Metaphysik absoluter Relationalität: Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik [Reprint 2010 ed.] 9783110872866, 9783110124385


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German Pages 545 [552] Year 1990

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Table of contents :
Vorwort
Bemerkungen zur Zitierweise und zum Literaturnachweisverfahren
Einleitung
ERSTES KAPITEL DIE ENTWICKLUNG DES WESENS ALS REFLEXION
§ 1 Einführung in Hegels Theorie des Wesens anhand einer Interpretation des Einleitungstextes zur Wesenslogik
§ 2 Die Logik des Scheins: Vom Sein zum Wesen
I. Das Wesentliche und das Unwesentliche
II. Der Schein
§ 3 Die Logik der Reflexion
I. Der spekulative Begriff der Reflexion
II. Die setzende Reflexion
III. Die äußere Reflexion
IV. Die bestimmende Reflexion
§ 4 “Negation” und “Negativitä” bei Hegel
I. Erste oder einfache Negation und doppelte Negation oder absolute Negativität
II. Der generative Charakter der absoluten Negativität
ZWEITES KAPITEL DIE LOGIK DER REFLEXIONSBESTIMMUNGEN
Einleitung
Hegels Theorie der Reflexionsbestimmungen als Kritik der traditionellen Axiomatik
§ 1 Die erste Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Identität und Unterschied
I. Hegels Kritik am Begriff der abstrakten Identität des Verstandes
II. Hegels Kritik am Satz der Identität und des Widerspruchs
III. Die spekulativ-dialektische Entwicklung der Identität und des Unterschieds im Haupttext
§ 2 Die zweite Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Die Verschiedenheit
I. Die spekulativ-dialektische Entwicklung der Verschiedenheit im Haupttext
II. Die Logik der Verschiedenheit als Verstandeskritik
§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Der Gegensatz
I. Einführung in Hegels Gegensatztheorie
II. Die spekulativ-dialektische Entwicklung des Gegensatzes im Haupttext
III. Hegels Lehre vom Gegensatz als Kritik des reflektierenden Verstandes
IV. Die entgegengesetzten Größen in der Mathematik
V. Hegels Deutung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten
§ 4 Die fünfte und sechste Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Widerspruch (V. Stufe) und Grund (VI. Stufe)
I. Die spekulativ-dialektische Entwicklung des Widerspruchs im Haupttext
II. Die sechs Stufen der Logik der Reflexionsbestimmungen
III. Die metaphysikkritische Bedeutung von Hegels Lehre vom Widerspruch
Literaturverzeichnis
Personenregister
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Metaphysik absoluter Relationalität: Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik [Reprint 2010 ed.]
 9783110872866, 9783110124385

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Christian Iber Metaphysik absoluter Relationalität

W DE G

Metaphysik absoluter Relationalität Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik von Christian Iber

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990

Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig — pH 7, neutral)

CIP- Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Iber, Christian: Metaphysik absoluter Relationalität : eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik / Christian Iber. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1990 Zugl.: Berlin., Univ., Diss., 1986 u.d.T.: Iber, Christian: Die Entwicklung des Lebens als Reflexion und die Logik der Reflexionsbestimmungen in Hegels „Wissenschaft der Logik" ISBN 3-11-012438-6

© Copyright 1990 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, D-100 Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, D-1000 Berlin 61

Vorwort "Wer Hegel verstehen will, ist noch immer mit sich allein. Er wird keinen Kommentar finden, der beim Lesen hilft, statt es nur ersetzen zu wollen" (Henrich (1971), 7). Dieses Diktum Henrichs gilt in besonderem Maße für die Lehre vom Wesen in Hegels Wissenschaft der Logik, den Teil der Logik, den Hegel selbst als den schwersten bezeichnete (vgl. Enz. § 114 Anm.). Obwohl die Wesenslogik als Gegenstand philosophischer Untersuchungen in den letzten Jahren immer größere Bedeutung gewonnen hat1, ist sie bis heute ein verschlüsselter Text geblieben. Eine der Schwierigkeiten, die sich bei jedem Versuch einer Interpretation von Hegels Wissenschaft der Logik ergeben, besteht darin, daß es offenbar leichter ist, über das Ganze angemessene Behauptungen zu formulieren, als in einzelne Gedankenableitungen einzudringen und sie so verständlich zu machen, daß sie nachvollziehbar sind. Hegel zwingt jedoch mehr als jeder andere große Philosoph dazu, seine Argumente für sich auf ihre Struktur hin zu untersuchen. Wer sich einen Begriff von Hegels spekulativer Dialektik machen möchte, muß sich auf eine Auseinandersetzung mit Hegel einlassen, die nicht vor Detailinterpretationen zurückschreckt. Allerdings muß die Konzentration auf Detailprobleme von Hegels Logik mit dem Blick auf deren Makrostrukturen verbunden werden. Denn eine sich auf den Hegeischen Text einlassende Interpretation ist der Gefahr ausgesetzt, eine bloße Wiedergabe oder Paraphrase des Hegeischen Textes zu sein. Sie muß daher gerade in der Nähe zum Text Distanz zu ihm wahren. Eine textnahe Interpretation kann nur gelingen, wenn sie zugleich den Gesamtzusammenhang und die Methode der Entwicklung der reinen Denkbestimmungen überschaut. Sie muß also, indem Ich denke etwa an Henrichs wegweisende Abhandlungen zur Reflexionslogik (1967), 95-156 sowie (1978), 203-324. Vgl. auch Rohs' Interpretation des GrundKapitels der Wesenslogik (1969) und neuerdings Schuberts (neo)-strukturalistisch inspirierte Auslegung der Wesenslogik (1985). Überhaupt sind erst mit Anfang der sechziger Jahre zahlreiche Studien zu Hegels Wissenschaft der Logik erschienen, während in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts gerade dieses Werk Hegels in auffälligem Maße vernachlässigt wurde.

