet: „The ultimate operative unit in our society is the family, not the individual. Yet the acceptance of the family as the unit rests in considerable part on expediency rather than principle“.41 Die Be37 Vgl. Friedman 1987g, 19: „A pure market economy is at least conceivable. The economist’s
favorite example of a market economy is Robinson Crusoe […]. For society, there are no pure command or market economies, either as ideals or in practice. Even in the most extreme version of the anarchist-libertarian ideal of a market economy, families exist; and within a family there are command elements. Children sometimes behave in response to orders and not of their own volition as principals, a fact that is equally true of other members of the family.“ 38 Möglicherweise erkennt Friedman die Problematik seines Ansatzes selbst. Jedenfalls findet sich in „Free to Choose“ eine in weiten Teilen aus „Capitalism and Freedom“ wörtlich übernommene Passage, in der er die Aussagen zu Familie als grundlegender gesellschaftlicher Größe merklich abschwächt. Aus: „The ultimate operative unit in our society is the family, not the individual. Yet the acceptance of the family as the unit rests in considerable part on expediency rather than principle.“ (CaF, 33, Hervorhebungen B. G.), wird: „The family, rather than the individual, has always been and remains today the basic building block of our society, […]. Yet the assignment of responsibility for children to their parents is largely a matter of expediency rather than principle“ (FtC, 33, Hervorhebungen B. G.). 39 Diese Konsequenz zieht Friedmans Lehrer Frank Knight (vgl. Knight 1941, 106 f.): „From the standpoint of freedom […] we need consider only the limitations of liberalism as economic individualism, with respect to the central fallacy mentioned, taking the individual as a datum. As soon as the question is made explicit, it is clearly evident that the individual cannot possibly be so regarded, either from the viewpoint of descriptive reality and historical causality or from that of social policy. […] Obviously, the family is much more real as a social economic unit than is the literal, biological individual, and the problems center more in the family, and the various forms of inheritance, than in the relations between individuals.“ Vgl. Noppeney 1998, 176–180. 40 Vgl. CaF, 33: „The freedom of individuals to use their economic resources as they want includes the freedom to have children – to buy, as it were, the services of children as a particular form of consumption“. 41 CaF, 33. Die Bedeutung des zitierten Satzes ist nicht ganz eindeutig. Offen ist, ob sich „acceptance“ auf die Familienmitglieder bezieht oder auf den liberalen Theoretiker. Ist letzteres der Fall, akzeptiert Friedman die Familie als methodologischen Ausgangspunkt, weil dies mit dem normativen Individualismus – dem faktischen Nutzen aller Individuen – vereinbar ist. Nur wenn „acceptance“ zum Ausdruck bringen sollte, dass die Individuen selbst die Familie
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deutung der Familie führt nicht dazu, dass Friedman seinen individualistischen Zugang relativiert, sondern wird ihrerseits in den Theorierahmen des methodologischen Individualismus eingeordnet.42 2.1.4 Zusammenfassung In methodologischer, sozialontologischer und normativer Hinsicht ist Friedmans Denken konsequent individualistisch ausgerichtet. Sozialwissenschaftliche Analyse geht von handelnden Individuen aus; der einzelne Mensch ist die grundlegende Einheit menschlicher Gesellschaften und der einzelne Mensch hat das Recht, seine je eigenen Ziele zu verfolgen. Sozialität ist sachlich sekundär zur Individualität, die Gesellschaft ein Zusammenschluss von Individuen. Interaktion ist daher zu beschreiben als Kooperation von Menschen, die ihren Eigennutzen verfolgen. Koordiniert wird sie durch soziale Institutionen, die wiederum polyzentrisch durch Akte von Individuen etabliert werden. Die Evolution sozialer Ordnungen erfolgt nicht zuletzt unter dem Einfluss von Ideen. Wenn Friedman andererseits die Familie als gesellschaftliche Grundeinheit bezeichnet, verweist er auf Grenzen des konsequent individualistischen Grundansatzes, ohne daraus jedoch normative oder methodologische Konsequenzen zu ziehen oder die ontologische Annahme von der Sekundarität des Sozialen zu relativieren.
2.2 Der Mensch als Nutzenmaximierer Bei der Rekonstruktion von Friedmans Verständnis des Menschen als Nutzenmaximierer ist zunächst zu differenzieren, inwiefern dabei tatsächlich ein Menschenbild oder lediglich eine heuristische Modellannahme vorliegt (2.2.1). Nach dieser Klärung sollen dann diejenigen Aussagen über den Menschen herausgearbeitet werden, die tatsächlich anthropologisch gehaltvoll sind. Dies betrifft die These, dass Menschen ihr Eigeninteresse kennen und verfolgen (2.2.2) sowie die Differenzierung zwischen Eigeninteresse im weiten und Eigennutzen im engeren Sinne (2.2.3). Anschließend ist zu fragen, welchen Stellenwert Friedman der Bilals grundlegende Bezugseinheit anerkennen, wäre die Basis des normativen und methodologischen Individualismus gewahrt. Im Kontext der Stelle geht es aber gerade um paternalistische Entscheidungen, die andere für unmündige Kinder treffen, sodass diese Interpretation nicht schlüssig wäre. 42 Man kann daher fragen, ob der Bezeichnung der Familie als „Grundeinheit“ der Gesellschaft überhaupt ein relevanter Stellenwert zukommt oder ob Friedman hier nicht eher ein kulturell geprägtes Ideal weitgehend unreflektiert in seine Darstellung aufnimmt. Zum politischen Diskurs über das ideologisch besetzte Thema „Familie“ in den USA im letzten Drittel des 20. Jahrhundert vgl. Browning 1996, bes. 132 zur Zuordnung der Familie in den „Privatbereich“.
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dungsfähigkeit des Menschen für sein Streben nach Eigeninteresse zukommen lässt (2.2.4) und ob dieses Streben vereinbar ist mit innerer Freiheit oder letztlich ein deterministisches Menschenbild vorliegt (2.2.5). 2.2.1 Menschenbild oder Modellannahme? Wie die Aussagen zum Verhältnis von positiver und normativer Wissenschaft, so findet sich bei Friedman auch eine explizite Reflexion über das Menschenbild in Zusammenhang seiner methodologischen Überlegungen. Dabei ist insbesondere die Frage zu diskutieren, ob die Rede vom Menschen als Nutzenmaximierer Auskunft über Friedmans Menschenbild gibt. Er selbst legt großen Werte darauf, dass die Handlungsmuster, die er in seiner positiven Ökonomik voraussetzt – bspw. vollständige Informiertheit und Rationalität – als Modellannahmen und gerade nicht als anthropologische Aussagen zu verstehen seien.43 Dasselbe gelte auch für die Annahme, der „homo oeconomicus“ strebe stets nach Maximierung seines persönlichen Nutzens. Friedman betont dies im Rahmen einer methodologischen Kontroverse. Kritiker warfen den neoklassischen Ökonomen vor, in ihrer Argumentation von unrealistischen Hypothesen auszugehen.44 Dieser Kritik begegnet Friedman nicht damit, dass er den Realitätsgehalt seiner Hypothesen verteidigt. Stattdessen vertritt er die These, dass sich die Gültigkeit einer wissenschaftlichen Hypothese nicht anhand des tatsächlichen Zutreffens ihrer Voraussetzungen („realism of assumptions“), sondern anhand der Frage zu erweisen hat, ob Folgerungen aus dieser Hypothese zutreffende Prognosen ermöglichen.45 Während Friedman die Prognosefähig43 Vgl.
Friedman 1987m, 165f: Dies zeigt sich am Beispiel der ökonomischen Hypothese „that under a wide range of circumstances individual firms behave as if they were seeking rationally to maximize their expected returns […] and had full knowledge of the data needed in this attempt […]. Now, of course, businessmen do not actually and literally solve the system of simultaneous equations in terms which the mathematical economist finds it convenient to express this hypothesis. […] Confidence in the maximization-of-returns hypothesis is justified by evidence of a very different character. […] An even more important body of evidence for the maximization-of-returns hypothesis is experience from countless applications of the hypothesis to specific problems and the repeated failure of its implications to be contradicted“. 44 Vgl. Friedman 1987m, 160. Laut John Cunningham Wood bezieht sich Friedman dabei auf Lionel Robbins. (vgl. Wood und Woods 1990, xvii). Dieser ist der Ansicht, die ökonomische Analyse stütze sich auf psychologische Annahmen, die die menschliche Natur näherungsweise abbilden (vgl. Robbins 1984, 86–94). Friedman selbst nennt ihn jedoch nicht. Stattdessen verweist er auf mehrere Beiträge zur Debatte zur Unvollständigkeit des Wettbewerbs, darunter mehrere Werke Richard A. Lesters (vgl. Friedman 1987m, 182 Anm. 13). Zur Debattenlage als ganzer vgl. McLellan, 81–92. 45 Vgl. Friedman 1987m, 160 f. Anders als in der normativen Begründung ist in Friedmans Methodologie deutlich ein pragmatistischer Zug erkennbar, der jedoch mit positivistischen Momenten verbunden ist (vgl. Sturn 1997, 266). Insofern ist darin auch kein Widerspruch zu seiner Orientierung an Poppers kritischem Realismus zu sehen, der in normativer wie methodologischer Hinsicht Einfluss auf Friedman ausübte (vgl. Schröder 2004, 172 f., 177, 188–190).
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keit als einzig entscheidenden Test für die Validität von Hypothesen darstellt, erschöpft sich die Aufgabe der Ökonomik nicht im Vorhersagen künftiger Entwicklungen, sondern sie trägt auch zum Verstehen dieser Entwicklungen bei.46 Um tatsächlich Erklärungspotenzial für eine große Menge von Einzelfällen zu besitzen, muss eine Theorie von der Komplexität der Wirklichkeit abstrahieren, also auf „Realismus“ verzichten.47 Nach Friedmans Selbstverständnis wäre es also nicht legitim, aus seinem Bild des „homo oeconomicus“ auf anthropologische Annahmen zu schließen, die er in seiner Argumentation voraussetzt. In der Tat wäre es nicht korrekt, Friedman zu unterstellen, dass er der Ansicht ist, alle seien vollständig rational und vollständig informiert. Dennoch liegt schon aus methodischen Gründen nahe, dass Friedmans postulierter „homo oeconomicus“ nicht ohne jeden Bezug zur Realität ist. Eine völlig willkürliche Modellbildung wäre dem Ziel, zuverlässige Prognosen zu treffen, kaum dienlich.48 Die Leistungsfähigkeit der Theorie wäre dann rein zufällig. Faktisch ist es auch nicht so, dass Friedman seine Modellbildung ohne jeden Wirklichkeitsbezug vornimmt. Dies verdeutlicht gerade jene Passage, in der er begründet, warum er einen „realism of assumptions“ ablehnt: The relevant question to ask about ‚assumptions‘ of a theory is not whether they are descriptively ‚realistic,‘ for they never are, but whether they are sufficiently good approximations for the purpose in hand. And this question can be answered only by seeing whether the theory works, which means whether it yields sufficiently accurate predictions.49
Friedman zielt im zitierten Satz darauf, dass die Akzeptanz von Hypothesen nicht an ihrer inhaltlichen Präzision, sondern an ihrer Prognosefähigkeit festzumachen ist. Die hervorgehobene Passage weist aber darauf hin, dass Friedman das Erklärungspotenzial einer Hypothese gerade darin begründet sieht, dass sie einen „Näherungswert“ zur Wirklichkeit bildet.50 Beim „homo oeconomicus“ handelt es sich also um eine grobe Vereinfachung und Verallgemeinerung, die zwar nicht selbst realistisch ist, ihren Realitätsbezug aber gleichwohl nicht verliert. Dieser Zug verdeutlicht sich in den späteren Abschnitten des Methodologie-Aufsatzes zunehmend.51 Auch abschließend betont er, dass die Ökonomik 46 Vgl. Sturn 1997, 270. Auch Friedman erwähnt in seinem Methodologie-Aufsatz die Aufgabe, ökonomische Prozesse zu erklären (vgl. Friedman 1987m, 164, 179). Aufgrund seiner wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen konzentriert er sich jedoch ausschließlich auf die Falsifizierbarkeit von Theorien und macht so die Erklärungsleistung abhängig von der Prognosefähigkeit. 47 Vgl. Friedman 1987m, 160. 48 Vgl. Dietz 2005, 39 f. 49 Friedman 1987m, 161 (Hervorhebung B. G.). 50 Vgl. auch Friedman 2006c, 65: „It is of the very nature of a really important scientific generalization that it provides a simpler rationalization of a mass of facts than was available before. […] A somewhat different way of getting at essentially the same point is to ask how one decides what degree of correspondence there is between assumption and reality“ (Hervorhebungen B. G.). 51 Vgl. Friedman 1987m, 167 f., 172 f.
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sich einer verallgemeinernden Sicht auf den Menschen bedient: „Economics as a positive science is a body of tentatively accepted generalizations about economic phenomena that can be used to predict the consequences of changes in circumstances.“52 Bemerkenswert ist außerdem ein weiterer Aspekt, dem Friedman in diesem Aufsatz große Aufmerksamkeit schenkt. Er betont nämlich, dass die getroffenen Verallgemeinerungen sich immer auf jene Züge der Wirklichkeit beziehen, die für das zu erklärende Phänomen relevant sind.53 Daraus müsste eigentlich eine Selbstbescheidung der Ökonomik auf bestimmte Phänomene erfolgen, für deren Erklärung die von ihr gewählten Aspekte besonders fruchtbar sind.54 Dass dies bei Friedman kaum der Fall ist, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der in der ökonomischen Methode vorausgesetzte „homo oeconomicus“ Friedmans Menschenbild doch sehr nahe kommt. Dies soll im Folgenden gezeigt werden. 2.2.2 Menschen kennen und verfolgen ihr Eigeninteresse Friedman fasst menschliches Verhalten prinzipiell als intentional auf. Alles Verhalten dient einem bestimmten Ziel, das Menschen als erstrebenswert erscheint. Dies ist keine Aussage, die am tatsächlichen Tun abgelesen oder überprüft werden könnte, sondern vielmehr ein Paradigma, in dem jedes Verhalten wahrgenommen wird. Seine Beobachtung erlaubt Rückschlüsse auf die den Menschen jeweils leitenden Präferenzen. Friedman setzt die Präferenzstruktur gleich mit dem Eigeninteresse („self-interest“). Dies setzt ein weites Verständnis von Eigeninteresse voraus, wie es für die Chicago School of Economics typisch ist.55 Ein solches weites Verständnis von Eigeninteresse lässt sich in der Tat breit nachweisen. The interests of which I speak are not simply narrow self-regarding interests. On the contrary, they include the whole range of values that men hold dear and for which they are willing to spend their fortunes and sacrifice their lives. The Germans who lost their lives opposing Adolf Hitler were pursuing their interests as they saw them.56 Self-interest is not myopic selfishness. It is whatever interests the participants, whatever they value, whatever goals they pursue. The scientist seeking to advance the frontiers of his 52 Friedman
1987m, 177. Friedman 1987m, 175: „The ideal types are not intended to be descriptive, they are designed to isolate the features that are crucial for a particular problem.“ Vgl. Friedman 1987m, 168, 173. 54 Vgl. Nutzinger 1997, 92, 96. 55 Dies vertrat bereits Friedmans Lehrer Jacob Viner, der im weiten Verständnis von Eigeninteresse, wie es in der klassischen Ökonomik seit Adam Smith und im „Laisser-faire-Liberalismus“ vorausgesetzt ist, einen Fortschritt gegenüber den augustinisch geprägten Vorstellungen einer völlig verdorbenen menschlichen Natur sieht (vgl. Viner 1991d, 69–71, 74–77). Besonders profiliert wurde dieser Ansatz später durch Gary Becker (vgl. Becker 1992, 38 f.). 56 CaF, 200. 53 Vgl.
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discipline, the missionary seeking to convert infidels to the true faith, the philanthropist seeking to bring comfort to the needy – all are pursuing their interests, as they see them, as they judge them by their own values.57 Almost every individual serves his own private interest: that interest need not be pecuniary; it need not be narrowly, physical or material. The great Saints of history have served their ‚private interest‘ just as the money-grubbing miser has served his private interest. The private interest is whatever drives an individual.58
Die Annahme, alles menschliche Handeln sei ein Verfolgen von Eigeninteresse, setzt neben dem weiten Verständnis von Eigeninteresse außerdem voraus, dass Menschen zumindest unbewusst ihr Eigeninteresse kennen. Eine Irrtumsfähigkeit bezüglich des Eigeninteresses gibt es für Friedman nicht. Eine Unterscheidung zwischen tatsächlichen und vermeintlichen Bedürfnissen ist von daher ausgeschlossen.59 Diesen Sachverhalt bringt der Begriff der „Präferenzautonomie“ zum Ausdruck, der hier zunächst deskriptiv verstanden wird: Nur das Individuum selbst, keine außenstehende Instanz, ist in der Lage, die Bedürfnisse des Individuums festzustellen.60 Was Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt möchten, das ist ihr Eigeninteresse. Da sie in dieser Frage keinem Irrtum unterliegen können, haben Menschen den maximalen Nutzen von Zuwendungen (Geschenken oder Sozialleistungen) immer dann, wenn sie in der Form von Bargeld gemacht werden.61 Entscheidend für dieses Verständnis ist, dass Friedman hier dem „Revealed-preferences-Ansatz“ von Paul Samuelson folgt, nach dem Präferenzen aus Wahlakten abgeleitet werden können.62 Weder die Selbsteinschätzung eines Individuums noch eine außenstehende Person, wissenschaftliche Einsichten oder moralische Autoritäten können Auskunft darüber geben, was im Eigeninteresse des Individuums liegt. Das faktische Verhalten gibt Auskunft über das „wahre“ Eigeninteresse von Individuen. Folgt man diesem Verständnis von Eigeninteresse, kann der These kaum widersprochen werden, alles Verhalten bestehe im Verfolgen von Eigeninteres57 FtC, 27; vgl. Friedman 1973b, 49 f.; TSQ, 48. Zu FtC, xiv („broadly interpreted“) vgl. allerdings unten 207 Anm. 147. 58 Friedman 1976e, 11. 59 Vgl. Gamwell 198418, 28 f., 32 f.; McLellan, 155. Anders argumentiert Hayek, der davon ausgeht, dass lediglich nicht sicher gesagt werden könne, dass jemand anderes den Nutzen besser kenne als das betreffende Individuum (vgl. von Hayek 1976, 27). 60 Zu „Präferenzautonomie“ im normativen Sinne vgl. unten 3.1 Die normative Präferenzautonomie als Grundlage des Freiheitsprinzips. Für denselben Sachverhalt wird in der ökonomischen Literatur meist der Begriff „Konsumentensouveränität“ verwendet (zum Begriff und damit verbundenen Debatten vgl. Witt 2012, 65–72). Ich ziehe „Präferenzautonomie“ vor, da hier deutlicher wird, dass es um alle möglichen Arten von Präferenzen und (Inter‑) Aktionen geht, nicht nur um den Kauf von Konsumgütern (zum Begriff und zur Problematik von „Präferenzautonomie“ vgl. Eidenmüller 1998, 326–351). 61 Vgl. CaF, 178; FtC, 116 f. 62 Vgl. Samuelson 1938; Samuelson 1948, 243) sowie Friedman 1990 (MFA 234.14), wo Friedman sich als „believer in revealed preferences“ bezeichnet.
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se.63 Auch Friedman merkt an, dass ein Verständnis von Rationalität, das sich am Verfolgen von Eigeninteresse orientiert, unter dieser Voraussetzungen letztlich tautologisch wird.64 Menschen handeln schon deshalb immer ihrem Eigeninteresse gemäß, da ihr wahres Eigeninteresse sich in ihren Handlungen zeigt. Gerade aufgrund dieser Voraussetzungen kann ein solcher Begriff von Eigeninteresse menschliches Verhalten nur noch selbstreferentiell beschreiben, indem er rückschließend feststellt, welches Eigeninteresse damit verfolgt wurde. Die von Friedman angestrebte Prognosefähigkeit kann damit jedoch nicht erreicht werden.65 Will Ökonomik menschliches Verhalten nicht nur selbstreferentiell erklären, sondern auch vorhersagen, muss sie über eine rein formal gehaltene Beschreibung von Eigeninteresse hinausgehen.66 Dass Friedman aufbauend auf einer formalen Beschreibung von Menschen, die ihr Eigeninteresse verfolgen, durchaus prognosefähige ökonomische Modelle ableitet, hat damit zu tun, dass in diese Modelle auch Aussagen darüber eingehen, welche materialen Ziele Menschen verfolgen.67 Dies ist im folgenden in den Blick zu nehmen. 2.2.3 Eigeninteresse im weiten und Eigennutzen im engen Sinne 1.) Unterscheidung von Eigeninteresse und Eigennutzen. Unter dem weiten Begriff von Eigeninteresse fasst Friedman verschiedene Arten von Interessen zusammen. Er unterscheidet zwischen „breiten“ und „egoistischen“ Interessen. Die entscheidende Differenz zwischen beiden Arten des Interesses liegt darin, auf wessen Wohlergehen sich unser Interesse ausrichtet: Those interests will include some that are broad and unselfish – doing good or benefiting mankind […]. Those interests will also include some that are less broad and more selfish – or some of us would say, less pretentious – improving our lot and the lot of our children.68 63 Friedman selbst zeigt, dass sie auch auf das „Verhalten“ von den Blättern eines Baumes angewandt werden kann (vgl. Friedman 1987m, 164 f.). Gleiches gilt dann für Tiere oder Steine. Die Logik basiert darauf, dass schon vorausgesetzt wird, dass alles Handeln Eigennutzen verfolgt. Was einer Entität nutzt, lässt sich folglich aus ihrem Verhalten ablesen. 64 Vgl. Friedman 1978 (MFA 189.2): „The key point is that there is a sense in which it is impossible to have irrational behavior; rationality has to do with the relation between means and ends. Given a set of behavior, can it be demonstrated that there exists no set of ends with respect to which that behavior is rational?“ Vgl. Friedman 1987l, 214. 65 Vgl. ebenso zutreffend wie pointiert Nutzinger 1997, 94: „Die Schwäche, nicht Stärke einer derartigen Vorgehensweise zeigt sich dann gerade darin, daß sie nahezu alles zu erklären scheint und damit in den methodischen Verdacht geraten muß, überhaupt nichts mehr erklären zu können.“ 66 Vgl. Friedman 1987m, 159. Friedman formuliert hier eine Einsicht, die im Zuge seines zunehmenden ökonomischen Imperialismus eher verschleiert wird. 67 Explizit und reflektiert findet sich dieses Vorgehen zur Vermeidung eines tautologischen Modells etwa bei Downs 1968, 6–8. Zum Spannungsverhältnis zwischen imperialistischem Erklären und wissenschaftlicher Prognose vgl. Sturn 1997, 290 f. 68 TSQ, 48.
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„Eigeninteresse“ stellt für Friedman einen umfassenden Begriff dar, der alle möglichen (altruistische und egoistische) Ziele umfasst. Im Unterschied dazu bietet es sich an, von „Eigennutzen“ zu sprechen, wo sich das Eigeninteresse auf das persönliche Wohlergehen richtet, also auf einen engeren Bereich von Zielen.69 Gelegentlich werden in dieser Arbeit die Ausdrücke „Eigeninteresse im weiten“ und „Eigennutzen im engeren Sinne“ verwendet, um diesen Unterschied zu betonen. Die Unterscheidung zwischen Eigeninteresse und Eigennutzen entspricht nicht der Unterscheidung zwischen dem Streben nach materiellen und nach nicht-materiellen Gütern. Weite wie eigennützige Formen von Eigeninteressen können sich sowohl auf Steigerung ökonomischer Effizienz bzw. gesellschaftlichen Wohlstands70 als auch auf andere Güter beziehen.71 So kann auch der durchaus im engen Sinne verstandene persönliche Gewinn aus einer Berufstätigkeit aus nicht-materiellen Gütern bestehen.72 Mit der Unterscheidung zwischen Eigeninteresse im engen und im weiten Sinne ist auch keine moralische Wertung verbunden.73 2.) Die Dominanz des Strebens nach Eigennutzen. Im Normalfall ist es so, dass das Eigeninteresse nicht auf den Eigennutzen beschränkt ist. Diese Verbreitung des Mitgefühls ist der Grund für das große wohltätige Engagement, zu dem Menschen aus freien Stücken bereit sind.74 Friedman erkennt also durchaus an, 69 Auch
wo der entsprechende Zusatz fehlt, sind die Begriffe in diesem Sinne gebraucht. Gamwell hingegen schlägt vor, den Begriff „Eigeninteresse“ in einem engeren Sinne zu verstehen, nämlich so, dass er Wohltätigkeit ausklammert (vgl. Gamwell 1984, 21 f.). Dies erscheint für die Friedman-Interpretation insofern nicht angemessen, als es der mit dem Begriff „Eigeninteresse“ verbundenen Intention Friedmans zuwiderläuft. Stattdessen wird hier der Begriff des „Eigennutzen“ aus der ökonomischen Terminologie aufgegriffen, in der Friedman von einem engen Eigeninteresse ausgeht. 70 Allein oder primär auf materielle Güter bezogen ist im engen Sinne von Eigennutzstreben das Aussein auf persönlichen Wohlstand. Eigeninteresse in seiner weiten Form kann ebenso auf materielle Güter konzentriert sein, wenn es auf gesamtgesellschaftlichen Wohlstand oder materielle Verbesserung der Situation der Armen orientiert ist. 71 Vgl. Friedman 1987g, 32. 72 Vgl. CaF, 101 Anm. 6. Zu denken ist etwa an Privilegien, gesellschaftliches Ansehen oder persönliche Zufriedenheit, die aus einer bestimmten Tätigkeit erwachsen. Nicht zuletzt kommt dies auch in Friedmans Beschreibung seines eigenen Lebens zum Ausdruck (vgl. TLP, 1, 364). McLellan dagegen identifiziert Friedmans Verständnis von Eigennutzen zu Unrecht mit dem Streben nach materiellen Gütern (vgl. McLellan, 137). 73 Rassismus kann wie der Einsatz für Demokratie in einer Form praktiziert werden, die unmittelbar persönliche Nachteile als Opfer im Sinne eines erstrebten politischen Zustandes in Kauf nimmt. Das Verfolgen von Eigennutzen im engen Sinne wiederum ist nicht per se als „schlechte“ Präferenz zu erachten. 74 Vgl. CaF, 190 f.; FtC, 123, 140. Vereinzelt geht Friedman so weit, dass er Mitgefühl mit leidenden Menschen als eine universale menschliche Eigenschaft beschreibt (vgl. CaF, 191; Friedman 1973b, 43). Damit nähert sich Friedman der „Theory of Moral Sentiments“, also jenem Konzept, das bei Adam Smith den Horizont seiner Theorie der unsichtbaren Hand darstellt. Während Friedman wie Smith ein Gefühl der Mitmenschlichkeit als universal vorausgesetzt zu
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dass Menschen nicht in jedem Fall von egoistischen Intentionen geleitet sind. Den gelegentlichen Ausführungen dazu, dass Menschen auch Eigeninteressen in einem weiten Sinne verfolgen, steht jedoch in weit größerem Maße die Beobachtung gegenüber, dass ihr Eigeninteresse von Eigennutzen im engeren Sinne dominiert ist. Friedman formuliert schlicht: „Some people’s self-interest is to safe the world. Some people’s self-interest is to do good for others. […] But for most people, most of the time, self-interest is greed.“75 Die Dominanz egoistischen Eigennutzstrebens scheint nun wiederum so überwältigend, dass Friedman sie – allen vorangegangen Differenzierungen scheinbar zum Trotz – als unabänderlich zur Natur des Menschen gehörig erachtet: The biological laws that specify the characteristics of cats are no more rigid than the political laws that specify the behavior of government agencies once they are established. […] As a natural scientist, you recognize that you cannot assign characteristics at will to chemical and biological entities, cannot demand that cats bark or water burn. Why do you suppose that the situation is different in the social sciences?76
Im Einzelfall ist zwar mit allen möglichen Formen des Eigeninteressestrebens zu rechnen. Aufs Ganze gesehen jedoch dominiert der Zug egoistischen Eigennutzstrebens. Auch wenn der völlig rationale, egoistische Nutzenoptimierer als Modell der positiven Ökonomik nicht realistisch ist, so erscheint er bei Friedman durchaus als ein (nicht normativer) Idealtyp, der nicht ohne gewichtigen Realitätsbezug ist, sondern menschliches Verhalten „im Großen und Ganzen“ eben doch sehr gut charakterisiert. Das egoistische Streben nach Eigennutzen ist für ihn durchaus eine anthropologische Konstante.77 3.) Methodologische Reduktion des Eigeninteresses auf Eigennutzen. Diese Sicht des Menschen hat methodische Konsequenzen für Friedmans Argumentation. Auf ihr aufbauend kann bei einer aggregierten Betrachtung menschlichen Verhaltens – etwa in der makroökonomischen Analyse – eigennutzenorientiertes Verhalten im engen Sinne modellhaft als angemessene, vergröbernde Verallgemeinerung unterstellt werden.78 Zunächst betont Friedman, dass derartige Verallgemeinerungen ausschließlich für diejenigen sozialen Phänomene herandenken scheint, fehlt bei ersterem jedoch eine systematische Besinnung auf dessen Stellenwert und Entstehen (vgl. Calkins und Wight 2008, 221–228). 75 Friedman 1973b, 49 f. Vgl. ebenso Friedman und Heffner 1975, 20:00: „Mankind is selfish and greedy. […] Now I want to apologize for what I said. The great bulk of mankind. There are always conspicuous exceptions, not everybody. And also for each person there is an exception. People are selfish and greedy in one aspect of their activity. They are unselfish and generous in another.“ Vgl. CaF, 201; FtC, 144 f., 222; Friedman 1983b, 88. Vgl. ganz ähnlich George Stigler (Stigler 1982b, 26): „Much of the time, most of the time in fact, the self-interest theory […] will win.“ 76 Friedman 1973a (zitiert in FtC, 209; TLP, 362); vgl. TSQ, 155; Friedman 1995. 77 Zum historischen Ursprung dieser Betrachtungsweise im 17. bzw. 18. Jahrhundert vgl. Hirschman 1993d, 137 f. 78 Vgl. Butler 1985, 239 f. Wie Adam Smith hat Friedman also durchaus eine, wenn auch weniger differenzierte, „mehrdimensionale Handlungstheorie“ (Sturn 1997, 183).
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zuziehen sind, für die sie tatsächlich die relevanten Züge menschlichen Verhaltens beschreiben.79 Im Laufe der Zeit wendet er sich jedoch zunehmend konsequent dem ökonomischen Imperialismus zu, indem er sämtliche gesellschaftlichen Phänomene mit der Logik der Ökonomik erklärt.80 Selbst Verhalten, das dem Anschein nach Ziele verfolgt, die den engen Eigennutzen übersteigen, versucht Friedman auf letztlich egoistisches Handeln zurückzuführen.81 Auch wenn er stets die Fülle möglicher Motivationen betont, entscheidet sich Friedman auf methodologischer Ebene für ein reduktionistisches Modell, das anthropologische Aussagen impliziert.82 Dabei abstrahiert er von der Fülle möglicher Vorstellungen von Eigeninteresse und differenzierter Präferenzordnungen, indem er die Tendenz, nach Eigennutzen im engeren Sinne zu streben, verallgemeinert. Entgegen Friedmans eigener Aussage beruht also die breite Anwendung der ökonomischen Methode sehr wohl auf anthropologischen Annahmen. Dies gilt auch dann, wenn dieses Menschenbild differenzierter ist als der im Modell angewandte homo oeconomicus. 2.2.4 Eigeninteresse und Bildungsfähigkeit Einerseits geht Friedman wie beschrieben davon aus, dass Menschen ihr Eigeninteresse kennen und in allen Handlungen auch verfolgen.83 Andererseits hat sich gezeigt, dass er Ideen eine prägende Kraft für die Entwicklung einer Gesellschaft zubilligt.84 Zwischen beiden Annahmen besteht keineswegs ein Widerspruch.85 Friedmans massives Engagement in gesellschaftlichen Debatten setzt voraus, dass er von der Bildungsfähigkeit der Menschen in zweierlei Hinsicht überzeugt ist: in Bezug auf die rationale Erreichung vorgegebener Ziele und in Bezug auf die Bildung von Präferenzen. 79 Vgl.
Friedman 1987m, 161, 168, 173, 175 sowie Butler 1985, 232 f. FtC, xiiif., wo Friedman explizit die Thesen seines Schülers Gary S. Becker aufgreift (vgl. bei diesem z. B. Becker 1976b, 5 f.) sowie unten 8.3.1 Politisches Handeln und ökonomische Methode). Vgl. exemplarisch für Friedmans Argumentation FtC, 115–119. Eine solche universale Anwendung der ökonomischen Methode ist nur möglich unter der Voraussetzung, dass die Annahme einer Orientierung am Eigennutzen für alle Interaktionsbereiche dominiert (vgl. Sturn 1997, 33, 283). Zum ökonomischen Imperialismus allgemein vgl. Schulte 2014, 78–84. 81 Als Beispiel führt Friedman den Einsatz für ein staatliches Rentensystem an (vgl. Friedman 1983a, 73 sowie McLellan, 142). 82 Ein bedeutender Unterschied zu Adam Smith liegt darin, dass dieser aus der differenzierten Wahrnehmung menschlicher Motivationen auch die Konsequenz zieht, in der Sozialtheorie nur gelegentlich und auf bestimmte Fälle beschränkt reduktionistisch mit Bezug auf die Selbstliebe zu argumentieren. Bei Friedman mündet die mehrdimensionale Handlungstheorie nicht in eine mehrdimensionale sozialwissenschaftliche Methode (vgl. Sturn 1997, 181). 83 Vgl. oben 2.2.2 Menschen kennen und verfolgen ihr Eigeninteresse. 84 Vgl. oben 73. 85 So Nelson 2001, 152. 80 Vgl.
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1.) Aufgeklärte Nutzenoptimierung. Friedmans Selbstverständnis nach zielt die Ökonomik darauf, soziale Kausalbeziehungen durchschaubar zu machen, um so zur effizienten Erreichung vorgegebener Ziele beizutragen.86 Sein gesamtes wissenschaftliches Lebenswerk kann also verstanden werden als ein Beitrag dazu, dass menschliche Bedürfnisse mittels besserer Einsicht effizienter erfüllt werden können. Sein Engagement in der Politikberatung und in öffentlichen Diskursen ist Ausdruck der Überzeugung, dass die Vermittlung solcher Einsichten an Entscheidungsträger möglich und relevant ist. Gerade die Ansprache der „misguided friends“ geht davon aus, dass diese aufgrund ökonomischer Irrtümer ihre Ziele nicht erreichen.87 Sowohl auf individueller Ebene als auch in Bezug auf gesellschaftliche Regelungen leuchtet es unmittelbar ein, dass die Erreichung bestimmter Ziele von der sachkundigen Wahl geeigneter Mittel abhängt.88 2.) Bildung von Präferenzen. Friedman beschreibt andeutungsweise auch die die Menschen leitenden Nutzenvorstellungen als Ergebnis eines Bildungsprozesses, der zwar nicht gesteuert, aber durchaus gezielt beeinflusst werden kann.89 Sie sind nicht starr gegeben, sondern auch geprägt durch intellektuelle Auseinandersetzungen. Ideen können daher Präferenzstrukturen bzw. das Verständnis von Eigennutzen verändern.90 Friedman zielt durchaus auch darauf, Menschen von der normativen Vorzugswürdigkeit des Freiheitsglaubens zu überzeugen. Allerdings ist grundsätzlich mit der Stabilität von Präferenzen zu rechnen. Der Werbung etwa traut Friedman nur sehr begrenzt eine Einflussnahme auf die Bedürfnisstruktur von Konsumenten zu.91 Vgl. Friedman 1987m, 154 f., 177.
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87 Seinen Ausdruck findet dies etwa im wiederholt vorgetragenen Vorwurf an Geschäftsleute,
durch Einforderung von Protektion und Subventionen nur kurzfristig, nicht aber langfristig ihren Nutzen zu maximieren (vgl. z. B. Friedman 1978 (MFA 56.17), 9; Friedman 1978 (MFA 56.23), 17). 88 Allerdings zeichnet sich hier eine Spannung zu Friedmans Annahme ab, dass sich Nutzenvorstellungen stets aus Handlungen ablesen lassen (vgl. III.2.2.3 „Revealed Preferences“: Fragwürdige Identifikation von Präferenzen und Wahlakten). 89 Vgl. CaF, 111: „[I]n a society based on free discussion, the appropriate recourse is for me to seek to persuade them [racists, B. G.] that their tastes are bad and that they should change their views and their behavior“. 90 Vgl. Dicey 1978, 12–16. Dicey weist außerdem darauf hin, dass der Eigennutzen die Wahrnehmung der Wirklichkeit und damit die vertretenen Ideen beeinflusse. Dies sei jedoch keine Widerlegung seiner These, da es einen Unterschied zwischen einem (interessegeleiteten) Irrtum und dem Verfolgen von Eigeninteresse gebe (vgl. Dicey 1978, 16). Die von Nelson (vgl. Nelson 2001, 152) dargestellte Differenz bezieht sich ausschließlich auf diesen letzten Aspekt. Er diskutiert nicht die Frage, ob Ideen im Horizont der Eigennutztheorie überhaupt einen Einfluss haben können, sondern stellt die Frage, inwiefern die Chicago Theorie damit rechnet, dass Ideen zur Entwicklung eines Eigeninteresses im weiten Sinne beitragen. Letztlich weist sein Beitrag also auf die bereits oben dargestellte Spannung hin, dass Friedman einerseits einen weiten Begriff von Eigeninteresse voraussetzt, andererseits für die sozialwissenschaftliche Analyse durchgehend voraussetzt, dass Menschen in der Regel ihren Eigennutzen im engeren Sinne verfolgen. 91 Vgl. FtC, 224.
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Der ökonomischen Herangehensweise folgend thematisiert er die Entstehung von Präferenzen in der Regel nicht weiter, sondern setzt sie voraus. Im Zuge der umfassenden Rekonstruktion des Friedmanschen Gesamtkonzepts wird sich jedoch zeigen, dass die Bildung individueller Präferenzen in Form der Entstehung von Wertvorstellungen durchaus einen gewichtigen Stellenwert in diesem Konzept hat.92 2.2.5 Eigeninteresse und innere Freiheit Die folgenden Kapitel werden zeigen, dass Friedmans Thema die Freiheit des Menschen von äußeren Restriktionen ist (zweite Reflexionsebene). In der Tradition Mills klammert er die Frage der Willensfreiheit (erste Reflexionsebene) dabei aus.93 In Zusammenhang mit der Charakterisierung des Menschen als Eigennutzmaximierer ist dennoch zu fragen, ob und in welchem Sinne Friedman auch eine innere Freiheit des Menschen voraussetzt. 1.) Präferenzautonomie und Determinismus. Menschen sind nach Friedman bezüglich ihrer Präferenzen in dem Sinne autonom, dass kein anderer Mensch das „eigentliche“ Eigeninteresse eines Menschen besser beurteilen könnte als dieser selbst. Dies bedeutet jedoch nicht notwendig, dass sie auch gegenüber ihren Präferenzen autonom wären, also dass sie selbst steuernd in jene Prozesse eingreifen könnten, die zur Bildung von Präferenzen führen. Im Rahmen der bisherigen Darstellung scheint innere Freiheit in diesem Sinne nur schwer konzipierbar zu sein, da für eine Wahl von Eigeninteresse keinerlei Richtlinien verfügbar sind. Es müsste ein Handlungsakt erfolgen, der von allen anderen kategorial verschieden ist, da er nicht selbst als das Verfolgen von Eigeninteresse verstanden werden kann. Friedman beschäftigt sich nicht explizit mit derartigen Überlegungen. Für ihn ist es ausgeschlossen, dass Menschen ein Güterbündel wählen, mit dem sie nicht ihren Eigennutzen maximieren. Weder zur Wahl von Präferenzen noch zum Zurückstellen von Präferenzen scheinen Menschen für Friedman fähig zu sein. Die Annahme, dass Menschen immer ihr Eigeninteresse maximieren und ihnen ihre Präferenzen vorgegeben sind, schränkt die Möglichkeiten für Willensfreiheit erheblich ein. Naheliegend scheint es, aus ihr ein deterministisches Modell zu folgern. Menschliches Verhalten wäre dann zu verstehen als Reaktion auf äußere Bedingungen. Dagegen spricht nicht die große Bedeutung, die Friedman äußerer Freiheit zukommen lässt. Dies lässt sich am von ihm in anderem Zusammenhang eingeführten Beispiel des „nutzenmaximierenden“ Wachsens von 92 Vgl.
unten 9 Freiheit und Moralität. die Frage, ob von „Tugend“ und „Sünde“ angemessen gesprochen werden könne, wenn keine Freiheit vorliege, thematisiert Friedman nicht unter dem Gesichtspunkt, ob ein Mensch zwischen verschiedenen Handlungsoptionen wählen kann, sondern ausschließlich unter dem Gesichtspunkt äußerer Freiheit, also hinsichtlich der Frage, ob eine Beeinflussung durch andere vorliegt (vgl. Friedman 1991b, 17). 93 Selbst
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Blättern an einem Baum zeigen.94 Diese können ihren Nutzen (das einstrahlende Sonnenlicht) dann maximieren, wenn sie nicht durch äußere Hemmnisse (z. B. eine Hauswand) daran gehindert werden. Dieser Prozess erfolgt automatisch, ohne dass deswegen innere Freiheit unterstellt werden müsste. Auch dass Friedman die Bestimmung des Menschen durch sein Eigeninteresse geradezu als Naturgesetzlichkeit behandelt95, entspricht deterministischen Vorstellungen.96 2.) Eigeninteresse als Bedingung innerer Freiheit. Trotz einiger Formulierungen, in denen Friedman eine innere Freiheit des Menschen abzulehnen scheint, ergibt sich bei ihm insgesamt ein anderes Bild. Die zitierte Gleichstellung menschlichen Eigennutzstrebens mit Naturgesetzen relativiert Friedman entscheidend, als er sie in „Free to Choose“ selbst aufgreift.97 Im Gegensatz zu einer deterministischen Auffassung stehen die Aussagen, Menschen seien in der Lage „to make their own decisions“98 bzw. wir seien „masters of our own destiny“.99 Zumindest an einer Stelle differenziert Friedman dahingehend, dass menschliches Handeln zwar von äußeren und inneren Vorgegebenheiten bedingt, aber nicht hinreichend bestimmt sei. Physical and human characteristics limit the alternatives available to us. But none prevents us, if we will, from building a society that prevails primarily on voluntary cooperation to organize both economic and other activity, a society that preserves and expands human freedom.100
Der menschliche Wille begegnet hier als eine eigenständige Größe, die Einfluss auf Handlungen nehmen kann. Den Unterschied zwischen der Infektion mit einer 94 Vgl. Friedman 1987m, 164. Der Vergleich begegnet im Zusammenhang der These, dass Hypothesen nicht auf realistischen Annahmen basieren müssen. 95 Vgl. Friedman 1973a (Zitat oben 84). 96 Ein Beispiel für eine solche Verbindung von Eigeninteressestreben, Determinismus und Liberalismus findet sich bei Friedrich von Hayek, mit dessen Denkmodell Friedman in vielen Punkten übereinstimmt. Hayek integriert in sein letztlich deterministisches Denkmodell auch die Vorstellung von Verantwortung und die Überzeugung, dass gesellschaftliche Diskurse das Handeln von Menschen beeinflussen (vgl. Herms 1991b, bes. 196–202; Sautter 2001, 78–82). Hayek versteht Verantwortung so, dass sie nicht vergangenes Handeln beurteilen, sondern zukünftiges beeinflussen soll (vgl. von Hayek 2011, 133–139). Herrschende Ideen zählen zur Summe jener Faktoren, die das Handeln eines Menschen determinieren (vgl. von Hayek 2011, 137). Eine explizite Verbindung eines libertären Gesellschaftsideals mit der Vorstellung von Willensfreiheit findet sich demgegenüber etwa bei Murray Rothbard (vgl. Rothbard 2002b, 7, 30–33; gegen Sautter 2001, 85 f., der auch Rothbard deterministisches Gedankengut unterstellt). 97 Vgl. FtC, 209 f., wo er zunächst den bereits wiedergegebenen determistischen Text zitiert (vg. oben 84), dann aber anfügt: „[S]ocial, political and economic pressures determine the behavior of the people supposedly in charge of a government agency to a far greater extent than they determine its behavior. No doubt there are exceptions, but they are rare – almost as rare as barking cats.“ Mit der Möglichkeit von Ausnahmen unterscheidet sich die soziale „Determination“ kategorial von der naturwissenschaftlichen. 98 Friedman 1991a; Friedman 1990, 61; Friedman 1977 (MFA 224.3). 99 Friedman und Heffner 1975, 20:00. Vgl. Friedman 1977 (MFA 56.1), 20. 100 FtC, 37.
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Krankheit und dem Konsum von Drogen beschreibt Friedman dahingehend, dass letztere einen Akt des freien Willen voraussetzt.101 Es ist also davon auszugehen, dass Friedman dem Menschen innere Freiheit unterstellt.102 Der programmatische Titel „Free to Choose“ hat für ihn durchaus eine doppelte Bedeutung: Einerseits bezieht er sich auf die Forderung, innerhalb einer gesetzten Ordnung dem Einzelnen ein möglichst großer Entscheidungsfreiraum ohne gezielte Beeinflussung zu lassen. Andererseits verweist er darauf, dass die Gestaltung der Ordnung durch individuelle Wahlakte unter der Bedingung innerer Freiheit erfolgt.103 Allerdings hat sich gezeigt, dass unter der Prämisse der Eigennutzmaximierung innere Freiheit nur in sehr engem Spielraum konzipiert werden kann. Dennoch gerät Friedman nicht in einen Selbstwiderspruch, da auch ein vorgegebener Eigennutzen als Teil des Bedingungsgefüges für individuellen Freiheitsgebrauch verstanden werden kann. Erstens gilt dies für die Wahl von Güterbündeln, die das gleiche Maß an Nutzen erbringen. In der Regel richten sich die Präferenzen eines Menschen nicht auf ein bestimmtes Gut, sondern eine Vielzahl verschiedenartiger Güter. Sofern er diese nicht gleichzeitig erreichen kann, muss ein Mensch zwischen verschiedenen Kombinationen wählen, die ihm jeweils den maximalen Nutzen verschaffen.104 Zweitens ist ein Spielraum für Handlungsfreiheit denkbar bei der Wahl von Mitteln zum Erreichen vorgegebener Ziele. Allerdings ist hier einschränkend zu sagen, dass sich auch die Wahl von Mitteln an Kriterien, also am Maßstab gegebener Präferenzen, orientieren muss. Insofern bildet die Wahl von Mitteln einen Sonderfall der Wahl indifferenter Güterbündel.105 2.2.6 Zusammenfassung Friedmans versteht methodologische Prämissen über den homo oeconomicus nicht als anthropologische Aussagen. Sie sind als Modellannahme ein heuristisches Mittel zur sozialwissenschaftlichen Erkenntnis. Als solches sind sie aber 101 Vgl. Friedman 1972 (MFA 229.10): „The crucial difference between the drug traffic and a plague is that individuals can get infected by a plague without any act of free will involved. No individual becomes a drug addict except by exercising his free will.“ 102 Vgl. Hagel 1993, 97 f. 103 Zur Differenz sozialer Organisationen und biologischer Organismen vgl. Knight 1967, 23 f. 104 Im einfachsten Fall handelt es sich um den Kauf verschiedener Produkte oder die Alternative Arbeit/Freizeit. Nach Friedmans weitem Verständnis von Eigeninteresse können auch altruistische Motive eine Rolle spielen (Abwägen der Freude durch Konsum oder durch Verschenken von Schokolade). In der ökonomischen Analyse entspricht dies der Wahl eines Güterbündels auf der Indifferenzkurve. Im Zweigüterfall lässt sich die Entscheidung durch Beachtung der Budgetrestriktionen herbeiführen. In Anbetracht der Fülle von möglichen Güterbündeln (es wäre auch möglich, das Geld zu sparen oder eine geringere Menge fair gehandelter Schokolade zu kaufen etc.) erscheint es jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass für jede Entscheidung genau eine nutzenmaximierende Kombination in Frage kommt. 105 Wenn das vorgegebene Ziel der Verdienst einer bestimmten Summe Geld ist, können bei der Wahl der Mittel andere Präferenzen wie kurze Arbeitszeiten oder eine erfüllende Tätigkeit den Ausschlag geben.
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nicht bloß konstruiert, sondern haben als abstrahierende Verallgemeinerung durchaus einen Realitätsbezug. Menschen verfolgen nach Friedman stets ein bestimmtes Eigeninteresse, das auf materielle wie auf nicht-materielle Güter bezogen sein kann und das neben egoistischem Eigennutzen auch an sozialen Zielen ausgerichtet sein kann. Was dem Interesse eines Menschen entspricht, zeigt sich an seinen Handlungen. Dies setzt voraus, dass Menschen ihr Eigeninteresse kennen und ein Irrtum in dieser Hinsicht nicht möglich ist. Die These, der Mensch verfolge stets sein Eigeninteresse, wird dadurch tautologisch. Allerdings ist es der Normalfall, dass Menschen eine Präferenzstruktur ausbilden, nach der sie zumindest überwiegend ihren Eigennutzen im engeren Sinne verfolgen. Andere Motive können daher bei der sozialwissenschaftlichen Analyse vernachlässigt werden. Der homo oeconomicus findet deshalb Anwendung als heuristisches Modell, weil er dem tatsächlichen Menschen durchaus nahe kommt. Für Friedman ist das Streben des Menschen nach seinem Eigeninteresse qualifiziert durch seine Bildungsfähigkeit. Dies gilt einerseits hinsichtlich der Fähigkeit, ein aufgeklärtes Streben nach dem eigenen Interesse zu entwickeln, das es effizienter ermöglicht, angestrebte Ziele zu erreichen. Andererseits deutet Friedman an, dass auch die Präferenzen selbst zwar weitgehend stabil, grundsätzlich aber wandelbar sind. Schließlich geht Friedman davon aus, dass menschliches Handeln aus innerer Freiheit vollzogen wird. Allerdings ist dies unter der Annahme der Maximierung von Eigennutzen nur unter starken Einschränkungen denkbar, was von Friedman nicht thematisiert wird.
2.3 Resümee: Friedmans Umgang mit Individualismus und Nutzenmaximierung Es zeigt sich, dass Friedman mit der Frage nach dem Verhältnis von Individualität und Sozialität ähnlich umgeht wie mit dem menschlichen Streben nach Eigeninteresse. Einerseits lässt Friedman jeweils eine differenzierte Wahrnehmung der anthropologischen Grundsituation erkennen. Die Gleichzeitigkeit von Eigeninteresse im weiten und Eigennutzstreben im engen Sinne spricht er ebenso an wie die Verbindung von Individualität und Sozialität in der Familie. In beiden Fällen abstrahiert Friedman jedoch von dieser aus Erfahrung gespeisten Anthropologie, indem er einen der beiden Pole verallgemeinert: In der imperialistischen Anwendung der Ökonomik ignoriert er die menschliche Fähigkeit, auch andere Güter als den unmittelbaren Eigennutzen im engeren Sinne anzustreben. Analog dazu blendet Friedman die konstitutive Bezogenheit des Menschen auf sein
2. Anthropologische Grundlagen: Nutzenmaximierung und Individualismus
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soziales Umfeld aus, wenn er den methodologischen Individualismus als eine allgemeine Theorie der Gesellschaft anwendet. Es lassen sich aber auch Unterschiede in der Behandlung der beiden Eigenschaften feststellen. Erstens begründet Friedman die Verallgemeinerung des Eigennutzstrebens damit, dieses sei der dominierende menschliche Charakterzug. Von anderen Bestrebungen könne daher im allgemeinen abgesehen werden. Eine vergleichbare Begründung für die Vernachlässigung der sozialen Dimension fehlt hingegen.106 Zweitens hat der Individualismus für Friedman – anders als das Eigennutzstreben – auch einen normativen Gehalt. Er erachtet das Streben nach eigenem materiellen Wohlstand nicht als vorzugswürdig gegenüber anderen möglichen Zielsetzungen. Die Priorität der Individualität gegenüber der Sozialität dagegen wird, wie im Folgenden zu entfalten ist, zum normativen Kernstück seiner Argumentation.
106 Zieht man Friedmans Selbstdarstellung heran, könnte man gerade zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen, da durchweg das Verhältnis zu anderen Menschen eine große Rolle spielt. Die zitierten Stellen zur Bedeutung sowohl des akademischen Kontexts als auch der Familie sind meist autobiographisch geprägt. Anzuführen ist insbesondere die mit seiner Frau Rose gemeinsam [!] verfasste und mit zahlreichen Familienfotos gespickte Autobiographie „Two Lucky People“. Bei der Lektüre fällt auf, wie stark persönliche Freundschaften betont werden und Lebensentscheidungen der Friedmans geprägt haben.
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“ Nachdem zunächst die formalen Strukturen und anthropologischen Voraussetzungen von Milton Friedmans Freiheitsglauben dargestellt wurden, geht es nun um dessen inhaltliche Entfaltung. Diese setzt ein mit dem im normativen Individualismus verankerten Recht des Individuums, seine eigenen Interessen zu verfolgen (3.1). Von diesem Recht aus wird Friedmans negatives Verständnis von Freiheit (3.2) in den Blick genommen und gefragt, inwiefern es die Möglichkeit einschließt, über Ressourcen zu verfügen (3.3). In Anschluss daran werden Formulierungen Friedmans diskutiert, die darauf hindeuten, dass sein Verständnis von Freiheit auch positive Aspekte im Sinne einer tatsächlichen Möglichkeit zu handeln impliziert (3.4). Abschließend wird der materiale Kern des Freiheitsglaubens näher profiliert, indem Friedmans Abgrenzung zu Kollektivismus und Paternalismus in den Blick genommen wird (3.5).
3.1 Die normative Präferenzautonomie als Grundlage des Freiheitsprinzips Nach Friedmans Menschenbild verfolgen Menschen stets ihr Eigeninteresse in einem weiten Sinne. Seinem erkenntnistheoretischen Urteil zufolge kann über diese Ziele kein allgemein verbindliches Urteil gefällt werden. Daraus zieht Friedman eine normative Konsequenz und billigt jedem Menschen das Recht zu, seine eigenen Ziele zu verfolgen. Methodologisch-ontologischer Individualismus und deskriptive Präferenzautonomie bekommen so einen normativen Charakter.1 Jeder Mensch hat das „basic human right to use your capacities as you wish, provided only that you do not interfere with the right of others to do the same“2. Die Nutzenverfolgung ist also als solche legitim und findet ihre einzige Grenze im 1 Offensichtlich setzt die normative Bedeutung von „Präferenzautonomie“ die deskriptive voraus. Im Folgenden sind immer beide Aspekte gemeint, wenn der Begriff verwendet wird. 2 Friedman 1972b, 137 f. Vgl. Friedman 1955a, 360: „Liberalism […] puts major emphasis on the freedoms of individuals to control their own destinies. Individualism is its creed“. Vereinzelt spricht Friedman im Zusammenhang unveräußerlicher Individualitätsrechte auch von der „Würde“ von Individuen (vgl. CaF, 33, 195, 197; Friedman 1983b, 86).
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“
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Recht anderer, ihre eigenen Ziele ungehindert zu verfolgen.3 Allein die faktisch vorliegenden Präferenzen entscheiden darüber, welche Ziele aus ethischer Sicht erstrebenswert sind.4 Wichtig ist also, dass der normative Individualismus nicht gleichbedeutend ist mit bedingungslosem Egoismus. Ein an den Bedürfnissen anderer ausgerichtetes Verhalten ist in normativer wie faktischer Hinsicht durchaus möglich,5 erfolgt aber stets auf der Basis individueller Wertepräferenzen. Es ist also zu differenzieren zwischen Friedmans Feststellungen, dass faktisch die Mehrzahl der Menschen eigennützige Ziele verfolgen und ihrem Recht darauf, jede beliebige Präferenz zu verfolgen.6 In wenigen Ausnahmefällen bricht Friedman mit dem Grundsatz der normativen Präferenzautonomie und fällt ein Urteil über individuelle Präferenzen. Zwar verteidigt er das Recht rassistischer Vorlieben zunächst mit einem Hinweis auf vergleichbare Vorlieben beim Hören von Musik.7 Allerdings stellt er dann doch fest: I do not mean to say that all tastes are equally good. On the contrary, I believe strongly that the color of a man’s skin or the religion of his parents is, by itself, no reason to treat him differently. […] I deplore what seem to me the prejudice and narrowness of outlook of those whose tastes differ from mine in this respect and I think the less of them for it.8
3 Die Begrenzung des unveräußerliche Recht auf Streben nach Eigeninteresse durch dasselbe Recht ist im Folgenden durchgehend vorausgesetzt, auch da, wo nicht explizit auf diese Einschränkung hingewiesen wird. 4 Anders als etwa Thomas Hobbes (vgl. Honneth 2011, 51) bindet Friedman die normative Präferenzautonomie nicht an die Rationalität des Eigeninteresses. Hier zeigt sich eine erhebliche Differenz zum objektivistischen Libertarismus bei Ayn Rand. Diese geht davon aus, dass es objektive Werte gibt, denen Menschen auch in ihrem individuellen Leben gerecht werden müssen und gegen die sie sich ansonsten „versündigen“ (vgl. Rand 2007b, 13–18; Rand 1996, 968 f.; Peikoff 1993, 241 ff.). Friedmans Form des Liberalismus basiert auf einer Werttheorie, die nach Rand als subjektivistisch einzuschätzen ist (vgl. Rand 2007b, 14; Peikoff 1993, 246). Wie in Bezug auf die Erkenntnis moralischer Prinzipien (vgl. oben 1.2 Der Freiheitsglaube) zeigt sich auch in Bezug auf individuelle Werte, dass Friedman Rands objektivistische Erkenntnistheorie nicht teilt. Individuelle Werte sind für ihn durch die Präferenzen des Individuums bestimmt und werden durch dessen Handlungen erkennbar. Dies ist der philosophische Grund für den Vorwurf der Intoleranz, den Friedman Rand gegenüber erhebt (vgl. oben 47). 5 Vgl. FtC, 36, 140. 6 Diese Differenz unterschlägt Barbara Lenes McLellan mit ihrer These, Friedman identifiziere das Anhäufen materieller Reichtümer als Ziel menschlichen Lebens und mache dieses zur Grundlage des Personseins. Vgl. McLellan, 137: „[T]he ultimate purpose of life according to Friedman is: to be able to increase one’s material holdings to the extent one sees fit and is able to, expressing one’s values through the use of one makes of those possessions. In other words, the value of one’s life is believed to lie in the material provisions acquired and controlled during it.“ Vgl. McLellan, 142, 147, 150,f. 154. Dagegen ist festzuhalten: Das Personsein ist für Friedman nicht Folge einer bestimmten Form des Freiheitsgebrauchs, sondern Grundlage des Rechts auf einen an autonomen Präferenzen orientierten Freiheitsgebrauch. 7 Vgl. CaF, 110. 8 CaF, 110 f.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Präferenzen begegnet ausschließlich in diesem Zusammenhang. Sie ist in systematischer Hinsicht allenfalls so nachvollziehbar, dass Rassismus das Recht mancher Menschen negiert, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und daher in Widerspruch zum normativen Individualismus steht. Friedman führt das Beispiel des Rassismus jedoch ohnehin nicht an, um die moralische Qualität verschiedener Präferenzen zu erörtern. Seine Argumentation zielt darauf, dass auch Vorlieben, die nach Kriterien seiner eigenen Präferenzen und allgemeinen Moralvorstellungen abzulehnen sind, unter das Recht auf individuell autonome Zielvorstellungen fallen. Einzig die Möglichkeit, den anderen von besseren Präferenzen zu überzeugen, die er dann zur Grundlage seiner Nutzenmaximierung macht, erachtet Friedman als legitim.9
3.2 Freiheit im negativen Sinne als höchstes soziales Gut Es überrascht, dass Friedman dem für ihn so zentralen Begriff der Freiheit verhältnismäßig wenig Überlegungen widmet.10 Dennoch ist er an zentralen Stellen hinreichend deutlich, sodass eine Entfaltung seines Verständnisses von Freiheit möglich ist.11 1.) Freiheit als soziales Gut. Friedman unterscheidet zwei Arten von Werten: individuelle und soziale. Individuelle Werte beziehen sich auf das, was eine Person anstrebt. Demgegenüber beschreiben soziale Werte das Verhältnis von Menschen zueinander. [I]n a society freedom has nothing to say about what an individual does with his freedom; it is not an all-embracing ethic. […] The ‚really‘ important ethical problems are those that face an individual in a free society – what he should do with his freedom. There are thus two sets of values that a liberal will emphasize – the values that are relevant to relations among people, which is the context in which he assigns first priority to freedom; and the values that are relevant to the individual in the exercise of his freedom, which is the realm of individual ethics and philosophy.12 9 Vgl. CaF, 110 f. Nicht legitim ist es für Friedman, einen Arbeitgeber zu zwingen, entgegen seiner persönlichen Vorlieben oder Geschäftsinteressen Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe einzustellen (vgl. CaF, 113). 10 Auffällig ist, dass Friedman in FtC, 128 die Frage aufwirft, was die Begriffe „equality“ und „liberty“ bedeuten, dann aber nur ersteren ausführlich diskutiert. Dies mag ein Indiz dafür sein, dass Friedman den Freiheitsbegriff nicht wirklich für klärungsbedürftig erachtet. Zur Differenzierung zwischen einem „europäischen“ und einem „amerikanischen“ Verständnis von Freiheit, die nur in sehr frühen Texten begegnet vgl. unten 102 Anm. 47 sowie 8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb. 11 Offensichtlich ist dabei eine große Nähe zur Freiheitskonzeption bei Frank H. Knight und Friedrich A. von Hayek (vgl. oben 33 und 39). 12 CaF, 12; vgl. Friedman 1961b, 1. Im letzten Satz scheint sich „individual“ sowohl auf „ethics“ als auch auf „philosophy“ zu beziehen. Andernfalls wäre der Bereich der Philosophie
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“
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Freiheit als sozialer Wert im Sinne Friedmans ist nicht an sich eine für das Individuum handlungsleitende Norm, sondern ausschließlich „our ultimate goal in judging social arrangements“.13 Freiheit als höchstes Gut bleibt auf den Bereich des Sozialen beschränkt und tritt nicht in Konkurrenz zu anderen Gütern, sondern soll gerade deren Verfolgung sicherstellen.14 Vielmehr steht sie als Garantie dafür, dass Individuen ihr jeweils individuelles höchstes Gut verfolgen können.15 Dies ist der systematische Grund dafür, dass es für Friedman möglich scheint, die große Zahl der „misguided friends“ von den Vorzügen einer freiheitlichen Ordnung zu überzeugen, ohne dass diese dafür ihre eigenen, vom Freiheitsglauben unterschiedenen, Zielvorstellungen aufgeben müssten. Freiheit als sozialen Wert zu verstehen, hat für Friedman eine weitere Konsequenz. Es bedeutet, dass nur die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen den Ausschlag dafür gibt, ob ein Mensch als frei zu erachten ist.16 Einschränkungen durch physische oder psychische Bedingtheit hingegen (wie etwa durch die Begrenztheit des menschlichen Körpers, also der „Zwang“ zu atmen oder die dem eigenen Handeln vorgegebene Präferenzstruktur) kommen diesem Verständnis nach nicht als Einschränkungen von Freiheit infrage. 2.) Das negative Verständnis von Freiheit. Die indirekte Begründung des Freiheitsglaubens im normativen Individualismus legt den Grund für Friedmans Verständnis von Freiheit. Aus der erkenntnistheoretisch hergeleiteten Unmöglichkeit eines Urteils über individuelle Präferenzen folgert Friedman positiv das Recht, das je eigene Interesse zu verfolgen. In sozialer Hinsicht zieht Friedman daraus eine negative Folgerung: Es ist nicht legitim, Menschen in ihrem Streauf unverständliche Weise eingeschränkt, gerade, wenn doch auch eine liberale Gesellschaftstheorie philosophisch entfaltet und verteidigt werden soll. Allgemein Drückt dieser Satz wohl weniger eine tatsächliche Zuschreibung von Zuständigkeit aus, sondern hat eine entlastende Funktion: Zum Bereich individueller Werte möchte Friedman nichts beitragen. Vgl. die sehr ähnlichen Formulierungen bei Knight 1947a, 53 f. (Zitat oben 33). 13 CaF, 12 (Hervorhebung B. G.). 14 Zutreffend beschreiben Hirsch/de Marchi das Verständnis von Freiheit als eine besondere Form des höchsten Gutes bei Knight und Friedman (Hirsch und DeMarchi 1990, 283 f.): „Freedom, as conceived by Knight, consists in not being coerced into doing what one does not want to do […]. In other words, the maximum degree of ‚freedom‘ compatible with the continued existence of society is a more important social value than any other because the more ‚freedom‘ there is the more individuals can adhere to their own values and pursue their own purposes. Thus, ‚freedom‘ in the Knightian way of thinking, which on this point is also Friedman’s, is the summum bonum; but it is a summum bonum that is very different from the traditional sort.“ Ob es damit zugleich ein „distinctive American type of summum bonum“ (Hirsch und DeMarchi 1990, 284) ist, sei dahingestellt (vgl. zur kulturellen Einbettung des Freiheitsverständnisses Görder 2013). 15 Vgl. FtC-TV, 198: „The real value of freedom is that it provides diversity and diversity is in turn the real protection of freedom.“ Dies ist identisch mit der Verfolgung von Eigeninteresse im weiten Sinne (vgl. FtC, 27). 16 Vgl. CaF, 12: „Freedom as a value in this sense has to do with the interrelation among people; it has no meaning whatsoever to a Robinson Crusoe on an isolated island (without his Man Friday).“
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ben nach Eigeninteresse zu behindern.17 Dem individuellen Recht, das eigene Interesse zu verfolgen, entspricht der soziale Wert der Freiheit.18 Diese definiert Friedman als Abwesenheit von Zwang durch andere Menschen („the absence of coercion of a man by his fellow men“19). Wenn Friedman also von der „liberty to shape one’s own life“20 spricht, so meint er damit, dass die freie Gestaltung des Lebens nicht durch Zwangsmaßnahmen anderer Menschen eingeschränkt ist. Die nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung unveräußerlichen Rechte „Life, Liberty and Pursuit of Happiness“ bilden inhaltlich den Wertekanon von Friedmans Freiheitsglauben. Das Recht auf Leben und Streben nach Glück, verstanden als Verfolgen des Eigeninteresses, kommt dabei auf der individuellen Seite zu stehen.21 Freiheit als sozialen Wert versteht Friedman als Abwehr von Einschränkungen im Glücksstreben durch andere. Für ein solches Verständnis von Freiheit als Abwesenheit von Zwang durch andere wird häufig der Begriff „negative Freiheit“ verwendet.22 17 Wie Frank Knight (vgl. Knight 1947a, 53–56) erachtet Friedman Freiheit also deswegen als höchstes Gut, weil über die Werte eines Individuums kein Urteil gefällt werden kann. Allerdings greift Friedman die einschränkenden Überlegungen Knights (vgl. Knight 1947a, 56–59) nicht auf. 18 James Sterba (vgl. Sterba 2006, 334) unterscheidet zwei Arten libertärer Philosophie, die beide Freiheit als höchstes soziales Gut erachten, dies aber unterschiedlich begründen. Eine erste Gruppe leitet in Tradition John Lockes Freiheit aus einem Bündel individueller Grundrechte ab und versteht Freiheit als Situation, in der diese Rechte ausgeübt werden können. Eine zweite Gruppe in Tradition Herbert Spencers setzt argumentativ beim Recht auf Freiheit ein und leitet alle anderen Rechte davon ab. Friedman ist der ersten Gruppe zuzuordnen. Freiheit als höchstes Gut findet ihre Begründung darin, dass sie die Gewährleistung individueller Rechte darstellt. Davon zu unterscheiden ist Isaiah Berlins Wertepluralismus. Im Unterschied zu diesem ist für Friedman (negative) Freiheit nicht einer von mehreren Werten innerhalb des Pluralismus (vgl. Berlin 1969, 168–171), sondern der aus dem Wertepluralismus abgeleitete höchste Wert. 19 CaF, 15; vgl. CaF, 22; FtC, 2, 66. 20 FtC, 128. 21 Gegen Minogue 1963, 65 ist also festzuhalten, dass „the pursuit of happiness“ sehr wohl zu den libertären Kernwerten gehört. Zu beachten ist der Unterschied zwischen dem Streben nach Glück und dem Erreichen des Glücks. Mit letzterem, darin ist Minogue zuzustimmen, kann das libertäre Freiheitsideal nur im Rahmen eines „liberal salvationism“ harmonisiert werden. 22 In der neueren philosophischen Diskussion wird dieser Begriff insbesondere in Anschluss an Isaiah Berlin gebraucht. Dieser definiert (Berlin 1969, 121 f.): „The first of these political senses of freedom or liberty […], which (following much precedent) I shall call the ‚negative‘ sense, is involved in the answer to the question ‚What is the area within which the subject […] is or should be left to do or be what he is able to do or be, without interference by other persons?‘“ Entsprechend verwendet Charles Taylor den Begriff in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Berlin (vgl. Taylor 1985b, 213). Explizit verwenden den Begriff auch Knight und Hayek (vgl. Knight 1941, 92; von Hayek 2011, 69). Letzterer verweist darauf, dass die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit durch Thomas H. Green in die angelsächsische Debatte eingeführt worden sei (vgl. Green 1973, 370–373). Es handelt sich dabei also keineswegs um eine „deutsche[] Unterscheidung“ (so Schwarke 2005, 228). Der Sache nach ist das negative Verständnis von Freiheit weit älter. Berlin selbst führt Hobbes und Bentham als Vertreter einer entsprechenden Position an (vgl. Berlin 1969, 123 Anm. 2). Als „Unabhängigkeit von eines Anderen nötigender Willkür“ (Kant, Metaphysik der Sitten I, Ein-
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“
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Dem schließt sich der Sprachgebrauch dieser Arbeit an. Friedman selbst verwendet den Begriff jedoch nicht. Freiheit ist für ihn per se identisch mit dem, was andernorts „negative Freiheit“ genannt wird, sodass eine nähere Qualifikation nicht erforderlich scheint. 3.) Zwang als Negation von Freiheit. Die Definition von Freiheit als Abwesenheit von Zwang ist insofern unvollständig, als sie die erforderliche Begriffsklärung verschiebt und die Frage stellt, was unter „Zwang“ zu verstehen ist. Ausgehend von Friedmans Individualismus kann gesagt werden: Zwang bedeutet jede Beeinflussung eines anderen ohne dessen freiwillige Zustimmung.23 In diesem Sinne gilt Friedman alles als Zwang, was einem Menschen aktiv Schaden zufügt. Entscheidend ist dabei die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Schaden: [There are] two very different kinds of harm. One kind is the positive harm that one individual does another by physical force, or by forcing him to enter into a contract without his consent. […] A second kind is the negative harm that occurs when two individuals are unable to find mutually acceptable contracts, as when I am unwilling to buy something that someone wants to sell me and therefore make him worse off than he would be if I bought the item. […] There is a strong case for using government to prevent one person from imposing positive harm, which is to say, to prevent coercion. There is no case whatsoever for using government to avoid the negative kind of ‚harm.‘24
Vorausgesetzt ist in diesem Gedanken die Vorstellung eines Privatbereiches, der vor Zugriffen anderer zu schützen ist. Friedmans Vorstellung von der Sekundarität der Sozialität zeitigt also auch in normativer Hinsicht Konsequenzen. Während es nicht zulässig ist, dass Menschen in einer Form zueinander in Verbindung treten, die einem von beiden Schaden zufügt, gibt es keine Verpflichtung dazu, einem anderen Menschen zu helfen, sofern dies nicht den eigenen Nutzenvorstellungen entspricht. Die Verweigerung zur Kooperation mit anderen kann demnach nicht als Zwang gelten. Als Zwang ist jede Form der Interaktion zu verstehen, bei der ein Interaktionspartner die Bedingungen einseitig bestimmt. Das gilt unter der Bedingung des ontologischen Individualismus in erster Linie für die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder ihr Eigentum. Doch auch externe Effekte und Betrug stellen einen unzulässigen Eingriff in den Privatbereich eines Menschen dar und können daher als Momente des Zwangs gelten. Erstere sind ein aktiver Schaden, den der Betroffene ohne Zustimmung erleidet. Letztere zielt auf die Zustimmung eines Menschen zu einer Interaktion ab, die er in Kenntnis ihres wahren Gehalts ablehnen würde. 4.) Freiheit und Macht. Friedman betont, dass Freiheit seinem Verständnis nach von Macht fundamental unterschieden ist: „Robinson Crusoe on his isteilung der Rechtslehre B. [1986, 47]) beschreibt auch Kant die Handlungsfreiheit im Bereich des Politischen. 23 Vgl. CaF, 13–15; FtC, 25, 165; Friedman 1987n, 42. 24 CaF, 113 (Hervorhebung B. G.).
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land is subject to ‚constraint‘, he has limited ‚power,‘ and he has only a limited number of alternatives, but there is no problem of freedom in the sense that is relevant to our discussion.“25 Freiheit bezieht sich demnach nicht auf die Menge an Alternativen, die einem Menschen zur Verfügung stehen, oder die tatsächliche Möglichkeit, Angestrebtes zu erreichen. Einschränkungen von Handlungsmöglichkeiten, etwa durch Knappheit an Ressourcen oder mangelnde Bildung, stellen keine Zwangsmomente und damit auch keine Einschränkung von Freiheit dar. Ein positiver Zusammenhang zwischen Macht und Freiheit besteht daher nicht.26 Stattdessen begegnet Macht als Bedrohung von Freiheit, sofern sie mit der Möglichkeit zum Zwang verbunden ist.27 Die Vermeidung von Machtkonzentration entspricht daher dem gesellschaftlichen Ziel der Maximierung von Freiheit. A liberal is fundamental fearful of concentrated power. His objective is to preserve the maximum degree of freedom for each individual separately that is compatible with one man’s freedom not interfering with other men’s freedom. He believes that this objective requires that power be dispersed.28
Problematisch ist in dieser Hinsicht insbesondere politische Macht, welche als solche Macht zum Zwang ist. Sie bedeutet daher eine potenzielle Bedrohung von Freiheit. Im Unterschied dazu impliziert der Begriff „ökonomische Macht“ eine Bedeutung, die an den tatsächlich bestehenden Handlungsmöglichkeiten orientiert ist. Ökonomische Macht wird für Friedman erst dann zum Problem, wenn sie die Möglichkeit zur Zwangsausübung erweitert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie in den Händen der Regierung liegt.29
3.3 Freiheit und das Recht an Eigentum 1.) Das Recht an Eigentum als Voraussetzung individueller Freiheit. Das Verfolgen eigener Präferenzen erfordert zumeist das Verfügen über Ressourcen. Ihr un CaF, 12. CaF, 39; FtC, 309. Demgegenüber vertreten Friedmans Lehrer Henry Simons und Jacob Viner, dass individuelle Freiheit in unlöslichem Zusammenhang mit Macht stehe. Vgl. Simons 1948b, 6 (Zitat oben 36 Anm. 108) sowie Viner 1991b, 350: „[T]o discuss ‚freedom from‘ in abstraction from ‚power to‘ is futile, since the extent and practical significance of ‚freedom from‘ is highly dependent on the extent and location of ‚power to.‘“ 27 Friedmans Gebrauch des Begriffes „Macht“ erinnert damit an den Max Webers. Nach Weber ist Macht „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“ bzw. „die Möglichkeit, den eigenen Willen dem Verhalten anderer aufzuzwingen“ Weber 1990, 28, 542. Die beiden stimmen darin überein, dass Macht daran gebunden ist, eigene Vorstellungen gegen andere durchzusetzen. Zu einer entscheidenden Differenz zwischen Weber und Friedman vgl. jedoch unten 311 Anm. 55. 28 CaF, 39; vgl. CaF, 3; TSQ, 68; Friedman 1973b, 50. Vgl. ähnlich Simons 1948a, 43; Knight 1947a, 55 sowie dazu McKinney 1975, 780 f. 29 Vgl. CaF, 15 f., FtC, 3. 25
26 Vgl.
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“
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gehinderter Einsatz zählt für Friedman daher zu den Implikationen des Rechts auf negative Freiheit.30 „Another essential part of economic freedom is freedom to use the resources we possess in accordance with our own values.“31 Privateigentum gehört für Friedman zum Privatbereich, über den nur der Eigentümer selbst verfügen darf. Sein Schutz sowie die Absicherung des Rechtes, über Ressourcen und Einkommen frei zu verfügen, gehört für Friedman zu den Grundpfeilern einer freiheitlichen Gesellschaft. Dafür führt er zwei Gründe an. Erstens appelliert er an die moralische Intuition seiner Leser: Angenommen, ein Mensch ist mit drei Freunden unterwegs und findet Geld auf dem Bürgersteig. Dann, so Friedman, wäre es doch wohl kaum gerechtfertigt, wenn die drei Freunde ihn mit Gewalt dazu nötigen, das Geld gleichmäßig mit ihnen zu teilen. Friedman überträgt das Beispiel auf die hypothetische Situation von vier „Robinsons“, von denen nur einer das Glück hat, dass seine Insel ein gutes Leben ermöglicht. Die drei anderen können auf ihrer Insel allenfalls ein karges Dasein fristen. Dennoch, so die Analogie zum ersten Beispiel, legitimiert dies nicht einen gewaltsamen Zugriff auf die Insel des „reichen“ Robinson.32 Zweitens gehört der erworbene Besitz nach Friedman zur „natürlichen“ Ausstattung des Menschen, vergleichbar mit Talent oder Körpermerkmalen.33 Diese zweite Begründung erfährt jedoch an anderer Stelle eine Relativierung. Friedman weist nämlich ausdrücklich darauf hin, dass es keine eindeutige Bestimmung von Eigentumsrechten gibt und diese letztlich von staatlicher Definition und Durchsetzung abhängt.34 Diese Spannung löst Friedman nicht auf.35 Letztlich läuft seine Argumentation darauf hinaus, dass er den Status quo definierter Eigentumsrechte zum mit individueller Freiheit verbundenen Recht erklärt. Eigentum wird daher für Friedman durch zwei Aspekte konstituiert: freie Wahlakte und „Glück“.36 Letzteres schließt neben der Unverfügbarkeit von Ergebnissen der eigenen Handlungen auch die Verteilung von Ressourcen, wie sie im Status quo besteht, ein. Ausgehend davon wendet er die Prinzipien der Freiheit, einschließlich des Rechts auf freien Gebrauch des
30 Vgl.
CaF, 33: „the freedom of individuals to use their resources as they want“. 66; vgl. CaF, 60; FtC, 65, 67. 32 Vgl. CaF, 165. Die ursprüngliche Vortragsfassung von „Capitalism and Freedom“ berichtet, dass Friedman anhand dieser Beispiele seinem Sohn David das Moralprinzip des Rechts auf Eigentum vermittelt hat (vgl. Friedman 1956 (MFA 216.5), 5). 33 Vgl. FtC, 136: „The inheritance of property can be interfered with more readily than the inheritance of talent. But from an ethical point of view, is there any difference between the two?“ 34 Vgl. FtC, 30: „There is nothing ‚natural‘ about where my property rights end and yours begin. The major way that society has come to agree on the rules of property is through the growth of common law, though more recently legislation has played an increasing role.“ Vgl. CaF, 26. Deutlich wird dies etwa an der strittigen Frage geistigen Eigentums (vgl. CaF, 127 f.). 35 Vgl. Furtmayr 2005, 41 f. 36 Vgl. FtC, 21. Da auch Glück Eigentumsrechte begründet, ist deutlich, dass Friedman diese nicht durch die Kategorie des Verdienstes legitimiert sieht (gegen McLellan, 162). 31 FtC,
100
Teil II: Systematische Rekonstruktion
eigenen Vermögens, an.37 Dies schließt das Recht ein, über aus Eigentum erwachsene Erträge zu verfügen38 und Eigentum an seine Kinder zu vererben.39 2.) Die Unabhängigkeit von Freiheit vom Recht auf Eigentum. Insbesondere das erste angeführte Argument bestätigt den negativen Charakter von Friedmans Freiheitsverständnis. Das Recht an Privateigentum ist eine Implikation des Rechts auf individuelle Freiheit.40 Demgegenüber ist zu betonen, dass es ihm stets um das Verfügen der je eigenen Ressourcen geht. Die Frage, ob jemand überhaupt Ressourcen besitzt, ist für ihn in Blick auf die Freiheitsthematik irrelevant. Ein Recht auf Eigentum gibt es für Friedman nicht. „The economic freedoms provided by the market include the freedom to starve […]. The market guarantees an individual to make the most of the resources he happens to own“.41 Dem entspricht, dass Friedman sein Verständnis von Freiheit in prinzipiellem Gegensatz zum Verständnis von Freiheit als „Freedom from Want“ sieht, das ein zentrales Element von Roosevelts New Deal war.42 Auch Friedmans Perspektive auf das Verhältnis von Freiheit und Produktivität bringt zum Ausdruck, dass die Möglichkeit, über Ressourcen zu verfügen, für ihn keine Bedingung von Freiheit ist. Unter dem Aspekt, welche Handlungsmöglichkeiten sich einem Individuum bieten, wäre eine Steigerung der Produktivität freiheitsfördernd, da sie die Menge der verfügbaren Ressourcen ausweitet.43 Ein solches Verständnis hat Friedman aber dezidiert nicht. Freiheit kann daher nur Voraussetzung, nicht aber Folge von Wirtschaftswachstum sein.
37 Aus diesem Grund erachtet es Friedman nicht als eine Einschränkung der Freiheit, dass durch die Institution des Privatbesitzes der Handlungsspielraum eingeschränkt ist (vgl. Furtmayr 2005, 42). Es geht ihm ausschließlich um freies Verfügen über das, was im Status quo Eigentum ist oder von da aus erworben wird. 38 Vgl. CaF, 161 f.; Friedman 1978b. 39 Vgl. FtC, 136. Anders als Friedman begründet Hayek dieses Recht auf Vererben nicht aus dem Recht auf individuelle Freiheit, sondern mit den gesamtgesellschaftlichen Vorzügen, wenn sich über mehrere Generationen hin vermögende Familien bilden, die einen bestimmten Lebensstil und entsprechendes Kulturgut pflegen (vgl. von Hayek 2011, 153 f.). 40 Vgl. CaF, 60, 165 f.; TLP, 605; Friedman 1978b, 100. 41 Friedman 1956 (MFA 44.2), 11 (Hervorhebung B. G.). Das Zitat entstammt dem Vortrag, in dem Friedman 1956 erstmals die Grundgedanken für „Capitalism and Freedom“ formuliert. Auch wenn er ähnlich drastische Formulierungen später vermeidet, ändert sich seine Position in diesem Punkt der Sache nach nicht. Auch später geht es ausdrücklich um „their resources“ (CaF, 33; Hervorhebungen B. G.). Die Interpretation Nils O. Oermanns, Freiheit sei für Friedman „nicht in erster Linie durch Armut, sondern auf politischer Ebene“ gefährdet (Oermann 2007, 256) wird also der Radikalität von Friedmans Konzept nicht gerecht. 42 Vgl. Friedman 1978 (MFA 56.15). Zum New Deal vgl. oben 13. 43 So das Verständnis in der Friedman-Interpretation bei Clemens Dölken (vgl. Dölken 2004, 161): Effizienz kann „als Gewinn materialer Freiheit rekonstruiert werden […]. Methodologisch individualistisch kann ein Zugewinn an materialer Freiheit nur an der Güterausstattung der Individuen festgemacht werden.“ Ähnlich McLellan, 167 f.; Sen 2003c, 11 Anm. 12.
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“
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3.4 Positive Aspekte in Friedmans Freiheitsbegriff Dem dargestellten negativen Freiheitsverständnis steht indes gegenüber, dass Friedman den Freiheitsbegriff durchaus auch mit positiven Aspekten versieht. Unter diesem Begriff wird in dieser Arbeit die tatsächliche Möglichkeit verstanden, von der eigenen Freiheit Gebrauch zu machen, was z. B. das Verfügen über Ressourcen voraussetzt.44 Es ist daher zu klären, inwiefern aus diesem Grund die bisherige Interpretation des friedmanschen Ansatzes modifiziert werden muss. 1.) Die Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten als Konsequenz von Zwang. Zum Teil lassen sich die positiven Aspekte in Friedmans Freiheitsverständnis aus dem im Grundsatz negativen Verständnis heraus erklären. Dies gilt für seine Aussage, das Recht auf freie Rede lasse sich an der Frage festmachen, ob ein Mensch wirklich die Möglichkeit hat, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.45 Damit geht Friedman dahingehend über die Abwesenheit von Zwang hinaus, dass er den Zugang zu Ressourcen anspricht. Dennoch bleibt er in diesem Fall seinem Grundansatz treu. Mangelnde positive Freiheit führt er hier letztlich auf staatliches Handeln zurück. Seine Argumentation verläuft folgendermaßen: Tatsächliche Freiheit zur Meinungsäußerung ist nicht nur durch direkte Verbote, sondern auch da eingeschränkt, wo staatliche Maßnahmen z. B. im ökonomischen Bereich dazu führen, dass Ressourcen wie Versammlungshallen oder Papier nicht für jeden verfügbar sind. Tatsächliche Freiheit zur Meinungsäußerung ist hingegen nicht eingeschränkt, wo es einem Einzelnen nicht gelingt, auf einem freien Markt die erforderlichen Ressourcen zu akquirieren.46 Es geht Friedman also gerade nicht darum, dass tatsächliche Freiheit immer auf den Zugang zu Ressourcen angewiesen ist in dem Sinne, dass daraus eine Verpflichtung der Gemeinschaft oder eine Legitimierung staatlichen Handelns zur Sicherstellung solcher Handlungsfreiheit abgeleitet würde. Er bleibt im Horizont 44 Dieses Verständnis ist orientiert an dem, was Amartya Sen den „opportunity aspect“ von Freiheit nennt (Sen 2003a, 586). In der Rede von positiven Aspekten des Freiheitsbegriffs ist bereits angedeutet, dass in dieser Arbeit positive und negative Freiheit nicht als Alternativen aufgefasst werden, sondern zwei Aspekte einer einheitlichen Freiheitskonzeption bilden (vgl. ausführlich unten III.3.2 Umfassende Freiheit als Verbindung formaler und materialer Aspekte). Diese Verwendung des Begriffes „positive Freiheit“ unterscheidet sich von der bei Isaiah Berlin. Dieser definiert „positive“ Freiheit im Gegenüber zur „negativen“ Freiheit folgendermaßen (Berlin 1969, 130): „[T]he ‚positive‘ sense of liberty comes to light if we try to answer the question […] ‚By whom am I ruled?‘ or ‚Who is to say what I am, and what I am not, to be or do?‘“ Positive Freiheit ist für ihn charakterisiert durch das Innehaben von Souveränität bzw. die Ausübung von Macht (vgl. Berlin 1969, 122, 162 f., 166; vgl. zu Parallelen mit Friedmans Verwendung des Begriffs „politische Freiheit“ unten 4.1 Begriffliche Differenzierung). 45 Vgl. Friedman 1987k, 9: „The real test of free speech is the ability of a minority to express its view“ (Hervorhebungen B. G.). Vgl. CaF, 17: „For advocacy of freedom to mean anything, the proponents must be able to finance their cause“ (Hervorhebung B. G.). 46 Auch Friedmans Verweis auf das hohe Maß an Reisefreiheit im 19. Jahrhundert (vgl. FtC, 52) zeigt, dass es für ihn nicht tatsächliche Handlungsoptionen, sondern fehlende gesetzliche Restriktionen das entscheidende Kriterium sind.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
seines negativen Freiheitsverständnisses, indem er darauf hinweist, dass (staatlicher) Zwang auch da freiheitsmindernd ist, wo er nicht direkt bestimmte Handlungen verbietet, sondern wo er den Zugang zu bestimmten Ressourcen aktiv erschwert oder unmöglich macht und so indirekt die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen einschränkt. Freiheit ist gemindert, wo Zwang zur Reduktion von Handlungsoptionen führt. 2.) Das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen als Ausübung von Zwang. Schwieriger ist es, Friedmans Aussagen zu Freiheitsbeschränkungen durch Monopole konsistent zu verstehen. In seinen ersten Beiträgen zur Freiheitsthematik sieht er die Grunddifferenz Typen des Freiheitsverständnisses gerade beim Umgang mit Monopolen und Kartellen. In Europa dominiere ein Verständnis, das die Freiheit bestehender Unternehmen zu Preisabsprachen einschließe. Das amerikanische Freiheitsverständnis hingegen betone die Freiheit zum ungehinderten Markteintritt und erfordere daher staatliche Einschränkungen der Freiheit bestehender Unternehmen.47 Dieses Verständnis ist jedoch nicht auf die ganz frühen Texte begrenzt, sondern begegnet auch noch in „Capitalism and Freedom“. Friedman variiert auch hier in Zusammenhang mit der Monopolfrage die Bedeutung der Begriffe „Freiheit“ und „Zwang“: Aside from this [der Verhinderung physischer Gewalt, B. G.], perhaps the most difficult problems arise from monopoly – which inhibits effective freedom by denying individuals alternatives to the particular exchange […]. So long as effective freedom of exchange is maintained, the central feature of the market organization of economic activity is that it prevents one person from interfering with another […]. The consumer is protected from coercion by the seller because of the existence of other sellers with whom he can deal. The seller is protected from coercion by the consumer because of other consumers to whom he can sell. The employee is protected from coercion by the employer because of other employers for whom he can work.48 In the economic area, a major problem arises in respect of the conflict between freedom to combine and freedom to compete.49 47 Vgl. Friedman 1951 (MFA 42.12), 1: „One of the things that most impresses an American economist who visits Europe is the different meaning attached to the concepts of ‚free enterprise‘ and ‚competition‘ in Europe and America. […] One [the European, B. G.] places major emphasis on the freedom of existing enterprises to do whatever they wish, including entering into agreements with other enterprises to fix prices, allocate markets, and keep out competitors. The other [the American, B. G.] places major emphasis on the freedom of any individual or group to establish an enterprise, which requires restrictions on the freedom of existing enterprises to keep out competitors by any means other than selling a better product at a lower price.“ Vgl. Friedman 1950 (MFA 41.2), 1 f.; Friedman 1951 (MFA 42.12), 1 f., 7; Friedman 1956 (MFA 44.2), 9. Trotz der hier diskutierten Spannungen sind auch Kontinuitäten dieser frühen Texte zum späteren konzeptionellen Freiheitsbegriff festzustellen: In ihnen ist sowohl die Unterscheidung von Freiheit und Macht (also der Vorzug eines negativen vor einem positiven Freiheitsbegriffs) als auch die Eingrenzung individueller Freiheit durch die Freiheitsrechte anderer (also die Begründung einer Staatsmacht mit Abwehrfunktion) bereits angelegt. 48 CaF, 14 f. 49 CaF, 26.
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“
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In den vorliegenden Zitaten wird „effective freedom“ bzw. „freedom to compete“ erklärt als die Möglichkeit, über Handlungsalternativen zu verfügen.50 „Coercion“ beschreibt nicht einen unzulässigen Übergriff auf die Person oder das Eigentum eines anderen, sondern das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen, um eigene Ziele zu erreichen. Diese Form des Zwangs ist etwas anderes als das aktive Zufügen eines Schadens. Sie kann auch mit der Drohung vollzogen werden, mit einem Menschen nicht zu kooperieren.51 Wenn etwa ein monopolistischer Arbeitgeber sich weigert, Menschen anderer Hautfarbe einzustellen, so ändert sich an deren Status quo nichts. Dasselbe gilt, wenn ein monopolistischer Verkäufer seine Güter nur zu Wucherpreisen verkauft und sich einige sie deswegen nicht leisten können. 3.) Die Ausweitung von Freiheit durch Bildung. Eindeutig nicht vereinbar mit seinem negativen Freiheitsverständnis ist die folgende Feststellung Friedmans: „The school system with all its defects and problems […] has widened the opportunities available to American youth and contributed to the extension of freedom.“52 Der Satz lässt sich nur so verstehen, dass die Ausweitung von Möglichkeiten zur Ausweitung von Freiheit geführt hat. An dieser Stelle begegnet also ein anderer Freiheitsbegriff als der, der Freiheit allein als Abwesenheit von Zwang durch andere Menschen versteht.53 4.) Zum Umgang mit den inneren Spannungen in der Interpretation. Vereinzelt finden sich bei Friedman also Aussagen, die Freiheit mit dem Vorhandensein von Alternativen in Verbindung bringen. Diese lassen sich nicht vereinbaren mit dem Versuch, sein Freiheitsverständnis als ein rein negatives zu interpretieren. Sie stehen auch in Spannung zu Friedmans Aussage, die limitierten Möglichkeiten Robinsons seien gerade kein Freiheitsproblem, da Freiheit von Macht zu unterscheiden sei.54 Bei der Interpretation des Gesamtsystems soll versucht 50 Friedmans Verständnis „amerikanischer“ Freiheit ähnelt dem Verständnis, das Herbert Hoover (US-Präsident von 1929–1933) vom „amerikanischen Individualismus“ formuliert (vgl. Hoover 2012, 9 f.): „Our individualism differs from all others, because it embraces these great ideals: that while we build our society upon the attainment of the individual, we shall safeguard to every individual an equal equality of opportunity […]; while he in turn must stand up to the emery wheel of competition“ (im Original z. T. Kursiv). 51 Darin ist eine Nähe zu Hayeks Verständnis von Zwang festzustellen. Vgl. von Hayek 2011, 71: „By ‚coercion‘ we mean such control of the environment or circumstances of a person by another that, in order to avoid greater evil, he is forced to act not according to a coherent plan of his own but to serve the ends of another.“ Hayek betont ausdrücklich, dass Zwang nicht auf physische Gewalt beschränkt ist, sondern z. B. auch dann vorliegt, wenn Abhängigkeitsverhältnisse dazu genutzt werden, einen anderen zu Handlungen entgegen seiner eigenen Pläne zu veranlassen (vgl. von Hayek 2011, 203 f.; Batthyany 2007, bes. 197–220). 52 CaF, 199. 53 Ähnlich gelagert, allerdings mit anderer Akzentsetzung, begegnet dieselbe Fragestellung bei Friedmans Positionierung zur Chancengleichheit (vgl. unten 157 bzw. CaF, 107; Friedman 1987p, 96). 54 Vgl. CaF, 12.
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werden, Friedman so konsistent wie möglich darzustellen. Mit den beobachteten Spannungen kann auf zweierlei Weise umgegangen werden: a) Es könnte versucht werden, den weiten Begriff von Zwang beizubehalten, der auch das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen umfasst. Die Aussage, dass die fehlenden Handlungsalternativen für Robinson kein Freiheitsproblem darstellen, wäre dann folgendermaßen zu verstehen: Die fehlenden Handlungsalternativen von Robinson sind nur deswegen keine Einschränkungen von Freiheit, weil sie nicht durch andere Menschen verursacht sind. Sozial bedingte Einschränkungen von Handlungsalternativen – z. B. das Entstehen von Monopolen – hingegen wären als Einschränkungen individueller Freiheit zu verstehen. Dieser Interpretationsversuch erweist sich im Horizont des friedmanschen Systems aus zweierlei Gründen als problematisch: Erstens kann nicht gesagt werden, dass ein monopolistischer Verkäufer anderen aktiv Schaden zufügt, wenn er sein Produkt nur zu Wucherpreisen verkauft – und sei es der Besitzer einer Oase in der Wüste. Dies wäre nur der Fall, wenn die anderen einen Anspruch auf das betreffende Gut geltend machen können.55 Friedman sieht dies jedoch, wie gezeigt, ausdrücklich nicht vor. Das Beispiel des einen wohlhabenden Robinson macht dies unmissverständlich deutlich und kann als Parallele zum Oasen-Beispiel gesehen werden. Wenn es keine Verpflichtung gibt, den eigenen Wohlstand zu teilen, so gibt es auch keine Verpflichtung, ihn zu einem Preis abzugeben, der vom Eigentümer als „zu niedrig“ angesehen wird. Zweitens würde aus einem solchen Verständnis von Zwang und Freiheit folgen, dass Maßstab der Freiheit eine möglichst geringe Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten aufgrund sozialer Zusammenhänge ist. Angenommen, es gibt für ein Produkt mehr als einen Anbieter, aber die Verteilung von Einkommen und Vermögen in einer Gesellschaft ist so, dass ein Teil der Bevölkerung von diesem Gut ausgeschlossen ist. Kann wirklich gesagt werden, diese hätten mehr Alternativen bzw. sie seien „freier“ als wenn sie einem Monopolisten gegenüberstehen? Freiheit als Möglichkeit, über Handlungsalternativen zu verfügen, zu verstehen, erfordert also graduelle Abwägungen, die Fragen der Verteilung von Gütern und tatsächlich offenstehender Alternativen berücksichtigen. Ein solches Verständnis von Freiheit, das dem vom New Deal geprägten „new liberalism“ entspricht, lässt sich aber bei Friedman nicht nachweisen. Im Gegenteil, er grenzt sich explizit davon ab.56 Daher kann es nicht gelingen, das weitere Verständnis von Freiheit und Zwang konsistent mit Friedmans normativen und anthropologischen Grundlagen zusammen zu denken. b) Es ist daher eine zweite Interpretationsmöglichkeit vorzuziehen, wie sie im Aufbau dieses Kapitels schon vorausgesetzt ist. Demnach versteht Fried55 Das Oasen-Beispiel stammt von Friedrich A. von Hayek, der die geschilderte Situation als ein Beispiel für Zwang anführt (vgl. von Hayek 2011, 203; Batthyany 2007, 202–206). 56 Von „modern liberals“, die Gleichheit und Wohlstand als Voraussetzung von Freiheit erachten, grenzt Friedman sich explizit ab (vgl. CaF, 5).
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man Freiheit konzeptionell vom normativen Individualismus aus in einem rein negativen Sinne. Die wenigen Aussagen, bei denen „Freiheit“ positive Aspekte einschließt oder „Zwang“ auf fehlenden Alternativen beruht, werden als begriffliche Inkonsistenzen stehen gelassen. Sie sind insofern nicht problematisch, als Friedman zumeist ohnehin darauf hinaus will, dass der Verzicht auf (staatlichen) Zwang dazu führt, auch die Einschränkung von Handlungsalternativen zu verhindern.57 Diese zweite Interpretation erlaubt es, in den folgenden Abschnitten Friedmans Freiheitsverständnis und seine Implikationen in normativ-konzeptioneller Hinsicht konsistent zu entwickeln.58 Allerdings wird bei der Entfaltung der institutionentheoretischen Konsequenzen darauf zurückzukommen sein, dass die bei der Interpretation des Freiheitsbegriffs zutage getretenen Spannungen ihren Grund in Schwierigkeiten haben, die mit der Grundlegung von Friedmans Freiheitsverständnis verbunden sind.59
3.5 Freiheitsglaube im Gegenüber zu Kollektivismus, Egalitarismus und Paternalismus Die Berechtigung der vorgeschlagenen Interpretation lässt sich bekräftigen, indem man betrachtet, wie Friedman sein Verständnis von Freiheit in Abgrenzung zu Kollektivismus bzw. Egalitarismus und Paternalismus entfaltet. In ihnen sieht Friedman alternative Weltanschauungen, von denen er sich abgrenzt. Konflikte kann es für Friedman prinzipiell nicht auf Ebene der individuellen Werte geben. Fundamentaler Dissens ist lediglich hinsichtlich des unveräußerlichen Rechtes auf Verfolgung des individuellen Eigeninteresses und dem daraus abgeleiteten prinzipiellen Verzicht auf Zwang in menschlicher Interaktion möglich. Beide liberalen Grundprinzipien sieht er, allerdings mit unterschiedlicher Begründung, in den Konzepten des Paternalismus und des Kollektivismus verletzt. Beide unterscheidet er voneinander und vom liberalen Denken anhand des Zitates aus Kennedys Rede zur Amtseinführung: „Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country.“60 Die erste Hälfte des Satzes 57 Das gilt nicht nur (wie dargestellt) für das Beispiel effektiver Redefreiheit, sondern auch für Einschränkungen durch Monopole (vgl. unten 8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb). 58 Insofern vermeidet Friedmans Verständnis negativer Freiheit einerseits konzeptionelle Inkonsistenzen, wie sie Murray N. Rothbard und Hardy Bouillon bei Friedrich A. von Hayek kritisieren (vgl. Rothbard 2002b, 219–229; Bouillon 1997, 73, 213 f.). In moraltheoretischer Hinsicht steht Friedman auf der Seite der libertären Kritiker Hayeks (vgl. Batthyany 2007, 193). Anderseits deutet sich bei den hier beobachteten Spannungen ein Bewusstsein Friedmans dafür an, dass ein konsequent negatives Verständnis von Freiheit seinerseits mit Schwierigkeiten verbunden ist, die Rothbard und Bouillon ausblenden. Dem wird sich der gesamte Teil III dieser Arbeit widmen. 59 Vgl. unten 7.1 Das Problem der sozialen Interdependenz sowie 8.2.6 Vom Neo-Liberalismus zum Laissez-faire-Liberalismus. 60 Vgl. FtC, 1 f.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
stehe für eine paternalistische Haltung, die einen fürsorglichen Staat erwarte. Die zweite Hälfte des Satzes wiederum verlange kollektivistisches Handeln, das den Staat zum eigentlichen Zweck des Handelns mache. Beide seien unvereinbar mit dem liberalen Prinzip des legitimen Strebens nach Eigeninteresse. Die Auseinandersetzung mit beiden Positionen soll hier nachgezeichnet werden, um so auf entscheidende Pointen von Friedmans Freiheitsglauben hinzuweisen. 3.5.1 Freiheitsglaube und Kollektivismus bzw. Egalitarismus Der Kollektivismus bricht mit dem liberalen Grundsatz, wonach der einzelne Mensch mit dem unveräußerlichen Recht ausgestattet sei, sein Eigeninteresse zu verfolgen. Friedman kritisiert: „The organismic ‚what you can do for your country‘ implies that government is the master or the deity, the citizen, the servant or the votary.“61 Im Sinne eines höheren Zieles werden einzelne durch Zwangsmaßnahmen daran gehindert, ihr Eigeninteresse zu verfolgen. Wie Anerkennung des legitimen Eigeninteresses und Freiheit konstitutiv zusammengehören, so auch Kollektivismus und Zwang.62 Kollektivismus funktioniert also nach dem Prinzip „that some shall decide for others“63 und ist daher in einer prinzipiellen Nähe zum Totalitarismus. Eine spezifische, besonders verbreitete, Form des Kollektivismus ist der Egalitarismus.64 In ihm werden die Werte der „Gleichheit“65 bzw. der „Gerechtigkeit“66 als höchste soziale Güter an die Stelle der Freiheit gesetzt. Sie zu verfolgen, auch gegen das Eigeninteresse von Individuen, legitimiert staatliches Eingreifen, also Einschränkung von Freiheit. Die prinzipielle Gegnerschaft von Liberalismus und Kollektivismus/Egalitarismus ist für Friedman also nicht darin begründet, dass er die Ziele der Gerechtigkeit und Gleichheit kritisieren würde, sondern darin, dass diese dem Eigeninteresse von Individuen übergeordnet werden. Für Friedman sind Gerechtigkeit und Gleichheit ausschließlich als individuelle Güter akzeptabel, die einzelne in freien Handlungen verfolgen. Kollektivistische und damit zugleich totalitäre Tendenzen sieht Friedman vor allem im Sozialismus und im Sozialstaat verwirklicht.67
61 CaF, 1. Vgl. SUS, 59: „It treats the nation not as a collection of individuals and of the groups which individuals separately value, but as an organic unit.“ 62 Vgl. CaF, 201; FtC 127. 63 CaF, 34. 64 Vgl. CaF, 10 f. 65 Vgl. CaF, 161. 66 Vgl. CaF, 195. 67 Vgl. CaF, 10 f., 196 f. Zum Verhältnis von Freiheit und Gleichheit vgl. unten 6.1 Freiheit und Gleichheit.
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“
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3.5.2 Freiheit und Paternalismus 1.) Die Unvereinbarkeit von Freiheit und Paternalismus. Friedman stellt den Paternalismus häufig in einen unmittelbaren Zusammenhang mit Kollektivismus und Egalitarismus.68 Allen gemeinsam ist, dass sie das Recht auf Verfolgen von Eigeninteresse relativieren und so Einschränkungen von Freiheit legitimieren. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Grundes für die Relativierung.69 Während der Kollektivismus („what you can do for your country“) die Position vertritt, das Eigeninteresse zumindest mancher Individuen habe hinter anderen gesamtgesellschaftlichen Zielen zurückzustehen, vertritt der Paternalismus („what your country can do for you“) die Position, dass Menschen selbst nicht in der Lage seien, ihr wahres Eigeninteresse zu erkennen oder richtige Strategien zu entwickeln, ein bestimmtes Eigeninteresse zu verfolgen. Damit ist die Mündigkeit der Individuen in Zweifel gezogen. Der Paternalismus stellt also die deskriptive Präferenzautonomie infrage und setzt voraus, dass einzelne bzw. der Staat sich anmaßen, zu entscheiden, was für andere gut ist.70 Damit kommt er in prinzipiellen Konflikt mit dem liberalen Grundsatz, wonach über die Gültigkeit von Präferenzen jeweils auf der Ebene des Individuums entschieden wird. Diese Grunddifferenz des Freiheitsglaubens zum Paternalismus äußert sich in einem unterschiedlichen Stellenwert der Freiheit des Einzelnen. ,We‘ know better than ‚they‘ that it is in their own good to provide for their old age to a greater extent than they would voluntarily; we cannot persuade them individually; but we can persuade 51 per cent or more to compel all to do what is in their own good. […] This position is internally consistent and logical. A thoroughgoing paternalist who holds it cannot be dissuaded by being shown that he is making a mistake in logic. He is our opponent on grounds of principle, not simply a well meaning but misguided friend. Basically, he believes in dictatorship, benevolent and maybe majoritarian, but dictatorship none the less.71
Wie der Kollektivismus führt also auch der Paternalismus zu einem tendenziell totalitären Staat. Kollektivismus und Paternalismus verbinden sich, wo der Staat nicht nur selbst eine Fürsorgepflicht annimmt, sondern diese seinen Bürgern untereinander vorschreibt.72 In der Praxis äußert sich Friedmans Ablehnung von Paternalismus etwa in seiner Gegnerschaft zu Drogenverboten73, Verbraucher-
68 Vgl.
CaF, 5, 34 f.; FtC, 309. CaF, 1 f. 70 Vgl. Friedman 1979b, 96: „Our government has been changing […] to a paternal state that increasingly decides for us what is good for us and increasingly redistributes income, taking from some and giving to others.“ Der zuletzt angesprochene Aspekt der Umverteilung wäre allerdings eher als ein Zeichen von Kollektivismus zu sehen (vgl. Friedman 1975f, 169). 71 CaF, 187. Interessanterweise vertritt Friedmans Lehrer Jacob Viner, auf den er sich ausschließlich positiv bezieht, exakt dieses scharf kritisierte Position (vgl. Viner 1991c, 221). 72 Vgl. FtC, 5. 73 Vgl. WGP, 3; TSQ, 138. 69 Vgl.
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schutz74 sowie verpflichtenden Renten-75 und Krankenversicherungen76. Dieselbe Motivation liegt auch seiner Position zugrunde, Hilfen sowohl an Einzelpersonen77 als auch an Entwicklungsländer78 nicht in Form von Sachleistungen oder zweckgebunden, sondern – wenn überhaupt, dann zumindest – als Geldzahlungen zu leisten. Vorausgesetzt ist die deskriptive Präferenzautonomie – also die Vorstellung, der Empfänger selbst wisse am besten, was für ihn von Nutzen sei. 2.) Relativierung der Paternalismuskritik. Friedman schränkt in Auseinandersetzung mit dem Paternalismus seine Position insofern ein, als er die Forderung nach Freiheit auf verantwortungsfähige Personen bezieht, also nicht auf Kinder und geistig Behinderte („madmen“).79 Wie schon in Bezug auf die Familie als gesellschaftlicher Basiseinheit, korrigiert Friedman auch hier sein abstraktes Modell auf der Basis empirisch offensichtlicher Widersprüche. Dass sie ihr Eigeninteresse dann am erfolgreichsten verfolgen, wenn sie keinerlei Einschränkungen unterliegen, lässt sich für Kinder nicht ernsthaft behaupten. Nun scheint es nur allzu offensichtlich, dass die Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme je nach Lebensalter, Gesundheitszustand, Bildungsgeschichte sowie konkreter Prägung und Komplexität der Sachlage graduell variiert. Zunächst scheint Friedman dieser Ambivalenz gerecht werden zu wollen: The necessity of drawing a line between responsible individuals and others is inescapable, yet it means that there is an essential ambiguity in our ultimate objective of freedom. Paternalism is inescapable for those whom we designate as not responsible. […] Yet there is no pretending that problems are simpler than in fact they are. There is no avoiding the need for some measure pf paternalism. […] There is no formula that can tell us where to stop. We must rely on our fallible judgment […] We must put our faith, here as elsewhere, in a consensus reached by imperfect and biased men through free discussion and trial and error.80
Doch, wie schon bei seinem Bezug auf die Familie, richtet Friedman sein Konzept nicht an einer solchen differenzierten Wahrnehmung der Wirklichkeit aus. Regierungshandeln auf Grundlage paternalistischer Motive bleibt ausschließlich bezogen auf Kinder und geistig Behinderte gerechtfertigt, darüber hinaus stellt es eine Verletzung individueller Freiheitsrechte und „a hallmark of his [the liberal’s, B. G.] chief intellectual opponents“81 dar. 74 Vgl.
FtC, 211 f. CaF, 188 f.; Friedman 1973b, 34. 76 Vgl. Friedman 1983c, 162 f. 77 Vgl. CaF, 192. 78 Vgl. Friedman 1987d, 90. 79 Vgl. CaF, 33 (wortgleich in FtC, 32). Die Einschränkung des Freiheitsrechtes bei diesen beiden Personengruppen findet sich bereits bei John Stuart Mill (vgl. Principles V.11 § 9 [Mill 1965, 951 f.]). 80 CaF, 33 f. 81 CaF, 34. Nicht konsistent mit seiner Gesamtposition ist, dass Friedman in einem Vortrag Bereitschaft signalisiert, Menschen durch Zwang vom Suizid abzuhalten (vgl. Friedman 75 Vgl.
3. Konsequenz des normativen Individualismus: Der „Freiheitsglaube“
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3.6 Zusammenfassung Der zentrale Wert von Friedmans Freiheitsglaube ist das elementare Recht jedes Individuums, sein Eigeninteresse zu verfolgen („pursuit of happiness“). Grundlegend ist dabei das Prinzip der Präferenzautonomie, das alle Formen des Eigeninteresses als gleichermaßen legitim erachtet. Eingeschränkt ist dieses Recht ausschließlich durch dasselbe Recht anderer Menschen. Die Normativität von Freiheit ist ein Korrelat dieses Rechtes. Freiheit in einem negativen Sinne, verstanden als Abwesenheit von Zwang durch andere, schließt eine Einschränkung durch andere aus. Anders als das je individuelle Streben nach individuellen Werten bezieht sie sich auf soziale Beziehungen und sichert in diesen individuelle Rechte. Sie ist daher das höchste soziale Gut. Freiheit in diesem Sinne impliziert Eigentumsrechte, also das freie Verfügen über den eigenen Besitz einschließlich der Verfügung über Einkünfte aus Kapital und der Möglichkeit, Besitz zu verschenken oder zu vererben. Ein grundsätzliches Recht auf den Zugang zu Ressourcen lässt sich aus dem negativen Freiheitsbegriff jedoch nicht ableiten. Entsprechend lehnt Friedman es ab. Vereinzelt begegnet bei Friedman auch ein Freiheitsbegriff, der positive Elemente im Sinne von Freiheit als tatsächlicher Möglichkeit zu handeln enthält. Allerdings sind dies nur sehr wenige Stellen und sie erfahren keine systematische Anbindung an die Gesamtkonzeption. Es ist also eher von marginalen Inkonsistenzen im Gebrauch des Freiheitsbegriffs auszugehen als davon, dass dieser eine systematische Erweiterung dahingehend erfahren würde, dass der Grad der Freiheit durch tatsächliche Handlungsoptionen bestimmt ist. Gegenentwürfe zum Freiheitsglauben sieht Friedman in Kollektivismus und Paternalismus. Beide rechtfertigen eine Gestaltung des sozialen Zusammenlebens durch Zwang, entweder, weil sie bestimmte soziale Ziele (z. B. Gleichheit und Gerechtigkeit im Egalitarismus) den individuellen Nutzenvorstellungen überordnen (Kollektivismus), oder weil sie die Ansicht vertreten, dass Individuen nicht selbst am besten in der Lage sind, ihren eigenen Nutzen zu erkennen und erfolgreich zu verfolgen (Paternalismus).
1991b, 17). In dieser Extremsituation scheint ihm Paternalismus auch gegenüber Erwachsenen angebracht zu sein. Allerdings vertritt er an anderer Stelle eine gegensätzliche Position (vgl. Friedman 1984 (MFA 234.6), 9, 15).
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit Freiheit als Abwesenheit von Zwang durch andere ist ein allgemeines Konzept. Dass es dennoch unterschiedliche Aspekte verbindet, zeigt sich in der von Friedman vorgenommenen begrifflichen Differenzierung zwischen ökonomischer, bürgerlicher und politischer Freiheit. Was diese Begriffe jeweils meinen und wie sie aufeinander bezogen sind, soll nun geklärt werden (4.1). Von da aus lässt sich die Frage in den Blick nehmen, in welchem wechselseitigen Verhältnis die unterschiedlichen Dimensionen von Freiheit zueinander stehen und verwirklicht werden können. Zu untersuchen ist die Bedeutung ökonomischer Freiheit für bürgerliche und politische Freiheit (4.2), die Bedeutung bürgerlicher Freiheit für politische und ökonomische Freiheit (4.3) sowie die Bedeutung politischer Freiheit für bürgerliche und ökonomische Freiheit (4.4). Logische Konsequenz aus der Weise, wie Friedman das Verhältnis der verschiedenen Freiheitsaspekte zueinander bestimmt, ist ein zyklisches Geschichtsbild, das Friedman in der Tat vertritt und das hier nachgezeichnet wird (4.5). Abschließend werden konkrete politische Konsequenzen aus Friedmans Sicht auf das Verhältnis ökonomischer, bürgerlicher und politischer Freiheit verdeutlicht. Dies geschieht in einem Exkurs zu seiner Positionierung bezüglich der außenpolitischen Debatten über Chile und Südafrika.
4.1 Begriffliche Differenzierung In Kapitel 3 wurde dargestellt, dass Friedman Freiheit negativ als Abwesenheit von Zwang durch andere bestimmt. Je nachdem, auf welche Interaktionszusammenhänge sich die Ausübung solcher individueller Freiheit erstreckt, differenziert Friedman zunächst zwischen ökonomischer und politischer Freiheit. Diese Differenzierung liegt sowohl seiner Argumentation in „Capitalism and Freedom“ als auch in „Free to Choose“ zugrunde.1 Ökonomische Freiheit umfasst für Friedman das ungehinderte Verfügen über das eigene Einkommen und eigene Ressourcen (einschließlich der Arbeitskraft) sowie die Sicherung des Privatbesit-
1 Vgl.
CaF, 6–21; FtC, 1 f., 65–69, 309; Friedman 1987k.
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
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zes.2 Als Elemente politischer Freiheit nennt er Meinungs‑ und Pressefreiheit sowie Religionsfreiheit.3 Der politischen Debatte seiner Zeit – zu denken ist insbesondere an die Bürgerrechtsbewegung – wirft Friedman eine einseitige Orientierung an politischer Freiheit und eine Vernachlässigung ökonomischer Freiheit vor. Aus diesem Grund weist Friedman darauf hin, dass zwischen ökonomischer und politischer Freiheit häufig nur schwer unterschieden werden kann. Als Beispiele dafür nennt er die Zensur von Büchern, die Behinderung von Emigration bzw. das Verbot, bei Emigration Besitz mitzunehmen, oder die Lizenzierung bestimmter Berufe.4 Letztlich zielt dieses Argument darauf ab, zu zeigen, dass beide Dimensionen von Freiheit zwingend zusammengehören als konstitutive Elemente der allgemeinen individuellen Freiheit. „[F]reedom is one whole, […] anything that reduces freedom in one part of our lives is likely to affect freedom in the other parts.“5 Dass Friedman die Zusammengehörigkeit von ökonomischer und politischer Freiheit betont, ist auch im theoretischen Horizont seines Freiheitsverständnisses zwingend. Da er Freiheit als das ungehinderte Verfügen über eigene Ressourcen zur Verfolgung individueller Präferenzen beschreibt, ist es unter dem Aspekt der Freiheit zweitrangig, ob eine Handlung primär als eine ökonomische oder eine politische wahrgenommen wird. Den Ursprung dieses allgemeinen Freiheitsverständnisses führt Friedman auf die Verbindung der Freiheitskonzepte von Adam Smith einerseits und Thomas Jefferson andererseits zurück.6 Ab den späten 1980er Jahren, also erst nach Veröffentlichung seiner bedeutendsten Werke, führt Friedman jedoch eine entscheidende weitere Differenzierung ein, nämlich die zwischen bürgerlicher und politischer Freiheit.7 Besonders prominent geschieht dies 2002 im Vorwort der Neuauflage zu „Capitalism and 2 Vgl.
FtC, 65–67. FtC, 67–69. Hier verwendet Friedman den irritierenden Begriff „human freedom“, die angeführten Beispiele verweisen jedoch eindeutig auf den Bereich der politischen Freiheit. Die Verwendung des Begriffes „menschliche Freiheit“ erscheint nicht sinnvoll, da „ökonomische Freiheit“ für Friedman ebenso eine Freiheit menschlicher Individuen bezeichnet. Dass er einen Begriff wählt, der weiter gefasst ist als „politische Freiheit“ könnte andeuten, dass Friedman schon hier im Blick hat, dass die Bezeichnung „politische Freiheit“ auf eine Engführung hinausläuft, die er später überwinden möchte. 4 Vgl. Friedman 1987k, 14 f.; CaF, 8 f. 5 FtC, 69. Vgl. CaF, 8, 9; FtC-TV, 196; Friedman 1987k, 14. 6 Vgl. FtC, 1 f., 7. Entgegen der Interpretation Nils Ole Oermanns (vgl. Oermann 2007, 258) ist es also gerade ein Kernanliegen Friedmans, dass der ökonomischen Freiheit des kapitalistischen Wirtschaftssystems selbst ein normativer Wert zukommt. 7 Vgl. Friedman 1990 (Vortrag 1988) und Friedman 1991a. In Friedman 1990 verwendet Friedman neben dem Begriff „civil freedom“ bedeutungsgleich den Begriff „human freedom“. Später (z. B. CaF, ix) setzt sich die Bezeichnung „civil freedom“ oder „civic freedom“ durch. „Human freedom“ begegnet bereits in FtC, 67–69, allerdings ohne begriffliche Differenzierung zu „political freedom“. Die spätere Umformung des Begriffes ist angebracht, da „menschliche Freiheit“ nicht deutlich macht, dass es sich nur um einen Teilbereich menschlicher Aktivität handelt, in den ökonomische Aktivität nicht eingeschlossen ist. 3 Vgl.
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Freedom“: „If there is one major change I would make, it would be to replace the dichotomy of economic freedom and political freedom with the trichotomy of economic freedom, civil freedom, and political freedom.“8 Inhaltlich führt Friedman die Differenzierung nicht an dieser, wohl aber an anderer Stelle aus: I decided basically by experience with Hong Kong that it is important to separate, to distinguish three categories of freedom: economic freedom – the freedom to buy and sell, to make transactions; civil freedom – the freedom to speak freely, freedom to write and have freedom of speech [sic!]; and then political freedom, which is the freedom to elect your leaders.9
Politische Freiheit bezeichnet also „das individuelle Recht auf Mitbestimmung in der Politik, auf die Verfassung bezogen also die Demokratie“10 Die entscheidende Differenz besteht für Friedman zwischen ökonomischer und bürgerlicher Freiheit einerseits und politischer Freiheit andererseits. Erstere bringen verschiedene Dimensionen des ungehinderten Verfolgens eigener Ziele zum Ausdruck, also das, was für Friedman Freiheit eigentlich ausmacht. Politische Freiheit hingegen bezeichnet die konkrete Möglichkeit zur Ausübung politischer Macht und steht damit schon als solche in einem spannungsreichen Verhältnis zur Freiheit im für Friedman eigentlichen, negativen, Sinne.11 Wenn Friedman bei seiner Differenzierung also festhält, Freiheit sei ein unteilbares Ganzes, so ist dies primär auf die Zusammengehörigkeit ökonomischer und bürgerlicher Freiheit zu beziehen. Politische Freiheit ist demgegenüber ein untergeordnetes Ziel bzw. ein Mittel für das eigentliche Ziel allgemeiner individueller (bürgerlicher und ökonomischer) Freiheit.12 Während der Begriff der politischen Freiheit Aspekte eines positiven Freiheitsbegriffes enthält, bleibt für Friedman in normativer Hinsicht allein der negative Freiheitsbegriff maßgeblich. In den folgenden Abschnitten wird näher beschrieben, wie Friedman die verschiedenen Aspekte des Freiheitsbegriffs zueinander ins Verhältnis setzt. Die spätere dreifache Differenzierung ist präziser als die ursprünglich dominierende Zweiteilung. Auch wenn Friedman die Terminologie erst spät gebraucht, soll 8 CaF,
ix.
9 Friedman und Fisher 2005, 11:32; vgl. Friedman 1991a; Friedman und Becker 2003, 35:55.
Hier nennt er als Bestandteile bürgerlicher Freiheit außerdem das Recht auf Versammlungs‑ und Pressefreiheit. 10 Zintl 2004, 146. 11 Die Gegenüberstellung von ökonomischer und bürgerlicher Freiheit einerseits und politischer Freiheit andererseits wird durch die genaue Untersuchung ihrer jeweiligen Verhältnisse zueinander im Laufe dieses Kapitels weiter verdeutlicht werden. 12 Vgl. CaF, 24: „That majority rule is an expedient rather than itself a basic principle is clearly shown by the fact that our willingness to resort to majority rule, and the size of majority we require, themselves depend on the seriousness of the issue involved.“ Deutlicher wird diese Differenz bei Hayek, der sachlich mit Friedman übereinstimmt und von da aus betont, politische Freiheit gehöre zu einer anderen Gattung und sei nicht Teil individueller Freiheit (vgl. von Hayek 2011, 69).
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
113
sie in der Analyse daher schon auf seine früheren Texte angewandt werden. Dies führt zum Teil dazu, dass im Folgenden Stellen, an denen Friedman von „political freedom“ spricht, sachgemäß als Aussagen über bürgerliche Freiheit zu verstehen sind.
4.2 Ökonomische Freiheit als notwendige Voraussetzung bürgerlicher und politischer Freiheit Es ist auffallend, dass Friedman im Rahmen seiner ursprünglichen Zweiteilung zwar betont, ökonomische und bürgerliche Freiheit seien gleichermaßen konstitutive Bestandteile von Freiheit, dass aber seine Bestimmung des Verhältnisses zwischen beiden Aspekten einseitig erfolgt. 1.) Ökonomische Freiheit als notwendige Bedingung bürgerlicher Freiheit. Friedman beschreibt ausführlich ökonomische Freiheit als notwendige Voraussetzung bürgerlicher Freiheit.13 Die Durchführung seiner Argumentation zeigt, dass er dabei vor allem denjenigen Aspekt im Blick hat, den er später bürgerliche Freiheit nennt. Friedmans erklärte Absicht ist es dabei zu zeigen, dass ein demokratischer Sozialismus prinzipiell nicht möglich ist.14 Die These, ökonomische Freiheit sei eine notwendige Bedingung bürgerlicher Freiheit, begründet Friedman zunächst unter Berufung auf historische Evidenz.15 Dabei beruft er sich darauf, dass erst die Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften im 19. Jahrhundert auch eine politische Liberalisierung nach sich ziehen konnte. Dasselbe Phänomen sieht Friedman auch im antiken Griechenland und Rom bestätigt.16 Als Kontrast dient ihm vor allem das sowjetrussische Einflussgebiet, wie er es am Beispiel der Unterschiede zwischen Ost‑ und Westberlin ausführt.17 Bei einer solchen historischen Argumentation will es Friedman jedoch nicht belassen, da aus historischen Argumenten keine allgemeinen Thesen abgeleitet werden könnten.18 Auf systematischer Ebene basiert seine Argumentation auf der Feststellung, Freiheit werde stets durch Macht gefährdet. Erst diese mache es überhaupt möglich, dass Einzelne oder Institutionen Zwang auf andere ausüben. Ökonomische Zentralisierung erweitert die Möglichkeiten des Staates zur Ausübung von Zwang. Sie bedeutet daher eine Gefahr für Freiheit, welche 13 Vgl. CaF, 4, 8; Friedman 1987k, 14; Friedman 1987d, 82; FtC, 2, 11, 54; FtC-TV, 5; Friedman 1990, 58. 14 Vgl. CaF, 7 f; vgl. ähnlich Simons 1948a, 43 f., 52. 15 Vgl. CaF, viiif., 9; FtC, 11. 16 Vgl. CaF, 9 f. Diese Einschätzung des antiken Griechenlands relativiert Friedman zu Recht in Friedman 1991a. 17 Vgl. FtC, 55 f. 18 Vgl. CaF, 11 f.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
die Aufrechterhaltung bürgerlicher Freiheit nahezu unmöglich macht.19 Umgekehrt garantiert die Gewährleistung ökonomischer Freiheit die Verhinderung von Machtkonzentration und somit Freiräume für die Ausübung bürgerlicher Freiheit.20 Konkret findet dies seinen Ausdruck in der Möglichkeit für politische Dissidenten, eine bezahlte Arbeit zu finden und auf dem Markt Zugang zu den Mitteln politischer Arbeit (Versammlungshallen, Papier, Rundfunkstationen etc.) zu haben.21 Friedman nennt aber auch Beispiele wie die Abhängigkeit von Wissenschaftlern, die durch Staatsgelder finanziert und so in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt werden oder von Bankmanagern und Unternehmern, deren freie Meinungsäußerung durch Regierungsvertreter eingeschränkt wird.22 Neben der Einschränkung staatlicher Macht leistet der freie Markt noch einen zweiten Beitrag zur Sicherung bürgerlicher Freiheit: Persönliche materielle Interessen bieten Anreize für Kooperation selbst dann, wenn politische Differenzen oder rassistische Vorurteile keine gemeinsamen Interessen begründen. Hinzu komme, dass Marktprozesse zu Entpersonalisierung führen und daher persönliche Vorurteile nicht in die Entscheidungsfindung eingehen können.23 Ein anonymisierter Markt, auf dem eigene Interessen verfolgt werden können, bietet nach Friedman so den besten Schutz vor Diskriminierung und der Verletzung bürgerlicher Freiheiten.24 2.) Ökonomische Freiheit als notwendige Bedingung politischer Freiheit. Der Schwerpunkt von Friedmans Argumentation liegt eindeutig darauf, dass er ökonomische Freiheit als Voraussetzung bürgerlicher Freiheit darstellt. In den einschlägigen Texten differenziert er noch nicht zwischen bürgerlicher und politischer Freiheit. Es ist aber deutlich, dass er auch letztere im Blick hat. Die historischen Entwicklungen – insbesondere die der westlichen Welt im 19. Jahrhundert – beziehen sich auf eine Phase, in der Liberalisierung und Demokratisierung als ein einheitliches Geschehen verstanden wurden.25 Die Beispiele, auf die er seine systematische Argumentation aufbaut (Zugang zu finanziellen Mitteln und Medien der Veröffentlichung politischer Positionen) sind unzweifelhaft Grundvoraussetzungen für politische Partizipation. 19 Vgl. FtC, 3: „The combination of economic and political power in the same hands is a sure recipe for tyranny“ (im Original z. T. hervorgehoben). 20 Vgl. CaF, 15: „By removing the organization of economic activity from the control of political authority, the market eliminates this source of coercive power. It enables economic strength to be a check to political power rather than a reinforcement.“ Vgl. FtC, 2 f. 21 Vgl. Caf, 16–21. 22 Vgl. FtC, 67–69; Friedman 1987k, 10–13. 23 Vgl. Butler 1985, 201 f. 24 Vgl. CaF, 19–21. 25 Auf dieser Linie vertritt Friedman auch die These, Stärkung von Bürgerrechten und Demokratie in Entwicklungsländern sei nicht durch direkte Entwicklungshilfe zu leisten, die zugleich eine Stärkung von Regierungsinstitutionen nach sich ziehen würde, sondern durch die Förderung freier Märkte (vgl. Friedman 1987d, 87 f.).
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
115
4.3 Die Bedeutung bürgerlicher Freiheit für politische und ökonomische Freiheit 1.) Bürgerliche Freiheit als notwendige Voraussetzung politischer Freiheit. Dass bürgerliche Freiheit (z. B. die Presse-, Meinungs‑ und Versammlungsfreiheit) eine notwendige Bedingung für politische Freiheit ist, scheint offensichtlich. Wohl deswegen setzt Friedman sich mit diesem Zusammenhang nicht argumentativ auseinander. Hinzu dürfte kommen, dass er bürgerliche Freiheit als weit weniger gefährdet erachtet als ökonomische Freiheit und sich daher in Linie der Verteidigung letzterer widmet. 2.) Ungeklärte Bedeutung bürgerlicher Freiheit für ökonomische Freiheit. Gegenüber den ausführlichen Beschreibungen von ökonomischer Freiheit als notwendiger Voraussetzung bürgerlicher/politischer Freiheit, hält sich Friedman auffällig zurück, was die Frage angeht, inwiefern bürgerliche Freiheit nicht nur als Teil der Freiheit selbst26, sondern als Voraussetzung ökonomischer Freiheit von Bedeutung ist. Friedman unterscheidet zwei Formen des Liberalismus. Eine frühe Phase habe bürgerliche/politische Freiheit als notwendige Bedingung ökonomischer Freiheit erachtet. Unter dem Eindruck eines wachsenden Interventionismus dreht eine zweite Phase des Liberalismus die These des klassischen Liberalismus um und betont, ökonomische Freiheit sei eine Voraussetzung bürgerlicher/politischer Freiheit.27 Friedman ist dieser zweiten Gruppe zuzuordnen.28 Wenn er betont, ökonomische Freiheit sei eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung bürgerlicher Freiheit,29 erlaubt dies den Umkehrschluss: Eine Gesellschaft, in der ökonomische Freiheit herrscht, ist auch denkbar ohne bürgerliche und politische Freiheit. Explizit nennt Friedman zahlreiche Beispiele solcher Staaten, in denen autoritäre Regierungen freie Märkte etablierten und stützten. Zu diesen zählte er Japan vor den beiden Weltkriegen, Deutschland in mehreren Phasen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die faschistischen Regime Italiens und Spaniens, Russland unter den Zaren oder den südafrikanischen Apartheidsstaat.30 Die These, ökonomische Freiheit sei von bürgerlicher Freiheit unabhängig, relativiert Friedman jedoch unter dem Eindruck der Entwicklungen in Chile. Im Jahre 1982 stellt er fest, langfristig ließe sich ökonomische Freiheit nur durch Ge26 Vgl.
FtC, 69, CaF, 10 f. 28 Vgl. Friedman 1990, 59: „[W]hile there are influences running both ways, free markets come much closer to making free men than free men do to making free markets.“ Vgl. Friedman und Becker 2003, 44:52. 29 Vgl. CaF, 10; FtC, 11; Friedman 1990, 58; Friedman 1991a. Die Beispiele totalitärer Staaten, die Friedman hier nennt, zeigen, dass unter der fehlenden politischen Freiheit hier in der „alten“ Terminologie auch bürgerliche Freiheit subsumiert ist. 30 Vgl. CaF, 10; Friedman 1991a. 27 Vgl.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
währung „politischer“ Freiheit sicherstellen.31 Diese erweiterte These begründet Friedman damit, dass eine autoritäre Regierung den Prinzipien hierarchischer Koordination durch Befehl folgt und daher ihrer Grundstruktur nach in Widerspruch zu den Prinzipien des freien Marktes steht. Friedman bezeichnet es daher als äußerst unwahrscheinlich, dass ein autoritäres Regime dauerhaft einen freien Markt erhalten würde – im Gegensatz zu den zahlreichen Beispielen, die er an anderer Stelle reklamiert hatte.32 Eine weitere Fortentwicklung des Gedankens findet sich 2002. In der Analyse der Geschichte Hongkongs führt Friedman die Differenzierung zwischen bürgerlicher und politischer Freiheit ein und hält fest: „The answer I would give today is that I think you can have economic freedom without political freedom, provided you have a large measure of civic freedom.“33 Bürgerliche Freiheit begegnet also in diesen späteren Aussagen als notwendige Bedingung für ökonomische Freiheit, zumindest was deren längerfristige Gewährung betrifft.34 Allerdings leistet Friedman in diesen späten Aussagen keine systematische Begründung mehr, die einen solchen Zusammenhang argumentativ entfaltet. Die Frage, ob ökonomische Freiheit ohne bürgerliche Freiheit bestehen kann, bleibt so auf systematischer Ebene ungelöst. Am ehesten kommt sie zu einer Lösung, wo Friedman beide Aspekte von Freiheit so nah zueinander rückt, dass es letztlich zu einer Identifikation kommt.35 Individuelle Freiheit ist unteilbar, 31 Vgl. Friedman 1982a, 393: „I have long argued that economic freedom is a necessary but not sufficient condition for political freedom. I have become persuaded that this generalization, while true, is misleading unless accompanied by the proposition that political freedom in turn is a necessary condition for the long-term maintenance of economic freedom.“ Ähnlich argumentiert Friedman 2002 mit Bezug auf China, wo er die zunehmende wirtschaftliche Liberalisierung in Konflikt mit einer autoritären politischen Ordnung sieht (vgl. Friedman und Fisher 2005, 10:15). 32 Noch 1991 vertritt Friedman unter Rekurs auf Staaten in Lateinamerika, die USA vor dem Bürgerkrieg und Südafrika die These, ökonomische Freiheit ließe sich unabhängig von bürgerlicher und politischer Freiheit verwirklichen (vgl. Friedman 1991a). Natürlich könnte hier entgegnet werden, die Beispiele seien nicht geeignet, die These von einer langfristigen Notwendigkeit bürgerlicher Freiheit für ökonomische Freiheit zu widerlegen oder würden diese gerade stützen. Sie verlieren dann jedoch ihre Relevanz als Beleg dafür, ökonomische Freiheit sei keine hinreichende Bedingung für bürgerliche/politische Freiheit. Langfristig wäre sie es dann nämlich. Außerdem ist anzumerken, dass in der Sowjetunion und zahlreichen anderen Staaten langfristig Vorenthaltung elementarer bürgerlicher Freiheiten zu Bestrebungen führte, diese zu überwinden, wo keine ökonomische Freiheit herrschte. Es ist also keineswegs eindeutig, dass etwa die Durchsetzung von Bürgerrechten in Südafrika deshalb geschehen konnte, weil die Wirtschaft des Landes durch freie Märkte organisiert war. 33 Friedman und Becker 2003, 37:33. Dem entspricht auch seine Perspektive auf die Entwicklung in China. Er geht davon aus, dass die dort in zunehmendem Maße verwirklichte ökonomische Freiheit wahrscheinlich zu bürgerlicher Freiheit führen werde, andernfalls aber auch erstere keinen Bestand haben könnte (vgl. Friedman und Fisher 2005, 10:30; Friedman und Becker 2003, 51:03). 34 Vgl. Friedman und Becker 2003, 51:02. Damit verbunden ist in Einzelfällen eine Neubewertung vergangener historischer Epochen. Z. B. kommt er in Friedman 1982a, 391 zu einer anderen Einschätzung von Francos Wirtschaftspolitik als in CaF, 10. 35 Vgl. Friedman 1991a.
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
117
insofern ist jede Einschränkung menschlicher Interaktion immer sowohl eine Einschränkung ökonomischer als auch bürgerlicher Freiheit.36 Eine Konsequenz, die Friedman ziehen könnte, aber nicht zieht, wäre „ökonomische Freiheit“ in einem allgemeinen Sinn zu verstehen. Die Beschneidung bürgerlicher Rechte wie Meinungs-, Versammlungs‑ oder Niederlassungsfreiheit wäre dann selbst schon eine Einschränkung ökonomischer Freiheit. Diesen Ausweg wählt Friedman jedoch nicht, was sich daran zeigt, dass er etwa in Südafrika durchaus von einem System freier Märkte spricht. Der Ausweg wäre aber auch nicht überzeugend, denn damit ginge zugleich die durch die Unterscheidung von bürgerlicher und ökonomischer Freiheit gewonnene Differenzierung verloren. Gerade die genannten historischen Beispiele verdeutlichen jedoch deren Berechtigung.
4.4 Das paradoxe Verhältnis politischer Freiheit zu ökonomischer und bürgerlicher Freiheit Das Verhältnis politischer Freiheit zu ökonomischer und bürgerlicher Freiheit beschreibt Friedman als „paradox“.37 Während diese eine notwendige Bedingung für jene sind, kann erstere die letzten beiden sowohl befördern als auch gefährden.38 1.) Politische Freiheit ist keine notwendige Bedingung ökonomischer und bürgerlicher Freiheit. Friedman beschreibt die Situation in Hongkong als eine, in der unter der britischen Kolonialherrschaft nahezu vollständige ökonomische und bürgerliche Freiheit auf Dauer mit völliger politischer Unfreiheit koexistierten.39 Die Gewährleistung ökonomischer und bürgerlicher Freiheit im Sinne einer Abwesenheit von Zwang durch andere hänge nicht systematisch davon ab, durch wen die Setzung des rechtlichen Rahmens einer freiheitlichen Ordnung erfolgt.40 2.) Politische Freiheit als Folge und Gefährdung ökonomischer und bürgerlicher Freiheit. Paradox ist dieses Verhältnis deswegen, weil einerseits ökonomische und bürgerliche Freiheit politische Freiheit befördern, diese aber andererseits in der Regel zu einer Eingrenzung bürgerlicher und insbesondere ökonomischer Freiheit tendiert.41 Evidenz für die Beförderung politischer Freiheit durch die 36 Vgl. FtC, 69: „[A]nything that reduces freedom in one part of our lives is likely to affect freedom in other parts.“ 37 Friedman 1991a. 38 Vgl. CaF, ix; Friedman 1990, 59 f. 39 Vgl. Friedman 1991a; Friedman und Fisher 2005, 12:06. 40 Klassisches Vorbild für die These einer Unabhängigkeit von individueller Freiheit und Regierungsform ist Thomas Hobbes (vgl. Hobbes, Leviathan, Kap. XXI [Hobbes 2010, 149]): „Whether a Common-Wealth be Monarchicall, or Popular, the Freedome is still the same.“ 41 Vgl. Friedman 1991a: „[W]hile economic freedom facilitates political freedom, political freedom, once established, has a tendency to destroy economic freedom.“ Vgl. Friedman und Becker 2003, 35:55, 39:30.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Gewährleistung ökonomischer Freiheit zieht Friedman aus den Entwicklungen in Chile und China42, aber auch Japan im 19. Jahrhundert.43 Genau die so erkämpften politischen Einflussmöglichkeiten sind es dann aber, die potenziell dazu genutzt werden, bürgerliche und wirtschaftliche Freiheit einzudämmen. Während die Vorenthaltung politischer Freiheit in Hongkong gerade die Sicherung ökonomischer und bürgerlicher Freiheit ermöglicht, würden diese durch eine demokratische Regierung in Indien unterminiert.44 Dem entspreche auch die Entwicklung, die die USA und die europäischen Staaten in unterschiedlichem Maße und besonders nach dem 2. Weltkrieg durch Etablierung von Wohlfahrtsstaaten genommen haben.45 Die Gefahr, die von politischer Freiheit ausgeht, besteht in der Möglichkeit einer Diktatur der Mehrheit, die ihre eigenen Interessen mit politischen Mitteln durchsetzen möchte.46 Dies bedeutet immer eine Einschränkung individueller Freiheit, egal ob Eigennutzen im engen Sinne verfolgt wird oder in paternalistischer Weise andere zu ihrem Glück gezwungen werden sollen. Gerade die durch eine freie Gesellschaft ermöglichte Wohlfahrtssteigerung verstärkt nach Friedman die Versuchung, verbleibende Übel durch staatliche Steuerung zu überwinden.47 Die freiheitliche Gesellschaft wird so zum Opfer ihres eigenen Erfolgs.48 Ein solcher Verlust ökonomischer und bürgerlicher Freiheit kann zu großen wirtschaftlichen Defiziten führen. Dies wiederum kann die Souveränität einer politischen Einheit untergraben, sodass ihre Bürger letztlich auch politisch nicht mehr frei sind. Als Beispiele für einen solchen Prozess führt Friedman sowohl New York City als auch Chile an.49 Die Konsequenz aus dem paradoxen Verhältnis ökonomischer und politischer Freiheit ist, dass eine freiheitliche Gesell-
42 Vgl. CaF, viiif.; Friedman 1991a; TLP, 516f; Friedman und Fisher 2005, 10:15, 12:48; Friedman und Becker 2003, 51:02, 52:00 (hier auch Bezug auf die Beispiele Südkoreas und Taiwans). Für China formuliert Friedman die These sowohl, um bisherige Entwicklungen zu beschreiben als auch zukünftige zu prognostizieren. 43 Vgl. FtC, 285. 44 Vgl. FtC, 285; Friedman 1990, 59; Friedman 1991a. 45 Vgl. CaF, 10; FtC, 4 f.; Friedman 1955a, 360; Friedman 1976e, 9–11. 46 Vgl. unten 8.3.2 Die Logik des politischen Handelns und ihre negativen Auswirkungen. Anders als bei Gang Guo dargestellt (vgl. Guo 1998), erachtet Friedman die Demokratie also eher als eine Gefährdung für wirtschaftliche Freiheit und Entwicklung, und zwar auch aus Gründen, die im demokratischen System selbst liegen. 47 Es fällt auf, dass Friedman eher die ökonomische als die bürgerliche Freiheit durch die Diktatur der Mehrheit gefährdet sieht. Den Grund dafür sieht er in der verfassungsrechtlichen Sicherstellung von bürgerlichen Freiheitsrechten, die Mehrheitsentscheidungen entzogen sind. Sie führt er auch als Beispiel dafür an, wie die Gefährdung individueller Freiheiten durch politische Freiheit wirksam verhindert werden kann (vgl. Friedman 1987k, 9–17 sowie unten 8.4.1 Machtbegrenzung durch Verfassungsrecht). 48 Vgl. FtC, 4 f. 49 Vgl. Friedman 1975c, 179; Friedman 1976e, 8–10.
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
119
schaft keinen Gleichgewichtszustand darstellt und nicht von permanenter Dauer sein kann.50 3.) Politische Freiheit als Mittel zu ökonomischer und bürgerlicher Freiheit. Die skizzierte Entwicklung ist für Friedman jedoch nicht alternativlos. Er beschreibt auch Fälle, in denen Einschränkungen der ökonomischen Freiheit zu einer Be‑ oder Wiederbelebung des Freiheitsstrebens beitragen können.51 Anders als im oben beschriebenen Prozess kann politische Freiheit also dafür genutzt werden, individuelle Freiheit zu verteidigen. Dies liegt einerseits daran, dass Menschen individueller Freiheit selbst einen Wert zuschreiben und sich gegen zu große Einschränkungen zur Wehr setzen. Andererseits führt kollektivistisches Wirtschaften zu Wohlfahrtsverlusten und kann ein Umdenken der Bevölkerung initiieren.52 Politische Freiheit kann also ein Mittel zur Verwirklichung oder Sicherung ökonomischer Freiheit sein.
4.5 Zyklisches Geschichtsbild als Konsequenz der Verhältnisbestimmung Dieses vielfältige Beziehungsgeflecht ökonomischer, bürgerlicher und politischer Freiheit bildet die Grundlage von Dynamiken, die die Entwicklung von Gesellschaften bestimmen. Sie sollen hier zunächst zusammengestellt und dann systematisiert werden. Es zeigt sich, dass Friedmans Modell eine weitreichende Geschichtsphilosophie impliziert. 4.5.1 Der „Kreislauf “ von Freiheit und Unfreiheit Friedmans Sicht der Zusammenhänge zwischen ökonomischer, bürgerlicher und politischer Freiheit erlaubt Rückschlüsse auf sein Konzept gesellschaftlicher Dynamik, das sich in folgender Weise schematisch darstellen lässt:
50 Vgl. Friedman und Doherty 1995: „I wrote an article once arguing that a free society is an unstable equilibrium. Fundamentally, I’m of the opinion that it is. Though we want to try to keep that unstable equilibrium as long as we can!“ Ähnlich, aber zurückhaltender äußert sich Friedman in Friedman o. J. (MFA 216.3), 9: „The historical record suggests pessimism, but the analysis gives no very strong basis for either great optimism or great pessimism about the stability of a free society.“ 51 Vgl. CaF, 10 f. Als Beispiel dafür, dass Bürger zunächst politische Freiheit einfordern und diese sich dann mit der Forderung nach ökonomischer Freiheit verbindet, nennt Friedman neben der Entwicklung Großbritanniens im 19. Jahrhundert (vgl. CaF, 10) die friedliche Revolution in der Tschechoslowakei (vgl. FtC-TV II, 29). 52 Vgl. CaF, 11.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Freiheit
Wirtschaftswachstum
Verlust bürgerlicher Freiheit
Bürgerliche Freiheit
Wirtschaftliche Regression
Verlust ökonomischer Freiheit
Politische Freiheit
Verlust politischer Freiheit
Ökonomische Freiheit
Unfreiheit
Auf der linken Seite der Grafik werden schrittweise die notwendigen (nicht hinreichenden) Bedingungen aufgeführt, die für den nächsten Entwicklungsschritt erfüllt werden müssen. Dadurch werden jeweils zugleich Impulse für den nächsten Schritt gegeben. Mit dem Freiheitsgrad korreliert die wirtschaftliche Situation einer Gesellschaft. Ökonomische Freiheit führt zu Anreizen für produktive Tätigkeit, zu Innovation und effizientem Mitteleinsatz, also zu wirtschaftlichem Wachstum. Ökonomische Unfreiheit führt wegen fehlender Anreize und ineffizienter Mittelverwendung zu wirtschaftlicher Regression.53 Die Pfeile in der Grafik bilden keinen geschlossenen Kreis. Dies veranschaulicht, dass für Friedman zwischen den verschiedenen Gesellschaftszuständen kein determinierender Zusammenhang besteht. Der abgebildete Kreis stellt den historischen Normalfall dar. Für das Verständnis und die Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse ist es wichtig, nach alternativen Entwicklungsmöglichkeiten zu fragen. 4.5.2 Modernisierungsdynamik und „Weg zur Knechtschaft“ Die in den vorangegangenen Abschnitten ausführlich beschriebenen und in der Grafik dargestellten Zusammenhänge sollen hier unter der Fragestellung mög53 Vgl.
dazu unten 7.3.2 Vorzüge des Marktsystems aufgrund positiver Konsequenzen.
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
121
licher Alternativen für gesellschaftliche Entwicklungen noch einmal gebündelt werden. Dabei wird zur Illustration auf jene Beispiele zurückgegriffen, an denen Friedman seine Position entwickelt.54 1.) Unfreiheit als der Normalfall. Es bietet sich an, den Ausgangspunkt der Darstellung dieser Entwicklungen in einem Zustand zu nehmen, der sich dadurch auszeichnet, dass weder ökonomische oder bürgerliche noch politische Freiheit herrscht (in der Graphik unten: „Unfreiheit“). Das Wohlfahrtsniveau einer solchen Gesellschaft ist gering. Sie dient als Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen, da Friedman sie selbst als den Normalfall menschlicher Existenz beschreibt: „[T]he typical state of mankind is tyranny, servitude, and misery.“55 2.) Modernisierungsdynamik. In diesem Zustand kann eine Modernisierungsdynamik entstehen. Dies setzt den kontingenten Einsatz einer Bewegung voraus, welche die Verbesserungsbedürftigkeit und ‑fähigkeit durch Beförderung menschlicher Freiheit erkennt.56 Grundsätzlich kann dies sowohl in Bezug auf politische als auch auf wirtschaftliche Freiheit geschehen. Friedman beschreibt es aber als den wahrscheinlicheren Fall, dass sich zunächst Bestrebungen nach ökonomischer Freiheit durchsetzen. Als historische Beispiele dienen das Auftreten Adam Smiths, die Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping sowie die Hinwendung der chilenischen Militärjunta unter Pinochet zu einer marktliberalen Politik. Ökonomische Freiheit bedeutet eine Einschränkung politischer Macht, was die Chance auf bürgerliche und politische Freiheit erhöht. Liberalisierung im Bereich wirtschaftlichen Handelns stärkt daher das Verlangen nach bürgerlicher und politischer Freiheit. Entsprechend stehen Staaten wie Chile und China vor der Wahl, derartige Bestrebungen zu unterdrücken und damit auch wirtschaftliche Freiheiten einzudämmen – womit sich der Kreis bereits jetzt schließen würde und die Gesellschaft in den Zustand der Unfreiheit und ökonomischen Regression zurückfiele – oder eine politische Liberalisierung des Landes zuzulassen, wie sie sich in der westlichen Welt vollzogen hat. Kommt es zur Verwirklichung bürgerlicher und politischer Freiheit, ist es entscheidend, wie letztere genutzt wird. Grundsätzlich kann sie zur weiteren Beförderung ökonomischer Freiheit führen. So lange dies geschieht, ist mit einer voranschreitenden Modernisierung und Wohlfahrtssteigerung zu rechnen (in der Graphik oben: „Freiheit“). 3.) Der „Weg zur Knechtschaft“. Friedman geht jedoch nicht davon aus, dass der Zustand von Freiheit und Wohlstand im Normalfall stabil ist.57 Vielmehr rechnet er damit, dass regelmäßig ein Prozess einsetzt, den er in begrifflicher 54 Zu
den Belegen bei Friedman vgl. die entsprechenden vorangegangenen Abschnitte. 9; vgl. FtC, 6 f.; Friedman und Heffner 1975, 15:00. 56 Im Falle Adam Smiths beschreibt Friedman dieses Ereignis als einen „flash of genius“ (FtC, 13). 57 Vgl. Friedman und Heffner 1975, 15:00: „I think the remarkable thing, the thing that needs to be explained, is not why we’ve had a movement towards collectivism and towards more government control, because that’s been the natural state of mankind for thousands of years. The remarkable thing in my opinion, from an intellectual point of view, is how you ever managed 55 CaF,
122
Teil II: Systematische Rekonstruktion
Anlehnung an Friedrich Hayek als „Road to Serfdom“ beschreibt.58 Zu erwarten ist nämlich, dass Koalitionen einflussreicher gesellschaftlicher Gruppierungen die Möglichkeiten politischer Mitbestimmung dazu nutzen, ihre Eigeninteressen oder paternalistische Vorstellungen gegen die Prinzipien ökonomischer Freiheiten durchzusetzen. Eine solche Entwicklung beobachtet Friedman in den USA, Europa und in Indien nach dem Zweiten Weltkrieg. Dies bildet dann die entscheidende Kehrtwende der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Einschränkung ökonomischer Freiheit führt zu ökonomischer Regression. Dadurch verliert der Staat seine Handlungsfähigkeit und Souveränität. Demokratisch gewählte Regierungen können daher die Geschicke ihres Landes nicht mehr bestimmen, damit kommt es letztlich zum Verlust politischer Freiheiten. Die Gesellschaft fällt zurück in den Status der Tyrannei und wirtschaftlichen Stagnation. 4.5.3 Der zyklische Verlauf der Geschichte Setzt man Modernisierungsdynamik und „Road to Serfdom“ zusammen, so ergibt sich das Bild eines zyklischen Verlaufes der Geschichte. In unterschiedlichen Zeitabständen und Ausprägungen ist immer wieder mit einem Durchlaufen des Kreises zu rechnen. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Friedman einen solchen Zyklus und die in ihm herrschenden Dynamiken nie im Zusammenhang darstellt, sondern es sich hier um eine Synthese einzelner Feststellungen handelt. Allerdings deckt sich das Ergebnis mit Friedmans Beschreibung seines Geschichtsverständnisses, das er exakt unter Bezug auf entsprechende Zyklen charakterisiert. Angesprochen auf Francis Fukuyamas teleologisches Geschichtsverständnis, wonach mit dem Ende der Sowjetunion „the end of history“59 eingeleitet sei, entgegnet Friedman: „I don’t believe that that’s valid at all. […] My view of history is very different. My view of history is that it runs in long, long swings, and that the question of a free economy is entered into that.“60 Im Folgenden beschreibt Friedman einen solchen Zyklus von Adam Smith bis zum Versuch einer Wiederbelebung freiheitlicher Grundsätze in der Regierung Margaret Thatchers, der in groben Zügen dem oben dargestellten entspricht.61 Auch dieser neuerliche to get a century or a century and a half in which the dominant philosophy was the opposite. That’s the exception.“ 58 Vgl. FtC, 6. 59 Francis Fukuyama beschreibt unter diesem Stichwort sein teleologisches Geschichtsverständnis, nach dem zwar nicht geschichtliche Prozesse zu Ende gehen, wohl aber die Evolution politischer Ideen und Institutionen ihr Ziel in der liberalen Demokratie gefunden hat (vgl. Fukuyama 1992, bes. xi). 60 Friedman und Becker 2003, 41:35; vgl. Friedman 1986 (MFA 217.7), 2: „History suggests that ideas and policy move in long swings.“ 61 Vgl. Friedman und Becker 2003, 41:35. Friedmans historische Darstellung setzt beim Auftreten Adam Smiths in einer hoch regulierten Gesellschaft ein. Dessen intellektuelle Revolution durch sein Eintreten für ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit zeigte in den 1840er Jahren Wirkung durch die Liberalisierung des Getreidemarktes mit Aufhebung der Corn Laws
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
123
Durchbruch der Freiheit sei jedoch nicht endgültig, sondern bleibe zyklischen Prinzipien unterworfen: „But again, that’s a wave. It hasn’t worked itself out yet for any matter of means. But when it does, I have no doubt that there will be a wave in the opposite direction that will come along and you’ll move back again.“62 4.5.4 Die Bedeutung von Ideen für die Abfolge historischer Zyklen 1.) Die Wirksamkeit von Ideen in der Geschichte. In Abschnitt 2.1.2 wurde bereits darauf hingewiesen, dass Friedman dem Einfluss von Ideen eine große Bedeutung für die Entwicklung der Gesellschaft zuschreibt. Friedman vertritt diese Position mit explizitem Verweis auf Albert Venn Dicey.63 Dieser geht davon aus, dass eine Gesellschaft stets von einer bestimmten Weltanschauung dominiert wird, die ursprünglich von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen propagiert worden waren.64 Diese öffentliche Meinung beeinflusst soziale Institutionen.65 Zugleich verweist er darauf, dass die Durchsetzung einer Weltanschauung nicht in erster Linie von ihrer intellektuellen Überzeugungskraft abhänge, sondern von äußeren Umständen, zu denen er auch die gesetzliche Lage rechnet. Recht und gesellschaftliche Lage stehen also in Wechselwirkung mit der öffentlichen Meinung: Sie werden durch diese beeinflusst und wirken auf sie zurück.66 Die Analyse von Friedmans Geschichtsverständnis hat gezeigt, in welcher Weise ein solcher Einfluss von Ideen auf die Geschichte denkbar ist. Friedman benennt eine Reihe von Konstellationen, in denen der Übergang zur je nächsten Stufe des Kreislaufes kontingent ist. Dies gilt etwa für das Entstehen eines Frei(1846), die allgemein für eine zunehmende Liberalisierung Großbritanniens steht. Bereits ab den 1880er Jahren setzte nach Darstellung Friedmans mit Gründung der „Fabian Society“ ein Trend zu Geringschätzung ökonomischer Freiheit ein, der ab Beginn des 20. Jahrhunderts zu zunehmender Regierungsaktivität, beispielsweise der Einrichtung eines öffentlichen Schulwesens und den Institutionen des Wohlfahrtsstaates, führte. Wiederum bildete sich zunächst mit Beginn der 1940er Jahre intellektueller Widerstand (Hayek, van Mises u. a.), der dann ab den 1980er Jahren zu einem Wechsel der Politik führte. Entscheidend dafür war eine zunehmende Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der umfassenden Regierungstätigkeiten. 62 Friedman und Becker 2003, 46:16. 63 Vgl. Friedman 1978 (MFA 56.20), 2–5; Friedman o. J. (MFA 216.3), 1–3; Friedman 2012c, 3–6. Auch Hayek bezieht sich explizit auf Dicey (vgl. von Hayek 2011, 175). Die große Bedeutung von Diceys Werk für Friedman wird auch dadurch deutlich, dass er dessen Werk (neben Adam Smith, John Stuart Mill, Friedrich Hayek und sich selbst) als den am wenigsten populären Autor auf seiner Liste der fünf libertären Lieblingsbücher führt (vgl. Friedman 2012b, 108). 64 Vgl. Dicey 1978, 19–27. 65 Vgl. Dicey 1978, 1. Allerdings weist Dicey auch Bedingungen aus, unter denen die öffentliche Meinung nahezu keinerlei Wirkung entfalten kann (vgl. Dicey 1978, 9). 66 Vgl. Dicey 1978, 23: „Success, however, in converting mankind to a new faith, whether religious, or economical, or political, depends but slightly on the strength of the reasoning by which the faith can be defended […]. A change of belief arises, in the main, from the occurrence of circumstances […]“. Vgl. Dicey 1978, 26 f., 41–46.
