Methodus als Lebensweg bei Johann Conrad Dannhauer: Existentialisierung der Dialektik in der lutherischen Orthodoxie 9783110644593, 9783110465044

The reception of Neo-Aristotelianism by the Lutheran Orthodoxy has received little scholarly attention with regard to it

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German Pages 719 [720] Year 2020

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Table of contents :
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Forschungsstand
2. Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)
3. Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)
4. Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis: Die Trilogie der Wege-Schriften (1648–1654)
5. Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)
6. Ausblick auf die Wirkungsgeschichte und Konklusion
7. Annexe und Bibliographien
Personen- und Ortsregister
Sachregister
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Methodus als Lebensweg bei Johann Conrad Dannhauer: Existentialisierung der Dialektik in der lutherischen Orthodoxie
 9783110644593, 9783110465044

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Daniel Bolliger Methodus als Lebensweg bei Johann Conrad Dannhauer

Historia Hermeneutica Series Studia

Herausgegeben von Lutz Danneberg Wissenschaftlicher Beirat Christoph Bultmann · Fernando Domínguez Reboiras Anthony Grafton · Wilhelm Kühlmann · Ian Maclean Reimund Sdzuj · Jan Schröder Johann Anselm Steiger · Theo Verbeek

Band 15

Daniel Bolliger

Methodus als Lebensweg bei Johann Conrad Dannhauer Existentialisierung der Dialektik in der lutherischen Orthodoxie

ISBN 978-3-11-046504-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-064459-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064191-2 ISSN 1861-5678 Library of Congress Control Number: 2019952789 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio-grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Danksagung „Das man die empfangene gutthaten [. . .] in immerwehrender frischer gedaechtnus behalt“, sei das erste „stuck“ der Dankbarkeit: Dieser schönen Empfehlung Dannhauers (CM II,119) darf ich auch an dieser Stelle nachkommen und Menschen und Institutionen meinen aufrichtigen Dank sagen. Den Einstieg ins Projekt ermöglichte mir die Universität Zürich durch einen sog. Forschungskredit. Professor Anselm Steiger (Universität Hamburg), der dem sich entwickelnden Vorhaben sein freundliches Interesse schenkte, teilte mit mir seine Faszination für den Geist der Barocktheologie und für die Trostkraft und Ästhetik ihrer kirchlichen Textformen. Damit half er mir, mich gedanklich einem Schlüsselpunkt der Studie anzunähern, nämlich dem entscheidenden Stellenwert des Genres Katechismuspredigt für die Entwicklung und intellektuelle Kohärenz des gesamten – auch des dialektisch-artistischen und überhaupt des akademischen – Wirkens und Publizierens Dannhauers. Das Land Niedersachsen gewährte mir durch Forschungsstipendien zwei Aufenthalte an der Herzog-August-Bibliothek, in denen ich die Quellen vertieft studieren, die Basisthese der Koinzidenz der beiden Wegebegriffe entdecken und die inspirierende Stimmung dieses Elysiums der Frühneuzeitforschung in Wolfenbüttel auf mich wirken lassen konnte. Professor Steiger und Professor Lutz Danneberg (Humboldt-Universität Berlin) bin ich sehr verbunden für die Erstellung des Erst- und des Zweitgutachtens im Hinblick auf die Habilitation, die im Juli 2010 beim Fachbereich Theologie der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg stattfand. Ich danke Herrn Danneberg zudem in seiner Eigenschaft als Herausgeber der Historia Hermeneutica. Series Studia, dass er die Arbeit in die Reihe aufnahm, und allen, deren Geduld es gestattete, dass sie trotz Verzögerungen aufgrund beruflicher Wechsel und Beanspruchungen nun der Publikation zugeführt werden kann, Claudia Meyer-Brunswick von der Verwaltung des Fachbereichs, Jacob Klingner, Marcus Böhm und Laura Burlon, Lektoren bei De Gruyter, sowie Britta Menegazzo und meinen Eltern für einen Beitrag an den Druckkosten. Landquart, im August 2019

https://doi.org/10.1515/9783110644593-202

Inhaltsverzeichnis Danksagung 1 1.1

1.2 1.3

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2

V

Einleitung und Forschungsstand 1 Hiat zwischen Lehre und Leben? Erforschung theologischer Praxisreflexion in der lutherischen Orthodoxie als interdisziplinäres Desiderat 1 Kluft zwischen Philosophie und Theologie? Die Erforschung Dannhauers im Bann der Vielgestaltigkeit seines Werks 8 Nicht Kluft, sondern Brückenschlag: Von Dialektik zu Dialektik 16

2.2.3 2.3

Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634) 26 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik Der programmatische Anspruch 26 Protheorie als Vorübung 46 Analytische Logik 48 Ergebnis: Anwendungshorizonte apodiktischer Logik Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs 62 Der Pionier Johannes Sturm, Peripatetiker trotz allem Die Entwicklung in Straßburg bis zu Ludwig Hauenreuther 79 Vollendete Zuspitzung in Altdorf unter Michael Piccart Fazit und Ausblick 130

3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3

Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648) 135 Die Idea boni disputatoris von 1629 139 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648 150 Gegen die „ars nova“ der Veronius-Schule 151 Analytische Konfessionshermeneutik 168 Fazit und Ausblick 181

4

Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis: Die Trilogie der Wege-Schriften (1648–1654) 188 Apodeixis als Anordnung: Der Ablauf der Trilogie 190 Wegweisheit (Hodosophia) 191 Wegtorheiten (Hodomorien) 202

2.2.1 2.2.2

4.1 4.1.1 4.1.2

26

57

64

118

VIII

4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 5

Inhaltsverzeichnis

Apodeixis im Zweifel: Dannhauers Apologie der Apologetik 212 Gegen Einwände theologisch-seelsorglicher Art: das Beispiel der anti-reformierten Polemik 213 Gegen Einwände politisch-taktischer Art: Dannhauers genereller Antisynkretismus 216 Apodeixis als Seinsordnung: Ontologisierung als Anspruch der Trilogie 224 Theologie als Wahrnehmungswisenschaft 226 Wahrnehmung als Schau des Seienden 230 Wahrnehmung als Scheinschau des Nichtseienden 233

5.3.3

Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73) 242 Dannhauers Neigung zur Praxis der Kirche und ihres Katechismus 242 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie zum principium des Glaubens (17. Jh.) 251 Sammelmetaphern als homiletische Umsetzung der Prinzipientheorie 269 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn 293 „Milch“ als pädagogische Metapher 302 Von der Milch zum Weg: Der Schlüssel zur Gesamtredaktion 322 Die Wege und deren Wahl 333

6

Ausblick auf die Wirkungsgeschichte und Konklusion

7

Annexe und Bibliographien 393 Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften 394 Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers 408 Anhang 3: Quellen zur Geschichte der Logik, nebst weiteren Materialien 423 Anhang 4: Katechismuspredigten in Exzerpten 502

5.1 5.2 5.2.1 5.3 5.3.1 5.3.2

372

Inhaltsverzeichnis

Bibliographie 1: Personalbibliographie: Dannhauer-Werkeverzeichnis (DWV) 577 Bibliographie 2: Historische Quellen 655 Bibliographie 3: Literatur 681 Personen- und Ortsregister Sachregister

707

703

IX

1 Einleitung und Forschungsstand 1.1 Hiat zwischen Lehre und Leben? Erforschung theologischer Praxisreflexion in der lutherischen Orthodoxie als interdisziplinäres Desiderat Zu zumindest einem, wenngleich elementaren Konsens konnte sich die internationale Forschung zur konfessionellen Theologie und Frömmigkeit des 17. Jahrhundert mittlerweile durchringen: Heute „sollte man nicht Johann Arndt und schon gar nicht Gottfried Arnold die alleinige Deutungshoheit über die Epoche des lutherischen Barock überlassen“1, denn die ausgehend von Arnold und später August Tholuck behauptete „Diastase von wissenschaftlich-objektiver Theologie (Lehre) und persönlich-subjektiver Frömmigkeit (Leben)“ ist „der lutherischen Orthodoxie selbst fremd“2. Das nun gut dreihundertjährige, aber „im allgemeinen Bewußtsein schwer auszulöschende Bild von der ’toten Orthodoxie’ ist wissenschaftlich längst überholt“3. So unumstritten solche Forderungen und Feststellungen, deren Aufreihung sich beliebig erweitern ließe,4 seit etwa einer Forschergeneration geworden sind, so auffallend ist ihre stets anhaltende Nennung. Dass sie in maßgeblichen Überblicken auch jüngsten Datums noch prominent erscheinen, ist zwar in erster Linie durch die lexikalische Notwendigkeit historiographiegeschichtlicher Information bedingt. Doch dürfte kaum fehlgehen, wer daraus schließen wollte, dass ihnen zugleich auch forschungsstrategischer Appellcharakter eignet. Die fast schon topisch stets neu auftauchenden Forderungen nach Überwindung veralteter Perspektiven sind Indiz dessen, in welchem Maße sie erst teilweise konkret eingelöst werden konnten. Die Größe der Aufgabe lässt sich anschaulich auch in der Abfolge der bisherigen Versuche ihrer Bewältigung erkennen. Vom Arnoldschen Geschichtsbild vermochten sie insofern nur stufenweise abzurücken, als die jeweils nächste Stufe dessen Restbestände bei der vorangehenden präziser in den Blick zu nehmen begann. Dieses Bild scheint unterschwellig selbst dort vorerst

1 Bitzel, Anfechtung und Trost, 17. 2 Matthias, Art. Orthodoxie, 465. 3 Wallmann, Art. Orthodoxie, 697. 4 „Vergleichsweise unbegabt sei sie, unschöpferisch, konservativ und überdies streitsüchtig“, formuliert Dellsperger, Reformierte Orthodoxie, 164. https://doi.org/10.1515/9783110644593-001

2

1 Einleitung und Forschungsstand

weitergewirkt zu haben, wo bevorzugt die praktischen, alltagsnahen und seelsorglich-trostbereiten Seiten orthodoxen Wirkens herausgestellt wurden.5 Das tat pionierhaft der im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts wirkende Rostocker Kirchenhistoriker Hans Leube, der das geographisch und bezüglich Quellenmenge bisher umfassendste Unternehmen aufstellte, die lutherische Orthodoxie wieder als Ort lebendiger Frömmigkeit zu vindizieren. Von einem elementaren, aber unpolitischen Einfluss Johann Arndts (1555–1621) auf die Frömmigkeit der Zeit unterschied er erstmals eine „Reformbewegung in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts“6, deren „Reformideen“ auch strukturelle Umgestaltung auf institutioneller Ebene vorsahen, während jener „auf obrigkeitliche und kirchliche Maßnahmen keinen Wert“7 legte. Trotz der enormen Verbreitung des Arndtschen „Wahren Christentums“ blieb die Wirksamkeit der Reformbewegung laut Leube daher auf „die Mittelpunkte der kirchlichen Reformbestrebungen“8 beschränkt. Eine breite, darum oft simplifizierende Rezeption dieses Konzepts ließ darauf die Ansicht eines letztlich statischen Gegensatzes „der“ auf gewisse Zentren beschränkten „Reformorthodoxie“ und der sozusagen normalen flächendeckenden Orthodoxie bald zur neuen communis opinio in der Barockforschung avancieren. Als nur noch mit bestimmtem Artikel verwendetes singularetantum stand sie freilich in Gefahr, nun ihrerseits die zu überwindende Kluft von toter Lehre und lebendiger Praxis mittels vorgeblich eindeutiger geographischer Differenzierung zu relativieren – und damit zugleich zu perpetuieren. Doch erwies sich der Leubesche Ansatz trotz aller Schwächen als so stimulierend, dass dank ihm zunehmend auch bei orthodoxen Autoren und Publikationen wichtige Praxisaspekte erkannt wurden, die ursprünglich bei Leube nicht im Blick gewesen waren – so dass Johannes Wallmann schon 1966 pointiert bemerken konnte, „dass es offenbar [. . .] sehr schwierig ist, die Vertreter der herrschenden Orthodoxie ausfindig zu machen“, um dann die ebenso zugespitzte wie treffende Frage zu formulieren: „Wer aber gehört dann eigentlich zur ’Orthodoxie’?“9 5 Dass „die historiographische Prägekraft des vom Pietismus und zumal von G. Arnold über die vorausgehende Epoche gesprochenen Verdikts [. . .] nicht leicht überschätzt werden kann“, ist auch die Überzeugung bei Beutel, Lehre und Leben, 166. 6 Leube, Die Reformideen, 112. 7 Leube, Die Reformideen, 44. 8 Leube, Die Reformideen, 45. 9 Wallmann, Pietismus und Orthodoxie, 430. Dass die Orthodoxie just dort, wo sie ihre eigene Lehraufgabe reflektiert, also im Kern ihrer Selbstwahrnehmung, sich praktischen Charakter zuschreibt, wurde denn auch durch Wallmanns Publikationen ab dem letzten Drittel des Jahrhunderts nachhaltig ins Bewusstsein gerufen, bereits schon durch sein Erstlingswerk: Der Theologiebegriff bei Gerhard und Calixt.

1.1 Hiat zwischen Lehre und Leben?

3

Seit knapp zwei Jahrzehnten verzichten Studien zum Praxismoment der lutherischen Orthodoxie daher auf ein umfassendes, allzu grobmaschiges Orientierungsnetz und beschränken sich auf einzelne Territorien oder spezifische Quellengattungen. Die Frage lautet nicht mehr: Wer kämpfte in der Orthodoxie gegen wen für mehr Praxis? Thema ist nun eher: Wie kämpfte die Orthodoxie um eine wirksamere Praxis in ihrer spezifischen Umwelt? Das Bemühen um sinnvolle praktische Vermittlung der orthodoxen Lehre gilt – dank Leubes Nachwirkung, aber auch aufgrund der kanonischen These Max Webers einer vormodernen Transformation theologischer Inhalte in soziales Handeln – grundsätzlich als gegeben. Damit zog vermehrt die klassische, zwar nicht allein maßgebliche, aber doch höchst zentrale Verkündigungsgattung der Predigt Interesse auf sich, deren Analyse nun unter sozialhistorischem Fragehorizont erfolgte. Drei von 1988 bis 1993 erschienene mikrohistorische Arbeiten aus der Schule des früheren Tübinger Historikers Hans-Christoph Rublack10 besehen städtische Predigliteratur aus dem schwäbischen Raum und kommen zum Schluss, dass eine intime Beziehung zwischen „Theologie und Alltag“11 für sie von konstitutiver Bedeutung sei. Vornehmlich erscheint sie ihnen als starkes Interesse orthodoxer Prediger an alltagsregulativer Normenvermittlung. Bis hinein in höchst alltägliche Lebensgebiete wie Essen und Trinken, Ehe (-anbahnung) und Sexualität oder auch Legitimität und Grenzen von Fronarbeit legt der Ulmer Superintendent Konrad Dieterich (1575–1639)12 seiner Hörerschaft den göttlichen Willen aus, wie Monika Hagenmaier in ihrer Studie anschaulich macht.13 Norbert Haag zeigt, wie die Ulmer Prediger nicht allein das alltagspraktische Verhalten, sondern auch die indiviuelle Glaubenshaltung nach Maßgabe konfessioneller Rechtgläubigkeit prägen oder umformen wollten, so dass etwa auch abergläubische Praktiken letztlich vorchristlicher Herkunft vehement bekämpft wurden.14 Sabine Holtz kommt für ein von ihr analysiertes Corpus von Predigten von Tübinger Theologieprofessoren zum Schluss, dass die orthodoxe Predigt „durch die Transformation von theologischer Doktrin in Handlungsanweisungen für die Zukunft einen Beitrag zur Konstitution der sozialen Wirklichkeit“15 leistete. Insbesondere in der zweiten Hälfte des von ihr untersuchten Zeitraums von 1550–1750 konstatiert sie dabei ein zunehmendes Bemühen um

10 Vgl. v. dems. Rublack, Lutherische Predigt und soziale Wirklichkeiten. 11 Holtz, Theologie und Alltag. 12 Heppe, Art. Dieterich, Conrad. 13 Hagenmeier, Predigt und Policey. 14 Haag, Predigt und Gesellschaft. 15 Holtz, Theologie und Alltag, 5.

4

1 Einleitung und Forschungsstand

Individualisierung, die sie am wachsenden Gewicht der Dekalogauslegung innerhalb der homiletischen Themenpalette festmacht, so dass Individualisierung hier vornehmlich als Ethisisierung aufscheint. Stellvertretend für die durch Rublack initiierte sozialhistorische Forschung wird die der Sache nach schon bei Leube vorgebrachte These, dass sich „das Gegensatzpaar von ‚Lehre’ und ‚Leben’ nicht zur Bezeichnung des Unterschiedes zwischen lutherischer Orthodoxie und Pietismus heranziehen“16 lässt, durch Holtz nun mit adäquaterer Quellenbasierung wiederholt. Könnte man bei ihrer Studie allenfalls mutmaßen, dass der Württemberger Pietismus strukturell besser integriert war und kirchlicheren Charakter trug, als es sonst meist der Fall war, sind ähnliche frömmigkeitliche Konvergenzen wie die von ihr geschilderten auch im Norden Deutschlands unschwer zu beobachten, nicht nur bei den schon von Leube beschriebenen und neuerdings intensiv untersuchten Rostocker Reformern17, sondern etwa auch in Lüneburg als einen Zentrum für den Druck von Erbauungsliteratur, ja selbst bei einer so stramm orthodoxen Gestalt wie dem Hamburger Pastor primarius Erdmann Neumeister (1671–1756).18 Eine Diskussion mit den Resultaten und dem sie generierenden Theorierahmen dieser funktionsanalytisch angelegten Arbeiten zur orthodoxen Verkündigung ist die theologisch motivierte historische Wissenschaft freilich noch immer schuldig.19 Es zeichnet sich jedoch ab, dass die in ihnen gegebenen Anstöße insofern für die kirchenhistorische Epochenbildung von Bedeutung werden dürften, als ihre von den derzeit intensiven Richtungskämpfen der Kirchenhistorikerschaft unbelastete Perspektive zu unvoreingenommener Quellenwahrnehmung und damit zu größerer Präzision in der Kriterienbildung anmahnt. So gelangte die Bestimmung des beiderseitigen Profils von Orthodoxie und Pietismus in den vergangenen zehn Jahren durch das Herausarbeiten zunehmend feinerer Kriterien zu wachsender Präzision: Bereits die Orthodoxie kannte, förderte und forderte eine tiefgreifende Innerlichkeit der Frömmigkeit mit verschiedenen Mitteln, ohne allerdings den Primat der Lehre irgendwie aufzugeben. Verinnerlichungspraktiken zur nachhaltigen Memorisierung gehörter Predigten durch konzentrierte meditatio und ständige ruminatio wurden propagiert,20 doch nur streng innerhalb der Grenzen des analogia fidei Zulässigen. Orthodoxe Pastoren und Konsistorien begrüßten, ja verlangten Katechismusübungen im Kreis des Hauses, hielten sie aber

16 Holtz, Theologie und Alltag, 344. 17 Strom, Orthodoxy and Reform; Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung. 18 Miersemann, Lieddichtung. 19 Zu Recht moniert dies Sommer, Politik, Theologie und Frömmigkeit, 288 f. 20 Dazu grundlegend Sträter, Meditation und Kirchenreform; Steiger, Meditatio sacra.

1.1 Hiat zwischen Lehre und Leben?

5

noch nicht für unbedingt zwingend;21 sie gaben dazu auch schon zahlreiche kasuistische Hilfen zur Gewissenserforschung heraus, die sie jedoch an die normativ konfessionellen Vorgaben gebunden halten wollten.22 Auch in ästhetischen Dimensionen, etwa was die Liedpoetik angeht, bediente sich die Orthodoxie durchaus schon einer Innerlichkeitssprache, freilich noch in strenger Wahrung einer barocken Form-Inhalt-Entsprechung,23 im Versmaß beispielsweise im gravitätischen Trochäus, nicht aber in der „Neurung“24 durch Daktylen, wie sie dann in vielen pietistischen Schöpfungen geschätzt wurde. Bei solchen Befunden handelt es sich jedoch noch stets um eher zufällige Streiflichter, wie in aktuellen Stellungnahmen von kirchenhistorischer Seite einhellig betont wird.25 Wie stark der Klärungsbedarf geblieben ist, zeigt sich indirekt natürlich auch darin, dass über die zeitliche Ausdehnung und damit auch das Wesen des lutherischen Pietismus in den letzten Jahren kein Konsens herzustellen war. Während Martin Brecht die Frömmigkeit vor und nach Spener als zwei Phasen eines durch Arndt initiierten lutherischen Pietismus betrachtet,26 plädiert Johannes Wallmann für ein differenzierteres Modell der Unterscheidung zwischen Pietismus in weitem Sinne vor und in engem (bzw. eigentlichem) Sinne ab Speners Wirken in Frankfurt.27 Bei Brecht werden so arndtkritische Züge vorpietistischer Orthodoxie tendenziell aus dem Fragehorizont ausgeblendet. Umgekehrt sieht Wallmann die vorspenersche Orthodoxie als insgesamt zwar reformorientiert an, betont aber für die spätere Orthodoxie die pietismuskritischen Aspekte und eine große Nähe zur Frühaufklärung, so

21 Für Spener ist ohne private Meditationsübungen zum Nachvollzug der Predigt deren Frucht verloren, erklärt – unter Bezug auf Speners Brief Nr. 170 an Tobias Wagner (1673) – Udo Sträter, Meditation und Kirchenreform, 137. 22 Vgl. Beutel, Lehre und Leben, 183. 23 Bayreuther, Pietismus, Orthodoxie, pietistisches Lied und Kunstmusik. 24 Der Löblichen Theologischen Facultät zu Wittenberg Bedencken über das zu Glauche an Halle 1703. im Waysen=Hause daselbst edirte Gesang=Buch. Frankfurt und Leipzig 1716, 7, zit. nach Miersemann, Lieddichtung, 213. 25 Beutel, Lehre und Leben, 190 f.: „Um die Epochendifferenzen insgesamt herauszuarbeiten, bedürfte es einer umfassenden materialen und methodologischen Erörterung, die sich weder vorgreifend bilanzieren noch gar en passant erledigen lässt.“ Sommer, Politik, Theologie und Frömmigkeit, 305, sieht eine allgemeine „historiographische Unklarheit bzw. Uneinheitlichkeit“ „hinsichtlich der Periodisierungsfragen und der Bedeutung der Begriffe ‚Orthodoxie‘, ‚Pietismus‘ und ‚Aufklärung‘“. 26 Brecht, Der Gegenstand, 1 f. Auch für eine Sicht auf Arndt als Spiritualisten gibt es freilich einen breiten Forschungsstrom von Albrecht Ritschl über namhafte Kirchenhistoriker wie Hans Schneider und Berndt Hamm bis jüngst zu Geyer, Verborgene Weisheit. 27 Zuletzt: Wallmann, Eine alternative Geschichte des Pietismus.

6

1 Einleitung und Forschungsstand

dass er wiederholt für eine Erwägung des Begriffs „vernünftige Orthodoxie“ auch für das Luthertum votierte.28 In diesem ganzen Fragenfeld dürfte ein Weiterkommen nur dann zu erzielen sein, wenn nebst den großen konzeptionellen Themenstellungen auch die Kärrnerarbeit editorischer, mikrohistorischer, literargeschichtlicher und nicht zuletzt prosopographischer Quellenaufbereitung vorangetrieben wird. Vor allem aber dürften die Chancen auf Erfolg nachhaltig steigen, wenn nicht das auf Frömmigkeit orientierte „Leben“ der Orthodoxie, wie bisher bevorzugt, exklusiv betrachtet, sondern auch die von dieser selbst als ihr Proprium verstandene und deklarierte „Lehre“ auf ihre Bezüge zum „Leben“ untersucht wird. Wenn die jüngere Forschung quer durch die Disziplinen und epochentheoretischen Lager einhellig betont, dass Erbauungs- und Reformschriften sowie generell Predigten und Gebete frömmigkeitliche und praxisbezogene Aspekte aufwiesen, ist das in sich nicht wirklich erstaunlich – zumal die Frage nach dem Verhältnis dieser Schriften zum Primat der Lehre in der Orthodoxie im Wesentlichen damit ungeklärt bleibt. Ohne Theologiegeschichte ist auch Frömmigkeitsgeschichte auf Dauer nicht zu haben. Umgekehrt bleibt eine Geschichte der akademischen Theologie des konfessionellen Zeitalters ohne Einbezug der Interdependenzen mit der durch sie stimulierten Frömmigkeitspraxis insbesondere in der kirchlichen Verkündigung nicht nur fragmentarisch, sondern letztlich unmöglich. Reformatorische Durchschnittsdogmatik vermag insbesondere protestantische Barockpredigten nicht zu erklären, umgekehrt aber deren allererst zu eruierende Topik orthodoxe Lebenswelten, gerade auch in deren theologischem Horizont, zu erhellen.29 Aus dem Verlauf der jüngeren Forschungsgeschichte ergibt sich somit für eine genauere Einschätzung der Konturen orthodoxer Frömmigkeit das dringende Desiderat, die „spannungsvolle Einheit von Lehre, Verkündigung und Frömmigkeit gerade in dieser Zeit wie in keiner andern“30, mithin den Konnex der theologischen Literaturgattungen intensiver als bisher herauszustreichen. Wenn das Überholtsein der Arnoldschen Orthodoxieabwertung so oft eher beschwörend und appellierend als bereits gesichert vertreten wird, dann nicht zuletzt deshalb, weil die Erforschung der akademischen Theologie und jene der sie in die Kirche hinein vermittelnden Schriften und Gestalten noch immer zweigleisig verläuft. Versuche, direkte und konkrete Verbindungslinien eines typisch orthodoxen, also systematisch und konfessionell aufgebauten und argumentierenden Œuvres zu der durch ihn ermöglichten Praxis aufzuzeigen, fehlen weitgehend. Zwar gibt es

28 Wallmann, Die lutherische Orthodoxie, 9–21; ders., Art. Orthodoxie, 700. 29 Wie fruchtbar echt quellenorientiertes theologisches Interesse sich auswirkt, zeigt etwa der Sammelband von Boge und Bogner (Hgg.), Oratio Funebris. 30 Sommer, Politik, Theologie und Frömmigkeit, 288.

1.1 Hiat zwischen Lehre und Leben?

7

auch hier rühmliche Ausnahmen, namentlich die in Göttingen durch Inge Mager verfertige Auswahlausgabe der Werke Georg Calixts (1586–1656),31 sowie die in Heidelberg durch Johann Anselm Steiger initiierte Edition der Schriften Johann Gerhards (1582–1637), einer Schlüsselfigur sowohl für die Lehre wie auch das Leben in der Orthodoxie.32 Doch bestätigen paradoxerweise gerade sie die Regel des einschlägigen Mangels, indem sie ihn erst recht deutlich werden lassen. Denn für die Zeit nach dem Westfälischen Frieden existieren im Wesentlichen Untersuchungen zu den Werken universitärer Lehrer wie etwa zu Abraham Calov (1612–1686)33, Johann Franz Buddeus (1667–1729)34, Valentin Ernst Löscher (1673–1749)35, einerseits und fast völlig unverbunden daneben die bereits angeführten Arbeiten zur kirchlichen Praxis andererseits. Eine gewisse Mittelstellung nehmen Überblickswerke wie der „Überweg“ ein, der in einer gelungenen Mischform von ideengeschichtlichen und institutionell-kartographischen Strukturen angelegt ist, damit auch institutionen-, kultur- und letztlich sozialgeschichtliche Aspekte dokumentiert, wenngleich natürlich die Leitperspektive der intellectual history maßgeblich bleibt.36 Damit steht einerseits die Frömmigkeitspraxis in Gefahr, als Appendix zur Lehre, als zu sozialdisziplinarischen Zwecken angeklappte, aber eigentlich kontingente Applikation zu gelten – welcher Eindruck aus der sozialgeschichtlichen Forschung zuweilen tatsächlich gewonnen werden könnte. Andererseits wird so die akademische Seite der Spätorthodoxie tendenziell als stärker im Bund mit der Frühaufklärung stehend wahrgenommen als aus den Quellen zwingend erforderlich, sodass einer im Laufe der letzten Generationen als durchaus frömmigkeitsfreundlich erkannten vorspenerschen Orthodoxie nun eine vornehmlich in ihren antipietistischen Aspekten und Affekten erfasste Spätorthodoxie entgegengesetzt wird, womit die Orthodoxieforschung ins Fahrwasser der skizzierten Debatte um den Pietismusbegriff zu geraten droht. Die Orthodoxie war aber auch nach dem Ende des dreißigjährigen

31 Calixt, Georg: Werke in Auswahl, hg. v. Inge Mager, Abt. für Niedersächsische Kirchengeschichte an den Vereinigten Theologischen Seminaren der Universität Göttingen, 4 Bde, Göttingen 1970–1978. 32 Steiger, Johann Anselm (Hg.): Doctrina et Pietas, Abt. I: Johann-Gerhard-Archiv, Abt. II: Varia, bisher 15 Bände in 19 Teilbänden erschienen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997–2002; im IATG als DeP erfasst. S. dazu auch dens., Johann Gerhard (1582–1637), 585–608. 33 Appold, Abraham Calov´s Doctrine. 34 Nüssel, Bund und Versöhnung. 35 Greschat, Zwischen Tradition und neuem Anfang; Petzold, Der unterlegene Sieger. 36 Zu nennen ist für unseren Interessenbereich besonders Sparn, Die Schulphilosophie in den lutherischen Territorien.

8

1 Einleitung und Forschungsstand

Krieges und auch nach dem Auftreten Speners in ihrer Praxis vielschichtig und nahm von den beiden ihr gleichzeitigen Strömungen sowohl Anregungen auf wie sie auch solche an sie weitergab. Konkret resultiert aus diesem allgemeinen Desiderat das konkrete forschungspraktische Erfordernis, Gestalten und Gattungen, die an der aktiven Vermittlung zwischen Lehre und Leben in der lutherischen Orthodoxie beteiligt waren und breite – nicht allein seelsorgliche, aber auch nicht rein akademische – Interessen aufwiesen, intensiver zu untersuchen als bisher.

1.2 Kluft zwischen Philosophie und Theologie? Die Erforschung Dannhauers im Bann der Vielgestaltigkeit seines Werks Eine der sowohl in ihrer Originalität wie auch durch ihre Wirkungsmacht herausragendsten dieser Gestalten, die wegen der umfassenden Breite ihrer Interessen bei gleichzeitiger Tiefe der Frömmigkeit schon von den Zeitgenossen als „Augustinus unserer Zeit“37 bezeichnet wurde, ist theologiegeschichtlich noch kaum erforscht: Johann Conrad Dannhauer (1603–1666), ab 1629 Professor für Rhetorik, seit 1633 ordentlicher Professor der Theologie an der Universität der freien Reichsstadt Straßburg, seit 1658 vom Rat der Stadt zum Prediger am berühmten Münster und im selben Jahr schließlich zum Kirchenpräsidenten Straßburgs mit Predigtauftrag gewählt. Der bei seinem Begräbnis ausgesprochene Ehrentitel bringt panegyrisch auf den Punkt, was sein Lebenswerk auszeichnete. Wie vor Zeiten der überragende Kirchenvater in enzyklopädischer Breite und beeindruckender Frequenz publiziert hatte,38 ohne dabei in Oberflächlichkeit zu verfallen, gab es in der Orthodoxie kaum ein Thema der aktuellen Diskussion, aber auch kaum ein Genre theologischer Publikation, zu dem Dannhauer nicht einen pointierten, originell-tiefsinnigen und oft auch wirkungsvollen kirchenpolitischen Beitrag geleistet hätte. Diese Bandbreite resultiert aus einem biographischen Spannungsbogen von der innovativen Produktion des jungen Philosophen über die breiten dogmatisch-polemischen Hauptwerke des Theologieprofessors hin zu den praktisch-katechetischen und ethisch-seelsorglichen

37 „Augustinus nostri saeculi“: So zuerst Jacob Schaller im Programma funebre vom 3. 11. 1666; zit. nach Wallmann, Straßburger lutherische Orthodoxie, 59. 38 Wallmann, Straßburger lutherische Orthodoxie, 60: „Wer sich mit Dannhauer beschäftigt, stößt auf Quellen, die an Umfang an das literarische Werk Luthers herankommen“.

1.2 Kluft zwischen Philosophie und Theologie?

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Spätschriften des Predigers am Straßburger Münster. Zwar ist ein akademischkirchliches Doppelengagement in der Zeit letztlich die Regel, doch ist hier der lebensgeschichtliche Bogen außergewöhnlich plastisch fassbar. Ermöglicht wurde er durch ein im Jahrhundert der Krisen keineswegs übliches, sich wechselseitig bedingendes Faktorenpaar, das Dannhauers Œuvre nicht nur eine wissenssoziologische, sondern auch eine zeitliche Brückenfunktion verlieh: Seine innere Schaffenskraft erstreckte sich auf mehr als vier volle Jahrzehnte, während denen das äußere Umfeld in der Stadt und Universität Straßburg auch in der gesamten Zeit des Dreißjgjährigen Krieges weitgehend verschont blieb.39 Sein Wirken schlägt daher nicht nur eine Brücke von der Theorie zur Praxis, sondern bildet zugleich einen Übergang von der Hochorthodoxie zur beginnenden Spätorthodoxie, zumal seine reifen, praktischen Werke ihre Publikation teils erst weit nach seinem Ableben, gegen oder gar nach Ende des 17. Jahrhunderts, erfuhren: Dannauer studierte unter Johann Gerhard und predigte in seinen Schriften bis weit ins Zeitalter Speners hinein. Aufgrund dieser werkegenetischen Konstellation ist Dannhauer als ein eigentlicher Glücksfall zu bezeichnen. Freilich liegt gerade in dieser sozusagen zeitenüberspannenden Anlage seiner Werke auch einer der Gründe, weshalb er bisher bei weitem nicht die Beachtung fand, die seiner Bedeutung entspricht, denn in ihrem Ablauf und den in ihr vertretenen Standpunkten stand die Dannhauerforschung im Schatten der oben skizzierten allgemeinen Forschungsgeschichte zur lutherischen Hochund Späthorthodoxie. Schon die Anfänge moderner Geschichtsschreibung zu Dannhauer im 19. Jh. gerieten zu einer Auseinandersetzung um das Tholucksche (und damit indirekt das Arnoldsche) Orthodoxiebild. Im 20. Jh. wurde Dannhauer dann erst, bis etwa in die frühen 70er Jahre, primär als eine Art protopietistischer Vorläufer seines Studenten Spener, später aber genau umgekehrt vorwiegend als Mentor seiner einflussreichen antipietistischen Straßburger und sonstigen Schülerschaft gesehen.40 Johannes Wallmann zeigte in

39 S. dazu u. a. Rott, Les relations extérieures; Westphal, Les origines géographiques. 40 Tholuck, Vorgeschichte des Rationalismus, betonte verzerrend die polemische Seite Dannhauers, weswegen für Bosse, Art. Dannhauer, Johann Conrad, 462, „der einzige Weg zur gerechten Würdigung Dannhauers durch die Entwertung der [. . .] Autorität Th.s geht“. Aus der Perspektive des nach 1870 um sein Luthertum ringenden Elsass schreibt Wilhelm Horning, Pfarrer am Jung St. Peter, Dannhauers bis heute ausführlichste Biographie: Der Straßburger Universitäts-Professor, Münsterprediger und Präsident des Kirchenkonvents Dr. Johann Conrad Dannhauer [. . .], Straßburg 1883. Nach kleineren Stücken wie Holtzmann, Art. Dannhauer, Johann Konrad D., folgten im 20. Jh. dann Arbeiten, die Dannhauer meist als nur noch dem Namen nach reformatorischen, eigentlich schon fast pietistischen oder „puritanischen“ Theologen präsentierten: Scheunemann, Der Heiligungsbegriff in der theologischen Gedankenwelt Dannhauers; Möckel, Die Eigenart des Strassburger orthodoxen Luthertums in

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1 Einleitung und Forschungsstand

seiner Spener-Biografie41 von 1970, dass Spener einen nicht zu unterschätzenden Abstand zu Dannhauer sowohl stets bewahrte als auch zunehmend ausbaute.42 Wie Wallmann erstmals deutlich machte, eröffnen sich speziell im sensibeln, für die Zeit so zentralen Gebiet der Eschatologie, und hier besonders in der Frage des Zeitpunkts der Bekehrung der Juden, klare Brüche.43 Diese Position wurde von ihm 198044 gegen Kritik45 verteidigt und 198846 dahingehend vertieft, dass eine grundlegende Differenz in der Eschatologie Speners und Dannhauers festzustellen sei. In einer apokalyptisch ausgerichteten Eschatologie sei der Schlüssel zum theologischen Werk Dannhauers gegeben, durch den sich sowohl seine scheinbar nahezu wahllose Polemik gegen fast alle zeitgenössischen theologischen Strömungen nicht-lutherischer Provenienz als auch sein steigendes Interesse für die polternden Spätschriften Luthers, aber auch seine Beschäftigung mit dem Islam und erst recht der Kampf gegen den Chiliasmus allesamt zwanglos erklären ließen. Sie in erster Linie habe dazu geführt, dass auch noch nach dessen Tod die Straßburger Akademie sowie wichtige Dannhauerschüler in kirchenleitenden Ämtern zu den namhaftesten Gegnern des pietistischen Programms gehörten.47

seiner Ethik, dargestellt an Johann Conrad Dannhauer; Reiner, Die orthodoxen Wurzeln der Theologie Philipp Jakob Speners; Kruse, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte. Johannes Wallmann schließlich macht seit knapp zwei Jahrzehnten nachdrücklich auch auf die ebensostark anti-pietistischen Aspekte aufmerksam: Straßburger lutherische Orthodoxie; ders.: Art. Dannhauer, Johann Konrad, 563 f. Darüber hinaus seien an biographischer Literatur erwähnt Killy, Art. Dannhauer, Johann Conrad; [Kosch, Wilhelm:] Art. Dannhauer, Johann Konrad. 41 Wallmann, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus. 42 Der für Dannhauers Schaffen grundlegende Neoaristotelismus war Speners Sache nie, nicht einmal zu Studienzeiten; vgl. Wallmann, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 114 f. Die zahlreichen Reverenzen gegenüber dem akademischen Lehrer dürften teils formelhaften Charakter aufweisen (124). Das auch für Speners Reformmotivation wichtige Lutherstudium wurde ihm von Dannhauer nicht vermittelt (115–121), noch weniger die Bedeutung Johann Arndts, über der sich Spener sogar explizit von seinem Lehrer distanziert (121–124). Auch der Consensus mit den Pia Desideria ist auf ihren Quellenwert hin kritisch zu befragen. Er geht geht zum einen stark selektiv vor, wurde zum andern von einer parteiischen Person verfasst, nämlich durch Johann Crell, einen Freund von Speners Schwager Johann Heinrich Horb, der wegen seiner geistigen Verbundenheit mit Spener in Schwierigkeiten gekommen war. 43 Vgl. Wallmann, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 111. 44 Wallmann, Spener-Studien. 45 Aland, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus. 46 Wallmann, Straßburger lutherische Orthodoxie. 47 Diese Sicht prägt auch Wallmanns RGG4-Artikel: Dannhauer, Johann Konrad.

1.2 Kluft zwischen Philosophie und Theologie?

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Im selben Zeitraum wurde Dannhauer auch als bahnbrechender Hermeneutiker48 und als wichtiger Lehrer der Rhetorik49 wiedererkannt. Wilhelm Barner würdigte 1970 die Frühschriften als einen protestantischen Versuch der Vereinfachung komplexer jesuitischer Disputationskunst.50 1974 legte Hasso Jaeger pionierhaft dar, dass die ihre eigene Vorgeschichte ignorierende Schleiermacher‘sche Hermeneutik sich nicht selbst gebar, sondern auf wesentlich älteren Grundlagen beruht, in denen das Konzept wie auch der Begriff einer hermeneutica generalis erstmals durch Dannhauer geprägt worden waren.51 Diese Erkenntnisse führten in der Folge zu weiteren grundlegenden lexikographischen (1986)52 und sprachhistorischen (1993/1997)53 Arbeiten. Gleichsam nebenbei entstand eine Art Wettlauf um den Nachweis der Erstdatierung des Hermeneutikbegriffs. Lange Zeit galt die Hermeneutica sacra, also das Jahr 1654, als erste Belegstelle für das gedruckte Vorkommen des Begriffs der hermeneutica. Diese Datierung wurde allerdings erstmals überholt, als Hasso Jaeger in seinem berühmten Artikel nachwies,54 dass Dannhauer sich des Begriffs bereits 1630 und ansatzweise sogar schon 1626 schriftlich bediente. Lutz Danneberg zeigte 1998, dass schon 1621 der Ramist Alexander Richardson den Terminus in die Diskussion einwarf, auch wenn das betreffende Werk erst 1629 veröffentlicht werden sollte.55 Es ist freilich ein noch früheres Auftreten des Wortes in einer von Johann Wincelberg unter Cornelius Martini gehaltenen Disputation von 1594 zu beobachten,56

48 Jaeger, Studien zur Frühgeschichte der Hermeneutik; Alexander, Hermeneutica Generalis; dazu auch die Hermeneutik der Orthodoxie berührende Studien wie Hübner, Die „orthodoxe“ hermeneutica sacra. 49 Kühlmann, Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. 50 Barner, Barockrhetorik, 402 f. 51 Jaeger, Studien zur Frühgeschichte der Hermeneutik, 35–84. 52 Scholz, Der Niederschlag der allgemeinen Hermeneutik in Nachschlagewerken des 17. und 18. Jahrhunderts; ders., Bibliographie zur Hermeneutik des 17. und 18. Jahrhunderts. Vgl. auch Bormann, Art. Hermeneutik I. 53 Alexander, Hermeneutica Generalis. Zur Konzeption und Entwicklung der allgemeinen Verstehenslehre im 17. und 18. Jahrhundert; Sdzuj, Historische Studien zur Interpretationsmethodologie der frühen Neuzeit. 54 Jaeger, Studien zur Frühgeschichte der Hermeneutik, 42. 55 Danneberg, Logik und Hermeneutik im 17. Jahrhundert, 76 mit Anm. 5: Logicians SchoolMaster: Or, A Comment Vpon Ramvs Logicke, London 1629. 56 AD LIBRVM ARISTOTELIS // DE INTERPRE= // TATIONE // Theses, // Quas Deo bene iuuante // Praeside // CORNELIO MARTINO AND-// werpio, Profess[ore] Logices Aristoteleae // publico // Disputationi publicae in illustri JVLII // Academia, quae est Helmaestadij, // Subijcit & pro viribus ingenij defendet // IOANNES VINCELBERGIVS GARDALE // giensis Semno, Medicinae stud. // ad XVI. diem Mens. Nouembr. // HELMAESTADII // Excudebat Iacobus Lucius, Anno // M.D.XCIIII.

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1 Einleitung und Forschungsstand

nämlich in der Praefatio57, sodass zumindest beim jetzigen Stand der Kenntnisse sein Ursprung im Luthertum zu liegen scheint. Dieser Datierungswettbewerb zeigt

Historische Quellen werden aufgund ihres für den Haupttext argumentationsrelevanten thematischen Informationswertes teils mit Volltitel angeführt. 57 Martini (Cornelius), De Interpretatione Theses, praefatio, A2b-A3a: „QVod Thebaica lege praeceptum erat, viri ornatiss. vt pictores, vt figuli, vt artifices imaginum formas, quoad eius feiri posset, optimè atque adeò praecisè exprimerent, irrogata illis mulcta pecuniaria, qui deteriùs aut pinxisssent, aut finxissent: id aequissimè sanciretur de conceptibus animorum, qui rerum idola sunt & imagines, ad viuum exprimendis, vt oratio rationis esset interpres, & quasi diuinae maiestatis illius germanus Mercurius: si quid modò legis de rebus abstrusioribus aut ferri potest, aut optari debet. Accepimus diuina quidem benignitate τὴν φραστικὴν δύναμιν, eamque natura mater vnà cum animi facultatibus ipsa nobis suapte sponte ingenerauit. At enimuerò veritatem, quam in compositione disiunctioneque simplicium conceptuum consistere fatentur omnes vno prorsus ore Philosophi, natura nouerca Διὸς κόρην, vt apud Pindarum est, in altissimo coeli solio, non hominum in terra filiam esse voluit: aut (si Democrito credimus) in profundissimum quasi puteum demersam à facie nostra semouit. Quae veritati siue sublimitas siue profunditas, argumentum est bene locuples tanta mentibus obfusae caliginis, in dispicienda veritate re- [verso] rum per sese clarissimarum, quanta vespertilionum in aspectu meridianae lucis. Nimirum intercipiuntur optici mentis radij, medio loco quasi centro inter vtrumque situm dispersi, per nimiam illam miniméque menti proportionatam veritatis ab illa distantiam: praestringit oculos praefulgidum diuinae (quam Plato vocat in Cratylo) veritatis iubar: idemque suis radijs exiles animi radios obfuscat, vnde visus nostri quasi parallaxis consequitur. Quòd si vero deorsum flectamus oculos in veritatis puteum, obstant vndae fluctuantes materiae & accidentium, quae magnoperè certitudinem veri praepediunt. Si denique veritatem quoquouersùm discurrendo quaeramus in planitie, alucinamur itidem: tantum abest, vt tam exactè teramus orbitam veritatis, quàm accuratè directum currus meatum in Acad. Platonis olim Cyrenaeus eques Anniceris seruabat eodem tramite, ex quo ne transuersum ille quidem digitum excedebat. Itane vero tandem, inquies, omninò veritatis adytis arcebimur? Minimè gentium. Nam si verum est, quod Lyricorum princeps perhibet, χρόνον εἶναι πάντων πατέρα, certè χρόνῷ quoque tandem Veritas ipsa quasi Temporis filia detegetur. Denegauit natura veritatem, fateor: obfudit menti rerum omnium inscitiam: nihil inscripsit mentis nostrae tabulae; sed rasam tamen illam potentijs & acutis ad veri cognitionem calcaribus instruxit ita, vt veritatis indagine quadam animi venandae characteres accessu recessuque temporis insculpi possent. Stipata mens est sensibus, tanquam satellitibus, & ad sciendum ducibus, quibus & ea quae sunt, & ea quae fiunt, obijciuntur. Arrepta sensu factaque Phantasmata mens admirabili quodam artificio componit, diuidit, admiratur: tum quaerit insuper sciendi desiderio, dubitat; sed dubitationum compedibus per λύσιν & inuentionem causae semetipsam pedetentim expedit, ac in arce [A3] veritatis tandem, profligatâ seu purae negationis, seu prauae dispositionis ignoratione, ἀμετάπτωτος acquiescit. Verùm hoc opus, hic labor erit Logici: hîc facula praeferetur illustris illa hermeneutica, quam (vt ferunt Interpretes) intincto penitus in ipsam mentem calamo λεληκυθισμένην posterioritati tradidit Archiphilosophus ille, Philosophorum, vt cum Auerroë loquar, Monarcha, Aristoteles, qui metas humanas (vtar enim verbis Ammonij) tanquam Apollo quidam Hyperboreus ad veritatis fastigium transcendit. Is est, qui scalam fabricauit eam, cuius ascensu veritatem Iouis summi filiam è throni coelestis altitudine deuocatam in vrbibus collocemus. Is est, qui situlam in profundum veritatis puteum docuit demittere, qua latentem illam

1.2 Kluft zwischen Philosophie und Theologie?

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freilich recht exemplarisch, in welche Richtung sich das Interesse an dem Straßburger Gelehrten zu entwickeln begann. Dannhauer erscheint hier als ein deutlich anderer Mensch als der von Wallmann gezeichnete. Er wirkt als intellektuell bahnbrechend offener und weitsichtiger, ein auf das philosophische Teilgebiet der Logik und nicht ausschließlich auf Theologie oder Metaphysik konzentrierter, von der Philosophie daher vor (etwa durch den cartesischen Logiker Johann Clauberg),58 während (durch Christian Wolff)59 und nach der Aufklärung (durch die Schleiermacherschule) gerne rezipierter, die engen Schranken konfessioneller Rechthaberei keineswegs zementierender, sondern im Gegenteil nachhaltig aufstemmender Autor. Erst allerjüngst wurde über die traditionell bekannten Bereiche von Theologie und Philosophie hinaus auch Dannhauers tiefgreifender Einfluss auf das protestantische Barockdrama, zumal auf Andreas Gryphius, festgestellt.60 Johann Conrad Dannhauers Einfluss ist weitreichender als lange vermutet; und auch wenn das Epithet des „Augustin unserer Zeit“61 zu einem gewissen Teil

extrahamus. Is est, qui & ipse confecit, & in Organo commonstrauit eam ad veritatem viam, qua nobis quoque ingrediendum est, si isthuc, quò peruenit ipse, videre quale nam sit, exoptemus. Exposui vobis, humanissimi fautores, scopum vniuersi Logicorum negotij, cumprimis verò propositam rationem hermeneuticae, futurae disputationis nostrae publicae, materiae, quam siccis à me comprehensam thesibus, non Colophoniorum lautitijs conditam, aut Atticarum mulierum delitijs obuestitam animaduertetis. Exigebat ea res, vti patrocinium Clarissimi Praesidis; ita fautorum beneuolentiam eorum, quibus nuncupari siue posset, siue deberet. Delegi verò mihi vos inprimis, quorum voluntatem in nos propensiorem, & humanitatem oppidò benignam haud ita pridem perspeximus. Quamobrem hoc mei studij Philosophici testimonium, qua estis humanitate, quaeso, complectimini: & quicquid est opellae meae, quod sanè perexiguum est, accipite: grauiora, quae deberem, & adultiora exspectate, non immemores Artaxerxis, qui perpusillum aquae Cyreae fluuiatilis [verso] munusculum à Sinaeta Persa quodam oblatum non modò δῶρον appellabat, sed, vt AElianus in varijs hist. commemorat, non mediocri quoque voluptate in phialam excipiebat. Nam qui thura litare non potest, ab eo vel falsam offerri molam, nulla certè vetat religio. Valete. Dab. Helmaesteti 3. Eid. IXbr. Anno natae illustris Acad. IVLIAE XIIX. P. V. addict. Ioannes Vincelbergius Marchicus, Respondens.“ 58 Instruktiv ist hier der bereits erwähnte Titel des Sammelbandes von Gens, La Logique herméneutique du XVIIe siècle. J. C. Dannhauer et J. Clauberg. Dass freilich gerade auch dieser Autor, lange Zeit wie Dannhauer vornehmlich als Hermeneutiker wahrgenommen, eine deutlich breitere philosophische Produktion aufzuweisen hat, zeigt etwa Verbeek (Hg.), Johannes Clauberg (1622–1665) and Cartesian philosophy in the seventeenth century. 59 Darauf verweist explizit auch Ermarth, Hermeneutics and History, 196: „Dannhauers suppositions were echoed in Wolff, who brought the idea of a general science of interpretation into wider academic currency.“ 60 Loos, Catharina von Georgien. Unio mystica und virtus heroica. 61 S. oben Anm. 37.

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1 Einleitung und Forschungsstand

humanistischem Rühmungsbedürfnis zuzuschreiben ist, erscheint sein Name bestimmt nicht grundlos in so gut wie jedem größeren Übersichtswerk zu jedweder Disziplin des 17. Jahrhunderts, und erfahren nicht zufällig drei seiner Hauptwerke derzeit einen aufwändigen Reprint.62 Doch der in seinem Einfluss bisher unterschätzte vielleicht barockeste aller Barocktheologen muss, wozu vor allem Johannes Wallmann seit Jahren aufruft, viel stärker aus den Voraussetzungen seiner Zeit und vor allem seines Werkes erforscht werden, nicht nur aus dem bereits von den Zeitgenossen mit Hilfe der griffigen Formel der „johanneischen Trias“63 artikulierten, relativ homogenen intellektuellen Klima an der lokalen Fakultät und Universität, sondern so breit wie nur möglich aus den historischen, auch aus den philosophie- und ideenhistorischen, kulturgeschichtlichen und kirchenpolitischen Praemissen heraus. Doch eben diese breiten Voraussetzungen scheinen, folgt man den eben dargestellten, recht disparaten Dannhauerbildern der bisherigen Forschung, als in sich durchaus spannungsvoll. Über den scheinbar allgemeinen Hiat zwischen Theorie und Praxis in der lutherischen Theologie der Barockzeit scheint sich beim Straßburger Starprofessor nun gar ein solcher zwischen bislang unerreicht universaler Philosophie und zunehmend partikularerer Theologie, zwischen innovativer und angeblich retardierend exklusivistischer Heilslehre zu legen. Während Dannhauer in der früheren seiner beiden Lebensphasen allgemein gültige Regeln aufstellte, die unbesehen aller konfessionellen oder auch bildungsbedingten Unterschiede Geltung beanspruchen, erklärt er in der darauffolgenden, warum die Seligkeit ausschließlich nach den Regeln lutherischen Glaubens zu erlangen sei. Mutmaßlich entkonfessionalisierende Tendenzen der Frühzeit werden damit, so scheint es, durch umso stärkere Intensivierung der Konfessionalisisierung der mittleren und späten Werke flugs zurückgenommen. Aber auch die unter den Historikern stark gegensätzliche Einschätzung der Wirkungen seiner Theologie als solcher führt sie letztlich zur Hypothese dieses selben Gegensatzes. Die meisten der Autoren, die Dannhauers Lehrwerke als pietismusvorbereitend oder gar protopietistisch bewerteten, sahen in ihnen einen Bruch mit der klassisch lutherischen Theologie des 16. Jahrhunderts, während umgekehrt Johan-

62 Im Rahmen der „Historia Scientiarum. Ein Editionsprogramm der Fritz Thyssen Stiftung zur Geschichte der Wissenschaften in Deutschland“ die Idea boni interpretis durch Walter Sparn, die Hodosophia Christiana, 11649. 41666 und der Liber conscientiae apertus durch Markus Matthias. 63 Es handelt sich nebst Dannhauer um Johann Schmidt (1594–1658) und Johann Georg Dorsch (oder Dorsche; 1597–1659); mit gewollter Analogie zu den drei Namensvettern in Jena Johann Gerhard, Johann Himmel (1581–1642) und Johann Major (1533–1600). S. dazu u. a. Wallmann, Straßburger lutherische Orthodoxie, 57.

1.2 Kluft zwischen Philosophie und Theologie?

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nes Wallmann die orthodox lutherischen Aspekte als im diametralen Gegensatz zum aufsteigenden Pietismus stehend begreift. Der Gegensatz eines Dannhauer der mystisch geprägten Öffnung hin zu breiten Volksschichten versus einen Dannhauer der Versteifung auf ein hochexklusives apokalypseorientiertes Glaubensverständnis fügt sich so ebenfalls in jenen Grundgegensatz zwischen Öffnung und Verschließung, der sein Werk insgesamt zu durchziehen scheint. Streicht aber der Dogmatikprofessor und Münsterprediger Dannhauer, bildlich gesprochen, tatsächlich wieder durch, was der ambitiöse und innovative junge Philosophiedozent erarbeitet hatte? Äußerungen jedwelcher Art, die im Sinne von Retractationes zu lesen wären, und erst recht radikal tendenzumkehrende Wendeerlebnisse, sozusagen vor Damaskus, sind bei Dannhauer vergeblich zu suchen. Im Gegenteil, sein Werk zeichnet sich, wie wir noch sehen werden, durch eine thematische Kohärenz aus, die gerade auch diachron beeindruckend klar nachgezeichnet werden kann. Scheinbar naheliegende oder gar alleserklärende Interpretationen, etwa in Richtung eines nicht selten zu beobachtenden Alterspessimismus, in dem jugendlicher Optimismus durch die Erfahrung langen Kämpfens zu einer durch intellektuelle Xenophobie gespeisten Skepsis degeneriert, oder gar im Sinne einer „doppelten Wahrheit“ von philosophisch und theologisch unterschiedlichen Ansätzen – eine Position, die etwa schon Hans Georg Gadamer in Bezug auf die Hermeneutik des 17. Jh. im Allgemeinen und auf Dannhauer im Besonderen für unsachgemäß erklärte –64, griffen sicherlich zu kurz, um nicht zu sagen, sie gingen in die Irre. Schon alleine im Licht einer hoch reflektierten, von den Zeitgenossen als existentiell

64 Vgl. Gadamer, Logik oder Rhetorik, 292–300. Er bietet darin eine Art öffentliche Replik auf den besagten Artikels Jaegers, der zwar zu Recht als eine „auf profunder Gelehrsamkeit beruhende begriffsgeschichtliche Studie“ (293) anerkannt wird, dem man „reiche Belehrung“ (294) entnehmen kann, der Gadamer jedoch in doppelter Hinsicht als „einseitig“ in der „Perspektive“ (ebd.) erscheint. Zum einen werde im hermeneutische Konzept Dannhauers zu wenig die rhetorische Komponente gesehen, zum andern zu wenig die religiöse. „Der normative und kanonische Sinn der zu interpretierenden Texte scheint [. . .] das bestimmende Moment der ganzen Auslegungsbemühung“ (296). Auch wenn diese Antikritk durchaus auch Gadamers eigenen Interessen dient, kann man sich in der Tat nicht des Eindrucks erwehren, dass Jaeger ein trotz aller gegenteiligen Bemühungen, Versicherungen und Relativierungen ein zu nachaufklärerisches, ein geradezu chemisch reines Bild der Trennung von philosophischem, nichtreligiösem Ursprung und praktischer Anwendung der Hermeneutik zeichnen wollte. Man braucht nicht sämtliche Implikationen der Gadamerschen Hermeneutik zu teilen, um seiner Äußerung (285) zuzustimmen: „Die Aufgabe des Interpreten von Texten ist in concreto niemals eine bloße logisch-technische Ermittlung des Sinnes beliebiger Rede, bei der von der Frage der Wahrheit des Gesagten ganz abgesehen würde.“

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1 Einleitung und Forschungsstand

glaubwürdig eingeschätzten Persönlichkeit eignet solchen Ansätzen wenig Wahrscheinlichkeit. Welchen aber dann?

1.3 Nicht Kluft, sondern Brückenschlag: Von Dialektik zu Dialektik Dass die Hermeneutik Dannhauers in der neueren Philosophie- und Sprachgeschichtsschreibung ausnehmend viel Interesse fand, ist verständlich und kein Sonderphänomen. Auch bei andern Logikern der frühen Neuzeit mit hermeneutischen Interessen, so etwa bei Johann Clauberg (1622–1665), nehmen die der Textauslegung gewidmeten Aspekte ihrer Werke auffallend viel Raum in der Forschung ein; zweifelsohne, weil deren wirkungsgeschichtlicher Zusammenhang mit der späteren Neuzeit erst einmal plausibler scheint, als Texte unter gleichsam rein logischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Um in der durch den skizzierten Fortgang der Dannhauerforschung eröffneten Fragestellung voranzukommen, empfiehlt sich freilich ein wissenschaftstheoretischer Schritt zurück. In dem für die lutherische Orthodoxie maßgeblichen Rahmen aristotelischen Denkens kann die Wissenschaft der Interpretation ja nur als einer von etlichen Teilbereichen der viel umfassenderen Wissenschaft der Logik gelten. Περὶ ἑρμηνείας erscheint, in der klassischen Einteilung durch Andronikos von Rhodos, als die zweite von insgesamt sieben Schriften im Organon, und wurde wie von allen Philosophen so auch von Dannhauer65 daher als einer von etlichen Subkontexten der Dialektik verstanden.66 Auch wenn die nach 1600 generell im

65 Bei Erstnennung von Titeln Dannhauers wird annähernd vollständige Wiedergabe geboten, anschließend ein Kurztitel. Schriften, die als eigenständige und in sich abgeschlossene Einheiten erkennbar sind, werden mit je einer Nummer erfasst. In ihrer großen Mehrzahl handelt es sich um Drucke, verzeinzelt aber auch um Manuskripte der Jugendzeit. Ihre Gesamtheit ergibt das als Personalbibliographie im Anhangskapitel erstellte Dannhauer-Werkeverzeichnis (DWV). Die Editionsgrundsätze bei Dannhauer und weiteren Quellen folgen grundsätzlich Bogner und Steiger, Prinzipien der Edition von theologischen Texten der frühen Neuzeit. Sie führen auch die Mehrzahl der dort vorgelegten konkreten Vorschläge durch, insofern sie im Rahmen einer Monographie möglich sind, die nicht eigentlich editorische Ziele verfolgen kann. Auf die Nachbildung unterschiedlicher Typengrößen wie auch der Differenz von Kapitälchen und Versalien wurde deshalb verzichtet. 66 IDEA BONI // INTERPRETIS ET // MALITIOSI CALU- // MNIATORIS // QUÆ OBSCURITATE // DISPULSA, VERUM SENSUM // à falso discernere in omnibus auctorum scri- // ptis ac orationibus docet, & plenè respon- // det ad quæstionem Unde scis hunc // esse sensum non alium?, Straßburg 1630, DWV 48; vgl. Anh. 2.2, art. primus: „Dari omnino aliquam partem Logice, hactenus vel prorsus inexcultam, vel certe primis solum lineamentis adumbratam, nimirum Hermeneuticam, rationem ac modum interpretandi.“

1.3 Nicht Kluft, sondern Brückenschlag: Von Dialektik zu Dialektik

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Protestantismus – und in Straßburg ganz besonders –67 als eigentliche Leitwissenschaft auftretende Dialektik von Dannhauer unter anderem auch auf die Hermeneutik eingemittet wird, ist doch aus seinem Gesamtwerk eindeutig erkennbar, dass er nicht allein sie, sondern auch die weiteren der Dialektik nahestehenden Wissenschaften als deren Subdisziplin verstand. Dialektik aber ist im 17. Jahrhundert allgemein und darum auch für Dannhauer erst einmal Wissenschaftsmethodologie. Dominierende Vokabel und Konzeption ist die methodus, hinter der auch die interpretatio zurückstehen oder genauer, als deren Teil sie begriffen wird.68 Es legt sich daher nahe, zur besseren Einsicht in die Entwicklung vom jungen Philosophen zum reifen Theologen nicht vorwiegend oder gar, wie in der von der bisherigen Forschung favorisierten Option, mehr oder minder exklusiv die Weiterführung der philosophischen Auslegekunst in der idea boni interpretis69 von 1630 zur theologischen Hermeneutik70 von 1654 ins Auge zu fassen, sondern zuallererst die Weiterführung der in der epitome dialectica71 von 1634 entworfenen allgemeinen Dialektik zum Konzept der dialectica sacra72 von 1648 zu studieren. Dabei geraten diese epitome selbst, deren Theologisierung in der dialectica sacra, sowie die Effekte dieser letzteren in ein umfassendes Blickfeld, das seinerseits als Grundlage zum Verständnis der Entwicklung und Bedeutung

67 Es gehört beinahe schon zu den Allgemeinplätzen der neueren Protestantismusgeschichte, dass das Standardwerk von Wundt, Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts, im Kapitel über „die lutherischen Hochschulen“ (97–143) ohne jede Nennung Straßburgs auskam. 68 Gilbert, Renaissance Concepts of Method; Lohr, Latin Aristotelianism and the Seventeenth-Century Calvinist Theory of Scientific Method; Mikkeli, An Aristotelian Response to Renaissance Humanism; ders., Jacopo Zabarella. Ordnung und Methode; Piaia, La presenza dell’Aristotelismo Padovano; Rohls, Aristotelische Methodik und protestantische Theologie; Schulthess, Die philosophische Reflexion auf die Methode. S. auch Couzinet, Histoire et Méthode à la Renaissance; sowie die Quellenschrift bei Zabarella, Über die Methoden (De methodis). 69 IDEA BONI // INTERPRETIS ET // MALITIOSI CALU- // MNIATORIS // QUÆ OBSCURITATE // DISPULSA, VERUM SENSUM // à falso discernere in omnibus auctorum scri- // ptis ac orationibus docet, & plenè respon- // det ad quæstionem Unde scis hunc // esse sensum non alium?, DWV 48; vgl. Anh. 2.2. 70 Sie findet sich als Anhang zur vierten Auflage der allgemeinen Interpretationslehre: IDEA BONI // INTERPRETIS [. . .]. // Editio quarta, cui acceßit Hermeneiophiá // sive Hermenevtica sacra, ad S. literarum // interpreationem restricta, DWV 136. 71 EPITOME DIALECTICA, Straßburg 1634, DWV 78 (vgl. Anh. 2.3). Ohne Autorenangabe genannte Werke sind im Folgenden stets als von Dannhauer verfasst zu verstehen. 72 Polemosophia // seu // DIALECTICA // SACRA // IN QUA // Methodus Theologicè disputandi, // praecipuè exemplis summi Doctoris JESU // CHRISTI & D. Pauli // monstratur:[. . .], DWV 112; vgl. Anh. 2.7.

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1 Einleitung und Forschungsstand

der Werke und Person Dannhauers dient. Dieses Blickfeld sei hier einleitend zu der detaillierten Besprechung im Laufe der einzelnen Kapitel vorab skizziert. Im Gefolge kleinerer Theorieschriften zur konkreten Anwendung dialektischer Methoden, die der Rhetorikprofessor Dannhauer seinen Studenten zu erläutern hatte, veröffentlichte er 1634 als zentrale philosophische Programmschrift zur Dialektik die genannte epitome dialectica. Sie resümiert das Vorgehen in den bisherigen, in ihr teils ausführlich zitierten Publikationen und entwirft jenen Methodenhorizont, der von Gelegenheitsschriften abgesehen sämtliche weiteren Schriften des Straßburgers formen sollte, sowohl die philosophischen als dann vor allem auch die theologischen. Er ergibt sich durch die zentrale Unterteilung der Dialektik in einen allgemeinen, synthetischen und einen darauf folgenden speziellen, analytischen Teil. Der junge Logiker folgte hierin der in den dreißiger Jahren längst klassisch gewordenen Interpretation des aristotelischen Organon durch Giacopo Zabarella (1532–1589), der dieses Schriftencorpus in einen ersten Teil bis und mit den Ersten Analytiken und einen zweiten ab den Zweiten Analytiken trennte. Dannhauer unterstreicht dies, indem er Topik und Sophistische Widerlegungen direkt nach der Kategorienschrift in einem Prooemium behandelt, so dass der zweite, analytische Teil seiner Schrift sich noch stärker als beim italienischen Vorbild auf die eigentlich analytische Abhandlung des Organon konzentriert, als welche die Zweiten Analytiken gelten konnten. Zusätzlich akzentuiert wird das Wechselspiel von Synthese und Analyse durch ein diesen beiden Methoden gewidmetes, die pomoeria organi Aristotelici erweiterndes Zusatzkapitel am Ende der Epitome.73 Dannhauer erklärt hier, dass durch Synthese und darauffolgende Analyse das in der Unterscheidung von wahren und falschen Sätzen bestehende Hauptziel der Dialektik, ihre finis cui, erzielt werden soll. Explizit stellt Dannhauer damit eine ihrer Anwendungswissenschaften, die Hermeneutik74, bereits hier ins Zentrum der Logik als solcher. Mit der idea boni disputatoris75 von 1629, der idea boni interpretis76 von 1630, und schließlich der epitome rhetorica77 von 1635 legt er drei weitere Handbücher zu Anwendungswissenschaften der

73 Epitome dialectica, DWV 78, *4b. 74 Epitome dialectica, DWV 78, Cap. [. . .] VI. De Fine Logicæ οὗ sive De Formâ ipsius objecti Logici, Discretione veri à Falso primùm Hermeneutica. 75 IDEA // BONI DISPU- // TATORIS ET MALITIOSI // SOPHISTÆ, // EXHIBENS ARTIFI- // CIUM, NON SOLUM RITE ET // stratagematicè disputandis; sed fontes solution- // num aperiens, è quibus quodvis spinosis- // simum Sophisma dilui posit, Straßburg 1629, DWV 41, vgl. Anh. 2.1. 76 Idea boni interpretis, DWV 48. 77 EPITOME RHETORICA [. . .], Straßburg 11635, DWV 82.

1.3 Nicht Kluft, sondern Brückenschlag: Von Dialektik zu Dialektik

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Dialektik vor. Ist diese Breite des Einsatzbereichs zwar bemerkenswert, bleibt sie insofern durchaus traditionell, als alle drei hier untersuchten Wissenschaften, die Dialektik im engeren Sinne des Disputationswesens, die Hermeneutik und die Rhetorik, bereits vom Stagiriten selber in engen Bezug zur Dialektik im weiteren Sinne gesetzt worden waren. In der Folgezeit erweiterte Dannhauer diesen klassischen Einsatzbereich vier Male in entscheidender, nämlich theologischer, Richtung. Die theologische Dogmatik seit 1642 (in den zwei großen Publikationsserien zur theologischen Lehre im engeren Sinne, nämlich in der Catechismus-Milch78 ab 1642 und dann in der ab 1653 erscheinenden kontroverstheologischen Trilogie einer Hodosophia79 oder Wegweisheit mit zwei ihr entgegengesetzen Hodomorien80), die theologische Geschichtsschreibung (Christeis)81 von 1646, die theologische Auslegungslehre (Hermeneutica sacra)82 von 1654, und die theologische Ethik (Liber conscientiae apertus)83 von 1662 sind allesamt streng dialektisch als Diskussion von Thesen und Antithesen aufgebaut. Sie haben allesamt als Anwendungen apodiktischer, letztlich zweiwertiger Logik zu gelten. Ihnen bereits vorauf gehen eine Christologie (Christosophia)84 von 1638 mit antithetisch

78 Catechismus-Milch, 10 Bände in doppelter und teils dreifacher Auflage, Straßburg 1642–1673, DWV 97; vgl. auch S. 248, Anm. 17. Zitiert wird im Folgenden nach den in der Herzog-August-Bibliothek konsultierten Exemplaren: 1: J 581a: (1680); 2: J 581b: (1693); 3: J 581 c: (1692); 4: J 581d: (1669); 5: J 581e: (1671); 6: Th 510: (1678); 7: 581g: (1673); 8: 581h: (1666); 9: 581i: (1672); 10: 581k: (1673). Die Angabe bei Kücherer, Katechismuspredigt, 154, die Catechismus-Milch liege „in zwei Auflagen“ vor, ist nicht zutreffend, und erklärt sich vermutlich dadurch, dass er die erste Auflage des ersten Bandes ebd. zwei verschiedenen Daten zuweist (1642 und 1657). Die von ihm S. 322 (Anhang) als zweite Auflage bezeichnete Serie ist daher die dritte. 79 ΟΔΟΣΟΦΙΑ // CHRISTIANA // seu // THEOLOGIA // POSITIVA // in certam, plenam & co- // haerentem methodum // redacta; Straßburg 1649, DWV 120. Zitiert wird im Folgenden nach der 4. Auflage von 1713, DWV 323. 80 HODOMORIA // SPIRITVS // PAPAEI, // Duodecim Phantasmatis, Acade- // micâ Parrhesiâ ac Phila- // letheâ // Detecti, ac examinati, Straßburg 1653, DWV 144; HODOMORIA // SPIRITUS // CALVINIANI // Duodecim Phantasmatis, Aca- // demicâ parrhesiâ ac phi- // laletheâ // Detecti & examinati, Straßburg 1654, DWV 150. 81 CHRISTEIS // SIVE // DRAMA // SACRUM, // In quo Ecclesiæ militia â Iesu Christo // ad thronum cœlestem exaltato, ad novissimum // usque ac præsens seculum deducitur, ænigmaticè // primum, pòst aperto commentario; Straßburg 1646, DWV 106. 82 Idea boni interpretis, DWV 48. 83 LIBER CONSCIENTIAE // APERTUS [. . .], Straßburg 1562, DWV 203. 84 ΞΡΙΣΤΟΣΟΦΙΑ // SEU // SAPIENTIARUM // SAPIENTIA, DE SALVATORE // CHRISTO, EJUS PERSONA, // OFFICIO, BENEFICIIS, // EXPLICATA, Straßburg 1638, DWV 87; vgl. Anh. 2.4.

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1 Einleitung und Forschungsstand

gegenüberstehender fremdkonfessionellen Parallelen (Antichristosophia)85 von 1640, und eine Sakramentenlehre (Mysteriosophia)86 von 1646 mit in ein und derselben Publikation behandelten Gegenstücken (θετικῶς et ἀντιθετικῶς tractata). Auch sie sind also als theologische Applikationen einer zu streng binären Urteilsstrukturen gelangenden Logik zu verstehen. Sie werden aber später beide in die Lehrschriften übernommen,87 so dass sie faktisch diesen subsumiert werden müssen. Nebst dem noch näher zu bestimmenden Inhalt der Lehrschriften bleiben daher als zur selbstständigen Reihung genügend voneinander separierbare theologische Objekte dialektischer Synthese und Analyse also Geschichte, Bibeltext, und Gewissenslenkung. Letztere drei Größen können allesamt jedoch als Sakralisierungen ursprünglich philosophischer Anwendungen betrachtet werden, insofern Geschichte bereits in der Renaissance als semisäkulare Wissenschaft existiert, der Bibeltext den allgemeinen hermeneutischen Regeln der Textinterpretation unterworfen wird und die conscientia-Literatur zumindest formal der aristotelisierend operierenden Tugendethik entspricht. Die wesentlichste Innovation, die ursprüngliche Ausweitung der philosophischen zur theologischen Dialektik – der auch die drei eben genannten Theologisierungsbereiche sowohl zeitlich als auch methodisch-inhaltlich folgen – geschieht daher in und durch die im engeren Sinne theologischen Lehrschriften. Nach einigen noch eher schulisch gehaltenen und inhaltlich seinem in rebus theologicis wohl wichtigsten Lehrer Balthasar Mentzer (d. Ä., 1565–1627)88 verpflichteten theologischen Schriften der dreißiger Jahre, begann Dannhauer ab 1642 seinen eigenen, charakteristischen Zugang zur Theologie zu entwerfen. Kennzeichnend für diesen von da an fortlaufend ausgebauten Zugang ist das Bild des Weges. Diese zwar sehr elementare, doch nur scheinbar anspruchs- oder gar voraussetzungslose Strukturierungsmetapher einer via oder ὁδὸς sollte Dannhauers homiletisches wie dann auch akademisch-theologisches Schaffen

85 ΑΝΤΙΧΡΙΣΤΟΣΟΦΙΑ // seu // REVELATIO // ANTICHRISTIA- // NISMI // Generalissimi, subaltern- // ni, specialissimi & κατ’ ἐξοχὴν magni, // Unico Syllogismo com- // præhensa, Straßburg 1540, DWV 91; vgl. Anh. 2.5. 86 ΜΥΣΤΗΡΙΟΣΟΦIΑ // seu // DOCTRINA // DE SACRAMENTIS // Ecclesiæ θετικῶς & ἀντιθετικῶς // tractata, Straßburg 1646, DWV 105. 87 Die inhaltlichen Entscheidungen der Schriften finden sich sowohl in den katechetischen (5. und 8./9. Teil der Catechismusmilch) als auch den dogmatischen Teilen (8. und 10. Phänomen der Hodosophia) des Gesamtwerks wieder. 88 Indem Dannhauer seinen Studenten Mentzers Theologie weitergab, und Straßburg „damit von der vorherigen Beziehung zu Tübingen nachhaltig abkehrte“ – so formuliert es prononciert Mahlmann, Art. Mentzer, 1276 –, wurde Mentzer nicht nur zum Lehrer Dannhauers, sondern mittelbar der gesamten argentinischen Universität.

1.3 Nicht Kluft, sondern Brückenschlag: Von Dialektik zu Dialektik

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dominieren. Die Superstruktur seiner theologischen Schriften beruht sogar so weitgehend auf dem Bild des Weges, dass es nicht übertrieben sein dürfte, sie insgesamt als Wege-Schriften zu bezeichnen, auch dort, wo der Begriff nicht explizit im Titel auftritt. Äußerlich erschienen sie freilich getrennt in zwei großen Werkteilen in der Lebensmitte ihres Autors. Sowohl in der ab 1642 in zehn Bänden publizierten Catechismus-Milch,89 der größten Sammlung an Katechismuspredigten in der Geschichte des Protestantismus (und vermutlich des Christentums) schlechthin, wie auch in der in den frühen fünfziger Jahren publizierten Trilogie einer Hodosophia90 mit zwei polemisch korrespondierenden Hodomoriai91, ist diese Strukturmetapher mehr oder minder ostentativ, aber stets sehr wirksam präsent. Alle Wege-Schriften besagen, dass die Hauptaufgabe des Christen darin besteht, den lebensnotwendigen Zugang zum Heil zu finden, wie allein der lutherische Glaube ihn ermöglicht und wie die Hodosophie ihn aufzeigt. Die hierzu komplementäre Herausforderung an den christlichen Lebensweg besteht folglich darin, jene irrigen Pfade zu meiden, die die römische und die reformierte Konfession anbieten und die die beiden Hodomorien je aufdecken. Zur Abfassungszeit der dialectica sacra während oder im direkten zeitlichen Vorfeld des Jahres 1648, war dieses theologische Gesamtprojekt zwar noch in fortwährendem Entstehen begriffen. In seinen Konturen war es aber doch schon so weit erkennbar, dass der Theologe Dannhauer in der Lage war, von ihm ausgehend nun auf die beherrschende Thematik seiner philosophischen Frühschriften zurückzublicken, ja mehr noch, seinen theologischen Ansatz als mehr oder minder direkte Weiterführung seines philosophischen Programms darzustellen.92 Der konkrete, äußere Anlass dazu bot sich ihm, als

89 S. oben Anm. 78. 90 Oδοσοφια christiana, DWV 120. 91 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150. 92 Rein arithmetisch gesehen steht die Dialectica sacra exakt in der Mitte von Dannhauers Schaffen. Nimmt man seine allererste Publikation überhaupt, die Disputatio de Deo von 1624, zum Maßstab, ergibt sich bis zu seiner letzten großen, im Todesjahr 1666 publizierten Schrift mit dem Titel Illex et Obex zwar eine Zeitspanne von zweiundvierzig Jahren, und die Polemosophia wäre demnach vierundzwanzig Jahre nach dem Erstling und achtzehn Jahre vor dem Schwanengesang entstanden. Sachgerechter ist es jedoch, nicht von der Handvoll öffentlich erschienener studentischer Arbeiten der 1620er Jahre, sondern von der ersten als wesentlichen wissenschaftlichen Beitrag zu wertenden Publikation, der Idea boni interpretis von 1630, auszugehen, was eine Schaffensspanne von sechsunddreißig Jahren ergibt, in deren exaktes arithmetisches Zentrum die Polemosophia zu stehen kommt. Zieht man freilich, noch sachgerechter, die Fakultätszugehörigkeit und damit den wissenschaftlichen Arbeitsbereich in Betracht, befand sich Dannhauer bereits weit in der zweiten Lebenshälfte, als er diese Schlüsselschrift redigierte. Er blieb nur gerade vier Jahre in seinem 1629 angetretenen Amt als Rhetorik- und damit als Philosophieprofessor, bevor er dann ab 1633 dreiunddreißig Jahre der Theologie widmen konnte.

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1 Einleitung und Forschungsstand

von Seiten zweier katholischer Kontroverstheologen aus dem Umfeld der sog. Veronius-Schule ein spezifischer Verfahrensaspekt protestantischer Syllogistik so fundamental in Frage gestellt wurde, dass der einer intellektuellen Auseinandersetzung ohnehin nur ungern ausweichende Straßburger sich aufgerufen sah, die Herausforderung aufzugreifen. Dieser im zweiten Teil der dialectica sacra abgehandelte tagesaktuelle Aspekt gab ihrem Autor Gelegenheit, eine diesen Anlass weit überschreitende, ja umfassende wissenschaftstheoretische Bestimmung von Ort und Funktion der Dialektik innerhalb der Theologie vorzunehmen. Er bediente sich dazu zwar nun eines zwei Jahre zuvor in der Christeis bereits aufgegriffenen militärterminologischen Darstellungsrahmens, dem sich auch der für moderne Ohren zumindest gewöhnungsbedürftige Obertitel der dialectica sacra als Polemosophia verdankt.93 Inhaltlich jedoch ist die dialectica sacra nichts anderes als eine Applikation der allgemeinen, der Prüfung jedwelcher Propositionen gewidmeten, Dialektik auf theologische Sätze. Während die finis cui in der Unterscheidung von wahr und falsch in beiden Dialektiken identisch ist, verändert sich die finis cujus insofern, als sie von der Suche nach einer beweisbaren enunciatio schlechthin nun zur Auffindung wahrer theologischer Aussagen spezifiziert wird. Das eigentliche Objekt theologischer Dialektik ist für den Straßburger daher nicht etwa die in der frühen Neuzeit zur Analogisierung von Theorie und Praxis ganz allgemein überaus beliebte methodos-hodosMetaphorik als solche, wie man aufgrund ihres zentralen Platzes bei Dannhauer zu vermuten geneigt wäre. Und auch der homo viator ist zwar durchaus Subjekt, nicht aber Objekt der Dannhauerschen Wege-Schriften. Denn natürlich war allein schon, um einer ansonsten unvermeidlichen Zirkularität von zu Definierendem und dazu gewählter Definitionsweise auszuweichen, die Konstitution eines davon genuin abweichenden Objektes geboten. Dannhauer erklärt deswegen die Wahrheit des lutherischen Bekenntnisses einerseits, die katholischen wie auch die reformierten Bekenntnisse andererseits zu konkreten, eindeutig bestimmbaren Gegenständen einer synthetisch-analytisch prozedierenden theologischen Dialektik. Dieses in den Wege-Schriften breit ausgeführte Programm wird in der dialectica sacra erstmals in philosophisch fassbare Methodenterminologie

Entwicklungspsychologisch betrachtet kann diese Verzögerung nicht wirklich überraschen, denn das Bedürfnis wie auch das Vermögen, einen Lebensabschnittswechsel grundlegend zu überdenken, kann kaum während oder in der unmittelbaren Folge dieses Wechsels selber erfolgen. Sie stellt insofern einen konkreten Einzelfall der allgemeinen Tatsache dar, dass jede, auch die autobiographisch oder werkanalytisch vorgehende, Geschichtsschreibung eines gewissen zeitlichen Abstandes zu den Ereignissen bedarf, die sie erfassen will. 93 Freilich ist Polemik in der Frühen Neuzeit alltäglich, s. hierzu etwa Braungart, Zur Rhetorik der Polemik; Cooper, Fear and Polemic.

1.3 Nicht Kluft, sondern Brückenschlag: Von Dialektik zu Dialektik

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überführt und explizit dargelegt. Es ist just die gerade in ihrer Schlichtheit überraschende, dem Zeitgeist gleichsam im doppelten Sinne des Wortes geschuldete Selbstverständlichkeit des Inhalts dieser Programmschrift, die von Dannhauer dasselbe zu sagen erlaubt, was er seinerseits dem Philosophenfürst bei der Abfassung seiner Hermeneutik attestiert: Bei ihrer Abfassung „tauchte er die Feder in den Geist“94, nämlich hier den Geist seiner Zeit, die zu umfassender Parallelisierung der je umfassend konfessionell geprägten Lebenswelten vorangeschritten war. Was die Menschen seiner Zeit in kirchlicher Lehre und christlichem Leben alltäglich erfuhren, nämlich die permanente Gegenüberstellung der eigenen und der fremden Konfessionen, wird von Dannhauer hier in eine philosophischen Ansprüchen zumindest der Absicht nach Genüge leistende Form gebracht, mittels welcher die drei alteuropäischen christlichen Bekenntnisse materiell umfassend und formal dialektisch untereinander verglichen werden.95 Da dieses Thema nun aber jeden Christenmenschen angeht, muss der Weg zu seiner Bearbeitung folglich auch jedem offen stehen. Ein Unterschied besteht faktisch zwar im Grad der Übung, ist also zwar gradueller, nicht aber kategorialer Natur. Dux ist nicht der menschliche Intellekt in exklusivem Sinne, sondern der Heilige Geist; veri a falso sequestratio, konfessionelle Dialektik oder kritische Bekenntnishermeneutik ist daher nichts anderes als διάκρισις πνευμάτων, prophetische Unterscheidungsgabe. Die restlichen Teile der Polemosophie gelten zwar fast ausschließlich dem „professionellen“ theologischen Dialektiker. Doch ist die

94 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio. 95 Kompliziert wird diese Parallelisierung freilich dadurch, dass Dannhauer sich jene Differenzierung zu eigen macht, die jüngere Forschung für das Bewusstsein lutherischer Theologen der frühen Neuzeit generell annimmt, wonach nämlich als Konfessionen im eigentlichen Sinne nur die anderen, die lutherischen Christen hingegen schlicht und einfach als wahre Kirche galten. Wenn daher die tesserae des Luthertums formal zwar ebenso notae der lutherischen Kirche darstellen wie dies für die Bekenntnisschriften der anderen Konfessionen ihrerseits der Fall ist, koinzidieren sie doch material mit der Wahrheit des Evangeliums als solcher. Auch im dialektischen Vorgehen ist folglich zwischen den in der geoffenbarten Wahrheit liegenden Prinzipien der Argumentation des lutherischen Bekenners einerseits und deren sprachlichem Ausdruck andererseits kein Unterschied zu erkennen (Polemosphia, art. iv, § 24). Umgekehrt ist es just diese Differenz zwischen den – im Gefolge der aristotelischen Analytiken selbstredend unabänderlichen – Prinzipien der Wahrheit des christlichen Glaubens und den thetisch von den anderen Konfessionen vorgebrachten Bekenntnisse, die sie hoffnungslos verworren werden lässt. Das eigene Bekenntnis ist daher als klare Synthese der Wahrheit darzustellen, fremde Bekenntnisse sind durch eine Analyse der Irrtümer in ihrem konfusen Charakter freizulegen. Konfessionsvergleich ist also auch unter dieser Hinsicht und notwendiger Weise nicht anderes als κρίσις zwischen Wahrheit und Irrtum, veri a falso sequestratio (Polemosphia, art. IV, § 31).

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1 Einleitung und Forschungsstand

entscheidende programmatische Schneise zum Verständnis des lebenslangen Schaffens Dannhauers hiermit freigelegt. Philosophische μέθοδος hat sich hier endgültig in allgemeine christliche ὁδὸς umgewandelt. Als Übergang fungiert die theologische Dialektik, indem sie aus der philosophischen Logik sich herleitet und zur allgemeinchristlichen Scheidekunst der Geisterunterscheidung nun hinführt. Diese Scheidekunst ihrerseits wird schließlich Ziel und Inhalt nicht allein der kontrovers- und fachtheologischen Wege-Trilogie, sondern vor allem auch der volkspädagogischen, katechetischen Predigtsammlung Dannhauers. Auf vielen Tausenden von Seiten wird der Katechumene, und damit der Christ schlechthin, nicht allein zu vertiefter Kenntnis der Inhalte des christlichen oder lutherischen Glaubens, sondern vor allem auch zu eigener Urteilsfähigkeit in Bezug auf deren Anwendung und Abgrenzung gegenüber den andern Konfessionen angeleitet. Letztlich soll „alles das Volck des Herrn [. . .] weissagen“96 lernen, also zu Propheten werden, und somit ein sowohl geistgewirktes wie mündiges eigenes Urteil abzugeben in der Lage sein. Die methodos apodiktisch verstandener Logik, die nur dem artistisch gebildeten Akademiker zur Verfügung steht, wird somit zum pädagogischen, ja existentiellen Hauptziel homiletischer und letztlich allgemein kirchlicher Arbeit überhaupt. Sie findet so ihren Weg nicht nur von der einen Fakultät zur andern, sondern auch von der Universität zum Christenvolk. Akademische methodus hilft, und in gewissem Sinne wird, so zum christlichen Lebensweg. Es legt sich daher nahe, diesen drei Etappen des Dannhauerschen Schaffens, die gleichermaßen als wissenschaftliche wie als lebensgeschichtliche Etappen zu sehen sind, von nahem zu folgen. Daher werden nun zuerst seine dialektisch-logische Fundamentalschrift (Kapitel 2), sodann die Grundschrift zu deren theologischer Anwendung (Kapitel 3), und schließlich deren doppelte Gestaltwerdung in wissenschaftlicher Theologie (Kapitel 4) und kirchlicher Predigt (Kapitel 5) verfolgt. In einer abschließenden Konklusion (Kapitel 6) wird eine In-

96 Catechismus-Milch, DVW 97, Bd. I, Vorrede, nicht paginiert = ):( iv: „Ich wündsche / daß durch die reine lautere Milch des Catechismi alles das Volck deß Herrn lernete weissagen / daß die Geheimnussen Christlicher Religion / die uns der gnädige GOtt in seinem Wort geoffenbaret / und derselben Behauptung / wider alle der Irrenden Einwurff (die und vielleicht ins künfftig mehr werden zuschaffen geben / als mancher noch glaubt/) nicht allein an die Schulcathedren verwiesen / sondern auch dem gemeinen Mann / in Teutscher Muttersprach / zu weiterer Ausbreitung Göttlichen Ehr und Nahmens und mehrer Erbauung bekant / und so viel müglich / klar / satt / deutlich / umständlich / gründlich / und also recht einfältiglich fürgetragen / ut ipse solidus cibus lactescat, quo possit esse aptus infantibus, wie Augustinus redet / tract. 98 in Joh. daß auch die harte Speiß zur Milch (das was sonst schwer zu verstehen / leicht) gemacht / damit die Einfältigen zuätzen;, auch die rechte wol solidirte und gegründete Fromm= und Gottseligkeit / (die nicht blind / sondern durch das Wort Gottes erleuchtet seyn soll) erweckt und angezündet werde!“

1.3 Nicht Kluft, sondern Brückenschlag: Von Dialektik zu Dialektik

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terpretation dieser Entwicklung im umfassenderen Rahmen des in dieser Einleitung als Fragehorizont aufgeworfenen wechselseitigen Bezugs von lutherischer Bekenntnisorthodoxie, zunehmend subjektiver Frömmigkeitspraxis bis hin zum Pietismus, frühneuzeitlicher Konfessionalisierung und beginnender Frühaufklärung dargelegt. Eine relativ ausführliche Dokumentation der besprochenen Quellen in den Annexen und Bibliographien soll die Übersicht und gleichsam interaktive Lektüre der eigentlichen Textdarstellung begleiten und erleichtern.

2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634) 2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik 2.1.1 Der programmatische Anspruch Nach etlichen bereits innovativen, doch meist noch direkt aus dem Lehrbetrieb übernommenen und daher gleichsam pionierhaft tastenden Publikationen veröffentlichte Dannhauer 1634 schließlich seine eigentliche philosophische Dialektik. Er tat dies unter dem unprätentiösen Titel einer Epitome dialectica, eines Abrisses der Logik, mit anderen Worten wiederum als Lehrbuch. Diese vergleichsweise bescheidene Benennung entsprach zwar zweifellos ihrem ursprünglich vorgegebenen Zweck. In der Widmung an den Kanzler der Akademie Johann Carl Prechter und den Schulherrn Johann Peter Storck (Ammeister der Stadt in den Jahren 1608, 1614 und 1620) macht Dannhauer transparent, dass von den Scholarchen, dem städtischen Aufsichtsgremium über die Akademie, ein schuldienliches Werk zuhanden der Studierenden, eine Art Repetitorium höherer Ordnung, bei ihm in Auftrag gegeben worden war.1 Aus dem Auftragswerk ergab sich dann zwar alles andere als eine jener in hastiger Pflichtschuldigkeit niedergeschriebener Fibeln ohne eigentlichen Originalitätsanspruch, wie Dannhauer sie offen, ja programmatisch, zu Beginn der Schrift als solche angreift. Seine epitome dialectica entfaltet sich im Gegenteil zu einem werkgeschichtlich höchst bedeutsamen Leitfaden, der inhaltlich die ehrgeizigen Neuerungen der bis dahin erschienenen logischen Schriften sowohl resümiert als auch inhaltlich begründet. Der in der praefatio klar offen gelegte Ehrgeiz des Werkes besteht darin, mit in einem an der Überlieferung zwar noch angelehnten, zugleich jedoch stärker an eigenständiger Überlegung ausgericheteten Vorgehen unmittelbar zur Lösung der Grundfragen der Logik beizutragen. Zwar ist die hierbei vorgetragene Einschätzung der Lage, in der sich die zeitgenössischen Logiker befänden, konventionaltopisch bedingt2 und zweckrhetorisch dramatisiert: Sie sind in Dannhauers Augen allesamt in einem Irrgarten unterwegs

1 Epitome dialectica, DWV 78, dedicatio. Seit dem Abschluss der Arbeit am Text im Sommer 2010 erschienene Publikationen konnten leider nicht mehr berücksichtigt werden. Das ist zu bedauern insbesondere im Hinblick auf die logikgeschichtlichen Veröffentlichungen von Reimund B. Sdzuj (Berlin 2011, Köln 2018). 2 Die Brunnenmetapher erscheint beispielsweise bereits in Planers Dialektik von 1584 (vgl. Anh. 3.1), 32: „Quae Methodus certè diligenter in omnibus artibus & disciplinis obseruari debet, cum sine illa nihil quicquam verè & solidè sciri poßit, sed omnino definitionibus neglectis & amißis vmbras rerum in tenebris captamus, solidam autem & veram rei cuiusque speciem https://doi.org/10.1515/9783110644593-002

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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auf der Suche nach der in Demokrits sprichwörtlichem Brunnen verschütteten Wahrheit, ein Irrgarten, der mit jeder neu geöffneten Tür nur noch auswegloser wird. Doch dürfte diese Topisierung Dannhauers subjektivem Empfinden insofern nahe kommen, als er der in seiner praefatio gleich anschließend geäußerten Überzeugung war, dass die aktuellen Ratgeber der Irrenden, nämlich die bisherigen neo-aristotelischen Methoden der Dialektik, als Führer aus dem Labyrinth zumindest in Teilen nicht mehr genügen konnten.3 Auch wenn dieser Anspruch einer immerhin respektvollen, aber als unabwendbar reklamierten Überbietung der antiken Schulen als solcher natürlich nicht neu war, sondern insgesamt der von Wilhelm Risse als „systematische Schule“ der Logik identifizierten Strömung des frühen bis mittleren 17. Jahrhunderts entspricht, sind es die konkreten Ambitionen dennoch durchaus. Dieser der Tradition mittelbar-kritisch verbundenen systematisierenden Haltung entsprechend distanziert sich Dannhauer schon zu Beginn der praefatio von zwei zentralen Strömungen der Logik seiner Zeit, die er als streng zu meidende Extreme ansieht. Die Vertreter der einen hier befehdeten Richtung, Raimundus Lullus (1232–1315) und Petrus Ramus (1515–1572) mit ihren Adepten, sehen ihr Heil in einer prinzipiellen Abkehr von Aristoteles. Wenn Ramon

non apprehendimus. Cùm itaque definitiue huius Methodi, & singularum praeceptionum apodicticarum, imò totius Dialecticae, tantus sit in omnibus disciplinis & artibus vsus, tanta neceßitas, tanta dignitas, vt sine illis verum, quod in profundo demersum latet, erui & inuestigari, ab errore & falsitate distingui & separari nullo modo à nobis poßit, quiuis certè intelligit artem Dialecticam optimo iure Magistram veritatis & scientiarum appellari posse. [. . .], 90: Veritas porrò omnis (authore Democrito) in profundo est abdita & demersa, & non nisi certa quadam ratione eruitur & inuestigatur.“ Sie findet sich zudem in Philipp Scherbs Theses dialecticæ von 1590 (vgl. Anh. 3.3, S. 429) als veritas in profundo latens, nämlich in der [Thesis] „XI. Atque hanc sanè unam videri caussam, cur veritas in profundo latens à tam paucis eruatur, quòd plerique ista confundant: quod qui faciunt, non possunt cum fructu versari in scientijs. V. g. Melissus & Parmenides Physica tractarunt Metaphysicè, δἰ ἀπαιδευσίαν τῶν ἀναλυτικῶν“. Sie erscheint schließlich auch bei Johannes Wincelberg 1613 mehrfach; er benennt veritatis puteum oder einfach profundissimum puteum. 3 Mit dieser dramatischen und dramatisierten Einschätzung trifft sich der junge Dannhauer mit jener des jungen Cornelius Martini, der in einer Thesenreihe von 1591 de natura logicæ (THESES // DE NATVRA // LOGICAE AD VNI- // VERSVM ARISTOTELIS // Organon, // Quas praeside Clarissimo viro // ALBERTO CLAMPIO I.V.D. & // Professore in Academia IVLIA, // publicè tuebitur // CORNELIVS MARTINI // Antuerpius. [. . .].) nicht nur unter Rückgriff auf Scaliger (Exercitationes 194, dist. 4) plakativ Aristoteles, Cæsar und Vergil als unübertreffbare Meister darstellt, sondern ebenso plakativ in der Schlussthese alle Abweichung vom aristotelisch guten Pfad als Grund stets noch tieferer Irrtümer darstellt: [A4 verso; thesis] „XXXV. Ista est generalis Logicę constitutio apud Philosophum, cuius ignorantia grauissimos olim peperit errores semper: nunc etiam eiusdem peruersio & mutilatio magis maiores in dies portendit.“

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

Llull dabei (1232–1315) das aristotelische Organon durch seine legendäre Zirkularmethode zu überbieten suche, die aufgrund ihrer dihäretischen Struktur Wahrheit und Irrtum als gleichwertige Optionen anböte, begreift Dannhauer gerade darin den elementarsten aller Irrtümer überhaupt. Ramus seinerseits „verspricht Meere und Berge“,4 wenn man ihm nur das Organon hinter sich zu lassen gestatte, führt damit aber sich selbst und alle, die sich ihm anvertrauen, in den Augen des Straßburgers unweigerlich ins Verderben. Inwieweit der aktuelle Ramismus Dannhauer mehr beschäftigt als der im Barock eher schon nostalgisch wiederbelebte Lullismus, enthüllt die Menge der Zeugen, die er gegen ersteren ins Feld führt. Aus dem eigenen, lutherischen Lager werden dabei zu allererst die duo Martini, die dezidiert und für das Luthertum pionhierhaft anti-ramistisch eingestellten Namensvettern5 Cornelius (1568–1621)6 und Jakob Martini (1570–1649),7

4 Epitome dialectica, DWV 78, 3b. 5 Als ein Duumvirat erscheint ihre Wirksamkeit noch Daniel Stahl, Institutiones logicae, Hildesheim 1655, Dedicatio: „Maxima eius rei gratia, post deum, dominis Martiniis duumviris excell[entissimis], alteri illustris Juliae, inclytae Wittebergae alteri, professoribus debetur, qui exciso inutili Rami ramo Aristotelicam methodum quasi postliminio, non minus in regias quam triviales scholas denuo introduxerunt, quibus freta studiosa iuventus in vera veritatis et investigandae et defensandae sacratiora penetralia deduci tuto possit.“ Zit. nach Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie, 136, Anm. 2. 6 Martini, Jacobus: Institutionum logicarum libri VII, Wittebergae 1610; Themata decem contra Systema Logicum Keckermannianum, Disp. Wittebergae 1610; Prælectiones extemporaneae in Systema Logicum Bartholomæi Keckermanni, Wittebergæ 1716. 7 In der Tat sind die explizit antramistischen Schriften zahlreich. Martini, Cornelius: Disputatio de philosophia eivsque instrumentis, Helmstedt 1592; Disputationum logicarum adversus Ramistas prima: De subiecto et fine logicae, Helmstedt, 1594; Cornelii Martini Antvverpii adversus Ramistas disputatio de subjecto et fine logicae: Una cum aliis tribus eiusdem importunitati oppositis disputationibus a Friderico Beurhusio in Schola Tremoniana, Conrade Hoddae D. in Gymnasio Gottingensi, Heizone Buschero in Schola Hanoverana, Lemgo, 1596; Disputationum logicarum adversus Ramistas secunda: De constitutione logicae et natura locorum in genere, Helmstedt, 1596; Ad Conradi Hoddaei M. D. et Gotting. Phys. Teretisma: Quibus Cornelii Martini Andvverpii professoris logici in inclita Iulii Academ. Primae contra Ramistas disputationi: De subiecto et fine logicae obstrepit: Responsio autoris, Helmstedt, 1597; De analysi Logica tractatus. In quo multis illustribus exemplis ostenditur quid est analysis Logica et quanta eius in omni disputatione ac veritatis inquisitione necessitas, Helmstadi 1619. Schon in der ersten dieser Disputationen sind die antiramistischen Spitzen offensichtlich, in denen sie kulminiert, obschon sie davon im Titel noch nichts anklingen lässt, vgl. die Schlussthesen 8–10, [A4 recto]: „VIII. Vna non est omnium artium tradendarum & constituendarum methodus. IX. Scientiae nomen non meretur, quod sine demonstrationibus & causis proponitur. X. Omnia praecepta disciplinarum κατὰ παντός καθ’ αὐτὰ, καθόλου πρῶτα esse debere, neque verum aut possibile, neque in vlla disciplina vsu à P. Ramo combrobatum Quare an id penitus voluerit dubitatur.“

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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als verae logicae restauratores celeberrimi8 vorgestellt. Der in Straßburg die neoaristotelisch-zabarellistische Logikauffassung einführende und klar antiramistische Dn. D. Hawenreut[er] p[rofessor] m[edicinae] (1548–1618)9 wird anschließend nicht bloß genannt, sondern kurz darauf als „unsterbliches Licht unserer Akademie“10 herausgehoben. Schließlich werden selbst die „unfähigsten unter den eigentlichen Anhängern der Peripatetiker“11 als sämtlichen Ramisten überlegen erklärt. Aus dem Lager der dem protestantischen Glauben „feindlichen“12 Denker zieht Dannhauer die beiden prominenten spanischen Jesuiten Pedro de Fonseca (1528–1599) und Pedro Hurtado de Mendoza (1578–1641) als Bürgen für die für ihn in ihrer Abstrusität nicht nur unbrauchbaren, sondern im pädagogischen Geschäft auch Gefahren bergenden Theorien des Pariser Logikers bei. Doch nicht allein die gänzliche Loslösung vom Stagiriten, und damit kommt Dannhauer auf das andere von ihm zurückgewiesene Extrem zu sprechen, sondern auch die völlige Anbindung an ihn ist zu fliehen. Aristoteles ist ein wahrhaft würdiger Meister; er regiert daher in einer freien Republik der Geister und nicht wie ein Tyrann über mundtote Sklaven. Sein Erbe in angstvoll epigonaler Eigensucht als intellektuelles Privatgut zu reklamieren und so den andern Logikern zu entreißen, wäre daher eine lediglich vermeintliche Verteidigung seiner Hinterlassenschaft, faktisch aber ein Beitrag zu deren nachhaltiger Herabminderung. Daher gilt es, dieses Erbe respektvoll, doch allein der Wahrheit verpflichtet, durch eine im Geiste des Gründers sich bewegende, aber eben darum selbstständig reflektierende Aneignung möglichst zu erweitern. In diesem Sinne, und um der für seine Leser nötigen Transparenz willen, setzt Dannhauer daher auch zu Beginn seines logischen Hauptwerks seinen Namen zur Familie derjenigen Philosophen hinzu, welche seit alters eclogi,13 Eklektiker, genannt werden. Trotz seiner unzweideutigen Ablehnung einer so völligen Emanzipation wie der durch La Ramée angestrebten erhält sich Dannhauer durchaus auch seinerseits die Freiheit, Aristoteles kritisch zu interpretieren, und das heißt für ihn, ihn teilweise kreativ weiterzuführen. Es ist, auch unter dieser Hinsicht, bezeichnend, dass er seine Logik als epitome, als Übersichtswerk zum aristotelischen Organon, nicht aber als commentarius, als streng textgebundene Auslegung dieses Werkes, konzipiert. Unter Berufung auf Theophrast und Boethius, die dem Organon modallogische Neuerungen und den

8 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, )3b. 9 Zu Hauenreuther s. unten Anm. 123, und unten 2.2.2., S. 79. 10 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, )5b: „immortale Academiae nostrae Lumen“. 11 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, )3b: „inter ipsos peripateticorum proselytos [. . .] ineptissimi“. 12 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, )3b: „adversariorum“. 13 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 4b.

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syllogismus hypotheticus hinzuzufügen „wagten“, nennt Dannhauer daher eine Liste von vier konkreten Punkten, in denen auch er das pomœrium des Aristoteles erweitert. Nebst eher didaktisch orientierten Punkten – einer verbesserten Begriffslehre,14 einer wohl nach Vorbild des Altdorfer Philosophen Michael Piccart (1574–1620)15 eingefügten Stammtafel der Praedikamentalien,16 sowie eine mit vergrößerter Präzision durchgeführten Darstellung möglicher formaler Mängel bei Syllogismen17 – fällt hier die innovative Ankündigung eines Lehrstückes de interpretatione zur Auslegung einer Textpassage ins Auge, das als streng logisches Instrument zur Unterscheidung von wahrem und falschem Interpretationssinn18 befähigen soll. Wie Dannhauer hier vorerst mehr andeutet als tatsächlich erklärt, wird es dazu in die analytischen Bücher eingefügt werden. Von letzteren spricht er hier in einer scheinbar nahezu codierten, für die Zeitgenossen aber wohl reizvoll indirekt luziden Sprache, nämlich unter Anspielung auf die bei Isidor von Sevilla zu findende und auch Piccart teure Preisung der Analytiken als eines Werks, zu dessen Abfassung der „Homer unter den Philosophen“19 die Feder in den Geist selber eingetaucht habe. Doch stellt Dannhauer dieser Liste der Erweiterungspunkte eine Aufzählung von zwei weiteren didaktischen Änderungen voran sowie eine solche mit noch einmal drei Neuerungen hintenan.20 Deren dritte ist die eigentlich wesentliche

14 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 4b: „1. perfectiori terminorum doctrinâ“. 15 Zu Piccart s. unten 2.2.3., S. 118. 16 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 5a: „2. tabularum sive arborum praedicamentalium“. 17 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 5a: „4. vitiorum consequentiae formalium concisione perfectiori“. 18 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 5a: „3. doctrina de interpretatione & discretione veri sensus a falso“. 19 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 5a: „3. doctrina de interpretatione & discretione veri sensus a falso, affectâ ab Aristotele, in illo libro, quem cum scriptavit philosophorum ille Homerus, calamum in mente tinxit [. . .]“. 20 Zunächst einmal reduziert Dannhauer den seiner Ansicht nach unnötig aufgeblähten Lehrstoff der Tradition, dessen Bewältigung mehr einer Gedächtnisleistung denn der Urteilskraft zu verdanken sei, so weit als möglich. Sodann schreibt er für den ausschließlichen Gebrauch an den oberen Fakultäten und gibt für deren Anwendungsbereich eine praxis logica, eine Art praktischer Gebrauchsanweisung ganz am Ende der Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 4b). Am Ende (5b) nennt Dannhauer als lehrunterstützende, sozusagen interkurrikulare Maßnahme „porrò graecos non rarò textus Aristotelis adduximus“, und dass er die „die Feinde unseres Glaubens“, besonders die Conimbrenser, einbezieht, rechtfertigt er mit dem uralten, schon bei Origenes und Augustin anzutreffenden Argument des Goldraubs der Israelitinnen, die den von Gott gegebenen Schatz der Weisheit ihrer rechtmäßigen Verwendung zuführen: „Interdum, sed rarò parcéque nostrae religionis hostium, Jesuitae unius alteriúsve in re logicâ testimonia, sic ut spolia Aegypti, iniquis scilicet possessoribus erepta, adduximus“.

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und bringt außerordentlich weit reichende Konsequenzen mit sich. Entgegen der klassischen, auf Alexander von Aphrodisias zurückgeführten Anordnung der Schriften des Organon stellt der Straßburger Philosoph sowohl Topik als auch Sophistische Widerlegungen der hier als Singularetantum begriffenen Analytik voran.21 Es ist kein Zufall, dass er mit eben dieser Neuerung die praefatio beschließt und so den Leser in sein eigentliches Werk entlässt, indem er ihm seine Position im hier geradezu schulbuchmäßig klar „tobenden Deutungsstreit um den Aufbau des Organon“22 mitteilt. An dieser nicht allein textorganisatorischen oder editorischen, sondern selbstredend zugleich materialphilosophisch sehr weitreichenden Modifikation hängt nicht allein die gesamte Anlage seiner Organonauslegung. Sie ist vielmehr selber die Anlage dieser Auslegung. Ihrer Begründung und Rechtfertigung widmet Dannhauer daher ein knappes Drittel seines ganzen Vorwortes.23 Nebst der Autorität des Aristoteles selbst führt er hierbei vor allem die beiden Organonkommentare, die Isagoge24 und die Synopsis organica25 Michael Piccarts ins Feld. Im Anschluss an Piccart,26 aber auch unter Wiederverwendung des §. 33 seiner eigenen Idea boni disputatoris27 nennt Dannhauer zuerst drei Argumente für die Umstellung des Topikbuches als des ersten der beiden vor die Analytikvorverlegten Schriften. Deren erstes ist aus der Welt der klassisch-antiken Athletik abgeleitet, nämlich der progymnasmata, jener athletischen Vorübungen, die dem eigentlichen Wettkampf definitionsgemäß voranzugehen haben.28 Diese Ordnung der Dinge, so pflichtet Dannhauer bei, dürfe keinesfalls auf den Kopf gestellt werden, auch und gerade in der Logik nicht, und zwar umso weniger, als Aristoteles selber die Topik (I,2) als progymnasma verfasst hat. Topisches Operieren soll dem Nachwuchslogiker nicht weniger, aber auch nicht mehr als eine vorläufige Argumentationstechnik verleihen, die bei Diskussionen mit Cajâ et Titiâ, mit Krethi und Plethi, mit jedermann und auf der Straße, ihren Nutzen erweisen. Piccart vergleicht dabei, wie Dannhauer betont, den Nutzen topischer Reflexion mit demjenigen der noctae atticae des Aulus Gellius und der Saturnalien des Makrobius, also sehr klassischen Werken zur 21 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 6a: „Denique Topicam & Sophisticos elenchos analyticae praemisimus, nixi rationibus praegnantibus, & auctoritate cùm ipsius Aristo- [)6b] telis, tùm in antiquitate versatissimi philosophi & philologi Piccarti in synops. organ. tuti.“ 22 Danneberg, Vom ‘grammaticus’ und ‘logicus’ über den ‘analyticus’ zum ‘hermeneuticus’, 283. 23 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 6a–7b. 24 Piccart, Michael: Isagoge in Lectionem Aristotelis, Nürnberg 1605 (vgl. Anh. 3.10). 25 Piccart, Michael: Organon Aristoteleum [etc.], Leipzig, 1613 (vgl. Anh. 3.11). 26 Piccart, Isagoge in Lectionem Aristotelis, cap. III, 6 f.; ders., Organon (Synopsis), 408 f. 27 Idea boni disputatoris, DWV 41; vgl. Anh. 2.1. 28 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 6b. Vgl. hierzu Piccart, Organon (Synopsis), S. 8.

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Zitatenfindung, gleichsam den Exempelbüchern des antiken wie dann auch des humanistischen Rhetors und Poeten, und unterstreicht so die nicht axiomatisch sichernde, sondern eben inventorisch propädeutische Funktion der Topik.29

29 Piccart, Organon (Synopsis), 131. Dass Topik und Analytik(en) zu trennende Bereiche der Logik, nicht unter eine Methode zu subsumierende Arbeitsschritte und darum auch voneinander separat zu behandelnde Schriften des Organon darstellen, ist als Argumentation keineswegs neu. Auch zu dieser Argumentation benutzte Begründung, nur die Analytik sei als eigentliche paideia zu verstehen, ist keineswegs neu, sondern findet sich, um nur ein Beispiel zu nehmen, etwa schon 1584 bei Claude Aubéry. Spezifisch an der Argumentation Dannhauers ist hingegen, dass die Unterscheidung zwischen eigentlicher und progymnastischer Logik nun zur Umstellung der Reihenfolge der Texte innerhalb des Organon verwendet wird, während Aubéry aus demselben Argument den exakt umgekehrten Schluss zieht; vgl. CLAV[DII] ALBERII TRIVNCVRIANI Organon. ID EST: INSTVUMENTVM DOCTRINARVM OMNIVM: IN DVAS PARTES DIVISVM. NEMPE, IN ANALYTICVM ERVDITIONIS MODVM, & DIALECTICAM: SIVE METHODVM DISPVTANDI IN VTRAMQVE PARTEM [. . .], Morges 1584, 1–6: „[I] EX COMMENTARIIS CLAVDII ALBERII TRIVNCVRIANI IN ORGANON ARISTOTELIS. Vtrum Analyticus eruditionis modus & Dialectica methodus generali doctrina comprehendi poßint. ITEMQVE. De legibus illis aureis: DE OMNI: PER SE: & KAΘ’ΟΛΟΥ, ad quas Aristoteles tractationes omnes accuratos dirigere solet. ORGANI ARISTOTELEI: hoc est, INSTRVMENTI DOCTRINARVM OMNIVM duae sunt partes seorsim tradendae, quippe quae definitione & doctrina communi contineri non possint: nempe Analyticus eruditionis modus, qui τρόπος παιδείας Graecis dicitur: & Dialectica methodus. Ac ille quidem praestantissimus ERVDITIONIS MODVS, quem qui tenent verè & perfectè eruditi possunt dici, est tanquam Cynosura illa parvula exquisitissima: Qua fidunt duce nocturna Phoenices in alto, vt ait Aratus: eoque directiùs gubernant quod eam tenent, Quae cursu interiore breui conuertitur orbe. DIALECTICAS VERÒ METHODVS est tanquam Elice, cuius clarissimas stellas totis noctibus cernimus: Quas nostri septem soliti vocitare triones. Quaeque magis stellis claris distincta refulget: Et latè prima confestim à nocte videtur.Quam etiam Achiui obseruant, cùm in mari nauigant. Ad Analyticum eruditionis modum sapientes & omnes illi quicunque accuratissimè docent & scribunt, cogitationes suas & tractationes dirigere solent. Neque enim nos semper opinatores esse, semper discentes, & nunquam ad veritatis cognitionem peruenientes: sed tandem aliquando scientiam consequi aeternam & immutabilem oportet: cuiusmodi esse doctrinam Christianam Paulus affirmat his verbis: Etiamsi nos, aut Angelus è coelo euangelizet vobis praeter id quod vobis euangelizauimus, anathema esto. Item, cùm dicit: Neminem posse ponere aliud fundamentum praeter id quod positum est: opus doctrinae verae mansurum opus, doctrinae extraneae exustum iri. AD METHODVM DIALECTICAM diriguntur disputationes in vtranque partem de quolibet problemate: nempe tractationes minus accuratae, quibus quid in quaque re verisimile sit disquirimus. Sic Aristoteles, vt est apud Ciceronem, in Thesi adolescentes non ad Philosophorum morem tenuiter disserendi, sed ad copiam Rhetorum in vtramque partem exercuit. Ex Analyticis praeceptis discimus Medium siue Argumentum proprium & uernaculum vniuscuiusque conclusionis ex

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Dieser rein progymnastischen Funktion der Topik entspricht überdies der Zweck der Sophistischen Widerlegungen insofern, als sie ebenfalls keine

Antecedentibus & Consequentibus intimis tum Subiecti primarij, tum etiam Atributi primarij constituendum esse, verbi gratia: in Demonstrationibus Theologicis, quas ἀποδείξεις πνεύματος, id est demonstrationes spirituales vocat Paulus cap. 2.1. ad Corinth. oportere Aurea cum Aureis, Spiritualia cùm Spiritualibus, nempe Theologica cum Theologicis coniungere: πνευματικὰ πνευματικοῖς συγκρίνειν. At per Elicem, & Clarißimos Septentriones, hoc est, per Dialecticam Methodum disputandi in vtramque partem, licet rationes latiore specie non ad tenue elimatas proferre. Media enim siue Argumenta Dialectica petuntur ex consequentibus & Notionibus Logicis: vt ex Relatis, Contrariis, Priuantibus & Contradicentibus: Ex Ortu, Ex Interitu & caeteris eiusmodi: vt in altera parte Instrumenti Doctrinarum Omnium, nempe in Topicis σὺν τῷ θεῷ dicemus. Denique ex Analyticis praeceptis contradictionis alteram partem duntaxat, nempe Veram tueri fas est (in Theologia enim verbi causa, ἀθεόλογος est ratio illa, qua contradictionis falsa pars tuenda suscipitur.) At ex Topicis & Dialecticis praeceptis, licet Pro & Contra vt vulgò loquuntur, id est, in vtramque partem disputare. Quae cùm ita sint perspicuum est: vnam speciem ita esse naturâ ab altera disiunctam, vt ambae doctrina generali nullo modo comprehendi possint. Et quoniam Analyticus eruditionis modus ita disclusus & disiunctus est à Dialectica Methodo, vt hae duae species generali doctrina nullo modo contineri queant, perspicuum est illos errare errorem non ferendum, qui Definitionem generalem proferre conantur. Errant igitur illi qui in Analyticis prioribus doctrinam generalem, quae aequè ad Analytica posteriora & ad Topica, quasi ad species ἀντιδιηρημένας spectet, tradi & exponi aiunt. Certè Analytica priora referuntur ad Analytica posteriora, non autem ad Topica, siue ad Dialecticam, vt ipse Aristoteles docet statim initio primi capitis prioris libri Priorum Analyticῶn his verbis, Πρῶτον εἰπεῖν περὶ τι καὶ τίνος ἡ σκέψις ἐστὶν· ὅτι περὶ ἀπόδειξιν, καὶ ἐπιστήμης ἀποδεικτικῆς, id est, Primùm dicendum est, in quo (Versetur) & cuiusnam (Rei) consideratio (& Tractatio) instituatur. Intelligendum est igitur versari in Demonstratione & de scientia demonstrandi tractationem institui. Haec Aristoteles. Nimirum aliud est Analyticè tractare problema quoddam: aliud Dialecticè. Et inuentio Analytica penitus differt & disclusa est ab inuentione Topica. Itemque iudicium Analyticum penitus differt à iudicio Dialectico. Theologus Analyticè vnam duntaxat partem contradictionis, tam Veram, quàm Falsam dialecticè & probabiliter tractandam & tuendam suscipiet, vt dictum est. Quare Analytica priora ad Topica siue ad Dialecticam nullo modo possunt referri. Atque vt planè dicam quidnam statuendum sit de Analyicis vtriusque: intelligendum est ex omnibus Analyticis ratiocinationibus praestantissimam esses Vniuersalem Analyticam ratiocinationem illam, in qua omnia reciprocantur, & per se dicuntur ac in Analyticis quidem prioribus Aristotelem agere de omnibus Analyticis ratiocinationibus tam vniuersalibus, quàm particularibus, tam affirmatis, quàm negatis: In Posterioribus autem Analyticis, de eximia illa ratiocinatione, quae est vniuersalis, in qua omnia sunt necessaria per se dicta & cuius partes omnes inter se reciprocantur: ac prius quidem de Affirmante eximia ratiocinatione, deinde de negante. Sic Aristoteles libro priore posteriorum Analytic. cap. 12. & 13. Ratiocinationes eiusmodi vniuersales affirmantes & negantes diiudicandas docet. Sic eodem libro cap. 20. eiusmodi ratiocinationes cum particularibus ratiocinationibus comparat. Sic lib. posteriore eorundem posteriorum Analuticῶn cap. 17. docet in perfectis demonstrationibus omnia reciprocari πρῶτον καὶ καθόλου λέγω, ὧ ἕκαστον μὲν ἀντιφέρει· ἅπαντα δὲ ἀντιστρέφει καὶ μὴ παρεκτείνει, id est, Voco illud primum vniuersale: cum quo singula quidem non reciprocantur: sed si cuncta sumantur, reciprocantur: neque latius patent. Hęc Aristoteles. Perspicuum est igitur eximiam illam & praestantißimam ratiocinationem, nempe De-

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vollendete Logik aufweisen. Eine Beweisführung mittels Widerlegung unzureichender Argumentationsgänge können sie nur unterstützen, nicht aber im

monstrationem, esse finem praecipuum Analyticorum praeceptorum. Analytica priora non posse referri ad Topica: quia Topica penitus discluduntur etiam ab Analyticis prioribus: ac proinde Analyticum eruditionis modum & Topica neque generalem definitionem, neque generalem doctrinam posse admittere. Sunt alij, qui non generalem vtriusque partis, sed particularem alterius partis, nempe Dialecticae definitionem & doctrinam asserunt, praetermissa potiore & praestantiore parte, ea videlicet, quam modum eruditionis Analyticum vocauimus. Sic enim definiunt, Dialectica est ars probabiliter disputandi de qualibet re proposita, quae definitio ad alteram duntaxat partem Instrumenti doctrinarum omnium, quadrare potest. In hac haeresi sunt plerique ferè omnes Dialectici. Dum stulti vitant vitia, in contraria currunt. Neque magis ferendus est error istorum quàm illorum. Nam si nullus est Analyticus eruditionis modus: & Methodus disputandi in vtramque partem duntaxat ponitur: semper opinatores erimus, & in omni scientia atque disciplina vtramque partem contradictionis libebit tractare & tueri probabiliter ex ipsa scientia. Sic verbi causâ, Theologus Theologicè efficiet: Omnes iustificatos ex fide habere pacem erga Deum: idemque Theologicè efficiet: Nullos iustificatos, aut non omnes iustificatos, habere pacem erga Deum quo quid absurdius fingi possit, non video. Perspicuum est igitur istos incurrere in eum errorem, quo vnum ΚΑΘΕΚΑΣΤΟΝ, id est, vna pars duntaxat, tanquam singularis & vnica ponitur: cùm duo ΚΑΘΕΚΑΣΤΑ, id est, duę partes sint ponendae, ita disclusę et separatae, vt generali doctrinae non subiiciantur, quemadmodum dictum est. Sed de isto errore paulò pòst dicemus. Porrò hoc loco quaerendum videtur, vtra pars alteram ordine antecedat? Philoponus & alij quidam Topica antecedere existimarunt, eo decepti quòd in Topicis Inuentionem, in Analyticis iudicium tradi & exponi crederent. At hic error paulò antè à nobis satis supérque refutatus est. Diximus enim Inuentionem Analyticam ab inuentione Topica & Dialectica: Iudicium Analyticum, à Dialectico iudicio ita differre: vt neque generali doctrina comprehendi possint: neque vna specie praetermissa altera tradi debeat. Sic in piore libro priorum analyticorum Artificium Syllogisticum, & inuentio Analytica omnium argumentorum siue Mediorum Analyticorum: In posteriore libro eorumdem piorum Analyt. Iudicium: hoc est, instrumenta diiudicandi ratiocinationes Analyticas, exponuntur. Sic in septem libris Topicorum Topica & Dialectica inuentio argumentorum omnium ad disputandum in vtramque partem. In octauo libro eorundem Topicorum τάξις dispositio & iudicium Dialecticum traduntur & exponuntur. Ergo ratio ista Philoponi & quorundam aliorum nulla est. Existit altera ratio ex eo petita, quòd ratiocinationes Topicae siue Dialecticae, quas etiam Logicas Aristoteles vocat, sint multò faciliores, quàm Analyticae, magisque expeditae. Sic Aristoteles solet priùs logicè exquirere quid in vnaquaque re sit verisimile: deinde Analyticè & accuratè quaestionem propositam pertractare. Sed potior est ratio dignitatis illius admirabilis, quam habet Analyticus eruditionis modus. Praeterea multa traduntur in Topicis, quae non satis distinctè intelliguntur, nisi Analyticum eruditionis modum perspectum habeamus. Quatuor illa capita summa, nempe, Accidens: Genus: Proprium: Definitio: ad quae problemata omnia à Dialecticis reuocantur, in Categoriis spectantur, vt docet Arist. lib. I. Topicorum cap. 7. μετὰ τοίνυν ταῦτα δεῖ διορίσασθαι, τὰ γένη τῶν κατηγοριῶν ἐν οἷς ὑπάρχουσιν αἱ ῥηθεῖσαι τέτραρες διαφοραὶ. ἀεὶ γὲ τὸ συμβεβηκὸς καὶ τὸ γένος, καὶ τὸ ἴδιον καὶ ὁρισμὸς ἐν μιᾷ τούτων τῶν κατηγοριῶν ἔσται: Id est, Post haec igitur oportet distinctè enumerare genera Categoriarum, in quibus commemoratae quatuor differentię insunt.

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eigentlichen Sinne tragen. Es wäre unzweckgemäß, allzu viel Mühe auf sie zu verwenden. Den zweiten Grund fasst Dannhauer in das ihm bereits zu dieser Zeit teure Bild des Weges, der dem Ziel stets voranzugehen habe, denn via sit prior metâ.30 Ziel logischer Beschäftigung kann, so setzt Dannhauer gut aristotelisch voraus, nur die analytische Beweisführung als solche sein. Sie ist die Sonne, die den Menschen leuchtet – sofern sie bereit sind, aus dem Dunkel ihres Erkenntnismangels herauszutreten und sich auf den Weg zu ihrem Licht zu begeben, wie Dannhauer in begeistertem Referat der Piccart’schen Variante des Höhlengleichnisses präzisiert.31 So wie die Physis eines Menschen,

Semper enim Accidens, & Genus, & Proprium, & Definitio in vna harum Categoriarum erit. Praeterea Media, siue Argumenta Topica & Dialectica constituuntur ex Consequentibus Logicis: vt ex Relatis Contrarijs: Priuantibus: & Contradicentibus, quae post Categorias exponuntur. Ad haec: quae in diiudicandis Analyticis ratiocinationibus ad opinionem accommodantur & referuntur: vt docet Aristoteles lib. 8. Topic. cap. 5 his verbis, τὸ δὲ ἐν ἀρχῇ καὶ τὰ ἐναντία πῶς αἰτεῖται ὁ ἐρωτὴς, κατ’ ἀλήθειαν μὲν ἐν τοῖς ἀναλυτικοῖς εἴρηται. κατὰ δόξαν καὶ νῦν λεκτέον: Id est, Quo pacto verò illud quod in disquisitione positum est, & contraria postulet is qui interrogat, in Analyticis verè & accuratè dictum est: hoc autem in loco accommodatè ad opionionem dicendum est. Praeterea, quo pacto Proprium Reciprocum, quod καθ’ ἁυτὸ Per Se dicitur sit demonstrandum de Subiecto, & quo pacto definitiones sint constituendae (πᾶσαι γ’ἐπιστῆμαι δι’ὁρισμοῦ γίνονται. Omnes scientiae per Definitionem habentur: inquit Aristoteles lib. altero poster. Analy. cap. 17.) in Analyticis Posterioribus accuratissimè docet Aristoteles. Quae omnia siquis perspecta habeat: multò faciliùs & rectiùs Methodum Dialecticam ab Analytico eruditionis modo distinguet. Denique ipse Aristoteles habita ratione huiusce admirabilis dignitatis, quam habet Analyticus eruditionis modus: partes instrumenti doctrinarum omnium sic ordinauit cap. 2. Elenchorum Sophisticorum his verbis. Περὶ μὲν οὖν τῶν διδασκαλικῶν καὶ ἀποδεικτικῶν ἐν τοῖς ἀναλυτικοῖς εἰρηται: περὶ δε τῶν διαλεκτικῶν καὶ πειραστικῶν ἐν τοῖς πρότερον: περὶ δὲ τῶν ἀγωνιστικῶν καὶ ἐριστικῶν νῦν λέγωμην. Id est, De ijs quidem, quae ad doctrinas tradendas, & ad demonstrandum comparata sunt, in Analyticis dictum est, de ijs verò quae ad disputandum in vtramque partem & ad examinandum valent, in superioribus (nempe in Topicis) dictum est. Iam de contentiosis dicamus. Haec Aristoteles. Ex quibus intelligimus in Instrumento doctrinarum omnium, Analyticum eruditionis modum, non autem Topica, iure priorem locum obtinere. Ac de his quidem satis dictum est.“ 30 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 6b-7a. 31 Piccart, Isagoge, cap. VI, 13 f.: „Est enim mens nostra ergastulo corporis tanquam squalido carceri inclusa, è quo emissa retunditur facultas visiva à jubare veritatis sic, ut recto eam oculo intueri non possit, unde sapientię magister Aristoteles Isagoge sive manuductione opus esse vidit, quae viam ad adita illa Philosophiae nobis praeiret, & tanquam Minvera Diomedi, (ut ex Homero loquitur Plato Alcib. 2. extr.) caliginem ab oculis abstergeret & adhiberet postea quę ad cognoscendum veritatem faciant, Hanc Isagagen Arist. alicubi τρόπον ἐπιστήμης id est, modum versandi in scientiis item παιδείαν appellat, recentiores alii quidem organon, alii χείρα φιλοσοφίας, alii aliter, omnes tamen uno consilio, de quo monuimus.“

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der lange in einem schmutzigen Kerker wesen musste, das Sonnenlicht nicht sogleich erträgt, sondern erst allmählich nach Zwischenaufenthalt in immer noch dunklen Räumen an die Helle geführt werden kann, ist auch der Geist, der in dem Sklavenhaus unseres Körpers wohnt, nicht unmittelbar dem Strahlen der analytischen Tätigkeit auszusetzen, sondern muss erst in der Dialektik geübt und zum Zweifeln fähig gemacht werden. Ist es aber nicht unmethodisch, so wendet Dannhauer unter rhetorischer Androhung der durch den amethodos-Begriff und den damit implizierten Vorwurf mangelnder Methodizität gegebenen „Höchststrafe“ zeitgemäßer Wissenschaftsdiskurse gegen sich selber ein, von der Materie der Logik vor ihrer Form zu handeln? Keineswegs, versichert er sich selber, denn die Form wird aus der logica naturalis, der natürlichen, vorwissenschaftlichen Logik eingebracht und vorausgesetzt. Der Dialektiker ist daher nicht zwingend an die syllogistische Form gebunden, er kann durchaus auch fragend oder aber enthymematisch vorgehen. Der dritte angeführte Grund ist philologischer Natur und stützt sich auf eine seit Simplikios bekannte, gegen Ende des 16. Jahrhunderts auch unter lutherischen Theologen wieder bekannte redaktionsgeschichtliche These.32 Auch aristotelische Bücher haben ihr geschichtliches fatum, und zwar – so lautet die These – jedes sein eigenes. In dieser Sicht ist es nicht allein unsicher, dass ihre heutige Reihenfolge mit der von Aristoteles selber intendierten übereinstimmt; eine redaktionsgeschichtlich kritische Sicht, die ja auch dem heutigen Forschungsstand entspricht. Dannhauer ist darüber hinaus der Überzeugung, dass der später gleichsam als kanonisch aufgefassten Anordnung des Organon eine klar definierte ursprüngliche Anordnung voranging, die es nun formal zu rekonstruieren und inhaltlich zu beachten gelte. Beinahe amüsant wirkt dabei, dass der Logikprofessor Dannhauer selbst die Zitation des dictum probans in syllogistische Form kleidet. Jedes zitierte Buch ist früher als das zitierende, das Topikbuch aber wird von der zweiten der analytischen Schriften zitiert,33 folglich entstand die Topik früher als die sie zitierende Analytikensammlung und muss ihr vorangestellt werden. Dass zusätzlich auch die sophistischen Widerlegungen den Analytiken voranzustellen sind, beweist Dannhauer mit beinahe gänzlich analog strukturierter Argumentation ebenfalls dreifach:

32 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 7a-7b. Dannhauer greift hierbei besonders zurück auf: Dannhauer, Idea boni disputatoris, DWV 41, §. 33; Piccart, Isagoge, S. 68 f. (3. Arg.); ders., Synopsis, S. 409 (vgl. speziell hierzu unten Anm. 37). 33 An. Prior. 2,19: ὡσπερ ἐν τοῖς τοπικοῖς εἴρηται.

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1. è naturâ δυνάμεως, aus der Natur ihres spezifischen logischen Vermögens.34 In implizitem Anschluss an einen Passus aus dem Vorwort des Kommentars zum ersten Topikbuch des Alexander von Aphrodisias, der von Jacopo Zabarella und im Anschluss an ihn von weiteren Autoren, nebst Piccart etwa auch schon vom ersten Straßburger Organicus Hauenreuther, aufgegriffen wurde,35 gilt nach Dannhauer für die Elenchi sophistici die Devise facultas est contrariorum. Die eigentliche Leistung der progymnastischen Logik ist die Anleitung zur fachgerechten Diskussion von Gegensätzen, also einander dialektisch widersprechender Aussagen und Meinungen; eben diese facultas aber ist der Topik und den Sophistischen Widerlegungen gemeinsam. Was sie unterscheidet, ist nicht die faktische Leistungsfähigkeit, denn una scientia est veri & falsi, sondern ihre jeweilige Zweckabsicht und deren moralischer Motivationshintergrund. Wieso sollte daher nun auf der Ebene der Lehrdarstellung auseinander gezerrt werden, was von seiner inneren Natur und seiner Anlage her Gemeinschaft genießt? Dannhauer argumentiert weiter, è 2. citatione promiscuâ;36 nämlich als analoge Weiterführung des entsprechenden Arguments zu den Topica und deren Erwähnung in An. Post. 2,19. Dort wird auch zitiert, was in Elench. Sophist. I, 4 und 2, 5 behandelt wird. Fuit igitur Aristoteli liber Topicus & Sophisticus, unum ac indivulsum opus. Schließlich folgert er 3. è consuetudine philosophi.37 Aristoteles pflegt, wie die Anhänger der Simplikios-These ebenfalls allesamt zu unterstreichen wissen, die Kohärenz eines neuen Werkes durch einen Pro- und einen Epilog anzuzeigen, die aufeinander Bezug nehmen. Was der Philosoph aber in Top. 1 ankündigt, beschließt er epilogisch nicht bereits in Top. 8, sondern erst am Ende der Elenchoi. Dannhauer nimmt dies wiederum als Bestätigung dessen,

34 In der Piccartschen Isagoge erscheint dieses Argument S. 65 als „I.“ Punkt; in der Synopsis figuriert es S. 408 als das „1.“ des Kommentarteils IN SOPHISTICOS ELENCHOS. Dannhauer schreibt irrtümlich dieselbe Seitenzahl 408 auch seinem Zitat aus der Synopsis zum Kerkeroder Höhlengleichnis zu; zur korrekten Angabe vgl. oben Anm. 31. 35 Hauenreuther/Fabinus, ΣΥΖΗΤΗΣΙΣ, Straßburg 1599 (vgl. unten S. 445), 23: „Cum autem non magis uno ex his vocabulis, quàm altero nobis vti licere, constet: τῆς ὁμωνομίας vitandae causa, optimè cum reliquis Aristotelis Interpp. Zabarella eorum proprietatem notasse videtur: vt DIALECTICA veluti PARS seu SPECIES Logicae, solam disputatricem facultatem significet: LOGICA verò tanquam TOTVM & GENVS, totam disciplinam denotet: quae ratione commodè vti, recteque rationari doceat, Zabar. l. I. de natura Logicae. c. 8.“ 36 In Piccarts Isagoge ist dies S. 68 das „III.“ Argument, in der Synopsis S. 409 das „3.” Argument. 37 Die Isagoge bringt diesen Punkt S. 68 f. als 4. Argument unter „deinde“, die Synopsis S. 409 ebenfalls unter einem abschließenden „deinde“ als 4. Argument.

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dass unum, perpetuum & cohaerens opus esse quod è topicis & elenchis collectum est. Mit dieser fulminanten Versicherung gibt Dannhauer den Ton seines gesamten Buchs, ja letztlich seines gesamten wissenschaftstheoretischen Ansatzes. Dannhauer trennt sich hier zumindest der Absicht nach so vollständig wie möglich nicht nur von Ramus, sondern darüber hinaus auch von den zumindest teilweise topisch angelegten Dialektiken von Rudolf Agricola (1444–1485), Philipp Melanchthon und Johannes Sturm (1507–1589). Die Konsequenzen seiner Entscheidung, Topik und Sophistische Widerlegungen als ein einziges literarisches Werk aufzufassen und wie die Kategorien von den Analytiken vollständig zu separieren, sind daher für das gesamte Schaffen Dannhauers, sowohl in seinen theoretisch-philosophischen und angewandt-dialektischen Veröffentlichungen als auch in den wissenschaftlich-theologischen und kirchlich-praktischen Schriften, von entscheidender Bedeutung. Selbstverständlich bestimmen diese Weichenstellungen auch schon seine Organoninterpretation nachhaltig und in vielfältiger Weise. Das gilt zuerst einmal für das Verständnis und den Begriff der Logik als solcher, dessen Neubildung wie bei seinen Vorgängern in Straßburg, Altdorf und etlichen anderen protestantischen Hochschulen im Zentrum steht. Es kommt dabei nicht von ungefähr, dass bei den zwei Dreierketten an Argumenten für die Existenz eines aus Topik und sophistischen Elenchoi zusammenhängenden Werkes, das den Analytiken voranzustellen sei, beide Male die material-philosophischen Gründe den formal-philologischen vorangehen. Es entspricht vielmehr ziemlich passgenau der Dannhauer bereits zur Verfügung stehenden Tradition. Denn auch wenn insgesamt die altaristotelische Schule auch in ihrem systematischen Flügel Wert auf quellennahe Auslegung legte, die antiken Kommentatoren den späteren bei weitem bevorzugte und selbstverständlich auf urtextlicher Lektüre insistierte, steht hier doch die Philologie letztlich im Dienste der Systematik. Sie hilft ihrerseits, die Überzeugung zu untermauern, nach welcher der Logikbegriff gänzlich apodiktisch zu fassen sei. Die in den bisherigen Darstellungen noch weithin anzutreffende Unterteilung des Syllogismus in apodicticus, probabilis und falsus im Sinne einer graduellen, der klassischen Reihenfolge der Organonschriften mit Analytiken, Topik und sophistischen Widerlegungen folgenden Stufung, wird verabschiedet zugunsten einer klar bipolaren und eindeutig statusgetrennten Aufteilung in analytische, also syllogistische, und dialektische, also de facto vor-syllogistische Logik. Dass alles vor den Analytiken nur noch progymnaσία, reine Vorübung, darstellt, sagt deutlich genug bereits die praefatio der Epitome, was im Rest des Werkes nicht nur strukturell bestätigt, sondern auch begrifflich noch verschärft wird. Während die beiden eigentlichen oder Hauptteile der Epitome nämlich den beiden Analytiken – die

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erste als pars communis, die andere als pars propria – zugeordnet werden, figurieren die vorgeschalteten Schriften allesamt als reine praecognita logica. Durch eine vermutlich ungewollte, dennoch aufschlussreiche typographische Fehlleistung im Inhaltsverzeichnis wird diese segregative Darstellung sogar noch dahingehend zugespitzt, dass dort alle acht vor den beiden Hauptteilen erscheinenden Kapitel dem prooemium subsumiert werden, also zumindest auf der Ebene der graphischen Übersicht nur mehr rein proömialen Charakter genießen.38 Im Prooemium selbst findet der Begriff der Logik denn auch keinerlei Herleitung mehr von διαλέγεσθαι, also von einem topischen orientierten Verständnis der logischen Wissenschaft her. Zwar schließt Dannhauer die klassische Bestimmung noch in seine Definition ein, wonach Logica seu Dialectica est habitus instrumentalis, discretivus orationis verae à falsâ.39 Seine vorerst semantisch verfahrende Kommentierung dieser These legt dar, dass ein weiter und ein enger Begriff sowohl von ‚Logik’ als auch von ‚Dialektik’ sich gleichermaßen aus Aristoteles ableiten läßt, wobei sich freilich ein weiter, das gesamte Gebiet wissenschaftlichen Argumentierens umfassender Begriff von Logik und ein enges, lediglich die probabilistischtopische Argumentationspraxis beinhaltendes Dialektikverständnis allgemein eingebürgert habe. Umso bemerkenswerter – und in der Tat von einem geschärften Auge bereits bemerkt –40 ist die Tatsache, dass Dannhauer offensichtlich entgegen dieser Konvention seiner Epitome den Titel einer ‚Dialektik’ geben wollte. Da diese augenscheinliche Inkonsequenz ihm selber kaum entgangen sein kann, dürfte ihr naheliegendster Grund im Verwendungszweck der Schrift liegen, der in erster Linie die erfolgreiche Durchführung formgerechter mündlich-universitärer Disputationen wie auch schriftlicher, vornehmlich theologisch-konfessioneller Debatten avisierte. Damit dieser praktische Zweck für den Leser der Epitome, die ja letztlich eine Reihe praktischer Methodenmanuale aus den Vorjahren resümiert, sogleich ins Auge stäche, wurde die in ihr ansonsten eigentlich deutlich devaluierte Dialektik zum Titel erhoben. Die weitere Kommentierung der Definition beschreibt, in allgemein zeitüblicher Weise abschnittweise ihrem bereits zitierten Wortlaut folgend, den Übergang vom inneren Ursprungsprinzip der Logik zu ihrem äußeren Resultat als prozessualen Zusammenhang von innerem λόγος und externer Ausdrucksform desselben in einer oratio (oder, wie Dannhauer im Text selber formuieren wird, enunciatio). Dannhauer erklärt zuerst ausführlich die Herkunft der ‚Logik’ von

38 Epitome dialectica, DWV 78, praefatio, 7a–7b. 39 Epitome dialectica, DWV 78, 1. 40 Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie, 201.

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‚Logos’. Während der Logos den Theologen den Gottessohn, den Mathematikern die Rechenoperation und den Geographen die „Logistik“ der Geometrie, den Komikern und vor allem Terenz die Frivolität des Ausdrucks bedeutet, steht er bei Aristoteles für die Aussage als solche.41 Logik verdankt sich, wie Dannhauer später bekräftigen wird, dem λόγος ἀποφαντικὸς, der positiven, eindeutigen Aussage. Während Aristoteles nun darunter zwar sowohl den Logos externus als auch den Logos internus versteht, ist letzterer als im eigentlicheren Sinne für die Logik angemessen zu beurteilen, wobei implizite Anklänge an analoge Gedankengänge beim Trinitätstheologen Augustin wohl mehr als eine nur zufällige Koinzidenz bedeuten. Das Bezeichnete ist durchaus ohne Zeichen anzunehmen, nicht aber das Umgekehrte.42 Da die Herstellung solcher Aussagen Voraussetzung aller artes ist, kann das Wissen zu ihrer Herstellung nicht seinerseits eine der artes noch einen der diesen entsprechenden habitus darstellen; es handelt sich vielmehr um ein Instrument sui generis.43 Dieses aber dient einzig und allein dem ausschließlichen Zweck der Unterscheidung von wahr und falsch. Auffindung der Wahrheit ist das exklusive Ziel der Logik. Ihr dient sie freilich weder durch theoretische Erforschung der Wahrheit als eines metaphysischen Studienobjekts in fori signato noch mittels Produktion objektartiger Resultate durch die konkrete Ausübung einer Kunstlehre, sondern allein aufgrund direktiver Leitungsfunktion. Logik ist eine richtungsanzeigende Diskursanleitung. Ihr Orientierungsdienst, dank dem der Mensch die Wahrheit finden kann, ist als eigentliches Merkmal, als allgemeiner Prüfstein der Logik zu sehen. Eben dieser Orientierungsdienst ist es, der sie so wichtig, ja unentbehrlich macht, weil er dank seiner wissenschaftlichen Akribie existentielle Dimensionen aufweist. Die Bilder, die der Rhetorikprofessor Dannhauer zur Erklärung dieses zentral wichtigen Sachverhalts beizieht, sind nicht nur als Spiegel seiner didaktisch-rhetorischen Fähigkeiten zur fachgerechten ampliatio zwecks Affektenerweckung beim Publikum ansprechend. Man kann sich zwar gut ausmalen, wie seine noch immer sehr jungen Studenten bei der Lektüre oder im Kolleg ins Schmunzeln kamen, als ihr Dozent die strikt als solche 41 Epitome dialectica, DWV 78, 2, erwähnt hierbei als herausragendes, maximé illustratives Beispiel die Terenzkomödie Phormio, was für seine Kenntnis des Phasma-Begriffs Rückschlüsse zulässt. 42 Epitome dialectica, DWV 78, 2. 43 Explizit findet sich die zugrunde liegende Unterscheidung etwa bei Duodo, Andrea: De habitibus intellectus libri sex, Venetiis, apud Dominicum Nicolinum, 1577, 6: „Habitus [. . .] vel [. . .] sunt instrumentarii, qualis prasertim est Grammatica, & Logica, qui pro acquirendis potioribus habitibus nobis adminiculantur; Vel sunt habitus principes, qui ad Principem aliquem finem ex se optandum proximè ducunt, qualis est Scientia, Sapientia, Prudentia, Ars et Intelligentia [ . . . .“

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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zu respektierende Instrumentalität der Logik durch die Vorstellung illustrierte, dass jemand ansonsten auch eine Schildkröte als Musikinstrument empfehlen könnte, weil sie leicht zu tragen sei, also die Eigenschaften des Tieres mit einer Zweckhaftigkeit oder Finalität verwechselte.44 Noch wichtiger freilich ist, dass er hier Ariadnefaden und Probierstein als zwei antike Bilder für die Effizienz der Logik parallelisiert und ihnen außerdem dasjenige des Weges und der Unterscheidung von wahrem und falschem Weg45 bereits beigesellt.46 Er kombiniert damit eine im jungen Protestantismus traditionell der Theologie im engeren Sinne verbundenen Metapher mit einem in der frühen Neuzeit ebenso traditionell der Logik entspringenden Bild, und vereint sie in der in den beiden Traditionen gleichermaßen gebräuchlichen Metapher des Weges. Auf der einen Seite nämlich begegnet der Probierstein, der lydius47 lapis, im Zusammenhang mit Bekenntnisschriften, der Konkordienformel und zunehmend auch mit Luthers48 Katechismen;

44 Epitome dialectica, DWV 78, 2 f. „Vt enim instrumentis omnibus à fine & usu precium imponimus (cum ridendum se præbeat, qui testudinis præstantiam commendaturus eam organo musico alii præferret, quia illa sit εὐβάστακτος facilis portatu: sic namque onera non instrumenta laudantur.) Ita etiam ab eodem naturam cujusvis instrumenti venari oportet.“ Die Bildhaftigkeit, mit der abstrakte logische Sachverhalte den Studierenden nahegebracht werden, unterhalten oft noch heute. So greift etwa Schegk zu einer auch den protestantischen Jünglingen sofort plausiblen religionssoziologischen Vergleichsgröße, in seinem Kommentar zu den Zweiten Analytiken von 1665, 51: „Ita sunt duplices asyllogisti, regulares et irregulares, wie die Barfuser münch: id est, reformabiles et irreformabiles“; zit. nach Sigwart, Ein Collegium Logicum im XVI. Jahrhunder, 17. 45 Epitome dialectica, DWV 78, 3: „Veritatem igitur Logica pro scopo habet, non in actu signato, id enim fori est metaphysici: non exercito, quod omnium scientiarum est: sed ut loquuntur, directivo, ad eum modum, quo filum Ariadnæum Theseo, aut hodie statua mercurialis viatori Index est discretivus veræ viæ à falsâ & captiosâ. Hic finis lydius lapis est, ad quem logicæ aliorum examinari debent.“ 46 Eine ansprechende zeitgenössische, sowohl den biblisch-religiösen wie auch den logisch-philosophischen Aspekt darstellende Beschreibung der Wegemetapher stammt von Dannhauer selber, der zu Beginn der Hodosophie die Wahl des titelgebenden Bildes begründet. Wir verweisen daher hier einfach auf unsere Besprechung dieses Passus unten 4.1.1., S. 191–194. 47 Laut D’Holbach ist dieser sagenhafte Stein so benannt, weil die Antike als Fundort der interessierenden geologischen Formation den Tmolusfluss in Lydien identifizierte, vgl. D’Holbach, Paul Henri Thiry: Art. „Lydius Lapis“. 48 Vgl. im Rahmen der in dieser Studie genannten Quellen Decimator, Heinrich: Catechismi Predigten, Mühlhausen 1594, Förster, Johannes: Catechismus-Schul, 1609; Dannhauer, Conrad: Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 1634, Dritte Eingangspredigt; Schubart, Andreas Christoph: Geistliche Catechismus-Lust, 1670, 14. Predigt, s. unten S. 536.

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auf der andern Seite entstammt das Bild vom Ariadnefaden49 für den irrenden Theseus einer breiten logikgeschichtlichen Linie, die von Melanchthon über Ludwig Hawenreuther und Rudolf Goclenius (1547–1628)50 bis mindestens zu

49 Epitome dialectica, DWV 78, 2 f. 50 Goclenius verfasste 1590 als Einleitung zu seinem Organonkommentar ein Encomium Logicae cum προτροπῇ ad doctrinae liberalis studiosos, ein eigentliches Preisgedicht auf die Fähigkeiten der Dialektik. In einem ganzen Reigen entsprechender Konstellationen aus der antiken Mythologie, der mit dem Motiv des Ariadnefadens anhebt, wird die Logik als eine der artes hypostasiert, mit ihren „Schwestern“ in einen poetischen Wettstreit gestellt und schließlich zur bedeutendsten und fähigsten unter ihnen erklärt. RODOLPHI GOCLENII // ENCOMIUM LOGICAE CUM ΠΡΟ- // τροπῇ ad doctrinae liberalis studiosos, in: ders.: Aristotelis Organon: // Hoc est, // Logica, // AD VTILES PRAECE- // PTIONES CONTRACTA, CUM SYL- // loge quadam necessarium annotationum, // & bonorum ac illustrium exem- // plorum. // Opera & studio // RODOLPHI GOCLENII CORBA- // CHIENSIS, IN ACADEMIA MAR- // purg. Professoris. // MARPURGI CATTORUM, // Apud Paulum Egenolphum, Typographum Acad. // M.D.LXXXX. // Cum Gratia & Privilegio speciali [G 2329], 6–8: ECquo te ore canam Thesea Ariadna: puella, Cui solers ratio est & rarum mentis acumen, Vox arguta, (potis scitè res edere claras, Et caecis latitans in apertum ferre sub antris) Ingenuamque decens facies, & nescia fuci, O veri interpres, niveum cor, pectus apertum? Te privata domus, te publica poscit opem res: Te schola cum nostris, te pulpita sacra requirunt. Tu pestis falso, tu mors es certa Sophistae. Ille stropharum opifex labyrinthi Daedalus alter, Praestigias oculis animisque offundere tentat. Inque novos vertit quae sunt benè dicta cothurnos. Hîc nata una Jovis, veri Dialectica vindex, Destruis & quicquid fabricae est & daedala tecta. Tu Sophiae clypeus, tu frenum Pallados aureûm, Quod fas inijcere ingenijs petulantibus, extra Meta ferri ausis, justisque excedere septis: Tu latè palantia, clausa brevi orbe, coerces: Atque vaga in gyrum rationis sensa reducis. Tu manus es Sophiae: sine te Sapientia manca, Indecor ars omnis, famulans si illi organon absis, Ut decus omne perit cubito, cum dextra revulsa est. Dicere tu merito divinae particula aurae. Sicut enim informes animat mens corporis artus: Sic methodo informas expertes ordinis artes. Unica tu certum profitendi gnomona monstras

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

Doctrinas: penes est te vis & norma docendi. Tu sine quid Doctor? malè consuit instar inepti Sutoris funésve è tenui nectit arena. Hoc est, quod memini veteri te dicere rhythmo: Frustrà Doctores sine me docuere Sorores. Sed quid ego his Divam compello vocibus? Ad te Quin potiùs delecta cohors, studiose juventus, Ora mea & vultus converto & luminis orbes, Atque tuos animos hortatibus impleo & aures, Ut Logicam discas teneasque fideliter artem. Ut benè percipias artes, Dialectica disce. Incertus dubiusque viae, quae ducit ad artes, Vel luce in media palpas, ni duxque comesque Ista lucerna tibi fuerit, nihil ordine discis, Discis rerum inopes tricas, nugasque canoras: Si logicam nescis, effosso es lumine Cyclops. Fallor? an haec flamma est, hic ignis, ab aethere celso Quem satus Japeto, Diva auxilante Minvera, Intulit in terras subductum lampade Solis? Ut benè doctrinam tradas, Dialectica disce. Ignari Logiges nunc, quae indivulsa cohaerent, Divellunt: nunc, quae malè divulsere, in unum Conglomerant chaos, & passim coelo infera miscent: Aut res confundunt, malus ut Popa jura culinae. Aspice panniculos canis ut laceretque trahatque Deliciaevé aularum simia: Non secùs expers Notitiae Logicae discerpit cuncta: malè instar Frangit membra coci: quin & crudelius idem, Quàm Bacchae laniant Orpheî miserabile corpus. Ut benè declamare queas, Dialectica disce. His veluti remis impulsa oratio fertur: Rhetorica ut pandit laxissima vela loquelae. Quale rudens pecus Arcadiae ac citharamque lyramque Tale rude est pectus logices ad nobile plectrum Linguae, de magnis si discere exigat usus. Solvere vis dextrè Thebanae aenigmata Sphingis, AEmulus Oedipodis ? vis solvere Gordia lora ? Discutere errorem nubem ? Dialectica disce. Scilicet ut sancto est Hieronymus ore locutus, Quicquid in hoc seclo perversi dogmatis usquam est: Quicquid in humana Sophia benè forte putatur: Hoc totum logico subvertitur ariete, & instar Incendiî in cineres dissolvitur atque favillas, Ut nihilum fiat quod inexpugnabile visum est.

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Descartes (1596–1650)51 reicht und auch in Dannhauers eigenem Schrifttum, nämlich wiederum der Idea boni disputatoris von 1629,52 bereits anzutreffen war. Doch auch diesem Bild des rettenden Fadens eignet in seiner Verbindung von elementarer Existentialität (der durch es dargestellen Erfahrung) bei gleichzeitigem Anspruch eminenter Exzentrizität (im göttlichen Ursprung des Fadens) letztlich natürlich theologische Qualität, weshalb es auch in Predigten erscheint.53 Dennoch wird vor allem die theologische Affinität der logischen Wahrheitsfreisetzung durch die Verknüpfung beider sie hier erklärender Bilder, ob nun bewusst intendiert oder nicht, durchaus einer Vertiefung zugeführt. Die anschließend erneut artikulierte Ablehnung der alternativen Konzepte von Lullismus und Ramismus wird denn auch dadurch begründet, dass diese Logikauffassungen bei Ramus den Weg zur Lüge mit jenem zur Wahrheitserkenntnis gleichsetzten sowie bei Lull schlicht und einfach wenig zur direkten Wahrheitserkenntnis beitrügen. Auch die letzte Etappe der Kommentierung der Dannhauerschen Basisdefinition zur Logik, die sich der Erläuterung der oratio widmet, ist diesem alles dominierenden Ziel der Wahrheitsfindung zugeordnet. Wie schon bei der Bestimmung des habitualen Charakters der Logik schließt sich der Straßburger auch hier zwar eigentlich eng an Zabarella und an seine ihm verbundenen Vorgänger in den gymnasia illustria Nürnbergs und Straßburgs an. Er beschränkt das Bearbeitungsfeld der Logik streng auf die secundae und tertiae notiones, in denen die Rede als enunciatum, als sprachlich realisierte Aussage, oder aber als rein gedankliche ratiocinatio erscheint, schließt die primae notiones hingegen, die res als solche, von denen die Rede handelt, strikte davon aus. Wie der Paduaner bedient Dannhauer sich dazu des von Alexander von Aphrodisias stammenden Bildes des Goldschmieds, für welchen Gold als solches zwar den Rohstoff, die zu schmiedenden Kunstgegenstände aber den eigentlichen

Fas mihi sit laudem Logicae uno discere versu. Non alia hac veri studio flagrantior ars est. Quid verò in toto, Vero est antiquius, orbe? Verum mentis opes: animi perfectio Verum. Ille Deo carus, qui Veri flagrat amore, Proximus ille Deo, qui Veri invasit in arcem. Vivet, vigebit, vincet una veritas. 51 Nachweis bei Schulthess, Die philosophische Reflexion auf die Methode, 75. 52 Idea boni disputatoris, DWV 41, 5. 53 Schubart, Andreas Christoph: Geistliche Catechismus-Lust, 1670, 591: Die funffzehende Catechismus=Predigt // Und // Uber das fünffte Gebot // Die andere // Von // Dem gefährlichen Labyrinth // der Welt, s. unten S. 554.

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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Gegenstand seiner Arbeit darstellen. Griff Zabarella jedoch den Unterschied zwischen aktueller Materialität und potentieller Finalität der einer Kunstbearbeitung unterzogenen Materialien vornehmlich, ja fast ausschließlich, im Interesse seiner Differenzierung zwischen ars und habitus instrumentalis, zwischen Wissen und Handeln auf,54 tut Dannhauer dies im Dienste der Unterscheidung von wahr und falsch: Prima mentis operatio in objectum logicae ideò non cadit, quia ille tantum actus logicâ directione opus habet, qui potest aberrare à veritate.55 Mit der im zeitgenössischen Methodendiskurs nicht ungeläufigen und auch von ihm selber 1629 bereits benutzten Metapher einer statua Mercurialis56 unterstreicht Dannhauer noch zusätzlich diese auf die Wahrheitfindung festgelegte Sichtweise: Ebenso wie eine Wegmarke nicht die Erde anzeigen soll, auf der sie steht, sondern den Weg, der zu ihr hinführt, befasst Logik sich nicht mit den res, sondern nur mit den Begriffen zweiter und dritter Ebene. Während diese den Dingen und damit der Wahrheit res konform gedacht werden müssen, brauchen jene ja nicht selber auf die Wahrheit ausgerichtet zu werden.

54 De Natura logicae, I, XV, Opera logicae, 38 f. 55 Epitome dialectica, DWV 78, 4. 56 Der Ausdruck findet sich etwa in Wolfang Capitos Brief an Hartmann von Hallwyl vom Januar 1518, der zugleich das Vorwort seiner Hebraicae institutiones bildet: „Sim tibi statua Mercurialis, viam signifiacatam animose capescas“; zit. nach https://www.itergate way.org/capito/letters/1507–1518/Letter_011.pdf. Vgl. auch die umfassende rechtsgeschichtliche Erläuterung durch Hans Erich von Troje: Konrad Lagus (um 1500–1546) und die europäische Rechtswissenschaft; Vortrag Univ. Wittenberg v. 22. 11. 2001 (https:// www.jura.uni-frankfurt.de/42866850/Lagus#Vortrag), über die Traditio methodica utriusque juris, „die zwischen 1543 und 1592 in Frankfurt und Basel, Paris, Lyon und Löwen mindestens 10mal erschienen ist“: „Ein anderes anschauliches Bild ist das von der statua mercurialis als einem Leitbild zur Orientierung beim Studium schwieriger juristischer Probleme, ein Leitbild, das auch erlaubt und ermöglicht, bei Beschäftigung mit zweifelhaften Rechtsfällen in Gedanken zwischen den Begriffen und Begriffsgattungen hin-und-her zu pendeln, um so schließlich die rechte Lösung des Einzelfalles zu finden (24).“ Aufschlussreich sind hier Werktitel wie derjenige des Christian Henel: Statua Mercurialis, Viam Rectam, Brevem Et Planam, Ad Augusta Sacrae Themidia Adyta Demonstrans, Sive Discursus, Quomodo mox a primis pueritate annis futurus ICtus variarum Linguarum, Scientiarum & Artium Doctrina recte instituendis sit, quidq[ue] ille ad necessarium sibi usum bona methodo, & ex accurate doctis Auctoribus, si magno illo ICti nomine dignus evadere velit, debeat addiscere, Cölln an der Spree, Christian Henel, 1661. Ähnliche Werke mit methodologischer und bibliographischer Zielsetzung existieren für die Naturwissenschaften, die Metaphysik, die Theologie.

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

2.1.2 Protheorie als Vorübung Der Behandlung der protheoretischen Elemente als solcher scheint Dannhauer sich ohne sonderliche Begeisterung zugewandt zu haben. So nennt er im ersten Kapitel vorab drei sehr formal wirkende Gründe, wieso auch terminorum doctrina nicht zu vernachlässigen sei, nämlich die Erfordernisse der Methode, die Notwendigkeit, Sophisten zu widerlegen, sowie die Autorität des Porphyrius und des Aristoteles selber. Damit ist eine Stimmung gegeben, die mehr oder minder auch die restlichen capita dieser Einleitung durchzieht. Laut Dannhauers eigener Auskunft dürfte die eigentliche Begriffs- wie auch die Kategorienlehre gegenüber der Tradition kaum Neuerungen aufweisen.57 Auch der daran sich anschließende Einschub de praedicationibus erfolgt zwar ebenfalls durchaus in den Sielen mittelalterlicher Organonorganisation, ist aber immerhin unter dem Aspekt bemerkenswert, dass mögliche Anknüpfungen an den sprachphilosophischen Teil der aristotelischen Hermeneutik unterbleiben. Reflexionen über die in metaphysischer Hinsicht zu konstatierende Wahrheitsneutralität rein mentaler Aussagen, wie sie etwa schon Buridan an eben diesem Ort der Prädikationentheorie durchaus prägnant und gewissermaßen in materialer Nähe zur Dannhauerschen Hermeneutik präsentiert,58 sind auch für den Straßburger Lutheraner selber von zentraler Bedeutung – aber eben erst im analytischen Teil seines Werks zur Logik. Die konkrete Integration von Topik und sophistischen Widerlegungen geschieht ab dem caput IV.59 der Praecognita unter dem wenig geläufigen Titel praeexercitamenta logica. Er überträgt nicht

57 Epitome dialectica, DWV 78, .4 f. „Hîc παχυλῶς traditur tanquam tabula, in qua hactenus tradita terminorum & praedicationum doctrina ad oculum demonstretur.“ 58 Ioannis Buridani Summulae de dialectica, 1.3.1; zit. nach http://individual.utoronto.ca/ pking/resources/buridan/Summulae_de_dialectica.txt: „De definitione propositionis: Hoc tertium capitulum est de propositione et eius diuisione secundum substantiam, quantitatem et qualitatem, et continet septem partes principales. [. . .] Prima est descriptio propositionis, Prima pars describit propositionem, dicens quod propositio est oratio uerum uel falsum significans. Et auctor apposuit istam clausulam ‚indicando‘, quae non debet apponi, sicut in fine praecedentis capituli dictum fuit; ideo etiam Aristoteles eam non apposuit. Notandum est etiam quod ibi definitur propositio uocalis, quia ibi ponitur ‘oratio’ tamquam genus, quae prius definita est quod ipsa est uox significatiua [. . .] et caetera. Ideo bene dicit auctor quod est significans uerum uel falsum, quia significat propositionem mentalem, quae est uera uel falsa. Sed propositio mentalis non sic oportet quod significet uerum uel falsum: propositio enim mentalis significans quod deus non est non significat falsum, sed est falsa; nihil enim praeter operationem animae nostrae significat ista oratio ‘deus non est’ plus uel minus uel aliud quam ista oratio ‘deus est’. Sed istae orationes uocales bene significant apud animam illos conceptus complexiuos quos addit secunda operatio intellectus supra simplices et categoricos conceptus.“ 59 Epitome dialectica, DWV 78, 34.

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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nur präzise den gebräuchlicheren Term aus der griechischen Athletik ins Lateinische, sondern bringt auch schön die Dannhauersche Sicht auf das Organon als eines gestuften Curriculums zum Ausdruck. Die sophistischen Elenchoi, im achten und letzten caput60 vorgelegt, sind dabei vergleichsweise besonders kurz gehalten. Diese Bündigkeit dürfte sich teilweise dadurch erklären, dass Dannhauer, von der plakativen Eingangsfrage quid est sophista ausgehend, dem eng sich an Aristoteles anschließenden Aufbau der zweiten sectio seiner Idea boni disputatoris folgt, auf die er auch laufend verweist. Dies sei verdeutlicht durch einen synoptischen Aufriss: Schema 1: Idea boni disputatoris und Epitome dialectica im Vergleich: Protheorie. Idea boni disputatoris

Epitome dialectica

Sectio I, cap. II. De generalibus praecognitis Logicis. Art. I. De anticipanda terminorum logicorum notitia.

[] Protheoria I. Protheoria terminorum

Art. II. De suppositionibus ac descensuum, status et ampliationis praenoscenda ratione.

[] Pars communis IV. De subjecti et praedicati suppositionibus

Art. III. De non negligenda Exponibilium doctrina.

[] Pars communis IV. De divisione Enunciati in simplex & propositum

Art. IV. De praeexercitamento Dialectico.

Praefatio (teilweise)

Art. V. De praecognoscenda disciplina ex qua disputatur, et principiis adversarii, quo cum disputatur. Sectio II, CAPUT I. Continens naturam et praecognita sophisticate in genere. Art. I. Quid sit sophista et quid sophistica?

[] Quid est Sophista?

Art II. De finibus Sophistae.

[] Quos sibi Sophista fines habes propositos?

Art. III. De sophismatum Divisione.

[] Quotuplicia sunt sophismata?

Art. IV. De praeexercitamentis sophisticis, brevi quorundam celebriorum canonum Topicorum limitatione, et ratione ordinis. [] I. Fallacia est ȯµωνυμίας

60 Epitome dialectica, DWV 78, 52.

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

Schema 1 (fortgesetzt ) Idea boni disputatoris

Epitome dialectica

Art. V. Fallacia aequivocationis et amphibolia declarantur.

[] II.ἀμφιβολίας orta é phraseως aut orationis ambiguitate

Art. VI. Fallaciam compositionis et divisionis enucleate.

[] III. Compositionis & divisionis

Art. VII. Conjungit fallaciam accentus et figurae dictionis.

[] IV. Fallacia accentus

[] V. Figura dictionis Art. VIII. Fallacia accidentis traditur.

[] I Fallacia est accidentis

Art. IX. Fallacia a dicto secundum quid ad dictum simpliciter enodatur.

[] II. Fallacia a dicto secundum quid ad dictum simpliciter

Art. X. Sequitur fallacia ignorationis elenchi.

[] III. Fallacia ignorationis elenchi

Art. XI. Explanatur petitio principil.

[] IV. Fallacia petitionis principii [. . .]

Art. XII. Caeterae, quae super sunt, fallaciae enucleantur.

[ f.] V.- VIII. Weitere fallaciae

Doch auch als Epitomator seiner selbst lässt der Organicus Dannhauer das offensichtliche Ziel seiner Dialektik hier nicht aus den Augen, die analytischen Bücher, deren Kommentierung er offenkundig zueilt. Inwiefern es Dannhauer in seiner Protheorie nicht um Post-Praedikamentalien im herkömmlichen Verständnis, sondern um praeexercitamenta im Piccart’schen Sinne geht, wird freilich erst zu Beginn des analytischen Teils selbst in vollem Umfang deutlich.

2.1.3 Analytische Logik Wie bereits ihre praefatio andeutet, lässt die Epitome den in der mittelalterlichen Einteilung klassischen Übergang von den Kategorien zu den Analytiken, nämlich das aristotelische Buch Peri Hermeneias, einen Ausbau zu einer eigentlichen Bedeutungslehre erfahren, indem sie ihn zugleich in die Analytiken selber integriert. Dass das aristotelische Hermeneutikbuch eigentlich erst in seiner zweiten Hälfte zur Widerspruchslehre wird, zuvor aber allgemeine Satzlehre bleibt, bringt ihren Autor dabei nicht in Verlegenheit. Im Gegenteil wird die Lösung genau dieses Problems zu einer virtuosen Vorführung

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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methodischer Konzeptualisierung, nämlich durch die elegante, beinahe unmerkliche Kombination zweier um 1630 bereits allseits als klassisch anerkannter Strukturschemata. Die klassisch averroistische Unterteilung der Logik in eine pars communis und eine pars propria, die in Entsprechung zu Unterteilung der beiden Analytiken in zwei gesondert gezählte Bücher geschieht, wird dabei anstellig mit der in der spanischen Schulphilosophie wieder entdeckten und ebenfalls bipolar angelegten Zwecklehre verschränkt. Als finis ὧ der Logik wird die enunciatio,61 die syllogismusfähige Aussage, als finis οὗ die discretio veri a falso,62 die Unterscheidung von wahr und falsch, bestimmt. Dies geschieht in Übernahme einer in Straßburg bereits im 16. Jahrhundert unter Hauenreuther zu beobachtenden Rezeption dieses Zweckeschemas, stellt also nicht in sich eine totale Neuerung dar. Die eigentliche Pointe der Verschränkung liegt vielmehr darin, dass die pars communis erst die finis ὧ, sodann die finis οὗ behandelt, welcher sich anschließend dann auch die gesamte pars specialis widmet. Die enunciatio wird also in einem den Analytiken und damit der Lehre von den Syllogismen gänzlich vorgeschalteten Abschnitt behandelt.63 Auch diese Trennung wurde von den Logikern des 16. Jahrhunderts zwar vorbereitet, doch noch nicht mit derselben Konsequenz. Im Grunde bietet dieser der enunciatio gewidmete Abschnitt eine Dialektik im Kleinen, die den sprachphilosophischen oder satzlogischen Eingangsteil von de Interpretatione, Kapp. 1–5 in dessen Zentrierung auf den Aussagesatz, den λόγος ἀποφαντικὸς, mit der mittelalterlichen Suppositionslehre überblendet. Er legt vor allen Dingen dar, dass es in der Logik nicht um jede beliebige Aussage gehen kann, also nicht einfach um eine dictio an sich. Da deren Merkmal zwangsläufig die incertitudo bleiben muss, ist die Universalität des Gegenstands der Logik funktional einzuschränken. Legitimes Objekt logischer Operationen ist allein eine enunciatio, die in syllogistische Form gebracht und dergestalt zum Instrument zur wahr-falsch-Unterscheidung werden kann.64 Der zweite, zur Hauptsache der Kontrarietät und deren Modalitäten gewidmete Teil von de Interpretatione wird in Dannhauers Epitome anschließend – im vii. Kapitel

61 Epitome dialectica, DWV 78, 57: cap. i. De Enunciatio, seu Oratione Enunciativa. Fine οὗ Logices. 62 Epitome dialectica, DWV 78, 87: [cap.] vi. De Fine Logicae ᾡ sive De Forma ipsius objecti Logici, Discretione veri a Falso primum Hermeneutica. 63 In der pars communis entsprechen die Capp. I – 5 den Capp. 6–14 aus de Interpretatione, die Capp. VI-XI den Analytica Priora, und Cap. XII den Capp. 23–27 der Analytica Posteriora. Die pars propria entspricht den Zweiten Analytiken, die ersten vier Capita dem ersten Buch, der Rest dem zweiten Buch. 64 Epitome dialectica, DWV 78, 57 f.

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

dieser ersten pars – als erstes instrumentum der wahr-falsch-Unterscheidung präsentiert. Als zweites instrumentum dieser Unterscheidung wird sodann in den capita IIX.-X. [bzw. XI65] der pars prima – und erneut in enger Anlehnung an die idea boni disputatoris – die Lehre von der consequentia behandelt, was im Wesentlichen den Ersten Analytiken entspricht, insofern insbesondere, als der Syllogismus als perfekte Form der Schlussfolgerung präsentiert wird. Bei beiden dieser „Werkzeuge“ bleibt mittelalterliches Erbe insofern gut sichtbar, als die oppositio in traditioneller Diktion und Durchführung den Postpraedikamentalien, die consequentia hingegen der illatio entspricht.66 Zur Verdeutlichung wiederum eine Synopse:

Schema 2: Idea boni disputatoris und Epitome dialectica im Vergleich: De consequentia. Idea boni disputatoris

Epitome dialectica

[] Caput IV. [III.] De tertio sophistarum Epicheremate quo malâ ac informâ vitiosâ consequentiâ argumentantur.

[] CAPUT VIII. De altero instrumento analytico,

Art. I. de consequentiâ in genere, & in specie de formali & materiali. [. . .] Consequentia est oratio (Ergò ad minimum composita ex duobus pronunciatis, quae sunt consequentiae materiale, unde abutuntur hac voce & à communi doctorum usu abeunt, [] qui negant consequentiam majoris, cum aliud sit nexus & cohaesio praedicati cum subjecto; aliud consequentia quâ consequens ex antecedente per notam illativam elicitur) in quâ ex aliquo aliquid colligitur per notam illativam (nota illativa est quasi forma consequentiae, quâ absente non magis consequentia est quàm sine copulâ propositio est propositio [. . .]

Consequentiâ in genere. Quid est consequentia? α Consequentia est β oratio in quâ aliquid ex aliquo γ per notam illativam Ergò colligitur. α Consequentia denominatur à consequenti, ut prae-[]dicatio à praedicato, syllogismus β Saltem sive ad minimum ex duobus pronunciatis composita. Abutuntur igitur hac voce qui negant consequentiam majoris, qualis in unâ propositione nulla est. γ Nota illativa est quasi forma consequentiae, ut copula propositionis.

65 Da der Syllogismus die vollkommene Form der Schlussfolgerung darstellt, gehört die im cap. xi. behandelte Spezifizierung desselben faktisch ebenfalls zur Konsequenzenlehre, auch wenn der Term im Gegensatz zu den vorhergehenden capita weder im Titel noch im Text erscheint. 66 King, Consequence as Inference. Medieval Proof Theory 1300–1350.

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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Schema 2 (fortgesetzt ) Idea boni disputatoris

Epitome dialectica

Distinguitur consequentia in bonam & Quotuplex est consequentia? vitiosam, quae est distinctio aequivoci in sua Primùm consequentia vel est bona vel aequivocata: nam vitiosa consequentia non vitiosa. . vel formalis vel materialis. . vel magis est consequentia, quam virgo deflorata argumentativa vel non argumentativa. virgo est [. . .] α Prima divisio est aequivoci in aequivocata. vitiosa enim consequentia ὁμωνύμως talis est, nec magis consequentia, quàm virgo deflorata virgo. Art II. . de consequentia in specie ἀσυλλογίσμῳ [. . .] Consequentia formalis subdividitur in ἀσυλλόγιστον (non quia vitiosa est, sed quia sine medio termino aliquid infert) & συλλογιστικὴν: Cujus prima species esto consequentia conversionis . de consequentiâ conversionis.

De consequentia non argumentativâ.

[] Quae tertia? Consequentia conversionis terminorum, cujus omne artificium tribus versiculis continetur, quorum duo priores indolem propositionis convertendae declarant tertius ipsum convertendi modum aperit.

. unà cum suis sophismatibus. Art. III: . agitur de consequentiâ in propositionibus finitis & infinitis . insperguntur quaedam de conversione per contrapositionem . annectitur consequentia in privantibus . proponuntur cautelae non necessariae & necessariae. Art. IV. . Tractatur consequentiae aequipollentiae. . Ejus sophismata deteguntur. Art. V. . agitur de consequentiâ in subalternatione

[] Quae secunda ? Secunda species est consecutio inter propositiones finitas, & infinitas.

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

Schema 2 (fortgesetzt ) Idea boni disputatoris . abest tertiis ad est secundi adjecti . de consequentiâ a conjunctis ad divisa. Art. VI. . agitur de consequentia syllogistica in genere. . ostenditur quibus fundamentis illa innititur. . Proponantur variae cautelae. Cautela I. Nullus syllogismus constat pluribus aut paucioribus quàm tribus terminis. Cautela II. Medius terminus ad minimum in alterâ praemissarum sumatur distributivè, id est, pro omni suo significato tàm mediato quàm immediato & quidem completè. Cautela III. Nullus terminus qui non fuit distributus in antecedente, distribui debet in consequenti: seu à non distributo ad distributum non valet consequentia. Cautela IV. Partibus ex puris sequitur nihil atque negatis. Cautela V. Medium terminum importare regioni conclusionis nefas esto. Cautela VI. In conclusione plus aut minus aut aliud ponere, quam erat in praemissis, piaculum esto. Cautela VII. Conclusio semper sequitur partem debiliorem. Cautela VIII. In secunda figura ex majori particulari, aut utraque sumtione ajente nihil concluditur nisi vanum veritatis spectrum. Cautela IX. In tertia figura, quae conclusio vel ipsa universalis est, vel minorem habet negantem, personata non est vera.

Epitome dialectica

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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Im Kontext der Dannhauerschen Logikkonzeption dient die stufenweise Präsentation der besagten Instrumente freilich vor allem dem Ziel, den nicht eindeutig der Kategorienlehre zuteilbaren Teil der aristotelischen Hermeneutik mit den Ersten Analytiken – und letztlich mit beiden Analytiken generell – zu verschmelzen. In einer groben Zuteilung kann dabei gesagt werden, dass in der pars communis die Capp. I – V den Capp. 6–14 aus de Interpretatione entsprechen, die Capp. VI-XI den Analytica Priora, Cap. XII hingegen den Capp. 23–27 des ersten Buches der Analytica Posteriora. Die pars propria entspricht den Zweiten Analytiken, nämlich die ersten vier Capita dem ersten Buch, der Rest dem zweiten Buch. Dabei ist die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen einer pars communis, die nebst der Hermeneutik die Ersten Analytiken behandelt, und der ihr folgenden pars propria, welche die Zweiten Analytiken und die Methodenlehre erklärt, lediglich bedingt durch die Sonderstellung des apodiktischen gegenüber dem Syllogismus schlechthin. Diese ergibt sich, wie Dannhauer in durchaus traditioneller Weise aufzeigt, durch die spezifische Differenz zwischen necessitas consequentiae und necessitas consequentis, also durch die Absenz jeglichen Kontingenzmoments hinsichtlich der beiden Prämissen apodiktisch gefasster Schlussfolgerungen. Als eigentlicher Clou dieser ganzen Gruppierung in den beiden Hauptteilen der Epitome ist daher nicht direkt die Neukonfiguration der Organonbestände untereinander anzusehen. Er liegt vielmehr darin, dass so auch innovative, genuin Dannhauersche Reflexionen und Methodenpostulate, die in traditionellen Konfigurationen nur bedingt der apodiktischen Logik zugeordnet wurden, nunmehr neu verortbar erschienen. Die Dannhauersche Textauslegungslehre, seine eigene, aus persönlichen Vorstudien nebst den Arbeiten Dritter geschöpfte, über Aristoteles weit hinausreichende Hermeneutik kann nun auch ihrerseits unmittelbar dem analytischen Teil der epitome zugeschlagen werden. Die wiederum textnahe Reprise des „therapeutischen“, also methodischen Teils der Idea boni interpretis in der epitome lässt so die zu erreichende Adäquanz im jeweiligen konkreten Textverstehen als logische und nicht mehr als primär grammatische Leistung begreifen. Wiederum möge dies eine synoptische Zusammenschau illustrieren (s. Schema 3 auf S. 54f.). Dasselbe gilt auch für die Methodenlehre. Sie wird der Behandlung der Beweislehre im Sinne der Zweiten Analytiken zugeordnet. Einerseits trägt sie so zu deren averroistischer Heraushebung als der eigentlichen pars propria der Logik innerhalb des Gesamtplans der epitome argumentativ bei. Andererseits lehnt sie sich eben deshalb in ihrer Darlegung eng an diejenige der Analytica posteriora an. Diese Nähe von allgemeiner Methodenlehre und apodiktischem Syllogismus bis hin zu wechselseitiger Identifikation entspricht der Wissenschaftstheorie Zabarellas, wie der Paduaner sie insbesondere im dritten Kapitel

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

Schema 3: Idea boni interpretis und Epitome dialectica Epitome dialectica im Vergleich: Hermeneutik als Analytik. Idea boni interpretis

Epitome dialectica

PARTIS PRIMAE SECTIO III. ΘΗΡΑΠΕΥΤΙΚΗ

: Quae sunt instrumenta sive media bonae interpretationis? Primum est artium instrumentalium dialecticae sc. rhetoricae grammaticae, subsidium.

[Art. I. De Remediis Subjecto Facultatis ἑρμενευτικὴ applicandis generalibus.] Art. II. De remediis specialibus et primum De Usu logico in discernendis orationibus enunciativis a non enunciativis.

[] dialecticae quidem I. in discernendis orationibus logicis à non logicis.

Art. III. De secundo logicae in reducendis Orationibus non logicis ad logicas, per expositionem.

. in reductione orationum non logicarum ad logicas

Art. IV. De tertio usu Logicae in conciliandis contradictionibus.

. in conciliandis contradictionibus apparentibus.

Art. V. Du Usu Rhetoricae ad interpretationem II. Rhetoricae I. in tropis indicandis adque necessario. suam classem redigendis. . in explicandis aenigmatibus, allegoriis, proverbiis, parabolis Art. VI. Du Usu Grammatico in textuum interpretatione.

Denique grammaticae in sensus veri explicatione [] depromptâ

Art. VII. De secundo Interpretandi medio, γνωρισμῷ ὁρῶν, cognitione terminorum.

Alterum medium est γνωρισμὸς ὁρῶν

Art. VIII. De Tertio Interpretandi medio SCOPI consideratione.

Tertium est Scopi consideratio, qui bonae interpretationis clavis est

Art. IX. De quarto interpretandi medio HISTORIA Auctori coaeva.

Quartum est Historia auctori explicando coaeva

Art. X. De quinto interpretandi medio. ἐπιστήμην τὴν συνηθείαν τῶν γραφόντων.

Quintum est ἐπιστήμη τὴς συνηθείας τοῦ γρα[]φόντος scientia consuetudinis auctoris.

Art. XI. De sexto Interpretandi medio Attentione Analogiae.

Sextum est attentio analogiae

Art. XII. De septimo interpretandi medio, CRISI.

Septimum est Crisis quae est auctoris veri, verae literaturae ac interpunctionis indix, locorum omissorum restauratrix spongia additorum, variarum lectionum sequestra.

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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Schema 3 (fortgesetzt ) Idea boni interpretis

Epitome dialectica

Art. XI.II. De octavo interpretandi medio, antecedentium et consequentium Scrutinio.

[] Octavum antecedentium & consequentium scrutinium

Art. XVI. De nono, decimo ac undecimo interpretandi medio, videlicet εὐταξίᾳ deductione ad absurdum et commentariis.

Nonum est ordinis observatio. Decimum deductio ad absurdum. Undecimum commentarii interpretum aliorum.

Art. XV. De complemento bone interpretationis paraphrasi.

Complementum denique bonae interpretationis, & quasi ultima manus est paraphrasis.

seines dritten Buches de Methodis explizit darlegt.67 Methodus und syllogismus werden hier als in ihrer Definition identisch erklärt, bis auf die als notwendig zugestandene Differenzierung, dass ein apodiktischer Syllogismus in jedem Falle bereits gegebener Prämissen bedürfe, während eine Methode nach neuem Wissen oder neuen Sätzen allererst suche. Auch Dannhauer zieht gleich eingangs der Methodenkapitel – nach einer kurzen Schilderung sprachgeschichtlich früherer Etappen mittels des von ihm allgemein geschätzten Zugangswegs zu einem neuen Begriffsfeld über Etymologie und Semantik – eine Gleichung von scientia, methodus, und demonstratio.68 Während die Differenz von der scientia zur demonstratio, wie Dannhauer im unmittelbar vorhergehenden Kapitel de scientia erläutert,69 einfach darin besteht, dass erstere eine Verkettung, nämlich einen vielteiligen regressus demonstrativus einer minimalen Vielzahl der letzteren bildet, wird die methodus näher- und mithin in expliziter Parallele zur demonstratio, unterschieden in eine apriorisch operierende methodus synthetica und eine aposteriorische methodus analytica. Es handelt sich hier um eine Differenzierung, die grundsätzlich jede zusätzliche Methode, und konkret namentlich die definierende, kategorisch ausschließt, wie Dannhauer unter Berufung auf Zabarellas de methodis II,7 nicht zu unterstreichen unterlässt. Nach dieser vordergründig anti-galenischen, ebenso sehr

67 Jacobi Zabarellæ Patauini de Methodis, lib. III, cap. III, S. 226: „Quod inter methodum & syllogismum, proinde inter definitionem methodi, ac definitionem syllogismi vel nulla, vel parva est differentia“, in: Jacobi Zabarellæ Patavini Opera Logica, Venedig 1578, zit. nach der Ausgabe Frankfurt, 1608, enthalten in den Opera omnia, Straßburg, 1654. 68 Epitome dialectica, DWV 78, 168. 69 Epitome dialectica, DWV 78, 164: Caput IV. De demonstrationis Fine ac effectu. Scientia.

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

aber auch antiramistischen Spitze, wird, erneut ganz im Gefolge des Zabarella, die Differenzierung von methodus und ordo als den Grundmustern des Wissenserwerbs und der Wissensdarstellung in den einzelnen Disziplinen präsentiert. Genau wie schon Zabarella70 räumt nun auch Dannhauer ein, dass diese Unterscheidung, die man heute mehr oder minder als jene zwischen Forschung und Lehre bezeichnen würde, von Aristoteles nicht ausdrücklich behandelt wird. Sed passim per saturam gibt der Stagirite dennoch einige Grundregeln für eine didaktisch ausgerichtete Präsentation der Ergebnisse der Wissenschaftsarbeit.71 Zwar ist der Logiker, so der Tenor dieser indirekten aristotelischen und von Dannhauer wiedergegebenen Anweisungen, vom disziplinengebundenen Methodiker zu unterscheiden, doch kann er ihm, auch aufgrund der engen Verwandschaft von Methodenkonfiguration und Wissenspräsentation, durchaus propädeutisch zudienen. Logiken sind daher traditionell der Ort auch für die Darlegung des ordo doctrinae. Dessen Präsentation kann ihrerseits ebenfalls synthetisch oder analytisch erfolgen, freilich nicht in willkürlicher Weise. Vielmehr ist der ordo der Wissenschaften, wie Dannhauer unterstreicht, unmittelbar und unabänderlich gegeben durch den Gegenstand des Wissens selbst. Dies gilt besonders hinsichtlich eines erstrangigen Aspekts, nämlich der Unterscheidung der kontemplativen von den praktischen Wissenschaften, denen die beiden Vorgehensweisen in der Abfolge der Wissensvermittlung zugeordnet sind. In diesem selben Zusammenhang wird die Überflüssigkeit des ordo definitivus unter erneuter Anführung der Zabarellischen Methodenschrift (II,4) noch einmal betont. Die große Nähe in dieser ganzen Darlegung vom Ordnungs- zum Methodenkonzept entspricht einer ähnlich großen Nähe zu Zabarellas Wissenschaftstheorie überhaupt, durch die sie zugleich bedingt ist. Zwar macht Dannhauer diese Nähe von ordo und methodus über Zabarella hinaus plastisch durch die von diesem kaum, von den spanischen Logikern hingegen eher eingesetzte Lehre von den beiden Zwecken. Er setzt sie in der Darstellung des apodiktischen Syllogismus wie auch des ordo beide Male prominent und mutatis mutandis völlig strukturanalog ein, um die Entsprechung der Unumkehrbarkeit in der Abfolge der ein70 Zabarella, De methodis, lib. IV, cap. XXII, in idem, Opera logica, DWV 68, 330: „Cur Aristoteles in logica de methodis tantum, non de ordinibus egerit.“ Anzuführen ist hier auch die aus aristotelischen Quellen (Phys. I; Met. VII; Eth. Nic. III,3) geschöpfte Beweisführung der Notwendigkeit strikter Unterscheidung des ordo der kontemplativen von demjenigen der praktischen Disziplinen in Zabarellas De doctrinae ordine apologia II,5, in: idem, Opera logica, 78. 71 Epitome dialectica, DWV 78, 170: „De ordine Aristoteles ex professo in logicis nihil tradidit, sed passim per saturam praecepta non nulla ordinis proposuit. quod illa tracatatio ad didacticam propriè distinctam à logicâ facultatem pertineat; quodque obentâ demonstratione & veri à falso discretione jam aere suo se liberarit logicus, dispositionem demonstrationum alij facultati permittat.“

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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zelnen Elemente aufzuzeigen. Da deren Verkettung unumkehrbar ist, eignet ihnen eine Wegstruktur, wie auch in diesem Kontext durch explizite Metaphernverwendung betont wird. Die finis οὗ und ὧ stellen so sowohl eine inhaltlich-materiale als auch, dank ihrer auffälligen griechischen Erscheinung, die sie zu einer Art linguistischer Marker werden lässt, eine formal-visuelle Kohärenz her. Dennoch erscheint in dieser eigentlichen Methodendiskussion die individuelle Vorgehensweise, die persönliche Note des Autors im Vergleich zu andern Teilen der Epitome sowie auch anderer Schriften des Elsässers, eher gering. Anders verhält es sich mit den letzten beiden Kapiteln der hier besprochenen Schrift.

2.1.4 Ergebnis: Anwendungshorizonte apodiktischer Logik In den beiden Schlusskapiteln VII und VIII der pars propria und damit der ganzen Epitome tritt die eigene Handschrift Dannhauers besonders markant zu Tage. Das vorletzte Kapitel widmet sich den Fehlern im Bereich der Logik allgemein sowie entsprechenden Abhilfen, das letzte dem Gebrauch und der Praxis der Logik für die Wissenschaften. Es handelt sich um Schlüsselpassagen für das Verständnis der biographischen Kohärenz des Gesamtwerks Dannhauers, weil sie einerseits die der Logik im weiten Sinne gewidmeten Schriften seiner frühen Wirksamkeit bis 1634 zusammenfassen, andererseits wichtige Vorarbeiten für sein späteres, theologisches Wirken darstellen. Sie legen eigentliche, a posteriori für den Historiker als solche erkennbare Schienen von seiner Tätigkeit in der Artesfakultät zu derjenigen in der theologischen Disziplin. Es handelt sich im Wesentlichen um ein Schienenpaar, also um zwei Hauptpunkte, die das Kapitel VIII de usu positiv und programmatisch anzeigt, was hier zuerst vorgestellt werden soll. Deren Nichtbeachtung fällt mit den im vorangehenden Kapitel VII geschilderten Fehlern, die in der Wissenschaft denkmöglich sind und praktisch geschehen, jedoch mehr oder minder in eins, so dass deren Darstellung hier auf der positiven Beschreibung aufbauen und daher folgen soll. Im usus der Dannhauerschen Logik führt einerseits die starke, ja letztlich exklusive Konzentration auf die alethologische Funktion strikte apodiktisch gefasster Logik zu einem gegenüber der Zeit Sturms und Melanchthons nachhaltig verstärkten Augenmerk auf die Prinzipientreue im aristotelischen Sinne bei jeglichem Argumentieren in der Wissenschaft. Noch zuvor aber führt andererseits die starke Ausrichtung am zabarellischen Methodenmodell mit seinem Wechselspiel von Synthese und Analyse zur Forderung stetigen und grundlegenden Abwechselns zwischen resolutio und compositio, zwischen analysierendem und synthetisierendem Vorgehen in einer jeden Wissenschaft.

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

Sind resolutio und compositio in jedem Falle in wechselseitiger Entsprechung vorzunehmen, erfolgt doch die Analyse, das Auflösen eines vorliegenden regressus demonstrativus, in jedem Falle zuerst. Dannhauer veranschaulicht dies mit dem wunderschönen Bild des Dichterfürsten Homer vom stetig neuen Auflösen des noch nicht vollendeten Kleides der Penelope, der treuen Gattin auf der Flucht vor ihren Freiern. Das der Tradition wohlbekannte72 Bild ist darum so sprechend, auch wenn der Autor der epitome es nicht ausdrücklich entsprechend ausdeutet, weil dies Kleid, das nicht fertig werden soll, in gleichsam epischer Dauer stets gewoben und darauf wieder aufgelöst wird; ein Sinnbild für die Arbeit des Wissenschaftlers zur frühen Neu- und eigentlich überhaupt zu jeder Zeit: Thesen werden analysiert und falsifiziert, neue Hypothesen gewoben, von Dritten wiederum geprüft, die ihrerseits neue Thesen aufstellen, und so weiter, im Grunde ohne Ende, jedenfalls, was den Fortschritt empirischer Disziplinen angeht, um die es Dannhauer auch vorwiegend geht. Doch auch im direkten Vergleich hat die Analyse klaren Vorrang. Das zeigt schon die auch allgemein relevante Methodendirektive, nach der de synthesi Aristoteles nihil docuit, quod qui ἀναλύειν didicit, nullo labore componere possit.73 Weil der Wissenschaftler als Analytiker Mängel in fremden Kommentaren aufspüre, wisse er sie als Synthetiker oder Textkomponist auch in eigenen Arbeiten zu vermeiden. Großen Wert legt Dannhauer hierbei freilich auf ein breiteres Verständnis von Analyse, als dies bei Ramus der Fall ist. Der berühmte Franzose war, wie unser Straßburger wiederum mit einer aus Vergil geschöpften Wegemetapher verdeutlicht, auch hierbei von einem irreführenden Stern vom Weg der logischen Tugend abgebracht worden. Zu einer sachgerechten Analyse ist mehr erforderlich als die von Ramus empfohlene, einfache Auflösung eines Textes in seine rhetorisch-thematischen Örter, unter anderem, weil diese topische Reduktion zur Überfrachtung kleiner und kleinster Texteinheiten bis hin – quod auditu ridiculum verum tamen est – zum Versuch der Sinnaufladung einzelner Silben, wie Dannhauer mit Worten des berühmten Wittenberger Poetologen Taubmann erklärt. Vielmehr ist eine reguläre, Aristoteles und der Sache entsprechende, Analyse die Rückführung des Effektes oder der Effekte als des Einzelnen hin zum Allgemeinen, welches daher so umfassend als möglich zu begreifen ist. Aus all den sprechenden Bildern, die Dannhauer seiner Definition des Begriffs vorschiebt, ergibt sich stets dies als wichtigster Hinblick, dass eine Sache auf ihren ursprünglicheren, einfacheren, ja letztlich

72 Populär wurde das Bild wohl spätestens seit Erasmus von Rotterdam; vgl. MΩPIAΣ EΓKΩMION sive laus stultitiae [1515], in: ders., Ausgewählte Schriften, 139. 73 Epitome dialectica, DWV 78, 194: „novit enim quae in aliorum commentariis examinandis depraehendit vitia, in suis cavenda esse.“

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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überhaupt noch völlig unveränderten Zustand zurückgeführt wird, dass sie somit an Allgemeinheit gewinnt und nicht verliert. Beim Kleid der Odysseusgattin geht es darum, die gewobenen Fäden im Wortsinn wieder aufzulösen, sie in ihrer ursprünglichen, vom Textilerzeugnis noch unveränderten Gestalt wiederzugewinnen. In einer anderen, von Piccart übernommenen Etymologie wird das Lemma als Ausspannen gedeutet, nämlich im Moment, in dem ein Fremder im Gasthaus ankommt, sein Pferd ausgespannt, der Wagen von seiner Ladung entlastet und der Reisende seiner Reiseausrüstung entledigt wird. Die Meinung ist wohl, dass damit der ursprüngliche, vor der Reise herrschende Zustand wieder hergestellt wird, indem die Akzidenzien entfernt werden.74 Während für Piccart nebst weiteren Bedeutungen, die der Heidelberger Gräzist Wilhelm Holtzmann alias Xylander (1532–1596) und andere anbieten, vor allem der Transfer in die Mathematik Bedeutung hat, nämlich die Rückführung auf die jeweils voraufgehende propositio,75 genügt für Dannhauer nur die Rückführung bis auf den allerersten Anfang einer Beweiskette oder – was in umgekehrtem ordo dasselbe ist – eines Definitionsgerüstes. An diesem Punkt hängen und auf diesen Punkt drängen denn auch die Diskussionen beider Schritte des Gebrauchs der Logik, sowohl der Analyse als auch der Synthese. Die Analysis stellt vorab den status controversiae fest, der als zentralster der zentralen Teile der Dialektik und absolutes Herzstück gelten muss, cardo der Disputationskunst und scopus aller Logik überhaupt. Sie prüft sodann, ob dieser status aufgrund korrekter Prinzipien behandelt wird, wobei er zwischen deren schriftlicher und nichtschriftlicher Form unterscheidet, nämlich den schriftlichen Normenkatalogen in Recht und Theologie, und den nicht schriftlich

74 Eustratios war Metroplit von Nikaia und einer der letzten griechischen Kommentatoren zu den Zweiten Analytiken zu Beginn des 12. Jahrhunderts, erschienen 1534 bei Aldus Manutius und übersetzt ins Lateinische von A. Gratarolus, Venedig 1542. 75 Piccart, Organon (Synopsis), unter der Rubrik [459] ARISTOTELIS ANALYTICORUM PRIORUM LIBER PRIMUS [. . .], 461: „Unde dicitur Analyticum? Graeci putant hunc titulum sumptum esse ex 3. sectione primi priorum, ubi agitur de ἀναλύσει syllogismorum in figuras & terminos, quae sententia admodum est inepta. Cui enim verisimile sit, tam nobile opus à paucis quibusdam capitibus minùs principalis institui nomen accepisse. Rectius & melius Eustratius, qui inscriptionem ex vocix origine, inscriptionisque causam venatur. Vox ἀναλύειν apud Graecos peregrinantium vocabulum est, ex peregrinatione domum redeuntium. Unde & Xylander verbum Διαλύειν apud Paulum rectè interpretatur per germanicum ausspannen. Inde vox translata est ad Mathematicas disciplinas, quae vocant ἀναλύειν inter alia significata, quando propositio reducitur ad aliquam priorem, à quâ dependet. Quae significatio huic quoque operi convenit; ἀπόδειξις enim nil est aliud, quàm proprium quodque πάθος revocare ad suum πρῶτον δεκτικὸν & primam suam causam. Itaque ex naturâ demonstrationis operi huic nomen Aristoteles tribuit.“

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vorliegenden, situativ applizierten Größen Vernunft und Erfahrung in Philosophie und Medizin. Den beiden Formen entsprechend muss im Falle einer Abweichung von den Prinzipien unterschiedlich vorgegangen werden. Im Falle nichtschriftlicher Prinzipienstatuierung und –findung, wie sie in Philosophie und Medizin gegeben ist, sollen unlautere, allein auf Tradition oder gar purer Einbildung oder Anmaßung beruhende Prinzipien mittels jeweils mindestens einer stichhaltigen instantia indirekt deduktiv widerlegt werden, also durch die Anschauung der aus ihnen folgenden unsinnigen und unhaltbaren Induktionen. Liegen die Prinzipien schriftlich vor, ist auf sie auch in dieser Form zu rekurrieren, zum einen, in dem die richtige Auslegung gesucht wird, also mitin, wie Dannhauer explizit wiederholt, der wahre Sinn vom falschen unterschieden wird, zum andern, indem unlautere oder auch einfach nur vernebelnde Abweichungen von den durch die Prinzipien gesetzten inhaltlichen Vorgaben aufgespürt werden. Die Synthesis logica kennt zwei Formen. Die synthesis logica μεθοδικὴ befindet sich auf der Reflexionsebene und erfolgt selbstredend induktiv von den Prinzipien ausgehend. Sie wird aber sehr kurz behandelt, als sei sie letztlich eine eher virtuelle Größe. Die Synthesis logica εὐτακτικὴ, welche die Handlungsebene, nämlich die Verfertigung von commentationes, anspricht, wird hingegen ausführlich behandelt, zumal sie regulärerweise nicht weniger als fünf Schritte umfasst. Vorerst werden vier Fragen zu einem Gegenstand abgearbeitet, nämlich quid sit nominis (betreffend die lexikalische Bedeutung und Etymologie), an sit (die freilich lediglich dann erforderlich ist, wenn selbst die Existenz von gegnerischer Seite in Frage gestellt wird), διοτι / cur sit (welche die vier klassischen causae umfasst, wobei die causa finalis wiederum als finis οὗ und ὧ erscheint), und schließlich ὅτι (die Frage nach den Eigenschaften, den affectiones propriae). Aufgrund all dieser Antworten wird dann auch die Beantwortung der fünften und entscheidenden Frage möglich, nämlich dem τί ἐστι rei, also die Definition der Sache im eigentlichen Sinne. Dannhauer reproduziert damit die vier Leitfragen zu Eingang des zweiten Buches der aristotelischen Zweiten Analytiken, unter Voranstellung einer etymologischen Vorbereitungsermittlung.76 Dem Einwand, eine solche Vorordnung dessen, was zuerst im Verstand erscheint, vor den eigentlich reflektierten Gegenstand, habe keinen Anhalt in der aristotelischen Universalienlehre, wird der logic turn der (platonischen) Universalienlehre durch Aristoteles entgegengehalten, dank der sie mit der genus-species-Differenz funktional koinzidiert. Schließlich gibt Dannhauer auch einen aufschlussreichen Einblick ins eigene Nähkästchen, nämlich in die konkrete Arbeitsweise eines

76 An post. II,1, 24 τὸ ὅτι, τὸ δίοτι, εἰ ἔστι,τί ἐστιν; zit. nach Zekl, 447.

2.1 Die Epitome dialectica, Preislied apodiktischer Logik

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Wissenschaftlers des Barock beim Verfassen eines monographischen, themenbezogen kommentierenden Werks. Der Autor bereitet ein Heft vor, indem er die Seiten eins bis vier mit den Überschriften quid sit nominis, an sit, cur sit, ὅτι versieht, sie also mit den für die sachgemäße Abwicklung des richtigen ordo maßgeblichen Fragen rubriziert; er sammelt daraufhin Referenzen beliebiger Herkunft, ordnet sie den vier causae zu, und bringt sie schließlich in eine qualifiziert geordnete Darstellung. Dass dies Vorgehen auch dasjenige des Aristoteles selber gewesen sei, der die Meinungen seiner Vorgänger unter den Philosophen exzerpiert und gesammelt habe, unterliege kaum einem Zweifel, meint Dannhauer abschließend, worin ihm ja auch heute kaum jemand würde widersprechen wollen. Das Fehlerkapitel VII untersucht Kapitalfehler, und zwar umgekehrt analog zu dem für den usus Anempfohlenen. Hinsichtlich der Subjektseite, der subjektiven Einstellung des Forschers, moniert Dannhauer nebst intellektuellem, aber im Grunde unverschuldetem Begabungsmangel besonders inakzeptable Autoritätengläubigkeit und Traditionsgläubigkeit einerseits sowie bewussten Willen zum Irrtum oder Unehrlichkeit als Disputationslist anderseits. Speziell aus der Aufdeckung der ersten dieser Fehlhaltungen ergibt sich später die kontroverstheologische Grundlegung sowohl der hermeneutica sacra als auch der hodomoria spiritus papaei. Bezüglich der Objektseite oder von Seiten des materialen Objekts ergeben sich wiederum zwei Probleme, denn einerseits kann sich der Gegenstand, zumal bei religiöser Natur desselben, als von zu hohem Glanz erweisen, als dass er noch fasslich wäre. Andererseits kann er zu knapp präsentiert werden, so dass Irrtümer im Rückschluss auf die principia sich ergeben. Das Argument, dass ein Gegenstand die Kapazität endlicher Vernunft übersteigt, wird später auch in der hodomoria spiritus calviniani angeführt.77 Auf der eigentlichen Methodenseite schließlich stellt der Logikdozent an der academia argentinensis drei mögliche Problemsorten fest. Es beobachtet erstens die Absenz eines klaren status controversiae und damit von principia überhaupt, zweitens zwar vorhandene, aber unkorrekte principia, sowie drittens, wenngleich mit weniger Betonung, formale Mängel selbst bei material gesehen klaren principia. Was das gänzliche Übergehen oder eine grobe Unsorgfalt in der Statuierung von Prinzipien angeht, werden auf katholischer Seite in Dannhauers Sicht selbst oder gerade die Besten schuldig, namentlich auch Kardinal Bellarmin. Dies scheint freilich, so wird man beifügen müssen, kaum zu vermeiden ange-

77 Der in diesem Zusammenhang auf S. 207 gegebene Hinweis auf Ludwig Hauenreuther bezieht sich vermutlich auf die praecipuae philosophiae partes von 1593, s. unten Anh. 3.5, S. 431.

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sichts der von ihm mit vorgebrachten radikalen Prinzipienreduktion für die Theologie, in der weder ein philosophisches Axiom neque aliud principium fidei est quam Scriptura Sancta. Was die Statuierung von principia und deren Richtigkeit angeht, kann ein pseudographema vorliegen, eine Fehlbestimmung, die freilich eher ein Problem der mündlichen Disziplinen, der Philosophie und Medizin darstellt, weniger derjenigen, die mit schriftlich niedergelegten Axiomen(-corpora) arbeiten können oder müssen. Es kann ferner eine pseudhermeneia vorliegen, falls der Textsinn nicht zutreffend erkannt oder wiedergegeben wird. Schließlich kann ein principium einer falschen Disziplin entnommen sein, was nichts anderes als die klassische μετάβασις εἰς ἄλλο γένος darstellt. Außerdem können natürlich auch aus material sinnvollen Vordersätzen formal falsche consequentiae abgeleitet werden, wie Dannhauer gegen Ende dieser langen, in ihrer Kohärenz beeindruckenden Fehlertafel erklärt. Die letzten drei Punkte sind im gewählten Darstellungsschema verschiedenen Ebenen zugehörig, gehören aber an sich jenen drei wichtigen, in der Andronikos- wie auch in der Simplikiosgruppierung direkt aufeinander folgenden Teilgebieten oder -schriften des Organon an, die Dannhauer bearbeitete. Die pseudhermeneia bezieht sich auf de interpretatione, deren erweiternde Kommentierung in der Idea boni interpretis vorliegt, die μετάβασις auf die allgemeine oder dialektische Logik der An. Priora, welche die pars communis der epitome dialectica kommentiert, die Formfehler auf die spezielle oder apodiktische Logik der An. post., die sich in der pars propria der epitome dialectica erläutert sehen. Die Integration der Logikanwendungen Hermeneutik und Disputation in die „eigentliche“ Logik einerseits, deren Anwendung auf die Wissenschaften der höheren Fakultäten anderseits, ergeben sich als zwei Linien, die sich 1634 zum ersten Mal im Werk Dannhauers so explizit, genauer gesagt: so programmatisch explizit, überkreuzen.