VI

Vorwort

sie sich in die Detailinterpretation der Gedankensequenz verliert, auch einen Überblick über die Gesamtkonstellation behalten, in der der Gang der logischen Bewegung verläuft. Nur so ist eine wirkliche Aneignung von Hegels Denken möglich. Die vorliegende Arbeit ist eine kritische Satz-für-Satz-Interpretation der ersten beiden Kapitel der Wesenslogik. "Satz-für-Satz" vorzugehen bedeutet, jeden Satz, ja oft sogar jedes Wort, aus seinem Kontext heraus zu verstehen. Durch dieses Vorgehen wird die Gedankensequenz minutiös nachgezeichnet. So folgt die Interpretation im wesentlichen dem Duktus des Hegeischen Textes. "Kritisch" soll heißen, die Untersuchung will beschreibend, erläuternd und argumentierend Stück für Stück den Text erschließen, an wichtigen Stellen Alternativen zu seinem Verständnis erwägen und sie nach Gründen entscheiden. Auf diese Weise gewinnt die Satz-für-Satz-Analyse des Hegeischen Textes streckenweise den Charakter eines genauen Kommentars. Dieser Kommentar möchte eine Hilfe beim "Buchstabieren" (Gadamer (1966), 107) Hegels sein. Indem er sich nicht darauf beschränkt, den Gang des Ganzen ins Auge zu fassen, sondern die spekulative Ableitung der Gedankenbestimmungen im einzelnen analysiert, will er in die "Feinstruktur der Logik" (Henrich (1971), 132) eindringen. Hegel entwickelt zu Beginn der Wesenslogik einen ganz neuartigen Wesens- und Reflexionsbegriff in kritischer Auseinandersetzung mit dem traditionellen metaphysisch-ontologisehen Wesensbegriff und dem Reflexionsbegriff der traditionellen Reflexionsphilosophie. Die vorliegende Untersuchung verfolgt die Genese von Hegels Wesen sbegriff und stellt die These auf, daß die Entwicklung des Wesens als Reflexion die ontologiekritische Grundlegung einer Metaphysik absoluter Relationalität darstellt, die die Basis und den Ausgangspunkt für die kritische Umgestaltung der logischen Grundlagen aller bisherigen Metaphysik und Transzendentalphilosohie abgibt, die Hegel in der Logik der Reflexionsbestimmungen in Angriff nimmt. Beides zusammengenommen - die Entwicklung des neuen Wesensbegriffs und die durchgeführte Kritik an den logischen Grundlagen der ontologischen Metaphysik und neuzeitlichen Transzendentalphilosophie soll die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Metaphysik - auch und gerade gegen Kants Metaphysikkritik - unter den Bedingungen der Moderne neu begründen. Die beiden ersten Kapitel der Wesenslogik erweisen sich somit als grundlegend für Hegels Systemprogramm. Die Absicht der vorliegenden Untersuchung ist es, das ganze erste und zweite Kapitel der Wesenslogik fortlaufend und nach allen we-

Vorwort

VII

sentlichen Seiten hin zu kommentieren. Ein solches Vorgehen gestattet es, Hegels Argumentationsgang und Gedankenführung in allen Einzelheiten zu rekonstruieren, und erlaubt es somit, sich anders als nur thetisch über die Grundgedanken von Hegels Lehre vom Wesen zu verständigen. Auch wenn die Interpretation Hegels Grundgedanken der Wesenslogik so kohärent wie möglich verstehen möchte, kann sie viele Probleme und Perspektiven nicht berücksichtigen. So konnten vor allem schon vorliegende Interpretationen nicht in genügendem Maße kritisch gewürdigt werden. Eine solche kritische Durchsicht der Sekundärliteratur in die Interpretation in extenso einzubeziehen hätte aber den Rahmen einer Satz-für-Satz-Analyse des Hegeischen Textes zweifellos gesprengt. Auch Probleme der Grobgliederung und der Makrostrukturen der Logik bzw. Probleme des Verhältnisses von Logik und Gesamtsystem konnten nur in Umrissen diskutiert werden.2 Die vorliegende Arbeit wurde 1986 vom Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I der Freien Universität Berlin unter dem Titel 'Die Entwicklung des Wesens als Reflexion und die Logik der Reflexionsbestimmungen in Hegels "Wissenschaft der Logik'" als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie in Teilen überarbeitet. Mein herzlicher Dank gilt meinen Lehrern Michael Theunissen, Thomas Kesselring und Emil Angehrn, ohne deren aufmunternde, sachbezogene Gespräche und geduldigen Zuspruch die Arbeit nicht hätte fertiggestellt werden können. Ganz besonders verbunden bin ich meinem Doktorvater Michael Theunissen, der die Arbeit mit Vertrauen und großer Geduld gefördert hat. Zu meinen Hegel-Interpretationen hat wesentlich meine langjährige Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe über Hegels Logik beigetragen. Lore Huhn, Brigitte Gensch, Christian Döhring und Christian Kupke haben großen Anteil am Zustandekommen dieser Untersuchung. Wie sehr die kritische Auseinandersetzung mit ihnen allen meiner Arbeit in jeder Beziehung hilfreich war, ist mir selbst beim Abfassen dieser Schrift deutlich geworden.

Vgl. dazu das vor kurzem erschienene gründliche Werk von Hösle (1988), dessen Leistung darin besteht, die erste wirklich brauchbare, kritische Gesamtdarstellung von Hegels System gegeben zu haben.

Inhalt Vorwort Bemerkungen zur Zitierweise und zum Literaturnachweisverfahren Einleitung

V XVII l

ERSTES KAPITEL DIE ENTWICKLUNG DES WESENS ALS REFLEXION

25

§ l Einführung in Hegels Theorie des Wesens anhand einer Interpretation des Einleitungstextes zur Wesenslogik

27

§ 2 Die Logik des Scheins: Vom Sein zum Wesen I. Das Wesentliche und das Unwesentliche 1. Die wesenslogische Darstellung der ontologisch-metaphysischen Wesensbestimmung 2. Kritik der platonistisch-kantischen Chorismos-Theorie und ihrer skeptizistischen Folgen 3. Der Übergang vom Sein zum Schein als Kritik der metaphysischen Ontologisierung des Wesens II. Der Schein 1. Das Sein ist Schein a) Kritik des metaphysischen Scheins des Scheins

58 58

58

62

63 68 68 70

X

Inhalt

b)

2.

3. 4.

Kritik des Skeptizismus und des neueren Idealismus 77 Übergang vom Schein zum Wesen 82 a) Übersicht über den Gang der Argumentation in B.2 85 b) Die Überführung der Bestimmungen des Scheins ins Wesen 85 ba) Unmittelbarkeit und Negativität ( I ) . . . 89 bb) Gleichgültigkeit und Negativität 94 bc) Das Sein als kritisiertes Moment im Wesen 96 c) Die Überwindung der ontologischen Konzeption des Wesens 99 ca) Unmittelbarkeit und Negativität (II) . . 102 Das Wesen als der immanente Schein seiner selbst 113 Zusammenfassung der Logik des Scheins . . . . 117

§3 Die Logik der Reflexion 120 I. Der spekulative Begriff der Reflexion 120 1. Schein und Reflexion 120 2. Die Reflexion als in sich umgewendete Andersheit oder als sich auf sich beziehende Negation 122 3. Hegels spekulativer Begriff der Reflexion als Kritik am traditionellen Reflexionsbegriff. . . . 131 II. Die setzende Reflexion 142 1. Die Logik der absoluten Reflexion als Kritik des Affirmatismus der Schellingschen Identitätsphilosophie 142 2. Die Reflexion als Setzen: Die Konstitution der Unmittelbarkeit als Reflexion 147 3. Die Reflexion als Voraussetzen: Die Restitution der Unmittelbarkeit gegen die Reflexion 150

Inhalt

XI

4.