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heitsverlangens unter der Bedingung von Unfreiheit, für die Zulassung einer politischen Öffnung im Rahmen der Modernisierungsdynamik oder für das Einschlagen des „Wegs zur Knechtschaft“. In diesen Konstellationen entscheidet die durch Ideen geprägte Interpretation darüber, welche Handlungsoptionen möglich und attraktiv erscheinen. Die Bereitschaft, eingefahrene Wege zu verlassen, besteht insbesondere in Krisenzeiten.67 2.) Die Bedeutung intellektueller Arbeit. Demnach haben Ideen keine direkte politische Wirkung. Intellektuelle Debatten können also nicht unmittelbar auf politische Zusammenhänge einwirken. Vielmehr geht es darum, Ideen zu entwickeln und zu profilieren, die dann in Krisenzeiten zur Verfügung stehen.68 Daher entfalten Ideen meist nicht zu der Zeit politische Wirksamkeit, in denen sie sich intellektuell durchsetzen, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt.69 3.) Friedmans Wirken im Horizont seines Geschichtsverständnisses. Auch Friedmans Selbstverständnis ist im Rahmen dieses Geschichtsverständnis zu sehen. Erstens erscheint sein Einsatz für eine freiheitliche Gesellschaft in den USA als ein Kampf gegen den als „natürliche Ordnung“ empfundenen Geschichtszyklus.70 Zweitens will er dies dadurch erreichen, dass er Alternativen zum „Weg zur Knechtschaft“ aufzeigt, die dann in Krisenzeiten ihre Wirkung entfalten können.71 Seine Wirkungszeit erlebt Friedman so, dass die USA immer weiter auf dem „Weg zur Knechtschaft“ vorangeschritten sind. Allerdings betrifft dies zunächst nur den Bereich der ökonomischen Freiheit. Daraus folgt, dass es un-
67 Vgl. Friedman 1978 (MFA 56.20), 7: „If the tide is indeed turning, […] that turning is not so much because of the influence of thinkers as it is because of the brute force of events.“ Vgl. CaF, xiiif.; Friedman 2012c, 5 f. 68 Vgl. Friedman 1978 (MFA 56.20), 8. 69 Vgl. CaF, viii; Friedman 1978 (MFA 56.20), 9. Friedman weist besonders häufig (und in der zeitlichen Datierung nicht ganz konsistent) auf die Differenz hin zwischen einer Wiederbelebung liberaler Ideen und einer, wenn überhaupt, erst deutlich später zu beobachtenden Tendenz, diese auch politisch umzusetzen (vgl. CaF, viif., xi–xiv; FtC, ix; TSQ, 136; Friedman 1975d, 8). Friedman verweist auf Dicey, der dieselbe These vertritt. Allerdings gibt dieser einen anderen Grund für die verzögerte Wirksamkeit von Ideen an. Er führt sie darauf zurück, dass politisch einflussreiche Menschen meist älter sind und dann die Ideen umsetzen, die sie sich in ihrer Jugendzeit angeeignet haben (vgl. Dicey 1978, 33). 70 Vgl. Friedman und Heffner 1975, 15:00: „Friedman: […] I think the important part of the answer is that it is a natural human tendency to take for granted the good things that happen and to regard as the workings of the devil the bad things. And that if a bad thing comes along, you say, my God, we ought to pass a law and do something. That’s a very natural human tendency. […] Heffner: Then you’re the one who seems to want to interfere with the natural order. Friedman: Absolutely. I do. […] I want people to take thought about their condition and to recognize that the maintenance of a free society is a very difficult and complicated thing.“ 71 Vgl. CaF, xiv: „Only a crisis – actual or perceived – produces real change. When that crisis occurs, the actions that are taken depend on the ideas that are lying around. That, I believe, is our basic function: to develop alternatives to existing policies, to keep them alive and available until the politically impossible becomes politically inevitable.“
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ter dem Eindruck von Krisenzeichen durchaus noch möglich ist, durch Mehrheitsentscheidungen den Umschwung wieder rückgängig zu machen, ehe dieser seine negativen Konsequenzen vollständig zeitigt. Auf einen solchen „RückUmschwung“ arbeitet Friedman hin. Sein Fazit in „Free to Choose“ bringt dies präzise zum Ausdruck: The two ideas of human freedom and economic freedom working together came to their greatest fruition in the United States. […] But we have been straying from them. We have been forgetting the basic truth that the greatest threat to human freedom is in the concentration of power, whether it is in the hands of government or anyone else. […] Fortunately, we are waking up. We are again recognizing the dangers of an overgoverned society […]. Fortunately, also, we are still free to choose which way we should go – whether to continue along the road we have been following to ever bigger government, or to call a halt and change direction.72
Während also ein Umdenken auf intellektueller Ebene bereits erreicht sei, stehe ein Politikwechsel in den USA noch aus.73 Eine für Friedman entscheidende Frage ist demnach, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, dass es zur Etablierung einer solchen Gesellschaftsordnung kommt.74 Im Fortgang der Arbeit wird darauf zu achten sein, wie er sich hierzu positioniert. Es deutet sich aber bereits hier an, dass den in der Politik Tätigen eine besondere Verantwortung dabei zukommt, die natürliche Tendenz zur Maximierung ihres Eigennutzen und damit der Gefährdung individueller Freiheit durch politische Freiheit entgegenzuwirken.75 Exkurs: Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit am Beispiel Chiles und Südafrikas Friedman hat das in diesem Kapitel entfaltete Verständnis vom Verhältnis von ökonomischer, bürgerlicher und politischer Freiheit nicht abstrakt entwickelt und auch in dieser Form nicht systematisch vorgetragen. Stattdessen ist es als ein Ergebnis seiner Beschäftigung mit verschiedenen politischen Konstellationen zu verstehen. Es soll daher an seiner Perspektive auf die Situationen in Chile und Südafrika illustriert werden. Der Exkurs dient zugleich dazu, das äußerst kontro72 FtC,
309 f. Vgl. FtC, 6. FtC, ix; TLP, 588 f. Anders die Einschätzung für die globale Entwicklung im Blick auf den Zusammenbruch des Ostblocks (vgl. Friedman und Becker 2003, 45:49). 74 Es sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Einfluss von Ideen nicht grundsätzlich die Annahme innerer Freiheit voraussetzt (vgl. oben 68 Anm. 96). In diesem Abschnitt wurde festgestellt, dass Ideen ihre Wirksamkeit insbesondere in historisch kontingenten Entwicklungsphasen entfalten können. Dies kann als weiterer Hinweis verstanden werden, dass Friedman den Verlauf der Geschichte für nicht determiniert hält und Spielraum für innere Freiheit sieht. 75 Vgl. unten 9.2 Etablierung einer freiheitlichen Ordnung: Zurücknahme der eigenen Präferenzen. 73 Vgl.
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vers diskutierte Verhältnis Friedmans zu Chile in die systematische Darstellung einzuordnen und von dieser her verständlich zu machen.76 1.) Chile. Friedman reiste 1975 auf Einladung einer Bank für sechs Tage nach Chile, wo er sich auch mit Augosto Pinochet traf, der von 1973–1990 Chile als Präsident einer diktatorischen Militärjunta regierte. Wirksamer war Friedmans mittelbarer Einfluss über die „Chicago Boys“, eine Gruppe an der Universität von Chicago ausgebildeter chilenischer Ökonomen. Diese führten unter Pinochet monetaristische und (in ökonomischer Hinsicht) liberale Reformen durch, die in weiten Teilen den wirtschaftspolitischen Vorstellungen Friedmans entsprachen.77 Friedman rechtfertigte sein Engagement in Chile stets mit dem Verweis darauf, er habe dort ausschließlich „technische“ Ratschläge erteilt, wie er dies auch in China oder der Sowjetunion tue.78 Die Debatte um Friedmans Position zu Chile ist sichtlich von ideologischen Spannungen des Kalten Krieges beeinflusst. Eine nüchterne Analyse der Vorgänge hat verschiedene Aspekte der Debatte zu unterscheiden. Vorwiegend technischer Natur ist die Frage nach den tatsächlichen Konsequenzen der von den „Chicago Boys“ implementierten Politik. Sie ist jedoch nicht ausschließlich technischer Natur, da zumindest in die Bewertung von Folgen normative Urteile eingehen. Eine grundsätzliche ethische Frage ist diejenige, ob es tatsächlich legitim oder gar geboten ist, einem schlechten Herrscher Ratschläge zu erteilen, die das Ziel haben, die Situation der Bevölkerung zu verbessern. Geht es hier darum, eine schlechte Situation so gut wie möglich zu gestalten oder führt solcher Ratschlag zur Stabilisierung eines Systemes, dem es darüber hinaus den Anschein von Legitimität gibt? Sowohl diese Frage als auch die nach den Konsequenzen der chilenischen Wirtschaftspolitik werden in dieser Arbeit ausgeklammert. Stattdessen soll am Beispiel Chiles Friedmans Verständnis des Zusammenhangs von ökonomischer, bürgerlicher und politischer Freiheit exemplarisch verdeutlicht werden.79 Friedman stellt Chiles Geschichte seit Beginn des 20. Jahrhunderts als eine „Road to Serfdom“ dar, wie es seiner Geschichtsphilosophie entspricht. Ein Land, das im 19. Jahrhundert ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit verhältnismäßig weitgehend verwirklicht hatte, begann mit der Umsetzung wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen. Diese Entwicklung führte zu steigenden Staats76 Vgl. insbesondere Letters from Laureates, New York Times vom 24. 10. 1976 sowie Friedmans Reaktion darauf in der New York Times vom 22. 5. 1977. Diese sowie weitere Schreiben aus dem Zusammenhang der Kontroverse sind dokumentiert in TLP, 591–602. 77 Vgl. TLP, 397–408. 78 Vgl. die Schreiben Friedmans in der Newsweek vom 14. 6. 1976, in der New York Times vom 22. 5. 1977 und in der Stanford Daily vom 27. 10. 1988. Die drei Schreiben sind abgedruckt in TLP 596–602. 79 An anderer Stelle wird die Chile-Thematik erneut aufgegriffen um darauf hinzuweisen, dass Friedmans Vorstellung von technischem Rat ein von soziokulturellen Gegebenheiten abstrahierendes Verständnis von Wirtschaft voraussetzt (vgl. unten 425).
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
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ausgaben und einer zunehmenden Rolle des Staates für das gesellschaftliche Leben. Als armes Land war es am einfachsten, dies durch steigende Inflation zu finanzieren.80 Die Entwicklung kulminierte schließlich unter Salvador Allende, von dem Friedman schreibt: „Mr. Allende, who produced the great confrontation and was clearly seeking to turn Chile into a communist dictatorship, was only carrying out the laws that had already been enacted by his predecessors.“81 Bereits unter Allende erachtet Friedman den Weg von einem mit demokratischer Mehrheit getragenen Wohlfahrtstaat über wirtschaftliche Stagnation und Staatstotalitarismus als nahezu abgeschlossen. Politische Freiheit führte zunächst zum Verlust von ökonomischer Freiheit und der Verlust bürgerlicher und politischer Freiheit stand unmittelbar bevor. Pinochets Militärputsch führte für Friedman also nicht zum Verlust von Freiheit, sondern zur Realisierung einer anderen Form von Unfreiheit.82 Friedman beschreibt die Entwicklung Chiles also klar vor dem Hintergrund seines zyklischen Geschichtsbildes. Dabei wird auch deutlich, welchen Stellenwert er der politischen Freiheit einräumt. Einerseits ist eine demokratische Staatsverfassung durchaus wünschenswert. Andererseits ist politische Freiheit kein Ziel an sich. Dass Allende in einem demokratischen Verfahren an die Macht kam, spielt für Friedmans Vergleich der beiden Optionen keine Rolle.83 Entscheidend hierfür ist die Frage, welche von ihnen größere Chancen zur Reetablierung einer freiheitlichen Gesellschaft bietet. Friedmans Einschätzung fällt dabei eindeutig aus: As between the two evils, there is at least one thing to be said for the military junta – there is more chance for the return of a democratic society. […] The reason for the difference is not the superior merit or demerit of the generals versus the commissars. It is rather the difference between a totalitarian philosophy and society and a dictatorial one. Despicable though the latter is, it at least leaves more room for individual initiative and for a private sphere of life.84
Zur Untermauerung seiner These verweist Friedman darauf, dass beispielsweise Griechenland einen solchen Übergang geschafft habe, während ein entsprechendes Beispiel eines erfolgreich transformierten sozialistischen Staates 80 Vgl.
Friedman 1976e, 8 f.; Friedman 1975 (MFA 217.2), 2 f. 1975 (MFA 217.2). An anderer Stelle formuliert Friedman etwas zurückhaltender, aber sachlich wohl identisch: „he used every device to convert Chile into a communist state“ (TLP, 397; vgl. Friedman 1976e, 9). 82 Friedman 1976e, 9: „There was first, the Allende régime with its threat of a left-wing dictatorship; and then a counter-revolution with the military taking over and a military junta being established, which is also very far indeed from a free society. It, too [!], is an authoritarian society which denies the liberties and freedoms of the people“. 83 Allerdings relativiert Friedman dessen Legitimierung durch demokratisches Verfahren zugleich durch Verweis darauf, Allende habe keine absolute Stimmenmehrheit erhalten (vgl. TLP, 397; Friedman 1991a). 84 TLP, 595. 81 Friedman
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fehle. Im Hintergrund steht offensichtlich die These, wirtschaftliche Freiheit sei notwendige Bedingung bürgerlicher und politischer Freiheit. Da das PinochetRegime zur Gewährung ökonomischer Freiheit bereit ist, sieht Friedman hier die Voraussetzungen gegeben, dass es zu einer erneuten „Aufwärtsbewegung“ der zyklischen Entwicklung kommt. Entscheidend ist dafür neben den durch ökonomische Freiheit gewährten Freiräumen der durch jene begünstigte wirtschaftliche Aufschwung. Insofern erachtet Friedman seine ökonomisch-technische Beratung zugleich als Beitrag zur künftigen gesellschaftlichen Liberalisierung Chiles.85 Die im ökonomischen Bereich liberale Ausrichtung der Militärdiktatur beschreibt Friedman als „politisches Wunder“, da sie der hierarchischen Struktur militaristischer Systeme widerspräche. Auch dies sieht er als Grund dafür, dass ein solchermaßen gespaltenes System nicht stabil sei und ökonomische Freiheit auf längere Sicht nur durch die Gewährung bürgerlicher und politischer Freiheit gesichert werden könnte.86 2.) Südafrika. Ein weiteres außenpolitisches Beispiel für die Konsequenzen aus Friedmans Sicht auf das Verhältnis von politischer und bürgerlicher sowie ökonomischer Freiheit ist seine Perspektive auf die die Apartheidregimes in Südafrika und im damaligen Rhodesien. Er hatte sie 1976 für ca. drei Wochen besucht und sich anschließend mehrfach dazu geäußert.87 Trotz eindeutiger Kritik an Bürgerrechtsverletzungen findet er neben den seine Argumentation dominierenden strategischen Überlegungen im Kontext des Kalten Krieges auch systematische Gründe, die für eine Unterstützung der beiden Regierungen sprechen. Im Verhältnis zu anderen afrikanischen Staaten sei sowohl bürgerliche (z. B. Pressefreiheit) als auch ökonomische Freiheit in weit größerem Maße verwirklicht. Auch wenn er die Einschränkung demokratischer Strukturen auf Weiße bemängelt, zieht er diese doch einem Wahlrecht für die gesamte Bevölkerung vor. Sein Einwand gegen demokratische Strukturen lautet, dass ein solches System nicht dauerhaft demokratisch sei, sondern zur Unterdrückung durch eine kleine schwarze Elite führe.88 85 Vgl. Friedman 1977 (MFA 188.4), 2: „The likelihood that the junta will be or can be only temporarily and that it will be possible to restore democracy hinges critically on the success of the regime in improving the economic situation and eliminating inflation. […] Insofar as I and those who were with me on the trip to Chile were able to give good economic advice, I believe that we contributed to strengthening the forces for freedom.“ Vgl. Friedman 1975 (MFA 189.1), 2. 86 Vgl. Friedman 1982a, 392 f. 87 Vgl. TLP, 435–438; Friedman 1976b (MFA 220.8); Friedman 1976b; Friedman 1976c. 88 Vgl. Friedman 1976a (MFA 220.8): „There is no doubt that the blacks in South Africa do not have effective political participation and are discriminated against. I share their concern for human freedom and dignity […]. The [question, B. G.] is what route offers the greatest possibility and opportunity for an expansion of the effective freedom of the blacks in Southern Africa. […] Having observed what has happened in the rest of Africa, I do not believe that so-called black majority rule would further that objective. On the contrary, I believe it would set it back. Black majority rule in the rest of Africa has meant rule by a small black minority which has
4. Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit
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Einerseits zeigt sich hier die konsequentialistische Ausrichtung, die pragmatisch nach der Lösung fragt, welche individuelle Freiheit am besten verwirklicht. Andererseits kommt wiederum zum Ausdruck, dass Friedman politische Freiheit lediglich in ihrer instrumentellen Funktion für bürgerliche und ökonomische Freiheit wertschätzt. In einem Kontext, in dem seiner Einschätzung nach nicht alle drei verwirklicht werden können, zieht Friedman einen wohlmeinenden Diktator, der individuelle Freiheit begünstigt, einer freiheitsfeindlichen Mehrheit vor. Die Zerstörung individueller Freiheit sieht Friedman durch sozialistische Tendenzen im ANC als große Gefahr.89 Demgegenüber betont er, dass ökonomische Freiheit gerade in der multiethnischen Gesellschaft Südafrikas eine notwendige Bedingung für die Ermöglichung friedlicher Koexistenz sei.90
4.6 Zusammenfassung Ökonomische und bürgerliche Freiheit beschreiben für Friedman zwei konstitutive Aspekte des negativen Freiheitsbegriffes. Ökonomische Freiheit fokussiert dabei auf das Eigentumsrecht und das freie Verfügen über Ressourcen, bürgerliche Freiheit auf Freiheitsrechte wie Meinungs‑ und Pressefreiheit oder Religionsfreiheit. Davon unterschieden ist politische Freiheit, die als Möglichkeit zur (demokratischen) Mitbestimmung die Möglichkeit zur Machtausübung und damit einen positiven Aspekt von Freiheit impliziert. Nur die ersten beiden, nicht letztere gehören zu jener Freiheit, die für Friedman in normativer Hinsicht leitend ist. Politische Freiheit ist nicht selbst ein Ziel, sondern kann allenfalls als Mittel zu ökonomischer und bürgerlicher Freiheit ein Gut im Horizont des Freiheitsglaubens sein. Ökonomische Freiheit erachtet Friedman als notwendige Bedingung für bürgerliche und politische Freiheit. Die Ausübung dieser Formen von Freiheit ist nicht möglich, ohne frei über Ressourcen verfügen zu können. Allerdings ist ökonomische Freiheit nicht schon eine hinreichende Bedingung für bürgerliche und politische Freiheit. Eine Gesellschaft, in der ökonomische Freiheit herrscht, ist auch denkbar ohne bürgerliche und politische Freiheit. Aus dieser Feststellung folgt eigentlich, dass bürgerliche Freiheit keine notwendige Bedingung ökonomischer Freiheit ist. Dennoch vertritt Friedman diese These gelegentlich, ohne sie argumentativ zu entfalten. Die von ihm wiederholt exploited and restricted the freedom of the majority of the blacks to an even greater extent than those freedoms have been restricted in Southern Africa. I believe the more effective policy would be a liberalization of the present regime.“. 89 Vgl. Friedman 1989 (MFA 205.2): „[T]he kind of movement that Bishop Tutu has been associated with, which is heading for a socialist South Africa, can I believe lead only to a one-party dictatorship of the kind that is so destructive in the rest of Africa.“ 90 Vgl. TLP, 437.
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angeführten Beispiele zeigen, dass freie Märkte auch ohne bürgerliche Freiheit existieren können. Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass beide Aspekte eines einheitlichen Freiheitsbegriffes sind und nicht immer klar getrennt werden können. Politische Freiheit ist für Friedman weder ein Element von Freiheit im eigentlichen Sinne noch eine notwendige Voraussetzung für sie. Zu bürgerlicher und ökonomischer Freiheit steht sie in einem paradoxen Verhältnis. Einerseits führt die Verwirklichung bürgerlicher und ökonomischer Freiheit zu einem Verlangen nach politischer Freiheit. Andererseits führt deren Verwirklichung tendenziell zu einer Einschränkung der anderen beiden Aspekte von Freiheit und damit letztlich zu ihrer eigenen Abschaffung. Aus diesen Zusammenhängen folgt ein zyklisches Bild des Geschichtsverlaufes. Ausgehend vom Normalzustand der Tyrannei führt das kontingente Auftreten ökonomischer und bürgerlicher Freiheit zu Wohlstand und politischer Freiheit. Letztere tendiert jedoch dazu, ökonomische und bürgerliche Freiheit einzuschränken und mit ihren Grundlagen den Wohlstand und letztlich sich selbst abzuschaffen. Die abstrakt nachvollzogene Differenzierung des Freiheitsbegriffes lässt sich an Friedmans Haltung in den Konflikten um Chile und Südafrika nachzeichnen. Normativ leitend ist für ihn jeweils nicht politische Freiheit im Sinne der Verwirklichung eines Mehrheitswillens, sondern die größtmögliche Sicherstellung individueller (ökonomischer und bürgerlicher) Freiheit. Im Falle Chiles wird darüber hinaus deutlich, dass er eher ökonomische Freiheit als Voraussetzung bürgerlicher Freiheit erachtet als umgekehrt und daher die Einschränkung bürgerlicher Freiheit zwar nicht befürwortet, aber doch mittelfristig als das kleinere Übel erachtet.
5. Freiheit und Verantwortung Friedman geht in seiner normativen Argumentation von der individuellen Präferenzautonomie aus. Freiheit versteht er als die Möglichkeit, eigene Interessen ungehindert zu verfolgen. In ihr sieht er das höchste soziale Gut. Aus ethischer Perspektive stellt sich nun die Frage, ob damit alle Formen des Freiheitsgebrauchs gleichermaßen legitim sind, oder ob dieser bestimmten Kriterien unterliegt. Ergibt sich aus dem Freiheitsprinzip selbst eine Einschränkung der Präferenzautonomie? Inwiefern und in welchem Sinne sind die Urheber freier Handlungen für diese verantwortlich? Es scheint auf der Hand zu liegen, dass Verantwortung als solches ein relationales Konzept ist und daher immer die Dimension der Sozialität voraussetzt. Für Friedman ist jedoch die Unterscheidung von individueller und sozialer Verantwortung von großer Bedeutung. Beide stehen für diametral entgegengesetzte weltanschauliche Konzepte.1 Woran Friedman diesen Unterschied festmacht, bildet eine Leitfrage der folgenden Überlegungen. Für eine Konzeption von Verantwortung sind vier Aspekte konstitutiv: a) das Subjekt, das sich zu verantworten hat, b) die Instanz, vor der etwas zu verantworten ist, c) der Gegenstand bzw. die Handlung, die zu verantworten ist, d) der Maßstab der Verantwortung.2 Dieser Differenzierung folgend wird in diesem Kapitel zunächst zu untersuchen sein, in welcher Form Friedman von „responsibility“ spricht (5.1–5.4). Daraus ergibt sich die Frage, ob Friedman individuelle Freiheit dahingehend einschränkt, dass ein verantwortlicher Freiheitsgebrauch die Freiheit anderer zu achten hat (5.5). In Anschluss daran ist Friedmans Positionierung zur sozialen Verantwortung von Unternehmen als prominenter exemplarischer Fall seiner Konzeption von Verantwortung näher zu untersuchen (5.6). Dies ermöglicht es dann, Friedmans Umgang mit der Spannung von Präferenzautonomie und den Grenzen individueller Freiheit unternehmensethisch zu konkretisieren (5.7).
1 Vgl.
TSQ, 134; Friedman 1983b, 87. Werner 2002, 522; Herms 2008c, 932. Herms fasst Instanz und Maßstab unter einem Punkt zusammen. 2 Vgl.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
5.1 Das Subjekt von Verantwortung: Verantwortungsfähige Individuen 1.) Individuen als einzige Träger von Verantwortung. Mit dem Begriff „societal responsibility“ bezeichnet Friedman eine Position, wonach nicht einzelne Individuen, sondern die Gesellschaft als ganze verantwortlicher Urheber bestimmter Zustände sei.3 Im Horizont von Friedmans ontologisch-methodologischem Individualismus ist es jedoch nicht möglich, Kollektive als Handlungssubjekte zu denken. Es ist daher konsistent, dass für ihn Verantwortung hinsichtlich des Trägers von Verantwortung nur individuell gedacht werden kann: „Only people can have responsibilities.“4 Einschränkend ist jedoch zu sagen, dass Friedman einräumt, juristische Personen wie z. B. Unternehmen könnten durchaus so etwas wie eine „künstliche“ – aus der Verantwortung der sie bildenden Individuen abgeleitete – Verantwortung haben.5 Diesen Gedanken verfolgt er jedoch nicht weiter. 2.) Die Charakterisierung des Menschen als verantwortungsfähig. Allerdings sind nicht alle Menschen gleichermaßen Träger von Verantwortung. Friedman unterscheidet zwischen „responsible individuals“ einerseits und Kindern und geistig Behinderten andererseits.6 Er verwendet hier den Begriff „responsible“ offensichtlich nicht mit der Absicht, einen moralischen Anspruch oder gar eine Haltung zu bezeichnen, die einem solchen Anspruch gerecht wird.7 Stattdessen wird es dem Argumentationszusammenhang am besten gerecht, wenn man „responsible“ hier mit verantwortungsfähig wiedergibt.8 In Auseinandersetzung mit paternalistischer Fürsogerpolitik wird deutlich, dass die Verantwortungsfähigkeit in der Kenntnis der eigenen Vorteile begründet ist.9 Was Kinder (noch)10 und Menschen mit geistiger Behinderung von verantwortungsfähigen Menschen unterscheidet ist, dass sie nicht in der Lage sind, die Konsequenzen ihres Handelns realistisch einzuschätzen. Wenn Friedman erwachsene Menschen als „responsible“ bezeichnet, hat er sie als solche im Blick, die die Fähigkeit haben, ihr Eigeninteresse rational zu verfolgen.11 3 Vgl.
TSQ, 134; Friedman 1977 (MFA 56.5), 9–11. 1987n, 36. 5 Vgl. Friedman 1987n, 36 sowie unten 139 Anm. 37. 6 Vgl. CaF, 33; FtC 32 f. 7 Beides kann sowohl im Englischen als auch im Deutschen mit dem Begriff gemeint sein: Jemanden als „verantwortlich“ zu bezeichnen kann bedeuten: 1.) Er ist für einen bestimmten Sachverhalt zuständig (er ist in seinem Verantwortungsbereich). 2.) Er ist Urheber einer bestimmten Folge. 3.) Er ist „für sich selbst verantwortlich“, muss also die Konsequenzen seiner Handlungen tragen. 4.) Er ist rechtlich oder moralisch zur Rechenschaft zu ziehen. 5.) Er hat „verantwortlich gehandelt“, ist also seiner Verantwortung gerecht geworden. 8 Die deutsche Übersetzung (KuF, 57) verwendet „verantwortungsbewusst“. Dies suggeriert jedoch, dass eine bestimmte Haltung zur Bedingung gemacht wird dafür, dass Freiheit gewährt wird, und würde Friedmans Anliegen dann gerade nicht gerecht. 9 Vgl. CaF, 178. 10 Dass Menschen Verantwortungsfähigkeit im Laufe ihres Lebens entwickeln, findet seinen Ausdruck im Statement: „Children are responsible individuals in embryo“ (FtC, 33). 11 Es handelt sich also um einen Ausdruck, der auf die anthropologische Annahme der 4 Friedman
5. Freiheit und Verantwortung
133
5.2 Die Instanz der Verantwortung: Verantwortung des Individuums vor sich selbst und Vertragspartnern 1.) Verantwortung vor sich selbst. Wie im Deutschen „Verantwortung“ das Wort „antworten“ enthalten ist, so auch im Englischen „responsibility“ das Verb „to respond“. Verantworten müssen wir uns stets vor einem bestimmten Forum. Zu dieser Dimension des Verantwortungsbegriffes äußert sich Friedman nur sehr zurückhaltend. Aus der individualistischen Fundierung seiner Theorie folgt jedoch, dass diese Größe zunächst nur das Individuum selbst sein kann. 2.) Verantwortung gegenüber Vertragspartnern. Sekundär kann das Individuum in Beziehung mit anderen eintreten. Im Rahmen der selbst gewählten Interaktion ist das Individuum auch gegenüber seinem Vertragspartner verantwortlich. So gilt etwa für Manager: „In a free enterprise, private property system, a corporate executive is an employee of the owner of the business. He has direct responsibility to his employers.“12 Vertragspartner haben legitime Ansprüche aufgrund vergangener Handlungen, die das Individuum aufgrund eigener Präferenzen vollzogen hat. 3.) Verantwortung gegenüber einer Wertegemeinschaft. Eine besondere Form einer freiwilligen Vereinigung bildet die Wertegemeinschaft. Auch diese kann als Ergebnis individueller Entscheidung als Forum der Verantwortung in Betracht kommen. Eine Verantwortung gegenüber einer Wertegemeinschaft gibt es also nur, weil und sofern ein Individuum die dort vertretenen Werte teilt. Wie die Gemeinschaft selbst, so wird auch die Verantwortung ihr gegenüber erst durch den freiwilligen Beitritt des Individuums konstituiert. In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass Friedman den Bezug auf ein gesellschaftliches Wertesystem strikt ablehnt.13
5.3 Der Gegenstand der Verantwortung: Folgen eigener Handlungen und die eigene Familie Mit der Frage nach dem Gegenstand der Verantwortung ist zu klären, wofür Individuen Verantwortung tragen. Neben der Frage nach Verantwortung im Sinne der Zuschreibung von Handlungsresultaten stellt sich dabei auch die Frage nach Verantwortung im Sinne einer moralischen Verpflichtung für andere. Kenntnis eigener Interessen bezogen ist (vgl. oben 2.2.2 Menschen kennen und verfolgen ihr Eigeninteresse). 12 Friedman 1987n, 37. 13 Vgl. Friedman 1983b, 84: „[M]oral values are individual; they are not collective. Moral values have to do with what each of us separately believes and holds to be true – what our own individual values are.“ Vgl. CaF, 2; Friedman 1987n, 42; FtC-TV, 84.
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1.) Eigenverantwortung. Es ist ein zentraler Grundsatz für Milton Friedman, dass Menschen selbst entscheidend zu ihrem Ergehen beitragen. Entsprechend spricht er von der „responsibility of the individual for his own fate“14. Menschen können und sollen Entscheidungen über ihr Leben selbst treffen. Sie haben daher das Recht und die Pflicht, die Folgen ihrer Handlungen zu tragen.15 Individuelle Verantwortung in diesem, bei Friedman vorherrschenden, Sinne ist zu verstehen als Eigenverantwortung. 2.) Moralische Verantwortung für die eigene Familie. Darüber hinaus begegnet mehrfach die Familie als jener Bereich, in dem sich individuelle Verantwortung manifestiert. Darin kommt wiederum jenes Verständnis von „individual“ im Sinne von „privat“ zum Ausdruck, das die Familie vom Bereich der Öffentlichkeit abgrenzt.16 Individuelle Verantwortung zeichnet sich demnach dadurch aus, dass sie nicht durch Zwang begründet oder eingefordert werden sollte.17 Dasselbe gilt für die Verpflichtungen von Kindern gegenüber ihren Eltern im Rahmen des „Generationenvertrages“. Diesen sieht Friedman im familiären Privatbereich, nicht aber gesamtgesellschaftlich in Geltung.18 In einem moralischen Sinne bedeutet Verantwortung im familiären Kontext für Friedman aber durchaus eine Verpflichtung. So bezeichnet er die Verpflichtung von Vätern gegenüber ihrer Familie als „responsibilities“19 und Menschen, die dieser Verpflichtung nachkommen als „responsible“20 In Bezug auf die Pflege alter Menschen spricht Friedman von moralischer Verantwortung und „duty“.21 Wiederum begegnet also die Familie als eine „individuelle“ Größe, in dem verpflichtende Sozialbeziehungen bestehen. Wiederum zieht Friedman daraus nicht die Konsequenz, dass es ein graduelles Konzept von Verantwortung je nach Un14 FtC,
5 (Hervorhebung B. G.). Vgl. auch Friedman 1983b, 87: „responsible for and to himself “, „responsibility of the individual for what happens to him“. Vgl. Friedman 1973b, 43; Friedman und Jaworski 2002, The War on Drugs. 15 Vgl. FtC, 138; SUS, 60; Friedman 1977 (MFA 56.5), 9. 16 Vgl. oben 2.1.3 Das Individuum und der soziale Kontext der Familie. 17 Vgl. die Unterscheidung zwischen „legal responsibility“ und „moral responsibility“ in SUS, 39. 18 Vgl. SUS, 39: „Morality is […] an individual matter, not a class matter. Insofar as there is any implicit ‚compact between generations,‘ is it not the compact embodied in the Ten Commandments: ‚Honor thy father and thy mother‘?“. 19 Friedman 1975e, 346. 20 Friedman 1973b, 45. Der Begriff ist hier ein einem positiv wertenden Sinne verwendet und drückt aus, dass sie ihren Verpflichtungen gegenüber anderen nachkommen. Es ist insgesamt auffällig und wohl durch den historischen und kulturellen Kontext ebenso bedingt wie durch Friedmans ökonomisch geprägtes Denken, dass als familiäre Verantwortung nur solche begegnet, der Väter durch Bereitstellung materieller Ressourcen nachkommen. 21 FtC, 106: „The difference between Social Security and earlier arrangements is that Social Security is compulsory and impersonal – earlier arrangements were voluntary and personal. Moral responsibility is an individual matter, not a social matter. Children helped their parents out of love or duty. They now contribute to the support of someone else’s parents out of compulsion and fear“ (Hervorhebung B. G.).
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mittelbarkeit der Beziehung gäbe, sondern stellt diesem individuellen Bereich den Bereich der sozialen Verantwortung gegenüber: There is a fundamental difference between two philosophies […]. One philosophy is that of a society in which the ultimate entity is the individual, a society resting upon the idea that people are responsible for themselves and for those close to them, that moral responsibility is an individual responsibility that has to be discharged personally and cannot be discharged by paying taxes levied by Congress. That is one view; that is my view. [… The other view] treats the nation not as a collection of individuals and of the groups which individuals separately value, but as an organic unit.22
Mit Blick auf das Verständnis von Familie im Horizont des ontologisch-methodologischen Individualismus kann auch die Verantwortung gegenüber der eigenen Familie als eine Form der Verantwortung für die Folgen eigener Handlungen verstanden werden. Diese Verantwortung erwächst aus Verpflichtungen, die Menschen mit der Gründung einer Familie freiwillig eingehen. 3.) Ablehnung sozialer Verantwortung. Bezieht man „soziale Verantwortung“ auf den Gegenstand von Verantwortung, so stellt sich die Frage nach einer Verantwortung gegenüber anderen Menschen oder der Gesellschaft als ganzer. Dass Friedman diese ablehnt, ergibt sich daraus, dass er Verantwortung aus dem eigenen Tun herleitet und Sozialität als sekundär zur Individualität versteht. Es gibt demnach keine dem menschlichen Handeln vorgegebenen Relationen, die als Maßstab individuellen Freiheitsgebrauchs herangezogen werden könnten oder müssten. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass Friedman soziale Verantwortung im Sinne einer moralischen Verpflichtung gegenüber anderen explizit ablehnt. Besonders pointiert ist Friedmans Reaktion auf die Frage von Helen Bohen O’Bannon im Rahmen der „Free to Choose“ TV-Diskussionsrunde in der Folge zum Sozialstaat: O’Bannon: […] Whether they are above the poverty line or below the poverty line; they are still the bottom twenty percent. And the issue is: What is the responsibility of the other eighty percent; if any, towards those others? […] Friedman: We, as human beings, don’t have a responsibility; but I hope we have a compassion and an interest in the bottom twenty percent.23
Ähnlich argumentiert Friedman in Bezug auf die Frage nach finanzieller Solidarität mit der verschuldeten Stadt New York.24 In beiden Fällen lehnt Friedman zunächst eine Verantwortung für das Wohlergehen sozialer oder individueller 22 SUS, 59. Zwar ist die Formulierung „those close to them“ etwas offener als der Bezug ausschließlich auf die Familie, Friedmans prinzipielle Trennung der beiden Bereiche ist jedoch offensichtlich. 23 FtC-TV, 70 f. 24 Vgl. Friedman 1975c, 180: „The rest of us are not responsible for New York City’s plight. Nevertheless, if there were some way in which we could aid the city without doing more harm than good, we should do so. Unhappily, there is not.“
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Schicksale ab, betont aber zugleich, dass er es grundsätzlich für wünschenswert hält, dass Bedürftigen Hilfe widerfährt. Diese aber, und das ist normativ entscheidend, erfolgt aus einer persönlichen Motivation heraus völlig freiwillig und hat nicht den Charakter einer moralischen Verpflichtung. Der Grund für diese Differenzierung ist klar: Da zunächst überhaupt keine Beziehung besteht, kann sie auch nicht durch Verantwortung charakterisiert sein. Dem entspricht es, dass Friedman die Denkfigur ablehnt, auch durch Nicht-Handeln könne anderen Schaden zugefügt werden.25 Es ist nicht mehr als wünschenswert, dass sich bei denjenigen, die in der Lage sind, zu helfen, eine Präferenzstruktur herausbildet, die es zu einem Teil ihres weiten Eigeninteresses macht, Hilfe zu gewähren. 4.) Soziale Verantwortung aufgrund eingegangener Relationen. Soziale Verantwortung besteht für Friedman lediglich als Ergebnis von individuellem Handeln, das Beziehungen konstituiert. Sie ist dann als Implikation von Eigenverantwortung zu verstehen. Die Verpflichtung gegenüber anderen besteht dann darin, die mit der Begründung der Sozialität im gegenseitigen „Vertrag“ verbundenen Zusagen als Folgen des eigenen Handelns auch einzuhalten. Sie lässt sich also formal als „Vertragstreue“ verstehen. Andernfalls läge eine Verletzung des Freiwilligkeitsprinzips vor, da der Andere der Interaktion in dieser Form nicht zugestimmt hätte.26 Soziale Verantwortung besteht daher erstens aufgrund von Verträgen im herkömmlichen Sinne. Sie kann zweitens auch auf einen „Vertrag“ zurückgehen, der keine „Gegenleistung“ vorsieht. Es ist für Friedman durchaus denkbar und wünschenswert, dass Individuen soziale Verantwortung für Menschen oder Einrichtungen übernehmen, die nicht zu ihrem Privatbereich gehören. Dabei handelt es sich aber stets um eine sekundär und freiwillig übernommene Verpflichtung.27 Drittens entsteht soziale Verantwortung im Sinne der Verantwortung für die Folgen eigener Handlungen auch dann, wenn andere ohne ihre Zustimmung von einer Handlung betroffen sind. Dieser letzte Aspekt kann für Friedman auch eine soziale Verantwortung gegenüber sozial Schwachen begründen. An einer Stelle spricht er entgegen seiner grundsätzlichen Position von gesellschaftlicher „Verantwortung“ gegenüber Familien, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind: If a deserted woman is going to be immediately eligible for welfare, the incentive for the family to stick together is not increased, to put it mildly. So the problem is: how do you get out of all this? […] I see the negative income tax as the only device yet suggested […] 25 Vgl.
CaF, 112. formuliert dies explizit in Bezug auf den Staat (vgl. SUS, 40 f.): „It was a mistake, I believe, to have enacted social security in the first place. But having done so, we cannot abolish it overnight. We have entered into commitments with millions of persons that should be fulfilled.“ Am ehesten als eine solche aus Interaktion erwachsende Verantwortung ist auch die Verantwortung des Staates gegenüber den Steuerzahlern (vgl. SUS, 91) zu verstehen, auch wenn hier aufgrund des inhärenten Zwangsmomentes kaum von einem „Vertrag“ gesprochen werden kann. 27 Vgl. Friedman 1987n, 37. 26 Friedman
5. Freiheit und Verantwortung
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that would bring us out of the current welfare mess and still meet our responsibilities to the people whom the program has got in trouble.28
Entscheidend für die Argumentation ist, dass staatliche Programme die betreffenden Probleme erst verursacht haben.29 Verantwortung ergibt sich ausschließlich daraus, dass der Staat die Konsequenzen aus seinem Handeln zu tragen hat, zumal staatliches Handeln bei Friedman stets als Zwangshandeln verstanden ist und daher nicht angeführt werden kann, der Interaktionspartner habe der Interaktion zugestimmt.
5.4 Die Maßstäbe der Verantwortung Zum Maßstab individueller Verantwortung äußert sich Friedman nicht explizit. Er ergibt sich jedoch aus seinem sonstigen Vorgehen im Horizont normativer Präferenzautonomie. 1.) Maßstäbe der Verantwortung vor sich selbst. Da Friedman eine Beurteilung von Präferenzen von außen ablehnt, erschöpft sich Verantwortung darin, dass ein Individuum die Folgen seiner Handlungen selbst trägt. Die Maßstäbe der Verantwortung sind daher nichts anderes als jene individuellen Wertvorstellungen, die im umfassenden Sinne das Eigeninteresse des handelnden Subjekts ausmachen.30 Eine Erweiterung erfährt dieser Gedanke im Privatbereich der Familie. Hier geht Friedman nicht nur von einer Verpflichtung gegenüber den eigenen Interessen, sondern denen der Kernfamilie aus. 2.) Maßstäbe der Verantwortung vor anderen. Maßstab im Umgang mit anderen sind nicht die eigenen, sondern deren Präferenzen. Ihnen wiederum sind Menschen nur so weit verpflichtet, als dies entweder ihren eigenen Interessen oder abgeschlossenen Verträgen entspricht.
5.5 Hat der individuelle Freiheitsgebrauch moralisch verbindliche Grenzen? Aus den bisherigen Überlegungen geht hervor: Für Friedman gibt es keine Verpflichtung, das Wohl anderer durch eigenes Handeln aktiv zu erstreben. Andererseits ist es offensichtlich, dass auch für ihn das Recht auf individuelle Freiheit eine Grenze hat. Sie liegt in der Freiheit des Anderen begründet.31 Zwang 28 Friedman
1973b, 45 (Hervorhebungen B. G.). FtC-TV, 192 sowie zu Friedmans Begründung einer Negativen Einkommenssteuer unten 199. 30 Vgl. Friedman 1983b, 87. 31 Vgl. CaF, 26, 39. 29 Vgl.
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gegen andere ist im Horizont des Freiheitsglaubens nicht bzw. nur in klar bestimmten Ausnahmen legitim.32 Daraus folgert Friedman, dass es legitim und geboten ist, individuellen Freiheitsgebrauch durch äußerliche Maßnahmen zu sanktionieren.33 Davon ist aber die Frage nach der individuellen Verantwortung gegenüber anderen zu unterscheiden. Es geht also um die Frage, ob Menschen dazu moralisch verpflichtet sind, die Freiheit anderer von sich aus zu achten. Hier ist eine große Zurückhaltung bei Friedman festzustellen. Eine solche Forderung ist weder explizit erhoben, noch weist er sie explizit zurück. Erklären lässt sich dies damit, dass hier zwei grundlegende Prinzipien von Friedmans Freiheitsglauben in Konflikt zueinander geraten. Einerseits ist es die Achtung individueller Freiheit als das höchste soziale Gut, die er in seiner Argumentation verteidigen möchte. Andererseits wurzelt sein Eintreten für die Freiheit im Grundsatz der normativen Präferenzautonomie. Dieser aber steht in Konflikt mit jeder Form moralischer Forderungen. Diese würden ja gerade dazu aufrufen, eigene Ziele zugunsten anderer (z. B. der Wahrung der Freiheit anderer) zurückzustellen. Aus dieser Spannung erklärt sich die Tendenz Friedmans, die Grenzen des Freiheitsgebrauchs zwar durch institutionelle Einschränkungen äußerlich, nicht aber durch die Vorstellung einer an moralische Prinzipien gebundenen Verantwortung sicherzustellen. Konkret äußert sich Friedman zu diesen Fragen nur im Zusammenhang der sozialen Verantwortung von Unternehmen. Sein Umgang mit dem skizzierten Dilemma wird daher anschaulich, wenn man nach den moralisch verbindlichen Grenzen unternehmerischer Freiheit fragt. Ehe dies geschieht, soll jedoch Friedmans Umgang mit der sozialen Verantwortung von Unternehmen im Allgemeinen in den Blick genommen werden.
5.6 Haben Unternehmen eine soziale Verantwortung? Friedmans Ausführungen zur sozialen Verantwortung von Unternehmen gehören zu den am stärksten rezipierten von seinen Beiträgen zu Fragen der politischen Philosophie.34 Dies verdankt sich zweifelsohne der Tatsache, dass Friedman mit dem viel zitierten Satz, die soziale Verantwortung von Unternehmen erstrecke sich ausschließlich darauf, ihre Gewinne zu maximieren, eine Extremposition profiliert formuliert hat.35 Entsprechend eignen sich seine Thesen 32 Vgl.
Friedman 1972b, 137 f.; TLP, 589. unten 8.1 Die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen für freiwillige Interaktion. 34 Die ausführlichste und meist rezipierte Stellungnahme Friedmans findet sich in seinem 1970 im New York Times Magazine erschienenen Aufsatz „The Social Responsibility of Business“ (= Friedman 1987n). Ich werde in der Darstellung diesem Aufsatz folgen und andere Aussagen ergänzend heranziehen, die im Kern derselben Argumentationslogik folgen (vgl. CaF, 133–136; Friedman 1965 (MFA 48.15); Friedman 1973b, 31; Friedman 2000b, 18). 35 Vgl. Friedman 2000b, 18: „No article I’ve ever written has yielded me so much money. Not a year goes by that I don’t get about $1,000 in fees to reprint it. And the reason is very simple: 33 Vgl.
5. Freiheit und Verantwortung
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für eine kritische Diskussion.36 Angemessen verstehen lassen sie sich indes nur, wenn sie in den Zusammenhang seines allgemeinen Verständnisses von Freiheit und Verantwortung gestellt werden. Dies soll im Folgenden geschehen. Friedman gesteht zu, dass Unternehmen als juristische Personen eine künstliche Form der Verantwortung tragen können. Dies bezieht sich wohl darauf, dass auch sie zum Tragen der durch sie verursachten Konsequenzen – also zu Schadenshaftung und Vertragstreue – verpflichtet sind. Dennoch ist klar, dass für Friedman letztlich nur Individuen mögliche Träger von Verantwortung sind.37 Seine Fragestellung ist also präziser zu fassen als diejenige nach der sozialen Verantwortung unternehmerisch tätiger Individuen (Manager und Eigentümer). Dabei konzentriert sich Friedman auf die Frage nach der Verantwortung leitender Angestellter38 und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: The doctrine of ‚social responsibility‘ taken seriously would extend the scope of the political mechanism to every human activity. It does not differ in philosophy from the most explicitly collectivist doctrine. It differs only by professing to believe that collectivist ends can be attained without collectivist means. That is, why, in my book Capitalism and Freedom, I have called it a ‚fundamentally subversive doctrine‘ in a free society, and have said that in such a society, ‚there is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition without deception or fraud.‘39
Auf Grundlage des Freiheitsglaubens behauptet Friedman nicht, der Bereich der Wirtschaft sei unabhängig von Werturteilen. Vielmehr vertritt er selbst eine explizit normative Position, die eine Übernahme sozialer Verantwortung als unvereinbar mit dem Freiheitsglauben zurückweist. Es entspricht Friedmans sonsBusiness ethics has been a growing subject in business schools. Every business school needs a set of readings on business ethics. Each needs views from left to right, and very few economists were willing to be as extreme as I was. So I had almost a monopoly on the extreme side of the market.“ Zum zitierten Satz vgl. CaF, 133. 36 Zur Diskussion vgl. z. B. Liechty 1990; Suchanek 2004; Mackenbrock 2004; Neumärker 2004 und die dort jeweils genannte Literatur. 37 Vgl. Friedman 1987n, 36: „Only people can have responsibilities. A corporation is an artificial person and in this sense may have artificial responsibilities, but ‚business‘ as a whole cannot be said to have responsibilities, even in this vague sense.“ Primär richtet sich Friedman hier also gegen eine pauschale Zuweisung von Verantwortung an „die Wirtschaft“ (was ihn nicht daran hindert, später selbst den hier als irreführend bezeichneten Ausdruck „social responsibility of business“ [Friedman 1987n, 42] zu verwenden). Dass Friedman sich auf einer einzigen Seite direkt widerspricht und Unternehmen als kollektive, verantwortungsfähige Handlungsakteure versteht, ist aber dennoch nicht anzunehmen. Jedenfalls konzentrieren sich seine weiteren Ausführungen ganz auf die Frage der Verantwortung identifizierbarer Einzelpersonen. 38 Vgl. Friedman 1987n, 37: „Presumably, the individuals who are to be responsible are businessmen, which means individual proprietors or corporate executives. Most of the discussion of social responsibility is directed at corporations, so in what follows I shall mostly neglect the individual proprietor and speak of corporate executives.“ 39 Friedman 1987n, 42; Zitat aus CaF, 133.
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tiger Argumentationsstruktur, dass er seine Argumente sowohl auf prinzipieller Ebene als auch auf der Ebene der zu erwartenden Konsequenzen vorträgt, dabei aber ersterer strukturell den Vorrang einräumt.40 1.) Argumentation auf prinzipieller Ebene. Die Argumentation auf prinzipieller Ebene lässt sich als eine Argumentation in drei Schritten rekonstruieren: a) Zunächst geht Friedman von den Grundsätzen des Privateigentums und der Vertragsfreiheit aus. Daraus folgt sein Principal-agent-Argument: Der Eigentümer hat das Recht, über seinen Besitz zu verfügen. Stellt er dafür einen Agenten ein, so ist dieser vertragsgemäß dazu verpflichtet, die vereinbarten Ziele (und ausschließlich sie) zu verfolgen: In a free enterprise, private property system, a corporate executive is an employee of the owners of the business. He has direct responsibility to his employers. That responsibility is to conduct the business in accordance with their desires […].[T]he manager is the agent of the individuals who own the corporation or establish the eleemosynary institution, and his primary responsibility is to them. […] [T]he persons among whom a voluntary contractual arrangement exists are clearly defined.41
Die Verantwortung von Managern ist jene Form von Verantwortung, die im Schließen eines Vertrages gründet. Sie gilt gegenüber dem Vertragspartner und findet ihren Maßstab im Vertragsinhalt.42 Widerstrebt es einem Angestellten aus persönlichen Motiven (seinem weit verstandenen Eigeninteresse), bestimmte vereinbarte Ziele zu verfolgen, so bleibt ihm die Möglichkeit, das Vertragsverhältnis zu beenden und die Stelle zu kündigen.43 In der Regel handelt es sich bei dem vorgegebenen Ziel um die Maximierung des Profits. Denkbar ist aber auch, dass Eigentümer eine Einrichtung zu anderen Zielen unterhalten (z. B. Schule, Krankenhaus)44 oder aus sozialen Gründen Einschränkungen bei der Profitmaximierung in Kauf nehmen.45 b) Nicht zulässig wäre es hingegen, wenn der Angestellte andere Ziele mit dem Eigentum des Arbeitgebers verfolgt, als dieser ihm vorgibt. Er handelt damit vertragswidrig. Das Verfügen über fremdes Eigentum ohne Einwilligung des Besitzers ist eine Form von Zwang (die Freiheit, über das eigene Eigentum zu verfügen 40 Vgl.
Friedman 1987n, 38 f. 1987n, 37. Vgl. Friedman 1973b, 31. 42 Durch die Verankerung von Friedmans Argumentation in seinem Freiheitsglauben wird deutlich, dass gegen Carsons seine Ablehnung unternehmerischer Verantwortung durchaus ein „exceptionless moral principle“ (Carson 1993, 15) darstellt. 43 Vgl. Friedman 1987n, 37. „Ethische“ Fragen verweist Friedman ausschließlich auf diese Frage, ob der einzelne eine bestimmte Tätigkeit mit seinem Gewissen vereinbaren kann (vgl. Friedman 2000b, 18): „Only people, not businesses, have ethics. Ethics is me, the individual, as a person. I’m ethical or unethical. If I’m employed in a business that I think is unethical, I have a clear choice. I can get out of that business and find something else to do. It doesn’t seem to me it’s ethical for me to do unethical things because the business can let me do it.“ 44 Vgl. Friedman 1987n, 37. 45 Vgl. Friedman 1987n, 40. 41 Friedman
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wird gegen den Willen des Eigentümers eingeschränkt).46 Dass der Moment des Zwangs durch seinen Beitrag zum vermeintlichen Gemeinwohl gerechtfertigt wird, macht die These von einer sozialen Verantwortung unternehmerisch Handelnder für Friedman zu einer kollektivistischen Doktrin.47 Unternehmensmittel für soziale Zwecke einzusetzen ist nichts anderes als die Einführung einer Steuer: eine Zwangsabgabe des Eigentums für soziale Ziele.48 c) Mit der Beschreibung der auferlegten Kosten als „Steuern“ ist Friedmans dritter Einwand auf prinzipieller Ebene bereits vorgezeichnet: Im Gegensatz zur Staatsmacht ist der Angestellte weder zur Erhebung noch zur Verteilung von Steuern legitimiert.49 Corporate Social Responsibility würde somit das Prinzip „no taxation without representation“ und das System der Gewaltenteilung unterlaufen.50 Friedman möchte zeigen, dass die These, Unternehmen hätten eine soziale Verantwortung, zwangsläufig in ein sozialistisches System führen würde. Zu diesem Zweck weist er darauf hin, dass sie eine gänzlich andere Form der Personalauswahl nach sich ziehen müsste. Wäre ein Manager nicht länger den Interessen der Anteilseigner verpflichtet, sondern der Allgemeinheit, so müsste auch die Allgemeinheit durch politische Prozesse die Personalauswahl und ‑führung leiten.51 Die Verletzung des Rechtes, über das eigene Eigentum zu verfügen, ist eine Zwangsmaßnahme, die politisch nur in einem sozialistischen System legitimiert werden kann. Soziale Belange dürfen also in unternehmerischem Handeln nur in zwei Fällen Berücksichtigung finden: wenn dies vom Eigentümer so gewünscht ist oder wenn dies dessen eigentlichem Ziel (der Maximierung von Gewinnen) dient.52 Nicht akzeptabel wiederum ist es, wenn nur eine Mehrheit der Anteilseigner beschließt, aus sozialen Zielen auf mögliche Gewinne zu verzichten. Dies ist nichts anderes als der zwangsmäßige Zugriff auf das Eigentum jener Anteilseigner, die nicht bereit sind, für die jeweiligen Ziele auf Gewinn zu verzichten und als solcher abzulehnen.53 46 Zur Frage, ob eine solche Einschränkung individueller Freiheit legitim oder geboten sein kann vgl. oben 5.5 Hat der individuelle Freiheitsgebrauch moralisch verbindliche Grenzen? 47 Vgl. Friedman 1987n, 42. Schon die steuerliche Begünstigung von Unternehmensspenden ist daher „a step away from an individualistic society and toward the corporate state“ (CaF, 136). 48 Vgl. Friedman 1987n, 38. 49 Vgl. CaF, 133 f. 50 Vgl. Friedman 1987n, 38. 51 Vgl. CaF, 134: „If businessmen are civil servants rather than the employees of their stockholders in a democracy, they will, sooner or later, be chosen by the public techniques of election and appointment.“ Vgl. Friedman 1987n, 38 f. 52 Vgl. Friedman 1987n, 40 f. 53 Vgl. Friedman 1987n, 40. In diesem Argument kommt zum Ausdruck, dass die Maximierung des Gewinns für Friedman der Normalfall ist, der keiner Rechtfertigung bedarf. Strukturell könnte nämlich genauso argumentiert werden, wenn eine Mehrheit beschließt, auf eine Art und Weise Profit zu erwirtschaften, die den Prinzipien eines Teils der Aktionäre zuwider läuft.
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2.) Argumentation mit den Konsequenzen. Bei der Begründung der normativen Zentralstellung des Freiheitskonzeptes fügt Friedman dem fundamentalen Argument mit Freiheit als höchstem Gut diskurspragmatische Hinweise auf seine positiven Effekte an, die die normativ eigentlich entscheidenden Argumente stützen sollen. Im Falle der sozialen Verantwortung unternehmerisch Handelnder verfährt er ähnlich und verweist darauf, dass von ihr keine positiven Konsequenzen zu erwarten seien. Dafür führt er zwei Gründe an.54 a) Leitende Angestellte in Unternehmen sind nach ihrer Qualifikation für die Führung der Geschäfte ausgewählt. Für eine effektive Verfolgung sozialer Ziele mangelt es ihnen schlicht an der fachlichen Qualifikation.55 b) Eine dauerhafte Verfolgung sozialer Ziele ist einem Angestellten in einer Marktwirtschaft überhaupt nicht möglich. Durch sein Verhalten Geschädigte (Arbeitgeber, Verbraucher) vermeiden durch ihr Verhalten (Kündigung, Kauf anderer Produkte) die ungewollte „Besteuerung“. In der Funktion, illegitimen Zwang unmöglich zu machen, zeigt sich für Friedman gerade einer der Vorzüge des Marktsystems. Die Unmöglichkeit für den Einzelnen, im marktwirtschaftlichen System einer (angenommenen) sozialen Verantwortung nachzukommen, führt er also als Argument für dieses System ins Felde.56 Sofern die Rahmenbedingungen einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung intakt sind, kann sich eine Praxis, die ihr diametral entgegenläuft, nicht durchsetzen. 3.) Gibt es eine Pflicht zur Gewinnmaximierung? Auffallend ist, dass Friedman dem exakten Wortlaut nach nicht jede Form sozialer Verantwortung von Unternehmern ausschließt, sondern diese Verantwortung auf einen bestimmten Bereich eingrenzt: „[T]here is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits“.57 Gibt es also für die Eigner von Kapital so etwas wie eine soziale Verpflichtung, aufgrund positiver gesamtgesellschaftlicher Konsequenzen dieses Kapital für möglichst effiziente Produktion einzusetzen?58 Eine solche Position geriete in Spannung 54 Aus konsequentialistischen Gründen vertritt auch Frank H. Knight die Position „,business is business‘; and questions of ‚charity,‘ voluntary or enforced, and even of justice in any other sense than the market-value equality of what is given and what is received, must be considered separately “ (Knight 1941, 104). Knight verweist auf die Begrenztheit des Wissens, die diese Einschränkung erforderlich mache. Sie ist für Knight anders als für Friedman jedoch nicht prinzipiell normativ gerechtfertigt (vgl. Knight 1941, 105). 55 Vgl. Friedman 1987n, 39. Weiter geht in diesem Zusammenhang Frank H. Knight. Er bestreitet eine soziale Verantwortung von Unternehmen, weil der Einzelne die Folgen seiner Handlungen in einer komplexen Gesellschaft überhaupt nicht absehen könne (vgl. Knight 1941, 104 f.). 56 Vgl. Friedman 1987n, 39 f. Dies sei daher besonders betont, da häufig genau in diesem Punkt ein Argument für Einschränkungen des marktliberalen Systems gesehen wird. 57 CaF, 133. 58 So interpretieren z. B. Florian Wettstein und Kenneth Goodpastor Friedmans These im Horizont der Vorstellung von der „unsichtbaren Hand“ (vgl.Wettstein und Goodpastor 2009, 119–120).
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zu Friedmans Ansicht, dass auch der Einsatz von Kapital für andere Zwecke wie Krankenhäuser durchaus legitim ist. Sie wäre auch nicht kompatibel mit den Grundsätzen des normativen Individualismus. Eine moralische Verpflichtung, eigenes Kapital ökonomisch effizient einzusetzen, stünde in diametralem Gegensatz zur normativen Präferenzautonomie. Wer sein Kapital lieber zu karitativen Zwecken, zu Konsum oder überhaupt nicht nutzen möchte, kann nach den Grundsätzen des Freiheitsglaubens nicht aus Gründen einer sozialen Verantwortung dazu aufgefordert werden, es stattdessen gewinnbringend zu investieren. Dass eine solche Form der sozialen Verantwortung bei Friedman auch gar nicht gemeint ist, geht aus dem ursprünglichen Zusammenhang des Zitates hervor: The view has been gaining widespread acceptance that corporate officials and labor leaders have a ‚social responsibility‘ that goes beyond serving the interest of their stockholders or their members. […] [T]here is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits […]. Similarly, the ‚social responsibility‘ of labor leaders is to serve the interests of the members of their unions.59
Friedman ist ganz und gar nicht der Ansicht, die Arbeit der Gewerkschaftsführung sei deshalb ihre soziale Verantwortung, weil sie zu gesamtgesellschaftlich positiven Konsequenzen führen würde.60 Stattdessen gilt für sie wie für unternehmerische Tätige das Principal-agent-Argument. Ihre soziale Verantwortung ist im Schließen von Verträgen begründet und gilt den Vertragspartnern gegenüber. Sie wird im vertragsgemäßen Handeln wahrgenommen. Genau genommen haben die Angestellten eines Unternehmens also – entgegen Friedmans bekannter Formulierung – nicht die Verantwortung, die Gewinne des Unternehmens zu maximieren, sondern die, dem Willen der Eigentümer zu entsprechen. Dies wird deutlich, wenn man Friedmans Einschätzung der Situation inhabergeführter Unternehmen betrachtet: The situation of the individual proprietor is somewhat different. If he acts to reduce the returns of his enterprise in order to exercise his ‚social responsibility,‘ he is spending his own money, not someone else’s. If he wishes to spend his money on such purposes, that is right, and I cannot see that there is any objection to his doing so.61
Friedmans bekannte Aussage, die soziale Verantwortung von unternehmerisch Tätigen sei die Maximierung von Gewinnen, erweist sich also als eine Verkürzung. Auch ökonomische Effizienz ist kein eigenständiges Kriterium wirtschaftlichen Handelns. Weder die Eigenlogik des Marktes noch die positiven Effekte von Gewinnstreben sind der Grund, aus dem Gewinnmaximierung das
59 CaF,
133. FtC, 229–235, 241–243. 61 Friedman 1987n, 40. 60 Vgl.
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Kriterium unternehmerischer Verantwortung ist. Dieser liegt allein in den (vermuteten) Präferenzen der Prinzipale.62 4.) Einschränkung des Prinzips der Gewinnmaximierung. Aus dem bisher zu Friedmans Verständnis von sozialer Verantwortung im Allgemeinen und der von Unternehmen im Besonderen Gesagten folgt, dass er Verantwortung im Sinne einer Verpflichtung, zum Wohlergehen anderer beizutragen, ablehnt.63 Dennoch sagt Friedman an keiner Stelle, Manager hätten ausschließlich das Interesse der Eigentümer zu verfolgen. Stattdessen ist die Aussage immer verbunden mit Einschränkungen. Diese sind sowohl hinsichtlich ihres materialen Gehaltes als auch hinsichtlich ihrer Begründung interpretationsbedürftig. Im einzelnen verwendet Friedman folgende Formulierungen: [I]t is hard to argue that he [the participant in a competitive market, B. G.] has any ‚social responsibility‘ except that which is shared by all citizens to obey the law of the land and to live according to his lights.64 In such an economy, there is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition, without deception or fraud.65 A corporate executive’s responsibility is to make as much money for the stockholders as possible, as long as he operates within the rules of the game.66 A corporation has an obligation to its owners and stockholders to make as much profit as it can while not violating its owners’ ethical concerns nor practicing deception or fraud.67 He [the employee] has direct responsibility to his employers. That responsibility is to conduct the business in accordance with their desires, which generally will be to make as much money as possible while conforming to the basic rules of the society, both those embodied in law and those embodied in ethical custom.68
Was die materialen Kriterien angeht, können im Einzelnen durchaus Differenzen festgestellt werden. So ist nicht in jedem Falle die Pflicht formuliert, geltende Gesetze einzuhalten.69 Es ist jedoch davon auszugehen, dass Friedman trotz unterschiedlicher Begriffszusammenstellungen jeweils dasselbe aussagen möchte.70 62 Gegen Suchanek (vgl. Suchanek 2004, 113) besteht die „richtige“ Form der Wahrnehmung sozialer Verantwortung also nicht in der Gewinnmaximierung, sondern in der Vertragstreue. 63 Dazu gehört auch die Forderung, einen Beitrag gegen Diskriminierung, Arbeitslosigkeit oder Inflation zu leisten (vgl. Friedman 1987n, 36). 64 CaF, 120 (Hervorhebung B. G.). 65 CaF, 133 (Hervorhebung B. G.). 66 Friedman 1973b, 31 (Hervorhebung B. G.). 67 Friedman 2000b, 18 (Hervorhebung B. G.). 68 Friedman 1987n, 37 (Hervorhebung B. G.). 69 Vgl. Carson 1993, 6 f. 70 Deutlich wird dies dadurch, dass er in Friedman 1987n, 42 die einschlägige Passage aus CaF, 133 wörtlich zitiert und im Jahr 2000 in Bezug auf den Beitrag Friedman 1987n festhält: „I went back and reread this article. I was not surprised that I still agree with it“ (Friedman 2000b, 18). Vgl. Carson 1993, 11; James und Rassekh 2000, 672 Anm. 16.
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Ein überzeugender Ansatz zur Interpretation dieses Anliegens findet sich bei Carson, der zwei Einschränkungen identifiziert: erstens die Pflicht, den Gesetzen zu gehorchen, zweitens die Pflicht, elementare Regeln des Wettbewerbs zu beachten.71 Beachtet man die beiden letzten der angeführten Zitate, wird noch ein dritter Punkt zu ergänzen sein: drittens die Pflicht, den ethischen Vorstellungen der Unternehmenseigner gerecht zu werden. Letztere Einschränkung ist eine unmittelbare Implikation des Vertragsprinzips. Die beiden anderen Einschränkungen stellen sicher, dass Interaktion ausschließlich auf freiwilliger Basis geschieht und daher die Folgen für andere keine problematischen Konsequenzen nach sich ziehen. Zu fragen ist nun noch nach der Begründung der genannten Einschränkungen. Dabei ist besonders das letzte der aufgeführten Zitate in den Blick zu nehmen. Dieser Satz bleibt voll in der Logik des Principal-agent-Argument. Die Einschränkung (while …) ist syntaktisch Teil des Relativsatzes, bezieht sich also auf die Wünsche der Arbeitgeber. Im Allgemeinen wünschen diese, dass ihr Profit im Rahmen von Sitte und Gesetz erwirtschaftet wird und deswegen – nicht in Form einer moralischen Verpflichtung, die den Wünschen der Arbeitgeber Grenzen setzt – sind sie auch für den Angestellten maßgeblich. Friedman schränkt hier also die Präferenzautonomie nicht durch eine Pflicht ein, die Folgen des eigenen Handelns auf andere zu berücksichtigen. Alle anderen Belege hingegen nennen die Einschränkungen ohne Verweis auf die Vorstellungen der Eigentümer. Das dritte angeführte Zitat unterscheidet sogar beide Aspekte. Zwei Interpretationen dieses Befundes sind möglich: Erstens kann vorausgesetzt werden, dass Friedmans Position durchgehend dieselbe ist. Systematisch sind alle Einschränkungen (wie im letzten Zitat) in den moralischen Vorstellungen der Eigentümer begründet. Ähnlich wie in seiner Formulierung, es sei eine soziale Verantwortung Angestellter, den Profit des Unternehmers zu maximieren, geht Friedman in den allgemein formulierten Einschränkung von einer faktischen Haltung zumindest der überwiegenden Mehrzahl der Eigentümer aus. Sie wollen, dass mit ihrem Kapital nach geltenden Gesetzen und unter Wahrung der Regeln des Wettbewerbs gewirtschaftet wird. Eine zweite Interpretationsweise geht von Spannungen zwischen den einzelnen Aussagen aus. Da nur im letzten Zitat die Einschränkungen des Gewinnstrebens explizit an die Präferenzen der Eigentümer gebunden werden, gelten sie in den anderen Fällen absolut. Eigentümer wären demnach auch dann verpflichtet, auf die Maximierung von Gewinn zu verzichten, wenn dies im Widerspruch zur eigenen Präferenzordnung steht, aber durch die Folgen des eigenen Handelns auf andere verlangt ist. Diese Pflicht gilt auch, wenn ein Agent anstelle des Prinzipals handelt. Bereits in Abschnitt 5.5 71 Vgl. Carson 1993, 12. Carson vermutet, Friedman habe in „Capitalism and Freedom“ (vgl. CaF, 133) schlicht „vergessen“, die Pflicht, sich an die Gesetze zu halten, zu erwähnen. Seine Interpretation wird überzeugender, wenn man beachtet, dass Friedman diese auch in „Capitalism and Freedom“ unmittelbar im Zusammenhang des Zitats erwähnt (vgl. CaF, 120).
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hat sich gezeigt, dass Friedman zurückhaltend ist hinsichtlich der Formulierung eines moralischen Anspruches, auf die Konsequenzen des eigenen Verhaltens für andere zu achten.72 Dies konkretisiert sich nun im Blick auf das Handeln in Unternehmen. Der anschließende Abschnitt zeigt, wie Friedman mit der beschriebenen Spannung zwischen den Grenzen unternehmerischer Freiheit und normativer Präferenzautonomie umgeht.
5.7 Hat unternehmerische Freiheit moralisch verbindliche Grenzen? Auch in Bezug auf die Grenzen unternehmerischer Freiheit stellt sich die Frage, ob diese lediglich äußerlich durch staatliche Zwangsmaßnahmen realisiert werden sollen, oder ob unternehmerisch Handelnde eine moralische Verpflichtung haben, diese auch von sich aus zu beachten. Da sich eine Verpflichtung von Unternehmen ausschließlich aus einer Verpflichtung ihrer Eigentümer ableiten ließe, ist die Frage moralischer Verbindlichkeiten für Individuen und für Unternehmen im Grundsatz identisch. Was Friedman über die Maßstäbe freiheitlicher Interaktion im Zusammenhang der Diskussion über die soziale Verantwortung von Unternehmen sagt, kann daher exemplarisch für seine allgemeine Perspektive auf die Verbindlichkeit des Freiheitsprinzips für individuellen Freiheitsgebrauch gelten. Zu fragen ist also, ob Friedman von (unternehmerisch handelnden) Individuen verlangt, ihre Präferenzen zugunsten des Freiheitsprinzips einzuschränken, oder ob er dem Prinzip der Präferenzautonomie den Vorrang gibt. Ist unternehmerisches Handeln lediglich an den Grundsätzen der Eigentümer orientiert oder unterliegt deren Gewinnstreben moralisch verbindlichen Einschränkungen? 1.) Gibt es eine Pflicht, für Freiheit einzutreten? Die Achtung der Prinzipien des freien Wettbewerbs zählt zu den Kriterien, nach denen Friedman unternehmerisches Gewinnstreben einschränkt. In seiner Argumentation zur sozialen Verantwortung von Unternehmen wird jedoch zugleich deutlich, dass er keine Pflicht sieht, für eine Beförderung von Freiheit einzutreten. Dies wird deutlich in seiner Erörterung der Frage, ob Unternehmen sich in Form des „window-dressings“ auf ihre soziale Verantwortung berufen sollten, auch wenn sie faktisch nichts anderes bezwecken als die Maximierung ihres Gewinns: 72 Eine Ausnahme erwähnt Friedman in einem Brief an Robert H. Quayle Jr (vgl. Friedman 1976 (MFA 234.12)): „I believe that individuals personally have of course an obligation to behave in a moral way. […] The commitment to behave morally applies to every element of a human being’s behavior including his behavior as a corporate official or employee.“ Allerdings ist aus dem Schreiben nicht erkennbar, was Friedman als Inhalt einer solchen Verpflichtung erachtet. Denkbar ist auch, dass es ihm hier ausschließlich um die bereits dargestellten Verpflichtungen gegenüber der Familie und Vertragspartnern geht. Das Zitat erlaubt also nicht eine eindeutige Entscheidung für die zweite Position.
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It would be inconsistent of me to call on corporate executives to refrain from this hypocritical window-dressing because it harms the foundations of a free society. That would be to call on them to exercise a ‚social responsibility‘! If our institutions, and the attitude of the public make it in their self-interest to cloak their actions in this way, I cannot summon much indignation to denounce them. At the same time, I can express admiration for those individual proprietors or owners of closely held corporations or stockholders of more broadly held corporations who disdain such tactics as approaching fraud.73
Friedman bleibt in der Logik seiner Argumentation, wenn er nicht von den Angestellten fordert, im Einsatz für soziale Ziele Gewinneinbußen in Kauf zu nehmen und es zugleich für wünschenswert (!) erachtet, dass Eigentümer (!) das tun. Der Verzicht auf Gewinn zugunsten einer freiheitlichen Gesellschaft kann als aktives Eintreten für ein soziales Gut interpretiert werden. Als solcher fällt er nicht in den Bereich, für den eine moralische Verpflichtung infrage kommt. 2.) Gibt es eine Pflicht zum Verzicht auf Täuschung? Anders urteilt Friedman bezüglich der Pflicht, bei vertraglichen Beziehungen auf gezielte Täuschung zu verzichten.74 Eine Haltung, die die Herstellung von für andere schädlichen Zigaretten für ethisch nicht vertretbar hält, lehnt Friedman als paternalistisch ab. Entscheidend ist für ihn nicht, wie andere über den Nutzen einer Interaktion denken, sondern dass die beteiligten Individuen deren Konsequenzen kennen. Eine gezielte Täuschung würde demnach ein Zwangsmoment in die Beziehung einführen.75 3.) Gibt es eine Pflicht, externe Effekte zu berücksichtigen? Auch die als „externe Effekte“ bezeichneten Ergebnisse einer Interaktion auf nicht beteiligte Dritte enthalten ein Moment des Zwangs. Diese werden in eine Interaktion einbezogen, ohne ihr zuzustimmen. Ein gutes Beispiel, das auch Friedman heranzieht, ist Umweltverschmutzung, die auch Menschen betrifft, die weder als Investoren oder Arbeiter noch als Konsumenten Interesse an einem bestimmten Produkt haben.76 Entsprechend erkennt Friedman an, dass externe Effekte ein legitimer Grund sind, ihre Verursacher zur Verantwortung zu ziehen und individuelle Freiheit einzugrenzen.77 Anders als in Bezug auf gezielte Täuschung sieht er jedoch keine Verpflichtung, solche negativen Folgen für andere im eigenen Vorteilsstreben zu berücksichtigen. Beide Haltungen zusammengenommen äußert 73 Friedman
1987n, 41. Friedman 2000b, 18.: „Is it unethical for me to be an employee in a factory producing cigarettes? No! But is it unethical for me as a manager to make false statements in public? Yes!“ Allerdings betont Friedman an anderer Stelle, dass das Weglassen von Fakten keineswegs unmoralisch sei (vgl. Friedman 1970 (MFA 57.2), 30). 75 Friedman führt die Aspekte Zwang und Täuschung in seinen Aufzählungen getrennt voneinander an. Hayek macht deutlich, wo der Zusammenhang von Betrug und Zwang liegt: Beide zielen darauf, das Verhalten eines anderen zum eigenen Vorteil zu manipulieren (vgl. von Hayek 2011, 211). 76 Vgl. CaF, 30: „An obvious example is the pollution of a stream. The man who pollutes a stream is in effect forcing others to exchange good water for bad.“ 77 Vgl. unten 8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb. 74 Vgl.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
er, als er mit folgendem Gedankenexperiment konfrontiert wurde: Wie sollte eine Firma reagieren, die entdeckt, dass ihr Produktionsprozess stark umweltbelastend ist? Friedman antwortet folgendermaßen: That would combine with the responsibility of the enterprise to avoid fraud and deception […]. As a result, I believe the appropriate course of action is to make publicly available the information […] so that the consumers of the product can know what is going on and so that those people who are being harmed can protect themselves.78
Während die direkten Interaktionspartner (die Kunden) nicht getäuscht werden dürfen, sieht Friedman keine Verpflichtung, Dritte vor den Konsequenzen eigener Handlungen zu schützen oder entstandenen Schaden zu kompensieren. Unternehmen haben also nicht die Pflicht, durch sie verursachte Umweltschäden von sich aus zu berücksichtigen. Die Beachtung ökologischer Belange durch Angestellte eines Unternehmens erachtet Friedman folgerichtig als eine Form illegitimer Ausübung sozialer Verantwortung.79 Ebenso lehnt er die Forderung ab, die University of Chicago solle bei der Auswahl ihrer Investments neben ökonomischen auch ökologische Kriterien berücksichtigen.80 Anders verhält es sich mit einem systematisch vergleichbaren, ansonsten eher abseitigen Fall. Bei der Charakterisierung seiner Lehrtätigkeit scheint Friedman durchaus von der Pflicht auszugehen, anderen ungebührliche externe Effekte nicht zuzumuten. I cannot resist boasting of one trick that I used to assure that students would get to class on time. At the second meeting of the class, one or more students would invariably come in late. When each did so, I would stop the person and say something like: ‚If you come in late, you impose costs on all other members of the class. If you simply stay away, you impose costs only on yourself. Hereafter, if you can’t arrive on time, why don’t you simply skip the class?‘ By that device, I assured prompt attendance and also implicitly taught a fundamental economic concept: external effect.81
Offensichtlich verhindert Friedman die externen Effekte durch Störung der Lehrveranstaltung nicht (nur) durch Etablierung einer Sanktionsordnung sondern auch durch erzieherischen Appell an seine Studenten, anderen keine illegitimen Kosten aufzubürden. Eine solche Position sucht man jedoch in seinen Ausführungen zu wirtschaftlichem Handeln vergebens.82 78 Friedman 1996a. Anders als es Rassekh und Harvey James in dem Aufsatz, auf dessen Entwurf sich die Korrespondenz bezieht, darstellen, formuliert Friedman also keine Verpflichtung, externe Effekte zu vermeiden (vgl. James und Rassekh 2000, 666–670). Bezeichnenderweise beziehen sich alle von den Autoren angeführten Belege (vgl. James und Rassekh 2000, 667 f.) für die erforderliche Einschränkung von Freiheit auf Einschränkungen durch die Regierung. 79 Vgl. Friedman 1987n, 38; Friedman 1973b, 31; Friedman 2000b, 18. Zu einer überzeugenden Kritik dieses Vorgehens vgl. Liechty 1990, 204–206. 80 Vgl. Friedman 1970 (MFA 57.2), 26. 81 TLP, 207. 82 Wendet man die dortige Argumentationsstruktur auf das zitierte Beispiel an, so wäre zu fragen: Warum sollte der betreffende Student noch höhere Kosten in Kauf nehmen, als er sie
5. Freiheit und Verantwortung
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4.) Entlastung von Verantwortung durch die Rahmenordnung. Insgesamt bleibt der Eindruck hinsichtlich der Frage, ob Friedman eine moralische Verpflichtung annimmt, die Konsequenzen des eigenen Handelns auf andere zu berücksichtigen, eher diffus. Teilweise äußert sich Friedman widersprüchlich. Dass er direkten Zwang gegen andere ablehnt, ist im Rahmen seines Gesamtkonzeptes zu vermuten. Gerade deshalb fällt aber auf, dass er dies nicht ausdrücklich thematisiert. Einen indirekten Zwang gegen Vertragspartner in der Form von bewusster Täuschung sollen Individuen auch dann vermeiden, wenn dies nicht ihrem Eigeninteresse entspricht. Eine Berücksichtigung von Konsequenzen individueller Handlungen für unbeteiligte Dritte hingegen verlangt er in der Regel nicht. Allgemein hält sich Friedman stark zurück hinsichtlich der Frage, in welchem Maße eigene Interessen in Anbetracht der Folgen individueller Handlungen auf andere zurückgestellt werden sollten. Im Horizont seines Gesamtkonzeptes ist dies durchaus plausibel. Zum einen bleibt er so dem Leitprinzip der Präferenzautonomie treu. Gemäß seinem normativen Individualismus verzichtet Friedman darauf, bestimmte Handlungsmotive (z. B. ein Interesse an berechtigten Ansprüchen anderer) von Individuen einzufordern. Zum anderen geht Friedman trotz seines grundsätzlichen Glaubens an die Bildungsfähigkeit von Präferenzen in seiner ökonomisch geprägten Argumentation von der Stabilität von Präferenzen aus. Da die Mehrheit der Menschen in der Mehrheit der Fälle einen Eigennutzen im engen Sinne verfolgt, scheint das Problem illegitimen Zwanges nicht durch Appelle an das Verantwortungsbewusstsein zu lösen zu sein.83 Der normative Individualismus sowie die Annahme stabiler Präferenzen sprechen dagegen, die Spannung zwischen Präferenzautonomie und Grenzen des individuellen Freiheitsgebrauchs durch individuelle Wahrnehmung sozialer Verantwortung zu lösen. Stattdessen verweist Friedman auf die Notwendigkeit einer Rahmenordnung: The way out of the apparent dilemma is as old as Adam Smith’s invisible hand. There is no natural harmony between social and private interests – Mandeville and Bastiat to the contrary notwithstanding. But it is possible for an economic, social and moral framework to exist within which ‚every individual‘ as Adam Smith wrote‚ […] by pursuing his own interest […] frequently promotes that of society more effectually than when he really intends to promote it.‘ Within such a framework, the social responsibility of the individual […] is to pursue his private responsibility, i. e., his private interests, as best he can.84
bisher hatte? Versteht man Bildung als Investition, die womöglich auch noch von anderen als dem Studenten selbst getragen wird (vgl. CaF, 104), so wäre es gerade ein abzulehnender Akt von „corporate social responsibility“, würde der betreffende Student versuchen, externe Kosten anderer gering zu halten! 83 Vgl. Friedman 1965 (MFA 48.15), 3: „A second generalization from experience is that, unless there is an iron fist in the velvet glove of appeals to voluntary restraint […], the appeal to ‚social responsibility‘ has little effect.“ 84 Friedman 1965 (MFA 48.15), 7 f.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Nicht auf das Zurücknehmen eigener Interessen zielt Friedmans Argumentation, sondern auf die Koordinierung interessegeleiteten Handelns durch eine geeignete Rahmenordnung. Das Zitat deutet bereits an, dass diese aus mehreren Dimensionen (ökonomisch, sozial, moralisch) besteht. In den Kapiteln 7–9 wird sich zeigen, wie Friedman die Interaktion von eigennutzorientierten Individuen koordinieren möchte und welchen Stellenwert die hier bereits angesprochenen Dimensionen dabei haben.
5.8 Zusammenfassung Individuen sind für Friedman die einzigen Urheber von Handlungen und daher die einzig möglichen Träger von Verantwortung. Aus der Urheberschaft folgen das Recht und die Pflicht, die Konsequenzen eigener Handlungen zu tragen. Friedman bezeichnet Menschen als „responsible“ insofern sie fähig sind, ihre Ziele selbst zu definieren und die Konsequenzen ihrer Handlungen abzusehen. Die Instanz, vor der eine Handlung zu verantworten ist, ist zunächst das Individuum selbst bzw. seine Präferenzstruktur. Sekundär können auch Verpflichtungen gegenüber Vertragspartnern oder einer Wertegemeinschaft eingegangenen werden, was dazu führt, dass gewisse Handlungen auch diesen gegenüber zu verantworten sind. Menschen tragen zunächst Verantwortung für ihr eigenes Leben. Auch wenn durchaus andere Faktoren eine Rolle spielen, ist letztlich jeder selbst für sein eigenes Wohlergehen verantwortlich. Individuelle Verantwortung im Sinne einer moralischen Verpflichtung sieht Friedman im Privatbereich der Familie gegeben. Eine soziale Verpflichtung gegenüber anderen Menschen oder sozialen Institutionen setzt Friedman im Kontext seines ontologisch-normativen Individualismus nicht voraus. Sie entsteht allenfalls als Konsequenz vorausgegangener Handlungen, also wenn sich Individuen anderen gegenüber verpflichten oder durch ihre Aktivitäten andere massiv beeinträchtigen. Maßstab individueller Verantwortung sind im Horizont normativer Präferenzautonomie stets die eigenen Präferenzen. Im Umgang mit anderen sind es darüber hinaus die – aus eigenem Interesse eingegangenen – vertraglichen Verpflichtungen. Auffallend ist, dass Friedman sich stark damit zurückhält, individuelle Verantwortung mit einer freiwilligen Achtung der Freiheit anderer zu verbinden. Dies würde verlangen, eigene Präferenzen zurückzunehmen und stünde damit in Spannung zum Prinzip der normativen Präferenzautonomie. Die These, unternehmerisch Handelnde hätten eine soziale Verantwortung, lehnt Friedman als kollektivistisch ab. Ausgehend vom Recht auf freies Verfügen über Eigentum und Vertragsfreiheit begründet er, dass Angestellte ausschließlich dem Willen der Arbeitgeber, in der Regel also der Maximierung des Gewinns
5. Freiheit und Verantwortung
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unter Beachtung rechtlicher und moralischer Minimalstandards, verpflichtet sind. Eine Orientierung an Gemeinwohlansprüchen entspricht einer Zwangssteuer, wozu Angestellte nicht legitimiert sind. Friedmans Umgang mit der Spannung zwischen Grenzen der Freiheit und Präferenzautonomie konkretisiert sich in seinen Beiträgen zur sozialen Verantwortung von Unternehmen. Einerseits fordert er die Vermeidung von Täuschung in der direkten Interaktion. Hier besteht durch den Vertrag ein Verantwortungsverhältnis, in dem Zwang zu vermeiden ist. Bei indirekter Interaktion jedoch lehnt Friedman eine Verpflichtung zum freiwilligen Verzicht auf Zwang in den meisten Fällen externer Effekte ab. Insgesamt legt er jedenfalls kein großes Gewicht auf eine solche Verpflichtung. Ausgehend von den Grundprinzipien der Autonomie und Stabilität von Präferenzen hält er den Appell an eine soziale Verantwortung weder für gerechtfertigt noch für erfolgreich. Zugleich legitimieren die Konsequenzen individueller Handlungen für andere jedoch grundsätzlich die Einschränkung individueller Freiheit. Friedman verweist daher auf die Notwendigkeit einer mehrdimensionalen gesellschaftlichen Rahmenordnung innerhalb derer der Einzelne ohne Berücksichtigung einer sozialen Verantwortung seinen Eigennutzen im engen Sinne verfolgen kann.
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit In Abschnitt 3.2 wurde ausgeführt, dass Freiheit im normativen System Friedmans das höchste soziale Gut darstellt. Friedman geht davon aus, dass es die Gewährleistung individueller Freiheit zugleich ermöglicht, eine Vielzahl unterschiedlicher individueller Güter zu erreichen. Im vorangegangen Kapitel wurde die Frage diskutiert, ob sich aus dem Freiheitsprinzip selbst Einschränkungen für den individuellen Freiheitsgebrauch ergeben. Diese Überlegungen verweisen auf die Notwendigkeit einer institutionellen Einbettung von Interaktion. Ehe Friedmans Vorstellungen darüber expliziert werden, ist zunächst zu fragen, ob er neben Einschränkungen aus dem Freiheitsprinzip selbst auch Einschränkungen aufgrund anderer sozialer Güter vornimmt – ob also das höchste Gut der Freiheit durch andere Güter relativiert wird. Infrage kommen dafür die sozialen Güter Gleichheit und Gerechtigkeit. Daher ist nun zu untersuchen, inwiefern beide im Rahmen des Freiheitsglaubens positiv gewürdigt werden und diesen relativieren, oder ob Friedman sie in einem prinzipiellen Widerspruch zu individueller Freiheit sieht. Zunächst soll Friedmans Verständnis von Gleichheit und ihr Verhältnis zu Freiheit (6.1), dann das von Gerechtigkeit zu Freiheit (6.2) in den Blick genommen werden.
6.1 Freiheit und Gleichheit Die Bestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Gleichheit in Friedmans Konzept hat Wurzeln in seinen frühesten akademischen Arbeiten. Da diese die spätere Systematisierung prägen, sollen zunächst diese beschrieben werden (6.1.1). Anschließend ist das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit näher zu bestimmen, indem begrifflich differenziert wird zwischen personaler Gleichheit (6.1.2), Chancengleichheit (6.1.3) und Einkommensgleichheit (6.1.4). Ein abschließender Abschnitt wird dann die Frage klären, wie Friedman die ursprünglich verfolgte Intention – eine positive Würdigung von Einkommensgleichheit – in seine spätere Systematisierung integriert (6.1.5).
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
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6.1.1 Einkommensgleichheit als Ziel: Stigler und Friedman im Gespräch 1.) Der Vorwurf des Egalitarismus gegen Milton Friedman und George Stigler. Die Auseinandersetzung Friedmans mit dem Thema der Gleichheit lässt sich bis ins Jahr 1946 zurückverfolgen. In diesem veröffentlichten George Stigler und Milton Friedman gemeinsam einen Aufsatz, der sich kritisch mit den gesetzlich vorgeschriebenen Höchstmieten in New York City auseinandersetzt. In ihm stellen sie fest: For those, like us, who would like even more equality than there is at present […], it is surely better to attack directly existing inequalities in income and wealth at their source than to ration each of the hundreds of commodities and services that compose our standard of living.1
Diese Formulierung führte zu heftigen Kontroversen mit dem Herausgeber, der Stigler/Friedman an diesem Punkt zunächst Änderungen nahelegte und ihnen schließlich in einem Kommentar zur publizierten Fassung Kollektivismus vorwarf.2 Friedmans Reaktion auf diesen Einwand zeigt, dass er sich im entscheidenden Punkt missverstanden fühlte: „We both regarded this note, which in effect accused us of putting equality above justice and liberty, as inexcusable“.3 In einer heftigen Auseinandersetzung wehren sich Friedman und Stigler sowohl gegen die vorgeschlagenen Änderungen als auch gegen den Vorwurf, liberale Prinzipien zu verletzen.4 Beide erachten Gleichheit als ein erstrebenswertes Gut, sehen darin aber keinen Widerspruch zur Zentralstellung individueller Freiheit. Ihr argumentatives Ziel ist es, zu zeigen, dass Gleichheit im Rahmen eines liberalen Ansatzes gewürdigt werden kann, ohne das Freiheitsprinzip zu gefährden. 2.) Stiglers Antwortversuch. In einem 1949 veröffentlichten Vortrag legte Stigler einen Vorschlag zur Überwindung dieses Dilemmas dar. Er nennt darin drei Gründe, aus denen moderne Ökonomen in Einkommensgleichheit ein bedeutendes gesellschaftliches Ziel sehen: das utilitaristische Argument des abnehmenden Grenznutzens bei steigendem Einkommen, das keynesianische Argument höherer Wirtschaftsleistung und Beschäftigung sowie die Ablehnung von Ungleichheit als solcher.5 Während Stigler die beiden ersten Argumente ablehnt,6 1 Zitiert
nach TLP, 151 (Hervorhebung B. G.). TLP, 150–152. 3 TLP, 151. Stigler lehnt auch den Einwand ab, Ungleichheit habe positive Konsequenzen (vgl. Stigler 2006b, 19): „We argue that inequality is bad but is no special reason for rent controls; your version suggests that inequality and its consequences are good.“ Ob Friedman hier die Position Stiglers noch voll teilt und sich erst später derjenigen des Herausgebers annäherte, ist aus der Korrespondenz nicht ersichtlich. 4 Vgl. die Dokumente in Hammond und Hammond 2006, 19–41, bes. Friedman 2006d; Stigler 2006b; Stigler 2006a, 32. Friedman und Stigler teilen beide die Position, Gleichheit sei ein wünschenswertes Ziel, indem sie sich gegen die Streichung der Phrase „like us“ im zitierten Abschnitt wehren (vgl. Friedman 2006d, 21; Stigler 2006b, 19). 5 Vgl. Stigler 1949, 6. 6 Vgl. Stigler 1949, 6 f. 2 Vgl.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
stellt er abschließend lapidar fest: „The third, and weighty, argument for greater equality is simply that it is a good thing. I agree, for the classical economists’ reasons.“7 Indem er sich auf die klassischen Ökonomen beruft, schließt Stigler sich deren Vorstellung vom höchsten Gut an. Dieses bestimmt er als die „Verbesserung“ des individuellen Menschen.8 Gesamtwirtschaftliche Produktion und Einkommensgleichheit sind „Mittel“9 dazu, dieses Ziel zu erreichen.10 Dieses klassische Ziel interpretiert Stigler jedoch so, dass nicht ein bestimmtes „Ideal“ vorgegeben sei, zu dem hin der Mensch verbessert werden könne, sondern das Urteil darüber jeweils dem Individuum selbst überlassen sei.11 Der Wert von Gleichheit als relativem Gut und der Grad, in dem sie anzustreben ist, bemisst sich für Stigler deswegen daran, inwiefern sie dazu beiträgt, dass Individuen ihre Talente entfalten können. In diesem Sinne kann Gleichheit sowohl schädlich als auch förderlich sein.12 Die Pointe in Stiglers Argumentation ist schließlich, dass Ungleichheit da begrenzt werden muss, wo es um die faktischen Entwicklungsmöglichkeiten von Individuen geht: [The liberal goal] suggests that we seek more to start the contestants at the same point, rather than to reduce handicaps at each twelve-month interval. […] Our concern should be much more with the ownership of resources that leads to the wide differences in income.13
Stigler schlägt daher zahlreiche Maßnahmen vor, die allen Menschen gleichermaßen die Entwicklung ihrer individuellen Talente ermöglichen sollen.14 3.) Friedmans Reaktion auf Stiglers Antwortversuch. Friedman hatte den Text bereits vor der Veröffentlichung erhalten und 1948 per Brief darauf reagiert. Er teilt grundsätzlich Anliegen einer relativen Würdigung von Gleichheit im Horizont liberaler Weltanschauung und stimmt Stiglers Beschreibung des Di-
7 Stigler
1949, 7. Stigler 1949, 4: „The struggle of men for larger incomes was good because in the process they learned independence, self-reliance, self-discipline – because, in short, they became better men […]. The desire for better men, rather than for larger national incomes, was a main theme of the classical economics.“ 9 Was Stigler „Mittel“ („means“) nennt, wäre präziser wohl als relative Güter beschrieben. Sie sind selbst von Wert, aber nicht absolut, sondern müssen gegeneinander abgewogen werden (vgl. Stigler 1949, 8). 10 Vgl. Stigler 1949, 7. 11 Vgl. Stigler 1949, 8: „The classical goal is ambiguous, indeed it is deliberately ambiguous. […] The very uncertainty of our ultimate ethical goals dictates a wide area of self-determination. We are not able to supply a blue-print of the ideal life, but we are persuaded that even if it would be ideal only for the person who individually and knowingly and voluntarily accepted it.“ 12 Vgl. Stigler 1949, 9. 13 Stigler 1949, 9 f. 14 Stigler 1949, 10. Stigler nennt etwa die des Bildungssystems, eine Gesundheitsversorgung für arme Kinder und die Reduzierung von Einkommen aus Kapital (Bekämpfung von Monopolen, hohe Erbschaftssteuer). 8 Vgl.
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
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lemmas zu.15 Sein wichtigster Einwand gegen Stiglers Versuch, dieses aufzulösen, ist die Sorge, das Prinzip der Verbesserung könne missbraucht werden, um Individuen eine bestimmte Norm aufzuzwingen.16 Außerdem stellt er in Frage, ob „Verbesserung des Individuums“ tatsächlich ein angemessenes Kriterium für Maximierungsbestrebungen darstellt.17 Damit markiert Friedman bereits 1948 Grundfragen, die sich in der Ausgestaltung seines Freiheitskonzeptes widerspiegeln. Im selben Jahr veröffentlicht er einen Aufsatz, in dem er das Ziel einer weitgehenden ökonomischen Gleichheit bekräftigt und sich für steuerliche Maßnahmen ausspricht, dieses Ziel zu erreichen.18 Friedman weist darauf hin, dass er mit seiner Reaktion auf Stigler das Problem nicht abschließend behandelt habe.19 Seine spätere systematisierende Auseinandersetzung mit dem Thema Gleichheit im hier bereits angedeuteten Rahmen seines Freiheitskonzepts ist als Durchführung dieser Aufgabe zu begreifen. Die differenziertesten Ausführungen dazu finden sich in „Free to Choose“, wo Friedman drei Verständnisse von Gleichheit unterscheidet: die Gleichheit vor Gott, Chancengleichheit sowie Ergebnisgleichheit.20 An dieser Unterscheidung wird sich die folgende Darstellung orientieren. Dabei zeigt sich, dass er in weiten Teilen dem Vorschlag Stiglers entspricht, an entscheidender Stelle jedoch von ihm abweicht. 6.1.2 Die grundlegende Bedeutung personaler Gleichheit Als „Gleichheit vor Gott“ oder personale Gleichheit charakterisiert Friedman dasjenige Freiheitsverständnis, das ursprünglich mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung in Verbindung zu bringen sei.21 Gleichheit in diesem Sinne ist identisch mit dem Glauben an die unveräußerlichen Rechte jedes einzelnen Menschen. So verstanden ist Gleichheit nicht nur mit dem Freiheitsglauben vereinbar, sondern ist identisch mit dessen Kern. Entsprechend folgt aus ihr das Recht auf individuelle Freiheit: 15 Vgl. Friedman 2006a, 78: „I’ve just read over for the second time, & thought over for the n’th, your ‚The Economist and Equality‘. And I know not what to say. Almost I am convinced. […] More important, in terms of my interest, is whether it really offers a way out of the dilemma which you quite properly say I & the other bastard descendents of the classical liberals are in. I don’t feel happy, either with my own present or previous position, or with your solution. Yet I can’t really say why, in any kind of organized fashion.“ Die positive Wertschätzung ökonomischer Gleichheit bringt er 1948 in einem weiteren Aufsatz zum Ausdruck (vgl. Friedman 1953, 134). 16 Vgl. Friedman 2006a, 78. 17 Vgl. Friedman 2006a, 78. 18 Vgl. Friedman 1953, 134. 19 Vgl. Friedman 2006a, 79. 20 Diese Differenzierung und insgesamt Friedmans Behandlung der Gleichheitsthematik ist eng angelehnt an von Hayek 2011, 148–156. 21 Vgl. FtC, 129.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Men were equal before God. Each person is precious in and of himself. He has unalienable rights, rights that no one else is entitled to invade. He is entitled to serve his own purposes and not to be treated simply as an instrument to promote someone else’s purposes. ‚Liberty‘ is part of the definition of equality, not in conflict with it. Equality before God – personal equality – is important precisely because people are not identical. Their different values, their different tastes, their different capacities will lead them to want to lead very different lives.22
Außerhalb der zitierten Passage in „Free to Choose“ begegnet dieser Begriff von Gleichheit im personalen Sinne nicht. Der Grund dafür dürfte sein, dass Friedman ansonsten Gleichheit als ein von Freiheit unterschiedenes Prinzip profiliert und daher Missverständnisse befürchtet, würde er es in einem positiven Sinne für die Entfaltung des Freiheitsglaubens heranziehen. In seinen Ausführungen zur personalen Gleichheit betont er daher vielmehr die mit ihr verbundenen Unterschiede. Entscheidend ist, dass die personale Gleichheit gerade das Recht auf Unterschiedlichkeit der Lebensweisen impliziert.23 6.1.3 Chancengleichheit als integraler Bestandteil individueller Freiheit Mit der Abschaffung der Sklaverei nach dem amerikanischen Bürgerkrieg war Gleichheit in diesem Sinne vor dem Gesetz weitgehend verwirklicht.24 In den Vordergrund trat daher das Verständnis von Gleichheit als Chancengleichheit, das inhaltlich eng mit dem Konzept personaler Gleichheit zusammenhängt, da es auf dem Recht jedes Einzelnen, seine Ziele zu verfolgen, basiert.25 Das negative Verständnis von Freiheit strahlt also auf das Verständnis von Chancengleichheit aus. Wie jene, so ist auch diese allein durch das Fehlen äußerer Beschränkungen definiert. No arbitrary obstacles should prevent people from achieving those positions for which their talents fit them and which their values lead them to seek. […] On this interpretation, equality of opportunity simply spells out in more detail the meaning of personal equality, of equality before the law.26
Friedman weist explizit darauf hin, dass es ihm ausschließlich darum geht, dass die in Form von Talent und Vermögen vorhandenen Möglichkeiten ungehindert eingesetzt werden können. Chancengleichheit bedeutet für ihn nicht, dass diese Möglichkeiten ausgewogen verteilt sein müssten. Aktive Maßnahmen zur Her22 FtC,
129. CaF, 12. 24 Vgl. FtC, 128, 131. 25 Vgl. FtC, 129, 132. 26 FtC, 132. Differenzen zwischen Friedman und Henry C. Simons bezüglich des Freiheitsbegriffs (vgl. oben 98 Anm. 26) gelten auch für das Verständnis von Chancengleichheit. Dieser verbindet Chancengleichheit mit den Möglichkeiten, die einem Menschen tatsächlich zur Verfügung stehen (vgl. oben 37). 23 Vgl.
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
157
stellung gleicher Ausgangsbedingungen – etwa Antidiskriminierungsgesetze oder eine hohe Erbschaftssteuer – lehnt er ab.27 Stattdessen ist es der nicht regulierte freie Markt, der Chancengleichheit garantieren soll.28 Friedman begründet dieses Verständnis von Chancengleichheit damit, dass eine Gleichverteilung tatsächlicher Chancen schon aufgrund unterschiedlicher biologischer Ausstattungen unmöglich sei.29 Damit ist aber nicht gesagt, warum nicht dennoch zumindest annäherungsweise auch faktischer Zugang zu Ressourcen allgemein ermöglicht werden sollte. Friedmans Ablehnung einer solchen Position ergibt sich aus der starken Betonung der Eigentumsrechte in der Grundlegung des negativen Freiheitsverständnisses.30 Darin zeigen sich die Folgen daraus, dass Friedman das höchste Gut anders bestimmt als Stigler. Dieser hatte die Verbesserung der Individuen so verstanden, dass zur bestmöglichen Entfaltung der Talente jeder vom gleichen Startpunkt aus ins Rennen gehen solle. Dafür seien bestimmte unterstützende und umverteilende Eingriffe erforderlich.31 Wie Stigler, so verwendet auch Friedman die Metapher, nicht alle sollten zur gleichen Zeit ins Ziel einlaufen, sondern an derselben Linie starten.32 Genau genommen laufen seine Forderungen aber nicht darauf hinaus, dass alle am gleichen Punkt starten sollten, sondern dass jeder so schnell laufen darf, wie er es eben kann. Die Startbedingungen – der Status quo – werden gerade nicht infrage gestellt.33 Demgegenüber fällt bei Friedmans Ausführungen zur Chancengleichheit eine Ausnahme ins Auge. Dem staatlichen Bildungssystem attestiert er, dass es zur Ausweitung tatsächlicher Chancengleichheit beigetragen habe.34 In „Capitalism and Freedom“ zieht Friedman Gründe dafür in Erwägung, dass der Staat zur Förderung von Chancengleichheit selbst als Anbieter von Bildungskrediten infrage kommt.35 Wie schon durch die Implikation positiver Aspekte in den Freiheitsbegriff 36 lässt sich eine Inkonsistenz in der Behandlung des Bildungsthemas feststellen. Systematisch ist die Sonderstellung des Bildungsbereiches nicht be Vgl. CaF, 110 f., 172–176; FtC, 300; Friedman 1973b, 37. FtC, 133. 29 Vgl. CaF, 164 f.; FtC, 131 f., 137. 30 Vgl. oben 3.3 Freiheit und das Recht an Eigentum. 31 Vgl. Stigler 1949, 9 f. 32 Vgl. FtC, 128; FtC-TV, 82 f. 33 Die ungleiche Verteilung von Talenten und wirtschaftlichen Ressourcen ist als vom Schicksal oder der Natur bestimmte Tatsache anzuerkennen (vgl. FtC, 131 f., 137). 34 Vgl. FtC, 154: „The establishment of the school system in the United States as an island of socialism in a free market sea reflected only to a very minor extent the early emergence among intellectuals of a distrust of the market and of voluntary exchange. Mostly, it simply reflected the importance that was attached by the community to the ideal of equality of opportunity.“ Vgl. CaF, 107, 176; FtC, 181, 188. 35 Vgl. CaF, 104–107; Friedman 1987p, 119 f., 122. 36 Vgl. oben 103. 27
28 Vgl.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
gründet oder reflektiert.37 Die angedeuteten Überlegungen führen indes nicht dazu, dass Friedman seine Position grundsätzlich revidieren würde. 6.1.4 Einkommensgleichheit als Widerspruch zu individueller Freiheit Personale Gleichheit und Chancengleichheit versteht Friedman als Implikationen des Freiheitsprinzips. Demgegenüber sieht er große Spannungen zwischen individueller Freiheit und dem Verständnis von Gleichheit als Ergebnisgleichheit.38 Friedman beschreibt dieses Konzept folgendermaßen: „Everyone should have the same level of living or of income, should finish the race at the same time. Equality of outcome is in clear conflict with liberty.“39 Friedman gesteht ein, dass in dieser radikalen Form kaum jemand das Ziel der Ergebnisgleichheit für erstrebenswert halte.40 Entscheidend ist für ihn aber, dass es mit dem Freiheitsglauben grundsätzlich nicht vereinbar ist, Ergebnisgleichheit als Ziel einer gesellschaftlichen Ordnung zu verfolgen. Seine Argumentation in diesem Zusammenhang basiert darauf, dass er darstellt, dass Ungleichheit konstitutiv zum Prinzip individueller Freiheit gehört. Prinzipiellen Argumenten für die Unverzichtbarkeit von Ungleichheit schließt er wiederum Argumente an, die sich auf die positiven Konsequenzen von Ungleichheit beziehen. 1.) Prinzipielle Argumente für die Notwendigkeit von Ungleichheiten. Friedmans prinzipieller Argumentation gegen Ergebnisgleichheit liegt das Prinzip der personalen Freiheit zugrunde, wonach Menschen unterschiedliche Präferenzen haben, aber dasselbe Recht, ihre eigenen Präferenzen zu verfolgen. The heart of the liberal philosophy is a belief in the dignity of the individual, in his freedom to make the most of his capacities and opportunities […]. This implies a belief in the equality of men in one sense; in their inequality in another. Each man has an equal right to freedom. This is an important and fundamental right precisely because men are different, because one man will want to do different things with his freedom than another.41
Die unterschiedlichen Präferenzen tragen auf zweierlei Weise zu Ungleichheit bei. Erstens legen Menschen aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse auch unterschiedlich viel Wert auf materielle Güter. Da der Erwerb materieller Güter immer mit dem Verzicht auf andere Güter oder der Inkaufnahme von Unannehmlichkeiten verbunden ist, spricht Friedman hier von „ausgleichenden 37 Auffällig ist jedoch, dass Friedman selbst von einem staatlichen Stipendium profitiert hat, ohne das seine Karriere wohl nicht möglich gewesen wäre (vgl. TLP, 25). 38 Vgl. CaF, 195. 39 FtC, 128. 40 Vgl. FtC, 134. In der TV-Diskussion zur entsprechenden Folge der Fernsehserie wird ihm vorgeworfen, er argumentiere gegen ein künstliches Feindbild, das so kaum vertreten werde (vgl. FtC-TV, 83 f., 88, 96). 41 CaF, 195. Vgl. FtC, 129: „Their different values, their different tastes, their different capacities will lead them to want to lead very different lives.“
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
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Unterschieden“ hinsichtlich des jeweiligen Einkommens.42 Zweitens haben Menschen unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich des Risikos, das sie bereit sind, für ein mögliches höheres Einkommen auf sich zu nehmen. Auch hier handelt es sich um eine bewusste Wahl, deren (negative wie positive) Konsequenzen nicht nachträglich rückgängig gemacht werden dürfen.43 Beide Argumente laufen darauf hinaus, dass Einkommensunterschiede notwendige Konsequenz autonomer Entscheidungen seien und daher „Korrekturen“ an der Einkommensverteilung den Prinzipien des Individualismus entgegenstehen: [A] large part of the existing inequality of wealth can be regarded as produced by men to satisfy their tastes and preferences. [… M]any common economic and social arrangements – from the organizational form of economic enterprises to collectively imposed and enforced income and inheritance taxes – can be interpreted as, at least in part, devices for achieving a distribution of wealth in conformity with the tastes and preferences of the members of society.44
Die These, Einkommensgleichheit laufe den Präferenzen der meisten Individuen zuwider, versucht Friedman empirisch zu untermauern mit dem Hinweis darauf, wie wenig Menschen sich für die faktische Möglichkeit entscheiden, einem egalitären Kollektiv oder freiwilligen Solidargemeinschaften beizutreten.45 2.) Argumente mit den positiven Konsequenzen von Ungleichheit. Über diese prinzipiellen Argumente hinaus führt Friedman Argumente an, die betonen, dass Ergebnisungleichheit positive Konsequenzen hat. Einerseits betont er die Bedeutung ökonomischer Ungleichheit für politische Freiheit. Den Grund für diesen Zusammenhang sieht Friedman darin, dass die Herausbildung ökonomischer Machtzentren einen Gegenpol zu politischer Machtkonzentration darstellt. Außerdem sind besonders reiche Mitglieder der Gesellschaft in der Lage, bestimmte politische Ideen zu unterstützen und so die Entwicklung neuer oder wenig populärer Positionen zu unterstützen.46 Dieses Argument zeichnet sich also dadurch aus, dass es zwar mit den Konsequenzen von Ungleichheit argumentiert, diese aber direkt am höchsten Gut des Freiheitsglaubens misst. Andererseits weist Friedman auf eine ganze Reihe von Aspekten hin, durch die Ungleichheit seiner Meinung nach zur besseren Erreichbarkeit anderer, ins42 Vgl.
CaF, 162; Friedman 1987c, 223. CaF, 162 f., FtC, 137 f. In seinem Aufsatz „Choice, Chance and the Personal Distribution of Income“ (Friedman 1987c) unterstellt Friedman eine bestimmtes Verhältnis zwischen Einkommen und Nutzen. Aus diesem leitet er ab, dass die Inkaufnahme von Risiken und damit Ungleichheiten in einem bestimmten Rahmen rational ist unter dem Gesichtspunkt der Nutzenmaximierung. 44 Friedman 1987c, 235 f. Vgl. CaF, 174. 45 Er bezieht sich dabei auf die verhältnismäßig geringe Anziehungskraft von Kommunen in den USA oder Kibbuzim in Israel (vgl. FtC, 142 f.). 46 Vgl. CaF, 16 f., 168. Dabei vermittelt Friedman den Eindruck, dass sich bei einer genügend großen Gruppe von Wohlhabenden für alle Ideen „however strange“ ein Mäzen finden würde. 43 Vgl.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
besondere ökonomischer, Güter47 beiträgt: Grundlegend ist das Argument, dass nur ein ungleiches Einkommen Anreize zur Aufnahme von Arbeit bietet.48 Die Aussicht auf besonders hohe Entlohnung kann Motivation sein, außergewöhnliche Strapazen auf sich zu nehmen.49 Nur die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, führt zu Innovationen und Fortschritt.50 Das Tragen von Risiko führt außerdem zu einem sorgfältigeren Umgang mit eigenem Besitz als wenn das Risiko etwa von Beschädigungen gemeinschaftlich in einer Versicherung getragen wird.51 Schließlich führen Einkommensungleichheiten dazu, dass es eine Gruppe von Wohlhabenden gibt, die als potenzielle Konsumenten neuer Produkte Innovationen ermöglichen, auch wenn diese für eine Massenproduktion noch zu teuer sind.52 Alle Argumente haben gemeinsam, dass sie darauf abzielen, dass nicht nur diejenigen von Einkommensungleichheiten profitieren, deren Risikoübernahme glücklich verlaufen ist, sondern letztlich die gesamte Gesellschaft.53 6.1.5 Verteidigung der Einkommensgleichheit Angesichts dieser Kritik am Prinzip der Ergebnisgleichheit wäre zu erwarten, dass Friedman das in der Kooperation mit Stigler offengelegte Dilemma der relativen Würdigung von Gleichheit im Horizont des Freiheitsglaubens entlang der Differenzierung von personaler Gleichheit und Chancengleichheit einerseits und Ergebnisgleichheit andererseits zu lösen versucht. Das würde jedoch bedeuten, dass er die ursprüngliche Intention, auch eine gleichmäßige Verteilung ökonomischer Güter im Rahmen des Freiheitsglaubens als relatives Gut zu behaupten, aufgeben müsste. Dies ist jedoch nicht der Fall.54 1,) Einkommensgleichheit als Ergebnis individueller Freiheit. Absolute Einkommensgleichheit steht für Friedman im Widerspruch zu individueller Freiheit. Er lehnt sie als Zielvorstellung daher ab. Sofern aber innerhalb einer freiheitlichen Rahmenordnung eine relative gleichmäßige Verteilung von Einkommen erreicht 47 Friedman beruft sich aber auch auf die Freude an der Ungleichheit, etwa beim Betrachten eines Boxkampfes von Muhammad Ali oder der Beine von Marlene Dietrich (vgl. FtC, 137). In Bezug auf dieses Argument ist jedoch der Einwand besonders treffend, dass kein Egalitarist völlige „Gleichheit“ aller Menschen wolle. 48 Vgl. Friedman 1972a. 49 Vgl. FtC, 137. In der Unterminierung des Anreizsystems sieht Friedman den Grund dafür, dass egalitäre Systeme an der menschlichen Natur scheitern (vgl. FtC, 144 f.). 50 Vgl. FtC, 138. 51 Vgl. Friedman 1987c, 227. 52 Vgl. CaF, 168. 53 Auf die positiven Konsequenzen von Ungleichheit zielt auch Friedmans wiederholt vorgetragenes Argument, er wolle nicht eine Gleichheit, die alle Bäume auf die Höhe der niedrigen zurechtschneide (vgl. Friedman 1973b, 37; FtC-TV,85). 54 Auch Hayek vertritt die Position, eine gleichmäßige Verteilung von Gütern sei wünschenswert, sofern sie nicht durch Zwang erzielt werde (vgl. von Hayek 2011, 150 f.).
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
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werden kann, bleibt dies ein für Friedman begrüßenswertes Gut.55 Eine gleichmäßige Verteilung von Einkommen ist für Friedman ein Nebenprodukt, das nicht zufällig bei der Etablierung einer freiheitlichen Gesellschaft bestmöglich erreicht wird. Zugespitzt formuliert er diesen inneren Zusammenhang: A society that puts equality – in the sense of equality of outcome – ahead of freedom will end up with neither equality nor freedom. The use of force to achieve equality will destroy freedom, and the force, introduced for good purposes, will end up in the hands of people who use it to promote their own interests. On the other hand, a society that puts freedom first will, as a happy by-product, end up with both greater freedom and greater equality. Though a by-product of freedom, greater equality is not an accident.56
Friedman ist der Ansicht, dass ökonomische Ungleichheiten zunehmen, je stärker staatliche Maßnahmen für eine egalitaristische Verteilung ergriffen werden.57 Als Maßstab dient ihm dabei nicht die momentane Verteilung von Einkommen und Vermögen, sondern die Betrachtung über einen längeren Zeitraum hinweg. Der entscheidende Faktor ist für Friedman die vertikale Mobilität, die eine freiheitlich organisierte Gesellschaft eröffnet. Dies verhindert die Bildung starrer Eliten und ermöglicht über einen längeren Zeitraum gerechnet eine ausgeglichenere Einkommensverteilungen.58 Umgekehrt bilde sich in Staaten mit umfassenden Regierungsaktivitäten eine Klasse einflussreicher Bürokraten, die ihre Machtstellung zum eigenen Vorteil zu nutzen wisse bzw. anfällig für Instrumentalisierung durch Lobbyisten sei.59 2.) Friedmans Lösung und das ursprüngliche Problem. Auf den gegen ihn und Stigler erhobenen Vorwurf des Egalitarismus reagiert Friedman, indem er den Vorrang der Freiheit vor der Gleichheit stark macht. Friedman und Stigler sind sich seit Beginn der Auseinandersetzung darin einig, dass Gleichheit nicht das höchste Gut darstellt, sondern nur als Mittel bzw. relatives Gut positiv gewürdigt werden kann. Allerdings weicht Friedman bei der materialen Bestimmung des höchsten Gutes von Stiglers Vorschlag „Verbesserung des Individuums“ ab und benennt negative Freiheit als den entscheidenden sozialen Wert. Seine beiden 55 Vgl. FtC-TV, 90: „[T]here’s no question but what equality of results, if it comes about through a framework of freedom, is a desirable result.“ Vgl. CaF, 195; FtC-TV, 97. 56 Vgl. FtC, 148 f. Diese These äußert Friedman bereits 1948 (vgl. Friedman 1953, 134). 57 Das gilt sowohl im Vergleich zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten als auch für das Verhältnis etwa zwischen den USA und Großbritannien sowie zwischen Großbritannien und Frankreich bzw. für die historische Entwicklung Großbritanniens im 19. und 20. Jahrhundert (vgl. CaF, 168 f., 176; FtC, 143–147; FtC-TV, 97). Unter ihnen allen sei die USA als das am stärksten freiheitlich geprägte Land auch dasjenige mit der gleichmäßigsten Verteilung des Einkommens. 58 Vgl. CaF, 171 f., FtC, 148 f. 59 Vgl. FtC, 144; FtC-TV, 90. Friedman sieht hier inhaltliche Gemeinsamkeiten mit den BBC-Fernsehserien „Yes, Minister“ und „Yes, Prime Minister“, welche in satirischer Weise das Eigeninteresse und die Durchsetzungskraft der Administration thematisiert. Eine persönliche Verbindung zwischen dieser Serie und Friedmans „Free to Choose“ besteht im Produzenten Anthony Jay (vgl. TLP, 475, 633 Anm. 8).
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Einwände gegen Stiglers Beitrag kommen darin zu Geltung: Der normative Individualismus verzichtet erstens konsequent darauf, die Präferenzen des Menschen zu bewerten und sie in irgendeiner Form „verbessern“ zu wollen. Mit der Annahme, in einer freien Gesellschaft verfolge jeder seine je eigenen Ziele, sieht Friedman zweitens gewährleistet, dass die Sicherung des höchsten Gutes zugleich der Nutzenmaximierung dient. Absolute Ergebnisgleichheit lehnt er daher nicht nur in vollendeter Form, sondern auch als Zielvorstellung ab. Dennoch bleibt Friedman seiner ursprünglichen Intention treu und erachtet weiterhin eine gleichmäßige Verteilung von Einkommen innerhalb einer freiheitlichen Gesellschaft für wünschenswert. Die Spannung zwischen beiden Anliegen löst er dadurch auf, dass seiner Ansicht nach gerade eine freiheitliche Gesellschaft dazu führt, ökonomische Differenzen zu minimieren. Friedman zeigt damit nicht, dass Ergebnisgleichheit aus Sicht des Freiheitsglaubens grundsätzlich zu bejahen wäre. Sie ist – wie andere Fragen des individuellen Geschmacks – den zufälligen und gleichermaßen legitimen individuellen Präferenzstrukturen zuzuordnen. Neben einem persönlichen Anliegen kommt hier eher Friedmans diskurspragmatische Position zum Ausdruck. Friedman möchte auch jene von den Vorteilen einer freiheitlichen Gesellschaft überzeugen, die nicht individuelle Freiheit als höchstes soziales Gut anerkennen.60 Auf sie zielt seine These, Einkommensgleichheit sei am besten in einer freiheitlichen Gesellschaft zu erreichen. Für seine eigene Ablehnung von Aktivitäten zur Reduzierung von Einkommensunterschieden bleibt es aber letztlich irrelevant, ob ein freier Markt von sich aus zu diesem Ziel beitragen würde: „[I]f I were wrong, if freedom let to wider inequality I would prefer that to a world in which I got artificial equality at the expense of freedom.“61 So gelingt Friedman eine Würdigung von Einkommensgleichheit unter dem Primat der Freiheit. Allerdings schränkt er dabei die positive Würdigung von Verteilungsgleichheit erheblich ein und lehnt – anders als in ganz frühen Schriften – staatliche Maßnahmen zu ihrer Beförderung ab.62 6.1.6 Zusammenfassung Friedman teilt mit George Stigler das Bestreben, aus der Perspektive des Freiheitsglaubens einerseits egalitären Strömungen, die Gleichheit zum höchsten sozialen Gut erklären, entgegenzutreten und andererseits dennoch an einer po60 Damit gelingt es Friedman nicht über folgende Feststellung Stiglers zur den Gründen dafür, Gleichheit als relatives Ziel anzuerkennen, hinauszukommen: „The most important is that everyone wants more equality“ (Stigler 1949, 6). 61 FtC-TV, 97; vgl. CaF, 195. 62 Insofern verliert Gleichheit für Friedman in der Tat an Bedeutung. Falsch ist aber die These, das Thema habe für Friedman später überhaupt keine Rolle mehr gespielt (vgl. Ebenstein 2007, 35, 70).
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sitiven Bewertung von Gleichheit festzuhalten. Dies setzt voraus, dass Gleichheit als relatives Gut einem anderen höchsten Gut zu‑ und untergeordnet ist. Seine späteren begrifflichen Differenzierungen in Bezug auf „Gleichheit“ lassen sich als Versuch einer Klärung verstehen, inwiefern Gleichheit ein relatives Gut bezogen auf Freiheit darstellt. „Personale Gleichheit“ im Sinne gleicher Würde und gleichen Rechtes auf Verfolgen der je eigenen Präferenzen sowie „Chancengleichheit“ im Sinne ungehinderten Verfügens über eigene Ressourcen beschreibt er als Implikationen individueller Freiheitsrechte. Sie sind nicht nur vereinbar, sondern identisch mit dem von Friedman vertretenen Freiheitsglauben. Chancengleichheit im Sinne tatsächlicher Zugangsmöglichkeiten zu Ressourcen fordert er im Bereich des Bildungswesen, steht ihr ansonsten aber ablehnend gegenüber. Demgegenüber steht absolute Einkommensgleichheit für jenen Aspekt von Gleichheit, der mit dem Freiheitsglauben prinzipiell nicht vereinbar ist. Einkommensunterschiede sind als Ergebnis individueller Entscheidungen nicht ohne Zwang und Verletzung von Eigentumsrechten zu überwinden und stehen daher im Widerspruch zu negativer Freiheit. Seine grundsätzliche Argumentation unterstützend verweist Friedman darüber hinaus auf positive gesamtgesellschaftliche Konsequenzen ökonomischer Ungleichheit. Dennoch erachtet Friedman auch relative Einkommensgleichheit als ein begrüßenswertes Gut, sofern sie unter den Rahmenbedingungen individueller Freiheit zustande kommt. Er vertritt die These, dass in einer freiheitlichen Gesellschaft, die nicht auf Angleichung der Einkommensverhältnisse ausgerichtet ist, faktisch die geringsten Einkommensunterschiede bestehen. Allerdings hat dieser Zusammenhang für ihn kein normatives Gewicht.
6.2 Freiheit und Gerechtigkeit Wie Freiheit und Gleichheit ist auch Gerechtigkeit ein sozialer Wert, der nach der Qualität von Beziehungen zwischen Menschen fragt. Trotz dieser formalen Parallele ist er inhaltlich weder mit Gleichheit noch mit Freiheit identisch. Die Vorstellung, Gerechtigkeit sei das höchste soziale Gut, ist daher neben dem Egalitarismus eine zweite Alternative, von der Friedman seinen Freiheitsglauben abgrenzt. Es ist daher zu fragen, was Friedman unter Gerechtigkeit versteht und ob er auch Gerechtigkeit als ein relatives Gut im Rahmen des Freiheitsglaubens erachtet. Dabei fällt zunächst auf, dass er sich mit diesem Thema deutlich weniger auseinandersetzt als mit dem der Gleichheit. Eine klare Begriffsbestimmung, auch eine Differenzierung zwischen „justice“ und „fairness“ findet sich bei Friedman nicht. Die systematisierende Interpretation in Blick auf seinen Umgang mit der Thematik ist daher verstärkt auf eine zusammenstellende Analyse vereinzelter
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Aussagen im Gesamtzusammenhang des Freiheitskonzepts angewiesen. Eine Bestandsaufnahme zeigt, dass Friedman Gerechtigkeit als eine bestimmte Form von Gleichheit versteht, die mit dem Freiheitsglauben nicht kompatibel ist (6.2.1). Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass er dennoch zumindest implizit selbst den Maßstab der Gerechtigkeit in einem bestimmten Sinne anwendet (6.2.2). 6.2.1 Gerechtigkeit im Widerstreit mit Freiheit Anders als Gleichheit begegnet Gerechtigkeit bei Friedman zumeist in ablehnenden Zusammenhängen. Er beschreibt Gerechtigkeit als eine bestimmte Form von Gleichheit, die er im Widerspruch zum Freiheitsglauben sieht, nämlich als Gleichheit der Ausgangssituation oder als Gleichheit des Ergebnisses.63 1.) Gerechtigkeit als gleiche Ausgangsbedingungen. Bezüglich der Ausgangssituation stellt er fest: Much of the moral fervor behind the drive for equality of outcome comes from the widespread belief that it is not fair that some children should have a great advantage over others simply because they happen to have wealthy parents. […] Life is not fair. It is tempting to believe that government can rectify what nature has spawned. But it is also important to recognize how much we’ve benefited from the very unfairness we deplore. There’s nothing fair about Marlene Dietrich’s having been born with beautiful legs that we all want to look at; or about Muhamad Ali’s having been born with the skill that made him a great fighter.64
Fairness identifiziert Friedman hier als Gleichheit der Ausgangsbedingungen und karikiert sie als ein unrealistisches Ideal. Menschen sind „von Natur aus“ mit unterschiedlichen Begabungen und Ressourcen ausgestattet. Gerechtigkeit im Sinne gleicher Ausgangsbedingungen kann es daher nicht geben. Daraus resultierende Ungleichheiten sind als schicksalhafte Zufälle („chance“) hinzunehmen.65 2.) Gerechtigkeit als gleiche Ergebnisse oder gleiche Befriedigung von Bedürfnissen. Noch kritischer steht Friedman einem Verständnis von Gerechtigkeit gegenüber, das auf die Angleichung materieller Ausstattung oder erreichbarer Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet ist.66 Dieses Ideal sieht er – anders als das 63 Eine explizite Auseinandersetzung mit John Rawls findet sich bei Friedman nicht. Es liegt jedoch auf der Hand, dass er mit seinen Äußerungen auf Debatten in den USA reagiert (vgl. Friedman 1977a, 91), die wesentlich von Rawls angestoßen und geprägt wurden (vgl. bes. das erstmals 1971 erschienene Rawls 1999). 64 FtC, 136 f. 65 Vgl. CaF, 165 f.: „Most differences of status or position or wealth can be regarded as the product of chance at a far enough remove. The man who is hard working and thrifty is to be regarded as ‚deserving‘; yet these qualities owe much to the genes he was fortunate (or unfortunate?) enough to inherit.“ Vgl. Friedman 1986a, 79. 66 Zwar konstatiert Friedman, dass eine Gleichverteilung von Wirtschaftsgütern kaum ernsthaft vertreten werde. Er hält sie als Ideal jedoch durchaus für einflussreich. Vgl. FtC, 134: „No
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
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Ideal der Gleichheit – in einem fundamentalen Gegensatz zu seinem Freiheitsideal. Friedman begründet das damit, dass eine an Gerechtigkeit statt Freiheit ausgerichtete Politik gleich zweifach in Konflikt mit dem Freiheitsprinzip gerät. Erstens weicht sie ab vom normativen Individualismus, der die je individuellen Präferenzen als entscheidende Maßstäbe anerkennt. Stattdessen wird Gerechtigkeit als ein externer Maßstab angelegt. Zweitens kann Gerechtigkeit nur mit Mitteln des Zwangs durchgesetzt werden, wenn sie nicht vollständig mit individuellen Präferenzstrukturen übereinstimmt (was ein ergänzendes Kriterium überflüssig machen würde). Gerechtigkeit als oberstes Politikziel führt somit automatisch zu einer totalitären Politik, die Freiheitsrechte des einzelnen unter ein unterstelltes „Gemeinwohl“ unterordnet.67 Um seine These von einem prinzipiellen Gegensatz zwischen Freiheit und Gerechtigkeit zu untermauern, beruft sich Friedman auch auf die Autorität der Gründungsväter. Der Begriff „fair“ sei in keinem der Gründungsdokumente der USA enthalten.68 6.2.2 Gerechtigkeit in der Argumentation Friedmans In einer Newsweek-Kolumne mit dem Titel „Fair Versus Free“ verwendet Friedman auch einen anderen, positiv besetzten Begriff von Fairness, der sich implizit auch an weiteren Stellen findet. Friedman bezieht den Begriff „fairness“ dabei auf eine Rahmenordnung, die das Recht auf Gleichbehandlung garantiert. Nimmt man wieder Bezug auf den Gleichheitsbegriff, steht der Begriff der personalen Gleichheit im Hintergrund: Is then the search for ‚fairness‘ all a mistake? Not at all. There is a real role for fairness, but that role is constructing general rules and adjudicating disputes about the rules, not in determining the outcome of our separate activities. That is the sense in which we speak of a ‚fair‘ game and ‚fair‘ umpire. […] Our Founding Fathers designed a fair Constitution to protect human freedom.69
one really maintains that everyone […] should have identical rations of each separate item of food, clothing, and so on. The goal is rather ‚fairness,‘ a much vaguer notion […]. ‚Fair shares for all‘ is the modern slogan that has replaced Karl Marx’s ‚To each according to his need, from each according to his ability.‘“ 67 Vgl. FtC, 135 (im Original z. T. Kursiv): „,Fairness‘ is not an objectively determined concept once it departs from identity. […] If all are to have ‚fair shares,‘ someone or some group of people must decide what shares are fair – and they must be able to impose their decisions on others, taking from those who have more than their ‚fair‘ share and giving to those who have less. […] [T]here is a fundamental conflict between the ideal of ‚fair shares‘ or of its precursor, ‚to each according to his needs,‘ and the ideal of personal liberty. This conflict has plagued every attempt to make equality of outcome the overriding principle of social organization. The end result has invariably been a state of terror: Russia, China, and, more recently, Cambodia offer clear and convincing evidence.“ Vgl. Friedman 1977a, 92. 68 Vgl. Friedman 1977a, 91. 69 Friedman 1977a, 93; vgl. CaF, 176.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Ebenso wie er es seinen intellektuellen Gegnern unterstellt, sieht Friedman also die Regierung in der Pflicht, Gerechtigkeit zu schaffen. Der Unterschied zu ihnen besteht darin, dass dies nicht dadurch geschieht, dass Besitz‑ und andere Verhältnisse in einer bestimmten Weise aktiv gestaltet werden, sondern dass Rahmenbedingungen für eine auf Freiwilligkeit beruhende Interaktion geschaffen werden.70 Von einem solchen Verständnis von Gerechtigkeit aus kritisiert Friedman verschiedentlich ungerechte Praktiken: Staatliche Unterstützung von Chrysler zur Sicherung von Löhnen und Arbeitsplätzen lehnt er ab, da dies den Einsatz von Steuermitteln zur Sicherung der Interessen einer spezifischen Gruppe bedeuten würde. Der Grundsatz der Gleichbehandlung wäre damit verletzt.71 Aus Gerechtigkeitsgründen fordert Friedman eine Erhöhung des Soldes beim von ihm geforderten Übergang von einer Wehrpflicht‑ in eine Freiwilligenarmee. Kriterium ist dafür aber nicht der Beitrag der Soldaten zum Gemeinwohl oder deren Bedarf für eine angemessene Lebensführung. Entscheidender Maßstab ist der Marktlohn, der bei Wegfall der Wehrpflicht gezahlt werden müsste, um eine ausreichende Zahl Freiwilliger zu rekrutieren.72 Kriterium für einen gerechten Lohn ist also derjenige Lohn, der sich auf einem freien Markt einstellen würde. Auch gegen die Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung argumentiert Friedman unter Berufung auf Prinzipien der Fairness. Sein Einwand lautet, in einem solchen System würden diejenigen die knappen Güter der Versorgung erhalten, die durch penetrantes Verhalten oder gute Beziehungen dafür zu sorgen wüssten.73 Entscheidend ist, dass auch hier nicht die Bedürfnisgerechtigkeit Kriterium eines angemessenen Anteils ist. Dieser bemisst sich an der Fähigkeit und Bereitschaft, für knappe Güter – auch im Gesundheitswesen – zu bezahlen.74 „Gerechtigkeit“ im Sinne Friedmans besteht, wo die äußeren Rahmenbedingungen freiwillige Kooperation zulassen und zugleich ihre notwendigen Bedingungen sicherstellen. Allerdings verwendet er den Begriff nur selten in diesem 70 Es ist also gerade die Erfüllung der Kernfunktion des liberalen Staates, mit der er „Gerechtigkeit“ sichert (vgl. unten 8.2 Die Aufgaben des Staates: Sicherstellung von Regeln für freiwillige Interaktion). 71 Vgl. TSQ, 123: „[W]e believe that there is no justification for the particular benefit of displaced automobile workers.“ 72 Vgl. Friedman 1987a, 74: „Out of simple justice, we should raise the pay and improve the living conditions of enlisted men. If we did so, the number of ‚real‘ volunteers would increase, even while conscription continued.“ Die vorgeschlagene Interpretation des Satzes ist nicht unbedingt zwingend. Möglich – aber mit Friedmans sonstigen Ausführungen nicht konsistent – wäre auch, dass er Gerechtigkeit hier als ein externes Kriterium anlegt, an dem sich die Höhe des Soldes bemessen sollte. Die These wäre dann, dass im Vergleich zu den gegenwärtigen Bedingungen der gerechte Lohn höher und somit zugleich attraktiver wäre. Da ähnliche Aussagen bei Friedman sonst nicht begegnen und die Stelle nicht auf eine Klärung des Gerechtigkeitskonzeptes abzielt, wird sie im Rahmen seines Gesamtkonzeptes zu interpretieren sein. 73 Vgl. Friedman 1975a, 343. 74 Vgl. McLellan, 165.
6. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
167
Sinne, sondern meist als ein Alternativmodell zu individueller Freiheit.75 Der Grund dafür wird sein, dass er – zu Recht – davon ausgeht, dass seine Bestimmung des Begriffes dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht entspricht und daher für Missverständnisse anfällig wäre. 6.2.3 Zusammenfassung Im Unterschied zum Ideal der Gleichheit lehnt Friedman das Konzept der Gerechtigkeit ab. Es zielt seiner Ansicht nach auf eine Identität entweder der Ausgangsbedingungen oder der Ergebnisse (quantitativ oder nach Maß der Bedürfnisbefriedigung), die die prinzipielle Verschiedenheit von Individuen nicht anerkennt, sondern überwinden will. Das Ideal der Gerechtigkeit steht im Widerspruch zum Ideal der Freiheit, da es sich über die natürliche, ungleiche Verteilung von Fähigkeiten und Ressourcen (also das Eigentumsrecht) hinwegsetzt, ein von individuellen Präferenzen unterschiedenes Kriterium an die Verteilung von Ressourcen anlegt (also dem normativen Individualismus widerspricht) und daher nur durch Anwendung von Zwang durchgesetzt werden kann. Wo Friedman explizit oder implizit doch mit Gerechtigkeitsvorstellungen argumentiert, bezieht er sich auf die Gestaltung der staatlichen Ordnung. Diese ist gerecht, sofern sie personale Gleichheit garantiert und insofern die Rahmenbedingungen ungehinderter freiwilliger Interaktion gewährleistet.
75 Wenn Friedman auch Hayeks Ausführungen zu Gerechtigkeit, Verdienst und Wert (vgl. von Hayek 2011, 156–164) nicht aufgreift, gelangt er durchaus zu einem vergleichbaren Ergebnis bezüglich des Gerechtigkeitsbegriffes (vgl. von Hayek 2011, 163).
7. Freiheit und Markt Konkret wird das Ideal negativer Freiheit im individuellen Handeln, das Friedman als Streben nach der Erfüllung von Eigeninteresse versteht. Trotz seines individualistischen Denkansatzes sieht Friedman menschliches Handeln als eingebunden in soziale Zusammenhänge. Die Überlegungen zur Ablehnung sozialer Verantwortung haben gezeigt, dass dieses nicht ohne die Existenz sozialer Institutionen möglich ist. Die Ausgestaltung der institutionellen Voraussetzungen freiwilliger Interaktion ist Gegenstand der Kapitel 7–9. Zunächst stellt sich dabei die Frage, wie Friedman grundsätzlich mit dem Problem umgeht, das Ziel negativer Freiheit unter den Bedingungen sozialer Interdependenz zu verwirklichen (7.1). Als grundlegend für Friedmans folgende Überlegungen erweist sich seine Sicht auf Markt und Staat als zwei alternative Gesellschaftsmodelle zur Koordination von Interaktion (7.2). Davon ausgehend beschreibt dieses Kapitel Friedmans Sicht der Institution des Marktes. Es wird gezeigt, warum Friedman aus Perspektive des Freiheitsglaubens eine Koordination durch den Markt für vorzugswürdig erachtet (7.3) und auf welchen Bedingungen die Funktionsfähigkeit des Marktes seiner Meinung nach beruht (7.4).
7.1 Das Problem der sozialen Interdependenz Im Rahmen seiner individualistischen Theorie setzt Friedman voraus, dass Menschen nur interagieren, wenn beide einen Vorteil davon haben. „Since the household always has the alternative of producing directly for itself, it need not enter into any exchange unless it benefits from it.“1 Dies entspricht nun aber nicht der Wirklichkeit, wie er sie vorfindet. Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch ein hohes Maß an sozialer Integration aus. Gerade im Bereich der Ökonomie ist zunehmende Arbeitsteilung ein bedeutendes Charakteristikum und Mittel des Fortschritts. Für Friedman stellt sich damit die Aufgabe, das Faktum sozialer Interdependenz und den Theorierahmen des Individualismus zu „versöhnen“.2 1 CaF,
13 (Hervorhebung B. G.). CaF, 12 (Hervorhebung B. G.): „The basic problem of social organization is how to coordinate the economic activities of large numbers of people. […] The challenge to the believer in liberty is to reconcile this widespread interdependence with individual freedom.“ Vgl. FtC, 1, 51; Friedman 1964, 542. 2 Vgl.
7. Freiheit und Markt
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Beim Übergang vom Modell zur Beschreibung der tatsächlichen Situation eines freien Marktes modifiziert Friedman daher die Bedingung der Freiwilligkeit erheblich, ohne dies hinreichend zu reflektieren.3 Friedman verweist nun nur noch darauf, dass die Zustimmung zu den je konkreten Akten der Interaktion freiwillig sein müsse: „As in that simple model, so in the complex enterprise and money-exchange economy, co-operation is strictly individual and voluntary provided […] that individuals are effectively free to enter or not to enter into any particular exchange“.4 Indem er den Blick vom Modell auf die Wirklichkeit richtet, spricht Friedman nicht mehr davon, dass die Entscheidung zur Interaktion überhaupt freiwillig ist.5 In modernen Gesellschaften können Menschen nicht allgemein darauf verzichten, mit anderen zu interagieren. Daher kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Bedingungen von Interaktion nicht einseitig festgelegt werden können. Zur Sicherstellung von Präferenzautonomie muss jedoch gewährleistet sein, dass die gewählten Akte der Interaktion freiwillig erfolgen. Friedman versucht, den Grundsatz der normativen Präferenzautonomie unter der Bedingung von Sozialität zu retten, indem er auf die Notwendigkeit alternativer Handlungsoptionen verweist. Dabei kommt es zu den in Abschnitt 3.4 beobachteten Erweiterungen der Begriffe „Freiheit“ und „Zwang“. Wenn Menschen darauf angewiesen sind, mit anderen zu kooperieren, ist ihre Präferenzautonomie nicht schon dadurch gesichert, dass sie keiner physischen Gewalt ausgesetzt sind. Es muss auch ausgeschlossen werden, dass sie in einseitigen Abhängigkeitsverhältnissen stehen und so den Zielvorstellungen anderer unterworfen sind. Dennoch ist das individualistisch begründete konzeptionelle Verständnis von Freiheit im negativen Sinne leitend für Friedmans institutionentheoretische Überlegungen. Er modifiziert sein Konzept allein dahingehend, dass eine Wahl möglich sein muss. Wie attraktiv die zur Wahl stehenden Alternativen für das Individuum sind, spielt dabei keine Rolle. Auch andere aus dem normativen Individualismus abgeleitete Grundentscheidungen – etwa die Legitimation des Status quo oder die Ablehnung sozialer Verantwortung – behält Friedman konsequent bei bzw. bringt sie gerade in Zusammenhang seiner Überlegungen über die Gestaltung des Zusammenlebens prägnant zum Ausdruck. Insofern kann gesagt werden: Angesichts der faktischen Sozialität des Menschen weicht Friedman vom rein negativen Verständnis von Freiheit ab, da er die Bedeutung alternativer Handlungsmöglichkeiten zur Sicherstellung der Präferenzautonomie betont. 3 Vgl.
Macpherson 1990a, 357; Macpherson 1990b, 475. 14 (Hervorhebungen geändert durch B. G.). 5 Werkgeschichtlich lief die Entwicklung andersherum als in der systematisierenden Rekonstruktion dargestellt: Ursprünglich geht Friedman von der Beobachtung ökonomischer Probleme aus. Ein Teil dieser Wahrnehmungen geht dann bei der Entwicklung seines konzeptionellen Freiheitsbegriffes verloren (vgl. oben 3.4 Positive Aspekte in Friedmans Freiheitsbegriff und unten 8.2.6 Vom Neo-Liberalismus zum Laissez-faire-Liberalismus). 4 CaF,
170
Teil II: Systematische Rekonstruktion
Gleichzeitig versucht er, diesen Schritt so klein wie irgend möglich zu halten und orientiert sich am Ideal einer von Eingriffen anderer Menschen gesicherten Privatsphäre. Friedmans Freiheit ist auch weiterhin die „freedom to starve“6. Er legt lediglich Wert darauf, dass nicht ein einzelner Mensch einem anderen einseitig die Bedingungen der Interaktion diktieren kann.
7.2 Die Alternativen der Koordination von Interaktion: Markt und Staat Die Allgegenwart menschlicher Interaktion macht es erforderlich, diese zu koordinieren. Die entscheidende Frage für Friedman ist, ob dies unter Verwendung von Zwang oder unter Verzicht auf Zwang erfolgt. Ersteres ist die Methode des Staates, letzteres die des Marktes.7 Fundamentally, there are only two ways of coordinating the economic activities of millions. One is central direction involving the use of coercion – the technique of the army and of the modern totalitarian state. The other is voluntary co-operation of individuals – the technique of the marketplace.8
„Markt“ und „Staat“ beziehen sich demnach nicht auf verschiedene Aufgabenbereiche, sondern auf verschiedene Weisen der Koordination von Interaktion. Nach Friedman beruht der Markt auf der Koordination durch freiwillige Kooperation. Die Anwendung dieses Prinzips ist nicht auf ökonomische Märkte beschränkt, auch wenn dies ihr ursprünglicher Bezug ist.9 Beispielsweise beschreibt Friedman auch die Entstehung von Sprache als Resultat einer nicht gesteuerten Kooperation.10 Wissenschaftlicher Fortschritt erfolgt auf dem „Markt der Ideen“ durch freiwilligen Austausch von Hypothesen und Einsichten zum gegenseitigen Nutzen.11 Schließlich nennt Friedman auch die Entwicklung kultureller Werte und Normvorstellungen z. B. im Bereich der Ästhetik als Ergebnis ungesteuerter Evolution.12 Die Alternative „Freiwilligkeit oder Zwang“ impliziert zugleich eine weitere Differenz zwischen Markt und Staat. Nur im System des Staates kann es eine zentrale Lenkung geben. In der Institution des Marktes erfolgt Koordination dezentral durch planvolles Handeln einer Fülle von Individuen. Die Differenz des Marktes zum Staat liegt also nicht im Verzicht auf Planung, sondern im Verzicht auf eine zentrale Planungsinstanz, die ihre Pläne nur durch Zwang durchsetzen könnte.13 6 Friedman
1956 (MFA 44.2), 11 (vollständiges Zitat oben 100). diesem Punkt bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Friedman und Friedrich August von Hayek (vgl. oben 38). 8 CaF, 13; vgl. CaF, 166; FtC, 9; Friedman 1987g, 18. 9 Vgl. FtC, 25; FtC-TV, 7: Friedman 1987o, 6. 10 Vgl. FtC, 25. 11 Vgl. FtC, 25 f. 12 Vgl. FtC, 26 f. 13 Vgl. Friedman 1975b, 284 f. sowie ebenso von Hayek 1945, 520 f. 7 In
7. Freiheit und Markt
171
Friedman vertritt die Ansicht, eine Gesellschaft lasse sich weder vollständig nach den Prinzipien des Marktes noch nach den Prinzipien des Staates koordinieren.14 Es liegt jedoch auf der Hand, dass aus liberaler Perspektive das System der freiwilligen Kooperation zur Verfolgung eigener Vorteile, also das des Marktes, das dominierende Prinzip gesellschaftlicher Koordination sein muss.15 Im Folgenden soll daher zunächst aufgezeigt werden, worin genau die Vorzüge der Koordination durch den Markt liegen und unter welchen Bedingungen sie zum Tragen kommen. In einem eigenen Kapitel ist dann zu fragen, warum es nicht möglich ist, eine Gesellschaft ausschließlich nach Prinzipien des Marktes zu organisieren und welches daher die angemessene Rolle des Staates in einer Gesellschaft ist, die primär nach Marktprinzipien organisiert ist.
7.3 Vorzüge des Marktes Die Vorzüge des Marktes lassen sich wiederum nach den zwei bekannten Aspekten beurteilen, die Friedmans Argumentation durchziehen: Vorzüge aus prinzipiellen Gründen und Vorzüge aufgrund positiver Konsequenzen. 7.3.1 Vorzüge des Marktsystems aus prinzipiellen Gründen Der wesentliche Unterschied zwischen dem politischen System und dem Marktsystem besteht darin, dass ersteres einheitliche Regeln für alle Beteiligten festlegt, während letzteres erlaubt, je nach den eigenen Vorstellungen zu leben.16 Das Marktsystem wird damit dem Grundanliegen des normativen Individualismus gerecht, wonach jeder das Recht hat, seine eigenen Präferenzen zu verfolgen. Darin liegt sein Unterschied und – aus Sicht des Freiheitsglaubens – sein normativer Vorzug gegenüber einer Steuerung durch Zwang, die zugunsten des (vermeintlichen) Gemeinwohls die Verfolgung individueller Bedürfnisse verhindert.17 Kritik am Marktsystem ist nach Friedman häufig gerade dadurch motiviert, dass es eine solche Bevormundung unmöglich macht.18 Letztlich erlaubt aber nur dieses ein weitgehend konfliktfreies Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft, da es eine Integration je unterschiedlicher Wertvorstellungen zu14 Vgl.
FtC, 11; Friedman 1987g, 19. CaF, 39; FtC, 11. 16 Vgl. CaF, 15: „The characteristic feature of action through political channels is that it tends to require or enforce substantial conformity. The great advantage of the market, on the other hand, is that it permits wide diversity. It is, in political terms, a system of proportional representation. Each man can vote, as it were, for the color of tie he wants and get it; he does not have to see what color the majority wants and then, if he is in the minority, submit.“ Vgl. CaF, 160, 200; FtC, 27, 65 f.; FtC-TV, 15. 17 Vgl. Friedman 1987n, 42; FtC, 65 f. 18 Vgl. CaF, 15. 15 Vgl.
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lässt. Es ist daher auch mit Blick auf die Pluralismusfähigkeit und politische Stabilität eines Landes vorzuziehen.19 7.3.2 Vorzüge des Marktsystems aufgrund positiver Konsequenzen Grundsätzlich steht für Friedman fest, dass die Folgen von freiwilliger Interaktion immer positiv sind. Beide Interaktionspartner stimmen nur zu, wenn sie jeweils der Meinung sind, von der Kooperation zu profitieren.20 Welche Konsequenzen freiwillige Interaktion konkret hat, hängt von den Präferenzstrukturen der beteiligten Individuen ab. Der Markt hat im Horizont des normativen Individualismus seinen Vorzug gerade darin, dass er genau jene Güter befördert, die Individuen tatsächlich anstreben. Darin liegt für Friedman der eigentliche Grund, die Ergebnisse von Markttransaktionen als vorzugswürdig zu erachten.21 Die positiven Konsequenzen erstrecken sich einerseits auf den ökonomischen Bereich der Effizienz und Produktivität und andererseits auf den gesellschaftlichen Bereich, wo das System des Marktes für die Reduzierung von Diskriminierung verantwortlich ist. 1.) Steigerung von Effizienz und Produktivität. Das Marktsystem erlaubt es Menschen, ihre je eigenen Ziele zu verfolgen und selbst die Früchte ihrer Anstrengungen zu ernten. Es ist durch diese Form der Anreize in der Lage, in weit größerem Maße Motivation, Eigeninitiative und Kreativität zu erzeugen als ein System, das Menschen zwingt, die Ziele anderer zu verfolgen.22 Im Ergebnis sind Wohlstand und Produktivität in marktwirtschaftlich strukturierten Ländern unvergleichlich größer als in sozialistischen Ländern.23 Nicht nur die Gesamtmenge der Produktion ist aufgrund besserer Anreize höher. Da kooperierende Individuen je eigene Ziele verfolgen, werden auch zielgerichteter deren Bedürfnisse befriedigt. Arbeitskraft wird effizient eingesetzt, da genau jene Güter produziert werden, die die Menschen tatsächlich verlangen und nicht diejenigen, die ihnen von anderen zugeteilt werden.24 Dieser letzte Aspekt ist auf Basis der normativen Präferenzautonomie entscheidend. Weder technische 19 Vgl.
CaF, 23 f. CaF, 166; FtC, 1 f., 13; Friedman 1987g, 21; Friedman 1987 n, 42. Friedman folgend wird zunächst davon abgesehen, dass auch Dritte an den Folgen von Interaktion zwischen zwei Kooperationspartnern beteiligt sein können. Dies wird unter dem Aspekt der externen Effekte in Abschnitt 8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb zu berücksichtigen sein. 21 Dass die Ergebnisse freiwilliger Interaktion für alle Beteiligten positiv sind, heißt nicht, dass sie für alle Beteiligten auch optimal sind. Es sind Konstellationen denkbar, in denen einzelne durch die Ausübung von Zwang ihre Ziele besser erreichen könnten. Marktergebnisse sind für alle Beteiligten optimal, wenn die Möglichkeit des Zwangs ausgeschlossen wird (vgl. Gamwell 2000, 316 Anm. 6). 22 Vgl. CaF, 166, 199 f. 23 Vgl. CaF, 199; FtC, 11, 35, 54 f. 24 Vgl. CaF, 166 f.; Friedman 1981c, 131. Der freie Markt führt daher auch im Bereich sozialer Wohltätigkeiten zu effizienteren Ergebnissen als staatliche Steuerung (vgl. FtC, 37). 20 Vgl.
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Effizienz noch das aggregierte Sozialprodukt machen den positiven Charakter des Marktes aus. Ausschlaggebend ist, dass solche Dinge produziert werden, die den Konsumwünschen der Menschen entsprechen – dass es sich um Effizienz an „useful output“ handelt.25 Genau genommen ist Wirtschaftswachstum also nicht zwangsläufig Ergebnis freier Märkte, sondern weil und sofern dies den Präferenzen einer Vielzahl von Individuen entspricht.26 2.) Reduzierung von Diskriminierung und Rassismus. Als eine weitere positive Folge des Marktsystems erachtet Friedman die Reduzierung von Diskriminierung aufgrund politischer, religiöser oder ethnischer Unterschiede.27 Dafür macht er insbesondere zwei Gründe verantwortlich. Zum einen bedeutet der Verzicht auf Kooperation aus Gründen der Diskriminierung einen Verzicht auf möglichen eigenen Vorteil, er ist also mit Kosten verbunden.28 Insbesondere in Konkurrenzsituationen kann dies durchaus existenzbedrohend sein.29 Zum anderen zeichnen sich komplexere Märkte durch ein hohes Maß an Anonymität aus. Dadurch ist es geradezu unmöglich, diskriminierende Praktiken aufrecht zu halten. Stattdessen ist es alleine die Qualität und Effizienz der Interaktion, nicht die Person des Kooperationspartners, die den Ausschlag dafür gibt, mit wem kooperiert wird.30 Die Reduzierung von Diskriminierung wirkt sich so wiederum positiv auf die Gesamtproduktivität der Gesellschaft aus. Die Förderung eines harmonischen Zusammenlebens trotz Differenzen gilt nicht nur innerhalb pluraler Gesellschaften, sondern auch auf internationaler Ebene.31 Die hier genannten Vorzüge kann ein System, das gesellschaftliche Interaktion in der Form freiwilliger Kooperation koordiniert, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen entfalten. Sie sind im näher in den Blick zu nehmen. 25 Vgl.
Friedman o. J. (MFA 39.9): „As a meaningful concept, efficiency refers to the ratio of useful output to total output […]. It thus has no meaning without a value system which says what is and what is not useful output.“ In seiner Argumentation identifiziert Friedman das ausschlaggebende Wertesystem mit individuellen Präferenzstrukturen. Die Formulierung „useful output“ findet sich auch bei Knight 1951b, 42; Knight 1967, 10; vgl. ähnlich Simons 1948a, 46. Vgl. sachlich identisch Friedman 1980 (MFA 221.4), 2 f.: „,Economic Progress‘ does matter a good deal to us but not because we regard economic efficiency as an objective on a par with freedom, but because we believe that ‚economic progress‘ is a widely shared objective of people and that they would use their freedom to promote it. If they wished not to, if they all became anti-growth, that would be okay with us.“ 26 Vgl. Friedman 1974 (MFA 228.4). 27 Vgl. CaF, 108–118; FtC, 51. 28 Vgl. CaF, 20 f.; Friedman 1987b, 44. 29 Vgl. CaF, 109 f. 30 Vgl. CaF, 19, 21. Dies bedeutet dann natürlich auch, dass es nur schwer möglich ist, Rassisten aufgrund ihrer politischen Haltung zu diskriminieren, indem ihre Produkte boykottiert werden. 31 Vgl. FtC, 51: „International free trade fosters harmonious relations among nations that differ in culture and institutions among individuals who differ in beliefs, attitudes, and interests. […] [T]he interests of that various parties are harmonized. Cooperation, not conflict, is the rule.“
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7.4 Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des Marktes Dass Friedman überhaupt Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des Marktes formuliert, hat im Rahmen seines Gesamtkonzeptes eine enorme Bedeutung, die nicht übersehen werden darf. Im Rahmen seiner methodologischen Überlegungen betont Friedman, dass es sich bei den Prämissen ökonomischer Theoriebildung (z. B. Eigennutzmaximierung, vollständige Informiertheit) um heuristische Annahmen handele.32 Diese müssen nicht selbst realistisch sein, sondern ziehen ihre Berechtigung daraus, dass mit ihrer Hilfe zutreffende, empirisch nachprüfbare Prognosen gemacht werden können.33 Im nun zu diskutierenden Zusammenhang geht Friedman noch einen Schritt weiter. Er argumentiert, dass der Verzicht auf Zwang grundsätzlich positive Konsequenzen hat. Dabei vermeidet er den simplen Zirkelschluss, dass die Ergebnisse schon deshalb positiv seien, weil sie ohne staatlichen Zwang zustande gekommen sind.34 Wie Abschnitt 7.3.2 gezeigt hat, beruht seine Argumentation darauf, dass der Markt es den Individuen effizient ermöglicht, ihre eigenen Präferenzen zu verfolgen. Dass dies nicht nur theoretisch, sondern auch faktisch gilt – und zwar nicht nur gelegentlich, sondern grundsätzlich – setzt voraus, dass die Prämissen der Argumentation zutreffen. Sie lassen sich nicht länger auf den Status heuristischer Annahmen beschränken.35 Friedman muss daher die Frage klären, ob die Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind, wie dies sichergestellt werden kann bzw. ob die Argumentation auch dann aufrecht erhalten werden kann, wenn einzelne Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Im Folgenden ist zunächst festzustellen, welche Voraussetzungen Friedman im einzelnen benennt. Diese sollen dann näher betrachtet werden, wobei die Frage ihrer Erfüllbarkeit oder Ersetzbarkeit im Blick behalten werden muss. Grundkonzept des Marktes ist eine freiwillige Interaktion zur Verfolgung eigener Interessen. Seine Verwirklichung basiert im Kern auf der Gewährung individueller Freiheit. Im Einzelnen benennt Friedman folgende Bedingungen für das Funktionieren von Märkten: The possibility of co-ordination through voluntary co-operation rests on the elementary – yet frequently denied – proposition that both parties to an economic transaction benefit from it, provided the transaction is bi-laterally voluntary and informed.36 [I]n the complex enterprise and money-exchange economy, cooperation is strictly voluntary, provided: (a) that enterprises are private, so that the ultimate contracting partners 32 Vgl.
Friedman 1987m, 163–165. Friedman 1987m, 159–161. 34 Vgl. den entsprechenden Vorwurf bei McLellan, 38: „In sum, because voluntary agreements are assumed to be beneficial, they are beneficial.“ 35 Vgl. McLellan, 115: „Interestingly enough, as one follows the public Friedman, it becomes clear that he acts as though the unrealistic assumptions of his theory are in fact real“. 36 CaF, 13. 33 Vgl.
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are individuals and (b) that individuals are effectively free to enter into any particular exchange.37 [Y]ou need all three things: you need markets, the possibility of people communicating with one another; you need private markets, where people are engaging in transactions on their own behalf; and, you need free markets, where all transactions are voluntary. That is the essence of human freedom. It is the freedom of people to make their own decisions so long as they do not interfere with the freedom of other people to do the same.38
Offensichtlich sind die drei Formulierungen unterschiedlich differenziert und unterschiedlich vollständig. Es ist aber davon auszugehen, dass sie nicht in Widerspruch zueinander stehen, sondern zusammengenommen die Bedingungen darstellen, die nach Friedman für die Funktionsfähigkeit von Märkten erfüllt sein müssen: die Freiwilligkeit der Interaktion (7.4.1), die Existenz von Märkten (7.4.2) sowie die Privatheit (7.4.3) und die Informiertheit der Interaktanten (7.4.4). 7.4.1 Freiwilligkeit durch Wettbewerb Freiwilligkeit der Interaktion ist definitionsgemäß das grundlegende Prinzip des Marktes.39 Angesichts des Problems sozialer Interdependenz fasst Friedman diesen Begriff gegenüber der rein negativen konzeptionellen Grundlegung geringfügig weiter. Entscheidend ist für ihn nun, dass eine ausreichende Anzahl von alternativen Möglichkeiten zur Kooperation vorliegt. Exchange is truly voluntary only when nearly equivalent alternatives exist. Monopoly implies the absence of alternatives and thereby inhibits effective freedom of exchange.40 So long as effective freedom of exchange is maintained, the central feature of the market organization of economic activity is that it prevents one person from interfering with another in respect of most of his activities. The consumer is protected from coercion by the seller because of the presence of other sellers with whom he can deal. The seller is protected from coercion by the consumer because of other consumers to whom he can sell.41
Die Unvermeidlichkeit von Interaktion als solcher ist der Grund dafür, dass Freiwilligkeit nur durch das Prinzip des Wettbewerbs gewährleistet ist. Das Vorhandensein einer Vielzahl möglicher Interaktionspartner verhindert es, dass Individuen auch dann einer Kooperation zustimmen müssen, wenn sie sie selbst 37 CaF,
14 (Hervorhebungen geändert durch B. G.). 1990, 61 (Hervorhebungen B. G.). 39 Ausgehend vom negativen Freiheitsverständnis und wegen des definitorischen Charakters des Freiwilligkeitsprinzips bezeichnet Friedman die Situation Robinsons als pure Form der Marktwirtschaft (vgl. Friedman 1987g, 19). Dabei verliert er jedoch aus dem Blick, dass der Markt als Form der Koordination von Interaktion gedacht werden soll, das Konzept also für die Situation des isolierten Individuums keine Relevanz besitzt. 40 CaF, 28. 41 CaF, 14 (Hervorhebung B. G.). 38 Friedman
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nicht als vorteilhaft erachten. Daher bezeichnet Friedman den Markt als besten Schutz für die Interessen von Arbeitnehmern42 und Konsumenten43. Es ist nicht davon auszugehen, dass Menschen in der modernen Gesellschaft ganz darauf verzichten könnten, zu konsumieren oder ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Ihnen steht jedoch eine Vielzahl von potenziellen Partnern gegenüber, die von entsprechender Interaktion profitieren und daher an ihr interessiert sind. Der Wettbewerb sichert Freiwilligkeit dadurch, dass keine einseitigen Abhängigkeitsverhältnisse entstehen und aus den bestehenden Möglichkeiten die je vorteilhaften gewählt werden können. 7.4.2 Existenz von Märkten: Möglichkeit des Austauschs, Geld‑ und Preissystem 1.) Möglichkeiten des Austausches. Die Gefahr einseitiger Abhängigkeit wird dadurch reduziert, dass eine Vielzahl alternativer Kooperationspartner zur Verfügung steht. In Erinnerung an die ursprüngliche Funktion des Marktplatzes als Forum des Austausches44 nennt Friedman daher die Möglichkeit zur Kommunikation als eine Bedingung des Marktes. Historisch ist diese Feststellung keineswegs trivial. Die fortschreitende Entwicklung von Handelsstraßen, Transport‑ und Kommunikationsmitteln führt deutlich vor Augen, dass mit ihnen auch die Möglichkeiten zur Kooperation zugenommen haben. Friedman selbst widmet dieser Bedingung jedoch keine weitere Aufmerksamkeit und erwähnt sie auch nur im letzten der angeführten Zitate. Dies kann damit erklärt werden, dass Friedman der Ansicht ist, dass sie in menschlichen Gesellschaften immer schon erfüllt war und im 20. Jahrhundert eine wohl unumkehrbare Intensität erreicht hat.45 Vor allem aber stellt sich das Problem der institutionellen Gestaltung von Interdependenz ohnehin erst dann, wenn bereits ein hoher Grad an sozialer Integration erreicht ist. 2.) Geldsystem. Zu den bedeutenden „technischen“ Voraussetzungen, die den Austausch in komplexen Gesellschaften vorangetrieben haben, gehört die Entwicklung des Geldwesens.46 Erst dieses ermöglicht den hohen Grad der Arbeitsteilung und Entpersonalisierung. Es vereinfacht außerdem die Vergleichbarkeit verschiedener Interaktionsmöglichkeiten und trägt daher dazu bei, die wahrhaft vorteilhafte zu wählen. 3.) Preissystem. Das zentrale Mittel der Kommunikation auf dem Markt ist das Preissystem. Über die Bereitschaft, zu einem bestimmten Preis einem Austausch zuzustimmen, kommunizieren Menschen, wann sie eine bestimmte Interaktion für vorteilhaft erachten. Dabei kommt es zu einer Reduktion der übermittelten 42 Vgl.
CaF, 14 f.; FtC, 246. FtC, 222, 226. 44 Vgl. Friedman 1990, 60. 45 Vgl. CaF, 12 f. 46 Vgl. CaF, 14. 43 Vgl.