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs Dannhauer versteht sich als lupenreinen Aristoteliker. Mehr noch, er sieht sich als einen Autor, der das aristotelische Werk – zwar aus dessen eigenen Voraussetzungen schöpfend, doch über das vom Stagiriten selber Hinterlassene deutlich hinausgehend – seinen eigentlichen Intentionen und damit seiner wahren, bislang unerreichten Verwirklichung zuführen will. Diesen Anspruch erhebt sein Logiklehrbuch von 1634 programmatisch schon im Vorwort und löst ihn im Inhalt jedenfalls dann durchwegs ein, wenn der

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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Schema 4: Epitome dialectica, pars propria: Was ein Logiker alles falsch machen kann. Subjektseite (subjektive Einstellung bei der Untersuchung) –



Objektseite (Objekt der Untersuchung)

Autoritätengläubigkeit, Traditionsgläubigkeit → hermeneutica sacra → hodomoria spiritus papaei



bewusster Wille zum Irrtum (Unehrlichkeit als Disputationslist)



wird als tendenziell zu hoch für die Vernunft ausgegeben → hodomoria spiritus calviniani

Methodenaspekt (Art und Weise der Untersuchung) – –

wird zu knapp präsentiert; Irrtümer beim Rückschluss auf die principia treten ein.

status controversiae wird nicht festgestellt bei der Statuierung der principia ergeben sich Probleme hinsichtlich – materialer Korrektheit, zumal in den mündlichen Disziplinen: pseudographema – Adäquanz des Textsinns verschriftlicher principia: pseudhermeneia ← idea boni interpretis



Disziplinenzugehörigkeit der behaupteten principia: μετάβασις εἰς ἄλλο γένος ← epit. dialectica, pars communis



Form der Schlussfolgerung: – argumentativ – nicht argumentativ ← epit. dialectica, pars propria

Autor an seinen eigenen Maßstäben gemessen wird. Dennoch beruft sich Dannhauer gerade für dieses Ziel, wie wir sahen, durchaus auf Vorkämpfer. Unter ihnen befinden sich Vorgänger im allgemeinen Sinne, deren Erwähnung nicht allzu sehr überrascht, da sie zu den bekannten Verfechtern und Realisatoren eines aristotelischen Kurses in der lutherischen Wissenschaftspolitik gehören. Zu ihnen gehören aber auch Namen im direkten, institutionellen Sinne, von denen der eine allgemein wenig bekannt ist, derjenige Hauenreuthers, und einer der auf den ersten Blick gar regelrecht überraschend erscheint, nämlich Johannes Sturm. Sie laden uns ein, die Entwicklung der Philosophie an der Straßburger Hochschule von deren Gründung bis zu den ersten Publikationen Dannhauers näher anzusehen.

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2.2.1 Der Pionier Johannes Sturm, Peripatetiker trotz allem Wie kommt es, dass der Epitome ein Wort Johannes Sturms (1507–1589)78 vorangestellt wird, des berühmten, wohl schon in Dannhauers Jugend legendären Gründers der Straßburger Akademie? Hat Sturm gemeinhin nicht viel eher den Ruf eines des Aristoteles durchaus müden humanistischen Erneuerers denn das eines linientreuen Peripatetikers? Wird er nicht schon längst vor Dannhauer immer wieder als Gewährsmann, ja als eine Art bereits zu seinen Lebzeiten respektierter Bürge der Ideengeschichte für die parteienübergreifende Unverdächtigkeit der rameischen und damit dann auch einer ramistischen Denkweise in Anspruch genommen?79 Nichtsdestotrotz wird in der Epitome, und zwar nicht einfach irgendwo, sondern plakativ der gesamten Schrift auf dem Frontispiz vorangestellt, eine von Sturms tiefsten und charakteristischsten Überzeugungen gezielt herausgehoben. Wissenschaft hat laut diesem Sturmschen Motto auch dann, wenn sie „große und schwierige Dinge“ – man wird hinsichtlich Dannhauers Lehrbuch übersetzen dürfen: abstrakte Sachverhalte auf einer Metabene – berühre, stets dem Bedarf der Menschen zu dienen.80 Natürlich muss man sich hier erst einmal vor Überinterpretationen hüten. Der schöne Anspruch eines unbedingten prodesse akademischer Tätigkeit verpflichtete den Autor der Epitome für den in ihr zu behandelnden Gegenstand im Grunde kaum wirklich zu etwas. Diese Berufung auf eine sozusagen klassische Autorität bot dem als städtischer Beamter angestellten Akademieprofessor einfach eine ohnehin jederzeit willkommene und hier wohl gezielt geschaffene Gelegenheit, sich auch seinerseits zu einem auf das bonum commune ausgerichteten Verständnis von Wissenschaftsreflexion und damit von Wissenschaft schlechthin zu bekennen. Doch solcher taktischer oder politischer Motivation unbesehen kann man letztlich dieses sehr prominent gesetzte Zitat wohl kaum anders verstehen, als dass der frisch gewählte Theologieprofessor sich selber als indirekten Schüler Sturms, damit aber auch Sturm als seinen geistigen Ahnen und sich selber als einen von dessen Nachfolgern stilisierte. Die unter Straßburgs Akademikern sprichwörtlich

78 Zu Sturm s. einführend Uthemann, Art. Ramus, Petrus; Arnold, Art. Sturm, Johannes; ders., Jean Sturm (1507–1589). Le pédagogue du siècle de la Réformation. 79 Danneberg, Logik und Hermeneutik: Die analysis logica in den ramistischen Dialektiken, 138, Anm. 56. 80 Epitome dialectica, DWV 78, im Titel: JOH. STURMIUS L. I. de amiss[a]. dicend[i]. rat[ione]. c. I.: Qui non invidioso sunt ingenio, et qui sunt publicarum utilitatum cupidi, in rebus magnis et difficilibus, si quid habent, qualecunque id fit, si commoditatem habeat, debent proferre in medium, et videri voluisse prodesse, et profuisse, quoad potuit fieri, humanis necessitatibus. Vgl. unten S. 593.

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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bekannte Sturmsche Maxime81 der sapiens atque eloquens pietas wird in der Dannhauerschen Dialektik so schon vor Eintritt in die eigentliche Debatte mit Zabarellas Behauptung logicam similiorem esse artibus quam scientiis82 in effektvoller Programmatik überblendet: Logik ist als ars ein Instrument im Dienste des Gemeinwohls; dem Gemeinwohl als Wissenschaftler zu dienen aber heißt, es vor Irrtum zu bewahren. Dies geschieht zwar in durchaus glaubwürdiger Übereinstimmung mit der im Vorwort der epitome zu beobachtenden Insistenz auf der existentiellen Notwendigkeit tauglicher Dialektik, eine Insistenz, die ihrerseits die Dringlichkeit und Plastizität des Vorworts zur idea boni disputatoris wieder aufgreift.83 Mit dem an der Ill und in ganz Europa allbekannten geistigen Übervater, der hier als Referenz angeführt wird, hat dies auf den ersten Blick wenig zu tun. Sturm gilt gemeinhin als Förderer einer Ausbildung, die vornehmlich, ja beinahe ausschließlich auf Rhetorik und Redefähigkeiten ausgerichtet war, spätmittelalterlichen Residuen der Organonrezeption wie der Suppositionstheorie oder gar den parva logicalia hingegen kaum mehr einen Sinn abgewinnen mochte. Obschon Distanznahme gegenüber Aristoteles natürlich im gesamten frühen Protestantismus zu beobachten ist, wirkt sie doch vielleicht nirgendwo anders so organisiert und gleichsam zielgerichtet wie in der überragenden südwestdeutschen Metropole des frühneuzeitlichen Protestantismus.84 Durch die Entwicklung der wichtigsten Straßburger Bildungsstätte selber wurde diese Relativierung des Aristoteles allerdings fortlaufend gemildert und schließlich gänzlich verabschiedet. Als ein wesentlicher Antriebspunkt dabei dürfte die Sorge um die wissenschaftliche Konkurrenzfähigkeit im Reich und darüber hinaus fungiert haben. Dieses Interesse führte Sturm erst deutlich zur Rhetorik hin, danach aber zu einer Methodenlehre, die einerseits erlaubte, eine Zentralstellung der Rhetorik beizubehalten, andererseits den Anschluss an die Wissenschaftsentwicklung des gesamteuropäischen Protestantismus beizubehalten, die schon ab den 1540er Jahren sachte, aber eindeutig von Melanchthon dominiert wurde. Bereits während seiner Pariser Dozentenzeit von 1529 bis 1536 war der aus der Eifel stammmende junge Wissenschaftler Sturm sehr interessiert daran,

81 Zur Maxime vgl. auch Arnold, Art. Sturm, Johannes, 282. 82 Zabarella, de natura logicae, col. 8, in: ders., Opera logica. 83 S. dazu unten, S. 144f. 84 Die Gründung der Akademie ist hinreichend beschrieben, besonders durch Schindling, Humanistische Hochschule. Ihm folgend kann sie hier daher knapp referiert werden. Als Überblicksdarstellung besonders über die Entwicklung der Theologie sei ergänzend Lienhard, Histoire de la Faculté [sc. de Théologie Protestante de Strasbourg]. S. auch Schang u. Livet (Hgg.), Histoire du Gymnase Jean Sturm.

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

besonders innovative und zukunftsfähige Konzepte aufzugreifen und weiterzuleiten. Er wurde daher, wie Bartholomäus Latomus (1485–1570), zu einem wichtigen Vermittler der neuen Dialektik Rudolf Agricolas in Paris und im frankophonen Europa. Rudolf Agricola aber setzte einen dezidierten Akzent auf die Topik und ein topisch-persuasives Verständnis von Dialektik, die damit einer methodologisch fundierten Rhetorik sehr nahe kam. Von Martin Bucer (1491–1551) als Philosophieprofessor und Pädagoge nach Straßburg geholt, setzte der ehrgeizige und konsequente Hochschullehrer daher alles daran, diese Dialektik in ein konkretes Curriculum umzusetzen, das die Aneignung konkreter Topoi im Sinne von gegenständlich fassbaren und disziplinengerecht vermittelten Materien ermöglichen konnte. Mit der Leistungskraft des Straßburger Bildungswesens, die seit Sturms Wirken zu einem bleibenden Markenzeichen der Stadt an der Ill werden sollte, war es freilich bis in die letzten Jahrzehnte des späten Mittelalters noch nicht sonderlich wohl bestellt. Dass die Abwesenheit einer Universität zu beklagen war, konnte noch als ein Umstand hingenommen werden, den die Reichsstadt mit manch anderen bedeutenden Städten des mittelalterlichen Reiches zu teilen hatte, in dem vor 1500 nur vierzehn voll privilegierte und über alle vier Fakultäten verfügende Hochschulen zu zählen waren.85 Der Umstand hingegen, dass auch eine einfache Lateinschule fehlte, war schwerer zu akzeptieren, relegierte er Straßburg doch weit in die hinteren Ränge des reichsinternen Bildungswettbewerbs. Während Geiler von Kaysersberg (1445–1510) anlässlich einer skandalträchtigen Äbtissinnenwahl im Damenstift St. Stephan 1485 noch eine durchaus traditionelle Neuverwendung der entsprechenden Pfründen zugunsten von theologischen und kirchenrechtlichen Lehrstühlen zur Verbesserung der Klerikerbildung vorschlug, verlangte Jakob Wimpfeling (1450–1528) im Jahr 1501 vom Rat explizit die Schaffung einer auch nicht tonsurierten Studierenden offen stehenden, humanistischen Bildungsidealen verpflichteten Lateinschule.86 In seiner hierzu verfassten Denkschrift Germania ad rempublicam Argentinensem legte er nicht nur einen entsprechenden Schulplan, sondern auch weit reichende Überlegungen zur Aufgabe höherer Bildung in einem städtischen Gemeinwesen vor, die in erster Linie bürgerliche Eintracht und gemeinen Nutzen zu fördern habe.87 Schließlich gelangten beide Forderungen gleichsam vereint zur Verwirklichung, als bei der bedachtsamen Einführung der Reformation die Vermögen der Konventualstudien der Prediger- und Minderbrüder sowie der Augustiner

85 Schindling, Humanistische Hochschule, 2. 86 Schindling, Humanistische Hochschule, 23 f. 87 Schindling, Humanistische Hochschule, 24 f.

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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zusammen gelegt wurden, und daraus neue Bildungsinstitutionen finanziert werden konnten.88 1530 gab es bereits zwei Lateinschulen, die auch ein Angebot in griechischer Sprache unterhielten; 1535 sogar deren drei. Dazu kamen zwei Konvikte, nämlich 1534 ein zur Theologenausbildung bestimmtes und durch entsprechende Stipendien der Städte Bern, Biberach, Isny, Konstanz, Lindau, Memmingen, Schaffhausen und Ulm mitfinanziertes collegium praedicatorum sowie seit 1535 ein nicht auf den Kirchendienst hinführendes paedagogium im Dominikanerkonvent.89 Um die in dieser Mehrspurigkeit augenfälligen didaktischen, aber auch finanziellen Synergien zu nutzen, wurde 1538 auf Anregung von Martin Bucer, Kaspar Hedio sowie Jakob Bedrottus († 1534) die Einrichtung einer zentralen Schule im Dominikanerkloster angeregt. Ostern 1539 erfolgte die Eröffnung des neuen Gymnasiums, das neun Klassen beinhaltete, die von neun Praezeptoren geleitet wurden. Das weitere Lehrangebot der beiden Konvikte und teils auch der bisherigen Lateinschulen wurde in die neue Schule integriert und durch lectiones publicae von zehn bis elf Professoren vermittelt. Diese Mischung von classes und lectiones in einer gemeinsamen Bildungsstätte war weitgehend von Ideen Sturms inspiriert, der auch ein für die Gründungsgestaltung maßgebliches Gutachten verfasst hatte. Eigentlichstes Ausbildungsziel ist die gezielte Aneignung und ständig vertiefte Einübung humanistischer Eloquenz, die freilich gerade darum nicht als solche allein in einem Sinne technischer Virtuosität, sondern stets im Verbund mit der Aneignung materialer Gegenstände dargeboten wird. Auf der Grundlage dieses methodisch wie organisatorisch sehr durchdachten mehrstufigen Curriculums wurde die Aneignung einer breiten präuniversitären Bildung ermöglicht. Treffend wurde kürzlich formuliert, Sturm sei der Vater der Sekundarstufe, sozusagen avant la lettre.90 Die Verbindung eines jahresgestuften Vorgehens mit einer eindeutigen methodologischen Konzentration auf die lateinische Rhetorik führte zu einer sehr effizienten Ausbildung, die sich als mindestens ebenso effizient erweisen sollte wie diejenige der Universitäten, die freilich mit Bursen oder Kollegien ihrerseits ebenfalls über didaktische Hilfszentren verfügten. In diesem zentralen Punkt der Ausbildungseffizienz ergab sich zwischen den pädagogischen Motivationen Sturms und den politischen Zielen der Stadteliten Straßburgs eine Schnittmenge, die zur Basis des Erfolgs der neuen Schule werden sollte. Die konkreten Schülerzahlen sind in ihrer Höhe zwar umstritten, unzweifelhaft ist aber die Tatsache einer raschen und anhaltend starken Frequentierung.

88 Schindling, Humanistische Hochschule, 28. 89 Schindling, Humanistische Hochschule, 28 f. 90 Arnold, Jean Sturm (1507–1589). Le pédagogue du siècle de la Réformation.

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Damit war ein offensichtlich erfolgreicher Schultypus geschaffen, der, als gymnasium illustre bekannt, später Vorbild für zahlreiche weitere Schulen und Ausbildungsstätten im Reich werden sollte, nicht zuletzt für reformierte Hochschulen, die aufgrund eines konfessionell restriktiv gehandhabten Zugangs zu den existierenden Universitäten als Neugründungen aufgebaut wurden. Dennoch erwies sich diese Innovativität insofern zugleich auch als ein Problem, als die neue Straßburger Hochschule ohne eigentlichen Universitätsstatus und damit ohne das Recht blieb, selbst die niederen Diplome wie des artistischen Magistergrades und selbst des Bakkalaureats zu verleihen. Dass es fast drei Jahrzehnte dauern sollte, bis das Graduierungsrecht wenigstens auf der Ebene einer Artesfakultät erlangt wurde, lag nicht eigentlich am Willen der Reichsspitze, die dies Privileg verleihen konnte, und noch weniger an der Qualität den Professoren, sondern an dem damit eo ipso verbundenen Zuwachs an juristischer Autonomie der Hochschule. Die Idee, dass die als städtische Hochschule aufgebaute Institution, die durch die aus dem Rat der Stadt gewählten Scholarchen nicht allein in Personal-, sondern auch grundsätzlichen Programmund Disziplinfragen geleitet wurde, an Selbständigkeit gewinnen könnte, wurde gerade bei den politischen Stadteliten mit Reserve aufgenommen. Befürchtet wurde vor allem ein Qualitätsverlust auf Grund zunehmender Disiziplinprobleme bei schwindendem Einfluss der Obrigkeit, überdies wohl auch eine als solche nicht eingestandene Einfluss- und Ansehenseinbuße der Regierung überhaupt. Andererseits aber schien eine Aufwertung der Munizipalhochschule doch auch sehr wünschenswert, um der frühneuzeitlichen Variante des brain drain, der dauernden oder auch nur zeitweiligen Abwanderung an Universitäten im Reich oder auch im Ausland, vorbeugen und somit der heimischen Aristokratie Studienkosten ersparen zu können. Deshalb wurde, nachdem schon der Gründungstypus durch Originalität auffiel, 1566 erneut eine einmalige Lösung gefunden, wenngleich sie nun sehr viel weniger oft von Dritten übernommen wurde, da sie im Sinne eines anderweitig so nicht nachformbaren Kompromisses ausfiel und selbst in Straßburg nur eine Übergangsform darstellen sollte. Höhere Fakultäten und tatsächliche Jurisdiktionsprivilegien wurden nun zwar immer noch keine angestrebt und erlangt. Die niederen Graduierungsrechte aber konnten dem Rat als sinnvoller, ja folgerichtiger Abschluss der Schulgründung so überzeugend nahegebracht werden, dass schließlich aus rationalen wie auch aus allgemeinen Prestigegründen die Reichsstadt der Reichsleitung sozusagen die Erlaubnis erteilte, ihr den Betrieb einer semiuniversitas91 zu erlauben. Das für das

91 H.H.St.A. Wien Reichhofratsprotokolle RHR Prot. res. res. XVI Jh., Bd. 27a, fol. 221b., zit. nach Schindling, Humanistische Hochschule, 56, Anm. 56.

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Magisterprivileg erforderliche Kanzleigeld von achthundert Gulden wurde von der Handelsfirma Prechter bezahlt, derselben bedeutenden Familie, der die Dannhauersche Epitome dialectica knappe sieben Jahrzehnte später im Vorwort an die Person des aktuellen Straßburger Akademiekanzlers ihre Hommage erweisen sollte. Die Entwicklung zur Angleichung an den Typus der Volluniversität, von dem spätestens gegen Ende des Reformationsjahrhunderts absehbar war, dass er trotz aller humanistischen Kritik aus dem Mittelalter letztendlich europaweit übernommen werden würde, war damit freilich noch nicht zu Ende. Ein 1594 unternommener erster Versuch, die erforderlichen Privilegien zu erlangen, scheiterte am gegenreformatorischen Stein des kaiserlichen Anstoßes an der Autorisierung einer evangelisch-theologischen Fakultät zur theologischen Doktorpromotion. Nach etlichen weiteren, ebenso erfolglosen Anläufen sah sich Wien im Eingang des dreißigjährigen Krieges schließlich zum Einlenken veranlasst, weil es 1621 unmittelbar vor dem Einmarsch in die Kurpfalz dringend auf Erneuerung bestehender Allianzen angewiesen und für einen Austritt Straßburgs aus der Union daher erkenntlich war. Nach dem Vorbild der Gießener Statuten und damit ohne explizite Nennung der Theologie erfolgte eilends die Anerkennung als Volluniversität mit allen vier Fakultäten. Mit der formaljuristischen Anerkennung zeitgleich und ihre hochschulpädagogisch-wissenschaftspolitische Voraussetzung darstellend wurde auch die neo-aristotelische Wissenschaftsauffassung in vollem Umfang in Straßburg weiterentwickelt und in die Lehrpläne und –bücher eingebracht. Wie sehr die Hochschule allerdings auch noch als Volluniversität unter der Tutel des Rates und dessen territorialpolitischen Zielen stand, reflektiert sich etwa in der aufschlussreichen Tatsache, dass noch 1658 „der Straßburger Magistrat zu dem Zweck“ der Abfassung einer anti-unionistischen Streitschrift „seinem Professor Ferien erteilte“.92 Falsch wäre es nun freilich, aus dieser ganzen Gründungsgeschichte zu schließen, dass die Zentralstellung des Sprachunterrichts sich aus äußeren Notwendigkeiten sozusagen funktional ableitete. Gewiss, die möglichst professionelle Ausbildung von Theologen zur Evangeliumsverkündigung wie auch das Interesse der Bürgerschaft an humanistisch auf der Höhe stehenden Funktionseliten waren dringlich und legten eine rhetorikzentrierte Schule nahe. Es ist nicht zuletzt auch hierin begründet, dass die Akademie zu einer der beliebtesten und meistfrequentierten Hochschulen nicht nur des emporstrebenden Bürgertums, sondern auch des von militärischen zu diplomatischen und administrativen Kompetenzen sich umorientierenden Adels im Reich und darüber hinaus avancierte. Es ist zudem belegt, dass Sturm, aber auch der Lehrkörper der Straßburger Akademie, aus der Not eine Tugend machten, indem sie angesichts der

92 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 48.

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vorläufig fehlenden höheren Fakultäten das Bewusstsein um die Exklusivität und den Wert der methodus sturmiana gut, ja überaus nachhaltig pflegten und auch gegen außen vertraten. Doch der eigentliche Antrieb zu dieser Methode ergab sich keineswegs aus äußeren Gründen. Das methodische Konzept Sturms stellt die Rhetorik nicht selbstzwecklich und auch nicht allein um Willen einer berufspraktischen Bildungsorientierung in die Mitte allen Lehrens und Lernens. Vielmehr sollte damit auf einer grundsätzlicheren Ebene ein Zugang zur Wirklichkeit in der Linie Agricolas ermöglicht werden, wie Sturm in Publikationen seit seiner Ankunft in Straßburg reichlich erläutert. Rhetorik ist seiner Auffassung nach nichts anderes als die vollendete Verkörperung jener Praxis, die er von Agricola übernahm, nämlich der Partitionesmethode. Wie alle ihm vorangehenden humanistischen Reformansätze in der artes-Methodik bedient daher auch Sturm sich des Zweitakts von inventio und iudicium, also der Abfolge von Auffindung von einfachen oder komplexen Sätzen und deren anschließender geordneter Verkettung. Wie bei allen entsprechenden früheren Ansätzen beruht daher auch in seinem Werk die in der Gelehrtenwelt sich weithin einstellende Akzeptanz, ja im Grunde die gesamte Konzeption auf einer engen Annäherung von rhetorischer Invention und dialektischer Topik. Eine solche faktische Verschmelzung bot sich nicht nur insofern an, als sie die wesentlichen Zwecke der Humanisten mit der Denkweise der mittelalterlichen Philosophie zu versöhnen unternahm. Sie griff darüber hinaus auch den roten Faden der noch in der Akademie entstandenen aristotelischen Schrift der Rhetorik auf, die sich anschickte, zwischen seriöser Philosophie und einer zunehmend im Ruche der Sophistik stehenden Redekunst zu vermitteln. Laut Aristoteles ist nicht etwa der zu behandelnde Stoff von Dialektik und Rhetorik unterschiedlich, zumal er in beiden disziplinenübergreifenden und daher gegenstandsoffenen Künsten nicht begrenzbar ist. Die Differenz beider Künste wird letztlich vielmehr erst durch ihre spezifische Behandlung eben dieser ihrer Objekte gestiftet. Die auf das pragmatische Ziel der Überzeugung ausgerichtete Rhetorik kann auf vollständige Beweisführung verzichten und sich mit enthymematischem Argumentieren begnügen, weil ihr Sinn und ihre Stärke in der ästhetischen, ornamentierenden Präsentation zu liegen kommen. Die Anordnung der zu besprechenden oder darzulegenden Stoffe, schließt Sturm daraus, hat daher nur in der Dialektik rigoros wissenschaftlich, in der Rhetorik hingegen kommunikationspsychologisch effizient zu erfolgen.93 Diese Ansicht wird in der frühen

93 Ioannis Sturmij // Partitionum Dialecticarum // Libri IIII. // Emendati & aucti. // CVM GRATIA ET PRIVI- // legio Cæsareo ad annos octo. // Anno M.D.LX.: Ioannis Sturmij // PARTITIONVM DIALECTI // carum Liber primus. // QVID DIALECTICA SIT, ET // quae sint eius partes praecipuae, & quod // officium disserentis: „Caput I. Possvmusne vt dicendi scientiam partiti sumus, ita etiam disserendi rationem partiri ? [Glosse: Dialecticas & ora-

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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Neuzeit kanonisch, und wenn noch Dannhauer zu Beginn seiner ein Jahr nach der Epitome dialectica verfassten epitome rhetorica der Überzeugung Ausdruck

torias partitiones consimilem rationem habere.] S. Possumus, & quidem consimili uia, & propè eodem modo. B. Vis igitur ut de hac etiam ego te arte interrogem, quae mihi multiplex & copiosa uidetur esse ab Aristotele tradita? S. Sanè volo, quoniam id semel suscepi, ut te ad loquendi dicen- [B verso] dique elegantiam, & subtilitatem informem. B. Quo nomine graeco placet à nobis hanc uim atque rationem appellari? S. Duobus eam Graeci vocabulis nominant, quorum altero communius est alterum. B. Quae sunt illa? S. Nam & dialecticen et logicen uocant, & utroque inter Latinos Ciceronem etiam usumfuisse uideo. B. Quid logicen esse dicis? [Glosse: Logice] S. Artem perspiciendi, diiudicandi, disserendi, quid sit, et quale sit id, quod ad disquirendum, docendúmue est propositum. Est autem ita nominata, quod artificiosè & subtilis orationis uiam demonstret ac patefaciat. B. At ego putabam esse etiam logice partem, grammaticorum artem: propterea quod sermonis sit, aut etiam hęc doctrina disserendi Philosophorum est, & ut illa dicendi ratio oratorum. S. Recte putas, utimur enim hoc uerbo in diuisione philosophiae: at Peripatetici cum logicen nominant, de hac disserendi & docen- [B ii recto] di uiam loquuntur. Quanquam enim grammaticorum praecepta etiam sermonis sunt atque orationis, ut dixisti, absque his enim pura oratio esse non potest, & cum oratio instrumentum sit philosophi, & rectè Socrates libro nono de Repub. διὰ λόγου dicat δεῖν κρίνεσθαι, ὧς λόγους φιλοσόφου μάλιστα ὄργανον, tamen ea demum oratio est, quae rationibus argumentosa, & quasi sapiens est, eamque ob caussam ueteres non tam grammaticorum puritati & rhetorum splendori, quam sapientię & subtilitati dialecticorum & philosophorum tribuerunt. B. Quid dialecticam, quomodo definis? S. Veteres primum logicen in duas partes diuiserunt, quarum alteram deinde pro toto posuerunt, propterea quod maiorem ad disserendum materiam suppeditaret: Nam unam apodicticen [Glosse: Apodictice] appellarunt quae firmiorem rationem concludendi tradit, & ex affirmatis ac minime dubiis, & ex certis [B ii verso] atque necessariis conficit conclusionem. Alteram dialecticen [Glosse: Dialectice], quae earum rerum est, quę dubitationem atque hęsitationem habent, & probabilia argumenta ad utranque, partem secum adferunt, quorum maior in omni disquisitione copia existit, iisque philosophi plurimum sunt usi. quae causa fuit ut eandem rationem & logicen & dialecticen appellarint. Fit enim saepenumero, ut aliter loquantur homines, ac rerum ipsarum natura sit distincta. Quamobrem statuamus dialecticen esse rationem disserendi de rebus in utranque partem probabiliter: ideoque res etiam tamen uel fortuitas esse oportet: uel si necessitate regantur, tamen earum, ab iis qui disserunt, sit non percepta scientia, aut non percepta esse uideatur, uerum ad percipiendum proposita, cuius perceptionis Dialectica instrumentum est, quod ad omnes artes atque disciplinas, earumque etiam primordia applicabile est, quę [B iii verso] caussa est, quod Aristoteles eam esse dicit πρὸς τὰς ἁπάσων τῶν μεθοδῶν ἀρχὰς ὁδὸν ἔχουσα. B. Quot itigur in partes distributa est omnis disserendi disciplina ? [Glosse: Partes dialecticae] S. In duas, in uim disserentis, & in disquisitionem. B. In quo autem est vis disserentis? S. In inveniendo, iudicando, & collocando. B. Oratoris officium est invenire & disponere, antequam elocutionem & memoriam & pronunciationem ad caussam accommodet, at de iudicando propè nihil proponunt Rhetores. S. Iudicat bene, qui quae utilia sunt causae, invenit. est enim apud hos invenire, meliora argumenta investigare atque deligere, in quo iudicio est opus, sed pauca iudicandi pręcepta Rhetores habent, & ea, quę habent, sunt à Philosophis desumpta. et si enim oratorum conclusiones à dialecticorum & demonstratorum & sophistarum ratiocinationibus disserant, tamen ad dialecticorum regulas [B iii] pertinent. B. Possumus ne, ut res & verba oratori subiecimus, sic etiam disputanti

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verleiht, dass in materiâ logica & Rhetorica conveniunt, in forma sive modo considerandi discrepant,94 argumentiert er damit einerseits durchaus humanistisch, andererseits aber wahrhaft aristotelisch. Diese sozusagen enharmonische Verwechslung beider Typen von Invention ist nun bei den Humanisten zu Beginn des 16. Jahrhunderts eindeutig durch die Rhetorik sowohl motiviert als auch dominiert. Dies gilt für die Humanisten im Gefolge Agricolas im Allgemeinen,95 wie für Johannes Sturm durch eine enge und bewusste Anlehnung an Cicero im Speziellen. Zwar legt Sturm Wert darauf, dass seine Darstellung der Wissenschaften mit Hilfe dihäretisch operierender Schemata seine eigenständige geistige Leistung darstelle. Zugleich ist aber auch offensichtlich, dass seine terminologische und materielle Neuschöpfung der partitiones dialecticae sich an die partitiones oratoriae Ciceros anlehnt, um nicht zu sagen, sich ihnen mehr oder minder

certam materiam [Materia dialectices], & aliquampiam orationis propriam formam dare, quibus haec tria, cum erit opus, applicet? S. Habet iste communem cum oratore materiam, res ipsas quaecunque ad disputandum adferuntur: sed ille ornatum verborum addit, quem si quoque Dialecticus aut etiam Philosophus consequatur, plus laudis habiturus est, quàm caeteri qui spinosiora & horridiora sectantur. Sed honorarium illud est, non est autem necessarium, neque disputatori neque philosopho. Veruntamen verborum vim & potestates nosse oportet etiam Dialecticum, idemque in explicandis verbis certam viam rationemque sequi debet: & Stoici atque etiam ante hos Peripatetici viam tradiderunt investigandi, quot modi quidque dicatur, & quo modo ambigue dicta dividere explanareque oporteat.“ 94 Epitome rhetorica, DWV 82, 2. 95 Dieser faktische Amphibienstatus der humanistischen inventio-Literatur gilt bereits für deren Inspirator Agricola, wie eingehend formuliert bei Jardine, Humanistic logic, 182: „[. . .] An extraordinary amount of scholarly energy (past and present) had been expended on trying to decide wether Agricola’s work is a contribution to rhetoric, or an intervention in the history of logic. The answer one gives, of course, relates directly to one’s view of the traditional logicians’ claim that topics-theory was essentially a debased branch of the study of argumentation, best treated with ‘rhetorical’ topics as a division of rhetoric. If one accepts this view (as propounded in, say Peter of Spain’s Summulae logicales), then Agricola ‘rhetoricises’ and debases dialectic. If, however, one regards topics-logic as providing an account of a less restrictive and non-demonstrative logic, and as a possible contender in this respect with Aristotelian demonstration, where the discourse to be analysed deliberately defies syllogistic rigour (the Socratic dialogue, for instance), then Agricola’s move has to be treated seriously. It marks a conscious move towards an account of systematic reasoning which includes reasoning which falls short of the deductively rigorous, and towards the development of a logic of language use. Such a study, amongst other things, reveals limitations in traditional notions of certainty and absolute truth in relation to ratiocination, and opens the way forward to modern empirical notions of truth.”

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verdankt.96 Cicero unterstreicht in der genannten Schrift die von Sturm herausgestrichene Nähe der Wahrheitsfindung mittels der eigentlichen Redekunst zu jener mittels der dialektischen Disputationskunst, welche beiden Künste er, nebst den tätigen Tugenden, als die zwei comites der sapientia als dem Ziel aller oratorischen Tätigkeit bezeichnet.97 Diese in der Frühzeit der Straßburger Akademie so deutliche Bevorzugung ciceronianisch-humanistischer Rhetorik auch in Fragen von Methode und Argumentation implizierte zugleich, dass die intellektuelle Reichweite der Rhetorik nahezu universalisiert wurde, mithin die Partitionesmethode zur methodus schlechtin avancierte. Sturms Schüler und zugleich Dannhauers Vorgänger auf dem Rhetoriklehrstuhl Valentin Erythräus (1521–1576) oder Roth98 erklärt denn auch nicht von ungefähr, dass die partitiones oratoriae ein Lehrbuch auch der Grammatik, Dialektik, Ethik, Physik und der Theologie darstellen.99 Umgekehrt legte Sturm selber wenig Hemmungen an den Tag, seine an ostentative Abneigung grenzende Reserve gegenüber der aristotelischen Dialektik zu zeigen, indem er sie an so prominentem Ort wie dem Vorwort zu seinen partitiones dialecticae verschriftlichte.100 Mit alledem steht Sturm offensichtlicher Weise in der Nähe des berühmten Lehrers am Collège Royal, der ihn denn auch zu seinen Lehrern zählte. Eine der besten Kennerinnen

96 Die durchgehende Parallelisierung, die Sturm in den partitiones dialecticae mit jenen der Rhetorik vornimmt, ist gerade im Eingangskapitel augenfällig. Vgl. hierzu Schindling, Humanistische Hochschule, 201. 97 M. Tullius Cicero, De partitione oratio, 78 f.: „Atque hae quidem virtutes cernuntur in agendo. Sunt autem aliae quasi ministrae comitesque sapientiae, quarum altera quae sint in disputando vera atque falsa quibusque positis quid sequatur distinguit et iudicat, quae virtus omnis in ratione scientiaque disputandi sita est; altera autem oratoria. Nihil enim est aliud eloquentia nisi copiose loquens sapientia, quae ex eodem hausta genere quo illa quae in disputando est, uberior est atque latior et ad motus animorum vulgique sensus accommodatior. Custos vero virtutum omnium dedecus fugiens laudemque maxime consequens verecundia est.“ [Zit. Nach http://www.thelatinlibrary.com/cicero/partitione.shtml.] 98 S. zu Erythräus: Halm, Art. Erythräus, Valentin; Montagne, Jean Sturm et Valentin Erythraeus. 99 Erythräus, Valentin: Vorrede zu den Tabulae partitionum oratoriarum Ciceronis: et quatuor dialogorum Joan[nis] Sturmii in easdem] Valentini Erythraei tabvlae partitionvm oratoriarvm Ciceronis: & quatuor dialogorum Ioan. Stvrmii in easdem: recognitae [. . .], Straßburg 21560 (11547), zit. nach Schindling, Humanistische Hochschule, 201, Anm. 32. 100 Sturm, Johannes: Partitionum Dialecticarum Libri IIII, [Aij recto] „MICHAELI ET BAR- // THOLOMAEO PETREIS, // Ioannes Sturmius. // S. P. D. // Difficili nos in re plenaque fastidio: sed tamen utili opinor, & nostro gymnasio necessaria, per hosce menses uersati sumus. [Aij verso] Et quanquam mihi neque facile, neque iucundum fuit, ob temporis angustias, & occupationum multitudinem in hac scriptione uersari: tamen ad utilitates nostri gymnasij pertinere credidi, ut ad illa, quae fuse atque subtiliter ab Aristotele tradita sunt, & à me explicantur: quasi compendio quodam adolescentes deducerentur.“

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des Ramus konnte sogar die begründete Vermutung äußern, dass Ramus den Titel seiner Dialektik nach dem Vorbild der kurz zuvor erschienen Sturmschen partitiones dialecticae benannt habe.101 Es ist also auf der einen Seite eine deutliche Distanz zumal des jungen Sturm gegenüber dem aristotelischen mainstream des dialektischen Denkens seiner Zeit zu fassen. Sturm geht darin insofern auch über Agricola hinaus, als er zusätzlich zur Reflexion der Methode auch den entsprechenden griechischen Term in die Diskussion einführt, und zwar wiederum unter der Ägide der Rhetorik. Es spricht einiges dafür, dass er ihn vom griechischen Rhetor Hermogenes (5./4. Jh. v. Chr.) übernahm, von dem er in den frühen siebziger Jahren die Schrift De Statibus unter dem bezeichnenden Titel Partitiones Rhetoricae,102 nebst De ratione inveniendi und De dicendi generibus,103 übersetzte und kommentierend herausgab.104 Es ist daher wahrscheinlich, dass er sich für das Denken des frühreifen Schriftstellers aus der Hochblüte des römischen Prinzipats bereits erheblich früher aktiv interessierte. Von vier anonymen HermogenesÜbersetzungen, die kurz nach der Ankunft Sturms in Paris bei Chrétien Wéchel (Christian Wechel, † 1554) zu Beginn der 1530er Jahr erschienen, trägt der vierte den Methodenterm bereits explizit im Titel;105 und es ist schwer vorstellbar, dass der in derselben Offizin publizierende Sturm das nicht interessiert zur Kenntnis genommen hätte. Fest steht jedenfalls, dass Sturm nicht allzu lange Zeit später in der Erstausgabe zu Ciceros Partitiones den Methodenbegriff einge-

101 Bruyère, Méthode et dialectique, 9. 102 HERMOGENIS TARSENSIS // RHETORIS ACVTISSIMI // Partitionum Rhetoricarum liber unus, qui vulgò de // Statibus inscribitur, Latinitate donatus, & // Scholis explicatus atque // illustratus // A // IOANE STVRMIO. // Cum Gratia & Privilegio Caesareo // ad annos octo, // Excudebat Iosias Rihelius // M.D.LXX. 103 HERMOGENIS // TARSENSIS RHETO- // RIS ACVTISSIMI, // DE DICENDI GENERIBVS // siue formis orationum Libri II. Latinitate // donati, et scholis explicati atque // illustrati,// A // IOAN. STVRMIO. // Excudebat Iosias Rihelius. // M.D.LXXI. HERMOGENIS TARSENSIS // RHETORIS ACVTISSIMI // De ratione inueniendi oratoria, libri IIII. Lati- // nitate donati, et Scholis explicati at[que] illustrati // A // IOANNE STVRMIO.// M.D.LXX. // ARGENTORATI // EXCVDIT IOSIAS RIHELIVS. 104 Die Assonanzen mit den Interessen des Agricolakreises mussten Sturm in der Tat ansprechen, wie die schon die πίναξ in De statibus anzeigt [γ ii verso]: „ΠΙΝΑΞ ΤΕΧΝΗΣ ΔΙΑΡΕΤΙΚΗΣ Τῆς πραγματείας προοίμιον. 2 // Διαίρεσις τῶν τάσσεων. 18 // Περὶ στοχασμοῦ. 30 // Περὶ ὅρου. 60 // Περὶ ἀντιλήψεως. 70 // Περὶ τῶν ἀντιθετικῶν, ἀντιφάσεως, ἀντεγκλήματος, μεταστάσεως, συγγνώμης. 82 // Περὶ πραγματικῆς. 88 // Περὶ μεταλήψεως. 96 Περὶ ῥητοῦ καὶ διανοίας. 100 // Περὶ ἀντινομίας. 104 // Περὶ συλλογισμοῦ. 110 Περὶ ἀμφιβολίας. 116.“ 105 Ong, Ramus, Method, and the Decay of Dialogue, 232, referenziert das Werk wie folgt: Περὶ μεθόδου δεινότητος. De methodo gravitatis sive virtutis commode dicendi, Parisiis, Christianus Wechelus, 1531.

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hend erläutert und ihn weit über den gängigen peripatetischen Rahmen hinaus gehend dreiteilig – als systasis oder ratio συστατικὴ διαρετικὴ, analysis oder ratio ἀναλυτικὴ und diaeresis oder ratio διαρετικὴ – und faktisch damit galenisch auffasst. Auch in brieflichen und eher tagesaktuellen Äußerungen lässt Sturm keinen Zweifel daran, dass er mit der grundsätzlich aristotelesrelativierenden Haltung des großen niederländischen Dialektikers in eins geht.106 Trotz alledem jedoch geht der Straßburger Pädagoge in der Kritik an Aristoteles viel weniger weit als Ramus es tun wird. Während sich Ramus weder in der Bestimmung der inventio noch bei derjenigen des iudicium an das Organon gebunden fühlt, bleibt Sturm zwar nicht sklavisch, aber dem Tenor nach dennoch deutlich mit dem Stagiriten verbunden. Seine Topik lehnt sich deutlich an die einleitenden Schriften des Organon an, und das iudicium verzichtet keineswegs auf eine den Mittelterm allererst bestimmende Analysis zugunsten der faktisch bei Ramus alles beherrschenden Synthesis. Damit verbunden scheint die Differenzierung der Näherbestimmung der rhetorischen Fähigkeit als einer vis und der dialektischen Intelligenz als einer facultas, die eine Hierarchisierung zu implizieren scheint, aber nun eben nicht im Sinne einer Einheitsmethode, sondern zugunsten der Methodenpluralität, die Raum für eine traditionelle Anlehnung an die Analytiken des Aristoteles gab. Wenn auch Sturm, ähnlich wie La Ramée, in der ursprünglich von ihm aufgestellten Trias des inveniendo, iudicando, collocando zunehmend das collocare vernachlässigt, tut er es doch zugunsten einer Vielfalt der Methoden, in der die Bestimmung des syllogistischen Mittelterms nicht bereits in der inventio intuiert, sondern erst im iudicium getätigt wird. Um diesen Aspekt herauszustreichen, fügt Sturm in den späteren, um zwei Bücher erweiterten Ausgaben der partitiones dialecticae drei eigene Methodenkapitel ein,107 in denen die Notwendigkeit der Unterscheidung dreier verschiedener Methoden erläutert wird. Sturm gibt sich damit vom intellektuellen Habitus her und besonders zu Beginn seiner Karriere aristoteleskritisch, ist faktisch aber aristotelestreu. Bei Ramus hingegen verhält es sich genau umgekehrt. Nach seinem mit Verve unterbreiteten Eintrittsbillet in die Welt der Gelehrten unter dem Titel seiner Magisterthese quaecumque ab Aristotele dicta essent commenticia esse, gibt sich der Professor am Collège Royal mit steigender Notwendigkeit eines Dialogs mit den Aristotelesapologeten in der benachbarten Sorbonne und mit fortschreitender

106 Schindling, Humanistische Hochschule, 217. 107 Er tut dies nicht erst 1571, wie von Robinet, Aux sources de l’esprit cartésien, 70 angezeigt, sondern bereits 1560; vgl. auch Schindling, Humanistische Hochschule, 202; unter Berufung auf Ong, Ramus, Method and the Decay of Dialogue, 232. Es handelt sich um die Capita 14–16 in Sturms Partitionum Dialecticarum Libri IIII: De triplice ordine demonstrandi; De triplici Methodo; Discrimen quod sit inter Methodum & demonstrandi rationem.

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eigener Entwicklung wieder zunehmend aristotelisch. Genauer gesagt: er gibt sich zunehmend aristotelisierend. Wie Nelly Bruyère dank ihres konsequent redaktionsgeschichtlichen Vorgehens luzide herausgearbeitet hat,108 betreibt der mittlere und späte Ramus freilich eine Aristotelesinterpretation, die sich dem System und der Terminologie des Stagiriten formal angleicht, ihn inhaltlich jedoch beständig platonisch interpretiert. Der junge La Ramée baut ein dreigliedriges System auf, indem er auf die Darstellung von inventio und dispositio als den ersten beiden Ebenen einen als exercitatio derselben verstandenen usus hinzufügt, und denselben als eine dritte Ebene explizit und in konstitutiver Weise von den beiden Basisebenen trennt. Mit der Neuauflage der Dialectica von 1555 und deren Übersetzung in der volkssprachlichen Dialectique von 1555 kehrt er zu einem zweistufigen System zurück, in dem die zweite Ebene von dispositio oder collocatio bereits als Verwirklichung des vormals von ihr abgehobenen usus gilt, und somit die Darstellung der Methode in die praktische Durchführung der Dialektik integriert wird. Dies wurde als Konzession an eine klassischere Auffassung der Dialektik mit Topik und Analytiken aufgefasst, obschon gerade hierin Ramus wohl eher seinen Agricola verbundenen Lehrern als einer mittelalterlichen Tradition gefolgt war.109 Ebenfalls ab den fünfziger Jahren zeigt er sich zudem bereit zu einer konstruktiven Lesart des zentralen, zuvor von ihm attackierten oder schlicht ignorierten Kapitels An. Post. I,2, das zwischen dem prior oder notior natura und dem prior oder notior ad nos unterscheidet, also zwischen dem der Sinneserfahrung und dem der Sache nach jeweils Früheren.110 Schon 1548 erklärt Ramus das der Natur nach Frühere als das der species vorangehende genus, während das für uns Frühere jeweils eine in ihrem genus resultierende species darstellt. Er transferiert also die Fragestellung in den Horizont der Kategorienschrift. Aufgrund eines Vergleichs mit Kat. 12, das fünf Bedeutungen von prior aufweist, welche Ramus einer Reduktion auf eine einzige, nämlich die zeitliche Bedeutung, zuführt, kann er daraufhin das natura prior als mit dem der Zeit nach Baldigeren identifizieren.

108 Bruyère, Méthode et dialectique, 5, unterscheidet fünf Entstehungsstufen („états“): I. Bis 1543: ungedruckte Manuskripte; II. 1543–1546: die ersten dialektischen Schriften, vor allem die Institutiones dialecticae von 1543; III. 1546–1555: die Dialectica von 1554 als Knotenpunkt; IV. 1555–1565: die aus zwei Büchern bestehende Dialectique von 1555 und der lat. Übersetzung der Dialectica von 1565; V. 1665–1572: Ausweitung der Kampfzone, nämlich zu einer platonisierenden Lesart auch weiterer aristotelischer Schriften mit der Physica von 1565 und der Metaphysica von 1566, gefolgt von einer Art Gesamtwerkeausgabe in den Scholae in liberales artes von 1569. Trotz gelegentlicher sachter Kritik an Bruyères Einschätzung des rameischen Konzepts als von hoher Originalität ist ihre Unterteilung und besonders ihre Grundthese allgemein zustimmend aufgenommen worden. 109 Meerhoff, Logic and eloquence. A Ramusian revolution? 110 Bruyère, Méthode et dialectique, 126–134.

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Prior wird so unter der Hand und in jedem Sinne des Terms zu universalior. Das aber heißt, Aristoteles mit Aristoteles’ Hilfe zu platonisieren, und Ramus war sich dessen durchaus bewusst. Als er kurz vor seinem schrecklichen Ende gar einen superaristotelischen Überbietungsgestus beansprucht und eine kecke defensio pro Aristotele verfasste, gab er in privaterer Korrespondenz freimütig Einblick in die taktischen Absichten solchen Vorgehens.111 Doch wäre es falsch, daraus eine an Heuchelei grenzende, bewusste dialektische Verstellung herauslesen zu wollen. Vielmehr erkennt Ramus auch in aristotelischen Werken, deren Gliederung zumindest unter gewissen Gesichtspunkten vom Einzelnen zum Allgemeinen aufsteigt wie in Met. IV, Eth. Nik. oder Phys., die Gültigkeit einer übergeordneten Regel methodischen Abstiegs vom Allgemeinen zum Einzelnen.112 La Ramée betreibt also keinen aristoteleshermeneutischen Methodenimperialismus. Er integriert vielmehr die empirischen Elemente des peripatetischen und generell allen wissenschaftlichen Vorgehens in seine de facto platonisierende Schau wirklichkeitskonformer Wissenschaft in einer Weise, die er selber als intellektuell redlich, ja hellsichtig und notwendig ansehen musste. Seine platonisierende Lektüre des Aristoteles ist laut Bruyères subtiler Analyse denn auch nichts anderes als eine gezielte Anwendung der von ihm selber aufgestellten Hypothese einer in der Universalgeschichte der Wissenschaft umfassend gültigen Lichtprinzips. Die mentes der Kinder tappen im Dunkeln, was die Kenntnisse der genera angeht, doch nachdem sie sich am Singulären, an der Einzelerfahrung geübt haben, werden sie zu Adlern, die unmittelbar und aufmerksam ins Licht der Sonne zu blicken vermögen. Das Licht geht der Wahrnehmung der Kinder also zwar voraus. Es ist allein ihre subjektiv gesehen zutreffende, aber objektiv betrachtete defiziente Wahrnehmung, die ihnen die Gegenwart des Dunkels als dem Licht vorangehend erscheinen läßt. Dieser Sachverhalt aber trifft für alle Menschen und besonders für die Wissenschaften insgesamt zu.113 Ramus deutet denn auch den Fortschritt der Wissenschaften im Laufe ihrer Geschichte immer wieder mit Hilfe von dem Werk Platons entnommenen Lichtmetaphern oder –mythen. Prometheus bringt

111 Oldrini, Les stratégies du combat chez Ramus et les ramistes, 35 f. 112 Bruyère, Méthode et dialectique, 133 f. Vgl. 134: „On mesure ici la technique de La Ramée: ne pas abandonner Platon d’un pouce, ni la doctrine de l’universalité descendante; récupérer dans Aristote tout ce qui peut en confirmer la validité; reclasser les concepts aristotéliciens d’expérience et d’induction qui ne lui sont pas favorables en les cantonnant dans le domaine de l’invention, non dans celui de la méthode.“ 113 Praelectiones, 1556, 255, 1560, 215: „Et quamvis in prima rerum disquisitione species ante cognoscatur, quam genus (nam prima informatio et perceptio fit per sensus) tamen cum utrumque cognoveris, et doctrinam tradere volueris, genus ipsum sua natura clarius et prius erit; atque idcirco in dispositione artis praecedere speciem debebit.“ Zit. nach Bruyère, Méthode et dialectique, 143.

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anfangs den Menschen das Feuer, eine den Göttern geraubte Gabe, die in der rameischen Lektüre des entsprechenden Passus im Philebosdialog nichts anderes ist als die virtus, welche uns erlaubt, die in der inventio ermittelten Gegenstände richtig zu konnotieren und zu ordnen. Die sich daraus ergebende Notwendigkeit stetig wachsender und beständig vertiefter Gewöhnung unseres im Schatten wesenden Geistes an das Licht dieser letztlich göttlichen virtus demonstriert dann vor allem das platonische Höhlengleichnis. Nicht umsonst zählt die Parabel zu den Elementen, die kontinuierlich von den 1543 publizierten, frühesten Versionen der Dialektik114 bis hin zu den Scholae in liberales artes von 1569115 das ansonsten durchaus evolutive rameische Werk wie ein Orgelpunkt durchziehen. In allen Phasen des rameischen Werks dient ihre Interpretation der Begründung der völligen Ausschließlichkeit einer Einheitsmethode, die vom Allgemeinen ausgehend die Wissenschaften erklärt. Obzwar die Verwendung dieser Parabel nicht eigentlich auf eine Ideenlehre im klassischen Vollsinn einer eigentlichen Universalientheorie zielt,116 ist doch auch von dieser Seite her offensichtlich, dass Ramus den Lehrer des

114 Institutiones dialecticae, 1543, 4: „ut aliquando splendenti igne illo (quem coelestem vocat Plato), animae nostrae optima portio ex eodem igne constans, recreata, naturalique luci restituta, et caeterarum rerum, et sui imprimis longe gratissima cognitione perfruatur.“ Zit. nach Bruyère, Méthode et dialectique, 246. 115 Praefatio in Scholas Metaphysicae, in: idem., Scholarum metaphysicarum libri quatuordecim, in totidem Metaphysicos libros Aristotelis, Basel 1569 [nicht paginiert; S. 3*]: „Socrates enim apud Platonem dialecticam multis et mirificis laudibus afficit, ejusque docet esse varium & admirabile usum, cum in singularibus et quotidianis rebus interrogando, respondendo, rationem quęrendo, capiendoque, tum maxime in communibus & perpetuis rebus, quales sunt in artibus et scientiis comprehensae, ut dialecticae lumine videamus earum communiones, similitudines, differentias, dissimilitudines, principiae, quae sit in physicis πίστις, quae sit in mathematicis διάνοια, quae sit in logicis ipsis νόησις, ut tandem cum divini solis umbram quamdam in his universalibus exemplis deprehenderimus: operaque Dei, divinorumque operum ordinem, symmetriam, descriptionem, e mathematicis, logica mente contemplati fuerimus, tum ad eum ipsum clarissimum solem contemplandum, vitaeque integritate imitandum convertamur. Hac de re Socrates in Philebo, & septimo de republica, multa magnifice philosophatur, & dialecticam hic appellat.“ Zit. nach Scholae in liberales artes, hg. v. Walter J. Ong, Reprint der Ausgabe Basel, 1569. 116 Bruyère, Méthode et dialectique, 256 und passim. Instruktiv zur differenzierten Position des Ramus ist ein Ausschnitt aus seinen Platonis Epistolae, 1549: „Plato significat ideas, id est, viva et sempiterna rerum exempla in divina mente: item formulas idearum animis nostris insitas, quae velut emicantes oculorum radii, ideis velut stellarum radiis illustrantur. Plato autem duo genera animalium ratione praeditorum statuebat, Deum et hominem, magna rationis et mentis similitudine conjuncta. Itaque cum videret ab hominibus nil percipi nisi per imagines et species rerum, judicavit in Deo simile quiddam esse, sed species illas et notitias divinas (quas ideas didebat) quoniam Deus aeternus et immutabilis esset, aeternas quoque et

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Aristoteles diesem deutlich vorzieht. Wenngleich daher die Einflüsse des von Dannhauer so prominent zitierten Rheinländers auf den acht Jahre jüngeren Pikarden in der neueren Forschung zunehmend Beachtung finden und ihre weitere Erhellung laut einhelligem Urteil vielversprechend scheint, so stellt sich doch umgekehrt auch ein Konsens darüber ein, dass Sturm trotz allem eindeutig Aristoteliker bleibt.117 Eine imaginäre Wasserscheide zwischen trotz ihrer Kritik noch aristotelischen Autoren einerseits und trotz ihrer Aristotelesrezeption eindeutig post- oder unaristotelischen Autoren andererseits ließe die Schriften Sturms jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Logik den Feldern der Peripatetiker zufließen.

2.2.2 Die Entwicklung in Straßburg bis zu Ludwig Hauenreuther Wenn also die langfristige Entwicklung in Straßburg trotz ursprünglich großer Nähe zum Reformiertentum einerseits und zum Pariser Collège royal andererseits schließlich auf den Neoaristotelismus Dannhauers und überhaupt der elsäßischen Universität zur Zeit der lutherischen Orthodoxie hinauslief, hat das entscheidend mit einer bereits durch Sturm getätigten Weichenstellung zu tun. Sie dürfte als solche verstärkt worden sein durch den ebenso umfassenden wie überragenden Einfluss der Dialektik des praeceptor Germaniae Melanchthon. Dieser Einfluss ist schwer zu quantifizieren. Doch scheint bemerkenswert, dass von dem guten Hundert im 16. Jahrhundert gedruckten Ausgaben der Dialektik immerhin vierzehn aus dem Elsaß, sechs davon aus Hagenau und damit der Dekapole, acht aus Straßburger Offizinen, stammen.118 Diese Elsäßischen Ausgaben erschienen alle, bis auf die einzige Ausnahme der Melanchthon mit Sturm kombinierenden Eythräusausgabe aus

immutabiles esse. Tum vero statuit, cum animus hominis ex illo divinitatis fonte delibatus esse, divinarum idearum formulas illinc haustas esse, sed corporis tenebris obscuratas, tandem autem illustrari nominibus, definitionibus, exemplis, sed tenuiter et infirme: cum et nomina et definitiones et exempla caduda sint, et commutabilia: plenissime vero illuminari, cum formula humana divinae ideae splendore collustraretur.“ Zit. nach Bruyère, Méthode et dialectique, 247. 117 Siehe dazu etwa Vasoli, La prima polemica antiaristotelica di Pietro Ramo. 118 Von den 108 im VD16 verzeichneten Dialektiklehrbüchern Melanchthons stammen folgende aus dem Elsaß: 1574: ΣΩΜΑΤΟΠΟΙΙΑ ΔΙΑΛΕΚΤΙΚΗ, mit dem Vorwort Sturms von 1538; 1538(1), 1538(2), 1538/39, 1540, 1542: Philippi Melanchthonis de Dialectica libri quatuor; hg. v. Johann Sturm; 1533, 1536 De dialectica libri quatuor; 1528, 1529, 1531: Dialectices libri quatuor; 1526;1527 Dialectica; 1522, 1523 Compendiaria dialectices ratio.

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dem Jahr 1574,119 bereits vor 1543 und damit vor der letzten und wichtigsten Auflage des melanchthonschen Werks. Es scheint daher, dass sowohl an der Akademie wie wohl auch generell in Straßburgs geistigem Einzugsgebiet die Sturmsche Dialektik zur Hauptlektüre aufrückte. Dennoch ist gerade dies eher als ein Zeichen dafür anzusehen, dass deren Inhalte zwar vielleicht nicht als identisch, aber doch als in unterrichtspraktischer Hinsicht austauschbar angesehen wurden. In diese Richtung deutet auch die Auswahl der dialektischen Werke, die der Lindauer Valentin Erythräus (1521–1576)120 veröffentliche, einer der bekannten Schüler Sturms, der aus Wittenberger Studien kommend zuerst Klassenpraezeptor und dann auch Professor an Sturms Seite wurde. In dieser Funktion gab er nicht allein dessen Epistolae und weitere Schriften heraus und verfasste geschätzte Tabellenwerke zu den Sturmschen Partitionen des Cicero sowie zu jenen der – letztlich immer noch aristotelischen – Dialektik, sondern eben auch solche zu Melanchthons berühmter Dialektik.121 Anläßlich der Erythräusausgabe der Sturmschen Partitionen zur Oratorik wird Melanchthon gar recht eigentlich als Ergänzungswerk beigebunden.122 Auch in der Schola Argentinensis betitelten Lehrplanübersicht des jungen Ludwig Hauenreuther (1548–1618)123 von 1571, einem der wichtigsten Zeugnisse für das Leben in der Akademie aus der Zeit der Vollblüte des Sturmschen Wirkens, trifft man Lehrbücher der Dialektik sowohl von Sturm als auch von Melanchthon direkt

119 VALENTINI ERYTHRAEI // TABVLAE // PARTITIONVM // ORATORIARVM CICERONIS:// & quatuor dialogorum IOAN. STVRMII // in easdem: recognitae, &, alicubi auctae.// INTERPOSITVS EST IPSE // Dialogus, cui addita sunt Scholia oeconomica // eiusdem Erythraei.// His adiecimus [. . .] // Tullianarum Partitionum, Commentarios // duos clariss. virorum: alterum D. PHILIPPI // Melanthonis, alterum D. IOACHIMI Ca- // merarij Pabergensis [. . .] // ARGENTORATI APVD // Christianum Mylium // 1560. – E 3908. 120 S. oben Anm. 98. 121 ΣΩΜΑΤΟΠΟΙΙΑ ΔΙΑΛΕΚΤΙΚΗ // CORPVS DISSEREN-//DI DOCTRINAE, // Seu, // EROTEMATA DIALECTICES, // continentia ferè integram artem, ita scripta: // vt Iuuentuti vtiliter proponi possint. // EDITA A // PHILIPPO MELANCHTHONE, // post omnes omnium editiones. // ITEM, // QVATVOR LIBRI DE DIALECTICA PHILIP= // pi Melanchthonis [. . .] quibus praefatus est IOANNES STVRMIVS, Anno // M.D.XXXVIII: postremò recogniti, et aucti [. . .] // OMNIA haec oikonomia τεχνολογικὴ sunt illustrata, & σχηματισμοῖς, seu Ta= // bulis delineata, Libris VII. // AVTORE. // Valentino Erythraeo Lindauiensi. // [. . .] Cum duabus Praefationibus Philippi Melanchthonis: & vna Pauli Eberi. // ARGENTORATI // Excudebat Nicolaus VVyriotus, Anno // M.D.LXXIIII. – E 3909. 122 S. oben Anm. 119. 123 Zur Person s. Franck, Art. Hauenreuter. Zur wissenschaftsgeschichtlichen Stellung und Wirkung vgl. Kusukawa, Mediations of Zabarella in Northern Europe: The Preface of Johann Ludwig Hawenreuther, 199–213; sowie noch immer Backus, The Teaching.

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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nebeneinander.124 Werden die Dialektik und die Rhetorik Sturms in der Prima, also gegen Ende der classes, benutzt,125 kommt Melanchthons Dialektik als Ergänzung in den lectiones publicae hinzu, bemerkenswerter Weise besonders für die Anführung von Beispielen.126 Aufschlussreich ist in diesem Lehrplan nun allerdings auch die Rolle des aristotelischen Dialektiklehrbuchs, um das Organon einmal so zu benennen. In

124 SCHOLA ARGEN=//TINENSIS. // Hoc est, // EPISTOLARVM IOANNIS // STVRMII CLASSICARVM ET // Academicarum σχηματισμοὶ, confecti // A // IOANNE LVDOVICO HAVVENREVTERO. // Cum praefatione Ioannis Sturmij. // ARGENTORATI EXCVDEBAT // Iosias Rihelius, // M.D.LXXI. // 21572. – ZV 7468. Aiijr: „SCHOLA ARGENTINENSIS. Academia // Argenti-// nensis in // duos diui- // ditur ordi- // nes: quo- // rum // UNUS est Curiarum qui decem continet tribus: in quarum singu- // lis, quæ doceantur, Vide signo A. /// ALTER au//scultationum pub- // licarum. // Harum // præfectoru[m] // considera- // tur Nume- // rus, per- // penden // da vel [[ / Officium /// Docendo. // Disputando. // Declamando. Linksgerichtete Klammer: De his vide si- // gno B. /// PERSONARUM // multitudine: quæ in arti- // bus & Philosophiæ disci- // plinis singulis, binos de- // siderat præceptores: qui se // paratis in locis, sed ijsdem // horis doceant: distinctio- // ne librorum atq[ue] ingenio- // ru[m] facta, vt faciliora tra- // dantur imbecillioribus: // difficiliora peritioribus // demonstrentur. Hæc offi- // cioru[m] coniunctio, & hora // rum separatio efficit, vt /// PRIMUM bien // nio quisq[ue] suum mu // nus consummet. // DEINDE, con // fusio ingeniorum vi // tetur, & docti ab in // doctis, aut minùs e- // ruditi ab eruditiori // bus segregentur. /// TVM, facilior sit // animaduersio viti- // orum, et virtus suas // audiat quotidie lau // des: & disciplina no[n] // minor sit, publicaru[m] // scholarum: quàm // in classibus est. // POSTREMO // aptiùs agatur cum // studijs: si quisq[ue] sua // & suos, & sua ratio // ne bona tradat.]] Rei tra // dendæ // diuersi // tate quæ // requirit /// Theologos. // Iurisperitos. // Medicum. // Historicum. // Mathematicum. // Dialecticos. // Rhetores. // Physicos. // Ethicos. // Græcum professorem. // Hebræum interpretem. // Musicum.“ 125 Schola Argentinensis, Biiij: „In secunda 3. Sapientiæ instrumentum, quod Dialectica dicitur discipulis in manus tradatur: atq[ue] I. quibus illud ex rebus confectu[m] sit, oste[n]datur. II. Quomodo vti debeant indicetur. III. Ab ea parte quæ κριτικὴ appellata est, principium fiat. IIII. Exemplis explanetur: in illis qui explica[n]tur Græcis Latinisq[ue] scriptoribus. Sed fontes dialectici: ab Oratorijs imbribus separan[n]di sunt: vt vtrunq[ue] genus co[n]spiciatur separatim: & Dialecticum illud breue atq[ue] acutum: & hoc Oratorium ornatum & amplum. 4. Dialecticæ comes adiu[n]gatur dicendi ars: atq[ue] Herenniana institutio tradatur: vt tu[m] Græcis illa artis vocabulis illustretur: tum exe[m]plis explanetur: non solùm ijs, quæ adferunt ex gradibus inferioribus: sed ijs etiam, quæ quotidie noua suppedita[n]tur: in illis qui explica[n]tur Græcis Latinisq[ue] scriptoribus.“ 126 Die Beispiele in der Logik allgemein und bei Melanchthon im Besonderen sind kaum je zufällig gewählt. Oft, beispielsweise gerade bei Dannhauer, stammen sie aus der Theologie, näherhin aus der Abendmahlsthematik oder andern heißen Eisen der konfessionellen Kontroverstheologie. Für Melanchthon hingegen hat Demonet, La place de Melanchthon dans la logique française, die interessante These aufgestellt, dass die von ihm gewählten Beispiele in ihrer Tendenz bewusst neutral, letztlich sogar irenisch wirken sollen. Aus diesem Grund hatte Melanchthon laut Demonet auch eine über den Protestantismus hinaus reichende Wirkung.

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der Sekunda beginnt der Unterricht in der Dialektik als eine Anfangsbegegnung mit diesem sapientiae instrumentum erst einmal ohne viel konkrete Textbeispiele; man darf sich eine sehr allgemeine, elementare Einführung in die Begrifflichkeiten vorstellen. In der Prima sodann wird Sturms Lehrbuch benutzt, von dem die Schola erklärt, dass es vornehmlich in die dialektische Philosophie des Cicero und des Hermogenes einführe. In den lectiones zur Dialektik hingegen, auf der eigentlichen Hochschulebene, wird Aristoteles favorisiert und direkt das Organon kommentiert.127 Dieser kurrikularen und institutionellen Hierarchisierung durch die Schola entspricht ihr expliziter Vergleich der Leistungsfähigkeit der Sturmschen Dialektik mit derjenigen des Aristoteles, in der dem Stagiriten und generell den antiken Rhetoren ein expliziter Vollkommenheitsstatus zugesprochen, Sturm hingegen zumindest implizit aberkannt wird.128 Mit der Aussicht, sich hinter Aristoteles und die Meister der Antike in die zweite Reihe gestellt zu sehen, konnte Sturm sicherlich einigermaßen problemlos zurechtkommen; doch gerade dies lässt erkennen, dass er von jener radikalen Kritik, wie sie bei Ramus auftritt, weit entfernt war. Umgekehrt war die deutlich proaristotelische Perspektive dem gewiss um Objektivität bemühten, gleichwohl zwangsläufig aus einer gewissen Perspektive schreibenden Verfasser der Schola alles andere als unlieb. Johann Ludwig Hauenreuther, zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Schrift gerade einmal dreiundzwanzig Jahre jung, kann als der eigentliche Promotor des Neoaristotelismus in Straßburg gelten.129 Sturm selber hielt zwar, wie wir sahen, die aristotelische Dialektik für einen notwendigen Bestandteil einer Rhetorenausbildung, konnte sich aber dafür nicht eigentlich erwärmen. Seine Nachfolger waren entweder wie der Organiker Justus Velsius (1502/5–1582/5)130 konfessionell ungefestigt und darum mit andern, existentielleren Sorgen belastet oder aber durchaus protestantisch, doch eher der Rhetorik zugetan; so oder so aber waren sie zumeist jeweils nur kurze

127 Schola Argentinensis, Cijr: „Dialectici, Aristo- // telis organum ex- // planent: vt /// 1. Discipuli verba & genus dicendi: & eorum, quæ traduntur, // sententiam intelligant. // 2. Præceptores Aristotelis ἐκθέσεις & ἀποδείξεις ostendant. // 3. Exempla ad- // dant: tum in /// Demonstrationibus /// Mathematicorum. // Medicorum. /// Dialecticis con- // clusionibus /// Philippi Mela[n]chtonis. // Ethicorum: quoru[m] ma- // gnam copiam Plato sup // peditat.“ 128 Schola Argentinensis, Cijr: „non PERFECTE: more Aristotelicorum & Græcorum Rhetorum: sed BREVI I. Sturmij via & institutione: quæ tametsi non omnia explicat, quæ ab Aristotele tradita sunt.“ 129 Freudenthal, Art. Havenreuter [sic], Johann Ludwig; Backus, The Teaching, 244; Schindling, Humanistische Hochschule, 237–241.248–252; Adam, Melchior, Vitae Germanorum Medicorum, 442–447. 130 Springer, Art. Velsius. Zur ersten Konversion Velsius‘ zur augsburgischen Konfession im Übergang von Leuwen nach Straßburg s. Feist Hirsch, The strange career of a humanist.

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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Zeit auf dem Lehrstuhl tätig. Die Organonauslegung blieb in der Akademie daher marginal, bevor Hauenreuther einen Platz in ihrem Lehrkörper einnahm. Einziges Kind des wissenschaftlich interessierten Straßburger Arztes Sebald Hauenreuther (1508–1589)131 und Schüler Sturms, aber auch Erythräus’, kehrte Hauenreuther nach nur kurzem Aufenthalt in Augsburg bei dem prominenten Gräzisten und Mathematiker Hieronymus Wolf (1516–1580)132 auf elterlichen Wunsch als “Säule seiner Familie“133 bald wieder in die Vaterstadt zurück und begann als eine Art Privatdozent einen extrakurrikularen Spezialunterricht in aristotelischer Naturphilosophie. Diese Kurse kamen bei den Hörern und dank deren Echo dann auch bei den Scholarchen gut an. Hauenreuther wurde deswegen als professor publicus kooptiert und bekam die Organonvorlesung anvertraut, womit das eigentliche Aristotelesstudium in der Logik einen deutlichen Aufschwung nahm. Wie in anderen Städten ebenfalls zu beobachten, war eine nachreformatorische Intensivierung der Aristotelesrezeption somit auch in Straßburg einerseits eine Folge eines allgemeinen Umschwungs des geistigen Klimas, welcher andererseits aber von einer einzigen, bestimmten Dozentenpersönlichkeit getragen wurde.134 Diese Persönlichkeit, häufig wie im Falle Hauenreuthers jüngeren Alters, identifizierte sich mit dem aufkeimenden Neoaristotelismus und machte sich zu dessen Wortführer, so dass er auch in der studentischen und öffentlichen Wahrnehmung identifizierbar wurde. Wenngleich Hauenreuther von der Naturphilosophie des Aristoteles herkam, ab 1585 einen Ruf als Medizinprofessor annahm, und schließlich ab 1589 den philosophischen Lehrstuhl zugunsten der Physik wie auch der Metaphysik aufgab, sich selber und seinen Berufsund Interessenschwerpunkt also vermutlich eher als Naturwissenschaftler denn als Philosoph begriff, war seiner philosophischen Wirksamkeit die größte Nachhaltigkeit beschieden. Nicht von ungefähr gab er auch als Physiker noch ein knappes Jahrzehnt Kurse zum Organon, die er erst 1597 schließlich aufgab. 1585 wurde er auch Inhaber des Lehrstuhls für Medizin, den er 1589 zugunsten desjenigen für Physik und Metaphysik aufgab, auf den er sich fortan ausrichtete. In ganz Deutschland und darüber hinaus machte ihn schon zu seinen Lebzeiten wie auch in ihrem durch die diverse Auflagen sowohl gesicherten als auch dokumentierten Nachwirken ins 17. Jahrhundert hinein seine 1594 erstmals erscheinende Edition der Opera Logica Jacopo Zabarellas, die er mit einem Vorwort

131 Franck, Art. Hauenreuter, 44. 132 Mezger, Art. Wolf, Hieronymus. 133 Adam, Melchior, Vitae Germanorum Medicorum, 443: „Verùm cùm unicus ipse esset filius, & familiae quasi columna; paterni animi solicitudo, quae ad omnia etiam tuta trepidare solet, ut longiùs eum à se dimitteret; impetrare à se non potuit.“ 134 Burnett, The Educational Roots of Reformed Scholasticism.

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publizistikgeschichtlicher und wissenschaftshistorischer Ausrichtung versah. Der Durst nach Zabarellas Schriften erfasste die Gelehrtenrepublik nördlich der Alpen zwar erst relativ spät, dann aber mit einer Wucht, die den sofortigen Ausverkauf großer Auflagen zur Folge hatte.135 Zuvor jedoch dirigierte Hauenreuther eine für

135 Einen aufschlussreichen Blick auf den „flammenden Durst des Studentenvolks“ und der deutschen Gelehrtenwelt nach Zabarellas Texten in den Jahren um 1600 gibt anschließend einer, der es wissen muss, nämlich der Verleger der Opera Logica sowie der De Rebus Naturalibus Libri XXX, Lazarus Zetzner, die Eberhard Zetzner 1654 dann in dem vorliegenden Systema Universale zusammenfassend herausgab als JACOBI // ZABARELLAE // PATAVINI, // DE // REBVS NATVRALIBVS // LIBRI XXX. // Quibus Quaestiones, quae ab ARISTOTELIS // Interpretibus hodie tractari solent, // accurate discutiuntur. // [. . .] EDITIO POSTREMA. // Cum gratia & privilegio Caesarea Majestatis. // FRANCOFVRTI, Sumptibus EBERHARDI ZETZNERI. // ANNO M.DC.LIV. Zetzner wendet sich S.):( 2 v bis):( 4r. den ersten Teilband des Sammelbandes an Alessandro Peretti, den Neffen jenes Papstes, dem als Beatissimo Domino Nostro Sixto Quinto Pont. Max. S.):( 2r-v: der Gesamtband gewidmet werden sollte. Er unternimmt es so, den ersten Teilband sozusagen als Prototyp des Gesamtwerks unter den Schutz „Illustrissimi, ac summæ spei adolescentis Alexandri Peretti Cardinalis, nepotis tui patrocinio commendare, donec totum absolutum opus tuo conspectu dignius redderetur. Quod ad res alias prædicatione dignas adhibetur prouverbium, Reverende in Christo Pater: Vino vendibili hederâ suspensâ nihil opus esse: id ego doctissimis Jacobi Zabarellæ, illustris olim Comitis, & in Academia Patauina Professoris primarij lucubrationibus iure accommodari posse arbitror. Quis enim in omni doctorum inuenitur numero, qui non existimet, diuini huius Veri monumenta, quotquot lucem aspexerunt, no[n] habenda solu[m], veru[m] etiam diurna nocturnaq[ue] manu esse versanda omnibus, quicunq[ue] ad interiores genuinę Philosoph[iæ] recessus penetrare sese cupiunt. Declarant hoc cum multa passim in libris doctissimoru[m] hominu[m] pręclara de hoc Viro Illustri edita testimonia: tu[m] vero inprimis quædam infinita & insatiabilis cupiditas, qua pleriq[ue] Musarum alumni in præcipuis Germ[aniæ] nostræ Academiis erga ipsas eiusdem lucubrationes mirabiliter sunt incensi. Etenim Logicoru[m] eius operum volumen quum primum in Italia esset editum, tanto doctorum omnium cum applausu fuit exceptum: vt exemplarium numero emptorum multitudini non respondente, altera statim in Germania editio sit adornata: quæ & ipsa tamen ardentem illam studiosi popelli sitim haud omnino potuit restringere. Itaque tertiam nunc eiusdem voluminis editionem qui vrgeant, omnibusq[ue] votis expetant, non sane pauci reperiuntur. Hoc idem pene vsv venit postea diuino illi de Rebus naturalibus operi, quod hic Auctor postremum, & quasi cygneam quandam ante obitum cantionem emisit: Nam & illud, quum itidem in Ita- [):( 3r] lia primum lucem spexisset, distractis quasi in momento exemplaribus omnibus, Joannes Baptista Ciottus, Bibliopola Venetus Germanis quibusdam Typographis suo recudendu[m] ære tradidit. Que sane facto & magnum ille operæ meritus est pretium: & eximiam à doctgis quib[us]q[ue] viris nostrę nationis reportauit gratiam. Quæ, quum ita sese habeant, Reuerende Pater, & istorum scriptorum cum præstantia tum vtilitas sic manifesta sit, & nota omnibus: vt toties iam repetitæ eorundem editiones studiosæ iuuentutis explere desideriu[m] nequeant: haud me peccaturum in publica commoda ratus sum: si postremum hoc volumen, in quo rerum naturaliu[m] no[n] minus accurate quam perspicue explicatur obscuritas, meo sumptu recusum, cum studiosis Philosophiæ, cæterisque per Germaniam viris doctis communicarem. Quapropter re diligenter ponderata, & propositis ob oculuos

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seine philosophischen Ausrichtungen und Intentionen mindestens ebenso aufschlussreiche, über siebzehn Jahre realisierte Serie von logischen Dissertationen. Wenngleich die individuelle Färbung und Gestaltung, vielleicht auch in einer gewissen Entsprechung zur Persönlichkeit des jeweiligen Respondenten, etwas variiert, ist doch allen diesen Dissertationen eines gemeinsam. Archimedischer Punkt ihrer Organonreflexion ist die averroistische Dreiteilung der Syllogismen in dialektische, apodiktische und sophistische. Stets resultiert deren Erklärung in der Feststellung absoluter alethologischer Überlegenheit und Vorrangigkeit des apodiktischen Typus. Nicht nur die sophistische, sondern auch die dialektische Schlussfolgerung wird dabei, wo nicht explizit abgewertet, so doch zumindest durchwegs deutlich relativiert. Umgekehrt avancieren die Zweiten Analytiken so eo ipso zur Kernschrift des Organon, ja sie gelangen in den Rang der letztlich allein logischen Schrift. Insgesamt wirkt der logiktheoretische Standpunkt des Schriftguts, das Hauenreuther im Laufe seiner philosophischen Lehrtätigkeit und in den darauffolgenden Jahren veröffentlichte, daher in sich durchaus einheitlich.136 Eine größere Veränderung ist im Fortschreiten der elf ganz oder teilweise der Logik gewidmeten Schriften von insgesamt fünfunddreißig Publikationen kaum auszumachen.137 In der ersten mit seinem Namen verbundenen Publikation fungiert er zwar als Respondens, nicht als eigentlicher Autor; sie spiegelt daher eher die Ansichten des Praeses als die seinen. Mit seiner eigentlichen Erstlingsschrift findet Hauenreuther dann aber sozusagen aus dem Stand zu einer kohärenten, zwar nicht übermäßig orginellen oder innovativen, dafür aber mit umso beachtlicherem Erfolg und Beständigkeit vermittelten Position. Es schließen sich eine Reihe diesen Standpunkt unter verschiedenen Aspekten verdeutlichende kleinere, meist aus dem Disputationswesen entstandene Schriften, an.

infinitis vtilitatibus, quæ ex hoc labore ad literarum & Philosophiæ studiosos promanare possent, negotiu[m] aggressus sum, atq[ue] vt esse liber quam emendatissimus, & pretio à Studiosis æquiuoce co[m]parari, & formâ satis commodâ tractari posset, quantum quidem in me fuit, procuraui. Proinde, omnibus bonis viris & candidis huiusmodi rerum æstimatoribus hoc meum qualecunque studium gratum et acceptum esse futurum plane co[n]fido. Præsertim, quum præter illam meam de multoru[m] studiis, totaq[ue] Germania bene merendi voluntatem, nonnulloru[m] quoq[ue] bonorum & veræ Philosophiæ amantium virorum crebræ ac pene quotidianæ voces ac hanc obeundam prouinciam me sint cohortatæ.“ [Es folgt die eigentliche Widmung bis S. ):( 4r.] 136 S. unten das Werkeverzeichnis innerhalb der Bibliographie 2, S. 663–667. 137 In unserer Bibliographie 2 werden dabei die Nummern 8, 10, 17, 22, 24, 28, 30 als exklusiv logische, die Nummern 13, 16, 20, 26 als teilweise logische Gegenstände behandelnde Schriften gezählt. Vgl. dazu weiterführend auch Lohr, Renaissance Latin Aristotle Commentaries. Authors G-K, 714 f.

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Die ganze Reihe gipfelt schließlich in einer durch Daniel Fabinus, einen wohl besonders talentierten Schüler, verteidigten und teilweise vielleicht auch redigierten Syzetesis, die als eigentliche Systemskizze gelten kann. Interessante Punkte in der Entwicklung sind eher durch Kontakte mit andern Positionen denn durch entscheidende Veränderung eigener Ideen gegeben. 2.2.2.1 Die Erstlingsschrift: Analysis libri primi physicorum (1571) Dies gilt schon für die Erstlingsschrift,138 wobei hierin nichts Außergewöhnliches liegt, da Hauenreuther unter heutigen Bedingungen bestenfalls als Zweitautor einer Gemeinschaftspublikation bezeichnet werden könnte.139 Es handelt

138 Mit vollem Titel: ANALYSIS LI= // BRI PRIMI PHYSICO=RVM ARISTOTELIS CONSCRI=// pta & in disputationem proposita; per Andream // Planerum Athesinum, Doctorem Medi- // cum & Philosophum, // In Academia Argentoratensi. // VERITAS HARVM ΘΕΣΕΩΝ, DIVINI NVMINIS // auspicio, exquiretur 25: Die Augusti, hora septima, loco consueto. // Respondente Ioanne Ludouico Hauenreutero, Me= // dicinae & Philosophiae studioso. // Aristoteles. // Ἅυτη γὰρ ἂν ὀφθεῖσα ἡ φύσις ἅπασαν ἔλυσε τὴν ἄγνοιαν. // Argentorati excudebat Iosias Rihelius, // Anno 1571. 139 Instruktiv sind die Ausführungen „zur Frage der Autorschaft von theologischen Disputationen“ bei Appold, Orthodoxie als Konsensbildung, 80. Bei theologischen Disputationen allgemein und im orthodoxen Wittenberg im Besonderen kann von der Autorschaft des Praeses ausgegangen werden. Das dürfte grosso modo auch auf die interfakultäre Disputations- und Dissertationenlandschaft zutreffen, weil die Veröffentlichung von Disputation generell von der jeweiligen Fakultät zensiert wurde. Als wissenschaftliche Zeugen dieser allgemein geteilten Ansicht verweist Appold auf Kelly, Early German dissertations, und Allweiss, Von der Disputation zur Dissertation. Das Promotionswesen in Deutschland vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Besonders in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts werden dann die Respondenten, die an der Redaktion der Disputationen beteiligt waren, durch formalisierte Hinweise wie Respondens et Auctor R&A, eigens als solche kenntlich gemacht. Doch selbst dann ist die Vorstellung von Autorschaft laut Appold, 84, grundsätzlich von der heutigen, individuellen, verschieden: „Das Ziel dieses ganzen Prozesses bleibt stets die gemeinsame Anerkennung von allgemeingültigen Wahrheitsaussagen. Im Gegensatz zu modernen Vorstellungen von Autorenschaft, die vom Ausdruck persönlichen Gedankenguts ausgehen und dem Verfasser eine primäre Bedeutung zumessen, bleibt die Autorenschaft von Disputationsthesen im 17. Jh. nicht nur vielschichtiger, sondern auch von nur sekundärer Bedeutung. Dennoch kann nicht geleugnet werden, daß der Praeses eine rechtliche Verantwortung für die Disputationsthesen trägt. Egal, wie sie zustandekamen, er mußte dafür sorgen, daß sie den Normativitätserwartungen entsprachen. Daher erscheint es auch gerechtfertigt, den Praeses als ‚Verfasser‘ zu bezeichnen und die Disputationen entsprechend zu ordnen.“ Laut dem Kenner der vormodernen deutschen Disputationen, Hanspeter Marti, Philosophische Dissertationen deutscher Universitäten, 1660–1750, 23, der sich auf Johann David Michaelis, Räsonnement über die protestantischen Universitäten, Teil 4, Neudruck der Ausgabe Frankfurt / Leipzig 1776, Aalen 1973, 78 f., beruft (und von Appold, Orthodoxie als Konsensbildung, 81, zitiert wird) ist als Verfasser einer Disputation daher so gut wie jeder in irgend einer Weise direkt oder indirekt an ihrer Entstehtung Beteiligte vorstellbar, der Praeses

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sich um eine unter dem Namen seines Lehrers140 Andreas Planer (1546–1607)141 veröffentlichte Analysis des ersten Buchs der Physik. Interessanterweise besteht hier bereits in der Verwendung des formalen Ausdrucks Analysis ein Unterschied zu Sturm und der Agricolaschule. Für die Humanisten bedeutet Analysis das Aufspüren der gedanklichen Grundstruktur eines Textes unter ihrer ornamentierten Oberfläche; für Planer-Hauenreuther besteht sie hingegen aus einer Quaestio142 und fünfundvierzig daran anschließenden Themata, also eher einer mittelalterlichen Thesenreihe denn einer Textanalyse. Die Quaestio bewegt sich interessanterweise auf dem Feld der Methodik, indem sie fragt, ob innerhalb der Naturphilosophie bei der Prinzipienerschließung vom Allgemeinen zum Singulären oder umgekehrt von dem der Natur nach Bekannteren ausgegangen werden solle. Diese nicht an sich zu naturphilosophischem Zugang nötigende Einstiegsfrage wird durch einen Marginalienapparat illustriert, der von Platons Republik über die Nikomachische Ethik bis zum Methodenkapitel der Zweiten Analytiken reicht, sich also nicht eben aus den klassischen der Reflexion auf die physis gewidmeten Schriften der antiken Schulen speist. Die Thesenreihe gibt auf die Quaestio denn auch eine reichlich indirekte Antwort. Nicht so sehr die methodologische Frage der Angemessenheit einer Induktion aus den Prinzipien oder einer Deduktion hin zu denselbigen steht im Mittelpunkt, sondern die Untersuchung des näher bei der Seinsphilosophie angesiedelten Problems, was denn ein principium unter naturphilosophischen Fragebedingungen überhaupt sein und heißen könne. In einem eigentümlichen Konglomerat aus Stücken der vorsokratischen Elementenlehre, der aristotelischen Physik in Schegk’scher143 Interpretation, sowie an franziskanische Individuationstheorien des späteren Mittelalters gemahnender Theoreme wird diese sachliche Hauptfrage der Disputatio ihrer Klärung zugeführt. Mit den meisten Vorsokratikern verwirft der Tübinger Mediziner eine rein physiologische oder naturalistische Auffassung des natürlich Gegebenen und diskutiert daher die Thesen der mit dem Logos argumentierenden Naturphilosophen, nämlich im Wesentlichen den

allein, der Respondens allein, beide zusammen, eine Drittperson wie ein Freund oder Vater; ja selbst ein Fabrikprodukt gegen Bezahlung kam zuweilen vor. 140 S. hierzu Burchill, Aristotle and the Trinity. Zur hohen Reputation Sturms in Polen s. Chelminska, Sturm et la Pologne. 141 Adam, Melchior: Vitae Germanorum medicorum, 404–405. 142 Planer/Hauenreuther, Analysis libri primi physicorum, A ij: „Quaestio. VTRVM IN PHILOSOPHIA Naturali, ut à cognitione principiorum: sic εκ τῶν καθ’ ὅλον quoque ἐπὶ τὰ καθ’ ἕκαστα ceu ἁ ἐπ’ ἀρχὰς, καὶ φυσει γνωριμώτερα, procedere debeamus, quaeritur.“ Marginalie: „Plato lib. 6. de Repub. Aristot. Lib. 1. Eth. Cap. 4. lib. 1. Metaph. & lib. 2. cap. 4. lib. 1. post. Analyt.“ 143 Zu Jakob Schegk oder Degen, s. unten S. 89f. mit Anm. 148.

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Vorsokratikern.144 Bei deren Darstellung konzentriert er sich auf die seiner Meinung nach nicht aufhebbare Differenz von ens und unum; die mittelalterliche Universalformel ens et unum convertuntur erscheint ihm als reine Absurdität.145 Gibt es also sicher mehr als nur ein einziges Prinzip, so umgekehrt doch nicht deren unendlich viele: Auf diese Doppelaussage fasst Thema 26 die ersten fünfundzwanzig Themata zusammen. Es dürfte sich kaum dem Zufall verdanken, dass es sich dabei in der Marginalie auf D. D. Scheggium, praeceptorem meum observandissimum beruft.146 Ab Thema 27 wird erläutert, dass diesen beiden Prinzipien ein Nebenprinzip (mit Subprinzipien) beigeordnet werden muss, das beide untereinander verbindet; mittels komplexer Argumentationsgänge wird klar, dass es sich um Form, Materie und Privation handelt. Letztere beide seien komplementär zueinander und beide zusammen komplementär zur Form zu verstehen. Planer unterstreicht dabei in erster Linie, dass die Materie mehr als reine Privation darstelle. Auch unter Abstraktion dieses ihres privativen Aspekts sei sie noch etwas, ein δὲ τὶ, und zwar hinsichtlich der durch sie zu informierenden Form. Es ereignet sich hier eine Annährung an einen modernen, empirischen Materiebegriff, der sich tendenziell dem postnewtonschen Massebegriff annähert.147 Zugleich erinnert das Ganze von ferne auch an die franziskanischen Individuierungskonzepte, in denen gleichsam zwischen dem Allgemeinen und dem Individuellen die formalitas oder eine Mehrzahl selbiger zu liegen kommt. Der nach Ende der Lektüre unweigerlich sich einstellende Eindruck, dass dieser ganze durchaus packende Gedankengang mit der eigentlichen Eingangsquaestio der Schrift doch recht wenig zu tun hat, dürfte wohl kaum ganz unbeabsichtigt sein.

144 Planer/Hauenreuther, Analysis libri primi physicorum, A ij recto: „Thema primum. De principijs rerum naturalium, etsi variae fuerint veterum Philosophorum opiniones, alijs unum, alijs plura quibusdam mobilia, alijs immobilia nonnulis finita, nonnulis infinita asserentibus. Ex his tamen quidam sunt Physici quorundam sententiae ceu θέσεις λόγου ἕνεκα λεγόμεναι, à Physiologia abhorrent ut quibus repugnantia principijs physicis sanciantur.“ 145 Planer/Hauenreuther, Analysis libri primi physicorum, A ij verso, Marginalie zum Thema VI: „Absurditas θέσεως alicuius traducenda ad falsissimam aliquam θέσιν. ε. Ens, et vnum conuertuntur, vt in Metaph. Monet.“ 146 Planer/Hauenreuther, Analysis libri primi physicorum, A iiij verso: „Thema XXVI. Non ergo unum potest esse principium rerum naturalium, cum contraria sint duae formae repugnantes sed neque infinita esse possunt, cum in quolibet genere Physico una tantùm sit contrarietas: & principia etiam, ex quibus οὐσίαι naturales gignuntur, in genere οὐσίαι contineantur.“ Die Marginalie zu diesem thema gibt Auskunft über die Herkunft dieser Überzeugung: „De genere Physico vide Aristotelem in Metaph. & D. D. Scheggium, praeceptorem meum obseruandissimum, in Comment.“ 147 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Materiebegriff Ockhams bei Schramm, Art. Materie.

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Eine durchgängige Seinskatene vom dem einen höchsten Prinzip bis zu den Einzeldingen wird abgelehnt. Es ist ein von Gott zumindest phänomenologisch zu unterscheidender Seinsbegriff, der außer- oder paratheologische Prinzipienbegründung ermöglicht; Aristoteles wird kaum erwähnt. Bewegung als das aristotelische Kernstück naturphilosophischer Überlegungen findet sich kaum je im Text, folglich auch nicht das aristotelische Anliegen, jeder Einzelwissenschaft ein gesondertes principium zuzuweisen. Umgekehrt wird die Eingangsfrage gerade nicht transdisziplinär verstanden, nicht im Sinne einer übergeordneten Methode, wie etwa bei Ramus, sondern streng auf die Naturphilosophie bezogen. Es wird daher in deren eigenem Rahmen eine Antwort gesucht, was zumindest implizit dem aristotelischen Anliegen entspricht. Der konkrete Inhalt dieser Antwort verdankt sich zwar einem Vorgehen – oder vielleicht muss man allgemeiner formulieren: einem philosophischen Klima –, das sich der Wiedergeburt einer Metaphysik auch im Raum des Protestantismus verdankt. Das Sein wird als uneingeschränkt allgemeines verstanden, als eines, das allem Seienden in gleicher Weise zukommt. Es wird letztlich also in einer zumindest faktischen, wo nicht absichtlichen Fortsetzung der Errungenschaften des „Zweiten Anfangs der Metaphysik“ (Ludger Honnefelder) aufgefasst, vor allen Dingen jener, zwischen Gott und dem Seiendem als Seiendem phänomenologisch zu trennen. Gerade die metaphysiknahe Auffassung des Gegenstandes auch aller naturphilosophischer Reflexion ist eine inhaltliche Herangehensweise, keine formal operierende. Die Eingangsfrage wird daher aus ihrem 1571 bereits weithin im europäischen Protestantismus methodologisch verstandenen Kontext vorerst noch einmal herausgelöst und von ihm unterschieden. Umgekehrt bedeutet dies zumindest implizit eine Aufteilung von allgemein fungierender Logik und disziplinengebunden spezifischer Bestimmung der Erkenntnisprinzipien der einzelnen Wissenschaften. Ein Teil der späteren Ausrichtung des Lebenswerks des Respondenten dieser Disputation wird wohl in diesem Sinne aus dem Planerschen Erbe zu verstehen sein. Planer seinerseits folgt von den großen Linien bis hin zur detaillierten Terminologie seinem Tübinger Lehrer Jakob Schegk (oder Jakob Degen, 1511–1587),148 der ab den sechziger Jahren sowohl das methodologische wie auch naturphilosophische Feld maßgeblich mitgeprägt hatte. Schegk hatte bereits eine metaphysiknahe Physik entworfen, die trotz scharfen Angriffen auf Ramus durchaus auch Berührungspunkte mit seiner platonisierend-idealisierenden Grundposition aufwies. Zugleich wurde er zu einem der schärfsten, streng auf eine Vorordnung des Apodiktik und der Zweiten Analytiken vor die Dialektik und die

148 Richter, Art. Degen, Jakob; Hirai, La main de Dieu entre l’âme et la nature; Kusukawa, Uses of Philosophy in Reformation Thought: Melanchthon, Schegk and Crellius.

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Topik bedachter Verfechter eines antiramistischen149 Kurses in der deutschprotestantischen Schulphilosophie vor der Übernahme Zabarellischer Konzepte und Schriften. Schegk betont etwa in seinem Kommentar zu den aristotelischen Analytiken sehr deutlich, dass allein die Verlässlichkeit der principia Kriterium zur Trennung in eigentliche und uneigentliche, apodiktische oder nur topische Logik, sein könne; das vollgültige genus cognitionis, das genus διδασκαλικὸν oder demonstratoris beweist aus den Prinzipien qui sunt adamantina in ipsius professione.150 Schegks Metaphysikverständnis trennt dabei Gott und Sein weniger deutlich als etwa dasjenige seines reformierten Gegenspielers Simonius, wie eine große Debatte um die metaphysischen Implikationen der christologischen Naturen- und Personenlehre zwischen diesen beiden Autoren ergeben hatte.151 Dennoch ist dies wohl zweitrangig hinter der grundlegenderen Tatsache, dass schon bei Schegk die beiden Bereiche von Metaphysik und den Wissenschaften einerseits, der Logik als jenseits der Wissenschaften liegendes Instrumentarium andererseits voneinander separiert wurden. Planer fährt hier fort, gerade auch im hier zu diskutierenden Text; zugleich verrät diese Disputation, an welcher der junge Hauenreuther in mehr oder minder bedeutender Weise zumindest passiv beteiligt gewesen sein muss, auch ein Interesse an der Form-Materie-Reflexion als solcher. Auch dieses Philosophem ist für die altaristotelisch-averroistische Organoninterpretation eine entscheidende, lange vor Fortunatus Crellius († ca. 1610) und Hauenreuther in Paris verwendete, Fundamentalkategorie. 2.2.2.2 Paul Krause: De essentia et natura ratiocinationis (1578) Mit just dieser Unterscheidung von Form und Materie beginnt desgleichen Hauenreuthers nächste logiktheoretische Schrift de essentia et natura ratio-

149 Die epistolarisch 1569 geführte Streitschriftenkorrespondenz zwischen Ramus und Schegk findet sich in den collectaneae epistolae des Ramus; es ist erfrischend, wie der Schwabe dem Pikarden in Angriffslust und Wortwitz in nichts zurücksteht, vgl. Petri // Rami Pro=// fessoris Regii, // & // Audomari Talaei // collectaneae // Praefationes, // Epistolae, // Orationes, // Quibus adjunctae sunt P. Rami vita cum Testamento: // ejusdem Basilea: pro Aristotele adversus Jacobum // Scheckium comparatio: Johannis Penae, & Fride=// rici Reisneri Orationes elegantissimae, &c. // Cum INDICE totius operis, // Marpurgii, // Typis Pauli Egenolphi, Typogr. Acad., // MDCXIX.; Reprint, 175–207. 150 D. D. Jacobi Scheccii explicatio in priorem librum priorum Analyticorum Aristotelis, excepta per me M. Martinum Crusium, Tybingae, 1565. Mense Novembri, 9; im folgenden zitiert nach Sigwart, Ein Collegium Logicum im XVI. Jahrhundert. 151 Zu dieser Debatte s. Frank, Die Vernunft des Gottesgedankens; Kusukawa, Lutheran usus of Aristotle.

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cinationis.152 Möglicherweise unter an sich kontingenten Umständen entstanden, trägt diese Disputatio dennoch den Charakter einer initialen Programmschrift

152 DE // NATVRA ET // Essentia Ratiocinationis, doctrina // libri primi priorum Analyticorum Aristotelis, // in disputationem proposita, in Academia // Argentoratensi. // Præside M. IOANNE LVDOVICO HAVVEN- // reutero. // Respondente // PAVLO CRVSIO MOLENDINO. // VI. Idus. XVI & IX. Calend. Maij. // ARGENTORATI // Excudebat Nicolaus Wyriot, // M.D.LXXVIII., [A ij] „THESIS I. In Analyticis Aristoteles de neceßitate agit ratiocina- // tionis: in prioribus quidem causa formæ, in posterioribus // materiæ. // Pars autem ratiocinationis est propositio: quæ oratio // est aliquid affirmans aut negans alteri inesse, vel vniver- // sè, vel ex parte, vel indefinitè. // Siue ἀποδεικτικὴ & demonstratoris sit vera, & altera tantum Contradictionis partem sumat: siue διαλεκτικὴ & // dialectica probabilis, atq[ue] in disputando totam contradi- // ctionem interroget: vel in argumentando quod videtur // sumat. [lies iiii.] // Resoluitur porrò propositio in terminos, qui partes eius // sunt. quorum alter Subiectum appellatur, de quo aliquid // vel affirmando vel negando dicitur: alter Prædicatum, // qui subjecto tribuitur. Ratiocinatio verò est oratio siue argumentatio, in qua // positis quibusdam rebus, aliud aliquid quàm ea quæ posita // sunt, necessariò efficitur, idq[ue] ex ijs quæ sunt posita. Estq[ue] alia perfecta quæ nullo externo indiget instru- // mento ad conclusionis neceßitatem declarandam. Alia Imperfecta, quæ vel vnum vel plura, in quibus [verso] ijdem termini retinentur, propositiones variantur requi // rit: vt conclusio necessariò confecta esse videatur. Perfectæ tamen ratiocinantes illustrantur: si conclu- // sionem habeant affirmantem: Regula quæ aliquid in altero // toto inesse: aut de Omni dici ostendit: quia nihil est, sub con- // clusionis subiecti complexu, de quo prædicatu[m] non dicatur. Si verò negantem: Regula, quæ aliquid in altero toto // non inesse, aut Nulli tribui demonstrat: quod nihil subiectu[m] // conclusionis comprehendat, cui prædicatum attribui queat. Imperfectæ autem maxima ex parte ope conuversio- // nis perficiuntur: quæ subiecti & prædicati inter se mutatio // est, vt veritas retineatur. Quævel sit vniversè, eadem manente propositionis // quantitate & qualitate: in vniversali negante, & parti- // culari affirmante propositione. Vel secundum partem: seruata qualitate, at mutata // quantitate: in affirmante vniuersali propositione. Particulares enim negantes non conuertuntur: quia re- // liquarum conuersarum contradictio semper falsa est: huius autem vera esse potest. [lies xiiii.] // Nec puræ tantum propositiones, quæ de Inesse dici so- // lent, conuerti possunt: verum & eæ quæ modum & mate- // riæ notam adiunctam habent. Ac eæ quidem quæ Necessarium habent: eadem cum // puris præcepta sequuntur. Se quæ Contingentem, propter variam huius signifi- // cationem, si affirmant in particulares conuvertuntur: si ne- // gant, & necessariæ & quæ quocunq[ue] modo insunt contin- // gere dicuntur: uniuersalis in seipsam conuertitur: sed parti- // cularis planè non reciprocatur. Si autem id Contingere dicatur, quod aliter se habere // potest: vniuersalis non in se ipsam, sed in particularem re- // ciprocatur: at particularis in seipsam conuertitur.

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und kann als eigentliche wissenschaftliche Erstlingsschrift Hauenreuthers gelten. Diese Thesenreihe zum ersten Buch der Ersten Analytiken und mittelbar zum ganzen Organon entsteht zwar erst sieben Jahre nach der Analysis, dafür nun definitiv unter seinem eigenen Namen. Sie hebt steil dichotomisch an mit einem Einstieg, der die beiden Analytiken als je für sich zu betrachtende Darlegungen des Formal- und des Materialgrundes für die Notwendigkeit der Schlussfolgerns definiert (Th. 1). Von dieser Elementarunterscheidung fortschreitend wird sodann die ratiocinatio als oratio bestimmt, die ein inesse von etwas in etwas anderem bejaht oder verneint in allgemeiner, in teilweiser oder in unbestimmter Weise (Th. 2). Sie ist nun entweder apodiktisch und „wahr“, oder aber dialektisch und nur wahrscheinlich (Th. 3). In jedem Falle besteht jede Schlussfolgerung aus den zwei „Teilen“ der propositio (Th. 2) und deren termini (Th. 4). Doch kann sie als vollkommen gelten (Th. 6), wenn zur notwendigen Stringenz aus den gegebenen Vordersätzen keine weitere Information erforderlich ist, muss aber mit dem Status des Unvollkommenen vorlieb nehmen (Th. 7), falls einer oder mehrere ihrer Vordersätze identische Termini verwenden, die zusätzlicher Klärung bedürfen. Für vollkommene Schlüsse gilt daher ganz einfach und ganz dichotomisch, dass sie das inesse eines Sachverhalts entweder affirmativ de Omni einem anderen (Th. 8) oder aber negativ Nulli (Th. 9), also gar keinem andern Sachverhalt, zusprechen. Für die unvollkommenen Schlüsse hingegen müssen Konversionsregeln zwischen Subjekt und Prädikat angewandt werden ut veritas retineatur (Th. 10). Für den Rest der Disputation werden hauptsächlich diese Konversionsregeln im Gewande der klassischen Terminologie nach Barbara Celarant Darii Ferio etc. unter den Vorgaben averroistisch apodiktischer Logik untersucht. Hauenreuther beginnt damit seine publizistische Karriere als Logiker unter einem bereits sehr deutlich anderen Vorzeichen als Sturm seinerzeit die seine. So wie der Gründer der Akademie ganz offensichtlich ein topisch-dialektisches Logikverständnis bevorzugt hatte, macht nun der junge Naturphilosoph unmissverständlich klar, dass er genau umgekehrt den apodiktischen Syllogismus als den wahren Generator logischer Wahrheit ansieht. Doch während Sturms Vorliebe lebens- und werkgeschichtlich verhältnismäßig einfach und beinahe linear daraus erklärt werden kann, dass

Affirmatio autem & negatio in his propositionibus op // posita, ex modo est æstimanda: non vt in conuersione ex // quantitatis signo: cui si negatio inest, affirmatio infinita & // transposita efficitur. Ex propositionibus variæ ratiocinationum formæ // oriuntur: quæ ex certa terminorum dispositione siue figu- // rat: & propositionu[m] conformatione seu modo dijudicantur.“ [. . .] Die restlichen Thesen folgen der mittelalterlichen Terminologie (BARBARA CELARENT DARII FERIO etc.).

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er den Vorgaben Agricolas und seines Pariser Schüler- und Leserkreises gefolgt war, erscheint die Rekonstruktion der Ideengenealogie bei Hauenreuther etwas weniger eindeutig. Sicherlich steht er in der Linie seines Lehrers Planer und damit indirekt auch in jener von dessen Lehrer Schegk. Zugleich aber ist das Jahr seiner ersten Dissertation das Erscheinungsjahr der ersten Auflage der Opera Logica Jacopo Zabarellas. War der klar auf der Linie einer apodiktischen Logik argumentierende Hauenreuther 1578 bereits durch Zabarella beeinflusst? Die Wahrscheinlichkeit scheint eher gering.153 Schon die kalendarischen Umstände sprechen dagegen. Da die drei in wöchentlichem Abstand verhandelten Abschnitte der Disputation im April begannen, müsste zumindest der vorsitzende und themengebende Praeses der Disputation des in Venedig verlegten Werkes bereits lange vor der Frankfurter Messe habhaft geworden sein, was jedenfalls über die regulären buchhändlerischen Vertriebskanäle so gut wie unmöglich gewesen sein dürfte. Außerdem lassen sich die Charakteristika der Einstiegsdisputation Hauenreuthers durch direkte Straßburger Einflüsse, nämlich von Seiten der bereits genannten Lehrer, in durchaus genügender Weise erklären. Das eigentliche Hauptanliegen liegt in der Unterscheidung der Satzarten, ist also noch sehr innerlogisch. Die für Zabarella so zentrale Differenzierung zwischen prima und secunda intentio gerät nicht ins Blickfeld. Ein anderer außerdeutscher Einfluss vor demjenigen Zabarellas hingegen erscheint zumindest nicht unwahrscheinlich, wenngleich womöglich wiederum letztlich vermittelt durch Schegk und Planer. Die Form-Materie-Figur war vor Zabarella und auch bereits vor den süddeutschen Aristotelikern in Italien wie auch in dem Straßburg nicht nur geographisch noch immer nahe stehenden Paris in der Diskussion. Seit spätestens der Jahrhundertmitte ist die Figur dabei nicht nur allgemein im Kontext der Logik zu finden. Sie erscheint nun spezifisch auch in der von Hauenreuther bereits in der ersten These von 1578 verfochtenen programmatischen Zuweisung des Formalaspekts des Schlussfolgerns an die Ersten und des Materialaspekts an die Zweiten Analytiken. In der Aristotelesinterpretation des späteren Mittelalters und der frühen Renaissance waren die beiden Gruppen, in denen diese beiden Aspekte bereits je betont wurden, noch weitgehend personell und institutionell getrennt. Die unmittelbar auf die griechischen Kommentatoren rekurrierenden Interpreten des Aristoteles betonten die Differenzierung zwischen der forma, also den formalen modi und Figuren der Syllogismen, und der

153 Dieser Ansicht ist implizit auch Sachiko Kusukawa, die erst Crellius’ Isagoge für eine zweifelsfrei unter dem Einfluss Zabarellas entstandene Schrift hält, vgl. ihren Artikel: Mediations of Zabarella in Northern Europe: The Preface of Johann Ludwig Hawenreuther, 208 f.

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materia, den sachlichen Gründen der Schlussfolgerns, mithin den causae oder principia. Je nach Gewichtigkeit und Belastbarkeit der letzteren werden die Syllogismen dabei als apodiktisch, dialektisch oder sophistisch qualifiziert, wobei jedenfalls die dialektischen Syllogismen als durchaus vollwertige Variante gelten können, wenn sie auch nicht, wie es etwa im Gefolge Agricolas der Fall war, in den Vordergrund gehoben werden. Die Gruppe der von Averroes inspirierten Denker ihrerseits legte Wert nicht nur auf eine eng seinen Werken sich anschließende, normalerweise kommentarartig vorgehende Literatur, sondern auch inhaltlich auf eine Übernahme der averroistischen Unterscheidung von demonstratio quia und demonstratio propter quid. Sie wird beispielsweise von dem Sienenser Dichter und Philosophen Alessandro Piccolomini (1508–1578) als der Unterschied zweier Prozedere erklärt, von denen das eine von der causa efficiens, das andere von der causa finalis ausgeht.154 Er macht daher in seinem Instrumento della filosofia nicht allein klar, dass Status und Funktion der Logik als einer Begriffslehre gegenüber der Philosophie als einer Realwissenschaft instrumental zu bleiben haben. Er unterstreicht zugleich auch, dass neben dem formalen Aspekt der Begriffe auch deren Inhalt, also deren Materie, ein Kriterium ihrer Unterscheidung zu bilden habe.155 Durch diese Schwerpunktlegung gelangte im Verlaufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im italienischen Aristotelismus automatisch das Hauptgewicht auf die Beweislehre, mithin auf die Zweiten Analytiken. Wiewohl es natürlich, zurückhaltend formuliert, stets Berührungspunkte zwischen diesen beiden eher idealtypisch als realhistorisch zu verstehenden „Schulen“ gab,156

154 Risse, Die Logik der Neuzeit I, 252. 155 Piccolomini, Alessandro: L’instrumento della filosofia, Padova 1551, III.1, S. 155 f., zit. nach Risse, Die Logik der Neuzeit I, 251. 156 Ein Beispiel hierzu bietet die Lectura des Bacilerius: „Resolutio est duplex. Alia est consequentiae seu syllogismi in sua principia materialia et formalia, qua resolvimus syllogismum in modum et figuram et terminos et propositiones. Alia est resolutio consequentis seu rei conclusae in principia et causas per quas concluditur [. . .]“; zit. nach Risse, Die Logik der Neuzeit I, 208, Anm. 30. In diese Kategorie zählen auch die 1598 publizierten Theses philosophicæ des Semiramisten Goclenius, der zur Verdeutlichung der wechselseitigen Überschränkung der beiden Aspekte sogar die scotistische Unterscheidung von forma corporeitatis und corpus – und damit zwischen formalitas und forma – in Anspruch nimmt: THESES PHILOSOPHICAE, // Quarum veritatem // DEI TER OPTIMI MAX. // AVXILIO: // & // RODOLPHI GOCLE- // NII, PHILOSOPHI CELEBER- // RIMI, PUBLICI PHILOSOPHIAE // in illustri Academia Marpurgensi Profes- // soris, praesidio, // Pro ingenii sui viribus exercitii gratiâ publicè de- // fendere conabitur // JUSTUS JUNGMAN CASSEL- // LANUS. // MARPURGI CATTORUM, // Excudebat Paulus Egenolphus, Typog. Acad. // MDXCVIII, A3v-A4v: „I. DE COMPARATIONE RHETORICAE AC DIALECTICAE. // THESIS I. //

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erfolgte doch um 1550 eine engere Verbindung. Sie wird etwa bei Bernardino Longo ersichtlich,157 der zwischen Syllogismus als solchem und Syllogismus mit strikte wahrheitsfähigen Prämissen und damit Beweiskraft unterscheidet, und damit von der altaristotelischen, die jene serielle Unterscheidung von apodiktisch bis sophistisch eher stufenartig denn im Sinne einer exklusiven Alternative versteht, allmählich wegführt. Faktisch unterscheidet er zwischen dem Inhalt der Ersten Analytiken und jenem der Zweite. Ersterer ist in Longos Wahrnehmung rein formal qualifiziert, letzterer füllt sie mit der materialen Zusatzkomponente in sich evidenter, unstrittiger Prämissen. Zwar können natürlich auch noch bei Longus Prämissen probabilistischer Natur aufgestellt werden, doch unterstreicht er nun sehr klar, dass die aus ihnen abgeleiteten Schlüsse nicht dem eigentlichen Zweck der Logik entsprechen können, der in der apodiktischen Beweisführung allein zu liegen kommt. Hauenreuther bewegt sich auf dieser in seiner ersten Disputation ausgezeichneten Linie weiter, indem er die weiteren Disputationen und Veröffentlichungen in einer Weise gestaltet, die der apodiktischen Demonstration eindeutig den Vorzug gibt, ohne andererseits die anderen Formen völlig abzuwerten.

II. DE MATERIA ET FORMA // Dialecticae. // Nunc recto itinere ad materiam & fomam logicae progrediamur, cùm de ea non minus tortuosè nonnulli sentiant. Sunt enim quidam, qui inventionem materiam Dialecticae, judicium formam esse volunt. Quomodo autem inventionis argumenta materia totius Dialectices esse possunt, cum praecepta enunciatorum, syllogismi, & methodi etiam sint ad materiam Dialecticae referenda? Quorum sententiam, ut veritati, (quae, ut judicat Scaliger, anima est nostratis Philosophiae) minus congruam, bona cum ipsorum veniâ, reijcimus: Amico Plato, Amicus Socrates, magis amica veritas! Materia enim artis Dialecticae sunt omnia praecepta, quibus tota ars traditur. Nec inventio materia aut forma: nec dispositio forma aut materia est. Inventio tantùm partem materiae, & partem formae continet, sicut & dispositio. Inventio enim, & dispositio, conjunctae praeceptis, materiam omnem, & totam formam Dialecticae complectuntur, & exhauriunt. Vis rationes plures? Dabo: Facultas inveniendi argumenti constare postest, etiamsi non accesserit argumentorum cum quaestione collocatio. At verò, si formam removeris, interire ipsam necesse est. Praeterea in partibus è toto distinctis, non potest altera alterius esse forma, quomodo ergo dispositio inventionis forma esse potest? Forma autem singulorum praeceptorum, & sic partis, artis est, quod legibus scientificis sint congrua: Forma universorum praeceptorum, & sic totius artis est ordinata praeceptorum collocatio. Sic alia est forma omnium membrorum, alia totius hominis: Et Johannes Dunesius, aliàs Scotus, distinguit inter formam partis & totius, cujus distinctionis meminit Zabarella.“ 157 Vgl. Risse, Die Logik der Neuzeit I, 252.

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2.2.2.3 Valentin Alber: Theses philosophiae (1586) In den relativ frühen, 1586 von Valentin Alber verteidigten Theses philosophiae etwa wird eben dies als wesentlicher Unterschied zwischen Rhetorik und Dialektik herausgearbeitet, dass nur letztere zur Wahr-Falsch-Unterscheidung beitragen kann.158 Ein gutes Jahrzehnt lang behandelt Hauenreuther dennoch zunächst vorwiegend einzelne Bücher des Organon, wobei auch hier sofort auffällt, dass sie sämtliche jenem Teil entnommen sind, den Hauenreuther wie seine Vorgänger als den materialen Aspekt der ratiocinatio bestimmend versteht, die also nicht allgemeine sprachphilosophische und erkenntnistheoretische Bausteine bereitlegen, sondern zur Lösung konkreter angewandter Probleme beizutragen vermögen. 1584 disputiert er mit Cosmas Vakius über eine Thesenreihe zu den An post. I,159 1586 mit dem späteren Straßburger Organiker

158 THESES // Philosophicae ad diem 27. Januarij // Anno M D XIVC. Præside // M. IO. LVDOVICO HAVVENREVTERO. // Respondebit // Valentinus Alberus Haynensis. // ARGENTORATI // Typis Antonij Bertrami // M.D.LXXXVI. Aus der nicht paginierten Schrift seien mitgeteilt die Abfolge der Titel der einzelnen Abschnitte sowie anschließend die Thesen zu den Abschnitten Rhetorik und Dialektik, in denen die Deutlichkeit der Differenz im Zentrum steht: [A verso:] „PHYSICAE I. bis III. ASTRONOMICA IIII. ETHICA V. [B oder Ai recto] DIALECTICAE VI. bis VII. RHETORICA. VIII. DIALECTICAE [. . .] VI. ORATIO est vox, cuius pars separata aliquid significat vt dictio estque alia Rhetorica siue poëtica, quae nihil veri aut falsi indicat: alia Dialectica, quae verum atque falsum declarat: & proprie ENVNCIATIO appellatur VII. Cuius duae sunt species: AFFIRMATIO, quae aliquid de alio dicit: & NEGATIO quae aliquid ab altero remouvet, vel vno nomine & verbo euiuscunque sit temporis: vel pluribus: ita vt absque vtraque hac parte enunciatum nullum esse possit. RHETORICA; VIII. DEFINITIONE comprobamus vel vera, quae ex genere & proprietate, aut si hęc certa non extat communium frequentia constat: vel Mutuata: quae Descriptio dicitur, confecta aut vocabuli explicatione: aut enumeratione consequentium: aut expo sitione disimilium, contrarium, parium. FINIS.“ 159 THESES. // De Progressione Demonstra- // tionis ex libro primo posteriorum Analyticorum // Aristotelis ad disputandum propositæ in // Academia Argentoratensi, de quibus // Præside // M. IOANNE LUDOVICO HAVVEN- // REVTERO. // Respondebit Cosmas Flensburgensis Holsatus. // VII. & XIV. Augusti [1585] // ARGENTORATI Typis Antonij Bertrami [1585]. – H 836. Wiedergegeben seien auf der letzten Seite, B5 verso, die letzten drei Thesen: „LXVIII. Hæc de PROGRESSIONE demonstrationis doctrina // necessaria est & vtilis, vt sciamus quæ causa sit quod sin- // gulæ scientiæ suos certos habent limites & terminos qui- // bus continentur: & ne cuiuis subiecto quoduis prædica- // tum conuenire existimemus. LXIX. Ex ea etiam orta sunt diversa METHODI genera, quæ // Galenus διδασκαλίας & disciplinas vocat, ac TRES earum // facit. ἀνάλυσιν RESOLVTIONEM, σύνθεσιν COMPOSI- // TIONEM, διαίρεσιν DIVISIONEM.

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Rixinger160 über Thesen zum ersten Buch der El. Soph.,161 1590 mit dem polnischen Studenten Jan Turnovius (1567–1629)162 erneut über die An. post. I,163 und 1595 schließlich mit Reinhard Schönwald über die Topik.164 Von einer eigentlichen Serie wird man nicht sprechen können, aber die völlige Abwesenheit einer Kommentierung der Kategorienschrift wie auch der Hermeneutik ist wohl kaum Zufall. Da Hauenreuther in der Nachfolge Schegks Metaphysik wieder als eigenständiges Fach mit eigener Existenzberechtigung verstand, rechnete er ihr konsequenterweise auch die ersten beiden Organonbücher zu. 2.2.2.4 Jan Turnovius: Analysis Libri Posteriorum Aristotelis Analyticorum (1590) Dass die Zweiten Analytiken in dieser Reihe gleich zweimal behandelt wurden, 1584 mit Cosmas Vakius und 1590 mit Jan Turnovski, mag mit der besonderen wissenschaftstheoretischen Bedeutung dieses Buches, vielleicht auch einfach mit der Neigung, Prestige oder Vermögensverhältnissen des Respondenten der zweiten ihr gewidmeten Dissertation zu tun gehabt haben. Jan Turnoswki, ein

LXX. Nam si à summis ad ima descendimus composita quasi // in partes distribuimus. Si ab imis ad summa ascendimus // simplicia coniungimus. Si ad latera digredimur summis // & imis interiecta media inuestigamus, ijsq[ue] & genus diui- // dimus & speciem definimus. FINIS.“ 160 Schindling, Humanistische Hochschule, 238–241. 161 Theses dialecticae, Straßburg 1588. 162 Jan oder Johannes Turnovius war ein den Böhmischen Brüdern zugehöriger Pole und absolvierte von 1588 bis 1590 einen zwejährigen Studienaufenhalt in Straßburg, wo er sich unter anderem als Beiträger zu den Manes Sturmii hervortat, bevor er danach eine Schweizreise nach Basel, Bern und Genf antrat. Vgl. hierzu Gömöri, Ismeretlen szenci molnár Albertversegy Marburgi Antológiában. Schon diese Reiseroute weist ihn als der reformierten Konfession nahestehend aus, wie dies ja bei den Böhmischen Brüder allgemein der Fall war, und dass er später die Metaphysik Keckermanns edierte, verstärkt diesen Eindruck noch; s. Freedman, The Life and Career of Bartholomäus Keckermann. 163 ΑΝΑΛΥΣΙΣ // LIBRI PRIMI PO- // STERIORUM ARISTOTELIS // ANALYTICORUM. // In Inclyta Argentinensium Academia ad XX. Iunij // diem publicè ad disputandum proposita. // PRAESIDE // IOANNE LVDOVICO HAVVEN- // reutero Doctore Medico Philosopho. // Respondente // IOANNE TVRNOVIO POLONO. // ARGENTORATI // Excudebat Antonius Bertramus // M.D.XC. Konzept und Aufbau sind extrem klassisch, was von einer sehr unmittelbaren, etwas naiv anmutenden Zugangsweise zeugt; vgl. unseren Textauszug im Anh. 3.2, S. 427. 164 THEOREMATA // PHILOSOPHICA, // I. // Animus est in toto corpore, & in quauis parte totus. // II. // Homo principium est & causa suarum actionum. // III. // Analytica & Topica generali doctrina compre- // hendi possunt. Straßburg 1595. S. u. Anh. 3.6.

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junger polnischer Ritter und Anhänger der Böhmischen Brüder auf Kavalierstour, bedient sich jedenfalls eines besonders existentialisierenderen Tons, was die Darlegung der Notwendigkeit und der besonderen Fähigkeit der apodiktischen Logik gegenüber allen andern Formen angeht, also nicht nur gegenüber andern Formen des Syllogismus, sondern gegenüber der Philosophie schlechthin. Wissenschaft ist kein menschliches, sondern nicht weniger als ein göttliches Ding (Th. 1).165 Wie die Erkenntnis der Wahrheit Gottes ewiges Leben bedeutet (Th. 2), haben daher die meisten Philosophen des Altertums die Selbsterkenntnis als eigentliches Ziel allen Wissenserwebs überhaupt angesehen (Th. 3 f.). Auch die Sophisten wollten umfassende Kentnisse erwerben und alles wissen, selbst wenn sie in Tat und Wahrheit nichts weniger besaßen (Th. 5). Da der Anstieg zur Erkenntnis aber steil und mit vielen Hindernissen versehen ist, und die Wahrheit selbst von viel Dunkelheit umgeben wird (Th. 6), kann wie im Falle des Empedokles völlige suizidäre Verzweiflung (Th. 7) oder wie im Falle der Akademiker resignierter Verzicht auf Wahrheitserlangung (Th. 8) oder gar völliges Halluzinieren und Täuschung über den fälschlicher Weise für die Wahrheit gehaltenen Irrtum eintreten (Th. 9). „Nachdem nun aber die düsteren und dichten Finsternisse der Unwissenheit zerrissen sind, sind wir verpflichtet, mit allen Kräften danach zu streben, das über alles Menschliche weit erhabene Gut der Sonne des Wissens und der Wahrheit ergreifen und dank ihrer Hilfe in allen Dingen das Wahre vom Falschen trennen zu können.“ (Th. 10). Der Rest der Thesen ist dann wieder konventiell, auffallend scheint höchstens eine ans Naive grenzende Zuspitzung und eine etwas unbedarfte Diktion. Es gibt nur drei Typen von ratiocinatio, nämlich dialectica, sophistica, demonstrativa (Th. 13). Unter ihnen gibt die ratiocinatio dialectica eine nur wahrscheinliche, keine perfekte Kenntnis der Dinge (Th. 14), die sophistica hingegen betrachtet nur Akzidentien und führt geradewegs in ein Labyrinth ohne Hoffnung auf Rückkehr (irremeabilis) (Th. 15). Bleibt also nur die ratiocinatio Demonstrativa, die allein uns von den Irrtümern freikaufen und in allen Wissenschaften und Kunstfertigkeiten anleiten kann (Th. 16). Gegen Ende seiner logischen Lehrtätigkeit verspürte Hauenreuther die Notwendigkeit, das in den Disputationen zum Organon und weiteren philosopischen Texten und Kontexten, nicht zuletzt auch im Lehrbetrieb, Erarbeitete zusammenzufassen. Er legt 1595 und 1599 zwei größere Thesenreihen vor, deren erstere der letzteren wiederum vorarbeitet. Beide beschäftigen sich mit der Frage nach der Möglichkeit und sodann der Richtigkeit einer angemessenen Definition der Logik.

165 Für die vollständige Textgrundlage dieser Thesen siehe Anh. 3.6.

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2.2.2.5 Cornelius Formicarius: Exercitationes logicae (1595) 1595, ein Jahr vor der Beendigung seiner Vorlesungstätigkeit zur Logik, erörtert der Straßburger Organiker die Frage in einem von Cornelius Formicarius erörterten Trinum zu Naturphilosophie, Ethik und Logik.166 Die Notwendigkeit der Logik zum Wissenserwerb soll belegt werden, was auch eine Protasis ausdrücklich noch einmal entfaltet (I.). Anschließend geht es im Wesentlichen um die Logik als Subjekt (II. und III.)167 Subjekt ist die Logik nicht als umfassende, zusammen mit Grammatik und Rhetorik operierende, Wissenschaft vom Logos, sie ist es auch nicht im engeren Sinne der Dialektik als dem Erörtern des Wahrscheinlichen, sondern als allgemeine Lehre von der Urteilsfindung. Eine präzisere Bestimmung der Logik als des Subjekts der logischen Wissenschaft erfolgt in mehrfach ineinander geschachtelter Weise. Subiectum circa quod ist der Syllogismus, subiectum in quo ist alles, was durch einen Syllogismus behandelt werden kann, subiectum ex quo ist die Materie der Logik. Sie kann in drei divisiones unterteilt werden, nämlich in eine allgemeine (inventio materiae / iudicium formae) sowie zwei dem Organon angepasste. Entweder unterteilt man hier nach den drei facultates des Intellektes noesis, synthesis, logismos oder aber man hält sich an die andere Strukturierung der organischen Logik, die von allen als die beste angesehen wird. Der Syllogismus wird da zuerst in seine Teile aufgeschlüsselt, in die partes ratiocinationis, deren minores in den Kategorien, deren majores in De interpretatione zu finden sind. Die ratiocinatio oder der Syllogismus kann hinsichtlich seiner forma essentialis oder adventitia angesehen werden, wie in den An. prior., oder aber hinsichtlich ihrer materia, die entweder notwendig, wahrscheinlich oder trügerisch sein kann, wie dies sukzessive in den An. post., der Topik und den El. Soph. geschieht. Nachdem (IV.) Hauenreuther Logik und Dialektik terminologisch voneinander differenziert, kommt er (V.) aus zwei einzelnen Definitionsansätzen, die entweder material (facultas ratiocinandi) oder formal (instrumentum quo [. . .] separamus) vorgehen, zu einer kombinierten Definition: LOGICA est facultas ratiocinandi, quâ

166 Formicarius legte zwei Jahre später auch einen eigenen Organonkommentar vor, nämlich M. CORNELII FORMICARII // Francofurtani ad EXERCITATIO- // NES LOGICAE, SE- // CVNDVM OPTIMOS TRA- // CTANDI MODOS // compositæ: // CONTINENTES // NON SOLVM IPSIVS ORGANI // Aristotelis accuratam et genuinam explicationem; // verùm etiam grauißimorum Interpretum, // difficillimarum quæstionum breuem // enodationem. [. . .] Frankfurt a. M., Spies, 1597. 167 Die Nummerierung der Abschnitte scheint hier fehlerhaft zu sein; die Nummer III. ist jedenfalls nicht vorhanden.

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tanquam instrumento in singulis disciplinis verùm à falso, & bonum à malo separamus. Betrachtet man (VI.) die Logik als causa efficiens, so ist sie unter ihren beiden Erscheinungsformen als natürliche, also vorwissenschaftliche oder als artifizielle, regelkonforme Logik (VII.) in erster Linie eine Gabe Gottes selber. Ihre causa efficiens secundaria et proxima hingegen ist niemand anderer als Aristoteles divinus. Als (VIII.) Mittel zum Zweck ist die Logik ein Instrument zur Lösung wissenschaftlicher Probleme, als Letztzweck dient sie hingegen gänzlich der Unterscheidung von wahr und falsch oder von gut und böse. 2.2.2.6 Hauenreuther als Alleinautor: Syzetesis de natura logicae (1599) Drei Jahre nach dem Verzicht auf seine Organonlektur lässt Hauenreuther 1599 schließlich die Früchte seines logischen Schaffens in eine umfassende Syzetesis de natura logicae gipfeln,168 die einen Großteil der von ihm erarbeiteten logischen Verfahrens- und DarstellungsKategorien in eine Art enzyklopädische Thesenreihe zusammenfasst. Deren äußere Struktur, bestehend aus vier Teilen nach einer kurzen Einleitung sowie einer abschließenden Coronis, ist einfach, aber dennoch von besonderem Interesse. Die vier Teile ergeben sich zwar unmittelbar aus den vier aristotelisch-altbewährten Fragen ob? (ἐί ἐστι; an sit), was? (τί ἐστι; quid sit), dass? (ὅτι ἐστι; qualis sit), weshalb? (διότι ἐστι; cur sit), die laut An. Post. zur Bestimmung einer Sache notwendig sind. Die klassische Reihenfolge in der Präsentation dieser Fragen allerdings, die das Organon selber vorgibt und der wie die meisten Zeitgenossen etwa auch Melanchthon folgt,169 kehrt Hauenreuther hier um. Die beiden Fragen zur bloßen Existenz einer Sache stellt er den andern beiden Fragen zu deren näheren Bestimmung voran,170 wie es im Anschluss an Eustratius weithin im 16. Jahrhundert der Fall

168 ΣΥΖΗΤΗΣΙΣ DE NATVRA LO- // GICAE: EX ARISTOTELIS // ORGANO CONGESTA: AC SECVN- // dum quatuor Apodicticarum quæ- // stionum genera digesta: // Quam // D. F. E. V. S. // In Scholis Philosophorum Inclyte Argentora- // tensium Academiæ: // SVB PRÆSIDIO // CLARISSIMI ATQVE DOCTIS- // SIMI VIRI, Dn. IOHANNIS LVDO- // VICI HAVVENREVTERI, Philosophiæ & Me- // dicinæ Doctoris: // Publici Exercitij gratia discutiendam // proponit // DANIEL FABINVS // Epperiensis Pannonius. // Mense Nouembri. // ARGENTORATI // Excudebat Antonius Bertramus, Academiæ // Typographus M.D.IC. 1599. 169 Melanchthon, Philipp: Erotemata dialectices, continentia fere integram artem, ita scripta, ut iuventuti utiliter proponi possint, Viteb. 1547 5 [= VD 16, M 3242], zit. aus: Opera quae supersunt omnia, 13 = CR 13, hg. v. Karl Gottlieb Bretschneider u. Heinrich Ernst Bindseil, 1846, 511–571. 573: „De Methodo: [. . .] Quot sunt methodi quaestiones? Cum de una voce dicendum est, viam monstrant hae decem questiones. Prima, quid vocabulum significet. Secunda, an sit res; tertia, quid sit res; quarta, quae sint rei partes; quinta, quae sint species.“ 170 Zabarella, In Lib. II. Post. An. Commentarij, in: Opera Logica, 1036D: „vel an res sit / vel quid sit / vel an talis sit / vel cur talis sit.“ Zabarellas Einwand beruht auf dem Argument, dass

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geworden war. Eustratius war der Ansicht, dass der Meister von den komplexen Fragen zu den einfachen vorgeht, weil das Zusammengesetzte uns früher bekannt werde als das Einfache. Zabarella seinerseits, der die Problematik der Reihenfolge der vier wissensgenerierenden Fragen in seinem Kommentar zu An. Post. eingehend diskutiert, nimmt gegen Eustratius Stellung und optiert für die Abfolge quod, propter quid, an sit, quid sit, indem er sich an Themistius hält, der die Auffassung vertrat, dass die Existenz einer Sache uns bekannt sein muss, bevor wir über ihre einzelnen Aspekte nachdenken können.171 Dannhauer seinerseits sollte, wie wir sahen, eine noch einmal leicht andere Reihenfolge der vier berühmten Fragen wählen, indem er das quid als eine Art unerlässlicher Basisdefinition vorwegnimmt, der sich dann die beiden näherbestimmenden Fragen anschließen – während die Erkundigung an sit ohne weiteres auch weg gelassen werden könne, cum res ipsa aperta & manifesta, falls die Sache also offenkundig und eindeutig existiert, wie schon die Zweiten Analytiken selber erklärten,172 worauf nachhaltig hinzuweisen Dannhauer nicht unterlässt.173

die Anzahl dessen, was gefragt werden kann, nur materiell gesehen von derjenigen dessen, was gewusst werden kann, differiert; formal gesehen jedoch mit ihr koinzidiert. 171 Zabarella, In Lib. II. Post. An. Commentarij, in: Opera Logica, 1037D: „Nos igitur cum Themistio dicamus, Aristotelem complexas quaestiones prius nominare, quia de his, ac de instrumento his satisfaciente iam in primo libro tractauit: simplices vero postponere, quoniam de his in secundo libro acturus est, quae est verissima huius secundi libri connexio cum primo, vt praediximus.“ 172 Vgl. Epitome dialectica, DWV 78, 199: „εὐτακτικὴν illam dicimus, quâ dicimus, quâ ordinatim commentationes nostras ita conteximus, ut extrema primis, media utrisque, omnia omnibus respondeant. Estque vel dispositio totius scientiae, de quâ supra c. 5. vel thematis simplicis aut conjuncti. Thema simplex commodissimè tractatur per quatuor quaestionum genera, hunc ferme in modum. Primùm quid sit [. . .] 2. An sit ? ex effectibus illud declarandum. Notandum tamen praeceptum Aristotelis l. 1. post. anal. cap. 8. t. 76. sine vitio licere praetermittere hanc quaestionem, cum res ipsa aperta est & manifesta. neque enim, ait ibi, omnia ex aequo manifesta sunt, ut quod numerus sit, non tàm clarum est, quàm quod calidum & frigidum. An sit non semper demonstratur, nisi rem esse aliqui negent Zabar. in com. ad l. 1. post. c. 1. t. 1.“ 173 Systematisierend dargestellt, ergibt sich folgende Tabelle: Aristoteles:

τὸ ὅτι

τὸ δίοτι

εἰ ἔστι

τί ἐστιν

Zabarella

quod

propter quid

an sit

quid sit

Hauenreuther

εἰ / an

τί / quid

ὅτι / qualis

δίοτι / cur

Dannhauer

quid

An

δίοτι / cur

ὅτι / qualis

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

Dass Hauenreuther hier nun auch noch ein Jahrfünft nach seiner berühmten Edition der logischen Werke Zabarellas gegen einen von diesem favorisierten Organonkommentator anschreibt, erscheint im Lichte dieser ganzen Diskussion und Beispiele nicht wirklich außergewöhnlich. Dennoch ist es auch unter diesem Gesichtspunkt interessant, weil es auf eine durchaus noch vorhandene geistige Unabhängigkeit gegenüber dem padovanischen Genie rückschließen lässt. Doch die von Hauenreuther gewählte Reihenfolge erklärt sich vor allem durch die drei Ziele, die er in seiner Syzetesis verfolgt. Eindeutig wollte er alle Argumente zur sachgerechten Erklärung der Logik, die er im Laufe seiner mittlerweile beinahe drei Jahrzehnte dauernden Organikerlaufbahn gesammelt oder auch selber geschaffen hatte, noch einmal und nun abschließend aufgreifen und geordnet wiedergeben. Da ihm die Wahr-Falsch-Unterscheidung unter ihnen mit Abstand am wichtigsten war, sollte die Struktur des entstehenden Werks es ermöglichen, sie unter verschiedenen Titeln mehrfach einzubringen. Schließlich war das charakteristisch straßburgisch-Sturm’sche Ideal allgemeiner Nützlichkeit intellektueller Arbeit ebenfalls zu platzieren. Um diese Vielzahl von Anliegen und Themen so kurz und zugleich geordnet wie möglich präsentieren zu können, wählte Hauenreuther den Weg von den beiden simplen zu den beiden komplexen Fragen. Sich dem ei esti der Logik zu widmen, scheint zwar eher absurd. Da das quod sit der Frage quid sit zwingend vorausgeht (Th. 12), und um der Konsequenz willen, schickt Hauenreuther sich dennoch an, das eigentlich Evidente beweisen zu wollen. Er tut es gar gleich doppelt, aufgrund seiner Essenz, καθ’ ἁυτὸ PER SE wie auch seiner Akzidentien, κατὰ συμβεβηκὸς, PER ACCIDENS, & ex EVENTV, denn unter ersterem Aspekt ist einfach festzustellen, dass es Logik immer schon gab, unter dem zweiten Gesichtspunkt ist sie primär durch ratio gegeben, denn Logik ist instrumentum instrumentorum (10); die eigentliche χεῖρ τῆς φιλοσοφίας, manus Philosophiae. Zur Frage τί ἐστι ἡ λογικὴ gibt Hauenreuther erst ausführlich

Stärker symbolisierend: Aristoteles









Zabarella









Hauenreuther









Dannhauer









I. QVAESTIO: ἐί ἐστι ἡ λογικὴ; II. QVAESTIO: τί ἐστι ἡ λογικὴ; III. QVAESTIO: ὅτι ἐστι ἡ λογικὴ; IV. QVAESTIO: διότι ἐστι ἡ λογικὴ;.

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(Th. 13.-24.) verschiedene Logikdefinitionen, die miteinander verglichen und gegeneinander ausbalanciert werden, um dann (ab Th. 25) in der Form-MaterieDifferenz die entscheidende Hilfe zur gelingenden Definition zu finden. Wie schon 1595 schreitet er von einer formal orientierten über eine material bestimmte Definition zu einer beide in sich vereinigenden (Th. 28), fügt darüber hinaus nun aber noch eine weitere hinzu. Am allerbesten nämlich, die perfectißima definitio, ist diejenige, die alle causae in sich enthält (Th. 29), da die Logik ihre Ursache material gesehen im Syllogismus, formal gesehen im Wirken als instrumentum oder ars, von ihrer Effizienz her gesehen in der Unterscheidungsmacht, und von ihrem Zweck her gesehen in der Wahr-Falsch- oder Gut-Schlecht-Unterscheidung besitzt. In der qualis-Frage (ὅτι ἐστι ἡ λογικὴ) bringt Hauenreuther etliche bereits 1595 vorgelegte Unterscheidungen (natürlich – artifiziell; docens und utens; inventio materiae – iudicium formae; die drei Formen der Intelligenz, die auch im Thomismus präsent sind, noesis, synthesis, dialogismos, nicht komplexe und komplexe Bestandteile der Logik in Kategorien und Hermeneutik, sowie der Syllogismus formal und materiell). In der Diskussion des διότι wird nun vor allem der causa efficiens und der causa finalis das Augenmerk geschenkt. Wiederum ist die Erstursache Gott höchstselbst, doch unter den Zweitursachen wird Aristoteles nun noch stärker herausgehoben als im Trinum, denn vor der so unglaublich segensreichen Abfassung des Organon war Logik so schwierig und anstrengend, dass nur eine kleine, mit herausragenden Verstandesgaben versehene Elite zu logischen Arbeiten im engeren Sinne überhaupt befähigt war. Bei der causa finalis, wo es zwischen finis οὗ Cuius & INTERMEDIVS und ὧ Cui & VLTIMVS zu unterscheiden gilt, fügt Hauenreuther zusätzliche Beispiele hinzu; so sind Aderlass oder Medikamente Mittel zum Zweck, Gesundheit hingegen Selbstzweck. Zwar ist es der Zweck der Logik, das demonstrare modum sciendi vorzunehmen, doch alleiniger Selbstzweck der Logik kann nur die Unterscheidung von wahr und falsch werden, oder wie der den Einschub von Gräzismen überaus hochschätzende Hauenreuther formuliert: ἐν ἑκάστοις κατοψόμεθα τἀληθές τε κατὰ τὸ ψεῦδος. Da diese Unterscheidung nicht nur in der kontemplativen, sondern auch in der aktiven Philosophie und in allen artes von Nöten ist, erweist sich Logik von universellem Nutzen. In Ausweitung der Erörterungen in 1. Top. 2. erkennt Hauenreuther exercitatio, colloquia, philosophicas scientias als die drei Hauptformen von Nützlichkeit, was er sodann für alle Fakultäten durchbuchstabiert. In der Theologie gilt das klassische, auch von Melanchthon bekanntlich geschätzte Diktum des Völkerapostels an Timotheus, wonach die Wahrheit recht zugeteilt, für die Peripatetiker der frühen Neuzeit also unterteilt werden müsse. Als Zeuge bei den Juristen fungiert Cicero, dessen Lieblingsjurist Sulpitius Severus gewesen sei, weil er über glänzende logische Fähigkeiten verfügt habe. Die Mediziner wissen seit Galen (129–199/217), dass Logik für ihren Beruf grundlegend ist, auch wenn, wie der

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logikbegeisterte Medizinprofessor seinen Kollegen nicht verschweigen mag, schon der antike Übervater nicht allein Aristoteles kommentierte, sondern sich auch über die Nachlässigkeit der Ärzte seiner Zeit bei logischen Verfahrensregeln beklagte. Hauenreuther beschließt den Text, den man wohl als sein logiktheoretisches Hauptwerk bezeichnen kann, mit der Bildlichkeit von Licht und Dunkel. Denn in der Philosophie, erklärt er mit einer ihm teuren Redeweise, leuchtet klarer als selbst das Licht des hellen Tages, was die Logik an Nutzen bringt.174 Wer ohne Logik vorgeht, kann niemals eigentliche Erkenntnis gewinnen, was die antiken Philosophen belegen, die aufgrund ihrer mangelhaften Logiken geradezu halluzinierten (hallucinati sunt). Dieses Anliegen, Logik allgemein nutzbar zu machen, bestimmt auch seinen sicherlich bekanntesten Text, das 1594 veröffentlichte Vorwort zu seiner Ausgabe der Opera Logica Zabarellas. Einem der Philosophie noch immer weitgehend kritisch gegenüber stehenden Publikum soll hier der zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte, aufgrund seiner römischen Konfession vorgängiger Vertrauensbildung bei protestantischen, zumal lutherischen, Lesern durchaus bedürftige Südeuropäer Zabarella empfohlen werden. Diese sozusagen buchhändlerische Empfehlung geht jedoch über einen Gebrauchs- oder Werbetext und auch über das teilweise in ihm wieder aufgegriffene Argumentarium der bisherigen logischen oder wissenschaftstheoretischen Disputationen weit hinaus. Es entsteht nicht weniger als eine programmatische Skizze aller für einen Logiker anzustrebenden Ideale in Form einer umfassenden Geschichtsschau. An die Geschichte der Philosophie setzt Hauenreuther zwei Maßstäbe an, die sich wechselseitig interpretieren und stützen, einerseits die Aristotelizität eines Autors, andererseits die Nutzbarkeit seiner Schriften für sämtliche Wissensbereiche. Thales von Milet und

174 Hauenreuther/Turnovius, ΑΝΑΛΥΣΙΣ, Th. 72: „In philosophia denique quid utilitatis adferat Logica luce meridianâ clarius liquet.“ Auch wenn Hauenreuther sich hier an eine alltagssprachliche Redewendung anlehnt, ist die Verwendung der Lichtmetapher nicht als zufällig anzusehen. Instruktiv ist hierzu der poetische Einstieg in den Organonkommentar des Gulio Pace, Morges, 1584 [‚ iiii‚ nicht paginiert]: „ἘΙΣ ὌΡΓΑΝΟΝ Ἀριστοτέλους Ἡ δ’ ἡ βίβλος Ἀριστοτέλοις λογικῆς παιδείης, Ὄργανον ἣν κάλεσαν σοφίης εἰδήμονες ἄνδρες. Ἀλλά μιν αἰθομένῷ πυρὶ λαμπετύωντι ἐïσκω· Φῶς γὰρ ἀληθείης παρέχει, ψεῦδος πιμπρᾷ δέ. IVLIVS PACIVS ita interpretabatur, Hunc rationis opus librum ratione docentem, Organon appellant docti. sed rectiùs igni, Fulgenti aßimilare licet: quia lumina veri Extollit, falsumque fugat, mentisque tenebras.“

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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zahlreiche Nachfolger erforschten die Philosophie der Natur, worin sie freilich von Aristoteles „bei weitem“ übertroffen wurden; Pythagoras und seine Schüler waren führend in der Mathematik, wiewohl der Stagirite auch hier zahlreiche Verdienste vorweisen kann; Sokrates rief, wie Zabarella Cicero sagen lässt, „die Philosophie vom Himmel herab, platzierte sie in die Städte, führte sie selbst in die Häuser ein und wollte sie ins alltägliche Leben einbringen“, ein Anliegen, das auch Plato meisterlich verwirklichte, doch auch hier in der politischen und praktischen Philosophie ist Aristoteles letztlich so unübertroffen, dass kein Astronom jemals besser das Geschick des Gemeinwohls voraussagen könnte, als es aus den Werken des Philosophen möglich wird. Wenn Aristoteles nun aber in der enormen Vielzahl und Erhabenheit dieser Gegenstände seinen sämtlichen Vorgängern überlegen ist, liegt das eigentlich nur an einer einzigen, sowohl sehr spezifischen wie zugleich auch sehr umfassenden Fähigkeit – an dem Vermögen nämlich, Wahres vom Falschen und Gutes vom Bösen differenzieren zu können. Wo sie fehlt, da fehlt auch das Licht zu richtiger Erkenntnisleistung und somit ist da kein Entkommen aus dem Labyrinth aller nur denkbaren Irrtümer! Diese auch hier wieder recht pathetisch anmutende Redeweise, mit der ein nicht zwingend aus professionellen Philosophen bestehendes Publikum in seiner eigenen Lebenswelt abgeholt werden soll, verbindet durchaus geschickt die Notwendigkeit methodisch organisierter Regeln in der Philosophie mit derjenigen ihrer allgemeiner Nutzbarkeit. Nicht nur ist es Sinn und Aufgabe der Philosophie, allen Fakultäten und Wissensgebieten dienlich zu sein, sondern auch sie selber entfaltet ihrerseits ihr eigentliches Wesen nur dort, wo sie der Allgemeinheit vermittelt wird. Wo immer Philosophie nach Aristoteles mit Erfolg agierte, konnte sie es allein daher, dass sie diesen beiden Regeln und ihre innere Verbindung untereinander begriff, respektierte und weitergab. Dies gilt für die großen Gestalten der Spätantike wie den logikbegeisterten Cicero, und vor allem für Galen (129–199), dessen Denkweisen „bis auf den heutigen Tag“ für die Ärztekunst unentbehrlich blieben, weil er gegen den Widerstand seiner thessalischen Berufskollegen die Reflexion über die Anwendungsregeln von der praktischen Medizin selber trennte. Umgekehrt beraubten sich die mittelalterlichen Scholastiker darum vieler ihrer schönsten Früchte, hämmert Hauenreuther unter Vermengung traditionell reformatorischer Polemik mit neoaristotelischen Überzeugungen, weil sie eher an Abstrusitäten und leerem Schein interessiert als auf den Gebrauch und die wahre Form der Logik bedacht waren.175 Dieselbe Kriteriologie wendet Hauenreuther auch auf die Philosophen seiner eigenen Zeit an, indem er in der zweiten Hälfte des Vorworts auf die jüngere Vergangenheit zurückblickt. Zuallererst ist Gott Dank zu leisten dafür, dass die

175 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 2a.

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Scholastik trotz aller ihrer Schwächen dazu diente, des Aristoteles Werke und Ideen bis in die Gegenwart zu tragen – eine auch unter dem Gesichtspunkt der Austarierung von Kontinuität und Diskontinuität bemerkenswerte frühprotestantische Stellungnahme zum Mittelalter. Rudolf Agricola gelang es als Erstem, das glitschige Eis seiner Vorgänger in der Logik zu brechen, sowohl indem er letztere von ihren dornenreichen quaestiunculae befreite als auch, indem er ihren Nutzen für alle Lebensbereiche einleuchtend machen konnte.176 Auf den Verdiensten dieses Eisbrechers für Deutschland aufbauend, verfasste nur wenige Jahre später Melanchthon ein hochelegantes Lehrbuch der Logik mit besonderem Nutzen für die Religion. Das Licht seiner Logik brachte in allen Schlüsselstellen der Gesellschaft, „in den Rednerkanzeln der Gotteshäuser, den Sitzrängen der Rathäuser, den Gerichtshöfen der Justiz, den Schulen der Philosophen und den Wohnungen von Privatpersonen“, überaus bedeutende Männer hervor.177 Sturm findet ebenfalls Erwähnung als platonisierender Bewahrer des gesamten aristotelischen Erbes; freilich so auffallend kurz, dass man kann sich fragen kann, ob es wirklich nur noch, wie Hauenreuther beteuert, aus Bescheidenheit und Höflichkeit geschieht, oder doch nicht eher deshalb, weil Sturm die Nähe zu Aristoteles und dessen präzisen Logikgrundsätzen nicht sonderlich am Herzen lag.178 In einer zu Sturm beinahe in adversativer Beziehung stehenden, pauschalen Beschreibung der deutschen wie auch französischen Nachfolger dieses deutschen Pioniertrios wird jedenfalls herausgehoben, dass sie sowohl die Regeln wie auch den Nutzen der (aristotelischen) Logik ganzen Herzens zu befördern strebten.179 Eben dies sind auch die Kriterien, die Hauenreuther an die Beurteilung des Ramus anlegt.

176 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 3a: „Lubricam illam priorum Logicorum glaciem primus in Germania fregit Rudolphus Agricola conscriptis literatißimis tribus de Dialect[ica] inuentione libris: quibus Logicam non spinosis tantum quaestiunculis disceptandis inseruire: Sed in omni uitae genere usum habere monstrauit.“ 177 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 3a: „His Logicae tenebris depulsis, non multis post annis Philippus Melanchthon compendium elegantißimum conscripsit Logicae, quod ad Religionis praecipue veritatem illustrandam aptauit: quo aeternam sibi nominis celebritatem comparauit: & ipsa Logica luce innomeros in templorum suggestibus, curiarum subselliis, iudiciorum tribunalibus, medicorum tricliniis, Philosophorum scholis, priuatorum aedib[us] Praestantißimos produxit viros.“ 178 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 3a: „Non minus in Logicis excolendis studiis operae laborisque insumpsit Ioannes Sturmius, qui Aristotelica praecepta Platonico more colloquiis explicauit: ut non secus ac Melanchthon usui intenderet, ipsam autem Aristotelis doctrinam penitus retineret, de cuius Logicae fructu ne nosmetipsos commendare videamur, aliorum malumus iudicium sequi, quam prolixe eum praedicare.“ 179 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 3a: „Hos in Germania & Gallia secuti sunt plurimi, qui non tam praecepta, quam [b] usus Logicae omnibus curae cordique esse laborarunt.“

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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Nicht etwa, dass er Sinn und „Zweck der Logik mit herausragenden und aus dem Alltag geschöpften Beispielen darzulegen versuchte“, darf und muss ihm vorgeworfen werden, sondern genau umgekehrt, dass er darin zu weit gegangen war und die elementaren aristotelischen Regeln gering geachtet hatte.180 Hier bringt Hauenreuther auch explizit zur Sprache, was er allem Anschein nach bislang nur indirekt vorgetragen hatte, nämlich die Notwendigkeit, die zweiten von den ersten intentiones in der Philosophie zu trennen. Wird diese Regel übergangen, mutiert alle Wissenschaft zu Terminologie oder, umgekehrt formuliert, alle Begriffsarbeit wird materiale Wissenschaft, was beispielsweise dazu führte, dass Ramus die Themen von Raum und Zeit der Logik statt ihrem eigentlichen Ort in der Physik zuordnen wollte. Noch schlimmer ist freilich in den Augen des Straßburgers, dass Ramus notwendige Sätze mit wahrscheinlichen vermengt. Unter anderem wegen des großen Einflusses des Ramismus auch auf die deutsche Gelehrtenwelt ist zu beklagen, dass es noch immer kaum eine Interpretation des Aristoteles gibt, die wirklich diesen Namen verdient. Entweder zieht sie unsachgemäß die rivuli der Quelle selber, die Kommentatoren dem Meister, deutlich vor, oder aber sie gibt bei allem aufrichtigen Bemühen, den Meister selber zu verstehen, nach außen leider dennoch eher nur die eigene Unkenntnis und Unbedarftheit weiter.181 Dass sich die deutschen Akademien 180 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 3b: „Inter quos & PETRVS RAMVS extitit, vir acuto ingenio, studio indefesso, multiplici eruditione, qui singulari modo, & Socratica occultatione plus se effecturum putauit, quam si communia retineret praecepta, & Aristotelico candore damnaret noxia, celebraret utilia. Reprehendi enim nec potest, nec debet in doctissimo hoc viro, quod usum praeceptorum ursit, & ut Dialecticae nobis loqui liqueat, finem Logicae illustribus & quotidianis exemplis manifestare conatus est. Sed quum in sua quoque Dialectica quatuor tradiderit causarum genera, multum de laude eius dedecit: quod in efficiente plura necessaria praeterijt, & praedicamentorum doctrinam, sine qua mutila mancaque, est Logica, plane omisit: omnia praecepta aeque nota & certa esse, nec alia aliis confirmari posse opinatus est. In forma confuse & indistincte non pauca tradidit, dum vocabula ambigua non distinxit, & quae ex prima intentione in aliis traduntur scientiis, in Logica quae secundarum est intentionum, doceri voluit. Qualis, ut ex multis seligam pauca, est de Loco & Tempore tractatio, quam physicorum propriam Logicae assignavit. In materia chaos quoddam primaevum proposuit, dum necessaria cum probabilibus, & haec cum fallacibus ita commiscuit, ut seminarium illud Anaxagorae, facilius Democriti fortuito concursu in certa concrescere corpora, quam haec Ramea praecepta solerti mente ad accuratam redigi scientiam queant. Sed de his speciatim agendi alius erit locus.“ 181 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 3b: „Hoc dolenter deplorandum, quod à tot seculis Aristotelicam Logicam doctissimi quique amplexi & secuti sunt alij autem riuulos potius eius quam ipsos fontes degustare alii fontes quidem attingere, & ubi inscitiae umbris obscuriores facti sunt, declarare studuerunt at animum erudito illorum usu imbuerunt, non, ut oportebat, spectarunt. Hinc paucissimi reperiuntur interpretes, qui Logicam Sacris, Iuridicis, Medicis, Philosophicis, quotidianis bonorum scriptorum exemplis illustrarent & nullam vitae partem ea carere posse ostenderent.“

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seit über sechzig Jahren mit Kompendienliteratur zu Aristoteles begnügten,182 ist jedenfalls bedauerlich; doch mit Jacob Schegk, Gulio Pace (1550–1631)(183 und Fortunatus Crellius184 ändert sich dieser Zustand nun glücklicherweise. Vor allem aber ändert er sich nun mit Jakob Zabarella und dessen logischen Schriften, die im Ausgang des Vorworts noch näher vorgestellt, im Grunde einfach in ihren Titulaturen paraphrasiert werden.185 Hauenreuther spart gewiss nicht mit Lob für Zabarella, doch seinen beiden zentralen Kriterien kann selbst der große Paduaner nicht völlig genügen. Man kann nicht leugnen, räumt der Herausgeber ein, dass über den Inhalt des edierten Werkes hier und da Zweifel auftauchen können. Auf ihnen herumzureiten, so schränkt er sogleich ein, käme jedoch der Haltung des Homeromastix Zoilus (ca. 400–320 v. Chr.) gleich, dessen berüchtigte Tadelssucht in der frühen Neuzeit sprichwörtlich wurde. Dieser letzte Punkt wirkt einigermaßen erstaunlich, denn just indem Hauenreuther sich von Zoilus abgrenzt, scheint er ihm frappant zu ähneln. Wer kritisiert schon Werke von Autoren, für deren weitestmögliche Verbreitung er unter großer Mühe eine Ausgabe anfertigt? Man wird hierin die durchaus typische und schulgerechte Vorwegnahme gegnerischer Argumente erkennen können. Mit beidem, mit dem Antizipieren wie mit dem konkreten Inhalt der Einwürfe gegen die applizierte Logik war der Mediziner als Disputator ja bereits jahrzehntelang vertraut. Als Person war Hauenreuther nun zwar zweifelsohne ein sehr offener Geist. Lang und illuster ist die Liste der Namen und Werke, auf die er sich in der Syzetesis beruft. Sein Horizont reicht weiter über Reichsstadt und das Reich, ja über den Bereich der Konfession und der eigenen Generation hinaus – vielleicht noch weiter, als es unter den Kollegen an seiner Akademie und anderen Bildungsstätten des Luthertums ohnehin auch sonst der Fall gewesen sein dürfte, wo etwa 1595 unter den Medizinern der Universität Wittenberg in öffentlicher Rede „der Patavinischen Akademie mit sehnsuchtsvollem Seufzen

182 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 3b: „A sexaginta enim & quod excurrit annis, compendiis contentae fuerunt Germanicae Academiae, & paucißimae ipsum Aristotelis contextum explicandum curarunt.“ 183 Die Biographie dieser eindrücklichen Gelehrtenpersönlichkeit hätte eine eigene Monographie verdient. In der bisherigen Forschung s. Revillout, Le Jurisconsulte Julius Pacius de Beriga avant son établissement à Montpellier; Lampertico, Materiali per servire alla storia di Giulio Pace; Franceschini, Giulio Pace da Beriga e la Giurisprudenza dei suoi tempi; Guiraud, Julius Pacius en Languedoc (1597–1616); Dufour, Jules Pacius de Beriga (1550–1635) et son „De Juris methodo” (1597); Vasoli, Scienza, dimostrazione e metodo in un maestro ”aristotelico” dell’età di Galileo; ders., Giulio Pace e la diffusione europea; Moreil, Le Collège de Nîmes au XVIe siècle. 184 Sinnema, Johann Jungnitz on the Use of Aristotelian Logic in Theology, 136 f. 185 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica,): ( 3b und): ( 4a.

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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gedacht wurde“.186 Neben seiner jugendlichen Zusammenfassung der Sturmschen Lehrpläne sowie der ohnehin obligaten Veröffentlichung seiner eigenen Universitätsdisputationen gab er bezeichnender Weise ansonsten nur „ausländische“ Autoren heraus, nämlich einerseits Zabarella, andererseits die Flores illustres zu den Werken des Aristoteles des Parisers Jacques Bouchereau, eine Art Reader für die eiligen unter den Lesern des Stagiriten, und damit einen Autor, der anderwärtig seine Editoren an der Universität von Barcelona finden sollte, der vom Luthertum nicht nur geographisch weit entfernten Residenzstadt des überaus katholischen Königreichs Katalanien. Dieser intellektuellen Weltläufigkeit unbesehen war Hauenreuther als Lehrer und Autor keineswegs unkritisch, vor allem all jenen gegenüber, die ihrerseits unkritisch mit Aristoteles verfuhren. Unter den tatsächlichen oder in den Augen des rührigen Akademieprofessors

186 In der Trauerrede des Medizinprofessors Johannes Iessen (Jessensky; 1566–1621) auf seinen Kollegen Martin Biermann († 1595) findet sich ein interessanter, liebevoll ausführlicher Bericht über die Basler und dann Padauaner Studienjahre des Verstorbenen. Die italienischen Spitzenprofessoren werden als Wissenschaftsstars vorgestellt, denen persönlich begegnet zu sein und sie non mortuos legere, sed viva docentes voce audire sowie eorum abundare praeceptis institutisque als Privileg von nahezu gnadenhafter Qualität im Leben des zu ehrenden Wittenberger Mediziners Biermann zu begreifen ist: IOANNIS // IESSENII A IESSEN, // DOCTORIS ET PROFES- // soris Medicinae Publici // De // CLARISSIMO VIRO DOMI- // NO DOCTORE MARTINO BIERMANNO, // Antè in Illustri JVLIA Philosophiae, nuper verò // in Vitebergensi Academia designato Professore // Medicinae extraordinario, X. Novembris // omnium luctu desiderato, publi- // cé dicta actaque // ORATIO. // VVITEBERGAE // Literis VVolffgangi Meisneri, Impensis // Pauli Helvvichii. // Anno MDVC. – J 234. [B2 verso] „Mirè haec Zuingero in juvene placuit & horarum partitionis prudentia, & temporis parsimonia, ut initio de ablegandis in Italiam filiis consilio, hunc eis Patavium Ducem & Achatem designârit ac praefecerit. Haec alteri illi, auditores, obtigit & nova felicitas. Illic enim Zabarellas, Picolomineos, Capivacios, Aquapendentes, Paternos, Guilandinos, non mortuos legere, sed viva docentes voce audire, eorum abundare praeceptis institutisque potuit: Idque Patavii, urbe toto terrarum orbe Gymnasio celebri, & perpetuo quasi per successionem magnorum ingeniorum alumno, praeclarissimarumque artium contubernio. Horum virorum quoties mihi in mentem venit memoria, venit autem saepissimè, toties ergo Patavinae ingemisco Academiae, quae tot tantisque intra paucos annos orbata viris, cives hos suos retinere diutius in vita non potuerit, cùm tamen plerique ea decesserint aetate, qua senectutem vis à lumine sa- [B3] lutarunt. Verùm illi quidem alieno Patriae, sibi hoc est, nomini & gloriae suae, haud quaquam importuno tempore, relictis ingenii nunquam intermorituris monumentis, è vita excessêre. Quorum divinas voces porticus illae eruditae lycaei Patavini frustra nunc, frustra inquam desiderant, atque eos si possunt suos ipsi cives, qui artem medicam & maximè Philosophiam, non praeceptis tantùm ac scriptis, verùm & factis praeclarißimè exprimantur, perpetuò lugerent. Horum noster hic Philosophus secutus, dum liceret, seriô vestigia, ab horum discessit ore semper doctior, hos coluit, hos maximè veneratus est.“ Zur Person Biermann und seiner Polemik gegen Jean Bodin; s. Kauertz, Art. Biermann, Martin.

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vermeintlichen Aristoteleskritikern finden sich nicht nur die bereits erwähnten Ramisten, sondern auch zwei weitere Gruppen, in deren Beurteilung sich Dannhauer denn auch von Hauenreuther grundlegend unterscheiden sollte, nämlich nebst den Zabarellisten auch die Altdorfer Schule. Von Zabarella grenzt er sich genau dort ab, wo er bei ihm Illoyalität gegenüber dem Stagiriten vermutet. Es ist bezeichnend, wie er eingangs seiner Präsentation der edierten Schriften lobend hervorhebt, dass die Ersten Analytiken durch knappe, übersichtliche Tabellenwerke zusammengefasst und die Zweiten gar im Stile einer enarratio dargeboten werden.187 Hauenreuther sieht Zabarella als einen Denker und Autor, dessen Produkte darum besondere Verbreitung verdienen, weil sie in bisher unerreicht kompakter, eleganter und oft gleichsam kongenialer Weise das aristotelische Denken wiedergeben. Leise, dem schriftstellerischen Ort eines Vorworts durchaus entsprechende, dennoch unüberhörbare Kritik lässt er dem Italiener daher ausgerechnet für jene Innovationen widerfahren, die ihn für Mit- und Nachwelt wohl am unvergesslichsten machte, nämlich für die regressus-Methode, welche die methodus compositiva und die methodus resolutiva ergänzt, indem sie beide miteinander verschränkt. Eine durch die demonstratio quia auf ihre Ursache hin festgestellte Wirkung wird durch sie in einem zweiten Reflexionsgang zusätzlich mittels einer demonstratio propter quid von dieser Ursache ausgehend ihrerseits erklärt. Ein Zirkelschluss, der die Zuordnung einer Ursache zu einer Wirkung aufgrund eben dieser, konventionell verbreiteten oder fälschlich hergeleiteten, Zuschreibung als korrekt erachtet, kann somit vermieden werden.188 Ironischer Weise scheint Hauenreuther, der den Nutzen der Logik für die Menschheit andern stets mit Nachdruck in Erinnerung ruft, diesem unermesslich segensreichen, letztlich auf Averroes zurückgehenden Fortschritt mit unverhohlener Skepsis zu begegnen. Dass in der Disputation mit Cosmas Vakius zu resolutio und compositio die divisio, also die dihäretische Definition, zugeordnet wird,189 entspricht Galens Methodenlehre, es passt zudem gut zum Sturmschen platonisierenden Erbe, und es muss auch nicht zwingend eine Ablehung Zabarellas bedeuten, der den 187 Hauenreuther, Ludwig: Præfatio, in: Zabarella, Opera Logica, ): ( 3a: „Nec immerito sane Zabarellae opera placent. Quam breviter enim & perspicue in tabulis proposuit, quae prioribus [): ( 4a] Organi libris traduntur? Quam copiose & diligenter enarravit, quae in pretiosissimo Posteriorum Analyticorum volumine ab Aristotele docentur?“ 188 Vgl. hierzu etwa Mikkeli, Jacopo Zabarella. Ordnung und Methode, 155. 189 Vakius, Theses de progressione: „LXIX. Ex ea etiam orta sunt diversa METHODI genera, quæ // Galenus διδασκαλίας & disciplinas vocat, ac TRES earum // facit. ἀνάλυσιν RESOLVTIONEM, σύθεσιν COMPOSI- // TIONEM, διαίρεσιν DIVISIONEM.“ Vgl. zu ebendiesem Punkt Backus, The Teaching, die wohl als erste auf diesen merkwürdigen Hiat zwischen Editor und Autor hingewiesen hat.

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Autoren vielleicht erst im Nachhinein näher bekannt wurde. Aufschlussreich ist es dennoch, weil es zeigt, woher Hauenreuther letztlich seine methodologische Bildung zog. Bemerkenswert ist zudem die Tatsache, dass auch in den Disputationen nach 1578, ja selbst nach 1584, dem Erscheinungsjahr der eindeutig von Zaberella beeinflussten und Hauenreuther nachweislich gut bekannten Kompendien von Fortunatus Crellius190, Claude Aubéry († 1596)191 und Giulio Pace192 die Differenzierung von intentio prima und intentio secunda eher selten erwähnt wird. In einer 1595 erfolgten Veröffentlichung von drei unter Hauenreuther disputierten Theoremen, also einer etwas ausgedehnten Sorte von Thesenreihen, wird sogar ausdrücklich gegen die Zuweisung der rein gedanklichen Gegenstände als Objekt der Logik Stellung bezogen. In diesem Trinum Philosophicum wird allerdings die Autorschaft auf dem Titelblatt dem Respondenten Cornelius Formicarius zugewiesen, was im Sinne der damaligen Disputationspraxis nur heißen kann, dass er die alleinige Verantwortung für den Inhalt zu übernehmen hatte. Hier ein Signal der Abgrenzung von Seiten des Praeses und mittelbar von Seiten der Fakultät und Universität gegenüber den Ansichten des Respondenten zu vermuten, hat daher mindestens soviel Wahrscheinlichkeit für sich, wie umgekehrt darin eine Art Urheberrechtsschutz zu sehen. Darauf lässt auch die Tatsache rückschließen, dass in diesem selben Jahr 1595 ein weiterer Straßburger Respondent unter Hauenreuther, Reinhard Schönwald, in einer Theoremenserie die exakt gegenteilige Position vertritt, dass nämlich subjectum Logicae sit Ens rationis siue νοήματα secunda.193 Noch frappanter

190 Crell, Institutio Logica, Heidelberg 1591. 191 CLAV. ALBERII // TRIVNCVRIANI // Organon. // ID EST: // INSTVUMENTVM DO- // CTRINARVM OMNIVM: IN DVAS // PARTES DIVISVM. // NEMPE, // IN ANALYTICVM ERVDITIO- // NIS MODVM, // & // DIALECTICAM: SIVE METHODVM // DISPVTANDI IN VTRAM- // QVE PARTEM. // Ad Henricum III. Gall. & Pol. Reg. Christ. // MORGIIS, // Excudebat Ioannes le Preux, Illustrissim. Domi- // norum Bernensium Typographus. // MDLXXXIIII. 192 Es sei hier der Titel der Auflage von 1600 angezeigt. Im Anhang 3.9, S. 456, wird auch das Inhaltsverzeichnis geliefert, in dem besonders das gegen Ende erscheinende Kapitel De methodis bemerkenswert und aufschlussreich ist. IVL. PACII // A BERIGA // INSTITVTIONES // LOGICAE, // IN VSVM SCHOLARVM // BERNENSIVM // editae. // Quibus non solùm vniversa Organi Aristotelici // sententia breuiter, methodicè, ac perspicuè contine- //tur: sed etiam syllogismi hypothetici, & me- // thodi, quorum expositio in Organo deside- // ratur, & in vulgatis Logicis aut // omittitur, aut imperctè tra- // ditur, plenè ac diluci- // dè explican- // tur. // Cum gemino indice, vno capitum, a // ltero rerum & verborum memorabilium. // BERNAE // Excudebat Ioannes le Preux Illustris. // DD. Bern. Typographus. // M.D.C. – ZV 12133 193 Schönwald, Theoremata philosophica, Theorema logicum, dritte These, dritte Subthese: „Cum enim subjectum Logicae sit Ens rationis siue νοήματα secunda: & haec vel communia

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wirkt dieser Gegensatz angesichts der Tatsache, dass beide Reihen von Theoremata, diejenige des Schönwald ebenso wie diejenige des Formicarius, nicht nur gleichzeitig veröffentlicht wurden, sondern auch in ihrer Struktur exakt analog aufgebaut sind, indem beide Male je zuerst eine naturphilosophische, sodann eine ethische und drittens eine logische Reihe von Theoremata geboten wird, die in Gruppen gegliedert sind, die beidseits mit griechischen Zwischentiteln versehen werden. Entscheidend ist freilich der Unterschied, dass bei Schönwald nun die Autorschaft auf Praeses und Respondent gleichermaßen verteilt wird, Hauenreuther sich mit anderen Worten formalpublizistisch mit den Ansichten und Resultaten identifiziert. Alles andere wäre auch schwer vorstellbar, denn wie sollte die Zustimmung zu diesem zentralen Bestandteil des Methodengebäudes Zabarellas, die Hauenreuther im Vorwort zu seiner Edition von 1594 noch eindeutig äußert, nur ein Jahr später sich in ihr genaues Gegenteil verkehrt haben? Die andere bei Schönwald ebenfalls relativ diskret, aber ebenso unverkennbar kritisierte Gruppe befindet sich geographisch und institutionell sehr viel näher als in Padua, nämlich im Nürnberger Gymnasium illustre in Altdorf.194 Sie ist nicht nur in der allgemeinen nachreformatorischen Philosophiegeschichte, sondern speziell auch für die Kollegen an der Ill von eminentem Interesse. Es wäre nur wenig übertrieben, die Nürnberger Hohe Schule als Filiale der älteren Straßburger Schwesterinstitution zu bezeichen, welche ihr unter fast allen Gesichtspunkten 1575 als Modell zur Gründung diente. Die wissenschaftstheoretische Ausrichtung im Gefolge einer melanchthonisch erneuerten Sturmschen Didaktik, die konkrete Organisation des Schulbetriebs, der strenge Zugriff der städtischen Kontrolle durch die Scholarchen, der Wandel von der gymnasialen Klassenstruktur über eine vor allem in Fakultäten organisierten Semiuniversitas bis hin zum 1622 erlangten Status einer Volluniversität mit kaiserlichem Doktorprivileg, alles gleicht wie ein Haar dem andern. Selbst der Lehrkörper war vereinzelt personalidentisch, jedenfalls zur Gründungszeit, als der uns bereits bekannte Lehrer Hauenreuthersnamens Valentin Erythräus als erster und in vielem sehr entscheidender Rektor des Gymnasium fungierte. Unterschiedlich verlief hingegen die Entwicklung der geistigen Ausrichtung der beiden Akademien. Der Ehrgeiz der Elite der fränkischen Metropole war es,

sint, & ad quamvis propositionem adhiberi poßint: vel propria & propositioni vel necessariae tantùm, vel probabili, vel falsae, sit ut hoc modo Logica in duas illas partes diuidatur.“ 194 Zur berühmten Hochschule s. Mährle, Academia Norica, besonders die Übersicht auf S. 261. Die Arbeit konzentriert sich primär auf eine institutionengeschichtliche und prosopographische Präsentation der Geschicke der Akademie. Noch aufschlussreicher für den ideengeschichtlichen Hintergrund ist der Aufsatz von Mährle, Philippismus, Ramismus, Aristotelismus – didaktische Konzepte an der Nürnberger Hochschule in Altdorf (1575–1623).

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eine philippistische Universität auf der Höhe ihrer Zeit aufzubauen, und dieses Ziel konnte zunächst auch konsequent in die Wirklichkeit umgesetzt werden.195 Laut dem Schulprogramm von 1575 sollte Erythräus De inventione dialectica des Agricola lesen, nebst der Dialektik des Johannes Caesarius (1486–1550), sowie auch direkter eigener Kommentierung des Organon; ein Jahr später werden dann – etwas überraschend, doch im Kontext einer anfänglichen Experimentierphase zu verstehen – die Erotemata Melanchthons als Lehrstoff genannt. Nach dem Tod des Erythräus im Jahre 1576 erfolgte eine Abkehr von diesem Programm in die eine Richtung. Mit Johann Thomas Frey oder Freigius (1543–1583)196 kam ein neuer Rektor aus Basel, der nicht nur im Bereich der Logik selber tätig war und etliche philipporamistische Lehrbücher verfasst hatte, unter anderem 1574 ein Lehrbuch der Logik auf ramistischer Grundlage197 und 1580 ein Kompendium zur Dialektik Melanchthons. Er gehörte im deutschsprachigen Raum zudem zu den wirkungsvollsten Popularisatoren des Ramus, dessen bekannter Biograph er auch war. Wohl bereits mit der Übergangsfigur Christian Francken (1552–1610),198 einem ehemaligen Jesuiten mit zunehmend unitarischen Ansichten, der 1580–1581 über das Organon las, führte der Kurs in die exakt entgegengesetzte Richtung, sicher aber ab 1583 mit dem Frauenfelder Thomas Mader, der zuerst in Basel und dann in Heidelberg bei Thomas Erastus Philosophie und Medizin studiert hatte. Von ihm liegen zwar keine gedruckten Schriften vor, zudem wechselte er bald eher auf die anwendungspraktische Seite der Wissenschaft, indem er sich 1585 zum Stadtphyikus in Amberg und später als Professor für Physik und Medizin an die Universität Heidelberg berufen ließ.199 Doch war er es wohl, der das logikgeschichtliche Pendel in Nürnberg so deutlich auf eine Ramus und selbst Melanchthon entgegengesetzte Seite ausschlagen ließ.200 Oder sollte man vielleicht diese Ehre eher dem Aargauer Erastus (1524–1583) zusprechen, der in Heidelberg nicht nur Maders Lehrer, sondern auch derjenige seines berühmteren Nachfolgers Scherb gewesen war? Philipp Scherb (1555–1605), 1586 als Professor für

195 Mährle, Academia Norica, 69. 196 Zur Person s .Weibel, Art. Freigius, Johann Thomas. 197 Ioannis Thomae Freigii Quaestiones Εωθιναι καὶ Δειλιναὶ: seu Logicae: Cum Analysi Logica & Politica in 35 Ciceronis orationes, Basel (Henricpetri) 1576. – F 2591. 198 Szczucki, Philosophie und Autorität; Simon, Die Religionsphilosophie Christian Franckens (1552–1610?). 199 Theses de logicae definitione, ohne Jahr und Ort, in Altdorf und wohl auch ansonsten verschollen. Repertoriiert bei Mährle, Academia Norica, 275, Anm. 68. 200 Mährle, Academia Norica, 273.

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praktische Medizin nach Altdorf berufen und auch mit der Logiklektur betraut, hinterließ ein umfangmäßig ebenfalls eher geringes, doch inhaltlich umso gewichtigeres Werk. Es sollte nachhaltigen Einfluss nicht nur auf die Academia Altorfina und die von der „Filialschule“ ihrerseits inspirierte Straßburger Universität, sondern mittelbar in den gesamten lutherischen Raum hinein ausüben, auch durch den Widerspruch, den es verursachte, angefangen bei Hauenreuther. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es die bei den Averroisten angestoßene, bei den Paduanern und besonders Zabarella dann weiter geführte Entwicklung zu einer Privilegierung der Analytiken vor dem Rest des Organon noch deutlicher als jede bisherige Tradition ausgestaltet. Scherb führt diese Privilegierung, falls dieses aposteriorisch-teleologische Urteil zulässig sein kann, radikalisierend einer inneren Vollendung zu, indem er sie noch einmal vereinfacht. Dezidiert ist er der Ansicht, dass die bloße Unterteilung des Organon in pars communis und propria genügt, insofern sie dazu ausreicht, das Verhältnis der Teile der Logik untereinander zu erklären.201 Wie wir sahen, wurde in dem gegen Ende des Jahrhunderts bei mehr oder minder allen Nichtramisten gebräuchlichen Muster diese Flügelung in pars propria und communis aufgrund einer Unterteilung in syllogistische Form und syllogistische Materie vorgenommen. Dies hatte zur Folge, dass letztere in sich noch einmal abgestuft werden konnte, denn material gesehen kann in dieser Sichtweise ein Syllogismus notwendig, wahrscheinlich oder falsch sein.202 Diese Unterteilung nun lehnt Scherb 1590 ausdrücklich ab. Die nur

201 THESES DIALECTICAE, // IN ACADEMIA // ALTORFINA AD DISPV- // TANDVM PROPOSITÆ. // EAS, CVM DEO, // PRAESIDE PH. SCHERBIO, IN // eâdem Academiâ Medicinae ac Philoso- // phiae Professore, disputando tueri // conabitur // LVDOVICVS IOACH. F. // CAMERARIVS // ALTORFII, // TYPIS CHRISTOPHORI LOCHNERI, // ET IOHANNIS HOFMANNI, TYPOGRA- // phorum Academicorum. // Anno MDXC.: „VI. Averrois divisionem Logicae in communem & propriam, sic satis bonam esse, quatenus scilicet, quomodo partes inter se habeant, monstret.“ S. u. Anh. 3.3, S. 429. Zu einem Auszug aus dieser ganzen Reihe s. ebenda. 202 Ein typisches, in Bezug auf Scherbs Schrift zudem sehr zeitnahes, Beispiel bietet die Institutio des Fortunatus Crell. FORTVNATI // CRELLII INSTI- // TVTIO LOGICA: // In eorum vsum conscripta, // qui & breuem, & perfectam // Logicen exposcunt. HAEDELBERGAE, // Typis Abraham Smessmanni, // Impensis Henrici Auena. // M.D.XIX, 1–4: „INSTITVTIONIS // LOGICAE PARS // prior siue communis. // DE NATVRA LOGICES, // QVID SIT ET QVOTVPLEX // CAPVT I. // Logicae habitus est organicus: verum à falso discernere potis. Genus Logices habitus organicus est: differentia, verum à falso discernere potis. Habitus Logice dicitur: quia per se, vt in mente & qualitas est, definitur, non qua scripta est: quod illius accidens est. Cur habitu organico definiatur, è differentia perspicuum erit. Differentia à fine petita est. haec enim instrumentorum ratio est, vt tota eorum essentia in fine consistat. Finis

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wahrscheinlichen Prämissen für die Logik erscheinen ihm als ungenügend, oder, wie er es in einer Disputation mit seinem Schüler Gallus 1589 bereits formuliert,203 sie sind endoxa paradoxa, sonderbare Konventionen. In einer ein Jahr

Logices, isque tum externus, tum generalis, est, inter verum & falsum discriminare, hoc verum, illud falsum esse, probare. sit hoc syllogismo: qui & ipse Logices finis est: sed internus: quia illius opus. Hinc obscurum non est, cur Logicae habitus organicus, & instrumentum esse dicatur. non enim per se, vt scientiae, sed per & propter aliud expetitur: nec idcirco syllogismum construere discimus, vt illius cognitione contenti simus: sed, vt cognita struendi ratione, syllogismum conficiamus: eoque, ceu vnica probandi norma & instrumento, hoc verum, illud falsum, hoc rectè, illud non rectè, confirmatum esse monstremus. Neque verò tunc demum aut solum, cùm aliquid syllogismo probamus, & Logice vtimur, instrumentum est Logice: sed etiam in se, extra vusum, considerata: quia in hunc finem discitur, in hunc finem à Deo nobis concessa est, vt illius adminiculo, hoc verum, illud falsum esse, probare poßimus: quem ad modum securis ad secandum facta est, & idcirco instrumentum aptum ad secandum, siue secet, siue non secet. hoc interest, quòd securis, & id generis instrumenta, instrumentum est corporis, Logice mentis: quo mens vtitur ad verum à falso discernendum: quem ad modum securi manus ad secandum. Distinguitur in duas partes Distinguitur in duas partes: in communem, & propriam: quarum vtraque tribus libris absoluitur: Communis libro Categoriarum, Enunciationum, Syllogismi: Propria libro Demonstratiui, Probabilis & Sophistici Syllogismi. Communis Logices pars dicitur, quae communia tractat & generalia: cuiusmodi sunt Syllogismus, siue communis illa Syllogismi forma: quae res quauis Syllogisticè concludi possunt: Enunciationes, earum proprietates & partes, subiectum, attributum, & denique decem illae summae rerum Genera: è quibus, ceu penu & sylva quadam, subiectum & attributum depromuntur. Propria est, quae de propriis & particularibus agit: quia de tribus illis Syllogismi speciebus: de Syllogismo Demonstratiuo & necessario: de Probabili siue Topico: de Sophistico seu fallaci: de quibus peculiares in Logicis conditiones praescribuntur, sine quibus dignosci non possunt, & quae in rebus absque praeceptis Logicis non deprehenduntur. Cum enim res omnes vel verae sint, vel falsae & tum verae, tum falsae, duplicis generis: summè & necessariò semperque verae: partim veaer [recte: verae], partim falsae, siue probabiles: manifestò falsae, tectè falsae, quia fucatae, verique speciem habentes: idcirco tres syllogismi species existunt: Necessarius, Probabilis, Sophisticus Syllogismus: de quorum discrimine & natura in Logicis praecipiendum est: quòd aliae & aliter affectae propositiones, quod ex ipsis rebus non discitur, ad syllogismum & conclusionem necessariam, aliae ad probabilem, ad fallacem aliae, requirantur. de illo, quod apertè falsum est, praecpta non traduntur, cùm sua sponta deprehendantur. Ex his constat, rectè a nobis Logicen in has duas partes tribui, in Communem, & Propriam & hanc vnam Logices partitionem germanam & naturalem esse: quia quaecunque Disciplina communia, siue generalia, & deinde propria, siue specialia, tractat, ea sua natura in has duas partes distincta est: vt autor est Aristoteles: & demonstrari facilè potest. [Glosse: lib. 1. phys. cont. 57.]“ 203 Endoxa Paradoxa, // DE // DIFFERENTIIS ANALY- // tices & Dialectices // Auctore // PH. SCHERBIO. // Ea in Acad. Altorfina disputando // tueri conabitur, // M. GEORG. GALLVS. //

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später gedruckten Thesenreihe204 erläutert er näherhin, dass die traditionelle Aufteilung eine faktisch unüberbrückbare Kluft zwischen topischem und apodiktischem Urteil verflache und damit letztlich von den einfachen Satzelementen bis hin zum vollendeten Syllogismus eine durchgehende Erkenntnisbahn entwerfe.205 Dass Scherb nun die dabei interessierende Doppelfigur durch die griechischen Ausdrücke als eine Trennung in στοιχειλογικὴν & συλλογιστικὴν bezeichnet, und sie damit in die Nähe der Naturphilosophie rückt, zeigt auf, dass er in direktem Dialog mit der ihm unmittelbar vorausgegangenen Generation von Lehrern auf der Schwelle zwischen Logik und Naturphilosophie steht. Bei den Medizinern Planer und Hauenreuther, wie beim Lehrer so beim Schüler, lässt sich diese Redeweise beobachten, dank der die averroistische Vorgehensweise für die jungen Physiker noch plastischer erscheinen konnte. Andreas Planer verwendet sie 1584 in der Einleitung zu seiner paraphrasierenden Erklärung der aristotelischen Hermeneutikschrift. Von den in die Hermeneutik aus der Kategorienschrift übernommenen Satzbausteinen sagt er, principia quaedam ac Elementa sunt ratiocinationis ac syllogismorum, womit in der Tat die von Scherb bemängelte Brückenstellung von den Kategorien zum Syllogismus geboten wird.206 Bei Hauenreuther erscheint die Figur 1599, ALTORPHII,// TYPIS CHRISTOPHORI LOCH – // neri, & Iohan. Hofmanni, Typogra- // phorum Academicorum. // ANNO, // MDLXXXIX. – S 2660. Vgl. hierzu unten Anm. 217. 204 ΣΥΖΗΤΗΣΙΣ DE NATVRA LOGICAE, Straßburg 1599. 205 Scherb, Theses dialecticae, Thesis VII, S. 3 f.: „Illam verò quorundam doctorum virorum, in στοιχειλογικὴν & συλλογιστικὴν, & huius postremę subdivisionem in Apodicticam & Topicam, non videri satis bonam, cùm Categorias faciat quasi viam munientes ad Analyticen, quod falsum est.“ Gemeint ist eine material methodische Konsequenz von den Kategorien zu den Analyiken, nicht hingegen eine pädagogische, wie die These IX. deutlich macht. 206 ANDREAE // PLANERI ATHE- // SINI QUAESTIONUM // DIALECTICA- // RVM // Pars prima, // CONTINENS DOCTRI- // nam Praedicabilium, Praedicamento- // rum, & libri περὶ ἑρμηνείας // Organi Aristotelis: Nunc recenter sententiarum numero aucta, loco- // rum allegatione munita, exemplorum denique // varietate sic illustrata, vt perspicui // Commentarij loco esse // possit. // TVBINGAE, // Excudebat Georgius Gruppenbachius, M.D.LXXXIIII, 392–395; s. auch u. Anh. 3.1, S. 426, der den gesamten Passus bringt: „Et tandem cùm omnes rationes veritatis ac falsitatis in propositionibus ceu prima mentis compositione exposuit, quaestionem pulcherrimam mouet de maxima pugna propositionum ratione veritatis & falsitatis, quae falsa propositio cui verae maximè sit opposita, & hac ratione falsißima existat, cùm saepe vni vero plura poßint opponi falsa, quae tamen à se inuicem differant, & alia falsißima sint, adeoque maximè opposita vero, alia minus talia: De qua quaestione quid sentiendum sit, vltima libri huius parte & capite docet. Ex quibus omnibus cognosci & intelligi abundè satis potest,, [sic] non solum quae connexio sit & cohaerentia praesentis huius libri cum praecedentibus & sequentibus Organi libris, sed etiam quod huius argumentum, quod subiectum, quae praecipuae partes, imò quanta totius tractationis vtilitas, & in vniuersa arte Dialectica neceßitas. Sed cur non de propositionibus, περὶ τῶν προτάσεων ἢ

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als er in der Syzetesis sein Kombinationsmodell aus Form und Materie vorstellt, das er spätestens 1593 und doch sicherlich in direktem Anschluss an Planer bereits entworfen hatte.207 Scherb entfaltete eine Kritik hieran spätestens 1589, richtete sie also vermutlich eher gegen Planer als gegen Hauenreuther, doch fühlte dieser sich natürlich ebenfalls und durchaus zu Recht mitgemeint. Hauenreuther hielt es daher für gut, eine Gegenkritik aufzubauen, und sie wiederum in der Schönwald-Disputation der Öffentlichkeit vorzustellen, die in der ersten und wichtigsten These – Analytica & Topica generali doctrinâ comprehendi possunt – die Gleichrangigkeit von Topik und Analytik(en) , mithin der topischen mit den apodiktischen Syllogismen verteidigt.208 Inhaltlich unterscheidet sich diese Thesenreihe in zwölf exklusiv griechisch betitelten Kapiteln von den übrigen Werken des Autors primär in ihrer Versicherung, dass die intentiones secundae Subjekt der Logik seien. Auf der Basis der in der namentlich

περὶ λόγου ἀποφαντικοῦ, inscriptus fuerit ab Aristotele, cum (vt modò diximus) de propositionib. omnino, earumque proprietatibus pertractet Aristoteles, intelligit facilè is, qui animadverterit vnicum esse illum propositionum omnium finem, vt vocabulis animorum nostrorum sensa affirmando et negando explicemus alijs, cum simplicibus νοήμασι non exprimatur sensus, nec quid de re aliqua statuas intelligi poßit. Ad hunc finem respiciens Aristoteles prasentem librum inscripsit περὶ ἑρμηνείας, de interpretatione, qua videlicet ratione animi nostri mentisque sensa & cogitata significare alteri & explicare definitè in disserendo cum delectu ac discrimine veri & falsi poßimus: ἑρμηνεία enim interpretationem, notationem, sermonem, explicationem (quae nominibus fit, & verbis, & oratione) significat. Sed non propterea rectè existimabit quispiam, totam illam de nomine, de verbo, de oratione doctrinam, quam in praesente libro nobis proponit Philosophus, Grammaticam esse, & revera è logicis exterminandam,neque credendum Aristotelem, cuius tempore nulla dum eiusmodi Grammatica praecepta tradita fuerant, tradere illa & docere praesente hoc libro voluisse: Siquidem non Grammaticorum more proprietates & affectiones vocabulorum, vt declinationes, coniugationes, constructiones, nominis, verbi, orationis, quatenus vocabula sunt, in Logicis excplicantur, sed quoad conceptus animi respiciunt, & hac ratione propriè aliquid sibi vendicant, imò quoad in ipsis conceptibus veritatem vel falsitatem distinguunt, & omnino principia quaedam ac Elementa sunt ratiocinationis ac syllogismorum, qui oratione quidem exprimuntur, sed revera πρὸς τὸ μέσω λόγον pertinent, de omnibus illis pertractat Philosophus in hoc praesente περὶ ἑρμηνείας libro, cuius textum modò in quaestiones παραφραστικὰς resoluere volumus.“ 207 Hauenreuther, ΣΥΖΗΤΗΣΙΣ, Thesis 45: „QVINTO & POSTREMO, ex Organo Aristotelis ratione MATERIAE & OBIECTI, quod est RATIOCINATIO, vt lib. I. Rhet. c. I. traditur, LOGICA in DVAS dividitur partes: quarum Vna est RATIOCINATIO ipsa: altera eiusdem PARTES: quae rursus sunt DVPLICES: Aliae SIMPLICISISSIMAE, quae respondent primis rerum naturalium principijs: vt sunt primi termini: qui explicantur in libro κατηγοριῶν & in εἰσαγωγῇ Porphyrij: quam melioris intelligentiae causa, huic adiungere possumus. Aliae ex his COMPOSITAE: quae similes sunt Elementis: de quibus praecipitur in libris περὶ ἑρμηνείας.“ 208 Schönwald, Theoremata philosophica.

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dritten These geäußerten und untermauerten Überzeugung, dass die Eingangsthese ein letztlich außerhalb jeden irgendwie vorstellbaren Dissenses stehendes Grunddatum darstelle, schreiten die folgenden Thesen dann zielstrebig, ja der Absicht nach beinahe unausweichlich vorwärts. Sie gipfeln in den abschließenden beiden πορίσματα, also Ergebnissen oder Konklusionen, die vor Trennung wie auch vor Vermengung der beiden Teile der materialen Logik warnen; von ferne fühlt man sich an die Formel von Chalkedon erinnert. Dass eine Vermengung nicht zulässig ist, war unter den Aristotelikern Konsens, und wurde nur von den Ramisten vertreten, gegen die Scherb sich hier allgemein pflichtschuldig einerseits und aufgrund ihres aktuell wachsenden Einflusses auch im Reich andererseits abgrenzt. Bedeutender ist die erste Konklusion, die noch einmal bekräftigt, dass trotz einer unter materialem Aspekt legitimen Trennung in notwendige, wahrscheinliche oder irrige Schlüsse alle Syllogismen formal identisch und somit voneinander nicht zu separieren sind.209 Die jungen Wilden in Altdorf sollten hiermit zur Ordnung gerufen werden, solange es noch Zeit war, denn vorläufig war Philipp Scherb in einer gewissen Pionierrolle und von nur wenigen, eher unbedeutenden Schüler ohne eigentliche wissenschaftliche Zukunft umgeben. Zumindest in Bezug auf die Nürnberger Hochschule blieb der Straßburger Appell dennoch ohne Wirkung. Im Gegenteil ging Scherbs Meisterschüler Piccart in der Trennung der beiden Disziplinen noch einen Schritt weiter, was umgekehrt wieder auf den jungen Straßburger Dannhauer zurückwirken sollte.

2.2.3 Vollendete Zuspitzung in Altdorf unter Michael Piccart Nicht umsonst bescheinigt sich Michael Piccart (1574–1620)210 im Todesjahr seines Lehrers Scherb 1605 und also wohl kurz nach seinem Ableben, er stehe in Gefahr, dessen „Aktuar“ zu werden.211 Freilich wählt er diese Beschreibung dann doch nur, um sie salva reverentia (wie das Mittelalter formuliert hätte) klar abzulehnen. Er war, was er selber erst ahnen und ohnehin keinesfalls so schreiben konnte, Scherb überlegen nicht nur an Produktivität, sondern auch

209 Schönwald, Theoremata philosophica, Theorema logicum, IIX. These: Πορίσματα. 210 Über Piccarts Person und Philosophie s. Wundt, Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts, 55; Kunstmann, Die Nürnberger Universität Altdorf und Böhmen; Risse, Die Logik der Neuzeit; Leinsle, Das Ding und die Methode; Mährle, Academia Norica, 278–282; Lines, Il metodo dell’etica nella Scuola Padovana. 211 Piccart, Isagoge, 62: „[. . .] Doctor noster, CL. Scherbius Vir & seculo & laude nostra major, cujusque parem, verè futura non videbunt secula, praeclarè ostendit, cujus actuarius nunc esse nolo [. . .].“

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an Konsequenz und aus diesen beiden Gründen dann auch an Bekanntheit. Zunächst las an der Altdorfer Akademie neben Scherb auch Georg Glacian aus Vilseck über Logik, der als Philippist traditionellen Typs gelten kann, und damit in seinen Ansichten nahe auch bei Ramus und Sturm zu stehen kam. Doch obschon der 1605 verstorbene Scherb bis 1603 Logik las, kam sein Nachfolger Piccart schon ab 1599 ins Amt, da ersterer sich auf seine medizinische Professur konzentrieren wollte. 1574 geboren als Sohn des nachmaligen Altdorfer Pfarrers und Theologieprofessors Johann Piccart, war Piccart Schüler nicht allein Scherbs, sondern auch des gebürtigen Mömpelgarders Nicolaus Taurellus oder Nicolas Tourot, verdeutscht Klaus Öchslin (1574–1606). Er hinterließ zwei größere Werke, 1605 eine als Isagoge in lectionem Aristotelis veröffentlichte Einführung in das Gesamt der aristotelischen Philosophie,212 sowie 1613 wie eine paraphrasierende Interpretation des Organon Aristoteleum in quaestiones et responsiones redactum;213 nebst einem allerdings unveröffentlichten Commentarius in Organon Aristotelis.214 Piccart nimmt oft auf Scherb Bezug, so in der Disputatio de inductione und der Disputatio de notioribus natura et nobis, Altdorf 1613.215 Die Differenz zwischen zwei Formen der Erkenntnis, ὀρθοδοξαστικὴ oder ἐπιστημονικὴ, und zwischen ihren beiden Objekten ἔνδοχον und ἀληθὲς spielt auch bei ihm eine wichtige Rolle;216 in der Charakterisierung dieser beiden Erkenntnisweisen lehnt er sich offensichtlich sehr eng an Scherb an.217 Er ordnet ihr Rhetorik und Dialektik auf der einen, Analytik auf der andern Seite zu, und

212 Isagoge in Lectionem Aristotelis, Nürnberg 1605 (vgl. Anh. 3.10). 213 Piccart, Michael: Isagoge in Lectionem Aristotelis, Nürnberg 1605 (vgl. Anh. 3.10). Piccart, Michael: Organon Aristoteleum [etc.], Leipzig, 1613 (vgl. Anh. 3.11). 214 Erwähnenswert sind zudem seine durch Johannes Paul Felwinger, Philosphia Altorfina, 1644, herausgegebenen Dissertationen oder Disputationen, auf die Mährle, Academia Norica, 280, hinweist: Philosophia Altdorphina, Hoc est, Celeberrimorum quorundam, in incluta Universitate Altdorphina Professorum, nominatim, Philippi Scherbi, Ernesti Soneri, Michaelis Piccarti, Disputationes Philosophicæ / in unum fasciculum collectæ, & ab interitu vindicatæ a M. Johanne Paulo Felwinger [. . .] Accesserunt aliquot Soneri & Piccarti Orationes sparsim antehac editæ, Index rerum & verborum locupletissimum Noribergæ, Sumptibus Michaelis Külsneri, Typis Michaelis Endteri, 1644. 215 Beide Titel publiziert in Altdorf 1613; zit. nach Mährle, Academia Norica, 559. 216 Piccart, Isagoge, 1605. 217 Scherb, Endoxa paradoxa, thesis XLVII: „Denique multis aliis discernit puta cum vocat λεγόμενα, φαινόμενα, δοκοῦντα, συνήθη εἰωθότα, & Syllogismos, quos possumus μετενεγκεῖν πρὸς πολλοῦς. His ex altera parte respondent λόγοι οἰκεῖοι και συγγενεῖς, item essentiales. λόγοι κατὰ φύσιν καὶ ἀλήθειαν, λόγοι ἐπιστημνονικοὶ, ἀποδεικτικοὶ, φιλοσοφήματα, λόγοι ἐκ τῶν ὑπαρχόντων, λόγοι ἀναλυτικοὶ aliisque consimiliter titulis.“

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diese Zuordnung führt ihn zu seinem eigentlichen wissenschaftlichen Hauptanliegen. Die Unterscheidung zwischen Wahrscheinlichem und Wahrem mit derjenigen zwischen exoterischer und akroamatischer Kommunikation bei Aristoteles und danach in seinen Schriften überblendet. So wie bei Agricola die inventioiudicum-Stufung, bei Sturm die platonisierende partitio, bei Ramus der Erleuchtungsmythos und die binären Schemata, bei Hauenreuther die Rede von formalem und materialem Aspekt der ratiocinatio ihr gesamtes System bilden, prägen und stützen, so bei Piccart die Antistase218 zwischen der Rede für das Volk und jener für die Eingeweihten. Zur Untermauerung und Verbildlichung dieses tragenden Systempfeilers betreibt Piccart auch jene Umgruppierung des Organon, für die er weithin bekannt werden sollte. Die Abfolge der Subcorpora innerhalb des Corpus Aristotelicum, so beginnt die Piccart’sche Argumentation hierzu, ist völlig eindeutig und unbestritten. Das Organon hat den philosophischen Schriften vorauszugehen, denn ein Werkzeug muss verfertigt und bereitgestellt werden, ehe es benutzt werden kann.219 Die Reihenfolge innerhalb der Schriften des Organon allerdings ist umso umstrittener. Doch Piccart erklärt ein einfaches Ordnungsprinzip für ebenso evident wie unwiderlegbar. Die exoterischen Schriften haben in jedem Falle und daher auch im Kontext der logischen Schriften den akroamatischen vorauszugehen.220 Welche Argumente können diese Behauptung Piccart, Isagoge, IX: „λεγόμενα, φαινόμενα, δοκοῦντα, συνήθη, εἰωθότα: interdum λογικοὶ λόγοι: item λόγοι κενοὶ, ἀλλότριοι, ἐξωτερικοὶ, πλασματώδεις, & λίαν καθόλου. Praeterea in Sophist. Elench. τὰ κατὰ τὸν νόμον, quibus ex altera parte respondent τὰ κατὰ φύσιν, καὶ κατ’ἀλήθειαν.“ 218 Piccart, Isagoge, cap. VII, S. 15 f: „Vt vero cognitionem, supra ostendimus duplicem aliam ὀρθοδοξαστικὴν aliam ἐπιστημονικὴν, ita Isagoge quoque utramque respicit, media enim extremis conveniant oportet. Itaque Aristoteles & in docendo & in scribendo utramque expressit, sic ut prioris cognitionis caussâ sese veluti populo accommodaret, qui illa contentus esse solet, & nec progredi ferè ultra potest, ad γνησίους verò ἀκροατὰς, hoc est, judicio delectos auditores alia docendi uteretur ratione, & ida utrique certam methodum organicam traderet, quod etsi ex plurimis facilè est haurire, manifestissimè tamen è Laertio discimus, cujus haec in vita Aristotelis verba sunt: Cum finem vidisset in scientiis geminum τὸ ἔνδοξον καὶ τὸ ἀληθὲς at utrumque duarum maximè rerum viribus nititur, namque ad verisimile sive τὸ πιθανὸν & consentaneum opinionibus sive τὸ ἔνδοξον Rhetorica & Dialectica, ad veritatem autem Analyica doctrina usus est, quae iisdem penè verbis recitat Hesychius.“ 219 Piccart, Isagoge, cap. XII, QUID SIT ORDO ORGANI Aristotelici & qua serie libri illi explicandi, S. 59: „Caeterum quia praeter dictam Aristotelicorum divisionem habemus aliam in libros videlicet Organicos & Philosophicos, dubitari quidem vix potest, quin Organici libri praemittendi sint. Organa enim parando prius sunt quam iis utamur [. . .].“ 220 Piccart, Isagoge, cap. XII, S. 59 f.: „Organa enim parando prius sunt quam iis utamur, sed de hoc hodiè maximè controvertitur, quo ipsi ordine doceri debeant. Hunc ordinem antegressa, homini etiam non admodum perspicaci, aperire possunt. Si enim inter Organicos alii sunt Exoterici alii Acromatici. Exoterici vero ubique praemittendi sunt. Tales vero sunt

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stützen? Zunächst liefert Piccart eine Begründung, die er aus jenem anthropologischen Grunddatum schöpft, die man heute als Entwicklungspsychologie bezeichnen würde, nach der im Leben zuerst das Schlichtere, danach erst das Anspruchsvollere erkannt werde, zuerst also das Wahrscheinliche, danach das exakt Gewisse.221 Genauso verhalte es sich mit dem allseits anerkannten Grunddatum, wonach die sinnliche Erfahrung der intellektuellen vorausgehe, mithin die Erkenntnis „aus der Nähe“, ἔγγυθεν oder cominus, jener „aus der Ferne“, πόῤῥωθεν und ex fontibus.222 Schließlich beruft sich Piccart auf den mittels eines Gleichnisses illustrierten Sachverhalt, dass der εὐεξία die γυμνασία stets vorangehe:223 Wer einen vergrabenen Schatz freilegen will, greift nicht zur Schaufel, ehe er nicht mit einem Besen die gröbsten Hindernisse aus dem Weg räumen konnte. Dieser Besen sei im logischen Geschäft die Dialektik. Daher müsse die richtige Ordnung zwingend von den Kategorien, über Topik und Elenchi Sophistici gehen. Letztere beide Bücher zählt Piccart hierbei als einen einzigen Band – und liefert damit jene wichtige Neuerung zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die dann von Dannhauer übernommen werden wird. Doch gehörten eben alle drei Schriften zusammen, wie Piccart moniert, und die Kategorien zur Metaphysik zu zählen, wäre gegen die Ansicht des Ammonius

Categoriae Topici Elenchi & quae his ἰσόστροφος est Rhetorice, forte etiam Poëtice, quid restat dubii, quin Analyticis praemitti debeant.“ 221 Piccart, Isagoge, cap. XII, S. 60 f.: „Verum videamus an plura sint quae sententiam nostram juvent. Ac primum quidem hoc expendamus quod supra quoque attigimus, non nasci nos perfectos sed fieri, mens ergo nostra corpori tamquam carceri inclusa non intueri statim & nec ferre potest splendorem solis Analytici, hoc est, exactam illam pervestigandę veritatis rationem, exerceatur ergo prius oportet in disputationum hisce libris ac tandem ac secretiora illa accedat. Ut enim captivus diu in tenebroso carcere retentus, solis splendore de subito emissus, ferre non potest, ita nec mens, sed paulatim ex opaco in splendidiorem locum & sic deinceps producenda.“ 222 Piccart, Isagoge, cap. XII, S. 61: „Deinde cognitio duplex est, alia ἔγγυθεν, quae cominus quaeritur, ut ait Manilius, ex vicinis, alia πόῤῥωθεν, quę ex fontibus, atque illa procedit, haec sequitur. Postquam enim vis Dianoetica aliquid accepit, à sensu progreditur ulterius ad ea, quae sensibus sunt abdita, unde dixit Aristoteles, nihil esse in intellectu, quin prius fuerit in sensu, quod de fundamento & origine dictum tamen voluit, alias enim ratio sensibus nihil super adderet. At illa ἔγγυθεν cognitio in Topicis traditur, altera in Analyticis.“ 223 Piccart, Isagoge, cap. XII, S. 61 f.: „Tertio loco εὐεξία parari non potest, nisi praecesserint γυμνάσια, Analytica vero εὐεξίαν facit, Dialectiae γυμναστικὴ est καὶ προπαρασκευὴ ad Philosophiam, ait Alexander, unde vel ideo etiam praemitti debent. Denique alio quoque simili rem illustramus: Qui defossum in loco obscuro thesaurum eruere amat, is non statim ligones arripit, sed scopis prius utitur, iisque impedimenta removet, hae scopae Dialectici libri sunt, in quibus dubitare εἰς ἑκάτερον docemur. Ἀπορία autem ὁδὸς πρὸς εὐπορίαν.“

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und des Simplicius, wie schon Scherb, ein Mann von einer Qualität, wie sie die Zukunft nicht mehr sehen werde, klar gezeigt habe. Piccart versagt es sich zwar, „jetzt sein Aktuar“ zu sein, und signalisiert damit, dass er trotz aller Verehrung selber denkt und urteilt.224 Doch die Sache ist laut Piccart auch bei Aristoteles glasklar, der unter anderem die Kenntnis der Kategorien im Topikbuch voraussetzt.225 Das gewichtigste telum, ein wahrhaftes Wurfgeschoss der Gegner, sei freilich der Einwand, dass der Aufbau des Organon demjenigen des menschlichen Geistes entsprechen müsse. Da dieser aber nach allgemeiner Auffassung dreiteilig sei, bestehe auch die aristotelische Schriftensammlung aus zweimal drei Teilen, die der alten Aufteilung in pars communis und particularis entspreche, so dass, wie Piccart eher elliptisch impliziert, die Topik weit nach den Kategorien aufgeführt sein müssen. Piccart ist mit der tripartiten Anthropologie im Grunde einverstanden, insistiert jedoch darauf, dass die nach ihr ausgerichtete Organongliederung erst nach den Peripatetikern entstanden sei, als die ursprüngliche Abfolge in Vergessenheit geraten und an ihre Stelle ein furchtbares und sinnloses Chaos getreten war. Eben hieraus entstand letztlich die ganze philosophische Problematik, mit der die Logiker heute zu tun haben, dass nämlich für ein kohärentes corpus gehalten werde, was keines sei. Die Kategorien gehörten nicht zur Metaphysik, sondern zur Logik. Daher werde die Kenntnis der Kategorien in den Topica vorausgesetzt, und dass die Analytiken dort ebenfalls zitiert würden, sei kein Gegenargument, weil inhaltlich etwas voraus zu setzen und es einfach zu zitieren Zweierlei darstellten. Simplicius zumal hatte Adrastus und andern Griechen die Bezeichnung de Kat. als πρὸ τῶν τοπικῶν βιβλίον zugeschrieben. Aus allen diesen Gründen, so Piccart, müssen nach den Kategorien die Topiken und nach diesen die El. Soph. folgen. Weitere Argumente werden dann anscheinend sortiert nach aristotelischen Schriften, auch solchen außerhalb des Organon. Die Rhetorik bietet eine intrikate Identifikation von verum und φαινόμενον, denn der sapiens hat die Wahrheit in allem und jedem aufzuspüren, was ihm an Rede begegnet, und die Unwahrheit überall zu widerlegen. Diese Geschäfte, Wahrheit

224 S. oben Anm. 211. 225 Piccart, Isagoge, cap. XII, S. 62: „Ex quibus omnibus apparet, Categorias primo loco, deinde Topicos, tum Elenchos (ex his n. unum conflamus opus) doceri debere. Nam quod aliqui Categorias Metaphysici volunt esse, frustra sunt, ad Logicum enim pertinere & Ammonius & Simplicius clarissimè & ex illis Doctor noster, CL. Scherbius Vir & seculo & laude nostra major, cujusque parem, verè futura non videbunt secula, praeclarè ostendit, cujus actuarius nunc esse nolo, & vel liquidissimè constare ex illo Aristotelis loco potest: τὸ δὲ ὑπάρχειν τῷ δε καὶ ἀληθεύεσθαι τοδὲ κατὰ τοῦδε το συνταχῶς ληπτέον, ὁσαχῶς αἱ κατηγορίαι, διήρηνται item quod horum praecognitionem requirit in Topicis, sed haec fusè aliâs pertractata.“

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aufspüren und Unwahrheit widerlegen sind also nicht kategorial verschieden, somit – so ist der sehr knapp ausformulierte Gedankengang hier zu ergänzen – auch nicht Topik und El. Soph. Ihr Unterschied entspricht jenem zwischen Arzt und Giftmischer, die zwar je andere Absichten, aber nicht zwingend ein je anderes Fachwissen haben müssen. Die Metaphysik bekräftigt ebenfalls, dass Sophist und Dialektiker sich nicht der Fähigkeit, sondern nur der Absicht nach unterscheiden;226 wollte man die El. soph. von den Topika trennen, ließe man genau diesen Grundsatz außer Acht. In den An. Post. endlich werden ἀπόδειξις und πσευδογράφημα nebeneinander behandelt, es geschieht also wiederum keine grundsätzliche Dissoziierung der beiden Verfahren. Außerdem fügt Piccart hier erneut jene zwei philologische Argumente an, die später wiederum von Dannhauer übernommen werden.227 An. Prior. 19 wird auf einen Passus in den Topica verwiesen, der sich aber laut Baroccius in den El. Soph. befindet.228 Und der Epilog in den Topiken ist weithend identisch mit dem Prolog in Topicos. Was aber Aristoteles zusammenfügt, wer wollte es scheiden?! Diese Ausweitung und Universalisierung des Gegensatzes zwischen exoterischem und akroamatischem Schriftgut bei Aristoteles und dialektischer und apodiktischer Logik bei Piccart hat nun eine zweifache Konsequenz. Zunächst wird das Aufspüren der Wahrheit im Vergleich zur vorangegangenen Generation deutscher Logiker noch einmal erheblich existentialisiert. Die Labyrinth-Metaphorik war, wie wir sahen, beim Nachdenken über Sinn und Leistung der Logik schon früher geläufig, wurde freilich in der Tendenz noch beschränkt im Sinne der Notwendigkeit eines innerwissenschaftlich aufzufindenden Ausweges.229 Bei Piccart 226 Piccart, Isagoge, cap. X, S. 40: [. . .] in 4. Metaphys. sophistam ait à dialectico differre non δυνάμει sed solum τοῦ βίου προαιρέσει. 227 Vgl. hierzu oben S. 37. 228 Piccart, Isagoge, cap. XII, S. 68: „2. Priorum cap. 19. ubi agit de modo imponendi alteri per πρόθεσιν propositionis inquit: ὅπερ εἴρηται καὶ ἐν τοῖς τοπικοῖς. Atqui in Topicis illud nusquam est, et rectè vidit Baroccius, sed in Elenchis lib. I. cap. 4. l. 2. c. 5.“ Möglicherweise ist freilich eine Anspielung auf Top. VIII.10 (160b24-38) intendiert. 229 Dass Wahrheitssuche ohne Direktionalität, ohne Zielrichtung der logischen Tätigkeit, nicht zu haben sei, stellte nicht zuletzt auch eines der zentralen – über die Technizität der Begrifflichkeiten und Schulkämpfe tendenziell hinausführenden – Argumente in der Bekämpfung des Ramismus dar, so etwa in Cornelius Martinis erster Disputatio gegen die Ramisten de [. . .] fine logicae von 1596, Disputationum Logicarum aduersus // Ramistas // PRIMA // De subiecto et fine Logicae, A3v-A4v: „Accipimus, quod concedit nobis Ramus, & ex eius verbis, quae in eodem lib. schol. cap. 6. sunt, argumentamur; cuius gratia fiunt (verba sunt Rami) & quo referuntur omnia, is est finis. Veritatis autem gratia omnia fiunt in logicis, & ad eam omnia referuntur, vt videlicet & adsequamur eam, & commodè adsequamur. Ergo veritas Logicae est finis.