III.

IV.

Die Einheit von Setzen und Voraussetzen als absoluter Gegenstoß in sich selbst: Kritik der ontologischen Fundierung der Reflexion . . . 153 5. Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion 162 6. Der logische Status der äußeren Reflexion (I) . . 164 Die äußere Reflexion 169 1. Absolute und reale Reflexion 169 2. Der logische Status der äußeren Reflexion (II). . 172 3. Die Voraussetzungslogik der äußeren Reflexion 177 4 Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion 185 Die bestimmende Reflexion 192 1. Die bestimmende Reflexion als Einheit von setzender und äußerer Reflexion 192 2. Die ontologiekritische Pointe der Reflexionslogik 194 3. Die Konstitution der Reflexionsbestimmung in der bestimmenden Reflexion 198 4. Der ontologisch-metaphysische Schein der Reflexionsbestimmungen 203 5. Das System der Reflexionsbestimmungen als absolut relationales 211

§4 "Negation" und "Negativität" bei Hegel I. Erste oder einfache Negation und doppelte Negation oder absolute Negativität 1. Die erste oder einfache Negation 2. Die Negation der Negation oder die absolute Negativität II. Der generative Charakter der absoluten Negativität

219 221 221 223 229

XII

Inhalt

1.

2.

Die absolute Negativität in der Logik der Reflexion a) Selbstbezügliche Negation in der setzenden Reflexion b) Selbstbezügliche Negation in der äußeren Reflexion c) Selbstbezügliche Negation in der bestimmenden Reflexion Die absolute Negativität in der begriffslogischen Begriffssequenz Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit

229 229 231 232 234

ZWEITES KAPITEL DIE LOGIK DER REFLEXIONSBESTIMMUNGEN

239

Einleitung

241

Hegels Theorie der Reflexionsbestimmungen als Kritik der traditionellen Axiomatik

253

§ l Die erste Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Identität und Unterschied I. Hegels Kritik am Begriff der abstrakten Identität des Verstandes II. Hegels Kritik am Satz der Identität und des Widerspruchs 1. Satz der Identität a) Reflexionslogische Analyse der Verstandesreflexion der abstrakten I d e n t i t ä t . . . . b) Reflexionslogische Analyse des Satzes der Identität in der konkreten Anwendung c) Reflexionslogische Analyse der Form des Satzes der Identität 2. Satz des Widerspruchs

269 269 272 273 274

276 277 280

Inhalt

XIII

3.

III. A.

B.

Der synthetische Charakter der logischen Sätze der Identität und des Widerspruchs . . . . 282 4. Die Verkehrtheit der logischen Denkgesetze . . . 283 Die spekulativ-dialektische Entwicklung der Identität und des Unterschieds im Haupttext 285 Die Logik der Identität 285 1. Wesentliche und abstrakte Identität 285 2. a) Rückführung der Identität auf den absoluten Unterschied 296 b) Die Identität als Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied: die Identität als solche 304 Die Logik des absoluten Unterschieds 310 1. Der absolute Unterschied als einfacher Unterschied 312 2. a) Der absolute Unterschied als der Unterschied seiner von sich selbst 319 b) Der absolute Unterschied als der an sich selbst bestimmte Unterschied 326 3. Übergang vom Unterschied zur Verschiedenheit 328

§ 2 Die zweite Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Die Verschiedenheit I. Die spekulativ-dialektische Entwicklung der Verschiedenheit im Haupttext 1. Spekulative Herleitung der Verschiedenheit aus dem Zerfall der Identität 2. Verschiedenheit und äußere Reflexion 3. Die Verschiedenheit in der Betrachtungsweise der äußeren Reflexion: das Vergleichen 4. Hegels Kritik am Prinzip des äußerlichen Vergleichens 5. Übergang von der Verschiedenheit zur Entgegensetzung

331 331 331 339 347 352 355

XIV

Inhalt

6.

H.

Zusammenfassung der Logik der Reflexionsbestimmungen bis zum Gegensatz Die Logik der Verschiedenheit als Verstandeskritik 1. Hegels Deutung des Leibnizschen Grundsatzes der Verschiedenheit 2. Der Stellenwert der Logik der Verschiedenheit in Hegels Philosophie

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Der Gegensatz I.

II.

361 362 362 367

370

Einführung in Hegels Gegensatztheorie 370 1. Rekapitulation des Übergangs von der Verschiedenheit zum Gegensatz 370 2. Hegels Kritik an der Unterscheidung der Begriffe in "konträre" und "kontradiktorische" in der traditionellen formalen Logik . . . . 374 3. Hegels Kritik an der traditionellen Reflexionslogik 377 Die spekulativ-dialektische Entwicklung des Gegensatzes im Haupttext 380 1. Der Begriff des Gegensatzes 380 a) Rekapitulation der Logik der Reflexionsbestimmungen bis zum Gegensatz 380 b) Das Positive und Negative als Nachfolgerbegriffe von Gleichheit und Ungleichheit 386 c) Der Begriff des Gegensatzes als Beziehung reflexionslogischer Negativität 390 Exkurs: Die daseinslogischen Vorläuferbegriffe des Positiven und Negativen: Realität und Negation a) Die daseinslogische Herleitung von Realität und Negation b) Hegels Kritik am metaphysischen Paradigma von Realität und Negation

394 394 395

Inhalt

2.

3. 4. III. IV.

V.

XV

Die drei Formen des Gegensatzes 402 a) 1. Bestimmung des Gegensatzes (Gegensatzverhältnis I. Stufe = III. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen) 404 b) 2. Bestimmung des Gegensatzes (Gegensatzverhältnis I. Stufe) 407 c) 3. Bestimmung des Gegensatzes (Gegensatzverhältnis II. Stufe = IV. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen) 411 Kritik an der metaphysischen Verstandesansicht des Positiven und Negativen 418 Zusammenfassung der Logik des Gegensatzes . . . . 421 Hegels Lehre vom Gegensatz als Kritik des reflektierenden Verstandes 423 Die entgegengesetzten Größen in der Mathematik . . 427 1. Die erste Form des Positiven und Negativen in der Mathematik 428 2. Die zweite Form des Positiven und Negativen in der Mathematik 431 Hegels Deutung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten 433

§ 4 Die fünfte und sechste Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Widerspruch (V. Stufe) und Grund (VI. Stufe) I. Die spekulativ-dialektische Entwicklung des Widerspruchs im Haupttext 1. Der Widerspruch (V. Stufe) a) Rekapitulation der Logik der Reflexionsbestimmungen vom Unterschied bis zum Gegensatz b) Übergang vom Gegensatz II. Stufe zum Widerspruch c) Der Begriff des Widerspruchs d) Der Widerspruch des Positiven e) Der Widerspruch des Negativen

441 441 441

441 445 448 456 458

XVI

Inhalt

2.