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Informationen auf ein erforderliches Minimum und es wird möglich, die Kooperation einer unüberschaubaren Vielzahl von Individuen zu koordinieren.47 7.4.3 Private Märkte: Privateigentum und Eigenverantwortung Die Bedingung, Märkte müssten privat sein, erläutert Friedman folgendermaßen: It is private if the people who get together to deal with one another are making the deals for themselves or in terms of their own interests or as agents for other particular individuals. It is not private if they are making the deals on behalf of, let’s say, the government or some other such entity.48 A private market is one in which the people making deals are making them either on their own behalf or as agents for identifiable individuals rather than as agents of governments.49
Die Privatheit von Märkten impliziert also für Friedman, dass letztlich immer Individuen miteinander interagieren.50 Dies scheint insofern eine überflüssige Bedingung zu sein, als er überhaupt nur Individuen als Urheber von Handlungen kennt. Auch kann die Aussage nicht so verstanden werden, dass Individuen auf dem Markt nicht auch im Namen von Institutionen agieren, die die Interessen einer Vielzahl von Individuen bündeln und koordinieren.51 Unternehmen können mit der Formulierung „some other such entity“ daher nicht gemeint sein. Die Forderung der Privatheit52 bezieht sich genau genommen darauf, dass die individuellen Interaktanten jeweils „auf eigene Rechnung“ handeln. Dies hat insbesondere zwei Implikationen: 1.) Privateigentum. Es handelt sich nur dann um ein Marktgeschehen, wenn die Interaktanten über je eigene Ressourcen verfügen bzw. als Agenten im Auftrag und im Sinne der eigentlichen Eigentümer handeln.53 Friedman sieht in der Sicherstellung des Privateigentums als Grundlage der Interaktion geradezu das ethische Kriterium um das Ergebnis jedweder Interaktion zu beurteilen: „The 47 Vgl. FtC, 13, 14–18; Friedman 1987g, 22 f. Explizit bezieht sich Friedman dabei auf F. A. Hayek (vgl. von Hayek 1945, 525 f.). Friedman nennt außerdem zwei weitere Funktionen des Preissystems: Anreize (vgl. FtC, 18–20) und Einkommensdistribution (vgl. FtC, 20–24). Diese beiden Funktionen entsprechen dem Prinzip privater Märkte und werden implizit im nächsten Abschnitt behandelt. 48 Friedman 1990, 60; vgl. CaF, 14. 49 Friedman 1991a. 50 Vgl. Friedman 1955a, 362. 51 Vgl. CaF, 13 f., wo Friedman dies explizit anerkennt. 52 Friedman steht in der Tradition Mills, wenn er den Begriff der Privatheit daran festmacht, wer die Konsequenzen einer Handlung trägt (vgl. oben 29). Allerdings schließt Friedman nur jene Handlungen aus dem Privatbereich aus, in denen ein Individuum explizit als Vertreter einer staatlichen Institution auftritt, während bei Mill auch jene Handlungen den Bereich des Privaten übersteigen, die faktisch erhebliche Auswirkungen auf andere haben. Zur wohl auch von Friedman geteilten Kritik an Mills Konzept von Privatheit vgl. von Hayek 2011, 212 f. 53 Vgl. Friedman 1987n, 42: „In an ideal free market resting on private property, no individual can coerce any other“ (Hervorhebung B. G.).
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ethical principle that would directly justify the distribution of income in a free market society is, ‚To each according to what he and the instruments he owns produces.‘“54 2.) Eigenverantwortung. Die positiven wie negativen Konsequenzen der Interaktion sind von den jeweils beteiligten Interaktionspartnern zu tragen.55 Dem entspricht die Haftungspflicht, also die „ability to bring suit in the court against malpractice.“56 7.4.4 Informiertheit: Implikationen und Folgen von Interaktionen Als weitere Voraussetzung für erfolgreiche Koordination durch das Marktsystem nennt Friedman die Informiertheit der Interaktanten: „The possibility of co-ordination through voluntary co-operation rests on the elementary – yet frequently denied – proposition that both parties to an economic transaction benefit from it, provided the transaction is bi-laterally voluntary and informed.“57 Jedoch fehlt dieser Aspekt bei anderen Ausführungen und Friedman führt ihn kaum weiter aus. Es ist zunächst zu unterscheiden, worüber Menschen nach Friedman informiert sein müssen. In einem ganz grundsätzlichen Sinne gehört Informiertheit zu den anthropologischen Voraussetzungen, die Friedmans Gesamtsystem zugrunde liegen: Der Mensch kennt seine eigenen Präferenzen und kann daher beurteilen, ob ihm ein Austausch vorteilhaft erscheint.58 Informiertheit in einem zweiten Sinne ist bereits in der Existenz von Märkten enthalten: Kommunikationsmedien und ein funktionierendes Preissystem vermitteln Wissen über Präferenzen und Interaktionsinteresse von potenziellen Kooperationspartnern. Für die Beurteilung, ob eine Interaktion tatsächlich von Vorteil ist, wäre aber Informiertheit in noch zwei weiteren Dimensionen erforderlich: bezüglich ihrer konkreten Implikationen und ihrer Folgen. Nur wer umfassend weiß, auf was er sich bei einer Interaktion einlässt, kann deren Wert beurteilen. Wie schon für die Frage der Freiwilligkeit, kann Informiertheit nicht einfach in einem abstrakten Modell vorausgesetzt werden, wenn auf die Vorzugswürdigkeit eines realen Gesellschaftssystems geschlossen werden soll. Dass vollständige Informiertheit unter den Bedingungen von begrenztem Wissen und Risiko unmöglich ist, liegt auf der Hand. Die vollständige Informiertheit dient Friedman gerade als Beispiel dafür, dass die Annahmen der ökonomischen Theoriebildung offensichtlich
54 CaF,
161 f.; vgl. CaF, 166.
55 Vgl. zur Eigenverantwortung oben 5.3 Der Gegenstand der Verantwortung: Folgen eigener
Handlungen und die eigene Familie. 56 CaF, 157. 57 CaF, 13. 58 Vgl. oben 2.2.2 Menschen kennen und verfolgen ihr Eigeninteresse.
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nicht realistisch sind.59 Die Frage ist also, wie er damit umgeht, dass eine der Bedingungen für ein perfektes Marktsystem nicht gegeben ist. 1.) Implikationen. Bezüglich der Implikationen von konkreten Interaktionen bleibt Informiertheit ein anzustrebendes Ziel. Daher ist zumindest das bewusste Verschleiern von bekannten Aspekten eines Austausches durch einen der beiden Partner abzulehnen. Täuschung und Betrug verletzen den Grundsatz der Informiertheit und untergraben daher das Prinzip der Koordination durch freiwillige Kooperation.60 Andererseits bleibt auch dann noch das Problem, dass ein oder beide Partner der Interaktion nicht alle Implikationen des Austausches durchschauen können. Dies gilt insbesondere im Verhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten. Verbraucher sind oft nicht in der Lage, die Vielzahl von Informationen, die zu einem Produkt zur Verfügung stehen, einzuholen und zu bewerten. Sie stehen hier vor dem Problem, dass Informationen selbst mit Kosten verbunden sind und daher in ihre Nutzenabwägungen einbezogen werden müssen.61 Bezüglich der Möglichkeit, die Fachkompetenz von Ärzten zu beurteilen, deutet Friedman an, dass im Sinne der Informiertheit eine staatliche Zertifizierung hier gerechtfertigt sein könnte.62 In der weit überwiegenden Zahl der Fälle geht Friedman aber einen anderen Weg, wonach der Markt selbst die Informationsdefizite überwindet. Schließlich liegt es im langfristigen Interesse der Produzenten, die Wünsche ihrer Kunden zu befriedigen und ihnen die dafür erforderlichen Produkte und ggf. Informationen zur Verfügung zu stellen.63 Wo dieser Mechanismus nicht ausreicht, kann er durch die Herausbildung von Zwischenhändlern oder von Bewertungsagenturen ergänzt werden.64 Neben das Interesse der Produzenten an einem guten Image tritt das Interesse anderer Anbieter, Konsumenten ggf. verlangte Informationen oder Fachkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Der Wettbewerb führt also dazu, dass die Produzenten selbst ein Interesse daran haben, dass Interaktionen mit ihren Kunden für diese tatsächlich vorteilhaft sind und macht so die Voraussetzung der Informiertheit auf Seiten der Kunden letztlich überflüssig.65 59 Vgl.
Friedman 1987m, 165. CaF, 145, 157. 61 Vgl. Friedman 1983c, 168; Friedman 1987e, 517. 62 Vgl. CaF, 144, 146 f. Allerdings geht es ausdrücklich nur um eine Zertifizierung, nicht um eine Zulassung. Ob ein Patient zu einem ggf. günstigeren nicht zertifizierten Arzt gehen möchte, bleibt ihm selbst überlassen. Entscheidend ist nur, dass die Bedingungen der Interaktion – einschließlich der Qualifikation des Arztes – bekannt oder zugänglich sind (vgl. CaF, 149). 63 Vgl. FtC, 222 f., 226; Friedman 1983c, 164 f. Auch für die Sicherstellung der Qualität ärztlicher Behandlung bevorzugt er diese Lösung (vgl. CaF, 159). 64 Vgl. FtC, 223 f. 65 Vgl. FtC, 223: „But, the advocate of government regulation will say, without the Consumer Products Safety Commission, how can the consumer judge the quality of complex products? The market’s answer is that he does not have to be able to judge for himself. He has other bases for choosing.“ 60 Vgl.
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2.) Konsequenzen. Die Konsequenzen einer Interaktion können unter der Situation von Unsicherheit nicht bekannt sein, wobei der Grad der Unsicherheit – das Risiko einer Interaktion – variiert.66 Im Endeffekt heißt dies, dass nicht jeder Interaktant, der einer Kooperation zustimmt, von dieser tatsächlich profitiert. Manche Formen der Interaktion, wie etwa das Glücksspiel, ziehen ihren Reiz gerade daraus, dass dies nicht der Fall ist.67 Dennoch steht dies für Friedman einer Koordination durch Kooperation nicht entgegen. Die Bereitschaft zur Übernahme von Risiken ist selbst Teil individueller Präferenzstrukturen und notwendig für das Funktionieren einer Marktwirtschaft.68 Entscheidend dafür, dass die Bedingung der Informiertheit erfüllt ist, ist also nicht, dass die tatsächlichen Folgen, sondern die Chancen und Risiken einer bestimmten Interaktion hinreichend bekannt sind.69 Der Aspekt des Risikos macht deutlich, dass die „Vorteilhaftigkeit“ freiwilliger Interaktion nicht darin besteht, dass das Individuum in jedem Fall besser dasteht als vor der Interaktion. Vorteilhaft ist eine Interaktion bereits dann, wenn sie der Präferenzstruktur (einschließlich der Präferenz für Risiken) und dem Wissensstand der beteiligten Individuen zum Zeitpunkt der Vertragsschließung entspricht.70
7.5 Zusammenfassung Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch ein hohes Maß an Arbeitsteilung und sozialer Integration aus. Faktisch finden sich Menschen immer in einer Situation vor, in der sie mit anderen in Beziehung stehen. Aus diesem Grund modifiziert Friedman seine individualistischen Voraussetzungen in seinen institutionentheoretischen Überlegungen. Er geht nicht davon aus, dass Menschen nur dann mit anderen interagieren, wenn sie daraus einen Nutzen ziehen. Entscheidend für die Wahrung des normativen Individualismus ist für ihn vielmehr, dass Menschen nicht zu einer konkreten Form der Interaktion genötigt werden. Daher ist eine Koordination individueller Aktivitäten erforderlich. Nach Friedman kann dies auf zweierlei Weisen erfolgen, die er einander gegenüberstellt: entweder durch staatliche Lenkung mit dem Mittel des Zwanges oder in der Form freiwilliger Kooperation nach den Prinzipien des Marktes. Friedman spricht sich für ein Primat des Marktprinzips aus, da dieses auf Zwang verzichtet und den Individuen das Recht auf die Verfolgung je eige66 Vgl.
McLellan, 37. FtC, 137 f. 68 Vgl. FtC, 222; Friedman 1987g, 27. 69 Vgl. Friedman 1983c, 163. Zur Übernahme von Risiken ist auch das Experimentieren mit unbekannten Produkten zu zählen. Auch diese Gelegenheit darf Konsumenten nicht durch Restriktionen verwehrt werden (vgl. FtC, 212). 70 Wobei die Übernahme von Risiken wiederum gesamtgesellschaftlich positive Effekte hat, unabhängig vom Ergebnis für einzelne (vgl. FtC, 138 f.). 67 Vgl.
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ner, unterschiedlicher Präferenzen gewährt. Es entspricht also den normativen Prinzipien des Freiheitsglaubens. Darüber hinaus fördert das Marktsystem Produktivität und Effizienz und trägt durch die Förderung apersonaler Interaktion zur Überwindung von Diskriminierung bei. Die positiven Effekte des Marktsystems hängen von folgenden Faktoren ab: Freiwilligkeit der Interaktion, Existenz von Märkten, Sicherstellung von Privatheit sowie Informiertheit der Interaktanten. Freiwilligkeit ist der Grund dafür, dass Individuen nur für sie positiver Interaktion zustimmen. Da die Freiwilligkeit der Teilnahme an Interaktion überhaupt nur im theoretischen Modell gewährleistet ist, fällt dem Wettbewerb die Funktion zu, Freiwilligkeit zu garantieren. Durch eine ausreichend hohe Zahl an möglichen Kooperationspartnern ist sichergestellt, dass Individuen nur für sie vorteilhafter Interaktion zustimmen. Die Existenz von Märkten setzt Friedman durch die faktische Existenz menschlicher Gesellschaften voraus, wobei insbesondere das Geld‑ und das Preissystem förderlich wirken. Die Privatheit von Interaktionen verlangt die Sicherstellung des Privateigentums und der Eigenverantwortung. Die Informiertheit ist eine weitere theoretische Voraussetzung dafür, dass Individuen nur für sie positiver Interaktion zustimmen. Bezüglich der Informiertheit über die Implikationen des Austauschs vertritt Friedman die These, das Eigeninteresse der Interaktionspartner und anderer Marktteilnehmer mache diese Voraussetzung letztlich überflüssig. Bezüglich der Unsicherheit über die Folgen der Interaktion verweist Friedman auf Risikopräferenzen und relativiert die These der positiven Folgen freiwilliger Interaktion dahingehend, dass er sie auf die Präferenzstruktur und den Wissensstand zum Zeitpunkt der Entscheidung bezieht.
8. Freiheit und Staat Friedman versteht Freiheit als Abwesenheit von Zwang durch andere. Da Freiheit in diesem Sinne das höchste soziale Gut ist und die Anwendung von Zwang das Grundprinzip staatlicher Ordnung, steht Friedman der Macht des Staates grundsätzlich skeptisch gegenüber. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass er in seinem Entwurf einer an individueller Freiheit orientierten Gesellschaftsordnung dem Staat dennoch einen klar umrissenen Aufgabenbereich zuweist. Zunächst wird erläutert, warum Friedman davon ausgeht, dass auf die Existenz einer staatlichen Ordnung nicht verzichtet werden kann (8.1) und welche Aufgaben dem Staat im Horizont des Freiheitsglaubens zukommen (8.2). Von da aus stellt sich die Frage, wie die politische Rahmenordnung gestaltet werden sollte. Dies ergibt sich aus Friedmans ökonomischer Analyse des politischen Systems (8.3). Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass staatliche Macht begrenzt werden muss (8.4). Drei Exkurse ergänzen dieses Kapitel. Sie sind jeweils bedeutenden Beiträgen Friedmans zu bestimmten politischen Themen gewidmet (Umweltschutz, Bildungspolitik, Armutsbekämpfung). Sie zeigen exemplarisch, wie Friedman seine Position anhand konkreter gesellschaftlicher Probleme entfaltet, und dienen zugleich dazu, den Zusammenhang der Grundlagen des Freiheitsglaubens und seiner politischen Konsequenzen zu illustrieren.
8.1 Die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen für freiwillige Interaktion Im Unterschied zum Markt setzt der Staat auf eine Steuerung durch Zwang und bedient sich dafür Regeln, die für alle gleichermaßen gelten, die also gerade keine Vielfalt zulassen.1 Damit steht er von seinen Prinzipien her im Widerspruch zum Freiheitsglauben. Dennoch ist Zwang im Horizont von Friedmans pragmatischem Liberalismus dann legitim, wenn er der Verwirklichung individueller Freiheit dienlich ist. Dafür, dass dies in der Tat der Fall ist, nennt Friedman
1 Vgl.
CaF, 23.
8. Freiheit und Staat
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zwei Argumente.2 Beide basieren darauf, dass Menschen faktisch sozial interdependent sind, dass also nicht die Situation der völligen Freiheit Ausgangspunkt praktischer Erwägungen sein kann.3 1.) Die Unvollkommenheit des Menschen. Staatliche Strukturen sind für Friedman deswegen nicht verzichtbar, da individuelle Freiheitsrechte miteinander in Konflikt geraten können: The need for government in these respects arises because absolute freedom is impossible. However attractive anarchy may be as a philosophy, it is not feasible in a world of imperfect men. Men’s freedoms can conflict, and when they do, one man’s freedom must be limited to preserve another’s – as a Supreme Court Justice once put it, ‚My freedom to move my fist must be limited by the proximity of your chin.‘4
Eine staatliche Regulierung von Konflikten ist deswegen erforderlich, weil Menschen nicht immer auf das Verfolgen eigener Interessen verzichten, wenn sie in Konflikt mit anderen geraten. Friedman bezeichnet sie deswegen als „imperfect beings“5. Im Horizont des normativen Individualismus kann sich dies nicht auf falsche, zu überwindende Präferenzstrukturen beziehen. „Imperfect“ im Sinne Friedmans ist der Mensch insofern, als er auch dazu bereit ist, seine Ziele unter Anwendung von Zwang durchzusetzen.6 2.) Die Notwendigkeit von einheitlichen Regelungen. Grundsätzlich ist es ein Vorteil der Koordination durch den Markt, dass sie Vielfalt zulässt. Für einige wenige Ausnahmen ist es jedoch nicht möglich, für die Bewohner eines Landes unterschiedliche Regelungen zuzulassen. „Unfortunately, unanimity is not always feasible. There are some respects in which conformity appears unavoidable, so I do not see how one can avoid the use of the political mechanism altogether.“7 Als Beispiel für unmögliche Differenzierung je nach individueller Präferenz nennt Friedman die Gewährung öffentlicher Sicherheit. Beide Argumente verdeutlichen, dass Friedman staatliche Regelungen an sich nicht für wünschenswert hält. Sie können aber unter den Bedingungen menschlicher Sozialität nicht ganz ausgeschlossen werden.8 Diese erfordert Maßnahmen 2 Ich vernachlässige dabei das bei Friedman nur einmal erwähnte und in seiner systematischen Bedeutung unklare Argument, Effizienz müsse gegenüber anderen Zielen relativiert werden, zu deren Gunsten Einschränkungen in den Markt legitim seien (vgl. Friedman 1987g, 32). Eine kohärente Einordnung dieser Aussage in das bislang dargestellte Gesamtkonzept scheint nicht möglich zu sein. 3 Vgl. FtC, 69: „Freedom cannot be absolute. We do live in an interdependent society. Some restrictions on our freedom are necessary to avoid other, still worse, restrictions.“ 4 Vgl. CaF, 25 f. 5 CaF, 12 (im Original kursiv); vgl. CaF, 25. 6 Vgl. Friedman 1968 (MFA 50.2), 1: „imperfect men may […] use his [sic] material wealth to exploit his fellow man“. 7 Friedman 1987n, 42.Vgl. CaF, 23; TSQ, 76. 8 Vgl. Friedman und Doherty 1995, 4: „Friedman: ‚[…] I would like to be a zero-government libertarian.‘ Reason: ‚Why aren’t you?‘ Friedman: ‚Because I don’t think it’s a feasible social structure.‘“
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
zum Schutz individueller Freiheit ebenso wie ein Minimum an gemeinschaftlich erledigten Aufgaben. Ihre Funktion ist es, individuelle Freiheit sicherzustellen und Individuen dabei zu unterstützen, ihre je individuellen Ziele zu verfolgen.9 Staatlicher Zwang ist nach den Prinzipien des pragmatisch argumentierenden Freiheitsglaubens dadurch legitimiert, dass er das Gesamtpotenzial an Zwang reduziert.10 Unter den Bedingungen dieser Welt ist Anarchie keine praktikable Alternative.11
8.2 Die Aufgaben des Staates: Sicherstellung von Regeln für freiwillige Interaktion Allgemein formuliert bekommt die Regierung12 damit die Aufgabe, Regeln für freiwillige Interaktion zu schaffen, Regelverstöße zu sanktionieren und bei Bedarf Regeln auszulegen. Dies verlangt die Etablierung eines politischen Systems, das die Bedingungen festlegt, unter denen Regeln geändert werden können. Friedman verwendet für die Regierung das Bild eines Regelmachers und Schiedsrichters, der nicht einzelne Spielzüge vorschreibt, sondern ein Regelwerk festlegt und überwacht, das eine geordnete freiwillige Kooperation ermöglicht.13 Aus dieser Funktionsbestimmung ergibt sich, welche Art von Regeln die Regierung zu bestimmen hat. Neben den verfassungsrechtlichen Bestimmungen über das Verfahren zur Etablierung, Überwachung und Änderung von Regeln sind dies Regeln, die die Voraussetzungen freiwilliger Kooperation sicherstellen. Der Verantwortungsbereich der Regierung erstreckt sich also auf genau jene Bereiche, die Friedman als Voraussetzungen des Marktes identifiziert. In summary, the organization of economic activity through voluntary exchange presumes that we have provided, through government, for the maintenance of law and order to prevent coercion of one individual by another [Freiwilligkeit, B. G.], the enforcement of 9 Vgl.
CaF, 2: „Government is necessary to preserve our freedom“. Vgl. Gamwell 1984, 15. Friedmans Argumentation entspricht in diesem Punkt der vertragstheoretischen Begründung des Staates bei James Buchanan (vgl. Buchanan und Tullock 1974, 71 f.). 11 Vgl. CaF, 25. Überlegungen dazu, ob sich die Bedingungen je ändern könnten, finden sich bei Friedman nicht. Der Annahme stabiler Präferenzen folgend stellt er die Frage, ob sich die Einstellung der Menschen auch ändern könnte. Die menschliche Neigung zur Ausübung von Zwang und die Notwendigkeit ist für ihn in dieser Welt universal. 12 Friedman folgend wird in diesem Abschnitt häufig von der „Regierung“ gesprochen. Angemessener wäre der Ausdruck „Staat“, da häufig von Funktionen die Rede ist, die der Legislative oder Judikative zuzuordnen sind. 13 Vgl. CaF, 15: „The existence of a free market does not of course eliminate the need for government. On the contrary, government is essential both as a forum for determining the ‚rules of the game‘ and as an umpire to interpret and enforce the rules decided on.“ Vgl. CaF, 25–27; FtC, 30; TSQ, 18 f. Die Betrachtung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs als „Spiel“ hat Frank H. Knight ausführlich erörtert (vgl. z. B. Knight 1951b, 62–65). 10
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contracts voluntarily entered into, the definition of the meaning of property rights, the interpretation and enforcement of such rights [Privatheit, B. G.], and the provision of a monetary framework [Existenz von Märkten, B. G.].14
Um den systematischen Bezug auf die Voraussetzungen des Marktes zu verdeutlichen, orientiert sich die Darstellung der einzelnen Aufgaben des Staates in ihrer Reihenfolge nicht an ihrer Behandlung bei Friedman,15 sondern am logischen Zusammenhang der Voraussetzungen des Marktes, wie er in Abschnitt 7.4 nachgezeichnet wurde. 8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb 1.) Freiheit. Wie die Freiheit im negativen Sinne das Grundprinzip des Marktes ist, so ist die Sicherung vor Zwang durch Dritte die unzweifelhafte Grundfunktion des Staates. Verhindert werden soll, dass entweder ausländische Mächte oder Mitbürger ihre Interessen durch die Ausübung von Gewalt durchsetzen.16 Bei der Verhinderung von Gewalt wird das Prinzip, das staatlicher Tätigkeit grundsätzlich zugrunde liegt, am besten deutlich: Der Einsatz von Zwangsmitteln dient dazu, größtmögliche Freiheit von Zwang zu ermöglichen.17 Diese Grundfunktion erfüllt der Staat in erster Linie durch die Bereitstellung von Militär und Polizei. Aus Gründen der äußeren Sicherheit ist er in Ausnahmefällen auch legitimiert zu Einschränkungen in der ökonomischen Freiheit, etwa hinsichtlich der Lieferung strategisch wichtiger Güter an kommunistische Länder.18 2.) Wettbewerb. In Abschnitt 7.4.1 konnte gezeigt werden, dass für Friedman unter den Bedingungen unhintergehbarer Sozialität Freiheit Handlungsalterna14 Vgl.
CaF, 27.
15 In „Capitalism and Freedom“ unterscheidet Friedman drei Gründe für Regierungshandeln:
1.) Die Notwendigkeit einer Rahmenordnung; 2.) Technische Monopole und externe Effekte sowie 3.) paternalistische Gründe (vgl. CaF, 25–34). In „Free to Choose“ benennt er in Anschluss an Adam Smith folgende drei Aufgaben: 1.) Schutz vor Zwang oder Gewalt von außen; 2.) Schutz vor Zwang oder Gewalt durch Mitbürger (einschließlich der Etablierung einer Rahmenordnung, die den Umgang mit Konflikten regelt); 3.) Bereitstellung öffentlicher Güter (darunter zählt Friedman die Schaffung eines Ausgleichs für externe Effekte). Außerdem ergänzt er Smiths Liste um 4.) die Fürsorge für nicht verantwortungsfähige Menschen (vgl. FtC, 27–33). Später nennt er als drei Grundfunktionen der Regierung: 1.) Schutz des Landes gegen äußere Gewalt; 2.) Schutz der Bürger vor Gewalt im Innern; 3.) Setzen einer Rahmenordnung (vgl. Friedman und Fisher 2005, 14:52; zu den ersten beiden Aufgaben vgl. TSQ, 69, 123). 16 Vgl. TSQ, 69: „Hence, defense must take priority over every other function of government along with the equally basic function of insuring ‚domestic tranquility‘.“ Vgl. CaF, 14; FtC, 29; TSQ, 123. 17 Vgl. FtC, 29: „A major problem in achieving and preserving a free society is precisely how to assure that coercive powers granted to government in order to preserve freedom are limited to that function“. Vgl. CaF, 25 f. Friedman verfügt also durchaus über die Argumentationsfigur „Freiheit durch Zwang“ (gegen Lütge 2004, 165 Anm. 1). Vgl. auch von Hayek 2011, 206 (Zitat oben 40). 18 Vgl. CaF, 71.
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tiven, also Wettbewerb voraussetzt. Dies legt nahe, dass Friedman die Sicherstellung von Wettbewerb zu den Aufgaben der Regierung zählt. Friedmans Haltung hinsichtlich staatlicher Eingriffe zur Eindämmung von Monopolen und Kartellen auf der Basis von Absprachen zwischen Unternehmern hat sich im Laufe der Zeit gravierend verändert.19 Seine ersten Beiträge zur Freiheitsthematik dienen gerade der Rechtfertigung umfangreicher staatlicher Eingriffe zur Verhinderung von Monopolen und Kartellen.20 In „Capitalism and Freedom“ erörtert Friedman zunächst die Frage, ob staatliche Intervention aufgrund technischer Monopole tolerierbar sei.21 Er bevorzugt auch in solchen Fällen die Aktivität von privaten Unternehmen, da diese letztlich doch der Konkurrenz durch Anbieter von Substitutionsgütern ausgesetzt seien.22 Lediglich bei Gütern mit besonders hoher gesellschaftlicher Relevanz könne staatliche Aktivität gerechtfertigt sein.23 Dies betrifft Bereiche, in denen es Konsumenten nicht möglich ist, auf andere Güter auszuweichen und insofern keine Freiheit gegenüber dem Interaktionspartner besteht. Nicht gerechtfertigt ist jedenfalls die rechtliche Sicherung eines staatlichen Monopols. Allein das Auftreten möglicher Wettbewerber ist hinreichender Beweis dafür, dass es sich nicht um ein technisches Monopol handelt und daher Wettbewerb vorzuziehen ist.24 Während Friedman die positive Beurteilung von Antimonopolgesetzen zumeist beibehält,25 ist er zunehmend zurückhaltend mit der These, dabei handele es sich um eine Aufgabe, die der Staat prinzipiell zu erfüllen habe.26 Grund dafür ist, dass nach Friedman Monopole und Kartelle instabil sind, so lange sie nicht durch die Regierung abgesichert werden. Das Abschöpfen von Monopolgewinnen führt dazu, dass der Markteintritt für potenzielle Konkurrenten attraktiv 19 Er folgt darin einer Tendenz, die in der Chicago School insgesamt festzustellen ist (vgl. Noppeney 1998, 92 f.). In der älteren Chicago School teilen Friedmans Eintreten für Antimonopolgesetze etwa Jacob Viner (vgl. Viner 1991c, 223) und Henry Simons (vgl. Simons 1948b, 4, 16 f.). Impulse zu einer Neubewertung gingen insbesondere von Aaron Director aus (vgl. Stigler 1988, 162–166; van Horn und Mirowski 2010, 202–205). 20 Vgl. Friedman 1950 (MFA 41.2), 3–5; Friedman 1951 (MFA 42.12), 2 f., 6 f.; Friedman 2012c [1951], 7 f.; Friedman 1956 (MFA 44.2), 9 f. 21 Technische Monopole zeichnen sich dadurch aus, dass es aus technischen Gründen effizienter ist, einen einzigen Produzenten eines Gutes zu haben als in einer Wettbewerbssituation (vgl. CaF, 28, 128 f.). Dies ist der Fall insbesondere dann, wenn hohe Kosten für eine aufwändige Infrastruktur anfallen, etwa bei Telefon‑ oder Schienennetzen. Im Unterschied zu öffentlichen Gütern ist das Ausschlussprinzip gewährleistet. 22 Vgl. CaF, 28; Friedman 1973b, 27. 23 Vgl. CaF, 29. Man kann hier z. B. an die Bereitstellung von Trinkwasser denken (vgl. von Hayek 2011, 203). 24 Friedman bezieht sich dabei insbesondere auf das staatliche Postmonopol in den USA (vgl. CaF, 29 f., 125). 25 Vgl. Friedman 1955a, 362; CaF, 28, 131 f.; FtC, 133. Explizit fordert er auch die Einbeziehung der Gewerkschaften in das Kartellrecht (vgl. CaF, 125, 132). 26 Anders als noch in „Capitalism and Freedom“ (vgl. CaF, 28) ist in „Free to Choose“ die Existenz von Monopolen nicht Gegenstand seiner Überlegungen zu den angemessen Tätigkeitsbereichen einer Regierung (vgl. FtC, 28–32).
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wird. In Kartellen besteht ein Anreiz dazu, die Wettbewerber zu unterbieten.27 Dass es dennoch zur Konzentration ökonomischer Macht kommen kann, liegt daran, dass der Wettbewerb durch staatliche Eingriffe bspw. im Steuersystem oder durch Lizenzierung eingeschränkt wird.28 Der Staat fördert die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs also primär dadurch, dass er seine eigenen Aktivitäten begrenzt.29 Insbesondere fordert Friedman die Abschaffung von Einfuhrzöllen, da dies nationale Monopolisten einem verstärkten internationalen Wettbewerb aussetzen würde.30 Eine gezielte Kartellgesetzgebung kann hier unterstützend wirken, indem sie die Kosten für Absprachen unter Wettbewerbern erhöht, da sie nicht offen getroffen werden und vor Gericht nicht einklagbar sind.31 Schließlich bringt Friedman explizit und unter Verweis auf dieselbe Entwicklung bei George Stigler zum Ausdruck, dass sich seine Position in Fragen der Monopolgesetzgebung geändert habe, und er fordert eine Abschaffung der Antimonopolgesetze.32 Zunehmend zielt Friedmans Argumentation darauf ab zu zeigen, dass der Wettbewerb als solcher ohne staatliches Eingreifen stabil ist. Freiwilligkeit wäre also schon dadurch gewährleistet, dass die Vielzahl möglicher Kooperationspartner nicht durch staatliche Regulierungen eingegrenzt würde.33 3.) Externe Effekte. Auch externe Effekte sind unter der Aufgabe des Staates zu thematisieren, die Freiwilligkeit von Interaktion sicherzustellen. Sie beziehen sich auf Situationen, in denen Handlungen einzelner oder die Interaktion mehrerer Individuen unbeabsichtigte (positive oder negative) Effekte auf andere Individuen haben.34 Da dies ohne ihre Einwilligung geschieht, werden sie letztlich in einen bestimmten Interaktionszusammenhang „hineingezwungen“. „[T]hird parties have involuntary exchanges imposed on them.“35 So lange die Beteiligten solch unfreiwilliger Interaktion klar identifiziert werden können, ist es vorzuziehen, wenn sie sich auf individueller Ebene über Ausgleichsleistungen 27 Vgl.
CaF, 131. CaF, 130 f. 29 Vgl. CaF, 129–132. 30 Vgl. CaF, 129 f.; FtC, 53 f. 31 Vgl. CaF, 131 f. 32 Vgl. Friedman und Berthoud 1999 (MFA 110), 02:00, 07:30 sowie Stigler 1988, 91–108; Stigler 2008, 97–99, 102–106. 33 Vgl. FtC-TV, 193 f. Eine Zerschlagung von marktbeherrschenden Großkonzernen lehnt er hier explizit ab. Zwar erachtet auch er Großkonzerne nicht als wünschenswert, der Grund für ihr Bestehen ist jedoch in staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen zu sehen. 34 Klassische Beispiele, die auch Friedman anführt, sind Umweltverschmutzung als negativer externer Effekt und die sorgfältige Pflege eines privaten Gartens, an dem sich auch die Nachbarn freuen, als positiver externer Effekt (vgl. FtC, 31). Friedman nennt aber auch die Beeinträchtigung anderer durch den Bau eines Hauses, politische Demonstrationen oder kommerzielle Werbung im öffentlichen Raum (vgl. Friedman 1987k, 15 f.) sowie die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten beim Besuch eines nicht hinreichend qualifizierten Arzt (vgl. CaF, 147). 35 FtC, 31. Vgl. CaF, 30: „The man who pollutes a stream is in effect forcing others to exchange good water for bad.“ 28 Vgl.
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verständigen.36 Dies würde darauf abzielen, die Profiteure positiver externer Effekte an den entstehenden Kosten zu beteiligen bzw. Ausgleichszahlungen an Geschädigte zu leisten.37 Gegebenenfalls sind die Verursacher von Schäden über die Haftungspflicht zur Verantwortung zu ziehen. Nur wenn ein Ausgleich auf dieser Ebene nicht möglich ist, zieht Friedman auch direkte staatliche Maßnahmen in Erwägung.38 Staatliches Handeln hält Friedman nur dann für gerechtfertigt, wenn eine Kompensation auf der Basis privater Verträge nicht realisiert werden kann, da die Beteiligten nicht überschaubar sind. Auch wenn diese Bedingung erfüllt ist, spricht er sich für Zurückhaltung bei staatlichen Eingriffen aufgrund externer Effekte aus.39 Sein wichtigster Einwand lautet, dass ein Eingreifen bei unklaren Verantwortlichkeiten immer auch Menschen trifft, die eigentlich gar nicht beteiligt sind. Auch das Ausmaß der gerechtfertigten Kompensationen ist nur schwer einzuschätzen. Die Höhe von Steuern oder Ausgleichszahlungen wird daher nie die eigentlich angemessene Höhe haben und manche zu stark belasten. Hinzu kommt das allgemein gehaltene Argument, dass die Ausweitung staatlichen Handelns als solche negative externe Effekte hat, da mit ihr immer eine Einschränkung individueller Freiheit einhergeht.40 Am deutlichsten wird Friedmans Haltung zu externen Effekten an seinem Umgang mit dem Thema Umweltschutz. Dieser verdeutlicht zugleich exemplarisch an einem relevanten Thema die politischen Konsequenzen aus Friedmans individualistischem Grundkonzept. Er soll daher in einem Exkurs dargestellt werden.
36 Vgl. FtC, 214. In diesem Punkt besteht eine grundlegende Übereinstimmung mit Ronald Coase, der sich im Umfeld der Chicago School of Economy am intensivsten mit dem Problem externer Effekte auseinandergesetzt hat. Das Coasesche Theorem führt den Nachweis, dass (bei Vernachlässigung von Transaktionskosten) durch private Kompensationszahlungen eine optimale Allokation von Ressourcen erreicht werden kann. Diese ist unabhängig davon, ob eine Entschädigungspflicht besteht oder nicht (vgl. Coase 1960, 2–8, bes. 7 f.). Allerdings besteht zwischen Coase und Friedman auch ein fundamentaler Gegensatz. Coase argumentiert wohlfahrtsökonomisch mit dem Ziel, den gesamtwirtschaftlichen Ertrag zu optimieren. Daran hat sich die Verteilung von Anspruchsrechten ebenso zu orientieren wie die Frage, ob bei bestehenden Eigentumsrechten eine Pflicht zur Entschädigung besteht (vgl. Coase 1960, 19, 27, 38). Diese Argumentation läuft darauf hinaus, dass z. B. Waldbesitzer, deren Besitz durch eine Eisenbahn beschädigt wird, zugunsten positiver gesellschaftlicher Effekte auf eine Entschädigung verzichten müssen (vgl. Coase 1960, 29–34). Mit dem Recht an Eigentum, wie Friedman es vertritt (vgl. oben 3.3 Freiheit und das Recht an Eigentum), ist dies nicht vereinbar. 37 Anschauliche Beispiele aus der britischen Rechtsgeschichte für externe Effekte zwischen konkret identifizierbaren Personen finden sich bei Coase 1960, 8–15, 19–28. 38 Vgl. CaF, 30 f.; FtC, 214. Entsprechend gilt bei der Verschmutzung von Luft, dass hier die Identifizierung der Geschädigten mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre. 39 Vgl. Friedman 1987k, 16. 40 Vgl. CaF, 31 f.; FtC, 31 f., 214.
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Exkurs: Umweltverschmutzung Friedmans normativer Ausgangspunkt sind die Eigentumsrechte und Präferenzstrukturen menschlicher Individuen. Dem Schutz der Umwelt kommt daher kein eigener Wert zu. Dies zeigt sich etwa darin, dass die Einrichtung von Nationalparks nur dann legitim ist, wenn eine hinreichend große Zahl von Menschen daran interessiert ist und bereit ist, dafür zu bezahlen. Sie sollte daher dem freien Markt überlassen bleiben und nicht durch den Staat geschehen.41 Ebenso ist der Artenschutz nicht ein Ziel in sich selbst. Er gerät nur da in den Blick, wo der Erhalt einer bestimmten Tierart zum weit gefassten Eigeninteresse eines Individuums zählt. Dieses kann – je nach eigenen Kapazitäten und Präferenzen – Ressourcen zur Verfügung stellen, um seine Zwecke zu verfolgen.42 Ökologische Fragen werden für Friedman daher nur im Sinne „externer Effekte“ relevant – also da, wo Rechte und Präferenzen anderer berührt werden. So lange die beteiligten Individuen überschaubar und klar identifizierbar sind, sind daher stets private Absprachen und ggf. Kompensationszahlungen anzustreben. Dies setzt die Definition von Eigentums‑ bzw. Anspruchsrechten voraus. An ihnen entscheidet sich, wer wofür entschädigt werden soll.43 Dabei sind zweit Alternativen denkbar: Entweder besteht zunächst ein Anspruch auf den Erhalt der natürlichen Umwelt, wie sie im Moment ist, oder es besteht ein ursprünglicher Anspruch darauf, allgemein zugängige Ressourcen zu nutzen.44 Es ist wohl eine Folge aus seinem am Status quo orientierten Eigentumsverständnis, dass er in der Regel davon ausgeht, dass eine Entschädigung durch denjenigen geleistet werden muss, der aktiv die Ist-Situation des anderen verschlechtert (also durch denjenigen, der Umweltverschmutzung verursacht).45 Regierungsaktivitäten im Bereich des Umweltschutzes sind nur in solchen Fällen legitim, in denen die beteiligen Individuen nicht klar identifiziert werden können oder aufgrund ihrer Menge eine private Kompensation organisatorisch nicht machbar ist. Die von Friedman herangezogenen, klassischen Beispiele für solche Fälle sind die Verschmutzung eines Flusses oder der Luft durch produktive Tätigkeit.46 Jedoch bleibt Friedman im Grundsatz auch in diesen Fällen der Vorstellung treu, dass sich ein Schaden stets auf einen konkreten Verursacher 41 Vgl. CaF, 31: „If the public wants this kind of an activity enough to pay for it, private enterprises will have every incentive to provide such parks.“. 42 Vgl. Friedman 1973b, 52: „Say […] I want to save an endangered species; I want to save the heron. […] In a free enterprise capitalist society, all I have to do is find one crazy millionaire who’s willing to put up some dough and, by God, I can save the heron.“ 43 Vgl. FtC-TV II, 13: „The problem, so far as the environment is concerned, the real function of the government is to define the property rights and it is quite clear that if I force you to take bad water for good water, then I ought to pay you.“ Zu Friedmans Verhältnis zum Ansatz von Ronald Coase vgl. oben 188 Anm. 36. 44 Vgl. FtC, 31. 45 Vgl. CaF, 30; FtC, 217; Friedman 1973b, 29 f.; FtC-TV II, 13. 46 Vgl. CaF, 30; FtC, 31, 214; Friedman 1973b, 30.
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zurückführen lässt.47 Entsprechend sollte sich Regierungshandeln auch danach ausrichten, die jeweils konkret beteiligten Personen zu identifizieren und dann zu belasten bzw. zu entschädigen. Grundlegend bleibt beim Entschädigungsgedanken, dass nicht der Erhalt der Umwelt das Ziel ist, sondern dass die Präferenzen der beteiligten Interaktionspartner in einem für alle akzeptablen Austausch ausgeglichen werden.48 Die Frage, wie stark auf ökologische Belange Rücksicht genommen wird, hängt davon ab, welchen Wert betroffene Individuen ihnen beimessen. Staatliche Aktivität sollte diesen Mechanismus nicht unterlaufen, indem sie durch Quoten und Regulierungen Umweltverschmutzung eindämmt. Stattdessen sollte der Staat durch Steuern und Abgaben die wahren Kosten von Produkten zum Ausdruck bringen und so den Marktmechanismus auch im Bereich der Umwelt wirken zu lassen. Dadurch wird sichergestellt, dass Unternehmen die von ihnen verursachten ökologischen Kosten tragen.49 Ökologische Ressourcen bekommen so einen Preis, der in die Kosten-Nutzen-Kalkulation eingehen muss.50 Dies führt zu einer effizienten, den Präferenzen der beteiligten Individuen entsprechenden, Nutzung ökologischer Ressourcen. Welche Formen der Umweltverschmutzung durch wen, zu welchem Zweck und in welchem Umfang akzeptiert werden, wird über die Prinzipien des Marktes entschieden.51 8.2.2 Existenz von Märkten: Möglichkeit des Austauschs, Geld‑ und Preissystem 1.) Bereitstellung öffentlicher Güter. Märkte setzen die Möglichkeit voraus, dass Individuen miteinander kooperieren können. Dem Staat kommt daher die Aufgabe zu, öffentliche Güter bereit zu stellen, die dies ermöglichen.52 Öffentliche Güter 47 Vgl.
FtC, 31.
48 Vgl. Friedman 1973b, 30: „The money [Einnahmen durch Abgaben auf Wasserverschmut-
zung, B. G.] could be spent on treatment plants – cleaning the water. Insofar as it’s feasible, the effluent taxes could also be paid back as a tax reduction to the people who are harmed, if it can be proved who did what to whom. Which is preferable depends on whether people would rather have the money or the clean water.“ 49 Vgl. FtC, 221: „Private enterprises will bear all the cost only if they are required to pay for environmental damage. The way to do that is to impose effluent charges – not to have one government agency impose arbitrary standards and then set up another to cut through the first’s red tape.“ 50 Vgl. FtC, 215: „It costs something to have clean air, just as it costs something to have other good things we want. Our resources are limited and we must weight the gains from reducing pollution against the costs.“ 51 Vgl. FtC, 215–218; Friedman 1973b, 29 f. 52 In „Capitalism and Freedom“ behandelt Friedman öffentliche Güter als positive externe Effekte. Dies ist insofern gerechtfertigt, als es sich hier um Güter handelt, bei deren Bereitstellung ausschließlich externe Effekte auftreten, der Bereitsteller selbst aber keinen oder nur marginalen Nutzen hat (vgl. Schlösser 2009, 17). Auch in „Free to Choose“ stellt Friedman beide Sachverhalte in einen engen Zusammenhang, unterscheidet sie aber voneinander (vgl. FtC, 30 f.). Dies ist der plausiblere Zugang, da externe Effekte als nicht intendierte Folgen von Handlungen auftreten, die aus Eigeninteresse getätigt werden. Die Bereitstellung öffentlicher Güter wie z. B. Straßen fällt dann nicht darunter. Systematisch ist sie deswegen eine Aufgabe
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zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht oder nicht zu angemessenen Kosten von privaten Anbietern bereitgestellt werden können. Dies ist der Fall, wenn das Ausschlussprinzip nicht gewährleistet ist, d. h. wenn nicht nur diejenigen von einer Leistung profitieren, die bereit sind, für sie zu bezahlen. Dies gilt insbesondere für viele befahrene Straßen in Städten und Ballungsgebieten.53 Friedman nennt auch öffentliche Stadtparks (im Unterschied zu Nationalparks), die möglicherweise als öffentliche Güter gerechtfertigt sein könnten.54 Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Friedman angesichts der faktischen Interdependenz seinen Freiheitsbegriff geringfügig erweitert. Diese dienen dazu, Möglichkeiten zum Austausch zu schaffen und so Abhängigkeiten zu verhindern, übersteigen aber eine bloße Verhinderung des Zufügens von Schaden. Zugleich bleibt Friedman darum bemüht, diesen Schritt möglichst klein zu halten.55 Nicht alle Güter, für die das Prinzip der Nicht-Ausschließbarkeit gilt, sollten auch vom Staat bereit gestellt werden. Zum einen ist staatliches Handeln dann nicht erforderlich, wenn ein Gut trotz fehlender Ausschließbarkeit auch auf einem privaten Markt hergestellt werden würde.56 Zum anderen gibt es auch Güter, die ohne staatliche Aktivität zwar nicht entstehen, die aber zur Sicherstellung individueller Freiheit nicht erforderlich sind. Es geht Friedman ausschließlich um solche Güter, die es ermöglichen, dass Menschen miteinander in Austausch treten, nicht um die Ausweitung oder qualitative Verbesserung von Interaktionsmöglichkeiten. 2.) Bereitstellung eines Geldsystems. Ein öffentliches Gut besonderer Art ist das Geld, dem für die Beförderung einer ausdifferenzierten, auf Arbeitsteilung basierenden Wirtschaft eine herausragende Rolle zukommt. Friedman geht in „Capitalism and Freedom“ explizit davon aus, dass die Bereitstellung eines Geldsystems zu den legitimen Aufgaben der Regierung gehört.57 Deutlich ausführlicher erörtert er die Frage, wie die Regierung dieser Aufgabe nachkommen sollte.58 Anders als in seinen populärwissenschaftlichen Schriften stellt er es in des Staates, weil es um die Bereitstellung von Infrastruktur für den Markt geht. Externe Effekte verlangen staatliches Handeln zum Schutz der Freiwilligkeit (vgl. oben 8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb). 53 Vgl. FtC, 30. Die Errichtung eines Mautsystems wäre hier, anders als bei Fernverkehrsstraßen, mit zu hohen Kosten verbunden (vgl. CaF, 30 f.). 54 Vgl. CaF, 31. 55 Vgl. FtC, 30. 56 Eine staatliche Förderung von Grundlagenforschung in der Wissenschaft etwa lehnt Friedman ab, da sich für diese auch private Finanzierungsquellen erschließen ließen (vgl. Friedman 1980; Friedman 1981a). 57 Vgl. CaF, 27, 34, 38 f. In „Free to Choose“ fehlt dieser Aspekt unter den Aufgaben, die dem Staat zugewiesen werden. Er wird jedoch auch nicht problematisiert, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass Friedman mittlerweile die Option begünstigt, dass private Träger die Bereitstellung von Geld übernehmen. 58 Friedmans wiederholt vorgetragenes Anliegen ist die Sicherung von Geldwertstabilität. Um dieses Ziel zu erreichen schlägt er eine festgelegte Quote für das Geldmengenwachstum von ca. 3 % vor, die dem zu erwartenden Wirtschaftswachstum entsprechen solle (vgl. CaF, 39, 53 f.; MM, 227–229.; Friedman 1987h, 414 f.).
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einem gemeinsam mit Anna Schwartz veröffentlichten Aufsatz jedoch durchaus in Frage, ob die Etablierung eines Geldsystems durch den Staat gewährleistet werden sollte.59 Tendenziell verneint er dies und vertritt die These, die Bereitstellung eines Geldsystems könne besser durch den Markt selbst geschehen.60 Friedman hält in diesem Text lediglich fest, dass unter den gegebenen Umständen einer verbreiteten öffentlichen Währung die Etablierung einer weiteren Währung äußerst unwahrscheinlich sei.61 Er weist jedoch darauf hin, dass sich historisch erste Geldsysteme durchaus ohne staatliche Verantwortung entwickelt hätten.62 Außerdem betont er, dass es in den USA rechtlich durchaus möglich sei, eine „private“ Währung als Alternative zum inflationsgefährdeten Dollar zu entwickeln.63 Dennoch rechnet Friedman nicht damit und offensichtlich deshalb stellt er auch nicht die Frage, ob damit der Grund entfällt, der Regierungshandeln zur Bereitstellung des wichtigen öffentlichen Gutes Geld rechtfertigt.64 8.2.3 Private Märkte: Privateigentum und Eigenverantwortung Märkte müssen „privat“ organisiert sein, also als Kooperation eigenverantwortlicher Individuen. Der Staat stellt dies sicher, indem er die dafür erforderlichen Bedingungen gewährleistet: die Sicherstellung von Privateigentum und individueller Verantwortlichkeit. 1.) Privateigentum. Die Verteilung des Privateigentums ist im Rahmen des Freiheitsglaubens als solche anzuerkennen. Umverteilung zum Zwecke größerer Gleichheit ist daher keine legitime Aufgabe des Staates. Dieser hat zum einen die Eigentumsrechte seiner Bürger zu schützen, was als Implikation des Schutzes vor Zwang zu verstehen ist.65 Staatliche Verantwortung sieht Friedman zum anderen auch bei der Definition von Eigentumsrechten. Die präzise Ausformulierung der Ansprüche, die sich aus bestimmten Besitzverhältnissen ergeben, ist durch den Staat zu leisten. Als Beispiel nennt Friedman die Frage, welche Rechte sich aus dem Besitz eines Grundstückes ableiten lassen bezüglich der Frage, ob und in welcher Höhe das Grundstück überflogen werden darf.66 Rechtlich strittig und 59 Sie setzen sich hier explizit mit einem Vorschlag Hayeks auseinander, der die Privatisierung des Geldwesens fordert (vgl. Friedman 1987e, 507 f. sowie von Hayek 1978, bes. 109 ff.). 60 Vgl. Friedman 1987e, 520; Friedman 1984 (MFA 234.9), 11 f. 61 Vgl. Friedman 1987e, 510 f. Dies gilt insbesondere, wenn es sich dabei um Papierwährungen ohne feste Goldbindung handelt. 62 Vgl. Friedman 1987e, 506. 63 Vgl. Friedman 1987e, 521. 64 Vgl. Friedman 1987e, 502, 520. 65 Vgl. TSQ, 132. 66 Vgl. CaF, 26 f., 162; FtC, 30. Gegen McLellan, 149: „Friedman does not even consider the government to be entitled to play a role in the definition of property“. Die so nicht zutreffende These verweist jedoch darauf, dass Friedman ohne darauf einzugehen den Bereich stark einschränkt, in dem die Regierung legitimerweise Eigentumsrechte definieren kann.
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ökonomisch relevant ist auch die Definition von geistigem Eigentum, etwa im Patentrecht.67 2.) Vertragsfreiheit und Pflicht zur Vertragstreue als Ausdruck individueller Verantwortung. Die Sicherstellung der Privatheit schließt für Friedman ein, dass die Eigenverantwortlichkeit geachtet wird. Zur Verantwortung für eigenes Tun gehört für Friedman die Verbindlichkeit abgeschlossener Verträge. Diese zu achten ist daher eine zentrale Grundfunktion des Staates: „The basic requisite is the maintenance of law and order to prevent physical coercion of one individual by another and to enforce contracts voluntarily entered into, thus giving substance to ‚private‘“.68 Der Staat respektiert die Privatheit insofern er freiwillige Verträge anerkennt. Er sichert die Privatheit, indem er ihre Verbindlichkeit durch sein Gerichtswesen stützt und in Streitfälle über ihre Interpretation schlichtet.69 Dazu gehört auch die Sanktionierung von mangelhaft durchgeführten vertraglich geregelten Leistungen.70 8.2.4 Informiertheit: Implikationen und Folgen von Interaktionen 1.) Implikationen. In Abschnitt 7.4.4 wurde gezeigt, dass Friedman davon ausgeht, der Markt selbst könne Ausgleichsmechanismen für das Problem faktischer Informationsasymmetrie schaffen. Staatliche Regulierungen etwa zum Verbraucherschutz lehnt Friedman daher ab.71 Durch die Sanktionierung von Betrug und die Sicherung von Haftungspflichten ist eine hinreichende Basis dafür gelegt, dass der Markt mangelnde Informiertheit selbst ausgleicht.72 2.) Konsequenzen. Auch staatliches Handeln kann nicht alle Ergebnisse individuellen Handelns bestimmen oder vorhersehbar machen. Das Risiko kann nicht als solches überwunden werden. Friedman besteht aber auch darauf, dass das Individuum selbst gemäß seiner Präferenzstruktur entscheiden kann, welchen Preis es für den Verzicht auf und die Versicherung gegen Risiken zu zahlen bereit ist. Insbesondere staatliche Zwangsversicherungen gegen Krankheit oder für die Altersvorsorge lehnt er daher ab.73
67 Vgl.
CaF, 127. 14 (Hervorhebung B. G.). 69 Vgl. CaF, 25; WGP, 6. 70 Vgl. CaF, 157. 71 Vgl. FtC, 189–194, 222–226. 72 Vgl. oben 7.4.4 Informiertheit: Implikationen und Folgen von Interaktionen. 73 Vgl. CaF, 188 f.; FtC, 106, 113–115; Friedman 1973b, 34; Friedman 1983c, 162 f. 68 CaF,
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
8.2.5 Staatliche Aufgaben über die Rahmenordnung hinaus Zur vollständigen Erörterung der Aufgaben, die Friedman dem Staat zuschreibt, gehört der Hinweis auf stark limitierte Aufgaben aus Gründen des Paternalismus und die Frage, inwiefern er sozialstaatliche Elemente aufgreift. 1.) Paternalistische Aufgaben des Staates. Ausschließlich in Bezug auf nicht verantwortungsfähige Menschen, also Kinder und geistig Behinderte, schreibt Friedman dem Staat auch die Aufgabe der Fürsorge für seine Bürger vor. Vorrang haben in beiden Fällen die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder sowie die freiwillige Unterstützung durch gesellschaftliche Wohlfahrt. Der Schutz individueller Rechte sowie die positiven externen Effekte legitimieren aber auch unterstützende Maßnahmen durch den Staat.74 2.) Sozialstaatliche Aufgaben. In Abschnitt 3.5.1 wurde bereits gezeigt, dass Friedman staatliche Maßnahmen, die aus egalitaristischen Gründen auf Herstellung größerer sozialer Gleichheit zielen, ablehnt. Aus liberaler Perspektive könnte er argumentieren, dass erst eine soziale Absicherung wirkliche Freiheit ermögliche.75 Dies setzt jedoch ein Freiheitsverständnis voraus, das über das rein negative hinaus auch positive Aspekte aufgreift. In einigen frühen Texten erachtet es Friedman in der Tat als Bestandteil der staatlich zu garantierenden Wettbewerbsordnung, die Not von mittellosen Individuen zu lindern.76 In „Capitalism and Freedom“ rechtfertigt er ein staatlich gesichertes Existenzminimum noch mit positiven externen Effekten. Allerdings verzichtet Friedman darauf, sozialstaatliche Funktionen in die systematische Entwicklung der Staatsaufgaben zu integrieren und lehnt sie mehr und mehr explizit ab.77 Nur aus pragmatischen Gründen spricht er sich nicht dafür aus, die staatliche Wohlfahrt sofort und ersatzlos zu streichen.78 Diese spätere Position ist deswegen konsequent, weil Friedman seinen Freiheitsbegriff konzeptionell nicht erweitert.79 Seine vorsich74 Vgl.
CaF, 33 f. z. B. so unterschiedliche Ansätze wie von Hayek 2011, 405 f.; Kersting 2002, 44–47 und van Parijs 1995, 21–29. 76 Vgl. Friedman 2012c [1951], 8.: „Finally, the government would have the function of relieving misery and distress. Our humanitarian sentiments demand that some provisions should be made for those who ‚draw blanks in the lottery of life. Our world has become too complicated and intertwined, and we have become too sensitive, to leave this function entirely to private charity or local responsibility.“ Vgl. Friedman 1950, 5; Friedman 1964 (MFA 48.13), 21. 77 Vgl. ausführlich unten Exkurs Negative Einkommenssteuer. 78 Vgl. SUS, 22: „It seems impossible to eliminate it promptly, even though its elimination should be our long-term objective.“ Die Differenzen zwischen Friedman und Murray Rothbard (vgl. Rothbard 2002a, 40–42, 51 f.) bestehen also weniger in einem Dissens über das gesellschaftliche Ideal (Freiheit in einem negativen Sinne), sondern in Friedmans pragmatischer Ausrichtung und Bereitschaft zum Kompromiss, um staatliche und private Formen des Zwanges zu minimieren (vgl. oben 1.6 Die konsequentialistische Struktur von Friedmans pragmatischem Liberalismus). 79 Vgl. oben 3.4 Positive Aspekte in Friedmans Freiheitsbegriff. Anders Gamwell 1984, 23 f. Gamwell geht davon aus, dass Friedman ein „right to want-satisfaction“ (Gamwell 1984, 31) an75 Vgl.
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tigen Korrekturen angesichts der sozialen Interdependenz ändern daran nichts. Leitend bleibt für Friedman weiterhin ein Freiheitsbegriff, der externe Eingriffe in den Status quo abwehren soll.80 Sozialstaatliche Maßnahmen erscheinen in dieser Perspektive als nicht legitimierbarer Zwang zu gegenseitigen Hilfsleistungen.81 Dennoch wird Friedman häufig so verstanden, dass er sich für eine staatlich gesicherte Existenzgrundlage ausspreche.82 Dies liegt in erster Linie daran, dass er in seiner politischen Aktivität mit den Bildungsgutscheinen und der Negativen Einkommenssteuer zwei Konzepte mit sozialstaatlichen Zügen massiv unterstützt. Seine Argumentation in Bezug auf die beiden Themenfelder soll daher in zwei Exkursen untersucht und ins Gesamtmodell eingeordnet werden. Beide Exkurse verdeutlichen exemplarisch, wie Friedman seine allgemeine Theorie einerseits in der Auseinandersetzung mit konkreten gesellschaftlichen Problemen entwickelt und andererseits in politischen Debatten allgemeine Grundsätze unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontextes zur Anwendung bringt. Exkurs: Staatliche Aktivität im Bildungsbereich Trotz der dargestellten Ablehnung sozialstaatlicher Aktivitäten und seiner grundsätzlichen Bevorzugung des Marktes lehnt Friedman staatliches Engagement im Bildungsbereich nicht grundsätzlich ab. Im Rahmen der bisher erörterten Staatstheorie begründet er sowohl die Legitimität als auch die Grenzen eines solchen Engagements. Es gibt für Friedman zwei Gründe, aus denen der Staat am Schulbesuch von Kindern ein legitimes Interesse hat. Einerseits gibt es eine paternalistische Verpflichtung gegenüber Kindern mit unverantwortlichen Eltern. Andererseits, und dieses Argument dominiert, ist staatliche Unterstützung des Schulbesuchs durch dessen positive externe Effekte für ein demokratisches Gemeinwesen gerechtfertigt: nimmt. Daraus leitet er eine – auch vom Staat zu gewährleistende – moralische Verantwortung ab, den Armen zu helfen, da sie sonst nicht in der Lage wären, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen. Es konnte gezeigt werden, dass dies eine Fehlinterpretation Friedmans darstellt (vgl. oben 3.3 Freiheit und das Recht an Eigentum und 5.3 Der Gegenstand der Verantwortung: Folgen eigener Handlungen und die eigene Familie). 80 Damit bestätigt sich, dass Friedman Zwang nicht im weiten Sinne Hayeks gebraucht. Philipp Batthyány zeigt, dass aus dessen Verständnis eine Befürwortung wohlfahrtsstaatlicher Funktionen folgt (vgl. Batthyany 2007, 214–220). 81 Vgl. Friedman und Heffner 1975, 10:00: „If I want to do good with other people’s money I’d first have to take it away from them. That means that the welfare state philosophy of doing good with other people’s money, at its very bottom, is a philosophy of violence and coercion. It’s against freedom, because I have to use force to get the money.“ Vgl. CaF, 112 f.; FtC, 119; Friedman 1976e, 11. In dieser Frage stimmt Friedman also eher mit Nozick überein als mit Hayek und Buchanan (vgl. Zintl 2000, 98–105). 82 Vgl. z. B. Barr 1998, 62 f.; Zintl 2004, 146 f., 148; Gamwell 1984, 23 f.; Breul 1990, 118; Selden 1976, 9.
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
A stable and democratic society is impossible without a minimum degree of literacy and knowledge on the part of most citizens and without widespread acceptance of some common set of values. […] The education of my child contributes to your welfare by promoting a stable and democratic society. It is not feasible to identify the particular individuals (or families) benefited and so to charge for the services rendered. There is therefore a significant ‚neighborhood effect.‘83
Hinsichtlich der Frage, welche konkreten Maßnahmen aus diesem legitimen Interesse abgeleitet werden können, unterscheidet Friedman drei Bereiche, in denen der Staat im Zusammenhang der Schulbildung aktiv sein kann: durch Einführung einer Schulpflicht (1), durch die Finanzierung von Bildung (2) und als Träger öffentlicher Schulen (3). Außerdem schlägt er mit den Bildungsgutscheinen ein Verfahren vor, mit dem der Staat seine Engagement Friedmans Meinung nach ausüben sollte (4). 1.) Schulpflicht. In „Capitalism and Freedom“ zieht Friedman es in Erwägung, aus der Notwendigkeit allgemeiner Bildung eine Schulpflicht abzuleiten.84 Später jedoch distanziert er sich explizit von dieser Position. Er beruft sich dabei auf die historische Beobachtung, dass ein nahezu vollständiger Schulbesuch bereits vor der Einführung der Schulpflicht gesichert war. Daraus leitet er ab, dass diese zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Bildungsniveaus nicht erforderlich und daher abzulehnen ist.85 2.) Öffentliche Finanzierung. Mit dem Verzicht auf die Schulpflicht entfällt auch ein bedeutendes Argument für die staatliche Finanzierung von Schulbildung.86 Dennoch könnte diese auf der Basis positiver externer Effekte weiter gefordert werden.87 In „Capitalism and Freedom“ (1962) lässt Friedman deutliche Sympathien für diese Argumentation erkennen.88 In „Free to Choose“ (1980) lässt er hingegen durchblicken, dass er in der aktuellen Situation eine öffentliche Finanzierung des Bildungssystems nicht für angebracht, sondern sogar für schädlich hält.89 Noch deutlicher wird seine Ablehnung einer flächendeckenden staatliche Finanzierung von Elementarbildung in zwei Diskussionsrunden im Rahmen der Neuauflage der „Free to Choose TV-Serie“ (1990). In einer Diskus83 CaF,
86; vgl. CaF, 86. CaF, 86. 85 Vgl. FtC, 162 f.; FtC-TV II, 53. 86 Vgl. CaF, 86 f. 87 Dies gilt nur für Elementarbildung (vgl. CaF, 88; Friedman 1955a, 362). Der Besuch weiterführender Bildungseinrichtungen oder eine berufliche Ausbildung dient in erster Linie der Verbesserung eigener Einkommensmöglichkeiten und erzeugt daher keine externen Effekte in einer Form, die staatliche Finanzierung rechtfertigen würde (vgl. FtC, 178–181; FtC-TV II, 53). Für höhere Bildung zieht Friedman staatliche Förderung allenfalls in Form von Bildungskrediten in Betracht, bei denen die Summe der Rückzahlung an spätere Einkünfte gebunden ist. Aufgrund der hohen Verwaltungskosten solcher Verträge liege hier u.U. Marktversagen vor, das staatliche Aktivität legitimieren könnte (vgl. CaF, 105 f.; FtC, 183–185). 88 Vgl. CaF, 87 f. 89 Vgl. FtC, 161 f. 84 Vgl.
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sion über das Bildungswesen meldet er zunehmende Zweifel in dieser Frage an, betont aber die bleibende Gültigkeit des Arguments positiver externer Effekte.90 Schließlich bezieht er in einer weiteren Diskussionsrunde explizit die Position, dass staatliche Finanzierung ausschließlich in den Einzelfällen gewährt werden sollte, in denen eine Finanzierung durch die Eltern ausgeschlossen ist.91 Dies ist jedoch keineswegs eine neue Position. Die Beschränkung auf die Finanzierung von Einzelfällen existentieller Not begegnet als Idealvorstellung bereits in „Capitalism and Freedom“ und in „Free to Choose“.92 Friedman befürwortet also ein System, in dem die Eltern so weit wie möglich selbst für die Bildung ihrer Kinder aufkommen. Für eine Unterstützung mittelloser Eltern votiert er nicht aus Gründen der Gerechtigkeit oder einer positiv verstandenen Chancengleichheit, die einem positiven Freiheitsverständnis entspräche. Das für Friedman entscheidende Argument sind positive externe Effekte von Elementarbildung für eine stabile demokratische Rahmenordnung. 3.) Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Legt man Friedmans Staatsverständnis zugrunde, lässt sich eine öffentliche Trägerschaft von Schulen kaum begründen.93 Gerechtfertigt könnte sie allenfalls in ländlichen Gegenden sein, wenn hier die Situation eines technischen Monopols vorliegt.94 Dennoch wendet sich Friedman nicht grundsätzlich gegen die verbreitete Praxis öffentlicher Schulen. Es scheint am wahrscheinlichsten, dass hier strategische Zugeständnisse eine Rolle spielen. Anstatt eine öffentlich ohnehin nicht durchsetzbare Abschaffung staatlicher Schulen zu fordern, verlangt er deren Bewährung in einem ernsthaften Wettbewerb.95 Das dabei von Friedman bevorzugte Mittel soll im Folgenden vorgestellt und in sein Gesamtsystem eingeordnet werden. 4.) Friedmans Eintreten für Bildungsgutscheine. Milton und Rose Friedman haben über Jahre hinweg ein System von Bildungsgutscheinen theoretisch entwickelt und politisch propagiert.96 Friedman stellt fest, dass die überwiegende Zahl der Schüler staatliche Schulen besucht. Während kirchliche Schulen noch ein beträchtliches Gegengewicht darstellen, erachtet er die Zahl privater kommerziell orientierter Schulen als marginal.97 Den Grund dafür sieht er darin, dass 90 Vgl.
FtC-TV II, 49. II, 64. 92 Vgl. CaF, 87: „If the financial burden imposed by such schooling requirement could readily be met by the great bulk of the families in a community, it might still be both feasible and desirable to require the parents to meet the cost directly. Extreme cases could be handled by special subsidy provisions for needy families.“ Geändert hat sich also nicht Friedmans grundsätzliche Position, sondern seine Einschätzung der Zahlungsfähigkeit der US-Bürger (vgl. FtC, 162). 93 Vgl. CaF, 89. 94 Vgl. CaF, 93, 96. Allerdings merkt Friedman an, dass durch verkehrstechnische Verbesserungen dieses Argument an Gewicht verliere. 95 Vgl. FtC, 163, 170; FtC-TV, 116. 96 Vgl. TLP, 347–350. Der Beförderung eines Systems von Bildungsgutscheinen widmet sich die Milton and Rose D. Friedman Foundation (vgl. TLP, 350). 97 Vgl. CaF, 85, 92. 91 FtC-TV
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
Eltern den vollen Preis von Privatschulen zahlen müssten, während der Besuch staatlicher Schulen kostenlos ist. Dies führe zu einer ungerechten Doppelbelastung von Eltern, deren Kinder das öffentliche Schulwesen nicht nutzen. Diese finanzieren Staatsschulen über ihre Steuermittel, ohne selbst davon zu profitieren. Diese Ungleichbehandlung führe dazu, dass nur sehr wohlhabende Eltern ihre Kinder an Privatschulen schicken können.98 Außerdem bemängelt Friedman erhebliche Qualitätsdefizite im öffentlich getragenen Schulwesen.99 Um größeren Wettbewerb zwischen den Schulen zu ermöglichen, schlägt er ein System von Bildungsgutscheinen vor.100 Demnach soll das Geld, das der Staat für die Bildung von Kindern ausgibt, nicht daran gebunden sein, ob diese eine staatliche Schule besuchen. Entsprechend sollen die Eltern selbst entscheiden, an welcher Schule ihr Kind unterrichtet wird. Diese bekommt dann den entsprechenden Betrag zur Verfügung gestellt und kann ggf. zusätzliche Gebühren erheben.101 Da die Bildungsgutscheine nicht die gesamten Kosten abdecken müssen, können Eltern gegen einen Aufpreis private Schulen mit höherer Qualität oder zusätzlichen Angeboten wählen. Damit ist der Anreiz und die Möglichkeit auch für ärmere Familien größer, andere als öffentliche Schulen in Betracht zu ziehen. Intensiveren Wettbewerb zwischen den verschiedenen Schulen befürwortet Friedman aus den bekannten Gründen, die allgemein für Marktlösungen sprechen.102 Zum einen hält er es für eine unangebrachte Bevormundung der Eltern, dass die Bildungsgänge ihrer Kinder von Schulausschüssen festgelegt werden. Marktlösungen haben den Vorteil, unterschiedlichen Wünschen gerecht zu werden und Vielfalt zuzulassen. Dies ist auch im Bildungssektor anzustreben. Zum anderen erwartet er in einer Situation verstärkten Wettbewerbs bessere Ergebnisse. Schulen, die um ihre Schüler konkurrieren, müssen sich stärker an deren Vorstellungen bzw. den Vorstellungen ihrer Eltern orientieren und haben größere Anreize zur sorgfältigen Auswahl des Personals und innovativen Konzepten. Durch den Einsatz von Bildungsgutscheinen erwartet er also sowohl ein qualitativ besseres Schulwesen als auch ein vielfältigeres, das den Wünschen der Eltern besser gerecht wird.103 Friedmans Einsatz für Bildungsgutscheine könnte annehmen lassen, er befürworte eine umfassende staatliche Finanzierung der Bildung. Dies ist aber explizit nicht der Fall: We regard the voucher plan as a partial solution because it affects neither the financing of schooling nor the compulsory attendance laws. We favor going much farther. […] We 98 Vgl.
CaF, 93; FtC, 160 f.; TLP, 349. FtC, 151 f. 100 Vgl. CaF, 89 f.; FtC, 160 f. 101 Vorausgesetzt ist, dass eine Schule, die am Gutscheinsystem partizipiert, bestimmte Minimalstandards erfüllt. 102 Vgl. CaF, 91, 96; FtC, 161, 163, 170; TLP, 348 f. 103 Vgl. FtC, 156 f. 99 Vgl.
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realize that these views on financing and attendance laws will appear to most readers to be extreme. That is why we only state them here to keep the record straight without seeking to support them at length. Instead, we return to the voucher plan – a much more moderate departure from present practice.104
Friedmans Eintreten für ein umfassendes System von Bildungsgutscheinen widerspricht nicht seiner dargestellten Zurückhaltung hinsichtlich staatlicher Schulpflicht und Finanzierung von Bildung.105 Das Vorgehen hat eine strategische Ausrichtung und kann am ehesten als eine aus dem pragmatischen Zug seiner ethischen Argumentation abgeleitete Form „liberaler Verantwortungsethik“ gesehen werden.106 Um bestehende Missstände verbessern zu können, konzentriert er sich in seinem politischen Engagement nicht auf die eigentliche Ideallösung, sondern auf eine, die ihm politisch eher realisierbar erscheint.107 Wohl aus demselben Grund weicht Friedman mit seinem bildungspolitischen Vorschlag auch von seinem Grundsatz ab, Sozialleistungen ausschließlich in Bargeld zu leisten. Den paternalistischen Zug des Gutscheinsystems akzeptiert er, um dem Vorwurf entgegen zu wirken, Eltern würden die ihnen zur Verfügung gestellten Ressourcen nicht zum Wohl ihrer Kinder verwenden.108 Exkurs: Negative Einkommenssteuer Ein weiteres politisches Projekt, für das sich Friedman kontinuierlich eingesetzt hat, ist die Einführung einer negativen Einkommenssteuer.109 Auch dieses Konzept soll in einem Exkurs kurz dargestellt werden, um dann an diesem Beispiel zu verdeutlichen, welche Aufgaben dem Staat nach Friedmans Konzept obliegen. 1.) Das Konzept der negativen Einkommenssteuer. Friedmans Vorschlag einer negativen Einkommenssteuer zielt darauf ab, alle anderen Formen der Sozialhilfe zu ersetzen. Sein Grundprinzip110 ist es, dass für Einkünfte unterhalb eines steuerfreien Grundbetrags („break-even-point“) für den verbleibenden Differenzbetrag staatliche Zuschüsse gezahlt werden, die in Höhe des Steuersatzes einen Teil der Differenz ausgleichen. Daraus folgt ein Mindesteinkommen, das dem 104 FtC,
161 f.
105 Entsprechend
schlägt er ein Gutscheinsystem als „geringeres Übel“ auch für höhere Bildung vor, deren staatliche Finanzierung er strikt ablehnt (vgl. FtC, 185). 106 Vgl. oben 1.6 Die konsequentialistische Struktur von Friedmans pragmatischem Liberalismus. 107 Vgl. Friedman und Doherty 1995: „[T]hough I want to know what my ideal is, I think I also have to be willing to discuss changes that are less than ideal so long as they point me in that direction […] I would like to see the government out of the education business entirely. […] But I see the voucher as a step in moving away from a government system to a private system.“ Vgl. Friedman 1991b, 20; Friedman 1956 (MFA 44.2), 21. 108 Vgl. FtC, 165. 109 Vgl. CaF, 191–194; Friedman 1987j; Friedman 1968a; Friedman 1968b; FtC, 119–123; TSQ, 62–67. 110 Vgl. CaF, 192; Friedman 1987j, 57–59; Friedman 1968a, 349 f.; FtC, 121 f.
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Wert des Steuersatzes auf den Grundbetrag entspricht.111 Friedman beschreibt folgende Vorzüge einer negativen Einkommenssteuer gegenüber dem bestehenden System von Hilfszahlungen in konkreten Bedarfsfällen:112 Eine negative Einkommenssteuer hilft zielgerichtet bedürftigen Menschen, ohne nach der Ursache der Armut zu unterscheiden. Die Ersetzung von Sachleistungen durch Geldzahlungen verzichtet auf Paternalismus und ermöglicht den Individuen, die Mittel effizient für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Die Möglichkeit von Zuverdiensten schafft Anreize zur Aufnahme von Arbeit. Der Verwaltungsaufwand wird erheblich reduziert. Durch Arbeitsanreize und geringeren Verwaltungsaufwand kommt es zu Kosteneinsparungen. Im Zusammenhang dieses Kapitels ist weniger die Frage einer konkreten Umsetzung des Projektes von Belang, als die grundsätzliche Frage, warum der Staat überhaupt ein solches System der Umverteilung etablieren sollte. 2.) Positive externe Effekte durch Armutsbekämpfung. In „Capitalism and Freedom“ begründet Friedman dies mit positiven externen Effekten. Vorausgesetzt ist dabei, dass die Armut anderer als Belastung empfunden wird.113 Da daher schließlich auch andere davon profitieren, wenn Armut durch freiwillige Leistungen bekämpft wird, ist es legitim, alle in die Zahlung der Leistung einzubeziehen. Nach dem Prinzip der kollektiven Selbstbindung kann so gemeinschaftlich ein Ziel erreicht werden, von dem jeder einzelne profitiert.114 Diese Argumentation ist jedoch äußerst problematisch. Letztlich muss sie voraussetzen, dass ausnahmslos alle Beteiligten gleichermaßen ein Eigeninteresse an der Reduzierung von Armut haben.115 Ist dies nicht der Fall, tritt jene Situation ein, die Friedman als illegitim erachtet: Durch das Mittel staatlichen Zwanges werden Individuen 111 Bei einem steuerfreien Betrag in Höhe von $ 4000 und einem Einkommenssteuersatz von
50 % würde sich also folgende Verteilung ergeben: Bei einem Einkommen von $ 6000 werden $ 1000 Steuern gezahlt und $ 5000 eingenommen. Entsprechend gilt: Einkommen $ 4000 – keine Steuerzahlungen – Einnahmen $ 4000; Einkommen $ 2000 – Zuschuss $ 1000 – Einnahmen 3000; kein Einkommen – Zuschuss $ 2000 – Einnahmen $ 2000. 112 Vgl. CaF, 192–194; Friedman 1987j, 60 f.; Friedman 1968b, 351–353; FtC, 120–123. 113 Insbesondere Rose Friedman beschreibt eindrücklich das persönliche Unwohlsein aufgrund der Armut anderer (vgl. TLP, 306 312, 328). 114 Vgl. CaF, 191: „It can be argued that private charity is insufficient because the benefits from it accrue to people other than those who make the gifts – again, a neighborhood effect. I am distressed by the sight of poverty; I am benefited by its alleviation; but I am benefited equally whether I or someone else pays for its alleviation; the benefits of other people’s charity therefore partly accrue to me. To put it differently, we might all of us be willing to contribute to the relief of poverty, provided everyone else did.“ 115 Vgl. CaF, 195: „[The liberal] may approve state action toward ameliorating poverty as a more effective way in which we can achieve a common objective“ (Hervorhebung B. G.). Dasselbe gilt für folgende Formulierung: „[T]he great majority tax themselves willingly to help an unfortunate minority“ (CaF, 194). Bei der Darstellung von Friedmans anthropologischen Grundlagen wurde darauf hingewiesen, dass Friedman in der Tat Mitgefühl gelegentlich als universale menschliche Eigenschaft darstellt (vgl. oben31).
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gezwungen, anderen zu helfen.116 Die Minderung von Armut hat aus Friedmans Perspektive im Unterschied zur Schulbildung nur für jene positive Effekte, die subjektiv das Bestehen von Armut als problematisch empfinden. Das Prinzip kollektiver Selbstbindung kann daher nur dann eine legitimatorische Funktion für eine negative Einkommenssteuer haben, wenn es auf einem Konsens der Präferenzen basiert. 3.) Die negative Einkommenssteuer als das geringere Übel. Es ist auffällig, dass Friedman sich nur in „Capitalism and Freedom“ auf die legitimatorische Funktion positiver externer Effekte beruft.117 In weiteren Beiträgen zur negativen Einkommenssteuer verzichtet er überhaupt auf Argumente, die eine entsprechende staatliche Leistung begründen sollen. Sein Schwerpunkt liegt eindeutig darauf, eine gegenüber der laufenden Praxis überlegene Alternative zu präsentieren.118 Bereits in „The Case for the Negative Income Tax“ (1968) zeichnet sich ab, dass er das Konzept nicht grundsätzlich unterstützt, sondern aus strategischen Gründen.119 Später bezeichnet er die negative Einkommenssteuer dann explizit als eine Übergangslösung bis die Abschaffung staatlicher Sozialleistungen vollzogen werden kann.120 Dass es überhaupt einer solchen Übergangslösung bedarf, begründet Friedman einerseits strategisch damit, dass die liberale Position sonst als weltfremd oder herzlos angesehen werden könnte.121 Andererseits sieht er durchaus eine staatliche Verantwortung, da erst durch das bestehende Wohlfahrtssystem und bestehende Einschränkungen wirtschaftlicher Freiheit Abhängigkeiten sozial schwacher Gruppen von staatlicher Hilfe erzeugt wurden. Eine soziale Verantwortung gegenüber den Hilfeempfängern besteht also dahingehend, dass sie durch das System staatlicher Hilfe in eine Position der Abhängigkeit gebracht wurden.122 Um den Übergang vom bestehenden System 116 Vgl.
CaF, 112; Friedman 1976e, 11 sowie McLellan, 64. „The Tyranny of the Status Quo“ wendet er das Argument auf die Finanzierung des Militärs an und explizit nich auf soziale und kulturelle Wohltätigkeit (vgl. TSQ, 76). 118 Vgl. Friedman 1987j, 66, 138; Friedman 1968b, 353. 119 Vgl. Friedman 1987j, 62: „Compared with a hypothetical world in which there are no government welfare programs at all, the negative income tax, even at a fractional rate, would indeed weaken incentive. But, whether desirable or not, that is not our world and there is not the remotest chance that it will be in the foreseeable future. Those, like myself, who would like to see the role of government reduced, only harm our own cause by evaluating a program by such an unreal standard.“ 120 Vgl. Friedman 1972b, 138: „We must develop transition programs that eliminate the welfare mess without unconscionable hardship to present welfare recipients. That is why, for three decades, I have urged the replacement of our present collection of so-called poverty programs by a negative income tax“ (Hervorhebung B. G.). Vgl. FtC, 119; Friedman 1991b, 20. Genau so argumentiert Friedman in Hinblick auf eine schrittweise Abschaffung der Rentenversicherung (vgl. FtC-TV, 193, 195). 121 Vgl. Friedman 1987j, 62, 66. 122 Vgl. Friedman 1972b, 138. Dies hebt Friedman hervor in seiner Antwort auf einen Leserbrief zu dieser Newsweek-Kolumne: „As individuals we do not have any responsibility as I emphasized in the column to provide people with a basic minimum. However, I do believe 117 In
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zu einer Abschaffung staatlicher Leistungen abzumildern, befürwortet er die Einführung einer negativen Einkommenssteuer.123 Festzuhalten ist jedoch, dass er diese als Übergangslösung,124 nicht als solche positiv bewertet. Insofern ist auch sein Einsatz für die negative Einkommenssteuer, wie das Engagement für Bildungsgutscheine, als „liberale Verantwortungsethik“ einzustufen, die sich mit dem erreichbaren Besseren zufrieden gibt, auch wenn dieses nicht selbst gut ist: „I favor the negative income tax as a way of getting from where we are now to were I would ultimately like to be. It is a less bad alternative than our present mess. It is not in and of itself a good alternative, no.“125 4.) Die Sicherung individueller Freiheit unabhängig von Armutsbekämpfung. In Anbetracht des Versuchs, in „Capitalism and Freedom“, staatliche Sozialleistungen über positive externe Effekte zu begründen, fällt besonders auf, welche möglichen Argumente Friedman in dieser Hinsicht nicht bemüht. Dies gilt um so mehr, als insbesondere die beiden ersten im Rahmen des Freiheitsglaubens durchaus naheliegend wären. Friedman vertritt erstens nicht die Ansicht, die Sicherung eines Existenzminimums sei freiheitsfördernd. Die Fähigkeit, elementare Bedürfnisse befriedigen zu können, ist Voraussetzung dafür, den eigenen Handlungsspielraum durch Bildung oder Rücklagen zu erweitern. Eine solche Argumentation würde jedoch eine Aufnahme positiver Aspekte in den Freiheitsbegriff bedeuten,126 was Friedman ja gerade vermeiden will. Zweitens hat sich bei der Diskussion der Voraussetzungen des Wettbewerbs gezeigt, dass Freiwilligkeit unter den Bedingungen faktischer Sozialität nicht die Bereitschaft zu Interaktion überhaupt, sondern die Bereitschaft zu bestimmten einzelnen Interaktionen voraussetzt. Die Gefahr der Abhängigkeit, etwa der Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber oder einer nicht erwerbstätigen Frau von ihrem Ehemann, ist deutlich geringer, wenn von staatlicher Seite das Existenzminimum garantiert ist. Auch in der Sicherstellung von Freiwilligkeit sieht Friedman offensichtlich keinen Grund für eine staatliche Mindestversorgung.127 Drittens verbindet Friedman seine Argumentation für eine negative Einkommenssteuer nicht mit einer Relativierung des Freiheitsglaubens. Nicht alternative Güter wie Gerechtigkeit oder Gleichheit sind für ihn leitend, sondern allenfalls – in „Capithat we have a responsibility to clean up the mess that we have made […]“ (vgl. Friedman 1973 (MFA 229.14)). 123 Vgl. Friedman 1972b, 138; FtC, 119; FtC-TV, 197; Friedman 1982c. 124 Im Gegensatz zu den universal erforderlichen Grundfunktionen des Staates. 125 FtC-TV II, 63. Vgl. Friedman 1991b, 20. Die Einschätzung bei Zintl, Friedman habe „keinerlei Einwände dagegen, dass gesellschaftlich [also staatlich, B. G.] für eine Mindestausstattung aller gesorgt wird“ (Zintl 2004, 146) gilt nur in Bezug auf „Capitalism and Freedom“. 126 Vgl. Zintl 1994, 513 f. 127 Wie in Abschnitt 7.4.1 dargestellt ist die Freiwilligkeit für Friedman durch die Existenz einer Konkurrenzsituation hinreichend gesichert. Außerdem scheint eine Rolle zu spielen, dass es so etwas wie ein Existenzminimum für Friedman offensichtlich gar nicht gibt. Vgl. TLP, 258: Die Erfahrung der Armut in Indien „has led me to assert that there is no level of income below which it is impossible for people to live.“
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talism and Freedom“ – die von allen Menschen geteilte individuelle Präferenz, das eigene Leiden an der Armut anderer zu vermindern bzw. die Verantwortung des Staates, von ihm verursachtes Leiden einzugrenzen.128 Dass diese Präferenz weit verbreitet ist, ist jedoch zugleich der Grund, warum auf staatliche Sozialpolitik verzichtet werden könnte. Jene Einzelfälle, die auch in einer Gesellschaft ohne staatliche Wohlfahrt nicht in der Lage wären, sich selbst zu versorgen, würden durch private Wohltätigkeit versorgt.129 Viertens erachtet Friedman die Sicherung des Existenzminimums auch nicht als erforderlich, um den sozialen Frieden zu sichern und die politische Ordnung zu stabilisieren. Er greift also nicht das Argument auf, das Recht an Eigentum müsse relativiert werden, um es so gut wie möglich zu verwirklichen. 8.2.6 Vom Neo-Liberalismus zum Laissez-faire-Liberalismus In zwei Bereichen konnte festgestellt werden, dass Friedman seine Position zu staatlichen Aufgaben im Laufe der Zeit geändert hat. Ursprünglich sieht er im aktiven Vorgehen gegen Monopole gerade das Wesen des amerikanischen Freiheitsverständnisses begründet und erachtet die Sicherstellung eines minimalen Lebensstandards als genuine Aufgabe des Staates. Über Zwischenstadien (grundsätzliche Befürwortung von Antimonopolgesetzen, obwohl sie kaum erforderlich sind bzw. Begründung einer negativen Einkommenssteuer über externe Effekte) gelangt er letztlich zu einer Ablehnung. In diesen beiden Bereichen lässt sich also die Tendenz feststellen, dass Friedman im Laufe der Zeit staatliche Eingriffe in zunehmendem Maße für überflüssig hält.130 Dieser Wandel lässt sich auch begrifflich festmachen: In sehr frühen Texten bezeichnet Friedman seine Position unter Berufung auf Henry Simons als „neoliberal“ im Unterschied zu „laissez-faire-liberal“. Zu den Differenzen zählt er die Aufgaben des Staates, gegen Monopole vorzugehen und das Existenzminimum zu sichern. Aus diesem Grund grenzt Friedman sich zunächst vom „Laissezfaire-Liberalismus“ des 19. Jahrhunderts ab, der nicht erkenne, dass der Erhalt von Freiheit Eingriffe durch den Staat erfordere.131 Im Zuge der Auseinander128 Vgl. Friedman 1972b, 138: „I favor the negative income tax not because I believe anyone has a ‚right‘ to be fed, clothed and housed at someone else’s expense but because I want to join my fellow taxpayers in relieving distress and feel a special compulsion to do so because government policies have been responsible for putting so many of our fellow citizens in the demeaning position in which they now find themselves.“ 129 Vgl. Friedman 1972b, 138. 130 Vgl. oben 8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb, 8.2.5 Staatliche Aufgaben über die Rahmenordnung hinaus und Exkurs Negative Einkommenssteuer. 131 Vgl. Friedman 2012c [1951], 6 f.: „This philosophy [„laisser faire“-Liberalismus, B. G.] assigned almost no role to the state other than the mainenance of order and the enforcement of contracts. It was a negative philosophy. […] In taking this position, it underestimated the danger that private individuals could through agreement and combination usurp power and effectively limit the freedom of other individuals. […] A new faith […] must explicitly recognize that there
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setzung mit dem „New-Deal-Liberalismus“ ändert sich die Verwendung der Begriffe.132 Bereits ab „Capitalism and Freedom“ (1962) verschwindet der Begriff „neo-liberal“ völlig aus Friedmans Wortschatz, während „laissez-faire“ nun positiv besetzt ist.133 Die Verschiebungen liegen nicht auf einer rein sprachlichen Ebene,134 sondern sind ein Hinweis auf eine Radikalisierung in Friedmans Denken.135 are important positive functions that must be performed by the state. The doctrine sometimes called neo-liberalism […] which in America is associated particularly with the name of Henry Simons is such a faith. […] The state would police the system establish conditions favorable to competition and prevent monopoly […], and relieve […] misery and distress.“ Auch inhaltlich entspricht die frühe Position Friedmans zu Monopol‑ und Sozialpolitik eher der seiner Chicagoer Lehrer als diejenige, die er später einnimmt (vgl. Viner 1991c, 221–225; Simons 1948a, 42–53). Ähnlich wie die ältere Chicago School ist auch Herbert Hoover einzuordnen (vgl. Hoover 2012, 11). 132 Friedman grenzt sich vom New-Deal-Liberalismus ab, der sich statt an individueller Freiheit an Wohlfahrt und Gleichheit orientiere. Dafür verwendet er die Gegensatzpaare „liberalism old“ vs. „liberalism new“ (vgl. Friedman 1956 (216.5), 1) und „nineteenth-century liberalism“ vs. „twentieth-century liberalism“ (CaF, 5; Friedman 1955a, 541). Bezeichnend für den Wandel in Friedmans Selbstklassifizierung ist ein Beitrag, den er 1961 in zwei Teilen im Wall Street Journal publizierte (vgl. Friedman 1961a; Friedman 1961b). Inhaltlich ist er bis in die Formulierungen hinein identisch mit der 1964 in „Capitalism and Freedom“ vertretenen und als „nineteenth-century liberalism“ bezeichneten Position. Friedman betont zunächst die Differenz zwischen „nineteenth-century liberalism“ und „twentieth-century liberalism“. Von da aus schlägt er den Begriff „new liberalism“ vor, um seine eigene Position zu beschreiben, welche eine Neuformulierung des „ursprünglichen“ Liberalismus darstelle. Vgl. Friedman 1961a: „I shall use the word liberalism in its original sense. Liberalism of what I have called the 20th Century variety has by now become orthodox and indeed reactionary. Consequently, the views I shall present might equally be entitled, under current conditions, the ‚new liberalism.‘“ Der Begriff „new liberalism“ soll also entgegen dem damals dominierenden Verständnisses seine Kontinuität zum ursprünglichen Liberalismus betonen. Es ist nicht verwunderlich, dass Friedman diesen verwirrenden Begriff aufgegeben hat und stattdessen begrifflich direkt auf seinen Bezugspunkt zurückgreift. 133 Vgl. CaF, 10, 201; FtC, 92; Friedman 1973b, 18; TLP, 330, 437. Robert van Horn und Philip Mirowski betonen einen anderen Aspekt in Friedmans Unterscheidung zwischen Laissez-faireLiberalismus und Neoliberalismus. Für sie ist zentral, dass nur letzterer anerkenne, dass eine staatliche Ordnung nicht von selbst entstehe, sondern gezielt geschaffen werden müsse (vgl. van Horn und Mirowski 2010, 196–200). In diesem Sinne blieb Friedman neoliberal – allerdings wird die Verwendung des Begriffes „laissez faire“ der bei Friedman nicht gerecht. 134 Die Unterscheidung zwischen „liberalism old“ und „liberalism new“ als Abgrenzung zum New-Deal-Liberalismus verwendet Friedman bereits 1956. Allerdings fällt auf, dass eine relativierende Passage aus diesem in „Capitalism and Freedom“ in weiten Teilen wörtlich übernommenen Vortrag später (auch der Sache nach) entfällt. Vgl. Friedman 1961a, 1 f.: „The contrast in views of men who profess the two positions is less sharp in fact than I have drawn it. […] The old and the new live side by side. In consequence, the position is one of uneasy compromise. We are all to some extent collectivists and all to some extent individualists.“ Diesen unwillkommenen Kompromiss versuchte Friedman später zu überwinden, indem er ein rein negatives Verständnis von Freiheit und entsprechend limitierte Staatsaufgaben vertrat. 135 Nachdem die ursprüngliche Version dieser Arbeit zur Begutachtung eingereicht wurde, kamen unabhängig von ihr Doherty 2012 und Jones 2012, 6 f., 96–100, 335 f. zu einer ähnlichen Einschätzung.
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Naheliegend ist, dass sich diese Entwicklung136 erstens durch einen Einfluss der zeitgeschichtlichen Umstände vollzieht. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Great Depression schwand angesichts des wirtschaftlichen Fortschritts und abnehmender Arbeitslosigkeit das dringende Gefühl, eine staatliche Sicherung des Existenzminimums sei erforderlich. Gleichzeitig verstärkten die Politik des New Deal und der Kalte Krieg Friedmans Wunsch, sich von sozialstaatlichem Interventionismus und Kollektivismus abzugrenzen. Zweitens beruft sich Friedman zumindest in der Monopolfrage auf ökonomische Erkenntnisse. Demnach hat sich nicht seine politische Philosophie, sondern seine Ansicht über geeignete Mittel zu ihrer Umsetzung geändert.137 Drittens verwendet Friedman seinen gegenüber dem rein negativen Verständnis erweiterten Freiheitsbegriff genau im hier diskutierten Zusammenhang. Durch die Abwehr von Monopolen und die Sicherung des Existenzminimums können Abhängigkeiten vermindert und Handlungsalternativen sichergestellt werden.138 Beim Bestreben, seinen Freiheitsglauben auf Basis des ontologisch-normativen Individualismus zu systematisieren, konzentriert sich Friedman jedoch auf ein konzeptionell einheitliches, rein negatives Verständnis von Freiheit. Die Konsequenz daraus ist nicht nur ein engerer Begriff von Freiheit, sondern auch eine zunehmend strenge Limitierung staatlicher Aufgaben.139
8.3 Ökonomische Analyse des politischen Systems Die Abschnitte 8.1 und 8.2 haben gezeigt, dass Friedman die Ansicht vertritt, eine primär strukturierte Gesellschaft bedürfe einer staatlichen Ordnung, und welche Aufgaben er einem solchen Staat zuschreibt. Damit ist nicht geklärt, welche Struktur ein solcher haben sollte. Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu klären, welche Methode der Analyse politischer Prozesse angemessen ist (8.3.1). Dies ermöglicht es dann, systematisch danach zu fragen, welche Staatsform die beschriebenen Aufgaben am ehesten zu erfüllen vermag (8.3.2) und welche spezifischen Probleme sich dabei ergeben (8.3.3). 136 Zu Akzentverschiebungen in Friedmans Position weg von der Henry Simons vgl. auch Ebenstein 2007, 175 f. 137 Vgl. oben 187 Anm. 32. 138 Vgl. oben 3.4 Positive Aspekte in Friedmans Freiheitsbegriff. Auch James Bradford de Long identifiziert eine unterschiedliche Beurteilung der Möglichkeit, dass auf einem nicht reglementierten Markt Monopole entstehen und einen gewandelten Freiheitsbegriff als Grund dafür, dass Friedman und George Stigler Henry Simons später nicht mehr als einen Vertreter des klassischen Liberalismus anerkennen (vgl. DeLong 1990, 601 f., 614–617). 139 Eine interessante Parallele zu dieser Entwicklung Friedmans findet sich bei Friedrich A. von Hayek. Wie Friedman sich zunehmend von seinen neoliberalen Lehrern distanziert, so entfernt sich Hayek zunehmend von den deutschen Ordo‑ bzw. Neoliberalen um Walter Eucken, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow (vgl. Karabelas 2010, 73–102, 113 f.).
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8.3.1 Politisches Handeln und ökonomische Methode In Abschnitt 2.2 wurde gezeigt, dass Friedman davon ausgeht, dass Menschen stets ihr weit gefasstes Eigeninteresse verfolgen. Dieses Eigeninteresse ist im Normalfall dominiert von Eigennutzstreben, das neben materiellen Vorteilen auch andere Güter wie gesellschaftliche Anerkennung oder persönliches Wohlbefinden einschließt. Sozialwissenschaftliche Analyse kann daher zur Beschreibung gesellschaftlicher Prozesse verallgemeinernd Eigennutzstreben im engeren Sinne unterstellen. Es ist auffällig, dass Friedman ausführlich und immer wieder die Frage erörtert, was für ein Handeln bei jenen zu erwarten ist, die im Bereich der Politik tätig sind. Seine Aussagen zur Motivation von Politikern und staatlichen Angestellten decken eine große Bandbreite ab, laufen aber auf ein bestimmtes Ergebnis zu. Davon hängt schließlich ab, welche Methode Friedman zur Analyse politischer Prozesse anwendet. In verhältnismäßig frühen Aussagen, die vor zu großer Regierungsmacht warnen sollen, vermittelt Friedman das Bild, dass Politiker in besonders starkem Maße eigennutzorientiert handeln. Diejenigen, die über solche Macht verfügen, erscheinen dabei als besonders versucht, ihre Position zu illegitimem Zwang zu missbrauchen. Umgekehrt haben mit Macht ausgestattete Positionen eine besondere Anziehungskraft für Personen, die diese Macht zum eigenen Vorteil nutzen wollen.140 Diese These setzt sich in der weiteren Entwicklung von Friedmans Argumentation nicht durch. Im Gegenteil dazu betont er auffallend oft, dass Politiker „able, public-spirited people“141 seien. An anderer Stelle wiederum steht ihm eine gemischte Gruppe vor Augen. In Gruppierungen, die für staatliche Aktivitäten eintreten, sieht er eine unheilige Allianz von Menschen, die gute Absichten und schlechte Einsichten haben, mit Menschen, die schlicht ihren eigenen Vorteil maximieren.142 Schließlich aber behandelt Friedman mit im Laufe der Zeit zunehmender Konsequenz Politiker und Staatsbedienstete nicht anders als andere Menschen auch.143 Dies ist die mit seinem sonstigen Vorgehen am besten kompatible Sichtweise. Demnach ist grundsätzlich auch anderes als eigennütziges Verhalten im engen Sinne denkbar144, im Großen und Ganzen gilt jedoch: „Governmental 140 Vgl.
CaF, 2; Friedman und Heffner 1975, 5:00, 20:00. 1; vgl. Friedman 1982b, 107; Friedman 1978a, 213. 142 Friedman und Heffner 1975, 0:00: „[T]here are always in these cases two groups of sponsors. There are the well-meaning sponsors and there are the special interests who are using the well-meaning sponsors as front men. You almost always, when you have bad programs, have an unholy coalition of the do-gooders on the one hand and the special interests on the other“. Vgl. FtC-TV, 10, wo er insbesondere die Industrie als potenziell einflussreiche Interessengruppe im Blick hat. In Friedman 1990, 62 beschreibt er diese unheilige Allianz als Grund dafür, dass „bad people“ einflussreiche Stellen besetzen können. 143 Vgl. Friedman und Heffner 1975, 10:00: „City civil servants and others are just like the rest of us.“ 144 Vgl. TSQ, 146, 499 f. 141 WGP,
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employees, no less then employees of private business, will put their own interests above the interests of others.“145 Wie allgemein bei menschlichem Verhalten gilt, dass sich Eigeninteresse nicht auf rein monetäre Größen reduzieren lässt. Es ist jedoch im Regelfall auf individuelle Vorteile (z. B. Einfluss, Reputation, Annehmlichkeiten) begrenzt und nicht als eine Orientierung am Gemeinwohl zu verstehen.146 Friedman geht nicht davon aus, dass Politiker immer ihren Eigennutzen im engen Sinn verfolgen. Dass sie dies – wie alle Menschen – jedoch überwiegend tun, rechtfertigt, für den Bereich des Politischen wie für alle anderen, das Eigennutzstreben methodisch zu unterstellen. Daraus zieht Friedman die Konsequenz, politisches Handeln mit der Methode der Ökonomik zu analysieren.147 Friedmans institutionentheoretische Ausführungen basieren also auf einem Schluss von der Modellwelt auf die Realwelt.148 8.3.2 Die Logik des politischen Handelns und ihre negativen Auswirkungen Friedman versucht zu zeigen, dass politische Interventionen einer eigenen Logik folgen, die oft zu Folgen führt, die den ursprünglichen Intentionen zuwiderlaufen.149 Die eigene Logik politischer Aktivität ist nicht darin begründet, dass menschliches Handeln hier anderen Prinzipien folgen würde. Die allen Menschen gemeinsamen Motive führen unter den spezifischen Anreizstrukturen politischen Handels zu einer eigenen Logik des Politischen.150 In terminologischer Anlehnung an Adam Smith beschreibt Friedman diese Mechanismen als umgekehrte unsichtbare Hand. Die unsichtbare Hand des Marktes sorgt dafür, dass Individuen, die ihren Eigennutzen verfolgen, letztlich dem Gemeinwohl dienen. Die unsichtbare Hand der Politik hingegen kehrt dieses Verhältnis um. Die Logik des politischen Systems führt dazu, dass eigennütziges Handeln im 145 TSQ, 38f; vgl. FtC, 117; Friedman 1977b, 183; Friedman 1987e, 499 f.; WGP, 8; Friedman 1976e, 11. 146 Vgl. Friedman 1977 (MFA 56.1), 14: „In the same way members of the Congress want to pursue their own interest. That means doing things that will get them elected. Individuals who become bureaucrats want to pursue their own interests. That means getting as large an appropriation as possible, having a large staff, and having as much power as they can.“ Vgl. FtC, 216. 147 Zur ökonomischen Analyse des politischen Systems vgl. Downs 1968, bes. 1–20; Buchanan und Tullock 1974, bes. 17–30; Becker 1976a, bes. 37 f. Friedman bezeichnet die Anwendung der ökonomischen Methodik in „Free to Choose“ als eine Fortentwicklung seines Vorgehens gegenüber „Capitalism and Freedom“ (vgl. FtC, xiiif.). 148 Vgl. Downs 1968, 33. 149 Vgl. FtC, 193. 150 Vgl. Butler 1985, 207 ff. Die gelegentlich begegnende Bemerkung, Politiker oder Staatsangestellte seien „public-minded“ scheint eher rhetorische Absichten zu verfolgen. Friedman zielt gerade nicht auf eine Kritik an der Motivation der Handelnden, sondern an den Bedingungen ihres Handelns. Daher fällt es ihm leicht, an diesem Punkt Zugeständnisse zu machen, die für seine weitere Argumentation nicht relevant sind. So argumentiert er auch in Bezug auf Verbraucherschützer (vgl. Friedman 1983c, 164).
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Bereich von Politikern und staatlichen Bediensteten negative Konsequenzen nach sich zieht. „The self-interest of people in government leads them to behave in a way that is against the self-interest of the rest of us.“151 Friedman erkennt also eine „Umkehrung“ der unsichtbaren Hand: während auf dem Markt eigennützige Motive positive Konsequenzen nach sich zögen, hätten in der Politik gemeinnützige Motive negative Konsequenzen.152 Er nennt dafür drei Gründe, die im Folgenden dargestellt werden. 1.) Macht und Machtmissbrauch. Das Spezifikum von politischem Handeln ist, dass es mit Macht verbunden ist. Die Möglichkeit zur Anwendung von Zwang hebelt das Grundprinzip freiwilliger Kooperation aus. Da nicht alle Beteiligten einer Interaktion zustimmen müssen, ist nicht gewährleistet, dass alle von ihrem Ergebnis profitieren. Im Unterschied zu ökonomischer Macht ist politische Macht deutlich stärker zentralisiert und daher Friedmans Ansicht nach eher mit der Möglichkeit verbunden, Macht zum eigenen Vorteil zu nutzen.153 2.) Anreizstrukturen für Politiker und Staatsbedienstete. Private Unternehmungen sind für die Beteiligten dann erfolgreich, wenn sie ihr Ziel erreichen und Gewinne erwirtschaften. Erreichen sie dieses Ziel nicht, führt der Verlust von Kapital und Arbeitszeit dazu, dass die entsprechende Unternehmung eingestellt wird. Anders verhält es sich bei staatlichen Unternehmungen. Die hier Beteiligten haben ein persönliches Interesse daran, dass ein Programm weitergeführt und ausgebaut wird, auch dann, wenn es seine ursprünglichen Ziele nicht erreicht. Sie sichern so ihren Arbeitsplatz bzw. weiten ihren Einfluss und ihr Ansehen aus. Dies führt dazu, dass Regierungsprogramme bei Misserfolg ausgebaut werden mit dem Argument, das Ziel sei wegen zu geringer Mittel nicht erreichbar gewesen. Hat ein Programm sein Ziel erreicht oder ist durch geänderte Rahmenbedingungen überflüssig geworden, führt das Eigeninteresse der Beteiligten dazu, dass es in anderer Form dennoch eine Weiterführung findet.154 3.) Einfluss von Minderheiten mit starken Interessen. Während die ersten beiden Aspekte für politisches Handeln überhaupt gelten, spielt der Einfluss von Interessengruppen in einem demokratischen System eine besondere Rolle. Von gesetzlichen Regelungen oder Subventionen ist oft nur eine relative kleine Bevölkerungsgruppe direkt betroffen. Deren persönlicher Nutzen oder Schaden ist weit größer als der jeweilige persönliche Nutzen oder Schaden der nicht unmittelbar Betroffenen. Da daraus eine weit größere Bereitschaft zu Lobbyarbeit, Demonstrationen und Änderung der Wahlbereitschaft folgt, werden Partikularinteressen überdurchschnittlich stark berücksichtigt.155 Konsequenz daraus ist, dass die Demokratie zwar als Mehrheitsherrschaft praktiziert wird. Diese Mehr151 WGP,
11. FtC, 292; WGP, 11. 153 Vgl. CaF, 15 f. 154 Vgl. WGP, 8 f.; TSQ, 40, 48 f. 155 Vgl. FtC, 216, 294; WGP, 7 f. 152 Vgl.
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heit bildet sich aber als Koalition aus Gruppen, die jeweils Partikularinteressen verfolgen, und spiegelt nicht das Interesse der Mehrheit der Bevölkerung als ganzer wider.156 Eine besonders große, gut organisierte und einflussreiche Minderheit ist die Mittelschicht. Dies führt dazu, dass diese in der Lage ist, eigene Interessen auf Kosten der Unter‑ und Oberschicht durchzusetzen.157 Eine weitere Konsequenz aus dem großen Einfluss unterschiedlicher Interessengruppen ist, dass aus Rücksicht auf verschiedene Interessen widersprüchliche Ziele durch Regierungsaktivitäten unterstützt werden sollen (z. B. Kampagnen gegen das Rauchen und Subvention von Tabakanbau).158 8.3.3 Die Demokratie als vorzugswürdige Staatsform Trotz dieser spezifischen Schwäche der Demokratie kommt Friedman mittels der ökonomischen Analyse zum Ergebnis, dass die Demokratie gegenüber alternativen Herrschaftsformen vorzuziehen ist. Wie der Staat für Friedman ein Mittel zum Erreichen individueller Ziele ist, so ist auch die Demokratie kein Gut, das als solches anzustreben wäre. Dies ergibt sich bereits aus der Bestimmung des Verhältnisses von politischer Freiheit zu ökonomischer und bürgerlicher Freiheit.159 Politische Freiheit im Sinne der Möglichkeit politischer Mitbestimmung ist für Friedman kein Wert an sich. Der entscheidende Unterschied zum Freiheitsglauben beruht darauf, dass er Demokratie als Herrschaft durch die Mehrheit definiert. Die Dominanz einer (temporären) Mehrheit über eine Minderheit ist jedoch in Konflikt mit dem Freiheitsglauben, der gerade der Minderheit das Recht zusichert, ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Demokratische Herrschaft ist nicht als solche legitim, sondern nur insofern sie als Mittel zur Beförderung individueller Freiheit dient.160 Friedman ist sich also mit der utilitaristischen 156 Vgl. FtC, 302: „The majority does rule. But it is a rather special kind of majority. It consists of a coalition of special interest minorities. The way to get elected to Congress is to collect groups of, say, 2 or 3 of your constituents, each of which is strongly interested in one special issue that hardly concerns the rest of your constituents. Each group will be willing to vote for you if you promise to back its issue regardless of what you do about other issues. Put together enough such groups and you will have a 51 percent majority. That is the kind of logrolling majority that rules the country.“ Vgl. FtC, 38 f.; TSQ, 52 f.; TLP, 353. 157 George Stigler beschreibt diesen Mechanismus in Anschluss an Friedmans Schwager Aaron Director und nennt ihn „Director’s Law“ (vgl. Stigler 1970, bes. 1, 6). Friedman greift diesen Begriff auf (vgl. FtC, 107, 183, 216; SUS, 48 f.). 158 Vgl. FtC, 291 f. 159 Vgl. oben 4.1 Begriffliche Differenzierung sowie ebenso von Hayek 1999, 78, 125 ff. 160 Vgl. Friedman und Achbar 2003, 4: „I don’t believe in democracy in one sense. […] That is democracy interpreted as majority rule. You will find it hard to find anybody who will say that at 55 % of the people believe the other 45 % of the people should be shot. That’s an appropriate exercise of democracy. What I believe is not a democracy but an individual freedom in a society in which individuals cooperate with one another. And in which there is an absence of coercion and violence. Now it turns out that democracy in the sense of majority voting is an effective means for achieving agreement on some things.“ Vgl. FtC, 130.
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Demokratietheorie161 darin einig, dass er Demokratie nicht aus ihr intrinsischen Werten, sondern aufgrund ihrer Konsequenzen befürwortet. Die Differenz zwischen Friedman und dem Utilitarismus ist auch in dieser Frage jedoch das Kriterium, anhand dessen die Konsequenzen beurteilt werden. Für Friedman ist dies nicht der individuelle oder aggregierte Nutzen, sondern das Höchstmaß an individueller Freiheit. Im Prinzip ist die Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung durch einen wohlwollenden Diktator möglich.162 Dennoch vertritt Friedman die These, dass in einer Demokratie dafür bessere Voraussetzungen gegeben seien.163 Zur Begründung beruft er sich auf die ökonomische Analyse des politischen Systems.164 In ihr ist nicht von solchen historisch beobachtbaren Einzelfällen (wohlwollende Diktatoren wie Großbritannien in Hong Kong) auszugehen, sondern vom allgemeinen Eigennutzstreben der Menschen. Unter dieser Perspektive ist damit zu rechnen, dass eine mit absoluter oder weitgehender Macht ausgestattete politische Führungsperson bzw. ‑gruppe diese zum eigenen Vorteil missbraucht.165 Aus liberaler Sicht ist daher die Begrenzung politischer Macht das entscheidende Grundprinzip bei der Etablierung einer politischen Ordnung.166 Eine Demokratie ist anderen Systemen nicht deshalb überlegen, weil mehrheitlich getroffene Beschlüsse eine andere Legitimationsgrundlage haben, sondern weil sie am ehesten Machtkonzentration verhindert. Dies führt dazu, dass eine Regierung, die sich nicht an den Interessen ihrer Bevölkerung orientiert, abgewählt wird.167 161 Vgl. klassisch Bentham, Constitutional Code II.1 (Bentham 1991, 18 f.): „Of this Constitution, the all comprehensive object, or end in view, is, from first to last, the greatest happiness of the greatest number […]. Correspondent all-comprehensive rule – Maximize happiness.“ Zu den daraus abgeleiteten demokratischen Strukturen vgl. Bentham, Constitutional Code III, IV (Bentham 1991, 25–28). 162 Vgl. TLP, 534; Friedman und Becker 2003, 37:00. Friedman nennt hier Lee Kuan Yew einen „benevolent dictator“, der eine weitgehend freiheitliche Ordnung aufrecht hält. Ähnlich beurteilt er die Rolle der britischen Regierung in Hongkong, die dort eines der freisten Gesellschaftssysteme aufrecht hielt, ohne dass die Bevölkerung politische Freiheit gehabt hätte (vgl. Friedman und Becker 2003, 35:58; Friedman und Fisher 2005, 12:04). Allerdings relativiert Friedman die Aussage auch dahingehend, dass auf Dauer nicht damit zu rechnen sei, dass ein Diktator wohlwollend bleibe (vgl. Friedman und Fisher 2005, 12:34): „In principle you can have a benevolent dictator. I say in principle, because in practice you can have one, but it won’t last. Because he won’t stay benevolent.“ 163 Wohl daher kann er auch vereinzelt Demokratie gleichbedeutend mit „freiheitliche Gesellschaft“ gebrauchen (vgl. CaF, 38). 164 Trotz identischer Ergebnisse unterscheidet sich Friedman in dieser Begründung der Demokratie durch Anwendung der ökonomischen Logik auf das politische System von Hayek (vgl. von Hayek 2011, 172–174). Auch Downs verzichtet explizit auf eine Legitimierung des demokratischen Systems und beschränkt sich auf eine Analyse seiner Wirkungsmechanismen mithilfe der ökonomischen Methode (vgl. Downs 1968, 18 f.; 30–33). 165 Vgl. Friedman 1982a. 166 Vgl. CaF, 15. 167 Vgl. TSQ, 37; Friedman 1977 (MFA 56.1), 13.
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In der Demokratie haben Politiker also einen Anreiz, bei eigennutzorientiertem Verhalten zumindest die Interessen der Mehrheit zu berücksichtigen.168
8.4 Erforderliche Begrenzung staatlicher Macht Die Demokratie ist für Friedman die vorzugswürdige Staatsform, weil sie am ehesten die Konzentration von Macht verhindert. Dennoch besteht in ihr strukturell die Gefahr einer Diktatur der Mehrheit. Um dies zu verhindern, ist eine weitere Begrenzung staatlicher Macht in der Demokratie erforderlich. Zu diesem Zweck befürwortet Friedman einerseits die konstitutionelle Limitierung und andererseits die Diversifikation von Macht in einem System von Gewaltenteilung.169 8.4.1 Machtbegrenzung durch Verfassungsrecht Mehrheitsentscheidungen werden aufgrund der Unverzichtbarkeit staatlicher Strukturen akzeptiert. Sie sind dennoch immer mit Einschränkungen persönlicher Freiheiten verbunden. Wie problematisch dies ist, hängt davon ab, wie wichtig der betreffende Bereich für die persönliche Lebensführung ist. Am bedeutendsten sind die in der Verfassung geregelten Grundsätze, die auf einem gesamtgesellschaftlichen Konsens beruhen und nur durch einen solchen geändert werden können.170 Das Grundprinzip von durch die Verfassung gesicherten Grundrechten erläutert Friedman anhand des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Es ist damit zu rechnen, dass eine Mehrheit gegen das Recht verschiedener Minderheiten (Sekten, politische Extremisten, Vegetarier) stimmen würde, ihre spezifische Position öffentlich zu vertreten. Durch die Zusammenfassung mehrerer Einzelfälle unter eine allgemeine Regel jedoch kommt es dazu, dass der Schutz individueller Freiheitsrechte höher gewichtet wird als die Möglichkeit, andere in ihrer Freiheit zu beschneiden.171 Daher sichert die Verfassung das 168 Dies kann jedoch auch dazu führen, dass ein am Gemeinwohl orientierter Politiker aufgrund von Partikularinteressen oder mangelndem Sachverstand von der Mehrheit dazu veranlasst wird, eine sachlich richtige Politik zugunsten einer schädlichen Option aufzugeben. So deutet Friedman das Umschwenken Nixons hin zu Lohn‑ und Preiskontrollen (vgl. Friedman 1973b, 9). 169 Vgl. CaF, 15: „The preservation of freedom requires the elimination of such concentration of power to the fullest possible extent and the dispersal and distribution of whatever power cannot be eliminated – a system of checks and balances.“ Vgl. CaF, 14 f., 39. 170 Vgl. CaF, 24. 171 Vgl. FtC, 299: „Each of us feels more deeply about not having our freedom interfered with when we are in the minority then we do about interfering with the freedom of others when we are in a majority – and a majority of us will at one time or another be in some minority.“ Vgl. TSQ, 54 f.
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Recht auf freie Meinungsäußerung zu und entzieht der momentanen Mehrheit die Verfügungsgewalt über diesen Bereich menschlicher Freiheit. Friedman fordert, dieses Prinzip auf den Bereich der Wirtschaft auszuweiten. Zu diesem Zweck schlägt er eine „economic Bill of Rights“ vor.172 Wirtschaftliche Grundrechte sind bei Friedman ökonomische Freiheitsrechte und nicht zu verwechseln mit Forderungen nach ökonomischen Rechten, die auf eine Grundsicherung oder ökonomische Teilhabe abzielen.173 Als Beispiele nennt Friedman u. a. ein Verbot von Zöllen sowie von Lohn‑ und Preiskontrollen oder ein Recht zur unbeschränkten Berufsausübung. Außerdem unterstützt Friedman verfassungsrechtliche Regelungen zur Beschränkung von Besteuerung, Inflation und Staatsausgaben.174 Konstitutionelle Elemente sollen das Problem dominierender Partikularinteressen überwinden. Durch die Schaffung allgemeingültiger Regeln müssen Einzelpersonen zwar auf manche individuelle Vorteile verzichten. Zugleich aber profitieren sie insgesamt durch den Wegfall all jener Regelungen, die anderen Interessengruppen dienlich sind.175 Sie alle zielen darauf ab, den Machtbereich der Regierung zu minimieren. Dadurch wird direkt die ökonomische Freiheit der Bürger geschützt. Außerdem bekommen Vertreter von Partikularinteressen weniger Gelegenheit, Vorteile auf Kosten der Gesamtgesellschaft zu erzielen und die Reichweite der umgekehrten unsichtbaren Hand der Politik bleibt auf ein Minimum beschränkt. 8.4.2 Machtbegrenzung durch Machtteilung Die Demokratie hat bereits als solche den Vorteil, dass in ihr Macht nicht bei wenigen Einzelpersonen liegt. Ergänzend dazu will Friedman das Prinzip der Gewaltenteilung so weit wie möglich ausdehnen. Vertikale Gewaltenteilung vollzieht sich durch die Reduzierung der Kompetenzen des Bundes und möglichst starke Betonung lokaler und regionaler Regierungen. Friedman überträgt hier das Prinzip des Wettbewerbs auf den Bereich der Politik: Illegitimer Zwang ist dann nicht möglich, wenn Bürger die Möglichkeit haben, auf eine andere politische Einheit auszuweichen.176 Dies ist jedoch umso schwieriger, je größer die politische Einheit ist. Horizontale Gewaltenteilung ist bereits in der Dispersion politischer Macht im demokratischen System vorausgesetzt. Dies soll durch Begrenzung der maximal möglichen Amtszeiten im Kongress verstärkt werden.177 Friedman weitet 172 Vgl.
FtC, 299.
173 Vgl. Friedman 1972b, 137 f. Als Beispiel ökonomischer Teilhaberechte vgl. Allgemeine Er-
klärung der Menschenrechte, Art. 23–25 (Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948). 174 Vgl. FtC, 301–309; TSQ, 55–67. 175 Vgl. FtC, 303; TSQ, 53–55. 176 Vgl. CaF, 3; FtC, 130; Friedman 1973b, 57. Dieselbe Argumentation für dezentrale Strukturen findet sich bei Friedmans Lehrer Heny C. Simons (vgl. Simons 1948b, 12–14). 177 Vgl. WGP, 12.
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das Prinzip jedoch aus, indem er darauf verweist, dass die Gewährung von Eigentumsrechten auch deshalb wichtig ist, weil so ökonomische Machtzentren ein relativierendes Gegengewicht zur Macht der Regierung bilden können: „By removing the organization of economic activity from the control of political authority, the market eliminates this source of coercive power. It enables economic strength to be a check to political power rather than a reinforcement.“178 Durch diese Fassung des Prinzips der horizontalen Gewaltenteilung zeigt sich erneut die Pointe von Friedmans Demokratieverständnis. Sie zeichnet sich für ihn nicht durch das Prinzip „Legitimation durch Verfahren“ aus, sondern durch das Prinzip größtmöglicher Dispersion von Macht zur Erhaltung individueller Freiheit. Daher erscheint es für ihn auch nicht problematisch, wenn ökonomische Machtzentren den Gestaltungsspielraum der Regierung einschränken. Offen ist allerdings, wie es zur Etablierung eines entsprechenden Systems kommen kann. Eine genaue Analyse von Friedmans Argumentation zeigt, dass er für die Behandlung dieser Frage auf Voraussetzungen zurückgreift, die weder durch das freie Verfolgen von Eigeninteresse (Markt) noch durch die Durchsetzung einer Rahmenordnung (Staat) sichergestellt werden können. Letztlich ist der Blick deswegen auf die inhaltliche Bestimmtheit von Präferenzen zu richten, also auf das Verhältnis von Freiheit und Moralität.
8.5 Zusammenfassung Grundsätzlich ist eine Koordination von Interaktion durch freiwillige Kooperation einer Koordination durch Zwang vorzuziehen. Aufgrund der faktischen Sozialität und der Möglichkeit, dass Menschen untereinander Zwang ausüben, kann auf staatliche Strukturen jedoch nicht gänzlich verzichtet werden. Der Staat hat die Funktion, eine Rahmenordnung („Spielregeln“) für freiwillige Interaktion („Spielzüge“) sicherzustellen, indem er folgende Voraussetzungen garantiert: die Existenz von Märkten durch Bereitstellung öffentlicher Güter (Infrastruktur, Geldsystem); Privatheit (Schutz des Eigentums, Sanktionierung von privaten Verträgen und Haftungspflicht); Freiwilligkeit (Verhinderung von Zwang von außen und innen durch Militär und Polizei, Verzicht auf Beschränkungen des Wettbewerbs, Ausgleich für externe Effekte). Staatliche Maßnahmen zur gezielten Förderung von Wettbewerb oder zur Sicherstellung von Informiertheit erachtet Friedman nicht für erforderlich, da diese Bedingungen vom Markt selbst sichergestellt bzw. kompensiert werden. Über die Etablierung einer solchen Rahmenordnung hinaus sieht Friedman Aufgaben des Staates in der Fürsorge für nicht verantwortungsfähige Bürger. Sozialstaatliche Tätigkeiten lehnt er grundsätzlich ab. Anders als die in der allgemein menschlichen Natur 178 CaF,
15; vgl. CaF, 16.
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begründeten Grundaufgaben des Staates kommen sie allenfalls als Übergangslösungen in Betracht. Dass er mit Bildungsgutscheinen und der negativen Einkommenssteuer politische Konzepte unterstützt, die sozialstaatliche Züge haben, stellt sich in erster Linie als strategisches Vorgehen in Fällen dar, in denen ein gänzlicher Verzicht auf staatliche Sozialleistungen politisch nicht durchsetzbar scheint. Die Haltung zur Monopolgesetzgebung und zur Sozialstaatlichkeit entwickelt Friedman erst schrittweise. Dabei vertritt er eine zunehmend restriktive Beschreibung dessen, was Aufgabe des Staates in einer freien Wirtschaftsordnung ist. Diesem Wandel entspricht eine geänderte Bezeichnung seiner eigenen Position: In sehr frühen Texten bezeichnet Friedman sich selbst als „neo-liberal“ im Unterschied zu „laissez-faire-liberal“. Im Laufe der Zeit verschwindet der Begriff „neo-liberal“ völlig aus seinem Wortschatz, während er „laissez-faire“ zunehmend positiv gebraucht. In der Analyse politischer Prozesse wendet Friedman die ökonomische Methode an, die unterstellt, dass Menschen in der Politik wie in allen anderen Handlungsbereichen am eigenen Nutzen orientiert handeln. Demokratie ist nicht aufgrund einer legitimatorischen Funktion des Mehrheitsprinzips vorzuziehen, sondern weil sie am ehesten den Gefahren des Machtmissbrauchs vorbeugt. Die „umgekehrte unsichtbare Hand“ führt dennoch dazu, dass politisches Handeln in der Regel gemeinwohlschädliche Konsequenzen nach sich zieht. So haben Regierungsbedienstete ein persönliches Interesse daran, auch ineffiziente Programme weiter auszubauen und fördern daher Verschwendung. Das Prinzip konzentrierter Partikularinteressen führt dazu, dass in der Demokratie eher eine Summe interessierter Minderheiten regiert und so Privilegien für kleine Gruppen auch auf Kosten der Gesamtgesellschaft erhalten bleiben. Auch in demokratischen Systemen ist daher die Einschränkung und Verteilung von Macht von hoher Bedeutung. Dafür schlägt Friedman verfassungsrechtliche Selbstbeschränkungen vor, die er auf den Bereich der Ökonomie ausweiten möchte, sowie konsequente vertikale und horizontale Gewaltenteilung. Zu letzterer rechnet er auch die Sicherstellung ökonomischer Machtzentren durch eine Garantie des Privateigentums.
9. Freiheit und Moralität Die inhaltliche Entfaltung des Freiheitsglaubens hat deutlich gemacht, dass für Friedman die Unterscheidung zwischen individuellen und sozialen Werten entscheidend ist. Auf normative Aussagen zu individuellen Lebenszielen verzichtet er völlig. Das höchste soziale Gut, Freiheit in einem negativen Sinne, dient gerade der Verfolgung je unterschiedlicher individueller Ziele. Dem entsprechend hält sich Friedman stark zurück hinsichtlich der Forderung nach sozialer Verantwortung. Bei einem unbeschränkten Verfolgen von Eigennutzen besteht jedoch die Gefahr, dass illegitime Folgen individueller Handlungen für andere eintreten. Friedman verweist deswegen auf die Notwendigkeit, eine Rahmenordnung zu etablieren, innerhalb derer Individuen jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen können. Grundlegender Koordinationsmechanismus einer freiheitlichen Gesellschaft ist der Markt, der bereits als solcher weitgehend die positiven Konsequenzen freiwilliger Interaktion sicherstellt. Dennoch zeigte sich auch, dass eine am höchsten sozialen Gut der Freiheit orientierte Gesellschaft auf staatlichen Zwang nicht gänzlich verzichten kann. Schließlich ist nun zu entfalten, dass Friedman auch nicht ohne jede Voraussetzung hinsichtlich der in der Gesellschaft verbreiteten materialen Präferenzen argumentiert. Neben der Organisation durch den Markt und durch die Politik hat die erforderliche Rahmenordnung auch eine moralische Dimension.1 Zunächst soll gezeigt werden, dass Friedman in Anschluss an Edward Banfield davon ausgeht, dass eine Gesellschaft ohne moralische Basis nicht in der Lage ist, das für eine freiheitliche Gesellschaft erforderliche Institutionengefüge zu entwickeln (9.1). Im Anschluss daran wird näher entfaltet, welche Werthaltungen Friedman bei der Etablierung (9.2) und Aufrechterhaltung (9.3) einer freiheitlicher Ordnungen voraussetzt. Abschließend ist zu fragen, was er über die Entstehung der geforderten Werte aussagt (9.4) und wie sich die Voraussetzung von Moralität zum Grundgerüst des normativen Individualismus verhält (9.5).
1 Vgl.
Friedman 1965 (MFA 48.15), 7 f.
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9.1 Die moralische Basis einer freiheitlichen Gesellschaft 1.) Friedmans Verweis auf eine moralische Rahmenordnung. Es entspricht Friedmans fachwissenschaftlicher Ausrichtung, dass er der moralischen Dimension, die den Institutionen einer modernen Gesellschaft zugrunde liegen, vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zukommen lässt. Um so bemerkenswerter ist es aber, dass er festhält: „[T]he organization of the bulk of economic activity through private enterprises operating in a free market […] must be accompanied by a set of values and by political institutions favorable to freedom.“2 Individuelles Vorteilsstreben soll nach Friedman nicht durch Einforderung sozialer Verantwortung eingeschränkt werden. Es vollzieht sich jedoch innerhalb eines Ordnungsrahmens, der auch eine moralische Dimension hat. In Zusammenhang dieser These verweist Friedman auf bedeutende Einsichten, die Edward Banfield in „The Moral Basis for a Backward Society“ zur Sprache bringt.3 Da Friedman selbst sich mit Ausführungen zu dieser Dimension sozialer Ordnungen im Vergleich zu seinen Aussagen über Markt und Staat eher zurückhält, ist es hilfreich, den Ausgangspunkt bei diesem Referenzwerk zu nehmen. Von da aus kann dann Friedmans eigenen Hinweisen auf die moralische Dimension der Rahmenordnung nachgegangen werden. 2.) Moralische Voraussetzungen gesellschaftlicher Entwicklung nach Edward Banfield. Banfields Werk zielt auf den Nachweis, dass moderne freiheitliche Gesellschaften und wirtschaftliche Entwicklung auf einem bestimmten Ethos basieren. Er nähert sich dieser These induktiv, ausgehend vom Negativbeispiel, indem er nach den Gründen fragt, warum es in einem süditalienischen Dorf nicht zu Modernisierung kommt. Als Grund dafür identifiziert er das Fehlen gesellschaftlicher Institutionen, das seinerseits seinen Grund im verbreiteten Ethos habe. Dieses Ethos beschreibt er als „amoral familialism“. Nicht hinsichtlich der prinzipiell befürworteten Ideale, aber hinsichtlich des beobachtbaren Verhaltens charakterisiert Banfield die Handlungsmaxime des amoralischen Familialismus folgendermaßen:„Maximize the material, short run advantage of the nuclear family; assume that all others will do likewise.“4 Dieses familiaristische Ethos, das jede Form von Fortschritt im Keim erstickt, entspricht einem Streben nach Eigennutzen im engen Sinne verbunden mit der Wahrnehmung individueller Verantwortung im Bereich der Kleinfamilie.5 Banfield führt dieses Verhalten auf eine Grundhaltung zurück, wonach die schwierigen äußeren Bedingungen nichts an2 Friedman 1956 (MFA 44.2), 1. Vgl. CaF, 167: „No society can be stable unless there is a basic core of value judgments that are unthinkingly accepted by the great bulk of its members.“ 3 Vgl. Friedman 1965 (MFA 48.15), 8. Zum freundschaftlichen Verhältnis der beiden, die in Chicago Kollegen waren, vgl. TLP, 185, 199, 573. 4 Banfield 1965, 85; vgl. Banfield 1965, 107. 5 Entsprechend beschreibt er die Moralität einer solchen vormodernen Gesellschaft folgendermaßen (Banfield 1965, 141): „It is not too much to say that most people of Montegrano have no morality except, perhaps, that which requires service to the family.“ Die Parallele zu
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deres erlauben als die Orientierung am „interesse“ der Familie, wobei „interesse“ verstanden wird als der kurzfristige materielle Vorteil.6 Als Implikationen eines solchen Ethos nennt Banfield u. a.: Gemeinschaftsorientiertes Verhalten gibt es nur, wenn dies zum unmittelbaren eigenen materiellen Nutzen geschieht. Nur bezahlte Amtsinhaber werden sich für gesellschaftliche Belange einsetzen, und auch diese nur wenn und sofern sie davon persönlich profitieren. Korruption ist der Regelfall. Gesetze finden ausschließlich dann Befolgung, wenn Verstöße mit der Erwartung von Sanktionen verbunden sind. Ein totalitäres Regime ist daher am ehesten in der Lage, eine Ordnung aufrecht zu halten und die Ausbeutung der Schwächeren zu verhindern. Sofern Wahlen abgehalten werden, folgen Wähler nicht politischen Überzeugungen, sondern streben nach individuellem Vorteil (neigen also dazu, ihre Stimme zu „verkaufen“).7 Ein solches Ethos macht die Etablierung sozialer Institutionen geradezu unmöglich und hemmt jede Form von Entwicklung.8 Schon die Existenz einer solchen Gemeinschaft ist nur möglich, weil von außen, durch Staat und Kirche, eine minimale Ordnung aufrecht erhalten wird. Von außen erwartet Banfield auch diejenigen Impulse, die für eine Änderung des Ethos weg vom amoralischen Familiarismus hin zu einer modernen Gesellschaft erforderlich sind.9 Insbesondere drei Züge eines solchermaßen gewandelten Ethos benennt Banfield: Erstens sollte ein aufgeklärtes Eigennutzstreben eine langfristige Perspektive einnehmen und neben materiellen Gütern auch soziale Reputation anstreben. Zweitens muss zumindest eine kleine Gruppe ein breites Verantwortungsbewusstsein für die Übernahme gesellschaftlicher Führungspositionen besitzen. Auch dies erfordert nicht zwangsläufig Altruismus. Allgemein ist drittens eine grundsätzliche Akzeptanz gesellschaftlicher Institutionen erforderlich.10 Schließlich verweist Banfield auf Bildungsprozesse, über die gezielt versucht werden kann, zur Entwicklung eines entsprechenden Ethos beizutragen.11 3.) Moralische Voraussetzungen in Friedmans politischer Theorie. Die Untersuchungen Banfields verweisen anschaulich auf ein Phänomen, das sich bereits im vorangegangenen Kapitel abzeichnete: Friedman zielt zwar darauf, den institutionellen Rahmen einer Gesellschaft zu entwickeln, in dem Individuen jeweils ihren selbst definierten eigenen Nutzen verfolgen können. Dabei unterstellt er in seiner ökonomischen Analyse, dass Menschen als homines oeconomici eine Friedmans Konzept von individueller Verantwortung, das eine moralische Verpflichtung ausschließlich innerhalb der Familie kennt, ist augenfällig. 6 Vgl. Banfield 1965, 115. 7 Vgl. Banfield 1965, 85–104. 8 Vgl. Banfield 1965, 163. 9 Vgl. Banfield 1965, 163 f. 10 Vgl. Banfield 1965, 167. 11 Vgl. Banfield 1965, 172 ff. Neben Schulunterricht und Zeitungen hat er dabei auch die Gründung von Fußballmannschaften im Blick.
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Nutzenvorstellung haben, wie sie dem amoralischen Familiarismus entspricht. Banfield zeigt aber, dass unter dieser Bedingung eine gesellschaftliche Modernisierung nicht stattfinden kann. Eine Gesellschaft von homines oeconomici oder „amoral familists“ wäre nicht in der Lage, jene Institutionen zu entwickeln und zu erhalten, die eine Koordination von Kooperation durch den Markt überhaupt erst möglich machen. Friedman bezieht sich auf Banfields Thesen über das Ethos einer nicht entwicklungsfähigen Gesellschaft, weil ein rechtlicher Ordnungsrahmen allein nicht genügen würde, um die negativen Konsequenzen eines ungebremsten Strebens nach Eigennutzen im engen Sinne auszugleichen. Vor allem aber könnte ein solcher Ordnungsrahmen ohne die Existenz eines inhaltlich qualifizierten Ethos gar nicht etabliert und aufrecht erhalten werden. Obwohl Friedman im Horizont des normativen Individualismus darauf verzichtet, Präferenzstrukturen zu bewerten, so sind diese doch für seine Theorie sozialer Institutionen offensichtlich nicht irrelevant. In der Tat geht Friedman davon aus, dass ein bestimmtes Ethos faktisch in der Präferenzstruktur verankert ist.12 Seine Annahmen über die einer freien Gesellschaft zugrunde liegende Moralität sollen daher nun einerseits in Bezug auf die Etablierung und andererseits in Bezug auf die Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung entfaltet werden.
9.2 Etablierung einer freiheitlichen Ordnung: Zurücknahme der eigenen Präferenzen Folgt man der ökonomischen Analyse des politischen Systems, ist es für den Einzelnen rationaler, seine eigenen Partikularinteressen zu verfolgen als sich für eine freiheitliche Ordnung einzusetzen. Dies führt dazu, dass er sich auch dann für staatliche Unterstützung seiner Ziele einsetzt, wenn grundsätzlich seinen Interessen am besten in einer freiheitlichen Ordnung gedient wäre. Die Tendenz zu einer Koalition interessierter Minderheiten in demokratischen Systemen ist der Grund dafür, dass Friedman politische Freiheit eher als Gefahr denn als Komplement bürgerlicher und ökonomischer Freiheit erachtet.13 Mit seiner ökonomischen Analyse politischer Prozesse kommt er also zum Ergebnis, dass eine freie Gesellschaft kein stabiles politisches System ist. Entsprechend greift Friedman bei der Erklärung, wie es überhaupt zur Etablierung eines solchen Institutionengefüges kommen kann, auf eine Kategorie zurück, die seiner ökonomischen Herangehensweise fremd ist. In diesem Zusammenhang kommt der Zurücknahme eigener Präferenzen („self-deni12 Friedmans Terminolgie folgend verwende ich dabei den Begriff „Moralität“. Wie der Begriff „Ethos“ hat dieser grundsätzlich einen deskriptiven Charakter. 13 Vgl. oben 4.4 Das paradoxe Verhältnis politischer Freiheit zu ökonomischer und bürgerlicher Freiheit sowie 8.3.2 Die Logik des politischen Handelns und ihre negativen Auswirkungen.
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al“)14 eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Sachverhalt soll im Folgenden näher erläutert werden. 1.) Self-denial als aufgeklärtes Eigeninteresse. Eine Gefahr für die Freiheit durch Herrschaftsmacht ergibt sich aus der Tendenz von Menschen, bestehendes Übel stets durch steuernde Eingriffe bekämpfen zu wollen.15 Diese Tendenz gilt es als schädlich zu durchschauen und zu überwinden. „I want people to take thought about their condition and to recognize that the maintenance of a free society is a very difficult and complicated thing. And it requires a selfdenying ordinance of the most extreme kind. It requires a willingness to put up with temporary evils on the basis of the subtle and sophisticated understanding that if you step in to try […] to do something about them – you not only may make them worse, but you will spread your tentacles and get bad results elsewhere.“16
„Self-denial“ beschreibt hier zunächst ein aufgeklärtes Eigeninteresse, das erkennt, dass der Versuch, bestimmte Güter durch Zwang zu erreichen, kontraproduktiv ist.17 Allerdings verlangt Friedman hier nicht, auf die Verfolgung eigener Interessen zu verzichten. Es geht ihm zunächst um die Einsicht, dass der Versuch, bestimmte Präferenzen aktiv und durch staatliche Mittel zu verfolgen, kontraproduktiv für ihre Erreichung ist. Individuen sollen temporär Zurückhaltung üben, um so ihr individuelles Ziel zu erreichen. 2.) Self-denial als Zurücknahme eigener Präferenzen. Die tatsächliche Etablierung einer freiheitlichen Ordnung verlangt aber noch mehr als eine solche langfristige Rationalität. Die Logik der zunehmenden Unfreiheit durch politische Vorteilnahme kann nur durchbrochen werden, wenn Einzelne „self denial“ üben, indem sie auf eigene Vorteile verzichten. Im Horizont von Friedmans Anthropologie wäre es konsequenter, von einem weiten Eigeninteresse zu sprechen als von der Zurücknahme von individuellen Vorteilen. De facto läuft beides jedoch auf dasselbe hinaus. Es geht um den nicht-strategischen Einsatz für gesellschaftlich Güter auf Kosten individueller Güter.18 Dies setzt idealistische Menschen voraus, deren Eigeninteresse so weit gefasst ist, dass sie für ihr Eintreten für eine freiheitliche Ordnung auch persönliche Nachteile in Kauf nehmen. 14 Die wörtliche Übersetzung von „self-denial“ als „Selbstverleugnung“ (so auch KuF, 42) erscheint als zu weitgehend. Mangels einer besseren Alternative verwende ich für die Zurücknahme eigener Präferenzen den ursprünglichen englischen Terminus. 15 Vgl. Friedman und Heffner 1975, 20:00. 16 Friedman und Heffner 1975, 20:00. 17 Friedman verwendet den Terminus „self-denying“ auch zur Beschreibung der Limitierung von Regierungsmacht durch Verfassungsrecht (vgl. CaF, 24; FtC, 299). Diese Verwendung ist vom hier erörterten Zusammenhang zu unterscheiden. 18 Die Gleichsetzung von „self-denial“ mit einem Verzicht auf materielle Vorteile bei McLellan greift hingegen zu kurz. Diese Interpretation setzt das Missverständnis voraus, Friedman beschränke seine Perspektive allgemein auf materielle Präferenzen (vgl. McLellan, 155). Auch nicht-materielle, aber eigennützige Vorteile wie Ansehen oder Mußezeit müssen im Sinne weiten Eigeninteresses zurückgestellt werden, damit von „self-denial“ gesprochen werden kann.
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„[N]o society could be stable if advocacy of radical change would be costless, much less subsidized. It is entirely appropriate that men make sacrifices to advocate causes in which they deeply believe. Indeed, it is important to preserve freedom only for people who are willing to practice self-denial, for otherwise freedom degenerates into license and irresponsibility.“19
3.) Self-denial als Tugend für Politiker. Wie bereits Edward Banfield, so argumentiert auch Friedman, dass nicht alle Menschen notwendigerweise ein solches weites Verständnis von Eigeninteresse aufweisen müssen. In den Blick geraten insbesondere diejenigen, die im Bereich der Politik Verantwortung übernehmen. Bei der Anwendung der ökonomischen Methode auf die Politik geht Friedman durchgehend davon aus, dass Politiker stets ihren eigenen Nutzen verfolgen.20 Einerseits nimmt Friedman politisch aktive Menschen nicht von seinem Grundsatz der Präferenzautonomie aus und macht ihnen das Verfolgen von Eigennutzen im engeren Sinne nicht zum Vorwurf.21 Andererseits zeigen seine Vorstellungen von guter Politik jedoch das Bild eines Politikers, der nicht nach eigenen Erfolgen strebt, sondern sich zum Wohle der Gesellschaft für eine freiheitliche Ordnung einsetzt. In einer Newsweek-Kolumne über die politische Lage in Israel lässt Friedman erkennen, dass die von ihm geforderte Zurückdrängung von Partikularinteressen als Idealismus zu verstehen ist, also gerade nicht eigenen Interessen der Politiker dienlich ist.22 Entsprechend stellt Friedman bezüglich der Einführung einer negativen Einkommenssteuer fest, dass dieses ein Handeln gegen „Director’s Law“, also gegen die Interessen der einflussreichen Mittelschicht verlangen würde. Wie aber kann ein solcher Vorschlag im Rahmen der politischen Logik überhaupt Erfolg haben? „I see no solution to this problem except to rely on the self-restraint and good will of the electorate.“23 Diese allgemeinen Anforderungen spiegeln sich auch in der Beurteilung verschiedener Politiker durch Friedman wider. So ist es durchaus als Kritik an Richard Nixon gemeint, wenn er ihm strategisches Verhalten, „his readiness to put his own political interest above the public interest“24, vorwirft. Gleichsam als Antipode steht dem, neben Ronald Reagan,25 der gescheiterte republikanische Präsidentschaftskandidat Barry Goldwater gegenüber. An ihm schätzt er insbesondere „.[his] firm adherence to basic principles, his courage in taking 19 CaF,
18. oben 8.3.1 Politisches Handeln und ökonomische Methode. 21 Vgl. Friedman 1977b, 183. Dasselbe gilt für Professoren, die ihre Position dann nicht offen äußern, wenn sie negative Auswirkungen auf die Finanzierung ihrer Forschung befürchten (vgl. Friedman 1987k, 12), für Menschen, die den Wohlfahrtsstaat ausnutzen (vgl. Friedman 1973b, 44) oder für Unternehmer, die staatliche Bevorzugung nutzen (vgl. TLP, 510). 22 Vgl. TLP, 463 f. (Zitat aus Friedman 1977c). 23 CaF, 194. 24 TLP, 386; vgl. Friedman 2000a, On Richard Nixon. 25 Vgl. WGP, 14. 20 Vgl.
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unpopular positions, [and] his willingness to sacrifice what seemed like political expediency to stand up for what he thought was right“26. 4.) Die Fähigkeit zu Self-denial. Dass Friedman seine Neutralität gegenüber persönlichen Motiven gerade in der Beurteilung von Politikern nicht konsequent durchhalten kann, ist kein Zufall. Seine Urteile ergeben sich aus der Notwendigkeit, dass eine liberale Gesellschaftsordnung ein gewisses Maß an „self-denial“ verlangt. Es ist also zu unterscheiden zwischen dem Eigennutzstreben, das Friedman in seiner allgemeinen Analyse voraussetzt und dem weiten Selbstinteresse, das er für die Etablierung einer freiheitlichen Ordnung als nötig erachtet.27 Friedman selbst beobachtet diese Spannung und verweist darauf, dass eine Überwindung des Eigennutzstrebens durchaus möglich ist. In „Two Lucky People“ beschreibt er eine Diskussion mit Studierenden, in der er sich gegen die staatliche Finanzierung von Universitäten ausspricht: „This debate made a deep impression on me, because of the reaction of the audience. As the debate proceeded, the atmosphere changed from hostility to support, and, at the end, the audience voted by a large majority for the position I was defending. It was an ironic outcome. Economists generally rely on people to pursue their own self-interest, rather narrowly defined. Yet here I was, an economist, appealing to the students to rise above their own self-interest, and they did so, at least for the time being. All of us when young tend to be more idealistic than we are later, and much more readily rise above self-interest. However, the capacity to interpret self-interest broadly is present at all ages.“28
Es ist diese Fähigkeit zur Einsicht und zur Zurücknahme eigener Interessen im Sinne der Einnahme einer weiten Vorstellung von Eigeninteresse, die die Etablierung einer freiheitlichen Ordnung voraussetzt. Im Rahmen der ökonomischen Logik ist sie nicht hinreichend erklärbar.29 Indem er vom erforderlichen „selfdenial“ spricht, erkennt Friedman dies an. Dennoch hält er an der Erklärung politischer Zusammenhänge durch die ökonomische Methodik fest.
9.3 Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung: Gesetzesgehorsam und moralischer Grundkonsens Während die Etablierung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung in erster Linie von Politikern die Tugend des self-denial verlangt, kann eine entsprechende Rechtsordnung nicht ohne einen in der allgemeinen Moralität verankerten Ge26 TLP,
368. Spannung lässt sich auch in der Konzeption Friedrich A. von Hayeks feststellen (vgl. Lüling 1979, 21 f.). 28 TLP, 210. Vgl. die Schilderung einer ähnlichen Begebenheit bei einem Treffen mit Kongressabgeordneten der Republikanischen Partei in TLP, 344 f. 29 Vgl. Zintl 2004, 155 f. Zintl geht davon aus, dass Friedman ein Absehen der Bürger von ihren Partikularinteressen nur faktisch, nicht aber offensichtlich voraussetzt. Die hier angeführten Belege zeigen, dass Friedman diese Konsequenz seiner Argumentation auch explizit ausweist. 27 Dieselbe
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setzesgehorsam aufrecht erhalten werden. Eine konsequente Anwendung der ökonomischen Methode auf das Verhältnis der Bürger zum Gesetz käme – wie Banfields Ausführungen zum amoralischen Familialismus – zum Ergebnis, dass Gesetze nur dann eingehalten werden, wenn es den Bürgern individuellen Nutzen bringt. Entscheidend sind also die mit dem Gesetz verbundenen Sanktionen, die regelwidriges Verhalten „teuer“ machen.30 Friedman erkennt jedoch die Grenzen eines Rechts, das in seiner Durchsetzung ausschließlich auf die Vorteilskalkulation der Bürger setzt. Er betont daher, dass die Rechtsordnung auf einer Anerkennung beruht, die ihr auch dann zukommt, wenn nicht mit Sanktionen zu rechnen ist. „[N]o set of rules can prevail unless most participants most of the time conform to them without external sanctions; unless that is, there is a broad underlying social consensus.“31 „You can rigidly enforce only those laws that most people believe to be good laws, that is, laws that proscribe actions that they would avoid even in the absence of laws. When laws render illegal actions that many or most people regard as moral and proper, they can be enforced only by brute force.“32
Zugleich weist Friedman darauf hin, woran diese Anerkennung gebunden ist. Sie beruht weder auf einer positivistischen Anerkennung von gesetztem Recht als solchem, noch auf einer Anerkennung des Recht gebenden Verfahrens. Entscheidend ist hingegen, dass das geltende Recht einen ihm vorgeordneten sozialen Konsens widerspiegelt.33 Eine stabile demokratische Ordnung setzt für Friedman „a widespread acceptance of some common set of values“34 voraus. Ist diese nicht gewährleistet, kann die Durchsetzung des Rechts nur durch massive Zwangsmaßnahmen erfolgen.35 Ein Staat, der nicht auf einem mora30 Vgl.
Banfield 1965, 92 ff. Zur ökonomischen Analyse des Rechts im Allgemeinen vgl. z. B. Becker 1993, 39–96, bes. 47 f.; Becker 1992, 41–43. 31 CaF, 25. 32 WGP, 2; vgl. FtC, 300. 33 Friedman berichtet von einem Erlebnis, das für die Entwicklung seiner Position hinsichtlich der begrenzten Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen prägend gewesen sei. Er berichtet, dass sein Kollege Tjalling Koopmans seiner Aufgabe nicht nachgekommen sei, Vorschläge für einen Preis zu machen, den die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät in Chicago verleihen sollte (vgl. TLP, 198): „I phoned him and asked for suggestions. He told me that he had voted against the rewarding of a prize and as a result did not feel obliged to participate in the selection of the winner. That episode let me to think seriously about the fragility of any social organization based on majority rule“. 34 CaF, 86; vgl. CaF, 167; FtC, 158 („the values of US citizenship“); Friedman 1979b, 96. Vgl. Zintl 2004, 156 f.; Lütge 2004, 168. Hingegen kann Clemens Dölken seinen gegen Zilken erhobenen Einwand, Friedman versuche „die Rolle des Menschen in solchen Fällen auf dem Hintergrund ökonomischer Effizienzüberlegungen zu erörtern“ (Dölken 2004, 162) nicht überzeugend belegen. 35 Vgl. FtC, 145: „When the law contradicts what most people regard as moral and proper, they will break the law – whether the law is enacted in the name of a noble ideal such as equality or in the naked interest of one group at the expense of another. Only fear of punishment, not a sense of justice and morality, will lead people to obey the law.“
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lischen Grundkonsens beruht, steht notwendigerweise in der Tendenz zum Totalitarismus.36 Umgekehrt gilt auch, dass die Aufrechterhaltung einer Rechtsordnung nicht zuletzt auf der Vermittlung jener Werte basiert, die ihr zugrunde liegen.37 Die Notwendigkeit grundsätzlicher Zustimmung zur politischen Ordnung verstärkt auch das Problem, das unnötige Gesetze darstellen. Gesetze wie das Verbot von Alkohol, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder auch zur Umverteilung von Vermögen stellen nicht nur selbst illegitime Einschränkungen der individuellen Freiheit dar. Sie richten sich außerdem gegen die Wertmaßstäbe breiter Bevölkerungsschichten und unterminieren so deren Bereitschaft zum Gesetzesgehorsam.38 Die Einhaltung von Gesetzen hängt also entscheidend davon ab, dass sie sozialen Normen entsprechen. Hinzu kommt, dass Friedman dies nicht nur empirisch feststellt, sondern auch normativ an einer Vorordnung moralischer Normen vor dem Gesetz festhält. Der Gesetzesgehorsam, der zur Aufrechterhaltung einer gesellschaftlichen Ordnung erforderlich ist, ist nicht als solcher gut, sondern nur dann, wenn er sich auf eine befürwortenswerte Ordnung bezieht. „Nobody believes that obeying every law is an ultimate moral principle. There comes a point, if you look back at the history of law obedience – think of conscientious objection during wars – I think you will see that everybody agrees that there is a point at which there is a higher law than the legislative law.“39
Die Vorstellung eines vorpostiven Rechts mag vor dem Hintergrund von Friedmans These von der Nichterkennbarkeit moralischer Wahrheiten überraschen.40 Bezeichnend ist jedoch der Zusammenhang, in dem Friedman auf dieses „höhere Gesetz“ zu sprechen kommt. Es geht ihm darum, die Existenz von Schwarzmärkten zu verteidigen. Sie gelten ihm als eine legitime Umgehung illegitimer Einschränkung freiwilliger Kooperation. Das „höhere Gesetz“ sind also für Friedman die Prinzipien des normativen Individualismus.41 Das Recht, den individuellen Nutzen zu verfolgen, bekommt damit quasi den Status eines Naturrechts. Die Legitimität einer Ordnung hängt für ihn davon ab, in welchem 36 Vgl. Friedman 1973b, 11. Auch hier argumentiert Friedman parallel zu Banfield (vgl. Banfield 1965, 96–98). 37 Vgl. CaF, 86; TSQ, 135 sowie Zintl 2004, 154. 38 Vgl. FtC, 145: „When the law interferes with people’s pursuit of their own values, they will try to find a way around. […] When people start to break one set of laws, the lack of of respect for the law inevitably spreads to all laws, even those that everybody regards as moral and proper – laws against violence, theft, and vandalism.“ Vgl. WGP, 2 f. 39 Friedman 2000a, The Economic Logic Behind Black Markets. 40 Vgl. oben 1.1 Erkenntnistheoretischer Dualismus: Normative und Positive Ökonomik. 41 Ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob alle individuellen Verträge von staatlichen Gerichten sanktioniert werden sollten. Friedman greift sie nicht explizit auf und aus seinem Gesamtkonzept erscheint eine entsprechende Einschränkung kaum zu legitimieren. Allerdings bezieht er sich durchaus positiv darauf, dass Preisabsprachen zwischen Unternehmen in den USA anders als in manchen europäischen Ländern nicht vor Gericht einklagbar seien (vgl. CaF, 132).
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Maße sie es Individuen erlaubt, ihre jeweiligen Eigeninteressen zu verfolgen. Wenn Friedman voraussetzt, dass die Gesetzgebung des Staates einen moralischen Grundkonsens widerspiegelt, so heißt dies bezogen auf sein libertäres Staatskonzept: Ein libertärer Staat ist auf einen moralischen Grundkonsens im Sinne der Grundprinzipien des normativen Individualismus angewiesen.42 Ein Staat kann nur dann eine stabile freiheitliche Ordnung aufrecht erhalten, wenn seine Bürger das Recht ihrer Mitbürger zur Verfolgung ihrer eigenen Interessen anerkennen und daher auch dann auf die Ausübung von Zwang verzichten, wenn sie nicht unmittelbar von rechtlichen Sanktionen bedroht sind.43 Ein solches liberales Ethos setzt Friedman voraus, wenn er sein Konzept eines liberalen Staates entwirft.44 Ergänzend ist daran zu erinnern, dass Friedman auch von einer weiten Verbreitung menschlichen Mitgefühls ausgeht, wie im Zusammenhang seiner anthropologischen Voraussetzungen deutlich gemacht wurde.45 Auch diese These ist bedeutend für Friedmans Staatstheorie, da sie die Grundlage dafür bildet, dass der Verzicht auf sozialstaatliche Aktivitäten nicht zur vollständigen Verelendung jener führt, die nicht für sich selbst sorgen können.46 Die Bereitschaft, den eigenen Wohlstand zu teilen, beschreibt er daher als positive Zielsetzung individueller Lebensgestaltung.47 42 Vgl. Friedman 1976 (MFA 55.18), 14: „I believe that the American people have basically a very deep and abiding faith in individuality and human freedom.“ 43 Friedrich von Hayek vertritt mit einer ähnlichen Begründung die These, eine freiheitliche Gesellschaft setze die Befolgung einer konventionellen Moral durch ihre Mitglieder voraus (vgl. von Hayek 1976, 37ff). Der von Friedman positiv angeführte Kenneth Minogue (vgl. Friedman 1965 (MFA 26.19)) macht deutlich, dass dies letztlich einen Akt des self-denial gegenüber der eigenen Präferenzen verlangt (vgl. Minogue 1963, 169). 44 Die Bedeutung eines moralischen Konsenses für die freiheitliche Gesellschaft betonen auch James M. Buchanan (vgl. Buchanan 1975, 19–23) und Henry C. Simons. Allerdings geht letzterer über Friedman in zweierlei Hinsicht hinaus: Er erachtet die Konsensfähigkeit in wissenschaftlichen und moralischen Fragen als Kriterium für ihre Wahrheit (also hängen auch die Prinzipien des Liberalismus in ihrer Gültigkeit davon ab, dass sie als solche anerkannt werden); und er betont die Bedeutung des gesellschaftlichen Konsenses nicht nur für die Einhaltung, sondern auch für die Etablierung des Rechts (vgl. Simons 1948b, 7 f.). 45 Vgl. oben 83. 46 Vgl. Friedman 1972b, 138. 47 Vgl. CaF, 195: „He [the liberal, B. G.] will regard charity directed at helping the less fortunate as an example of the proper use of freedom.“ Ein zu weit verbreiteter Altruismus wäre nach Friedman allerdings sogar problematisch (vgl. CaF, 165): „Are we prepared to urge on ourselves or our fellows that any person whose wealth exceeds the average of all persons in the world should immediately dispose of the excess by distributing it equally to all the rest of the world’s inhabitants? We may admire and praise such action when undertaken by a few. But a universal ‚potlach‘ would make a civilized world impossible.“ In der Vortragsreihe, auf der „Capitalism and Freedom“ basiert, hatte Friedman im selben Zusammenhang noch formuliert: „Of course, it would be nice, and the best of all worlds, if the Crusoe on the large island invited the others to join him and share its wealth“ (Friedman 1956 (MFA 216.5), 5; Hervorhebung B. G.). Später bezeichnet er eine entsprechende Gleichheit schaffende Handlung lediglich als „generous“ (CaF, 165).
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9.4 Die Entstehung moralischer Werte Da eine Rechtsordnung, die individuelle Freiheit ermöglicht, immer auf der Entwicklung bestimmter Werte basiert, stellt sich die Frage, wie diese Werte entstehen.48 Auch die Beantwortung dieser Frage muss bei Friedman mit dem einzelnen Menschen einsetzen. 1.) Moralische Werte als individuelle Präferenzen. Nur das Individuum, nicht eine Gruppe von Menschen kommt als Träger von Werten in Frage. „[M]oral values are individual; they are not collective. Moral values have to do with what each of us separately believes and holds to be true – what our own individual values are.“49 Friedman setzt moralische Werte mit dem je individuell Wertgeschätzten gleich. Im Horizont des normativen Individualismus kommt es zu einer Identifikation von moralischen Werten mit dem Eigeninteresse bzw. der individuellen Präferenzstruktur.50 Die Feststellung, dass es für die Entwicklung einer freiheitlichen Gesellschaft nicht unerheblich ist, wie die Präferenzstruktur material gestaltet ist, führt dazu, den Blick auf die von Ökonomen sonst meist ausgeklammerte Frage nach der Entstehung von Präferenzen zu lenken. 2.) Die Entstehung von Werten als evolutionärer Prozess. Nur gelegentlich äußert sich Friedman zur Frage, wie es zur Entwicklung individueller Werte kommt. In seiner Reaktion auf einen Vortrag von Kenneth Boulding verweist Friedman auf die Emergenz einer solchen Wertegemeinschaft aus der freiwilligen Kooperation von Individuen auf dem Markt der Ideen. Damit zählt er moralische Werte in der Tradition Hayeks zu jenen spontan entstandenen Institutionen, die sich nicht dem planvollen Handeln Einzelner verdanken.51 Die dabei vorausgesetzt Analogie zum Evolutionsgedanken kommt insofern an ihre Grenzen, als sich in der Evolution von Werten nicht jeweils die „besten“ oder leistungsfähigsten Werte durchsetzen. Dass Friedman aktuelle Entwicklungen hin zu eher kollektivistischen oder egalitären Wertvorstellungen kritisiert, ist mit dem Gedanken der zwangsläufigen Durchsetzung vorzugswürdiger Werte nicht kompatibel. In dem Kontext, in dem Friedman erstmals auf die soziale Evolution von Werten zu sprechen kommt, bringt er dies explizit zum Ausdruck: „Needless to say, the process of social evolution of values does not guarantee that the integrative system that develops will be consistent with the kind of society that you or I with our values would prefer – indeed, the evidence of experience suggests that it is most unlikely to. One of the urgent questions requiring investigation is, indeed, what integrative system will be consistent with the kind of society we value, what circumstances contribute to the development of such a system, and to what extent the key element is the process 48 Vgl.