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nun wird die Suche nach der Wahrheit zur anthropologischen Grund- und Hauptkonstante des Menschen schlechthin. Der Mensch ist in erster Linie

Bene autem disserere, actio est, quae finem respicit, non ipse finis; quod ipsum bene disserere à veritate determinatur, tanquam medium à suo fine, vnde enunciationes illae perfecte bonae sunt, quae sunt verae, & consequentia Syllogismi ea legitima, qua ex veris non sequitur falsum. Neque enim aliter tu mihi rationem reddere potes Syllogismorum formae, quid sit, cur Syllogismus primae figurae in minore negans non concludat: cur in secunda ex puris affirmantibus nihil efficiatur: cur tertia vniuersalem complexionem non admittat; nisi quia ex veris falsum efficeretur: denique totus ordo Syllogisticus, tota modorum ratio & numerus à veri collectione dependet. Si igitur veritas ipsa est, ad quam omnia praecepta in Logicis collinent, ad quam examinantur, adeoque totum tuum differe ineptum sit futurum, nisi ad cognitionem veri te ferat, veritas finis erit Logicae, & stultè ab ijs fieri existimandum est, qui contra veritatem hic pronunciant. Sed tamen argumentum quoque Rami videamus, an illud alicuius sit momenti, quod tam confidenter summo viro Scheckio opponere ausus fuit: Veritatem videl. esse affectionem enunciationis, quare Logicae finem non esse. Hanc litem ipsa ratio omnium hominum iudicabit, etiam Ramistarum, nisi illam eiurare sibi propositum habeant. Tres esse mentis nostrae operationes, etiam tyronibus innotuit, simplicium apprehensionem, earundem compositionem & discursum; quarum prima, quanquam suam habeat veritatem, quando talem videlicet conceptum quis rei habet, qualis est res, tamen, quia si siplicem hunc conceptum proferas, neque verum dicturus sis, neque falsum, eum hic praeterimus. In secunda autem mentis operatione, in qua notio cum notione componitur, nascitur haec, de qua loquimur, veritas, quando intellectus componenda componit, & disiungenda disiungit: vel falsitas, quando aut disiungenda coniungit, aut coniungenda disiungit, quam veritatem in dando Scholastici vocant. Hanc enunciationis esse adiunctum, Ramo concedimus, & eandem Logicae finem profitemur. Duplici enim modo se illa habet veritas. Quum enim terminus cum termino enunciatiuè componitur, resultat nonnunquam enunciatio talis, quae per seipsam statim atque intellectui obijcitur, nota sit, de qua non dubitet, neque circa eam erret, qualia sunt principia, quae Peripateticis Axiomata seu dignitates dicuntur, de quibus porrò intellectus nihil quęrit, quippe qui in veritate, perfectione sua, acquiescat. Aliquando autem istiusmodi enunciationes ex complexione terminorum simplicium oriuntur, de quarum veritate mens dubitat, tam diu dubitat, donec discursu & ratiocinatione per notiora alia cognitionem quoque eius sibi comparet. Tales autem sunt eae veritates, quae de conclusionibus sunt, vnde id sole meridiano clarius est, totum discursum esse veritatis gratia, quo omnia in discursu referuntur, id autem quod tale sit, Ramus finem vocat. Veritas igitur discursus est finis. Quare vt Ramo ad bellissimum argumentum respondeamus, negamus illi propositionem, & ne diu vagetur, ad Syllogismum eum remittimus, in quo vnica conclusionis veritas finis est totius Syllogismi. Postremo vt hoc labore defungamur, verba sunt Beurhusij in Paedagog. Log. part. 1. cap. 2. Iudicium, inquit, est de disponendis argumentis scil. illis inuentis ad bene iudicandum, ut primum

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Wahrheitsjäger, θηρευτὴς τῆς ἀληθείας.230 So wie es Aufgabe des Jägers ist, zu jagen; so nun auch Aufgabe und Sinn der menschlichen Existenz, die Wahrheit zu ergründen. Die gesamten Eingangskapitel der Isagoge sind damit befasst, die Erkenntnis der Wahrheit als Ziel des Menschseins herauszustellen. Es gilt immer dasjenige Spezifikum zu erkennen, das etwas am meisten von allem anderen unterscheidet. Obgleich auch schon das Tier gewisse Spuren von Tugenden und ehrenvollen Handlungen erkennen lässt, hat es doch an der Wahrheit und dem kontemplativen Intellekt überhaupt keinen Anteil.231 Die Wahrheitsaffinität des Menschen lässt sich auch daran erkennen, dass er von Natur aus neugierig ist und daher den auf Wissenserwerb ausgerichteten Sinnen vor den andern der Vorrang zuerkannt wird.232 Es ist außerdem dem Menschen eigen und für ihn wünschenswert, andern zu befehlen und ihnen überlegen zu sein. Dies aber geschieht mit nichts so wirkungsvoll wie auf der Grundlage einer Überlegenheit des Wissens.233 Säßen in einem von hartem Seegang angegangenen Boot ein König, ein Mensch von idealer äußerer Erscheinung und Gestalt sowie ein Reicher, sie alle aber ohne nautische Kenntnisse, sowie neben ihnen auch ein Bauer, der sich im Navigieren auskennte, überschrieben diesem letzteren alle ihr ganzes Vermögen, falls er nur klar aufzeigte, was zu tun und was zu lassen sei. Auch im Kriegsdienst wollen die Menschen lieber einem Vorgesetzten gehorchen, der über gute militärische Kenntnisse verfügt, als einem Adeligen nur einfach aufgrund seines gesellschaftlichen Status. Hier wird die nivellierende, ja demokratisierende Funktion von Wissenschaft in scheinbar einfachen, faktisch jedoch sehr scharfsinnigen Metaphern wahrgenommen, bevor die Auswirkungen klar als solche erkenntlich werden. Damit steigt die apodiktische

è nudis argumentis efficiantur axiomata, hoc est, sententiae, quae si manifestae sint, suis legibus iudicantur, sin dubiae, quaestiones fiunt, quae ad Syllogismi tribunal transeunt, ubi per tertium argumentum, rursus è generali inuentione repertum concluduntur. Nonne hic idem dicit Beurhusius, quod nos, opus habere enunciationes quasdam syllogismo, quia dubiae sint ? Quid autem titi dubium est, nisi illud de cuius veritate non liquet ? Veritatis igitur indagatio, etiam te iudice, finis erit syllogismi, vtut sit affectio enunciationis. Quare quum de subiecto nobis liqueat, & de fine ad quem tendant omnia illa, quae sunt Logica, in quibus a P. Ramo turpiter erratum est, iam facilè erit demonstrare, quod in prima thesi diximus, in Rami libello Dialectico, Logicum quod sit, quàm minimum inueniri: veritatis autem neque multum, neque id quod est, satis constanter traditum esse. Quod cum Domino adiuuante sequentibus disputationibus fiet.“ 230 Piccart, Isagoge, cap. V, S. 11, 1. 231 Piccart, Isagoge, cap. II, S. 4, I. 232 Piccart, Isagoge, cap. II, S. 5, II. 233 Piccart, Isagoge, cap. II, S. 6, III.

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Logik von ihrer im frühen Humanismus marginalisierten Stellung über ihren in Zabarellas Gefolge zwar relativ bedeutenderen, doch noch immer nur unter der Bedingung einer bloßen Instrumentalität gewährten Status nun zu nicht weniger als dem eigentlichen Ausdruck authentischen Menschseins auf. Diese erste Ausweitung des Geltungsbereichs der Logik bei Piccart, Folge wie auch Ausdruck seines neuen Zugangs zur logischen Wissenschaft, ist in seinem System sowohl durch ihre formale Stellung als auch durch ihr inneres Gewicht gut sichtbar. Zugleich findet eine erhebliche Ausweitung des Geltungsbereichs apodiktischer Logik statt, die weniger sichtbar, jedoch nicht weniger wirksam werden sollte.234 Der Weg zum Ziel menschlicher Existenz, die Jagd nach der Wahrheit sind, wie schon bei Scherb und mittelbar bei der gesamten von Melanchthon geprägten protestantischen Tradition, zwar keineswegs Selbstzweck. Doch anders, als die klare Diastase von doxastischer und analytischer Erkenntnis vermuten ließe, die sich von der Hochschätzung der topischen inventio gegenüber dem analytischen iudicium unterscheidet, wird die Einstiegs- oder Zugangsphase zwar nun relativiert, aber keineswegs völlig abgewertet. Im Gegenteil gewinnt sie bei Piccart einen neuen, beinahe autonomen Stellenwert; einen Stellenwert, den sie paradoxerweise genau durch die von ihm so geschätzte Relativierungsmetaphorik der sehr allmählich erfolgenden geistigen Entwicklung des Individuums und der Erziehung hin zum sachgerechten Urteil erreicht. Piccart steht dabei in der Wirkungsgeschichte einer aristotelischen Schrift, die seit kurzem erst zum universitären Kanon gehörte, de partibus animalium, die 1492 erstmals in der lateinischen Übersetzung des Theodor von Gaza (1398–1478) vorlag.235 Wie auch andere aristotelische Werke unterscheidet sie gleich zu Beginn zwischen Παιδεία (Gaza: peritia) und ἐπιστήμη (scientia);236 eine Unterscheidung, die italienische

234 Vgl. hierzu Bianchi, Interpréter Aristote par Aristote. 235 Aristotelis de natura animalium libri novem. De partibus animalium libri quattuor. De generatione animalium libri quinque. Interprete Theodoro Gaza. Sebastianus Manilius Romanus recognovit et per capita disposuit; Venedig: Johannes und Gregorius de Gregoriis, 18. XI. 1492 [GW 2351. Hain-Copinger 1700]. Vgl. zur Interpretation des Werkes: Fiorentino, Cesare Cremonini e il „Tractatus de paedia“. 236 Aristoteles, De partibus animalium: I I 639a 1 ff., in der Übersetzung des Gaza (s. oben Anm. 235): „In omni contemplandi genere omnique tum nobiliori tum ignobiliori docendi via et ratione duos esse constat, quorum alterum scientiam rei appellasse, alterum quasi peritiam quandam bene est. hominis enim probe periti officium est iudicare perspicienter posse, quidnam recte aut non recte ab eo qui docet exponatur: nam et hominem omnino peritum talem esse existimamus, et peritiam ipsam nonnisi facultatem huius officii esse statuimus.“ Zit. nach Kessler, Logica universalis, 146 f., Anm. 45.

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Humanisten ihrerseits aufnahmen. Von ihnen zitiert237 Piccart Cesare Cremoninis (1550–1631) Tractatus de Paedia238 in der Isagoge, und wie viele seiner Zeitgenossen, vor allem aber Zabarella selber, identifiziert er die paedia ungefähr mit jenem Bereich dialektischer Aktivität, den Averroes-Zaberella als pars communis der Logik und Hauenreuther als ihre stocheiologische Dimension bezeichnet. Παιδεία heißt demnach vor-logische, aber unverzichtbare Bestandteile des logikfähigen Satzes, mithin der enunciatio, wie sie die Kategorien- und die Interpretationsschrift, aber auch die Topik beschreiben, als solche zu erkennen sowie anschließend gleichsam zur weiteren Verarbeitung der Logik zuzuführen. Genau so war sie auch schon ein gutes Jahrzehnt nach der Jahrhundermitte bereits beim Tübinger Mediziner Schegk, dem Lehrer Hauenreuthers, anzutreffen gewesen. Bei Schegk, der sich direkt auf de partibus naturalium beruft, steht in seinem Kommentar zu den beiden Analytiken die paedia für die apodiktische wie auch die topische Logik als Oberbegriff,239 wobei an andern Stellen desselben Kommentars herauszuhören ist, dass er ihn schwerpunktmäßig doch eher der Topik

237 Piccart, Organon (Synopsis), 3 f.: „Vnde ista [sc. die media, die Mittel zur Wahrheitserkenntnis] peti debent? Ut in alijs artibus fieri consvevit: ita hîc quoque & natura aliquid contribuit, plus usus plurimum ars. De natura Philosophi (is verò est, qui finem spectat aut assequi cupit) varij variè. Pythagoras, Socrates, Plato, Aristoteles, quorum placita diligenter persecutus est aliquot capitibus Caesar Cremoninus, in nobili illo tractatus de παιδείᾳ. De usu & exercitatione pleni libri plenae sapientum voces, estque ejus utilitas omnibus notissima de arte perveniendi ad cognitionem rerum, non solùm nobis institutum est agere. Vgl. zudem auch Piccart, Isagoge, Cap. XII, S. 32, 1.“ 238 Caesaris Cremonini centensis in schola Patauina philosophi ordinarii Explanatio prooemii librorum Aristotelis De physico auditu: Cum introductione ad naturalem Arist. philosophiam, continente tractatum de paedia, descriptionemq[ue] vniuersae naturalis Aristoteliae philosophiae. Quibus adjuncta est præfatio in libros de physico auditu; Patavii: Apud Melchiorem Nouellum, 1596. 239 Vorlesungsmitschrift von Martin Crusius zum Kommentar zu An. Prot., nämlich zum Titel dieser Schrift, 5 f.: „Analysis nil aliud est, quam posse videre: quid in quaque re sit verum, quid falsum. Hoc docet nos ἡ ἀναλυτικὴ. quid? praecepta docet nos videndi, quid in unaquarue re verum, quid falsum sit. In omnibus disciplinis, discernimus verum et falsum. Sed commune instrumentum id faciendi, est ἡ ἀνάλυσις. Aristoteles I, 1. de partibus animalium, proponit 2 modos cognoscendi. 1. unaquaeque scientia habet suum modum cognoscendi veritatem et falsitatem. 2. est alius modus cognoscendi veritatem et falsit[atem], pertinens non ad quamvis scientiam, sed dicitur modus sciendi. Ita in scientiis adhibetur etiam ista eruditio, quae dicitur παιδεία. Putat saepe aliquis se esse scientem: sed disputando potest amittere scientiam: sicut Epicurus persuasit cuidam optimo mathematico, ut abiiceret suam professionem. fuit quidem hic bonus geometra, sed non fuit eruditus. Ideo Aristoteles vocat hunc modum, παιδείαν: et ibi definit, quod aliquis ea possit εὐστόχως discernere verum et falsum. Lib. γ. metaphys. Exprobrat Aristoteles istam ἀπαιδευσίαν veteribus philosophis, et vocat

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zuordnet.240 Schegk schildert die Fähigkeit von Nichtmedizinern und Nichtjuristen, auch Fachleute in diesen Domänen allein aufgrund ihrer dialektischer Fähigkeiten soweit herauszufordern, bis sie an die Grenze des (im strengen, für Schegk und Piccart gültigen, Wortsinne genommen) wissenschaftlich Zugänglichen gelangt waren. Diese Identifikation war insofern zwar bemerkenswert, als sie eine in diesem Zusammenhang nicht unmittelbar auf der Hand liegende Linie antiker Philosophie als argumentative Stütze der zunehmenden Profilierung der Scherbsch-Piccartschen Linie brauchte; doch war Piccart hier offensichtlich in der Schuld seiner Vorgänger. Anders hingegen im Vorwort zur Isagoge – vielleicht wird es nicht ohne Berechtigung in der Literatur mehr beachtet als der eingeleitete Text selber – werden Begriff und Konzept der παιδεία in einen außerlogischen Zusammenhang gestellt. Weil Piccart in seiner Isagoge zwar die Philosophie des Stagiriten allgemein einführt, besonders aber die Zweiten Analytiken zu kommentieren und also auszulegen vorhat, widmet er das Vorwort der Auslegekunst und deren Erfordernissen, welchen er sich zuerst ganz persönlich im Hinblick auf das zu kommentierende Werk stellt, die er aber mit

ignorantiam ἀναλυτικῶν. Subiicit: oportet accedentem ad cognitionem veritatis, instructum esse ista παιδείᾳ.“ Zit. nach Sigwart, Ein Collegium Logicum im XVI. Jahrhundert, 12 f. 240 Vorlesungsmitschrift von Crusius, S. 9: zum Kommentar zu An. Prot. 24a, 22–25: „Θατέρου) Differentia. Demonstrator accipit propositiones, non interrogat, dicitur λαμβάνειν: quia progreditur ex suis principiis i. e. quae sunt in demonstratoris disciplina. Contra negantem principia non disputat: quia est διδασκαλικὸς. Habetis 4 genera cognitionis, in principio libri sophist. elenchorum. 1 m est διδασκαλικὸν, demonstratoris. Is demonstrat ex principiis, quae sunt adamantia in ipsius professione. 2 m est λόγος διαλεκτικὸς: cum quis procedit etiam ex principiis, non tamen propriis, sed multorum aliorum communibus ideo persequitur ἔνδοξα i. e. quae opinionibus hominum sunt communiter nota quia dialecticus nullius rei scientiam sibi vendicat ipse loquitur de illis veritatibus, quas etiam populus potest assequi ipse non est ἀκριβὴς contentus est communiter notis non praescribit necessitates auditori, ut illis credat. Nam dialecticus nihil probat, nisi assentiatur alter. ipse non est suus, sed pendet probatio eius a respondente. Ideo semper probat interrogando. Hinc intelligitis distinctionem inter demonstratorem et dialecticum. ille sumit, non interrogat: hic nihil se ipso probat nisi cum consensu respondentis. Demonstrator probat praecipiendo, non interrogando. 3us λόγος est sophisticus, qui dicitur ἐριστικὸς. 4 m genus est πειραστικὸν. ὁ πειραστικὸς est subordinatus dialectico. interrogat, non ut doceat, aut probet sed tentat alterum, an sit satis peritus suae artis. Ut, es thut sich einer auß pro medico: ego non sum medicus, non intelligo illam artem: tum accipio communia, et vulgariter nota: quia nullus est scientia, in qua non aliqua sint vulgariter nota. Tunc interrogando aliquem, deduco ad absurda: si non est in sua arte bene eruditus. Sic, cum pro gradu disputat aliquis: ego, etiamsi non sum iurista, possum eum implicare dialectica, si non est bene doctus. Haec de differentia dialecticae et demonstrativae propositionis. [p. 10] Demonstrator agit cum discente, non cum respondente. Propositio demonstrativa est, qua utitur demonstrator, sumens eam, non interrogans.“ Zit. nach Sigwart, Christoph, Ein Collegium Logicum im XVI. Jahrhundert, 14 f.

2.2 Zur Vorgeschichte der apodiktischen Zuspitzung des Logikbegriffs

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generellem Anspruch aufstellt. Παιδεία heißt hier, den Autor und seinen Text zu ihrem Recht kommen lassen, ihnen ein vorurteilsfreies, weder dem eigenen Ruhm noch dem des auszulegenden Verfassers, sondern allein der Sache verpflichtetes Urteil angedeihen zu lassen, und darum den Text zunächst aus dessen eigenen Voraussetzungen zu verstehen. Unter diesen Voraussetzungen ist im weiteren Sinne all das zu begreifen, was man heutzutage als Umwelt bezeichnen würde. Besonders aber ist der zeitliche Kontext einer kommentierten Quelle und der entsprechende Abstand zur Gegenwart striktestmöglich zu wahren, obschon umgekehrt die neueren oder ganz aktuellen sich darüber lagern. Je länger ein Gewässer von der Quelle fließt, desto eher nimmt es unterirdischen Lehm und Schmutz mit sich; nur schon deshalb ist eine Rückkehr direkt zur Quelle noch immer am empfehlenswertesten.241 Heißt παιδεία in der Logik, wie wir bereits feststellten, vor-logische, aber unverzichtbare Bestandteile des Satzes, der enunciatio zu erkennen, wird sie hier im Kontext der Auslegung zum Erkennen und Transparentmachen des wahrheitsindefiniten, aber unverzichtbare Sinngehaltes des Textes als solchen. Dieser Aufschwung des Geschäfts der Auslegung setzt sich zunächst in Altdorf selber fort, wo Ernst Soner (1572–1612), 1605–1612 Inhaber des Lehrstuhls für Medizin, der zugleich Privatveranstaltungen in Logik erteilte, einen Kommentar zum aristotelischen Hermeneutikbuch herausgab.242 Dieses Unternehmen verdient schon an sich Beachtung, da Soner im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen diese Quelle offensichtlich für kommentierungswürdig hielt. Im Gegensatz zu einer opinio recepta des Reformationsjahrhunderts hielt er die Verfasserschaft aufgrund von Stil und Inhalt für eindeutig aristotelisch.243

241 Piccart, Isagoge, C2 recto: „In his etiam quaestionibus ita versabitur meus interpres, ut afferat non vulgaria, non protrita, non novi cujusvis interpretis, sed antiquis concoloretur, quod est in veteri oraculo, itaque legat & colligat scripta eorum, qui vel auctorem eum viventem audiverunt, aut non longè ab ejus aetate fuerunt. Fieri enim solet, ut quo longius ducatur acquae fons, eo plus secum trahat luti subterranei et vitii [luti wird von trahat, vitti von contrahât regiert] contrahât â locis per quę fluit, non tamen superciliosè contemnat, aut malitiosè invehatur in Neotericos aliosve quosvis seorsum ab se sentientes, neque enim cuiquam ex aliorum obtrectatione crescit gloria & abstinuere â mordaci hoc Interpretandi genere Viri omnium temporum Sapientissimi. [. . .].“ 242 Soner, Ernst: In librum περὶ ἑρμηνείας commentatio sive περίφρασις in commodum logicae studiosis, hg. v. Paul Felwinger, 1651; zit. nach Mährle, Academia Norica, 282 mit Anm. 108. 243 Soner, Ernst: Commentarii in universam Aristotelis Organon conscripti a viro-iuvene praestantissimo iuxta atque doctissimo Doctore Sebastiana Hainlin medicinae et philosophiae candidato, fol. 20b; zit. nach Mährle, Academia Norica, 283 mit Anm. 118.

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Besonders spannend aber ist in diesem Kommentar die systematische Verortung der Hermeneutik vor den beiden Analytiken. Damit wurde die traditionelle averroistische Aufteilung in pars communis und pars propria von einem weiteren Altdorfer Wissenschaftler, vermutlich in Abhängigkeit von Piccart, zu jener Neukonfiguration umgestaltet, die später auch Dannhauer vornehmen sollte. Für Soner ist die Hermeneutik eine Einleitung zu den Analytiken, so wie für ihn die Kategorien eine Einleitung zum Topikbuch darstellen.244 Damit schließt sich eine Entwicklung seit den Anfängen der neuen Logik im Gefolge der Dialektik Agricolas in Deutschland, eine Ausbildung der Denkmodelle, in der Sturm moderner erscheint als Melanchthon. Verbleibt in Melanchthons Erotemata die Hermeneutik noch in Zwischenstellung, nämlich als Buch 2 de propositione, das den im ersten Buch behandelten Praedikamenten, also den Kategorien, zwar eindeutig nachgestellt, umgekehrt jedoch auch klar von Buch 3 de argumentatione getrennt wird, findet sich in Sturms Dialektik de interpretatione bereits in der Lehre vom allgemeinen Syllogismus, im 2. Buch, während de demonstratione, also der den Zweiten Analytiken entsprechende Inhalt, erst im 3. Buch kommt. Auch Crell 1589 behält zwar noch die geläufige Unterteilung bei, bezeichnet aber doch schon das Buch de interpretatione als de enunciatione,245 was auf die in Altdorf gleichsam für Dannhauer erarbeitete Lösung zuspielt.

2.3 Fazit und Ausblick Dannhauer verabschiedet sich schon in seiner Jugend definitiv von einer humanismusnahen, offenen Dialektik, die der Topik eine nicht theoretische, aber doch faktische Gleichrangigkeit mit den Zweiten Analytiken und damit der apodiktischen Logik eingeräumt hatte. Gegen Ende oder im relativ unmittelbaren Anschluss an seine Studientour gelangt er zu der Überzeugung, dass die nicht direkt den apodiktischen Syllogismus berührenden Teile des Organon letztlich nur eine Vorstufe darstellen und deswegen konzeptuell, aber auch strukturell in der Behandlung der Logik getrennt werden müssen. Trotz dieser recht radikalen und innovativen Position ist philosophie- und generell didaktikgeschichtlich ist in Straßburg zwischen Reformation und Orthodoxie kein eigentlicher, eindeutig lokalisierbarer Bruch festzustellen. Es gibt einen letztlich nur als

244 Soner, Ernst: In librum περὶ ἑρμηνείας commentatio sive περίφρασις in commodum logicae studiosis, praefatio, 1; zit. nach Mährle, Academia Norica, 283 mit Anm. 118. 245 Crell, Institutio Logica, 2: „Distinguitur in duas partes: in communem, & propriam: quarum vtraque tribus libris absoluitur: Communis libro Categoriarum, Enunciationum, Syllogismi: Propria libro Demonstratiui, Probabilis & Sophistici Syllogismi.“

2.3 Fazit und Ausblick

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kontinuierlich zu bezeichnenden Übergang zwischen der älteren, unter Johannes Sturm auf Rudolf Agricola und die humanistische Pariser Dialektik ausgerichteten Straßburger Linie und der spätestens mit Ludwig Hauenreuther einsetzenden, um Anschluss an die neo-aristotelische Linie im Duktus Zabarellas sehr aktiv bemühten neueren philosophischen und logikpädagogischen Richtung, die unter Aufgreifung radikalisierender Elemente aus Altdorf schließlich in der Dialektik Conrad Dannhauers kulminiert. Die im Laufe des Jahrhunderts zunehmend Raum gewinnende neo-aristotelische Ausformung des Logikunterrichts ist in gewisser Hinsicht sogar als Fortsetzung des Straßburger Kurses der Reformationszeit anzusehen – obschon sie andererseits zugleich den Status und die Zweckorientierung logischer Arbeit so deutlich veränderte, dass die Gesamtbewęgung von Sturm bis Dannhauer letztlich nur als in sich wiederum dialektische zu verstehen ist. Dies ist vorab zu unterstreichen angesichts der bekannten und angesichts ihrer offensichtlichen Dramatik leicht überakzentuierten kirchenhistorischen Tatsache, dass der Gründer des protestantischen Straßburger Schulwesens, Johannes Sturm, Vertreter einer rhetorikorientierten und topikoffenenen Dialektik, gegen Ende seines Wirkens und Lebens zum Opfer seines Widerstandes gegen die zunehend markanter einsetzende Konfessionalisierung in Straßburg wurde. Wenngleich der Gründer der städtischen Akademie die Konkordienformel hauptsächlich auch deswegen ablehnte, weil er eine Offenheit zum französischen Humanismus dauerhaft gewährleistet sehen wollte,246 bedeutet dies nicht, dass die Wende der Stadt zum konfessionell eindeutigen oder eindeutig konfessionellen Luthertum unerwartet oder religionsgeschichtlich grundlos gekommen wäre. Die hartnäckige Weigerung der akademischen Leitgestalt Sturm, die Konkordienformel zu unterzeichnen, obgleich in der konfessionspolitischen Landschaft des späteren 16. Jahrhunderts nicht völlig singulär, war doch in Bezug auf die Einstellung der großen kirchlichen Führungsfigur Straßburgs selber bereits längst überholt. Nicht nur war Bucer allgemein und seit Beginn seiner Publikationen klarer Lutheraffin als zumeist in den Theologiegeschichten ersichtlich, er machte auch spätestens in den dreißiger Jahren einen deutlichen Schwenk zum Luthertum, ohne den die Wittenberger Konkordie wohl kaum zu verwirklichen gewesen wäre.247 Umgekehrt aber war auch für die regionalen elsäßischen Meinungsmacher innrhalb der einsetzenden Orthodoxie stets klar, dass die Kapitale der Dekapole und ihre Akademie ein kaum übertreffbares

246 Hierzu zuletzt Daussy, Jean Sturm et la France; Dingel, Caritas christiana und Bekenntnistreue, bes. 382–385. 247 Hazlett, The Development of Bucer’s Thinking; Buckwalter, Johannes Sturm und Martin Bucer, 56 f.

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Model einer höheren Bildungsanstalt außerhalb eines universitären Rahmens darstellte, das sie darum auch gar nie zu ersetzen sondern im Gegenteil bei Neugründungen zu reduplizieren suchten. So macht Wolfgang von PfalzZweibrücken bei (1526–1569) der Gründung des Gymnasiums in Hornbach den materialtheologisch klar gegen Sturm agierenden Johann Marbach zum Visitator, der ohne jedes Bedenken, ja mit Stolz die Akademie und deren Schulplan zur Grundlage machte.248 Entsprechend dieser Gesamtentwicklung und gewissermaßen analog zu ihr ist trotz des eindeutigen, tragischen biographischen Bruchs bei Sturm weder ein konfessioneller noch auch ein bildungspolitischer Sprung in der Akademie festzustellen, sondern der von der beginnenden Orthodoxie geteilte Wunsch nach zumindest nationaler Anbindung verstärkt auch die Existenz, Öffnung und die faktische Internationalität der Hohen Schule. Dies impliziert vor allem auch die frühzeitige Öffnung für das melanchthonsche Bildungs- und inbesondere Dialektikmodell, in dem die logische Arbeit letztlich auf en apodiktischen Syllogismus zuläuft. Sturms Orientierung der Logik war zwar – hier geht die neuere mit der älteren Forschung trotz ansonsten wachsender Differenzierungstendenzen auffallend einig – eher auf die Rhetorik und die Konversation ausgerichtet, doch verschloss schon er selber sich der Anbindung an Melachthon keineswegs, und seine Schüler noch viel weniger. Mit zunehmendem Wachstum der Akademie entstand zudem der zunehmende Wunsch, ja die eigentliche Notwendigkeit einer Spezialisierung über die auch bei Melanchthon noch klar erkennbare Konzentration auf jene Fächer, die bis vor kurzem noch als Trivium bekannt gewesen waren. Nicht ohne Anfangsschwierigkeiten, aber schließlich dauerhaft und sogar, den Publikationen nach zu schließen, mit einer gewissen überregionalen Ausstrahlung konnte unter Ludwig Hauenreuther ein Unterricht in Physik eingerichtet werden. Wie auch in Tübingen trug dieses neu aufkeimende Interesse für die aristotelische Physik teils gewisse Züge einer eigentlichen Elementenlehre, und begann sich zumindest der darin erkennbaren Interessenlage nach in eine Richtung zu entwickeln, die andernorts kurz darauf zu einer breit einsetzenden Rezeption der Metaphysik führen sollte. Letztlich aber führte, vor allem auch bei Hauenreuther selber, der Wunsch nach einer Aktualisierung des Sturmschen Wissenschaftskonzepts in Richtung der logikdominierten Methodenlehre Zabarellas. Der dadurch in Kauf genommene Verzicht auf Vertiefung der metaphysischen Arbeit in Straßburg, der sich schon in Hauenreuthers Œuvre abzeichnet und im Anschluss letztlich für die gesamte Barockzeit bleiben sollte, erklärt sich zweifellos unter anderem durch die Persistenz sturmscher und humanistischer

248 Schindling, Scholae Lauinganae, 266 f.

2.3 Fazit und Ausblick

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Elemente. Wie paradox die Effekte dieser Traditionsbindung freilich werden sollten, war vollends erst wirklich zu erkennen, als Konrad Dannhauer auf ihrer Grundlage seine eigene, nun deutlich neue Logik entwickeln sollte. Denn just die Sammlung der wissenschaftlichen Arbeit und der metatheoretischen Reflexion über sie auf der Basis der Logik und der Rhetorik lenkte die Theologie-, aber auch die Universitätspolitik in eine Richtung, die in wesentlichen Punkt zu derjenigen Sturms diametral entgegengegesetzt verlief. Der Anschluss an die Logik Zabarellas beinhaltete ja faktisch und wohl unausweichlich ein Doppeltes. Einerseits artikulierte er sich schon bei Zabarella selber in Richtung einer zweiwertigen Logik, in der aus Gründen vor allem der methodologischen Klarheit ein mehr der politisch-rhetorischen Welt verbundener Einbezug topischer oder im weiteren Sinne dialektischer Aspekte hintan gesetzt wurde. Andererseits schuf sich damit zugleich eine gewisse wissenschaftssoziologische Eigendynamik, die alle Logik aufzuwerten und daher auf die „eigentliche“ Logik zu zentrieren suchte, nämlich auf den Syllogismus, der daher in seiner klareren Form als apodiktisch verstanden wurde. Diese von Padua allmählich und dank Hauenreuthers pionierhafter Zaberella-Ausgabe auch nach Norden ausstrahlende Tendenz wurde in der Semi-Universität Altdorf nicht nur deutlich begrüßt, sondern konzeptionell weiter entwickelt und einer gewissen Radikalisierung zugeführt. Nicht allein war für die Altdorfer die apodiktische oder kategorische Logik, wie sie in den Zweiten Analytiken gelehrt wird, als eigentlicherer Teil der Dialektik anzusehen. Vielmehr war laut dem wichtigsten Kopf dieser Bewegung, Michael Piccart, letztlich allein sie als Logik anzusehen, während die allgemeine Syllogistik wie auch die ganzen einführenden Schriften des Organon im Grunde nur für die Jugend und Ungebildete vorangestellt wurden. Die Altdorfer Akademie figurierte aufgrund ihres im Reich ebenfalls nicht voll anerkannten Status und des daher fehlenden Rechtes zur Verleihung höherer Diplome und damit Fakultäten, aufgrund der dadurch auch in ihr mehr oder minder erzwungenen Intensivierung der logischphilosophischen Arbeit sowie darüber hinaus auch aufgrund einer gewissen mit dem Elsaß gemeinsamen süddeutschen Mentalität und einem daher relativ großen Studenten- und Dozentenaustausch als eine Art informeller Partnerhochschule Straßburgs. Sie inspirierte daher mit dieser ihrer rigorosen Sicht namentlich den jungen Dozenten Dannhauer, der in Altdorf selber bereits als Logikdozent tätig war, dort vor allem jedoch Anregungen empfing, die er danach seinerseits in sein System einbaute. Er stellte nun im Gefolge Piccarts die traditionelle Reihenfolge der Bücher des Organon konsequenter Weise so um, dass Dialektik und Apodiktik fein säuberlich getrennt werden. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass er auf dieser totalen, aber zunächst einmal formalen oder strukturellen Unterscheidung von dialektischem und apodiktischem Syllogismus

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2 Dannhauer als Philosoph: Dialectica (1634)

auch material seine gesamte Logik errichtet. Dies implizierte nicht nur, dass Analyse und Synthese, resolutio und compositio sich stets wechselseitig bedingen, was unmittelbar in ein unter anderem ebenfalls in Altdorf beginnende Neuverständnis der Hermeneutik hineinführt, in der die synthetische Wiedergabe eines Textes als Frucht einer vorhergehenden Analyse begriffen wird. Es hilft vor allem auch zur Klärung des wissenschaftstheoretischen Status der Arbeit in den höheren Fakultäten. Da der Logik und der mit ihr zwar nicht völlig koinzidierenden, aber doch großenteils auf ihr beruhenden zaberellistischen methodus, die Dannhauer willig, ja radikalisierend aufgreift, faktisch die Rolle des bestimmenden Wissenschaftlichkeitskriteriums zukam, war die Wissenschaft als solche und damit das Wirken der oberen und eigentlichen Fakultäten zu aktualisieren. Nach dem ersehnten Wechsel vom Rhetoriklehrstuhl zur theologischen Professur ist Dannhauer am meisten an der Aufgabe und der Methodik der Theologie interessiert. In den 1540er Jahren, nach den logisch-rhetorischen Jugendwerken der 1620–30er Jahre, aber vor dem eigentlich kontroverstheologischen und homiletischen Schaffen der 1650–1660er Jahre, erarbeitet er eine theologische Methodologie im Sinne einer methodus sacra, die nicht allein zeitlich, sondern auch konzeptionell den vielleicht zentralsten Teil des Dannhauerschen Lebenswerks darstellt, den es darum nun zu explorieren gilt. Das Sturmsche Programm einer pietas, die sich durch eruditio charakterisiert, ja in ihr überhaupt erst besteht, wird so unter den Vorzeichen des 17. Jahrhunderts erneuert. Aufgrund der beschriebenen Paradoxa der lokalen Wissenschaftsentwicklung entfernt sich diese orthodoxie eruditio allerdings kurrikular soweit von Sturm, dass man vielleicht doch eher von einer Neudurchführung des Sturmschen Programmes aus dessen eigenen Intentionen heraus sprechen sollte.

3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648) Der allgemeinen Dialektik, wie sie äußerlich relativ knapp, aber inhaltlich umfassend in der epitome erstellt wurde, ließ Dannhauer eine Reihe sozusagen sektorieller Anwendungen der Logik entweder folgen oder aber, streng chronologisch gesehen, bereits vorausgehen. Diese Anwendungen stehen allesamt in einem instrumentellen Verhältnis zur Wissenschaft oder, genauer, zu den einzelnen Wissenschaften. Nimmt man, wie die frühe Neuzeit dies gemeinhin und seit Zabarella mit umso größerer Überzeugung tut, die Logik oder Dialektik als instrumentum instrumentorum – als das nicht im strengen Sinne selber wissenschaftliche, aber umso mehr ihrerseits wissenschaftsermöglichende Grundwerkzeug wissenschaftlichen Arbeitens –, sind deren Anwendungen Arbeitsgeräte für einzelne Wissenschaftssektoren. Es sind diese sektoriellen Anwendungen, für die Dannhauer berühmt werden sollte, schon zu Lebzeiten und zumindest teilweise für die gesamte Dauer der frühen Neuzeit. Bei allen praktischen Anwendungsschriften sprechen schon die Auflagen eine aufschlussreiche Sprache. Bei der Hermeneutik lässt sich zudem einigermaßen präzise feststellen, wie stark die Nachfrage war, in welchen Kanälen der Wissensvermittlung sie stattfand, und bis wann sie bestand.1 Dieser Erfolg hat gewiss verschiedene Gründe. Zunächst ist Dannhauer ein angenehm zu lesender und trotz seiner kontroverstheologisch und generell streitrhetorisch sehr klaren bis aggressiven Sprache durchaus gefällig, geistreich und oft witzig schreibender Autor. Gerade bei den eher abstrakten Sachverhalten der Logik und ihrer Anwendungen ist es ihm ein Anliegen, eine bildhafte, auch für studentische Auffassungsgabe rasch begreifbare Erklärungsweise zu Popularisierungsanliegen zu verstehen. Sodann bietet er ein konfessionell klares Profil, mit dem sich die von den Kriegsläuften mit ihren unglaublichen Nöten wie auch von der faktischen intellektuellen Dominanz der katholischen Theologie oder innovativen geistigen Strömungen im eigenen theologischen Lager bedroht fühlende Theologenschaft und weitere Kreise gut zu identifizieren vermochten. Außerdem erleichterte natürlich auch die Reputation und der Einfluss der institutionellen Basis seines Wirkens in Straßburg die Verbreitung seines Denkens in erheblichem Maße. Vor allem aber wird hilfreich gewesen sein, dass sein System in sich klar strukturiert ist und diese Struktur didaktisch klar übermittelt wird. Im Rückblick

1 Vgl. hierzu Scholz, Der Niederschlag der allgemeinen Hermeneutik in Nachschlagewerken des 17. und 18. Jahrhunderts. https://doi.org/10.1515/9783110644593-003

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

erscheint ein für die vier wichtigsten logischen Anwendungsschriften eindeutiger, präzise vierteiliger Aufbau in zwei Zweiergruppen. Dannhauer verfasst je zwei Lehrbücher zum disputationstechnischen sowie zum texthermeneutischen Vorgehen, nämlich je ein allgemein transdisziplinäres sowie ein spezifisch theologisches. Die beiden Lehrbücher zur Disputationstechnik, die Idea boni disputatoris von 1629 und die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648 widmen sich der vorwiegend, wenngleich nicht exklusiv, mündlich geführten logischen Auseinandersetzung mit einem akademischen oder sonstigen Gegner. Die Manuale zur Texthermeneutik, die Idea boni interpretis von 1633 und die Hermeneutica sacra von 1654, lehren den korrekten Umgang mit Texten, deren Autor nicht direkt, sondern nur mittelbar über seine Veröffentlichungen konsultiert werden kann, worunter im Grunde ausschließlich klassische, autoritative Quellen aus der Antike gemeint sind. Es entsteht somit eine sozusagen chiastische Struktur in der Gesamtanlage dieser Anwendungsschriften. Die zwei allgemein transdisziplinären Schriften, beide in Dannhauers Frühzeit während seiner philosophischen Professur entstanden, entsprechen sich weitgehend im gemeinsamen Anliegen korrekter Verwendung der Logik in den Bereichen mündlicher und schriftlicher Analyse. Diese Parallele wird nicht zuletzt durch die Analogizität ihrer Titel augenfällig vermittelt; auf die Wahl und Formulierung seiner Titel legte Dannhauer zeit seines Lebens ohnehin generell größten Wert. Zugleich entspricht jeder dieser beiden allgemeinen Frühschriften je eine der beiden spezifisch theologischen Schriften aus der Blütezeit seiner theologischen Professur um 1650, und zwar hier nun nicht nur mehr, was das universelle Anliegen korrekter Verwendung der Logik, sondern auch, was den konkreten Aufbau der Schrift angeht. Dies ergibt eine beidseitig verschränkte redaktionslogische Struktur (vgl. Schema 5, S. 138). Auch wenn dieser vierfache Aufbau nicht explizit als Programm entfaltet wird, scheint es faktisch ausgeschlossen, dass er zufällig und unabsichtlich entstand. Umgekehrt war er freilich auch nicht von Anfang an als solcher geplant. Der junge Dozent für Philosophie und somit auch Methodologie, bewegt oder beinahe getrieben vom brennenden Wunsch nach einer Universalisierung des Geltungsbereichs apodiktischer Logik, verfasste noch vor seiner eigentlichen Logik in der epitome dialectica zwei Anwendungsschriften. Als solche, nämlich quod ad praxin wurden sie auch von der nachfolgenden Orthodoxie wahrgenommen und zum Gebrauch beigezogen oder empfohlen.2 Aufgestiegen, nach den

2 Abraham Calov verzeichnet die beiden Dannhauerschen ideae in seiner Isagoge ad Sancrosanctam Theologiam, Liber Secundus, 99, als Schriften quod ad praxin bzw. usum Logicae und trennt sie von den scripta Logica Dannhauers quod ad praecepta. Sie dienen ihm dazu, den im

3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

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Maßstäben der Zeit, in die theologische Fakultät, wurde Dannhauer sich der Notwendigkeit weiterer Präzisierung seiner eigenen logischen Prinzipien auf den Bereich der Gottesgelehrtheit bewusst. Nach einer Reifungszeit von anderthalb Jahrzehnten redigierte er je eine Sakralversion der beiden frühen Schriften, zuerst eine dialectica sacra, der nach einem guten Jahrfünft auch eine

ganzen betreffenden Kapitel (S. 98–101) nachhaltig eingeschärften Wert der logischen Praxis ihrerseits zu unterstreichen. I. N. J. // Isagoges // AD // SS. THEOLOGIAM // LIBRI DUO // De // NATURA THEOLOGIÆ, // ET METHODO STUDII THEO- // LOGICI, PIE, DEXTRE, AC FE- // LICITER TRACTANDI // Cum examine Methodi Calixtinæ // AUTORE // ABRAHAM CALOVIO // [ . . . .] Anno MDCLXV. [. . .], I. N. J. ISAGOGES THEOLOGICAE, LIBER SECUNDUS PAEDIA THEOLOGICA, De Methodo Studii Theologici piè, dextrè, felicitèr tractandi. [. . .] SECTIO ALTERA SPECIALIS. ALTICULUS PRIOR, De PRAEREQVISITIS STUDII SACRI. [. . .] CAPUT II. De Praereqvisitis Philosophicis, 98: „CANONES. I. Logicae cognitio, uti per qvàm necessaria est Studioso Theologiae, sic illa diligentèr excolenda venit, tùm qvà praecepta, tùm qvà usum ejusdem. Inservient huic studio, qvod ad praecepta, Instit. Logicae Dn. D. Scharfii, ut & Scripta Logica Dn. Gutkii, Dn. Danhasweri, & Dutrieu, itemque prima mentis operatio Logica Dn. Laurentii Wegeri, nec non Canones D. Nicolai Hunii Logici, & Regulae Stahlii, qvibus accedat lectio Porphyrii & Aristotelis, ac Interpretum. Qvod ad praxin, Paedia D. Jac. Martini, tractatus du processu disput. Scharfii, & Hornei, ut & Id. boni Interpret. & boni Disputat. Danhaweri, qvibus, si lubet, addatur tractatus noster de methodo docendi & disputandi, noviter jam recognitus, & volumine Scriptorum Philosophicorum comprehensus. Ad applicationem usus in Theologiâ insuper conducet Logica Photiniana D. Kesleri, ut & in Topicis Dn. Scheiblerus, nec non D. Jac. Martini contra Keckerm. Disputationes de subtilitatibus Logicis, Novitates item & minutias in Logicis sectari, iisque multum temporis terere minùs consultum fuerit. Est enim organon, ideoque unicè ex usu aestimari debet ejus pretium. Doctores autem audiantur & seligantur, qvi studium hoc ex professo tractârunt. Artifici enim in suâ arte credendum. Qvod etiam de coeteris studiis intellectum volumus. Praxis non negligatur disputatoria, non ob speculationes & minutias Logicas, sed ut artificium disputandi exerceatur in ipsâ praxi, qvam qvi posthabendam in Gymnasiis censent, prae posteri Censores habendi sunt. In eâ tamen Logicè versandum, ita ut proponantur argumenta syllogisticè, ac resolvantur secundum praecepta Logicae. Qvanqvam enim non semper praecisè in formâ (explicitâ) disputandum sit Theologis, (qvibus etiam è contra nunqvam contra formam disputandum, hoc est, contra praecepta formalia) tyronibus tamen, qvi Logicam praxin excolunt, id pernecessarium est, ut praeceptorum usum eò rectiùs percipiant. In praxi Syntheticâ exerceant sese themata elaborando, ubi forté usui esse poterit Methodologia nostra. Analyticam praxin etiam haud negligant, resolvendo textus Biblicos Logicè. Lectu non inutilis est tractatus Corn. Martini de analysi materiae & formae. Ramaeis, ut & mixtis ne delectentur, si Peripateticae Logicae informatione gaudere possint, qvod consilium qvàm salubre sit, ipsi tùm agnoscent, cum discernere poterunt, qvid distent erva lupinis. Conferri qveunt disputationes Cornelii, & Jac. Martini adversus Rameos &c. Vitentur autem sedulò Calvinianorum, & Pontificiorum Logicae Systemata, qvae ob Pseudo-Canones, & Exempla Pseudo-Theologica admista vis periculo vacant, qvod paritèr de Organo & Sophisticis Elenchis Prosperi, Disydaei, vel Fausti Socini statuendum.“

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

Schema 5: Die allgemeine Dialektik in ihren beiden Formen und Kontexten.

philosophische Fassung

mündliche Logik:

schriftliche Logik:

Disputation

Interpretation

idea boni disputatoris (1629)

idea boni interpretis (1633)

epitome dialectica (1634)

sakrale Variante

dialectica sacra (1648)

hermeneutica sacra (1654)

hermeneutica sacra folgte. Allen Vieren ist gemeinsam, dass sie die Dialektik von formalem Vorgehen und materialem Objekt genauer austarieren. Die Universalisierung der Logik führt einerseits zu einer Integration aller überhaupt vorstellbaren intellektuellen Objekte in den dominanten Rahmen apodiktischer Logik altdorfinischen Zuschnitts. Andererseits führt gerade sie auch zu einer Dissoziierung des logischen Vorgehens von den Prinzipien der jeweiligen Wissenschaft, Prinzipien, die zumal für die Theologie von Dannhauer tendenziell präziser bestimmt wurden als von seinen Vorgängern. Hierin besteht, um dies vorweg zu nehmen, sowohl Kontinuität als auch Diskontinuität zur Gattung der mit dem Epithet des Sakralen versehenen Schriften, den Werken der rhetorica sacra, philologia sacra oder eben hermeneutica sacra generell. Diese unterscheiden sich von ihren nichtsakralen, sozusagen den normalen, Gegenstücken nicht in der Art ihrer Methodenlehre an sich, sondern eher in der Finalität ihrer Verwendung zum Nutzen der Kirche und zur Ehre Gottes,3 was bei Dannhauer in gewisser Weise radikal herausgestellt wird, der die Einheitlichkeit der Methode für alle Gegenstände und Disziplinen fordert. Zugleich aber wird die axiomatische Verankerung jeder Wissenschaft, auf welche die Logik angewendet wird, in sich klarer getrennt, oder genauer: in ihrer Differenziertheit klarer zum Ausdruck gebracht.

3 Vgl. hierzu Steiger, The Development of the Reformation Legacy.

3.1 Die Idea boni disputatoris von 1629

139

Nebst dieser generellen Motivation war insbesondere für die dialectica sacra aber zudem auch ein konkreter äußerer, noch genauer vorzustellender Anstoß zur Abfassung gegeben. Doch scheint es angezeigt, vorab chronologisch und damit auch innerhalb des von Dannhauer selber gewählten Zusammenhangs vorzugehen. In dieser Weise wird sich gleichsam von alleine auch die zentrale Frage klären, wie das Verhältnis der beiden allgemeinen und der beiden hermeneutischen Schriften über das von ihnen allen gemeinsamen transportierte Anliegen hinaus spezifisch zu verstehen sei.

3.1 Die Idea boni disputatoris von 1629 Die Idea boni disputatoris von 1629 darf wohl als erste bedeutende Schrift Dannhauers bezeichnet werden, obschon sie keinesfalls seine Erstpublikation darstellt. Seit 1624, dem Beginn seines Theologiestudiums, war eine ganze Serie kleinerer Schriften entstanden und auch gedruckt worden, die teilweise den Charakter studentischer Arbeiten und Leistungsausweise tragen, teilweise aber auch schon eine persönliche Profilierung andeuten. Dannhauers geistige Interessen waren wie während der ganzen Karriere so schon in seiner Jugend breit gestreut, wenngleich mitunter das eine oder andere Themengebiet von ihm aus Gründen kurrikularer Notwendigkeit angeschnitten worden sein mag. Es lassen sich dessen ungeachtet Vorlieben erkennen, die ihn sein Leben lang begleiten werden. Mit der Poesie beginnt die lange Reihe seiner Publikationen, als er 1624 seine poëmata sacra in zwei Teilen verfasste,4 von denen der erste eine relativ frei zusammengestellte Sammlung eigener Dichtungen darstellt, die zweite eine Serie von Epigrammen an Freunde, Honoratioren oder hypostasierte Tugenden oder Laster. Am auffallendsten ist das am Beginn des ersten Teiles stehende Epos de divo Stephano protomartyre, das auf der Inhaltsebene der Apostelgeschichte, in der Form aber der Vergilschen Aeneis folgt. Auf der einen Seite gleichsam eine Centonariusdichtung barocken Zuschnitts,5 entsprach es zugleich

4 Poematum Johan. Conradi Dannhavveri M. & P. L.Cæsarei, Pars Prima sacrorum, Straßburg (Ledertz) 1624, DWV 2. Für den Zugang zu diesem in den Bibliotheken und auf dem Markt äußerst seltenen Stück danke ich Johann Anselm Steiger. 5 Die ersten siebzehn Verse des Dannhauerschen Poems enthalten zahlreiche Anspielungen an die ersten fünfzehn Verse des ersten Aeneisbuchs, bis hin zu den Wortzitaten insignem pietate virum und urbs antiqua fuit, unter Anwendung einer chiastisch operierenden Rezeptionsweise, und unter Einschluss der Verse 544–546. Sie bieten ein Beispiel jugendlicher Aemulatio eines poeta laureatus des Heiligen Römischen Reichs mit einem der Großen der Dichtkunst im Römerreich. Laut H. E. Jaeger, Studien zur Frühgeschichte der Hermeneutik, 43, verwendet Dannhauer

140

3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

Schema 6: Dannhauer als Nachahmer Vergils. P. VERGILI MARONIS

Poëmatum Sacrorum [Joh. Conradi Dannhaueri]

AENEIDOS

Pars Prima (Argentorati 1624) EPOS DE DIVO STEPHANO protomartyre

LIBER PRIMVS

1

Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris

INsignem pietate virum & virtute potentem ;

1

2

Italiam, fato profugus, Laviniaque venit

Quo fuit haut unquam Jovæ metuentior ullus

2

3

litora, multum ille et terris iactatus et alto

Quem Graja στέφανον, Romana loquela coronam 3

4

vi superum saevae memorem Iunonis ob iram;

Dictitat; est animus pumilô deducere versu.

5

multa quoque et bello passus, dum conderet urbem,

6

inferretque deos Latio, genus unde Latinum,

4

7

Albanique patres, atque altae moenia Romae.

Vos quos Aonio cibat Alsata Brusca liquore

5

8

Musa, mihi causas memora, quo numine laeso,

Nectaris illa potens Musæi & Apolline plena,

6

9

quidve dolens, regina deum tot volvere casus

Este animo propiore mihi, sed & aure vacivâ?

7

Si fuerint sipylo vobis aut marmore dura

8

Corda, citet lacrymas & saxeus eliquet imber

9

10 insignem pietate virum, tot adire labores 11 impulerit. Tantaene animis caelestibus irae?

Quit fluit in Stephani rubicundus fronte capillos. 10 Si quid peccavi sub carminis hujus abortu,

11

Peccavi properans & quod mihi multa litura est 12 Facta illis lacrymis, quas dum pro martyre nostro 13 Effudi, tempus mihi multas surpuit horas.

14

12 Urbs antiqua fuit, Tyrii tenuere coloni

Urbs antiqua fuit Jebusæis culta colonis,

15

13 Karthago, Italiam contra Tiberinaque longe

Cedriferum contra Libanum & Jordanis ad

16

14 ostia, dives opum studiisque asperrima belli;

amnem:

15 quam Iuno fertur terris magis omnibus unam

Hîc ubi virgo tulit Christum Galilæis in auram,

17

16 posthabita coluisse Samo; hic illius arma

Qui restauravit dilapsæ rudera vitæ,

18

17 hic currus fuit; hoc regnum dea gentibus esse

Tostus amore hominum cruciantis in arbore ligni 19

18 si qua fata sinant, iam tum tenditque fovetque.

Orcini quondam clades memoranda barathri.

20

Hîc ubi sunt immensa Dei Magmenta locuti

21

19 Progeniem sed enim Troiano a sanguine duci

Vis Undena virûm, qui Christi ex ore biberunt

22

20 audierat, Tyrias olim quae verteret arces.

Mollia Adamigenis reddendæ verba salutis.

23

außerordentlich viel griechische Vokabeln und Anspielungen im Rahmen neulateinischer Dichtung.

3.1 Die Idea boni disputatoris von 1629

141

einer Konvention für episch paraphrasierende Bibelpoesie, die im 16. und im frühen 17. Jh. häufig als poemata sacra publiziert wurde.6 Im selben Jahr 1624 verfasste Dannhauer eine Theoremenreihe De Deo,7 der eine mangelnde Bereitschaft, den lutherischen Glauben gegen reformierte Infragestellungen zu verteidigen, gewiss nicht vorgeworfen werden kann. Es handelt sich im Wesentlichen um eine erste kontroverstheologische Standortbestimmung des einundzwanzigjährigen, an der heimischen Universität allmählich seine eigene Stimme einbringenden Pfarrerssohns. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese theologische Erstpublikation als ein erst postumer Angriff gegen den Steinfurter reformierten Theologieprofessor Conrad Vorstius (1569–1622),8Arminius’ Nachfolger in Leiden, zu verstehen ist, dessen Tractatus theologicus de deo, sive de natura et attributis dei9 in diesem Falle möglicherweise sowohl die negative Vorlage wie auch den Primärtitel des Dannhauerschen Frühwerks geliefert hätte. Die konsequente Aufteilung des gesamten behandelten Stoffes in siebzehn Thesen mit unmittelbar nachfolgenden siebzehn Antithesen spricht in jedem Fall eine nicht zu verkennende Sprache über die mentale Geographie des sich erst initiierenden Studierenden. Schon beim Eintritt in sein drittes Lebensjahrzehnt favorisierte er ein Denken in Oppositionsfeldern. Das Reflexionsniveau ist zwar nicht über die Maßen originell, doch für einen einundzwanzigjährigen Studenten beachtlich.

6 Georg Aemilius, Poemata sacra in Jesaiae cap. LIII de passione, morte et resurrectione Christi, 1550. Vgl. dazu Bautz, Art. Aemilius (Georg); Adam Siber, Epinicion [mit Nachdichtungen zu Ex 15, Ri 15, 2Sam 22] Cantici Canticorum Solomonis, seu Epithalamij sacri, Lib[er] I., in: ders., Poemata Sacra, Bd. 1, Basel (Oporin) 1565, 234–267.267–291.291–310; ders., Psalterii, Seu Carminum Davidicorum, Libri V, in: ders., Poemata Sacra, Bd. 2, Basel (Oporin) 1566, 1–285. 7 DISPUTATIO THEO- // LOGICA // DE DEO // TER OPT[IMO] MAX[IMO] GLORIOSISSIMO // & ejus Attributis // [. . .] Sub praesidio // DN. JOHANNIS SCHMIDT, // Straßburg, Ledertz, 1624, DWV 1. 8 Zu Vorstius s. Rabbie (Hg.), Hugo Grotius, Ordinum Hollandiae ac Westfrisiae pietas (1613), Leiden et al. (SHCT 66), 1995, 16–29 u. passim; Wenneker, Art. Vorstius, Conrad. 9 TRACTATUS THEOLOGICUS // DE DEO, // Sive de Natura et Attributis DEI, // OMNIA FERE AD HANC MA- // teriam pertinentia (saltem de quibus utiliter & // religiose disputari potest) decem Disputationi- // bus, antehac in Illustri Schola Steinfurten- // si, diverso tempore, publice habitis, // breviter et methodice com- // prehendens. [. . .], AUCTORE // CONRADO VORSTIO S. Theol. Doct. & Professore // in Illustri Schola Steinfurensi. // STEINFURTI excudebat Theop. Cæsar // ANNO. M.D.C.I. – 14:684181D; Parallelausgaben: 12:122214X; 3:608879N; 75:678224G; 14:669208A; 39:131026G; 12:112666P; 23:325652X; 3:310040T; 12:112809H. Conradi Vorstii Apologetica Exegesis Sive Plenior Declaratio locorum Aliquot Quæ ex libro ejusdem de Deo, sive de Natura [et] Attributis Dei excerpta, eiq́[ue] pro erroneis imposita, hoc titulo laté in vulgus emanaverunt: ab eodem ipso Auctore scripta, [et] in lucem edita; [. . .]; Accessit in fine Appendix brevicula adversus iniquas M. Becani Iesuitæ Criminationes Lvgdvni Batavorvm Ex officina Ioannis Patij, Academiæ Lugduno-Batavæ Typographi [. . .], 1611.

142

3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

Es gibt also seit den frühesten erhaltenen Quellen zwei Richtungen im Schaffen Dannhauers, Poesie und Theologie. Hinzu kommt bald eine dritte, hier ebenfalls nur summarisch zu nennende, Gruppe von Schriften zur Ethik, die von einem schon in diesen Jahren relativ starken sittlichen Interesse, sowohl auf individualethisch-psychologischer wie auch auf sozialethisch-politischer Ebene zeugt.10 Aus diesen drei grob identifizierbaren Hauptrichtungen in den mittleren zwanziger Jahren kristallisiert sich in den späten zwanziger Jahren ein weiteres Hauptinteresse, das aus diesen frühen Gruppen noch nicht zwingend hervorgeht, sich jedoch gut als eine Synthese seiner sprachlich-rhetorischen und seiner theologisch-konfessionellen Interessen begreifen lässt. Dieses vierte Hauptinteresse ist die Logik, und, in erweitertem Sinne, die Methodik der Wissenschaft generell. Die erste logische Schrift ist eine Sammlung von Disputationen aus dem Jahr 1625, die 1626 gemeinsam in Marburg publiziert und danach noch drei weitere Male aufgelegt wurden.11 Diese erste Schrift, die wie viele entsprechende Sammlungen beinahe als eine Art gehobener Seminarprotokolle bezeichnet werden könnte, bei denen Dannhauer im Hintergrund, aber sehr deutlich fühlbar die Fäden zieht, folgt im Aufbau dem Organon, und zwar in einer bereits deutlichen und auch als solche bekundeten zabarellistischen Linie. Im Grunde handelt es sich also um eine Art kollektiven Organonkommentar, freilich in einer stark komprimierenden Form; in kontrahierter und normalisierter Schreibweise der Titel ergibt sich folgender Aufbau:12 (1) De

10 - COLLEGIVM // EXERCITATIONUM // ETHICO-POLITI- // CARUM, IN QVO // Controversiæ in Philosophia practicâ celebrio- // res discutiuntur. [. . .] MARPURGI, // Ex Officina Typographica Casparis Chemlini, // M. DCXXVI, DWV 11. - DISPUTATIO ETHICA, // DE ΑΥΤΟΧΕΙΡΙΑ [. . .] M. DC. XXVII. // ALTDORPHI, // E Typographia Balthasaris Scherffij, // Universitatis Typographi, DWV 26. - DEO OPT. MAX. AUXILIANTE // DISPUTATIO ETHICA, // DE // PRINCIPIIS // PRACTICIS. [. . .] M. DC. XXVII. // ALTDORPHI, // E Typographia Balthasaris Scherffij, // Universitatis Typographi, DWV 28. - AUCTARII // COMPLECTEN- // TIS ILLUSTRIS è PHI- // LOSOPHIA MORALI QUÆ- // STIONES, in: [Junius, Melchior:] POLITICARUM // QUÆSTIO- // NUM CENTUM // ET TREDECIM, // EDITIO QUARTA. // AUCTORE // MELCHIORE JUNIO // WITEBERGENSI; ELOQUENTIAE // Argentinensi in Academiâ olim Professore: // Cui nunc accessit // AUCTARIUM QUÆSTIONUM // MORALIVM // Auctore // M. JOHAN. CONRADO DANNHA- // VVERO, P. L. CAES. PROFESSORE ELOQ. // in Academiâ eadem ordinario, // Cum Indice Qæstionum & rerum memorabilium. // ARGENTORATI // Sumptibus LAZARI ZETZNERI Heredum. // ANNO M. DC. XXXI, DWV 56. 11 Decas diatribarvm logicarvm in sex syllogas distributa, Marburg 1630, DWV 12. 12 Die ausgeschriebene Form der einzelnen Titel präsentiert sich wie folgt: [3] ISYLLOGE I. // CONTINENS CANO- // NES DE LOGICÆ ET PRÆDI- // cationum Logicarum // naturâ. [30] SYLLOGE II. // Continens // CANONES PRAEDICAMENT- // tales.

3.1 Die Idea boni disputatoris von 1629

143

logicae et praedicationum logicarum natura, (2) canones praedicamentales, (3), canones enunciativi, (4) canones syllogistici, (5) canones demonstrativi, definitivi, divisivi, et methodici, (6) canones topici praecipui. Schon gleich zu Beginn stellt Dannhauer klar, dass er die Logik als eine ars instrumentalis13 versteht¸ also im Sinne Zabarellas, von dem er auch explizit de natura logicae anführt. Wiederum unter Referenz auf Zabarella wird in der dritten, der Hermeneutik gewidmeten, Sylloge, der logische Term (verbum logicum) vom einfachen, nicht kopulierten praedicamentum oder verbum grammaticum möglichst weit entfernt,14 mithin also die Hermeneutik den Analytiken angenähert. Ingesamt freilich ist der Name Scaligers und der Text seiner exercitationes vorerst noch präsenter als jener des berühmten Paduaners.15 Auch die Topik wird hier noch an ihrem klassischen Standort behandelt. Etwas später folgen drei weitere logiktheoretische Schriften, bei denen bei zweien schon im Titel hervorgeht, dass Dannhauer an der Zuordnung insbesondere von Analytiken und Hermeneutik interessiert ist, während die dritte eine Miscelle (1628) darstellt.16 Sein dreifaches „Paradox der Ciceronianer“ ist nichts anderes als eine dreifache – hermeneutische, logische und rhetorische – Analyse.17 Spätestens in den 1630 veröffentlichten rhetorischen Disputationen von Schülern Dannhauers ist die Hermeneutik dann klar auf der Seite der Analytiken [65] SYLLOGÆ TERTIÆ // CANONVM ENVNCIATI- // vorum. [Canon I. [etc.]] [86] SYLLOGÆ QVARTÆ // CONTINENTIS CANONES SYL- // logisticos. [111] SYLLOGE QUINTAE // Continentis // CANONES DEMONSTRATIVOS, // definitivos, divisivos, & Methodicos. [148] SYLLOGE SEXTA, // CONTINENS CANONES TOPICOS // præcipuos. De prædicatis Topicis, & quæ ad hæc referuntur. 13 Decas diatribarvm logicarvm in sex syllogas distributa, DWV 12, 7. 14 Decas diatribarvm logicarvm in sex syllogas distributa, DWV 12, 67. 15 Daneben nennt Dannhauer hier die bekannten Lehrer, Vorbilder und Gegner, die auch später wieder auftauchen: Keckermann (Decas diatribarvm logicarvm in sex syllogas distributa, DWV 12, 30), Hauenreuther (82), Gerhard (83), Meisner (90), Scheibler (149), nebst dem Spanier Mendoza (98); auch Cornelius Martini und seine Institutio Logica werden gegen Ramus angeführt (107). 16 EXERCITATIO LOGICA // De // CUIUS SUBIE- // CTIS MISCELLIS // Sub moderamine // DEI OPT. MAX. GLORIOSISSIMI // ex suffragio // Amplißimi Collegii Philosophici in perillustri // SALANA // PRAESIDE // M. JOHANNE CONRADO // DANHAWERO // Brisgojô P.L. Caes. // SS. Theolog. Studios. //Publicè-respondebit ad diem 15. Martij. // GEORGIUS EMMERICUS Pfefferkorn/ Crucisburgensis Thuringus. // August. l. contra Crescon. c. 13. // Cur ita quidam sunt vel temerarij, vel ingrati, ut aut imperiti- // am, qua vincantur, non refrenent, aut doctrinam, qua ju- // rantur, accusent? // JENÆ // Typis VIDUÆ WEIDNERIANÆ // ANNO 1628, DWV 32. – 1:090123C. 17 PARADOXΏN // CICERONIANORUM // MARCO BRUTO INSCRIPTO- // RUM, ANALYSIS TRIPLEX, // I. HERMENEUTICA. // II. LOGICA. // III. RHETORICA. [. . .] ARGENTORATI, // Typis exscribeat EBERHARDUS WELPERUS. // ANNO M. DC. XXX, DWV 52

144

3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

und also getrennt von den Kategorien; der analysis hermeneutica folgt jetzt eine altera [sc. analysis], nämlich eben die syllogistische.18 Hermeneutik dient also nicht nur als Vorbereitung, im Sinne der Scherbschen und Piccartschen Paideia, sondern genießt zumindest unter einem Aspekt denselben logischen Status. Im selben Jahr und im darauf folgenden, legt der junge Autor je eine Schrift für jede Form der Analyse vor, die idea boni disputatoris (1629) für jene der Logik allgemein und die idea boni interpretis (1630) für die Hermeneutik. Anliegen der idea boni disputatoris ist es, das bereits Bekannte wirklich angewandt zu sehen, wie ein eindringliches, selbst für die Maßstäbe der Zeit sehr appellativ gehaltenes Vorwort deutlich macht, dessen Eingangs- und Hauptargument auf dem Unterschied zwischen absolutem Wert und zweckdienlichem Nutzen einer Sache besteht. Eine Maus ist unter gewissen Maßstäben wertvoller als ein kostbarer Edelstein, aufgrund der größeren Nähe des Lebendigen beim höchsten Sein nämlich;19 auch mit anderen Dingen verhält es sich ebenso. Von allen dem Menschen in irgend einer Weise vorteilhaften Dingen aber ist die Logik die für sein geistiges Leben und damit zugleich auch seine edelste Seite allernützlichste Sache. Denn die Begierde zu wissen, ist von Natur angeboren, gleichsam mit der Muttermilch mitgegeben, doch befindet sich der Mensch aufgrund des Sündenfalls in tiefster Finsternis. Gäbe Gott nicht eine Medizin, der Zustand des Menschen wäre unerträglich.20 Er wäre wie einer, der das überragende Loblied des Wissens hörte und dennoch nur zu straucheln und zu stürzen vermöchte. In der Tat sind wir Menschen dazu verdammt, Erkenntnis zu begehren und sie dennoch nicht erlangen zu können, doch bleiben wir nicht völlig ohne Ausweg.21 Gott gab die Logik, damit keiner ohne Entschuldigung bliebe, wie ja auch Paulus zu Beginn des Briefes an die Römer klar feststellt.22 Die Philosophen des Altertums, Aristoteles und

18 DISPVTATIO RHETORICA // QVARTA // Quam // SS. FAVENTE // TRIADE, // PRAESIDE // M. JOHAN. CONRADO DANN- // HAWERO, P.L. & Profess. // Orat. Publ. // Die 5. Septembris. // In Auditorio veteri, horis à prima pomeridianâ pro // ingenij tenuitate publicè defendere // conabitur. // CONRADUS STALPIUS, Iringano- // Marchicus // ARGENTORATI, // Typis EBERHARDI WELPERI. // Anno. M. DC. XXIX, DWV 36: „Assertio XIII: Hactenus Analysis hermeneutica, sequitur altera quae potissimum libris Aristotelis analyticis nomen dedit. Hæc primò considerat statum controversiæ & dispicit, rectené contra dixerit alij commentator, num vero ignoratione elenchi luserit?“ 19 Idea boni disputatoris, DWV 41, 1. 20 Idea boni disputatoris, DWV 41, 2. 21 Idea boni disputatoris, DWV 41, 3. 22 Die gerichts- und rechtfertigungstheoretischen Implikationen der Logik als faktischer Leitwissenschaft des selbstverständlich primär christlich konzipierten Universitätsbetriebs berühren sich mit entsprechenden Funktionen der Predigtrhetorik als faktischer Leitkunst in der

3.1 Die Idea boni disputatoris von 1629

145

weitere Denker ersten Ranges, will Dannhauer keineswegs als solche verdammen, wohl aber achtet er darauf, dass nicht jemand unter dem Vorwand ihrer Unsicherheiten die Wahrheit von sich fernhalten will.23 Da dies nun alles klarer ist als selbst die Tatsache, dass immer dort am meisten Fliegen sind, wo es am wärmsten ist, benutzen diejenigen den rechten Ausgang aus dem Labyrinth der gefallenen menschlichen Existenz, die der Logik als dem mit Abstand besten Instrument zum Wissenserwerb folgen.24 Die Idea richtet sich daher an alle jene, die den Wert der Dinge nach ihrem wahren Nutzen bemessen und die Logik richtig erlernen und anwenden wollen, und zwar nicht allein in der untern, sondern auch in den oberen Fakultäten.25 Die praefatio atmet somit den preisenden, dialektisches Bestreben in den Himmel erhebenden Geist der Logikschriften seit der Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts, verbindet ihn jedoch zugleich mit einem sehr geschärften und akzentuierten Sinn für die Notwendigkeit der konkreten, alltäglichen, regelgerechten Anwendung der Logik in der faktischen wissenschaftlichen Arbeit. Dies wird auch unterstrichen in der Widmung der Schrift, die in eher ungewöhnlicher Weise ausschließlich an lauter Jünglinge, an Bartholomäus Marchthaler, Christoph Adler, Sigismund Adler, Friedrich Lerchenfeld, und Wolfgang Prasch gerichtet ist,26lauter ehemalige Studenten Dannhauers in Jena. Für die tatsächlichen, realen Studien der Kommilitonen brauchbare Regeln darzulegen, dies war sein Ziel in diesen Vorlesungen, die er in Jena gehalten hatte und die er nun eben in Buchform herauszugeben unternahm. Auf keinen Fall wollte der junge Dozent es dort, wie er seine Widmungsempfänger nun ins Bild setzt, Heliogabal gleichtun, der seinen Tischgenossen wächserne, hölzerne, elfenbeinene oder marmorne Speisen vorgesetzt hatte. Nicht sterile oder abstrakte Regeln, nicht nahezu nutzlose und jedenfalls schwer anwendbare Vorschriften, sondern Nützliches für Wissenschaft und Leben, nahm er sich zu liefern vor. Ansonsten folgt die Idea konsequent ihrem programmatischen Titel, deren erstes Wort sie darstellt: Sie stellt in ihrem ersten Teil den guten Disputator, im

selbstverständlich primär juridisch verstanden homiletischen Situation im Barockzeitalter. Vgl. hierzu Steiger, Rhetorica sacra seu biblica. 23 Idea boni disputatoris, DWV 41, 3–4. 24 Idea boni disputatoris, DWV 41, 5. 25 Idea boni disputatoris, DWV 41, 5. 26 Idea boni disputatoris, DWV 41, (:) 2: „Dignum convium, quod ille exhiberet, hi exciperent! Non ego vobis olim, cum in philosophiae adhuc viretis me comite conficeretis spacia, Heliogabali instar praecepta proponere volui nuda ac sterilia, sed ut usum [(:) 3] etiam, non solam usus picturam, vobis degustandam propinarem; has olim, quas typo nunc descriptas exhibeo, logicas observationes JENAE praelegi, non ut Daedali aliquod opus praestarent, sed ut vestra studia, si non re saltem voto praelegentis, juvarent.“

146

3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

zweiten sodann den arglistigen Sophisten dar, mithin zuerst den idealen Logiker oder das Ideal logischer Arbeit, danach die zur Hypostase stilisierte Fehlhaltung. Der gute Disputator kennzeichnet sich laut dem ersten Kapitel in erster Linie dadurch, dass er sich in der Disputationsarbeit weder außerlogisch von seinen Affekten oder gar seinem Status noch auch wissenschaftlich von einer falschen theologischen Selbstsicherheit, die von logischer Arbeit absehen zu können glaubt, leiten lässt. Einziges Leitkriterium kann vielmehr nur die Frage sein, ob die von ihm selber oder von seinem Gegner vorgelegten Schlussfolgerungen als gültig bezeichnet werden dürfen oder nicht. Der erste Artikel dieses Kapitels erklärt daher in aller Ausführlichkeit erst einmal die Notwendigkeit der Disputation. Disputationen sind unumgänglich, weil die Menschen ihrer Bestimmung gemäß zur gemeinsamen Wahrheitssuche verpflichtet sind. Wenn dabei Aufruhr und Schlimmeres geschieht, dann nicht aufgrund der eigentlichen Sache, sondern aufgrund von in unzulässiger Weise damit verbundenen Affekten.27 Auch Laien können sich an Disputationen beteiligen, da sie ja schon im Neuen Testament eine aktive Rolle in der theologischen Diskussion einnehmen können und da die Wahrheit keinesfalls an den Status der um sie Ringenden gebunden sein kann, andernfalls etliche Paradoxa aufträten: Zwei Pastoren, der eine lutherisch, der andere päpstlich, können nicht beide und zu gleicher Zeit Gehorsam von einem und demselben Hörer einfordern, nur einfach, weil sie beide Theologen sind. Im zweiten Artikel, dem faktischen Herzstück der ganzen Kampfschrift, wird die Norm des Disputators vorgezeichnet, denn sie ist die eigentliche statua mercuralis, die Wegmarke seines ganzen Handelns, sowohl im technischen wie auch im existentiellen Sinne.28 Die logische Norm, so setzt Dannhauer hier in der Formulierung einigermaßen elliptisch, in der Sache aber eindeutig voraus, ist allein die Gültigkeit der Schlussfolgerungen. Sie könne durch nichts ersetzt werden, auch nicht und sogar ganz besonders deutlich nicht durch ein eigentliches theologisches Prinzip, wie es für die Protestanten die Heilige Schrift darstellte. Zwar 27 Idea boni disputatoris, DWV 41, 8: „Perperam igitur et minus politice suadet Bodinus ut leges in Republica ferantur de abrogandis disputationibus circa religionem, id enim esset lege prohibere medicos a cura morborum, atque ipsam naturam cogere velle cum tamen leges fieri non possint nisi de iis quae in nostra sunt potestate Nec obstat ejusmodi certamina scholastica, esse flabra quasi publicarum turbarum.“ 28 Idea boni disputatoris, DWV 41, 12: „Sequitur suam mercurialem statuam viator, plectro suos gressus conformat saltator, suam ideam Architectus semper in obtutu habet, & verò patienter cordati concoquere cogantur illam vagam disputandi rationem, quae sine certâ norma ac ordine, Per sylvas, saltusque & inhospita tesqua ferarum, Per montes per aquas & per praerupta vagatur?“

3.1 Die Idea boni disputatoris von 1629

147

lehnten manche die Verwendung von Logik für oder in der Theologie überhaupt ab.29 Diese Stimmen behaupteten, es sei belanglos, ob die aus den principia gezogenen consequentiæ nun gültig seien oder nicht. Im Syllogismus weiche der Schluss ohnehin nicht realiter von den Prämissen ab. Ein solcher Schluss sei darum auch letztlich nicht eines Theologen Aussage, sondern Gottes Wort. Weiche die Aussage aber tatsächlich von den Prämissen ab, sei es zwar eines Theologen Aussage, aber keine theologische. Als Beispiel dienen hier Auszüge aus Calvins berühmtem 23. Kapitel des dritten Buchs der Institutio zur Erwählungslehre.30 Hierin aber liegt, dies macht dieser Artikel sehr deutlich, für Dannhauer der Kardinalfehler allen Argumentierens überhaupt, nämlich das Begründungsverfahren mit dem allein begründenden principium zu identifizieren, und damit beide mit einander zu verwechseln, statt sie voneinander zu dissoziieren.31 Wer jeden regulierten Gebrauch der Logik für Gottes- und Rechtsgelehrtheit ablehnt, ist zum einen ungerecht, da er der Logik nicht dasselbe Recht einräumt wie der Grammatik, der ganz allgemein und unbestritten ein Hausrecht in den Gebäuden der Wissenschaft zugebilligt wird; zum andern ist er undankbar, da er den von Gott geschenkten Ausweg aus dem Labyrinth der gefallenen Vernunft verachtet; zum dritten denkt er von sich allzu gering, da er es nicht für nötig und möglich hält, eine über der allgemeinen Gemengelage des Volkes angesiedelte, einigermaßen gepflegte und mit Zug- und Schlagkraft ausgestattete Disputationstechnik zu verwenden. Nur beim judicium discretivum reale, wenn eine Sache selber begrifflich gefasst wird, ergibt sich die wahr-falsch-Unterscheidung sozusagen von alleine. Das judicium

29 Idea boni disputatoris, DWV 41, 12: „Alji ferre non possunt examinari ea, quae se putant ex scripturâ se probare comminiscitur, id pro verbo Dei exosculandum sit sine ulteriori examine. Quin potius dispiciendum an bonâ consequentiâ talis conclusio ex tali principio fluat? Si enim justa illa sit, non jam Theologi est sed ipsius Dei verbum ac sententia, quod conclusio non realiter differat à praemissis.“ Auf der Seite 14 argumentiert Dannhauer sodann gegen Calvin, Christianae Religionis Institutio 3, 23, 8: „Quaestio igitur est, recténe respondeat, qui negat se logicè disputare, sed attentum esse materiae (Theologicae, Juridicae) sive an disputationes superiorum facultatum ad amußim logicam examinari debeant? [15:] Ut nihil nunc dicam, de monstris, quae parit illa vaga ac sine lege oberrans disputandi ratio: de ambagibus sine nervo; quando enim in rem praesentem venitur, plures audias declamantes quàm nervosè stringentes.“ 30 Hier besteht eine gewisse Inkonsequenz gegenüber der späteren antireformierten Polemik Dannhauers, in der er eine zu massive Vernunftgläubigkeit der Reformierten konstatiert, begründet primär durch eine ganz durch das decretum aeternum bestimmte Analyse der Konfession. 31 Idea boni disputatoris, DWV 41, 13 f.

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

discretivum modale ist hingegen definitionsgemäß eine Prüfung der Richtigkeit des verwandten Verfahrens. Dieser modalen Prüfung bedient sich faktisch auch Christus, selbst wenn er nicht aristotelisch schulgerecht vorgeht. Jesus hat Disputationen geführt,32 und zwar nicht inartificiosè ac ineptè – was zu behaupten blasphemisch wäre –, noch auch in der Manier eines Wunders oder des Außergewöhnlichen, sondern in jener Disputationsart, die damals bei den Menschen in Gebrauch war, und von der Dannhauer vermutet, dass sie aus dem älteren Platonismus übernommen wurde.33 Namen werden keine genannt, obschon es so aussieht, als argumentiere Dannhauer hier gegen konkrete Gegner. Falls es katholische sein sollten, dann noch nicht die Gebrüder Walenburch, wie später in der Folgeschrift der Polemosophia,34 sondern allenfalls frühere Vertreter der Veronius-Schule, die er jedenfalls in der Polemosophie namentlich erwähnt. Es ist daher kein Missbrauch, wenn auch heute allgemein in jener Weise disputiert wird, die in den Schulen überliefert und gebräuchlich ist, die syllogistische Weise also, zumal man mit den gefundenen nährenden Früchten ja die Eicheln nicht mitzuessen braucht. Daher, und darauf zielt dieser ganze Paragraph hin, ist diese modale oder formale Prüfung zwar unumgänglich, ihrerseits aber nur auf der sicheren Basis materialer Letztbegründungen oder eben Prinzipien möglich.35 Dies betrifft alle höheren Fakultäten. Nun gibt es entweder allgemeine Prinzipien, topischer Natur und für alle gültig; sie sind aber eben solche mit nur wahrscheinlicher Gültigkeit und nicht eigentlich letztbegründend. Prinzipien im Vollsinn sind apodiktisch zu verstehen, jedoch gerade darum je strikte wissenschaftsspezifisch für die Disziplinen der Theologie, Jurisprudenz, Medizin, und auch Philosophie.36 In der Theologie nun nimmt die Schrift die Stelle eines Prinzips ein.37 Deswegen ist ihr Sinn zu ergründen, der nur einer sein kann, weil nur ein sicheres, in sich kohärentes principium Ausgangspunkt für eine schlusskräftige theologische Arbeit sein kann. Deswegen

32 Idea boni disputatoris, DWV 41, 17. 33 Idea boni disputatoris, DWV 41, 17: „miraculosè & extraordinariè, sed modo disputandi eo, qui tùm apud homines erat usitatus, dialogistico, & quod suspicor è Platonis scholâ derivato.“ 34 S. hierzu gleich unten, 3.2, S. 150. Armogathe, Critique biblique et herméneutique spirituelle, siedelt sie in der idea boni interpretis an, was noch weniger wahrscheinlich ist, da die dort im pathologischen Teil genannten obscuritates nichts mit der grundsätzlichen Ablehung von Logik zu tun haben. Doch auch die idea boni interpretis liegt weit vor allen Publikationen der Walenburch, so dass es, in diesem Punkt, sozusagen Zufall ist, wenn Dannhauer im Kampf gegen sie bei seiner eigenen, bereits existierenden Schrift anschließen kann. 35 Idea boni disputatoris, DWV 41, 21 f. 36 Idea boni disputatoris, DWV 41, 21 f. 37 Idea boni disputatoris, DWV 41, 22.

3.1 Die Idea boni disputatoris von 1629

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ist aber auch die Theorie des mehrfachen Schriftsinns abzulehnen. Letztlich jedoch läuft die Ablehnung der Logik wegen totaler Identifikation der Theologie mit der Schrift oder aber wegen willkürlicher Aufsplitterung des Sinns der Schrift durch die Theologie aufs selbe hinaus. Beides stellt einen Verzicht, ja die faktische Aufgabe der logischen Erörterung der Schrift und ihres Sinns als des Prinzips der Theologie dar. Es ist also entweder das Prinzip, das absolut gesetzt wird auf Kosten aller weitergehenden Reflexion, wie in Dannhauers Bild von Calvin, oder aber die Theologie, wie in seiner Sicht der katholischen Gelehrsamkeit. Beides ist, wie Dannhauer in heutiger Sprache formulieren würde, gleichermaßen moralisch vom Übel und theologischer Unsinn. Sowohl völlige Trennung wie auch völlige Identifikation von Prinzipien und logischer Arbeit verunmöglicht das in Artikel 6 herausgestellte Generalziel der disputatorischen Arbeit, das in der Analysis im Sinne einer Unterscheidung von wahr und falsch, also der apodiktischen Logik, zu liegen kommt. Es kann nur erreicht werden, wenn die allgemeinen Regeln der Logik eingehalten werden, die generellen praecognita, wie sie das zweite Kapitel schildert und wo es – nebst dem Erwerb von Kenntnissen in der terminologischen Elementarlehre – insbesondere gilt, die jeweils zu behandelnde Disziplin und deren principia vorab festzustellen, um von dort ausgehend dann den status controversiae, den konkreten, in der aktuellen Disputation oder Diskussion strittigen Streitpunkt, zu bestimmen.38 Ohne diese Minimalbedingung ist eine Disputation nicht möglich, so dass die Dissoziation von Prinzip und Prinzipienbehandlung auch unter diesem Aspekt sich als konstitutiv herausstellt. Die im dritten Kapitel des ersten Teils mitgeteilten stratagemata oder Kriegslisten des guten Disputators drehen sich denn auch zu einem guten Teil um eben diesen Punkt, indem sie im 4. Artikel empfehlen oder zumindest suggerieren, von Prinzipien auszugehen oder auf Prinzipien hinzusteuern, von denen man weiß oder ahnt, dass der Gegner sich in ihnen wenig oder gar nicht auskennt. Umgekehrt widmet der zweite Teil, der den malitiösen Sophisten, das unmoralische Gegenstück des guten Disputators in seinen Haltungen und Techniken, sozusagen fortlaufend entlarvt, einen nicht geringen und strategisch zentralen Anteil den unlauteren Machenschaften in Prinzipienfragen. Vor allem die Mutter aller methodo-logischen Verdrehungen, die petitio principii, aber auch der Ausgang oder der Überstieg, die μετάβασις von einem Prinzip zu einem einer andern Wissenschaft oder Thematik zugehörigen Prinzip, werden gebrandmarkt.

38 Vgl. Idea boni disputatoris, DWV 41, Cap. II, Art. 5. „De praecognoscenda disciplina ex qua disputatur, et principiis adversarii, quo cum disputatur.“

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648 Nach fast zwei Jahrzehnten und etlichen Neuauflagen der idea disputatoris, die sich erkennbar gut verkaufte, beschloss Dannhauer 1648, sie um eine aus sakraler, das heißt theologischer Sicht, verfasste Logik zu ergänzen. Die alte Idea, die in Straßburg und auch wohl in andern Orten mittlerweile als ein klassisches Lehrbuch gelten konnte, hätte wohl noch länger als passabel durchgehen können, wäre nicht aus der sogenannten Veroniusschule ein Angriff gegen die Ansprüche protestantischer Wissenschaftstheorie entstanden, ein mit solcher Überzeugung und Energie vorgebrachter Angriff, dass Dannhauer, seinem Naturell entsprechend, ihn nicht unbeantwortet lassen wollte, zumal er hier auf seinem gleichsam eigenen Terrain, der Notwendigkeit syllogistischer Arbeit auch in der Theologie, frontal angegriffen wurde. Voller Verve und augenscheinlich auch in einer gewissen Eile schrieb er eine fulminante Entgegnungsschrift, die allerdings für sein weiteres theologisches Schaffen grundlegend werden sollte.39 In ihrem äußeren Aufbau entspricht sie, wie bereits erwähnt, der allgemeinen Dialektik Dannhauers, so dass hier wie dort zunächst das korrekte und anschließend das sophistische Vorgehen beschrieben werden. Da die Anlage theologisch und somit im Kontext der Disputationstheorie eo ipso kontrovers-theologisch gestaltet ist, wird der ganze Metaphernrahmen entsprechend kontroverser ausgeformt als in der Vorgängerschrift, nicht nur kämpferischer, sondern regelrecht militärisch. Die dialectica wird nicht nur zur dialectica sacra, sondern auch zur πολεμοσοφία, zur Kriegswissenschaft; der gute disputator seinerseits wird zum miles sacer, zum heiligen Soldaten, zu einer Art universitärem Gotteskrieger; die logischen Regeln in Dialetik und Analytik werden zum organicus militiæ sacræ Apparatus, zur Kriegsausrüstung des geweihten Heeres; aus den officia des Opponenten und des Respondenten wird der conflictus sacer in synthesi & Analysi occupatus, der heilige Zusammenprall mittels Syn- und Antithese; aus den stratagemata disputatoria, den Listen des Disputanten werden nun Artes & Stratagemata belli sacri, die Künste und Kriegslisten des heiligen Krieges. Dadurch stellt sich eine Erhöhung des logischen Geschäfts zu religiöser Erhabenheit und so zugleich auch eine Verstärkung ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit ein. Über die beschwörende Existentialität der bisherigen Dannhauerschen und allgemein der methodo-logischen Vorworte der Zeit mit ihrer Quasi-Divinisierung der Wahrheit als Erlöserin der

39 Typisch für den schnellen Arbeitsstil Dannhauers ist der Sachverhalt, dass auf der Seite 287 der Idea boni disputatoris ein erst gerade auf Seite 286 wiedergegebenes, ausführliches Zitat noch einmal ebenso ausführlich wiederholt wird.

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648

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Menschheit hinaus wird hier die logische Terminologie als solche militärisch aufgeladen und umgeformt. Die eigentliche Neuerung oder Präzisierung aber liegt nicht hierin, sondern in der genaueren Bestimmung der Anwendung der allgemeinen logischen Regeln für die Theologie. Sie lag allgemein in der Luft, sie war zudem durch den Wechsel Dannhauers von der philosophischen in die theologische Fakultät vorgezeichnet, wurde jedoch letztlich durch eine Neuerscheinung auf dem theologischen Büchermarkt veranlasst, die zugleich eine Neuauflage einer bereits existierenden katholischen kontroverstheologischen Idee repräsentierte. Die eigentliche, explizite Auseinandersetzung mit System und Anliegen dieser neu-alten Idee platziert Dannhauer im zweiten, verwerfenden Teil der Polemosophie, der den Sophisten und ihren Verschlagenheit gewidmet ist. Es legt sich für uns nahe, ihr zuerst zu folgen, zumal so dann auch die Konturen des ersten, konstruktiven Teils besser verständlich werden.

3.2.1 Gegen die „ars nova“ der Veronius-Schule Dannhauer bezeichnet die Lehre der neuen Gegner als ars nova. Andererseits führt er die gegen Calixt und Hornejus und damit Helmstedt gerichtete Publikation40 des ehemaligen Calixtschülers und Konvertiten Berthold Neuhaus (Bartholdus Nihusius; 1589–1657),41 durch die dieser Ausdruck in die Debatte eingebracht wurde und deren Autor er ansonsten namentlich nennt,42 merkwürdiger Weise

40 Nihusius, Bartholdus: ARS NOVA DICTO SACRAE SCRIPTURAE UNICO LUCRANDI E PONTIFICIIS plurimos in partes Lutheranorum Detecta nonnihil & suggesta Theologis Helmstetensibus, GEORGIO CALIXTO praesertim, & CONRADO HORNEIO, Qui monentur imo etiam atque etiam rogantur ne compendium hoc negligant [Hildesheim: Blankenberg], 1632. 41 Zur Person siehe noch immer die grundlegenden prosopographische Studie von Bayle, Art. Nihusius (Barthold); Bäumer, Art. Nihus (Neuhaus, Niehus, Nihusius), Berthold (Barthold), 256. 42 Dannhauer zitiert in der Polemosophie verschiedentlich die Schrift Morosophus seu Vedelius. Bei dieser in den modernen Bibliographien nicht genannten Schrift handelt es sich laut Bayle, Art. Nihusius (Barthold), 163, um einen Teil von BARTHOLDI NIHUSII PROSPHONEMATICVS AD SENATORES AULICOS BRUNSVIGIOS ET LUNEBURGICOS, DE CONRADO HORNEJO quaedam indicans, scitu necessaria Accedit eiusdem scriptum contra NICOLAUM VEDELIUM; nec non SYNACTICUS, COLONIAE AGRIPPINAE apud Jodocum Kalcovium, M.D.C.XLVI. – 23:275184U. Dannhauer nennt den Namen außerdem 1650 in den ONIROCRITARUM // BATAVORUM // ADRIANI & PETRI // de WALENBURCH, // DELIQUIA. // Quibus accessêre NUTHETICI // BARTHOLDI NIHUSIJ // ANOETICA (DWV 125) und 1661 in der EXERCITATIO HISTORICO- // THEOLOGICA // DE // ECCLESIA GRAE – // CANICA HODIERNA, // L. ALLATIO POTISSIMUM, // P. ARCUDIO, ET B. NIHUSIO, // OPPOSITA (DWV 191 und parr.).

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

nicht an.43 Nacheinander entfaltet er in drei Teilen die historischen Voraussetzungen der ars (proœmium), deren Inhalt (methodus) und deren Widerlegung (elenchus). Die prima fundamenta der nova ars sieht Dannhauer, der auch ein recht guter Kenner der französischen Theologie beider Konfessionen war, bereits um 1565 durch den aus Angers stammenden René Benoist (1521–1608) gelegt.44 Im Vorwort zu seinen Stromata45 zur Bibel erklärt Benoist, dass er dieses Kommentarunternehmen auch in kontroverstheologischer Absicht verstehe.46 Ziel seiner Auslegung sei es, den Spieß, mittels dessen die protestantisch-katholische Kontroverse geführt werde, grundsätzlich und bleibend umzukehren. Es sei nicht etwa die Pflicht der Katholiken, die Verwurzelung ihrer eigenen religio in der Tradition mit deren Konzilien und Doktoren zu belegen. Vielmehr sei es genau umgekehrt ihre Aufgabe, den Anspruch der „zu Unrecht so bezeichneten“ Reformierten auf legitime oder gar exklusive Fundierung ihrer Ansichten in der Schrift zu widerlegen, und aufzuzeigen, wie sie von der Überlieferung bis hin zu deren Stamm und Wurzel abwichen. Dies im Umfang der gesamten Heiligen Schrift nachweisen zu können, ist daher Sinn und Zweck des Stromata. Diese Linie katholischer Taktik,

43 Möglicherweise wollte sich Dannhauer nicht in der Position sehen, ursprünglich gegen Helmstedt gerichtete Angriffe zu kontern. Zum Kontext der Publikation und den Erwiderungen Calixts. s. Danneberg, Hermeneutik zwischen Theologie und Naturphilosophie: der sensus accommodatus; Schubert, Das Ende der Sünde, 80. 44 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 270. Zu René Benoists bildtheoretischen Ansichten vgl. Cousinié, Le peintre chrétien: théories de l’image religieuse dans la France du e XVII siècle, 93 f. 45 Benoist, René: Stromata In Vniversvm Organvm biblicum quadruplici tum materia, tum libro distincta, Authore M. Renato Benedicto Andegauo, doctore Theologo Parisiensi, in Biblia Sacra Veteris Et Novi Testamenti, iuxta vulgatam, quam dicunt, editionem, Lvtetiae, 1565. Deutlicher ist der Titel der zweiten Auflage: Stromata In Vniversvm Organvm Biblicvm. Seu potius, Panoplia Catholicorvm, Adversvs Omnes Nvnc Vigentes Haereses, quadruplici tum materia tum libro distincta. Opus sanè cùm omnibus sacrae Scripturae studiosis, tum maximè concionatoribus Catholicis perutile: atque ijs imprimis, quibus cum Haereticis frequens est disputatio, necessarium; Authore M. Renato Benedicto Andegauo, Doctore Theologo Parisiensi; Coloniae, Cholinus, 1568. 46 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 270 f., zitiert Benoist, Stromata, 106 f.: „[A] ttende non esse nostri instituti Conciliorum aut Doctorum antiquorum testimoniis citandis antiquam religionem confirmare, aut novam impietatem refellere; sed tantum docere novam fidei & religionis (quam reformatam falsò & male appellant) profeßionem, nullum prorsus in universâ sacrâ scripturâ, (de qua tantopere gloriari solent, & solam eam sese velle proponere fraudulenter clamitant) fundamentum habere; ut videlicet hoc modo & viâ stirpitus & radicitus evulsa ab ipsis suis (quæ falsò firma esse putant) fundamentis ruat apertis, & nisi quis in luce ipsa caligare velit, nemo jam sectariorum mendaciis pro scriptura obstrusis decipiatur. Quis enim sanæ mentis iis credat, qui cum nihil præter scripturam sacram esse recipiendum clamitent, nullo scripturæ sacræ loco verè nituntur?“

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648

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die Beweispflicht von sich selbst weg den Protestanten zuzuweisen, sieht Dannhauer bei drei mehrheitlich französischen Jesuiten fortgesetzt. Jean Gontéry (1562–1616), der Norddeutsche Johannes Arnoldi (1596–1631) und vor allem François Véron (1575–1649) waren in der Tat einigermaßen bekannte Träger antiprotestantischer Entgegnungen, wenngleich von sehr ungleicher Bedeutung. Von Gontéry zitiert Dannhauer die lateinische Übersetzung des Durlacher Religionsgesprächs von 1613;47 aufschlussreicher für die auf Véron vorausweisenden Einflüsse ist aber wohl die von Jean Moquet erstellte Methodus Gonteriana von 1618.48 Sie besteht sozusagen in einer disputationstechnischen Weiterführung der Idee Benoists, und empfiehlt daher, auch im nicht unmittelbar exegetischen Geschäft mit den Ketzern nur aus Gottes Wort allein zu disputieren, mithin die Protestanten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Eher beiläufig und nur mit einem Namen als Arnoldus Jesuita genannt, daher nicht zweifelsfrei identifizierbar ist Johannes Arnoldi, der in der Rekatholisierung des Bistums Verden so aktiv war, dass er von fanatisierten protestantischen Bauern ermordet wurde, und dem Dannhauer mündliche und schriftliche Äußerungen in Übereinstimmung mit Gontéry zuschreibt.49 Zu einer Art Schulenbildung brachte es freilich, wenn überhaupt, einzig Véron oder Veronius.50 Unterstützt nicht allein durch gehobene persönliche theologische Bildung, sondern ebenso auch durch eine ebensolche kirchliche und

47 Gonterius, Ioannes: Brevis Relatio De Colloquio, Hoc Ipso Anno M.DC.XIII. Inter Serenissimum Principem Vademontanum, Et Illustrissimum Marchionem Badensem Turlaci circa nonnullos fidei controversos articulos instituto Ex Gallico In Latinum Sermonem Conversa [durch Jacob Gretser], Ingolstadii (Angermarius) 1613. Nennenswert auch die deutsche Version, die ein Jahr später erschien und von einem realen Interesse zeugt: Simonius, I. [Pseudonym]: Kurtze Relation Von dem Colloquio, so diß Jars M.DC.XIII. zwischen dem Durchleuchtigen Hertzogen zu Vademont vnnd Durchleuchtigsten Marggraffen von Baden zu Durlach von ettlich strittigen Glaubens-Artickeln angestelt worden, Auß der Frantzösischen in die Lateinische vnd jetzo auch in die Teutsche Sprach versetzt Durch Conradum Vetter Der Societet Iesv Priester, Ingolstadt (Angermayer / Eder), 1614. VD17 nennt auch ein französisches Original, ohne allerdings direkte bibliographische Angaben zu liefern: Relation d’une conférence sur les points de controverse entre Georges Frédéric, marquis de Bade, et François, duc de Lorraine. 48 Johannes Gonterius (Jean Gontéry) u. Mocquet, Jean: Methodus Gonteriana, siue Modus et ratio cum Haereticis ex solo Dei verbo disputandi, primum a r. p. Joanne Gonterio Societatis Iesu conscripta: deinde libris duobus a calumniis vindicata. Per Ioannem Mocquetium Societatis eiusdem, in Academia Ingolstadiensi professorem ordinarium, Ingolstadii, 1618. 49 Bautz, Art. Arnoldi, Johannes, 242. 50 Veronius, Franciscus: Methodus Veroniana, Sive Expedita Ratio, Cuius Beneficio, Quivis Catholicorum etsi disciplinarum Theologicarum ignarus, nudis instructus Biblijs (sive illa Genevensis proeli sint; sive alterius) & confessione fidei Novatorum, elinguem Ministrum efficere, & quemvis insuper reformatorum, in singulis praetentae reformationis capitibus, erroris arguere valebit, Köln, Kinckius, 21628. – VD17 12:108219E.

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

gesellschaftliche Stellung in der Gunst des Ministers im Kardinalsrang Richelieu, konnte er seine von Gontéry inspirierte Methode gegen die Protestanten in so gut wie allen wichtigen Regionen Frankreichs verbreiten, zuerst und vor allem und wohl nicht zufälliger Weise in der Hauptstadtkirchengemeinde Charenton, wo er selber Pfarrer war, aber auch im Haut und im Bas Languedoc, in den Cevennen, in der Normandie, im Dauphiné und in weiteren Provinzen. Der von Dannhauer summarisch kontrahierte Titel51 ist eine von ihm selber vorgenommene Übersetzung des ersten Bandes der vierteiligen kontroverstheologischen Methodenlehre des Pariser Theologen,52 vermutlich weil die lateinische Übertragung aus zweiter Hand stammt.53 Sie beansprucht, die protestantischen Hauptlehren allein aus der Heiligen Schrift selber zu widerlegen, wobei sie als Leitraster für die konkret anzugehenden Fragen – in gewissem Sinne das Sahnehäubchen auf das süßsaure Kontroversmenü – nicht die eigenen Normschriften, sondern eben umgekehrt die protestantischen Konfessionen und Katechismen beizieht. Als eigentliche Gesprächspartner aber, deren Veröffentlichungen und Thesen und ganz besonders ihr Hauptwerk unter dem Titel Methodus Augustiniana54 ihn zur dialectica sacra überhaupt erst bewegten, sind die Gebrüder Adrian (1609–1669) und Peter

51 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 273: „Methodus nova, facilis & solida hæresin ex fundamento destruendi, & refutandi Confeßionem Gallicam, Augustanam, Saxonicam, &c. libros denique & conciones omnes Theologorum Protestantium, Calvini, Bezae, Chemnitij &c.“ 52 Véron, François: Méthode nouvelle, facile et solide de convaincre de nullité la religion prétendue réformée en tous les points controversez, ou la Destruction totale de l’hérésie par la seule Escriture saincte, exposée selon la mesme Escriture par les saincts Pères séants ès conciles des quatre premiers siècles, de l’impression de Basle, etc., avec l’examen selon ceste méthode de toute la Confession de foy et du catéchisme des ministres; la réfutation de poinct en poinct du „Bouclier de foy“ et des „Fuittes et évasions″ de Du Moulin et du „Désespoir″ de Ferry, ministres; apologie pour M. le Ca[rdina]l Du Perron contre Turretin; response générale à tous les livres de Calvin, Bèze, Du Plessis Mornay, Kemnitius, Vorstius, aux Confessions d’Ausbourg, de Saxe, d’Angleterre et à tous les livres et presches des ministres [. . .] et cartels de deffy addressez ausdits ministres, pour l’usage des missionnaires de la Congrégation de la propagation de la foy [. . .] Par M. François Véron, Paris (J. Cottereau) 1623. 53 De Vaulx, Remacle: Methodus Veroniana, sive Brevis et perfacilis modus, quo quilibet catholicus etiam scholis theologicis non exercitatus, potest solis Bibliis sive Genevensia illa sint, sive alia, et confessione fidei religionis praetentę ministrum evidenter mutum reddere, et religionario cuicunque, quod in omnibus et singulis praetentae reformationis suae punctis errare teneatur, demonstrare. Auctore R. P. Francisco Verono [. . .] gallice edita, interprete R. D. Remaclo de Vaulx [. . .], Köln, J. Christopher, 1619. – VD17 12:110740B. 54 METHODVS // AVGUVSTINIANA // DEFENDENDI ET // PROBANDI FIDEM CA- // tholicam, ex solo Ver- // bo Dei. // PER // ADR. ET PET. DE WALEN- // BVRCH Batauos. // Coloniæ Agrippinæ, // Excudebat GISBERTVS CLEMENTZ. // ANNO M DC. XXXXV. – VD17 23:280592P; idem: [. . .] Altera, Editio, auctior & emendatior [. . .], Coloniae Agrippinae: Friessem, 1647. – VD17 12:111095P..

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648

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(1610–1675) Walenburch55 zu sehen.56 Die viersprachigen, in Rotterdam aufgewachsenen Söhne eines reformierten Vaters und einer katholischen Mutter, die in Angers kanonisches Recht studierten, später im Rheinland Karriere machten und europaweit auf deutsch, lateinisch und französisch publizierten,57 teilten sich nicht nur dieselben Ämter und Anliegen. Indem Adrian 1561 zum Weihbischof von Köln und Peter 1657 zum Weihbischof von Mainz ordiniert wurde und nach Adrians Ableben 1670 dann ebenfalls und in direkter Nachfolge seines Bruders zum Kölner Suffragan aufstieg, bildeten sie ein kirchenpolitisch wirksames Tandem, dem beispielsweise 1652 die Konversion des Landgrafen Ernst von HessenRheinfels gelang. Obschon der Jüngere als bedeutender gilt, traten sie in ihren kontroverstheologischen Publikationen stets als Ko-Autoren auf, so auch in ihrem von Dannhauer analysierten Werkteil. Wenngleich sie sich explizit auf Gontéry und Véron beriefen, übertrafen sie ihre Vorgänger zumindest insofern, als ihr eigener kontroverstheologischer Anspruch in nichts überbietbar war, was Dannhauer auch gleich zu Beginn seiner Darlegungen so klar wie möglich herausstellt,58 indem er ihre militärische Triumphalsprache ironisiert.59 Nicht nur sämtliche irgendwie je erhobenen Standpunkte, so der von Dannhauer referierte Anspruch

Idem: [. . .] Acceßit Editoni huic Professio Fidei Catholicae, ex Sacra Scriptura & antiquitate illustrate [. . .], Editio Tertia Latina auctior cum refutatione omnium eorum, qui ei contra dixerunt, Coloniae Agrippinae: Friessem, 1660. – VD17 12:112958P. 55 Jürgensmeier, Art. Walenburch van, Adrian; ders., Art. Walenburch van, Peter. 56 Dass schon die säkulare Variante der mündlichen Dialektik, die Idea boni interpretis, in ihrer Forderung eines logischen Zugangs zur theologischen Arbeit und speziell Textinterpretation auf die Walenburch-Brüder gezielt haben soll – so Armogathe, Critique biblique et herméneutique spirituelle, 171 – erscheint kaum belegbar, ja unwahrscheinlich, da die Brüder erst in den späteren vierziger Jahren literarisch aktiv wurden und zudem das Grundschema der Schrift nicht erst 1642, welches Publikationsdatum Armogathe einzig angibt, sondern schon 1630 erstmals erscheint. Den Entschluss, Hermeneutik als logische Disziplin auch in der Anwendung auf theologische Texte zu erkennen, fasste Dannhauer sicherlich aus anderen Gründen, fühlte sich dann aber durch die „augustinische Methode“ umso stärker herausgefordert. 57 Zur Biographie s. Wamper, Das Leben der Brüder. 58 Die Gebrüder könnten, so Dannhauer, Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 274: „refutare omnia quæcunque à Theologis qui unquam fuerunt, sunt, & erunt, cujuscunque tandem sectæ sind, (Reformatos & Lutheranos intelligit) dicta fuerunt, dicuntur, dici in futurum possunt, in omnibus ipsorum & libris & Concionibus.“ 59 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 274: „Damus pro defensione, Scutum auxilij, pro victoriâ, Gladium gloriæ, utrumque Magno Augustino usitatum. Quanto terrori hæc arma fuerint Protestantibus, Evangelicis, Reformatis (quibusvis tandem censeri velint nominibus) vix ullibi ignoratur. Ipsi videbitis omnia Adversariorum tela coram hoc scuto instar parvulorum sagittas inani ictu concidentia, imo mortifero saltu in ipsos Adversarios redeuntia; videbitis tam languidos conatus, ut necesse non sit gladium veritatis contra Adversarios vibrare, sed gladium gloria coram victis erigere.“

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

der Brüder, sondern auch alle potentiell in der Zukunft je vorstellbaren theologischen Positionen der Protestanten sollten widerlegt werden. Doch damit nicht genug. Die von den Walenburchbrüdern entwickelte Allzweckwaffe sollte nicht nur in der Hand von Spezialisten, sondern in eines jeden Katholiken Hand ihre Wirkung entfalten, also eine allgemeine, auch für Laien benutzbare methodus darstellen.60 Auch ohne Kenntnis der biblischen Sprachen, ja sogar bei Gebrauch einer protestantischen Bibel, sollte sie einfach und effizient anwendbar bleiben.61 Wie eine Uhr als solche nur von wenigen hergestellt, aber von sehr vielen benutzt werden könne, so auch die neue kontroverstheologische Konzeption, die ihren Nutzen für viele entfalten werde, und die darum nicht weniger sei als eine ars, die diesen Namen wirklich verdient habe.62 Dannhauer gibt anschließend die Regeln dieser methodus wieder, deren erste darin besteht, dass dem Katholiken der Status

60 Ausgangspunkt war, nach den erhaltenen und von Wamper, Das Leben der Brüder, 173–177, referierten Quellen, eine Disputation „post mensam” am 24. Februar 1643 vor dem Herzog von Neuburg zwischen Johannes Hundius, dem reformierten Hofprediger seiner reformierten Gemahlin Katharina Charlotte von Pfalz-Zweibrücken, und den Gebrüdern Walenburch. Der Disput erfolgte über die vom Herzog aufgeworfene Frage, welchen Nutzen der descensus ad inferos Christi der Menschheit erbringe. Hundius bestritt, dass es sich um einen Glaubensartikel handele, worauf die Gebrüder behaupteten, dass es sich sowohl nach den reformierten Bekenntnissen wie auch nach der altkirchlichen Tradition um einen solchen handele. Es ist möglich, obschon aus den Quellen nicht sicher zu schließen, dass Hund in die Falle tappte, sich bei diesem Gegenstand der Höllenfahrt Christi direkt von Calvin zu inspirieren, und damit in einen der seltenen Fälle zu geraten, wo dieser zur Tradition und zu Teilen seiner eigenen Konfession in einem gewissen Gegensatz steht. Dieses Schlüsselerlebnis scheint die Gebrüder dazu motiviert zu haben, im Sinne des Veronius stets den Protestanten die Beweislast erlegen zu wollen. Ihre Hauptschrift mit dem von Dannhauer aufgegriffenen Titel der methodus augustiniana wurde jedenfalls in zeitlichem und publikationstechnischem Anschluss an diese Debatte verfasst. 61 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 275: „Tanta ajunt, part. 2. cap. 3 p. 61 est hujus artis facilitas, ut non requiratur cognitio linguæ Hebraicæ, Græcæ, vel Latinæ; sufficit enim, si quis poßit legere Biblia vulgaria, ab adversariis translata, si conferat eorum allegationes cum textu scripturae. Hoc enim modo etiam rusticus, contra doctißimum Prædicantem evincit, nihil sine additione, detractione & mutatione, LEGI in scripturis, quod Adversariorum fidem probet aut nostram condemnet. & pag. 65. Tanta vis est, tanta efficacia, tanta brevitas hujus Methodi.“ 62 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 274 f.: „Verum non minimam illud obtinet commendationis partem, quod horologium licet arte paucorum, usu tamen omnium sit; & quod â paucis instituitur, ac conficitur, à singulis tutò regatur; huic inventioni non absimilem æstimamus futuram methodum, quam post Adm. R. P. Gonterum è Societ. Iesu; & eximium Dominum Franciscum Veronium S. Th. Doctorem, & pro controversiis fidei Regis Christianißimi concionatorem, proponimus. Ipsa enim ejus constructio multorum exercuit ingenia, & omnium partium convenientia, planam directamque agnoscendi luminis increati demonstrat viam.“

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648

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des Angeklagten und daher eines Verteidigers zuzugestehen ist, ein Status, aus dem heraus leichter, sicherer und nicht zuletzt unter dem Titel ererbter Legitimität argumentiert werden kann.63 Bevor die Protestanten ihre neue Position durchbringen können, müssten sie daher erst die Legitimität der alten entkräften. Die Natur lehre bereits, zuerst eine alte Form abzubauen, bevor eine neue eingeführt werde. Auch die Ärzte gäben zuerst Medikamente, mit denen die Krankheit ausgetrieben werde, bevor sie dann solche verabreichten, dank deren die Gesundheit weiter erhalten werden könne. Bauern reinigten erst das Unkraut vom Feld, das sie dann anschließend beflügten und besäten. Umgekehrt, so die zweite Regel, muss der Disputator Novator die Beweislast tragen, da er sich in die Anklageposition begibt.64 Drittens schließlich, muss der Disputator Novator wörtlich aus der Schrift allein argumentieren, ohne jede Beimengung, Verminderung oder Veränderung, vor allem ohne Anwendung von Prinzipien oder Begründungen, die aus der Vernunft und den Schlussfolgerungen und nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Bibel gewonnen wurden,65 auch wenn aequipollente Ausdrücke zugestanden

63 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 289 [= 281], zitiert erneut die methodus der Gebrüder Walenburch auf deren S. 23: „Observabit Catholicus (ita Walenburchii p. 23) ut maneat defendens, nec probantis partes suscipiat, ante plenam adversarii humiliationem. Respondebit breviter & clarè: sicut enim praetoris est, tribus verbis, lites dirimere, do, dico, addicco: Ita Catholici defendentis est, tribus voculis respondere, concedo, nego, distinguo. Vt multiloquium adversariis cohibeat urgebit formam syllogismi.“ Begründung (rationes): [289 = 281] 1. Facilitas. Es ist einfacher, rectè defendere als solide probare. [289 = 281] 2. Tutior locus. Qui accusatur v. gr. homicidij, non probat innocentiam, nisi refutando accusatoris argumenta, quibus refutatis absolvitur. [282] 3. Iustitia è jure ac titulo praescriptionis nata. [283] Vbi enim constitit per partem secundam: injustam esse separationem, quam fecerunt ab Ecclesiâ Catholica; falsa esse, quæ iisdem objiciunt crimina: Tenentur ipsi restituere honorem Ecclesiæ Catholicæ, & quod divisione illatum est damnum, RESTITVTA PRIVS VNIONE resarcire. [. . .] Concludunt hanc primam regulam [. . .]. 64 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 284: „Regula II. Disputator Novator probato non defendito, tanquam Actor.“ S. 287 bringt, nebst sehr breitem Referat, eines der vielleicht zentralsten Argumente der Walenburchs, dort S. 27: „Quicunque accusat alium nisi iustificet accusationem, temerarius accusator est. Quicunque prætendit errorum correctionem & reformationem; nisi errores demonstret, imprudens corrector est & reformator.“ 65 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 294: „Regula III. Disputator Novator probatò è Sola scriptura verbotim, sine ulla additione, diminutione, mutatione. h. e. sine adhibitis principiis rationis seu consequentiis[.] Ita Veronius qui insuper vult petendum esse à Theologo protestante, ut proferat locum expressum Scripturæ, qui ipsius conclusionem non virtualiter sed formaliter contineat; quod ubi declarârit fieri à se non posse,

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werden.66 Die Vernunft verdunkle bloß, da sie hohe Bildungsvoraussetzungen erfordere und daher undemokratisch sei, da sie schriftexterne und damit sachfremde Regeln akzeptiere, da sie zudem ohnehin gar nicht in der Lage sei, Glaubensartikel aus sich zu begründen.67 Dieser letzte Punkt versetzte die Protestanten begreiflicherweise in Aufregung, da sie, erst einmal und von ihren Autoren sehr gewollt, der evangelischen Urforderung des exklusiven Schriftprinzips entsprechen. Nicht umsonst wählt 1663 eine Antikritik als Titelmotto daher das jesuanische Verdikt „sie sehen und sehen doch nicht“, da aus scheinbar reformatorischen Postulaten das Gegenteil der üblicherweise aus ihnen abgeleiteten Theologie geschlossen wird.68 Und nicht ohne Stolz vermelden die Brüder selbst, dass diese methodus

postulandum esse seundo loco, ut per consequentiam probet conclusionem suam, quæ consequentia pariter formaliter in Scriptura sit, si non totidem verbis saltem synonymis, quod ubi declarârit, similiter à se fieri non posse; postulandum esse tertio loco, ut probet quomodocunque voluerit, h.e. per consequentiam non formaliter in scriptura sit, sed ratione principiis constet: quod ubi ab ipso factum sit, postulandum quarto esse, ut eandem consequentiam probet loco aliquo scripturæ, qui formaliter seu ijsdem, aut Synomymis verbis eam contineat absque consequentia: quod ubi ille imoßibile esse dixerit, postulandum quinto esse, ut igitur eam probet consequentiam, quæ formaliter in scriptura sit; quod ubi pariter à se fieri non posse confessus fuerit, sextò postulandum esse, ut eam probet quomodocunque potuerit, h.e. per consequentiam seu interventum principiorum rationis; quod ubi factum fuerit, rursus eodem modo procedendum, & sic vel duodecies agendum.“ 66 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 295: Die Gebrüder Walenburch, S. 2, zitieren zu dieser dritten Regel die Vorrede der Confessio Augustana: „Dicant (ita Batavi p. 2) Solam scripturam sufficere ad probandos articulos fidei, nam sic habet præfatio Confess. August. Ibid. p. 4. [:„] offerimus Confessionem, cujusmodi doctrinam ex scripturis sanctis, & puro verbo Dei, hactenus in nostris terris tradiderint concionatores[“].“ Daraus leiten sie die Forderung ab, dass alle protestantische theologische Rede terminis expressis zu geschehen habe; sie gestatten jedoch „terminos æquivalentes seu æquipollentes; non enim agimus de vocibus, sed de immediato earundem significato sive illud fiat per terminos expressos, sive per æquivalentes seu æquipollentes“; und auch die Bibelübersetzung können die protestantischen Gegner beliebig wählen, was die Walenburchij als überaus generöse Konzession ansehen (296 f.). 67 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 296: Der processus consequentiarius sei, so referiert Dannhauer die Walenburch, „1. obscurus denn requiri ad id summam eruditionem, summam cognitionem Philosophiæ, Theologiæ & omnium scientiarum; 2. Indignus Theologia, die sich nicht nach des Aristoteles’ Regeln richten soll und darf; [297] 3. In scripturâ est prohibitus; die Schrift warnt an verschiedenen Stellen, vor allem in den Deuteropaulinen, vor leerem Wortgezänk. 4. In sufficiens ad articulum fidei astruendum. proponatur hîc status quæstionis [. . .] an consequentia, quæ non legitur in scriptura: de cujus bonitate Scriptura non judicat: quæ deducta est per hominem fallibilem; quæ nulli SS. Patrum fuit visa &c. possit sufficere ad articulum fidei?“ Die Gegner der Walenburchs, also die Protestanten, bejahen; sie hingegen verneinen. 68 Posewitz, Johann Heinrich: Reverend: Fratres de Walenburch. Videntes Non Videntes. Hoc est. Rev. Fratres de Walenburch in multis & praecipuis fidei controversiis, quas ventilarunt in

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648

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als eine lapis offensionis erscheine und so reputierte Stimmen wie Christoph Scheibler (1589–1653), Dannhauer oder Johann Hülsemann (1602–1661) sowie den reformierten Tilmann Platzhoven auf den Plan gerufen hätten.69 Dannhauer, der keine mögliche Abwehr unversehens verstreichen lässt, widerlegt auf der Stelle alle Punkte in ihrer Reihenfolge,70 zieht es dann aber vor, eine selbständige Refutation zusätzlich aufzubauen, einen veritablen elenchus artis novæ,71 indem er in vier Punkten mehr oder weniger die ganze Stoßrichtung der methodus augustiniana umzukehren unternimmt. Erstens besteht eine Christenpflicht zur Rückbringung der Ketzer, für die er die Katholiken natürlich hält und die in seinen Augen daher ihrerseits sich zu verteidigen haben.72 Zweitens sieht er bei den beiden Walenburch eine unzulässige Abweichung von der logischen zur geschichtlichen Argumentation, also eine Metabasis eis allo genos,

scriptis quibusdam, ut: In Exam. princip. fid. Method. August. & in tractatu quem ante menses aliquot concussioni fundamentorum fidei Pontificiae Nobiliss: D. Hermanni Conringii opposuerunt, veram & orthodoxam sententiam clare docere; Ob pertinaciam vero ab illa iterum recedere & vanis argumentis oppositam sententiam defendere. Et ita Videre Et Non Videre: iuxta verba Christi. Matth. 13. Videntes Non Vident [. . .], Quedlinburgi, Typis & Impensis Johannis Ockelii. Anno MDCLXIII. – 1:077787D. 69 Tractatus Generales, Köln 1670: Tractatus II, Methodus Augustiniana Defendendi et Probandi Fidem Catholicam, Admonitio ad Lectorem, zit. nach Wamper, Das Leben der Brüder, 256. 70 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 296: Die Ansicht der Protestanten im letztgenannten Punkt der Insuffizienz sind laut den Walenburch nicht stichhaltig, „quod I. prætensa interpretatio Scripturæ ex scripturâ non legatur in scriptura [ . . . ;] 2. deficiat Judex de bonitate interpretationis & consequentiæ [ . . . ;] [299] At sic dabitur judex in controversis fidei præter scripturam, & destruitis ipsum doctrinæ vestræ principium.“ Die Protestanten sind das beste Beispiel hierfür, den sie erklären ihre consequentiae und interpretationes für gültig, diejenigen der Katholiken hingegen für „invalidas, futiles, inanes [ . . . ;] [300] 3. omnes homines natura suâ sint mendaces & ipsa vanitate vaniores. [ . . . ;] [301] 4. illæ interpretationes & consequentiæ, non sint claræ & perspicuæ, ac ideo non sufficiant ad articulum fidei. [ . . . ;] 5. assumatur propositio ex ratione, quae non sit revelata.“ 71 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 302–344. 72 Die ganze methodus der Brüder ist laut Dannhauer Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 302: devia 1. ob officio Christiani. Nach dem Missionsbefehl Christi und der lex charitatis, ja der christiana suavitas muss der Ketzer zur Wahrheit zurückgeführt und daher mit Argumenten belehrt werden, was zu folgendem Syllogismus führt: – omnis convertendus est docendus – omnis errans est convertendus – omnis haereticus est errans Ergo – omnis haereticus est docendus ostensive per argumenta probantia ac suadentia Daher ist Catholicus defendito non probato eine obliqua regula, eine verquere Normvorgabe.

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

auch wenn selbst in dieser historischen Linie das protestantische Anliegen leicht zu verteidigen wäre – wie Dannhauer es in der Christeis bereits ansatzweise, nämlich im ersten einer Vielzahl geplanter Bände vorgenommen hatte.73 Drittens erkennt er bei seinen Gegnern eine Abweichung vom Gebrauch der Logik, wie er schon in der Bibel und bei den Vätern zu finden sei.74 Viertens und letztens führt die Walenburchsche bzw. verionianische Methode zu einem unauflöslichen Selbstwiderspruch.75 Denn obschon die Protestanten gehalten sind, wegen der 73 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 309: II. Est deinde methodus devia à Jure quasi logico. Dies betrifft die zuerst die Disputatio generell, in der wie in einer Waage beide Seiten gleichermaßen gewogen werden müssen. Als Beispiel nimmt Dannhauer Torun/Thorn 1645, wo beide Seiten gleichermaßen, zuerst die Katholiken affirmativ und widerlegend, anschließend Protestanten ebenso beiden Teilen, aufzutreten hatten. Es gilt hier, exakt dasselbe logische Prozedere für Proponenten und Respondenten einzuhalten, eben nicht wie im Rechtsprozess, wo die Argumente unter Umständen in ihrer Zahl voneinander abweichen können. [311] Die Schlussfolgerung, wonach die katholische Kirche als die im Besitz der Wahrheit befindliche von der Last des Beweisführens enthoben sei, ist seiner major eine Metabasis von juristischem zu logischem principium; zudem [312] in der minor ohnehin zweifelhaft und falsch, denn weder ist das höhere Alter der katholischen Religion bewiesen noch auch umgekehrt der Neuerungscharakter der protestantischen Ansichten. Vielmehr ist Beweis- und Verteidigungslast gleichmäßig zu verteilen, wofür Dannhauer eine Vielzahl von historischen Beispielen anführt, in denen [319] der Ankläger auch der Verteidiger ist. Dies gilt für das sprichwörtliche salomonische Urteil, wo beide Frauen sich in beiden Rollen befinden, aber etwa auch [321] für Thamar oder die Brüder des Joseph sowie für eine Vielzahl weiterer Figuren [321] ex sacra historia, aber etwa auch für Cicero, der in Pro Sex. Roscio Amerino als Verteidiger verteidigt, in pro Milone aber genau umgekehrt als Ankläger verteidigend wirkt, sowie in etlichen weiteren Beispielen aus der Antike. Zudem verlangt auch [320] das Kirchenrecht bei Anklage gegen unzulässige Pfründenkumulation Rechenschaft über die einzelnen Titel vom Inhaber der Pfründen selber, dem hiermit die Verteidigungslast zufällt, ohne dass er sich dagegen verwahren könnte; umso muss dies gelten, wo nicht das kirchliche, sondern das göttliche Recht gegen jemanden gelten gemacht wird. Doch von diesen ganzen verfahrenstechnischen Argumenten abgesehen, bestreitet Dannhauer den Vorwurf auf der historischen Ebene auch inhaltlich, da [324] neque enim statim à vera Ecclesiâ invisibili recedit, qui à visibili falsâ qua falsa recedit. 74 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 327: Tertia ἀμεθοδία quae est deviatio à semitis antiquis, contra pyrrhoniarum & haereticarum consectatio. Christus, die Apostel und besonders Paulus betrieben Disputationen, aber auch die Väter, wie Dannhauer in der Christeis bereits gezeigt hat. [328] Die methodus Augustiniana soll zusätzlich im zweiten Band der Christeis speziell aufgegriffen werden. 75 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 329: „Quarta ἀμεθοδία à recta sanæ rationis orbitâ devia, quia I. ducit in contradictionis Labyrinthum, quem hic syllogismus exhibet: – Omnis Novator jure præscriptionis tenetur probare. – Nullus novator eodem jure tenetur probare E[rgo]. – Nullus qui probare tenetur, tenetur probare.

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648

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alten historischen Würdentitel ihrer Gegner ihre neuen Thesen allererst zu beweisen, dürfen sie dazu keinesfalls denselben Traditionsanspruch wie die Gegner, also dasselbe logische Mittel, geltend machen und anwenden. Das aber heißt, einen Beweis zu fordern und ihn zugleich zu verunmöglichen, mithin, so Dannhauer, den Gebrauch von Vernunftmitteln schlechthin zu verbieten, und damit eine Verdummung der Theologie zu betreiben: nova methodus brutificat.76 Sie in dieser Weise zu verdummen aber heißt – worauf schon die Vieldeutigkeit des gewählten Terminus brutificat hinweist –, die Theologie zu entmenschlichen, da der Mensch nun einmal ein Vernunftwesen ist, und daher kraft seiner eigenen menschlichen Natur auf einen vernünftigen Nachvollzug theologischer Argumentation drängen muss und drängen wird. Zudem ist der Ruf nach einer Verabschiedung von consequentiae und generell der Logik aus der Theologie eine Verleumdung der protestantischen Praxis, eine Verkennung der Praxis Christi, und letztlich Atheismus, weil die Glaubensartikel des Christentums sich nicht unmittelbar aus dem biblischen Wortlaut erschließen, sondern mittelbar offenbart sind und man sie daher auch nicht blindlings glauben kann und soll. Auch der Vorwurf der indignitas des Beizugs von Vernunftargumenten wird angegriffen, denn Aristoteles auctor est nullarum partium,77 wie es denn überhaupt unverhältnismäßig wäre, alle antiken und weltlichen literarischen, grammatischen, poetischen, philosophischen und sonstigen Beihilfen zur theologischen Arbeit grundsätzlich und unbesehen des Einzelfalls zurückzuweisen.78

Major est partis adversæ intentio ac obtrusio. Minor ipso praescriptionis jure nititur, quæ tota est depulsiva Actoris, ne agere ac probare possit & actionis extinctiva. [332] Nam qui jubet Catholico pastori credere sine judicio ac motivo fidei certo, is quantum in se hominem in brutum μεταμορφοῖ, seu brutificat. [. . .] Nova methodus brutificat [. . .] Nam homini rationali, quamdiu talis manet, impossibile est aliquid credere sine principio credendi motivo certo ac infallibili, quam impossibile est oculum videre sine specie visibili movente visivam facultatem.“ 76 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 332; vgl. oben Anm. 75. 77 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 334. 78 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 336 f.: „Tota Ciceronis Rhetorica, tota Vigilii Poetica, omnisque adeò grammatica & Philosophia quam Philosophis Ethnicis debemus, furcillis ejiciatur ex Ecclesiâ, aut cum iisdem maneat ac servitia præstet syllogistica Aristotelis. non est majestate Theologicâ indignum, habere in Gynæceo ancillas etiam peregrinas, nec indignum terræ sanctæ descriptoribus sibi adjungere τῆς γεωμετρίας ἐπιστημονας [etc.]“ Der Glaube verdankt sich nicht Aristoteles, sondern seinem Grund: „nec pendet fides è lege consequentiaria Aristotelis sed ex illo principio quod tanquam gemmam iste annulus ornat: sicut Archiva Romana apud Tertull. in apolog. nomini Jesu momentum non dederunt, sed illud proposuerunt: nec puto, si quis tibi in media Barbariâ barbarus, haustum aquæ propinaret, sitis extinctionum debiturus esses barbaro sed fonti.“

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

Dannhauer unternimmt also zwar erst einmal eine Art Rück-Umkehrung der Walenburchschen Anwendung der an sich ganz und gar nicht neuen Grundregel der Rechtsrhetorik wonach onus probandi incumbit actori oder, wie die Digesten (22,3,2) es präzise sagen, incumbit ei qui dicit non qui negat. Nicht die Reformatoren sind die actores, sondern die Katholiken negierten und negieren die Wahrheit, darum obliegt auch ihnen die Last des Beweises, und eben gerade nicht umgekehrt. Doch liegt in der Offenlegung und den Umkehrung dieser praesumtio der Gegner – die eben weder begründete assertio noch hypothetische assumptio, sondern reiner Anspruch ist – ein eher instrumentales Interesse Dannhauers. Es bildet in erster Linie die Voraussetzung dafür, den Punkt aufzugreifen, der ihn wirklich aufschreckt, nämlich der Anspruch, logikfreie, sozusagen vorwissenschaftliche Theologie betreiben zu können und sogar zu sollen. Abschließend greift Dannhauer darum die vor diesem Elenchus ausführlich von ihm referierten, zentralen Vorwürfe der Gebrüder Walenburch gegen den Gebrauch der Vernunft in der Theologie wieder auf, vor allem jenen ihrer Insuffizienz. Sie ist keineswegs ungenügend, denn entscheidend ist, was das Wort Gottes virtualiter enthält.79 Dem Vorwurf, dass kein iudex de bonitate interpretationis & consequentiae urteilen könne, wird entgegnet mittels der Unterscheidung zwischen iudex modalis und iudex divini consequentis. Iudex modalis, Verfahrensrichter ist die ratio. So wie ein Architekt mit Hilfe des Augenlichts sieht, ob ein Senkblei gerade fällt oder nicht, so erkennt der Theologe mit Hilfe der Vernunft ob eine Schlussfolgerung zulässig ist oder eben nicht. Ebenso wie hierbei das Auge nicht über den Sachverhalt entscheidet, sondern ihn einfach feststellt, so entscheidet die Vernunft in Glaubensdingen nicht etwa über deren Wahrheitsgehalt, sondern ist lediglich dasjenige Werkzeug des Heiligen Geistes, dessen dieser als Autor der Schrift sich bedient, um deren Inhalt als solchen feststellbar machen zu können.80 Es ist der iudex divini consequentis, der den Glaubensartikel als solchen definiert, nämlich der Erlöser Christus, der durch die Schrift spricht und der das Behauptete in der Schrift selbst für schriftgemäß erklärt, besonders dort, wo durch ihn innerbiblische Auslegung der Schrift stattfindet. Dem Vorwurf schließlich, dass omnis homo mendax, gibt Dannhauer auf einer ersten Ebene natürlich

79 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 337: „[. . .] legi omnes propositiones non est necesse, sufficit legi principium assensus, conclusio si legeretur non esset consequentia demum deducenda. [. . .] quicquid verbum Dei dicit, est fidei. Quicquid virtualiter dicit, dicit. Ergo, Quicquid virtualiter dicit est fidei.“ 80 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 341: „non [. . .] judex recti vel obliqui, sed regula vel amussis, sic rationis in colligenda veritate usus non est judex veritatis illius, sed velut oculus quo videtur, Spiritus autem sanctus in scriptura loquens conclusionis illius quâ certa est de fide autor est.“

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648

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Recht, verwahrt sich jedoch dagegen, daraus eine allgemeine Skepsis in Glaubensdingen abzuleiten, da man sonst unweigerlich beim Pyrrhonismus und überhaupt beim Skeptizismus anlange.81 Nachdem alle Walenburchschen Argumente, in der Überzeugung Dannhauers, vollständig entkräftet sind, gibt er sich allerdings noch nicht zufrieden, sondern legt noch einmal nach. Tut er dies zweifellos auch aus allgemeiner Debattierfreude, geht es ihm letztlich um jenen zentralen Aspekt des von der ars nova erhobenen Anspruchs, der in der bisherigen, rein defensiv-reaktiv gehaltenen Diskussion noch nicht berührt werden konnte. Die Protestanten, so die korrekte Feststellung der Brüder Walenburch, bedürfen indirekter, logisch prozedierender Argumentationen, um aus der von ihnen mit dem Wort Gottes in eins gesetzten Heiligen Schrift zu Glaubensartikeln zu kommen. Die Katholiken hingegen kämen, so die von Dannhauer hier nun auf- und angegriffene Beurteilung, ohne mittelbare Zusätze aus, da für sie Gottes Wort und kirchliche Tradition koinzidierten, ja identisch seien. Um diesen Schlüsselpunkt ihrer Theorie bestreiten zu können, wendet Dannhauer die von Adrian und Peter van Walenburch und von der Veronius-Schule im Allgemeinen geforderten Verfahrensregeln nun seinerseits gegen Rom an und veranstaltet einen Novae Artis per se ipsam Triumphus.82 Für seine Verhältnisse bleibt er hier relativ kurz und legt in einem einfachen Dreischritt dar, dass erstens der Disputator Augustanus, der kontroverstheologische Vertreter der Augsburger Konfession, der eigentliche Angeklagte sei, dem das Verteidigungsrecht zuerkannt werden müsse,83 dass zweitens der Disputator Pontificius als eigentlicher Ankläger auch die Last des Anklagebeweises zu tragen habe,84 und drittens, dass der päpstliche Vertreter diesen Beweis allein aus dem von der Kirche vorgelegten Wort Gottes leisten müsse, ganz ohne jede Hilfe durch Zusätze oder Schlussfolgerungen.85 Diese Umkehrung ist für Dannhauer legitim, denn die historische und juridische Rechtmäßigkeit liegt in seiner Sicht auf der Seite der Protestanten; seit über einem Jahrhundert verfügen

81 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 342: „intellectus, forent alioquin omnia incerta: incertum ipsum contradictionis principium, idem simul esse & non esse posse; revocanda esset in Ecclesiam schola Pyrrhonia; nihil prorsus credendum nam ut intellectus errare potest in judicio consequentiae, ita & auditus in percipiendo verbo Ecclesiæ.“ 82 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 344. 83 Polemosophia seu dialectica sacra. DWV 112, 344: I. Disputator Augustanus h.e. Aug. Confeßioni addictus, tanquam reus defendito non probato. 84 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 346: II. Disputator Pontificius probato non defendito. 85 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 349: III. Idem disputator Pontificius probato è solo verbo Dei ab Ecclesia proposito, sine ullis interpretationis aut consequentiarum adminiculis.

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sie über die wahre Rechtgläubigkeit, formal außerdem auch über den Passauer Vertrag.86 Hinzu kommt, wie Dannhauer als eine für seine Epoche bemerkenswert scharfsichtige Beobachtung beifügt, dass nicht nur die Protestanten reformierten, sondern auch der in Trient sich neu aufstellende frühmoderne Katholizismus in nicht unbedeutender Weise von der mittelalterlichen Tradition abweichen musste, um sich wieder zu finden.87 Auch die katholische Kirche und Theologie muss sich in unausweichlicher Weise reflexiv und argumentativ mit der eigenen Tradition und der in ihr enthaltenen Vermittlung des Wortes Gottes auseinandersetzen. Hier setzt daher auch der entscheidende Hebel Dannhauers an. Die Auseinandersetzung und Erklärung des in der Tradition geborgenen Wortes Gottes ist nicht linear, im Sinne eines Automatismus, aus ihr abzuleiten. Wenn die Niederländer sagen,88 ein discursus, eine Auslegung, sei in der Formulierung des Gotteswortes einfach gesetzt – denn dahingehend liest Dannhauer ihre Äußerungen –, täuschen sie sich selbst. Discursus non est verbum Dei; die Darlegung ist nicht das Gotteswort selbst, und sie ist auch kein Glaubensartikel. Glaubensgrund kann allein die Offenbarung sein, die von ihrer Auslegung und wie auch immer gearteten Erklärung in jedem Falle zu unterscheiden ist.89 Falls ein Sekretär eines Fürsten ein Gesetz veröffentlicht, tut er es cum auctoritate promulgandi; dennoch versteht es sich von alleine, dass dem durch ihn veröffentlichten Gesetz seine Autorität allein durch jene des anordnenden und beglaubigenden Fürsten zukommt. So verhält es sich auch bei der Kirche, die ihrerseits die göttliche Offenbarung zwar öffentlich verkündigt, damit deren Autorität aber keineswegs schafft, sondern nur vermittelt. Diese Vermittlung geschieht mittels eines Diskurses, mittels einer systematisierenden oder auch situativen Anwendung des im Wort Gottes Geoffenbarten. Selbst wenn man den Anspruch der römischen Kirche zugesteht, dass sie das Wort Gottes in der schriftlichen wie auch der nicht verschriftlichten Tradition weitergibt, muss sie doch jeweils im konkreten Fall beweisen, dass und wie sie über dieses Wort verfügt. Ohne diskursive Elemente zusätzlich zum Formalobjekt des Glaubens kommt also auch sie nicht aus.

86 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 345. 87 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 348: „[. . .] è Româ disputator est Reformator, in id enim coactum est Concilium Tridentinum ut extirparet hæereses & evelleret Zizania. Nec si Ecclesia Romana mater est, aliter potest quam reformare, revocare, reparturire quasi, quam enixa est, prolem seductam, juxta illud Apostoli Galat. 4,19.“ 88 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 349: „potest quidem formari discursus in propositione verbi Dei.“ 89 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 349: „Discursus non est verbum Dei; nec facit articulum fidei Intellectus enim inducitur per discursum ad credendum verbo Dei; non tamen credit verbo Dei fide divina propter discursum, sed propter revelationem divinam, cui soli actus fidei innititur.“

3.2 Die Polemosophia seu Dialectica sacra von 1648

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Dannhauer kann mit dieser letzten Etappe seines zweiten, dem Sophisten gewidmeten Teils der Polemosophie nicht nur aus einer weiteren, konfessionell präzisierenden Perspektive die Walenburch-Brüder auf einer Ebene sozusagen persönlicher Rivalität widerlegen. Ohnehin hatte die von den beiden Weihbischöfen entwickelte Methode und ihr ganzes, fein abgestimmtes gemeinsames Auftreten eine Wirkung nicht nur in Straßburg, sondern im ganzen Reich und darüber hinaus vor allem in den konfessionell geteilten Niederlanden. Die Veronius-Schule – falls man diesen Ausdruck legitimerweise verwenden darf – war bis in die zweite Jahrhunderhälfte hinein tätig, so etwa der Lütticher Kontroverstheologe Bartholomäus d’Astroy († 1681) mit seinem Armamentarium Augustinianum,90oder der den traditionell augustinismusnahen Rekollekten angehörende Laurentius van der Lepe.91 Dannhauer war daher nicht der einzige protestantische Autor, der um Antikritik aktiv publizierend besorgt war. Auch in Altdorf etwa wurde einige Jahre darauf vom bekannten Politologen und Logiker Paul Felwinger (1606–1681) mit dessen Schüler Salomon Schülin (1632–1706) eine Antikritik entwickelt, wobei vielleicht eine allgemeine Nähe der Akademie zu Straßburg, ein Straßburger Studienaufenthalt Felwingers, und vor allem die beiden gemeinsame Rezeption des Altdorfers Piccart durch Dannhauer und Felwinger eine geistige Nähe bedingten.92 Schülin führte 1654 ein Examen Methodi Augustinianae durch, in Form einer im selben Jahr wie üblich veröffentlichten Disputation, eine Schrift, die offenbar so gefragt war, dass sie 1657 nachgedruckt werden musste. Noch 1689 wird unter Neumann in Wittenberg de Methodo Augustiniana disputiert.93 Noch

90 Astroy, Barthélemy d’: Armamentarium Augustinianum adversus haereses, quadruplici methodo apparatum et instructum in subsidium tyronum militantis Ecclesiae, Leodii: typis viduae B. Bronckart, 1664. Zu weiteren kontroverstheologischen Werken des d’Astroy: Lenoir, D.: Histoire de la Réformation dans l’ancien Pays de Liège. 91 Buitendijk, Het calvinisme in de spiegel van de Zuidnederlandse literatuur der ContraReformatie, 60 (zit. nach der digitale bibliotheek voor de Nederlandse letteren: http://www. dbnl.org/). 92 Felwinger, Johann Paul (1606–1681), Schülin, Salomon (1632–1706): Examinis Methodi Augustinianae Ab Adriano, Et Petro De Walenburch Conscriptae Disputatio I: Quam Sub Praesidio Dn. M. Johannis Pauli Felwinger Polit. Metaph. & Log. P. P. publice ventilandam proponit Salomon Schülin Onoldinus, Altdorf, Hagen, 1654 – VD17 23:264899U. Felwinger, Johann Paul: Examen Methodi Augustinianae, Ab Adriano, Et Petro De Walenburch Conscriptae Institutum a M. Johanne Paulo Felwinger, Polit. Metaph. & Log. P. Publ., Altdorf, Hagen, 21657 – VD17 12:625398K. 93 Neumann, Johann Georg; Lubath, Martin: De Methodo Augustiniana Contra Walenburchios, Praeside Dn. M. Jo. Georg. Neumann [. . .] Disputabit Martinus Lubath, Berl. March. A.O.R. M.DC. XXCIX. Ad. D. Iul. H.L.Q.C., Vittenbergae, Typis Matthaei Henckelii, Academ. Typogr. [1689]. – 12:143967B. Mit minimen Unterschieden identisch mit 3:701870R und 547:622223G.

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mehr Interesse, und zwar hauptsächlich in Straßburg, zog freilich eine andere, näher der klassischen Kontroverstheologie folgende Schrift der Gebrüder auf sich, eine Fundamentorum Fidei Amica Discussio. Sie war 1552 und im Folgejahr gegen den Helmstedter Hermann Conring (1606–1681) gerichtet worden.94 1652 respondiert Valerius Jasch (1630–1684) bei zwei Disputationen über diese Schrift unter je einem andern Mitglied der Straßburger Fakultät, unter Schmidt über die ersten sechs widerlegenden oder polemischen Kapitel gegen die Dissidenten oder Protestanten, unter Dannhauer über die vierzehn affirmativen oder apologetischen Kapitel für die Lehre der Päpstlichen. Die beiden Erwiderungen werden sowohl je einzeln95 als auch in einer Sammelausgabe96 publiziert; 1663 zudem auch von dritter Seite in Quedlinburg eine weitere Widerlegung der Fundamenta Fidei. Diese lutherisch-orthodoxen Werke blieben freilich ihrerseits nicht ohne katholische Gegenantwort, sodass Dannhauers Meisterschüler und Schwiegersohn Balthasar Bebel (1632–1686)97 1662 die erste und zweite

94 Walenburch, Adrian van; Walenburch, Peter van: Fundamentorum Fidei Amica Discussio. sive, Motiva, Quibus Protestantibus ostenditur, quam sit periculosum vitare Communionem Ecclesiae Romano-Catholicae: Ad [. . .] D. Ernestum Hassiae Landgravium &c. [. . .] Coloniae Agrippinae: Woringen, 1652. – 23:325372U. Variante VD17 3:305701F. Zweitauflage mit identischem Titel und Ort bei Kalcovius, 1653. – 12:111249X. 95 Schmidt, Johann; Jasch, Valerius: EXAMEN // Walenburchiacæ fundamentorum fidei // discussionis, // sive // MOTIVORUM, // Quibus non ita pridem Adrianus & Petrus de Wa- // lenburch conati sunt ostendere Protestantibus, quàm sit pericu- // losum vitare communionem Ecclesiæ Romano- // Catholicæ, adornatum, // Et quoad Partis prioris principiorum Dissiden- // tium Confutatoriæ Capita sex priora, // PRÆSIDE // [. . .] // DN. IOHANNE SCMIDIO, [. . .] // ad Solennem diquistionem propositam // à // VALERIO JASCHIO // Colbergâ Pomerano. // In celeberrima Argentinensium Universitate // ad diem 23. Septembris locoque consuetis. // ARGENTORATI, // Ex Typographeo FRIDERICI SPOOR. // M DC LII. – 14:626387Z. Dannhauer, Johann Conrad; Jasch, Valerius: EXAMEN // Walenburchiacæ fundamentorum fidei // discussionis, // sive // MOTIVORUM, // Quibus non ita pridem Adrianus & Petrus de Wa- // lenburch conati sunt ostendere Protestantibus, quàm sit pericu- // losum vitare communionem Ecclesiæ Romano- // Catholicæ, adornatum, // Et quoad Partis posterioris principiorum Pontifi- // ciorum Confirmatoriae Capita quatuordecim, eaque // totius Tractatûs ultima, // PRÆSIDE [. . .] // DN. IOH. CONRADO DANN- // HAWERO, // [. . .] ad Solennem disquisitionem propositum // à // VALERIO JASCHIO // Colbergâ Pomerano. // In celeberrima Argentinensium Universitate // ad diem 30. Septembris horis locoque consuetis. // ARGENTORATI, // Ex Typographéo FRIDERICI SPOOR. // M DC LII., DWV 133. – 12:155726U. 96 Schmidt, Johannes; Dannhauer, Johann Conrad; Jasch, Valerius: Examen Walenburchiacae fundamentorum fidei discussionis, sive Motivorum: Quibus non ita pridem Adrianus & Petrus de Walenburch conati sunt ostendere Protestantibus, quam sit periculosum vitare communionem Ecclesiae Romano-Catholicae [. . .] Straßburg, Spoor, 1652, DWV 132. 97 Gaß, Art. Bebel, Balthasar.

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exercitatio apologetica zugunsten Dannhauers zu drucken unternahm,98 1663 noch gefolgt von einer dritten.99Dannhauer war, so scheint es, in diesen Jahren der Ämterkumulation durch Professur, Kirchenpräsidium und Predigttätigkeit entweder zu beschäftigt, bereits zu schwach oder jedenfalls doch zu wenig interessiert, um selber an der Debatte noch aktiv teilzunehmen. Das Interesse an der Debatte überdauerte freilich Dannhauers Tod bei einigem. Andreas Birnbeck replizierte gegen Bebel noch 1673.100 Die Gebrüder ihrerseits fassten ihre Schriften ebenfalls in Sammelwerke zusammen, 1667, 1669–70 sowie 1683 als zweibändiges Werk mit den Tractatus Generales als erstem Teilband gefolgt von einem zweiten Sammelband De Controversis Fidei, der spezifischeren Einzelpunkten der Kontroverstheologie gewidmet war.101 In Würzburg erschien zudem ein Sammelwerk eines Gemeinschaftsherausgebers.102 Noch 1686 erschien mit einem

98 Bebel, Balthasar; Zech, Johann: Exercitatio Apologetica Prima qua ostenditur Adrianum Et Petrum De Walenburch In Repetitis Suae Methodi Vindiciis Caussa, In oppugnando Dn. D. Dannhawero, cecidisse / Disputabitur solenniter [. . .] Praeside Balthasare Boebelio [. . .] Respondente M. Johanne Zechio Ulmensi. Ad d. 1. Mense Maii, Argentorati: Staedelius, 1662. – 12:167885T Bebel, Balthasar; Stiegler, Johann: Exercitatio Apologetica Secunda qua ostenditur Adrianum Et Petrum De Walenburch In Repetitis Suae Methodi Vindiciis Caussa In Oppugnando Dn. D. Dannhavero cecidisse / Disputabitur publice [. . .] Praeside Balthasare Boebelio [. . .] Respondente M. Johanne Stieglero, Argentoratensi. Ad d. [. . .] Mens. [. . .], Argentorati: Staedelius, 1662. – 12:167983H Bebel, Balthasar; Zech, Johann: Exercitatio Apologetica Prima qua ostenditur Adrianum Et Petrum De Walenburch In Repetitis Suae Methodi Vindiciis Caussa, In oppugnando Dn. D. Dannhawero, cecidisse / Disputabitur solenniter [. . .] Praeside Balthasare Boebelio [. . .] Respondente M. Johanne Zechio Ulmensi. Ad d. 1. Mense Maii, Argentorati: Staedelius, 1662. – 12:167885T 99 Bebel, Balthasar; Gettesius, Petrus: Exercitatio Apologetica Tertia qua ostenditur Adrianum Et Petrum De Walenburch In Repetitis Suae Methodi Vindiciis Caussa In Oppugnando Dn. D. Dannhavero cecidisse / Disputabitur publice [. . .] Praeside Baltasare Boebelio [. . .] Respondente Petro Gettesio, Sueco Gottlando. Ad d. [. . .] Mens. Octobr. Argentorati: Staedelius, 1663–12:167986F 100 Birnbeck, Andreas: Disceptatio De Fidei Veritate Fundamentali, Adversus duodecim Disputationes Joannis Claubergii, Doctoris & Profess. Theol. in Academia Duisburgensi quondam: Item Defensio Methodi Augustinianae RRmorum DD. de Walenburch, contra novissimas oppositiones Balthasaris Boebelii, Doctoris & Professoris Theologiae in Universitate Argentinensi pro Joanne Conrado Dannhawero [. . .], Moguntiae: Zubrodt, 1673. – 12:110015G 101 Das Doppelwerk ist bei Wamper, Das Leben der Brüder, 254–265, ausführlich dokumentiert. 102 Clypeus & Gladius Catholicorum Sive Modus Practicus Disputandi Cum Haereticis Nostri Temporis [. . .]: Succincte ex methodo Augustiniana RRmorum DD. a Walenburg Propositus; Adiungitur Methodus practica, sdaepe recusa, respondendi illis, qui solum discursus aut melioris informationis gratia, suos fidei scrupulos aliis proponunt [. . .] Strena Sodalitati Academicae Maiori; Herbipoli, Typis Eliae Michaelis Zinck, Typographi Aul. Acad. 1679. – 547:693581Z

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Compendium Controversiarum Particularium ein themenbezogener Ratgeber aus protestantischer Feder.103 Doch über solche theologiepolitischen und sozusagen – um ein Bonhoeffersches Adjektiv zu wählen – sportlichen Aspekte hinaus wählt Dannhauer die methodus der Walenburch vor allen Dingen zu einem so vertieften Studien- und Disputationsobjekt, um ein ihm selber eigenes und permanentes wissenschaftstheoretisches Hauptanliegen verstärkend zu verdeutlichen. In der expliziten, weit ausholenden Entkräftung der Logikbefehdung durch die Weihbischöfe kann er zeigen, dass logische Schlüsse nicht nur in der protestantischen, sondern auch in der katholischen Theologie zwangsläufig zur Anwendung kommen müssen und unverzichtbar sind. Dissoziation von Begründung und Begründungsanwendung ist in der Theologie jeglicher Kirche ein gleichsam ewiges, gottgewolltes Gesetz, dessen Beachtung für eine regelgerechte und offenbarungsgemäße Arbeit grundlegend ist. Auf diesen Befund läuft der reaktive, antikritische zweite Teil der Polemosophie oder dialectica sacra insgesamt hinaus; ihrer Bestätigung dient sein ganzer, nicht ganz geringer geistiger Aufwand. Seiner positiven, pädagogisch aufbauenden Darlegung dient im Wesentlichen aber der erste Teil der Schrift. Er korrespondiert dem zweiten Teil der Polemosophie natürlich insofern, als der unmittelbare, sofort augenfällige publizistische Hauptakzent in die Bekämpfung der nova ars „Walenburchiana“ zu liegen kommt. Wie wir aber bereits festzustellen Gelegenheit hatten, ist der dem miles sacer geweihte erste Teil allerdings vor allem in Entsprechung zur ersten pars der Beschreibung eines bonus disputator in der gleichnamigen Idea gestaltet. Etwas längerfristig gesehen und was die innerwerkgeschichtliche Rezeption durch Dannhauers künftige Schriften selber angeht, war es daher der konstruktive, erste Teil, der über das eher ephemere polemische Tagesgeschäft hinaus prägend wirken sollte.

3.2.2 Analytische Konfessionshermeneutik Abgesehen von einer gewissen Militarisierung und zugleich Sakralisierung der logischen Terminologie und ihrer motivationspsychologischen Einordnung bleibt die Schrift von 1648 in ihrer Gesamtanlage daher weitgehend in den Spuren derjenigen von 1629. Freilich ergibt sich dennoch eine gewisse Akzentverschiebung von Beginn weg. Das dialektische Geschäft wird nun stärker tatsächlich dialektisch

103 Andreae, Samuel: Compendium Controversiarum Particularium Adriani & Petri Fratrum De Walenburch: In usum Collegiorum recusum Accedit Appendix Luculenta Variorum Hodiernos in Gallia Methodistas spectantium / cura Samuelis Andreae [. . .], Marburgi Cattorum: Stockenius, 1686. – 3:007119T.

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gefasst, als permanentes Wechselspiel von Behauptungen und Widerlegungen, wobei letztere formal gesehen ihrerseits zumindest teilweise als Behauptungen aufgestellt werden müssen und daher wieder ihre eigene Widerlegung finden und so fort, bis dem einen der Gegner buchstäblich die Argumente ausgehen. Diese deutlicher dialektische Note ergibt sich schon im Eingangskapitel, das man als insofern motivationspsychologisch bezeichnen könnte, als es wie so häufig in aristotelisch gefärbten Schriften auch der Neuzeit die causa finalis an den Anfang stellt.104 So wie nun der Zweck menschlicher Existenz in der Verherrlichung Gottes und der Erbauung des Nächsten liegt, so wie das Ziel aller an einem Krieg Beteiligten der Friede ist, so besteht der Zweck dieses heiligen Krieges theologischen Streites in der Unterscheidung von wahr und falsch, wie Dannhauer, im Hinblick auf die Widerlegung der sogenannt augustinischen Methode wohl nicht ganz zufällig, mit einem Zitat aus contra Cresconium (c. 15) belegt: Verus disputator est, veritatis à falsitate discretor.105 Die Wahrheit wird nun aber unter anderem auch gefunden durch die Aufdeckung der Unwahrheit.106 Sie wird also nicht so sehr nur, wie im 16. Jahrhundert so häufig und auch bei Dannhauer noch, unter ihrem Erleuchtungsaspekt, in ihrem Potential zur geistigen Befreiung der Menschen gesehen, sondern stärker nun auch in ihrer Durchsetzungskraft gegen Widerstände aller Art. Denn Feinde der Wahrheit gibt es, und sie machen sich bemerkbar. Alle Anstrengung zur wahr-falsch-Diskretion verärgert sie aufs höchste, und sie verhalten sich wie irritierte, wütende Krebse.107 Doch die Wahrheit ist eine Kraft, die stärker ist als alles andere, wie auch die Märtyrer der alten Kirche schon belegen.108 Daher existiert eine Notwendigkeit des Disputierens. Es gibt einen gleichsam angeborenen Instinkt des

104 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 1: „Art. I. Πολεμοσοφίας Finis, et ex fine deductus disputandi instinctus, neceßitas, mensura.“ 105 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 1: „§ 1. De communi ac ultimo omnium actionum nostratum Fine GLORIA DEI et aedificatione proximi; de communi itidem bellorum fine Pace, inter omnes constat: Proprius sacri hujus belli finis est, sequestratio veri a falso seu ut cum Scriptura S. dicam διάκρισιν πνευμάτων.“ 106 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 2: „§ 2. Caeterum illa sequestratio veri a falso constat, hinc, veritatis aut impugnatae defensione, aut impugnantis impressione, utriusque illuminatione, et ejus majestas, a mendacio vindicta, in oculos incurrat, adque sui amorem alliciat, atque sic Pax sequatur, εἰρήνης γὰρ ὁ πόλεμος πρύτανις, Pacis altor est bellum: Illinc, Falsi denudatione, confutatione, victoria, ad ruborem adversarii usque, conscientiae convictionem, et αὐτοκατάκρισιν.“ 107 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 5: „§. 3. At indurati sunt, inquies, veritatis hostes, sunt pertinaces, qui cum hodie concertandum, in quibus capiendis operam et retia perdas, crabrones irrites, ignem gladio temere fodias [etc.]“ 108 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 2.

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

Menschen zur Disputation, nämlich die Liebe zur Wahrheit.109 Diese Liebe ist ein enormer, kaum übertreffbarer Antrieb, wie Dannhauer mit einem interessanten Belegexempel nach Livius’ ab urbe condita110 erläutert. Grachus macht aus den noch widerwilligen Sklaven seines Heere begeisterte Kriegsfreiwillige (uolones), denn in Absprache mit dem amtierenden Konsul erkennt er jedem, der mit dem Haupt eines Feindes daherkommt, die sofortige Freiheit zu. Aussicht auf Freiheit ermutigt hier zum Kampf, so wie die Aussicht auf Wahrheit zur Disputation animiert. Diese Aussicht jedoch und ihre Anreize genügen als solche noch nicht zum Erfolg, und darum schreibt Dannhauer nun das vorliegende Buch. Alles liegt daran, die zum Aufspüren der Wahrheit geeigneten Mittel zu finden. Werden sie verachtet oder auch nur unnötig vernachlässigt, zieht sich die Wahrheit zurück und gewinnt die Unwahrheit unweigerlich an Raum.111 Der Disputator oder miles sacer, der im zweiten Kapitel behandelt wird, wird einerseits, im zweiten Teil des Kapitels, aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften behandelt,112 die nicht signifikant von den 1629 bereits vorgegebenen abweichen. Wie dort schon wird nun erneut unterstrichen, dass Zugehörigkeit zum Klerus nicht allein über die Tauglichkeit zum geistlichen Kampf entscheiden kann.113 Zuvor jedoch wird betont, dass der geweihte Disputationssoldat die Anliegen der Kampfleitung verstehen und seinerseits

109 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 6: „§. 4. Ab hoc artis bellatricis fine fluit Instinctus disputandi naturalis, necessitas indeclinabilis, mensura mediorum certa.“ 110 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, S. 7: „Ab urbe condita, l. 24.“ 111 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 8: „§. 5. Denique ab eodem finis sceptro est Mensura mediorum, fini subordinata ac proportionata, ad quem ea omnia pertinent, quae in sequentibus articulis tractanda instituimus. Tantum potest haec mensura ad amussim observata, ad veritatis triumphum, quantum oscitanter neglecta ad ejusdem jacturam, proditionem, oppressionem.“ 112 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 16: „§ 9. Virtutes denique Boni disputatoris delineavimus in Idea hujusce tituli sect. i. art. 5 nunc lineae colores inducemus, [etc.]; [17] I. ex Ingenii acumine. [etc.] II. ex affectuum non ad praeoccupatorum ardore, in Dei gloria et Ecclesiae fructum inflammato. III. e scientia viribus. [18] IV. Ex virtutum ornamentis. [21]: §. 10 V. Ex usus dexteritate, sensuum γεγυμνασμένων. S. 23: §. 11: VI. Ex orationis nervis; nam hi faciunt ad robur.“ 113 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 10: „Art. II. Miles Sacer seu Disputator quis? quo duce? quotuplex? quo delectu? §. 6. Indagandum hic nobis, quis sit idoneus ad hoc bellum (gerendum in corpore non armigero, sed penigero, ut ex Accio ludit Cicero lib. 7. Ep. Famil. ep. 33) miles? quo duce praeliandum? quotuplex quo delectu? Nemo hominum quod primum quesitum attinet, ab hac militia absolute exclusus est: hominum inquam ([. . .]) certo tamen cum ordine graduque. Praecipuas hic partes esse eorum qui Ecclesiae signa ferunt, Oeconomi mysteriorum divinorum audiunt, nemo facile negabit. His enim vel maxime mandata est vigilantia contra lupum, [. . .] [11] § 7. De Laico solum relicta est quaestio?“

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aktiv aufgreifen können soll. Diese Leitung obliegt dem Heiligen Geist, der vor allen Dingen auch die Aufgabe des Elenchus, der Widerlegung wahrnimmt. Angriff ist die beste Verteidigung; jede Festung kann auf die Dauer nur mit gelegentlichen Ausfällen; jede Belagerung nur mit Schutzmaßnahmen geführt werden.114 Die Mittel sowohl zur Verteidigung wie auch zum Angriff gibt nun jedoch der göttliche Kampfdirektor nicht unmittelbar aus dem Himmel, sondern durch sein Orakel, die Heilige Schrift. Dem Umgang mit diesem Orakel, dessen richtiger Deutung, kommt daher höchstes Gewicht zu. Er muss geübt werden, oder, wie Dannhauer mit einer andern Metapherim anschließenden Kapitel erläutert, der Umgang mit den verschiedenen Kriegsgeräten. In der Tat verfügt der theologische Streiter über drei organa oder Instrumente, ein organum modale, eines rationis assumtae und eines linguae. Zunächst einmal steht ihm das formale Instrument der Dialektik oder Logik zur Verfügung.115 Die beiden weiteren Instrumente bedienen das Bedürfnis nach materialen Voraussetzungen in der logischen Anwendungs- und Disputationsarbeit. Hier nun ist bemerkenswert, dass Dannhauer zwei Instrumente einander beigesellt und damit auf dieselbe Ebene hebt, einerseits der Vernunft entnommene, allseits anerkannte Erkenntnisse oder Sätze, andererseits linguistische Werkzeuge zum angemessenen Verständnis eines als Disputationsgegenstand genommenen Textes eines Dritten oder mehrerer Dritter, speziell natürlich der Bibel.116 Damit bestätigt er, dass die Textauslegung keineswegs als konfessionell neutrales Unternehmen zu verstehen sei, obschon oder eben gerade, weil die beigezogenen Mittel zum Verständnis des strittigen Textes religiös neutral sind und sein müssen. Gerade aufgrund

114 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 14: „§ 8. Dux in hac palaestra est Spiritus Sanctus (non excluso polemarcha Christo Michaele et principe exercitus Domini sub quo praeliantur Angeli Ecclesiarum contra Draconem et Angelos ejus. Apoc. 12,7) cujus inter alia illustre officium ἐλένχειν Joh. 16,8 hoc est liquido convincere animum, arguere, refutare, ut ex ἀλληλουχία [sic] locorum probat noster D. Gerard. harm. cap. 179. pag. 1059. non autem dictitat hunc elenchum e coelo immediate, sed loquitur per suum oraculum Scripturam sacram, ad eum modum quo exposuimus in hodosoph. phaenom. 1. p. 67. Conf. [15] Christeid. protheor. phaenom. 3, p. 33. Duplex porro est miles officii respectu (alia exercitus sacri distributio instituta est in Christeid. protheor. phaenom. 9. & 12.) in hac arena, alius interrogans, obsidens, probans; alius respondens, defendens, enervans. Quae officio utut formaliter discrepent, tamen in ipso usu ultro citroque mutantur. [. . .] Nunquam sic defendit castrum miles, quin aliquando eruptione factâ, munimenta hostilia adoriatur; nec qui obsidet ita semper impetus facit in mœnia, quin aliquando suummet præsidium tueri cogatur: nec dari potest miles qui tantùm ictus excipiat, declinet, elidat, nisi & extorqueat & repercutiat.“ 115 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 24: „Art. III. Organicus militae sacrae apparatus. [25] Organum primum artis est Dialecticae, modale, id hic juvans disputatorem quod Geometria eum, qui brontea tractat, quod athletica gladiatorem.“ 116 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 51–53.

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

ihrer Un- oder eher Überparteilichkeit eignet sich die Philologie als Grundlage regelgerechten Zugangs auch zur Bibel. Es erstaunt nicht, wenn der dialectica sacra sich wenige Jahre später eine hermeneutica sacra zugesellt, deren geistige Grundlagen spätestens in den späteren vierziger Jahren und unter anderem hier in der Polemosophie geschaffen werden. Der Schwerpunkt liegt nun derzeit aber noch nicht auf den sprachlichen Hilfsmitteln, sondern auf den im aristotelischen oder dialektischen Sinne topischen, nämlich auf dem organum assumtae rationis. Zum Erstellen theologischer Sätze sind sie unabdingbar, da Sätze aus rein biblischem Material nicht immer genügen können. Solange der Untersatz eines Syllogismus biblisch ist, darf und zuweilen soll sein Obersatz aus allgemeiner, natürlicher Vernunft gespeiste Sätze einbeziehen.117 Dannhauer liefert sogleich zahlreiche Beispiele, unter denen wir die ersten drei wiedergeben. Laufen in jemandem alle Ursachen des Heils wirksam zusammen, ist er zum Heil berufen und kann selig werden. In diesem Versuchten aber laufen alle Ursachen in dieser Weise zusammen, ergo etc. Jede Norm ist vollkommen, der weder hinzugefügt noch weggenommen werden kann, die Schrift aber ist nach Gal. 6,16 eine Norm, ergo ist sie vollkommen. Wer sich unterscheidet, wie ein anderer und ein anderer, der unterscheidet sich real. Sohn Gottes und Heiliger Geist unterscheiden sich nach Joh. 14,16 wie je ein Anderer. Ergo unterscheiden sie sich real. Ohne ein solches gemischtes, auch nicht biblische Sätze einbeziehendes Vorgehen ist eine fides theologica nicht zu erlangen, die mit dem Glauben an sich nicht zu verwechseln ist, da sie fides polemica und daher regelkonform zu sein hat.118 Zwar ist eine propositio aus der ratio assumta kein principium im strengen, theologischen Sinne, auch kein fundamentum fidei, sondern nur ein logisches Instrument im Sinne Zabarellas. Prinzip ist vielmehr jener Satz, der aus dem Wort Gottes erfahren wird, in den vorliegenden, hier zitierten Beispielen also jeweils die minor.119 Müssen die praemissæ und die conclusio aber nicht derselben Gattung angehören, wie die Walenburchij dies verlangen, die sich auf den Grundsatz

117 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 28 f. 118 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 30. Dannhauer führt hier mit einem rhetorisch bewusst aufgebauten Chiasmus eine Unterscheidung ein, die er später an etlichen zentralen Orten wieder bringt, eine Unterscheidung, die unter verschiedenen Ausdrucksformen, aber mit stets demselben Anliegen darauf insistiert, dass der Abstand zwischen Gläubigen und professionellen Theologen nur den Grad an Regelkonformität, keineswegs aber den Wert ihres individuellen Glaubens ausdrücken kann: Fides Theologica quâ non pollent fideles plurimi, quamvis polleant ipsâ fide plurimum. 119 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 32: „principium fidei ac fundamentum in quod assensus terminatur, esse illam seu propositionem seu terminum, qui ex verbo Dei peritus est. e.g. in superiorum syllogismo secundo (Quicunque differunt ut alius & alius, illi differunt

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stellen, dass die Kirche aus kirchlicher Tradition beweist? Ungehalten verweist Dannhauer für diese, wie er sagt, Anfangsgründe der Philosophie auf Zabarella, der zugesteht, dass ein Mittelterm nicht notwendigerweise Ursache des Subjekts sein muss.120 Aber auch aus der Natur der consequentia selber kann in mehrfacher Weise gezeigt werden, dass sie auch aus biblischen Sätzen legitim ist. Es gibt innerbiblische Schriftauslegung, die argumentativ ableitend und nicht einfach unmittelbar zitierend vorgeht.121 Was aus Prinzipien ableitbar ist, ist in ihnen auf jeden Fall virtualiter enthalten.122 Auch der Katholizismus ist auf Schlussfolgerungen argumentativer Art mit mindestens einer kontingenten Prämisse angewiesen.123 Zudem weiß Dannhauer etliche Belege aus der vom Katholizismus für sich reklamierten mittelalterlichen Tradition beizuführen.124 Zudem gilt, was Dannhauer in einer letzten gleichsam technischen Unterscheidung anführt, dass es bezüglich der Gewissheit der consequentia zwischen Objekt und Subjekt zu unterscheiden gilt.125 Auf der Objektseite gilt, dass zwar nur die biblische Praemisse unumgänglich, die vernunftgegebene aber nicht notwendig ist, was umgekehrt jedoch zugleich bedeutet, dass die Notwendigkeit der Schlussfolgerung aus dieser biblischen Praemisse auch dann gegeben ist, wenn das Subjekt irrtumsbehaftet bleibt.126 Bei dem allem nun geht es Dannhauer, wie auch schon seinen Lehrern, keineswegs um eine Überbewertung der Vernunft.127 Wie er aus den Schriften der angesehensten Lehrer der Orthodoxie, des Aegidius Hunnius und des Johann Gerhard,128 aber auch mit einem eindrücklichen Zitat des weniger bekannten Thomas Wegelin (1577–1629), seinem Vorgänger auf der Straßburger Theologieprofessur, aufzeigen kann, ist und war es nie die Absicht der Lutheraner, die menschliche, natürliche ratio zu überschätzen oder gar absolut zu setzen.

realiter, Filius, & Spr. S. differunt, &c.) Major est instrumentum consequentiae, Minor est principium fidei, & sic deinceps.“ 120 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 32. 121 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 34: „1. è scripturae S. definitione.“ 122 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 35: „2. ex bonae consequentiae naturâ: Quod ex principiis ἐς ἀνάγκης sequitur, ac in iis latet virtualiter, ejusdem est naturae cum ipsis principiis. At omne consequens divinum ἐς ἀνάγκης sequitur ex suis principiis, inque is latet virtualiter.“ 123 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 36: „3. Ex deductione ad absurdum geminâ.“ 124 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 38: „Petr. All. I. sent. Q. 1, a. 3; Joh. Maior, I. d. 2, c. 1.“ 125 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 41. 126 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 42. 127 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 45. 128 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 45: „Gerhard, Johann: Exeg. p. m.: Aliud est quaerere de facultate ratiocinandi in homine, ad divinorum mysteriorum intelligentiam NECESSARIA; aliud de ratione humanâ, sibi relictâ, suis λογισμοῖς indulgente, & ex suis principiis de summis fidei mysteriis judicium ferente.“

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Damit grenzt er sich nicht nur defensiv gegen die Walenburch-Schriften, sondern auch offensiv gegen die Reformierten ab, indem er hauptsächlich Nicolaus Wedel (1596–1642) zitiert, der die Vernunft, namentlich in der Abendmahlsfrage, zum Richter in Glaubensfragen erhebe, statt sie als Instrument wahren Verständnisses der Offenbarung in Dienst zu nehmen.129 Es steht in dieser Linie des Insistierens auf der Differenz zwischen Prinzip des Glaubens und Anwendung dieses Prinzips, wenn im vierten Kapitel schließlich der „heilige Streit“ zwischen Opponent und Respondent als ständiges Wechselspiel beschrieben und faktisch auch vorgeschrieben wird.130 Der Opponent hat darzulegen, wie aus einem oder mehreren argumentativ verketteten Glaubensprinzipien eine konkrete theologische Erkenntnis oder Aussage positiv resultiert,131 was ihm im handfesten disputatorischen Geschäft freilich kaum je ohne Widerlegung einer fehlerhaften Ableitung aus denselben Prinzipien oder aber des Gebrauchs oder der Vortäuschung schon in sich unstatthafter Prinzipien gelingen wird.132 Umgekehrt kommt der Opponent, der analytisch die Sätze seines Opponenten aufzulösen hat, in Wirklichkeit kaum je ohne positive Darlegung seiner eigenen Position aus. Ohnehin ist im status quæstionis das wesentliche, ja letztlich einzige Objekt der Disputation beiden Parteien gemeinsam. Es ist denn auch bezeichnend, dass Dannhauer jenen Punkt der notwendigen Prinzipienbestimmung durch den Opponenten, den er gegenüber dem Methodenabschnitt der epitome dialectica als einer theologischen Präzisierungspflicht zu unterziehen erklärt,133 faktisch auch und sogar ganz besonders in den Ausführungen über den Respondenten verdeutlicht. Im Kapitel über die

129 Erst einmal erscheint hier der später so zentral innerprotestantische Vorwurf gleichsam zu einer Formel konzentriert, Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 48: „Reformatos tribuere rationi judicium in controversiis fidei.“ 130 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 54: „Art. IV. Conflictus sacer in synthesi & Anlysi occupatus.“ 131 So in kurzer Formulierung: Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 67: „Consequentiæ strues è principio ad thesin propositam legitimè in bona forma, ductæ.“ 132 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 59: „Decretorium certamen constat duobus, ultrò citroque mutatis actibus, ἀναλύσει καὶ συνθέσει formaliter diversis, sed in praxi inseparabilibus. Nunquam enim facile dabis respondentem semper componendo, nunquam resolvendo; aut opponentem semper resolvendo, nunquam componendo occupatum. Ἐν θέσει ac in genere uterque Logicae usus est à nobis propositus in epit. dial. c. ultimo. Hîc ad hypothesin descendendum. Sunt autem Synthetico & analytico quædam communia, quædam propria. Commune est objectum, tanquam caput rei, de quo fiunt comitia: pila in medio proposita, ἄνω καὶ κάτω jactanda, status scil. controversiae, ζητοῦμενον, de re seriâ, non asini umbrâ conceptum de cujus veritate & falsitate an quiritur.“ 133 Er spielt auf diese Präzisierungspflicht hier eher in Ausnahme gegenüber der als Normalvorlage dienenden idea disputatoris an.

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durch den Opponenten zu leistende Synthese wiederholt Dannhauer die in den Vorkapiteln bereits ausgeführte und in der polemosophia breiter abgestützte Identifikation des Sacer codex mit dem einen Grundprinzip der Theologie.134 Da es aber nur in der einen wahren, lutherischen Kirche so erkannt und dann auch angewandt wird, hat jeder der Wahrheit verpflichtete Disputator auch die Aufgabe, die falschen, ungerechtfertigten oder zumindest ungenügenden Prinzipien der andern Kirchen oder auch Weltanschauungen als solche aufzudecken. Denn just hierin besteht deren hauptsächliches, im Grunde einzig entscheidendes Problem, dass sie sich nicht an die Schrift, sondern an eigenmächtig an Gottes Offenbarung vorbei aufgestellte Letztbegründungen ihrer Theologie halten wollen. Moderat, besonnen und sachlich,135 in der Sache klar, aber eben deswegen sachgerecht, soll der Respondent als Analytiker die confeßio des Gegner rekonstruieren und deren Sinn aufspüren.136 Hervorzuheben ist, wie Dannhauer den für die Epoche so zentralen lateinischen Fachterminus in diesem logisch-theologischen Kontext exakt zwischen seinem ehemals eher juridischen Ursprung und seinem zu seiner Zeit eher religiösen Gebrauch schillern lässt. Einerseits ist dieses dem Gegner abverlangte Bekenntnis selbstverständlich die materiale Darlegung eines religiösen Glaubens, mit der man sich inhaltlich auseinandersetzen kann und muss, was ja Sinn und Zweck jeder theologischen Disputation darstellt. Zugleich aber ruft der Ausdruck den der Rechtswelt verbundenen, historisch gesehen immer

134 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 62: Als genauere Beschreibung der Aufgaben des Synthetikers und besonders der Kriterien, die an die Prinzipienbestimmung zu legen sind: „Medij demonstrativi, sive principii probantis introductio. Quale illud esse oporteat indefinite exposuimus in epit. dial. part. 2. cap. 2. nunc determinatius ad certamen factum illud adornandum est. Esto autem principium, unde thesis sacra demonstranda est. I. Principium h.e. ἀναπόδεικτον, quod revera principium sit: nam si adhuc sit disputabile, principium non est. [. . .] 2. verum. [. . .] 3. domesticum ac revelatum à Spiritu S. in S. Codice scripto, è cujus armamentario, hæc arma lucis & justiciæ spiritualia depromuntur 2. Cor. 6,7. cap. 10, 1. id quod hîc tanquam αἴτημα alibi demonstratum supponimus. [. . .] 4. selectum“, das heißt in intellektueller Ökonomie als das tragfähigste bestimmt; letztlich eine Variante von Ockhams Rasiermesser. „[. . .] 5. Forte, efficax. [. . .]. 6. plene consummatum.“ 135 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 29: Die officia disputatoris Analytici bestehen vor allem darin, jeweils eine θέσεως ἀντίθεσις zu generieren und zu präsentieren, die stets vera, plena, justa sein soll: „wahr“, das heißt belastbar; „vollständig“, der ganzen thesis in allen deren einzelnen Punkten entgegen gesetzt; „gerecht“, das heißt ohne Beleidigung und unangemessene Herabsetzung des Gegners, was die korrekte Wiedergabe ihrer Aussagen und „Konfessionen“ mit einschließt. 136 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 30: „[. . .] confeßionis adversariæ productio, & sensus indago.“

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noch stark mitschwingenden Prozesscharakter religiöser Auseinandersetzungen, denen eine gewisse Offizialität und Breitenwirkung zukommt, unübersehbar in Erinnerung. Wie seinerzeit die Christen in den Verhören der antiken und derzeit vor den Instanzen der gegenwärtigen Reichsleitung gezwungen waren und sind, eine confessio abzulegen, die zweifelsfrei die Bestimmung ihres präzisen juristischen Status erlaubte, so auch hier in der Disputation. Es gibt kein Ausweichen, weil es ja die Pflicht eines Respondenten sein muss, seine Gegner zu zwingen, eine konkrete und allgemeine fassbare Auskunft über ihren Glauben zu geben, die dann vor einem Gericht und einer breiteren prozessbegleitenden Öffentlichkeit allgemein überprüfbar werden kann und soll. Aus diesem Grund sind selbst in einer nur universitätsöffentlichen intellektuellen Auseinandersetzung private, in eigenem Namen verfasste Schriften, die auf einer sozusagen individuellen Ebene Konfessions- oder Bekenntnischarakter tragen, problematisch und wenn möglich zu meiden. Vielmehr gilt, wie Dannhauer in einer nahezu formelhaften Weise erkärt, dass Confessio adversariorum publica illa est, cui justè contradici potest.137 Es ist also das öffentliche Bekenntnis der Gegner, dem angemessen und rechtmäßig widersprochen werden kann, was umgekehrt impliziert, dass eine nicht öffentliche Bekenntnisaussage zwar als solche durchaus ernst genommen werden muss, aber eben nicht justè, nicht mit einer durch Dritte nachprüfbaren Objektivität, analysiert und kritisiert werden kann. Der unlängst als ein tragender Zug orthodoxer Diskussionskultur überzeugend aufgewiesene Zwang zur präzisen und vor allem auch vollständigen Replik auf jeden einzelnen Punkt einer gegnerischen Schrift dürfte in dieser doppelten, ja dreifachen – religiösen sowie rechtlichen und in beiden Fällen auch logischen – semantischen Anlage und verfahrenspraktischen Verwendung des Konfessionsterminus einen wichtigen Grund haben.138 Öffentlichkeit heißt letzten Endes bereits zur Zeit der Orthodoxie fast zwangsläufig Schriftlichkeit, und in der Tat gibt es an schriftlichen Konfessionen in der nichtlutherischen Christenheit ja keinen Mangel. Auf der einen Seite nennt Dannhauer denjenigen Text aus dem sich formenden Katholizimus, der den Konfessionsterminus im Titel trägt, obschon er bekanntlich nicht zur juridischen Legitimierung vor weltlichen Instanzen promulgiert wurde, nämlich die Confeßio Tridentina, daneben auch den Catechismus Romanus.139 Bei

137 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 70. 138 Gierl, Pietismus und Aufklärung. 139 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 70: „Confessio adversariorum publica illa est, cui justè contradici potest, ad quam quælibet secta provocat: cujusmodi est in papatu Confeßio Tridentina, uti in decretis concilij & Catechismo Romano, ad amussim & decretum concilii facto, jacet.“

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den Reformierten nennt der Autor der Polemosophie erst einmal die gegen den streitbaren Dresdner Hofprediger Matthias Hoe von Hoënegg (1580–1645) gerichtete, in ihrem Quellen- bzw. Konfessionsbezug recht umfassende Anatomia universalis140 des Pseudonyms Christophorius Massonius.141 Dannhauer weiß en passant – und zu Recht, wie mittlerweile bekannt – zu berichten, dass ihn die Marbuger Theologen mit dem von 1580 bis 1648 lebenden Naumburger Christoph Becmann sen. identifizieren. Vor allem aber verweist er nahe liegender Weise auf die bekannte, in ihrer Auswahl an reformierten Konfessionen recht umfassende Harmonia confessionum von 1581.142 In dieser als Gegenstück zum Konkordienbuch erstellten, letztlich aufgrund kompositorischer Schwächen wie auch mangelnder politischer Einigkeit und Durchsetzungskraft gescheiterten reformierten Konfessionenharmonie ragt laut Dannhauers Einschätzung besonders die Helvetica posterior heraus. Sie wird von dem an der reformierten Akademie von Montauban tätigen Daniel Chamier (1564–1621), also in einem sprachlich, national und kirchenkulturell von dem helvetischen doch sehr andersartigen Umfeld, ebenso geschätzt wie in vielen andern Nationalkirchen, was ihren transnationalen und damit öffentlichen Charakter unterstreicht. Freilich wurde umgekehrt die Confessio Belgica – und damit, was Dannhauer hier nicht eigens anführt, indirekt 140 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 70: „Apud Reformatos confeßiones publicae habentur, quas laudat Massonius anatom. Univers. part. I. c. 8 (quem Theologi Marpurgenses, in gründlicher Außführung wider die Casselsche Wechselschrifft in der Vorred p. 12 Christianum Becmannum esse opinantur).“ Dannhauer erwähnt hier Massonius Christoph [= Becmann, Christoph]: Anatomia Universalis, Oder Außführliche/ Deutliche/ und Vollständige widerlegung Des Büchleins von XVII. Articuln/ so D. Matthias Hoe vermehret/ Zum fünfften mahl drucken lassen und mit seiner vermeinten Verantwortung/ nothwendigen Beweiß/ und Triumphs/ weiter verthediget hat [. . .] / Der theuren warheit zum besten [. . .] gestellt/ Durch/ Christophorum Massonium, Marpurgk / Franckfurt am Mayn (Aubrius / Schleich), 1621. – VD17 3:312088P. 141 Wegele, Franz Xaver von: Art. Becmann, Christian, in: ADB 2 (1875), 240 f. 142 Salvard, Jean-François; Chandieu, Antoine de; Daneau, Lambert; Goulart, Simon; Bèze, Théodore de: Harmonia confessionum fidei, orthodoxarum, et reformatarum ecclesiarum, quae in praecipuis quibusque Europae regnis, nationibus, et provinciis, sacram evangelii doctrinam pure profitentur: quarum catalogum et ordinem sequentes paginae indicabunt: additae sunt ad calcem brevissimae observationes: quibus, tum illustratur obscura, tum quae in speciem pugnare inter se videri possunt, perspicue, etque modestissime conciliantur: et si quae adhuc controversa manent, syncere indicantur, quae omnia, Ecclesiarum gallicarum, et belgicarum nomine, subjiciuntur libero et prudenti reliquarum omnium, judicio, Genevae, apud Petrum Sanctandreanum, 1581. Zur Harmonia siehe: Geisendorf, Théodore de Bèze; Büsser, Freedom in Reformed; ders., Reformierte Katholizität; Higman, L’Harmonia confessionum fidei de 1581; Labarthe, Jean-François Salvard, ministre de l’évangile (1530–1585); Linder, The French Calvinist Response ot the Formula of Concord; Rait, Art. Jean-François Salvard; Dingel, Concordia controversa, 132–141.

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als deren Vorlage auch die Confessio Gallicana – von der Dordrechter Synode anerkannt, zudem auch der Heidelberger Katechismus von einer ganzen Reihe in Dordrecht präsenter Nationalkirchen offiziell eingeführt, und schließlich ebenfalls in Dordrecht die Institutio religionis christianae als Ausdruck eines gesamtreformierten Konsenses christlicher Orthodoxie geachtet. Das Maß an öffentlicher, übernationaler Zustimmung bildet also das Kriterium zu einer Art von innerreformierter Kanonbildung, wodurch die Schriftlichkeit Bevorzugung erfährt, nicht aber zum exklusiven Analysegegenstand konfessioneller Auseinandersetzung werden muss. Denn obschon darauf zu achten ist, dass nicht eine beliebige, auch oder gerade im gegnerischen Lager als nahezu heterodox oder zumindest eigenwillig betrachtete Stimme in der Auslegung der entgegengesetzten Konfessionen beigezogen wird, kann das Anliegen größtmöglichen Konsenses innerhalb der fremdkonfessionellen Partei auch für mündliche Äußerungen respektiert werden, wenn sie in einer für Oralität öffentlichkeitswirksamen Form vorgetragen werden. Faktisch bedeutet dies die Notwendigkeit eines synodalen Rahmens, so wie etwa die Dordrechter Synodalen sich nur über die öffentlichen Äußerungen der Remonstranten auszulassen wünschte.143 Sind diese ganzen Richtlinien zur Eingrenzung einer material korrekten Textbasis zum Zwecke der Ergründung der gegnerischen Prinzipien auch unentbehrlich, genügen sie in sich freilich noch keineswegs. Auch wenn die Quellen der gegnerischen Sätze als solche zuverlässig bekannt sind, kann nun nicht einfach wild in deren Gehege geholzt und geschnitten werden. Genauso entscheidend ist, dass jede Analyse auch in eine reguläre Form kommt.144 Principia aus andern Wissenschaften sind zurückzuweisen (was vor allem im Sakramentenstreit, aber auch in der Prädestinationsfrage und im Geschichtsbeweis eine eminente Rolle spielt), aber auch ein an sich richtiges, jedoch falsch ausgelegtes Prinzip muss als solches erkannt und zurückgewiesen werden. Schon auf der Ebene der Prämissen müssen daher die fehlerhaften unter ihnen erkannt und verworfen werden, was mit kon-

143 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 75. 144 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 83–85: „Analysis cùm formae in argumentando, quae liquidò patebit, ubi in numeros sus justumque syllogismum redigetur consequentia. [. . .] Fit autem ista ἀνάλυσις 1. principij μετα- βατικῶς depulsione, Si inquit Arist l. cit. c. 4. quae non est medicinae propria, videatur medicinae ese, aut geometrarum, quae non est, aut dialecticarum quae non est. 2. Principii falso expositi detectione, cum pseudhermeneia commissa est. 3. praemissarum vel alterutrius vel utriusque negatione. [. . .] videndum autem ut ea negetur quae ut falsa, neganda est: non altera. [. . .] 4. instantiae εὐλόγου, indubiae & tempestivae inductione [der Einwand muss nicht nur vorgebracht, sondern auch zweifelsfrei und sachgerecht begründet werden können]. 5. Distinctione“: Weil in einer Argumentation Falsches sein kann, muss sie deswegen nicht insgesamt falsch sein, wie auch umgekehrt. [. . .] „Denique [entspricht: 6.] limitatione, quâ quae amplè nimis ac liberaliter sunt deducta, in ordinem rediguntur.“

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sequenter Begründung und in differenzierter Weise zu geschehen hat. Schlussendlich sind die Resultate der ganzen Durchleuchtung einer oder allermeist mehrerer, ja oft und gerade auch bei Dannhauer fast durchweg zahlreicher, gegnerischer Konfessionsschriften oder funktional gleichwertiger theologischer Produkte in eine geordnete, gut fassliche und logisch stringente Form zu bringen. Als Beispiel für Analysen gegnerischer Bekenntnisse, die sowohl eine Vielzahl gegnerischer Konfessionszeugnisse einer strukturierten Verarbeitung zuführen als zugleich auch einer bereits gegebenen Superstruktur synthetischer Art gegenüberstellen, führt der Pädagoge und Publizist Dannhauer bereits hier die ὁδομωρίαι an. Da die beiden Schriften diesen Titels, von denen die eine den römischen Katholizismus, die andere den sogenannten Calvinismus analysiert, erst fünf und sechs Jahre nach der dialectica sacra erscheinen, muss sich diese Aussage vermutlich auf eine entweder mündlich in Vorlesungsform dargebotene oder vielleicht als internes Manuskript zirkulierende Vorpublikation beziehen. Doch auch Luthers Widerruf vom Fegefeuer wird empfohlen.145 Sind alle diese Konditionen erfüllt, kann es letztlich nur zur finalen Unterscheidung von wahr und falsch kommen, infolge deren die Wahrheit unweigerlich die Oberhand gewinnt,146 und als deren Anzeichen sich beim Gegner ein Verschanzen hinter einer petitio principii, das Eingestehen der Absurdität der eigenen Position und schließlich und endlich schlichtes Verstummen einstellen. Es verbleibt dem Autor, gegen Ende dieses ersten Teils in Entsprechung zum ersten Teil der Idea disputatoris, konkrete Ratschläge und vor allem Beispiele beizubringen. Die anempfohlenen Stratageme sind hierbei vergleichsweise rasch abgewickelt; es gilt unter anderem, den Gegner gegen wiederum andere Gegner auszuspielen oder sie auf schwieriges, ihnen nicht genehmes Terrain zu locken.147 Breiter Raum hingegen wird biblischen Beispielen gewährt, denn sie dienen als Exempla Disputationum sacrarum in genere. Dank ihrer ist nicht allein die faktische Praxis, mithin die Legitimierbarkeit und also Legitimität der Anwendung logischer Regeln zur Beweisführung mit und aus der Bibel gegeben. Auch die göttliche Akkommodation an unsere Natur, die auf mittels nachvollziehbarer Argumentation geführte Beweise angewiesen ist, wird durch die Häufigkeit, Beschlagenheit und Leidenschaft, mit der Jesus disputierte,

145 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 85: „Exempla Theologica hujus Analysεως edimus in hodosophiae parte oppositâ quæ est ὁδομωρίας. [. . .] Luthers Widerruf vom Fegfewer, Jenenser Werke Bd 5; fol. 135.“ 146 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 86: „Veritas obtinuit, conscientia velit nolitve est victa.“ 147 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 87: „Art. V. Artes & Stratagemata belli sacri“, mit Paraphrasierung von Auszügen aus S. 94 und 102.

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exegetisch und damit für die Maßstäbe der Orthodoxie auch unmittelbar christologisch, grundgelegt. So folgen nach einer Luthers Kommentar zum dritten Kapitel der Genesis entnommenen Analyse der bekanntlich misslungenen Disputation Evas mit der Schlange,148 sowie vor drei geographisch klassierten Gruppen von Disputationen des Völkerapostels,149 die prominenten Disputationen Jesu,150 ihrerseits nun ebenfalls in Gruppen aufgrund ihrer jeweiligen Standorte aufgegliedert. Die Disputationspraxis des Logos in Person ist dabei ardentißima,

148 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 106. In dieser [ebd.] Prima coitio, nämlich inter Evam & serpentem, ist die Thesis [106 f.]: Deus dixit, non comedetis ex omni ligno Paradisi. Sie ist so einfach und unmissverständlich, dass Satan dagegen nicht frontal, sondern im Modus der Frage vorgeht. Sollte Gott den Menschen denn etwas vorenthalten wollen? Er gelangt so zu einem verführerisch einleuchtenden Syllogismus: Was der so weisen Güte Gottes widerstreitet, hat Gott doch sicher nicht oder jedenfalls nicht so gesagt, ergo hat er auch dieses Verbot nicht so gemeint. Eva nimmt tapfer den Kampf auf und leugnet die minor. Sie wiederholt stattdessen das Gebot Gottes selber, und zieht daraus den korrekten Schluss: Da Gott nur einen einzigen Baum vom Reigen des Erlaubten ausnimmt, ist er zweifellos gut zum Menschen. Sie trifft also eine Unterscheidung, und wäre sie hier verblieben, hätte sie gesiegt. Tatsächlich aber stellt sie dennoch die Strafe zu dieser einzigen Ausnahme in Frage: Sollten wir vielleicht sterben? Damit fällt sie und mit ihr die Menschheit. Es ist das hebräische pen dubitationis, gleichsam die biblische Variante unfreiwillig angewandter Sophistik, das so viel Unheil ausgelöst hat. 149 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 195: DISPUTATIO D. PAULI DOCTORIS GENTIUM. Dargestellt werden in verschachtelter Darstellung zuerst die schriftlichen, also epistolarischen; danach die mündlichen Durchführungen: „[217] I. Damasceno-ThessalonicoCorinthiaco-Romana. Act. IX,22. c. XVII,2.&3. c. XVIII.4.5.28. c. XIX.8.9.c. XXVIII,23. [217] II. Atheniensis cum Philosophis Epicuræis & Stoicis in Areopago [218] quo tractus Apostolus ut ab eo & novæ doctrinæ ratio & pœna exigeretur. Actor. XVII, 16 & seqq. [229] III. Hierosolymitano Cæsariense, coram Claudio Lysia Tribuno & Felice Præside adversus Judæos Asiaticos, conjuratos, Judæorum Proceres Tertullo Rhetore interprete. Actor. XXI,28. c. XXIII, 6. & seqq. c. XXIV,1 & seqq.“ 150 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 114, gibt als Titel Disputationum Christi ΛΟΓΟΥ λογικωτάτου Analysis seu Methodus evoluta. [. . .]. Ab S. 135, über alle folgenden Seiten hinweg bis zum Ende des Kapitels, finden sich „Disputationum Jesu Christi exempla. [135] Disputatio I. Eremica. Matth. IV. 3sq. [139] II. Hierosolymitana prima cum Judæis Iohan. 12,18. [141] III. Hierosolymitana secunda cum Nicodemo Ioh. III,I & seqq. [142] IV. Sicharica cum muliere Samaritanâ Ioh. IV, 20 & seqq. [147] V. Capernaita prima, secunda, tertia, eaque trina cum Scribis, Pharisæis & discipulis Ioannis, Matth. IX Marc. II. Luc. [149] VI. Hierosolymitana tertia, cum Judæis & Pharisæis, quarta, quinta, sexta. IOH. V,17. Matth. XII,1 & seqq. Marc. II, 23. c. III,1,46. Luc. VI.I & 6. [158] VII. Maritima Galilaica. Matth. XII.23. Marc. III, 7. Luc. XI,15 cum Pharisæis & Scribis Hierosolymis adventantibus. [162] VIII. Urbica sive Hierosolymitana sive Capernaitica [. . .] cum Simone Pharisæo. Luc. VIII,37. [164] IX. Capernaitica. IV. Ioh. VI, 41. & seqq. [Verweisung auf die Μυστηριοσοφία] [164] X. Tyrosidonica cum muliere Cananæâ Syrophænißâ. Matth. XV, 21. Marc. VII, 24. [166] XI. Magdalana. cum Pharisæis & Sadducæis Matth. XVI, I. & seqq. [166.] XII. Hierosolymitana, septima, octava, nona, cum Iudæis, Scribis,

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accuratißima, Suavißima, Modestißima, Sapientißima, Iustißima, Felicißima & cum perpetuo triumpho coniuncta, exemplaris.151 Wichtig besonders die Suavitas Christi, denn ihr haben wir es zu verdanken, dass der Herr sich in συγκατάβασις auf die zu seiner Zeit gängigste Disputationspraxis einließ. Obschon er allein aufgrund seiner göttlichen Autorität seine Meinung hätte durchsetzen können, wollte er doch lieber durch die Seile menschlicher Argumentation Seelen zu sich ziehen. Christus wollte, um es wie Dannhauer mit der homilia 23 in Matthaeum des Origenes zu formulieren, durch die claritas, die glanzvolle Klarheit der Wahrheit selbst die Dinge einordnen.152 Außerdem gibt Christus natürlich allen seinen Jüngern, zu denen auch rheinländische Weihbischöfe gehören, ein Beispiel für die Art und Weise, in der auch wir die Wahrheit erkennen und weitergeben oder umgekehrt die Unwahrheit bekämpfen sollen. Auf diese Seite hin, in Richtung der konkurrierenden kirchlichen Glaubenssysteme, ist die in der dialectica sacra entwickelte Methode daher nicht nur stringent, sondern auch verhältnismäßig leicht anwendbar und infolgedessen unmittelbar einleuchtend.

3.3 Fazit und Ausblick Das Hauptziel der dialectica sacra war zwar veranlasst durch die unmittelbaren Gegner namens Walenburch, gestaltete sich letztlich aber vor allem als Fortführung der Argumentationslinie der epitome dialectica. Diese Argumentationslinie kommt ihrerseits bereits in einer breiten dialektikgeschichtlichen Linie von Straßburg nach Altdorf (und wieder zurück) zu liegen, nämlich der unbedingten Dissoziation von wissenschaftlichen principia einerseits und deren Anwendung im kontroverstheologischen und überhaupt im theologischen Geschäft andererseits. Dieses Hauptziel ruft nach einem der theologischen Wissenschaft geschuldeten Unterziel, oder vielleicht eher: einem zweiten Hauptziel, nämlich der präzisen Bestimmung der Principia für die Theologie. Dannhauer unterscheidet hierbei sehr klar zwischen der wahren Religion seiner eigenen Kirche

Pharisæis. Iohan. VII, VIII, X. [174] XIII. Ænonia gemina cis aut propter Jordanem (Ioh. 10,40) in finibus Judææ Matth. XIX,1. [178] XIV. Hierosolymitana quina, eaque quasi catenata, decima, undecima, duodecima, decimatertia, decimaquarta.“ 151 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 114–135, als Punkte I. bis VII., jeweils mit ausführlicher Kommentierung. 152 Dass das von Dannhauer zitierte Verb des Origines ἐπιτομίζειν an das in der Methodendiskussion so prominente ὀρθοτομίζειν in 1. Tim 1,9 und damit an Melanchthon erinnert, dürfte wohl keinen Zufall darstellen.