II. III.

Die Auflösung des Widerspruchs a) Das negative Resultat des Widerspruchs: Das Zugrundegehen der selbständigen Reflexionsbestimmungen b) Das positive Resultat des Widerspruchs: Das Zurückgehen der Reflexionsbestimmungen in ihren Grund c) Die Rolle des Widerspruchs und seines positiven Resultats im System der Reflexion sbestimmungen d) Widerspruch, Antinomie und selbstbezügliche Negativität 3. Das Wesen als Grund (VI. Stufe) a) Der Rückgang des Gegensatzes durch seinen Widerspruch in seinen Grund . . . . b) Die Konstitution des Grundes als in sich umgewendete Reflexionsbewegung c) Die logische Struktur der Einheit des Grundes Die sechs Stufen der Logik der Reflexionsbestimmungen Die metaphysikkritische Bedeutung von Hegels Lehre vom Widerspruch 1. Hegels Satz des Widerspruchs 2. Der Widerspruch als Grund der Bewegung . . . a) Widerspruch und Ortsbewegung b) Der Widerspruch als Prinzip der Lebendigkeit überhaupt 3. Hegels Lehre vom Widerspruch als Kritik zentraler Paradigmen der traditionellen Metaphysik 4. Der Satz des Grundes

463

468

471

479 482 485 485 488 491 498 501 501 504 505 508

509 513

Literaturverzeichnis

519

Personenregister

527

Bemerkungen zur Zitierweise und zum Literaturnachweisverfahren Die Hegelzitate aus dem Haupttext des ersten und zweiten Kapitels der Wesenslogik werden fortlaufend durchnumeriert. Mit geringen Ausnahmen wird der gesamte Hegeische Text zitiert und interpretiert. Die Reihenfolge der Zitate ist im großen und ganzen dieselbe wie im Orginaltext. Die zur Erläuterung herangezogenen Hegelzitate, die nicht aus dem Haupttext der beiden ersten Kapitel der Wesenslogik stammen, werden nicht numeriert. In Hegelzitaten sind Hervorhebungen im Orginal durch Großbuchstaben, Hervorhebungen des Verfassers durch Kursivdruck kenntlich gemacht. Zitat- und Stellennachweise erfolgen nach den im Literaturverzeichnis angeführten Abkürzungen. Von einigen Ausnahmen abgesehen wird der Verfassername, das Erscheinungsjahr der Publikation und die Seitenzahl angegeben. Dabei steht das Erscheinungsjahr in runden Klammern unmittelbar hinter dem Verfassernamen. Die Seitenzahlen, auf die verwiesen wird, beziehen sich auf die im Literaturverzeichnis hervorgehobenen Auflagen und Ausgaben. Verweise auf Hegels Werke erfolgen nach den im Literaturverzeichnis angegebenen Abkürzungen. Bei allen Zitaten aus der Wissenschaft der Logik und der Phänomenologie des Geistes wird sowohl auf die im Meiner-Verlag als auch auf die im Suhrkamp-Verlag erschienenen Ausgaben verwiesen. Beispiel: "Phän., 29; 36" bedeutet: Phänomenologie des Geistes, Meiner-Ausgabe S. 29, Suhrkamp-Ausgabe S. 36. Die Schreibweise (Orthographie und Interpunktion) folgt der an der zweiten Stelle genannten Ausgabe (Suhrkamp-Ausgabe). Wo ich Schelling zitiere, übernehme ich die nicht modernisierte Schreibweise der faksimilierten Werkausgabe von 1856-61.

Einleitung I. Die bleibende Aktualität Hegels besteht in der spezifischen Stellung, die sein Denken im Diskurs der Moderne einnimmt. Er ist der erste Philosoph, der einen klaren Begriff der Moderne entwickelt hat, indem er die Beziehung zwischen Modernität und Rationalität freilegt und damit die Voraussetzung für das moderne Selbstverständnis. Mit der Moderne wurde die traditionelle Metaphysik durch die Aufklärung und Erkenntniskritik in eine Krise gestürzt. Die scheinbar feststehenden ontotheologischen Wahrheiten hatten sich vor der Vernunft zu rechtfertigen. Im Zuge der Vollendung der Aufklärung und Erkenntniskritik wurde auch das in den Strudel der Kritik gezogen, worauf sich das Denken bisher als unumstößliche Wahrheit beziehen konnte: die Rationalität der Vernunft. Mit der Substantialität der Substanz ist auch die apriorische Gewißheit der Einheit des Subjekts fragwürdig geworden. Hegel ist der erste Philosoph, der das Problem der Selbstvergewisserung der Vernunft in der Moderne als philosophisches Problem, und zwar als das Grundproblem seiner Philosophie wahrnimmt (vgl. Habermas (1985), 26). Und wenn der Satz Hegels, die Philosophie sei "IHRE ZEIT IN GEDANKEN ERFASST" (Werke 7, 26) auch in bezug auf die Moderne gilt, so gewinnt Hegel seinen Begriff der Philosophie aus dem philosophischen Begriff der Moderne. Das Prinzip der Moderne ist für Hegel die Subjektivität mit all ihren Momenten (Individualismus, Recht der Kritik, Autonomie des Handelns und nicht zuletzt die idealistische Philosophie selbst). Reformation, Aufklärung und die französische Revolution sind die historischen Schlüsselereignisse für den Durchbruch des Prinzips der Subjektivität. Die verschiedenen Gestaltungen der modernen Kultur - Gesellschaft, Wissenschaft, Moral, Kunst und Philosophie - sind ganz durch das Prinzip der Subjektivität bestimmt, dessen Struktur als solche in der idealistischen Philosophie erfaßt wird. Hegel sieht das Wesen der Moderne vor allem in der Kantischen und Fichteschen Transzendentalphilosophie reflektiert, denn Kant und Fichte ersetzen den substantialen Vernunftbegriff der traditionellen Metaphysik