CaF, 86; TSQ, 135. 1983b, 84; vgl. CaF, 2; FtC-TV, 84; Friedman 2000b, 18. 50 Vgl. CaF, 200; FtC, 145; TLP, 589. 51 Vgl. Friedman 1987o, 7 f.; außerdem FtC, 26. 49 Friedman
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itself – such as free discussion – or the substantive content of the integrative system. Each of us, as he attempts to influence the values of his fellows, is part of this process of development of integrative systems.“52
Ob Werte tatsächlich vorteilhaft sind, erweist sich für Friedman nicht allein aus ihrer faktischen Durchsetzung. Stattdessen beurteilt er sie auf der Basis seiner eigenen Wertvorstellungen. Dies entspricht Friedmans Vorgehen, auf der Basis des Freiheitsglaubens eine normative Perspektive mit kritischem Potenzial zu entfalten. Die Beschreibung der Evolution von Werten als Ergebnis freiwilliger Interaktion auf dem Markt der Ideen könnte den Eindruck vermitteln, dass der Markt seine Grundlage, einen hinreichend umfassenden Wertekonsens, selbst schafft. Allerdings ist nicht bereits die Existenz von Wertediskursen oder eines beliebigen Konsenses hinreichend für die Etablierung der von Friedman angestrebten freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Diese setzt vielmehr voraus, dass hinreichend viele Menschen die Grundprinzipien des normativen Individualismus anerkennen. Verlangt ist dafür keine Übereinstimmung hinsichtlich der individuellen Werte, also der Vorstellung davon, wie das eigene Leben erfüllend geführt wird. Was eine hinreichend große Zahl von Menschen aus Überzeugung anerkennen muss, ist hingegen das Recht der anderen Menschen, ihre eigenen Präferenzen zu verfolgen. Friedman scheint in der Tat der Überzeugung zu sein, dass eine freiheitliche Gesellschaft selbst eine entsprechende Werthaltung vermittelt: „The free institutions that have developed in the West over the prior two centuries provided a structure of values and an economic base for a generally beneficent extension of government to ever wider areas of our lives. That heritage is not inexhaustible.“53 Friedman stellt hier einen Zusammenhang zwischen der Existenz freier Institutionen und den sie stützenden Werten fest. Er beschreibt jedoch nicht, auf welche Weise eine freiheitliche Gesellschaftsstruktur auf die individuellen Werte Einfluss nimmt. Allerdings ist einschränkend festzustellen, dass Friedman im vorletzten angeführten Zitat zum Ausdruck bringt, dass er es keineswegs für garantiert hält, welche Werte sich als Ergebnis freier Diskurse entwickeln. Allein die Existenz von Märkten garantiert die Akzeptanz liberaler Werte offensichtlich noch nicht.54 3.) Die Entstehung von Werten als Ergebnis von institutionalisierten Bildungsprozessen. Im selben Zitat weist Friedman darauf hin, dass er selbst die Werte seiner Mitmenschen beeinflussen möchte. Damit setzt Friedman auch für die 52 Friedman
1987o, 8. 1980 (MFA 59.5) (Hervorhebung B. G.). 54 Auch wenn Friedman dem Markt durchaus eine positive Funktion für die Bildung freiheitlicher Werte zuschreibt, ist er insgesamt doch so zu verstehen, dass für ihn die These des Verfassungsrechtlers Ernst Wolfgang Böckenförde zum freiheitlich säkularen Staat auch für den Markt Gültigkeit besitzt (vgl. Böckenförde 2006, 112 [im Original kursiv]): Der freie Markt „lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“. 53 Friedman
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Entwicklung moralischer Wertvorstellungen voraus, was er allgemein über die Entwicklung individueller Präferenzen und sozialer Institutionen denkt: Sie wird beeinflusst von ihrem intellektuellen Kontext, vom Diskurs über Ideen. Auch in Bezug auf die Entstehung individueller Wertvorstellung wird also deutlich, dass Friedmans großes Vertrauen in die Rolle von Ideen und die Bildungsfähigkeit des Menschen hat. Prägend ist dabei nach Friedman zum einen, wenn auch in abnehmendem Maße, die Familie.55 Auch die Schule hat ihm zufolge die Funktion, jene Werte zu vermitteln, die für ein friedliches Zusammenleben elementar sind.56 Allerdings betont er auch hier, dass diese Funktion nicht zulasten des Prinzips der Freiheit gehen darf, dass also nicht die seiner Ansicht nach wünschenswerten Wertvorstellungen gegen den Willen der Eltern und unter Verwendung von Zwang vermittelt werden sollten.57 Schließlich lässt Friedman erkennen, dass Wertevorstellungen auch religiöse Wurzeln haben.58 Erst wenn man sich diesen Zusammenhang von Wertebildung, moralischem Grundkonsens und freier Marktwirtschaft vor Augen führt, lässt sich Friedmans Position dazu, wie mit Bestechungs‑ und Betrugsskandalen in Unternehmen umzugehen ist, verstehen: „In short, in my opinion, there is no alternative to relying on the family, the church and school to instill high ethical standards in the members of our [c]ommunity, and on a competitive free market to enforce them.“59
Menschliches Fehlverhalten kann nicht durch einen umfassenden Staatsapparat verhindert werden. Es ist aber auch nicht schon durch die Existenz eines Marktes ausgeschlossen. Daher sind Bildungsprozesse erforderlich, die bestimmte Präferenzen in einer Mehrheit der Bevölkerung verankern.60 Sind diese erfolgreich, lassen sich Präferenzen effizient durch einen funktionierenden Markt durchsetzen, was wiederum staatliche Regulierung überflüssig macht. Die Vorstellung einer evolutionären Entwicklung von Wertvorstellungen auf dem „Markt der Ideen“ bringt zum Ausdruck, dass solche Bildungsprozesse letztlich nicht verfüg55 Vgl. TSQ, 135. Zu einem Beispiel, wie Friedman seinem Sohn David anhand eines Gespräches über Beispiele moralischer Urteile liberale Werte vermittelte vgl. oben 99 Anm. 32. 56 Vgl. CaF, 86, 90, 96; FtC, 150 f., 158. 57 Vgl. CaF, 90, 96. Friedman sieht hier einen schmalen Grat zwischen dem Verzicht darauf, die nötigen Werte zu vermitteln und illegitimer Indoktrination. Er lässt jedoch erkennen, dass dieses Problem in den USA im 20. Jahrhundert weniger massiv sei. Auch hier scheint er davon auszugehen, dass ein moralischer Konsens faktisch so weit gegeben ist, dass die Situation nicht problematisiert werden muss, wie mit einer andersartigen Situation umgegangen werden könnte. 58 Vgl. dazu insbesondere Friedmans Überlegungen zum Verhältnis von Kapitalismus und jüdischen Werte, die er 1977 an der Hebrew University vorgetragen hat (dokumentiert in TLP, 465–468). 59 Friedman 2002 (MFA 216.3), 2. 60 In Bezug auf gemeinschaftliche Werte betont Friedman insbesondere die Rolle der Schule. Allerdings hält er in seinem Kontext den gesellschaftlichen Konsens für so gefestigt, dass private Schulen dem nicht entgegenstehen (vgl. CaF 86, 90, 96; FtC, 150 f.).
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bar sind. Im Unterschied zu missverständlichen Implikationen dieser Rede hält Friedman in seiner Beschreibung von Bildungsprozessen jedoch zweierlei fest: Erstens ist durch die Unverfügbarkeit von Bildungsprozessen nicht ausgeschlossen, dass diese absichtsvoll gestaltet werden, um bestimmte Werte zu befördern. Zweitens wird dieses Unterfangen gefördert durch die Bildung und Pflege von Institutionen wie Familie. Schule und religiösen Gemeinschaften, auch wenn es letztlich immer um die Bildung je individueller Werte gehen muss.61 4.) Staatliche Rahmenordnung und die Entstehung von Werten. Nach Friedmans Verständnis soll der Staat es den Individuen ermöglichen, ihre jeweiligen Präferenzen zu verfolgen. Er soll jedoch nicht selbst auf die Einstellung der Menschen Einfluss nehmen. Zumindest gelegentlich lässt sich jedoch feststellen, dass Friedman den Staat selbst als eine Institution beschreibt, die die Präferenzen der durch ihre Regelungen betroffenen Individuen prägt. Dies ist der Fall, wenn Friedman die Vorzüge eines in seinem Sinne freiheitlichen Staates gegenüber einem Staat, der auch sozialstaatliche Aufgaben übernimmt, zum Ausdruck bringt.62 5.) Milton Friedmans Selbstverständnis. Die Überzeugung von der Wichtigkeit von Wertediskursen für die Bildung freiheitlicher Institutionen bildet nicht zuletzt den Boden für Friedmans öffentliches Auftreten. Dieses ist dann zu verstehen als ein Einsatz für die Gewährleistung eben jener Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft. Es geschieht aus dem Selbstverständnis heraus, dass Friedman ein Eigeninteresse im weiteren Sinne verfolgt, das die Bereitschaft zum „self-denial“ mit einem Einsatz für das Gemeinwohl verbindet.63 Damit übernimmt er exakt jene Position, die Dicey den Aposteln eines neuen Glaubens zuweist.64 61 Vgl.
Friedman 1983b, 87. Friedman 1979b, 96; Friedman 1979c, 98; Friedman 1983b, 87. 63 Natürlich hat Friedman auch selbst in vielfacher und nicht zuletzt finanzieller Hinsicht von diesem Wirken profitiert. Er würde sich jedoch sicher dagegen verwehren, dass dies der Hauptgrund seiner Motivation gewesen sei. Darauf deutet z. B. sein wiederholt vorgebrachter Hinweis hin, dass seine Position zu Beginn kaum rezipiert und ablehnend aufgenommen wurde (vgl. CaF, xi–xiv; TLP, 340–343 sowie Nelson 2001, 152, 163–165). Nelson ist in seiner Analyse zuzustimmen, dass Friedman seinem Selbstverständnis nach ein Beispiel für jene weite Form des Eigeninteresses darstellt, die er selbst als Ausnahme erachtet, die in der ökonomischen Analyse vernachlässigt werden kann. Nelsons Darstellung ist jedoch um die Einsicht zu ergänzen, dass eine solche Haltung für Friedman keineswegs selbstwidersprüchlich ist, sondern gerade darauf hinweist, dass eine entscheidende Voraussetzung seiner Freiheitskonzeption erfüllbar ist. 64 Vgl. Dicey 1978, 22 f.: „A new and, let us assume, a true idea presents itself to some one man of originality or genius; the discoverer of the new conception, or some follower who has embraced it with enthusiasm, preaches it to his friends or disciples, they in their turn become impressed with its importance and its truth, and gradually a whole school accept the new creed. These apostles of a new faith are either persons endowed with special ability or, what is quiet as likely, they are persons who, owing to their peculiar position, are freed from a bias, whether moral or intellectual, in favor of prevalent errors.“ Es sei daran erinnert, dass Friedman sich hinsichtlich der Rolle von Ideen auf Dicey beruft. Die zitierte Passage erinnert an Friedmans Anspruch „to preach the doctrine of human freedom“ (vgl. TLP, 503) sowie an seinen Hinweis darauf, dass er in seiner Funktion als fest angestellter Professor einer Privatuniversität eine der 62 Vgl.
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Im Schlusswort zu „Two Lucky People“ ruft Friedman seine harmonistische Überzeugung in Erinnerung, dass eine am normativen Individualismus orientierte Gesellschaftsordnung mit gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt einhergeht, dass also die Gewährleistung negativer Freiheit als Nebeneffekt auch ermöglicht, die verfolgten Ziele tatsächlich zu erreichen. Zugleich bringt er sein Vertrauen in den Einfluss und die Wandelbarkeit von Ideen zum Ausdruck. Am Abschluss ihrer Autobiographie formulieren Milton und Rose Friedman, worauf ihr Wirken entscheidend ausgerichtet war: So we close this book full of optimism for the future, in the belief that those ideas will prevail and that our children and grandchildren will live in a country that continues to advance rapidly in material and biological well-being and gives its citizens ever wider freedom to follow their own values and tastes, so long as they do not interfere with the ability of others to do the same.65
Zweitrangig ist für Friedman, ob Menschen die Freiheitsrechte anderer aus Prinzip oder aufgrund strategischer Rationalität anerkennen. Sein argumentativ-werbendes Auftreten zielt darauf ab, eine möglichst große Zahl von Menschen von der prinzipiellen Vorzugswürdigkeit des Freiheitsglaubens zu überzeugen. Die durchgehend präsente Argumentation mit den positiven Konsequenzen einer freiheitlichen Ordnung versucht, den Wertekonsens auf eine breitere Basis zu stellen. Überzeugt werden sollen auch jene „misguided friends“, die selbst andere höchste Güter haben, die sich aber (nach Friedman) am besten mit den Mitteln der freiheitlichen Ordnung umsetzen lassen.66 Sie können dem erforderlichen Grundkonsens zustimmen, ohne dass eine homogene Wertegemeinschaft erforderlich wäre. Ein Grundkonsenses bleibt jedoch notwendige Bedingung für das Funktionieren einer freiheitlichen Ordnung: Sie kann einen Ausgleich von divergierenden Interessen nur leisten unter der Voraussetzung breiter innerer Zustimmung zum Prinzip, die Freiheit des anderen anzuerkennen und zu wahren.
9.5 Vorausgesetzte Moralität und Normativität individueller Präferenzen Friedman beschreibt also zwei Voraussetzungen, auf denen eine freiheitliche politische Ordnung beruht: einerseits die Fähigkeit und Bereitschaft zumindest einiger Menschen, ein Eigeninteresse in weitem Sinne zu entwickeln und so die Verfolgung ihres unmittelbaren Eigennutzens zu relativieren, und andererseits wenigen Personen sei, die offen und unbeeinflusst das von ihr für wahr Erkannte vertreten könne (vgl. Friedman 1987k, 12). 65 TLP, 589. 66 Vgl. oben 1.5 Das Verhältnis von Freiheit als höchstem Gut und Freiheit als utilitaristischem Mittel.
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die Existenz eines moralischen Grundkonsenses, der in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien der rechtlichen Ordnung ist. Damit werden die individuellen Wertvorstellungen für Friedman auch in materialer Hinsicht ein Thema. Friedman betont daher die Wichtigkeit von Institutionen, die entsprechende Werthaltungen fördern und möchte selbst zu diesem Prozess beitragen. Abschließend soll nun der Frage nachgegangen werden, wie er dies mit seinem normativen Grundprinzip – der Anerkennung individueller Präferenzen, ohne sie inhaltlich zu beurteilen – zusammenbringt. Auf normativer Ebene erkennt Friedman die Autonomie der Präferenzen uneingeschränkt an. Auch auf analytischer Ebene wird in der ökonomischen Analyse mit Individuen gerechnet, die konsequent ihren eigenen Nutzen maximieren. In Abschnitt 5.5 wurde festgestellt, dass Friedman darauf verzichtet, aus der Perspektive des normativen Individualismus heraus eine moralische Pflicht zu begründen, nach der konsequent die Folgen individueller Handlungen auf andere zu berücksichtigen sind. Dies führt dazu, dass neben der Koordination von Interaktion durch den Markt der politischen Ordnung eine große Bedeutung zukommt. Es zeigt sich nun bei der Analyse von Friedmans Staatstheorie, dass diese wiederum einen moralischen Grundkonsens voraussetzt, der das Handeln von Individuen auch unabhängig von rechtlichen Sanktionen prägt. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit einer politischen Struktur, die dieser normativen Grundlage gerecht wird und auf den Analysemethoden des methodologischen Individualismus basiert, setzt also einen davon abweichenden normativen Grundkonsens faktisch voraus.67 Entscheidend dafür, dass Friedman damit nicht in einen Selbstwiderspruch gerät, ist folgende Differenzierung: Die Anerkennung der Grundprinzipien des normativen Individualismus wird nicht von allen Mitgliedern der Gesellschaft verlangt, sondern sie wird vorausgesetzt.68 Die hier dargestellten Beobachtungen hinsichtlich eines vorausgesetzten Wertekonsenses bestätigen den Verdacht, der bereits in Zusammenhang mit Friedmans Ausführungen zur sozialen Verantwortung von Managern formuliert wurde.69 Friedman fordert im Rahmen des Principal-agent-Modells die Maximierung des Unternehmensgewinns unter der Bedingung, dass neben den spezifischen ethischen Vorlieben von Eigentümern auch die Kriterien der Gesetzmäßigkeit und der Einhaltung fundamentaler Re67 Die Friedman-Interpretation bei Harvey James und Farhad Rassekh ist insofern angemessen, als sie darauf hinweist, wie wichtig Selbstbeschränkung für Friedmans Sozialphilosophie ist. Problematisch ist allerdings, dass sie daraus die mit dem Prinzip der Präferenzautonomie unvereinbare Annahme einer moralischen Verpflichtung zur Selbstbeschränkung ableiten (vgl. James und Rassekh 2000, 666–670 sowie oben 5.7, bes. 88 Anm. 78). 68 Dieselbe Denkfigur begegnet bei Hayek, der betont, dass Freiheit auch das Recht zu normabweichendem Verhalten einschließe, dass aber die Funktionalität einer freiheitlichen Gesellschaft von einem mehrheitlich an gemeinsamen Wertsetzungen orientierten Verhalten ihrer Mitglieder abhänge (vgl. von Hayek 2011, 141 f.). 69 Vgl. oben 145.
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geln des Marktgeschehens beachtet werden. Diese Bedingung stellt deswegen keine Einschränkung des Vertragsprinzips dar, weil Friedman davon ausgeht, dass faktisch die Eigentümer dem entsprechenden Wertekonsens zustimmen. In der ökonomischen Analyse blendet Friedman diejenigen Präferenzen aus, die über ein Eigennutzstreben im engeren Sinne hinausgehen, und begründet dies damit, dass die menschliche Natur im Großen und Ganzen angemessen beschrieben wird. In seiner Staatstheorie deutet sich ein Bewusstsein dafür an, dass eine (faktische oder normative) Reduktion des Menschen auf solche Präferenzen weder realistisch noch wünschenswert ist.
9.6 Zusammenfassung Eine Gesellschaft, in der die Menschen einem Ethos des amoralischen Familiarismus, also einem unaufgeklärten Eigennutzstreben im engeren Sinne gemäß handeln, ist nicht in der Lage, die für eine freiheitliche Gesellschaft erforderlichen sozialen Institutionen zu entwickeln. Neben dem staatlichen Ordnungsrahmen setzt Friedman daher auch bestimmte Werthaltungen voraus. Die Etablierung einer staatlichen Ordnung setzt die Fähigkeit und Bereitschaft von Menschen voraus, ihre eigenen Interessen zurückzunehmen. Diese Tugend verlangt Friedman insbesondere von Politkern. Da auch die Befolgung von Gesetzen durch Eigennutzkalkül und staatliche Überwachung nicht hinreichend sichergestellt werden kann, beruht auch die Aufrechterhaltung einer rechtlichen Ordnung auf einem grundlegenden Wertekonsens. Eine freiheitliche Gesellschaftsordnung ist nur dann möglich, wenn die beteiligten Individuen von sich aus die Grundprinzipien des normativen Individualismus anerkennen und auf illegitimen Zwang gegen andere auch dann verzichten, wenn dies nicht durch Furcht vor Sanktionen motiviert ist. Auch die Verbreitung von altruistischen Eigenschaften trägt dazu bei, Verelendung zu verhindern und so freiheitliche Gesellschaften zu stabilisieren. Da individuelle Präferenzen auch in materialer Hinsicht relevant werden, stellt sich die Frage nach ihrem Entstehen. In hayekscher Tradition beschreibt Friedman die Entstehung von Werten als einen Prozess der sozialen Evolution. Allerdings kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Werte, die sich evolutionär durchsetzen, tatsächlich die vorteilhaftesten sind. Der Markt bringt nicht von selbst diejenigen Werte hervor, die Grundlage seiner Funktionsfähigkeit sind. Stattdessen ist er angewiesen auf Bildungsprozesse, die sich im institutionellen Zusammenhang von Familie, Schule und Religionsgemeinschaften vollziehen. Zu diesen Prozessen möchte Friedman auch mit seinem eigenen Wirken beitragen. Auf normativer Ebene lässt Friedman alle individuellen Wertvorstellungen gleichermaßen gelten. Auf analytischer Ebene geht er von universalem Eigen-
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Teil II: Systematische Rekonstruktion
nutzstreben im eher engen Sinne aus. Dennoch setzt sein Modell einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung voraus, dass faktisch die Mehrzahl der Menschen die sozialen Werte des Freiheitsglaubens – also das Recht aller Menschen, die je eigenen Präferenzen zu verfolgen – anerkennt.
Teil III
Kritische Diskussion Die systematisierende Interpretation von Milton Friedmans Freiheitsverständnis folgte dem Grundsatz, dieses so konsistent wie möglich aus der Vielzahl seiner Schriften zu rekonstruieren. Dabei wurde weitestgehend darauf verzichtet, die Überzeugungskraft des nachgezeichneten Freiheitskonzeptes zu diskutieren. Dem widmet sich der nun folgende Teil III. Charakteristisch für die Argumentation Friedmans ist, dass er ein normatives Konzept auf eher abstrakten Annahmen gründet. Dies vollzieht sich in vier Schritten: Erstens geht Friedman von einem Dualismus von Sein und Sollen aus und zieht daraus die Konsequenz, dass Sollensaussagen unabhängig von Seinsaussagen gemacht werden müssen (II.1). Zweitens beschreibt er ein breites Spektrum menschlichen Eigeninteresses ebenso wie die soziale Verwurzelung des Menschen in seiner Familie. Dennoch scheinen ihm beide Aspekte vernachlässigbar, sodass er in seiner Argumentation vom Streben nach Eigennutzen im engen Sinne und von einem ontologischen Individualismus ausgeht (II.2). Dieses stark vergröberte Menschenbild macht Friedman drittens zum Ausgangspunkt seines Verständnisses von Freiheit und ihrer normativen Bewertung (II.3–6). Schließlich legt er viertens das abstrakte Bild eines nutzenmaximierenden Individuums, das sekundär in Beziehung zu anderen tritt, auch seinen institutionentheoretischen Überlegungen zugrunde und vollzieht damit einen Schluss von der Modellwelt auf die Realwelt (II.7–9). Dieses Vorgehen wird im Mittelpunkt der nun folgenden kritischen Auseinandersetzung stehen. Ziel ist dabei nicht, alle dargestellten Aspekte des Friedmanschen Systems im Einzelnen zu diskutieren. Stattdessen soll aufgezeigt werden, dass eine differenziertere Anthropologie dazu führt, vergröbernde Abstraktionen im Freiheitsverständnis und problematische Pauschalurteile bezüglich des anzustrebenden Institutionengefüges zu vermeiden. Dabei soll, thematisch der Gliederung des ersten Hauptteils folgend, jeweils zunächst nach den Stärken und Schwächen von Friedmans Ansatz gefragt werden. Kritische Anfragen sollen dann jeweils konstruktiv weitergeführt und so Grundlinien eines wirklichkeitsnäheren Freiheitsverständnisses aufgezeigt werden.
1. Fundamentalethische Diskussion von Friedmans erkenntnistheoretischen Voraussetzungen In Kapitel II.1 wurde gezeigt, dass Friedmans sozialphilosophische Argumentation auf einem erkenntnistheoretischen Dualismus basiert. Dieser geht davon aus, dass es zwei Arten von Überzeugungen gibt: solche, die empirisch falsifizierbar sind und daher den Status von überprüftem Wissen erlangen können, sowie solche, die einer empirischen Überprüfung nicht zugänglich sind und daher den Status von Glaubensaussagen haben. Wie die Welt beschaffen ist, fällt in den Bereich der ersten Überzeugungen; Glaubensaussagen richten sich darauf, wie die Welt beschaffen sein sollte. Erstere sind Gegenstand der positiven Ökonomik, letztere der normativen Ökonomik. Um die Überzeugungskraft dieses Ansatzes einzuschätzen, ist zunächst zu klären, wie tragfähig die dualistische Auffassung von Sein und Sollen (1.1) bzw. von positiver und normativer Wissenschaft (1.2) ist, die Friedman seiner indirekten Begründung für das Freiheitsprinzip zugrunde legt. Da hier eine von Friedmans Position abweichende Antwort gegeben wird, ist der Gegenstand von Ethik eigens in den Blick zu nehmen, aus dem sich Hinweise für die formale Bestimmung des ethischen Fundamentalkriteriums ergeben (1.3). Dies bildet die Grundlage für das methodische Vorgehen in der Auseinandersetzung mit Friedman, wie sie in den folgenden Kapiteln erfolgt (1.4). Ein abschließender Abschnitt bündelt den Ertrag dieses Kapitels in Form einer kritischen Würdigung von Friedmans Position (1.5).
1.1 Das Verhältnis von Sein und Sollen Friedman geht in seiner Argumentation von der intuitiv naheliegenden klaren Trennung von Sein und Sollen aus und ordnet beide je unterschiedlichen Wissenschaften zu (der positiven bzw. der normativen Ökonomik). Dieser Unterscheidung ist einerseits zuzustimmen. Andererseits wird sich zeigen, dass sie nicht in Form einer dualistischen Trennung erfolgen kann, was dann wiederum Konsequenzen für die ethische Argumentation nach sich zieht.
1. Diskussion von Friedmans erkenntnistheoretischen Voraussetzungen
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1.1.1 Die Differenz von Sein und Sollen Zunächst ist auf die Berechtigung der Unterscheidung von Sein und Sollen hinzuweisen. Dies geschieht unter einer doppelten Perspektive: einer logischen und einer mit Blick auf die empirische Lebenswirklichkeit. 1.) Die logische Differenz von Sein und Sollen. In der Geschichte der Ethik war es David Hume, der auf den logischen Fehler eines heute sogenannten naturalistischen Fehlschlusses hingewiesen hat.1 Seine These lautet, dass aus einem Sein kein Sollen gefolgert werden könne. Aus der Beschreibung, wie der Mensch ist (z. B. egoistisch oder altruistisch), folgt nicht, dass er auch so sein soll. Die beiden Kategorien sind zu unterscheiden als zwei verschiedenartige Perspektiven auf das menschliche Dasein. Eine Ableitung von Sollensaussagen aus Seinsaussagen ist logisch nicht möglich. Letztlich ist Ethik überhaupt nur dann sinnvoll, wenn beide zumindest potenziell auseinanderfallen. Wäre das Sollen immer schon mit dem Sein identisch, wäre die Frage nach ersterem überflüssig. Diese Einsicht Humes ist zunächst gegen einen Einwand Alasdair MacIntyres zu verteidigen. Dieser verweist darauf, dass jede Beschreibung eines Seins ein Sollen impliziere. Er greift dabei auf das von Arthur N. Prior eingeführte Beispiel eines Kapitäns zurück und stellt fest, dass die Seinsaussage „Er ist ein Kapitän“ eine Aussage darüber impliziere, wie er sich verhalten solle.2 Dagegen ist einzuwenden, dass hier zwar in der Seinsaussage zugleich eine Erwartung an das entsprechende Verhalten mitformuliert wird, aber noch keine Sollensaussage.3 Schon für denjenigen, der die Aussage tätigt, kann nicht gesagt werden, dass er den Anspruch erhebt, dass seine Erwartung erfüllt werden sollte. Die Aussage „Er ist ein rücksichtsloser Verbrecher“ formuliert bestimmte Erwartungen an das Verhalten eines Menschen, ohne dass der Sprecher davon ausgeht, dass diese erfüllt werden sollen.4 Doch selbst wenn aus der Seinsaussage des Sprechers 1 Vgl. Hume, Treatise of Human Nature, Buch 3,I.1 (Hume 1896, 469). Der Begriff „natural fallacy“ wird häufig für den von Hume kritisierten Schluss von Seinsaussagen auf Sollensaus sagen verwendet, auch wenn er erstmals bei George Edward Moore in einem anderen Zusammenhang begegnet. Moore führt den Begriff ein, um darauf hinzuweisen, dass die Eigenschaft „gut“ nicht mit anderen Eigenschaften (z. B. dem Begehrtwerden) identisch sein kann und also nicht durch diese definiert werden kann (vgl. Moore, Principia Ethica I.10–I.14 [Moore 1903, 9–21, bes. 10] sowie Hügli 1984 und Schaber 2002, bes. 437). Der von Moore beschriebene Fehlschluss besteht darin, dass eine natürliche Eigenschaft als „gut“ definiert wird. Dadurch kommt es zu dem von Hume kritisierten Schluss von einem Sein (einer natürlichen Eigenschaft) auf ein Sollen. Zur logischen Differenz von Sein und Sollen vgl. auch Hare 1961, bes. 92 f., 196 f. 2 Vgl. MacIntyre 1981, 54: „[F]rom the premise ‚He is a sea-captain‘, the conclusion may be validly inferred that ‚He ought to do whatever a sea-captain ought to do‘.“ 3 Vgl. Lange 1992, 224. 4 Wenn nun eingewendet wird, die Aussage „Er ist ein Verbrecher“ impliziere die Sollensforderung, er solle sein Verhalten ändern, wird dadurch gerade deutlich, dass die beiden Aspekte der Deskription (was für ein Verhalten erwarte ich) und der Präskription (was für ein Verhalten wäre moralisch geboten) nicht identisch sind. Sie können in den gewählten Beispielen nur deshalb zusammenfallen, weil die moralische Bewertung in beiden Fällen konventionell selbst-
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Teil III: Kritische Diskussion
seine eigenen Normvorstellungen abgeleitet werden können, führt dies logisch nicht über eine Seinsaussage (nämlich über das Sein der Normvorstellungen des Sprechers) hinaus.5 Die Aussage „Du bist ein Soldat“ kann von einem Offizier getroffen werden, um einen Untergebenen dazu aufzufordern, einen Befehl auszuführen, dem er sich aus Gewissensgründen widersetzt. In diesem Fall transportiert der Offizier eine Sollensaussage in einer Seinsaussage, weil er davon ausgeht, dass seine Erwartungen legitim sind und für den Soldaten eine moralische Verpflichtung darstellen. Ob diese Erwartungen tatsächlich legitim sind, oder ob im gegebenen Fall gerade eine Befehlsverweigerung moralisch geboten wäre, ist damit jedoch nicht gesagt. Daher ist festzuhalten, dass Seinsaussagen und Sollensaussagen logisch nicht identisch sind. 2.) Die erfahrene Differenz von Sein und Sollen. In einer anderen Hinsicht ist die Differenz von Sein und Sollen gerade ein Auslöser für die Beschäftigung mit Ethik. Der Bedarf für ethische Reflexion ist auch verursacht durch eine solche Erfahrung mit der Wirklichkeit (dem Sein), wonach diese nicht ihrem gesollten Zustand entspricht.6 Das eigene oder fremde physische oder psychische Leid führt zur Wahrnehmung, dass die Welt, wie sie ist, nicht identisch ist mit der Welt, wie sie sein sollte.7 3.) Seinserfahrungen und Sollenserfahrungen. Die beiden zu unterscheidenden Perspektiven auf die Welt – wie „ist“ die Welt und wie „sollte“ sie sein? – werden im Folgenden in Anschluss an Dietz Lange sollen mit den Begriffen „Seinserfahrung“ und „Sollenserfahrung“ zum Ausdruck gebracht.8 Darin steckt jedoch verständlich scheint. Anders verhält es sich beispielsweise mit der Aussage „Er ist ein Arzt, der Abtreibungen vornimmt“. Wie sich die beschriebene Person verhalten sollte, ist nicht aus der Deskription erkennbar, sondern hängt von ihr äußerlichen normativen Einschätzungen ab. In ähnlicher Weise ist MacIntyres Gleichsetzung von „gut“ mit „funktional“ (vgl. MacIntyre 1981, 56 f.) insofern defizitär, als die Funktionalität von Massenvernichtungswaffen nichts über ihre moralische Qualität aussagt. 5 Wenn sich die Sollensaussage auf eine allgemein anerkannte Norm bezieht, kann vom Adressaten erwartet werden, dass er sich an ihr orientiert. Dennoch ist die deskriptive Aussage über die allgemeine Anerkennung der Norm von der evaluativen über ihre Geltung zu unterscheiden (vgl. Hare 1961, 196). 6 Diese allgemeinmenschliche Erfahrung bringt Paulus in Röm 8,18–27 durch das „Seufzen“ der ganzen Schöpfung zum Ausdruck. 7 Damit ist nicht ausgesagt, dass die Verminderung von Leid bzw. die Beförderung von Lust in jedem Fall Ziel der Ethik sein sollte. Es wird lediglich festgestellt, dass die Erfahrung von Leid Impuls zum Handeln und damit Auslöser ethischer Reflexion sein kann. 8 Lange verwendet parallel zum Begriff „Sollenserfahrung“ den Begriff „Gewissenserfahrung“, der sich am Medium orientiert, durch das Sollenserfahrungen gemacht werden. Vgl. Lange 1992, 222: „Ich möchte für diese Unterscheidung die Begriffe Seinserfahrung und Gewissenserfahrung einführen. Seinserfahrung bezeichnet hier die Erfahrung des faktisch gegebenen Selbstseins und des Mitseins eines Individuums mit anderen Menschen in der Welt, in dem es sich zugleich von ihnen unterscheidet und in mannigfachen Beziehungen zu ihnen steht. Gewissenserfahrung heißt die auf diese Elemente menschlichen Daseins […] bezogene Sollenserfahrung, und zwar insofern, als ihr Unbedingtheit und Universalität […] zukommen und das Subjekt dabei unvertretbar ist. Es geht ihr um die Bestimmung des Menschseins als ganze“.
1. Diskussion von Friedmans erkenntnistheoretischen Voraussetzungen
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bereits eine Kritik am Versuch, die beiden Perspektiven dualistisch zu trennen: Auch Sollensaussagen wurzeln in Erfahrung, setzen also Seinsaussagen voraus. Diese Bezogenheit von Seinsaussagen und Sollensaussagen wird im folgenden Abschnitt entfaltet. 1.1.2 Die Bezogenheit von Sein und Sollen 1.) Sollen als Äußerung eines Wollens. Zunächst einmal relativiert sich die Differenz von Seins‑ und Sollensaussagen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass eine Sollensaussage zugleich eine Willensbekundung ist. Sollensforderungen liegen stets Seinserfahrungen zugrunde, in denen mögliche Zustände des Seins als erstrebenswert begegnen. Ein Sollen kann nur formuliert werden aus der Perspektive desjenigen, der will, dass eine bestimmte Möglichkeit des Seins verwirklicht wird.9 Dass aber ein Wille in eine Sollensaussage mündet, setzt weitere Annahmen über das Sein voraus. 2.) Sollen setzt eine bestimmte Weise des menschlichen Seins voraus. Nicht jede Defiziterfahrung oder jeder Wunsch, die Welt möge anders sein, impliziert bereits ein Sollen. Exemplarisch zeigt sich dies am Beispiel einer Naturkatastrophe: Als solche stellt sie zwar eine Defiziterfahrung dar, nicht aber unmittelbar eine Sollenserfahrung. Zur Sollenserfahrung wird die Situation dann, wenn gefragt wird, ob die Katastrophe durch menschliches Verhalten begünstigt oder verschlimmert wurde, wie sie künftig vermieden werden könnte oder wie mit ihren Folgen – z. B. einer Nahrungsmittelknappheit – umzugehen ist. Das Beispiel zeigt: Die Frage nach dem Sollen stellt sich für den Menschen überhaupt nur aus dem Grund, dass er sein eigenes Sein in einer bestimmten Weise wahrnimmt – nämlich als ein in Grenzen frei Handelnder. Erst dadurch, dass er nicht nur instinktiv oder triebhaft leibliche Defizite zu überwinden versucht, wird der Mensch zum moralischen Subjekt und stellt sich die Frage, welche Ziele er verfolgen sollte.10 Sollensforderungen werden überhaupt erst durch die Seinserfahrung möglich, dass Menschen ihr Leben aktiv und bewusst gestalten. Die Seinserfahrung, ein in Freiheit Handelnder zu sein, ist Grundlage für die Sollenserfahrung, zur Überwindung erfahrener Defizite beitragen zu sollen. Der Mensch ist nur deshalb Adressat von Sollensforderungen, weil er zu ihrer Befolgung prinzipiell in der Lage ist.11 3.) Das Sollen bezieht sich auf mögliche Seinszustände. Auch dasjenige, was der Mensch tun soll, kann nicht ohne einen Bezug auf das Sein benannt werden. Sollensforderungen verlangen den Übergang von einer Weise des menschlichen Seins in eine andere. Sollendes ist immer Seinsollendes. Darüber hinaus können 9 Vgl. Schleiermacher, Über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz (Schleiermacher 2002, 443–445); Herms 2006b, 309–315. 10 Vgl. Lange 1992, 219 f. 11 Vgl. Herms 2006b, 306 f.
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Teil III: Kritische Diskussion
sich moralische Imperative nur auf mögliche Weisen des Seins beziehen. Es wäre eine völlig widersinnige Sollensforderung, dass Menschen fliegen sollten, auch wenn eine entsprechende Welt als wünschenswert erscheinen würde. In gleicher Weise wird man es als eine unangemessene Forderung zurückweisen müssen, wenn von einem einzelnen Menschen verlangt wird, er solle die Menschheit vom Hunger oder von Krankheit erlösen. Das Sein ist also insofern im Sollen enthalten, als nur Mögliches gesollt werden kann. In der ethischen Tradition ist diese Einsicht mit der Formel „ultra posse nemo obligatur“ zum Ausdruck gebracht worden.12 Als Theorie über das sittlich gute menschliche Handeln muss Ethik daher immer den Blick auf die Verfasstheit der menschlichen Natur richten.13 Allerdings ist das Prinzip des „ultra posse nemo obligatur“ im Kontext evangelischer Ethik zu relativieren. Kant leitet aus der Überlegung, dass der Mensch zu dem, was er tun solle, auch in der Lage sein müsse, die Fähigkeit des Menschen zur Gesinnungsrevolution ab.14 Dies widerspricht der Einsicht, dass der Mensch sich aus der Verkehrtheit seines Herzens gerade nicht selbst befreien kann. Diese findet sich bereits in der alttestamentlichen Überlieferung und wurde dann von Paulus, Augustin und Luther prominent aufgegriffen und durchdacht.15 Luther hält an der Spannung fest, dass der Mensch einerseits unter dem Gebot der Gottes‑ und Nächstenliebe steht und dieses andererseits nicht aus sich selbst heraus erfüllen kann.16 Entscheidend ist aber, dass er lediglich nicht aus sich selbst heraus das Gebotene erfüllen kann. Die Regel des „ultra posse nemo obligatur“ wird bei Luther nicht verletzt. Es ist dem Menschen zwar nicht möglich, den geforderten Zustand aus eigener Kraft zu erlangen – dies geschieht allein durch die Einwirkung göttlicher Gnade. Es bleibt aber auch mit dieser Einschränkung dabei, dass Sollensforderungen nur mögliche Zustände des Seins fordern können und auch daher immer Seinsaussagen implizieren. 4.) Das Sollen ist selbst ein Wesenszug des Seienden. Neben dem logischen Argument des Humeschen Gesetzes wurde für die Unterscheidung von Sein und Sollen die Erfahrung angeführt, dass beide im Erleben der Wirklichkeit auseinanderfallen. In dieser Erfahrung ist aber die Bezogenheit von Sein und Sollen ebenso präsent wie die Notwendigkeit ihrer Unterscheidung. Hier ist an 12 Lat.
„Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet.“ Vgl. Härle 2001, 25. Lienemann 2008, 48. 14 Vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 47 [B54] (Kant 2003, 62). 15 Vgl. Knierim 2001, 368 f.; Karrer 2001, 380 f.; Bearice 2001, 391–393; Axt-Piscalar 2001, 401 f. 16 Vgl. beispielsweise Luthers Ausführungen zum Verhältnis von den Zehn Geboten und dem Glaubensbekenntnis im Großen Katechismus, Der Dritte artickel (Luther 1910, 192): „Denn ihene [die Zehn Gebote, B. G.] leret wol, was wir thuen sollen, diese [das Glaubensbekenntnis, B. G.] aber sagt, was uns Gott thue und gebe. [… Es] bleibt noch ymmer Gottes zorn und ungnade uber uns, weil wirs nicht halten können was Got von uns fordert. Aber diese [die christliche Lehre, B. G.] bringet eitel Gnade, machet uns from und Gott angeneme. Denn durch diese erkenntnis kriegen wir lust und liebe zu allen gepoten Gottes“. 13 Vgl.
1. Diskussion von Friedmans erkenntnistheoretischen Voraussetzungen
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den mit dem Begriff der Sollenserfahrung verbundenen Gedanken anzuknüpfen, dass auch das Sollen in der Form der Erfahrung manifest wird. Wenn die Wirklichkeit als „defizitär“ erfahren wird, setzt dies ein teleologisches Verständnis voraus, wonach einzelnen Dingen oder der Welt als Ganzer ein „Idealzustand“ zukommt, an dem sich ein Defizit festmachen lässt. Sofern eine Abweichung vom „Idealzustand“ in Verbindung mit menschlichem Handeln steht, wird das Defizit Anlass und Gegenstand der Ethik. Die Sollenserfahrung ist zwar von der Seinserfahrung zu unterscheiden, sie ist aber nicht weniger als diese eine Erfahrung mit dem Sein. Ungeachtet der oben vorgebrachten Kritik ist dies die eigentliche Pointe der Argumentation MacIntyres, die sich gegen einen Dualismus von Seinsaussagen und – vorgeblich nicht argumentativ einholbaren – Sollensaussagen wendet.17 Unter Rückgriff auf Aristoteles weist er darauf hin, dass in der Ethik neben dem faktischen Ist-Zustand und den moralischen Regeln eine dritte Größe zu betrachten ist: das „eigentliche Wesen“ des Menschen.18 Eine solche Vorstellung vom „eigentlichen Wesen“ ist immer impliziert, wenn ein einzelnes Subjekt einer Kategorie (z. B. „Mensch“) zugeordnet wird.19 Eine positivistische Beschreibung des Seins ohne jeden Bezug auf Sollensaussagen, wie sie im Rahmen des Friedmanschen Dualismus gefordert wird, ist daher nicht möglich.20 Gleichzeitig ist daran festzuhalten, dass sich die Beschreibung der vorfindlichen Situation von der Beschreibung eines Idealzustandes unterscheidet und sich letzterer nicht logisch aus ersterer ableiten lässt. In Anschluss an die ethische Tradition soll dieser anzustrebende Zustand (Telos) als die „Bestimmung“ bezeichnet werden.21
17 Vgl.
MacIntyre 1981, 18 f., 25. MacIntyre 1981, 50: „Within that teleological scheme there is a fundamental contrast between man-as-he-happens-to-be and man-as-he-could-be-if-he-realised-his-essential-nature. Ethics is the science which is to enable men to understand how they make their transition from the former state to the latter. Ethics therefore on this view presupposes some account of potentiality and act, some account of the the essence of man as a rational animal and above all some account of the human telos.“ Vgl. MacIntyre 1981, 52, 57; Schwöbel 2001, 3–9. 19 Vgl. Schleiermacher, Über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz (Schleiermacher 2002, 447–450). 20 Vgl. Rentsch 1990, 270 ff. Unter der Bedingung selbstbewusster Freiheit wird die Wesensgemäßheit zur Sollensforderung (vgl. Schleiermacher, Über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz [Schleiermacher 2002, 451]). Vgl. Pannenberg 1983, 105: „Der Wesensbegriff des Menschen ist ein Sollbegriff, aber nicht von außen herangetragen an den tatsächlichen Vollzug menschlichen Lebens, sondern in dessen exzentrischer Struktur immer schon wirksam. Sollen und Sein lassen sich hier einander nicht entgegensetzen, sondern die Tatsache eines wie immer gearteten Wissens von einem Sollen charakterisiert gerade die spezifisch menschliche Seinsform in ihrer Unabgeschlossenheit.“ 21 Das Prädikat „gut“ bringt generell die Bestimmungsgemäßheit eines Gegenstandes zum Ausdruck. Beide Termini haben einen moralischen Sinn nur dann, wenn sie sich auf den Menschen beziehen (vgl. Lohmann 2002, 323–328). Zur „Bestimmung des Menschen“ vgl. unten 247 Anm. 51. 18 Vgl.
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Teil III: Kritische Diskussion
Insgesamt ist Friedman also dahingehend zuzustimmen, dass er an der Unterscheidung von Seinsaussagen und Sollensaussagen festhält. Allerdings lassen sich diese weniger klar trennen, als er es suggeriert. Dass beide stets aufeinander bezogen sind, ist auch in der Betrachtung von Friedmans erkenntnis‑ und wissenschaftstheoretischen Folgerungen zu beachten.
1.2 Das Verhältnis von Ökonomik und Ethik Mit der Kritik an der zu schlichten Trennung von Beschreibungen des Seins und des Sollens bei Friedman werden auch seine wissenschaftstheoretischen Konsequenzen fragwürdig. Eine Dichotomie von positiver Ökonomik und Ethik, deren normative Setzungen dann in der normativen Ökonomik angewandt werden, kann unter dem Aspekt der Bezogenheit von Sein und Sollen nicht überzeugen. Daher ist nun auf das Verhältnis von Ökonomik und Ethik einzugehen. Im Zusammenhang dieser Arbeit kann es nicht darum gehen, die umfangreiche Debatte zu dieser Frage im Einzelnen nachzuzeichnen.22 In Auseinandersetzung mit dem Konzept Friedmans ist lediglich zu fragen, welche Konsequenz die Ablehnung seines dualistischen Verständnisses der Beziehung von Sein und Sollen für das bei Friedman ebenso dualistisch verstandene Verhältnis von positiver und normativer Ökonomik bzw. Ökonomik und Ethik hat. Dabei ist zu beachten, dass dies lediglich einen exemplarischen Fall der allgemeinen Frage nach dem Verhältnis von empirisch-deskriptiver und ethisch-normativer Wissenschaft darstellt. 1.) Sinn und Notwendigkeit einer Unterscheidung von Ökonomik und Ethik. Die oben vorgenommene Bestimmung des Verhältnisses von Sein und Sollen verbietet eine einseitige Beschreibung der Ökonomik als Wissenschaft vom Sein und der Ethik als Wissenschaft vom Sollen. Eine solche dualistische oder „Zwei-Welten-Theorie“ führt zu einer unvermittelten Frontstellung zwischen ethischen Forderungen und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und bringt theoretische und praktische Probleme mit sich.23 Dies hat seinen Grund darin, dass vor dem Hintergrund der Trennungsthese beide, Ökonomik und Ethik, ihren 22 Das Verhältnis von Ökonomik und Ethik war in den letzten Jahren eines der Themen, denen in der wirtschaftsethischen Grundlagenreflexion große Beachtung geschenkt wurde. Vgl. zum Überblick Gerlach 1999; Beschorner 2005; Jähnichen 2008, 69–106 sowie die umfangreichen Literaturberichte Stübinger 1996a; Stübinger 1996b und Stübinger 2005. 23 Entsprechend zielen die meisten neueren wirtschaftsethischen Ansätze darauf ab, dieses Problem zu überwinden. Vgl. exemplarisch die beiden im deutschsprachigen Raum wohl prominentesten Ansätze Homann und Suchanek 2005, 407–411 einerseits und Ulrich 2008, 124– 134 andererseits sowie für die theologische Wirtschaftsethik Rich 1991, 81 f. Dennoch entspricht die dualistische Vorstellung der vorherrschenden Wahrnehmung, die immer wieder danach fragt, ob Ökonomik und Ethik „überhaupt vereinbar“ seien. Diese Position rekurriert sowohl auf vermeintliche Eigengesetzlichkeiten als auch auf Alltagserfahrung
1. Diskussion von Friedmans erkenntnistheoretischen Voraussetzungen
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jeweiligen Gegenstand in unangemessener Weise in den Blick nehmen. Das menschliche Dasein wird verkürzt wahrgenommen – entweder reduziert auf bestimmte Aspekte seiner Vorfindlichkeit oder auf seine Bestimmung –, während die Bezogenheit beider Aspekte ignoriert wird. Ein solcher Reduktionismus führt in Ökonomik und Ethik zu einer verzerrten und damit untauglichen Beschreibung der Wirklichkeit. Dennoch ist zunächst – auch hier den Überlegungen zum Verhältnis von Sein und Sollen folgend – an der Unterschiedenheit beider Aspekte festzuhalten. Auch wenn die Bezogenheit beider Aspekte bewusst bleibt, gilt: Die Ethik beschreibt das menschliche Dasein primär unter dem Gesichtspunkt, welche möglichen Weisen seines Seins seiner Bestimmung gemäß sind. Und die Ökonomik beschreibt das menschliche Dasein primär unter dem Gesichtspunkt, wie sich die aktuelle (wirtschaftliche) Situation darstellt und welchen Regelmäßigkeiten der Übergang der derzeitigen Weise des Seins in andere Weisen des Seins unterliegt. Die Ethik reflektiert also vornehmlich Sollenserfahrungen, die Ökonomik vornehmlich Seinserfahrungen. Dem entspricht eine je unterschiedliche Methodik. Die Ethik erstrebt intersubjektiv nachvollziehbare – und insofern wissenschaftlich darstellbare – Beschreibungen der mit der Selbsterfahrung als verantwortlich Handelnder präsenten Verbindlichkeit.24 Die Ökonomik zielt auf empirisch überprüfbare Beschreibungen der sinnlich wahrnehmbaren Situation des Menschen und der in ihr herrschenden Regelmäßigkeiten. Am Eigensinn der beiden Fragestellungen und der je eigenen, irreduziblen Methodik ist daher festzuhalten.25 Gegen Friedman ist somit zum einen das Recht der Ethik als einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin festzuhalten. Er streitet dieses zwar an keiner Stelle explizit ab, eine entsprechende Position folgt jedoch aus seinen Ausführungen zur Nichtüberprüfbarkeit normativer Positionen verbunden mit dem empiristischen Wissenschaftsverständnis. Ethik verlagert er daher vollständig in
24 Die Angemessenheit ethischer Theorien gegenüber ihrem Gegenstand kann daher nicht durch empirische Überprüfung geklärt werden. Vgl. Lange 1992, 221: „Die Gültigkeit der Sollenserfahrung ist also eine von derjenigen theoretischer Sätze unterschiedene Gültigkeit sui generis. Die Erfahrung solcher Gültigkeit ist eine rein innere Erfahrung in dem Sinne, daß sie nur in völliger innerer Beteiligung und nicht aus beobachtender Distanz (empirisch) gemacht, also weder aus Gesetzen der theoretischen Vernunft noch – wie etwa ein rein technisches Gestaltungsprinzip – aus empirischen Befunden abgeleitet werden kann.“ 25 Vgl. Rich 1991, 76–80; Gerlach 2002, 34, 280; Jähnichen 2008, 100 f. Das spricht gegen Versuche der Assimilation oder Substitution, wie sie häufig mit der Bestrebung zur Überwindung einer „Zwei-Welten-Theorie“ einhergehen. Gerlach weist darauf hin, dass dieser Vorwurf den konträren Ansätzen einer Integration der ökonomischen Rationalität in die ethische Vernunft bei Peter Ulrich und einer Fortsetzung der Ethik mit den Mitteln der Ökonomik bei Karl Homann gleichermaßen gemacht werden kann (vgl. Gerlach 2002, 264 f., 280). Zu Ulrich vgl. auch Jähnichen 2008, 100.
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Teil III: Kritische Diskussion
den Bereich des individuell Subjektiven.26 Zum anderen ist Friedmans grundsätzlicher Unterscheidung normativer und positiver Wissenschaft einerseits zuzustimmen,27 andererseits ist sie im Licht der konstitutiven Bezogenheit von Sein und Sollen bzw. angesichts des gemeinsamen Gegenstands beider Wissenschaften zu relativieren. Sowohl für die Ökonomik als auch für die Ethik soll dies im Folgenden gezeigt werden. 2.) Die Bedeutung anthropologischer Grundannahmen für die Ökonomik. Die Ökonomik kann keineswegs beanspruchen, die Wirklichkeit voraussetzungslos zu beschreiben. Erstens liegen der empirisch vermittelten Deskription (bei Friedman: positive Ökonomik) kategoriale Annahmen über das Sein des Menschen in der Welt zugrunde. Dies gilt bereits dafür, dass überhaupt davon ausgegangen wird, dass dieses Sein bestimmten empirisch überprüfbaren Regelmäßigkeiten unterliegt.28 Auch die Bildung und Verwendung von Begriffen kann nur unter Rückgriff auf Leitannahmen erfolgen.29 Wie gezeigt gehen in das vorgeblich bloß heuristische Modell des homo oeconomicus bei Friedman in erheblichem Maße anthropologische Annahmen ein, auch wenn er es ausdrücklich nicht als ein umfassendes Menschenbild verstehen möchte. So liegen der empirischen Methode Annahmen zugrunde, die nicht selbst empirisch hergeleitet sind. Zweitens gehen in ökonomische Urteile normative Urteile über die Bestimmung des Menschen ein, die wiederum in Sollenserfahrungen wurzeln. Schon die Beschäftigung mit Ökonomik setzt die Annahme voraus, dass sie einen Beitrag dazu leistet, die mit dem Dasein gestellten Aufgaben zu bewältigen.30 Besonders deutlich wird der normative Aspekt von Ökonomik, wenn diese Handlungen bewertet oder empfiehlt. Dies kann nur anhand eines normativen Kriteriums erfolgen.31 Ob 26 Vgl.
oben II.3.1 Die normative Präferenzautonomie als Grundlage des Freiheitsprinzips sowie 140 Anm. 43. 27 Es ist also nicht gerechtfertigt, wenn Abraham Hirsch und Neal DeMarchi kritisieren, Friedmans Vorgehen in der politischen Ökonomik sei „not consistent with his views on the methodology of positive economics“ (Hirsch und DeMarchi 1990, 292). Die an Dewey orientierten Einwände bei Hirsch und DeMarchi 1990 (272 f., 275 f.) können das nicht widerlegen. Weder lässt sich aus der Notwendigkeit eines Diskurses in einer pluralen Gesellschaft darauf schließen, dass dieser auch Begründungsleistungen für ethische Normen erbringen kann, noch ändert der Rekurs auf Folgen im ethischen Diskurs etwas daran, dass die Bewertung dieser Folgen an Maßstäben erfolgen muss, die mit diesen nicht identisch sind, soll ein infiniter Regress vermieden werden. 28 Entsprechend spricht Wilhelm Windelband vom „Glauben an die axiomatische Geltung des Kausalgesetzes, worauf alle Erklärung in der Wissenschaft und alle Erwartung im praktischen Leben beruht“ (Windelband 1907, 280 f.). 29 Das gilt nicht nur für die Ökonomik, sondern für Wissenschaft allgemein, also auch für die Naturwissenschaften. Dies wird bereits in der neukantianischen Kritik am Naturalismus des 19. Jahrhunderts deutlich (vgl. Rickert 1926, 141 sowie dazu Lohmann 2012, bes. 23 f.) Ähnliche Kritik findet sich in neuerer Zeit bei Schliesser 2010, 178–184; Herms 2004a, 65). 30 Sie ist daher, auch wenn sie sich als positive Wissenschaft versteht, „Erklärung zwecks Gestaltung“ (Homann und Suchanek 2005, 24). 31 Vgl. Weisser 1978, 31–33; Herms 2004a, 66 f.; Homann und Suchanek 2005, 25 f.
1. Diskussion von Friedmans erkenntnistheoretischen Voraussetzungen
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ein Mindestlohn eingeführt werden sollte, entscheidet sich nicht allein an seinen erwarteten Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt oder die Beschäftigungsstatistik. Eine Bewertung der Folgen setzt ihre normative Bewertung voraus – also eine Position darüber, welcher Stellenwert dem ökonomischen Gesamtprodukt, dem Ziel der Vollbeschäftigung oder dem Grundsatz, jeder solle von einer vollen Stelle auch angemessen Leben können, zukommt. Friedman trägt diesem zweiten Aspekt explizit Rechnung, indem er von normativer Ökonomik spricht. Üblicherweise orientiert sich die normative Ökonomik, insbesondere die Wohlfahrtsökonomik, jedoch eher an utilitaristischen Größen als an Friedmans Freiheitsideal.32 Ein Ignorieren der beiden Aspekte kann jeweils negative Konsequenzen nach sich ziehen. Vernachlässigt die Ökonomik, dass ihre empirische Analyse auf einer (selektiv aufgegriffenen) Selbsterfahrung beruht, kann dies zu einem überzogenen Anspruch auf Objektivität führen. Bestimmte Möglichkeiten des Seins geraten dann nicht in den Blick oder werden verzerrt wahrgenommen. Dadurch kann es zu einer Einschränkung der eigenen Erklärungsleistung kommen.33 Werden die normativen Aspekte ökonomischer Handlungsempfehlungen ignoriert, führt dies zu einer nur noch impliziten Normativität. So wird z. B. in ökonomischen Theorien teilweise die Steigerung ökonomischer Effizienz zum ethischen Leitkriterium gemacht, ohne dass dies ausgewiesen oder argumentativ entfaltet wird.34 3.) Die Bedeutung von Seinserfahrungen für die Ethik. Ebenso wenig darf ignoriert werden, dass ethische Reflexion aufgrund der Verfasstheit ihres Gegenstandes immer auf Seinserfahrungen zurückgreift. Wie gezeigt kann sich ein Sollen nur auf mögliche Weisen des Seins beziehen. Damit kann aber die Bestimmung des Menschen nur durch Bezug auf seine allgemeine Verfasstheit beschrieben 32 Maßgeblich ist hierbei in der Regel das Pareto-Optimum (vgl. exemplarisch Mankiw 2004, 151–168). Mankiw definiert Wohlfahrt als die Summe aus Konsumentenrente und Produzentenrente. Er orientiert sich damit an der Summe von Gütern, die auf dem Markt zu Konditionen gehandelt werden, welche günstiger sind als die maximale Zahlungsbereitschaft der Konsumenten und die maximale Verkaufsbereitschaft der Produzenten. Das Ziel wohlmeinender Wirtschaftspolitik ist es für ihn daher, diese aggregierte Größe zu optimieren und so maximale Effizienz der Allokation von Gütern zu erzielen. Anders als Friedman suggeriert Mankiw, im Unterschied zu normativen Wertungen handle es sich bei der so definierten optimalen Allokation um ein „objektives Ziel“ (Mankiw 2004, 165). Zur Kritik an implizit eingeführten Wertprämissen in der Wohlfahrtsökonomik vgl. Albert 1958, 35 f. 33 Die experimentelle Ökonomik zielt nicht nur auf die Überprüfung der anthropologischen Annahmen des neoklassischen Modells. Sie verbindet ihre Kritik mit der These, dass eine Fixierung auf das verkürzte Modell des homo oeconomicus dazu führt, dass die analytische Potenz der Ökonomik nicht ausgeschöpft wird und Regelmäßigkeiten unangemessen beschrieben werden (für einen umfassenden Überblick vgl. Plott 2008). Peter Ulrich weist darauf hin, dass ökonomischer Reduktionismus zu vermeintlichen Sachzwängen führt, dass also nicht alle Möglichkeiten des Seins in den Blick genommen werden (vgl. Ulrich 2008, 141–174). 34 Vgl. Weisser 1978, 32 f.; Rich 1991, 74 f.; Dietz 2005, 151.
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werden.35 Für die angemessene Beurteilung einzelner Handlungssituationen ist außerdem die präzise Erfassung der vorliegenden Umstände und möglichen Handlungsoptionen erforderlich. Dazu leistet die ökonomische Analyse einen unverzichtbaren Beitrag. Ihre Bedeutung für die Ethik wird insbesondere dann deutlich, wenn letztere nicht ausschließlich pflicht‑ oder tugendethisch konzipiert wird.36 Ökonomische Erwägungen sind weniger dringlich, wenn eine ethische Theorie ausschließlich danach fragt, was für Aktionen ein Individuum durchführt oder von welcher Motivation es dabei geleitet ist. Sobald jedoch güterethische Aspekte in die ethische Urteilsbildung eingehen, ist immer auch nach den Folgen von Handlungen zu fragen. Sofern ökonomische Analysen Einsichten in Regelmäßigkeiten menschlicher Interaktion vermitteln, sind sie daher auch für die ethische Theoriebildung relevant.37 Wenn dem so ist, ist nicht nur die Heranziehung ökonomischer Theorien für die Ethik erforderlich. Dies bedeutet auch, dass die Gewinnung und Verbesserung ökonomischer Theorien selbst ein aus ethischer Sicht wünschenswertes Gut ist. Dazu gehört indes auch die Unterscheidung von tatsächlichen und nur vermeintlichen Sachgesetzlichkeiten im Bereich der Wirtschaft.38 Auch mit Blick auf die Bedeutung von Seinserfahrungen für die Ethik zeigt sich, dass ihr Ignorieren zu einer defizitären und damit schädlichen Theoriebildung führt. Fragt eine Ethik nicht nach den möglichen Weisen des menschlichen Seins, widerspricht sie dem ethischen Grundsatz des „ultra posse nemo obligatur“. Sie wird dann zu „Appellitis“39, die den Menschen mit Forderungen konfrontiert, die er überhaupt nicht erfüllen kann. Damit aber kann sie den Anspruch, Orientierungshilfe in komplexen Entscheidungssituationen zu geben, nicht erfüllen. Ethische Überforderung kann so gerade zu einer Unterminierung von Moral führen.40 Eine Ethik, die keinen Wert auf güterethische Aspekte legt, ist theoretisch denkbar. Sie verfährt jedoch letztlich nach dem Grundsatz „fiat iustitia, pereat mundus“ und vernachlässigt verantwortungsethische Überlegungen. Sie wird somit den komplexen Herausforderungen des Lebens nicht gerecht und kann daher kaum überzeugen.41 Werden ökonomische Einsichten 35 In dieser Hinsicht ist der Forderung Karl Homanns Recht zu geben, dass ethisch nur das gefordert werden kann, was auch implementierbar ist (vgl. Homann 2002, 257). Was unter welchen Umständen implementierbar und daher auch möglicher Gegenstand ethischer Forderungen ist, ist damit freilich noch nicht ausgesagt. 36 Auf die Unterscheidung und den inneren Zusammenhang von Tugend-, Pflichten‑ und Güterethik hat Friedrich D. E. Schleiermacher hingewiesen (vgl. Schleiermacher, Sittenlehre §§ 110–122 [Schleiermacher 1835, 71–84]; Herms 2006a, 107–109). 37 Vgl. Rich 1991, 72 f.; Gerlach 2002, 277 f. Dies gilt offensichtlich in erster Linie, aber keinesfalls ausschließlich für den Bereich der Wirtschaftsethik. 38 Vgl. Rich 1991, 80. 39 Luhmann 1993, 134. 40 Vgl. Pies 2009, 203. 41 Zur Bedeutung der Sachgemäßheit für verantwortliches Handeln vgl. Bonhoeffer 1992, 269–272.
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in die Folgeträchtigkeit menschlichen Handelns ignoriert, kann dies für einzelne wie für Kollektive zu unerwünschten oder untragbaren Konsequenzen führen. Neben den direkten negativen Effekten kann dies weiterhin dazu führen, dass die Bereitschaft zur Normbefolgung zurückgeht und ethische Theoriebildung ihr Ziel auch deswegen verfehlt. Exemplarisch gilt daher für den Bereich der Wirtschaftsethik: Ökonomik und Ethik werden beide nur dann angemessen erfasst, wenn sie einerseits in ihrer Unterschiedenheit und andererseits in ihrer Bezogenheit aufeinander gewürdigt werden.42
1.3 Die Begründungsfunktion der Anthropologie für die Ethik Nach seiner eigenen Darstellung bestimmt Friedman negative Freiheit weitgehend willkürlich und lediglich durch den indirekten Verweis auf seine Erkenntnistheorie zum höchsten sozialen Gut. Demgegenüber kann eine Ethik, die sich der Bezogenheit von Sein und Sollen bewusst ist, Sollensnormen nicht gleichermaßen abstrakt (ohne Bezug auf Seinserfahrungen) aufstellen. Dies werden die folgenden Überlegungen zum Gegenstand der Ethik verdeutlichen. 1.) Anthropologie als durch ihren Gegenstand vorgegebenes Thema der Ethik. Allgemein kann Ethik verstanden werden als die Frage nach der moralisch richtigen Lebensführung. Aus den Überlegungen zum Verhältnis von Sein und Sollen ergeben sich Konsequenzen dafür, wie dieser Gegenstand näher bestimmt wird. Negativ kann formuliert werden: Gegenstand der Ethik sind jedenfalls nicht abstrakte Sollensnormen, die unabhängig vom Sein behandelt werden können. Die positive Folgerung aus den vorangegangenen Überlegungen lautet: Wenn sich Sollensforderungen auf mögliche Weisen des menschlichen Seins richten, so ist dieses Gegenstand der Ethik – und zwar in einer Weise, die die Bezogenheit von Sein und Sollen angemessen zum Ausdruck bringt. In der Ethik geht es um das menschliche Handeln in seinem sozialen Zusammenhang in Hinsicht auf die Frage nach seiner moralischen Qualität.43 Daran ändert sich nichts, wenn 42 Vgl. Rich 1991, 81 f., bes. 82: „In diesem Sinne sind das Menschen‑ und das Sachgerechte, obwohl sie ganz verschiedenen Dimensionen zugehören, letzten Endes untrennbar aufeinander bezogen, derart, daß alles Ethische eine sachliche und alles Sachliche eine ethische Komponente hat.“ Zum möglichen Missverständnis des Begriffspaars „Menschengerechtes und Sachgemäßes“ sowie zu den ein solches Missverständnis fördernden Tendenzen bei Rich vgl. Edel 1998, 121–125; 328 f. Zur konstitutiven Bezogenheit von Ethik und Ökonomik aufeinander vgl. außerdem Ratzinger 1986, 58: „Eine Moral, die dabei die Sachkenntnis der Wirtschaftsgesetze überspringen zu können meint, ist nicht Moral, sondern Moralismus, also das Gegenteil von Moral. Eine Sachlichkeit, die ohne das Ethos auszukommen meint, ist Verkennung der Wirklichkeit des Menschen und damit Unsachlichkeit.“ 43 Vgl. exemplarisch für evangelische Ethik etwa folgende Definitionen von Ethik bzw. ihrem Gegenstand, die sich in diesem Punkt trotz je eigener Akzentsetzung und Begrifflichkeit entsprechen: Rendtorff 1980, 11: „Ethik ist die Theorie der menschlichen Lebensführung.“ Lange 1992, 210 f.: „Ethik ist die Reflexion über die sich im Zusammenleben der Menschen meldende
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Teil III: Kritische Diskussion
der Akzent darauf gelegt wird, dass das Thema der Ethik die Explikation oder Begründung von Normen darstellt. Normen sind dann als Kriterien für menschliches Handeln im Blick. Auch in diesem Fall lässt sich der Gegenstand der Ethik also nicht erfassen, ohne zugleich ein Verständnis vom Menschen als Handlungssubjekt zu entwickeln. Die Anthropologie ist daher Grundlage jeder Ethik.44 Damit steht diese vor zwei Herausforderungen, die Eindeutigkeit in ethischen Urteilen erschweren: die unausweichliche Perspektivität jeder Anthropologie und der Zusammenhang von Beschreibung und Bestimmung des Menschen. 2.) Die Perspektivität jeder Anthropologie. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine „pure“ Beschreibung des Seins nicht möglich ist. Jede Wahrnehmung und daher jede Deskription enthält ein subjektives Deutungsmoment, in das unter anderem angeeignete Bewertungshorizonte eingehen.45 Im Falle ethischer Reflexion ist dies umso deutlicher: Wenn die menschliche Lebensführung Gegenstand der Ethik ist, heißt das wiederum, dass dem Ethiker sein Gegenstand nicht rein äußerlich gegeben ist. Der Vollzug von Ethik ist eine Handlung und daher selbst ein Exemplar des Gegenstands der Ethik. Das Treiben von Ethik ist also ein selbstreflexiver Akt und setzt als solcher immer schon eine der Theorie vorgängige Vertrautheit mit ihrem Gegenstand voraus.46 Insofern bildet die Teilnahme an der „menschlichen Grundsituation“ in einer moralischen Gemeinschaft den unhintergehbaren Ausgangspunkt jeder Ethik.47 Die Selbstwahrnehmung als verantwortlich Handelnder wird in dieser reflektiert, nicht durch sie erst konstituiert.48 Verbindlichkeit“ (im Original kursiv). Vgl. Frey 1990b, 3: „Ethik ist immer Reflexion über Ethos, Moral, Sitte, Brauch und auch über deren zugrundeliegende soziale Strukturen“ (im Original z. T. kursiv). Körtner 2008a, 33: „Ethik ist die Theorie der Moral, d. h. die Reflexion, welche menschliches Handeln anhand der Beurteilungsalternative von Gut und Böse bzw. Gut und Schlecht auf seine Sittlichkeit hin überprüft“ (im Original kursiv). Härle 2001, VII: „Die Ethik zieht aus diesem [dem christlichen Glauben angemessenen, B. G.] Wirklichkeitsverständnis die angemessenen, folgerichtigen Konsequenzen für das Handeln.“ In dieser Arbeit werden für den Gegenstand der Ethik aus sprachlichen Gründen und um je bestimmte Akzente zu setzen verschiedene Ausdrücke gebraucht (z. B. „Theorie der menschlichen Lebensführung“, „Reflexion über das gute Handeln“ etc.). Sie alle sind zu verstehen im hier skizzierten Sinne, dass Ethik ein Theorieunternehmen ist, das menschliches Handeln unter Berücksichtigung seiner Rahmenbedingungen und Voraussetzungen in Hinblick auf seine moralische Qualität (der Frage, ob es in Bezug auf eine universal gedachte Bestimmung des Menschen „gut“ ist) reflektiert. 44 Geradezu klassisch ist die zugespitzte Formulierung Wolfgang Trillhaas’, jede Ethik sei „angewandte Anthropologie“ (Trillhaas 1970, 29; vgl. Trillhaas 1970, 19–25). Vgl. außerdem z. B. Pannenberg 2003, 101–107; Rendtorff 1980, 14, 32; Tödt 1982, 33; Herms 2008a, 1616; Körtner 2008b, 67; Schweiker 2008, 80; Lohmann 2002, 321–337. 45 Vgl. Barth 2005, 456 f. 46 Vgl. Sauter 1978, 101–104; Lange 1992, 225; Seibert 2004, 19 f. 47 Vgl. Rentsch 1990, 36, 62 f., 270. 48 Zugleich ist auch davon auszugehen, dass ethische Reflexion die Erfahrung beeinflusst. Zwischen Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung besteht eine Wechselbeziehung, die jedoch wie „alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anhebt“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, 27 [Kant 1995, 49]).
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Ein Menschenbild49 ist also nicht nur ein notwendiger Bestandteil jeder ethischen Theorie, es ist ihre logische Voraussetzung.50 3.) Beschreibung und Bestimmung des Menschen. Im Lichte der Überlegungen zu Sein und Sollen ist eine zweite Herausforderung für ethische Theorien zu benennen. Das einer ethischen Theorie zugrundeliegende Menschenbild impliziert stets sowohl Aussagen über die vorfindliche Situation, in der sich der Mensch befindet, als auch über den Zustand, in dem er der Verfasstheit seines Seins voll entspricht. Letzteres bezeichnet die theologische und philosophische Tradition als die „Bestimmung“ des Menschen.51 Beides gehört zur Beschreibung des Seins des Menschen, die sich damit nie in Tatsachenaussagen erschöpft.52 Angemessen sind solche Beschreibungen daher nur dann, wenn sie deskriptive und normative Aspekte auch explizit zur Geltung bringen.53 Gerade im Zusammenhang der Ethik wird aber deutlich, worin die Schwierigkeit bei Aussagen über die Bestimmung des Menschen besteht. Die ethische Frage stellt sich erst angesichts der Erfahrung, dass der Mensch als verantwortlich Handelnder seine Bestimmung auch verfehlen kann. Letztere kann also nicht schlicht aus dem vorfindlichen Zustand abgelesen werden.54 Insofern verschärft sich für Sollens49 Eilert Herms schlägt vor, statt von Menschenbild von einem „Verständnis vom Menschen“ zu sprechen. Dadurch sei besser zum Ausdruck gebracht, dass der Gehalt eines Menschenbildes nie in fixierter Weise vorliege, sondern immer aus Reflexion auf Selbsterfahrung hervorgehe (vgl. Herms 2007b, 1 f.). Demgegenüber wird in dieser Arbeit am Begriff „Menschenbild“ festgehalten. Dies geschieht einerseits in Anschluss an den üblichen Sprachgebrauch. Andererseits scheint es auch inhaltlich angemessen. Ein Bild richtet sich am „Original“ aus, kann mit diesem jedoch nie zusammenfallen und nimmt es aus einer bestimmten Perspektive wahr. Insofern ist Bezug und bleibende Differenz zwischen Mensch und Menschenbild durch diesen Begriff passend zum Ausdruck gebracht. Gegenüber dem Begriff „Verständnis vom Menschen“ ist „Menschenbild“ weniger missverständlich dahingehend, dass es nicht unbedingt durch kognititiv-abstrahierende Reflexion zustande kommt. Gerade die poetische und narrative Entfaltung des christlichen Menschenbildes in biblischen Texten zeigt, dass dies der Vielschichtigkeit seines Gegenstandes durchaus gerecht wird. 50 Vgl. Härle 1978, 128. 51 Vgl. Grawe 1971, bes. 856. Vgl. Johann Spaldings „Betrachtung über die Bestimmung des Menschen“ (1748) sowie die spätere Auflage unter dem Titel „Die Bestimmung des Menschen“ (1794; beide abgedruckt in Spalding 1997). Spalding spricht auch vom „wahren Zwecke des Menschen“ (Spalding 1997, 3). Auch Johann G. Fichte schrieb einen Traktat über „Die Bestimmung des Menschen“ (Fichte 1981, bes. 203–207, 266–272). 52 Vgl. Schwöbel 2001, 2. 53 Auch eine ethische Theorie, die beide Aspekte miteinander identifiziert, trifft faktisch sowohl eine Aussage über den Ist-Zustand des Menschen und über seine Bestimmung. Sie ist damit keineswegs weniger voraussetzungsreich als eine, die von einem Auseinanderfallen der beiden Aspekte des menschlichen Daseins ausgeht. Vgl. z. B. den hedonistischen Utilitarismus Jeremy Benthams. Nach ihm ist menschliches Verhalten bestimmt von „two sovereign masters, pain and pleasure“ (Bentham 1996, 11). Zugleich ist die Maximierung von „pleasure“ das für Bentham entscheidende ethische Kriterium (vgl. Bentham 1977, 393). 54 Dass die der Ethik zugrundeliegende Anthropologie stets über Aussagen über das Vorfindliche hinausgeht, wird mit Recht als ihre „metaphysische“ Grundlage bezeichnet (vgl. Lohmann 2007, 271 f., 280–282).
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Teil III: Kritische Diskussion
aussagen das (schon für Seinsaussagen gültige) Problem, dass sie nicht „objektiv“ an ihrem Gegenstand ausgewiesen werden können.55 Gleichzeitig wurde bereits deutlich, dass sich Sollensforderungen stets an Möglichkeiten des Seins orientieren müssen. Daher sind auch Aussagen über die Bestimmung des Menschen an Seinserfahrungen ausgerichtet. Nur was für den Menschen angesichts seiner Verfasstheit möglich ist, kommt als seine Bestimmung infrage. Diese Spannung spiegelt sich in der theologischen Rede davon, der Mensch sei „zur Gottebenbildlichkeit bestimmt“.56 Einerseits ist der Mensch geschaffen zum Ebenbild Gottes (vgl. Gen 1,26 f.). Diese Bestimmung schlägt sich in seinem Wesen nieder. Zwar kann der Mensch durch sein Handeln die ihm vorgegebene Ordnung nicht verlassen. Er kann sie als frei Handelnder jedoch ignorieren und im Widerspruch zu ihr agieren (vgl. Gen 3). Damit ist also in seiner Grundverfassung – seiner personalen Freiheit – eine potenzielle Spannung von Sein und Sollen – die Fähigkeit des Menschen zur Sünde – angelegt.57 Weder das Wesen Gottes noch die Bestimmung des Menschen lassen sich demnach am vorfindlichen Menschen ablesen.58 4.) Die Möglichkeit anthropologischer Argumentation. Damit ist deutlich, dass Ethik nie von einem „neutralen“ oder „objektiven“ Standort aus getrieben werden kann, sondern stets aus der Perspektive einer bestimmten Wahrnehmung des eigenen Daseins im Zusammenhang der Welt, also einer bestimmten Selbst‑ und Weltanschauung. Friedman ist daher darin zuzustimmen, dass anthropologische Fragen nicht durch eine Letztbegründung rein rational oder auf empirischem Wege abschließend geklärt werden können.59 Insofern erweist es sich als durchaus angemessen, dass er den „Glauben“ als Grundlage seiner ethischen Theorie bezeichnet. Das heißt nun aber gerade nicht, dass ein rationaler Diskurs über diese Grundlage nicht möglich wäre. Denn erstens hat sich gezeigt, dass diese Perspektivität nicht nur für die Ethik, sondern letztlich für alle Wissenschaften gilt. Zweitens wurde deutlich, dass auch Aussagen über die Bestimmung des Menschen auf Aussagen über sein Sein rekurrieren. Auch Aussagen über die Bestimmung des Menschen sind Aussagen über den Menschen. Auch sie müssen sich daher durch Erfahrungen bilden, bestätigen oder korrigieren lassen. Und drittens kann – nun wiederum positiv in Anschluss an Friedman – festgehalten werden, dass eine intersubjektive Verständigung über Seinsaussagen auch dann möglich ist, 55 Vgl.
Rich 1991, 82 f. zu ihrer inhaltlichen Bedeutung unten 301 Anm. 23. 57 Vgl. Rendtorff 1980, 41; Gräb-Schmidt 2003, 166. 58 Vgl. Rich 1991, 85. Aus Perspektive der evangelischen Theologie ist es gerade kennzeichnend für den Menschen, dass er unter irdischen Bedingungen seine Bestimmung verkennt und gerade deswegen verfehlt. Erst in der Begegnung mit Christus als dem Ebenbild Gottes erkennt er seine eigene Bestimmung und wird in die Lage versetzt, sie zu erfüllen (vgl. Lange 1992, 296; Markschies 2008, 1162; Härle 2001, 150). 59 Vgl. Rich 1991, 100–104. 56 Vgl.
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wenn ein direkter Zugriff auf die Wirklichkeit nicht möglich ist. Menschen interpretieren ihre Selbst-Erfahrung unterschiedlich. Trotzdem können sie sich über diese durchaus verständigen – es handelt sich ja auch um Erfahrungen mit demselben Phänomen. Auch wenn der Gegenstand ethischer Reflexion nur perspektivisch zugänglich ist, so bleibt er ihr doch vorgegeben. Unbeschadet verschiedener Deutungen und methodischer Zugänge kann ein hohes Maß an Übereinstimmung darüber erzielt werden, was das Wesen und die konkrete Situation des Menschen ausmacht. Unter dieser Perspektive kann die ethische Argumentation auf Einsichten unterschiedlicher Wissenschaften wie etwa der Verhaltensforschung, der Soziologie oder der Ökonomik zurückgreifen. Diese empirisch gewonnen Einsichten über den Menschen haben ein so hohes Maß an intrapersonaler Plausibilität, dass eine normative Theorie sie nicht einfach von der Hand weisen kann. 5.) „Das Menschengerechte“ als ethisches Fundamentalkriterium. Wie bei allen Wissenschaften, so gilt auch für die Qualität der Ethik der Maßstab, ob sie ihren Gegenstand angemessen beschreibt. Mit der Verfasstheit des Menschen ist ein normativer Maßstab für die Gestaltung seines Daseins gegeben. Emil Brunner beschreibt diesen Zusammenhang als das „Gesetz der Gerechtigkeit“.60 Im Anschluss an Arthur Rich lassen sich die vorangegangenen Überlegungen daher darauf hin zuspitzen, dass das Fundamentalkriterium der (Wirtschafts‑)Ethik das „Menschengerechte“ ist.61 Dies setzt voraus, dass wie Sein und Sollen, so auch Menschengerechtes und Sachgerechtes nicht dualistisch getrennt, wohl aber sachlich unterschieden werden.62 Ziel einer Ethik muss die Frage sein, wie individuelles Handeln und soziale Strukturen beschaffen sein müssen, damit sie dem Wesen des Menschen einschließlich seiner Bestimmung entsprechen. „Die ethische Frage ist die Frage des Menschseins. […] Sie ist die Frage nach der steten Menschwerdung des Menschen.“63 In der ethischen Theoriebildung geht es nicht in erster Linie um die Beschreibung von Einzelsituationen, sondern um Allgemeinheit. Zu Recht wird daher die Verallgemeinerbarkeit als ein entscheidendes Kriterium an ethische
60 Brunner 1981, 57: „Es [das Gesetz der Gerechtigkeit, B. G.] spricht nicht nur etwas aus, das sein soll, sondern auch etwas, das ist. Das Gesetz der Gerechtigkeit weist zurück auf eine Ordnung des Seins, kraft deren jedem Geschöpf sein Bereich, sein Spielraum, seine Freiheit und seine Schranke zugewiesen wird.“ Vgl. Brunner 1981, 22. 61 Vgl. Rich 1991, 73. Neben Rich begegnet in der theologischen Wirtschaftsethik Anthropologie als zentrales Kriterium z. B. bei Meckenstock 1997, 4–8; Dietzfelbinger 1998, 246–249, 285 f.; Gerlach 2002, 23; Nass 2003, 68–71; Herms 2004b, 143; Sautter 2006a, 259 f.; Dietz 2005, bes. 17; Oermann 2007, 21, 76; Rauscher 2008c, 547. 62 Vgl. dazu oben 12 Anm. 42. 63 Trillhaas 1970, 14. Vgl. den entsprechenden „hypothetischen Imperativ“ bei Herms (Herms 2006b, 313): „Wenn du vernünftig sein willst (und d. h. wenn Du sein willst, was Du bist), dann handle so, daß …“.
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Forderungen angelegt.64 Für die Anthropologie heißt dies, dass ethische Relevanz insbesondere jene kategorialen Beschreibungen besitzen, die menschliches Dasein überhaupt beschreiben.65 Zugleich dient Ethik der Klärung konkreter Handlungssituationen. Diese sind durch eine Vielzahl je individueller Faktoren charakterisiert. Eine ethische Theorie erweist ihre Leistungsfähigkeit dadurch, dass sie zu einer besseren Bewältigung solcher Situationen beiträgt. Um dies zu erweisen und die eigene Leistungsfähigkeit selbstkritisch zu überprüfen, sollte Ethik zumindest exemplarisch konkrete Fallbeispiele diskutieren. Dies kann sie allerdings nicht tun, wenn sie sich auf allgemeine Beschreibungen der Konstanten menschlichen Daseins beschränkt. Daher ist auch die präzise Erfassung konkreter Seinszustände ein für die ethische Theoriebildung nicht zu vernachlässigendes Element. 6.) „Das Menschengerechte“ in der Argumentation Milton Friedmans. Folgt man Friedmans Ausführungen, so spielt des Kriterium der Menschengerechtigkeit für seine normative Theorie keine Rolle. Er selbst argumentiert, dass für seinen „Freiheitsglauben“ keine weiteren Gründe angeführt werden können als der, dass für normative Aussagen überhaupt keine Argumente angeführt werden können. In diesem Fall muss seine normative Grundentscheidung als weitgehend willkürlich gelten. Im Lichte der oben vorgetragenen Überlegungen stellt sich jedoch die Frage, ob diese Selbsteinschätzung Friedmans überhaupt zutreffend ist. Es fällt nämlich auf, dass seine normative Grundentscheidung mit den anthropologischen Grundlagen seiner Theorie korrespondiert. Hier beschreibt er den Menschen als Nutzenmaximierer, dessen Individualität seiner Sozialität vorangeht. Legt man eine solche Anthropologie zugrunde, ist das Recht zum Verfolgen individueller Ziele „menschengerecht“, also alles andere als willkürlich. Einen Hinweis darauf, dass ein solcher Zusammenhang Friedman selbst nicht fremd ist, gibt seine Aussage, dass jede Ethik ein bestimmtes Menschenbild impliziere.66 Insofern (!) kann eine phänomenorientierte Sozialethik auch in formaler Hinsicht positiv an Friedman anschließen.
1.4 Methodische Konsequenzen Die grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Sein und Sollen und insbesondere zur Begründungsfunktion der Anthropologie haben Konsequenzen für die Methode, nach der im Folgenden ethisch argumentiert wird. Friedmans 64 Vgl. Wimmer 2002. Dass Verallgemeinerbarkeit ein Kriterium für die Gültigkeit einer ethischen Theorie ist, bedeutet noch nicht, dass sich allein aus diesem Kriterium bereits eine schlüssige ethische Theorie ableiten lassen könnte (vgl. z. B. MacIntyre 1981, 44; Lange 1992, 219). 65 Vgl. Fahrenbach 2000, 206; Lange 1992, 227 f.; Härle 1978, 119. 66 Vgl. Friedman 1955a, 361 (Zitat oben 69 Anm. 1).
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normative Theorie kann auf der Grundlage des Gesagten auf drei Ebenen kritisch diskutiert werden. 1.) Widerspruchsfreiheit. Nur was in sich stimmig ist, kann ethisch überzeugen. Friedman selbst erachtet logische Kohärenz als ein wesentliches Merkmal einer normativen Theorie.67 Dieser Anspruch ist im Folgenden zu prüfen. 2.) Phänomengerechtigkeit. Wie alle Wissenschaften, so muss sich auch die Ethik an der Angemessenheit gegenüber ihrem Gegenstand messen lassen. Bei aller Perspektivität und Begrenztheit menschlicher Selbstwahrnehmung und ‑deutung kann diese in einem auf Verständigung orientierten Diskurs erörtert werden, der auch die Einsichten empirischer Zugänge einbezieht. Einsichten, die auf unterschiedlichen disziplinären und methodischen Grundlagen gewonnen wurden, werden daher in die ethische Argumentation mit dem „Menschengerechten“ integriert. Diese Perspektive ist gemeint, wenn im Folgenden vom Kriterium der „Phänomengerechtigkeit“ die Rede ist oder wenn nach einem „wirklichkeitsnäheren“ Verständnis des Menschen und seiner Freiheit gefragt wird. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es Erkenntnis ohne Deutung nicht gibt. So beschreiben auch die für das Kriterium der Phänomengerechtigkeit herangezogenen Merkmale keine „reinen Tatsachen“.68 Die Kriterien der Menschen‑ oder Phänomengerechtigkeit sind daher nicht in einem objektivistischen Sinne allgemein belegbar, sondern „einer steten hermeneutischen Klärung bedürftige Erfahrungsgewissheiten“69. 3.) Theologisches Menschenbild. Dem entspricht eine dritte Ebene der Kritik: Friedmans Freiheitsverständnis wird hier aus einem explizit evangelisch-theologischen Blickwinkel diskutiert. Dies findet seinen Ausdruck darin, dass der Rekurs auf theologische Ansätze einen großen Raum bekommt und gelegentlich auf zentrale Stücke der biblisch-reformatorischen Tradition verwiesen wird. Da es dabei nicht um die Klärung innertheologischer Kontroversen geht, soll versucht werden, so weit wie möglich innerhalb der Theologie konsensfähige Positionen zu formulieren.70 Durch den expliziten Rekurs auf das christliche Welt‑ und Vgl. CaF, 187, Friedman 1987k, 16. verdeutlicht, dass hier nicht ein Phänomenbegriff vorliegt, wonach sich ein Gegenstand dem Betrachter so darstellt, wie er „an sich“ ist. 69 Rich 1991, 103. 70 Dies setzt nicht unbedingt voraus, dass ein solcher Konsens in der gegenwärtigen theologischen Diskussion in jedem Fall schon erreicht ist. Ausgegangen wird aber von der Möglichkeit, einen solchen innertheologischen Konsens unter Rekurs auf die biblisch-reformatorische Tradition zu erzielen, und von der Annahme, dass die darzulegenden Grundprinzipien ungeachtet bleibender innertheologischer Differenzen weitgehend zustimmungsfähig sind. Folge dieses Vorgehens ist gelegentlich eine gewisse Allgemeinheit in den Ausführungen. Dennoch soll nicht der Anspruch erhoben werden, das unmögliche Unterfangen zu unternehmen, Positionen zu formulieren, denen alle Theologen oder alle Christen zustimmen würden. Der Bezug auf die Texte der biblisch-reformatorischen Tradition bringt daher eine Haltung zum Ausdruck, wie sie Dietrich Rössler folgendermaßen beschreibt (vgl. Rössler 2003, 192): „Der ethische Sinn der Vielfalt moralischer Intuitionen und unterschiedlicher Überzeugungen liegt 67
68 Dies
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Menschenbild wird deutlich, dass einzelne Aussagen über den Menschen stets in einem weltanschaulich geprägten Deutungshorizont erfolgen. Dies ist keine Besonderheit theologischer oder religiöser Ethik im Unterschied zu philosophischen Ethikentwürfen.71 Das Spezifikum theologischer Ethik ist nicht, dass sie unhintergehbare Überzeugungen im Sinne eines „Glaubens“ voraussetzt – das muss jede Ethik tun –, sondern, dass sie ihren Ausgangspunkt explizit am christlichen Verständnis vom Dasein des Menschen in der Welt nimmt. Zur wissenschaftlichen Redlichkeit gehört es, die jeweiligen Voraussetzungen offenzulegen. Der Rekurs auf andere Zugänge zu Welt und Mensch erübrigt sich durch die explizit theologische Perspektive gerade nicht. Ist man sich bewusst, dass die eigene Wahrnehmung nur relativ und perspektivisch ist, sollte dies gerade ein Anreiz sein, sich mit anderen Perspektiven auf denselben Gegenstand auszutauschen.72 Schließlich kann es in der ethischen Diskussion nicht darum gehen, dass theologische Kriterien quasi „von außen“ an Friedman herangetragen werden. Grundlegend bleibt der Bezug auf die Kritikebene der Phänomengerechtigkeit: Die Überzeugungskraft theologischer Argumente entscheidet sich daran, inwiefern sie sich als angemessene und aussagekräftige Deutungen der menschlichen Grundsituation erweisen.73 Dass hier eine Argumentation aus explizit evangelisch-theologischer Perspektive vorgelegt wird, heißt also weder, dass sie subjektivistisch (also einem intersubjektiven Austausch nicht zugänglich) ist, noch dass sie autoritativ von dogmatisch gesetzten Glaubenswahrheiten ausgeht, die nicht von einem allgemeinen Erfahrungshorizont aus kritisch hinterfragt werden können.74 Theologische Argumente treten nicht zusätzlich zu Argumenten auf der Phänomenebene hinzu, sondern rücken diese Beobachtungen beispielhaft im Appell zur Verständigung. Dafür ist in der evangelischen Ethik durch die gemeinsame Beziehung auf die evangelische Tradition die wesentliche Voraussetzung gegeben. Der Pluralismus ist nicht unendlich. Die individuelle Besonderheit der einzelnen ethischen Tradition nimmt sich selbst wahr als Auslegung dessen, was sie mit anderen teilt. In dieser Einsicht ist die prinzipielle Anerkennung abweichender Überzeugungen notwendig begründet.“ 71 Vgl. Lohmann 2002, 338–373. 72 Vgl. Lohmann 2007, 277 f. Insofern ist Johannes Fischer zuzustimmen, dass der Verweis auf die prinzipielle Perspektivität aller in der Ethik vorausgesetzten Menschenbilder weder dazu gebraucht werden darf, die Gleichrangigkeit aller Menschenbilder zu behaupten, noch als Argument dafür, eine rationale Debatte über zugrunde liegende Menschenbilder sei überhaupt nicht möglich (vgl. Fischer 2009). 73 Zu Gemeinsamkeit und Differenz von Bibel und Dogma als unterschiedliche Formen der Deutung bzw. der kritischen Reflexion von religiöser Erfahrung mit der Wirklichkeit vgl. Lauster 2008, bes. 37, 55 f., 65, 89 f. 74 Eine auf der Anthropologie aufbauende Argumentation erweist sich gerade für die Anschlussfähigkeit evangelischer Ethik als sinnvoll. Dadurch ist nicht nur ein mit anderen Wissenschaften geteilter Gegenstandsbezug benannt, es ergeben sich darüber hinaus bedeutende Gemeinsamkeiten sowohl mit römisch-katholischen (vgl. z. B. Messner 1958, 45–47; Mandry 2002, 504; Mieth 1977, 111–118; Rauscher 2008a, 3, 19–23) als auch mit philosophischen Ethikentwürfen (vgl. z. B. Rentsch 1990, 190 f.; Gerhardt 1996, 25 f.; Fahrenbach 2000, 223–226).
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in eine umfassende Deutungsperspektive. Damit gilt für die Kritikebenen der Phänomengerechtigkeit und des theologischen Menschenbildes gleichermaßen: Friedman wird hier letztlich an dem gemessen, was er in seiner ökonomischen Argumentation selbst beansprucht – daran, inwiefern Beschreibungen der Wirklichkeit sich im Horizont allgemeinmenschlicher Erfahrungen als angemessen erweisen.
1.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position Friedman nimmt aufgrund eines erkenntnistheoretischen Dualismus die Position ein, dass für Sollensforderungen letztlich überhaupt keine zwingenden Gründe angegeben werden können. Daraus wiederum leitet er ab, dass es das Beste sei, auf Sollensforderungen so weit wie möglich zu verzichten. Stattdessen stellt er das Recht auf die Verfolgung je individueller Präferenzen in den Mittelpunkt seines ethischen Systems. Damit begründet er, dass Freiheit das höchste soziale Gut ist. In der Bezeichnung von Friedmans Position als „Freiheitsglaube“ ist festgehalten, dass diese Setzung aber letztlich nicht begründet ist – und nach Friedmans Auffassung auch gar nicht zwingend begründet werden kann. Dagegen hat sich gezeigt, dass Friedmans erkenntnistheoretischer Dualismus nicht schlüssig aufrecht zu halten ist. Er wird zwar der Unterschiedenheit von Seinserfahrungen und Sollenserfahrungen (von faktischem Ist-Zustand und Bestimmung des Menschen) gerecht, übersieht aber ihre Bezogenheit aufeinander. Die Begriffe „Seinserfahrung“ und „Sollenserfahrung“ bringen zum Ausdruck, dass Seinsaussagen und Sollensaussagen unterschieden und auf unterschiedliche Weise wahrgenommen werden, aber zugleich beide auf denselben, in Erfahrung gegebenen Gegenstand bezogen sind. Sollensaussagen setzen Seinsaussagen voraus, da sie sich nur auf mögliche Weisen des Seins beziehen können. Seinsaussagen schließen aber auch Sollensaussagen ein, da zur Beschreibung des Seins auch teleologische Überlegungen über das eigentliche Wesen oder die Bestimmung gehören. Gleichermaßen gilt für das Verhältnis von Ökonomik und Ethik: Die Beschreibung der ökonomischen Dimension menschlichen Zusammenlebens unter dem Aspekt ihrer tatsächlichen Situation ist zu unterscheiden von ihrer Beschreibung unter dem Aspekt ihrer Bestimmungsgemäßheit. Doch auch hier verkürzt eine dualistische Gegenüberstellung den Sachverhalt. Wie alle Wahrnehmung, so sind deskriptive Aussagen über die Verfasstheit des Menschen von einem normativ-anthropologischen Leithorizont aus entworfen. Auch die Ökonomik setzt daher immer schon Annahmen über die allgemeine Verfasstheit des Menschen voraus, die letztlich nicht empirisch überprüfbar sind. Dadurch gehen in die ökonomische Theoriebildung und in durch sie geprägte Handlungsempfehlungen immer normative Überzeugungen ein. Ethische Normen wiederum können
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nicht formuliert werden, ohne Aussagen über aktuelle und mögliche Weisen des menschlichen Daseins vorauszusetzen. Besonders unter güterethischem Aspekt ist es wichtig, ökonomisch aufgeklärte Folgeabschätzungen in die ethische Urteilsbildung einzubeziehen. Da Gegenstand der Ethik menschliche Handlungen sind, kommt der Anthropologie eine grundlegende Funktion für die ethische Argumentation zu. Wie andere Wissenschaften auch, so muss sich die Ethik an der Angemessenheit gegenüber ihrem Gegenstand messen lassen. Die zu erörternde Frage lautet dann: Was ist „menschengerecht“, also letztlich: Was ist der Mensch? Dass sie ihren Gegenstand nicht unmittelbar, sondern nur in perspektivischer Deutung erfassen kann, verbindet die Ethik ebenfalls mit anderen Wissenschaften. Für ethische Theorien stellt sich das Problem der Perspektivität umso mehr, da die für sie zentrale Kategorie der Bestimmung des Menschen nicht aus seinem vorfindlichen Zustand abgelesen werden kann. Insofern ist es durchaus angemessen, wenn Friedman darauf verweist, dass normative Aussagen letztlich Glaubensaussagen sind. Allerdings ist es nicht so, dass der Glaube von Seinserfahrungen dadurch unterschieden ist, dass er nicht auf Gegenstände der Wirklichkeit bezogen ist. Über diese ist ein erfahrungsbezogener rationaler Diskurs unbeschadet unterschiedlicher methodischer und weltanschaulicher Zugänge möglich. Diese Überlegungen prägen das methodische Vorgehen in den folgenden Kapiteln. Neben der Frage nach der inneren Kohärenz von Friedmans Ausführungen liegt der Schwerpunkt auf der Frage, inwiefern seine Theorie menschlicher Freiheit das Phänomen menschlicher Freiheit samt ihrer individuellen und sozialen Implikationen angemessen beschreibt. Dass ein direkter Zugriff auf das beschriebene Phänomen nicht möglich ist, kommt dadurch zum Ausdruck, dass anthropologische Einsichten ebenso wie ihre freiheits-, wirtschafts‑ und institutionentheoretischen Konsequenzen immer wieder in den Horizont eines christlichen Wirklichkeitsverständnisses gestellt werden. Dessen Geltung ist jedoch nicht äußerlich vorausgesetzt, sondern soll in einem multiperspektivischen Diskurs plausibilisiert werden, der auch andere Freiheitstheorien mit einbezieht.
2. Diskussion von Friedmans anthropologischen Grundlagen Als Ergebnis des ersten Teiles kann festgehalten werden: Normative Aussagen müssen sich an ihrem Gegenstand, also an anthropologischen Vorstellungen, orientieren. Daher sollen nun die für Friedman zentralen Annahmen kritisch diskutiert werden: seine Sicht des Menschen als Nutzenmaximierer (2.1) und sein individualistisches Verständnis der menschlichen Grundsituation (2.2).
2.1 Der ontologische Individualismus: Ein unbegründeter, folgenreicher Reduktionismus Friedman stellt die Individualität des Menschen ins Zentrum seiner Argumentation. In Abschnitt II.2.1.1 wurde gezeigt, dass er dies nicht nur in methodologischer, sondern auch in ontologischer Hinsicht tut. Die Beschreibung des Menschen als Individuum dient ihm damit als Grundlage einer allgemeinen Anthropologie und Gesellschaftstheorie ebenso wie einer normativen Freiheitstheorie. Die vorliegende Arbeit versteht sich nicht als ein Beitrag zur ökonomischen Methodik. Im Vordergrund der anthropologischen Diskussion steht daher nicht die Belastbarkeit des methodologischen Individualismus, sondern die ontologische Fundierung, die er bei Friedman bekommt und ihre normativen Konsequenzen. Im Horizont neuzeitlicher Debatten erscheint es selbstverständlich, dass Individualität ein herausragendes Charakteristikum des Menschen darstellt und ihr ein normativer Gehalt zukommt. „Der Mensch“ bezieht sich immer auf einen Einzelnen, und nur in dieser individualisierten Form „gibt“ es Menschen. „Die Menschheit“ oder „der Mensch an sich“ sind abstrakte Begriffe ohne Bedeutung abgesehen von tatsächlich existierenden menschlichen Individuen.1 In der christlichen Theologie, besonders in der reformatorischen Tradition, spielt der einzelne Mensch in seiner unvertretbaren Beziehung zu Gott eine zentrale Rolle.2 Wenngleich im Folgenden Friedmans Individualismus kritisch hinterfragt wird, bleibt daher festzuhalten: Die Individualität ist ein wichtiger Zug menschlicher Existenz, der auch normative Kraft entfaltet. Zu Recht betont Friedman die Ei-
1 Vgl. 2 Vgl.
Dierken 2011, 341. Pannenberg 1983, 12–15; Graf 2007, 70–79.
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Teil III: Kritische Diskussion
genständigkeit jedes einzelnen Menschen gegenüber allen Formen menschlicher Gemeinschaft. Problematisch ist jedoch, dass Friedman einseitig die Individualität des Menschen in den Mittelpunkt rückt, ohne dies weiter zu begründen.3 Demgegenüber sollen hier zunächst zwei fundamentale anthropologische Charakteristika angesprochen werden, die Friedman zwar gelegentlich erwähnt, in seiner Argumentation aber weitgehend ignoriert: die Personalität (2.1.1) und die Leiblichkeit (2.1.2) des Menschen. In einem dritten Schritt soll darauf hingewiesen werden, dass die Vorordnung der Individualität vor die Sozialität bei Friedman nicht phänomengerecht ist (2.1.3). Die Überlegungen münden in ein von Friedman abweichendes Verständnis des Menschen als einem relationalen Wesen (2.1.4), welches für die Frage nach einem menschengerechten Verständnis von Freiheit leitend sein wird. 2.1.1 Die Personalität des Menschen „In-dividuum“ („Unteilbares“) ist ein Gegenbegriff zu „Gemeinschaft“. Er betont die Einzigartigkeit eines Menschen und seine Unterschiedenheit von anderen Menschen.4 Darüber hinausgehende Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen treten demgegenüber in den Hintergrund. Als Individuum können auch Tiere und Pflanzen, ja sogar Atome oder Galaxien, bezeichnet werden.5 Umfassender und spezifischer ist dagegen der Begriff „Person“. Mit dem Begriff „Personalität“ verbunden sind Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, diachrone personale Identität, Rationalität und (zumindest partiell) innere Freiheit.6 Zu einem reflektierten Selbstbewusstseins gehört, dass der Mensch eine Vorstellung von sich selbst und der Welt entwickelt. Personalität impliziert daher Deutungsakte, die den Möglichkeitsraum bewusster Handlungen konstituieren.7 Es konnte gezeigt werden, dass Friedman von einer eingeschränkten inneren Freiheit des Menschen 3 Friedman stellt sich damit in die Tradition, die von Charles Taylor als „atomistisch“ bezeichnet wird. Die Vorstellung eines individuellen Rechts auf Freiheit, das sozialen Bindungen vorgängig ist, setzt ein entsprechendes Menschenbild voraus (vgl. Taylor 1985a, 189 f.). 4 Vgl. Gerhardt 2007, 64–72. 5 Vgl. Gerhardt 2007, 74. 6 Vgl. Rauscher 2008a, 19; Sturma 2002; Schütt 2008; Heinrichs 1996, 221 f.; Stock 1996, 226 f. Der Begriff „Person“ ist hier in einem deskriptiven Sinne gebraucht. Damit ist ein höherer Grad an Spezifität erreicht als beim Begriff „Individuum“. Es ergibt sich allerdings das Problem, dass nicht alle Menschen Personen im hier beschriebenen Sinne sind und dass die hier angeführten Eigenschaften nicht zwangsläufig auf Menschen beschränkt sind (vgl. Schütt 2008, 1121; Frankfurt 1971, 6; Sturma 2002, 444 f.). Zugunsten des deskriptiven Gehalts und seiner Bedeutung für die Freiheitsdebatte wird diese Schwierigkeit in Kauf genommen. Wichtig ist aber, dass damit nicht der normative Begriff der Menschenwürde auf diejenigen Menschen eingeschränkt wird, auf die die mit Personalität verbundenen Eigenschaften zutreffen. 7 Vgl. Schwöbel 2002c, 87–99.
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ausgeht.8 Die mit seiner Personalität verbundenen Eigenschaften geraten jedoch aus dem Blick, wenn der Mensch lediglich als „Individuum“ betrachtet wird. Das bedeutet: Wird Freiheit wie bei Friedman lediglich als individuelle Freiheit konzipiert, kann keine Unterscheidung zwischen personaler und nicht-personaler Freiheit gemacht werden.9 In den folgenden Kapiteln wird gezeigt werden, was es für eine normative Freiheitstheorie bedeutet, wenn sie den Menschen nicht nur als Einzelwesen, sondern als selbstbewusste, freie Person betrachtet.10 Jedenfalls ist die Personalität des Menschen der Grund dafür, dass er in Widerspruch zu seiner Bestimmung treten kann, dass es also überhaupt einer normativen Theorie (der Freiheit) bedarf.11 2.1.2 Die Leiblichkeit des Menschen Neben der Personalität weist Friedman auf einen zweiten Grundzug menschlicher Existenz wiederholt hin. Menschen sind körperliche Wesen. Ihre Existenz ist eingebunden in physische Naturzusammenhänge.12 Dieser Gedanke ist aus Perspektive einer am Menschengerechten orientierten Ethik positiv aufzugreifen. Menschen sind selbst Teil der Natur und ihr Dasein ist bedingt durch die in der Natur wirksamen physikalischen und chemischen Prozesse ebenso wie durch die Gesetzmäßigkeiten, nach denen diese ablaufen. Im Rahmen dieser Eingebundenheit üben Menschen auch ihrerseits Wirkung auf andere Gegenstände aus.13 Der Begriff „Leiblichkeit“ bringt zum Ausdruck, dass die Körperlichkeit des Menschen nicht in Konkurrenz tritt zu seiner Personalität.14 Dass Menschen selbstbewusste und freie Personen sind, ist durch ihre Einbettung in den Natur 8 Vgl.
oben II.2.2.5 Eigeninteresse und innere Freiheit. es einen solchen Unterschied gibt, wird in der gegenwärtigen Debatte insbesondere unter Bezugnahme auf neurologische Forschungen teilweise vehement bestritten (vgl. zu dieser in der Tradition des physikalischen Determinismus Pierre-Simon Laplace’ das „Manifest führender Neurowissenschaftler“ [Moneyer 2004, 33, 36]). Allerdings basiert diese Position auf einer naturalistischen Sichtweise, die ihren Reduktionismus nicht begründen kann. Letztlich stellt sie eine weltanschauliche Position dar, die den Anspruch erhebt, menschliches Selbsterleben als Täuschung entlarven zu können. Allerdings macht sie nicht damit Ernst, dass sie selbst nur auf Grundlage von Selbsterleben formuliert wird und diese Perspektive nicht objektivistisch überwinden kann (vgl. Barth 1997; Herms 2007c). 10 Zum Verständnis von Personalität als „Verstehen und eigenverantwortliche[s] Mitgestalten des eigenen Seins im Werden“ vgl. Herms 2007d, 28. Helmut Fahrenbach spricht entsprechend vom „verstehend tätigen Sich-Verhalten des Menschen in und zu Verhältnissen“ (Fahrenbach 2000, 215; in Original z. T. kursiv). 11 Vgl. oben 247. 12 Vgl. „[p]hysical […] characteristics“ (FtC, 37), die „natürliche Ausstattung“ von Marlene Dietrich und Muhammad Ali (FtC, 137) sowie den wiederholten Hinweis auf den Einfluss von Genen (FtC, 21, 132; TLP, 27). 13 Vgl. Herms 2007d, 32 f. 14 Vgl. Waldenfels 2006, 14–17, 42–45; Ringleben 2008, 219; Sauter 2008, 195 f. Zum naturalistischen Reduktionismus vgl. oben 257 Anm. 9. 9 Dass
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zusammenhang nicht unmöglich gemacht. Vielmehr ist die leibliche Existenz die einzige Form, in der Menschen eine Wahrnehmung ihrer selbst und der Welt überhaupt möglich ist. Leiblichkeit ist daher die einzige Weise, in der menschliche Personalität wirklich ist.15 Allerdings ist durch die Leiblichkeit deutlich, dass menschliche Personalität durch ihre physische Existenzweise bedingt und begrenzt ist. Selbst‑ und Weltwahrnehmung sind durch ihre leibliche Vermittlung nicht nur ermöglicht, sondern auch geprägt.16 Auch die Möglichkeiten der Selbst‑ und Weltgestaltung sind durch die eigene Leiblichkeit sowohl begründet als auch eingeschränkt.17 2.1.3 Die Sozialität des Menschen Die Denkweise, dass Sozialität sekundär zu Individualität ist, spielt eine bedeutende Rolle in Friedmans Argumentation. Sie ist Grundlage seiner Ablehnung von sozialer Verantwortung ebenso wie der Annahme, dass freiwillige Interaktion stets zu gegenseitigem Vorteil erfolgt. Eine Begründung des ontologischen Individualismus bleibt Friedman jedoch schuldig. Er gibt sogar mit seinem Bezug auf die Familie als gesellschaftliche Basiseinheit selbst einen Hinweis darauf, dass nicht jede Form der sozialen Eingebundenheit als Konsequenz eines individuellen Entschlusses verstanden werden kann. Gerade die Situation von Kindern macht deutlich, dass Menschen immer in sozialen Bezügen stehen, die ihrem Handeln vorgegeben sind. Dies würde es nahelegen, statt von einem schroffen Gegensatz des Freiwillig-Privaten und des Verpflichtend-Öffentlichen von einem gestuften Übergang von Individualität und Sozialität, von Privatheit und Öffentlichkeit auszugehen. Dennoch argumentiert Friedman in methodologischer und normativer Hinsicht mit einem ontologischen Individualismus. Dass die Bezogenheit des Menschen auf andere konstitutiv zu seiner Individualität gehört und daher nicht sekundär zu ihr ist, blendet er konsequent aus. An diesem Punkt weicht die Argumentation dieser Arbeit entscheidend von der Friedmans ab. Diese Differenz soll daher ausführlicher begründet werden als die beiden ersten Punkte, die lediglich darauf hingewiesen haben, dass Friedman menschliche Grundeigenschaften zwar erkennt, sie in seiner Argumentation aber nicht konsequent berücksichtigt. Die Einwände gegen eine Vorordnung der Individualität vor die Sozialität knüpfen insofern an Friedman an, als sie ihren Ausgang von Grundzügen der menschlichen Existenz nehmen, denen Friedman zustimmt:
15 Vgl. zur Thematisierung dieser Gegebenheit in der biblisch-theologischen Tradition Schrey 1990, 638–642. 16 Vgl. Waldenfels 2006, 9. 17 Vgl. Ringleben 2008, 219. Zur Bedeutung der Leiblichkeit in theologischer Perspektive vgl. Sauter 2008, 194–204.
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der personalen Individualität (1.) und der Leiblichkeit (2.) des Menschen.18 Ausgehend von der Feststellung, dass Sozialität zu den grundlegenden menschlichen Eigenschaften gehört, ist dann zu betonen, dass dies keine Vorordnung der Sozialität vor die Individualität bedeutet (3.), dass zwischen unausweichlicher Sozialität und kontingenten sozialen Beziehungen zu unterscheiden ist (4.) und dass elementare Sozialität gerade kein harmonistisches Gemeinschaftsmodell voraussetzt (5.). 1.) Personale Individualität und Sozialität. Friedman geht davon aus, dass menschliche Individuen ihre eigenen Interessen verfolgen. Der von ihm angenommene Vorrang der Individualität wird aber in Frage gestellt, nimmt man die Konstitution zielstrebiger Personalität in den Blick. Es zeigt sich dann, dass eine mehr als bloß formale Individualität immer intersubjektiv gebildet wird.19 Charles Taylor weist darauf hin, dass sich eine personale Identität, für die eine Vorstellung vom Guten essentiell ist, stets sprachlich vermittelt in sozialen Bezügen entwickelt. Individualität zeichnet sich daher nicht durch das Fehlen sozialer Bezüge aus, sondern dadurch, dass innerhalb sozialer Bezüge ein bestimmter Standpunkt eingenommen wird.20 Identität ist konstituiert durch die Kombination sozialer Rollen und damit verbundener Erwartungen. Zugeschriebene Rollen (z. B. Geschlecht, Herkunft aus einem bestimmten Milieu) machen deutlich, wie stark die individuelle Position immer schon von gesellschaftlichen Vorstellungen und Konventionen geprägt ist. Auch aktiv gewählte Rollen (je nach Gesellschaft z. B. Beruf, Familienstand oder Religionszugehörigkeit) zeigen, dass individuelle Wahlakte bezogen sind auf mögliche Rollen, die in einem sozialen Kontext vordefiniert sind. Die Gesellschaft ist eine Tatsache, der das Individuum 18 Ähnlich,
aber mit der fragwürdigen Voraussetzung zweier „Naturen“ begründet Johannes Messner die Sozialität des Menschen mit Verweis auf die „Geistnatur“ (Personalität) und „Leibnatur“ des Menschen (vgl. Messner 1958, 126 f.). 19 Vgl. Stock 1996, 227 f.; Fahrenbach 2000, 226. 20 Vgl. Taylor 1989, 27–40, bes. 35: „One is a self only among other selves. A self can never be described without reference to those who surround it. […] My self-definition is understood as an answer to the question Who I am. And this question finds its original sense in the interchange of speakers. I define who I am by defining where I speak from, in the family tree, in social space, in the geography of social statuses and functions, in my intimate relations to the ones I love, and also crucially in the space of moral and spiritual orientation within which my most important defining relations are lived out.“ Vgl. Kreuzer 1999, bes. 36–45, 205–211 (zu Taylors Kritik am Atomismus), 333–346 (zu einer Affirmation der These sprachlich vermittelter personaler Identität aus theologischer Perspektive). Vgl. dazu neben Taylor auch Habermas 2009, 15: „Sprach‑ und handlungsfähige Subjekte werden […] als Individuen allein dadurch konstituiert, daß sie als Mitglieder einer jeweils besonderen Sprachgemeinschaft in eine intersubjektiv geteilte Lebenswelt hineinwachsen. In kommunikativen Bildungsprozessen formen und erhalten sich die Identität des Einzelnen und des Kollektivs gleichursprünglich. […] Die Person bildet ein inneres Zentrum nur in dem Maße, wie sie sich zugleich an die kommunikativ hergestellten interpersonalen Beziehungen entäußert.“ Zur sozialen Konstitution des „Ich“ („I“) und des „Selbst“ („Me“) vgl. auch Pannenberg 1983, 151–217, bes. 215 f. sowie Berlin 1969, 155 f.
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nicht entkommen kann.21 Zugleich ist zu betonen, dass personale Individualität damit nicht in sozialen Rollen und Erwartungen auf‑ oder verlorengeht. Innerhalb des sozialen Gefüges kann das Individuum zwischen Rollen wählen und auf eigenständige Weise die Ausführung von Rollen gestalten bzw. Rollenerwartungen (teilweise) enttäuschen.22 Diese phänomenorientierten Überlegungen erscheinen so naheliegend, dass Friedmans Festhalten am Vorrang der Individualität überrascht. Eine Erklärung dafür kann sein soziokultureller Kontext sein. Der Gründungsmythos der USA erzählt von Individuen, die aus sozialen Zusammenhängen ausgebrochen sind und sich in der „Neuen Welt“ (!) zu freiwilligen Assoziationen zusammenschlossen. Auch diese Welt war jedoch nicht völlig neu, sondern geprägt von kollektiven Erfahrungen und Identitäten. Gerade die bis heute andauernde Wirkmächtigkeit dieser Ursprungserzählung belegt, wie stark schon die Vorstellung von Individualität durch die Einbettung in eine Gemeinschaft geprägt ist.23 2.) Leiblichkeit und Sozialität. Neben der stets sozial konstituierten Individualität weist auch die Leiblichkeit des Menschen auf seine Sozialität hin. Dies gilt zunächst im einfachen biologischen Sinne: Als körperliche Existenz verdankt sich menschliche Existenz biologischen Prozessen. Elementar ist daher die Beziehung zu den eigenen Eltern.24 Durch sie vermittelt sind Menschen aber auch bezogen auf die Menschheit als ganze und mit ihr den gesamten biologischen und physikalisch-chemischen Prozess, der zu ihrer Entstehung und Erhaltung erforderlich ist.25 Dies bietet der phänomenologischen Betrachtung einen Anknüpfungspunkt für die Sozialität des Menschen: Personale Existenz ist nur möglich im Modus der Leiblichkeit. Selbst‑ und Weltwahrnehmung ist stets vermittelt durch die eigene Leiblichkeit. Diese bedeutet immer auch ein 21 Vgl. Dahrendorf 1973, 28–33 (zur Konstituierung von Identität durch Verbindung verschiedener Rollen), 54 f. (zum Verhältnis zugeschriebener und erworbener Positionen). Ralf Dahrendorf bezeichnet die Gesellschaft als „ärgerliche Tatsache“ (Dahrendorf 1973, 18, 20, 36), ohne dass deutlich wird, worin das Ärgernis besteht. In dieser Bezeichnung spiegelt sich ein individualistisches Menschenbild wider, wonach Sozialität als Einschränkung des Menschseins verstanden wird, nicht als seine Möglichkeitsbedingung. 22 Vgl. Dahrendorf 1973, 34 f., 58, 84–96. Daher gilt für den homo sociologicus dasselbe wie für den homo oeconomicus: Er nimmt als heuristisches Konstrukt lediglich einen Aspekt des menschlichen Daseins in den Blick und eignet sich daher weder für eine Beschreibung des ganzen Menschen noch aller Phänomene menschlichen Zusammenlebens (vgl. Dahrendorf 1973, 17, 21). 23 Vgl. Taylor 1989, 39 f. 24 Zu einer Begründung der Sozialität des Menschen mit Verweis auf seine entwicklungsbiologische und ‑psychologische Verwiesenheit auf Familie und Gesellschaft vgl. Rauscher 2008b, 25 f. Auf die allgemeinen biologischen Strukturen des Menschseins stützt sich auch die Begründung der Sozialität des Menschen in der philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners (vgl. Klein 2010, 81–92). 25 Eine rassisch-völkische Verzeichnung der Sozialität des Menschen (vgl. Hirsch 1938, 234–237) ist daher mit den hier beschriebenen Konstitutionsbedingungen nicht vereinbar.
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Eingebettetsein in die Welt und ein Erkennbarsein für andere.26 Die Selbstwahrnehmung des Menschen als leibliche Person schließt daher immer die Erfahrung als ein Wesen ein, das nur bezogen auf andere existiert.27 3.) Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität. Mit Verweis auf die Konstitution personaler Individualität und die Erfahrung personaler Leiblichkeit wurde argumentiert, dass Sozialität eine konstitutive menschliche Eigenschaft ist. Friedmans Annahme einer logischen Vorordnung der Individualität vor die Sozialität erweist sich daher als nicht angemessen.28 Gegen ein naheliegendes Missverständnis ist hervorzuheben, dass dies nicht eine Vorordnung der Sozialität vor die Individualität bedeutet.29 Soziale Rollen existieren nicht unabhängig von individuellen Menschen, die Erwartungen an sie knüpfen und solchen, die sie übernehmen.30 Gerade die Erfahrung der Leiblichkeit ist nicht nur Erfahrung der Bezogenheit auf andere, sondern auch Erfahrung der Existenz in einem von anderen unterschiedenen Körper.31 Insofern sind Individualität und Sozialität gleichursprünglich. Keine der beiden Eigenschaften lässt sich auf die andere zurückführen. Die Betonung der sozialen Dimension menschlicher Existenz bedeutet also nicht, dass Friedmans auf Hayek zurückgehende Einsicht aufgegeben werden müsste, wonach soziale Institutionen stets durch eine Vielzahl individueller Handlungen begründet sind. Nur können letztere nicht so verstanden werden, als ob sie aus einem nicht-sozialen Zustand erst Vergemeinschaftung konstituieren. Die Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität hat Konsequenzen dafür, wie das menschliche Zusammenleben verstanden wird. Ferdinand Tönnies unterscheidet idealtypisch die Form der „Gemeinschaft“ und der „Gesellschaft“. „Gemeinschaft“ bezeichnet eine ursprüngliche Verbundenheit und eine gemeinsame Zielsetzung, wie Tönnies insbesondere in der Familie und der Volksgemeinschaft verwirklicht sieht. „Gesellschaft“ hingegen beschreibt einen Zusammenschluss selbständiger Individuen, die – etwa im Rahmen marktwirtschaftlicher Organisationen – ihre je eigenen Ziele verfolgen.32 Sobald jedoch eine der beiden Formen verwirklicht wird oder als Ideal gilt, wird entweder die Sozialität oder die Individualität des Menschen absolut gesetzt (im Kollektivis-
26 Vgl.
Merleau-Ponty 1966, bes. 508; Herms 2007d, 35. großen Bedeutung der Sozialität für das biblische Menschenbild, insbesondere in den beiden Schöpfungsberichten, vgl. Rauscher 2008a, 6. 28 Das gilt auch etwa für die These Nils O. Oermanns, eine Wirtschaftsethik aus protestantischer Perspektive habe „vom Individuum zum Gemeinschaftsbegriff [zu] kommen und nicht umgekehrt“ (Oermann 2007, 179; vgl. Oermann 2007, 55 f., 68). 29 Die von Friedman suggerierte Alternative „Individualismus oder Kollektivismus“ (vgl. CaF, 1 f.) ist also nicht zwingend. 30 Vgl. Dahrendorf 1973, 58 f. 31 Vgl. Coenen 1979, bes. 246, 259 f.; Huxel 2008, 220; Dierken 2011, 346 f. 32 Vgl. Tönnies 1970, 3–10, 40 f. sowie Bedford-Strohm 1999, 49–74. 27 Zur
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mus bzw. in der reinen Vertragsgesellschaft).33 Demgegenüber zeichnen sich alle Formen menschlichen Zusammenlebens sowohl durch den Aspekt der Freiwilligkeit als auch durch den Aspekt vorgegebener Bezogenheit aufeinander aus. Mit Heinrich Bedford-Strohm ist daher anzustreben, „in allen Formen von Sozialität die jeweiligen Anteile dessen zu erfassen, was bei Tönnies mit ‚Gemeinschaft‘ und ‚Gesellschaft‘ bezeichnet wird.“34 Welches Gewicht den beiden Anteilen zukommt, charakterisiert die jeweiligen Formen des Zusammenlebens. So wird beispielsweise eine Familie in der Regel stärker Züge einer Gemeinschaft aufweisen als ein Unternehmen. Beide Bereiche sind nicht diastatisch zu trennen, können aber als polare Größen helfen, soziale Dynamiken zu verstehen.35 4.) Sozialität und soziale Beziehungen. Die vorangehenden Überlegungen bedeuten, dass für menschliche Existenz Sozialität konstitutiv ist, nicht jedoch bestimmte Formen sozialer Beziehungen. Keineswegs geht aus den Überlegungen hervor, in welcher Form Menschen ihr Zusammenleben gestalten, welchen rechtlichen Rahmen sie diesem geben und ob dabei eine Verpflichtung gegenüber anderen (den eigenen Eltern, der eigenen Nation oder „dem Nächsten“) angenommen oder wahrgenommen wird. Bei konkreten sozialen Beziehungen handelt es sich um kontingente Ausgestaltungen der universalen Sozialität des Menschen.36 Zur Personalität des Menschen gehört die Fähigkeit, die eigene Situation bewusst wahrzunehmen. Dies schließt die Möglichkeit ein, sich von den konkret gegebenen sozialen Beziehungen kritisch zu distanzieren. Die These konstitutiver Sozialität darf nicht mit einer sozialkonservativen Affirmation bestehender Beziehungen verwechselt werden. Vielmehr entspricht es der Personalität des Menschen, dass er auch seine Sozialbeziehungen aktiv wählt und
33 Vgl. Messner 1958, 132–135: Rauscher 2008b, 31–38. Der Kollektivismus widerspricht der Eigenschaft der Personalität und den ihr entsprechenden Freiheitsrechten (vgl. dazu unten Kap. 3). 34 Bedford-Strohm 1999, 72. 35 Diese Überlegungen erinnern an die Möglichkeit, die Familie bei Friedman als Teil eines von der Öffentlichkeit unterschiedenen Privatbereiches zu interpretieren (vgl. oben 91). Allerdings ist die Unterscheidung nicht identisch. Für Friedman fallen Familie und Unternehmen gleichermaßen in den Bereich des Freiwilllig-Privaten, dessen Gegensatz der Öffentlich-Verpflichtende bildet. 36 Vgl. Rendtorff 1980, 89: „Das Strukturmerkmal der Sozialität ist aber nicht identisch mit dem historischen Charakter einer bestimmten Gesellschaftsentwicklung. Im Blick auf jede bestimmte Gesellschaft gilt vielmehr der Grundsatz: Der Mensch geht im Vorhandenen nicht auf, und das gerade auch hinsichtlich seiner Sozialität. […] Freiheit schließt durchaus soziale Abhängigkeit ein; aber die bestimmten, historisch namhaft zu machenden Abhängigkeiten sind keine letztgültige Definition menschlicher Sozialität.“ Ähnlich argumentiert Dietz Lange, der außerdem zu Recht darauf hinweist, dass zu den Bedingungen menschlichen Daseins außerdem gehört, dass die Sozialität in irgendeiner Form institutionell geordnet wird (vgl. Lange 1992, 321). Wie die Struktur gesellschaftlichen Zusammenlebens gestaltet wird, ist hingegen von Menschen beeinflussbar und eben deshalb Gegenstand sozialethischer Überlegungen (vgl. Korff 1999b, 213).
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gestaltet.37 Insofern ist gegenüber kommunitaristischen Gemeinschaftskonzepten auch der Aspekt persönlicher Wahl positiv zu würdigen. Zugleich bleibt zu berücksichtigen, dass die Zugehörigkeit zu bestimmten Gemeinschaften wie der Familie oder der ethnischen Gemeinschaft zwar gestaltet, aber nicht aufgelöst werden kann.38 5.) Sozialität und Konflikt. Wenn Menschen immer schon in Beziehungen leben, heißt dies, dass sie nicht nur über ihre eigene Situation Entscheidungen fällen, sondern dass davon immer auch das Zusammenleben mit anderen betroffen ist. Friedman geht unter der Voraussetzung sekundärer Sozialität davon aus, dass Individuen erst dann interagieren, wenn beide einen Nutzen davon erwarten. Unter der Bedingung der Freiwilligkeit kommt es so zu einem Ausgleich von Interessen. Geht man jedoch von der Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität aus, erweist sich die Vorstellung, das „Verhältnis von Käufern und Verkäufern [sei die] elementare[] Sozialrelation“39 als Illusion. Stattdessen ist immer schon mit der Möglichkeit von Interessenkonflikten zu rechnen, die nach einem Ausgleich suchen.40 Das Festhalten an der Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität bedeutet also gerade nicht, die daraus erwachsenen Spannungen harmonistisch aufzulösen, sondern sie als für das menschliche Dasein wesenhaft anzuerkennen.41 37 Sowohl die aktive Wahl neuer als auch die Beibehaltung oder Veränderung bestehender Beziehungen oder Institutionengefüge hat sich als menschlicher Wahlakt am Kriterium des Menschengerechten zu orientieren. Die Loyalität und Solidarität mit konkreten Gemeinschaften (z. B. der eigenen Volksgemeinschaft oder der lokalen politischen Gemeinschaft) ist außerdem anhand der Richtlinie der Universalisierbarkeit und unter Berücksichtigung der Bezogenheit auf die menschliche Gattung zu relativieren (vgl. Gotlind Ulshöfers Kritik am Ansatz von Herman E. Daly und John B. Cobb: Ulshöfer 2001, 313–315). Damit ist eine Position ausgeschlossen, die den konkreten geschichtlichen Begebenheiten selbst normative Verbindlichkeit zuerkennt. In der evangelischen Theologie hat dies etwa Emanuel Hirsch vertreten. Vgl. Hirsch 1938, 217: „Das uns Gesetzte ist uns unmittelbar da in dem Anspruch der geschichtlichen Gemeinschaft, daß wir ihr mit dem, was wir sind und haben, dienen und ihr uns einordnen“. 1966 hatte er diese Ansicht zwar dem Grundsatz nach aufgegeben (vgl. Hirsch 1966, 22), aber dennoch nicht hinter sich gelassen (vgl. Hirsch 1966, 243 f.): „Echte persönliche Gewissenhaftigkeit nimmt das sie umschließende politisch-wirtschaftliche gesellschaftliche Dasein stille als ein ihr vom Ewigen gefügtes Lebensgesetz hin.“ 38 Vgl. Kreuzer 1999, 235–244; Bedford-Strohm 1999, 394–398. 39 Vogl 2011, 48. 40 Vgl. Vogt 2004, 6. Zu denken ist etwa an Ansprüche auf Zugang zu gemeinsam genutzten Ressourcen. Auch Debatten über die gesetzliche Regelung der Feiertagsruhe (z. B. Tanzverbot an Karfreitag) lassen sich darauf zurückführen, dass unter der Bedingung von Sozialität verschiedene legitime Interessen in Konflikt geraten können. 41 Vor einer Homogenisierung im Horizont menschlicher Relationalität warnt Graf 1992, 130 f. Aus dem berechtigten Hinweis darauf, die irreduzible Verschiedenheit der Menschen zu wahren und zu achten, folgt jedoch nach der hier vorgetragenen Argumentation kein Plädoyer für den Vorrang der Individualität. Graf fährt in seiner Argumentation fort (Graf 1992, 132): „In dieser Unhintergehbarkeit des Individuellen liegt das Wahrheitsmoment eines prinzipiellen Individualismus. Dieser prinzipielle Individualismus ist kein Postulat, keine Sollensforderung. Er stellt vielmehr die Beschreibung eines elementaren sozialen Sachverhaltes dar.“ Dem ist zu-
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2.1.4 Die Relationalität des Menschen Aus den dargestellten Eigenschaften Personalität, Leiblichkeit und Sozialität ergibt sich, dass menschliches Dasein immer ein Dasein in Beziehungen ist. Die Relationalität des Menschen tritt nicht als eine weitere Eigenschaft zu den zuvor beschriebenen hinzu, sondern ergibt sich aus ihnen. Menschliche Aktivität vollzieht sich stets unter der Voraussetzung eines Beziehungsgefüges, das nicht selbst durch Handeln geschaffen wird.42 Entsprechend soll hier expliziert werden, in welchen Bezogenheiten personale, leibliche Menschen immer schon stehen.43 1.) Die Bezogenheit des Menschen auf sich selbst. Als selbstbewusste Personen leben Menschen in einem Wissen um sich selbst, ihre Situation in der Welt.44 2.) Die Bezogenheit des Menschen auf seine Umwelt. Als leibliche Personen sind Menschen nicht isoliert von ihrer Umwelt. Ihre Existenz ist bezogen auf und bedingt durch biologische und physische Prozesse (die apersonale Umwelt) sowie auf andere Menschen und soziale Institutionen (die soziale Umwelt).45 3.) Die Bezogenheit des Menschen auf die Welt. Personen haben auch die Fähigkeit, sich von den aktuellen Gegebenheiten kritisch zu distanzieren. Dies setzt voraus, dass sie neben der unmittelbar gegebenen Situation auch mögliche Gestaltungen der Wirklichkeit wahrnehmen. Die Bedingungen, unter denen alles menschliche Sein steht, schränken diese Möglichkeiten ein, eröffnen sie zustimmen, sofern deutlich bleibt, dass hier ein elementarer sozialer (!) Sachverhalt beschrieben wird und es daher um ein Wahrheitsmoment geht. Der prinzipielle Individualismus leistet aber keine umfassende, angemessen differenzierte Beschreibung der menschlichen Grundsituation. 42 Vgl. Fahrenbach 2000, 220: „Nun kann die zentrale Bedeutung der praktischen Verhaltensarten für die Genese und Konstitution der menschlichen Lebensform […] natürlich nicht bestritten werden. Dies berechtigt aber nicht dazu, Handeln selbst als die grundlegende anthropologische Basisbestimmung anzunehmen. Diese Funktion kann vielmehr nur die Basisstruktur des Sich-Verhaltens in und zu Verhältnissen in ihrer strukturellen und relationalen Differenzierung erfüllen; und diese schließt Formen des Handelns als bestimmte Arten praktischen Sich-Verhaltens ein, fällt aber damit nicht zusammen, sondern bleibt für diese strukturell grundlegend und umfassend.“ 43 Von diesen elementaren Bezogenheiten unterschieden sind konkrete Beziehungen, die Menschen durch ihr Handeln und Wählen begründen können (vgl. Härle 2001, 142). Bei der Darstellung des elementaren Beziehungsgefüges folge ich dem Vorschlag Eilert Herms’, der ein vierstelliges Relationsgefüge beschreibt. Sein Vorzug besteht darin, dass mit der Bezogenheit auf die Welt der Möglichkeitsraum menschlicher Freiheit eigens betont wird (vgl. Herms 2007b, 3–8 sowie in der Sache identisch Knuth 2001, 37–44). Vergleichbare Beschreibungen der menschlichen Relationalität finden sich in großer Zahl, beispielsweise (in Klammern die jeweiligen Relate, wobei insbesondere „Welt“ unterschiedlich gebraucht wird): Thielicke 1965, 15–25 (Selbst, Du, Welt); Fahrenbach 2000, 214–217 (Selbst, Lebenswelt, Welt); Rich 1991, 41–49 (Selbst, Du/Ihr, Es); Lange 1992, 227–234 (Selbst, andere Menschen, Welt); Stock 1996, 225–229 (Selbst, Welt, Gott). 44 Vgl. Thielicke 1965, 15–17 unter Rückgriff auf Heidegger. 45 Die Herausforderungen, die sich für die Ethik aus der Einbindung des Menschen in die Natur und dem komplexen Zusammenspiel ökonomischer, ökologischer und sozialer Faktoren ergeben, beschreibt Markus Vogt in Anschluss an Wilhelm Korff unter dem Stichwort der „Retinität“ (vgl. Vogt 1996, 168–174; Vogt 2009, 347–357).
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aber zugleich. Die Bezogenheit des Menschen auf die „Welt“ als ganze bringt die Bezogenheit des Menschen auf einen ihm vorgegebenen Möglichkeitsraum zum Ausdruck. 4.) Die Bezogenheit des Menschen auf den Ursprungs des Beziehungsgefüges. Als Personen finden sich Menschen immer schon im beschriebenen Beziehungsgefüge vor. Sie haben weder sich selbst noch die für ihre eigene Existenz konstitutiven Relate selbst hervorgebracht. Das gleiche gilt für alle gleichartigen Wesen innerhalb der Welt. Insofern ist das Beziehungsgefüge als Ganzes bezogen auf seinen transzendenten Ursprung. Dies ist Gegenstand religiöser und theologischer Rede von Gott dem Schöpfer.46 2.1.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position Friedman betont zu Recht, dass Individualität ein wesentliches Merkmal menschlicher Existenz ist und zugleich eine normative Dimension hat. Es hat sich aber gezeigt, dass Friedman – weitgehend ohne argumentative Begründung – von einer Vorordnung der Individualität vor die Sozialität ausgeht. Dabei blendet er seine eigene Einsicht in die Bedeutung familiärer Strukturen aus. Dieses Vorgehen kann unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung individueller Identität und der Leiblichkeit des Menschen nicht überzeugen. Stattdessen ist von einer Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität auszugehen. Der Mensch erscheint damit als ein Wesen, für das die Bezogenheit auf sich selbst, seine physische und soziale Umwelt, die Welt als Möglichkeitsraum seines Seins und den Ursprung dieses Beziehungsgefüges konstitutiv ist. Die Vorstellung einer harmonischen Ausgangssituation mehrerer Robinsons, die zu gegenseitigem Vorteil in Beziehung zueinander treten, weicht so einem realistischeren Bild des Menschen, der immer schon in Kooperation und Konflikt mit anderen lebt. Freiheits‑ und Institutionentheorie müssen diese Ausgangssituation ernst nehmen und können nicht von einer ursprünglich konfliktfreien Situation ausgehen. Des Weiteren verdeutlicht die konstitutive Bezogenheit des Menschen auf seine physische und soziale Umwelt, dass menschliches Handeln nie isoliert betrachtet werden kann. Es hat immer Folgen für andere, die bei seiner Beurteilung berücksichtigt werden müssen. 46 Vgl. Bultmann 1958, 291: „ In der Sprache der Religion ist das Innewerden einer jenseitigen Autorität, einer im Jenseitigen begründeten Ordnung, der Glaube an Gott den Schöpfer.“ Christoph Schwöbel weist darauf hin, dass aus Perspektive der christlichen Theologie alle Dimensionen der menschlichen Relationalität von der Beziehung des dreieinigen Gottes zur Menschheit her verstanden werden (vgl. Schwöbel 2002b, 194–197). Seine Ausführungen sind hier insofern von Relevanz, als die dargestellte vierstellige Relationalität des Menschen sich nicht objektiv aus seiner Seinsstruktur ablesen lässt, sondern diese Seinsstruktur so beschreibt, wie sie im Lichte einer durch den christlichen Glauben erschlossenen Wahrnehmung der Wirklichkeit erscheint (vgl. Schwöbel 2002b, 197–199).
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Die elementare Relationalität des Menschen bedeutet, dass menschliche Freiheit immer schon durch dieses Beziehungsgefüge bedingt (nicht bestimmt!) ist, was bei der Entwicklung einer phänomengerechten Freiheitstheorie (also in Kapitel 3) zu berücksichtigen und näher zu entfalten sein wird.47 Zuvor soll jedoch Friedmans (neben dem Individualismus) zweite anthropologische Annahme diskutiert werden: dass der Mensch in allem, was er tut, seinen eigenen Nutzen verfolgt.
2.2 Der Mensch als Nutzenmaximierer: Verkürzte Auffassung des menschlichen Strebens Neben dem Individualismus ist die These, dass Menschen immer ihr Eigeninteresse verfolgen, die zweite anthropologische Grundannahme in Friedmans Argumentation. Auch diese soll nun kritisch diskutiert werden. Dabei wird zunächst gefragt, inwiefern diese Annahme in ihrer Grundstruktur überzeugen kann. Das betrifft die allgemeine Annahme der Eigennutzmaximierung ebenso wie die weitergehende Annahme, dass Menschen in der Regel ihren materiellen Eigennutzen im engen Sinne verfolgen und daher dieses Streben verallgemeinert werden kann (2.2.1). Ein weiterer Abschnitt weist darauf hin, dass Friedman in seiner Argumentation nicht thematisiert, wie sich das Eigeninteresse eines Menschen entwickelt und damit eine entscheidende Dimension weitgehend ausblendet (2.2.2). Die folgenden Abschnitte diskutieren dann, ob Menschen tatsächlich in allen Handlungen ihr Eigeninteresse verfolgen. Dazu ist zu klären, ob Menschen auch entgegen ihren faktischen Zielen handeln können (2.2.3) und ob sie in einem existenziellen Sinne über ihre wahren Ziele irren können (2.2.4). Abschließend wird gefragt, wie sich das Streben des Menschen nach Eigeninteresse zu ihrer Personalität und ihrer inneren Freiheit verhält (2.2.5). 2.2.1 Nutzenmaximierung: Zirkuläre Argumentation, problematische Verallgemeinerung und Grenzen des ökonomischen Imperialismus 1.) Streben Menschen immer nach ihrem Eigeninteresse? Friedman versteht menschliche Aktivitäten48 stets als Verfolgen von Eigeninteresse im weiten Sinne. Letztlich sind für ihn alle Handlungen bis hin zu Märtyrertod und Suizid ausgerichtet auf das jeweilige Eigeninteresse. Es konnte bereits gezeigt werden, dass dies letztlich eine zirkuläre Argumentation voraussetzt, da erst von der be47 Vgl. unten 3.1 Die Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung in geschöpflicher Freiheit. 48 Die Begriffe „Handlungen“ und „Aktivitäten“ werden hier synonym gebraucht. Sie umfassen alles menschliche Tun unabhängig davon, ob es als (bewusstes oder freies) Handeln oder (unbewusstes oder unfreies) Verhalten verstanden wird.
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obachteten Handlung aus das Eigeninteresse inhaltlich bestimmt wird. Sie ist als solche nicht widerlegbar und trägt nicht zur Prognosefähigkeit bei. Damit bekommt Friedmans Vorgehen einen tautologischen Charakter der gleichen Art, wie sie schon John Stuart Mill in seiner Auseinandersetzung mit Jeremy Bentham herausgestellt hat: Jeder Handlungsimpuls setzt ein Interesse voraus, das, da es ein eigener Handlungsimpuls ist, sich in irgendeiner Form auch als Eigen-Interesse beschreiben lassen muss. Die These, Menschen verfolgten stets ihr Interesse, wird damit zur letztlich trivialen Aussage, dass Menschen stets das tun, wonach ihnen gerade der Sinn steht.49 Dennoch ist es keine triviale Feststellung, dass Menschen mit ihrem Tun eines oder mehrere Ziele verfolgen. Friedman steht damit in einer reichen Tradition. Seit der Antike wird in Philosophie (Plato, Aristoteles) und Theologie (Augustin, Thomas v. Aquin) menschliche Aktivität als ein „Streben“ beschrieben und damit seine Zielgerichtetheit zum Ausdruck gebracht.50 Allerdings bleibt die Beschreibung so allgemein, dass sie nicht über die wenig kontroverse Feststellung hinausgeht, dass menschliches Handeln intentional ist. Auffallend ist, dass Friedman für das Ziel des Strebens den Begriff „self-interest“ verwendet anstelle des in der aristotelischen Tradition üblichen Begriff „das Gute“.51 Dies kann Engführungen begünstigen, die im Folgenden zu diskutieren sind. Der Begriff „self-interest“ hat jedoch insofern eine Berechtigung, als Menschen stets nach dem streben, was sie subjektiv als gut erachten.52 Ob Menschen stets ihr Eigeninteresse verfolgen, ist eine formale Frage dahingehend, wie menschliches Tun beschrieben wird. Mit ihrer Bejahung, ist weder eine Aussage darüber getroffen, wonach Menschen in der Regel streben, noch 49 Vgl.
Mill 1969, 12–14. Schon vor John Stuart Mills Kritik an Bentham hatte 1829 Thomas Babington Macaulay dessen Vater James Mill gegenüber denselben Vorwurf geäußert (vgl. Macaulay 1998, 141): „This truism the Utilitarians proclaim with as much pride as if it were new, and as much zeal as if it were important. But in fact, when explained, it means only that men, if they can, will do as they choose. […] In fact, this principle is just as recondite and just as important as the great truth that whatever is, is. [… I]t is equally idle to attribute any importance to a proposition which, when interpreted, means only that a man had rather do what he had rather do.“ Der Sache nach findet sich das Argument bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts in einer Predigt des anglikanischen Bischof Joseph Butler (vgl. Butler 1970, 100 f.): „Every particular affection, even the love of our neighbour, is as really our own affection, as self-love; and the pleasure arising from its gratification is as much my own pleasure, as the pleasure self-love would have […] And if, because every particular affection is a man’s own, and the pleasure arising from its gratification his own pleasure […], such particular affection must be called self-love; according to this way of speaking, no creature whatever can possibly act but merely from self-love“. 50 Vgl. Stock 2008, 176 f. Auch das Alte Testament kennt diesen Gedanken. Der hebräische Begriff „näpäš“ steht hier sowohl für die menschliche Person selbst als auch für ihr Streben oder Begehren (vgl. Wolff 1977, 33–48). 51 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, I,1 (Aristoteles 1956, 17): „Daher hat man sehr richtig das Gute als das hingestellt, wonach alles strebt.“ 52 Vgl. Luther, Der Große Katechismus, Das erste Gepot (Luther 1910, 133): „Worauff du nu (sage ich) Dein hertz hengest und verlessest, das ist eygentlich dein Gott.“
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darüber wonach sie streben sollten. Fruchtbarer erscheint es zu fragen, ob Friedman die Art und Weise, wie Menschen ihr Eigeninteresse verfolgen, angemessen beschreibt.53 Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen. 2.) Ist die Unterscheidung zwischen Eigeninteresse im weiten und Eigennutzen im engen Sinne sinnvoll? Friedman differenziert seine These vom universalen Streben nach Eigeninteresse, indem er zwischen „egoistischen“ und „breiten“ Zielen unterscheidet. Im Rahmen einer ethischen Theorie kann dies so reformuliert werden: Menschen streben stets nach Gütern. Es ist jedoch durchaus möglich und sinnvoll, danach zu fragen, wem die angestrebten Güter zugute kommen und um was für eine Art Güter es sich handelt.54 Der Vorteil von Friedmans Unterscheidung zwischen egoistischen und breiten Interessen ist es, dass sie es erlaubt, an der Gemeinsamkeit und der Differenz unterschiedlicher Güterarten festzuhalten. Einerseits werden alle Güter erst dadurch zu Gütern, dass Menschen ihnen Wert beimessen. Insofern liegt ihre Gemeinsamkeit darin, dass es sich um etwas Angestrebtes handelt. Andererseits ist es ein Unterschied, ob etwas als Mittel zum Lustgewinn55 angestrebt wird oder aus der Überzeugung, es handle sich dabei um „das Richtige“.56 Eine Präferenz für Ehrlichkeit ist zu unterscheiden von einer Präferenz für Erdnussbutter.57 Grund der Gemeinsamkeit und Differenz ist, dass alle Formen des Strebens von der Attraktion durch einen Gegenstand oder Zustand ausgehen, dass aber zugleich verschiedene Formen der Attraktion unterschieden werden können.58 Nur deswegen kann es auch zu Zielkonflikten kommen, bei denen ein Verzicht auf Lustgewinn aus Gründen moralischer Überzeugungen erwogen wird. Auch ein Handeln in Übereinstimmung mit moralischen Gewissheiten ist mit dem Gefühl der Befriedigung verbunden. Dennoch kann ein Unterschied festgestellt werden zwischen dem Verzicht auf eine Gehaltserhöhung zugunsten eines neuen Dienstwagens und dem Verzicht auf eine Gehaltserhöhung, die nur durch Sagen der Unwahrheit erhalten werden könnte. Eigeninteresse kann sich also auf verschiedene Arten von Gütern richten. Diese Güter unterscheiden sich u. a. dadurch, dass sie entweder zum persönlichen Lustgewinn – also als Eigennutzen – angestrebt werden, oder aus anderen 53 Strittig sind in der ethischen Diskussion beispielsweise folgende Fragen: Können Menschen über das von ihnen verfolgte Ziel selbst entscheiden oder sind sie in dieser Hinsicht unfrei? Ist jedes beliebige Ziel moralisch legitim oder ist den Menschen durch Vernunft, Natur oder Gott ein Ziel vorgegebenen, das auch verfehlt werden kann? Verfolgen Menschen ihr Ziel „automatisch“ oder können sie beim Verfolgen ihres Zieles fehlgehen? 54 Vgl. Butler 1970, 103–109. Butler betont zu Recht, dass Selbstliebe und Nächstenliebe unterschieden werden können und müssen, auch wenn sie nicht gegensätzlich sind. 55 Egoistische Interessen lassen sich auch bei Friedman nicht auf ein Streben nach materiellen Gütern reduzieren (vgl. oben 83). Auch die Möglichkeit, über Statussymbole, Freizeit oder Sicherheit zu verfügen, kann darunter gefasst werden. 56 Vgl. Etzioni 1993b, 111 f. 57 Vgl. McPherson 1984, 243. 58 Vgl. Hume, A Treatise of Human Nature III,1.2 (Hume 1896, 471).
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Gründen, etwa aus Altruismus oder dem Streben nach moralischer Integrität.59 Problematisch am Begriff „Eigeninteresse“ ist, dass er entweder missverständlich ist oder tendenziös eine Engführung auf Eigennutzen im engen Sinne befördert. Dieser Tendenz soll nun weiter nachgegangen werden. 3.) Verfolgen Menschen meistens ihren Eigennutzen im engen Sinne? Die zirkuläre Annahme, dass Menschen immer ihr Eigeninteresse verfolgen, erlaubt weder Prognosen im Sinne positiver Wissenschaft noch normative Folgerungen. Aus argumentationslogischen Gründen ist es erforderlich, die Annahme dahingehend zu präzisieren, was für Güter angestrebt werden. Es hat sich gezeigt, dass Friedman einerseits eine große Bandbreite möglicher Ziele einräumt. In seiner Staatstheorie setzt er eine verbreitete Moralität voraus, die über das Verfolgen eines aufgeklärten Eigeninteresses hinausgeht. Darüber hinaus kann er davon sprechen, dass alle Menschen ein gewisses Interesse daran haben, notleidende Mitmenschen zu unterstützen, und verweist selbst auf das große Maß freiwillig geleisteter Unterstützung. Andererseits aber geht er davon aus, dass Menschen im Normalfall einen Eigennutzen im engen, egoistischen Sinne verfolgen. Ist diese These überzeugend? Die beiden Annahmen über menschliches Eigeninteresse stehen jedenfalls nicht notwendigerweise in einem Widerspruch zueinander. Friedmans Position lässt sich konsistent so beschreiben, dass Menschen meistens, aber eben nicht ausschließlich ihren eigenen Nutzen im engeren Sinne anstreben. Letzteres verdient jedoch eine größere Akzentuierung, als dies bei Friedman der Fall ist. Einerseits sind Menschen nachweislich auch bereit, selbst Verzicht zugunsten anderer zu leisten, weisen also altruistische Verhaltensweisen auf. Insbesondere vernachlässigt Friedman vor seinem individualistischen Denkhorizont jedoch soziale Präferenzen. Da Menschen immer in sozialen Bezügen leben, beurteilen sie ihre eigene Situation nicht isoliert von anderen. Soziale Güter wie Status oder Anerkennung können für Individuen eine große Bedeutung haben und gewinnen ihren Reiz gerade dadurch, dass andere Menschen sie nicht 59 Zwischen Altruismus und dem Streben nach moralischer Integrität ist zu unterscheiden. Einerseits kann es auch moralische Gründe geben, die nicht altruistisch sind. So kann etwa der Verzicht auf Genuss durch den Verzehr von Fleisch einer bestimmten Tiergattung als religiöses Gebot befolgt werden, ohne dass hierbei das Wohl eines anderen Menschen verfolgt wird. Insofern kann es Handlungen geben, die nicht dem Eigennutzen dienen, aber auch nicht altruistisch sind. Andererseits ist auch nicht jede Form des Altruismus zwangsläufig als moralisch vorzugswürdig zu beurteilen. Altruismus begegnet auch in fragwürdigen Handlungsmustern, die etwa die völlige Selbstaufgabe oder einen diskriminierenden Einsatz für das eigene Volk verlangen. Es sei außerdem darauf hingewiesen, dass der Begriff „Altruismus“ in dieser Arbeit in einer schwachen Form verwendet wird. Demnach verlangt er nicht, dass ausschließlich die Interessen anderer Menschen handlungsleitend sind und eigene Interessen völlig vernachlässigt werden. Stattdessen reicht es aus, dass den Interessen anderer ein eigenes Gewicht in der Güterabwägung zukommt. Dass sie ein eigenes Gewicht bekommen, unterscheidet dieses Verständnis von einem strategischen Altruismus, der prosoziales Verhalten durch ein vernünftiges Streben nach Eigennutzen begründet. Der Begriff beschreibt hier also „externe Präferenzen“ im Unterschied zu „persönlichen (auf das Individuum selbst gerichtete) Präferenzen“ im Sinne Dworkins. Beide Arten von Präferenzen können gemeinsam auftreten (vgl. Dworkin 1978, 234).
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haben.60 Für diese Einwände sprechen zahlreiche Forschungsergebnisse aus dem Bereich der experimentellen Ökonomik.61 In künstlich erzeugten Laborsituationen lassen sich soziale Präferenzen für wechselseitige Fairness (reciprocity), für Gleichverteilung (inequity aversion) und bedingungslosen Altruismus nachweisen.62 Dies schließt ein, dass Menschen bereit sind, selbst finanzielle Nachteile in Kauf zu nehmen, um soziale Normen zu stabilisieren.63 Soziale Präferenzen lassen sich aber auch jenseits der Laborsituation anhand der Analyse von Daten aus der realen Arbeitswelt nachweisen.64 Diese Forschungsansätze liefern empirisch gesicherte Hinweise darauf, dass es problematisch ist, Menschen im allgemeinen ein zu enges Verständnis ihres eigenen Nutzens zu unterstellen. Sowohl die experimentelle Vorgehensweisen als auch die Erhebung von Daten aus der Arbeitswelt leiden jedoch darunter, dass die gewählte Methodik auf relativ eng begrenzte Anreize fokussiert bleibt. Dadurch, dass eine empirische Außenperspektive auf menschliche Aktivitäten gewählt wird, kann nach Motiven nicht gefragt werden. Damit bleibt unklar, inwiefern das beobachtete prosoziale Verhalten tatsächlich als Altruismus beschrieben werden kann.65 Die Deutung gewinnt aber gerade dadurch an Plausibilität, dass sich empirische Daten mit Alltagserfahrungen ergänzen. So lassen sich auch gewöhnliche Phänomene wie die Pflege eines an Alzheimer erkrankten 60 Vgl.
Berlin 1969, 154–156.
61 Zu einem allgemeinen Überblick über Arbeiten und Ergebnisse der experimentellen Öko-
nomik vgl. Plott 2008. Zu Ergebnissen über die Altruismus-Forschung, Verbindungen zur Neurobiologie sowie einer kritischen Diskussion der Aussagekraft von Ergebnissen der experimentellen Ökonomik vgl. Klein 2010, 95–180. 62 Vgl. Fehr und Fischbacher 2002, C2–C4 (dort auch umfassende Hinweise auf die empirischen Studien). Im sog. „Ultimatumspiel“ kann Spieler A einen vorgegebenen Geldbetrag zwischen sich selbst und Spieler B aufteilen. Stimmt B der Verteilung zu, erhalten beide den entsprechenden Betrag, andernfalls erhalten beide nichts (vgl. Güth et al. 1982). Unter Absehung sozialer Präferenzen käme es zu einer extremen Verteilung, da B selbst dann besser gestellt ist als vorher, wenn er einen nur marginalen Betrag annimmt. Dass dies nicht der Fall ist weist darauf hin, dass Spieler einen Sinn für Fairness (eine Präferenz für Reziprozität) haben und zu dessen Gunsten auch auf materielle Besserstellung verzichten (vgl. Fehr und Fischbacher 2002, C5 f.). Im Fall des Diktatorspiels entfällt die Möglichkeit für Spieler B, das Angebot abzulehnen. Dass dennoch die Mehrzahl der Spieler A nicht unerhebliche Beträge an Spieler B weitergaben, wird als Beleg für altruistisches Verhalten gesehen (vgl. Klein 2010, 151 f.). 63 Vgl Klein 2011, 68–72. 64 Vgl. Bandiera et al. 2005. Die Autoren beziehen sich auf das Verhalten von Arbeitnehmern eines landwirtschaftlichen Betriebs unter verschiedenen Entlohnungssystemen. Die Arbeiter berücksichtigen negative Effekte auf den Lohn ihrer Kollegen, auch wenn das ihren eigenen Lohn verringert. Allerdings lässt sich ein entsprechendes Verhalten nur feststellen, wenn sich die Arbeiter gegenseitig überwachen. Die Autoren interpretieren es daher als „reziproken Altruismus“. Damit ist einerseits dem Paradigma des engen Eigennutzens nicht fundamental widersprochen. Andererseits zeigt sich, dass eine Lohnkalkulation, die soziale Präferenzen nicht berücksichtigt, unrealistisch ist und zu suboptimalen Ergebnissen führt (vgl. Bandiera et al. 2005, 950–952, 955 f.). 65 Vgl. Klein 2010, 176 ff.
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Angehörigen oder das anonyme Zurückgeben gefundener Geldbeträge kaum mit egoistischen Motiven erklären.66 Zugleich sollten die Hinweise auf altruistisches und an Moralvorstellungen orientiertes Verhalten nicht überbewertet werden. Empirische Daten67 ebenso wie die Alltagserfahrung weisen auch darauf hin, dass Menschen wenn nicht fast immer, so doch in erheblichem Maße auch von egoistischen Motiven geleitet werden. Gerade die lutherische Tradition zeichnet sich hier durch ein eher pessimistisches Menschenbild aus.68 Altruistische Handlungsweisen sind verbreiteter, als es Friedmans Darstellung suggeriert. Im Grundsatz ist ihm jedoch zuzustimmen: Menschen sind fähig zu Altruismus, sie neigen aber zum Egoismus. Mit egoistischem Verhalten ist also immer zu rechnen, wenn man es mit Menschen zu tun hat.69 4.) Ist die Verallgemeinerung des Strebens nach Eigennutzen sinnvoll? In seiner Argumentation geht Friedman über diese Präzisierung der Eigeninteresse-These noch hinaus. Aus der Dominanz eigennützigen Verhaltens schließt er, dass eine auf alle Bereiche menschlichen Lebens anwendbare ökonomische Analyse von altruistischem Verhalten absehen kann. Es hat sich gezeigt, dass er selbst diesen Ansatz – etwa bei der Frage, wie es zur Etablierung eines freiheitlichen Systems kommt – nicht durchhalten kann. Auch Friedmans eigenes Verhalten lässt sich kaum durch die von ihm vorgeschlagene ökonomische Analyse erklären: Es ist davon auszugehen, dass Friedman seine Position aus Überzeugung vertritt und nicht aufgrund der Tatsache, dass er durch sie Gewinne erwirtschaften kann.70 Damit ist aber die von Friedman praktizierte imperialistische Anwendung der ökonomischen Methode fragwürdig geworden. Wo er alles Handeln des Menschen nur als Verfolgen von Eigennutzen im engen Sinne auffasst, bedient er sich faktisch einer reduktionistischen Anthropologie. Damit gerät er in Widerspruch zu seiner eigentlich reicheren Sicht menschlichen Lebens.71 Diese Reduktion ist 66 Vgl. Etzioni 1993b, 118. Der z. B. in der Soziobiologie unternommene Versuch, alle Formen altruistischen Verhaltens pauschal als „reziproken Altruismus“ – also als strategisches Verfolgen des eigenen Nutzens – zu erklären (vgl. z. B. Alexander 1987, bes. 84–88, 117–121), basiert seinerseits auf reduktionistischen Leitannahmen, die denen Friedmans ähneln. Die Herkunft des Begriffes aus der Evolutionstheorie (vgl. Trivers 1985, 47–49) zeigt bereits an, dass hier ein Konzept von Altruismus vorliegt, wonach dieser letztlich auf den eigenen Vorteil ausgerichtet ist. 67 Vgl. Fehr und Fischbacher 2002, C4. 68 Vgl. z. B. Luther, An die Pfarrherrn (Luther 1914, 404). 69 Vgl. Dietz 2005, 257 f.; Klein 2009, 440–443. Zu betonen ist, dass es hier um die Frage geht, welche Präferenzen Menschen faktisch haben. Zur – von Friedman im Sinne normativer Präferenzautonomie (nicht) beantworteten – Frage, welche Präferenzen Menschen haben sollten vgl. unten 2.2.4 Präferenzautonomie: Entscheiden Präferenzen über das wahre Eigeninteresse? 70 Vgl. Nelson 2001, 152, 163–165. 71 Auch hier zeigt sich eine Parallele zwischen der Argumentation Friedmans und dem von Mill kritisierten Vorgehen Benthams: Unter der Hand wird das weite Verständnis von Eigeninteresse unterlaufen und Motivationen auf Eigennutzen im engen Sinne eingeschränkt, also ein fragwürdiges Menschenbild vorausgesetzt. Vgl. Mill 1969, 14: „[H]e has shown that a man’s selfish interest would prompt him to a particular course of action, he lays it down without
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Teil III: Kritische Diskussion
in manchen Fällen aus methodischer Sicht sinnvoll und angebracht. Ein Fehler ist es jedoch, unmittelbar vom Modell auf die Wirklichkeit zu schließen.72 Stattdessen ist an Friedmans Verständnis von Ökonomik zu erinnern, wonach die Tauglichkeit einer Theorie an ihrem Beitrag zur Erklärung der untersuchten Phänomene und v. a. zur Prognosefähigkeit zu bemessen ist: Die Analyse mit dem Modell des homo oeconomicus dient der Erklärung derjenigen Phänomene, für die andere Motivationen als das Verfolgen von Eigennutzen keine oder eine vernachlässigbare Rolle spielen. Ob ein Phänomen zu dieser Klasse gehört, entscheidet sich im Sinne Friedmans daran, ob mithilfe der ökonomischen Analyse realistische Prognosen über seine Entwicklung möglich sind, ob die Arbeitshypothese, dass die Eigennutz-Motivation dominant ist, also „funktioniert“.73 Dies ist aber schon im engeren Bereich des Wirtschaftens nicht immer der Fall.74 further parley that the man’s interest lies that way; and by sliding insensibly from the vulgar sense of the word into the philosophical, and from the philosophical back into the vulgar, the conclusion which is always brought out is, that the man will act as the selfish interest prompts.“ Vgl. auch dazu bereits Macaulys Kritik an James Mill (Macaulay 1998, 141): „If the doctrine, that men always act from self-interest, be laid down in any other sense than this – if the meaning of the word self-interest be narrowed so as to exclude any one of the motives which may by possibility act on any human being, – the proposition ceases to be identical; but at the same time it ceases to be true.“ Der Kritik Mills an diesem Vorgehen schloss sich auch Friedmans Lehrer Jacob Viner an (vgl. Viner 1949, 365). 72 Vgl. Downs 1968, 33; Schulte 2014, 86–91. Gleiches gilt im Verhältnis von Spieltheorie und empirischer Forschung, wo ebenfalls die Annahme vollständiger Rationalität aufzugeben ist (vgl. Ostrom et al. 1994, 319 f.). 73 Vgl. Friedman 1987m, 161; Friedman 1987m, 157, 167. Friedmans Freund George Stigler räumt aus diesem Grund zumindest theoretisch die begrenzte Reichweite des Homo-oeconomicus-Modells ein, verteidigt aber zugleich seine universale Anwendung (vgl. Stigler 1982b, 26): „In a set of cases that is not negligible and perhaps not random with respect to social characteristics of the actors, the self-interest hypothesis will fail – at least without a subtle and unpredictable interpretation of self-interest. […] We believe that man is a utility maximizing animal […] and to date we have not found it informative to carve out a section of his life in which he invokes a different goal of behavior.“ Mit dem Kriterium der Testbarkeit ernst zu machen würde für die Ökonomik demgegenüber eine gänzlich andere Forschungsweise verlangen, die stets danach fragt, welche Aspekte menschlicher Aktivität für das fragliche Phänomen tatsächlich vernachlässigt werden können. Vgl. Hirschman 1981, 303: „In my opinion, the damage wrought by the ‚economic approach,‘ based on the traditional self-interest model, is not just the neglect of altruistic behavior. […] What is needed is for economists to incorporate into their analysis, whenever that is pertinent, such basic traits and emotions as the desire for power and for sacrifice, the fear of boredom, pleasure in both commitment and unpredictability, the search for meaning and community, and so on. […] An effective integration of moral argument into economic analysis can be expected to proceed rather painstakingly, on a case-to-case basis, because the relevant moral consideration or neglected aspect of human nature will vary considerably from topic to topic.“ Auch das Ideal der Berechenbarkeit menschlichen Verhaltens müsste aufgrund dieser weit komplexeren Herangehensweise aufgegeben werden (vgl. Hirschman 1993b, 149). 74 Vgl. Fehr und Fischbacher 2002, C8–C25; Bandiera et al. 2005, 954; Stiglitz 1997, 273. Albert O. Hirschman spricht von „decreasing returns“ durch die alternativlose Verwendung des Homo-oeconomicus-Paradigmas (Hirschman 1981, 299). Sen beschreibt exemplarisch die
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Ein einseitiger Reduktionismus führt dazu, dass Probleme falsch wahrgenommen werden oder mögliche Lösungen nicht in den Blick geraten.75 Umso mehr gilt dies für außerwirtschaftliche Lebensbereiche. Der ökonomische Imperialismus beruht darauf, dass er das Homo-oeconomicus-Modell auf alle persönlichen und gesellschaftlichen Handlungsfelder anwendet. Je weniger Interaktion sich in der Form anonymisierter Austauschbeziehungen vollzieht, umso eher ist aber damit zu rechnen, dass relevante Faktoren durch die ökonomische Analyse vernachlässigt werden.76 Das bedeutet aber, dass mithilfe der Homo-oeconomicus-Methode vermutlich Entwicklungen auf dem Automobilmarkt besser erklärt werden können als in einer Ehe oder in Bildungseinrichtungen. Entsprechend können auch daran ausgerichtete Handlungsempfehlungen eher für erstere Erfolg versprechen als für letztere.77 5.) Begriffsklärung. Aufgrund der Vielfalt verwandter Begriffe in Zusammenhang mit dem menschlichen Streben soll abschließend eine Klärung für deren weiteren Gebrauch erfolgen. Der Begriff „Präferenz“ stammt aus der ökonomischen Diskussion. Er bezieht sich darauf, dass in einer konkreten Entscheidungssituation eine Alternative einer anderen vorgezogen wird.78 Üblicherweise wird in den Wirtschaftswissenschaften vorausgesetzt, dass sich alle Entscheidungen auf eine einheitliche Präferenzordnung (oder Präferenzstruktur) zurückführen lassen.79 Sie stellt ein komplexes System von Wertungen dar, das es Menschen erlaubt, alle denkbaren Alternativen gegeneinander abzuwägen.80 Formalisiert wird dieser Vergleich durch die Kategorie „Nutzen“. Der Nutzen eines Gutes bemisst sich anhand seiner relativen Stellung in der Präferenzordnung. Menschen maximieren ihren Nutzen, indem sie die von ihnen bevorzugte Option wählen. Bedeutung moralischer Verpflichtung für die Bereitstellung öffentlicher Güter (vgl. Sen 1977, 330–333). 75 Zur Verdeutlichung dieses Einwands sei an das von Friedman angeführte Beispiel erinnert, dass in der Physik für die Berechnung des freien Falles vom Luftwiderstand abgesehen wird (vgl. Friedman 1987m, 161–163). In der Tat ist es für die Erklärung mancher Phänomene unproblematisch, die Erdatmosphäre wie ein Vakuum zu behandeln. Eine Verallgemeinerung dieser Reduktion hätte jedoch fatale Konsequenzen, wie sich mit Blick auf den Luftverkehr unschwer erkennen lässt. Gleiches gilt für die Reduktion menschlichen Verhaltens auf das Streben nach Eigennutzen im engeren Sinne in der ökonomischen Methode. 76 Vgl. Dietz 2005, 130. 77 Vgl. Schulte 2014, 86 f. Wobei zu beachten ist, dass hier ein gradueller Unterschied ausgesagt ist: Die klassische ökonomische Analyse kann nicht alle Aspekte des Automobilmarktes erklären – aber auch nicht überhaupt keine der anderen Handlungsbereiche. 78 Dass also z. B. ein Produkt anstelle eines anderen gekauft wird, dass Überstunden geleistet werden oder ein Studium anstelle einer Ausbildung begonnen wird. 79 Vorausgesetzt ist dabei die Reflexivität, Vollständigkeit und Transitivität von Präferenzen (vgl. Hanusch et al. 2002, 139–141). 80 Das umfasst die unterschiedlichsten Arten von Urteilen von Geschmacksurteilen (z. B. „Blau steht mir besser als Rot“) bis hin zu moralischen Urteilen (z. B. „lieber die Zerstörung von Embryonen hinnehmen als auf mögliche Forschungsfortschritte verzichten“). Präferenzen lassen sich daher nicht auf quantifizierbare Güter beschränken und lassen sich auch auf Werturteile zurückführen (anders Klein 2010, 129).