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und den ungenügenden bis ketzerischen Glaubensständen seiner beiden konfessionellen Konkurrenzkirchen. Von Seiten des eigenen, lutherischen Glaubens her ist das alleinige Prinzip ihrer Theologie die Heilige Schrift, Quelle der Offenbarung und damit der Wahrheit selbst. Dass keine direkte Ableitung aus der Schrift in die konkrete theologische Arbeit möglich ist, wie die Gebrüder Walenburch zu Recht unterstreichen, tut diesem Sachverhalt keinen Abbruch. Dannhauer folgt hier Zabarella, der es für zulässig erklärt, dass der Mittelterm eines Syllogismus auf ein Prinzip rekurriert, das von demjenigen der major differiert. Die Rede von theologischen Artikeln, die aus den Prinzipien abgeleitet werden können, ist wohl auch aus diesem Grund auf der Ebene der Theorie bei Dannhauer gering; aber auch die Rede von Konfessionen oder gar autoritativen Konfessionssammlungen bleibt auffallend spärlich. Konfessionen finden sich bei den Konkurrenten, den Katholiken und vor allem den Reformierten, dort dann freilich in Hülle und Fülle, ja in solcher Überfülle, dass ein Teil der kontroverstheologischen Arbeit der themengerechten Eingrenzung dieser Masse bestehen muss. Doch nicht nur in der Auffindung eines autoritativen Kanons an konfessioneller Literatur ist große Sorgfalt in der Bestimmung des Sinns der fremden Konfessionen geboten. Eine eigentliche Konfessionshermeneutik ist auch für die Interpretation dieser Konfessionstexte oder ihrer interessierenden Passagen geboten. Die logische Arbeit im eigentlichen Sinne, die von Prinzipien in einem sozusagen abstrakten oder generellen Sinne ausgeht, und die Arbeit am Text, der diese Prinzipien birgt, werden einander hier denn auch stark angenähert, um nicht zu sagen, sie werden hier miteinander verschmolzen. Am auffallendsten erscheint diese Hybridisierung darin, dass Dannhauer die unsaubere oder bewusst unsachliche Arbeit an dem die gegnerische Prinzipien bergenden Text als pseudhermeneia bezeichnet, als falsche, übelwollende Hermeneutik. Dieser Terminus, der die sozusagen sophistische Variante des regulären hermeneutischen Geschäfts zum Ausdruck bringt, taucht mitten unter den Anweisungen zum genauen Umgang mit den Principia des Gegners auf: 2. Principii falso expositi detectione, cum pseudhermeneia commissa est.153 Zwar ist die logische Brücke auch insofern bereits in den frühen Schriften Dannhauers zur Interpretationslehre gegeben, als dort die Rückführung von literarischem Textfluss auf logische Sätze als allererste Forderung überhaupt aufgestellt wird.154 Zudem kann Dannhauer den Begriff Pseudhermeneia zwangslos schon um 1640 in theologischem und indirekt

153 Vgl. oben, S. 178, Anm. 144. 154 Die Forderung, im zu untersuchenden Text logische von nichtlogischen Sätzen zu unterscheiden, stellt faktisch nicht mehr als eine kognitive Voraussetzung zur ersten Handlungsanleitung der Umwandlung letzterer in erstere dar.

3.3 Fazit und Ausblick

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konfessionshermeneutischem Kontext, nämlich in der Christosophia, verwenden.155 Selbst die Überprüfung des theologischen Gehalts biblisch fundierter Axiome kannte die protestantische Literatur des späteren 16. Jahrhunderts schon längst.156 Doch während in diesen früheren Passagen Dannhauers und anderer

155 Χριστοσοφια, DWV 88, Sect. I., Artic. I, p. 14: „Cavenda tamen hîc duo sunt peccata, quorum 1. est calumniæ. cum per ineptam ac sophisticam consequentiam & Pseudherminiam terminorum opinio tribuatur ei, qui cum disputatio intercessit, quà nostra sententia de Christo & fidei articulis aliis à Calvini sectatoribus hodie num oneratur maximè in doctrinâ de majestate omnipotentiæ Christo homini communicata portentosæ alicujus Ubiquitatis commento infamatâ, quâ de re suo loco.“ 156 Dies wird ersichtlich etwa in der gesamten Gedankenführung des zweiten Teils des Organonkommentars des Claude Aubéry, Morges 1584, 348: „ACROAMATICAE SIVE APODICTICAE TRACTATIONIS EXEMPLVM ALTERVM: HOC EST, ORATIO APODICTICA, DE PRINCIPIIS THEOLOGICIS, QVAE SVNT Anticipatae Notiones, ex quibus omnis Apodictica Tractatio in Theologia existit.“, mit den Ausführungen 352–354: „Quamobrem, quoniam sunt principia huiusmodi in Theologia: esse Theologica PRINCIPIA, & THEOLOGICAS NOTIONES ANTICIPATAS necessariò fatendum est. Praeterea, non possum non mirari, cur istis Principiorum Theologicorum hostibus non veniat in mentem sententiae illius praeclarae, quam initio prioris libri Posteriorum Analyticωv Aristoteles adhibet, vt probet esse primordia & quasi carceres quosdam scientiae, doctrinae, & tractationis cuiusuis. Omnis doctrina, inquit, Omnis disciplina, quae ratiocinatione constituitur, & absoluitur, ex anticipatis notionibus existit. Quascumque enim inducas doctrinas, vel disciplinas, vel tractationes, comperies eas omnes ex anticipatis notionibus semper existere. At fatebuntur fortasse, esse quidem in Theologica Anticipatas Notiones tales, quales sunt illae, quibus ESSE REM, & QVID VOCABVLO siue NOMINE REI SIGNIFICETVR, intelligimus: vt quum ESSE DEVM, & QVID VOCABVLO DEI SIGNIFICENTVR, intelligimus: sed quod attinet ad Axiomata siue Effata, quibus ITA ESSE, VT ENVNCIATVR, intelligimus: esse in Theologia huiusmodi Anticipatas Notiones audacter negabunt. Nec mirum si in Theologia Axiomata Theologica non animaduertunt. Nam ex decies mille doctoribus tanti supercilij tantaeque confidentiae, vix, ac ne vix quidem, vnum inuenias: qui, Quid sit Axioma Analyticum, & ex quibus constet, intelligat. Itaque mecum rogabitis istos atque orabitis, Auditores, patiantur se doceri Quid sit AXIOMA. Breuiter & perspicuè declarabimus QVID SIT AXIOMA ANALYTICVM, vt tandem aliquando quanto in errore versentur, isti agnoscant. Axioma Analyticum est propositio Analyica, in qua redditur summa & suprema ratio διότι quamobrem Attributum Subiecto insit. Exempli gratiâ: Propositio haec: Omnes ij quos Deus absoluit, sunt absoluti peccato: est Axioma Theologicum. Habet enim Rationem summam & supremam, quamobrem Omnes ij qui sunt in Iesu Christo sunt absoluti peccato. Quae caussa est summa: est Axioma Theologicum. Habet enim Rationem summam & supremam, quamobrem Omnes ij qui sunt in Iesu Christo sunt absoluti peccato. Quae caussa est summa & suprema, quamobrem ij omnes qui sunt in Iesu Christo, sint absoluti peccato ? Nempe quia Deus eos absoluit. Et quoniam Axiomate Analytico Ratio summa & suprema redditur, quamobrem Attributum insit ei subiecto cui tribuitur: perspicuum est Axioma Analyticum non posse demonstrari alia ratione Analytica superiore. Nam si ratio superior adhiberi posset, non esset Axioma. Iccirco Axiomata Analytica declarantur Inductionibus: non autem demonstrationibus siue rationibus διότι. Porrò si quis Conclusiones Theologicas siue Ratiocinationes CHRISTI, & APOSTOLORVM perscrutetur penitus: comperiet

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von logischen oder theologischen Sätzen in allgemeiner Form die Rede war, wird hier nach Prämissen gesucht, denen Letztbegründungscharakter zukommt. Konfessionshermeneutik ist darum nicht allein als Textauslegung logische Arbeit, so wie alle Textauslegung bei Dannhauer ohnehin der Logik zugehört. Sie ist zudem auch als Textauslegung Prinzipienhermeneutik, so wie alle theologische Arbeit unter aristotelischen Wissenschaftsvoraussetzungen als Prinzipienhermeneutik bezeichnet werden könnte. Es geht darum, in theologisch normativen Quellen, im vorliegenden Falle den Konfessionen, sowohl logisch bearbeitungsfähige wie zugleich auch kirchlich beglaubigte Prinzipien einwandfrei aufzufinden, um sie anschließend analysieren, und das heißt hier zumeist widerlegen, zu können. Heuristik, Hermeneutik und Analytik geben sich hier die Hand und verschmelzen praktisch zu einem fortlaufenden, in seinen einzelnen Abschnitten nur noch virtuell unterscheidbaren Arbeitsablauf. Die consequentia justa, das erklärte Ziel des formal korrekten und darum auch inhaltlich legitimierten Syllogistikers und die Abwehr der Pseudhermeneia finden sich daher explizit auf derselben logischen Ebene.157 An sich ist diese Gleichung durchaus auch umkehrbar. Auch das principium der wahren Theologie kann analysiert werden, wenngleich nicht direkt auf das Ziel einer wahr-falsch-Unterscheidung hin, wie dies bei der Abwehr der fremdkonfessionellen Textcorpora ja für nötig erachtet wird. Die Heilige Schrift soll auf ihren scopus, auf das in ihr von Gott mitgeteilte Ziel, auf unser Heil in der Gemeinschaft mit Gott hin analysiert werden. Darin besteht die Methode der Dannhauerschen und generell der lutherischen Theologie zur Zeit der Orthodoxie, dass durch sie die ὁδὸς, die via, von den recht unsortierten und ungezählten Anweisungen in der Sammlung der Texte und Bücher im Buch der Bücher ausgehend zu einer geordneten, methodischen Reise zum Ziel des menschlichen Lebens ermöglicht wird. Diese Methode stellt also sowohl eine theologische Erkenntnismethodik wie

nullam esse quae non nitatur axiomate Theologico, cui si quis refragetur, prorsus sit ἀθεόλογος. Sed isti δι’ ἀπαιδευσίαν ἀναλυτικῶν axiomata Theologica non possunt distinctè agnoscere. Quinetiam rursus isti occurrunt nobis, dicentes, axiomatum Theologicorum habitu & intelligentia animales homines non esse praeditos. Nos vim naturalem, per quam homines naturâ apti sint ad percipienda axiomata Theologica, nempe talem, qualem inesse dicimus illis qui nati sunt ad Musicam aut ad Poëticam, omnibus hominibus animalibus detrahimus, nedum habitum axiomatum Theologicorum tribuimus: vt ex iis que dicemus infrà, perspicuum fiet. At nihilominus sunt axiomata Theologica. Neque enim, propterea quod caeci non vident, esse lucem, aut esse Solem negabimus. Si axiomata sunt in subiecto lubrico, incititatque facilè in procliue labuntur: non propterea non sunt axiomata.“ 157 Polemosophia seu dialectica sacra, DWV 112, 77 f.: „Dico autem consequentia I. Iusta, ad differentiam ineptae & sophisticae consequentiae, & pseudhermeneiae terminorum, è quâ fit, ut per calumniam opinio tribuatur ei, qui cum disputatio intercessit, quae ei in mentem, ne per somnium quidem venit.“

3.3 Fazit und Ausblick

185

letztlich auch eine materiale Präsentation unseres praktischen Lebensweges dar, was schon alleine aufzeigt, wie hoch reflektiert sie erarbeitet wurde. Freilich stellen sich hier zwei Probleme, die zu denen der Hermeneutik oder Analytik fremdkonfessioneller Texte letztlich parallel verlaufen. Zum einen ist wie in den konfessionellen Textcorpora, zu denen natürlich faktisch auch die ganzen lehramtlichen Entscheidungen des römischen Heiligen Stuhls über die Jahrhunderte hinweg gezählt werden können, die von der Heiligen Schrift angebotene Stoffmenge nahezu unerschöpflich. Sie ist es faktisch noch mehr unter den Bedingungen der Zeit, in der Johann Conrad Dannhauer seine dialectica sacra verfasste, nämlich in eben dem Jahr, das einen Jahrzehnte anhaltenden Krieg beendete, einen Krieg, der nebst so vielem anderen auch zahllose pädagogische Bemühungen verunmöglichte oder doch stark abbremste. Analphabeten bildeten eine starke Minderheit, und auch die lesefähigen Bevölkerungsteile fanden kaum alle die Zeit, Muße und geistige Spannkraft, die ganze Heilige Schrift zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn wirklich zu studieren. Wenn nun aber Dannhauer immer wieder und in sicherlich aufrichtiger und ehrenhafter Weise betont, dass zwischen dem Glauben der Berufsausleger der Bibel und dem Glauben jedes beliebigen Christenmenschen ein nur gradueller, keinesfalls aber ein wesenhafter Unterschied bestehe, musste dem Laien ein Zugang zum alleinigen Grund und principium dieses seines Glaubens genauso offen stehen wie den gelehrten, vielsprachigen, mit allen Hilfsmitteln und Netzwerken der intellektuellen Elite ausgerüsteten Spitzenexegeten (von denen jene an der Straßburger Universität national und international einen besondern guten Ruf genossen, namentlich Sebstian Schmidt158). Mehr noch, nicht allein dem nichtprofessionellen und vielleicht sogar nicht einmal alphabetisierten Lutheraner musste ein Zugang zur Bibel überhaupt geboten werden, jeder Laie musste konsequenterweise auch einen Zugang zur gesamten Schrift bekommen. Es galt so mit neuer Dringlichkeit, nicht nur auf der Ebene des theologischen Postulats, sondern auch in der praktischen Durchführung, aufzuzeigen, dass dieses ambitiöse Ansinnen nicht schlichtweg illusorisch blieb, und dass auch unter diesem Gesichtspunkt der Protestantismus, wie Adrian und Peter van Walenburch bemängelten, eine reine Elitenreligion darstellte. Zu diesem sozusagen quantitativen Aspekt gesellt sich ein mehr inhaltlich, sozusagen qualitativ, zu fassendes Problem, das dem Charakter der Analyse als solcher entsprang. Wenn eine Analysis stets den Vorzug des angemessenen Verständnisses eines Satzes – oder in ihrer mehr hermeneutisch gewandten Spielart, die Interpretation eines Textes – gegenüber einer falschen Lesart aufzuzeigen

158 Vgl. hierzu Jacob, L’œuvre exégétique d’un théologien strasbourgeois du 17e siècle.

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3 Dannhauer als Theologe: Dialectica sacra (1648)

hatte, wie war dann eine Analyse der textlichen Form des theologischen Prinzips, mithin der Wahrheit in sich, überhaupt vorstellbar? Die Wahrheit als solche scheint unhinterfragbar und darum unanalysierbar. Die Lösung dieser beiden Probleme geht Hand in Hand, ja sie verschränken sich bei Dannhauer im Grunde zu einer wechselseitigen Bedingung ihrer Möglichkeit. Zum ersten, quantitativen Probem, hatte bereits die Entwicklung einer konfessionellen lutherischen Pädagogik, mithin die „Tradition“ eine Lösung angeboten, die von Dannhauer in besonders emphatischer Weise aufgegriffen wurde. Dass als theologisches principium das Wort Gottes in seiner Überlieferung als Heilige Schrift fungiert, wird hier nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil dadurch unterstrichen, dass von ihr auch eine verdichtete, praktisch oder funktional aber gleichwertige Form, diejenige des Kleinen Katechismus Luthers, exisiert. Prinzipienanalyse oder –hermeneutik ist somit in zwei Varianten, einer fachtheologischen wie auch einer volkstheologischen oder eben katechetismusexegetischen, durchführbar. Zugleich aber ist diese Verdichtung in Form des Katechismus schrittweise aufgebaut, indem seine Struktur entlang den Artikeln von Schöpfung, Erlösung und Heiligung nichts anderes als den Glaubensweg der Christen darstellt. Wer ihn begeht, wählt den richtigen Weg, wer ihn verwirft und anderen Wegen folgt, den Weg ins Verderben. Damit ist eine Lösung auch zum mehr inhaltlichen Problem der Prinzipienhermeneutik gegeben. Letztlich konnte eine Analyse des Heils in Gott nur dann Sinn gewinnen, wenn ihr die Alternative einer irrigen Interpretation des Heils gegenüber gestellt wurde, denn ohne wahrfalsch-Unterscheidung ist eine irgendwie geartete Analyse zumindest neoaristotelisch nur schwer denkbar. Da jedoch die Irrtümer in Bezug auf das Heil und die Wahrheit Gottes in der Analyse der Fremdkonfessionen bereits ausführlich aufgespürt und dargestellt werden, erfährt die Alternative in der Analyse der wahren „Konfession“ eine stärker existentielle Fassung. Das Ziel des Heils kann, selbst wenn es rein intellektuell begriffen wird, existentiell dennoch verkannt oder verworfen werden, was in beiden Fällen einen Abweg, einen falschen Weg darstellt, den es analytisch zu erkennen und so zugleich vom Weg der Wahrheit zu trennen gilt. Diese hier in aller Vorläufigkeit skizzierten Lösungen sind nun einzeln ausführlich in ihrer konkreten Durchführung im Dannhauerschen Werk darzustellen. Die der klassischeren Variante folgende Lösungspräsentation, die das Prinzipium der Theologie mit der Schrift in ihrem Gesamt ineinssetzt und sich stärker an formal qualifizierte Theologen richtet, die sog. Wege-Trilogie, wird hierbei zuerst beleuchtet (Kap. 4). Die verdichtete Darstellung der Wahrheitsanalyse aufgrund des verdichteten Prinzipiums des Kleinen Katechismus in der

3.3 Fazit und Ausblick

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Catechismus-Milch erfolgt anschließend (Kap. 5). Deren Ausgestaltung weist jedoch mit jener der Wege-Trilogie nicht nur inhaltlich und chronologisch starke Überschneidungen auf, sondern gab Dannhauer trotz der anderslautenden Generalmetapher „Milch“ in seiner gewaltigen Predigtsammlung vermutlich auch den Anstoß, das Bild des Weges zum Angelpunkt seines theologischen Schaffens überhaupt schon ab den früheren dreißiger Jahren werden zu lassen.

4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis: Die Trilogie der Wege-Schriften (1648–1654) Nachdem Dannhauer 1648 in der dialectica sacra ein einfaches, transparentes Regelwerk zum theologischen Gebrauch seiner allgemeinen Dialektik veröffentlicht hatte, lieferte er bald darauf ein anschauliches Beispiel von, und indirekt auch zu, dessen konkreter Anwendung. In den Jahren 1649, 1653 und 1654 erschienen zu diesem Zweck drei Schriften, die, wie bei Dannhauer fast immer, in Straßburg verlegt wurden, die ersten beiden bei Spoor, der dritte bei Johann Peter ab Heyden. Als jeweils unabhängige Teilschrift lesbar, bilden sie doch eine Trilogie, deren Teile sich wechselseitig ergänzen und einander letztlich zum vollen Verständnis bedingen. Dies zeigt schon ihre (auf der Ebene der gewählten Metaphern) quasi-emblematische Titelgestaltung, in der antithetisch eine weibliche Hypostase zwei terminologischen Stiefschwestern gegenüber gestellt wird, nämlich die Hodo-Sophia, also die Wegweisheit, je einer HodoMoria, einer sozusagen verdoppelten Weg-Torheit. Diese antithetische Parallelität reiht sich ein in eine ganze Serie entgegengesetzt sich entsprechender Betitelungen von Werken Dannhauers, die von den logisch-methodologischen Frühschriften bis hin zu den reifen theologischen Werken führt. Parallelität kann dabei einerseits im Titel eines in sich dialektisch konzipierten Werkes auftreten. Sie kann aber auch als Entgegensetzung der Titel zweier autonom publizierter Buchpublikationen erscheinen. Eine (für jede Zeile von links nach rechts zu lesende) Übersicht führt dies unschwer vor Augen.1 Schema 7: Antithetische Titelgestaltung zentraler Werke Dannhauers in Auswahl. Antithetische Titelgestaltung: A. Logik und Methodologie Idea boni disputatoris exhibens artificium, non solum rite et strata gematice disputandi

Straβburg (Glaser) .

1 Oδοσοφια christiana, DWV 120. https://doi.org/10.1515/9783110644593-004

et malitiosi sophistae, sed fonts solutionum aperiens, equibus quodvis spinosissimum sophisma dilui possit,

4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis

189

Schema 7 (fortgesetzt ) Antithetische Titelgestaltung: A. Logik und Methodologie Idea boni interpretis quae verum sensum in omnibus auctorum scriptis ac orationibus docet, et plene respondet ad quaestionem “Unde scis hunc esse sensum,

et malitiosi calumniatoris obscuritate dispulsa, a falso discernere

non alium?”,

Omnium Facultatum Studiosis perquam utilis, Straβburg (Glaser) . Antithetische Titelgestaltung: B. Theologie und Polemik Christosophia seu sapientiarum sapientia de salvatore Christo, ejus persona, officio, beneficiis, Straβburg (Mϋlbius) .

Antichristosophia seu revelatio antichristianismi generalissimi, subalterni, specialissimi etc., Straβburg (Mϋlbius) .

Mυστηριοσοφία seu doctrina de sacrmentis ecclesiae θετικῶς tractate, Straβburg . Hodosophia christiana sive Theologia positiva in certam, plenam et cohaerentem methodum redacta, ordinariis ac publicis dissertationibus Argentorati proposita,

Straβburg (Spoor) . Mysterium syncretismi detecti, et symphonismo compensati, Straβburg  Reformirtes Salve und Frieden-Gruβl

et àνθετικῶς

Hodomoria Spiritus Papæi, duodecim Phantasmatis, Academica Parrhesia ac Philalethea detecti ac examinatic, Straβburg (Spoor) .

Hodomoria Spiritus Calviniani, duodecim phantasmatis, Academica parrhesia ac philalethea detecti et examinati, Straβburg (ab Heyden), .

proscripti

Auff die Prob gestellt, und mit einem Trewhertzigen ChristEvangelischen Wider-Gruβ beschencket und beantwortet,

190

4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis

Schema 7 (fortgesetzt ) Antithetische Titelgestaltung: B. Theologie und Polemik Straβburg (Städel) . Illex pacis ecclesiarum sanctae, illex, gladius Spiritus Straβburg (Staedel) .

et obex obex, lex Mahometica, ejusque parallela

Dass ein die inhaltliche Position vertretendes, sozusagen synthetisches Werk einen Titel führt, dem antithetisch die Titel von gleich zwei mit der korrespondierenden Negation beschäftigten Analysen in vollkommener Umkehrung entsprechen, ist freilich einzigartig, und stellt eine – entweder gewollte oder jedenfalls später so nicht mehr angestrebte – Spitze in dieser bio-bibliographischen Entwicklung dar.

4.1 Apodeixis als Anordnung: Der Ablauf der Trilogie Innerhalb der Bände sticht die wechselseitige Ergänzung und faktische Verständnisvoraussetzung der drei Teile der Trilogie schon in den jeweiligen Eingangsabschnitten der zwölf Kapitel oder Phaenomena (in der Hodosophie) respektive Phantasmata (in jeder der beiden Hodomorien) ins Auge, welche die Grundlage für die anschließende in Kommentarform vorgehende Verarbeitung des Materials vorgeben. Diese sentenzenhaft gestalteten, wohl nicht zufällig nahezu bekenntnishaft auftretenden und wohl auch nicht zufällig in der apostolischen (freilich nirgendwo, soweit ich sehe, explizit besprochenen) Zwölfzahl verfertigen Paragraphen sind Satz für Satz perfekt antithetisch parallel gestaltet. Allen drei Teilen ihr inhaltliches und damit auch textliches Gerüst gab dabei die unter ihnen erstveröffentlichte Hodosophie, die wie in der Zeit üblich von Professor und Studenten gemeinsam erarbeitet worden war. Die Einblattseite aller bis ins 18. Jahrhundert hinein erschienenen Auflagen nennt sämtliche Nomina D[omi]n[orum] Studiosorum, qui hanc Hodosophiam publicè defenderunt. Siebzehn Studenten wirkten bei der Abfassung des als dißertationes gehaltenen öffentlichen Erstvortrags der Hodosophie mit.2 Welchen Anteil sie mengenmäßig oder inhaltlich dabei hatten, ist redak-

2 Oδοσοφια christiana, DWV 120, *4verso, Vier dieser Studenten stammen aus Ulm, drei aus Straßburg, je einer aus Simmelsberg bei Nürnberg, Würzburg in Franken, Lindau, Emmendin-

4.1 Apodeixis als Anordnung: Der Ablauf der Trilogie

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tionsgeschichtlich nicht einfach, vermutlich letztlich unmöglich zu bestimmen. Eine arbeitsteilige Abfassung einer Disputation oder einer Disputationensammlung, als die auch die Hodosophie in einer Art imposanter Luxusausführung zu sehen ist, durch einen oder mehrere Studierende und den zu guter Letzt dann in eigenem Namen publizierenden Professor, war gängige Praxis. Gewiss ist natürlich, dass Dannhauer den Inhalt seinerseits vollumfänglich professoral autorisierte sowie durch die faktische Zensurbehöre, also seine eigene Fakultät, absichern ließ. Da der Text der Hodosophie insgesamt einen sehr homogenen Eindruck macht, scheint es zudem wahrscheinlich, dass er als Lehrstuhlinhaber zum wenigsten die Endredaktion, mit größter Wahrscheinlichkeit von Beginn weg auch die ganze Planung und Gestaltung des Bandes übernommen hatte. Für die beiden Hodomorien trifft dies noch in erhöhtem Maße zu. Wie wir noch sehen werden, deklinieren sie beide jeweils nur ganz wenige prinzipienelenchtische Grundthemen durch sämtliche Artikel durch. Ohnehin sind hier keine Mitarbeiter genannt. Es scheint sich bei den beiden Folgebänden also eher um rein literarische Veröffentlichungen zu handeln, die zwar möglicherweise als einfache Vorlesungen, aber vermutlich nicht als dialogisch organisierte, solenne Veranstaltungen eine mündliche Vorpublikation erfuhren. 4.1.1 Wegweisheit (Hodosophia) Das methodo- und zugleich theo-logische Grundschema der Hodosophie ist denkbar einfach. Aus der Heiligen Schrift wird das Licht der Offenbarung dem gefallenen Menschen durch die Kirche vermittelt und führt ihn rettungsmächtig zum Ziel im Genuss des höchsten Gutes binnen der ewigen Schau Gottes. Der dem Straßburger Späthumanismus und dessen Idealen auch nach dessen Ausklang innerlich verbundene Dogmatiker scheut sich im Bestreben, ein eingängiges und möglichst klassisches Bild zu geben, keineswegs, die Rückkehr der Christen zu Gott mit derjenigen des Odysseus nach Ithaka in Parallele zu setzen.3 Die Hodosophie, die Wegweisheit, ist dabei nichts anderes als die heilige Theologie selber. Dies wird in zwei eingangs gegebenen Definitionen verdeutlicht, wobei deren erste diese Identifikation von außen beleuchtet, während die zweite gen im Breisgau, Heilbronn, und Augsburg, zudem befinden sich unter ihnen ein „StrelaSilesius“ und ein „Epperisino-Ungarus“. 3 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 12 (definitio): „Ad patriæ cœlestis (in Adamo amissæ ac ignotæ: sed in lumine hodosophico monstratæ, depictæ, celebratæ, ut flagraret homo amissi boni recuperatione, ac, ut sua cubilia ferae, nidos aves, suam patriam Ithacam Ulysses: Ita homo πολίτευμα cœleste consectaretur, futuram animo agitaret civitatem) beatitudinem in summi boni, Dei, fructu constitutam, ac salutem animarum suavi ductu reducit.“

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4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis

sie als bereits gegebene entfaltet.4 Es wird also zunächst eine Art ausführlicher Vordefinition geboten, die vor allem dazu dient, die Wahl der Wegemetapher für ein so bedeutendes Unternehmen wie die positive Darstellung der christlichen Theologie zu rechtfertigen, indem sie ihre Vorzüge anderen möglichen Methoden gegenüberstellt. Die zweite und eigentliche Definition geht im Schema der Darstellung der Phaenomena selber vor, denen sie streng genommen noch nicht angehört. Sie lässt daher einem thetischen Hauptparagraphen kommentierende Einzelbestimmungen seiner Sätze folgen, ohne deren Berechtigung als solche zu reflektieren, da sie als solche gesetzt sind. Keineswegs also stellt sie die Hodosophie als partikuläre Methode und die Möglichkeiten ihrer Darstellung auf einer Metaebene andern möglichen Methoden und deren Darstellungen komparativ gegenüber. Dies mag damit zu tun haben, dass Dannhauer von den Vorzügen zumindest der analytischen Methode als solcher so überzeugt war, dass sie ihm als selbstverständlich erschien, so dass höchstens noch die bildliche Weise ihrer Darstellung einer Reflexion bedurfte, also die Wahl der Wegemetapher im genauen Sinne. Die erste, gleichsam meta-definitorische Bestimmung trennt zu diesem Zweck, dem üblichen Verfahren nach den Zweiten Analytiken folgend, Existenz und Essenz der Hodosophie. Das quod sit der Möglichkeit eines Weges zu Gott bezeugt uns unser Gewissen, wie der Autor durch einen Verweis auf seine eigene Theologia conscientiaria, seine freilich erst nach der Hodosophia veröffentlichte Ethik, klar macht. Das quid sit5 der Hodosophie hingegen ist schlicht ihr Name, dessen Erklärung allerdings jener der theologischen Methode entspricht. Sie ist daher, genau wie die Methode, jeweils in höchstem Maße heilig, zweckmäßig und wohlgeordnet (sanctissima, aptissima, ordinatissima). Heilig ist die Wegweisheit, weil sie in der Schrift, die unzählige Male vom Weg des Menschen mit Gott spricht, durch Tausende von Exempeln gedeckt wird. Zweckmäßig ist die Wegemethode,6 weil sie durch ihren Gleichnischarakter zu gefallen weiß, was Dannhauer durch eine lange Parabeltheorie entfaltet. „Wohlgeordnet“,7 oder, moderner formuliert: perfekt durchstrukturiert ist sie, weil sie den gesamten Stoff ohne Unterbruch von Anfang bis Ende in konsequenter und ebenmäßiger Weise zur Durchführung bringt. Zwar gibt es, so wird konzediert, viele andere Darstellungsweisen für die Theologie, architektonische, bildnerische, sportliche aus dem Gebiet des Wett-

4 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 2. 5 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 2: „Nomen HODOSOPHIA est, sive Sapientia vialis, quo simul methodi ratio, quæ hîc tenebitur, insinuatur.“ 6 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 2–4. 7 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 4: „Est denique hæc docendi ratio Ordinatissima, ac ordinis instituendi dux & magistra, quæ per seriem figuræ totam machinam à funda ad fastigium usque sine hiatu aut deformi struma deducit.“

4.1 Apodeixis als Anordnung: Der Ablauf der Trilogie

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laufs, Ringens, Werfens. Sie alle mögen ihre Berechtigung haben. Dannhauer aber zieht die figura viatoria, das Bild des Weges, das zwangsläufig auch ein analytisches ist, allen andern vor, weil es überaus häufig in der Schrift vorkommt. Die Patriarchen in ihren Zelten als „Pilger“ (Nomaden), die Israeliten auf dem Weg durch die Wüste auf der Suche nach Kanaan als dem heiligen Vaterland, die Königin von Aethiopien, die Magier aus dem Morgenland, der äthiopische Eunuch, der Erlöser mit seinem Beispiel und Blut, die Apostel mit ihrem unsteten Leben, der Spitzenapostel Paulus als Zeltmacher; schließlich auch die Väter der Kirche als materiell und vor allem geistlich außerhalb der menschlichen Gemeinschaft Wandernde: Sie alle verweisen uns auf das Unterwegssein als die effektivste, ja die absoluteste Methode der Gottesfindung. Diese Methode ist daher – wie Dannhauer mit einem Bildvergleich des wie von vielen Zeitgenossen so auch von ihm verehrten Justus Lipsius (1547–1606) und damit auch mit einer außerbiblischen Autorität erläutert – wie Bausteine, die so wundervoll zusammen passen, dass sie den Anschein haben, nicht zusammengefügt geworden, sondern zusammengefügt schon entstanden zu sein. Gott selber schließlich wird in der Schrift als ΟΔΟΣΟΦΟΣ, genauer gesagt in Sap. Sal. 7, 15 als σοφίας ὁδηγὸς, betitelt, wie auch Christus der Weg genannt wird. In einem zweiten Zugang innerhalb dieser Vor-Definition, der formal als Exkurs gehalten ist, begründet Dannhauer die Wahl der Methode mit den bekannten wissenschaftstheoretischen Argumenten im Sinne Zabarellas und seinen eigenen logischen Schriften, die an diesem präzisen Orte nicht erwähnt, ansonsten jedoch durchaus zitiert werden.8 Er fügt unter Anspielung auf Heb 1,1 hinzu, dass Gott in der Schrift nicht nur einfach eine einzige, evidente Methode mitteilt, sondern die Offenbarung πολυμέρως καὶ πολυτρόπως gestaltete, um den Menschen zu eigener, heilsamer Ordnungsarbeit anzuregen, so wie uns auch das Buch der Natur höchst vielfältige, anscheinend planlose, in Wahrheit aber sehr strukturierte Elemente aufzeigt, die es herausfinden gilt. Aus diesem Grund gab Christus der Kirche Doktoren, die dieses Strukturierungs- oder Ordnungsgeschäft vorzunehmen in der Lage sind, und damit die Gabe der Lehre. Dabei sollen die Lehrer sich der göttlichen Gabe des Syllogismus, die Aristoteles uns gibt, keinesfalls schämen. Dessen Spuren erscheinen ja in der Schrift selber, vor allem im Römerbrief, wo der Apostel vom gefallenen Menschen ausgeht und zu dessen Rettung hinführt, indem er die diversen dazu nötigen Mittel aufzeigt; genauso wie auch die Hodosophie, die als Ausgangspunkt die Offenbarung, als Mittel zum Zweck (finis ᾧ) die zu rettende Kirche, und Endzweck den Genuss des höchsten

8 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 320, etwa kann Dannhauer ohne Scheu auf sein Collegium psychologicum verweisen, 415 auch auf die Polemosophie.

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4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis

Gutes aufzeigt. In einem Punkt unterscheidet sich die Hodosophie beziehungsweise Theologie dabei von allen andern Wissenschaften, die die Vernunft als ihr Erkenntnisprinzip aller ihrer Arbeit voraussetzen. Die Theologie setzt ihr Prinzip, das Licht der Schrift, nicht als Grundlage voraus, sondern bringt sie umgekehrt in ihrer Arbeit richtig zum Vorschein zum Wohle des Menschen. Es erscheint somit auch in der Summe dieser beiden Begründungen, der biblischen und der wissenschaftstheoretischen, eindeutig, dass die Wahl der analytischen Methode der Wahl des Wegebildes voranging. Die Argumente aus der Schrift vermögen ihr einen quantitativen und damit relativen, diejenigen aus der Wissenschaftstheorie einen absoluten Vorrang zu verleihen. Insofern freilich die Analysis letztlich nichts anderes als einen methodischen Fortschritt vom Ausgang zum Ziel darstellt, also einen wissenschaftlichen Weg, ist die Bevorzugung gerade dieser unter allen biblischen Metaphern nicht nur relativ, sondern tatsächlich in absoluter Weise gerechtfertigt. Die eigentliche Definition ist dann vor allem zwei Abgrenzungen gewidmet, die beide mit Metaphern aus dem optischen Bereich versinnbildlicht und erklärt werden: Die Hodosophie oder Theologie ist nostras, unsere und nicht Gottes Theologie; dennoch ist sie cœlestis, himmlischen Ursprungs und nicht im philosophischen Sinne natürlicher Herkunft. Sie ist unsere menschliche Theologie und daher theologia viatoris nicht nur im Sinne des Methodenbegriffs, sondern auch in Unterscheidung von der theologia ektypa, des Wissens Gottes seiner selbst, an der die Menschen erst in der himmlischen Schau Gottes teilhaben dürfen. Zu dieser Schau ist die Hodosophie erst unterwegs und hat sich daher an den Zeichen Gottes in dieser Welt zu orientieren. Veranschaulicht wird dieser menschlich-göttliche Hybridcharakter der Theologie bereits im Titelkupfer der Erstauflage durch einen Wandersmann im Vordergrund, einen viator, der sich orientiert an den vor ihm stehenden Zeichen des Heils, die ihm aus dem himmlischen Raum des Erbarmens Gottes durch Christus, die via selbst, im Lichte eines markanten, sie sichtbar machenden Kandelabers gereicht werden. Trotz einer recht großen Offenheit Dannhauers für außernatürliche Offenbarungen in Träumen oder Gesichten und ähnlichen Phänomenen hat reguläre methodische Theologie sich konsequent an der Schrift als der regulären Offenbarung zu orientieren. Darin besteht ja genau der Sinn des von Dannhauer gewählten Methodenbildes, dass die Offenbarung hienieden nur ein Abglanz des Wesens Gottes ist, zudem wir durch sie hingeführt werden müssen. Obschon sie natürlich traditionell ist und mit ihrem Insistieren auf dem praktischen Charakter der Theologie auf Erden im Unterschied zur spekulativen, theoretischen Gottesschau im Himmel oder der endlichen Erkenntnis auf Erden

4.1 Apodeixis als Anordnung: Der Ablauf der Trilogie

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Abb. 1: Titelkupfer der ΟΔΟΣΟΦΙΑ CHRISTIANA, Straßburg 1649, DWV 121 (Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 925.42 Theol.).

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4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis

gegenüber der unendlichen Schau in der Ewigkeit vor allem franziskanisches Gut aufgreift, liefert diese Näherbestimmung des Theologiebegriffs auch eine indirekte Begründung für die Methodenwahl, an der Dannhauer so viel liegt. Dies tut auch die andere Unterscheidung der eigentlichen Definition, die besagt, dass die Hodosophie einem Licht folgt, das fähig ist, den Menschen geistlich zur erleuchten und ihn als vom Himmel verbannten zur Seligkeit der himmlischen Heimat zurückzuführen. Es handelt sich also nicht um ein natürliches Licht, das diesem Zweck nicht genügen könnte. Dass die Lichtmetapher neben dem Wegebild die zweite zentrale Rolle in der Hodosophie einnimmt, verdankt sich natürlich erst einmal der gesamten platonischen Tradition, die vor allen Dingen durch den Neuplatonismus, Plotin, Pseudo-Dionys mit dem Liber de causis, und schließlich die Scholastik und die Mystik in ihren diversen Formen und Strömungen, in die Neuzeit fließt. Andererseits und vermutlich noch mehr hat es mit der Metaphernwelt der neuaristotelischen Logik zu tun, in der das Dunkel der menschlichen Existenz durch das Licht der Wahrheit aufgehellt wird, so dass er schlussendlich dem Labyrinth des Irrtums entfliehen kann. Speziell ist hier an die Altdorfer Dimension dieser Bilderwelt zu denken, in der die platonische Höhlenparabel des öfteren auftritt, und die Dannhauer schon in jüngeren Jahren übernommen hatte. Eine implizite, wenngleich sozusagen nur um Haaresbreite nicht explizierte, Identifikation der veritas mit Gott selber, die schon im frühen Protestantismus (und letztlich natürlich auch schon in der mittelalterlichen Tranzendentalphilosophie) fasslich ist, wird so hier nun ausformuliert. Mit dieser Parallelität im Gebrauch der Lichtmetapher sowohl für Gott wie auch für die Wahrheit wird denn auch die materiale Durchführung der Hodosophie in den ersten beiden Artikeln oder Phänomenen eröffnet. Das Licht wird so zur Brücke zwischen Definition und Durchführung, sozusagen zwischen Form und Inhalt, denn sowohl Gott wie auch Wahrheit sind einerseits Licht im Sinne von Erkenntnisquelle, andererseits auch Licht für den Weg, das aus dem Labyrinth der Verlorenheit heraus hilft. Der im ersten Phaenomenon gesetzte Ausgangspunkt der Erkenntnis ist die Bibel; von ihr kommt das Licht, sie ist die eine, entscheidende anfängliche Erleuchtung auf dem Himmelsweg, eben das principium aller Theologie. Betont wird hier vor allem die Suffizienz und Vollkommenheit des Wortes Gottes. Die in jeder Hinsicht ausreichende Qualität des Lichtes, unter dessen Führung die Hodosophie vorwärts geht, wird ausführlich und im Lichte der neuesten philologischen Erkenntnisse unter Beweis gestellt, der Tenor ist klar apologetisch und wird mit einer beschwörungsnahen Referenz aus Johann Gerhards Confessio

4.1 Apodeixis als Anordnung: Der Ablauf der Trilogie

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catholica abgeschlossen.9 Die heilige Schrift und ihr Licht, so beginnt das zweite Phaenomenon, wird getragen von der Kirche. Aus der großen Menge an Metaphern, die für die Beschreibung der Kirche zur Verfügung stehen, entscheidet sich Dannhauer, in einigermaßen arbiträrer Weise, wie er hier unumwunden zu verstehen gibt, für diejenige eines Leuchtturms oder eines Kandelabers. Legitimierend führt er hierbei an, dass der Kandelaber auf der Bundeslade in der Tradition nicht nur für den Lichtspender in der Stiftshütte, sondern auch als Symbol oder pars pro toto für das Judentum, also das Gottesvolk des einen Bundes, genommen wurde. Entscheidend aber sind die Sachgründe. Die Kirche ist als Trägerin des Lichtes nötig, weil sie dessen Strahlen einerseits bündelt, andererseits mithilft, es gegen andere Lichtquellen abzugrenzen. Die Kirche bündelt die aufgrund ihres Glanzes potentiell blendenden Lichtstrahlen der göttlichen Wahrheit in die klar und allgemein fassbaren Fundamentalartikel, die sich vor allen Dingen dadurch auszeichnen, dass sie den Weg zur göttlichen Heimat lückenlos aufzeigen.10 Bei dieser Kondensationsfunktion kann sich die Kirche nicht mit geruhsamer interner Gotteslehre zufrieden geben, sie muss die Wahrheit öffentlich vortragen,11 und darf sie dabei nicht nur thetisch, sondern muss sie unbedingt zugleich auch antithetisch eröffnen. Auch hier, wie schon in der ein Jahr zuvor veröffentlichten Polemosophia, sowie weiteren Orten, tritt in expliziter Formulierung zu Tage, dass Dannhauer Hermeneutik und Elenchtik, Auslegung der Schrift und Auslegung der Konfessionen, auf der selben Ebene ansiedelt.12 Das dritte Phaenomenon widmet sich

9 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 54: „Hactenus Lux viæ Sacræ, quam nostræ Ecclesiæ profitentur, vindicatæ à calumniis adversariorum à nostro Doctore Gerhardo l. 2. confess. Cathol. part. I. appendice p. 314 & seqq.“ 10 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 63: „E radiis cœlestis veritatis, hoc est è fundamenti sqlutis, ac fundamentalium Salutis articulorum, adeoque totius catenatim connexæ veritatis revelatæ ad salutem necessariæ. 1 Professione & confessione publicâ & sensibili, λόγῳ ἔξω 2 Plenâ & planâ non generali nimis & æquivoca, non theticâ solum, sed & antitheticâ; non ore solum, sed & si res ita exigat, scripto, gestu, ad veræ religionis confessionem composito, ab erroneâ averso facto, & si opus, etiam sanguine. 3 Purâ non solum ab affectibus incongruis, pudore & timore, sed & à mixtione syncretica, & quod caput est. 4 verâ, veritate non arrogativâ; sed æstimatâ, ac probatâ, cum à priori: ex ipso suo principio verbo divino.“ 11 Interessanterweise wird der Sachverhalt der öffentlichen Verkündigung mit demselben Fachterminus wie in der Logik ausgedrückt: λόγῳ ἔξω; vgl. oben Anm. 10. 12 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 76: Ein Teil des Ministeriums der Kirche wird wahrgenommen von den „Doctoribus alias διδασκάλοις, νομικοῖς, qui post Tractatores dicti, officio hermeneutico & Elenchtico in cathedra Scholastica impositi: quibus accensendi Catechetæ.“

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der Lehre von Gott, und veranschaulicht ihn erneut nicht allein unter der Bildlichkeit der Reise, nämlich als terminus oder scopus des menschlichen Lebenswegs, mithin als das höchste Gut als dreieiniger Gott, sondern auch, wenngleich weniger prominent, als das Licht schlechthin. Gott ist im Höchstmaß reines, heiliges, allwissendes und helles Licht.13 Ihm entgegengesetzt wird im vierten Phänomen das Böse, wobei wiederum die aus der Tradition aufgegriffene Definition als privatio boni zugleich die Antithese zum guten Wesen Gottes akzentuiert. Unterwegs auf der Reise ist laut Phaenomenon V der Mensch als homo viator. Laut der Analyse Philipp Jakob Speners, der in seinen bekannten, das Werk Dannhauers zusammenfassenden, Tabulae Hodosophicae systemlogisch korrekt, doch just hierin nicht sklavisch, dem Text der Hodosophie folgt, ist er die finis ὧ des ganzen Unternehmens der Hodosophie,14 der Mensch, der Gottes Gemeinschaft unmittelbar genießen konnte, ihrer nach dem Fall jedoch verlustig ging.15 Der Weg zur Frucht des höchsten Gutes und zur vollendeten Seligkeit ist ein doppelter, wie das sechste Phänomen bekannt gibt; jener des Gesetzes oder jener des Evangeliums, wobei ersterer freilich eine Täuschung bildet. Auffallenderweise ist freilich eine hier eingeschobene Epitome totius Decalogi16 alles andere als rein elenchthisch (im soteriologischen Sinne) gefärbt, sondern durchaus positiv gefüllt. Sie entfaltet in der Besprechung der Gebote eine recht ausführliche, in den späteren Auflagen mit konsequenten Querverweisen auf die entsprechenden Parallelen in der Catechismus-Milch dargebotene und auch sonst an die katechetischen Dekalogauslegungen der Orthodoxie erinnernde, vermutlich also als Genre aus ihr übernommene Liste mit den aus dem jeweiligen Gebot abzuleitenden Kardinallastern, aber genauso auch den entsprechenden Tugenden. Es ist augenscheinlich nicht das Gesetz Gottes als solches, das zweifellos gut und heilig ist, sondern seine unter falschen Voraussetzungen getätigte Respektierung, die es zum Unheilsweg werden lässt. Unter diesen Voraussetzungen führt es dann nicht auf das Evangelium hin, sondern endgültig von ihm weg – ein eher impliziter,

13 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 111: Gott als „lux purissima, sanctissima, omniscia, serenissima“. 14 TABULÆ // HODOSOPHICÆ, // SEU // CELEBERRIMI & DE ECCLESIA // PRÆCLARE MERITI THEOLOGI // D. JOH. CONRADI // DANNHAWERI, // PROFESSORIS ARGENTORATENSIS ACADEMIÆ // ET ECCLESIÆ PRÆSIDIS, // HODOSOPHIA CHRISTIANA // IN TABULAS REDACTA // à // PHILIPPO JACOBO SPENERO, Dresden 1690, D4a; TAB. VII. ex Phænom. V. Finis ὧ seu viator Homo ante & post lapsum. 15 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 153, bestimmt Dannhauer, angesichts einer auch in der Catechismus-Milch spürbaren Freude an der Schöpfung wohl nicht zufällig, bereits in der Schöpfungslehre, Phaen. III. S. 153, den Menschen als finis ὧ auf den hin alles geschaffen wurde und das gesamte Sechstagewerk ausgerichtet sei. 16 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 257–273.

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aber durchaus klarer und gewollter Querverweis auf die beiden GesetzesLabyrinthe der Hodomorien. Die insgesamt den Komplex der Christologie und Soteriologie umfassenden Phaenomena VII bis XI sind in manifester Anlehnung an den gerade im achten, spezifisch christologischen, Phänomen häufig zitierten Balthasar Mentzer und generell an die Gerhard und Mentzer verbundene Gießener Linie geformt, deren gegen die Tübinger Metaphysik gerichtete Stoßrichtung bereits vom Studenten Dannhauer klar übernommen wurde17, um die Jahrhundert-

17 Vgl. oben S. 20, Anm. 88. Ein 1526 publiziertes Widmungsgedicht Mentzers an Dannhauer verliert die scheinbare Banalität, mit der es auf unbedingter Schrift- und Bekenntnisbildung jeder theologischen Aussage insistiert, wenn es als das gelesen wird, was es faktisch doch wohl war, nämlich ein mehr oder minder sublimes Pamphlet, mit dem ein begabter Student aus einer der Tübingen theologisch am nächsten stehenden Fakultäten und potentieller Multiplikator nun nachhaltig auf die Gießener Theologie verpflichtet werden soll. D. BALTHASARIS MENTZERI // & // D. JUSTI FEWRBORNII // Theologorum Academiae Marpurgensis // celeberrimorum, // ORTHODOXA EXPLICATIO // DOCTRINÆ // DE DEI ET // CHRISTI ΘΕΑΝ- // ΘΡΩΠΥ MEDIATORIS // NOSTRI, APUD CREATURAS GUBER= // NANDAS UNIVERSALI ET SPECIALI // PRAESENTIA; // Item: Quarundam quaestionum con= // troversarum, qua tota controversia, inter // nonnullos Theologos differenties breviter // nervosè // proponitur clare & rotundè explicatur; via certissima ad veritatem & ita // ea fundatam, piam & sanctam concordiam confir- // mandam monstratur. // NUNC // Præmissa cujusdam summariâ informatione status // & rei totius ad lectorem non corruptum, // RHODOPOLI [Rostock] // Ad incudem denuò revocata, Anno æræ // Christianæ 1626. – 3:305756B.; D2 verso: „ORNATISSIMO ET DOCTISSIMO // DN. M. JOHANNI-CONRADO DANNHAWERO, S.P.P. // TOtius scopus est scripturae CHRISTUS JESUS: Quem benè nosse beat, cum patre & flamine sancto. Nil miserabilius quàm est ignoratio Christi, Abs quo nemo potest ullam sperare salutem. Ex sola verò scriptura noscitur ipse, Numine divino mentem illustrante per illam. Est fidei semen divinum, & regula, verbum: Consonat huic etiam fidei confeßio vera, Est in corde fides, quam verbis lingua revelat: Esto pura fides, esto quoque sana loquela. Qui mentem informat, quò rectè credere discat Hic etiam linguam in dicendo temperat aptè. Philosophis sua libertas concessa loquendi est. Nobis praescripta est sermonis regula certa. Non extra verbum credo; nec sermo sit extra. Vel citra verbum Domini, sed consonus illi. Sic loquere, ut credis: fidei, & linguae, unica norma est. Vatibus est quaedam concessa licentia: nobis Pendendum unius Christi ex ore docentis, Hanc quando normam defendis, docte Magister,

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mitte dann freilich zum breit abgestützten konfessionellen Konsens geworden war. In der Tendenz ist offensichtlich, dass es dem Autor der Hodosophie weniger um die in der Schöpfung gegenwärtige, sie mitkreierende Omnipräsenz und Allmacht der göttlichen, auch metaphysisch zu begreifenden Natur Christi, als vielmehr um das durch seine Erniedrigung in uns heilsvermittelnde Wirken ingesamt geht.18 Wenngleich die im Grunde längst abgehakten SchibbolethBegriffe der Krypsis und der Kenose nicht explizit genannt werden,19 sondern eher die antireformierte Polemik Mentzers, namentlich sein gegen Antoine de la Roche-Chandieu (mit dem Pseudonym Sadeel; 1534–1591) und dessen polemisch-calvinistische Christologie gerichteter „Anti-Sadeel“, im Vordergrund stehen,20 darf vermutet werden, dass der Rückgriff auf schriftliche, vereinzelt sogar auch mündliche,21 Zitate Mentzers implizit auch eine Spitze gegen Reminiszenzen an eine in Dannhauers Augen auch innerhalb des Luthertums zu wenig klar auf die Soteriologie ausgerichtete Christologie darstellen. In der Tat legt Dannhauer, wie schon sein in der Catechismus-Milch wiederholtes Vokabular belegt, eine sehr konsequente, um nicht zu sagen in ihrer Zuspitzung radikales Verständnis der Union dar. Nicht allein wird, wie seit der Jahrhundertmitte zunehmend, ja konsensuell, die unio zwischen Christus und dem Gläubigen nicht mehr nur als Personalunion, sondern als mystische, leibliche Vereinigung begriffen, sondern diese „geist-leibliche Einigkeit“22 wird auch sehr in sehr anschauliche Worte gefasst, etwa dass Gott hier „zusammen lötet“23.

Utilis labor est, doctis & gratus amicis, Et dignas tribuet laudes tibi grata juventus. Τ'ανώτερα καλλίω Balthasar Mentzerus.“ 18 Siehe etwa das resümierende Verdikt, nebst vielen anderen Belegen, in: Oδοσοφια christiana, DWV 120, 321: „Sic λόγος in Sanctis est secundum essentiam, & operationem gratiosam aliquam; in solo Christo secundum omnia αὐχήματα, & opera divina. [. . .] Ex quibus omnibus collatis manet argumentatio D. Mentzeri invicta.“ 19 S. hierzu Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie; sowie Nüssel, Allein aus Glauben. 20 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 307 und passim. 21 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 316: „Ubi observatione D. Mentzeri opus est (quam ab eodem me audivisse memini) [etc.].“ 22 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. V, 1198; vgl. den ganzen Passus bis 1203, der auch erwähnt wird in dem gelehrt-luziden Aufsatz von Theodor Mahlmann: Die Stellung der unio cum Christo in der lutherischen Theologie des 17. Jahrhunderts, 134; s. dort zu Dannhauers Unio-Auffassung auch 134.136 f.140.173. 23 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. V, 1194.

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Die Idiomenkommunikation ist also vorwiegend κοινοποιητικὴ24; es wird so ein in erster Linie prozessuales Bild unserer Rettung gezeichnet, die zu einer Gemeinschaft mit und durch Christus führt. Die einzelnen Phaenomena oder Artikel stehen auch im Folgenden innerhalb eines breiten lutherischen Konsenses. Der Wille Gottes (Phaenomenon VII) schafft, insofern er der Rettung in Christus vorangeht, eine Heilsordnung und setzt sie in die Wirklichkeit um, der Rettung folgend erwählt er aufgrund des Buches des Lebens. Christus (Phaenomenon VIII) wird zwar noch klassisch in seinen zwei Naturen, mehr aber noch als geschlachtetes Opfer vorgestellt, das unserer Rettung dient. Die Gnade durch den Heiligen Geist (Phaenomenon IX) gibt Erneuerung und befähigt zur Rückkehr zum himmlischen Vaterland, indem sie auch erleuchtet. Das Predigtamt (Phaenomenon X) ist organum der dazubietenden Gnade in Wort und Sakrament, was auch den politischen Rahmen und die Kirchenzucht mit einschließt. Die Buße (Phaenomenon XI) ist der göttliche ordo, das heißt die göttliche Ordnung, Anordnung und Reiseplanung von Seiten des homo viator aus, nämlich die Bekehrung durch den Glauben, der durch den Heiligen Geist mittels des Wortes und der Sakramente erweckt wird. Doch die innerhalb dieses Konsenses möglichen Akzente werden auf eine unio-Theologie gelegt, die den Wegcharakter auch des Geschehens innerhalb Gottes, oder, um es so zu sagen, innerhalb der Person Christi belegen und unterstreichen. Dasselbe gilt für den fulminanten Schlussartikel (Phaenomenon XII), das Phaenomenon duodecimum, das die apolysis, die Auflösung oder den Abschied aus diesem Leben in die Ewigkeit nicht nur beschreibt, sondern in aller Sachlichkeit nachgerade theologisch-anthropologisch bejubelt. Sie ist nicht allein Auflösung, sondern zugleich auch voller Zugang zum Vaterland durch die Auferstehung, die eine unauflösliche und sogar göttliche – ein sozusagen mystikgeschichtlich bemerkenswerter Ausdruck, wenngleich wohl göttliche Inkraftsetzung gemeint ist – Vereinigung der Seele mit dem Leibe darstellt. Diese unio geschieht als deo gloriosa, Gott zum Lobe, und homini salutaris, dem Menschen zum Heil gereichend. Die so erlangte beatitudo patriae, die Glückseligkeit und das geistliche Leben, die nicht hier, sondern im dritten Himmel genossen wird, wird mit einer ganzen Reihe örtlich gefasster, in einander kausal verketteter Beschreibungen der Seligkeit abgerundet: die Erde der Lebendigen, in der das Reich sich befindet, im Reich die Stadt, in der Stadt das Haus, im Haus der Garten, im Garten der Schoß Abrahams, nämlich das Leben, das Gott zu sehen erlaubt, das die visio Gottes vermittelt. Sein Gegenstück zeugt vom bleibend misslungenen Reiseunterfangen der eigenen Lebenspilgerfahrt, denn es handelt sich nicht einfach um die Hölle, sondern explizit um das Exil im Infernum, der Hölle.

24 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 300.

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4.1.2 Wegtorheiten (Hodomorien) Dieser gesamten zwölfteiligen Struktur entsprechen zwei Gegenstücke, die ihr je antithetisch gegenüber gestellt werden. Äußerlich-formal wird dies dadurch angezeigt, dass nicht allein die Titel beider Seitenteile der Trilogie, sondern auch diejenigen der in ihnen je anzutreffenden einzelnen Kapitel oder Artikel in antithetischer Symmetrie gestaltet sind. Jedem der zwölf phaenomena entspricht je ein Phantasma. Die beiden hierbei jeweils anzutreffenden Phantasmata sind in sich zwar natürlich nicht identisch, entsprechen einander aber dennoch nicht nur formal, sondern auch material, nämlich auf der Ebene eines materialen, ihnen gemeinsamen spezifischen Grundprinzips, das sie nicht nur indirekt via antithetische Negation der jeweiligen These in der Hodosophie, sondern auch direkt untereinander korrespondieren lässt. Aus der dergestalt durchgehenden Parallelisierung heben sich zwei Brennpunkte allerdings heraus. Letztlich sind die beiden Wegtorheiten einfach darum Torheiten, weil der sich ihnen anvertrauende Lebenswanderer unter einem trügerischen Licht gehend in ein Labyrinth gerät, aus dem er nicht mehr herausfindet, so dass er schließlich sein Ziel vollständig und in bleibend fürchterlicher Weise verfehlt. Licht und Labyrinth sind daher die Achsen, auf denen die Hodosophie sich strukturell fortbewegt. Dies zeigt sich schon daran, dass der Gegensatz von zielführendem Weg in der Hodosophie und Labyrinthen in den Hodomorien von Anbeginn weg, also mindestens ein Jahrfünft vor deren Veröffentlichung, geplant worden war, wie die Widmung zur Erstauflage der Hodosophie aufweist.25 Neben dem Labyrinthus evangelico-legalis war sicherlich auch die Entgegensetzung eines trügerischen Irrlichtes zum göttlichen wahrheitsspendenden Licht von Anfang an vorgesehen; anders ist die stringente Komposition kaum denkbar. Zudem ist auch inhaltlich die materiale Beschaffenheit des Lichtes für die Art des jeweiligen Labyrinths verantwortlich.26 Zwar wird das Licht beider Hodomorien mit dem Oberbegriff ignis planeticus bezeichnet, was soviel wie täuschendes oder trügerisches, wörtlich genommen irrendes und daher irreführendes, Licht bedeutet. Die in der frühen Neuzeit gewöhnliche Assoziation des ignis planeticus mit dem astronomischen Phänomen ist dabei sicher gewollt, beruht letztlich und streng

25 Oδοσοφια christiana, DWV 120, *3, dedicatio: „Cæterùm ut, quæ in rebus ac mysteriis divinis profunda sunt, & difficilia intellectu, jucundius promtiusque intelligantur, symbolica tractandi ratio placuit, quæ cum in perpetuâ viæ comparatione occupata est, Hodosophiæ nomen fecit, Hodomoriæ factura nomen, ei, quæ in secundâ instituti nostri parte labyrinthos errorum aperiet.“ 26 So sagt es explizit die Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, 81: „ratio planetica et labyrinthifica.“

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genommen aber auf einer Polysemie. Ihr Gebrauch bedeutete für die bildungsbeflissenen Leser eine Anspielung auf die etymologische Tatsache, dass das griechische Wort für Planet der Wortfamilie πλανάω (ionisch πλανέω) entstammt, und zwar näherhin dem elementaren Lemma πλάνης, -ητὸς, was wie dann auch πλανήτης, -ου oder πλανητὸς nichts anderes als Täuscher oder Betrüger heißt, was schlussendlich dann auch ins Bedeutungsfeld einer Verführerin oder eines Verführers weist. Der Name des Himmelskörpers ist von dieser Grundbedeutung ebenso abgeleitet wie derjenige des hier genannten Feuers oder auch derjenige des gleichnamigen Fiebers, πλάνητες πυρετοὶ, erroneæ febres oder erraticæ febres.27 Ist ein planetarisches Feuer daher in jedem Falle ein umherirrendes Feuer, tritt dessen genaue Beschaffenheit in den beiden Hodomorien dennoch je leicht anders auf. In der Hodomoria Spiritus Papæi erscheint es als verwirrendes Funkenstieben, das der schriftlichen und der nichtschriftlichen Überlieferung den selben Glanz einer Offenbarung zugestehen will; in der Hodomoria Spiritus Calviniani hingegen als Irrlicht. Ein veritables ignis fatuus kann sich in seiner Bedeutung teilweise mit ignis planeticus überblenden, teilweise eine zusätzliche Note aufweisen, insofern es eine spezifischere Lichtsorte darstellt. Es darf aber zunächst in der Wahl dieses Wortes, rein der spontan sich einstellenden Begriffslogik folgend, eine Andeutung vor allem dahingehend vermutet werden, dass die reformierten Erkenntnislichter vom selben Geist gespeist werden wie die päpstlichen. Entweder stellen sie, so die implizite Botschaft, beide Abkömmlinge derselben Art dar, oder aber der Calvinismus ist als ein Stiefkind, gleichsam eine Nebenflamme, des Katholizismus einzuschätzen.28 Dass alle diese

27 Art. Πλάνης, -ητος, in: Thesaurus Linguae Graecae 6 (1851), 1150 f., vgl. die Artt. Πλανὴτης (1151 f.), Πλανητὸς (1152), Πλάνος (1152 f.). 28 Die Rede vom Ignis fatuus gehört zum allgemeinen, fast alltäglichen Vorstellungs- und Sprachgut der Zeit. Zu den berühmtesten Vorkommen gehört die V. Szene im 3. Akt von Shakespeares Henry IV (1. Teil), V. 2036–2056. Hier werden auch die stets bei dem physikalischen Phänomen stets mitschwingenden Anklänge zum Dämonischen und Teuflischen deutlich: Bardolph: Why, Sir John, my face does you no harm. – Falstaff: No, I’ll be sworn. I make as good use of it as many a man doth of a death’s-head or a memento mori. I never see thy face but I think upon hellfire and Dives that lived in purple; for there he is in his robes, burning, burning. if thou wert any way given to virtue, I would swear by thy face; my oath should be ‘By this fire, that’s God’s angel.’ But thou art altogether given over, and wert indeed, but for the light in thy face, the son of utter darkness. When thou ran’st up Gadshill in the night to catch my horse, if I did not think thou hadst been an ignis fatuus or a ball of wildfire, there’s no purchase in money. O, thou art a perpetual triumph, an everlasting bonfire-light! Thou hast saved me a thousand marks in links and torches, walking with thee in the night betwixt tavern and tavern; but the sack that thou hast drunk me would have bought me lights as good cheap at the dearest chandler’s in Europe. I have maintained that salamander of yours with fire any time this two-and-thirty years. God reward me for it!

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Lichtmetaphern und überhaupt alles antithetische Bildmaterial in der Trilogie zunächst auf derselben Ebene gesehen werden dürfen, bestätigt sich auch durch diverse Anspielungen und Metaphernverwendungen innerhalb des Textes der Hodomorien. Zum Schluss des Proœmium der Hodomoria Spiritus Calviniani etwa schickt der Autor eine Art peroratorischen Gebets zum Himmel, das alle Gegensätze korrollarisch summiert.29 Vor allem aber bietet er zum Schluss des gesamten trilogischen Unternehmens schlechthin, gegen Ende des letzten Teils, welchen die Hodomoria Spiritus Calviniani darstellt, eine durch sämtliche Phænomena hindurchführende summarische Darlegung der gemeinsamen Abweichung beider Hodomorien von der Hodosophie: Gegen Christus gingen seinerzeit sogar Herodes und Pilatus gemeinsam vor; kein Wunder, dass auch der Geist des Papstes und Calvins miteinander gegen die – für Dannhauer selbstredend allein im Luthertum zu findende – Wahrheit konspirieren.30 4.1.2.1 Asymmetrie der Torheiten (Hodomoria Spiritus Calviniani) In diese perfekt ausbalancierte Gesamtmetaphorik wird nun allerdings ein zusätzliches Element bei der einen der beiden Wegtorheiten eingebracht, dass die Symmetrie zumindest auf der formalen Ebene sprengt. Zwar ist einerseits der reformierte ignis fatuus, wie gesehen, eine Unterform des ignis planeticus, oder in der Sprache der Wissenschaftstheorie formuliert, grundsätzlich auf derselben Hierarchie der Prinzipienhermeneutik anzusiedeln wie das Licht der päpstlichen Kirche. In dieser Perspektive ist es das Oberprinzip der Reformierten die Vernunft. Die ratio aber kommt bemeisternd, ja herrisch daher. Sie ist magistra,

29 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, 34: „Te auspice ac vindice Jesu! Illumina cœcos, educ errantes, ab igne fatuo ad te veram lucem, è Phantasmatum regione ad cœli phænomena, à moria ad te sophiam: Tuo Numini gloria, Tuo nomini fama, propago, vindiciæ, nobis salus Amen!“ 30 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, 3339 (die internen Verweisungen auf Stellen in den beiden Hodomoriae werden im Zitat jeweils ausgelassen): „I. Verbum Dei scriptum insufficiens ac inefficax. II. Ecclesia indeficibilis. III. Deus causa peccati. IV. Anima humana immediatè creata, non per traducem propagata. V. Homo creatus in statu naturæ constans imagine Dei naturali, atque hinc naturali mortalitate; in statu gratiæ præditus justitiâ, sapientiâ, immortalitate tanquam dono supernaturali. [3341] VI. Fas Idola colere. VII. Voluntas patris cœlestis in homines beandos particularis, adstricta ad solos absoluto decreto electos; exclusis absoluto decreto reprobatis. [3343] VIII. Christus salvator nec Unus, nec Universalis. XI. Incertitudo gratiæ ac electionis. [3344] Necessitas bonorum operum ad salutem.“ Für diese Häresiensynopse beruft er sich im Übrigen unter anderem auf ein literarisches Vorbild von reformierter Seite, nämlich die Vergleiche der Arminianer mit den Sozinianern: Vedelius, Nicolaus: De arcanis Arminianismi libri duo, seu Quæstio, quænam sit religio & fides theologorum Remonstrantium, pars quarta, Lyon 1632.

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domina, und iudex.31 Die Ratio ist magistra, denn genau so wie im Papstreich das Wort Gottes vom Papst Seele und Geist empfängt, so bei den Reformierten von der Vernunft. Die Ratio ist domina, weil sie das Wort Gottes in eine gewisse Richtung lockt, zu der es eigentlich nicht hinstrebt, und sie ihm somit unwahre, unangemessene Dinge entnehmen will. Der wahre Grund hierzu liegt in einer „privaten“ Hermeneutik, die dem eigenen auslegerischen Anliegen mehr zutraut und zugesteht als dem auszulegenden Objekt selber. Die Ratio ist schließlich auch iudex, da sie tropisch verändern will oder aber den klaren Wortlaut der Schrift leugnet, indem sie „menschliche Gedancken“32 in den Vordergrund stellt. Sie erhebt sich so zur Norm, zum eigentlichen Prinzip der Theologie.33 Es betreiben so also auch die Reformierten das doppelte Geschäft der Doktoren der Kirche, also Hermeneutik und Elenchtik beziehungsweise Texthermeneutik und Prinzipienhermeneutik. Nur tun sie dies eben in pervertierer Weise mit fehlerhafter Texthermeneutik und fehlerhafter Logik, sie verdunkeln cum parhermeniis ac paralogismis lucem veritatis ut nebulis. Dass sie dabei so sehr auf die Wiedergeburt der Theologen und deren Erkenntnis Wert legen, nützt ihnen überhaupt nichts. War nicht auch Sarah wiedergeboren, und verlachte dennoch den Herrn?34 Gegen Ende des ersten Phantasma und somit seiner kritischen Präsention reformierter Wissenschaftsaxiomata ist Dannhauer vom Wunsch beseelt, ein gleichsam unüberbietbares Beispiel einer der von ihm allgemein angemahnten reformierten Pseudhermeneia konkret zu schildern, in der nicht nur diese selber in klassischer Form zu sehen ist, sondern auch mitsamt allen ihren üblen Wurzeln und zugleich lang anhaltenden, theologisch wie auch politisch überaus gewichtigen, Folgen erscheint. Zu diesem Zweck referiert er die

31 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Phant. I, 37. 32 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Phant. I, 40. 33 Technisch gesehen ist Dannhauer hier freilich nicht ganz untadelig, da er die Terme principium agens und principium activum, die sich im ersten Teil von Massons Anatomia finden, auf der Ebene einer Letztbegründung interpretiert, obschon der Autor hier eher im Sinne der Tradition den intellectus agens anspricht. Er nimmt dies laut Dannhaues Referat wie folgt vor: „pag. 361. Gottes Wort ist die einzige Regul und Richtschnur / darauß wir in geistlichen sachen unsere Beweiß nemmen: und ist unsere Vernunfft oder Gemüth dass principium agens, dass mit natürlichen und auch geistlichen sachen als dem sujecto umbgehet: und werden auch in geistlichen Lehrpuncten Reguln geführet / die Gott selbst in die Natur geleget. & pag. 364. Wann nun ein Theologus oder sonst ein Christ die Göttliche Sachen für sich nimmt und betrachtet: so brauchet er hierzu / die Sinne und die vernünfftige Seele oder Gemüth: als dass Agens, oder dass principium activum. Dann er muß sehen / hören / dencken / nachsinnen / unterscheiden / verstehen und alles fassen / was ihm von GOtt / von Christo / vom Glauben in der Bibel vorgehalten ist.“ 34 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Phant. I, 58.

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lutherische (und indirekt die katholische) Kontroversliteratur über Zwinglis berühmten Traum zu Exodus 12. Kurz vor der Offizialisierung der endgültigen Aufhebung der Messe in Zürich 1525 berichtet der Reformator von einem Traum, in dem ihm ein Bote erscheint, der das hebräische Wort für Passa „phase“ als „Übergang“ deutet, und damit, so schließt er daraus, eine tropische Auslegung des Messrituals legitimiert. Dass er in seinem Traumzeugnis in Anlehnung an die klassische Dichtung erklärt, er könne nicht sagen, ob der monitor nun hell oder dunkel, albus an ater, gekleidet gewesen sei, war für die Polemik schon seit jeher ein gefundenes Fressen. Da ater als Terminus auch moralisch konnotiert sei, könne ein solcherart auftretender Bote wohl kaum vom Vater des Lichtes gesandt worden sein, so die Skeptiker. Ensthafterer Natur, zumindest in der Vernetzung mit dem Dannhauerschen Systemaufbau, sind hingegen die Gründe, die er zur Widerlegung der Masson’schen Argumente ins Feld führt35, und die alle darauf hinauslaufen, dass Zwingli unter die Enthusiastæ oder Schwärmer zu zählen ist, die ihren willkürlichen und im engsten, nämlich erkenntnispsychologischen, Wortsinn phantastischen Auslegungen den Vorzug vor dem eigentlichen Schriftsinn geben wollten. Das Nebeneinander von ignis planeticus und ignis fatuus kann aber nicht nur im Sinne subsumierender Unterordnung gesehen werden, und hier beginnt die Asymmetrie, sondern auch als Nebeneinander, oder, präziser, als ergänzendes Nacheinander in der Dannhauerschen Prinzipienelenchtik gegen die Reformierten. Man könnte es charakterisieren als Fortschreiten von Formalprinzip zu Materialprinzip, oder präziser; als eine materiale Konkretisierung des elenchtischen Formalprinzips. In der Hodomoria Spiritus Papæi ist dieser Zusatz darum nicht oder zumindest weniger nötig, weil das principium als solches, die formale Auslegungsmacht des Papstes, mit dem materialen Inhalt des Prinzips faktisch bereits weit gehend in eins fällt. Bei den Reformierten hat Dannhauer hingegen offensichtlich Mühe, den gesamten Stoff auf ein einziges Begründungsprinzip zurückzuführen. Darum charakterisiert er den ignis fatuus dann doch auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt als dem der Nähe zum ignis planeticus. Als meteorologisches oder nautisches Phänomen betrachtet, ist ein Irrlicht zunächst einmal gefährlicher als planetarische Lichtabsonderungen, wie schon gleich zu Beginn im ersten Phantasma der Hodomoria spiritus calviniani genauer erläutert wird.36 Die Naturerscheinung eines ignis fatuus, die vor allen Dingen in Mooren oder Marschen und generell in Küstennähe 35 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Phant. I, 66: „1. illuminationis extraordinariæ neceßitas [. . .] 2. rei revelatæ sanctitas, & symphonia scripturæ [. . .] 3. Somniantis ἀσφάλεια [. . .] 4. Sensus somniati veritas 5. conformitas cum somnio Eliphaseo 6. Efficacia somnii.“ 36 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Phant. I, 35.

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und Seeufern gesehen und die heute mit spontaner Entzündung natürlicher Gasvorkommen erklärt wird, sieht Dannhauer seinerseits als „Entflammung trockener Luft“, womit er den bereits fortgeschrittenen Wissensstand seiner Zeit widerspiegelt. Diese Erscheinung rückt er in die Nähe von Kometenschweifen oder ähnlichen Erscheinungen am astronomischen Himmel.37 Damit kann einerseits eine Brücke zum ignis planeticus erstellt werden, was seinem Gesamtsystem dienlich, ja letztlich in ihm erforderlich ist. Erst einmal kann der Autor so ein stets willkommenes biblisches dictum probans einbauen, eine breit kommentierte Zitation aus dem Brief des Judas, Vers 13, wo die zu bekämpfenden Irrlehrer als ἀστέρες πλανῆται, umherirrende Sterne, abgeurteilt werden. Zudem kann hier sogar Aristoteles in eben diesem Sinne angeführt werden, denn er nennt diese Himmelskörper seinerseits in Meteor. I stellas discurrentes, umherwandernde Sterne, weswegen sie eben auch als Irrlichter zu sehen sind, wie der physikalisch hier nicht sonderlich überkorrekt argumentierende Straßburger Polemiker kühn daraus ableitet. Im Anschluss und im Sinne dieser Traditions- und Beobachtungsbeweise äußert sich Dannhauer dann über die Reformierten Sie sind Verführer, „1. Ob hypocrisin, [. . .] denn sie geben als Licht aus, wo keines ist; 2. ob fallendi studium [. . .].“38 Der ignis fatuus, im verbreiteten Aberglauben auch Castor und Pollux genannt, verführt Seeleute und Reisende in den Schiffbruch oder in tiefe Gräben und unheilvolle Täler, so hier in den Abfall und den Schiffbruch im Glauben; 3. ob instabilitatem, denn sie kreisen nicht fix wie die Planeten, sondern durchqueren den gesamten Himmelsraum in schwer vorhersehbarer Weise. Allesamt sind diese falschen Lehrer damit wie Piraten, die in felsigen Küstengebieten falsche Lichter anzünden, um die Schiffe in den Abgrund zu locken.39 Dies ist die Macht des ignis fatuus, und diese eindringliche Schilderung macht es wahrscheinlich, eine schwerlich übersehbare Homonymie mit dem Ausdruck fatum hier für absichtlich verwendet zu halten. Ein Irrlicht ist ein Licht, das über Schicksale entscheiden kann; ein Sachverhalt, der hervorragend zur Lebenshaltung und Gottesvorstellung der Reformierten passt. Sie glauben an das Schicksal, an eine unabänderliche Vorherbestimmung ihres gegenwärtigen Lebens und ihrer ewigen

37 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Phant. I, 35: „[. . .] aëris sicci inflammationes in longum ductæ cadentibus stellis persimiles hæ vulgò vocantur cadentes, transvolentes à Cicerone lib. 2. de Divinat. trajectiones stellarum.“ 38 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Phant. I, 35 f. 39 Entsprechende halb faktische, halb legendäre Berichte werden von einzelnen Kreidehöhlen in der Normandie über die Zeit der diversen englisch-französischen Auseinandersetzungen bis heute erzählt, in der nebst regulären Armeen auch Freibeuter und Profiteure mit Lichtphänomenen in Küstennähe virtuos umzugehen wussten.

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Zukunft, ergeben sich einer blinden Vertrauensseligkeit gegenüber dem als blendend erlebten, schicksalhaft entgegengenommenen ewigen Dekret Gottes. Das decretum absolutum oder anders gesagt die Prädestinationslehre ist daher in der Tat das Phantasma φαντασμάτων der gegen die Reformierten verfassten Hodomorie. Es ist deren geistiger Nerv, Interpretament der Widerlegung rundwegs aller Glaubensartikel oder Phantasmata durch die Hodomorie, Notenschlüssel ihres Abgesangs, ihr kontroverstheologisches Vorzeichen schlechthin. Wie ein Vorzeichen formal nicht völlig in das durch es selbst vorinformierte Element einzupassen ist, so auch hier. Der Einschub unter dem Titel Phantasma φαντασμάτων umfasst 536 Seiten,40 und erhält damit bei einem Gesamtumfang (ohne die rein technischen Appendices) von 3388 Seiten nahezu den doppelten durchschnittlichen Umfang eines Phantasma oder Artikels von 282 Seiten. Auf die hierdurch entstehende Asymmetrie in seiner Konstruktion angesprochen, hätte Dannhauer den Fehler ohnehin kaum auf Seiten der Rekonstruktion gesucht, sondern wahrscheinlich erklärt, die ästhetische Unvollkommenheit sei äußerliches Anzeichen einer inneren Unstimmigkeit, denn umgekehrt ist ihm die Lückenlosigkeit und Ebenmäßigkeit der Abfolge der die Wahrheit bezeugenden Glaubensartikel in der Hodosophie und ganz allgemein der Beweis für die Richtigkeit sowohl ihres Inhalts wie der diesen darstellenden Methode. Die Nötigung zur Asymmetrie hat ohnehin nicht nur mit ihm zu tun, sondern auch mit dem Umstand, dass die lutherische und auch die katholische Polemik generell mit fortschreitender Zeit zunehmend mehrgleisig vorgehen und angreifen. Zu der im Vorjahrhundert lange Zeit alle Sinne und Kräfte beherrschenden Abendmahlsfrage kommen nun von katholischer Seite, gerade auch in dem Dannhauer stets präsenten französischen Kontext, vermehrt ekklesiologische und amtstheologische Fragestellungen, von lutherischer Seite vermehrt soteriologische Fragen und zuvörderst solche über die Vorherbestimmungslehre in den Blickpunkt. Dies wiederum korrespondiert der Entwicklung innerhalb der reformierten Orthodoxie, in der die Erwählungslehre zu Beginn des Grand Siècle ganz deutlich an Gewicht gewinnt. Schon im Reformationsjahrhundert waren die Spannungen zwischen dem strengen Genfer und dem liberaleren Zürcher Kurs entlang der Positionen in dieser Frage als Option für eine explizit doppelt oder nur einfache Prädestionskonzeption verlaufen;41 während Dannhauers Karriere verliefen die Fronten zu Beginn noch zwischen Gomaristen und Remonstranten,42 später zwischen Amyraldisten

40 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Seiten 81–615. 41 Diese Interpretationslinie wurde vor allem aufgeworfen von Bierma, Federal Theology in the Sixteenth Century; nebst: ders., The Role of Covenant Theology in Early Reformed Orthodoxy; sodann auch von Venema, Heinrich Bullinger and the Doctrine of Predestination. 42 Für Literatur hierzu s. Dooren, Art. Dordrechter Synode.

4.1 Apodeixis als Anordnung: Der Ablauf der Trilogie

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und den Akademien Sedans und Genfs sowie generell den meisten französischen Orthodoxen,43 mitsamt Vermittlungsversuchen etwa in Montauban,44 die Dannhauer trotz aller zur Schau gestellten Verachtung recht genau bekannt waren. Man kann dem Straßburger angesichts dieser Entwicklungen zu einer gewissen Varietät der Positionen daher sogar als ehrenvoll zugute halten, dass er ausdrücklich die gesamte Bandbreite reformierter Konfessionsschriften zur Kenntnis nehmen will, wie er es im zweiten Teil der Polemosophie forderte, und wie er es nun im Proœmium der Hodomoria Spiritus Calviniani nicht nur in allgemeiner Übereinstimmung, sondern unter Entfaltung einer damit über breite Teile identischen Argumentation und Zitatenbenutzung bekräftigt. Er übertrifft die Forderungen von 1548 nun insofern sogar, als er mit einem Zitat aus der diesbezüglich als Referenzwerk dienenden Masson`schen Anatomia universalis45 die Forderung nach integraler Quellenloyalität sogar noch klarer ausdrückt:46 „Beruffen uns abermahl auff alle der Reformirten Confessiones, Catechismos, Kirchenordnungen / Lectiones, Predigten / offentliche und privat gespräche: Bieten demnach Verklägern trotz / wo er einigen Menschen nennen kann / der es bey den unserigen gelesen / oder von ihnen gehört habe / dass sie schreiben / oder lehren sollten / Gott sey nicht Barmhertzig / er sey ein Tyrann / ein Stockmeister / ein Unholt.“ Trotz oder gerade wegen dieses Zugeständnisses an die Existenz einer zweiten Zentralthematik neben der philosopischen Vernunft bei den Reformierten legt Dannhauer nun allerdings um so mehr, und zwar eben innerhalb dieser zweiten Schiene, alles darauf an, sämtliche zwölf Phantasmata als stimmig aus ihrer geistigen Elternschaft im erwählungslogischen Phantasma der Phantasmen herleiten zu können, indem er sie alle der Reihe nach in dieser Weise thetisch definiert und anschließend kommentiert. Auf der Ebene der Ekklesiologie (II. Phantasma) hat

43 Zu Amyraut s. nach wie vor die Standardwerke: Laplanche, Orthodoxie et prédication; Armstrong, Calvinism and the Amyraut heresy. Für einen raschen Überblick über neuere, vor allem deutschsprachige Literatur s. Wenneker, Art. Du Moulin, Pierre. 44 Gausseran, Commentaires sur le climat intellectuel de l’ancienne Académie de Montauban (1600–1659), 25: „Tandis qu’à Sedan l’intolérance était de règle courante, à Montauban elle s’estompait d’un libéralisme et d’une modération, que la venue de nombreux étrangers, Hollandais, Suisses du Canton de Vaud, Ecossais et Suédois inoculait dans nos mœurs et y combattait le rigorisme gênevois [sic] qui s’y était précédemment installé“. Vgl. zu den theologiegeschichtlichmethodologischen Voraussetzungen und Implikationen“ dieses Mittelwegs auch Bolliger, Donne former à l’élection. „La voie du salut“ d’Antoine Garissoles (Montauban, 1637). 45 Massonius Christoph [= Becmann, Christoph]: Anatomia Universalis, Oder Außführliche/ Deutliche/ und Vollständige widerlegung Des Büchleins von XVII. Articuln/ so D. Matthias Hoe vermehret. 46 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, Prooemium, 28: Masson. [Anatomia Universalis; vgl. oben Anm. 45]; part. I. cap. 39. p. 1321.

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das Hauptphantasma zur Folge, dass der Sozialkörper der Reformierten nur aus den Erwählten besteht und darum weder die Anzeichen wahren Kircheseins aufweist noch wahrhaft katholisch ist. Implizit sagt Dannhauer damit auch, dass an die Stelle der Kirche die Erwählungslehre getreten sei, also an die Stelle eines konkreten Sozialkörpers die abstrakte und erst noch sehr anmaßend auftretende Reflexion über die Konstitutionsbedingungen eben dieses Sozialkörpers. Bezüglich der Gotteslehre (III. Phantasma) ist zu beklagen, dass Gott nicht einer, nicht dreieinig, nicht unendlich und nicht in sich eins ist, wie der Polemiker in unüberbietbar lapidarem und gerade dadurch zutiefst aggressiven Stil behauptet. Der Sohn Gottes wurde nämlich nur in den Tropen der biblischen Aussagen, nicht in Wirklichkeit geboren. Gottes Licht ist zudem dunkel, denn er erkennt sich und seinen Ratschluss erst im Nachhinein. Er erschafft den Himmel, doch nur für die Erwählten; freilich verursacht er auch das Schicksal der Verdammten, wodurch er zum Urheber der Sünde wird. Umgekehrt gibt es in der Lehre des Bösen (IV. Phantasma) kein eigentliches moralisches Übel und keine naturgesetzlich feststehenden Schandtaten, und auch abgesehen davon hat die Sünde keinen wirklichen Zugriff auf die Wiedergeborenen. Alles in allem ist nicht der Unglaube allein Grund der Verdammung, sondern letztlich Gott Erzeuger des Bösen. Unter anthropologischem Aspekt (V. Phantasma) ist der Mensch aller Willensfreiheit, auch in natürlichen Dingen, verlustig. Denn ist er erwählt, ist er eo ipso heilig, ansonsten dem Teufel gleich. In der Soteriologie (VI. Phantasma) gibt es wie in der im vierten Phantasma bekämpften Ponerologie kein Naturgesetz, dafür aber zahlreiche theologisch unhaltbare Gesetze gegen den Wortlaut und gegen Sinn der Gesamtheit der göttlichen Gebote des Dekalogs;47 auf der andern Seite ein

47 Für Dannhauer ist die lex im Sinne Calvins vor allen Dingen paranomica, denn es lässt das Gesetz im eigentlichen, göttlichen Sinne außer Acht. Wahres Gesetz ist der Dekalog, gegen den die Reformierten auf der ganzen Linie verstoßen; s. Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150: „[1123] Antinomia I. Deum falsum colito. Deformatum illum in Phantasmate tertio pag. 713. Idolum absoluti [1124] decreti agnoscito, fide prosequitor, pro fonte solatiorum habeto. Vide supra Phantasma φαντασμάτων. pag. 245. [1124] Antinomia II. Imagines Dei nequaquam nulloque modo pingito. [1171] Antinomia III. Nomen h.e. Verbum Dei blasphemato. [1238] Antinomia IV. Diem Dominicum Sanctificato explicatione Textus sacri continua, non pericopatâ; Canito voce assâ, non organicâ: ferias extra-domincales in antiquatis habeto. Bemängelt werden also ein kontinuierlicher, nicht an die Perikopenordnung gebunder Predigttext, das Fehlen einer Orgel sowie von Feiertagen außerhalb der Sonntage, die laut Confessio Helvetica posterior und andern Konfessionen Idolatrie darstellten und nicht biblisch seien. [1258] Antinomia V. Regi Tyranno extra regulam Christi agenti, insurgenti contra Deum vi & armis resistito, deponito, eijcito.

4.1 Apodeixis als Anordnung: Der Ablauf der Trilogie

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Evangelium nur für die Erwählten, das die Substanz des Alten und des Neuen Bundes oder Testaments vermischt. Auch der Wille Gottes (VII. Phantasma) ist eingeschränkt und handelt exklusiv, denn da Gott nicht jedes Einzelnen Vater ist, sondern nur der Erwählten, will er auch nicht, dass alle gerettet werden. Eine Christologie (VIII. Phantasma) existiert eigentlich gar nicht, denn die Union der Naturen wird aufgelöst, und somit auch die gesamte rechtgläubige Christusdoktrin verabschiedet, ja jede irgendwie geartete Rede von Jesus Christus verunmöglicht. Damit aber ist auch der für Dannhauer und das Luthertum in der Folge Mentzers so zentrale, aus der mystischen Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur fließende Kooperationsgedanke in der Gott-Mensch-Relation, ja letztlich das Heil verabschiedet.48 Dies hat insbesondere für die Pneumatologie (IX. Phantasma) und die Lehre von der Vermittlung des Heils durch äußere Mittel fatale Konsequenzen. Es gibt nun keine wirkungsvolle Gnade des Heiligen Geistes, lediglich eine Art mechanischen Totalheiligungsautomatismus bei den

[1266]: Idem hîc esse potest, qui fuit in hodomoriâ Papæâ. nam hîc quoque Spiritus Calvinianus cum Papæo συγκρητίζει, & fraternè conspirat, ovo prognatus ab uno. Gegen die in seinen Augen zu starken Zugeständnisse an die Ständerechte gegenüber der Obrigkeit kann dieselbe Widerlegung wie in der Hodomoria Papæa reproduziert werden könne. [1266]: Idem hîc esse potest, qui fuit in hodomoriâ Papæâ. nam hîc quoque Spiritus Calvinianus cum Papæo συγκρητίζει, & fraternè conspirat, ovo prognatus ab uno. [1275] Antinomia VI. Hæreticos (quos supra in Hodomoriâ definiimus [sic]) qua tales capitali supplicio plectito; decretum est Calvini edito libro in Servetum pulcherrimo [. . .] quo contendit in hæreticos à Magistratu gladio esse animadvertendum [. . .] Diese Haltung und Vorgehensweise entspricht in Dannhauers Augen der päpstlichen Inquisition. [1292] Antinomia VII. Choreas non admittito. [1308] Antinomia VIII. Fures laqueo non suspendito. [1314] Antinomia IX. Simulare ac dissimulare fas esto. Entspricht der reservatio mentalis. [1326] Antinomia X. Originale peccatum hâc lege postremâ pro non vetito agnoscito.“ 48 Es ist aufschlussreich, wie sehr die gesamte Diskussion im achten Phantasma hinsteuert auf diesen soteriologischen Aspekt der Christologie und besonders die Bedingung der Möglichkeit einer mystischen Innewohnung Gottes in der Welt, genauer gesagt, in den Medien zum Inkarnationsnachvollzug: Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, 1464: „Hoc dogma est 1. λυτικὸν Unionis personalis. [. . .]; [1467] 2. ἀμυστικὸν. Quid enim paradoxi habet, Filium Dei omni plenitudine Deitatis in carne Christi habitare διαστάτως, ita intra, ut & ultra? [. . .]“ An die mystische Präsenz Gottes in der menschlichen Natur zu glauben, ist kein Glaubensparadox; sie zu leugnen hingegen eines der fleischlichen Vernunft: [1469] „3. paradoxum, non fidei, sed rationis carnalis. si enim λόγος extra carnem (quæ nunc in cœlo est) mihi in terra præsens, nudè, præsentior mihi erit in terris, quam est suæ carni quæ in terris non amplius est. [. . .]; [1469] 4. Sylagogicum [vgl. Kol 2,8], dum fundamentum salutis, totumque articulum secundum Symboli Apostolici evertit.“

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Erwählten, oder aber leeres Scheingnadenwirken nach Außen ohne realen Anhalt am Innern bei den Verstoßenen, was letztlich sogar dahingehend verstanden werden muss, dass die Sünde gegen den Heiligen Geist einen Akt des verwerfenden Gottes selber darstellt. Entsprechend sind auch Wortverkündigung und Sakramente (X. Phantasma) rein äußere Zeremonien, weder geboten noch heilsbringend; es findet somit eine Leugnung, ja Vernichtung des Sakramentes als solchen statt. Die eschatologische (XI. Phantasma) Auflösung der irdischen Existenz und der Hingang in die Ewigkeit sind dem allem zufolge nur den Erwählten eine Freude. Der Christologie und dem Sakramentsverständnis entsprechend sind die himmlischen und höllischen Örter ohnehin begrenzt.

4.2 Apodeixis im Zweifel: Dannhauers Apologie der Apologetik Nicht erst der heutige ökumenegewöhnte Leser reibt sich ob dieser ganzen kontroverstheologischen Litanei verwundert die Augen. Ist das noch theologische Konsequenz und rein konfessionpolitisch bedingte Härte? Oder geht es einfach nur noch um eine ätzende Karikatur gegnerischer Lehre auf dem Hintergrund territorialer Rivalität zwischen der Elsaßmetropole und der nach der Jahrhundertwende theologisch immer noch so florierenden Pfalz, vor der Kulisse von Hegemonieansprüchen zwischen der protestantischen und der katholischen deutschen Theologenschaft, oder gar schlicht um persönliche Profilierungssucht? Solche Fragen wurden nicht erst in und nach der Epoche der Aufklärung aufgeworfen, sondern zu einem nicht geringen Teil bereits zu Dannhauers Lebzeiten. Sie richteten sich in seinem spezifischen Falle freilich nicht nur an seine jeweilige konkrete, antireformierte, antirömische oder auch antiunitarische Polemik und auch nicht nur an seine ganz persönliche Adresse, sondern darüber hinaus allgemein an diesen Stil und diese Anliegen in der Theologie. Zwei Grundmuster von Fragestellungen sind erkennbar. Die eine betraf konkret die Theologie. Zeugt es nicht eher von arroganter Mutwilligkeit statt von sachgemäßer Texthermeneutik, die Ideen der Gegner immer und immer wieder ausschließlich in pessimam partem zu lesen? Die andere, in ihrem extratheologischen Horizont weiter reichende und von Dannhauer viel ausführlicher und öfter behandelte betraf eher die politische oder sozialethische Seite. Warum nur hat ein christlicher Theologe ein solches Interesse daran, den Frieden mit andern Christen zu verbauen, die immerhin allgemein als protestantische Glaubensgenossen galten? Liegt solches Tun im Interesse der politischen Präsenz und Glaubwürdigkeit der Protestanten im Heiligen Römischen Reich und generell in Europa?

4.2 Apodeixis im Zweifel: Dannhauers Apologie der Apologetik

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Dannhauer beantwortet zwar zumeist beide Arten von Anfragen zugleich, indem er sie indirekt kombinierte und einen bestimmten Zugang zum religiösen Aspekt zur Bedingung der Möglichkeit sinnvoller Reflexion des politischen Aspekts erklärte. Freilich lässt sich so jedenfalls hinsichtlich der jeweiligen Absicht eine gewisse phänomenologische Unterscheidung treffen, die wir im Folgenden daher nach einander würdigen werden (4.2.1. und 4.2.2.). Dennoch ist schon an diesem Punkt unserer Darstellung vorausblickend (auf 4.3.) bereits festzuhalten, dass hinter diesen konkreten Argumenten, die sich jeweils auf eine bestimmte Ebene und einige recht präzise Aspekte beziehen, letztlich eine elementare Skepsis hinsichtlich der anderen Konfessionen zu spüren ist. Diese Skepsis hat theologische Wurzeln, wird durch die intensive Beschäftigung mit der apodiktisch gehaltenen Logik vertieft und verstärkt und führt letztlich zu einer Art Universalisierung oder Ontologisierung einer exklusiven Präferenz der lutherischen Konfession. Ohne diese Tendenz zu einer Ontologisierung als einer Art metaphysischer Aufladung der logischen Fähigkeiten der Wahrnehmung und Schlussfolgerung in der Theologie ist die in diesem Kapitel zu präsentierende Wege-Trilogie nicht voll zu begreifen, und daher auch aus diesem Grunde gesondert zu schildern. Es gehört indes zu den großen Paradoxa im Schaffen wie auch zu den Stärken der Persönlichkeit Dannhauers, dass just die Exklusivität dieser binären Weltsicht in ihrer existentiell-homiletischen und katechetischen Abzweckung schlussendlich zu einer sehr dynamischen, das Individuum und dessen Urteilskraft aufwertenden und damit letztlich hochgradig neuzeitlichen Konzeption von Christsein und Nachfolge führen sollte (wovon unser Kap. 5 handeln wird).

4.2.1 Gegen Einwände theologisch-seelsorglicher Art: das Beispiel der anti-reformierten Polemik Wie Dannhauer andeutungsweise, aber unverhohlen immer wieder erkennen lässt, waren es nicht allein reformierte Kritiker, sondern auch zweifelnde Stimmen aus dem eigenen Lager, die ihn veranlassten, der Hodomorie eine spezifische Apologie seiner antireformierten Agitation voranzustellen, ein Unternehmen, das er vier Jahre später ausführlicher und volksnäher, wenngleich offensichtlich auf der Basis der Hodomoria Spiritus Calviniana, wiederholte. 1658 erschien sein „Reformirtes Salve und // Frieden-Gruß/ // Auff die Prob gestellt / und mit einem // Trewhertzigen Christ-Evangelischen Wider-Gruß // beschencket und

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beantwortet“49. Dieses Werk repliziert auf eine anonyme reformierte Denkschrift aus der Pfalz, war jedoch zugleich Programm, Programm einer Apologie, die hier entsprechend der widerlegten Schrift nun vor allem politische Züge trug. Der pfälzische Kurfürst Karl Ludwig (1617–1680) bat 1656 aus Anlaß der Besuche John Durys (1599–1680), des unermüdlichen, aus Schottland stammenden, in verschiedenen Teilen des Reiches und der Eidgenossenschaft für eine Vereinigung der protestantischen Kirchen gegen Rom aktiv werbenden und theologisch argumentierenden Irenikers, 50 in Heidelberg verschiedene Kirchen und Fakultäten um Gutachten zu dessen Unionsplänen,51 so auch Dannhauer, der darauf natürlich abschlägig antwortete, doch immerhin die Notwendigkeit einer über die rein dogmatischen Argumente hinausgehenden Rechtfertigung verspürte. Die Pfälzer und generell die Reformierten

49 Reformirtes Salve und // Frieden-Gruß/ // Auff die Prob gestellt / und mit einem // Trewhertzigen Christ-Evangelischen Wider-Gruß // beschencket und beantwortet [. . .] Sraßburg, 1658, DWV 166. Die Schrift reagiert, wie sie auf S. B jjjj unter Zitation des ihres Titelblatts bekannt gibt, auf das Werk von Pitiscus, Bartholomaeus: Treuhertzige Vermahnung der Pfältzischen Kirchen/ An alle andere Evangelische Kirchen in Teutschland: Daß sie doch die grosse gefahr/ die ihnen so wohl/ als uns/ vom Papstum fürstehet/ in acht nehmen: und die einheimische/ unnöhtige/ oder ja nunmehr genugsam erörterte Streite/ dermahleins Christlich und Brüderlich mit uns aufheben und hinlegen wollen; [Kassel]: Ingebrand; Marburg: Stock, 1682 – VD17: 12:198673Z; nebst Wiederauflage als Teil einer Sammlung von 1683. Dannhauers Wiedergabe des Frontispiz lautet: Treuhertzige Vermahnung der Pfältzischen Kirchen/ an alle Evangelische Kirchen in Teutschland / dass sie doch die grosse Gefahr / die jhnen so wohl / als vns vom Papstthum fürstehet / in acht nehmen / und die Einheimische vnnöthige / oder ja nunmehr gnugsam erörterte Streitte / dermahleins Christlich vnd Brüderlich mit vns Auffheben vnd hinlegen wollen. – Dieses erst gegen Ende des Jahrhunderts gedruckt auffindbare Werk war Dannhauer anscheinend als Manuskript bekannt, möglicherweise auch durch einen verloren gegangenen oder jedenfalls derzeit nicht bekannten früheren Druck. Vermutlich erklärt dies auch die minimen Abweichungen seiner Zitation. Die Abfassung der Schrift selber kann vom VD 17 aufgrund innerer chronologischer Hinweise präzise auf 1602 datiert werden. Die Verfasserschaft des Pitiscus wird dort aufgrund des Katalogs der Staatsbiblibiothek zu Berlin–Preußischer Kulturbesitz im VD 17 genannt; bleibt jedoch eine unsichere, konjizierte Zuweisung. Der aus Schlesien stammende Pitiscus (1561–1613) gilt als einflussreicher Mathematiker, speziell im Bereich der Trigonometrie, und war Hofprediger Friedrichs IV. Pfalzgrafen bei Rhein, dessen Erzieher er gewesen war, und den er aus beidseits lutherischem Elternhause zur reformierten Kirche geführt hatte. 50 Nebst dem nicht mehr ganz taufrischen Klassiker von Batten, John Dury. Advocate of Christian Reunion, und einer Reihe von kleinerer Publikationen und Lexikonartikeln s. jetzt neu Léchot, Un christianisme „sans partialité“, irénisme et méthode chez John Dury. 51 Zu den Umständen der Redaktion des Reformierten Salve s. Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 46–50.

4.2 Apodeixis im Zweifel: Dannhauers Apologie der Apologetik

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innerhalb des Römischen Reiches, so schreibt er, sind nicht etwa so irenophili, wie sie selber vorzugeben belieben oder aufrichtig dachten. Im Gegenteil verunmöglichen sie durch ihre allzu undeutliche, verwischende Rhetorik einen dauerhaften Frieden, der, wie er auch hier betont, nur auf der Grundlage echter religiöser Verständigung möglich wäre. Dem reformierten Friedens-Gruß ist daher ein Christ-Evangelischer „Wider-Gruß“ zu entgegnen, der es eher als verdient hat, „treuhertzig“ genannt zu werden, da er den Dingen auf den Grund geht. Es ist daher indirekt ebenfalls politisch motiviert, wenn Dannhauer sich immer wieder auf die Integralität des konsultierten Konfessionsmaterials auf die Integrität seines Vorgehens und damit auch seines Gewissens beruft. Denn wie schon die Hodomoria erklärt, sind die Reformierten nicht etwa, wie sie selber gerne glauben möchten, wahrheitsunmittelbar und ohne konfessionelle Züge ihres Auftretens. Auch wenn sie nicht wie die Lutheraner den Namen eines Menschen, sondern ihren Anspruch auf angemessene Wiederherstellung des wahrhaften Glaubens zur Bezeichnung ihrer Bewegung machen wollen, sind sie letztlich Schüler ihrer Meister. Sie nach dem bedeutendsten dieser Lehrer Calvinisten zu nennen, ist daher nicht nur legitim, sondern sogar nötig. Nur so kann der ihrem Tun innewohnende, ihn anstiftende und bewegende Geist aufgespürt werden, der Spiritus Calvinianus, der dieser ganzen Hodomorie ihr spezifisches Epithet und damit ihren Titel verleiht: „Ist er auch nicht sichtbar, so doch lebendig, hartnäckig, unsterblich und aller folgenden Phantasmata Baumeister“, und als solchen gilt es, ihn „der Torheit zu überführen“52. Diese Einschätzung der geistlichen Sachlage und die daraus gefolgerte geistige Aufgabenstellung könnten einen Anhalt zur Beantwortung der Frage geben, inwieweit Dannhauer sich der oft grotesken Züge seiner Darstellung reformierter Theologie selber bewusst war. Sah er seine Karikatur als getreue Nachahmung, als Zerrbild oder als eine von diesen beiden Möglichkeiten noch einmal zu unterscheidende Wiedergabe der gegnerischen Theologie? Vieles spricht für die dritte Möglichkeit. Er sah seine Beschreibung zwar als im Einklang mit den normativen Unterlagen der Gegner stehend, dabei jedoch vor allem im Einklang mit dem eigentlichen, von ihm als solchen entlarvten Geist dieser Texte, der sie animierte. Dannhauers Verdikt ist daher letztlich eher ein theologisches denn ein im strikten Sinne ausschließlich logisches. Sein trauriges Lied der kalvinistischen Irrtümer und Lästerungen beginnt, erklingt und endet immer wieder auf dem

52 Hodomoria Spiritus Calviniani, DWV 150, 5 f.: „[. . .] Spiritum Calvinianum, invisibilem illum sed vivum, pertinacem, immortalem, Phantasmatum sequentium architectum morię convinci [. . .].“

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selben Ton der Hoffnungslosigkeit: Alles ist zum Vorneherein schon ausgemacht. Das Spiel ist entschieden, bevor es begonnen hat. Das hat nicht nur zur Folge, dass der Mensch Gott auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Es bedeutet vor allem auch, dass eine wie auch immer geartete, aber echte Gemeinschaft des Menschen mit Gott bei den Reformierten nicht zu erkennen ist. Gerade dieser letztere Punkt wird dem in seiner Christologie zwar nicht sehr plakativ auftragenden, biographisch und intellektuell jedoch tief von der lutherischen unio-mystica-Lehre geprägten Autor mindestens so sehr ein Dorn im Auge gewesen sein wie der angebliche Fatalismus, nicht nur in Bezug auf die in seinen Augen pervertierte Sache selbst, sondern auch in Hinsicht auf die durch sie Betroffenen. Es spricht und schreibt hier unter der Maske der konfessionell konkurrierenden Härte zumindest ein Stück weit auch brüderlich seelsorgliches Bemühen unter den Beziehungen seiner Zeit.

4.2.2 Gegen Einwände politisch-taktischer Art: Dannhauers genereller Antisynkretismus In Bezug auf den politischen Aspekt der theologischen Konflikte war Dannhauer generell der Ansicht, dass Friede ohne Religionseinheit nicht zu haben sei. In mehr oder weniger diametraler Differenz zur Grundüberzeugung heutiger Ökumene hat für ihn die Einheit der Lehre aller Einheit des Handelns voranzugehen. Ansonsten sei Friede, so betont Dannhauer gegenüber allen seinen Gegnern in gleicher, elementarer Weise, nicht als eine reine Illusion. Zwar wäre diese Einheit der Lehre auch in Dannhauers Augen, falls alle möglichen Partner sich daran aktiv und aufrichtig beteiligen wollten, eines Tages herzustellen. Konkret hätte das freilich kaum etwas Anderes bedeuten können, als dass sich die nichtlutherischen Diskussionspartner dem Luthertum unter Verzicht auf ihre eigenen Paritkulardoktrinen einfach anschlossen. Da dies weder zeitaktuell der Fall noch auch in irgend einer Weise am Horizont erkennbar war, war religiöser und somit auch politischer Friede zwar nicht letztlich und im strengsten Sinne des Wortes eine Illusion, wie dies etwa für die Überzeugungen der Gegner in Dannhauers Augen zutraf, aber eben auch nicht in der Gegenwart erreichbar. Friede wurde also verlagert in eine nicht a priori undenkbare, aber doch rein zukünftige Potentialität, deren Verwirklichung letztlich nur mehr als imaginär erscheinen konnte. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Dannhauer eine tatsächliche Verständigung unter den Konfessionen und daraus resultierende politische Aussöhnungen als eine Utopie ansah, deren grenzwertige Möglichkeit zwar in die Wirklichkeit hinüberreicht, faktisch aber dort niemals ankommt. Die pragmatische Alternative eines auf einer reduzierten Anzahl von Glaubensartikeln aufbauenden Minimal-

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konsenses erschien ihm daher besonders gefährlich. Für seinen skeptischen Geist erfüllte sie die realen Bedingungen wahren Friedens nicht nur nicht wirklich, sondern täuschte zudem umgekehrt eben deren Erfüllung in fataler Weise vor. Mochte solches auch aus guter Absicht und in aller persönlichen Aufrichtigkeit geschehen, schien dies dem orthodoxen Straßburger nur umso fataler, denn es galt ihm als Beweis für den diabolischen Ursprung solcher Theorien, der sogar deren Urhebern selber die intrinische Widersprüchlichkeit ihrer Einlösung verbarg. Nebst eher beiläufig besprochenen irenischen Persönlichkeiten wie dem Irenarcha Grotius,53 mit seinem Programm eines allgemeinen, komplett konfessionstranszendenten Religionskonzepts und reformierten Theologen wie David Paraeus (1548–1622) mit ihrem spezifischen Irenismus54 waren es daher folgerichtig vornehmlich die beiden Hauptvertreter einer Verständigungspolitik mittels vorgängiger Stoffminderung auf die konsensuellen Inhalte, Georg Calixt (1586–1656) und John Dury (1596–1680), die nacheinander zu den erbittert bekämpften Gegnern Dannhauers zählten. Mit Calixt und generell der Helmstedter Theologie setzte Dannhauer sich in den späteren 1640er Jahren auseinander, als er im Anschluss an das Thorner Religionsgespräch im Namen der Fakultät ein Gutachten verfasste.55 Mit John Dury kreuzte er die geistigen Klingen vor allem56 ganz gegen Ende seines Lebens,57 als der Engländer bei der Witwe des Landgrafen Wilhelm VI. von Hessen-Kassel (1629–1663) Hedwig Sophie von Hohenzollern (1623–1683) Zuflucht

53 MYSTERIUM SYNCRETISMI DETECTI 65), 21.27. 54 Mysterium syncretismi detecti, DWV 113, 19: David Paräus und Conrad Berg. 55 Gedruckt wurde es freilich erst 1660; s. Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 51. Der um dieses Gutachten mittels eines Boten anfragenden theologischen Fakultät in Königsberg antworteten die Straßburger Kollegen, gefährliche Ärgernisse seien zu befürchten „wo nicht bei Zeiten gewehrt und der in Gefahr stehenden Kirche gerathen würde“, weshalb „aus christlicher Liebe, schuldiger Wachsamkeit, Gewissens- und auch Pflichtenhalber“ Calixts Lehre abzulehnen und Einhalt zu gebieten sei. Der Text ist von Horning vermutlich aus dem Lateinischen übersetzt, einer in seiner Biographie häufigen, wenngleich selten ausdrücklich angezeigten Usanz entsprechend. Zu einem analogen, die eigene Schärfe verteidigenden Schreiben der Wittenberger theologischen Fakultät s. Staemmler, Die Auseinandersetzung der kursächsischen Theologen mit dem Helmstedter Synkretismus, 80 f. 56 Dannhauer erwähnt ihn freilich bereits auch im Zusammenhang der Kämpfe gegen Calixt, so etwa im Mysterium syncretismi detecti, DWV 113, 19. 57 Dannhauer: NUNCIUS // NVNCIO-BRITANNICO // JOHANN. DURÆO // missus // à // JOHAN. CONRADO // DANNHAWERO, Doctore & // Professore Theologo in Academia // Argentoratensi // cui acceßit // HYPOMNEMA // Apologeticum // BALTHASAR. BEBELII // SS. Theol. D. & Professoris publici // in Academia Argentoratensi // Impensis GEORGII ANDRÆ DOLHOPFF & // JOH. EBERHARDI ZETZNERI Bibliopolar. // ANNO M DC LXIV, DWV 226. – 12:108026 C.

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fand und seine Unionspläne mit deren Unterstützung fortführen konnte.58 Während die Attacke auf den heroischen Duraeus teilweise bereits von Dannhauers geistigem Sohn Balthasar Bebel (1632–1686)59 geführt wurde, erwuchs aus der Auseinandersetzung mit Calixt eine umfassende Apologie des überaus scharfen antisynkretistischen Kurses, den die Straßburger Fakultät zu fahren für richtig erachtete. Sie wurde über das Instrument einer umfassenden Geschichtsschau geführt, die so universal angelegt war, dass sie nicht nur Anfang und Ende der Geschichte der Menschheit, sondern darüber hinaus auch deren Proton wie auch ihr Eschaton einbezogen wurde. Die protologische Perspektive wurde in einem auf gewaltigen Umfang über alle Jahrhunderte angelegten, wenngleich nur recht teilweise literarisch verwirklichten, Geschichtsdrama vorgestellt, dessen titelgebende Heldin Christeis60 als Gemahlin61 Christi und als



John Dury: Johannis Duraei Appellatio ad tribunal supremi Judicis Jesu Christi Domini Nostri, adversus Accusationes et condemnationes nuncii emissi in vulgus à Johanne Conrado Danhawero, Amsterdam, 1665. – Dannhauer: REPULSA // APPELLATIONIS // NULLIUS, // Quam nuper edidit // JOH. DURAEUS BRITANNUS, // hoc titulo, // APPELLATIO // ad Tribunal supremi Judicis // JESU CHRISTI DOMINI NOSTRI, // adversus Accusationes & conde- // mnationes Nuncii emissi // in vulgus: // à // JOH. CONRADO DANN- // HAWERO // [. . .] // àq, // BALTHASARE BAEBELIO // [. . .] // ARGENTORATI, // Apud GEORG. ANDREAM DOLHOPFF. // & JOW. EBERHARD. ZETZNERUM. // Anno M. DC. LXVI, DWV 247. – 39:118435B. 58 Vgl. Bautz, Art. Dury (Dury, Duraeus), John. 59 Gaß, Art. Bebel, Balthasar. 60 Der Titel wurde ein gutes Jahrhundert später, 1759 von Joachim Gottlob am Ende (1704–1777), für ein monumentales Epos verwendet, s. Czapla, Schulpforta und die Bibelepik des 18. Jahrhunderts. Klopstocks Lehrer Johann Joachim Gottlob am Ende als Dichter und Theologe. Zur Person s Bautz, Art. Am Ende, Johann Joachim Gottlob, sowie die Personalartikel in ADB und NDB. 61 CHRISTEIS // SIVE // DRAMA // SACRUM, // In quo Ecclesiæ militia a Iesu Chri- // sto ad thronum cœlestem exaltato, ad // novissimum // usqve ac præsens seculum deducitur, // ænigmatice primum, post aperto // commentario. // ACTUS PRIMUS, // Trisecularem Ecclesiæ sortem a // CHRISTO in cœlos sublimato, usqve ad CONSTANTINUM // M. in throno victoriae terrestri considentem // exhibens, Straßburg (Mülbe) 1646, DWV 106. Eine Editio Secunda Et Aucta, Cum subiuncta praefatione, operis posthumi rationes complectente erschien 1696 in Wittenberg bei Hake (DWV 313), herausgegeben durch den Kopenhagener Theologieprofessor Joh. Friedrich Wandal (1656–1710). Derselbe Wandal ließ 1708 aus dem Nachlaß einen zweiten Band postum in Kopenhagen erscheinen (DWV 321). Während der erste Akt Trisecularem Ecclesiae sortem à Christo in coelos sublimato, usque ad Constantinum M[agnum] in threno victoriae terrestri considentem darstellt, erschien dieser zweite, bis Kaiser Heraklios (610–641) reichende Band trotz offenbar verhältnismäßig weit gediehener Vorarbeiten also erst drei Jahrzehnte nach seinem Ableben, und weitere Akte dann überhaupt keine mehr. Von einem Plan von Dannhauers Nachfolger Balthasar Bebel, Manuskripte für den gesamten verbleibenden Zeitraum bis Karl. V. zu publizieren,

4.2 Apodeixis im Zweifel: Dannhauers Apologie der Apologetik

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Mutter der fünf altkirchlichen Patriarchate aufritt.62 Christeis ist mit andern Worten die hypostasierte Kirche Christi, die sich in Gestalt ihrer Filialkirchen gegen Angriffe aller Art zu verteidigen hat, seien es solche heidnischer Herkunft in Form von Verleumdungen, Verachtung und militärischen Angriffen, seien es solche aus den eigenen Reihen durch unheiligen Lebenswandel, irrige Lehren, vor allem aber durch Bereitschaft zum Synkretismus.63 Die Anfechtungen der Kirche durch den die Reinheit nicht nur ihres Wandels, sondern noch mehr ihrer Lehre angreifenden Satan beginnen freilich nicht erst auf Erden. Nicht nur Christus selber, sondern auch seine Gemahlin kennt in diesem Drama eine Präexistenz. Freilich bleiben ihnen dort die Herausforderungen ihres irdischen Kampfes nicht etwa elysiumsgleich fern, sondern werden im Gegenteil in besonder markanter Gestalt sichtbar, da ihnen der Autor dialogisch und chorisch ziselierte Klarheit zukommen lässt. Schon vor der Aufnahme ihres nachpfingstlichen Wirkens ist die Kirche so Ecclesia Christi – wie eine vom Frontispiz leicht abweichende Fassung des Titels verdeutlicht – ut militans,64 die unter Assistenz ihres Gatten gegen die Machenschaften der teuflischen Truppen standhalten muss. Die protologische Dimension des literarischen Dramas eröffnet damit eine

berichtet Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 15. Auch der 1648 im Mysterium syncretismi detectum, Art. IV, § 18, 144, veröffentlichte Verweis „in Christeide [. . .] exemplis plurimis in antiquitate obviis porro demonstrabimus“ ist aufgrund ihrer futurischen Form wohl im Sinne einer Voranzeige von noch zu erscheinenden Werkteilen zu verstehen. 62 Obschon in der Betitelung morphologisch entsprechend gebildete Werke – zu nennen wären etwa Achilleis, Aeneis, Aethiopis, Alkmeonis, Hebraeis, Romaeis, Telegonis oder Thebais – sämtliche aus der antiken sowie frühneuzeitlichen Epik entstammen, und auch unter dem Titel Christeis selber bereits 1607 ein 57 Seiten starkes Epos erschienen war, kündigt das Frontispiz der Dannhauerschen Christeis ein Drama an. Zwar hatte sich Dannhauer an der Gattung des Epos schon in seiner Jugend versucht; die epische Form war ihm also nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch keineswegs unvertraut. Doch auch die Analogie in der Wortbildung des Titels erfolgte keineswegs grundlos, dominiert doch in diesem Drama sacrum ganz wie in den genannten Epen die dem Titel gleichnamige Hypostase. So wie etwa die Geschicke des Aenas in Vergils Aeneis oder diejenigen der Hebraei reges in der Hebraeis des Nicodemus Frischlin besungen werden, so enthält die Geschichte der Person Christeis den ganzen Inhalt des Dannhauerschen Dramas. 63 Vgl. zu diesem bisher in der Literatur m. W. noch nie eingehend besprochenen Drama meinen Interpretationsvorschlag: Bolliger, Johann Conrad Dannhauers Christeis sive drama sacrum. 64 Christeis sive drama sacrum, DWV 106, 1: „Christeidos / sive / Dramatis sacri, in quo Ecclesia Christi à primâ/ infantiâ ad præsens usque seculum, ut militans, in theatrum / primùm symbolicè, post apertius ac historicè, unà / cum perspicuo, commentario, unà / cum perspicuo commentario pro-/ ducitur.“

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protologische Perspektive auf das Drama der Weltgeschichte. Christeis erscheint als eine himmlische Hypostase christlicher Gemeinschaft, die allen zeitlichen Manifestationen realen Kircheseins vorausgeht, die aber selbst in dieser scheinbaren Idylle bereits mit dem befasst ist, was sie bis Konstantin den Großen in Atem halten wird, nämlich ihrem sehr erdennahen Kampf ums bloße Überleben. Beizeiten, ja allerbaldigst lernt sie Freund und vor allem Feind, das heißt den Satan mit den ihm dienstbaren Häresiarchen, Messiasprätendenten und Caesaren kennen und kann sich auf sie vorbereiten. Es wird nicht zuviel interpretiert sein, hier eine programmatische Botschaft zu sehen: Kirche ohne Kampf gab es nie, denkbar wäre sie noch nicht einmal in der Gegenwart des erhöhten Christus selbst. Wer daher die Notwendigkeit dieses Kampfes leugnen möchte, wie dies die Helmstedter und ihre Alliierten tun, hat das eigentliche Wesen von Kirchesein nicht nur nicht verstanden, sondern hindert sie zudem an ihrer eigentlichen Berufung. Wenn nun aber gleichsam die Berufung von Kirche im Kampf gegen Aufmischung und Aufweichung der rechten Lehre besteht, wenn sie mit andern Worten essentiell antisynkretistisch strukturiert ist, wie es die Christeis suggeriert, bleibt dann die interkonfessionelle Lage nicht nur auf lange Frist, sondern schlicht grundsätzlich und bis ans Ende der Tage hoffnungslos? Diese implizit gestellte Frage verneint Dannhauer nicht, ohne sie indes zu bejahen: Die protologisch präsentierte Sicht der Dinge präfiguriert die eschatologische Perspektive auf sie weit gehend, aber nicht vollständig. Dies ist die hauptsächliche Aussage einer zwei Jahre nach der Christeis veröffentlichten Schrift mit dem programmatischen Titel: Mysterivm Syncretismi detecti, proscripti, et symphonismo compensati.65 Sie kann als eigentliche Parallelschrift zur Christeis verstanden werden, zumal auch die Widmungsadresse sie als handliche, für Studenten erschwingliche Einführung ins Drama präsentiert66. Auch hier geht

65 MYSTERIVM // SYNCRETISMI // DETECTI, PROSCRI- // PTI, ET SYMPHO- // NISMO COMPEN- // SATI, DWV 113, Straßburg 1648. 66 Mysterium syncretismi detecti, DWV 113, Dedikationsadresse an den Colmarer Stättmeister Johann Heinrich Mogg († 1668), Seite)( 3. Nachdem Dannhauer die Vergeblichkeit allen Mühens um irdischen Frieden ohne vorgängigen Religionsfrieden feststellt, erklärt er die Aufdeckung der Hindernisse zum Frieden zum Ziel der dedizierten Schrift. Er will nicht anklagen, sondern aufbauen, a. a. O.: „Classicum non cano, sed caveo: nullius luminibus obstruo, sed veritati fenestras, ut pelluceat, struo: Syncretismum detego [. . .].“ Er will warnen, bevor die Kinder der Zeit den Schalmeienklängen eines neuen Rattenfängers von Hameln erliegen, bevor aus dem bösen Ei der Basilisk entkriecht, bevor das üble Kochgut die Pfanne vergiftet. Sein Ziel ist, das alte bellum sacrum mittels eines Symphonismus (s. unten S. 222) beizeiten eindämmern zu lassen, bevor es erneut wirksam werden kann.

4.2 Apodeixis im Zweifel: Dannhauers Apologie der Apologetik

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es erst einmal um Synkretismusbekämpfung, darum, aus dem in Dannhauers Augen so bedrohlichen mysterium die geschmälerte Gefahr mysterii detecti werden zu lassen. Solche Aufdeckung des Mysteriums des Synkretismus geschieht in der ersten Sektion der Schrift von 1648 entlang einer ausführlichen Syncretismi Historia.67 Diese Historie beginnt zwar nun bereits mit dem Syncretismus Paradisiacus Evæ cum sathana und endet erst mit dem Syncretismus Politicus der unmittelbaren Gegenwart Dannhauers.68 In den Grundlinien aber folgt sie der Christeis weitgehend, auf welche sie auch laufend explizit Bezug nimmt.69 Doch während das Drama von 1646 auf die als in der Antike liegend vorgestellten Ursprünge des Synkretismus zumindest faktisch beschränkt bleibt, befasst sich die Schrift von 1648 mit dem gegenwärtigen Synkretismus in seinen verschiedenen Spielarten, aber auch mit dessen zukünftiger Auflösung durch

67 Hinter dem Zusammenfall dieser beiden Texte dürfte eine mehr als eine rein zeitliche Koinzidenz zu sehen sein. Vielmehr wird Dannhauer, zweifellos maßgeblich an der Konzipierung des Gutachtens beteiligt, so erstmals intensiv in die Thematik hineingestoßen worden sein. Nicht nur ist das Straßburger Gutachten von 1646 selber Ausdruck und Folge der deutlichen Verschärfung des Konflikts im Anschluss an das Thorner Religionsgespräch, es führte Dannhauer sicherlich vielmehr weiter zur Frage, wie eigentlich überzeugend gegen Calixt zu argumentieren sei, möglichst so überzeugend, dass auch breitere, über den Kreis professioneller Exponenten der Orthodoxie hinausreichende Massen anzusprechen waren. Es dürfte diese Frage gewesen sein, die den Rhetoriker und Dogmatiker Dannhauer sich einem Gebiet zuwenden ließ, dass ihm ansonsten, unbenommen der Weite seines Horizontes, eher verschlossen blieb, dem der Geschichtsschreibung. Seine letzte große der Thematik des Antichrists gewidmete Veröffentlichtung vor der Christeis, die Antichristosophia des Jahres 1640, sprang noch ziemlich direkt vom Neuen Testament zur Gegenwart. Da jedoch Calixts – und, ein Stück weit, auch Durys – Erfolg genau darin bestand, nur noch mittelbar dogmatisch, sondern eher mittels historischer Deduktion theologischer Aussagen zu argumentieren, wollte Dannhauer dieser Vorgehensweise augenscheinlich auf Augenhöhe begegnen können. 68 Mysterivm Syncretismi Detecti, DWV 113, 7: „Syncretismus (I.) Paradisiacus [. . .] II. Setho Cainicus [8]. III. Babelicus [9]. IV. Aegypto-Israëliticus [10]. V. Samaritanus delineatus [11]. VI. Pseudo-Apostolicus [. . .]. VII. Christiano-Ethnicus [12]. VIII. Christiano-Iudaicus [. . .]. IX. Hæreticus. 1. Simoniacus [. . .]. 2. Carpocratianus [. . .]. 3. Nicolaito-Iezabelicus [. . .]. 4. Arianus [sic; nicht kursiv]. [13] 5. Macedonianus [14]. 6. Donatisticus [. . .]. 7. Monotheleticus [. . .]. 8. Novatianus [. . .]. 9. Mahumetismus [15]. 10. Interimisticus [16]. 11. Papisticus [sic; nicht kursiv]. [18] 12. Calvinianus [20]. 13. Arminianus [. . .]. 14. Photinianus [21]. 15. Grotianus [33;. XV. [sic; vermutlich für XVI] Pseudo-Politicus].“ 69 Mysterivm Syncretismi Detecti, DWV 113,)(3, „4. (protheor. phaenom. 4, p. 188 & seqq.; act. I. theatr. 1 phaenom. 2, pag. 75.77.83), 11 (Theatr. 1 Phaenom. 2. pag. 53; Theatr. 1 phaenom. 1. pag. 461), 12 (l.c. 467), 46 (Act. 1. paropt. dram. Metamorph. 7. p. 859. & seqq.), 49 (Act. 1. theatr. 1, phaenom. 8. p. 269. & seqq.), 62 (act. 1. theatr. 1, phaenom. 9, p. 400), 129 (act. 1, theatr. 3. phaen. 3. pag. 656. seqq.), 131 (act. 1. theatr. 3. phaenom. 2; l. 1. p. 654), 144 (in Christeide [. . .] exemplis plurimis in antiquitate obviis porro demonstrabimus; act. 1. theatr. 3. Phaenom. 1, pag. 606).“

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einen Symphonismus, das heißt durch eine Einigung der divergierenden Religionspartien mittels eines angemessen Lehrvergleichs.70 Dannhauer plädiert gegen Ende des Traktats für nicht weniger als das im Reformationsjahrhundert bekanntlich so nicht zustande gekommene universale Konzil. Wenn unter Hintanstellung aller partikularkirchlichen Sonderinteressen vermittels der Leitungskraft der weltlichen Macht eine Versammlung in der Weise der altkirchlichen Synode gelänge,71 wäre sie zur gemeinsamen Ermittlung der Wahrheit überaus förderlich.72 Diese Hoffnungsperspektive auf dem Hintergrund einer Weltenharmonie, die durch den ursprünglich musikwissenschaftlichen Term des Symphonismus beschrieben wird, sei allen realen Widerständen73 zum Trotz keineswegs an sich unmöglich, falls gewisse Bedingungen respektiert würden. 70 Mysterivm Syncretismi Detecti, DWV 113: „1: Proœmium. [6] Sectio I. Syncretismi Historia. [37] Sectio II. Syncretismorum Digestio. [53] Sectio III. Syncretismi digesti Definitio. [67] Sectio IV: Syncretismi definiti Proscriptio. [99] Syncretismi definiti proscriptio continuata. [119] Sectio V: Syncretismi proscripti compensatio per Christianum Symphonismum. [123] Sect[ionis]. V. Artic. I. Choragi Imploratio religiosa precum symphoniam. [124] Artic. II. Finis intermedius, soni consoni rectique confectatio & palinodia soni absurdi, hoc est, veritatis indago, illuminatio, persuasio, convictio, ad αὐτοκατάκρισιν usque & displicentiam falsi, veri itidem confectationem. [128] Artic. III. Symphonia synodica, hoc est, Concilium divinum origine, salutare fine, pulchrum ordine, sacrosanctum normâ. [143] Artic. IV. Vocum commissarum σύῤῥαξις Dialogus sive Disputatio partium inter se. [152] Articulus V. Apparatus ad Colloquium. [155] Epilogus.“ 71 Mysterium syncretismi detecti, DWV 113, 129: „[. . .] non desperabimus tamen omninò, si Deus hanc proceribus Europæis instillaret mentem, ut gloriæ divinæ pacisque studio sincero ducti, obices dignitatum, commodorum, respectuum propriorum tantisper removeant, & simultates privates Ecclesiæ condonent, & tale Concilium, quale oportuit, adornent: ut officii alii sui & gregis commissi, de quo summo iudici olim respondebunt, memores, alii sensu suæ captivitatis tacti, in se ipsos reflexi, spiritus induant Iosianos, Fridericianos, Henricianos, Ludovicianos, quos calumnia Jesuitica, Maiestatum criminatrix, schismaticos vocat.“ 72 Mysterium syncretismi detecti, DWV 113, 128: „Ad veritatis indaginem & evictionem opportunum, expediens, salutare, ac [. . .] ex ὑποθέσει necessarium est remedium synodale; CONCILIUM totius Ecclesiæ repræsentativum, utpote 1. haut impoßibile, sed ἐφ᾽ ἡμῖν, περὶ τῶν ἐν ἡμῖν πρακτικῶν.“ 73 In der Beschreibung dieser Widerstände lehnt sich MYSTERIUM SYNCRETISMI DETECTI 65), 129, ausdrücklich an Calixts Scripta Facientia ad Colloquium A Serenissimo Et Potentissimo Poloniae Rege Vladislao IV: Torunii in Borussia Ad Diem X. Octobris Gregoriani in Anno MDCXLIV Indictum, Et Deinde Usque In Annum Sequentem Diemque XXIIX Augusti Dilatum Accessit Georgii Calixti [. . .] CONSIDERATIO ET EΠΙΚΡΙΣΙΣ, Helmstedt (Müller), 1645 (VD17:

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Dannhauer präsentiert diese Konditionen mit Metaphern der Musik, indem er beschreibt, welche vier Etappen in einem Orchester zum Erreichen eines Wohlklanges zu beachten seien.74 Nach einer ersten, himmlischen und seraphischen Symphonie (im Anklang an Mt 18,19) der an den (wahren) Irenarcha Christus um Einigung gerichteten Gebete aller Spielenden sind zweitens alle eigenmächtig und offenkundig dissonanten Melodien oder Tonarten mittels Palinodie zu entfernen: Falsche Grundmelodien alias Heterodoxien sollen erneut gespielt und – es lebe die späthumanistische Freude an der Polysemie (der Vokabel palinodia) – als solche in ihrer Dissonanz an den reformatorischlutherischen Glaubensnormen entlarvt und widerrufen werden. Die solchermaßen zu gemeinsamem Spiel vereinten Musiker respektive die zum Konzil zusammen getretenen Kirchen sollen sich in einem dritten Schritt auf den Grundton des Dirigenten und so dann viertens auch unter einander einstimmen, indem sie sinnvolle, konsensorientierte Verfahrens- und Disputationsregeln beschließen. Dass diese Verständigungsperspektive in einer metaphorischen Bildlichkeit des Akustischen, und nicht des Visuellen, präsentiert wird, ist bemerkenswert. Obschon hier ein lange vor Dannhauer begonnenes Sprachspiel aufgegriffen wird,75 wirkt es

23:686447Y; 23:629987V; 12:153076E); deren num. 54 er zitiert. Zum Kontext und Zweck der Entstehung dieser „wohl als Empfehlungsschreiben für eine Teilnahme am Thoruner Religionsgespräch konzipierten Schrift“ s. Böttigheimer, Zwischen Polemik und Irenik. Die Theologie der einen Kirche bei Georg Calixt, 53 f. 74 Sie entsprechen den ersten vier Artikeln der fünften Sektion der Schrift, vgl. die Überschriften in obiger Anm. 70. 75 So wird beispielsweise bereits eine Schrift mit dieser Metapher betitelt durch Polansdorf, Amandus Polanus a: Symphonia catholica, seu Consensus catholicus et orthodoxus dogmatum hodiernae Ecclesiae ex praescripto verbi Dei reformatae, et veteris apostolicae catholicae, maxime illius quae primis aliquot seculis floruit, distinctorum thesibus inter reformatos et alios ipsis contradicentes controversis, quibus passim declaratis testimonia antiquitatis ex conciliis, Patrum veterum scriptis, romanorum imperatorum scriptis, romanorum imperatorum legibus et constitutionibus, historia ecclesiastica, pontificum romanorum epistolis ac jure canonico et cardinalium scholasticorumque veterum libris bona fide subnexa, cum indice triplici [. . .], Basel (Waldkirch) 1607 (VD17: 39:145547A). Dannhauer, Mysterium syncretismi detecti, DWV 113, 50, zitiert eine Straßburger Dissertation unter der Leitung seines berühmten Kollegen Johann Schmidt – der zusammen mit Dannhauer und Johann Georg Dorsche die sog. Johanneische Trias der Straßburger theologischen Fakultät bildete – mit dem Titel: Symboli apostolici ΔΙΑΠΟΡΘΩΣΙΣ, brevis atque succincta, Scholastico-methodica, In quâ nec non Ejusdem cum Scripturâ S. sive Verbo DEI ἐγγράφῳ Catholica atque Panharmonica instituitur SYMPHONIA: proposita ad placidè ventilandum PUBLICE atque SOLENNITER, in celeberrimâ Argentoratensium Universitate [. . .], Straßburg (Diezel) 1635 (VD 12:174305D).

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4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis

eindrücklich, dass in den Dannhauerschen Schriften auf der Ebene des Hörens zwar Dissonanzen und sonstige Missklänge aufreten, kaum aber so etwas wie Täuschung oder Halluzination entstehen kann. Ein Ton ist ein Ton, wenngleich vielleicht ein falscher. Ein Licht ist hingegen nicht immer ein Licht, sondern manchmal eben auch – nichts. Ja, schlimmer noch, zuweilen ist ein Licht nicht einfach nur ein harmloses Nichts, sondern eine fatale Illusion.

4.3 Apodeixis als Seinsordnung: Ontologisierung als Anspruch der Trilogie Es ist der erwähnte Gedankengang des illusorischen Lichts, ja einer Vielzahl scheinbar lichtvoller Illusionen, der der Wege-Trilogie ihren umfassendsten und zugleich elementarsten Rahmen geben sollte. Phainomena und Phantasmata sind nicht nur Siglen für Gott oder Abgott, Heilsweg oder Unheilspfad, sondern auch für Sein oder Nichtsein des jeweils tatsächlich oder vermeintlich Wahrgenommenen. Bleibt der Gegensatz zwischen Kakophonie und Symphonismus in den Synkretismus-Pamphleten zumindest theoretisch ein relativer und bleibt er daher potentiell aufhebbar, ist der Abgrund zwischen Phainomenon und Phantasma absolut und nicht überbrückbar. Da die Christeis bis 1646 entsteht und die Trilogie 1654 endet, scheint dies erst einmal einen Widerspruch zwischen zeitlich nahe bei einander liegenden Schriften zu bedeuten. Der Widerspruch wird freilich sozusagen organischer, wenn man bedenkt, dass das theoretisch mögliche Ziel einer konziliaren Verständigung einiger oder gar aller Konfessionen praktisch utopisch war. Man kann und muss sich bei Dannhauers Blick auf dieses Ziel daher fragen, ob die ausführliche Beschreibung der Bedingungen seiner Möglichkeit nicht letztlich eher genau deren Unmöglichkeit unter den Bedingungen der Wirklichkeit vor Augen führen wollte. In diesem sehr wahrscheinlichen Falle wäre die musikalische Metaphernwahl im Mysterium Syncretismi eher ein Zwischenspiel als eine tiefgreifende Modifikation einer das Leben Dannhauers durchziehenden Grundlinie. Das Bild der Symphonie, die erst im Himmel erreicht werden kann, hienieden daher nur in dem Maße anstrebbar wird, in dem sie auf Christus abgestimmt wird, findet zwar auch in der Catechismus-Milch Verwendung.76 Doch obschon das Gebet als der

76 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 312: „Dißmahl wollen wir die Symphoniam precum, das maechtige/ hertz=bewegende und GOTT=gewinnende Mittel erwegen/ und auff alle andere πράγματα (περὶ παντὸς πράγματος) extendiren. Sonderlich weil wir noch im Anfang des Neuen Jahrs begriffen/ da wir diese Symphoniam wol vonnöthen haben. [. . .] [313] So ist nun das Mittel πᾶν πρᾶγμα, in specie aber und sonderlich ratione subjectæ materiæ, alles das ienige/ was

4.3 Apodeixis als Seinsordnung: Ontologisierung als Anspruch der Trilogie

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Gegenstand, auf den das Bild appliziert wird, zu den Grundhandlungen christlichen Lebens zählt, ist sein Gebrauch in der Sammlung nur mehr marginal. Es steht nicht etwa in der Auslegung des Herrengebets. Vielmehr dient es mittels einer Einzelpredigt zur Näherbestimmung richtig angewandter Bußzucht in der Kirche, und zwar mit deutlichen Untertönen einer Predigt zu Beginn eines Jahres, in dem die aktuelle astronomische Konstellation sich als besonders unheilvoll ankündigte77. So dient der musikalische Metapherncluster auch hier zur Verdeutlichung des unüberbrückbaren Abstandes zwischen Erde und Himmel, also zur Darstellung des grundsätzlichen eschatologischen Vorbehaltes allen menschlichen Tuns und letztlich auch Wahrnehmens, mithin in der bereits angesprochenen Grundlinie. Aus theologischen Beweggründen, wenngleich mit logischen Mitteln, wird tatsächlich in dieser durchgehenden Grundlinie von Anfang an ein gleichsam kategorialer Abstand zwischen den konfessionellen Bekenntnissen betont. Da dieser Abstand nun zunehmend unterstrichen wird, bedarf er auch zunehmend neuer Mittel der intellektuellen Verdeutlichung. Er wird daher zunehmend von den Gegenständen sozusagen transzendental in den Akt der Wahrnehmung selbst zurückverlagert, wenngleich natürlich noch im Rahmen einer klassischen

im Sechsten Haupt=Stuck zur Erbauung und Besserung der Christlichen Kirchen vonnöthen/ zu gewinnen. Symphonia precum, das einhellige/ einmuethige/ einhertzige Zusammen=stimmung des Gebets. [. . .] [314] Symphonia terrestris, wo zween unter euch eins werden, ἐπὶ τῆς γῆς, auff Erden/ warum es ist/ das sie bitten wollen/ etc. Zeiget damit an den Unterschied inter symphoniam cœlestem & terrestrem, zwischen der himmlischen und irdischen Zusammen=stimmung. In der triumphirenden Kirchen stimmet man zusammen im höhern Chor/ da werden lauter ἄῤῥητα gesungen/ der Heiligen zwölff Botten Zahl: und die lieben Propheten all/ die theuren Maertyrer allzumal/ loben dich HERR mit grossem Schall. Hie aber ist die streitende Kirch/ die weiß noch von solcher Symphoni nichts/ sie ist ihr verborgen. Und diese zwo Symphonien lassen sich nicht confundiren und mischen/ wie zwar Gregorius M. ein solches Mischmasch in seiner Litania gemacht/ und die cœlites eingemengt. [. . .] III. Symphonia quanta. [. . .] [316] IV. Qualis Symphonia? Welche Art/ wie muß sie beschaffen seyn? Es muß seyn eine heilige Symphoni/ es muessen die Cantores in dem Namen Christi versamlet seyn/ Matth. 18,20. sie muß nach der Tabulatur Christi/ als des Symphoniarchæ, angestimmt werden/ an Christum abgehen/ und Christum selbs besingen. Symphonia palinodica, ein Wider= ruff. Symphonia pœnitentialis, ein Buß=Lied. Dan. 9. Sie muß gehen auß hertzlicher Sympathi, auß brennender herztlicher Liebe/ sonst ists eine klingende Schelle/ 1. Cor. 13. auß einmue thigem Hertzen und Sinn/ sonst ists GOtt nicht angenehm/ sondern ein Wolffs=Geheul/ ein Sau=Gruntzen/ ein Katzen=Geschrey/ ein Hunds=Bellen. Thue nur weg von mir das Gepler deiner Lieder/ denn ich mag deines Psalter=Spiels nicht hören. Amos. 5,23. V. Efficax symphonia, ein kraefftiges und maechtiges Gebett/ es soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel/ sagt der Mund und Grund aller Warheit/ um und von wegen Christi/ in dessen Namen alle Verheissungen Ja und Amen seynd.“ 77 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 317.

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4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis

Metaphysik. Wer richtig glaubt, so die zentrale Botschaft der Wege-Trilogie, hat intellektuellen Zugang zur Wirklichkeit, wer sich hingegen täuscht, verbleibt im Unwirklichen, im Unrealen, ja im Nichtseienden. Mit dieser starken, letztlich ontologieaffinen Wahrnehmungspsychologie konnte Dannhauer mehrere Ziele auf ein Mal erreichen. Einerseits konnte so nicht nur eine der empfindlichsten Lücken im Straßburger intellektuellen und universitätsenzyklopädischen Gefüge, die Abwesenheit jeglicher vertieften metaphyischen Arbeit, einigermaßen geschlossen werden, sondern zugleich so geschlossen werden, dass eine eigentliche Relativierung der in Straßburg so stark akzentuierten logischen Arbeit zugunsten der Ersten Philosophie sich erübrigte. Gerade durch eine Vertiefung der spezifisch straßburgisch-altdorfinischen Logiklinie apodiktisch radikalisierenden Zuschnitts konnte praktisch nahtlos deren Ontologisierung deduziert werden. Andererseits konnte in exakt dieser Linie aber auch die Bedeutung der eigenen Wahrnehmung und die Notwendigkeit entsprechender Achtsamkeit auf sie nachhaltiger betont werden. Die wahrnehmungspsychologischen Implikationen und Explikationen in seinen Arbeiten und besonders in der Wege-Trilogie, die auf den ersten Blick stark theorieorentiert wirken, waren letztendlich in höchst praktischer Absicht entworfen. Sie sind darum im Übergang zu Dannhauers großen Predigten und dem kanzelpädagogischen Wirken von hoher Bedeutung. – Wie aber verlief die Entwicklung im Detail?

4.3.1 Theologie als Wahrnehmungswisenschaft Vom Beginn seiner Karriere an ist Dannhauer Kontroverstheologe, und von Anbeginn weg geht es um Erkenntnis. Zumindest für die theologischen Aspekte seines Wirkens und Denkens ist die Kontroverse gleichsam seine zweite Natur. Schon seine allererste theologische Veröffentlichung überhaupt, eine Disputatio theologica de Deo78 von 1624, widmet sich der Widerlegung der reformierten Ansichten zur Theologie im engsten Sinne des Wortes, nämlich der Gotteslehre. Diese scheint ihn in diesen mittleren zwanziger Jahren stark beschäftigt zu haben, worauf auch eine drei Jahre später erschienene Kleinschrift über Dei [. . .] cooperatio cum creaturis hinweist.79 Für die Disputatio theologica de Deo nun ist es nicht völlig übertrieben, von einer Dogmatik in nuce zu sprechen, auch wenn es sich letztlich bei dem in dieser Thesenreihe diskutierten Punkt

78 DISPUTATIO THEO- // LOGICA // DE DEO // TER OPT: MAX: GLORIOSISSIMO // & ejus Attributis [. . .], Straßburg, Ledertz, 1624, DWV 1. 79 Dei Opt. Max. Gloriosissimi Cooperatio Cum Creaturis sive concursus causae primae cum causis secundis, Altdorf, Scherff, 1627, DWV 25.

4.3 Apodeixis als Seinsordnung: Ontologisierung als Anspruch der Trilogie

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ausschließlich um die Frage der Erkenntnis Gottes oder moderner formuliert um die Attributenlehre handelt. Auch in dieser Einschränkung ist die Thematik für Dannhauer immer noch so breit, dass er bereits sämtliche Gruppen aufs Korn nehmen kann, deren Bekämpfung er sich auch im späteren Leben widmen wird. Ein doppelter Eingangsteil (Thesen I bis VII) differenziert die Unterscheidung von offenbarter und natürlicher Erkenntnis Gottes dahingehend, dass zunächst (I-III) auf die Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis insistiert, sodann (IV-VII) aber sofort jede Univozität des Denkens und Redens von Gott in Abrede gestellt wird. Ersteres wirft Dannhauer dem Wortführer der Unitarier Christoph Ostorodt († 1611)80 vor, letzteres Zwingli81 und damit generell den Reformierten. Der Rest der Thesenreihe (VIII-XVI), den man als Hauptteil bezeichnen könnte, diskutiert konkrete, gesonderte Eigenschaften Gottes, unter denen jede einzelne die Gelegenheit bietet, reformierte Theologen von Calvin über den Straßburger Johannes Piscator (1546–1625) bis hin zum sachte arminianisierenden Paraeusschüler Conrad Vorstius (1569–1622)82 frontal zu kritisieren.83 Das

80 Die Literatur zu Ostorodt scheint noch immer sehr überblickbar: Ensfelder, Christophe Ostorodt, sa vie et son principal écrit; Frank, Art. Ostorodt, Christoph, 526 f.; Wotschke, Ein dogmatisches Sendschreiben des Unitariers Ostorodt; Friedmann, Art. Ostorodt, Christoph (d. 1611). 81 Instinktiv trifft hier Dannhauer voll ins Schwarze, denn in der Tat ist die aus dem Scotismus übernommene Univozität des Seins eine der zentralen Achsen des Zwinglischen Denkens, auch wenn diese Rezeption erst viele Jahrhunderte später überhaupt erst als konkrete Denkmöglichkeit am wissenschaftlichen Horizont auftauchen sollte. 82 Wenneker, Art. Vorstius, Conrad. 83 Für den Text der Disputation siehe den Editionsteil. Eine Zusammenfassung sei im Folgenden mitgegeben. Theorema I verteidigt die natürliche Erkenntnis Gottes gegen den in der Antithesis als Gegner angeführten Ostorodt. Seine von Dannhauer zugespitzt als nur indirekt, über menschliche Sozialkontakte oder allgemeiner die Überlieferung funktionierende Gottesahnung oder Gotteserkenntnis wird hier scharf abgelehnt. Mittels des Arguments (Th. II) universell gegebener Gottesahnungen aus kosmologischen Beobachtungen werden die Epikuräer als Atheisten angegriffen; während (III) aus der durch Schriftbeweis gegebenen Gotteswahrnehmung eindeutig hervorgeht, dass eine στοιχειώδης vorhandene, aber nicht als σωτηριώδης tragende Erkenntnis nicht als wahre Gotteserkenntnis gelten kann, die nur für die Geretteten, die der Geist Gottes erleuchtet, angenommen werden darf. Damit wird Zwingli, der die Gotteserkenntnis in Dannhauers Sicht vom eigenen menschlichen freien Willen abhängig macht – eine Kritik, die nicht zuletzt in der Catechismus-Milch wiederkehrt –, und werden generell die auf menschliche Religionsinstinkte bauenden Allversöhner als im Vorfeld der biblischen Wahrheit stecken gebliebene Verkürzer attackiert. Der Gottesname (IV) ist vom Sein Gottes unmittelbar abgeleitet, das als solches einzigartig ist, und daher keiner Kreatur zugeschrieben werden darf. Deo genus univocum zuzuerkennen, ist (V) daher unzuläßig. Im Sinne einer legitimen negativen Theologie darf Gott als spiritus infinitus verstanden werden, doch daraus dann, wie Piscator und die Reformierten, das Axiom finitum non capax infiniti abzuleiten, hieße Gott

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hierbei verwendete Darstellungsschema einer steten Abfolge von theorema und antithesis passt zwar sicherlich gut in den zeitgenössischen Rahmen. Zwingend ist es jedoch keineswegs. Die große Überzeugung, ja Freude, mit welcher der gerade erst Zwanzigjährige auf die Auseinandersetzung mit mehr oder minder greifbaren Gegnern hinsteuert, ist, jedenfalls a posteriori biographisch gelesen, überaus bezeichnend. Zielsicher steuert er hier auf die Themen zu, die ihn in jenem Teil der theologischen Reflexion, die nicht mit der römischen Kirche zu tun hat, zeit seines Lebens beschäftigen werden, namentlich auch auf den in der Manier eines (un-)geistlichen Ikarus auf dem Weg zur Sonne erforschen wollen, mit andern Worten eine dem Menschen nicht offene Grenzlinie übertreten zu wollen. Nachdem (VI) klargestellt ist, dass die Attribute Gottes nicht τὸ ἔχειν, sondern τὸ εἶναι ausdrücken, also Eigenheiten des eigentlichen Wesens Gottes bedeuten, werden die Unterscheidungen nach de fide orthodoxa des Damasceners getroffen; in quidditativa & circumstantia; absoluta & relativa; und vor allem in ἄχρονα, συναίδια καὶ ὁμοαιώνια einerseits und ἔγχρονα andererseits. Damit wendet er sich gegen den arminianischen Theologen Conrad Vorstius (1569–1622), nach dem accidentia und decreta in Gott veränderlich seien. Weil (VII) Gott Geist ist, sind körperliche Attribute in der Bibel nur bildhaft und als Akkommodation zu nehmen, welche Feststellung zu einem Ausfall gegen Girolamo Zanchi Gelegenheit gibt. Gott (VIII) ist einer und in sich eins; von drei rechtfertigende Personen, wie angeblich bei Valentino Gentili und Calvinisten wie Piscator kann nicht die Rede sein. Die Attribute (IX) beruhen in Gott in Perfektion, in den Kreaturen hingegen nur als Teilhabe. Die Calvinisten tun daher der Vollkommenheit Gottes Abbruch, wenn sie angeblich sagen, dass Gott den Sündenfall wollte, oder indem Zanchi die drei Personen als drei partes Gottes bezeichnet. Die Unveränderlichkeit (X) Gottes steht fest; die Calvinisten tun der immutabilitas Gewalt an, wenn sie eine Entäußerung in der göttlichen Natur Christi behaupten. Gott ist auch das summum bonum (XI), aber Calvin beschädigt die Güte Gottes, indem er sagt, Gott habe den Menschen zum Fall angestiftet. Er reduziert ihn so auf das schäbige Verhalten des Maximus Tyrannus, der eine Jungfrau strangulieren wollte, sich dann aber entschied, diese unangenehme Aufgabe zu delegieren, um den Schein zu wahren. Entgegen dem Schein greifen die Reformierten auch die Unendlichkeit (XII) Gottes an, zumindest Vorstius, dem Gott ein actus purus, aber trotzdem finit ist. Aus der Unendlichkeit fließt die Ewigkeit (XIII), Vorstius leugnet die Permanenz der göttlichen Dauer. Aus der Unendlichkeit fließt die Allgegenwart (XIV), in der Gott ist für seine Kreaturen auf verschiedene Weise gegenwärtig ist; wer sie leugnet, wie Vorstius, begibt sich auf die Seite der Heiden. Aus der Unendlichkeit fließt drittens (XV) die Allmacht. Sie hat zwar Grenzen logischer Natur, doch letztlich ist hier nicht auf das judicium rationis zu hören, denn die Differenzierung zwischen potentia absoluta und ordinata genügt durchaus. Es ist daher gottlos, wenn die Calvinisten die Allmacht Gottes auf das physisch Mögliche eingrenzen; indem sie etwa kein Subjekt ohne Proprietäten zugestehen wollen, oder auch die Katholiken, indem sie sie auf Transsubstantiation und Reliquien einschränken möchten. Gott ist vollkommen (XVI) und das Leben selbst; der höchste Grad des Lebens aber ist der Intellekt, mit der Gott sich selber und die Welt erkennt; wenn die Reformierten eine sozuagen linear berechenbare Präszienz fingieren, schaffen sie nichts anderes als ein absoluti decreti monstrum. Schließlich und endlich hat Gott einen Willen (XVII); hier nun trennen sich die Wege der Christen und des Aristoteles, der fatali Catenæ Dei operationes das Wort redet.

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Zusammenhang von allgemeinem menschlichen Erkennen und der Erkenntnis Gottes. Die enorme Energie und Verständigkeit, mit der er in den späteren zwanziger und den frühen dreißiger Jahren, ja im Grunde bis zur Polemosophie von 1648, an der Entwicklung einer auf der wissenschaftstheoretischen Höhe der Zeit stehenden Logik teilnahm, um sie in den Dienst der Theologie stellen zu können, dürfte letztlich von diesem motivationalen Grundantrieb aus zu verstehen sein. Die Liebe zur Logik mag früh in Dannhauers Leben getreten sein; die Liebe zur Kontroverse war wohl doch schon eher da. In ihrer Kombination aber führten die beiden Vorlieben zu einer intellektuellen Gesamtausrichtung, in der disputatorische Elemente im technischen wie auch im soziopsychologischen Sinne des Wortes einen so überaus hohen Stellenwert einnahmen, dass sie zunehmend in die Nähe des Exklusiven gerieten. Zwar gilt es zunächst zu relativieren. Die nahezu exklusive Position des Logischen trifft nicht nur für das persönliche Profil Dannhauers zu, sondern hat deutlich überindividuelle Züge, denn letztlich gilt sie für die gesamte Fakultät, ja für die gesamte Universität. Es wurde bereits erwähnt, dass Max Wundts Standardwerk über „die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts“ bezüglich der theologischen Hochschulen gänzlich ohne Nennung Straßburgs auskam, obschon diese Wissenschaft in der lutherischen Orthodoxie insgesamt einen klaren Aufschwung erlebte.84 Doch nicht nur die Metaphysik als erste Philosophie im Vollsinne, sondern auch eine etwas fortgeschrittenere Besinnung auf die Erkenntniskräfte des Menschen im Sinne einer gemäßigt natürlichen Theologie war an der Ill nicht zu finden; ein Johann Musäus (1613–1681) mit seiner Vermittlungsposition zwischen Grotius und der Orthodoxie wäre dort kaum das geworden, was er an der Saale tatsächlich wurde. Zwar ist auch diese Feststellung wiederum dahingehend zu relativieren oder zu erweitern, dass selbst diese einseitige Ausrichtung der Fakultät nicht nur synchron überindividuelle, sondern auch diachrone Gründe hat. Bekanntlich war Straßburg aufgrund seiner Gründungsgeschichte seit jeher eine stark auf philologische sowie dann auch auf interpretative Textkritik und somit letztlich logische Kritik ausgerichtete Hochschule. Metaphysik stand ihr aufgrund dieser Konstellation noch etwas ferner als es in einer durchschnittlichen protestantischen Universität im Reformationsjahrhundert ohnehin der Fall war. Doch konnten selbst die Straßburger mit ihrem selbstbewusst angetretenen Sonderweg auf Dauer ohne Metaphysik auskommen? War es möglich, diese so weite Teile auch der lutherischen Orthodoxie erfassenden Strömung zu

84 Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts, 97–143. Zur Bedeutung der metaphysischen Arbeit für die Orthodoxie s. Leinsle, Das Ding und die Methode; ders., Reformversuche protestantischer Metaphysik, und schon zuvor, die in vielerlei Hinsicht bahnbrechende Arbeit von Sparn, Wiederkehr der Metaphysik.

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ignorieren? War und ist es überhaupt möglich, christliche Theologie auf einer rein analytischen Basis zu betreiben? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass selbstverständlich auch im Straßburg des 17. Jahrhunderts Metaphysik im schulischen Sinne unterrichtet wurde, wenngleich nicht mit derselben Intensität wie anderswo.85 Eindeutige Schwerpunkte in Forschung und Lehre zu legen und dafür deren Kehrseite in einer mehr oder minder bewussten Untergewichtung anderer Fächer in Kauf zu nehmen, sind keine pragmatische Bescheidung, zu der erst die zunehmend drittmittelfinanzierte Universität neuesten Datums zuweilen gezwungen wird. Darüber hinaus jedoch sind zumindest im Werk Dannhauers selber Tendenzen zum Aufbau eines eigentlichen Metaphysik-Substituts auszumachen: Die im System der Logikmaßgebliche Opposition von wahr und falsch wird ausgebaut zu jener von seiend und nichtseiend. Sie beginnt somit weltanschauliche Züge im Sinne eines umfassenden Referenzanspruchs anzunehmen. Als Brücke von der Logik zu ihrer mehr-als-logischen Verwendung dient der ganze Vorstellungskomplex des subjektiven Wahrnehmens, verkörpert in der Wortfamilie um phasma, phantasia, phantasma wie auch deren Entsprechung im Lemma phaenomenon.

4.3.2 Wahrnehmung als Schau des Seienden Dies ist zwar grundsätzlich erst einmal eher eine Abschwächung gegenüber der apodiktischen Logik. Phantasia bedeutet in der kognitionspsychologischen Überlieferung a priori eine neutrale Sinneswahrnehmung, über deren Wahrhaftigkeit oder Gehalt durch diese ihre Bestimmung als solche noch nichts ausgesagt ist. Zwar lassen sich in der akademischen und der peripatetischen Tradition je unterschiedliche Gewichtungen feststellen.86 Bei Aristoteles herrscht eine neutralpositive Ausrichtung vor, indem er den Begriff etymologisch von φῶς ableitet: „Phantasie hat ihren Namen vom Licht erhalten, weil man ohne Licht nicht sehen kann“ (de an. III, 428b30). Er wählt damit eine phänomenologisch naheliegende, darum sinnvolle, zugleich jedoch aus eben diesem Grunde relativ wertungsneutrale Annäherung. Das Reich der Phantasie bewegt sich ja in offensichtlicher Nähe zum gesamten Universum der visuellen Erscheinungen, der Träume, Halluzinationen und Visionen. Zwar ist für Plato der ganze Komplex um φαντασία nur 85 Schindling, Humanistische Hochschule, 238–240. 86 Der folgende Abschnitt folgt Flemming, Das Andere der Vernunft? Giovanpietro Bellori und die Ambivalenz des Phantasiebegriffs in der italienischen Kunsttheorie der Frühen Neuzeit.

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eine Vorstufe des Denkens in Ideen, das bilderlos verläuft und sich auf den ὅρος abstützt. Freilich kann das Auftauchen von μανία ihm durchaus Grund zur Ausnahme bieten; so vermag er im Phaidros Erscheinungen und Traumgeschichten höher zu werten als sogar den νοῦς. Generell kann in der Antike auch phantasma durchaus eine unbestimmte Bedeutung annehmen, und einfach das Verfassen und Rezipieren von gelesenen und gehörten Texten bedeuten. Auch im Mittelalter herrscht noch weitgehend Konsens nicht nur darüber, dass phantasia in der Vorstellung der Fakultätenpsychologie im zweiten Hirnventrikel angesiedelt ist, sondern auch darüber, dass phantasia aliquid rationis, wie Albertus Magnus in gleichsam prägnanter Unbestimmtheit formuliert. Diese Grundbedeutung ist auch in der frühen Neuzeit noch präsent. So begegnet phantasia im Jahr 1593 neutral auch bei Johannes Wincelberg aus der Helmstedter Schule des Cornelis Martini87, wie dann auch 1595 bei Jakob Martini in Wittenberg.88 Die Altdorfer Schule konnotiert hingegen eher negativ.89 Doch auch der ihr ja entstammende Dannhauer kennt das verdeutschte Wort fantasia unter anderem in der wahrnehmungsorientierten Bedeutung, die es auch im Neuen Testament bereits innehat,90 derjenigen

87 AD LIBRVM ARISTOTELIS // DE INTERPRE= // TATIONE // Theses, A2: „Arrepta sensu factaque Phantasmata mens admirabili quodam artificio componit, diuidit, admiratur: tum quaerit insuper sciendi desiderio, dubitat; sed dubitationum compedibus per λύσιν & inuentionem causae semetipsam pedetentim expedit, ac in arce [A3] veritatis tandem, profligatâ seu purae negationis, seu prauae dispositionis ignoratione, ἀμετάπτωτος acquiescit.“ 88 DISPVTATIO DE CONSTITV- // TIONE ORGANI ARISTO- // TELIS VNIVERSI, Wittenberg 1595, A2verso: [Thesis] „XI. Quare neque ARS erit, vel proptereà quoque, quod Ars est ἕξις μετὰ τοῦ λόγου ποιητικὴ 6. Eth. Nicom. cap. 4. ποιεῖν verò Aristoteli eo ipso in loco & alibi 2. Phys. c. 2. dicitur ille, qui opus aliquod in alio subjecto perficit: ut ita Ars principium operationis sit in alio: effectum vero ab arte productum rursum in alio (quo etiam discrimine à natura discernitur): unde effectio dicitur operatio ab intellectu arte directo per Phantasiam & vim movendi, quae perficitur habitu membrorum externorum, gratiá ejus boni, quod post fationem remanet: Logica autem habitus quidem est effectionis, non tamen extra animum sed in ipso animo, in quo operatio manet, sine ulla communcatione cum corpore.“ 89 Scherb, Endoxa Paradoxa, [These] XXIII: „Potest etiam intelligi Philoponi sententia, qui initio comment. in priora ait, Syllogismi confectionem ad eam animi nostri partem pertinere, quae ratiocinatur: verùm hanc facultatem interdum propositiones accipere à mente & intelligentia, tumque fieri apodicticum Syllogismum: interdum ab opinione, ac esse eum Dialecticum: aliquando etiam à Phantasia, qui sit Sophisticus. [. . .] XLVII. Vocantur autem illa Dialecticorum ἐνδοξα, de quibus agimus, etiam alijs nominibur [sic], τὰ λεγόμενα, φαινόμενα, δοκοῦντα, συνήθη, εἰωθότα: interdum λογικοὶ λόγοι: item λόγοι κενοὶ, ἀλλότριοι, ἐξωτερικοὶ, πλασματώδεις, & λίαν καθόλου. Praeterea in Sophist. Elench. τὰ κατὰ τὸν νόμον, quibus ex altera parte respondent τὰ κατὰ φύσιν, καὶ κατ’ἀλήθειαν.“ 90 Act. 25,33: φαντασίας.

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von deutlich wahrnehmbarer Schauentfaltung und Prunk.91 Er zitiert die entsprechende Stelle in der Apostelgeschichte sogar ausdrücklich in diesem Sinne92 Phaenomenon meint für ihn noch 1653 einfach den grundsätzlichen Vorgang der Wahrnehmung oder „Schau“, nämlich im vierten Band der Catechismus-Milch,93

91 Catechismus-Milch, DWV 97,Bd. IV, 13, 371 f.: „Da gehöret nun zu eine scharffe παράκυψις ein genaues und tieffsichtiges durchschauen / eine beständige παραμονὴ oder Beharrung vor dem Tugend=Spiegel / das Tugendbild Christi Jesu zu fahen und anzunemen. Sollte Moses von dem Antlitz Gottes himmlischen Glantz schöpfen / so mußte er auff dem Berg verharren vierzig Tag und vierzig Nächt. Eine seliche συμμορφία daß man sich demselben Bilde je länger je mehr vergleiche und ähnlich mache; eine fruchtbare πόιησις ἔργου, Werckleistung zu thun was der Spiegel außweiset. οὗτος μακάριος ἐν τῇ ποιήσει αὐτοῦ ἔσται sagt S. Jacobus / derselbe der solche Ordnung Gottes in acht nimmet / der ist selig; nicht durch und von wegen / sondern in seinen Thaten. ubi ille οὗτος? wo ist derselbe? fast οὔτις. wo ist der? so wollen wir ihn loben. Viel Sophisten die sich selbs betriegen / und lassen sich beduncken es seye genug in den Spiegel schauen und davon gehen / vergesssen wie man gestalt gewesen / aber wenig Kern=Christen: viel ποιηταὶ λόγου aber wenig καρπόφοροι die wortmachende Gesellschafft ist allezeit größer als die fruchtbringende / viel Narcissi und Selbs=buhler die sich in sich selbs verlieben: niemand aber mehr als sich selbst betrüben; mehr Weltaffen / die sich vergaffen an des Satans Hurenspiegel / dem Schema und phantasi der Welt / ihrer Pomp / Gepräng / Auffzüg / Mumschantzen / Comödien / Pracht / Alamode / Raßlen / Sauffen / Rauffen / Venus=spiel und dergleichen / das doch alles nur einen Augenblick wäret / ἐν στιγμῇ wie sich der Sathan selbs verrahten.“ Ähnlich in VIII, 3, 236, unter Berufung auf 2 Kön 6 und die besondere Schau Elisas: „Also ist auch das Reich Christi ein unsichtbares Reich / dasselbe zu schauen / tügen fleischliche leibliche Vernunffts=Augen nichts / Glaubens=Augen werden erfordert. Dann / sagt der Herr Luc. 17/20. Das Reich Gottes kommt nicht mit eusserlichen Geberden / das ist / Pompen / Pracht / Phantasien.“ 92 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 3, 248. 93 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 512: „Ja wie in der Zeit alle Göttliche Gnaden-schätz / Vergebung der Sünden / Heil / Leben und Seligkeit allein durch den Glauben dispensirt und mitgetheilet worden / so ist auch der Glaub / so biß ans End beharret / in der Ewigkeit / dasjenige phœnomenon [sic], diejenige Schau gewesen / darauff Gottes Aug gesehen / nach welchem er auch die Wahl angestellet: Inmassen auch im Gegentheil der beharrliche Unglaub derjenigen / welche die Mittel der Seligkeit weder gesucht / noch angenommen / und in solcher Verhärtung biß ans Ende verharret / dasjenige obstaculum, und Hindernuß gewesen / warum der große Welt=hauffen zum ewigen Tod verworffen / vom Himmelreich verbannt / verstossen / und also enterbt worden / und ist doch GOttes Vorsehung nicht ein zwingende Ursach des Glaubens oder Unglaubens / sintemal nicht weil GOtt der HErr von Ewigkeit gesehen / wer glauben werde oder nicht / derselbe nothwendig glauben oder nicht glauben müssen / sondern wie der Mensch in der Zeit glauben oder nicht glauben würde / so hat es das allsehende Aug GOttes von der hohen Wahrt der Ewigkeit also gesehen. Gleich [Marg.: 2. Sam. 18,24] wie jener Wächter auff dem Dach des Thors an der Mauren von weiten gesehen einen Mann auß der Schlacht allein daher lauffen / und solche Bottschafft dem König David angesagt / sein Schauen hat das Lauffen des Manns nicht verursacht / gleichwol aber hat er seinen Lauff von weitem gesehen.“

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wo der Glaube des Menschen Gegenstand von Gottes Wahrnehmung wird.94 In der idea boni disputatoris von 1629 kann der frühe Dannhauer sogar phantasma als qualitativ unbestimmte sinnliche Wahrnehmung auffassen.95

4.3.3 Wahrnehmung als Scheinschau des Nichtseienden Im Jahr 1638 findet sich jedoch ein erstes klares Zeugnis einer Wende. Sie besteht in einer Entgegensetzung eines nunmehr klar negativ besetzten phantasma-Begriffs und einer als adäquat verstandenen, vorzugsweise als imago bezeichneten Wirklichkeitsrepräsentation. Die erste eigentliche und große theologische Schrift Dannhauers, die Χριστοσοφία seu Sapientiarum Sapientia, bringt diese Unterscheidung als programmatische Eingangsüberlegung bereits im Proœmium mit einer Auslegung von Gal. 4,19. Paulus arbeitet daran, dass Christus erneut in den Galatern Gestalt gewinne, welches Bild Dannhauer allegorisierend zu einer Basis für sein weiteres Schaffen macht.96 Der Weg (methodus) zur wahren Frömmigkeit und somit Aufgabe aller Theologie ist es, Christus richtig zu malen.97 Die Maler (pictores) sind die Apostel und deren Nachfolger. Gegenstand (objectum) sind nicht commentitia & somnia, sondern der CHRISTUS cruxificus. 94 Vgl. zu dieser bis in die frühe Neuzeit vorherrschende Wortbedeutung den Art. Schau, in: Grimm, Deutsches Wörterbuch 14, 2291–2294. Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 230: „Als ein geistliches und unsichtbares Reich / dessen Wesen / Gestalt und Herrlichkeit mit leiblichen Augen nicht könne beschauet werden. Ich sehe ihn wohl / sagt er Num. 23,9. von der Höhe der Felsen / und von den Hügeln schau ich ihn; Aber den inneren geistlichen Pracht und Schöne dieses Volcks / dazu mußte er haben andere erhöhte und geistliche prophetische Augen / seine Augen wurden ihme geöffnet solche übernatürliche Geheimnuß zu schauen: Sonderlich mercket er an diesem Volck ein phænomenon, ein schönen Augen=Lust / der auß diesem Volck sol entspringen / ein himmlischer Jacobs=Stern / und Scepter / so auß Israel auffkommen / und zuschmettern wird die Fürsten der Moabiter / und verstören alle Kinder Seth. Num. 24,17.33.“ 95 Idea boni disputatoris, DWV 41: „[32] Art. IV. De objecto Disputationis. [. . .] [34] Iam positis omnibus ad sentiendum requisitis sensus aberrare nequit, vide, si placet, Colleg. psycholog. disp. 2. controv. 4. nullo autem in sensu vitio existente, neque in mente illud timeri debet, intellectus enim agens ad ideam & exemplar Phantasmatis, quod habet in obtutu, speciem imprimit intelligibilem, quae expressa deinde ex asse refert Phantasma.“ 96 Χριστοσοφία, DWV 88, 1. 97 Das bei ihm ja stets präsente Nachdenken über die richtige via im Sinne der adäquatesten methodus geht Dannhauer hier wie nebenbei von der Hand, in der Dedicatio der Christosophia, DWV 88, Seite 2): ( b, an Nathanaël Dilger, Pfarrer an der Danziger Marienkirche: „non alia contra proclivior ad pietatem via, quam pulchritudinem ejus personæ, quâ oblectari; dulcedinem quâ affici: fragrantiam quâ recreari: vim spiritus, quam novam vitam induci, nos

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Er ist der Sinn der ganzen Schrift, durch seine Hypostase wird das durch Adam verlorene Ebenbild wiederhergestellt.98 Die Leinwand oder Tafel (mappa, seu tabula) ist unser Herz, das Modell (exemplar & norma pingendi) ist das geoffenbarte Wort.99 Die Maltechnik (modus pingendi) erfolgt stufenweise (gradualis), womit Dannhauer die gradweise ansteigende Deutlichkeit der Offenbarung im Sinne einer typologischen Auslegung der Schriften meint.100 Alles liegt nun natürlich daran, dieses so überaus wichtige Porträt recht zu treffen, sich an die genannte Vorlage zu halten, und nicht eigene, selbst ausgedachte und darum nicht stichhaltige Ideen in die Bildkunst einzubringen. Wie Dannhauer bemängelt, geschieht dies leider mit den Vorstellungen, die sich die Menschen von Christus und sogar von Gott machen, überaus oft. Er nimmt hier Luther zum Kronzeugen, der in einer zuspitzend monokausalen Theorie sämtliche frömmigkeitlich-theologischen Probleme seiner Zeit, „alle Abgötterey und falsche Gottesdienst“, auf eine falsche Repräsentation Gottes zurückführt, die „mit langen Hörnern / vnnd scheußlichen fewrigen Augen“ im Gefolge derjenigen des Mose mit Hörnern nach Ex 34,35 geschieht.101 Aber auch Luthers Christus spricht im

oporteat, suis quasi luminibus ac formis delineasse prius ac descripsisse, quam ignoti cupiditatem animasse.“ 98 Χριστοσοφία, DWV 88, 1: „Scopus, centrum, nucleus, thesaurus, margarita ut per primum Adamum deperdita imago ex Christi characteris hypostatici imagine restauraretur.“ Zum lutherisch-orthodoxen Traditionshintergrund s. Steiger, superbia fidei. Hochmut des Glaubens und Aufrichtigkeit des Menschen in der Theologie Martin Luthers und des barockens Luthertums. 22–27; zu den Konvergenzen auch mit Johann Arndts Anthropologie und Mystikrezeption s. Axmacher, Das Spiegelbild Gottes. Johann Arndts theologische Anthropologie. 99 Χριστοσοφία, DWV 88, 2: „Exemplar & norma pingendi est verbum revelatum, ab hoc qui aberrat, non Christum, sed sua Phantasmata pingit.“ 100 Χριστοσοφία, DWV 88, 3. 101 Χριστοσοφία, DWV 88, 2 f.: „Da gehöret nun zu / ait Luth. tom. 6. Jen. Serm. 2. in Evang. Matth. 8. pag. m. 322. daß du solch Bild wol fassest / vnd als ein guter Spiegel rechten widerblick gebest / dann darnach der Spiegel ist / so fähet er auch. Darumb sihe nur darauff / daß du mich recht fahest / Ich fehle noch triege nicht mit meinem Bilde / aber wo der Spiegel falsch ist / da werde ich nicht recht gefasset. Darum wie du mich bildest / so hast du mich: bildest du mich recht ein / so hast du mich recht / das heißt / wie du glaubest / so geschicht dir. [. . .] Egregiè iterum B[.] Luth. loc. cit. [Jenaer Ausgabe, Bd. 6, serm. 2. in Matth. pag. M. 322: Daher seind auch alle Abgötterey und falsche Gottesdienst von anfang kommen / vnd kommen noch immer daher / daß man Gott also mahlet vnnd bildet wie die Mahler den Teuffel mahlen mit langen Hörnern / vnnd scheußlichen fewrigen Augen: Solches Bild fünde man gwißlich in aller Mönche Hertz/ wann mans auffschneyden solt. Dann ein solcher kann nicht anderst gedencken weder also / Ach ich bin ein Sünder / vnd GOtt zörnet mit mir / vnd wird mich zur Hölle verdammen / wie soll ich thun / das ich büsse und GOtt versöhne? Ich muß also beschoren gehen vnd einen hauffen Strick vmb mich legen daß er mir gnädig wird.

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selben Passus: „Darum wie du mich bildest / so hast du mich: bildest du mich recht ein / so hast du mich recht“, und deutet damit eine Logik der Reziprozität von Erwartung und Erfüllung, mithin eine Art self-fulfilling prophecy an. Wie man sich Gott vorstellt, so wird man ihn auch zu finden glauben: Tatsächlich erkennt Dannhauer etliche Zeitgenossen, die Gott in einer von ihnen vorgestellten Gestalt ohne Anhalt in der Wirklichkeit vorzufinden meinen – all jene nämlich, welche die Gestalt Christi verfehlen oder genauer: welche sie nicht zu treffen wissen, da sie die methodus des Abmalens, also die in diesem Proœmium präsentierten Verfahrungsregeln, weder respektieren noch geflissentlich anwenden. In der kurz darauf veröffentlichten Entsprechungsschrift Antichristosophia werden der in diesem, erkenntnisethischen, Sinne als gelungene Reflexe von Methodenbewusstsein zu verstehenden „Unschuld“ Luthers und der Lutherischen Kirchen102 daher drei große Gruppen entgegen gestellt,103 die neueren Sekten (Photinianer, d. h. Sozinianer,104 Arminianer, Schwärmer), der Antichristianismus der Karlstadto-Zwinglianer und derjenige der Papisten. Es findet sich hier also noch der ältere, breitere, drei- (oder, unter Einbezug auch der verteidigten lutherischen Position, vier-) teilige Systemaufbau, der offensichtlicher Weise das gesamte religionssoziologische Spektrum der Zeit erklären wollte, indem er auch Strömungen mit einschloss, die nicht auf der Ebene offizieller Kirchentümer agierten, doch unter Umständen in Einfluss und Dynamik zumindest zeitweise sogar bedeutender werden konnten. Die Maler-Allegorie wird sechzehn Jahre später auch dem christologischen Teil der Catechismus-Milch, der 1654 erstmals publizierten Auslegung des zweiten Artikels des Glaubenssymbols, als Einleitungsprogrammatik vorangestellt. Sie wird dabei zwar natürlich übersetzt

Das heißt fast also / wie jener Köhler sagt: Ihr seydt mein gnädiger Herr der Teuffel / da jhm einsmahls plötzlich ein Mönch im Wald für kam / vnd jhn erschröckt daß er für ihm nider fiel. & mox. Machst du mich dir zum Gott / so hast du einen Gott / machst du mich zum Teuffel / so hast du mich auch also. Iterùm, deß Menschen Hertz ist von Natur als ein Verderber und zurissener Spiegel daß es nichts mehr recht weiß noch versteht von Gott vnd seinem Willen. Darum muß es so fahren vnnd fladdern mit eignen Gedancken / daß einer so der ander so Gott mahlet / zihen / vnd hencken ihm so mancherley Farbe vnd Kleider an / vnd bilden jhn so seltzam / daß wann es alles auff einen hauffen käm / so were das scheußlichst Bild / deßgleichen nie gesehen oder gemahlt möcht werden.“ 102 Αντιχριστοσοφια, DWV 91, 511; vgl. Anh. 2.2: „sect. II, Artic. III, De Innocentia B. Lutheri et Lutheranarum Ecclesiarum.“ 103 Αντιχριστοσοφια, DWV 91, 529, „sect. II, Art. IV. „In quo detegitur mysterium Antichristianismi subalterni, grassantis inter recentiores sectarios, Photinianos, Arminianos, Enthusiastas. [. . .]“ 545: „Art. V. In quo aperitur mysterium Antichristianismi Carolstadio-Cingliani. [. . .] 608: „Art. VI. In quo exponitur Antichristianismus subalternus Papisticus.“ 104 Vgl. hierzu Hägglund, Sozinianismus und lutherische Orthodoxie.

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und in ihrer Ausrichtung noch deutlich mehr als in der eher akademischen Schrift von 1638 auf den konkreten geistlichen Lebenshorizont der Christen bezogen.105 Doch das der Allegorie zugrunde liegende Vergleichskonzept des Luthertums mit den Konkurrenzkonfessionen, im Grund die Allegorie als solche, wird nicht vor allem in Bezug auf ihren ursprünglichen Inhalt ins theologische Hauptschaffen Dannhauers übernommen. In der Wege-Trilogie wird die Allegorie von der Christologie vielmehr gelöst und dabei universalisiert. Sie wird nun auf sämtliche theologischen Artikel bezogen, vor allem aber auf schlichtweg alles Existierende. Phaenomenon und Phantasma werden zu Synonyma für Sein und Nichtsein oder Seiendes und Nichtseiendes. Eine ausführlichere Erklärung dessen findet sich interessanterweise in der Catechismus-Milch, in einer Predigt zum ersten Glaubensartikel „Von den Gespensten“106. Dannhauer unterteilt die Gespenster eingangs in drei Hauptkategorieen und wartet darum auf mit „Drei Fragen: I. Existentia, ob auch Gespenste seyen; 2. Existentiæ varietas, wie mancherley sie seyen?, 3. Varietatis crisis, wie man die mancherley Gespenst unterscheiden soll?“107 Die erste Frage nach der

105 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. V, 567: „Eingangs=Predigt / uber den Anderen Articul des Apostolischen Nicenischen Glaubens / Auß der Epistel an die Galater / Cap. 3. v. 1.“ „Euch war Christus JEsus für die Augen gemahlet / etc.“ Das Exordium handelt von der Nachbildung der Stiftshütte durch Moses, die aber eine „sciagraphia“, ein „[567] Schatte“ bleibt.“ Das „[568] Fürbild hat auffgehöret / es bleibet aber noch die Geistliche Mahlerey“: „Die Conterfeyer und Mahler sind die Diener des Worts: es bleibt noch das Gemählde / der gekreutzigte und geoffenbahrte Christus: es bleibt auch noch die Form und norm der Heiligen Schrifft / daß mans dem Muster / das auff dem Berge und vom Himmel herab der Christlichen Kirchen gezeiget worden / recht treffe [. . .]“. Doch die Galater treffen das Gemälde trotzdem nicht, und handeln sich eben jenen Verweis des Apostels ein, der den Predigttext selber ausmacht, und der in Dannhauers volksnaher Übertragung lautet: „Wer hat euch einen blauen Dunst für die Augen gemacht?“ „Wer hat das Gemähl verderbet / und euch Christum anders / und als einen halben Christum / und also an statt des rechten lebendigen Christi / ein erschröckliches Gespenst eingebildet? [. . .] Nach dem er / sprich ich / ihnen solches verwiesen / so gibt er sich als einen kunstreichen Mahler an und sagt / Er habe jhnen JEsum Christum für die Augen gemahlet.“ Paulus referiert so „[568] 1. Protoypon, das Muster oder Fürbilde. 2. Forma & modus, Form und Weise der Abbildung. 3. Tabula & spectatores, die Tafel und Zuseher. 4. Finis, die End=Ursach.“ Der Prototyp ist Christus, die Form „[571] mit schwartzer Dinten / durch die scriptur und fractur der Apostolischen Feder“ aufgetragen, die Mappa „[572] das sind nun die Galater“, „dero Hertzen“ sind „beydes die Brieff und auch die Mappen oder Tücher / darinnen das Gemähld abgerissen und abconterfeyt“, „zugleich die Schauer und Leser denselben ist Christus für Augen gemahlet worden“. „Finis, die Endursach“ aber ist das „aspicere“ „nicht mit leiblichen oder Vernunfft=Augen / sondern mit den Augen des Glaubens, das wahrhafte geistliche „ [573] imitari, das Nachmahlen“. 106 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 409–420. 107 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 411.

4.3 Apodeixis als Seinsordnung: Ontologisierung als Anspruch der Trilogie

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Existenz wird sogleich beantwortet. „Belangend die erste Frag / so sind zwar vor Zeit die Epicurer der Meynung geweßt / es seyen dergleichen keine wesentliche Geister / es seyen bloße φαντάσματα Gesicht und Einbildunge“108. Phantasma wird hier explizit mit Gesicht und Einbildung, vor allem aber der Absenz von Existenz gleichgesetzt. Ein phantasma ist nichts anderes als ein Seiendes, das nicht existiert. Während in der avicennisch-franziskanischen Philosophie eine Essenz oder Formalität auch ohne Existenz subsistieren und unter gewissen Umständen so sogar eine besonders noble Seinsform finden kann, wird im viel stärker averroistisch geprägten paduanischen und dann deutsch-protestantischen Aristotelismus Seiendes ohne Existenz zwar nicht rundweg verneint, aber tendenziell deutlicher negativ konnotiert. Gespenster sind ein Idealfall, um diesen Sachverhalt zu illustrieren, und gerade weil Dannhauer, wie er im usus gegen Ende der Predigt sehr betont, hier ein volkspädagogisches Anliegen vorbringt,109 dient sie als Kabinettstück aller Fälle eines nicht legitimen Imaginären. Denn obschon ihnen eigentlich keine Existenz eignet, gilt andererseits wiederum auch nicht das präzise Gegenteil: „Aber daß darum allerdings nichts daran seye / was von den Gespensten gemeldet wird / das kan man nicht sagen.“110 Dagegen sprechen nämlich sowohl die Heilige Schrift wie auch „die Historien“ und deren „Exempel“. In ihnen kehren drei Sorten von Gespenstern immer wieder, wie Dannhauer in Beantwortung seiner zweiten Eingangsfrage durch die Aufzählung dreier Gespenstersorten erklärt, nämlich „1. putitia, vermeinte Gespenst“111, „2. optica oder Spiegel=Gespenst“112 sowie „3. gekünstelte Gespenst / die der Mensch selbst macht“113. Bei der letzten Kategorie folgen aktuelle Betrugsgeschichten verschiedener Art, unter anderem aus Orléans. Es folgen „4. himmlische und heilige

108 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV,411. 109 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 418, stellt die relativ rhetorische Frage nach dem usus einer solchen Predigt. Die Antwort lautet: „Es dienet dieser Bericht zur Vermeidung des Aberglaubens selbs [. . .]. Es dienet zur Abmahnung von aller Aberglaubischen Forcht; Es gibet manchmal solch läppische und blöde Leut / wann sie reisen / förchten sie sich fur den Irrwischen: wann sie bei Nacht sollen auffstehen / für Gespensten / Ja welches unchristlich / verscheyet man manchmal die Häusser / und ist doch irgend ein Phantasey oder Einbildung; das sind Proben des Glaubens: wann der Glaub just und recht / und sich auff GOTT und seinen Englischen Schutz vestiglich verlässet / wird man ein besser Hertz haben.“ 110 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 412. 111 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 412. 112 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 412 f.: „2. Etliche heissen in den Schulen optica oder Spiegel=gespenst; dann wie der Mensch sich selbst im Spiegel sihet / so kans geschehen / daß er sich auch selbst sihet bey tauichtem Wetter / wann er ein blöd Gesicht hat.“ 113 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 413.

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Gespenst [. . .]“114 sowie „Englische Gespenst“115, welche die einzige wirklich ernst zu nehmende Sorte darstellen, da sie letztlich von Gott gesandt werden. Von Interesse sind hier aber vor allen Dingen die ersten beiden Kategorien. „I. putitia, vermeinte Gespenst“ sind all jene Gespenster, die sich natürlich erklären, vor allen Dingen jene, denen jene bereits angetroffene metereologisch-astronomische Erklärung beigefügt werden kann, wie sie im Folgejahr auch in der Hodomoria Spiritus Calviniani auftauchen wird.116 Es gilt, sie zu entlarven, die Angst vor ihnen zu nehmen,117 denn sie existieren nicht wirklich. Dies gilt auch für die Spiegel-Gespenste, denen Dannhauer einen eigenen, weiten Raum in seinem Œuvre einräumt, nämlich in seiner Christeis betitelten Geschichtstheologie.118 Der in diesem literarischen Torso hauptsächlich ausgearbeitete erste Akt ist sehr klar in zwei Teile gegliedert. Einer durch ein prophetisches und wahrhaftiges Auge erblickten regulären Optik folgt eine von einem falschen und verführten Auge vorgegaukelte Paroptik, also eine optische Täuschung. Die Optik ihrerseits umfasst drei Theatra, die Paroptik deren fünf; insgesamt entspricht damit die Makrostruktur der Christeis dem antithetischen Aufbau der meisten der theologischen Werke Dannhauers. Phantasma wird auch hier gleichgestellt mit den Irrfeuern, mit Mythologie und vor allem mit Täuschung.119 In der richtigen Optik stellen die Dinge sich

114 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 413. 115 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 413. 116 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IV, 412 (vgl. oben Anm. 111): „Als I. putitia, vermeinte Gespenst; die sind wiederum dreyerley Art; Etliche sind natürlich / welche nur dem Wahn nach / nicht in Warheit solche seynd / als da sind faul Zündholz / Jrrwisch / die man sonst die feurige Männer nennet / sie werden erweckt und angezündet in der Nacht von den truckenen Lufft=Dünsten / wann sie durch die ins Geträng der Nachtkälte kommen / werden nachmal gleich den Facklen vom Wind hin und her gewehet / setzen sich auff die Pferd / machen sie Müd / suche ihre Nahrung von der fetten Feüchtigkeit der Roß / der Erden / der Schlutten und dergleichen / sie verführen zufälliger Weise / weil sie irgend von unerfahrnen Wanders= leuten für beständige Hauß=liechter gehalten werden / wiewol wir keines Wegs in Abred seyn können / es hab auch bißweilen der Teuffel sein Spiel damit.“ 117 Die beiden biblischen Bezeugungen für φάντασμα Mt 14,26; Mk 6,49 werden von Dannhauer, soweit ich sehe, nicht verwendet; möglicherweise um Verwirrung zu vermeiden, da hier der wahre Christus als Gespenst auftritt, während es bei ihm unechte Einbildungen von Christus bleiben. 118 Vgl. zum Aufbau und historischen Kontext dieses Werkes oben, S. 218–220. 119 „Actus Primus Opticae dramaticae, oculi prophetici / veri Theatrum I. In quo repraesentatur Regni Christiani prima erectio & constitutio Theatrum II. In quo producuntur Bella Ecclesiae primitivae adversa Theatrum III.

4.3 Apodeixis als Seinsordnung: Ontologisierung als Anspruch der Trilogie

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dar, wie sie sind; wer sie paroptisch wahrnimmt, wird über sie getäuscht. Mehr noch: Er sieht Dinge, die es nicht gibt, die weder eine Existenz noch eine Berechtigung dazu haben können. Dannhauer schließt damit an eine Debatte über bonae und malae phantasiae im 17. Jh. an, die an mehreren Orten zugleich stattfindet, und deren maßgeblichste Reflexionsfelder die bildende Kunst und Philosophie darstellen, wobei erstere hier einen in letzterer entwickelten Diskurs aufnahm und polemisch einsetzte. So greift die Idea des Giovanpietro Bellori (1613–1696) von 1672 in einer vehementen Kritik Caravaggios auf die Unterscheidung zweier Sorten von Phantasie zurück, die er zugleich zur Ablehnung eines manieristischen Kunstideals insgesamt einsetzt. Ihre Art von Malerei sei von Plato bereits mit den Sophisten verglichen worden, da sie sich nicht auf die Wahrheit, sondern auf ihre falschen, aus der opinio, also der doxa, gespeisten Fantasmen stützten.120 Umgekehrt gibt es aber nicht alleine eine an der imitatio der Realität orientierte Alternative; im Gegenteil ist der allzu platte, ohne Reflexion und theoretische Durchdringung getätigte Kopiervorgang der Manieristen Grund ihres Verfehlens der Gegenstände in deren Wirklichkeit. Wahres Gegenstück zur falschen Fantasie und Ziel aller künstlerischen Arbeit ist vielmehr eine an der Wirklichkeit ausgerichtete, doch aus der Vorstellungkraft des Künstlers entspringende fantasia oder imaginatio. Unter Verweisung auf die Rolle des Bildhauers Phidias in Ciceros Orator (II,9), dessen Statuen von Jupiter und Minerva darum so unübertrefflich gewesen seien, weil der Künstler „in mente“ die „species pulchritudinis“ erkannt habe, schildert Bellori verallgemeinernd eine Art von Fantasie, die aus der mens des Bildners entspringt. Es ist vornehmlich die Fähigkeit dieser Art von Fantasie, Elemente der Wirklichkeit zu kombinieren und somit deren innere Wahrhaftigkeit herauszustellen, deutlicher, als es

In quo exhibetur Ἀντιμαχία & Victoria Ecclesiae, &, qui eius est Patronus, Christi Paropticae dramaticae ac Mythologiae, Oculi falsi delusique Claßis prima μεταμορφώσεων Theatrum II. [. . .] Phantasmata Theatrum III. [. . .] Ignium fatuorum Theatrum IV. [. . .] Ecclipses Luminum Theatrum V. [. . .] Andabatomachia“ 120 „Rassomiglia Platone quelli primi pittori alli Sofisti, che non si fondano nella verità, ma nelli falsi fantasmi dell’opinione”. So sagt es Bellori, Giovanpietro: L’Idea del Pittore, dello Scultore e dell’Architetto. Scelta dalle bellezze naturali superiore alla Natura, zit. nach: Le Vite de’ Pittori, Scultori et Architetti moderni, Roma 1672, 13–27:22; seinerseits zit. nach Flemming, Das Andere der Vernunft, 38 mit Anm. 29.

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4 Analyse als Methode der Seligkeitserkenntnis

ein reines imitatio-Prozedere zu tun vermöchte. Es gilt, hinter die reine Faktizität von Beobachtbarem zu gelangen, das sich als nur scheinbar real im Vollsinne herausstellt, um die Wirklichkeit als solche intuieren und dann auch darstellen zu können. Auch in der Philosophie finden sich ähnliche Modelle bei Autoren, die dem Straßburger Universum nicht direkt nahestehen, und so dessen allgemeine Verbreitung bezeugen. So beruht Bartholomäus Keckermanns (1572–1609) Systema logicae auf einer ähnlichen Unterscheidung von Vorstellungsgehalten wie dasjenige Belloris, wenngleich der Deutsche anders gewichtet als der Italiener. Keckermann spricht von bonae phantasiae und malae phantasiae, die beide fiktiv bleiben, von denen erstere jedoch denkmöglich, letztere aber denkunmöglich seien. Diese Differenzierung von ficta possibilia (oder figmenta per accidens) einerseits und ficta impossibilia andererseits bedeutet, dass die ficta possibilia ausschließlich von möglichen Gegenständen ausgehen können, die dann aber untereinander in der imaginatio kombinierbar bleiben.121 Gegenstand der bona phantasia ist also keinesfalls das Nichtseiende,122 weil dies ohne Verletzung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten nicht abginge.123 Sie bildet vielmehr eine imago indirecta124, die aufgrund spezifischer Charakteristiken zur Darstellung der Wirklichkeit nützlich sein kann, wie es bei den bonae phantasiae der Dichter der Fall ist.125 Ein grundsätzlicher Vorzug im Sinne eines ästhetischen Qualitätsurteils wird dieser indirekten

121 Keckermann, Systema logicae, Genf 1614, 568–569: „Hec enim et similia ficta semper insinuant, ut Scholastici loquuntur, quandam compositionem et entitatem ab anima factam per coniunctionem obiectivam eorum, quae alioquin in rerum natura reperiuntur aut reperiri non repugnat: nam si repugnet, simpliciter a praedicamentis excluduntur, ut mox dicetur.“ 122 Keckermann, Systema logicae, 569: „Entia vero (si entia dici debent) ficta impossibilia sunt, quae ne Deus quidem producere potest, cum implicent contradictionem naturae Dei adversantem, qualia sunt, Deus creatus, ubiquitas humanae carnis, caro deificata, sacrificium incruentum, meritum operum in homine peccatore, oralis manducatio corporis Christi, universalis selectio seu electio, et aliae eiusmodi malae ac prodigiosae phantasiae, quas optem tam vere ex hominum mentibus exterminari, quam recte eas Logica e suis excludit ordinibus.“ 123 Dies sagen, im Rückgriff auf die Tradition, Melanchthons vielgelesene Erotemata Dialectices Melanchthons (wie S. 100, Anm. 169), 562: „Hic ordo, ne duae contradictoriae simul verae sint, aut simul falsae, est regula immota et aeterna mentis divinae, monstrata hominibus in hoc principio: Quodlibet est, aut non est. Et hunc ordinem tollere, est omnia facere incerta, et totam rerum universitatem confundere.“ 124 Keckermann, Systema logicae, 2039: „Indirecta imago est, quae quidem rebus non correspondet, sed tamen utiliter adhibetur ad aliquid repraesentandum. Ut sunt bonae phantasiae poetarum, fabulae Aesopi, & alia eiusmodi figmenta utilia.“ 125 Keckermann, Systema logicae, 569: „Atque hic quidem notanda est insignis incogitantia eorum qui obiectum seu subiectum Logicae ex aequo faciunt Ens et non Ens, sive Ens verum et fictum. Nimirum Logicae hoc tantum est proprium et per se obiectum, quod est obiectum

4.3 Apodeixis als Seinsordnung: Ontologisierung als Anspruch der Trilogie

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imago bei ihm aber noch nicht zugeordnet. Generell liegt bei Keckermann der Akzent also ganz auf der Entgegensetzung von ens und non est, von denen ersteres alle traditionellen transzendentalen Qualitäten des Seins in sich vereinigt, letztere ihrer völlig entbehrt126. Ähnlich wie später bei Dannhauer liegt der daraus folgende Akzent in der hieraus abgeleiteten Polemik gegenüber vorgeblich rein eingebildeten Sätzen aus den Konkurrenzkonfessionen.127 Die beiden Gegensätze von wahr und falsch stehen somit im Zentrum, im Gegensatz zur prononcierten Position des Bellori, die sie letztlich zu überwinden sucht. Die anscheinend je eigenständig sich artikulierenden Systeme zu guter und schlechter Einbildungskraft in Kunst und Philosophie dürften dennoch in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Schon aus diesen beiden Beispielen terminologischer Parallelen aus der Welt der Kunsttheorie wie der konfessionell angewandten Philosophie wird deutlich, dass Dannhauer die antithetische Wahrnehmungsperzeption und damit die Grundstruktur seiner Wege-Trilogie in ein Geflecht vielfältiger und vielfältig in diverse Gesellschaftsbereiche wirkende Theorie- und Assoziationsbereiche hinein kommunizieren wollte. Die Imagination des Kontrafaktischen,128 die hier in Richtung einer Ontologisierung zugespitzt wird, findet sich in verschiedensten argumentativen und kulturellen Kontexten, mit durchaus wechselnden, zumeist polemischen, aber auch eher apologetischen, Konfigurationen. Zu ihnen gehört nicht zuletzt auch das dem kollektiven Gedächtnis präsente Gespenst oder phasma in der Literatur, namentlich durch die Rezeption von Menanders Komödie Phasma, im konfessionellen Drama seit Nicodemus Frischlin (1547–1590).129 So absolut apodiktisch die Entgegensetzung der wahren und der falschen Dogmen bei ihm auch erscheint, die Vermittlung über den Kreis der professionellen Theologen hinaus gehört zu den vordringlichsten Anliegen Dannhauers überhaupt.

humanae intellectionis: at vere huius adaequatum obiectum omnibus sanis fatentibus est tantum verum (cui fictum opponitur) sicut voluntatis obiectum per se est tantum Bonum.“ 126 Keckermann, Systema logicae, 2039: „Sicut Ens est unum, verum, bonum, ita Non Ens est incertum, est falsum, est malum.“ 127 Keckermann, Systema logicae, 2039: „Pontificii fingunt imaginem purgatorii in mente sua, sed cum purgatorium sit non Ens, non habet imaginem.“ 128 Danneberg, Kontrafaktische Imaginationen in der Hermeneutik. 129 Vgl. Frischlin, Nicodemus: Phasma, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 3/2; sowie hierzu Price, The political dramaturgy of Nicodemus Frischlin; Rädle, Frischlin und die Konfessionspolemik im lateinischen Drama des 16. Jahrhunderts; Schade, Nicodemus Frischlins Phasma (1592). Aber auch das 17. Jahrhundert ist an der Thematik noch lebhaft interessiert; s. Best, Thomas W. Calderón’s Galán fantasma, Quinault’s Fantome amoureux, and Gryphius’ Verlibtes Gespenste.

5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73) 5.1 Dannhauers Neigung zur Praxis der Kirche und ihres Katechismus Nach seiner philosophischen und seiner theologischen Phase tritt das Leben Johann Conrad Dannhauers gegen Ende der 1650er Jahre in eine dritte Phase, die man als im engeren Sinne kirchliche bezeichnen könnte: Am 7. Februar 1658 wurde er durch den Stadtrat zum Münsterpfarrer ernannt und später durch den Kirchenpräses bestätigt. Kurz zuvor, bei einer am 4. Februar erfolgten Besprechung der Honoratioren der Gemeinde im Münster, hatte der Magistrat Dannhauer zur Wahl für den Posten vorgeschlagen. Dass dieser Vorschlag auf allgemeinen Anklang stieß, vermag angesichts der enormen Bekanntheit und der Qualitäten der Person nicht zu erstaunen. Warum aber sagte Dannhauer zu? War es Sehnsucht nach einem Wechsel nach rund drei Jahrzehnten in einer Professur, eine Zeit, die einem Menschen der frühen Neuzeit noch länger erscheinen musste als uns Heutigen, eine Zeit, nach der alles erreicht war, die Spannkräfte nachließen, also etwas Abwechslung auf einem vermeintlich ruhigeren Posten angesagt war? Ein Pfarramt in der Hauptkirche einer Reichsstadt mit Zentrumsfunktion war freilich kaum mehr zur Geruhsamkeit geeignet als eine Professur, doch wohl eher im Gegenteil. Oder verspürte er genau umgekehrt einen Wunsch nach Einfluss, nach einem politischeren Posten, einer Stellung näher bei den realen Machtgefügen und wirklichen Einflussmöglichkeiten? Darauf könnte die Tatsache hindeuten, dass er schon sieben Monate später einen kirchenleitenden Posten annahm. Am 20. September 1658 azkeptierte er den Ruf zum Präses des Straßburger Kirchenkonvents. Andererseits war just ein solcher Posten, wiewohl natürlich die kirchliche Arbeit reputierter war als in unserer gegenwärtigen Zeit, wohl kaum der richtige Ort, um eine machtpolitisch orientierte Karriere zu starten. Kirchenpräsidenten und stadtkirchliche Bischöfe standen in permanenter Gefahr, eine Art Hausverwalter des kirchlichen Alltagsgeschäfts zu werden und dem leitenden Wink der faktisch dominanten Obrigkeit preisgegeben zu sein, eine nicht wirklich dankbare Aufgabe für jemanden, der bereits europäischen Ruhm genoss. Ein eigenhändiger Bericht Dannhauers über eine 1663 durch ihn geleitete Kirchenvisitation im Straßburger Umland spricht hierzu eine

https://doi.org/10.1515/9783110644593-005

5.1 Dannhauers Neigung zur Praxis der Kirche und ihres Katechismus

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deutliche Sprache.1 Zu Tage gefördert wurden die bekannten Klagen, Nöte und Laster, wie sie ungefähr überall auch sonstwo auftauchten, nämlich mangelnder Besuch der Gottesdienste am Sonntag und in der Woche, ebenso der Schulen, Sonntagsarbeit, besonders durch den Besuch auswärtiger Jahrmärkte und Messen, Trunkenheit, Müßiggang, Streitereien, Flucherei, Familien- und Ehekonflikte; das übliche Progamm. Die mit diesen quer durch die einzelnen Gemeinden recht repetitiv wiederkehrenden Beanstandungspunkten erscheinende Mühsal, ja Trostlosigkeit eines solchen Visitationsauftrags war gewiss nichts, was reinen Machthunger locken oder stillen konnte. Weitere Geschäfte, etwa die Regelung interner Personalkonflikte oder solcher der Pfarrerschaft mit dem Magistrat, waren gewiss auch nicht erfreulicher Natur, selbst wenn ein Streit vom Ausmaß der Pappus’schen Händel nicht am Horizont auftauchte, auch wenn sie zur Schilderung der auch ebenfalls alles andere als paradiesischen Professorenexistenz an einer klassischen Adelsuniversität von Dannhauer immer noch beigezogen wurden.2 Doch gibt uns ein Teil dieser Visitationsakten einen Einblick in die mutmaßlichen Beweggründe Dannhauers zu solch penibler Wirksamkeit. Visitationen in ihrer Mischung aus Routine und Skurrilität geben sicherlich, wie meist, so auch hier, ein recht spezielles Beobachtungsfeld, das wir durch das Prisma einer gewissen unfreiwilligen Lächerlichkeit der Protagonisten, auch der beteiligten Pfarrer, zu sehen bekommen. Dennoch wird man gerade dieses Feld wohl als pars pro toto für Dannhauers Wunsch nehmen dürfen, seine Theologie auch tatsächlich wirksam werden zu sehen, über die Kreise der Akademie und

1 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 99: Außzug auß dem im Archiv v. St. Thomä zu Straßburg befindlichen eigenhändigen Bericht Dr. Dannhauer’s über seine Kirchenvisitation im Jahr 1663: Unterthänige summarische Relation der im Jahre 1663 von einem löbl. Magistrat der Stadt Straßburg erkannten und anbefohlenen, den 5. Mai im Namen des Herrn angetretenen und den 26. ejusdem durch Gottes Gnad glücklich vollbrachten Kirchenvisitation auf dem Land. Gestellt und abgelegt von Joh. Conrad Dannhauer, der hl. Schrift Dr. und Professor und des Convent. Ecclesiastic. Präsident. Abgelesen bei Herrn Räth und XXI, den 17. Junii 1663. 2 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 24: „Wie es anderswo hergeht mit dem Pennalismo, mit dem Agiren ohne Schonung des Rectors (wie denn einst auf einer Universität N. N. etliche incarcerirte vom Adel dem Rector durften zuschreien: Schulfuchs, Schulfuchs! der ihnen dagegen hinauf geantwortet: Teufelsfuchs, Teufelsfuchs!) das ist nicht zu ahnen. [. . .] Was Dr. Pappo von den Sturmianern begegnet, ist ein Altes, aber gleichwohl aufgezeichnet von Hutter in Conc. Concord. P. 1018. Neuer ist das, was sich jüngsthin begeben, da sin exemplo dem Magnifico Rectori die Fenster eingeworfen worden; derselbe oder dieselbe böse Buben, er sei hie oder ausgetreten, der soll wissen, daß er (wie die Knaben Bethels) den Bären nicht werden entlaufen.“

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

der Theologenschaft hinaus. So gibt es auffallende, direkte Parallelen zwischen Dannhauers akademischer Theologie, seinen Katechismuspredigten und seiner Wirksamkeit in einzelnen Visitationen. Sie finden sich etwa zwischen den theologisch-literarisch geforderten, den vor der Gemeinde gepredigten und den praktisch vor Ort vorgenommenen Verhaltensweisen gegenüber reformierten Individuen in den elsäßisch-lutherischen Gemeinden. Im genannten Bericht von 1663 findet sich eine durch alle Gemeinden hindurchgehende akribische Bestandsaufnahme dieser regionalspezifische Besonderheit des Auftauchens von „Calvinisch Gesinde“3. Es handelt es sich um wandernde Haus- und Geschäftsangestellte reformierter Konfession zumeist helvetischer Herkunft, die nicht nur selber durch mangelnden Besuch des lutherischen Gottesdienstes auffallen, sondern auch, wie ein Wollweber in Heilgenstein, ihre Kinder davon abhalten,4 bei entsprechender Ermahnung gar noch den Pfarrer verspotten, wie in Wahlenheim geschehen,5 oder die als Paar berechnend genau zu Beginn der Schwangerschaft auftauchen, wie in Gertweiler, „da man sie alsdann ausahlten muss, bis zu End der Kindbett“6 und von denen Dannhauer allgemein befürchtet, dass sie vor allem deshalb ins Niederelsaß migrieren, weil sie wegen täuferischer Gesinnung aus ihrer Heimat augewiesen und deswegen auch im rechtsrheinischen Reich keine Bleibe finden konnten, obschon die Pfalz um die Mitte des 17. Jahrhunderts aktiv Schweizer zur Migration anregte.7 In den auf die Doktrin ausgerichteten Befragungen reformierter Subjekte durch Dannhauer steht ein Punkt im Vordergrund, nämlich das ewige Dekret,8 genau wie in der Hodosophia Spiritus Calviniani und genau wie in der in den neunten Band der Catechismus-Milch eingefügten Predigtreihe über den 23. Psalm.9 Diese konkreten und darum direkten Entsprechungen und Gleichzeitigkeiten sind offenkundig, doch sind sie natürlich nicht mehr als die Spitze des Eisbergs, die am besten sichtbaren Zeichen eines weit über sie hinausgreifenden Willens,

3 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 105. 4 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 107. 5 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 112. 6 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 109. 7 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 103. Zu der Frage der internationalen und interkonfessionellen Beziehungen s. allgemein von Greyerz, Basels kirchliche und konfessionelle Beziehungen zum Oberrhein im späten 16. und 17. Jahrhundert. 8 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 113, zitiert Dannhauers Beurteilung der reformierten Bewohner von Wahlenheim und Brechingen, „deren jene dergestallt sich erklärt, daß sie nicht fern vom Reiche Gottes gewesen, ob dem absoluto decreto ein Abhorrement erscheinen lassen, übernommen mit ihren Predigern von vorgebrachten Fragen zu reden und sich alsdann ferner zu erklären.“ 9 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 1–135.