2

Einleitung

durch die im Prinzip der Subjektivität gegründete Erkenntnis. Zwar ist die Transzendentalphilosophie für ihn der reflektierteste Ausdruck der Moderne, ohne daß in ihr jedoch die Moderne als solche begriffen würde. Denn Kant und Fichte begreifen die Ausdifferenzierungen des Prinzips der Subjektivität in der modernen Reflexionskultur nicht als Entzweiungen. Erst aus der Erfahrung der von der Moderne hervorgebrachten Entzweiungen entspringt für Hegel der philosophische Begriff der Moderne, der zugleich Kritik an ihr ist.1 Denn das philosophische Bewußtsein der Moderne stellt sich die Frage, ob das ihr zugrundeliegende Prinzip der Subjektivität auch ausreicht, die Rationalität der Vernunft, die sich aus allen historischen Verbindlichkeiten und metaphysischen Vorgegebenheiten gelöst hat, aus sich selbst heraus zu stabilisieren. In der Reflexion auf die Entzweiungen der Moderne erweist sich die Subjektivität und die in ihr begründet liegende Verstandesreflexion als einseitiges Prinzip. Dasselbe Prinzip, das die Ausdifferenzierungen in der modernen Kultur erbrachte, stürzt die Moderne in ein Zerfallen mit sich selbst und damit in eine Krise. Da die Moderne ihre eigene Rationalität aus sich selbst heraus entwickeln muß, will sie nicht hinter das mit ihr Erreichte zurückfallen, kann die Überwindung ihrer Krise nicht in der Verabschiedung, sondern nur in der kritischen Selbstreflexion ihres Prinzips, der Subjektivität, bestehen. Hegel gibt in der Differenzschrift von 1801 zwei Voraussetzungen der Philosophie an: 1. Das Bewußtsein der Entzweiungen in der Reflexionskultur der Aufklärung und 2. den Begriff des Absoluten, den er von Schelling übernimmt (vgl. Werke 2, 24). Doch hat der Begriff des Absoluten für Hegel schon damals nicht den Sinn einer metaphysisch vorgegebenen Wahrheit, die gegen die Entzweiungen geltend gemacht werden kann, sondern bezeichnet nichts anderes als das vernünftige Denken. Hegels Philosophie geht von der Unhintergehbarkeit und Autonomie des rein begrifflichen Denkens aus, weil sie der Auffassung ist, daß letztes Fundament der Philosophie das sein muß, was nicht konsistent negierbar ist, und das ist das Denken. Hegel ist daher ein "Wenn die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung und Wechselwirkung verloren haben und Selbständigkeit gewinnen, entsteht das Bedürfnis der Philosophie" heißt es in der Differenzschrift (Werke 2, 22; vgl. überhaupt Werke 2, 20-25). Während einerseits die Philosophie nach Hegel nur in der Krise entsteht, ist es andererseits ihr genuin "philosophische[s] Prinzip, die Entzweiung aufzuheben" (ebd., 34).

Einleitung

3

Philosoph, der Ressourcen der Rationalität entwickelt, die auch gegen die in der Moderne aufkommende Gegenaufklärung und Irrationalität ins Feld geführt werden können. Bereits im Skeptizismusaufsatz von 1802 stellt Hegel klar, daß ein Argument gegen das Wissen eine contradictio in adiecto, also inkonsistent ist (vgl. Werke 2, 249). Besonders wichtig wird diese Erkenntnis in Hegels Auseinandersetzung mit Kants Konzeption einer Kritik der Vernunft, die die Geltung der Vernunft nicht schon voraussetzt. Hegel zeigt, daß ein solcher Gedanke in sich widersprüchlich ist: "Erkennen wollen aber, EHE man erkenne, ist ebenso ungereimt als der weise Vorsatz jenes Scholastikus, SCHWIMMEN zu lernen, EHE ER SICH INS WASSER WAGE" (Enz. § 10 Anm.). In diesem Zusammenhang steht auch Hegels Polemik gegen die Kantische Auffassung von der Erkenntnis als einem Werkzeug oder Medium in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes (vgl. Phän., 63ff.; 68ff.). In der Auffassung von der Erkenntnis als einem Instrument wird unterstellt, es könne einen Standpunkt außerhalb dieses Mediums geben, was indes unmöglich ist: "Es ist, als ob man mit Spießen und Stangen auf die Wahrheit losgehen könnte" (Werke 20, 334). Wer sich vor der Erkenntnis Gedanken macht, ob überhaupt erkannt werden kann, begibt sich in den fehlerhaften Zirkel, die Erkenntnis bereits vorauszusetzen, die er bestreitet. Aus der Erkenntnis, daß das Denken nicht konsistent negierbar ist, folgt für Hegel die Absolutheit des Denkens. Nicht das Sein wie bei Schelling, Hölderlin und dem späten Fichte, sondern das Denken ist das Absolute. Die Entfaltung der in der Moderne in die Krise geratenen Rationalität der Vernunft ist Aufgabe und Zweck von Hegels Philosophie, deren Fundamentaldisziplin die Wissenschaft der Logik ist. Die absolute Idee, die abschließende Kategorie der Logik, ist nichts anderes als das seine Unhintergehbarkeit und Absolutheit und damit sich selbst begreifende Denken.2 Die Wissenschaft der Logik gipfelt in einer Theorie absoluter Subjektivität. Sie ist darin die Vollendung der neuzeitlichen Philosophie, die von Descartes mit einem an der Subjektivität orientierten Paradigma des Denkens eingeleitet wurde. Hegels Philosophie steht am Schnittpunkt zwischen neuzeitlicher Philosophie der Subjektivität und der modernen Philosophie der Subjektkritik. Anders aber als die mit dem Denken der Frühromantik, dem Denken Schellings und des späten Fichtes anhebende Subjektkritik hält Hegel in seiner Kritik an der neuzeitlichen Subjektivität am Prinzip der Subjektivität fest. Genau dieses Prinzip der Subjektivität gibt Schelling mit seiner Rede vom "unvordenklichen Sein" und Fichte mit seiner Rede von der "absoluten Abhängigkeit" des Subjekts preis. Schelling und der späte Fichte haben das Selbstbewußtsein als Selbstbeziehung dargestellt, die nur unter Voraussetzung einer ontologisch fundierten Identität zustandekommt,