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Teil III: Kritische Diskussion
In Abschnitt II.2.2.2 hatte sich gezeigt, dass Friedman den Begriff „Eigeninteresse“ synonym mit „Präferenzordnung“ verwendet. Auch „Eigeninteresse“ bezieht sich auf das je individuell Angestrebte und kann alle Arten von Gütern umfassen. Dieses Kapitel wiederum hat gezeigt, dass für die Gesamtheit des Erstrebten auch der Begriff des „Guten“ verwendet wird. Auch hier lässt sich unterscheiden zwischen Einzelurteilen über jeweils „bessere“ Alternativen und einer allgemeinen Vorstellung vom Guten, welche ein Urteil über Alternativen erlaubt. Insofern bezeichnen die Begriffe „Präferenzen“ und „Güter“ denselben Sachverhalt: Wenn Menschen eine Präferenz für x haben, dann ist x für sie ein Gut.81 Sie alle beziehen sich auf eine Vorstellung davon, was im Leben eines Menschen erstrebenswert ist (Präferenzordnung, Eigeninteresse, Vorstellung vom Guten). Auf Grundlage dieser allgemeinen Urteile lassen sich Entscheidungen über konkrete Handlungsalternativen treffen (Präferenzen, Nutzenmaximierung, Vorzugswürdigkeitsurteile).82 Die erstrebten Güter stellen die „Ziele“ menschlicher Handlungen dar. „Mittel“ werden nicht selbst erstrebt, sondern ziehen ihren Wert daraus, dass sie das Erreichen eines Gutes ermöglichen. 2.2.2 Die Entstehung von Präferenzen: Ein „blinder Fleck“ Es fällt auf, dass Friedman die Frage nach der Entstehung von Präferenzen weitgehend ausblendet.83 Für manche Schritte ökonomischer Analyse ist es zweifellos sinnvoll, stabile und vorgegebene Präferenzen vorauszusetzen. Erneut stellt sich aber das Problem, dass eine systematische Ausblendung dieser Zusammenhänge dazu führt, dass die menschliche Lebenswirklichkeit verzerrt wahrgenommen wird.84 Auf die komplexen Prozesse, die zur Herausbildung individueller Präferenzordnungen führen, kann an dieser Stelle nicht angemessen eingegangen werden.85 Es soll jedoch zumindest an zwei Beispielen deutlich gemacht werden, dass die Bildung von Präferenzen von außen gezielt beeinflusst werden kann. 81 Vgl.
zu einem vergleichbaren Vorgehen in Anschluss an Kenneth Arrow Sen 2003a, 589 f. akzentuieren die Begriffe unterschiedlich. Der Begriff „Präferenz “ akzentuiert eher die subjektiven und affektivem Aspekte, die dazu führen ein bestimmtes Gut gegenüber anderen vorzuziehen. Demgegenüber bringt der Begriff „gut“ eher zum Ausdruck, dass hinter einem Affekt eine Vorstellung des Erstrebenswerten steht, die auch rational entfaltet werden kann. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Begriff „Eigeninteresse“ missverständlich ist, da er eine Einengung angestrebter Güter auf Eigennutzen im engen Sinne nahelegt. 83 Für Friedmans Lehrer Frank H. Knight ist es geradezu ein Kennzeichen der Ökonomik, dass sie diese Frage ausblendet. Allerdings nimmt er dies auch zum Anlass auf ihre Ergänzungsbedürftigkeit durch andere Wissenschaften hinzuweisen (vgl. Knight 1951a, 34–37). 84 Vgl. Etzioni 1993b, 117: „Die Annahme, die Präferenzen der Menschen seien ‚fest‘ oder ‚stabil‘ – die im Mittelpunkt der neoklassischen Betrachtungsweise steht, weil sie die Vernachlässigung von Änderungen der Absichten und jener Werte erlaubt, die die Präferenzen beeinflussen –, geht einfach über die elementarsten Beobachtungen des täglichen Lebens hinweg.“ 85 Dabei spielt sowohl die Entwicklung allgemeiner Wertvorstellungen eine Rolle als auch die konkreter Präferenzen für einzelne Güter. Vgl. zu unterschiedlichen Perspektiven auf die Entstehung von Werten Klein und Görder 2011. 82 Dennoch
2. Diskussion von Friedmans anthropologischen Grundlagen
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1.) Beeinflussung von Präferenzen durch Werbung. Friedman selbst ist sehr skeptisch, was die Möglichkeit angeht, die Präferenzen anderer Menschen zu beeinflussen. Insbesondere das Potential von Werbung hält er für stark begrenzt.86 Diese Einschätzung erscheint wenig realistisch. Sie müsste auch die großen Summen, die für Werbemaßnahmen ausgegeben werden, für weitgehend irrational erachten.87 Entgegen Friedmans Postulat kann Werbung den Bedarf nach bestimmten Produkten wecken, Moden schaffen und Nachfrage auch auf gesättigten Märkten lenken.88 Besonders zu gewichten ist, dass Werbung die Erfüllung von Sehnsüchten stets mit dem Konsum von Produkten in Verbindung bringt und so allgemein die Haltung des Konsumismus befördert.89 Insofern ist die Autonomie von Präferenzen auch dadurch eingeschränkt, dass diese (teils gezielt) durch andere beeinflusst werden. Damit stellt sich die Frage, wie bewusst geschaffene Präferenzen einzuschätzen sind. Einerseits sind sie als „tatsächliche“ Präferenzen ernst zu nehmen. Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass fortgeschrittene Industriegesellschaften ein System der Massenproduktion und des Massenkonsums entwickelt haben, das gerade davon lebt, immer wieder neue Präferenzen zu schaffen.90 2.) Beeinflussung von Präferenzen durch die Rahmenordnung. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass auch die politische Ordnung auf die Entwicklung von Präferenzen einwirkt, beispielsweise durch die Internalisierung juristischer Normen. So beeinflussen etwa die staatliche Eigentumsordnung oder das Eherecht auch normative Vorstellungen dahingehend, worauf ein Mensch berechtigterweise Anspruch hat und was legitime Formen partnerschaftlichen Zusammenlebens sind.91 Auch Verhaltensweisen wie der reziproke Altruismus entwickeln sich eher bzw. sind stabiler bei einem dafür günstigen institutionellen Rahmen.92 Es ist immer auch danach zu fragen, welchen Einfluss eine Rahmenordnung 86 Vgl. FtC, 224. Dahingegen weist er auf die Möglichkeit hin, aus moralischen Gründen gezielt auf die Präferenzordnung anderer einzuwirken, wenn diese davon überzeugt werden sollen, dass Rassismus keine erstrebenswerte Einstellung ist (vgl. CaF, 111). Zur Frage, wie wahrscheinlich ein Erfolg dabei ist, äußert er sich jedoch nicht. 87 Vgl. Eidenmüller 1998, 339 f. 88 Vgl. Göbel 1999, 657. Dies gilt auch dann, wenn man davon ausgeht, dass Werbung keine neuen Bedürfnisse schaffen kann, sondern immer an bereits bestehende Bedürfnisse anknüpft und so allenfalls einen falschen Bedarf schafft (vgl. Schmölders 1978, 99 f.). In diesem Fall ist dennoch einzugestehen, dass Werbung in einer Form manipulativ wirkt (und wirken soll), dass sich der Bedarf auf konkrete Produkte richtet, die ohne die Werbung nicht nachgefragt würden und den „ursprünglichen“ Bedarf nicht angemessen befriedigen können (vgl. Meixner 1979, 90–97). Zur Unterscheidung von Bedürfnissen, Bedarf und Nachfrage vgl. unten 284. 89 Vgl. Witt 2012, 217–227. 90 John K. Galbraith war bereits 1958 der Ansicht, dass die eigentlichen ökonomischen Bedürfnisse in den USA für den Großteil der Bevölkerung gedeckt seien (vgl. Galbraith 1958, 2, 121–125). Zur Diskussion über „wahre“ und „falsche“ Bedürfnisse vgl. unten 2.2.4 Präferenzautonomie: Entscheiden Präferenzen über das wahre Eigeninteresse? 91 Vgl. Eidenmüller 1998, 339–344; Sunstein 1993, 221–235. 92 Vgl. Klein 2011, 81 f.
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darauf hat, was für Präferenzen verfolgt werden. Das gilt insbesondere für das gesellschaftliche Ethos, das Friedman schlicht voraussetzt.93 2.2.3 „Revealed Preferences“: Fragwürdige Identifikation von Präferenzen und Wahlakten Friedman folgt dem ökonomischen Ansatz der „revealed preferences“, wonach sich die Präferenzstruktur aus den Handlungen eines Menschen ablesen lässt. Grund für dieses Vorgehen ist, dass Präferenzen zwar für die ökonomische Analyse bekannt sein müssen, letztlich aber psychische Dispositionen und damit einer objektiven Perspektive entzogen sind. Einem Vorschlag Paul Samuelsons folgend kehrt Friedman daher erkenntnislogisch die kausallogische Reihenfolge um: Geht man davon aus, dass Präferenzen Menschen zu Handlungen veranlassen, so kann man von Handlungen auf Präferenzen zurückschließen. Entscheidend dabei ist, dass Präferenzen (als Grund für die Entscheidung zwischen konkreten Handlungsalternativen) von Wahlakten unterschieden werden. Der Wahlakt offenbart nicht sich selbst, sondern das, was ihm zugrunde liegt. Dabei handelt es sich um ein wertendes Urteil, wonach die gewählte Alternative unter den zur Verfügung stehenden die beste ist. Alle Momente, die in dieses Urteil eingehen, bilden die Präferenzstruktur eines Individuums. Bereits diskutiert wurde die dabei zugrunde gelegte zirkuläre Argumentation und die Ausweitung der These auf ein dominierendes Eigennutzstreben. Daneben impliziert der Revealed-preferences-Ansatz eine weitere Voraussetzung, die kritisch zu hinterfragen ist. Werden Präferenzen aus Wahlakten unmittelbar abgelesen, werden sie letztlich mit ihnen identifiziert. Das steht auch hinter Friedmans Annahme, dass freiwillige Akte immer den subjektiven Nutzen des Individuums maximieren. Ein bruchloser Zusammenhang zwischen Präferenzen und Wahlakten ist jedoch keineswegs zwingend und – wie sich in diesem Abschnitt zeigen wird – sogar durchaus fraglich. Es gibt mehrere Gründe, aus denen individuelle Handlungen im Widerspruch zu dem stehen können, was das Individuum eigentlich anstrebt. Sie sollen in diesem Abschnitt im Einzelnen betrachtet werden. Dabei sind zunächst relativ einfache Einwände vorzubringen, die an der Vorstellung konsistenter Präferenzordnungen festhalten (1.–3.). In einem zweiten Schritt wird auch diese Annahme hinterfragt werden (4.–6.). Die nun folgenden Überlegungen werden darauf hinauslaufen, dass sich individuelle Präferenzstrukturen nicht aus Wahlakten ablesen lassen, sondern eine Introspektion durch das Medium des Gewissens verlangen (7.). 1.) „Technische“ Irrtümer. Den einfachsten Fall, in dem von Handlungen nicht auf Ziele gefolgert werden kann, stellen „technische“ Irrtümer dar. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass gewählte Handlungen gar nicht dem Ziel dienen, das 93 Vgl.
unten 9.3 Der Einfluss der Rahmenordnung auf die Bildung von Präferenzen.
2. Diskussion von Friedmans anthropologischen Grundlagen
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mit ihnen eigentlich verfolgt werden soll. Friedman selbst setzt einen solchen Zusammenhang voraus, wenn er aufzeigen möchte, dass bestimmte Ziele wie Wohlstand oder Einkommensgleichheit besser mit den Mitteln einer freiheitlichen Gesellschaft erreicht werden können als mit den staatlichen Regulierungen, die die „misguided friends“ als Mittel bevorzugen. Ein unaufgeklärtes Eigeninteresse führt dazu, dass Handlung und Eigeninteresse nur vermeintlich, nicht aber tatsächlich in einem Entsprechungsverhältnis stehen. Folgt man konsequent dem Revealed-preferences-Ansatz, muss sich das faktische Eigeninteresse aus der Handlung ablesen lassen. Folglich ist das, was als Folge einer bestimmten Handlung zu erwarten ist, auch das eigentliche Ziel.94 Wer ein unangemessenes Mittel wählt, irrt demnach nicht in technischer Hinsicht, sondern hat de facto ein anderes Eigeninteresse. Folgt man diesem Ansatz, so haben sämtliche Anleger, die Geld in Zertifikate von Lehman Brothers investiert hatten, – entgegen der Selbstaussage zahlreicher Kleinanleger – eine Präferenz für höhere Rendite bei größerem Risiko gegenüber anderen Investitionsmöglichkeiten „offenbart“. Demgegenüber scheint es plausibler, dass zumindest ein Teil von ihnen tatsächlich die eigene Handlung nicht überblickt und daher in Widerspruch zu den eigenen Präferenzen gehandelt hat. Technische Irrtümer sind jedoch dann ausgeschlossen, wenn man – wie Friedman – vollständige Informiertheit unterstellt.95 Insofern (!) stellt sich das Problem für ihn nicht. Umso mehr fällt jedoch auf, dass er selbst durch sein Wirken einem unaufgeklärten Eigeninteresse der „misguided friends“ entgegenwirken möchte. Bei ihnen geht er davon aus, dass sie aufgrund von Irrtümern über ökonomische Zusammenhänge ihre eigentlichen Ziele gerade nicht erreichen.96 2.) Verzicht auf Transaktionskosten. Verzichtet man auf diese wirklichkeitsferne Annahme, lässt sich das Phänomen technischer Irrtümer mit dem Konzept der Transaktionskosten erklären. Die These wäre dann so zu präzisieren, dass das Einholen von Informationen, die für zielführende Wahlakte erforderlich sind, für den Handelnden mit hohen Kosten verbunden wäre. Verzichtet er darauf, so offenbart er damit seine Präferenzstruktur: Das Ergebnis seiner Wahl ist ihm nicht so wichtig, dass er bereit wäre, den entsprechenden Informationsaufwand zu treiben. Das Problem ließe sich nun weiterführen, indem man die Frage aufwirft, ob die erforderlichen Informationen überhaupt verfügbar sind und ob der Handelnde sich ihrer Verfügbarkeit bewusst ist. Für den hier diskutierten Zusammenhang ist dies jedoch nicht erforderlich. Allein das Auftreten von Informationskosten führt dazu, dass ein Rückschluss 94 Der Revealed-preferences-Ansatz setzt nicht unbedingt voraus, dass ein bestimmtes Ziel auch erreicht wird. So kann ein Mensch zur Übernahme von Risiken neigen, ohne dass ihm deswegen eine Präferenz für den Fall des Misserfolgs zu unterstellen wäre. 95 Vgl. dazu unten 7.3.2 Unvollständige Informiertheit und mangelhafte Verarbeitung von Informationen. 96 Vgl. oben 86.
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von Wahlakten auf Präferenzen nicht eindeutig gelingen kann. So ist es beispielsweise nicht möglich, allein aus der Wahl bestimmter Geldanlagen die Präferenzen (z. B. Risikobereitschaft) von Bankkunden abzulesen. Aus der Handlung des Kunden (dem Tätigen einer Geldanlage) ist dessen Präferenzstruktur nicht zwingend ablesbar. Möglich wäre einerseits, dass das gewählte Produkt tatsächlich seinen Bedürfnissen entspricht. Möglich wäre aber auch, dass er de facto andere Bedürfnisse hat und dafür das falsche Produkt gewählt hat. Bezieht man nun den Aspekt der Informationskosten mit ein, könnte man sagen: Zwar entspricht das gewählte Produkt nicht seinen Präferenzen in Bezug auf Geldanlagen. Allerdings entspricht der Verzicht darauf, sich hinreichend über das gewählte Produkt zu informieren, seiner Präferenz, wenig Zeit oder Geld in die entsprechende Information zu investieren. Das Problem ist jedoch, dass aus der Handlung nicht abgelesen werden kann, mit welchem von beiden Fällen man es zu tun hat. Dasselbe gilt für die zahlreichen Fälle, in denen Menschen Entscheidungen ohne sorgfältige Überlegungen treffen.97 Die Annahme, menschliches Eigeninteresse lasse sich aus den faktischen Handlungen ablesen, scheitert also bereits an der Möglichkeit, dass Menschen Handlungen wählen, die mit ihren Zielen nicht übereinstimmen. 3.) Kooperatives Verhalten. Amartya Sen weist auf einen weiteren Fall hin, in dem der Revealed-preferences-Ansatz zu einem geradezu absurden Ergebnis führen kann: den strategischen Verzicht auf eigene Vorteile. Er führt dafür das Beispiel des Gefangenendilemmas an.98 Nur durch Kooperation ist hier das insgesamt optimale Ergebnis erreichbar. Für jeden Einzelnen allerdings würde es sich lohnen, abweichend von der Kooperation nur seinen eigenen Vorteil zu suchen. Entsprechende Situationen lassen sich in der Alltagswelt überall da nachzeichnen, wo Menschen auf einen unmittelbaren Vorteil verzichten zugunsten eines Zustands, von dem letztlich alle profitieren. Dies gilt etwa für das Aufräumen des eigenen Mülls auf öffentlichen Plätzen. Aus sozialem Druck, Pflichtgefühl oder Einsicht („wenn das alle machen würden …“) räumen Menschen ihre Hinterlassenschaften weg und wirken so insgesamt einer Verwahrlosung des öffentlichen Raumes entgegen, obwohl der eigene Beitrag dazu marginal ist. Ausgedrückt im Modell des Gefangenendilemmas: Ein kooperierender Gefangener vertraut auf die Kooperationsbereitschaft des anderen oder handelt 97 Vgl.
Sen 1983a, 60 f. Sen 1983a, 62–66. Zwei Gefangene werden unabhängig voneinander vor die Wahl gestellt, eine ihnen zur Last gelegte Straftat entweder zu gestehen oder abzustreiten. Gestehen beide, so erhalten sie eine Gefängnisstrafe von zehn Jahren. Streiten beide ab, werden sie für zwei Jahre verurteilt. Gesteht einer von beiden, so wird er freigesprochen, der andere erhält eine Haftstrafe von 20 Jahren. Damit ist jeder von beiden besser gestellt, indem er gesteht – unabhängig davon, was der andere tut. Das insgesamt beste Ergebnis ist jedoch nur erreichbar, wenn beide nicht gestehen (vgl. Kuhn 1997; Feess 2004, 45–48). Für die Wirtschaftsethik relevant ist besonders die Rezeption bei Karl Homann, der seine Wirtschaftsethik vom Gefangenendilemma aus entwirft (vgl. Homann und Blome-Drees 1992, bes. 29–47). 98 Vgl.
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aus einem moralischen Pflichtgefühl und wählt bewusst eine längere Haftstrafe als er im Falle eigener Vorteilsmaximierung erreicht hätte. Dennoch wäre es absurd, ihm – der Logik offenbarer Präferenzen folgend – eine Präferenz für lange Haftzeiten zu unterstellen.99 Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass manche Menschen eben lieber öffentliche Plätze aufräumen als anderen Tätigkeiten nachzugehen. Naheliegender ist, dass diese von einem Gefühl der Verpflichtung motiviert sind, dessen Ursprung die Handlung selbst nicht erkennen lässt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Präferenzen sind Gründe für Wahlakte. Diese können in komplexen Handlungszusammenhängen vielfältiger Natur sein und sind daher nicht unmittelbar aus vollzogenen Handlungen ablesbar. Die bisher diskutierten Einwände sind insofern relativ einfach, als sie es erlauben, an der (im „Revealed-preferences-Ansatz“ vorausgesetzten) Annahme festzuhalten, dass Menschen eine konsistente und für den betrachteten Zeitraum konstante Präferenzordnung haben. Nun weisen aber zahlreiche alltägliche Phänomene darauf hin, dass davon nicht unbedingt ausgegangen werden kann. Auf sie sollen die nun folgenden Unterpunkte hinweisen. 4.) Infragestellung konsistenter Präferenzen durch den Framing-Ansatz. Welche Handlungsalternative Menschen wählen, hängt auch davon ab, wie ihnen die bestehenden Alternativen präsentiert werden. Dies zeigt der sog. „Framing-Ansatz“ von Daniel Kahneman und Amos Tversky. Beispielsweise befürworten im Fall einer drohenden Epidemie 72 % ein Programm, das 200 von 600 Menschen retten kann gegenüber einem Programm, das mit der Wahrscheinlichkeit von einem Drittel alle 600 Menschen retten kann. Stellt man sie vor die (identische) Wahl, 400 Menschen sterben zu lassen oder mit der Wahrscheinlichkeit von einem Drittel alle zu retten, wählen 78 % die Risiko-Variante.100 Offensichtlich lassen sich Präferenzen nicht eindeutig aus Wahlakten ableiten, wenn diese maßgeblich auch von der Formulierung der Alternativen abhängen. Teilweise wird infolge der beschriebenen Inkonsistenzen die Vorstellung konstanter Präferenzen als Grundlage menschlicher Entscheidungen aufgegeben.101 Die Beobachtungen des Framing-Ansatzes lassen sich jedoch auch so interpretieren, dass dennoch an 99 Vgl. Sen 1983a, 64–67; Sen 1983b, 76 f.; Sen 1977, 341. Anders als Sen sehe ich das Konzept der „revealed preferences“ auch da in Schwierigkeiten, wo es sich um ein Handeln aus strategischer Rationalität handelt. An der Eigennutzhypothese kann dann festgehalten werden. Das Problem, dass Menschen im konkreten Fall die Alternative wählen, die ihnen eine längere Haftzeit beschert, bleibt jedoch bestehen. Eine Präferenz für kooperatives Verhalten lässt sich nur dann eindeutig ablesen, wenn man bereits eine Präferenz für kürzere Haftzeiten unterstellt – diese also nicht erst aus der Entscheidung abliest. 100 Vgl. Kahneman und Tversky 2009, 4 f. Ähnliche Untersuchungen zeigen, dass Menschen ihre je aktuelle Situation zu Alternativen verhältnismäßig positiv bewerten (Präferenz für Stabilität) und dass sie eine höhere Bereitschaft zu identischen Verträgen haben, wenn Zahlungen als Versicherungskosten statt als sichere Verluste wahrgenommen werden (vgl. Kahneman und Tversky 2009, 13–15; Slovic 2009, 491–494). 101 Stattdessen sei davon auszugehen, dass sich Präferenzen erst im Zuge von Wahlakten herausbilden (vgl. Slovic 2009, 500).
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der Annahme konsistenter Präferenzen festgehalten wird.102 Die beschriebenen inkonsistenten Wahlakte lassen sich darauf zurückführen, dass Entscheidungen nicht hinreichend reflektiert getroffen wurden und deshalb einzelne Aspekte unterschiedlich stark gewichtet wurden. Bei einer besser überlegten Entscheidung wäre durchaus zu erwarten, dass Menschen die verschiedenen Situationen gleich beurteilen. Die beschriebenen Phänomene sind dann dem Bereich „technischer“ Irrtümer zuzuordnen und belegen, dass Handlungen im Widerspruch zu den tatsächlich verfolgten Präferenzen weit verbreitet sind. Die Beobachtung, dass Menschen tatsächlich widersprüchliche Präferenzen verfolgen, ist dennoch zutreffend und soll aus einer anderen Perspektive in den Blick genommen werden. 5.) Widersprüchliche Präferenzen. Es ist eine verbreitete Erfahrung, dass Menschen in einen inneren Konflikt geraten, weil sie Handlungen wählen, deren Wahl sie (für genau diese Situation) zu einem anderen Zeitpunkt ablehnen. Thomas Schelling beschreibt zahlreiche solcher Phänomene wie etwa das Kratzen juckender Hautstellen, Rauchen oder das Aufschieben unangenehmer Tätigkeiten.103 Er erklärt diese mit gespaltenen Persönlichkeiten, mit „mehreren Selbsten“.104 Schelling beschreibt eine Vielzahl von Mechanismen des „self-management“105, durch das Menschen sicherstellen wollen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt jene Präferenzen verfolgen, die sie jetzt für erstrebenswert halten. Sinnbildlich stehen dafür Odysseus, der sich zum Schutz vor den Sirenen von seiner Mannschaft an den Mast seines Schiffes fesseln lässt und Kapitän Ahab, der nach einer Verletzung durch Moby Dick eine schmerzhafte Operation seines Beines über sich ergehen lassen muss und dabei von drei Seeleuten unter Kontrolle gehalten wird. Ahab fleht während der Operation darum, dass ihm die Operation erspart bleibt.106 Alltäglicher sind Beispiele wie das Platzieren des Weckers auf der anderen Seite des Raumes, das Wegwerfen von Zigaretten oder die Bitte um ein Hotelzimmer ohne Fernseher.107 Diese Phänomene sind Ausdruck der Erfahrung, dass wir immer wieder zu Wahlakten neigen, die wir zu einem anderen Zeitpunkt missbilligen. Daher wählen wir bewusst Mechanismen der Selbstbindung, da freie Wahlakte gerade nicht immer in Übereinstimmung mit unseren Präferenzen überhaupt sind. Allenfalls sind sie Ausdruck der momentan dominierenden 102 Vgl.
Schrader 2002, 223. Schelling 1980, 101, 109–112. Es geht also nicht um schwankende Präferenzen, etwa dass Menschen einmal lieber Nudeln und zu einem anderen Zeitpunkt lieber Pizza essen. Vielmehr geht es darum, dass sich Menschen mittags vornehmen, abends Wasser zu trinken, und sich abends für Wein entscheiden – das dann aber morgens u.U. wieder bereuen (vgl. Schelling 1983, 46–49). 104 Vgl. Schelling 1980, 98; Schelling 1983, 58. 105 Schelling 1980, 100. Schelling beschreibt das „self-management“ als eine Art paternalistischen Verhaltens eines Menschen gegenüber sich selbst. 106 Schelling zitiert die Odyssee in Schelling 1980, 94. Das Beispiel Kapitän Ahabs wird eingeführt in Schelling 1983, 45 und in diesem Aufsatz ausführlich diskutiert. 107 Vgl. Schelling 1980, 95, 112–118; Schelling 1983, 59, 64 f. 103 Vgl.
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Präferenzen. Damit stellt sich die Frage, welche Präferenzen jeweils die höhere Verbindlichkeit haben sollten. Sollte Kapitän Ahab, der unter den Schmerzen der Operation darum bittet, diese vorzeitig zu beenden, gefesselt bleiben oder befreit werden? Sollte dem Freund, der gerade seine Zigaretten weggeworfen hat, auf dessen Bitte eine Zigarette geschenkt werden?108 Letztlich geht es dabei um die Frage, welche Wünsche überhaupt „authentisch“ sind – mit welchen sich eine reflektierende Person also identifizieren würde.109 Dass diese Fragen nicht immer eindeutig beantwortet werden können, weist darauf hin, dass die Identifikation von Wahlakten mit Präferenzen fragwürdig ist. Manche Fälle sind deswegen relativ leicht zu entscheiden, weil wir Menschen nicht in allen Situationen gleichermaßen die Fähigkeit zubilligen, ihre tatsächlichen Präferenzen zu erkennen.110 So sind wir dazu geneigt, uns eher an die Entscheidungen zu halten, die in reflektierter Weise getroffen wurden, als an solche, die im Halbschlaf, im Rausch oder unter großen Schmerzen getroffen werden. Friedmans strikte Unterscheidung zwischen verantwortungsfähigen und unmündigen Menschen111 erweist sich von daher als wirklichkeitsfremd. Es ist nicht nur damit zu rechnen, dass der Übergang biographisch fließend verläuft und Menschen in unterschiedlichem Maße verantwortungsfähig sind. Die Fähigkeit, in Übereinstimmung mit eigenen Zielvorstellungen zu handeln, variiert auch je nach äußerer und innerer Situation. Freiwillig herbeigeführte Restriktionen weisen darauf hin, dass gerade Beschränkungen von Wahlmöglichkeiten dazu führen können, dass tatsächliche Präferenzen auch erreicht werden. Eine Identifikation von Präferenzen mit Wahlakten kann einen solchen Zusammenhang nicht erfassen. 6.) Präferenzen erster und zweiter Ordnung. Doch auch Schellings Interpretation der von ihm beschriebenen Phänomene ist nur eingeschränkt befriedigend. Seine Vorstellung multipler Persönlichkeiten erlaubt nicht mehr als die Feststellung, dass zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedene Präferenzen existieren. Diese können aber nicht konstruktiv zueinander ins Verhältnis gesetzt 108 Ethisch stellt sich diese Frage besonders prekär in Zusammenhang mit Patientenverfügungen und den von Schelling diskutierten Beispielen der Sterbehilfe (vgl. Schelling 1983, 74–78). In rechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, inwiefern Selbstbeschränkungen auch für andere bindende Wirkung haben können. Anders als Schelling es für die USA darstellt (Schelling 1983, 61), hat der Bundesgerichtshof dies in einem Urteil vom 20. Oktober 2011 positiv beschieden (vgl. Bundesgerichtshof 2011). Im speziellen Fall hatte ein Mann selbst eine Spielsperre beantragt und zu einem späteren Zeitpunkt um deren Aufhebung gebeten. Das betreffende Spielcasino ist nach dem Urteil des BGH schadenersatzpflichtig, weil es nur die Zahlungsweise des Mannes, nicht aber die Gefährdung auf Spielsucht überprüft hat, bevor es die Sperre aufhob. Interessanterweise spielt es für die Urteilsbegründung eine Rolle, dass das Gericht Glücksspiel als „angesichts der damit verbundenen Gefahren […] an sich unerwünscht[]“ beurteilt (vgl. Bundesgerichtshof 2011, 8). Insofern legt es seinem Urteil eine normative Bewertung von Präferenzen zugrunde. 109 Vgl. Witt 2012, 140–145. 110 Vgl. Schelling 1983, 52–54. 111 Vgl. oben 108.
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werden. Weiterführend erscheint demgegenüber der Ansatz Harry Frankfurts, der auch von Amartya Sen aufgegriffen wurde. Beide unterscheiden zwischen Präferenzen verschiedener Ordnungen.112 Präferenzen erster Ordnung beziehen sich direkt auf bestimmte Handlungsalternativen (z. B. möchte ich lieber im Internet surfen oder ich möchte lieber konzentriert an meiner Dissertation arbeiten). Präferenzen zweiter Ordnung (Metapräferenzen) beziehen sich ihrerseits auf Präferenzen erster Ordnung und bringen zum Ausdruck, dass wir gerne eine bestimmte Präferenz hätten (z. B. möchte ich gerne das konzentrierte Arbeiten der Ablenkung vorziehen, auch wenn ich das faktisch u.U. gerade nicht tue). Viele der von Schelling beschriebenen Phänomene lassen sich unter Rückgriff auf Metapräferenzen erklären. Der Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören (morgens früh aufzustehen) geht einher mit dem Wunsch, dass die Präferenz für Rauchen (langes Schlafen) aufhört. Dieser kann auch gleichzeitig mit dem Wunsch, eine Zigarette zu rauchen (auszuschlafen) auftreten. Die von Schelling beschriebenen Strategien des self-management lassen sich dann als Strategien dafür verstehen, dass Metapräferenzen auch dann zur Geltung kommen, wenn tatsächlich auftretende Präferenzen in Widerspruch zu ihnen treten. Zumindest für eine erhebliche Menge der widersprüchlichen Präferenzen heißt das, dass sie nicht einfach zeitlich auseinanderfallend in einer gespaltenen Persönlichkeit auftreten. Vielmehr bildet die Metapräferenz einen kontinuierlichen Maßstab, nach dem eine Person ihre Präferenzen bewertet und an dem sie sich auch dann ausrichten möchte, wenn sie gerade faktisch von anderen Maßstäben dominiert ist.113 So ist davon auszugehen, dass Ahab auch unter Schmerzen wünscht, er könnte diese aushalten, wenn klar ist, dass ihm dies langfristig größeren Schmerz erspart.114 Am Beispiel der Metapräferenzen wird endgültig deutlich, dass diese sich nicht an Wahlakten ablesen lassen. Sie zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass Menschen sich wünschen, sie würden in einer bestimmten Situation anders wählen. Diese verbreitete Erfahrung zeigt, dass Präferenzstrukturen in ihrer tatsächlichen Komplexität nicht aus Handlungen abgelesen werden können, sondern nur unter Einbeziehung von Introspektion und Kommunikation erfasst werden können.115 Das wiederum bedeutet, dass akute Wünsche in Widerspruch zu den 112 Vgl. Frankfurt 1971, 6 f.; Sen 1977, 338 f. Vergleichbare Überlegungen finden sich auch bei Frank H. Knight (vgl. Knight 1951a, 22 f.). Es ist nicht erkennbar, dass Friedman diese Gedanken aufgegriffen hat. 113 Vgl. Etzioni 1993b, 117. Dietz Lange spricht treffend von einem „Widerstreit […] zwischen eigentlichem und faktischem Wollen“ (Lange 1992, 342). Zum Verständnis von Röm 7,15 als Ausdruck eines solchen Widerstreits vgl. unten 325 Anm. 131. 114 Das heißt nicht, dass Metapräferenzen immer auch ethisch vorzugswürdig sind (was die gewählten Beispiele nahelegen könnten). So ist es denkbar, dass ein Soldat wünschte, er könne sich rücksichtslos für sein eigenes Volk in den Kampf stürzen und dann doch Mitleid bekommt, wenn von ihm verlangt wird, unschuldige Zivilisten zu töten. 115 Vgl. Sen 1977, 339.
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eigentlichen Zielen eines Individuums stehen können. Menschen können sich also über ihre Bedürfnisse irren.116 7.) Das Gewissen als Medium der Selbsterkenntnis. Medium dieser Introspektion ist das Gewissen, in dem der Mensch mit sich selbst vertraut ist. Im Gewissen sind Menschen ihre Präferenzen präsent.117 In den Überlegungen zur Entstehung von Präferenzen hat sich gezeigt, dass es keine Autonomie des Menschen gegenüber seinen Präferenzen gibt. Entsprechend gilt für die Freiheit des Gewissens: Über den Inhalt, an dem Menschen ihr eigenes Tun beurteilen, können sie selbst nicht verfügen.118 Funktion des Gewissens ist es, die Handlungen eines Menschen daraufhin zu prüfen, ob sie mit einem subjektiv anerkannten umfassenden Wertesystem – also dem „Eigeninteresse“ im ganz weiten Sinne – in Übereinstimmung sind.119 Im Gewissensbegriff vorausgesetzt ist also die in den vorangegangenen Abschnitten aufgewiesene Möglichkeit zu Handlungen, die in Widerspruch zu diesen Überzeugungen stehen.120 Zugespitzt lässt sich der Ertrag des Gedankenganges zu Friedmans „revealed preferences“-Ansatz so zusammenfassen: Die Präferenzen eines Menschen lassen sich nicht an seinen Handlungen ablesen, sondern sind in letzter Instanz nur seinem Gewissen zugänglich. Damit stellt sich die Frage, ob die im Gewissen erkannten eigenen Präferenzen als solche „wahre“ Präferenzen sein können, oder ob auch Gewissensurteile fehlgehen können. 2.2.4 Präferenzautonomie: Entscheiden Präferenzen über das wahre Eigeninteresse? Die Kritik am Ansatz der „revealed preferences“ konzentrierte sich auf die Frage, ob Menschen tatsächlich immer gemäß ihren Präferenzen handeln. Friedman identifiziert aber nicht nur Präferenzen mit Wahlakten, sondern auch Präferenzen mit dem wahren Eigeninteresse eines Menschen, d. h. er identifiziert das 116 Vgl.
Taylor 1985b, 223–227. Zur etymologischen Bedeutung der Ursprungswörter „syneidesis“, „conscientia“ und „gewizzani“ als einem reflexiven Mitwissen vgl. Kittsteiner 2002, 371. Nach Emanuel Hirsch ist bei Martin Luther das Gewissen nicht nur Medium der Selbsterkenntnis, sondern selbst „der Ursprung oder Ort der allerstärksten Affekte und Affektäußerungen“ (Hirsch 1954, 130) bzw. das, „was den Menschen zur Seele, oder, modern gesprochen, zur Persönlichkeit erst macht“ (Hirsch 1954, 133 f.). Anders dagegen die Luther-Interpretation bei Härle, der unter Berufung auf Luther an der Differenz zwischen Gewissen und dem normbezogenen Selbstbewusstsein m. E. zu Recht festhält (vgl. Härle 2001, 114–116). 118 Vgl. für die lutherische Sichtweise Hirsch 1954, 134. 119 Vgl. Schockenhoff 1990, 132 f.; Härle 2001, 115–117. Zur entsprechenden Verwendung des Begriffes bei Paulus vgl. Eckstein 2007, 74 f. 120 Zu unterscheiden ist auch hier, ob es um „technische“ Fragen geht, wie ethische Überzeugungen umgesetzt werden können, oder um Fragen der Konsistenz bzw. der ethischen Integrität (vgl. die Unterscheidung zwischen ethisch-politischer und ethisch-existentieller Wahl bei Knud E. Løgstrup [Løgstrup 1989, 46–50]). 117
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subjektiv Gute mit dem moralisch Guten. Eine Pointe seines Verständnisses von Präferenzautonomie ist es, dass Menschen selbst darüber entscheiden dürfen, was sie im Leben anstreben. Diese „Entscheidung“ vollzieht sich jedoch nicht als bewusster Entschluss, sondern auf der Ebene der Präferenzen: Ziel eines jeden Menschen ist ein Leben in Übereinstimmung mit seinen Präferenzen. Ein Irrtum über die eigenen Ziele ist damit ausgeschlossen.121 Diese Sicht widerspricht breiten Strömen der philosophischen und ethischen Tradition. Es ist daher die Frage zu stellen, ob menschliche Wahlakte in einem existentiellen Sinne irren können – ob Menschen „falsche“ Präferenzen haben können. 1.) Die Unterscheidung von Bedürfnissen, Bedarf und Nachfrage. Begrifflich ist zwischen „Bedürfnissen“, „Bedarf “ und „Nachfrage“ zu unterscheiden.122 „Bedürfnisse“ beziehen sich auf einen (objektiv vorliegenden oder subjektiv empfundenen) Mangel und das Bestreben, diesen Mangel zu beheben (z. B. Hunger zu stillen, Gemeinschaft zu erleben). „Bedarf “ beschreibt diejenigen Güter, die ein Subjekt anstrebt, um damit seine Bedürfnisse zu befriedigen (z. B. eine Pizza, der Besuch eines Fußballspiels oder Gottesdienstes). Zu einer „Nachfrage“ im ökonomischen Sinn wird Bedarf nur dann, wenn versucht wird, ihn auf dem Markt zu befriedigen. Das setzt voraus, dass das angestrebte Gut durch wirtschaftlichen Tausch erworben werden kann (z. B. kann es keine Nachfrage nach frischer Luft geben, wohl aber nach Eintrittskarten für einen Park) und dass dem betreffenden Menschen ökonomische Mittel zur Verfügung stehen, mit denen er seinen Bedarf decken kann (dem hohen Bedarf an Aids-Medikamenten in Afrika steht keine entsprechende Nachfrage gegenüber). Da sich „Präferenzen“ auf die konkret angestrebten Güter beziehen, entspricht der Begriff dem des „Bedarfs“. Die Frage, ob es sich um „wahre Präferenzen“ handelt, kann also auf zwei Ebenen gestellt werden: Erstens ist zu fragen, ob vorhandene Präferenzen tatsächlich dazu dienen, vorhandene Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Frage wurde in der Auseinandersetzung mit der Vorstellung offenbarer Präferenzen beantwortet: Menschen können eine Vorstellung vom eigenen Bedarf entwickeln, die in Widerspruch zu den sie eigentlich leitenden Zielen steht. Hier soll nun vornehmlich eine zweite Ebene in den Blick genommen werden: Können Präferenzen auch deswegen „falsch“ sein, weil die Bedürfnisse, die ihnen zugrunde liegen, selbst „falsch“ sind? 2.) Die Unterscheidung von „wahren“ und „falschen“ Bedürfnissen. Am prominentesten hat die Vorstellung „wahrer“ und „falscher“ Bedürfnisse Herbert Marcuse entwickelt. In marxistisch-hegelianischer Tradition geht er von einem falschen Bewusstsein, einer Entfremdung des Menschen von seinem eigentli121 Vgl. Gamwell 1984, 10 f., 18, 32. Zurecht weist Gamwell darauf hin, dass der „preferential view of self-interest“ für Friedman eine zentrale Bedeutung hat, aber ohne weitere Begründung stillschweigend vorausgesetzt ist (vgl. Gamwell 1984, 32). 122 Vgl. Meyer-Abich 1979, 58–64.
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chen, sozial eingebetteten Sein, aus.123 Das Interesse des Kapitals führe dazu, dass eine Menge falscher Bedürfnisse geweckt werde. Dadurch könne das kapitalistische System einschließlich der Selbstausbeutung abhängig Beschäftigter aufrecht erhalten werden.124 Die Vorstellung falscher Bedürfnisse ist aber keineswegs an die marxistische Tradition gebunden. Sie begegnet auch in anderen philosophischen Richtungen125 und hat eine zentrale Stellung in der theologischen Tradition.126 Aufgegriffen wurde sie auch vom Psychoanalytiker und Sozialpsychologen Erich Fromm. Für ihn ist die moderne Existenzweise des „Habens“ orientiert an den Erfordernissen wirtschaftlicher Massenproduktion. Diese steht jedoch nach Fromm in Widerspruch zur ursprünglichen Natur des Menschen, der harmonische Beziehungen zu Natur und Mitmenschen entsprechen. Daher plädiert er für eine Rückkehr zur Existenzweise des „Seins“ durch die Beschränkung auf „natürliche Bedürfnisse“127. Die Vorstellung von „falschen“ Bedürfnissen erscheint unmittelbar einleuchtend. Es entspricht dem Lebensgefühl vieler Menschen, dass künstlich geschaffene materielle Bedürfnisse weniger Befriedigung verleihen als die darüber vernachlässigten Beziehungen zu Mensch und Natur. Die Rede von „falschen“ Bedürfnissen ist einleuchtend, aber aus drei Gründen auch problematisch. Erstens sind Bedürfnisse auf der affektiven Ebene anzusiedeln. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Gefühle überhaupt einen Wahrheitsgehalt haben können.128 Ob es „wahr ist“, dass ein Mensch danach strebt, möglichst viel Ansehen (oder Geld) zu erwerben, entscheidet sich durch nichts anderes als durch das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein eben dieses Verlangens. Entsprechend ist es auch widersinnig zu fragen, ob Menschen ein bestimmtes Auto oder ein bestimmtes Getränk „wirklich“ brauchen, um sich frei oder glücklich zu fühlen, wie es ihnen in der Werbung suggeriert wird. Insofern wäre die Rede von „falschen“ Präferenzen widersinnig, wenn sie nicht zugestehen würde, dass sie dennoch „tatsächliche“ Präferenzen sind. Zweitens ist es nicht möglich, ein detailliertes System eines „natürlichen“ Bedarfs zu entwickeln. Ein solcher Versuch würde ignorieren, dass konkrete Präferenzen in Vgl. Marcuse 1967, 16, 31. Marcuse 1967, 25, 252 f., 256 f. 125 Richard M. Hare greift die Vorstellung „vernünftiger“ Präferenzen im Rahmen einer utilitaristischen Theorie auf (vgl. Hare 1982, 28). 126 Vgl. dazu in diesem Abschnitt unten 289. 127 Vgl. Fromm 1991, 18 f. (Wandel vom Sein zum Haben), 79–81 (Haben als widernatürliches Streben nach Besitz), 145 („Entfremdung“), 99 (Sein als gelebte Relationalität), 153–160, 168–171 (Überwindung falscher Bedürfnisse). 128 Vgl. Hume, A Treatise of Human Nature III,1.1 (Hume 1896, 458). Emotivistische Ethiken, die auf Gefühlen aufbauen, werden in der Regel als nonkognitivistisch klassifiziert (vgl. Morscher 2002, 43 f.). Anders argumentieren Vertreter von Positionen, wonach Menschen überhaupt erst im Gefühl (Selbstbewusstsein) Zugang zur Wirklichkeit haben und dieses dadurch Grund jeder Wahrheitserkenntnis ist. Vgl. exemplarisch Stock 1995, 43: „In der Erlebnisgegenwart sind Gefühle stets auf erkennbare und gestaltbare Gegenstände bezogen, die im Moment des Fühlens auch als solche der Reflexivität des Bezeichnens und Gestaltens gegenwärtig sind.“ 123
124 Vgl.
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einem sozialen Umfeld entwickelt werden und daher auf die kulturelle Einbindung des Menschen verweisen.129 Im Vordergrund der Kritik an der Vorstellung „falscher“ Präferenzen steht zumeist ein dritter Aspekt. Es stellt sich nämlich die Frage, wer dazu ermächtigt ist, über die „wahren“ Präferenzen zu urteilen.130 Die Unterscheidung „wahrer“ und „falscher“ Bedürfnisse – so die These – lege die Grundlage für totalitäres Denken und Handeln, da der andere dann ja nicht wisse, was für ihn tatsächlich gut ist und daher zu seinem „Glück“ gezwungen werden müsse.131 3.) Bedürfnisse und das Kriterium der Menschengerechtigkeit. Die berechtigten Einwände gegen eine externe Bewertung von Bedürfnissen sollten nicht dazu führen, die Vorstellung „falscher“ Präferenzen vorschnell abzutun.132 Es ist zwar festzuhalten, dass auch „falsche“ Präferenzen tatsächliche Präferenzen sind. Diese sind jedoch (anknüpfend an die Überlegungen zum Zusammenhang von Sein und Sollen) einer normativen Perspektive zugänglich. Die tatsächliche Situation des Menschen ist nicht unbedingt seiner Bestimmung gemäß, d. h. sie ist nicht immer „menschengerecht“. Die Frage „wahrer“ oder „falscher“ Bedürfnisse richtet sich demnach „nicht nach Kategorien wie ‚natürlich‘ oder ‚künstlich‘, sondern ausschließlich nach ihrer Relation zur obersten ethischen Zielnorm“133. Was für einen Menschen „gut“ ist, entscheidet sich nicht ausschließlich am aktuellen Lustgefühl.134 In diesem Sinne sind Präferenzen, also der Bedarf an konkreten Gütern, dann „wahr“, wenn das Bedürfnis, das sie befriedigen sollen, mit einem menschengerechten Leben in Einklang steht. Wenn Güter in der Regel dazu dienen, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen, kann diesen ein positiver Wert beigemessen werden, unabhängig davon, ob sie tatsächlich nachgefragt
129 Vgl.
Mertens 1999, 452. Eidenmüller 1998, 331. Auch Marcuse selbst beantwortet die Frage damit, dass die Frage „in letzter Instanz […] von den Individuen selbst beantwortet werden“ (Marcuse 1967, 26) muss. Allerdings ist dies für ihn erst möglich, wenn der Zustand der Entfremdung überwunden ist, also „sofern und wenn sie frei sind, ihre eigene Antwort zu geben“ (Marcuse 1967, 26). 131 Vgl. Schmücker 2002, 309; Korff 1999a, 39 f. Bemerkenswert ist, dass Marcuse selbst darauf hinweist, die Vorstellung eines Zwangs zur Freiheit von falschen Bedürfnisse bilde „nicht nur den Kern des Sowjetmarxismus, sondern [sei] auch von den Theoretikern der ‚erzieherischen Diktatur‘, von Platon bis Rousseau verfochten worden.“ (Marcuse 1967, 60). Dennoch fährt er fort: „Und doch besteht die einzig mögliche Entschuldigung (sie ist schwach genug!) der ‚Erziehungsdiktatur‘ darin, daß das schreckliche Risiko, das sie einschließt, nicht schrecklicher als dasjenige sein kann, das die großen liberalen wie autoritären Gesellschaften jetzt eingehen, und daß die Kosten nicht viel höher sein können“ (Marcuse 1967, 61). 132 Die „merkwürdige Scheu, sich auf eine Diskussion darüber einzulassen, wann, unter welchen Umständen und auf der Grundlage welcher Prinzipien von dem Grundsatz der Präferenzautonomie abgewichen werden soll“ (Eidenmüller 1998, 350), ist aufgrund der mit der Unterscheidung „wahrer“ und „falscher“ Präferenzen verbundenen Probleme verständlich. Wie gesehen ist aber auch ein Vermeiden der Frage mit gravierenden Problemen behaftet. 133 Mertens 1999, 452; vgl. Korff 1999a, 40 f. 134 Vgl. Fromm 1991, 15–17; Gamwell 1984, 10 f., 33, 86–89. 130 Vgl.
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werden.135 Im positiven Sinne gilt dies für sogenannte „meritorische Güter“ wie etwa medizinische oder kulturelle Güter oder Sozialversicherungen. Diese tragen dazu bei, dass der Mensch ein seiner Verfasstheit entsprechendes Leben führt und sollten daher auch dann bereitgestellt werden, wenn eine entsprechende Zahlungsbereitschaft fehlt.136 Im Unterschied dazu führen „Ungüter“ wie Drogen oder erniedrigende Handlungen zwar zur Befriedigung aktueller Bedürfnisse, sie sind also ökonomische Güter. Zugleich stehen sie aber in Widerspruch zu den Grundbedingungen menschlichen Lebens und haben daher ein selbstzerstörerisches Potential.137 Verbreitet ist auch die Ansicht, dass erst auf wahre Bedürfnisse gerichtete Güter „wahre“ Befriedigung vermitteln können. „Glück(seligkeit)“ entsteht demnach nicht schon durch aktuelle Lustbefriedigung, sondern nur durch eine bestimmungsgemäße Lebensführung.138 4.) Universale Grundbedürfnisse. Die inhaltliche Bestimmung wahrer, also menschengerechter Bedürfnisse muss sich an der menschlichen Grundsituation orientieren. Aus der Beschreibung des Menschen als leibliche, relationale Person folgt, dass er in seiner Existenz auf die Erfüllung einiger Bedingungen angewiesen ist. Die daraus erwachsenden Bedürfnisse können daher als „Grundbedürfnisse“ verstanden werden. Zu einem menschengerechten Leben gehört es, dass diese erfüllt werden. „Die ‚Grundbedürfnisse‘ des Menschen ergeben sich aus dem Strukturaufbau seiner Existenz und machen sich von daher mit moralischem
135 Dieser Gedanke prägt die „materiale Wertethik“, die Peter Koslowski unter Rückgriff auf Max Scheler entwickelt (vgl. Koslowski 1994, 100–118, bes. 106). Problematisch am Ansatz Koslowskis ist jedoch, dass er meint, auf eine phänomenbezogene, an anthropologischen Einsichten orientierte (und daher perspektivische) Begründung der Werte verzichten zu können (vgl. Gerlach 2002, 142–147, 260). 136 Ihre staatliche Förderung etwa durch Subventionen oder Steuererleichterungen geht davon aus, dass Menschen diese Güter eigentlich anstreben sollten bzw. als Metapräferenzen anstreben, sie aber auf dem Markt nicht wählen (vgl. Musgrave et al. 1994, 87–90; Eidenmüller 1998, 348 f.; Rüffner 2007, 58–62). Damit begründen sich meritorische Güter nicht in individuellen Präferenzen, sondern in gesellschaftlichen Werturteilen (vgl. Rüffner 2007, 51–53). Im Rahmen eines liberalen Staatsverständnisses lässt sich die staatliche Förderung einiger der genannten Güter als Förderung positiver externer Effekte legitimieren (vgl. Rüffner 2007, 70). 137 In der Tradition Thomas von Aquins formuliert Gerhard Merk ein Konzept von „Ungütern“, das auf Thomas’ teleologischem Naturbegriff basiert (vgl. Merk o. J., 4): „Aus den Überlegungen zum Zweck und Ziel der Güterverwendung geht hervor, dass Waren und Leistungen zwar ihren Zweck der Bedürfnisbefriedigung erreichen können. Es ist aber möglich, dass sie nicht dem Ziel des Menschen dienen, nämlich seinem Naturstreben nach Wohlfahrt. Dann sind sie Ungüter.“ Vgl. Merk o. J., 8 f. Der Ansatz Merks zeigt aber auch die Problematik eines Konzepts von „Ungütern“: Es setzt eine konkrete Vorstellung von der Bestimmung menschlichen Lebens voraus. Welche Substanzen oder Handlungen als damit unvereinbar verstanden werden (was im negativen Sinne als „Droge“ oder „Pornographie“ klassifiziert wird), ist jedoch in hohem Maße durch die kulturelle Perspektive geprägt und nicht unbedingt aus der „Natur“ des Menschen erkennbar. 138 Vgl. Fromm 1991, 114–117; Steinmann 2008, 1016–1018; Lange 2008, 1020 f.; Gamwell 1984, 137 f.
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Teil III: Kritische Diskussion
Anspruch geltend.“139 Unter den verschiedenen Versuchen, die Grundbedürfnisse zu systematisieren, ist derjenige Abraham H. Maslows der verbreitetste. Er nennt (in hierarchisch absteigender Reihenfolge): Physiologische Bedürfnisse (Kleidung, Nahrung), Sicherheit (Recht, Unterkunft), Liebe (Familie, Kommunikation), Achtung („esteem“: Anerkennung, Erfolge), Selbstverwirklichung („self-actualization“: Individualität, Persönlichkeitsbildung).140 Die genannten Bedürfnisse entsprechen den menschlichen Grundeigenschaften der Leiblichkeit (physiologische Bedürfnisse), Sozialität (Sicherheit und soziale Bedürfnisse) und Personalität (Individualbedürfnisse und Selbstverwirklichung). Der Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität entspricht das Gegenüber des Wunsches nach Zugehörigkeit (Sozialbedürfnisse) und nach Distinktion (Individualbedürfnisse).141 Es scheint daher fraglich, ob die hierarchische Ordnung Maslows Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Jedenfalls benennt er Grundbedürfnisse, die sich aus der menschlichen Grundstruktur ableiten lassen und die daher als Kriterium menschengerechten Lebens gelten können. In Anlehnung an Martha Nussbaum kann man insofern von „essentialistischen“ Grundfähigkeiten sprechen. Aus universalen menschlichen Eigenschaften ergeben sich Fähigkeiten, die gewährt sein müssen, ohne deren Gewährleistung „ein Leben […] mangelhaft und zu verarmt wäre, um überhaupt menschliches Leben zu sein. Offensichtlich könnte es dann nämlich kein gutes menschliches Leben sein.“142 Menschliches Leben gibt es in einer Vielzahl geschichtlicher Formen. Entsprechend können die elementaren Fähigkeiten auf unterschiedlichste Weise verwirklicht werden, bilden aber zugleich einen universalen Maßstab für menschengerechtes Leben.143 5.) Die unterschiedliche Dringlichkeit von Bedürfnissen. Dass Grundbedürfnisse in einem fundamentalanthropologischen Sinne als wahr gelten, bedeutet nicht, dass nur sie „wahre“ Bedürfnisse sein können. Denkbar sind weitere Bedürfnisse (wie z. B. das nach Unterhaltung oder Prestige), die nicht grundsätzlich dem Prinzip der Menschengerechtigkeit widersprechen. Die Rede von Korff 1999a, 32. Maslow 1943, bes. 372–383. 141 Vgl. Hemel 2010, 154. Hemel leitet daraus die These ab, Wettbewerb und Kooperation seien gleichermaßen in anthropologischer Hinsicht elementar und ambivalent. 142 Nussbaum 1995, 337; vgl. Nussbaum 1995, 326 f.; Nussbaum 2006, 181 f. Nussbaums konkrete Liste elementarer menschlicher Funktionsfähigkeiten (vgl. Nussbaum 1995, 339 f.; Nussbaum 2006, 76–78) ist anders strukturiert als Maslows Liste von Grundbedürfnissen. Sie kann aber wie diese zurückgeführt werden auf physische Fähigkeiten (Gesundheit, Freiheit von Schmerz), soziale Fähigkeiten (Fähigkeit zu Bindung und Anteilnahme) und personale Fähigkeiten (Entwicklung einer Auffassung des Guten, Spiel, Eigenständigkeit). Anders als Nussbaum es beansprucht (vgl. Nussbaum 2006, 182), ist allerdings auch ihr Verständnis des Menschen und des guten Lebens Ausdruck einer spezifischen Weltanschauung und nicht frei von Metaphysik (vgl. Käfer 2012, 118 f., 122 f.). 143 Vgl. Nussbaum 1995, 341–343. Das Konzept der Grundbedürfnisse hat daher auch einen normativen Gehalt (vgl. Birnbacher 1979, 32 f.). 139
140 Vgl.
2. Diskussion von Friedmans anthropologischen Grundlagen
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Grundbedürfnissen legt jedoch eine zweite, intuitiv einleuchtende, Folgerung nahe: Menschliche Bedürfnisse haben eine unterschiedliche Dringlichkeit. Entsprechend haben nicht alle Präferenzen denselben Stellenwert.144 Der Bedarf an Gütern, die ein menschengerechtes Leben erst ermöglichen, ist in einem interpersonalen Nutzenvergleich höher einzuschätzen als Wünsche, die darüber hinaus gehen. Das Bedürfnis eines hungernden Menschen nach Nahrung und auch das eines vereinsamten Menschen nach Kommunikation sind stärker zu gewichten als Bedürfnisse nach einem Sportwagen, Schmuck oder der Eintrittskarte für ein Fußballstadion. Als weniger dringlich erscheint insbesondere ein Bedarf, den Menschen nicht aus sich selbst heraus entwickeln, sondern der erst durch äußere Einflüsse – etwa durch Werbung – erzeugt wird.145 Dies ist insofern bemerkenswert, als durch den nach der wirtschaftswissenschaftlichen Methode üblichen Verzicht auf interpersonalen Nutzenvergleich die Dringlichkeit von Bedürfnissen unterschiedlicher Menschen nicht verglichen werden kann.146 Auch Friedmans Ansatz der Präferenzautonomie versucht konsequent, eine (auch nur graduelle) Bewertung von Präferenzen zu vermeiden. Demgegenüber ist zumindest davon auszugehen, dass Bedürfnisse unterschiedlich dringend sind und daher im Konfliktfall unterschiedlich stark gewichtet werden müssen. Offen ist hingegen weiterhin die Frage, ob auch die Rede von „falschen“ Präferenzen sinnvoll ist. 6.) Die Differenz von wahren und falschen Präferenzen als Möglichkeit zur Sünde. Eine theologisch-ethische Perspektive legt den Maßstab der Menschengerechtigkeit auch an das Streben des Menschen an. Wo Menschen Begehrlichkeiten entwickeln, die im Widerspruch stehen zu dem, was ihr Wesen ausmacht, kann in der Tat von Präferenzen gesprochen werden, die in einem existentiellen Sinne „falsch“ sind. Das Gewissen ist das Medium des Wissens um die eigenen Präferenzen. Als solches kann es jedoch auch an fehlgeleiteten Präferenzen orientiert sein. Das Gewissen ist nicht nur Ort der Gottes‑ und Selbsterkenntnis, sondern auch des existentiellen Irrtums über das eigene Dasein.147 Die Einsicht in die Möglichkeit verfehlter Zielvorstellungen ist der Kern theologischer Rede von der „Sünde“.148 Eine theologische Ethik kann daher auf die Unterscheidung 144 Vgl.
Satz 2010, 20 f. Galbraith 1958, 119–123. 146 Damit wird zugleich eine zweite Grundannahme ökonomischer Theoriebildung – die des abnehmenden Grenznutzens – ausgeklammert (vgl. Galbraith 1958, 112–118). 147 Vgl. allgemein Schockenhoff 1990, 134–139 sowie Hirsch 1954, 143–149 zum „bösen Gewissen“ bei Luther. Vorausgesetzt ist dabei die Möglichkeit eines irrenden Selbstbewusstseins, also die Möglichkeit, sich selbst misszuverstehen (vgl. Gamwell 1984, 72). 148 Nicht das Streben (die Konkupiszenz) als solches, sondern die Täuschung über das Gute ist Grund der Sünde. Dass Sünde ihrem Wesen nach ein verfehltes Streben ist (und nicht moralisch verwerfliche Einzelhandlungen), kommt zum Ausdruck in Gen 8,21 („[D]as Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“) und Röm 7,7b („Aber die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz. Denn ich wußte nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: ‚Du sollst nicht begehren!‘“). Zur Zentralstellung des „Begehrens“ für das 145 Vgl.
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Teil III: Kritische Diskussion
zwischen wahren und falschen Präferenzen nicht verzichten. Sie kann nicht „das ethisch Wünschenswerte mit dem tatsächlich Gewünschten identifizier[en]“.149 Mit Paul Tillich kann man Sünde als die Entfremdung des Menschen von seinem wahren Sein beschreiben.150 Diese Entfremdung manifestiert sich darin, dass Menschen ein Leben führen, das die Grundrelationen ihrer Existenz negiert: Sie verabsolutieren sich selbst durch übersteigerten Egoismus, ignorieren ihre Bezogenheit und Angewiesenheit auf ihre soziale und physische Umwelt und verwechseln Dinge der Welt mit Gott, indem sie existentielles Vertrauen in sie setzen.151 Auf Dauer führt ein Leben im Widerspruch zu den Grundbedingungen des eigenen Daseins zur Minderung von Lebensqualität. „Selbstzerstörerische Folgen“152 verfehlten Lebens stehen daher der Glückseligkeit gelingenden Lebens gegenüber. Ein menschengerechtes Leben ist nur dann möglich, wenn falsche Präferenzen überwunden und durch menschengerechte ersetzt werden.153 7.) Die Liebe als wahre Präferenz. Die materialen Aussagen über wahre Präferenzen waren bisher an der anthropologischen Beschreibung menschlicher Relationalität orientiert. Darin zeigt sich die normative Relevanz von Seinsaussagen: Bestrebungen und Handlungsweisen, die einer realistischen Beschreibung des menschlichen Wesens zuwiderlaufen, können nicht normativ richtig sein. Offensichtlich nicht menschengerecht sind also Präferenzen, die darauf abzielen, eine oder mehrere Dimensionen des Relationengefüges zu übergehen (etwa, wenn die Koexistenz anderer oder die eigene Personalität systematisch ausgeblendet werden). Normative Aussagen über die Qualität der Beziehungen gehen über diese Feststellung hinaus – sind also in Gewissenserfahrungen begründet. Für den christlichen Glauben ist es zentral, dass personale Beziehungen am Maßstab der Sündenverständnis in anderen Texten des Neuen Testaments und im hellenistischen Judentum vgl. Lichtenberger 2004, 242–256. In der Theologiegeschichte war es besonders Augustin, der auf diesen Aspekt eindringlich hingewiesen hat. Insbesondere findet dies seinen Ausdruck darin, dass er Sünde als „amor sui“ beschreibt (Augustin, De civitate Dei, XIV, 28 [lat. Augustinus 1988, 360; dt. Augustinus 2007, 210]; vgl. Augustinus, Confessiones II,4,9 [Augustinus 2004, 76–79] sowie Pannenberg 1983, 83–100. 149 Lange 1992, 489; vgl. Tillich 1987 (Bd. II), 49. 150 Vgl. Tillich 1987 (Bd. II), 52–55, bes. 53: „Der Mensch als ein Existierender ist nicht, was er essentiell ist und darum sein sollte. Er ist von seinem wahren Sein entfremdet. Die Tiefe des Begriffs ‚Entfremdung‘ liegt darin, daß man essentiell zu dem gehört, wovon man entfremdet ist. Der Mensch ist seinem wahren Sein nicht fremd. Es ist sein Sein, von dem er nicht loskommen kann, auch wenn er es möchte – wie er auch von Gott nicht loskommen kann, da er zu Gott gehört.“ Tillichs Unterscheidung zwischen Existenz und Essenz entspricht der hier vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen „vorfindlichem Sein“ und „Bestimmung“ des Menschen (vgl. Tillich 1987 [Bd. II], 28). Ein Verständnis von Sünde als Entfremdung vom relationalen Selbst findet sich auch bei Erich Fromm (vgl. Fromm 1991, 117–122). Zum theologischen Hintergrund und Gehalt des Begriffs „Entfremdung“ vgl. Pannenberg 1983, 260–278. 151 Vgl. Knuth 2001, 49–63. Die Entfremdung vom relationalen Selbst schließt also eine Entfremdung von Gott und menschlicher wie nichtmenschlicher Umwelt ein (vgl. Pannenberg 1983, 276). 152 Tillich 1987 (Bd. II), 44. 153 Vgl. dazu unten Exkurs: Umfassende Freiheit und „Freiheit in Christus“.
2. Diskussion von Friedmans anthropologischen Grundlagen
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Liebe auszurichten sind.154 Diese Sicht der Bestimmung des Menschen verdankt sich der Begegnung mit Jesus Christus, in der sich Gott als Liebe offenbart.155 Das menschliche Beziehungsgefüge hat also seinen Grund in der göttlichen Liebe, die deswegen auch seine Ausgestaltung orientieren soll. Für die Auseinandersetzung mit Friedmans Freiheitsverständnis ist festzuhalten: Aus theologischer Sicht gibt es in einem existentiellen Sinne falsche Präferenzen, die dem Menschen ein bestimmungsgemäßes Leben unmöglich machen und die Qualität seines Lebens mindern. Damit ist keine Aussage über ethische und politische Konsequenzen dieser Einsicht gemacht – also darüber, ob Menschen zu ihrem Glück gezwungen werden dürfen oder sollten. Ob es legitim ist, falsche Präferenzen einzugrenzen oder ob es gerade geboten ist, Menschen auch irren zu lassen, bleibt der im Zusammenhang des Freiheitsverständnisses folgenden Diskussion über den normativen Gehalt der Präferenzautonomie vorbehalten. 2.2.5 Präferenzautonomie und innere Freiheit Im Rahmen der Friedman-Interpretation wurde die Frage diskutiert, ob die Annahme, dass Menschen immer nach ihrem Eigennutzen streben, vereinbar ist mit der Annahme innerer Freiheit. Diese Frage gewinnt an Bedeutung, wenn das Kriterium der Menschengerechtigkeit für die Freiheitstheorie fruchtbar gemacht werden soll. Die bisherigen Überlegungen ergaben, dass neben der Zielgerichtetheit menschlichen Strebens auch die mit innerer Freiheit verbundene Personalität zu den Voraussetzungen menschlicher Freiheit gehört. Gerade weil Menschen in der Lage sind, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten, ist ihre Freiheit ein wichtiges soziales Gut. Die Berücksichtigung von Fragen nach der Willensfreiheit (erste Reflexionsebene) ist für eine Betrachtung der Handlungsfreiheit (zweite Reflexionsebene) somit unerlässlich. Daher ist zu fragen, wie die Ausrichtung des Menschen auf bestimmte Ziele und seine innere Freiheit zusammengedacht werden können. 1.) Die Vorgegebenheit von Präferenzen. Friedman erachtet Präferenzen als „gegeben“. Dies ist in einer Hinsicht durchaus angemessen: Wahlakte beruhen immer schon auf einer Präferenzordnung (einer Vorstellungen vom Guten) – also darauf, dass bestimmte Zustände als (vergleichsweise) attraktiv erlebt werden. Umgekehrt bedeutet dies, dass Präferenzen nicht durch menschliche Wahl154 Das gilt also für die Beziehung des Menschen zu sich selbst, zur personalen Umwelt (Mitmenschen) und zu Gott, wie es im Doppelgebot der Liebe prägnant zusammengefasst ist (Mk 12,29b–31). Für die apersonale Umwelt (Natur) kann dies nicht in gleicher Weise gelten. Als notwendiger Bestandteil des durch Liebe qualifizierten Beziehungsgefüges kommt ihr dennoch eine eigene Würdigkeit zu. 155 Vgl. 1.Joh 4,8 f. Zugleich steht die christliche Theologie damit in der Tradition des Alten Testaments, die ebenfalls die Bestimmung des Menschen zur Liebe gegenüber Gott und dem Nächsten kennt (vgl. Wolff 1977, 324 f.).
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Teil III: Kritische Diskussion
akte konstituiert werden.156 „Präferenzautonomie“ kann also nicht besagen, dass Menschen Autonomie gegenüber ihren Präferenzen in dem Sinne haben, dass sie diese willkürlich frei setzen können. Was ein Mensch wollen kann, hängt immer davon ab, welche Güter sich ihm aufgrund seiner Erfahrungen als erstrebenswert erschlossen haben. Insofern ist menschliche Freiheit stets „im Gewissen gebunden[]“157. 2.) Die Formbarkeit von Präferenzen. Dennoch sind Präferenzen nicht in dem Sinne vorgegeben, dass Menschen sie nur passiv erleiden und ihnen so sklavisch ausgeliefert wären. Vielmehr beschreibt etwa Bruno Frey eine Reihe von Verhaltensmustern, durch die Menschen gezielt Einfluss auf ihre eigenen Präferenzen nehmen.158 So können Menschen versuchen, ihre Wünsche an die gegebene Wirklichkeit anzupassen (adaptive Präferenzbildung), um so ein größeres Maß an Zufriedenheit zu erreichen. Das kann entweder dadurch geschehen, dass für unrealistisch gehaltene Ziele geringer geschätzt werden, oder dadurch, dass erreichbare höher bewertet werden. Im Zuge einer bewussten Charakterplanung können Menschen versuchen, bestimmte Präferenzen zu entwickeln. So kann etwa der wiederholte Besuch von Konzerten mit dem Ziel erfolgen, über eine bessere Kenntnis der entsprechenden Musikrichtung auch mehr Freude an ihr zu entwickeln. Schließlich neigen Menschen dazu, ihre Präferenzen dahingehend anzupassen, dass ihnen unangenehme Konsequenzen nicht eintreten (aktive Wahl zur Dissonanzreduktion). Die meisten dieser von Frey beschriebenen Formen des Einflusses auf die eigenen Präferenzen lassen sich so verstehen, dass sie in Einklang mit Metapräferenzen gebracht werden sollen (z. B. Zufriedenheit oder Kulturliebe). Offen bleibt dabei jedoch die Frage, welche Metapräferenzen für einen Menschen leitend sind und ob auch hier eine Einflussnahme möglich ist. 3.) Vorgegebene Präferenzen und innere Freiheit. Die vorangegangenen Abschnitte haben darauf hingewiesen, dass wir nicht von einer völlig stringenten Präferenzordnung geleitet werden, dass wir permanent Zielkonflikte austragen und keineswegs immer in Übereinstimmung mit unseren tatsächlichen Präferenzen handeln. Dadurch erscheint es als ausgeschlossen, dass menschliches Handeln durch die es leitenden Gütergewissheiten vollständig bestimmt ist. Ob Menschen innerlich frei sind, entscheidet sich daher nicht an der Frage, ob sie ihre Präferenzen willkürlich setzen können. Zum einen besteht Freiheit dahingehend, durch welche Tätigkeiten wir unsere Ziele erreichen wollen.159 Offen ist 156 Vgl. Dalferth 2011, 3. Der Sache nach thematisiert dies bereits Martin Luther in seiner Kritik an einem freien Willen zum Heil. Luther verweist darauf, dass der Mensch nicht darüber verfügen kann, worauf sein Herz ausgerichtet ist (vgl. Luther, De servo arbitrio [Luther 1908a, bes. 635 f.] sowie dazu Hermanni 2003, 89–94). 157 Gräb-Schmidt 2010, 500. 158 Vgl. Frey 1990a, 136 f. 159 Martin Luther spricht in diesem Sinne von einer Freiheit gegenüber den Dingen im Unterschied zur Unfreiheit zum Heil (vgl. Hermanni 2003, 96 f., 102).
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auch die Frage, welche der vorhandenen, teils widersprüchlichen, Neigungen tatsächlich handlungswirksam wird.160 Darin kann eine Gemeinsamkeit mit dem neurobiologischen Forschungsprogramm Benjamin Libets gesehen werden. Demnach setzen menschliche Entscheidungen die Aktivierung eines Bereitschaftspotentials voraus. Sie werden dadurch jedoch nicht hinreichend determiniert.161 Innere Freiheit setzt demnach nicht eine Freiheit von Neigungen oder Vorstellungen vom Guten voraus. Sie erfordert jedoch, dass Menschen aufgrund ihrer Personalität zur Selbstreflexion und Selbstdistanzierung fähig sind. Dadurch sind sie in der Lage, sich von den aktuell dominierenden Affekten zu distanzieren und sich um eine als selbstbestimmt erlebte Lebensführung zu bemühen. Nach Peter Bieri besteht innere Freiheit gerade in einem solchen selbstgesteuerten Umgang mit den eigenen Neigungen.162 Ermöglicht wird sie dadurch, dass wir durch Artikulation Klarheit über unsere Wünsche gewinnen, dass wir sie im Gesamtzusammenhang unserer Wünsche verstehen und dass wir sie als von uns selbst bejahte Wünsche billigen.163 Insofern ist es durchaus angemessen, wenn Bieri davon spricht, dass wir uns innere Freiheit unter der Bedingung vorgegebener Präferenzen aneignen können.164 Zu betonen ist dabei, dass dieser Prozess sich stets in sozialen Bezügen abspielt, also auch von Kommunikations‑ und Interaktionsgemeinschaften geprägt wird. Insgesamt lässt sich festhalten: Menschen agieren immer auf Grund einer bestimmten Erschlossenheitslage über ihr Dasein in der Welt. Menschliche Freiheit kann von daher nicht als die eines autonomen Vernunftwesens verstanden werden. Ihr liegen immer Neigungen und Vorstellungen vom Guten zugrunde, die in einem sozialen Erfahrungs‑ und Kommunikationszusammenhang gebildet werden.165 Dadurch wird innere Freiheit eingeschränkt und qualifiziert, aber nicht unmöglich. Es ist daher phänomengerecht, wenn sowohl die menschliche Personalität als auch das Gegebensein von Präferenzen in der Diskussion über Handlungsfreiheit vorausgesetzt werden. 2.2.6 Kritische Würdigung von Friedmans Position Friedmans Anthropologie geht davon aus, dass Menschen in all ihrem Tun ihr Eigeninteresse verfolgen. Im Horizont ethischer Theoriebildung lässt sich das so 160 Vgl. 161 Vgl.
Bieri 2001, 37. Libet 2005, 160–199, bes. 183–186; Gräb-Schmidt 2013, 283, 292; Hübner 2011,
129–131. 162 Vgl. Bieri 2001, 382: „Dieser gestaltende, schöpferische Aspekt des Entscheidens beruht […] auf der Fähigkeit, einen inneren Abstand zu uns selbst aufzubauen und uns dadurch in unserem Willen zum Thema zu werden.“ 163 Vgl. Bieri 2001, 385–408. 164 Vgl. Bieri 2001, 382–384; Hübner 2011, 136–138. 165 Vgl. Bieri 2001, 51 f.; Hübner 2011, 131–133.
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reformulieren, dass Menschen nach Gütern streben, die ihnen aus subjektiver Perspektive attraktiv erscheinen. Zu Recht weist Friedman darauf hin, dass dies Güter unterschiedlichster Art (z. B. materielle und nicht-materielle Güter) sind, und unterscheidet er zwischen egoistischen und (auch) altruistischen Motiven. Er beschreibt damit die menschliche Lebenswirklichkeit in einer angemessenen und differenzierten Weise. Es ist auch durchaus überzeugend, dass Friedman darauf hinweist, dass Menschen oft von egoistischen Motivationen getrieben sind und großen Wert auf materielle Güter legen. Jede Gesellschaftstheorie, auch eine ethische, muss dem Rechnung tragen. Andererseits zeigt sich bei Friedman die Tendenz, egoistische Motive zu verabsolutieren. Damit steht er in der Gefahr, wichtige Handlungsmotive wie z. B. soziale Präferenzen in seiner Analyse zu vernachlässigen. Dass Friedman von der Entstehung von Präferenzen abstrahiert, erscheint für (manche) ökonomische Analysen ebenso als angemessen wie die Annahme stabiler Präferenzen. Doch diese methodische Entscheidung schränkt die Leistungsfähigkeit seiner ökonomischen Theorie auch ein. Insbesondere ergeben sich Schwierigkeiten, wenn aus ihr eine allgemeine Gesellschaftstheorie entwickelt werden soll. Friedman geht so vor, dass er gesellschaftliche Institutionen aus Präferenzen ableitet. Er blendet dabei systematisch aus, dass Institutionen auf die Entstehung von Präferenzen einwirken. Statt die Wechselwirkung zwischen sozialen Strukturen und individuellen Wertvorstellungen in den Blick zu nehmen, muss Friedman daher – dies hatte sich schon in den Kapiteln 5 und 9 der Friedman-Interpretation (Teil II) gezeigt – die Existenz bestimmter Wertvorstellungen schlicht voraussetzen. Als problematisch erweist sich Friedmans Vorgehen, mittels des Revealedpreferences-Ansatzes Präferenzen aus Wahlakten abzulesen, beide also letztlich miteinander zu identifizieren. Versteht man unter Präferenzen die Wahlakten zugrunde liegenden Wertvorstellungen, so lassen diese sich nicht unmittelbar aus jenen ableiten. Grund dafür ist erstens die Möglichkeit technischer Irrtümer. Zweitens ist es ein alltägliches Phänomen, dass Menschen ihre eigenen Ziele als zwiespältig erleben. Sie schränken daher gezielt ihre Handlungsalternativen ein, um sicherzustellen, dass sie ihr „eigentliches“ Ziel auch tatsächlich verfolgen. Drittens haben Menschen Metapräferenzen – also den Wunsch, bestimmte Handlungsmuster zu entwickeln, die ihren aktuellen gerade nicht entsprechen. Die Einwände gegen das Konzept der „revealed preferences“ haben zwei Konsequenzen: Erstens wurde in diesem Abschnitt insbesondere darauf hingewiesen, dass diese Phänomene dazu führen, dass individuelle Präferenzstrukturen nur durch Introspektion im Medium des Gewissens erkannt werden können. Dabei kann der Beobachtung von Wahlakten eine „(selbst)aufklärerische“ Bedeutung zukommen. Mit der Notwendigkeit von Introspektion ist ein Anliegen Friedmans sogar noch bestärkt worden: Präferenzautonomie im deskriptiven Sinne geht davon aus, dass die individuelle Präferenzstruktur letztlich nur dem Individuum
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selbst zugänglich ist. Dies ist umso mehr festzuhalten, wenn von Wahlakten nicht unmittelbar auf dahinter liegende Wertvorstellungen geschlossen werden kann. Eine zweite Konsequenz ist für die weitere Argumentation mindestens ebenso bedeutend: Wenn Präferenzen und Wahlakte auseinanderfallen können, dann führen unbeeinflusste Wahlen nicht immer zur Maximierung individuellen Nutzens. Wenn Menschen daran interessiert sind, ihre Präferenzen zu verfolgen, können sie also auch an der Einschränkung von Handlungsalternativen interessiert sein. Dies belegt das Phänomen, dass Menschen Kosten in Kauf nehmen, um ein bestimmtes Verhalten durch Selbstbindung abzusichern. Ebenso können Einschränkungen dem Verfolgen eigener Ziele zuträglich sein, wenn sie die Gefahr des technischen Irrtums reduzieren. Gewichtige Gründe sprechen gegen die von Friedman vorgenommene Identifikation von individuellen Präferenzen und Wahlakten. Damit ist aber auch der von ihm vorausgesetzte bruchlose Zusammenhang von Wahlakten und individuellem Vorteil nicht gewährleistet. Eine weitere Differenz zu Friedman zeigt sich bei der Frage, ob menschliche Präferenzen irren können. Nimmt man – wie Friedman – die Präferenzen selbst als Ausgangspunkt ethischer Theoriebildung, so ist diese Frage zu verneinen. Alle Präferenzen – und zwar alle Präferenzen gleichermaßen – sind dann als solche zu akzeptieren.166 Zutreffend daran ist, dass Präferenzen auf der affektiven Ebene angesiedelt sind und damit nicht in einem „faktischen“ Sinne „falsch“ sein können. Präferenzen sind daher nie nur eingebildet, sondern immer „tatsächlich“. Auch schärft gerade die Einsicht, dass Präferenzen nicht äußerlich ablesbar sind das Bewusstsein dafür, dass ein externes Urteil über die Wertvorstellungen anderer problematisch ist. Einwände gegenüber Friedman ergeben sich jedoch aus der Orientierung am ethischen Kriterium des Menschengerechten. Dieses bildet auch einen Maßstab zur Beurteilung von Gütern. Einerseits führt dies dazu, dass diejenigen Grundbedürfnisse, die sich aus der Struktur des Menschseins ergeben, positiv qualifiziert sind. Die Versorgung mit Gütern wie Nahrung und Kleidung (aufgrund der Leiblichkeit), Rechtsschutz und sozialer Anerkennung (aufgrund der Relationalität) sowie die Möglichkeit zu Individualität und Selbstverwirklichung (aufgrund der Personalität) ist daher grundsätzlich anzustreben. Sie ist grundsätzlich als dringlicher anzusehen als die Versorgung mit weiteren Gütern, die das Leben angenehmer machen. Andererseits bildet das Menschengerechte auch ein Kriterium für im existentiellen Sinne falsche Präferenzen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Widerspruch zur Verfasstheit und Bestimmung menschlichen Seins stehen. Sie sind Gegenstand der theologischen Rede von der Sünde. Ihre – dem Menschen unverfügbare – Überwindung ist Voraussetzung für ein Leben, das dem Kriterium der Menschengerechtigkeit vollumfänglich gerecht wird. 166 Zur Spannung zwischen Präferenzautonomie und Grenzen individueller Freiheit bei Friedman vgl. unten 5.5 Verantwortung als moralische Verpflichtung.
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Grundsätzlich besteht Einigkeit mit Friedman dahingehend, dass die Tatsache, dass Menschen stets ihr Eigeninteresse verfolgen, nicht in Widerspruch dazu steht, dass sie innerlich frei sind. Die dargestellten Beobachtungen über unvollständige Präferenzordnungen, Zielkonflikte und das mögliche Auseinanderfallen von Handlungen und Präferenzen helfen dabei, mögliche Freiheitsspielräume besser zu beschreiben, als Friedman dies vermag. So kann die Bedeutung der menschlichen Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und ‑reflexion für die Entwicklung innerer Freiheit angesichts menschlichem Handeln vorgegebener Präferenzen deutlich gemacht werden.
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit Bei der Interpretation Friedmans erwies es sich als zentral, dass dieser den ontologischen Individualismus und die deskriptive Präferenzautonomie zum Ausgangspunkt einer normativen Argumentation nimmt. Sie bilden die Grundlage für das individuelle Recht, eigene Präferenzen zu verfolgen, dem nach Friedman Freiheit im negativen Sinne als höchstes soziales Gut entspricht. Im vorangegangenen Kapitel wurde Friedmans Sicht auf Individualismus und Präferenzautonomie in Grundzügen bestätigt, aber auch als teilweise reduktionistisch und zu undifferenziert kritisiert. Diese Kritik hat Konsequenzen für ein angemessenes (menschengerechtes) Verständnis menschlicher Freiheit, was in diesem Kapitel ausgeführt werden soll. Zunächst ist jedoch zu fragen, inwiefern nach der deskriptiven Kritik überhaupt der normative Sinn der Präferenzautonomie aufrecht erhalten werden kann (3.1). Davon ausgehend wird dann begründet, warum in dieser Arbeit ein umfassendes Verständnis von Freiheit gegenüber einem rein negativen Freiheitskonzept den Vorrang erhält (3.2) und welche Voraussetzungen für die Gewährleistung umfassender Freiheit gewährleistet sein müssen (3.3).
3.1 Die Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung in geschöpflicher Freiheit Aufgrund der logischen Differenz von Sein und Sollen kann aus der deskriptiven Aussage, dass Menschen stets bestimmte Güter anstreben, nicht gefolgert werden, dass sie auch das Recht dazu haben. Ebenso wenig folgt aus der Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung (seiner Personalität) ein Recht zur Selbstbestimmung. Friedman vermeidet einen naturalistischen Fehlschluss, indem er stattdessen ein Recht auf das Verfolgen des eigenen Nutzens (normative Präferenzautonomie, Recht auf Selbstbestimmung) als „Glaubenssatz“ einführt. Friedman ist sowohl in Bezug auf die Unableitbarkeit normativer aus deskriptiven Aussagen zuzustimmen als auch in Bezug auf das Recht auf individuelle Selbstbestimmung. Allerdings kann dieses über Friedman hinausgehend plausibilisiert und konkretisiert werden. Dazu ist zu beachten, dass Sollenserfahrungen immer auf Seinserfahrungen bezogen sind. Das Recht auf freie Selbstbestimmung setzt Annahmen über das menschliche Dasein voraus. Ein angemessenes normatives
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Teil III: Kritische Diskussion
Verständnis von Freiheit muss diesen gerecht werden. Im Folgenden ist also zu fragen: Was sind die Voraussetzungen menschlicher Freiheit und was bedeutet dies für ihre Normativität? Das im ersten Kapitel formal als „das Menschengerechte“ eingeführte Kriterium wird dadurch hinsichtlich der Freiheitsthematik inhaltlich bestimmt. Dazu sollen aus Perspektive einer phänomenorientierten Ethik drei Dimensionen menschlicher Freiheit benannt werden: Menschliche Freiheit setzt die Fähigkeit zu Selbstbestimmung voraus (1.), ist aber immer durch physische und soziale Aspekte bedingt (2.) und verdankt ihre Existenz einem transzendenten Grund (3.). Schließlich ist auf den normativen Gehalt der so charakterisierten Freiheit einzugehen (4.). 1.) Die Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung. Die Freiheit des Menschen wird zum Thema angesichts seiner Personalität. Die Fähigkeit zur intentionalen Selbstbestimmung ist dem Menschen vorgegeben. Sie ist Grund, nicht Ergebnis seiner Aktivität.1 Unter dieser Voraussetzung lässt sich plausibel machen, warum Menschen – anders als Tiere oder Pflanzen – ein Recht darauf haben, ihr Leben selbst zu bestimmen. Die deskriptiv feststellbare Personalität des Menschen bietet also einen Anknüpfungspunkt für das Recht, eigene Präferenzen zu verfolgen, da letzteres erstere voraussetzt. Da auch Friedman von der Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung ausgeht2, kann hier eine gemeinsame Argumentationsgrundlage gesehen werden. Einschränkend ist zu sagen, dass Menschen nicht immer und nicht in jeder Lebensphase die Fähigkeit zu bewusster Selbstbestimmung haben (z. B. Säuglinge, Menschen im Koma oder mit starker Demenz). Die folgende Argumentation kann diese Fälle aufgrund der Konzentration auf das Thema der Freiheit nicht ausführlich diskutieren. Es sei daher eigens darauf hingewiesen, dass weder die Würde des Menschen noch sein Recht, dass seine Bedürfnisse angemessen berücksichtigt werden, aus der Fähigkeit zur Selbstbestimmung abgeleitet werden. Diese bildet lediglich die Grundlage für das Recht auf Selbstbestimmung für diejenigen, die zu ihr in der Lage sind. Die normative Präferenzautonomie ist jedoch auch für jene nicht unerheblich, die zu einer aktiven Selbstbestimmung nicht in der Lage sind. Ihre (ggf. vermuteten) Wünsche und Bedürfnisse sind demnach ein entscheidender Maßstab für einen angemessenen Umgang mit ihnen und eine angemessene Sorge um sie. 2.) Menschliche Freiheit als bedingte Freiheit. Allerdings ist die Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung nicht unbegrenzt.3 Sie darf weder im Sinne einer Selbstsetzung noch einer unbeschränkten Bestimmung des eigenen Selbst missverstanden werden.4 Auch darauf liefert Friedman einen Hinweis. 1 Vgl.
Henrich 2007, 58–60, 281–285. oben 87. 3 Zur Kritik an der Vorstellung unbedingter Freiheit vgl. Bieri 2001, 230–279. 4 Vgl. zum unrealistischen Verständnis menschlicher Freiheit als schöpferische Selbstkonstitution in der Moderne und seinen Konsequenzen Schwöbel 2002a, 233–243. 2 Vgl.
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
299
Physical and human characteristics limit the alternatives available to us. But none prevents us, if we will, from building a society that prevails primarily on voluntary cooperation to organize both economic and other activity, a society that preserves and expands human freedom.5
Friedman bringt hier zum Ausdruck, dass menschliche Freiheit unter ihr vorgegebenen Bedingungen vollzogen wird.6 Als leibliche Wesen unterliegen Menschen erstens den physischen Naturgesetzen. Das schränkt die Möglichkeiten ihrer Handlungen unmittelbar ein (sie können nicht fliegen und nicht an zwei Orten gleichzeitig sein). Auch die Präferenzen und Entscheidungen eines Individuums sind nicht unberührt von physischen Zusammenhängen. Diese erstrecken sich nicht nur auf den Menschen als freies Subjekt, sondern auch auf mögliche Gegenstände seines Handelns. Sei es als erstrebte Ziele oder als Mittel zum Erreichen von Zielen, stehen sie nur in begrenzter Menge und mit dem Menschen vorgegebenen Eigenschaften zur Verfügung. Sie bedingen daher unsere Freiheit, ohne sie hinreichend zu determinieren.7 Die Freiheit eines Menschen ist zweitens dadurch bedingt, dass ihm seine Personalität in einer konkreten Gestalt vorgegeben ist.8 Personales Selbstbewusstsein setzt immer voraus, dass Menschen ihr Sein in der Welt in einer inhaltlich gefüllten Weise erschlossen ist. Diese Erschlossenheitslage gehört zu den Bedingungen, die menschlichem Freiheitsgebrauch immer schon voraus liegen.9 Der Möglichkeitsraum menschlicher Freiheit wird durch Interpretationsakte qualifiziert, in denen Menschen ihre eigene Situation deuten und so den Möglichkeitsraum selbstbewusster Handlungen definieren.10 Der Mensch ist drittens eingebunden in soziale Zusammenhänge, die sich nicht auf physische Prozesse reduzieren lassen.11 Dazu gehört die eigene Lebensgeschichte und das daraus erwachsene Selbstverständnis ebenso wie das Zusammensein mit anderen Personen. Deren Präsenz und ihr Verhalten wirken unmittelbar auf unsere Aktionen und deren Folgen ein. Andere Personen reagieren aber auch auf uns. Dies gilt auch, aber weit weniger unmittelbar, für formelle und informelle Regeln des sozialen Zusammenlebens. Menschliches Leben steht also in Wechselwirkung zu anderen Menschen, zu Gegenständen der physischen Umwelt und zu Regeln des sozialen Zusammenlebens. Unter Rückgriff auf die Überlegungen zur Relationalität des Menschen lässt sich sagen: Die Bezogenheit des Menschen auf sich selbst, seine Umwelt und die 5 FtC,
37. zum Folgenden Herms 2007d, 31–37. 7 Vgl. Gräb-Schmidt 2010, 277, 283. 8 Vgl. Huber 2012b, 109 f. 9 Vgl. Knuth 2001, 45: „Der jeweilige Inhalt von Daseinsgewißheit und Lebensgefühl einer Person entscheidet über das, was sie überhaupt frei wollen, wählen und ins Werk setzen kann. Daseins‑ und Lebensgewißheit der Menschen legen die Möglichkeiten ihres Freiheitsgebrauchs inhaltlich fest“ (im Original z. T. kursiv). Vgl. Herms 2004c, 211–216. 10 Vgl. Schwöbel 2002a, 230–232. 11 Wohl diese meint Friedman mit dem Terminus „human characteristics“. 6 Vgl.
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Teil III: Kritische Diskussion
Welt bedingt seine Freiheit notwendig (aber nicht hinreichend). Gleichzeitig ist der Mensch so konstituiert, dass er sein Sein in diesem Beziehungsgeflecht aktiv gestalten muss.12 Menschliche Freiheit ist daher immer relative Freiheit. Es gibt keine menschliche Freiheit jenseits ihrer Bedingungen. Diese schränken sie nicht ein, sondern beschreiben ihren Möglichkeitshorizont.13 Menschliche Freiheit ist ein „Freisein im Gegebenen“.14 Da menschliches Sein immer relationales Sein ist, ist menschliche Freiheit also immer eine Freiheit in Beziehungen.15 Diese deskriptiven Feststellungen haben normative Bedeutungen: Es kann kein Recht auf eine Freiheit bestehen, das ihre Voraussetzungen übersteigt (also z. B. ein Recht, fliegen zu können, oder ein Recht darauf, unbehelligt von anderen Menschen zu leben). 3.) Menschliche Freiheit als geschaffene Freiheit. Vom Bereich relativer Freiheit zu unterscheiden ist, dass menschliches Handeln überhaupt erst dadurch möglich wird, dass das Individuum und die Sphäre seiner möglichen Handlungen existieren. Der ganze Bereich der Wechselwirkung, in dem menschliche Freiheit steht, ist auf seine Konstituiertheit in einem ihm selbst enthobenen, transzendenten Grund bezogen.16 Dass menschliche Freiheit letztlich in einem transzendenten Grund wurzelt, kommt in der Rede von menschlicher Freiheit als geschaffener Freiheit zum Ausdruck.17 Zum „Freisein im Gegebenen“ gehört das Gegebensein des Gegebenen einschließlich dem Gegebensein der Freiheit selbst.18 Dies kommt zum Ausdruck, wenn die menschliche Grundsituation 12 Vgl.
Fahrenbach 2000, 214. Vgl. Hampe 2007, 173; Knuth 2001, 91. Unangemessen ist daher ein Verständnis, wonach Freiheit in der Emanzipation von den Grundbedingungen des menschlichen Daseins besteht. Vgl. exemplarisch Sloterdijk 2011, 27: „[Der Begriff Freiheit] bezeichnet einen Zustand erlesener Unbrauchbarkeit, in dem der einzelne ganz bei sich ist, und zugleich weitgehend losgelöst von seiner alltäglichen Identität. In der Freiheit der rêverie ist der einzelne von der ‚Gesellschaft‘ weit abgerückt, doch auch losgelöst von der eigenen, ins soziale Gewebe verstrickten Person“ (vgl. Sloterdijk 2011, 33, 55). Allerdings gilt es zu unterscheiden zwischen den allgemeinen Konstitutionsbedingungen (z. B. der Sozialität) und den konkreten Gestalten menschlichen Lebens. Diese Unterscheidung ist wichtig, um mögliche Handlungsspielräume zu erkennen und so Freiheit wahrnehmen zu können. 14 Lange 1965, 223; vgl. Huber 2012b, 99–101. 15 Vgl. Schwöbel 2009, 28–35. 16 Im Hintergrund dieser Überlegungen stehen Schleiermachers Einsichten in das Verhältnis von relativer und schlechthinniger Abhängigkeit (vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube § 4 [Schleiermacher 2003, 32–40]). Gott beschreibt Schleiermacher hier als das „Woher unseres empfänglichen und selbsttätigen Daseins“ (Schleiermacher, Der christliche Glaube § 4.4 [Schleiermacher 2003, 28]), mithin als den Ursprung des erlebten Miteinanders von relativer Freiheit und relativer Abhängigkeit. 17 Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube §§ 36–41 (Schleiermacher 2003, 218–240). 18 Der Ausdruck „Freisein im Gegebenen“ wird in Anlehnung an Trutz Rendtorff gebraucht, der das „Gegebensein des Lebens als Grundsituation der Ethik“ beschreibt (vgl. Rendtorff 1980, 32). Bereits Dietrich Bonhoeffer betont (Bonhoeffer 1992, 245): „Als Geschöpfe[,] nicht als Schöpfer fragen wir nach dem Guten. […] Nicht was an sich gut ist, sondern was unter der Voraussetzung des gegebenen Lebens und für uns als Lebende gut ist, ist unsere Frage.“ 13
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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als „geschaffene Freiheit“ beschrieben wird.19 Eine Freiheit, die in einem übersteigerten Autonomieverständnis ihre Voraussetzungen hinter sich lassen will, missversteht sich und löst sich letztlich selbst auf.20 4.) Bestimmung zur Selbstbestimmung und Freiheit des Gewissens. Dass der Mensch immer in einer ihm vorgegebenen, geschaffenen Freiheit existiert, heißt: Die Bestimmung des Menschen schließt ein, dass er „zur Selbstbestimmung bestimmt“21 ist. Diese Aussage ist einerseits deskriptiv und bezieht sich darauf, dass Personalität menschlichem Handeln immer schon vorgegeben ist. „Bestimmung zur Selbstbestimmung“ hat aber auch einen normativen Aspekt, bringt also eine Sollenserfahrung zum Ausdruck.22 Aus theologischer Perspektive ist dem Menschen die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zugleich gegeben und aufgegeben.23 Dieser Bestimmung widerspricht es, wenn Menschen zu Handlungsweisen genötigt werden, die ihren eigenen Vorstellungen von einem guten Leben
19 Vgl.
Knuth 2001, 37–48. Hübner 2011, 114. 21 Herms 2007b, 5; vgl. Knuth 2001, 38 f. Vgl. entsprechend das bekannte Zitat Sartres, wonach die Menschen zur Freiheit verdammt sind („condamné à être libre“, Sartre 1970, 37). In dieser Formulierung kommt eine Negativbewertung menschlicher Freiheit zum Ausdruck. Diese hat ihren Grund darin, dass Sartre den Aspekt des Gegebenseins menschlicher Freiheit ausblendet (vgl. Sartre 1970, 20–25). Diese steht so vor der aporetischen Überforderung, ihre Welt erst schaffen zu müssen, also selbst schöpferische Freiheit zu sein (vgl. Bayer 1995a, 7; Ebinger 2010, 83–85, 164–166). Zum Begriff der „Bestimmung des Menschen“ vgl. oben 247 Anm. 51. 22 Aus der Unbestimmtheit des Menschen (also seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung) folgt weder, dass der Mensch im normativen Sinne zur Selbstbestimmung bestimmt ist, noch dass er dazu ein Recht hat (vgl. Giesinger 2011, 895). In dieser Aussage findet also eine nur perspektivisch mögliche, welt-anschauliche Sollenserfahrung ihren Niederschlag. Sie wird im Folgenden aus Perspektive einer theologischen Ethik entfaltet, ist jedoch keineswegs eine exklusiv christliche. In der Betonung der Selbstbestimmung des Menschen besteht ein grundlegender Konsens zwischen Martin Luther und Immanuel Kant (vgl. Stümke 2005, 105–114). Vgl. außerdem exemplarisch Fahrenbach 2000, 211. 23 In der biblischen Tradition wird das Geschaffensein des Menschen zum verantwortlichen Freiheitsgebrauch im Rahmen einer ihm vorgegebenen Ordnung durch das Motiv der Gottebenbildlichkeit (vgl. Gen 1,26 f.; 5,1; 9,6 sowie die Sachparallele Ps 8,6–9) zum Ausdruck gebracht. Als „Statue Gottes“ repräsentiert der Mensch Gott in der Schöpfung, indem er Herrschaft über die Tiere ausübt und so durch die Ausübung von Macht zum Erhalt einer ihm vorgegebenen Ordnung beiträgt (vgl. Groß 1999, 12–18, 42; Janowski 1999, 40 f.). Der menschliche Freiheitsgebrauch entspricht seiner Bestimmung nur, wenn er den ihm vorgegebenen Bedingungen gerecht wird und sie erhält und nicht zerstört (vgl. die Vernichtung des Lebens als Ergebnis einer verfehlten Bestimmung in der Fluterzählung Gen 6–9*). Die Gottebenbildlichkeit ist nicht einfach Ermächtigung, sondern zugleich Kriterium für den Gebrauch von Macht (vgl. Wolff 1977, 235; Moltmann 1983, 157 f.). Gleichermaßen beschreibt die nichtpriesterliche Urgeschichte die Grundsituation des Menschen. Dieser ist erschaffen in einer Welt, die Leben ermöglicht (Gen 2,4b–25). In der Freiheit des Menschen liegt die Verantwortung begründet, ein ihr entsprechendes Leben zu führen (Gen 2,17). Da der Mensch jedoch seinen Möglichkeitsrahmen übersteigen will (Gen 3,5 „sein will wie Gott“), gerät er in einen grundsätzlichen Widerspruch zur Konstitution seines Daseins, der sich lebensmindernd (Gen 3,16–19) und ‑vernichtend (Gen 4,1–16; Gen 6–9) auswirkt. 20 Vgl.
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Teil III: Kritische Diskussion
widersprechen. Die Möglichkeit zur Selbstbestimmung ist daher ein Kriterium menschengerechten Lebens.24 Welche Ziele ein Mensch in seinem Leben verfolgt, lässt sich letztlich nur in Form der Introspektion, also im Medium des Gewissens erkennen.25 Die Freiheit des Gewissens besagt nicht nur, dass einem Menschen nicht vorgeschrieben werden kann, was er innerlich für richtig hält. Sie verlangt zugleich äußerlich ein Leben in Übereinstimmung mit dem subjektiv als richtig Erkannten.26 „Einen Menschen zu veranlassen, gegen sein G[ewissen] zu handeln, heißt daher, einen Menschen zum Handeln gegen seine personale Identität zu veranlassen. Das kann seinerseits nur ethisch negativ qualifiziert werden.“27 Demzufolge verteidigt die philosophische und theologische Tradition mit der Berufung auf die Freiheit des Gewissens das Recht, eigene Präferenzen zu verfolgen.28 Hinsichtlich einer normativen Würdigung der Präferenzautonomie kann also grundsätzlich positiv an Friedman angeschlossen werden. Über Friedman hinausgehend kann dafür ein Grund angeführt werden: Menschengerecht sind nur Lebenssituationen, die der Personalität menschlichen Lebens entsprechen und es Personen ermöglichen, gemäß ihren eigenen Überzeugungen zu leben. Für die weitere Argumentation ist folgender „Minimalkonsens“ mit Friedman festzuhalten: Es gehört zur Bestimmung des Menschen, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Freiheit hat damit einen eigenen normativen Wert. Die folgende Diskussion soll so weit wie möglich von diesem Minimalkonsens ausgehen und 24 Dies bedeutet umgekehrt, dass sittlich gutes (bestimmungsgemäßes) Handeln nur ein Handeln aus freier Einsicht sein kann. Das Handeln in Übereinstimmung mit den eigenen Überzeugungen ist daher eine notwendige (nicht hinreichende) Bedingung sittlich guten Handelns. Darin besteht ein fundamentaler Konsens zwischen Martin Luther und Immanuel Kant. Für Luther ist die Qualität guter Werke abhängig vom ihnen zugrunde liegenden Glauben (vgl. exemplarisch Luther, Von den guten Werken, Tzum andern [Luther 1888, 204 f.]). Für Kant besteht ein entscheidender qualitativer Unterschied zwischen pflichtgemäßem Handeln und Handeln „aus Pflicht“ (vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 397 f. [Kant 1999, 15–17]). 25 Vgl. oben 283. 26 Vgl. Lange 1992, 329. 27 Härle 2008a, 905. Zur praktisch und theoretisch immer wieder angefochtenen Zentralstellung der Gewissensfreiheit in der protestantischen Tradition vgl. Kreß 2006, bes. 72–77, 84–88. 28 Vgl. Hübner 2011, 203–207. Klassisch ist die folgende Feststellung Thomas von Aquins (Thomas von Aquin, Kommentar zum Römerbrief, cap. 14, l. 3, 3. [Thomas von Aquin 1927, 473]): „Alles, was wider den Glauben oder das Gewissen geschieht, ist Sünde“. Aufgegriffen wurde diese Denkfigur von Martin Luther (vgl. Luther, Verhandlungen auf dem Reichstag zu Worms [Luther 1897a, 838]): „cum contra conscientiam agere neque tutum neque integrum sit“ (vgl. Hirsch 1954, 166 f., 173 f.). In neuerer Zeit bekräftigte die katholische Kirche die Gewissensfreiheit im 2. Vatikanischen Konzil (vgl. die Erklärung zur Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“, 2. [Zweites Vatikanisches Konzil 1966, 615] sowie dazu Schockenhoff 1990, 110–113). Zum spannungsvollen Verhältnis von prinzipieller Bejahung und faktischer Einschränkung der Glaubens‑ und Gewissensfreiheit in der Geschichte von Theologie und Kirche vgl. Mückl 2008, 79–83. Auch John Rawls begründet die Freiheitsrechte ausgehend von der Freiheit des Gewissens (vgl. Rawls 1999, 180–185).
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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diskutieren, inwiefern Friedmans Folgerungen aus diesem überzeugen können. Damit rückt das Recht auf Selbstbestimmung bzw. auf Freiheit ins Zentrum der Argumentation, ohne dass ich damit die Position vertrete, Freiheit sei das einzige zentrale Kriterium, an dem sich eine menschengerechte soziale Ordnung festmachen lässt. Gerade die Feststellung, dass nicht alle Menschen zur Selbstbestimmung fähig sind, weist darauf hin, dass es äußerst problematisch ist, dass Friedman allein die Freiheit als das höchste soziale Gut erachtet. Eine menschengerechte Versorgung von gänzlich von der Hilfe anderer Abhängigen lässt sich so nicht begründen. Wenn im Folgenden von der „Bestimmung zur Selbstbestimmung“ die Rede ist, bleibt zu beachten, dass damit ein bedeutender Teilaspekt, nicht ein umfassendes Verständnis der menschlichen Bestimmung benannt wird.
3.2 Umfassende Freiheit als Verbindung formaler und materialer Aspekte Folgt man Friedman darin, dass die Möglichkeit zu selbstbestimmtem Leben ein zentrales ethisches Gut darstellt, so stellt sich die Frage: Entspricht ein Verständnis von Freiheit, wie Friedman es entwickelt, der Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung? Dies ist ein entscheidender Punkt in der Auseinandersetzung mit Friedmans Freiheitsverständnis. Er soll daher im nächsten Abschnitt vergleichsweise ausführlich diskutiert werden. 3.2.1 „Negatives“ und „positives“ Verständnis von Freiheit 1.) Begriffsklärung. Friedman diskutiert das Thema „Freiheit“ wie gezeigt auf der zweiten Reflexionsebene – also unter dem Gesichtspunkt, ob Menschen in der Lage sind, Handlungen gemäß ihrer eigenen Vorstellungen durchzuführen.29 Das dabei entwickelte Verständnis von Handlungsfreiheit wurde – in Anschluss an eine von Thomas H. Green und Isaiah Berlin geprägte Begrifflichkeit – als „negatives“ Verständnis von Freiheit bezeichnet.30 Es zeichnet sich dadurch aus, dass Freiheit verstanden wird als Freiheit von Zwang durch andere Menschen. Den normativen Status negativer Freiheit leitet Friedman aus dem individuellen Recht ab, den eigenen Nutzen zu verfolgen. Es ist wichtig, diese Formulierung präzise zu verstehen: Friedman geht es nicht um ein Recht, bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen, sondern ausschließlich um das Recht, eigene Präferenzen ungehindert von anderen Menschen zu verfolgen. Bereits in Zusammenhang der Friedman-Interpretation wurden demgegenüber tatsächlich bestehende Hand29 Zu
den Reflexionsdimensionen von Freiheit vgl. oben 2. oben 96, bes. Anm. 22.
30 Vgl.
304
Teil III: Kritische Diskussion
lungsoptionen als „positive“ Aspekte des Freiheitsverständnisses bezeichnet.31 Im Folgenden werden synonym dazu die Begriffe „formale“ (für „negative“) und „materiale“ ( für „positive“) (Aspekte von) Freiheit gebraucht.32 Zumeist wird den Begriffen „formal“ für die Abwesenheit von Zwang und „,material“ für real bestehende Handlungsoptionen der Vorzug vor der Rede von „negativer“ bzw. „positiver Freiheit“ gegeben, da dies sprachlich eindeutiger ist. Außerdem vermeiden diese Begriffe den Eindruck, es handle sich um gegensätzliche Freiheitskonzepte. Demgegenüber soll hier argumentiert werden, dass Freiheit sich an den tatsächlichen Möglichkeiten zu zielführendem Handeln orientiert und damit formale und materiale Aspekte umfasst. Dafür soll der Begriff „umfassende Freiheit“ gebraucht werden.33 31 Vgl. oben 101, bes. Anm. 44. Zur Diskussion über positives und negatives Freiheitsverständnis im Allgemeinen vgl. Carter 2008. Die hier vorgeschlagene Verwendung des Begriffs unterscheidet sich von anderen Verständnissen „positiver Freiheit“. Das gilt zum einen für Vorstellungen von positiver Freiheit, wonach nur solche Formen des Freiheitsgebrauchs, die einem dem Individuum vorgegeben Ziel dienen, als „wirklich frei“ anerkannt werden. Vgl. z. B. Green 1973: „When we speak of freedom as something to be so highly prized, we mean a positive power or capacity of doing or enjoying something worth doing or enjoying […]. When we measure the progress of a society by its growth in freedom, we measure it by the increasing development and exercise on the whole of those powers of contributing to social good.“ (Hervorhebung B. G.). Zum anderen ist positive Freiheit zu unterscheiden von dem, was Friedman „politische“ Freiheit nennt – also der Möglichkeit zu kollektiver Selbst‑ und politischer Mitbestimmung. Vgl. z. B. Carter 2008,1.: „In its political form, positive freedom has often been thought of as necessarily achieved through a collectivity. Perhaps the clearest case is that of Rousseau’s theory of freedom, according to which individual freedom is achieved through participation in the process whereby one’s community exercises collective control over its own affairs in accordance with the ‚general will‘. Put in the simplest terms, one might say that a democratic society is a free society because it is a self-determined society, and that a member of that society is free to the extent that he or she participates in its democratic process.“ 32 Die Bezeichnung „formale“ und „materiale“ Freiheit erfolgt in Anlehnung an Max Weber. Vgl. Weber 1973, 77 f.: „Die relative Zurückdrängung des durch Gebots‑ und Verbotsnormen angedrohten Zwanges durch steigende Bedeutung der ‚Vertragsfreiheit‘ […] ist formell gewiß eine Verminderung des Zwangs. Aber offenbar lediglich zugunsten derjenigen, welche von jenen Ermächtigungen Gebrauch zu machen ökonomisch in der Lage sind. Inwieweit dadurch materiell das Gesamtquantum von ‚Freiheit‘ innerhalb einer gegebenen Rechtsordnung vermehrt wird, ist aber durchaus eine Frage der konkreten Wirtschaftsordnung und speziell der Art der Besitzverteilung“ (Hervorhebungen B. G.). Sachlich identisch ist die Unterscheidung zwischen einem „process aspect“ und einem „opportunity aspect“ von Freiheit bei Amartya Sen (vgl. Sen 2003c, 10; Sen 2003a, 585–587). 33 Zu einem entsprechenden Verständnis vgl. Sen 2003a, 586: „I have found it more useful to see ‚positive freedom‘ as the person’s ability to do the things in question taking everything into account (including external restraints as well as internal limitations).“ Schwierig an Sens Sprachregelung ist, dass demnach negative Freiheit ein Teilaspekt von positiver Freiheit ist. Dies soll durch die Unterscheidung formaler und materialer Aspekte von umfassender Freiheit vermieden werden. In gleicher Weise verwendet Philippe van Parijs den Ausdruck „real freedom“ so, dass er formale Freiheit umfasst. Vgl. van Parijs 1995, 4, bes. 22 f.: „I shall use the term real freedom to refer to a notion of freedom that incorporates all three components – security, selfownership, and opportunity – in contrast to formal freedom, which only incorporates the first two.“
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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2.) Freiheit als dreistelliger Relationsbegriff. Inhaltliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit Friedman lassen sich verdeutlichen, indem auf MacCullums Hinweis zurückgegriffen wird, dass jenseits der Unterscheidung zwischen negativer und positiver Freiheit jedem Freiheitsverständnis mindestens eine triadische Relation zugrunde liegt: Freiheit ist immer die Freiheit eines Subjekts (x) von einer Einschränkung (y) zu etwas (z).34 Friedman versteht Freiheit als die Freiheit menschlicher Individuen (x) von Zwang durch andere Menschen (y) zum Verfolgen individueller Präferenzen (z). Die aus der menschlichen Bestimmung zur Selbstbestimmung abgeleitete Freiheit des Gewissens stimmt in Bezug auf das erste und dritte Relat mit Friedmans Freiheitsverständnis überein: Es geht um die Freiheit individueller Personen (x) zu einem Handeln gemäß eigener Überzeugungen (z). Eine Differenz zu Friedman ergibt sich aber in Bezug auf diejenigen Einschränkungen (y), die als Minderung von Freiheit verstanden werden. Zugespitzt geht es um die folgende Frage: Ist ein Mensch, der sich aufgrund eines nicht von anderen verursachten Sturzes in eine Grube nicht mehr bewegen kann, in seiner Freiheit eingeschränkt?35 Im Unterschied zu Friedman werde ich diese Frage bejahen. Damit gilt nicht nur der Zwang durch andere Menschen, sondern alle Handlungsrestriktionen, die nicht konstitutiv für das menschliche Dasein sind, als Einschränkungen von Freiheit (also z. B. auch fehlende Bildung oder fehlender Zugang zu Nahrungsmitteln, nicht aber Leiblichkeit und Sozialität als solche).36 Diese Entscheidung wird im Folgenden begründet. 3.) Die Grenzen einer sprachanalytischen Klärung. Einerseits setzt die Klärung eines angemessenen Freiheitsbegriffs sprachanalytische Argumente voraus. Wovon kann sinnvollerweise die Rede sein, wenn Menschen über Freiheit sprechen? 34 Vgl. MacCullum 1967, 314: „Whenever the freedom of some agent or agents is in question,
it is always freedom from some constraint or restriction on, interference with, or barrier to doing, not doing, becoming or not becoming something. Such freedom is thus always of something (an agent or agents), from something, to do, not do, become, or not become something; it is a triadic relation. Taking the format ‚x is (not) free from y to do (not do, become, not become) z,‘ x ranges over agents, y ranges over such ‚preventing conditions‘ as constraints, restrictions, interferences, and barriers, and z ranges over actions or conditions of character or circumstance.“ 35 Friedmans Lehrer Frank H. Knight bejaht diese Frage (vgl. Knight 1941, 93). Friedrich A. Hayek (vgl. von Hayek 2011, 60 Anm. 8) dagegen weist zu Recht darauf hin, dass dies mit Knights sonstigem (und Hayeks eigenem) Verständnis von Freiheit als Abwesenheit von Zwang durch andere Menschen (vgl. Knight 1941, 89–91) nicht vereinbar ist. Dies entspricht auch der Position Friedmans. 36 Gegenstand ethischer Überlegungen ist menschliche Freiheit. Die mit der Konstitution menschlicher Existenz verbundenen Einschränkungen – z. B. durch die menschliche Leiblichkeit – gelten daher als Möglichkeitsbedingungen, nicht als Einschränkungen von Freiheit. Allerdings können auch Einschränkungen, die mit konstitutiven Merkmalen zusammenhängen, auf soziale Ursachen zurückgeführt werden und sind daher nicht selbst konstitutiv. Eine körperliche Behinderung schränkt zwar die Handlungsalternativen eines Menschen ein, ist aber nicht als Freiheitsminderung zu verstehen. Sehr wohl ist dies aber eine Gestaltung des öffentlichen Raumes, die weite Teile des öffentlichen Lebens für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen unzugänglich macht.
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Teil III: Kritische Diskussion
Die Pluralität jeweils in sich schlüssiger Verwendungen des Begriffs lässt sich jedoch nicht allein durch sprachanalytische Verfahren reduzieren.37 Dass mitunter behauptet wird, nur ein Verständnis von Freiheit sei möglich, scheint am ehesten darauf zurückzuführen, dass damit der normativ positiv besetzte Begriff für die je eigene Position reklamiert werden soll.38 Die folgende Argumentation nimmt ihren Ausgang bei der sprachlichen Analyse, indem sie auf die konstitutive Bedeutung des dritten Relats hinweist. Freiheit, so der Ansatzpunkt der Argumentation, ist auch bei Friedman die Freiheit zu etwas, nämlich „liberty to shape one’s own life“39. Letztlich werden aber normative Erwägungen eine ausschlaggebende Rolle spielen. 3.2.2 Umfassende Freiheit als tatsächliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung Friedman betont mit dem Hinweis, die von ihm verteidigte Freiheit sei auch „the freedom to starve“40 ausdrücklich, dass für ihn Freiheit ihren Wert nicht daraus gewinnt, persönliche Ziele zu erreichen. Normativ entscheidend ist für Friedman ausschließlich das zweite Relat, die Freiheit von Zwang durch andere Menschen. Er verzichtet vollständig darauf, einen Zusammenhang zum dritten Relat, dem verfolgten Eigeninteresse, herzustellen. Dass Freiheit immer die Freiheit zu etwas – eben „liberty to shape one’s own life“ – ist, klammert Friedman aus dem Begriff der Freiheit aus. Die Konsequenzen daraus lassen sich an einem hypothetischen Beispiel verdeutlichen: Ein mittelloser Mensch steht vor der Wahl zweier Wege, die jeweils zum gleichen Ziel führen. Der eine Weg (Option A) bietet keine besonderen Vorkommnisse. Auf dem zweiten Weg (Option B) findet der Mensch 1000 Euro. Danach kommt er durch einen Ort, in dem jeder Mensch die Hälfte seines Vermögens abgeben muss, und kann seinen Weg dann wieder identisch mit dem ersten fortsetzen.
Offensichtlich bedeutet Option A ein geringeres Maß an Zwang. Option B hingegen verleiht ein größeres Maß an Handlungsspielraum. Nimmt man an, dass im weiteren Verlauf des Weges eine gebührenpflichtige Brücke steht, kann 37 Exemplarisch wird dies deutlich an Hardy Bouillons Versuch, ein konsequent negatives Freiheitsverständnis sprachanalytisch als das „richtige“ auszuweisen (vgl. Bouillon 1997, 82). Bouillon setzt das negative Verständnis von Freiheit bereits am Anfang seiner Explikation voraus. Ihm kann es daher nur noch darum gehen, dieses konsistent zu entfalten. Ebenso selbstverständlich kann aber auch davon gesprochen werden, ein Mensch sei „frei von gesundheitlichen Beschwerden“. Wer „gerade nicht die Freiheit hat, zu verreisen“, kann damit durchaus auch auf finanzielle, berufliche, familiäre oder psychischen Einschränkungen hinweisen (vgl. MacCullum 1967, 329; Sen 2003a, 602 f.). 38 Vgl. MacCullum 1967, 313; Rawls 1999, 176 f. 39 FtC, 128. Die Tatsache, dass er – wie im Folgenden gezeigt wird – das dritte Relat als für die Bestimmung des Begriffes für bedeutungslos erklärt, ändert daran nichts (vgl. MacCullum 1967; MacCullum 1967, 318). 40 Vgl. Friedman 1956 (MFA 44.2).
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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der Weg nur fortgesetzt werden, wenn zuvor Option B gewählt wurde. Nach Friedmans Logik („Minimieren von Zwang“), wäre der erste Weg dem zweiten vorzuziehen. Angenommen, eine Gruppe von mehreren Personen müsste entscheiden, welchen Weg sie gemeinsam gehen. Friedman müsste dann eindeutig Option A wählen. Zu dieser Konsequenz wären aber wohl die wenigsten bereit.41 Isaiah Berlin stimmt in seinem klassischen Aufsatz „Two Concepts of Liberty“ zwar mit Friedman dahingehend überein, dass er den Begriff „Freiheit“ auf Freiheit im formalen (negativen) Sinne beschränken möchte und würde daher Option A als die der größeren Freiheit erachten.42 Gerade deswegen lehnt er es aber auch ab, in Freiheit das höchste soziale Gut zu sehen, sondern verweist auf die Pluralität der Werte, in der negative Freiheit einer unter mehreren ist. Liberty is not the only goal of men. […] But nothing is gained by a confusion of terms. To avoid glaring inequality or widespread misery I am ready to sacrifice some, or all, of my freedom: I may do so willingly and freely: but it is freedom that I am giving up for the sake of justice or equality or the love for my fellow men.43
Wenn aber (negative) Freiheit ein Wert unter mehreren ist, so ist sie zu unterscheiden von der Möglichkeit, zwischen diesen Werten zu wählen. Das scheint der triadischen Struktur des Freiheitsbegriffs nicht zu entsprechen. Wenn Freiheit bezogen ist auf das Streben nach je individuellen Gütern, so scheint es wenig plausibel, die Möglichkeit zur Wahl zwischen diesen aus dem Bereich der Freiheit auszuschließen. Das legt es nahe, gegen Friedman und Berlin einen umfassenden Begriff von Freiheit vorzuziehen, der die materialen Möglichkeiten zur Wahl zwischen verschiedenen Gütern einschließt.44 Dies lässt sich verdeutlichen anhand des Beispiels der zwei Wege: Freiheit besteht in der Möglichkeit, zwischen den beiden Optionen zu wählen, nicht in einer Festlegung auf Option
41 Genau genommen wären es nur die „believers in freedom“, die mit Friedman die Überzeugung teilen, Freiheit im Friedmanschen Sinne sei das höchste soziale Gut. Das Beispiel zeigt, wie unwahrscheinlich eine solche Position ist. Philippe van Parijs wählt ein anderes hypothetisches Beispiel, um zu zeigen, dass der rein negative Freiheitsbegriff sowohl kontraintuitiv ist als auch zu unerwünschten normativen Konsequenzen führt. Er geht von einer Insel mit mehreren Bewohnern aus, die ganz im Besitz eines Bewohners ist. Unter formalen Gesichtspunkten können die anderen Bewohner vollkommen frei sein, zugleich befinden sie sich im Status vollständiger Abhängigkeit vom Besitzer der Insel (vgl. van Parijs 1995, 14 f., 21–24). 42 Vgl. Berlin 1969, 122: „You lack political liberty or freedom only if you are prevented from attaining a goal by human beings. Mere incapacity to attain a goal is not lack of political freedom.“ 43 Berlin 1969, 125; vgl. Berlin 1969, 167–172. Dasselbe gilt für Friedmans Lehrer Frank Knight. Wie Berlin vertritt er ein negatives Freiheitsverständnis und verweist dann darauf, dass dieses Gut gegenüber anderen Gütern diskursiv abgewogen werden muss (vgl. Knight 1941, 89–93, 105–109 sowie oben 34). 44 Vgl. Forst 1996, 225 f. Das spricht gegen das Vorgehen von John Rawls, der zwischen der Freiheit und ihrem „Wert“ unterscheidet, der sich durch die Möglichkeit ihres Gebrauchs ergibt (vgl. Rawls 1999, 179).
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Teil III: Kritische Diskussion
A.45 Jedenfalls ist ein solcher Freiheitsbegriff unter normativen Gesichtspunkten vorzuziehen. Nur er wird Friedmans Absicht gerecht, den normativen Gehalt von Freiheit an das individuelle Streben zu koppeln. Menschen schätzen die Freiheit von Einschränkungen zum Verfolgen ihrer je eigenen Ziele deswegen, weil es ihnen das Verfolgen eigener Ziele ermöglicht.46 Bezogen auf die Beispiele dieses Kapitels: Der in die Grube gefallene Mensch mag die Möglichkeit haben, formale Freiheit zu genießen. Hätte er hingegen eine Wahl, würde er stattdessen die Möglichkeit bevorzugen, andere Ziele zu verfolgen. Die Mehrheit der Menschen würde daher auch den Weg wählen, der ihnen durch das zusätzlich gefundene Geld ein breiteres Spektrum von Möglichkeiten eröffnet. Freiheit, die nicht mit Handlungsalternativen verbunden ist, ist abstrakt und wird als solche kaum wertgeschätzt werden.47 Damit ist ein „Begriff von Freiheit gewonnen, der sich nicht durch die Abwesenheit eines besonderen Typs von Handlungsbeschränkungen, nämlich Fremdbestimmung, charakterisieren [lässt], sondern 45 Zu unterscheiden ist dann, ob die Entscheidung individuell getroffen werden kann. In diesem Fall besteht kaum ein strittiges Freiheitsproblem. Ist aber eine soziale Wahl erforderlich (eine Gruppe muss sich gemeinsam für einen der beiden Wege entscheiden), kann nicht im Namen der Freiheit Option B ausgeschlossen werden, da dies gerade den Bereich möglicher individueller Entscheidungen einschränkt. 46 Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Charles Taylor. Dieser weist darauf hin, dass die Vorstellung, dass Menschen ein Recht auf Freiheit haben, eine Wertung impliziert. Freiheit – und damit auch die Möglichkeit zu ihrem Gebrauch – werden als ein positives Gut anerkannt. Damit impliziert das Recht auf Freiheit eine Verpflichtung dazu, ihre Wahrnehmung nach Möglichkeit zu gewährleisten. Eine Position, die sich auf ein rein negatives Recht auf Selbstbestimmung beruft, ohne die Bedingungen ihrer Möglichkeiten in den Blick zu nehmen, ist demnach selbstwidersprüchlich. Vgl. Taylor 1985a, 194–204, bes. 194: „To say that certain capacities command respect or have worth in our eyes is to say that we acknowledge a commitment to further and foster them. We do not just acknowledge people’s […] right to them, and hence the negative injunction that we ought not to invade or impair the exercise of these capacities in others. We also affirm that it is good that such capacities be developed, that under certain circumstances we ought to help and foster their development, and that we ought to realize them in ourselves.“ Auch Friedmans Freund und Kollege George Stigler distanziert sich von Hayeks (und Friedmans) Konzept, Freiheit allein als Abwesenheit von Zwang zu verstehen (vgl. Stigler 1988, 147): „Freedom as consisting only in the lack of coercion by the state, so that the widening range of choices due to the growth of income and education is not an effective increase in freedom in Hayek’s view, although it is in mine.“ 47 Auch liberale Theorien sind daher nicht auf einen negativen Freiheitsbegriff festgelegt (vgl. Carter 2008, 6; Homann 1989, 228 f., 237 f.). Zu entsprechenden liberalen Ansätzen vgl. z. B. Simons 1948b, 6; Eucken 1990, 49, 185; Dahrendorf 1975, 73–77. Dahrendorf formuliert diese Position nicht immer ebenso deutlich (vgl. Dahrendorf 2007, 26 zumindest, sofern dies nicht der Übersetzung geschuldet ist). Nicht überzeugend ist der Ansatz, die Differenzen ausschließlich mit kulturellen Unterschieden zu begründen, was z. B. die Entwicklung eines umfassenden Verständnisses von Freiheit in der amerikanischen Theologie zeigt (vgl. Schwarke 2005). Allerdings zeigen die keineswegs singulären Beispiele Friedmans und Berlins, dass auch die These Christian Schwarkes, im amerikanischen Kontext sei ein umfassendes Verständnis von Freiheit immer schon und ausnahmslos selbstverständlich gewesen (vgl. Schwarke 2005, 228), alles andere als zutreffend ist.
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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durch die Abwesenheit jeglicher Handlungsbeschränkung.“48 Dieser hier und im Folgenden als „umfassende Freiheit“ bezeichnete Freiheitsbegriff zieht seine Berechtigung ebenso wie die positive Würdigung dieser Form der Freiheit daraus, dass er die dem Menschen aufgegebene Selbstbestimmung im Rahmen vorgegebener Bedingungen tatsächlich ermöglicht. 3.2.3 Die Bedeutung formaler Freiheit für umfassende Freiheit Die bisherige Argumentation zielte darauf, zu zeigen, dass Freiheit für die meisten Menschen nur dann positiv qualifiziert ist, wenn sie auf die materiale Möglichkeit bezogen ist, bestimmte Güter zu erreichen. Darin besteht der Vorteil eines umfassenden gegenüber einem ausschließlich formalen Verständnis von Freiheit. Nun soll aber darauf hingewiesen werden, dass auch der formale Aspekt (Abwesenheit von Zwang durch andere) erhebliche Bedeutung für umfassende Freiheit hat.49 Erstens begrenzen Einschränkungen in formaler Hinsicht direkt den möglichen Handlungsspielraum und führen daher unmittelbar zu einer Minderung umfassender Freiheit. Wird Menschen vorgeschrieben, in einem bestimmten Beruf tätig zu sein, sind ihre Handlungsoptionen massiv eingeschränkt. Das stellt eine Minderung umfassender Freiheit dar, selbst wenn mit der Berufstätigkeit ein Verdienst verbunden ist, der seinerseits materiale Freiheit verleiht. Zweitens ist formale Freiheit selbst ein Wert, den Menschen individuell anstreben können. Etwa im Fall einer Berufswahl oder Eheschließung kann es für Individuen wichtig sein, die Entscheidung selbst getroffen zu haben. Im Unterschied zur Verhinderung einer Wahl wertvoller Alternativen (siehe erstens) ist hier die Verhinderung der Option, selbst eine Wahl zu treffen, entscheidend. Dieses Argument wird noch verstärkt, berücksichtigt man die Überlegungen zu den essentialistischen Grundfähigkeiten eines menschengerechten Lebens. Einschränkungen formaler Freiheit können nicht nur den vorliegenden Präferenzen eines Individuums zuwiderlaufen, sie stehen in Widerspruch zu den universalen Grundbedürfnissen der Individualität und Selbstverwirklichung. Drittens kann formale Freiheit auch eine funktionale Bedeutung für umfassende Freiheit haben.50 Sofern durch ein freies Wirtschaftssystem ein Gewinn an gesamtgesell48 Bouillon 1997, 120; vgl. Bouillon 1997, 119–121. Allerdings hier mit der Einschränkung, dass für das menschliche Dasein konstitutive Bedingungen nicht als freiheitsmindernd verstanden werden. Bouillon lehnt ein solches Verständnis von Freiheit ab. Gegen seine Kritik ist erstens einzuwenden, dass die von ihm eingeklagte Unterscheidbarkeit verschiedenartiger Begrenzungen durch die Unterscheidung des formalen und des materialen Aspekts gewährleistet bleibt. Zweitens wirft Bouillon diesem Verständnis vor, es stehe im Widerspruch zu den analytischen Ableitungen und verletze daher das Rationalitätsgebot. Dies setzt aber die keineswegs zwingende Annahme voraus, dass man wie Bouillon das rein negative Verständnis von Freiheit selbstverständlich zugrunde legt. 49 Vgl. zum Folgenden Knight 1941, 100; Sen 2003b, bes. 623–627. 50 Vgl. neben Sen bereits Green 1973, 379.
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Teil III: Kritische Diskussion
schaftlichem Wohlstand geschaffen wird, erweitert dieser wiederum material vorhandene Handlungsmöglichkeiten. Dieser letzte Punkt ist allerdings einzuschränken. Eine funktionale Begründung für formale Freiheit kann vorliegen, sie ist aber nicht in jedem Fall gewährleistet. Es gibt keine Harmonie, wonach ein Maximum an formaler Freiheit auch ein Maximum an materialer Freiheit bedeutet. Stattdessen müssen beide Aspekte bei der Evaluierung umfassender Freiheit gegeneinander abgewogen werden.51 Als Beispiel kann die Straßenverkehrsordnung dienen. Hier führen erhebliche Einschränkungen formaler Freiheit (z. B. welche Straßenseite befahren werden darf und wann Straßen überquert werden dürfen) zu einem Zugewinn materialer Freiheit, da erst so ein Vorankommen im Straßenverkehr ermöglicht wird. In diesem Fall dürfte die Gesamtevaluation recht unkontrovers dahingehend ausfallen, dass die umfassende Freiheit durch Einschränkungen formaler Freiheiten qualitativ zunimmt. Strittiger sind staatliche Eingriffe in die Familienplanung, z. B. durch Vorschreiben von Ein-KindEhen. Auch hier mag mit einem Gewinn materialer Freiheiten (Lebenschancen, Zugang zu Ressourcen) argumentiert werden. Andererseits sind die formalen Freiheiten, die in diesem Fall limitiert werden, weit gewichtiger als im Falle des Straßenverkehrs. 3.2.4 Die Evaluierung umfassender Freiheit Damit stellt sich die Frage, woran sich Abwägungen zwischen formaler und materialer Freiheit orientieren. Die eben vorgestellten Beispiele zeigen bereits, dass bei solchen Abwägungen immer schon gesellschaftliche Bewertungen darüber eingehen, wie wichtig bestimmte materiale Ziele sind und welcher Stellenwert der Freiheit von Zwang in einem bestimmten Lebensbereich zukommt. Aus drei Gründen kann die Qualität eines Möglichkeitsraumes nicht rein quantitativ bemessen werden.52 Erstens sind aus Perspektive des Subjekts nur diejenigen Handlungsalternativen von Bedeutung, die zum Erreichen seiner Ziele in Frage kommen. Wenn in einer großen Wüste der Zugang zu einem kleinen Landstrich verweigert wird, erscheint dies nur dann als eine relevante Beschränkung von Freiheit, wenn dieser etwa die einzige Oase enthält oder den Durchgang zu einem wichtigen Verkehrsweg versperrt. Freiheitseinschränkungen werden zweitens dann als weniger gravierend wahrgenommen, wenn andere, ähnlich erfolgversprechende Wege zum Erreichen des Ziels verfügbar sind. Die Sperrung einer Oase wird umso problematischer, je schwieriger es dadurch wird, an 51 Vgl.
Sen 2003b, 629–632. in ähnlicher Weise Berlin 1969, 130 Anm. 1. Die quantitative Dimension kann nicht völlig außen vor bleiben, da die Möglichkeit zur Wahl zwischen verschiedenen Alternativen selbst ein relevantes Ziel ist. Der Vorschlag van Parijs’, sie deswegen als Freiheit „whatever one might want to do“ (van Parijs 1995, 19) zu fassen, ist jedoch dahingehend problematisch, dass er es nicht erlaubt, zwischen allen denkbaren Zielen zu gewichten. 52 Vgl.
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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Wasser zu gelangen. Drittens hängt die Schwere von Freiheitseinschränkungen davon ab, wie stark die damit beeinträchtigten Ziele gewichtet werden. Der Zugang zu Wasser in der Wüste oder die freie Wahl des ausgeübten Berufes oder der Religionszugehörigkeit können als wichtiger eingeschätzt werden als der Zugang zu Eiscreme und die Freiheit, ein Haustier zu halten oder laut Musik zu hören. In allen Fällen sind Konstellationen denkbar, in denen die Einschränkung von Freiheit dazu führt, dass die jeweiligen Präferenzen nicht erreicht werden. Dennoch wird in aller Regel die Einschränkung von Freiheit mit Bezug auf die zuerst genannten Beispiele als erheblich problematischer erachtet werden. Die Qualität von Freiheit bemisst sich also nicht nur an der Zahl der möglichen Handlungsalternativen, sondern daran, ob diese die Möglichkeit eröffnen, subjektiv wichtige Ziele zu erreichen. Eine Bewertung von Zielen geht damit in die Bewertung von Freiheit ein.53 Damit zeigt sich aber, dass die Orientierung an individueller Freiheit eine gesellschaftliche Verständigung über persönliche Werte nicht ersetzen kann, sondern voraussetzt. 3.2.5 Freiheit und Macht Mit einem gegenüber Friedman umfassenderen Verständnis von Freiheit ist auch das Verhältnis von Freiheit und Macht in zweifacher Hinsicht neu zu bestimmen. Einerseits ist „Macht“ nicht mehr wie bei Friedman ein reiner Gegenbegriff zu „Freiheit“. Im Verständnis von Freiheit als Verfügenkönnen über Handlungsalternativen berühren sich beide Begriffe und setzen sich gegenseitig voraus.54 Andererseits aber ist Macht in einem umfassenderen Sinne eine Einschränkung von Freiheit als Friedman dies sieht. Nicht nur der direkte Zwang durch andere ist freiheitsmindernd, sondern auch die Beeinflussung der eigenen Handlungsalternativen durch die Macht anderer.55 Dabei ist auch die Kritik an Friedmans ontologischem Individualismus zu berücksichtigen. Menschen leben nicht in einem Zustand ursprünglicher Freiheit, der durch die Verhinderung von Zwang geschützt werden muss. Da Menschen immer schon in sozialen Zusammenhängen leben, wirken sich die Einflussmöglichkeiten und Handlungsweisen anderer 53 Vgl.
Sen 2001, 30 f.; Sen 2003c, 5; Taylor 1985b, 218 f.; Nussbaum 2006, 166.
54 Vgl. den klassischen Ort eines solchen weiten Verständnisses von Macht in Hobbes, Leviat-
han, Kap. X (Hobbes 2010, 62): „The Power of a Man (to take it Universally,) is his present means to obtain some future apparent Good. And is either Originall or Instrumentall. Naturall Power, is the eminence of the Faculties of Body, or Mind: as extraordinary Strength, Forme, Prudence, Arts, Eloquence, Liberality, Nobility. Instrumentall are those Powers, which acquired by these, or by fortune, are means and Instruments to acquire more: as Riches, Reputation, Friends, and the secret working of God, which men call Good Luck“ (im Original z. T. kursiv). 55 Trotz einer ähnlichen Definition von Macht wie Friedman betont Max Weber gerade diesen durch die Sozialität des Menschen hervorgerufenen Sachverhalt (vgl. Weber 1990, 531 f., 541–544; Weber 1988a, 77). Ralf Dahrendorf kritisiert explizit Friedman dafür, dass er die Freiheitseinschränkungen durch private bzw. ökonomische Macht ignoriert (vgl. Dahrendorf 1975, 19).
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Teil III: Kritische Diskussion
immer auch auf ihre eigenen Alternativen aus.56 Besonders deutlich wird dies durch die Institution des Privateigentums (z. B. an Land oder natürlichen Ressourcen), die immer die Handlungsmöglichkeiten aller anderen einschränkt.57 Auch das Vorenthalten von Wissen oder die mangelnde Bereitschaft zur Kooperation (z. B. die von Friedman verteidigte Verweigerung eines Arbeitsvertrages auf Grund rassistischer Präferenzen) können als Ausübung von Macht verstanden werden. Dies bedeutet, dass nicht nur direkter Zwang, sondern auch ungleiche Machtverteilung als Einschränkung von Freiheit zu begreifen ist. Umfassende Freiheit wird dadurch ermöglicht, dass (auch durch Einschränkungen formaler Freiheit) innerhalb bestehender Interdependenzen ein größtmöglicher Handlungsspielraum sichergestellt wird.58 Freiheit lässt sich demnach weder durch Maximierung noch durch Minimierung von Macht garantieren.59 Vielmehr wird zu fragen sein, wie die Möglichkeiten, eigene Ziele zu verfolgen, innerhalb eines Gemeinwesens verteilt sind und was dies für die umfassende Freiheit der einzelnen Mitglieder bedeutet.
3.3 Voraussetzungen umfassender Freiheit Versteht man Freiheit als die Möglichkeit zur Selbstbestimmung, erweist sich Friedmans rein negatives Verständnis von Freiheit also als unterbestimmt. Freiheit im formalen Sinne ist ein wichtiger Aspekt umfassender Freiheit. Sie ist daher ein anzustrebendes Ziel. Die Minimierung von Zwang allein ist allerdings nicht ausreichend, wenn größtmögliche Freiheit gewährleistet werden soll. Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, wie umfassende geschöpfliche Freiheit durch äußere Hemmnisse eingeschränkt wird (3.3.1) und welche Bedeutung daher dem Recht an Eigentum zukommt (3.3.2). In einem dritten Abschnitt wird ausgeführt, inwiefern umfassende Freiheit auch durch innere Hemmnisse eingeschränkt wird (3.3.3). Ein Exkurs setzt diese Überlegungen ins Verhältnis 56 Vgl. Heyde 2001, 984; Lange 1992, 322–324; Ebert 2010, 268. Dieser Gedanke ist zentral für das Werk Walter Euckens, der ähnlich dem hier bevorzugten Freiheitsbegriff Freiheit als „ein Maximum von Wahl‑ und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten“ versteht (Klump und Wörsdörfer 2009, 328; vgl. Klump und Wörsdörfer 2009, 328–332). 57 Zum Zusammenhang von Eigentum und Macht vgl. Walzer 1983, 291–295. 58 Vgl. Homann 1989, 229: „Die Frage nach den Gründen für die ‚Grenzen der Freiheit‘ ist paradigmatisch falsch gestellt. […] Richtig muß die Einstiegsfrage lauten, warum Menschen sich kollektiv Verhaltensbeschränkungen auferlegen, und die Antwort würde dann lauten: Sie tun das, um dadurch das Feld ihrer Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, also Freiheit zu konstituieren, zu sichern und auszuweiten. Nicht Begrenzung der Freiheit ist die geeignete Modellvorstellung, sondern Begrenzung gewisser Handlungsmöglichkeiten zum Zweck der Schaffung anderer, wichtigerer Handlungsmöglichkeiten, d. h. zum Zweck der Schaffung und Erweiterung von Freiheit“ (im Original z. T. kursiv). 59 Genau genommen ist dies auch bei Friedman nicht der Fall, da er die Notwendigkeit staatlicher Strukturen zur Sicherung von Freiheit anerkennt.
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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zu einem Verständnis von Freiheit, wonach diese die Freiheit von falschen Zielen meint. Als Beispiel wird dazu die „Freiheit in Christus“ herangezogen. 3.3.1 Äußere Hemmnisse umfassender Freiheit Menschliche Freiheit ist bedingte Freiheit. Personalität, Sozialität und Leiblichkeit sind ausschlaggebend dafür, dass menschliche Handlungsmöglichkeiten prinzipiell begrenzt sind. Da die genannten Eigenschaften menschliche Freiheit erst ermöglichen, können sie nicht selbst als Einschränkung von Freiheit verstanden werden.60 Sie führen aber dazu, dass der tatsächlich bestehende Handlungsspielraum eines Menschen durch äußere Hemmnisse eingeschränkt sein kann. Zu diesen zählt der Zwang durch andere Menschen. Im Unterschied zu Friedmans Ansatz nimmt ein umfassendes Verständnis von Freiheit darüber hinaus weitere äußere Freiheitshemmnisse in den Blick. Prominent ausgearbeitet wurde ein solches Konzept von Amartya Sen. Sein „capability-Ansatz“ stellt die tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten, individuelle Ziele zu verwirklichen, in den Mittelpunkt. Freiheit besteht für ihn in der Möglichkeit „to lead the kind of life he or she has reason to value“.61 Unter anderem nennt Sen fünf Typen von Freiheit, die einerseits den menschlichen Handlungsspielraum unmittelbar erweitern und andererseits eine instrumentelle Funktion haben, indem sie z. B. bürgerliche Freiheiten sichern oder die Menge der verfügbaren Güter erweitern. Die entsprechenden Teilaspekte umfassender Freiheit sind: politische Freiheit (Möglichkeiten der Einflussnahme im politischen Prozess), ökonomische Möglichkeiten (z. B. Zugang zu Ressourcen einschließlich deren Verteilung), soziale Chancen (z. B. Zugang zu Bildung und Gesundheitswesen, Möglichkeiten der politischen und ökonomischen Partizipation), Transparenz (Möglichkeit zu vertrauensvoller Interaktion) sowie soziale Sicherheit (z. B. finanzielle Grundsicherung bzw. Arbeitslosenunterstützung, Hilfe bei Hungersnöten).62 Die Liste verdeutlicht, inwiefern ein umfassender Begriff von Freiheit positive Aspekte einschließt. Tatsäch Vgl. oben 305 Anm. 36. Anders van Parijs 1995, 23. 2001, 87. Vgl. Sen 2001, 75: „A person’s ‚capability‘ refers to the alternative combinations of functionings that are feasible for her to achieve. Capability is thus a kind of freedom: the substantive freedom to achieve alternative functioning combinations (or, less formally put, the freedom to achieve various lifestyles).“ Sens Begriff der „substantive freedom“ entspricht dem hier verwendeten der „umfassenden Freiheit“ und umfasst formale und materiale Aspekte (vgl. Sen 2001, 17). Grundlegend ist für sein Freiheitsverständnis die Orientierung am handelnden Subjekt („agent“, vgl. Sen 2001, 11), was der hier vorgeschlagenen Orientierung an personaler Selbstbestimmung entspricht. Sen unterscheidet zwischen „outcomes that they value and have reason to value“ (Sen 2001, 291). Damit ist angedeutet, dass er eine Gruppe „falscher Präferenzen“ vor Augen hat, die nur vermeintlich die Lebensqualität steigern. 62 Vgl. Sen 2001, 15–17, 38–40. Die Liste kann noch erweitert werden. An anderer Stelle nennt Sen die Verfügbarkeit von Informationen, die für Handlungssubjekte relevant sind (z. B. die Inhalte von Nahrungsmitteln, was eine Ernährung gemäß religiöser Speisegeboten erst ermöglicht, vgl. Sen 2003b, 645 f.). 60
61 Sen
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liche Handlungsmöglichkeiten hängen nicht nur an der Abwesenheit von Zwang, sondern auch am Erfüllt-Sein einer Vielzahl von Bedingungen.63 Für den Begriff der Freiheit ist es entscheidend, dass ein Mensch Zugang zu diesen Gütern hat, nicht hingegen, ob er von ihnen Gebrauch macht. Freiheit orientiert sich an den Möglichkeiten, die Menschen zur Verfügung haben, nicht an den jeweils gewählten Lebensweisen. In der Regel werden Menschen aber nicht freiwillig auf die Erfüllung von Grundbedürfnissen verzichten. Die Sicherstellung der menschlichen Grundfähigkeiten kann daher als verlässliches Indiz dafür genommen werden, ob elementare Freiheiten erfüllt sind.64 Da aus der Perspektive umfassender Freiheit dem möglichen Zugriff auf materielle Ressourcen eine große Bedeutung zukommt, soll im Folgenden das für Friedman grundlegende Recht an Eigentum gesondert diskutiert werden. 3.3.2 Umfassende Freiheit und das Recht an Eigentum 1.) Kritik an Friedmans Begründung von Eigentumsrechten. Friedman erkennt explizit an, dass zur menschlichen Freiheit auch das Verfügenkönnen über Ressourcen gehört. Er beschränkt dies jedoch auf die Verteidigung von Eigentumsrechten. Diese gehen vom Status quo als Grundlage freiwilliger Interaktion aus. Dieser wird dadurch nicht nur moralisch legitimiert, sondern bekommt letztlich selbst normatives Gewicht. Dafür führt Friedman wie gezeigt zwei Gründe an: den Appell an die moralische Intuition und die Analogie zur natürlichen Verteilung von Talenten.65 Zum ersten Grund ist zu sagen, dass weder moralische Intuition noch gesellschaftlicher Konsens eine absolute Geltung von Eigentumsrechten zwingend begründen. Problematisch ist das Beispiel, auf das sich Friedman in diesem Zusammenhang beruft.66 Er geht von der Feststellung aus, dass wohl jeder die Anwendung von Gewalt ablehnen würde, wenn drei Freunde einen vierten Freund dazu zwingen wollen, zufällig gefundenes Geld mit ihnen zu teilen. Daraus schließt er, dass eine gewaltsame Umverteilung von Vermögen auch dann nicht statthaft sei, wenn drei „arme Robinsons“ gewaltsam auf die Insel eines „reichen Robinson“ eindringen, die ihnen ein besseres Leben ermög63 Diese Konsequenz aus dem grundlegenden Dissens mit Friedman (vgl. oben 308 Anm. 46) zieht auch dessen Lehrer Henry C. Simons. Für ihn entscheidet sich das Vorhandensein von Freiheit u. a. an der Verteilung von Wohlstand sowie dem Zugang zu Gesundheit, Bildung und Kapital (vgl. Simons 1948b, 4, 6 f.; Simons 1948a, 42, 68 f.). 64 Vgl. Sen 2001, 75 f.; Nussbaum 1995, 342 f.; Nussbaum 2006, 171–173. Um den Unterschied zwischen „capabilities“ und „functionings“ zu verdeutlichen, beziehen sich beide auf das Beispiel des Fastens. Freiheit setzt zunächst voraus, dass Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Erst auf dieser Grundlage kann sich ein Mensch frei dazu entscheiden, zu fasten – also auf den Gebrauch der Möglichkeit zu verzichten. Da dies jedoch nicht der Regelfall ist, kann von einer Einschränkung der menschlichen Grundfunktionen (z. B. Unterernährung) auf mangelnde Freiheit rückgeschlossen werden. 65 Vgl. oben II.3.3 Freiheit und das Recht an Eigentum. 66 Vgl. CaF, 165.
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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licht. Damit schließt er von einer Situation von vier (vermutlich sozial ähnlich gestellten) Freunden auf die Situation extremer Ungleichheit. Dass Eigentumsrechte im ersten Fall anerkannt werden, berechtigt nicht zwingend dazu, sie auch da einzufordern, wo elementare Lebenschancen nicht erfüllt sind. Auch Friedmans zweites Argument einer „natürlichen“ Verteilung von Eigentum kann nicht überzeugen. Die Analogie überzeugt schon aus dem einfachen Grund nicht, dass ein Eingreifen in die genetische Disposition im Unterschied zur Umverteilung von Eigentum unmöglich ist. Die Annahme einer „natürlichen“ Verteilung des Eigentums trifft aber vor allem deshalb nicht zu, weil sie unterschlägt, dass „Eigentum“ an sich eine soziale Institution ist.67 Im Unterschied zu „Besitz“ als faktisches Verfügenkönnen ist „Eigentum“ verbunden mit Rechtsansprüchen und daher sozial konstituiert.68 Friedman selbst weist darauf hin, dass die Definition von Eigentumsrechten daher eine staatliche Aufgabe darstellt.69 Natürliche Vorgegebenheiten bestimmen also weder die Verteilung von Eigentum noch schließen sie eine Umverteilung aus.70 Es ist daher keineswegs so, dass die Verteilung von Ressourcen einerseits auf Glück und andererseits auf individuelle Wahlakte zurückgeführt werden kann.71 Vieles, das in dieser Formulierung unter „Glück“ zusammengefasst ist, ist in Wirklichkeit das Ergebnis Institutionen bildender Wahlakte.72 Damit aber können die entsprechenden rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen nicht einfach vorausgesetzt werden, sondern müssen auf 67 Dass
Friedman mit der Sozialität des Menschen auch die soziale Dimension von Eigentumsrechten unterschlägt, wird paradigmatisch deutlich daran, dass er das Eigentumsrecht am Beispiel der „vier Robinsons“ verdeutlicht (vgl. CaF, 165). 68 Vgl. Meckenstock 1997, 326–328. 69 Vgl. CaF, 26; FtC, 30. 70 Führt man sich vor Augen, dass Eigentumsrechte stets sozial konstituiert sind, kann man mit gutem Recht fragen, ob Steuern überhaupt Einschränkungen von Eigentumsrechten darstellen. Vgl. Gosepath 2004, 223: „Die weit verbreitete Idee des prima facie vorgesetzlichen Eigentums ist sinnlos. Das Steuersystem stellt keinen (legitimen oder illegitimen) staatlichen Eingriff in eine schon bestehende Verteilung von Eigentum dar, die eine Präsumtion der Legitimität für sich beanspruchen könnte. Im Gegenteil gehören Steuern zu dem Bedingungsgefüge, das Eigentumsrechte erst kreiert, deren Legitimität von der Gerechtigkeit des ganzen Systems abhängt.“ Das wiederum heißt nicht, dass in einem bestehenden System Steuern nicht als Einschränkung von Eigentumsrechten erlebt werden. Außerdem ist die Frage der rechtlich-sozialen Anerkennung von der Frage moralischer Anspruchsrechte, wie sie bei der Frage nach dem Recht auf das Eigentum am eigenen Körper virulent wird, zu unterscheiden. 71 Vgl. FtC, 21. 72 Ein ursprünglicher Entwurf für „Free to Choose“ zeigt, dass Friedman dies durchaus bewusst war (vgl. Friedman 1980 (MFA 59.5)): „The distribution of income and wealth that results from a free market will depend on a bewildering variety of circumstances: the physical environment, cultural values, the homogeneity of the participants with respect to inheritance of property and genes and with respect to cultural values, the accumulated stock of knowledge and its accessibility, and so on and so on. Different circumstances in different societies are capable of producing very different results.“ Die entsprechende Passage in der Endversion systematisiert und reduziert diese Vielfalt (vgl. FtC, 21): „The amount of each kind of resource each of us owns is partly the result of chance, partly of choice by ourselves or others.“
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Teil III: Kritische Diskussion
ihre Legitimität hin befragt werden.73 Aber auch für den Beitrag, den tatsächlich das „Glück“ für die Verteilung von Ressourcen spielt, ist zu fragen, warum daraus ein Recht auf diese Ressourcen erfolgt. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Friedmans Rechtfertigung von an den Status quo gebundenen Eigentumsrechten zu den am wenigsten überzeugenden Zügen seiner Argumentation gehört.74 Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Friedman nicht problematisiert, wie Eigentum erworben wird.75 Er hinterfragt deswegen auch nicht die Legitimität von Privateigentum, das durch die Anwendung von Zwang oder Irreführung zustande gekommen ist bzw. dessen Entstehen mit unkompensierten externen Effekten verbunden war. Noch weniger scheint er danach zu fragen, ob ggf. erwachsene Verpflichtungen mit einem Vermögen vererbt werden. Das aber bedeutet nichts anderes als einen Verzicht darauf, individuelle Freiheitsrechte auch rückwirkend geltend zu machen. Auch dieser Aspekt steht hinter der „Schicksal ergebenen“ Akzeptanz des Status quo zurück. Friedmans Argumentation wird sich kaum gegen den Vorwurf wehren können, dass letztlich die ethische Maßgeblichkeit von bestehenden Eigentumsrechten aus ihrem Vorhandensein geschlossen wird. Damit aber liegt ein typischer Fall des naturalistischen Fehlschlusses vor.76 2.) Eigentumsrechte und umfassende Freiheit. Aus dieser Kritik an Friedman folgt nun aber nicht, dass Eigentumsrechte grundsätzlich abzulehnen sind.77 Vielmehr ergeben sich aus der Perspektive umfassender Freiheit selbst Argumente für die Sicherung von Eigentumsrechten. Erstens ist die Möglichkeit, über materielle Ressourcen zu verfügen, selbst ein elementarer Aspekt leiblicher Selbstbestimmung. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Ressourcen zu sparen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt einzusetzen, sie zu tauschen oder durch Aufwendung von eigener Arbeit zu veredeln. Insofern tragen Eigentumsrechte unmittelbar zu umfassender Freiheit bei.78 Zweitens haben auch Eigentumsrechte eine instrumentelle Funktion. Sie motivieren zum sorgfältigen Umgang mit Ressourcen und zu vorausschauenden Investitionen.79 Dadurch tragen sie Vgl. Furtmayr 2005, 41 f. vertritt hier eine Argumentation, wie sie sein Lehrer Frank H. Knight am Utilitarismus kritisiert (vgl. Knight 1947b, 4 f.). 75 Vgl. McLellan, 149. Anders sogar Robert Nozick (vgl. Nozick 1974, 150–153, bes. 151 f.). 76 Vgl. Rich 1991, 27; Dietz 2005, 149. Zum naturalistischen Fehlschluss vgl. oben 1.1.1 Die Differenz von Sein und Sollen. 77 Zu verschiedenen Begründungen von Eigentumsrechten in Philosophie und Theologie insgesamt vgl. Kerber und Schüller 1993; Anzenbacher 1999; Honecker 2008; Dietzfelbinger 2001. Die grundsätzliche Anerkennung des Privateigentums in der jüdisch-christlichen Tradition ist zentral verankert im Verbot des Diebstahls im 7. Gebot (vgl. Ex 20,15). 78 Vgl. Brunner 1981, 68 f. Die Institution des Eigentums gehört also zu einer menschengerechten Ordnung. Das heißt jedoch nicht, dass jede konkrete Ausgestaltung dieser Institution ihrer Funktion gerecht wird (vgl. von Nell-Breuning 1985, 207–213; Koch 1995, 58). 79 Vgl. zu diesem Argument bereits Thomas von Aquin, Summa Theologica II–II q. 66 a.2 c. (Thomas von Aquin 1953, 197 f.): Es ist „den Menschen erlaubt, Eigentum zu besitzen. […] 73
74 Friedman
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mittelbar zur Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten bei. Die Hinordnung auf das Ziel umfassender Freiheit relativiert Eigentumsrechte aber zugleich auch. Unter der Bedingung konstitutiver Sozialität bedeutet die Sicherung von Eigentumsrechten immer auch die Einschränkung von Verfügungsmöglichkeiten anderer. Es geht also um die Verteilung von Macht. Dabei ist an die klassische Begründung von Eigentumsrechten bei John Locke zu erinnern. Nach Locke erwirbt ein Mensch Recht an Eigentum dadurch, dass er in eine Sache Arbeit investiert. Damit wird das Recht an der eigenen Person ausgeweitet auf die so mit der Person verbundene Sache. Paradigmatisch ist dabei das von einem Siedler bestellte Land. Lockes Theorie geht von der Vorstellung ursprünglich unbegrenzt verfügbarer Ressourcen aus.80 Dass dies nicht dauerhaft sichergestellt ist, führt zu einer doppelten Einschränkung: Ein Recht an Eigentum wird nur begründet, wenn für andere Menschen genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, und erstreckt sich nur auf Eigentum, das tatsächlich genutzt werden kann.81 Umfassende Freiheit unter der Bedingung der Leiblichkeit setzt die Möglichkeit voraus, über Ressourcen zu verfügen. Unter den Bedingungen der Sozialität und Güterknappheit kann diese Möglichkeit am ehesten sichergestellt werden, indem man Menschen neben dem Recht an Eigentum auch ein Recht auf Eigentum einräumt.82 Bezogen auf das Anliegen umfassender Freiheit heißt dies, dass Eigentumsrechte abgewogen werden müssen gegen die mit ihnen verbundene Einschränkung von Freiheit anderer. Ein aktuell kontrovers diskutierter Fall, an dem zugleich die soziale Konstitution von Eigentumsrechten deutlich wird, sind Patente auf biologisches Material. Diese sollen durch Forschung gewonnenes geistiges Eigentum schützen und seine wirtschaftliche Verwertung sicherstellen. Problematisch ist aber, dass dadurch manche traditionellen Heilmethoden „privatisiert“ und herkömmliche Landwirtschaftsweisen zum Teil unmöglich werden. Damit erfährt die Freiheit von Kleinbauern Einschränkungen.83 Gemäß der Lockeschen Provisio kann in diesen Fällen ein Recht an Eigentum kaum geltend gemacht werden.84 Eigentumsrechte lassen sich also mittels der Zielvorstellung umfassender Freiheit begründen. Sie gelten dann jedoch nicht absolut, sondern müssen gegen andere Aspekte umfassender Freiheit abgewogen werden.85 Dabei Erstens, weil ein jeder mehr Sorge darauf verwendet, etwas zu beschaffen, was ihm allein gehört […]; denn weil jeder die Arbeit scheut, überläßt er das, was die Gemeinschaft angeht, den anderen […]. – Sodann, weil die menschlichen Angelegenheiten besser verwaltet werden, wenn jeder Einzelne seine eigenen Sorgen hat in der Beschaffung irgendwelcher Dinge; es gäbe aber ein Durcheinander, wenn jeder ohne Unterschied für alles Mögliche zu sorgen hätte.“ 80 Vgl. Locke, Second Treatise of Government, §§ 26 f., 32 f. (Locke 1980, 18–21). 81 Vgl. Locke, Second Treatise of Government, § 36 (Locke 1980, 22 f.). Zur Interpretation vgl. Nozick 1974, 175–182; Gauthier 1992, 201–205. 82 Vgl. von Nell-Breuning 1985, 115, 336–339. 83 Vgl. Shiva 2005, 125–131, 161 f.; Frein und Meyer 2008, bes. 80–85; Frein 2011, 91 f. 84 Das Etablieren von Eigentum verschlechtert die Situation anderer (vgl. Gauthier 1992, 204 f.). 85 Vgl. Kirchenamt der EKD 1991, 95–99.