5.1 Dannhauers Neigung zur Praxis der Kirche und ihres Katechismus

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Anzeichen dafür, dass der mittlerweile gesetzte, wenn auch unverändert intransigent denkende und handelnde Theologe seine Anliegen nicht nur im Reich der Ideen, sondern auch in den Gefilden der kirchlichen und, sit venia verbo, gesellschaftlichen Wirklichkeit durchgesetzt sehen wollte. Eine etwas weniger augenfällige, dafür tiefergreifende Ausdrucksform dieses Willens zeigt sich ganz zu Beginn des Berichtes. Den eigentlichen detaillierten Visitationsakten vorausgehend erfolgt hier in einem zusammenfassenden Eingangsteil ein kumulatives Summarium der nachfolgenden Beanstandungen. An dessen erster Stelle steht „der immerfort grassierende Unverstand des Catechismus“10. Der Text als solcher ist zwar in den Gemeinden noch einigermaßen abrufbar, wenngleich bei den Kindern mit wenig Schulbildung teilweise mit seltsamer Aussprache. „Sobald man aber die Worte ein wenig ändert und auf den vernünftigen Gottesdienst, des eigentlichen Verstandes aller Worte [. . .] mit Ernst dringt, findet man fast Niemand daheim“11. Der Topos vom Papagei, der nur einfach den Wortlaut des Katechismus rezitiert, der schon die ersten lutherischen Pfarrer umflatterte, ist damit durch alle Generationen und Gaue hinweg auch im Elsaß angekommen, und manifestiert sich einmal mehr in ärgerlicher Weise. Ärgerlich ist diese mechanische Wiedergabe nicht allein aus Gründen eines zitationsästhetischen oder formalpadägogischen Ehrgeizes. Dass jeder solchermaßen daherplappernde Katechumene zu

10 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 101, führt an: „1) Unverstand des Catechismus [. . .] [102] 2) Schulflucht [. . .] [103] 3) Die schlechte Anmuth zum Gesang in der Kirche [. . .] 4) Das kärgliche und geringe Almosen [. . .] 5) Das heidnische saturnalische Weihnachtsfest der Dienstboten [. . .] 6) Die Einnistung des Calvinischen Schweizergesinds [. . .] 7) Die Verschweigung oder Verdutschung [Vertuschung] allerhand Ungerechtigkeiten.“ 11 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 101: „Und zwar 1) der i immerfort grassierende Unverstand des Catechismus, welcher auch in vorigen Visitationen mehrmals beklagt und in obiger Lustration um 1660 betrauert worden. Wo man hinkommt, findet man Papageien genug, die die Worte, nach dem Laut des Buchstabens, fertig zu recitiren wissen; wiewohl diejenigen rohen Kinder, so nicht in der Schule ein wenig polirt worden, die Wort seltsam aussprechen und verderben, z. B. „Der gelitten unter dem gerechten Richter, Pontius und Pilatus“, und dergl. Sobald man aber die Worte ein wenig ändert und auf den vernünftigen Gottesdienst, des eigentlichen Verstandes aller Worte, sammt den Grund der Hoffnung, die in Ihnen sein soll, und dessen Verantwortung wider die falsche Lehr, mit Ernst dringt, findet man fast Niemand daheim; sondern es sind solche Leute gleich einem Hungrigen, der die Trachten, Speise und Trank auf der Tafel, zwar mit Augen äußerlich beschauet, aber deren Kraft und Süßigkeit weder empfindet, noch genießt; einem Corodini (?), der ein schön köstlich Gemälde sieht, aber den Geist und die Kunst nicht ergründen kann; ja einem Vieh, das in einem Garten die Raritäten von Blumen ansieht, aber deren Kraft, Saft und Tugend nicht versteht. Es ist daher ein geringer Unterschied noch übrig, zwischen der päpstischen Finsterniß des eingeflochtenen Glaubens, und dem Licht des Evangelii deß wir uns rühmen, aber dasselbe nicht gnugsam erkennen noch gebürlich annehmen.“

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erkennen gibt, dass ihm vom Inhalt der biblischen Passagen, die den Katechismus formen, herzlich wenig oder teils wohl überhaupts nichts begreiflich ist, öffnet vor allen Dingen dem Irrtum in Glaubenssachen Tür und Tor. Er ist die „Gebärmutter“ aller übrigen Übel, die der Bericht anschließend aufzählt.12 Denn „wo [. . .] Unverstand ist, da ist auch Unlust.“ Menschen, die mit der eigenen Glaubenslehre nicht vertraut sind, sind nicht fähig zu einer Auskunft über „den Grund der Hoffnung, die in Ihnen sein soll, und dessen Verantwortung wider die falsche Lehr“ ist ihnen dementsprechend genauso wenig bekannt. Sie fühlen und handeln so, als „könnte man bei Einer Religion so wohl selig werden als bei der andern“. Mischehen oder gar Konversionen sind die lebenspraktische Folge. Da deren Bekämpfung im antisynkretistisch ausgerichteten Werte- und Zielsetzungskanon der Straßburger Theologen im Allgemeinen und Dannhauers im Besonderen zu alleroberst steht, ist kein Aufwand dahin zu groß. Der Weg zu erfolgreicher Eindämmung trans- oder postkonfessioneller Anwandlungen der Lutheraner aber geschieht durch möglichst instruktive, möglichst geduldige,13 möglichst eingängige und möglichst anziehende Erklärung des Evangeliums, mit anderen Worten durch konstruktive Ermahnung und attraktive Predigtarbeit. Es wird in Anbetracht dieser seiner Erfahrungen und Äußerungen nicht allein die Anpassung an die neue Stelle im Münster und im gesamtstädtischen Kirchenwesen gewesen sein, die Dannhauer in den sechziger Jahren zu einer Intensivierung seiner Predigttätigkeit schreiten ließ. Nicht weniger als drei große Predigtsammlungen sahen jedenfalls während des letzten Lebensjahrfünft Dannhauers das Licht des Tages im höchsten Kirchenbau der damaligen Welt. 1661 veröffentlicht Dannhauer ein „Evangelisches Memorial oder Denckmal der Erklärungen über die sonntäglichen Evangelien“14. 1664 erscheint sein „Englischer

12 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 102: „Wo nun Unverstand ist, da ist auch Unlust; wie geglaubt, so gelebt. Blinder Glaub zeugt blinde Liebe, Ignoti nulla cupido. Daher auß diesem Hauptfehler, als einer Gebärmutter, nicht nur die ärgerlichen Apostasia und leichtfertige Eheverlöbniß Derer, die ihre Kinder ins Papstthum hinaus, da Sie hernach nothwendig abfallen müssen, geben (dergleichen Exempel bei dieser jetzigen Visitation sich auch ergeben und erzeigt); Gerade als wäre unter beiden Religionen, kein gründlicher Unterschied und könnte man bei Einer Religion so wohl selig werden als bei der andern, sondern auch die folgenden Fehler ausgeheckt und entsprungen, nämlich“; es folgen die oben Anm. 10 angezeigten Punkte 2) bis 7). 13 Insbesondere für die vor Ort wirkenden Gemeindepfarrer muss es eine sehr reale Versuchung dargestellt haben, die für sie brutale Offenlegung ihrer oftmals fruchtlosen Katechismusarbeit bei den Katechismusexamina mit cholerischen Reaktionen zu bedenken. S. hierzu Steiger, Kirchenordnung, Visitation und Alltag. Johann Gerhard (1582–1637) als Visitator, 244 f. 14 S. unten Bibliographie num. cit.

5.1 Dannhauers Neigung zur Praxis der Kirche und ihres Katechismus

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Christen-Schutz wider den Erbfeindlichen Türken-Trutz“, eine Sammlung von zweiundzwanzig Predigten, in der Straßburg als „elsässisches Dothan“ mit der belagerten Stadt Dothan nach 2. Kön 6 und deren himmlischem Schutz unter der Vermittlung des Elisa verglichen wird. Ebenfalls 1664 erscheint eine Sammlung von vierunddreißig Predigten über Christus als das Wort Gottes unter dem Titel „PANEGYRICUS URANIUS CHRISTI SOLIS, SPONSI, HEROIS, oder Himmlischer Lob-Spruch der Ehre Jesu // Christi/ // Als // Deß edlen Sonnen-Manns/ liebrei- // chen Bräutigams/ und freudigen unüber- // wündlichen Helden/ // gedichtet von seinem Großvater, dem König in dem 19. Psalm, öffentlich im Münster vorgetragen“, die auch der zweiten Auflage des zehnten Bandes der CATECHISMUSMILCH von 1673 beigegeben wurde. 1667, ein Jahr nach dem Ableben, wird eine „ΕΠΙΣΤΟΛΟΓΡΑΦΙΑ Das ist: Predigten/ über die Sonn- und Festtägliche Lectionen und Episteln“, oder, wie es der Nebentitel in Kupfertitelfrontispiz verdeutscht, „Send-brieffe, welche der Allmächtige Gott an seine Creatur geschrieben“, postum von Balthasar Bebel, herausgegeben. An homiletischer Literatur im Vorfeld dieser vier großen Sammlungen waren nebst den gesammelten akademischen Festreden und Predigten15 des Professors und Rektors Dannhauer lediglich seine in Reaktion auf die Friedensfeiern von 1648 gehaltene „Friedens-Danck-Predigt“ von 1650 erschienen. Mentalitätsgeschichtlich ist sie zwar bedeutend und für Dannhauers Empfinden und Einstellung durchaus typisch,16 aber letztlich dennoch eine Einzelpublikationen kurzen Umfangs. Doch, um mit der Dannhauer so teuren Metapher der Paroptik zu reden, dieser Schein trügt. Diejenigen seiner Predigten, die dem bedeutendsten unter den Anliegen des späten Visitationsberichtes am unmittelbarsten Genüge zu leisten trachteten, erschienen zum größten Teil vor seiner eigentlich pastoralen und kirchenleitenden Wirksamkeit. Von den schlussendlich zehn Bänden der Catechismus-Milch erschienen acht zu seinen Lebzeiten und von diesen wiederum lediglich zwei nach seinem Stellungswechsel von 1658. Die Frequenz mit der, neben allen akademischen, polemischen und diplomatischen Geschäften und Publikationen, im Mittel alle 3,42 Jahre ein neuer Band dieser

15 Hecdecas homiliarum seu sermonum sacrorum diebus festis paremissorum inque solenni panegyri dictorum in Universitate Argentoratensi a Joh. Conrado Dannhavero, Francofurti ad Moenum (sumpt. J. Beyeri) 1651, DWV 119. 16 S. dazu Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, 130–135; Zu den Friedensfeiern, gegen welche Dannhauer sich auflehnte, s. Roeck, Die Feier des Friedens.

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voluminösen Reihe erschien, ist beeindruckend.17 Von den ingesamt 7824 Seiten wurde jeden Monat im Mittel einundzwanzig Seiten geschrieben. Angesichts des ziemlich genau zwei Jahrzehnte währenden mündlichen Vortrags des Projekts ergibt sich sogar eine Zahl von zweiunddreißig Seiten pro Monat. Letztere Zahl fügt sich auch erstaunlich passgenau zur Anzahl von 47218 oder 484 Einzelpredigten. Sie umfassen im groben Mittel pro Band einen Jahressatz an Sonntagen, der allerdings anscheinend je über zwei Jahre erstreckt gehalten wurde, was in einem Mittel von zwei Predigten zu je sechzehn Seiten resultiert.19 Die Sorge Dannnhauers um volksnahe Vermittlung von Katechismuswissen beginnt also beleibe nicht erst gegen Ende seines Lebens. Im Gegenteil hält Dannhauer noch im Alter seine Erinnerungen an den frühen Beginn dieser seiner aktiven Vermittlung fest, indem er im „Englischen Christen-Schutz“ in seiner an den Straßburger Stättmeister Philipp Jacob Wurmser von Vendenheim gerichteten Widmung sonntägliche Mittagspredigten, welche (mit Gott) in das zwanzigste Jahr continuirt wurden20,

erwähnt, mit denen nichts anderes als die Catechismus-Milch gemeint ist. Dem entspricht die Auskunft der Schlusspredigt im Abschlussband der CATECHISMUS-MILCH, die als präzises Datum des Beginns des gesamten Predigtunternehmens den 6. Juli 1634 benennt, indem sie dessen Gegenstand bezeichnet als [. . .] die süsse / hoch und einig nothwendige Catechismus=Milch / mit deren wir vor mehr als 19. Jahren / nemlich den 6. Julij Anno 1634; in den ordentlich von mir gehaltenen Mittags=Predigten den Anfang gemacht / mit Abhandlung des Wort. St. Pauli Hebr. 5.1. und bißher dieselbe Milch proponirt.21

17 1: 1642 / 2: 1643 / 3: 1646 / 4: 1653 / 5: 1654 / 6: 1657 / 7: 1659 / 8: 1666 / 9: 1672 / 10: 1673 / Index 1678. Für die Bände bis 1666 ergibt sich eine mittlere Frequenz von 3,428 Jahren, für das Gesamt der Bände von 3,444 Jahren; Dannhauer war schneller als seine Editoren. 18 Ohne die „Lektionen von der heylsamen Red- und Bett-Kunst“, die eher Vorlesungscharakter aufweisen, sind es 472 Predigten. 19 Band 1 umfasst 43 Sonntage bzw. 46 Sonntage mit den Einleitungspredigten; Band 2: 50; Band 3: 42; Band 4: 29/39; Band 5: 56/57; Band 6: 62/63; Band 7: 12/21; Band 8: 35/54; Band 9: 21/38; Band 10: 14/75. 20 Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, 70: „Ew. Gestrengk hat schon lang und viel Jahr meine sonntägliche Mittagspredigten, welche (mit Gott) in das zwanzigste Jahr continuirt wurden, folgends Sonntägliche Amts=und Diensttägige Bettags=sermones nicht allein emsig und gern besucht und andächtig angehört, sondern auch, wie ich dessen gewisse Nachricht bekommen, nachdem etliche derselben Predigten in Druck ausgefertigt worden, ebenso gern und emsig dieselben daheim wiederholt und gelesen: und damit zuvörderst dero gottselige Liebe zu dem geoffenbarten Wort Gottes, nachmals durch besondere Gelegenheit gegen meine geringe Person erscheinen lassen.“ 21 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X/15, 326: über „über die Wort Pauli I. Cor. 3,2. Milch hab ich euch zu trincken gegeben.“

5.1 Dannhauers Neigung zur Praxis der Kirche und ihres Katechismus

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Der Abschluss der CATECHISMUS-MILCH im Kirchenvortrag fand nach diesen Angaben in der zweiten Jahreshälfte 1653 statt. Dessen Publikation hatte zu diesem Zeitpunkt freilich bereits etappenweise begonnen; denn weil das Datum der Widmung des ersten Bandes zweifellos einen terminus ad quem darstellt, erfolgte der Beginn der Redaktion zur Drucklegung des ersten Bandes vor dem 18. Mai 1642.22 Wenn diese Widmung dabei ihrerseits einen Rahmen zur Datierung setzt, indem sie vom Zeitpunkt ihrer Abfassung acht Jahre rückwärts rechnet, stimmt sie mit der im „Englischen Christen-Schutz“ von 1653 entwickelten Datierung perfekt überein. Der Wunsch nach Vermittlung der Theologie ist daher so alt wie Dannhauers Wirken in der Theologie selbst, die Anfänge der epischen Predigtreihe sind ja nur wenige Monate nach seinen Anfängen in der theologische Fakultät anzusiedeln. Aus etlichen Äußerungen in den Widmungen oder Vorreden der diversen Bände der CATECHISMUS-MILCH, die zwar dem Genre 22 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, Vorrede, nicht paginiert = ):( iii verso, „Wann derowegen an mich von Christlichen Gottseeligen und Lehrbegierigen Personen / so mündlich / so schrifftlich / vielfältig / und inständig gesucht worden / die von mir innerhalb ongefähr acht Jahr / in den Sonntäglichen Mittags-Predigten übernommene / durch Gottes Gnad tractirte und nunmehr fast zu End lauffende Catechismus-Predigten (die ich sonst zu publiciren nimmermehr in Sinn gezogen / in Erwegung / daß allbereit [nicht paginiert = ):( iv] vor mir von hochgegabten Männern dergleichen Predigten nutz und aufferbaulich adornirt / für Augen ligen) um mehrer Versicherung deß Gedächtnuß / deren / die solchen Predigten beygewohnt / auch andern Abwesenden zu Dienst / in offentlichen Truck zu geben: Also hab ich keine ration, solchem Christlichem Begegen entgegen zu seyn / und mich solcher Revisions-Mühe und doppelter Arbeit zu entziehen; vielmehr aber / nach dem Vermögen und Kräfften / die der gütige Gott dazu verleihen wollen / solch angesuchtes Werck zu befördern / gefunden. Bin als der wenigste und letzte im Weinberg Jesu Christi / (ich rede mit dem klugen Haußlehrer Syrach c. 33,16.17.18.) gleich einem der im Herbst nachliset / (welches in allweg erlaubt) aufferwacht / und GOtt hat mir den Segen dazu gegeben / daß ich meine Kälter auch voll gemacht / wie in vollem Herbst / hab nicht für mich gearbeitet / sondern für alle die lernen wollen. ἀδόλως ἔμαθον, ἀφθόνως μεταδίδωμι, Einfältiglich hab ich’s gelernet / midiglich theile ichs mit / ich will der Weißheit Reichthum nicht verbergen / Sap. 7,13. [. . .] Ich wündsche / daß durch die reine lautere Milch des Catechismi alles das Volck deß Herrn lernete weissagen / daß die Geheimnussen Christlicher Religion / die uns der gnädige GOtt in seinem Wort geoffenbaret / und derselben Behauptung / wider alle der Irrenden Einwurff (die und vielleicht ins künfftig mehr werden zuschaffen geben / als mancher noch glaubt/) nicht allein an die Schulcathedren verwiesen / sondern auch dem gemeinen Mann / in Teutscher Muttersprach / zu weiterer Ausbreitung Göttlichen Ehr und Nahmens und mehrer Erbauung bekant / und so viel müglich / klar / satt / deutlich / umständlich / gründlich / und also recht einfältiglich fürgetragen / ut ipse solidus cibus lactescat, quo possit esse aptus infantibus, wie Augustinus redet / tract. 98 in Joh. daß auch die harte Speiß zur Milch (das was sonst schwer zu verstehen / leicht) gemacht / damit die Einfältigen zuätzen;, auch die rechte wol solidirte und gegründete Fromm= und Gottseligkeit / (die nicht blind / sondern durch das Wort Gottes erleuchtet seyn soll) erweckt und angezündet werde!“

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

solcher Texte entsprechend eher andeutungshaft, aber dennoch deutlich genug sind, geht zudem hervor, dass es sich bei dieser Predigtreihe nicht etwa um ein von außen aufgezwungenes oder aufgrund bereits bestehender Abkommen oder Pflichtenhefte übernommenes, sondern um ein von ihm gewünschtes, ja mit Energie in Eigeninitiative vorangetriebenes Projekt handelte. Es mag sein, dass dabei andere als rein sachliche Beweggründe den Wunsch prägten, in steter Regelmäßigkeit auf der überaus prestigiösen Kanzel des höchsten Gotteshauses der damaligen Zeit stehen zu können. Katechismuspredigten waren in einem Kirchsprengel häufig Sache des bischöflich oder subbischöflich amtierenden Superintendenten, bei aller theologischen Verantwortung und Ernsthaftigkeit daher wohl immer zugleich auch eine Art pastorales Statussymbol.23 Zudem war Dannhauer, neben seiner unzweifelhaft auch unter dem Gesichtspunkt der Fremdsprachenkenntnis großen Bildung, bekannt für eine außergewöhnliche Liebe und Offenheit für die deutsche Sprache, selbst in akademischem Umfeld. Doch die eigentlich antreibende Kraft war nicht philologischer, sondern pädagogischer Natur. Es waren nicht allein die lateinischen oder weiteren altsprachlichen Termini, die Dannhauer in die Muttersprache übertragen wollte, sondern auch und in höherem Maße die durch diese Termini transportierten Inhalte. Die Binsenweisheit, dass hier das eine vom andern nicht zu trennen ist, zeigt sich in der Gesamtanlage der Catechismus-Milch, in welcher der für Dannhauers Denken sowohl in der Theologie wie auch in der Philosophie zentrale Begriff der methodus oder auch einfach ὁδὸς eine Verdeutschung findet, die nicht nur im Sinne elementarer Vernakularisierung, sondern auch didaktischer Aufarbeitung verfährt. Wie schon die Eingangspredigten deklarieren, ist die methodus „der [. . .] Weg des Glaubens“, der „Wegweiser unserer Wanderschafft zum ewigen Leben.“ Als Hauptmetapher der Catechismus-Milch entpuppt sich so gerade nicht die Titelmetapher, unter der sie weitherum bekannt werden sollte, sondern, auch hier, diejenige Weges. Ob sie nun tatächlich schon 1634 oder nicht doch erst 1642 ihren Weg in den Aufbau der Sammlung fand, so oder so geschah es lange vor der Publikation des ersten Bandes der eigentlichen Wege-Trilogie, in der alle Bände die ὁδὸς tatsächlich im Titel tragen. Dies aber lässt eine eigentümliche Dialektik vermuten. Einerseits wird zwar die akademischere, lateinische Version des theologischen Systems Dannhauers in der Wege-Trilogie in der Wahl ihrer Zentralmetapher und damit in der Wahl ihrer Gesamtanlage von der ihr vorangehenden, großen und popularisierenden Predigtsammlung, mithin von dem in dieser vorgenommenen entsprechenden Planungsentscheid beeinflusst.

23 Jetter, Art. Katechismuspredigt, 451.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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Andererseits wird eben diese Beeinflussung erst aufgrund und im Licht dieses werkgeschichtlichen Fortschritts als solche überhaupt erkennbar. Da sich nun in der Tat der wechselseitige Bezug der Systeme in eben dieser Dialektik situiert, wie sich noch näherhin zeigen wird, ist er in Umkehrung der historischen Entwicklung einfacher zu präsentieren als in deren Ablauf. Diese darum hier angewandte Darstellungsanordnung empfiehlt sich darüber hinaus auch unter andern Gesichtspunkten. Der sukzessive Ausbau von Elementen, die der Metaphernwelt des Visuellen und der Visualisierung entnommen sind, wird ebenso erst ex post, nämlich in Kenntnis des Gesamtsystems, in der CATECHISMUS-MILCH als solcher erkennbar. Zudem beginnt sie im zeitlichen Verlauf zwar früher als die lateinische Trilogie, greift umgekehrt aber zeitlich umso weiter aus. Der dritte, im Zusammenhang mit dem zweiten zu sehende Grund liegt darin, dass die Predigten in deutlich höherem Grade, ja eigentlich nur sie, auf eine aktive, bewusste Partizipation des glaubenden Subjekts am Prozess der Unterscheidung hindrängen und methodisch zu ihr hinleiten.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie zum principium des Glaubens (17. Jh.) Dass Vermittlung von Katechismuswissen ins Volk Not tat, stand für Dannnhauer in allen Phasen seines Lebens, wie wir sahen, ebenso wenig oder noch weniger außer Frage als für das Gros seiner Kollegen. Die entscheidende Frage blieb daher, wie das genau geschehen sollte. Zwar hatte Dannhauer keineswegs den Anspruch, das Rad der Katechese neu erfinden zu wollen. Ganz im Gegenteil hatte er, wie er ganz am Ende des zwanzigjährigen Predigtunternehmens resümierend festhält, nichts anderes als eine große „Nachlese“ gehalten;24 ein

24 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 15, 331: „Derowegen mag ich auch St. Paulo nachsprechen und sagen: Milch habe ich euch zu trincken gegeben / Göttliche / lautere / heylsame Milch / auß den Brüsten des Alten und Neuen Testaments / und dagegen die Wolffs=Milch verrathen. Euch Elsässischen Corinther / Fremdlingen / Einheimischen / Studiosis, Knechten und Mägden / wie der Engel den Hirten / und andere die GOtt hergeführet hat / deren allbereit eine grosse Mänge schlaffen / und im himmlischen Canaan ankommen / und nunmehr geniessen / was sie vorschmacksweiß geschmecket / wie dann deren wenig werden übrig seyn / die den Anfang gehöret. [. . .] Ich / doch nicht ich / sondern die vorhergehende / begleitende und folgende Gnade GOttes / Ich bin nur der Pocillator und Melcker geweßt / ich unwürdiger Diener GOttes / der ich der letzte aufferwacht / wie einer / der im Herbst nachliset / und GOtt hat mir den Seegen darzu gegeben / daß ich meine Kelter auch voll gemacht habe / wie im vollen Herbst / und habe nicht für mich gearbeitet / sondern für alle die gern lernen wollen. Spr. 33,16. Ich habs gegeben / und zwar auch einfältiglich / einfältiglich hab ichs gelernet / mildig-

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

Faktum, das er in wechselnden Formulierungen des öfteren und in einer Weise zu betonen weiß, die über die übliche Bescheidenheitstopik hinaus recht authentisch wirkt. Alles andere wäre sicherlich auch schwer zu vermitteln gewesen, da nicht nur die theologischen Fachkollegen, sondern auch die belesenen unter den Predigthörern gut mit der in vielfacher Verkettung funktionierenden Rezeption von Motiven, Metaphern oder Bildern und Textzitaten aus der Tradition in den veröffentlichten Katechismuspredigten vertraut waren. Der Terminus der Nachlese erinnert freilich von ferne dennoch an die berühmte mittelalterliche Rede von den Zwergen auf den Schultern von Riesen, bei der unendlich große Demut von stets noch größerem Anspruch zeugt, weil sie trotz ihrer relativen Kleinheit eben stets relativ weiter sehen. Auch die paulinische Bescheidenheitsrhetorik lässt, wie beim Apostel selber, ihren Anspruch indirekt durchscheinen. Dannhauer stellt sich denn auch in einem mehr als kumulativ zu verstehenden Sinne ans Ende einer langen Entwicklung. „Nachlese“ heißt also wohl nicht allein Rezeption als solche, sondern meint zugleich auch, dass das durch sie gewonnene Werk einen nicht mehr zu überbietenden Höhepunkt seiner Gattung darstellt. Quantitativ stand dies ohnehin außer Frage, doch auch, was das methodologische Durchdenken des Riesenwerkes angeht, stand Dannhauer in einer Weise in der Schuld seiner Vorgänger, durch die er sich zugleich von ihnen abheben wollte. Die Catechismus-Milch vermittelt nicht allein, wie jede Auslegung der Katechismen Luthers ohnehin, eine mehr oder minder frische Interpretation dieser Konfessionsschrift als solcher und damit das Angebot einer spezifischen, dieser Interpretation entstammenden Theologie. Sie zeichnet darüber hinaus, tendenziell sicherlich noch mehr als die meisten anderen Katechismuspredigtsammlungen, das Bild des idealen Katechumenen und damit des idealen Christen schlechthin. Der mustergültige Christ verfügt nicht allein über Katechismuswissen, sondern er vermag es auch im Wortsinne kritisch anzuwenden. Der bestmögliche Christ ist ein Scheidekünstler, und als solcher letztlich ein Prophet im biblischen Sinne, ein Gläubiger also, der die ihn umgebende Wirklichkeit auf deren Strukturen hin zu durchdringen und zu unterscheiden in der Lage ist. Dieser Anspruch an die Hörer und Leser fließt aus der in dem Werk ersichtlichen Methodologie, in der er sich zwar nicht erschöpft, die aber seine Voraussetzung darstellt. In ihrem Aufbau stellt sich der Katechismusprediger Dannhauer einem konzeptionellen Problem, das er selber insofern aufgeworfen hatte, als er

lich theile ich es mit. Sap. 7,13. Einfältiglich in Sinnen / inventionibus, meditationibus, einfältiglich zur Ehre GOttes und Vollkommenheit geziehlet / nicht implicitè, nicht syncrecticè, nicht idioticè und Widertäufferisch.“ „Ich habs gegeben zu trincken / also vorgetragen / daß man es fassen können / habs liecht und leicht gemacht / eingeträuffelt / und gegeben mit dem Mund / mit der Feder / und mit der Buchtrucker=Preß.“

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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stets betonte, dass die Differenz zwischen professionellem und allgemeinem Verstehen des christlichen Glaubens und seiner Inhalte unter allen Umständen und Hinsichten stets nur eine relative, graduelle bleiben konnte. Damit war klar, dass die Vermittlung des Katechismus letztlich dieselben Gesetzmäßigkeiten wie die universitäre Theologie zu beachten hatte. Da deren wichtigste nun aber in der Prinzipientreue im aristotelischen Sinne bestand, die zugleich auch die Exklusivbedingung des sola scriptura unter den wissenschaftstheoretischen Bedingungen der Orthodoxie reformulierte, ergab sich ein Problem, dessen Dringlichkeit den in der Diskussion mit der Veroniusschule gelösten Fragen in nichts nachstand. Prinzip der Theologie kann allein, so stand seit spätestens Johann Gerhard fest,25 und so wiederholte es, wie wir sahen, der junge Dannhauer mit Nachdruck, die Heilige Schrift darstellen. Nun war das Schriftprinzip ja insofern schon schwer einzufordern, als es mit dem allgemeinen Priestertum gerade nicht, wie von der ganz frühen Reformation noch angenommen, einfach zu verbinden war. Das Problem vergrößerte sich allerdings noch erheblich, als die auch im Protestantismus zunehmend aristotelisierende Wissenschaftstheorie spätestens gegen Ende des Reformationsjahrhunderts die Prinzipienlehre zu einem Zentralpunkt des Aufbaus und der Begründung der einzelnen Disziplinen erklärte. Unter Berufung auf das zweite Buch der Zweiten Analytiken wird jeder Wissenschaft ihr principium zugewiesen, ihre ἀρχὴ, aus der ihre consequentiae, ihre Schlüsse, zwingend abzuleiten sind. Konkret handelt es sich bei diesen Erstbegründungbereichen um die autoritativen Schriftencorpora, Justinian und generell das römische Recht für die Rechtwissenschaft, Galen für die Medizin, Aristoteles oder zumindest einen aristotelisierend gefassten Regelkanon für die Philosophie, und für die Theologie selbstredend die Heilige Schrift, und zwar die gesamte Heilige Schrift. Principium ist nicht mit causa zu verwechseln, denn letztere kann sehr einfach und knapp dargestellt werden, während ein Prinzip im Grunde immer ein Prinzipienbündel darstellt, ein Bündel eines Umfangs, das professioneller Entflechter und Ausleger zwingend bedarf und für einen noch so intelligenten und motivierten Laien schwer zu durchschauen bleibt. Die gilt für die Bibel natürlich nicht weniger als für altrömische Rechtscorpora. Der norma normans der Schrift eine Reihe von normae normatae beizugesellen, wie in den Konfessionsschriften bekanntlich geschehen, war freilich keine volkstaugliche Lösung. Die Konkordienformel in die Hände des gemeinen Mannes zu legen, machte wenig Sinn; sie war ihm fast genau so schwer zugänglich wie die hermeneutisch anspruchsvollen unter den biblischen Texten. Helfen konnte nur eine Alternative, die denselben wissenschaftstheoretischen

25 Vgl. hierzu Filser, Dogma, Dogmen, Dogmatik, 368, wo der Autor verweist auf die Loci theologici, hg. v. Friedrich Frank, Loc. I., § 19, Bd. 1, Leipzig 1885, 5.

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Status bei wesentlich geringerem Umfang und geistigem Verstehensanspruch bot, eine Art Volksausgabe der Bibel. Zu suchen galt es mit andern Worten, wie Nicolaus Gallus (1516–1570) es bereits 1544 formuliert, die Hilfe einer „methodus“ allgemeinverständlicher Art, gewißermaßen neue „locos communes“ für „gemeine Christen“26. In der Tat beginnt das spätere 16. Jahrhundert, ein solches Textgut zu identifizieren und zu benennen als Kleine Biblia, in Anlehnung an eine Bezeichnung Luthers für den Psalter,27 den der Reformator gleichsam als Kompendium der Schrift insgesamt ansah. Nunmehr war damit sein eigener Kleiner Katechismus gemeint, der ja wie alle mittelalterlichen Katechismen nichts anderes als eine kommentierte Sammlung zentralster Bibeltexte bildete. Zu ihnen zählte das Reformationsjahrhundert auch das trotz einigen hier und da sachte aufkeimenden Zweifeln noch gänzlich den Aposteln zugeschriebene und nach ihnen benannte Symbol, dem damit ebenfalls ein quasi-biblischer Anspruch zugestanden wurde.28 Diese neue Nomenklatur entwickelt sich zugleich auch aus einigen ihr vorangehenden Ausdrücken der Summierung, in deren Konsequenz jedenfalls sachlich der an definitorischer Prägnanz und theologischer Dignität nicht zu übertreffende Ausdruck der Kleinen Bibel zu liegen kam. Schon für Luther ist der Katechismus „der ganzen heiligen Schrift kurzer Auszug und Abschrift“, von dem er auf Deutsch entsprechend erklärt, er sei totius scripturae quasi quoddam compendium [. . .] brevemque illius atque summariam descriptionem continet.29 Luther treibt in den Tischreden – wie bereits Wilhelm Alards (1572–1645)30 Praxis Catechismi von 1619,31 aber auch die Dannhauer‘sche Catechismus-Milch notiert –32

26 Gallus, Nicolaus: CATECHIS= // MVS // PRedigsweise gestelt [s. l.] / 1544, iiii. 27 Luther, WA DB, 10/1, 99, 24 f. Über den Psalter schreibt Luther in der Vorrede (1528) „daß er wohl möchte eine kleine Biblia heißen, darin alles aufs schönste und kürzeste, wie in der ganzen Biblia stehet . . . ; daß mich dünkt, der Heilige Geist habe selbst wollen die Mühe auf sich nehmen und eine kurze Bibel und Exempelbuch von der ganzen Christenheit oder allen Heiligen zusammenbringen, auf daß, wer die ganze Bibel nicht lesen könnte, hätte hierin doch fast die ganze Summa, verfasset in ein klein Büchlein“. 28 S. unter anderem Kolb, The Layman’s Bible, 16–26. 29 Luther, Großer Katechismus, Vorrede, in: BSLK, 552. 30 Brecher, Art. Alard, 172. 31 Alard, Praxis Catechismi, s. Anh. 4.1, S. 502. 32 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 626 f. zitiert einen Passus, der nun ediert ist unter WA TR 5, S. 581 f., Nr. 6288: „Der Catechismus ist die rechte Leyen-Bibel, darinnen der gantze Innhalt der Christlichen Lehre begriffen ist [. . .]. Wie das Hohe Lied Salomonis ein Gesang über alle Gesäng / Canticum Canticorum, also sind die zehen Gebott doctrina doctrinarum, ein Lehr über alle Lehren, [. . .]. Zum andern/ so ist das Symbolum oder Bekäntnüß deß Glaubens an GOtt unsern HErrn Jesum Christ/ Historia Historiarum, ein Historia über alle Historien / oder die allerhöchste Historia/ darinnen uns die unermeßliche Wunderwerck der Göttlichen Majestät von Anfang biß in Ewigkeit fürgetragen werden/ [. . .] Zum dritten/ so ist oratio

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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die Summierungslogik sogar noch weiter, indem er selbst die einzelnen Stücke des Katechismus als je unübertreffbares Resümee ihrer spezifischen Gattung bezeichnet. In Fortsetzung dieser Linie wird der Kleine Katechismus auch bei den lutherischen Autoren ab spätestens 1562 als Summa identifiziert – 1562 bei Sebastian Fröschel (1497–1570)33, je 1566 bei Nicolaus Gallus34 und Johannes Garcaeus

Dominica das Vater unser oratio orationum, ein Gebet über alle Gebet/ das allerhöchste Gebet/ welches der allerhöchste Meister gelehret/ und darinnen alle geistliche und leibliche Noth begriffen hat/ und der kräfftigste Trost in allen Anfechtungen/ Trübsalen und in der letzten Stunden. Zum vierdten/ sind die hochwürdige Sacramenta Ceremonia ceremoniarum, die höchste Ceremonien/ welche GOtt selbsten gestifftet und eingesetzet hat [. . .].“ 33 Fröschel, Sebastian: Catechismus // Wie der in der Kirchen // zu Wittenberg nu viel Jar/ auch bey // leben D. Martini Lutheri ist ge= // predigt worden / // Durch // M. Sebastianum Fröschel // Mit erklerung etlicher vieler wörter // vnd Definition/ so er vom Herrn // Philippo Melanthon bekomen // hat/ gebessert.// Wittenberg 1562, B: „WIe die Bibel / das ist / das alte vnd newe Testament / der Alten vnd Gelerten Lerebuch ist / daraus sie lernen vnd leren sollen / die gantze summa der heiligen Schrifft / von allen [verso] nötigen Artikeln Christlichen Glaubens / als vom rechten warhafftigen erkentnis Gottes / von der sünde / von der rechtfertigung / von rechter anruffung vnd rechten Gottesdienst / vom Gesetz vnd Euangelio / von den Sacramenten / vnd rechtem brauch der Sacrament etc. Also ist auch der Catechismus der Kleinen vnd Jungen / das ist / der Kinder vnd Einfeltigen Bibel vnd Lerebuch / darinnen auffs kürtzest verfasset ist / die Summa der gantzen heiligen Schrifft / in allen nötigen Artikeln des Christlichen Glaubens / daraus die Kinder vnd Einfeltigen lernen sollen / dieselbigen Artikel Christliches glaubens zu jrer seligkeit nötig.“ 34 Gallus, Nicolaus: CATECHIS= // MVS // PRedigsweise gestelt / für // die kirche zu Regenspurg / zum // Methodo [. . .], 1544, Bv: „Denn der heilig Catechismus nichts anders ist / denn ein solche kurtze / einfeltige / ordentliche summa / vnd Fundament gantzer Christlicher lere / oder wie wir ihn wol mit warheit nennen mögen / ein kleine Bibel.“ Schon der Abschnitt zuvor, Brecto, bringt zweimal den Summenterminus: „Ir geliebten Christi / Es spricht der heilig Paulus Rom. 10. Der glaub kompt auß der predig / das predigen aber durch das wort Gottes. wie nu zum glauben vnnd zur seligkeit not ist / das Gottes wort rein vnd fleissig gepredigt vnnd gehört werde / also ist darzu ein grosse forderung / das ein ieder derselben predig / ein kurtze ordenliche summa stets bey ihm habe / vnd lerne die gantze Christliche lere / auch was er sonst allenthalben dauon lieset vnd höret / darin fassen / als zu einem feürzeug Christlicher andacht / vnd regel Christlichs glaubens vnd wandels / dadurch er stets geleitet / auff rechter bahn Christlichs glaubens vnd wandels bleibe / je lenger ie mehr angezündet / im Geyst brünstiger werde. Denn wir teglich wol erfaren / wie leicht die verfürt sind / denen es an solcher summa der lere mangelt“. Es findet sich überdies noch zweimal eine identische Formulierun als „summa gantzer Christlicher lere“ und „ordentliche summa Christlicher lere“ in folgendem Abschnitt; B ii verso: „Wir aber halten die stück den vnsern in vnser Kirchen also für / leren vnd erkleren sie mit bekanter Muttersprache / das die jugent vnd iederman darauß lerne die summa gantzer Christlicher lere / von Gott selbs offenbaret in heiliger schrifft / der Propheten vnd Aposteln / souiel einem jeden Christen zu rechtem glauben vnd Gottesdienst / vnnd zur seligkeit alhie zu wissen not ist. Vnnd haben E. L. (wie zuuor kurtze beschreibung des Catechismi / das er sey ein kurtze

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(1530–1574)35, 1587 bei Martin Crusius (Kraus; 1526–1607)36 –, etwas später auch als Außzug (bei Jakob Andreä 1576/89)37 oder präziser als Außzug der Biblien (bei Ägidius Hunnius 157638), was zweifellos dem Fremdwort der Epitome entspricht,

ordentliche summa Christlicher lere) also hie in diesen worten weiter kurtze beschreibung solcher Christlichen lere. Welche in summa ist ein lere von Gott selbs offenbaret / durch sein wort / in heiliger schrifft / der Propheten vnnd Aposteln / von seinem Gôttlichen wesen vnnd willen / was wir glauben vnd thun sollen / souiel als hie zuwissen zur seligkeit not ist.“ 35 Garcaeus, Johannes: Von warhafftigem gebrauch des Heiligen catechismi [. . .], Magdeburg 1566, A iiii, erkennt im Kleinen Katechismus „die gantze summa [. . .] der Christlichen Religion“: „Es [Marg.: Quid sit Catechismus ?] ist aber der heilige Catechismus nichts anders / denn ein klein büchlein / für die getaufften Kindlein / aus der Propheten vnd Aposteln Schrifften zusamen getragen / vieleicht von den Aposteln selbst / darin die gantze summa vnd alle Heuptartickel der Christlichen Religion / vnd was einem Christen nötig zu wissen ist / zum Christlichen leben vnd seligem sterben / fein kurtz zu hauff geschrieben / damit es die lehrer fein richtig vnd ordentlich konnen fürgeben / vnd die jungen Christen es desto leichter fassen vnd behalten.“ Zur Person s. Bertheau, Johannes Garcaeus der Jüngere, in: ADB 8 (1878), 370. 36 ΠΟΛΙΤΕΥΜΑ ΟΥ- // ΡΑΝΙΟΝ, ΗΤΟΙ ΚΑΤΗΧΗ- // τικαὶ ὁμιλίαι· [. . .] CIVITAS COELE- // STIS, SEV CATECHETI- // CAE CONCIONES: A MARTINO CRVSIO EDITAE, Tübingen, 1587, 163: „è sex autem Catecheseos capitibus, quae breuem summam totius Diuinae scripturae contineant.“ 37 Bei Andreä 1576/89 findet sich als Hauptbegriff zur Charakterisierung der Begriff „Außzug“, womit ein früher Beleg für die dem Lutherschen Katechismus zugestandene Kriterienfunktion auftaucht. In seinen Drey vnd dreissig Predigten // Von den fürnemsten // Spaltungen in der Christlichen Reli= // gion/ so sich zwischen den Bäpstischen/ Lutheri= // schen/ Zwinglischen / Schwenckfeldern // vnd Widerteuffern halten [. . .], Tübingen, 1589, 53, ist der Katechismus „ein kurtzer außzug“. Er ist also eine Epitome „auß der gantzen H. Schrifft des alten vnnd newen Testament“s und zwar, wie eine Marginalie verdeutlicht, „Außzug auß dem alten vnd newen Testament für den gemeinen Leien“ und wie der Text noch dramatischer, in bewusster Steigerung, formuliert, „den auch die allereinfältigsten / Weib vnnd Man / Knecht vnnd Mägdt / ja auch die kleine Kinder / lernen können“. Zusätzlich, wie auch bereits von Robert Kolb unterstrichen, ergibt sich so eine Sicherung der Unterscheidungsfunktion des Kleinen Katechismus, „dann nichts kan noch mag geprediget werden / darüber nicht diser kurtz Außzug richten möge“. Der Auszug muss also nicht nur in sich zuverlässig sein, sondern auch nützlich gegen Irrtümer und fremde Lehren, welch letzteren Aspekt Andreä mit einem ganz besonders dramatischen Bild illustriert, welches zugleich die Befähigung des Laien zu eigenständiger und effizienter Lektüre der Bibel verdeutlich. So wie das exegetische Instrumentarium in den Händern der Gelehrten untaugliche Waffen in den Händen der Ungelehrten werden, so wirksam, ja tödlich ist der Schleuderstein der Wahrheit in Christus, als dem wahren (Eck-) stein in den Händen und Sinnen derer, die an ihn glauben. 38 Bei Ägidius Hunnius ist dieselbe Logik sozusagen fugiert innerhalb des Katechismus zu beobachten. Der Kleine Katechismus ist laut Hunnius, Christliche Haußtafel // Das ist: // Gründtliche // Beschreibung aller Stän= // de vnd Orden der Christen; Leipzig 1593, (?) [sic] iif., „ein kurtzer Extract, oder Außzug der Biblien“ und zwar insofern er „die gantze von Gott eyngegebene vnd geoffenbarte Lehr in sich begreifft“; also formt die „Haußtaffel [. . .] „deß Menschen Leben vnnd Wandel“ und zwar „wie der in eines jeden Standt / Ammt vnd Beruff gethan vnd

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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so dass (wiederum bei Hunnius 1576)39 der Kleine Katechismus folgerichtig auch als ein kurtzer Extract, 1578 bei Crusius als S[acrarum] literarum Catechistico compendio40, 1594 bei Heinrich Decimator (1544–1615) sogar als σύνοψις41 der Bibel erscheint. Ebenfalls spätestens ab 1562 erscheint der Text als Lehrbuch der Einfältigen (bei Fröschel)42, ab 1565 als der Laien Bibel – 1565 bei Johann Matthesius (1504–1565), 1581 bei Bartholomäus Rosinus (1520–1586) – 43, und ab 1573 schließlich als Quintessenz oder als Kern (1573 bei Christoph Vischer; 1520–160044). Diese Logik der wertvollen, quasi-alchemistischen Essenz einerseits und des kostbaren Buchs andererseits findet sich 1644 ihrerseits noch einmal komprimiert in das güldene Hausbüchlein des katechetisch auch ansonsten sehr produktiven Wittenber-

beschaffen seyn sol.“ Während die Zehn Gebote, die Teil des Katechismus sind und daher zur Lehre zählen, „in genere“ „lehren / was Gott von uns Menschen erfordere“, zeigt die Haustafel dies „unterschiedlich / in specie“: „Dann wie der Catechismus als ein kurtzer Extract, oder Außzug der Biblien / die gantze von Gott eyngegebene vnd geoffenbarte Lehr in sich begreifft / was man vermög Gottes Worts / in allen Artickeln Christlichen Religion glauben soll / durch welchen auch GOtt der HERR vor dieser Zeit mitten in der grewlichen Finsterniß des Bapstthumms viel Gutes bey seinen Außerwehlten gewircket hat: Also formieret die Haußtaffel deß Menschen Leben vnnd Wandel / wie der in eines jeden Standt / Ammt vnd Beruff gethan vnd beschaffen seyn sol. Vnd ob wol auch die Zehen Gebott vns lehren / was Gott von vns Menschen erfordere / so geschicht doch solches fast allein in genere, oder ins gemein / zeigt an / war zu samptlich alle Menschen / laut deß unwandelbaren Willen deß Allmächtigen verpflichtet vnd verbunden seyen. Die Haußtafel aber gehet etwas näher herbey / zeiget vnterschiedlich / in specie, vnd insonderheit einem ieden in seinem Beruff / was jhme in denselbigen zuthun gebüren oder nicht gebüren wölle.“ So wie der Katechismus insgesamt eine dogmatische Epitome bildet, so ist die Haustafel „als ein kurtze Christliche Ethica zugericht“. 39 S. oben Anm. 38. 40 ΠΟΛΙΤΕΥΜΑ ΟΥ- // ΡΑΝΙΟΝ, ΗΤΟΙ ΚΑΤΗΧΗ- // τικαὶ ὁμιλίαι, 3: „CONCIO I. THEODORICI SNEPPFII, Generalis Tybing. Superam ciuitatem quarendam esse, & quomodo. [5, Marginalie] Hoc verò ex S. literarum Catechistico compendio acquiritur.“ 41 Decimator, Heinrich: CATECHISMI // Predigten [. . .], Mühlhausen 1594, Seite (:) 2. 42 Fröschel, Sebastian: Catechismus, B. 43 Mathesius, Johann: Historien von des Ehrwürdigen in Gott Seligen thewren Manns Gottes, D. Martin Luthers Anfang, Lehre, Leben Leipzig 1565, Lamberg 1621, 58; Rosinus, Bartholomäus: Kurtze Fragen vnnd Antworten vber die sechs Heubststück des Heiligen Catechismi, Regensburg 1581, A2. Letzteres Werk ist zitiert nach Reu, Johann Michael: Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts, 1. Band, Gütersloh, 1904, 743; und beide nach Kolb, The Layman’s Bible, 17 mit Anm. 3. 44 Auslegung der // Fuenff Heuptstuecke // des Heiligen Catechismi/// Gestellet vnd geprediget // Durch // M. Christofferum Vischer/// Hennebergischen Superintendenten/// vnd Pfarherrn zu Meiningen.// Leipzig.// M. D. LXXIII.//(bey Johan. Rambaw gedruckt //), (vijr.; zit. nach Kolb, The Layman’s Bible, 16 mit Anm. 2. Anklänge zwischen dem bereits genannten Ausdruck „Extrakt“ und „Quintessenz“ werden von den Zeitgenossen sicherlich ebenfalls gehört.

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ger Pfarrers Martin Caselius (1608–1656)45. Diese Linie wurde wohl erst späterhin von indirekter Ableitung durch die Übernahme des Bibelbegriffs hin zu unmittelbarer Bezugnahme auf deren Inhalt weiter ausgezogen. Denn schon das Neue Testament kennt für gewisse Exponenten der Orthodoxie den Katechismus und seine Struktur genau. Wenn der Apostel erklärt, er wolle lieber fünf Worte mit seinem Verstand reden, damit er auch andere unterweise, als zehntausend Worte in Zungen (1. Kor. 14,19), apostrophieren die fünf Worte der Unterweisung für ihn nichts anderes als die fünf Hauptstücke des Katechismus, wie Johannes Olearius (1546–1623) erklärt.46 Und schon zuvor wusste Conrad Dannhauer, dass die einzelnen Katechismusteilen den Elementen der festen Speise in Hebr. 6,2 direkt entsprechen.47 Die Verdichtungs- oder Summierungsvorgänge werden in dieser Weise gleichsam über Generationen hinweg von verschiedenen Seiten her zugleich beleuchtet, was sich auch in den Texten selber wiederfindet. Im großen konfessionellen 17. Jahrhundert findet sich diese Summierungslogik dann vorerst in kumulativer Kombination. So ist etwa im berühmten Werk des Konrad Dieterich (1575–1639)48 zum Kleinen Katechismus von den totius doctrinae Christianae capita die Rede als salutis aeternae fundamenta.49 In signifikanter Weise geschieht

45 Caselius, Martin: PRAXIS CATECHETICA, // Das ist: // Lutherische // Catechsimus-Schule/ // In welcher // I. Das güldene Hauß-Büchlein/ der kleine // Catechismus/ des seligen H. D. Luthers // wiederholet/ // II. mit Sprüchen und Exempeln der Heili- // gen Schrifft kürtzlich erkläret/ und // III. desselben Application und nützlicher // Gebrauch vom Anfang biß zum Ende // gewiesen/ auch // IV. absonderlich/ in einer Vorrede gezei- // get wird/ wie einfältige und junge Leu- // te im Catechismo // recht unterrichtet wer- // den können: // Für Christliebende Hauß-Väter // und Hauß-Mütter / wie auch einfältige // Schuldiener / welche die lieben ihrigen im // Catechismo fruchtbarlich unter- // weisen wollen / // Verfertiget/ und zum andern mal mit // Sprüchen und Exempeln an unterschied- // lichen Orten vermehret / in den // Druck gegeben/ Von // MARTINO CASELIO, D. // Fürstl. S. General-Superintend. Hoff-Predi- // gern / und Assessorn des Consisto- // rii zu Altenburg. // Mit Fürstl. Sächs. PRIVILEGIO. // Zu Altenburg druckts und verlegts Otto Mi- // chael/ im Jahr Christi 1644. 46 Olearius, Olearius, Geistliches Hand-Buch, 1668, 1974: Sintemal derselbige begreifft die fünff denckwürdigen Wort oder Haupt=Stück / 1. Cor. XIV, 19. welche in der Christlichen Gemeine iederzeit zu reden / zu predigen und zu wiederholen seyn / als unbewegliche Glaubens=Grund / p. 289. dieweil sie uns zeigen. 47 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 629. 48 Vgl. Heppe, Art. Dieterich, Conrad. 49 Dieterich, INSTITUTIONES // CATECHE- // TICÆ, // è // B. LUTHERI // CATE- // CHESI DEPROMPTAE ET VA- // RIIS NOTIS ILLUSTRATÆ, Lübeck 1621,):( 2 f.: „Quas tandem divino percitus spiritu Megalander noster LUTHERUS, beatissimae recordationis Pater, sub incudem revocans summa totius doctrinae Christianae capita non tâm succisâ brevitate, quàm recondita rerum Theologicarum ubertate, in Enchiridion catecheticum hoc fine redegit, ut non solùm informes catechumeni, sed & rudes praecipuè laici exinde, veluti saluberrimis scatebris,

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dies bereits im Jahre 1609 beim Rektor der Wittenberger Universität Johannes Förster,50 der im Anschluss an den Summa-Begriff den Kleinen Katechismus nacheinander als Leyenbibel, Probierstein, Lustgarten, Bußspiegel und Zeughaus erklärt. Noch wesentlich breiter ist dann die Palette an Bildlichkeit, die etwa Johannes Olearius 1668 allein für das erste Hauptstück vorlegen wird, das er je als Viridarium, Antidotum, Cathedram, Summarium, Theatrum, Conspectum, oder Vinea zu betrachten unternimmt, wobei er der Mehrzahl dieser Bilder wiederum je fünf Teilbilder zumengt, so dass insgesamt nicht weniger als siebendundzwanzig Varianten zum anschaulichen Verständnis der Zehn Gebote zur Verfügung stehen.51

è limpidissimo Israëlis fonte promantibus, salutifera cognitionis divinae & salutis aeternae fundamenta à primis vitae incunabulis piè haurire, eadem ad fidei ac vitae suae informationem rectè applicare, memorique corde asservare possent.“ 50 Förster, Catechismus-Schul, Aiii, spricht von der „Lutherischen lauterkeit vnnd Warheit / derer Summ in Lutheri Catechismo begrieffen“ ist, fügt dann aber fünf weitere Epitheta bei, denn „[Ai verso] dieses Fünffgliedichte Kleynodt“ hat „Fünff Herrliche vnd Großmechtige Nutzen; es ist erstens „eine feine kleine Leyenbibel“, zweitens „ein hochbewärther Probierstein / an welchem alle Lehren vnd Predigten können probieret vnd geprüffet werden“ [. . .] „ist gut Lutherisch an Schrot vnnd Korn: Was aber mit vnserm Catechismo nicht vber ein stimmet: das ist Calvinisch Glaßertz / oder Jesuitisch Bley / oder sonst eine falsche vntüchtig Materi [. . .] [Aii] verso] Zum dritten / ist auch vnser Lutherischer Catechismus ein schöner lieblicher Lustgarten / darin Christliche Hertzen im Creutz vnd Wehmuth sich erlustigen / vnd vor ihre bekümmerten Seelichen sich Trostes vnd Labsals erholen können [. . .] Zum Vierdten ist er ein hellpolirter Bußspiegel / vor alle Bußfertige Sünder / darinnen augenscheinlich vnnd ordentlich nacheinander zu sehen / wie vnnd welcher gestalt ein rechtschaffene wahre Busse anzustellen. [. . .] Vors Fünffte / so ist auch der Catechismus aller Christlichen Ritter wolbestaltes Zeughaus / aus welchen sie sich mit aller handt Rüstung vnd Waffen nach nothdurfft versehen können [. . .]“. 51 Olearius, Geistliches Hand-Buch, 1668, 1974: „Was und wieviel an dem Catechismo und dessen Summa / droben p. 7.12.25. gelegen sey / solches ist auß deß H. Lutheri Vorrede mit mehrern zu ersehen / der sich selbst einen Catechismus=Schüler nennet / droben p. 270. Sintemal derselbige begreifft die fünff denckwürdigen Wort oder Haupt=Stück / 1. Cor. XIV, 19. welche in der Christlichen Gemeine iederzeit zu reden / zu predigen und zu wiederholen seyn / als unbewegliche Glaubens=Grund / p. 289. dieweil sie uns zeigen I. Viridarium, den geitlichen Paradis=Garten / darinnen zu finden die allervortrefflichste Anthologia sacra, oder geistliche Blumen=Lust. Denn da ist 1. Das schöne Heliotropum, oder Sonnenwende / in den zehen Geboten / wornach wir unser Hertz / Hand und Mund zu richten haben / welches ist der HERR unser GOtt / welcher deßwegen spricht / Ich bin der HErr dein GOtt. 2. Herba Trinitatis, die allerherrlichste Dreyfaltigkeit=Blume / in dem Apostolischen Glaubens=Bekäntnis von unserm Schöpffer / Erlöser und Heiligmacher. 3. Primula Veris, der schöne Himmels=Schlüssel deß Gebets / so das allerbeste und schönste formular, und zu iederzeit nützlich zu wiederholen ist. Contrà Amesium, vid. Casus ejusd. 4. Rorella, der edle Sonnen=Thau in der heiligen Tauffe.

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Diese Parataxe, die bereits auch metaphorische Sammelbegrifflichkeit integriert, ist also auf der einen Seite zwar bewusst hergestellt und zeittypisch, da barocke Predigten und Auslegungen von gleichsam fächerartig ausgebreiteten „Wort=Blumen“-Feldern leben. Zugleich aber wird rasch schon fühlbar, wie sie nach einer neuen und als solcher konziseren und auch aktuelleren Nomenklatur in möglichst nur einem einzigen Begriff ruft. In der Tat findet das frühe 17. Jahrhundert auch hier bereits zur Sprache des Aristotelismus. Statt den teils noch stark dem Mittelalter und dessen Mentalitäten verbundenen Ausdrücken des 16. Jahrhunderts wie Summa oder Laienbibel findet sich nun der zwar letztlich auch mittelalterliche, doch deutlicher neuzeitlich umgeformte Terminus des principium. Ein früher, vielleicht gar der erste, Beleg findet sich in den 1621 veröffentlichten lateinischen Analysen des Kleinen Katechismus von Reinhard Bakius (1587–1657), Domprediger und Superintendent in Magdeburg. Er bezeichnet die Schrift Luthers, ähnlich kumulierend wie Förster, als Michtam, als Enchiridion, als aetatis infirmioris Postilla, Totius Scripturae ἐπιτομὴ & Compendium, imò: Succus & Sangvis, mel & medulla, nicht zuletzt auch als Μικροβιβλία, wodurch der Kleinen Biblia nun auch im

5. Flos passionis, die unvergleichliche Passions=Blume im heiligen Abendmal / dabey das denckwürdige vergiß mein nicht / zu finden. II. Antidotum, die kräfftige Artzney wieder alles Gifft der falschen verführischen Lehre / droben p. 2.6.7.8. III. Cathedram, den himmlischen Lehr=Stuel / sampt der geistlichen Rüst=Kammer / Schatz=Kammer / Tugend=Schule / Theologia, Jurisprudentia, Medicina, Philosophia, und dergleichen NB. p. 953. biß 962. IV. Summarium, den kurtzen Begriff I. deß Gesetzes / 2. deß Evangelii, 3. deß Gebets / 4. der Glaubens=Siegel / 5. der Glaubens=Früchte in allen 3. Haupt=Ständen / besage der Haus=Taffel. V. Theatrum, den Schau=Platz deß Göttlichen Ernsts im Gesetz / und seiner Güte im Evangelio / bey Erhörung deß Gebets und Austheilung der heiligen Sacramenten. VI. Conspectum, das Anschauen 1. der Göttlichen Rechen=Kammer / oder Rent=Kammer / und Schuld=Register im Gesetz / 2. seiner Kunst=Kammer und unvergleichlichen Geheimnisse der Schöpffung / Erlösung und Heiligung / 3. seiner Schatz=Kammer aller himmlichen und irdischen Güter / dazu das Gebet den Schlüssel zeiget / 4. seiner geheimen Rath=Kammer / da Er uns weiset das höchste Geheimnis unserer Seligkeit in seinen heiligen Sacramenten. VII. Vineam, den geistlichen Weinberg / darinnen uns 1. Officia, unsere Schuldigkeit in den zehen Geboten / 2. beneficia, unsere Glückseligkeit im 2. Stück / 3. privilegia, unsere Befreyung von allem Ubel durchs Gebet / 4. Janua, der Eingang durch die Tauffe / 5. Refectio, die Erquickung im heiligen Abendmahl gezeiget werden. Summa / hier ist Milch und Honig im gelobten Lande / neben der starcken Speise / Hebr. V,12. Breve longum, kurtz und lang / davon H. D. Danhaueri Catech. Erklährung im 8. Theil zu lesen / p. 423. seq. hier ist aus dem C. VI. Hebr. vers. 4.“

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gräzisierten Humanistenhorizont Aufnahme gewährt wurde. Bakius verwendet damit lauter Ausdrücke, die er den principia der anderen Disziplinen respektive Fakultäten explizit entgegenstellt. Explizit stellt er den Kleinen Katechismus dazu auf Augenhöhe mit dem Corpus Aristotelicum, mit Galen, mit Justinian.52 Luthers Lehrschrift nimmt damit denselben Status ein, den die geoffenbarte Heilige Schrift sowohl in der mittelalterlichen Scholastik wie auch in der früheren lutherischen Orthodoxie innehatte. Principium wird zwar als Terminus noch nicht explizit für den Kleinen Katechismus verwendet, sondern nur erst Ausdrücke herangezogen, die indirekte, wenngleich in der Sache unverwechselbare, Analogien darstellen. Spätestens gegen Ende des Jahrhunderts hingegen wird beides, sowohl die Denklogik von Prinzip und Prinzipiiertem wie auch deren Begrifflichkeit, explizit auf den Kleinen Katechismus und dessen Predigten angewandt. Als terminologischer Vermittler zwischen den beiden Welten von Wissenschaftstheorie und Katechetik fungierte Andreas Christoph Schubart (1629–1689), der beruflich zuerst als Professor der Logik und Methaphysik in Jena, sodann als Pastor zu St. Ulrich, Kirchen-Schulinspektor des Saalkreises und kurbrandenburgischer Konsistorialrat im Herzogtum Magdeburg tätig war.53 Zwar ist die Wendung Kleine Biblia für die Katechismusprediger ab 1600 ganz generell ein Geschenk des Himmels, da sie nicht nur lutherisch ist und biblisch ohnehin, sondern auch ganz ernsthaft unter aristotelisierenden Gesichtspunkten verkauft werden kann. Doch kaum ein anderes Beispiel lässt dies so deutlich werden wie Schubarts 1670 und 1680 als Sechzehner-Reihen veröffentlichten Predigtsammlungen. Er differenziert dabei zunächst deutlicher und ausführlicher als Bakius zwischen den verschiedenen Formen oder Aspekten des principium der Theologie sowie zwischen diesem und ihrem summarischen Ausdruck in der Katechismusschrift Luthers. In beiden Predigtsammlungen wird in je einer sogenannten Vorbereitungspredigt, die dem Kleinen Katechismus als Ganzem gewidmet ist und als Einleitung wirkt, eine Metapher zuerst ratione principii und sodann unter anderen rationes erklärt. Die in der zweiten Vorbereitungspredigt der ersten Sammlung angewandte Metapher der Weisheit ist traditionell, und verstrebt verschiedene antike Traditionen

52 Auch Dannhauer nennt ganz natürlich Aristoteles, Galen und Justinian als Bugfiguren der Wissenschaften, zu denen sich Tacitus vermutlich als Gewährsmann der Historiker zugesellt; Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 446, I. AnhangsPredigt: „Wann Pfarrer mehr der Meel=als Seel=Sorg sich befleissigen / die Gelehrten mit ihrem Aristotele, Tacito, Galeno, Justiniano so viel ihnen zu schaffen machen / daß sie darüber Mosis und der Propheten vergessen“. 53 Noack u. Splett, Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit, BerlinCölln 1640–1688, Berlin 2001, 258.

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mit der Christologie, vor allem unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt ihrer göttlichen oder himmlischen Herkunft. Hier setzt Schubart ein, indem er betont, dass Weisheit unter menschlichen Forschungsfeldern nicht zu finden sei. Als biblisches Exempel dient ihm hierbei Hiob, der, obschon er „ein rechter Pansophus“54 und vielen Tausenden an Weisheit überlegen war, doch die eine, wirklich bedeutende Weisheit der „Pansophia[m] Theologica[m]“55 allen andern voranstellte, weil sie so viel schwerer zu finden sei. Denn wie auch die „Regier=Weißheit“56 Gottes ist „die geistliche und himmlische allein=seligmachende Weißheit Gottes“ in sich unergründlich und für den menschlichen Verstand unbegreiflich. Es gilt daher, ihren Grund, ihr Prinzip anderswo zu finden als in menschlichen Domänen, „weßwegen auch Hiob dero Principium oder Uhrsprung anfangs beschreibet“57. Er tut dies in doppelter Hinsicht, nämlich zuerst „Remotivè, wo dieselbe nicht anzutreffen“58, wobei das Buch Hiob Schubart hier dankbares und reiches Anschauungsmaterial bietet, und erst anschließend „Positivè, indem er das Principium Essendi den rechten Brunn=Quell und Uhrsprung aller himmlischen Weißheit anführet und saget: GOtt weiß den Weg dazu / und kennet ihre Stäte“59. Aus diesem Seinsgrund ergibt sich schließlich der Erkenntnisgrund, der den Zielpunkt der Predigt, Gottes Wort, „welches dannenhero das ewige Principium Cognoscendi und unfehlbare Grund ist / darauß wir unsre geistliche Catechißmus=Weisheit erlernen müssen; davon die gottseligen Alten sehr recht und Christlich gesaget: In solo Dei verbo Sapientia vera est; Allein in GOttes Wort die ware Weißheit ist“60. Dieses göttliche Wort als der Urgrund aller Gotteserkenntnis ist zwar freilich weit; doch ist die Schrift in einer Weise unermeßlich, dass ein Elephant darin zwar untergeht, nicht jedoch ein Lamm. Denn sein Sinn ist reicher weder kein Meer / und sein Wort tieffer denn kein Abgrund. Ja wohl ist das geoffenbarte Wort GOttes ein unergründlicher Abgrund und unerschöpfliches Meer / darinnen alle himmlische Lebens=Wasser der Göttlichen Weißheit zusammen fliessen / daß deßwegen Gregorius Magnus nicht unbillich gesaget hat: Scriptura Mare est, in qvo Elephas natat, & Agnus peditat: Die Prophetische und Apostolische Schrifft ist ein unerschöpffliches Meer / in welcher ein großer Elephant und Meister von hohen Sinnen schwimmen muß und kann nichts erreichen / ein einfältiges und demüthiges Chris-

54 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 52. 55 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 53. 56 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 55. 57 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 55. 58 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 55. 59 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 58 f. 60 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 61.

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ten=Lämmlein aber weiß darinnen zu fussen / und alles zu seinem heilsamen Nutzen hocherfreulich anzulegen.61

Die Konzentration, die im Übergang vom principium essendi zum principium cognoscendi stattfindet, ist also hauptsächlich christologischer Art. Das Exzerpt oder die Summa, die der Kleine Katechismus im Blick auf dieses Erkenntnisprinzip der Bibel bildet, hat somit konsequenterweise ebenfalls nicht nur formale Aspekte, sondern auch inhaltliche, durch die er sich bildet. Aufgrund des Terminus der Biblia bleibt der volle wissenschaftstheoretische Status des Kleinen Katechismus als Teilhabers am principium cognoscendi der Theologie gewahrt, während zugleich seine auch materiale Vermittlungsfunktion vom Seinsprinzip hin zur Auffassungsgabe der Christenschar durch ein christologisches Bild noch zusätzlich in ihrem inhaltlich-theologischen Aspekt unterstrichen wird. Dies ist auch der Fall bei der dritten Predigt dieser ersten Sammlung, laut der das principium cognoscendi den verborgenen Schatz von Gesetz und Evangelium entbirgt. Dieser Schatz definiert sich eben nicht in erster Linie durch die Quantität seines Reichtums, der sich in der ganzen Schöpfung indirekt widerspiegelt und der eigentlich den vorgesehenen Predigtrahmen sprengen müsste, sondern mehr noch durch die Kostbarkeit, die ihm eignet, und auf die sich alles konzentriert, nämlich den Zweischritt von Gesetz und Evangelium: Was ist nun der heilige Catechismus anders als parva Biblia die kleine Bibel / und kurtze Außzug des Göttlichen Worts / wie anderswo außführlich dargethan wird / und soll dannenhero ein ieglicher Schrifft= und Catechismus=liebender Christe versichert seyn / daß er darinnen die vornehmsten besten Schätze nach dem Gesetz und Evangelio hocherfreulich finde / wie denn derer sehr viel könten angeführet werden / wann der Gottseligen Antiqvität ihre Anstalt / da sie den gantzen Catechismum in funffzehn Predigten abzuhandeln mit gutem Bedacht verordnet hat / zu überschreiten stünde. Wir bleiben aber billich bey Dero Abtheilung / und werden also fleißig Zuhörer finden.62

Auch hier hängt somit also die formale mit der materiellen Logik zusammen, ja sie liegt sogar in ihr begründet. Schubart entwirft also eine durchaus differenziertere Position als Bakius. Zugleich bietet er in der dritten Predigt der zweiten Sammlung jedoch ein zwar leicht paraphrasierendes, aber dennoch beinahe textidentisches Zitat des entscheidenden Passus des Magdeburgers. Obschon diese „Vorbereitungs-Predigt“ erst 1675 gehalten wurde, wirkt es wahrscheinlich, dass Schubart schon bei der Konzipierung der ersten Sammlung maßgeblich, und damit ganz grundsätzlich, von Bakius inspiriert worden war.

61 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 62. 62 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, Leipzig 1670, (Anh. 4.3), 2b: „Dedicatio.“

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

Dies gilt auch und vielleicht ganz besonders für die grundsätzliche Zielperspektive, auf die hin diese Explizitmachung der Analogie von Prinzip und Prinzipiiertem aufgestellt worden war. Reinhard Bakius – dem humanistischen Ideal der perspicuitas sichtlich verpflichtet – erklärt, dass das „Enchiridion“ Luthers in einer Weise schlicht sei, die dennoch gebildet wirke, und auf eine Art kurz bleibe, die dennoch klar und durchsichtig vorgehe.63 Sie hat in seinen Augen also keineswegs selbstzwecklichen Charakter und soll auf keinen Fall an die Stelle dessen treten, was sie getreulich vertreten sollte. Dies betrifft nicht nur die formale Seite der Sache, die Schubart, wie etliche andere vor ihm, dazu führte, ausdrücklich auf den Unterschied zwischen Prinzip und Prinzipiiertem, zwischen Wort Gottes und dessen Extrakt hinzuweisen. Es ging nicht in erster Linie um eine abstrakte Differenzierung des Autoritätsstatus, sondern vielmehr um eine genau damit zusätzlich gegebene Möglichkeit, die funktionale Aufgabe des Kleinen Katechismus zu unterstreichen. Eben weil er nicht sich selber zum Ziel hat, sondern als „Kleine Biblia“ auf die wirkliche Bibel, als Prinzipiiertes auf das eigentliche Erkenntnisprinzip, als „Außzug“ (epitome, summa) auf den Gesamttext hinweist, und dies in unerreicht effizienter Weise zu tun vermochte, wird er so unglaublich populär und verbreitet. Diese spannungsvolle Dialektik, die davon lebt, dass der Katechismus das ideale Medium für etwas darstellt, was er selber nie werden kann, erlebte denn auch nicht zufälliger Weise schon bald eine effektvolle zusätzliche Symbolisierung, indem die Differenz zwischen der „kleinen Bibel“ des Katechismus und der kanonischen Heiligen Schrift durch eine gezielte mediale Inszenierung ihrer versuchten Aufhebung erst recht und nahezu paradox zusätzlich unterstrichen wird. Schon im 16. Jahrhundert weist die spielerische Gattung der Psalmocatechesis den Hörer darauf hin, dass ihm im Katechismus allein Gottes Wort begegnet, und eine vermutlich nicht mehr überbietbare Steigerung dieser Logik entwarf schließlich der Tübinger Prediger Georg Albrecht im Jahre 1629, indem er die Hauptstücke des Katechismus auf zehn Predigten aufteilte, die in heilsgeschichtlich und textlich lückenlosem Fortgang je einen Teil der Bibel auslegten, so dass am Ende durch die Verkündigung des Katechismus nicht weniger als die gesamte Schrift vollumfänglich ihre Interpretation erfuhr.64

63 Bakius: D. MART. LUTHERI // CATECHESIS MINOR, // Brevissimâ analysi ita exposita, ut vel // ex ipsâ accuratiori methodo constare possit [. . .],(Anh. 4.2), Dedicatio, besonders 2b-3b. 64 Albrecht, Georg: Biblischer Buss Altar // dass Ist: // Zehen Predigen Inn // Welchen die Lehr von der Buss // Deutlich Erkleret, Unnd allein // auss H: Schrifft also Fürgetra- // ge[n] wirdt, das Jede Predig auss // Besondern Büchern der H: Bibel // Beschriben Ist // Zu Augspurg. // Inn der Evangel: Kirchen // Zu de[n] Barfüssern gehalten und // Jetzo Männiglich zu guetem In[n] // Truck gegebe[n] Durch // M: Georgium Albrecht Mitt- // hleffer[n] zu de[r] Barfüsser[n] daselbste [n] // Tübingen, Wild, 1629.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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Es ist in diesem Zusammenhang von Interesse, dass die Entwicklung dazuhin, den Kleinen Katechismus als besten, kompaktesten Ausdruck des lutherischen Glaubens überhaupt zu betrachten, parallel zu einem bestimmen Aspekt in der konfessionellen Aneignung der Person und der Vita seines Autors lief. Generell bieten nämlich die Predigten oder Predigtsammlungen in ihren Einleitungs- und Vorbereitungsteilen ab der Höchstphase der Konfessionalisierung im Reich zunehmend auch biographisches Material zu Luther, und zwar zumeist Elemente narrativer Struktur zu seiner Entwicklung vom Mönch zum Reformator sowie solche zu seiner entscheidenden Bedeutung am Ende der Zeiten, in welcher die apokalyptisch eingefärbte Frühe Neuzeit zu leben glaubte. Im Moment höchster Dunkelheit und Gefahr für den christlichen Glauben und die Kirche schenkt Gott der Menschheit ein Licht in der Gestalt Luthers, der durch seine Taten und vor allem seine Schriften seinerseits Licht in die Kirche zu werfen in der Lage ist. Was Luther tut, hat prophetische Züge, es zeigt Gott. Luthers Werk als Gottes Werk lobt Gott und hilft andern, dies zu tun, indem es ein Maß an persönlicher schriftstellerischer Fähigkeit offenbart, das alles sonst Übliche sprengt. Einer der herausragendsten Züge dieser Fähigkeit besteht nun aber eben in seiner Begabung, das Essentielle zu finden, zu

Zehn ovale Bildnisse, eine Art emblematische Gemmen, auf der Titelseite zeigen die Inhalte der zehn Predigten an: Necess[itatis] poenit[entiae] propositio. Poenit[entiae] definitio. Sacrificior[um] Oblatio. Cordis Contritio. Oris Confessio. Peccatorum enumeratio. Patris Miseratio. Filij Redemtio. Fidei Applicatio. Fructuum declaratio. Parallel dazu erklärt Albrecht auf S. 6 der Schrift: „Die 1. Predigt wollen wir halten allein auß den 5 Büchern Mose. Die 2. allein auß den Historischen Büchern / Josua / Richter / Samuel / und der Könige. Die 3. allein auß dem Psalter Davids. Die 4. allein auß dem Propheten Esaja. Die 5. allein auß dem Propheten Jeremia. Die 6. allein auß den beyden Propheten Ezechiel / und Daniel. Die 7. allein auß den 12 kleinen Propheten. Die 8. allein auß den 4 H. Evangelisten. Die 9. allein auß der Episteln des H. Pauli. Und dann Die 10. allein auß den Episteln der ubrigen H. Aposteln.“

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formulieren, und weiterzugeben; in einer Begabung, die bemerkenswert schien, viel beachtet und stark gelobt wurde. Die Bewunderung für die Verdichtungsfähigkeit Luthers als des Autors der Katechismen führt in der Hochorthodoxie, zu einer Zeit, als die Katechismuspredigten ihren Zenith beinah schon überschritten hatten, Christoph Schubart gar zu der insofern grenzwertigen Aussage: „Das Werck lobt den Meister“65, als jedenfalls im Ursprungskontext dieses Sprichworts (Jes Sir 9,24) die göttliche Weisheit selbst gemeint ist. Diese Aussage fällt zwar nicht vom Himmel. Nicht erst für Schubart,66 sondern auch schon für Joachim Mörlin 1566, ist der Katechet Luther eine wahrhaft gottgelenkte Biene, die aus der Schrift das Köstlichste zusammenträgt.67 Laut Hieronymus Mencel68 wie auch laut Konrad Dieterich69 und sicher auch in den Augen etlicher anderer war Luther bei Abfassung des Kleinen Katechismus vom Heiligen Geist inspiriert, wobei hier allerdings natürlich die inspiratio mediata apostrophiert wird. Dennoch wirkt der Schubart’sche Spitzensatz hart an der Grenze dessen, was der Protestantismus Menschen grundsätzlich an Lob zuzugestehen bereit war, und es macht den Anschein, als ob hier der Kleine Katechismus einen Dignitätszuwachs zu verzeichnen hatte, der in dieser seiner Grenzwertigkeit zu einer ebensolchen Entwicklung bezüglich des Augsburgischen Bekenntnisses parallel verläuft.70 Doch die Aussage des seinen Meister lobenden Werkes – und anderer – auf eine Quasi-Divinisierung Luthers hin interpretieren zu wollen, schösse trotzdem über das durch sie Beabsichtigte hinaus, ja es stünde ihm letztlich entgegen. Schubart vergleicht Luther vielmehr dem von Plinius d. Ä. in seiner historia naturalis erwähnten genialen Maler Apelles, der an seinem Pinselstrich allein erkannt wurde, freilich eben nur deshalb, weil in diesem einen Pinselstrich das Ganze seiner Kunst zu erahnen, ja faktisch zu erkennen war71. Apelles will Protogenes, einem anderen Meister seines Faches, auf Rhodos einen Besuch abstatten. Als er ihn abwesend vorfindet, hinterlässt er auf seiner, des Protogenes, Leinwand ein Exempel seiner Malkunst, mit einer einzigen, ganz besonders fein gezogenen

65 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, 65. 66 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, 64. 67 Enchiridion, Der Kleine Katechismus Doct. Martini Lutheri. Sampt der Haustaffel, in mehr Fragstück verfasset, Leipzig 1566, A2; zit. nach Reu, Quellen, III, 2, 858–859, durch Kolb, The Layman‘s Bible, 18 mit Anm. 12. 68 Vorwort zu Spangenberg, Cyriakus: Catechismus. Die Fünff Heuptstück der Christlichen Lere, Sampt der Hausstafel vnd dem Morgen vnd Abendt Gebet, Benedicite vnd Gratias, etc. Magdeburg, Kirchner, 1573. 69 Siehe das oben in Anm. 49 mitgeteilte Zitat. 70 S. hierzu Appold, Orthodoxie als Konsensbildung, 129. 71 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, 63–65.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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Linie. Hieran kann ihn der Herr des Hauses, von einer Magd über den Besuch eines Unbekannten in Kenntnis gesetzt, zweifelsfrei erkennen. Dabei geht er in schlichtem Ausschlussverfahren vor, indem er feststellt, dass kein anderer zu einem solchen Meisterwerk in der Lage gewesen wäre. Es wird also zwar zuerst vom Erzeugnis auf den Erzeuger geschlossen.72 Genauso nun konnte durch Schubart festgestellt werden, dass Luther allein aufgrund des Kleinen Katechismus als Beauftrager Gottes hätte erkannt werden können. Viele haben Katechismen oder sonstige theologische Werke geschrieben, nur einer hingegen konnte den Kleinen Katechismus von 1529 zu Papier bringen. Diese Feststellung oder ähnliche im 16. und besonders im 17. Jahrhundert getätigte Äußerungen führen nicht wirklich zu einer Emporstilisierung der Person des Autors, sondern faktisch umgekehrt zur Feststellung, dass er nicht aus sich selbst heraus zur Feder gegriffen hatte. Dass unter den vielen Dutzenden und Hunderten an Handreichungen zur Katechese die von Luther verfasste die mit großem Abstand meistbenutzte und beliebteste ist, kann nur bedeuten, dass es das in Gottes Augen am stärksten förderungswürdige Instrument dieser Art darstellt. Dies wiederum schließt einen Kreis mit einem bereits im Vorjahrhundert verbreiteten Gedankengang über die Wirksamkeit des Reformators. Er besagt, dass deren göttlicher Ursprung daran erkannt werde, dass das Wirken Luthers durch die Menschen so gut aufgenommen wurde. Wie einst bei den legendären Bischofswahlen vox populi vox dei darstellte und bei der Kanons- und Traditionsbildung quod semper quod ubique galt, so nun ist nun auch hier bei dieser volkstümlichsten aller Konfessionsschriften die Bildung eines umfassenden Konsenses Indikator des Heiligen Geistes und seines Wirkens. Wie in der Alten Kirche, so ist nun auch aktuell im Reich und darüber hinaus die vorbehaltlose Aufnahme Zeichen nicht allein menschlicher, sondern noch zuvor göttlicher Zustimmung.73 Grund dieses Konsenses war jedoch zumindest teilweise die enorme Fähigkeit des Individuums Luther, Inhalte

72 Schubart, Geistliche // Catechismus= // Lust, 64 f.: „Einen solchen Extraordinar=Künstler haben wir mit Warheit in tausendmahl=weit=grösseren Sachen an dem seligen und außerwehlten Rüstzeuge Göttlicher Barmhertzigkeit / dem Herrn Luthero / der hat nechst vielen andern gar schöne Schrifft=Gemälden an seinem Catechismo uns und viel hundert tausend Christen zum Besten eine solche subtile künstliche Linien gezogen / und die Haupt=Stücke unserer Christlichen Religion auß GOttes Wort / als etwa sonsten eine zarte Biene den süßen Honigseim auß einer lieblichen Zucker=und Provintz=Rosen / dergestalt zusammen getragen / und mit rechten lebendigen Hertzens=Worten / so gar geistreich erkläret / daß / wenn er schon anders nichts praestiret hätte / dennoch darauß allein alle unpassionirte / rechtgläubige / Gottesfürchtige und redliche Christen zu voller Gnüge abnehmen und schliessen müssen / trotz dem Teuffel und allen unsern geschwornen Widersachern! dergleichen Kunst=Stücke hätte ausser ihm niemand auf Erden verfertigen können. Das Werck lobet den Meister. (Sir. IX, 24)“ 73 Vgl. hierzu auch Kolb, The Layman’s Bible, 17.

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konzentriert und dennoch gefällig wiederzugeben. Die Betonung von Luthers Fähigkeit zur Verdichtung des Inhalts der Heiligen Schrift, eine außergewöhnliche Rezeption dieser verschriftlichten Summierungsleistung sowie deren Deutung als Zeichen göttlicher Approbation bilden so eine Art interpretatives Dreieck zum Kleinen Katechismus, das zwar einerseits die fortschreitende Konfessionalisierung auch und gerade des religiösen Elementarunterrichts bezeugt, dies andererseits aber zum Zwecke einer unbedingten Abstraktion von den kontingenten Momenten dieser konfessionellen Entwicklung unternimmt. Sinn und Zweck von Luthers göttlichem Auftrag und seiner Arbeit am Kleinen Katechismus war in dieser konfessionellen Sicht also keineswegs eine ungebührliche Relativierung der unbedingten Gottgegebenheit des Prinzips aller Theologie, sondern im Gegenteil die umso intensivere, getreuere Hinwendung zu Gott als Seinsprinzip und zu seiner Offenbarung als Erkenntnisprinzip für die Christenheit. Die Entwicklung der Katechismuspredigt während und nach ihrer Blütezeit schließt so auch unter dieser Hinsicht einen Kreis zu ihren Anfängen. Schon Sebastian Fröschel zieht 1562 eine explizite Analogie zwischen der Schrift als Lehrbuch für die Erwachsenen und dem Katechismus als Lehrbuch für die Kinder und Einfältigen, die trotz ihres gewaltigen Unterschiedes im Umfang dieselbe Leistung eben deshalb erbringen, weil die kleinere Variante getreulich auf die größere hinweist. Denn „wie die Bibel [. . .] ist [. . .] der Alten und Gelerten Lerebuch [. . .] also ist auch der Catechismus der Kleinen und Jungen / das ist / der Kinder und Einfeltigen Bibel vnd Lerebuch“. Und wie Erstere „daraus [. . .] lernen vnd leren sollen / die gantze summa der heiligen Schrifft / von allen nötigen Artikeln Christlichen Glaubens“ so gilt auch dass ‚in allen nötigen Artikeln des Christlichen Glaubens / daraus die Kinder vnd Einfeltigen lernen sollen / dieselbigen Artikel Christliches glaubens zu jrer seligkeit nötig.“74 Vorbild war und blieb die Offenbarung in ihrer Vollgestalt und letztlich auch deren Reflexion in universitärer, wissenschaftskonformer Form. Diese in den Augen des konfessionellen, orthodoxen Zeitalters eindeutige Zweckorientierung des Kleinen Katechismus erklärt zu einem nicht geringen Teil die selbst für die Verhältnisse der Zeit auffällig klare Parallelität zwischen dem universitär-theologischen und dem kirchlich-homiletischen Wirken Dannhauers. Sie ist zweifellos außergewöhnlich unter dem Aspekt, dass Dannhauer sehr gezielt nicht nur die inhaltlichen Schwerpunkte und materiellen Erklärungsfiguren, sondern auch deren Disposition und strukturelle Aufgliederung einander parallel laufen ließ. Die Parallele an sich zwischen Schrift und Katechismus waren in den Augen der Zeitgenossen zwar völlig

74 Fröschel, Catechismus, Wittenberg 1562, B-Bii.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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normal, insoweit jedenfalls, als wir die eher normativen Quellen, welche die Katechismuspredigten ja darstellen, zum Nennwert nehmen dürfen. Üblich war zudem, dass die Logik der Prinzipien ihren Ausdruck auch in der Auslegung zum Katechismus fand, wie dies in der Catechismus-Milch so deutlich der Fall ist. Doch selbstverständlich konnte weder ein Nürnberger Schuster noch ein Magdeburger Stadtwächter noch ein Elsäßer Knecht mit dieser wissenschaftstheoretischen Rettung der Luthertums und seiner zentralen Unterweisungsschrift so viel wie gar nichts anfangen. Die faktische Vermittlung der wissenschaftstheoretischen Konzeption ins breite Volk hinein geschah auf anderen Wegen, auf jenen nämlich, auf denen die christliche Religion und ihre Predigt schon seit jeher voranschritt. Sie kam dank Metaphern zu den Menschen.

5.2.1 Sammelmetaphern als homiletische Umsetzung der Prinzipientheorie Bei der Weitergabe der Inhalte des lutherischen Glaubens von der Reformation bis zur Frühaufklärung dürfte es keine Predigtsorte geben, die an Bedeutung die Katechismuspredigt übertrifft. Dennnoch ist sie noch immer kaum erforscht. Die Geschichte der Katechismen und der verschiedenen Formen ihrer Auslegung und Vermittlung Teil teilt viele der grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten der Kirchen- und Theologiegeschichte insgesamt; vor allen Dingen gilt wie in jener so auch in dieser, dass die Erforschung des 16. Jahrhunderts ungleich weiter vorangeführt wurde als diejenige des Folgejahrhunderts. Während zum 16. Jh. nebst der klassischen monumentalen Quellensammlung von Johann Michael Reu75 eine weiterführende Studie zu den Katechismuspredigten wenigstens in ungedruckter Form greifbar ist,76 finden sich für das 17. Jh. nur zwei Publikationen aus jüngerer Zeit mit einigermaßen grundlegendem Anspruch.77

75 Reu, Quellen Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600. 9 Bände, Gütersloh 1904–1935. 76 Haemig, Mary Jane: The Living Voice of the Catechism: German Lutheran Catechetical Preaching 1530–1580 (Thesis Harvard Divinity School 1996). 77 Die monographisch publizierte Studie im Unfang eines großen Lexikonartikels von Otto Frenzel, Zur katechetischen Unterweisung im Zeitalter der Reformation und der Orthodoxie, Leipzig 1915, ist noch weitgehend dem Arnoldschen Orthodoxiebild verhaftet und will zeigen, „warum die Entwicklung teilweise zum Stillstand kam oder gar zu einer nachteiligen Mißbildung gelangte“, wie schon auf Seite 2 erklärt wird.f Die Folgepublikation Frenzels, Zur katechetischen Unterweisung im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1920, behandelt die Orthodoxie dann nur noch ganz am Rand. Darüber hinaus existieren natürlich auch neuere Überblicke für die entsprechenden Lexika und Handbücher, u.a. Bellinger, Art. Katechismus. II. Römisch-Katholische

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Sie behandeln jedoch die interessierende Zeit im Rahmen eines Generalüberblicks von der Reformation bis zur Gegenwart und dementsprechend knapp, zudem treten sie mit teils nur mittelbar historischem Interesse an die Quellen heran, da sie von Forschungsinteressen zur praktischen Theologen geleitet sind.78 Von diesen beiden Titeln ist der eine, Hans Jürgen-Fraas’ „Katechismustradition“79, auch über den homiletischen Kontext hinaus allgemein der Katechismusauslegung gewidmet. Zwar bringt Fraas aufgrund seiner übergeordneten Optik immer wieder hilfreiche Erkenntnisse, was die fließenden Übergänge zwischen den Epochen angeht, und weist etwa darauf hin, dass Individualisierungsprozesse in der Katechismus- bzw. Glaubensvermittlung bereits mit der Orthodoxie deutlich einsetzten, doch wertet er dies – wie später Holtz80 – vorwiegend als negativ und vergesetzlichend.81 Mehr von ihrer rhetorischen Eigenart her betrachtet Werner Jetter die Predigten in seinem Lexikonartikel „Katechismuspredigt, der sich auch mit der zeitgleichen reformierten Entwicklung beschäftigt.82 Es ist ihm ein Anliegen, dass „dieser vergessene Flügel der Predigtgeschichte“83, den das „Jahrhundert der

Kirche; Biemer u. Tzscheetzsch, Art. Katechese, Katechismus; Bizer, Art. Katechetik I. Protestantische Kirchen I/1. Historisch (bis 1945). 78 Zwei weitere erwähnenswerte Publikationen konzentrieren sich auf konkretere Fragestellungen. Die Dissertation von Werner Anetsberger, Tröstende Lehre. Die Theologie Johann Arndts in seinen Predigtwerken, München 1971, widmet Arndts Katechismuspredigten 130 Seiten, die allerdings stark paraphrasierend vorgehen und auf einen analytisch oder komparatistisch konzipierten textexternen Zugriff auf die Quellen weitgehend verzichten – was möglicherweise allerdings auch an der Arndtschen Predigtweise selber liegen könnte. Die pädagogikgeschichtliche Arbeit von Julius Hoffmann, Die „Hausväterliteratur“ und die „Predigten über den christlichen Hausstand“. Lehre vom Hause und Bildung für das häusliche Leben im 16., 17. und 18. Jhdt., Weinheim a. d. B. et al. 1959, über die (fast ausnahmslos Katechismus-) Predigten zur sog. Haustafel kontextualisiert dagegen umso mehr. Sie zeigt, dass diese Predigten „das Haus“ als „das grundlegende Sozialgebilde der adlig-bäuerlichen Welt“ in unauflöslichem Verbund mit der zeitgenössischen Ökonomik einerseits, den entsprechenden antiken Traditionen andererseits nachhaltig prägten. Der Pädagoge Hoffmann schrieb so gleichsam eine mit literarhistorischen Mitteln arbeitende Sozialgeschichte avant la lettre, in der die Katechismuspredigten freilich entsprechend wiederum primär unter ihrem normativen Aspekt ins Blickfeld kommen. 79 Fraas, Katechismustradition. Luthers kleiner Katechismus in Kirche und Schule. 80 Vgl. oben S. 3f. 81 Überhaupt schreibt Fraas die Geschichte der Gattung im Wesentlichen als Protokoll ihres Verfalls (der freilich dennoch nicht linear verlaufen sei, sondern gleichsam in jeder Epoche eine neue Einseitigkeit der Interpretation hervorgebracht habe, so dass allein die reformatorischen Anfänge der Verwendung von Luthers Katechismen sinnvoll gewesen und mutatis mutandis wieder einzuholen seien). 82 Jetter, Art. Katechismuspredigt, 762. 83 Jetter, Art. Katechismuspredigt, 765.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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‚großen‘ Katechismuspredigten84 bildet, mit seinen (gemeint ist wohl: gegenüber dem Reformationsjahrhundert) „originelleren homiletischen Leistungen“85 besser gewürdigt werde. Begründet liegt das Vergessengehen dieses Flügels in den Vorbehalten, welche der orthodoxen Predigt seit dem Pietismus immer und immer wieder in der neueren Theologiegeschichtsschreibung widerfuhren, nicht erst seit Schian86, sondern im Grund schon seit Gottfried Arnold (1666–1714) . Dass es sich um explizit der Lehre gewidmete Predigten handelt, dürfte die Vorbehalte verstärkt oder gar potenziert haben; unter diesem Aspekt erklärt Heiner Kücherer „das förmliche Verschwinden der Katechismuspredigt in der Theorie des neuzeitlichen Christentums“87. Umgekehrt sind die beiden maßgeblichen Studien zur Katechismuspredigt des 16. Jahrhunderts nicht durch die Predigtforschung, sondern von Seiten eines Interesses für die Pädgogikgeschichte im weiteren (oder aber die Theologiegeschichte im engeren Sinne) entstanden. Schon das spätere 19. Jahrhundert generierte relativ viel entsprechende Literatur, die freilich in erster Linie den Katechismen Luthers selber gewidmet war. Der Deutschamerikaner Johann Michael Reu (1869–1943) leistete in einer wahrhaft heroischen Leistung eine grundsätzliche Bestandeserfassung der Katechismusschrifttums in allen seinen Formen über sämtliche deutschsprachigen Regionen des Luthertums hinweg,88 wobei ihn vor allen Dingen die Dokumentation der Quellen durch Transkriptionen und Regesten, mit andern Worten die historische pädagogische Leistung im Gewande der theologischem Gattung interessierte. Umgekehrt war es just die massive Infragestellung dieser pädagogischen Anstrengung im Hinblick auf deren Erfolg unter der griffigen Formel der „Reformation as a failure“89, welche die kompakte und angriffige Studie von Mary Jane Haemig provozierte. Vornehmlich gegen Gerald Strauss’ allzu simple Behauptung gerichtet, wonach Katechisierung letztlich bloße Indoktrination „von oben“ und diese wiederum faktische politische Unterdrückung gegen unten bedeutete, weist Haemig anhand der Gewichtungen der einzelnen Teile der Predigten oder Predigtsammlungen nach, dass das dort zu beobachtende Verhältnis von Gesetz und Evangelium zumindest in ihrem äußerlichen Umfang ein anderes ist, als es nach Strauss’ historiographischer Gesamtdeutung eigentlich zu sein hätte. Auch wenn diese quantifizierende Sichtweise vielleicht noch nicht alle Fragen

84 85 86 87 88 89

Jetter, Art. Katechismuspredigt, 760. Jetter, Art. Katechismuspredigt, 765. Schian, Orthodoxie und Pietismus im Kampf um die Predigt. Kücherer, Katechismuspredigt, 5. Reu, Quellen. Strauss, Luther’s House of Learning. Indoctrination of the Young in the German Reformation.

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zu lösen vermag,90 ist es doch in Verbindung mit dem rezeptionssoziologischen Argument, dass eine so intensive, kontinuierliche und nachhaltige padägogische, homiletische und auch literarische Praxis der Katechismuspredigten, wie sie historisch der Fall war, ohne Zustimmung „von unten“ ein Ding der Unmöglichkeit geblieben wäre. 91 Trotz dieser erst sehr provisorisch eingerichteten Forschungslandschaft scheint eine grobe Präsentation der Gattungsevolution in Ansätzen bereits möglich. Es soll im Folgenden einer von Werner Jetter vorgeschlagenen Chronologie ein in manchen Punkten präzisierender weiterführender Entwurf beigesellt werden. Jetters mittlerweile als klassisch zu geltender Artikel in der Theologischen Realenzyklopädie, eine historiographische Pionierleistung, sieht prinzipiell einen dreiteiligen Verlauf der Gattungsgeschichte vor. Zunächst ergab sich laut dem Tübinger Predigthistoriker ein direkt auf Luther folgendes Stadium der Etablierung der Katechismen und ihrer gottesdienstlichen Auslegung durch die Kirchenordnungen.92 Ihm folgte bis ungefähr zur Wende zum 17. Jahrhundert eine Zeit

90 Weniger auf die Katechismuspredigt ausgerichtet, aber ansonsten umfassend und differenziert argumentiert Bast, Honor Your Fathers. Catechisms and the emergence of a patriarchal ideology in Germany 1400–1600. 91 Freilich muss eines hier das andere nicht ausschließen; ein patriarchales Weltbild und die evangelische Botschaft von der ausschließlichen Gnade Gottes sind nicht unvereinbar, sondern können sich zweifellos gegenseitig stützen, wenn die Obrigkeit den reinen Glauben schützt, der wiederum die Obrigkeit deckt. Nur ist festzuhalten, dass dies für die Menschen nicht nur Zwang, sondern subjektiv auch Bewahrung vor Gefahr und Orientierungslosigkeit bedeutete, so dass nicht vorschnell nachaufklärerische Freiheitswerte in Funktionsschemata der Frühneuzeit gelesen werden sollten. 92 Jetter, Art. Katechismuspredigt: Nebst Informationen zur mittelalterlichen „Vorgeschichte“ der reformatorischen Katechismen (747–748) und zu den Katechismuspredigten Luthers (748–750), aus denen, zum Teil nahezu wörtlich, der Große wie dann auch der Kleine Katechismus erwuchsen, und an denen Jetter besonders festhält, dass sie in Bezug auf das Credo nur kurz, über den Dekalog und besonders über das vierte Gebot ausnehmend lange ausfielen, da der Geschenkcharakter des Lebens für Luther einen zentralen Stellenwert in der Verkündigung eingenommen habe, schildert er „Die Katechismuspredigt in den evangelischen Kirchenordnungen“ (750–753). Letztere kennen lauter Jetter hauptsächlich auptsächlich zwei Grundelemente. Allgemein enthalten sie zumeist den Kleinen Katechismus Luthers, sowie die BrandenburgNürnbergische Kirchenordnung und auch Andreas Osianders zweiundzwanzig Kinderpredigten. Durch sie gelangte auch das Hauptstück von den Schlüsseln des Himmelreichs in den Katechismus, was zuvor schon von Hefentreger erwogen worden war, nämlich als Ersatz für die Privatabsolution in Nürnberg. In der Folge galt die Hauptsorge der Institutionalisierung eines Katechismusunterrichts im weitesten Sinne, was jedoch zu einer Zueinanderentwicklung der beiden Gattungen führte. Auch der Unterricht bestand zunehmend darin, dass ein fester Grundtext mehr oder minder frei ausgelegt wurde. Diese Expositionen dehnten sich aus und nahmen immer stärker quasi-homiletische Züge an. Die Katechismuspredigt etabliere sich so als

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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der ersten Ausbreitung und Konsolidierung.93 Diese mündete schließlich in das Jahrhundert der „großen“94 Katechismuspredigten, nach welchem rasch das Ende einer nennenwerten homiletischen Produktion folgte. Trotz des objektiven, weitgehend historisch referierenden Zugangs kann man sich insgesamt des Eindrucks nicht entziehen, dass Jetters Herz eher für die Predigten der Frühzeit und das in ihnen sich widerspiegelnde erste konfessionelle Hochgefühl statt für die Konvolute der großen Sammlungen der Orthodoxie zu schlagen schien,95 die er sogar mit Kritik bis hin zu subtiler Abwertung bedenkt.96 Trotz dieser leicht tendenziös erscheinenden Bewertung ist Jetters Darstellung von großem Wert hinsichtlich seiner Beobachtungen zu den strukturellen redaktionellen Mitteln der Nachzeichnung und Weitergabe des Kleinen Katechismus. Jetter strukturiert gleichsam quer zur chronologischen Darstellung die gewaltige Materialfülle und damit auch sein historiographisches Projekt durch die

„Mischung von Predigt und Lehrgespräch“(751), so dass als Differenz weniger das Genus der Auslegung, sondern eher die Tatsache, dass in der Schule eine Präferenz für den Kleinen Katechismus, in der Kirche eine solche für den Großen vorherrschend war. Die Wittenberger Kirchenordnung sieht zum Zwecke einer Gewöhnung und Institutionalisierung zudem Katechismuswochen vor, die in vielen Gegenden alsdann übernommen werden sollten; „dies hat dann später zu den vielen Buchausgaben mit jeweils 8 oder 16 Katechismuspredigten geführt“. 93 Jetter, Art. Katechismuspredigt: Die „Erste Ausbreitung und Konsolidierung (1525–1625)“ (753–760) führte zu ersten spezifischen homiletischen Subformen oder Nebenlinien, in der Auslegung von Haustafel; Weisheitsliteratur; Psalmen (vgl. „Kleine Biblia“); Liedpredigt oder Polemik. Der Bekanntheitsgrad etlicher Katechismusprediger, die sich auch als Prediger schlechthin bereits einen Namen gemacht hatten, trug zur weiteren Ausbreitung der Gattung bei. 94 Jetter, Art. Katechismuspredigt: „Das Jahrhundert der ‚großen’ Katechismuspredigten“ (760 769) zeigt laut Jetter gewisse lokale Schwerpunktbildungen, so etwa die Ulmer Prediger Edel, Stöltzlin, und Weihenmaier. Als Gipfel- und zugleich Scheitelpunkt erkennt Jetter im Leipziger Orientalisten und Theologen August Pfeiffer, der eine eindrucksvolle Liste an Katechismuspredigten veröffentliche und dabei alle deren Stränge zusammenführte, nämlich Katechismuspredigten, Bibelpredigten, Bekenntnispredigten, Beispielpredigten, Textpredigten, Themapredigten, Reihenpredigten, Ständepredigten, Gewissenspredigten, Lehrpredigten, Bußpredigten, Tugendpredigten, regelmäßige Predigten, Kasualpredigten, Erzählpredigten, Gesprächspredigten, Diskurse und Meditationen! 95 Jetter, Art. Katechismuspredigt, 754: „Fragt man nach der treibenden Kraft dieser breiten, Generationen übergreifenden Arbeit am Katechismus, dann dürfte die schlichteste Antwort auch die treffendste sein: Es war die Freude darüber, wie überzeugend dort das Evangelium zu Gehör kam. Diese Erfahrung war der innerste Antrieb für die sich in rascher Folge vermehrende Katechismuspredigt; man darf dies über den Verhärtungen theologischer Rechthaberei in jenen Jahren nicht übersehen.“ 96 Jetter, Art. Katechismuspredigt, 561: „Sammlerfleiß“, „inneren Spannungsabfall“.

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„Stränge“ der homiletischen Katechismusbearbeitung. In der Frühzeit handelt es sich etwa um Predigten über Luthers Morgen- und Abendsegen, Kinderkatechismen und Kinderkatechismenpostillen für die Eltern, „charitative“ Katechismuspredigten für die Almosenempfänger; später weitet sich die Bandbreite aus zu Bibel- und unter ihnen besonders die Psalmenpredigten97, Bekenntnispredigten, Beispielpredigten, Text-, Thema-, Reihen-, Stände-, Gewissens-, Lehr-, Buß-, Tugend-, Kasual-, Erzähl-, Gesprächspredigten, Diskurse und Meditationen! Zusätzlich unterrichtet er über ein weiteres, von der Zeit selber bereits als solches erkanntes und an zumindest einer Stelle bestens dokumentiertes Klassifikationskriterium, nämlich die Metaphern, durch welche den immer breiter werdenden Sammlungen ein formaler Rahmen und eine innere Kohärenz sicher gestellt wurde. Jetter zieht dabei hohen Gewinn aus einigen durch ihn neu bekannt gemachten Bibliographien aus der Zeit der Orthodoxie.98 Insbesondere „Der Erleuchtete Catechismus-Prediger“99 (Leipzig 1689) des Rochlitzer Pfarrers Kaspar Fiedler (1649–1719), eine bibliographische Goldgrube wohl einmaliger Art, ist ihm einerseits zur bibliographischen Erschließung der großen Menge verfügbarer Quellen nützlich. Diese typische Predigthilfe für anregungsempfängliche Pfarrer umfasst nebst Widmungsgedichten und Vorrede fünf Kapitel,100 die jeweils eine oder mehrere Bibliographien entsprechend der im Titel genannten 97 Jetter, Art. Katechismuspredigt, 755: Laut Jetter kann Nicolaus Selnecker als eigentlicher Begründer dieser wichtigen Linie angesehen werden, die weitergeführt wurde durch A. Fabricius, M. Bischoff, Melchior Sax, Cornelius Becker, und einen Höhepunkt fand in Heinrich Heshusius‘ bedeutender Psalmocatechesis: Psalmocatechesis, // Das ist: // COncordantia // oder Einhelligkeit/ desz heiligen // Catechismi vnd der Psalmen Da= // uids/ in Predigten verfasset. // Durch // M. Henricum Heshusium, Superin= // tendenten zu Hildeßheim. // Erster Theil. // Darinne XXVIII. Predigten/ // Von den Zehen Geboten/ vnd Christ= // lichem Apostolischem Glauben. // [. . .], 2 Teile, Leipzig 1594 und 1595. – H 2986. 98 Nebst dem genannten Art. vgl. auch Jetter, „Der Erleuchtete Catechismus=Prediger“. Erinnerung an ein abgegangenes evangelisches Bildungsinstrument. 99 Fiedler, Kaspar: Der Erleuchtete Catechismus-Prediger; Oder Kurtze Anleitung / Welcher gestalt der güldene Catechismus Lutheri zu eigner Hauß=Andacht; heilsamer Kinder=Lehre in Kirchen und Schulen: nützlichen und in mancherley Lehr=Arten bestehenden Predigten vergnüglich kann angewendet und gebrauchet werden: Alles mit Exempeln der Lehrer obriger und unserer Zeit reichlich bekräfftiget; Zur Ehre des Höchsten / und Erbauung des Nechsten / aus Christlichem Wohlmeynen dargestellet von M. Caspar Fiedlern / ARCHIDIAC. in Rochlitz. LEIPZIG / Verlegts Georg Heinrich Fromann. Anno M. DC LXXXIX. – 23:318307W. 100 Fiedler, Der Erleuchtete Catechismus-Prediger, 1: Caput I. Von der Herrligkeit der Kirchen neues Testaments / absonderlich unserer Zeit; 48: Cap. II. Von dem Catechismo an sich selbst; 74: Cap. III. Von der Hauß=Kirche / und wie der Catechismus darinnen zu treiben; 153: Cap. IV. Von der Catechismus=Lehre in Kirchen und Schulen; 266(-401): Cap. V. Von den Catechismus=Predigten.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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praktischen Tätigkeitsfeldern beinhaltet: das Anfangskapitel deckt die vorangegangene Zeit bis 1614 und bringt 131 selbst recherchierte und 138 dem Elenchus Scriptorum Ecclesiasticorum der Bibliotheca Theologica des Paulus Bolduanus (Balduin) entnommene Bücher oder Sammlungen (darunter auch 38 reformierte), die weiteren Kapitel dann jeweils noch einige Dutzend Titel. Vor allem aber dient ihm dieses Werk im Sinne einer Metaphorologie als homiletischer Topik. Fiedler verfügt über einen wahrhaft geschärften Sinn für die Bildlichkeit der Katechismuspredigten im 17. Jahrhundert. Vor allem im letzten, eigentlich homiletischen Kapitel bringt er eine zwar unsystematische, aber in ihrem Reichtum und ihrer Anschaulichkeit bemerkenswerte und so bislang wohl einzigartige Sammlung von Metaphern in Titeln oder auch Texten zeitgenössischer Predigten. Schon Fraas weist auf das Phänomen der katechetischen Generalmetapher als einer „Sitte, die rasch um sich greift: Man wählt ein recht anschauliches Bild, das man durch alle Predigten bzw. Hauptstücke durchhält“101. Das von Urs Herzog verfasste Unternehmen einer historischen Metaphorologie für „die katholische Barockpredigt“, zeigt wie fruchtbar und omnipräsent dieser Schlüssel zu einer wirksamen Präsentation biblischer und sonstiger Texte im Gottesdienst aller Konfessionen diente.102 Eben dieser Sachverhalt lädt ein, zur chronologischen und interpretativhistoriographischen Erfassung dem Phänomen der Metapher im Kontext der homiletischen Katechismushermeneutik der Orthodoxie genauer nachzudenken. Dabei ergibt sich eine vierteilige, von Jetter leicht abweichende Chronologie der lutherischen Katechismuspredigt. Nach einer ersten Konsolidierung der neuen Institution der evangelischen Katechismuspredigt um die Mitte des Reformationsjahrhunderts setzt in einer zweiten Phase sodann die Konfessionalisierung ein, durch die beide Lutherschen Katechismen Teil des Konkordienbuches werden, und während der zugleich der Katechimus in der oben beschriebenen Weise zu einer Art Spiegel des offiziellen, komplexen Gefüges an schriftlichen Normen im Luthertum avancieren konnte. Zusammen mit der steigenden Wertschätzung sowohl des Autors der Katechismen wie auch ihrer selbst stiegen die Frequenz, vor allem aber der Umfang ihrer Auslegungen in dieser zweiten Stufe so erheblich an, dass eine neue Ordnungsreflexion sich als nötig erweisen sollte. Oft wuchsen die im Vorjahrhundert als reines Hilfsinstrument gedachten Katechismusauslegungen ab der Mitte des 17. Jahrhunderts so gewaltig an, dass sie als ein je konstitutiver Teil des literarischen Lebenswerks bedeutender Prediger oder Theologen erschei-

101 Fraas, Katechismustradition, 119. 102 Herzog, Geistliche Wohlredenheit. Die katholische Barockpredigt. S. auch Eybl, Die gedruckte katholische Barockpredigt zwischen Folklore und Literatur; Bitter u. Splonskowski, Art. Predigt: VII. Katholische Predigt der Neuzeit.

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nen. Sie werden nun noch häufiger von Mitgliedern des akademischen Personals theologischer Fakultäten gehalten, und damit von Predigern, die aufgrund dieser Position besondere Predigtaufträge wahrnehmen können, die eine Entfaltung der Reihenpredigten über Jahre, ja teils Jahrzehnte gestatten, was in einem regulären Pfarramt aus verschiedenen Gründen so nicht angehen konnte. Katechismuspredigten, ihre gezielte genreorientierte Sammlung und ihre Veröffentlichung in Sammelbänden entwickeln oder transportieren daher nun auch spezifische Anliegen konkurrierender theologischer Richtungen nicht nur unter den Konfessionen, sondern auch innerhalb einer Konfession, womit sie erneut die allgemeine kirchenund theologiegeschichtlichen Entwicklung repräsentieren. Eine bloße Aneinanderreihung der einzelnen Grundtexte mit deren Auslegungen konnte nicht mehr genügen ab einer Epoche, in der ihre homiletische Vermittlung nicht mehr als Zusammenstellung einzelner, nur mittelbar miteinander verbundener Sermone, sondern als bewusst und planvolle intendierte, theologisch, rhetorisch und auch strukturell untereinander verklammerte Gesamtkonstrukte durchgeführt wurde. In Verbindung mit dem ebenfalls in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts gewaltig ansteigenden Bewusstsein für die Notwendigkeit wie auch die sozusagen ästhetische Funktionalität einer richtig angewandten Methode wurden die Metaphern darum auf einer ersten Funktionalitätsebene zuerst als Ordnungsapparatur und –garantie verstanden und eingesetzt. Diese Ordnungsstiftung konnte sodann natürlich auch diverse Unteraspekte beinhalten, die es daher auch einzeln zu würdigen gilt. Ingesamt ist es keineswegs übertrieben, festzustellen, dass die Metaphern, insbesondere die zentralen Sammelmetaphern, an Gewicht gegenüber dem eigentlichen Katechismustext so sehr zunehmen, dass sie häufig die eigentliche Linie der Auslegung mehr bestimmten als die direkte Interpretation des biblischen respektive reformatorischen Textes als solcher. Die stark visuell bestimmte Kultur des Barockzeitalters oder des âge classique in Europa, mit seinem auch anderwärts starken Interesse an der Integration emblematischer Elemente, aber auch an der Mnemonik, hatte ihren spezifischen Niederschlag in der an sich sehr auditiv operierenden evangelischen Predigkultur gefunden. Im Laufe des 18. Jahrhunderts ebbte die Freude, ja Begeisterung dann schließlich allmählich ab, was eine vierte, lange und im Sinne der klassischen Katechismuspredigt wohl letzte Phase der Entwicklung des Genres darstellt. 5.2.2.1 Herkunfts- und Zielmetaphern Im Lichte dieser ganzen Entwicklung erscheint es als einleuchtend, ja natürlich, dass mit Hilfe bildlicher Auslegungszugänge, mithin mit Metaphern, eine Weise der Katechese gefunden wurde, die der vorwiegend nichtbegrifflichen Wirklichkeitswahrnehmung der meisten Zeitgenossen gerecht werden konnte.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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Diese Metaphern werden dabei – sei es gezielt, sei es intuitiv – auf Verwendbarkeit unter zwei Hauptkriterien gewählt. Einerseits fungieren sie als Herkunftsmetaphern, die anzeigen, dass uns im Katechismus Wissen über Gott zukommt, aus dem wir schöpfen können und sollen. Schon die Civitas Coelestis103 des Tübinger Gräcisten Martin Crusius von 1578/ 1588 zeigt an, wo die Heimat zu finden ist, aus deren Erkenntnis auch Leben in der Pilgerschaft in der Fremde gelingt. Unter diese erste Rubrik fällt auch die Kategorie der Milch nach Hebr. 5,12 f., die Adam Dögen 1644 zu seinem Lac catecheticum104 inspirierte, und die schon zuvor ab 1634 den Anlaß zu der gigantischen, zwei Jahrzehnte andauernden Serie von Katechismuspredigten im Straßburger Münster, gab. Dannhauer erschuf dort seine schließlich ab 1642 in zehn insgesamt über achttausend Seiten starken Bänden publizierte Catechismus-Milch.105 Der Katechismus ist die Milch, die wie kein anderes Lebensmittel die Herkunft und den Anfang des Lebens darstellt, die Muttermilch, die als solche die Grundlage des Lebens bildet, die den jungen und nicht mehr so jungen Christen allmähliches Wachstum, ja letztlich das Überleben als solches ermöglicht.106 Friedrich Justus Mengeweins Fax Catechetica107 von 1660 lässt erkennen, woher das Licht scheint, in dessen Schein das Leben gelingen kann, wie auch in Dannhauers Catechismus-Milch die Metapher der fackelähnlichen Wolkensäule auf der Wüstenwanderung des Gottesvolkes 103 Crusius, Martin: ΠΟΛΙΤΕΥΜΑ ΟΥ- / ΡΑΝΙΟΝ, ΗΤΟΙ ΚΑΤΗΧΗ- / τικαὶ ὁμιλίαι [. . .], Tübingen 1578, 6 f.: Capita huius. 1. Baptismus, adserptio in cœlestem ciuitatem. 2. Symbolum Apostolorum, Magistratus notitia. 3. Dominica oratio, formula supplicandi. 4. Decalogus, leges & instituta ciuium. 5. Cœna Dominica 6. Claues regni cœlestis, peccatis debitæ pœnæ. Zur Person: Widmann, Art. Crusius, Martinus; Klüpfel, Art. Crusius, Martin; Wilhelmi, Sonderband Martin Crusius (Handschriftenkataloge der UB Tübingen); Göing, Martin Crusius‘ Verwendung zum Nutzen seines Lehrers Johannes Sturm. 104 Dögen, Adam: LAC CATECHETICUM // Lautere geistliche // Catechismus=Milch [. . .], Lübeck 1644. 105 Catechismus-Milch, DWV 97; vgl. oben Anm. 78. 106 Zweifellos liegt es an dieser Elementarität der Milchmetapher, dass sie Eingang in die wohl nicht gerade zahlreichen Katechismusbilder des reformierten Raums gefunden hat, vgl. Freudenberg (Hg.), Friedrich Adolf Lampe, Milch der Wahrheit, nach Anleitung des Heidelbergischen Catechismi zum Nutzen der Lehr-begierigen Jugend; ders., Erkenntnis und Frömmigkeitsbildung. Beobachtungen zu Friedrich Adolf Lampes Erklärung des Heidelberger Katechismus „Milch der Wahrheit“ (1720). 107 Mengewein, Friedrich Justus: Fax Catechetica Divinis Radiis Coruscans: Das ist: Göttlichstraalende Catechismus-Fackel: Worinnen Die Haupstücke unserer Christlichen Religion, nebst vielen nützlichen Gewissens-Fragen befunden [. . .] / Nach Anleitung deß kleinen Catechismus D. Nartini Lutheri [. . .] endlich angezündet Von M. Friderico Justo Mengweinen/ deß Landes/ oder Graffschafft Hohnstein Superattendente [. . .] Sambt einer Vorrede Hn. M. Nicolai Stengeri, vornehmen Theologi, und Ministerii Senioris in Erffurd; Duderstatt, Westenhoff, 1670. – 23:664809U.

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eine erhebliche Rolle spielt. Zahlreich sind die aus der Metapher des Schatzes geborenen Sammlungen, die aufzeigen, woher und wie die Christen Gottes Reichtum teilhaftig werden. Zu ihnen gehört des Stephan Praetorius (1536–1603) Geistliche Schatzkammer108 von 1666, der in zahlreichen Auflagen bis ins 19. Jahrhundert hinein erscheinende Seelenschatz109 von Christian Scriver (1629–1693), Johann Caspar Schades (1666–1698) Geistliches Schatz-Kästlein110 von 1694 oder die Oratorische Schatz-Kammer111 des Christian Weidling (1660–1731) von 1701; nebst zahlreichen weiteren Publikationen eher liturgischer Art mit demselben Lemma im Titel. Zu ihnen gesellt sich die ideenverwandte, aber sozusagen erdnähere Aurifodina Theologica112 Christoph Scheiblers (1589–1653) von 1664. Geradezu bescheiden nimmt sich dagegen der Titel einer Sammlung von Valentin Sittig (1630–1705) aus, die 1669 als Schrifftvester Glaubensgrund113 veröffentlicht worden war, aber

108 Praetorius, Stephan: Geistliche Schatzkammer der Gläubigen: In welcher Die Lehre vom wahren Glauben/ Gerechtigkeit/ Seligkeit/ Majestät/ Herrligkeit/ Christlichem Leben und heilsamen Creutze der Kinder Gottes/ [et]c. Anfänglich von M. Stephano Praetorio, Weiland Pastorn zu Saltzwedel/ Stückweiß an den Tag gegeben/ und Anno 1622. von H. Johann Arndt zusam[m]en gesucht/ und zum Druck verordnet / Nunmehr mit sonderm Fleiß in richtige Ordnung gebracht/ Von M. Martino Statio, Predigern zu S. Johan. in Dantzig; Lünburg, Sterne, 1666. – VD17 14:670532E. 109 M. Christian Scrivers [. . .] Seelen-Schatz: Darinn von der menschlichen Seelen hohen Würde/ tieffen und kläglichen Sünden-Fall/ Busse und Erneurung durch Christum/ Göttlichen heiligen Leben/ vielfältigen Creutz/ und Trost im Creutz/ seligen Abschied auß dem Leibe/ Triumphirlichen und frölichen Einzug in den Himmel/ und ewiger Freude und Seligkeit/ erbaulich und tröstlich gehandelt wird. Vor etlichen Jahren in den ordentlichen WochenPredigten [. . .] fürgezeiget [. . .], Leipzig: Lüderwald, 1675. – 23:666951E. Diese bedeutende Sammlung von Magdeburger Wochenpredigten wurde fortgesetzt in fünf Teilen bis 1696 und wirkte durch zahlreiche Neuauflagen, deren zwölfte 1744 erschien, in die Folgejahrhunderte. 110 Kinder Gottes Geistliches Schatz-Kästlein/ und Güldenes ABC. Leipzig, Heinichen, 1694. – 23:671817A. 111 Weidling, Christian: Lehrreiche Oratorische Schatz-Kammer, Oder Neue vollkommene Real-Concordanz, Leipzig, Gleditsch, 3 Bde, 1700–1703. 112 Scheibler, Christoph: AURIFODINA THEOLOG[ICA] // Oder // Theologische und geistliche // Goldgrube / // Das ist / // Teutsche Theologia Practica, // Darinnen alle geistliche Bergleute an= // treffen können / was da dienet // I. Zu ihres Glaubens Bewehrung. // II. Zu ihrer Liebe Vermehrung. // III. Zu ihrer Hoffnung Ernehrung. // Hiebevor zu Dormund in den ordentlichen Mon= // Tags=Predigten in den gefährlichsten Kriegsläufften/ // Hunger= // und Sterbensnoth / auch Verfolgung der Rechtglaubigen / gezeiget // und auffgethan / // Durch // CHRISTOPHORUM SCHEIBLERUM, // Weiland umb die Kirche JEsu Christi hochverdienten Theologum, // und in deß H. Römischen Reichs Freyer Stadt Dormund hochan= // sehnlichen Superintendenten und Gymnasiarchen. [. . .] Frankfurt M., Wust, 1664. 113 Sittig, Valentin: Schrifft=fester // Glaubens= // Grund / // Das ist: // Des kleinen Catechismi // D. Martin Luthers // Eigentliche Wort=Erklärung. // In Frag und Antwort / mit Beweiß // // aus H. Schrifft gestellet; // Und // Auff gnädigste Anordnung // Des Hochwürdigs-

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trotz der Modestie das Genuine dieser Metaphernsorte zum Ausdruck bringt: Der Katechismus bietet Glaubensgrund, der schriftfest ist, der die Erfordernisse der aristotelisch begriffenen theologischen Prinzipientreue erfüllt, ohne andererseits den Leser zu überfordern. Anderseits geben die titelgebenden Sammlungen dieser Metaphern eine ansprechende, mit knappstem Textaufwand vermittelbare paränetische Zielrichtung an. Diese Funktion als Zielmetaphern betrifft teilweise dieselben Texte. Schon gegen Ende des 16. Jh. greift der erwähnte Tübinger Kruse die paulinische Metapher vom himmlischen Politeuma auf, um sie zu einer zwar noch eher losen Klammer für Katechismuspredigten zu verwenden,114 aber dennoch nachdrücklich auf die unerlässliche, aktiv anzustrebende Inanspruchnahme solchen Bürgerrechts hinzuweisen. 1617 und 1680 werden die Teile des Lutherschen Kleinen Katechismus von Wilhelm Alardus (1572–1645)115 und Johann Joachim Mühlberger (1630–1706) 116 mit den Teilen eines Braut- oder Feierkleides identifiziert, das von der gläubigen Seele in genau umrissenen Teilvorgängen

ten / Durchläuchtigsten // Fürsten und Herrn / Herrn Christian / // Hertzogens zu Sachsen / Jülich / Cleve // und Bera // Postulirten Administratoris // des Stiffts Merseburg / etc. // Vor dero Stiffts=Kirchen und // Schulen in Druck verfertiget. // Merseburg, Forberger, 1689. 114 Crusius, Martin: ΠΟΛΙΤΕΥΜΑ ΟΥ- / ΡΑΝΙΟΝ, ΗΤΟΙ ΚΑΤΗΧΗ- / τικαὶ ὁμιλίαι [. . .], Tübingen 1578/87; vgl. oben Anm. 103. 115 Alard, Wilhelm: PRAXIS CATECHISMI. // Oder // Christgleubiger Seelen Brautschmuck. // Das ist/ // Ordentliche Erklä= // rung der Fuenff Haeuptstücke des H. Cate= // chismi: Darinne richtig gezeiget wird/ wie ein Gottseliges // Hertze/ Jesu Christi/ des Königs aller Könige/ außerkohrne vertrawe- // te Braut / in täglicher andechtiger Ubung/ lernen mag/ wie es jederzeit/ Insonders // an diesem spaeten Abend der Welt/ gegen die hocherwuendschete selige Heimfüh= // rung/ zur Himlischen Hochzeit/ sich also bereiten und schmuecken moege/ daß // es Christo seinem allerliebsten Breutigam/ in Gnaden wolge-// fallen / und mit ihm zur ewigen Glori und Herrlig-// keit eingehen könne. [. . .] Leipzig, 1617. 116 Mühlberger, Johann Joachim: GOttes Ehr // Durch // Kinder=Lehr/ // Vermittelst // Schrifftmässiger Erklär= und Abhandlung // deß kleinern // Catechismi // Doctor Martin Luthers/ // Allen Kindern Gottes/ zuforderst aber der // Christlichen Jugend/ als wie ein edler Blumen= und Stein= // Schmuck/ angepriesen/ und in zwey und zwantzig // Predigten dergestalt vorgetragen/ // Daß sie damit/ durch die heiligen zehen Gebote/ als wie // durch einen Lust=Garten/ unterrichtlich herumgeleitet/ und bey // jedem Gebote mit gewissen Tugend-Blumen begabt; folgends/ // bey denen dreyen Glaubens-Artickeln/ mit einem dreyfachen Brust-Stück // geziert; demnechst/ bey dem Gebet deß HErrn/ in die Kirche/ und zum Bet= // Hause; bey der heiligen Tauffe/ zum Heil= und Reinigungs=Brunnen; bey // dem Schlüssel=Amt/ in eine eröffnete Sacristey und Schatz=Kammer // Göttlicher Gnaden; und endlich/ bey dem Abendmahl/ zur heiligen // Tafel des Lamms/ geführt / und daselbst mit Speisen // der Unsterblichkeit Seelen=erfreulich bewirthet // werden: // Auf vielfältiges Verlangen seiner geliebten Zu= // und Anhörer dieser/ in der H. Röm. Reichs=Freyen Stadt Regenspurg/ zur H. Dreyfaltigkeit/ offentlich gehaltenen Kinder= // Lehr-Predigten/ zum Druck/ nebst einer Anzug-Neu= // Jahrs- und Friedens-Predigt/

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geflissentlich und in stetig wachsender Vorfreude angezogen werden solle. Der bekannte Braunschweiger Prediger und spätere Kopenhagener Theologieprofessor Barthold Botsack vergleicht 1684 den Katechumenen, also den Christen, mit einem Kaufmann, der die durch die Hauptstücke mitgegebenen himmlischen Kapitalien gewinnbringend investieren (und nicht durch grobe existentielle Fehleinschätzungen zu Verlustquellen werden lassen) müsse, der also auf ein Ziel hin arbeitet.117 Auch Dannhauers Catechismus-Milch insistiert auf der

übergeben/ // Von // Johann Joachim Mülbergern/ Evangelischen // Predigern allda; Nürnberg, Endter, 1680. – 75:654941 M. 117 Botsack, Barthold: Geistliche // Kauffmannschafft/ // In // Acht Catechismus-Predigten // der Braunschweigischen Gemeine // zu St. Catharinen ver- // sammlet // Anno 1684. nach Laurentii-Messe // vorgetragen / // Sambt einem Anhang dreyer Predigten // von // Dem alleredelsten Gewinn / // ex Philipp. III, 7.8. // Der Copenhagischen Teutschen Gemeine // zu St. Petri versammlet. // Anno 1696. gehalten // und nun zum Druck überlassen // Durch // Bartoldum Botsaccum, // Der H. Schrift Doct. und ehemahls der // Braunschweigischen Kirchen und Schulen // Superintend. // Jetzo SS. Theol. Profeß. auff der Königlichen // Universität in Copenhagen und // St. Petri Past. // Braunschweig, Caspar Gruber, 1696. – 23:285771A. Nach einer langen Vorrede über Psalm 137,5 f. mit Dank an Braunschweig, in den faktisch viel Eigenlob gemengt ist, folgt eine Eingangspredigt über Jes. 55,1. Gott ist ein Handelsmann, der seine Ware, das Evangelium, zwar kostenlos abgibt, von deren Handel der Christ dennoch gute Kenntnisse haben muss, dennn es gilt „[15] ein grosser Gewinn / wer Gottselig ist“. Dies wird erklärt 16–19: (1) Muß ein Kauffmann Erkäntniß haben von den Wahren / damit er will handeln. So bald ihm eine vorkommt / muß er wissen / ob sie tauglich oder mangelhafft / ob sie ihm diene oder nicht / davon er / wenn er den Handel recht gelernet / und dabey erzogen / seine gewisse Proben und Zeichen hat. Also werden wir auch darauff allererst sehen / was das sey / damit wir nach Leitung des Catechismi umzugehen und zu handeln haben: was das sey nach den zehen Geboten / nach den Artickeln des Christlichen Glaubens / nach dem Vater Unser u. s. f. Wolte man ohne solche vorhero gefassete Erkentniß gleich zur Handlung schreiten / kan es unmüglich gelingen. (2) Muß ein Kauffmann Verstand haben recht mit den Wahren umzugehen: Wohin sie am besten zu schicken / wann sie einzukauffen / wann sie loßzuschlagen / wie sie zu verwahren / wie sie mit Vortheil außzubringen etc. Also daß jener (i) wohl schreibet: Ein Kauffmann müsse kein Kälber-Gehirn im Kopf haben / noch / wie die Gänse / nur vor sich nieder auff die gegenwertige Zeit / sondern weiter hinauß sehen / und in allen guten Verstand / Fürsichtigkeit und Nachsinnen gebrauchen. Also muß ich euch darzu auch anführen / daß ihr recht verstehet / wie ihr mit dem / was im Catechismo vorgetragen / handeln und umgehen sollet. Hierzu wird Weißheit erfordert / daß ihr nicht unverständig / sondern verständig seyd / was da sey des HErrn Wille; damit ihr würdiglich handelt und wandelt dem HErrn zu allen Gefallen. (3) Muß ein Kauffmann wohl Achtung geben auff Gewinn und Verlust / damit er jenen erhalte und diesen vermeide / oder / so er einigen Schaden gelitten / selbigen ins künftige mit besserm Vortheil wieder einbringe. Also werde ich euch auch weisen auff Gewinn und Verlust / was ihr bey Beobachtung dessen / worzu Gott im Catechismo anweiset / für Vortheil von GOttes Gnade habe zu erwarten / und was bey Verachtung dessen für Schaden von GOttes Zorn zu

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Notwendigkeit eines Fortschritts der Christen. Sie tut dies einmal aufgrund des Bildes der Milch, die der festen Speise weichen solle. Sie tut es aber auch aufgrund jener Nebenmetapher, die letztlich wichtiger wird als die eigentliche Hauptmetapher, nämlich der des Weges, auf dem vorangegangen werden soll. Selbst diese Metapher ist freilich auch im Zusammenhang der Katechisierung keineswegs neu. Bereits um die Mitte der 1460er Jahre erscheint in populärer und viel gelesener Form in der Himmelsstraße des Augustiner-Chorherrs Stephan von Landskron (1412–1477)118 der Weg zum Himmel in katechetischem Kontext, 119 um dann in lutherischem Umfeld in Johannes Lieblers Via ad coelestem ciuitatem, der Abschlusspredigt in Crusius‘ oben genannter Sammlung, schon 1578 in mehreren Sprachen wieder aufzutauchen.120 Häufig, oft nur in Andeutungen oder einer Art Zwischenmotiven wie 1594 bei Heinrich Decimator (1544–1615)121,

fürchten. Lernet ihr dieß recht / so verstehet ihr den geistlichen Handel; Und will ich gleich itzo ohne fernere Vorrede zur Sachen selber schreiten. Ich bleibe aber für dießmahl nur bestehen bey der geistlichen Kaufmannschafft nach dem ersten Gebot. O HErr hilff! O HErr / laß wohl gelingen / Amen.“ 118 Knapp, Landskron, Stephan Peter von. 119 Jaspers, Gerardus Johannes: Stephan von Landskron. Die hymelstraß. Faksimile des Drucks von 1484 mit einer Einleitung und vergleichenden Betrachtungen zum Sprachgebrauch in den Frühdrucken (Quellen und Forschungen zur Erbauungsliteratur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 13), 1979; Weidenhiller, Egino W.: Untersuchungen zur deutschsprachigen katechetischen Literatur des späten Mittelalters. 120 ΠΟΛΙΤΕΥΜΑ ΟΥ- // ΡΑΝΙΟΝ, ΗΤΟΙ ΚΑΤΗΧΗ- // τικαὶ ὁμιλίαι, 163: „CONCIO XXV. Ioannis Liebleri. VIA AD COELESTEM ciuitatem, breuiter indicata. [. . .], 165–167: CVm hactenus dixerimus: si vere felices velimus fieri: ad beatam illam, quae in cœlis est, ciuitatem aspirandum esse: è sex autem Catecheseos capitibus, quae breuem summam totius Diuinae scripturae contineant, viam illò ducentem, discendam esse: rursus nunc de ea via summatim aliquid dicemus: & ita hanc Catecheticam explicationem concludemus. Ἀποδημία, ὁ πάρος βίος. Μὴ γὰρ πολίτης εἶ. Οὐκ εἶ πολίτης ἀλλ᾽ ὁδίτης εἶ, καὶ ὁδοιπόρος. Μὴ εἶπην· Ἒχω τήνδε τὴν πόλιν, καὶ ἒχω τὴνδε. Οὐκ ἔχει οὐδεὶς πόλιν ὧδε. ἡ πόλις, ἄνω ἐστι. τὰ παρόντα, ὁδὸς ἐστι. Χριστος. περὶ παραδείσου καὶ γραφῶν. ΤΕΛΟΣ ΤΗΣ ΚΑΤΗΧΗΣΕΩΣ. Peregrinatio est vita praesens. An’ne ciuis es? Non es ciuis: sed Viator es, & iter facis. Ne dicas: Habeo hanc ciuitatem, aut illam. Nemo habet in terris ciuitatem. Ciuitas nostra, suprà est. Praesentia, fvia sunt. Chrysost. concione de Paradiso & Scripturis. FINIS CATECHESEOS.“ 121 CATECHISMI // Predigten [. . .], Mühlhausen 1594, Seite (:) 2: [Gleich wie Bienen sammeln, und „heilsamer Artzney“ oder „köstliche Confect“ daraus verfertigen,] „Also haben auch gottselige fleissige Leute hin vnnd wider aus der heiligen Schrifft / tanquam ex amplissimo campo, vel floren-] tissimo horto, als aus einem raumen Felde / oder blüenden Garten / die allerbeste krafft vnd safft aus allerley Blumen göttliches Wortes / in den lieben Catechismum / als meinem schönen / heilsamen Bienstock / zusammengebracht vnd getragen / daraus die Christen das aller beste Confect nemen / dadurch jre Hertzen vnnd Seelen gestercket / auch wider allerley Teuffels schwarm vnd gifftiges anblasen der Ketzer vnd Rottierer muniret vnd tuiret werden können vnd sollen.“

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programmatisch dann 1641 im Paradisus Catecheticus von Sethus Calvisius junior (1556–1615)122 und 1679 im Catechismus-Garte des Conrad Feuerlein (1656–1718)123, wird der biblische Paradiesgarten mit seinen geographischen Metaphern auf die Hauptstücke bezogen und zu seinem lustvollen und fleißigen Begehen desselbigen eingeladen. Dies tut noch einmal zwei Jahrzehnte später dann auch Hannß-Jacob Bauller, dessen Florirender Tugend-Garten 1697 erscheint.124 Die Sammlungen zum Katechismus und ihre verklammernden Metaphern verstehen seinen Inhalt sowohl als Hinführung zur Quelle wie auch zum Ziel des Glaubens, sie ähneln manchmal eher einer causa finalis, manchmal eher einer causa efficiens, nicht selten auch beiden innerhalb derselben Sammlung, wie ohnehin deren wachsender Umfang und potentielle Inkohärenz diese Spannung eher verstärkt statt abmindert. Bezüglich ihrer liturgischen Situierung und ihrer späteren Veröffentlichung – also bezüglich ihres kommunikativen Herkunfts- wie auch ihres publizistischen Zielkontextes – können die Sammelmetaphern wiederum in zwei Hauptgruppen unterteilt werden. Eine relativ beständig erscheinende Variante findet sich in Sammlungen, die auf acht oder sechzehn Predigten in der Fastenzeit oder im Spätherbst (nach dem Sonntag Laurentii) zurückgehen. Die achte oder sechzehnte Predigt fällt dann entweder auf den Karfreitag oder an einem im Herbst gefeierten so

122 PARADISUS CATECHETICUS // Catechißmus=Paradißgärtlein // Oder // Eingangs=Predigt // Uber // Die Hauptstueck des Evangelischen // Lutherischen Artickelsbuchs des heili= // gen Catechismi. // Nach Anleitung des Paradißartens. // Bey oeffentlicher Christlicher Ver= // samlung und Gemeine der Kirchen S. // Nicolai vorgetragen / und Gott zu Ehren auff // gutherziger Leut begehren auffgesetzt // Leipzig, 1641. – 23:282372Y. 123 Feuerlein, Conrad: Catechismus=Garte/ eröffnet/ // und // Darinnen/ // Die VI. Haupt=Stuecke/ // Als/ // Die Zehen Gebot/ // am Baum des Er=// käntnus Gutes und Böses: Den Apostolischen // Glauben/ am Baum des Lebens: Das Gebet / V. U. Tauff/ // Beicht und Abendmahl/ an den vier Flüssen des // Paradieses/ // In Sechzehen // Fasten=Predigten/ // Der Christlichen Gemein zu S. Sebald/ schrifft- // mässig und erbaulich vorgewiesen [etc.] Nürnberg 1679. – 23:670323V. 124 Bauller, Hannß-Jacob: Florirender // Tugend=Garten / // Unterschiedlich fürzeigend alle und jede // FACIENDA, // Was ein Christ Gutes thun soll. // In // Hundert und vier Predigten // Vorgetragen / // Welche auß sonderbaren Biblischen / // darzu außerlese= // nen Texten also abgehandelt / daß in einer jeden ein besondere Tugend / // entweder Gott den HErrn / oder einen Christen selbsten / oder seinen Nech= // sten betreffend / samt deren Ruhm und Vortrefflichkeit / vorgestellet / die Ursachen / // so einen jeden Christen darzu antreiben sollen / // zu guter Ordnung Schrifftmaessig auß= // geführet / und deren Nutz und Gebrauch treulich gezeiget wird. // Gott zu Ehren / und seiner Kirchen zur Erbauung / // Besonders aber // Bey gegenwärtigen letzten Zeiten / // zu Erweckung und Bestätigung // eines Tugendlichen Lebens / und würcklicher Bezeügung des // wahren Christenthumbs [. . .], Ulm, 1697.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

283

genannten Katechismusfest und richtet die Thematik der jeweiligen Metapher, über die gängigen fünf Teile hinausgehend, applikativ auf den Glauben als notwendige Grundeinstellung jedes Katechumenen und Christen schlechthin aus. In Wittenberg etwa ist diese Praxis spätestens in der Mitte des 16. Jahrhunderts gängig.125 Besonders auch in Nürnberg scheint diese Gattung beliebt gewesen zu sein; der bekannte Prediger und Autor Conrad Feuerlein (1629–1704)126 etwa schätzte diese Gattung offensichtlich. Nebst umfangreichen weiteren Predigtsammlungen, wie der „Plage auf Plage“127, einer 123 Predigten umfassenden Auslegung von Ex 7 bis 13, oder einer bemerkenswerten Auslegung der Gradualpsalmen, betitelt als „Stuffen der waaren Gottseeligkeit“, widmete er sich vor allen Dingen der Gattung der Fastenpredigt. Allein im Jahr 1679, dem Jahr der Publikation des bereits erwähnten Catechismus-Garte, erschienen drei weitere Sammlungen zu je sechzehn oder fünzehn Fastenpredigten, eine 1665 in

125 Fröschel, Sebastian: Catechismus, Wittenberg 1562, A ii: „NAch dem ich durch GOTtes gnaden nu 37. Jhar im Predigampt des heiligen Evangelij allhie vnter vnd neben den in Gott seligen Vatern / D. Martino Luthero / vnd D. Johanne Bugenhagen Pomern / Pfarherrn dieser Kirchen zu Witteberg / nach meinem geringen vermögen gedienet / vnd durch gedachte Herrn anfenglich also verordnet worden ist / das alle vierteil Jar die fünff Heuptstück der Kinderlere / die man den Catechismum nennet / in dieser Kirchen auffs kürtzeste vnd einfeltigste dem jungen vnd [verso] Gemeinen Volck ausgeleget / vnd in zweien Wochen / vnd also in acht Predigten vollendet werde (wie denn solche Summa der Christlichen Lere / oder Catechismus / alle Sontag sonst in der Früepredigt / nach der lenge gehandelt / vnd mit vleis getrieben wird) habe ich noch bey leben beider vorgedachter meiner lieben Veter vnd Preceptorn / mir selb aus D. Martini vnd Herrn Philippi Melanthons schrifften vnd Lectionen / eine gantz einfeltige vnd kurtze Auslegung der fünff Heuptstück der Christlichen lere zusamen getragen vnd verfasset [. . .].“ 126 Geboren in Schwabach am 28. November 1629 als Sohn eines Ratsherrn und Bierbrauers, musste Feuerlein sich in der damaligen Kriegsnot nach Nürnberg flüchten. Dort widmete er sich anfangs mit Vorliebe der Musik, studierte später jedoch unter vielen Nöten und Entbehrungen in Jena, Leipzig, Wittenberg und Helmstedt Theologie. Nach seiner Doktorpromotion wurde er 1633 Prediger in Eschenau, Fürth, 1663 Diaconus und Pastor in Nürnberg an verschiedenen Kirchen, und schließlich 1683 Nürnberger Antistes und Stadtbibliothekar. Nach über fünfzigjähriger Wirksamkeit verstarb er den 28. Mai 1704 als ein produktiver und beliebter Prediger. S. Wagenmann, Art. Feuerlein; Wolfes, Art. Feuerlein, Konrad. 127 Feuerlein, Conrad: Plage // auf PLAGE! // Das ist: // Der zehen Plagen/ // mit welchen GOTT Egyptenland und den ver= // stockten Pharao geschlagen/ ausführliche // Beschreibung/ // Oder: // Derer Sechs Capitel des Andern Buchs Mosis/ vom Siebenden // biß auf das Dreyzehende / richtige und ordnliche // Erklärung/ // Welche in hundert und drey und zwanzig Predigten // (deren Eingänge iedesmals auf das necht=vorhergehende Sonn= // tags=oder sonst mit einfallende Fest=Evangelium gerichtet seyn) weiland // der Gemeine zu St. Jacob / Mittwochs in der Vesper // fürgetragen [. . .]; Nürnberg, Froberg für Riegel, 1680. – 75:645460R. 11981–23:272906N.

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

St. Egidien gehaltene Reihe über Hebr 12,2 f.,128 eine 1666 in St. Egidien gehaltene Reihe über Gen 4, 1–16,129 sowie eine 1668 in St. Sebald gehaltene über Mk 14,26130 (und Kap 15). Nicht nur, aber auch den Titeln nach zu schließen handelte es sich dabei zumindest in der Publikation um eine zusammenhängend geplante und durchgeführte Aktion, der „Vor- und Abbildung des leidenden Herren Jesu“ folgt der „Der Vorbildende/ und Abgebildete Habel“, welchem wiederum „Der Liebende und Liebens-werthe Jesus“ sich anschließt. Im Catechismusgarten bezeichnet Feuerlein das Projekt als „gegenwärtige vierfache Faste=Arbeit“.131 Auch sein Sohn Johann Conrad (1656–1718)132 hielt ein genaues Jahrzehnt später in der St. Sebaldskirche, wo er Vikar seines Vaters war, eine Sechzehnerreihe mit Katechismuspredigten, eine „Catechetische Wissens und Gewissens Ubung/ Das ist Schrifftmässige kurtze Erklärung der gantzen Christenthums Lehre“133. Wie der Vater legte der Sohn Wert auf Anzeige des

128 Vor- und Abbildung // des leidenden // Herren Jesu/ // Aus // Dem 2. und 3. vers. des XII. Cap. der Epistel // an die Ebreer/ // In Funffzehen so genannten // Fasten-Predigten/ // der Christlichen Gemein zu St. Egidien/ // in der Vesper- oder Abend-Stunde/ kurtz und ein= // fältig/ zur Erbauung vorgetragen/ im Jahr Christi // M.DC.LXV. // Nun aber/ auf Begehren/ zum öffentli= // chen Druck befördert/ // Von // Conrad Feuerlein/ // Damals Diac. zu St. Egidien/ der Zeit aber Predigern // zu unsrer Frauen/ in Nürnberg, Nürnberg, Froberger für Hoffmann; 1679. – 75:645453G. 129 Der Vorbildende/ // und // Abgebildete // Habel/ // Aus // Genes. IV. vers. 1. – 16. // In Funffzehen so genanten // Fasten=Predigten/ // Der Christlichen Gemein zu St.Egidien/ // in der Vesper- oder Abend-Stunde/ kurtz und ein= // fältig/ zur Erbauung vorgetragen/ im Jahr Christi // M.DC.LXVI / // Nun aber/ auf Begehren/ zum öffentli= // chen Druck befördert/ // Von // Conrad Feuerlein/ // Damals Diac. zu St. Egidien/ und der Zeit Predigern // zu unsrer Frauen/ in Nürnberg, // Nürnberg, Froberger für Hoffmann, 1679. – 75:645461Y. 130 Der Liebende und Liebens-werthe Jesus/ Aus Der Passions-Geschicht/ vom Heiligen Evangelisten Marco aufgezeichnet/ Cap. XIV. 26 &c. Cap. XV. In Sechzehen Fasten-Predigten: Der Christlichen Gemeinde zu St. Sebald/ in der Vesper- oder Abend-Stunde/ zur glaubiggen Verwunderung und liebreicher Nachfolge vorgestellet/ Im Jahr Christi M.DC.LXVIII. / Nunmehr aber/ auf Begehren/ zum Druck befördert/ von Conrad Feuerlein/ Damals Diacono zu St. Sebald; anjetzo aber Predigern zu unser Frauen in Nürnberg, Nürnberg, Froberger für Hoffmann, 1679. – 75:645473V. 131 Feuerlein, Catechismus-Garte,)/( verso. 132 Wagenmann, Art. Feuerlein, 754 f. 133 Catechetische Wissens und Gewissens Ubung/ Das ist Schrifftmässige kurtze Erklärung der gantzen Christenthums Lehre/ Oder Der VI. Haupstücke unsers Catechismi für Erwachsene/ in XVI. Fasten-Predigten einer Christl. Gemeine zu S. Sebald im Jahr Christi 1689. zu des Wissens gründlicher Unterrichtung/ und des Gewissens erbaulicher Rührung und Aufrichtung vorgestellt, samt einem Anhang dreyer Buß- und Beicht-Predigten von Ahabs Heuchel-Busse / in selbiger Kirche und eben demselbigen Jahr gehalten / und nun auf vieler ernstliches Begehren zum Nachlesen in Druck befördert / von M. Johann Conrad Feuerlein / Diener am Wort Gottes daselbst, Nürnberg, 1690 (VD17: 12:202536N)

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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umfassenden Charakters der Katechismusauslegungen im Titel, der eine „Erklärung der gantzen Christenthums-Lehre“ indiziert. Die andere große Gruppe umfasst jene stattlichen Sammlungen, in denen oft, wie etwa in Dannhauers Catechismus-Milch, die Metapher eher als eine Art erweitertes Titelprogramm denn als wirklich literarisch effektiver Textmarker fungiert. Diese Sammlungen verdanken sich meist eher langandauernden Serien von sonntagnachmittags gehaltenen Predigten. Im Zusammenhang mit dieser Vielschichtigkeit der Hauptmetapher einer solchen Großsammlung, aber darüber hinausgehend und auch strukturphänomenologisch von ihr getrennt ist die Beobachtung anzufügen, dass die Hauptmetapher in sich oft diverse eigentliche Nebenmetaphern beinhalten kann. Beide Momente, sowohl Ursprungs- wie Zielaspekt einerseits, wie deren Ausdruck durch den Gebrauch eines Metaphernclusters prägen auch Dannhauers Catechismus-Milch in hohem Maße. Ihrer ausführlichen Besprechung sei ein Exkurs über ein weiteres Motiv vorgeschaltet. 5.2.2.2 Exemplifikation: Das Motiv des Gartens Als ein typisches Beispiel dieser Neukonfiguration der Sammlungen im 17. Jahrhundert seien zwei aufschlussreiche Werke erläutert, zum einen die Vorrede zum erwähnten, 1641 veröffentlichten Paradisus Catecheticus des Quedlinburger Pfarrers Sethus Calvisius jr. (1639–1698), zum andern der CatechismusGarte Konrad Feuerleins. Calvisius war ein engagierter Katechismusprediger mit etlichen weiteren einschlägigen Veröffentlichtungen,134 außerdem in der Astronomie aktiv, wurde vor

Ebenfalls katechetischen Ursprung hat zweifellos auch seine Schrift: Kurtze Erklärung Der Zehen Gebote/ Zur Erkänntnus der Sünden/ für die Jugend die zum H. Abendmahl sich bereiten will, [Nürnberg], [ca. 1690] (VD17 75:682473V). 134 - Wolangestelter Catechismus= // Tisch und GastGebot. // Daß ist: // Einfältige Erklärung. // Wie ein wahrer Christ die Haupt= // stück des h. Kinder=Catechißmi beym // Tisch des HErrn recht gebrauchen // möge // Neben hierbeygefügten Allgemeinen kurtzen // CatechißmusFragen // Der Gemeine Christi zu S. Ni= // colai / am Sontage Misericordias Do= // mini / in der VesperPredigt gezeiget / vnd // auff begehren zum Abdruck // verfertiget // Durch // M. SETHUM CALVISIUM. Lips: // In der Newstadt Quedlinburg // Pastorem. // In Verlegung des Autoris, vnd bey ihm // zu befinden. // Gedruckt zu Qvedlinburg / bey Joh. Ockelln [1642]. – 23:282372Y - Je Länger Je Lieber // Oder // Christliche Predigt // Uber den Catechismus=Tittul // Das ist // Einfältige Betrachtung/ // Warumb das H. Evangelische // Lutherische Artickels=Buechlein // genennet werde // Catechismus. // Bey der Gemeine Christi zu // S. Nicolai fürgetragen/ und zur Eh= // re GOttes und seiner Kirche Erbaw= // ung auffgesetzt // Durch // M. SETHUM CALVISIUM, Lips. // in der Newstadt Quedlinburg // Pastorem; Quedlinburg, Ockel, 1644. – VD17 39:142901N.

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allem aber als Kantor, Hymnendichter und Musiktheoretiker bekannt.135 Aus der kombinierten Anlage dieser Interessen wird klar, dass es keinen Zufall darstellt, wenn noch vor dem eigentlichen Beginn der Sammlung schon in der Widmung die biblisch legitimierte Sammelmetapher eingeführt und sogleich paränetisch verwertet wird: Vnd damit ewer Liebe [der fürstliche Adressat der Vorrede] gute Lust bekomme in diesen Garten hinfüro gerne vnd fleissig zugehen / sich darin zuergetzen / die schönen kräftigen Lehrblümlein abzupflicken / vnd vnsere Artickels Predigten / mit williger Andacht zu besuchen; Als wil ich ewr Liebe jetzo in dieser Predigt den Catechismum als einen lieblichen Paradißgarten vorhalten / vnd darin beweisen vnd darthun / daß / das jenige / so in den ersten Paradißgarten zu finden gewesen / auch anzutreffen sey in vnsern Catechißmo / der darumb mit guten Recht ein kleiner Paradißgarten oder kurtzer Begrieff des Paradises kan genen[n]et werden. Wollen derowegen mit einander anhören / Was zwischen dem Catechismo vnd / dem Paradißgarten vor eine feine Vergleichung sey / [. . .].136

Sodann wird sie konfessionell verankert: Gleich wie nun Gott der HErr / der Baw-HErr dieses Paradises ist gewesen: Also ist vnd bleibet er auch der Baw-HErr vnsers Catechißmus Paradißgartens / darin der tewre Werckzeug GOTTES der Herr Lutherus die Hauptstück der Christlichen Lehr / von Wort zu Wort auß heiliger göttlicher Schrifft dem gemeinen vnd einfältigen Mann zu gut hat zusammen gebracht. Dahero vnser kleiner Kinder Catechißmus auch vnter die andern Symbolische Schrifften als da ist (1) die erste vngeenderte Augspurgische Confession, (2) desselben Apologia oder Verantwortung / (3) die Schmalkaldische Artickel / (4) der grosse Catechißmus Lutheri / vnd (5) das Christliche Concordienbuch / gerechnet wird. Wenn wir nun in vnser geistliches Paradißgärtlein vnsers heiligen Catechismi spatziren wollen / vnd sehen / was vnter dem heiligen Catechißmo vnd dem Paradißgarten / darein Adam ist gesetzet worden / vor eine feine Vergleichung sey; So helt uns Moses sechsterley vor / so eben allhier auch zu befinden.137

- Edler Seelen=Schatz // Das ist // Biblisch // Spruch=Buechlein // Auß den Sonn= und Fest=Taegli= // chen Evangelien / Psalmen vnd Episteln / mit // kurtzen Haupt=Spruechlein auß heiliger Schrifft / // sampt dem Catechismo Lutheri / // vor die Liebe // Jugend mit allem fleiß zusam= // men getragen // Durch // Durch M. SETHUM CALVISIUM Lips. der Kir= // chen S. Nicolai in Quedlinburg Pastorem; Quedlinburg, Ockel, 21648. – 23:650213B - Auszueglein // Des Edlen Seelen-Schatzes // M. SETHI CALVISII, Pastoris. // Darinnen der Kleine // Kinder=Catechismus // Lutheri / // Neben andern hieraus entstehen= // den kurtzen und einfaeltigen Kinder= // fragen und Antwort / // Absonderlich abgefasset. // CUM PRVILEGIO. // M. DC. LXIII.; Leizpig, Köhler, 1663. – 32:675555N. 135 S. Beck, Art. Calvisius, Sethus. 136 Sethus, Paradisus catecheticus, 4 f. 137 Sethus, Paradisus catecheticus, 7 f.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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Schließlich wird ihre Leistungsfähigkeit entlang der gesamten Sammlung bzw. sämtlicher Hauptstücke entfaltet, nämlich in den Inhaltsangaben: Mosis Paradißgarten bildet vns ab einen geistlichen Paradißgarten an unsern heiligen Catechismo. pag. 7. I. Der Baum der Erkändniß gutes vnd böses / deutet auff die heiligen zehen Gebot. 8. II. Die Offenbahrung der heiligen Dreyfaltigkeit / Auff den Christlichen Glauben. 13. III. Der Ort gegen Morgen / Auf das heilige Vater unser. 18. IV. Der edle Strom / Auff die heilige Tauffe. 24. V. Der Wächter des Gartens / Auff das Ampt der Schlüssel. 32. VI. Der Baum des Lebens / Auff das heilige Abendmal. 37.138

Hierbei fällt ein Doppeltes auf. Einerseits ist das gewählte Bild sowohl eine Herkunfts- wie auch eine Zielmetapher. Der Paradiesgarten, ein traditionelles Bild für einen Fruchtgarten, steht zunächst natürlich für die Herkunft des Lebens im elementarsten Sinne. Schon an sich ist er ein Ort der Schöpfung, was zusätzlich unterstrichen wird durch eine Konzentration auf das Bildder beiden Bäume, aber auch auf jenes der vier Ströme. Insofern die Paradiesflüsse die Sakramente symbolisieren, sind sie eindeutig eine Herkunftsmetapher. Zugleich bilden sie aber auch eine Zielmetapher, denn sie sollen Wirkungen auslösen, nämlich die Nutzung der Früchte, die sie zum Blühen bringen. Dieser Zielaspekt ist noch gesteigert bei Feuerlein, der mit seiner Katechismuspredigtsammlung zugleich ein schönes Beispiel einer Rezeption eigener Predigten durch weitere, spätere Predigten darstellt. Hier steht nun nicht mehr nur das Bild der Nutzung des Gartens, sondern vor allem die Ermutigung zu dessen Wiedergewinnung, da die Sammlung erst den ganzen Garten darstellt, um sodann in einer Zusatzpredigt von dessen Rückgewinnung zu reden. Feuerlein greift damit eine Problematik auf, die hier nurmehr peripher behandelt werden kann, doch zu den klassischen Problemen der Hermeneutik des Kleinen Katechismus zählt. Sie besteht schon bei Luther selber, so dass die Frage, ob ein Fortschritt in der Struktur des Kleinen Katechismus intendiert war oder nicht, die Diskussion zu diesem Thema seit dem 19. Jh. bis heute maßgeblich leitet und zumindest zu Beginn stark kontrovers ausgefochten wurde.139 Seit Albrecht Peters besteht heute mehr oder

138 Sethus, Paradisus catecheticus, 43. 139 Die Debatte verlief längere Zeit in deutlichen Antagonismen. Autoren wie Gerhard von Zezschwitz und Theodosius von Harnack argumentierten für einen inneren Gedankenfortschritt entlang der Hauptstücke auf einer Linie Moses-Christus-Geist oder auch Gesetz-Erlösung in Christus-neue Gemeinschaft der Liebe im Geist. Andere Katechismusinterpreten wie Johannes Gottschick, Kurt Froer oder Johann Michael Reu entgegneten, Luther habe die Stücke des Kleinen Katechismus keineswegs in erster Linie als Bestandteile einer sie umfassenden Struktur entworfen. Er habe sie vielmehr als verhältnismäßig unabhängige Einzeltexte verfasst, deren Auswahl und Reihenfolge sich vor allem padägogischen Bedürfnissen verdanke. Vgl. hierzu Arand, That I May Be His Own, 142, Anm. 3, dem diese verknappte Darstellung folgt.

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

minder Konsens darüber, dass eine direkt lineare Zielrichtung vom ersten über die mittleren hin zum letzten Hauptstück nicht gegeben ist, dass aber auch nicht nur einfach eine lose Aneinanderreihung besteht, sondern vielmehr eine mehrfach dialektische Struktur, die vom Dekalog zum Glaubenssymbol als der christologischen Mitte des Katechismus hinleitet, die daraufhin in ihrer eschatologischen Dimension im Vaterunser widerspiegelt und erweitert wird.140 Ebenfalls Konsens besteht darüber, dass diese Gesamtanlage letztlich nur in einer umfassenden Sicht auf die Texte erkennbar wird, dass also auch die Auslegung des Katechismus ihrerseits der Auslegung bedarf, denn der Katechismus muss nicht nur in seinen einzelnen Stücken, sondern auch als ganzer angeeignet werden. Eben dies tut nun Feuerlein in seinem Katechismus-Garten, indem er den in Süddeutschland traditionellen sechs Hauptstücken eine Metaebene hinzufügt, die er in einer am Karfreitag gehaltenen Schlusspredigt offenlegt. Er kreiert gleichsam ein siebtes Hauptstück zur Erklärung der regulären sechs dieser Stücke. Das Bild des Gartens lädt dazu ein, weil es zu den auch paränetisch zu begreifenden Metaphern gehört und so zur Aneignung anregt. Dies war denn auch vier Jahrzehnte früher schon durch Sethus Calvisius versucht worden, wenngleich in einer knappen und inhaltlich eher kargen Figur. Bereits in der Widmung bringt Calvisius zum Ausdruck, dass er zum Begehen und Abpflücken des 140 Der unprätentiöse, aber gehaltvolle Kommentar von Arand, That I May Be His Own, 142, Anm. 3, gibt sich folgende interpretatorische Leitlinie: „The chief parts are not simply set alongside each other as independent and disconnected blocks of material, nor do they come together in a systematic ordo salutis as was frequently seen in the nineteenth century. Instead the ordering of the chief parts does provide a theological matrix for the Christian life und thus is important for understanding the overall coherence of the catechism.” Diese sozusagen metastrukturale Sichtweise des wechselseitigen Bezugs der Hauptstücke durch den gemeinsamen Bezugs- und Angelpunkt der christlichen Existenz und ihres Glaubensweges dürfte nicht nur einem im späteren 20. Jahrhundert relativ breit gewordenen Konsens entsprechen, der sich mutatis mutandis auch bei Peters findet oder neurdings bei Gunther Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche: eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch, Bd 1, Berlin, 1996, 331 f.: „Von jener inneren Mitte her, welche das Credo bezeichnet (dessen drei Artikel die drei Hauptstücke fokussieren, um sie auf die Mitte aller Mitten, auf Jesus Christus hin, auszurichten), erschließt sich daher [. . .], die von Luther gewählte Reihenfolge der Katechismushauptstücke als durchaus sinnvoll und das nicht zuletzt deshalb, weil sie das durch das Credo markierte Zentrum nicht statisch festlegt, sondern in einen – durch die Begriffe Gesetz und Evangelium kürzelhaft benannten – dynamischen Zusammenhang hineinstellt, als dessen bewegende Richtgröße es fungiert und dessen Bestimmungsmomente nachgerade das zur Geltung bringen, was das Credo intern bestimmt: die Geschichte Gottes mit den Menschen in Schöpfung, Erlösung und Heiligung.“ Auch wenn Dannhauer und generell die lutherische Orthodoxie die Abfolge der Hauptstücke stärker im Sinne eines eigentlichen ordo verstanden haben dürfte, ist es doch aufschlussreich, dass ihre Sichtweise durch die aktuelle Katechismusinterpretation im Wesentlichen (indirekte) Zustimmung erfährt.

5.2 Die Stellung der Katechismuspredigt in der Hochorthodoxie

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Gartens ermutigen möchte,141 was er in einer kurzen Summa am Ende der ganzen Sammlung wiederholt.142 Feuerlein hingegen will nicht kleckern, sondern klotzen; er bietet nicht einzelne Pflänzlein oder Blümlein aus dem Garten, sondern den gesamten Garten als solchen zum dauerhaften Besitz an. Ein Vergleich mag dies verdeutlichen: Schema 8: Das Paradies bei Calvisius und Feuerlein. Calvisius ()

Feuerlein ()

I Gebote

Baum der Erkenntnis

Baum der Erkenntnis

II Symbol

Kraut der Dreifaltigkeit

Baum des Lebens

III Gebet

Ort gegen Morgen (Ostung)

. Strom (Pison)

IV Taufe

Strom

. Strom (Gihon)

VI Schlüsselamt

Wächter des Gartens (Engel)

.Strom (Tigris)

V Abendmahl

Lebensbaum

.Strom (Hidekel)

VII usus / applicatio

Blϋmlein fleiβig pflϋcken Fleiβiges Lesen der Schrift

Himmlischer Paradiesgarten

Die Ausgangsidee dieser 16. Predigt liegt eben darin, dass wir Menschen aus dem ersten, originären, Paradiesesgarten, in dessen Bildwelt die gesamte

141 Sethus, Paradisus catecheticus, 4 f.: „Vnd damit ewer Liebe [der fürstliche Adressat der Vorrede] gute Lust bekomme in diesen Garten hinfüro gerne vnd fleissig zugehen / sich darin zuergetzen / die schönen kräftigen Lehrblümlein abzupflicken / vnd vnsere Artickels Predigten / mit williger Andacht zu besuchen; Als wil ich ewr Liebe jetzo in dieser Predigt den Catechismum als einen lieblichen Paradißgarten vorhalten / vnd darin beweisen vnd darthun / daß / das jenige / so in den ersten Paradißgarten zu finden gewesen / auch anzutreffen sey in vnsern Catechißmo / der darumb mit guten Recht ein kleiner Paradißgarten oder kurtzer Begrieff des Paradises kan genen[n]et werden. Wollen derowegen mit einander anhören / Was zwischen dem Catechismo vnd / dem Paradißgarten vor eine feine Vergleichung sey / [. . .]“ 142 Sethus, Paradisus catecheticus, 43: „Summarischer Inhalt. Mosis Paradißgarten bildet vns ab einen geistlichen Paradißgarten an unsern heiligen Catechismo. pag. 7. I. Der Baum der Erkändniß gutes vnd böses / deutet auff die heiligen zehen Gebot. 8. II. Die Offenbahrung der heiligen Dreyfaltigkeit / Auff den Christlichen Glauben. 13. III. Der Ort gegen Morgen / Auf das heilige Vater unser. 18. IV. Der edle Strom / Auff die heilige Tauffe. 24. V. Der Wächter des Gartens / Auff das Ampt der Schlüssel. 32. VI. Der Baum des Lebens / Auff das heilige Abendmal. 37.“

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

Sammlung sich bewegt, vertrieben wurden. Das aber heißt indirekt, dass die bloße passive Reflexion auf den durch diesen Garten symbolisierten Catechismus alleine nicht genügt. Es gilt, diesen Garten aktiv wieder zurückzugewinnen.143 Und in der Tat, erklärt Feuerleins begeisterter „Eingang“ in die Predigt, so wie die Stimme Gottes, welche die Voreltern aus dem Paradies vertreiben musste, unendlich traurig war, so klingt überaus freudig die Stimme Jesu am Kreuz, die dem Schächer zu seiner Rechten den Eingang ins Paradies ankündigt, mithin den Eingang in den himmlischen Garten Gottes. Feuerlein wurde zu diesem Eingang durch Johannes Brenz inspiriert, der von dieser vox, dieser Stimme oder Äußerung sagt, sie sollte mit goldenen Lettern festgehalten werden.144 Im Grunde scheint diese Idee daher recht schlicht; auf die Folge der Sünde folgt einfach die Aufhebung der Sünde. Bei näherem Hinsehen ist die Sache freilich durchaus komplex; unter dieser primären Ebene verbergen sich mehrere, in sich unterschiedliche Dimensionen. Hier ist zunächst einmal die liturgische Verankerung der Sammlung. Obschon am Karfreitag durchaus auch über das Abendmahl und damit eines der Hauptstücke des Katechismus selbst gepredigt werden konnte,145 wie es später Feuerlein junior tun sollte, war 143 Feuerlein, Catechismus-Garte, 127 f.: „Wann wir die Zeit betrachten / zu und um welche / diese Stimme am Creutz erschollen / mögen wir wol / mit der Kirche / sagen: Heute! als am heiligen Charfreytage/ welches war der Rüsttag vor Ostern! Heut schleusst Er wieder auf die Thür/ Zum schönen Paradeis; Der Cherub steht nicht mehr dafür/ GOtt sey Lob/ Ehr und Preis! Der Stund / in welcher diese Stimm erschollen (so fast mit dieser Stund/ die jetzt laufft/ solte zutreffen) nicht weitläufftig zu gedencken. Die fürnemste Frage ist: Was durch das Paradeis/ darein der Schäcker kommen solte/ zu verstehen sey? nicht das erschaffene Paradeis [. . .] nicht ein unter-irdisches Paradeis [. . .] das himmlische Paradeis [. . .] als im dritten Himmel [wohin Paulus entrückt wurde; . . . ] die rechte Schoß Abrahæ.“ 144 Feuerlein, Catechismus-Garte, 127: „Vox aureis semper literis scribenda, (sagt der alte selige Herr Brentius < marg./ (Homiliâ in h. l. p. m. 551) >) eine Stimme/ die mit guldenen Buchstaben allezeit zu schreiben/ ja aufs fleissigste im Hertzen zu verwahren/ und stets im Sinn zu haben/ und zu behalten ist. Denn/ damit wurde klar bezeuget/ daß der liebe JESUS das / der Sünden halber verschlossene Paradeis / mit seinem Leiden für die Sünde wieder aufgeschlossen habe / und zwar nicht nur für den Schächer; sondern für alle die / so an seinen Namen glauben.“ 145 So zu besehen in der sechzehnten Predigt der erwähnten Sammlung des Sohnes, Johann Konrad Feuerlein, die dem Abendmahl und besonders der Vergegenwärtigung Christi gewidmet ist. Wobei dieser Anlaß keineswegs zu feierlich ist, um ihn nicht zum Gegenstand interkonfessioneller Polemik werden zulassen; „[. . .] denn du must nicht mit denen Refor-

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Feuerlein senior davon offenbar nicht befriedigt und wählte einen andern Schwerpunkt, nämlich den der Buße, der, wie auch der gepredigte Text Lk 23,43, traditionell zu den Meditations- und Predigtthemen des Kreuzestags gehört. Die Schlusspredigt ist eine Bußpredigt, denn der Schächer erhält die Zusage Jesu allein deshalb, weil er die dazu nötigen Bedingungen erfüllte. Der Einlass ins neue Paradies ist konditioniert, und die Kondition heißt tätige Reue: „In dieses Paradeis / mit jenem Schächer / zu gelangen / ist nicht ungefehres Glück; es muß durch waare Buß / und hertzliches Erkänntniß JESU Christi / unsers Heilandes / geschehen.“146 Wahre Buße ist wahrer Glaube, und somit erscheint auch hier, was schon im Augsburger Bekenntnis vorgegeben wurde, dass nämlich die Buße aus contritio, confessio sowie statt der traditionellen satisfactio nun aus tätiger fides besteht; es geht um Buße, den daraus resultierenden Glauben und dann um die Früchte desselben.147 Der Schächer erfüllte diese Bedingungen; der Hörer der Katechismuspredigt sollte sie ebenfalls erfüllen.148 Er sollte vom Baum der Erkenntnis, also dem Dekalog, ausgehend

mirten sagen oder dencken/ Weil man zum Gedächtnis Christi soll das heilige Abendmahl nehmen/ so müsse Er ja nicht selbst zugegen seyn/ sintemal zu wessen stetem und hertzlichen Andencken man etwas verrichtet/ der müsse abwesend und nicht zu gegen seyn; wenn Er selbst da ist/ so brauchs keines Andenckens oder GedächtnißMittels/so wenden jene ein: allein du must wissen/ mein Christ/ Man kan auch dessen gedencken/ das gegenwärtig/ [. . .]“. Es geht letztlich um „1. die Schwächung der Sünden/ und die Creutzigung des alten Adams 2. die Vermehrung der Gnaden-Gaben des Geistes/ und 3. die versiegelte Hoffnung des ewigen Lebens“. 146 Feuerlein, Catechismus-Garte, 128. 147 Feuerlein, Catechismus-Garte, 129: „Erstlich/ hertzliches Erkänntniß und Bekänntniß seiner Sünden. [. . .] Nach solcher hertzlichen Erkänntniß und Bekänntniß seiner Sünden; finden wir in ihm: auch einen waaren Glauben. [. . .] Wir finden (meine Liebsten!) nach dem Glauben/ auch an ihn/ die rech-ten Früchte des Glaubens! Früchte/ gegen Gott! [. . .] Früchte/ gegen Christo! [. . .] Früchte/ gegen seinen Nächsten/ oder Mitschächer! [. . .] Glaubens- Buß- und Liebesfrüchte?“ 148 Feuerlein, Catechismus-Garte, 128: „Wie der Schächer das gehabt? und wir/ nach Anleitung der sechs Hauptstücke unsers Catechismi/ noch haben? und so/ aus einem Paradeis und Lustgarten in den andern/ gehen können? soll für dißmal unsere Handlung seyn. Der HERR laß auch das End ersprießlich und gesegnet seyn/ Amen! [. . .] Gleichwie es unmüglich ist/ ohne Glauben GOTT gefallen/ und ohne waare Busse selig werden: so bilde sich (Geliebte!) ja nie-[129]mand ein / als ob der eine Schächer zu der Rechten/ ohne Buß und Glauben/ wäre selig/ und das Paradeis/ von Christo/ ihme (als noch unbekehrt) versprochen werden. Nein! wir finden an ihm alles/ was zu einer waaren Busse erfordert wird: Erstlich/ hertzliches Erkänntniß und Bekänntniß seiner Sünden. [. . .]

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seine Sünden erkennen,149 dermaßen zerknirscht zum Baum des Lebens, nämlich Christus und dem ihn bezeugenden Symbol, gelangen,150 und schließlich zu der aus diesem Glauben resultierenden „Anruffung“151 Gottes im Herrengebet fortschreiten, an welche wiederum die Gnadenmittel in den drei lutherischen Sakramenten sich anschließen. Die Rekapitulation des Katechismus erfolgt hier also nach dem exakt demselben Schema wie schon die Darstellung selber, die ja ebenfalls vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens voranschritt, gefolgt den von den vier Flüssen, die die vier Gnadenmittel, die media salutis, verbildlichen. Die Rekapitulation unterscheidet sich freilich von der Darstellung eben dadurch, dass sie hier als ganze in den Blick genommen und auf ihre Aneignung hin thematisiert wird. Es zeigt sich damit eine weitere Dimension der Feuerleinschen Sammlung, die sicherlich die wichtigste unter ihnen allen darstellt, nämlich die homiletische. Die Schlusspredigt ist nichts anderes als eine applicatio. Sie erfüllt für die gesamte Sammlung jene Funktion, die innerhalb einer Einzelpredigt deren usus wahrnimmt. Wie sich der gesamte christliche Glaube in gewissem Sinne auf diesen einen Moment zentriert, in dem das Leben aus dem Gekreuzigten entweicht, gipfelt die Aneignung der Inhalte dieses Glaubens auf jenen Punkt im Kirchenjahr, auf jenen Gottesdienst, in dem dieses Momentes gedacht wird. Offensichtliche Anleihen aus der Tradition, in dem seit jeher das Katechumenat unmittelbar vor oder gar in der Osternacht seinen Abschluss fand, erscheinen in einer nahe beim Pietismus stehenden, auf individuelle Aneignung drängenden Karpraxis wieder. Die Verbindung des Ursprungs- und des Zielaspekts einer Sammelmetapher einer Katechismuspredigtsammung ist so weitaus mehr als barocke

Nach solcher hertzlichen Erkänntniß und Bekänntniß seiner Sünden; finden wir in ihm: auch einen waaren Glauben. [Zeichen: Wie er Jesus anspricht [. . .] 130] Wir finden (meine Liebsten!) nach dem Glauben/ auch an ihn/ die rechten Früchte des Glaubens! Früchte/ gegen Gott! [. . .] Früchte/ gegen Christo! [. . .] Früchte/ gegen seinen Nächsten/ oder Mitschächer! [. . .] Glaubens- Buß- und Liebesfrüchte?“ 149 Feuerlein, Catechismus-Garte, 125: „Den vorgestellten Baum des Erkänntniß Gutes und Böses / die heiligen Gebot GOttes!“ 150 Feuerlein, Catechismus-Garte, 133: „[. . .] sondern weise dich / vom Baum des Erkänntniß / mit dem Schächer / Zu dem Baum des Lebens [. . .].“ 151 Feuerlein, Catechismus-Garte, 134: „Bey diesem Glauben findet sich gewisse Anruffung Gottes/ als eine rechte Frucht des Glaubens. So bald der Schächer glaubte/ so bald ruffte er: Ach HERR! gedencke mein/ mein/ wenn du in dein Reich kommst. Wir sollen den/ der sich zum Vatter geben hat/ auch zum Vatter anruffen/ und uns aller vätterlicher Huld und Liebe zu Ihm versehen. Das ist doch je die Quelle/ daraus wir glaubig können schöpffen/ was uns nutz und noth ist: es ist die Quelle/ so die rechte Gnaden-ströme von sich fliessen lässt: zu der uns Christus selber weist/ indem Er beten heist: Vatter unser/ der du bist im Himmel!“

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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Freude am Wortspiel. Sie ist ein Reflex auf theologische und frömmigkeitliche Entwickungen ihrer Zeit, was sich denn auch bei der nun genauer zu betrachtenden Dannhauerschen Riesensammlung makroskopisch wieder findet.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn Obschon eine wissenschaftlich haltbare Quantifizierung angesichts des aktuellen Forschungsstandes in der Theologiegeschichtsschreibung zum Protestantismus des nachreformatorischen Zeitraums kaum möglich sein dürfte, ist es wahrscheinlich, dass Dannhauer das Moment der Bildlichkeit im Rahmen und zu Zwecken der theologischen Reflexion und Verkündigung tendenziell intensiver wahrnahm und studierte als die meisten seiner theologischen Kollegen. Wie bei vielen seiner Zeitgenossen gestaltete sie sich im Kontext der Christologie besonders intensiv, war aber darüber hinaus ein zentrales, ja das zentralste Strukturierungs- und Inhaltsmoment seiner Theologie, wie sie sich in seiner großen Trilogie der Wege-Schriften monumental offenbarte. Es wäre daher erstaunlich, legte er nicht in dem seit jeher stark mit metaphorischem und allegorischem Material arbeitenden Feld der Homiletik nicht ebenfalls eine stark auf Visualisierungs- und Plastizitätsfiguren abstellende Praxis an den Tag. In der Tat bedient er sich für den Aufbau seines monumentalen Katechesenwerks nicht nur einer, sondern mehrerer, jedenfalls der Intention nach miteinander verschränkter und sich wechselseitig ergänzender Predigtmetaphern. Die Nebeneinanderstellung dieser Metaphern über den Zeitraum von zwei Jahrzehnten kam faktisch ohne gewisse semiotische Disparitäten nicht aus. Dennoch ist die Sammlung bewusst nach einer einzigen Zentralmetapher betitelt, die den grundlegenden, angesichts des formal geschulten Bewusstseins der lesefähigen Zeitgenossen an Gewicht kaum zu überschätzenden Rahmen der Einleitungsund Schlusspredigten des Gesamtwerks bestimmt. Dannhauer entschied sich für das Bild der Milch, das zu den traditionell bestverankerten Metaphern im Bereich der Katechismuspredigt gehört. Wie bereits die Orthodoxie wahrnahm, handelt es sich um eine schon in der hebräischen Bibel häufig verwendete Figur, zumal wenn in der Geschichte des Auszugs aus Ägypten vom versprochenen „Land, darin Milch und Honig fließt“, die Rede ist, die ihrerseits von den Propheten wieder aufgegriffen wird. Einen Passus aus dem Propheten Jesaja schlossen die Ausleger der frühen Neuzeit aller Konfessionen und speziell des Luthertums sogar ganz besonders ins Herz, nämlich Jes 55,1. Im Zusammenhang besonders mit medizinaltheologischen Verkündigungsfeldern und –kontexten wurde Christus in kirchlicher wie

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auch privater Kunst gerne als Apotheker dargestellt,152 der sündenpräventive oder heilsbringende Medikamene austeilt und dabei mit dem genannten Prophetenvers für seine Produkte wirbt; auch in Erbauungsbestsellern der Zeit wie Johann Arndts „Vom wahren Christentum“ oder der 19. und 20. Meditation von Johann Gerhards berühmten Meditationes sacrae erscheint er in dieser Form. Entscheidend für die Aufnahme der Milch ins katechetische Repertoire der Nachreformationszeit war freilich dennoch die neutestamentliche Passage Hebr 5,12 f., in welcher den Lesern des Briefes vorgehalten wird, sie bedürften zwar immer noch wie Kleinkinder im Glauben der Milch elementarer Verkündigung, müssten aber längst zu fester Speise der Lehre in der Lage sein. Entsprechend darf man wohl auch annehmen, dass letztlich die häufige Verwendung dieser Stelle, in Verbindung mit ihren Parallelen in 1 Kor 3,2; 9,7 sowie 1 Petr 2,2, das große Interesse auch am Jesajazitat erklärt, das durch die gleichsam antitypologische Rezeption im Neuen Testament apostolische Nobilitierung erfuhr, zumal der Hebräerbrief ja zumindest offiziell-kirchlich noch als paulinisch galt. Nebst der expliziten Rezeption des biblischen Bildes der Milch schon in der Frühzeit der Reformation, so in Luthers Osterpredigt von 1528,153 etwa auch in der

152 Zu den Wechselwirkungen von steigendem Sozialstatus des Apothekerberufs und seiner Implikation in religiöse, speziell christologisch-sakramentstheologische Exemplaritätskontexte s. Steiger, Medizinische Theologie: Christus medicus und theologia medicinalis bei Martin Luther und im Luthertum der Barockzeit, und Steiger, Theologia medicinalis und apotheca spiritualis. Zur Intertextualität von medizinischen und theologischen Schreibweisen bei Luther und im Luthertum der Barockzeit. Für die weite Verbreitung entsprechenden ikonologischer Motive s. auch Krafft, Christus ruft in die Himmelsapotheke. Die Verbildlichung des Heilandsrufs durch Christus als Apotheker. Krafft bringt etwa folgende Kunstproduktionen aus der frühen Neuzeit, in der Jes 55, 1 explizit durch die Abbildung von Milch und Wein oder durch ein Schriftband oder einen anderen Schriftzug erwähnt wird: Auf protestantischer Seite A-01 (Michael Herr, Nürnberg, 7. Februar 1619), A-05 (nach Jeremias Spengler, 1630), A-06 (1647), A-12 (um 1670, aus dem Kreuzgang der alten Spitalkirche Stuttgart) Milch Wein Wasser abgebildet), A-13 (Ende 17. Jh.; aus der Region Biberach); auf katholischer Seite A-26 (Christus als segensspendender Apotheker, aus einer Bildergruppe eines unbekannten Künstlers, um 1750). 153 Luther, Martin, Predigt vom 12. 4. 1528: „In die illa ‚montes fluent lacte‘ Iohel [3,18]. Nonne hoc herlich geredt de externo verbo? Es heist: das sol schwimmen und fliessen mit sussem honig et lacte q. d. prophetae: Iudaico populo promissa terra quae lacte etc. propter altum opus et fructum olei, vini, frumenti, viech etc. propter hanc bonitatem dicitur lacte et melle. Haec terra divulgabitur, ut tota terra fluat melle. Das ist die selige predig von der resurrectio Christi, est spirituale lac. Nonne dulcis res, quod mors victa et quod mihi donata peccata, non gravatur conscientia? Satanae sund hend und fus an geschmid, ut nihil potestatis. Nonne dulce melle, deinde lac praedicatur, puerilis cibus i. e. qui credunt quanquam sunt infirmi, soll man tragen tractarique ut pueri.“ Aus der Predigt am ersten Osterfeiertag Nachmittags (12. April 1528), in: WA 27 (1903), 117–120: 120.

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bereits erwähnten Predigtsammlung des Adam Dögen, die er als lac catecheticum betitelte, taucht das Bild dann an überraschenden Orten auf. Erwähnt sei hier ein im Vergleich zur gesamten Breite und Masse der Tradition an sich zwar völlig vernachlässigbarer, im Zusammenhang der intellektuellen Biographie und der generellen geistigen Ausrichtung Dannhauers jedoch nicht uninteressanter Beleg der Milchmetapher in der Altdorfer Logikschule. Für den von Dannhauer so sehr geschätzten Altdorfer Professor Michael Piccart erscheint in seinem Organonkommentar von 1605 der ideale interpres, der ideale Übersetzer (Übersetzer-Ausleger-Hermeneut) als jemand, der sicut prudens Paterfamilias lac infantibus, solidiorem cibum adultis dispensat domesticis.154 Dies zeigt nicht exemplarisch nur die selbstverständliche Präsenz des biblischen Bildes im alteuropäischen Kulturraum; es belegt darüber hinaus, dass in der für Dannhauer so wichtigen Fragestellung des adäquaten Zugangs zur Auslegung schriftlicher Texte und generell der adäquaten Auffassung von Sätzen jeglicher Art der Fortschritt unter anderem durch die Milchmetapher belegt wurde. Fortschritt in der Aneignung von Katechismuswissen und Fortschritt in der Fähigkeit zur richtigen Textauffassung werden so zwar nicht mit einander gleichgesetzt, aber dennoch lernpsychologisch parallelisiert. Dies passt gut zur Dannhauerschen Auffassung von der Wirklichkeit, in der das Verstehen von Texten mit spezifischem Autoritätsstatus wie demjenigen der Heiligen Schrift oder des Katechismus als der Kleinen Biblia, und von Texten allgemein, einander parallel gesetzt werden, weil es in beiden Fällen nur darum gehen kann, dass das auslegende Subjekt sich dem auszulegenden Objekt epistemologisch anpasst, nicht aber umgekehrt. Eine womöglich noch klarere Analogie zur Aneignung katechetischen Wissens bildet die Verwendung der Milchmetapher in der Praefatio zur Isagoge zur Logik des Fortunatus Crellius.155 Crell beschreibt den Prozess à summa ignorantia ad summam siue perfectam scientiam als einen Weg, der von

154 Piccart, Isagoge, C3 verso: „Ut scientis signum est apud Aristotelem, posse Docere, ita bene Docentis signum esse existimo Profectum discentium, quare ultima mei Interpretis erit cura, accommodare se captui eorum, apud quos interpretationem instituit: sicut prudens Paterfamilias lac infantibus, solidiorem cibum adultis dispensat domesticis, ita & fidelis Interpres Tyronum rationem habeat, & eorum, quorum, progressus in eo genere sunt majores, ad Tyrones quidem methodo utens facili & aperta, neque eos spinosis involvens disputationibus, quod apud eruditiores facere poterit commodius, majorique suâ laude & discentium usu.“ 155 Crell, Institutio Logica, 271–275: „POSTERIOR SIVE PROPRIA Isagoges Pars: de speciebus syllogismi illius generalis. PRAEFATIO. ADHVC pars communis: sequitur propria. Communem priori loco explicandam esse suprà ostendimus: de propria, quae tribus perinde, vt communis, libris absoluitur, quaesitum olim fuit: cui nam libro primus locus debeatur. Paucis ergo antequam de re ipsa praecipiamus. de

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der Natur vorgegeben ist, doch ebenso und in perfekter Korrespondenz dazu durch den etappierten, klar schrittweisen Aufbau der Schriften des Philosophen nachgezeichnet wurde. Dank dieser hilfreichen Doppelung des Erkenntnisweges werde er für uns zunehmend besser begehbar. Zuerst müsse unnützes Gestrüpp weggeräumt werden, damit die Jugend die im Prinzip in ihr bereits keimhaft schlummernde Fähigkeit zur Beweisführung erlernen könne, ebenso genau so, wie die Kinder nicht zuerst feste Speise, sondern nur Milch bekämen. Hier wird die Milch nicht nur als Fortschrittsmetapher gelesen, sondern auch explizit mit der Wegemetapher kombiniert, ja sachlich sogar identifiziert.156

ordine, discrimine & scopo horum trium librorum, deque demonstrationis vtilitate praefabimur. Fuit igitur vt refert Auerroes, inter ceteros Auicenna: qui [marg. In prooem. in poster. Analyt.] contendit: Dialecticam Demonstrationi anteponendam esse: idque duabus potissimum de causis: & quodque cùm rerum cognitio inquiritur, priorem locum Dialectica obtineat: & quòd propositiones Dialecticae vniuersaliores & communiores sint Demonstratiuis: ideoque illis notiores: & ad earum intelligentiam non parum conferentes. Vt hoc intelligatur, sciendum est: nos, cùm primùm in hanc lucem edimur, omnium rerum ignaros nasci: animamque nostram, vt docet Philosphus [marg.: De anima lib. 3. cap. 4] instar rasae tabellę esse: quae causa est: cur in rerum cognitione acquirenda, nobis à summa ignorantia ad summam siue perfectam scientiam, & ab extremo ad extremum transeundum sit: id quod sine gradibus fieri non potest. Quod cum ita sit: necesse est: antequam perfectam rei alicuius scientiam assequamur, primò omnium rudem quandam & incoatam cognitionem in animo nostro generari: antequam ab imo ad summum perueniamus. Hanc viam & ordinem natura, siue Deus potius in natura & per naturam nobis ostendit. Huius viae ignarus non fuit Aristoteles: idcirco naturae vestigijs insistens, in libris suis primo loco aliorum sententias in medium adduxit, falsaque confutauit: dein leuioribus & intellectu facilioribus argumentis veritatem declarauit: atque ita opinionem quandam animis nostris instillauit: tertio demum loco demonstrationes adhibuit: vt ita paulatim & per gradus, & quàm fieri posset, commoddissimè, nos naturâ rudes discipulos, ad perfectam rerum scientiam, sapientissimus, & si dicere fas est, diuinus praeceptor deduceret. Atque haec vera docendi via est. Primò enim impedimenta amouenda sunt: quae nos in discendo impedire possunt: perinde vt iter facienti, si vepribus & spinis obsite via sit, vt progredi non possit, prima opera danda est; vt spinae illae remoueantur: deinde facilioribus & popularibus res probanda est argumentis: quę à tyronibus intelligi possint: (infantibus enim lac conuenit, non cibus solidus: itâque opinio quędam nobis instillatur, & animus rudis pręparatur ad vim Demonstrationis postea facilius percipiendam:) demum ipsa Demonstratio est subijcienda. Primum officium artis Sophisticę est: quam nos discimus: non vt fallamus: sed vt fallacias dissoluere possimus: alterum Dialecticę: tertium Apodicticae.“ 156 Bezeichnend ist, wie die gesamte Argumentation auf eine Unterscheidung von dialektischer und apodiktischer Logik zuläuft, die durch eine Unterscheidung von akzidenteller oder notwendiger Kategorisierung der Dinge ermöglicht und erfordert wird. Die Dinge irgendwie zu erkennen, ist auch dem Anfänger möglich, sie notwendig als die zu erkennen, die sie sind, nur dem Fortgeschrittenen:

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Alle diese Beispiele, auch die Verwendung des jesajanischen Prophetenrufes unter pharmazeutischer und damit zukunftsgerichteter Heilungsperspek-

Crell, Institutio logica, 1–5: INSTITVTIONIS // LOGICAE PARS // prior siue communis. // DE NATVRA LOGICES, // QVID SIT ET QVOTVPLEX // CAPVT I. // Logicae habitus est organicus: verum à falso discernere potis. Genus Logices habitus organicus est: differentia, verum à falso discernere potis. Habitus Logice dicitur: quia per se, vt in mente & qualitas est, definitur, non qua scripta est: quod illius accidens est. Cur habitu organico definiatur, è differentia perspicuum erit. Differentia à fine petita est. haec enim instrumentorum ratio est, vt tota eorum essentia in fine consistat. Finis Logices, isque tum externus, tum generalis, est, inter verum & falsum discriminare, hoc verum, illud falsum esse, probare. sit hoc syllogismo: qui & ipse Logices finis est: sed internus: quia illius opus. Hinc obscurum non est, cur Logicae habitus organicus, & instrumentum esse dicatur. non enim per se, vt scientiae, sed per & propter aliud expetitur: nec idcirco syllogismum construere discimus, vt illius cognitione contenti simus: sed, vt cognita struendi ratione, syllogismum conficiamus: eoque, ceu vnica probandi norma & instrumento, hoc verum, illud falsum, hoc rectè, illud non rectè, confirmatum esse monstremus. Neque verò tunc demum aut solum, cùm aliquid syllogismo probamus, & Logice vtimur, instrumentum est Logice: sed etiam in se, extra vsum, considerata: quia in hunc finem discitur, in hunc finem à Deo nobis concessa est, vt illius adminiculo, hoc verum, illud falsum esse, probare poßimus: quem ad modum securis ad secandum facta est, & idcirco instrumentum aptum ad secandum, siue secet, siue non secet. hoc interest, quòd securis, & id generis instrumenta, instrumentum est corporis, Logice mentis: quo mens vtitur ad verum à falso discernendum: quem ad modum securi manus ad secandum. Distinguitur in duas partes Distinguitur in duas partes: in communem, & propriam: quarum vtraque tribus libris absoluitur: Communis libro Categoriarum, Enunciationum, Syllogismi: Propria libro Demonstratiui, Probabilis & Sophistici Syllogismi. Communis Logices pars dicitur, quae communia tractat & generalia: cuiusmodi sunt Syllogismus, siue communis illa Syllogismi forma: quae res quauis Syllogisticè concludi possunt: Enunciationes, earum proprietates & partes, subiectum, attributum, & denique decem illae summae rerum Genera: è quibus, ceu penu & sylva quadam, subiectum & attributum depromuntur. Propria est, quae de propriis & particularibus agit: quia de tribus illis Syllogismi speciebus: de Syllogismo Demonstratiuo & necessario: de Probabili siue Topico: de Sophistico seu fallaci: de quibus peculiares in Logicis conditiones praescribuntur, sine quibus dignosci non possunt, & quae in rebus absque praeceptis Logicis non deprehenduntur. Cum enim res omnes vel verae sint, vel falsae & tum verae, tum falsae, duplicis generis: summè & necessariò semperque verae: partim veaer [recte: verae], partim falsae, siue probabiles: manifestò falsae, tectè falsae, quia fucatae, verique speciem habentes: idcirco tres syllogismi species existunt: Necessarius, Probabilis, Sophisticus Syllogismus: de quorum discrimine & natura in Logicis praecipiendum est: quòd aliae & aliter affectae propositiones, quod ex ipsis rebus non discitur, ad syllogismum & conclusionem necessariam, aliae ad probabilem, ad fallacem aliae, requirantur. de illo, quod apertè falsum est, praecpta non traduntur, cùm sua sponta deprehendantur.

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tive, zeigen, dass die Milch sowohl in den Artistenfakultäten wie bei den Predigern eher als Lebensmittel auf Wachstum hin denn als Nahrungsquelle am Ursprung des Lebens gesehen wird.

Ex his constat, rectè a nobis Logicen in has duas partes tribui, in Communem, & Propriam & hanc vnam Logices partitionem germanam & naturalem esse: quia quaecunque Disciplina communia, siue generalia, & deinde propria, siue specialia, tractat, ea sua natura in has duas partes distincta est: vt autor est Aristoteles: & demonstrari facilè potest. [Glosse: lib. 1. phys. cont. 57.] DE MATERIA LOGICES, // ET DECEM SVMMIS RE- // rum Generibus. // CAPVT II. // PROPOSITVM Logicus habet opus, Syllogismum: vt eo probet, hoc verum, illud falsum, esse. Ad Syllogismi structuram propositionibus opus est. quapropter ante syllogismum de enunciationibus, earum affectionibus & partibus est praecipiendum. Ac quia enunciationes de rebus fiunt: res autem Categorijs, ceu breui tabella, nobis ob oculos ponuntur: idcirco primò omnium de Categorijs, seu decem illis rerum Generibus, breuiter agendum est in Logicis: vt intelligamus, quae res quibus communiores sint, vel angustiores: quae Subiectorum, quae Attributorum, habeant rationem. Diuiditur Categoriarum Tractatus in tres partes: quibus prima definitiones, diuisiones, & regulas quasdam continet, ad Categoriarum intelligentiam conducibiles quae causa est, cur Categorijs sint anteposita: altera Categorias ipsas: extrema ambiguarum quarundam vocum distinctiones: quae quia simplices voces sunt, cum Categorijs coniunctae sunt: & quia ad earum cognitionem Categoriarum cognitio confert, idcirco non, vt illae definitiones, antepositae, sed Categorijs sunt postpositae. Kolumnentitel: Posterior pars. DE PROBABILI SI- // VE DIALECTICO // Syllogismo. // LIBER SECVNDVS. // QVID DIALECTICVS SIVE probabilis Syllogismus sit. // CAP. I. // Dialecticus Syllogismus est, qui è probabilibus concludit. // SCIENDVM est, hîc non de locis in genere, qui cuiuis conclusioni siue quaestioni concludendae medium suppeditent, agi, sed de illis duntaxat, è quibus probabile medium sumitur, ad conclusionem probabilem efficiendam. haec vera quidem est: sed non necessariò: quae causa est, cur aliquando quoque sit falsa. Syllogismus ergo Dialecticus siue probabilis, hoc est, probabilem, non necessariam, vt Demonstratiuus, conclusionem efficiens, est, qui ex medio probabili, eoque probabilibus propositionibus, concludit. Concluditur Dialectico Syllogismo vel definitio de re definita siue specie: vel genus atque differentia: vel propria affectio: vel accidens. Quatuor, & quinque, sunt, quae Dialectico Syllogismo concluduntur: quatuor, si differentia generi annumeretur: quinque, si seorsum consideretur. Definitio itaque probabili Syllogismo concluditur: non quòd essentia definitioque rei Syllogismo concludi poßit: sed quòd in vtranque partem disceptari poßit, vtrum haec huius rei definitio sit, nec ne, vtrum rectè vel non rectè si constructa. Eadem generis, differentiae, propij ratio est & accidentis. Traduntur enim hîc loci, quorum beneficio vtrunque possumus, & quod alicuius genus, differentia, proprium, accidens, esse perhibetur, illius, genus, differentiam, proprium, accidens, non esse, demonstrare, & quod alicuius genus, differentiam, proprium, accidens, esse dicimus, illius reuera genus, differentiam, proprium accidens, esse. Ceterum accidens vel effectum est, vel causa: quae iterum variè subdiuidi potest: quod aliò pertinet.

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Zwar gibt es Gegenbeispiele, wie die 1635 publizierte „Vernunftige lautere Milch des heiligen Catechismi“157 des Stettiner Stiftskirchenpfarrers Daniel Cramer (1568–1637), die sowohl die Widmung an seinen Pommerschen Landesfürsten158 wie auch entscheidende Passagen der Predigten selber159 unter das

Sed hîc iure quaeritur, quo modo causa, effectum, proprium, seu accidens per se secundo modo, genus itidem, differentia, totaque definitio ad Dialecticum attineat, cùm Demonstratoris propria sint. Genus enim, differentia, definitio, per se sunt primo modo, proprium secundo, effectum & causa quarto. Hîc sciendum est, causam duplicis generis esse: necessariam, quae necessariò & sempter effectum producit: contingentem, quae effectum necessario non producit. eadem effecti ratio. aliud enim necessarium est, necessariò, semperque causam consequitur: aliud contingens, quod non semper consequitur. Effectum contingens, itidemque contingens causa, ad Dialecticum spectant, & probabilis conclusionis causa sunt: effectum & causa necessaria necessariae, quae Demonstratoris est. Eodem modo Definitio, genus, differentia, proprium, gemina considerari ratione possunt, vt attributa per se sunt & essentialia: & vt attributa sunt accidentaria siue probabilia, hoc est, quâ illis accidit, vt vel rectè, vel non rectè rebus assignentur. Posteriori modo ad Dialecticen spectant, priori ad Apodicticen. Haec cognoscenda prius erant quam damnanda.“ 157 Cramer, Daniel: Die Vernunftige lautere Milch des heiligen Catechismi Lutheri. Jn Zehen Predigte[n] der Christlichen Gemein oeffentlich fürgetragen [etc.], Stettin, 1611. 158 Cramer, Die Vernunftige lautere Milch, Vorrede, Aii: „Dem Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd Herrn / H. Bugslaff / des Nah= mens dem XIV. Hertzogen zu Stettin Pomren / der Cassuben vnd Wenden / Fürsten zu Rügen / Grafen zu Gützkow / der Lande Lawenburg vnd Bütow / Herrn / Meinem gnädigen LandsFürsten vnnd Herrn. Wie auch seiner F. G. Gemahl Der Durchleuchtigen vnd Hochgebornen Fürstin vnd Frawen / Fr. Elisabeth / Geborn aussem Fürstlichen Hause Schleßwieg / Holstein / Stormarn vnd der Dietmarschen / etc. Hertzogin zu Stettin Pomren / der Cassuben vnnd Wenden / Fürstin zu Rügen / Gräfin zu Gützkow / der Lande Lawenburg vnd Bütow Fraw / Meinem gnädigen LandsFürstin vnd Frawen. [. . .] [A iii verso] Wie ich mich nun sonsten derselben Christlichen einfalt beflissen / also habe ich eben dieselbe wei= [A iiii] se gern beybehalten / bey der Erklärung vnd wiederholung des heiligen Catechismi / der so vielmehr in Christlicher einfalt sol vnd muß tractieret, gelehret vnnd gelernet werden / so viel mehr dieselbe auff die Kinder / einfältige vnnd angehende Christen gerichtet ist. Daher ich dann auch diesen meinen einfältigen Erklärungs Predigten / den Titul auß der Epistel Petri geben / vnnd sie die vernunfftige lautere Milch / als eine bequeme Kinderspeise hab nennen wollen.“ 159 Cramer, Die Vernunftige lautere Milch, Ciii: „Die Erste Catechismus Predigt / Uber das Erste / Ander vnd Dritte Gebott. Erklärung. [. . .] also sollen wir allhie dergestalt zu Kindern werden / das wir gierig seyn / nach der vernünfftigen lautern Milch / als die quasi modo geniti, jetzt gebornen Kindlein / 1. Pet. 2. Wenn wir vns herunter lassen / vnd kehren vnnd wenden vns wieder zu vnser Christlichen Kinderlehr / als [verso] welche da ist vnsere rechte süsse Muttermilch / darin wir aufferzogen vnd zu Christen gemacht seyn / vnd schmecken wie freundlich der HERR ist. Denn das ist vnnd heist die Kinderlehr / nicht / als wenn darin Kindische Sachen begrieffen vnd verhandelt würden / Sondern weil dieß die Lehr vom anfang Christliches Lebens ist / darin man die kindische Jugend muß vnterweisen vnd aufferziehen.

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Zeichen der Einfalt stellt, nämlich näherhin als Aufruf und Werbung zur Rückkehr zur kindlichen Schlichtheit im Empfangen und Verstehen des Evangeliums, wie es sich in den verschiedenen Teilen des Katechismus anbietet. Cramers dezidiert kindes- und volksgerechter Zugang ist jedoch als die sprichwörtliche Ausnahme anzusehen, welche die Regel bestätigt. Jene durchaus angenehme Bescheidenheit, mit welcher der Pommeraner über seine Büchlein „alß dieß kleine Milchkrüglin der vernunfftigen lautern Milch“160 zu sprechen wusste, war bei der Catechismus-Milch angesichts ihres äußeren Umfanges unmöglich geworden, wollte man nicht Gefahr laufen, ins Groteske zu verfallen. Die Differenz im Umfang zeigt auch an, dass bei Cramer tatsächlich Milch als Anfangs- oder Anfängernahrung verstanden werden wollte, die sehr gut verdaubar bleiben sollte, während Dannhauer seinerseits unter Abstraktion von, ja faktisch wohl entgegen seinem Titel, bereits so tüchtige Brocken vorsetzen wollte, dass nur ein geübter und mit erwachsenem Appetit versehener Esser sich daran gütlich tun konnte. Werner Jetter hat, vermutlich nicht ohne leisen Spott, darauf hingewiesen, dass Dannhauer „eine bloße Anfängerlehre [. . .] im Katechismus nicht hat finden mögen“, aber auch dass er das Privileg hatte, zu predigen „vor einem Auditorium, das man sich als eine kleine Auslese von einflußreichen Liebhabern vorstellen muß.“161 Es ging ihm offensichtlich mehr um

Zu solcher Kinderlehre sollen wir uns wenden vnnd wieder finden / vnnd ob wir schon Alt seyn / sollen wir doch nicht meynen / wir bedürffen derselben nicht / oder wir hetten dieselbe schon an den Schuen / wie man sagt / vertragen / O nein / wir müssen wieder zu Kindern werden / sonsten können wir nicht ins Reich GOTTES kommen. Denn gleich wie die alten Leute von Jahren / wieder zu Kindern werden / im Alter / Also gehts auch zu mit einem jeden Christen auff Erden: Der muß auch zu letzt / vnd am ende seines Lebens wieder zum Kinde werden / vnnd wenn er auch noch eins solch ein groß Doctor were / vnd hette alles außgeecket vnnd auß disputieret, was in der weiten Welt were / dennoch wens zur letzten hinnefarth kompt / so macht man ihn zum Kinde [. . .].“ 160 Cramer, Die Vernunftige lautere Milch, Vorrede, Aiiiiverso: „Und weil ich sonsten nichts ge [B] habt / alß dieß kleine Milchkrüglin der vernunfftien lautern Milch / E.E.F.F.G.G. Praesentieren vnd verehren sollen vnnd wollen / mit vnterthäniger Bitt [. . .].“ 161 Jetter, Art. Katechismuspredigt, 762. Vgl. dazu auch die Widmung zum Ersten Band der Dannhauerschen Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, Vorred, datiert 18. Mai 1642, v: „als einem rechten Theophilo und Liebhaber Gottes und seines Worts / einem rechten Erwehler des besten Theils / der nimmer von ihm soll genommen werden; der wie sonst auch andere / also auch diese meine geringfügige Predigten / von Anfang bißher / auch mit Abbruch und Hindansetzung leiblicher Ergötzligkeit / mit eifriger und brünstiger Andacht besucht / und sich weder von Unbequemlichkeit der Zeit / noch andern weltlichen Hindernussen abhalten lassen: [. . .]“

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Fortschritt als um eine erste Einweisung, was für seine Verwendung der Milchmetapher durchaus Konsequenzen hat. Zwar ist die Ursprungsaspektualität der Milchmetapher in ihrer Anwendung wie ganz generell so auch bei Dannhauer schwer von ihrem Finalitätaspekt trennbar, und es ist daher nicht wirklich überraschend, wenn sich beide Aspekte bei Dannhauer in mehr oder minder stetiger Durchmischung vorfinden. Dennoch sind sie phänomenologisch voneinander zu unterscheiden und erscheinen auch in den Texten sehr gezielt von Dannhauer platziert an je anderen Orten, zumal in den dei programmatisch und prologartig zur Titelmetapher sich äußernden „Eingangs=Predigten“ zum ersten Band und zugleich zur ganzen Sammlung. Sie gehen alle drei aus von Hebr 5, 11 f. – „Und die Ihr soltet längest Meister seyn/ bedörffet Ihr wiederum/ daß man euch die erste Buch=staben der Göttlichen Wort lehre / und daß man Euch Milch gebe / und nicht starcke Speiße.“162 –, der als Text der ersten Predigt und zugleich aller dreier Predigten fungiert. Es verfügt also, streng genommen, nur die erste über einen expliziten Text, während die andern beiden im Grunde Themenpredigten sind, die sich an die erste Predigt und deren Text anschließen, indem sie ihn sukzessive unter je einem andern „Umbstand“163 auslegen, sich zudem aber auch durch teilweise in sich wiederum mannigfaltigen biblischen Motiven und Zitaten inspirieren. Dannhauer spricht genauerhin von drei „Umständen“des Textes:164 Wann wir aber zum Anfang und Eingang unsers Fürhabens sonderlich diese Euer Lieb fürgelesene wenig Wort erwehlet / darinn als in einer Apostolischen invectiv und Verweisung / der Apostel Paulus / als nunmehr ungezweiffelte Meister dieser Epistel / seinen Hebreern fürhalt / errstlich Debitum profectus Christiani, ihre Schuldigkeit und Pflicht/ krafft welche sie hätten schon längst starcke Speise verdauen lernen/ ja gar anderer Leut Lehrer und Meister seyn: 2. Praesens necessarium, was dißmahl ihnen nöhtig/rahtsam und nutz sein werde/ nemlich Catechismus=Milch und Buchstaben Lehre. Zeigt 3. den rechten Wegweiser zum ewigen Leben/ und zugleich salutaria Ubera verbi divini/ die gesunde und heilsame Brüste des Worts Gottes/ darauß einig und allein erstgemeldte Catechismus-Milch fließen müsse.