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Einleitung

Welche Bedeutung kommt der Wesenslogik innerhalb der Logik zu? Um der Sache, die Hegel in der Wesenslogik behandelt, auf die Spur zu kommen, möchte ich auf Hegels Kritik an der sog. "Reflexionsphilosophie" in der Differenzschrift von 1801 eingehen. Hegel exponiert in dieser Schrift seine Kritik am Prinzip der Subjektivität, dem Grundprinzip der Moderne, nach der philosophischen Seite hin die dem sich auf sich beziehenden Subjekt entgleitet. Die moderne Subjektkritik, die von Schelling, dem späten Fichte über Feuerbach, Kierkegaard und Schopenhauer zu Nietzsche, Freud und Heidegger führt, läßt sich mit Habermas als tendenzielle "Unterwanderung des okzidentalen Rationalismus" (Habermas (1985), 158) interpretieren. Es ist das Verdienst von W. Schulz (1955) in der Konzeption eines dem Denken uneinholbar vorgegebenen Absoluten beim späten Schelling, die Nahtstelle zwischen deutschem Idealismus und den irrationalistischen Philosophien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ausgemacht zu haben. Allerdings ist zu fragen, ob das Prinzip der absoluten Subjektivität Hegels, das sich aus einer immanenten Kritik an der endlichen Subjektivität in der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes ergibt, hinreicht, um einen den Bedingungen der Moderne angemessenen Begriff von Rationalität zu entfalten, ob das Prinzip der Subjektivität in Hegels Logik nicht zu ergänzen ist durch das Prinzip der Intersubjektivität, wie es jüngst Hösle (1988), 263ff. im Anschluß an McTaggart, Günther und Theunissen vorgeschlagen hat. Der Begriffslogik, in der Hegel das Prinzip absoluter Subjektivität entwickelt, bleibt der Vorwurf mangelnder Berücksichtigung der Intersubjektivität sicherlich nicht erspart. Die Wescnslogik steht zu dieser Frage jedoch noch indifferent. Vor der Konstitution der Subjektivität des Begriffs im Übergang zur Begriffslogik konzipiert sie Rationalität und Vernunft in einer ontologie- und verstandeskritischen Metaphysik absoluter Relationalität. Die grundsätzliche Ambivalenz der Hegeischen Philosophie liegt darin begründet, daß sie als Vollendung der neuzeitlichen Philosophie der Subjektivität zugleich auch am Anfang der modernen Philosophie der Subjektkritik steht. Aus dieser Schnittpunktstellung zwischen Neuzeit und Moderne erklärt sich die immer wieder festgestellte Spannung in Hegels Bestimmung der Philosophie, einerseits Kritik der neuzeitlichen Metaphysik und Subjektphilosophie, andererseits Restauration der traditionellen Metaphysik und Projektion einer absoluten Subjektivität zu sein (vgl. Theunissen (1978), Schubert (1985)). Letztlich gelingt es Hegel nicht, in der Kritik des neuzeitlichen Paradigmas der Subjektivität einen neuen Begriff von Subjektivität zu entfalten, ohne in den ontotheologischen Begriff absoluter Subjektivität zurückzufallen. Die logischen Grundkategorien Hegels bleiben - wie im ganzen deutschen Idealismus - Subjekt und Objekt. Allerdings entwickelt er in der Wesenslogik einen Begriff von Reflexion und Negativität, der diese Grundkategorien tendenziell übersteigt. Fallen die restaurativen Tendenzen in Hegels Logik - wie dies in der Literatur mehrfach ausgemacht wurde (Theunissen, Schubert, Hösle) in die Begriffslogik, so gilt das philosophische Programm der Wesenslogik gleichsam der Rettung der Rationalität der Vernunft in der Moderne in einer Kritik an der traditionellen ontologischen Metaphysik und neuzeitlichen Reflexionsphilosophie sowie deren kritizistischer Aufhebung durch Kant und Fichte.

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in einer Auseinandersetzung mit der Philosophie seiner Zeit, die er "Reflexionsphilosophie" bezeichnet. In Glauben und Wissen werden als die drei überhaupt möglichen Varianten der Reflexionsphilosophie Kant, Jacobi und Fichte genannt (vgl. Werke 2, 287). In der Einleitung und im Schlußteil der Differenzschrift erscheinen als Vertreter einer solchen Philosophie außerdem Reinhold und Bardili. Der Reflexionsphilosophie der Subjektivität steht die sog. "Metaphysik der Objektivität" (ebd., 430) gegenüber. Darunter versteht Hegel die vorkantische Metaphysik, wie sie von Spinoza und der Leibniz-Wolffschen Schule entwickelt worden ist. Gegen die mangelhafte Auffassung von Aufgabe, Gegenstand und Methode der Philosophie in der traditionellen Metaphysik und der "Reflexionsphilosophie" stellt Hegel sein eigenes Programm einer spekulativen Philosophie.3 Das Wesen der Philosophie besteht für Hegel in der Erhebung der Vernunft zur Spekulation, in der "Tätigkeit der einen und allgemeinen Vernunft auf sich selbst", die dadurch "das Absolute im Bewußtsein" konstruiert (Werke 2, 19). Die Reflexionsphilosophie ist bloß Erscheinungsweise des Absoluten, gleichwohl ist sie dessen notwendige Gestalt. Hegel sieht sie aus den 'Entzweiungen' der Verstandeskultur hervorgehen, die er auch die "Bildung des Zeitalters" (ebd., 20) nennt. Die reflexionsphilosophischen Systeme sind Erzeugnisse der Abstraktion des Verstandes; zugleich aber macht sich in ihnen als Erscheinungen des Absoluten das Absolute selbst geltend. Hegel unterscheidet in der Differenzschrift Verstand, Vernunft und Reflexion. Für den Verstand ist das Fixieren von Entgegensetzungen und das Festhalten an ihnen charakteristisch, für die Vernunft das Interesse, "solche festgewordene[n] Gegensätze aufzuheben" (ebd., 21). Die Reflexion schließlich wird als ein Denken charakterisiert, das sich durch Aufhebung des Endlichen zur Vernunft zu erheben vermag, durch Fixierung das "Tun der Vernunft" aber "wieder zum Verstand erniedrigt" (ebd., 21). Unter Reflexionsphilosophie wird also ein Philosophieren verstanden, das zwischen Vernunft und Verstand changiert, die in der Wirklichkeit des Absoluten vorhandenen Gegensätze in ihrer Entgegensetzung begreift und darstellt und darüber hinaus einerseits in irgendeiner Weise das Absolute zu erfassen vermag, andererseits aber nicht in der Lage ist, die Gegensätze wirklich aufzuheben. Die Reflexion erhebt sich also über den Verstand und bleibt andererseits zugleich beim Gegensatz von Verstand und Vernunft stehen. Daher werden die Einsichten der Reflexionsich beziehe mich im folgenden auf Hegels Ausführungen in der