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ist zwischen verschiedenen Formen des Eigentums (u. a. Eigentum an Mitteln des persönlichen Bedarfs, Eigentum an Produktionsmitteln, geistiges Eigentum, Eigentum in Form von Anteilen an Unternehmen) zu differenzieren.86 3.) Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Eine weitere Einschränkung erfolgt aus der Einsicht, dass sich der Erwerb von Eigentum immer unter der Bedingung der Sozialität vollzieht. Er ist damit an soziale Voraussetzungen gebunden. Anders als es nicht nur Friedman, sondern auch Locke voraussetzt, kann daher nicht identifiziert werden, wessen Arbeit in den Erwerb von Eigentum eingeht.87 Exemplarisch lässt sich dies zeigen am Verdienst eines Autoverkäufers. Dieser hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Dazu gehören staatlich gesicherte Voraussetzungen wie das Vorhandensein von Straßen und die Sicherung des Straßenverkehrs. Dazu gehören aber auch gesellschaftliche Leistungen wie die Vermittlung von Wissen, das die Produktion von Autos ermöglicht oder die Etablierung einer Moral, durch die Autos nicht willkürlich beschädigt werden. Die Leistung, die zum Erwerb von Eigentum führt, ist also immer auch durch soziale Faktoren bestimmt. Daher kann das jeweilige Individuum (im Beispiel der Autoverkäufer) auch das Verfügungsrecht nicht ausschließlich für sich reklamieren. Es ist daher angemessen, dass nach dem deutschen Grundgesetz zwar das Recht an Eigentum gesichert ist, es aber zugleich relativiert und seine Sozialpflichtigkeit festgehalten wird.88 Ergänzend ist daran zu erinnern, dass nicht nur die Sozialität, sondern das gesamte vierstellige Relationengefüge menschlicher Aktivität immer schon vorgegeben ist. Freie Handlungen setzen nicht nur soziale Strukturen voraus. Auch die verwendeten materiellen Gegenstände, die in der Welt geltenden Regelmäßigkeiten und die Personalität selbst sind nicht durch menschliche Leistung begründet. Daher erinnern theologische Perspektiven auf das Eigentum daran, dass letztlich alles Eigentum auf Gott als Quelle aller Güter zurückgeht, der freies Handeln erst ermöglicht. An ihn ist daher auch der Gebrauch des Eigentums zurück gebunden.89 3.3.3 Innere Hemmnisse umfassender Freiheit 1.) Die Möglichkeit innerer Freiheitshemmnisse. Es gehört zu den Bedingungen menschlicher Freiheit, dass sie stets auf der Grundlage einer Erschlossenheitslage beruht. Dies schränkt die umfassende Freiheit eines Menschen ebenso wenig ein wie die Tatsache, dass seine physische Disposition seinem Handeln vorgegeben 86 Vgl.
Kerber und Schüller 1993, 220. Brunner 1981, 176 f. 88 Vgl. Art 14 GG (Bundeszentrale für politische Bildung 2004, 19). Für Thomas von Aquin wurzelt die Sozialpflichtigkeit des Eigentums darin, dass ursprünglich alles Eigentum Gemeinbesitz ist (vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica II–II q. 66 a.2 c. [Thomas von Aquin 1953, 198]). 89 Vgl. exemplarisch Brunner 1981, 176 f.; McLellan, 232–249; Jähnichen 1998, 179 f. sowie die Übersichtstexte oben 316 Anm. 77 (zur biblischen Tradition bes. Anzenbacher 1999, 50 f.). 87 Vgl.
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und (in Teilen) entzogen ist. Die tatsächliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung verlangt daher nicht, dass Menschen über die sie leitenden Ziele völlig frei verfügen können. Dennoch ist damit zu rechnen, dass die Möglichkeit zur Selbstbestimmung auf der Basis einer Erschlossenheitslage durch innere Hemmnisse eingeschränkt ist. In Abschnitt 2.2.3 wurde die Identifikation von Präferenzen und Wahlakten bei Milton Friedman kritisiert. Selbstbestimmung ist demnach nicht automatisch identisch mit der Möglichkeit zu ungehinderten Wahlakten im Vertrauen darauf, dass damit die Verfolgung der jeweiligen Präferenzen sichergestellt ist. Normatives Ziel ist es, Menschen zu ermöglichen, in Übereinstimmung mit ihren tatsächlichen Präferenzen zu handeln – also nach Möglichkeit die Wahl unangemessener Mittel und Handlungen entgegen der eigenen Wertvorstellungen zu verhindern. Treffen Menschen Entscheidungen, die nicht mit ihren eigentlichen Zielen übereinstimmen, kann daher von inneren Hemmnissen umfassender Freiheit gesprochen werden.90 Diese liegen schon da vor, wo Menschen nicht über ein aufgeklärtes Eigeninteresse verfügen, wo ihnen also das erforderliche Wissen über ihren Zielen angemessene Mittel fehlt. Bildung erhöht daher den Grad umfassender Freiheit. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Sachverhalt, dass dies nicht nur für den Erwerb technischer, auf die Wahl von Mitteln ausgerichteter, Kenntnisse und Fähigkeiten gilt, sondern auch für die Persönlichkeitsbildung.91 In Anschluss an Schelling, Frankfurt und Sen konnte gezeigt werden, dass Menschen Metapräferenzen entwickeln und nicht immer in Übereinstimmung mit diesen handeln. Das bedeutet, dass nicht alle Handlungen, die keiner äußeren Restriktion unterliegen, in einem gehaltvollen Sinne selbstbestimmt sind.92 Freiheit als tatsächliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung zu verstehen, verlangt daher, neben den äußeren Bedingungen auch innere Voraussetzungen (die erste Reflexionsebene) in den Blick zu nehmen. Auf diesen Zusammenhang hat eindrücklich Charles Taylor in seinem Aufsatz „Der Irrtum der negativen Freiheit“ hingewiesen. Ausgehend von der möglichen 90 Vgl.
Birnbacher 1979, 38 f. Darauf, dass negative Freiheit ohne bewusste Zielorientierung leer ist, hat bereits Georg Simmel hingewiesen (vgl. Simmel 1989, 552): „Allerdings war es Freiheit, was er [der Bauer, B. G.] gewann; aber nur Freiheit von etwas, nicht Freiheit zu etwas; allerdings scheinbar Freiheit zu allem – weil sie eben bloß negativ war –, tatsächlich aber eben deshalb ohne jede Direktive, ohne jeden bestimmten und bestimmenden Inhalt und deshalb zu jener Leerheit und Haltlosigkeit disponierend, die jedem zufälligen, launenhaften, verführerischem Impuls Ausbreitung ohne Widerstand gestattete“. 92 Axel Honneth beschreibt den hier zur Sprache kommenden Sachverhalt als „reflexive Freiheit“ (vgl. Honneth 2011, 59). Unter den von Honneth diskutierten Vorstellungen reflexiver Freiheit ist hier eine moderne, an der sozialen Formung des Selbst orientierte Fortführung des Herderschen Gedankens der Selbstverwirklichung leitend (vgl. Honneth 2011, 58–80, bes. 70–72). Als zweite Alternative beschreibt Honneth Theorien reflexiver Freiheit in der Tradition Kants, die Freiheit in der selbstbestimmten Orientierung an vernunftmäßig erkannten Gesetzen sehen. Gegen solche Vorstellungen spricht die Einsicht in die Unverfügbarkeit individueller Präferenzen (vgl. oben 2.2.2 Die Entstehung von Präferenzen: Ein „blinder Fleck“). 91
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Spannung zwischen akutem Verhalten und erfolgreicher Selbstbestimmung93 betont er die Relevanz innerer Einschränkungen von Freiheit: But if we think of freedom as including something like the freedom of self-fulfillment, or self-realization according to our own pattern, then we plainly have something which can fail for inner reasons as well as because of external obstacles. We can fail to achieve our own self-realization through inner fears, or false consciousness, as well as because of external coercion.94
Freiheit setzt daher ein reflektiertes Bewusstsein über die eigene Person voraus.95 Dies schließt auch die Fähigkeit ein, zwischen originär „eigenen“ Präferenzen und solchen, die durch (unter Umständen gezielte) äußere Beeinflussung erzeugt werden, zu unterscheiden.96 2.) Gewissensbildung als Voraussetzung von Gewissensfreiheit. Taylor aktualisiert damit einen Aspekt, der sich an die normative Begründung von Selbstbestimmung als Gestalt der Freiheit des Gewissens anschließt. Gewissensfreiheit setzt immer Gewissensbildung voraus.97 Von daher ist die These, dass Menschen stets auf der Basis einer ihnen vorgegebenen Präferenzordnung handeln,98 zu präzisieren. Menschen sind nicht autonom gegenüber den sie orientierenden Affekten. Sie sind ihnen jedoch auch nicht sklavisch ausgeliefert. Stattdessen haben sie die Möglichkeit, auf die zahlreichen und teilweise widersprüchlichen Präferenzen einzuwirken. Dazu kann die rationale Selbstbesinnung oder der ethische Diskurs ebenso beitragen wie eine gezielte Gestaltung des eigenen Handlungsrahmen oder der Versuch, sich positiv bewertete Handlungsmuster anzugewöhnen. Allerdings erfolgen auch solche Versuche, die eigenen Präferenzmuster zu beeinflussen, stets auf der Grundlage von Metapräferenzen (z. B. dem Willen, rational verantwortbar zu handeln), die nicht willkürlich gewählt sind. Im gehaltvollen Sinne freies und ethisch positiv qualifiziertes Handeln kann es daher nicht geben ohne ein reflektiertes Wissen um die eigenen Zielvorstellungen. Dafür ist die wiederholte Gelegenheit zur Selbstbesinnung erforderlich. Ein reflektiertes Selbstbewusstsein ist immer sprachlich vermittelt und kann daher nur im Zusammenhang interpersonaler Kommunikation erworben werden.99 Insofern deutet sich ein Zusammenhang zwischen inneren und äußeren Hemmnissen von Freiheit an: Die Überwindung innerer Hemmnisse ist ihrerseits angewiesen auf ein entsprechend geordnetes Zusammenleben, das die dafür erforderlichen Bildungsprozesse ermöglicht.100 93 Vgl.
Taylor 1985b, 220–222. 1985b, 212; vgl. Taylor 1985b, 212–216; Kreuzer 1999, 188–196. 95 Vgl. Taylor 1985b, 215. 96 Maßgeblich ist die „Authentizität“ eines Bedarfs (vgl. Witt 2012, 138–169). 97 Vgl. Korff 1999a, 48; Kreß 2001a, 619 f.; Hübner 2011, 208–210. 98 Vgl. oben 2.2.2 Die Entstehung von Präferenzen: Ein „blinder Fleck“. 99 Vgl. oben 2.1.3 Die Sozialität des Menschen sowie Herms 1992, 47–50; Honneth 2011, 76. 100 Vgl. Honneth 2011, 79. 94 Taylor
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3.) Freiheit und Paternalismus. Friedman lehnt rigoros jede Form von Paternalismus (z. B. ein Verbot von Drogenkonsum oder Gurtpflichten im Straßenverkehr) ab, sofern sie sich nicht auf Kinder oder Menschen mit geistiger Behinderung richtet.101 Auf Grundlage des Minimalkonsens über die Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung ist dieser Einschätzung prinzipiell zuzustimmen. Erstens übergeht Paternalismus den normativen Gehalt formaler Selbstbestimmung. Paternalismus stellt immer eine Form der Fremdbestimmung dar, die in Spannung zur Personalität menschlichen Lebens steht.102 Zweitens müssen auch hier die instrumentellen Aspekte formaler Freiheit berücksichtigt werden. Wenn Paternalismus, z. B. in einem bevormundend-fürsorgenden Sozialstaat, dazu führt, menschliche Eigenverantwortung und Initiative zu untergraben, bedeutet dies zumeist auch einen Verlust materialer Freiheit. Drittens ist zu fragen, an welchen Maßstäben sich paternalistisches Handeln ausrichten kann. Zwar ist es grundsätzlich möglich, dass Menschen über ihre Ziele irren. Ein Urteil über ihre „wahren“ Ziele aus der Außenperspektive muss jedoch umso vorsichtiger ausfallen.103 Dennoch kann aus der Perspektive umfassender Freiheit einem „liberalen Paternalismus“104 nicht gänzlich das Recht abgesprochen werden. Grundsätzlich ist es möglich, dass andere Menschen im Unterschied zum handelnden Subjekt richtig beurteilen, was dessen eigentlichen Zielen dient.105 In erster Linie ist dabei an Fälle zu erinnern, in denen das Handeln von Individuen nicht mit ihren Präferenzen bzw. ihren Metapräferenzen übereinstimmt.106 Es ist also denkbar, dass Menschen ihre Präferenzen dann besser erreichen, wenn sie in der Wahl ihrer Handlungen beeinflusst werden.107 Manche Freiheitseinschränkungen lassen sich daher als „kollektiver Selbstpaternalismus“ dahingehend rechtfertigen, dass sie insgesamt Freiheit als Möglichkeit, die eigenen Ziele zu erreichen, ausweiten.108 Dies gilt insbesondere dann, wenn sich Maßnahmen darauf richten, Menschen in der Verfolgung von ihnen selbst anerkannter Metapräferenzen zu unterstützen.109 Ein ethisch begründbares Ziel 101 Vgl.
oben II.3.5.2 Freiheit und Paternalismus. Berlin 1969, 137. 103 Vgl. Eidenmüller 1998, 331; Schnellenbach 2011, 10–13. 104 Vgl. Thaler und Sunstein 2009, bes. 14–16. 105 So bereits Friedmans Lehrer Jacob Viner, der daraus die Berechtigung staatlicher Intervention ableitet (vgl. Viner 1991c, 221). Vgl. Taylor 1985b, 226 f. Zur bei Taylor nicht gelösten Spannung zwischen Eigen‑ und Außenbeurteilung vgl. Kreuzer 1999, 198. 106 Vgl. oben 2.2.3 „Revealed Preferences“: Fragwürdige Identifikation von Präferenzen und Wahlakten sowie Birnbacher 1979, 38 f.; Thaler und Sunstein 2009, 29–117. 107 Zu einem ökonomischen Modell, das Nutzenmaximierung durch paternalistische Regelungen (staatliche Subventionen für Drogentests am Arbeitsplatz, Verkürzung der Auszahlungsperioden für Sozialleistungen) erläutert, vgl. Glazer und Weiss 2003, bes. 156. Jacob Glazer und Andrew Weiss gehen dabei von der Annahme aus, dass Menschen in Widerspruch zu ihren eigentlichen Präferenzen handeln können. 108 Vgl. Eidenmüller 1998, 358–388, bes. 374–379. 109 Dieses Argument kann beispielsweise für die Pflicht zu Sozialversicherungen angeführt werden (vgl. dazu unten 418). 102 Vgl.
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Teil III: Kritische Diskussion
kann es aber auch sein, die Versorgung mit jenen Grundgütern sicherzustellen, ohne die menschliches Leben nicht möglich ist.110 Exkurs: Umfassende Freiheit und „Freiheit in Christus“ Friedman beschränkt seine Überlegungen zum Thema Freiheit auf die Reflexionsebenen der äußeren Handlungsfreiheit.111 Der Rekurs auf innere Hemmnisse von Freiheit hat gezeigt, dass Freiheit nicht umfassend als Selbstbestimmung konzipiert werden kann, ohne auch die Gewissensbildung – also Fragen der ersten Reflexionsebene – zu berücksichtigen. Von einem umfassenden Verständnis von Freiheit als tatsächliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung ist ein Verständnis zu unterscheiden, wonach Freiheit sich auf richtige (bestimmungsgemäße) Selbstbestimmung bezieht (dritte Reflexionsebene). Dieser Unterschied soll hier anhand des Verhältnisses zwischen umfassender Freiheit und Freiheit in Christus verdeutlicht werden. a) „Freiheit in Christus“ als die Freiheit von falschen Zielen 1.) Freiheit als Akzeptieren der Bedingungen des eigenen Daseins. Menschliche Freiheit ist stets bedingte Freiheit. Sie ist selbstwidersprüchlich, wenn sie danach strebt, ihre eigenen Grundvoraussetzungen hinter sich zu lassen. Seit der Antike gilt es daher als ein wesentliches Kriterium wirklicher Freiheit, dass Menschen die für ihr Dasein unabänderlichen Dinge akzeptieren.112 Wilhelm Kamlah weist darauf hin, dass menschliches Leben nicht nur durch aktives Handeln, sondern auch durch Widerfahrnis charakterisiert ist. Die existentiellen Widerfahrnisse (Geburt und Tod) dienen ihm als Paradigma für alltägliche Widerfahrnisse (z. B. Wetter, Unfälle, glückliche Zufälle). Geschöpfliche Freiheit ist auf Güter angewiesen, die sie selbst nicht hervorbringen, ja nicht einmal aktiv erreichen kann. Dem werden Menschen durch die Haltung einer „vita passiva“ gerecht, die sich des Geschenkt-Seins des Lebens bewusst ist. Ein angemessener Umgang mit dem eigenen Leben und Sterben erfordert demnach auch die Anerkennung der Grenzen eigener Möglichkeiten und in diesem Fall einen Verzicht auf eigenes Handeln, ein An-sich-geschehen-lassen.113 Dass wahre Freiheit eine Freiheit von falschen Zielvorstellungen ist, ist ein zentrales Thema theologischen Nach110 Vgl.
Korff 1999a, 40; zu den Grundbedürfnissen als wahre Präferenzen vgl. oben 287. den Reflexionsdimensionen von Freiheit vgl. oben 2. 112 Vgl. Epiktet, Encheiridion 19 (Epiktet 1966, 30): „Du selbst willst doch weder Feldherr noch Senator, noch Konsul sein, sondern wahrhaft frei. Dazu führt aber nur ein Weg: Nichtachtung alles dessen, was nicht in unserer Macht steht.“ 113 Vgl. Kamlah 1973, 157–162; Kamlah 1976, 9–13, bes. 13: „Die Hinnahme hingegen kann schwer zu erringen, im Gelingen aber befreiend sein. Und die ars vitae, die mit Hilfe philosophischer Besinnung gelingende Kunst zu leben, besteht zuallererst nicht im Handeln-können, sondern im Loslassen-können. Die Einübung in die Hinnahme unabänderlicher Verluste durch111 Zu
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denkens über Freiheit. Vertiefende Überlegungen über die Freiheit von falschen Zielvorstellungen sollen daher anhand der „Freiheit in Christus“ erörtert werden, wie sie Martin Luther in paulinischer Tradition114 als die „Freiheit eines Christenmenschen“ beschrieben hat. 2.) Die Freiheit in Christus als Sein in der Liebe. Das Gefangensein des Menschen in falschen Vorstellungen über seine eigene Existenz beschreibt die theologische Tradition als Sünde.115 Eine Form der Sünde ist die Illusion einer selbstmächtigen Freiheit, die ihre Bedingtheit und ihr Gegebensein verkennt und den Menschen selbst für den Ursprung und Garant seiner Freiheit hält.116 Demgegenüber besteht christliche Freiheit darin, dass der Mensch die Illusion einer selbstmächtigen Freiheit überwindet und seine Bezogenheit auf Gott, die Welt, die Umwelt und sich selbst erkennt und anerkennt. Zugleich wird diese Bezogenheit nach christlichem Verständnis inhaltlich qualifiziert. Gott zeigt sich dem Menschen als der, der selbst Liebe ist und das Dasein des Menschen in seiner Relationalität gewährt.117 Damit ist der Mensch zugleich auf seine Aktivität hin angesprochen. „Freiheit im theologischen Sinne ist dann die dem Schöpfersinn Gottes entsprechende Wirklichkeit des eigenen Lebens.“118 Dem Personsein in einer aus Liebe gewährten Relationalität entspricht eine Existenz in vertrauendem Glauben an Gott und im Dienst am Mitmenschen.119 Die Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität findet ihre Anerkennung in der „Liebe als Gestalt der Freiheit“120. Das bedeutet zugleich eine Relativierung anderer, z. B. ökonomischer Güter auf dieses Ziel hin.121 Bei Luther gipfelt dies in der scheinbar paradoxen Aussage, ein Christ sei zugleich ein „freyer herr über
zieht dann wiederum unser ganzes Leben und findet in der einwilligenden Hinnahme des eigenen Todes nur ihre Vollendung.“ 114 Vgl. Gal 5,1.13 f. Zur ethischen Dimension der Freiheit von der Sünde als Sein in der Wahrheit bei Paulus vgl. Landmesser 2000, bes. 51–56. 115 Vgl. oben 289. 116 Gegen den existentiellen Grundirrtum einer selbstmächtigen Freiheit richtet sich Oswald Bayers berechtigte Kritik am neuzeitliches Freiheitsverständnis etwa bei Fichte, Marx, Sarte oder Marcuse (vgl. Bayer 1992b, 23–26; Bayer 1992a, 172 f., aber auch Gräb-Schmidt 2003, 161–164) Im selben Zusammenhang verwendet auch Christoph Herbst den Begriff (vgl. Herbst 2012, 5–9). In der Kritik an der neuzeitlichen Illusion von Selbstmächtigkeit sieht er die grundlegende Gemeinsamkeit im Freiheitsverständnis bei Wilhelm Herrmann, Rudolf Bultmann und Eberhard Jüngel (vgl. Herbst 2012, 437–441). 117 Vgl. 1.Joh 4,8 f. 118 Rendtorff 1980, 40; vgl. Pannenberg 1983, 108–116; Hübner 2011, 120–124. 119 Vgl. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 6, 27 (Luther 1897b, 22 f. 35 f.). 120 Rendtorff 1980, 40 (im Original kursiv); vgl. Schwöbel 2002a, 255 f.; Bedford-Strohm 1999, 396–398; Gutiérrez 1992, 103. Freiheit kann also nie nur für einzelne Menschen gelten, sondern ist stets gemeinschaftlich. Dies bringt Wolfgang Huber mit der Bezeichnung „kommunikative Freiheit“ zum Ausdruck (vgl. Huber 1985, 117–119 sowie dazu Fourie 2012, bes. 69–85). 121 Vgl. Sautter 2006a, 261.
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alle ding und niemandt unterthan [… und] eyn dienstpar knecht aller ding und yderman unterthan“122. 3.) Gnade als Voraussetzung der Freiheit in Christus. Bei den Überlegungen zur inneren Freiheit des Menschen wurde deutlich, dass Zielvorstellungen als Grundlage menschlicher Handlungen nicht selbst Ergebnis menschlicher Wahlakte sein können.123 Die durch Erfahrungen vermittelten Gütergewissheiten bedingen das, worauf sich der Wille eines Menschen richten kann. Eine durch falsche Präferenzen pervertierte Freiheit kann demnach nicht durch einen Akt menschlicher Freiheit wieder in Übereinstimmung mit Grundverfassung und Bestimmung des Menschen gebracht werden. Entscheidend ist, wovon ein Mensch existentiell angezogen ist – also die Affektlage des Menschen, die sein Streben ausrichtet.124 Die Illusion einer grenzenlosen menschlichen Freiheit lässt sich nicht durch menschliche Aktivität überwinden, sondern setzt zunächst gerade ihr Zurücktreten voraus.125 Nach reformatorischem Verständnis ist es die Begegnung mit Jesus Christus, die dies ermöglicht und so den Grund für die Freiheit in Christus legt.126 Eine Überwindung der Sünde ist dem Menschen nicht aus sich selbst heraus möglich, sondern nur durch einen ihm „von außen“ zukommenden Akt der Gnade.127 Diese Einsicht befreit den Menschen von der Fixierung auf sich selbst als Quelle und Garant der eigenen Existenz.128 Die vita passiva gründet nicht in menschlicher Aktivität, sondern in einem Widerfahrnis.129
122 Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1. (Luther 1897b, 21). Der Sache nach besteht in diesem Verständnis der christlichen Freiheit ein grundlegender Konsens zwischen Luther und Calvin (vgl. Calvin, Institutio, III,19,2 [Calvin 1955, 553 f.]). 123 Vgl. oben 2.2.5 Präferenzautonomie und innere Freiheit. 124 Vgl. Hübner 2011, 43 f., 51–53; Albrecht 2010, 50–59. 125 Vgl. Kamlah 1973, 159–162. Kamlah weist darauf hin, dass die Philosophie nur darauf verweisen könne, „wahre Gelöstheit gründe sich auf ‚nichts‘“ (Kamlah 1973, 161), wo theologische Rede in mythologischer Sprache auf ein göttliches Handeln verweise. 126 Vgl. Jüngel 2000, 247–250; Pannenberg 1983, 113 f.; Schwöbel 2002a, 250–253; Dahling-Sander 2003, 386–388; Gräb-Schmidt 2003, 164–166). Daher ist neben der Freiheit des Menschen auch seine Unfreiheit ein zentrales Thema reformatorischer Theologie (vgl. Slenczka 2005a, 52–55). Zum Verhältnis von Freiheit und Unfreiheit bei Luther vgl. Hermanni 2003, Ebinger 2010, 166–173. 127 Vgl. Melanchthon, Apologie der Confessio Augustana IV (Melanchthon 1992, 165). Theologiegeschichtlich greifen die Reformatoren dabei neben Paulus auf Augustin zurück. Dieser betonte die Alleinwirksamkeit der Gnade in seiner Auseinandersetzung mit Pelagius (vgl. Augustin, De diversis quaestionibus I 2.2 [Augustinus 1990, 148–153]). 128 Vgl. Slenczka 2005a, 59; Gräb-Schmidt 2010, 494–496; Hübner 2011, 121. 129 Vgl. Sauter 2008, 242: „Die vita passiva wird [bei Martin Luther, B. G.] zum Inbegriff der Rechtfertigung, die wir empfangen: Leben kraft des richtenden und rettenden Handelns Gottes. Die evangelische Predigt des Leidens und Sterbens Jesu Christi, sie unterstützt so die theologische Definition des Menschen: ‚durch den Glauben gerechtfertigt werden‘ [Luther] – passivum divinum.“ Medium dieses unverfügbaren Widerfahrnisses ist die Begegnung mit dem gepredigten Wort. Freiheit in Christus gründet daher in einem sprachlichen Geschehen (vgl. Bayer 1995c, 97 f., 112–114).
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4.) Die Gewissensbildung als Aufgabe des Menschen. Gleichzeitig ist daran zu erinnern, dass es keine automatische Übereinstimmung von Präferenzen und Handlungen gibt. Durch die Rechtfertigung wird dem Menschen von Gott her eine Existenz in Übereinstimmung mit seinem eigentlichen Wesen ermöglicht. Doch auch dieses Leben ist nicht frei von der Erfahrung, von falschen Präferenzen bestimmt zu sein. Auch der gerechtfertigte Mensch ist nicht frei von der Sünde. Die reformatorische Perspektive, dass Christen „simul iustus et peccator“ (zugleich Gerechter und Sünder) seien, bringt dies zum Ausdruck. Auch Menschen, die eigentlich ein Leben in Übereinstimmung mit ihrer Bezogenheit auf ihre physische und soziale Umwelt und Gott anstreben, werden dem nicht immer gerecht.130 Diese Phänomene lassen sich vor dem Hintergrund jener Theorien verstehen, die Friedmans Ansatz der „revealed-preferences“ infrage stellen. Dass Menschen wahre Metapräferenzen haben, bedeutet noch nicht, dass diese tatsächlich ihr Handeln bestimmen.131 Das Problem widerstreitender Präferenzen trotz wahrer Metapräferenzen wird in der theologischen Tradition als der ethische Aspekt der „Heiligung“ des Menschen erörtert.132 Dabei geht es um die Herausforderung, dass ein Mensch Handlungen, die er als richtig anerkennt, auch tatsächlich anstrebt und vollzieht. Auch für Christen gilt, dass ein Leben in Übereinstimmung mit den eigenen Präferenzen Gewissensbildung voraussetzt. Dazu tragen neben der Besinnung auf die eigenen Ziele die ethische Reflexion und der rationale Diskurs bei, aber auch die bewusste Gestaltung des eigenen Lebens in einer Weise, die der angestrebten Handlungsweise förderlich ist. Insofern realisiert sich Freiheit in Christus in einem Bildungsprozess, der den Menschen zwar letztlich nicht verfügbar ist, jedoch auch nicht ohne ihre Aktivität vonstatten geht.
Vgl. Calvin, Institutio, III,19,4 (Calvin 1955, 554 f.). Aristoteles beobachtet, dass ein Mensch „trotz besserer Einsicht das Böse tut aus Leidenschaft“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik VII, 2 [Aristoteles 1956, 177]). Interessanterweise greifen wiederholt Ökonomen bei der Beschreibung inkonsistenter Präferenzordnungen auf Bibelzitate zurück: Thomas Schelling (Schelling 1980, 99) zitiert Mk 14,38; Jacob Glazer und Andrew Weiss (Glazer und Weiss 2003, 145) führen ihren Beitrag zu „Conflicting Preferences“ mit dem Zitat von Röm 7,15 ein. Der Bezug auf den Römerbrief ist sachlich zutreffend (vgl. auch Pannenberg 1983, 115), auch wenn Röm 7 exegetisch eher nicht das Phänomen widersprüchlicher Präferenzen beschreibt, sondern den „adamitischen Menschen“, also den ganz von falschen Präferenzen dominierten Menschen (vgl. Lichtenberger 2004, 121–135; anders z. B. Deenick 2010, 128–130). 132 Vgl. Trillhaas 1970, 51–55. Martin Luther bringt das Bemühen, in Übereinstimmung mit den eigenen Metapräferenzen durch die Rede vom Widerstreit zwischen äußerem und innerem Menschen zum Ausdruck (vgl. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 20. [Luther 1897b, 30]). 130
131 Bereits
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b) Würdigung umfassender Freiheit aus Perspektive der Freiheit in Christus 1.) Differenzen zwischen Freiheit in Christus und umfassender Freiheit. Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass Freiheit in Christus nicht identisch ist mit umfassender Freiheit.133 Die Unterschiede lassen sich – wie schon die Differenzen zwischen negativer und umfassender Freiheit – durch die Darstellung ihrer triadischen Struktur vergegenwärtigen. Umfassende Freiheit ist die Freiheit einer Person (x) von inneren und äußeren Hemmnissen (y) zu Handlungen gemäß eigener Zielvorstellungen (z). Demgegenüber ist Freiheit in Christus die Freiheit einer Person (x) von falschen Zielvorstellungen (y) zu einem bestimmungsgemäßen Leben (z). Damit treten Unterschiede sowohl in Bezug auf (y) als auch auf (z) zu Tage. Erstens ist die Freiheit in Christus eingeschränkt durch falsche Vorstellungen des Menschen über seine Existenz. Das dafür erforderliche Befreiungshandeln beschränkt sich auf die Überwindung innerer Hemmnisse (y). Paulus wie Luther zielen in ihrer Argumentation gerade darauf ab, dass äußere Hemmnisse die Freiheit in Christus nicht einschränken.134 Diese kann auch unter der Bedingung äußerer Unfreiheit, etwa in diktatorischen Regimen, gelebt werden.135 Zweitens ist Freiheit in Christus nicht die Freiheit zu beliebigen Zielen, sondern die Freiheit zu einem bestimmungsgemäßen Leben, also zu Glaube an Gott und Dienst am Nächsten (z).136 Drittens zeigen sich Unterschiede bei der Konstituierung von umfassender Freiheit und Freiheit in Christus. Beide setzen geschöpfliche Freiheit, also die grundsätzliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung, voraus. Diese ist menschlichem Handeln vorgegeben. Insofern sind umfassende Freiheit und Freiheit in Christus gleichermaßen göttlichen Ursprungs. Allerdings weisen die ersten beiden Differenzen darauf hin, dass ihre Realisierung in unterschiedlichem Maße durch menschliches Handeln bewirkt werden kann. Umfassende Freiheit verlangt die Überwindung äußerer und innerer Hemmnisse, wobei letzteres die Besinnung des Menschen auf die ihn tatsächlich leitenden Motive meint. Sie kann daher weitgehend durch menschliche Aktivität sichergestellt werden und ist ein angemessener Gegenstand sozialethischer Forderungen. Freiheit in Christus hingegen verlangt die Überwindung innerer Hemmnisse in dem Sinne, dass ein Mensch bestimmte Zielvorstellungen entwickelt. Dieses Bildungsgeschehen vollzieht sich nicht ohne menschliche Aktivität. Es wurzelt jedoch im Rechtfertigungsgeschehen, das dem Menschen 133 Vgl.
Huber 2012a, 45. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 3. (Luther 1897b, 21): „So ists offenbar, das keyn eußerlich ding mag yhn frey, noch from machen, wie es mag ymmer genennet werden, denn sey frumkeyt und freyheyt, widerumb seyn bößheyt und gefenckniß, seyn nit leyplich noch eußerlich.“ Vgl. Hübner 2011, 36–53, 59–73. 135 Luther und Paulus berufen sich beide auf das Beispiel, dass auch ein Sklave „frei in Christus“ sein kann (vgl. 1.Kor 7,21; Luther, Vermahnung zum Frieden, auf den dritten Artikel [Luther 1908b, 326 f.]). 136 Vgl. Barth 1953, 16; Huber 1985, 119. 134 Vgl.
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entzogen ist und als ein Werk Gottes zu verstehen ist.137 Werden diese drei Differenzen nicht hinreichend deutlich berücksichtigt, kann es zu problematischen Vermengungen der beiden Freiheitsbegriffe kommen. Entweder wird Freiheit in Christus identifiziert mit umfassender Freiheit und verliert dadurch die ihr eigene Zielorientierung.138 Oder umfassende Freiheit wird identifiziert mit Freiheit in Christus. Das kann dann dazu führen, dass die eigenständige Bedeutung der Freiheit zur Selbstbestimmung auch bei aus christlicher Sicht „falschen“ Präferenzen nicht hinreichend gewürdigt wird.139 Die vorgetragenen Überlegungen bedeuten jedoch keineswegs, dass beide Ebenen von Freiheit unabhängig voneinander sind. Einerseits wird sich im Fortgang der Diskussion zeigen, dass eine positive Bewertung umfassender Freiheit nicht indifferent gegenüber den vorherrschenden Zielvorstellungen sein kann, sondern Präferenzen am Kriterium der Menschengerechtigkeit messen muss.140 Andererseits bezieht eine Ethik, die sich an der Freiheit in Christus orientiert, in Bezug auf Fragen der politischen Freiheit durchaus Position. Sie kommt dabei zu einer Würdigung umfassender Freiheit. Dieser Aspekt soll im Folgenden entfaltet werden. 2.) Umfassende Freiheit als angemessene Gestalt christlichen Lebens. Freiheit in Christus ist eine Freiheit von falschen Präferenzen. Das darf jedoch nicht so missverstanden werden, dass sie damit ein rein innerliches Phänomen darstellt. Paulus wie Luther betonen gleichermaßen, dass christliche Existenz stets eine 137 Vgl. Knuth 2001, 108–110, bes. 109: „Die Freiheiten in der geschichtlichen Welt präsentieren sich als Werk der Menschen (opus hominum), aber das Freisein aufgrund der christlichen Daseinsgewißheit präsentiert sich als Werk Gottes (opus Dei).“ In beiden Fällen wäre eine dichotomische Trennung jedoch unangemessen. So ist auch umfassende Freiheit nur zu verwirklichen, wenn Menschen die dazu erforderlichen Einsichten in einem unverfügbaren Bildungsprozess entwickeln. Umgekehrt wurde bereits darauf hingewiesen, dass auch die christliche Daseinsgewissheit einen Menschen nicht in dem Sinne überwältigt, dass sie ihre Kraft ohne menschliches Zutun entfaltet (vgl. dazu auch die allgemeinen Überlegungen zur inneren Freiheit des Menschen: oben 2.2.5 Präferenzautonomie und innere Freiheit). 138 Diese Gefahr zeigt sich etwa in Beiträgen Friedrich W. Grafs zur christlichen Freiheit (vgl. Graf und Huber 1991, 673): „Und das, was Sie [Wolfgang Huber, B. G.] eingeklagt haben, die Bestimmtheit evangelischer Freiheit, sehe ich gerade darin, emphatisch diesen Vorrang individueller Freiheit vor allen korporatistischen Bindungstheorien zu betonen.“ Zur Kritik vgl. Huber 1992, 112–116. 139 Diese Gefahr zeigt sich etwa in Beiträgen Wolfgang Hubers zur christlichen Freiheit (vgl. Huber 1987, 54): „Freiheit ist nicht das Resultat menschlichen Handelns. Die Machtentfaltung der Kirche kann so wenig Freiheit verbürgen, wie dies staatlicher Macht möglich ist. Es gibt keine andere Freiheit als die, die aus der freisprechenden Gnade Gottes kommt“ (Hervorhebung B. G.). Zur Entgegensetzung von neuzeitlicher Freiheit und Freiheit in Christus vgl. auch Huber 1985, 119, 209–212; Huber 2012c, 25; Bayer 1995c, 112–114; Bayer 1995b, 181 f. und zugespitzt Bayer 2010. Zur Kritik vgl. Graf 1994, 24–26. In diese Richtung weist auch die Formulierung von Christoph Herbst, Freiheit werde „theologisch ausschließlich [!] im Kontext der Soteriologie thematisch“ (Herbst 2012, 5, im Original kursiv). Herbst relativiert dies jedoch an anderer Stelle dahingehend, dass vonseiten der Theologie neben der soteriologischen Kategorie „Freiheit in Christus“ auch ein Beitrag zu den Debatten über Handlungsfreiheit und Willensfreiheit zu leisten sei (vgl. Herbst 2012, 452). 140 Vgl. bes. unten 9.4 Liberales Ethos und Präferenzautonomie.
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Teil III: Kritische Diskussion
leibliche ist.141 Der in Christus frei gewordene Mensch ist nicht nur innerlich, sondern auch in seinem leiblichen Verhalten bestimmt von der Liebe, die er als Grund seines Daseins erkennt.142 Bei Martin Luther führte seine Abgrenzung von schwärmerischen Tendenzen im Zusammenhang des Bauernkrieges und ein statisches Gesellschaftsbild dazu, dass er einseitig die Differenz von Freiheit in Christus und umfassender Freiheit betonte und ihren Zusammenhang nicht hinreichend würdigte.143 Ein Leben in christlicher Freiheit kann sich nur voll entfalten, wenn die äußeren Bedingungen es zulassen.144 Ein bestimmungsgemäßes Leben – ein Leben in freier Liebe zu Gott und dem Nächsten – ist Menschen nur möglich, wenn sie daran nicht durch oppressive Strukturen behindert werden. In der Verwirklichung der Freiheit in Christus ist also ein Streben nach umfassender Freiheit eingeschlossen.145 3.) Freiheit in Christus und die umfassende Freiheit aller. Aus christlicher Sicht kann der Mensch das Ziel seines Lebens nicht selbst bestimmen. Es ist ihm mit seinem Ursprung in Gottes schöpferischer Liebe gegeben. Es ist daher möglich, dass seine tatsächlichen Präferenzen der Bestimmung des Menschen zuwiderlaufen. Das bedeutet auch: Die Bestimmung des Menschen geht nicht in seiner Selbstbestimmung auf. Ziel des Daseins ist eine Selbstbestimmung in Über141 Vgl. Röm 12,1; 1.Kor 6,19; Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 20 (Luther 1897b, 30). Zum Zusammenhang zwischen äußerem und innerem Menschen bei Luther vgl. Jüngel 1991, 69–73; Dahling-Sander 2003, 56–59. 142 Vgl. Jüngel 1991, 95–107, bes. 100. 143 Vgl. Mehl 1983, 518, 531–533; Hübner 2011, 68–70. Diese Entwicklung in der Position Luthers ist durch seinen historischen Kontext beeinflusst. In seiner theologischen Argumentation ist zwar eine gewisse Spannung, aber keineswegs eine solche Einseitigkeit angelegt. Frühe Schriften lassen vielmehr erkennen, dass die Freiheit in Christus für ihn auch eine politische Dimension hat (vgl. Dahling-Sander 2003, 85–99). 144 Vgl. Lange 1992, 329: „Wenngleich sie [innere Freiheit zu bestimmungsgemäßer Selbstbestimmung, B. G.] also äußere Freiheit nicht voraussetzt, so fordert sie sie doch als optimale Rahmenbedingung ihrer eigenen Verwirklichung.“ Vgl. Bedford-Strohm 1999, 396 f. 145 Es ist das große Verdienst der Befreiungstheologie, auf diesen Aspekt mit Nachdruck hinzuweisen. Vgl. Gutiérrez 1992, 262 und 230: „Unter Freiheit verstehen wir die Möglichkeit, uns als Menschen und Kinder Gottes zu verwirklichen, und die Chance, zu lieben und in die Gemeinschaft mit Gott und den anderen Menschen einzutreten.“ „Frieden, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit sind zwischenmenschliche Wirklichkeiten und nicht nur innere Haltungen. Als soziale Gegebenheiten sind sie Vehikel geschichtlicher Befreiung. Aufgrund einer falsch verstandenen Spiritualisierung haben wir allzu oft vergessen, daß die eschatologischen Verheißungen den Menschen eine Pflicht auferlegen und zugleich auch eine Kraft bedeuten, die die ungerechten Gesellschaftsstrukturen verändert.“ Gutierrez nennt drei Dimensionen von Befreiung: die Befreiung von ökonomischen und sozialen Einschränkungen, von Einschränkungen durch die persönliche Haltung und von der Sünde (vgl. Gutiérrez 1992, 47, 104 f.). Diese drei Dimensionen entsprechen den hier behandelten Einschränkungen durch äußere und innere Hemmnisse sowie durch falsche Zielvorstellungen. Für ein bestimmungsgemäßes Leben in freier Liebe müssen in der Tat alle Dimensionen zusammenkommen. Christoph Dahling-Sander weist überzeugend nach, dass Befreiungstheologie und reformatorische Theologie in dieser Frage sachlich übereinstimmen (vgl. Dahling-Sander 2003, bes. 383 f., 401–407).
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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einstimmung mit der für menschliches Dasein konstitutiven Relationalität, die menschlichen Präferenzen und Handlungen voraus liegt.146 Gerade aus der Bestimmung des Menschen zur Liebe folgt jedoch eine besondere Wertschätzung seiner Selbstbestimmung. Personale Liebe setzt innerliche Zustimmung voraus und ist ohne Freiheit nicht möglich.147 Personalität – die unausweichliche Fähigkeit zu selbstbewusster Lebensführung – ist Grund der Möglichkeit, dass Menschen ihre Bestimmung verfehlen.148 In der Erfüllung ihrer Bestimmung kommt Personalität jedoch zu ihrem Ziel und wird gerade nicht aufgelöst.149 Zur dem Menschen vorgegebenen Bestimmung gehört daher, dass er sie nur selbstbestimmt erfüllen kann.150 Ein bestimmungsgemäßes Leben kann nicht durch Zwang hergestellt werden.151 Aus Perspektive der Freiheit in Christus sind daher alle Menschen zur Selbstbestimmung bestimmt.152 Ein Leben im Widerspruch zum eigenen Gewissen ist ethisch nicht positiv qualifiziert, selbst wenn es äußerlich einem christlichen Verständnis vom Leben in der Liebe entspricht. Diese ist aber Teil seiner Bestimmung und gebietet daher Achtung auch dann, wenn man den Entscheidungen eines Menschen über sein Leben die Zustimmung versagt. Der christlichen Freiheit entspricht daher eine Haltung, die umfassende Freiheit für Menschen, die selbst andere Ziele verfolgen, begrüßt und fördert.153 Zugleich 146 Das gilt im Grundsatz auch aus römisch-katholischer Perspektive. Vgl. Johannes Paul II. 2005, 61 f.: „Der Mensch ist nämlich dazu berufen, mit seiner Freiheit die Wahrheit über das Gute anzunehmen und zu verwirklichen. Indem er einen wahren Wert in seinem persönlichen Leben und in der Familie, im wirtschaftlichen und politischen Bereich, auf nationaler und internationaler Ebene wählt und in die Tat umsetzt, verwirklicht er seine eigene Freiheit in der Wahrheit.“ 147 Vgl. Brunner 1981, 66; Schwöbel 2002a, 250–256. 148 Vgl. Knuth 2001, 49. 149 Vgl. Barth 1959, 515: „Es geht um des Menschen Entscheidung und also Freiheit in der Nachfolge des freien Gottes im Gehorsam gegen dessen Entscheidungen. Das in der Begegnung mit Jesus Christus wirksame und sichtbare Interesse Gottes ist sein Interesse an einem seinerseits zu befreienden Menschen, nicht das an einer Puppe oder Schachfigur!“ 150 Dass der Mensch dazu bestimmt ist, ein ihm vorgegebenes Ziel in freier Selbstbestimmung zu wählen, ist kein exklusiv theologischer Gedanke. Klassisches Beispiel ist Kants Vorstellung einer Autonomie, die in einer freiwilligen Unterwerfung unter das Sittengesetz besteht (vgl. Kant, Grundlegung zu Metaphysik der Sitten, 447 [Kant 1999, 75]) sowie dazu Honneth 2011, 63–65). Zu Übereinstimmungen zwischen Luther und Kant in Bezug auf die menschliche Selbstbestimmung vgl. Stümke 2005, bes. 110–113, 119–121, 129–132. Ein entscheidender Unterschied Luthers zu Kant besteht hinsichtlich der Frage, wie der Mensch in die Lage versetzt wird, seine Selbstbestimmung in Übereinstimmung mit seiner geschöpflichen Bestimmung zu vollziehen. 151 Es ist daher keineswegs so, dass Freiheitskonzeptionen, die von einem dem Menschen vorgegebenen Ziel ausgehen, immer in der Gefahr des Despotismus stehen (so Berlin 1969, 145–154, bes. 153 f.). Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob sie davon ausgehen, dass dieses Ziel nur unter Wahrung umfassender Freiheit erreicht werden kann oder ob diese jenem höheren Ziel geopfert werden darf. 152 Zu kritisieren ist also nicht das Streben nach Selbstbestimmung, sondern nur deren Missverständnis als Selbstmächtigkeit (vgl. Herbst 2012, 452 f.). 153 Diese Folgerung findet sich nicht bei Luther selbst. Auch in vielen Strömungen nachreformatorischer Theologie sind teilweise massiv antiliberale Tendenzen einzuräumen. Dennoch ist
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Teil III: Kritische Diskussion
ist ihr an anderen Gütern wie der Gerechtigkeit oder dem Wohlergehen gelegen. Umfassende Freiheit ist daher aus theologischer Perspektive nicht das höchste, aber sehr wohl ein hohes innerweltliches Gut.154 4.) Freiheit in Christus und das Eintreten für umfassende Freiheit. Gerade die Unterscheidung von Freiheit in Christus und umfassender Freiheit kann christlich motiviertes Engagement für umfassende Freiheit verständlich machen.155 Menschen, die aufgrund ihres christlichen Glaubens Widerstand etwa gegen den Nationalsozialismus oder die Apartheid geleistet haben, waren massivsten Beschränkungen ihrer umfassenden Freiheit ausgesetzt. Dies bedeutete, dass sie ihr Leben nicht so führen konnten, wie es aus christlicher Perspektive als erstrebenswert anzusehen ist. Insofern waren sie in der Entfaltung ihrer Freiheit in Christus gehemmt. Zugleich konnten äußere Repressionen die Freiheit in Christus gerade nicht wirksam begrenzen. Im Gegenteil, die Freiheit in Christus weckte nicht nur die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, in der Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit Wirklichkeit werden. Sie ermöglichte zugleich eine Haltung, die es erlaubte, Gefangenschaft und Leiden im Kampf für eine menschengerechte Gesellschaft in Kauf zu nehmen.156 Im Leben zahlreicher bekannter und unbekannter Christin-
das neuzeitliche Freiheitsverständnis angelegt in Luthers Insistieren auf der Unvertretbarkeit des Einzelnen und der damit verbundenen Bindung an das eigene Gewissen (vgl. Dierken und von Scheliha 2005, 4–7; Slenczka 2005a, 63 f.; zum Wandel der Lutherinterpretation zwischen Affirmation und Kritik des neuzeitlichen Freiheitsstrebens vgl. Slenczka 2005b, bes. 208–210, 242–244). Christliche Theologie kann die neuzeitlich-liberale Forderung nach einer rechtlichen Ordnung mitvollziehen, die ethische Autonomie (ein Leben gemäß eigener Überzeugungen) ermöglicht, zugleich aber auch rechtliche Autonomie (die Wahl zwischen verschiedenen ethischen Orientierungen) garantiert (vgl. Forst 1996, 219 f.). Es erscheint daher als sachgemäßer, die Kontinuitäten zwischen dem christlichem und dem neuzeitlichen Freiheitsverständnis hervorzuheben (vgl. Rendtorff 1978, 381–383; dazu Laube 2006, 456–458, 482; Gräb-Schmidt 2010, 484), als einseitig die bleibenden Differenzen zu betonen (so die Tendenz bei Oswald Bayer, vgl. oben 327 Anm. 139). In seinem berechtigten Anliegen, Freiheit in Christus und Freiheit als Selbstbestimmung zu unterscheiden, vernachlässigt Bayer, dass nicht erst die zugesagte Freiheit in Christus, sondern bereits die personale Freiheit eine von Gott geschaffene Freiheit ist. Insofern ist es keineswegs „nachchristlich, […] die Freiheit als prinzipiell jedem zukommend“ (Bayer 1995d, 267) zu denken. 154 Vgl. Rich 1990, 168 f.: „Dieses Menschengerechte läßt sich weder auf den Nenner der Freiheit allein noch auf den der Solidarität, der Emanzipation oder der Dienstbarkeit bringen. Denn in der Liebe bleibt dies alles ungeschieden, ist es immer zugleich aufgenommen.“ 155 Vgl. Huber 2012a, 46. 156 Vgl. Bonhoeffer 1998, 34: „Christus entzog sich solange dem Leiden, bis seine Stunde gekommen war; dann aber ging er ihm in Freiheit entgegen, ergriff es und überwand es. […] Wir sind nicht Christus, aber wenn wir Christen sein wollen, so bedeutet das, daß wir an der Weite des Herzens Christi teilbekommen sollen in verantwortlicher Tat, die in Freiheit die Stunde ergreift und sich der Gefahr stellt und in echtem Mitleiden, das nicht aus der Angst, sondern aus der befreienden und erlösenden Liebe Christi zu allen Leidenden quillt.“ Vgl. de Gruchy 1991, 164, 238–243, 272 f., bes. 280: „Liberating grace, the evangelical core of Reformed theology, remains at the center of the ferment created by the gospel; it remains the motivating power for prophetic witness and struggle.“
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nen und Christen konnte die „Liebe als Gestalt der Freiheit“157 so nur gebrochen, aber umso nachdrücklicher Wirklichkeit werden. Insofern kann gesagt werden: Freiheit in Christus kann es ohne umfassende Freiheit geben – nicht aber ohne das Eintreten für die umfassende Freiheit derer, die in Unfreiheit leben.
3.4 Kritische Würdigung von Friedmans Position Friedman führt das individuelle Recht, die jeweils eigenen Präferenzen zu verfolgen, als liberalen „Glaubenssatz“ ein. Aus ihm leitet er das Prinzip individueller Freiheit als höchstes soziales Gut ab. Der hohen Wertschätzung individueller Selbstbestimmung ist beizupflichten. Sie lässt sich – auch hier ist Friedman zuzustimmen – nicht rein logisch aus der Natur des Menschen ableiten. Jedoch ist der normative Gehalt individueller Selbstbestimmung weniger willkürlich, als Friedman dies mit seiner Rede vom „Freiheitsglauben“ suggeriert. Er hat einen Bezugspunkt in der menschlichen Personalität. Es gibt gute Gründe dafür, dass Menschen nicht durch Fremdbestimmung daran gehindert werden sollten, ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu verwirklichen. Da den Menschen ihre eigenen Ziele im Medium des Gewissens präsent sind, kann ihre Bestimmung zur Selbstbestimmung als elementares Recht auf Freiheit des Gewissens geltend gemacht werden. Ein Handeln gegen das eigene Gewissen ist ethisch negativ qualifiziert. Friedman leitet aus dem Recht, die eigenen Präferenzen zu verfolgen, einen rein negativen Begriff von Freiheit ab, der sich formal auf die Abwesenheit von Zwang durch andere Menschen reduziert. Dieses Verständnis erscheint in zweierlei Hinsicht als defizitär: Zum einen wird es der Tatsache nicht gerecht, dass Freiheit immer Freiheit zu etwas ist. Mit Friedman kann das Verfolgen eigener Präferenzen als Ziel des Freiheitsgebrauchs beschrieben werden. Unklar ist dann aber, warum die Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, keine Rolle für den Freiheitsbegriff spielen sollte. So wählt Friedman ein Gut (die Abwesenheit von Zwang durch andere) unter mehreren zum höchsten Gut, anstatt Freiheit als die Möglichkeit zur Wahl zwischen Gütern zu qualifizieren. Zum anderen führt gerade die normative Präferenzautonomie nicht dazu, dass Freiheit im negativen Sinne als höchstes soziales Gut anerkannt werden kann. Menschen würden dann eher jene Alternativen vorziehen, mit denen sie ihre Ziele tatsächlich erreichen können als die schlichte Abwesenheit von Zwang. Friedman führt keine Gründe dafür an, warum letzteres ein wichtigerer Grundsatz sein sollte. So bleibt ihm in der Tat nichts weiter als der Verweis auf seine „Glaubenssätze“. Demgegenüber entspricht dem in der menschlichen Personalität verankerten Recht, eigene Präferenzen zu verfolgen, eher ein umfassender Freiheitsbegriff, der die tatsäch157 Rendtorff
1980, 40 (im Original kursiv).
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Teil III: Kritische Diskussion
liche Möglichkeit in den Blick nimmt, für wertvoll erachtete Ziele zu verfolgen. Freiheit lässt sich nicht auf formale Gesichtspunkte reduzieren. Aber diese sind sowohl unmittelbar als auch instrumentell wichtig für umfassende Freiheit. Beim Versuch, umfassende Freiheit zu evaluieren zeigt sich, dass die Gewichtung verschiedener Aspekte von Freiheit abhängig ist von den Zielen, die Menschen verfolgen. Damit ist der Freiheitsbegriff rückgebunden an Wertvorstellungen und kann nicht ohne Rekurs auf diese verhandelt werden. Gegenüber dem hier vorgeschlagenen umfassenden Verständnis von Freiheit wirkt Friedmans rein negativer Freiheitsbegriff abstrakt und formalistisch. Dennoch ist anzuerkennen, dass er nicht nur für Friedman selbst eine hohe Plausibilität besitzt. Wie lässt sich dies erklären? Erstens ist auf den historischen Kontext zu verweisen, in dem Friedman seine Gesellschaftstheorie entwickelt hat. Die einleitende Einordnung ebenso wie die Interpretation haben gezeigt, wie sehr dies in Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Entwicklungen geschah. Friedman stammt ebenso wie seine Frau aus einem Elternhaus, das nach einer Emigration aus Osteuropa im freiheitlichen System der USA eine Verbesserung der Lebensumstände erfahren hat. Dieser soziale Aufstieg setzte sich in seiner eigenen Biographie fort. Weltgeschichtlich war das Umfeld Friedmans geprägt von dualistischen Auseinandersetzungen: zunächst mit dem faschistischen Europa, später mit der Sowjetunion.158 Freiheit in einem positiven Sinne wurde von diesen totalitären „Gegenmächten“ reklamiert. Es kann festgestellt werden, dass Friedman Einschränkungen formaler zugunsten materialer Freiheiten (z. B. im „New Deal“) in diesem Zusammenhang als erste Schritte auf dem „Weg zur Knechtschaft“ gesehen hat.159 Zweitens ist ein negatives Verständnis von Freiheit einfacher zu handhaben als das hier vorgeschlagene. Es ermöglicht – wie im Interpretationsteil exemplarisch gezeigt wurde – eine klare Positionierung zu einer Vielzahl gesellschaftlicher und politischer Debatten. Demgegenüber kommt eine Orientierung an „umfassender Freiheit“ nicht ohne Abwägung verschiedener Aspekte und Verständigung über Wertvorstellungen aus.160 Drittens darf nicht unterschätzt werden, dass Friedman von den positiven Effekten negativer Freiheit überzeugt war. Er selbst macht zwar deutlich, dass diese in seinem Denksystem keine Relevanz für die Begründung der Normativität von Freiheit haben. Es kann jedoch zumindest bezweifelt werden, dass Friedman mit derselben 158 Vgl.
Jones 2012, 111–121. historische Kontext kann Friedmans Positionierung plausibilisieren, aber nicht erklären. Es ist auch zu beachten, dass sich am selben Ort und fast zeitgleich eine theologische „Chicago School“ entwickelte, deren Verständnis von Freiheit einen großen Akzent auf materiale Aspekte legte (vgl. Schwarke 2005, 232–238). 160 In politischer wie theoretischer Hinsicht erscheint aus dieser Sicht ein konsequent negativer Begriff von Freiheit attraktiv, um eine Unterminierung freiheitlicher Prinzipien abzuwehren. Vgl. Taylor 1985b: „It seems easier and safer to cut all the nonsense off at the start by declaring all self-realization views to be metaphysical hog-wash. Freedom should just be though-mindedly defined as the absence of external obstacles.“ 159 Der
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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Eindeutigkeit für Freiheit als „freedom to starve“ eingetreten wäre, wäre er nicht auch davon überzeugt gewesen, so am besten gegen Hunger vorzugehen. Ob diese Vermutung zutrifft oder nicht: Mit dem Votum für einen umfassenden Freiheitsbegriff müssen die Konsequenzen negativer Freiheit berücksichtigt werden. An ihnen entscheidet sich, wo sie eine instrumentelle Rolle auch für materiale Freiheit haben und wo eine Einschränkung formaler Freiheit insgesamt zu größerer Freiheit führt. Orientiert sich der Freiheitsbegriff an den tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten unter den Bedingungen geschöpflicher Freiheit, so sind neben äußerem Zwang weitere mögliche Einschränkungen von Freiheit zu beachten. Die Möglichkeit zur Selbstbestimmung unter den Bedingungen der Leiblichkeit und Sozialität erfordert einen Freiheitsbegriff, der unter anderem folgende Aspekte umfasst: politische Freiheit, ökonomische Möglichkeiten, soziale Chancen, Transparenz sowie soziale Sicherheit. Ähnliche Gedanken nimmt Friedman lediglich in Zusammenhang der Bildung auf. Hier weist er darauf hin, dass der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten freiheitsfördernd gewirkt habe.161 Diesen Ausführungen ist zuzustimmen, sie fallen in Friedmans Gesamtkonzept jedoch nicht ins Gewicht. Die Möglichkeit, dass menschliches Verhalten in Widerspruch zu den eigentlichen Zielen eines Menschen treten kann, führt zu inneren Hemmnissen. Diese erfordern ein reflektiertes Selbstbewusstseins, das durch Gewissensbildung gewonnen wird. Aus Perspektive einer theologischen Ethik ist schließlich auch der Wert umfassender Freiheit zu relativieren. Sie entspricht der Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung und ist daher grundsätzlich positiv qualifiziert. Allerdings ist nicht jede Form der Selbstbestimmung schon eine Erfüllung der menschlichen Bestimmung. Diese setzt voraus, dass der Mensch seine Bezogenheit auf Gott und seine Mitmenschen erkennt und anerkennt. Freiheit in Christus ist die Freiheit von falschen Selbstvorstellungen zu einem Leben in Glaube und Liebe. Sie erkennt umfassende Freiheit als ein hohes, nicht aber als höchstes innerweltliches Gut an.
3.5 Zwischenbilanz: Friedmans Freiheitsverständnis aus Perspektive einer phänomenorientierten Ethik Die bisherigen Kapitel haben sich ausführlich mit den grundlegenden Zügen von Friedmans Argumentation auseinander gesetzt. Die für den weiteren Fortgang zentralen Ergebnisse sollen an dieser Stelle noch einmal vergegenwärtigt werden: In fundamentalethischer Hinsicht ist in Übereinstimmung mit Friedman an der Unterscheidung von Seins‑ und Sollensaussagen festzuhalten. Dem entspricht 161 Vgl.
oben 103.
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Teil III: Kritische Diskussion
die Einsicht, dass normative Aussagen nicht aus deskriptiven Aussagen ableitbar und letztlich nur weltanschaulich-perspektivisch möglich sind. Zugleich ist gegen Friedman einzuwenden, dass Sollenserfahrungen auf Seinserfahrungen bezogen sind und daher das Menschengerechte als Kriterium der Ethik fungiert. Anthropologische Aussagen haben daher eine zentrale Funktion für die Beurteilung einer ethischen Theorie. Friedman stellt die Individualität des Menschen und seine Eigenschaft als Nutzenmaximierer in den Mittelpunkt. Beide Aspekte sind in der Tat von erheblicher Bedeutung für die Beschreibung der menschlichen Grundsituation. Gleichzeitig lassen sich bei Friedman reduktionistische Tendenzen und Abstraktionen feststellen, die einer differenzierten Erfassung der conditio humana abträglich sind.162 So ist menschliche Individualität immer qualifiziert durch die Bedingungen der Personalität und Leiblichkeit sowie einer gleichursprünglichen Sozialität. Menschliche Existenz ist daher immer relational, bezogen auf sich selbst, die eigene Umwelt, die Welt als Möglichkeitsraum und Gott als den Ursprung dieses Beziehungsgefüges. Dass Menschen danach streben, subjektiv für wichtig erachtete Güter zu erreichen, entspricht der mit ihrer Personalität verbundenen Intentionalität. Insofern ist auch Friedmans Aussage zuzustimmen, dass Menschen stets ihr Eigeninteresse verfolgen. Dies darf jedoch nicht verkürzt werden auf ein Streben nach materiellen Dingen oder bloß egoistischen Präferenzen. Mit beidem ist zwar zu rechnen, aber menschliche Motivationen können nicht darauf reduziert werden. Ebenso problematisch ist es, die Bildbarkeit und Bildungsbedürftigkeit menschlicher Präferenzen systematisch auszublenden oder Präferenzen mit Wahlakten zu identifizieren. Menschliche Handlungen können in Widerspruch stehen sowohl zu den einen Menschen faktisch leitenden Metapräferenzen als auch zu den „wahren“ Präferenzen, die seinen Konstitutionsbedingungen entsprechen würden. Als universal wahre Präferenzen sind jene Grundbedürfnisse anzunehmen, die sich aus den Bedingungen des Menschseins ergeben. Zentral ist daher die Sicherstellung personaler, physischer und sozialer Fähigkeiten. Eine normative Theorie der Freiheit muss, will sie menschengerecht sein, ihren Ausgangspunkt von diesen anthropologischen Einsichten nehmen. Aufgrund der Personalität des Menschen ist Friedman dahingehend zuzustimmen, dass die Möglichkeit des Menschen zur Selbstbestimmung ein zentraler ethischer Wert ist. Allerdings ist menschliche Freiheit immer geschöpfliche Freiheit, gebunden an die Relationalität des menschlichen Daseins. Außerdem ist an Friedmans Einsicht in den intentionalen 162 Folgt man einem Lob Dieter Birnbachers für John S. Mill, kann man Friedman in dieser Hinsicht einen Rückfall von Mill zu Bentham vorwerfen (vgl. Birnbacher 2006, 60): „Mill gibt genau diejenigen Momente der Lehre Benthams auf, die aus heutiger Sicht als dogmatisch gelten müssen, etwa den psychologischen Egoismus, die Vernachlässigung der Bedeutung der ‚inneren Sanktionen‘ (der internalisierten Normen) für die Moral und das weitreichende Vertrauen in die nutzenstiftende Funktion des freien Marktes. An die Stelle von Benthams provokativen Einseitigkeiten tritt eine differenziertere in vielen Hinsichten adäquatere Anthropologie, Ethik und ökonomische Theorie.“
3. Das umfassende Verständnis von Freiheit
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Grundzug menschlicher Existenz zu erinnern, wonach Menschen nach der Verwirklichung individueller Zielvorstellungen streben. Dem entspricht es, Freiheit nicht wie Friedman rein negativ zu verstehen, sondern als „umfassende Freiheit“ bezogen auf die Handlungsalternativen, die einem Menschen tatsächlich offenstehen. Sie bekommt dadurch einen Sinn, der formale und materiale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. Diese können sich gegenseitig befördern, müssen in manchen Situationen aber auch gegeneinander abgewogen werden. Bedeutend für die Evaluation umfassender Freiheit ist die Bedeutung, die den zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten zugemessen wird. Die Evaluation von Freiheit kommt daher nicht um eine Verständigung über Wertfragen umhin. Aus theologischer Perspektive ist darauf hinzuweisen, dass umfassende Freiheit ein wichtiges Gut darstellt, da sie der Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung Raum gibt. Sie ist jedoch nicht selbst schon das höchste innerweltliche Gut, da der Mensch seine Bestimmung erst erreicht, wenn er in christlicher Freiheit – in einer Existenz in Glaube und Liebe – den Konstitutionsbedingungen seiner Existenz voll entspricht. Die Interpretation von Friedmans Freiheitsverständnis hat gezeigt, dass dieses Implikationen für das Verhältnis verschiedener Aspekte von Freiheit, das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung sowie die Beurteilung der Werte Gerechtigkeit und Gleichheit hat und bestimmte institutionentheoretische Konsequenzen in Bezug auf Markt, Staat und gesellschaftliches Ethos nach sich zieht. Im Folgenden kann es nicht darum gehen, Friedmans Gesellschaftstheorie im Detail auf Stärken und Schwächen zu diskutieren oder eine alternative Theorie im Horizont von Menschengerechtigkeit und umfassender Freiheit zu explizieren. Stattdessen soll punktuell darauf hingewiesen werden, wo reduktionistische Tendenzen in Friedmans theoretischer Grundlegung fragwürdige Konsequenzen zeitigen oder wo seine Theorie unter dem Gesichtspunkt umfassender Freiheit erweitert werden könnte. Gelegentlich wird exemplarisch deutlich werden, dass damit auch Friedmans Politikempfehlungen eine kritische Diskussion erfordern.
4. Dimensionen umfassender Freiheit: Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit Die im vorhergehenden Kapitel vorgetragenen Überlegungen laufen darauf hinaus, dass umfassende Freiheit eine Vielfalt von Dimensionen hat. In diesem Sinne sollen hier Friedmans Überlegungen zum Verhältnis ökonomischer, bürgerlicher und politischer Freiheit aufgegriffen werden. Dabei ist einerseits zu fragen, inwiefern sie unmittelbar zur Steigerung umfassender Freiheit beitragen, und andererseits ihre instrumentelle Rolle für andere Dimensionen umfassender Freiheit in den Blick zu nehmen. Eine entscheidende Ergänzung gegenüber Friedman besteht darin, dass allen drei Dimensionen umfassender Freiheit neben formalen auch materiale Aspekte zukommen.1 Zunächst wird dies mit Blick auf die ökonomische und bürgerliche Freiheit dargestellt (4.1), dann mit Blick auf die von Friedman grundsätzlich anders gewichtete politische Freiheit (4.2).
4.1 Ökonomische und bürgerliche Freiheit als Dimensionen umfassender Freiheit 1.) Der Eigenwert ökonomischer und bürgerlicher Freiheit im formalen Sinne. Friedmans Verständnis von Freiheit ist beschränkt auf die formalen Aspekte ökonomischer und bürgerlicher Freiheit. Dass dieses Verständnis hier als zu limitiert eingestuft wird, darf nicht dazu führen, formale Aspekte von Freiheit geringzuschätzen. Im Falle bürgerlicher Freiheit scheint dies nicht unbedingt erwähnenswert. Grundrechte wie das Recht auf Meinungs‑ oder Religionsfreiheit sind in unserem Rechtswesen fest verankert und in der ethischen Debatte dem Grundsatz nach unstrittig. Diese Freiheitsrechte erstrecken sich auch auf den ökonomischen Bereich. Die Möglichkeiten von Menschen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, hängen entscheidend davon ab, dass sie in ihrem wirtschaftlichen Handeln nicht über die Maßen reglementiert sind. Ein eigenständiger Lebensentwurf lässt sich nicht verwirklichen, wenn die Wahl des Berufs, das 1 Nicht diskutiert wird die Frage, ob die drei Dimensionen „vollständig“ sind. Es ließen sich leicht weitere Dimensionen wie „private“, „ethische“ oder „soziale“ Freiheit denken, die weitere Differenzierungen ermöglichen. Die Zuordnung einzelner Sachverhalte zu verschiedenen Bereichen menschlichen Lebens ist jedoch nie eindeutig, sodass dieser Frage kein entscheidendes Gewicht beigemessen wird.
4. Dimensionen umfassender Freiheit
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Recht an Eigentum oder auch die Möglichkeiten, das eigene Geld auszugeben, zu verleihen oder zu verschenken, verwehrt werden. Zur umfassenden Freiheit gehört die Möglichkeit zum ungehinderten Austausch „nicht nur der Gedanken, sondern auch der Waren und Dienstleistungen“2. 2.) Materiale Aspekte ökonomischer und bürgerlicher Freiheit. Allerdings bleiben diese Freiheiten abstrakt, wenn sie nicht mit tatsächlichen Möglichkeiten verbunden sind, das rechtlich Erlaubte auch zu tun. Darauf haben die Überlegungen zu den äußeren Hemmnissen von Freiheit hingewiesen. Die rechtliche Freiheit, ein Unternehmen zu gründen, erweitert nur dann den Handlungsspielraum, wenn ein Mensch auch die Möglichkeit hat, das dafür erforderliche Kapital zu bekommen. Dasselbe gilt für bürgerliche Freiheiten: Ein Mensch wird nur dann den Eindruck haben, er sei wirklich frei zur Äußerung seiner Meinung, wenn er auch die Möglichkeit hat, an Informationen zu gelangen (also über den Zugang zu Medien verfügt), diese zu reflektieren (also über Bildung und ausreichend Zeit verfügt) und in geeigneter Form zu publizieren.3 3.) Die instrumentelle Funktion ökonomischer und bürgerlicher Freiheit. Friedman weist auf die instrumentelle Funktion ökonomischer und bürgerlicher Freiheit hin, indem er diskutiert, dass sie sich gegenseitig bedingen. Ökonomische Freiheit ist für Friedman notwendige Bedingung bürgerlicher Freiheit und daher instrumentell für diese. Unklar ist bei Friedmans Position, was bürgerliche Freiheit für ökonomische Freiheit bedeutet. Einerseits verweist Friedman unter Bezug auf Länder wie Chile oder Südafrika darauf, dass formale ökonomische Freiheit auch ohne bürgerliche Freiheit möglich sei. Andererseits geht er davon aus, dass langfristig ökonomische Freiheit ohne bürgerliche Freiheit nicht aufrecht erhalten werden kann. Empirische Evidenz spricht eindeutig dafür, dass ökonomische und bürgerliche Freiheit sich gegenseitig befördern und bedingen.4 Friedmans These gewinnt sogar noch an Plausibilität, wenn nicht nur formale, sondern auch materiale Aspekte ökonomischer und bürgerlicher Freiheit berücksichtigt werden. Eine große Bedeutung bekommt dann der Zusammenhang zwischen der durch ökonomische Freiheit in Gang gesetzten wirtschaftlichen Dynamik und bürgerlicher Freiheit. Durch Wirtschaftswachstum verfügen breite Gesellschaftsschichten zunehmend über einen Zugang zu Bildung, über Zeit, die nicht für den Erwerb des Lebensunterhalts gebraucht wird sowie über ein bürgerliches Selbstbewusstsein. Gerade diese Faktoren werden in der Modernisierungstheorie dafür verantwortlich gemacht, dass ökonomische Freiheit und 2 Dierken
2011, 347; vgl. Korff 1999a, 33; Nothelle-Wildfeuer 2009, 11 f. werden in Zusammenhang der Menschenrechtsdebatte meist bürgerliche Rechte als Freiheitsrechte, ökonomische Rechte als Anspruchsrechte behandelt. Die hier vorgetragenen Überlegungen legen es dagegen nahe, beide als Freiheitsrechte zu verstehen (vgl. Lohmann 2010, 7 f.). Für beide Arten von Rechten gilt dann, dass sie einerseits Freiheit von Eingriffen sichern (Abwehrrechte) und andererseits die Möglichkeitsbedingungen von Freiheit garantieren (Anspruchsrechte) sollen. 4 Vgl. Sen 2001, 36–53. 3 Interessanterweise
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Teil III: Kritische Diskussion
wirtschaftliches Wachstum häufig auch zu einem nicht dauerhaft zu unterdrückenden Verlangen nach bürgerlicher und politischer Freiheit führen.5
4.2 Politische Freiheit im Verhältnis zu umfassender Freiheit 1.) Politische Freiheit als eigenständige Dimension umfassender Freiheit. Für Friedman ist politische Freiheit im Sinne der Möglichkeit zu demokratischer Mitbestimmung keine eigenständig normative Dimension allgemeiner Freiheit. Sie hat ihren Wert allein aus ihrer instrumentellen Funktion in Bezug auf ökonomische und bürgerliche Freiheit. Diese These wird fraglich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Sozialität und daher auch Institutionalität konstitutiv zu den Bedingungen des menschlichen Daseins gehören. Die Handlungsalternativen eines Menschen hängen immer davon ab, welche Regeln das Zusammenleben ordnen. Es besteht daher ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Möglichkeit, im Rahmen demokratischer Verfahren auf das Regelwerk einer Gesellschaft Einfluss zu nehmen, und dem Anliegen, so weit wie möglich ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Aus diesem Grund besteht auch ein Zusammenhang zwischen individueller politischer Freiheit im Sinne demokratischer Mitbestimmung und kollektiver politischer Freiheit im Sinne nationaler Unabhängigkeit: Beide zusammen sind Voraussetzung dafür, dass Menschen in einer selbstbestimmten Ordnung leben können anstelle einer Fremdbestimmung entweder durch nationale Eliten oder ausländische Machthaber.6 Nicht nur politische Regeln bestimmen das Leben eines Menschen. Eingebunden in regulative Systeme sind Menschen beispielsweise auch am Arbeitsplatz. Insofern sind auch Möglichkeiten zur betrieblichen Mitbestimmung als eine Ausweitung umfassender Freiheit zu verstehen.7 Wenn betriebliche Mitbestimmung gesetzlich vorgeschrieben ist, bedeutet dies allerdings zugleich eine 5 Vgl. Lipset 1959; Lipset 1994, 2 f., 17; Merkel 2010, 70–76; Huntington 1991, 59. Friedman unterscheidet sich jedoch dadurch, dass er ökonomische Freiheit nicht nur als Mittel für Wohlstand und sozialen Wandel (Bildung einer Mittelschicht, höherer Bildungsgrad, soziale Mobilität) für bedeutend hält, sondern sie auch unmittelbar als Voraussetzung politischer Freiheit beschreibt. Anders als bei Friedman wird eine freie Marktwirtschaft in der Modernisierungstheorie zwar als demokratieförderlich, nicht aber unbedingt als eine notwendige Bedingung für politische Freiheit erachtet (vgl. Merkel 2010, 73). 6 In dieser Hinsicht geht das hier vorgetragene Verständnis umfassender Freiheit über Philippe van Parijs’ „real freedom“ hinaus (vgl. van Parijs 1995, 4, 16 f.). Es schließt sich an an das republikanische Freiheitsverständnis, wie es Quentin B. Skinner gegen Thomas Hobbes’ negatives Freiheitsverständnis stark macht (vgl. Skinner 1993, 213). 7 Vgl. Hengsbach 1993, 117–120; Rendtorff 1981, 128–131. Regelungen am Arbeitsplatz haben für Mitarbeitende insofern keine Verbindlichkeit, als sie die Möglichkeit haben, den Arbeitsplatz zu wechseln. Dies ist aber meist mit erheblichen Transaktionskosten verbunden, was die Mobilität von Arbeitnehmern einschränkt. Die so entstehende Abhängigkeit begründet die Wünschbarkeit von Partizipation auch aus liberaler Perspektive (vgl. Nutzinger 1986, 119–123).
4. Dimensionen umfassender Freiheit
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Einschränkung des formalen Aspekts ökonomischer Freiheit. An diesem Beispiel zeigt sich, dass zwischen verschiedenen Dimensionen von Freiheit Abwägungen erforderlich sein können. Gerade dieser Sachverhalt bestärkt wiederum die eigenständige Bedeutung politischer Freiheit. Diese ermöglicht es den Einzelnen, gemäß ihrer eigenen Zielvorstellungen Einfluss darauf zu nehmen, wie verschiedene Dimensionen von Freiheit gewichtet werden.8 2.) Formale und materiale Aspekte politischer Freiheit. Friedman stellt es so dar, als bestehe politische Freiheit im Unterschied zu bürgerlicher und ökonomischer Freiheit in der Möglichkeit, Macht auszuüben. Erstere wäre dann als positive, letztere als negative (im Sinne Friedmans eigentliche) Freiheit zu verstehen. Demgegenüber läuft die hier verfolgte Argumentation darauf hinaus, dass alle Dimensionen von Freiheit sowohl formale als auch materiale Aspekte haben. Dies gilt auch für politische Freiheit. In formaler Hinsicht sind hier die politischen Verfahren und rechtlichen Möglichkeiten der Mitbestimmung maßgebend. Diese erschöpfen sich nicht in der Möglichkeit, Repräsentanten in Parlamente zu wählen. Auch die Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft an politischen Verfahren kann eine Erweiterung der politischen Dimension von Freiheit bedeuten.9 Damit ist jedoch noch nicht die tatsächliche Möglichkeit zur Partizipation am politischen Prozess gewährleistet. Materiale politische Freiheit setzt außerdem voraus, dass Menschen die dafür erforderliche Zeit sowie Zugang zu relevanten Informationen und allgemeiner Bildung haben, was auch die Kenntnis und Beherrschung politischer Verfahren einschließt. Auch soziale Exklusion – etwa wenn bestimmte Kleidungsnormen nicht eingehalten oder soziale Codes nicht beherrscht werden – kann zur Einschränkung politischer Freiheit führen.10 3.) Die instrumentelle Funktion politischer Freiheit. Friedman bezeichnet das Verhältnis von politischer Freiheit zu bürgerlicher und ökonomischer Freiheit als paradox. Die letzten beiden würden erstere begünstigen, während erstere tendenziell zur Unterminierung bürgerlicher und ökonomischer Freiheit betrage. Dass politische Freiheit von der Garantie bürgerlicher und ökonomischer Freiheiten gefördert wird, ist unstrittig. Verkürzt ist Friedmans Argumentation indes wiederum durch die Beschränkung auf formale Aspekte ökonomischer Freiheit. Diese trägt zur Etablierung und Stabilisierung demokratischer Strukturen in erster Linie mittelbar bei, indem sie wirtschaftliches Wachstum ermöglicht.11 Strittig ist hingegen die andere Seite des Paradoxes politischer Freiheit: Ist diese eine Bedrohung für bürgerliche und ökonomische Freiheit? Diese These steht in 8 Amartya Sen spricht politischer Freiheit daher neben der direkten und der instrumentellen auch eine konstruktive Rolle zu (vgl. Sen 2001, 148). 9 Vgl. Hübner 2011, 355–363. 10 Vgl. Rudzio 2003, 562. Rainer Forst bezeichnet den materialen Aspekt politischer Freiheit als „soziale Autonomie“ (vgl. Forst 1996, 225). 11 Vgl. Huntington 1996, 9, 21–23; Przeworski 1999, 9–12.
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einer gewissen Spannung zu Friedmans institutionentheoretischen Erwägungen. In diesem Zusammenhang erachtet er die Demokratie als jene Staatsform, die am ehesten die Sicherung von Freiheit in allen Dimensionen gewährleistet. Empirisch lässt sich Friedmans Sorge, demokratische Prozesse führten zu einem „Weg in die Knechtschaft“, nicht bestätigen.12 Auch das von Friedman herangezogene Beispiel New York Citys kann diese These aus heutiger Perspektive nicht bestätigen.13 Im Gegenteil lässt sich insgesamt eher ein positiver Zusammenhang feststellen, wonach sich politische und bürgerliche bzw. ökonomische Freiheit gegenseitig bedingen.14 Dies gilt umso mehr, wenn man auch materiale Aspekte ökonomischer Freiheit in die Betrachtung einbezieht. So weist beispielsweise Amartya Sen darauf hin, dass es in demokratischen Staaten bislang noch nie zu einer Hungersnot gekommen ist – anders als in ökonomisch z. T. besser entwickelten autokratischen Staaten.15 Eine naheliegende Begründung für diesen Zusammenhang ist die Verteilung von Macht im demokratischen Gemeinwesen, die es den Herrschenden nicht ermöglicht, die Interessen der Bevölkerung zu ignorieren. Umgekehrt kann auch bei der Gesamtbevölkerung eine größere Verantwortungsbereitschaft für ein Gemeinwesen vermutet werden, das sie selbst gestalten kann.16 Friedmans These, politische Freiheit führe zu einem Verlust bürgerlicher und ökonomischer Freiheit, lässt sich also in dieser allgemeinen Form nicht halten. Damit erweist sich auch sein zirkuläres Geschichtsverständnis17 als eine im schlechten Sinne idealistische Konstruktion, die in ihrer Allgemeinheit wenig Anhalt an der Wirklichkeit hat. Völlig unberechtigt ist Friedmans Hinweis auf die Gefährdung anderer Dimensionen von Freiheit durch Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung allerdings nicht. Die beobachteten positiven Effekte politischer Freiheit sind 12 Vgl. in Bezug auf die von Friedman genannten Beispiele Witt 2012, 75 f. sowie ganz allgemein das umfassende Datenmaterial unter Freedomhouse 2013 und Bonoli et al. 2000, 115– 117. Der von Friedman prognostizierte Verlust bürgerlicher Freiheiten durch die Gewährung politischer Rechte lässt sich an keinem industrialisierten Land belegen. Eine entsprechende Entwicklung kann zwar etwa an Venezuela ab den 1980er Jahren festgestellt werden, der weit überwiegende Teil aller Länder jedoch widerlegt die These. Auch George Stigler räumt ein, dass sich die These vom „Weg in die Knechtschaft“ nicht bestätigt habe (vgl. Stigler 1988, 146 f.). 13 New York City stand 1975 kurz vor dem Bankrott und verlor so die politische Souveränität an die Municipal Assistance Corporation. Allerdings lässt sich dies nicht monokausal auf einen ausufernden Sozialstaat zurückführen. Auch war es keineswegs so, dass New York dauerhaft handlungsunfähig wurde. Durch eine Kombination von staatlichen Hilfen, Sparmaßnahmen, wirtschaftsfreundlicher Politik und den Aufschwung des Dienstleistungs‑ Bankensektors gelang es ab den 1980er Jahren, den Haushalt der Stadt zu sanieren (vgl Burns et al. 2002, 542–547). 14 Als Maßstab für diese These kann das Datenmaterial unter Freedomhouse 2013 gelten. Hier zeigt sich, dass größere Differenzen zwischen der Einstufung bürgerlicher und politischer Freiheit die absolute Ausnahme bilden und nie über einen längeren Zeitraum begegnen. 15 Vgl. Sen 2001, 51 f., 178–180. 16 Dieses Argument überträgt ein üblicherweise für den Umgang mit Privateigentum gemachtes Argument (vgl. oben 316, bes. Anm. 79) auf die Pflege des Gemeinwesens. 17 Vgl. oben II.4.5.3 Der zyklische Verlauf der Geschichte.
4. Dimensionen umfassender Freiheit
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auch darauf zurückzuführen, dass Maßnahmen zur verfassungsrechtlichen Begrenzung politischer Freiheit, wie sie auch Friedman vorschlägt, getroffen wurden. Dies gilt insbesondere im Bereich bürgerlicher Freiheiten (etwa in aktuellen Konflikten um die Bekämpfung von Terrorismus). Relevanz bekommt Friedmans These aber auch im ökonomischen Bereich. In Bezug auf die europäische Schuldenkrise wird dies etwa mit Blick auf Griechenland deutlich.18 In der Tat führt hier eine wirtschaftliche Krise nicht nur zur Abnahme materialer ökonomischer Freiheit, sondern auch zu einer politischen Abhängigkeit von internationalen Geldgebern. Die so genannte „Schuldenbremse“ stellt eine verfassungsrechtliche Beschränkung politischer Freiheit dar, um langfristig Einschränkungen sowohl politischer Freiheit als auch anderer Dimensionen von Freiheit zu verhindern. Für politische Freiheit gilt also dasselbe, wie für andere Dimensionen von Freiheit auch: Sie leistet sowohl einen eigenen Beitrag zu umfassender Freiheit als auch einen instrumentellen zur Stärkung ihrer anderen Dimensionen. Sie ist jedoch gegenüber diesen zu relativeren, da ihre Absolutsetzung andere Freiheiten und damit letztlich auch sie selbst unterminieren kann.
4.3 Kritische Würdigung von Friedmans Position Es ist sachlich angemessen, dass Friedman auf die Unterscheidung verschiedener Dimensionen von Freiheit hinweist. Überzeugend ist auch der Ansatz, zwischen einem eigenständigen und einem instrumentellen Beitrag zu Freiheit im allgemeinen zu unterscheiden. Eine Konsequenz aus den Überlegungen zum umfassenden Verständnis von Freiheit ist es jedoch, dass auch bei bürgerlicher und ökonomischer Freiheit materiale Aspekte in den Blick genommen werden müssen. Friedmans Beurteilung politischer Freiheit wird der Sozialität des menschlichen Daseins nicht gerecht. Dass Menschen immer in sozialen Beziehungen leben, bedeutet, dass ihre Möglichkeit zur Selbstbestimmung auch davon abhängt, ob sie die Gelegenheit zu politischer Mitbestimmung (auch im Berufsleben) haben. Friedmans Sorge, politische Freiheit führe auf den „Weg zur Knechtschaft“, indem sie bürgerliche und ökonomische Freiheit untergräbt, erweist sich empirisch als nicht berechtigt. Wie bürgerliche und ökonomische Freiheit, so leistet politische Freiheit sowohl einen eigenständigen als auch einen instrumentellen Beitrag zur Gewährleistung umfassender Freiheit. Dies setzt allerdings voraus, dass sie nicht verabsolutiert, sondern durch die anderen Dimensionen von Freiheit relativiert wird. Verfassungsrechtliche Beschränkungen politischer Freiheit können daher förderlich für die Sicherung umfassender Freiheit sein. 18 Es ist jedoch keineswegs eindeutig, dass die Überschuldung der betreffenden Länder auf ihre demokratischen Strukturen zurückzuführen ist. Ebenso kann auch ein Defizit an Transparenz und öffentlicher Kontrolle – also materialer politischer Freiheit – dafür verantwortlich gemacht werden.
5. Umfassende Freiheit und Verantwortung Friedman teilt die verbreitete Ansicht, dass Freiheit Verantwortung impliziert. Entscheidend ist jedoch die besondere Prägung, die sein Verständnis von Verantwortung durch die Einbettung in den ontologisch-normativen Individualismus bekommt. So können nur menschliche Individuen Subjekt von Verantwortung sein. Sowohl die Instanzen, vor denen sich Menschen zu verantworten haben, als auch der Gegenstand, für den sie Verantwortung tragen, leitet sich aus dem zunächst unabhängigen Individuum ab: Menschen müssen sich zunächst vor sich selbst und dann vor denjenigen Menschen, zu denen sie aktiv in Beziehung treten, verantworten. Verantwortlich sind Menschen für ihr Tun und seine Folgen. Auch der Maßstab der Verantwortung folgt aus dem normativen Individualismus. Gemäß der normativen Präferenzautonomie sind dies die je individuellen Präferenzen sowie Verpflichtungen, die sich aus Verträgen mit anderen ergeben. Schließlich hat sich gezeigt, dass Friedmans Verantwortungsbegriff auf eine ungelöste Spannung hinausläuft: Einerseits postuliert er, dass das Recht auf individuellen Freiheitsgebrauch eine Grenze im selben Freiheitsrecht des Anderen findet. Andererseits aber ist es ihm auf Grundlage der normativen Präferenzautonomie nicht möglich, eine Verpflichtung zu formulieren, diese Grenze zu achten. Friedman verzichtet darauf, diese Spannung zu lösen. Stattdessen wählt er einen pragmatischen Ausweg, indem er eine entsprechende Präferenzstruktur als weitgehend gegeben annimmt und auf die Bedeutung einer geeigneten Rahmenordnung verweist. Im Folgenden soll gezeigt werden, inwiefern Friedmans Verständnis von Verantwortung angemessen ist, wenn man berücksichtigt, dass menschliche Freiheit stets bedingte Freiheit ist. Wie schon bei der Analyse von Friedmans Verständnis von Verantwortung folgt die Darstellung dem vierstelligen Begriff von Verantwortung, und nimmt nacheinander Subjekt (5.1), Instanzen (5.2), Gegenstand (5.3) und Maßstab (5.4) in der Verantwortung in den Blick.1 Dabei wird sich zeigen, wie ein konstruktiver Umgang mit der bei Friedman ungelösten Spannung zwischen Grenzen individueller Freiheitsrechte und normativer Präferenzautonomie möglich ist (5.5). Von da aus lässt sich Friedmans viel diskutierte These beurteilen, wonach Mitarbeiter von Unternehmen keine soziale Verantwortung tragen (5.6). 1 Vgl.
oben 131, bes. Anm. 2.
5. Umfassende Freiheit und Verantwortung
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5.1 Subjekte von Verantwortung: Individuen und Institutionen Es ist Friedman dahingehend zuzustimmen, dass die Zuschreibung von Verantwortung stets von personalen Individuen ausgehen muss. Das Recht auf Selbstbestimmung und die Verpflichtung zur Verantwortung haben dieselbe Wurzel: die Personalität des Menschen. Freiheit und Verantwortung sind daher nicht voneinander zu trennen.2 Auch Friedmans Unterscheidung zwischen verantwortungsfähigen und nicht-verantwortungsfähigen Menschen hat eine Berechtigung. Da Verantwortung personale Freiheit voraussetzt, kann sie nicht von Menschen eingefordert werden, die ihre Aktivitäten nicht kontrollieren und deren Folgen nicht einschätzen können. Angemessener wäre hier indes sicherlich ein graduelles Verständnis von Verantwortungsfähigkeit. So ist damit zu rechnen, dass Kinder mit zunehmendem Alter mehr und mehr zur Verantwortung gezogen werden können. Aber auch Erwachsene sind nicht immer im gleichen Maße „Herr ihrer Sinne“ – etwa unter dem Einfluss von Alkohol oder in stark emotionalen Momenten.3 Nicht erkennbar bei Friedman ist auch eine Reflexion darüber, wann Menschen tatsächlich frei handeln. Auch innere und äußere Hemmnisse von Freiheit müssen überwunden sein, damit Eigenverantwortung möglich ist. Problematisch ist daher ein Appell an die Eigenverantwortung, solange individuelle oder strukturelle Bedingungen von Selbstbestimmung nicht erfüllt sind.4 Führt man sich vor Augen, dass wir stets in sozialen Zusammenhängen handeln, die unsere Möglichkeiten einschränken, legt sich auch aus diesem Grund ein gradueller Begriff von Verantwortung nahe. Verantwortung als „Korrelat zum Phänomen menschlicher Macht“5 setzt daher tatsächlich vorhandene Handlungsoptionen – also umfassende, nicht allein negative Freiheit – voraus. Auch die Zustimmung zur These, dass die Zuschreibung von Verantwortung stets von Individuen auszugehen hat, ist in verschiedener Hinsicht zu relativieren. Dies ist eine Konsequenz aus der konstitutiven Sozialität des Menschen. Erstens ist menschliche Identität immer verbunden mit der Übernahme sozialer Rollen, denen jeweils eine spezifische Rollenverantwortung zugeschrieben wird. Individuelle Verantwortung ist daher stets eine Verantwortung in sozialen Bezü2 Vgl. Härle 2001, 264. Zur Bedeutung der Selbstverantwortung in der biblischen Tradition vgl. Jähnichen 1998, 98–100. 3 Beidem trägt das deutsche Recht Rechnung. So kennt es bei der Geschäftsfähigkeit von Kindern verschiedene Abstufungen (vgl. BGB §§ 104, 106 [Köhler 2011, 22]) und stellt Menschen unter starkem Drogeneinfluss vorübergehend Geschäftsunfähigen gleich (vgl. BGB § 119 Köhler 2011, 24]). Dies schließt nicht aus, dass letztere moralisch wie juristisch zur Verantwortung gezogen werden, da die schädlichen Konsequenzen von übermäßigem Drogenkonsum bekannt sind und billigend in Kauf genommen wurden. 4 Vgl. Günther 2002, 120 f., 126–129. Exemplarisch kritisiert Günther die Erwartung, Menschen seien selbst dafür verantwortlich, ihre Arbeitskraft zu organisieren und auf dem Markt zu vertreten. Außerdem weist er auf die Bedeutung des Sozialstaates für die Ermöglichung von Eigenverantwortung hin (vgl. Günther 2002, 129–132). 5 Kreß 2001b, 1664.
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gen. Zweitens ist es durchaus fraglich, ob die Zuschreibung von Verantwortung auf Individuen begrenzt werden kann.6 In komplexen Gesellschaften sind zahlreiche Ereignisse nicht auf bestimmte Individuen zurückzuführen. Dabei ist zu unterscheiden von Zusammenhängen, bei denen überhaupt kein konkreter Urheber identifizierbar ist (z. B. beim Rückgang der Geburtenrate) und von Zusammenhängen, bei denen eine Institution als Urheber erscheint (z. B. bei Umweltverschmutzung durch ein Unternehmen).7 Im letzteren Fall erscheint es als durchaus angebracht, auch eine Verantwortung von Kollektiven anzunehmen. Diese leitet sich aus der Verantwortung der für die Institution tätigen Individuen ab, lässt sich aber nicht einfach auf diese verteilen.8 Eine ausgewogene Theorie der Verantwortung müsste diesem Aspekt mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen, als Friedmans dies tut. In der Auseinandersetzung mit ihm werde ich den Gedanken jedoch nicht weiterverfolgen, sondern mich im Folgenden auf die Verantwortung von Individuen konzentrieren.
5.2 Instanzen der Verantwortung: Die Relate menschlicher Bezogenheit Etymologisch steckt im deutschen Terminus „Verantwortung“ ebenso wie im englischen Äquivalent „responsibility“ der Begriff des „antworten“. Schon dadurch wird deutlich, dass Verantwortung ein relationales Phänomen ist. Wir tragen sie immer gegenüber einer bestimmten Instanz, was eine Beziehung zwischen Subjekt und Instanz der Verantwortung voraussetzt. Für Friedman ist dies zunächst ausschließlich das Individuum selbst, und von da abgeleitet Vertragspartner sowie Wertegemeinschaften, denen es freiwillig beigetreten ist. Dabei fällt auf, dass Friedman die Verantwortung vor uns selbst explizit nicht thematisiert. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass er das Thema der Verantwortung nicht umfassend, sondern vor allem bezogen auf die Verantwortung von Unternehmen diskutiert. Allerdings lässt sich der Sachverhalt auch aus Friedmans Identifikation von Präferenzen und Wahlakten erklären. Wie dargestellt ist es die Funktion des Gewissens, vollzogene oder anstehende Entscheidungen dahingehend zu befragen, ob sie mit den eigentlichen Zielen einer Person in Übereinstimmung stehen.9 Die Erfahrung, dass Handeln und eigenes Urteil auseinanderfallen können, lässt dies hingegen anders erscheinen. Der Verantwortung vor dem eigenen Gewissen kommt daher eine große Bedeutung zu. 6 Friedman selbst deutet dies an, wenn er von der „künstlichen Verantwortung“ juristischer Personen spricht (vgl. Friedman 1987n, 36 sowie oben 132). Der Gedanke wird bei ihm jedoch nicht weiterentwickelt. 7 Vgl. Bayertz 1995, 53–55. 8 Vgl. Herms 2008c, 933; Neuhäuser 2011, 42 f., 130. In dieser Form ist die Feststellung einer Verantwortung von Institutionen unabhängig davon, ob diesen selbst ein Status als moralischer Akteur zugebilligt wird (so Neuhäuser 2011, 85 f., 119–132) oder nicht. 9 Vgl. oben 283.
5. Umfassende Freiheit und Verantwortung
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Wenn wir indes ohnehin immer in Übereinstimmung mit unseren Werturteilen agieren, wird eine Betonung der Verantwortung vor dem eigenen Gewissen überflüssig. Überzeugend ist Friedmans Argument, dass zur Verantwortung für das eigene Handeln auch eine Verantwortung gegenüber denen gehört, denen wir uns dadurch verpflichtet haben. Darüber hinaus ist aber zu berücksichtigen, dass unsere Beziehungen sich keineswegs auf den von Friedman beschriebenen Bereich beschränken. Menschen leben in einem vielfältigen Relationengefüge.10 Ihre personale Identität entwickelt sich in sozialen Bezügen, weswegen die Verantwortung vor dem eigenen Gewissen zugleich eine Verantwortung gegenüber der Menschheit ist.11 Verantwortlich sind Menschen insbesondere gegenüber allen, die von ihren Handlungen betroffen sein können.12 Dies gilt gerade gegenüber zukünftigen Generationen, die diese Verantwortung selbst nicht einklagen können. Es ist indes kaum möglich, innerhalb des komplexen Relationengefüges auszumachen, wem gegenüber wir im Einzelnen Verantwortung tragen. Dieses Problem kann ein allgemeiner Bezug auf „die Menschheit“ oder „die Natur“ nicht zufriedenstellend lösen. Theologische Rede von der Verantwortung weist daher darauf hin, dass Verantwortung letztlich immer Verantwortung vor Gott als dem Ursprung unserer Relationalität ist.13 In der Verantwortung vor Gott ist die Verantwortung gegenüber dem eigenen Gewissen ebenso wie die gegenüber individuellen Menschen und der Menschheit als ganze eingeschlossen und in ihrer Verbindlichkeit präsent. Wie unsere Freiheit, so wird auch menschliche Verantwortung nicht durch menschliche Aktivität konstituiert, sondern ist dieser vorgegeben.
5.3 Gegenstand der Verantwortung: Handlungen und ihre Auswirkungen auf alle Betroffenen 1.) Retrospektive Verantwortung für die Konsequenzen eigener Handlungen. Verantwortlich sind Menschen stets für ihr eigenes Handeln.14 Damit verbunden ist, wie von Friedman reklamiert, das Recht und die Pflicht, die jeweiligen Konsequenzen zu tragen. Das gilt für das persönliche Leben ebenso wie für mögliche Auswirkungen von Handlungen auf andere. In diesem Zusammenhang erkennt auch Friedman eine soziale Verantwortung an: Wenn die Notlage bestimmter sozialer Gruppen durch staatliche Maßnahmen verursacht ist, erwächst daraus 10 Vgl.
oben 2.1.3 Die Sozialität des Menschen. Taylor 1985a, 203–207; Lange 1992, 232. 12 Vgl. Jonas 1984, 184. 13 Vgl. Lange 1992, 495; Körtner 2008a, 126. 14 Versteht man Handeln als bewusst gewähltes leibliches Verhalten, ist auch ein Unterlassen als Handeln zu verstehen. Zur Verantwortung für Unterlassen vgl. Neuhäuser 2011, 202–204. 11 Vgl.
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auch eine Verantwortung des Gemeinwesens ihnen gegenüber. Auch sein Gedanke, dass Väter eine Verantwortung gegenüber ihrer Familie haben, muss wohl in diesem Horizont verstanden werden: Mit der Gründung einer Familie verpflichten sich erwachsene Menschen zur Fürsorge für einander und für gemeinsame Kinder.15 Dieser retrospektive Aspekt von Verantwortung als Zurechnung von Folgen ist weitgehend unstrittig.16 Zu Recht betont Friedman die negativen Konsequenzen eines Systems, in dem Menschen für die Folgen ihrer Handlungen nicht entsprechend belohnt werden bzw. nicht für diese geradestehen müssen. Insofern kommt der mit Freiheit einhergehenden Verantwortung bei ihm eine große Bedeutung zu.17 Dennoch kann Friedmans Beschreibung des Gegenstandes von Verantwortung nicht restlos überzeugen. Angebracht erscheint erstens eine differenzierende Einschränkung der Verantwortung für Konsequenzen erfolgter Handlungen: Menschen können ihr Leben zwar aktiv gestalten, unterliegen dabei zugleich einer Vielzahl anderer Einflüsse. Verantwortlich für ihr eigenes Leben sind sie also, soweit sie dazu in der Lage sind, es in umfassender Freiheit zu führen. Zweitens zeigt sich in der ausschließlichen Konzentration auf den retrospektiven Aspekt von Verantwortung die problematische Vorstellung, dass Verantwortung gegenüber anderen erst durch menschliches Tun konstituiert wird. In der Tat gibt es Formen der Verantwortung, die Menschen durch ihr Handeln – etwa durch Zufügen eines Schadens, das Schließen eines Vertrages oder die Übernahme eines Amtes – begründen. Darauf lässt sich Verantwortung jedoch nicht reduzieren, was im Folgenden gezeigt werden soll. 2.) Prospektive Verantwortung. In der Vorstellung, dass Menschen für die Konsequenzen ihrer Handlungen anderen gegenüber einstehen müssen, ist deren Recht vorausgesetzt, nicht geschädigt zu werden. Nur deswegen sind wir gegebenenfalls dazu verpflichtet, diese zu entschädigen. Damit aber stellt sich die Frage, ob Verantwortung nicht einschließt, Schädigungen nach Möglichkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. So erachten wir einen Menschen, der betrunken Auto fährt als unverantwortlich, auch wenn er gegebenenfalls bereit wäre, die Konsequenzen seines Handelns zu tragen und Schadenersatz zu leisten. Hans Jonas beschreibt die Reduzierung von Verantwortung auf ihren retrospektiven Haftungsaspekt als Wette um etwas, das einem nicht gehört.18 Besonders problematisch ist es, wenn derjenige, der Güter eines anderen aufs Spiel setzt, gar nicht in der Lage wäre, diese adäquat zu ersetzen. Dies ist immer der Fall, wenn Gesundheit und Leben anderer gefährdet werden, aber auch beim Einsatz tech15 Dass Friedman im Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern nicht von „responsibility“ spricht, ist also konsequent. Offen bleibt dennoch, in welchem Sinne in diesem Verhältnis von „duty“ gesprochen werden kann (vgl. oben 134). 16 Zugleich ist dies die historisch älteste Bestimmung des Konzepts „Verantwortung“ seit der klassischen griechischen Philosophie (vgl. Bayertz 1995, 4–13). 17 Vgl. McLellan, 242. 18 Vgl. Jonas 1984, 77 f.
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nischer Mittel, die im Unglücksfall unkontrollierbare ökologische Schäden verursachen.19 Verantwortung umfasst daher immer auch einen prospektiven, auf die Vermeidung von Schaden ausgerichteten Aspekt.20 Dieser erfordert, dass Menschen in ihren Handlungen immer schon die legitimen Interessen anderer berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen, bei denen eine Entschädigung schlichtweg unmöglich ist.21 Anders als der retrospektive Aspekt von Verantwortung ist beim prospektiven Aspekt deutlich, dass er nicht durch menschliches Handeln konstituiert ist, sondern diesem vorausgeht. Angemessener als die verbreitete Rede von einer „Freiheit zu Verantwortung“ ist es daher, von „Freiheit in Verantwortung“ zu sprechen. 3.) Verantwortung als Fürsorge. Schwieriger als die recht offensichtliche Forderung, Schädigungen nach Möglichkeit schon im Voraus zu vermeiden, ist die Frage, ob Menschen auch eine Verantwortung als Fürsorge für andere Menschen haben.22 Können Menschen dafür verantwortlich gemacht werden, Kranken oder Opfern von Naturkatastrophen zu helfen?23 Friedman lehnt eine solche Verpflichtung konsequent ab, wünscht sich aber eine Unterstützung aus freien Stücken. Demgegenüber kann durchaus ein Zusammenhang zwischen umfassender Freiheit und Verantwortung als Fürsorge gesehen werden. Trutz Rendtorff etwa weist darauf hin, dass Menschen ihr Leben, also ihre Freiheit, nicht von sich aus haben. Daraus erwachse die Verpflichtung, auch das Leben bzw. die Freiheit anderer zu befördern.24. Hans Jonas fordert eine fürsorgende Verantwortung als Reaktion auf das in der Existenz des Neugeborenen manifeste Gebot, die menschliche Existenz zu schützen.25 Auch dieses Argument lässt sich ausgehend von der Bestimmung zur Selbstbestimmung aufgreifen: Wenn man 19 Die Entwicklung eines entsprechenden Begriffs von Verantwortung wurde demgemäß auch ausgelöst durch die mit der Industrialisierung und Technisierung ausgelösten neuen Dimensionen potenzieller Schäden. Juristisch entspricht dem das Prinzip der Gefährdungshaftung (vgl. Bayertz 1995, 24–29). 20 Vgl. Jonas 1984, 174–177. 21 Deren legitime Interessen können durch ein Modell von Verantwortung als Kompensation entstandener Schäden überhaupt nicht erfasst werden. Entsprechend kommen sie auf einem am Prinzip der Eigenverantwortung orientierten Markt nicht zur Geltung (vgl. Nutzinger 1992, 53). 22 Christian Neuhäuser fasst beide Aspekte prospektiver Verantwortung – den vorsorgenden und den fürsorgenden – unter dem Begriff „Verantwortung als Sorge“ zusammen (vgl. Neuhäuser 2011, 45–56, bes. 52). Demgegenüber versuche ich, hier begrifflich zu unterscheiden, folge ihm aber in der sachlichen Beschreibung des Phänomens. 23 Nicht gemeint ist hier eine Verantwortung, die aus persönlichen oder gemeinschaftlichen Entscheidungen (z. B. der Mitarbeit bei „Ärzte ohne Grenzen“ oder der Gründung einer gemeinnützigen Organisation) erwächst, sondern eine individuellen Entscheidungen vorgeordnete moralische Verpflichtung. 24 Vgl. Rendtorff 1980, 45: „Niemand soll für sich selber leben, weil keiner aus sich selbst lebt. Das eigene Leben bestimmt und bewirkt in seinem tätigen Vollzug immer auch Leben für andere.“ 25 Jonas 1984, 235: „das Neugeborene, dessen bloßes Atmen unwidersprechlich ein Soll an die Umwelt richtet, nämlich: sich seiner anzunehmen.“ Vgl. Jonas 1984, 185, 234–236, 240–242.
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dem Menschen ein Recht auf Selbstbestimmung zuerkennt, ist darin Recht auf Existenz immer schon vorausgesetzt.26 So naheliegend diese Folgerungen sind, sie verweisen jeweils auf Voraussetzungen, die den „Minimalkonsens“ mit Friedman übersteigen. Die Übernahme fürsorgender Verantwortung setzt voraus, dass normative Kriterien anerkannt werden, die über das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben hinausgehen. Aus theologischer Sicht ist ein Verständnis von Verantwortung ungenügend, das die Verantwortung als Fürsorge nicht umfasst. Wie Freiheit in Christus, so setzt christliche Verantwortung eine innere Haltung voraus, die am Wohlergehen anderer Menschen ausgerichtet ist und dieses fördert.27 Damit zeigt sich eine Differenz zwischen der prospektiven Verantwortung für die Folgen möglicher Handlungen und der Verantwortung als Fürsorge: Erstere folgt logisch aus dem Konzept umfassender Freiheit selbst. Ein Freiheitsgebrauch, der diesem Aspekt der Verantwortung (und erst recht der Verantwortung für die Konsequenzen vollzogener Handlungen) nicht nachkommt, ist selbstwidersprüchlich und illegitim. Wer sich am Recht auf ein selbstbestimmtes Leben orientiert, kann es nicht zugleich als legitim erachten, wenn Menschen einem anderen ohne dessen Zustimmung die Konsequenzen ihres Handelns aufladen. Das kann von der Verantwortung als Fürsorge nicht im selben Maße gesagt werden. Hier kommt zum Ausdruck, was (nicht nur aus theologischer Perspektive) ein angemessener Gebrauch der mit Freiheit verbundenen Macht ist. Aus dem Recht auf Selbstbestimmung allein folgt noch keine Verpflichtung, anderen zu helfen. Mit Friedman besteht also Einigkeit dahingehend, dass es keine in der Struktur der Freiheit selbst liegende Verpflichtung gibt, anderen aktiv zu helfen.28 Dieser wiederum stimmt auch der Ergänzung zu, dass eine 26 Das
wird besonders deutlich, wenn man das Recht auf Selbstbestimmung mit der Würde des Menschen begründet. Daraus folgt eine Vorstellung von Verantwortung, die an die Menschenwürde des Anderen und daher eine Verantwortung als Fürsorge gebunden ist (vgl. Neuhäuser 2011, 197–212). 27 Vgl. Bonhoeffer 1992, 283; Körtner 2001, 106–115; Schockenhoff 2010, 55–70. Dem entspricht auch eine Auslegung des Dekalogs wie etwa in Luthers Katechismen, wonach die 10 Gebote nicht nur negativ Übergriffe auf andere verbieten, sondern auch positiv die Unterstützung anderer gebieten (vgl. Härle 2001, 173). Vgl. exemplarisch Luthers Auslegung des 5. Gebots in Luther, Großer Katechismus, Das fünffte Gepot (Luther 1910, 159): „Zum andern ist auch dieses gepots schüldig nicht allein der da böses thuet, sondern auch wer dem nehisten guts thuen, zuvor komen, wehren, schützen und redten kan, das yhm kein leyd noch schaden am leibe widderfahre, und thuet es nicht.“ 28 Dasselbe gilt für einen Verantwortungsbegriff in Anschluss an das Kantische Freiheitsverständnis, das von einer an die Gesetze der Vernunft gebundenen Autonomie ausgeht (vgl. Fahrenbach 1972, 47 f.; Wettstein und Goodpastor 2009, 125–128). Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass ich nicht die Meinung vertrete, dass Freiheit das zentrale ethische Gut ist, aus dem sich alle anderen ableiten lassen müssen. Allerdings konzentriert sich diese Auseinandersetzung mit Friedmans Freiheitsverständnis darauf, wo dieses dem Gegenstand menschlicher Freiheit nicht entspricht und deswegen auch ethisch zu kurz greift. Im nächsten Kapitel wird sich außerdem zeigen, dass im Horizont umfassender Freiheit aus Gründen der Gerechtigkeit Menschen in Notlagen durchaus die Unterstützung anderer zusteht.
5. Umfassende Freiheit und Verantwortung
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Gesellschaft weit attraktiver und menschengerechter ist, wenn sich Menschen einander aktiv zuwenden und nicht nur ihre jeweilige Freiheit respektieren.29 In Anbetracht der weitgehenden Abweisung von sozialer Verantwortung bei Friedman muss aber gerade im Zusammenhang wirtschaftsethischer Überlegungen festgehalten werden: Es wäre schon viel gewonnen, wenn Menschen von sich aus ihrer prospektiven Verantwortung für eigene Handlungen gerecht werden und konsequent darauf verzichten, durch Ausüben ihrer Macht anderen Menschen Schaden zufügen. 4.) Verantwortung für soziale und ökologische Konsequenzen. Schließlich ist auf einen weiteren Punkt hinzuweisen, an dem Friedmans Individualismus zu einer verkürzten Beschreibung des Phänomens Verantwortung führt. Da für ihn nur Individuen als Instanzen von Verantwortung in Frage kommen, finden auch nur jene Konsequenzen von Handlungen Berücksichtigung, die anderen Individuen zugerechnet werden können. Dies ist in Anbetracht der sozialen Eingebundenheit des Menschen keine ausreichende Beschreibung. Die Folgen individueller Handlungen betreffen oft eine Vielzahl nicht identifizierbarer Menschen. Dies gilt einerseits für ökologische Folgen.30 Andererseits haben individuelle Handlungen – wie Friedman in Anschluss an Hayek richtig festhält – stets Auswirkungen auf das institutionelle Gefüge einer Gesellschaft. Menschen sind daher auch dafür verantwortlich, wie sie mittelbar durch ihren Beitrag zum sozialen Gefüge auf das Leben anderer einwirken. Dies gilt – wie alle Verantwortung – natürlich nur in dem Maße, wie sie ihr eigenes Handeln beeinflussen und seine Folgen abschätzen können. Aufgabe einer ethischen Theorie der Verantwortung ist es, diesen Bereich theoretisch und empirisch angemessen zu beschreiben. Eine grundsätzliche Ablehnung jeder „sozialen“ Verantwortung kann aber nicht überzeugen, da menschliche Existenz immer soziale Existenz, menschliches Handeln immer soziales Handeln ist.
5.4 Maßstab der Verantwortung: Die Bedingungen menschlicher Freiheit Friedman folgt seinem Verständnis der normativen Präferenzautonomie, indem er individuelle Präferenzen als einzigen Maßstab von Verantwortung anerkennt. 29 Auffälligerweise könnte die von Friedman reklamierte Verantwortung gegenüber der eigenen Familie auch als eine fürsorgende Verantwortung verstanden werden. Dies legt sich dadurch nahe, dass die Angewiesenheit von Kindern und die natürliche Nähe der Eltern als der typische Fall von Verantwortung für das Wohl Hilfebedürftiger gelten kann. Da es jedoch möglich ist, Friedmans Position im Rahmen seiner eigenen Theorie als eine durch Handeln begründete Verantwortung für die Konsequenzen eigener Handlungen zu verstehen, ist der Deutung familiärer Verantwortung als retrospektive Verantwortung der Vorzug zu geben. 30 Zur ökologischen Verantwortung vgl. Jähnichen 1998, 94–98.
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Teil III: Kritische Diskussion
Dies sind zunächst diejenigen des handelnden Subjekts, dann diejenigen anderer Menschen, sofern wir uns ihnen durch Verträge verpflichten. Dass Vertragstreue und Handeln gemäß der eigenen Überzeugungen wichtige Kriterien für Verantwortung sind, steht außer Frage. Der Maßstab der Verantwortung lässt sich darauf jedoch nicht reduzieren. Menschliche Freiheit ist stets bedingte Freiheit.31 Die der Freiheit vorgegebenen Bedingungen sind daher ein Maßstab für ihren angemessenen Gebrauch.32 Wem es einleuchtet, dass Freiheit eine für das menschliche Dasein zentrale Kategorie ist, der kann sich der Frage nicht erwehren, wie Freiheit dauerhaft möglich ist. Gerade aus Perspektive der Freiheit ist ein Freiheitsgebrauch abzulehnen, der seine eigenen Grundlagen gefährdet. In Anbetracht des selbstzerstörerischen Potenzials stellt „das Prinzip Verantwortung die […] Aufgabe […], dem Menschen in der verbleibenden Zweideutigkeit seiner Freiheit […] die Unversehrtheit seiner Welt und seines Wesens gegen die Übergriffe seiner Macht zu bewahren.“33 Die mit Freiheit einhergehende Verantwortung kann daher als eine Verpflichtung zu Nachhaltigkeit in einem umfassenden Sinne verstanden werden.34 Zu den Bedingungen der Freiheit gehört die Personalität des Gegenübers. Nicht nur die Bedingungen meiner Freiheit, sondern auch die Voraussetzungen der Freiheit anderer sind daher ein Maßstab meines Freiheitsgebrauchs. Diese zu achten bedeutet auch, dass Verantwortung die Freiheit des Anderen nicht in bevormundender Weise übergehen darf. Dessen Freiheit ist sowohl Grenze dessen, was wir überhaupt zu verantworten haben, als auch ein Maßstab unserer Verantwortung, der unser wohlmeinendes Handeln einschränkt.35 Dieses Kriterium ist insbesondere bei der Wahrnehmung fürsorgender Verantwortung zu berücksichtigen. Sie ist paternalistisch und unangemessen, wenn das Subjekt von Verantwortung seine eigenen Vorstellungen eines gelingenden Lebens unhinterfragt als Maßstab der Fürsorge nimmt oder ignoriert, dass Eigenständigkeit selbst ein wichtiges persönliches Gut ist.
31 Vgl.
oben 298. Kurt Bayertz (vgl. Bayertz 1995, 20–24, 67 f.) sind die normativen Maßstäbe von Verantwortung damit nicht ausschließlich sozial konstruiert, sondern sehr wohl in den Voraussetzungen menschlicher Handlungen verankert. Vgl. Rendtorff 1980, 35; Huber 2012b, 110 f. In der jüdisch-christlichen Tradition bringt diesen Zusammenhang besonders deutlich der Dekalog zum Ausdruck. Gott stellt sich im Prolog als derjenige vor, der Israel aus der Knechtschaft befreit hat (vgl. Ex 20,2; Dtn 5,6). Seine Gebote lassen sich verstehen als Weisungen zum Ergreifen und zur Bewahrung der so gewonnenen Freiheit (vgl. Krüger 2001, bes. 122, 124; Koch 1995, 4 f.). 33 Jonas 1984, 9; vgl. Jonas 1984, 239. 34 Dieser berücksichtigt die Vernetzung von ökologischen mit sozialen und ökonomischen Aspekten (vgl. Vogt 2000, 37–43; Vogt 2009, 142–146; Schockenhoff 2010, 68–74). 35 Vgl. Jonas 1984, 198. 32 Gegen
5. Umfassende Freiheit und Verantwortung
351
5.5 Verantwortung als moralische Verpflichtung Fasst man die bisherigen Ergebnisse zusammen, zeigt sich, wie durch eine phänomengerechtere Beschreibung menschlicher Freiheit ein theoretisches Problem Friedmans gelöst werden kann. Dieser steht vor dem Dilemma, dass er einerseits an der normativen Präferenzautonomie und andererseits an den Grenzen des Freiheitsgebrauchs an der Freiheit anderer festhalten möchte. Friedman vermeidet es, seine Grundsätze in Frage zu stellen und verweist stattdessen auf kontingenterweise vorliegende Präferenzen und die Bedeutung einer Rahmenordnung. Eine moralische Verpflichtung, die Freiheit anderer zu achten, formuliert er nicht. Das ist die logische Folge davon, dass Friedman Verantwortung als durch Handlungen konstituiert und an individuellen Präferenzen orientiert erachtet. Dem stehen die in den vorherigen Abschnitten vorgebrachten Einwände gegenüber. Erstens sind wir immer schon auf unsere Mitmenschen bezogen. Wir sind ihnen gegenüber schon verantwortlich, bevor wir aktiv in Beziehung zu ihnen treten. Zweitens sind wir nicht nur für unsere vergangenen Handlungen verantwortlich in dem Sinne, dass wir ihre Folgen tragen müssten. Wir sind zugleich prospektiv für unsere Handlungen verantwortlich, sind also verpflichtet, illegitime Folgen zu vermeiden. Und drittens sind die Bedingungen menschlicher Freiheit ein Maßstab für ihren angemessenen Gebrauch. Daraus folgt dann aber: Wer mit Verweis auf die Personalität des Menschen ein Recht auf Selbstbestimmung einfordert, kann dies nicht tun, ohne zugleich anzuerkennen, dass sich Selbstbestimmung in Gemeinschaft mit anderen Personen vollzieht, die dasselbe Recht haben.36 Die normative Präferenzautonomie ist also dahingehend einzuschränken, dass diejenigen Ziele nicht mit dem Grundsatz der Freiheit vereinbar sind, die nur durch illegitime Verletzung der Freiheit anderer erreicht werden können.37 Anders ausgedrückt: Auch Präferenzen unterliegen dem Kriterium des Menschengerechten.38 Wer beansprucht, dass er auf 36 Vgl.
Fahrenbach 1972, 47 f.; Huber 1999, 218 f. (dazu Fourie 2012, 156–164).
37 Eine solche Form des Liberalismus vertritt explizit etwa Friedmans Lehrer Frank H. Knight
(vgl. Knight 1941, 105): „We must notice certain fundamental reasons for the insufficiency and even wrongness of universal competitive free exchange as the sole type of relationship […]. It does mean individual self-interest, or that the individual does only what he is paid full value for doing, that he merely acts in such a way as to secure for himself the maximum advantage, in terms of his own actual desires, which is to be had from his available resources. However, this is only one side of liberalism; it has a definite, and even austere ethic in the shape of the restriction of relations to free mutual consent. It excludes all coercion, including fraud and force and persuasion.“ 38 Vgl. Birnbacher 1979, 43: Was wir „wollen dürfen [ist bestimmt …] durch das, was andere brauchen und in Zukunft brauchen werden, wenn sie in der Lage sein sollen, ein Leben zu führen, das wir aus unserer heutigen Sicht als menschenwürdig bezeichnen können.“ Birnbacher bindet Wünsche damit an das Kriterium der Nachhaltigkeit, wie sie in der Brundlandt-Kommission verstanden wird (vgl. World Commission on Environment and Development 1987, 2.I.1): „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“
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Teil III: Kritische Diskussion
Grund seiner Personalität das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben hat, kann dieses Recht anderen Personen nicht absprechen.39 Das aber bedeutet, dass der Grundsatz der Präferenzautonomie nicht uneingeschränkt Anwendung finden kann. Friedmans Dilemma zwischen Präferenzautonomie und Grenzen des Freiheitsgebrauchs lässt sich vermeiden, wenn man anerkennt, dass die normative Präferenzautonomie selbst Grenzen des Freiheitsgebrauchs impliziert und diese nicht lediglich eine pragmatische Bedingung für die gesellschaftliche Verwirklichung von Präferenzautonomie sind. Dabei ist zu beachten, dass auch ein verantwortlicher Freiheitsgebrauch unter der Bedingung der Sozialität Konflikte nicht verhindert.40 Es kann daher kein eindeutiges Kriterium angegeben werden, welche Handlungsweisen verantwortet werden können und welche nicht. Sicher gibt es krasse Verstöße gegen grundlegende Rechte, die offensichtlich nicht verantwortet werden können. Zugleich gibt es aber Fälle, in denen nur normative Verständigung und politische Entscheidungsprozesse klären können, welche Einschränkungen der Freiheit des einen durch die des anderen legitim ist (z. B. die Frage, welche Lärmbelästigung Anliegern eines Flughafens zu welcher Tageszeit zumutbar ist). Grundlegend für solche Prozesse ist aber die Einsicht, dass entsprechende Einschränkungen gerechtfertigt werden müssen. Dies setzt voraus, dass im Grundsatz eine Verpflichtung anerkannt wird, die Freiheit anderer zu achten.
5.6 Die soziale Verantwortung in Unternehmen Die Frage, ob Unternehmen als Institutionen Träger von Verantwortung sein können, wurde bereits im Abschnitt zu den Subjekten der Verantwortung angesprochen. Sie soll hier nicht weiter verfolgt werden. Entscheidender ist demgegenüber die Frage, ob es in der betriebswirtschaftlichen Praxis überhaupt andere Verpflichtungen gibt als die Maximierung von Gewinnen und die Treue zu Verträgen. Die weitere Argumentation bezieht sich daher auf die Verantwortung individueller Akteure, ohne damit zu beanspruchen, damit werde die Verantwortung in Wirtschaftsprozessen umfassend oder angemessen beschrieben. Als „unternehmerisch Tätige“ gelten dabei sowohl diejenigen, die Kapital in ein Unternehmen investieren (Prinzipale), als auch diejenigen, die in der Führung des Unternehmens aktiv sind (Agenten). Wie bei Friedman bleibt dabei die Verantwortung von Konsumenten für ihren Beitrag zum Wirtschaftspro39 Vgl. Knuth 2001, 39: „Daß dieser Freiraum des menschlichen Personseins ein geschaffener ist, heißt: Die Menschen finden sich als Personen in ihm immer schon vor. […] Verleugnen sie ihn, nehmen sie einen Selbstwiderspruch in actu in Kauf. Anerkennen sie ihn, so respektieren sie ihn als den Freiraum, in dem auch alle anderen Personen in der Welt lebten, leben und leben werden.“ 40 Vgl. oben 263.
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353
zess ausgeklammert. Aus den bisherigen Anmerkungen ergibt sich jedoch, dass auch beim Konsum die genannten Kriterien konsequent berücksichtigte werden müssten.41 1.) Die engen Grenzen unternehmerischer Verantwortung. Bei den Überlegungen zum Subjekt von Verantwortung wurde deutlich: Verantwortlich kann nur jemand sein, der über alternative Handlungsmöglichkeiten verfügt. Daher ist Friedmans Hinweis ernst zu nehmen, dass unter den Bedingungen marktwirtschaftlicher Konkurrenz unter Umständen nur sehr begrenzte Alternativen bestehen.42 Unternehmen, die aus sozialen oder ökologischen Gründen höhere Kosten in Kauf nehmen, gehen das Risiko ein, am Markt nicht bestehen zu können. Einzelne Mitarbeiter eines Unternehmens riskieren den Verlust des Arbeitsplatzes oder von Aufstiegschancen, wenn sie aus Rücksicht auf Kunden oder Dritte nicht die maximal mögliche Rendite erwirtschaften. Unternehmerische Verantwortung setzt also voraus, dass es den Beteiligten überhaupt möglich ist, Schaden anderer zu vermeiden. Nur in Fällen sehr negativer Konsequenzen kann man dabei so weit gehen, dass auch das Ende der ökonomischen Existenz (der Konkurs bzw. die Entlassung bei geringer Hoffnung auf eine andere Stelle) als eine mögliche Alternative in Betracht zu ziehen ist. Es ist jedoch keineswegs so, dass unternehmerisch tätige Menschen überhaupt keine Handlungsalternativen haben und ausschließlich von Marktzwängen geleitet werden.43 Insofern sind zwar die Grenzen ihrer Verantwortung ernst zu nehmen. Friedmans prinzipielle Ablehnung sozialer Verantwortung leitender Angestellter44 lässt sich so jedoch nicht begründen. Auch dieser selbst führt dafür in erster Linie Gründe an, die im Horizont seiner allgemeinen Theorie von Freiheit und Verantwortung hervortreten. Entscheidend ist dabei das Argument, dass eine Verantwortung Angestellter (der Agenten) nur gegenüber ihrem Vertragspartner (den Eigentümern bzw. den Prinzipalen) besteht.45 Kriterium der Verantwortung ist daher ausschließlich das Ziel des Prinzipals. Dies ist in der Regel die Gewinnmaximierung. Daraus folgt dann, dass die Agenten ebenso ausschließlich für die Maximierung des Unternehmensgewinns verantwortlich sind. Auch diese Argumente sind nun aber im Horizont der Kritik an Friedmans grundsätzlichem Vorgehen in Frage zu stellen. 41 Zur Verantwortung von Konsumenten vgl. Hansen und Schrader 1999, bes. 476–481; Michel 1997, bes. 137–144. 42 Vgl. Friedman 1987n, 39. 43 Vgl. Ulrich 2008, 437–439. 44 Vgl. oben II.5.6 Haben Unternehmen eine soziale Verantwortung?. Wie dort dargestellt schließt diese Ablehnung auch eine Verpflichtung des Prinzipals aus, das eigene Kapital gewinnbringend einzusetzen. Eine Verantwortung zur Gewinnmaximierung besteht also nur abgeleitet aus der (vermuteten) Intention des Prinzipals. 45 Die Unternehmensleitung ist nach Friedman also nur den Shareholdern, nicht aber anderen Stakeholdern gegenüber verantwortlich. Sofern von den Eigentümern keine anderen Vorgaben gemacht werden, besteht eine verantwortliche Unternehmensführung in der Maximierung des Shareholder-value (vgl. Crouch 2011, 150–152).
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Teil III: Kritische Diskussion
2.) Die soziale Verantwortung des Prinzipals. Für Friedman bildet die Präferenzstruktur der Prinzipale den normativen Ausgangspunkt seiner Argumentation. Nun konnte aber gezeigt werden, dass individuelle Präferenzen nicht das alleinige Kriterium von Verantwortung sein können. Stattdessen ist das Recht anderer auf Freiheit zu achten und sind die Voraussetzungen für ihren Gebrauch zu gewährleisten. Von der moralischen Verpflichtung zu verantwortlichem Handeln (auch im prospektiven Sinne) kann sich der Prinzipal nicht dadurch befreien, dass er nicht selbst handelt, sondern stattdessen einen Agenten beauftragt.46 Wenn es falsch ist, seinen persönlichen Gewinn durch eine Tätigkeit zu erhöhen, welche die Gesundheit anderer z. B. durch starke Umweltbelastung gefährdet, so ist es auch falsch, einen Agenten mit derselben Tätigkeit zu beauftragen. Friedman schränkt die Verpflichtung zur Gewinnmaximierung dahingehend ein, dass Prinzipale in der Regel die Einhaltung von Gesetzen, elementaren Wettbewerbsregeln und ethischen Mindeststandards wünschen. Im Lichte der vorangegangenen Argumentation ist dieser Gedanke zu erweitern. Erstens hat die Einschränkung der Gewinnmaximierung ihren Grund nicht in der kontingenten Präferenzstruktur der Prinzipale, sondern in der Bedingtheit ihrer Freiheit. Sie besteht unabhängig von den Zielen, die ein Prinzipal faktisch verfolgt. Zweitens ist damit ein inhaltlicher Maßstab angegeben, der über Friedmans (sieht man von der vagen Formulierung der sittlichen Gepflogenheiten ab) formale Kriterien hinausgeht. Zu achten ist die Freiheit der betroffenen Menschen, und zwar einschließlich ihrer positiven Aspekte. Zu berücksichtigen sind drittens auch mittelbare Folgen eigener Handlungen, die durch Einwirkung auf das ökologische und soziale Gesamtgefüge erfolgen. 3.) Die soziale Verantwortung des Agenten. Die vorgetragenen Argumente lassen sich aus Perspektive der Agenten „verdoppeln“. Diese verlieren durch den Schluss eines Vertrages nicht den Status als moralisch verantwortliche Akteure. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten bleiben sie verantwortlich für ihr Tun auch dann, wenn sie im Auftrag eines anderen handeln.47 Wenn es falsch ist, seinen persönlichen Gewinn durch eine Tätigkeit zu erhöhen, welche die Gesundheit anderer gefährdet, so ist es auch falsch, durch dieselbe Tätigkeit den Gewinn eines anderen zu erhöhen. Für das im Vertrag begründete Verhältnis zwischen Prinzipal und Agenten gilt daher, dass beide Vertragspartner sowohl beim Schließen als auch beim Erfüllen des Vertrags gebunden sind an die moralische Verpflichtung, die Freiheit anderer zu achten. Daher muss sich unternehmerisches Handeln legitimieren, wenn es die Handlungsmöglichkeiten betroffener Menschen direkt oder mittelbar einschränkt. Das gilt im Grundsatz keineswegs nur für die Eigentümer, sondern auch für die Beschäftigten eines 46 Vgl.
Wettstein und Goodpastor 2009, 127 f. Neuhäuser weist darauf hin, dass die Ziele eines Unternehmens keineswegs nur von den Eigentümern vorgegeben, sondern als moralische Akteure durch die Intentionen und Zuschreibungen der Mitarbeiter konstituiert werden (vgl. Neuhäuser 2011, 153–163). 47 Christian
5. Umfassende Freiheit und Verantwortung
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Unternehmens.48 Diese sind nicht nur den Shareholdern, sondern auch weiteren Stakeholdern des Unternehmens gegenüber verantwortlich und müssen dies entsprechend berücksichtigen.49 Damit ist – wie zum Thema der Verantwortung im Allgemeinen – nicht gesagt, wie weit die Handlungsmöglichkeiten und damit die Verantwortung von Prinzipal und Agenten jeweils reichen und wo die Grenzen legitimer Eingriffe überschritten werden.50 Auch in Bezug auf unternehmerische Tätigkeit gilt jedoch: Diese Abwägungsfragen müssen auf dem Hintergrund einer grundsätzlichen Pflicht zur Verantwortung erfolgen, die auch im Wirtschaftsleben Gültigkeit hat. Auch wirtschaftliche Freiheit ist gebunden an Voraussetzungen, von denen sie sich nicht lösen kann. 4.) Unternehmerische Verantwortung als Fürsorge. Die bisherigen Überlegungen zur unternehmerischen Verantwortung haben sich auf die Verantwortung als Haftung und insbesondere prospektive Verantwortung für eigene Handlungen konzentriert. Demgegenüber wird unter dem Stichwort der „Corporate Social Responsibility“ häufig ein darüber hinausgehendes soziales Engagement von Unternehmen etwa im sozial-karitativen Bereich beschrieben. Es folgt aus dem bisher Gesagten und entspricht einem breiten Konsens in der ethischen Debatte, dass eine solche Verantwortung als Fürsorge die anderen beiden nicht ersetzen kann, sondern sie im Gegenteil voraussetzen muss.51 Die wohltätige Verwendung eines Teils von Gewinnen, die auf illegitime Weise erwirtschaftet wurden, mag eine gute Werbemaßnahme sein und ist in der Regel einer kompletten Ausschüttung der Gewinne gegenüber vorzuziehen. Sie ist jedoch nicht Ausdruck eines verantwortlichen Wirtschaftens. Anders verhält es sich, wo ein Unternehmen über die Berücksichtigung des direkten Gebots der Schadensvermeidung hinaus auch aktiv positive Zwecke verfolgt. Es ist sehr zu begrüßen, wenn ein Unternehmen (auch) das Ziel verfolgt, etwa die Infrastruktur in ländlichen Regionen oder die Versorgung armer Menschen mit Lebensmitteln zu verbessern.52 Auch Friedman lehnt es ja nicht ab, wenn sich Menschen einem solchen Ziel verpflichten und dazu die Mittel des Marktes nutzen.53 Allerdings zeigt sich bei ihm hier wiederum die Vermischung von methodologischen Postulaten mit der Beschreibung der Wirklichkeit. Dadurch, dass er menschliches Streben als gemeinhin auf Eigennutzen im engen Sinne ausgerichtet beschreibt und von der Stabilität dieser Präferenzen ausgeht, bleiben die Möglichkeiten entsprechender Unternehmungen bei ihm unterbeleuchtet.54 48 Vgl.
Crouch 2011, 153 f. Ulrich 2008, 473–493. 50 Zu Möglichkeiten und Grenzen von individuellen Akteuren im Kontext von Unternehmen vgl. Drews-Galle 2011, 106–121; Neuhäuser 2011, 166–174. 51 Vgl. z. B. Palazzo und Scherer 2009, 86 f. 52 Zu „Social Business“ und Mischformen zwischen traditional und social business vgl. Yunus 2008, 21–34. 53 Vgl. oben 140. 54 Vgl. Yunus 2008, 37–40. 49 Vgl.
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Teil III: Kritische Diskussion
5.7 Kritische Würdigung von Friedmans Position Friedman hält grundsätzlich am Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung fest. Dazu gehört ganz zentral die Verantwortung des Menschen für sein eigenes Leben. Dem kann im Horizont der hier vorgetragenen Argumentation zugestimmt werden. Personale Freiheit impliziert nicht nur ein Recht auf Selbstbestimmung, sondern auch eine Verpflichtung, das eigene Leben aktiv zu gestalten und die Konsequenzen des eigenen Handelns zu tragen. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass Friedmans Begriff von Verantwortung von einem verkürzten Menschenbild abgeleitet ist und damit selbst wichtige Aspekte ausblendet. Zum einen orientiert sich Friedmans Verständnis von Verantwortungsfähigkeit an einem negativen Verständnis von Freiheit. Damit kommen Einschränkungen durch die psychische Disposition oder äußere Formen der Abhängigkeit nicht in den Blick. Dies kann zu einer überfordernden Erwartung von Eigenverantwortung führen. Zum anderen beschreibt Friedman menschliche Verantwortung vor dem Hintergrund der Vorstellung von einem kontextlosen menschlichen Selbst, die von den Bedingungen menschlicher Freiheit abstrahiert. Verantwortung ist für ihn daher stets durch menschliches Handeln konstituiert. Verpflichtungen gegenüber anderen bestehen nur, sofern sie freiwillig übernommen werden.55 Das aber bedeutet erstens, dass Verantwortung nur retrospektiv im Sinne der Zurechnung von Folgen vergangener Handlungen konzipiert werden kann. Dies führt in letzter Konsequenz dazu, dass Menschen ihre eigenen Interessen rücksichtslos verfolgen können, so lange sie dadurch entstandenen Schaden kompensieren. Das Leben und die Gesundheit anderer werden so zu „tauschbaren“ Gütern, die Kostenabwägungen unterliegen.56 Zweitens führt dies dazu, dass das handelnde Individuum die einzige Instanz, seine Präferenzen der einzige Maßstab von Verantwortung sind. Damit kommt es letztlich zur Auflösung des Verantwortlichkeitsbegriffes in einem kritischen Sinne.57 Dem kann nur begegnet werden, wenn man konsequent den Bedingungen menschlicher Freiheit Rechnung trägt. Ausgehend von der konstitutiven Relationalität des Menschen sind die Subjekte von Verantwortung in ihrer Eingebundenheit in soziale Netze und Institutionen zu verstehen. Nicht nur ihr eigenes Gewissen, sondern alle von ihren Handlungen unmittelbar oder mittelbar Betroffenen sind als Instanzen der Verantwortung zu beachten. Gegenstand der 55 Vgl.
Sandel 2009, 219 f., 241. Nutzinger 1992, 50 f. 57 Vgl. Bayertz 1995, 19: „Indem Verantwortung auf Selbstverantwortung reduziert wird, schmilzt das Geflecht des vierfachen Bezugs zwischen Subjekt, Objekt, Instanz und Normsystem auf einen Punkt des individuellen Gewissens zusammen. […] In dem ‚klassischen‘ Verständnis von Verantwortung tritt das Individuum vor sich selbst (d. h. vor sein Gewissen), um sich für sein Handeln zu rechtfertigen: und das Gewissen entscheidet nach Maßgaben von Normen, die es – aufgrund seiner Autonomie – selbst erzeugt hat. Es ist Angeklagter, Richter und Gesetzgeber zugleich.“ 56 Vgl.
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Verantwortung sind nicht nur (retrospektiv) vergangene Handlungen und abgeschlossene Verträge, sondern auch (prospektiv) zukünftige Handlungen und ihre zu erwartenden Konsequenzen. Aus der Feststellung, die Selbstbestimmung sei ein Aspekt menschlicher Bestimmung, folgt, dass deren Grundlagen nicht durch den Gebrauch menschlicher Freiheit zerstört werden dürfen. Eine nachhaltige Sicherstellung der Voraussetzungen menschlicher Freiheit ist daher ein aus dem Freiheitsprinzip selbst abgeleitetes Kriterium menschlicher Verantwortung. Daher kann die normative Präferenzautonomie nicht uneingeschränkt aufrecht erhalten werden. Sie erfährt im Horizont des Freiheitsprinzips dahingehend eine Einschränkung, dass Menschen dazu verpflichtet sind, ihre eigene Freiheit ebenso zu achten wie die anderer Menschen. Damit kann auch Friedmans Ablehnung einer sozialen Verantwortung von unternehmerisch Handelnden nicht überzeugen. Die grundlegenden Prinzipien der Verantwortung gelten für Besitzer ebenso wie für Angestellte eines Unternehmens. Keiner von beiden kann sich durch Vertragsschluss davon dispensieren. Die Kritik, die Friedman an der Vorstellung einer sozialen Verantwortung von Unternehmen äußert, kann jedoch auch positiv aufgegriffen werden. Sie wäre dazu in den – von Friedman sonst vernachlässigten – Zusammenhang zu stellen, was Menschen überhaupt möglich ist. Wer von unternehmerisch Tätigen verantwortliches Handeln einfordert, muss die Frage stellen, welche tatsächlichen Handlungsspielräume einzelnen Mitarbeiter und Unternehmen als Ganze unter den konkreten Marktbedingungen haben.
6. Umfassende Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit Im vorangegangenen Kapitel hat sich gezeigt, dass umfassende Freiheit stets Verantwortung mit einschließt. Dies ist vom je individuell Handelnden zu berücksichtigen. Demgegenüber stellt sich mit dem Verhältnis von Freiheit zu Gleichheit und Gerechtigkeit die Frage nach der strukturellen Verwirklichung von Freiheit. Wie Freiheit, so sind auch Gleichheit und Gerechtigkeit soziale Güter, die sich auf das Verhältnis von Menschen untereinander beziehen. Friedman beschäftigt sich wie dargestellt ausführlich mit Fragen der Gleichheit. Seine Ausführungen dazu sollen zunächst diskutiert werden (6.1). Im Anschluss daran soll begründet werden, warum eine Beschäftigung mit Freiheit und Gleichheit notwendigerweise Fragen der Gerechtigkeit aufwirft (6.2). Diese sind nicht – wie Friedman es unterstellt – entweder überflüssig oder problematisch.1
6.1 Freiheit und Gleichheit Für Friedman sind personale Gleichheit und Chancengleichheit integrale Bestandteile des Freiheitsglaubens. Ambivalent ist seine Haltung zur Einkommens‑ bzw. Ergebnisgleichheit. Einerseits lehnt er staatliche Maßnahmen ab, die eine gleichmäßigere Verteilung des Einkommens erreichen sollen. Andererseits erachtet Friedman es als einen Vorzug des freiheitlichen Systems, dass es ein erhebliches Maß an Einkommensgleichheit hervorbringt. 6.1.1 Die grundlegende Bedeutung personaler Gleichheit Als „personale Gleichheit“ bzw. „Gleichheit vor Gott“ bezeichnet Friedman das allen Menschen gleichermaßen zukommende Recht, ihre je individuellen Ziele zu verfolgen. Die bisherige Auseinandersetzung mit Friedman basiert auf einem grundlegenden Konsens in Bezug auf das individuelle Recht, ein Leben gemäß eigener Überzeugungen zu führen. Dieses Recht hat seinen Grund in der norma1 Die folgende Argumentation setzt bei der Auseinandersetzung mit Friedmans Freiheitsverständnis an und zielt darauf ab, dass Freiheit nicht ohne Bezug auf Gleichheit und Gerechtigkeit konzipiert werden kann. Damit ist nicht gesagt, dass Gleichheit und Gerechtigkeit keinen intrinsischen, sondern lediglich einen aus ihrer Bezogenheit auf Freiheit abgeleiteten Wert haben (vgl. zum intrinsischen Wert der Gleichheit Nida-Rümelin 2006, 27–30).
6. Umfassende Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
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tiv-anthropologischen Aussage, dass alle Menschen gleichermaßen zur Selbstbestimmung bestimmt sind.2 Die Anerkennung personaler Gleichheit ist daher grundlegend für Freiheit: „Allen kommen die gleichen Freiheitsansprüche zu, weil sie alle in gleicher Weise autonom leben (wollen). Es gibt nur gleiche Freiheit oder keine Freiheit.“3 Weniger deutlich kommt bei Friedman zum Ausdruck, dass das allen Menschen gleiche Recht in einer allen Menschen gemeinsamen Verfasstheit wurzelt.4 Personale Gleichheit setzt daher auch den Gedanken einer allen Menschen gleichen menschlichen Natur voraus. Das allen Menschen gleiche Recht auf Selbstbestimmung – auch darin besteht ein Konsens mit Friedman – gilt ihnen gerade in ihrer Individualität. Menschen haben unterschiedliche Zielvorstellungen und Fähigkeiten. Personale Gleichheit verlangt weder Identität noch Nivellierung von Unterschieden.5 Sie findet ihren Ausdruck gerade in der Vielfalt selbstbestimmter Lebensentwürfe.6 6.1.2 Chancengleichheit als integraler Bestandteil von Freiheit Das allen Menschen gleiche Recht auf ein selbstbestimmtes Leben findet seinen Ausdruck in einer Ordnung des Zusammenlebens, die Freiheit ermöglicht. Ein Konsens mit Friedman besteht auch dahingehend, dass alle Menschen gleichermaßen die Möglichkeit haben sollten, ein Leben gemäß eigener Überzeugungen zu führen. Die Forderung von Chancengleichheit ist daher eine schlüssige Konsequenz aus der normativen Betonung personaler Gleichheit. Es entspricht Friedmans negativem Verständnis von Freiheit, dass er wie die Freiheit, so auch die Chancengleichheit rein formal versteht. Sie ist gewährleistet, sofern nicht willkürliche Hindernisse durch andere Personen Menschen darin einschränken, ihr Eigentum und ihre Fähigkeiten nach eigenen Vorstellungen zu nutzen. Dagegen sind dieselben Einwände vorzubringen wie gegen einen rein formalen Freiheitsbegriff.7 Dessen Abstraktheit wird in der Rede über 2 Da personale Gleichheit auf die Fähigkeit und das Recht zur Selbstbestimmung rekurriert, ist sie zu unterscheiden von der allen Menschen gleichen Würde (vgl. oben 256 Anm. 6). 3 Nida-Rümelin 2006, 18. 4 Vgl. oben 3.1 Die Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung in geschöpflicher Freiheit. 5 Vgl. Vogt 2006, 55 f. 6 Zu einer theologischen Perspektive auf den Zusammenhang von personaler Gleichheit und Ungleichheit und ihrem gemeinsamen Grund vgl. Brunner 1981, 35–54, bes. 51: „Gleich sind die Menschen durch die gleiche Bestimmung und Würde, gleich sind sie darin, dass ein jeder selbst Gott verantwortlich ist, gleich ist darum ihr Recht, als Person anerkannt zu werden. Aber mit dieser Gleichheit der Würde ist nun verbunden die Ungleichheit der Art und Funktion, und dies nicht als ein Nebensächliches, Unwesentliches, sondern als ein zur selben Bestimmung Gehöriges.“ Problematisch bei Brunner ist sein teilweise statisches Verständnis der Unterschiedlichkeit und der damit einhergehenden Funktion (vgl. insbesondere seine Ausführungen zur „Funktion“ von Mann und Frau in der Ehe, Brunner 1981, 161 f.). 7 Vgl. oben 3.2.2 Umfassende Freiheit als tatsächliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung.
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Chancengleichheit besonders deutlich. Führt man sich Situationen erheblicher ökonomischer Ungleichheiten, fehlenden Zugangs zu Gesundheitsversorgung oder Bildung vor Augen, erscheint eine auf formale Aspekte reduzierte Rede von Chancengleichheit als euphemistisch ja geradezu zynisch. Deutlich wird dies am von Stigler und Friedman zitierten Bild des Wettlaufes: Friedman gibt sich damit zufrieden, dass alle Menschen nach denselben Regeln laufen. Er fragt nicht danach, ob alle aus derselben Position starten. Das läuft dem Sprachgebrauch für den Begriff „Chancengleichheit“ und der ethischen Intuition ebenso zuwider wie den Überlegungen zum gleichen Recht aller Menschen auf Selbstbestimmung. Von „Chancengleichheit“ kann nur die Rede sein, wenn Menschen tatsächlich in gleichem Maße die Möglichkeit haben, für wichtig erachtete Ziele zu verfolgen. Es liegt jedoch auf der Hand, dass aus zwei Gründen materiale Chancengleichheit gar nicht erreicht werden kann. Erstens haben Menschen durch ihre natürlichen (mentalen wie physischen) Fähigkeiten ebenso wie durch die Sozialisation in der Familie stets unterschiedliche Ausgangssituationen. Menschen können – im Bild des Wettrennens gesprochen – schon von ihrer physischen Konstitution her unterschiedlich schnell laufen. In der Realität ist es außerdem nie ganz möglich, alle Menschen an dieselbe Startlinie zu bringen, also gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen. Zweitens ist das Bild des Wettlaufes auf gesellschaftliche Situationen nur eingeschränkt anwendbar. Es geht nämlich von einer „Stunde null“ aus, zu der identische Voraussetzungen gegeben sein sollen. Menschen stehen unter der Bedingung der Sozialität aber in einem kontinuierlichen Interaktionszusammenhang. Wird Chancengleichheit nur „zu Beginn des Rennens“ (bei der Geburt?) eingefordert, müssten alle späteren Entwicklungen hingenommen werden. Das würde aber ähnlich wie ein rein formaler Begriff von Chancengleichheit dazu führen, dass auch in Situationen erheblicher Ungleichheiten von Chancengleichheit gesprochen würde. Auch das Ziel einer maximal erreichbaren Chancengleichheit kann nicht zufriedenstellend vertreten werden. Setzt man es konsequent um, so kann dies nur durch massive, nicht zu legitimierende Einschränkungen von Freiheit geschehen. Erwiesenermaßen hat beispielsweise das Vorlesen im Elternhaus erhebliche Folgen für die späteren Bildungschancen von Kindern.8 Gesetzliche Maßnahmen, die eine für alle Kinder identische Zahl von Vorlesestunden sicherstellen sollen, sind jedoch nur in krassem Gegensatz zu Freiheitsrechten denkbar. Aus der Orientierung an materialer Chancengleichheit ergibt sich daher ein Plädoyer für die Förderung von Kindern in bildungsfernen Familien, nicht aber eines für vollständige oder maximale Chancengleichheit. Chancengleichheit ist eine schlüssige Zielvorstellung auf der Basis personaler Gleichheit. Betrachtet man indes ihre Umsetzung unter den Bedingungen 8 Vgl.
Stiftung Lesen 2012, 17–19.
6. Umfassende Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
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der Leiblichkeit und Sozialität, erweist sich Chancengleichheit als unmöglich.9 Vielmehr stellt sich die Frage danach, wie Handlungsmöglichkeiten in einer gegebenen Situation verteilt sind – also die Frage nach der Chancengerechtigkeit.10 Damit zeichnet sich bereits ab, dass Fragen der Gerechtigkeit durch die Betonung individueller Freiheit nicht obsolet werden. Ehe dies expliziert wird, soll jedoch noch auf Friedmans Umgang mit der Ergebnis‑ oder Einkommensgleichheit hingewiesen werden. 6.1.3 Die ambivalente Bedeutung von Ergebnisgleichheit Unter dem Stichwort der „Ergebnisgleichheit“ behandelt Friedman die gleichmäßige Verteilung von Gütern, wie z. B. dem Einkommen („Einkommensgleichheit“). Diese Form der Gleichheit lehnt Friedman ab. Als Begründung dafür führt er einerseits prinzipielle Gründe im Horizont individueller Freiheit an. Andererseits weist er auf positive Konsequenzen ökonomischer Ungleichheit hin. In beiden Punkten ist Friedman grundsätzlich zuzustimmen. Zur Möglichkeit einer selbst gestalteten Lebensführung gehört die Freiheit, zwischen einem höheren Einkommen und mehr Freizeit zu wählen, ebenso wie die Wahl zwischen angenehmeren und besser bezahlten Tätigkeiten. Auch die persönliche Entscheidung zwischen finanzieller Sicherheit und der Chance auf ein größeres Einkommen ist ein bedeutendes Moment der ökonomischen Dimension umfassender Freiheit. Entsprechend sind auch aus den jeweiligen Entscheidungen resultierende Einkommensungleichheiten eine notwendige Konsequenz umfassender Freiheit.11 Auch die positiven Konsequenzen einer ungleichen Güterverteilung sind nicht von der Hand zu weisen. Sie schaffen Anreize für Anstrengung, Innovation und Risiko. So können sie mittelbar zur Ausweitung menschlicher Handlungsspielräume beitragen und befördern umfassende Freiheit auch indirekt. Dennoch ergeben sich aus der Perspektive umfassender Freiheit auch kritische Einwände gegen eine (stark) ungleiche Einkommensverteilung. Die Verteilung des Einkommens ist nicht nur Ergebnis freier Wahlakte, sondern geht persönlichen Entscheidungen immer auch voran. Unter dem Aspekt anzustrebender Chancengleichheit ist darauf zu achten, dass diese eine gleichmäßige Verteilung von Ressourcen voraussetzt. Das Argument gewinnt an Gewicht, beachtet man die konstitutive Sozialität menschlicher Freiheit. Die ungleiche Verteilung ökonomischer Ressourcen bedeutet immer auch die ungleiche Verteilung von Macht, auch im politischen Bereich. Diese wiederum kann zur Beschneidung aller Dimensionen umfassender Freiheit führen, insbesondere bei den weniger 9 Vgl.
FtC, 131 f. Hecker 2008, 290 f. 11 Dies ist die Folge der durch die personale Gleichheit gewährten Möglichkeit, Ungleichheiten zu entfalten. 10 Vgl.
362
Teil III: Kritische Diskussion
Begünstigten.12 Hinzu kommt, dass eine massiv ungleiche Verteilung von Wohlstand ökonomische Effizienz mindert und so mittelbar Handlungsmöglichkeiten einschränkt.13 Aus der Perspektive umfassender Freiheit ist eine vollständige Ergebnisgleichheit kein erstrebenswertes Ziel. Andererseits erweisen sich auch Differenzen z. B. des Einkommensniveaus als problematisch. Damit stellt sich die Frage nach dem angemessenen Maß ökonomischer Ungleichheit. Auch in Bezug auf Ergebnis‑ und Einkommensgleichheit zeigt sich also, dass das Thema der Freiheit nicht von dem der Gerechtigkeit getrennt werden kann. 6.1.4 Sind relative Einkommensgleichheit und materiale Chancengleichheit Ergebnis formaler Freiheit? Ehe dieser Zusammenhang explizit erörtert wird, soll auf das Argument Friedmans eingegangen werden, dass sich Ergebnisgleichheit am ehesten unter den Bedingungen einer freiheitlichen Gesellschaft verwirklichen lässt. Träfe diese These zu, wäre nicht nur Einkommensgleichheit, sondern auch materiale Chancengleichheit am ehesten durch die Sicherstellung formaler Freiheit zu gewährleisten. Fragen der Gerechtigkeit müssten dann nicht eigens berücksichtigt werden. Die These steht jedoch auf äußerst wackligen Füßen. Schon Friedmans Versuche, eine empirische Evidenz auszuweisen, sind alles andere als überzeugend.14 Tatsächlich beruhen sie eher auf anekdotischer Evidenz denn gesicherten Daten.15 Die systematische Argumentation kann zwar zeigen, dass Ungleichheit in freien Systemen nicht statisch ist und warum es auch in egalitären Gesellschaften Ungleichheiten gibt. Sie kann aber in keiner Weise den postulierten prinzipiellen Zusammenhang zunehmender Verteilungsgleichheit bei zunehmender Freiheit begründen. Friedmans Anliegen ist es, zu zeigen, dass relative Einkommensgleichheit innerhalb des Freiheitsglaubens ein realistisches und wünschenswertes Ziel ist. Dabei gelingt es ihm jedoch nicht, unauflösliche Spannungen zu vermeiden. Einerseits verteidigt er die Bedeutung von Ungleichheit, andererseits sieht er es als einen Vorzug freier Gesellschaften, dass diese in einem größeren Maße Einkommens‑ und Verteilungsgleichheit gewährleisten als egalitäre Systeme.16 Diese 12 Vgl.
von Nell-Breuning 1985, 215; Crouch 2011, 106, 233 f. Stiglitz 1997, 46–50. 14 Vgl. zu kritischen Einwänden FtC-TV, 91–94, 96 f. Dass Friedmans These empirisch nicht zutrifft, verdeutlicht ein Vergleich der Gini-Koeffizienten der OECD-Länder (vgl. Organisation for Economic Co-operation and Development 2012). Eher sozialstaatlich geprägte Länder in Mittel‑ und besonders Nordeuropa weisen bezogen auf das Einkommen nach Steuern eine vergleichsweise gleichmäßige Verteilung des Einkommens auf. Ähnliches lässt sich bei einem weltweiten Vergleich der Vermögensverteilung feststellen (vgl. Davies et al. 2008, 9 f.). 15 Vgl. FtC, 146: „We remember asking a tourist guide in Moscow the cost of a large automobile and being told, ‚Oh, those aren’t for sale; they’re only for the Politburo.‘“ 16 Vgl. oben II.6.1.4 Einkommensgleichheit als Widerspruch zu individueller Freiheit und II.6.1.5 Verteidigung der Einkommensgleichheit. 13 Vgl.
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zeichnen sich nach Friedman durch eine größere Schicht extrem Wohlhabender aus, sind also stets nur pseudo-egalitär. Was aber bedeutet dies für Friedmans anti-egalitaristisches Argument, dass wohlhabende Förderer die Entwicklung politischer und ökonomischer Innovationen unterstützen? Stimmt Friedmans Logik, so müsste in pseudo-egalitären Gesellschaften ja gerade das Potential derer steigen, für die sich die Entwicklung von Luxusgütern lohnt oder die als Finanziers für alternative politische Gruppierungen in Frage kommen.17 Insgesamt kann Friedmans Versuch, das Dilemma einer relativen Würdigung von Gleichheit innerhalb seines Systems aufzulösen, indem er relative und größtmögliche Ergebnisgleichheit als automatisches Ergebnis einer freiheitlichen Ordnung darstellt, also weder empirisch noch systematisch überzeugen. Das aber heißt: Materiale Chancengleichheit ist nicht schon durch die Gewährung formaler Freiheit gewährleistet. Damit zeigt sich, dass Friedmans ursprünglicher Einwand gegen Stigler berechtigt ist: Materiale Chancengleichheit ist mit der Vorstellung von negativer Freiheit als höchstem sozialen Gut nicht vereinbar.18 Zu widersprechen ist indes der Konsequenz, die Friedman daraus zieht, nämlich auch Chancengleichheit rein formal zu verstehen. Versteht man jedoch Freiheit und Chancen in einem umfassenden Sinne, dann – so haben die vorangehenden Überlegungen gezeigt – stellt sich immer auch die Überlegung nach ihrer gerechten Verteilung. 6.1.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position Friedman geht zunächst davon aus, dass personale Gleichheit eine grundlegende Bedeutung für seinen Freiheitsglauben hat. Er versteht sie als das allen Menschen gleichermaßen zukommende Recht, individuelle Präferenzen zu verfolgen. Dem ist unter dem Gesichtspunkt einer allen Menschen geltenden Bestimmung zur Selbstbestimmung zuzustimmen. Friedman ist auch dahingehend beizupflichten, dass der personalen Gleichheit eine Orientierung an der Chancengleichheit entspricht. Wenn alle Menschen gleichermaßen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben, sollen sie auch gleichermaßen die Gelegenheit dazu haben. An dieser Stelle zeigt sich aber erneut die Abstraktion, die auch Friedmans Freiheitsverständnis charakterisiert. Friedman versteht Chancengleichheit rein formal als Abwesenheit von aktiven Einschränkungen durch andere Menschen. Demgegenüber können ungleiche Chancen auch durch ungleichen Zugang zu 17 Dass Friedman bei der relativen Würdigung von Gleichheit in einen Widerspruch mit seiner Verteidigung der Ungleichheit gerät, gilt jedoch nicht für jene Argumente, die persönliche Präferenzen und Leistungsanreize zugrunde legen. Die durch pseudo-egalitäre Gesellschaftsordnungen verursachte Ungleichheit kann diese positiven Effekte jedoch nicht erzeugen, sondern unterminiert im Namen von Gleichheitsbestrebungen gerade die dafür erforderliche positive Dynamik, da sie keine Anreize zur Arbeit oder Übernahme von Risiko liefert. 18 Vgl. oben 157.