Jeder „Umbstand“165 wird in der jeweiligen Predigt selbständig als deren eigentliches Thema behandelt, doch eben so, dass alle drei Umstände der Reihe nach je einen Teil von Hebr 5,12 auslegen. Die erste Eingangspredigt behandelt vor allem Beginn und Ende von v. 12 („Ihr bedürft immer noch der Milch,

162 Dies entspricht dem in Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 1, gegebenen: „Eingangs=Text / Auß der Epistel an die Hebreer Cap. V. v. 11 [sic; recte: v. 12].“ 163 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 3. 164 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 2 f. 165 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 3.

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obschon ihr längst Lehrer sein müsstet, wegen der Zeit“) und handelt damit über den Fortschrittsgedanken als der Notwendigkeit des durch den Katechismus zu erlangenden Erkenntnisgewinns. Zielpunkt dieses Fortschrittes ist die scientia im Sinne von Weissagung, mithin eine aktive, eigene, selbständige Ansage des Glaubens nach außen. Gott hat den Weg dazu geebnet durch Luther, der im Kleinen Katechismus dieses Wissen sowie dessen Vermittlung möglich gemacht hat. Dieses Wissen um den Glauben und seine Inhalte ist daher nicht ein adiaphoron, sondern integraler Bestandteil des Glaubens selber. „Milch“ steht hier also als Sinnbild für den Glaubensinhalt, sowie zugleich als implizite Wegemetapher, nämlich für den durch die Aneignung dieses Wissens zu gewinnenden Glaubensfortschritt. Die zweite Eingangspredigt thematisiert vor allem v. 12b: τὰ στοιχεῖα τῆς ἀρχῆς. Der Katechismus erscheint hier als στοιχεῖον, als Elementargut des Glaubens, aber auch als eine Elementarordnung, die in sich strukturiert ist, mithin als Weg und als methodus. Die dritte Eingangspredigt stützt sich vor allem auf v. 12b, indem sie die Notwendigkeit erläutert, τὰ λόγια τοῦ θεοῦ zu erfassen und von anderen Botschaften und Lehren zu unterscheiden. Sie stellt dem in den ersten beiden Predigten statuierten Weg des wahren Glaubens drei falsche entgegen. Es zeichnet sich so ein kunstvoll verwobenes Gesamtgeflecht eines homiletischen Prologs ab, der die apostolische Metapher in großem Bogen gesamthaft ausleuchtet und unversehens, subtil und sehr zielgerichtet zugleich, zu einer Wegemetapher werden lässt. Dennoch bewahrt jede dieser Eingangspredigten den Charakter einer durchaus selbständigen Themenpredigt, deren jede in einem je andern Gottesdienst ein anderes Anliegen mit eigenständigen rhetorischen Mitteln transportierte.

5.3.1 „Milch“ als pädagogische Metapher 5.3.1.1 Erste Eingangspredigt In der ersten Eingangspredigt bewegt sich Dannhauer noch fast gänzlich im Rahmen der Tradition, sowohl der Tradition der Katechismuspredigten wie auch des allgemein üblichen Umgangs mit der Milchsymbolik: Beim Katechismus handelt es sich um Wissensgut, ein Gut, das wie die Milch zu erwerben ist, um es anschließend allmählich zu erweitern und schließlich hinter sich zu lassen. Ebenfalls längst zur Tradition geworden war natürlich auch die Begründung, dass aufgrund des besonderen Gnadenerweises an die deutsche Christenheit durch das besondere Gnadenwerkzeug Gottes in der Person Luthers eine gewisse Minimalerwartung an sie berechtigt war und sein musste. Originell scheint hier zwar die schöne Metapher, dass dank dem Genie „des hocherleuchten Werckzeugs und Manns GOttes Lutheri seligen“ der Bibel Flügel verliehen wurde, denn „der

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allgütige GOTT hat seiner lieben Bibel / durch die von ihm in den letsten Zeiten beschehrten Buchtrucker=Kunst / deren die Alten entrahten müssen / gleichsam Flügel gemacht / daß sie allenthalben hingeflogen / und in Teutscher Muttersprach hat können von den Einfältigen gelesen und verstanden werden“, zumal sie auch auf niederen Schulen gepflegt wird, und so zur Verbreitung reformatorischer und gelehrter Bibelauslegung beiträgt. Dannhauer erklärt nicht ohne Stolz, dass „allein auff dieser Cantzel“, nämlich eben der des Straßburger Münsters „in wenig Jahren die Prophetische und Apostolische Bücher Altes und Neuen Testaments allesampt erkläret worden“.166 Herkömmlich ist ebenfalls das Verdikt, wonach das Volk diese Chance nur sehr teilweise genutzt habe, so dass „der gerechte GOtt seinen alten methodum herfür sucht“ und die Unwilligen mit „kräfftigen Irrthumen strafft“. Zwei Mahnungen in dieser ersten Predigt gehen über die Aneignung wenig umstrittener Konventionen hinaus und geben ihr ein typisch Dannhauersches Profil, das in die ganze Sammlung hineinstrahlt. Sie sind miteinander verknüpft, wobei die Verknüpfungslogik sowohl in der von Dannhauer gewählten Richtung wie auch im umgekehrten Sinne funktioniert. Einerseits betont er sehr stark, stärker als die meisten seiner Vorgänger und Zeitgenossen, die verstandesmäßige Seite der Katechismuspraxis. Wenn der Apostel so dezidiert der Ansicht ist, dass die Empfänger des Hebräerbriefes eigentlich weiter sein müssten, meint er dies laut Dannhauer im Wortsinn, nämlich im Sinne des „Fortschrittes“ in der christlichen Religion, laut dem Nebentitel „De debito profectus in Christiana religione. Von der Pflicht des Wachsthums in Christlicher Religions=Erkanntnuß“. Der vom Brief betonte Unterschied zwischen Milch und fester Speise ist aber nicht ein Allerweltsvergeich, sondern ein spezifisch pädagogisches Bild, was für Dannhauer primär eine intellektuelle Komponente mit einschließt. Er weist darum nachdrücklich darauf hin, dass Paulus denselben „Unterscheid und methodum“ auch anderswo vornimmt, nämlich in 1. Kor. 3,2, jenem Passus also, den die Abschlusspredigt der Catechismus-Milch167 anschließend wieder aufnehmen wird. Laut einer gegen Ende der Predigt gezogenen Folgerung Ist derowegen profectus agnitionis divinae, das Wachsthum und das Zunehmen in Erkantnuß GOttes und reiner Religion kein Mittelding / sondern uns Christen allesamt welt-

166 Es ist denkbar, dass im Stolz über die Straßburger „Cantzel“ die lange Zeit in der Stadt und weit darüber hinaus verbreitete Überzeugung anklingt, der Straßburger Johannes Mentelin (1410–1478) sei der primus typographiae inventor, vgl. Steiff, Art. Mentelin, Johannes, in: ADB 21 (1885), 370–373. 167 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 15 Predigt.

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lich und geistlich / gelehrt und ungelehrt / niemand ausgenommen / ein hochnothwendiges Stuck / als dessen Mangel der Apostel allhie seinen Hebreern exprobirt und fürwirfft / ein Stuck unserer Renovation und geistlicher Erneuerung / daß wir auch hierin dem verlohrnen Ebenbild näher kommen / und von einer Klarheit zur andern verklärt werden.168

Es geht also tatsächlich um Erkenntnis im Wortsinne, um gedankliche Aneignung und geistige Auseinandersetzung mit den Inhalten des Glaubens. Ohne Erkenntnis Gottes ist die Gefahr des Irrtums und damit der Apostasie groß. Ganze Städte wurden mit falschen Religionen angesteckt, „allein darum / dieweil der Satan der Inwohner muthwilliger Einfalt und Ignorantz zu seinem Vortheil meisterlich wollen zu mißbrauchen“.169 Darum muss ein jeder Christ in der Lage sein, selbständig und möglichst reif, nicht etwa wie ein Papagei, Gott den von ihm geforderten vernünftigen Gottesdienst zu leisten (Rm 12,3). Sehr willkommen ist daher die Einfalt, welche die Vernunft für den Glauben relativiert, nicht aber jene, die der Offenbarung wie ein Kind seiner Mutter folgt, und schon gar nicht jene des Köhlerglaubens, der sich blind führen lässt, ohne irgend eigenes Urteilsvermögen aufzubringen. Zwar können wir jetzt Gott nicht von Angesicht zu Angesicht erkennen, denn erst dereinst wird es Gegenstand der himmlischen Schule werden. Doch die „am fürstehenden Jüngsten Tag“170 erfolgenden „Promotiones in die höhere Schul“171 haben den Sinn, die „præmia“172 aufgrund des Fleißes in der Gottgelehrtheit hienieden zu verteilen. Darin ist einerseits für Dannhauers Denken typisch, dass der römischen Kirche stets hauptsächlich ihr Konzept der fides implicita vorhalten wird. Dennoch will auch Dannhauer, und hiermit setzt der zweite, spezifische Akzent in dieser Predigt ein, keine institutionell vorgenommene Intellektualisierung des Glaubens, in der das Ideal eines Gläubigen demjenigen eines Universitätstheologen gleichgesetzt würde. Er präzisiert darum, dass er nicht kleine Pfarrer oder Dozenten heranbilden möchte, vielmehr mit dem Apostel den „gradum profectus“173 seiner Gemeindegliedern darum anmahnt, weil sie zwar in der Tat „längest Meister seyn“174 sollten, doch nicht „ratione vocationis, dem Beruff nach“175, also nicht für das öffentliche Predigtamt, sondern

168 Catechismus-Milch, DWV 97, 7. 169 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 7. 170 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 9. 171 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 9. 172 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 9. 173 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 4. 174 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 4. 175 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 4.

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„ratione scientiae, wegen der Wissenschafft“176. Letztere beiden Termini sind dahingehend zu begreifen, dass Wissenschaft letztlich schlicht Wissen um etwas heißt und scientia gleichviel wie schlichtes scire beutet, also nicht eine technische Fähigkeit zur fachgerechten Handhabe theologischen Materials auf Universitätsniveau. Vielmehr meint es einfach die Möglichkeit des Individuums, die Inhalte des Glaubens begreifen und aktiv wiedergeben zu können. Nötig ist vor allem der Verstand, nicht nur äußerliches Reproduzieren der Worte; am besten wäre es, man wiederholte wie in der mündlichen Einzelbeichte auch die Predigten jeweils in individueller Mündlichkeit.177 Dementsprechend lautet auch der Vorwurf des Briefes, nicht nur allgemein, dass die angesprochenen „Hebreer [. . .] der Zeit nach“ hätten „proficiren“ können und müssen. Er ergeht mit größerer Genauigkeit in einer Summa / ihr hättet Mosis Wunsch sollen wahr machen / Wolte GOTT daß alle das Volck des Herrn weissagete: An euch hätte sollen erfüllet werden die Propheceyung Joëlis: Euere Söhne und Töchter hätten sollen weissagen / euere Aelteste Träume haben / euere Jünglinge Gesichte sehen. Auch über euere Knecht und Mägde hätte der Geist des Herrn sollen sich ergiessen178.

Jeder und jede aus allen Altersschichten sollen in der Lage sein, die Glaubenswahrheiten überzeugend wiedergeben zu können, und mithin zu weissagen. „Weissagen“ war zwar besonders im reformierten Raum unter Berufung auf den ersten Korintherbrief als „prophezeien“ zum terminus technicus und zum Synonym für die professionelle Bibelauslegung geworden, obschon in allen diesen „prophezeienden“ Auslegungsorten, zu denen auch und besonders Straßburg gehörte, die ursprüngliche Absicht genau umgekehrt dahingehend verlief, den universellen Gemeindecharakter der pneumatisch-prophetischen Schriftauslegung zu betonen. Diese Spannung zwischen den drei Polen der Schriftgemäßheit der Lehre, der Autorität der Lehrenden aufgrund der Kenntnis der Schriftsprachen, sowie der im Sinne des allgemeinen Priestertums potentiell schrankenlosen Zugänglichkeit durch das Prinzip der prophetischen Auslegung standen dort in nicht unparadoxaler, aber produktiver Spannung zueinander. Ähnliches wiederholt sich hier in Dannhauers Katechismustheorie. Für ihn gilt

176 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 4. 177 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 20: „Das wäre allererst die rechte in der uralten Christlichen Kirchen übliche privat-Confession (nicht die hernach im Papstthum auffgekommene Gewissens-Tortur und particular=Sünden=Beicht / wann man die Predigten auch in privat=Gespräch zu wiederholen / Anlaß haben möchte / ubi unius horulæ spacio plus proficit laicus quàm triduana concione, da ein gemeiner Ley in einer Stund mehr proficiren und lernen möchte/ als in dreytägigen Predigten.“ 178 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 5.

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es, den gradum profectus, den Grad, oder wörtlich den Schritt, an Fortschritt, hin zu eigener Weissagungs- oder schlicht Aussagefähigkeit zu erweitern. Es geht dem Straßburger Katechismusprediger nicht darum, von einem gesellschaftlichen oder institutionenbezogenen Zustand zu einem andern zu wechseln, sodass der Abstand zwischen Volk und Klerus ein relativer bleiben konnte. Das Wissen der Christen allgemein und das Wissen der professionellen Vertreter des Christentums sind nicht grundsätzlich, sondern nur graduell zu trennen, was Dannhauer bereits hier mit dem in der Hodosophie dann breiter erklärten Begriff des gradus erläutert. In deren in so vielerlei Hinsicht zentralen Definitio bestimmt er sowohl den Unterschied zwischen theologischer Wissenschaft und Glaube179 wie auch jenen zwischen katechetischer und epoptischer, wissenschaftlicher Theologie180 als einen solchen des Grades an materialer Durchdringung der Inhalte, nicht aber als einen solchen des Status oder der Dignität der sie jeweils betreibenden. Genau davon handelt näherhin die zweite Eingangspredigt, ein wahrhaftes Meisterstück in der Verschränkung verschiedener Gedankenlinien aus verschiedenen Disziplinen. 5.3.1.2 Zweite Eingangspredigt „Die Andere Eingangs=Predigt. De præsenti necessario. Von dem nöthigsten Stück unsers Christenthums/ dem Catechismo insgemein/ was das Catechismi Natur und Eigenschafft sey?“181 baut ihre Einleitung auf Verheißungen aus dem Alten Testament auf. In ihnen verheißt Gott dem bedrängten Volk „ein Land genennet da Milch und Honig innen fleusst“182, wie unter Anführung

179 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 7: „Convientia & Differentia Theologicæ Scientiæ & Fidei. Conveniunt (1) Auctore [. . .] 2. Objecto. [. . .] Differunt in mevnsurâ 1. Extensivâ, Fidei satis est, scire ad salutem necessaria [. . .] At Theologia latius se effundit in totum corpus Biblicum plenè tractandum è linguis fontalibus cum versionum collatione, exponendum, ac expoliendum, conciliandum, ubi enantiophaniæ occurrunt, ex historia, chronologia, topographia illustrandum, ab ænigmatum misturis evolvendum, consequentiis extendendum, à spiritibus planeticis vindicandum ac expoliendum. [. . .] 2. Intensione gradus. Fides perfectionis gradum tenet ad soliditatem usque. Theologia ad gradus perfectionem contendit. 3. Protensione, Fiduciæ quidem alendæ tota debetur vita, at fideI lumen catechesi finitur, locum relinquit aliis quoque studiis secularibus. Theologia semper die ac nocte vacat rebus divinis unicis unicè.“ 180 Oδοσοφια christiana, DWV 120, 7 f.: „5. Epoptica à Catecheticâ diversa, non substantiâ, sed gradu & quantitate luminis non gradu perfectionis, sed perfectione gradus. εἶδος διδασκαλικὸν Clementi Alexandr. geminum est, τὸ μὲν τῆς παιδαγωγίας, τὸ δὲ ἐποπτικὸν, Philosophis illud ἀκουσματικὸν, ἐξωτερικὸν, στοιχειῶδες, hoc μαθηματικὸν, ἐσωτερικὸν, ἀκριβέστερον. [. . .] Illa [sc. Scientia] non pollent fideles plurimi, pollent tamen ipsa fide plurimum.“ 181 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 10. 182 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 10. So auch die folgenden beiden Zitate.

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besonders von Ex 3,17; Num 13,28 und Deut 8,11.32 breit geschildert wird. Obschon Dannhauer Wert darauf legt, dass nicht etwa nur biblische oder jüdische Autoren dieses Land und seine Gaben schätzen und rühmen, sondern etwa auch Tibull oder der Heide Rabsace nach 2 Kön 18, 32, betont er doch, wie entscheidend es sei, dass die entsprechenden Ansagen Gottes und seiner Propheten schon hier „nicht nach dem Buchstaben / sondern verblümter und Sprichwortsweiß zu verstehen“183 seien. Milch und Honig sind zwar als Nahrungsmittel reale Gegenstände, doch ihre eigentliche Funktion ist diejenige einer pars pro toto, eines Zeichens, das „von einer glückseligen / gesegneten und überauß fruchtbaren Landschafft / deren Adel in solchem Gleichnuß wird fürgetragen“. Die Zeichen sind als solche Vorankündigungen, Prolepsen innerhalb der Geschichte des Volkes Israel. Doch gibt Gott, so erklärt Dannhauer weiter, auch weitere auf der Milch beruhende Verheißungen typologischen Charakters, die auf den Antitypus des Christus hinweisen und „mit ebenmässig verblümter Rede die Geistliche Glückseligkeit und herrlichen Adel des Reichs Christi“184 beschreiben. Zu dieser Kategorie gehört nebst Joel 4,18 vor allen Dingen Jes 55,1, jener Vers, der in der Frühen Neuzeit generell, wie wir bereits festzustellen Gelegenheit hatten, eine prominente Rolle in der bildenden Kunst einnimmt, wenn die Präsentation des Christus sich medizinischer Bildfelder bedient.185 Dannhauer bezieht diesen Vers, in dem „ohne Geld / umsonst beyde Wein und Milch“186 versprochen werden, nun nicht einfach nur allgemein auf das neutestamentliche Christusgeschehen, sondern näherhin auf die im Neuen Testament anhebende, aber darüber hinaus führende Praxis des katechetischen Unterrichts. Dies gibt nicht nur Gelegenheit, die beiden von Jesaja erwähnten Getränke im Gefolge der Väter, von denen Tertullian und Hieronymus namentlich genannt werden, allegorisch passgenau auszudeuten, insofern die Milch zur „zarten Catechismus-Milch“187, der Wein aber zu „starckem Getränck / der höheren und vollkommenen Erkanntnuß GOttes“188 erklärt werden kann. Die „Mutter und erste Mutter=Kirch des Neuen Testaments“189 hingegen zeigt sich in dieser Optik nicht nur als Mutterfigur, die ihren „quasi modo genitis den neugetaufften Christen Milch und Wein zu trincken“190 gibt, sondern auch als „das

183 184 185 186 187 188 189 190

Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 10. Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 11. S. oben S. 293f. Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 1 11. Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 1 12. Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 12; für beide Zitate. Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 11. Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 11.

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rechte Geistliche Canaan“191, so dass die Linien zwischen den Testamenten säuberlich und vor allem umfassend ausgezogen werden. Daran anknüpfend nun bringt er gegen Ende der Einleitung eine weitere innerbiblische Linie ein, indem er sie in Verbindung bringt mit dem Passus von Hebr 5,12, der den ganzen Zyklus der Einleitungspredigten trägt. So wie Milch und Honig oder Milch und Wein als eingängige, von allen rasch zu begreifende Zeichen und Angeld für das versprochene Ganze des verheißenen Landes oder des verheißenen Christusreiches stehen, so steht im Hebräerbrief Milch als Zeichen und Angeld für das Ganze der Lehre, mithin als Symbol des Katechismus. Dies ist weniger banal, als es scheint, denn die Erklärung des Symbols, wie sie „in dem andern Haupt=Umstand“192 von Hebr 5,12 getätigt wird, wirft ein sehr weitreichendes, helles Licht auf die Natur der Metapher als solche und die daraus zu ziehenden Konsequenzen für die didaktische und homiletische Vermittlung in der Gegenwart der Predigt Dannhauers und des Luthertums allgemein. Milch legt nämlich „den Catechismus in verblümten Worten / und Gleichnussen eines elementalis und ABC=Lehr / und der Milch / Speiß oder Milch=Tranck für Augen“193. Mit „zwo sehr nachdencklichen phrasibus und Worten / wann er den lieben Catechismum nennet / τὰ στοιχεῖα τῆς ἀρχῆς τῶν λογίων τοῦ θεοῦ, die ersten Buchstaben der Göttlichen Wort / und dann χρείαν γάλακτος die Nothwendigkeit der Milchspeiß“194 unterteilt der Hebräerbrief den Catechismus nach seiner Natur und seiner Dignität, also nach Wesen und Bedeutung. Die Natur des Catechismus, sein eigentliches Wesen, besteht darin, τὰ στοιχεῖα zu vermitteln, welchen Begriff Dannhauer im Singular auf deutsch mit Entwurf, Abriss, Vorschrift, Fürbild, auf lateinisch mit idea oder principium übersetzt.195 Damit wird der Katechismus, der Text des Kleinen Katechismus Luthers,

191 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 11; für alle drei Zitate. 192 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 12. 193 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 12. 194 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 12. 195 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 12 f.: „Das griechische Wort στοιχεῖον heist 1. so viel als den ersten Entwurff / Abriß und Vorschrifft in der Bau= Mahler= oder Schreib=Kunst / darauff man hernach bauen / mahlen oder schreiben soll: das Fundament einer Kunst / welches der angehende Schuler und Lehrjung zuvor recht legen / fassen und begreiffen muß / soll er anders ein Meister und nicht ein Stümpler werden. Ist ein Gleichnuß / genommen von den natürlichen Elementen / als da sind Feuer / Lufft / Wasser / Erd / aus welchen als ersten principiis und ursprünglicher Materi alle natürliche Geschöpff und Werck zusammen gefügt und vereinbart werden / dieselbe werden von den Griechen genannt στοιχεῖα Elementen / sonderlich auch von Petro: darum dann auch Gleichnußweis die Mosaischen Figuren und Gesetz (als Abriß / so im Neuen Testament deutlicher und heller illumi-

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vorerst selber zum Maßstab aller weiteren Lehrvermittlung an die Anfänger in der Kirche. Scheinbar entgegen der bis dahin bereits etablierten Verankerung der Katechismuspredigt in der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie durch das zeitgenössische Luthertum wird so hier der Katechismus nicht prinzipiiert, sondern ist selber Prinzip. Zwar breitet der Prediger Dannhauer sich nicht im Detail über die Zusammenhänge aus. Dennoch ist offenkundig, dass er den Katechismus in die Position eines veritablen principium befördert. Inwieweit diesem Prinzip nun dieselbe Autorität und Dignität eignet, wie der Heiligen Schrift selbst, bleibt eine Frage, die der Autor – sehe ich recht – nicht direkt anschneidet. Sie berührt aber den heiklen Punkt des Verhältnisses zur Bibel, das die Lutherschen Katechismen sowie die Confessio Augustana, die beiden im kirchlichen Gebrauch zentralsten Bekenntnisschriften, je einnehmen. Die Unterschiedlichkeit von normierender Norm und normierten Auslegungen scheint in der Hoch- und Spätorthodoxie faktisch teilweise angeritzt. So oder so ist offenkundig, dass bei Dannhauer eine bewusste Homonymie hergestellt wird zwischen der – vielleicht auch aus Anschaulichkeitsgründen erwähnten – vorsokratischen Elementenlehre nebst deren Auffassung als Prinzipiensystem und dem für die neoaristotelische Philosophie und speziell für die tübingisch-straßburgische Naturphilosophie und, in anderem Sinne, auch für die dortige Logik so wichtigen Term der στοιχεῖα, der, wie wir sahen, in Hebr 5 erscheint. Damit ist die Sinnfülle dieses nicht zu unterschätzenden Begriffs des στοιχεῖον noch nicht erschöpft. Στοιχεῖον als Element und als Prinzip kann in dem für Dannhauer wie für seine Zeitgenossen so sehr auf die Methodenlehre ausgerichteten Theologiebegriff nichts anderes als eine methodus darstellen. Die Prinzipien- oder Prinzipiierungslogik wird hier mit der Methoduslogik verschränkt,196 was sie in

nirt und erleuchtet werden sollen) elementa mundi, das ist / wie es Lutherus verdolmetschet / die schwache und dürfftige Satzungen genennet werden. Weil nun im Christlichen Catechismo auch gleichsam die idea, und wie die Schrifft redet / die ὑποτύπωσις ὑγιανόντων λόγων, das Fürbild der heilsamen Lehr / das Fundament und der Grund unsers Glaubens begriffen / deren jenigen Lehren die uns zum Glauben / dessen Anweisung und Ubung zufassen und gründlich zu verstehen vonnöthen; also nennets daher der Apostel στοιχεῖα τῆς ἀρχῆς, die Anfangslehr / die ersten Buchstaben / sintemahl / Buchstaben sind das Fundament aller Lehr und Weißheit.“ 196 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 13: „2. So heißt στοιχεῖον so viel als eine wolgefaste Ordnung / Uhr und Richtschnur / nach dero Anweisung ein Baumeister bauen / ein Wandersmann reisen / ein Kriegsmann kämpffen und streiten muß / allermassen wie in solchem Verstand der Apostel in unterschiedlichen Stellen dieses Wort gebraucht. Ist also der Catechismus die cynosur und Wegweiser unserer Wanderschafft zum ewigen Leben / die Schlacht=Ordnung unserer Geistlichen Ritterschafft / die Regul unsers Glaubens und Lebens.“

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eine Nähe zu allen Arten von Kunstlehren bringt, von denen Dannhauer namentlich die Architektur, die Kartographie und die Kriegskunst anführt. So wie diese Künste ihre Regeln und Ratgeber kennen, so wurde die Kunst, das ewige Leben zu erlangen, seit jeher einer Lebensreise oder Reisekunst oder auch einer Kriegkunst sui generis verglichen. Sie hat daher ihren eigenen „Wegweiser“197 (oder auch ihre eigene „Schlacht=Ordnung“198), den Ablauf der Teile der Lutherschen Katechismen, den Dannhauer hier ausführlich und programmatisch ganz unter das Zeichen des Weges stellt, was hier in voller Länge zitiert zu werden verdient: „Es wird uns in demselben in schöner anmuthiger Ordnung und Verfassung der sechs Hauptstück Christlicher Religion fürgelegt 1.

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3.

4. 5. 6.

Erroris humani labyrinthus, unsere Irrwege / darauff wir stehen und gehen / wann in den heiligen Zehen Gebotten zwar der rechte / aber uns nach dem traurigen Sündenfall unmügliche Wege wird gewiesen / und angezeigt / wie weit und fern wir von diesem Weg abgewichen / und demnach Ursach haben an uns selbs und eigenen Kräfften zu verzagen / mit David zu klagen: Ich bin wie ein verirret und verlohren Schaaf. Viae rectae asylum, der rechte / verständige / von dem Sohn Gottes selbs gebahnte Weg des Glaubens / wann im andern Stuck des himmlischen Vaters barmhertzigste Vater=Hertz / als die Quell unsers Heils eröffnet: der Weg / die Warheit und das Leben selbs / unser Prodromus und Fürläuffer JEsus Christus geoffenbahrt: der Janitor und Thürhüter des rechten Schaafstalls der Christlichen Kirchen / der heilige Geist / und dessen Ampt / sampt Vergebung der Sünden / Aufferstehung des Fleisches und das Ewige Leben wird fürgehalten. Viae suave colloquium, was unser Reiß-Gespräch seyn soll / und wie wir im Gebett mit GOTT unserm himmlischen Vater reden / sein Schatzkammer geistlicher und leiblicher Güter öffnen / und ihm unserm Reißführer das Hertz abgewinnen sollen. Viae praesidia, die heilsame Reißmittel des geistlichen Seelenbads und Reißkleids / so wir in der heiligen Tauff anziehen: so dann die geistliche Speiß und Tranck / ja der geistliche Zehrpfennig des hochwürdigen Abendmahls. Erronei recidivatus revocamentum oder fistula revocatoria, [14] der geistliche Widerruf oder Wiederkehrung der Buß / so wir irgends vom Teuffel / der Welt / unserm Fleisch und Blut übereilet worden. Dahin dann schließlich auch gehören die außbündige schöne Hauß=Reguln / so einem jeden Stand in der Hauß=Tafel vorgelegt werden.“199

197 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 13. 198 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 13. 199 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 13.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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So ist auch in dieser zweiten Eingangspredigt (scheinbar) unversehens aus der Nahrungsmetapher eine Wegemetapher geworden. Wiederum ist die Anlehnung an den Methodenbegriff der neoaristotelisch-zabarellistisch-straßburgischen Logik in faszinierender Weise zu sehen, insofern der dort so zentralen Entgegensetzung von wahr und falsch hier diejenige von Gesetz und Evangelium gleichgestellt wird. Tertium comparationis beider Allegorien ist der Gegensatz von Labyrinth und Ausweg daraus oder auch zwischen Irrweg und rechtem Weg. In einem apodiktisch gefassten System der Logik ist diese Aufteilung mehr oder weniger gegeben, wie leicht einzusehen ist und wie wir in vorliegender Studie bereits zu skizzieren Anlass hatten. Im Rahmen der Katechismusinterpretation wird sie dadurch gegeben, dass nach Ansicht vieler Ausleger sowohl der frühen Neuzeit wie auch der Gegenwart letztlich nur zwei Hauptetappen in der Anordnung der Grundtexte oder Hauptstücke vorhanden sind, nämlich der Dekalog als Anspruch des Gesetzes und das Glaubenssymbol als Ansage des Evangeliums, dem das Vaterunser als vergegenwärtigende und eschatologisch antizipierende Größe beigesellt und faktisch untergeordnet wird.200 Auch Dannhauer kennt nur zwei Hauptetappen oder Scharnierelemente, nämlich das Labyrinth des unerfüllbaren Gesetzes und Ausweg aus demselbigen; alle anderen Hauptstücke werden alle indirekt als „Reiß=mittel“201, als Weggeräte oder –ausrüstung charakterisiert: das Vaterunser als Reisegespräch, die Taufe als Reisekleid, das Abendmahl als Zehrpfennig und die Beichte als fistula revocatoria, was wohl wörtlicher als bei Dannhauer mit Rückkehrpfeife übersetzt werden darf, und der auch die in Straßburg als sechstes Hauptstück verstandene Haustafel zugeordnet wird. Die Präsentation des Katechismus geschieht hier also einerseits als klarer Zweischritt und insofern auch Fortschritt von Gesetz zu Evangelium – wobei freilich, was auch zur modernen Diskussion in dieser Frage einen nicht unerheblichen Beitrag bedeuten könnte, das Labyrinth nie wirklich hinter sich gelassen werden kann, der Fortschritt also als bleibende Dialektik aufzufassen ist. Unzweifelhaft haben wir es hier mit der Geburtsstunde des Dannhauerschen Wegekonzeptes zu tun. Wenn Dannhauer in der zweiten, umfangreicheren Hälfte der zweiten Eingangspredigt „Catechismi dignitas“202 in vier inhaltsschweren Kategorien entfaltet, nämlich – „1. Ob naturalitatem. [. . .] 2. ob antiquitatem. [. . .] [17] 3. ob sinceritatem. [. . .] [18] 4. Ob effectuum salubritatem.“203 – so tut er dies einerseits in breiter Anlehnung an die bisherige

200 Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, passim, programmatisch schon im Titel des § 1, Bd 1, 45–66: Gesetz und Evangelium [. . .]. 201 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 13. 202 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 14. 203 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 14.

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Geschichte der Katechismuspredigt. Besonders, was die antiquitas des Katechismus angeht, der erstmals bereits im Paradies als Protevangeliumskatechismus an Eva gepredigt wurde, ruft er die zu seiner Zeit bereits herkömmlich gewordenen Bestände in der biblischen Herleitung der lutherischen Praxis ab. Dass Ps 34,12 den Katechismus meint, scheint Dannhauer zwar selbstverständlich, doch eben darum, weil er es so in den zahlreichen psalmocatecheseis der Nachreformationszeit angetroffen hatte. Er tut es andererseits, weil jegliches Lob der Qualitäten des Katechismus dazu geeignet ist, dessen Charakterisierung als Prinzip der Lehre für Kinder und Erwachsene zu plausibilisieren. Das gilt vor allem auch für die naturalitas der Milch als Nahrung, welcher sowohl zeitlich wie auch qualitativ nichts vorangehen kann, so wie ein „Prinzip“ seinerseits definitionsgemäß nicht hintergehbar sein muss. Dannhauers durch den Titel gegebenes Ziel der zweiten Eingangspredigt, die unbedingte Notwendigkeit des Katechismus zu erweisen, ist somit erreicht.204 Aus ihr leitet Dannhauer Catechismi perfectio ab, denn „daß der Catechismus kein Stümpel=Lehr, sondern ein vollkommene Fundamental=Lehr sey“205, geht aus der Unübertrefflichkeit seiner Qualitäten hervor. Das wiederum heißt, dass die Unterscheidung von akademischer Theologie und Katechismuswissen nicht qualitativ vorgenommen werden kann, so dass der Vollzahl der Glaubensartikel eine reduzierte Zahl von sogenannten Fundamentalartikeln gegenüber zu stehen käme. Der Katechismus umfasst vielmehr das Ganze des christlichen Glaubens, wenngleich in graduell einfacherer Darlegung als in der universitären Theologie. Die zweite Eingangspredigt endet daher auf exakt demselben Ton wie die erste, indem sie hier auf der Ebene des materialen Inhalts der Lehre wiederholt, was die Vorgängerin auf der Ebene der sozialen Trä-

204 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 19: „Ist also kürtzlich der Catechismus ein Fürbild der heilsamen Lehr/ ein summarisches oder vollkommenes Fundament unserer Christlichen Religion / die Ordnung nach deren wir glauben und wandlen müssen: die erste / ältiste / reineste / lieblichste und gesundeste Speiß unsers geistlichen Lebens in Christo. Und demnach / welches aus der definition per se folgt. 1. eine hoch=nothewendigste Lehr / eine Lehr von umungänglicher Nothdurfft: so noht einem Baumeister das Fundament: einem Mahler der Abriß: einem Kriegsheer die Ordnung: einem Wandersmann der bey Nacht reiset / das Liecht: einem jungen Kind die Milch: einem Schüler das ABC. so nöthig ist auch diese Lehr / und derselben rechte und gesunde Verstand.“ 205 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 21: „Es folgt aus oberörterter definition und Beschreibung / zum andern Catechismi perfectio, daß der Catechismus kein Stümpel=Lehr / sondern ein vollkommene Fundamental=Lehr sey / darinnen gnugsam begriffen / alles das jenige / was einem gemeinen Christen zur Seligkeit und Christlichem Wandel vonnöthen / ob gleich hernach dieselbe je länger je mehr illuminirt / complirt und erläutert soll und mag werden.“

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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ger der Lehre einschärfte. Dieser für Dannhauer durch seine Wiederholung in seiner Zentralität herausgehobene Punkt steht nicht zuletzt auch in einer Kontinuität zu Luther selbst, für den sowohl materiell theologisch wie hinsichtlich des sozialen Habitus seine eigene Theologie aus dem Kleinen Katechismus herkommt und zu demselben zurückleitet.206 Der nur graduelle Unterschied zwischen Theologie und kirchlichem Unterricht ist jedoch nicht die allerletzte Unterscheidung, die in dieser zweiten Predigt vorgenommen wird. Ein Schlussparagraph, der im Grunde eher eine Überleitung zur dritten als einen usus oder eine adminitio, unterstreicht, wie wichtig es sei, dieses vollkommene Gut des Katechismus als depositum des reinen Glaubens an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Dies kann nur geschehen, wenn es nicht allein als methodus und Fundamentallehre, sondern zugleich auch als Regel und „Richtschnur“207 des Glaubens gehandhabt wird. 5.3.1.3 Dritte Eingangspredigt Die dritte Eingangspredigt „von der Norm und geistlichen Wolckenseul / dem bewährten Wegweiser zum Ewigen Leben / oder von den Brüsten der Catechismus=Milch der H. Bibel.“208 gibt eine Art Korrolar ihrer Vorgängerin. Deren Hauptaussage – die Katechismen Luthers als Prinzip kirchlicher Lehre – konnte selbstredend nicht ohne Präzisierung bleiben. Es gibt ja nicht nur den Lutherschen Katechismus, sondern beispielsweise auch katholische, denn „keine Religion ist so schlecht, sie habe nicht ihren Catechismus“209, wie Dannhauer später mehrfach in der Catechismus-Milch,210 unter anderem in der (hier zitierten) Schlusspredigt, formulieren wird. Da nun aber alle diese Katechismen auf

206 Vgl. BSLK 548,4 f. 207 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 22: „Endlich aber ist auch der Catechismus der Einfältigen Form und Richtschnur ihres Glaubens und Wandels / so sollen sie ihn auch nicht anders gebrauchen / als ein solch Glaubens= und Lebens=Liecht / nach dem Exempel deren / von denen Irenæus schreibet / welche alle Lehren und Religionen / so ihnen fürkommen / mit dem Symbolo Apostolico oder Articuln des Allgemeinen Christlichen Glaubens / conferirt und verglichen / angenommen was denselben gemäß / verworffen was zuwider. Demnach die jenige / deren Lehr mit unserm Catechismo und dessen reinen Verstand übereinstimmet / für Brüder und Glaubensgenossen erkennen und auffnehmen: meiden im Gegentheil deren Bekantnuß / so consanguinitate doctrinæ mit dem Glaubens=Geblüt uns nicht zugethan / auff daß wir auch dieses theure depositum unversehrt auff die Posterität fortpflantzen / und endlich des Glaubens End der Seelen Seligkeit darvon bringen / AMEN.“ 208 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 22. 209 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 329. 210 So auch Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 635.

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ihre Weise den Anspruch erheben, Ausdruck des Ganzen der christlichen Wahrheit und Glaubenslehre zu sein, ist die spezifische Differenz außerhalb ihrer selbst zu suchen. Katechismen eignet funktional gesehen Prinzipiencharakter, falls man sie aus der Perspektive der sich nach ihnen ausrichtenden Unterweisung betrachtet. An sich sind sie jedoch prinzipiierte Prinzipien, da sie sich ihrerseits an einer Norm zu orientieren haben, die ihnen extern und sachlich und zeitlich vorgegeben ist. Diese Norm ist natürlich das Wort Gottes, und in diesem Sachverhalt findet Dannhauer den notwendigen konkreten Anknüpfungspunkt dieser dritten Predigt zum Gesamtgefüge des Textes der Eingangspredigten, der unter anderem von den Logia, den Worten Gottes spricht: Der auszulegende Passus (5,12) im Hebräerbrief hält seinen Lesern die Notwendigkeit vor, immer noch τὰ στοιχεῖα τῆς ἀρχῆς τῶν λογίων τοῦ θεοῦ sich aneignen zu müssen. Freilich steigt Dannhauer auch in diese letzten Eingangspredigt nicht direkt vom biblischen Wortlaut und also nicht von den Worten Gottes her ein, sondern gestaltet eine Einleitung mit einer andern, wenngleich ebenfalls biblischen, Metapher von erhabener Anschaulichkeit. Er spricht von der „Majestät und Herrlichkeit“211 der Schechina Gottes in Gestalt von „Wolcken und Rauch des Tages / und Feuerglantz der da brenne des Nachts“212, bemerkenswerter Weise nach Jes 4,5, da diese Stelle traditionell als prophetische Zusage auf den Neuen Bund hin verstanden wird, und erst danach mit dem locus classicus der direkten biblischen Narration nach Ex 13,21. Entscheidend an dieser Säule ist nun nicht ihr bloßes Vorhandensein, sondern die unübertreffliche Vereinigung ihrer einzelnen Eigenschaften:213 Es war dieselbe Leitsäul eine rechte Wundersäul [. . .] 1. eine Göttliche / consequenter unfehlbare und vollkommene Leytseul [da geführt vom Engel des Herrn, dem Sohn Gottes] [. . .]; 2. Eine für sich selbs ansehenliche und Majestätische Säul [sich selbst bezeugend] [ [. . .]; 3. Ein allgemeine Leytsäul [. . .]; 4. Eine klare hell=leuchtende Säul / und gleichsam hellscheinende cynosur und Leitstern [. . .]; 5. Eine mächtige und kräfftige Säul / kräfftig zu erleuchten durch die Strahlen ihres Glantz; kräfftig zu unterweisen durch den Mund des Herrn.

211 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 23. 212 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 22. 213 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 22 f.

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Auch dieses, von Hebr 5,12 und der Realität sowohl der neutestamentlichen wie erst recht der barockzeitlichen Christen eher weit entfernte Bild, wird wiederum an den Grundtext zurückgebunden, da für Dannhauer der Autor des Briefes „den Catechismum στοιχεῖον und στοιχείωσις nennet und einem Zug vergleichet / da je eine Lehr der andern in schöner Ordnung und gleichsam Gliedweiß folgt / und immerzu das Absehen hat auff eine Leytsäul / auff einen Leytstern“214. Mehr als mit klassischer Philologie hat diese interessante Übetragung des griechischen Wortfeldes zwar mit der zur zweiten Natur gewordenen Überzeugung Dannhauers zu tun, dass ein geistliches Elementargut in seiner Struktur zwingend eine methodus zu sein und daher eine sukzessive Gliederung seiner Elemente beinhalten müsse, doch ermöglicht sie ihm zugleich den entscheidenden Parallelisierungsprozess im Rahmen des in dieser Predigt entwickelten Metaphernfeldes. So wie Israel in der Wüste seinen Weg zu gehen hatte, so obliegt der Kirche, „in der wilden Wüsten und Confusion der vielfältigen Religionen / den rechten Weg“215 zu finden, nämlich den rechten, wahren, von Gott selber beglaubigten Catechismus zu entdecken und sich an ihn zu halten.216 Dazu bedarf es nun aber nicht nur des Weges allein, aus dem einfachen Grund, dass es eben nicht allein einen Weg gibt. Das Kriterium aber, das es erlaubt, „den rechten Weg vom Irrweg“, unbildlich gesprochen „den rechten Catechismum von dem falschen“217 zu „unterscheiden“218 kann nur außerhalb seiner liegen. Es muss sich um eine Größe handeln, die sich einerseits auf den

214 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 23. 215 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 23. 216 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 23 f.: „Nun sind wir / meine Liebsten / nicht weniger als die Kinder Israel in der Wüsten / dieser argen Welt Pilgram / und haben hie keine bleibende statt / die zukünfftige suchen wir: wir wallen allesampt nach unserm Vaterland dem himmlischen Canaan / darum dann auch St. Paulus in unserm vorhabenden Text / den Catechismum στοιχεῖον oder στοιχείωσιν nennet / und einem Zug vergleichet / da je eine Lehr der andern in schöner Ordnung und gleichsam Gliedweiß folgt / und immerzu das Absehen hat auff eine Leytsäul / auff einen Letystern / wie uns dann nicht mehr nöthig / als ein solcher Wegweiser / der uns in der finstere der vielen Irrthumen / in der wilden Wüsten und confusion der vielfältigen Religionen / den rechten Weg zeigt / darauff wir uns gäntzlich verlassen / unser Gewissen contentiren / das Weiß vom Schwartzen / den rechten Weg vom Irrweg / den rech- ten Catechismum von dem falschen unterscheiden / dabey wir auch Guth und Blut / Leib und Leben wagen und zusetzen möchten. Dem Allerhöchsten sey Lob und Danck / der uns einen solchen Wegweiser und geistliche Wolckensäul nicht nur gesagt / in oben angezogener Stell beym Propheten Esaia / sondern auch wahrhafftig gehalten und geschenckt: ligt nur daran / daß wir sie suchen / daß wir nicht die unrechte und faslche Leytsäul ergreiffen für die rechte.“ 217 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 23 f. 218 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 24.

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Weg oder den Katechismus bezieht, ihm zugleich aber an Deutungskraft und, um es so zu formulieren, lebensweltdeutender Horizontweite überlegen ist. Im Bild geredet ist es also um einen Wegweiser zu tun; für Israel ist „nicht mehr nöthig / als ein solcher Wegweiser / der uns in der finstere der vielen Irrthumen“219 zu helfen vermag; jenseits der Metapher gesprochen ein Prinzip, welches das prinzipiierte Subprinzip steuert. Und in der Tat handelt Gott hier jenseits der Metapher, wie Dannhauer schon hier betont. Er hat „uns einen solchen Wegweiser und geistliche Wolckensäul nicht nur gesagt / in oben angezogener Stelle beym Propheten Esaja / sondern auch warhafftig gehalten und geschenckt“220; er hat sie mit andern Worten nicht nur in prophetischer Typologie angekündigt, sondern auch den realen Antitypus dazu geliefert. Freilich, das Wissen um das bloße Vorhandensein dieses Antityps genügt nicht, vielmehr liegt hierin ja genau das Problem, dass mehrere Konfessionen, oder wie Dannhauer formulieren würde, Religionen, Zustimmung zu den von ihnen als je einzig wahr beanspruchten Prinzipien einforderten. Darum sind zur Bestimmung des wahren, wirklichen Prinzips als Kriterium zur Katechismuswahl ihrerseits Kriterien unabdingbar. Dannhauer liefert deren drei. Soll die Leitsäule den Kriterien genügen und also „just und gut“221 sein, so muss sie erstens nicht von einer dritten Autorität abhängig sein oder bleiben, „sondern per se und für sich selbsten gleichsam in die Herzen hinein brennen“222, zweitens muss sie „hell und klar seyn zu erleuchten unsere verfinsterte Hertzen“223, drittens „muß aber auch dieselbige von solchen Kräfften seyn / daß sie unsere Gewissen überwinde / unsere Hertzen mit dem Glauben entzünde“224. An diesen drei Kri-

219 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 23. 220 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 24. 221 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 24. 222 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 24. 223 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 24. 224 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 24 f.: „Soll die Leytsäul just und gut seyn / so muß sie ihr Ansehen nicht anderswoher entlehnen / sonden per se und für sich selbsten gleichsam in die Hertzen hinein brennen / und von der beywohnenden Majestät / und Göttlichen Krafft zeugen; gleichwie die Sonn am Firmament / keinem andern Stern ihren Glantz abborgt / sie leucht und scheinet für sich selbs in die Augen. Soll offtgemeldte Leytsäul heilsam seyn / so muß sie so weit sich erstrecken als weit der gnädige Beruff GOttes / wie derselbige niemand bloß außschleusst / so muss auch dieser Leytstern niemand also zu reden verzollen / und hinder sich lassen. Es muß dieselbe hell und klar seyn zu erleuchten unsere verfinsterte Hertzen / nicht nur den Zweck unserer Reiß / das rechte und beständige höchste Guth sondern auch den Weg selbs weisen: sintemal wir von Natur von einem so viel wissen als vom andern. Es muß aber auch dieselbige von solchen Kräfften seyn / daß sie unsere Gewissen überwinde / unsere Hertzen mit dem Glauben entzünde / und weil wir aus eignen Kräfften nichts guts gedencken / viel weniger vollbringen mögen / solches alles in uns kräfftiglich verrichte.“

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terien werden nun sowohl die mit dem lutherischen Glauben sich in Konkurrenz setzenden Glaubensmaßstäbe gemessen, denn sie muss man als „Irrwisch und falsche Wegweiser entdecken“225, als andererseits auch „die rechte bewährte geistliche Wolckensäule des Neuen Testaments“226. Die Fremdreligionen oder deren Prinzipien, „den Alcoran, als der Türcken; den Thalmud, als der Juden Bibel“227 lässt Dannhauer hierbei gänzlich auf der Seite, da sie „in der Christenheit“228 allgemein für nichtchristliche Bücher gehalten werden und für „verführische / verfluchte und verdammte Wegweiser“229. Er bleibt bei denen, die im „Schooß der Christlichen Kirchen / als principia fidei und Glaubens=Regulen haben biß dato wollen auffgeworffen werden / deren sind fürnemlich drey / dahin eigentlich alle anderen mögen referirt und gezogen werden: Ratio, revelatio immediata, & Papalis definitio, Die Vernunfft / die unmittelbare Offenbarung / und Päpstlicher Heiligkeit Decret, Schluss / Gloß und Aussag.“230 Dannhauer gruppiert die ihm zeitgenössische Christenheit in drei Sektoren, unter denen leicht die reformierte und die römische Konfession auszumachen sind, während er die dritte, die revelatio immediata für sich beanspruchende Großgruppe mit dem von Luther geschaffenen polemischen Sammelbegriff der Schwärmer in sich fasst. Sie alle werden nun der Reihe nach an den drei genannten Kriterien gemessen – und natürlich für zu leicht befunden. Für sie alle gilt, was der Autor für die ratio und somit die reformierte Konfession gleich zu Beginn programmatisch konstatiert: „Es mangelt ihr an den requisitis, so von einem rechten Wegweiser erfordert werden.“231 Dies wird für jede Gruppe je einzeln erläutert. Die Argumente gegen die Stichhaltigkeit des laut Dannhauer außerhalb der Schrift liegenden reformierten (sowie darüber hinaus auch des katholischen) Prinzips entsprechen weitgehend bereits den in den späteren großen Schriften vorgebrachten Gründen. Die Vernunft wäre eigentlich eine nützliche Dienerin, solange sie den Theologen und der göttlichen Weisheit ihre Dienste in vielen

225 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 26. 226 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25: „Wir wollen zur Sach schreiten / theils die Irrwisch und falsche Wegweiser entdecken / theils die rechte bewährte geistliche Wolckensäule des Neuen Testaments offenbaren / und damit wir des andern Apostolischen Gleichnuß nicht allerdings vergessen / diejenige liebliche Mutterbrust / auß welchen die liebe Catechismus-Milch zu schöpffen und zu saugen / Euer Lieb fürtragen.“ Es galt acht zu geben, dass die eigentliche Hauptmetapher nicht vergessen ging! 227 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25. 228 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25 229 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25. 230 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25. 231 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25.

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Stücken leistete. Sobald sie sich jedoch auf den Thron als „eine Königin / Meisterin / und Richterin in Glaubenssachen setzet“232 wird sie „eine blinde und verführische Leiterin / ein betrüglicher unbeständiger Irrwisch / der von Anbegin der Welt viel und grossen Schaden gethan / und allezeit ehe in die Sumpffen und Gruben der Verdamnus stürtzt / als den Weg der Seligkeit gewiesen“233. Sie ist „nicht Göttlich [sic] / sondern fleischlich gesinnet“234, teils göttlichen Ursprungs, aber nicht rein, sondern noch mit dem Gift der Erbsünde vermengt. Daher bleibt sie unsicher und unzuverlässig; außerdem gebricht es ihr an existenzverändernder Kraft. „Die Officin und Werckstatt / da alle Vernunffts=Gedancken gleichsam geschmidt und formiret werden“ ist das Herz, das aber ist „trotzig und verzagt“235. Konkret spricht Dannhauer hier über „Photinianer“236, d. h. „Arminianer“237 und „Zwinglianer“238. Letzterere, die „den Namen [sc. der Photinianer] nicht haben wollen“239, gehören dennoch dazu, solange sie lehren, in Glaubenssachen müssten die Urteile der Vernunft vollumfänglich gelten. Am interessantesten für das Gesamtbild Dannhauers ist der über die große Wegetrilogie hinausweisende mittlere Teil über die Schwärmer oder Spiritualisten. „Der andere Wegweiser der da heisst Immediata revelatio, die unmittelbare Offenbarung / Gesichte / Erscheinungen / Entzuckungen / Träume / damit die himmlischen Propheten / Münceristen und Schweckfeldischen und dero Secten vor diesem geprangt / und grossen Jammer angerichtet“240. Was gut gewesen sein mag ganz zu Beginn des Christentums, als noch keine Kirche gepflanzt war, ist nun nicht mehr zu rechtfertigen, denn nun gibt es Medien der göttlichen Offenbarung, nämlich in erster Linie sein verschriftlichtes Wort in der Bibel. Die Papstkirche seziert Dannhauer gegen Ende der drei falschen Wegweiser als den härtesten der drei Knoten: „Ist noch übrig der härtiste Knotten / nemlich Päpstlicher Heiligkeit Lehr / Gloß und Außspruch.“241 Denn „die Päpstler“ „pflegen“242 „andere und noch mehr Principia und Gründe auff die Bahn zu

232 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25. 233 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25. 234 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 25. 235 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 26. 236 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 26. 237 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 27. 238 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 27. 239 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 27. 240 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 27. 241 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 28. 242 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 28.

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bringen / darauff sie ihre Lehr und Glauben gründen und bauen“243. Melchior Canus reduziert zwar die katholische Lehre auf die Dialektik von geschriebenem und ungeschriebenem Wort Gottes. Doch für Dannhauer stellt sich die Sache differenzierter, sowohl einfacher als zugleich auch komplexer dar. Für ihn fällt nämlich einerseits, in unzulässig unterkomplexer Interpretation der Dinge, „die ultima ἀνάλυσις, der letzte Termin auff den Römischen Stul/ als den einigen unfehlbaren Richter aller Glaubenssachen“244, denn ohne diesen wäre ja auch die ungeschriebene Tradition fehlbar. Es bedienen sich umgekehrt in überkomplexer Anhäufung die Päpstler einer Vielzahl an „1. Englischen Erscheinungen“245; außerdem „2. Sonderbarer Offenbarungen“246; „3. Der Gespenst und Poldergeister Aussag“247; „4. Der heiligen Väter Lehren und Schrifften“248; „5. Der Kirchen= Concilien Auffsätz“249; „6. Der Traditionen und ungeschriebenen Worts“250; „7. Des geschriebenen Wort Gottes“251 „Daß es also in der Summa dabey bleibt / was droben vermeldet worden / der Römische Papst seye allein das Principium fidei infallibile, der gewisse und unfehlbare Wegweiser zum Ewigen Leben.“252 Diese drei Gruppen oder Wegweiser also sind nicht anderes „als Wolcken ohne Wasser“253 (Jud. 13). Wer auf dem Weg des Heils vorankommen will, muss daher „eine rechte volltrieffende und fruchtbare Regen=wolcke suchen [. . .]“254, das aber sind „einzig und allein die Λόγια Θεοῦ, das geschriebene Prophetische und Apostolische Wort Gottes“255; die kanonischen Bücher der Bibel. Nach eingehender Diskussion der Problemfelder von Übersetzung und Inspiration gelangt Dannhauer zur Frage der Applikabilität der Kriterien, und stellt, wenig überraschend, fest, dass die Heilige Schrifft der etablierten Kriteriologie vollkommen entspricht. „Und diese obgemeldte H. Schrifft ist nun die jenige bewährte und unfehlbare Wolckensäul / darunter sich Christus der HErr verbirgt / dann die ists / die von ihm zeugt / darunter er sich verkleid / und als der Weg / die Warheit und das Leben / uns den Weg zum himmlischen Canaan und Vaterland ohne Fehler

243 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 28. 244 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 28. 245 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 28. 246 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 28. 247 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 28. 248 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 29. 249 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 29. 250 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 29. 251 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 29. 252 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 29. 253 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 30. 254 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 30. 255 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 30.

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und Irrthum weiset.256“ Denn bei ihr allein finden sich alle zu Beginn der Predigt genannten „characteres und Kennzeichen“257. Es „ist also und bleibt die heilige Schrift eine Göttliche/ und nicht von Menschen erfundene Lehr“258 „2. eine gantz gewisse unfehlbare / ja himmlische und ewige Lehr“259; [. . .] „3. Eine vollkommene Lehr / leidet weder menschlichen Zu= noch Absatz“260; „hat 4. diese Lehr ihre autorität und Ansehen und keinem Menschen / sie hat ihr Liecht und Glantz niemand abgeborgt“261, „6. ein allgemeine Lehr / zu allen Zeiten zu gebrauchen“ 262, nicht nur die Zeitgenossen ihrer Redaktion, sondern alle Generationen. [. . .] „Es ist 7. diese Lehre klar / heiter und hell / ein Liecht daß da scheinet in einem duncklen Orth / biß der Tag anbricht / und der Morgenstern auffgehet in unsern Hertzen.“263 Auch Laien können den Sinn der Schrift verstehen, bei dunkeln Stellen indirekt dank klarerer Stellen, nach der bekannten, hier nicht genannten, doch im Hintergrund mitschwingenden augustinischen Argumentation aus de doctrina christiana. Schließlich überzeugt auch „die hertzbrechende und Seelenbewegend Krafft dieses Worts“264, die sich konkret als Kraft des Gesetzes und als Kraft des Evangeliums manifestiert. Die Schrift also, nur die Schrift, ist Prinzip von Glaube und Theologie. Aus diesem Grund ist sie keinesfalls den Gläubigen vorzuenthalten, sondern genau umgekehrt sollen alle Christen daraus weissagen. „Wir sprechen mit Mose: Wolte Gott / daß alle das Volck des HErrn weissagete.“265 Sie allein ist für alle wahren Christen der „Probierstein“266, in ihr haben wir „die rechte Wolckensäule / den Canon, Richtschnur und Regul / darnach wir sollen wandlen“267, wie Dannhauer unter Zitation von Gal 6,16 erklärt. „Alle Catechismos und Lehren“268 sind an diesem Probierstein der Bibel zu messen und bei negativem Ergebnis, „solch falschen Leytsäulen“269 nicht zu folgen. Eine zwar respektable, aber nicht letztlich tragende Säule ist schließlich nebst den fremdkonfessionel-

256 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 31. 257 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 31. 258 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 33. 259 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 33. 260 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 33. 261 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 33. Ein 5. Punkt fehlt; der 4. wird direkt vom 6. gefolgt. 262 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 34. 263 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 34. 264 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 35. 265 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 34. 266 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 35. 267 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 35. 268 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 35. 269 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 35.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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len, falschen Prinzipien auch die Kirche. Sie ist „die Königliche und Prophetische Lehrsäul die bibliothecaria, die Büchersäul / und gleichsam ein lebendiger Bücherschafft / welche von der geschriebenen Biblischen Warheit zeugt / aber sie ist nicht die rechte unfehlbare / unbetrügliche Grundsäul / darauff sich einzig zu verlassen.“270 Damit schließt diese dritte Predigt mit einer doppelten Relativierung. Sowohl die Katechismen als kirchliche Bekenntnisschriften wie auch die Kirche selber sind prinzipiiert und haben sich dem allein gültigen Prinzip unterzuordnen. Doch auch die Schrift selber, wiewohl klar im Zentrum dieser Predigten unter Entgegensetzung gegen fremdkonfessionelle Prinzipien, wird relativiert, wenngleich beinahe nur andeutungsweise, indem festgestellt wird, dass Christus sich unter der Wolke „verbirgt“ und dass er „darunter er sich verkleid / und als der Weg / die Warheit und das Leben / uns den Weg zum himmlischen Canaan und Vaterland ohne Fehler und Irrthum weiset“. Damit wird einerseits die Schrift klar, ja maximal valorisiert, denn Christus verbirgt sich unter ihr ja so, dass von ihr niemals abstrahiert werden kann. Umgekehrt aber wird so doch zu verstehen gegeben, dass die Schrift nicht das Eigentliche, Letzte der Offenbarung darstellt, die sie trägt, dass also zwischem dem Offenbarungsträger, so exklusiv und autoritativ er für seine Interpreten auch ist, und der Offenbarung als solcher, nämlich als Gegenstand, eine Differenz besteht, die nicht aufzuheben ist. Subtil grenzt er sich damit gegen mehrere, von der Orthodoxie bereits im Rathmannschen Streit und weiteren Auseinandersetzungen als solche verabschiedete, aber noch immer virulente Positionen bezüglich des Verhältnisses von Schrift und Offenbarung ab.271 Um die Klammer zur ersten Predigt und deren Grundtext zu schließen, kommt Dannhauer zu allerletzt auch wieder auf die Hauptmetapher zurück, um in ihr eine finale applicatio zu finden. Nachdem „die beyde Mutter=Brüst des Alten und Neuen Testaments gefunden / darauf die lautere Catechismus=Milch

270 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 35 f.: „Es wird zwar auch das Hauß Gottes / die Christliche Kirch / genennt ein Pfeiler und Grundvest der Warheit / darum / dieweil sie auff die geschriebene Warheit / und auff den unbeweglichen Felsen Christum erbaut. Sie ist zwar die Königliche und Prophetische Lehrsäul die bibliothecaria, die Büchersäul / und gleichsam ein lebendiger Bücherschafft / welche von der geschriebenen Biblischen Warheit zeugt / aber sie ist nicht die rechte unfehlbare / unbeträgliche Grundäul / darauff sich eintzig zu verlassen. Es hat dieselbe manchmal geirret / und wol gar apostasiret / wie an den Apostolischen Kirchen im Morgenland zu sehen: und hat die Römische Kirch kein Siegel und Brieff dafür / daß sie nicht auch irren könnte / der Apostel Paulus warnet sie treulich vor dem Unglauben und Abfall / welches er nicht würde gethan haben / so ihm von einem solchen privilegio infallibilitatis, dessen sie sich noch heutiges Tags rühmet / etwas wäre wissend gewest.“ 271 S. dazu u. a. Steiger, „Das Wort sie sollen lassen stahn . . . “. Die Auseinandersetzung Johann Gerhards und der lutherischen Orthodoxie mit Hermann Rahtmann.

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geflossen: hinweg mit aller Spulet / so nicht nach dieser Milch schmeckt.“272 Keine Mutter lässt ihr Kind an eine andere Brust, denn sie könnte einer Bestie gehören. „also / wann uns das Göttliche Mutter=Hertz Christi seine eigene Brüst darbietet / warum wolten wir die Brüsten [sic] der Babylonischen Huren saugen?“273

5.3.2 Von der Milch zum Weg: Der Schlüssel zur Gesamtredaktion Die Parallelen zum Gesamtprojekt der späteren Wegetrilogie, die sich in diesen drei für das Verständnis des Gesamtaufbaus der Catechismus-Milch so zentralen Eingangspredigten finden lassen, sind Legion. Erstens bildet die Wegethematik in beiden Projekten das entscheidende homiletische oder konzeptuelle Gesamtraster – indem sie das einemal indirekt über den Fortschrittsgedanken (aus der biblischen Milchmetapher), das andere Mal direkt aus dem wissenschaftstheoretischen Basiskonzept (der methodus) abgeleitet wird. Zweitens finden sich in beiden Projekten dieselben beiden Gegner, nur dass die revelatio immediata, unter welchem Konzept Dannhauer die Spiritualisten angreift, in der großen Trilogie wegfällt respektive mehr oder weniger dem Lager der Reformierten zugezählt wird. Drittens erscheint in beiden großen Werken die Rolle der Schrift als diejenige eines Prinzips, welches den Ursprung wie auch das Ziel des Katechismus und derer, die nach ihm leben, darstellt, und das andererseits auch dieselbe Funktion für die theologische Arbeit einnimmt. Viertens erfolgt in beiden eine Betonung der in der Schule Johann Gehards konsensuellen Ansicht, dass der Unterschied zwischen allgemeiner kirchlicher Lehre und wissenschaftlich-theologischer Arbeit nur ein relativer sein könne und daher graduell zu bestimmen sei. Fünftens ist schließlich die Rolle der Kirche als einer Schriftträgerin identisch, die beidemal mit einer Metapher physischer Anschaulichkeit die Schrift trägt, in der Catechismus-Milch als Bibliothek oder Büchergestell das Bibelbuch und in der Trilogie als Fackel das Licht der Schrift. Es deutet daher alles darauf hin, dass die Catechismus-Milchs Ursprungsprojekt der späteren Hodosophie (und damit auch der Trilogie) darstellt. Die 1657 erfolgende erste explizite Konfluenz der beiden Metaphernstränge in ihrer lateinischen, wissenschaftskonformen, Formulierung274 bestätigt diese Hypothese inso-

272 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 36. 273 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 36. 274 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 629 f.: „Sind also in der Summa Lehren des kleinen Catechismi/ solche Fundamental und Grund=Lehren/ die entweder mit außgedruckten Worten in H. Schrifft auffgezeichnet/ oder doch auß derselben foermlich gefolget/ gesogen und gezo-

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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fern, als dort die „Hodosophia“ als Funktion des kleinen Katechismus, als wissenschaftliche Erklärung der „Fundamental und Grund=Lehren“275 präsentiert wird. Drei Jahre nach der Veröffentlichung des letzten Bandes der Wege-Trilogie, in der Erstauflage des achten Bandes der Catechismus-Milch, findet sich so – zugespitzt formuliert – eine enzyklopädische sowie auch werkgeschichtliche Eingliederung der Hodosophie in die Catechismus-Milch durch deren Autor selbst. Interessanter Weise wird dabei zugleich die Lektüre des den Eingangspredigten und letztlich der ganzen immensen Sammlung zu Grunde liegenden Passus aus dem Hebräerbrief dadurch vertiefend präzisiert, als er als exemplarische Abfolge einzelner Lehrstücke innerhalb und in der Abfolge der fünf Hauptstücke des Kleinen Katechismus verstanden wird.276 Eine solche explizite Präfiguration der Katechismusstücke im Bibeltext selbst wird in den Eingangspredigten noch nicht wahr- oder vorgenommen, sondern ist umgekehrt dort einer der Gründe dafür, nebst der Milch- auch die Wegemetapher ins Spiel zu bringen, dank der dann die Abfolge der Stücke thematisiert werden konnte. Als offene Frage bleibt freilich wie bereits erwähnt, ob nicht die programmatische Struktur ihres Eingangsteils zumindest in ihrer redaktionell vollendeten Form nicht vielleicht doch erst 1642 entstand, nachdem der gedankliche

gen/ Muster= und Buchstabsweise/ und also kurz gefaßt/ also lauter und leicht erscheinen/ daß sie auch von Einfaeltigen/ noch ungeschickten und Kindern (die weder Außgang noch Eingang/ weder recht noch linck wissen/ 1. Reg. 3/7. Jon. 4. v. ult.) koennen angenommen/ begriffen/ und erlernet werden/ und gehören ferner hieher insgemein die gantze Hodosophia, oder Wegweißheit/ die Anzeig deß Wegs zum himmlischen Vaterland unfehlbar zu gelangen. Dann das war die Lehre/ in deren Apollo in seinem Catechismo unterwiesen worden. Act. 18/ 25. Er war unterweiset den Weg deß HERRN.“ 275 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 630. Zum Konzept der Fundamentalartikel in der lutherischen Orthodoxie s. Keller-Hüschemeier, Das Problem der Fundamentalartikel bei Johann Hülsemann. 276 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 629: „Hiernach specificirt der Apostel und benahmt die Lehren/ die er mit vorhergehenden Praedicaten beschrieben/ daß es seyen die Lehren 1. Von der Busse der todten Wercke aus dem Gesetz. Rom. 2/18. 2. Vom Glauben an GOtt Vatter/ Sohn und H. Geist. 3. Von der Tauffe/ von der Lehre der hoechsten Tauffe/ (βαπτισμῶν hebraism.) der Tauffe ueber alle Levitische Tauffen/ durch welche die Lehre deß Evangelii versiegelt worden/ nemlich der Sacramentlichen Tauffe. 4. Vom Haendeaufflegen deß Ministerii/ dadurch die Prediger ordinirt und geweihet werden [. . .] 5. Von der Todten Aufferstehung und ewigem Gericht/ das ist/ der ewigen Verdamnuß: Ist Exempelsweise erzehlet/ hat nicht die Meynung/ als waeren alle und jede Stueck/ ohne Auslassung einiger nothwendiger Lehre hie benamset/ (denn ja die Lehre vom Gebet/ H. Abendmahl/ der Schluessel Gewalt/ in diesem Register außdruecklich nicht erscheinet/) sondern es werden auch die Parallela die gleichfoe rmige Lehren zugleich mitgemeinet/ τὰ ὅμοια τούτοις, Gal. 5,21. was nemlich ad θεμέλιον, zum Grund der Christlichen Lehre gehoerig/ sie seyen im Catechismo mit klaren/ hellen/ due rren Worten dargelegt/ oder virtualiter begriffen und mitzuverstehen.“

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

Prozess zur Erstellung eigener theologischer Schriften, oder besser, zur Erstellung eines eigenen theologischen Systems, bereits in Gang gekommen war. Die ersten beiden monographischen theologischen Schriften von 1638 und 1640 waren zwar noch gänzlich christologisch orientiert, doch lässt sich in ihnen die Suche nach einem diesen locus übergreifenden System im Ansatz schon recht gut erkennen. Die Christologie oder „Christophia“ wird 1640 einer „Antichristosophia“ (innerhalb der gleichnamigen Schrift) gegenüber gestellt, und somit zu einer religiösen Weltenschau schlechthin generalisiert, in der dem einzig wahren lutherischen Glauben der ganze Rest an kirchlichen und weltanschaulichen Optionen gegenüber gestellt wird.277 Genau hierin liegt denn auch eine deutliche Parallele zum Eingangsteil der Catechismus-Milch, dass an beiden Orten dieselben drei gegnerischen Lager bezeichnet und dem Luthertum entgegen gestellt werden. Die Parallele ist sogar noch auffallender, wenn man berücksichtigt, dass hier beide Male die Darstellung der Position der Reformierten von Zwingli ausgeht und sich nicht auf die calvinische Erwählungslehre abstützt, die in der Trilogie dann den Hauptkritikpunkt, ja das φαινόμενον φαινομένων bildete. Auch bei den späteren Bänden gilt, dass sie oft Parallelen zur übrigen Produktion Dannhauers aufweisen oder darstellen. So entsprechen die Dekalogpredigten des ersten und zweiten Bandes von 1642 und 1643 dem collegium decalogicum von 1638, und beiden zusammen die Decalogi epitome im sechsten Phänomenon der Hodosophie von 1649; zahlreich sind auch die Bezüge der Christologie des fünften Bandes der Catechismus-Milch von 1654 zu derjenigen der Christosophie von 1638. Was allerdings in der Catechismus-Milch noch fehlt, ist eine Darstellung der Gegenwege in aller Ausführlichkeit. Es kann kaum Zweifel daran bestehen, dass letztlich dieser Punkt das entscheidende Movens war, die Wegetrilogie überhaupt abzufassen. Man kann darüber mutmaßen, ob ursprünglich auch eine Darstellung der Gegenwege innerhalb der Catechismus-Milch geplant gewesen war, aber wahrscheinlich ist es nicht. Selbst für einen Konrad Dannhauer und selbst mitten im dreißigjährigen Krieg war eine rein apologetische Predigt vor einer realen Gemeinde nicht über längere Zeit und schon gar nicht über zwei Jahrzehnte hindurch denkbar. Die Catechismus-Milch tut daher eben

277 Αντιχριστοσοφια, DWV 91, 511.529.545.608; vgl. Anh. 2.2: „Art. III De Innocentia B. Lutheri et Lutheranarum Ecclesiarum. [. . .] Art. IV. In quo detegitur mysterium Antichristianismi subalterni, grassantis inter recentiores sectarios, Photinianos, Arminianos, Enthusiastas. . [. . .] Art. V. In quo aperitur mysterium Antichristianismi Carolstadio-Cingliani. . [. . .] Art. VI. In quo exponitur Antichristianismus subalternus Papisticus. [. . .]“

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genau das, was sie im Titel verspricht. Sie gibt Milch, die zugleich ein Medikament, ja in Dannhauers Augen sicher ein wahres Gegengift ist, die aber nicht als solche in allen Punkten explizit den „unlauteren“ Getränken der nichtlutherischen Welt und deren ganzen Giften entgegen gestellt wird. Dies wird im Übrigen auch deutlich an einer weiteren wichtigen Rahmungsstelle der Sammlung, den Schlusspredigten. Die letzten beiden Predigten (14 und 15) des allerletzten Bandes bilden eine invertierte Klammer mit den beiden abschließenden Predigten (2 und 3) des Eingangsteils im ersten Band. Die vorletzte Predigt des Schlussbandes handelt wie die dritte Predigt im Eingangsteil von der Wolkensäule, die allerletzte Predigt wie die zweite von der Milch und deren einzelnen Qualitäten. Diese Inversion, sozusagen in der Art eines überdimensionierten Chiasmus, ist kunstvoll und bewusst gestaltet, vermutlich noch vom Autor selber; jedenfalls ist der Editor der letzten beiden Bände der Catechismus-Milch in den entsprechenden Vorworten selbst für die Konventionen der Zeit auffallend bescheiden und zurückhaltend. In beiden Predigten werden Gegenstücke zur wahren Wolkensäule oder zur wahren, guten Milch en passant angedeutet, aber niemals wirklich entwickelt. Die 14. Predigt handelt zum Abschluss der „Predigten vom Gewalt der Schlüssel“278 „Von der Gegenwart Christi auff Erden“279 laut seiner Zusage nach Mt 18,20 über seine Gegenwart unter den in seinem Namen Versammelten, in deren Mitte er als „Schlüssel=Herr“ 280 weilt. In diesem Zusammenhang wird die Wolkensäule als Ort der Schechina oder göttlichen Gegenwart erwähnt und als „Cynosur und Wegweiser“281 charakterisiert. Dass es auch falsche Zeichen, nämlich phantasmata gibt, wird zwar erwähnt, namentlich die reformierte Überzeugung, dass Christus nur nach seiner göttlichen Natur unter den Gläubigen gegenwärtig ist.282 Im Vergleich zur entsprechenden Diskussion in der

278 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 191–325. 279 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 319–325. 280 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 320 f.: „Ich / sagt der HERR / bin bey euch / etc. Ich / der Inspuator, Anhaucher und Anblasser des H. Geistes / er ich euch mit einem Geheimnuß= reichen / lebendigmachendem / bewegendem / heilig=machendem Einweyhungs=Athem angeblasen. Ich / der Schlüssel=HErr / der Herr mit dem güldenen Himmel=Schlüssel / der auffschliesset / das niemand zuschliesset / und zuschliesset / das niemand aufthut. Ich der Richter / der bindet und löset / der Himmels=König / der Mittler und Fürsprech / Ich sage euch / wo zween unter euch eins werden / etc.“ 281 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 319. 282 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 324: „Es wehret aber auch dieses Wort nicht nur dem Calvinischen Irr-Geist / der andere Phantasmata, ihm träumen läßt von diesem Geheimnuß / diese Wort schändlich verkehret / und der so hoch regalirten Menschheit Christi Abbruch thut.“

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Hodomoria Spiritus Calviniani ist dieser exkursartige Passus jedoch nur, aus des Polemikers Sicht gesprochen, ein Tropfen auf den heißen Stein. „Die Fünffzehende und letste Predigt. über die Wort Pauli I. Cor. 3,2. Milch hab ich euch zu trincken gegeben.“283 spricht ihrerseits als Gegenbild zur Milch auch vom unsauberen Trank der Welt, versteht darunter aber eben nur einen allgemein zu fassenden Trank, der für alle Fremdkonfessionen, -religionen und –ideologien als solche steht, und besonders für die verweltlichenden Konsequenzen im Lebensstil, die sich aus falscher Lehre ergeben. Im vierten Kapitel des biblischen Richterbuches „lesen wir von einem seltzamen und denckwürdigen Schlaff= und Milch=Tranck“ 284 welchen die „Hebräische Amazon“285 Sissera „zugebracht“286, was ihm so sehr zusagte, dass „er sich unmässig übersoffen / und dannenhero in einen tieffen Schlaff gesuncken“287, so dass sie ihn töten konnte. Es handelt sich letztlich um einen „calix irae justus“288, einen „Raach=Milch=Tranck“289, was allegorisch zu deuten ist. „Sisseriten und Welt=Kinder“ die der Welt und ihren Lüsten hingegeben sind, „trincken ihre Milch der Wollust / gerathen dadurch in Sicherheit / und wann sie meynen am sichersten / gerathen sie in spiritum soporis, gehen endlich mit Leib und Seel unter und zur Hölle / alles auß gerechtem Gericht und Urtheil GOttes.“290 Der Trank, von dem Paulus spricht, ist hingegen ein „Wach-Tranck“ 291, der ermutigt, vom Schlaf der Sünden aufzuwachen; es ist der „Liebes-Tranck des himmlischen Vaters“292, der „Milch-Tranck des Heiligen Geistes“293. Unter diesem Titel folgt sodann eine greifbar getreue Reproduktion der positiven Eigenschaften der Milch, wie sie in der zweiten Eingangspredigt des ersten Bandes entwickelt wurden. Diese eigentliche Auslegung des Textwortes liest sich beinahe wie eine Werbeanzeige für die Vorzüge des Erzeugnisses.294 Unter den vier genannten Punkten findet nun zwar wiederum ein Teil der

283 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 325. 284 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 325. 285 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 325. 286 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 325. 287 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 325. 288 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 326. 289 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 325. 290 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 327. 291 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 326. 292 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 326. 293 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 326. 294 Es geht laut Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 327, um Milch nicht im eigentlichen Sinne, sondern um eine „Wort-Blum“, also eine Metapher. Das γάλα λογικὸν nach 1. Petr. 2. ist 1. „nichts anders / als die Lehre des Catechismi in sechs Haupt=Stücken verfaßt / davon Paulus Hebr. 6, 1.2. [. . .]

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2. Lac divinum“, denn sie ist “solche Milch / die auß den Wunden Jesu Christi geflossen / davon August in Ps. 30. Christus ut sapientiam suam nobis lac faceret, ideò carne indutus ad nos venit. [. . .]. 3. Lac infantile, zarte Kinder=Milch / und nicht harte Speise. [. . .] Milch ist die urälteste / und consequenter einfältigste / und biß dato übliche Kinder=Speiße gewesen / deren die erstgebohrne Menschen / Cain und Abel / sich alsobald bedienet / davon sich auch die H. Patriarchen vor und nach der Sündfluth sonderlich [328] erquicket / ehe und dann man von braten / sieden / von allerhand niedlichen Schleck=Bißlein etwas gewußt: So ist auch die Catechismus=Lehre die älteste Lehre / älter als alle neu=aufkommene Schärmereyen und Ketzereyen / wie wolgeschmackt und lieblich dieselbige manchem fürkommen mögen.“ Der erste catechista war der Sohn Gottes, der „den kurtzen Paradiß=Catechismum“, das sog. Protevangelium nach Gen. 3,15, ausgab. Milch ist darum auch, entgegen den Ansichten von [329] Dordrecht und Paraeus, in Iren. c. 7. p. 66, zu begreifen als Gesamt der Glaubensartikel sowohl für die „Kantzel“ als auch für das „Schul-Katheder“. Jegliche diesbezügliche Unterscheidung ist Paulus fremd, und generell ist jeder Artikel des Glaubens ist zugleich „eine Milch den Jüngern / die es bloß glauben / eine starcke Speiß den ältern und mehr fähigen. [. . .] 4. Lac ἄδολον, lautere / unverkünstelte / unverwässerte Milch. Keine Religion ist so schlim / sie hat ihren Catechismum. Im Papstthum ist berühmt Catechismus Rom. Und opus catechisticum Canisii: bey den Zwinglianern der Heydelbergische Catechismus: die Photinianer haben Ostorodi Unterrichtung. Ist aber keine lautere Milch / sonderen Milch mit Gifft vermischt / wie Irenæus l. 3,19. die falsche Lehr vergleichet / ist mit ungesundem Wasser / Menschen=Tand und Menschen=Lehr vermänget / es ist / wie man pflegt zu sagen / Marck= Milch / es seynd die καπηλεύοντες τὸν λόγον τοῦ θεοῦ, 2. Cor. 2,17. die bösen Marckethänder darhinder gewesen / die das Wort GOttes verfälschet. Summa: der Tod ist in den Häfen. [. . .] [330] Nun M. L. Ich bin zwar kein Paulus nicht / kein Θεόπνευστος, bin nicht werth / ihm die Schuh=Riemen aufzulösen / sondern an das geschriebene Wort GOttes gebunden; Aber doch Pauli Jünger / und sitze zu seinen Füssen / wie er zu den Füssen Gamalielis gesessen / ich bin St. Pauli Nachfolger im Ampt eines Doctoris, in den Fußstapffen seines Lebens / in Vortragung des Catechismi / als welches Ampt ich nunmehr in das zwantzigste Jahr getragen / nach dem es mir von einem Ehrwürdigen [331] Kirchen-Convent, auff confirmation eines Ehrsamen Raths anvertrauet worden. Derowegen mag ich auch St. Paulo nachsprechen und sagen: Milch habe ich euch zu trincken gegeben / Göttliche / lautere / heylsame Milch / auß den Brüsten des Alten und Neuen Testaments / und dagegen die Wolffs=Milch verrathen. Euch Elsässischen Corinther / Fremdlingen / Einheimischen / Studiosis, Knechten und Mägden / wie der Engel den Hirten / und andere die GOtt hergeführet hat / deren allbereit eine grosse Mänge schlaffen / und im himmlischen Canaan ankommen / und nunmehr geniessen / was sie vorschmacksweiß geschmecket / wie dann deren wenig werden übrig seyn / die den Anfang gehöret. [. . .] Ich / doch nicht ich / sondern die vorhergehende / begleitende und folgende Gnade GOttes / Ich bin nur der Pocillator und Melcker geweßt / ich unwürdiger Diener GOttes / der ich der letzte aufferwacht / wie einer / der im Herbst nachliset / und GOtt hat mir den Seegen darzu gegeben / daß ich meine Kelter auch voll gemacht habe / wie im vollen Herbst / und habe nicht für mich gearbeitet / sondern für alle die gern lernen wollen. Spr. 33,16. Ich habs gegeben / und zwar auch einfältiglich / einfältiglich hab ichs gelernet / mildiglich theile ich es mit. Sap. 7,13. Einfältiglich in Sinnen / inventionibus, meditationibus, einfältiglich zur

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genannten Gegner Erwähnung,295 denen das schreckliche, wahrhaft summarische Verdikt „Summa: der Tod ist in den Häfen“296 auf den Kopf zugesagt wird. Doch eine ausführliche Diskussion wird, auch hier, gerade nicht geführt, sondern durch die Pauschalität des Urteils eher abgeblockt. Es ergibt sich damit insofern ein widersprüchlicher, scheinbar paradoxer Befund, als die Catechismus-Milch einerseits auf der Notwendigkeit der Unterscheidung der Lehren stark insistiert, andererseits diese Unterscheidung konkret nur rudimentär selber vornimmt. Im rhetorischen Forderungsanspruch kaum weniger massiv und nachhaltig als die Wegetrilogie, bleibt sie doch dessen eigentliche Einlösung schuldig. Einerseits erklärt sich dies, wie wir sahen, eben dadurch, dass die spätere Trilogie just zur Einlösung der in der früheren Predigtsammlung aufgestellten Ambition erstellt wurde. Dies hatte nicht allein zur Folge, dass der Autor sich guten Gewissens sagen konnte, dass der interessierte und zur theologischen Vertiefung fähige Leser im Bedarfsfall nun leicht zur andern großen Publikation hinüberwechseln konnte. Es dürfte zugleich den weiteren indirekten Folgeeffekt gezeitigt haben, dass eine andernfalls vielleicht expliziter erfolgte Auseinandersetzung mit nichtlutherischen Theologien in den späteren Hauptstücken des Katechismus und damit den späteren Bänden der Catechismus-Milch, etwa im Kontext der Sakramentenlehre, für weniger dringlich gehalten und deshalb nun umso eher unterlassen wurde. Ist die Catechismus-Milch nun aber als reines Vorprojekt, als eine im Grunde durch die Wege-Trilogie überflüssig gewordene Studie oder Skizze, gar als reine Verlegenheitslösung auf dem Weg zum endgültigen, reifen Stadium des Dannhauerschen Denkens anzusehen? Handelt es sich faktisch um ein nur aus Konsequenzgründen zu Ende geführtes Prestigeprojekt eines arrivierten Professors, der um fast jeden Preis auch außerhalb des Elfenbeinturms der Akademie Popularität erleben wollte? Dagegen spricht Mehreres zugleich. Einerseits konnte Dannhauer durchaus einen Plan, der aus irgend einem Grund nicht mehr opportun erschien, auch fallenlassen, wie er es beispielsweise mit der Christeis tat, von der nur der erste Band einigermaßen ausgearbeitet wurde, der zweite postum in teilweise rudimentären Formen und die weiteren, anfangs jedoch klar angekündigten Bände, überhaupt nicht mehr erschienen. Andererseits war der Besuch der sonntagmittäglichen Predigten dem Anschein nach

Ehre GOttes und Vollkommenheit geziehlet / nicht implicitè, nicht syncrecticè, nicht idioticè und Widertäufferisch. [. . .] „Ich habs gegeben zu trincken / also vorgetragen / daß man es fassen können / habs liecht und leicht gemacht / eingeträuffelt / und gegeben mit dem Mund / mit der Feder / und mit der Buchtrucker=Preß.“ 295 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 329, Punkt 4. 296 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 329.

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nachhaltig gut, und die Nachfrage nach der Publikation der Katechismuspredigten sicherlich echt und anhaltend. Es bestand also eine Nachfrage, die einer Publikation so oder so ihre eigene Legitimation verschaffte. Doch auch über diese eher formalen, im weitesten Sinne ökonomischen Aspekte hinaus leisteten die Predigten einen wichtigen Anteil zur Formung der Konturen des Dannhauerschen Spätwerks – nämlich als Predigten. Predigten streben vor allem nach dem kostbaren Gut der Anschaulichkeit, und die Dannhauerschen Predigten stehen trotz ihres selbst für ihre Zeit außerordentlich hohen Anteils an theologischer Abstraktion und entsprechendem Vokabular in dieser Zielsetzung in nichts nach. Anschaulichkeit als ein Gut, das den spontanen Zugang zur behandelten theologischen Materie enorm vereinfacht, selber aber nicht einfach zu erreichen ist, lag zweifellos in Dannhauers Temperaments- und Neigungsbereich. Als ein Denker mit hoher Abstraktions- und Reflexivitätsfähigkeit, der zugleich aber immer mehr auch ein Mann der Kirche wurde, war er in der Lage, Anschaulichkeit nicht nur zielgenau im homiletischen Tagesgeschäft, sondern zugleich als Strukturmoment breitest angelegter Konzeptionen zu erzeugen. Dadurch entstand eine Vielzahl an visuellen Elementen, die später in andere Schriften und besonders die Wegetrilogie übernommen wurden. Paradefall ist hier natürlich die Wegemetapher als solche, die als Frucht des doppelten Wunsches geboren wurde, die erforderliche Methodizität im Glaubensprozess und dessen wissentlicher Aneignung zu veranschaulichen wie zugleich daraus die Struktur der gesamten Predigtsammlung ableiten zu können. Darüber hinaus wird allerdings das visuelle Element auch als solches, als Vorgang visuell gesteuerter oder zumindest als visuell imaginierter Wahrnehmung von Sachverhalten oder Konzepten, im Laufe der Catechismus-Milch mit einer gewissen Regelmäßigkeit thematisiert. Die Christus pictus-Allegorie zum Eingang des fünften Bandes, eine Rezeption des entsprechenden Bildes in der Christosophie, wurde bereits thematisiert. Sie entspricht einer relativ breiten Diskussion im Laufe des Barockzeitalters in beiden konfessionellen Großräumen. Eine noch bedeutendere Rolle nimmt in der Catechismus-Milch allerdings das ansonsten ebenfalls weit diskutierte, anthropologisch aber deutlich allgemeinere Feld der Träume ein. In der in der Dannhauerschen Predigtsammlung direkt an die Dekalogauslegung anschließenden Auslegung der Haustafel wird in neun Eingangs-Predigten der ausführlichen Besprechung der Träume Josefs eine eingehende Diskussion der Träume als solcher vorgeschoben. Schon im darauffolgenden vierten Band wird „Vom getraumten Traum Jacobs“297 in insgesamt zehn Eingangs-Predigten in ähnlich ausführlicher Weise, aber zum

297 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. III, 2. Eingangs=Predigt, 10.

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

Teil dieselbe Materie wiederholend die Frage der Träume erneut besprochen. Diese intensive Beachtung und Diskussion der Traumthematik lässt sich auf ein Dannhauer seit seiner Jugend eigenes Interesse an psychologischen Fragen zurückführen, die ihn grundsätzlich an der Problematik der Sinnesapperzeption in ihrem Übergang von sinnlicher zu ideeller Form Freude finden ließ, worunter natürlich auch Träume, Visionen und Fantasien zu stehen kommen. Der Traum ist dabei insofern ein besonders interessanter Spezialfall, als er den reinsten Fall einer von den Sinneseindrücken völlig losgelösten Wahrnehmung darstellt. Ein Traum ist per definitionem eine Vision ohne Realitätsgehalt; „Träume sind nichts anders denn Bilde ohne Wesen“298. Ein Traum ist eine Vision im schiersten Sinne, denn die Zusammensetzung der in ihm aufscheinenden Sinneseindrücke wird ausschließlich von der Fantasie geleistet, währenddem deren Rolle bei den Eindrücken im Wachzustand bescheidenerer Natur bleiben muss. Da nun aber das Wesen, die quidditas eines Traums in seiner ontologischen Unterbestimmtheit besteht, ist jedes einzelne Traumphänomen umso sorgsamer auf seine Herkunft hin zu beurteilen, damit nicht die mit jedem Traum verbundene, von Gott gegebene Finalität verkannt oder gar in ihr Gegenteil verdreht werde.299 Innerhalb dieses klaren Dreierschemas von quidditas, origo, finis behandelt Dannhauer den mittleren Part der Herkunft der Träume besonders gründlich. Nach einem letztlich der Antike entlehnten Schema unterscheidet er „Somnia phantastica“300, „somnia diabolica“301, und „mittelbare“ und „unmittelbare“ „Göttliche [. . .] Träum“. Auch hier begegnet also wieder ein Phänomen, das Parallelen kennt (wie in in der Catechismus-Milch, wie in den WegeTrilogie) und daher einer spezifischen Differenz bedarf, die zumindest funktional der eines Prinzips gleichkommt.

298 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. III, 4. 299 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. III, 8 f.: „Dies ist also der Unterricht von den Träumen ins gemein / wie wir sie ansehen / erkennen / unterscheiden sollen. [. . .] was aus geschehener Erklärung für sich selbs folget / nemlich: 1. Kluge Prüfung der Träum; reitzen dieselbige zur Untugend / seynd sie vom Teuffel / und dessen Bruet dem argen Fleisch und Blut: Finden sich natürliche Ursachen auß dem temperament herfliessend / so seynds natürliche Träum; gehen sie mit guten Sachen umb / so kommen sie her von dem im gedächtnuß beygelegtem Saamen Göttlichen Worts. Erzeiget sich aber darneben starcke commotion zum guten / scharpffe impression, der event und außgang macht solchen Traum wahr / so seynds Göttliche Träum / in welchen / wie Lutheri Gedancken davon lauten / Gott der Vater gibt den Traum ein / Gott der Sohn legt ihn auß / der H. Geist exequirt denselbigen und macht ihn wahr.“ Danach folgen die Punkte 2. und 3. gegen die „Traum= Theologi“ und den „Fürwitz deß Traum=Deutens“. 300 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. III, 5. 301 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. III, 6.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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Es wird hier somit dasselbe entwickelt wie in der Trilogie, nur mit viel direkterem Bezug zur Lebenswelt der Predigthörer. Während nicht jeder Straßburger Hörer und auch nicht jeder Leser im Reich sich unter Ausdrücken wie phainomenon und phantasma viel vorzustellen vermag – und wenn doch, dann nicht unbedingt dasselbe wie der Philosoph und Prediger Dannhauer –, erlebt zweifelsohne jeder und jede Träume verschiedener Art. Mit deren Hilfe kann nun dieselbe Unterscheidungsnotwendigkeit wie in jener zwischen der Hodosophie und den beiden Hodomorien erläutert werden. So wie nicht jeder theologische Gedanke als solcher bereits Rdealität darstellt, sondern in Dannhauers Trilogie rein mengenmäßig gesehen sogar öfter als nicht substantiiert denn als in der Wirklichkeit Gottes und somit des Seins verankert anzusehen ist, sind die Träume ihrerseits an sich reine Phantasien, denen nur dann christliche Qualität zukommt, wenn sie eindeutig als von Gott eingegeben zu erkennen sind. Während hier zwar ein relativ breiterer, theologisch neutraler Zwischenraum zum Tragen kommt, da viele Träume einfach Tagesreste ohne größere Bedeutung aufarbeiten, ist die Logik der Herangehensweise dennoch dieselbe. Es gilt, Phantasien im neoaristotelischpsychologischen Sinne aufzuteilen in reine Hirngespinste oder Teufelsgaukelei einerseits, in göttlich valorisierte Botschaften oder Inhalte andererseits. Dannhauer spielt hier gar mit einer wohl halb ironisch gemeinten Verallgemeinerung sämtlicher Lebenswahrnehmungen überhaupt unter dem Label des Traums, unter das daher dann auch „alle Evangelische Verheissungen“302 fallen: Christliche Hertzen [. . .] wissen / daß diß gantz Leben anders nichts sey als ein Traum / dabey sich allerhandt Comoedien und Tragoedien begeben. Was sind alle Trübsal anders als Träum / alle Evangelische Verheissungen / als gute Träum vom ewigen Leben ? Wann der HERR die gefangenen aus Zion erlösen wird / so werden wir seyn wie die Träumende / dann wird unser Mund voll lachens / und unser Zung voll rühmens seyn [. . .].303

Mit solchem Einschärfen des Traum charakters des Lebens und einer entsprechenden Dringlichkeit der Unterscheidung zeichnet Dannhauer ein Ideal eines Christen schlechthin. Ein in seinem Glauben verankerter Mensch ist jemand, der auch im Grenzzustand von bewusster und nicht bewusster Wahrnehmung alle getätigten Eindrücke stets im Lichte dieses seines Glaubens zu sortieren gewillt ist. Gemeint ist damit nicht etwa eine besondere, letztlich gnadenhaft verliehene Gabe zur Oneirokritik, der Dannhauer im Übrigen durchaus Interesse abgewinnt, wie einige seiner Werktitel verraten.304 Gemeint ist vielmehr eine

302 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. III, 4. 303 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. III, 9 f. 304 ONIROCRITARUM // BATAVORUM // ADRIANI & PETRI // de // WALENBURCH, // DELIQUIA. // Quibus accessêre NUTHETICI // BARTHOLDI NIHUSIJ // ANOETICA // MONSTRA-

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

Interpretation des jeweiligen Trauminhalts ohne Verletzung der einfachen, allseits bekannten Elementarkriterien des Glaubens im Dekalog und dem Glaubenssymbol;305 mit andern Worten eine zwar interpretatorisch freie, aber durch eine Art von oneirokritisch angewandter analogia fidei in ihrer Orthodoxie garantierte Auslegung. Wird ein solches Ideal eines unterscheidungsfähigen Christen aber schon für die Zustände im Schlaf eingeschärft, dann wird es das für den Wachbereich erst recht. Dannhauer zeigt hierzu eine Vorliebe für polarisierbare Metaphern, für Bilder, die sich leicht in ihr Gegenteil verkehren lassen und sich dadurch als Ausgangspunkt für eine kontrastorientierte Wirklichkeitsauffassung eignen. Wahrer Weg versus Irrwege, göttliche Milch als Weckmittel versus teuflisches Narkotikum (Band 1), wahres versus falsches Abbild Christi (Band 5), Essen des Brotes des Lebens versus dessen Verschmähung (Band 8)306, guter versus schlechter Hirte (Band 9): Dies sind nur einige der offensichtlichsten Beispiele, die durch zahllose, oft nur in einem knappen Absatz entwickelten Nebenmetaphern, Subpolaritäten und Zusatzpolemiken ergänzt werden, die hier nicht aufgeführt werden können. Der Christ, der bei Dannhauer in die Katechismusschule geht, wird sehr oft mit Polaritäten konfrontiert und ist entsprechend oft aufgerufen, sich zu entscheiden. Während dieser Zug in den frühen Bänden nur von der Sachebene

TORE // JOHAN-CONRADO // DANNHAWERO, DOCTO- // re & Professore Theologo in Academiæ Typographi.- // dem. Argentorat. // ARGENTINÆ // Typis JOHANN PHILIPPI MûLBII // ET JOSIÆ STÆDELII. // ANNO M DC L. – 39:118120R. 305 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. III, 9: „3. Deßgleichen von dem Fürwitz deß Traum=Deutens: Die Gab ist singular, und heutigs Tags verloschen / wir haben keine Danieles, keine Josephos mehr. Natürliche Träum und dero Bedeutungen haben ihren geweißten Weg. Wer sonst Träum deuten will / der thue es den Zehen Gebotten und der Glaubens=Regel ohne schaden.“ 306 Typisch für den steten Willen Dannhauers zur Antithese sind die logisch entscheidenden Zeilen der zweiunddreißigsten Predigt des achten Bandes, 1075 f.: „ [. . .] werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschen Sohns / und trincken sein Blut / so habt ihr kein Leben in euch. Was dann? Den ewigen Tod an dem Halß. Ist dißmal das Thema, damit wir auch unsern Text enden / schliessen und versigeln wollen. Dann nachdem wir heut acht Tag miteinander tractirt de causa vitæ, von der Ursach des ewigen Lebens / so folget jetzt die Ursach / Quell und Ursprung des ewigen Tods. Hievo aufferbaulich und nutzlich zu reden / wolle uns der Vater des Liechts mit seinem guten Geist noch ferner beywohnen. Amen. Wann demnach der HERR in unserm Text ausdrucklich die Negativam außspricht: Ich bin das Brod des Lebens / wer von diesem Brote isset / der wird nicht sterben: So trägt sie die Affirmativam das Ja=Wort auff dem Rucken mit sich. Wer von diesem Brod nicht isset / der wird sterben des ewigen Todes. Item, wann er affirmativè das Ja=Wort von sich gibt. Wer von diesem Brot isset / der wird leben in Ewigkeit. So folget per se die Negativa, das Nein=Wort. Warlich / warlich ich sage euch: Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschen=Sohns / und trincken sein Blut / so habt ihr kein Leben in euch.“

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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her entwickelt wird, und die Entscheidungsfindung und –tätigung als solche als eigenständige psychologische und im philosophischen Sinne subjektive Erscheinung eher implizit auftritt, gewinnt sie in den späteren Bänden ihrerseits Gestalt.

5.3.3 Die Wege und deren Wahl Eine Erörterung des Motivs der „Wahl“307 im Sinne einer spieltheoretischen Analyse an der Catechismus-Milch vorzunehmen, hieße einen wissenschaftsgeschichtlichen Anachronismus zu begehen. Doch indirekt gibt Dannhauer gegen Schluss seiner riesigen Sammlung Aufschluss über seine Vorstellung des richtigen Wahlvorgangs, indem er in einigen Predigten ein für unsere Zwecke kostbares Profil dessen skizziert, was er sich unter einem idealen Christen oder unter einer idealen Christin und deren Entscheidungsfähigkeit vorstellt. Wir wählen daraus die Predigten über die „kluge Wehlerin und Chur=Frau“308 Maria von Bethanien (Bd. IX, 1. Anhangs-Predigt über Lk 11,38–42) und die „methodus medendi, die geistliche Artzney=Kunst ἐν διακρίσει / in der Unterscheidung deß guten und bösen / dessen was wahr und gut / und was falsch und böse“309 (Bd. VIII, 23. Predigt über 1. Tim 6,3; Tit 2,8; 1 Tim 1,10). Generell verbleibt Dannhauer bei diesen beiden Idealfiguren und darüber hinaus innerhalb einer gewissen Dialektik. Einerseits ist er ein Vertreter klar definierbarer, extrinsischer Wissenskriterien, die als solche kognitiv angewandt werden müssen und können. Katechismuswissen muss strikt als klar vorgebenes Glaubens- und Wissensgut angewandt werden; es gibt dazu keine Alternative. Eine Alternative ist auch nicht nötig, weil der durchschnittliche, ja selbst der intellektuell minder begabte Christ in der Lage ist und in der Lage zu sein hat, den christlichen Glauben so weit zu begreifen, dass er damit alle Situationen seines Lebens meistern kann, genauerhin, allen „Versuchungen“ zu widerstehen, worunter alle Zweifel über die Korrektheit der eigenen lutherischen Ansichten zu verstehen sind. Andererseits ist angesichts der Verschiedenheit der konkreten Lebenslagen eine Interpretationsfähigkeit von Seiten des Gläubigen vonnöten. Es kommt damit ein Moment der Subjektivität, der individuellen Befähigung, und der auf den Einzelnen zielenden Gnadenhilfe ins Spiel, das angesichts der als völlig objektiv, kohärent und lückenlos konzipierten Lehre zunächst überraschen mag. Durch eine

307 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 493. 308 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 478. 309 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 710. Der Hauptitel steht S. 699: „Die Drey und zwanzigste Predigt/ Von der starcken Apotheck=Speise/ und geistlichen Artzney=Lehre/ und dero klugen Unterschei= /dung.“

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auch Dannhauer bewusste Notwendigkeit der Anwendung dieser Lehrkriterien ergab sich diese Seite jedoch von alleine, ja war letztlich unausweichlich. 5.3.3.1 Maria und ihre Wahl des Einen, das Not tut Das erste gewählte Beispiel erscheint in einem Appendix zum achten Band als „Anhang // Sieben unterschiedlicher Predigten // über // Das schöne und Lehr= reiche Gespräch / // so Christus und Martha mit einander // gehalten / beschrieben // Luc. Cap. X. vers. 38 seqq.“310 Diese Anhangspredigten, die entgegen dem dem Bibeltext selber und dessen Gewichtung verpflichteten Titel mehr über Maria als über Martha handeln, wurden vermutlich ursprünglich in anderem Zusammenhang als dem normalen sonntagmittäglichen Katechismuszyklus gehalten. Naheliegend wäre vor allem der reguläre sonntagmorgendliche Gemeindegottesdienst zu der Zeit, als Dannhauer Münsterpfarrer geworden war, und häufig seine mündlichen vorgetragenen Predigtzyklen auch gedruckt publizierte. Dannhauer könnte den Martha-Maria-Zyklus als Manuskript zur separaten Veröffentlichung vorbereitet haben, und später sich selber oder dem Herausgeber der postumen Bände der Sammlung die Möglichkeit zur beinahe aufwandslosen Einfügung in die Catechismus-Milch geboten haben. Für diese Vermutung spricht auch, dass theologische Verknüpfungen innerhalb des Zyklus, der das von Maria erwählte „einig Nöthige“ oft mit dem Manna Israels vergleicht, viel eher zum Folgeband passen, der vom Abendmahl handelt, als dass sie sich zum Hauptstück der Taufe gesellen ließen. Vorstellbar ist an sich dennoch, dass sie als Ergänzung zur eigentlichen Auslegung des Katechismustextes innerhalb des Zyklus und damit des Rahmens der Katechismuspredigten gepredigt wurden. Erstere Vermutung ist allerdings wahrscheinlicher. Trifft sie zu, würde dies bedeuten, dass Dannhauer innerhalb des Rahmens des Katechismus keine oder nicht genügend Raum und Gelegenheit sah, das Anliegen der Wahlthematik einzubringen, und daher dazu eigens eine sozusagen außerplanmäßige Zusatzmöglichkeit schuf – was umgekehrt viel über das Gewicht aussagen würde, das er dieser Kategorie der Wahl zugemessen haben muss. Die beiden eingangs genannten Momente einer kognitiv strukturierten Objektivität und einer auf die entscheidende Person orientierten Subjektivität der menschlichen Wahl teilt Dannhauer hier auf insgesamt sieben Predigten auf.311

310 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 436. 311 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 437: Die Erste Predigt / Von / Martha / als der Verklägerin ihrer Schwester Mariä. [. . .] [449] Die Andere Predigt / Von Maria / der Schwester Marthä / als der Verklagten. [. . .] [462] Die Dritte Predigt / Von Der Predigt Christi / deren Maria zugehöret. [. . .]

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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Diese sieben Kanzelreden lassen eine kunstvolle doppelte Doppelstruktur in zwei Dreiergruppen (1.-3. und 4.-6. Predigt) sichtbar werden. Maria (2. und 4. Predigt) wird zweimal in je einem Predigtpaar (1./2. und 4./5. Predigt) mit einem weiblichen Gegentypus verglichen, das eine Mal mit ihrem direkten biblischen Gegenüber in Gestalt ihrer Schwester Martha (1. Predigt), das andere Male mit ihrer und aller Menschen Urmutter Eva (5. Predigt). Diese beiden parallel laufenden Vergleiche werden je von einem dritten, ebenfalls parallel gestalteten thematischen Punkt begleitet und beschlossen (3. und 6. Predigt): In der ersten Gruppe läuft alles auf den Gegenstand der „Predigt“ Jesu an Maria zu, der als seine Christologie ausgewiesen wird (3. Predigt); in der zweiten Gruppe strebt alles zum Gegenstand des Handelns der Maria selber, ihrer Wahl für das einzig Nötige, die gegen Ende explizit beleuchtet wird (6. Predigt). Die siebte Predigt, die zu beiden Gruppen die gemeinsame Abschlussklammer bildet, thematisiert zusammenfassend die vorbehaltlose Zustimmung Gottes zu dieser von Maria getroffenen Wahl. Die ganze Serie der sieben Predigten beginnt mit der offenenen Ablehnung, ja Anklage der Maria durch Martha und endet bei der Akzeptanz, ja Heilszusprache für Maria durch Christus und somit durch Gott. Noch expliziter wird diese Rahmenparenthese dadurch, dass die Einleitung zur ersten Predigt, die den Einstieg in den ganzen Zyklus darstellt, Salomos Urteil in „1. Reg. 3,1 &c.“312 über die beiden Mütter, die um ihr Kind streiten, behandelt. Der König des historischen Gottesvolkes wie auch der König des geistlichen Israel stehen so je zwischen zwei in ihrem Wesen und Verhalten stark unterschiedlichen Frauen, deren eine beide Male die andere anklagt. Jeder der beiden Könige fungiert so als weiser Richter, „bekannt“ für das „judicium und glorwürdige Gericht“313, das die Angeklagte vollständig entlastet, von Druck befreit und bleibend rechtfertigt. Beide Dreiergruppen thematisieren somit je denselben Vorgang aus einer je andern Perspektive. Die erste Gruppe thematisiert das Geschehen in Bethanien im unmittelbaren biblischen Kontext der lukanischen Perikope, während die zweite Gruppe es im kontextuell gesehen mittelbaren, theologisch jedoch viel weiter ausgreifenden Kontext der biblischen Heilsgeschichte bespricht. Hier geschieht eine nicht nur beachtliche, sondern letztlich totale Ausweitung des Horizontes. In subtiler Weise gegenläufig zu dieser entschränkenden Entwicklung

[472] Die Vierte Predigt / Von Dem Einig Nöthigen. [. . .] [483] Die Fünffte Predigt / Von Dem guten Theil / den Maria erwehlet. [. . .] [493] Die sechste Predigt / Von der Chur und Wahl / die Maria gethan. [. . .] [506] Die Siebende Predigt / Von Dem Urtheil und Gericht Christi / über die Wahl Mariä. 312 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 437. 313 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 437.

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wird jedoch die behandelte Thematik zugleich konkreter und physisch fassbarer. Gegenstand der ersten Gruppe ist die Christusbegegnung, offensichtlich eine abstrakte, in der dritten Predigt auf ihre Essentialisierung in der Christologie hin sogar noch zusätzlich konzentrierte theologische Perspektive. Gegenstand der zweiten Gruppe hingegen ist das Essen, das bei dieser Begegnung stattfand, also eine sehr leibliche Erfahrungsperspektive, die in der sechsten Predigt auf die ebenfalls sehr sinnlich konnotierte Wahl der Speisen hin zugespitzt wird. In diesem Licht findet denn auch die Charakterisierung der beiden Frauenpaare statt. Der Maßstab, der in der ersten Gruppe an die beiden Schwestern gelegt wird, ist der Christusbezug, oder wie Dannhauer gegen Ende der Gruppe bevorzugt und stärker abstrahierend formuliert, die Christosophia. Martha wird daher als eine in ihrer eigenen Person betrachtet durchaus ehrbare, wenngleich etwas neidliebende Frau angesehen,314 deren christlicher Status außer Frage steht, obschon sie andererseits nicht wirklich etwas aus ihm macht. Der Unterschied zwischen Martha und Maria ist daher nicht etwa, wie Dannhauer es in der mittelalterlichen und dann altgläubigen Exegese liest, derjenige zwischen Laien und Mönchen. Vielmehr steht Martha für Menschen, die nur das Nötigste für den Glauben, sehr viel hingegen für ihre weltliche Existenz tun, die also die Gewichte falsch verteilen, und die besonders „den Catechismum dem Wortlaut nach erlernet“315 kennen. Maria hingegen ist nicht in erster Linie durch ihre bürgerliche Existenz gekennzeichnet. Sie ist nicht einfach mulier wie Martha, sondern zuallererst discipula ihres Gastes.316 Ihre Haltung ist auf Christus hin ausgerichtet. Als „IV. discipula auscultatrix“317 nun „höret“318 Maria zwar „die 314 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 439: „Maria ist I. mulier gratiosa; [440] II. Mulier negociosa & curiosa nimis; [441] III. Mulier litigiosa, rixosa, zelosa, imperiosa; [442] IV. Mulier obsequiosa. [443] Mulier gloriosa, eine glorwürdige Himmels=Burgerin / massen wir an ihrer Seligkeit zu zweiffeln die geringste Ursach nicht haben / sondern deren ex judicio charitatis uns zuversichern.“ 315 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 446. 316 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 453: „So erscheinet nun die edle Tugend=Blum / so zu Bethania gewachsen / die Maria / I. tanquam Discipula, τεταγμένη, ein wol disziplinirte / geschickte / regulirte / ordentliche Schulerin und Jüngerin des HErrn JEsu; [. . .] [454] II. discipula devota; [454] III. discipula humillima & obsequiosa, [. . .] [455] IV. discipula auscultatrix. Maria „höret die Wort / nimmt sie zu Hertzen / wehlet und erweget dieselbe wol“. Bereits in der Annahme, in der elementaren Rezeption der Worte Jesu findet ein Auswahlprozess statt, ein Moment der Subjektivät weniger im Sinne der Arbitrarität als vielmehr der persönlichen, engagierten Aneignung. „[456] V. Tanquam discipula καρποφόρος“ „[457] tanquam prophetissa gloriosa [ . . . ;] tanquam discipula“. 317 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 455. 318 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 455.

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Wort / nimmt sie zu Hertzen / wehlet und erweget dieselbe wol“319. Es findet also schon in der kognitiven Aufnahme, in der elementaren Rezeption, der Worte Jesu ein Auswahlprozess statt, so dass ein Moment der Subjektivät sich hier bereits ereignet. Doch davon abgesehen, dass dieses Moment weniger im Sinne der Arbitrarität als vielmehr der persönlichen, engagierten Aneignung zu verstehen ist, liegt der Akzent auf der vom Subjekt Maria weg hin zum Objekt Christus orientieren Haltung. Marias Orientierung auf den Christus zeigt sich sogar potenziert, indem sie ihm ganz zu Füßen sitzend von ihm selber über seine eigene Person unterrichtet wird. Sie hat so das eminente Privileg einer Christologie aus dem Munde des Christus selbst, ist doch das „Thema“320, über das Christus zu ihr spricht, kein anderes als „die Lehre von Christo [. . .] Christologie & Christosophia“321. Dannhauer spricht in dieser Predigt dann allerdings nicht so sehr über den an anderer Stelle in der Catechismus-Milch wie auch in der gleichnamig betitelten Christosophie behandelten locus de Christo, sondern von der Redeweise des Christus an Maria und generell. Er präsentiert ihn als den idealen Prediger, ja als die idea eines Predigers selbst, der einerseits das zentrale theologische Thema erkennt, es andererseits mit der nötigen rhetorischen Kunstfertigkeit, homiletischen Nachdrücklichkeit und vor allem didaktischen Motivierungsfähigkeit zu vermitteln weiß.322

319 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 456. 320 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 464. 321 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 462: Die Dritte Predigt / Von Der Predigt Christi / deren Maria zugehöret. „[465] Jedoch wann wir das genau und hoch anbefohlene ἐρουνᾶν, und die ὑπόνοιαν in acht nemmen. Wann wir gleich einem Weydmann und Jäger die cubilia, Nester und Löcher / wo das Wildprett ligt / recht außspäen und außspühren; gleich einem Schatz=Graber und Bergknappen die Gold=Adern recht forschen und ergraben / was das Thema geweßt / und wovon er geprediget / nemlich mit einem Wort / die Χριστοσοφία, die Lehre von Christo / seiner Person / Ampt und Gutthaten / das einig nöthige / die allerbeste Lehr / so von uns nicht kan genommen werden. Die gelehrte / die vermehrte / die hell erklärte / die sehnlich begehrte / die kräfftig bewährte und verwahrte Kunst über alle Künste / die Weißheit über alle andere Weißheit / die Lehr über allen Lehren / die Erkanntnuß Christi [. . .].“ „[467] Christi Rede seye gewesen Christologia, & Christosophia, die Lehre von Christo“. 322 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 467: Christus hat nicht nur oberflächlich, sondern „in einem anmuthigen / artigen methodo“ gelehrt über „I. das Incrementum, die Mehrung und das Wachstum [. . .]. II. Illustramentum Christosophiæ [. . .] [468] Wäre er obscur mit seiner Lehr umgangen / würde weder Maria noch sonst so viel Volcks ihm nachgeloffen seyn / sondern vielmehr abhorrirt / weil der menschliche grobe Esels=Verstand so geartet / daß / wann mann es ihm nicht wol würtzet / so mundet es nicht / wann himmlische Geheimnuß nicht evident gemacht werden / so wollen sie nicht ins Hertz fliessen / darum der HERR so viel Wort= Blumen und Gleichnussen erdacht / die himmlische hohe Dinge mit nidern Worten / mit menschlicher Zung außgesprochen / daß mans greiffen müssen [. . .].

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Die zweite Gruppe widmet sich der Wahl der Maria, beginnt jedoch vorerst in der vierten Predigt wiederum mit der Christologie oder Christosophie und erklärt sie zum „einig Nöthigen“,323 zum „unum necessarium“324. Durch diese Charakterisierung wird einerseits eine kompositorische Brücke zum Gesamtkonzept der Sammlung der Catechismus-Milch hergestellt. Schon in der zweiten Eingangspredigt des ersten Bandes wird ja der Katechismus vorgestellt als „Praesens necessarium, was dißmahl ihnen nöhtig / rahtsam und nutz sein werde / nemlich Catechismus=Milch und Buchstaben Lehre“325; die deutsche Übersetzung des Predigttitels im Register ihrerseits spricht „Von dem nöthigsten Stuck unsers Christenthumbs / dem Catechismo ins gemein; was des Catechismi Natur und Eygenschafft seye?“326 Andererseits wird durch diese Bestimmung der Christosophie eine Weiterleitung von der ersten, auf die Christosophie ausgerichteten Predigtgruppe zur zweiten, auf die Wahl orientierten Gruppe geschaffen, denn das unum necessarium wird durch vier Eigenschaften näher bestimmt, deren erste drei aus der Einzigartigkeit der Botschaft von Christus ihre Einzigkeit ableiten, während die vierte sie als Gegenstand einer Wahl präsentiert. Das unum necessarium ist das Manna, das Christus bei der Mahlzeit mit Martha und Maria verteilt, nämlich das Eine, das Not tut. Damit ist nicht etwa, wie Dannhauer in erneuter Abgrenzung von traditionellen Kommentaren unterstreicht, die Genügsamkeit mit einem einzigen Gang bei der leiblichen Mahlzeit in Bethanien gemeint, sondern Christus lädt eben „dazu / mit Vermeldung Eines [. . .] nemlich Christosophia [. . .].“327 Die Christosophie ist die wahre himmlische Speise für die Christen des Neuen Bundes, so wie das Manna es für diejenigen unter dem Alten Bund gewesen war. Daher wird sie nun auch „unter der Figur des Manna unius

III. Excitamentum, daß er die Begierde Mariä und seiner Zuhörer damit erweckt und geschärfft“ Christus zeigt Zweck der Predigt und Sinn des Erlernens ihres Inhaltes auf. „Christus / der beste Didacticus“. IV. Firmamentum, die ἀσφάλειαν, Befestigung / Bewährung und Gründung dessen / was er gelehret.“ Er lehrt vor allem aus den Psalmen, Χριστοσοφίαν Davidicam. Anschließend zieht Dannhauer daraus die Konsequenz, als usus oder Applikation. Christus ist „[469] die Idea Concionatoris, der Außbund aller Prediger / keiner hats je besser gemacht / wirds auch keiner besser machen können.“ „Thema, Centrum, Scopum omnium concionum“ ist die Christologie, die durch den „thematis methodum, αὔξησιν“ Weitere Bilder dienen zur Illustration dieses Sachverhalts, beispeilsweise dasjenige von den weiblichen Bediensteten der Königin: „[470] Das Wort GOttes ist eine Königin / darum muß sie auch ihr Frauen=Zimmer haben / die ihr auffwarten / und Dienst leisten.“ 323 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 472: Die Vierte Predigt / Von Dem Einig Nöthigen. 324 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 473. 325 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I,2 und 10; vgl. oben Anm. 164. 326 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. X, 3. 327 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 473.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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necessarii“328 erklärt. Wie das Manna Israels ist die Christosophie nötig „1. Necessarium necessitate mandati & medii“329. Die Christosophie ist „keine Chur=freywillige Wissenschaft / die bey uns stünde zu wehlen und zu erkosen oder nicht“330, sie ist vielmehr geboten und unumgängliches Medium unserer Erlabung, ja unseres Überlebens. Die Christosophie ist das einzig Nötige als „2. unicè necessarium“331, so wie nur Manna nötig war, die ebenfalls zur Disposition stehenden, scheinbar köstlicheren Wachteln dem Volk hingegen nicht gut taten. Die Christosophie ist „3. Unum indivisum in se, ein unverschiedentlicher / unzertrennlicher und unheilbarer Schatz“332. Durch diese Punkte kreiert Dannhauer einen Anschluss an die philosophische Arbeit seiner Jugendzeit wie auch an die Hodosophie, in denen die Qualität einer Argumentation im engeren oder eines wissenschaftlichen Konzeptes im weiteren Sinne an der Lückenlosigkeit seiner Entfaltung gemessen wird: „Die Christosophia ist gleichsam eine Kette / wenn ein Gleich solvirt / und auffgelößt wird / so geht die gantze Kett drauff / also wann in der Christosophia ein Articul fehlt / so geht die gantze Christosophia zu Grund.“333 Vor allem aber ist die Christosophie nötig im Sinne von „IV. Eligibile, Wehlwürdig und Churwerth“334. Der Sinn dieser Prädikate, die zu dem bisher über die Christosophie als einzig nötigem Manna Gesagten in scheinbarem Widerspruch stehen, entfaltet Dannhauer durch eine Reihe von Vergleichen. „Wann einem König die Tafel gedecket wird / da alles vollauff und delicat, und aber der Medicus sagt: Ihr Majestät wollen bey dieser einzigen Tracht bleiben / die ist gesund: Varietas ciborum est causa morborum, so folget er: Also hätten die Kinder Israel nicht sollen gelüstrig werden nach dem Knoblauch / Fleisch und Fischen Egypti / sondern sich mit dem Manna begnügen lassen / welches Israels Artzt / (der gesagt: Jch bin der HERR dein Artzt/) vom Himmel herab gleichsam ihnen recommendirt und veordnet: Unsere erste Muttee [sic] hätte nicht essen sollen von dem verbottenen Baum / weil sie aber nicht recht gewählet / hat sie ihr und uns den ewigen Tod an den Hals gefressen.“335 Besser

328 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 473. 329 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 474. 330 Catechismus-Milch, DWV 97,Bd. IX, 874. 331 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 475. 332 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 476. 333 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 477. Dannhauer fügt zur Erklärung bei; ebd.: „Athanasii Symbolum lautet hart / aber wahr und gewiß; Wer da wil selig werden / der muß für allen Dingen den rechten Christlichen Glauben haben / wer denselben nicht gantz und rein hält der wird ohn Zweiffel ewiglich verlohren seyn.“ 334 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 478. 335 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 478.

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

handelten hingegen „Daniel / und seine Gesellen / die contentirten sich mit Zugemüssen / tanquam uno necessario“336. Auch andere biblische Figuren (in Ps 27,4; 73,25; 86,11; 1 Kor 2,2) verhielten sich entsprechend. Es besteht also durchaus eine Wahl. Gerade das Faktum, dass das irdische oder das himmlische Manna nötig ist, impliziert umgekehrt, dass es funktional a priori entsprechende, faktisch jedoch weniger bis überhaupt nicht dienliche oder gar weniger als dienliche und daher schädliche Alternativen geben kann, ja stochastisch gesprochen sogar geben muss, denn ansonsten wäre die Rede vom einzig Notwendigen logisch nicht gedeckt. Obschon aus der Sicht Gottes also nur eine Wahl die richtige sein kann, die er deshalb dem Menschen auch gebietet, steht der Mensch, an den dieses Gebot ergeht, praktisch gesehen vor einem Akt der Wahl, die er zu tätigen hat. Maria hat die richtige Wahl getroffen: Und eben ein solche kluge Wehlerin und Chur=Frau ist auch unsere Maria von Bethanien / sie laßt der Schwester ihre häußliche Klugheit und Sorgfalt / gehet der Phariseer und Sadduceer Secten müssig / wartet hungerig und durstig auff den Trost Israel: Ach daß die Hülffe auß Zion über Israel käme / etc. Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes / fasset ihn mit dem Mund des Glaubens / sauget auß seinen Brüsten die lautere Milch des Evangelij / verkauet ihn durch heilige meditationes, erquicket sich inniglich / und wird mit demselben geistlicher weiß vereinbaret / da es nachmahlen dann bey ihr geheissen: Hosianna / himmlisch Manna / das wir essen / deiner kan ich nicht vergessen.337

Unter denjenigen, welche die Wahl verfehlen, gibt es nun zwei Gruppen, die Dannhauer analytisch unterscheidet. Auf der einen Seite selbstredend diejenigen, die das himmlische Manna vollständig ablehnen, weil sie ihm anderes vorziehen. Zu ihnen zählen hauptsächlich die Atheisten oder auch die Indifferenten einerseits, die auf weltliche Freuden oder Interessen Versessenen andererseits.338 Es gibt aber noch eine zweite Weise, das einzig Nötige nicht zu treffen oder zu erlangen. Diese Weise der Nichtwahl ist nicht oder nicht unbedingt gewollt, sondern beruht meist auf einem Irrtum, der mathematisch gesprochen darin besteht, die

336 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 478. 337 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 478. 338 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 478: „So thöricht und unsinnig haben je und allezeit gethan und gehandelt / thun und handeln noch alle diejenige unvorsichtige Wehler / die in Brands Narren=Schiff dem ewigen Tod in Rachen hinein fahren. Nicht allein 1. die Fastidianten / die Gallionisten / Pilatiner / die Festianer / die von Christo allerdings nichts wissen wollen / welchen für dieser losen [479] Speiß eckelt / die sind warhafftig rechte Selbs=Mörder / die sich muthwilliger weiß selbs außhüngern / und von dem gifftigen feurigen Gewissens= Wurm nagen und plagen / verwunden und tödten lassen. [. . .] Nicht allein 2. Die Delicianer in temporalibus, die vor der Welt=Weißheit zur himmlischen Christ=Weißheit nicht kommen können. Dazu gehören auch Wissenschafter, die non-necessaria docent & discunt.“

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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Christosophie als Obermenge zu sehen, aus der dann sinnvoller Weise Teilmengen herausgelöst werden könnten. Das aber lehnt Dannhauer schon in seiner Definition der Notwendigkeit des einzig Notwendigen ab, nach der es in sich unteilbar ist. Die Christosophie nur teilweise gewinnen zu wollen, heißt daher, ihr ganz abzusagen. Dies ist der Fall bei denen, die zu viel glauben, wie das Papsttum, das sich neben den schriftlichen Quellen auch auf ungereimte und unqualifizierte nichtschriftliche Quellen von Christus verlässt; es verpasst das Maß der Christosophie, indem sie es zu überschreiten trachtet.339 Es ist aber auch der Fall bei einer andern Gruppe von Erzfeinden Dannhauers, die eine Lösung der interkonfessionellen Probleme durch eine Reduktion der Glaubensinhalte auf ein allseits annehmbares Minimum anstreben. Ihrer eigenen Selbstbezeichnung nach sind sie Ireniker, in der Diktion der streng Orthodoxen wie Dannhauer Synkretisten, unbestritten von beiden Seiten her aber ist, dass sie die lutherische Christologie nicht bis ins letzte Detail für unabdingbar halten. Sie wollen damit das Maß der Christosophie unterschreiten, und verfehlen es so ebenfalls, weil deren Struktur aufgrund des Dannhauerschen Wissenschaftsideals lückenlose Kohärenz impliziert.340 Maria wird auf diese Weise zu einem Vorbild für alle Christen, für die es gilt, die Christosophie auf richtige, umfassende Weise zu ergreifen.341 Entscheidend ist hierbei nicht – wie Dannhauer auch hier erneut unterstreicht – die individuelle rein intellektuelle Befähigung, sondern der Wille, die Lehre des

339 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 479: „Sondern es gehören auch hieher alle Schell= würdige Thoren / die das Unum Indivisum nicht beobachten / das rechte Maaß nicht treffen; thun der Sachen entweder zu lützel / oder zu viel / glauben weniger oder mehr / als sie wissen und glauben sollen.“ 340 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 480: „Zu wenig glauben unsere Irenici und Syncretisten / alte und neue / Pareus und Duræus, M. Anton. de Dom. Die friedliebende Hertzen / Cassander, Grotius, Calixtiner und Julianer / deren neue Invention kurtz dahin gehet / wolle man in der Religion Kirchen=Frieden stifften / so seye das einzige Mittel / man soll alle Controversien abschneiden [. . .] Schul-termini sollen abgeschnitten werden / als die in der Schrift nicht stehen. [. . .] Irenicum melli-veneficum.“ Es kommen die ganzen, aus andern Schriften bereits bekannten Beispiele: Jesus im Disput mit Pharisäern und Sadduzäern, die Kirchenväter im Streit mit Ketzern. 341 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 481: „Sprichstu / auff diese weise müßten alle Christen gelehrte Leuthe seyn. Antwort: Wolte GOTT / daß alle das Volck des HERRN weissagte / Num. 11,29. GOTT hat seinen Geist nicht vergebens im N. Test. über alles Fleisch reichlich außgegossen / auch auff die Knechte und Mägde / sondern zu dem Ende / daß Söhne und Töchter sollen weissagen / Jünglinge Gesichte sehen / und die Eltesten Träume / das ist / eine vollkommene / wiewol nach eines jeden Talent abgemessene Erkanntnuß GOttes / einen recht=erleuchteten / Gottes=gelehrten / wol gegründeten Glauben haben. Gradus perfectionis wird erfordert / nicht perfectio gradus.“

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5 Unterscheidung als Weg zur Seligkeit: Die Catechismus-Milch (1642–73)

Christus ganz zu umfassen, der aus einem starken, ja verzehrenden Wunsch geboren wird, die Person des Christus zu umfangen.342 „Die Fünffte Predigt / Von Dem guten Theil / den Maria erwehlet“343 läuft zur Argumentationsstruktur der vierten parallel, weitet sie aber ins Universelle aus. Sie geht wie die vierte aus vom Objekt der Wahl, indem sie mit dem Bibeltext von „dem guten Theil“ spricht, also wiederum dessen Eigenschaft als eines zu wählendenen Gutes heraushebt. Dieses gute Teil wird sodann mit einem Gegenstück präsentiert und zugleich heilsgeschichtlich universalisiert, indem sie mit dem biblischen Bild der beiden Paradiesesbäume ineins gesetzt wird. Neben „1. Den todten Baum mitten im Garten / einen bösen Baum“344, stellt Dannhauer hier daher „den Baum des Lebens / einen safftigen / kräfftigen / lebendig=machenden Baum“345, die er sodann als „opinion und Meynung der falschen Lehr“346 einerseits, als „Christus [. . .] lignum vitæ“347, den wahren Lebensbaum, andererseits identifiziert. Er vergleicht Eva, die den bösen Baum wählte, mit Maria von Bethanien, die sich für den guten entschied, und stellt deren Wahl damit in einen typologischen Rahmen. Es ist möglich, wenngleich nicht beweisbar, dass hier eine Art protestantisches Gegenstück zur katholischen Eva-Maria-Typologie vorliegt.348 Sodann wird die Möglichkeit der Wahl als solcher erneut sehr unterstrichen, wozu Dannhauer eine Liste biblischer Mahlzeiten präsentiert, die alle, jedenfalls seiner Lesart nach, eine Auswahl

342 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 483: „Er wolle uns corda Electoralia geben / daß wir mit Maria den besten Theil / das einig=nöthige erwehlen / daß wir nicht Meister suchen mehr / denn JEsum Christ mit rechtem Glauben / und Jhm auß gantzer Macht vertrauen. Amen.“ 343 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 483. 344 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 483. 345 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 483. 346 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 484. 347 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 484. 348 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 484: „So übel nun / thöricht und unsinnig Eva unsere erste Mutter gewehlet / einen schädlichsten / schändlichsten Mißgriff und Mißtritt gethan / den Baum des Lebens fürbey gegangen / und den Baum mitten im Garten den Todten=Baum erwehlet: So wol hat im gegentheil ihre Gottselige und und kluge Tochter der Maria von Bethania erkosen und gewehlet: den unziemlichen / unzeitigen / allzu mühsamen fladernden / dem Wort Gottes hinderlichen Genuß und Gebrauch der Creatur und dero zeitlichen Ergötzlichkeit / daran sich ihre Schwester bemühet / so dann auch den gifftigen Baum der Phariseischen und Sadduceischen Irrthum hat sie hindan gesetzt / und erwehlet den rechten geistlichen Baum des Lebens / Christum JEsum / zu dessen Füssen sie sich gesetzet / seine über=Königliche Tracta= [485] menten und himmlische / Englische mysteria angehöret / gegessen / sich ergötzt und erquickt / und also mit einem Wort ἀγαθὴν μερίδα, das gute Theil / das nimmermehr soll von ihr genommen werden / erwehlet und außerkohren.“

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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unter verschiedenen Speisen implizierten.349 Ganz Sittenprediger und Wahltheoretiker zugleich, erklärt Dannhauer die angeblich spezifisch deutsche Sitte, die Gäste zum Alkohol zu nötigen, aufgrund der mangelnden Wahlfreiheit zur Unsitte. Schließlich werden die „Trachten“350, also die für Maria aufgetragenen Speisen, untersucht, durch welche die Alternativen zur Christosophie symbolisiert werden. Die „οἰκοσοφία“351 oder „Vernunffts=Klugheit“352 auf der einen, die „δαιμονοσοφία“353 oder der „Pharisäische Saurteig / und Sadduceische Greuel=Suppen“354 entsprechen möglicherweise den beiden Konfessionen der Refomierten und der Katholiken, an deren übliche Charakterisierungen durch Dannhauer sie von ferne erinnern.355 Die Frucht der guten Wahl, des Lebensbaums der Christosophie, gibt alle wahren Güter des zeitlichen und ewigen Lebens, Gesundheit, Lebensfreude und Unsterblichkeit.356 Ausschlagend zu der

349 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 485: „Dann gleichwie bey einer irdischen / weltlichen / doch ordentlichen / und wol angestellten Mahlzeit und Gastmahl man den Gästen die Wahl lasset / keinem wird ein und andere Speiß / ein und ander Getränck / was und wieviel er trincken soll / auffgedrungen / sondern einem jeden wird die freye Chur und Wahl gelassen. Inmassen der sonst Heydnische König Ahasverus bey seinem Königlichen Panquet Esth. 1. niemand gesetzt / was er trincken solt sondern verordnet / daß ein jeglicher solte thun / wie es ihm wol gefiel / anders als unsere unmenschliche barbarische Teutschen / ihrem Abgott dem Sauffauß zu Ehren / den Gästen die Servitut aufflegten / sonderliche Gesundheiten / und damit anders nichts als allerhand Wehetag / Seuchen und Kranckheiten / Podagra / Schwindsucht an den Hals zu sauffen / da es gleichsam geheissen / ἢ πίθι ἢ ἄπιθι, Vogel sauff / oder tod.“ 350 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 486. 351 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 486. 352 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 486. 353 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 486. 354 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 486. 355 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 486: „[. . .] der Mariä von Bethanien drey unterschiedliche Tisch und Taffeln gedecket und bereitet worden / von drey unterschiedlichen Trachten: Eine war die οἰκοσοφία und Vernunffts=Klugheit ihrer Schwester Marthä / so nach dem Fleisch gerochen / und behafftet gewesen mit einer unziemlichen / unordentlichen / unzeitigen / und fahrlässigen Sorgfalt und Hindernuß des Worts GOttes: Die andere die δαμνασοφία, Jac. 3,15. wie dieselbe in den Jüdischen Synagogen fürgetragen worden / so nichts anders / als Pharisäische Saurteig / und Sadduceische Greuel=Suppen / lauter Lugen und Mord: und dann die Χριστοσοφία, eine Königliche Salomons=Tafel / überstellt von Himmlischen / hoch=tröstlichen Geheimnussen des Reichs Gottes / die Christus der Symposiarcha damal in seiner Rede vorgetragen / so macht sie eine Wahl unter diesen dreyen / beurlaubet die zwo ersten / als die ihr nicht gemundet / die dritte allein hat sie außerkohren / als ἀγαθὴν μερίδα, das gute Theil / davon sie das rechte Leben / lauter Safft und Krafft gesogen. Und zwar [ . . . ; s. folgende Anmerkung]“ 356 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 486: „[. . .] und zwar 1. Bonum sanitatis, vitæ beatæ.“ Der Lebensbaum bewahrte Menschen im Urstand vor „Seuchen / Kranckheiten und Wehetagen“,

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richtigen Wahl sind nicht allein geistige Fähigkeiten, sondern vor allem geistlicher Durst, der durch Anfechtungen oder Versuchungen geschürt wird.357 Damit ist der Eintritt in die sechste Predigt vorbereitet, die spezifisch dem Akt der Wahl als solcher gewidmet ist, oder in homiletischen Maßstäben geredet, dem Wort ἐξελέξατο im Predigtext. Sie beginnt wie die fünfte Predigt im Kontext des Urstandes, dieses Mal jedoch nicht im Sinne eines totalen, typologisch verstandenen Gegensatzes, sondern in jenem einer Überbietungsfigur von den „Patriarchen vor der Sünd=Flut“358 hin zur Maria von Bethanien. Die antediluvianischen Menschen genossen ein im Vergleich zum postlapsarischen Durchschnitt ausnehmend langes Leben, weil sie das Richtige aßen.359 Maria aber und alle wahrhaftigen Christen haben Anteil am „immer=währenden /

jetzt bewahrt er die Christen vor „allerhand geistlichen Schwachheiten und Seuchen“ „der geistliche Lebens=Safft“ gegen „die innerliche Seelen=Pest“. „[487] Christus und seine σοφία ist die Panacea“. „II. Bonum hilaritatis, vitæ lætæ & lætificæ.“ Die Christosophie bringt Trost und Lebensfreude, mehr als alles andere. Der Trost bringt Geduld und Stärke gegen alle Arten von Anfechtungen. Auch für sie gilt „gemeiniglich sind dieses die andächtigste Zuhörer / welche Noth / Creutz und Anfechtung drucket und preßt.“ „III. Bonum ἀθανασίας, vitæ immortalitatis. Die Christosophia ist „[489] die Kunst der Unsterblichkeit“. 357 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 492: „Suchen endlich mit diesen Predigten gar nicht perfectionem summam, und dasselbe ohne discretion der Talenten/ non perfectionem gradus, sed gradum perfectionis, und dann sonderlich den geistlichen Hirsch=Durst und seligen Hunger nach der Christosophia, dazu viel hilfft das liebe Creutz/ dann das bittere Creutz macht JEsum recht sueß/ der bekehrte Schaecher erinnert sich alsdann des gruenen Holtz des Lebens/ da er an dem Holtz gehangen: und das ist derjenige Hunger/ welchen ich wuensche/ bitte und begere/ so wird alsdann die Christosophia wol schmecken.“ 358 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 493. 359 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 493: „Warum und woher es kommen / daß die heiligen Ertz=Vätter und Patriarchen vor der Sünd=Flut / ihren Lebens=Faden so weit außgezogen / ihr zeitliches Leben in dieser Welt etlich hundert Jahr lang gefristet / und so hoch / sonderlich Mathusalem auff 969. Jahr gebracht“, dazu haben die Kommentatoren unterschiedliche Antworten bereit: „I. Indolem Temperamenti, die Qualität / Art und Eigenschafft ihrer noch safftigen und lebhafften / kräfftigen complexion, der edlen und proportionirten / gleich abgewogenen crasi der humoren / die wolthauende innerliche Kuchen des Magens / und der Leber [. . .] II. Salubritatem alimentorum. [. . .] III. Temperantiam hominum.“ Kein Überfluss wie die „Gottlosen Cains=Kinder“ ihn hatten. „IV. Sonderlich σιτοσοφίαν, & hinc delectum ciborum, die kluge und scharffsinnige Wissenschaft und Erkanntnuß der Eigenschafften und Kräfften der Speisen / welche sie als ein S. lipsanum Paradisiacum auß dem Paradiß erholt / und von ihrem Großvater Adam erlernet / daß sie aller Erden=Gewächs Naturen und Tugenden mit erleuchteter Vernunfft erkundiget / geprüfet / und ein delect angestellet / die simpliciora, salubriora und puriora erwehlet / und sich allein mit den jenigen Speisen beholffen / so zu Nehrung und

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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nimmer zerstörlichen / unwandelbaren / himmlischen / ewigen Leben“360, weil sie Christus erwählen, die eigentliche Himmelsspeise. Es hängt also alles von der richtigen Wahl ab; es geht um nichts anderes als um „die geistliche σιτοσοφία und ecloge spiritualium, die kluge / tieff= und scharffsinnige Chur und Wahl der geistlichen Seelen=Speiß“361. Die vor der Flut nahezu vollkommen „scharffsinnige Wissenschaft und Erkanntnuß der Eigenschafften und Kräfften der Speisen“362 war von Adam erlernt, und half unter den „Erden=Gewächs“363 „die simpliciora, salubriora und puriora“364 zu erwählen.365 Das Zitat dieser dreifachen Adjektivenkette aus dem Kommentar des Simplicius zum Epiktet-

Erfrischung deß Leibes am tauglichsten und bequemsten gewesen. Und darauß ist entsprungen die Longævitas. [. . .] Gleichwie nun besagter delectus alimentorum das jenige Mittel geweßt / durch welches sich ihr zeitliches Leben verlängert: Also ist auch dem jenigen / der sich sehnet nach dem allerlängsten / das ist / der nach dem immerwährenden / nimmer zerstörlichen / unwandelbaren / himmlischen / ewigen Leben trachtet / vonnöthen / als ein heilsames Mittel / die geistliche σιτοσοφία und ecloge spiritualium, die kluge / tieff= und scharffsinnige Chur und Wahl der geistlichen Seelen=Speiß / nach dem Exempel userer Lieben Mariä von Bethanien / die unter denen Speisen / die ihr so lieblich von ihrer Schwester / so geistlicher weiß in den Jüdischen Synagogen und der Hauß=Schul des Jesu von Nazareth bereitet und auffgetragen worden / so wol und klüglich gewehlet / daß sie das einig=nöthige von dem unnöthigen / den guten / safftigen / kräfftigen Theil herauß gezogen und geflogen / und vor dem abgeschmackten gifftigen erkohren / und hierin sich als eine lobwürdige Chur=Frau und Wehlerin erzeiget / worauff der HERR klar gedeutet mit dem weit=außstehenden Wort ἐξελέξατο, sie hat erwehlet. Was das nun für ein Chur und Wahl gewesen / ist das je= [495] nige / davon wir etwas weiter in der Forcht des HERRN reden und handeln wollen. GOTT gebe dazu Krafft / Gnad und Geist. Amen.“ 360 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 494, zum Kontext s. oben Anm. 359. 361 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 494. 362 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 494. 363 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 494. 364 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 494. 365 ΣΙΜΠΛΙΚΙΟΥ ΕΧΗΓΗΣΙΣ ΕΙΣ ΤΟ ΕΠΙΚΤΗΤΟΥ ΕΝΧΕΙΡΙΔΙΟΝ / SIMPLICII COMMENTARIUS IN EPICTETI ENCHIRIDION; In cap. XXXIII, § 7: „[. . .] ita et nos adversus nostrum instrumentum adfecti esse debemus, nec illi nisi ea quæ usus et necessitas postulat offerre e cibis et potionibus, ea quæ secundum naturam corpus humanum alunt, parabilia et naturæ convenientiora deligendo. Haec enim statim et puriora deprehenduntur, et simpliciora, et salubriora. Im Original Ταῦτα γὰρ εὐθὺς καὶ φυσικώτερα εὑρίσκεται, καὶ λιτότερα, καὶ ὑγιεινότερα.“ Zit. nach Theophrasti Characteres, Marci Antonini Commentarii, Epicteti Dissertationes ab Arriano literis mandataæ, fragmenta et enchirdion cum commentario Simlicii, Cebetis tabula, Maximi Tyrii dissertationes. Græce et latine cum indicibus. Theophrasi characteres xv et maximum Tyrium ex antiquissimus codicibus accurate excussis emendavit Fred. Dübner, Parisiis, Editore Ambrosio Firmin Didot, Instituti regii Franciæ typographo, MDCCCXL, [quartae partis paginarum linearumque] 115, 19–24.

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schen Enchiridion in der Übersetzung des Hieronymus Wolff (1516–1580) zeigt, wie hier neuplatonische Welthaltung mit biblischem Urstands- und Heilsgeschichtsdenken zusammenprojiziert und in einer botanisch-pharmazeutischen Sprache wiedergegeben wird. Damit ist nicht nur, wie in so vielen Predigten Dannhauers, „eine Rechtfertigung des Leiblichen im Christentum“366 intendiert, sondern zugleich auch das Sinnliche moralisch konnotiert. Denn mit den Sinnen das Einfache, Heilsame und Reine zu erkennen und es dann auch zu wählen, gehört zur Elementarweisheit der Menschheit und des Menschseins, eine Weisheit, die im unmittelbaren Nachgang zum Paradies noch stark vorhanden war, und die es nunmehr zurückzuerobern gilt. Diese Neuaneignung der rechten Wahl verdankt sich fünf Charakteristika, die sich – wie könnte es anders sein? – wie ein Spiegel des Dannhauerschen oder generell des orthodoxen habitus theologicus präsentieren. Die Wahl geriert sich als „I. Electio exercitata“367, „[. . .] II. purificata“368, „III. [. . .] dialectica“369, „IV. [. . .] anathematica“370, und schließlich „V. [. . .] apprehensiva“371. Sie ist also eine „electio exercitata, ein geübte und habituirte Wahl“ 372, worunter Dannhauer ein pädagogisch-katechetisches, aber ahl

366 Kücherer, Katechismuspredigt, 212. 367 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 495. 368 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 496. 369 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 497. 370 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 498. 371 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 499. 372 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 495: „GEliebte in Christo. So ist nun die Chur und Mahl=Wahl / welche der grosse καρδιογνώστης in dem innersten Hertzen der andächtigen Maria gesehen und gefunden. 1. Electio exercitata, ein geübte und habituirte Wahl. Dann das wird an dem / der unter Speiß und Getränck wol kiesen und unterscheiden wil / erfordert / daß er einen guten Mund habe / ein gesunden Geschmack / der durch Ubung ihm solchen subtilen Geschmack zu wegen gebracht. [. . .] Derselbige geistliche Richter ist nicht allein der also im Papstthum genante geistliche Prälat / Bischoff / Cardinaal / Pabst / als welche mehrentheils voller Fleisches / fleischlicher Jgnorantz / Frevel / Stoltz / etc. Sondern ein jeglicher auß GOTT gebohrner Mensch / der sich in Lesung / Betrachtung des Göttlichen Worts / im Gebet Anfechtung wol geübet / wiewol nach Unterscheid der Talent und Grad / der soll und kan urtheilen von Lehren / und Lehrern / von gesunden und gifftigen Speisen / von den Geistern und Winden / von Liechtern und Jrrwischen / von larvirten Wölffen und Hirten / und offt schärffer als die Lehrer selbs.“ Maria meditiert in Schrift, damals noch keine Amadis, sondern benutzt die Schrift als Erziehungsmittel der Kinder, „[496] Maria von Nazareth / als eine solche edle Bien“ hat „auß Mose und Propheten ihr Magnificat zusammen gelesen“ „sie hat in Gottes Wort fleissig meditirt / dazu die tentationes dapffer geholffen. Es waren damal unterschiedliche Messiä auffkommen / der Chiliastisch=Jüdische / der Sadduceische Sau=Messias / der Phariseische Pracht=Messias / und der Herodianische Heuchel=Messias. [. . .] Uber die that sich herfür ein gantz neue Religion / die Nazarenische Hæresis, Act. 24,5. da war Kostens und Schmeckens vonnöthen / meditation und Gebet / sonderlich bey denen / die

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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noch zuvor ein geistliches Unterfangen begreift, das er wiederum in die Metaphorik der Wahl der Speisen einschließt. Zur Übung in der Wahl der Speisen braucht es „einen guten Mund“373 und „einen gesunden Geschmack“374. Er geht den Klerikern und Prälaten unter Umständen ab, ist aber bei jedem aus dem Geist geborenen Christen vorhanden und zu schulen. Maria schöpft ihre Nahrung hingegen wie eine Biene aus dem Honig der göttlichen Schriften.375 Sie liest nicht, wie Dannhauer tadelnd mit Blick Richtung Westen feststellt, französische Schäferromane, sondern sie meditiert die Schrift, und erlangt so eine „ἕξις γευστικὴ, daß sie mit geübten Sinnen alle probieret / credentzet / die abgeschmackte verworffen / und die kräfftigste / safftigste / beste und lieblichste Lehr=Tracht / und Honig=süsse Himmel=Speiß des JEsu von Nazareth erkosen und außerlesen“376. Die Lektüre der Schrift und der Zugang zu ihr sind freilich ihrerseits noch einmal stimuliert und verfeinert, nämlich durch „tentationes“377, „meditation und

nicht wie das thumme Vieh in den Tag gelebt / sondern ihnen ihr Heyl und Seligkeit angelegen seyn liessen / die auff den Trost Israelis gewartet / und von Hertzen und mit Schmertzen geseufftzet: Ach daß die Hülffe auß Zion über Israel käme! Ach daß du den Himmel zerrissest / und herunter führest! Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes! Daher war nun entsprungen bey Maria die ἕξις γευστικὴ, daß sie mit geübten Sinnen alle probieret / credentzet / die abgeschmackte verworffen / und die kräfftigste / safftigste / beste und lieblichste Lehr=Tracht / und Honig=süsse Himmel=Speiß des JEsu von Nazareth erkosen und außerlesen.“ 373 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 495. 374 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 495. 375 Zum Bedeutungshorizont der im Geistesleben des Barockzeitalters so wichtigen Doppelmetapher von den Bienen und Spinnen, die archetypisch die entweder ganz aus den Früchten der Antike oder nur aus dem selbst gesponnenen Faden zeitgenössischer Wissenschaft schöpfenden Gelehrten verkörpern, siehe den klassischen Essai von Fumaroli, La querelle des anciens et des modernes. XVIIe -XVIIIe siècles. Les araignées et les abeilles. Die weit verbreitete Metaphorik war in Dannhauers Studienstätte Altdorf schon längst vor seinem dortigen Aufenthalt bekannt, wie bei Philipp Scherb belegt in seiner Oratio de idoneo iudice earum controversiarum quae in artibus nasci solent, ex sententia Galeni / Auctore Ph. Scherbio, Medicinæ // ac Philosophiæ professore in // Acad. Altorfina. // Typis Christophori Lochneri, et Johannis Hofmanni, Typographorum Aca-// demicorum. // ANNO CHRISTI M D XCII. //[Altdorf] – S 2661; s. unten Anh. 3.4, S. 431: „Denique quoquò nos convertimus: ubique repulsa praesens, spes novitatis nulla uspiam affulgebat: Quid in hac summa destituione facerem, aut quid [A 2 verso] amplius cogitarem? quid aliud, quàm id, quod in Sapientum scholis aliquando didicimus: Non minus laudari apes, quę ex alienis sua libarent, quàm aranei ex sese fila gignentes. Itaque ibamus continuò ad illud, decerpendum aliquid ex Platone, Aristotele, aut Galeno, quod et si novum non esset: antiquitate tamen sua, gratiam & authoritatem conciliaret.“ 376 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 496. 377 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 496.

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Gebet“378. Die klassische, ja axiomatische379 luthersche Trias von oratio, meditatio und vor allem tentatio erscheint hier leicht auseinander gerissen, aber vollständig und eindeutig als solche erkennbar. Originell ist der zweite Punkt, dass nämlich der mit dem „Honigseim“380 des Gotteswortes gefüllte Mund der Maria rein vor jedem verfälschenden Nebengeschmack gefeit und deshalb zur objektiven, unvoreingenommenen Prüfung der vorgesetzten Speisen oder Lehren in der Lage gewesen sei.381 Dass die Wahl dialektisch,382 also im Rahmen syllogistisch operierender Wahrheitsfindung und anathematisch, also unter Bereitschaft zur Verdammung aller als falsch erkannten Lehren, sich zu vollziehen hat, überrascht angesichts des Dannhauerschen Werdegangs und Theologieverständnisses wenig, doch gerade so zeigt sich ein weiteres Mal in sehr augenfälliger Weise die Grundlegung nicht nur seiner theologischen Positionen als solcher, sondern auch von deren homiletischer Vermittlung in den logischen Arbeiten seiner Jugend. Bemerkenswert ist außerdem der letzte genannte Punkt, weil er erkennen lässt, dass die Christologie für Dannhauer letztlich keine Sache der christologischen Kategorien, sondern der mystischen Versenkung ist.383 Die innere Beteiligung der

378 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 496. 379 Bayer, Oratio, meditatio, tentatio. Eine Besinnung auf Luther’s Theologieverständnis. 380 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 497. 381 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 496: „II. Electio purficata, eine gereinigte Wahl von allen fleischlichen Passionen und Gemüths=Affecten / eine uneingenommene / unpartheyische [497] Wahl. [. . .] circumit cor suum, Eccles. 7,26. Sie kehret ihr Hertz um / zu suchen Weißheit und Kunst q.d. Ey bin ich auch recht dran? Vielleicht ist die Pharisäische Religion recht / vielleicht ist die Nazarenische gut? sie abstrahirts und ziehets ab von allen vorgefaßten Meynungen / legt alle fleischlichen Affecten und Passionen von sich / und kostet mit reinem Mund.“ 382 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 497: „III. Electio dialectica, eine dialectische / das ist / solche Wahl / da sie die Lehren und Glaubens=Articul der unterschiedenen Religionen gekostet / angebissen / gegen einander verglichen / auff die Wag gelegt / und eine der andern vorgezogen. [. . .] Solche Wehlerin war auch Maria / sie spielet in ihrem Hertzen und Gemüth / sie disputirt mit ihr selbs / sie conferirt die Lehren und deroselben Gründe mit einander [ . . . . Sie] [496] macht in ihrem Hertzen folgenden / bündigen / kräfftigen / unaufflößlichen Syllogismum. Welche Person alle die notas Messianas erfüllet / dero Lehr ist als Göttlich und Himmlisch anzunehmen und zu erwehlen.“ [. . .] „Die Major erhellet auß Gottes Wort der H. Schrifft / die Minor auß der gegenwertigen experientz.“ 383 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 499: „V. Electio apprehensiva, dann so gehet es / wann ein hungeriger oder durstiger lechzender Magen die Wahl getroffen / und die rechte heilsame Speiß und Tranck angetroffen / so hungert und verlanget er mit aller Macht / er fallet drauff wie ein Adler auffs Aaß / wie Esau auff das Linsen=Gericht / wie die Kinder Israel auff die Wachtlen / er sauget Safft und Krafft herauß / und verliebet sich in die Speiß so inniglich / daß er sie in succum & sanguinem convertirt / es wird auß Lieb ein Leib / hic scopus electionis, das ist der Wahl=Zweck. [. . .]

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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Maria in der Begegnung mit Christus liegt Dannhauer sehr am Herzen, ja er bedauert, dass er diese mystische Vereinigung, das Geschehen des Glaubens, nur durch unzureichende Bilder annäherungsweise beschreiben kann. Gerade weil die Begegnung mit Christus eine aktive Wahl darstellt, ist diese persönliche, subjektive Beteiligung von höchster Bedeutung, und gerade weil die Begegnung der bethanischen Maria mit Christus so vollkommen aufrichtig und lauter geschah, wird auch ihre Art der Wahl „zur Idea, Exemplar / Muster und Beyspiel / uns von Christo fürgestellet“384, mithin zu einem Vorbild für die gesamte Christenheit. Von ihr ist zu erlernen „I. Electionis disciplinam“385, eine unablässige Einübung in die Unterscheidung von Religionen. Die permanente Methode des Vergleichs umfasst drei Elemente. Sie hat erstens zu geschehen „mit geübten Sinnen / hinweg mit aller ungleichen / blinden und unverständigen Censur“386. Die Nichttheologen haben sehr wohl die Möglichkeit, sich zu Fragen der Lehre zu äußern, sofern sie über einen entsprechenden „appetitus pædagogiæ & asphaliæ“387 verfügen, die sie sich aber natürlich auch erst aktiv zu erarbeiten haben, indem sie sich in Gottes Wort kundig machen. Zweitens „muß die Wahl purificirt seyn“388 von allem Vorurteil und bloßer Traditionsverbundenheit. Drittens „muss die Wahl seyn Electio dialectica.“389 Ein Glauben „quid pro quo“390 ist nicht angängig, „sondern man muß die edle Warheit erforschen / suchen / ergründen / und

Wo der Schatz / da war auch das Hertz. In ihrem Gemüth / Sinnen und Gedancken leuchtete es alles von JEsu und dem Glantz der Prophetischen Schrifften; Jhre Affecten brenneten von lauter Göttlichen Liebes=Flammen / alle Lebens=Quellen springen empor Jhm entgegen / sie rüstet ihres Hertzens Hauß besser als Martha / sauber und rein auß / daß dieser werthe Gast bey ihr einkehre / und Herberg suche: Sie hat alle ihre Freud an Jhm: ihre Augen und Hertz ergötzet sie damit / die edelste Krafft der Seelen / ihr Will ergibt sich ihm gäntzlich / sie eiffert über Jhn / sie höret Jhn gern reden / sie ist willig zu lieben und zu leiden / ihr Mund ist voll Rühmens. Omne quod loquitur sponsa, te sonat, te redolet, Bernard. Denn sie ist ja nicht wie ein κωφὸν πρόσωπον, und wie ein Oel=Götz da gesessen / sondern des Hertzens Grund ist qequollen in den Mund. Das heißt ἐξελέξατο. So weit führet uns die Figur von der geistlichen Mahl=Wahl / das ist das edle Senff=Korn / das so hoch gewachsen. Ist alles kein rhetorische exaggeration und politische fiction, sondern alles noch zu wenig / Christus stellet uns ein Ideam für / die muß nun perfect seyn / wiewol nicht im höchsten Grad / doch in substantiae sinceritate, und warhafften Lauterkeit.“ 384 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 500. 385 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 500. 386 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 500. 387 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 500. 388 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 500. 389 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 500. 390 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 500.

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wann man sie gefunden / soll folgen anathematizatio, und Verspeyung aller falschen Lehr“391. Von ihr ist weiter zu erlernen „II. Electionis necessitatem. Es stehet nicht in unserer freyen Chur / ob wir wehlen wollen oder nicht. Hie stehet necessitas mandati, der klare Befehl: Sehet euch für den falschen Propheten.“392 Sie ist zu differenzieren als „necessitas interdicti“393 der Vermischung mit Fremdvölkern und Fremdreligionen und als „necessitas periculi“394, die aus eben diesen Fremdreligionen erwächst, und deren Unterschätzung Dannhauer als Geburtsstunde des Islam ansieht. Er ist in seinen Augen eine Folge von „Wahl=Haß? da man des Katzen=Balgens müd worden / und eine saturam oder gemengte Religion auß der Christlichen / Jüdischen und Mahometischen gekocht / und zusammen gebuttert.“395 Auch der Antichrist der Gegenwart sei seinerseits vom „Wahl=Haß“ getrieben. Alle diese Erfordernisse und Eigenschaften sind vereinigt in Maria, die als „ein einfältiges Weibs=Bild“396 zu einer sicherlich auch im Bewusstsein der Präsenz und der Bedürfnisse des weiblichen Publikums gestalteten Idealfigur erhoben und als solche den Männern mahnend, ja vorwurfsvoll vorgehalten wird. Vor allem aber wird sie im vierten und letzten Punkt allen denen als positives Beispiel entgegen gehalten, die nicht nur in Religionssachen konfliktscheu und daher nachlässig sind, sondern die offen und klar eine Fremdkonfession erwählen.397 „Die Siebende Predigt / Von Dem Urtheil und Gericht Christi / über die Wahl Mariä“398 bildet, wie bereits geschildert, die Klammer zum Eingang in den gesamten siebenteiligen Zyklus, indem sie erst einmal das judicium Christi

391 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 500. 392 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 501. 393 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 501. 394 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 501. 395 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 501. 396 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 501: III. „so ein Weib / ein einfältiges Weibs=Bild / ein schwacher Werkzeug / die Wahl=Kunst und Chur so wol ihr lassen angelegen seyn: wie viel mehr wil solches gebühren den Männern / den sophis, den Weisen / daß sie nach dem Exempel Mosis [. . .] die himmlische Christosophiam für ihr summum bonum und höchstes Gut [. . .] halten.“ 397 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 502: „IV. Soll billig diese Maria schamroth machen / nicht nur die negligentes, die diese Wahl und Kiesung versaumen / verachten und in den Wind schlagen / unterdessen alle niedliche Bißlein und Speisen / und was an einer jeden das beste / bald finden / deßgleichen den guten Wein wol kiesen können / auch solches ihren Jungen bey Zeiten instilliren / und das Maul verkleckern / aber die Seelen=Weid / die Seelen= Speiß nicht achten. Sondern auch die contrà eligentes, die böse schädliche und verdammliche Fehl=Griff thun / und für Christum Barrabam erwehlen.“ 398 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 506.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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über Maria und ihre Schwester als „judicium absolutorium“399 und als „judicium paracleticum“400 definiert und die Entlastung und die trostvolle Genugtuung der zuerst Angeklagten unterstreicht.401 Zusätzlich aber rundet sie diesen Zyklus dadurch ab, dass sie Jesu Urteil auch als „Judicium Zelopoëticum & nutheticum“402 erkennt, als eine Art spielerische Anstachelung zur Wahrheitssuche und –treue durch die Schaffung von Konkurrenzmomenten. Der Konflikt zwischen Maria und ihrer Schwester Martha, der soziohistorisch durch diverse Parallelen aus Geschichte und Gegenwart perspektiviert wird,403 wird somit noch einmal universa399 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 506. 400 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 507. 401 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 506: „[. . .] ist nun erstlich das Gericht und Urtheil / welches Christus über die zwo Parteyen / zweyer lieber Schwestern gefället / Judicium absolutorium, ein Löß=Gericht auff seiten der Mariä / sie wird von der Anklag absolvirt.“ [. . .] „[507] Judicium Paracleticum, ein Trost=Gericht und Urtheil / dann wer kan ergründen und außsprechen / den innern Hertzens=Trost / die Freud und Frieden / der in dem Hertzen der lieben Mariä nach solchem Judicio entstanden.“ 402 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. IX, 509: „Judicium Zelopoëticum & nutheticum“. [. . .] „[510] Aber das ists / das der HERR gethan / er hat einen Eiffer=Geist in ihrem Hertzen erwecket / an statt des sündlichen Neid=Eiffers wider ihre Schwester / einen heiligen / Göttlichen Eiffer der Nachfolg.“ 403 Aufschlussreich und amüsant zugleich ist die hier breit angeführte Episode des Herzog Igno aus Kärnten, der „[510] zu Kaysers Caroli Magni Zeiten“, nämlich „Anno 790“, sowohl „Land=Herren / Edle / Ritter“ als auch „Burger und Bauren“ zu einem „groß Panquet“ einlud, dabei aber die nur letzteren an der Tafel sitzen und mit köstlichen Speisen in edelstem Geschirr reichlich bewirten ließ, während erstere auf den hinteren Rängen mit bescheidenerer Kost in einfacheren Gefäßen vorlieb zu nehmen hatten. Igno hatte, so seine eigene Begründung, das Bankett „[511] als ein Christlicher Herr angerichtet“, weswegen ihm die bereits bekehrten Leute aus dem Volk als edler und liebenswerter als der Adel von irdischem Stand erschienen. Unter Berufung auf das jesuanische Diktum von den Ersten, die Letzte und den Letzten, die Erste sein werden fachte er so die Konkurrenz zwischen den Ständen an; zumindest der Legende nach mit großem Erfolg. Denn „Ey! So wollen wir den Bauren nichts nachgeben / und dem Himmelreich Gewalt anlegen / und zu uns reissen.“ Ebenso zielt Christus „ad scopum æmulationis / zum Eiffer“. Er schafft eine Konkurrenz zwischen den Schwestern aus Bethanien, Maria und Martha. „[512] Was gehet mich der Prophet von Nazareth an / wil er meine Gutthat nicht annehmen / so mag er seinen Stab weiter setzen / was bringt er für neue Subtilitäten und Novitäten für / meynet er dann / er wolle mich zu einer Doctorin und Rabbinin machen / auff diese weiß ergeistert er mich / und fordert zu viel von mir / und macht mich kleinmüthig [. . .] so saumselig so vor geweßt / so eiferig und fleissig war sie hernach / also daß sie ihres gewachsenen Glaubens ein hertzlich Specimen gethan / zur Zeit ihres zugestandenen Hauß=Creutzes / in ihrem examine Catechetico, Joh. 11,24.27.“ Maria und die Jünger sind daher Vorbilder für alle Christen und besonders für die Prediger, die zu einem qualifizierten Urteil in der Lage sein müssen. Die gilt in foro externo, in der öffentlichen Repräsentation der Religionen, da die christliche, in Dannhauers Augen lutherische, Kirche zwei Stiefschwestern besitzt. Es gilt aber auch [513] in foro conscientia interno, wo der Pfarrer conscientiam

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lisiert, und konfessionelle Konkurrenz damit generell als göttlich gedeutet. Der Zwang zur Entscheidung ist nicht etwa problematisch, sondern gottgewollt. Ziel ist stets die Buße. In Dannhauers Sicht aber fällt diese Buße selbstverständlich stets mit einer Bekehrung zur lutherischen Konfessionskirche und deren Orthodoxie in eins. 5.3.3.2 Der Apotheker und seine Wahl der richtigen Medikamente In der dreiundzwanzigsten Predigt des achten Bandes findet sich ein weiteres Beispiel des großen Gewichtes, das Dannhauer dem Thema der Wahl zumisst, freilich mit einem andern Bild: Wir haben bißher die Küchen visitirt und angezeigt / wie dieselbe so wol mit starcker und zarter Speise müsse bestellet seyn / folget / daß wir auch in die geistliche Seelen=Apotheck spatziren / und daselbst die starcke Artzney=Speisen besehen / den Augenschein einnehmen / dieselbe prüfen und unterscheiden.404

Nun ist die Seelenapotheke eine nach der Mitte des 17. Jahrhunderts zwar bereits traditionelle Metapher. Sie wird in der Catechismus-Milch allerdings deutlich in Richtung Subjektivität zugespitzt, genauer gesagt in Richtung eines durch jedes einzelne Subjekt zu findenden Urteils mittels der subjektiven Aneignung objektiver Entscheidungskriterien. Mit anderen Worten wird hier erneut das Ideal eines Christen als das eines entscheidungsfähigen Wählers zwischen den inzwischen klar konturierten Konfessionen, aber auch weiteren religiösen Ideologien gezeichnet. Dannhauer beginnt nach Referenzen aus der Antike im Sinne philosophiegeschichtlicher Legitimierung mit der allseits zu seiner Zeit unbestrittenen Feststellung, dass der Teufel die ganze Welt zu einem Spital macht, und der Anschlussfeststellung, dass Gott diesem unheilvollen Geschehen als Israels Arzt entgegen wirkt, der nicht aus der Erde Medikamente gibt, sondern sein Wort, das letztlich immer „den edlen Baum des Lebens Christum“405 enthält. Doch beginnt hier zugleich die Abweichung von der pharmakochristologischen Normallinie, denn Dannhauer stellt sehr in den Vordergrund, dass die Medikamente Gottes durch Menschen verteilt werden, und hier gibt es nicht nur heilvolle. Für den kriti-

cauteriatam, das gebrandmarkte Gewissen der Atheiste, conscientiam Marthanicam, der Gläubigen, aber nicht für den Glauben als unum necessarium und für sein Wachstum Engagierten, [514] conscientiam Marianam, die getröstet werden muss, und „der höchste Trost ist die asphalia und Gewißheit der Außerwehlung“. 404 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 701. 405 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 700.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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schen Straßburger sind „leibliche Aertzte und Apotheker zweyerley“406; es gibt solche, die heißen „Cave“407, nämlich die unfähigen, nebst den „Ave“408 zu nennenden, also den Fähigen. Ganz ebenso „sind auch die geistliche Seelen=Aertzte zweyerley“409; etliche unter ihnen sind unfähige Mediziner, die Honig mit Gift vermischen, andere hingegen „vollkommene / kluge / und klugmachende Aertzte“410. Es gibt also eine heilsame, aber auch eine unheilsame Medizin, und alles hängt in dieser Kunst daher nun daran, beide Weisen oder Sorten von Medizin von einander zu unterscheiden. Außerbildlich gesprochen ist hier von den Aposteln und als deren Nachfolgern von allen Pfarrern und Predigern die Rede. Sie haben nicht nur ein Lehramt, sondern auch ein Wehramt, sie brauchen also unbedingt „geübte Sinne / zu unterscheiden das Gute und das Böse / oder das Wahre und Falsche. Dann was wahr ist / das ist ja gut / böse / was falsch ist“411. Der konkrete Prozess dieser Unterscheidung läuft über die luthersche und dann lutherische Trias von oratio, meditatio, tentatio, wobei freilich die tentatio hier durchaus intellektualisiert wird, nämlich als Versuchung von Büchern und deren Inhalten, als deren Examinierung, also eigentlich eher als Probe im aktiven Sinne denn als Unterlaufen einer Probe im erleidenden, standhaltenden Sinne.412 In derselben Predigt bezeichnet Dannhauer die mit dem Lehr- und Wehramt Betrauten denn auch als „Lehrer im Gymnasio tentationis, orationis, meditationis, in der Creutz= und Anfechtungs=Schule / in der Bet=Schule / in der Andacht=Schule.“413 Sie sollen die Symbole, Bekenntnisse und Katechismen eindeutig lehren, dabei auch auf die ihrerseits ebenfalls eindeutig zu haltenden Implikationen ihrer Aussagen achten, „und auff ein Contrapunct ja und nein setzen / damit keiner Parthey unrecht geschehe“414. Genauso wichtig aber ist, dass die mit dem Lehramt Betrauten ihr Wissen um diese permanente Einübung in die Unterscheidungskunst nicht nur selber praktizieren, sondern auch ihrerseits aktiv weitergeben, also nicht nur selber einüben,

406 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 700. 407 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 700. 408 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 700. 409 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 701. 410 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 701. 411 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 702. 412 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 702: „Die fähige subjecta und Personen / die nennet er γεγυμνασμένους, geübte / und dero Sinne nennet er γεγυμνασμένα; die im Gebet / der meditation, studiren und lesen / guter / heylsamer / und böser schändlicher Bücher und Lehren / wie auch im Kosten und Versuchung deroselben wol und lange geübet worden / die seyen dieselbe / denen so gethane starcke Speisen sollen fürgeleget werden.“ 413 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 708. 414 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 708.

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sondern auch im Einüben anderer ausüben. Da nämlich „die Zuhörer passivè fein geübet werden“415 sollen, braucht es auch „γυμνάζοντες, solche Lehrer und Meister / die üben / sie zum Gebet / Nachforschen und δοκιμασίας, und Prüfungen anweisen / den methodum mit Lehr und Exempeln fürschreiben / nach welchem die Geister geprüfet werden sollen“416. Denn es gilt, wie Dannhauer im Übergang vom biblischen Bild von Lehrer und Schülern zur genauso biblischen Metapher von Küchen und Köchen bekannt gibt: „Vernünfftige und auffrichtige Aertzte sind nicht Mundköche / die ihren Herren solche delicate Speisen würzen / zurichten und aufstellen / die wol munden / ungeachtet sie schädlich seyn können.“417 Gute Prediger sind daher stets „Moschiim, Salvatores, Heylande und Seelenärtzte / sie sind Hirten / die da weiden und heylen / sie heissen nicht vergebens das Saltz der Erden“418. Es besteht hier eine völlige Kohärenz zwischen den Testamenten, denn „das Priesterliche Prüffampt im Alten Testament / da die Priester als gute Physici, Naturkündiger und Aertzte haben laut deß Mosaischen Gesetzes müssen vom Aussatz urtheilen / und die verdächtige Person entweders rein oder unrein aussprechen“419 ist bleibendes Vorbild für das neutestamentliche Lehramt. Dessen Aufgabe ist nämlich das „Urteil über geistliche Gesundheit der Lehre / die rechte zu loben / die falsche zu offenbahren und zu straffen“420. Dies ist umso nötiger, als der Teufel immer mehr Einfluss gewinnt, vor allem auf die Jugend, inbesondere auf die reisende studierende oder lehrende Jugend, auf „albere junge / reisende Leute“421. Ursache hierfür ist Meister Faulwitz / dem alten Liecht=scheuenden Geist angerichtet / durch die verführische Philosophy (dann diese meynet der Apostel / und nicht das dienstbare Gynecæum, gueter nützlicher Künsten und Sprachen / die der Göttlichen Königlichen Sophia auffwarten) und dero vernünfftige (der Vernunfft annehmliche contentirende und glatte / wie alle heutige Irenica syncretica) reden [sic] nach der Menschen=Lehre (neue Invention und sophistic) und nicht nach Christo / seiner Lehre / Regul und Ordnung [. . .]422.

Geistliche Verfälschung ist also stets Abweichung von der philosophischen Methodik, Substitution der klassischen Regeln durch „neue Invention und sophistic“423. Es sind daher zwar „geistliche præservativa, amuleta, antidota, und heilsame

415 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 702. 416 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 702. 417 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 702. 418 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 702. 419 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 704. 420 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 704. 421 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 705. 422 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 705. 423 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 705.

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Artzney=Mittel höchst vonnöthen“424, ebenso wie die auch hier angemahnte Vollständigkeit der Glaubensartikel für jeden Lehrpunkt, denn „eines einigen Articuls Verkehrung kann geistlichen Schiffbruch verursachen“425, wie Dannhauer am Exempel des die Auferstehung leugnenden und damit den ganzen Glauben verfehlenden Hymenäus (1 Tim 1,19 f., 2. Tim 2,17) einschärft. Am allernötigsten aber ist die Beachtung des richtigen theologischen Vorgehens, mithin der (oder, im barocken Gebrauch: dem) intellektuellen methodus, den diese Praxis für jedermann erfordert: „Ligt nur das meiste an gutem methodo, Art / Weise und Ordnung selbst / die wir der Medizin und Artztkunst selbst ablernen müssen.“426 Dannhauer unterscheidet in der methodus fünf Punkte: Physiologie, Heilkunst, Expurgation, Konfortation, und Vortrag. Während die letzten beiden Punkte – die ungefähr so viel wie das Einräumen genügender Zeit und Mittel für den allmählichen Heilungseffekt und eine präzise Rezeptur für eine irrtumsfreie Applikation der Medikamente bedeuten –427 von minderem Gewicht bleiben, sind die ersten drei entscheidend. In der Physiologie gilt es eine objektive, vorurteilsfreie und vollständige Bestandsaufnahme der gesunden Lehre wie auch davon abweichender kranker Lehren vorzunehmen,428 in der Heilkunst, sie als solche wissenschaftlich voneinander zu unterscheiden,429 und in der Expurgation schließlich, effiziente Gegenmittel anzu-

424 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 706. 425 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 706. 426 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 707. 427 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 712: „4. In confortatione, Stärckung und Erquickung der Natur / damit wiederumb ersetzet werde / was zuvor durch Kranckheit abgangen.“ [. . .] „5. In Vortrag dessen allen / damit kein Ungeschick begangen werde.“ Unterscheiden nach Anwendungsweise, „Clistir / Decoct / Syrup und dergleichen.“ 428 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 707: „Liegt nur das meiste an gutem methodo [. . .] I. in der Physiologia, Naturkündigung / und Erkantnuß der gesunden / reinen / guten / und ungesunden Seuchen und schädlichen Artzeneyen.“ [. . .] „wie ein Medicus in der Anatomey“ den Leichnam aufschneidet und seziert, also teilt, also auch die Lehre und deren Reinheit oder umgekehrt die Effekte von unreinen giftigen Beimischungen. Dannhauer verwendet hier den drastischen Vergleich mit einem Hund, dem man „eine vergiffte [708] und verbuffte Suppen oder Brey [. . .] vorwirfft“. Wer das tut, „der kan bald warnehmen /was und wie das Gifft wircket / wie es den Cörper auffbläset / quälet / martert / und den Garauß macht“. „Lehrer im Gymnasio tentationis, orationis, meditationis, in der Creutz= und Anfechtungs=Schule / in der Bet=Schule / in der Andacht= Schule ihre gute Proben gethan.“ Sie sollen die Symbole, Bekenntnisse und Katechismen eindeutig lehren, dabei auch auf die ihrerseits ebenfalls eindeutig zu haltenden Implikationen ihrer Aussagen achten, „und auff ein Contrapunct ja und nein setzen / damit keiner Parthey unrecht geschehe“. Ein Beispiel ist der subtile und öffentliche Atheismus als zwei völlig unterschiedliche Dinge. „Etenim Deus inglorius non est Deus.“ 429 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 710: „2. methodus medendi, die geistliche Artzney= Kunst ἐν διακρίσει, in der Unterscheidung deß guten und bösen / dessen was wahr und gut / und was falsch und böse.“

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wenden430. Gegen Schluss wird die Notwendigkeit der dialektischen Apothekerkunst unterstrichen. Arzneien gibt es nur, weil es auch Krankheiten gibt; daher ist ein sauberes logisches Verfahren besonders nötig: Soll die Artzeney nicht palliativ seyn / so muß der Artzt zuvor das Drachen=Gifft und Otter= Gall (wie Moses redet) der Kranckheit entdecken / der status Controversiae muß klar unter Augen gelegt werden / das verschiedene Ja und Nein / thesis & antithesis, Satz und Gegensatz / ut contraria inter se posita magis elucescant.431

Damit ist Dannhauer von einer medizinischen Metapher ausgehend erneut ganz bei der Logik angelangt. Schon die pharmazeutische Bildlichkeit, entstanden als eine ikonologische Übernahme der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Innovation einer selbständigen und von der Medikamentenkammer des Arztes zu unterscheidenden Apotheke, führte zu einer Ausdifferenzierung der medizinischen Urmetapher von Arzt und Patient. Diese von beiden biblischen Testamenten benutzte Metapher par excellence denkt von den Kranken her, die geheilt werden sollen. Das Apothekerbild hingegen denkt von den Medikamenten her, die ihnen ausgeteilt werden, und über die Art und Weise, in der sie ausgewählt, zubereitet und verabreicht werden können. Etymologisch und wissenschaftshistorisch betrachtet ist eine Apotheke ja nichts anderes als ein Behälter, ein Aufbewahrungraum. Nebst die ἀποθὴκη βιβλίων und diejenige der σωμάτων tritt so auch die ἀποθὴκη φαρμάκων,432 die auf lateinisch dann zur officina avanciert, zum Ort, an dem aus den verschiedenen im Magazin bereitliegenden Ingredienzen eine neue hergestellt wird. Damit ist ein Auswahlgedanke bereits impliziert, ja zur Bildung des im Spätmittelalter autonom werdenden Apothekenbegriffs sogar konstitutiv. In der theologischen Verwendung wird diese der Metaphorik innewohnende Auswahllogik aber meist im Sinne nicht mehr zu überbietender Intensivierung gebraucht. Die Möglichkeit zur Spezifizierung der Medikamentierung, die sich aus der Wahl der Zutaten, aus der Vielzahl ihrer Zubereitungsarten sowie aus dem gewaltigen numerischen Kombinationspotential beider ergibt, wird nicht eigentlich im Sinne einer Selektion gesehen. Sie wird vielmehr genau umgekehrt als Ausgangsbasis zu schlichtweg universeller Anwendung wahrgenommen und angepriesen. Je umfassender und feingliedriger ihr Sortiment, desto mehr wird die Apotheke zu einer umfassend einsetzbaren

430 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 711: „3. In expurgatione, in der Außführung oder Außfegung dessen / was schädlich ist“ „antidota, theriacas, mithridaten / sampt Pilulen / Clistiren und Schweissen / dadurch die materia peccans, die böse materi außgetrieben wird.“ Elenchus, Widerlegung und seine Folge im Anathematismus.“ 431 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 717. 432 S. Krafft, Christus ruft in die Himmelsapotheke, 26, mit Belegen.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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Panacee. Die auf der pharmazeutischen Metapher basierenden Schriften der Reformations- oder späteren Zeit verwenden nicht selten einen Allquantor im Titel. So publiziert Matthäus Vogel (1519–1591) in Frankfurt am Main bereits 1561 sein Trost oder Seelenartzneibuch, In welchem fast wider alle Anfechtungen, und Trübsalen, so sonderlich den waren Christen in dieser welt begegnen, Insonders heilsame, und edle Recept, oder Artzneytrunk; Seelsterck und Labung, aus den fürnembsten Trostsprüchen heiliger Göttlicher Schrifft zubereitet433,

der in der Welt der Katechismuspredigt wohlbekannte Wilhelm Alard (1572–1645) veröffentlicht 1605 seine PANACEA SACRA, // Das ist: // Heylsame/ wolbewehrte // Seelenartzney/ ge= // gen die Pestilentz/ vnd alle ihre Zu= // faelle: Auß der vollen und reichen Apoteken deß // heiligen Geistes/ von den krefftigsten Wurtzeln/ Kraeu = // tern vnd Blumen deß Paradeises Göttliches Worts/ mit Fleiß zusammen gezogen [. . .]434,

und Johann Hellwagen lässt 1663 seine Geistliche Apotheck Oder Christliche Leichenpredigt, in deren ein UniversalMedicin, das ist, ein allgemein, sicher, gewiß und bewährt Hülffs-Mittel wider alle, so wol Leibs als Seelen gefärlichste, und sonsten unheylsame Kranckheiten: Auß den Worten deß Buchs der Weißheit, Cap 16. V 12. gezeiget, und Einer christlichen Gemein, Bey der Leich-Begängnuß weyland deß [. . .] Zu heylsamen Gebrauch vorgetragen worden435

drucken. In diese Kategorie fallen auch themenrelevante Werke, deren Frontispiz einen der Termini „allerhand“, „allgemein“, oder auch „allerley“ enthält,436 der

433 Zit. nach Krafft, Christus ruft in die Himmelsapotheke, 330; Kursivsetzung sekundär. 434 Hamburg, Ohr, 1605. – 14:680333E. 435 Tübingen, Kerner, 1663; zit. nach Krafft, Christus als Apotheker, 181. 436 Wagner, Johann (1559–1622): PANACEA SACRA. // Das ist: // Eine algemeine Geistliche Artz= // ney/ gegen allerhand beschwerligkeiten // vnd Anfechtung Leibes unnd der Seelen zu ge= // brauchen [. . .]: Fuergetragen: // Bey der Christlichen // Leichbegengniß/ deß [. . .] Herrn Hanß // Woltmans seligern [. . .]; welcher den 14. Julii dieses jetz 1617. // Jahres sanfft und seelig im Herrn entschlaffen/ und den 16. Tag dessel=// bigen Monats [. . .] zur Erden bestattet worden // Durch // M. Joannem Wagener der Kirchen // vnnd Schulen Superintendenten daselbst; Braunschweig, Duncker, 1623. – 23:261825E. Müller, Andreas: PATIENTIA, SACRA PANACEA. // Das ist/ // Eine Christliche Leichpredigt // Von // Der Gedult/ als dem einigen wahren allgem= // einen Heilkraut/ // Wie dieselbe // Aus den heiligen Worten Christi: Weil du das Wort // meiner Gedult behalten hast/ etc. Apoc. III,10. // Bey Volckreicher Leichversamlung über dem // Sel. Abschied // Des Wol=Edlen und Hochgelahrten // Herrn MARTINI // Weisen/ // Medic. Doctoris, auch Churfürstl. Hoff= und // Guarnison=Medici, // Am Tage seiner Beerdigung/ als am IV. Sonntag // nach Epiphanias Anno 1671; Berlin, Runge, [1671].

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in der frühen Neuzeit noch näher bei seiner romanischen etymologischen Wurzel der loi verstanden und daher faktisch ebenfalls als Allquantor wahrgenommen wurde437. Doch auch dort, wo der himmlischen Apotheke nicht ein allwirksames Universalheilmittel entnommen werden soll, werden ihre Medikamente stets als Heilmittel betrachtet, die einen unmittelbaren geistlichen Mangel füllen sollen, entweder als remedia gegen die Sünde, oder als Stärkungen in den Wirrnissen und Widernissen des geistlichen und ganz allgemein des menschlichen Lebens überhaupt, und meist möglichst universell. Nicht nur in der klassischen Gattung des Erbauungsbuches, die unter diesem Bild der geistlichen Apotheke konzipiert werden, sondern auch in den auch konfessionsübergreifend florierenden Andachtsbildern von Christus als Apotheker werden Medikamente gegen geistlichen Durst und Hunger, gegen geistliche Untugenden und Laster, gegen Sünde und Unheil verteilt.438 Selbst wenn hierbei das remedium im Wortsinn als Gegenmittel, ja Gegengift verstanden wird, räumt es doch immer geistliche Gifte aus. Die Heilsgabe des Christus tut dies allen voran bei dem als geistliche Strafe begriffenen Tod, den sie seit spätestens Ignatius von Antiochien in der Eucharistie als φάρμακον ἀθανασίας unschädlich macht. In der Reformations- und Folgezeit erfolgen hierzu dann teilweise sehr differenzierte Gliederungen. So finden sich bei der erwähnten Schrift des Matthäus Vogel in einem ersten Teil alle Arten des Kreuzes und der Versuchungen, in einem zweiten Teil das antidotarium, die Rezepte dagegen, und einem dritten Teil die Kräuter, aus denen als den simplicia die jeweiligen Rezepte komponiert werden können.439 Da in der Heilmittelkunst aus den Substanzen der simplicia, die je einem der drei Felder der vegetabilia, animalia oder mineralia entstammen, als composita die Medikamente im eigentlichen Sinne hergestellt werden, meint Vogel die individuelle und situationsgerechte Herstellung einer Heilszusage aus einzelnen Passagen oder Texten der Heiligen Schrift, die Kreuz und Anfechtungen lindern oder gar auflösen können. In dieser ganz auf geistliche Heilung ausgerichteten Sichtweise erscheint die Metapher und ihre Anwendung auch im Kontext der Katechisierung und der Katechismuspredigten bis zu Dannhauer. Alard veröffentlichte nebst seiner Panazee auch eine „Seelen-Apoteck“440, der ebenfalls fleißige Katechismusprediger

437 Art. allerlei, in: Grimm, Deutsches Wörterbuch 1, 224 f. 438 Vgl generell hierzu Krafft, Christus ruft in die Himmelsapotheke. 439 Vgl. Krafft, Christus ruft in die Himmelsapotheke, 29. 440 Alard, Wilhelm: Seelen Apoteck. // Das ist: // Kräfftiger be= // ständiger Trost/ für alle // mueheseelige/ angefochtene vnd betruebte Per= // sonen Darinn auff mehr denn siebentzigerley // schweres Anliegen und schmertzliche // Klage eines betrübten Hertzen // Achterley bewaehrte Artzney. // I. Auß Sprüchen Göttliches Worts. // II. Auß besondern Namen Gottes. // III. Auß mercklichen Exempeln. // IV. Auß schönen Fürbildern und Gleichnissen. // V, Auß

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Kaspar Lutz eine „Geistliche Apothek“441 und Philipp Adolf von Münchhausen eine „Geistliche Kinder-Milch: Oder Einfältiger Christen Hauß-Apothek“442, deren Titel möglicherweise von Dannhauers opus magnum beeinflusst war. Dannhauer seinerseits übernimmt Elemente dieses Diskurses. Auch bei ihm heilt der Apotheker Krankheiten. Doch die Modifikationen sind unübersehbar, und sie sind typisch für seine Sicht auf Wirklichkeit, Kirche und Theologie. Nicht nur sind diese Krankheiten nicht mehr geistliche Schwächen oder Krankheiten im eigentlichsten Sinne, das heißt unmittelbar, existentiell-religiöser Art. Sie erscheinen als Folge, ja als Ausdruck einer intellektuellen Verfehlung der göttlichen Wahrheit. Darüber hinaus verlagert sich auch der Schwerpunkt der pharmazeutischen Tätigkeit selber, die von derjenigen eines Mediziners nicht wirklich unterschieden wird, auf Diagnose und Analyse der Krankheit als solcher, und ganz besonders auf die Unterscheidung dieser Krankheit von der Gesundheit insgesamt. Letztlich konzentriert sich die gesamte Herangehensweise auf das Gegensatzpaar von Anwesenheit oder Abwesenheit von Krankheit oder, je nach Perspektive, Gesundheit. Die Präsenz oder Absenz von Krankheit ist a priori unsicher und muss als solche erst einmal erkannt werden. Dannhauer kann nicht anders, als selbst in „den Brüsten Alten und Neuen Testaments“ verderbbare Reservoire zu sehen, „welche zwar in sich kein Gifft haben / aber von einer gifftigen Spinne in Gifft verkehret wird“443. Mit nur leichter Übertreibung wird man feststellen können, dass die Apotheker- und generell die Medizinalmetaphern im frühneuzeitlichen Protestantismus und wohl überhaupt im Christentum alles daran setzen, den Unterschied zwischen Krankheit und Gesundheit zugunsten der letzteren aufzuheben, während Dannhauer alles daran setzt, eben diese Differenz zum Zwecke der

den Schrifften D. Lutheri. // VI. Auß den Psalmen Davids. // VII. Auß geistlichen Gesängen und Liedern. // VIII. Auß kurtzen Geboten und Seufftzern verfasset // Und allen bekümmeten Creutzbrüdern vnd // Schwestern zu gut in Druck gegeben/ // Durch Wilhelmum Alardum P.L. Pa= // storn zur Crempen in Holstein; Leipzig, Große, 1620. – 14:681993 F. 441 Lutz, Caspar: Geistliche Apoteck/ // DArausz zur // Pestilentz vnnd Sterbenszeit // Allerhand RE=// CIPE vnd Antwort/ auff allerley fuer= // fallende Faell vnd Fragen/ zu nemmen seyn [. . .]; Frankfurt/M., Richter für Berner, 21606 [Möntbelgard [[= Montbéliard]] 1589]. – 547:680106X. 442 Münchhausen, Philipp Adolph von: Geistliche Kinder=Milch/ // Oder // Einfaeltiger Christen // Hauß-Apothek/ // Darauß das himmlische Manna und // die heilsame Artzney der Seelen fuergetragen // wird denen die Jesum/ den bewährtesten Seelen= // Artzt lieben: // In folgende Ordnung verfasset: // 1. Einfältige Predigten über die jährliche Sonntägliche und hohe // FestEvangelien 1. Für die Kinder. 2. Für die Erwachsene. 3. Zur Abends-Andacht zu ge= // brauchen. II. Einfältige Catechismus-Fragen. III. Allerhand Gebäter. IV. Eine An= // zahl geistlicher Parabeln/ [. . .] Der Zweck dieses Buchs ist: // Gott/ die Welt/ und sich selbst von Jugend // auff kennen lernen [. . .]; Franckfurt/M., Wust, 1676. – 1:020970H. 443 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 20. Predigt, 631; vgl. unten Anm. 459.

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Erkenntnis der ersteren überhaupt erst sichtbar zu machen. In seinem Weltbild ähneln sich Gesundheit und Krankheit frappant, ja sie scheinen auf den ersten Blick identisch, so dass eine Differenzierung unabdingbar wird. Wird sie aber getätigt, läuft sie letztlich auf eine binäre Unterscheidung hinaus, zu deren sicherer Erhebung logische Instrumente vonnöten sind. Die Identifikation des primären logischen Gegensatzes von wahr und falsch mit dem elementaren Antagonismus von gesund und krank, die in dieser Predigt mehrfach ausdrücklich vorgenommen wird, scheidet die Christen in zwei Klassen von Menschen. Alles hängt daran, sie beide unterscheiden zu können, um der richtigen anzugehören, zu ihr hinzu zu stoßen oder bei ihr zu bleiben. Es ist also auch der Arzt-Apotheker einer, der zwischen Alternativen auswählt, und überdies andern dazu verhilft, diese Auswahl möglichst selber treffen zu können. Da auch der korrekte logische Textzugang, wie Dannhauer bereits in seiner idea boni interpretis erläutert,444 von der Pathologie falscher Verstehensweisen ausgehend zu einer gesunden Wahrnehmung hinführt, aber auch der Übergang des Gewissens von dunkler Schuldhaftigkeit zu lauterer Heiterkeit in der Theologia conscientiaria der medizinischen Gesundung verglichen wird,445 wird auch hier, wie auch sonst so oft bei Dannhauer, sowohl formale als auch materiale Kohärenz mit anderen Teilen seines Werkes hergestellt. 5.3.3.3 Methodus für alle: Wahl aus Erfahrung Damit wird in beiden hier vorgestellten Predigten oder Predigtzyklen die Notwendigkeit, ja Unausweichlichkeit einer Wahl vorgegeben, die erst einmal hohe Qualifikationen erfordert. Nicht umsonst wird im zweiten dieser Beispiele mit dem Arzt-Apotheker ein Metier ausgesucht, dessen Vertreter den sowohl Gebildetsten wie auch in der Anwendung dieser Bildung Erfahrensten ihrer Zeit angehören und angehören müssen. Andererseits entspricht dieser Notwendigkeit ein Ideal, das soziologisch viel weiter zu fassen ist als der Kreis der Spezialisten, ja letztlich

444 Nach einer als Einleitung konzipierten ersten Sektion folgt die PARTIS PRIMAE SECTIONIS SECUNDAE quasi παθολογικὴ, korrigiert durch die PARTIS PRIMAE SECTIO III. ΘΕΡΑΠΕΥΤΙΚΗ; s. unten, Anh. 2.2. 445 Liber conscientiae apertus, DWV 203, 33 f.: „[Partis primae hiaticae sectionis primae physiologicae] ARTICULUS II. SABBATUM CONSCIENTIAE. Finis ΟὟ. Quod sanitas est in medicinâ, id Beatitudo est in Theologiâ conscientiariâ. Sano corpore cum sanâ mente composito nihil in hac mortali vita potest esse exoptatius. Dicitur alias animi Tranquillitas, à mari placido, ubi halcedo pullos educat suos. Halcyonios dies Nautae amant, nos Sabbathicos. est [sic] enim beatitudo conscientiae, juge Sabbathum, cuius deliciae sunt, diei serenitas, in serenitate securitas sancta, in securitate quies, in quiete convivium, in convivio colloquiorum condimentum, in condimento gaudium incredibile.“

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universelle Dimensionen aufweist. Es ist das für jeden Christen von Dannhauer postulierte Ideal, falsche Doktrinen aus dem gesunden Corpus doctrinae heraussezieren und freilegen zu können. Die Differenz zwischen den beiden mit derselben Aufgabe betrauten konzentrischen Kreisen besteht daher keineswegs in der Aufgabenstellung als solcher. Sie beruht eher auf den unterschiedlichen Mitteln, die zur Bewältigung dieser Aufgabe je zur Verfügung stehen. Bei den im Kirchendienst stehenden Lehrern auf Kanzel oder Katheder ist es die schulgerechte Dialektik, bei ihnen und allen andern Christen die aus der existentiellen Trias von meditatio, oratio, tentatio geborene und gespeiste Entschiedenheit, den christlichen Glauben auch ohne höhere Schulbildung und Fachtermini dialektisch zu reflektieren. Dass die Unterteilung gerade hier, an diesem doch sensiblen Punkt des Gebäudes, keineswegs trennscharf verläuft, indem einerseits natürlich auch die Theologen die Lehrbeurteilung ebenfalls unter Meditation, Gebet und Anfechtungen vorzunehmen haben, anderseits auch die Dialektik nicht exklusiv den Ordinierten vorbehalten bleibt, dürfte eine zumindeste doppelte Ursache haben. Eine unmittelbare Ursache wurde von Dannhauer selber klar wahrgenommen, ja nachdrücklich als solche herausgestellt und in ihren Konsequenzen immer wieder nachhaltig von ihm eingefordert. Gleichzeitig kann man sich dennoch dem Eindruck nicht entziehen, dass er sie sich vielleicht nicht mit letzter Schärfe selber bewusst gemacht hatte, da sie eher soziologischer als ekklesiologischer oder wissenschaftsphilosophischer Natur war. Sie dürfte darin zu sehen sein, dass auch in Dannhauers Zeit und ganz besonders in Dannhauers unmittelbarer, elitär-städtischen Umgebung, die Trennlinie zwischen Ordinierten und Kirchenvolk keineswegs mit derjenigen zwischen den Bildungsständen in eins fällt. Es gab sehr wohl der Theologie nicht beruflich verbundene Menschen, die über Hochschulbildung verfügten und damit auch über die der Orthodoxie im Allgemeinen und Dannhauer im Besonderen so teure intellektuelle Allgemeinbasis der logischen Bildung. Wenngleich mehr intuitiv vorgenommen, scheint die Dannhauersche Auswahl der Exemplarfiguren für das Ideal christlicher Existenz diesem Sachverhalt mustergültig Rechnung zu tragen. Maria von Bethanien ist nicht nur keine Akademikerin, sondern gehört als Frau derjenigen Hälfte der alteuropäischen Menschheit an, welcher der Zugang zu höherer Bildung jedenfalls normaler Weise meist verschlossen blieb. Ein Apotheker ist zwar in einem Berufsfeld tätig, dessen soziales Kapital sich nach der Reformation rapide vermehrt,446 doch über universitäre Bildung verfügt auch er noch nicht wirklich. Selbst die

446 Dieser sozialgeschichtliche Aspekt der Christus-Apotheker-Metpaher ist mit literargeschichtlichen Mitteln aufgezeigt bei Steiger, Medizinische Theologie: Christus Medicus und Theologia Medicinalis bei Martin Luther und im Luthertum der Barockzeit.

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Tätigkeit des Arztes schillert je nach wissenschaftstheoretischem Standpunkt zwischen scientia und ars; ein Spannungsfeld, das in den ganzen Diskussionen über Inhalt und Status dieser beiden respektiven Größen in Italien und Europa eine maßgebliche Rolle spielte. Man wird sagen können, dass Maria eher den nicht ordinierten, der Arzt-Apotheker eher den ordinierten Christen repräsentiert. Doch letztlich gehören sie beide einer Mischgruppe an, die soziologisch oder deskriptiv gesehen die vor Dannhauers Kanzel versammelte Hörergruppe in Straßburg, theologisch gesehen seine Idealvorstellung eines Christenmenschen darstellt. Sie sind alle beide, wie so viele, ja vermutlich die meisten der homiletischen Identifikationsfiguren der Catechismus-Milch, Vertreter des nicht fachtheologischen, aber gut gebildeten Kirchenpublikums. Eine nicht selten mit einer akademischen Vertiefung qualifizierte urbane Elite aus dem zünftigen Bürgertum oder dem niederen Adel steht in dieser Predigtsammlung immer wieder pars pro toto für das gesamte Kirchenvolk. Diesen aus einer gewissen soziohistorischen Distanz getätigten Beobachtungen wird man ihr Recht nicht absprechen können. Umgekehrt aber wird man den Bestimmungen Dannhauers selber unbedingt Rechnung tragen müssen, der ein rein den Bildungsständen geschuldetes elitäres Glaubensideal vehemeht und ohne Unterlass in seinen Schriften und Predigten abzulehnen wusste. Seine Bestimmung des Glaubensideals, mithin des idealen Gläubigen, ist also ohne das mikrosoziologische Umfeld Dannhauers zwar wohl nicht zu verstehen, erschöpft sich jedoch keineswegs darin, weder auf der normativen, ihm selbst bewussten, noch auch auf der faktischen, ihm wohl nur teilweise klaren Ebene. Dieses allgemeine Christenideal beruht und insistiert auf einer Fähigkeit zur Dialektik, die ausdrücklich nicht akademischer Natur, andererseits aber ebenso ausdrücklich auch nicht einfach selbstverständlich jedem Getauften in seine Täuflingswiege gelegt war. Diese Fähigkeit war nicht unbedingt an einer Hochschule zu erarbeiten, aber mit beträchtlichem und vor allem eigenem, geistigem Aufwand zu erarbeiten war sie dennoch, und zwar unbedingt. Dieses Programm bringt Dannhauer ebenfalls gegen Ende der Sammlung in einer Doppelpredigt zum Ausdruck, das gegenüber dem im ersten Band programmatisch Entwickelten eine Neuerung zu bilden scheint, es andererseits weiterentwickelt und daher konstitutiv von ihm abhängig ist. Die Einleitungspredigten bestimmten, wie wir sahen, den Sinn des Milchbildes als den einer impliziten Fortschrittsmetapher, denn das Bild lenkt durch seine bloße Existenz von sich weg auf die sie transzendierende Größe der festen Speise. In den Einleitungspredigten geschah dies noch eher im Kontext der neoaristotelischen Prinzipienlogik, hier nun aber in einem spezifisch pädagogischen Sinne. War trotz des in den Eingangspredigten mit Nachdruck unterstrichenen Fortschrittsgedankens dort nicht sonderlich deutlich, worauf der Unterschied der beiden Speisesorten denn ganz konkret eigentlich zielen wollte,

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wird er in der zwanzigsten und der einundzwanzigsten Predigt des achten, der Taufe, dem Taufbefehl und darum auch der Unterweisung und Lehre gewidmeten Bandes der Sammlung dafür umso deutlicher bestimmt: Wie schon die Titel der beiden Reden verraten, entspricht der „Milch=Lehr deß kleinern Catechismi“447 die „Lehre der starcken Speise / oder / des grössern Catechismi“448. Dies meint erst einmal den Unterschied zwischen der religionspädagogischen Praxis für Jugendliche und jener für Erwachsene, mithin den Unterschied zwischen dem schulischen Unterricht mit Hilfe des Kleinen Katechismus und den Katechismuspredigten im Münster, denn wie ja in den entsprechenden Gottesdiensten seit der Reformation zumeist waren sie der Auslegung des größeren der beiden Lutherschen Katechismen gewidmet, was Dannhauer unter längerer Zitation der Kirchenordnung in Erinnerung ruft.449 Doch der von Dannhauer hier vorgelegte spezifische Unterschied, der katechetische Differentialquotient sozusagen, geht weit über die Differenz der beiden Textvorlagen als solcher hinaus, denn er hebt weniger auf den Inhalt ab als vielmehr auf die Art und Weise der Vermittlung desselben. Zwar ist offensichtlich, „daß hie Milch und starcke Speise in der Substantz eines seyn / οὐκ ἄλλα, sed ἀλλοῖα, Catechismus=Lehren sind auch starcke Lehren“450. Darum gilt es noch stärker zu beachten, „was dazu kommt / und dadurch die Milch in eine starcke Speise verwandelt wird“451. Es ist, auf der Bildseite vorgestellt, die Zubereitungsweise der Speisen, die „Concoction“452, die den ganzen Unterschied in ihrem Genuss aus macht, „Also soll es auch auff gewisse Weise in der geistlichen Seelen=Nahrung geschehen“453. Es ist also, wie Dannhauer unter Anführung454 des tractatus 98 des Augustinus in

447 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 644. 448 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 644. 449 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 646: „Folget die starcke Speise der mehrern Vollkommenheit deß grössern Catechismi / welche (noch halt unserer hiesigen Kirchen=Ordnung pag. 80) nichts anders ist / denn eine nützliche und gründliche Erklärung deß kleinen Catechismi / daraus beydes die Lehrer und Zuhörer Bericht empfangen mögen / wie die Hauptstücke unserer wahren Religion außzulegen und zu verstehen seyn / in der seligmachenden Erkäntnuß Gottes [im Original in Großdruck] / anzuzeigen / wie die Christliche Lehrer ferner die gewachsenen Christen mit starcken Trachten abspeisen sollen: Was starcke Speise heisse? wie dieselbe zu tractiren und auffzutragen? ob sie auch nöthig seyn?“ 450 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 647. 451 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 647. 452 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 648. 453 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 648. 454 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 647: „Christus (ita August. tractat. 98. In Joh.) crucifixus & lac sugentibus, & cibus proficientibus, das ist / der gekreutzigte Christus / ist eine Milch=speise den Säuglingen / und auch zugleich eine harte Speise den Erstarckten.“

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Johannem erklärt,455 keineswegs die Grundsubstanz, das eigentliche Basislebensmittel, das wechselt, sondern dessen Einnahme. Auf der Sachseite gesprochen „wird durch die starcke Speise gemeinet / die τελειότης, die Vollkommenheit / das Complementum und Wachsthumb der Christlichen Lehre“456. Unter Anspielung auf den Beginn des Lukasevangeliums kann Dannhauer auch sagen, es sei die „starcke Speise die ἀκρίβεια und ἀσφάλεια, die scharffe und wol fundirte Gewißheit der Lehre / Luc. 1/3.4“457. Der Unterschied ist also nicht auf die Substanz der Lehre bezogen, sondern auf die Weise ihrer Vermittlung respektive Aneignung, und selbst so ist er nur mehr relativ. Dennoch ist dieser Unterschied für Dannhauer entscheidend. Er ist, wie der Prediger niemals zu betonen nachlässt, viel entscheidender als der soziale Stand, viel entscheidender als der Bildungsstand und viel entscheidender als das Alter eines Christen. Es ist der Unterschied in der Selbständigkeit und Präzision des Verstehens des Glaubens. Dies trifft zuerst einmal für den Katechismus und dessen Praxis zu. Unter recht enger Anlehnung an Luther selbst ruft Dannhauer in Erinnerung, dass der Kleine Katechismus nicht ausschließlich, aber hauptsächlich zur wortwörtlichen, stark textbezogenen und stark reproduktionsorientierten Bemächtigung gedacht ist. Er soll auswendig gelernt, und verbatim wiedergegeben werden können. Der Große Katechismus hingegen ist, ausdrücklich auch laut der zitierten Straßburger Kirchenordnung, dazu da, sein kleineres Gegenstück „verstehen“458 zu helfen. Zwar hat der mit dem Kleinen Katechismus arbeitende Pfarrer oder Lehrer noch andere, für den Schüler sehr wichtige Funktionen erkenntnisleitender Art. Inbesondere hat er die individuellen Kapazitäten seiner Schützlinge auszuloten und die Weitergabe des Stoffes entsprechend anzupassen. Proportion tut hierbei not, eine didaktische Verhältnisform herzustellen, und selbst hierfür findet der hierin sehr dem Schriftprinzip verpflichtete Prediger Dannhauer einen biblischen Beleg, nämlich den Lk 12,42 gegebenen Term des σιτομέτριον. In der Schule hat es zuzugehen, wie zu Hofe: Nicht wie der Abnehmer der Speise, nicht wie der Herr will, sondern wie die Köche empfehlen. Die Katecheten haben in der Übermittlung der Lehre eine ὀρθοτομία nach 2 Tim 2,15 vorzunehmen. Dass dieser klassische Methodenterm hier aus der Philosophie seinen Einzug in die kirchliche Elementarunterweisung findet, soll mitnichten – wie der sich selber auch in

455 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 648: „Huic lacti (ita August. loc. cit.) absit, ut sit contrarius cibus rerum spiritualium firma intelligentia capiendus, qui Thessaloniensibus & Colossensibus defuit & supplendus fuit.“ 456 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 648. 457 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 648. 458 S. oben, Anm. 449.