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Philosophie nicht einfach für falsch erklärt. Die Kritik muß das zu bewahrende Notwendige und den zu überwindenden Mangel dieser Philosophie aufzeigen und verarbeiten. Die Vernunft richtet sich daher nicht "gegen die Entgegensetzung und Beschränkung überhaupt" (ebd., 21) des Verstandes - "denn die notwendige Entzweiung ist EIN Faktor des Lebens" (ebd.) -, sondern nur gegen "das absolute Fixieren der Entzweiung durch den Verstand" (ebd., 22). Die Aufgabe der spekulativen Philosophie ist dementsprechend, die Entgegensetzungen des Verstandes und die beschränkte Überwindung dieser Entgegensetzungen durch die Reflexionsphilosophie aufzuheben und die Entstehung dieser Entgegensetzungen zugleich als notwendig zu begreifen.4 Gemäß der Differenz von (Verstandes)-Reflexion und Vernunft unterscheidet Hegel zwei qualitativ verschiedene Formen der Aufhebung des Verstandesgegensatzes: a) Die bloß gedachte Synthese, in der die Vereinigung von Subjekt und Objekt von der Verstandesreflexion als Forderung postuliert, nicht aber realisiert wird; die absolute Synthese bleibt ein Sollen (ebd., 68). b) Die wahre Synthese, die durch die wahre Aufhebung der Entgegensetzung durch die Vernunft zustande kommt (ebd., 35, 70).5 Diese steht dem Verstand nicht etwa äußerlich gegenüber, sie geht vielmehr selbst aus der Fixierung durch den Verstand, der damit das "Gesetz der Selbstzerstörung" (ebd., 28) verwirklicht, hervor, vorausgesetzt, daß die Vernunft diesen Prozeß durchschaut. Dieser Prozeß der Fixierung der Gegensätze durch den Verstand, seiner darin realisierten Selbstzerstörung und die hiermit gegebene wahre Vereinigung der Gegensätze in der Vernunft sind der Schlüssel für das Verständnis des Verhältnisses von Verstand und Vernunft, Reflexion und Spekulation, und damit der Schlüssel für das Verständnis der Sache, die auf abstrakt-logischer Ebene in der Wesenslogik zur Darstellung kommt. Mit dem in der Differenzschrift formulierten "Gesetz der Selbstzerstörung" des Verstandes beansprucht Hegel, eine immanente KriDer Gegensatz von Verstand und Vernunft ist für Hegel kein nur innerphilosophischer, sondern das Charakteristikum des "ganzen Systems der Lebensverhältnisse", der "fortschreitende[n] Kultur" (Werke 2, 23) in der Moderne. In diesem umfassenden (auch gesellschaftlichen) Zusammenhang der Wirklichkeit sind der "Kampf des Verstandes und der Vernunft" und das "Bedürfnis nach Wiederherstellung der Totalität" (ebd., 24) einzuordnen, dessen Befriedigung Hegels Philosophie gilt. Ich übergehe an dieser Stelle, daß Hegel Vernunft in der Differenzschrift noch schellingianisch als intellektuelle Anschauung faßt und beschränke mich auf die wesenslogischen Prolepsen in dieser Schrift.

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tik des Verstandes zu leisten. Indem der Verstand in der Fixierung der Entgegengesetzten gemäß dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch den Widerspruch ausgeschlossen zu haben meint, schließt er ihn in Wahrheit ein, ohne sich dessen bewußt zu sein. Damit verwickelt er sich in einen Widerspruch zu seinem eigenen Prinzip der Widerspruchsfreiheit, also in einen Selbstwiderspruch, der die Inkonsistenz seiner Annahmen zum Ausdruck bringt. Im Bewußtmachen oder -werden dieses Widerspruchs realisiert der Verstand das Gesetz seiner Selbstzerstörung und wird Vernunft. Dieses Bewußtsein gewinnt Hegel in der Differenzschrift und in Glauben und Wissen sowohl aus einer Kritik an den verschiedenen Formen der Reflexionsphilosophie (Kant, Fichte, Jakobi, Bardili, Reinhold) als auch aus dem spekulativen Verfahren der Konstruktion absoluter Synthesen. Die Vernunft durchläuft verschiedene Stufen unvollkommener, die Entgegensetzung nur reproduzierender Synthesen bis zu einer höchsten und letzten Synthese, in der alle Bedingungen und Implikationen des Verstandes erkannt, gesetzt und reflektiert sind, und alle Entgegensetzung somit wirklich aufgehoben ist. Die Vernunft ist das Bewußtsein dieser Bewegung, in der sich die tätige Vereinigung der absoluten Subjektivität und der absoluten Objektivität herstellt (Werke 2, 45ff). Die Methode der Kritik einerseits und der Konstruktion andererseits verweist auf das Konzept der 'kritischen Darstellung" (Theunissen) in der Wissenschaft der Logik. Fassen wir die Dialektik von Verstand und Vernunft zusammen, soweit sie für die Wesenslogik bedeutsam ist: Während der Verstand die Fixierung der Gegensätze bewirkt, besteht die Vernunfttätigkeit in einer kritischen Reflexion auf diese Verstandestätigkeit. Die Kritik der Vernunft kann jedoch keinen anderen Standpunkt einnehmen, von dem aus der reflektierende Verstand kritisiert wird. Dieser kann nur vermittels der Be wußtmach ung seines Selbstwiderspruchs kritisiert werden, der ihn über sich hinaustreibt. "Die Hegeische Reflexion der Reflexion ist nach wie vor Reflexion, wenngleich sie der einfachen metaphysischen Reflexion, dem reflektierenden Verstand, ihre Borniertheit, ihren Mangel an Selbstreflexion vorrechnet. Nur so ist sie ihrerseits Se/6si-reflexion und nicht bloße Afeia-Reflexion" (Schubert (1985), 67). Wie hängen nun Kritik und systematische Konstruktion zusammen? Die Vernunft ist als Reflexion der Reflexion nicht nur Kritik der Verstandesreflexion in dem Sinne, daß sie deren Gegensätze aufhebt, sondern sie setzt und produziert auch das, was die Verstandesreflexion an sich ist, die Totalität der Kontradiktionen der Verstandesbestimmungen. Kritik und systematische Konstruktion sind gemeinsam das Bewußtsein der Notwendigkeit der

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Aufhebung der Verstandesgegensätze und der Notwendigkeit ihres Bestandes. Genau diese Form der kritischen Darstellung des reflektierenden Verstandes ist es, die in der Wesenslogik zur Anwendung kommt. Zentrales Thema der Wesenslogik ist die Darstellung und Kritik der von der traditionellen Metaphysik und neueren Reflexionsphilosophie vertretenen Auffassungen über Wesen, Reflexion, Identität, Widerspruch und Widerspruchsfreiheit etc.. Hegels eigenes, neuartiges Verständnis dieser Bestimmungen ist grundlegend für seinen Begriff vom Wesen der Philosophie und der Spekulation. II. Um die generelle Bedeutung der beiden ersten Kapitel der Wesenslogik für die Grundlegung einer universalen Relationsmetaphysik in der Lehre vom Wesen herauszustellen, seien einige charakteristische Züge der Hegeischen Logik insgesamt skizziert. Die Charakteristika, auf die ich mich hier beschränken will, ergeben sich aus der Beantwortung der beiden Fragen: 1. Was ist die leitende Erkenntnisabsicht der Hegeischen Logik? 2. Was ist das Eigentümliche und Spezifische der Hegeischen Logik? 1. Hegels Philosophie überhaupt und im ganzen zielt auf eine umfassende Auffassung der Wirklichkeit ab. Hegels System ist der letzte philosophische Versuch, Wirklichkeit im ganzen ohne Reduktion ihrer vielgestaltigen Erscheinungsweisen zu begreifen. Während die Naturphilosophie die Grundprinzipien des natürlichen Bereichs der Wirklichkeit zu ihrem Gegenstand hat, hat die Philosophie des Geistes die Aufgabe, die Kategorien des geistigen Bereichs der Wirklichkeit darzustellen (vgl. Hösle (1988), 74ff.). Das eigentliche Zentrum von Hegels Philosophie ist aber nicht die Realphilosophie, sondern die Wissenschaft der Logik. Gibt es aber einen Bereich der Wirklichkeit, dem sich speziell die Wissenschaft der Logik widmet? Hegels Konzept einer Wissenschaft der Logik beruht auf einer grundlegenden Voraussetzung. Diese Voraussetzung besteht darin, daß die Wirklichkeit, sei es die natürliche oder die geistige durch ideale Strukturen bestimmt ist, die der geistigen und natürlichen Realität noch vorausliegen. Es ist diese Voraussetzung, die Hegel gemeinsam mit Platon macht und die den absoluten Idealismus seines Systems begründet. Der geistigen und natürlichen Realität muß gleichermaßen eine abstraktere, ideale Struktur vorangehen, durch die sie prinzipiiert werden. Die kategoriale Verfassung der geistigen und natürlichen Wirklichkeit ist in Wahrheit also nur platonisch nach dem Vorbild der Ideen zu begreifen. In diesem Sinn ist Hegels Wissenschaft der Logik "reine Wissenschaft" (L. L, 30; 43), theoria tou kos-