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Bildung und Gesundheitsversorgung oder durch ökonomische Abhängigkeiten hervorgerufen werden. In diesem umfassenden Sinne, der nach den tatsächlich vorhandenen Verwirklichungschancen fragt, ist Chancengleichheit jedoch nicht möglich. Auch der Versuch einer maximalen Chancengleichheit wäre mit massiven, nicht wünschenswerten Eingriffen verbunden. Daher stellt sich die Frage nach der angemessenen Verteilung von Verwirklichungschancen. Die Frage nach der Chancengleichheit verweist damit auf Fragen der Gerechtigkeit. Ähnlich verhält es sich mit Friedmans Umgang mit dem Thema Einkommensgleichheit. Grundsätzlich ist ihm dahingehend zuzustimmen, dass eine vollständige Einkommensgleichheit mit dem Prinzip der Freiheit auf der Grundlage personaler Gleichheit nicht vereinbar ist. Diese soll gerade die Möglichkeit eröffnen, je individuelle – also unterschiedliche – Ziele zu verfolgen. Das schließt die Möglichkeit ein, dass Menschen sich in unterschiedlich hohem Maße um den Erwerb von Einkommen bemühen und davon entsprechend profitieren. Dennoch sind gegen Friedmans Argumentation zwei Einwände vorzubringen. Erstens führt Einkommensungleichheit zu einer ungleichen Verteilung von Macht. Sie ist daher nicht nur Ausdruck, sondern auch eine Gefährdung umfassender Freiheit. Zweitens trifft Friedmans These nicht zu, dass eine rein formale Gleichbehandlung zur maximal möglichen Einkommensgleichheit führt. Daher stellt sich auch in Bezug auf die Verteilung von Einkommen die Frage nach dem angemessenen – also gerechten – Maß der Ungleichverteilung. Aus einer differenzierten Betrachtung des Zusammenhangs von Freiheit und Gleichheit geht also hervor, dass beide nicht von Fragen der Gerechtigkeit zu trennen sind. Dem soll im Folgenden nachgegangen werden.
6.2 Freiheit und Gerechtigkeit Freiheit beschreibt die Fähigkeit eines Menschen zur Selbstbestimmung innerhalb sozialer Zusammenhänge. Dazu zählt die Abwesenheit von Zwang durch andere Menschen, wobei ein umfassendes Verständnis von Freiheit nicht auf diesen Aspekt reduziert werden kann. Demgegenüber fragt Gerechtigkeit danach, ob die sozialen Beziehungen – in Form von Tauschaktivitäten, der Verteilung von Gütern und einer politischen Ordnung – den Rechten aller Beteiligten in angemessener Weise entsprechen. Beides sind soziale Güter, die die Beziehungen von Menschen untereinander zum Inhalt haben. An der Unterschiedlichkeit beider Güter ist festzuhalten. Auch ein umfassendes Verständnis von Freiheit sollte nicht so weit gefasst werden, dass damit alle Kriterien für eine menschengerechte soziale Ordnung eingeschlossen wären.19 Im Folgenden kann es nicht 19 Zumindest missverständlich ist die Formulierung Wolfgang Hubers, es erscheine als sinnlos, den „christlichen Begriff der Freiheit durch den der Brüderlichkeit zu ergänzen […]. Denn
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darum gehen, ein Konzept von Gerechtigkeit zu entfalten oder die vielfältigen damit verbundenen Debatten aufzuarbeiten.20 Verzichtet werden soll auch auf eine Diskussion der Frage, ob zwischen Freiheit und Gerechtigkeit ein Über‑ bzw. Unterordnungsverhältnis besteht.21 Stattdessen gehen die Überlegungen zum Thema Gerechtigkeit von der Auseinandersetzung mit Friedmans Freiheitsverständnis aus. Es soll gezeigt werden, dass ein angemessenes Verständnis menschlicher Freiheit nicht umhin kommt, Fragen der Gerechtigkeit zu stellen. 6.2.1 Freiheit und Fragen der Gerechtigkeit Für Friedman gibt es nur einen Sinn, in dem er sich positiv auf das Konzept der Gerechtigkeit bezieht: Gerechtigkeit als formale Gleichbehandlung durch eine Rahmenordnung, die freiwillige Kooperation ermöglicht. Sofern dies gewährleistet ist, stellen sich Fragen der gerechten Verteilung oder des gerechten Tausches für ihn nicht. Konzeptionen von Gerechtigkeit, die eine Einschränkung von freiwilliger Interaktion oder von Eigentumsrechten vorsehen, sieht er in einem fundamentalen Gegensatz zu seinem Freiheitsglauben. Friedman führt dafür zwei Gründe an. Erstens verletzten solche Konzepte das Prinzip der normativen Präferenzautonomie, da sie einen „externen“ Maßstab an freiwillige Freiheit meint nicht Selbstverfügung, nicht Selbstbesitz, sondern die dem Kommen Gottes verdankte Identität und damit eine radikale Unverfügbarkeit der menschlichen Person“ (Huber 1985, 211). Hubers Aussage bezieht sich auf die christliche Freiheit, die eine durch den Glauben inhaltlich bestimmte Ausrichtung des Menschen voraussetzt. An ihr haben aber auch die Christen in dieser Welt nur gebrochen Anteil. Eine vollständige Identität von Freiheit und Gerechtigkeit ist daher erst eschatologisch möglich. Unter den Bedingungen dieser Welt sind umfassende Freiheit und Gerechtigkeit zwei zu bejahende Güter, die durchaus unterschieden werden können. Nur so kann über mögliche Spannungen zwischen beiden diskutiert werden. 20 Vgl. dazu z. B. Koch 2012, 113–200. 21 Nach Axel Honneth ist in der gesellschaftlichen Moderne von einer normativen Vorordnung der Freiheit auszugehen (vgl. Honneth 2011, 37–40). Demgegenüber vertritt Stefan Gosepath, dass „Gerechtigkeit Vorrang hat vor anderen moralischen und sozialen Werten […] wie etwa Freiheit, Gemeinschaft und persönlichen Beziehungen“ (Gosepath 2004, 9; vgl. Gosepath 2004, 12 f., 91 f.). Aus den folgenden Überlegungen geht jedoch zumindest implizit hervor, dass sowohl Freiheit als auch Gerechtigkeit nur dann angemessen verstanden werden, wenn das jeweils andere Moment mitgedacht wird. Die Frage einer „Überordnung“ ist daher problematisch bzw. wird in erster Linie davon abhängen, welchem Begriff die größere Reichweite zugeschrieben wird. Versteht man „Gerechtigkeit“ – wie im hier verwendeten Begriff des Menschengerechten – als einen Maßstab für die Angemessenheit der Gesamtordnung einer Gesellschaft (vgl. Gosepath 2004, 91 f.; Brunner 1981, 22 f., 64–76), wird sie zur leitenden ethischen Kategorie, der die Freiheit untergeordnet ist. Dies gilt nicht, wenn „Gerechtigkeit“ sich – wie in diesem Kapitel – auf die Verteilung unterschiedlicher Güter in einer Gesellschaft bezieht. Ein solches Verständnis von „Gerechtigkeit“ wiederum lässt sich der „Freiheit“ dann unterordnen, wenn „Freiheit“ in einem Sinne gebraucht wird, der neben dem Verfolgen des individuell Guten auch die Zustimmung zu einer legitimen Gesellschaftsordnung zum Inhalt hat (vgl. Honneth 2011, 36). Ein solches Verständnis von Freiheit in Bindung geht jedoch über das Friedmans weit hinaus.
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Entscheidungen anlegten.22 Zweitens verlange die Durchsetzung von Gerechtigkeitsvorstellungen, sofern sie sich unter freiwilliger Kooperation nicht ohnehin durchsetzen, die Anwendung von Zwang. Gerechtigkeit als ein Kriterium der Verteilung von Gütern ist daher für Friedman nicht vereinbar mit Freiheit. Bereits die Überlegungen zum Verhältnis von Freiheit und Gleichheit sind darauf hinausgelaufen, dass dieser These Friedmans schon auf der Ebene der inneren Kohärenz nicht zugestimmt werden kann. Vielmehr besteht ein innerer Zusammenhang zwischen Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Dieser lässt sich durch den normativen Gehalt der personalen Gleichheit verdeutlichen: Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Freiheit.23 Offensichtlich kommt der von Friedman bevorzugten formalen Gleichbehandlung damit eine bedeutende Rolle zu. Allerdings ist im Unterschied zu Friedman zu betonen, dass der Grundwert der Freiheit auch von Fragen einer gerechten Verteilung nicht getrennt werden kann. Grund für diesen Einwand sind Differenzen, die bereits in früheren Abschnitten zutage getreten sind: einerseits die Betonung der Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität anstelle des ontologischen Individualismus und andererseits der Vorzug eines umfassenden vor einem rein negativen Verständnis von Freiheit. Menschen sind daher nicht „ursprünglich“ frei, was – so Friedmans Logik – erst durch das Zusammenkommen mit anderen gefährdet wird. Stattdessen besteht menschliche Freiheit stets in sozialen Zusammenhängen. Umfassende Freiheit als Verfügen über tatsächliche Handlungsmöglichkeiten ist stets verbunden mit Macht. Die Freiheit des einen schränkt die anderer daher potenziell ein.24 Daraus folgt, dass individuelle Freiheit nicht lediglich gegen Übergriffe anderer gesichert werden muss. Sie hängt auch davon ab, wie innerhalb sozialer Zusammenhänge der Zugang zu Ressourcen, Bildungsmöglichkeiten und Positionen verteilt ist. Die Frage nach Gerechtigkeit steht also nicht im Konflikt mit der Orientierung an Freiheit, sondern erwächst aus dieser.25 Wie aber verhält es sich mit Friedmans Einwand, dass staatliche Um22 Es soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Friedmans angeblicher Verzicht auf ein externes Kriterium für eine gerechte Güterverteilung nur möglich wird durch ein weder begründetes noch ethisch sonderlich überzeugendes Akzeptieren des Status quo (vgl. oben 316 sowie Gamwell 1984, 30 f.). 23 Vgl. Brunner 1981, 43. In der letztlich nicht ableitbaren Zustimmung zu diesem Grundsatz liegt die grundlegende Übereinstimmung einer theologischen Ethik mit Friedmans. Eine Verbindung von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit findet sich auch in Kants „Gerechtigkeitsprinzip […] der gleichen Freiheit“ (vgl. Höffe 2001, 65 f.). 24 Vgl. oben 3.2.5 Freiheit und Macht sowie Ebert 2010, 250, 268. 25 Vgl. Ebert 2010, 268: „Die libertäre Gerechtigkeitsphilosophie kreist um die Freiheit des Individuums und hat dabei ausschließlich deren Bedrohung durch den Staat und die Allgemeinheit im Blick. Freiheitsbeschränkungen innerhalb der Gesellschaft selbst werden hingegen völlig ignoriert, so als gebe es keine sozialen und ökonomischen Abhängigkeiten […]. Dass die Freiheiten der Individuen sich gegenseitig beschränken und in Konflikt geraten und dass somit die interindividuelle Gerechtigkeit zum Problem wird, kommt im Rahmen dieses Ansatzes nicht vor. In Wirklichkeit aber ist soziale Gerechtigkeit nichts anderes als das Folgeproblem der
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verteilung stets Zwangsmittel einsetze und daher in Konflikt mit Freiheitsrechten stehe? Friedman selbst erachtet es als legitim, dass Freiheit durch staatlichen Zwang geschützt wird. Damit läuft sein zweiter Einwand ins Leere: Zwang ist nicht grundsätzlich unvereinbar mit dem Prinzip der Freiheit, sondern kann von diesem her legitimiert werden. Darüber hinaus wurde bei den Überlegungen zu den Eigentumsrechten deutlich, dass diese keineswegs absolut Geltung beanspruchen können.26 Im Folgenden werden mögliche Kriterien einer gerechten Verteilung im Horizont umfassender Freiheit diskutiert. Gezeigt werden soll, inwiefern weitere Kriterien herangezogen werden können, ohne dass dabei Friedmans erster Einwand – ein illegitimer Eingriff in die normative Präferenzautonomie werde erforderlich – zum Tragen kommt. 6.2.2 Umfassende Freiheit im Bezug auf Bedürfnis-, Teilhabe‑ und Chancengerechtigkeit 1.) Die grundlegende Bedeutung von Bedürfnisgerechtigkeit. Menschliche Freiheit ist stets bedingte Freiheit. Sie kann überhaupt nur existieren, wenn die mit der menschlichen Personalität, Leiblichkeit und Sozialität gegebenen Grundbedürfnisse erfüllt und so elementare Grundfähigkeiten sichergestellt sind.27 Diese umfassen formale sowie materiale Aspekte: das Recht auf eine eigenständige Lebensführung und die Freiheit von körperlichem und physischem Zwang ebenso wie den Zugang zu Nahrung, Sicherung der körperlichen Gesundheit und die Gelegenheit zur Persönlichkeitsbildung.28 Eine gerechte Verteilung von Freiindividuellen Freiheit.“ Dieser Zusammenhang ist auch in der katholischen Soziallehre festgehalten (vgl. Nothelle-Wildfeuer 2009, 12 f. sowie als evangelische Stimme Huber 2012b, 102 f.). 26 Vgl. oben 3.3.2 Umfassende Freiheit und das Recht an Eigentum. 27 Vgl. oben 287 sowie Nass 2006, 211.Dieser Gedanke leitet auch das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur Berechnung der Hartz IV-Sätze (vgl. Bundesverfassungsgericht 2010). Bedürfnisgerechtigkeit orientiert sich am Ziel gleicher Grundfähigkeiten. Dies ist nicht identisch mit einer Gleichverteilung von Einkommen. So können Menschen mit Behinderung oder in geographisch extremen Lebensräumen andere oder ein größeres Maß an Grundgütern benötigen, um über die gleichen Freiheitsmöglichkeiten zu verfügen (vgl. Sen 2009, 254–256). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gleiche Freiheitsmöglichkeiten nicht allein durch die Verteilung des Einkommens erreicht werden können, sondern auch eine entsprechende Gestaltung der Gesellschaft und des öffentlichen Raumes erfordern (z. B. Barrierefreiheit; vgl. Nussbaum 2006, 164–168). 28 Das spricht gegen die lexikalische Vorordnung der (negativen) Grundfreiheit vor die Grundbedürfnisse, wie sie John Rawls vornimmt (vgl. Rawls 1999, 131 f.; zur Kritik vgl. Sen 2009, 65). Van Parijs’ Versuch, das Problem mittels einer „weichen“ lexikalischen Vorordnung zu lösen (vgl. van Parijs 1995, 25–27) gesteht implizit zu, dass eine Abwägung zwischen den Aspekten erforderlich ist, auch wenn er den Schwerpunkt darauf setzt, dass dabei formale Aspekte besonders stark gewichtet werden sollten. Auch Rawls vertritt die lexikalische Vorordnung nicht absolut, sondern unter der Einschränkung, dass elementare Grundgüter die Möglichkeit des Freiheitsgebrauchs sichern (vgl. Rawls 1999, 132).
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heitsmöglichkeiten verlangt zunächst die Sicherstellung der Möglichkeit von Freiheit. Inhaltlich orientiert sich diese Forderung an den Bedingungen menschlicher Freiheit.29 Damit kommt auf der Ebene der Grundbedürfnisse der Bedürfnisgerechtigkeit gerade im Horizont umfassender Freiheit eine große Bedeutung zu.30 Friedmans Vorwurf, damit werde willkürlich die Präferenzautonomie verletzt, kann demgegenüber nicht überzeugen. Erstens wird bei einer Umverteilung, die die Sicherung von Grundbedürfnissen zum Ziel hat, in der Tat ein „externes“ Kriterium angelegt. Die Versorgung mit Grundgütern ist jedoch keineswegs willkürlich, sondern erfolgt auf Grundlage anthropologischer Einsichten, wie sie allen ethischen Argumenten zugrunde liegen müssen.31 Auch wenn man die Anliegen der deskriptiven Präferenzautonomie ernst nimmt, kann man allen Menschen ein Interesse an der Versorgung mit Nahrung oder einem Zugang zu medizinischer Basisversorgung unterstellen. Zweitens zielt die Orientierung an den Grundbedürfnissen nicht darauf, ein inhaltlich bestimmtes Leben sicher zu stellen. Sie zielt gerade darauf, dass Menschen ein Leben in Übereinstimmung mit ihren eigenen Werten führen können.32 Die Berücksichtigung positiver Freiheitsaspekte unter dem Gesichtspunkt der Bedürfnisgerechtigkeit entspricht der normativen Präferenzautonomie besser als Friedmans rein negative Freiheitstheorie. Zu beachten ist, dass sich die Forderung der Bedürfnisgerechtigkeit primär an die gesellschaftliche Ordnung richtet. Es werden also keine Ansprüche formuliert, die unmittelbar gegen andere Menschen bestehen. Vielmehr stellt die Bedürfnisgerechtigkeit ein Kriterium für jede gesellschaftliche Ordnung einschließlich ihrer Bestimmungen über das Eigentum dar.33 Eine Ordnung, die die Grundbedürfnisse (eines Teiles) ihrer Mitglieder nicht sicherstellt, obwohl dies möglich wäre, widerspricht nicht nur den Prinzipien der Gerechtigkeit, sondern auch der umfassenden Freiheit. Freiheitsrechte verweisen damit auf soziale Rechte.34 2.) Freiheit in Gemeinschaft und Teilhabegerechtigkeit. Zu den Bedingungen des menschlichen Lebens gehört die Sozialität. Menschliche Freiheit ist daher immer Freiheit in Gemeinschaft. Sie bemisst sich nicht an isoliert feststellbaren Möglichkeiten eines Individuums, sondern daran, inwiefern es an gesellschaftlichen 29 Das Ausmaß der nach dem Prinzip der Bedürfnisgerechtigkeit zu verteilenden Güter geht also über einen an der bloßen Daseinsfürsorge orientierten Leistungsminimalismus hinaus (vgl. Kersting 2001, 73–76). 30 Vgl. Hecker 2008, 292–294. Gegenüber dem (u. a. von Hecker bevorzugten) Begriff „Bedarfsgerechtigkeit“ verwende ich den Begriff der Bedürfnisgerechtigkeit, der den Bezug auf Grundbedürfnisse betont im Unterschied zu konkreten Vorstellungen darüber, mit welchen Gütern Menschen diese Bedürfnisse befriedigen wollen („Bedarf “). 31 Vgl. Nussbaum 1995, bes. 332–334; Nass 2006, 239 f., 274 f. sowie oben 1.3 Die Begründungsfunktion der Anthropologie für die Ethik. 32 Vgl. Nussbaum 2003, 15–17. 33 Vgl. von Nell-Breuning 1985, 228 f., 338. 34 Vgl. Waldron 1993, 4–17.
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Interaktionsprozessen teilhaben kann. Es ist angemessen, dass im Umfeld der Evangelischen Kirche in Deutschland ein großes Gewicht auf den Aspekt der Teilhabegerechtigkeit gelegt wird.35 Bildung und der Integration in den Arbeitsprozess kommt dabei eine große Bedeutung zu. Bezahlte Arbeit hat nicht nur eine mittelbare Funktion zum Gelderwerb, durch den Bedürfnisse gestillt werden können. Der menschlichen Personalität entspricht es auch, dass der Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt durch eine sinnhafte Tätigkeit36 selbst zu erwirtschaften, ein positiver Wert beigemessen wird.37 Die Integration in den Arbeitsmarkt trägt daher selbst zur Teilhabegerechtigkeit bei und sollte ein Ziel gesellschaftlicher Bemühungen sein. Zugleich erweist es sich unter den gegenwärtigen Bedingungen am Arbeitsmarkt insbesondere für gering qualifizierte Arbeitslose als problematisch, dass auch soziale und politische Integration stark von der Teilhabe an Erwerbsarbeit abhängen. Ohnehin kann ein umfassendes Verständnis von Teilhabegerechtigkeit nicht auf die Inklusion in ein unabänderlich vorgegebenes Interaktionsgefüge reduziert werden. Entsprechend der politischen Dimension umfassender Freiheit geht es um eine aktive Beteiligung an der Gestaltung gesellschaftlicher Diskurse und Institutionen.38 Die Versorgung mit Grundbedürfnissen muss also eine Existenzweise ermöglichen, in der Menschen an wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Prozessen aktiv teilhaben.39 3.) Das Ziel der Chancengerechtigkeit. Die nun unter der Bezeichnung „Teilhabegerechtigkeit“ diskutierten Möglichkeiten, innerhalb einer sozialen Gemeinschaft eigene Ziele zu verfolgen, entsprechen dem umfassenden Verständnis von Chancengerechtigkeit. In Anbetracht der Tatsache, dass völlige Chancengleichheit nicht realisierbar ist, soll zumindest eine möglichst gerechte Verteilung von Chancen angestrebt werden. Welche Kriterien können dabei Anwendung fin35 Vgl. Kirchenamt der EKD 2006, 43 sowie zum Konzept Bedford-Strohm 2006, 635 f.; Reuter 2009, 198–201; Wegner 2008, 504 f. Die Orientierung an Teilhabegerechtigkeit kann als Fortführung der prophetischen Sozialkritik gesehen werden. Auch diese richtete sich primär dagegen, dass wirtschaftlich Starke ihre Macht dazu nutzten, Kleinbauern in Abhängigkeit zu bringen, und sie so um den Status als eigenständige Rechtssubjekte brachten (vgl. Hardmeier 2005, 245–255, bes. 258). 36 Die Sinnhaftigkeit von Arbeit beschränkt sich keineswegs auf Arbeiten, die selbst als erfüllend gesehen werden, wie das oft bei sozialen oder kreativen Tätigkeiten der Fall ist. Auch Arbeit, die an sich als beschwerlich und unangenehm erlebt wird, kann zugleich die Erfahrung der Sinnhaftigkeit vermitteln. Ein gesellschaftlicher Nutzen ist bei handwerklichen oder auch kaufmännischen Tätigkeiten oft leichter erkennbar als bei wissenschaftlichen. Natürlich sind sinnhafte Tätigkeiten aber nicht immer auch bezahlt (das gilt insbesondere für Arbeit in der Familie und ehrenamtliches Engagement etwa im sozialen, kulturellen oder kirchlichen Bereich). 37 Vgl. Kirchenamt der EKD 2006, 47 f. Zu Recht weist daher Amartya Sen darauf hin, dass die (relativen) Erfolge europäischer Sozialstaaten bei der gleichmäßigen Verteilung von Einkommen abgewogen werden müssen gegen Schwächen bei der Integration in den Arbeitsmarkt (vgl. Sen 2001, 94–96). 38 Hans-Richard Reuter bevorzugt daher den Terminus „Beteiligungsgerechtigkeit“ (vgl. Reuter 2009, 198–201). 39 Vgl. Hecker 2008, 196 f.
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den? Im Sinne der bereits diskutierten Bedürfnisgerechtigkeit kann ein Bestand von Grundgütern definiert werden, der nach Möglichkeit nicht unterschritten werden darf. Im Sinne eines kontinuierlichen Ausgleichs gilt dies auch dann, wenn Menschen sich in einer selbst verschuldeten Notlage befinden. Darüber hinaus bleibt ein großes Maß an Chancen‑ bzw. Teilhabegleichheit ein erstrebenswertes Ziel. Daher stellt sich die Frage, in welchem Maße eine ungleiche Verteilung von Teilhabemöglichkeiten hinnehmbar oder sogar geboten ist. Bei der Erörterung dieser Frage müssen aus der Perspektive umfassender Freiheit weitere Gerechtigkeitskriterien berücksichtigt werden, die in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander stehen. 6.2.3 Umfassende Freiheit im Spannungsfeld von Leistungs‑ und Ausgleichsgerechtigkeit 1.) Freiheit und Leistungsgerechtigkeit. Die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Leben setzt voraus, dass Menschen selbst darüber entscheiden können, welchen Aufwand sie tätigen möchten, um sich bestimmte Annehmlichkeiten leisten zu können. Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit trägt dem Rechnung und entspricht darin dem Grundsatz personaler Gleichheit.40 Das hat den Vorzug, dass die Allokation von Gütern unabhängig von Eigenschaften wie Stand oder Geschlecht erfolgt, die von den handelnden Subjekten nicht beeinflusst werden können.41 Schließlich besteht eine positive Wirkung von Leistungsgerechtigkeit auf die Versorgung mit Grundgütern. Die Erwartung einer leistungsgerechten Entlohnung dient als Anreiz für belastende Tätigkeiten, Innovation und die Übernahme von Risiken. Auch Grundgüter, die im Sinne der Bedürfnisgerechtigkeit verteilt werden sollen, müssen erst erwirtschaftet werden. Insofern sind Gerechtigkeitsfragen auch rückgebunden an Fragen der ökonomischen Effizienz.42 Bedürfnisgerechtigkeit kann also nicht gegen Leistungsgerechtigkeit ausgespielt werden.43 Strittig, aber für das grundsätzliche Verhältnis von Freiheit 40 Vgl. Hecker 2008, 282. Es ist damit gegenüber einem statischen Verständnis einer gerechten Verteilung, wie es etwa Luthers Vorstellung eines standesgemäßen Einkommen zugrunde liegt (vgl. Luther, An die Pfarrherrn [Luther 1914, 376]), vorzuziehen. 41 Vgl. Vogt 1999, 292 f. 42 Vgl. Hagel 1993, 263–268; Hecker 2008, 164 f., 284. Allerdings lassen sich auch Fragen der Effizienz nicht von Fragen der Verteilung trennen (vgl. Stiglitz 1997, 45–63). Eine gerechte Verteilung von Gütern kann Leistung ermöglichen und so ihrerseits Effizienz steigern (vgl. Nass 2006, 266). 43 Elmar Nass spricht daher sogar von einem „symbiotischen Verhältnis von Effizienz und Humanität“ (Nass 2006, 262), sofern das Effizienzprinzip nicht absolut gilt, sondern der Ermöglichung umfassender Freiheit untergeordnet wird. Zu beachten ist jedoch, dass nur unter dieser Voraussetzung von einer Symbiose gesprochen werden kann. Es bleibt durchaus möglich, dass die Verwirklichung von Gerechtigkeit Einbußen von Effizienz im engen ökonomischen Sinne mit sich bringt. Diese Konsequenz tritt bei Nass in seiner tendenziell harmonistischen Bestimmung des Verhältnisses in den Hintergrund (vgl. 242–273).
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und Gerechtigkeit nicht entscheidend, ist die Frage, nach welchem Maßstab Leistungsgerechtigkeit beurteilt werden kann.44 2.) Freiheit und Ausgleichsgerechtigkeit. Die konsequente Anwendung des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit wäre dann legitim, wenn eine vollständige Chancengleichheit bestünde.45 Ungleichheiten ließen sich dann vollständig auf persönliche Entscheidungen zurückführen, wären also Ausdruck personaler Gleichheit. Sie müsste dann allenfalls durch eine Sicherstellung von Grundbedürfnissen am Maßstab der Bedürfnisgerechtigkeit ergänzt werden, um soziale Härten zu vermeiden. Es hat sich aber gezeigt, dass Chancengleichheit nicht möglich ist.46 Unter diesen Umständen stellt eine Orientierung allein am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ein Problem aus Perspektive der umfassenden Freiheit dar. Bei ungleichen Startvoraussetzungen haben einige leichter die Möglichkeit, ihre eigenen Ziele zu erreichen, als andere. Dies führt zu einer Ungleichverteilung von Macht, die wiederum auf die Handlungsalternativen der weniger Begünstigten negative Auswirkungen hat.47 Insofern ergibt sich aus der Perspektive umfassender Freiheit der Bedarf für einen sozialen Ausgleich, der Machtdifferenzen relativiert.48 Dieser ist Gegenstand der Ausgleichsgerechtigkeit.49 Legitim ist ein solcher Ausgleich aufgrund der Tatsache, dass Eigentum stets in sozialen Bezügen erwirtschaftet wird und daher der Sozialpflichtigkeit unterliegt.50 Dennoch stellt sich hier ein Problem, da sozialer Ausgleich im Konflikt zum Prinzip 44 Entweder wird ein intrinsischer Wert bestimmter Güter oder Tätigkeiten vorausgesetzt (so z. B. Elsner 1994, 120), an dem sich der Preis bzw. die Entlohnung zu orientieren habe. Wird auf die Vorstellung des intrinsischen Wertes verzichtet, kann die gerechte Bewertung nur durch Preisbildung auf dem Markt erfolgen (so z. B. Vogt 1999, 293). Offensichtlich ist jedoch, dass es auf realen, asymmetrischen Märkten zu Verzerrungen kommt, die mit dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit kaum in Einklang gebracht werden können (vgl. Neckel und Dröge 2002, bes. 97, 105, 112; Elsner 1994, 109–129). Der Marktpreis bildet damit einen wichtigen Orientierungspunkt, aber kein hinreichendes Kriterium für eine leistungsgerechte Entlohnung. Wie Friedman, so beansprucht auch Hayek nicht, der Markt garantiere Leistungsgerechtigkeit (vgl. FtC, 137 f.; von Hayek 2011, 160–163; Becker und Neumann 1986). 45 Vgl. Gauthier 1992, 95: „Market outcomes are fair if, but of course only if, they result from fair initial conditions.“ Vgl. Härle 2001, 387 f. 46 Völlig unsinnig ist daher die Begründung eines naturrechtlichen Anspruchs auf bestehendes Eigentum mit Rekurs auf eine Gleichverteilung von Eigentum in einem hypothetischen Naturzustand (so Paqué 1994, 27–29). Erstens ist es durchaus fragwürdig (bzw. abhängig von der – dem Ansatz nach unbekannten – Risikofreudigkeit), ob sich die Beteiligten nicht doch auf eine materielle Mindestsicherung einigen würden. Zweitens kann kein bestehender Status quo auf eine solche ursprüngliche Gleichverteilung zurückgeführt, also auch nicht mit Verweis auf sie legitimiert werden. 47 Vgl. Neckel und Dröge 2002, 98 f. 48 Die Anforderung der Gerechtigkeit richtet sich also nicht an die natürliche Verteilung von Lebenschancen, sondern an die Frage, wie gesellschaftliche Institutionen mit deren ungleicher Verteilung umgehen (vgl. Rawls 1999, 87 f.; zu einer Gegenüberstellung von Rawls und Friedman in diesem Punkt Sandel 2009, 165 f.). 49 Vgl. Gosepath 2004, 16 f.; Wegner 2008, 506f, sowie zum Begriff Hecker 2008, 294 f. 50 Vgl. oben 3.3.2 Umfassende Freiheit und das Recht an Eigentum sowie Thielemann 2010, 115–120.
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der Leistungsgerechtigkeit steht. Beide Formen der Gerechtigkeit können daher sowohl negative als auch positive Konsequenzen für umfassende Freiheit zeitigen. Es ist Aufgabe politischer Prozesse, eine Balance zwischen den positiven Effekten von Leistungsgerechtigkeit (persönliche Freiheiten, Leistungsanreize zur Befriedigung von Grundbedürfnissen) und Ausgleichsgerechtigkeit (Eingrenzung von Machtdifferenzen aufgrund ungleicher Chancenverteilung) zu finden.51 Wegweisend können dabei die von John Rawls entwickelten Prinzipien der Gerechtigkeit, insbesondere sein Differenzprinzip, sein.52 Leitend ist dabei der Gedanke, dass weniger die Angleichung von Chancen das Ziel ist, sondern die Ausweitung der umfassenden Freiheit aller. Friedmans Vorwurf, durch Ausgleichsgerechtigkeit sollten „alle Bäume auf die Höhe der niedrigen zurecht geschnitten“53 werden, entbehrt daher der Grundlage.54 6.2.4 Gerechtigkeit und Wertvorstellungen Schließlich ist im Zusammenhang einer gerechten Verteilung von Lebenschancen ein Sachverhalt zu berücksichtigen, der schon bei der Evaluation umfassender Freiheit zum Tragen gekommen ist.55 Fragen der Gerechtigkeit führen unweiger51 Vgl.
Vogt 1999, 297 f. Rawls sind zunächst persönliche Grundfreiheiten und Grundgüter sicherzustellen. Darüber hinaus sind Ungleichheiten nur dann so weit zu tolerieren, wie die am wenigsten Begünstigten von ihnen profitieren (vgl. Rawls 1999, 52–55, 65–73, 130–132; vgl. ähnlich und mit sinnvollen Modifikationen Gosepath 2004, 425–433). Wichtig ist dabei, dass Vorteilhaftigkeit am Maßstab einer ursprünglichen Gleichverteilung gemessen wird. Rawls legt also kein ParetoKriterium in dem Sinne an, dass keiner gegenüber dem Status quo schlechter gestellt werden dürfte (vgl. Gosepath 2004, 426 f.). Das Differenzprinzip macht sich auch die EKD-Denkschrift „Gerechte Teilhabe“ zu eigen (vgl. Kirchenamt der EKD 2006), 44. Einen Anknüpfungspunkt in der theologischen Tradition bildet die Vorstellung einer Dienstgemeinschaft, in der die Verschiedenheit zwischen Starken und Schwachen letzteren zum Vorteil geraten soll (vgl. Brunner 1981, 84). Die Orientierung am Differenzprinzip verlangt Abwägungen über die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen von Umverteilung. Deren Umfang ergibt sich also nicht schon aus einem Konsens über das Differenzprinzip als Kriterium der Verteilung. Entscheidend sind einerseits die bestehenden sozioökonomischen Bedingungen und andererseits die ökonomische Analyse der zu erwartenden Folgen (vgl. Sandel 2009, 152 f.). 53 Vgl. Friedman 1973b, 37; FtC-TV, 85. 54 Den Bezug von Ausgleichsgerechtigkeit und Freiheitsfürsorge ignoriert auch Wolfgang Kersting in seiner teilweise polemischen Kritik am egalitären Liberalismus (vgl. Kersting 2001, 76–83). Er übersieht dabei erstens, dass auch Rawls nicht gewaltsam Chancengleichheit herstellen möchte; zweitens, dass Ungleichheiten nie nur auf natürliche Gegebenheiten zurückgehen, sondern immer auch auf soziale Institutionen; und drittens, dass Freiheit durch die ungleiche Verteilung von Macht gefährdet wird. Sen erachtet die beide Ziele der Ausweitung und Gleichverteilung von Handlungsmöglichkeiten als gleichwertig (vgl. Sen 2009, 298). Demgegenüber ist die hier vorgenommene Vorordnung dann gerechtfertigt, wenn die Gefährdung von Freiheit durch ungleiche Machtverteilung berücksichtigt wird. 55 Vgl. oben 311. 52 Nach
6. Umfassende Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
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lich zu Abwägungen zwischen verschiedenen Aspekten von Freiheit. Erstens gilt dies bei der Frage, für welche Handlungsoptionen am intensivsten versucht wird, Chancengleichheit herzustellen. So wird eine unterschiedliche Möglichkeit, Reiten zu lernen, eher akzeptiert werden als Unterschiede in der Möglichkeit, Kontakt mit anderen Menschen zu pflegen. Zweitens sind verschiedene Aspekte von Freiheit gegeneinander abzuwägen, wenn die Herstellung von Gerechtigkeit mit der Einschränkung von Freiheit einhergeht. Um den Erfordernissen der Bedürfnisgerechtigkeit Genüge zu tun, kann das Einkommen Gutverdienender besteuert werden. Es wäre aber auch möglich, eine Gruppe von Menschen dazu zu zwingen, bestimmte Arbeiten auszuführen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Einschränkung von Freiheit. In der Regel wird erstere jedoch als weniger problematisch empfunden als letztere. Das lässt sich aber weder aus dem Konzept der Freiheit noch aus dem der Gerechtigkeit erklären. Vielmehr basiert es auf Vorstellungen darüber, was im Leben eines Menschen wichtig ist. Die Möglichkeit, über die eigene Zeit zu verfügen, wird dabei offensichtlich höher eingeschätzt als das uneingeschränkte Recht am eigenen Verdienst. Abwägungen über Gerechtigkeitsfragen setzen daher immer auch Wertvorstellungen voraus. Fragen nach dem Gerechten können daher nicht abgekoppelt von Diskursen über das Gute erfolgen.56 6.2.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position Für Friedman ist Gerechtigkeit nur im Sinne einer formalen Gleichbehandlung ein mit dem Freiheitsprinzip vereinbarer Grundsatz. Allen anderen Forderungen nach Gerechtigkeit steht er ablehnend gegenüber. Demgegenüber lässt sich zeigen, dass ein angemessenes Verständnis menschlicher Freiheit gerade dazu führt, dass Freiheit nicht ohne Gerechtigkeit gedacht werden kann. Grund dafür ist die konstitutive Sozialität des Menschen. Umfassende Freiheit bezeichnet stets die Handlungsmöglichkeiten eines Menschen innerhalb einer sozialen Gemeinschaft. Die Macht des Einen ist daher potenziell eine Einschränkung des Anderen. Deutlich wird dies an der Möglichkeit, über Eigentum zu verfügen. Die Frage der Freiheit lässt sich daher nicht trennen von der Frage, wie Hand56 Vgl. Sandel 1982, bes. 165–183; Sandel 1995, 13–54; Mack 2002, 196–213. Dies spricht gegen das im prozeduralen bzw. politischen Liberalismus postulierte Primat des Gerechten vor dem Guten (vgl. dazu Rawls 1996, 173–176). Die Bedeutung einer Vorstellung des guten Lebens für die Vorstellung des Gerechten wird deutlich an Rawls’ Liste von Grundfreiheiten, die – anders als etwa die Freiheit des Handels – nicht nach anderen Gerechtigkeitsprinzipien eingeschränkt werden dürfen. Auch hier ist eine keineswegs selbstverständliche Vorstellung darüber vorausgesetzt, was im Leben eines Menschen so wichtig ist, dass alle anderen Güter dahinter zurückstehen müssen (vgl. Rawls 1999, 53 f., 131 f.). Die Unterscheidung zwischen „letzten Zielen“ und mittelbaren Zielen ist nicht eindeutig feststellbar. Das wird deutlich, wenn sich Menschen auf ihre Religionsfreiheit berufen, um ein Recht auf den Konsum von Cannabis (Rastafaris) oder das Kopieren elektronischer Daten (Kopimisten) einzufordern.
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lungsmöglichkeiten in einer Gesellschaft verteilt sind. Dabei ist es eine grundlegende Folge der personalen Gleichheit, dass alle Menschen nach dem Prinzip der Bedürfnisgerechtigkeit gleichermaßen mit jenen Grundgütern versorgt sein müssen, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Da sich menschliches Leben immer in einer konkreten Gesellschaft vollzieht, ist Selbstbestimmung nur durch die Gewährleistung von Teilhabegerechtigkeit möglich. Diese entspricht dem Grundsatz der Chancengerechtigkeit. Für beide gilt gleichermaßen: Grundsätzlich sollten alle Menschen gleichermaßen die Chance haben, ihr Leben aktiv zu gestalten. Dabei sind Einsichten aus dem vorherigen Unterkapitel zu berücksichtigen, wonach Chancengleichheit nicht möglich ist. Die Verteilung von Gütern – mit denen immer auch Teilhabemöglichkeiten verbunden sind – muss unter dem Gesichtspunkt umfassender Freiheit stets auch unter dem der Leistungsgerechtigkeit erfolgen. Nur diese garantiert, dass Menschen die Möglichkeit haben, ihre Arbeitskraft für selbst gewählte Ziele einzusetzen. Ein positiver Effekt ist es, wenn Leitungsgerechtigkeit Anreize zur Effizienzsteigerung vermittelt und so die Befriedigung von Grundbedürfnissen nach dem Grundsatz der Bedürfnisgerechtigkeit erleichtert. Leistungsgerechtigkeit führt zu einer ungleichmäßigen Verteilung von Ressourcen, Teilhabemöglichkeiten und Macht. Dies wäre nur dann problemlos, wenn die Verteilung Ergebnis persönlicher Wahlen unter gleichen Startvoraussetzungen zu verstehen wäre. Da dies unter geschichtlichen Bedingungen nie der Fall sein kann, kann zur Sicherstellung umfassender Freiheit auf einen Ausgleich nicht verzichtet werden. Nach dem Prinzip der Ausgleichsgerechtigkeit ist die ungleiche Verteilung gesellschaftlicher Güter dann zu akzeptieren, wenn dies zu einer Ausweitung der Verwirklichungschancen der am wenigsten Begünstigten führt. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Bewertung von Bedürfnissen und Teilhabemöglichkeiten nicht ohne Rückgriff auf Vorstellungen von einem guten Leben erfolgen kann. Insofern kann eine Theorie der Gerechtigkeit nicht auf eine Verständigung über Werte verzichten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der von Friedman postulierte Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und Freiheit nicht überzeugen kann. Seine Argumentation beruht darauf, dass er unkritisch den Status quo akzeptiert und die Gefährdung von Freiheit durch die ungleiche Verteilung von Macht ignoriert. Beidem ist aus ethischer Sicht zu widersprechen.
7. Umfassende Freiheit und Markt Friedman setzt sich ausführlich damit auseinander, dass individuelle Freiheit unter den Bedingungen moderner Gesellschaften nur innerhalb sozialer Zusammenhänge bestehen kann. Dies ist der Grund für seine institutionentheoretischen Überlegungen zu Markt, Staat und Moralität. Die Verbindung von Freiheit und Institutionen gewinnt in Anbetracht der bisherigen Auseinandersetzung mit Friedman noch an Bedeutung. Sozialität gehört zu den konstitutiven Bedingungen menschlichen Lebens. Umfassende Freiheit kann daher nicht angemessen diskutiert werden, ohne dass zugleich die Strukturierung des Zusammenlebens in den Blick kommt. Der Darstellung im Interpretationsteil folgend wird dabei zunächst auf die grundsätzliche Notwendigkeit sozialer Institutionen1 eingegangen (7.1). Den Schwerpunkt dieses Kapitels bildet dann die Diskussion der Institution des Marktes: ihrer Vorzüge (7.2) und der dabei zu gewährleistenden Voraussetzungen (7.3). In kritischer Ergänzung zu Friedman soll außerdem auf grundsätzliche Schwierigkeiten einer marktwirtschaftlichen Ordnung hingewiesen werden (7.4).
7.1 Umfassende Freiheit und die Notwendigkeit gesellschaftlicher Koordination Ausgehend vom ontologisch-methodologischen Individualismus stellt sich das Problem der institutionellen Ordnung für Friedman so dar, dass die ursprüngliche (negative) Freiheit des Individuums versöhnt werden muss mit dem Faktum sozialer Interdependenz. Friedman begegnet dem, indem er einerseits sein rein negatives Verständnis von Freiheit leicht modifiziert und auf die Bedeutung von Handlungsalternativen verweist. Andererseits versucht er, das Zugeständnis so gering wie möglich zu halten, indem er dennoch am Ideal negativer Freiheit und der Verteidigung des Status quo festhält.2 Damit trägt Friedman Spannun1 Unter „Institution“ ist hier ein Normsystem verstanden, das menschliche Interaktion regelt (vgl. Herms 2001, 749 f.). Da Interaktion immer geregelt ist und Regeln stets in irgend einer Form sanktioniert werden, ist mit ihnen immer auch eine Einschränkung formaler Freiheit verbunden. Das gilt nicht nur, aber in besonderem Maße für staatliche Organisationen, die für die Durchsetzung ihrer Regeln auf das staatliche Gewaltmonopol zurückgreifen. 2 Vgl. oben II.7 Das Problem der sozialen Interdependenz.
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gen in seinen Freiheitsbegriff ein, die nicht aufzulösen sind. Doch dieser Versuch Friedmans scheint wenig überzeugend. Warum ist es eine Einschränkung von Freiheit, wenn ein Monopolist nur zu hohen Preisen verkauft, aber nicht, wenn ein Vermögender einem Hungernden nichts abgibt? Nach Friedmans Logik könnte der Unterschied darin liegen, dass es mehrere Vermögende gibt, die grundsätzlich als Spender in Frage kommen – dazu aber keineswegs verpflichtet sind. Das zeigt sich, wenn man sich eine Situation vor Augen führt, in der ein einzelner Mensch über Lebensmittel verfügt, andere aber nicht. Friedman nähert sich der Situation in Perspektive des normativ-ontologischen Individualismus am Beispiel eines reichen Robinson, der armen Robinsons gegenübersteht. Von da aus verteidigt er das Recht des reichen Robinson, über sein Eigentum frei zu verfügen. Die Armut der anderen stellt keine Einschränkung ihrer Freiheit dar.3 Anders erscheint Friedmans Argumentation, wenn er den einzigen Besitzer von Lebensmitteln unter der Perspektive sozialer Interdependenz in den Blick nimmt. Als Monopolist ist er in der Lage, den anderen einseitig die Bedingungen für Interaktion zu diktieren. Diese Möglichkeit, Zwang auszuüben, schränkt ihre Freiheit ein. Beide Sichtweisen lassen sich nicht vereinbaren. Die Ursachen der Spannungen im Freiheitsbegriff liegen darin, dass Friedman versucht, zwei Perspektiven zu „versöhnen“, die schlicht nicht in Übereinstimmung gebracht werden können: den normativ-ontologischen Individualismus und das Faktum sozialer Interdependenz. Ein konsistenter Ansatz für eine Entfaltung negativer Freiheit unter der Bedingung sozialer Interdependenz kann Friedman so nicht gelingen. In Friedmans vorsichtiger, aber inkonsequenter Selbstkorrektur bei der institutionentheoretischen Anwendung seiner abstrakten Freiheitskonzeption zeigt sich, dass diese auf Annahmen beruht, die nicht phänomengerecht sind. Demgegenüber ist im Lichte der bisherigen Überlegungen anders zu akzentuieren. Ziel einer freiheitlichen Ordnung ist es nicht, eine abstrakt gedachte, ursprünglich individuelle Freiheit unter den Bedingungen der Sozialität zu bewahren. Dieses theoretisch unmögliche Unterfangen muss auch beim Versuch einer politischen Umsetzung scheitern. Stattdessen ist Freiheit schon konzeptionell so zu fassen, dass die Bedingung der Sozialität mitgedacht wird. Ziel institutionentheoretischer Überlegungen ist dann nicht die Erhaltung negativer Freiheit in dem Sinne, dass der Einzelne möglichst unbehelligt vom Einfluss anderer leben kann. Im Sinne umfassender Freiheit ist danach zu fragen, wie soziale Interdependenz so gestaltet werden kann, dass die Menschen am ehesten dazu in die Lage versetzt werden, ein Leben gemäß ihren eigenen Vorstellungen zu führen.4 Dabei spielen formale Freiheitsaspekte eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Allgemein verbindliche Regeln bedeuten immer auch eine 3 Vgl.
CaF, 165 sowie oben II.3.3 Freiheit und das Recht an Eigentum. Meckenstock 1997, 86; Eucken 1990, 179. Historisch gesehen ermöglicht erst die Entstehung moderner Staaten eine eigenständige Lebensführung, die die Möglichkeit voraussetzt, sich von bestehenden Sozialgefügen zu distanzieren (vgl. Mayer und Müller 1989, 46 f.). 4 Vgl.
7. Umfassende Freiheit und Markt
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Einschränkung individueller Freiheit. Umfassende Freiheit wird aber nicht schon dadurch maximiert, dass allgemeingültige Regeln auf ein Minimum reduziert werden. Sofern Institutionen zur Verwirklichung umfassender Freiheit beitragen, kann daher nicht von einem Antagonismus von Freiheit und Institutionen ausgegangen werden.5 Damit erscheint es fraglich, ob die Organisationsformen Markt (dezentrale Organisation, Grundprinzip Freiwilligkeit) und Staat (zentrale Organisation, Grundprinzip Zwang) wirklich zwei alternative Modelle gesellschaftlicher Koordination sind, wie Friedman es darstellt.6 Vor dem Hintergrund des kalten Krieges und der ökonomischen Alternative einer zentralen Planwirtschaft gegenüber einer freien Marktwirtschaft ist diese Auffassung verständlich.7 Sie dient auch dazu, Extremformen gesellschaftlicher Organisation zu erfassen. Friedman selbst weist jedoch zu Recht darauf darauf hin, dass beide, Marktgesellschaft und Staatsgesellschaft, in Reinform gar nicht bestehen können.8 Weder ist eine vollständige Steuerung des gesellschaftlichen Lebens durch zentrale Direktiven möglich, noch der Verzicht auf jegliche Regeln setzende Instanzen. Es ist daher wenig hilfreich, eine soziale Ordnung pauschal als „frei“ (Markt) oder „unfrei“ (Staat) zu klassifizieren. Auch die nach wie vor verbreitete Quantifizierung, die je nachdem „mehr Markt“ oder „mehr Staat“ einfordert, wird dem differenzierten Verhältnis beider Aspekte nicht gerecht. Im Sinne umfassender Freiheit ist vielmehr zu fragen: In welchen Bereichen dient es den tatsächlichen Möglichkeiten zur Selbstbestimmung, wenn Interaktion geregelt wird?9 Für die Erörterung dieser Frage sollen zunächst die Möglichkeiten einer Koordination von Inter5 Aufgrund unterschiedlicher individueller und kollektiver Erfahrungen gibt es in den USA und in Europa unterschiedliche Einschätzungen, in welchem Maße dies der Fall ist (vgl. Sautter 2010, 86–88). Es ist jedoch eine ideologische Verkürzung, wenn die institutionellen Voraussetzungen der Freiheit gänzlich ignoriert werden. 6 Vgl. oben 7.2 Die Alternativen der Koordination von Interaktion: Markt und Staat. Es ist daran zu erinnern, dass „Markt“ und „Staat“ bei Friedman nicht auf gesellschaftliche Funktionsbereiche (Wirtschaft und Politik) bezogen sind, sondern grundsätzlich Formen gesellschaftlicher Koordination bezeichnen, die jeweils in allen Lebensbereichen Anwendung finden können. 7 Sie prägte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch die wirtschaftsethische Diskussion (vgl. exemplarisch Rich 1990, 177–180, 239–241; Watrin 1999, 219–221 sowie im Überblick Jähnichen 1998, 23–37). 8 Vgl. FtC, 11; Friedman 1987g, 19. 9 Eine Grundalternative lässt sich auch nicht in der Form konstruieren, wonach der Staat entweder nur eine Rahmenordnung aufrecht halte oder auch über die Allokation von Gütern verfüge. Schon Ersteres schließt ja immer ein, dass der Staat selbst als Nachfrager auf dem Güter‑ und Arbeitsmarkt auftritt. Insofern löst sich die Grundalternative „Marktwirtschaft oder Staatswirtschaft“ bei genauer Betrachtung auf in eine Vielzahl von Fragen, die jeweils graduell beantwortet werden müssen. Dazu gehören das Maß der Regulierung von Interaktion und des Eingriffs in die Einkommensverteilung, die Form der Definition von Eigentumsrechten sowie die Bestimmung dessen, was als öffentliche Güter zu gelten hat. Im Vordergrund der folgenden Überlegungen steht das Maß der Einschränkung formaler Freiheit. Sie ist zu unterscheiden von der Frage, wer im Besitz von Produktionsmitteln sein sollte (vgl. van Parijs 1995, 9 f., 191–195).
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aktion durch den Markt – also nach dem Prinzip des freiwilligen Austauschs – erörtert werden.
7.2 Der Beitrag des Marktes zur Realisierung umfassender Freiheit 1.) Prinzipielle Vorzüge des Marktes. Friedman gibt einer Koordination durch freiwillige Interaktion grundsätzlich den Vorzug gegenüber einer Koordination durch staatlichen Zwang. Dem ist auch dann zuzustimmen, wenn nicht schon die Minimierung von Zwang (negative Freiheit), sondern die Ausweitung der Möglichkeiten zu Selbstbestimmung (umfassende Freiheit) als Kriterium der sozialen Ordnung herangezogen wird. Jede Einschränkung negativer Freiheit bedeutet, dass die für ein Individuum zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen begrenzt werden.10 Auch historisch gesehen war die Entwicklung der Marktwirtschaft eine Emanzipation aus den Zwängen feudaler Gesellschaften durch die Ermöglichung sozialer Mobilität.11 Insgesamt ist eine Koordination durch den Markt also eher mit dem Recht auf Selbstbestimmung vereinbar als eine Steuerung durch den Staat. Eine Wirtschaftsordnung, in der Menschen über den Einsatz ihrer Arbeitskraft und die Verwendung ihrer Ressourcen selbst verfügen können, ist daher eher menschengerecht als ein zentralwirtschaftliches System, das diese Rechte verweigert.12 Insofern ist von einer ethischen Vorzugswürdigkeit der Marktwirtschaft auszugehen, die sich nicht erst aus den Ergebnissen des Marktgeschehens ableitet.13 2.) Positive Konsequenzen des Marktes. Friedman weist außerdem darauf hin, dass eine Koordinierung gesellschaftlichen Lebens durch den Markt sich positiv auf die Effizienz und Produktivität einer Gesellschaft auswirke. Die von ihm angeführten Argumente können grundsätzlich überzeugen. Zum einen schaffen die Mechanismen des Marktes Anreize für produktive Tätigkeit und Innovation und tragen so zu einer größeren Effizienz und Gütermenge bei.14 Zum anderen sorgen sie für eine effiziente Allokation von Ressourcen gemäß der jeweils leitenden Präferenzen. Auch empirisch kann festgestellt werden, dass Marktwirtschaften im Allgemeinen besser als Alternativen in der Lage sind, Menschen mit
10 Zu unterschiedlichen Aspekten des unmittelbaren Beitrags von Märkten zu umfassender Freiheit vgl. Satz 2010, 21–26, bes. 21. 11 Vgl. Habisch 1994, 608; Satz 2010, 40–44. 12 Vgl. Rich 1990, 201. 13 Vgl. Sen 2001, 112–116; Nothelle-Wildfeuer 2002, 117. 14 Vgl. Habisch 1994, 608. Joseph A. Schumpeter hat diesen Prozess mit dem Ausdruck der „schöpferischen Zerstörung“ beschrieben (vgl. Schumpeter 1993, 134–142, bes. 134). Durch den Begriff kommt zum Ausdruck, dass Effizienzgewinne mit Veränderungen bestehender Strukturen einhergehen, die durchaus auch Verlierer haben können.
7. Umfassende Freiheit und Markt
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denjenigen Gütern zu versorgen, die ihren Vorstellungen entsprechen.15 Aus der Perspektive umfassender Freiheit ist dieser Aspekt sogar noch stärker zu gewichten als im Rahmen von Friedmans Freiheitskonzeption. Für diesen sind die Folgen einer freiheitlichen Gesellschaft lediglich ein erfreulicher Nebeneffekt, aber nicht ausschlaggebend für ihre Vorzugswürdigkeit. Versteht man Freiheit jedoch in einem umfassenden Sinne, so ist eine bessere Versorgung mit materiellen und anderen Ressourcen ihrerseits freiheitsfördernd. Insofern trägt eine marktwirtschaftliche Ordnung nicht nur durch den Verzicht auf staatliche Eingriffe unmittelbar zur Realisierung umfassender Freiheit bei, sondern auch mittelbar durch ihre Auswirkung auf eine effiziente Produktion und Allokation.16 Die positiven Effekte einer Koordination von Interaktion durch den Markt tragen dazu bei, dass ein menschengerechtes Leben eher möglich wird. Allerdings gilt damit im Umkehrschluss auch: Die ethische Legitimation marktwirtschaftlicher Strukturen nimmt ab, wenn diese nicht die von Friedman genannten positiven Konsequenzen zeitigen. Daher ist im Folgenden darauf einzugehen, unter welchen Bedingungen dies der Fall sein kann.
7.3 Idealer und realer Markt: Positive Konsequenzen für alle? Friedmans Argumente für die positiven Konsequenzen einer Koordination von Interaktion durch den Markt beruhen auf Annahmen über eine ideale Marktsituation. Damit wendet er jenes Verfahren an, das sich schon in der normativen Grundlegung als problematisch erwiesen hat: Friedman schließt von einer abstrakten, idealen Marktsituation auf die Konsequenzen realer Märkte. Dass Friedman in seiner politischen Philosophie von einer idealen und nie realisierbaren Marktsituation ausgeht, zeigt sich insbesondere darin, dass er Freiwilligkeit der Interaktanten und vollständige Informiertheit voraussetzt.17 Wie im Fall des heuristischen Modells des homo oeconomicus18, so ist auch gegen das heuristische Modell eines freien Marktes mit vollständigem Wettbewerb nichts einzuwenden, sofern dieser Status in seiner Anwendung berücksichtigt wird. In der Konsequenz muss jeweils geprüft werden, ob seine Anwendung auf bestimm15 Allerdings neigt Friedman dazu, komplexe Zusammenhänge zu verkürzen und positive Entwicklungen allein mit dem Funktionieren freier Märkte zu begründen. Dies zeigt sich etwa, wenn er die positive ökonomische Entwicklung Westdeutschlands in der Nachkriegszeit ausschließlich auf die Freisetzung des Preismechanismus durch Ludwig Erhard zurückführt (vgl. FtC, 56). Demgegenüber muss berücksichtigt werden, dass gleichzeitig eine starke Regulierung der Industrie vorlag und mit dem Marshall-Plan staatliche Interventionen in großem Ausmaß erfolgten (vgl. Galbraith 1970, 12 f.). 16 Vgl. van Parijs 1995, 191–220; Sen 2001, 25–30. 17 Vgl. Friedman 1987m, 161, 165. 18 Vgl. oben 2.2.1 Nutzenmaximierung: Zirkuläre Argumentation, problematische Verallgemeinerung und Grenzen des ökonomischen Imperialismus.
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te Bereiche angemessen ist. Dabei können jedoch reale Marktbedingungen nicht ausgeblendet werden. Mit der Freiwilligkeit und der vollständigen Informiertheit sind zwei Annahmen idealer Märkte in Wirklichkeit nicht nur gelegentlich, sondern systematisch nicht erfüllt.19 Daher ist in deutlich größerem Maße mit Marktversagen zu rechnen, als Friedman es zugesteht. Dies ist keinesfalls ein Grund dafür, auf Marktprinzipien gänzlich zu verzichten. Einsichten in fehlende Voraussetzungen für funktionierende Märkte können jedoch Hinweise dafür geben, wo wirtschaftspolitische Eingriffe angebracht sind.20 Dies wird im Folgenden ausgeführt. 7.3.1 Fehlende Freiwilligkeit: Konzentration ökonomischer Macht 1.) Die Bedeutung des Wettbewerbs für die Sicherung von Freiheit. Zu Recht beschreibt es Friedman als ein Problem, dass die Freiwilligkeit von Interaktion nicht immer gewährleistet ist. Eine Gefährdung von Freiwilligkeit sieht er durch direkten Zwang sowie durch das Entstehen von externen Effekten. In beiden Fällen erachtet Friedman es daher für sinnvoll, Freiwilligkeit durch staatliche Maßnahmen abzusichern.21 Darüber hinaus aber stellt sich ein weiteres Problem für die Sicherung von Freiwilligkeit durch Interdependenzen, die eine arbeitsteilige Wirtschaft unweigerlich nach sich zieht.22 Friedman ist durchaus bewusst, dass Menschen unter modernen Bedingungen nicht die Möglichkeit haben, auf Interaktion ganz zu verzichten. Die Annahme, dass Menschen nur dann mit anderen interagieren, wenn sie davon profitieren, ist damit hinfällig. Dennoch vernachlässigt Friedman diesen Aspekt in seiner Argumentation für die Vorteilhaftigkeit realer Märkte. Seine These lautet: Freiwilligkeit ist gewährleistet, sofern eine hinreichend große Zahl alternativer Interaktionspartner zur Verfügung steht. Damit präzisiert Friedman die These der prinzipiellen Vorzugswürdigkeit des Marktes. Nicht schon eine Koordination durch den Markt – also das Fehlen staatlicher Steuerung – als solche garantiert die Freiwilligkeit von Interaktionen. Seine Argumentation beruht auf der These, durch Wettbewerb seien Machtdifferenzen auf dem Markt zumindest minimiert. Ihre Überzeugungskraft hängt entscheidend davon ab, ob und inwiefern dieser These zugestimmt werden kann.23 19 Vgl.
Nutzinger 1986, 107 f. Nutzinger 1992, 49, 60. 21 Vgl. oben II.8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb. Die Frage, ob Friedman mit externen Effekten angemessen umgeht, wird daher nicht an dieser Stelle, sondern in Zusammenhang der Überlegungen zum Staat diskutiert (vgl. unten 8.2.4 Maßnahmen zur Verhinderung externer Effekte). 22 Vgl. zur vermeintlichen Freiheit von Arbeitnehmern bereits Marx, Das Kapital, Bd. 1, II.4.31 (Marx 1962, 181–184). 23 Macpherson betont zu Recht, dass Friedmans These von der Vorteilhaftigkeit jeder Interaktion, die er aus dem abstrakten Modell ableitet, keine Gültigkeit mehr beanspruchen kann, wenn die Freiwilligkeit zum Eintreten in Interaktion nicht gegeben ist (vgl. Macpherson 1990a, 20 Vgl.
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Entscheidend ist, darin ist Friedman zuzustimmen, die Existenz von Wettbewerb.24 Je größer die Zahl der möglichen Interaktionspartner ist, desto weniger kann es zur Konzentration ökonomischer Macht kommen. Dadurch ist es einer Partei nicht möglich, die andere zu übervorteilen. Wettbewerb kann also in der Tat Freiwilligkeit sichern und positive Konsequenzen des Marktes befördern.25 Dementsprechend sind staatliche Maßnahmen, die die Bildung von Monopolen begünstigen und Konkurrenz eindämmen sollen (z. B. Protektionismus, gezielte Subventionen), grundsätzlich kritisch zu beurteilen.26 Aber auch der umfassende Besitz von Produktionsmitteln in öffentlicher Hand steht in Konflikt zum Prinzip des Wettbewerbs. Wie Friedman richtig analysiert, kommt es in diesem Fall zur Bündelung von ökonomischer und politischer Macht, die Abhängigkeitsverhältnisse verstärkt.27 Nicht richtig ist hingegen der Umkehrschluss. Allein die Gewährung des Privateigentums verhindert noch nicht, dass sich eine problematische Ungleichverteilung ökonomischer Macht einstellt. 2.) Die Gefährdung des Wettbewerbs durch unregulierte Märkte. Fraglich ist nämlich Friedmans weitergehende Annahme, dass Wettbewerb am ehesten durch den Verzicht auf staatliches Eingreifen sichergestellt werden kann.28 Dagegen steht die Beobachtung, dass es auf unregulierten Märkten durchaus zu Konzentrationen kommen kann.29 Dies kann erstens dadurch geschehen, dass sich Unternehmen zusammentun und durch offene oder verdeckte Absprachen Monopolgewinne abschöpfen. Folgt man uneingeschränkt dem Prinzip der Privatautonomie, kann beispielsweise nichts gegen die Bildung eines Kartells 357 f.). Er geht jedoch überhaupt nicht auf die Modifizierung der These durch das Wettbewerbsprinzip ein. Diese ist für ihn insofern nicht relevant, als er (in offensichtlich marxistisch geprägter Terminologie) von einem Gegenüber von Arbeit und Kapital ausgeht. Er erachtet die (potenziellen) Arbeitgeber als eine Einheit, die in der Lage ist, Zwang auszuüben und nicht als eine heterogene Gruppe, die den jeweils anderen (potenziellen) Arbeitgebern die Möglichkeit nimmt, Zwang auszuüben. 24 Zur wohlfahrtstheoretischen Begründung der Vorzugswürdigkeit von Wettbewerb vgl. von Hirschhausen und Weigt 2007a, 66–69. 25 Vgl. Schumpeter 1993, 162 f.; Nutzinger 1992, 62. Wettbewerb garantiert nicht nur ein höheres Maß an Freiheit, sondern auch an Sicherheit. Die Möglichkeit, auf andere Interaktionspartner auszuweichen, reduziert die Abhängigkeit von einer bestimmten Person oder Institution, deren Willkür man ausgesetzt sein könnte (vgl. Eucken 1990, 125 f.). Damit ist nicht gesagt, dass Wettbewerb in jedem Fall diese positiven Konsequenzen zeitigt. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass der Wettbewerb eine Dynamik entfaltet, die ihrerseits zu massiven Freiheitsbeschränkungen führen kann. Das gilt besonders dann, wenn er zu einer das ganze soziale Leben bestimmenden Wettbewerbsgesellschaft führt (vgl. unten 7.4.2 Die Dynamik des Wettbewerbs und die Einschränkung umfassender Freiheit). 26 Vgl. Schumpeter 1993, 163; Eucken 1990, 264–267. 27 Vgl. CaF, 15 f. 28 Vgl. oben 187. 29 Vgl. Eucken 1990, 30–43. Zu experimentellen Studien über diesen Zusammenhang vgl. Plott 2008, 3–13. Bereits Martin Luthers Kritik am unreglementierten Handel richtet sich vor allem darauf, dass dadurch Monopole entstehen, die zur einseitigen Vorteilsnahme genutzt werden (vgl. Koch 2012, 247 f.; 267 f.).
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(z. B. die Absprache, ein bestimmtes Gut nicht unter einem vereinbarten Preis zu verkaufen) eingewandt werden. Zweitens kann es auch aus dem Wettbewerb selbst heraus zur Konzentration ökonomischer Macht kommen. Grund dafür sind positive Skaleneffekte, von denen Unternehmen, die größere Mengen an Produkten herstellen oder vertreiben, profitieren. Damit sinken die Stückkosten, da fixe Kosten z. B. für Verwaltung, Miete oder Transport weniger stark ins Gewicht fallen. Insbesondere der zunehmende Einsatz von Maschinen und die Technisierung der Produktion verstärken diesen Effekt.30 Marktmacht kann auch dazu genutzt werden, Produkte durch Einführung von Industriestandards so zu gestalten, dass Konkurrenzprodukte nicht kompatibel mit den eigenen und daher weniger attraktiv sind.31 Durch diese und ähnliche Gründe sind kleine Anbieter gegenüber großen nicht konkurrenzfähig. Dies kann z. B. dazu führen, dass es in einer bestimmten Region oder Branche nur sehr wenige potenzielle Arbeitgeber gibt oder dass für ein bestimmtes Produkt nur sehr wenige Anbieter zur Verfügung stehen.32 Die so entstehenden Machtasymmetrien können von den starken Marktteilnehmern dazu genutzt werden, allein den eigenen Vorteil zu suchen. Erstens bedingt die unterschiedliche Ausstattung mit materiellen Ressourcen einen unterschiedlichen Grad an Freiwilligkeit. Dieser kann bei Preisverhandlungen ausgenutzt werden.33 Ein Beispiel dieses Zusammenhangs sind die z. T. extrem niedrigen Preise, die Menschen oder Unternehmen in existentieller Not für ihre Güter erzielen können, wenn sie nicht die Zeit haben, alternative Angebote einzuholen.34 Dasselbe Prinzip gilt jedoch grundsätzlich auf dem Arbeitsmarkt. Wer auf den monatlichen Eingang eines Lohnes angewiesen ist, hat weniger Verhandlungsspielraum bei Lohnverhandlungen als jemand, der phasenweise ohne regelmäßiges Einkommen existieren kann.35 Ein global agierender Konzern hat bei der Errichtung einer neuen Fabrik ein ungleich höheres 30 Zur Konzentration von Kapital im Zuge der Kapitalakkumulation in der kapitalistischen Produktionsweise vgl. bereits Marx, Das Kapital, Bd. 1, VII.23.2 f. (Marx 1962, 605–657, bes. 653–655). Auch Arthur Rich sieht den Wettbewerb durch technische Innovationen in einer dynamischen Wirtschaft gefährdet (vgl. Rich 1990, 188–192). Allerdings kann technische Entwicklung auch einen gegenteiligen Effekt haben, indem sie durch die Erschließung neuer Märkte, die Entwicklung von Substitutionsgütern und die Flexibilisierung von Betriebsabläufen Wettbewerb befördert (vgl. Eucken 1990, 227–230). Exemplarisch wird dies am Onlinehandel deutlich. Käufer und Verkäufer haben dadurch eine erheblich größere Gruppe potenzieller Handelspartner als auf rein lokalen Märkten. 31 Vgl. Crouch 2011, 88. Alltäglich präsente Beispiele dafür bietet der Markt für Computersoftware. 32 Vgl. Stiglitz 1997, 39. „Natürliche Monopole“, die nicht durch staatliche Protektion abgesichert werden, entstehen also insbesondere in Branchen, die hohe Markteintrittspreise (z. B. Investitionen in Maschinen, Werbung etc.) erfordern, aber für die die Produktion zusätzlicher Einheiten keinen großen Aufwand bedeutet. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Wasser‑ oder Stromversorgung oder ein Eisenbahnnetz (vgl. Feess 2004, 335–343; Mankiw 2004, 340–342). 33 Vgl. Eucken 1990, 176 f. 34 Vgl. Satz 2007, 127. 35 Vgl. dazu bereits Max Weber (Weber 1990, 531 f.).
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Maß potenzieller Arbeitnehmer als umgekehrt die Arbeitnehmer alternative Erwerbsmöglichkeiten haben.36 Zweitens besteht bei bereits bestehenden Verträgen die Gefahr, dass es zu einer Verzerrung der ursprünglichen Abmachung durch den stärkeren Vertragspartner kommt. Es ist daher bedeutend, ob den Beteiligten Alternativen offenstehen. Die Abhängigkeit eines Beschäftigten steigt, wenn ein Arbeitsplatzwechsel schwierig ist und kein staatliches Sozialsystem besteht. Hinzu kommt, dass die Beendigung eines bestehenden Verhältnisses oft mit Transaktionskosten verbunden ist (z. B. Bewerbungsaufwand, neue Gehaltseinstufung, Umzugskosten). Daher kann es Machtasymmetrien mildern, wenn neben der Möglichkeit, einen Vertrag zu beenden, auch die Möglichkeit besteht, eigene Interessen angemessen zur Geltung zu bringen.37 Drittens können Machtdifferenzen dadurch verstärkt werden, dass mächtige Akteure gezielt die Handlungsalternativen anderer einschränken und so bei künftigen Interaktionen ein größerer Vorteil für sie entsteht.38 Dies ist beispielsweise beim Preisdumping der Fall. Ein Unternehmen kann es sich leisten, vorläufig Verlust zu machen. Dadurch werden zunächst die Möglichkeiten kleinerer oder weniger solventer Konkurrenten eingeschränkt, die den Betrieb einstellen oder das Unternehmen verkaufen müssen. Letztlich sind damit auch die Kunden in ihrer Freiheit eingeschränkt, da ihnen nur noch ein möglicher Handelspartner bleibt. 3.) Ungleiche Vorteile durch unvollständigen Wettbewerb. Friedmans Erwägungen bleiben insofern richtig, als dennoch, so lange kein Zwang vorliegt, beide Beteiligten zumindest vermeintlich die jeweils beste Option (oder eben das kleinere Übel) wählen und insofern alle profitieren. Die schlecht bezahlten Fabrikarbeiter in Entwicklungsländern ziehen diese Arbeit dem Ackerbau und der Arbeitslosigkeit vor. Allerdings bleibt auch in dieser Perspektive das beschriebene Machtgefälle nicht ohne Einfluss. Durch die Kooperation findet ein effizienterer Einsatz von Ressourcen statt. Beide beteiligen sich an der Interaktion, weil sie an dem so erwirtschafteten „Gewinn“ beteiligt werden. Wie dieser jedoch verteilt wird, bleibt der Aushandlung überlassen. Zumindest hier ist davon auszugehen, dass derjenige Interaktionspartner, der leichter auf Alternativen zurückgreifen, die Interaktion zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nicht durchführen könnte, in
36 Zum Problem von Monopolen auf dem Arbeitsmarkt und damit verbundenen Freiheitseinschränkungen vgl. Eucken 1990, 43–46, 49 f., 185 f. 37 Albert O. Hirschman unterscheidet zwei Möglichkeiten, wenn sich ein Vertragsverhältnis so entwickelt, dass es für einen der Beteiligten nicht mehr vorteilhaft ist: die Abwanderung („exit option“) und den Widerspruch („voice option“). Da eine Abwanderung in der Regel mit Kosten (z. B. Transaktionskosten) verbunden und manchmal unmöglich ist, muss die Möglichkeit zum Widerspruch als Ersatz oder Komplement sichergestellt werden (vgl. Hirschman 1970, bes. 33–43, 120–126; Hirschman 1993a, 168–173 sowie konkret für die Situation von Angestellten Nutzinger 1986, 108–124). Zur Bedeutung betrieblicher Mitbestimmung vgl. oben 338. 38 Vgl. Satz 2010, 181.
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einer deutlich besseren Verhandlungsposition ist.39 Für das Verhältnis von Markt und Freiheit bedeutet dies: Eine Marktsituation bietet insbesondere denen die Möglichkeit, eigene Ziele zu erreichen, die dafür günstige Ausgangspositionen haben. Dadurch verstärkt sich die ungleiche Verteilung noch, was wiederum zum Entstehen neuer Abhängigkeitsverhältnisse führen kann. Einem Verlust an Freiheit der einen steht dann ein Gewinn an Macht der anderen gegenüber. Daher zeigt sich: Freiwilligkeit von Interaktion ist nicht allein dadurch gesichert, dass der Staat sich aus Eingriffen in gesellschaftlichen Austausch zurückhält. Im Gegenteil, es ergibt sich das Dilemma, dass ein unregulierter Markt Dynamiken freisetzt, die letztlich zur Einschränkung von Wettbewerb führen und so Freiheit unterminieren.40 Im Zuge der Überlegungen über die Aufgaben des Staates wird zu fragen sein, wie dieser die Akkumulation ökonomischer Macht begrenzen kann. Friedmans ursprüngliche, „neoliberale“ Einsicht ist also gegenüber der späteren Verabsolutierung des negativen Freiheitsbegriffs sachgemäßer.41 7.3.2 Unvollständige Informiertheit und mangelhafte Verarbeitung von Informationen Im Zuge der Diskussion über Friedmans Vorstellung der „revealed preferences“ wurde bereits deutlich, dass es keinen automatischen Zusammenhang zwischen freiwilligen Handlungen und individuellem Vorteil gibt.42 Die Tatsache, dass ein Produkt für einen bestimmten Preis gekauft wird, ist nicht identisch mit der Frage, welchen Nutzen der Käufer daraus zieht.43 Es ist bemerkenswert, dass 39 Dieses
Argument lässt sich ökonomisch mit Hilfe der Wohlfahrtstheorie fundieren: Trifft eine elastische Nachfrage auf ein unelastisches Angebot, so liegen die Wohlfahrtsgewinne vornehmlich beim Nachfrager; ist das Arbeitsangebot vollkommen unelastisch (d. h. gleichbleibend für alle Preise), schöpft der Nachfrager die verfügbaren Renten vollständig ab (z. B. ein monopolistischer Arbeitgeber, der eine Vielzahl möglicher Arbeitnehmer hat). Dasselbe gilt im umgekehrten Fall bei unelastischer Nachfrage und elastischem Angebot, also z. B. wenn ein Anbieter auf einem monopolistischen Markt ein zum Überleben notwendiges Gut anbietet. Derselbe Sachverhalt wird in der experimentellen Ökonomik dadurch ausgewiesen, dass im Ultimatumspiel (vgl. oben 270 Anm. 62) die erzielte Teilungsrate rapide sinkt, sobald Spieler A eine größere Zahl potenzieller Partner zur Verfügung steht (vgl. Fehr und Fischbacher 2002, C8–C10). 40 Vgl. Rich 1990, 192. 41 Vgl. oben II.8.2.6 Vom Neo-Liberalismus zum Laissez-faire-Liberalismus. 42 Vgl. oben 2.2.3 „Revealed Preferences“: Fragwürdige Identifikation von Präferenzen und Wahlakten. Verzichtet man auf diese Einschränkung, ist die These von der Vorteilhaftigkeit freiwilliger Interaktion wie gezeigt letztlich tautologisch (vgl. oben 2.2.1 Nutzenmaximierung: Zirkuläre Argumentation, problematische Verallgemeinerung und Grenzen des ökonomischen Imperialismus). 43 Nutzen ist daher nicht identisch mit der Konsumentenwohlfahrt im Sinne der Wohlfahrtsökonomik (vgl. Crouch 2011, 88). Auch diese ist vom Problem asymmetrischer Information betroffen. Seine nutzenmindernden Effekte gehen jedoch über die wohlfahrtsmindernden hinaus.
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auch Friedman neben der Freiwilligkeit eine weitere Voraussetzung dafür nennt, dass Interaktion für alle Beteiligten von Vorteil ist: Beide Seiten müssen über Implikationen und (erwartbare) Konsequenzen der Interaktion informiert sein. Darauf basiert Friedmans Argument, dass Menschen, die einem Tausch freiwillig zustimmen, dies nur dann tun, wenn sie gemäß ihrer eigenen Präferenzen einen Vorteil davon haben. 1.) Das Problem unvollständiger Informiertheit. Es ist jedoch offensichtlich, dass diese Bedingung nicht erfüllt ist. Friedman gesteht dies explizit zu.44 In der Ökonomik wird das Problem unvollständiger Informiertheit eines Vertragspartners unter dem Stichwort „asymmetrische Information“ ausführlich diskutiert.45 George Akerlof führte das einleuchtende Beispiel des Handelns mit Gebrauchtwagen, bei dem der Käufer die Qualität des Produktes nicht erkennen kann, in die Debatte ein.46 Für die Frage nach der Vorteilhaftigkeit von Transaktionen auf dem Markt ist das Phänomen unvollständiger Information in zweierlei Hinsicht relevant. Erstens führt es dazu, dass aus individueller Sicht keineswegs jede freiwillige Interaktion von Vorteil ist. Im Gegenteil gehört die Möglichkeit des Irrtums grundsätzlich zu den Bedingungen, unter denen sich Tauschbeziehungen auf dem Markt gestalten.47 Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass aufgrund der asymmetrischen Verteilung von Information ein Vertragspartner die Möglichkeit – und unter Umständen auch ein Interesse – daran hat, relevante Informationen gezielt zu verschleiern. Zweitens kann das Wissen um Informationsasymmetrien zu einer adversen Selektion führen. Dies bedeutet, dass bestimmte Märkte unter Umständen ganz zum Erliegen kommen. Wenn Käufer wissen, dass Verkäufer für ein gutes Auto denselben Preis wie für ein schlechtes Auto verlangen können, werden sie von vornherein nur den Preis für ein schlechtes Auto bezahlen. Daher lohnt sich der Verkauf guter Gebrauchtwagen nicht und eine Negativspirale kann einsetzen, die dazu führt, dass gar keine Gebrauchtwagen gehandelt werden.48 So kommt es durch das Phänomen 44 Vgl. Friedman 1987m, 165. Allerdings ist er ein Vertreter der neoklassischen Ökonomik, die diesen Sachverhalt für vernachlässigenswert hält und ihn daher in der Theoriebildung konsequent ignoriert (vgl. Stiglitz 1997, 5 f.). 45 Vgl. Stiglitz 1997, 36 f.; Feess 2004, 563–566; Mankiw 2004, 518–502. „Asymmetrische Information“ bezeichnet eine Situation, in der beide Vertragspartner nicht über die identischen Informationen verfügen. Unterschieden wird zwischen „unvollständiger“ und „unvollkommener Information“. Erstere beschreibt eine Situation, in der nur ein Vertragspartner bei Vertragsschluss Informationen über den betreffenden Gegenstand (z. B. seine eigene Qualifikation für einen Arbeitsplatz) kennt. Als „unvollkommen“ wird eine Information bezeichnet, bei der ein Vertragspartner nach Vertragsschluss sein Verhalten opportunistisch anpassen kann, ohne dass der Andere dem hinreichend entgegenwirken kann. Daher entsteht in diesem (hier nicht weiter verfolgten) Fall das Problem des „moral hazard“ (z. B. durch geringen Einsatz bei leistungsunabhängigem Lohn oder geringen Vorsichtsmaßnahmen nach Abschluss einer Versicherung; vgl. Feess 2004, 567–605). 46 Vgl. Akerlof 1970, 489 f. 47 Vgl. Satz 2010, 27 f. 48 Vgl. Akerlof 1970, 489 f.; Feess 2004, 631 f.; Richter und Furubotn 2010, 259–261.
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unvollständiger Informiertheit nicht nur dazu, dass Individuen für sich selbst unvorteilhafte Tauschgeschäfte durchführen. Es ist auch möglich, dass gesamtwirtschaftlich suboptimale Ergebnisse erzielt werden.49 Auch die Finanzkrise ab 2007 kann als ein Ergebnis unvollständiger Informiertheit interpretiert werden.50 2.) Das Problem mangelhafter Informationsverarbeitung. Friedmans Logik allgemein vorteilhafter Verträge wird aber nicht nur dann durchbrochen, wenn den Beteiligten die erforderlichen Informationen fehlen. Dies ist auch dann der Fall, wenn sie einzelne Informationen falsch interpretieren oder bei ihren Entscheidungen nicht hinreichend berücksichtigen.51 Die bloße Verfügbarkeit von Informationen ist also kein ausreichendes Kriterium dafür, dass Personen zu ihrem eigenen Vorteil entscheiden. Ausschlaggebend ist darüber hinaus die Kompetenz, verfügbare Informationen zu bewerten. Nur wer über ein ausreichendes Maß an Bildung verfügt, kann tatsächlich einschätzen, ob eine bestimmte Interaktion für ihn von Vorteil ist. Hohe ökonomische und gesellschaftliche Relevanz bekommt diese Problematik beispielsweise durch die Privatisierung der Altersvorsorge, die breite Gruppen der Bevölkerung mit komplexen Entscheidungen und einer Vielzahl nur schwer zu durchschauenden und vergleichbaren Alternativen konfrontiert. 3.) Transaktionskosten und wirtschaftliche Macht. In Anbetracht der beschriebenen Problemlage werden sich rational handelnde Menschen darum bemühen, ihren Informationsstand zu verbessern und angemessen zu reflektieren. Dies ist jedoch mit Transaktionskosten (Zeitaufwand, Beraterhonorare etc.) verbunden. Das bedeutet, dass nur Menschen mit ausreichendem Startkapital in der Lage sind, sich die erforderlichen Informationen zu beschaffen. Ein hoher Bildungsgrad führt dazu, dass Menschen eher abschätzen können, in welchen Fällen und 49 Ein weiteres beliebtes Beispiel für adverse Selektion bildet das Angebot für Versicherungen, bei denen der Versicherte sein Risiko besser einschätzen kann als der Versicherer (z. B. Lebens‑ oder Krankenversicherungen). Der Versicherer muss dann damit rechnen, dass vornehmlich Menschen aus der Risikogruppe eine Versicherung abschließen und wird seine Prämien entsprechend gestalten. Für Menschen mit geringem Risiko kann dies dazu führen, dass sich eine Versicherung für sie nicht lohnt (vgl. Akerlof 1970, 492–494; Mankiw 2004, 520). Zu anderen Problemen als der adversen Selektion vgl. Mankiw 2004, 503–507. 50 In diesem Fall wurden Risiken, die mit bestimmten Immobilienkrediten verbunden waren, systematisch falsch eingeschätzt. Dies führte zu einer massiven Überbewertung der damit verbundenen Finanzpapiere. Der Finanzmarkt scheiterte also an der ihm zugeschriebenen Funktion, den Wert der betreffenden Unternehmen realistisch abzubilden (vgl. Crouch 2011, 167 f.; Vogl 2011, 97 f.). Verstärkt wurde dieser Effekt dadurch, dass der Handel mit Derivaten Anreize dafür schuf, gerade nicht auf die realen Werte der Papiere zu achten, sondern auf denjenigen Wert, den sie in den Augen anderer (ebenfalls schlecht informierter) Akteure hatten. Die Preise der Zertifikate spiegelten also nicht ihren realen Wert, sondern die Erwartungen anderer wider (Crouch 2011, 147 f.; Vogl 2011, 155f). 51 Dieses Argument greift zurück auf die oben dargestellten Einsichten der experimentellen Ökonomik, wonach Entscheidungen zwischen identischen Alternativen auch davon abhängen, wie diese präsentiert werden (vgl. oben 279). Zahlreiche lebensnahe Beispiele finden sich bei Thaler und Sunstein 2009, bes. 31–60.
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auf welchen Wegen es für sie lohnenswert ist, den eigenen Informationsstand zu verbessern. Der Aufwand von Informationskosten lohnt sich außerdem eher, je höher die eingesetzten Summen sind bzw. je öfter bestimmte Transaktionen getätigt werden. Während sich ein Kleinanleger meist auf den Rat eines Bankberaters oder auf Provisionsbasis arbeitenden Finanzdienstleisters verlässt, lohnt es sich bei der Investition größerer Beträge umso mehr, eine kostenpflichtige unabhängige Beratung zu suchen. Informationsasymmetrien und die Konzentration ökonomischer Macht verstärken sich somit gegenseitig.52 Dazu gehört, dass die besser Informierten und Ausgestatteten sich typische Muster von Fehlinterpretationen gezielt zunutze machen und so Menschen zu für diese nur scheinbar vorteilhaften Tauschakten verleiten können.53 Auch Werbung kann dazu eingesetzt werden, dass gezielt der (falsche) Eindruck erweckt wird, ein Gut diene der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse.54 Am Beispiel der RatingAgenturen wird außerdem deutlich, dass diejenigen, die auf dem freien Markt die Aufgabe haben, Informationen aufzubereiten, selbst Marktteilnehmer sind und so eigenen Interessen folgen.55 Insgesamt verstärkt sich also unter Marktbedingungen die Differenz zwischen jenen, die aufgrund ihrer ökonomischen Macht die Möglichkeit haben, erforderliche Informationen zu erhalten und angemessen zu interpretieren, und jenen, die dazu nicht in der Lage sind. Von Interaktionen auf freien Märkten profitieren diejenigen in höherem Maße, die mit den besseren Ausgangsbedingungen ausgestattet sind. 4.) Marktkonforme Lösungsansätze für das Problem unvollständiger Informiertheit. Friedman erachtet die unvollständige Informiertheit jedoch nicht als problematisch. Er geht davon aus, dass der Markt von selbst Mechanismen entwickelt, die dazu führen, dass letztlich doch alle Menschen nur zu ihrem eigenen Vorteil handeln. Er führt dafür die Bildung von Reputation sowie von Zwischenhändlern und Bewertungsagenturen an.56 In der ökonomischen Literatur werden außerdem weitere Signale diskutiert, durch die das Problem asymmetrischer Informationen überwunden werden kann (z. B. Garantien, Markennamen, formale Bildungsabschlüsse).57 Sie alle gehen davon aus, dass auch der besser Informierte ein Interesse daran hat, die Interaktionspartner zufrieden zu 52 Vgl. Stiglitz 1997, 39; Crouch 2011, 72 f. Exemplarisch wird dies deutlich an höheren Kosten, die weniger Gebildete auf dem US-amerikanischen Hypothekenmarkt zu tragen haben (vgl. Thaler und Sunstein 2009, 182–185). 53 Vgl. Thaler und Sunstein 2009, z. B. 19, 115–117, 124 f. Zu hohe Transaktionskosten für Verbraucher sind auch der Grund, warum es Verkäufern häufig gelingt, Verträge mit für sie selbst günstigen allgemeinen Geschäftsbedingungen abzuschließen (vgl. bereits Eucken 1990, 51 f.). 54 Vgl. Crouch 2011, 82. 55 Vgl. Hübner 2011, 330 f. 56 Vgl. FtC, 222 f., 226; Friedman 1983c, 164 f. 57 Vgl. Akerlof 1970, 499 f.; Stiglitz 2002, 490–503; Richter und Furubotn 2010, 263 f.; Feess 2004, 634–645. Daneben gibt es in manchen Fällen auch die Möglichkeit des Screenings, bei dem der in Bezug auf bestimmte Eigenschaften weniger gut Informierte (z. B. ein Versicherungs-
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stellen. Dies dient seinem langfristigen Eigeninteresse. Die Voraussetzung vollständiger Informiertheit wird nach dieser Vorstellung überflüssig für die These, freiwillige Interaktion führe stets zu allseitigen Vorteilen. Überzeugen kann dieses Argument jedoch nur sehr bedingt. In regelmäßig stattfindenden (a) Tauschbeziehungen mit identifizierbaren Partnern (b) und klar feststellbaren Ergebnissen (c) hat es seine Berechtigung. Ein Bäcker kann altes Brot nur sehr kurze Zeit als frisches Brot verkaufen, ohne ökonomischen Schaden zu nehmen. Dieser Effekt tritt aber in den Hintergrund, wenn eine der drei genannten Bedingungen nicht erfüllt ist. a) Findet eine Interaktion nicht regelmäßig statt, sondern nur einmalig oder gelegentlich, ist die Zufriedenheit des einzelnen Kunden nicht unmittelbar relevant. Allenfalls indirekt kann ein Imageschaden entstehen, der andere potenzielle Kunden beeinflusst. Inwiefern dies relevant für einen Verkäufer ist, hängt davon ab, in welchem Maße er damit rechnen muss, dass individuelle Erfahrungen an die Öffentlichkeit geraten, und davon, wie regelmäßig er als Verkäufer auftritt.58 So kann beispielsweise ein privater Verkäufer eines Gebrauchtwagens an einen Unbekannten die Gefahr eines negativen Images völlig ignorieren. b) Friedman selbst weist darauf hin, dass die Anonymisierung von Austauschbeziehungen ein Grundzug der Marktwirtschaft ist.59 Dies führt dazu, dass Zulieferer oder Mutterkonzerne oft gar nicht erkennbar sind. Gerade bei Vertragsabschlüssen über Internetplattformen treten häufig Zwischenhändler auf. Der eigentliche Vertragspartner ist so oft nicht erkennbar. Zunehmende Anonymisierung führt auch dazu, dass Geschäftsmodelle möglich sind, die geringen Wert auf Reputationsgewinn legen. c) Das Problem unvollständiger Informiertheit stellt sich insbesondere bei Vertrauensgütern, bei denen der Konsument die Qualität selbst gar nicht beurteilen kann.60 Dazu gehört etwa eine medizinische Behandlung, aber auch die bereits erwähnten Produkte der Altersvorsorge. Letztere zeigen ihre Qualität überhaupt erst deutlich nach Abschluss der Interaktion. Es ist fraglich, ob das Image für den Verkäufer dann überhaupt noch von Belang ist. Aber auch zum Zeitpunkt der Auszahlung lässt sich die Qualität eines Produktes nicht einfach, sondern nur durch den komplexen Vergleich mit alternativen Produkten beurteilen. Im Falle von mit Schadstoffen belasteten Lebensmitteln, Nebenwirkungen durch Medikamente oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen ist überhaupt nur in den seltensten Fällen ein direkter Zusammenhang von Produkt und Folgewirkung eindeutig nachweisbar. Auch stellt sich hier das Problem, dass häufig der Vorteil des Verkäufers zeitlich unternehmen) Vertragsangebote so gestaltet, dass die Reaktion der Interaktionspartner die fehlenden Informationen erkennbar werden lässt (vgl. Feess 2004, 646–654). 58 Ein vollständiger Verzicht auf das Ausnutzen von Informationsasymmetrien ist nur unter der Annahme unendlich vieler Wiederholungen ökonomisch rational (vgl. Tirole 1988, 122 f.). 59 Er beruft sich auf dieses Argument zur Unterstützung seiner These, ein freier Markt erschwere Diskriminierung (vgl. CaF, 21; Zitat oben 114 Anm. 24). 60 Vgl. Endres und Lüdeke 2001, 110.
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so weit vor Eintreten der negativen Konsequenzen liegt, dass es nicht unbedingt in seinem Eigeninteresse liegt, von sich aus negative Konsequenzen für den Interaktionspartner zu vermeiden.61 Es kann also keineswegs davon ausgegangen werden, dass schon das aufgeklärte Eigeninteresse aller Marktteilnehmer dafür sorgt, dass auch ohne hinreichende Informiertheit freiwillige Interaktionen stets zu allseitigem Vorteil führen. Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer führen dazu, dass eine beiderseitige Vorteilhaftigkeit selbst dann nicht allgemein vorausgesetzt werden kann, wenn Freiwilligkeit gewährleistet ist. Der Effekt verstärkt sich, wenn das Problem unvollständiger Informiertheit mit dem der Konzentration ökonomischer Macht zusammenkommt. Das ist der Fall bei marktbeherrschenden Medienkonzernen, sei es im Bereich herkömmlicher Medien oder z. B. bei Suchmaschinen im Internet.62 5.) Unvollständige Informiertheit und umfassende Freiheit. Damit zeigt sich, dass Friedman zwar insofern Recht hat, als asymmetrische Informiertheit nicht zwangsläufig dazu führt, dass besser informierte Interaktionspartner den Anderen ausnutzen können. Marktmechanismen reichen aber keineswegs immer dafür aus, dies auszuschließen. Daher liegt es nahe, auch die beiden anderen Institutionen, die menschliches Zusammenleben ordnen – Staat und Moralität – in den Blick zu nehmen. Einerseits relativieren sich die Probleme erheblich, wenn sich Interaktionen durch Ehrlichkeit und gegenseitiges Vertrauen auszeichnen.63 Andererseits scheint es auch offensichtlich, dass staatliche Eingriffe die Vorteilhaftigkeit von Marktprozessen fördern können, wenn sie die Verfügbarkeit und angemessene Interpretation von Informationen verbessern.64 Hinzu kommt ein weiterer Gedanke: Unvollständige Informiertheit oder fehlerhafte Interpretation von Informationen führen dazu, dass Menschen nicht in Übereinstimmung mit ihren Präferenzen handeln. Damit sind nicht nur die Folgen ihrer Handlungen aus ihrer Sicht unter Umständen negativ. Sie sind auch in ihrer eigenständigen, bewussten Lebensführung eingeschränkt.65
7.4 Prinzipielle Grenzen des Marktes bei der Realisierung umfassender Freiheit Bisher wurde ausgeführt, dass der Institution des Marktes eine große Bedeutung für die Realisierung umfassender Freiheit zukommt. Zugleich hängen ihre po61 Das Problem ist also, dass wir es in der Realität – anders als in spieltheoretischen Modellierungen zur Überwindung asymmetrischer Informationen – aufgrund der Endlichkeit des menschlichen Lebens nicht mit unendlich vielen Wiederholungen zu tun haben. 62 Vgl. Hübner 2011, 211 f., 287–291. 63 Vgl. Akerlof 1970, 500. 64 Vgl. Stiglitz 1997, 28 f.; Richter und Furubotn 2010, 264. 65 Vgl. Satz 2007, 124 f.
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sitiven Konsequenzen von Bedingungen wie dem Vorhandensein von Alternativen und vollständiger Informiertheit der Interaktionspartner ab, die auf realen Märkten nie vollständig erfüllt sind. Demgegenüber soll nun darauf hingewiesen werden, dass auch ideale Märkte Züge aufweisen, die in Spannung zur Realisierung umfassender Freiheit stehen können. 7.4.1 Markt und Güterallokation Ein großer Vorzug des idealen Marktes ist, dass er eine effiziente Verteilung von Ressourcen gemäß den tatsächlichen Präferenzen von Menschen garantiert. Damit trägt er positiv zur Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, bei. Doch auch wenn man ökonomische Abhängigkeit und mangelnde Informiertheit ausblendet, zieht dieses Verfahren Probleme nach sich. Erstens erfolgt die Allokation von Gütern durch den Markt nicht nach Präferenzen und ihrer Dringlichkeit, sondern nach Präferenzen, sofern sie mit Kaufkraft verbunden sind. So kann in Industrienationen die Versorgung von Haustieren mit Psychopharmaka sichergestellt werden, nicht aber in Entwicklungsländern die Versorgung von Menschen mit sauberem Wasser. Auch bei der Verteilung einzelner Güter kommt es zu entsprechenden Verzerrungen: So kann eine Verteilung von Benzin über das Preissystem dazu führen, dass es eher für Vergnügungsfahrten im Geländewagen als für Alltagsbesorgungen von Geringverdienern zur Verfügung steht.66 Während der Markt also zur Realisierung von Tauschgerechtigkeit beiträgt, scheitert er an den Anforderungen der Bedürfnisgerechtigkeit. Grund dafür ist in erster Linie, dass im Marktprozess stets eine Verteilung des Eigentums vorausgesetzt ist. Je ungleicher diese ist, desto weniger wird die Güterallokation gemäß der Dringlichkeit von Bedürfnissen erfolgen.67 Zweitens wurde darauf hingewiesen, dass es durchaus so etwas wie „Ungüter“ und „meritorische Güter“ gibt, deren Wert sich nicht allein anhand der tatsächlichen Nachfrage bemessen lässt.68 Somit ist es nicht ausschließlich ein positives Merkmal, wenn der Markt eine effiziente Versorgung mit allen Gütern sicherstellt – etwa bei Gütern, die dem Wunsch dienen, andere zu demütigen.69 Umgekehrt kann es gute Gründe dafür geben, eine Grundversorgung mit Gütern, die für die Verwirklichung umfassender Freiheit unerlässlich sind – z. B. Bildung, Gesundheitsversorgung –, 66 Dieser Effekt verstärkt sich unter den Bedingungen der Globalisierung, wenn etwa die Bewohner von Industrieländern mit Menschen in Entwicklungsländern um deren landwirtschaftliche Produkte (bzw. die Verwendung der Anbaufläche) konkurrieren. Dies kann dazu führen, dass in einem Land mit Nahrungsmitteln der Anbau von Luxusgütern „effizienter“ ist als der von Grundnahrungsmitteln (vgl. Thielemann 2010, 43). 67 Entsprechend nimmt mit steigender Dringlichkeit des Bedürfnisses die Bereitschaft ab, eine Verteilung mittels des Preissystems als angemessen zu akzeptieren (vgl. Frey 1990a, 146– 149). 68 Vgl. oben 286. 69 Vgl. Satz 2010, 76.
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auch außerhalb des Marktes sicherzustellen.70 Der dahinter stehende Gedanke ist es, dass Menschen aufgrund des gleichen Rechts auf umfassende Freiheit auch dann einen Anspruch auf diese Güter haben, wenn sie bei einer Umverteilung von Geld zunächst den Konsum anderer Güter vorziehen würden.71 Drittens gibt es Güter, die aufgrund ihrer eigenen Funktion eine Verteilung durch den Markt ausschließen. So verlieren etwa Ehre, Liebe oder Nobelpreise ihre ursprüngliche Bedeutung, sobald sie im Sinne von Leistung und Gegenleistung verkauft oder getauscht werden können.72 7.4.2 Die Dynamik des Wettbewerbs und die Einschränkung umfassender Freiheit Der prinzipielle Vorzug des Marktes besteht darin, dass er in formaler Hinsicht keine Einschränkung von Handlungsalternativen vornimmt. Dennoch muss dies nicht zwangsläufig bedeuten, dass damit auch tatsächlich die größte Zahl von Möglichkeiten zur Wahl steht. Im Gegenteil, eine rein nach dem Marktprinzip strukturierte Gesellschaft führt eher dazu, die Handlungsoptionen einzelner einzugrenzen. Diesen Zusammenhang hat Max Weber pointiert dargestellt.73 Im Anschluss an ihn beschreibt Peter Ulrich den Markt als einen „anonyme[n] Zwangszusammenhang“74. Als Anbieter von Arbeitskraft und Nachfrager von Gütern sind alle Menschen auf die Partizipation am Markt angewiesen. Menschen, die dem Wirtschaften nur einen eingeschränkten Stellenwert zuschreiben, haben dabei stets das Nachsehen gegenüber Konkurrenten, die danach streben, ihre Leistung und ihre Konsummöglichkeiten zu maximieren. Weniger effiziente Teilnehmer werden in einer Form negativer Selektion aus dem Marktgeschehen ausgeschlossen. So kommt es zur Etablierung einer eigengesetzlichen Funktionslogik, der sich der Einzelne nur noch ergeben kann. Dies hat zur Konsequenz, dass Lebensstile, die ökonomischem Gewinnstreben einen untergeordneten Stellenwert beimessen, in einer Marktgesellschaft marginalisiert, ja letztlich un70 Dem entspricht z.B. auch Friedmans Vorschlag von Bildungsgutscheinen (vgl. oben II.Exkurs: Staatliche Aktivität im Bildungsbereich). 71 Vgl. Satz 2010, 78 f.; Meeks 1992, 17. 72 Vgl. Walzer 1983, 102 f. 73 Vgl. Weber 1973, 79: „Die Marktgemeinschaft ihrerseits kennt direkten Zwang […] formal ebenfalls nicht. Sie gebiert an seiner Stelle aus sich heraus ebenfalls eine Zwangslage – und zwar diese prinzipiell unterschiedslos gegen Unternehmer, Produzenten wie Konsumenten – in der ganz unpersönlichen Form der Unvermeidlichkeit, sich den rein ökonomischen ‚Gesetzen‘ des Marktkampfs anzupassen, bei Strafe des (mindestens relativen) Verlustes an ökonomischer Macht, unter Umständen von ökonomischer Existenz überhaupt. […] Eine formell noch so viele ‚Freiheitsrechte‘ und ‚Ermächtigungen‘ verbürgende und darbietende und noch so wenig Gebots‑ und Verbotsnormen enthaltende Rechtsordnung kann daher in ihrer faktischen Wirkung einer quantitativ und qualitativ sehr bedeutenden Steigerung nicht nur des Zwangs überhaupt, sondern auch einer Steigerung des autoritären Charakters der Zwangsgewalt dienen.“ Vgl. außerdem Weber 1990, 709; Weber 1988b, 37, 56. 74 Ulrich 2008, 149; vgl. Ulrich 2008, 147–158. Eine Paralle findet sich interessanterweise bei Frank Knight (vgl. Knight 1951b, 66).
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möglich werden. Ulrich Beck weist in Anschluss an Richard Sennett darauf hin, dass dies auch für die „Selbstunternehmer“ gilt, die sich „in der Illusion [… ihrer] grenzenlosen Autonomie“75 das Marktprinzip als Grundsatz des eigenen Lebens aneignen. Individuelle Freiheit wird so durch die Dynamik des Marktes erheblich eingeschränkt.76 Debra Satz verdeutlicht den Zusammenhang am Beispiel von Kinderarbeit: In formaler Hinsicht ist es eindeutig eine Einschränkung von Freiheit, wenn Kinderarbeit verboten wird. Ist dies jedoch nicht der Fall, stehen dem Arbeitsmarkt zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung. Dies führt zu einer Absenkung der Löhne für Erwachsene, weswegen arme Familien auf ein zusätzliches Einkommen angewiesen sind. Durch die rechtliche Möglichkeit der Kinderarbeit wird ihnen die Möglichkeit, auf Kinderarbeit zu verzichten, genommen.77 So kommt es durch die Dynamik des Wettbewerbs dazu, dass Menschen über bestimmte Wahlmöglichkeiten (z. B. diejenige, dass ihre Kinder zur Schule gehen anstatt zu arbeiten) nicht verfügen können.78 7.4.3 Die normative Basis von Freiheit als Grenze des Marktes In dieser Arbeit besteht eine Übereinstimmung mit Friedman dahingehend, dass die Vorzüge des Marktes in seinem Beitrag zur Verwirklichung des allen Menschen gleichen Rechts auf Selbstbestimmung liegen. Damit liegt jedoch ein Gedanke nahe, den Friedman in dieser Form nicht aufgreift: Vom positiv zu würdigenden Marktgeschehen sind diejenigen Tauschakte ausgenommen, die direkt in Widerspruch zur personalen Gleichheit der Menschen79 stehen oder deren gesellschaftliche Achtung gefährden.80 Klassischerweise wird diese 75 Beck
und Willms 2001, 92. Ulrich 2008, 240–249; Thielemann 2010, 93, 226–232. Andreas Grabenstein weist darauf hin, dass sich eine entsprechende Dynamik nicht nur innerhalb einer einzelnen Gesellschaft, sondern auch im Wettbewerb zwischen mehreren Gesellschaften entwickelt (vgl. Grabenstein 1998, 469–471). Weber und Ulrich beschreiben auf analytischer Ebene überzeugend die Dynamik einer „reinen“ Marktgesellschaft. Diese lässt sich in marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaften tatsächlich beobachten, auch wenn durchaus „Nischen“ für alternative Lebensmodelle bestehen bleiben, die nicht zwangsläufig zu einer vollständigen Exklusion vom Markt führen. 77 Vgl. Satz 2007, 135–137; Satz 2010, 101, 159–166 und ähnlich bereits Eucken 1990, 44. Ähnliche Zusammenhänge beschreibt Satz für einen Kreditmarkt, der es erlaubt, die eigene Arbeitskraft zu verpfänden (vgl. Satz 2010, 180). 78 Jörg Hübner weist auf die besondere Rolle der Finanzmärkte in diesem Zusammenhang hin. Diese entwickeln ein Dynamik, die das gesamte Wirtschaftssystem einbezieht und ein Wirtschaften unmöglich macht, das nicht an kurzfristiger Renditemaximierung orientiert ist (vgl. Hübner 2009, 185 f.). 79 Vgl. oben 7.4.3 Die normative Basis von Freiheit als Grenze des Marktes. 80 Vgl. Satz 2010, 100–104, bes. 173: „The central idea I defend here is that where certain competitive markets undermine or block egalitarian relationships between people, there is a 76 Vgl.
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Einschränkung in Zusammenhang mit der Frage diskutiert, ob Menschen sich selbst in die Sklaverei verkaufen dürfen. Folgt man der Logik, dass jede freiwillige Interaktion zu akzeptieren ist, so lange sie anderen nicht schadet, gilt dies auch im angesprochenen Fall. In der Tat sind Situationen extremer Not denkbar, in denen es Menschen vorziehen, die eigene Freiheit gegen Nahrung oder medizinische Versorgung zu tauschen. Fraglich ist jedoch, ob solche Formen des Tausches legitim sind. Je nach Einschätzung kann die Funktion des Staates, umfassende Freiheit zu schützen, verlangen, dass der Staat die Durchsetzung des Sklaverei-Vertrages schützt oder gerade behindert. Friedman selbst äußert sich zur Frage nicht. Konsequent weitergedacht scheint es aber nicht möglich, dass er eine ablehnende Position systematisch begründen könnte.81 Wie schon in Zusammenhang der Überlegungen zum Verhältnis von Freiheit und Verantwortung82 erweist es sich als ein Defizit, dass Friedman die Grundlagen bedingter Freiheit nicht als Kriterium für ihren Gebrauch heranzieht. Demgegenüber ist zu betonen: Da Menschen zur Selbstbestimmung bestimmt sind, sind – auch freiwillige – Handlungen abzulehnen, die ein selbstbestimmtes Leben unmöglich machen. Folgt man diesem Gedanken, so lässt sich gegen eine freiwillige Sklaverei der bereits von John Stuart Mill formulierte Einwand anbringen, dass Freiheit nicht die Möglichkeit ihrer eigenen Auflösung impliziert.83 Als Fälle, bei denen Markttransaktionen in Konflikt zur personalen Gleichheit der Menschen geraten, können beispielsweise auch der Handel mit Organen, mit manchen Formen sexueller Verfügbarkeit oder mit Wählerstimmen angesehen werden.84 Es gibt also Tauschgeschäfte, die auch unter idealen Marktbedingungen in Widerspruch zu den Grundprinzipien umfassender Freiheit stehen. Sie sind daher nicht vom Recht auf Selbstbestimmung her zu rechtfertigen.
case for market regulation, even when such markets are otherwise efficient or arise on the basis of choice.“ 81 Vgl. entsprechend Nozick 1974, 331: „The comparable question about an individual is whether a free systems will allow him to sell himself into slavery. I believe that it would. […] [A]ny individual may contract into any particular constraints over himself and so may use the voluntary framework to contract himself out of it.“ 82 Vgl. oben 5.4 Maßstab der Verantwortung: Die Bedingungen menschlicher Freiheit. 83 Vgl. dazu bereits Jean-Jacques Rousseaus gegen Hugo Grotius gerichtetes Argument in Rousseau, Du Contract Social I.4 (Rousseau 1964, 356): „Renoncer à sa liberté, c’est renoncer à sa qualité d’homme, aux droits de l’humanité, même à ses devoirs. […] Une telle renonciation est incompatible avec la nature de l’homme, et c’est ôter toute moralité à ses actions que d’ôter toute liberté à sa volonté. Enfin c’est une convention vaine et contradictoire de stipuler d’une part une autorité absolue et de l’autre une obéissance sans bornes.“ Vgl. Mill 1977, 300: „The principle of freedom cannot require that he should be free not to be free. It is not freedom, to be allowed to alienate his freedom.“ 84 Vgl. Satz 2010, 135–153, 189–210; Eidenmüller 1998, 385–388.
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Teil III: Kritische Diskussion
7.4.4 Das liberale Paradoxon und die Einschränkung normativer Präferenzautonomie Ein grundlegendes Problem zeigt sich, wenn man nicht die Wahlmöglichkeiten innerhalb eines bestehenden Systems in den Blick nimmt, sondern nach dem vorzugswürdigen Gesamtsetting fragt. Friedman unterstellt, dass durch die Gewährleistung individueller Freiheit Menschen am ehesten in die Lage versetzt werden, die von ihnen angestrebten Ziele zu erreichen, ohne dabei die Rechte anderer zu verletzen. Amartya Sen hat hingegen gezeigt, dass beide Anliegen in einen logischen Widerspruch treten können, wenn es um die Wahl sozialer Zustände geht. Es ist möglich, dass die Gewährleistung von Freiheit zu einem Ergebnis führt, das von allen Beteiligten schlechter bewertet wird als eine Alternative.85 Die Spannung zwischen den Prinzipien des Freiheitsglaubens und der Präferenzautonomie wird deutlich, wenn man die in westlichen Gesellschaften verbreiteten Vorlieben für wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen in den Blick nimmt.86 Friedman billigt es den Mitgliedern dieser Gesellschaften gerade nicht zu, ihre Ziele mit den dafür adäquaten Mitteln zu verfolgen. Dieses liberale Paradoxon ist für Friedman insofern nicht problematisch, als er das liberale Prinzip dem Grundsatz der Pareto-Optimalität87 eindeutig vorordnet. Ein Vorzug des Marktes gegenüber staatlichen Regelungen steht daher nicht in Konflikt mit dem Grundsatz, dem Einzelnen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zuzubilligen. Spannungen ergeben sich aber in Bezug auf den Grundsatz der normativen Präferenzautonomie, die Friedman dem Freiheitsglauben zugrunde legt. Die These, dass eine freiheitliche Gesellschaft ein pareto-optimales Ergebnis zeitigt, setzt voraus, dass keine sozialen Präferenzen wie Missgunst oder (paternalistisches) Wohlwollen vorliegen. Friedman könnte die Harmonie-Vorstellung allenfalls dadurch retten, dass er negative Freiheit als Kriterium dafür verwendet, 85 Vgl. Sen 1970. Sen erläutert dies am Beispiel der Frage, wer ein Buch mit pornographischem Inhalt lesen soll (vgl. Sen 1970, 155). Er betrachtet dabei zwei Personen: die prüde Person 1 und die frivole Person 2. Person 1 zieht es vor, wenn keiner das Buch liest. Bevor jedoch Person 2 das Buch liest, würde sie es eher selbst lesen, da sie sich für moralisch gefestigter hält. Person 2 ist der Ansicht, das Buch solle auf jeden Fall gelesen werden. Lieber noch, als es selbst zu lesen, sähe sie jedoch Person 1 das Buch lesen. Eine freiheitliche Gesellschaft würde es jedem Menschen freistellen, ob er das Buch liest. Damit würde nach obigem Szenario nur Person 2 das Buch lesen. Demgegenüber würden es jedoch beide Menschen vorziehen, wenn Person 1 das Buch lesen würde. Das Ergebnis des „Marktes“ ist daher nicht pareto-optimal. Die Feststellung, dass Marktergebnisse vom Pareto-Optimum abweichen, teilt das von Sen beschriebene liberale Paradoxon mit dem Gefangenendilemma (vgl. oben 278 Anm. 98). Der Unterschied besteht darin, dass das Gefangenendilemma sich in der Regel auf Zustände bezieht, die das wählende Subjekt für sich selbst anstrebt. Sen fokussiert dagegen auf das Problem sozialer Präferenzen, also Wünsche über den Zustand einer anderen Person. 86 Vgl. Wegner 2012, 55–60. 87 Der Grundsatz der Pareto-Optimalität besagt: Ein Zustand ist dann optimal, wenn es nicht möglich ist, die Situation eines Beteiligten zu verbessern, ohne dass sich dabei die Situation eines anderen verschlechtert (vgl. Fleurbaey 2012).
7. Umfassende Freiheit und Markt
395
welche Präferenzen bei der Gestaltung einer sozialen Ordnung Berücksichtigung finden. Soziale Präferenzen wären demnach als illegitim zu vernachlässigen. Dieser Weg ist jedoch mit dem Grundsatz der normativen Präferenzautonomie nicht vereinbar. Eine konsequente Durchführung des Prinzips der Präferenzautonomie müsste alle Präferenzen gleich stark gewichten und hat grundsätzlich kein Kriterium für ihre Legitimität.88 Damit ergibt sich ein ähnliches Dilemma wie bei Friedmans Umgang mit der Verantwortung, auf Zwang gegen andere zu verzichten.89 Da Friedman sich eines Urteils über Präferenzen entziehen möchte, setzt er ein „liberales Ethos“ als gegeben voraus.90 Dieses verlangt nicht nur – wie bisher schon deutlich wurde –, dass Menschen auf die Anwendung von Zwang von sich aus verzichten. Es schließt auch ein, dass sie von sich aus das Selbstbestimmungsrecht anderer höher schätzen als ihre eigenen Vorstellungen, was deren Leben angeht.91 Realistisch ist diese Annahme jedoch nicht. Es ist keineswegs der Fall, dass Menschen nur in vernachlässigbaren Ausnahmefällen wohlwollend-paternalistische oder missgünstige Präferenzen haben. Diese sind vielmehr alltägliche Phänomene. Plausibler wäre es daher, wenn Friedman die Prinzipien des Freiheitsglaubens auch als Maßstab an die Präferenzen anlegen würde.
7.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position Friedman erkennt zu Recht, dass Freiheit nicht vorbei an gesellschaftlichen Institutionen realisiert werden kann. Als problematisch erweist es sich aber, dass er – ausgehend vom ontologisch-methodologischen Individualismus – Institutionalität als eine (notwendige) Einschränkung von Freiheit versteht. Das wird der Tatsache nicht gerecht, dass Menschen immer schon in sozialen Bezügen leben. Die Ordnung des Zusammenlebens ist zwar immer mit Einschränkungen individueller Freiheit verbunden. Aber zugleich ermöglicht sie ein selbstbestimmtes Leben überhaupt erst. Friedman führt überzeugende Argumente dafür an, Interaktion nicht durch zentralen Zwang (Staat), sondern auf der Basis von Freiwilligkeit (Markt) zu koordinieren. Zur Verwirklichung umfassender Freiheit trägt dies unmittelbar 88 Vgl.
Eidenmüller 1998, 355. oben II.5.5 Hat der individuelle Freiheitsgebrauch moralisch verbindliche Grenzen?. 90 Vgl. oben II.9.5 Vorausgesetzte Moralität und Normativität individueller Präferenzen. 91 Vgl. Sen 1970, 155 f.: „The dilemma posed here […] is, of course, not necessarily disturbing for every conceivable society, since the conflict arises with only particular configurations of individual preferences. The ultimate guarantee for individual liberty may rest not on rules for social choice but on developing individual values that respect each other’s personal choices.“ Bezogen auf das oben 394 Anm. 85 zitierte Beispiel heißt das: Die beiden Personen sollten nicht selbst eine Präferenz haben, ob der jeweils andere das Buch liest, sondern ihre Präferenz sollte sein, dass der andere darüber selbst entscheidet. 89 Vgl.
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Teil III: Kritische Diskussion
bei, da der Markt ohne formale Freiheitsbeschränkungen auskommt. Auch dass eine marktwirtschaftliche Struktur zu Produktivität und effizienter Allokation beiträgt, ist überzeugend. Versteht man Freiheit in einem umfassenden Sinne, tragen auch diese positiven Effekte freiwilliger Interaktion zur Realisierung von Freiheit bei. Es ist daher eine überraschende Pointe der Kritik an Friedman, dass dieser die positiven Konsequenzen eines freien Marktes aufgrund seiner einseitigen Orientierung an negativer Freiheit in ethischer Hinsicht eher zu gering bewertet. Gleichzeitig erweist sich Friedmans These, wonach zwanglose Interaktion immer für alle Beteiligten positiv ist, als illusorisch. Seine Argumentation scheitert daran, dass er von Annahmen über einen idealen Markt ausgeht, davon aber Aussagen über reale Märkte ableitet. Insbesondere in zweierlei Hinsicht erweist sich dies als problematisch: Erstens reicht es nicht, Zwang auszuschließen, um Freiwilligkeit sicherzustellen. Unter der Bedingung unhintergehbarer Sozialität gibt es Situationen, in denen Menschen nicht die Möglichkeit haben, auf Interaktion ganz zu verzichten. Die entscheidende Voraussetzung für Freiwilligkeit ist dann die Existenz von Wettbewerb, also eine größtmögliche Zahl potenzieller Interaktionspartner. Dies sieht auch Friedman so. Er ignoriert jedoch, dass dies Einschränkungen der Vertragsfreiheit zur Kartellbildung verlangt. Außerdem stellt sich das Problem, dass unbegrenzte Märkte zu Machtkonzentration führen können und so Freiwilligkeit unterminieren. Zweitens wird Friedman der Problematik unvollständiger und asymmetrischer Informiertheit nicht hinreichend gerecht. Auch hier unterstellt er, dass die Prinzipien des Marktes für einen Ausgleich sorgen, sodass letztlich alle, auch die schlecht Informierten, von Transaktionen auf dem Markt profitieren. Es lassen sich aber Konstellationen identifizieren, in denen dies nicht der Fall ist. Auch hier ignoriert Friedman insbesondere Verwerfungen, die sich durch asymmetrische Verteilung ökonomischer Macht ergeben. Diese führen dazu, dass ausschließlich oder in höherem Maße die ursprünglich besser Ausgestatteten von Marktprozessen profitieren. Es ergibt sich also ein ambivalentes Bild, was die Ergebnisse freier Märkte angeht. Einerseits kann Wettbewerb Anreize für Innovation und Effizienz geben und Abhängigkeiten abbauen. Andererseits können marktwirtschaftliche Strukturen ökonomische Machtasymmetrien verstärken und Abhängigkeiten verstärken. Daher legt sich die Haltung eines „ökonomischen Agnostizismus“92 nahe, die weder der staatlichen Steuerung noch dem Marktprinzip einen prinzipiellen Vorrang gewährt, sondern pragmatisch nach den jeweiligen Konsequenzen fragt. Doch selbst dann, wenn die Bedingungen idealer Märkte erfüllt wären, würde ein weitgehender Verzicht auf ordnende Eingriffe in das Marktgeschehen nicht zu einer bestmöglichen Verwirklichung umfassender Freiheit führen. Vielmehr zeigen sich auch prinzipielle Schwächen des Marktes, die eine Relativierung des Marktprinzips erforderlich machen. Denn erstens beruht auch ein idealer Markt 92 Vgl.
Vogl 2011, 177.
7. Umfassende Freiheit und Markt
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auf einer ihm vorgegebenen Verteilung von Einkommen. Die Sicherstellung von Grundbedürfnissen nach dem Prinzip der Bedürfnisgerechtigkeit kann er nicht gewährleisten. Zweitens entwickelt ein Marktsystem eine Dynamik, die gerade dazu führen kann, dass Handlungsalternativen eingeschränkt werden. Im Sinne umfassender Freiheit kann dann eine Einschränkung formaler Freiheit angebracht sein. Drittens beruhen die vorgebrachten Argumente für die Vorzugswürdigkeit des Marktes auf der positiven Würdigung des Rechtes auf Selbstbestimmung. Markttransaktionen sind von daher aber nicht zu rechtfertigen, wenn sie selbst die Auflösung von Freiheitsrechten zum Gegenstand oder zum Ergebnis haben. Außerdem zeigt sich ein anderes Problem in Friedmans Eintreten für eine Koordinierung der Gesellschaft durch den Markt. Ein für alle Beteiligten positives Ergebnis wird dabei nur dann erzielt, wenn externe Präferenzen, die sich auf den Zustand oder das Verhalten anderer beziehen, entweder nicht vorhanden sind oder nicht als legitim anerkannt werden. Da Friedman letzteres nicht mit der normativen Präferenzautonomie vereinbaren kann, bleibt ihm nur die erste Variante. Damit erweitert sich der Inhalt des „liberalen Ethos“, das er als gegeben voraussetzen muss, in einer wenig realistischen Weise. Erneut erweist es sich als problematisch, dass Friedman auf die Bewertung von Präferenzen gänzlich verzichten will. Insgesamt kann Friedman also insofern zugestimmt werden: Freiheit wird am ehesten durch ein Institutionengefüge realisiert, in dessen Mittelpunkt die freiwillige Kooperation individueller Akteure steht. Auch weist Friedman zu Recht darauf hin, dass ein solches System auf politische und moralische Voraussetzungen aufbauen muss. Allerdings hat sich gezeigt, dass Friedman die realen Bedingungen des Freiheitsgebrauchs nicht hinreichend berücksichtigt. Orientiert an einem abstrakten Menschen-, Gesellschafts‑ und Freiheitsverständnis traut er den Kräften des Marktes zu viel zu bzw. vernachlässigter Aspekte, durch die umfassende Freiheit gesteigert werden kann. Diese Aspekte werden im Folgenden diskutiert.
8. Umfassende Freiheit und Staat Aus den Überlegungen zum Verhältnis von Freiheit und Markt ergibt sich ein grundlegender Konsens mit Friedman dahingehend, dass individuelle Freiheit ohne die Institution des Staates nicht bestehen kann. Aufbauend auf dieser Übereinstimmung wird in diesem Kapitel zunächst die Realisierung individueller Freiheit als Aufgabe und Grenze einer staatlichen Ordnung beschrieben (8.1). Die Überlegungen zu den fehlenden Bedingungen idealer Märkte zeigen, dass nicht schon die Verhinderung von Zwang ausreicht, um sicherzustellen, dass Menschen vor nachteiligem Einfluss durch andere sicher sind. Die Ermöglichung von freiwilliger Interaktion im Sinne Friedmans verlangt daher staatliche Maßnahmen, die er selbst nicht in dieser Form benennt (8.2). Orientiert man sich an einem Freiheitsbegriff, der nicht auf die negativen Aspekte von Freiheit beschränkt ist, sind die staatlichen Aufgaben der Freiheitssicherung weiter zu fassen, als Friedman es tut. Neben der Verminderung von Zwang sind außerdem die Sicherung von politischen Mitwirkungsrechten (8.3), sozialer Teilhabe (8.4) und der Möglichkeit zur Selbstreflexion (8.5) zu den staatlichen Grundaufgaben zu zählen. Dabei ist besonders zu beachten, dass ohne eine Erweiterung der staatlichen Aufgaben auch die von Friedman befürwortete Funktion – die Sicherung größtmöglicher individueller Freiheit – nicht geleistet werden kann.1 Abschließend wird die Frage angesprochen, inwiefern Nationalstaaten diese Funktion unter den Bedingungen der Globalisierung überhaupt erfüllen können (8.6).
1 Die folgenden Ausführungen beabsichtigen weder eine vollständige Darstellung aller Aufgaben, die sinnvollerweise und legitim vom Staat übernommen werden können, noch den Entwurf eines Wirtschaftssystems, das als Umsetzung umfassender Freiheit zu verstehen ist. Stattdessen beschränke ich mich auf Hinweise auf zentrale Aspekte einer Rahmenordnung, die freiwillige Kooperation ermöglicht, welche Friedman aufgrund seines zu engen Verständnisses von Freiheit z. T. vernachlässigt. Als Leitbild dient dabei die soziale Marktwirtschaft, wie es in gegenwärtigen theologischen Beiträgen zur Wirtschaftsordnung der Regelfall ist (vgl. z. B. Rich 1990, 325–338; Rendtorff 1991, 128–131; Hengsbach 1993, 112; Jähnichen 1998, 6–22; Müller 1997, bes. 334–354; Nass 2006, V; Rauscher 2008c, 546 f.; Hübner 2011, 322–326). Zu den Wurzeln der sozialen Marktwirtschaft (auch) im Protestantismus vgl. Jähnichen 1998, 12–15; Hübner 2012, bes. 246–253, 267 f.; Koch 2012, bes. 306–309.
8. Umfassende Freiheit und Staat
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8.1 Individuelle Freiheit als Aufgabe und Grenze staatlicher Ordnung Friedman begründet die Notwendigkeit des Staates damit, dass Menschen dazu bereit sind, ihre eigenen Interessen mit Mitteln des Zwangs durchzusetzen. Individuelle Freiheit könne daher am besten durch die Androhung und ggf. Anwendung staatlichen Zwangs garantiert werden. Staatliche Maßnahmen seien durch ihren Beitrag zur Sicherstellung von Freiheit sowohl legitimiert als auch begrenzt.2 Auf Grundlage der bisherigen Diskussion können beide Aspekte, die Friedman anspricht, positiv aufgegriffen werden: In Abschnitt 3.1 wurde darauf hingewiesen, dass die sozialethische Bedeutung von Handlungsfreiheit zusammenhängt mit der Freiheit des Gewissens. Staatliche Gewalt erfährt daher eine Grenze in deskriptiver und in normativer Hinsicht: Erstens ist der Maßstab des Gewissens – die einen Menschen leitenden Vorstellungen vom guten Leben – ein Ergebnis von Bildungsprozessen, über die nicht mit Zwangsmaßnahmen verfügt werden kann. Daher kann es nicht Aufgabe des Staates sein, dafür zu sorgen, dass seine Bürger die „richtigen“ Überzeugungen haben. Zweitens ist die Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung auch in einer Sollenserfahrung zugänglich. Demnach gehört es zur Bestimmung des Menschen, in Übereinstimmung mit dem eigenen Gewissen zu handeln. Es ist also falsch, wenn ein Staat versucht, Menschen mit (vermeintlich) falschen Vorstellungen vom guten Leben zu ihrem Glück zu zwingen. Auch in konstruktiver Hinsicht kann Friedmans Argumentation aufgegriffen werden. Zwar wurde kritisiert, dass er die Möglichkeit von nicht-egoistischem Verhalten zu stark vernachlässigt.3 Dennoch ist in erheblichem Ausmaß mit egoistischem Verhalten zu rechnen. Dies müssen Konzeptionen einer sozialen Ordnung berücksichtigen.4 Friedmans Rede von der „unvollkommenen“ Natur des Menschen5 aufgreifend kann an die reformatorische Lehre von den zwei Regimentern Gottes6 angeknüpft werden: Der Staat hat die wichtige Funktion, die negativen Folgen der Sünde einzudämmen. Die destruktiven Tendenzen eines ungehemmten Strebens nach Eigennutz werden nicht durch den Markt selbst, sondern durch die politische Ordnung verhindert.7 Die Überwindung der Sünde selbst – die Korrektur falscher Vorstellungen von einem gelingenden Leben – ist seinem Machtbereich jedoch entzogen.8 Daraus 2 Vgl.
oben II.8.1 Die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen für freiwillige Interaktion. oben 2.2 Der Mensch als Nutzenmaximierer: Verkürzte Auffassung des menschlichen Strebens. 4 Vgl. Dietz 2005, 258 f. 5 Vgl. CaF, 12 („imperfect beings“), 6 Vgl. dazu z. B. Anselm 2004; Härle 2004; Honecker 2001; Slenczka 2008; Koch 2012, 221– 229. Zum Vorzug der Rede von zwei Regierweisen (so Calvin, Institutio, III,19,15 [Calvin 1955, 563]) gegenüber zweier Reiche vgl. Lohmann 2003, 125; Härle 2008b, 264–266. 7 Vgl. Lohmann 2009, 223 f. 8 Vgl. Luther, Von weltlicher Obrigkeit, II.1. (Luther 1900, 262) sowie dazu Ebeling 1982, 17 f.; Slenczka 2008, 87 f.; Härle 2001, 194. 3 Vgl.
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Teil III: Kritische Diskussion
ergibt sich eine Beschränkung der staatlichen Machtausübung, die der Achtung individueller Freiheit verpflichtet ist.9 In Anbetracht der bisherigen Ausführungen lässt sich Friedmans Argument sogar noch verstärken. Die Überlegungen zu den Bedingungen von Freiheit – darunter die Sozialität des Menschen, die Angewiesenheit auf Ressourcen, der Zusammenhang von Freiheit und Macht – haben gezeigt, dass umfassende Freiheit nur durch die Vermittlung von Konflikten realisiert werden kann. Diese Aufgabe stellt sich nicht nur angesichts der Sündhaftigkeit des Menschen, sondern auch angesichts des Aufeinandertreffens legitimer Interessen.10 Der Staat hat die Funktion, eine Rahmenordnung zur Realisierung individueller Freiheit zu etablieren.11 Er ermöglicht so einen Pluralismus der Überzeugungen und Lebensstile.12 Deutlicher als Friedman dies zum Ausdruck bringt, ist damit eine systematische Einschränkung der normativen Präferenzautonomie verbunden. Das Verfolgen externer Präferenzen – Vorstellungen darüber, wie andere ihr Leben führen sollten – mit staatlichen Mitteln wird durch die Gewährung individueller Freiheitsrechte gerade ausgeschlossen.13 In die Begründung einer freiheitlichen Rahmenordnung geht also eine – bei Friedman nur implizite – Bewertung von Präferenzen ein. Die Übereinstimmung im Grundsätzlichen schließt jedoch kritische Anmerkungen dahingehend ein, welche Aufgaben Friedman dem Staat konkret zuerkennt. Im vorangegangenen Kapitel hat sich gezeigt, dass er nicht alle Gefährdungen individueller Freiheit hinreichend berücksichtigt. In den folgenden Abschnitten wird daher gefragt, wie staatliche Maßnahmen dazu beitragen können, individuelle Selbstbestimmung zu ermöglichen.
8.2 Individuelle Freiheit durch eine effektive Rahmenordnung für den Markt Die klassische Aufgabe des Staates besteht in der Verhinderung von Zwang durch andere Menschen sowie dem Schutz vor Übergriffen anderer Länder. Diese Aufgabe leistet der Staat durch die Sicherstellung der Freiheitsrechte der 9 Zu einer freiheitsfeindlichen Theorie wurde die Zwei-Regimenter-Lehre im konservativen Luthertum dadurch, dass allein die Sündhaftigkeit des Menschen, nicht aber seine Fähigkeit und Bestimmung zur wesensgemäßen Selbstbestimmung thematisiert wurden (vgl. Graf 1994, 24; Körtner 2008a, 147). 10 Vgl. Müller 1997, 320 f.; Härle 2001, 390. 11 Darin besteht ein Konsens sowohl mit Friedman als auch mit dem in dieser Hinsicht klassischen Vorbild John Locke (vgl. Locke, Second Treatise of Government, §§ 123 f. [Locke 1980, 65 f.]). Beide gehen jedoch davon aus, dass der Staat individuelle Freiheit angesichts einer vorgängigen Individualität beschützt. Demgegenüber erscheint es angesichts der Bedingung konstitutiver Sozialität angemessener davon auszugehen, dass staatliche Strukturen individuelle Freiheit überhaupt erst realisieren. 12 Vgl. Herms 1991a, 121–124. 13 Vgl. Dworkin 1978, 234 f., 275–277; Eidenmüller 1998, 220–226, 355–357.
8. Umfassende Freiheit und Staat
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ersten Generation. Dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nach erfüllt der Staat diese Aufgabe nur dann angemessen, wenn er die Freiheitsrechte seiner Bürger auch selbst achtet. Hierin besteht – nicht nur mit Friedman – in der Theorie ein weitgehender Konsens, sodass die Bedeutung einer staatlichen Ordnung für die Sicherstellung formaler Freiheit nicht weiter thematisiert zu werden braucht.14 Für Friedman ist diese Aufgabe identisch mit der Sicherstellung von freiwilliger Interaktion, also der Etablierung einer Rahmenordnung für den Markt. Es hat sich jedoch im vorangegangenen Kapitel 7 gezeigt, dass sich dies nicht in der Verhinderung von Zwang und der staatlichen Sanktionierung freiwillig geschlossener Verträge erschöpfen kann. Es soll daher im Folgenden darauf hingewiesen werden, wie staatliche Regelungen über diese beiden Funktionen hinaus dazu beitragen können, dass die Bedingungen freiwilliger Interaktion erfüllt sind. 8.2.1 Wettbewerbspolitik Friedman argumentiert, dass Freiwilligkeit unter der Bedingung sozialer Interdependenz durch eine größtmögliche Zahl potenzieller Interaktionspartner – also durch Wettbewerb – sichergestellt werde. Nun hat sich aber gezeigt, dass Wettbewerb nicht zwangsläufig stabil ist, sondern sich unter Umständen selbst auflöst.15 1.) Regulierung von Monopolen und Kartellen. Auch ohne staatliche Unterstützung können in einem ungeregelten Wettbewerb natürliche Monopole entstehen.16 Für diesen Fall stellt sich die Frage, ob private Monopole, staatliche Monopole oder staatlich regulierte Monopole die vorzugswürdige Alternative darstellen.17 Dabei ist ein Hinweis wichtig, den auch Friedman in „Capitalism and Freedom“ gibt: Bei Gütern, die eine große Bedeutung für die Grundversorgung haben und bei denen kaum Substitutionsmöglichkeiten bestehen, kann auf staatliche Eingriffe nicht verzichtet werden.18 Dies gilt insbesondere für die Versorgung mit Wasser und Energie. 14 Dass hier theoretisch Einigkeit besteht, bedeutet nicht, dass es hier keinen praktischen Handlungsbedarf gibt. So wurde die im Jahr 2007 beginnende Finanzkrise wesentlich dadurch ausgelöst, dass das Haftungsprinzip ausgehöhlt worden war (vgl. Sautter 2010, 88–91). 15 Vgl. oben 7.3.1 Fehlende Freiwilligkeit: Konzentration ökonomischer Macht. Dieser Zusammenhang ist vorausgesetzt, wenn Colin Crouch den Großkonzern als dritte Institution neben Markt und Staat betrachtet (vgl. Crouch 2011, 83 f.). Er trägt damit der Tatsache Rechnung, dass der Verzicht auf staatliche Regulierung nicht immer bedeutet, dass soziale Beziehungen durch Freiwilligkeit charakterisiert sind. Ich teile diese Ansicht inhaltlich, verzichte aber auf die Einführung einer dritten Variablen, sondern bleibe bei der von Friedman vorausgesetzten dualistischen Vorstellung „Zwang – kein Zwang“. Allerdings darf die Alternative „kein Zwang“ (Markt) dann nicht mit der Verwirklichung umfassender Freiheit verwechselt werden. 16 Vgl. oben 7.3.1 Fehlende Freiwilligkeit: Konzentration ökonomischer Macht, bes. 382 Anm. 32. 17 Vgl. Eucken 1990, 292–299; CaF, 28 f. 18 Vgl. CaF, 29 (Zitat oben 186 Anm. 23).
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Teil III: Kritische Diskussion
Von Monopolen zu unterscheiden ist der Umgang mit Kartellen unterschiedlicher Art. Zu wettbewerbs‑ und damit freiheitsmindernden Vereinbarungen gehören z. B. Preisabsprachen, gemeinsame Strategien bei Auktionen oder der gezielte Versuch, Mitkonkurrenten aus dem Markt zu drängen. Diese Beobachtung war der Anlass für Friedman, seinen rein negativen Freiheitsbegriff geringfügig zu erweitern. In seinen frühesten Beiträgen erachtet er es als ein Kennzeichen des amerikanischen Verständnisses von Freiheit, dass es die Bedeutung des Wettbewerbs betone und daher die Freiheit zur Kartellbildung einschränke.19 Dieses Vorgehen wird den realen Marktbedingungen gerecht. Staatliche Maßnahmen zur Eindämmung von Absprachen zur Bündelung wirtschaftlicher Macht sind legitim, da sie die Freiwilligkeit von Interaktion fördern. Diese Rechtfertigung eines Kartellverbots impliziert jedoch eine Relativierung der von Friedman ansonsten postulierten Garantie von Vertragsfreiheit. Würde man völlig der Privatautonomie folgen, müssten etwa Preisabsprachen vor Gericht einklagbar sein. Ist dies nicht der Fall, verweigert der Staat einer bestimmten Art von privaten Verträgen die Sanktionierung. Noch weiter weicht man vom Prinzip der Privatautonomie ab, wenn man wettbewerbsfeindliche Absprachen ganz verbietet. Mit dem Verbot von Kartellen liegt also ein Beispiel dafür vor, dass eine Einschränkung formaler Freiheit erforderlich sein kann, um Freiheit sicherzustellen.20 Friedman gesteht dies im konkreten Fall zu, ohne die entsprechenden konzeptionellen Konsequenzen zu ziehen. 2.) Aktive Wettbewerbspolitik. Wettbewerb wird jedoch nicht nur durch Absprachen eingeschränkt, sondern auch durch Wettbewerbsvorteile im Zuge von Massenproduktion und Marktbeherrschung. Dem kann durch eine aktive Wettbewerbspolitik entgegengewirkt werden.21 Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass marktbeherrschende Unternehmen verpflichtet werden, Teile des Unternehmens zu verkaufen (Divesture) sowie durch die Freigabe langfristiger Verträge (Release) oder eine Verbesserung der Infrastruktur z. B. für den Außenhandel.22 Dem Versuch marktbeherrschender Unternehmen, Wettbewerber durch Einführung von Standards zu behindern, kann durch staatlich vorgegebene Standards entgegenwirkt werden. Wettbewerb setzt grundsätzlich voraus, 19 Vgl.
oben 102.
20 Vgl. Klump und Wörsdörfer 2009, 330 f. Zur Entwicklung des deutschen Kartellrechts und
möglichen Formen der Regulierung vgl. Eucken 1990, 169–175. 21 Vgl. Eucken 1990, 255. Zu konkreten Maßnahmen vgl. Eucken 1990, 264–270. Trotz teilweise anderer Politikempfehlungen besteht hier eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Eucken und Henry C. Simons (vgl. Simons 1948a, 43–46, 52 f., 65 f.). 22 Vgl. von Hirschhausen und Weigt 2007b, 70–73. Als Beispiel für eine aktive Wettbewerbspolitik kann der Einsatz der genannten Instrumente auf dem Markt für Energieerzeugung in verschiedenen Ländern dienen (vgl. von Hirschhausen und Weigt 2007a, 219–222; von Hirschhausen und Weigt 2007b, 76–83). In allgemeiner Form weist auch Ralf Dahrendorf darauf hin, dass die Sicherstellung individueller Freiheit die Einschränkung der Macht großer Unternehmen erforderlich mache (vgl. Dahrendorf 1975, 19, 133 f.).
8. Umfassende Freiheit und Staat
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dass sowohl der Markteintritt als auch der Marktaustritt eines Unternehmens möglich sind. Darauf hat eine Wirtschaftsordnung zu achten.23 8.2.2 Maßnahmen zur Beschränkung von Wettbewerb Die Überlegungen zur Förderung von Wettbewerb stehen nur scheinbar in Widerspruch dazu, dass auch Beschränkungen des Wettbewerbs individuelle Freiheit befördern können. Wettbewerb unterbindet die Konzentration ökonomischer Macht, indem eine Vielfalt von Wettbewerbern erhalten bleibt. In Abschnitt 7.4.2 wurde ausgeführt, wie der Wettbewerb aber auch eine Dynamik in Gang setzen kann, die alle Menschen zwingt, ihr Leben ganz nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Effizienz auszurichten. Will man dies verhindern, kann durch Zeit‑ oder Arbeitspolitik eine Rahmenordnung geschaffen werden, die eine Partizipation am Arbeitsmarkt gemäß der je individuellen Lebensentwürfe ermöglicht.24 Dies kann etwa durch einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, eine Beschränkung der maximalen Arbeitszeit, Einschränkungen bei den Ladenöffnungszeiten oder das Verbot von Kinderarbeit befördert werden.25 Daher kann die Einschränkung des Marktprinzips dazu führen, dass Menschen real eine größere Zahl von Alternativen zur Verfügung steht als durch die Sicherstellung formaler Freiheit. Insbesondere Menschen mit Lebensstilen, die nicht an der Maximierung ökonomischer Vorteile orientiert sind, können erst dadurch diejenigen Wahlmöglichkeiten haben, die für sie relevant sind.26 8.2.3 Maßnahmen gegen Informationsasymmetrien In Abschnitt 7.3.2 wurde gezeigt, dass der Marktmechanismus alleine nicht sicherstellt, dass alle Beteiligten über die relevanten Informationen verfügen. Es kann Konstellationen geben, bei denen es im Interesse einer Partei ist, der anderen Informationen vorzuenthalten. Das von Friedman geforderte Verbot bewusster Täuschung geht daher nicht weit genug. Die tatsächliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung kann durch weitere Maßnahmen gefördert werden, die das Ziel verfolgen, den Informationsstand zu verbessern. Ein solcher Bedarf ist dann am wahrscheinlichsten, wenn zwischen den Beteiligten Informations‑ und Machtasymmetrien bestehen. 23 Problematisch ist es also auch, wenn private Unternehmen „too big to fail“ sind und sich daher dem Wettbewerb entziehen und staatliche Garantien in Anspruch nehmen können. Dieses Problem zeigt sich bei der Rettung „systemrelevanter“ Banken (vgl. Crouch 2011, 177). 24 Vgl. Zintl 1994, 517 f.; Ulrich 2008, 247 f. 25 Zur Einschränkung materialer Freiheit durch die Zulassung von Kinderarbeit vgl. oben 392. 26 Also z. B. auch Menschen, die christlich geprägte Vorstellungen vom guten Leben haben (vgl. Meeks 1992, 16 f.).
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Teil III: Kritische Diskussion
1.) Verbesserung der Informationsmöglichkeiten. Die naheliegendste Möglichkeit zur Verbesserung des Informationsflusses sind Informations‑ und Offenlegungspflichten. Dies gilt etwa für die Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln oder Kosmetika, für technische Details eines Autos oder die Höhe von Beraterprovisionen bei Bankprodukten.27 Auch Publikationen von staatlichen Behörden oder die Förderung unabhängiger Beratungsstellen, die Stärkung von Verbraucherschutzverbänden bis hin zu öffentlich-rechtlichen Suchmaschinen im Internet können zur Verbreitung von Wissen beitragen.28 2.) Vorschriften zur Aufbereitung von Informationen. Allerdings ist nicht nur die Verfügbarkeit von Informationen, sondern auch deren angemessene Interpretation entscheidend dafür, dass Menschen tatsächlich in Übereinstimmung mit ihren Zielen handeln. Bestimmte Sachverhalte werden jedoch häufig verzerrt wahrgenommen. Dabei sind wiederkehrende Muster von Fehlinterpretationen erkennbar. Gut informierte Akteure können sich dies zunutze machen und so Vorteile aus Informationsasymmetrien ziehen. Selbstbestimmung kann also dadurch unterstützt werden, dass auch auf die Form der Informationsaufbereitung Einfluss genommen wird.29 So kann Transparenz dadurch gefördert werden, dass etwa bei Verträgen für Mobiltelefone die anfallenden Kosten in einer vorgegebenen – und damit leicht nachvollziehbaren und vergleichbaren – Weise offengelegt werden müssen.30 Dasselbe Prinzip liegt der Forderung nach einheitlichen Informationsblättern für Bankprodukte zugrunde. Auch die Einschränkung der Gültigkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Verbraucherverträgen verfolgt ein vergleichbares Ziel.31 Diese Begrenzung der Privatautonomie reagiert auf das Problem hoher Transaktionskosten des Käufers und damit verbundener Vorteile des Verkäufers. In der Regel kann nicht erwartet werden, dass Verbraucher die gesamten AGBs konzentriert lesen. Der Gesetzgeber stellt sicher, dass wichtige Punkte im Vertrag selbst geregelt und nicht in den AGBs „versteckt“ sind. 27 Vgl. Galbraith 1996, 79 f. zu Informations‑ und Transparenzpflichten bei Finanzgeschäften.
Vgl. Hübner 2011, 292, 320 f. ein solches Vorgehen wendet Jan Schnellenbach ein, dass hier eine gezielte Lenkung von Verhalten vorgenommen wird. Auch eine Orientierung an den Metapräferenzen der Individuen verletze die Präferenzautonomie, da expressiv formulierte Langzeitpräferenzen gegenüber kurzfristigen Kosten zu hoch gewichtet würden (vgl. Schnellenbach 2011, 4, 12–15). Dabei ignoriert er jedoch, dass Entscheidungen immer von ihrem Kontext beeinflusst werden, zu dem auch der politische Rahmen gehört (vgl. Thaler und Sunstein 2009, 310, 324). Angesichts von Informations‑ und Machtasymmetrien lässt sich die von Schnellenbach eingeforderte Autonomie (vgl. Schnellenbach 2011, 16) nicht in jedem Fall dadurch sicherstellen, dass auf eine Regulierung verzichtet wird. Schnellenbachs Kritik ist jedoch zutreffend, wenn liberaler Paternalismus als Vorwand genommen wird, durch eine manipulierende Entscheidungsarchitektur für wünschenswert gehaltene Ziele (z. B. den Schutz der Umwelt) zu erreichen. Ein solches Vorgehen ist in der Tat nicht vereinbar mit dem Ziel umfassender Freiheit (vgl. Crouch 2011, 238). 30 Vgl. Thaler und Sunstein 2009, 135 f. 31 Vgl. BGB §§ 305–310 (Köhler 2011, 55–62). 28
29 Gegen
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8.2.4 Maßnahmen zur Verhinderung externer Effekte Selbstbestimmte Lebensführung wird nicht nur durch direkten Zwang eingeschränkt, sondern auch durch nicht-intendierte Nebeneffekte von Handlungen anderer. Friedman trägt diesem Sachverhalt dadurch Rechnung, dass er externe Effekte prinzipiell als Grund für staatliche Interventionen anerkennt. Relevant wird dies insbesondere bei ökologischen Problemen.32 Beim konkreten Umgang mit diesem Thema bleiben jedoch Fragen offen, die sich von Friedmans Ansatz her nur schwer lösen lassen. Diese werden im Folgenden angesprochen. 1.) Schwierigkeiten bei der Bestimmung von Eigentumsrechten und Schäden. Friedmans Vorgehen basiert darauf, dass Menschen für den Schaden, der ihnen durch andere zugefügt wird, entschädigt werden müssen. Allerdings ist es keineswegs selbstverständlich, was eigentlich als Schaden anzusehen ist bzw. worauf Menschen einen Anspruch haben. Beachtet man, wie elementar die Definition von Eigentumsrechten für Friedman ist, fällt auf, dass er dieser kaum gründlich Beachtung schenkt. Einerseits geht er davon aus, dass selbstverständlich die Anrainer eines Flusses entschädigt werden müssen, wenn dieser verschmutzt wird.33 Gleichzeitig fragt er nicht, wo das Recht auf den Status quo der natürlichen Umwelt endet. Jedenfalls fasst er es nicht so weit, dass Tierliebhabern ein Recht an der Freude an einer bestimmten Tierart oder dass dem Naturfreund ein Anspruch auf den Erhalt von Nationalparks eingeräumt wird.34 Die Betrachtung ökologischer Fragen unter der ökonomischen Kategorie externer Effekte kann also nicht als Alternative zu einer politischen Herangehensweise verstanden werden. Sie setzt vielmehr einen komplexen politischen Prozess voraus, in dem darüber entschieden wird, wer einen Anspruch auf welche Ressourcen erheben kann. 2.) Schwierigkeiten bei der Identifikation beteiligter Individuen. Im Horizont des methodologisch-ontologischen Individualismus geht Friedman davon aus, dass als Verursacher und Geschädigte externer Effekte jeweils konkrete Individuen identifizierbar sein müssen. Dies gilt auch für diejenigen Fälle, in denen die Menge der Beteiligten unüberschaubar und daher staatliche Regulierung legitim ist.35 Gerade bei ökologischen Problemen ist es jedoch nicht möglich, eine konkrete Beziehung zwischen einzelnen Menschen auszuweisen. Deutlich wird dies
32 Vgl. oben II.8.2.1 Freiwilligkeit: Freiheit und Wettbewerb und den anschließenden Exkurs „Umweltverschmutzung“. 33 Vgl. CaF, 30; FtC-TV II, 13 (Zitat oben 189 Anm. 188). 34 Beide müssen nach Friedman nicht entschädigt werden, sondern umgekehrt selbst Mittel zur Durchsetzung ihres Anliegens aufbringen – also diejenigen entschädigen, die ein Anrecht auf den Verbrauch der natürlichen Ressource haben (vgl. CaF, 31; Friedman 1973b, 52 [Zitate oben 188 Anm. 40 und 189 Anm. 41]). 35 Vgl. oben 188, bes. Anm. 38.
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etwa am Beispiel des Klimawandels.36 Es ist nicht nur aus praktischen Gründen unmöglich, zurückzuverfolgen, welche Individuen etwa für Ernteausfälle in einer bestimmten Region verantwortlich sind, sondern aufgrund der komplexen Zusammenhänge prinzipiell ausgeschlossen.37 Das Problem externer Effekte wird angemessener beschrieben, wenn man berücksichtigt, dass menschliche Freiheit immer durch ökologische und soziale Zusammenhänge bedingt ist. Eine Einschränkung der Freiheit anderer erfolgt auch dann, wenn das Bedingungsgefüge menschlichen Lebens negativ beeinträchtigt wird. Eine klare Identifikation der jeweils Beteiligten ist für diese Feststellung nicht erforderlich. In diesem Sinne kann auch das Problem der Definition von Eigentumsrechten relativiert werden. Nicht in jedem Fall muss ein konkreter Eigentümer geschädigt sein. Denkbar ist es auch, dass beispielsweise natürliche Ressourcen als Allgemeingüter gelten. Wer diese in Anspruch nimmt, entzieht sie der Nutzung durch andere und mutet der Allgemeinheit externe Effekte zu.38 Umgekehrt ist es auch möglich, dass Menschen Schaden erleiden, ohne dass ein konkreter Verursacher identifiziert werden kann. In solchen Fällen kann für eine solidarische Haftung der Allgemeinheit argumentiert werden, die den Schaden ausgleicht.39 3.) Berücksichtigung künftiger Generationen. Die beschriebenen Probleme mit Friedmans Ansatz zeigen sich besonders bei der Frage, wie mit externen Effekten auf künftige Generationen umgegangen werden soll. Friedman geht stets von konkret identifizierbaren und daher immer schon lebenden Individuen aus. Die Konsequenzen gegenwärtiger Handlungen auf künftige Generationen können daher bei ihm aus systematischen Gründen keine Berücksichtigung finden.40 Dies stellt sich anders dar, wenn man davon ausgeht, dass Menschen konstitutiv 36 Dass Friedman hier im Zusammenhang des ökologischen Bewusstseins seiner Zeit gelesen
werden muss, gilt für „Capitalism and Freedom“ (1962). Spätestens für seine Schriften ab den 1980er Jahren wären jedoch Einsichten in komplexe ökologische Zusammenhänge durchaus verfügbar gewesen. Eine gewisse naive Unbedarftheit in ökologischen Fragen zeigt sich im Vergleich der Umweltverschmutzung durch Autos mit der „deutlich unattraktiveren“ durch Pferde (vgl. FtC, 218; FtC-TV, 13) und wenn Friedman das Problem der Luftverschmutzung an verschmutzten Hemdkragen festmacht (vgl. FtC, 31). 37 Vgl. Crouch 2011, 98 f. 38 Der freie Gebrauch von Gemeingütern kann so dazu führen, die Voraussetzungen von Freiheit zu zerstören (vgl. klassisch dazu Hardin 1968, 2 f.). Daher können auch staatliche Einschränkungen formaler Freiheit legitim sein, die eine sozial optimale Nutzung natürlicher Ressourcen bezwecken, so z. B. die Steuerpolitik, Informationspolitik oder Eigentumspolitik (vgl. Endres und Querner 1993, 67–83 zum Marktversagen bei der Allokation von Ressourcen, 84–96 zu staatlicher Regulierung bei begrenzten Ressourcen, 132–138 zu staatlicher Regulierung bei erneuerbaren Ressourcen). Weit problematischer als die genannten Maßnahmen ist die von Garrett Hardin proklamierte Geburtenkontrolle (vgl. Hardin 1968, 5, 7). Diese greift in zentrale Elemente individueller Lebensführung ein und kann daher, wenn überhaupt, nur in Extremfällen legitim sein. 39 Auf diese Weise lässt sich das Entstehen der sozialen Sicherungssysteme im Zuge der Industrialisierung erklären (vgl. Plumpe 2002, 26). 40 Vgl. Zintl 2004, 155.
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auf die Gattung der Menschheit bezogen sind.41 Doch auch wenn man dies anerkennt und darüber hinaus allen Menschen (auch den noch nicht geborenen) gewisse Anspruchsrechte an natürlichen Ressourcen zubilligt, stellt sich im Rahmen von Friedmans System ein weiteres Problem. Ausgehend von der normativen Präferenzautonomie hängt der Wert dieser Anspruchsrechte allein davon ab, wie ihre Eigentümer sie bewerten. So lange man wie Friedman allein tatsächliche Präferenzen berücksichtigt, haben künftige Generationen gewissermaßen „leere“ Präferenzordnungen. Es ist somit nicht möglich einzuschätzen, wie wichtig ihnen eine gesunde Ernährung, eine intakte Natur oder ein stabiles Sozialgefüge ist. Diesem Problem kann dadurch begegnet werden, dass man die Befriedigung von Grundbedürfnissen als in einem universalen Sinne wahre Präferenzen anerkennt.42 Auch künftige Menschen sind leibliche, soziale Personen und haben ein Interesse an der Ausstattung mit elementaren Grundgütern, ohne die ein menschengerechtes Leben nicht möglich ist. Durch einen Lebensstil, der natürliche oder soziale Ressourcen über Gebühr beansprucht, wird die Freiheit künftiger Generationen massiv eingeschränkt. Nachhaltigkeit ist daher nicht nur ein Kriterium verantwortlichen Handelns,43 sondern auch ein Ziel staatlicher Freiheitssicherung. Orientierend kann dabei die Lockesche Provisio44 sein: Ein Anspruch auf die Nutzung von Ressourcen kann nur dann begründet werden, wenn auch für andere eine hinreichende Menge zur Verfügung steht. 4.) Die Grenzen einer „Einpreisung“ externer Effekte. Friedman zieht eine Besteuerung von Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen gegenüber Regelungen vor, die Umweltstandards festschreiben. Durch eine entsprechende Besteuerung bzw. die Versteigerung von Emissionszertifikaten kommen die wahren Kosten von Produkten zum Ausdruck. Grundsätzlich ist dieses Vorgehen überzeugend. Es vermeidet die Einschränkung formaler Freiheit und trägt zur effizienten Verwendung ökologischer Ressourcen bei.45 Dies ist grundsätzlich auch in Situationen angemessen, wo es – etwa durch steigende Heizkosten – aus sozialen Gründen unerwünscht scheinen mag.46 Allerdings hat sich gezeigt, dass in solchen Fällen ökonomische Ungleichheit zu unerwünschten Ergebnissen führen kann.47 So ist es möglich, dass ein ökologisch angemessener Preis für fossile Brennstoffe oder Trinkwasser dazu führt, dass ärmere Menschen sich die zum Heizen oder für die Ernährung erforderlichen Rohstoffe nicht leisten können. Materiell Wohlhabende können sich die knappen Ressourcen unter Umständen auch noch für Vergnügungsfahrten oder das Bewässern von Rasen41 Vgl.
oben 260. oben 287. 43 Vgl. oben 350. 44 Vgl. oben 317. 45 Vgl. Hagel 1993, 233, 244–247; Endres 1999, 350–354. 46 Vgl. FtC, 216. 47 Vgl. oben 7.4.1 Markt und Güterallokation. 42 Vgl.
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flächen leisten. So kommt es zu einer Allokation, die ethisch kaum akzeptabel ist. In solchen Fällen kann es angebracht sein, statt einer Verbrauchssteuer eine Quotierung zu bevorzugen. Ein anderes Problem stellt sich, wenn die Gefahr erheblicher Schäden besteht. Der Blick auf Atom‑ oder Ölkatastrophen zeigt, dass große Schadensfälle die Zahlungskapazität auch großer Konzerne um ein Vielfaches übersteigen können. Haftungspflichten allein reichen in diesem Fall nicht aus, um die Kompensation für externe Effekte sicherzustellen. Sie müssten jedenfalls um Versicherungspflichten ergänzt werden, wie dies beispielsweise bei der Kfz-Versicherung geschieht. Auch diese ist jedoch in gravierenden Fällen nicht realisierbar. Wo die Möglichkeit irreparabler Schäden besteht, die sich gegebenenfalls einer Kompensation entziehen, kann auf die Umsetzung strenger Standards nicht verzichtet werden.48
8.3 Individuelle Freiheit durch Sicherung politischer Teilhabe Im vorherigen Abschnitt 8.2 wurde ausgeführt, dass ein ungewollter Einfluss durch andere nicht nur durch direkten Zwang möglich ist. Der staatliche Schutz von Freiwilligkeit umfasst daher mehr als die bloße Verhinderung von Zwang. Dieser und der folgende Abschnitt (8.3 und 8.4) sollen darauf hinweisen, dass auch die Aufgabe, individuelle Freiheit zu sichern, ein breiteres Spektrum staatlicher Aktivitäten verlangt, wenn man gegenüber Friedman ein weiteres Verständnis von Freiheit zugrunde legt.49 Bereits im Abschnitt 4.2 wurde dargestellt, dass politische Freiheit – also die Möglichkeit zur politischen Teilhabe – selbst ein konstitutiver Aspekt umfassender Freiheit ist und darüber hinaus zur Verwirklichung der ökonomischen und bürgerlichen Dimension von Freiheit beiträgt. Die dort erörterten Argumente sollen hier nicht erneut ausgeführt werden. Vielmehr wird in knapper Form darauf hingewiesen, was sich daraus für die Organisationsform des Staates ergibt. 8.3.1 Demokratie und umfassende Freiheit 1.) Demokratische Strukturen und ihr instrumenteller Beitrag. Friedman leistet eine in weiten Teilen überzeugende Beschreibung der instrumentellen Funk48 Die „Wette“ mit dem Eigentum eines anderen (vgl. Jonas 1984, 77 f.) bzw. mit Anspruchsrechten an Gemeingütern ist also nicht nur unverantwortlich. Der Schutz des Eigentums kann es auch gebieten, eine solche Wette zu verbieten. Zu Problemen der marktnahen Lösungsvorschläge aufgrund unvollkommener Märkte vgl. Endres 1999, 358–361. 49 Vgl. Korff 1999b, 218 f. Korff leitet individuelle Freiheitsrechte, politische Mitwirkungsrechte und soziale Anspruchsrechte aus der personalen Würde ab. Das steht nicht im Widerspruch zu dem Hinweis, dass (bei einem umfassenden Verständnis von Freiheit) alle drei als Freiheitsrechte verstanden werden können (vgl. oben 337 Anm. 3 sowie Baumgartner und Wildfeuer 2000, 38).