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diesem Punkt sehr treue Dialektiker sogar auf der Kanzel betont – eine Konzession an das ramistische Theologieverständnis und seinen exzessiven Vereinfachungswillen darstellen. Die gräzistische Legitimation und überhaupt die ganzen Reflexionen über die Notwendigkeit richtigen Zumessens und Zuschneidens im Geschäft der Unterweisung belegen indirekt eher umgekehrt wiederum nur, dass der Schüler noch nicht wirklich zu selbständiger Studienarbeit in der Lage ist.459 Ausschlaggebend konnte in jedem Falle nur das eigene Verständnis der Sache sein, was nun freilich nicht allein für Wortlaut und Inhalt der lutherschen Katechismen, sondern auch und noch viel mehr für Buchstaben und Geist der Heiligen Schrift galt. Es ist die paulinische Unterscheidung zwischen „hermeneia und prophetia Außlegung und Weissagung (1. Cor. 14,5.12)“460, die hier legitimierend ins Spiel kommt. Während die Hermeneia „die deutliche Dolmetschung der frembden Hebreischen oder Griechischen Sprach“461 meint, und zwar in einem weiten Sinne, „samt der Evangelischen Außlegung / nach dem general-Wortlaut und Buchstaben“462, ergeht die Prophetie an die im Katechismus bereits Unterwiesenen, die nun also auf der Ebene des Großen Katechismus angekommen und in ihr zu unterrichten sind. Diese Praxis ist bereits in der normgebenden Vergangenheit zu beobachten. Ob nun die Propheten zuhanden derjenigen, die bereits im Gottesvolk und dessen Gebräuchen stehen, die Schriften des Mose auslegten, ob laut der auch hier zitierten Stelle Hebr. 5,12 die neutestamentlichen Gemeinden die Schriften des alten Bundes im Lichte des neuen interpretierten, oder ob „in der ersten Kirchen die Kirchspiel=Kinder in zwey Classes abgetheilt

459 Der mit dem kleinern lutherschen Text arbeitende Katechet hat folgende in der Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 631, genannten Punkte zu leisten: „1. Exsuctionem“: Er muss aus „die quintam essentiam, und den besten heilsamsten Safft / aus dem Paradiß=Garten der H. Schrifft / auß den Brüsten Alten und Neuen Testaments (welche zwar in sich kein Gifft haben / aber von einer gifftigen Spinne in Gifft verkehret wird) zu eliquiren“ [ebd.] suchen. Er muss „2. Præbitionem verborum“ vornehmen und zwar wortwörtlich, vollständig, ohne Änderungen oder Variationen. Er muss „[632] 3. Apertionem sensus & succi generalis & simplicis quoad quid nominis, παχυλῶς“, also eine gedrungene, wirklich elementare Erklärung darbieten. Zur leichteren Eingängigkeit muss er folgen lassen „4. Illustrationem“, und schließlich „[635] 5. Demonstrationem“, den Schriftbeweis. Unerlässlich ist 6. „[635] die Antzeig deß Unterscheids unter der Schaf=und Wolffs=Milch“, und aus Gründen der eigenständigen Wiedergabe selbst auf dieser Stufe „7. κατήχησιν, Explorationem, Examen“, sowie es Martha nach Joh. 11,26 f. vor dem Christus selber abzulegen willig war. 460 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 461 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 462 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649.

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worden“463, nämlich in „Catechumeni“464 ohne selbständigem Schriftzugang und „Neophyti illuminati“465 mit einem solchen; in allen diesen maßgeblichen historischen Konfigurationen ist eine konsequente Etappierung der Gläubigen zu beobachten: Einer breiten Gruppe, die über allgemeine Schriftkenntnisse verfügt, steht ein enger gefasster Kreis mit vertieftem Bibelverständnis gegenüber. Die als vertiefter Einblick in das Wort Gottes begriffene Prophetie „geschiehet den Gläubigen / das ist / denen / die schon in der Catechismus=Lehr ins gemein unterwiesen“466, und leitet sie zu größerer Selbständigkeit an. Die Einübung in diese Selbständigkeit kann nur schrittweise geschehen, wie Dannhauer mit eindringlichen, geradezu poetischen Bildern erklärt. Der Fortschritt verhält sich wie das Verfertigen eines Bildes im Übergang von „Pictur und Controfet“467. Ersteres ist nur „deliniirt“468; letzteres wird auch „mit Farben illuminirt [ . . . ; so] dass es dem Ertzbild eben gleich siehet; dessen eigentliche Charakter“469 abbildet. So wie der Blinde, der laut „Marc. 8,24“470 in zwei Schritten geheilt wird, indem er die Dinge zuerst nur verschwommen wahrnahm, aber „hernach da noch einmal die gute Hand des HErrn auff ihn kam, alles scharff sehen könte“471, so handelt an uns auch der „obriste Lehrmeister Christus / der den methodum und Weiß per gradus, Staffelweiß zu gehen / von einer Klarheit zu der andern / im kleinern Catechismo den Verstand der Christlichen Lehr insgemein / und noch etwas dunckel / hernach aber distinctius, eigentlicher und schärffer fürgetragen“472. Die Kriterien dieses distinctius, das ist nichts anders ist als „der bezihlte / begräntzte / außgewürckte / erstrittene / errettete / specificirte / außgewickelte Verstand“473, sind dreifach geartet. Sie werden erstens gewonnen aus der Tradition, nämlich „aus und nach der H. Schrifft“474, aus dem, was „von Althers her / in alten controversien“ kanonisiert wurde, und nicht zuletzt andererseits in den Glaubenspunkten, deren „Evidenz und Klarheit“ sich in „den letzteren Zeiten“ mehr und mehr herausgestellt hat. Sie werden zweitens dargeboten durch „die, jetzige / noch wallende und streitende rechtgläubige Kirche / dero Lehr und Confession,

463 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 650. 464 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 650. 465 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 650. 466 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 650. 467 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 648. 468 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 648. 469 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 648. 470 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 471 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 472 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 473 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 474 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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deroselben Erklärung in der Formula Concordiæ, und andern anhangenden Symbolischen Büchern enthalten“475. Drittens wird das distinkte Glaubensgut der Besserverstehenden kriteriologisch erfasst und fortwährend neu gebündelt, indem es „pro tempore vollkömmlich und gnugsam gedeutet und erläutert worden und noch wird“476, da es – die obenstehende Ausdrücke zum „Verstand“477 werden hier im Grunde wiederholt – „ferner näher und eigentlich erkläret: gefolgert / erstritten / außgewürcket / bezihlt / begräntzt“478 wird. Es ist also nicht etwa eine freie geistgeleitete Selbstanleitung zum vertieften Verständnis von Kanon und Glaubensregel, die den Fortschritt dazuhin garantiert und gestaltet, sondern die im evangelischen Sinne verstandene, durch die Konfessionsschriften flankierte Lehre der Kirche. Der Kleine Katechismus, der von Dannhauer wie von der gesamten Orthodoxie im Grunde als Quintessenz, ja als Chiffre für die elementaren biblischen Wahrheiten verstanden wird, umfasst in dieser Sichtweise also wenig oder nichts distinkt Konfessionelles, im Gegensatz zum größeren Gegenstück, das nur unter Berücksichtigung insbesondere der lutherisch verstandenen Rechtfertigunglehre zugänglich sein kann. Damit ist der inhaltlich entscheidende, der wirklich zentrale Kern und Stern der ansonsten bewusst in einer gewissen Schwebe gehaltenen Fortschrittsbahn zwischen Milch und starker Speise, Kleinem und Großem Katechismus, Dolmetschung und Prophezeiung der Bibel, erreicht. Er liegt im Konfessionellen und in der Bereitschaft, sich auf diese Ebene einzulassen und sie sich zu verinnerlichen. Höhere Bildung ist dazu von Nutzen, ja letztlich ist die kontinuierliche Aneignung dieses konfessionellen Wissens selber Bestandteil des allgemein erwartbaren Bildungskanons zur Wirkungszeit Dannhauers. Das letzte Wort hat freilich auch hier nicht die offizielle, traditionsgestützte, institutionenvermittelte, direkt einforderbare äußerliche Seite des Glaubens und seines Fortschritts. Eine abschließend gegebene lange Liste von Tätigkeiten, die im Grund für Lehrer und erwachsene Schüler gleichermaßen gilt, gipfelt in genau jenem Punkt, der sich auch in den Predigten sachlich zuoberst fand. Die starke Speise austeilen, müssen zuerst lernen, wie sie zubereitet werden soll, „nemlich vollkömmlich (ad gradum perfectionis, licet non ad perfectionem gradus)“479, und dazu in der Speisekammer des göttlichen Worts forschen. Der „general=Wortlaut“480 genügt nicht, es braucht auch ein genaues Aufmerken auf den Inhalt, so wie „ein Liebhaber der Gemählden sich nicht

475 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 476 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 477 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 478 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 649. 479 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 653. 480 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 653.

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begnüget mit der blosen Augenweide / sondern ferner auf den Geist / Kunst und Qualität deß Gemähldes mercket.“481 Er soll mit „2. Pet. 1,19“482 das „Auffachten [beobachten] / so genau und fleissig“483 erlernen „als ein Werber umb eine Jungfrau“484. Die biblische Mahnung “Lasset das Wort Gottes reichlich unter euch wohnen in aller Weisheit. Col. 3.“485 meint, diesem besonderen Bürger alles Nötige zu Verfügung zu stellen, und ihn mit optimaler Infrastruktur schalten und walten zu lassen. „Reichlich in aller Weißheit wohnen lassen / heißt nicht bettelmännisch / und nach dem general-Wortlaut tractiren / oder allein paraphrasticiren / sondern des Geistes Gottes Geheimnüsse erforschen“486. Es folgt das Beispiel der Gastfreundschaft Abrahams im Hain zu Mamre (Gen 18), wo er alles daran setzte, seinen Besucher so genau wie möglich kennen zu lernen, und ihm die besten Speisen vorzusetzen, um ihn aufs beste zum Gespräch anzuregen. In der Folge dieses Bildes zieht Dannhauer eine auf den ersten Blick recht krass wirkende Forderung: „Es muß der Lehrer selbst zuvor die Speise essen / verdauen / und seinen Gästen vorkauen in brünstiger Andacht / durch Gebet / meditation und Anfechtungen / wol vorkochen.“487 Dieses Ansinnen verdankt sich zwar biblischer Inspiration aus Ez 2,10 und Apk 10, aber die konkrete Kücheneinrichtung beim Vorkochen stammt aus Luthers Beständen, aus seinem teuersten Schatz überhaupt, der Dreiheit von Meditation, Gebet und Anfechtung. Sich in ihnen, und besonders auch im letzten Punkt der selbsterfahrenen Anfechtung, täglich einzuüben, kann die geistige Fertigkeit zwar nicht ersetzen, übertrifft sie letztlich jedoch an Wichtigkeit.488 Studium öffnet zwar freilich den Blick

481 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 653. 482 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 653. 483 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 653. 484 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 653. 485 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 654. 486 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 654. 487 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 654. 488 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 617: „Aber darzu soll auch noch kommen tägliche Ubung / welche auch zweyerley ist: Die erste Ubung ist / daß sie sich zuvor in kleinere und geringere Dienste auff Schulern / oder im Diaconat exercirt und geübt haben. Man lasse sich zuvor versu= [618] en / spricht St. Paulus 1. Timoth. 3. Denn wir nehmen mehr durch Versuchung und Ubung / denn durch Lernen zu / wer zuvor nicht den Donat und Catonem richtig gelernet / der wird viel weniger den Catechismum fein richtig und ordentlich lehren und unterrichten können. Die andere Ubung ist / daß er zuvor etwas versucht und gelitten habe / sey angefochten / und in die Creutz=Schul geführet worden / wie Christus in der Wüsten / oder wie Syrach redet: Er muß zuvor gesehen und versucht haben / was bey den Leuten taug oder nicht taug. Er muß gutes und böses außgestanden haben: Er muß in seiner Jugend Hunger und Kummer / Frost und Hitze haben erlitten / und sich viel Unglücks geniethet / Armuth gelitten / und sich gedruckt haben. Denn welche in allerley Wollust und guten Tagen gelebet

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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für Weite und Tiefe des Worts, doch es ist die Anfechtung, die Hunger nach diesem Wort schafft. Es ergeben sich somit drei explizite Klammern zum Werk Dannhauers, in denen die Catechismus-Milch zentrale Aspekte seines Denkens wie ein Prisma in sich bündelt und auf den Faktor der Erfahrung hin ausleuchtet. Die erste Klammer, die bereits berührt wurde, bezieht sich auf die Catechismus-Milch, nämlich zum Zielpunkt des Zyklus der Einleitungspredigten. Der dort noch eher änigmatisch wirkende Anspruch oder Zuspruch, dass alle weissagen sollen und sollen können, erfährt hier nun eine Erklärung, die den biblischen und den katechetischen Horizont miteinander verschmilzt – und damit die Überzeugung, dass der Katechismus eine „Kleine Biblia“ sei, noch einmal von einer sehr universellen, kommunikationsaktiven Seite her bestrahlt. War dieses eingeforderte Weissagen zu Beginn der Catechismus-Milch durch alttestamentliche, darum eher prospektiv verstandene biblische Aussagen inspiriert, wird es gegen Ende der Sammlung nun durch einen neutestamentlichen, letztlich christologisch saturierten Horizont erweitert. Dies bedeutet auch, das der Zugang zur Einsicht in die Bibel nicht kostenlos, schmerzfrei und anfechtungsunabhängig zu haben ist, sondern Nachvollzug des Bibeltextes und Nachvollzug der Leiden Christi zumindest teilweise einander bedingen. Während schon die geistige Arbeit immer nur individuell geleistet werden kann, wird es bei der zweiten Zulassungsbeschränkung zur Weissagungskunst, der Schule der Meditation, des Gebetes und der Anfechtung unübersehbar, dass nur der Einzelne sie bestehen kann. Damit ist zugleich die zweite Klammer berührt, die sich hier eröffnet, jene zur theologischen Hermeneutik. In konsequenter Fortführung seiner Verdienste um die idea boni interpretis, die allgemeine Hermeneutik seiner Jugend, die die allgemeine Verstehbarkeit von Texten unterstrich, trägt die Hermeneutica sacra vor allem das Anliegen, die Bibel als allgemein verstehbaren heiligen Text zu erweisen. Hierin knüpft Dannhauer in seiner Erklärung zum ambitiösen katechetischen Ziel des „Weissagens“ explizit an, welches in seinen Augen hauptsächlich darum für alle möglich ist und sein muss, weil die Bibel in sich für alle und allgemein verständlich ist.

und erzogen worden seyn / die geben gar selten / oder nicht Theologos in Christi Kirchen. Der nicht zuvor etwas erfahren / viel gelesen / Unglück versucht / und Püffe außgestanden / ja / der nicht umb gute alte verständige / bescheidene Leute gewesen / wie Josua / Samuel / Elisa / Paulus / welche zwiefach in der alten Hütten sind erzogen worden / ja / welcher nicht die Welt / sein Fleisch und den Teuffel kennet / und in Anfechtung gestecket / der wird dich wenig oder kalt trösten / und die gefallenen mit Sanfftmuth auffnehmen können / das ist nun die Versuchung / Plage und Anfechtung / welche Verständnuß gibt / und lehret auffs Wort mercken.“

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Eine dritte Klammer ist hinsichtlich ihres wissenschaftstheoretischen Status von marginaler Bedeutung, doch in anderlei Hinsicht umso hübscher, und sei hier in extenso zitiert. Die Pfarrer, so bemängelt Dannhauer in der Predigt über den großen Katechismus, begnügen sich in der Abendmahlspraxis „mit der blosen recitation und Erzehlung der Wert [sic] deß Catechismi / wer diese kan daher sagen / und etliche (bißweilen der Glaubens=Regul nicht gemässe) fürgelegte Fragen auswendig gelernt / den läßt man ex opere operato zum Tisch des HErrn zu gehen / ohne weitere / sattsamere und reichere Erklärung der Worte. Was ist das anders als des Heliogabali Spiel / der seinen Schmarotzern eine Tafel bereitet / voll höltzerner / ehrner / silberner / güldner Trachten und Bild=Speisen / bloß zum Anschauen ohne Genieß einiges Saffts oder Kraffts?“489 Ebendieses Bild von Heliogabals rein visueller Mahlzeit findet sich bereits in der Widmung der idea boni disputatoris.490 Abgesehen davon, dass dieses Beispiel exemplarisch zeigt – und insofern zur Beruhigung des modernen Lesers beiträgt – dass der fast unglaublich produktive Straßburger Dozent und Prediger den enormen literarischen Ausstoß auch deswegen erreicht, weil er sich permanent selber zitiert, weist es auf Dannhauers großes Hauptanliegen. Dieser Hinweis ist darum so aufschlussreich, weil die Absurdität des Vergleichs auf die Tiefe der Überzeugung hinweist. Die Speise, die Heliogabal vorsetzt, ist 1634 die Logik, 1666 die „starcke Speise“ des Gotteswortes; gemeinsam ist ihnen, dass das Wissen um sie als solches nichts nützt, wenn es nicht persönlich aufgenommen, ja geradezu einverleibt wird. Ob als akademisch operierender Logiker oder als kirchlich denkender Christ in fortgeschrittenem Erkenntnisstadium, beide haben zu unterscheiden zwischen wahr und falsch. Erfolgreich können sie es beide nur tun, wenn sie sich die Konzepte auch wirklich aneignen. Im Falle der Logik und der Wissenschaftstheorie kann das auf einer rein intellektuellen Ebene geschehen, auf der Ebene der Glaubenslehre bedeutet Aneignung die Verbindung mit eigener Lebenserfahrung. Zwar gilt auch und gerade für die konfessionelle Unterscheidungslehre, dass ihr die Obrigkeit verpflichtet ist. Dies ist vermutlich nicht der geringste Grund dafür, dass die urbane Elite ein primäres Zielpublikum Dannhauers bildete. „Christliche Obrigkeit tragen nicht vergebens den Namen der Säug= // Ammen“491 erklärt Dannhauer in der Catechismus-Milch, mehrfach unter Zitierung von Jes 49,23, aber auch unter Verweis auf die Tochter

489 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. I, 662. 490 Idea boni disputatoris, DWV 41, (:) 2; s. oben S. 145, Anm. 26. 491 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 642; so auch bereits als Wortzitat und als als Hauptthema der fünften Predigt des dritten Bandes „Von der Obrigkeitlichen Kirchen=Pfleg/ belangend die Religion und Gottesdienst.“, in III,152 f.

5.3 Die Dannhauerschen Sammelmetaphern, ihr methodologischer Sinn

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Pharaos, die „sich deß armen Mosis-Kind erbarmet/ und auff ihre Kosten denselben säugen lassen: Also sollen auch die Regenten sich der Einfalt und Jugend annehmen / ihnen gute gesunde / heilsame Milch verschaffen / und deßwegen unter Milch und gifftigen Arsenico / unter Schaaf=und Wolffs=Milch / ehrliche Mutter und Huren=Milch unterscheiden.“492 Doch kann nicht der Hauch eines Zweifels daran bestehen, dass Dannhauer der obrigkeitlich vorgegebenen, sozusagen amtskirchlichen Katechisierung die durch persönlichen Wissensdurst, biographischen Leidensdruck und stetige Fortbildung gewonnenen eigenständigen Glaubenseinsicht in jenem Maße vorzog, als er auf selbstständige Aneignung insistierte.

492 Catechismus-Milch, DWV 97, Bd. VIII, 642. Pharaos Tochter wird ebenfalls bereits in der erwähnten Predigt in III,162 angeführt.

6 Ausblick auf die Wirkungsgeschichte und Konklusion Vorliegende Studie nahm ihren Ausgang von einer der unseres Erachtens wichtigsten Fragen, die sich aus der jüngeren Entwicklung der Forschung zur Homiletik im Luthertum zwischen Reformation und Frühaufklärung ergeben. Unschwer ist zu beobachten, dass die ältere wie auch die jüngere und jüngste Theologiegeschichtsforschung vor allem ideengeschichtlich vorgeht, die historische Homiletikforschung hingegen schwerpunktmäßig die lange zu Unrecht vernachlässigten sozialgeschichtlichen Aspekte aufgreift. Daraus resultiert die naheliegende, ja geradezu sich aufdrängende Frage, wie akademische Theologie und kirchliche Predigtpraxis zusammenhängen. Aus den Schneisen in das überwältigend umfangreiche, aber eben deswegen eine außergewöhnliche Spannbreite aufweisende Werk eines der profiliertesten, aber eben deswegen stets etwas vernachlässigten Autoren der reifen lutherischen Orthodoxie ergibt sich eine überraschend einfache Antwort auf die Frage nach dem Bezug von Lehre und Leben oder Theorie und Praxis. Drei Felder ließen sich im Dannhauerschen Gesamtwerk ausmachen, die auf die Logik zentrierte Philosophie, die auf die Logik zentrierte Theologie und die Homiletik. Alle drei sind durch das Element der methodus verbunden, das je spezifisch variiert wird. Auf der Ebene der apodiktischen Logik, wie der Rhetorikprofessor Konrad Dannhauer sie in den viel beachteten Lehrbüchern seiner Jugend im Gefolge der Straßburger und Altdorfer philosophischen Fakultäten entwickelt, ist die methodus ein organisches Hin und Her zwischen Analyse und Synthese. In der Anwendung logischer Arbeit geht Dannhauer – und darin liegt die Quintessenz seines Schaffens auf dieser Ebene – noch deutlicher als das Gros seiner Zeitgenossen davon aus, dass die compositio einer eigenen logischen Synthese in den meisten Fällen auf der Grundlage der resolutio zumindest einer korrespondierenden Gegenthese aufgebaut werden könne. Da die Logik eine Wissenschaft von Sätzen darstellt, ist es in jedem Falle möglich, deren Wahrheitsgehalt eindeutig zu bestimmen, indem ein alternativer, in einem oder mehreren Punkten von der zu untersuchenden propositio abweichender Satz anhand objektiver Kriterien analysiert wird. Diese Kriterien sind in jeder Wissenschaft formal gesehen deren Begründungsprinzipien, material betrachtet deren grundlegende verschriftlichte Autoritätencorpora. Auf der Ebene der akademischen Theologie wird genau dieser spezifische, Dannhauer zwar nicht völlig eigene, aber überaus typische Zug zum Rückgrat des umfassenden Systems. Das Hin und her zwischen eigenkonfessioneller https://doi.org/10.1515/9783110644593-006

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Synthese und fremdkonfessioneller Analyse strukturiert die Systemarchitektur seiner theologischen Schriften durchwegs, indem für jeden dargelegten locus der eigenkonfessionellen, mit der Wahrheit in eins gesetzten Synthese eine kontroverstheologische Analyse der fremdkonfessionellen Standpunkte gegenüber gestellt wird. Dies geschieht zuerst in je gesonderten Publikationen, bevor 1649 bis 1653 eine eigenen Publikationenreihe erscheint, die das formale wissenschaftstheoretische Konzept des Beschreitens des Heilsweges in Systemarchitektur umfunktioniert, ja sie regelrecht als solche literarisch verkörpert. Der Synthesis der Hodosophia werden in dieser Reihe zwei Analysen eines doppelten Gegenweges entgegen gestellt, deren Kriterium jeweils die Heilige Schrift als Prinzip der theologischen Wissenschaft bildet, während die analysierten Gegenprinzipien im Grunde nur formale Imaginationen darstellen, eigentlich aber gar keinen Anhalt in der Wirklichkeit besitzen, jeweils nicht in derjenigen der göttlichen Offenbarung. Material gesehen handelt es sich bei den bemängelten Punkten zwar beileibe um nichts Neues. Gegen die Papstkirche wird die nicht schriftgemäße Tradition und das Lehramt ins Feld geführt, gegen die Reformierten die Vernunft, die sich in Dannhauers und generell der lutherisch-orthodoxen Sicht in falscher Christologie, Abendmahlslehre und Prädestionsauffassung manifestiert. Neu ist hingegen der spezifische Akzent, den Dannhauer diesem Grundproblem der nicht prinzipienkonformen erkenntnisleitenden Größen gibt. Obschon die Trilogie sich eindeutig an ein akademisches und in den höheren Kirchenleitungsgremien befindliches Lesepublikum adressiert, sind es nicht formale Abweichungen von wissenschaftstheoretischen Prinzipien, die das sozusagen ästhetische Empfinden professioneller Theologen oder anderer gut informierter Leute verletzen können und müssen, die als eigentliches Übel geortet werden. Der wahre Schaden, den sie verursachen, liegt in der Dannhauerschen Färbung vielmehr darin, dass die eigene, subjektive Beteiligung am Inhalt des Glaubens durch sie verunmöglicht oder doch zumindest entscheidend erschwert wird. Die analytisch angeprangerten Scheinzprinzipien sind erfahrungsverhindernd. Es gilt daher um jeden Preis, sie als Erfahrungsbremsen zu erkennen und vom eigenen Glauben, im Falle kirchenleitender Verantwortung auch vom Glauben der eigenen Pfarrer und Gemeindeglieder, fern zu halten oder zu entfernen. Das beste Vorgehen hierzu bestand natürlich darin, dieses Bewusstsein in den Gemeindegliedern selber zu wecken. Dies leitet über zur dritten Ebene. Auf der Ebene der kirchlichen Glaubensvermittlung, besonders in der katechetischen und katechismushomiletischen Praxis, findet sich grundsätzlich dasselbe Methodenbewusstsein wie auf der ersten und der daraus abgeleiteten zweiten Ebene, und zwar in der Form einer über den gesamten Sammlungsumfang durchgehenden, immer wieder in unterschiedlichem Umfang und Schwung, aber stehts dringlich ergehenden Einladung, zwischen den alternativen Konfessionswegen

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auszulesen. Während nun aber der Übergang von der ersten, logischen, zur zweiten, akademisch-theologischen Ebene eindeutig sachlich und chronologisch linear verläuft, verhält sich die Abstufung von der zweiten zur dritten Ebene wesentlich differenzierter und dialektischer. An sich gilt die katechetische Theologie in der Orthodoxie als die jüngere Schwester der akademischen, von der sie sich nicht in der Familie oder Gattung unterscheidet, sondern lediglich dadurch, dass sie eine einfachere, volksnahere methodus verwendet, die den Export von der Hochschule in die Kirche gestattet.1 Als eigentliche Überraschung erscheint darum hier bei Dannhauers Katechismuspredigtsammlung das werkgeschichtlich eminent bedeutsame nichtlineare Element, dass die homiletische Praxis nicht einfach eine Ableitung aus der akademischen Theorie darstellt. Fungieren Dannhauers Predigten nicht einfach als ein Kellner im Dienste professoraler Köche, der die an der Universität

1 Als einer der klassischen Zeugen für die theoretische Erfassung dieses Sachverhalts und das Gewicht, das man ihm beimaß, ist Abraham Calovs Isagoge von 1665: I. N. J. // Isagoges // AD // SS. THEOLOGIAM // LIBRI DUO // De // NATURA THEOLOGIÆ, // ET METHODO STUDII THEO- // LOGICI, PIE, DEXTRE, AC FE- // LICITER TRACTANDI // Cum examine Methodi Calixtinæ // AUTORE // ABRAHAM CALOVIO // SS. Theol. D. in Acad. Witteb. P. P. // Consist. Eccl. Adessore, ad Circuli Elect. // Superintend. Generali. // Editio secunda, recognita & alicubi // aucta // Accesserunt Programmata nonulla // consimilis argumenti // [Wittenberg] Sumptibus Andreae Hartmanni, Bibl. // Typis MICHAELIS Wendt // Anno MDCLXV, 106: „VI. Sunt & aliae distinctiones Theologiae nominales, sed eae vel ad hasce revocari possunt, vel à modo tractandi, aliisque merè accidentalibus, de qvibus aliàs commodius, desumtae sunt. Ita Theologia dicitur alia Ordinaria, alia Extraordinaria. Illa qvae per media ordinaria acqviritur; Haec qvae divinitùs, sine ordinariis mediis conceditur. Qvae distinctio ad praecedentem commodè refertur. Distingvitur item Theologia in Catecheticam & Diexodicam; Illa Tyronum [107] & initiatorum, haec confirmatorum est. Illa Elementalis qvoque dicitur, qvâ fidei Elementa & rudimenta traduntur, & occupatur potissimum in jaciendis doctrinae Christianae fundamentis. De qvâ vid. Ebr. V,2. Conf Spanhem: dub: Evangel: part. 3. n. XXVII. p. 99. Haec in firmandis iisdem, nec non in iis, qvae superstruuntur. Illa non adeò exqvisitâ methodô proponi consvevit; haec accuratiori & exqvisitiori tradenda, illa succinctè & compendiosè, haec prolixe & diffusè proponitur, adeoque distingvuntur subjectô, objecto & modô.“ Ebd., 109, im Zusammenhang einer Abgrenzung gegen Alsteds Unterteilung der Theologischen Hauptdisziplininen: „Qvae verò in Scholasticâ Thologiâ [sic] traduntur, non sunt diversa ab his, qvae in Catechetica, qvantum ad materiam, sed tantùm qvoad modum tractandi, fatetur ipse Alstedius. Non ergò illae distinctas partes constituunt materiales, ut ita loqvar, Theologiae. Rursus, qvae in Ecclesiâ traduntur, ab his, qvae in Scholâ, modo solùm tradendi distingvi, haud negat Alstedius. Denique docere, qvomodo res divinas tractare debeat Doctor Ecclesiae, nec constituit peculiarem Theologiam, nec partem aliqvam principalem, sed pertinet ad articulum de Ministerio Ecclesiae; docere, qvomodo Christianus auditor in Ecclesiâ occupari debeat circâ res divinas, longè minus peculiarem absolvit Theologiam, aut partem etiam principalem Theologiae, ut alia, qvae minus in his Alstedianis accurata occurrunt, taceamus.“

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vorgekochte Lehre unters Volk zu bringen hat, trifft das Gegenteil freilich auch nicht völlig zu. Vielmehr kann von einer simultanen, sich gegenseitig stimulierenden wie auch balancierenden, Entfaltung beider Bereiche gesprochen werden. Vor der Frage der Vermittlung steht die Frage nach der methodus, die in explizit theologischer Richtung zuerst in der Catechismus-Milch gestellt wird, bevor sie danach in den akademisch-theologischen Schriften und besonders der Wege-Trilogie übernommen werden wird. Bereits im Jahr 1634, dem Jahr der Redaktion der epitome dialectica, stellt Dannhauer im ersten Band der großen Predigtsammlung die Frage nach der methodus, und sieht als Antwort darauf die Hauptstücke des Katechismus als Weg, als met-hodos des rechten Glaubens. Hierbei verbleibt er jedoch in einer eigentümlichen Schwebe. Einerseits geht er natürlich nicht davon ab, ὁδὸς oder Weg weiterhin gemäß seinem motivationalen wie auch ideengeschichtlichen Ursprung gemäß als Methodenbegriff aufzufassen. Andererseits wird hier der Wegebegriff erstmals und mit entscheidenden Folgen für das Denken, Schreiben und Wirken Dannhauers insgesamt, auch anthropologisch aufgefasst und als Lebensweg verstanden, als Weg des einzelnen Gläubigen zu seinem Heil. Dieser Schluss lag selbstredend angesichts der im Luthertum mehr oder weniger flächendeckenden Übernahme der analytischen Methode nahe. Doch die explizite, ja wörtliche Interpretation der μέθοδος als einer veritablen ὁδὸς war jedenfalls in dem systemprägenden Ausmaß wie bei Dannhauer noch nicht zu seiner Fruktifizierung gelangt. Dannhauer verstärkt hier nun eine inhärente Linie der lutherschen Katechismusbetrachtung, die den Hauptstücken entlang von der Buße über die Christusbegegnung hin zum eschatologischen Heilshorizont führt, führt sie mit der Denklinie der analytischen theologischen Methode der Orthodoxie zusammen und läßt die Kombination beider dank weiterer biblischer Bilder oder Metaphern und dank seiner eigenen Sprachmacht zu einer unmittelbar existentiellen Bildlichkeit ansteigen. Den eigenen Lebensweg erfolgreich und bis zum seligen Ende zu gehen ist jedem Christen von der Straßburger Stadtelite bis zum Truchtersheimer Bauern, ja überhaupt im Reich vollkommen und spontan verständlich. Die weitere Verwendung dieses Konzepts verlief allerdings gerade darum in paradoxer Manier. Dannhauer erkannte die Eingängigkeit und Anschaulichkeit des Konzeptes durchaus rasch und baute sie daher zu einem Schlüsselkonzept seiner theologischen Vorlesungen aus, die er anschließend in der Wegetrilogie veröffentlichte. Umgekehrt bot der Kontext der Katechismuspredigten weniger Raum für die Wegemetaphorik als es ursprünglich vielleicht vorgesehen war. Einerseits war die galaktische Generalmetapher trotz der implizierten Fortschrittsthematik eine gänzlich andere. Andererseits legte die doch stark abwechslungsreiche Textlandschaft der Katechismusvorlage eine Hauptmetapher grundsätzlich nicht unbedingt nahe, ja verunmöglichte sie angesichts der in nie dagewese-

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nem Maße erreichten Länge und Detailliertheit der einzelnen Kanzelreden wohl nachgerade. Damit fand in der Blütezeit des Dannhauerschen Wirkens eine Reobjektivierung der Verwendung dieses Bildes statt. Die Methodusmetapher, die zwar natürlich immer noch als Bild, aber doch vergleichsweise entabstrahierend direkt auf den Menschen bezogen worden war, wird in der Hodosophie nun wieder zum Bild für die Theologie. Umgekehrt extrahiert die große Predigtsammlung ungefähr zeitgleich zur Wegetrilogie den im Bild der Wegescheidung gegebenen Aspekt der Wahl als solchen und behandelt dieses Thema mit Nachdruck, unter Erinnerung an die früheren Aufbaumetaphern der Sammlung zwar, aber gesondert und mit starker Ausrichtung auf die subjektive Seite. Auch für diesen dritten kirchlich-praktischen Werkteil erweist sich somit das Hin und Her zwischen eigenkonfessioneller Synthese und fremdkonfessioneller Analyse als bestimmend, doch geschieht es hier nun verstärkt im Horizont einer Ausrichtung auf das Subjekt. Schema 9: Hodos und met-hodos in ihrer Entwicklung im Werk J. C. Dannhauers. Epitome dialectica Methodus der Wissenschaft (allgemein) Wechselspiel von Analyse und Synthese bei Konklusionen und Obersätzen Dialectica sacra Methodus der Theologie (spezifisch) Wechselspiel von Analyse und Synthese bei dogmatischen Sätzen und theologischen Prinzipien

Catechismus-Milch (Beginn) Glaube als Glaubensweg (hodos) 1634

Hodosophia christiana 1648/49

Theologie als Glaubensweg (hodos) = Methodus der Theologie (spezifisch)

Hodomorien/Wegetrilogie Wahrheitsweg versus Irrwege = Methodus der Kontroverstheologie 1653/54

Wechselspiel von Analyse und Synthese der eigenen (Bibel) und der fremden (Konfessionen) theologischen Prinzipien als polemische Komparatistik der Wege des Irrtums mit dem Weg der Wahrheit

Der Ausdruck der Subjektivität bedarf hier freilich der Präzisierung, da er nicht mit einer Terminologie im Kantischen oder Ritschlschen Sinne gleichgesetzt werden kann. Das eingeforderte Erfahrungsmoment bleibt als solches durchaus relativ. Es geht Dannhauer mitnichten um eine individuelle Interpretation von Glaubenswahrheiten im Sinne einer subjektiven Gestaltung oder auch nur im

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eigentlich modernen, nachaufklärerischen Sinne subjektiven Aneignung von Religion. Gewünscht ist ein persönliches, im eigenen Erfahrungshorizont verankertes und immer wieder neu verankerbares Erleben des Glaubens, dessen inhaltliche Seite als fides quæ creditur Dannhauer als objektiv gegeben ansieht. Einendes Band zwischen beiden Aspekten dieses Glaubensbildes ist die Identifikation mit dem leidenden Christus. Den Weg der kognitiven Glaubenswahrheiten zu beschreiten, die Lehre des Christus und die Lehre von Christus zu erlernen ist nur in der Schule von Gebet, Meditation und Anfechtung möglich, da nur sie uns ihm gleichförmig machen kann. Dieser in den Schriften Dannhauers mit steigender Intensität feststellbare Zug hin zur Einschärfung der Unentbehrlichkeit einer christologischen Mystik im Glauben und damit auch im Leben eines Christen oder einer Christin erklärt sich teilweise durch das indirekte Gerhard’sche und vor allem auch das direkte Mentzer’sche Erbe. Der zunehmend auch kirchlich interessierte und schließlich sogar selber in Straßburg pastoral und im Umland visitatorisch aktive Theologe zieht damit einen Bogen von der akademischen Christologie zur Verkündigung der Nachfolge Christi in den Gemeinden, der geeignet ist, das große Rätsel der so unterschiedlichen Interpretationen seines Wirkens in den Generationen, die ihm folgten bis zur neusten Forschung, zu beleuchten und zumindest ein Stück weit zu lösen. Wie wir eingangs dieser Studie bemerkten, sieht die ältere Forschung bis ungefähr zur Mitte des 20. Jahrhunderts in Dannhauer vornehmlich einen Wegbereiter des nahenden Pietismus. Sie macht diese Behauptung einerseits und vor allem über die Person seines Schülers Spener fest, andererseits aufgrund angeblicher oder tatsächlicher Abweichungen seiner Theologie in Richtung auf mehr Subjektivität, Autonomie und Wachstum des Gläubigen als es in der orthodoxen Normallinie jedenfalls in der Überzeugung dieses älteren Forschungszweiges der Fall gewesen war. Umgekehrt insistierte in jüngerer Zeit besonders Johannes Wallmann auf die dazu völlig gegenläufige Tatsache, dass just in dem von Dannhauer noch längere Zeit nach seinem Ableben durch seine Schriften wie durch seine Schüler stark geprägten Straßburg der Pietismus völlig abwesend blieb und nie auch nur eine geringe Chance gehabt hätte, sich in der Stadt an der Ill frühzeitig einzupflanzen.2 Aber auch das spezifisch philosophische Schaffen Dannhauers wurde durch einen nicht primär für vertiefte Epochenkenntnis bekannten Autor wie Odo Marquard viel stärker mit der unerbittlichen Härte des Rivalisierens auf allen Ebenen im dreißigjährigen „Bürgerkrieg“ als wie bislang nur mit

2 S. hierzu oben 1.2, besonders S. 10 mit Anm. 47.

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langfristigen Fortschrittswirkungen identifiziert.3 Das Frappante und in der historiographischen Landschaft wohl eher Außergewöhnliche an diesen beiden Schulen, der älteren und der neueren, dürfte darin bestehen, dass auf ihre Weise beide recht haben. Es ist die Gleichzeitigkeit der beiden je konstitutiven, sich gegenseitig bedingenden, dennoch potentiell in Spannung zueinander stehenden Elemente der unbedingten Verpflichtung auf den objektiven Lehrinhalt und dem starken Drängen auf dessen bewusste, subjektive und existentiell abgedeckte Aneignung, die die so unterschiedliche Rezeption in Pietismus und Orthodoxie zumindest teilweise erklären dürfte. Die Orthodoxen lehnen grundsätzlich den neuen Stil ab und halten sich an die objektive Komponente, die weiterhin im klassischen Disputationsmodus vorgeht. Die nicht zwingend im vollsten Sinne millenaristische, aber natürlich dennoch mit einer ungleich opistimischeren Eschatologie gespeiste Frömmigkeit des Pietismus ist ihnen suspekt und bot zahllose Identifikationspunkte mit dem, was Dannhauer in seinen antisynkretistischen Schriften und noch deutlicher in jenen über die Fremdreligionen an Skepsis gegenüber einem grundsätzlichen diesseitigen Fortschritt zum Ausdruck brachte. Die Pietisten ihrerseits extrahieren gleichsam die subjektive Komponente. Dies zeigt sich an den vermutlich exemplarischsten Fällen einer direkten Rezeption der Hodosophie Dannhauers im frühen Pietismus bei Philipp Jakob Spener (1635–1705) und Reinhold von Derschau (1600–1667). Nebst dem überaus sorgfältigen Tabellenwerk Philipp Jakob Speners zur Hodosophie, das schon in sich eine große Verbundenheit nicht in erster Linie mit der Person, sondern mit den Inhalt des Dannhauerschen Denkens aufweist, schildert er in einem langen Vorwort seine eigene Sicht der Hemmnisse und Befördernisse beim Studium der Theologie sowie von deren Disziplinen. Im Wesentlichen schreitet er wie auch spätere Enzyklopädien von der exegetischen zur praktischen Theologie voran. Hierbei wendet er einen originellen Methodenbegriff für jenen Bereich der Theologie an, der heute als Dogmatik gelten könnte, indem er statt in theologia thetica und catechetica in theologia thetica und mystica unterteilt. Zwar ist Spener die klassische Unterteilung der Katechese unter die thetische Theologie wohlbekannt.4 Theologie ist insgesamt ein Habitus übernatürlicher Herkunft, in dem die Wichtigkeit der Trias von oratio, meditatio, tentatio überhaupt nicht überschätzt werden kann.5 Doch die mystische Theologie bietet insofern einen grundsätzlich ande-

3 S. hierzu oben 3.2. 4 Spener, Tabulae Hodosophicae, præfatio, e3. 5 Spener, Tabulae Hodosophicae, c4. Dies entspricht natürlich einer fast vollkommenenen Kontinuität mit der Orthodoxie, vgl. Steiger, Art. Versuchung. III. Kirchengeschichtlich, 59.

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ren Zugang, der von der thetischen nicht eigenständig geboten werden kann, als gilt, non quod alia tradat [. . .] sed quod aliter6. Die thetische Theologie arbeitet mit Verstand und Gedächtnis, die mystische Theologie appelliert aber an alle Kräfte der Seele, nicht nur zur Vereinigung mit dem Gottmenschen, wie sie von der thetischen Theologie ja ebenfalls geistig vorgezeichnet wird, sondern auch und darüber hinaus zur konkreten Buße und zu deren Mitteln.7 Es wird also sehr linear und sehr transparent die katechetische Theologie faktisch durch mystische Frömmigkeit sekundiert, um nicht zu sagen, substituiert, und Luther explizit durch seine Lektüre „in Thaulero, Kempisio, Gersone, Theologo Teutonico“8 erklärt. Dass dies im Vorwort zum Popularisierungsmedium für die zentralste theologische Schrift Dannhauers geschieht, in der fast wie nebenbei Johann Arndt und Johann Hülsemann in ihrem beiderseitigen Interesse für die Mystik miteinander verbrüdert werden, ist ganz gewiss kein Zufall.9 Bewusst oder nicht liefert Spener hier einen hermeneutischen Schlüssel zur Theologie insgesamt, zu der er auch und allem Anschein nach ganz besonders die Hodosophia als herausragend deutlichen und klar strukturierten Entwurf zählte. Dass die theologische Hodosophia oder eben Wegeweisheit in vielen Universitätsbursen

6 Spener, Tabulae Hodosophicae, g6. 7 Spener, Tabulae Hodosophicae, g6: „Mystica vero Theologia non circa intellectum solum occupatur, sed circa universam animam omnesque ejus facultates, in quibus divina reparanda est imago: unde non solum, (ut in via illæ celebri triplici maneamus, purgativa, illuminativa, & unitiva) mysticus quid poenitentia sit, quid renovatio, quid veteris Adami purgatio quotidiana, quid illuminatio, quid unio cum tota SS. Trinitate, imprimis vero θεανθτρώπου JESU, sit, expendit, vel juxta causarum genera tractat, sed de eo potissimum solicitus est, ut discat doceatve, quomodo poenitentia illa jugis, mundatio ab inquinamentis spiritus & carnis, instituenda, quæ media, quæ exercitia prosint, quo ordine totum negotium instituendum, quomodo profectus vel defectus facile agnoscendi, hi curandi, juvandi illi, quæ remoræ sancti instituti, quæ adiumenta sint, quas inprimis insidias hanc viam terentibus Satan & caro struere soleat, qua prudentia hae detegendae, quis animae habitus, quis motus in profectu esse soleat, & quæ similia, inprimis se adsvefacit, & alios monet, cordi semper attendere, quæ in eo primas teneant, carnis an spiritus ὁρμαὶ, quid ad singulas actiones nos primum vel constanter moveat, ac ita universim vigilantiae Christianæ veræ internæ studere.“ 8 Spener, Tabulae Hodosophicae, h2. 9 Es darf, bei aller Vorsicht angesichts einer geringen Textgrundlage, wohl dahingehend verstanden werden, dass Spener die naturphilosophischen Anteile bei Arndt und die orthodoxen Residuen bei Hülsemann stark relativierte, um eine ihnen gemeinsame mystische Traditionslinie sozusagen freizulegen. Vgl. hierzu Johannes Wallmann: Spener und die ‚Vier Bücher vom wahren Christentum‘, vor allem sein Verhältnis zum vierten Buch, in: Otte u. Schneider (Hg.), Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt oder die „Vier Bücher vom wahren Christentum“, Göttingen 2007 (SGKNS 40), 293–314.

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Abb. 2: CEBETIS CHRISTIANI TABULA, Kupferstich in der Hodosophia viatoris christiana (Frankfurt/M. 21685) des Reinhold von Derschau (Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: M Ts 345).

und in vielen Pfarrhausstudierstuben mit Hilfe, ja nicht ganz selten wohl ausschließlich unter Anleitung, der Spenerschen Tabellen geschah, dürfte zur Verbreitung dieser subjektivitsätsbetonten Lesart seiner Theologie nicht wenig beigetragen haben. Nicht zuletzt Spener selbst hat zur Beurteilung auch historischer kirchlicher Bewegungen und Flügel die zwölf Phainomena der Hodosophie zum Kritierium erhoben, wenngleich er als Doktorand Dannhauers in der Wahl vielleicht nicht völlig frei war.10 Noch weiter ging in dieser Richtung, obschon zeitlich gesehen erheblich früher schreibend, der Jurist Reinhold von Derschau (1600–1667). Der aus Kö-

10 In seinem abenteuerlichen Versuch von ‫בח‬1659, ‫ חק‬// ECCLESIA // VVALDENSIUM // ORTHODOXIÆ LUTHERA- // NÆ TESTIS ET SOCIÆ (DWV 257), die Lehren des Lutherthums mit den Doktrinen des mittelalterlichen Waldensertums zu homologieren und sie so als Zeugen der lutherischen Wahrheit den Reformierten, ihren Unionspartnern von 1532, entgegenzusetzen, folgt Spener dem Verlauf der Hodosophie. Wie Wallmann, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 127 f., erstmals erkannt hat, tat er dies als eine Art Ghostwriter für den ihm befreundeten, aus Hamburg kommenden und im Titel genannten Disputanten Hesterberg.

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Abb. 2: (fortgesetzt).

nigsberg stammende Adelige Reinhold von Derschau (Dersczaw) wurde 1628 in Straßburg zum doctor juris promoviert, in seiner Vaterstadt Rechtsprofessor und danach Gerichtspräsident,11 pflegte aber zugleich aktive schriftstellerischchristliche Interessen. Er schrieb unter dem schon an sich unverkennbaren Titel einer Hodosophia einen umfangreichen Kommentar zu einer selbst hergestellten allegorischen Bildtafel, der von seinem Sohn, Reinhold von Derschau dem Jüngeren, seines Zeichens nun Fachtheologe, 1675 postum herausgegeben und 1684 mit einer zweiten Auflage versehen wurde. Schon diese zweite Auflage zeigt den Einfluss des Werkes an, das in späteren Jahrhunderten für die bildliche und überhaupt die Darstellung des Schemas des schmalen und breiten Weges beträchtliche Bedeutung erlangen sollte.12 Die Tafel gibt sich als christliche tabula Cebetis, als „getaufte“ Variante eines vorchristlichen

11 Steffenhagen, Art. Derschau, Reinhold von. 12 Vgl. hierzu beispielsweise Pieske, The European Origin of Four Pennsylvania German Broadsheet Themes: Adam and Eve; The New Jerusalem – the Broad and Narrow Way; the Unjust Judgment; the Stages of Life.

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Textes. Er nimmt damit Bezug auf eines der meistübersetzten, in den Schulen und privat meistgelesenen wie auch meistkommentierten Texterzeugnisse der frühen Neuzeit,13 das sich als Ekphrasis, als bildgewordene Erzählung oder narrativ gefasste Bildbeschreibung, eines in den Dialogen Platons erwähnten Schülers ausgibt, vermutlich allerdings aus der späteren hellenistischen Zeit stammen dürfte. Die fiktive Person dieses Kebes veranschaulicht in einer stoischen Bildungsallegorie die mehrfach gestuften Zugänge zu wahrer oder falscher Bildung, wobei der metapädagogische Akzent darauf zu liegen kommt, dass nicht technisch-artistische Fertigkeiten, sondern die Vervollkommnung der Tugenden wirklichen Fortschritt bringen. Dieser auch von Dannhauer in seiner Widmung zu seiner theologischen Dialektik von 1648 relativ breit interpretierte Text14 wird nun allerdings christianisiert als CEBETIS CHRISTIANI TABULA in ænigmate, et tanquam in speculo, vitæ Christianæ, et mundanæ huic oppositæ, curriculum proponens, et repræsentans. Das Wegemotiv wird als kurrikular strukturierter Lebensablauf des Christen verstanden, und ganz im Sinne des Lebensweges des Einzelnen aufgefasst. Zwar liegt die Metaphorik hinsichtlich der theologischen Sachebene sehr ähnlich wie bei der Dannhauerschen Hodosophie, bis hin zu einer schöpferischen Entfaltung des Metaphernmaterials, die nur als direkte Zitation angesehen werden kann.15 Wenn von Gottes Wort als „Wegweiser“, von „Zehrpfennig“ und „reise=kleidern“ die Rede ist, kann das nur als unmittelbare, zitatartige Anspielung an die zweite Einleitungspredigt des Eingangsbandes der Catechismus-Milch verstanden werden. Hinzu kommt bezeichnender Weise die Mahnung an den „geistlichen pilgramsstab“, nämlich „das liebe Creutz“, also eine Erinnerung an die subjektive Dimension des Glaubensweges, die eine Leidensdimension ist und als

13 Haberkamm u. Kurth, Christoph Paul Spieß: Der Lehr- und Weisheitsbegierige Jüngling (1659). Ein Nürnberger Schul-Drama nach dem Modell der Tabula Cebetis. 14 Zu einer umfassenderen Interpretation der Rezeption der Tabula Cebetis bei Dannhauer s. Bolliger, Le rôle neutralisant du mythe à l’âge confessionnel. L’exemple de Jean Conrad Dannhauer (1603–1666). 15 Derschau, Reinhold, HODOSOPHIA deß Lebens [. . .] (s. Anh. 4.5), 18: „IX. Daß wir als wandersleute auf unbekandter strassen / um einen guten wegweiser (das ist Gottes Wort /) und treue gefährten (das sind die H. Engel) uns bekümmern. Jucundus comes pro vehiculo est. X. Daß wir als wandersleute zu unseres leibes und seelen=nothdurfft nach / mit einem guten zehrpfennig / oder auch speiß und tranck / so denn daneben mit guten reise=kleidern (davon Eph. 6.) uns versehen. XI. Daß wir den geistlichen pilgramsstab das liebe Creutz / (davon im 23. Psalm) auch nicht vergessen / sondern gern mit uns tragen: Dein Creutz laß seyn mein wanderstab.“

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Gemeinschaft mit Christus auch sein muss. Generell fällt hier die Betonung der Wahl der richtigen Mittel auf, die von ferne an wissenschaftstheoretische Grundsatzüberlegungen erinnert, die Derschau nicht fremd gewesen sein dürften, auch wenn er ganz im erbaulich-frömmigkeitsorientierten Stilregister schreibt. Dass das richtige medium zur Erlangung eines spezifischen Ziels entscheidend sei, und man sich in seiner Wahl daher nicht täuschen solle, liegt als Überlegungsaspekt, ganz wie bei Dannhauer, auf der Spur von der Logik zur Erbauung; in jedem Fall aber wird hier sehr stark die Dimension der Wahl als einer Auswahl betont16. Es wird eine regelrechte permanente Selbstbespiegelung angemahnt, die in ihrer Ausrichtung auf die Subjektivität der eigenen Existenz über das bei Dannhauer Vorstellbare weit hinausgeht:17 Also müssen alle Christliche wandersleute ihnen dieses gewisse ziel fürsetzen und täglich zu sich selbsten sagen: wo will ich hinaus? Was suche ich? Wohin reise ich?

Basisbild ist hier denn auch nicht eine biblische Figur oder Begebenheit, trotz der sehr bibliozentrischen Tonlage, die man unter Inkaufnahme eines leichten Anachronismus als nahezu biblizistisch bezeichnen müsste. Basis ist aber auch nicht wirklich die Kebesallegorie, sondern vornehmlich das alte Motiv des homo in bivio, wie er sich in der Figur des Herkules am Scheidewege in der frühen Neuzeit beispielhaft und eindrücklich manifestiert.18 Während in der Kebesexphrase eine gewisse Vielfalt an Wahlpunkten und Umentscheidungen möglich bleibt, ist im Bild des Königsbergers nur eine einzige, ewigkeitsentscheidende Alternative

16 Derschau, Reinhold, HODOSOPHIA deß Lebens, 25: „Weil nun auß obigem offenbar / daß wir menschen alle Pilgrim und wandersleute seyn hier auf erden / so haben wir ja / insonderheit / wenn wir ad annos discretionis zu unserm verstand kommen / gutes und böses selbst unterscheiden können: vor allen andern dingen darauf zu gedencken / wohin wir dann eigendlich wandeln / und was für ein ziel und zweck wir uns versehen sollen. Es wird niemand so unvernünfftig seyn / der eine weite gefährliche reise vornehmen / sich auf den weg machen / und viel tagreisen verrichten würde / eher bey ihm selbsten beschlossen / wohin solche reise gerichtet seyn solte. Finis enim omnium actionum est prima quoad ipsam intentionem, nec quicquam operatur intellectus, nisi praecognito fine, sagen die Philosophi. Das ende oder zweck ist das erste in der intention und gedancken / aber das letzte in der Execution, und im wercke selbsten. Darum weil wir ja wandeln und lauffen müssen / so haben wir auch nach dem ziel und zweck am allermeisten zu sehen / und darnach den lauff würcklichen desto besser und sicherer anzustellen. Finis enim media suppeditabit, iisque amabilitatem, ordinem ac mensuram praescribet. Nach dem ziel und zweck der reise / werden auch die mittel müssen beschaffen seyn.“ 17 Derschau, Reinhold, HODOSOPHIA deß Lebens, 25. 18 Vgl. zu diesem Motiv und seiner Geschichte umfassend: Harms, Homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges.

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offen. Derschau bleibt also bei keinem der traditionellen Modelle einfach stehen, sondern tastet sich vor zu einer neuen Bildlichkeit, die – obgleich sie eine breitere Besprechung verdiente und voraussetzte, als sie hier geboten werden kann – als aus folgenden Elementen bestehend beschrieben werden kann. In einer Landschaft finden sich zwei durch ein immer breiter werdendes Gewässer getrennte Hälften, in denen je von links nach rechts ein Weg verläuft. Während der eine über eher unwirtliche, durch Glaubenstugenden zu erwandernde steile Gegenden in die Gefilde des Segens und des Heils verläuft, führt der andere an einladenden und luxuriösen Herbergszelten als Symbolen des Unglaubens vorbei durch eine bequeme Ebene, schließlich aber und unweigerlich in die Hölle. Dem gemeinsamen Ausgangspunkt der Wege folgt dabei fast unmittelbar anschließend eine radikale Trennung durch das genannte Gewässer, wobei ein Übergang anfangs durch eine einzige Brücke hin zur porta fidei möglich ist, später aber nirgends mehr offensteht. In seiner anwendungspraktischen Aussage hebt das Bild mit seinem Kommentar vor allem auf die in spannungsvoller Dialektik zu einander stehende Tatsache ab, dass einerseits ein Wechsel der einmal eingeschlagenen Wege kaum mehr möglich ist und sich damit eine nahezu apodiktische Ausschließlichkeit der eingangs zu tätigenden Wahl ergibt, die andererseits als solche aber nicht erkannt wird. Es ergibt sich eine fatale Täuschung durch die intrikate Tatsache, dass die beiden Wege in nur leichtem Winkel von einander streben, so dass sie schließlich an völlig getrennten Zielen enden, obschon sie anfangs beinahe völlig parallel zu einander zu verlaufen scheinen.19 Eine der wichtigsten Fähigkeiten für einen, wenn das Wort hier Sinn machen kann, erfolgreichen Christen ist daher eine Auffassungsgabe, die es rechtzeitig ermöglicht, diesen Sachverhalt mit Gottes Hilfe zu erkennen, die eigenen Wege zu prüfen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das aber wird ihm nur als Einzelnem möglich sein, so dass Derschau

19 Derschau, Reinhold, HODOSOPHIA deß Lebens, 56: „Was nun diese beyde wege anbetrifft / so kan man zwar sano sensu noch wol zugeben / daß sie beyde sonderlich im anfang und fortgang etwas parallel seyn und nach einer gegend / nemlich nach mittag zu / nach der sonnen der gerechtigkeit apparenter gerichtet werden: wie denn auch in unserer tafel beyde dergestalt abgebildet / zumahlen weil auch alle so wol böse als fromme zugleich einen scopum, nemlich den todt und das ewige leben für sich haben: Allein es ist dennoch unter diesen beyden wegen / dieser grosse unterscheid / daß der weg des lebens immer mählich und mählich hinauff gen Himmel: dieser aber der weg des verderbens mählich / wiewol merklich bergab und hinab zur höllen ziehen und führen thut. Dieses ist die eigentliche beschaffenheit der beyden wege und dero abbildung. Welche denn billich vorzuziehen der jenigen vorstellung / da diese zwey wege diametraliter einander entgegen gesetzet / der weg der seligkeit / als ein steiler / jäher berg / der weg des verderbens aber zur andern seiten diesem entgegen abwerts und perpendicular abgebildet wird.“

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auf die Fähigkeit zu mündigem Urteil größten Wert legt und auch dieses Erfordernis zur gelingenden christlichen Existenz lebensgeschichtlich darstellt.20 So wird auch in dieser sehr offensichtlich von Dannhauer inspirierten Erbauungsschrift eine direkte Linie von einer als apodiktische Wahlkonstellation aufgefassten christlichen Existenzhaltung hinüber zur Unerläßlichkeit individueller Mündigkeit für deren Bewältigung gezogen. Obschon das Denken und das Werk eines Autors und deren Rezeption zwei verschiedene Dinge sind und auch als solche respektiert werden wollen, ist doch schwerlich von der Hand zu weisen, dass diese beiden stark von Dannhauer inspirierten Theologie – oder Christlichkeits-Entwürfe Speners und Derschaus ein Licht zurück auf den großen Straßburger werfen. Dieses Licht lässt ihn als einen Theologen erscheinen, dessen Konzeption sich ohne Weiteres mit den tendentiell noch stärker als die reife Orthodoxie die Selbständigkeit und Mündigkeit des Individuums herausstreichenden Idealen des frühen Pietismus oder, im Falle von Derschaus, einer Art lutherischen Puritanismus‘ vereinbaren läßt. Wir stehen somit vor einem Phänomen, das trotz seines widersprüchlichen äußeren Anscheins wohl weniger als Paradox denn als letztlich als organische geschichtliche Folge zu begreifen sein wird. Der gänzlich apodiktisch konfigu-

20 Derschau, Reinhold, HODOSOPHIA deß Lebens, 49 f.: „Wir müssen aber noch zuvor und zum beschluss dieses ersten Buchs dessen person / habit / statur / geberde / gezeug etc. wie solches in der taffel nit ohne ursach und vergebens also abgebildet / etwas eigendlicher betrachten. Es ist aber (I) unser wandersmann vorgestellet / nit als ein kleines unmündiges kind / das weder gutes noch böses verstehet / das weder gehen noch stehen / viel weniger reisen noch wandern kan / sondern von andern muß getragen und geleitet werden. Auch nicht wie ein kleiner knab / der noch mit allerhand tockenwerck und kinderspielen sich belustiget / wenig an seine wanderschafft gedencket. Auch nicht als ein eißgrauer abgelebter mann / der schier nicht mehr gehen kan / der zum reisen eben so geschickt ist / als der lahme zum tantzen. Sondern er wird vergestellet als ein jüngling in sei nen besten jahren / der ad annos discretionis schon gekommen / die kinderschuh abgeleget / seines verstandes selbst gebrauchen / gutes und böses unterscheiden kan / auch das vermögen / die stärcke und kräfte hat / zu gehen / zu wandern / zu reisen. [Folgt Zitation 1. Cor. 13 . v. 11.] Es hat niemand einen andern anfang und progress seines lebens / als wie er in dieser tafel vorgebildet wird / auf einerley weise werden wir geboren / und hat da keiner einen vorzug oder etwas sonderliches / wir müssen auch alle gleich in die kinderschuh treten / unsere lehrjahr / die jahr der torheit und unwissenheit / der kindheit / mit den kleinen jungen kinderlein / so allhie auf der tafel bey ihres vatters hause spielend abgebildet seyn / aushalten / wiewohl einer für dem andern etwas zeitlicher dimittiret wird / darzu denn treue aufferziehung / fleissige aufsicht der eltern und praeceptorum viel helffen kan. Aber wie dem allen / so kan er doch nit seine wanderschafft recht angehen / er habe dann zuvor seine kinder= oder lehrjahre abgeleget / und die annos discretionis den gebrauch seines natürlichen verstandes vollkömmlich erlanget.“

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rierte Zugang zur Logik im Gefolge Zabarellas und der ihn aufgreifenden Philosophen an den Semi-Universitäten von Altdorf-Nürnberg und Straßburg, den der junge Dannhauer aufgriff und seinerseits zur theologischen Anwendung hin weiter entwickelte, dieser Zugang, in dem nur ein eindeutiges pro zu einer und ein ebenso eindeutiges contra zu den andern beiden der drei als Totalalternativen begriffenen konfessionellen Optionen möglich war, scheint prima facie nicht den geringsten Raum für Individualität offen zu halten und noch weniger, im Vergleich zur mittelalterlichen und frühreformatorischen Theologie, zu erweitern oder neu zu eröffnen. Genau dies aber ist faktisch der Fall in einer Weise, die durch die Spannbreite des Dannhauerschen Werkes exemplarisch aufgezeigt wird. Die dreifache, progressiv sich entfaltende Varation der methodus von der Logik über die Theologie zur Predigt behält das apodiktische Element bei, fügt ihm jedoch zunehmend mehr den persönlichen Erfahrungsraum des diese methodus anwendenden Subjekts hinzu. In dem Maße als das Werk Dannhauers als repräsentativ für die Orthodoxie genommen werden kann, läßt es transparent werden, in welcher Weise die Theologie der luthischen Orthodoxie ein intellektuelles System der frühen Neuzeit darstellt, deren allgemein feststellbarer und von der jüngeren Forschung so stark unterstrichener Zwischenstatus zwischen Mittelalter und Neuzeit sich hierin widerspiegelt. Insofern seine methodus eine des kompromisslosen Unterscheidens von wahr und falsch, theologisch gesprochen von Orthodoxie und Ketzerei, darstellt, scheint sie, schematisch gesprochen, die Verhältnisse auf ein klassisch-scholastisches Wahrheitsverständnis im Sinne eindeutiger Adäquation retardieren zu wollen. Insofern die Anwendung ebendieser methodus an die geistliche wie auch geistige Autonomie des Anwenders appelliert, ist sie als Theologie der Neuzeit anzusehen. Es erscheint anhand dieses großen Beispiels als zumindest greifbarer, was im letztlich primär politikhistorisch orientierten Konfessionalisierungsschema bereits anschaulich wurde: Auch im 17. Jahrhundert, auch in der scheinbar statischen Zwischenzeit zwischen Reformation und Frühaufklärung geschieht die religiös-kirchliche Entwicklung in Richtung einer Verstärkung der Mündigkeit und letztlich der langfristig wirksamen Relativierung konfessioneller Gegensätze. Diese Verstärkung aber ist nur als eine dialektische zu begreifen, da sie sich konkret über eine Verstärkung der konfessionellen Repression in den Territorien und Theologien vollzieht, eine Repression, die den religiösen Zwang verstärkt, mithin eben auch den Zwang zur Wahl. Dieser Sachverhalt lässt sich nicht allein allgemein epochentheoretisch diachron beschreiben. Trotz aller Vorläufigkeit der Resultate dieser Arbeit kann das Wagnis eingegangen werden, ihren Ertrag im Hinblick auf eine synchrone Kartographie der Orthodoxie zu skizzieren. Denn die Darstellung der Konzeption, Evolution und Interaktion intellektueller Arbeit lässt sich für den Zeitraum

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der Frühen Neuzeit vielleicht am besten in geographischen Räumen erfassen. Der viel beschworene Territorialstaat war einerseits noch nicht wirklich voll entwickelt, wie allein schon die neuere Diskussion über die Gründe für das Aufkommen des Absolutismus ergibt21; dennoch ist er in Bezug auf Wissensentwicklung vielleicht in dieser Zeit mit am mächtigsten. Die im Mittelalter so klar dominierende wissenssoziologische Strukturierungsmacht der Orden, insbesondere der Bettelorden, ist für den protestantischen Raum nicht mehr verfügbar. Auch auf katholischem Boden verliert sie, trotz der bekannten Kämpfe zwischen Jesuiten und Dominikanern, deutlich an Einfluss, während umgekehrt territoriale Logiken im Zusammenhang mit der Entwicklung des Absolutismus auch in der Theologie an Raum gewinnen. Der Jansenismus, und der Gallikanismus allgemein sind hierfür ein eindrückliches Beispiel, aber etwa auch die Inquisition, die faktisch nicht mehr in den Händen einer Ordensinstitution, sondern in jenen der Monarchien Frankreichs und Spaniens zu liegen kommt, also in gewissem Sinne nationalisiert wird. Ab dem 18. Jahrhundert wiederum nimmt die Diskussion bereits wieder deutlicher überregionale Züge an. Eine Universität muss da nicht mehr unbedingt in allen Fragen Konsens erreichen, wohingegen zur Zeit der Orthodoxie dieser zu erreichende consensus eine conditio sine qua non sowohl des Kirchentums eines bestimmten Territoriums wie vor allem auch der diesem Kirchentum und Territorium verpflichteten Fakultät(en) darstellt.22 Daher ist die wissenssoziologisch scheinbar banalitätsverdächtige Kategorisierung durch Wissensräume ein zumindest analytisch hinreichendes, historiographisch angemessenes Beschreibungsinstrument, dessen sich die meisten Überblickswerke zum 17. Jahrhundert bedienen.23 Während nun andere hauts-lieux

21 Jean-Christian Petitfils hält es, um nur ein bekanntes Beispiel zu nehmen, in seiner politikhistorischen Biographie über Louis XIV für das Hauptverdienst des Roi-Soleil, die Clans (Le Tellier, Colbert, Louvois . . . ), aber auch die Gouverneure der Provinzen, zuerst an den Hof geholt und dort dann in eine zentrale Staatsführung eingebunden zu haben. 22 Hier ist einmal mehr zu verweisen auf die so grundlegende Arbeit von Appold, Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004. 23 Zu denken ist hier natürlich vor allem an das aktuelle Standardwerk in der neusten Überweg-Darstellung: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Bd. 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa, 302‐587. Hier wird zuerst „Die Schulphilosophie in den katholischen Territorien“, sodann diejenige „in den reformierten Territorien“, und schließlich jene „in den lutherischen Territorien“ behandelt. Die katholischen werden hierbei zusätzlich auch nach den einzelnen Orden und die lutherischen in Funktion der angenommenen oder abgelehnten Konkordienformel unterteilt, doch grundsätzlich erfolgte territoriale Sektorialisierung.

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der Orthodoxie sich durch je eigene Schwerpunkte oder Vorlieben auszeichnen, wie etwa Helmstedt durch eine Pflege der Metaphysik, der natürlichen Theologie und des Dialogs mit den Wissenschaften, Tübingen oder auch Gießen durch eine Metaphysik herkömmlichen Stils, Jena durch die Leitfigur Johann Gerhard und eine besonders eminente Betonung der Frömmigkeit, Wittenberg als Hort der Orthodoxie durch den Ort und die so besonders enge Bindung an die Gründungsgestalt, scheint sich für Straßburg scheinbar kaum Charakteristisches zu finden, jedenfalls nicht im Sinne des Vorhandenseins einer besonderen Strömung. Erst gibt es ohnehin lange Zeit keine höheren Fakultäten, aber auch als sie möglich werden, handelt es sich eher um eine Universität zur Bildung der lokalen Verwaltungseliten und des reisefreudigen europäischen Adels, in der Jura, Verwaltungswissenschaften und Geschichte im Sinne politischer, gleichsam politologischer Reflexion das Schwergewicht bilden. Die Regel, „dass gerade im Bereich des Luthertums das 17. das Jahrhundert der Metaphysik war“24 wird in Straßburg dadurch bestätigt, dass die dortige Ausnahme als Abwesenheit von etwas ansonsten zumeist Gepflegtem nicht wenig auffällt. Westlich des Rheins wird Theologie auf einem sozusagen rein theologischen Fundament zu errichten gesucht, das nebst dem Text der Bibel und den Texten des Konkordienbuchs kein ontologisches Zwischenstockwerk oder Nebengrundlage kennt. Diese Absenz aber zwingt nachgerade zur Vertiefung der auslegerischen Sorgfalt und mithin zur wissenschaftlichen Hermeneutik. In gewissem Sinne entwickelt sich daher in Straßburg eine Art „Reinform“ der Orthodoxie, in der die Konfessionen im Wortsinne mit den modernsten wissensgenerativen Techniken ihrer Zeit analysiert werden. Doch ist gerade diese Reinform nicht einfach wissenschaftstheoretische Neutralität. Durch eine hierdurch motivierte und sozusagen offensive Offenheit für den methodusBegriff und die ihn erfordernde Konzentration auf die analytisch-hermeneutische Arbeit ergibt sich eine Zugangsweise, die ihrerseits durch klare Spezifika zu fassen ist. Diese Spezifika aber sprengen die Orthodoxie sozusagen von innen auf. Sie wird in einer Weise radikalisiert, im ursprünglichen Sinne dieses Wortes ihrer Wurzel zugeführt, die zu einer Art enharmonischen Modulation führt, an deren Ende die Begriffe, aber auch die Techniken einen anderen Sinn und eine neue Zwecklichkeit annahmen. Denn die Straßburger Radikalität besteht ja darin, dass die Textgrundlage der theologischen Arbeit hier als singularetantum, als einheitlicher Block verstanden wird, der den andern Kirchen und deren normativen Grundlagen je entgegen gestellt wird. Dies betrifft zum einen die konfessionelle Grundlage im engeren Sinne, nämlich die lutherischen Bekenntnisschriften. Die Kämpfe, die zu dieser Vereinheitlichung führten, liegen zu Dannhauers

24 Sparn, Die Schulphilosophie in den lutherischen Territorien, 476.

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Wirkungszeitbereits in der Vergangenheit, sie müssen nicht noch einmal gefochten werden, und somit ist das Konkordienbuch, das sie zeitigten, nun klar festgelegter Ausgangspunkt der Arbeit für die konfessionsanalytische Arbeit insgesamt. Es betrifft zugleich und von derselben Logik getragen die Grundlage im weiteren Sinne, nämlich die Heilige Schrift. Deren Sinn kann nur je einer sein. Pluralität ist hier daher nur bedingt denkbar; apodiktische Logik kennt, zumindest auf der Ebene des face value, keine Grade von Wahrheit, sondern nur die Wahrheit und deren Gegenteil. Darum rückt das Ringen um und das Feilen am Konsensus innerhalb der Orthodoxie nun klar in den Hintergrund. Faktisch findet er natürlich auch in Straßburg weiterhin statt. Davon zeugen gerade die theologischen Arbeiten Dannhauers in besonderer Weise, vor allem auch die Hodosophie, die stets auch innerlutherische Kontroversen artikuliert und einer Lösung zuführt. Auch sonst findet selbstredend in Straßburg Konsensarbeit tagtäglich statt, nicht nur in der akademischen Tätigkeit im engeren Sinne, sondern auch für den nicht immer so sehr an Orthodoxiekonformität ausgerichteten bürgerlichen Lebenshabitus, wie Dannhauer und auch seine Kollegen es gerne gesehen hätten, und wo es wie im Kontakt mit den andern Fakultäten in der Stadt und im Reich galt, Kompromisse und Konsense zu finden.25 Etwas grundlegend anderes als permanente Konsenssuche nach innen und vor allem nach außen wäre auch nicht vorstellbar gewesen, hätte sich die Argentina nicht einfach von jeglicher „binnenkonfessioneller Pluralität“26 vom Dialog mit dem Reich abkoppeln wollen, was weder theologisch noch politisch ratsam gewesen wäre, und zwar weder zu Beginn der Karriere Dannhauers im Dreißigjährigen Krieg noch auch gegen ihr Ende, als der erhoffte Ruhm für die Nachwelt als ultima ratio regum den Blick des französischen Königs auf das Elsaß und besonders auf Straßburg stets begehrlicher und gefährlicher werden ließ. Doch werden diese Artikulationen der Einheitssuche innerhalb des eigenen Lagers nicht nur methodisch gesehen häufig in der Rüstung von Angriffen nach außen, nämlich gegen die Fremdkonfessionen, geführt. Sie werden gesamthaft und metaformal vor allem dadurch relativiert, dass die wahre methodus des Christseins nun den falschen methodi der andern Religionsgemeinschaften insgesamt entgegengestellt wird, und zwar, in zunehmender Deutlichkeit und Schärfe, nicht allein den andern Kirchen oder parakirchlichen Strömungen wie vor allem dem Sozinianismus, sondern auch den fremden, nichtchristlichen Religionen im spezifischeren Sinne des Begriffs der Religion. Die Stringenz des Außenbezugs, mit der Dannhauer seine Analytik durchführt, wird also ihrerseits noch einmal

25 Kühlmann/Schäfer, Frühbarocke Stadtkultur am Oberrhein. 26 Jakubowski-Thiessen/Kaufmann/Lehmann, Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese.

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6 Ausblick auf die Wirkungsgeschichte und Konklusion

radikalisiert, und nicht nur gegen Kräfte gänzlich außerhalb der eigenen Kirche, sondern selbst gänzlich außerhalb des Christentums geführt. Auch diese Tendenz ist natürlich keineswegs exklusiv, sondern hat, nebst etlichem anderen Faktoren, mit der stetig zunehmenden Globalisierung des Handels in den Kolonien und der dadurch angestoßenen Religionskomparatistik zu tun, die in ihren Anfängen kaum anders als im Gewande gehobener Polemik daherkommen konnte. Es war, auch unter diesem Aspekt, nicht unbedingt zwingend, aber es war dennoch auch kein Zufall, wenn ausgerechnet der Ort der pionierhaften Rezeption der zabarellistische methodus-Lehre nördlich der Alpen ein Bollwerk gegen den Pietismus, aber auch gegen alle andern nichtlutherischen Konfessionen und Religionen wurde. Die Vehemenz, aber auch die Ehrlichkeit und Geradlinigkeit, mit der die beiden gleichsam emblematischen Figuren im Kampf für eine Erweiterung des orthodoxen Konsenses über die jeweilige intrakonfessionelle Verständigung hinaus, Calixt und Dury, gerade in Straßburg bekämpft werden, ist nicht nur Ausdruck stringenter handlungslogischer und theologiepolitischer Konsequenz, sondern auch von gewollter symbolischer Deutlichkeit. Georg Calixt und generell die Helmstedter Theologie mit ihrer Offenheit für außerkonfessionelle Grundlagen theologischer Arbeit verkannten in Dannhauers Perspektive nicht nur spezifische einzelne Lehrpunkte, sondern die Axiomatik theologischen Handelns insgesamt. Zwar muss betont werden, dass dieser Einsatz für die „objektive“ Wahrheit in sich als dynamische, lebendigmachende, veränderungsmächtige Wahrheit des Evangeliums erfasst wurde, ansonsten sie steril und gleichsam fundamentalistisch geworden wäre. Nicht umsonst wählt Dannhauer für seine Werke mit dem Bild des Weges eine Zentralmetapher, die evidenzbasiert der von ihm vorangetriebenen methodus breiteren Eingang in die auch kirchliche Lebenswelt verschafft. Es geht ihm mit dieser Wahl vor allem auch, ja wohl zuallererst um ein Einschärfen der Notwendigkeit in eine existentielle Einübung in die Wahrheit, mithin um ihren Vollzug im eigenen Leben. Doch eben weil dieser je eigene Vollzug so wichtig ist, wird er nun auch klar individueller. Nicht mehr der Vollzug des Ringens um den Konsens innerhalb der eigenen Konfession lässt Wahrheit sich ereignen und in je neue Kontexte und Herausforderungen sich entfalten. Es ist nun eher der Vollzug der an sich bereits als solcher etablierten Wahrheit im eigenen Leben, der zählt, und deren gegen grundsätzliche Anfechtungen von außerhalb der Wahrheit verteidigt werden muss. Es geht nicht mehr um eine mehr oder weniger große Anteilhabe an der durch die lutherischen Bekenntnisschriften vorgegebenen Wahrheit, sondern um Sein oder Nichtsein der lutherischen Glaubenswahrheit und damit, so die Überzeugung, des Christentums überhaupt. Von einem stets neuen Herausarbeiten dessen, was genau als Artikulation oder als Phänomen lutherischen Glaubens gelten kann, gelangt man so zu einem unüberbrückbaren Abgrund zwischen Phänomen und

6 Ausblick auf die Wirkungsgeschichte und Konklusion

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Phantasma, der um jeden Preis als solcher lehrmäßig herauszustellen und existentiell zu vermeiden ist. Falls Orthodoxie als innerkonfessionnelle Konsenssuche verstanden wird, wird sie hier gleichsam von innen aufgesprengt, nicht obschon, sondern gerade weil dies in einer hyperbolisch Orthodoxie beanspruchenden Methodik und dann Rhetorik geschieht.

7 Annexe und Bibliographien Die Transkription folgt grundsätzlich Johann Anselm Steiger und Ralf Bogner: Prinzipien der Edition von theologischen Texten der frühen Neuzeit. Mit einer Vorstellung und Begründung der Prinzipien für die geplanten Editionen von Werken Johann Gerhards, in: editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft 12 (1998), 89–109. Sie führt auch die Mehrzahl der dort vorgelegten konkreten Vorschläge durch, insofern sie im Rahmen einer Monographie möglich sind, die nicht eigentlich editorische Ziele verfolgen kann. Auf die Nachbildung unterschiedlicher Typengrößen wie auch der Differenz von Kapitälchen und Versalien wurde deshalb verzichtet. Die bibliographischen Angaben werden abgeschlossen mit der Nummer des VD16 oder des VD17, wo sie aktuell bereits existiert. Wo autoptische Einsichtnahme nicht erfolgen konnte, wird eine bezüglich Majuskeln, Minuskeln und Zeilenfall normalisierte Transkription geboten.

https://doi.org/10.1515/9783110644593-007

4 DWV 203.

3 DWV 150.

2 DWV 144.

1 DWV 121 / 245.

(A) Hodosophia Sacra, seu Theologia (B) nostras, est (C) Lumen (D) constans, (E) coeleste, (F) Efficax (G) in oculo spirituali, puro, illuminabili, (H) quod hominem coelo exulem, (I) ad patriae coelestis beatitudinem ductu suavi reducit.

Hodosophia Christiana  ( /) Hodosophiae Definitio



Variis scintillis imponens, pari scil. in Verbum scriptum et non-scriptum affectu; Canonis augmento; Latinae vulgatae exaltatione; insolentia vilipendii et conviciorum in maiestatem Scripturae sacrae evibratorum, nata ex elevatione officii normativi, critici, perfectionis materialis, formalis, finalis; fictione obsuritatis: versionis et consequenter lectionis vernaculae interdicto; verbi traditi, non-scripti assumento: obtruso iudicio Ecclesiae Rom., praesentis ultimato, magisteriali, infallibili, παποπνεύστῳ ; Iudicio Papae Ecclesiam animantis, multis modis monstroso!

Ignis planeticus

Hodomoria Spiritus Papaei ()



[(A) Ignis fatuus a Spiritu planetico agitatus: (B) Ratio sc. verbi divini θεοπνέυστου, (C) Magistra, Domina (D) Judex: Veritatis coelestis (E) norma, Principium, Causa: (F) Ratio carnalis, (G) Caeca, superciliosa, (H) fallax in Enthusiasmum terminata.]

Hodomoria Spiritus Calviniani ()

Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften

[Partis Primae Hiatricae Sectio Prima Physiologica Sectio Secunda Pathologica Sectio Tertia Semeiotica seu Physiognomica]

Liber conscientiae  apertus ()

394 7 Annexe und Bibliographien

(A) Lux viae coelestis est (B) Scriptura (C) Sacra (D) Canonicis Veteris ac Novi Testamenti libris comprehensa, (E) Inspirata divinitûs, idque (F) liquido (G) Tota: consequenter (H) verissima: (I) Unica: (K) Optima perfectione, (L) Claritate, (M) Catholica communicatione, salubritate (N) Efficax; (O) Index veri canonica, et (P) Vox Judicis summi authentica.

Lux, viae ad coelos Dux Scriptura Sacra.

Phaenomenon Primum

(A) Verbi Divini scripti et non scripti (B) pari pietatis affectu et reverentia suscipiendi, (C) scriptum primum in canone Tridentini designato (D) in Latina vulgata, (E) quod seorsim non est regula fidei, (F) non Verbum αὐτόπιστον, sed (G) litera sola, mortua, exsuca, muta, (H) imperfecta, (I) obscura, ac ideo (K) neglecta a doctis, (L) non facile transferenda in linguas Vernaculas, (M) a Laicis non legenda. […].

Phantasma I.

Phantasma φαντασμάτων. Omnium reliquorum Caput, fons, origo, Luci Calviniani palladium, proles Rationis Planeticae et Labyrinthificae primigenia: IDOLVUM ABSOLVTI DECRETI.

(A) Ignis fatuus a Spiritu planetico agitatus: (B) Ratio sc. verbi divini θεοπνέυστου, (C) Magistra, Domina (D) Judex: Veritatis coelestis (E) norma, Principium, Causa: (F) Ratio carnalis, (G) Caeca, superciliosa, (H) fallax in Enthusiasmum terminata.

Phantasma I.

(fortgesetzt )

Partis Secundae specialis Theologiae Symbulevticae seu Casualis, Dialogus Secundus. De luce conscientiae duce, Scriptura Sacra

Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften

395

Phantasma II. Lucus Spiritus Calviniani

(A) Lucus congregationis Romano-Tridentinae, (A) Lucus Spiritus Calviniani speciosae quidem, forma veritatis, notis externis coloratae, specie visibilitatis, praetextu indeficibilitatis: iactatione maternitatis, et Magisterii: at detecta larva, misere deductae in haeresin, apostaticae, syncreticae; monstrosae, et κακαρχοῦ, laborantis capite superfluo, absurdo, perperam ad Pontificem Romanum restricto, ac Antichristiano. membrorum abundantia, confusione, distinctione fictitia, ἀταξίᾳ ac exemtione iniusta; inhabilitate ad officium concionandi; monastici status impietate, monopolio nominis et iuris clericalis, clavis rigore, ac heterogeneitate, potestatis violentia, praesertim in coniugium districtae.

Phantasma II. LUCUS ROMANUS.

Phaenomenon II.

Candelabrum in via coelesti Ecclesia (A) Candelabrum est

(fortgesetzt ) Dialogus Tertius: De Regno Dei, Ecclesia.

396 7 Annexe und Bibliographien

(B) Ecclesia (C) Nostras; primum (D) Visibilis quae (E) Coetus est hominum a Deo vocatorum (F) Selectus e mundo profano, apostatico, Antichristiano, cujus (G) veritas pellucet in oculo fidei, coelestis veritatis fundamentalis professione et confessione publica et sensili, plena et plana, pura, vera, probata a priori ex ipsa sua luce, a posteriori e fructu professionis sanctifico, solatifluo salvifico: (H) Unus, h. e. individus a se, indivisione harmonica, ordinata inque tergeminam Hierarchiam, (I) Oeconomicam, (K) Politicam, et (L) Ecclesiasticum digestus: divisus (M) a quovis alio coetu: (N) Sanctus gratia divina, jurium possessione ac ordinata administratione, thesaurorum Ecclesiae curâ: (O) Catholicus, (P) Deficibilis. (Q) Repraesentatur haec tota Ecclesia visibilis in Concilio Justo et Legitimo. Deinde (R) Ecclesia invisibilis, quae coetus est selectus e mundo etiam hypocritico, cujus veritas mundo incognita, Deo sibique nota; unus, Sanctus, Catholicus, indeficibilis.

(B) Congregatio Romano-Tridentina (C) in his terris constituta (D) Mater ac magistra omnium Ecclesiarum, (E) sola vera, (F) signata certis notis, (G) semper ac necessario visibilis (H) indeficibilis, (I) Una (K) Sancta, (L) Catholica, (M) Apostolica, (N) collecta e bonis et malis, hypocritis, magnis et manifestis peccatoribus, exclusis Ethnicis, haereticis, schismaticis, exommunicatis, et catechumenis: (O) in certum ordinem digesta, quae constat clericis primis et nobilissimis, (P) Laicis (quos inter Magistratus sunt, iique non immediate a Deo institute) subditis, (Q) Monachis partim Clericis partim Laicis, (R) contenta sub uno capite Christo, et eius in his terris vicario, visibili Ecclesiae capite Pontifice Romano, (S) cuius senatus seu concilium (T) constat ex solis praelatis maioribus (V) sub eodem Pontifice Romano, et congregatione et praeside, et spiritu informante (X) cum auctoritate summa ac infallibili (Y) utiliter ordinatum ejusdem seminarium (Z) Matrimonio constat, quod est coniunctio maris et foeminae canonice habilium […]

(B) est coetus e solis absolute praedestinatis et fataliter vocatis conflatus: (C) specie, vera Dei Ecclesia, una, sancta, Catholica; reapse, (D) vanâ persuasione delusa, (E) σημασία characterum ecclesiae verae destituta, haeretica: (F) nec una quia divisa in se, indivisa ab alio coetu: nec sancta, nec catholica.

(fortgesetzt )

Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften

397

Camarina Mali, ortii et hamartigenia praepostera: definitione imperfecta: exceptione licentiosa: contradictione absurda: Pharisaica: vana: inexplicabilis ἂγραφον: ἀντίγραφον.

Phantasma IV. Camarina Mali

Phaenomenon IV.

Caligo Mali Summo Bono oppositi

De Summo Malo.

Phantasma IV:

De Summo Malo, Peccato

Dialogus Quintus:

Dialogus Quartus: DEVS a Spiritu Calviniano deformatus, pictione cum Scholasticâ tum Catholicâ consequentiis eliquatâ. Deus (A) nec unus (B) nec verus, (C) nec bonus, (A) Deus non unus, (B) non Trinus (C) Finitus, De Summo Bono Numine Trinuno. (D) Mutabilis, (E) non simplex: (F) Filius Dei (D) Creator substantiae Angelicae sive tropice generatus, (G) Impotens (H) Mendax Angelorum qui gloriam sui meriti, digesti in (I): Lux caliginosa non praescia sed postscia. tres hierarchias sub uno capite Michaele, Charitas malevola, immisericors absolute singuli singulis hominibus addicti, non in vola (K) Creator coeli beatorum ejusdem cum custodiam solum sed et illuminationem, ad Dei coelo, corpori, localiter superni: in coelo vocationem et officia alia. coelitum imperfecte sanctorum: creator itidem, aliorum absolute electorum, aliorum absolute reproborum: (L) Horizon actionum humanarum fatalis: (M) Auctor peccati.

Phantasma III.

Terminus et scopus viae sacrae Sumum Bonum Deus Trinunus (A) Summum bonum (B) Deus est, (C) qui est Jehova, (D) Spiritus, (E) Lux, (F) Charitas, (G) Pater, (H) Filius, (I) Spiritus Sanctus: adeoque (K) Trinus in personis (L) realiter differentibus, (M) Unus tamen essentia: (N) Creator (O) Invisibilium Spirituum Angelicorum; et visibilium, macrocosmi et microcosmi hominis: (P) Rex universi per Providentiam: (Q) Fons et theatrum consummatae beatitudinis.

Parelius pro vero Sole-DEO:

Phantasma III., scholasticum

Phaenomenon III.

(fortgesetzt )

398 7 Annexe und Bibliographien

De Homine Viatore Hypomnema.

Homo Viator.

Homo Viator, in statu naturae Phantasticus, a luce coelesti, ut noctis filius, depulsus, DEO contumeliosus, humanae naturae in Christo ignominiosus: absurdus: ferax peßimorum fructuum: In statu lapsus superbus et inflatus.

(fortgesetzt )

Dialogus Sextus:

Phantasma V:

Phantasma V.

Phaenomenon V. Viator Homo primum integer ac idoneus ex se ad beatitudinem consequendam: deinde lapsus ad eandem impotens ac ineptus.

(A) Malum morale nullum; (B) nihil turpe φύσει; (C) regnans peccatum duntaxat in irregenitis apparet; (D) non regnans in regenitis veniale. (E) ἀπιστία nulla in iis, quibus τὸ πιστόν nec propositum, nec a quibus fides exacta est. (F) ἀπιστία sola non est causa damnationis (G) Deus mali auctor est.

(A) Camarina mali, peccaminosa attracta superbia, tanquam peccato primo; e qua genita lues originalis, quae non est concupiscentia in actu primo prona ad malum, sed privatio habitualis voluntaria justitae orginalis, illius quae fuit in intellectu et voluntate: (B) ita catholica, ut excipienda sit. B. Virgo: eadem est (C) Mater peccati actualis vel mortalis, vel venialis ex natura sua, non mortiferi: ad quam sequitur (D) Malum poenale, idque vel temporale huius vitae, miseria scil. ex peccato nata et revivificens: vulnus naturae quod est ignorantia in intellectu, aversio in voluntate, infirmitas in appetitu irascibili, et concupiscentia in appetitu concupiscibili: vel temporale alterius vitae, vel aeternum. de quo poenarum alterius vitae genere infra tractabitur in fine huius hodomoriae.

(A) Malum est Boni debiti defectus. (Quid enim malitia nisi boni indigentia? ait Ambros. lib. de Isaac et anim., c. .) isque vel (B) Moralis. (C) Primus, ut ἀπιστία Evae, Ortus (D) Originalis. (E) Actualis. (F) Naturalis vel in subjecto involuntario. voluntario vel (G) Medicinale. (H) Poenale. (I) Cujus cause per se Physica nulla est. (K) DEUS nullo modo mali causa est. (L) Causa autem per se moralis in malo morali prima est Sathan: (M) Secunda mundus: (N) Tertia caro.

Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften

399

confusus, falso distinctus, lucernae verbi divini adversus, rudis ac monasticae ignaviae aeque ac audaciae monimentum, Paranomicus, Antinomicuss [sic].

De via ad fructum summi boni et consummatae beatitudinis consecutionem legali et evangelica.

Dialogus septimus:

Phantasma VI.

Phantasma VI. LABYRINTHUS EVANGELICO LEGALIS.

Phaenomenon VI.

Via ad fructum summi Boni et consummatae Beatitudinis consecutionem gemina, Legalis et Evangelica,

Labyrinthus Evangelico legalis.

Tu quis es? Quid de te Homo viator constans (A) anima nunc dicis? quoque immediate a Deo creata, (B) Joh., .. imaginis divinae substantia inamissa: (C) Creatus labilis (D) alius ad vitam, alius ad mortem aeternam: (E) Viribus arbitrii liberi prorsus destitutus: (F) natura Sanctus, si electus: (G) nullius boni externi Dominus, sed par forte Diabolo, si reprobus est. (M)

Viator ad summi Boni fructum ac beatitudinem creatus, est (A) HOMO, primum a DEO per inspirationem animæ spiritualis, rationalis, per traducem propagabilis (B) & corporis è terra fictionem, ad (C) imaginem & similitudinem sui (DEI) factus: post lapsus, (D) vivus quidem naturæ, (E) sed mortuus gratiæ, (F) homo carnalis, (G) servus iniquitatis, (H) filius iræ, consequenter ad beatitudinis cœlestis consecutionem ex se ineptus.

Homo (A) in statu naturae, constans imagine Dei naturali, naturali propensionum contrarietate, naturali mortalitate: in (B) statu gratiae praeditus, (tanquam dono supernaturali) similitudine DEI h.e. Justitia originali, sapientia perfecta, perfecto dominio, immortalitate: (C) in statu lapsus jacturam passus similitudinis seu doni supernaturalis, non item imaginis naturalis et naturalium: (D) adhuc satis valens potentia liberi arbitrii activa, ante gratiam boni moralis, non tamen meritorii effectiva, inclinante ad opera supernaturalia, imperfecta quidem et ligata, actuata tamen et soluta per gratiam excitantem cooperatrice gratiae in actibus supernaturalibus: et tamen per doctrinam Thomisticam necessaria non libera.

(fortgesetzt )

400 7 Annexe und Bibliographien

Phantasma VII.

Phaenomenon VII.

Phantasma VII:

In quo (A) lex naturae nulla; (B) lex paranomica; (C) Antithetica; (D) imperfecta; (E) (Antinomica) (F) Evangelium particulare, (G) comminatorium (H) Inefficax apud reprobos: (I) Testamentum Vetus et Novum substantiâ idem.

PATRIS COELESTIS VOLUNTAS, Immitis ac dura. Voluntas Patris Coelestis restricta ac Patris coelestis benigna ac revelata in Evangelio, in hominem lapsum erigendum ac Cuius dogma est Evangelio adversum, impium Particularis. fructu securitatis, blasphemum in DEVM, beandum, voluntas. impium in merita Christi, novum, contradictorium, falsum.

(A) Lex nova seu Evangelica a lege veteri distincta (B) involvit leges proprie dictas, et legum acumina, minas, promissa hypothetica, terrores: (C) auget legem veterem triplici praeceptorum genere, moralium, sacramentalium et fidei, et (D) Consiliorum perfectione: (E) paranomia sive Decalogus auctus pentalogo legum Ecclesiae (F) Antinomia.

(A) Gemina in Scripturis via extat revelata, quae ad coelos ac beatitudinem ducit: Legalis una, quae est (B) legis divinae tanquam (C) normae perfectae, (D) foedere mutuo obsignatae, (E) obligantis conscientiam ad obedientiam, aut justi Judicis inevitabilem poenam, (F) observantia perfectissima, (G) per se beatifica, sed (H) itu nobis mortalibus impossibilis, (I) et per accidens mortifera. Altera est (K) Evangelica, (L) coelitus revelata, quae (M) corde Patris coelestis, et (N) Christo Fratre mediatore, summo Patris dono patefacto, (O) per Spiritus Sanct. gratiam vivificam, ad coelus ducit, (P) tutissime, (Q) optime, (R) unice.

(fortgesetzt )

Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften

401

(A) Voluntas Patris coelestis antecedanea, est (B) ex conspectu miseriae humanae, (C) placabilis, (D) propitia, (E) salutis omnium, nullo excepto, (F) certo tamen cum ordine (G) serio, (H) aequaliter, (I) et efficaciter cupida. Voluntas consequens est, qua (K) libro vitae, quasi testamentario, aeterno, in coelo recondito, in Evangelio aperto, (L) certo (M) ac immutabili consignatos (N) elegit ac praedestinavit in CHRISTO, ad haereditatem regni coelorum consequendam, (O) eos ex genere humano lapso, qui (P) fide (Q) in Christum ad finem usque vitae (R) perseverant. Contra (S) in librum mortis abjecit, reprobravit et exhaeredes esse jussit (T) eos ex genere humano lapso, qui pertinaciter ad novissimum vitae halitum in infidelitate perseverant, (V) decreto aeque certo, aeterno ac immutabili.

(fortgesetzt ) (A) Patris Coelestis voluntas in homines beandos, sufficiens in omnes, sed inefficax quoad omnes: (B) particulariter et singulari gratia congrua efficax in predestinatis (C) absoluto decreto: (D) inefficax et incongrua in Reprobis(E) decreto absoluto reiectis: (F) Incertitudine suae electionis hominem pendulum suspendens.

Sicut DEUS non est singulorum, sed duntaxat electorum hominum (A) Pater: ita nec (b) singulos homines serio vult salvos.

402 7 Annexe und Bibliographien

(A) Jesus (B) Christus (C) DEUS et homo (D) Persona incarnata (E) una, unione hypostatica, perichoristica, inconfusa, inseparabili, indistante, ad quam sequitur (F) Communicatio ὑποστάσεως naturarum, idiomatum, eaque (G) ἀντιδοτικὴ (H) μεταποιητικὴ (I) κοινοποιητικὴ (K). Sacerdos ac Mediator singulorum hominum universalis, (L) qui non solum seipsum obtulit, in suimet tanquam victimae παραστάσει exinanitoria, (M) post χειροθεσίαν, sacrificialem explorationem, admissa αἱματεκχυσίᾳ, assatione, et mactatione: (N) sed et pro nobis intercedit. (O) Rex verus, summus, serenissimus, (P) Inclytus victoria (Q) et tergemino triumpho, in descensu ad infernos, (R) resurrectione, (S) ascensione (T) et exaltatione ad dextram Patris, exhibito, (V) adorandus: (X) actibus regiis, maxime novissimo judicio illustris, (Y) in quo Judex ipse Christus (Z) infinita gloriâ et majestate praeditus (AA) Angelos et homines sigillatim omnes, hominumque cogitata, verba, gesta, (BB) judicabit. (CC) Denique propheta, suaemet personae ac officii revelator, maximus.

Phantasma VIII. REPRAESENTATIO CHRISTI FALSA, ET IESU ALIENI. Fides de Christo Nestoriani Zusa, in juriosa Christo, absurda, levis, ἄγραφον. Christus Salvator non unus, sed (A) divisus in se; (B) Indivisus ab alio: (C) Mediator semiperfectus ἡμιλυτρότην, (D) particularis (E) Non-Necessarius.

Phaenomenon VIII.

Jesu Christi Fraterna salvatio Jesus Christus (A) non Unus: (B) Mariae Filius non Filius Dei Unigenitus: (C) Dei Filius non conceptus, non natus ex Maria virgine, non passus et crucifixus sub Pontio Pilato, non mortuus, non sepultus, non resurrexit, non ascendit ad coelos, non rediturus judicare vivos et mortuos: (D) Ejus Caro nullo idiomatum ex axiomatum divinorum ornamento dotata: (E) Mediator ac Redemtor nec Unus nec Catholicus singulorum mortalium: (F) Exinanitus et exaltatus etiam Deitate: (G) ad Inferos proprie non descendit: (H) resurrexit in corpore non pneumatico sed physico, nonmutato: (I) ascendit motu, usque ad Coelum beatorum, exclusive, certumque in coelo locum, localique praesentiae secundum carnem subductivo: (K) sedet ad dextram Patris sessione locali, geminatâ, oecomonicâ, meritô acquisitâ, communicabili: nec multi- nec omnipresens secundum humanam naturam: (L) Judex nec Unus, nec verus, nec bonus.

Phantasma VIII.

(fortgesetzt )

Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften

403

Phaenomenon X. Manus Divina, gratiae Evangelicae conferendae organum: Ministerium verbi, clavis solventis, et Sacramentum.

Gratia Spiritus S. justifica, Evangelico-Legalis et meritoria

Gratia Spiritus Sancti effica, qua homo miser ad summum bonum ejusque fructum reducitur. (A) Gratia Spiritus Sancti Evangelica, meritis quidem Christi parta, sed prorsus gratuita ex parte hominis, Activa, (B) Universalis, (C) efficax, (D) successiva, (E) resistibilis, (F) amissibilis, (G) unitiva: et in specie, (H) vocans, (I) revocans, (K) justifica, (L) vivifica seu regeneratrix, (M) inhabitatrix, (N) contestatrix, (O) illuminatrix, (P) consolatrix, (Q) sanctificatrix.

Phantasma X. LUCI PAPAEI MYSTERIA.

(A) Gratia justifca. (B) Post praevias dispositiones causas morales, activas, libere ad gratiam concurrentes, ut sunt actus fidei (implicitae solo assensu absolutae, verae etiam cum est sine operibus, per charitatem formatae) timoris, spei, dilectionis, poenitentiae, propositi suscipiendi sacramenti, et propositi novae vitae atque observationis mandatorum Dei, praeparantes materiam ad recipiendam formam, h.e. (C) Justitiam infusam, inhaerentem justificationis causam formalem et intrinsecam, (D) Per actum justificationis geminae primae et secundae, gratuitae illius, hujus conservandae, augendae, provehendae ad gloriam per bona opera ex gratia fluentia, munda, perfecta, praestabilia ad impletionem legis usque necessaria ad salutem meritoria

Phantasma IX.

Phaenomenon IX.

(fortgesetzt )

Phantasma X: Manus Divinae Gratiae collatrix Ministerium: et Luci Mysteria, Sacramenta.

Gratia (A) Spiritus Sancti nulla, sed Ira pro gratia ac odium implacabile in reprobos (B) Gratia inaequalis & ex parte reproborum asymphonica, dysphonica, extus ac signotenùs blanda, intus non propitia: alia interna et efficax, respectu electorum, alia externa duntaxat et inefficax respectu reproborum (C) gratia particularis et parca[.] (D) Arcana (E) merissimè operans sine omni, etiam in regenito, voluntatis cooperatione, (F) irresistibilis (G) inamissibilis (H) gratia nubes sine aquâ solatii (I) Unitiva per Unionem duntaxat spiritualem in fide. (K) peccatum in Spiritum Sanctum auctorem habet Deum absolutè reprobantem.

Phantasma IX.

404 7 Annexe und Bibliographien

Gratia hactenus commendata, ordinarie non alia nobis manu coelitus dispensatur, quam (A) Ministerio verbi, clavis solventis et Sacramentorum: quod est (B) organum Spiritus Sancti, (C) efficax ad salutem omni credenti. (D) Sacramentum in genere est (E) Actio (F) verbo divino, certo, claro consecrata, (G) necessaria: (H) gratiae Evangelicae (I) e thesauro coelico-terrestri (K) conferendae omnibus mortalibus, certo cum ordine, gradu et fructus differentia; (L) media manu ministerii ordinaria, (M) organum, et (N) sigillum: (O) geminum in novo testamento. (P) Primum est, sacramentum Baptismi, quod est, (Q) auctore DEO, balnei hujus salutaris scaturigine, in nomen Patris, Filii et Spiritus sanci celebrati; (R) Hominis, vivi, lapsi, viatoris, omnis; gratiae Evangelicae, (S) e thesauro aquae cum Spiritu S. unitae, (T) mersio (V) mortifica, vivifica, pacifica, Beatifica, (X) horumque effectuum et organum et sigillum. Alterum est (Y) Sacramentum Coenae Dominicae, quod est manducatio et bibitio, ore corporis facta, sacramentalis ἐν κοινωνίᾳ, gratiae Evangelicae, ex epulo corporis Christi, veri, solius, cum pane vero, praesentissime uniti; et poculo sanguinis Christi, veri, solius, cum vino vero praesentissime uniti.

(A) Ministerium Verbi et sacramentorum inefficax. (B) Sacramenti Definitio elencho digna. (C) numero superflua. (D) abundat enim Sacramentum Confirmationis. (E) Poenitentiae (F) extremae Unctionis (G) Ordinis (H) Matrimonii: (I) Characteris indelebilis figmento affecta (K) sacramentum bapismi contaminatum ataxia obiecti indebiti (L) rigore immani (M) efficacia justo maiori minorique (N) Exorcismo: Deformata (O) Transsubstantiationis monstro (P) sacrificio missatico (Q) Sacrilegio Calicis (R) Sylalogia fructus Eucharistici (S) necessitate Cramatis (T) et communionis in paschate.

Manus divinae gratiae collatrix Ministerium verbi et clavis solventis, (A) divisum a suo principali Spiritu Sancto consequenter in reprobis ἄεργον ac otiosum, immo noxium; (B) particulare ac solis electis illuminandis constitutum In eodem Luco Mysteriorum sacramentalium regnat et grassatur (C) Ratio humana, cuius proles (D) tropomoria, verba institutionum sacramentalium a clarae literae rectitudine deflectens: (E) sacramenti natura fluctuabunda, imperfecta, inadaequata, monstrosa, sacrilega, confusa, sacramenti ipsius elevatrix, impia in Deum, machinatrix desperationis, ministerio infamis (F) sacramentum nuda cerimonia, nec ratione praecepti, nec ratione medii salutiferi necessaria. (G) definitio Baptismi nova, confusa, sacramenti ipsius annihilatrix, desperationis machinatrix, debito rigidior, ministerii indigna, temeraria, ordinis destitutrix; peccati originalis et Redemptionis Christi elevatrix, nimii et minimi inductrix. (H) Definitio sacramenti coenae confusa, temeraria, πολυπραγμόνητον, sacramenti annihilatrix, distinctionis novae, nec fundatae in sacris literis, inventrix.

(fortgesetzt )

Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften

405

Phantasma XI. DE POENITENTIA ET POENITENTIAE SACRAMENTO (A) Poenitentia alia interior est, alia exterior et sacramentalis (B) ubi sacerdos sedet ut judex in poenitentem (C) insignitus clave ordinis iurisdictionis, scientiae potestatis, (D) ad censuram usque excommunicatricem praecipue hereticorum, dignitatis civilis abrogatricem, Constans (E) Contritione cordis, e viribus liberi arbitrii nata, Evangelica, fide speciali destituta, timore servili comitata, et summo dolore, perfecta, meritoria de congruo, peccatorum delectrice: (F) Confessione oris particulari silentii sigillo obsignata, summe necessaria: (G) Satisfactione operis cum propria, tum aliena, Canonica, proportionata, dolorosa, ex charitate profecta atque ideo ultronea, necessaria, relaxabili, redimibili praecipue per indulgentiam, valida ad redimendam poenam temporalem, fide destituta praestita oratione, eleemosyna, iejunio, ad quod tota Heavtontimoria pertinet. Est autem poenitentia. (H) altera post navim fractam tabula, non catholica omnium hominum sed solum iniustorum, nec jugiter necessaria.

Phaenomenon XI.

Ordo Divinus, ex parte hominis Viatoris. POENITENTIA constans contritione et fide. Ordo Divinus in via salutis, ex parte nostri, exigit (A) poenitentiam, quae est (B) ἀποτέλεσμα Divinum (C) a Sp. S. (D) in homine (E) vel lapso, vel relapso, vel luctante, (F) Constans aversione a malo (G) per contritionem, (H) et conversione ad DEUM per FIDEM, (I) quae sc. Fides, est a Sp. S. per verbum et Sacramenta excitata, (K) illuminata, (L) convicta, (M) Fiducialis (N) thesauri in Evangelio revelati (O) apprehensio (P) in corde hominis, (Q) sui thesauri et apprehensionis certo, (R) Immota, (S) salutaris, (T) viva ac fructuum foecunda, (V) sola justifica et salvifica: sicut contra (X) Apistia, (Y) sola damnifica actu.

(fortgesetzt )

Ordo divinus in viâ salutis ex parte nostri exigit poe- (A) nitentiam (B) solis electis propriam, quae specialiter accepta constat (C) mortificatione veteris et vivificatione novi hominis; generaliter contritione, fide et nova obedientiâ (D) Fide inquam propriâ, salvando non necessariâ, quâ carent infantes (E) solis electis propriâ (F) ac in his proinde radicatâ (G) consequenter necessario perseveranti (H) salvificâ non solum, sed cum bonorum operum confluxu conjuncta.

Phantasma XI.

406 7 Annexe und Bibliographien

Phantasma XII. et ultimum VIAE FATILAE Ἀπόλυσις. Ἀπώλεια. Ἀπόλυσις ex hoc seculo Viae fatuae est (A) Mors; post mortem (B) Funeris superstitio quaestuosa (C) animae status aut opinione beatus, constans visione DEI beatifica, qua sancti omnia vident in DEO ut in speculo; (D) et mercedis ob bona opera usura, (E) in coelo Empyreo: aut status miser isque vel desitus (F) in limbo patrum evacuato: vel duraturus usque ad finem seculi (G) in purgatorio, vel sempiternus: isque aut solius damni (H) in limbo puerorum aut damni et sensus simul in (I) Inferno, qui est ipsissima (K) Ἀπώλεια et aeterna perditio, quae manet hodomorum qui via hactenus exposita se duci sustinet.

Phaenomenon Duodecimum et Postremum.

Viae ἀπόλυσις. Aditus ad Patriam per Resurrectionem carnis. Patriae Beatitudo. I. (A) Viae ἀπόλυσιν, dimissio per mortem hominis fidelis, (B) ex hoc seculo in vitam aeternam, (C) Judicio Divino ex peccato, (D) ἐν τῷ νῦν facta, (E) honeste prosequenda. II. Aditus ad patriam plenus, per (F) Resurrectionem (G) certissime futuram: quae est (H) nova, inseparabilis, divina, animae cum (I) carne eadem, tota, rediviva, (seu (K) coelestibus dotis ornata in electis, seu deformi in damnatis) Unio, (L) Deo gloriosa, homini vel salutaris, vel poenalis. Denique (M) Beatitudo patriae, quae est vita vera et solida, coelestis, spiritualis, isangelica, agenda non hic, sed (N) illinc in futuro seculo, in coelo tertio, terra viventium, in qua est regnum, in regno civitas, in civitate domus, in domo hortus, in horto sinus Abrahae: (O) vita visiva Dei, a qua est vita quieta, gloriosa, laeta, sancta, aeterna. Beatitudini huic opponitur (P) infernale exilium. Ipse scilicet infernus, h.e. locus a caelo divisus, immanis ac horrendus: in quo Filii gehennae, h. est finaliter impotentes luunt (Q) poenam, et damni, quae est mors secunda, et sensus, quam cruciat vermis remordentis conscientiae et ignis, neuter naturalis, uterque acerbissimus, immortalis, inextinguibilis: (R) irrogandus a JUDICE CHRISTO, ira flammante ἀκράτῳ implacabili, armato. Viae (A) ἀπόλυσιν solis absolute electis iucunda: Aditus ad patriam solis absolute electis a Deo Patre volitam, Christi meritis acquisitam, Spiritus sancti vocatione destinatam. (B) Aditus autem aliquâ psychopannychia intercisus iuxta Calvinum: per resurrectionem carnis solis absolute electis suavem, (C) in corpore non mutato, physico non pneumatico, physice locali. (D) Vita aeterna agenda in hoc ipso mundo ἁλλόῖῳ οὐκ ἄλλὰ secundum plerosque, (E) gloriâ accidentariâ in omnibus aequali, (F) in coelo corporeo, locali. (G) Ἀπώλεια absolute reprobatorum in inferno localiter infimo.

Phantasma XII.

Anhang 1: Übersicht über die Paragraphen der drei Wege-Schriften

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7 Annexe und Bibliographien

Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers 1. Idea boni disputatoris (1629)5 IDEA // BONI DISPU- // TATORIS ET MALITIOSI // SOPHISTÆ, // EXHIBENS ARTIFI- // CIUM, NON SOLUM RITE ET // stratagematicè disputandis; sed fontes solution- // num aperiens, è quibus quodvis spinosis- // simum Sophisma dilui posit: // Auctore // M. JOHANNE CONRADO // DANNHAVVERO P. L. Cæs. & // Prof. Oratoriæ Publico. // ARGENTORATI. // Typis WILHELMI CHRISTIANI GLA- // SERI, Academiæ Typographi. // Anno M. DC. XXIX. VD17: 39:133429L; DWV 41. * Vorrede an die Jünglinge Bartholomäus Marchtaler, Christoph Adler, Sigismund Adler, Friedrich Lerchenfeld, Wolfgang Prasch * Prooemium. * SECTIO PRIMA DE BONO DISPUTATORE IN genere quo ad ejus Requisita et praecognita.

Caput I. Art. I. Art. II. Art. III. Art. IV. Art. V. Art. VI. Art. VII.

De Disputationum necessitate. De norma Disputatoris. De Praeceptore boni Disputatoris. De objecto Disputationis. De virtutibus boni Disputatoris. De fine et definitione disputatoris. De divisione Disputationis in eam quae est ad rem et ad personam.

Cap. II. De generalibus praecognitis Logicis. Art. I. Art. II.

De anticipanda terminorum logicorum notitia. De suppositionis ac descensuum, status et ampliationis praenoscenda ratione.

5 Die Verzeichnisse erfolgen hier aus Gründen der Übersichtlichkeit ohne Seitenangaben sowie mit teilweise gekürzten Formalangaben, indem auf repetitives Ausschreiben von „Caput“ oder ähnlichen Daten verzichtet wird.

Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers

Art. III. Art. IV. Art. V.

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De non negligenda Exponibilium doctrina. De praeexercitamento Dialectico. De praecognoscenda disciplina ex qua disputatur, et principiis adversarii, quo cum disputatur.

Caput III. Continens Disputatoris specialia Art. I. Art. II. Art. III. Art. IV. Art. V. Art. VI. Art. VII.

De officio opponentis, deque statu controversiae, et ejus contradictione. De officio probandi, et cui incumbat probatio? De officio Opponentis exceptivo ad datam responsionem. De stratagematibus Disputatoriis quibus uti opponens potest. De singulis Respondentis officiis. Quo expediuntur duae celebres controversiae. De stratagematibus Respondentis.

DE MALITIOSO SOPHISTA, SECTIO II.

CAPUT I. Continens naturam et praecognita sophisticae in genere. Art. I. Art. II. Art. III. Art. IV. Art. V. Art. VI. Art. VII. Art. VIII. Art. IX. Art. X. Art. XI. Art. XII.

Quid sit sophista et quid sophistica? De finibus Sophistae. De sophismatum Divisione. De praeexercitamentis sophisticis, brevi quorundam celebriorum canonum Topicorum limitatione, et ratione ordinis. Fallacia aequivocationis et amphibolia declarantur. Fallaciam compositionis et divisionis enucleat. Conjungit fallaciam accentus et figurae dictionis. Fallacia accidentis traditur. Fallacia a dicto secundum quid ad dictum simpliciter enodatur. Sequitur fallacia ignorationis elenchi. Explanatur petitio principii. Caeterae, quae super sunt, fallaciae enucleantur.

Caput II. Continens specialiorem et accuratiorem sophismatum detectionem. De primo sophistarum Epicheremate seu Aggressu. Art I.

De sophismatibus circa statum controversiae et contradictionem.

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Art II.

7 Annexe und Bibliographien

De secundo sophistarum Epicheremate, quo adoriuntur Orationes non logicas, ob materiae ineptitudinem.

Caput III. De tertio sophistarum Epicheremate quo mala ac informa vitiosa consequentia argumentantur. Art. I. Art. II.

Art. III.

Art. IV. Art. V.

Art. VI.

Cautela I. Cautela II.

Cautela III.

Cautela IV. Cautela V. Cautela VI. Cautela VII. Cautela VIII. Cautela IX.

De consequentia in genere, et in specie de formali et materiali. De consequentia in specie ἀσυλλογίσῳ. De consequentia conversionis. Una cum suis sophismatibus. Agitur de consequentia in propositionibus finitis et infinitis. Insperguntur quaedam de conversione per contra positionem Annectitur consequentia in privantibus Proponuntur Cautelae non necessariae et necessariae. Tractatur consequentiae aequipollentiae. Ejus sophismata deteguntur. Agitur de consequentia in subalternatione Abest tertiis ad est secundi adjecti De consequentia a conjunctis ad divisa. Agitur de consequentia syllogistica in genere Ostenditur quibus fundamentis illa innititur Proponantur variae Cautelae. Nullus syllogismus constat pluribus aut paucioribus quam tribus terminis. Medius terminus ad minimum in altera praemissarum sumatur distributive, id est pro omni suo significato tam mediato quam immediato et quidem complete. Nullus terminus qui non fuit distributus in antecedente, distribui debet in consequenti: seu a non distributo ad distributum non valet consequentia. Partibus ex puris sequitur nihil atque negatis. Medium terminum importare regioni conclusionis nefas esto. In conclusione plus aut minus aut aliud ponere, quam erat in praemissis, piaculum esto. Conclusio semper sequitur partem debiliorem. In secunda figura ex majori particulari, aut utraque sumtione ajente nihil concluditur nisi vanum veritatis spectrum. In tertia figura, quae conclusio vel ipsa universalis est, vel minorem habet negantem, personata non est vera.

Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers

Art. VII.

Art. VIII. Art. IX. Art. X. Art. XI. Art. XII. Art. XIII. Art. XIV. Art. XV.

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Sophismata syllogismorum aliorum deteguntur. eorum qui sunt ex casibus obliquis. ex syllogismis assumtivis ex syllogismis singularibus. Vitia syllogismi hypothetici deteguntur. Agitur de erroribus quibus syllogismi copulativi et disjunctivi sunt obnoxii. Agit de consequentia Enthymematis, Inductionis et Exempli. Sophismata soritae aperiuntur. Artificium solvendorum sophismatum Modalium primo ad leges methodi Aristotelicae explanatur. Recens artificium solvendi sophismata modalia, longe facilius ex expeditius. De secundario ut vulgo appellantur, modalibus. Vitia exclusivi syllogismi lucem videre jubentur.

Caput. IV. De sophismatibus materiae Art. I. Art. II. Art. III.

De μεταβάσει εἰς ἄλλο γένος. De Argumentis ex principio falso. De solutione Sophismatum materialium.

2. Idea boni interpretis (1630) IDEA BONI // INTERPRETIS ET // MALITIOSI CALU- // MNIATORIS // QUÆ OBSCURITATE // DISPULSA, VERUM SENSUM // à falso discernere in omnibus auctorum scri- // ptis ac orationibus docet, & plenè respon- // det ad quæstionem Unde scis hunc // esse sensum non alium? // Omnium Facultatum Studiosis per quàm // utilis, edita // à // M. JOHAN. CONRADO // DANNHAVVERO P. L. Cæs. & // Eloquent. Profess. in Argentor. //Academiâ ordinario.// ARGENTORATI, // Typis WILHELMI CHRISTIANI GLA- // SERI Academiæ Typographi. // Anno M. DC. XXX. VD17 39:133433W; DWV 48. – Vorrede an Dr. Joh. Georg und Dr. Josias Glaser JCTO – Ad Lectorem Cordatum – Widmungsgedichte an Dannhauer * Partis primae, Sectionis primae prooemialis, Art. PRIMUS.

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7 Annexe und Bibliographien

Dari omnino aliquam partem Logice, hactenus vel prorsus inexcultam, vel certe primis solum lineamentis adumbratam, nimirum Hermeneuticam, rationem ac modum interpretandi. Art. II. Art. III.

Art. IV.

Art. V.

Finem Hermeneuticae esse verum orationis sensum exponere atque falso vindicare. Subiectum hermeneuticae non magis esse Papam, quam quemvis alium. Idoneum auditorem hujus artis exigere aliquot conditiones interpretandi officio proprius. Objectum Hermeneuticae non esse quamlibet obscuritatem, sed obscuritatem solum signorum, ut vocant, doctrinalium et oratione expositorum. Definitio Hermeneuticae facultatis, una cum ordinis ratione explanatur.

PARTIS PRIMAE SECTIONIS SECUNDAE quasi παθολογικὴ. Art. I. Art. II. Art. III. Art. IV. Art. V. Art. VI. Art. VII. Art. VIII.

In quo morbi ipsi interpretationem corrumpentes, et causae eorundem in genere exponuntur. De obscuritate subiecti prima. De hallucinatione ex praeoccupatione ἰδίᾳ ἐπιλύσει. De causis errorum ex objecti nimio splendore et exilitate. De alia obscuritatis causa, ex literatura. De obscuritate ex styli diversitate, ordinis confusione, et connexionis incertitudine. De apparenti contradictione. De terminorum incomplexorum et phrasium obscuritate ac aequivocatione.

PARTIS PRIMAE SECTIO III. ΘΕΡΑΠΕΥΤΙΚΗ Art. I. Art. II. Art. III. Art. IV. Art. V. Art. VI.

De Remediis Subjecto Facultatis ἑρμηνευτικὴ applicandis generalibus. De remediis specialibus et primum De Usu logico in discernendis orationibus enunciativis a non enunciativis. De secundo logicae in reducendis Orationibus non logicis ad logicas, per expositionem. De tertio usu Logicae in conciliandis contradictionibus. Du Usu Rhetoricae ad interpretationem necessario Du Usu Grammatico in textuum interpretatione.

Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers

Art. VII. Art. VIII. Art. IX. Art. X. Art. XI. Art. XI.I. Art. XI.II. Art. XVI. Art. XV.

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De secundo Interpretandi medio, γνωρισμῷ ὁρῶν, cognitione terminorum. De Tertio Interpretandi medio SCOPI consideratione. De quarto interpretandi medio HISTORIA Auctori coaeva. De quinto interpretandi medio, Ἐπιστήμη τῆς συνθείας τῶν γραφόντων. De sexto Interpretandi medio Attentione Analogiae. De septimo interpretandi medio, CRISI. De octavo interpretandi medio, antecedentium et consequentium Scrutinio. De nono, decimo ac undecimo interpretandi medio, videlicet ἐυταξία deductione ad absurdum et commentariis. De complemento bone interpretationis paraphrasi.

PARTIS SECUNDAE SECTIONIS PRIMAE Art. I. Art. II.

De tribus, Objecti Hermeneutici, Orationis exponibilis, speciebus. De Orationibus grammaticis et speciali earundem exponendi artificio.

SECTIONIS SECUNDAE DE ORATIONIBUS ORATORIIS. Art. I. Art. II. Art. III. Art. IV. Art. V. Art. VI.

De Orationibus poeticis. De Orationibus tropo vel tropis constantibus in genere. De ratione exponendi Metaphoras, Metonymias, Synecdochas, et Ironias. De artificio exponendi Allegorias, Aenigmata et Paroemias. De ratione interpretandi Figuras, Oratorias potissimum ἐπιρωτήσεις et parabolas. De expositione orationum propheticarum, Apocalypticarum scilicet et typicarum.

APPENDIX EXEMPLARIS. Oculis subjiciens ipsam praxin vivam Ideam bonae interpretationis et malitiosae calumniae. 3. Epitome dialectica (1634) EPITOME DIALECTICA // JOH. CONRA- // DI DANNHAWERI // D. & PROF. PUBL. // In qua quid præstitum, præfatio // ad Lectorem docet. // JOH. STURMIUS l. I. de amiss. // dicend. rat. c. I. // Qui non invidioso sunt ingenio, & qui sunt pu- // blicarum utilitatum cupidi, in rebus magnis // & difficilibus, si quid

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7 Annexe und Bibliographien

habent, qualecunque id sit, // si commoditatem habeat, debent proferre in // medium, & videri voluisse prodesse, & profuis- // se, quoad potuit fieri, humanis neceßitatibus. // ARGENTORATI. // Typis WILHELMI CHRISTIANI GLASERI // Academiæ Typographi. // M DC XXXIV. VD17 3:605166G ; DWV 78. *** *** *** INDEX. Capituum hujus compendii Logici. Proœmium JN quo de Definitione, & Divisione Logices. Cap. I. II. III. IV. V. VI. VII. IIX.

De Protheoriâ Terminorum. De Prædicationibus. De Categoriis, seu prædicamentis. De Progymnasiâ, seu præexercitamentis logicis. De Locis ad problema accidentis absoluti spectantibus. De problematibus accidentis comparati. De Problemate Generis, Proprij, & Definitionis. De Elenchis Sophisticis.

PARTIS PRIMAE CAP I. II. III. IV. V. VI. VII. IIX. IX. X. XI. XII.

De Enunciato, seu Oratione Enunciativâ, Finis ᾧ Logices. De subjecti, & Prædicati suppositionibus, Notis, statu & ampliationibus. De Divisionibus Enunciati in species, primùm in Affirmationem, & Negationem. De Divisione Enunciatii in Simplex, et Compositum: Simplicis in Absolutum, & Modale. De Divisione Enunciati ratione Quantitatis De Fine Logicæ οὗ sive De Formâ ipsius objecti Logici, Discretione veri à Falso primùm Hermeneutica. De Primô Instrumentô Discretionis Veri à Falsô analyticæ, OPPOSITIONE. De Alterô Instrumentô analytico, Consequentiâ in genere De Consequentiâ Argumentativâ. De Consequentiâ Argumentativâ perfectâ, SYLLOGISMO in genere. De Syllogismi Divisione in species. De Argumentatione Imperfectâ.

Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers

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INDEX PARTIS LOGICAE SECUNDAE sive Partis propriae. CAP I. II. III. IV. V. VI. VII. IIX.

De Demonstratione, & ejus Terminis. De Propositionibus Apodicticis, & Principiis. De Speciebus Demonstrationis, & Regressu demonstrativô. Demonstrationis Fine, ac Effectu Scientia De Methodô, et ejus affini ORDINE. De Præcipuis Ordinis instrumentis, Definitione & Divisione De Corruptionibus, Morbis, ac Impedimentis Veritatis, eorumque Remediis. De Vsu, et Praxi Logicâ.

4. XΡΙΣΤΟΣΟΦΙΑ (1538) ΞΡΙΣΤΟΣΟΦΙΑ // SEU // SAPIENTIARUM // SAPIENTIA, DE SALVATORE // CHRISTO, EJUS PERSONA, // OFFICIO, BENEFICIIS, // EXPLICATA AQUE VARIIS // corruptelis purgata // à // JOHANNE CONRADO // DANNHAWERO SS. THEOL. D. // Professore ordinario in Academiâ Argen- // toratensi, & in Summo Templo // Ecclesiaste. // ARGENTORATI, // Typis JOANNIS PHILIPPI MÜLBII, // Academiæ Typographi. 1638. VD17 3:301532E; DWV 87.

Sectio I. De Christi Persona, et Personae Naturis, Unione, Communicatione. 4. Art. I. Art. II. Art. III. Art. IV.

De Naturae Divinae in Christo veritate ac originatione. 4. De naturae humanae in Christo veritate et originatione. 27. De Unionis personalis statu, et naturarum communicatione, atque hincex urgente praedicatione. 44. De communicatione idiomatum ac illius tribus gradibus seu generibus. 75.

Sectio II. 115. Art. I. Art. II. Art. III.

De Officio Christi, I. Sacerdotali. 115. De Officio Regio Christi. 176. De Officio Prophetico. 178.

416

7 Annexe und Bibliographien

Sectio III. De Christi Sacerdotis, Prophetae et Regis Beneficiis, compraehensis duplici ejus statu EXINANITIONIS ET EXALTATIONIS. 184. Art.I. Art. II. Art. III. Art. IV. Art. V. Art. VI. Art. VII. Art. VIII. Art. IX. Art. X. Art. Ult.

De statu exinanitionis in genere. 184. De Status exinanitionis actu praecipuo primo, videlicet nativitate Christi. 212. De Christi Paßione. 219. De Christi Morte et Sepultura. 240. De Statu exaltationis, et ejus gradu primo descensu ad inferos. 252. De resurrectione Christi. 307. De ascensione Christi. 322. De Sessione Christi ad dextram Patris. 334. De Praesentia Christi qeanqtrw/pou Universali, gratiosa, gloriosa ex seßione ad dextram promanante. 356. De Solenni Maiestatis sedentis Christi ac visibili exhibitione Effusione Spiritus Sanci et adventu ad judicium. 371. Quo Confirmatur Jesum Nazarenum esse Meßiam. 393.

5. ΑΝΤΙΧΡΙΣΤΟΣΟΦΙΑ (1640) ΑΝΤΙΧΡΙΣΤΟΣΟΦΙΑ // seu // REVELATIO // ANTICHRISTIA- // NISMI // Generalissimi, subaltern- // ni, specialissimi & κατ’ ἐξοχὴν magni, // Unico Syllogismo com- // præhensa, // In Academiâ Argentoratensi // proposita // â // JOHANNE CONRADO // DANNHAWERO SS. THEOL. D. // Professore, & Ecclesiaste, // ARGENTORATI, // Typis JOANNIS PHILIPPI MÜLBII, // ACADEMIÆ TYPOGRAPHI. // M. DC. XL. VD17 3:612894Q; DWV 91. Parte Ἀντιχριστοσοφία prima μυστηριώσει Art. I Art. II Art. III Art. IV Art. V Art. VI

de Mysterio universim De oraculis divinis alienis, adque hoc mysterium coactis De oraculis Objectum Antichristiani furoris et objecti circumstantias explicantibus De oraculis exhibentibus Antichristianismum generalem sub verbis generalibus De Antichristianismo generali sub expreßiori et clariori Antichristi nomine Doctrina ANTICHRISTI Magni propria claro sede in II. Epist. ad Thessal. c. 2. v. 3. et seqq.

Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers

Art. VII Art. VIII Art. IX Art. X

417

De Oraculorum Aenigmaticorum primo quod exhibetur Ezech. XXXVIII et XXXIX et in Apocalypsi Johannea c. XX. De oraculorum aenigmatico cum altero, quod exhibet sub variis figuris et διαγραφίᾳ Prophetica Danielis De oraculorum aenigmaticorum tertio, quod exhibet variis visionibus D. JOHANNES in Apocalypsi In quo in summam rediguntur hactenus disseminata et sectioni secundae fundamentum, propositio scilicet major substernitur.

Sectionis secundae ἀποκαλυπτικῆν sive revellatricis [sic] mysterii Art. I Art. II Art. III Art. IV. Art. V. Art. VI. Art. VII Art. VIII

Art. IX. Art. X

In quo detegitur mysterium Antichristianismi generalißimi In quo tractatur praeliminium Antichristianismi subalterni, quoad articulos fidei fundamentales et judicium controversiarum De Innocentia B. Lutheri et Lutheranarum Ecclesiarum In quo detegitur mysterium Antichristianismi subalterni, grassantis inter recentiores sectarios, Photinianos, Arminianos, Enthusiastas. In quo aperitur mysterium Antichristianismi Carolstadio-Cingliani In quo exponitur Antichristianismus subalternus Papisticus De dignitate Ecclesiastica et ejus commentitio primatu In quo primatus hactenus expositus convincitur ἐθελοθτρησκέιαν novitatis apostaticae, ἀσυστασἱαν, inquitatis, extremae superbiae ac impietatis reijciuntur commenta de vicariatu visibili Petri, erectione episcopatus Oecumenici, succeßione pontificum Romanorum et sede Romano. In quo diluuntur argumenta adversariorum pro primatu Oecumenico. In quo per ἀνακεφαλαίωσιν vindicatur Ecclesiae nostrae veritas, pontificiae falsitas demonstratur

Art. Undecimus In quo detegitur Antichristus Magnus

418

7 Annexe und Bibliographien

6. Die drei Serien (Auflagen) der Catechismus-Milch (1642–1692) Teil 1: Straßburg (Spoor) 1642 / 604 S.

1657.

1680.

1658.

1693.

1661.

1692.

Begreiffend die Lehr deß Catechismi insgemein und die erste Taffel deß Gesetzes der Heiligen zehen Gebott Gottes - 3 Eingangspredigten (Hebr. 5,12) - 43 Predigten

Teil 2: (Spoor) 1643 / 498 S. Begreiffend die Andere Tafel deß Gesetzes der Heiligen Zehen Gebott Gottes - 50 Predigten

Teil 3: (Spoor) 1661 / 506 S. Begreiffendt die Christliche Hauß-Taffel als einen Anhang der heiligen Zehen Gebott - 9 Eingangspredigten (Gen. 37,5f.) - 42 Predigten

Teil 4: (Spoor) 1653 / 566 S.

1669.

̶

Begreiffend den Ersten Articul deß Uralten Apostolischen auch Nicenischen Glaubens - 10 Eingangspredigten (Gn 28,10ff.) - 29 Predigten

Teil 5: (Spoor) 1654 / 1386 S.

1671.

̶

Begreiffend den Andern Articul deß Uralten Apostolischen auch Nicenischen Glaubens - 1 Eingangspredigt über (Gal. 3,1) - 57 Predigten (inkl. Eingangspred.)

Teil 6: (Spoor) 1657 / 767 S. Begreiffend den Dritten Articul des Uralten Apostolischen auch Nicenischen Glaubens - 1 Eingangspredigt (1. Joh. 3,6) - 62 Predigten (inkl. Eingangspred.)

1657.

1678.

Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers

Teil 7: (Spoor). 1659 / 429 S.

1673.

̶

Begreiffend das dritte Stuck des Herren Gebetts oder Heiligen VatterUnser - 9 Lectiones über die heylsamen Redund Bett-Kunst. - 12 Predigten

Teil 8: (Spoor) 1666 / 1092 S.

1672.

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1672.

̶

Uber Das vierte Hauptstück von dem Einsatz des Heil. Predigampts und dem Sacrament der heiligen Tauff - 12 Eingangspredigten (Joh. 19,34f.; 1. Joh.5,7) - 35 Predigten - 7 Anhangspredigten (Joh. 6,48)

Teil 9: (Spoor) 1672 / 516 S. begreiffend Das Fünffte Hauptstuck von dem Sacrament des Heiligen Abendmahls - 10 Eingangspredigten (Psalm 23) - 21 Predigten (die Wort der Einsetzung) - 7 Anhangspredigten (Lk 10,38f.)

Teil 10: (Spoor) 1673 / 956 S.

1673.

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Begreiffend das Sechste HauptStuck von dem Gewalt der Schlüssel - 21 Eingangspredigten (Lk 15,11ff.) - 14 Predigten (v. d. Christlichen Bußzucht) - 1 Anhangspredigt (1. Kor. 3,2) - 34 Predigten (Ps 19) - 5 Cometen-Predigten (Ps 19)

Index: (Spoor) 1678 / 387 S. Index Catecheticus Oder Vollständiges und Außführliches Register über das herrliche gantze Werck der Catechismus-Milch

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420

7 Annexe und Bibliographien

7. Polemosophia seu Dialectica Sacra (1648) Polemosophia // seu // DIALECTICA // SACRA // IN QUA // Methodus Theologicè disputandi, // praecipuè exemplis summi Doctoris JESU // CHRISTI & D. Pauli // monstratur: // SOPHISTICA DISPUTANDI Κυβεία, ac // nominatim nova methodus Augustiniana de- // fendendi & probandi fidem Catholicam // ex solo verbo Dei // per Adr. & Petr. de Walenburch Batavos // edita, exenteratur. // AUCTORE // JOH. CONR. DANNHAWERO, // Doctore & Professore Theologo in // Acad. Argentoratensi // ARGENTORATI, // ExOffic. JOH. PHILIPPI MÜLBI, // & JOSIÆ STÆDELII. // Anno M. DC. XLVIII. VD17 39:118107 F; DWV 112. *** *** *** Art. I. Πολεμοσοφίας Finis, et ex fine deductus disputandi instinctus, neceßitas, mensura. S. 1: § 1. De communi ac ultimo omnium actionum nostratum Fine GLORIA DEI et aedificatione proximi; de communi itidem bellorum fine Pace, inter omnes constat: Proprius sacri hujus belli finis est, sequestratio veri a falso seu ut cum Scriptura S. dicam διάκρισιν πνευμάτων. S. 2: § 2. Caeterum illa sequestratio veri a falso constat, hinc, veritatis aut impugnatae defensione, aut impugnantis impressione, utriusque illuminatione, et ejus majestas, a mendacio vindicta, in oculos incurrat, adque sui amorem alliciat, atque sic Pax sequatur, εἰρήνης γὰρ ὁ πόλεμος πρύτανις, Pacis altor est bellum: Illinc, Falsi denudatione, confutatione, victoria, ad ruborem adversarii usque, conscientiae convictionem, et αὐτοκατάκρισιν. S. 5: §. 3. At indurati sunt, inquies, veritatis hostes, sunt pertinaces, qui cum hodie concertandum, in quibus capiendis operam et retia perdas, crabrones irrites, ignem gladio temere fodias [etc.] S. 6: §. 4. Ab hoc artis bellatricis fine fluit Instinctus disputandi naturalis, necessitas indeclinabilis, mensura mediorum certa. S. 8: §. 5. Denique ab eodem finis sceptro est Mensura mediorum, fini subordinata ac proportionata, ad quem ea omnia pertinent, quae in sequentibus articulis tractanda instituimus. Tantum potest haec mensura ad amussim observata, ad veritatis triumphum, quantum oscitanter neglecta ad ejusdem jacturam, proditionem, oppressionem.

Anhang 2: Inhaltsverzeichnisse zentraler Werke J. C. Dannhauers

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S. 10. Art. II. Miles Sacer seu Disputator quis? quo duce? quotuplex? quo delectu? §. 6. Indagandum hic nobis, quis sit idoneus ad hoc bellum (gerendum in corpore non armigero, sed penigero, ut ex Accio ludit Cicero lib. 7. Ep. Famil. ep 33) miles? quo duce praeliandum? quotuplex quo delectu? Nemo hominum quod primum quesitum attinet, ab hac militia absolute exclusus est: hominum inquam ([. . .]) certo tamen cum ordine graduque. Praecipuas hic partes esse eorum qui Ecclesiae signa ferunt, Oeconomi mysteriorum divinorum audiunt, nemo facile negabit. His enim vel maxime mandata est vigilantia contra lupum, [etc.] S. 11. § 7. De Laico solum relicta est quaestio? S. 14. § 8. Dux in hac palaestra est Spiritus Sanctus (non excluso polemarcha Christo Michaele et principe exercitus Domini sub quo praeliantur Angeli Ecclesiarum contra Draconem et Angelos ejus. Apoc. 12,7) cujus inter alia illustre officium ἐλένχειν Joh. 16,8 hoc est liquido convincere animum, arguere, refutare, ut ex ἀλληλουχία [sic] locorum probat noster D. Gerard. harm. cap. 179. pag. 1059. non autem dictitat hunc elenchum e coelo immediate, sed loquitur per suum oraculum Scripturam sacram, ad eum modum quo exposuimus in hodosoph. phaenom. 1. p. 67. Conf. Christeid. protheor. phaenom. 3, p. 33. Duplex porro est miles officii respectu (alia exercitus sacri distributio instituta est in Christeid. protheor. phaenom. 9. & 12.) in hac arena, alius interrogans, obsidends, probans;alius respondens, defendens, enervans. Quae officio utut formaliter discrepent, tamen in ipso usu ultro citroque mutantur. S. 16: § 9. Virtutes denique Boni disputatoris delineavimus in Idea hujusce tituli sect. i. art. 5 nunc lineae colores inducemus, [etc.] Vestigat Vegetius suum militem l. 1.2.3. ex gente, ex aetate, ex agro, ex urbe. nos. S. 17: I. ex Ingenii acumine. [etc.] II. ex affectuum non ad praeoccupatorum ardore, in Dei gloria et Ecclesiae fructum inflammato. III. e scientia viribus S. 18: IV. Ex virtutum ornamentis S. 21: §. 10 V. Ex usus dexteritate, sensuum gegumnasme/nwn. S. 23: §. 11: VI. Ex orationis nervis; nam hi faciunt ad robur. S. 24: Art. III. Organicus militae sacrae apparatus.

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7 Annexe und Bibliographien

S. 25: Organum primum artis est Dialecticae, modale, id hic juvans disputatorem quod Geometria eum, qui brontea tractat, quod athletica gladiatorem. S. 54: Art. IV. Conflictus sacer in synthesi & Analysi occupatus. §. 21. Conflictus duplex est, ut in bello, Progy-mnasticus alius, ludicrus, velitatorius; alius serius, decretorius capitalis. S. 87: Art. V. Artes & stratagemata belli sacri. S. 105: Art. VI. Sylloge disputationum Biblicarum Sectio Secunda Polemomoria S. 232: Art. I. Sophistae descriptio S. 237: Art. II. Conflictus Sophisticus S. 264: Ars sophistae strategematica. S. 270: Ars nova, Artis novae prooemium, methodus, elenchus. S. 344: Novae artis per se ipsam Triumphus.

Anhang 3: Quellen zur Geschichte der Logik

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Anhang 3: Quellen zur Geschichte der Logik, nebst weiteren Materialien 1. Planer, Andreas: Quaestiones dialecticae, I, 1584 ANDREAE // PLANERI ATHE- // SINI QUAESTIONUM // DIALECTICA- // RVM // Pars prima, // CONTINENS DOCTRI- // nam Praedicabilium, Praedicamento- // rum, & libri περὶ ἑρμηνείας // Organi Aristotelis: // Nunc recenter sententiarum numero aucta, loco- // rum allegatione munita, exemplorum denique // varietate sic illustrata, vt perspicui // Commentarij loco esse // possit. // TVBINGAE, // Excudebat Georgius Gruppenbachius, // M.D.LXXXIIII. – P 3188 [9] PRAEFATIO IN ORGANVM ARISTOTELIS; CVM OMNIA ARTIS Dialecticae praecepta hunc respiciant finem, vt in singulis rebus quid veri vel falsi insit, perspiciamus, & hinc quia non vni tantùm inseruiunt disciplinae, sed ad omnes ex aequo referuntur scientias, ideo Aristoteles Dialecticam communem artem vocauit, & κοινὴν disciplinam, lib. I. Physicorum. [31] Ac cum non eadem sit essentiae ratio rerum omnium in disciplinis, sed omnino quarundam rerum esse sit inesse, aliae verò absolutum habeant τὸ εἶναι, ideo differentias etiam ac modos ipsarum definitionum describit nobis Aristoteles, vt pateat quomodo aliâs res vt ἁπλῶς ὄντα, aliâs verò vt ἐκ προσθέσεως ὄντα definire debeamus, quae ὅτι sunt definitiones rerum, quae διότι: quarum differentiarum in definitionibus etiam libro primo de anima meminit Aristoteles, planiùs autem in posterioribus hisce Analyticis explicat. Ad quam explicationem refertur etiam illa doctrina, quae docet quomodo quodius problema in scientijs per causas demonstrari & definiri debeat. Definitiones namque rerum ita se habent, vt ex causis sint collectae, & in causas iterum resolui queant: Debent enim (authore Aristotele) bonae & perfectae rerum definitiones sic comparatae esse, vt ex illis causae quorumcunque παθῶν φαινομένων reddi & aßignari queant. Plura sunt & alia libri [32] huius secundi posteriorum Analyticorum capita: sed illa omnia Methodum hanc definitiones rerum constituendi, ceu finem quendam summum respiciunt & propositum habent. Quae Methodus certè diligenter in omnibus artibus & disciplinis obseruari debet, cum sine illa nihil quicquam verè & solidè sciri poßit, sed omnino definitionibus neglectis & amißis vmbras rerum in tenebris captamus, solidam autem & veram rei cuiusque speciem non apprehendimus. Cùm itaque definitiue huius Methodi, & singularum praeceptionum apodicticarum, imò totius Dialecticae, tantus sit in omnibus disciplinis & artibus vsus, tanta neceßitas, tanta dignitas, vt sine illis verum, quod in profundo demersum latet, erui & inuestigari, ab errore & falsitate distingui & separari nullo modo à nobis poßit, quiuis certè intelligit artem Dialecticam optimo iure Magistram veritatis

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7 Annexe und Bibliographien

& scientiarum appellari posse. Huius artis aliquam partem, eam videlicet, quae principia, praedicabilia dico, praedicamenta & propositiones complectitur, & reliquis omnibus inseruit, plano & perspicuo [33] orationis genere hoc libello pertractauimus, quem vt candidi & docti lectores benignè excipiant peto. Et hactenus quidem paucula ista de Inscriptione Organi, argumento item & summis capitibus singulorum librorum ipsius praefari libuit. Nam quae in priore praefatione de veritate continebantur, illa quia & Metaphysica magis sunt, & vberiorem omnino explicationem exposcunt, in praesentia quidem omittere libuit, sed peculiari aliquando libro pulcherrimam illam de veritate doctrinam persequi est animus. Accedamus modò ad ipsas artis Dialecticae praeceptiones, quas per ἐρωτήματα quaedam propono, cum nihil ad artis Dialecticae vim referat, siue continuo sermone, sive per Dialogos, ἐρωτήσεις & ἀποκρίσεις, modò vsus rectè intelligatur, proponas & tradas. [90] Explica nunc in specie qua Methodo Dialecticam tradiderit in Organo Aristoteles? Vt cognoscamus quánam Methodo Dialectica commodissimé tradi poßit, ἀναλύσει quadam investigabimus, à fine sumentes initium. Finis ergo artis Dialecticae est (vt in superioribus docuimus) inuestigare veritatem rerum in scientiis: Veritas autem omnis est quaedam idea concreta, & respectu certa cuiusdam materiae consideratur. Vt ergo Dialecticus poßit cognoscere rationem inquirendi veri, primò omnium debet perspectas habere differentias, naturas & proprietates omnium rerum, in quas tanquam in materiam veritas cadit. Res verò omnes sunt vel necessariae vel contingentes & probabiles, vel Sophisticae & verisimiles: Hae omnes res suas habent definitas proprietates & affectiones, quibus ab alijs seiunguntur. Dialecticus ergo proprietates istas horum trium generum rerum cognoscit, vt in ijs postea veritatem inquirere poßit. Veritas porrò omnis (authore Democrito) in profundo est abdita & demersa, & non nisi certa quadam ratione eruitur & inuestigatur. Ratio illa praecipuè describitur ratiocinatione & syllogismo quodam, quo discursu veritatem indagamus: Ratiocinationis ergo & syllogismorum differentias cognoscere debet Dialecticus, vt postea veritatem inquirat. Hoc fine priora Analytica ab Aristotele sunt conscripta. Syllogismi tertiò sunt quiddam compositum & constitutum ex propositionibus. Qui ergo vult cognoscere naturam syllogismi tanquam compositi cuiusdam, eum prius scire oportet simplicia, nempe propositiones, ex quibus syllogismos constituimus: Compositum enim ex suis partibus cognoscitur. Doctrina ergo de propositionibus & affectionibus propositionum consideranda est Dialectico, vt syllogismorum rationes postea teneat. Hoc fine liber περὶ ἑρμηνείας ab Aristotele est conscriptus. Propositiones postremò (vt in Analysi procedamus) ex alijs quibusdam simplicioribus constant, nempe ex terminis, ex subiecto & praedicato, qui omnes termini in praedicamentis

Anhang 3: Quellen zur Geschichte der Logik

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collocantur. Quare doctrina praedicamentorum tanquam simpli- [92] cißimorum est cognoscenda, à quibus si retrò procedamus per σύστασιν, facilè cognoscemus Methodum esse συστατικὴν in Organo Aristotelis: Nam primùm à simplicißimis exorsus Aristoteles ad propositiones, ab his ad syllogismos ab omni materia separatos, ab hac simpliciore ratiocinatione ac compositam magis & cum materia quadam concretam progressus est, & omnium primò necessariam, dehinc probabilem, postea Sophisticam, tanquam maximè ab arte remotam, materiam in Analyticis posterioribus, Topicis & Sophisticis Elenchis persecutus est. [385] LIBER ΠΕΡΙ ἙΡΜΗΝΕΙΑΣ PRAEFATIO. ETsi Praedicamentorum & κατηγοριῶν multiplex sit vsus, cum & ad definiendum, & diuidendum, & medij omnis inuentionem plurimum conferant, vt suprà diximus, tamen haud postrema eorum in eo consistit ac versatur, vt nimirum ex praedicamentis, simplicia νοήματα ac vocabula continentibus, compositas orationes ac propositiones, quae partes fiant syllogismorum & ratiocinationum, conficiamus. Nam cum demonstratio & ἐπιστήμη ἀποδεικτικὴ finis sit Analyticae Dialecticae, vt scribit Aristoteles li. I. prior. Analyt. cap. I. certè qui vult peritus esse artis demonstrandi, illum oportet esse scientem syllogisticae compositionis, vt teneat rationem conficiendi syllogismos, cum Demonstratio ipsa sit species quaedam & pars syllogismi ceu generis & totius. Proinde demonstrationum vim & naturam assequi nullus poterit, qui quae ad syllogismum simpliciter dictum requiruntur [386] non prius cognita probè perceptaque habuerit, siquidem & aliâs rerum species vel partes in cognitis totis ac ignoratis generibus perspici nullo modo possunt, & naturae ordine specierum explicatio generum doctrinam praesupponit. Quo pacto autem syllogismus sit conficiendus, quibusque modis ac formis syllogistica illa aliud ex alio colligendi ratio comprehendatur, copiosè & eruditè exposuit nobis Aristoteles in prioribus Analyticis, qui libri vt optimo ordine praecedunt posteriora Analytica, in quibus de scientia demonstrativa pertractatur scilicet, ita ipsi quoque priori analysi rectißimè, si Methodum συστατικὴν observare libeat, praemittitur praesens hic liber, περὶ ἑρμηνείας ab Aristotele inscriptus. Etenim syllogisticam compositionem percipere non licet, si non prius aliam compositionem illa simpliciorem scilicet teneamus. Vt enim vna aliqua demonstratio, ex multis saepe syllogismis conflatur, ita syllogismus quiuis ad minimum duabus propositionibus ceu partibus coalescit: vnde qui vult cognoscere compositionem syllogismorum, eum prius oportet inda- [387] gare & discere quae sit ratio componendi propositiones, quae sunt partes syllogismi. Propositionum autem compositio quae qualisque sit, praesente hoc libro docebit Aristoteles, qui meritò doctrinae praedicamentorum proximè subiungitur, quippe cum in praedicamentis contineantur simplicium νοημάτων causa significationis primae differentiae, ex qualibus postea compositis & coniunctis certo legitimoque modo propositiones resultant & emergunt, prima hac

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7 Annexe und Bibliographien

existente mentis compositione, quae veritatis etiam ac falsitatis primò omnium sit capax. Quoad enim adhuc simplicia illa praedicamentorum νοήματα incomplexa manent, nec inuicem in oratione eorum vocabula sibi attribuntur & de se mutuò praedicatur, nihil neque veri neque falsi significat, sed simplices tantùm sunt φάσεις, & ἀδιαίρετα quadam in mente εἴδη declarant, vt lib. 3. de anima cap. 6. docet Philosophus. At quamprimùm simplicia ista praedicamentorum νοήματα per διάνοιαν, compositam quodammodo mentis facultatem coniunguntur, statim ex ista συνθέσει verum vel falsum efflorescit. [288; recte: 388] Si enim mentis illa facultas quae componenda sunt componat, ac quae diuidenda diuidat, sanè emergit verum, sin secus fiat, vt nimirum non componenda componat, non diuidenda diuidat, falsum iam exurgit, vt pluribus docet Aristoteles lib. θ Metaph. cap. 10. Materia ergo propositionum omnium sunt simplicia praedicamentorum νοήματα, quae propositionum vim & naturam per illam, de qua dixi, mentis compositionem receperunt, cum qua simul veritatem etiam vel falsitatem admittunt, cùm propositio omnis quod talis est & dicitur, primò vel vera sit vel falsa, syllogismis autem & reliquis orationibus magis compositis, secundariò quasi, nempe propter propositiones, quas in se continent, veritas vel falsitas adscribitur.[. . .] [392] Et tandem cùm omnes rationes veritatis ac falsitatis in propositionibus ceu prima mentis compositione exposuit, quaestionem pulcherrimam [393] mouet de maxima pugna propositionum ratione veritatis & falsitatis, quae falsa propositio cui verae maximè sit opposita, & hac ratione falsißima existat, cùm saepe vni vero plura poßint opponi falsa, quae tamen à se inuicem differant, & alia falsißima sint, adeoque maximè opposita vero, alia minus talia: De qua quaestione quid sentiendum sit, vltima libri huius parte & capite docet. Ex quibus omnibus cognosci & intelligi abundè satis potest,, [sic] non solum quae connexio sit & cohaerentia praesentis huius libri cum praecedentibus & sequentibus Organi libris, sed etiam quod huius argumentum, quod subiectum, quae praecipuae partes, imò quanta totius tractationis vtilitas, & in vniuersa arte Dialectica neceßitas. Sed cur non de propositionibus, περὶ τῶν προτάσεων ἢ περὶ λόγου ἀποφαντικοῦ, inscriptus fuerit ab Aristotele, cum (vt modò diximus) de propositionib. omnino, earumque proprietatibus pertractet Aristoteles, intelligit facilè is, qui animadverterit vnicum esse illum propositionum omnium finem, vt vocabulis animorum nostrorum sensa affirmando et ne – [394] gando explicemus alijs, cum simplicibus νοήμασι non exprimatur sensus, nec quid de re aliqua statuas intelligi poßit. Ad hunc finem respiciens Aristoteles prasentem librum inscripsit περὶ ἑρμηνείας, de interpretatione, qua videlicet ratione animi nostri mentisque sensa & cogitata significare alteri & explicare definitè in disserendo cum delectu ac discrimine veri & falsi poßimus: ἑρμηνεία enim interpretationem, notationem, sermonem, explicationem (quae nominibus fit, & verbis, & oratione) significat. Sed non propterea rectè existimabit quispiam, totam illam de nomine, de verbo, de oratione doctrinam,

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quam in praesente libro nobis proponit Philosophus, Grammaticam esse, & revera è logicis exterminandam, neque credendum Aristotelem, cuius tempore nulla dum eiusmodi Grammatica praecepta tradita fuerant, tradere illa & docere praesente hoc libro voluisse: Siquidem non Grammaticorum more proprietates & affectiones vocabulorum, vt declinationes, coniugationes, constructiones, nominis, verbi, orationis, quatenus vocabula [395] sunt, in Logicis excplicantur, sed quoad conceptus animi respiciunt, & hac ratione propriè aliquid sibi vendicant, imò quoad in ipsis conceptibus veritatem vel falsitatem distinguunt, & omnino principia quaedam ac Elementa sunt ratiocinationis ac syllogismorum, qui oratione quidem exprimuntur, sed revera πρὸς τὸ μέσω λόγον pertinent, de omnibus illis pertractat Philosophus in hoc praesente περὶ ἑρμηνείας libro, cuius textum modò in quaestiones παραφραστικὰς resoluere volumus. 2. Hauenreuther, L./Turnovius, Joh.: Analysis Libri Primi Posteriorum, 1590 ΑΝΑΛΥΣΙΣ // LIBRI PRIMI PO- // STERIORUM ARISTOTELIS // ANALYTICORUM. // In Inclyta Argentinensium Academia ad XX. Iunij // diem publicè ad disputandum proposita. // PRAESIDE // IOANNE LVDOVICO HAVVEN- // reutero Doctore Medico Philosopho. // Respondente // IOANNE TVRNOVIO POLONO. // ARGENTORATI // Excudebat Antonius Bertramus // M.D.XC. – H 820 [A2] ANALYSIS // LIBRI PRIMI POSTERIORVM // ARISTOTELIS ANALYTICORUM THESIS I. SCientiam rerum humanarum præstantißimum & diuinum potius, quam humanum quiddam esse, luce est meridiana clarius. 2. Nam vt veram veri DEI seu cognitionem, seu scientiam, vitam esse aeternam, exceptione ille maior testis, imò ipsa veritas CHRISTVS asserit. 3. Et suiipisus cognitionem tanti veteres fecerunt sapientes, ut summi boni beatitudinisque palmam sibi vendicare iudicarent, Apollinemque, quem tum sapientißimum vatem censebant, auctorem eius facerent. 4. Et in caeterarum scientia comparanda rerum plurimum operis posuisse: hancque vnicam tanquam scopum & finem vltimum sibi proposuisse, praestantißimos quosque viros nouimus; quod nunquam fecissent, hanc nisi praestantißimam esse cognitum perspectumque habuissent. 5. Sed & Sophistae cum gloriae studio tenerentur incredibili, omniumque in oculis esse cuperent, hac unica via ad illam consequendam progrediendum sibi esse putarunt, vt se omnia scire, quamvis nihil minus quam hoc tenerent profiterentur. 6. Caeterum, vt in reliquis omnibus vulgo illud tritum prouerbium δύσκολα τὰ καλὰ locum habet, hic etiam verum est; arduum enim & praeceps multisque

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ignorantiae sentibus obstructum ad scientiae arcem iter est: multus est errorum abdita tenebris veritas. 7. De ea inuenienda desperans Empedocles in ardentis Aetnae voraginem se se praecipitem dare non dubitauit. 8. Academicae autem profeßionis Philosophos nihil sciri posse, [A 2 verso] ob summam veritatis difficultatem opinantes, à rebus incertis assensionem cohibuisse, nullamque scientiam per rerum naturam dari posse asseruisse inter alios & Cicero testis est. 9. Et alios perquam plurimos se sibi vera in scientia constitutos persuadentes subinde turpiter halucinatos fuisse, & nonnunquam falsa pro veris arripiendo toto coelo errauisse eorum qui in scriptis sobriè versantur deprehendunt. 10. Nos igitur vt atris densisque inscitiae discußis tenebris, rem humanarum longè praestantissimam, solem scientiae & veritatis comprehendere: illiusque opera omnibus in rebus verum à falso secernere poßimus in id totis viribus incumbere debemus. 11. Atque hanc rem à Philosophis, penes quos est rerum cognitionis copia RATIOCINATIO INVENTA: éque ipsa Philosophia progenita est. 12. Nec tamen omnis ratiocinatio, scientiam nobis sufficere poterit. 13. Sunt namque tria eorum genera, quae sibi hoc nomen vendicant, Demonstratio, Dialectica, Sophistica. 14. Dialectica ratiocinatio cum in ijs versetur materijs quae vtramque in partem disputari, & quidem probabiliter disputari possunt, rerum sanè cognitionem, non tamen perfectam, sed veri similem, sed probabilem tantum nobis suppeditat. 15. Sophistica vero ratiocinatio, cum mera accidentia loco materiae tractet, nilque magis quam reprehensionem eandemque non veram sed captiosam & fallacem propositam habeat, tantum abest, vt nobis veri scientiam praestet vt potius incautos in durum errorum barathrum deturbatos labyrinthis intricet irremeabilibus. 16. Sola igitur atque vnica superest DEMONSTRATIVA ratiocinatio, quae nos ab erroribus vindicare, & à scientia instruere perfectißimè poterit: Sicque comparare, vt falso & malo omnibus in scientijs & artibus reiectis veritati studeamus, & bono demus operam seudlò [sedulo]. [A 3] 17. De hac Demonstratione eo in volumine, quod Posteriorum dicitur Analyticorum ex professo Aristoteles agere instituit. 18. Quod volumen cum duos diuidatur in libros. Quorum Primus de ijs agat principijs, ad ipsam quae demonstrationem pertinent: Alter de medio ex quo demonstratio conficiatur tradat: Primum nos hisce proponere thesibus operae esse duximus precium. 19. Atque hic in quatuor diuiditur partes. 20. Quarum prima complectitur ea, quae quasi principia sunt & materia demonstrationis.

Anhang 3: Quellen zur Geschichte der Logik

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21. Secunda de duobus Demonstrationis generibus ceu forma: & scientiae opposita Ignoratione, veluti priuatione disserit. 22. Tertia de Demonstrationis progreßione: & demonstrationum comparatione, tanquam causa efficiente agit. 23. Quarta de fine & effectu demonstrationis, qui scientia est docet. 24. Omnis porro [Es folgen 27 capita mit insgesamt 166 Thesen.] 3. Scherb, Philipp: Theses dialecticae, 1590 THESES DIALECTICAE, // IN ACADEMIA // ALTORFINA AD DISPV- // TANDVM PROPOSITÆ. // EAS, CVM DEO, // PRAESIDE PH. SCHERBIO, IN // eâdem Academiâ Medicinae ac Philoso- // phiae Professore, disputando tueri // conabitur // LVDOVICVS IOACH. F. // CAMERARIVS // ALTORFII, // TYPIS CHRISTOPHORI LOCHNERI, // ET IOHANNIS HOFMANNI, TYPOGRA- // phorum Academicorum. // Anno MDXC. – S 2669 [3] THESES DIALECTICAE. I. NEQVE Analytices, neque Dialectices bonum sive finem (si res accuratè examinanda sit) esse in disserendo constitutum. II. Quod si tamen quis hoc velit, priùs oportere eum de hoc fine agere, quàm quicquam de inventione tradat. A fine enim, tanquam à primâ mensurâ, artes dependent. III. Oportere etiam (quicunque tandem finis statuatur) priùs quędam de problemate explicare, ad quod inventio refertur. IV. Non nisi ἔνδοξον istam collectionem esse: τὸ διαλέγεσθαι generaliter interdum ab Aristotele usurpatur: Ergò etiam nomen τῆς διαλεκτικῆς est generale. V. Dialecticum de omni re, ente & non ente sermocinari posse: quia πρὸς δόξαν disputat, quae potest esse de omnibus, salubribus, & insalubribus ut Plato ait, sed ex communibus tantùm.

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VI. Averrois divisionem Logicae in communem & propriam, sic satis bonam esse, quatenus scilicet, quomodo partes inter se habeant, monstret. VII. Illam verò quorundam doctorum virorum, in στοιχειλογικὴν & συλλογιστικὴν, & huius postremę subdivisionem in Apodi- [4] cticam & Topicam, non videri satis bonam, cùm Categorias faciat quasi viam munientes ad Analyticen, quod falsum est. [Gemeint ist eine material methodische Konsequenz von den Kategorien zu den Analyiken, nicht hingegen eine pädagogische, wie die These IX. deutlich macht.] VIII. Omnium deterrimam esse in inventionem & iudicium. IX. Veram autem & essentialem divisionem, quaeque nullis rebus alijs, ut vulgares illae, accommodari possit, esse in πίστιν πιστευτικὴν & διδασκαλικὴν, id est, in Apodicticam & Topicam. X. Apud novos Dialecticos [die Ramisten] perpetuam & monstrosam esse confusionem inter cognitionem πραγματώδη & inter cognitionem ἔνδοξον: inter ἀλήθειαν & inter δόξαν: inter locos qui scientiam pariunt, & inter locos, qui opinionem: inter πίστιν quae πόῤῥωθεν quaeritur, & inter illam, quae ἐγγύθεν: quae quidem confusio & ignorantia, tantas in libros Logicos invexit ineptias, & inanes speculatiunculas, ut nunquam satis deplorari possit tam infelix Philosophiae peripateticae fatum. XI. Atque hanc sanè unam videri caussam, cur veritas in profundo latens à tam paucis eruatur, quòd plerique ista confundant: quod qui faciunt, non possunt cum fructu versari in scientijs. V. g. Melissus & Parmenides Physica tractarunt Metaphysicè, δἰ ἀπαιδευσίαν τῶν ἀναλυτικῶν. XII. Illa autem non facilè rectè distingui, ut proindè verè Galenus in 2. de decret: Hipp. & Plat. cap. 3. & 4. dicat: Verum à falso discernere, non tàm esse difficile, quàm τὸ ἀναγκαῖον, vel (ut Philoponus) τὴν ἀνάγκην τῶν λόγων, ab ἐνδόξῳ. [Wahrheitserkenntnis und Apodiktizitätserkenntnis koinzidieren faktisch.]

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XIII. Eos, qui nullam esse Demonstrationem demonstrare, & ἀκαταληψίαν Pyrrhoniorum reducere conantur, videri idem facere, quod illi (Ex Aristotelis protreptico citat Alexand. in Topicis) qui affirmantes philosophandum non esse, hoc ipso philosophantur, dum eius rei rationes asserunt. XIV. Iniquè à novis Methodicis è Dialecticis eiectos & profligatos esse Elenchos Sophistocos. [etc. . . . insgesamt XXX. Thesen sowie parerga]. [Schlussdevise:] SERVITVS PHILOSOPHICA SVMMA LIBERTAS. 4. Scherb, Philipp: Oratio de idoneo iudice, 1592 Oratio de idoneo iudice earum controversiarum quae in artibus nasci solent, ex sententia Galeni / Auctore Ph. Scherbio, Medicinæ // ac Philosophiæ professore in // Acad. Altorfina. // Typis Christophori Lochneri, et Johannis Hofmanni, Typographorum Aca-||demicorum.|| ANNO CHRISTI M D XCII.||[Altdorf] – S 2661 [A2] Septem igitur sunt omninò, quibus cumulatum esse oportet eum, quem dicimus virum sapientem, & idoneum disputationum judicem: Naturae vis: recta in primis disciplinis institutio: Magistrorum in nostra arte praestantia: laborum amor: veritatis studium: methodus discernendi verum à falso: denique crebra eius exercitatio. Denique quoquò nos convertimus: ubique repulsa praesens, spes novitatis nulla uspiam affulgebat: Quid in hac summa destituione facerem, aut quid [A 2 verso] amplius cogitarem? quid aliud, quàm id, quod in Sapientum scholis aliquando didicimus: Non minus laudari apes, quę ex alienis sua libarent, quàm aranei ex sese fila gignentes. Itaque ibamus continuò ad illud, decerpendum aliquid ex Platone, Aristotele, aut Galeno, quod et si novum non esset: antiquitate tamen sua, gratiam & authoritatem conciliaret. 5. Hauenreuther, Ludwig: Theses ex præcipipuis philosophiæ partibus, 1593: THESES // EX PRAECI- // PVIS PHILOSOPHIAE // PARTIBVS, IN ACADEMIA AR- // gentoratensi priuatis disputationi- // bus propositæ & disputatæ // A // IOANNE LVDOVICO HAVVEN- // reutero Doctore, & Physicæ ac Logicæ // ibidem Professore. // ARGENTORATI // Excudebat Antonius Bertrâmus. // M.D. XCIII. – ZV 7483

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[)( 2 recto] ILLVSTRIBVS // AC GENEROSIS DO- // MINIS, D. IODOCO IOSEPHO, // & D. IOANNI LVOVICO, Tur- // rianis Comitibus: Liberis in S. cru- // ce Baronibus &c. Ioannes Ludo- // uicus Hauuenreuterus D. // S.P.S.D. QVanti disputationum exercitationes faciendæ sint, Illustres ac Generosi Domini Comites, Domini clementes, ex seria illa Parmenidis cohortatione patet, qua apud Platonem Socratem iuuenem cohortatur, vt diligenter sese in ea facultate exerceat, quæ inutilis videtur[)( 2 verso] esse multis, & quædam garrulitas nuncupatur, ne veritas eum fugiat. Huic enim admonitioni locum quia reliquit, non sui solum temporis sophistarum vanam sapientiæ ostentationem repreßit, fraudesque aperuit: verum etiam veritatis in omni philosophia fontes adeo vberes monstrauit, vt quicquid in omni scientiarum genere veri habemus, ex Socraticis defluxerit disputationibus. Nec Socrates modò disserendi rationem magni fecit: sed Plato quoque eius disputationes diligenter collegit, & scriptis ad posteros transmisit. Ab hoc institutus Aristoteles tum ipse disserendi præcepta tradidit acutißimè, tum discipulos suos in disputando exercuit aßiduè: & scriptis quoque disputationes [)( 3 recto] complexus est. quæ tamen temporum iniuria perierunt. Hoc institutum omnes posteriores philosophi retinuerunt: & quid quaque in re veri esset, quoque pacto falsa refutanda sint disputando indagarunt. Nec in philosophia tantum vsus est disputationum: sed ad alias etiam sese diffundit scientias. Quomodo enim in Theologia Pauli seruabit præceptum, vt aduersarios conuincat, eorumque obturet ora, qui artificiosè refellere eos non potest? In Iurisprudentia forenses actiones quid sunt aliud, quam disquisitio quædam & argumentorum collatio: vbi disputandi peritia instructi & acutius probabilitatis speciem habentia cernere, & refutare norunt apertius. Has disquirendi commoditates [)( 3 verso] cum omnibus seculis homines considerarent eruditi, tum præcepta artium in scholis tradiderunt perspicuè ac fideliter, tum veritatem earum confirmarunt argumentis necessarijs, & falsos contra ea insultos refutarunt accerrimè. Eam consuetudinem vtilem & aliquot seculis doctorum virorum consensu approbatam, nostræ quoque Academiæ præfecti receperunt: & tam in superioribus, quas vocant, facultatibus, quàm in philosophia crebræ haberentur disputationes decreuerunt: cumque annos ab hinc nouendecim priuatæ, quas nominare solemus, disputationes mihi demandarentur, ex præcipuis philosophiæ partibus materiam delegi, quam discipulis meis proponerem, eaque occasionem da- [)( 4 recto] rem de maximè dubijs quæstionibus disquirendi, quæ ratio multos excitauit, vt hisce exercitationibus frequentes interessent, ex ijs hoc perciperent commodi, vt in exploratione suæ doctrinæ præceptoribus satisfacerent, & ad discendam excitarentur ardentius. Cum autem singuli theses exprimendas curare separatim necesse haberent, eas vno volumine coniungere visum fuit: vt cuique ex eo materiam sibi

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sumere ineaque sese exercere integrum esset: ac tenuioris fortunæ qui sunt sumtibus non grauarentur: ad quæ accedit, quod hoc volumen breuiarium quasi earum artium quæ ibi tractantur, legenti esse poßit. Quoniam verò patrono aliquo opus fuit, cuius autoritate ista mea the-[)( 4 recto] mata in lucem prodirent, aptiorem neminem quàm vos Illustres & Generosos Domines Comites reperire potui. Vos enim ex Illustri, tum belli tum pacis virtutibus clarißima familia orti estis. Vos indole ornati præstantißima. Vos in ista vestra ætate eos studiorum progressus fecistis, quibus longè adultiores etiam tenuioris fortunæ superatis. Vos eloquentiæ tantam exercitationem habetis, vt dicentes qui audit, suaui pronunciatione & decora actione delectetur plurimum, & auscultando satiari nequeat. Cuius vestri studij adiutorem habetis priuatum vestrum præceptorem, virum ornatißimum D. SEBASTIANVM THEODORICVM VVINSHEMIVM, qui nouit, eos qui [)( 5 recto] summo loco natos ad pietatem, virtutem, eruditionem, ab ineunte ætate assuefaciunt, non discipulis solùm suis, verùm etiam toti Reipublicæ plurimum commodare. Is hactenus animum vestrum vera pietate omnique virtute imbuit: & stylum Ciceronis ornatu expoliuit: idemque deinceps facere non desistit: ad quod eius consilium nonnihil etiam adiumenti adferre posse existimaui ea quæ thesibus nostris exposuimus. Ad eloquentiam enim veram comparandam Physica adiuuare testis est Pericles, quem Socrates cæteris dicit præstitisse oratoribus, quod Anaxagoræ Physici fuerit auditor. Sine morum disciplina, multa de vita, de officijs, de virtute aut dici aut intelligi posse Cice- [)( 5 verso] ro ipse negat. Vt & dialecticorum atque Rhetorum præceptorum cognitionem in oratore idem requirit. Quæ cum ita sint, hunc à me libellum ea clementia, qua me semper prosecuti estis in patrocinium vestrum recipere: & non tam ipsum opus, quàm autoris vestri summisse obseruantem animum respicere dignemini, etiam atque etiam oro. DEVS OPT. MAX. omnis sapientiæ autor, vos quàm diutißimè florentes & valentes, Reipublicæ conseruet. Argentorati Prid[ie] Calendas Aprilis. Anno CHRISTI M D XCIII. [1]: DISPVTATIO I. THEMA I. PHILOSOPHIA, quæ rerum diuinarum & humanarum, causarumque quibus hæ res continentur est scientia: rectè in Christianis scholis traditur. II. Ea partim in CONTEMPLATIONE, partim in ACTIONE cernitur. III. Nec tamen malè docendi causa distribuitur in NATVRAE obscuritatem: in DISSERENDI subtilitatem: in VITAM atque mores. IV. Θεωρητικὴ quæ in rerum cognitione versatur: TRIPLEX est. VNA θεολογία primaué philosophia dicitur: quæ ἁπλῶς ὄντα, & res absolutas considerat. ALTERA μαθηματικὴ, quæ ἐξ ἀφαιρέσεως ὄντα, res à materia quidem non separatas: tamen ex detractione & vt seiunctas per- [2] pendit. TERTIA φυσικὴ, quæ ἐκ προθέσεως ὄντα, res cum materia concretas inuestigat.

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V. Πρακτικὴ cuius omne opus est in agendo: communi nomine πολιτικὴ nominatur: estque TRIVM partium. ἠθικὴ MORALIS, de singulorum moribus conformandis: πολιτικὴ CIVILIS, de Republica constituenda: οἰκονομικὴ DOMESTICA, de tuenda re familiari. VI. Λογικὴ sermonis itidem TRIPARTITA est: γραμματικὴ puram: διαλεκτικὴ veram: ῥητορικὴ ornatam orationem efficiens. VII. Hæ philosopię partes omnes eò referuntur: vt vel verum exquiratur: vel benè beateque viuamus, idque certo modo & bono ordine. VIII. Quæ consequimur acie mentis: præcipue verò DEI Creatoris & conseruatoris dono. [3] DISPVTATIO II. [4] [. . .] LOGICAE. VII. LOGICA & pars & instrumentum est philosophiæ, cuius membrum DIALECTICA dicta in organo traditur hoc modo: vt primò partes simplicissimæ: deinde ex his compositæ: tum ipsum totum ratione formæ, & materiæ necessariæ, probabilis, fallacis, explicetur. RHETORICAE. VIII. RHETORICA quæ facultas est dicendi: causa materiæ ad politicam: ratione autem formæ ad Dialecticam seu Logicam refertur. [43] DISPVTATIO XVI. [45] [. . .] DIALECTICA. VI. Partes enunciati sunt NOMEN quod vox est ex institutio significans absque temporis notatione: cuius nulla pars quicquam declarat separatim: & VERBVM quod tempus adsignificat. VII. Est autem nomen nota SVBIECTI, verbum PRAEDICATI: vtrumque tamen vel FINITUM est certæ rei: vel INFINITVM, eorum quæ sunt & non sunt: partim RECTVM: partim CASVS: & rem esse aut non esse non indicat. [47] DISPVTATIO XVII. [48] DIALECTICAE. VI. ORATIO est vox, cuius pars separata aliquid significat vt dictio estque alia Rhetorica siue poëtica, quæ nihil veri aut falsi indicat: alia Dialectica, quæ verum atque falsum declarat: & propriè ENVNCIATIO appellatur. [49] Cuius DVAE sunt species: AFFIRMATIO, quæ aliquid de alio dicit: & NEGATIO quæ aliquid ab altero remouet, vel vno nomine & verbo cuiuscunque sit temporis: vel pluribus: ita vt absque vtraque hac parte enunciatum nullum esse possit. [50] DISPVTATIO XVIII. [52] DIALECTICA. VII. Qualitas & quantitas enunciatorum [53] variè commutata accidens eorum efficit quod ἀντίθεσις, & OPPOSITIO dicitur. quæ alia est ἀντίφασις & CONTRADICTIO: in qua & quantitas & qualitas pugnant: vt vniuersali affirmanti particularis affirmans aduersetur: vbi verumà falso semper discriminatur. Alia ἐναντία CONTRARIA: in qua sola pugnat qualitas, eadem est vniuversalis quantitas: & ambo falsa esse possunt pronunciata: nunquam simul vera. Alia ὑπεναντία SVB CONTRARIA: in qua eadem

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est quantitas particularis: & vtraque vera esse possunt, nunquam falsa. Si tamen in omnibus oppositionibus, vnum vni & significatione & verbis repugnet. [64] DISPVTATIO XXI. [69] DIALECTICA. VII. ENVNCIATA alia sunt SIMPLICIA, in quibus vnum de vno vel verbis vel sensu: alia COMPOSITA in quibus vel de vno multa: vel de multis vnnum: vel de multis multa prædicantur: quæ si fiant interrogationes: ad simplicem & vnam interrogationem, simplex & vna est adferenda responsio: ad coniunctam multiplex. Nam vel continent prædicata, quæ ex accidenti de subiecto dicuntur: & singula quidem subiecto tribui possunt: coniuncta vero vnum enunciatum non efficiunt: vel habent prædicata in quibus est quędam repugnantia: quæ coniuncta quidem sed non singula conueniunt alicui. nec vnum enunciatum faciunt: vel prædicata complectuntur, quæ nec per accidens prædicantur, nec repugnantiam habent: sed per se dicuntur: quę non solum coniuncta: verum etiam singula subiecto possunt attribui, & vnum pronunciatum con- [70] stituunt: hac tamen ratione vt si coniungantur, verbum substantiuum adijciatur. 6. Hauenreuther, L./Schönwald, Reinhard: Theoremata Philosophica, 1595 THEOREMATA // PHILOSOPHICA, // I. // Animus est in toto corpore, & in quauis parte totus. // II. // Homo principium est & causa suarum actionum. // III. // Analytica & Topica generali doctrina compre- // hendi possunt. // IN SCHOLIS PHILOSOPHORVM // CELEBERRIMAE ARGENTINENSIVM ACA- // demiae ad disputandum proposita, // PRAESIDE // IOANNE LVDOVICO HAVVEN- // REVTERO, DOCTORE MEDICO, // Philosopho. // Respondente // REINHARDO SCHÖNVVALDO // Haynense Triquernano. // Disputabuntur, dante iuuante DEO, // Menso Augusto. // Argentorati, excudebat Antonius Bertramus, // M.D.XCV. – ZV 7488 [Schema der acht Untertitel bei allen drei Theoremen identisch] [B2verso] THEOREMA LOGICVM. III. I. Πρότασις. Analytica & Topica generali doctrinâ comprehendi possunt. II. Τὸ ὑποκείμενον. Subiecta hîc duo sunt, de quibus illud πάθος quaeritur, [B3] Analytica nimirum & Topica: Per illam nihil aliud intelligimus, quam partem Logices, quae rationem ostendit, & modum ex necessarijs, sive ex proximis, & quae scientiam pariunt causis concludendi: Per hanc verò rationem de re propositâ in utramque partem probabilibus argumentis disputandi.

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III. Extrà διάλεξιν & controuersiam verò posita sint. 1. Logicam esse artem ratiocinandi, qua ceu instrumento in singulis disciplinis verum à falso, & bonum à malo separamus. 2. Quae licet variè diuidatur, nos tamen hoc in loco commodißimè retineri posse censemus diuisionem illam nonnullorum, qua in partem communem & propriam diuiditur: siquidem haec Organo Aristotelis non solùm apprimè conuenit, sed etiam ex ipsa rerum naturâ probatur. 3. Cum enim subjectum Logicae sit Ens rationis siue νοήματα secunda: & haec vel communia sint, & ad quamvis propositionem adhiberi poßint: vel propria & propositioni vel necessariae tantùm, vel probabili, vel falsae, sit ut hoc modo Logica in duas illas partes diuidatur. 4. Organon Aristotelis quod attinet, idem quoque perspicitur: nam communia illa noëmata considerantur vel vt simplicia, siue prout vulgò loquuntur, nudi conceptus, vt in Libro Praedicamentorum: vel vt complexa, quibus nimirum aut verum aut falsum exprimatur, vt in Libro περὶ ἑρμηνείας: vel quatenus certâ ratione conjuncta, & ad argumentationem disposita sunt, vt Libris Anal. priorum. 5. Ità vt in Analyticis prioribus quae tractantur, non minus generalia sunt, quam quae in praecedentibus Libris: & proindè quae de Syllogismo, qui materiae tàm immersus sit instituatur, (quoniam hic ad partem propriam refertur:) sed de generali illâ ratiocinatione eiusque structurâ & formâ. 6. Id quod ex eius definitione facilè apparet: Est enim συλλο- [Marg.: I. Prior. C. 1.] [B3 verso] γισμὸς λόγος ἐν ᾧ τεθέντων τινῶν ἑτερόν τι τῶν κειμένων ἐξ ἀνάγκης συμφαίνει τῷ ταῦτα ειναι [sic]: Id est, ratiocinatio est Oratio, in qua quibusdam positis, aliud quiddam, quam quae posita sunt, ex ijs ipsis quae posita sunt, efficitur necessariò. 7. Hic igitur Sÿllogismus omni prorsus materiâ caret, nihilque aliud est, quam nuda illa & generalis forma, quae ad omnem materiam potest accommodari. 8. Hinc Aristoteles ait: antè demonstrationem de ratiocinatione disserendum esse, proptereà quòd haec latius pateat, huiusque pars quaedam illa sit: haec verò totum atque in pluribus. 9. Per materiam autem Syllogismi nihil aliud intelligimus, quàm certos modos & conditiones, quibus praedicatum subiecto adiungitur, & quae propositiones efficiunt vel necessarias, vel probabiles, vel falsas: quae si secundum formam Syllogismi generalis disponuntur, fiunt tres illae species, vt alius syllogismus Apodicticus; alius Dialecticus; alius Sophisticus appelletur. 10. In hisce verò sÿllogismis cum & forma & materia reperiatur, plurimum eos inter se differre statuimus, quantum ad materiam, quae vel necessaria est, & Apodictico tantùm vel probabilis, & Topico: vel fallax sive falsa & Sophistico convenit syllogismo.

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IV. τὸ ζητοῦμενον. Vtrum verò, quantum ad formam attinet, doctrinâ generali comprehendi poßint illi syllogismi, in dubium vocatur. Nos in eorum pedibus imus sententiam, qui affirmatiuam tuentur, moti rationibus sequentibus. V. Ἀξιώματα. 1. Quòd quibus eadem conuenit definitio, eâdem etiam doctrinâ comprehenduntur. 2. Quòd in Anal. priorib. de omni ratiocinatione Aristotele teste, agitur. 3. Quòd quae ex ijsdem efficiuntur & construuntur, eorum poßit esse communis doctrina. [B4] 4. Quòd syllogismus ille in Anal. priorib. sit genus: Et 5. Quae de genere dicuntur, etiam de specie affirmari poßint. VI. Ἀποδείξεις. Prima: Cum igitur Apodictico & Topico, Syllogismi tanquam generis definitio ex æquo conueniat. Secunda. Hique species sint illius generalis Syllogismi, de quo in Anal. agitur priorib. loco suprà citato. Tertia. Cumque ex ijsdem efficiantur, ex antecedentibus nimirum consequentibus & repugnantibus: constet insuper vterque tribus terminis, eodem modo ad nos illas figuras poßint examinari, & quae sunt alia. Quarta. Et in vniuersum de ijs dici poßint, quae de Syllogismo. VII. Συμπέρασμα. Concludimus: Eos generali & communi doctrinâ comprehendi posse: idemque Analyicae & Topicae doctrinae conuenire. IIX. Πορίσματα. 1. Errant igitur, qui hasce duas partes ità discriminatas censent & disiunctas, vt generali doctrinâ comprehendi nequeant: licet enim quod & suprà diximus, admodum inter se differant tres illi Syllogismi, Apodicticus, Dialecticus & Sophisticus, cum tamen non ex nudâ formâ, vt generalis ille, de quo Aristoteles in Anal. agit priorib. & de quo hoc in loco quaeritur, sed ex formâ & materiâ simul constaret: ratione materiae non formae discrimen illud esse patet, quod illam doctrinae disjuncionem inferre haud potest. 2. Errant & illi, qui dum Dialecticam definiunt, artem benè disserendi de re propositâ; duas illas partes confundunt, quodque vnius tantùm est, vtrique ex æquo convenire defendunt mordicùs: qua in re superioribus aduersantur, qui dum duas illas partes dirimunt, & nullomodo generali doctrinâ conti [B4 verso] neri posse affirmant, hi omnia in vnum chaos, Topicam Analyticae, opinionem scientiae, probabilia necessarijs, coelum terra permiscent. Sed habent quo se Logici isti & opinatores

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perpetui defendaut [sic], Demonstratione scilicet, quam commentum horribile falsò nominant, ex Logices agro exterminatâ, vt potius nolentes volentes eam induces re rursus conentur. Atque haec de praedictis quaestionibus veritatis studio in medium allata sint. FINIS. Δόξα τῷ θεῷ. 7. Formicarius, Cornelius: Trinum philosophicum, 1595 [M. CORNELII FORMICARII // Francofurtani ad Moganum // EXERCITATIO- // NES LOGICAE, SE- // CVNDVM OPTIMOS TRA- // CTANDI MODOS // compositæ: // CONTINENTES // NON SOLVM IPSIVS ORGANI // Aristotelis accuratam et genuinam explicationem; // verùm etiam grauißimorum Interpretum, // difficillimarum quæstionum breuem // enodationem. // DISSERENDI STVDIOSIS, // inprimis verò Aristotelicæ doctrinæ Se- // ctatoribus, perquàm vtiles ac // necessariæ. // FRANCOFVRTI AD MOENVM // excudebat Iohannes Spies.|| M. D. XCVII. – ZV 21516] FAVENTE ALTISSIMO // TRINVM // PHILOSOPHICVM, // Cuius seriem sequens pagina ostendit: // ΕΚ ΤΩΝ ΦΙΛΟΣΟΦΟΥΝΤΩΝ // CONSENSV VNANIMI DEPROMPTVM: // AC SECVNDVM MATHEMATICORVM // ACCVRATAM TRACTANDI RATIONEM ANA- // ΛΥΣΕΙ Logica explicatum: In Scholis Philosophorum Illustrißimae Argentora- // tensium Academiae Publici Exercitij gratia // SVB PRAESIDIO // CLARISSIMI ATQVE DOCTISSIMI [. . .] Pro Virili defendendum proponit // AVTHOR // CORNELIVS FORMICARIVS // Francofordianus Ad Moenum // ANNO recuperatae per CHRISTVM salutis // M.D.XCV. XIV. Cal. Octob. // Curante Antonio Bertramo, Academiae // Typographo. – H 841 THEOREMA PRIMVM. PHYSICVM. COELVM est corpus naturale. THEOREMA SECVNDVM, ETHICVM. VERECVNDIA non est Virtus Moralis. THEOREMA TERTIVM LOGICVM. LOGICA est ad discendas Artes & Scientias necessaria. Aeneas Sylv. & Chron. Philip. lib.5. [E4 verso] THEOREMA TERTIVM LOGICVUM. I. ΠΡΟΤΑΣΙΣ. LOGICA est ad discendas Artes & Scientias necessaria. Iauell. Tom. I. de Praenosc. 2. & 4. Petrus Fonseca Instit. Dial. lib. I. c. I. & lib. 2. Metaph. c. 3. q. 4. sect. 2. Aegidius Romanus & D. Thom. initio post. Analyt. Franc. Tol. de Dial. in Com. quaest. I. Albert. Mag. praed. 3. Petrus Hispanus tract. I. fol. 3. a. Auicenna in sua Log. c. 2. Claud. Alberius in Praefat. Organi. Fort. Crellius in

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Praef. Isag. Log. Iacob. Zabarella de nat. Logic. Ioan. Casus lib. I. Dial. c. I. Tartaret. in Praef. lib. Log. Arist. II. ΤΟ ΥΠΟΚΕΙΜΕΝΟΝ. SVBIECTUM ἡ λογικὴ LOGICA: quae licet ἐκ τῶν πολλαχῶς λεγομένων: & VEL generalissimè accipiatur, pro omnibus artibus, quae circa τὸν λόγον sermonem siue orationem, seu δεύτερα νοήματα & secundos conceptus versantur: quarum vulgò tres enumerari solent; Grammatica, Dialectica & Rhetorica. Aristot. lib. I. Top. c. 12. VEL paulò strictiùs vsurpetur, pro tota Doctrina ratiocinandi ex necessarijs, probabilibus & falsis Ibid. VEL specialissimè denique pro ea sumatur facultate, quae ex probabilibus sua conficit argumenta. I. post. c. 18. t. 36. & lib. ζ Metaph. c. 4. t. 11. Nobis tamen neglectis reliquis significatis, de intermedio pręcipuè, hoc in Theoremate postremo, sermo erit. Ioan. Sturm. I. Partit. Dial. c. I. [F] De his autem ὁμολογουμένως κατὰ τὰς αἰτίας sit disputatum. I. SVBIECTVM LOGICAE, iuxta vulgarem, Materiae & subiecti distinctionem, in Subiectum Ex quo, In quo & Circa quod, οὐκ ὁμοίως λέγεται. SVBIECTVM enim CIRCA QUOD, seu, ut Aristoteles lib. I. de animo c. I. t. 10. & 2. c. 5. t. 33. nominat, τὸ ἀντικείμενον OBIECTVM, est ὁ Συλλογισμὸς RATIOCINATIO: siquidem omnes, simpliciter dicti subiecti, proprietates, quae lib. I. post. Anal. c. 23. t. 42. recensentur, habet. Nihil enim in Logica continetur, quod non VEL ad Ratiocinationem, tanquam suum genus & perfectam formam reduci queat: VEL principium sit: VEL pars & species: VEL denique propria affectio Ratiocinationis. Ioannes Duns Scotus quest. 2. vnivers. & Aegidius Romanus initio poster. Analyt. II. SVBIECTVM autem Logices IN QVO, quod Philosophus in Categ. c. 2. ὑποκείμενον, Latini STRATVM vocant, est ἀόριστον & indefinitum: accomprehendit omnes res, quae τῷ Συλλογισμῷ, ratiocinatione conclupi [sic] possunt: cuiusmodi sunt omnes artes atque scientiae; earumque partes & particulae. Quae omnia Logicae subiectum In quo dici possunt: quemadmodum Arist. de probabili disputatione apertè hoc affirmat. lib. I. post. Anal. c. 8. t. 27. & I. Soph. Elench. c. 11. & lib. γ. Metaph. c. 2. t. 5. III. SVBIECTVM denique Logicae Ex QVO, quod propriè [F verso] ὕλη Materia I. phys. c. 9. t. 81. nuncupatur, sunt ipsae DIVISIONES Logices, quarum TRES potissimùm nos recipimus. PRIMA est vulgata, qua Logica per se considerata,

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distribuitur in Inuentionem materiae, & Iudicium formae Ratiocinationis. (a) Reliquae DVAE ad Aristotelis sunt Οργανον accommodatae: ac PRIMA quidem τριχοτομίαν habet: factam secundùm TRES Intellectus nostri ἐνεργείας: Νόησιν τῶν ἀδιαιρέτων, apprehensionem simplicium: Σύνθεσιν καὶ διαίρεσιν τῶν νοημάτων, compositionem & diuisionem rerum intelligentiâ comprehensarum; & Λογισμὸν ἢ διάνοιαν, ratiocinationem seu discursum: aut, vt Cicero nominat, agitationem & motum mentis. Arist. lib. 3. de animo c. 6. t. 21. (b) ALTERA autem, quae omnium optima iudicatur, DVOBVS constat membris. VNVM de partibus est ratiocinationis, TVM minoribus: de quibus in libro praedicamentorum, & qui huic praeponitur, Porphyrij Introductione, agitur: TVM maioribus: quarum Doctrina in libris περὶ ἑρμηνείας traditur. ALTERVM de tota ratiocinatione est ; & huius TAM formam essentialem & aduentitiam, in Prioribus Analyticis: QVAM materiam necessariam in Posterioribus ; & probabilem in Topicis: & fallacem in Sophisticis Elenchis, explicat. (a) Cicero in Top. fol. 221. lib. 4. de finib. fol. 108. Quintilianus lib. 5. Instit. Orat. c. 14. (b) D. Thom. Aquinas in principio lib. περὶ ἑρμηνείας de enuntiat. hanc distributionem ponit: quam Francisc. Tol. quaest. 5. Dial. Com. approbat: & Fort. Crell. in Log. Part. Com. lib. I. c. I. quoque ponit. IV. LOGICA varias fortitur appellationes, ARISTOTE- [F2] les enim illam lib. α minor. Metaph. c. 3. t. 15. τρόπον τῆς ἐπιστήμης, modum scientiae comparandae: & lib. I. Eth. c. 3. & I. de partib. animal. c. I. παιδείαν eruditionem nominauit. PLATO, à se reperto vocabulo (a) primus Dialecticam vocauit. STOICI tùm Logicam, tùm Dialecticam appellarunt. (b) Ac licet vtrumque, & Logices & Dialectices vocabulum passim apud Aristotelem extet: & promiscuè pro tota ratiocinandi Doctrina vsurpetur: tamen vt Totum & Pars inter se differunt. LOGICA enim totius differendi facultatis rationem habet: lib. I. Top. c. 12. DIALECTICA autem partis, hoc est, facultatis differendi ex probabilibus nomen obtinet. I. prior. Anal. c. I. & 31. & I. Top. c. I. & 2. & I. Soph. Elench. c. 2. & lib. β Metaph. c. I. t. 2. (a) Vt ex Phaurino Laërtius lib. 3. in uita Platonis refert. (b) Plutarch. in principio libri primi de placitis Philosophorum. (c) Averroës in Praef. post. Anal. Zabarella lib. I. de nat. Log. c. 9. Ioannes Sturmius, communis noster Praeceptor lib. I. part. Dialect. c. Fort. Crellius in Log. part. Com. I. lib. I. de Categ. V. Definitur autem LOGICA ab Aristotele, aliorum definitionibus missis, TRIBVS potissimùm modis: propter TRIA definitionem genera: MATERIALE, FORMALE,

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& ex his COMPOSITVM: quae lib. 2. post. Anal. c. 10. t. 10. à Philosopho constituuntur. Rationem enim MATERIAE LOGICAE est ars seu facultas ratiocinandi & concludendi (a) Ratione autem FORMAE, est ars instrumentalis seu instrumentum, quo verum à falso, & bonum à malo separamus. (b) Vnde composita & omnium perfectissima Logicae definitio talis conficitur. LOGICA est [F2 verso] facultas ratiocinandi, quâ tanquam instrumento in singulis disciplinis verùm à falso, & bonum à malo separamus. (a) Haec definitio ex lib. I. Rhetor. Arist. c. I. desumitur: vbi Logicam δύναμιν esse inquit εἰδεῖν περὶ τοῦ συλλογισμοῦ: facultatem videndi de ratiocinatione. (b) Formalis hic ὁρισμὸς ex lib. 8. Top. c. 5. est desumptus: vbi Arist. Logicam docet esse instrumentum, ad cognitionem & prudentiam Philosophicam comparandam, accommodatum. VI. LOGICA ratione causae Efficientis est DVPLEX: ALIA τεχνικὴ artificiosa: ALIA φυσικὴ naturalis, (a) NATVRALIS nihil aliud est, quàm δύναμις καὶ ἐπιτηδειότης φυσικὴ, Facultas & habilitas naturalis, à natura mentibus humanis insita: qua etiam in literis non versati & agrestes homines, τῇ φύσει perspiciunt, quid ex quo, & ad quod consequatur: ac verum ex alio concludunt: atque ita argumentationes & Syllogismos naturales componunt. ARTIFICIOSA verò est, quae certis praeceptis est comprehensa: ac ijs tantùm in hominibus reperitur, qui Dialecticas praeceptiones didicerunt, vsuque earundem habitum sibi aliquem comparaunt. (a) Iauell. tract. I. c. 6. de praecognosc. Dial. Zabarella lib. I. de nat. Logic. c. 12. Petrus Hispanus tract. I. fol. 2. a. Francisc. Tolet. in Log. quaest. I. Fortun. Crell. part. Com. lib. I. c. I. VII. CAVSA EFFICIENS vtriusque & Naturalis & Artificialis LOGICAE, PRIMA AC VNIVERSALIS est DEVS. OPT. [F3] MAX. qui hanc Logicae vim, etiam primo homini Adamo indidit: vt videre est ex Genes. c. 2. v. 19. vbi cunctis Adamum imposuisse nomina rebus scribitur. SECVNDARIA verò, PROXIMA AC PARTICVLARIS est Diuinus Philosophus & Praeceptor ARISTOTELES: (a) qui omnium perfectissimè Logicam nobis tradidit. Etsi enim alij quoque perfectam Artis huius cognitionem habuerint: tamen vsum eius potiùs, quàm praecepta scriptis suis complexi sunt. VIII. FINIS denique LOGICAE DVPLEX est: ALIVS οὗ Intermedius: ALIVS ᾧ, Vltimus. Finis οὗ est exponere, vt subtilis Philosophus lib. α minore Metaph. c. 3. t. 15.

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loquitur: τρόπον τῆς ἐπιστήμης, modum scientiae comparandae: &, ut. I. de partib. animal c. I. & I. Eth. c. 3. inquit, παιδείαν institutionem ; quâ instructi, iudicare possumus, quid rectè aut secus tradatur. Finis verò ᾧ est, verum cognoscere, & à falso in contemplando discernere: ac bonum à malo in agendo seiungere. III. ΤΟ ΠΑΘΟΣ ΚΑΙ ΚΑΘ’ ΑΥΤΟ ΣΥΜΒΕΒΗΚΟΣ. Hoc autem potissimùm quaeritur: Vtrum LOGICA ad discendas Artes & Scientias sit necessaria. Antequam verò nos aientem tueamur ἀποδεικτικῶς sententiam: priùs in Attributo, & voce τοῦ ἀναγκαίου NECESSA- [F3 verso] RII ὁμωνυμίαν praecauebimus. Διττῶς γὰρ τὸ ΑΝΑΓΚΑΙΟΝ λέγεται PRIMVM ἁπλῶς absolutè id, sine quo aliquid prorsus esse non potest: quemadmodum homo sine anima esse nequit. DEINDE ἐξ ὑποθέσεως, cum adiunctione, & comparatè ad finem id, sine quo aliquid commodè esse, vel omninò rectè cognosci nequit. Arist. lib. 2. physic. c. 9. t. 87. & lib. δ Metaph. c. 5. t. 6. POSTERIORI modo, non itidem PRIORI Logicam, NECESSARIAM esse affirmamus. Iauel. tract. I. cap. 4. Tom. I. Francisc. Tol. quaest. I. Dial. Ioann. Casus lib. I. Dial. c. I. IV. ΑΞΙΩΜΑΤΑ Hoc autem vt probemus, in promptu haec sunt ἀξιόματα δυσέλεγκτα: quę, quod volumus, satis abundè demonstrabunt: animumque nostrum ἀμετάπτωτον καὶ ἀμετάπιστον reddent. I. Omnis τρόπος τῆς ἐπιστήμης est necessarius: siquidem ἅμα ζητεῖν τὴν ἐπιστήμην καὶ τρόπον τὴς [sic] ἐπιστήμης, ἄτοπον ἐστι: simul Scientiam quaerere, & Scientiae modum, est absurdum, lib. α min. Metaph. c. 3. t. 15. II. Quicquid vtile est πρὸς τὴν γυμνασίαν, πρὸς τὰς ἐντεύξεις, καὶ πρὸς τὰς κατὰ φιλοσοφίαν ἐπιστήμας: ad exercitationes, ad colloquia, & ad Philosophicas scientias; illud ἀνάγκην, necessitatem aliquam importet, necesse est. III. Quęcunque Disciplina docet, vt ἐπιστημονικῶς sci- [F4] enter, & interrogare, & respondere possimus, illa est necessaria. IV. Quicquid prohibet, ne in multiplices ac varios errorum labyrinthos, artiumque confusionem incidamus, illud necessarium videtur. lib. γ. Metaph. c. 3. t. 8.

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V. Quicquid rectè nos definire, ac vniversale colligere docet, illud est necessarium, lib. μ. Metaph. c. 4. VII. Quicquid efficit, vt τὸν λόγον τῆς ἀληθείας ὀρθοδομεῖν, & sermonem Veritatis secare rectè possimus, illud ἀναγκαῖον sit, necesse est. V. ΔΕΙΚΤΙΚΑΙ ΑΠΟΔΕΙΞΕΙΣ PRIMA. Omnis τρόπος τῆς ἐπιστήμης est necessarius. At LOGICA est τρόπος τῆς ἐπιστήμης, vt acutißimus Aristot. lib. α min. Metaph. c. 3. t. 15 & I. post. Anal. c. 2. t.5. & I. Top. c. 2 affimare videtur. SECVNDA. Quicquid ad exercitationes, colloquia, & Philosophicas Artes ac Disciplinas conducit, illud est necessarium. Sed LOGICA ad hęc tria conducit: monente Philosopho lib. I. Top. c. 2. [F4] TERTIA. Quicquid prohibet, ne in varios errores incidamus, ipsasque Artes ac Scientias confundamus, illud necessarium sit, oportet. Atqui LOGICA talis est: quia, vt Arist. cùm alibi, tùm lib. I. phys. c. 3. t. 22. & c. 8. t. 71. & 72. & lib. lib. γ. Metaph. c. 3. t. 8.indicat: Veteres Philosophi δι’ ἀπαιδευσίαν τῶν ἀναλυτικῶν, propter ignoraniam Logices, in varios errorum labyrinthos sese praecipitarunt, grauiterque decepti sunt. QVARTA. Quicquid rectè nos definire ac vniuersale colligere docet, illud ad discendas Artes ac Scientias est necessarium. LOGICA, seu, vt Aristoteles nominat: Διαλεκτικὴ ἰσχὺς, & Dialecticum robur, docet nos rectè definire, ac vniuersale colligere: vt ex lib. α maiore Metaph. c. 6. t. 8. & lib. μ. c. 4. liquet. Η, ΕΙΣ ΤΟ ΑΔΥΝΑΤΟΝ ΑΛΟΥΣΑ, ΑΠΟΔΕΙΞΙΣ Si Logica ad discendas Artes non esset necessaria ; sequeretur, quempiam sine causis aliquid scire posse: cùm tamen Logica causas ac principia rerum nobis patefaciat. lib. I. post. Anal. c. 9. t. 27. Sed nemo sine causis aliquid scire potest: cùm τὸ ἐπιστασθαι scire, vt Arist. loquitur, lib. I. post Anal. c. 2. t. 5. & lib. 2. c. 11. t. 11. & 1. physic. c. 1. t. 1. & 2. c. 3. t. 27. & lib. α maiore Metaph. c. 3. & lib. δ c. 2. t. 2 . nihil aliud sit, quam τὴν ἀιτίαν γινώσκειν, δι’ ὴν [sic] τὸ πραγμα ἔστι: Causam cognoscere, propter quam res est. Vnde Albertus praeclarè ait: credentes aliquid se scire sine Logica, se habent ad suam scientiam, sicut ignis ad combustionem suam. Quemadmodum enim [G] ignis comburens, suae combustionis causam ignorat: ita etiam illi, qui sine Logica scire sese aliquid credunt, suae scientiae causam ignorant.