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tion der Demokratie für die Gewährleistung umfassender Freiheit.50 Wertvoll sind insbesondere seine Hinweise darauf, dass das Mehrheitsprinzip auch problematische Konsequenzen nach sich ziehen kann. Daher ist es wichtig, dass politische Macht zum einen in ihrem Ausmaß beschränkt wird. Das kann durch horizontale und vertikale Gewaltenteilung, durch Amtszeitbegrenzungen oder auch plebiszitäre Elemente erfolgen. Zum anderen sollte auch demokratisch legitimierte Macht in inhaltlicher Hinsicht begrenzt werden. Dies geschieht dadurch, dass Grundrechte dem Mehrheitsprinzip entzogen werden.51 Hinter diesen Einschränkungen steht – so weit ist Friedman zuzustimmen – der Gedanke, dass nicht das Mehrheitsprinzip selbst das höchste Gut ist. Es ist daher angemessen, wenn es gegenüber anderen Gütern abgewogen wird. Die Gefahr von Machtmissbrauch besteht jedoch keineswegs nur in der Politik. Sowohl angesichts der faktischen Machtkonzentration im Bereich der Wirtschaft als auch angesichts des stark eingeschränkten Handlungsspielraums von Einzelpersonen in demokratischen Systemen erscheint Friedmans Argumentation als einseitig. Allein die Verstreuung politischer Macht kann individuelle Freiheit also nicht garantieren. Eine zu starke Eingrenzung politischer Handlungsspielräume kann kontraproduktiv werden, wenn durch sie eine wirksame Einschränkung ökonomischer Macht unmöglich wird. 2.) Der intrinsische Wert demokratischer Strukturen. Friedman greift allerdings zu kurz, wenn er demokratische Strukturen ausschließlich instrumentell begründet. Individuelle Lebensentwürfe sind in hohem Maße bedingt durch die formalen Regeln der Gemeinschaft, in der ein Mensch lebt. Das Maß der Selbstbestimmung hängt daher auch davon ab, ob es möglich ist, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen.52 3.) Der materiale Aspekt politischer Freiheit. Schließlich ist daran zu erinnern, dass auch politische Freiheit nicht nur formale, sondern ebenso materiale Aspekte hat.53 Demokratische Strukturen müssen daher so angelegt sein, dass sie sozialer Exklusion entgegenwirken. Insbesondere politische Bildung und transparente Verfahren sind Voraussetzung dafür, dass Menschen tatsächlich die Möglichkeit haben, sich in demokratische Prozesse einzubringen.
50 Vgl.
oben II.8.3.3 Die Demokratie als vorzugswürdige Staatsform. es keine einschneidenden gesellschaftlichen Trennlinien gibt, ist allerdings nicht davon auszugehen, dass sich Friedmans Befürchtung einer ausbeuterischen Koalition der Minderheiten erfüllt. Vielmehr ist eher damit zu rechnen, dass alle Gruppen aus Sorge vor negativen Konsequenzen für sich selbst darauf verzichten, die Situation anderer Gruppen zu verschlechtern (vgl. Zintl 2007, 88 f.). Die Gefahr des Machtmissbrauchs im politischen System ist daher nicht so groß wie von Friedman dargestellt. 52 Vgl. Taylor 1985a, 208. 53 Vgl. oben 339. 51 Sofern
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8.3.2 Demokratie als Rahmenordnung für Wertediskurse Es wurde als ein Vorzug der Demokratie beschrieben, dass sie zur Verwirklichung umfassender Freiheit beiträgt. Um dies zu leisten, muss sie darauf verzichten, selbst eine Vorstellung dessen vorzugeben, was Menschen mit ihrem Leben anfangen sollen. Eine demokratische Ordnung zielt gerade darauf, den Einzelnen ein Leben gemäß ihrer je eigenen Überzeugungen zu ermöglichen. In den bisherigen Überlegungen hat sich jedoch immer wieder gezeigt, dass unter diesen Umständen persönliche Wertüberzeugungen relevant bleiben. Fragen nach dem guten Leben können daher nicht aus politischen Debatten ausgeklammert und allein dem Privatbereich zugeordnet werden. Dies gilt beispielsweise dann, wenn bei der Evaluierung umfassender Freiheit formale und materiale Aspekte von Freiheit gegeneinander aufgewogen werden oder bei der Beurteilung von Fragen der Gerechtigkeit.54 Auch die Überwindung innerer Freiheitshemmnisse profitiert von einem offenen Austausch über Wertvorstellungen. Klarheit über die eigenen Lebensziele lässt sich am ehesten gewinnen, wenn öffentlich über verschiedene Entwürfe eines guten Lebens kommuniziert wird.55 Ein eigenständiger Wert kommt der Demokratie daher nicht nur wegen der formalen Beteiligung aller an der Gesetzgebung zu, sondern auch aufgrund ihres diskursiven Charakters.56 Dies setzt allerdings voraus, dass Demokratie nicht als ein politisches System verstanden und praktiziert wird, in dem der Bezug auf umfassende Vorstellungen vom guten Leben überflüssig ist. Vielmehr geht es um die Etablierung eines Verfahrens, das eine diskursive Verständigung über unterschiedliche Überzeugungen in Bezug auf das wahre Ziel menschlichen Lebens ermöglicht.57
8.4 Individuelle Freiheit durch sozialstaatliche Maßnahmen Friedman sieht die originäre Aufgabe des Staates in der Sicherung negativer Freiheit. Der Garantie politischer Teilhabe billigt er dafür eine mittelbare Funktion zu. Demgegenüber lehnt er es grundsätzlich ab, dass der Staat darüber hinaus auch sozialstaatliche Funktionen erüllt.58 Für die Bedeutung sozialstaatlicher 54 Vgl.
oben 311, 372. Taylor 1985a, 204 f. 56 Vgl. Sen 2009, 326 f. 57 Vgl. Sandel 1995, 46–53; Gamwell 2000, bes. 232–240, 337–339. Insofern greift Sens Formulierung des „öffentlichen Vernunftgebrauchs“ (vgl. Sen 2009, 327: „public reason“) zu kurz, wenn sie weltanschaulich-religiöse Argumente aus dem Diskurs ausschließen soll. Erforderlich ist hingegen, dass diese im Diskurs argumentativ entfaltet werden. 58 Lediglich übergangsweise schlägt Friedman Maßnahmen wie die negative Einkommenssteuer oder staatlich finanzierte Bildungsgutscheine vor (vgl. oben II. Die Demokratie als vorzugswürdige Staatsform und Exkurs: Negative Einkommenssteuer). 55 Vgl.
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Aktivitäten können demgegenüber drei Arten von Gründen angegeben werden. Erstens könnte darauf verwiesen werden, dass nicht jede frei gewählte Lebensweise gleichermaßen zu befürworten ist. Bestimmungsgemäß ist nur ein Leben, das die Bezogenheit auf andere anerkennt und daher von Solidarität und Nächstenliebe gekennzeichnet ist. Nur der Sozialstaat könne also die erforderliche Relativierung des Strebens nach Eigennutzen im engen Sinne gewährleisten. Diese Argumentation übersieht jedoch die systematischen Grenzen von Regierungshandeln. Bestimmungsgemäßer Freiheitsgebrauch kann und soll durch eine staatliche Ordnung ermöglicht, nicht aber sichergestellt werden.59 Aus diesem Grund betont eine zweite Argumentationslinie den Unterschied zwischen Liebe und Gerechtigkeit. Während Liebe sich nicht erzwingen lasse, sei die Herstellung gerechter Verhältnisse durch Zwang sowohl möglich als auch legitim.60 Häufig begegnet in diesem Zusammenhang die Vorstellung, Gerechtigkeit und Freiheit seien zwei zu unterscheidende, vielleicht sogar konfligierende Güter und eine soziale Marktwirtschaft schaffe einen Ausgleich zwischen beiden.61 Vor dem Hintergrund der hier verfolgten Argumentation ist diesem Ansatz insofern zuzustimmen, als umfassende Freiheit nicht das höchste soziale Gut ist. In der Tat ist die Herstellung von Gerechtigkeit zumindest mit der Einschränkung formaler Freiheit verbunden. Dennoch soll hier nicht von einem Gegenüber von Freiheit und Gerechtigkeit ausgegangen werden. Drittens kann nämlich argumentiert werden, dass sozialstaatliche Maßnahmen zur Verwirklichung um59 Vgl. für eine entsprechende Position z. B. Ockenfels 2004, 44–48, bes. 46: „Gefährdet wäre vor allem die Solidarität als Sozialprinzip und Strukturelement, das der individuellen Freiheit vorgelagert und aufgegeben ist – und damit auch als grundsätzlich erzwingbar erscheint.“ Ockenfels vertritt insofern eine gemäßigte Position, als er ausdrücklich darauf hinweist, dass zwar Liebe nicht erzwingbar ist, wohl aber Solidarität (vgl. Ockenfels 2004). In Kantischer Terminologie könnte man wohl sagen: Der Staat kann ein pflichtgemäßes Handeln sicherstellen, nicht aber ein Handeln aus Pflicht. Ob der Begriff „Solidarität“ tatsächlich ganz ohne einen Bezug auf Freiwilligkeit und die beteiligten Affekte verstanden werden kann, ist allerdings fraglich (vgl. Bedford-Strohm 2001, 1419). Doch auch wenn man diesen Einwand zurückstellt, erscheint Ockenfels’ Argument als problematisch. Es legitimiert Zwang damit, dass er etwas verwirklicht, das „der individuellen Freiheit […] aufgegeben“ (Ockenfels 2004, 46) ist, dessen Umsetzung er aber für „idealistisch“ (vgl. Ockenfels 2004, 47) hält. Damit verfolgt er das widersprüchliche Ziel, einen angemessenen Freiheitsgebrauch durch Zwang zu gewährleisten. 60 Vgl. z. B. Müller 1997, 317–319, bes. 317: „Diese [gesellschaftliche Strukturen, B. G.] sind nicht in der Lage, ein der Liebe in ihrem Vollsinn entsprechendes Handeln zu bewirken, sondern können lediglich gerechte Bedingungen schaffen, damit die Würde des Menschen in ihren Grundzügen geachtet wird.“ 61 Diese Denkfigur dominiert etwa bei Alfred Müller-Armack, einem der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft. Vgl. Müller-Armack 1981, 90f: „Zwei großen sittlichen Zielen fühlen wir uns verpflichtet, der Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit. […] Bloße Freiheit könnte zum leeren Begriff werden, wenn sie sich nicht mit der sozialen Gerechtigkeit als verpflichtender Aufgabe verbände. So muß die soziale Gerechtigkeit mit und neben der Freiheit zum integrierenden Bestandteil unserer künftigen Wirtschaftsordnung erhoben werden.“ Vgl. ähnlich NothelleWildfeuer 2002, 117 f. sowie für das Begriffspaar „Freiheit – Gleichheit“ Koch 2012, 284–286.
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fassender Freiheit beitragen.62 Aus dem Freiheitsprinzip selbst ergeben sich also Argumente für sozialstaatliche Aktivitäten.63 In der Auseinandersetzung mit Friedman ist diese Argumentation deswegen vorteilhaft, weil sie es erlaubt, auch bei der Begründung des Sozialstaates vom Minimalkonsens über die Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung auszugehen. Dies wird im Folgenden ausgeführt. Dabei kann zwischen zwei Formen der Intervention unterschieden werden: der Sicherung sozialer Teilhabe einerseits und verpflichtenden Sozialversicherungen andererseits. 8.4.1 Sicherung sozialer Teilhabe 1.) Die Versorgung mit Grundgütern als Bedingung umfassender Freiheit. Wiederholt wurde in dieser Arbeit darauf hingewiesen, dass umfassende Freiheit die Möglichkeit einschließt, über Ressourcen zu verfügen.64 Das Recht auf Freiheit schließt daher ein Interesse an Bedürfnis-, Chancen‑ und Ausgleichsgerechtigkeit ein.65 Damit sind hinreichend Gründe dafür benannt, warum die Verteilung materieller Ressourcen relevant für die Realisierung umfassender Freiheit ist.66 Friedman sieht staatliche Zwangsmaßnahmen dadurch legitimiert, dass sie es Menschen erlauben, ein Leben gemäß ihrer eigenen Überzeugungen zu führen. Denkt man dieses Argument konsequenter weiter, als Friedman es tut, gilt es auch für Maßnahmen, die den Zugang zu Nahrungsmitteln, zu Bildung oder Gesundheitsversorgung sicherstellen. Nur ein Staat, der auch sozialstaatliche Funktionen erfüllt, garantiert seinen Bürgern unter den Bedingungen einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten, eigen62 Vgl.
z. B. Baumgartner und Wildfeuer 2000, 39: „Aufgabe des Staates ist es insofern, die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, ökologischen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen Arbeitsverhältnisse bestimmt, unter denen Einkommen, soziale Stellung usw. erworben werden, mit dem Ziel, sowohl die Individuen wie die Gesellschaft insgesamt in die Lage zu versetzen, diejenigen Grundbedürfnisse (basic needs) zu befriedigen, die jeder Mensch qua Mensch hat und deren Befriedigung die basale Voraussetzung dafür ist, dass der Einzelne sich seine Freiheitsräume überhaupt erschließen und sie gestalten kann.“ Vgl. ähnlich Dahrendorf 1975, 73–76; Zintl 2000, 110 f.; Kersting 2001, 74–76. Wolfgang Kersting geht in diesem entscheidenden Punkt über Friedman hinaus. Allerdings bleibt auch er einer dualistischen Gegenüberstellung von Individualität und Sozialität verhaftet (vgl. Kersting 2001, 87). Lässt man diese hinter sich, wird deutlich, dass Freiheitsfürsorge neben der Daseinsfürsorge auch das Problem von Machtasymmetrien und die politische Mitgestaltung einbeziehen muss. Kerstings polemische Ablehnung egalitaristischer und demokratischer Begründungen des Sozialstaats (vgl. Kersting 2001, 76–87) ist daher zumindest überzogen. 63 Ein Freiheitsbegriff, der positive Aspekte umfasst, ist charakteristisch für die soziale Marktwirtschaft (vgl. Nass 2006, 202 f.). 64 Vgl. bes. oben 3.3.1 Äußere Hemmnisse umfassender Freiheit. 65 Vgl. oben 6.2 Freiheit und Gerechtigkeit. 66 Am offensichtlichsten sind staatliche Eingriffe in die Verteilung von Gütern durch direkte Umverteilung. Sie erfolgen aber z. B. auch durch die konkrete Ausgestaltung von Eigentumsrechten (vgl. Jähnichen 1998, 195–202) oder die Ausgestaltung des Steuersystems.
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verantwortlichen Leben.67 Im Mittelpunkt steht dabei die Sicherstellung der Grundfähigkeiten, die Voraussetzung für den Gebrauch von Freiheit sind, und die Versorgung mit den dafür erforderlichen Grundgütern.68 Da menschliche Freiheit stets sozial bedingt ist, variiert der zum Erfüllen von Grundbedürfnissen erforderliche Bedarf an Gütern je nach gesellschaftlichem Kontext. Sofern die Versorgung mit elementaren Gütern nicht angemessen über den Markt erfolgen kann, ist eine bloße Umverteilung von Geld nicht ausreichend. Der Staat fördert individuelle Freiheit dann dadurch, dass er den Zugang zu den Gütern sichert oder diese selbst bereitstellt.69 Offensichtlich ist dies der Fall bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass es technisch nicht möglich ist, Menschen von ihrer Nutzung auszuschließen, ohne dass dabei ein unangemessen hoher Aufwand zu betreiben wäre. Dies gilt etwa für einen Deich, einen Leuchtturm oder innerstädtische Straßen.70 In diesem Fall erkennt auch Friedman an, dass die staatliche Bereitstellung von Gütern für die Gewährleis67 Vgl. Rendtorff 1981, 95–98. Darauf zielt auch die Argumentation Ulrich Becks ab. Dieser unterscheidet eine Individualisierung auf der Basis relativer sozialer Sicherheit von einer Atomisierung, in der Menschen mit ihren Lebensrisiken alleine gelassen werden. Nur erstere bedeutet einen Zuwachs an Selbstbestimmung (vgl. Beck und Willms 2001, 102–104). 68 Vgl. Ulrich 2008, 291 f. Es liegt also nahe, umfassende Freiheit mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen zu verbinden, wie es insbesondere Phillipe van Parijs unter dem Stichwort „real freedom for all“ tut (vgl. van Parijs 1995, bes. 32–38; vgl. ähnlich auch Müller 2006, bes. 45, 50–52). Im Vergleich zu Friedmans Vorschlag einer negativen Einkommenssteuer sind weniger die technischen Differenzen relevant (vgl. van Parijs 1995, 57), sondern die Begründung. Anders als es bei Friedman der Fall ist (vgl. oben 202), könnte van Parijs’ Konzept durchaus als Mittel zur Steigerung umfassender Freiheit angeführt werden. Allerdings ist zu beachten, dass im Sinne der Eigenverantwortung grundsätzlich ein selbst erwirtschaftetes Einkommen gegenüber dem Transferempfang vorzuziehen ist. Zu den menschlichen Grundbedürfnissen gehört das Bedürfnis nach Teilhabe und sinnhafter Tätigkeit. Dies ist zumeist mit (entlohnter) Arbeit verbunden. Wichtig ist deswegen, dass die Sicherung von Grundbedürfnissen unabhängig von der erfolgreichen Partizipation am Arbeitsmarkt nicht zu Lasten gesellschaftlicher und politischer Bemühungen um die Eingliederung in den Arbeitsmarkt erfolgt. Geschieht dies, kann die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu einer Schwächung sozialer Teilhabe führen (vgl. Wegner 2007, 5; Zeeb 2007, 21). Zur Abwägung zwischen bedingungslosem Grundeinkommen, negativer Einkommenssteuer und Recht auf Arbeit vgl. auch Ulrich 2008, 295–307. 69 Letzteres kann der Fall sein, wenn ein Gut sehr komplex ist. Menschen können ihre Bedürfnisse dann auf einem Markt zielgerichtet befriedigen, wenn sie die Qualität von Gütern leicht erkennen, Wiederholungskäufe tätigen und viele konkurrierende Anbieter auftreten. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln kann besser durch die Umverteilung von Bargeld oder das Austeilen von Gutscheinen sichergestellt werden. Im Bereich der Schulbildung hingegen kann dies durchaus in Zweifel gezogen werden (vgl. Hirschman 1993a, 179 f.). Ein weiteres Argument für die staatliche Bereitstellung von Gütern ist es, wenn eine private Verfügbarkeit dazu führt, dass Privilegierte sich nicht hinreichend für eine angemessene Qualität der allgemein verfügbaren Dienste einsetzen (vgl. Satz 2010, 108). 70 Als weiteres Kriterium für öffentliche Güter wird häufig das Prinzip der Nicht-Rivalität angeführt. Dieses ist erfüllt, wenn die Nutzung eines Gutes nicht die Nutzung durch andere beeinträchtigt (z. B. der Empfang von Fernsehprogrammen). Es spielt bei Friedman jedoch keine Rolle, was aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist (vgl. Bouillon 1997, 142–147, 159 f.).
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tung individueller Freiheit erforderlich ist.71 Hier zeigt sich ein weiterer Hinweis darauf, dass er gelegentlich, aber eben nicht konsequent, auch materiale Aspekte von Freiheit berücksichtigt. Schwierig ist die genaue Feststellung, was als öffentliches Gut angesehen wird und vom Staat bereitgestellt werden sollte. Dabei spielen nicht nur praktische, sondern auch normative Kriterien eine Rolle. Es lässt sich zwar grundsätzlich feststellen, dass es für manche Güter ein Marktversagen gibt und daher staatliche Leistungen legitim sind. Welche Güter im Einzelnen vom Staat bereitgestellt werden sollen, hängt aber auch von Urteilen darüber ab, welche Handlungsvollzüge in einer Gesellschaft als so elementar angesehen werden, dass sie allen Mitgliedern offenstehen sollten.72 Ein weiterer wichtiger Aspekt ergibt sich aus den Überlegungen zur Bedeutung von Freiwilligkeit und Wettbewerb.73 In modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften besteht für die wenigsten Menschen die Möglichkeit, ganz auf Interaktion zu verzichten. Daher ist es für die Gewährleistung von Freiwilligkeit auf dem Markt wichtig, dass alle Beteiligten alternative Möglichkeiten haben. Das wird dann gefördert, wenn die jeweilige Existenz auch dann gesichert ist, wenn z. B. ein Arbeitsverhältnis nicht zustande kommt oder aufgelöst wird. Die staatliche Sicherung sozialer Teilhabe trägt so dazu bei, dass Machtasymmetrien abgebaut werden und der Grad an Freiwilligkeit erhöht wird. Erst unter dieser Bedingung kann ein Austausch auf dem Markt als „frei“ gelten.74 Interaktionen, von denen einseitig ein Partner profitiert, werden so weniger wahrscheinlich.75 Die Sicherung sozialer Teilhabe stärkt jedoch nicht nur die umfassende Freiheit derer, die unmittelbar von der Umverteilung profitieren. Es ist zu beachten, dass alle Menschen in ihrer Lebensführung durch das soziale Umfeld bedingt sind. Die sozialstaatliche Sicherung von Grundbedürfnissen trägt dazu bei, dass weniger mit Kriminalität, der Verbreitung von Krankheiten und mit gesellschaftlichen Spannungen zu rechnen ist. Insofern kann die Gewährleistung des sozialen Friedens als ein öffentliches Gut angesehen werden, von dem auch diejenigen profitieren, die dafür einen Teil ihres Vermögens abgeben müssen. Ähnliches gilt im Bereich der Bildung. Eine gute Bildung fördert nicht nur die
71 Vgl.
oben 190. Bouillon 1997, 149–158. Inhaltlich sind entsprechende Überlegungen an den Grundfähigkeiten zu orientieren, die für ein menschengerechtes Leben sichergestellt sein müssen (vgl. oben 288). Dass ein Gut nicht-exklusiv ist, ist kein hinreichender Grund dafür, dass es auch vom Staat bereitgestellt werden sollte (z. B. die flächendeckende Versorgung einer Stadt mit Blumenduft oder ein allabendliches Feuerwerk). Andererseits gibt es Güter, bei denen eine Exklusivität grundsätzlich praktikabel wäre, aber aus normativen Gründen nicht akzeptiert würde (z. B. die Privatisierung von Polizeischutz oder die Nutzung von städtischen Gehwegen, die durch den Einsatz von Satellitensystemen zu einem privaten Gut werden könnte). 73 Vgl. oben 7.3.1 Fehlende Freiwilligkeit: Konzentration ökonomischer Macht. 74 Vgl. Schulte 2014, 101–105. 75 Vgl. Eucken 1990, 322. 72 Vgl.
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individuellen Lebenschancen, sondern ist zugleich Voraussetzung für ein gelingendes Zusammenleben, insbesondere in einer demokratischen Gesellschaft.76 2.) Die Sicherung von Grundbedürfnissen und ‑fähigkeiten als legitimer Grund für Einschränkungen von Freiheit. Friedman wendet sich gegen sozialstaatliche Interventionen mit dem Argument, dass diese nur durch Zwang realisiert werden können.77 Dieses Argument verstärkt sich noch, wenn die Möglichkeit, über Ressourcen zu verfügen, als notwendige Bedingung von Freiheit angesehen wird. Die zwangsweise Erhebung von Steuern oder anderen Abgaben zur Sicherstellung der Grundfähigkeiten anderer schränkt die Freiheit der Zahlenden nicht nur in formaler, sondern auch in materialer Hinsicht ein.78 Diesem Einwand steht entgegen, dass ein absolutes Recht am Eigentum nicht begründet werden kann.79 Die Bedeutung von Eigentumsrechten leitet sich aus ihrem Beitrag zur Gewährleistung umfassender Freiheit ab. Gerade deshalb sind Eigentumsrechte dahingehend zu relativieren, dass die Gewährleistung umfassender Freiheit auch ihre Einschränkung legitimiert. Insofern folgt die sozialstaatliche Umverteilung von Gütern dem von Friedman vorausgesetzten Grundprinzip des Staates: Durch die Anwendung von Zwangsmitteln wird eine Rahmenordnung geschaffen, in denen Menschen im größtmöglichen Umfang die Möglichkeit haben, ein Leben gemäß eigener Überzeugungen zu führen.80 76 Vgl. Baumgartner und Wildfeuer 2000, 44. Aus diesem Grund kann auch die staatliche Verordnung einer Schulpflicht begründet werden (vgl. Baumgartner und Wildfeuer 2000, 44 f.), wie sie auch Friedman zumindest phasenweise vertritt (vgl. oben 196). 77 Vgl. oben 195, bes. Anm. 81. 78 Ein ähnliches Argument hat Peter Sloterdijk öffentlichkeitswirksam in die deutsche Öffentlichkeit getragen. Er weist darauf hin, dass jede Form von Steuern – auch die zur Finanzierung der Sicherung negativer Freiheit und politischer Freiheit – einen staatlichen Zwang darstellt. Dies werde der vertragstheoretischen Begründung des modernen Staates nicht gerecht (vgl. Sloterdijk 2010, 25–29). Allerdings geht Sloterdijk erstens nicht darauf ein, dass das Prinzip der Freiheitssicherung durch Zwang nicht nur der Finanzierung des Staates, sondern dem Staat überhaupt zugrunde liegt. Dass ein Staat für nötig gehalten wird, liegt genau am von Sloterdijk kritisierten „negativen“ Menschenbild, wonach damit zu rechnen ist, dass Menschen ihren Vorteil auf Kosten anderer maximieren (vgl. Sloterdijk 2010, 8, 38–43). Nach Sloterdijks Logik wäre es auch vorzuziehen, dass sich Menschen aus freier Einsicht an die Straßenverkehrsordnung, geschlossene Verträge oder das Verbot von Diebstahl halten. Insofern wären nicht nur Steuergesetze, sondern Gesetze überhaupt in Konflikt mit moderner Autonomie. Zweitens ist Sloterdijks Argumentation ein Beispiel für eine Vorstellung von „natürlichem“ Eigentum, die die sozial-rechtliche Konstituiertheit von Eigentumsrechten übergeht (vgl. oben 315, bes. Anm. 70). 79 Vgl. oben 3.3.2 Umfassende Freiheit und das Recht an Eigentum sowie Jung 2005, 343 f. 80 Die Berücksichtigung der Bedürfnisgerechtigkeit wird am realistischsten mittels des ordnungspolitischen Rahmens sichergestellt. Dennoch sollte sie – besonders wenn eine entsprechende Ordnung fehlt – auch auf individueller Ebene, z. B. beim Schließen eines Arbeitsvertrages oder einer privaten Wohltätigkeitsorganisation, berücksichtigt werden (vgl. Hecker 2008, 308). Die Feststellung, dass der Staat individuelle Freiheit auch durch die Sicherstellung sozialer Teilhabe realisiert, bedeutet nicht, ihn umfassend als „Garant des Gemeinwohls“ anzusprechen, wie es Friedrich Wilhelm Graf recht allgemein der theologischen Sozialethik vorwirft (vgl. Graf 2000, 39–41, 50 f.). Dass nüchtern nach jeweils effizienten Weisen des sozialen Ausgleichs
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3.) Einschränkungen umfassender Freiheit durch staatliche Sozialpolitik. Bei der grundsätzlich positiven Würdigung des Beitrags von Sozialpolitik für die Realisierung umfassender Freiheit darf nicht übersehen werden, dass zwischen beiden auch eine kritische Relation besteht. In ökonomischer Hinsicht kann eine umfassende soziale Sicherung dazu führen, dass Anreize für unangenehme produktive Tätigkeiten verlorengehen. So kann die Summe der erwirtschafteten Güter und damit die Grundlage für materiale Freiheit zurückgehen. Sozialer Ausgleich und wirtschaftliche Effizienz müssen daher gegeneinander abgewogen werden.81 In psychosozialer Hinsicht kann eine staatliche Versorgung zu Passivität und dem Verlust von Eigeninitiative führen und innere Freiheitshemmnisse aufbauen. Insofern ist die – leichter formulierte als verwirklichte – Form eines aktivierenden Sozialstaates einem Versorgungsstaat vorzuziehen.82 Es ist außerdem daran zu erinnern, dass unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten in erster Linie Chancengerechtigkeit anzustreben ist.83 Ziel staatlicher Sozialpolitik sollte daher primär die Angleichung bzw. Ausweitung von Chancen sein, weniger die Angleichung der Einkommen. Staatliche Sozialleistung sollen Eigenverantwortung ermöglichen, nicht ersetzen.84 Trotz der kritischen Einwände bezüglich nicht intendierter (negativer) Konsequenzen sozialstaatlicher Programme ist jedoch festzuhalten, dass diese nicht systematisch erfolglos sind, sondern durchaus positive Effekte haben. Die dargestellten Negativkonsequenzen lassen sich empirisch weit weniger deutlich nachweisen als von Kritikern wie Friedman gefragt werden muss (vgl. Graf 2000, 41–43), ist sowohl gegen etatistisch-korporatistische als auch liberalistisch-individualistische Engführungen einzuwenden. 81 Vgl. Hagel 1993, 263–270; Sen 2001, 120. 82 Dies entspricht dem Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre. Demnach sollen gesellschaftliche Strukturen so beschaffen sein, dass sie auf die Ermöglichung von Eigenverantwortung zielen. Das schließt einerseits eine Beschränkung staatlichen Handelns ein, sofern kleinere Einheiten in der Lage sind, mit bestimmten Sachverhalten angemessen umzugehen. Andererseits verpflichtet es die jeweils größere Einheit und zuletzt den Staat zu Unterstützung, wo dies erforderlich ist (vgl. Vogt 2000, 28–36; Schöpsdau 2001, 1562 f.; Ockenfels 2004, 48–50). 83 Vgl. Hagel 1993, 271–275; Sen 2001, 132. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich der Staat auf die formale Garantie von Chancengerechtigkeit zurückziehen sollte. Es ist mehr als fraglich, dass die erforderliche Abwägung von sozialem Ausgleich und ökonomischer Effizienz am erfolgreichsten ist, wenn auf staatliche Sozialleistungen ganz verzichtet wird (so unter Berufung auf eine christliche Verantwortungsethik Walter 1994, 45 f.). 84 Vgl. Nass 2006, 211 f., 237 f. An der Argumentation bei Nass wird zugleich deutlich, wo Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Forderung liegen. Es ist keineswegs eindeutig feststellbar, in welchem Fall Menschen „sich nach Kräften um eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt bemühen“ (Nass 2006, 268). Ob dies der Fall ist, kann nur gesagt werden, wenn wirklich ersichtlich ist, welche „Kräfte“ ein Mensch hat und die sozioökonomischen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Den Vorwurf mangelnder Verantwortung in der Gesundheitsvorsorge kann man nicht nur denjenigen machen, die zu viel rauchen und Risikosportarten ausüben (vgl. Nass 2006, 269 f.), sondern auch denjenigen, die ihre physische und psychische Gesundheit durch hohen beruflichen Stress und Ehrgeiz gefährden. Die von Nass geforderten Abschläge von Sozialleistungen bei mangelnder Eigenverantwortung setzen daher eine detaillierte Kontrolle von Lebensgewohnheiten voraus, die ihrerseits stark bevormundenden Charakter hat.
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häufig suggeriert wird.85 Erforderlich ist ein unideologisches Abwägen der zu erwartenden Konsequenzen sozialstaatlicher Unterstützung.86 Soziale Absicherung ermöglicht es Individuen, einen eigenständigen Lebensplan zu entwickeln. Gerade in dieser positiven Leistung ist wiederum eine Einschränkung individueller Freiheit begründet, die von liberalen Fundamentalkritikern oft übersehen wird. Sozialstaatliche Leistungen sind zwangsläufig an Normierungen gebunden, die Anspruchsrechte regeln. Dadurch ergibt sich eine Standardisierung, die Muster für individuelle Lebensläufe vorgibt.87 So beeinflussen die vom Staat geleisteten Unterstützungen etwa Dauer und Zeitpunkt von Ausbildungsabschnitten, Familiengründung, Erziehungszeiten und der Phase der Erwerbsarbeit. Diese Einschränkungen umfassender Freiheit sind wohl nicht gänzlich zu vermeiden und müssen gegen die jeweils eröffneten Freiräume abgewogen werden. Im Sinne umfassender Freiheit ist es jedoch anzustreben, dass Sozialleistungen grundsätzlich so ausgestaltet werden, dass sie eine individuelle Lebensgestaltung ermöglichen. Wünschenswert wären in diesem Sinne etwa die Förderung von Teilzeitmodellen und die Möglichkeit zu einem flexiblen, schrittweise Ausscheiden aus der Phase der Erwerbsarbeit. 8.4.2 Pflicht zur Sozialversicherung Sozialstaatliche Maßnahmen sind nicht auf die Sicherung von Grundbedürfnissen und sozialer Teilhabe beschränkt. So verpflichtet etwa in Deutschland ein umfassendes System von Sozialversicherungen alle abhängig Beschäftigten zur Vorsorge für das Alter, eintretende Arbeitslosigkeit und den Krankheitsfall.88 Die Frage nach der Vereinbarkeit von Freiheit und Sozialstaat stellt sich hier in anderer Form als bei der Sicherung sozialer Teilhabe für diejenigen, die dazu aus eigener Kraft nicht in der Lage sind. Es kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden, welche Maßnahmen im Einzelnen legitim sind und wie sie so ausgestaltet werden können, dass sie Freiheit am wenigsten einschränken. Stattdessen soll auf zwei Gründe hingewiesen werden, aus denen verpflichtende Sozialversicherungen auch aus der Perspektive umfassender Freiheit angebracht sein können.89 85 Vgl.
Bonoli et al. 2000, 97–115. Vorwurf der Ideologie kann Friedman in diesem Zusammenhang gemacht werden. Grund dafür ist das Vorgehen, von der Möglichkeit nicht-intendierter Effekte auf die Unmöglichkeit intendierter Effekte zu schließen (vgl. z. B. Friedman 1983a, 73 f.). Albert O. Hirschman bezeichnet eine solche Argumentation treffend als„Sinnverkehrung“ und weist auf ihre ideologische Struktur hin (vgl. Hirschman 1993c, 260–268). 87 Vgl. Mayer und Müller 1989, 51–55. 88 Von den gesetzlichen Regelungen über die Finanzierung unter Einbeziehung des Arbeitgebers sehe ich in diesem Zusammenhang ab. Sie ist von der grundsätzlichen Pflicht zur Sozialversicherung zu unterscheiden. 89 Unberücksichtigt bleibt dabei das Argument, dass über verpflichtende Sozialversicherungen sichergestellt wird, dass Grundgüter für alle Menschen verfügbar gemacht werden. In dieser Perspektive sind verpflichtende Sozialversicherungen ein (nicht unbedingt besonders geeig86 Der
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1.) Paternalistische Gründe. Auch innere Hemmnisse können die Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben mindern. In Abschnitt 3.3.3 wurde deshalb argumentiert, dass liberale Formen des Paternalismus mit dem Ziel umfassender Freiheit vereinbar sein können. Entscheidend dabei ist, dass Menschen durch kurzfristige Wünsche zu Handlungen verleitet werden, die in Widerspruch zu Zielen stehen, die sie am Kriterium ihrer (eigenen!) Metapräferenzen als wichtiger erachten. Diesem Problem begegnen sie in der Form kollektiver Selbstverpflichtung. Staatliche Maßnahmen wie die Pflicht zur Renten‑ und Krankenversicherung oder Warnhinweise auf Zigarettenschachteln können in Weiterführung Schellings90 als „kollektives self-management“ verstanden werden. Der Grundgedanke ist dabei, dass über die Wünschbarkeit bestimmte Güter (finanzielle Sicherheit im Alter, gute Gesundheitsversorgung) ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens besteht. Zugleich besteht die Gefahr, dass die entsprechenden Güter durch kurzfristig dominierte Präferenzen zu sehr in den Hintergrund gedrängt werden. Die Sozialversicherungspflicht kann daher als kollektiver liberaler Selbstpaternalismus verstanden werden, da sie es einer Vielzahl von Menschen ermöglicht, die von ihnen selbst als wichtig erachteten Ziele tatsächlich zu erreichen.91 Eine ähnliche Problemlage ergibt sich bei komplexen Produkten. Bei diesen entstehen Informationsasymmetrien und für den Einzelnen hohe Transaktionskosten. Daher ist es durchaus möglich, dass die Mehrzahl der Menschen ihre Ziele besser erreicht, indem der Staat Entscheidungen vorgibt oder zumindest strukturiert.92 Zu fragen ist jedoch, ob der kollektive Selbstpaternalismus nicht die Möglichkeit vorsehen müsste, aus dem System der staatlichen Sozialversicherungen – ggf. nach einer vorgeschriebenen Beratung – auszusteigen.93 Nur in diesem Fall lässt sich tatsächlich von einem „liberalen“ Paternalismus sprechen. netes) Mittel zur Sicherung sozialer Teilhabe aller (vgl. von Hayek 2011, 406; Satz 2010, 74 f.). Hier geht es um Sozialversicherungen unter der Perspektive, dass sie eine Pflicht zur Vorsorge für den eigenen Unglücksfall darstellen. 90 Vgl. oben 280. 91 Vgl. Eidenmüller 1998, 378 f. Daher ist der Hinweis auf die Möglichkeit, auch ohne kollektive Verpflichtung könne eine (ggf. unkündbare) Krankenversicherung abgeschlossen werden, kein ausreichendes Gegenargument. Die Erfahrung zeigt, dass schon das Vorhaben zum Abschluss einer Versicherung zu jenen Präferenzen gehört, die häufig durch kurzfristige Wünsche in den Hintergrund gedrängt werden. Auf die Überwindung dieses Problems zielt die kollektive Selbstverpflichtung. An diesem Beispiel wird erneut deutlich, dass ggf. zwischen materialer und formaler Freiheit abgewogen werden muss. Unter der Perspektive umfassender Selbstbestimmung ist dabei ein wichtiger Faktor, wie allgemein das so verpflichtend realisierte Ziel de facto erwünscht ist. Ein wichtiger Maßstab können auch Grundbedürfnisse sein, die in einem universalen Sinne als „wahre Bedürfnisse“ anzuerkennen sind (vgl. oben 287). 92 Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein führen als Beispiel Maßnahmen an, die zu einer sinnvollen privaten Altersvorsorge animieren sollen (vgl. Thaler und Sunstein 2009, 153–166, 177–180, 199–215). 93 Schließlich kann es auch Gründe geben, aus denen Menschen keine Krankenversicherung abschließen möchten – etwa wenn jemand aus religiösen Gründen medizinische Eingriffe
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2.) Adverse Selektion. Auf dem Versicherungsmarkt stellt sich das Problem der adversen Selektion. Diese kann dazu führen, dass Versicherungen auf dem Markt überhaupt nicht oder für bestimmte Risikogruppen nicht zu attraktiven Preisen erhältlich sind.94 Solche Schwierigkeiten treten etwa infolge der Reduzierung staatlicher Versorgungsleistungen beim Abschluss von Berufsunfähigkeitsversicherungen auf. Ähnliche Probleme könnte eine vollständige Privatisierung von Arbeitslosen‑ oder Krankenversicherungen nach sich ziehen. Die Pflichtversicherung wirkt dem dadurch entgegen, dass es nicht zu einer adversen Selektion kommt, da auch Menschen mit geringem Schadensrisiko eine Versicherung abschließen müssen.95 Sieht man es als ein wichtiges Gut an, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich gegen bestimmte Risiken abzusichern, kann durch die Versicherungspflicht Marktversagen verhindert werden. In diesem Fall ist die Einschränkung formaler Freiheit gegen einen Gewinn an materialer Freiheit abzuwägen. Dieser besteht darin, dass ein für wichtig erachtetes Gut verfügbar wird, welches auf einem freien Markt (unter Umständen) nicht erhältlich wäre. Ob dies eine hinreichende Legitimation einer Pflichtversicherung darstellt, hängt einerseits davon ab, ob für den betreffenden Fall tatsächlich mit Marktversagen gerechnet wird, und andererseits davon, als wie wichtig das betreffende Gut gesellschaftlich eingeschätzt wird.
8.5 Individuelle Freiheit durch Ermöglichung von Selbstreflexion Ein weiterer Bereich möglicherweise legitimer Staatsaktivität folgt aus der Tatsache, dass menschliche Freiheit auch inneren Hemmnissen unterliegen kann.96 Umfassende Freiheit setzt daher voraus, dass Menschen über die von ihnen verfolgten Ziele Klarheit gewinnen. Auch dies kann durch staatliche Eingriffe befördert werden. Zu denken ist etwa an eine Einschränkung nicht-informativer Werbung. Dies könnte die Beeinflussung individueller Präferenzstrukturen mindern und insbesondere die Beförderung des Konsumismus durch Werbung abprinzipiell ablehnt oder hedonistisch sein ganzes Vermögen für den Genuss im Hier und Jetzt ausgeben möchte. Anders verhält es sich, wenn ein Mensch durch die Verweigerung einer medizinischen Behandlung andere gefährdet (z. B. bei ansteckenden Krankheiten). Hier kann die Sicherung der Freiheit anderer eine Behandlungspflicht rechtfertigen. 94 Versicherungsgeber werden damit rechnen, dass am ehesten Personengruppen mit hohem Risiko eine Versicherung abschließen und ihre Preise entsprechend gestalten. Für Menschen mit durchschnittlichem Risiko sind die erhältlichen Produkte daher nicht attraktiv. Gelingt es den Versicherern hingegen, Risikofaktoren zu identifizieren, können sie den Personengruppen jeweils unterschiedliche Tarife anbieten. Das aber verschiebt das Problem nur. Innerhalb der jeweiligen Personengruppen tritt es erneut auf. Dieser Mechanismus der Preisdiskriminierung kann dazu führen, dass für Menschen, die bestimmte Eigenschaften aufweisen, ein Versicherungsschutz kaum finanzierbar ist. Vgl. zur adversen Selektion oben 386, bes. Anm. 49. 95 Vgl. Akerlof 1970, 494; Hagel 1993, 272. 96 Vgl. oben 3.3.3 Innere Hemmnisse umfassender Freiheit.
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mildern.97 Allerdings ist eine solche Einschränkung nur um den Preis anderer, vermutlich erheblicher Einschränkungen von Freiheit zu erreichen. Weniger bedenklich dürfte eine Förderung von Bildung und Kultur sein.98 Bereits unter dem Aspekt der sozialen Teilhabe wurde auf die Bedeutung von Bildung verwiesen. Im Zusammenhang innerer Freiheitshemmnisse wird nun besonders deutlich, dass dabei nicht nur an „technische“, direkt auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Aspekte von Bildung zu denken ist.99 Umfassende Freiheit wird gefördert durch eine umfassende Persönlichkeitsbildung, die zum Beispiel auch musische, literarische, religiöse und ethische Aspekte umfasst. Ein weiterer Bereich, in dem staatliche Maßnahmen zum Abbau innerer Freiheitshemmnisse beitragen können, ist der Schutz von Sonn‑ und Feiertagen. Diese Tage werden der Dynamik des Wettbewerbs entzogen, wodurch der für kommunikative Selbstreflexion erforderliche zeitlich Rahmen ermöglicht wird.
8.6 Leistungsfähigkeit von Staaten im Kontext der Globalisierung 1.) Freiheitsgewinne durch die Globalisierung. Die bisherigen Überlegungen orientieren sich an einer herkömmlichen Sicht auf „den Staat“ als Garant eines Ordnungsrahmens für freiwillige Interaktion. Unter den Bedingungen der Globalisierung erweist sich diese Sichtweise in Fällen als defizitär. Gerade transnationale Großunternehmen sind nicht an den rechtlichen Rahmen eines bestimmten Staates gebunden, sondern können sich aussuchen, in welchem rechtlichen Kontext sie Verträge abschließen und Geschäfte tätigen. Vielfach können sie dadurch selbst Recht setzen. Aus Friedmans Perspektive sind diese Entwicklungen eindeutig zu begrüßen. Durch die Globalisierung steigt (zumindest kurzfristig) die Zahl potenzieller Interaktionspartner, sodass Wettbewerb eher gewährleistet ist als auf nationalen Märkten. Auch die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Rechtssystemen zu wählen, beurteilt Friedman positiv. Diese verhindert die Ausnutzung politischer Macht und ermöglicht den Einzelnen die Wahl eines politischen Systems, das mit ihren Präferenzen übereinstimmt. Damit sind in der Tat positive Konsequenzen der Globalisierung benannt. Unter Berücksichtigung materialer Freiheitsaspekte sind Effizienzgewinne durch globalen Handel zu veranschlagen. Ob tatsächlich global gesamtwirtschaftliche Effizienzgewinne vorliegen, kann jedoch nur bei einer vollständigen Internalisierung externer Effekte festgestellt werden. Unter den gegenwärtigen Bedingungen sind etwa die ökologischen Kosten von Gütertransporten unterbewertet.
97 Vgl.
Witt 2012, 217–227, 240–244. Witt 2012, 239 f. 99 Vgl. Herms 2007a, 358–361. 98 Vgl.
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2.) Gefährdung von Freiheit durch die Globalisierung. Andererseits haben die Überlegungen zum Verhältnis zwischen Freiheit und den Institutionen Markt und Staat gezeigt, dass ein Zurückdrängen des staatlichen Einflusses individuelle Freiheit auch einschränken kann. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung transnationaler Konzerne, die enorme ökonomische Machtfaktoren darstellen und auf lokalen Märkten Abhängigkeiten erzeugen können.100 Machtasymmetrien werden aufgebaut oder verstärkt, da globale Konzerne und Eliten eine weit größere Mobilität aufweisen als ortsgebundene und weniger gut gebildete Bevölkerungsgruppen.101 Das Problem, dass die Dynamik des Marktes die Möglichkeit nicht vollständig an ökonomischer Effizienz ausgerichteter Lebensstile einschränkt, erfährt dadurch eine Verstärkung.102 Die weitgehende Unabhängigkeit großer Unternehmen verschafft diesen eine gute Verhandlungsposition gegenüber Parlamenten und Regierungen, sodass es auch zu Verwerfungen politischer Freiheit kommen kann. Schließlich ist die Sicherung von Grundbedürfnissen durch Umverteilung von Eigentum erschwert, wenn es vermögenden Menschen oder Institutionen möglich ist, dieses dem Zugriff des Staates zu entziehen. Die positiven Effekte, die staatliche Eingriffe auf die Verwirklichung umfassender Freiheit haben können, sind durch die Globalisierung gefährdet. Gleichzeitig gewinnen etwa der Schutz vor Machtasymmetrien oder die Sicherung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung im Kontext eines weltweiten Wettbewerbs noch an Bedeutung.103 Dies kann dazu führen, dass einzelne Maßnahmen andere Effekte haben und daher neu beurteilt werden müssen. 3.) Herausforderungen für das politische System durch die Globalisierung. Die grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Freiheit, Markt und Staat werden durch die Globalisierungsdynamik nicht hinfällig.104 Diese führt jedoch dazu, dass Konzeptionen des Politischen gegenüber dem nationalstaatlichen Modell in zweierlei Hinsicht erweitert werden müssen. Erstens ist der zunehmenden Interdependenz zwischen Staaten Rechnung zu tragen. Viele staatliche 100 Zur Gefährdung von Freiheit durch den globalen Finanzmarkt vgl. Hübner 2009, 185 f.; Hübner 2011, 326–328. 101 Vgl. Bonoli et al. 2000, 60–62. Die Globalisierung trägt also auf zweierlei Weise zu zunehmenden Einkommensdifferenzen bei. Einerseits erhöht sie die Zahl potenzieller Arbeitnehmer, was insbesondere in Industrieländern zu rückgängigen Löhnen führt. Andererseits besteht für gut ausgebildete, mobile Arbeitskräfte auch eine weltweite Nachfrage, was für diese Gruppe Einkommensvorteile nach sich zieht (vgl. Neckel und Dröge 2002, 97). 102 Vgl. oben 7.4.2 Die Dynamik des Wettbewerbs und die Einschränkung umfassender Freiheit. Auch auf globaler Ebene bedarf es also einer Balance „zwischen der (Tausch‑)Freiheit im Markt und der Freiheit vom Markt und seinen Wettbewerbszwängen“ (Thielemann 2010, 240 f.; vgl. Thielemann 2010, 233–243). 103 Vgl. Bonoli et al. 2000, 65–69; Crouch 2011, 179–189. 104 Wie in Abschnitt 6.2 Freiheit und Gerechtigkeit betont wurde, hängt das Thema der Gerechtigkeit eng mit dem der Freiheit zusammen. Auch Gerechtigkeitsfragen müssen demnach im globalen Horizont behandelt werden (vgl. van Parijs 1995, 227–230; Nussbaum 2006, 311–324).
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Aufgaben, etwa die Bereitstellung wichtiger öffentlicher Güter, die Internalisierung externer Effekte oder die Herstellung eines sozialen Ausgleichs können daher nicht auf nationaler Ebene gelöst werden. Diese Aufgaben machen eine Kooperation erforderlich, die nur durch die (Weiter‑)Entwicklung internationaler Institutionen und Organisationen erreicht werden kann.105 Zweitens zeigt das Auftreten transnationaler Konzerne, dass nicht nur Staaten als politikmächtige Akteure auftreten. Aufgrund der Erosion staatlicher Möglichkeiten und des zunehmenden Einflusses großer Unternehmen wächst deren Verantwortung, legitime Ansprüche anderer von sich aus zu berücksichtigen.106 Die Wahrnehmung von Verantwortung setzt in der Regel eine Instanz voraus, die diesen Anspruch artikuliert. Wichtig ist daher die Entwicklung einer globalen Zivilgesellschaft, die dem Missbrauch von Machtasymmetrien entgegenwirkt.107 Da politische Prozesse ohne diese Akteure kaum effizient gestaltet werden können, ist es sinnvoll, sie in staatliche Aktivitäten einzubinden. Gleichzeitig ist zu fragen, wo der demokratisch nicht legitimierte Einfluss von Interessengruppen problematisch wird.108
8.7 Kritische Würdigung von Friedmans Argumentation Friedmans Argumentation für den Staat ist eine Konsequenz seines pragmatischen Liberalismus. Die vom Staat angewandten Zwangsmittel erscheinen ihm als kleineres Übel, da sie ein Maximum an individueller Freiheit sicherstellen. Diese Herangehensweise kann grundsätzlich überzeugen. Einerseits legitimiert sie staatliches Handeln, da es Freiheit unter der Bedingung einer konfliktreichen Sozialität möglich macht. Der Staat schafft eine Rahmenordnung, in der ein selbstbestimmtes Leben möglich ist. Insofern ist er eine notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung für ein menschengerechtes Leben. Andererseits begrenzt Friedmans Argumentation den legitimen Bereich staatlichen Handelns. Es kann und soll den Menschen nicht die Aufgabe abnehmen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Innerhalb der Rahmenordnung ermöglicht er eine Vielfalt von Lebensentwürfen – auch solche, die aus christlicher Perspektive nicht bestimmungsgemäß sind. Im Einzelnen zeigt sich aber, dass Friedmans abstraktes Gesellschafts‑ und Freiheitsverständnis auf seine politische Theorie ausstrahlt. Dadurch bleiben wichtige Aspekte staatlichen Handelns unberücksichtigt, durch die individuelle Freiheit gestärkt werden kann. Nach Friedman beschränkt sich die Aufgabe des 105 Vgl.
Nielebock und Rittberger 2008, 139 f. Palazzo und Scherer 2009, bes. 84 f. 107 Vgl. Hengsbach 1993, 160–162; Jähnichen 2008, 159 f.; Crouch 2011, 212–223, 235–247; Hübner 2011, 358–363. 108 Vgl. Nielebock und Rittberger 2008, 141–143. 106 Vgl.
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Staates weitgehend auf die Sicherstellung der Bedingungen für freiwillige Interaktion – also die Rahmenordnung des Marktes. Im vorangegangenen Kapitel erwies es sich als problematisch, dass Friedman in seiner Argumentation nicht von realen, sondern von idealen Märkten ausgeht. Zieht man daraus politische Konsequenzen, erfordert freiwillige Interaktion staatliche Maßnahmen zur Förderung von Wettbewerb (v. a. Kartell‑ und Monopolgesetzgebung) und zum Abbau von Informationsasymmetrien. Nicht hinreichend erscheint Friedmans Umgang mit externen Effekten. Gerade weil er anerkennt, dass sich hier das Problem illegitimer Einschränkungen stellt, fällt auf, dass er erstaunlich wenig Wert auf die politische Aufgabe legt, Anspruchsrechte (z. B. bei der Nutzung natürlicher Ressourcen und dem Erhalt der natürlichen Umwelt) festzulegen und durchzusetzen. Außerdem zeigt sich, dass sein individualistischer Ansatz an Grenzen kommt, komplexe Wirkungszusammenhänge und Auswirkungen auf kommende Generationen thematisiert werden müssen. Es zeigen sich also eine Reihe von Gesichtspunkten, die in der von Friedman intendierten Rahmenordnung für Interaktion auf dem Markt berücksichtigt werden sollten, damit diese tatsächlich freiwillig erfolgt. Gravierender ist es jedoch, dass Friedman zwei Aufgabenbereiche des Staates prinzipiell negiert. Erstens betrifft dies die Sicherung politischer Teilhabe. Friedman billigt der Demokratie zwar zu, dass sie zur Realisierung individueller Freiheit beitrage. Aus instrumentellen Gründen hält er sie für vorzugswürdig. Auf Grundlage seiner individualistischen Denkweise verkennt er jedoch, dass demokratische Strukturen auch einen intrinsischen Beitrag für individuelle Freiheit leisten. Das Maß der Selbstbestimmung erweitert sich durch die Möglichkeit, die institutionellen Bedingungen individueller Lebensvollzüge mitzugestalten. Demokratische Strukturen und Verfahren ermöglichen auch, dass die bei der Etablierung einer Gestaltung relevanten Werturteile diskursiv verhandelt werden können. Dies setzt jedoch voraus, dass Vorstellungen des guten Lebens nicht als „bloß privat“ erachtet werden. Zweitens leidet Friedmans politische Theorie unter der Beschränkung auf formale Aspekte von Freiheit – zumindest nachdem er im Zuge der Systematisierung seines Freiheitsverständnis Anliegen seiner „neoliberalen“ Frühphase aufgegeben hat. Dadurch wird nicht deutlich, dass die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens dann zunimmt, wenn der Staat soziale Teilhabe sichert. Das gilt insbesondere für die Sicherstellung der Grundbedürfnisse, deren Befriedigung Voraussetzung für den Freiheitsgebrauch ist, durch Geld‑ oder Sachleistungen. Unter Verweis auf die Phänomene der adversen Selektion und des liberalen Paternalismus lassen sich außerdem Gründe anführen, aus denen auch verpflichtende Sozialversicherungen freiheitsfördernd sein können. Wichtig ist zu berücksichtigen, dass unter der Bedingung von Sozialität und Leiblichkeit die beiden von Friedman negierten Aufgaben des Staates erforderlich dafür sind, dass er die von ihm anerkannte Funktion erfüllen kann. Nur dann sind
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Machtasymmetrien in einem Maße nivelliert, dass tatsächlich von freiwilliger Interaktion die Rede sein kann. Die Globalisierung erscheint im Horizont des Friedmanschen Systems eindeutig als eine positive Entwicklung. Sie erweitert die Zahl potenzieller Interaktionspartner und gibt Individuen die Möglichkeit, unerwünschte Regelsysteme zu umgehen. Letzteres ist im Zusammenhang der hier vorgetragenen Argumente zumindest ambivalent. Der Abbau von Machtasymmetrien und die Sicherung sozialer Teilhabe werden durch die Dynamik der wirtschaftlichen Globalisierung erschwert. Dadurch zeigt sich einerseits, dass staatliche Aufgaben nicht allein auf nationaler Ebene gelöst werden können. Andererseits wird umso deutlicher, dass die Bedingungen freiwilliger Interaktion nicht allein durch staatliche Regelungen sichergestellt werden können. Vielmehr erfordert dies die Wahrnehmung von Verantwortung durch Unternehmen und das Auftreten einer globalen Zivilgesellschaft. Wie schon bei der Darstellung von Friedmans System wird hier deutlich, dass eine freiheitliche Gesellschaft nicht unabhängig von den Wertvorstellungen konzipiert werden kann, die die Menschen jeweils prägen.
9. Umfassende Freiheit und Moralität Eine Pointe der vorgelegten Friedman-Interpretation ist es, dass in ihr deutlich wird, dass in Friedmans Konzept die Funktionsfähigkeit des Marktes an politische und moralisch-kulturelle Rahmenbedingungen geknüpft ist. Dies soll zunächst zustimmend vertieft werden (9.1). Allerdings zeigt sich, dass Friedman nicht immer die erforderlichen Konsequenzen aus seiner Einsicht zieht. Das lässt sich bei seinem Umgang mit ökonomischen Fragestellungen (9.2), bei seinen institutionentheoretischen Ausführungen (9.3) sowie bei der theoretischen Verteidigung der Präferenzautonomie (9.4) erkennen.
9.1 Moralischer Konsens und Sozialkapital als Basis einer freiheitlichen Gesellschaft In Anschluss an Edward Banfield betont Friedman, dass eine Koordination von Interaktion durch den Markt nicht nur auf einen staatlichen, sondern auch einen moralischen Ordnungsrahmen angewiesen ist.1 Nur dann, wenn Menschen grundsätzlich bereit sind, Regeln von sich aus einzuhalten und die Freiheit anderer zu respektieren, kann auf einen massiven staatlichen Apparat zur Durchsetzung von Freiheitsrechten verzichtet werden. Friedman setzt voraus, dass ein liberales Ethos verbreitet ist, dass also die Mehrheit der Menschen die Grundsätze seines Freiheitsglaubens anerkennt. Dazu gehört auch die Bereitschaft politisch Engagierter, eigene Interessen zum Wohle der Gemeinschaft zurückzunehmen, sowie ein wohlwollendes Interesse an anderen Menschen, das die soziale Integration von Menschen sicherstellt, die sich nicht selbst versorgen können.2 Im Verlauf der kritischen Auseinandersetzung mit Friedmans 1 Vgl. oben II.9.1 Die moralische Basis einer freiheitlichen Gesellschaft. Neben dem expliziten Bezug auf Banfield lässt sich auch vermuten, dass Friedmans Lehrer Frank Knight hier nicht ohne Einfluss war, der ebenfalls die Bedeutung moralischer Voraussetzungen für eine freiheitliche Gesellschaft betont (vgl. Knight 1941, 107–109). 2 Vgl. oben II.9.2 Etablierung einer freiheitlichen Ordnung: Zurücknahme der eigenen Präferenzen und II.9.3 Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung: Gesetzesgehorsam und moralischer Grundkonsens. Friedman steht auch hier in der Tradition Adam Smiths. Auch bei diesem lässt sich zeigen, dass er Wohlwollen gegenüber anderen sowie den Verzicht auf das Durchsetzen eigener Interessen auf Kosten anderer als Voraussetzungen einer Gesellschaft er-
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Konzept hat sich außerdem gezeigt, dass er davon ausgehen muss, dass externe Präferenzen allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen.3 Diese bei Friedman eher verstreut und intuitiv benannten Voraussetzungen einer freiheitlichen Gesellschaft wurden in den vergangenen Jahren verstärkt untersucht. Dies ermöglicht es, zunächst (in diesem Abschnitt) den Wahrheitsgehalt von Friedmans Darstellung zur Geltung zu bringen und dann (in den folgenden Abschnitten) zu zeigen, wo er selbst hinter seiner Einsicht zurückbleibt. So betont etwa Michael Sandel, dass ein demokratisches Gemeinwesen zur Realisierung politischer Freiheit nicht nur formaler Strukturen bedarf, sondern auch entwickelter Bürgertugenden.4 Unter dem Begriff des „Sozialkapitals“ wird die Bedeutung formeller und informeller Institutionen für marktwirtschaftlich organisierte Wirtschaftsprozesse zum Ausdruck gebracht. Er beschreibt soziale Bindungen als einen wichtigen Produktionsfaktor neben „physischem Kapital“ (Boden, Rohstoffe, Maschinen, Finanzmittel) und „Humankapital“ (Bildung und Ausbildung, Kreativität).5 So hat Robert Putnam – wie Banfield ausgehend von einer Studie über Entwicklungshemmnisse im südlichen Italien – betont, dass ökonomischer Fortschritt und staatliche Strukturen gleichermaßen auf eine starke Zivilgesellschaft angewiesen sind.6 Elinor Ostrom hat gezeigt, dass ein hohes Maß an Sozialkapital den effizienten Umgang mit gemeinschaftlich genutzten Ressourcen begünstigen kann.7 Die dafür entscheidenden Faktoren haben sowohl einen gemeinschaftlichen als auch einen individuellen Zug.8 Auf gemeinschaftlicher Ebene sind persönliche Netzwerke (v. a. des bürgerschaftlichen Engagements, des Informationsaustauschs und der gegenseitigen Unterstützung) sowie geteilte Normen (v. a. der Reziprozität) von Belang.9 Auf individueller achtet, in der Interaktion primär durch freiwillige Kooperation koordiniert ist (vgl. James und Rassekh 2000, 663–666; Siebert 1994, 17 f.). 3 Vgl. oben 397. 4 Vgl. Sandel 1995, 55–59, 105. Quentin Skinner hat in Anschluss an Niccolò Machiavelli gezeigt, dass Bürgertugenden auch für den Erhalt rein negativ verstandener Freiheitsrechte erforderlich sind (vgl. Skinner 1993, 218 f.). 5 Vgl. Putnam 1996, 292; Richter 1999, 28–30; Habisch 1999, 473 f. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert ausschließlich das einer Gesellschaft als ganzer zur Verfügung stehende Sozialkapital. Nicht beachtet wird die Frage, inwiefern Einzelne durch soziale Kontakte und verpflichtende Beziehungen Sozialkapital aufbauen können, von dem sie persönlich profitieren (vgl. dazu Richter und Furubotn 2010, 102–104). 6 Vgl. Putnam 1996, 291 f.; Putnam 1993, 163–171, 181 Diese Einsicht geht verloren, wenn unter einer funktionalen Perspektive Organe des Staates zum Sozialkapital gezählt werden und dabei sogar eine dominierende Rolle einnehmen (so bei Habisch 1999, 493). 7 Vgl. Ostrom 1995, 36. 8 Eine Gegenüberstellung von einer institutionentheoretischen („problemorientierten“) und einer verhaltenstheoretischen Definition von Sozialkapital (vgl. Habisch 1999, 473 f.) scheint daher nicht hinreichend differenziert. 9 Vgl. Putnam 1993, 167–176; zur Bedeutung von Normen für Sozialkapital vgl. Hähnel und Kopp 2011, 57–60; zur ambivalenten Bedeutung religiöser Gemeinschaften für das Sozialkapital vgl. Graf 1999, 102 f.
9. Umfassende Freiheit und Moralität
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Ebene setzen diese Vertrauen, die Bereitschaft zu kooperativem Handeln und die Internalisierung gemeinschaftlicher Normen voraus.10 Institutionen und Haltungen bestärken sich gegenseitig: Die Bereitschaft zu kooperativem Verhalten ermöglicht die Existenz von Netzwerken des gemeinschaftlichen Engagements und wird ihrerseits durch die Partizipation an diesen befördert.11 Für eine freiheitliche Gesellschaft ist es jedoch nicht schon förderlich, wenn es überhaupt einen moralischen Konsens und Bereitschaft zur Kooperation gibt.12 Entscheidend ist in der Tat das von Friedman in Ansätzen beschriebene liberale Ethos, in dem Menschen die Bereitschaft ausbilden, den Anderen als eine Person mit eigenen Rechten zu achten und zum Gelingen eines kooperativen Zusammenlebens eigene Interessen zurückzunehmen. Ein solcher Konsens kann in pluralen Gesellschaften nur dadurch erzielt werden, dass die Beteiligten jeweils aus ihrer eigenen Grundüberzeugung heraus Motive entwickeln, den Anderen in seiner Verschiedenheit anzuerkennen.13 Nicht ausreichend für die Sicherung einer freiheitlichen Gesellschaft wäre ein Konsens, wonach der andere „in Ruhe gelassen“ werden soll. Umfassende Freiheit setzt eine Verteilung materieller Ressourcen voraus, die nach Kriterien der Bedürfnis-, Leistungs‑ und Ausgleichsgerechtigkeit erfolgt.14 Zum liberalen Ethos muss daher auch eine solidarische Einstellung gehören, die die dafür erforderlichen Maßnahmen unterstützt.15 Der Markt existiert also nicht unabhängig von sozialen Normen, sondern kann nur bestehen, wenn er einem vormarktlichen Konsens entspricht. Damit sind nicht nur Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des Marktes benannt. Zugleich wird deutlich, dass seine Gestaltung selbst normativen Kriterien un10 Vgl. Ostrom et al. 1994, 328; Hähnel und Kopp 2011, 59 f.; zur Bedeutung von Vertrauen für das Wirtschaftssystem vgl. Siegenthaler 1993, bes. 34 f. Vgl. ebenso die Enzyklika „Caritas in Veritate“, Nr. 35 (Benedikt XVI. 2008, 81): „Ohne solidarische und von gegenseitigem Vertrauen geprägte Handlungsweisen in seinem Inneren kann der Markt die ihm eigene wirtschaftliche Funktion nicht vollkommen erfüllen“ (im Original kursiv). 11 Sozialkapital wird daher durch seinen Gebrauch nicht abgenutzt, sondern gefestigt und weiter aufgebaut (vgl. Putnam 1993, 169 f.). Auch Albert Otto Hirschman weist darauf hin, dass Liebe und Gemeinschaftssinn in diesem Punkt nicht mit anderen knappen Ressourcen vergleichbar sind (vgl. Hirschman 1984, 93): „The analogy is faulty for two reasons: first of all, these are resources whose supply may well increase rather than decrease through use; second, these resources do not remain intact if they stay unused; like the ability to speak a foreign language or to play the piano, these moral resources are likely to become depleted and to atrophy if not used.“ In Anschluss an James Buchanan betont Karl Homann, dass das Sozialkapital „Moralität“ auch erodiert, wenn Menschen wiederholt die Erfahrung machen, dass sich ein von den gängigen Vorstellungen abweichendes Verhalten „lohnt“ (vgl. Homann 1989, 227–229). Wichtig ist daher, dass die rechtliche Rahmenordnung Anreize für das gewünschte Verhalten schafft, auch wenn sie es nicht immer sicherstellen kann. 12 Banfield und Putnam beschreiben mit dem amoralischen Familiarismus eine Form der Gruppensolidarität, die den Aufbau freiheitlicher Institutionen gerade behindert (vgl. Banfield 1965, 85, 107; Putnam 1993, 88). 13 Vgl. Herms 1991a, 100 f. 14 Vgl. oben 6.2 Freiheit und Gerechtigkeit. 15 Vgl. van Parijs 1995, 230–232.
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Teil III: Kritische Diskussion
terliegt.16 Die Bedeutung des Staates für die Realisierung individueller Freiheit bleibt wie in Kapitel 8 dargestellt von grundlegender Bedeutung. Als illusorisch und freiheitsmindernd erweist sich hingegen der Versuch, individuelle Freiheit allein durch die Verrechtlichung sozialer Beziehungen sicherzustellen.17 Es zeichnet Friedman aus, dass er für diese Zusammenhänge sensibel ist. Offensichtlich besteht eine Spannung zwischen dem Menschenbild, das Friedman in seiner ökonomischen Analyse voraussetzt, und seinem Vertrauen in die Existenz eines liberalen Ethos.18 Dies stellt nicht unbedingt einen Widerspruch dar, da er den homo oeconomicus bewusst als heuristisches Modell versteht, das als Menschenbild reduktionistisch ist. Außerdem schließt das liberale Ethos keineswegs aus, dass Menschen in erheblichem Maße ihren Eigennutzen verfolgen. Der ökonomische Ansatz dürfte dennoch der Grund dafür sein, dass Friedman nicht alle erforderlichen Konsequenzen aus der Einsicht in die Bedeutung des Ethos zieht. Die folgenden Absätze sollen auf drei gravierende Defizite in seiner Argumentation hinweisen.
9.2 Die Bedeutung kultureller Gegebenheiten für die Anwendung der ökonomischen Methode Folgt man der eben affirmierten Einsicht Friedmans, dann ist es für das Verständnis ökonomischer Prozesse entscheidend, dass diese immer in kulturelle, politische und sozioökonomische Zusammenhänge eingebettet sind. Sowohl die ökonomische Analyse als auch Empfehlungen, die aus ihr abgeleitet werden, müssen daher die kulturspezifischen Rahmenbedingungen berücksichtigen.19 16 Vgl.
Honneth 2011, 320–347.
17 Vgl Honneth 2011, 125 f., 132–157. Axel Honneth beschreibt anhand literarischer Figuren
zwei Pathologien einer allein rechtlichen Freiheit: den Typ des „Michael Kohlhaas“, der soziale Beziehungen ausschließlich aus der Perspektive formaler Regelsysteme und rechtlicher Ansprüche wahrnimmt, sowie den Typ des „Unentschlossenen“, der den Verzicht des Rechtssystems, soziale Verpflichtungen festzulegen, auf seine Persönlichkeit überträgt und so unfähig zu Entscheidungen wird (vgl. Honneth 2011, 157–172). 18 Vgl. Nutzinger 1992, 58 f. 19 Vgl. Goldschmidt und Remmele 2004, 120–123; Märkt 2007, 192–195; Lee-Peuker 2007, 209–214; Beugelsdijk und Maseland 2011, 119–149. Besonders relevant wird die Bedeutung von Kultur und Ethos bei entwicklungsökonomischen Fragestellungen (vgl. Putnam 1993, 183 f.). Sie ist jedoch auch für die betriebswirtschaftliche Praxis und Theorie zu berücksichtigen (vgl. Sennett 1998, bes. 147–157, 187–191; Wolff und Pooria 2004, 453–459; Beugelsdijk und Maseland 2011, 155–180, 226–253). Theoriegeschichtlich hat bereits die Historische Schule (z. B. Wilhelm Roscher, Karl Schmoller) im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Relevanz kultureller Voraussetzungen der Wirtschaft betont (vgl. Krüsselberg 1999, 444–446; Nutzinger 1999, 461–465). Was hier für die Gestaltung des ökonomischen Ordnungsrahmens eingefordert wurde, gilt ebenso für das politische System. Auch hier ist festzuhalten, dass demokratische Strukturen auf kulturelle Traditionen und Normsysteme aufbauen müssen und nicht in jedem Fall gleichermaßen erfolgreich sind (vgl. Huntington 1991, 72–85, 298–311; Huntington 1996, bes. 13–15).
9. Umfassende Freiheit und Moralität
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Gerade dies leistet Friedman jedoch nicht in zufriedenstellender Weise. Konkret äußert sich dies darin, dass er für die Etablierung marktwirtschaftlicher Ordnungen auch da eintritt, wo die von ihm an anderer Stelle genannten Bedingungen für ihre Funktionsfähigkeit nicht oder nur teilweise gegeben sind. Dies zeigt etwa Friedmans Rede an der Katholischen Universität am Ende seines Besuches in Chile im März 1975: The basic problems today of Chile are two: There is first, and most obvious, the problem of inflation. There is second, the problem of developing and establishing a vigorous and effective social market economy, free market economy, which will enable Chile to take off into sustained economic growth for the widely shared benefit of all its citizens.20
Friedman hielt diese Rede 18 Monate, nachdem General Augusto Pinochet durch einen Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Allende-Regierung die Macht übernommen und bürgerliche Freiheiten massiv eingeschränkt hatte. In einem ökonomisch, politisch und sozial zerrütteten Kontext nennt Friedman die Bekämpfung der Inflation und die Etablierung einer freien Marktwirtschaft als die grundlegenden Probleme Chiles. Seine konkreten Lösungsansätze erschöpfen sich darin, das Geldmengenwachstum einzugrenzen und Staatsausgaben sowie Regulierungen der Wirtschaft zu reduzieren. Erklären lässt sich dieses Vorgehen mit Friedmans Wissenschaftstheorie.21 Derzufolge beansprucht Friedman, in der positiven Ökonomik allgemeingültige Gesetze zu formulieren. Die Konstitutionsbedingungen sozialer Gesetzmäßigkeiten geraten dabei aus dem Blick. So „gewinnt“ Friedman eine scheinbar physikalische Eindeutigkeit um den Preis einer Ökonomik, die sich der kulturellen Bedingtheit allen menschlichen Handelns und des Zusammenhangs politischer und entwicklungsökonomischer Kontexte bewusst wäre.22 20 Friedman
1975 (MFA 102), 6:06. oben II.1.1 Erkenntnistheoretischer Dualismus: Normative und Positive Ökonomik sowie zur Kritik 1.2 Das Verhältnis von Ökonomik und Ethik. Einen anderen Erklärungsansatz schlägt Bruno Frey vor. Er weist darauf hin, dass nordamerikanischen Wissenschaftlern aufgrund der Dominanz von Theorien aus ihrem eigenen Kulturkreis häufig eine Sensibilität für institutionelle und kulturelle Vielfalt fehle (vgl. Frey 1990a, 127 f.). Das Argument ist plausibel, kann aber nur eingeschränkt überzeugen. Erstens sind auch Ökonomen außerhalb der USA nicht frei von der Tendenz, von soziokulturellen Bedingungen ökonomischer Prozesse zu abstrahieren. Zweitens kommen Impulse für eine kultursensible Ökonomik durchaus auch aus den USA (vgl. zum Überblick Hollstein 2007, 154–159). Und drittens hätte Friedmans intensive Reisetätigkeit (vgl. TLP, 238–269, 279–332, 409–440, 516–558) die Möglichkeit gegeben, seiner Theoriebildung Impulse in diese Richtung zu geben. 22 Bei der Vernachlässigung soziokultureller Bedingungen und Zusammenhänge für die Funktionsweise und ‑fähigkeit von Marktprozessen zeigt sich also eine ähnliche Tendenz wie bei der Verallgemeinerung der anthropologischen Annahmen in der ökonomischen Analyse (vgl. oben 271). Friedman liefert einerseits eine durchaus differenzierte Analyse menschlicher Motivationen und sozialer Gemeinschaften. Im Versuch, mit den Mitteln der Ökonomik sämtliche gesellschaftlichen Probleme zu erfassen, vernachlässigt er dann jedoch bestimmte Aspekte und kommt zu einer verkürzten Wahrnehmung. 21 Vgl
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Teil III: Kritische Diskussion
9.3 Der Einfluss der Rahmenordnung auf die Bildung von Präferenzen Es wurde festgestellt, dass Friedman die Entstehung von Präferenzen weitgehend ausblendet.23 Ausgehend von der Einsicht in die Bedeutung eines liberalen Ethos für eine freiheitliche Gesellschaft kommt er jedoch auf die Bedeutung gesellschaftlicher Institutionen wie Schule, Familie und religiösen Gemeinschaften zu sprechen. Vereinzelt deutet er auch an, dass die Rahmenordnung die in einer Gesellschaft dominierenden Präferenzen prägt.24 Dennoch ist zu kritisieren, dass Friedmans politische Philosophie dem nicht hinreichend Rechnung trägt. Seine institutionentheoretischen Ausführungen gehen faktisch davon aus, dass Präferenzen exogen gegeben sind. Ziel ist daher die Gestaltung eines Institutionengefüges, in dem die Individuen ihre jeweiligen Präferenzen verfolgen können. Die Beeinflussung von Präferenzen kommt dabei nicht hinreichend in den Blick.25 Dadurch übergeht Friedman wichtige Prozesse, durch die die institutionelle Ausgestaltung einer freiheitlichen Gesellschaft die Entwicklung eines liberalen Ethos befördern oder behindern kann. 1.) Beeinflussung des Ethos durch den Sozialstaat. Überlegungen zur Beeinflussung von Präferenzen durch die Rahmenordnung können zunächst positiv an Friedman anschließen. Dieser spricht den Einfluss des Staates auf individuelle Präferenzen in Zusammenhang seiner Kritik am negativen Einfluss staatlicher Sozialleistungen auf Eigenverantwortung und familiäre Solidarität an.26 Da sich Sozialkapital abnutzt, wenn es nicht gebraucht wird, ist dieses Argument plausibel, auch wenn ein Verlust an Sozialkapital auch auf andere Ursachen zurückgeführt werden kann.27 Ein umfassendes soziales Netz kann so eine Lebenshaltung befördern, wonach „der Staat“ für die Lösung eigener und fremder Probleme zuständig ist. Das kann Eigeninitiative bezüglich der eigenen Situation sowie im karitativen Bereich hemmen und so die Voraussetzung einer freiheitlichen Gesellschaft untergraben.28 Empirisch nachweisen lässt sich etwa, dass sowohl hohe Sozialleistungen als auch eine hohe Arbeitslosigkeit zu einer höheren Auch diese Verkürzung hat bereits John Stuart Mill an Jeremy Bentham kritisiert (vgl. Mill 1969, 16): „He [Bentham, B.G] places before himself man in society without a government [… and considers] what sort of government it would be advisable to construct […]. Whatever may be the value of this conclusion, the mode in which it is arrived at appears to me to be fallacious; for it assumes that mankind are alike in all times and all places, that they have the same wants and are exposed to the same evils“. 23 Vgl. oben 2.2.2 Die Entstehung von Präferenzen: Ein „blinder Fleck“. 24 Vgl. oben 228. 25 Zum Phänomen endogener Präferenzen vgl. Sunstein 1993, 221–235; Frey 1994, bes. 349; Bowles 1998, 78–83. 26 Vgl. Friedman 1983b, 87, 96, 98. 27 Vgl. Putnam 1996, 299 f. 28 Vgl. Lindbeck 1995, 480 f.; Lindbeck et al. 1999, 1–6; Walter 1994, 47 f.; Sloterdijk 2010, 30–33, 41–43 (zur Kritik an Sloterdijks Argumentation vgl. oben 415 Anm. 78).
9. Umfassende Freiheit und Moralität
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Akzeptanz von Sozialbetrug führen.29 Eigenverantwortung und die Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, nehmen unter diesen Bedingungen offensichtlich ab. Andererseits – diesen Aspekt lässt Friedman unberücksichtigt – können sozialstaatliche Maßnahmen auch dazu beitragen, einen Grundkonsens über Prinzipien der freiheitlichen Gesellschaft zu befördern. Widerstand gegen eine marktwirtschaftliche Ordnung entsteht vor allem dann, wenn mangelnde Chancengerechtigkeit oder sozial unerwünschte Ergebnisse beobachtet werden. Sofern es gelingt, diese durch sozialstaatliche Maßnahmen abzumildern, ist mit einer grundsätzlichen Akzeptanz des Marktes eher zu rechnen. So können Einschränkungen wirtschaftlicher Freiheit dazu führen, dass der Markt tatsächlich dem Grundkonsens entspricht, den er voraussetzt und der über seine Anerkennung entscheidet.30 2.) Beeinflussung des Ethos durch den Markt. Das Defizit bei Friedman besteht in erster Linie darin, dass er offensichtlich unterstellt, der Markt sei gegenüber Präferenzen neutral.31 Damit lässt er die seit Entwicklung der Marktwirtschaft geführte Debatte über ihre moralischen Auswirkungen außer Acht. Befürworter der Marktwirtschaft begründeten diese nicht nur mit Hinweis auf ihren Beitrag zum effizienten Umgang mit ökonomischen Ressourcen, sondern auch mit ihrem Beitrag zur Besserung des Menschen. Der Handel untereinander befördere einen zivilisierten, friedlichen Umgang der Menschen untereinander. Demgegenüber führten Kritiker von Beginn an das Argument ins Feld, eine marktwirtschaftliche Organisation des Wirtschaftssystems untergrabe das gesellschaftliche Ethos und somit ihre eigenen Voraussetzungen.32 Beide Positionen schließen sich keineswegs aus, sondern beschreiben jeweils Aspekte einer vielschichtigen Dynamik.33 Da die bisherige Argumentation dieser Arbeit auf eine grundsätzliche Befürwortung marktwirtschaftlicher Strukturen hinausläuft, sollen im Folgenden insbesondere die kritischen Einwände bezüglich ihrer negativen Auswirkungen auf das Ethos berücksichtigt werden. 29 Vgl. Halla et al. 2009, bes. 12 f. Lindbecks Beitrag kann (gegen Habisch 1999, 484) nicht als ein empirischer Beleg dienen, da er die Auswirkungen auf soziale Normen als Annahme in sein Modell einführt (vgl. Lindbeck 1995, 481; Lindbeck et al. 1999, 7). Er zieht jedoch überzeugende Schlussfolgerungen aus dieser (plausiblen) Annahme (vgl. bes. Lindbeck 1995, 490–492). 30 Vgl. Honneth 2011, 351 f. 31 Er unterläuft damit eine Forderung, die Frank H. Knight deutlich artikuliert (vgl. Knight 1941, 106–108; Knight 1951b, 46). Auffällig ist, dass sich Friedman auch nicht auf positive Folgen des Marktes auf die Moral beruft (vgl. Frey 1990a, 159). 32 Vgl. Hirschman 1982, 1464–1470. Als Vertreter der marktfreundlichen „Doux-commerce“-These führt Hirschman Charles L. Montesquieu, Thomas Paine und David Hume an. Als Vertreter der in unterschiedlichen Spielarten vorgetragenen „Self-Destruction“-These nennt er unter anderem die englischen Konservativen des 18. Jahrhunderts, Karl Marx, Max Weber, Joseph Schumpeter, Max Horkheimer und Fred Hirsch. Hirschman beschreibt außerdem zwei Positionen, die die soziale Prägekraft der Marktwirtschaft bezweifeln (vgl. Hirschman 1982, 1474–1480). 33 Vgl. Hirschman 1982, 1483.
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Teil III: Kritische Diskussion
Klassisch ist in dieser Hinsicht das Werk Karl Polanyis. Er beschreibt die Entwicklung der Marktwirtschaft als einen Transformationsprozess, der nicht nur die Organisation des Wirtschaftens betrifft. Auf dem Markt werden menschliche Arbeit und natürliche Ressourcen zu tauschbaren Waren. Dies verändert den gesellschaftlichen Umgang mit menschlichen Beziehungen und der Natur, da sie zum Gegenstand ökonomischer Nützlichkeitsabwägungen werden.34 Dass dadurch das Sozialkapital einer freiheitlichen Gesellschaft geschwächt wird, lässt sich mittlerweile durch Einsichten der experimentellen Ökonomik belegen.35 Die Bereitschaft zu kooperativem Verhalten nimmt insgesamt ab, wenn soziale Beziehungen nach Marktprinzipien strukturiert werden.36 Eigenständigkeit kann nicht nur durch sozialstaatliche Absicherung, sondern auch durch hierarchische Arbeitsverhältnisse und Erfolglosigkeit auf dem Arbeitsmarkt unterminiert werden.37 Im internationalen Vergleich zeigt sich auch, dass ökonomische Un-
34 Vgl. Polanyi 1995, bes. 70: „Die maschinelle Produktion in einer kommerziellen Gesellschaft bedeutet letztlich nichts geringeres als die Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren. […] Die von solchen Einrichtungen verursachten Verschiebungen müssen zwangsläufig die zwischenmenschlichen Beziehungen zerreißen und den natürlichen Lebensraum des Menschen mit Vernichtung bedrohen.“ Polanyis Werk zielt auf den Nachweis, dass die im 19. und frühen 20. Jahrhundert getroffenen Einschränkungen des freien Marktes den Zweck hatten, dessen selbstzerstörerische Tendenzen zu begrenzen (vgl. Polanyi 1995, 200, 340 f.). 35 Samuel Bowles identifiziert fünf Effekte marktwirtschaftlicher Institutionen auf das gesellschaftliche Ethos: Erstens bilden Märkte einen Rahmen für individuelle Entscheidungen, der sich negativ auf die Bereitschaft zur Kooperation auswirkt. Zweitens unterminieren Geldzahlungen intrinsische Motivationen. Drittens schwächen unpersönliche Märkte soziale Normen wie Vertrauen und Großzügigkeit. Viertens kann die Ausübung weisungsgebundener Tätigkeiten oder unfreiwillige Arbeitslosigkeit zum Verlust von Eigeninitiative führen. Fünftes beeinflusst eine Marktwirtschaft Bildung und Erziehung dahingehend, dass „arbeitgeberfreundliche“ Eigenschaften wie Fleiß und Pünktlichkeit begünstigt werden gegenüber Eigenschaften wie Kreativität und Unabhängigkeit (vgl. Bowles 1998, 87–102). Bei Bowles finden sich ausführliche Hinweise auf Ergebnisse empirischer Forschung, die seine Thesen unterstützen (vgl. dazu auch Frey 1990a, 156–159). Philippe van Parijs weist auf einen weiteren Effekt hin: Werbemaßnahmen führen dazu, dass Präferenzen verstärkt auf Konsumgüter gelenkt werden, was zu einer Verschiebung von Präferenzen für Freizeit hin zu Streben nach Einkommen führt (vgl. van Parijs 1995, 196). 36 Drei Beispiele können dies illustrieren: Erstens kann monetäre Entlohnung die intrinsische Motivation zu einer Tätigkeit aushöhlen – z. B. im Fall von Blutspenden oder wenn Kinder für Mithilfe im Haushalt bezahlt werden (vgl. Frey 1994, 335, 345–347). Zweitens kann die Eigeninitiative der Mitglieder einer Selbsthilfegruppe gehemmt werden, wenn ein Sprecher für seine Tätigkeit entlohnt wird (vgl. Nutzinger und Panther 2004, 306 Anm. 51). Drittens führten Strafzahlungen für verspätetes Abholen von Kindern aus dem Kindergarten in einer experimentellen Studie zu einer Zunahme von Verspätungen. Bezeichnend ist, dass sich dies nicht wieder änderte, wenn die Strafzahlungen abgeschafft werden. Soziale Beziehungen werden durch ihre Vermarktlichung also nachhaltig verändert (vgl. Gneezy und Rustichini Aldo 2000, bes. 3, 13–15). 37 Vgl. bereits Knight 1967, 21 sowie aktuell Bowles 1998, 96–98.
9. Umfassende Freiheit und Moralität
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gleichheit sich negativ auf das für die Bildung von Sozialkapital essentielle Vertrauen der Menschen untereinander auswirkt.38 3.) Beeinflussung von Bildungsinstitutionen durch den Markt. Friedman geht davon aus, dass sich ein freiheitliches Ethos in Familien, Schulen und religiösen Gemeinschaften entwickeln muss.39 Diese Institutionen bilden jedoch keinen abgesonderten Bereich, in dem sich Präferenzen ausbilden, die dann auf dem Markt verfolgt werden, sondern sind ihrerseits eingebettet in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge. Die Wirtschaftsordnung wirkt daher auch mittelbar auf Bildungsprozesse ein, indem sie Rahmenbedingungen für die Institutionen festlegt, in denen sich Wertvorstellungen entwickeln. Das Leben von Familien und die Arbeit von Vereinen hängen auch davon ab, ob ihre Mitglieder im Schichtdienst und am Wochenende arbeiten müssen, aus beruflichen Gründen häufig umziehen oder arbeitslos sind. In diesem Zusammenhang erweist sich die Tendenz als problematisch, wonach die Marktwirtschaft eine Dynamik entwickelt, die das ganze Leben der Menschen nach Kriterien der ökonomischen Effizienz ausrichtet.40 Das zeigt sich insbesondere mit Blick auf die elementaren Sozialisationsprozesse, die sich in der Familie ereignen.41 Die Gefahr einer Erodierung von Bildungsprozessen wird um so stärker, wenn die Bildungsinstitutionen selbst auf Grundlage marktwirtschaftlicher Theorien gedeutet und gestaltet werden.42 4.) Ordnungspolitische Konsequenzen. Ein liberales Ethos und ein gewisses Maß an Gemeinschaftssinn sind eine notwendige Voraussetzung dafür, dass individuelle Freiheit unter der Bedingung von Sozialität realisiert werden kann. Ihre Erfüllung kann nicht – wie es Friedman in Tradition der neoklassischen Ökonomik zumeist tut – einfach vorausgesetzt werden.43 Sie ist ein für die Realisierung individueller Freiheit essentielles öffentliches Gut. Dem hat die Gestaltung der politischen Ordnung Rechnung zu tragen.44 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rahmenordnung ihrerseits auf Präferenzen einwirkt. Die ambivalenten Wirkungen von Sozialstaat und Markt lassen keine eindeutigen Schlüsse zu, ob dies eine größere oder geringere Regulierung freiwilliger Inter Vgl. Wilkinson und Pickett 2009, 52–54.
38
39 Ich folge hier Friedmans Aufzählung (vgl. Friedman 2002 [MFA 216.3], 2; Zitat oben 227).
Die Entwicklung von Wertvorstellungen ist natürlich nicht auf diese Institutionen begrenzt. Sie findet auch in anderen formellen und informellen Gemeinschaften (z. B. Sportverein, Chor, Freundeskreis, digitales Netzwerk) und durch die Beschäftigung mit Medien der Alltagskultur (z. B. Kinobesuch, Romanlektüre) statt (vgl. Gräb 2000, 50–54). 40 Vgl. oben 7.4.2 Die Dynamik des Wettbewerbs und die Einschränkung umfassender Freiheit. 41 Vgl. Honneth 2011, 311–317. 42 Vgl. Schulte 2014, 92–95. 43 Vgl. Etzioni 1993b, 117 f.; Hirschman 1982, 1473 f. In der älteren Chicago School ist ein stärkeres Bewusstsein für diese Zusammenhänge festzustellen. Henry C. Simons etwa zählt die Gestaltung der Rahmenbedingungen, die einen moralischen Konsens befördern, zu den Aufgaben des Staates (vgl. Simons 1948b, 16). 44 Vgl. Walzer 1993, 172 f.; Bowles 1998, 105; Meckenstock 2001, 112.
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Teil III: Kritische Diskussion
aktion auf dem Markt nahelegt.45 Stattdessen sind die voraussichtlichen Auswirkungen ordnungspolitischer Entscheidungen auf das gesellschaftliche Ethos jeweils abzuwägen.46 Zu beachten ist die große Bedeutung, die Institutionen des zivilgesellschaftlichen Engagements für die Bildung von Sozialkapital haben.47 Da sie in Lebensvollzüge einüben, die nicht (nur) den Regeln der ökonomischen Effizienz folgen, können diese Institutionen nicht (nur) nach der ökonomischen Logik gestaltet werden.48 Aktive staatliche Unterstützung kann zivilgesellschaftliche Initiativen sowohl befördern als auch behindern. Es ist daher nach sinnvollen Anreizen zu suchen, die sich positiv auf ihre Entwicklung auswirken.49 Angesichts der starken Dynamik marktwirtschaftlich organisierter Gesellschaften ist es insbesondere wichtig, einen Raum für Bildungsprozesse sicherzustellen, der nicht selbst von der marktwirtschaftlichen Logik bestimmt ist.50 Ein Beispiel dafür ist der gesetzliche Sonntagsschutz. Dieser stellt sicher, dass es in der Gesellschaft Zeit für nicht-marktliche Formen der Interaktion gibt. So können in Familie, Vereinen und religiösen Gemeinschaften diejenigen Praktiken gepflegt werden, ohne die Vertrauen und Bereitschaft zur Kooperation nicht bestehen können. Die Einschränkung formaler Freiheit durch den Sonntagsschutz trägt somit auf dreierlei Weise zur Realisierung umfassender Freiheit bei. Erstens eröffnet sie dem Einzelnen die Möglichkeit, das zu pflegen, was ihm jenseits ökonomischer Effizienz wichtig ist.51 Zweitens schafft der Sonntag somit auch Raum für die Entwicklung einer reflektierten Personalität, in der Menschen Klarheit über ihre eigenen Ziele gewinnen und so innere Freiheitshemmnisse überwinden können.52 Drittens (und im vorliegenden Zusammenhang entscheidend) er45 Ambivalent
sind auch die Auswirkungen der Globalisierung auf das Sozialkapital (vgl. Graf 1999, 112–115). 46 So sollte beispielsweise die soziale Grundsicherung so ausgestaltet sein, dass ein Zuverdienst durch beschäftigte oder selbständige Arbeit möglich ist, um eine passive Lebenshaltung nicht zu befördern. Regelungen zum Kündigungsschutz können hilfreich sein, um dem Eindruck von Willkür und inakzeptablem Machtgefälle entgegenzuwirken. 47 Vgl. Putnam 1993, 173 f. 48 Vgl. Crouch 2011, 51. 49 Vgl. Habisch 1999, 501–503; Nothelle-Wildfeuer 2002, 122 f. Oftmals bedarf es keiner aktiven Unterstützung zivilgesellschaftlicher Institutionen, sondern einer Ausführung politischer Tätigkeiten, die deren Belangen Rechnung trägt. So kann etwa der öffentliche Raum bewusst so gestaltet werden, dass soziale Interaktion und Kooperation gefördert wird (vgl. Etzioni 1993a, 127–130; Putnam 1996, 301 f.), oder es kann darauf geachtet werden, dass z. B. in Schulen Menschen nicht nur mit Personen derselben sozialen Schicht in Kontakt kommen (vgl. van Parijs 1995, 231 f.). 50 Dazu gehört die auch von Friedman zeitweise befürwortete Schulpflicht (vgl. oben 196). Zu deutlich weitergehenden Vorschlägen im Bereich der Familienpolitik vgl. Etzioni 1993a, 70–72. 51 Aus Sicht einer theologischen Ethik ist der Sonntag insbesondere ein „Symbol gegen eine Unterordnung des gesamten Lebens unter ökonomisches Kosten-Nutzen-Denken“ (Dietz 2005, 280). Seine Legitimation darf daher nicht auf funktionale Betrachtungen reduziert werden. 52 Vgl. oben 8.5 Individuelle Freiheit durch Ermöglichung von Selbstreflexion.
9. Umfassende Freiheit und Moralität
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möglicht er gemeinschaftliche Aktionen und trägt so zum nachhaltigen Umgang mit Sozialkapital bei. Dieser ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass eine freiheitliche Gesellschaft überhaupt bestehen kann.53
9.4 Liberales Ethos und Präferenzautonomie Geht man davon aus, dass die Rahmenordnung individuelle Präferenzen prägt, ist es logisch nicht möglich – wie Friedman es vorschlägt – eine politische Ordnung allein damit zu begründen, dass sie Menschen die Möglichkeiten gibt, ihre (stabilen) Präferenzen zu verfolgen.54 Damit wird eine Konsequenz deutlich, die sich bereits zuvor abzeichnete:55 Die Indifferenz gegenüber individuellen Wertvorstellungen kann weder theoretisch noch praktisch in Einklang mit dem Streben nach größtmöglicher individueller Freiheit gebracht werden.56 Somit lässt sich weder Friedmans Konzept der normativen Präferenzautonomie noch die erkenntnistheoretische Begründung des Freiheitsglaubens stringent durchhalten. Dementsprechend kann auch Friedman seine Absicht, über Wertvorstellungen nicht zu urteilen, nicht konsequent durchhalten, sobald er über die Bedingungen einer freiheitlichen Gesellschaft spricht. I am saying only that a set of social institutions that stresses individual responsibility […] will lead to a higher and more desirable moral climate than a set of institutions that stresses
53 Vgl. Kirchenamt der EKD 1991, 91: „Der Feiertag ist ein wesentliches Symbol dafür, daß die Wirtschaft von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht schaffen kann. Das gilt insbesondere für das Leben primärer Gruppen wie Familien, Freundschaften, Gemeinden als Elementen humaner Lebenskultur.“ 54 Vgl. Sunstein 1993, 235: „When preferences are a function of legal rules, the rules cannot be justified by reference to the preferences. Social rules and practices cannot be justified by practices they have produced.“ Vgl. Eidenmüller 1998, 344; Satz 2010, 49. 55 Vgl. oben 5.5 Verantwortung als moralische Verpflichtung sowie oben 7.4.4 Das liberale Paradoxon und die Einschränkung normativer Präferenzautonomie. 56 Vgl. Taylor 1985a, 207: „[S]ince the free individual can only maintain his identity within a society / culture of a certain kind, he has to be concerned about the shape of this society / culture as a whole. He cannot […] be concerned purely with his individual choices and the associations formed from such choices to the neglect of the matrix in which such choices can be open or closed, rich or meagre. It is important to him that certain activities and institutions flourish in society. It is even of importance to him what the moral tone of the whole society is – shocking as it may be to libertarians to raise this issue – because freedom and individual diversity can only flourish in a society where there is a general recognition of their worth.“ Es kann als Ergebnis der Debatten zwischen Liberalismus und Kommunitarismus erachtet werden, dass „sich die Differenzen zwischen ihnen […] nicht mehr einfach an der Frage bemessen, ob dem liberalen Freiheitsprinzip oder einem kollektiven Gut normativ der Vorzug gebühren soll, sondern nur noch an der Lösung der Frage, welche gemeinschaftlichen Werte als notwendige Voraussetzung für die Durchsetzung liberaler Freiheits‑ und Gerechtigkeitsprinzipien zu gelten haben“ (Honneth 1993, 16).
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Teil III: Kritische Diskussion
the lack of responsibility of the individual for what happens to him and relieves him of blame or credit for what he does to his fellowmen.57
Eigenschaften wie die Bereitschaft zur Kooperation und zum Gesetzesgehorsam, ein wohlwollendes Interesse am Ergehen des Anderen und politisches Engagement, das nicht primär eigennützige Ziele verfolgt, begünstigen eine Gesellschaft, in der Menschen jeweils gemäß ihren eigenen Vorstellungen leben. Die Etablierung einer freiheitlichen Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass Menschen ihr Eigennutzstreben im engen Sinne transzendieren können.58 Dies verlangt keineswegs eine weltanschaulich einheitliche Gesellschaft, in der alle Menschen dieselben Vorstellungen von einem guten Leben haben.59 Erforderlich ist nicht mehr als ein Grundkonsens darüber, anderen als Subjekt ihres Lebens Achtung entgegen zu bringen und bei der Etablierung einer dafür günstigen politischen Ordnung zu kooperieren. Als Minimalkonsens mit Friedman hat sich erwiesen, dass zur Bestimmung des Menschen die Bestimmung des Menschen zur Selbstbestimmung gehört.60 Die Überlegungen zur in der Freiheit des Menschen implizierten Verantwortung und zu den institutionentheoretischen Konsequenzen haben nun gezeigt, dass für die Etablierung einer Gesellschaftsordnung, die dem gerecht wird, ein liberaler Grundkonsens erforderlich ist. Damit erweist es sich als unmöglich, ein Konzept von Handlungsfreiheit zu entwerfen, das gänzlich von der inneren Konstitution absieht.61 Dies steht in Widerspruch zur Annahme, über menschliche Präferenzen könne überhaupt kein ethisch begründetes Urteil getroffen werden.62 Von da aus lässt sich ein Bogen schlagen zur Kritik an Friedmans Begründung des Freiheitsglaubens mittels einer dualistischen Erkenntnistheorie. Sein schroffer Sein-Sollen-Dualismus verstellt den Blick darauf, dass auch normative Aussagen auf Seinserfahrungen bezogen sind.63 De facto liegt auch Friedmans Freiheitsglauben eine (rudimentäre) Vorstellung darüber zugrunde, welche Ziele mit der 57 Friedman
1983b, 87 (Hervorhebung B. G.). Sennett 1998, 191–203. Daher kann weder die Moral noch die politische Ordnung allein unter Bezug auf den Eigennutzen begründet werden (vgl. Ulrich 2008, 118–123, 378–389; Nida-Rümelin 2006, 34). 59 Vgl. Herms 2007e, 116 f. Gemeinsame Werte sind insofern nicht zwangsläufig erforderlich für die Bildung von Sozialkapital (vgl. Habisch 1999, 478; Hähnel und Kopp 2011, 55). 60 Vgl. oben 302. 61 Vgl. Hübner 2011, bes. 25–29, 386 f. Zu Recht wendet Oswald Bayer gegen ein neuzeitliches Verständnis von Freiheit als abstrakter Autonomie ein, dass „Freiheit als Gesetz nicht ohne Freiheit als Gesinnung sein kann“ (Bayer 1995c, 114). 62 Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Hartmut C. Lüling bei der Analyse von Hayeks Vorstellung einer freiheitlichen Gesellschaft (vgl. Lüling 1979, 22): „Hayek stellt fest, daß eine langfristige Erhaltung der Freiheit die Verzichtsmöglichkeit auf eine volle Ausschöpfung von Freiheitsspielräumen einschließt. Für einen solchen Verzicht bietet der Liberalismus weder Kriterien noch praktische Hilfen an.“ 63 Vgl. oben 1 Fundamentalethische Diskussion von Friedmans erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, bes. 1.3 Die Begründungsfunktion der Anthropologie für die Ethik. 58 Vgl.
9. Umfassende Freiheit und Moralität
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Verfasstheit der menschlichen Natur in Einklang sind und daher verfolgt werden sollten. Akzeptiert man das Menschengerechte als ethisches Fundamentalkriterium, so lässt sich dieses auch an menschliche Präferenzen anlegen.64 Abstrakte, nicht phänomengerechte Vorstellungen der normativen Präferenzautonomie und der menschlichen Freiheit können so vermieden werden.
9.5 Kritische Würdigung von Friedmans Position Milton Friedman betont ausdrücklich, dass eine freiheitliche Gesellschaft, in der Interaktion vornehmlich durch den Markt koordiniert wird, neben einem staatlichen auch einen moralischen Ordnungsrahmen voraussetzt. Nur so kann ohne einen ausufernden Überwachungsstaat verhindert werden, dass Menschen ihren eigenen Nutzen unter Missachtung der Rechte anderer verfolgen. Vorausgesetzt ist also ein liberales Ethos, welches folgende Aspekte einschließt: das Einhalten von Regeln auch dann, wenn keine direkte Überwachung zu erwarten ist; ein Zurückstellen eigener Interessen bei politischem Engagement; kooperatives Verhalten sowie ein Mindestmaß an Mitgefühl und Solidarität. Friedman formuliert damit elementare Einsichten, die sich unter Bezug auf die Bedeutung von Bürgertugenden für demokratische Prozesse und von Sozialkapital für einen freien Markt vertiefen und bekräftigen lassen. Die genannten Eigenschaften gewinnen noch an Bedeutung, wenn man berücksichtigt, dass umfassende Freiheit auch eine politische Dimension einschließt und eine Umverteilung materieller Ressourcen im Sinne von Chancengerechtigkeit erfordert. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass Friedman die Konsequenzen dieser Einsicht nicht in befriedigender Weise zieht. Bei der Entwicklung seiner ökonomischen Theorie und ihrer Anwendung auf konkrete politische Probleme vernachlässigt Friedman, dass ökonomische Prozesse stets in soziale Zusammenhänge eingebunden sind. Nur so kann er den Anschein erwecken, eine im physikalischen Sinne exakte Wissenschaft zu vertreten. Nachteilig ist ein solches Vorgehen deswegen, weil es Friedman dazu führt, Marktlösungen zu favorisieren unabhängig von der Frage, ob die von ihm selbst formulierten Bedingungen unter den konkreten Umständen erfüllt oder erfüllbar sind. In seinen institutionentheoretischen Überlegungen geht Friedman weitgehend davon aus, dass Präferenzen exogen gegeben sind. Abgesehen von seinen Einwänden gegen den Sozialstaat ignoriert er, dass der Ordnungsrahmen die Wertvorstellungen und Entscheidungen von Individuen prägt. Macht man mit dieser Einsicht ernst, so ist danach zu fragen, wie eine Marktwirtschaft so strukturiert 64 Vgl. oben 2.2.4 Präferenzautonomie: Entscheiden Präferenzen über das wahre Eigeninteresse?
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Teil III: Kritische Diskussion
werden kann, dass sie die Bereitschaft zu Eigenverantwortung, regelkonformem Handeln sowie zu Solidarität und Kooperation nicht schwächt. Insbesondere gilt es zu beachten, dass Familie und zivilgesellschaftliche Institutionen als Interaktionszusammenhänge, die nicht primär an ökonomischer Effizienz ausgerichtet sind, gefördert werden. Dafür gilt es, ihnen einen Freiraum gegenüber der Dynamik des Marktes zu sichern. Ein Beispiel dafür ist der gesetzliche Sonntagsschutz. Auf theoretischer Ebene folgt aus der Einsicht in die Bedeutung eines liberalen Ethos, dass die mit der normativen Präferenzautonomie verbundene Indifferenz gegenüber Präferenzen nicht aufrecht gehalten werden kann. Die Bedeutung der Selbstbestimmung lässt sich also nicht aus der Unmöglichkeit ableiten, Aussagen über Werturteile zu treffen. Die Überzeugung, dass Menschen nach Möglichkeit selbst über ihr Geschick bestimmen sollten, setzt vielmehr eine Sicht über die Bestimmung des Menschen voraus und beurteilt von daher nicht nur Handlungen und soziale Ordnungen, sondern auch individuelle Präferenzen. Die Orientierung an der menschlichen Selbstbestimmung erfordert ein sehr viel komplexeres Verständnis von menschlicher Autonomie als bei Friedman zum Ausdruck kommt.
Abschließende Überlegungen
1. Grundlegung einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit Eine Theorie menschlicher Freiheit impliziert stets Aussagen darüber, was der Mensch ist und wie die Grundzüge seiner Existenz erkannt werden können. Das hat sich in der Rekonstruktion des Friedmanschen Entwurfes bestätigt. Seine Antworten auf diese Fragen erweisen sich als zentrale Weichenstellung für sein Verständnis von Freiheit und die daraus abgeleitete Vorstellung einer freiheitlichen Gesellschaft. Der Ertrag der Auseinandersetzung mit Friedman lässt sich also am besten formulieren, indem zunächst an zentrale Aspekte dieser grundlegenden Fragestellungen erinnert wird.
1.1 Erkenntnistheorie und normative Präferenzautonomie Friedmans politische Philosophie basiert auf einem erkenntnistheoretischen Dualismus. Demnach kann Wissen nur durch wiederholt misslungene Falsifikation gewonnen werden. Über normative Aussagen ist hingegen kein objektivierbares Urteil möglich. Da es verschiedene in sich schlüssige Vorstellungen vom Ziel menschlichen Lebens gibt, haben Überzeugungen darüber den Charakter des „Glaubens“. Daraus leitet Friedman seine Leitannahme einer normativen Präferenzautonomie ab: Da keine objektivierbaren Aussagen über richtige und falsche Ziele möglich sind, bleibt es jedem Menschen selbst überlassen, was er in seinem Leben tun und erreichen möchte. Die vorgetragene Kritik an Friedman setzt bereits auf dieser grundlegenden Ebene an. Sein und Sollen lassen sich nicht in der von Friedman suggerierten Weise dichotomisch trennen, sondern sind aufeinander bezogen. Normative Aussagen sind Aussagen über den Menschen. Wie alle anderen Aussagen, die Anspruch auf Wahrheit erheben, müssen sie nicht nur in sich schlüssig sein, sondern ihrem Gegenstand gerecht werden. Eine normative Theorie der Freiheit kann sich deswegen nicht darauf berufen, dass keine objektivierbaren Urteile über Präferenzen möglich seien. Auch für Vorstellungen über die Gestaltung individuellen Lebens gilt das Kriterium der Menschengerechtigkeit: Sie müssen sich daran bemessen lassen, ob sie der Verfasstheit des menschlichen Lebens gerecht werden. Diese kann – darin ist Friedman zuzustimmen – nicht objektiv im Sinne allgemein nachprüfbarer Aussagen beschrieben werden. Dennoch gibt es
1. Grundlegung einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit
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allgemein-menschliche Grunderfahrungen. Diese erlauben eine intersubjektive Verständigung über das Sein des Menschen in der Welt. Auf diesem Wege lassen sich die anthropologischen Voraussetzungen einer ethischen Theorie (und damit diese selbst) plausibilisieren oder infrage stellen.
1.2 Menschliches Handeln und deskriptive Präferenzautonomie Friedman folgt in seiner Argumentation dem „Revealed-preferences-Ansatz“. Demnach lassen sich die Präferenzen eines Menschen aus seinen Handlungen ablesen. Vorausgesetzt ist dabei ein unmittelbares Wissen um die eigenen Ziele. Weder in Selbstaussagen noch in der Fremdwahrnehmung ist es möglich, eine diesem unmittelbaren Wissen überlegene Position darüber einzunehmen, was ein Mensch „wirklich“ will. In der Konsequenz bedeutet diese deskriptive Präferenzautonomie, dass freiwilliges menschliches Handeln immer dem wahren Eigeninteresse entspricht. Wenn sich das wahre Eigeninteresse in den Handlungen eines Menschen zeigt, können diese nicht im Widerspruch zu jenem stehen. Das Zusammenspiel von deskriptiver und normativer Präferenzautonomie läuft dann letztlich darauf hinaus, dass menschliches Handeln per se richtig ist und nicht aus ethischer Perspektive kritisiert werden kann. Diese Beschreibung menschlichen Handelns steht im Widerspruch zu einer Vielzahl alltäglicher Erfahrungen. Das geht vom simplen Irrtum über die richtigen Mittel zum Erreichen eines angestrebten Ziels bis zur Verzweiflung über die eigene Willensschwäche. Aus ethischer Sicht am gravierendsten ist die Beobachtung von Präferenzen verschiedener Ordnung. Menschen können Wünsche darüber entwickeln, welche Neigungen sie gerne hätten oder nicht mehr hätten. So können wir den Wunsch haben, dass wir arbeitsamer sind, oder auch den, dass wir mehr die schönen Seiten des Lebens genießen. Dennoch zeigt die Lebenserfahrung, dass wir oft gemäß der aktuellen Neigung anstelle der „eigentlich“ angestrebten Ziele handeln. Solche Präferenzen höherer Ordnung lassen sich gerade nicht aus Handlungen ablesen. Was ein Mensch wirklich will, kann er letztlich nur in einer diskursiv geschulten Introspektion im Medium des Gewissens erkennen.
1.3 Individuelle Freiheit als ethischer Wert Wie deskriptive und normative Präferenzautonomie, so verschränken sich bei Friedman ontologischer und normativer Individualismus. Für Friedman sind Menschen ursprünglich Individuen, die erst in zweiter Hinsicht in Beziehung zu anderen treten. Entsprechend gilt die normative Präferenzautonomie für Individuen. Deren Recht, die je eigenen Präferenzen zu verfolgen, muss dann
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Abschließende Überlegungen
gegen Einschränkungen von außen abgesichert werden. Diese Funktion kommt nach Friedman der Freiheit zu. Als Korrelat zur normativen Präferenzautonomie ist individuelle Freiheit für Friedman selbst das höchste soziale Gut. Eine utilitaristische Begründung – sei es mit dem Beitrag von Freiheit zu ökonomischer Effizienz, sei es mit Hinweis auf eine „Besserung“ von Individuen oder Gesellschaft – liefe seinen Grundsätzen gerade zuwider. Sie müsste ein anderes, material bestimmbares Gut festlegen, an dem sich der Wert der Freiheit bemisst. Gerade dies hält Friedman aus erkenntnistheoretischen Gründen für unmöglich und illegitim. Schon aus der Kritik am erkenntnistheoretischen Dualismus ergibt sich jedoch gegen Friedman, dass der Wert der Freiheit nicht überzeugend aus einer ethischen Indifferenz abgeleitet werden kann. Freiheit ist nicht deswegen ein zentraler ethischer Wert, weil über die Bestimmung des Menschen überhaupt keine Aussagen gemacht werden können. Akzeptiert man die Menschengerechtigkeit als ethisches Fundamentalkriterium, ergibt sich jedoch ein anderes Argument für die Freiheit. Die Fähigkeit zur personalen Selbstbestimmung gehört zu den wesentlichen menschlichen Eigenschaften. Von da aus lässt sich zwar nicht logisch ableiten, aber doch plausibel machen, dass es zur Bestimmung des Menschen gehört, sein eigenes Leben aktiv und gemäß eigener Überzeugungen zu gestalten. Darin besteht die Freiheit des Gewissens. In diesem Sinne kann folgender Minimalkonsens mit Friedman festgehalten werden: Es gehört zur Bestimmung des Menschen, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Auch auf den Freiheitsbegriff selbst ist das Kriterium der Menschengerechtigkeit anzuwenden. Es ist daher problematisch, dass Friedman in seiner Freiheitstheorie wesentliche Grundzüge der menschlichen Existenz unberücksichtigt lässt. Er verallgemeinert das menschliche Streben nach Eigennutzen im engen Sinne, erklärt die soziale Dimension menschlichen Lebens für sekundär und vernachlässigt die Bildbarkeit menschlicher Präferenzen. Im Sinne einer phänomengerechten Freiheitstheorie ist hingegen zu berücksichtigen, dass menschliche Freiheit stets bedingte Freiheit ist. Der Spielraum menschlicher Selbstbestimmung wird einerseits eröffnet und andererseits beschränkt durch grundlegende menschliche Eigenschaften. Dazu gehören die Leiblichkeit (das Eingebettetsein in physische Zusammenhänge), die Personalität (die Fähigkeit zur Selbstbestimmung im Lichte einer Erschlossenheit der eigenen Existenz in der Welt) und die Sozialität (die Existenz und Entwicklung der eigenen Identität in sozialen Bezügen). Die daraus prinzipiell erwachsenen Einschränkungen von Handlungsalternativen können nicht als Einschränkung menschlicher Freiheit gelten. Das Streben nach Freiheit muss sich immer auf die Ausweitungen der Möglichkeit zur Selbstbestimmung unter den Bedingungen menschlicher Existenz beziehen.
1. Grundlegung einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit
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1.4 Negativer und umfassender Freiheitsbegriff Friedman versteht Handlungsfreiheit (entgegen einiger „neoliberaler“ Ansätze in frühen Schriften) in einem rein negativen Sinne – als Abwesenheit von Zwang durch andere Menschen. Vorausgesetzt ist dabei der Gedanke eines „Privatbereiches“, in dem ein Mensch über sein eigenes Verhalten und sein Eigentum frei verfügen darf. Jede Form des direkten oder indirekten Eingriffs oder die Drohung damit, gelten als Zwang. Sie sind illegitim, da sie Menschen andere Ziele aufzwingen als diejenigen, die sie selbst verfolgen möchten. Eine differenzierte Betrachtung des Phänomens menschlicher Freiheit zeigt, dass Friedman damit einen zu eingeschränkten Begriff von Freiheit vertritt. Demgegenüber liegt ein umfassenderer Begriff von Freiheit näher. Der formale Aspekt von Freiheit (Abwesenheit von Zwang) ist ein wichtiges Element menschlicher Freiheit. Er ist jedoch zu ergänzen um materiale Aspekte von Freiheit – also die Frage, welche Handlungsoptionen einem Menschen tatsächlich zur Verfügung stehen. Ein solcher Begriff von Freiheit wird nicht nur der formalen Struktur von Freiheit als Freiheit von etwas zu etwas besser gerecht. Er ist auch im Horizont von Friedmans Argumentationslogik vorzuziehen, da Menschen stets eine Situation bevorzugen, die es ihnen ermöglicht, ihre Ziele unter den Bedingungen menschlicher Existenz tatsächlich zu verfolgen. Daher erweist sich ein umfassender Begriff von Freiheit als menschengerechter als derjenige Friedmans, der Freiheit auf die formalen Aspekte von Handlungsfreiheit beschränkt. Dieser ist zum einen zu erweitern um die beiden anderen Reflexionsebenen (innere Hemmnisse von Freiheit und normative Implikationen von Freiheit) und zum anderen um die materialen Aspekte von Handlungsfreiheit.
1.5 Reflexionsebenen von Freiheit In der Einleitung wurden drei Reflexionsebenen von Freiheit unterschieden: erstens die Ebene innerer Freiheit, zweitens die Ebene äußerer Freiheit und drittens die Ebene der sittlichen Freiheit.1 Die Herleitung des Freiheitsglaubens aus der Präferenzautonomie führt bei Friedman zu einer deutlichen Begrenzung des Spektrums. Die deskriptive Präferenzautonomie führt dazu, dass die erste Reflexionsebene in den Hintergrund tritt. Wenn Menschen ihre Präferenzen immer schon vorgegeben sind und sie zugleich quasi automatisch in Übereinstimmung mit ihnen handeln, verliert die Frage nach der Urheberschaft von Handlungen an Relevanz. Friedmans Verständnis der normativen Präferenzautonomie führt dazu, dass auch die dritte Reflexionsebene überflüssig wird. Wenn die verfolgten Präferenzen selbst zum einzig gültigen Maßstab des Handelns werden, erübrigt 1 Vgl.
oben 2.
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Abschließende Überlegungen
sich die Frage nach einem angemessenen Gebrauch individueller Freiheit. Somit beschränkt sich Friedmans Freiheitstheorie auf die zweite Reflexionsebene, also die Frage nach Handlungsfreiheit bzw. nach der Freiheit von äußeren Hemmnissen. Mit der Kritik an deskriptiver und normativer Präferenzautonomie erweist es sich als problematisch, die beiden anderen Dimensionen von Freiheit prinzipiell auszublenden. Die Erfahrung, dass Menschen in Konflikt zu ihren eigenen Zielvorstellungen geraten können, verdeutlicht die Relevanz der ersten Reflexions ebene. Individuelle Freiheit bedeutet, in Übereinstimmung mit den eigenen Wertvorstellungen zu handeln. Nicht allein äußere, sondern auch innere Schwächen und Hemmnisse können Menschen dabei einschränken. Die Kritik an der normativen Präferenzautonomie zeigt, dass auch auf die dritte Reflexionsebene nicht verzichtet werden kann. Wenn der ethische Wert der Freiheit mit Rekurs auf das Menschengerechte begründet wird, dann ist das Menschengerechte zugleich ein kritischer Maßstab für den angemessenen Gebrauch menschlicher Freiheit.
2. Anstöße zu einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit Friedmans Verständnis von Freiheit gewinnt an Profil, wenn man die ethischen und institutionentheoretischen Konkretionen betrachtet, die er daraus ableitet. Es hat sich gezeigt, dass der von Friedman gewählte Zugang über eine verkürzte Anthropologie dazu führt, dass wichtige Themen nicht befriedigend behandelt werden. Ziel dieser Arbeit konnte es nicht sein, diese im Detail zu bearbeiten. Ihr Ertrag besteht vielmehr in Impulsen dafür, welche Fragestellungen für eine Freiheitstheorie unausweichlich sind, die sich konsequent an der Grundsituation menschlichen Lebens ausrichtet. Der Bezug auf Friedman ist hier vor allem kritisch, da danach gefragt wird, wie Schwächen seines Ansatzes vermieden werden können. Zugleich wird er konstruktiv aufgegriffen, da sein Werk deutlich macht, dass die Freiheitsthematik von anderen sozialethischen Fragen nicht getrennt werden kann und für diese von elementarer Bedeutung ist.
2.1 Freiheit und Eigentum Zu Recht weist Friedman darauf hin, dass der Vollzug von Freiheit die Möglichkeit voraussetzt, über geistiges und materielles Eigentum zu verfügen. Wertvoll ist auch sein Hinweis darauf, dass die Definition von Eigentumsrechten durch staatliche Rechtssetzung erfolgt. Daraus ergeben sich jedoch theoretische und praktische Herausforderungen, die Friedman nicht hinreichend reflektiert. Erstens folgt aus den materialen Aspekten von Freiheit, dass Freiheit davon abhängt, dass Menschen tatsächlich Zugang zu Ressourcen haben. Es reicht nicht aus, nur den Gebrauch des vorhandenen Eigentums sicherzustellen. Das Recht am Eigentum sollte ergänzt werden um das Recht auf Eigentum. Die Art und Weise, in der Friedman den Status quo als legitimen Maßstab von Verteilungsfragen akzeptiert, ist ethisch nicht befriedigend. Zweitens müsste deutlich gemacht werden, dass Eigentum ein soziales Phänomen ist. Sowohl die rechtliche Sicherung als auch der Gewinn und Gebrauch von Eigentum vollziehen sich stets in sozialen Bezügen. Es ist daher nicht plausibel zu machen, Eigentumsrechte ausschließlich als Rechte zu verstehen, die den Zugriff der Gemeinschaft ausschließen. Mit ihnen geht zugleich eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft einher.
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Abschließende Überlegungen
Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit steht daher vor der Aufgabe, einerseits das Recht auf Privateigentum zu wahren und andererseits seine Sozialpflichtigkeit und den Zugang aller zu materiellen Ressourcen sicherzustellen.
2.2 Freiheit und Bildung Freiheit unterliegt auch inneren Hemmnissen. Mangelnde Bildung kann dazu führen, dass Menschen nicht in der Lage sind, die für ihre Ziele zweckmäßigen Mittel zu wählen. Wer darüber hinaus selbst keine Klarheit darüber hat, was er in seinem Leben anstrebt, ist nicht Autor seines eigenen Lebens. Stattdessen ist er getrieben von aktuellen Affekten und manipulierbar durch äußere Impulse, sei es durch soziale Erwartungen oder Anreize, den wirtschaftlichen Interessen anderer zu dienen. Die (im weiten Sinne) technische Bildung muss daher ergänzt werden um eine Gewissensbildung, in der Menschen eine reflektierte Zielstrebigkeit entwickeln. Bildungsprozesse vollziehen sich in erster Linie auf der Ebene inneren Erlebens. Damit sind sie jedoch nicht losgelöst von der leiblich-sozialen Existenz. Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit wird daher nicht nur an die Bedeutung von Bildungserlebnissen erinnern. Sie wird auch danach fragen, wie die äußeren Rahmenbedingungen im persönlichen und gesellschaftlichen Umfeld beschaffen sein müssen, damit sie Zeit, Gelegenheit und Impulse für eine konstruktive Selbstreflexion und ‑bildung ermöglichen.
2.3 Ökonomische, bürgerliche und politische Freiheit Friedman macht darauf aufmerksam, dass Freiheit verschiedene Dimensionen hat. Sowohl den Umgang mit ihren Ressourcen einschließlich ihrer Arbeitskraft (ökonomische Dimension) als auch ihr Verhalten im öffentlichen Raum (bürgerliche Dimension) sollten Menschen so weit möglich selbst bestimmen. Doch anders als Friedman es darstellt, ist auch politische Freiheit eine eigenständige Dimension umfassender Freiheit. Menschen leben stets in sozialen Bezügen. Diese brauchen eine institutionelle Ordnung, die ihrerseits verfügbare Handlungsalternativen beeinflusst. Politische Freiheit ermöglicht es Menschen, auf dieses Institutionengefüge einzuwirken, und erweitert so das Maß, in dem Menschen Autor ihres eigenen Lebens sind. Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit hat daher einerseits den je eigenen Wert der drei Dimensionen von Freiheit zu achten und darauf hinzuweisen, inwiefern sie sich gegenseitig bedingen. Zugleich ist damit zu rechnen, dass in manchen Fällen Abwägungen zwischen konfligierenden Zielen
2. Anstöße zu einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit
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zu machen sind. Daher hat es sich beispielsweise bewährt, individuelle Freiheitsrechte durch die Garantie von Grundrechten Mehrheitsentscheidungen zu entziehen. Es kann aber auch erforderlich sein, ökonomische Freiheit – z. B. das Recht an Eigentum – einzuschränken, wenn es für den Erhalt politischer Freiheit erforderlich ist.
2.4 Freiheit und Verantwortung Freiheit ist ohne Verantwortung nicht zu denken. Dem stimmt auch Friedman zu. Für ihn ist Verantwortung begründet im freien Handeln eines Individuums. Dieses muss die Konsequenzen seiner Taten tragen und ist verpflichtet, Vereinbarungen einzuhalten. Wie wichtig es ist, diesen retrospektiven Aspekt von Verantwortung ernst zu nehmen, hat sich in der Wirtschafts‑ und Finanzkrise gezeigt. Wo Menschen nicht damit rechnen müssen, dass sie für die Folgen ihres Handelns gerade zu stehen haben, sind nicht nur Grundsätze der Gerechtigkeit verletzt, es wird auch ein fahrlässiges und gemeinschaftsschädliches Verhalten befördert. Friedman greift aber wiederum zu kurz, indem er Verantwortung auf diesen Aspekt verengt. Menschen treten nicht erst durch eigenes Tun in Beziehungen zu anderen, sondern finden sich in diesen immer schon vor. Dazu gehört die Bezogenheit auf zukünftige Generationen. Maßstäbe von Verantwortung werden nicht erst durch menschliches Handeln konstituiert, sondern sind diesem mit seinen eigenen Bedingungen auch schon vorgegeben. Mit dem ethischen Wert der Freiheit ist ein Freiheitsgebrauch nicht vereinbar, der die Grundlagen der Freiheit anderer zerstört. Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit trägt dem dadurch Rechnung, dass sie neben dem retrospektiven auch den prospektiven Aspekt von Verantwortung stark macht. Die Freiheit des Anderen ist ihr nicht nur faktisch eine Grenze dessen, wie Freiheit legitim genutzt werden darf. Aus dem Freiheitsbegriff selbst folgt eine Einschränkung der normativen Präferenzautonomie und eine Verpflichtung, diese zu respektieren. Die soziale Verantwortung von unternehmerisch Tätigen zeigt, wie schwierig es sein kann, diesen Verantwortungsbereich eindeutig zu konkretisieren. Einerseits gilt sowohl für Eigentümer als auch für Beschäftigte, dass sie in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit verpflichtet sind, die Grundlagen der Freiheit anderer zu achten. Andererseits können sie für ihr Handeln nur so weit verantwortlich gemacht werden, wie ihnen alternative Handlungen tatsächlich zumutbar wären. Dies ist im Einzelnen kaum ohne streitbare Abwägungen zu bestimmen.
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Abschließende Überlegungen
2.5 Freiheit und Gerechtigkeit Für Friedman sind Freiheit und Gerechtigkeit zwei konträre politische Grundprinzipien. Vereinbar sind sie allenfalls dann, wenn Gerechtigkeit formal als rechtliche Gleichbehandlung verstanden wird. Darin zeigt sich eine der bedeutendsten Differenzen zwischen seinem negativen Verständnis von Freiheit und dem hier vorgeschlagenen umfassenden Verständnis von Freiheit. Erstens macht es der materiale Aspekt von Freiheit erforderlich, auch nach der Verteilung von Ressourcen zu fragen. Diejenigen Grundgüter, die Freiheit überhaupt erst ermöglichen, sind nach dem Kriterium der Bedürfnisgerechtigkeit zu verteilen. Zweitens ist menschliche Freiheit stets eine soziale. Welche Handlungsalternativen einem Menschen offen stehen, hängt nicht nur von seiner eigenen Kompetenz und materiellen Ausstattung ab, sondern auch von der anderer. Starke Ungleichheit kann daher individuelle Freiheit gefährden. Daher sind auch Teilhabe-, Chancen‑ und Ausgleichsgerechtigkeit aus Perspektive einer umfassenden Freiheit zu berücksichtigen. Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit betont daher, dass Freiheit und Gerechtigkeit konstitutiv aufeinander bezogen sind. Sie fragt danach, wie konkrete Freiheitschancen verteilt sind. Allerdings bleibt ihr Blick nicht auf Verteilungsfragen beschränkt. Materiale Freiheit und die Befriedigung von Grundbedürfnissen werden befördert, wenn die wirtschaftliche Produktion steigt. Sofern Eingriffe in die Verteilung Anreize zu größerer Produktivität mindern, können sie sich negativ auf das Anliegen der Freiheit auswirken. Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit muss daher verschiedene Güter gegeneinander abwägen und sorgfältig die Konsequenzen von Eingriffen in die Verteilung von Gütern beobachten.
2.6 Freiheit und Institutionen Friedman vertritt einen pragmatischen Liberalismus. Er lehnt nicht strikt jede Form des Zwanges ab, sondern fragt danach, wie ein größtmögliches Maß an individueller Freiheit sichergestellt werden kann. Dadurch gelangt er zu einer positiven Wertschätzung des Staates, der durch die Etablierung einer Rahmenordnung notwendige Bedingungen freiwilliger Interaktion sicherstellt. Freiheit bleibt für ihn jedoch die Freiheit des individuellen Menschen. Insofern ist die Minimierung von Zwang der leitende Maßstab seiner institutionentheoretischen Überlegungen. Demgegenüber muss ein am Phänomen menschlicher Freiheit ausgerichteter Ansatz berücksichtigen, dass Menschen immer schon in sozialen Bezügen leben. Es ist daher im Freiheitsbegriff selbst verankert, dass menschliche Freiheit nur in Zusammenhang von Institutionen Wirklichkeit werden kann. Dabei ist nicht allein die Möglichkeit von Zwang eine Gefährdung von Freiheit.
2. Anstöße zu einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit
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Auch eine ungleiche Verteilung von Macht schränkt Handlungsalternativen ein und führt zu Abhängigkeitsverhältnissen. Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit fragt demnach, wie Zusammenleben so gestaltet werden kann, dass dem Einzelnen selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird. Dabei ist eine Vielzahl von Fragen sorgfältig zu erwägen: Welche Güter sollten als öffentliche Güter bereitgestellt werden, da sie individuelle Freiheit wesentlich befördern und nicht über den Markt verteilt werden können? In welchem Umfang und auf welche Weise können die Versorgung mit Grundgütern sichergestellt und zugleich Anreize für Eigenverantwortung und Produktivität gesetzt werden? Wie kann es gelingen, die Konzentration ökonomischer Macht zu reduzieren und Wettbewerb zu befördern? Kann gleichzeitig verhindert werden, dass daraus eine Wettbewerbsgesellschaft entsteht, die nur noch einen Lebensstil zulässt? Bei all diesen Fragen erweist es sich als wenig hilfreich, von einer Alternative „Markt oder Staat“ auszugehen. Zu klären ist, in welchem Fall staatliche Eingriffe zwar formale Freiheit einschränken, insgesamt aber zu einem größeren Maß an Freiheit führen.
2.7 Freiheit und Werturteile Der ökonomische Liberalismus erhebt den Anspruch, durch Anwendung der ökonomischen Methodik die durch den Pluralismus erwachsenden normativen Konflikte zu lösen. Friedman geht dabei nicht den Weg utilitaristischer Argumentationen, Zielkonflikte in Mittelkonflikte aufzulösen. Dadurch vermeidet er deren Fehler, letztlich doch ein externes Kriterium (z. B. wirtschaftliche Effizienz) vorauszusetzen oder eine Harmonie aller denkbaren Interessen zu behaupten. Stattdessen nimmt Friedman die normative Präferenzautonomie selbst zum Ausgangspunkt seiner ethischen Argumentation. Jedem soll ermöglicht werden, seine je eigenen Ziele zu verfolgen. Es hat sich gezeigt, dass diesem Grundsatz nicht Friedmans rein negatives, sondern ein umfassendes Verständnis von Freiheit entspricht. Überlegungen zu menschlicher Freiheit können deswegen nicht von Überlegungen über das gute Leben abgekoppelt werden. Dies zeigt sich etwa, wenn zwischen materialen und formalen Aspekten von Freiheit abgewogen werden muss, oder beim Versuch, die für eine menschengerechte Teilhabe am sozialen Leben erforderlichen Grundgüter zu bestimmen. Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit bleibt daher offen für Fragen nach dem guten Leben. Ihr Ziel ist, Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen ein Leben gemäß eigener Überzeugungen zu ermöglichen. Das kann aber nicht dadurch gewährleistet werden, dass diese aus öffentlichen Debatten ausgeklammert werden. Wenn zwischen verschiedenen Aspekten von Freiheit abgewogen werden muss, erfordert dies gerade einen Diskurs darüber, in welchen Bereichen menschlichen Lebens die eigenständige Lebensführung be-
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Abschließende Überlegungen
sonders wichtig ist. Die Institutionen freiheitlicher Gesellschaften können daher auch je nach kulturellen Voraussetzungen variieren.
2.8 Freiheit und Ethos Trotz seiner Argumentation auf Basis der Präferenzautonomie legt Friedman großen Wert darauf, dass eine freiheitliche Gesellschaft ohne einen liberalen Grundkonsens nicht bestehen kann. Dieser verlangt, dass Menschen die Freiheitsrechte anderer und die geltende Rahmenordnung von sich aus achten, auch wenn es im aktuellen Fall nicht ihrem eigenen Nutzen dient. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass im politischen Prozess Menschen Verantwortung übernehmen, die nicht allein an ihrem eigenen Vorteil interessiert sind. Auch eine allgemeine Bereitschaft, für Menschen zu sorgen, die dies nicht alleine können, kann als Basis einer freiheitlichen Gesellschaft gesehen werden. Friedman benennt hier zentrale Einsichten, die in der Rezeption seiner politischen Philosophie beachtet werden sollten. Auch Friedmans eigenes Auftreten lässt sich am ehesten so verstehen, dass er zur Etablierung eines gesellschaftlichen Grundkonsenses zugunsten freiheitlicher Prinzipien beitragen möchte. Als problematisch erweist sich jedoch, dass er dabei von Menschen ausgeht, die nicht ursprünglich soziale Wesen sind und die immer ihren Eigennutzen im engen Sinne verfolgen. Er nimmt also Abstraktionen vor, die einem solchen Prozess der Wertebildung gerade hinderlich sein können. Eine phänomengerechte Theorie menschlicher Freiheit kann im Unterschied zu Friedmans negativem Verständnis von Freiheit darauf verweisen, dass die Selbstbeschränkung nicht nur eine wünschenswerte, sondern eine vom Grundsatz der Freiheit selbst verlangte Eigenschaft ist. Sie wird darüber hinaus der Tendenz Friedmans, Präferenzen gemäß der ökonomischen Theoriebildung als gegeben anzunehmen, nicht folgen. Stattdessen ist bei der institutionellen Ausgestaltung einer freiheitlichen Gesellschaft auch darauf zu achten, ob sie es Menschen erlaubt, diejenigen Erfahrungen zu machen, die einem liberalen Ethos förderlich sind.
2.9 Freiheit und Liebe Die vorliegende Arbeit wurde aus Perspektive eines evangelischen Theologen verfasst. Dies soll in einem abschließenden Hinweis noch einmal explizit zur Geltung gebracht werden. Schon in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen menschlicher Freiheit hat sich gezeigt, dass es nicht angemessen ist, diese als höchstes Gut absolut zu setzen. Vielmehr erfordert es die Freiheit selbst, sie in Hinblick auf andere Güter wie Gleichheit und Gerechtigkeit hin zu relativieren
2. Anstöße zu einer phänomengerechten Theorie menschlicher Freiheit
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und abzuwägen. Darüber hinaus ist festzuhalten: Die Fähigkeit zur personalen Selbstbestimmung gehört zu den grundlegenden Merkmalen des Menschseins. Das bedeutet aber nicht, dass sie gegenüber anderen Wesenszügen isoliert als Grundlegung der Ethik herausgegriffen werden sollte. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit zur Selbstbestimmung in manchen Lebensphasen oder ‑situationen teilweise oder völlig eingeschränkt sein kann. Wo sie möglich ist, besteht sie stets als geschaffene Freiheit. Aus christlicher Perspektive ist deswegen nicht Freiheit – auch nicht im umfassenden Sinne – das höchste Gut. In biblischer Tradition eröffnet sich eine alternative Leitperspektive in der Interpretation der Phänomene des Lebens: Erst dort, wo Menschen ihre Bezogenheit auf Gott, ihre Mitmenschen und sich selbst nicht bloß anerkennen, sondern als Ausdruck der göttlichen Liebe wahrnehmen und entsprechend leben, wird das Leben wahrhaft gelebt. Das höchste Gut menschlichen Zusammenlebens ist daher die Liebe. Menschen entsprechen der Ausrichtung auf dieses Ziel, indem sie Gott lieben und ihren Nächsten wie sich selbst (Mk 12,30 f.). Im Gespräch mit Friedman ist zunächst festzuhalten, dass darin die Basis für einen Grundkonsens besteht. Liebe setzt Freiheit voraus. Zur Bestimmung des Menschen aus christlicher Perspektive gehört, dass er das Ziel seines Lebens nur selbstbestimmt erreichen kann. Theologische Ethik kann sich von Friedman daher an ihr eigenes Anliegen erinnern lassen, die Freiheit des Menschen zur Geltung zu bringen. Das Bewusstsein für die Fehlbarkeit des Menschen spricht nicht gegen seine Freiheit, sondern für ihren Schutz durch angemessene Institutionen. Das Gespräch mit Friedman kann außerdem deutlich machen, dass eine Orientierung an der Liebe Konkurrenz nicht zum Verschwinden bringt. Menschliches Leben vollzieht sich unter der Bedingung von Knappheit. Manche Güter, wie z. B. bestimmte Positionen, beziehen ihre Attraktivität gerade daraus, dass nicht alle sie erreichen können. Auch ein Gebrauch der Freiheit im Geist christlicher Nächstenliebe hat daher keinen Grund, auf das Prinzip des Wettbewerbs gänzlich zu verzichten. Eine christliche Theorie menschlicher Freiheit wird aber immer darauf bestehen, dass die Bestimmung des Menschen nicht in seiner Selbstbestimmung aufgeht. Sie betont, dass menschliche Freiheit immer geschaffene, bedingte und in Beziehung stehende Freiheit ist. Mit ihren Bedingungen ist menschlicher Freiheit ein Maß und ein Ziel gegeben. Ein Verständnis von Freiheit, das diese Voraussetzungen verkennt, bleibt abstrakt und wird der Grundsituation menschlichen Lebens nicht gerecht.
3. Fazit Milton Friedman kommt das Verdienst zu, dass er eindrücklich auf die sozialethische Bedeutung individueller Freiheit hingewiesen hat. Dabei hat er durchgehend zwei Begründungsebenen im Blick. Neben ökonomisch-utilitaristischen Argumenten mit den positiven Effekten freiheitlicher Gesellschaften betont er insbesondere, dass die Möglichkeit zur Selbstbestimmung selbst ein zentrales ethisches Gut darstellt. Eine Ethik, die sich am Kriterium der Menschengerechtigkeit orientiert, muss dieses Anliegen angesichts der Personalität des Menschen positiv aufgreifen. Dies wird umso deutlicher, wenn man sich die politischen Zusammenhänge vergegenwärtigt, in denen Friedman sein Verständnis von Freiheit entwickelte. Leitend war für ihn einerseits die Abgrenzung von totalitaristischen Ideologien – sowohl vom Nationalsozialismus als auch vom Sozialismus, wie er in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten praktiziert wurde. Andererseits richtet er sich gegen das Reformprogramm des New Deal. Durch dieses sieht Friedman die USA auf dem „Weg zur Knechtschaft“. Die Zeit seines Wirkens erlebte er als einen jener Wendepunkte, an denen Ideen ihre Kraft entfalten und Einfluss auf das politische Geschick eines Landes nehmen können. Sein öffentliches Wirken richtete Friedman darauf aus, die individuelle Freiheit in den USA zu bewahren. Dieser Zusammenhang macht verständlich, warum für Friedman ein konsequent individualistischer Ansatz attraktiv erschien, der jede Unterhöhlung der Freiheit von Anfang an unmöglich macht. Diese Arbeit hat jedoch darauf hingewiesen, dass aus dem daraus abgeleiteten abstrakten Verständnis von Freiheit teilweise erhebliche theoretische Probleme entstehen. Diese Defizite sind nicht auf die Ebene der Theorie beschränkt. Eine politische Philosophie, die – bewusst oder unbewusst – entscheidende Dimensionen der menschlichen Existenz ausklammert, wird dieser nicht in ihrer Gänze gerecht. Die Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung ist nicht nur durch totalitäre und kollektivistische Staaten gefährdet. Dies kann auch durch eine asymmetrische Verteilung von Macht, Eigentum oder Informationen geschehen. Durch sie werden Menschen in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt und die Voraussetzungen dafür, dass von einer freiheitlichen Gesellschaft alle profitieren, fehlen. Dauerhaft bestehen kann menschliche Freiheit daher nur im Rahmen einer sozialen Ordnung, die sich auf die Wahrnehmung der Wirklich-
3. Fazit
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keit einlässt. Auf Friedmans Ansatz trifft eine Kritik zu, die Walter Eucken bereits 1950 formuliert hat: „Aber die Wirklichkeit wird nicht gesehen. […] Zum Beispiel streben Männer, die es mit der Freiheit der Person sehr ernst nehmen, bisweilen Wirtschaftsordnungen an, welche die Freiheit bedrohen. Was Wunder, wenn solche Experimente scheitern.“1
Zurecht und auf eindrückliche Weise fordert Friedman die Sicherstellung der Möglichkeit einer selbst bestimmten und verantworteten Lebensführung. Erreichen lässt sich diese jedoch nur, wenn man sich in theoretischer wie praktischer Hinsicht an einem phänomengerechten, umfassenderen Verständnis menschlicher Freiheit orientiert. Dieses muss berücksichtigen, dass Menschen leibliche und soziale Personen sind. Der Möglichkeitsraum ihrer Selbstbestimmung hängt daher nicht zuletzt an ihrer Ausstattung mit materiellen Ressourcen, an der Verteilung politischer und ökonomischer Macht sowie am Grad der Bildung in einem umfassenden Sinne. Nur so lässt sich wirklich menschliche Freiheit verwirklichen und verteidigen.
1 Eucken
1990, 197.
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1.2 Aufsätze und Artikel in Zeitschriften und Zeitungen1 Friedman, Milton (1950): Does Monopoly in Industry Justify Monopoly in Agriculture? In: Farm Policy Forum Juni 1950 (=MFA 41.4). 1 Es wird angegeben, wenn in Zeitschriften oder Zeitungen erschienene Artikel aus dem Archiv (=MFA) oder aus einem der folgenden Sammelwerke zitiert werden: Friedman, Milton (1983): Bright Promises, Dismal Performance. An Economist’s Protest. Hg. v. William R. Allen. Harcourt: San Diego (=BPDP); Friedman, Milton (1987): The Essence of Friedman. Hg. v. Kurt Leube. Hoover Press: Stanford (=EoF).
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Personenregister Akerlof, George A. 385 Allende, Salvador 127, 429 Aristoteles 54, 239, 267, 325 Augustin 238, 267, 290 Banfield, Edward C. 216–218, 222, 426 f. Bayer, Oswald 323, 330, 436 Beck, Ulrich 392, 413 Becker, Gary S. 80, 82 Bedford-Strohm, Heinrich 262 Bentham, Jeremy 28, 60, 96, 247, 267, 271, 334, 430 Berlin, Isaiah 96, 101, 303, 307, 329 Biedenkopf, Kurt 4 Bieri, Peter 293 Böckenförde, Ernst W. 226 Bouillon, Hardy 105, 306, 309 Brunner, Emil 249, 359, 365 Buchanan, James M. 18, 48, 70, 184, 196, 224, 427 Burns, Arthur 37 Burstein, Meyer L. 27 Bush, George W. 3 Calvin, Johann 324, 399 Carson, Thomas 140, 145 Coase, Ronald H. 188 Dahrendorf, Ralf 260, 308, 311, 402 DeMarchi, Neil 61, 67, 95, 242 Dicey, Albert V. 86, 123 f., 228 Director, Aaron 15, 32, 37, 186, 209 Dölken, Clemens 61, 100, 222 Eucken, Walter 205, 312, 402, 453 Finetti, Bruno de 51 f. Frankfurt, Harry G. 282, 319 Frey, Bruno S. 292, 429 Friedman, Rose 8, 14 f., 18, 23, 37, 57, 64, 91, 197, 200, 229 Fromm, Erich 285, 290
Galbraith, John K. 11, 275 Gauck, Joachim 2 Goldwater, Barry M. 18, 220 Gosepath, Stefan 365 Graf, Friedrich W., 263, 327, 415 Green, Thomas H. 96, 303 Gutiérrez, Gustavo 328 Härle, Wilfried 283 Hayek, Friedrich A. von 38–42, 47 f., 65, 70–73, 88, 96, 100, 103 f., 122 f., 155, 170, 195, 205, 224 f., 261, 305, 349, 436 Herms, Eilert 246, 264 Hirsch, Abraham 61, 67, 95, 242 Hirsch, Emanuel 263, 283 Hirschman, Albert O. 383, 417, 427, 431 Hobbes, Thomas 93, 96, 117, 311, 338 Homann, Karl 240 f., 244, 278, 427 Honneth, Axel 319, 365, 428 Hoover, Herbert 11, 13, 103, 204 Huber, Wolfgang 323, 327, 364 f. Jefferson, Thomas 24–27, 31, 47, 111 Jonas, Hans 346 f. Jones, Daniel S. 18, 37 Jones, Homer 37, 73 Kamlah, Wilhelm 322, 324 Kant, Immanuel 3, 96 f., 238, 301 f., 319, 329, 348, 366, 411 Kersting, Wolfgang 372, 412 Keynes, John M. 11 Keynes, John N. 54–56 Knight, Frank H. 32–34, 37 f., 47, 51, 54, 59, 73, 94–96, 142, 173, 274, 305, 351, 425, 431 Koopmans, Tjalling 222 Lange, Dietz 236, 262 Laplace, Pierre-Simon 257 Lee Kuan Yew 210 Lester, Richard A. 78 Libet, Benjamin 293
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Personenregister
Locke, John 26 f., 96, 317 f., 400 Luther, Martin 238, 283, 292, 301 f., 323–330, 376, 381
Roosevelt, Franklin D. 13–15, 19, 100 Rothbard, Murray N. 57, 67, 88, 105, 194 Ryan, Paul 3
MacCullum, Gerald C. 305 MacIntyre, Alasdair C. 235 f., 239 Macpherson, Crawford B. 380 Mankiw, N. Gregory 243 Marcuse, Herbert 284, 286, 323 Maslow, Abraham H. 288 Mill, James 267, 272 Mill, John S. 28–31, 47, 60, 62, 87, 108, 123, 177, 267, 271, 334, 393, 430 Minogue, Kenneth R. 58, 96, 224 Mises, Ludwig von 55, 57, 67
Samuelson, Paul A. 81, 276 Sandel, Michael J. 426 Satz, Debra M. 392 Savage, James L. 51 f. Schelling, Thomas 280–282, 319, 325, 418 Schleiermacher, Friedrich D. 244, 300 Schnellenbach, Jan 404 Schwartz, Anna J. 12 f., 192 Sen, Amartya K. 101, 278 f., 282, 304, 313, 319, 340, 369, 372, 394, 410 Sennett, Richard 392 Simons, Henry C. 35–38, 47 f., 98, 156, 186, 203–205, 224, 314, 433 Skinner, Quentin B. 338, 426 Sloterdijk, Peter 300, 415 Smith, Adam 20–24, 26, 28, 30 f., 47, 72, 75, 83, 85, 111, 121–123, 149, 207, 425 Spencer, Herbert 96 Stalin, Josef W. 16 Stigler, George J. 31, 37, 60, 153–155, 157, 160–162, 187, 205, 272, 308, 340, 360 Taylor, Charles 96, 259, 308, 319 f.
Nass, Elmar 370, 416 Nelson, Robert H. 59, 61, 86, 228 Neuhäuser, Christian 347, 354 Nixon, Richard M. 18, 211, 220 Nozick, Robert 48, 195, 316 Nussbaum, Martha C. 288 Oermann, Nils O. 100, 111, 261 Ostrom, Elinor 426 Parijs, Philippe van 304, 307, 310, 338, 367, 413, 432 Paulus 236, 238, 324, 326 f. Pinochet, Augusto 121, 126–128, 429 Plato 267, 286 Polanyi, Karl 432 Popper, Karl R. 51–54, 70, 78 Putnam, Robert D. 426 Rand, Ayn 42–48, 57, 66 f., 74, 93 Rawls, John 164, 302, 307, 367, 372 f. Reagan, Ronald W. 18, 220 Rendtorff, Trutz 300, 347 Ricardo, David 30 Rich, Arthur 240, 245, 249, 382 Robbins, Lionel C. 78
Thomas von Aquin 267, 302, 318 Tillich, Paul 290 Tönnies, Ferdinand 261 f. Tutu, Desmond 129 Udehn, Lars 71 Ulrich, Peter 240–242, 391 f. Viner, Jacob 23, 31, 34 f., 37, 47 f., 59 f., 80, 98, 107, 186, 272, 321 Wagenknecht, Sahra 3 f. Weber, Max 54, 98, 304, 311, 391 f. Witt, Karsten 6 Wood, John C. 27, 78
Sachregister Altruismus 43, 63, 83, 89, 219–221, 224, 269–275, 427, 450 Anthropologie 69–91, 245–250, 255–296, 440, 442, 450 f. – Bestimmung des Menschen 236, 241–250, 301–303, 328, 451 – Menschenbild 78–80, 83–85, 90 f., 247, 251 f. – Perspektivität (s. Perspektivität) – Wesen des Menschen 239, 450 f. Arbeit – Arbeitsteilung 20 f., 72, 168, 176, 191, 380, 414 – betriebliche Mitbestimmung 338, 383 – Erwerbsarbeit 166, 369, 371, 382 f., 403, 413, 417, 432 Armut 200–202, 376 Bedarf 275, 284 Bedürfnisse 164 f., 275, 284–289 – falsche (s. a. Präferenzen, wahre und falsche) 284–286 – Grundbedürfnisse 287 f., 367 f., 412–415, 448 Befreiungstheologie 328 Bildung 73, 98, 103, 157, 195–199, 226–228, 259, 305, 319, 368 f., 386, 409, 414, 419 f., 434, 446 – Bildungsfähigkeit 85–87, 149, 227, 294, 325 – Bildungsgutscheine 197–199, 391 – Bildungsinstitutionen 157, 196 f., 227 f., 273, 420, 433 f. – Gewissensbildung (s. Gewissen) Bürgerrechtsbewegung 17–19, 111 Bürokratie, Bürokraten 161, 200 Chancengerechtigkeit 361, 369 f., 416, 448 Chancengleichheit 156–158, 359–361, 362 f. Chicago Boys 128 Chicago School 32–38, 80 Chile 115, 118, 121, 126–128, 429 China 118, 121
Demokratie 112, 127, 128, 208–211, 338–340, 408–410 Determinismus 40, 73, 87 f., 257, 293 Diktator, wohlwollender 129, 210 Diktatur der Mehrheit 118, 211 Diskurspragmatische Argumentation 63–65, 142, 162, 199, 201 f. Drogen 89, 107, 287 Dualismus – erkenntnistheoretischer 50–56, 95, 240–242, 429, 440 – Sein und Sollen 52 f., 235–239, 297 f., 440 Effizienz 61, 64, 143, 172 f., 243, 362, 370, 378 f., 390, 403, 420, 433 Egalitarismus 106, 153, 362 f. Egoismus (s. a. Eigennutzen) 43, 82–85, 268, 271 Eigeninteresse 80–89, 206, 266–271, 274 Eigennutzen 63, 82–85, 206 f., 216, 268–272 Eigentum 98–100, 140, 177 f., 192 f., 312, 314–318, 405, 415, 445 f. – Sozialpflichtigkeit 318, 371, 445 f. Erkenntnistheorie 50–56 Ethik 53, 238 f., 240 f., 243–250, 440 – Perspektivität (s. Perspektivität) Ethos, liberales 221–224, 425, 427 f., 435 f., 450 Evolution – biologische 40, 73 – soziale 40, 72–74, 171, 225 f. Externe Effekte 97, 147 f., 187 f., 195 f., 200 f., 405–408, 422 Fairness 163, 270 Familie 74–77, 134 f., 258, 346, 430, 434 Framing 279 f. Freiheit 1 f., 305 – amerikanisches Verständnis 102 f., 203, 402 – Aspekte von 101, 304, 443 – bedingte (relative) 298–300, 349 f., 442, 451 – bürgerliche 111–119, 336–338, 446
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Sachregister
– Dimensionen von 110–119, 336–341, 446 f. – europäisches Verständnis 102 – Freiheitsglaube (s. Glaube) – geschaffene 300 f., 451 – höchstes Gut (ethisches Fundamentalkriterium) 33, 58–60, 66, 442, 451 – in Christus 322–331, 348 – Naturrecht 24 f. – negative (formale) 39, 95–97, 303 f., 307, 309 f., 336 f., 339, 443 – ökonomische 26, 36, 110–119, 336–338, 446 f. – politische 25 f., 36, 110–119, 338–341, 408, 446 f. – positive (materiale) 36, 96, 101–105, 112, 202 f., 303 f., 313, 337, 339, 412, 443 – Reflexionsebenen von 2 f., 319, 322, 443 f. – selbstmächtige 323, 329 – soziales Gut 94 f., 442 – umfassende 304, 306–309, 310 f., 326–331, 443 – Wert unter anderen 33 f., 35, 96, 307 – Willensfreiheit (innere) 87–89, 291–293, 324, 443 f. Freiwilligkeit 169, 185–188, 380, 414 Friede, sozialer 203, 414 Gefangenendilemma 278 f., 394 Geld 108, 176, 191 f., 413 Geldpolitik (Monetarismus) 4, 10–13, 32, 42, 64, 429 Gemeinschaft 133, 261 f., 263, 430 Gerechtigkeit 106, 163–167, 364–373, 390, 411, 448 Geschichte, Ende der 1, 122 Geschichtsverständnis 122–125, 340 Gesellschaft 71–74, 259, 261 f. Gewissen 283, 289, 302, 344 f., 399, 441 Gewissensbildung 318, 419 f., 325, 446 Glaube – an Gott 323 f. – Freiheitsglaube 56–58, 440 Gleichheit 64, 106, 152–163, 358–364, 448 Globalisierung 390, 420–422 Glück (happiness) 25 f., 28, 96, 286 f. Glück (luck) 99, 180, 315 f. Gnade 324 Gott 21, 25, 265, 290 f., 300, 318, 323 f., 345, 451 Gottebenbildlichkeit 248, 301 Great Depression 10–13, 205
Grundeinkommen, bedingungsloses 199– 203, 413 Grundsicherung, existentielle 194, 199–203, 412–417 Gut, Das Gute 274 Güter 268, 274 – Kollektivgüter (Gemeingüter) 406, 408 – meritorische 287, 390 – öffentliche 190 f., 413 f., 422, 433 Heiligung 325 Historische Schule 428 Homo oeconomicus 78–80, 217, 242 f., 272 f. Homo sociologicus 260 Hongkong 112, 116, 118 Ideen 86, 123–125 Imperialismus, ökonomischer 82, 85, 206 f., 243, 271–273 Individualismus 69–77 – atomistischer 44 f., 74, 256 – methodologischer 69 f., 75–77, 90 f., 256 – normativer 71, 92–94, 95, 143, 149, 376, 441 f. – ontologischer 70 f., 75–77, 97 f., 132, 255 f., 258, 375 f., 441 f. Individualität 158 f., 255 f., 259 f., 261 f., 359 Informationsasymmetrien 385, 389, 403 f. Informiertheit, (un)vollstänige 178–180, 193, 277, 384–389 Institutionen 72 f., 170, 216 f., 226–228, 261, 344, 375, 377, 427, 430, 446, 448 f. Intentionen 66, 73, 334 Jesus Christus 248, 291, 324, 330 Kalter Krieg 16–19, 126, 128, 205 Kartell 381, 402 Kinder 108, 132, 194 Kinderarbeit 392, 403 Kollektivismus 19, 71, 106 f., 141, 153, 205, 261 f., 452 Konflikt 183, 263, 352, 400, 451 Konsens, moralischer 425–428, 431, 436, 450 Konsequentialismus 60–62, 65 f. Konsumentensouveränität 81 Konsumismus 275, 419, 432 Kultur 71, 77, 95, 170, 260, 287, 308, 420, 428 f., 450 Leiblichkeit 257 f., 260 f., 288, 299, 442 Leistung 318, 370 f.
Sachregister Liberalismus 1 f., 47 f., 57, 115, 449 – klassischer (Laissez-faire) 115, 203–205, 214 – moderner 14, 104, 204, 372 – Neoliberalismus 203–205, 214, 384, 423 – pragmatischer (s. a. diskurspragmatische Argumentation) 65–67, 182, 199, 201 f., 448 Liebe 238, 290 f., 323, 328 f., 411, 450 f. Lobbyismus 161, 208 Lockesche Provisio 317, 407 Macht 97 f., 112 f., 208, 211–213, 311 f., 317, 343, 361, 380 f., 386, 409 Machtasymmetrien 312, 371, 382 f., 403, 409, 414, 421 f., 449 Markt 20–22, 114, 116, 168–181, 375–397, 431–434 Marktversagen 13, 196, 380, 414, 419 Menschengerechtigkeit 243, 249 f., 251, 286, 289, 298, 302, 330, 351, 365, 437, 440 f., 442 Metapräferenzen (s. Präferenzen) Mindestlohn 13, 59 f., 64, 243 Minimalkonsens 302, 321, 348, 412, 436, 442 Misguided friends 64 f., 86, 95, 229, 277 Modernisierung 121, 337 Monetarismus (s. Geldpolitik) Monopole 102–104, 186 f., 203, 205, 381, 401 Moral (s. a. Ethos) 41, 215–232 Nachfrage 275, 284, 390 Nachhaltigkeit 350 f., 407 Naturalistischer Fehlschluss 235, 297, 316 Negative Einkommenssteuer 199–203 New Deal 13–15, 100, 104, 205, 452 New York City 12, 118, 340 Normen 52 f., 246, 427 Nutzen 28 f., 56, 173, 273 Nutzenmaximierung 77–90 Objektivität 51, 54 f., 63, 243, 248, 276, 440 Ökonomik 54–56, 78–80, 82, 240–243, 272 f., 429 – experimentelle 243, 270, 279 – imperialistische (s. Imperialismus, ökonomischer) – Kunst 54 f. – normative 54 f., 242 f. – positive 54 f., 78–80, 242 – Wohlfahrtsökonomik 188, 243, 384
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Paradoxon, liberales 394 Pareto-Optimum 243, 372, 394 Paternalismus 57, 107 f., 194, 321, 418 – liberaler 321, 404, 418 Personalität 256 f., 262, 288, 293, 298, 302, 329, 442 Perspektivität – aller Wissenschaft 242, 246 – der Anthropologie 246 f. – der Ethik 6 f., 246, 248 251 f. Phänomengerechtigkeit, Phänomenorientierung 6, 251–253 Pluralismus 56 f., 94 f., 171 f., 183, 359, 400, 403, 410, 436, 449 Präferenzautonomie – deskriptive 81, 178, 276, 282 f., 292, 441, 443 f. – normative 92–94, 149, 172, 229–231, 283–287, 298, 302, 351 f., 394 f., 435 f., 440, 443 f., 449 Präferenzen 81 f., 89, 93 f., 273, 279–282, 286, 351 – Entwicklung von 274–276, 292, 430–435 – externe 269, 394 f., 400 – Metapräferenzen, unterschiedliche Ordnungen 281 f., 319 f., 325, 441 – Revealed Preferences (s. Revealed Pre ferences) – soziale 269 f., 394 f. – Stabilität von 86, 149, 274, 450 – wahre und falsche 89 f., 288 f., 325 Pragmatismus 61, 67, 78 Preisdumping 383 Principal-Agent-Theorie 140, 352–355 Privat, Privatheit, Privatbereich 29, 75, 97, 99, 177 f., 192 f., 258, 443 Rassismus 83, 93 f., 173 Relationalität 264 f., 290, 299 f., 329, 344, 451 Religionsgemeinschaften 227, 430, 434 Revealed Preferences 81, 276, 282 f., 441 Rigorismus 66 f. Sein (s. Dualismus, Sein und Sollen) Seinserfahrung 236 f. Selbstbestimmung – Bestimmung zur 301–303, 347 f., 399, 442, 451 – Fähigkeit zur 256 f., 293, 298, 301, 442, 451 – Möglichkeit zur 302, 306–309, 313 f., 319 – Recht auf 303, 348, 359 Selbstbindung 280, 321, 418 Skeptizismus 50–52
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Sachregister
Sklaverei 25, 326, 393 Solidarität (s. a. Altruismus) 135, 411, 427 Sollen (s. Dualismus, Sein und Sollen) Sollenserfahrung 236 f. Sozialismus 16, 19, 60 f., 106, 113, 127, 129, 452 Sozialität, soziale Interdependenz 168–170, 175, 183, 258–263, 288, 352, 366, 376, 442 Sozialkapital 426 f., 430, 434 f. Sozialstaat 13 f., 106, 118, 194 f., 410–419, 430 f. Sozialversicherungen 108, 166, 193, 417–419 Staat 170 f., 182–213, 377, 398–424, 448 Status quo 99, 164, 189, 192, 316, 366, 445 Steuern 48, 141, 190, 315, 373, 415 Subsidiaritätsprinzip 416 Subventionen 166, 208, 287, 381 Südafrika 116 f., 128 f. Sünde 248, 289 f., 323 Teilhabe 368 f., 374, 408, 412–417, 449 Teleologie 239 Transaktionskosten 277 f., 386, 404, 418 Tugenden 26 f., 87, 220, 426 Umweltschutz, Umweltverschmutzung 187, 189 f., 349, 405 Ungleichheit 158–160 Unsichtbare Hand 21 f., 207 f. – umgekehrte 208 Unternehmen, Unternehmer 114, 138–150, 338 f., 352–355, 391, 402, 420 f., 447, 449 Utilitarismus 28, 36, 47, 57, 59–63, 209 f., 442 Utopismus 66
Verantwortung 131–151, 178, 342–357, 447 – Corporate Social Responsibility 141, 355 – soziale 132, 135–137, 342, 447 – Verantwortungsfähigkeit 132, 343 – von Unternehmern 138–150, 447 Verpflichtung, moralische 133–136, 146–148, 347 f., 351 f., 447 Verträge 133, 140, 193, 354 Vita Passiva 322, 324 Weg zur Knechtschaft 38 f., 121 f., 126, 340, 452 Werbung 86, 275, 387, 419, 432 Werte 94, 133, 170, 225–229 Wertepluralismus (s. a. Pluralismus) 60, 96, 307 Wertfreiheit 54, 139 Werturteile 56, 171, 229–231, 311, 372 f., 410, 435–437, 449 f. Wettbewerb 175 f., 185–187, 379, 380–384, 391 f., 401–403, 414, 449, 451 Wirtschafts‑ und Finanzkrise – ab 1929 (s. Great Depression) – ab 2007 341, 386, 401, 447 Wissen 51 Wohlfahrtsstaat (s. Sozialstaat) Zivilgesellschaft 422, 426, 436 Zwang 29 f., 39, 96–98, 102–105, 148, 169 f., 182, 185, 195, 311, 313, 391, 399, 443, 448 f. Zwei-Regimenter-Lehre 399 Zweiter Weltkrieg 15 f., 18