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VI. ΣΥΜΠΕΡΑΣΜΑ Ergo, LOGICA ad discendas Artes & Scientias est necessaria, ὅπερ ἀποδεικτέον. VII. ΠΟΡΙΣΜΑΤΑ ΚΑΙ ΕΠΙΣΟΔΕΙΑ ERGO τῷ ἀληθεῖ ἔοικεν ἐναντία λέγειν, contraria veritati dicere videtur illorum ἑύρημα inuentum, qui sine cognitione LOGICES, Artes atque Scientias addisci posse autumant, eò, quod quaelibet scientia suas definitiones, diuisiones ac demonstrationes, non ex Logica petat, sed à se ipsa habeat: experientia etiam testetur, Logicae ignaros, ratiocinari tamen ac definire res ipsas posse. [. . .] [G verso] ERGO ἀφιλοσόφως illi agunt, qui Objectum LOGICES, AVT Ens Rationis, & δευτέρασ [sic] ἐπιθέσεις, secundas intentiones; AVT Argumentationem; AVT Demonstrationem ponunt: idque eam ob causam, quod Logica, AVT Entis rationis & δευτέρων νοημάτων, secundarum notionum, AVT Argumentationis, AVT Demonstrationis principia, partes seu species & proprias affectiones perpendat. Nam licet haec illorum probatio talis sit, vt veram notam ac proprietatem obiecti cuiusque scientiae comprehendat: tamen DVO adhuc alia praeter haec, ad Obiectum scientię alicuius aut artis requiruntur. PRIMVM, vt subiectum sit καθ’ ἀυτὸ καὶ οἰκεῖον, per se & proprium: οὐ γὰρ δεῖ ἐξ ἄλλου γένους μεταβάντα δεῖξαι: vt inquit Philosophus I. post. c. 7. t. 20. Non enim oportet ex Vno genere in aliud demonstrando transire. ALTERVM, vt Subiectum sit genus, & sub se species in illa Disciplina traditas comprehendat. SECVNDAE autem NOTIONES seu INTENTIONES, hoc pacto, iuxta priorem proprietatem, Logicę Subiectum non sunt: siquidem Logicę tanquam speciei & per se non competit, considerare ENS rationis & secundas intentiones, sed qua- [G2] tenus est Ars Rationis quae generatim etiam Logica dicitur: ac Grammaticam, Dialecticam & Rhetoricam complectitur. Neque etiam ARGVMENTATIO ex secunda proprietate Obiectum Logicae dici potest: Siquidem omnis Argumentatio ἀναλύσει & resolutione Logica, ad Ratiocinationem reduci potest: nullamque concludendi vim habet, nisi quatenus numero cum illa eadem est: Siue Inductio illa sit, siue Exemplum, siue Enthymema: ut praeclarè Aristoteles 2 prior. Anal. docet Multò verò minus DEMONSTRATIO Obiectum Logicae est: cùm nullum genus, sed quasi ima species sit, idque non ratione Formę, sed Materiae saltem respectu. ERGO οὐχ ἱκανῶς sufficienter τ’ἀληθὲς κρίνειν δοκοῦσι, qui malè LOGICAM in Inuentionem & Iudicium distribui opinantur: Eò, quod hęc Diuisio Aristotelis libris, vtpote à Stoicis inuenta accommodari nequeat: ita deinde Inuentio & Iudicium sint connexa, vt disiungi nulla ratione queant: atque idcirco ἀντιδιηρημεναι διαφοραὶ & contradistinctae differentiae dici neutiquam possint. Ludunt enim hi, ὕστερον πρότερον vt agamus, in vocabulo IVDICII, quod πλεοναχῶς

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λέγεται. Licet enim IVDICIVM MATERIAE ab Inuentione, vtpote numero idem cum ea, separari nequeat: tamen IVDICIVM FORMAE neutiquam cum Inuentione connexum est: quippe cùm huic ἀντιδιηρημένωσ [sic] contradistinctè opponantur. Neque secundo loco sequitur, Diuisionem illam propterea vitiosam iudicandam esse quod Aristotelis accommodari libris ἁπλῶς & simpliciter nequeat: cùm, licet non ita Ordo Logicę Aristotelis notari possit, vt continenter tradantur, quę ad Inuentionem pertinent: & cohaerenter, quae ad iudicium spectant: tamen ipsa [G2 verso] materia in Organo Aristotelis comprehensa, commodè ad haec DVO membra accommodari potest. Ita enim liber Prędicamentorum, Posteriora Analytica, Topica & Sophistici Elenchi, Inuentionem attingere; Iudicium autem libri περὶ ἑρμηνείας, & Priora Analytica informare dicuntur. ERGO παχυλῶς καὶ ὡς τυπῷ, pingui & rudi Minerua loqui illi videntur,qui LOGICAM, nulla probabilitate adducti, Scientiam esse propriè opinantur. Nam, quo pacto Logica, siue VTENTEM, siue DOCENTEM (ita enim authores huius sententiae Logicam, quamuis non malè, distinguunt:) sumas, ἐπιστήμη scientia dici potest? [keine sc. utens, da Wissenschaft niemals die Logik selbst behandelt, sondern nur aufgrund ihrer Vorgaben; keine sc. docens, da von den notiones primae handeln; keine sc. theoretica, da sie ein Resultat hervorbringt; aber auch keine sc. practica, da sie nicht vom Willen, sondern allein vom Intellekt der Vollendung zugeführt wird. [G3] ERGO πλάσματα & figmenta mentis illorum est Opinio ponenda, qui LOGICAM Habitum Organicum esse putant: ac Habitum ALIVM Organicum, ALIVM Principalem, absque tamen vllo fundamento, faciunt. [Schon den aktiven Wissenschaften kann der Status eines habitus principalis nicht wirklich zuerkannt werden, da er aufgrund seiner Prominenz nur den kontemplativen Wissenschaften zukommen kann; noch viel weniger aber kann er daher der Logik zugestanden werden.] 8. Hauenreuther, L./Fabinus, Daniel: Syzetesis de natura logicæ, 1599 ΣΥΖΗΤΗΣΙΣ DE NATVRA LO- // GICAE: EX ARISTOTELIS // ORGANO CONGESTA: AC SECVN- // dum quatuor Apodicticarum quæ- // stionum genera digesta: // Quam // D. F. E. V. S. // In Scholis Philosophorum Inclyte Argentora- // tensium Academiæ: // SVB PRÆSIDIO // CLARISSIMI ATQVE DOCTIS- // SIMI VIRI, Dn. IOHANNIS LVDO- // VICI HAVVENREVTERI, Philosophiæ & Me- // dicinæ Doctoris: // Publici Exercitij gratia discutiendam // proponit // DANIEL FABINVS // Epperiensis Pannonius. // Mense Nouembri. // ARGENTORATI // Excudebat Antonius Bertramus, Academiæ // Typographus M.D.IC. – H 830 [A 2:] ΣΥΖΗΤΗΣΕΩΣ DE NATVRA LOGICAE

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THESIS I. Cum omnes homines naturâ ducantur ad scientiæ cognitionisque cupiditatem: vt docet Aristot. lib. α maiore Met. c. 1. & Cicero lib. 5. de Finib. fol. 136. LOGICA vero vel DIALECTICA sit τρόπος τῆς ἐπιστήμης, modus scientiæ comparandæ: lib. α min. Metaph. c. 3. t. 15 & ad omnium scientiarum principia viam contineat: lib. 1. Topic. c. 2. atq[ue] etiam communicet cum omnibus scientijs: lib. 1. Post. Anal. c. 8. tex. 27. Nos pro hoc tempore, exercitij gratia, vt eò familiarior nobis LOGICA reddatur; de eius NATURA agere constituimus. 2. Quia verò Natura cuiusque rei, aliâ ratione cognosci non potest: nisi CAUSAE eius considerentur: lib. 1. post. c. 2. t. 5. & 10. Causa autem tum scitur: cum res aliqua per ἀπόδειξιν probatur lib. 2. Post. c. 8. tex 8. Ideo in Logicæ Natura inquirenda, diligenter APODICTICAE QVAESTIONES considerandæ veniunt: quæ Scientiam rei alicuius veram & certam asserunt. lib. 2. Post. c. 1. botex. 1. 3. Cum autem QVATVOR generibus quæstiones illæ contineantur: & PRIMO ἐί ἐστι [sic], AN scilicet res aliqua SIT; SECUNDO τί ἐστι, QVID SIT; TERTIO ὅτι ἐστι QVALIS sit; QVARTO διότι ἐστι QVAMOBREM sit, quæratur lib. 2. Post. Anal. c. 1. tex. 1. Nos præceptum Aristotelis secuti, has quæstiones in Logicæ Natura investiganda, observabimus. I. QVAESTIO: ἐί ἐστι ἡ λογικὴ 4. Quod ergo attinet τὸ ἐί ἐστι ἡ λογικὴ AN SIT Logica? rectè primo loco illud considerandum venit. Est enim in omni [A2 verso] doctrina necessarium scire, an sit illud, de quo agere quisque constituit. l. I. Post. Anal. c. I. t. I. & l. 2. Post. c. 9. tex. 8. ait Philosophus: inane esse scire quid res sit, cum eam esse nesciamus. 5. Licet autem τὸ ἐί ἐστι Logicae inquirere, alicui fortè ineptum videatur: cùm Logicam ESSE & existere, per se sit manifestum: supervacaneum autem videatur, res manifestas investigare: l. I. Ethic. Nicom. c. 4. & I. Eudeum. c. 2. ridiculum quoque sit, auctoritatibus & rationibus probare velle ea, de quibus sensus fidem facit. l. 2. Phys. c. I. tex. 11. & l. 8. c. 3. tex. 26. Ne tamen contra praeceptum Aristotelis fecisse videamur: quo quaestiones praedictas, εὐτάκτως considerandas esse praecipit: Logicam ESSE, demonstrare conabimur. 6. Quaestio autem haec ἐί ἐστι, AN SIT, διττῶς DVPLICITER cognosci solet: VEL καθ’ ἁυτὸ PER SE & ex ESSENTIALIBVS: VEL κατὰ συμβεβηκὸς, PER ACCIDENS, & ex EVENTV l. 2. Post. c. 9. t. 8. 7. Per ACCIDENS ERGO & ex EVENTV, Logicam esse (liceat enim ὑστερολογίαν nobis instituere) inde quis colligere potest: quod quovis tempore Logici extiterint: qui summum sibi honorem hâc suâ arte Logicâ tanquam culmine & apice in summo fastigio collocatâ, vt Plato illam l. 7. de Repub. nominat, compararint: Quae etiam per illos manifestata fuit. Quoniam enim Logica, veluti Qualitas, accidit homini:

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qualitates autem abstractae cognosci commodius nequeunt; quàm ex suis concretis: ideo quoque ex ipsis Logicis, Logicam esse, evinci potest. 8. Καθ’ ἁυτὸ verò, PER SE & ESSENTIALIBVS Logicam esse, ratio ipsa conunincit, & experientia quoque te- [A3] statur: dum demonstrat eius, veluti instrumenti scientiarum, & modi omnis eruditionis ac disciplinae, vt Aristot. eam nominat. l. 8. Topic. c. 5. & l. α min. Metaph. c. 3. t. 15. & explicat l. I. Post. Anal. c. 2. tex. 5. & L. I. Top. c. 2. tantam esse vim ad verum à falso discernendum: vt sine ea quicquam ferè agi non posse videatur. 9. Quam ad rem, vnanimus etiam Interpretum Aristelis [sic] consensus multum facit: qui vno ore dicunt, Logicam non saltem ESSE: sed eandem etiam ORGANI rationem in Philosophia habere: cui nos quoque fidem habere & possumus, & debemus: exemplo Aristotelis, qui plurimi fecit Philosophorum consensum l. α maiore Metaph. c. 7. tex. 50. & l. α min. Met. c. I. tex. 2. maximè si non contrarius ille fontibus ipsis, aut opinionibus verè sapientum esset. l. I. Top. c. 8. 10. Vnde etiam non immeritò inscribitur χεῖρ τῆς φιλοσοφίας, manus Philosophiae, & ὄργανον ὀργάνων, instrumentum instrumentorum: quod Aristoteles tanquam τρόπον τῆς ἐπιστήμης, adeò necessarium esse iudicavit: vt simul & semel τὴν ἐπιστήμην scientiam, κατὰ τρόπον τῆς ἐπιστήμης & modum scientiae quaerere & percipere, absurdum esse, dicere non dubitarit: cum praesertim vix aliquis tanto sit praeditus ingenio: qui vnum duntaxat ex illis facilè assequi possit. l. α min. Metaph. c. 3. tex. 15. 11. Atque haec de PRIMA quaestione ἐί ἐστι ἡ λογικὴ, dicta sufficiant. II. QVAESTIO: τί ἐστι ἡ λογικὴ 12. Quaestionem ἐί ἐστι, quaestio τί ἐστι sequitur: quandoquidem nec quaerere nec cognoscere possumus QVID sit: ni [A3 verso] si prius sciamus quod sit, id est, rem esse. lib. 2. Post. c. I. tex. I. & c. 9. tex. 8. Difficilè etiam est, rem aliquam accipere, quam non noveris: naturamque rei assequi, quam, sit nec ne, ignoraveris: praesertim cùm scientia cuiuscunque rei sit haec: vt, QVID SIT, cognoscatur, lib. ζ Metaph. c. 6. tex. 20. & lib. 2. Post. c. I. & c. 10. tex. 9. & c. 14. tex. 18. 13. Quia verò id aliâ ratione, quàm per DEFINITIONEM fieri nequit: & ad quaestionem τί ἐστι etiam pertinet considerare τοῦ ὀνόματος INTERPRETATIONEM, vt & eiusdem SIGNIFICATIONES, si multiplex illud fuerit lib. ζ Metaph. c. 5. tex. 19. & lib. 2. Post. c. 3. tex. 2. & c. 10. tex. 9. & lib. I. Top. c. 4. Idcirco antequam ad LOGICAE Definitionem investigandam accedamus, prius in NOMINE huius artis erimus occupati. 14. Neque enim Definitio rei definiendae propria esse, illave oratione vis atque natura rei universa contineri potest: li. 2. Post. c. 14. tex. 17. quoties τὸ ὁριζόμενον ipsum definitum, multis modis dicitur, neque explicatur. Sic enim incertum est, vtrius Definitionem explices. lib. 6. Top. c. 2. lo. 2.

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15. INTERPRETATIONEM ergò nominis quod attinet ; LOGICA haec ars dicitur ἀπὸ τοῦ λόγου, ab oratione ; eaque tàm ἔξω externâ & vocali: quam ἔσω internâ et mentali: vt li. 2. περὶ ἑρμενείας c. 4. & lib. I. Post. Anal. c. 8. tex. 25. & alijs locis Aristoteles innuit. DIALECTICA verò appellatur ἀπὸ τοῦ διαλέγεσθαι: quod significat familiariter cum aliquo colloqui & conferre. 16. Cum autem LOGICES vocabulum sit πολύσιμον: & perspicuum sit, non esse admittenda verba, quae de multis dicantur: li. 2. Post. c. 15 tex. 22. & li. I. Soph. Elench. c. 3. quot modis haec dicantur, est aperiendum. Hoc enim ma- [A 4] gnum ad perspicuitatem afferet adiumentum. li. Top. I. c. 14. & lib. 5. c. 2. lo. 2. & lib. 6. c. 2. lo. 5. & lib. 8. c. 3. 17. LOGICA itaque in TRIPLICI vsurpatur significatione. Sumitur enim vel GENERALISSIME pro omnibus artibus, quae circa τὸν λόγον sermonem seu orationem versantur: seu, vt Philosophi loquuntur, circa τὰ δεύτερα νοήματα ἢ δευτέρας ἐπιθέσεις secundos conceptus aut secundas intentiones. Quâ in significatione, illius TRES constituuntur partes: GRAMMATICA, DIALECTICA & RHETORICA: quae GENERE quidem conveniunt; eò quod omnes circa λόγον sont occupatae: SPECIE verò discrepant: siquidem Grammatica puritatem, Dialectica veritatem, Rhetorica verò, ornatum orationis spectat. 18. Vel paulo SPECIALIVS, pro arte Rationali seu Rationatrice: vt l. I. Top. c. 12. & I. Rhet. ad Theod. c. 2. & hoc modo totam artem complectitur ratiocinandi ex quavis materiâ! tàm necessariâ, quàm probabili & fallaci. 19. Vel denique SPECIALISSIME pro arte disserendi, quae in materiâ solùm probabili cernitur: vt lib. I. Post. Anal. c. 18. tex. 36. & c. 20. tex. 39. & lib. 2. c. 8. tex. 8. & li. 5. Topic. c. I. & li. ζ Metaph. c. 4. tex. 11. & li. 3. Phys. c. 5. tex. 40. quo modo idem est, quod Dialectica propriè dicta. 20. Quemadmodum autem vox Logicae ὁμωνύμως λέγεται & aequivocè vsurpatur à Philosophis: ita & DIALECTICAE quoque nomen διττότητα habet. Vel enim COMMVNITER accpitur pro tota arte Ratiocinandi ex quavis materiâ: atque hoc pacto Aristoteles Dialecticae nomen accipit, cum omnem Syllogismorum doctrinam ad totam Dialecticam, aut ad aliquam eius partem spectare dicit, li. I. Rhet. ad [A 4 verso] Theod. c. I. & l. 2. c. 22. & 24. & l. I. Soph. Elench. c. 2. & l. α maiore Metaph. c. 6. tex. 8. & l. μ c. 4. 21. Vel PROPRIE pro arte disserendi ἐνδόξως probabiliter: quae TOPICA quoque vocatur: l. 2. περὶ ἑρμενείας c. 3. & l. I. Prior. c. I. & 31. & l. I. Top. cap. I.2.8.9 & 10. & l. 8. c. 1. & l. I. Soph. Elench. c. 2. & multis alijs in locis. 22. Itaque tàm DIALECTICA quàm LOGICA, modò pro TOTA facultate, modò pro eius PARTE sumitur: ideoque & hunc usque in diem in Scholis, omnis illa doctrina, quae in ORGANO Aristotelis continetur, Logica sive Dialectica rectè nominatur: siquidem res certis & vsitatis nominibus appellandae sunt: quoniam quicquid invsitatum est: id etiam obscurum esse solet l. Top. 2. c. 2. loco 5. & l. 6. c. 2. lo. 5.

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23. Cum autem non magis uno ex his vocabulis, quàm altero nobis vti licere, constet: τῆς ὁμωνομίας vitandae causa, optimè cum reliquis Aristotelis Interpp. Zabarella eorum proprietatem notasse videtur: vt DIALECTICA veluti PARS seu SPECIES Logicae, solam disputatricem facultatem significet: LOGICA verò tanquam TOTVM & GENVS, totam disciplinam denotet: quae ratione commodè vti, recteque rationari doceat, Zabar. l. I. de natura Logicae. c. 8. 24. Cognitâ ergo Nominis & EXPLICATIONE & AMBIGVITATE: ὁ τῆς οὐσίας λόγος ac DEFINITIO ipsa consideranda sequitur. l. 2. Post. c. 14. tex. 18. 25. Quamvis autem Logicae, varij varias tradant Definitiones: quasdam angustas nimis: quasdam accuratas quidem, minus tamen perfectas: Nos, his mißis, cum Definitionum TRIA sint genera: MATERIALE, FORMALE &[B] COMPOSITVM: vt lib. 2. Post. c. 10. tex. 10. docetur: secundum haec omnia, ex Aristotele Logicam definiemus. 26. Ac PRIMO quidem MATERIALEM quod attinet LOGICAE definitionem: colligi illa facillimè potest ex OBIECTO Logices: quod est ὁ συλλογισμὸς RATIOCINATIO. Huius namque veluti generis Subiecti, & principia & species & affectiones explicantur in Logicis: vt infra ostendetur: qua veluti requisita sunt, Subiecti alicuius artis vel scientiae: vt lib. I. Post. Anal. cap. 23. tex. 42. traditur. Hinc ergo Aristoteles eam definit lib. I. Rhet. c. I. δύναμιν εἰδεῖν περὶ τοῦ συλλογισμοῦ: facultatem vel artem ratiocinandi & concludendi. 27. FORMALIS verò ex lib. 8. Top. cap. 5. confici potest: vbi LOGICA dicitur esse ὄργανον πρόστε τὴν γνῶσιν καὶ τὴν κατὰ φιλοσοφίαν φρόνησις; instrumentum ad cognitionem & prudentiam Philosophicam comparandam. Vnde definiri potest; Instrumentum seu ars instrumentalis, quâ verum à falso, & bonum à malo separamus. 28. COMPOSITA verò Definitio, ex his talis oritur: quod videlicet LOGICA sit facultas ratiocinandi: qua tanquam instrumento, in singulis disciplinis verum à falso in contemplando, & bonum à malo in agendo separamus. 29. Atque haec est omnium perfectißima Logicae Definitio: quae omnes in se causas continet. Compraehendit enim in se MATERIAM 1 OBIECTVM Logicae: quod est RATIOCINATIO. lib. I. Rhet. c. I. Et FORMAM, quod sit instrumentum. lib. 8. Top. c. 5. sub quo, genus Definitionis, FACVLTAS sc. seu ARS continetur. Et EFFICIENTEM quod SEPARET: Et FINEM, quod VERVM à falso ac BONVM à malo distinguat. lib. I. Top. c. 2. & II. & lib. 3 de animo c. 7. tex. 34. [B verso] III. QVAESTIO: ὅτι ἐστι ἡ λογικὴ 30. Explicatis duabus quaestionibus, εἰ ἐστι & τί ἐστι: sequitur nunc de quaestione ὅτι ἐστὶ, QVALIS SIT Logica, vt agamus: deque ipsius in PARTES divisione,

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dicamus. His enim ignoratis, Logicae disciplinae Natura plenè cognita esse non potest. Zabar. de natura Logicae lib. 2. c. I.^ 31. Vt enim POTESTAS in rebus ipsis NATVRAM: ita DIVISIO, quae est potestatis explicatio, DEFINITIONEM proximè sequitur; & ad partes totius diciplinae rectè disponendas non parum juvat. lib. 2. Post. c. 14. t. 18. & 19. lib. 2. Phys. c. I. t. I. lib. 3. c. I. t. I. & lib. 2. de animo c. I. t. 2. 32. LOGICA itaque ab Aristotele, & eius Interpretibus QVINQVE potißimùm modis dividitur. PRIMO enim dividitur ratione causae EFFICIENTIS, in φυσικὴν NATVRALEM, & τεχνικὴν ARTIFICIALEM: vt apparet ex lib. I. Soph. Elench. c. 11. & lib. I. Rhet. c. I 33. Cùm enim homo sit animal λογικὸν, ratione vtens: lib. 5 de Gener. anim. c. 7 solique homini ex omnibus animantibus sit sermo tributus: Polit. lib. I. c. 2. & Rhet. ad Theod. I. c. 1. vtpote qui omnium animalium prudentißimus: vt in Problem. Aristot. sect. 30. quaest. 3. dicitur: omnino omnis homo τῇ φύσει NATVRA & sine arte, Logicae est particeps: quod etiam Aristoteles in dicto Rhet. lib. I. c. I. innuere videtur: imò apertè docet lib. I. Soph. Elench. c. 11. 34. Si ergo praeter caeteras animantes, solus homo boni & mali, iusti & iniusti à naturâ sensum habet, lib. I. Polit. c. 2. atque armis instructus nascitur, Prudentiâ sc. & Virtute, vt ibidem dicitur: non incommodè dicemus, Logicam in- [B2] stinctum quendam naturalem & vim quandam esse, nullo humano studio comparatam: quâ hominus penitus indocti, argumentationes faciant. Sophist. Elench. lib. I. c. I. & II. 35. ARTIFICIALIS verò ex Naturali profecta videtur. Cum enim Natura sit potentior & constantior arte: ars eam non modo imitatur!: sed & imitari debet lib. 2. Phys. c. 2. t. 22. ideoque Veteres Philosophandi rationem ac methodum expendentes, ad regulas & ad artem eam redegerunt: & Logicam, quae Artificiosa dicitur, composuerunt. 36. Vnde fit, vt DIALECTICVS & PLEBEI saepè eodem modo argumententur: sed tamen differant: quod ILLE cognitos habeat interrogationis modos: & sciat, quomodo adducatur in repugnantiam: PLEBEI autem, & homines agrestes, praeceptorumque Logicorum ignari, faciant interrogationes artis expertes: hoc est, ut breviter & Logicè loquamur: ille τὸ διότι: hi autem τὸ ὅτι considerent: vel, vt Aristoteles loquitur lib. I. Soph. Elench. c. 11. hi ἀτέχνως καὶ μὴ καλῶς inartificiosè & minus commodè, ille autem ἐντέχνως καὶ καλῶς, artificiosè & benè argumentetur. 37. Vnde sine omni dubitatione colligere certòque affirmare possumus, Logicae modum à Naturâ quidem incipere: perfici autem arte, vsu & exercitationes, vt ait Alb. Magnus de Praedicab. Vsu enim atque exercitatione hominibus ars & scientia comparatur: lib. α Maiore Metaph. c. I. & Rhet. lib. I. c. I. 38. SECVNDO, cùm παιδεία ERVDITIO, vt Aristoteles lib. I. de part. anim. c. I. innuere videtur, sit DVPLEX: & alia sit περὶ πάντων, ac circa omnes res

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versetur, sive sit VNIVERSALIS: alia autem περὶ ἓν μόριον, circa vnam partem rerum, quae sciuntur, & PARTICVLARIS sit: etiam LOGICA [B2 verso] seu DIALECTICA, quae hoc παιδείας nomine, citato in loco, & I. Ethic. c. 3. determinatur ; secundum hanc Divisionem à quibusdam in DOCENTEM & VTENTEM divitur. 39. Dicitur autem DOCENS Logica, quae praecepta complectitur vniversalia, omnibus artibus et scientijs vtilia: vnde etiam VNIVERSALIS seu COMMVNIS dici potest: quod sit non solum artium & scientiarum, sed etiam totius Philosophiae Instrumentum: quale ab Aristotele in Organo traditur: vt patet ex lib. I. Post. Anal. c. 11. & Top. 8. c. I. & lib. 2. de Gen. an. c. 8. 40. VTENS verò nominatur, quae vnicuique scientiae est propria, ac PARTICVLARIS appellatur: quia illa ipsa praecepta, quae Docens seu Vniversalis tradit, ad certam artem realem adhibet, & quae ei insunt per se, considerat. lib. I. Post. c. 10. t. 4. Et nunc Physiologia seu Physica logicè tractata, accommodata nimirum ad res naturales; nunc Mathematica, ad Mathematicas adhibita; & sic consequenter nominatur, pro vt arti alicui applicatur. 41. TERTIO Logica PER SE considerata, etiam dividitur in INVENTIONEM Materiae, & IVDICIVM Formae: vt colligitur ex lib. I. Prior. Anal. c. 33. & Top. 8. c. I. INVENTIONEM enim attingit liber Categoriarum, Posteriora Analytica, Topica & Sophistici Elenchi: IVDICIVM autem Logicum informant libri περὶ ἑρμηνείας, & duo libri Priorum Analyticorum. 42. QVARTO, Logica, quae ab Aristot. in ORGANO traditur, à Thomâ Aquinate pro TRIPLICI operatione INTELLECTVS, de quâ Philosophus agit. lib. 3. de animo c. 6. t. 21 ex causa EFFICIENTE in TRES partes divi-[B3] ditur: quarum PRIMA est τῆς νοήσεως τῶν ἀδιαίρέτων, APPRAEHENSIONIS simplicium, quae simplici intellectu concipiuntur: & huic inservit liber Categoriarum. 43. SECVNDA συνθέσεως καὶ διαιρέσεως τῶν νοημάτων, COMPOSITIONIS est & DIVISIONIS rerum intelligentiâ compraehensarum, seu Enunciationis affirmativae & negativae: ad quam pertinent libri περὶ ἑρμηνείας. 44. TERTIA est λογισμοῦ ἢ διανοίας, DISCVRSUS seu RATIOCINATIONIS, quae procedit à notis ad ignota: de qua determinavit Aristoteles in libris Priorum Analyticorum & sequentibus omnibus: in quibus agitur de Syllogismo tàm in GENERE, quàm in SPECIE: & tàm ratione FORMAE, quàm ratione MATERIAE necessariae, probabilis, fallacis. 45. QVINTO &POSTREMO, ex Organo Aristotelis ratione MATERIAE & OBIECTI, quod est RATIOCINATIO, vt lib. I. Rhet. c. I. traditur, LOGICA in DVAS dividitur partes: quarum Vna est RATIOCINATIO ipsa: altera eiusdem PARTES: quae rursus sunt DVPLICES: Aliae SIMPLICISISSIMAE, quae respondent primus rerum naturalium principijs: vt sunt primi termini: qui explicantur in libro κατηγοριῶν & in εἰσαγωγῇ Porphyrij: quam melioris intelligentiae causa, huic adiungere possumus.

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Aliae ex his COMPOSITAE: quae similes sunt Elementis: de quibus praecipitur in libris περὶ ἑρμηνείας. 46. Tota verò RATIOCINATIO consideratur vel ratione FORMAE: quae DVPLEX est: alter ESSENTIALIS, de quâ agitur lib. I. Prior. Analyt. vbi species Ratiocinationis ex forma ortae, exponuntur. Altera ADVENTITIA & ACCIDENTALIS, de quâ tractatur in lib. 2. Priorum Analyt. vbi propriae affectiones Ratiocinationis traduntur. [B3 verso] 47. Vel ratione MATERIAE: quae partim est NECESSARIA, & explanatur in libris duobus Posteriorum Analyticorum: partim PROBABILIS, in libris octo Topicorum, partim FALSA & CAPTIOSA, in duobus libris Sophisticorum Elenchorum. IV. QVAESTIO: διότι ἐστι ἡ λογικὴ 48. Explicatâ quaestione τοῦ ὅτι ἐστι, QVALIS sc. sit ἡ λογικὴ: necessariò & proximè secundum postscriptum Aristotelis, quaestio τοῦ διότι ἐστι, & CVR SIT Logica, venit explicanda, lib. 2. Post. Anal. c. I. t. 2. & c. 2. t. I. & c. 9. t. 8. 49. Haec autem quaestio τοῦ διότι, qua CVR & QVAMOBREM quidque sit, quaeritur ; non incommodè & ad MATERIAM, & ad FORMAM, & causam EFFICIENTEM ad FINEM etiam, explicando referri potest: lib. 2. Phys. c. 7. t. 72. MATERIAM autem & FORMAM in praecedentibus explicavimus: de causâ EFFICIENTE & FINE quoque in huius quaestionis explicatione vt agamus, opus est. 50. Quia vero causam EFFICIENTEM esse DVPLICEM, constat: aliam PRIOREM seu VNIVERSALEM & REMOTAM: aliam POSTERIOREM seu PARTICVLAREM & PROXIMAM: lib. 2. Phys. c. 3. t. 32. utramque hanc, in Logicae Natura inquirenda, considerare convenit. 5 1. Quod ergo PRIMO ad causam EFFICIENTEM PRIMARIAM, sub quâ origo Logicae continetur, attinet: illam DEVM Opt. Max. statuimus: qui Logicam primo cum homine ADAMO initium capere voluit. 52. Cùm enim summae sapientiae sit, rebus nomina imponere, vt Plato in Cratylo fol. 50 ait: Adamus autem omnibus rebus nomina imposuerit; etiam à DEO approbata, vt Genes. 2. ver. 19. & 20. docetur: hanc Logicae efficaciam ADAMVM jam tum habuisse, manifestum est. [B4] 53. Et quia PRIMVS ὀνομαθέτης fuit constitutus: id autem sine Ratiocinatione, veluti discursu à noto ad ignotum, vix facere potuisset: eam Logiae vim, φυσικὴν δύναμιν seu ἐπιτηδειότητα, naturalem quandam esse aptitudinem, non male dicimus. Vnde etiam omnes Idiotas quodammodo eâ vti, eamque in omnibus à naturâ inditam videmus: vt cum ex supra citatis ex Aristotele locis patet: tùm etiam ex lib. Soph. Elench. I. c. 11. perspicuum est. 54. Neque ratio huius καταφάσεως obscura est. Est enim ὁ ἄνθρωπος HOMO, ζῶον λογικὸν, animal rationale: vt supra ex lib. 5. de Gener. anim. c. 7. demonstratum: vel vt lib. α maiore Metaph. c. I. & lib. 7. Polit. c. 13. traditur, solvs ex tot

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animantium generibus, particeps rationis atque cogitationis. Ratio autem illa consistit in terminorum, propositionum & ratiocinationum appraehensione: vt significatur in 6. Ethic. Nic. c. I. & Eudem. lib. 5. c. I. & 2. & lib. 3. de animo c. I. 55. SECVNDO verò, POSTERIOR seu SECVNDARIA ac PROXIMA Logicae, ad certa redactae praecepta, & perfectè ac methodicè tradite, causa est, ὁ τῆς ἀληθείας φιλόσοφος, veritatis Philosophus ARISTOTELES (ita enim Plato illum nominavit, vt refert Coelis Rhodiginus lib. 29. antiq. lect.) quod de seipso Philosophicâ quâdam modestiâ, idem testatur Topic. lib. I. c. I. & lib. 2. Soph. Elench. c. 9. vt & omnes quoque ipsius Interpretes. 56. Ante ipsum enim ἡ φυσικὴ λογικὴ & NATVRALIS saltem Logica fuit exaltata: vt ex antecedentibus patet: quae est τοῖς πολλοῖς & multis communis. Et licet valdè lubrica sit ac incerta: lib. I. Soph. Elench. cap. I. tamen veteres Philosophi non aliâ quàm illâ ipsâ imbuti fuisse videntur: [B4 verso] testante Platone in Theaeteto, & Aristotele libro α. min. Metaph. c. 3. t. 15. 57. Quam ob causam etiam, cum quidam illorum animadverterent, se minus commodè philosophari posse: imò tantâ cum difficultate: tantoque cum labòre: vt pauci admodum illorum, & ij tantum, qui perspicacißimo essent ingenio, Philosophiâ & cognitione rerum potirentur: praeceptis Logicam compraehendere coeperunt, vt ostendit Aristoteles in Sophisticis Elenchis. 58. Quia verò οὐ πρός τέχνην, ἀλλὰ πρὸς τὴν τέχνης χρήσιν non ad ARTEM, sed ad artis VSVM respiciebant: & περὶ τῆς ἐπιστήμης λόγους μισθαρνόυντες, in litigiosis disputationibus quaestum facientes, citra artem vllam discipulos suos docebant, eorum etiam Aristoteles opera non fuit vsus: neque inventis illorum quicquam aliud adiecit. lib. 2. Soph. Elench. c. vltimo. 59. Et quoniam vidit, in DIALECTICIS οὐ τὸ μὲν εἶναι, τὸ δ’οὐκ εἶναι, ἀλλ’ οὐδὲν παντελῶς ὑπάρχειν, non aliud esse, aliud non esse excultum, sed prorsus nihil extare: vt facilem alijs viam philosophandi redderet: omnem illam rationem ad Methodum certam & LOGICAM artem, quae alijs opem ferret, composuit: & quandam facultatem syllogisticam, de re ad disserendum propositâ ex ijs, quae sunt maximè probabilia, invenire instituit: vt lib. 2. Soph. Elench. c. vltimo ipsemet ostendit. Insuper etiam rationem demonstrandi aliquid ex veris causis, vt & quovis modo argumentandi, conscrippsit, vt libri illius testantur. 60. Postquam jam de vtraque causâ EFFICIENTE, & PRIORE & POSTERIORE egimus: sequitur & in doctrinae, & naturae ordine, FINALIS quoque vt consideretur: [C] quae & ipsa hanc ad τοῦ διότι quaestionem cognoscendam pertinere videtur. Efficiens enim causa ad finem referri solet. lib. γ Met. c. 2. t. 3. 61. Finis autem DVPLEX esse solet: lib. Ethic. Nicom. I. c. I. & lib. Mag. Mor. I. c. 3. & lib. Phys. 2. c. 2. t. 23. & c. 8. t. 85. & lib. 2. de animo c. 4. t. 37. & lib. 2. de Gen. an. c. 6.

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62. Alius enim est οὗ Cuius & INTERMEDIVS: qui semper dirigitur in alium aliquem finem, veluti vltimum. Vt fines aegroti sunt, venae sectio, medicamenta & alia: quae veluti media adhibentur ad alium finem consequendum. 63. Alius autem ὧ Cui & VLTIMVS, cui intermedius, qui varius esse potest, inservit. Plura enim unius rei consequendae gratia, adhibentur media, donec illa comparetur: quo pacto eius, qui aegrotat, finis est Sanitas. 64. Finis itaque Logicae οὗ Cuius & INTERMEDIVS ab Aristotele dicitur esse τὸ ἐνδείκνσθαι τὸν τρόπον τῆς ἐπιστήμης, demonstrare modum sciendi: κατὰ εἶναι οἷον παιδεῖάν τινα & esse quasi eruditionem quandam: lib. I. Post. Anal. c. 2. t. 5. & lib. I. Top. c. 2. & lib. α min. Metaph. c. 3. t. 15. & lib. I. de part. anim. c. I. 65. Hanc enim qui κατὰ λόγον, & cum ratione appetit: magnum fructum ex eius cognitione consequitur: lib. I. Ethic. c. 4. & lib. 10. c. 9. & lib. I. Mag; Mor. c. I. Dicitur enim πεπαιδευμένος eruditus, κ’ἀγαθὸς κριτὴς & aequus aestimator: siquidem de singulis, quae novit, verè judicare potest. lib. I. Eth. c. 3. 66. FINIS verò Logicae ὧ CUI & VLTIMVS est, ἐν ἑκάστοις κατοψόμεθα τἀληθές τε κατὰ τὸ ψεῦδος: in singulis perspicere & discernere verum à falso: lib. I. Prior. Anal. c. 31. & lib. I. Post. c. I. & c. 15. t. 34. & lib. I. Top. c. 2. Verum enim [C verso] & falsum, eorumque cognitio non modo in CONTEMPLATIVA, sed etiam in ACTIVA PHILOSOPHIA & in omnibus ARTIBVS locum habent: vt asserit clarè Aristoteles in 2. c. lib. 6. Ethic. 67. Hinc ergo maxime VTILITATES Logicae in vita humana nascuntur: quarum PRIMA ab Aristotele ipso proponitur TRIPARTITA: cum inquit: ἡ πραγματεία τῆς λογικῆς χρήσιμος ἐστι δὴ πρὸς τρία: πρὸς γυμνασίαν, τρὸς τὰς ἐντεύξεις καὶ πρὸς τὰς κατὰ φιλοσοφίαν ἐπιστήμας: LOGICA tractatio vtilis est ad TRIA: ad EXERCITATIONES, ad CONGRESSVS & ad PHILOSOPHICAS SCIENTIAS. lib. I. Topic. c. 2. Ac licet ad solam TOPICAM seu DIALECTICAM in specie sic dictam, ab Aristotele, loco allegato referri videatur: non tamen ineptè TOTI quoque ARTI ratiocinandi accommodari potest. 68. ALTERA per omnes est ARTES atque SCIENTIAS diffusa. Si enim singulas, quas vocant facultates, lustrando tantum quasi percurramus: facilè apparebit, nos in alijs disciplinis commodè & cum fructu, sine Logica versari non posse. Non enim facilè in singulis verum & falsum perspiciemus. 69. Quod enim primò ad THEOLOGVM attinet: is recto stare talo absque Logicis praeceptis nequit. Eum enim D. Paulus ad Tim. I. vult esse δίδακτον qui doceat: & qui possit ἐξελένχειν τοὺς ἀντέλέγοντας, redarguere seu conuincere contradicentes: & ὀρθοτομεῖν τὸν τῆς ἀληθείας λόγον, orationem veritatis rectè secare: quod sine Logica, vt ex hactenus dictis facilè colligere licet, neutiquam fieri potest. 70. IVRECONSVLTVS deinde, licet praeceptis Logicis non videatur astrictus esse: quin potius ex Legibus sua [C 2] confirmet: tamen ipsius scientia, IVRISPRVDENTIA

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scilicet, sine Logica ad certa praecepta revocari non potest: teste Cicerone haud imperito Iureconsulto, lib. I. de Oratore. Vnde etiam Servium Sulpitium, propter huius doctrinae cognitionem omnibus reliquis Iureconsultis praefert, in Bruto fol. 178. Quin & ipse quoque D. Imp. Iustinianus, jus suum, Logicae auxilio disposuit atque conscripsit. 71. Quantam porro vtilitatem in MEDICINA habeat Logica, aperuit Galenus: qui non modo Aristotelis Logicos libros commentarijs illustravit: verum etiam paßim de sui temporis Medicis conqueritur: quod Medicinae sibi perfectam scientiam attribuant, neglectis Logicis praeceptis: vt tum ex lib. 2. de Temperamentis c. 2. &. 7. Methodi med. c. 5. tum alijs locis multis patet. 72. In PHILOSOPHIA denique quid vtilitatis adferat Logica: luce meridianâ clarius liquet. Si enim illâ destituti essemus: rectè definire aut dividere non possemus. Lib. α ma. Metaph. c. 6. t. 8. & lib. μ c. 4. siquidem Dialectia in ijs periculum facere solet, quae Philosophia cognoscit, lib. γ. Metaph. c. 2. t. 5. 73. Vnde etiam sit: vt hanc ignorantes: perfectam cognitionem nullo modo acquirere poßint: imò in infinitos errores incidant: eò quod non quid approbandum au refellendum, intelligant. Id quod Veterum Philosophorum exemplum satis comprobat: qui δι’ ἀπαιδευσίαν τῶν ἀναλυτικῶν, ἢ ἰσχὺν τῆς διαλεκτικῆς, ob solam artis Analyticae imperitiam, seu robur Dialecticae incognitum, saepè hallucinati sunt: vt multis in locis & praecipuè lib. α maiore Metaph. c. 6. t. 8. & lib. γ. c. 3. t. 8. & lib. μ. c. 4. & lib. I. Phys. c. 2. t. 10. & c. 3. t. 22. & 25. & lib. I. de part. anim. c. I. & alibi Aristoteles ostendit. [C 2 verso] 74. Atque haec ad LOGICAE NATVRAM indagandam pertinere putavimus: deque eâdem hactenus allat, συζητήσεως loco proponere voluimus. CORONIDIS LOCO has προσθήκας subijcere placuit. I. Vtrum DVBIORVM solutio, sit veritatis inquisitio, nec ne ? Affirmamus: secuti τὸν τῆς ἀληθείας φιλόσοφον Aristotelem, qui inquit: τοῖς εὐπορῆσαι βουλομένοις ἐστὶ πρὀύργου, τὸ διαπορῆσαι καλῶς: quicunque Veritatis compotes esse volunt: eos operae precium est prius benè & diligenter dubitare: & quae ambiguos & contrarios sermones admittunt, probè significare: vt ex dubijs orationibus considerando & exquirendo veritatem, ad id, quod perspiciendum est, perveniatur, αἱ γὰρ τῶν ἐναντίων ἀποδειξεις, ἀπωορίαι περὶ τῶν ἐναντίων εἴσιν: καὶ ῥᾶον οὕτως ἰδεῖν τἀληθὲς ἐσταὶ: ἡ τ’ἀκριβὴς τῆς ἀληθεῖας εὕρεσις ἐστὶ ἡ τῆς ἀπορίας λύσις. Demonstrationes enim contrariorum, dubitationes de contrarijs sunt: & sic facilè quod verum est, perspicitur: veraque & accurata Veritatis inventio, est Dubitationis

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solutio. lib. γ. Met. c. I. t. I. & lib. Ethic. Nic. 7. c. 2. & lib. 2. Mag. Mor. c. 6. & lib. I. de Coelo c. 10. t. 101. & lib. I. de animo c. 2 .t. 19. II bis V [V im übergang zu C3 verso] Zwei Epigramme, Georgius Carolus, Michaël Pieczkonius Smrzicky à Radosticz Bohemus (letzteres bis C4 recto) 9. Pacius, Julius: Institutiones Logicae, 1600 IVL. PACII // A BERIGA // INSTITVTIONES // LOGICAE, // IN VSVM SCHOLARVM // BERNENSIVM // editae. // Quibus non solùm vniversa Organi Aristotelici // sententia breuiter, methodicè, ac perspicuè contine- //tur: sed etiam syllogismi hypothetici, & me- // thodi, quorum expositio in Organo deside- // ratur, & in vulgatis Logicis aut // omittitur, aut imper[fe]ctè tra- // ditur, plenè ac diluci- // dè explican- // tur. // Cum gemino indice, vno capitum, a // ltero rerum & verborum memorabilium. // BERNAE // Excudebat Ioannes le Preux Illustris. // DD. Bern. Typographus. // M.D.C. – ZV 12133 [v verso] INDEX CAPITVM QUAE IN HIS INSTI-tutionibus Logicis continentur. 1 De Logica. 2 Praemunitiones ad Categorias. 3 De Categoriis. 4 Consequentia Categoris. 5 De Interpretatione. 6 De iis quae enunciationibus accidunt. 7 De syllogismo. 8 De ratione conficiendi syllogismos categoricos. 9 De ratione conficiendi syllogismos modificatos. 10 De ratione conficiendi syllogismos mixtos. 11 De ratione conficiendi syllogismos hypotheticos. 12 De inuentione medij termini seu copia propositionum. 13 De resolutione quarumcunque orationum vim probandi habentium, in syllogismos. 14 De syllogismis ex vna forma in aliam formam resoluendis. 15 De resolutione syllogismorum hypotheticorum. 16 De potestatibus syllogismorum. 17 De vitiis siue imbecillitatibus syllogismorum. 18 Omnia argumentorum genera referri ad syllogismum. 19 De scientia. 20 De demonstratione. 21 De causis & effectibus.

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22 De methodis. 23 De syllogismo dialectico. 24 De inuentione dialectica. 25 De locis dialecticis. 26 De dispositione dialectica. 27 De responsione dialectica. 28 De exercitatione dialectica. 29 De sophisticis captionibus. [1] IVL. PACII A BERIGA INSTITVTIONES LOGICAE. CAP. I. De Logica. 1 LOGICA est ars ratiocinandi, vt discernatur verum à falso. 2 Finis igitur Logicae est scientia, qua dignoscitur verum à falso. Instrumentum verò cuiusuis rei ad eum finem consequendum comparatum, in quo Logica versatur, est ratiocinatio, quae Graeco, & magis recepto in scholis vocabulo dicitur syllogismus. [. . .] CAP. V. De interpretatione. 1 A Primis notionibus transgrediamur ad secundas: quales sunt syllogismi, in quibus suprà cap. 1. part. 2. dixi Logicam versari: & interpretationes, ex quib. syllogismos componemus. Primùm igitur de interpretatione, postea de syllogismo dicendum est. 2 INTERPRETATIO est vox articulata ex instituto sensa animi significans. Articulata dicitur: quoniam hahet [sic] articulos syllabarum, quae non reperiuntur in sibilo, & canis latratu, & similibus vocibus. Ex instituto dicitur, Graecè κατὰ συνθήκην, quod non est à natura, sed hominum arbitrio positum est. 3 Interpretatio diuiditur in simplicem & compositam. 4 Simplex interpretatio est, quae simplicem animi conceptum significat: vt no- [21] men, verbum. Composita, quae compositum: vt oratio. 5 NOMEN est interpretatio simplex sine adsignficatione temporis: vt cursus. Cui si praeponas negandi aduerbium, facies nomen infinitum, vt non-cursus. [. . .] 6 VERBVM est interpratio simplex, adsignificans tempus, & habens vim connectendi vnum cum altero! vt curro, curris, currit. Cui si praeponas negandi aduerbium, facies verbum infinitum, vt non-currit. [. . .] 7 ORATIO est interpretatio coniuncta: quae diuiditur in enunciatiuam & non enunciatiuam.

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8 Enunciatiua oratio siue enunciatio est, quae significat verum vel falsum: vt, homo [22] currit, homo non currit. & haec sola ad logicum spectat. 9 Non eunciatiua oratio est, quae veritatis & falsitatis est expers: vt deprecatio, & iussus. Sed huiusmodi orationes ad logicum non pertinent. 10 Enunciatio sine verbo aut casu verbi nulla est. 11 Diuiditur autem I. in veram & falsam. II. In affirmantem, & negantem. III. In categoricam & hypotheticam. 12 Vera est, quae cum re consentit: vt, homo est animal, homo est lapis. 13 Falsa, quae à re dissentit: vt, homo non est animal, homo est lapis. 14 Affirmatio est enunciatio, alicuius de aliquo: vt, Socrates currit, Socrates est philosophus. 15 Negatio est enunciatio alicuius ab aliquo: vt, Socrates non currit, Socrates non est philosophus. 16 Categorica est, in qua verbum copulat attributum cum subiecto: vt, Socrates currit, Socrates est iustus. 17 Subiectum est, quod subiicitur attributo: vt, Socrates. Attributum autem est, quod dicitur de subiecto: vt, currit iustus. 18 Categorica enunciatio subdiuiditur in puram & modificatam. [. . .] [27] CAP. VI. De iis quae enunciationibus accidunt. 1 ENunciationi tria accidunt, oppositio, aequipollentia, & conuersio. 2 OPPOSOTIAE sunt affirmatio, & negatio eiusdem attributi de eodem subiecto. 3 Oppositio duplex est, contrarietas & contradictio. [. . .] [30] 13 AEQVIPOLLENTIS enunciationes dicun- [31] tur, quae idem valent, atque hae sunt vel purae, vel modificatae, vel hypotheticae. [. . .] [33] 17 CONVERSIO est enunciationis mutatio, quae sit retentis iisdem terminis, & salua enunciante veritate: 18 Est autem duplex conuersio: vna terminorum, altera qualitatis. 10. Piccart, Michaël: Isagoge in lectionem Aristotelis, 1605 ISAGOGE // IN LECTIONEM ARI- // STOTELIS // Hoc est: // HYPOTY- // POSIS TOTIVS // PHILOSOPHIAE ARI- // STOTELIS, // QVA // Series & Ordo librorum, Scopus & // subjectum, τάξις denique & διαίρεσις εἰς τὰ // κεφάλαια breviter & succin- // ctè proponitur. // AUCTORE // MICHAELE PICCARTO // Franco Professore Organico // Altorfino. // Alexander. // Ut ἐν τῷ διδάσκειν requiritur certus ordo, certi cat- // ceres, unde progediaris; ita ἐν τῷ μανθάνειν. // NORIMBERGAE // E Typographêo M. Sebastiani Kör- // beri, ANNO M D C V.

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[B] ORATIO DE RATIONE INTERPRETANDI. ACCESSURO MIHI iterum ad Analyticorum posteriorum Aristotelis interpretationem, tamquam ad rem multo maximam & dignissimam, visum fuit id non sine religione, sed cum praefatione aliqua, ideoque reverentur faciendum, neque vobis, uti spero, Auditores Ornatissimi, invitis. [. . .] [B2] De optima interpretandi ratione [B2 verso] dum dicere apud vos laboro, ne putetis me aliud velle, quam ut optimum vobis describam Interpretem. Id autem praestare non potero commodius, quam si exemplo sapientissimorum virorum prius intuear in eos, qui eam laudem aut affectarunt umquam, aut suo merito consecuti sunt. Eorum Catalogum princeps fecit Simplicius, & ex eo retexuit Fr. Patricius, verbisque, quod solet, ampliavit, nos utrumque contrahemus, neque enim hic sistere oportet aut pedem figere, sed & ad alia deinceps contendendum erit. [. . .] [B8] Postquam Interpres meus, & verba, & sensus scriptoris sui fideliter & perspicuè poposuit, requiro tertio loco κρίσιν in eo ἀδέκαστον judicium incorruptum, sive ut Ammonius loquitur κρίσιν ἀπαθῆ adeoque volo, ut judex sit nullis fractus aut concussus affectibus, non amore scribtoris [sic] fascinatus aut odio. Ita enim Philostratus definit ἀδεκάστους, τοὺς μήτε ἔυνους μήτε δύσνους; non gloriae lucrive cupiditate de Recti sede dimotus, judicetque de rebus & sententiis ejus benè, ubi meretur, secus, ubi item, ὀρθοποδεῖν enim ait D. Paulus [cf Gal 2,14] δεῖ πρὸς τὴν ἀλήθειαν, quo loco non possum, quin aurea vobis Ammonii verba recitem: Interpres inquit fidelis non debet τὰ κακῶς λεγόμενα, κατ’ εὔνοιαν ἐπιχειρεῖν συνιστᾷν καὶ ὡς ἀπὸ τρίποδος ταῦτα δέχεσθαι, hoc [B8 verso] est, ea quae perperam dicta sunt, BENEVOLENTIÂ IN AUTOREM PERTINACITER TUERI TAMQUAM SI EX TRIPODE DICTA ESSENT, quamquam, si Galeno credimus, et olim, etiam hodie Virtutem multi putant interpretationis esse, si scribta [sic] aliorum omni ope omnique pacto, etiam si perspicuè falsa sint, defendant [. . .]. [C2 recto] In his etiam quaestionibus ita versabitur meus interpres, ut afferat non vulgaria, non protrita, non novi cujusvis interpretis, sed antiquis concoloretur, quod est in veteri oraculo, itaque legat & colligat scripta eorum, qui vel auctorem eum viventem audiverunt, aut non longè ab ejus aetate fuerunt. Fieri enim solet, ut quo longius ducatur acquae fons, eo plus secum trahat luti subterranei et vitii [nicht wie bei zu trahat gehörig] contrahât â locis per quę fluit, non tamen superciliosè contemnat, aut malitiosè invehatur in Neotericos aliosve quosvis seorsum ab se sentientes, neque enim cuiquam ex aliorum obtrectatione crescit gloria & abstinuere â mordaci hoc Interpretandi genere Viri omnium temporum Sapientissimi. [. . .] [C3 verso] Ut scientis signum est apud Aristotelem, posse Docere, ita bene Docentis signum esse existimo Profectum discentium, quare ultima mei Interpretis erit cura, accommodare se captui eorum, apud quos interpretationem instituit: sicut prudens Paterfamilias lac

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infantibus, solidiorem cibum adultis dispensat domesticis, ita & fidelis Interpres Tyronum rationem habeat, & eorum, quorum, progressus in eo genere sunt majores, ad Tyrones quidem methodo utens facili & aperta, neque eos spinosis involvens disputationibus, quod apud eruditiores facere poterit commodius, majorique suâ laude & discentium usu. Haec ego, Auditores praestantissimi, de officio Interpretis sparsim lecta hactenus mihi collegeram, eaque publicè [C4 recto] hic propter meos Auditores recitare volui, tum, ut ipsi quo respicerent in interpretatione meâ haberent, deinceps, tum, ut ego me hisce conditionibus ipsis veluti obligarem. In quibus si aberravi forte uspiam, Vos obtestor Viri Clarissimi, ne, ipsi tuto in portu, mea naufragia gaudentes laetive prospiciatis, sed labenti potius dextram porrigatis, memores virtutis esse errantium misereri, inque viam revocare, praesertim si errare ipsis contigerit, dum in re ardua, & honesta laborarint, quale argumentum hoc esse nemo credo inficiabitur, atque vos ipsos saepè dixisse meminerim, nullum dum fuisse, qui ê vasto hoc pelago prorsus vel sospes enatarit, vel integra nave portum legerit. Vos vero, Juvenes Nobiles & Eruditi, vel gratum hunc habete animum meum vobis rectissimè consulendi, & Palliati illud ad Augustum εἰ πλέον εἶχον πλέον ἐδίδουν mecum recognoscite, cui ipsi tamen exiguę liberalitati meae â benevolentiâ vestrâ, pretium accedere potest maximum, utque accedat voveo, Dixi. [Das folgende Inhaltsverzeichnis ist aus dem Text zusammengezogen; existiert nicht als eigener Text im Buch.] [1] I. DELINEATIO TOTIVS PHILOSOPHIAE ARISTOTELICAE. CAPUT I. DE FINE HOMINIS. [4] CAPUT II. PROBATUR FINEM HOMINIS esse veritatis cognitionem. [6] CAPUT III. PROBATUR IDEM FINIS auctoritatibus. [9] CAPUT IV. DISTINGUITUR COGNITIO. & ostenditur in qua cognitione finis & perfectio hominis versetur. [11] CAPUT V. QUID SIT ESSE θηρευτὴν τῆς ἀληθείας. [13] CAPUT VI. ADITUS PRAEPARATUR AD LIBROS Organicos & eorum investigatur methodus. [15] CAPUT VII. [18] CAPUT VIII. VETERUM SENTENTIAE QUARE in Philosophiae tractandae. [24] CAPUT IX. EX DUPLICI COGNITIONE nasci duplicem modum considerandi. [32] CAPUT X. DE LIBRIS ACROAMATICIS & Exotericis. [53] CAPUT XI. QUI SINT LIBRI EXOTERI-ci qui Acroamatici & quo ordine legendi. [59] CAPUT XII. QUIS SIT ORDO ORGANI Aristotelici & qua serie libri illi explicandi.

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[71] CAPUT XIII. BREVIS DELINEATIO OPE-ris Organici Exoterici. [80] CAPUT XIIII. ANALYTICI OPERIS DELINEATIO. [91] CAPUT XV. QUID NOMINE PHILOSOPHIAE primò sive προηγουμένως, quid ἑπο- [92] μένως [cf. Aristot., de an. I,2; 405,3] sive secundario apud Aristotelem veniat. [95] CAPUT XVI. CUR PHILOSOPHIA THEORE- tica sit Practica praestantior. [101] CAPUT XVII. QUO ORDINE IN SCHOLIS DO-cenda utraque; Philosophia, sive an ordine doctrinae Theoretica an Practica praecedere debeat. [108] CAPUT XVIII. DIVISIO PHILOSOPHIAE civilis. [120] CAPUT XIX. ORDO PHILOSOPHIAE PRA- cticae declaratur. [128] CAPUT XX. ETHICORUM LIBRORUM brevis partitio. [130] CAPUT XXI. POLITICORUM LIBRORUM scopus & partitio. [139] CAPUT XXII. OECONOMICORUM LIBRORUM subjectum & σύνοψις. [141] CAPUT XXIII. DIVISIO PHILOSOPHIAE Theoreticae. [149] CAPUT XXIV. SERIES ET ORO LIBRO- rum de Philosophia naturali monstratur propositis singulorum subjectis. [126; recte: 162] CAPUT XXV. DE NOMINIBUS METAPHY- sicorum librorum. [167] CAPUT XXVI. DE SUBIECTO LIBRORUM Metaphysicorum. [172] CAPUT XXVII. ALIORUM OPINIONES DE subjecto librorum Metaphysicorum examinantur. [178] CAPUT XXVIII. ALIA DUBIA CONTRA DA- tum subjectum declarantur. [184] CAPUT XXIX. DIVISIO ET DISPOSITIO Metaphysicorum librorum. [215] CAPUT ULTIMUM. Quae, in quibus scientiis Demonstrationes habeantur. [4] CAPUT II. PROBATUR FINEM HOMINIS esse veritatis cognitionem. Primum id perfectissimum esse in quoque genere quod maximè separat idipsum ab aliis rebus verius est, quam ut ostendi debeat: forma enim differe, maxima est differentia dicunt Philosophi. Caeterum nulla re magis à brutis differe potest quam veritatis intuitione τῶν μὲν γὰρ ἀρετῶν καὶ τῶν κατ’ ἀυτὰς πράξεων ἐστὶν ἴχνη τίνα εὑρεῖν καὶ ἐν τοῖς ἀλόγοις [5] ζώοις inquit Alex. ἀλήθειας δὲ καὶ τοῦ θεωρητικοῦ νοῦ παντάπασιν ἄγευσται τυγχάνει, id est, virtutum & actionum honestarum vestigia quaedam in brutis etiam invenire licet, at veritatis & contemplativi intellectus bruta prorsus sunt expertia. II. Apparet hoc ipsum ex eo signo, quod naturâ sensus eos, qui cognitionem in nobis gignunt, aliis sensibus anteponimus, ut eleganter disputat Aristoteles prooem. Metaphys. Visum videlicet & auditum, quod item ἐκ νέου φιλήκοοι καὶ φιλόμυθοι sumus, id est, libenter alios audimus & fabulis delectamur. Quod denique sedium mutatio jucunda nobis accidit, & peregrinari plerique omnes volumus, non sanè aliam ob causam, quam ut multa videamus, multa discamus.

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III. Naturale & quidem optabilius nihil est homini quam imperare, & aliis superiorum esse, sic ut alii re audiant, te auscultent tibique obtemperent; at hoc sola scientia & [6] cognitione homo consequitur, quod declaro: In navi versaris, procellę ingruunt; vehantur tecum rex aliquis, formosus, dives, sed omnes tecum juxta navigandi rudes, prae his tu eo tempore eligeres aliquem rusticum, si modo navis regendae scientiam haberet, & ad talem deferretis omnes fortunas vestras, ille praescriberet vobis quae facienda quae omittenda. Similiter belli temporibus milites parere cui volunt? an ei qui nobilissimus est? mininè sanè, sed ei potius quem maximè putant praecellere cognitione rei militaris, summa submittimus in iis rebus, quas ipsi ignoramus, judicium scientibus, unde liquet scientiam sive cognitionem rerum aut veritatis. (Haec enim promiscuè accipimus) finem & perfectionem esse hominis. [6] CAPUT III. PROBATUR IDEM FINIS auctoritatibus. AGnovere hunc finem omnes omnium temporum Philosophi, [7] quorum scita quaedam supero dicta hoc capite congeremus. Atque familiam hic quidem suo nobis merito ducat Alexander diligens & fidelis Aristotelis interpres, hic ergo in Top. pag. 16. extr. ita ait: ὡς τοῦ σώματος γυμνασία γενόμενα κατὰ τέχνην ἐυεξίαν ποιεῖ τῷ σώματι, οὑτω καὶ τὰ τῆς ψυχῆς ἐν λόγοις γυμνάσια, κατὰ μέθοδον γενόμεθα τὴν ὀικείαν ἐυεξίαν τῇ ψυχῇ περιποιεῖ. ὀικεῖα δε ἐυεξία ψυχῆς λογικῆς ἡ δύναμις καθ’ ἥν εὐρητικὴ [sic] δὲ καὶ κριτικὴ τοῦ ἀληθοῦς γίνεται. id est, ut corporis exercitia ad artis praescriptum instituta, bonam corpori habitudinem inducunt, ita etjam animi exercitia, quae in disputando consistunt, propriam perfectionem animo afferunt, si secundum methodum fiant. Est autem ea perfectio facultas veri inventrix & ejusdem judicatrix. Alexandro succedat Eustrathius, cujus in secundum posteriorum brevia quidem sed illustria in hanc rem sunt verba: ἡ ἐπιστὴμη ψυχῆς λογικῆς τελειωτικὴ προάγουσι ταύτην εἰς τὴν ὀικεῖαν ἀυτῆς ἐνέργειαν. id est, scientia animae ratiocinantis perfectio [8] est, inducens eam ad propriam operationem sive perfectionem. Et infra aliquanto ὁ ἀνθρώπινος νοῦς τῶ γινώσκειν μιμεῖται τὸν τοῦ παντὸς ποιητὴν. id est, Mens humana cognoscendo imitatur rerum omnium creatorem. Addo Simplicium quoque, cujus haec in Prooe. Phys. verba sunt: Philosophia, ita est animae perfectio, ut corporis medicina. Citare possem si res posceret in hanc rem Themistium Ammonium Philoponum, sed taedio vobis esse nolo, unum adjicio, adeo in hoc consensisse Philosophos ut Averroes in Prooe. Phys. Boethius l. 4. de consol. Phil: Albertus M. l. de intellectu intellig. asserere non dubitarint hominem rudem ὁμωνύμως hominem & statuae non absimilem esse. Pythag. in oratione ad Croton. Juvenes, referente Jamblicho l. 5. c. 8. ext. homines à bestiis sola institutione & scientia differre ait. Neque à veteribus diversi abeunt recentiores, pulcherrimè enim in hanc rem disputat Franc. Bonamicus lib. I. de motu c. 9. pag. 52, & Jacob

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Mazonius sect. 8. [9] cap. 5. pag. 281. & seqq. Franc. Vallesius & in sacr. Philosophia passim aliique innumeri. Neque verò ita Aristoteli solum aut ejus asseclis visum fuit, sed & divino etiam Platoni ejusque amicis. Nam ut ê plurimis unum ejus afferam testimonium, disputat in Theaeteto adversus Protagoram, non rectè adeo dictum hominem esse omnium rerum mensuram, sed dici ab eo debuisse hominem sapientem esse omnium rerum mensuram, talem enim perfectum demum esse. Obsignabo hanc de fine hominis σκέψις tanquam gemmula Alexandri verbis in 4. Apor. cap. 20. ἔσμεν δὲ ἄνθρωποι μάλιστα καθ’ ἅ φιαφέρομεν τῶν ἄλλων ξῶων ἁπάντων, ταῦτα δὲ ἦν ἐπιστὴμη δὲ καὶ ἀλήθεια, id est secundum id maximè homines sumus, quo maximè ab aliis animalibus differimus, talia verò sunt scientia & veritas. [9] CAPUT IV. DISTINGUITUR COGNITIO & ostenditur in qua cognitione finis & perfectio hominis versetur. [10] CAEterum dum perfectionem hominis in cognitione & scientia ponimus, tenendum quoque hoc est, an omnis cognitio laudem eam mereatur. Scientiae enim sive cognitionis vocabulum non uno modo accipitur. Ammonius pulchrè: dupliciter dicimur scire ὀρθοδοξαστικῶς καὶ ἐπιστημονικῶς. id explico: Cum mentem nostram non referimus ad rem scibilem, ejusque naturam, sed solum ad aliorum de ea re opiniones, & quid homines pręclari de ea senserint, utut verè senserint, verè scire non dicimur, sed bonam solum de re opinionem habere, cum vero aciem mentis nostrę in rei naturam dirigimus, & eam intuemur ut est, causasque invenimus, cur ita sit, tum dicimur rem ἐπιστημονικῶς comprehendisse. Illam priorem cognitionem Alexander appellat θήρησιν ἀναίτιον, hanc ἐπιστήμην αἰτιώδη, illa hominem εὐκίνητον sive ut Philoponus loquitur ἑτεροκίνητον reddit, haec ἀμετάπτωτον, illa hominem magnum opinatorem, hęc sapientem facit & perfecit. De utraque cognitione [11] paulò post plura, nunc hoc cogitemus, utramque non per somnos nobis venire aut inter vinum, sed studio & labore parari, unde Philosophi hominem volunt esse Φιλόπονον. Plato pulcherrimè θηραστήν τῆς ἀληθείας, de qua appellatione paucis. [11] CAPUT V. QUID SIT ESSE θηρευτὴν τῆς ἀληθείας. PYthagoras pulchrè equidem & acutè perfectionem hominis in amore veritatis locavit: sed evidentius Plato & efficacius, dum hominem, suae perfectionis cupidum, jubet esse venatorem, quandoquidem torpere amor atque inerti languere potest ocio, venatio actuosam quandam nobis exhibet inquirendi & capiendi indaginem: quemadmodum igitur venator feras, quae intra nemora se abdunt & in latibulis suis latinant, diligenti indagine inquirit & inventas capit; ita homo naturas rerum in sylva materiae rerumque sensilium involutas & abstrusas, vestigare magno studio & eruere debet: utque [12] porrò venator ad

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institutum suum canibus utitur odorisequis sive vertagis quorum praesidio uberrimus suae venationis fructus percipit, ita homo suae perfectionis quoque sitiens vertagos huiusmodi conquirere debet, qui, ut Plato in 12. de Legib. ait, ignorantię allatrantes, scientiae verò jucundis modis blandientes, manuducant nos non solum ad veritatem, sed quomodo ea etiam demonstrationum laqueis vincienda sit, captivandaque doceant, hi vertagi, eodem Platone monente, sunt omnium temporum Philosophi, inter quos nobis hodie principes sunt Plato et Arist. quorum ductum sequentes per vastissima universi entis latifundia, honestissimae venationis nostrae fructum, item non exiguum capiemus: At verò ut venatorem parum vertagi in venatione juvant, nisi ingenium eorum probè cognoverit & quem in indaganda fera servent modum aut rationem exploratum habeat, ita non miror vos quoque cupere vertagi vestri (Aristotelem dico de eo n. solum nunc nobis negocium) [13] nosse ingenium & naturam id est, docendi methodum & ordinem, velim autem ab alio vobis eum commonstrari non à me, qui in perspiciendo eo caecutio ipsa saepius & tanquam labyrinthum ingressus exitum vix invenio, quando tamen omnino hoc vultis quicquid studio & industria consequi potero, illud omne vobis spondeo, Deus opt. max. conatibus nostris faveat. &c. CAPUT. VI. ADITUS PRAEPARATUR AD LIBROS Organicos & eorum investigatur methodus. GAlenus lib. de format. fœtus c. 6. corpus humanum non ait simul & eodem momento perfici, sed serie quadam, primum hoc, deinde illud, tum terium membrum absolvi. Quod ille de corpore non minus etiam rectè de animo humano dici potest: neque n. ille cum homo in lucem editur Philosophum eum statim facit, set ut omnes formae substantiales (ut rectè monuit Monteactinus in I. Polit p. 457.) paulatim perficiuntur, ita hominis quoque perfectio [14] per gradus sit estque verissimum, quod ait Plato, beatum eum fore, cui vel in extrema senecta oculi mentis theoreticae aperiantur, ut veritatem videat, siquidem, ut idem alibi, virtus animi tunc demum vigere & florescere incipit, cum corpus defloruerit. Est enim mens nostra ergastulo corporis tanquam squalido carceri inclusa, è quo emissa retunditur facultas visiva à jubare veritatis sic, ut recto eam oculo intueri non possit, unde sapientię magister Aristoteles Isagoge sive manuductione opus esse vidit, quae viam ad adita illa Philosophiae nobis praeiret, & tanquam Minvera Diomedi, (ut ex Homero loquitur Plato Alcib. 2. extr.) caliginem ab oculis abstergeret & adhiberet postea quę ad cognoscendum veritatem faciant, Hanc Isagagen Arist. alicubi τρόπον ἐπιστήμης id est, modum versandi in scientiis item παιδείαν appellat, recentiores alii quidem organon, alii χείρα φιλοσοφίας, alii aliter, omnes tamen uno consilio, de quo monuimus.

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CAPUT VII. Vt vero cognitionem, supra ostendimus duplicem aliam ὀρθοδοξαστικὴν aliam ἐπιστημονικὴν, ita Isagoge quoque utramque respicit, media enim extremis conveniant oportet. Itaque Aristoteles & in docendo & in scribendo utramque expressit, sic ut prioris cognitionis caussâ sese veluti populo accommodaret, qui illa contentus esse solet, & nec progredi ferè ultra potest, ad γνησίους verò ἀκροατὰς, hoc est, judicio delectos auditores alia docendi uteretur ratione, & ida utrique certam methodum organicam traderet, quod etsi ex plurimis facilè est haurire, manifestissimè tamen è Laertio discimus, cujus haec in vita Aristotelis verba sunt: Cum finem vidisset in scientiis geminum τὸ ἔνδοξον καὶ τὸ ἀληθὲς at utrumque duarum maximè rerum viribus nititur, namque ad verisimile sive τὸ πιθανὸν & consentaneum opinionibus sive τὸ ἔνδοξον Rhetorica & Dialectica, ad veritatem autem Analyica doctrina usus est, quae iisdem penè [16] verbis recitat Hesychius. Caeterum ut haec doctrinae diversitas apertior fiat, altius paulò res repetatur. Cognitionem professi duplicem diximus esse, unam quae rem non intueatur ut est, sed ut videtur nobis vel aliis: id manifestum est ex eo, natura sumus quidem omnes Philosophi, hoc est, causas rerum & inquirimus & reddimus, certè reddere volumus, intuentes ergo τὰ αἰσθητὰ recurrimus ad mentem, & quaerimus eorum causas, quae mens nostra, innatâ coecutiens caligine, intuens, ut intuetur ita de iis judicat, haud aliter quàm qui vicio laborat oculorum quasi per nebulam videt, aut qui per vitrum rubrum omnia censet esse rubra, & ne videatur temerè judicasse, rationes etjam inquirit, quibus color judicio fiat, quae si non compareant aut in promptu sint, consilium aliunde petit & edocta non examinat ultra, sed statim assentitur, unde Plato assessionem talem πιστὶν πιστευτικτὴν vocat in Gorgia & Rhetoricae asscribit, ut ex eo notat Philop. in I. poster. pag. 4. Interdum communes [17] ipsa quasdam invenit rationes, quae ex rei quidem natura non manant, sed vel ex simili concludunt, vel specie quadam ad credendum nos inducunt, quas rationes ipsa tamen mirificè exosculatur, & pro veri non habet modo, sed & tales jactat. At verò quibus mentis oculus apertus est, vel quia παιδεία ipsis non defuit, vel quia usus rerum & multa experientia cautiores eos fecit, hac levi cognitione contenti non sunt, sed rei naturam introspiciunt, authoritatibus parum moventur, nec quiescunt, donec causis rerum cognitis quiescat dubitatio, & fiant ἀμετάπτωτοι. In indagandis tamen causis non negligunt veterum Philosophorum dogmata, sed ea quamlibet in contarium disputantia adferunt, evolvunt, examinant, & judicium demum acre ac limatum interponunt, fitque hoc ab ipsis magno usu & commodo, quod pulcherrimè nobis descripsit, quamvis rectè, Arist. cum ait, hoc non esse perfectè scire, si quis verum solum sciat esse verum, sed tum demum ἀμετάπτωτον aliquem fieri, cum vero opposita [18] prorsus etiam falsa esse sciat & ab iis resiliat. Caeterum antequam progrediar, quia passim & vulgo Aristoteles vapulat,

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quod veterum sententias etjam absurdissimas suae interdum Philosophiae inferciat, caput hîc interijciemus, quo disquiremus: Causas ne id faciendi habuerit, & an hodie quoque idipsum fieri debeat. [ . . . = Cap. VIII] CAPUT IX. EX DUPLICI COGNITIONE nasci duplicem modum considerandi. Ex hac duplici cognitione nascitur duplex modus res considerandi λογικῶς scilicet & πραγματικῶς, [25] quae diversa considerandi ratio non observata, mirum quantum illa calumniis viam fecerit. Ut ergò & hîc ne impingamus, cautio est. Atque hic primum quid utraque sit videamus, deinde an nota vetustati sit disquiramus. λογικῶς considerari res dicuntur primò quando de iis agimus non ex nostra sententia, sed ex opinionibus aliorum, deinde quando agimus de rebus non ex οἰκεῖων, seu propriis principiis, sed ex communibus quibusdam & generalibus principiis, qua de re consulendus Aristoteles 2 de Gen. Animal. cap. 8. ubi λογικὴν ἀπόδειξιν appellat, quod remotioribus utatur principiis. Est praetera λογικῶς tractare παχυλῶς & soloci filo de rebus agere. Denique et fert τρόπος τῆς παραδόσεως sive προσηγορίας, hoc est, ut homines solent loqui πραγματικῶς vero agere est agere de rebus κατ’ ἀλήθειαν καὶ ἀκριβῶς ut ex propriis cujuslibet rei principiis, sive ut Philosophi loquuntur ἐκ τῶν ὑπαρχόντων, item est ita agere de rebus, ut earum fert φύσις & natura non obser- [26] vata ratione loquendi de ea re. Priorem modum Aristoteles etiam per vocem διαλεκτικῶς effert, cum ait I. Top. cap. 12. πρὸς μὲν οὖν θιλοσοφίαν κατ’ ἀλήθειαν περὶ αὐτῶν πραγματευτέον, διαλεκτικῶς δὲ πρὸς δόξαν, I. posterior. cap. 16. κατὰ μὲν οὖν δόξαν συλλογιζομένοις καὶ μόνον διαλεκτικῶς, δῆλον ὅτι τοῦτο μόνον σκεπτέον εἰ ἔξ ὧν ἐνδέχεται ἐνδοξωτατων, γίνεται ὁ συλλογισμὸς & mox συλλελόγισται διαλεκτικῶς, Posteriorem modum ἀναλυτικῶς appellat etiam, ut statim sequent. cap. λογικῶς μὲν οὖν ἐκ τούτων αν’ τις πιστεύσειν περὶ τοῦ λεχθέντος, ἀναλυτικῶς δὲ διὰ τῶν συντομώτερον. Et eodem cap. ὅτι δὲ ἵστανται δέδεικται λογικῶς μὲν πρώτερον, ἀναλυτικῶς δὲ νῦν. Huc pertinet illud ὡς εἰπεῖν λογικῶς I. De Generat. Animal. cap. 6 & 7. Metaphys. cap. ult. item ὡς τύπω λαβεῖν toties in Topicis & Categoriis repetitum. 3. Eudemior. cap. 6. evidentissimè idem discrimen attestatur cum ait: διαφέρουσι δὲ οἱ λόγοι περὶ ἑκάαστην μέθοδον οἱτε φιλοσόφως λεγόμενον καὶ μὴ φιλοσόφως, & qui utrinque sint consequenter declarat. Argumenta etiam utriusque modi diversimode [27] appellat. Rationes enim λογικὰς modo appellat ἔξωθεν λόγους id est, foris petitas rationes, ut. 2. polit. cap 4. λόγους ἀλλοτρίους I. Eudem. c. 6. λόγους κενοὺς eod. l. & paulò post. c. 8. λογικοὺς καὶ κενοὺς 2. de Gen. Animal. c. 8. λίαν καθόλου πλασματώδεις 13. Metaph. cap. 7. λόγους κατὰ νόμον 13. Metaphys. cap. 7. & in

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Elenchis λόγους κοινοὺς I. Eudem. c. 8. Communia κατὰ τὸ πράγμα in Elench. Denique multis aliis discernit puta cum vocat λεγόμενα, φαινόμενα, δοκοῦντα, συνήθη εἰωθότα, & Syllogismos, quos possumus μετενεγκεῖν πρὸς πολλοῦς. His ex altera parte respondent λόγοι οἰκεῖοι και συγγενεῖς, item essentiales. λόγοι κατὰ φύσιν καὶ ἀλήθειαν, λόγοι ἐπιστημνονικοὶ, ἀποδεικτικοὶ, φιλοσοφήματα, λόγοι ἐκ τῶν ὑπαρχόντων, λόγοι ἀναλυτικοὶ aliisque consimiliter titulis. Hanc duplicem tractandi rationem inculcavêre non solum, sed & usurpavere discipuli sectatoresque ejus omnium temporum. Atque hic exordium nobis est ab Alexandro (Theophrasti enim Eudemique paucissima temporum injuria nobis reliqua fecit) cujus tanta fuit [28] olim auctoritas, ut nemo Aristotelicus haberetur, qui non esset Alexandreus, unde idem κατ’ ἐξοχὴν dictus fuit ὑπομνηματιστὴς, item ἐξηγητὴς, quod dexterrimè videlicet Aristotelis libros enarret. [. . .] [31] Ad 4. Phys. t. 87 ita ait [sc. Simplicius]: Exotericae rationes sunt communes & per ἔνδοξα terminatae, non demonstrative neque Acroamaticae ad probandam disciplinam. [. . .] [32] CAPUT X. DE LIBRIS ACROAMATICIS & Exotericis. Ex demonstrato duplici res considerandi modo fluit diversitas quoque librorum. Philosophi enim distinguunt inter scripta Acroamatica & Exoterica, neque forte solum Graeci, sed Romani scriptores, quod [33] ipsum versaturo cum fructu in Aristotele nequaquam negligendum est. Caeterum quod discrimen horum librorum constitui debeat, disputatur à viris CL. Carolo Sigonio, Octaviano Ferrario, Francisco Patricio, Francisco Vicomercato, Caesare Cremonino, Joh. Sepulveda, Benedicto Pererio accuratissimè. Nos in hac quaestione discutienda hunc sequemur ordinem, ut discrimen primum ex ipsomet Aristotele quaeramus, deinde ex Interpretibus, num perspicere possimus in quo consistat tum quid nos sentiamus, explicemus, denique quae in contrarium dici possint, diluere attentemus. Ac primum quidem hoc tenendum est, Acroamaticorum librorum in reliquis libris Arist. mentionem non fieri. Exotericos autem libros saepius ab ipso laudari. Puta 13. Metaphys. cap. 1. De Ideis inquit ἁπλῶς καὶ ὅσον νόμου χάριν νῦν, τεθρύλληται γὰρ τὰ πολλὰ καὶ ὑπὸ τῶν ἐξωτερικῶν λόγων 6. Nicomach. c. 4. πιστεύομεν δὲ καὶ περὶ αὐτῶν καὶ τοῖς ἐξοτερικοῖς λόγοις. I. Eudem cap. 8. ἐπέσκεπται δὲ πολλοῖς [34] περὶ αὐτῆς τρόποις καὶ καὶ ἐν τοῖς ἐξωτερικοῖς λόγοις, καὶ ἐν τοῖς κατὰ φιλοσοφίαν. Citantur & polit. 3. c. 4. & l. 7. cap. 1. Denique 2. Eudem. principio. His locis & paucis aliis, sed alia mente, ut suo loco videbimus, exotericorum sermonum meminit, quin & aliquando pro voce ἐξωτερικῶν uti videtur vocabulo τῶν ἐνκυκλίων p. 3. de cael. c. 9. & I. Nicom. c. 5. Quid vero per hos intellexerit, ex citatione locorum constare nondum potest. Quare ad Interpp. veniamus & ex iis inquiramus, quid statuendum

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sit, atque initio rursum ab Alexand. ducto vidimus eum supra exotericos ita scribere ἐν οἷς πλεῖστα περὶ τῶν ἠθικῶν καὶ τῶν φυσικῶν ἐνδόξως λέγεται. Alexandro Themistium subjungo, cujus haec sunt in prooemio Physico (si modo Themisthii est & non potius Simplicii, certè in meo Graeco non legitur, sed apud Simplicium in I. Phys.) dividuntur scripta Aristotelis in Exoterica ceu sunt historicae & rhetoricae meditationes, & penitus ea, quae exactam & summam diligentiam non requirunt, & [35] in Acroamatica, in quibus Philosophia remotior subtiliorque agitabatur, inter quae prasens tractatio numeratur: Ammonium clarissimè hęc explicantem minimè etiam negligere oportet. Is in prooemio Categor. libros Aristotelis ita dividit: scriptorum Aristotelicorum alia sunt διαλογικὰ alia αὐτοπρόσωπα. Haec sunt, in quibus ipse docebat, in sua persona loquens, quae etiam Acroamatica vocabat quia ad γνησίους ἀκροατὰς sermonem faciebat. Dialogica vero sunt, quae non ex propria persona scripsit, sed, ut Plato, aliorum supponens personas, quae etiam Exoterica vocabant, quia ad vulgi utilitatem scriberentur. Differunt vero plurimum Dialogica ab αὐτοπροσῶποις. In his namque veluti ad γνησίους auditores sermonem faciens, ea, quae sibi videntur, tradit rationibus exactissimis, quasque vulgus consequi non potest. In Dialogicis vero, qui ad communem vulgi utilitatem scripti sunt, quae videntur quidem aliquando tradit, sed nequaquam rationibus demonstrati- [36] strativis, verum simplicioribus quibusdam, & quas vulgus consequi potest, Philop. Comment. 138 in I. de Anima διὰ τούτο ἐξωτερικὰ κέκληται ὅτι οὐ πρὸς τοὺς γνησίους ἀκροατὰς ἐγράφη ἀλλὰ εἰς τὴν κοινὴν καὶ τῶν πολλῶν ὠφέλειαν. Atque haec è graecis sumpta interpretibus sufficiant, Veniamus ad Graecos & Latinos alios, qui quamvis ex professo Philosophi nominari noluerint, magnitudine tamen ingenii sui Philosophiam Aristotelicam complexi sunt. Ac primo quidem Ciceronem audiamus, qui 5. de finibus ita ait: De summo autem bono, quia duo librornm [sic] genera sunt, unum populariter scriptum, quod exotericon appellatur, alterum limatius, quod in commentariis reliquerunt, Peripatetici non semper idem dicere videntur. Strabo veteres ait Peripateticos post Theophrastum paucos habuisse Acroamaticos libros, ferè solos Exotericos, atque inde quidem factum esse, ut non potuerint philosophari πραγματικῶς sed tamen θέσις ληκυθίζειν. Ex his omnibus hoc primum [37] concludo, libros Acroamaticos & Exotericos eandem habuisse materiam subjectam, atque proinde discrimen ex ea petendum non esse, sed potius ex diverso eandem tractandi modo, quod significant clarissimè illa verba, populariter & limatius. Quod ut magis fiat clarum res altius est repetenda. Omnium ab antiquo philosophorum hic mos fuit occultare Philosophiam, neque promiscuè omnibus quasi prostituere, quod apparet ex aenigmatica philosophia Zoroastri, Trismegisti, Orphei, Chrysippi, in primis vero Pythagorae, qui Hipparchum, quod arcana Philosophiae revelasset, è schola ejecit, in ejusque locum columnam immobilem

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erexit: Hunc morem non neglexere etiam Plato & Aristoteles, ut ex his locis Clement. Alexand. Gellii & Galleni hauriri potest. Ille Alexand. 5. Strom. ita ait: Non solum autem Pythagorei & Plato multa occultabant, sed & Epicuraei dicunt quaedam esse apud se arcana & non permittere omnibus [38] ut ea scripta legant. Quin etiam Stoici dicunt à Zenone primum quaedam fuisse conscripta, quae non facilè permittunt legere discipulis, quorum prius non factum fuerit ab iis periculum, an germanè an sincerè philosophentur. Aristotelici quoque dicunt ex suis scriptis alia quidem esse ἐσοτερικὰ id est, interea [sic, für interna?], alia verò & ἐξωτερικὰ communia. Galenus adhuc illustrior est in libro de substant. facultatum naturalium, in principio Πλάτων γοῦν αὐτὸς ἔμψυχα μὲν ἀεὶ λέγει τὰ ζῶα τοῦς λίθους τὲ καὶ τὰς πόας καὶ τὰ ξύλα καὶ καθόλου φάναι τὰ φυτὰ πάντα τῶν ἀψύχων σωμάτων εἶναι ἀλλ’ ὅταν ἐν Τιμαίῳ τὴν φυσικὴν θεωρίαν ὀλίγοις ἀκροαταῖς κατακολουθεῖν ἐπιστημονικοῖς λόγοις δυναμένοις, ἀποχωρήσας τῶν τοῖς πολλοῖς δοκοῦντον &c. id est, Plato quidem ipse animata semper dicit animalia. Lapides vero herbas & ligna & omnino plantas omnes de inanimatorum corporum numero esse ait. Sed quando in Timaeo omnem naturalem speculationem paucissimis auditoribus scientificos sermones assequi valen- [39] tibus, separans ab his quae vulgo creduntur in universum mundum ait esse extensam ipsius animam, non est putandum hanc esse dissidentiam, qua vir iste sibi contraria dicat: Quemadmodum, neque Aristotelis neque Theophrasti, qui alia quidem vulgo scripserunt, acroases vero discipulis tradiderunt. Modum tradendi haec diversum aperit. Agell. lib. 20. c. 4. Disciplinae Acroamaticae exercendae tempus dabat in Lycio matutinum, nec ad eam quemquam temerè admittebat, nisi, quorum ante ingenium & eruditionis elementa atque in discendo studium laboremque explorasset. Illas vero ἐξωτερικὰς eodem in loco vesperi faciebat, easque vulgò juvenibus sine delectu dabat atque eam δειλινὸν περίπατον, alterum supra recensitum ἐώθινον appellabat & quae ibi praecedunt & sequuntur, quae ut legatis vehementur suadeo. Atque haec causa fuit, cur Aristoteles dedita opera obscurus fuerit in Acroamaticis libris, & pressus, sive, ut Themist loquitur, cur πολλὰ τῶν Αρι- [40] στοτέλους βιβλίων εἰς ἐπίκρυψιν μεμηχανῆσθαι ἔοικε & cur συνηθὴς ei sit βραχυλογία, seu, ut Simplicius in Prooemio. Categoriar. cur Aristoteles in scriptis suis sit κατὰ τε τὸν νοῦν καὶ τὴν λέξιν συνεστραμμένος καὶ νοερὸς καὶ γοργὸς, id est, & sententiis & verbis contortus, versatilis & requirat intelligentem. Adhibet nimirum τὴν τῶν ἐννοιῶν πυκνότητα καὶ τὸ τῆς φράσεως συνεστραμμένον (verba item Philosophi agnoscite) ut segniores ab huiusmodi studio repellat & dehortetur, quod monet Philoponus in Prooem. Phys. Quod ipsum Galenus quoque agnoscit in fragmento quod superest de substantia naturalium facultatum. Ubi illustria ejus sunt verba dum ait: Non mirum esse debere, si Aristoteles in his & illis non videatur tibi consentire, alia enim populo, alia auditoribus idoneis convenire &

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quę alię causae afferri possunt, de quibus infra. Constat ergo primum libros hos differre non materia sed tractandi modo. 2. Modum ex dictis esse ita diversum, ut in Acroamaticis accurratissimè omnia & [41] ἐπιστημονιικῶς tractentur, in Exotericis more solum Dialecticorum, hoc est, propositionibus hominum opinionibus consentaneis, denique fructum ἐξοτερικῶν λόγων esse non scientiam aut γνῶσιν τῆς ἀληθείας, sed solum opinionem. Atque hoc discrimen horum librorum propter veteres agnovere recentiores quoque, imprimis illustris Montecatinus in I. Politic. cap. 5. super illa verba: ἐξωτερικοτέρας ἐστὶ σκέψεως: ἐξωτερικοτέρα inquit σκέψις est ab exquisito summoque ac proprio, inprimis philosophandi genere alienior, plausibilior autem & sensui vulgi accomodatior, sic enim exotericas considerationes & sermones & libros solo interpretari. Cum quo concinnunt dulcissimè Caesar Cremoninus praefat. in lib. de Physic. audit: Vicomercatus, Pererius & alii. Ab hac tàm gravium & illustrium virorum sententia recessit & dissentire ausus fuit Johannes Sepulveda in scholiis quas scripsit in libros Politicorum conversos à se libro tertio capite quarto. [42] Cujus hae sunt rationes, recitante eas Pererio pag. 102. Exoterici, inquit, libri vocantur saepè ab Aristotele libri difficilimi [sic], accuratissiméque conscripti sunt I. enim Nicomach. ubi disputat de partibus seu facultatibus animae, citat hac appellatione libros de anima, quos constat scriptos esse diligentissimè, ait enim ita: λέγεται δὲ περὶ ψυχῆς καὶ ἐν τοῖς ἐξωτερικοῖς λόγοις ἀκροῦντως ἔνια καὶ χρηστέων αὐτοῖς. Dicuntur vero quaedam de ea satis sufficienter in Exotericis sermonibus, quibus utendum est. Item in I. Eudem. cap. 8. nominat ἐξωτερικοὺς λόγους libros Metaphysicos, cum ait in quaestione de Ideis: ἐπεσκεπταὶ δὲ πολλοῖς περὶ αὐτῆς τρόποις καὶ ἐν τοῖς ἐξωτερικοῖς λόγοις καὶ ἐν τοῖς κατὰ φιλοσοφίαν. id est, sed de hac quoque multifariam disputatum est in Exotericis sermonibus, quique habiti sunt de Philosophia (Ita autem nominat per Excellentiam Metaphysicam scientiam). II. Ratio ejus est, quia Diogenes Laertius in vita Aristotelis subtiliter commemorans libros ejus eorumque divi- [43] sionem prosequens diligentissimè, nullam hujus partitionis mentionem faciat, adeo ut haec res magno argumento possit esse, quod Aristotelica non sit. III. Ratio est, si Acroamatici libri sunt quicunque secretiorem & accuratiorem Philosophiae tractationem continent, cur id nominis tantum octo ll. physicis asscribitur [sic]. His rationibus (plures enim non reperio) adversus omnium temporum philosophos pugnat Sepulveda, ad quas ordinè respondere conabimur. [. . .] [45] Atqui ut hoc clarius perspiciatur, ita super illa verba commentatur Eustrathius: Ex operibus Aristotelis alia ad discipulos ejus scripta sunt, qui ad eum audiendum conveniebant, alia extrinsecus argumento illa accommodata, quod unusquisque requisierat. Illa acroamatica, haec Exoterica appellabantur,

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quoniam igitur in his diversa quaedam de Anima pro tempore ad propositas quaestiones dicta sint, ad ea nos relegat, utpote utilia futura, non quod de Anima perfectè ibi facta sit disputatio, sed eatenus solum sufficienter, quantum ad pręsentem de virtutibus exquisitionem [46] satis sit. Atque haec de primo sufficerent loco, nisi dicere quis fortasse praesumat. [53] CAPUT XI. QUI SINT LIBRI EXOTERI-ci qui Acroamatici & quo ordine legendi. STRABO Geographus (sive, ut vult Patricius Strato,) veteres, ait Peripateticos post demortuum Theophrastum paucos Aristotelis libros habuisse & ferè solos Exotericos, atque inde factum esse, ut non potuerint πραγματικῶς philosophari sed tantum θέσεις ληκιθίζειν, quod confirmat quoque Cicero 5. de Fin. t. 4. p. 143. cum ait; posteri Aristotelis & Theophrasti meliores illi [54] quidem mea sententia quam reliquarum Philosophi disciplinarum, ita tamen degenerarunt, ut ipsi ex se nati videantur. Ad hodie contra est, solos enim ferè habemus Acroamaticos libros paucos Exotericos: si enim Exotericos libros ad solos Aristotelis dialogos restringas, jam periêre nobis omnes, si vero audire Agellium voles, Athenis inter Peripateticos versatum, Rhetorici libri facultas argutiarum &, qui ipsi cohaerent, Topici libri huc pertinent, item problemata Aristotelis etiam Si Simplicium & post eum Patricium & Mazonium audias, historia animalium. Etsi enim Rhetoricae & Dialecticae facultates in Methodum redactae sunt, tamen multa habent vulgaria & minus ἀρκιβῆ, de quibus aliâs monuimus. Caeterum hoc in loco objicit nobis Franciscus Patricius locum ex Galeno contra Elenchos. Est autem is in libro de Sophismatis in dictione contingentibus συνηθὲς δὲ τὸ τοιοῦτον τάχος τῶ [sic] φιλοσόφῳ καὶ καθάπερ ἐστὶ σημεῖων ἐπιφέρειν τὰ πολλὰ καὶ διὰ τὸ πρὸς τοὺς ἀκη- [55] κρότας ἤδη γράφεσθαι, id est, Horatio Limano interprete: consueta est & solemnis Aristoteli dicendi brevitas, & veluti per signa expromere multa, quia ad hos, qui jam audiverant, scriberet. Hausit hoc Galenus, inquit Patricius ex fine Elench. ubi Aristoteles discipulos alloquitur, ut inventis gratiam haberent, omissis veniam darent. Liber ergo est, inquit acroamaticus, quia ad auditores, non autem Exotericus. Respondeo Galeni locum non de Elenchis solum intelligendum esse, quod arguit manifestè vox συνηθὲς, sed de omnibus scriptis acroamaticis, in quibus saepè, ut diximus, notatur styli rotunditas, hoc unum. Deinde Galenus hoc ascribit Aristotelicae consuetudini, quod dicat, plures non esse, non item pauciores fallacias in dictione, quam sex demonstrari posse & inductione & syllogismo, quomodo autem id fiat syllogismo, non adferre. At ego respondeo ex Ammonio sufficere dialectico scire illud ὀρθοδοξαστικῶς, non opus esse ut demonstretur, illud enim [56] accuratum nimis foret. In Exotericis enim scriptis ἀκρονύχησις omnis est ἄκαιρος quod verò Patricius urget finem elenchorum. Respondeo, verba aliud velle. Ita enim ibi Aristoteles loquitur:

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Λοιπὸν ἂν ἔιη πάντων ἡμῶν ἔργον ἢ τῶν ἀκροωμένων, omnium vestrum erit officium vel eorum qui audierunt, &c. Ubi de auditoribus non solum agit, & quid porro obstat quo minus capiatur de iis auditoribus, qui pomeridiano eum tempore docentem extra Lycaeum audivere. Denique quod rei caput est, capiatur sanè de auditoribus γνησίοις atqui & hi praeparati ad subtiliores ἀκροάσεις primo debuere, ideoque & dialecticum hoc opus imbibere quoque sub primum in scholam Aristotelis ingressum, quid quod postea clarè ostendemus Sophisticos Elenchos esse continuatum opus cum Topicis, atqui Topicos lib. esse Exotericos, vel ex Alexandro perspicuum esse potest, cujus clara sunt verba I. Top. quae supra vidimus. Sed hic non immorabimur, verum ad ordinem veniemus, de quo ita [57] breviter habete. Totus docendi orbis veterum hodiè est inversus. Hodie enim nulla habetur aetatis ratio, nulla ingenii, sed olim ita non erat, sed deligebantur certa ingenia quae philosophiae apta essent comprehendendae, talium notas describit Plato in sexto de Republ. & Aristoteles in A minori Metaphysico & I. Nicom. Qui minus apti erant ii â philosophiae studio removebantur, neque fuit invidia haec, sed ut Galenus inquit, pura aqua non est infundenda in utres impuros, quales sunt qui amant divitias vel honores. Sicut enim invidia non est, si quis naturâ coecis non praeferat lumen, aut surdis harmonias, ita invidia non est iis, qui doceri non possunt, (quales aliquos esse, Aristoteles in Rhetoricis ostendit) non offerre doctrinam. Qui vero ad philosophiam apti videbantur, nec per aetatem tamen mysteria philosophica capere poterant, iis initio Exoterica proponebantur, quibus pręparabantur eorum animi ad capiendum secretiores [57] scientias, haud aliter quam fortè solet tinctor qui pannum, praeparantibus primum coloribus imbuit, deinde demum tingit eo quo vult. Hic ordo, si hodiè quoque oservetur [sic] rectè atque ordine fieret, sed vulgo aliter fieri videmus: praeter enim quod spes nostras ambitione donamus, prępostero etiam ordine progredimur & ab acroamaticis exordientes palpitamus tanquam coeci in tenebris & cruda adhuc studia, ut pulchrè Petronius, propellimus in templa aut forum. Cum tamen omninò contra oporteat. Ut enim adolescentes vestitu splendiore delectantur, ita ferè nihil ab illis sperandum est tum temporis, quam splendor orationis, & flumen quoddam eloquii; in rebus non admodum occupantur. Contra senes, ut vestitu, sic oratione simplices sunt, sic tamen ut gravitas & brevitas orationis copia rerum sit referta. Sinamus ergo adolescentes rhetoricari primum & disputare suavitate quadam dulci, & in Exotericis exerceamus donec paulla- [59] tim accrescente judicio idonei fiant, relicto lacte, solidiore cibo ali, nec pudeat nos errorem dediscere licet inveteratum. Atque hoc Halicarnasseus observavit, qui adolescentibus commendat τόπους λεκτικοὺς, adultioribus πραγματικοὺς. Summa, quia doctoris officium est consulere discentis commodis, incipiendum inde est, unde quis facilius discat. Faciliora autem & vulgatiora scripta sunt Exoterica. Verum, de hac quia nemo ambigit, non immorabimur.

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CAPUT XII. QUIS SIT ORDO ORGANI Aristotelici & qua serie libri illi explicandi. Caeterum quia praeter dictam Aristotelicorum divisionem habemus aliam in libros videlicet Organicos & Philosophicos, dubitari quidem vix potest, quin Organici libri praemittendi sint. Organa enim parando prius sunt quam iis utamur, sed de hoc hodiè maximè controvertitur, [60] quo ipsi ordine doceri debeant. Hunc ordinem antegressa, homini etiam non admodum perspicaci, aperire possunt. Si enim inter Organicos alii sunt Exoterici alii Acromatici. Exoterici vero ubique praemittendi sunt. Tales vero sunt Categoriae Topici Elenchi & quae his ἰσόστροφος est Rhetorice, forte etiam Poëtice, quid restat dubii, quin Analyticis praemitti debeant. Verum videamus an plura sint quae sententiam nostram juvent. Ac primum quidem hoc expendamus quod supra quoque attigimus, non nasci nos perfectos sed fieri, mens ergo nostra corpori tamquam carceri inclusa non intueri statim & nec ferre potest splendorem solis Analytici, hoc est, exactam illam pervestigandę veritatis rationem, exerceatur ergo prius oportet in disputationum hisce libris ac tandem ac secretiora illa accedat. Ut enim captivus diu in tenebroso carcere retentus, solis splendore de subito emissus, ferre non potest, ita nec mens, sed paulatim ex opaco in [61] splendidiorem locum & sic deinceps producenda. Deinde cognitio duplex est, alia ἔγγυθεν, quae cominus quaeritur, ut ait Manilius, ex vicinis, alia πόῤῥωθεν, quę ex fontibus, atque illa procedit, haec sequitur. Postquam enim vis Dianoetica aliquid accepit, à sensu progreditur ulterius ad ea, quae sensibus sunt abdita, unde dixit Aristoteles, nihil esse in intellectu, quin prius fuerit in sensu, quod de fundamento & origine dictum tamen voluit, alias enim ratio sensibus nihil super adderet. At illa ἔγγυθεν cognitio in Topicis traditur, altera in Analyticis. Tertio loco εὐεξία parari non potest, nisi praecesserint γυμνάσια, Analytica vero εὐεξίαν facit, Dialectiae γυμναστικὴ est καὶ προπαρασκευὴ ad Philosophiam, ait Alexander, unde vel ideo etiam praemitti debent. Denique alio quoque simili rem illustramus: Qui defossum in loco obscuro thesaurum eruere amat, is non statim ligones arripit, sed scopis prius utitur, iisque impedimenta removet, hae scopae Dialectici libri [62] sunt, in quibus dubitare εἰς ἑκάτερον docemur. Ἀπορία autem ὁδὸς πρὸς εὐπορίαν. Ex quibus omnibus apparet, Categorias primo loco, deinde Topicos, tum Elenchos (ex his n. unum conflamus opus) doceri debere. Nam quod aliqui Categorias Metaphysici volunt esse, frustra sunt, ad Logicum enim pertinere & Ammonius & Simplicius clarissimè & ex illis Doctor noster, CL. Scherbius Vir & seculo & laude nostra major, cujusque parem, verè futura non videbunt secula, praeclarè ostendit, cujus actuarius nunc esse nolo, & vel liquidissimè constare ex illo Aristotelis loco potest: τὸ δὲ ὑπάρχειν τῷ δε καὶ ἀληθεύεσθαι τοδὲ κατὰ τοῦδε το συνταχῶς ληπτέον, ὁσαχῶς αἱ κατηγορίαι,

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διήρηνται item quod horum praecognitionem requirit in Topicis, sed haec fusè aliâs pertractata. Caeterum hic magnum in nos telum ex omni parte immittitur, pugnatur enim adversus nos communi omnium sententia & ne copia nos aggravare solum videantur, ratione et- [63] jam pugnant, quae talis est: Triplex, ajunt, est progressus mentis, quorum primus consistit in simplicium apprehensione, alter compositione vel divisione, tertius discursu. Hunc triplicem mentis nostrae progressum, quia Aristoteles in Logica sua πραγματεία observavit, quid licet dubitare, & sanè pulcherrimè huic triplici progressui respondent libri Organici. Nam primus in Categoriis traditur, alter in lib. de Interpretatione, tertius in prioribus Analyticis monstratur. Deinde cum ille variet ratione materiae, sitque alius discursus Apodicticus, alius dialecticus, alius denique Sophisticus, singulis sui libri sunt asscripti, sic ut discursus demonstrativi ratio in posterioribus, dialectici in Topicis, Sophistici in Elenchis monstretur, atque hoc, inquiunt, quid verius, quid clarius dici potest? Speciosam sanè hanc distributionis rationem esse video, tum quia scholas diu insedit ab Averrois videlicet tempore, tum quia fundamento innititur plausibili & admo- [63] dum persuadenti, sed ex instituto & consuetudine Peripateticorum sumptam esse pernego, verum tum exortam natamque demum, postquam discrimine sublato Acroamaticorum & Exotericorum librorum probabilis & plausibilis quaedam quaerenda fuit ratio, qua omnia opera logica in unum miscerentur chaos. A Peripateticis non esse vel unus Alexandri locus convincere potest in primo priorum, ubi expressè vult Topicos Analyticis proponi debere. Caeterum quia tota haec controversia ex hoc errore nascitur, quod unum esse corpus putatur, id quod est diversissimum, videamus an hunc quoque scrupulum eximere aliquibus solum possimus. Principio Categorias initium Logicae auscultationis facere plurimi nobiscum tuentur, nam quod aliqui è logico eas regno exterminant & in fines Metaphysicos cogunt, frustra certè sunt: Ad Logicum enim pertinere & Ammonius & Simplicius clarissimè docent, ut supra monuimus [65] certumque est Categorias ordinationes praedicationum esse: In praedicationibus verò Logicus vel maximè occupatur. Facit huc etiam quod Aristoteles in Topicis libris videlicet primo Categoriarum praecognitionem requirit. Neque obstat quod Analyticos etiam in Topicis citet: aliud autem est citare solum, aliud praecognitionem requirere, ut rectè monuit Ferrarius. Verum ut pergamus Categorias sequi debent libri Topici, tum propter commemoratas supra causas, tum ex veteri Categoriarum titulo: Refert enim Simplicius Categorias ab Adrasto aliisque Philosophis olim dictas graecè πρὸ τῶν τοπικῶν βιβλίον. Ex quo perspicuum Topicos libros Categoriis statim subjunctos, Topicis Sophisticos Elenchos annecto, neque ferre possum, ut ab illis divellantur, & rei rationes has dicere possum:

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Primam rationem ex ipso haurio Aristotele, qui in Rhetoricis ait ejusdem facultatis esse videre quid sit verum & quid sit φαινόμενον. Hinc argumen- [66] tor: Si ejusdem facultatis est, quid sit verum videre, & quid φαινόμενον ejusdem quoque facultatis erit agere de ἀληθῶς ἐνδόξῳ, & de φαινομενῳ ἐνδόξῳ, atqui illud dialectici est, ergo & hoc, & per consequens continuati sunt libri: quin huc spectare videtur in his ipsis Elenchis Aristoteles, cum ait l. 1. cap. 2. ἐστὶ δὲ, ὡς ἔν [sic, recte: ἕν] πρὸς ἕν εἰπεῖν ἔργον περὶ τὸν ἕκαστον τοῦ εἰδότος ἀψευδεῖν μὲν αὐτόν περὶ ὧν οἶδε, τὸν δὲ ψευδόμενον ἐμφανίζειν δύνασθαι, id est, uno verbo dicendo: hoc est sapientis in quaque re opus, scire verum ipsum, & si de re quapiam loquatur, non fallere, fallentem verò redarguere & praestigiis ejus occurrere posse. II. Alteram rationem item ex Aristotele sumo, is in 4. Metaphys. sophistam ait à dialectico differre non δυνάμει sed solum τοῦ βίου προαιρέσει hoc est, tantum posse dialecticum quantum potest Sophista, differre hos duos solum ab invicem vitae consilio, quod videlicet dialecticus nolit fallere, sophista velit, hoc ut simili illustretur, dialecticum medico similem facio, so- [67] phistam venefico, Medicus non minus scit miscere venena quam veneficus, sed hic vult, quia vir malus est, ille, ut Plautus loquitur ne vult quia bonus: Si ergo Sophistici Elenchi à Topicis libris removeantur, differrent Dialecticus et Sophista δυνάμει etiam, adeoque Dialectica δύναμις Topicis libris absolvetur, Sophistae diversa ab illius in Elenchis, atque ita imposuerit nobis Aristoteles, qui δυνάμει differre negavit. Aliter autem & sentire de tanto philosopho convenit, & à praeceptoribus meis edoctus sum, προαίρεσιν videlicet dialectici, libris topicis absolvi, δυνάμιν [sic] additamento Elenchorum perfici, & hoc. III. Patere hoc potest ex Analyt. Posterioribus, cum enim ibi quoque explicentur ψευδογραφήματα, quibus in scientiis fallamur, & Apodocticis ê regione ponantur syllogismis, neque diversa tamen tractatio ἀποδείξεως & ψευδογραφήματος, fit, quare non sophismatum quae Dialectico ê regione collocantur, tractatio cum Dialecticis libris [68] connectatur. Caeterum duo adhuc adferam argumenta, quae nemo, ut equidem arbitror, negaverit esse βιαστικὰ Aristoteles in 2. Priorum cap. 19. ubi agit de modo imponendi alteri per πρόθεσιν propositionis inquit: ὅπερ εἴρηται καὶ ἐν τοῖς τοπικοῖς. Atqui in Topicis illud nusquam est, et rectè vidit Baroccius, sed in Elenchis lib. I. cap. 4. l. 2. c. 5. Quod si ergo Aristoteles suos libros de Elenchis ipse appellat Topicos, & cum illis connectit, cujus frontis est, invito ipsomet auctore divellere velle. Deinde intueamur morem Aristotelis, qui est hic initio cuiusque fere libri proponit scopum sive commemorat de quo agere velit, sub finem addit Epilogum, quo propositum initio scopum iterum concludit. Intueamur ergo principium primi Topici & finem Elenchorum, an non sibi invicem respondeant. In I. Top. ait: ἡ μὲν πρόθεσις ἡμῶν μέθοδον εὑρεῖν, ἀφ’ ἧς δυνησόμεθα συλλογίζεσθαι περὶ παντὸς τοῦ προτεθέντος προβλήματος ἐξ ἐνδόξων &c. In

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penultimo autem cap. 2. Elench. ita totum opus Dialecticum con- [69] cludit: προειλόμεθα οὖν εὑρεῖν τινα δύναμιν συλλογιστικὴν περὶ τοῦ προβληθέντος ἐκ τῶν ὑπαρχόντῶν ὡς ἐνδοξωτάτων & quae ibi sequuntur. His nos rationibus moti Elenchos Topicis libris conjungimus, quas si quis everterit, tantum abest, ut refractarii velimus esse, ut non solum libenter & ultrò ab errore simus recessuri, sed magnam insuper ei gratiam, quicunque demum fuerit, habituri. His libris cognitis jam discipulum nostrum ad Analyticos quatuor libros deducimus, quos item unum & separatum opus idque Acroamaticum statuimus, idque uno sed robustissimo argumento initio scilicet primi Analytici & 17. cap. 4. Quibus locis & Propositio & Epilogus sibi invicem respondent. Ideoque illud argumentum, quod adferunt ex I. Analytico, debere scilicet generalia primo loco tractari, adeoque primum de syllogismo ad solam refero demonstrationem, de qua Ἐπιστημονικῶς Aristoteles [70] eum agere vellet, & ad ejus explicationem accuratior Syllogisticę doctrinae cognitio requireretur, rectè atque ordine fecit, quod doctrinam de Syllogismo praemisit. Quod autem ajunt aliqui ineptè & ἀμεθόδως fieri, si species syllogismi, Dialecticus & Sophisticus prius explicentur genere, hoc est, syllogismo ἁπλῶς, ei respondebo non meis sed Alexandri verbis, Dialecticus ad rationem agendi cum vulgo ad ἀπορίας excitandas, caeterosque usus ab Aristotele propositos nihil indiget accuratissima illa priorum Analyticorum disputatione, communi syllogismi definitione & ejus divisione contentus. Alioqui cum Rhetorica sit τῇ διαλεκτικῇ ἀντιστροφος & syllogismum tractet Politicum neque Orator muneri suo satisfaciet, nisi profundissimos illos sapientiae in prioribus tractatae fontes exhauserit prius, quod absurdissimum est. Summa, ut Alexander ait: εἰ τὰ ἐν ἐκείνοις εἰρημένα ἐνταῦθα τὰς μεταφέροι, ἐκβαίνοι ἀν τὸν ὅρον τῆς διαλεκτικῆς οὔσης ὠς εἴπεν ἐξ ἐνδόξον συλλογιστικῆς. Si [71] quis inquit huc transferat ea, quae in illis libris sunt dicta, profecto is terminos dialecticę excedet, quae ex probabilibus argumentatur. Hanc ordinis rationem quia nec dum â quoquam refutatam videmus, ei constanter usque huc institimus, porro quoque insistere cogitamus, aliisque insistendum suademus. CAPUT XIII. BREVIS DELINEATIO OPE-ris Organici Exoterici. ORdine nunc constituto, per partes breviter eamus & ὁλομερῶς sive summatim quid in hoc Organo sit expendamus, initium ab exotericis facientes & primo quidem loco à Categoriis, cujus libelli scopus auctore Ammonio et Simplicio est tradere σχήματα κατηγορίας sive modos attribuendi, quod cum sine Entis divisione commodè fieri non posset, dividitur Ens in decem summa genera & explicantur haec allatis proprietatibus, ut sciamus ad quam Entis seriem quaeli- [72] bet, κατηγορία sive attributio referri debeat & possit. Huic tractationi quędam praemittit, quaedam subjungit, quae lucem ipsi faciant, illa antepraedicamenta

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vocant, hęc postprędicamenta, sed haec uberius in scholis explicuimus. Falluntur ergo illi primum, qui putant Categoriarum libellum ideo in vestibulo collocandum, quia totius πραγματείας λογικῆς contineat genus subjectum, res scilicet omnes brevi tabella depictas, falluntur, inquam, illi, subjectum enim Analyticorum est, ut primo priorum manifestè docet Aristoteles, syllogismus & demonstratio quo res planè non pertinent, nisi fortasse ἐπομένως, subjectum vero Dialecticae est tradere locos communes disputandi ἐνδόξως de rebus omnibus probabiliter, ubi rerum rudis aliqua cognitio praecedere debet, scilicet ut modi κατηγοριῶν inde eliciantur, quod tamen capiendum sic, ut prima dialectico cura de vocabulis sit, rectè enim Themistius Dialecticam à vocabulis progredi ad res, Philosophum à rebus ad voca- [73] bula, docet. Falluntur deinde illi quoque, qui fontem eum generalis inventionis faciunt. Etsi enim ei quoquo modo inservire possunt, praeter tamen id mentem auctoris est, cum ut diximus aliud spectarit Philosophus. Atque haec breviter de subjecto Categoriarum. At Topicos venimus, quorum subjectum Aristoteles aperit primis primi libri verbis, dum ait, propositum sibi esse tradere syllogisticam de omni problemate ex ἐνδόξων: In qua voce Μέθοδον Felix Acorombonius novum quaerit argumentum sententiae nostrae constabiliendae, Topicos videlicet libros cum Analyicis non conjungendos, si enim inquit conjungi cum illis deberent, non rectè appellaret Dialecticam Methodum, sed enim pars Methodi rectius diceretur, cum ergo Methodum dicit denotat, ait, quod haec facultas diversa sit ab illo scopo aperto. Post scopum utilitas hujus doctrinae sive Methodi adfert de [74] quarum primâ quae est γυμνασία, tam supra satis. Alter usus est in conversatione hominum situs. In circulis enim in conviviis multa moventur à vulgo, de quibus Dialecticus tamquam κοινωνικὸς καὶ φιλάνθρωπος per communia quaedam disputat. Tertius usus ad philosophiam refertur, estque duplex, de quorum altero dicitur item supra in scientiis videlicet dialecticè primum disputari & viam veluti praeparari ad accuratiorem tractationem, alter principia scientiarum spectat, quae dialecticè illustrantur & muniuntur, qui usus sanè contemnendus non est, sunt enim quidam ita distorti mente & sensu, ut principia non modo non capiant, sed & negare aliquando audeant, ea contra hujusmodi inductione muniuntur. Quae probatio etiamsi non sit demonstratio (quomodo enim principia demonstrentur, cum Demonstratio ex prioribus procedat, principiis autem nihil sit prius) utilis tamen est & lucem principiis infert. Quemadmodum [75] enim seta filum introducit, inquit Vincentius Justinianus, & illa non consuit, sed filum potius est quod corium corio firmissimè nectit, sic certissima scientiarum principia probabilibus rationibus animis primum infigenda sunt, quae postea consuetudine audiendi sensu atque experientia fiunt nobis certa, quo & alterum simile facit. Ut enim lapidei fornices, quibus tota domus structura incumbere debet, minimè

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eriguntur, nisi suppositis quibusdam tabulis arcuatis infirmis. Postquam vero semel arcus constituti sunt ligneae machinae auferuntur, nec ta men domus fornicibus nixa corruit, sed immota consistit ita & principia quoque post utilitates persequitur alia, quae ex scopo resultant, atque primo quidem formam methodi explicat, quae est συλλογίζεσθαι, deinde duplicem materiam, ex qua & circa quam, quarum illa propositiones sunt, haec problemata, utramque materiam dividit, propositiones alias Physicas, alias Ethicas, alias Logicas faciens, proble- [76] matum genera quatuor constituit & singula pertractat, & quia in omnibus utilibus grata est copia, quatuor organa εὐπορίας proponit, & quomodo in singulis copia paretur, docet, & sic librum primum qui rectè ab Alexandro προτεχνολογία dicitur, concludit. In secundo libro exorditur πραγματείαν Topicam, hoc est locos examinandi problemata secundum quatuor genera primo libro proposita, & in secundo quidem problemata accidentis simplicis absolvit, in tertio accidentis comparati, in quarto generis, in quinto proprii, in sexto definitionis, in septimo ejusdem, quod problematum genus coincidere dixerat cum problemate definitionis. In octavo demum libro, quem Alexander ἐπιτεχνολογίαν nominat, deducit in aciem Dialecticum, instruens interrogantem & respondentem, undè rectè à quibusdam hic liber appellatur de usu. Ejus libri partes sunt: In primo agitur de modo interrogandi & respondendi, sive περὶ ἀποκρίσεως καὶ τάξεως cujus usus non solum in Dialecticam sed & in Rhetorica est ma- [77] ximus. Rectè enim Cicero ait, nihil tam facere ad obtinendum, quod velis, quam dispositionem argumentorum. οὐ γὰρ τὰς αὐτὰς, inquit Alexander, ἀποκρίσεις ἀποκρίνονται περὶ τῶν αῦτῶν οἱ ὁποσοῦν ἐρωτώμενει, ἀλλὰ πολλάκις ἅ οὐκ ἂν συγχωρήσειεν ἁπλῶς ἐρωτηθέντες, ταύτα διδόασι, διὰ τὸν τρόπον τῆς ἐρωτήσεως, id est, non enim eodem modo ad quovis modo interrogata respondent respondentes, sed saepe, quae alioqui non concessissent, concedunt propter modum interrogationis. Unde modum benè interrogandi scire est aliquod praeclari scire. Verè enim Plinius lib. 2. Pręclarè invenire, magnificè enunciare etjam barbarorum est, sed aptè disponere & variè figurare, tantum eruditorum est. In 2. parte πάθη disputationum aperit, harum enim aliae sunt ἐπαινεταὶ aliae ψεκταὶ. Denique de umbratili disputatione agit, qua uti quemque vult, antequam in solem progrediatur. Jam vero cum auctore Ammonio in Categoriâ substantiae scientiae sit non solum contemplari vera sed etjam quae ita videntur, ita dialectici quoque est nosse non solum ἔνδοξα ἀληθῶς sed & φαινόμενα. [78] Unde Aristoteles subjungit statim duos libros, qui inscribuntur περὶ σοφιστικῶν ἐλένχων, quorum prior monstrat nobis nodos sive plicas syllogismorum, secundus λύσεις modorum, λύειν γὰρ οὐκ ἐστὶν ἀγνοοῦντα τὸν δεσμὸν. Solvere non est cum nodus ignoratur inquit Aristoteles in 2. Metaphys. c. 1. Neque vero hic quisquam mihi dicat contineri has fallacias potestate in 8. libris Topicis. Rectum siquidem obliqui index sit, neque enim hoc satis est in disciplinis ἀορίστως res & potestate cognoscere, sed

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omnia debent ad ὁρισμένον τὶ referri, alioqui etiam satis esset Universalia quoque tractare, quia particularia sub illis contineantur, atqui oportet ad actum sive ἐντελέχειαν omnia revoces. Actus enim est objectum intellectus. Videmus quippe multos universalia novisse, in particularibus vero mirè palpitare. Ideo rectè Galenus. Veritas paucissimis, inquit quidem est contenta, crescit tamen fides quando non solum veritatem cognovimus, sed etiam pa- [79] ralogismorum causas. Sic & in Rhetoricis non de veris solum Enthymematis agit, sed & de fucatis. In prioribus non solum de syllogismo, sed & de vitiis syllogismorum, in posterioribus non solum de Apodictico sed & de Apatetico syllogismo. Sic Politici non solum agunt de rectis Rerumpub. formis, sed & de depravatis. Quintilianus de vitiis Exordiorum monet item, cum agit de iis, quibus oratio ornetur, sive de virtutibus orationis, primum agit de vitiis, quia prima virtus orationis sit vitio carere. In hoc tamen opere notandum hoc etiam venit, non ibi agi de omni syllogismo imponente sed solum de eo, qui dialectico opponitur, quod ipsum clarè attestatur Aristoteles. 1. Elench. cap. 8. cum ait Δῆλον οὖν ὅτι οὐ πάντων τῶν ἐλένχων ἀλλὰ τῶν παρὰ τὴν διαλεκτικὴν ληπτέον τοὺς τόπους. Ideo non satis cautè faciunt, qui in quibusvis scientiis quaevis ad hos fallaciarum modos accommodare satagunt. Quod denique Nunnesius ait, Aristotelem hos libros compilasse [80] ex Euthydemo Platonis fatendum sanè est, plurima indè desumpta esse exempla, sed hoc non est compilare redigere exempla ad certum ordinem, summi quin potius est ingenii, quod ipsum Comes Montanus & I. LipsI ex merito admiratores non negare audent. Atque haec de opere Dialectico sufficiant. CAPUT XIV. ANALYTICI OPERIS DELINEATIO. Etiamsi multi olim extiterint Viri Clarissimi qui variarum rerum scientiam perspicacitate ingenii sui perviderint, hoc tamen defuisse ipsis plurimis argumentis, liquet, quod τρόπον ἐπιστήμης non habuerint, quo nomine certè ipisi φιλοπλάτωνες Platonem suum traducunt & Galenus de sui temporis philosophis ait, multos relicturos scribendorum librorum negocium, si rationem reddere tenerentur qua methodo scripsissent, quod cum animadverteret Aristoteles & peccari à quam plurimis hoc peccatum videret, [81] cogitare cepit de accurata quadam res tractandi ratione, quam in Metaphysicis τρόπον ἐπιστήμης appellavit, eamque 4. libris Analyticis tractavit, praecipuè vero duobus posterioribus. Cum enim scire videret esse rem per causas cognoscere: causae autem priores sint effectis suis, modum demonstrandi res per causas vestigat, idque cum non nisi syllogistico fiat processu, prioribus libris doctrinam de syllogismo persequitur. Cum enim ἐπιστημονικῶς παιδείαν tradere constituisset, id autem requirat, ut à generalioribus ad specialia fiat descensus, à syllogismi tractatione meritò exorditur. Hujus tractationis partes iterum duae sunt libris duobus distinctae. In primo explicatur vis & natura syllogismi. In secundo facultates ejus, affectiones item vitia. Primus liber

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tripartitus iterum est. In primo agit de nuda syllogismi forma & accuratissimè quidem, sic ut proponat modos tam utiles quam inutiles &, cur tales sint, describat, quod ad perfectionem [82] artis pertinet. Ostendit item modum constituendi syllogismos, tam ex propositionibus affectis aliquo modo, quam ex iis, quae modo carent. In secundo agit de ratione parandi medium & copiam προτάσεων de σχέσει subjecti ad praedicatum, de prędicati ad medium et antecedentibus, consequentibus & pugnantibus. In tertia denique parte docet syllogismos factos resolvere in suas figuras & modos, ubi ostenditur rectè priora esse tradita. Breviter dicendo I pars continant γένεσιν syllogismi. 2. εὐπορίαν. 3 ἀνάλυσιν. Etsi vero in his tribus ostendat totum artificium syllogisticum esse inclusum, adeoque perfunctos suo labore credi possit Aristoteles, tamen secundum librum subijcit de cujus scopo ambigitur, aliqui enim subjectum secundi libri faciunt syllogismum hypotheticum, qui non videntur mihi legisse librum. Est enim toto hoc libro solum caput unum, idque non de omni syllogismo hypothetico sed de exigua ejus specie, ducente scilicet ad incommodum, [83] cum tamen Aristoteles lib. I. cap. 44. multiplicem syllogismum hypotheticum esse dicat & alium locum reijciat, quod opus Alexander periisse ait, & praestitum id esse à Theophrasto & Eudemo discipulis. Alii putant hîc agi de materia syllogismi, cum primo libro actum sit de forma. Sed neque haec opinio ferri potest. Materia enim syllogismorum vel est definita vel indefinita. Definita materia triplex est, Apodictica, Dialectica, Sophistica, harum verò suis quaeque libris pertractata est, Analytica quidem libris de demonstratione, Dialectica libris Topicis, Sophistica Elenchis: Infinita vero Materia primo libro discussa est puta, cum ageretur de propositionibus τοῦ ὑπάρχειν necessariis & contingentibus. Magentinus primò Marinum reprehendit, quod sentiat hoc secundo libro informari dialecticum, tradi enim ea quae ad Dialecticam artem faciunt, ratiocinari ex falsis, petere id quod in principio & similia facitque hoc merito Magentinus, ratiocinari [84] enim ex falsis non est proprium dialectici. Argumentatur enim ex iis quae respondent non rei sed hominum opinioni, illa si sint vera, accidit iis, si falsa, item accidit. Deinde ex capite τοῦ ἐν ἀρχῇ αἰτεῖσθαι patet manifesto dialecticum non omni modo posse petere id quod in principio. Nec tamen proria Magentini sententia quoque vera est, putat is agi secundo hoc prior. lib. de impedimentis demonstrationum, agit inquit Aristoteles de syllogismo non προηγουμένως sed ἐπομένως propter demonstrationem, itaque exposita syllogismi structura impedimenta quaedam demonstrationis primum removet, puta ratiocinari ex falsis petere idque in principio, & similia, atque deinceps ad demonstrationis naturam aperiendam accedit: Verùm multa traduntur hic etiam, quae non modo non impediunt demonstrationem, sed mirificè etiam juvant, agitur in tertia libri sectione de inductione. Inductio autem inprimis demonstrationem juvat. Demonstratio enim [85] cum ex principiis pendeat, haec ut plurimum inductione colliguntur. Praeterea primo statim capite hujus

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l. evertitur sententia Magentini, docet enim hic Aristoteles quomodo unus syllogismus plures ex se gignat conclusiones, atque hoc ipsum in libris de demonstratione inculcat, docetque quomodo eadem demonstratio plura demonstret. Alexander Aphrodisieus, inquit suppleri secundo l. quae desint, quae sententia minus quidem explicata est, maximè tamen veritatem accedit. Nos ut tandem quid de subjecto secundi libri statuendum videatur, aperiamus, sciendum est, quamque rem extructam habere certa quaedam πάθη. Verbi gratia multis domibus extructis videmus hanc quidem aptam cerevisiario esse, aliam mercatori, aliam literato, ita Aristoteles quoque syllogismo extructo secundo libro πάθη ejus considerat, quid habeat verbi gratia in recessu, quid non, quid sit ei simile, in quo similitudo [86] consistat, in quo dissimilitudo, & potest etiam hic liber distinctioris cognitionis causa in tres sectiones dividi, in quarum prima agitur de syllogismi virtutibus, in altera de ejus ἀδυναμίαις sive vitiis, ad propria enim rei πάθη explicanda pertinet & ostendere ubi res deficiat, in tertia denique de cognatis syllogismo speciebus breviter tractat. Duos priorum libros sequuntur duo posteriores, qui sunt de demonstratione hoc est, de perfectissimo sciendi instrumento, ad cujus extructionem more solenni progreditur. Ut enim auctore Galeno scientiae à subjectis suis pendent, &, sicubi id in dubium revocetur, primum omnium in eo asserendo laborant, ita pendent artes à fine qui si controversus sit, primum esse eum docent, deinde quis sit explicant, denique media fini accommodata describunt; Eodem planè modo progreditur hîc Aristoteles: cum enim propositum ei esset instrumentum tradere sciendi, primùm omnium quaerit, an scientia detur, quo [87] ostenso, quid sit scientia, disquirit, tum qua ratione paretur, quod medium cum demonstrationem esse videt, quae nihil aliud est, quam syllogismus: syllogismi autem partes sint propositiones, quaerit, quales propositiones scientificam conclusionem inferant hoc est, conditiones principiorum demonstrationis vestigat, & vestigando invenit, principia demonstrationis debere esse prima, immediata, notiora, vera & necessaria. Inventis his conditionibus, quae constituunt demonstrationem, adeoque ejus οὐσιώδεσι progreditur ac ἐπουσιῴδη demonstrationis, & propria πάθη ejusdem explicat, sic tamen ut quia demonstratio vocabulum ab uno est, gradus ejusdem prius explicet. Sub finem libri addit caput de solertia: non enim sufficit inquit, habere demonstrandi modum, sed oportet adesse quoque mentis vim accommodatam, eam vocat ἀγχίνοιαν id est facilem causae sive medii termini conjectionem, estque hoc ex consuetudine philosophi, ut habitibus expo- [88] sitis, naturalium quoque virium, ad eos habitus accommodaturum, mentionem faciat. sic in 8. Topic. dicit, disputantem debere valere εὐφυία, sic ad prudentiam requirit δεινότητα hoc est, semen prudentiae in animo, sic temperantiae semina in Eth. Atque hęc primi libri hypotyposis est: Secundi lib. quis sit scopus à variis variè

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disputatum est. Philop. & Eustrathius putant hoc secundo libro agi de medio demonstrationis: Vt enim inquiunt in rebus naturalibus forma non educitur ex materia, in artificiosis non inducitur, nisi interveniente aliquo medio, ita Aristoteli quoque necessarium fuit agere de medio sine causa, qua conclusio demonstranda tamquam forma necteretur, cum propositionibus Apodictis tamquam materia, quia vero hoc medium definitio quoque est, ideo de definitione etiam tractat. Averroes vult Aristotelem primario hoc secundo libro agere de definitione; propositum enim, inquit, ei est tradere instrumenta sciendi, sed & [89] definitio instrumentum sciendi est, quare utrumque explicare voluit, illud priore, posterius hoc posteriore, quam sententiam tuetur hodie Bernhardinus Petrella lib. 2. Logicar. quaestionum cap. 6. Sed utramque sententiam tam Graecorum quam Averrois refutat doctè Zabarella, qui censet agi hoc libro de definitione, qua est finis seu fructus demonstrationis. Bernhardinus Calellus non diversum quidem ab hoc sentit, sed paulò latius extendit, Zabarella enim putat usum demonstrationis solum hunc esse, ut satisfaciat quaestioni quid est: Calellus satisfacere vult omnibus 4. quaestionibus Analyticis, cum quo sentit etiam Nobilius Flaminius in quaestionibus Logicis capite 8. Argumentum utriusque est: De quacunque re Organica tria considerari debent, forma primum Organi, deinde Materia apta formae, denique usus; Formam demonstrationis inquiunt, persecutus est Aristoteles in prior. materiam in primo post. in [90] secundo sequitur usus: In quo argumento refutando mirificè sese torquet Zabarella in tract. contra Calellum sub nomine Ascanii Persii, sed, ut mihi videtur quod summi viri pace liceat, frustra. Horum ergo duorum sententia nobis nunc temporis placet atque in fructu hoc demonstrationis potissima libri pars absolvitur: subjungitur deinde tractatus de causis, cujus cohaerentiam cum superioribus ferè nemo videre potuit, itaque & hic conjecturis mihi solum agendum, dicam ergo quid videatur, dum fructus Aristoteles demonstrationis persequitur, primum ostendit, quid sit fructus demonstrationis, τοῦ διότι, deinde quis τοῦ ὅτι, tertio quae sit communitas utriusque, demonstratio ergo τοῦ διότι quia causas semper debet afferre cur res sit, & cur conclusio ex praemissis fluat, causae verò in varia sint differentia, quasi digreditur in pleniorem causarum tractationem, quod ipsum intellexisse puto Zabarellam, qui, quę primo desint, supplere eum hoc libro [91] putat. Causarum tractationi rationem vestigandae definitionis subjungit, quae quidem tractatio propriè Analytica non est, quia tamen de definitione multa dicta, hoc veluti adjungitur corollarium. Extremo libri cap. additur de cognitione principiorum, cum enim ea notiora conclusione esse debeant, alia via necesse est cognoscantur, quam conclusio: Eam viam quae sit monstrat. Atque haec est totius organi Aristotelici σκιαγραφία. Nam quod aliquis hic movere posset, omissos de interpretatione libros, penè assentimur Patricio multis argumentis neganti esse Aristotelis.

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Deinde sint sanè Aristotelis, separatim tamen ab eo, rogatu cujusdam discipuli, scriptos arbitramur, ideoque in hunc ordinem redigi minimè debere, sed seorsim & cujusque quidem judicio explicandos. 11. Piccart, Michaël: Organon Aristoteleum, 1613. [Der Kolumnentitel, unter dem das Werk auch meist zitiert wird, lautet: Synopsis Organica] Michaëlis Piccarti Fr. // Professoris Norici. // ORGANON // ARISTOTELEUM // In Quaestiones & Responsiones // redactum, quae vicem Commen- // tarij esse possunt. // Cum Indice Rerum ac verborum locupletißimo. // LIPSIAE, // E Typographeo VALENTINI am Ende // Impensis Joh. Börneri sen. & Eliae Rehefeldij. // ANNO M.D.C.XIII. – 23:286323R [1.] ORGANON ARISTOTELIS PRI- // vatim explicatum, à D. M. MICHAELE PICCARTO Professore Organico in inclyta Academia Noribergensi. Prolegomena in Organon Aristotelicum. Quis est finis seu perfectio hominis ? Cum homo mensura sit omnium aliarum rerum, ipse verò mensuretur à solo Deo: finis hominis nihil erit aliud, quàm ὁμοίωσις cum Deo, sive accessio ad Deum. Quid est ὁμοίωσις cum Deo ? Ad hanc quaestionem ut rectè respondeamus, videndum primò studiosè est, quare Deus maximè sit Deus, eo enim reperto, quò magis homo participabit, tantò Deo propior erit & similior. [2] Quare ergò Deus maximè est Deus ? Deus cùm potissimum sit Ens, à Philosophis non bonus, sed bonum, sive ut Plato loqui amat, αὐτὸ ἀγαθòν dicitur. Quod ergò inter homines optimum dici meretur, id Deo quoque tribuendum maximè. Inter bonorum, verbi gratia, primas ferè obtinent haec duo: Cognitio veri & actio honesti. Quare horum duorum alterutrum maximè Deum constituet. Vtrum verò ? Etsi nonnulli Deum maximè definiant honestis actionibus: tamen Peripatetica Philosophia veritatis cognitione sive θεωρίᾳ Deum esse, quod est, asserit, idque non sine ratione. Sunt enim virtutes istae (Hae verò actiones honestae sunt) humiliores & abjectiores, quàm ut in divinam naturam conveniant, ut monuit Aristoteles lib.

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10. Nicom. & ex eo repetit Bonamicus, quippe quae indices solùm sunt miserarium & perturbationibus vitiosis modum possunt, frenumque inijciunt, quas Deo assignare velle, ne quid gravius dicam, improbum est: τὸ γαρ θεῖον ἀπαθὲς, ut ait Alexander. Praeterea virtutes προαίρεσιν praesupponunt, quae non est sine βουλήσει & consultatione, quae rerum incertarum est: Ecquid verò Deo incertum ? Quibus addo, Deo meliores facere virtutes, qui virtutes ei ascribunt. [3] Sunt enim virtutes habente meliores, ut docuit Aristoteles in Magnis Moralibus, & uberiùs persecutus est Alexander in dubitationibus. Contemplatio ergò Dei optimi Maximi essentiam maximè complet, qua à se & per se in seipsum contemplando redit. Quod Aristoteles 10. Ethic. copiosè demonstrat, & post eum, Alexander in principio primi priorum, cujus tandem illustria haec sunt verba: τῷ μὲν θεῷ συνεχὴς καὶ ἀδιάλειπτος ἡ τῆς ἀληθείας ἐστιν θεωρία, id est, Deo assiduè & nullà intermissione interruptâ veritatis contemplatio convenit. Inde consequitur, finem quoque hominis in cognitione, non in actione ponendam, cùm illa Deo maximè similis fiat, quod pluribus ostendere difficile non foret, si res postulet, aut tempus ferat. Faciléne homo hunc finem assequetur? Minimè, & causas hujus difficultatis ostendit Aristoteles 2. Metaph. cap. 1. Divinusque Plato eum felicem praedicare solet, cui vel in extremâ senectâ veritatis jubar alluceat. Itaque parando huic fini media conquiri debent sive subsidia. Vnde ista peti debent ? Ut in alijs artibus fieri consvevit: ita hîc quoque & natura aliquid contribuit, plus usus [4] plurimum ars. De natura Philosophi (is verò est, qui finem spectat aut assequi cupit) varij variè. Pythagoras, Socrates, Plato, Aristoteles, quorum placita diligenter persecutus est aliquot capitibus Caesar Cremoninus, in nobili illo tractatus de παιδείᾳ. De usu & exercitatione pleni libri plenae sapientum voces, estque ejus utilitas omnibus notissima: de arte perveniendi ad cognitionem rerum, non solùm nobis institutum est agere. Quae ista est ? Vulgò illa Dialectica vel Logica dicitur minus benè. Et intelligitur totum illud opus, quod Organon Philosophiae appellare consvevimus. Nam vocibus istis Dialectices & Logices Aristoteles partem solùm istius operis intelligi voluit, id est, differendi εἰς ἑκάτερον facultatem Topicis & Elenchis comprehensam. Quid ? an non unius filo totum opus & Dialecticum rectè appellatur ?

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Minimè gentium. Atque ut id perspicuè falsum esse appareat, quaedam ex Interpretum veterum observationibus hîc afferenda sunt. Aristoteles, inquiunt Philosophi, cùm videret mirificè peccari à quàm plurimis ignorantiâ certi cujusdam modi, quò ad scientiam & rerum cognitionem perveniretur, consulere in medium [5] cupiens τρόπον ἐπιστημονικὸν generalem extruxit, progrediendique viam monstravit, comprehensam opere Analytico, quod ipsum & scientificè conscripsit, & accuratissimum reliquit. Caeterùm quia non cujusvis est ista statim capere, δύσκολα γαρ τὰ καλὰ, id est, difficilia quae pulchra ; adolescentiam prius exerceri ex quibusdam communibus & opinioni hominum consentaneis utile censuit, & tanquam velitatione quadam ad pugnam decretoriam praeparari, cùm praesertim ista dubitandi ratio multùm ad cognitionis adeptionem conducat, teste Alexandro, qui ait ἡ ἀπορία ὁδὸς πρὸς εὐπορίαν, i. e. dubitatio est ad scientiam via. Addidit ergò opus Dialecticum non ita elaboratè, ut illud alterum conscriptum, sed exotericum ferè, id est, vulgi opinionibus conforme, & ut Ammonius loquitur, κατὰ πολλῶν δόξαν, sive, ut Averroes, secundum famositatem, quo [quae ?] totam methodum disputandi ex ἐνδόξοις complectitur & in artem redigit. Duplex est ergò opus, quod vulgò malè confunditur & in unum abijt chaos, nempe Dialecticum & opus Analyticum: Illud exotericum, id est, populare & commune: hoc Acroamaticum, ut Agellius interpretatur, subtile & limatum. Videtur tamen unum esse ex triplici conceptu mentis à tot Philosophis notato: [6] Novi equidem Mantellum, quo tegunt recentiores aberrationes suas à Philosophia veteri. Triplex (inquiunt) est conceptus mentis, simplicium terminorum apprehensio, quae Categorijs absolvitur: Eorundem compositio, quae libris περὶ ἑρμηνείας: Et tandem Discursus, qui liber de syllogismo, id est, prioribus Analyticis ; Qui discursus deinde, quia materiae ratione varius est, huic syllogismi varia tractatio subjungitur: Apodictica videlicet, Dialectica & Sophistica. Verùm plausibilis haec connectendi ratio diversa ignota planè Aristoteli fuit, & quae ab eo Philosophis inventa tum demum, postquam in unum Chaos hae diversae disciplinae confusae essent. Aristoteli enim numquam propositum fuit de conceptibus mentis agere hoc loco, sed tradere organon sciendi, cui προπαρασκευὴν Dialecticam praemisit, quae προγυμνασία τῆς Φιλοσοφίας rectè ab Alexandro dicitur. At meminisse tales debebant, mentem ab autore petere debere interpretem bonum & fidelem, non inferre, quod monuit non uno loco Galenus. At neque Aristoteles hujus Divisionis meminit, quod ergò autores dabis ? Ex Aristotele ipso non caecutientibus ap- [7] parere facilè potest. Nunquam enim crebriùs illud ὡς τύπῳ, quam in Categorijs, Topicis & Elenchis: nusquam rariùs quàm in Analyticis. Interpretum praeterea communis consensus est, ut ex

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Alexandro, Ammonio, Simplicio, cuiquam clarum esse potest, quorum testimonia suis locis videbimus. Generalem ergò definitionem dare non poteris totius Operis, cùm sit diversum? Ita est & malè sit cùm datur. Quae enim formâ fineque differunt, quomodo definitione conveniant, quae λόγους οὐσιώδης est, & formam affert. Descriptiones dari possunt, quae videantur unum quid esse. Adeoque si quis det, perinde facit, ac si generalis Philosophiae definitionem det: quae item in Theoreticam & Practicam dispescitur. Quomodo ergò definis Dialecticum opus Aristotelis? Non possum meliùs, quam definivit ipse Aristoteles principio primi. Topic. nimirùm esse facultatem de quovis problemate disputandi ἐξ ἐνδόξοις, id est, hominum opinionibus consentaneis. Quid vocas Opus Analyticum ? Opus Analyticum appello Methodum ex- [8] truendae demonstrationis, id est, instrumenti sciendi nobilissimi & unici. Vtrum ordine Doctrinae praecedere debet ? Hoc non est difficile videre ex superioribus. Quia enim Dialectica debet esse προπαρασκευὴ & γυμναστικὴ, omninò praecedere debet Analyticum. Notissimum praeterea est, faciliora debere in docendo praemitti. Qui libri pertinent ad Opus Dialecticum? Categoriae, libri Topici & Elenchi Sophistici: De Categorijs clarè attestatur vetus titulus ad Adrastum autorem relatus, βίβλος πρὸ τῶν τοπικῶν, Boethius vertit Antetopica. Et ex filo libri apparet. Multa enim in eis sunt popularia, quae suis locis videbimus. At ita explicabuntur species syllogismi nondum explicato genere ? Nihil obstat. Sufficit enim Dialectico naturalis illa cognitio syllogismi & sola definitio in Topicis tradita. Nam qui alia ei proponere velit ut qui syllogismus sit perfectus, qui imperfectus, qui modi utiles, qui inutiles: ille ἐκβαίνει τὸν ὅρον τῆς

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διαλεκτικῆς, id est, excedit ter- [9] minos Dialecticae, ut monuit Alex. principio 1. Topic. De Categorijs. Quid initio cujusque libri est attendendum ? Graeci Interpretes in explicando Aristotele ita versabantur, ut sub initium ad haec capita attenderent. I. Quis libri, quem explicaturi erant, scopus esset. II. Quae utilitas. III. Quae causa inscriptionis. IV. Qui auctor. V. Qui ordo. VI. Quae διαίρεσις εἰς κεφάλαια. Eorum consvetudinem nos quoque sequemur, & eadem capita ordine dispiciemus. Cur de Scopo primo loco agebant? Quia scopus autore Alexandro utriusque perficit judicium & docentis & discentis. Docentis quidem, ne quid doceat alieni. Discentis, ut omnia, quae à Doctore dicuntur, ad scopum praefixum referat. Rectè enim Ammonius σκόπον ἀνάγκη πρὸς τῶν ἄλλων ἀφορίζεσθαι καὶ πρὸς ταυτὸν τὰ ἐφεξῆς ἅπαντα συνείρειν, id est, Scopus ante omnia declarandus est, quia ad eum omnia alia referri debent: Et alibi: Scopus naturam tractationis illustrat & legenti tanquam habitum quendam praebet, ut sciat quomodo quidque sit intel- [10] ligendum. Quicquid enim dicitur, id lectorem parat, ut ad operis itentionem dirigatur. Cur deinde de utilitate? Quia χρήσιμον σπουδὴν καὶ προθυμίαν, id est, studium & animi alacritatem in animis auditorum concitat. Cur de causis Inscriptionis ? Multiplex est Aristotelica inscribendi ratio. Interdum enim Inscriptionem apponit indicantem omnia, quaecunque volumine illo continentur, ut in libris de Animâ, Rhetoricâ, Poeticâ. Interdum praecipuam aut majorem partem indicare satis habet, ut in libris de Coelo, Meteorologicis. Interdum tantùm demonstrat, in quo collocari illa tractatio debet, ut videre est in Metaphysicis. Nonnunquam auditoris attentionem titulus excitat, ut in libris περὶ φυσικῆς ἀκροάσεως. Ex quibus omnibus disci aliquid potest, unde neque causas Inscriptionis neglexerunt Graeci Interpretes, quod notârunt jam olim duo illustres viri Franciscus Vicomercatus, & Flaminius Nobilius.

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Cur de Autor ? Quia ita homines sumus, ut si librum à magno autore scriptum sciamus, tantò studiosiùs evolvamus. Summa ; patimur aliquid humani, sive [11] ut ipsius Simplicij verba usurpem: πάσχομεν γὰρ τί δὴ ὑπὸ τῆς τῶν προσώπων δόξης. Neque hic nobis aliquis obijciat Senecam dicentem, de Autore quaerere, esse nihil operosè agere. Scimus enim eum Stoicae Philosophiae addictiorem, ideoque affectibus iniquiorem fuisse. Nihil dico: quod non quibusvis attendendum sit, sed ijs, qui proximè judicij bonitate ad veritatem accesserunt, nihil item: quòd multa olim notha [sic] sub bonorum autorum nomine prodierint opera, cùm reges nullis parcentes sumtibus bibliothecas instruerent, & libros magnorum virorum conquirerent & compararent. Cur de ordine & divisione ? Istud facilè est colligere. Confusio enim mater errorum est. Divisio vel Platone teste, doctrinam faciliorem reddit. Ut enim Anatomici totum corpus rectiùs cognitum, ait Simplicius, exquirunt per partes: ita qui distinguit in capita, hoc agit ut totum rectiùs percipiatur. Quis ergò scopus est Categoriarum? Varia fuit veterum de eo sententia. Aliqui enim putârunt hoc libello de solis agi vocibus, è quorum numero noster Alexander fuit: Hausere hi opinionem hanc ex divisione τῶν λεγόμενων hoc libro traditâ. Alij de rebus solùm [12] agi existimârunt, cujus sententiae Eustratius fuit, quia videlicet Aristotelis Entia hîc divideret. Alij putârunt περὶ νοημάτων, id est, de Conceptis mentis hîc agi, quod sensisse Porphyrium, notant Ammonius & Simplicius. Iamblichus neque περὶ νοημάτων μόνων, neque περὶ φονῶν μόνων, neque περὶ πραγμάτων μόνων hîc agi docet: sed scopus esse ait: Agere περὶ φονῶν ἁπλῶν σημαινουσῶν τὰ ἅπλα πράγματα διὰ μέσων ἁπλῶν νοημάτων, id est, de verbis simplicibus per medios conceptus simplices. Atque haec sententia verissima est. Nam traduntur hîc σχήματα κατηγορίας sive modi attribuendi, aut aliquid de aliquo enunciandi, ut monet ipse Aristoteles in prioribus, cum ait: Alterum autem de altero dici verè, tot modis contingit, quot modis Categoriae distinctae sunt. Primarius ergò scopus est tradere formas enunciandi aliquid de altero: Quod cùm sine Entis divisione fieri nequeat: alia enim de alijs Entia dicuntur: ideo seundariò quoque de Ente agitur, generalisque ejus divisio proponitur. Quia denique de rebus loquimur, ut eas concepimus animo, ideo & conceptus sive νοήματα aliquo modo hîc locum habent.

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Quae est utilitas Categoriarum ? Categoriarum utilitas, ut Simplicij utar [13] verbis: πρὸς δὲ τὴν τῆς ὅλης φιλοσοφίας καὶ πρὸς τὴν τῆς λογικῆς πραγματείας sese extendit εἰσαγωγὴν. Quae causa Inscriptionis ? Obscurior paulò hîc Titulus est, neque enim statim capitur quid notet, illustrabitur autem, si alterius Tituli mentionem faciamus. Inscribitur ergò aliâs hic liber: τερὶ τῶν γενῶν τοῦ ὄντος. Qui Titulus indicat agi hîc de summis Generibus, id est, ultimis rerum attributis. Categoriae ergò attributa notant. Categoria enim nihil aliud est quàm ἀγόρευσις τινὸς κατὰ τινὸς, id est, praedicatio alicujus de altero. Quis Auctor? Author alicujus libri, ut observatum est à viris clarissimis, 4. argumentis dignosci potest. 1. ex similitudine φράσεως, si videlicet libri, de quo quaeritur φράσις consentiat φράσει ejusdem libri alterius. 2. Ex similitudine νοημάτων, id est, harmoniâ & convenientiâ sententiarum. Verisimile enim est unumquemque sibi ubique consentire. 3. Si librum eum pro suo agnoscat in alijs scriptis, de quibus nulla sit dubitatio, quin ejus autoris sit. 4. Denique si discipuli ejus γνήσιοι cum doctoris sui doceant esse. Priora duo argumenta non semper valent in Aristotele. In scriptis enim Exotericis, id est, [14] popularibus et communibus, ut ante dixi, stylus Aristotelis fluens est, & sententiae populares, quaeque acumen Aristotelis non sapiunt. In Acroamaticis verò pressum & concisum genus loquendi amat, unde saepe ejus πυκνότης a Philosophis commendatur. Atque ubi ex professo de rebus loquitur ; accuratè & secundum animi sui sensum loquitur. Itaque cum hic liber sit Exotericus priora duo indicia locum non reperiunt. Posteriora verò duo docent hunc libellum Aristotelis esse. Citat n. Aristoteles has Categorias ut à se scriptas in Metaphysicis, Physicis & de Animâ libris. Citant deinde σπουδαίοτεροι [sic] τῶν ἑταίρων αὐτοῦ, id est, studiosiores Sectatorum ejus, puta, Theophrastus, Eudemus, Alexander, Simplicius. Quis ordo Categoriarum ? In vestibulo operis Exoterici Logici locandum hunc libellum satis evincit titulus Adrasti, qui inscripsit, ut suprà quoque monuimus, Antetopica. Nam quod aliqui ante libros Metaphysicos exponi debere contendunt, mirificè frustra sunt.

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Nam & autoritas primò eos convincit Interpretum, qui uno consensu referunt ὑπὸ τὸ ὀργανικὸν. 2. Ipsa rei Tractatio, quae diversißima est à tractatione Metaphysica. Et si enim in Metaphysicis Categoriarum mentio fiat, longè tamen alio consilio & scopo. Quia videlicet [15] ex numero τῶν μολλαχῶς λεγομένων earum aliquae essent, omnium enim mentio non fit, quod faciendum tamen omninò fuerat, si ad Metaphysicam ulla ratione pertinerent. Neque verò ijs assentimur etiam, qui putant Categoriarum libellum ideo in vestibulo collocandum, quia totius πραγματείας λογικῆς contineat subjectum, res scilicet omnes brevi tabula depictas. Subjectum enim Analytici Operis syllogismus est & Demonstratio, quo res non nisi ἐπομένως pertinent. Subjectum Dialecticae est tradere methodum disputandi ἐξ ἐνδόξοις, quo rerum rudis aliqua non inutilis cognitio esse videtur, videl. ut modi κατηγοριῶν inde eliciantur, quod tamen ita accipiendum, ut prima Dialecticto cura de verbis assignetur. Rectè enim Themistius, Dialecticum à verbis progredi ad res: philosophis à rebus ad verba. Falluntur deinde illi quoque, qui in vestibulo ideò collocant, quoniam κατηγορίας generalis inventionis fontem esse censent. Etsi enim eo quoquo modo inservire possunt; id tamen praeter mentem autoris est, de quo jam suprà satis. Quae διαίρεσις in Partes? Libellus hic in tres dividitur partes. In τὰ πρὸ τῶν κατηγοριῶν, in τὰς κατηγορίας, & in τὰ μετὰ τὰς κατηγορίας. In antepraedicamenta, praedicamenta, & postpraedicamenta. In Ante- [16] praedicamentis dicuntur utilia quaedam ad διδασκαλίαν τῶν κατηγοριῶν sicut Geometer aliquis antequam ad Theoremata accedat, communia quaedam προδιδάσκειν consuevit: quod sit punctum, quid linea, quid circulus: Decem etiam Categoriarum enumeratio, succinctaque quaedam explicatio adjungitur: ἔμελλεν δὲ τοῦτο, inquit Ammonius ἵνα μὴδὴ δόξη τῶν λόγων ταράττειν. In secunda parte ipsae Categoriae uberius pertractantur sic ut describantur, dividantur & proprietatibus quibusdam illustrentur. In tertia rursus vocum quarundam expositio est, quarum in Categorijs fuerat mentio facta. Cur non explicuit eas in Antepraedicamentis? Movet hanc quaestionem Ammonius & respondet, quòd voces eae, de quibus Aristoteles in Antepraedicamentis agit, partim plenè sint ἄγνωστας, sic ut prorsus earum nullam cognitionem habeat ὁ πολὺς ἄνθρωπος. Partim verò sunt cognitae ἐξ συνηθείας sive consuetudine, explicatione tamen & διαρθρώσεως indigentiâ. Quae ergò prorsus ignotae erant voces, necessariò ante Categorias erant explicandae. Ijs enim ignoratis, non erat facilè intelligere, quae de Categorijs dicerentur.

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Illa verò ἀδιαρθτρώτως ἡμῖν ἐγνωσμένα post praedicamenta posuit. Neque cum [17] Antepraedicamentis conjunxit, quia jam aliquo modo nota essent. Item ne πάρεργα prolixiora fierent ipso ἔργω. [119] In Libros Topicos. Quid proximè Categorias sequitur? Methodus Dialectica, ab Aristotele & libris Topicis, & duobus Elenchorum Sophisticorum absoluta. Quid libris περὶ ἑρμηνείας fit? Quare eos omittis? Multi magni viri in eâ sunt sententiâ, Aristotelis prorsus non esse, inter quos maximè hoc urget Franciscus Patricius. Alij tamen propter πυκνὸν νοημάτων & συνεφιγμένον τῆς φράσεως, id est, sententiarum copiam & phrasin spissam, Aristotelis esse censent, sed extra ordinem scriptum in gratiam, [120] alicujus discipuli, qui sibi doctrinam de propositionibus à praeceptore praescribi petierit. Nos omittimus ideò, quia quae de Propositionibus ibi aguntur, pleraque in prioribus Analyticis habentur, certè ea, quae usum in Philosophiâ potissimum habent. Quae est Scopus hujus Operis Dialectici? Tradere Methodum, quâ vel nostram sententiam per consentanea hominum opinionibus tueri, vel alienam possumus impugnare: quod quia olim interrogando & respondendo fiebat, hinc Dialecticè dicebatur, ut monuit Diogenes Laertius in Euclide. Unde facilè apparere potest, hanc artem maximè vicinam esse Rhetoricae, quae item alijs quod vult persuadere satagit, aut alienam sententiam oppugnat. Quae est utilitas hujus Methodi Dialecticae? De eâ hîc dicendi locus non est. Erit autem cum in ipso textu versabimur. Cap. enim secundo libri primi diligenter utilitates ipse persequitur auctor. Quae sunt appellationes hujus artis? Variae apud varios: partim ab officio interrogantis & respondentis sumptae: partim à [121] materiâ subjectâ, id est, inventione locorum partim à modo considerandi. Sunt autem appellationes hae: μέθοδος ἐρωτηματικὴ, ἐπιχειρηματικὴ, ἑυρετικὴ [sic] τῶν ἐπιχειρημάτων, μέθοδος τῶν λόγων, μέθοδος πορίσαι τοὺς λόγους, μέθοδος περὶ τὰς προτάσεις, μέθοδος γυμναστικὴ, μéθοδος ἐξεταστικὴ,

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μέθοδος τοπικὴ, μέθοδος συλλογιστικὴ, πραγματεία περὶ τὰ ἔνδοξα, δύναμις τοῦ διαλέγεσθαι, τέχνη τῶν διαλόγων, denique διαλεκτικὴ. Cujus est hoc opus Dialecticum ? Revera Aristotelis. Quanquam enim stylus hîc solutus sit & fluens, non pressus aut concisus, quanquam item multa hîc communia, atque à nobili Philosophiâ Aristoteliâ aliena, quae duo Patricium, movêre ut dubitaret tamen monuimus jam suprà, & hîc iterum inculcamus, attendendum esse à discrimen librorum Acroamaticorum & Exotericorum. In Acroamaticis enim libris Aristoteles conciso dicendi genere usus est, sic ut more ejus seculi Philosophiam, quam alij fabulis, alij analogijs, alij imaginibus obnubilabant, styli obscuritate conderet. In Exotericis verò copiosè & eleganti scripsit sermone, unde Cicero eum aureum flumen appellare solitus est. Convenientiam verò sententiarum quod attinet, eam Aristoteles libris Exotericis non spectat, sed populariter & ἐνδόξως ibi [122] loquitur. Caeterùm Aristotelis omninò esse, manifestè arguit locus ex Topic. cap. 5. ubi ait Aristoteles: Nusquam quicquam dictum esse à quoquam de officio interrogantis & respondentis, se principem de eâ re acturum. Nam si discipulus aliquis Aristotelis hos libros scripsisset, cujus impudentiae fuisset dicere, nihil de officio respondentis scriptum esse, cum constet, Aristotelem libro etiam Topicos scripsisse. Quo loco libri Topici doceri debent; rectenè Analyticis praemittuntur? Omninò, Categorias enim primo loco doceri debere, extra omnem controversiam est. At illae olim Ante Topica dicebantur, non Ante Analyica. Malè ergo fieret si Analytica proponerentur. Deinde rectè olim Sextus Empyricus corpus imaginem esse animi: sicut ergò corpus squalidissimo carceri inclusum, subitoque eductum, solis nequit perferre radios, sed primò in opacum, paulatim in lucidiorem producitur locum: ita Mens ergastulo corporis densissimis veluti tenebris detenta, non subitò ad Analytici operis lucem deduci debet, sed Dialecticis velitationibus priùs exerceri & discere dubitare. Dubitatio enim est via ad cognitionem, ut suprà in Relatis monuimus. Quomodo dividitur hoc opus Dialecticum? Primò crassissimè in opus Topicorum & Elenchos. Deinde ipsi libri Topici subdividuntur in tres partes. In primum librum, qui ab Alexandro προτεχνολογία dicitur. Est enim in eo quasi praeparatio quaedam, ubi apparantur arma, quibus in omni genere problematum uti possumus. Docet enim primùm quid sit id, de

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quo agere velit, quomodo ab alijs differat, quas utilitates habeat. Posteà 4 attributorum genera, definitionem, genus, proprium & accidens explicat. Hinc de Dialectica quaestione & propositione, item Dialecticarum argumentationum generibus, quae & quot sint, item de quatuor rationibus, quarum beneficio magna argumentorum vis & copia administretur, quae ipse τὰ ὄργανα ἐυπορίας [sic] τῶν συλλογισμῶν appellat, agit, itâque primum librum concludit. Secunda pars continet sequentes 6. libros, in quibus agitur, quomodo Inventio ad singula problemata sit accommodenda, ut primò quae ad accidens tùm asserendum, tum refellendum, tàm simplex quàm comparatum pertinent explicet, quod sit 2. & 3. libro: Deinde proprij quaestionem pertractat, quod sit 4. lib. Tum quae ad generis, quod 5. lib. Denique quae ad definitionis quod 6. & 7. libro. Quibus omnibus libirs multi afferuntur [124] loci ad disputandum εἰς ἑκάτερον idonei. Tertia pars 8. lib. continetur, in quo primùm de officio interrogantis & respondentis disputat. Cùm enim duo sint διαλέγοντες, non eosdem sibi propositos habent scopos. Tandem περὶ γυμνασίας καὶ πείρας, id est, de exercitatione Dialecticae disputationis, quaedam sanè quàm suavia nobis praescribit. Atque sic partem Topicam absolvit. [366] LIBER VIII. TOPICORUM Quis est scopus hujus libri? Suprà totum Opus Topicum divisimus in tres partes. In quarum primâ, quae continetur libro primo, diximus Aristotelem προτεχνολογίαν τινα χρήσιμον κατὰ τὴν πραγματείαν: In alterâ quae τέχνη dici potest & libris sex comprehensa est, locos invadendae disputationis tradere. In Tertià usum hujus doctrinae monstrare, & veluti ἐπιτεχνολογεῖσθαι. Duas priores partes hactenus absolvimus, Sequitur tertia eaque nobilissima, de usu omnium hactenus traditorum praeceptorum. Partes libri constituimus tres, quarum primâ agit de τάξει item ἐρωτήσει καὶ ἀποκρίσει, breviter de officio interrogantis & respondentis. In secundâ quaedam disputationum πάθη afferuntur: neque enim omnes disputationes ejusdem generis sunt, sed aliae ἐπαινεταὶ aliae ψεκταὶ. In tertiâ praecepta γυμνασίας proponuntur, agiturque de umbratili disputatione, quâ uti quisque debet, antequam in solem ipsum progrediatur. [408] Atque ita 8. libros Topicos, hoc est, προαίρεσιν Dialectici absolvimus. Δύναμις, ut perficiatur, requiruntur Sophistici Elenchi, ad quam doctrinam deinceps. IN SOPHISTICOS ELENCHOS Clausulâ librorum Topicorum innuere videbaris Elenchos Sophisticos continuatum esse opus cum libris Topicis, estne ita ?

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Non innui, sed perspicuè dixi, idque nunc allatis in medium rationibus ostendam. 1. haec est: In Rhetoricis docet Aristoteles, ejusdem facultatis esse videre, quid sit verum, quod verò simile: Ergò ejusdem quoque facultatis est scire quid sit ἀληθῶς ἔνδοξον, et quid φαινόμενον ἔνδοξον. Neque quisquam hîc mihi dicat, ex superiorum tractatione subintelligi hanc potuisse. Et si enim veritas, attestante Galeno, paucissimis est contenta doceri, crescit tamen fides, quando non solùm veritatem cognoscimus, sed & paralogismorum causas ; neque sufficit etiam nosse res ἀορίστως in artibus, sed oportet omnia definian- [409] tur, & copiosius diducantur. 2. argumentum sumo ex 4. Metaphys. ubi Aristoteles comparans inter se Dialecticum & Sophistam, ait eos non differre δυνάμει, sed solâ τοῦ βιοῦ προαιρέσει, quod alter vir bonus sit, alter vir malus. Quod si ergò Elenchi Sophistici, non ad Topicos pertinerent; tum Dialecticus & Sophista non solùm βιοῦ προαιρέσει, sed etiam δυνάμει differrent. Dialecticus enim hanc doctrinam ignoraret. 3. argumentum suppeditat nobis ipse Aristoteles, qui libros Elenchorum citans 2. priorum Analyt. cap. 22. titulo citat librorum Topicorum. Deinde evincit hoc consuetudo Aristotelica, quae est, ut perpetuitatem operum indicet Exordio & Epilogo sibi invicem respondentibus; at quae proposuerat 1. Topic. dicere, ea non octavo concludit, sed extremo demum Elenchorum, adeoque perpetuum hac opus esse docet. Quae est αἰτία τῆς ἐπιγραφῆς, id est, causa Inscriptionis? Elenchus propriè est redargutio, quâ rationes aliorum evertimus, & sententiam demolimur: itaque Sophisticus Elenchus non est vera redargutio, sed sophistica & captiosa: quod ut rectè intelligatis, repeto ex superioribus dictis, Dialecticum ut plurimum esse ἀντιλογικὸν, id est, pauca probare; multa tollere: hujus aemulus est Sophista, Itaque libenter etiam redarguit, quia [410] verò ipsius ἔλενχοι sunt captiosi & vitiosi, dicuntur Elenchi Sophistici. Estque hic loquendi modus similis illis: virgo vitiata, pulchritudo fucata. Quis ergò scopus est horum librorum? Alexander refert quosdam veteres sensisse, scopum hujus operis esse modum tradere, quo alios possimus decipere & irretire. At hoc contra mentem Aristotelis est, cujus gravis est sententia suprà 8. lib. Nemo bonus conatur dicere falsa. Itaque his missis scopum Aristotelis facimus: Absolvere δύναμιν Dialectici, & docere, quomodo Sophistarum cavillationes eludere possimus & evitare. Quia verò teste Aristotele 2. Metaph. c. 1. nemo potest solvere, qui plicaturam non intelligit, λύειν δὲ οὐκ ἐστι ἀγνοοῦντα δεσμὸν, neque tamen dissecare licet

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more Alexandri, ideò primùm tradit Aristoteles Sophistarum technas, quibus decipere nos conantur, non eo fine, ut ijs utamur, sed ne dicipiamur, si alij illis utantur. Itaque Alexander pulchrè duplicem inscriptionis causam affert, dum ait hoc loco: διχῶς ἄν νοηθείη ἡ ἐπιγραφὴ καὶ ὅτι ἐλένχουσι σοφισταί, καὶ ὅτι ἐλέγχονται. [411] Omnesnè in universum huc pertinent Elenchi? Qui agit de auro, non explicat, quibus modis adulteretur argentum, sed quibus aurum: Ita cum hîc Aristoteles de Sophisticis Elenchis agit: sciendum est, eum solùm de ijs Elenchis agere, quae Dialecticae adversantur, ut infrà clarè cap. 8. docet. Reprehendenda ergò eorum opinio est, qui omnia ψευδογραφήματα scientiarum huc referri posse contendunt. Quaelibet enim scientia proprium aliquod habet quod ei adversetur. Atque ita ψευδογραφήματα dicuntur non Sophisticae captiones At communem quendam fontem omnium sophismatum tradi posse dicunt? Respon. nequaquam. Sicut enim communis idea pulchritudinis non praescribi potest: Alia enim pulchritudo viri est, alia foemine, senis alia, alia adolescentis: Ita nec fons communis tradi potest fallaciarum, aliter enim decipimus in hac, aliter in alia scientia. Atqui Nunnesius ait Aristotelem compilasse hos libros? Est ita, & citat quidem Platonis Euthydemum, & sanè si quis conferat, videbit plurimae exempla esse inde desumpta. Sed hoc non est compilare. Redigere enim exempla illa ad certum ordinem & capita certa, est summi ingenij, [412] quod ipsum fecit Aristoteles. Illustris vir Comes Montanus dicere solitus est omnes suas sententias aliorum esse, suos tamen libros, quia ille formam dederit. Formam autem dare, sit rei essentiam dare ; videte quae Lipsius sub initium operis Politici habet, neque verò hoc leve est: Multi enim ἐπιτστήμην habent, τρόπον ἐπιστήμην non habent, quem Platoni etiam defuisse fatentur multi φιλοπλάτωνες. Excelluere autem in eo duo imprimis viri, Aristotelis, ut apparet ex primo de partibus animalium, & Galenus, aureo libello de constitutione artis Medicae & lib. 6. de Methodo. Quae est divisio & summa librorum ? Libri sunt duo: Prior 13, modos τοῦ δεσμοῦ, hoc est, fallendi modos continet. Posterior rationem solvendi, quare φαντασία nostra decipiatur. Uterque liber difficillimus est, tum quia plura in illis menda, tum quia non habemus fidelem intepretem. Quem enim sub Alexandri nomine habemus, plurimis de causis suspectum habemus.

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[459] ARISTOTELIS ANALYTICORUM PRIORUM LIBER PRIMUS ; Quae sunt operis Analytici Prolegomena? Postquam hactenus opus Dialecticum perspicuè tractavimus: nunc sequitur opus Analyticum h.e. verum & genuinum Philosophiae organum, opus Acroamaticum, & non minùs elaboratum, quàm acutum. Ad cujus explicationem antequam accedamus. 1. de scopo laborandum nobis est, posteà de utilitatibus, tùm de causis Inscriptionis, inde de Autore, demùm de distinctione operis, denique quô referri debeat. Quis ergò operis Analytici scopus est ? Scopum sive institutum hujus operis aperit ipsemet [460] Aristoteles initio capitis primi cum ait: Propositum sibi esse, agere de demonstratione sive scientiâ demonstrativâ: huic primario scopo subservit tractatio alia, quae est de Syllogismo. Cùm enim omnis demonstratio sit syllogismus, ut rectiùs natura demonstrationis cognosceretur, syllogismi doctrina praemittenda fuit. Principale igitur institutum totius operis Analytici est ἀπόδειξις, minùs principale seu secundarium institutum Syllogismus. Quae est utilitas hujus operis ? Utilitas hujus operis verbis explicari non potest. Eustratius paucis verbis multa est complexus, per Analyticam hanc doctrinam perficitur, inquit, ἡ λογικὴ ψυχή. Philoponus summae, ait, eruditionis esse, summaeque sapientiae, posse internosse, quibus quaeque res propositionibus sit confecta. Simplicius: Quemadmodum, inquit, qui ad Circen accedunt, nisi moly herbam secum ferant, incantationibus ejusdem circumveniuntur: Ita, qui ad disputationes philosophicas accedunt, aut philosophorum scripta, nisi horum librorum doctrina praemuniti sunt, nil argunt: Afferunt enim solùm λόγους ἀλάζονας ut Plato ait, & judicium ineptum, neque sensus reconditiores capiunt. Quibus titulis insignitur hoc opus ? Aristoteles appellat opus Analyticum [461] alibi τρόπον ἐπιστήμης. Communiter appellatur Organon, item χεὶρ φιλοσοφίας. Unde dicitur Analyticum ? Graeci putant hunc titulum sumptum esse ex 3. sectione primi priorum, ubi agitur de ἀναλύσει syllogismorum in figuras & terminos, quae sententia admodum

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est inepta. Cui enim verisimile sit, tam nobile opus à paucis quibusdam capitibus minùs principalis institui nomen accepisse. Rectius & melius Eustratius, qui inscriptionem ex vocix origine, inscriptionisque causam venatur. Vox ἀναλύειν apud Graecos peregrinantium vocabulum est, ex peregrinatione domum redeuntium. Unde & Xylander verbum Διαλύειν apud Paulum rectè interpretatur per germanicum ausspannen. Inde vox translata est ad Mathematicas disciplinas, quae vocant ἀναλύειν inter alia significata, quando propositio reducitur ad aliquam priorem, à quâ dependet. Quae significatio huic quoque operi convenit; ἀπόδειξις enim nil est aliud, quàm proprium quodque πάθος revocare ad suum πρῶτον δεκτικὸν & primam suam causam. Itaque ex naturâ demonstrationis operi huic nomen Aristoteles tribuit. Cur dicitur τρόπος ἐπιστήμης ? Quia hoc opus docet rationem versari in sententiis cum fructu tàm in docendo quàm discendo, unde & puerili vocabulo παιδεία dicitur, [462] hoc est ut Scherbius vertit, docendi discendique prudentia. Ὄργανον appellatur quia revera tale est, & ad omnem Philosophiam conducit ; neque verò dignitatem ejus imminuit, quod ὄργανον appellatur: Nam organorum conditiones accipiuntur ab iis, quorum sunt organa ; & qujusque instrumenti dignitas ab eo sumitur, cujus est instrumentum. Quis est autor hujus operis ? Etsi Patricius ex numero librorum Analyticorum, quem citat Diogenes Laërtius, neget hos libros esse Aristotelis; tamen doctissimi quique Interpretes uno consensu, Aristotelis esse clamant, & operis subtilitas stupendaque eruditio sententiam eorum comprobat. Neque enim malè magnus quidam vir de hoc opere censuit: quicquid post lapsum Adami ingenio humano relictum fuerit, id omne in hoc opere conspici ; & alios quidem Aristotelis libros à magno aliquo Philosopho, si periissent, restitui posse ; hoc opus amissum irrecuperabile fore. Quae est operis divisio ? Omnes quatuor libri unum continuatum & absolutum sunt opus: Cave ergò separes, aut cum opere Dialectico confundas. Divisio ista quam praeferunt omnes libri in priores & posteriores Analyticos, ab Aristotele non est, sed ab Interpretibus, ut notavit Galenus, in Catalogo [463] librorum à se editorum: Et in secundo

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de placitis sive decretis Hippocratis & Platonis; Aristoteles, quos Interpretes Priores vocant, libros de syllogismo appellat; quos illi Posteriores, libros περὶ ἀποδείξεως. Itaque totum opus dividitur in Doctrinam de syllogismo, & in doctrinam de Demonstratione, quarum utraque duobus libris absolvitur. Quò pertinet hoc Opus ? Pars Philosophiae non est. Cùm enim modus sciendi inter scientias ipas referri non debeat: ἄτοπον γὰρ, inquit Aristoteles ἅμα ζητεῖν ἐπιστήμην καὶ ἐπιστήμης τρόπον, h. e. absurdum est, simul quaerere velle scientiam & sciendi modum: Itaque libri verè sunt Organici, adeoque errant Jesuitae, qui partem Philosophiae faciunt. Quae est divisio librorum de syllogismo ? In priore τὰ οὐσιώδη syllogismi h. e. quae essentiam ejus constituunt, explicantur: In posteriore τὰ ἐπουσιώδη & propria πάθη, h. e. virtutes & vitia syllogismi, item Cognata disquiruntur. Quae est specialis prioris libri dispositio ? Graeci in tres eam sectiones diviserunt, in quarum primâ Aristoteles agit de nudâ syllogismi formâ, [464] facitque quod aedificantes, qui initio carbone domum delineant ; Propositum enim est ei Analytica docere more Mathematicorum, qui nil admittunt, nisi sint principia, definitiones, hypotheses. Praemittit igitur hic quoque figuras, modos syllogismorum tàm utiles quàm inutiles cogentibus ad eam rem demonstrationibus usus. In secundâ Sectione agit de εὐπορίᾳ προτάσεων sive de facili medij Inventione, ubi & de σχέσει subjecti ad praedicatum, & praedicati ad medium, ex natura antecedentium, consequentium & repugnantium multa monet. In tertiâ Sectione de ἀναλύσει syllogismorum agit, docens qua ratione syllogismi è veterum scriptis erui, & ad figuras modosque suos reduci debeant. [554] ARISTOTELIS ANALYTICORUM POSTERIORUM LIBER PRIMUS. Quis est scopus horum librorum? Eum suprà sub principium Priorum clarè satis aperuimus, agere videlicet de Demonstratione, quae nobilissimum scientiae est Organon. Utilitas ejus facilè potest cuique liquere. Cùm enim scire summum hominis sit bonum, summum quoque erit illud, quod eò nos deducet. Praeclarè enim Alexander & verè, Organorum

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conditiones peti ait ab illis, quorum sunt organa. Alius quoque hujus Operis usus est: quanquam n. judicium, teste Quintiliano, aliter doceri quàm gustus & odoratus non possit: (doceri autem hi non possunt) mirificè tamen hoc opere acuitur judicium: distingvere enim hinc discimus solida ab infirmus, vera ab endoxis & falsis, necessaria à contingentibus. Summae verò eruditionis est, inquit Philoponus, nosse quibus quidque propositionibus confectum sit. Summa utilitatem hujus operis concludamus Eustratij verbis, qui opus hoc ait esse τελειτικόν τῆς λογικῆς ψυχῆς, id est perficere animam intelligentem. De In- [555] scriptione suprà quoque satis, itaque nil hîc lubet commemorari. Hoc moneo Pavisium duplicem ἀνάλυσιν hoc loco facere: in prioribus formae analysin spectatam, hîc materiae, quae plausibilis ratio quidem, inepta tamen. Quis enim formas rerum, quae simplices & impartibiles sunt, resolvat. Itaque hoc loco nil aliud quaeramus, quàm quod suprà dictum. De auctore, ut & de ordine nil haesitamus. Ad divisionem hujus tractationis totius de Demonstratione veniamus, quam apud Graecos nullam reperio. Inter Latinos Zabarellam sequor: Demonstratio, inquit, est Instrumentum, quo cognoscitur accidens inesse subjecto: Itaque duo hîc sunt capita generalia: 1. An insit πάθος. 2. Propter quam causam insit. In hisce duobus capitibus tota tractatus ratio vertitur. Specialis verò partitio potest quinque constitui membrorum, quorum duo priore absolvuntur libro, tertium posteriore. In primo membro progreditur Aristoteles à notione finis ad conditiones principiorum finis scientia est, conditiones principiorum inquiruntur demonstrationis. In secundâ parte inventis conditionibus principiorum demonstrationibus tanquam essentialib. ad propria demonstrationis πάθη venit. Atque huc usque primus liber. In 3 parte que libro 2. incipit, agit de proprietate praestantissimae demonstrationis τοῦ διότι, quod videlicet possit verti in definitionem. In quartâ resumit, quae in 3. prioribus membris, ne [556] nimium à proposito digrederetur, vel omissa consultò, vel breviter & confusè tractata fuerunt more Pictorum. Denique in ultimâ parte de cognitione principiorum agit, per quae Conclusio demonstratur. 12. Martini, Cornelius: De Analysi logica, 1619 CORNELII MARTINI ANDVERPII Professoris publici in incluta academia Iulia DE ANALYSI LOGICA TRACTATVS, In quo Multis illustribus exemplis ostenditur quid sit analysis Logica & quanta

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eius in omni omninò disputatione ac veritatis inquisitione neceßitas. HELMSTADI, Typis heredum IACBOBI LVCI, sumptibus Zachariae Raben. Anno M D CXIX. [1] PRIMA HVIVS TRACTATVS pars quae est De ANALYSI FORMAE. [1] CAPVT I. Quo ostenditur quid sit analysis Logica & quid inter hanc & analysin Rhetoricam & Poeticam intersit. [19] [. . .] Sed haec nostrae non sunt professionis; ostendere autem debuimus, vt stultissimum errorem deprehenderent auditores illorum, qui analysin Logicam cum oratoriâ siue Rhetoricâ confundunt. Nam de poeticâ nimis mirum est, quae etiam mentiri conatur, dummodo prosit & delectes. In [Marg.: De analysi poetica] mendacio autem veritatem non quaerit analysis Logica, non etiamsi comparatum sit ad veritatem, vt in fabulis & apologis fieri consueuit. Nihil enim Logica cum oratione pictâ, nihil ei cum figuratâ: simplex propria & nuda sit, circa quam ille versari volet. Quare si sint [20] quaedam [Marg.: Logica nihil admittit fictum, tropicum aut figuratum] figuratae & tropicae, in proprias prius conuerti debent, quàm aliquid de ijs decernat aut eas moretur Logicus. Quicquid igitur nonnulli de tropicis enunciationibus contendant, hoc certum est, Logicam non admittere enunciationem figuratam, & omnino eam tropo liberari debere, priusquam censuram de eâ habeat Logicus. Qui [Marg.: Non est vna & eadem inuentio argumentorum in Logica & Poetica.] autem eamdem hîc cum Logicâ inuentionem somniant, ab insanis parum dissident. Logica enim, quod saepè iam repetijmus, docet te argumenta quaerere ad veritatem, quam nihil moratur poetica. Neque minus, qui methodum poeticam à Logica poscet, delirus erit. Est enim id tam stolidum, vt ipse Ramus illud & viderit & corrigere conatus sit cap. 20. lib. dialect. 2. de crypticis methodi. Legant qui volent totum caput. Haec [Marg.: Nec vna methodus vel ipso Ramo teste.] igitur, inquit, in variis axiomatis homogeneis suoque, vel syllogismi iudicio notis methodus erit,

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quoties perspicuè res docenda erit: at cum delectatione motuue aliquo maiore in parte aliquâ fallendus erit auditor, homogenea quaedam reijcientur, vt definitionum partitionum, transitionumque lumina, &c. Reliqua inde petes. In quibus hoc saltem sani inest, quod methodum adhibendam esse vult, quoties perspicuè res [21] docenda sit. Perspicuè autem res docere est euidenter veritatem earum ostendere. Qui profectò finis cum sit vniuersae Logicae, etiam erit methodi. Quod si diligenter cogitasset & expendisset Ramus, nobis Logicam non corrupisset: de quo aliâs satis abendè egimus. Hîc verò cum fateatur ad fallendum auditorem multa saepè omittenda esse, & rerum quoque ordinem (verba eius sunt) initio inuerti, antecedentiaque nonnulla consequentibus postponi, itaque ad illam perfectae methodi regulam, hanc alicubi imperfectiorem formam non solum detractis rebus mutilam esse & superadditis redundare, sed ordinis sui quibusdam gradibus inuersis praeposteram esse, &c. idque non sine artificio fieri fateatur, restituat eos in integrum, ex quibus quâ tandem arte id fieri debeat, discere queamus, & oratoriam inuentionem reponat, dispositionem ne loco moueat, quaque arte poetae vnicam illam methodum quasi transforment, nobis ostendat, sed non in Logicis, verum in Rhetoricis, verùm in poeticis, ne ex lege suâ καθ’ ἁυτὸ reus trahatur Ramus ad iudicem & plagij poenas luat; vnicam autem illam perspicué docendi rationem, (verba eius recognoscite) quam hîc concedit, Logicae reseruet. Tum demum vel pueri intelligent, [22] longè aliter dissertationem philosophicam, orationem & poema resolui deberi, quod alia, vt loqui solemus, virtus sit Logicae, alia Rhetoricae, alia Poeticae. Legant auditores incomparabiles Iulij Caesaris Scaligeri commentarios de re poeticâ, opus plane doctum, & tandem contemtis glandibus ad fruges redeant. Sed haec obiter tantùm pertractauimus, ita tamen vt fundamenta tam planè demonstrauerimus, vt nemo, nisi qui aut coecus aut malus sit, dicere possit, se ea non videre. CAPVT IV. De oppositione propositionum Modalium & Coniunctarum sive hypotheticarum. In [Marg.: Turpißimo error Rami de oppositione modalium.] turpissimum hîc errorem incidit Ramus, censor (si dijs placet) sed sine populi suffragio, summi Philosophi Aristotelis, cum tamen, quid contradictoria, quid contraria, & quales essent oppositiones in Modalibus, tam stolidè ignorarit, quàm impudenter de ijs agere & in ijs Aristotelem refutare ausus fuit. [Verweisung auf schol. dial. lib. vii. octavum]

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Anhang 4: Katechismuspredigten in Exzerpten 1. Alardus, Wilhelm: PRAXIS CATECHISMI, 1619 PRAXIS CATECHISMI. // Oder // Christgleubiger Seelen Brautschmuck. // Das ist/ // Ordentliche Erklä= // rung der Fuenff Haeuptstücke des H. Cate= // chismi: Darinne richtig gezeiget wird/ wie ein Gottseliges // Hertze/ Jesu Christi/ des Königs aller Könige/ außerkohrne vertrawe- // te Braut / in täglicher andechtiger Ubung/ lernen mag/ wie es jederzeit/ Insonders // an diesem spaeten Abend der Welt/ gegen die hocherwuendschete selige Heimfüh= // rung/ zur Himlischen Hochzeit/ sich also bereiten und schmuecken möge/ daß // es Christo seinem allerliebsten Breutigam/ in Gnaden wolge-// fallen / und mit ihm zur ewigen Glori und Herrlig-// keit eingehen könne. // Aus Göttlicher heiliger Schrifft/ vnd den heiligen Altvä-// tern Ambrosio, Augustino, Basilio Magno: Bernhardo: Chry- // sostomo: Greg. Nazianzeno: Cypriano: Tertulliano, vnd // vielen andern/ insonders Luthero: // Mit allerseitz angehengten/ andechtigen Seuff= // tzern/ vnd Christlichen Gebeten. // Für alle andechtige Christliebende Hertzen / so auff die Erschei= // nung ihres Heylands / mit sehnlichem verlangen warten / und wie seine vertrawete // Braut / ohn auffhören wündschen: Komm bald HErr Jesu / komm bald: // Ja HErr Jesu komm bald: Apoc. 22. Zusammen gebracht/ vnd // in Druck gegeben: Durch // VVilhelmum Alardum L. P. Pastorn // zur Trempen in Holstein. // Leipzig / Gedruckt bey Lorentz Kober/ IN vorlegung // Henning Grossen/ des Jüngern/ Buchh. Anno 1617. – 23:629811Y. I Christgleubiger Seelen Brautschmuck / und vorbereitung zur Himlischen Hochzeit. Bey dem königlichen Propheten David / Meine Seele / im 45. Psalm / lesen wir ein uberaus schönes / und liebliches Brautlied / Welches / von wegen seiner fürtreffligkeit / ein Liedlein von den Rosen ist genennet worden. In demselben singet der heilige Geist unter andern also: Des Königs Tochter ist gantz herrlich inwendig / sie ist mit gülden Stücken gekleidet. Man führet sie in gestickten Kleidern zum Könige / und ihre Gespielen / Die Jungfrawen die ihr nachgeben / führet man zu dir. Man führet sie mit Frewden / vnd Wonne / vnd gehen in des Königes Pallast / etc.

Anhang 4: Katechismuspredigten in Exzerpten

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In diesen Worten redet der heilige Geist / von einer schönen wolgeschmückten Braut / so in grossen hohen Ehren / mit unaußsprechlicher Frewd und Wonne / jhrem außerwehlten Breutigam Christo Jesu / dem Könige aller Könige / Apoc. 1. Dem Erbherrn uber alle Heyden / Psal. 82. Dem Allerschönesten unter den Men[2] schen Kindern / Psal. 45. Dem Außerkohrnen unter viel Tausenden / Cant. 5. zugeführet / unnd zu seiner Rechten gestellet wird / Auff daß sie mit ihm in ewigkeit verlobet / und in Gnade und Barmherzigkeit vertrawet werde / Hose. 2 . Wenn nun / Meine Seele / dieße außerwehlte Braut dir bekandt / oder mit Freundschafft verwand were / und du jhrer Heimführung zusehen / und beywohnen möchtest / Woltestu solches nicht für eine grosse Ehre achten? Wenn denn diese Braut deine leibliche Schwester / Fleisch von deinem Fleische / und Blut von deinem Geblüte were / Woltestu solches nicht für eine grössere Ehre achten? Ja / wenn du / Meine Seele / diese Braut möchtest selbs seyn: Wenn diese wort von dir / so viel hundert Jahre zuvor geweissaget weren: wenn du zu diesen hohen Ehren kommen köndtest / daß du also geschmücket und gezieret / nicht nur / wie die Esther / so ein armes Waißlein gewesen / dem großmechtigen Keyßer Ahasvero, nicht nur wie die Helena / So vorhin / wie Ambrosius schreibt / eine Viehmagd gewesen / dem großmechtigen Kaiser Constantino, oder sonst einem großmechtigen Potentaten / Keyser / Könige oder Fürsten / Sondern Jeso Christo / dem Fürsten des Lebens / dem HERRN der Heerschaaren / und dem ewigen Könige / zugeführet / ihme vermählet / und beygelegt werden solltest: Woltestu solches nicht für die allergrösseste Ehre schetzen ? Woltestu dich nicht von Hertzen frewen ? Woltestu nicht hierauff alle deine Hoffnung setzen? Nun ist aber diese Braut keine andere / denn du selber / Meine Seele: Du bist eben die Außerwehlte / mit deren sich Christus hat verlobet in ewigkeit / in Gerichte und Gerechtigkeit. Hose. 2. Du bist eben dieselbe / davon er saget Esai 62. Du solt heissen / meine lust an jhr / und dein Land / lieber Bule. Und wie sich ein Breutigam frewet uber der Braut / So wird sich dein Gott uber dir frewen. Du / Meine Seele / bist dieselbe / davon er sagt / Esai. 54. Fürchte dich nicht / du solt nicht zu schanden werden / werde nicht blöde / denn du solt nicht zu spott werden: Denn der dich gemacht hat / ist dein Mann; HERR Zebaoth heisset sein [2] Name / und dein Erlöser / der Heilige in Israel / der alle Welt Gott genennet wird. Du / Meine

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Seele / bist dieselbe / die er seine Freundin / seine Schwester / und seine liebe Braut nennet; die jhm das Hertz genommen / Mit ihrer Augen einem / und mit jhrer Halsketten einer. Cant. 5. Ja / Meine Seele / du bist eben dieselbe / davon er sagt: Sechtzig sind der Königinnen / und der Jungfrawen ist keine zahl: Aber eine ist meine Taube / Meine Fromme / eine ist jhrer Mutter die Liebste / und die Außerwehlte ihrer Mutter / etc. Cant. 6. Derowegen / Meine Seele / dir ja gebühren will / daß du mit höhestem fleiß dahin trachtest / wie du recht geschmücket / und gezieret / für diesem deinem außerwehlten Breutigam erscheinen mögest. Denn / so wir Esther 2. lesen / daß die Jungfrawen / so dem Persischen König solten zugeführet werden / zwölff Monat lang müsten geschmücket seyn: Nemlich / sechs Monat mit Balsam / und Myrthen / und sechs Monat mit guter Specerey: Wie viel mehr wil dir gebühren / daß du mit allem fleiß geschmücket / und gezieret seist / wenn du für deinem außerkohrnen Freunde / und trawten Breutigam erscheinen solt ? Welchs du dir desto mehr solt angelegen seyn lassen / weil die zeit der endlichen Heimführung für der Thüre / unnd die Stunde gantz nahe herbey kommen ist / da der Breutigam ruffet Cant. 2. Stehe auff meine Freundin / meine Schöne / unnd kom her: Denn / sihe / der Winter ist vergangen; der Regen ist weg und dahin / die Blumen sein herfür kommen im Lande / der Lentz ist herbey kommen / etc. Stehe auff / meine Freundin / und kom / meine Schöne / kom her: Zeige mir deine Gestalt / laß mich hören deine Stimme; denn deine Stimme ist süsse / und deine Gestalt ist lieblich. Ja die zeit ist nahe / da es wird heissen Apoc. 19. Ich höret eine Stimme einer grossen Schaar / und als eine Stimme grosser Wasser / und als eine Stimme grosser Dönner / die sprachen Halleluja: Denn der Allmechtige Gott / hat das Reich eingenommen: Lasset uns frewen / und frölich seyn / und ihm Ehre geben: denn die Hochzeit des Lambs ist kommen / und sein [4] Weib hat sich bereitet / und es ist jhr gegeben sich anzuthun / mit reiner und schöner Seiden / (Die Seiden aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen) und er sprach zu mir: Selig sind die zur Hochzeit dees Lambs beruffen sind: Das sind warhafftige Wort. Da es denn / meine Seele / ferner mit dir heissen wird / wie Cant. 2. geschrieben: Ich sitze unter dem Schatten des ich begehre / und seine Früchte ist meiner Kehle süsse. Die Liebe ist sein Panir uber mir: Er erquicket mich mit Blumen / und labet mich mit äpffeln / denn ich bin kranck für Liebe. Seine Lincke liget unter meinem Häupte / und seine Rechte hertzet mich. Mein Freund ist mein / und ich bin sein / etc Weil nun / Meine Seele / solche hocherwündschete Frewdenzeit / je neher und neher herzu nahet / Wie solstu denn billich Tag und Nacht darauff bedacht seyn / daß du nach gebühr recht geschmücket / für deinem HERRN unnd allerliebsten Breutigam erscheinen mögest ?

Anhang 4: Katechismuspredigten in Exzerpten

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O HERR JEsu / mein außerkohrner Freund, und mein einiger Breutigam: Wer bin ich / und was ist meines Vaters Hauß / daß du mich hieher gebracht. 2. Sam. 7. und du deiner Braut erkohrn und erwehlet hast? Ach wenn du mich zu dem geringsten deiner Diener / und Dienerinnen verordnet hettest / were das je ein grosses: Wo kömmet mir denn das her / daß du mich so hoch gewirdiget / das ich deine Braut seyn sol? Ist doch diese Ehre dem Himmel niht erzeiget: Ist doch diese Ehre den heiligen Engeln nicht widerfahren / die du mir/ der ich doch nur Erde und Asche bin / anbieten thust? Ich bin / O HERR / viel zu gering aller deiner Barmhertzigkeit die du an mir gethan hast / und noch täglich thust. Genes. 32. Wie sol ich dem HERRN vergelten alle seine Wolthat die er mir thut? Psal. 116. Lobe den HERRN meine Seele / und was in mir ist / seinen heiligen Namen: Lobe den HERRN meine Seele / und vergiß nicht was er dir guts gethan hat / Psal. 103. O HERR ich bin dein Knecht / Ich bin [5] dein Knecht / deiner Magd Sohn: Dir wil ich danck opffern / und des HERRN Namen predigen; Ich wil meine Gelübde dem HERRN bezahlen / für alle seinem Volck: In den Höfen am Hause des HERRN / in dir Jerusalem / Haleluja. Weil auch / O mein außerwehlter Breutigam / die hocherwündschete zeit der frölichen / letzten Heimführung herzu nahet / und wir täglich auff die selige Hoffnung und Erscheinung deiner Herrlichkeit warten: Tit. 2. Daher auch die gantze werthe Christenheit / deine außerkohrne Braut / mit sehnlichem verlangen spricht: Rom. Apoc. 22. Ach so kom du außerwehlter Immanuel: Kom bald / Ja kom bald. Kom bald meins Hertzens Zuversicht / Laß sehn dein freundlich Angesicht / Kein Stund geht hin ich warte dein / Wie gern wolt ich bald bey dir seyn? Eile Jesu / Jesu eile: Ist doch die zeit herbey: Verzeuch nicht lengr die weile / Und mach uns endlich frey / Führ uns ins Himmelreich: Daß wir dein Antlitz schawen / Mit allen Engln uns frewen Deinem Ebenbilde gleich / Amen. Wo sol ich aber jemands finden und antreffen: der mich unterrichte / und lehre / wie ich recht gegen diese hocherwündschete Heimführung meines außerwehlten Breutigams mich bereiten möge?

Denselben / meine Seele / wo fern es dir

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ein ernst ist / magstu leicht und bald finden. Ich wil dir ihn zeigen und kund thun. Es ist aber nicht nöthig / daß du einen solchen suchest / wie dort der Käm [6]merer Hegai am Persischen Hofe war / der einer jeglichen Jungfrawen / so dem König Ahasvero solte zugeführet werden / ihren Geschmuck gabe / Esther. 2. Christus dein Breutigam ist selbs der Mann / welcher seine außerwehlte Braut schmücket und zieret. Er ist der sie salbet mit Balsam / und kleidet sie mit gestickten Kleidern. Er ist der sie zieret mit Kleinoten / unnd jhr Geschmeide an jhrem Arm / und Kettlein an jhren Halß legt: Er ist der ihr gibt Haarbande an jhre Stirne / und eine schöne Krone auff ihr Häupt setzet. Er ist der jhr zu essen gibt / eitel Semmel / Honig unnd Oel / etc. Ezech. 16. Dieser dein Heyland und Breutigam / kan dich anziehen mit Kleidern des Heils / und mit dem Rock der Gerechtigkeit bekleiden / wie einen Breutigam in Priesterlichen Schmuck / unnd wie eine Braut in jhrem Schmeide bereitet. Esai. 61. O HErr Jesu Christ / du Got meines Heils / der du mich / aus grosser Liebe / zu deiner Braut außerkohrn / und erwehlet hast / schmücke du mich / ziere du mich wirdiglich; Ziehe du mich an / mit Kleidern des Heils / und mit dem Rock deiner Gerechtigkeit / auff daß ich im heiligen Schmuck / deinen reinen Augen wolgefallen möge. Ach HErr / nim von mir / alles was mich wendet von dir. Ach HErr gib mir: Alles was mich bringet zu dir. Ach HErr nim mich mir / und gib mich gantz eigen dir.

Wo lehret und unterrichtet mich aber dieser mein Breutigam / wie ich als seine Braut gezieret und geschmücket seyn müsse? Diß lehret er dich in seinem H. göttlichen Wort. Denn darinne hat er seinen Rath und Willen dir geoffenbahret. Und zwar in deinem Catechismo / darinne dißfalls alles richtig und ordentlich verfasset / und zusammen gezogen ist / was zum waren Brautschmuck einer gleubigen Seelen gehörig ist. Sintemal der heilige Catechismus nichts anders ist / denn ein Mellificium, und süsse Honigswabe, so aus den allerheilsamesten [7] Blümlein göttlicher heiliger Schrifft / durch den heiligen Geist gesogen / und zusammen gezogen ist. Der heilige Catechismus ist nichts anders / denn ein Epitome, und kurtzer Außzug / altes und newes Testaments / darinne der recht Kern aller Prophetischen / und Apostolischen Lehren / auffs kürtzeste verfasset / zu finden / Also daß er daher auch Parva Biblia, eine kleine Bibel / Ja der Leyen Bibel mag genennet werden / darinne alles begriffen / was zu unser Seligkeit zu wissen nöthig.

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Wie solchs der thewre Mann Gottes Lutherus in seinen Tischreden darthut. Sintemal darinne verfasset und begriffen sind. I. Die heiligen zehen Gebot: die da sein Doctrina Doctrinarum, das ist / die fürnembste Lehre unter allen Lehren. 2. Das Symbolum oder die Bekentnis des Glaubens; welchs ist Historia historiarum: Eine Historia uber alle Historien / oder die allerhöchste Historia / darinne die unermeßlichen Wunderwercke Gottes von anfang biß in ewigkeit uns fürgetragen werden. 3. Oratio Dominica, das heilige Vater unser / Ein oratio orationum, ein Gebet uber alle Gebet / welches der allerhöheste Meister gelehret / und darinn alle geistliche und leibliche Noth begriffen hat. 4. Die hochwirdigen Sacramenta; die da sein Ceremoniae Ceremoniarum: Die höhesten Ceremonien / so Gott selber gestifftet / und eingesetzet hat / und uns darinn seiner Gnade versichert / etc. Der heilige Catechismus ist nichts anders / denn eine Regula vitae, eine Regel / und Richtscheid / darnach du / meine Seele / alle dein thun und lassen / alle deine Wort / Wercke und Gedancken richten solst. Der heilige Catechismus ist nichts anders / denn ein heller und klarer Spiegel / darinn du dich selbs täglich beschawen / und daraus vernehmen kanst / ob du auch / deinem Breutigam zu ehren / dich wirdiglich schmückest / und gegen seine Zukunfft bereitest. Der heilige Catechismus / ist nichts anders / denn ein hochbewärter Propierstein / an welchem alle Lehren können probieret / und geprüffet werden: Also / das wo ein Christ fleissig were / und hette mehr nicht denn den Catechismum / die zehen Gebot / den Glauben / das Vater unser / die Wort von der heiligen Tauffe und Abendmahl [8] er damit sich fleissig wider alle Ketzerey wehren / und auffhalten köndte / Wie abermal Lutherus schreibet. Ja der heilige Catechismus ist nichts anders / denn ein reiches Promptuarium, Eine volle / wolbestellte Schatzkammer / darinn aller Schmuck und Zierath; Schöne Feyrkleider / liebliche Kräntze / Ketten und Halßgehenge / unnd was sonsten zu deinem Brautschmuck gehörig / gefunden werden / etc. O selig bin ich / und uberselig / JEsu mein Heyland / und Breutigam / daß du mir diese grosse Wolthat erzeiget / und deinen Willen / in deinem Wort / so gnädiglich geoffenbahret: Auch in meinem Catechismo / so hell und deutlich / so ordentlich und richtig / so schlecht und einfeltig alles fürgestellet hast / was zu meinem Schmuck / und vorbereitung gegen die Himlische Hochzeit gehörig ist. Dir sey Lob / Preiß und danck in Ewigkeit. Ich bitte dich demütiglich / erzeige mir ferner deine Gnade; Schencke mir deinen heiligen und guten Geist / den rechten Wegweiser: Eröffne mir durch denselben mein Hertze / und leite mich in alle

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Warheit / daß ich in meinem Catechismo fleissig studieren / denselben recht verstehen / und darnach gehorsamlich alle mein thun richten möge / Amen. Ich bitte dich / gib mir nun auch anleitung / wie ich / nach ordnung meines Catechismi / mich denn recht zieren und schmücken möge? Das wil ich nach bestem vermögen thun; und durch beystand des heiligen Geistes / auff daß du einen Vorschmack künfftiger Tractation haben mögest / dir allhie ordentlich / und gleichsam auff den fünff Fingern / die Puncten zeigen / so zum waren Brautschmuck einer gleubigen Seelen gehören / und in den Häutstücken des Catechismi zu finden seyn. 1. Weil ich dich in einen Wunderschönen Lustgarten des heiligen Geistes führen / darin allerhand liebliche / schöne Blümein gefunden werden / daraus du das rechte Braut-Kräntzlein / darinn du deinem allerliebsten Breutigam gefallen mögest / flechten und winden kanst. 2. Wil ich dich in deines Breutigams reiche Schatzkammer bringen / und dir eine kunstreiche thewbare Halßkette / oder Halsband zeigen / zwölff an einander gefügten Gelencken / von zwölff kunstreichen Meistern zusammen gebracht / so dich viel herrlicher / denn alles Syrisches oder Ophyrisches Gold / zieren unnd schmücken können. 3. Wil ich dir ein schönes Kästlein eröffnen / und darinne ein köstliches wunderliebliches Kleinod von Brustgehenge / in gemelte Halßkette gehörig / zeigen. Welches mit sieben der aller thewbaresten Edelgesteinen gezieret ist. 4. Wil ich dich weiter führen zu dem rechten Brautbad / oder Jungelbad / welchs allen Unflat der Sünden abweschet / und hinweg nimmet; Also das kein Flecken oder Runtzel / oder das etwas an dir mehr zu finden / sondern du gantz heilig und unstrefflich seyest / Ephes. 5. In welchem Brautbad dir auch das reine / schneeweisse Ehrenkleid der Unschuld unnd Gerechtigkeit Christi angezogen wird / Esai. 61. 5. Endlich wil ich dich auch zum Brautmahl begleiten / da dir heilsame Krafftspeise / das krefftige Viaticum, die Wegespeise / und Ritterzehrung fürgetragen / und mitgetheilet wird; Damit du dich / meine Seele erquicken / und zu der letzten Reise und Heimführung krefftiglich stercken mögest / Biß daß du in deines Himlischen Breutigams Pallast kömmest: Da dich nicht mehr wird hungern / oder dürsten / Apoc. 7 sondern er dich mit dem Himlischen Manna speisen /

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Apoc. 2. und mit Wollust / wie mit einem Strom trencken wird / Psal. 36.

Diese Puncten / Meine Seele / zum waren Brautschmuck gehörig / werden dir im heiligen Catechismo ordentlich nach einander fürgestellet. Wovon ich nun ferner / vermittelst Göttlicher verleihung / dir einfeltigen Bericht thun / und anleitung geben wil: Wie dir täglich in deines Catechismi betrachtung / je mehr und mehr dich [10] schmücken / und gegen deines hocherwündscheten Breutigams Zukunfft bereiten mögest. Welcher Ehrenschmuck dich denn viel tausend mal herrlicher zieren wird / als aller irdischer Pracht der Weltkinder. Plinius zwar schreibt von der Lollia Paulina, deß Fürsten Cai Ehegemahls / daß sie einen Schmuck / von Smaragden / Perlein und Edelgesteinen / welcher zehen mal hundert tausend Gülden werth ist geschetzet / getragen habe. Alexander Magnus in seinem prächtigen Keyserlichen Kleide / darinn des HimmelsLauff gar kunstreich gewircket gewesen. Herodes in seinem güldenen Stück: Actor. 12. sind zwar auch prächtig gezieret gewesen: Aber aller solcher Schmuck / ist nur Koth und Staub / gegen diesen deinem Brautschmuck zu rechnen: Derowegen / Meine Seele / du desto fleissiger: und eifferiger darnach trachten solt. Das walt / Gott Vater / Gott Sohn / Gott heiliger Geist / die heilige hochgelobte Dreyfaltigkeit / unnd verleihe mir Gnade / daß ich diß alles mit begierigem Hertzen anhören / mit andechtigem Gemüthe fassen / recht gründlich vernehmen / getrewlich behalten / täglich betrachten / und darnach / mit gebührendem fleiß / mich richten / und mein gantzes Leben darnach anstellen möge: Auff daß ich Christo meinem einigen Breutigam im rechten Ehrenschmucke / wolgefalle / AMEN. [11] Das Erste Häuptstück des heiligen Catechismi: Die heiligen zehen Gebot. Oder Das Erste so zum Brautschmuck einer gleubigen Seele gehöret: Nemlich / der wunderschöne Lustgarten / darinne allerhand liebliche wolriechende TugendBlümlein / zum BrautKrantz / zu finden seyn.

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[14] Gib mir doch auch kurtze Anleitung / wie dieser Brautgarte unterschieden sey / und wie viel Krautbettlein darinne zu finden? Es Es ist dieser Seelen Garte gleichsam ein zweyfacher / oder gedoppelter Garte / in zweene Gefelder unterschieden. Die da sonsten die erste unnd andre Taffel der Gebot Gottes genennet werden. Im Ersten Theil dieses Brautgartens / findet man die thewren / edlen / und schönen Tugendblümlein / damit du insonderheit must gegen Gott gezieret seyn. [. . .] Im Andern Theil findet man / liebliche holdselige Blümlein / damit ein jeder Christen Mensche / gegen seinem Nehesten / muß geschmücket seyn. [. . .] In diesem Lustgarten / und gemelten zweyen unterschiedenen Gefildern / werden nun zehen Areolae, oder Krautbettlein / darauff die TugendBlümblein ordentlich gepflantzet seyn / gezehlet. Im ersten Theil des Gartens / findestu drey / Im andern Theil sieben Krautbettlein: Davon ich dir folgendes nach einander guten Bericht thun wil. [15] Es wird die Teilung 3 / 7 mit Väterzitaten gerechtfertigt. [16] Vom Ersten Krautbettlein im Geistlichen Brautgarten. Lieber / berichte mich nun ferner / was auff eim jeden Kraut-bettlein für EhrenRöselein zu singen / und wie dieselben zu gebrauchen seyn? Was sagstu von dem ersten Krautbettlein? Auff dem ersten Krautbettlein stehen mit schönen Blümlein nach der Gärtnerkunst gesetzet / unnd geschrieben diese Wort: Ich bin [etc.] Wie viel Tugendblümlein habe ich hie in acht zu nehmen / und wie heissen sie? Dieser Blümlein zwar / Meine Seele / werden allhie gantz viele gezehlet / Die fürnembsten aber sind diese: Ware Erkentnis Gottes. Unverfelscheter Glaube. Bestendige Liebe und Gehorsam / gegen Gott. Ware Gottesfurcht. Rechtschaffene Demuth.

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Solche Blümlein / Meine Seele / mustu nun wol in acht nehmen / dieselben abbrechen / und draus ein BrautKräntzlein winden / so wirstu deinem Breutigam wol gefallen. [. . .] [32] Diß habe ich nun gnugsam angehöret und vernommen. Was ist aber bey diesem ersten Krautbettlein weiter anzumercken? EInes ist noch ubrig / daß ich nemlich hie neben dich mit ernst warne / für schedlichem Unkraut / für verdrießlichen Distel und Dörnen / so der Feind Gottes / [33] und der Menschen / der leidige Sathan / diesen gemelten schönen Blümlein gar zu wider und entgegen / dieselben damit zu dempffen / zu hindern / und zu unterdrucken / in dem grossen Weltgarten geseet hat: Welchs Unkraut / leider / auch gar heuffig hin und wider gefunden wird. Ich bitte / wollest davon zu meiner heilsamen Warnung / nun weiter auch etwas berichten? Diß sol geschehen: Und auff daß du solch Unkraut recht lernest kennen und fliehen: Wil ich dessen Namen dir ordentlich allhie nach einander setzen / und erzehlen. Das Erste Unkraut heisset / Ignoratio Dei, Blindheit / oder Unwissenheit; Item / Verachtung Gottes. 2. Abgöttery 3. Ungehorsam und Feindschafft wider Gott. 4. Unglaube / Zweiffel und Mißtrawen. 5. Epicurische Sicherheit. 6. Hoffart und Stoltzheit. [325] Das Ander Häuptstück des heiligen Catechismi: Der Christliche Glaube. Oder Das Ander Stück zum Geistlichen Brautschmuck einer gleubigen Seelen gehörig: Nemlich / der Braut Christi schöner güldener Halßband / oder güldene Halskette / mit jhren unterschiedenen Gelencken. [326] Etliche schöne Namen so dem Christlichen Glauben gegeben werden.

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7 Annexe und Bibliographien

Breviarium totius Christianae Religionis. Symbolum [327] Regulam fidei brevem et grandem () [330] Normam Praedicationis () Turrim fidei () Historiam historiarum () [331] Calender durchs gantze Jahr (