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mou, wie Aristoteles sagt, die Schau des Universums als "das Reich des reinen Gedankens" (L. L, 31; 44).6 Die Wissenschaft der Logik erfüllt so die Rolle einer Fundamentaldisziplin in Hegels Gesamtsystem. Sie ist als reine Wissenschaft die Grundlegung einer Philosophie, die als Universalphilosophie auftritt, und ist als diese Grundlegung selber schon universale Theorie. Sie ist "die Wissenschaft der ABSOLUTEN FORM, welche in sich Totalität ist" (L. II., 231; 265). Es geht in ihr um das Universum in seiner natürlichen und geistigen Gestalt, aufgefaßt "im abstrakten Elemente des DENKENS" (Enz. § 19), also um das Ganze dessen, was ist, aber so, daß dieses Ganze rein in seiner idealen, absoluten Form ansichtig wird. Die Logik ist die reine Gestalt der "Intellektualansicht des Universums" (L. L, 31; 44). "Hegels Logik entwickelt wirklich ein System von Formen und Formverhältnissen, die allesamt dazu gebraucht werden können, Wirkliches in seinem Grundbestand und in seinem Gesamtzusammenhang in Begriffen aufzufassen. Wenn also 'Kategorien' allgemeine Charaktere des Wirklichen als solchen sind, so ist Hegels Wissenschaft der Logik' wirklich eine Kategorienlehre" (Henrich (1982 c), 189). Allerdings unterscheidet Hegel scharf zwischen logischen und realphilosophischen Kategorien. Die logischen Kategorien zeichnen sich durch ihre Reinheit und Substratlosigkeit und durch ihren allgemeinen, auf alles Seiende als Seiendes zutreffenden Charakter aus. Thema der Logik sind "die notwendigen Formen und eigenen Bestimmungen des Denkens" (L. L, 31; 44). Diese Formen und Bestimmungen sind in der Realphilosophie und in unserem natürlichen Denken und Bewußtsein immer schon auf gegenständliche bzw. raum-zeitliche Inhalte bezogen7, während sie die Logik an und für sich, d.h. frei von den Substraten, den Subjekten der Vorstellung, Seele, Welt und Gott (bzw. einem vorausgesetzten transzendentalen Subjekt), betrachtet (vgl. L. L, 47; 61). Die Gedankenbestimmungen sind, insofern sie nicht als Bestimmungen an einem Substrat genommen werden, abstrakte Objekte und Formen, die an sich selbst ihren Mit dem Wort "Reinheit" möchte Hegel ausdrücken, daß die logischen Bestimmungen von aller sinnlichen Konkretion befreit sind: "Die Logik ist die Wissenschaft DER REINEN IDEE". Sie hat es nur mit "reinen Abstraktionen zu tun" und erfordert "eine Geübtheit... sich in den reinen Gedanken zurückzuziehen" (Enz. § 19 Anm.). Zur Explikation der logischen Kategorien kann nicht auf Raum und Zeit zurückgegriffen werden. Raum und Zeit sind überhaupt die konstituierenden Bestimmungen der realphilosophischen Kategorien.

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Inhalt haben. Die Denkformen, die die Logik untersucht, sind zwar von gegenständlichen Inhalten als von Substraten losgelöst, aber nur deshalb, weil sie selbst schon der wahre Inhalt sind. Daß die Denkformen selber schon der wahre Inhalt sind, ist eine berechtigte Aussage, sofern die Denkbestimmungen das grundsätzlich Gedachte in jedem Denken sind. Die Ebene des Logischen, jene Sphäre idealer Strukturen, die aller geistigen und natürlichen Realität notwendig vorausliegt, konstituiert sich durch die "Befreiung von dem Gegensatze des Bewußtseins" (L. I., 30; 43) als dem Gegensatz "des Ich und seines Gegenstandes" (L. L, 45; 60) und befindet sich damit im Elemente des objektiven Denkens: "Sie enthält den GEDANKEN, INSOFERN ER EBENSOSEHR DIE SACHE AN SICH SELBST IST, oder DIE SACHE AN SICH SELBST, insofern sie EBENSOSEHR DER REINE GEDANKE IST" (L. I, 30; 43).« Der Ausdruck "OBJEKTIVER Gedanke" (Enz. § 24) faßt das Grundmotiv des objektiven Idealismus Hegels zusammen, wonach "Verstand, Vernunft in der Welt ist" (ebd. Anm.), ein Gedanke, den zuerst Anaxagoras mit dem Begriff des Nous ausgesprochen hat (vgl. L. I., 31; 44). 2. Worin besteht das Eigentümliche, das Spekulativ-Dialektische, der Hegeischen Logik? Die Aufgabe der Wissenschaft der Logik ist es, die Bedeutung und den systematischen Zusammenhang der von der traditionellen formalen Logik und Metaphysik überlieferten elementaren Begriffe zu untersuchen. In diesem Sinn ist die Logik "Formalontologie" (Henrich). Als Formalontologie ist sie eine Theorie, die die Grundbegriffe ontologischer Systeme, aber auch ganze ontologische Systeme selbst - in der Seinslogik etwa die Leibnizsche Monadologie "Das Logische ist [...] als ein System von Denkbestimmungen [...] aufzunehmen, bei welchen der Gegensatz des Subjektiven und Objektiven (in seiner gewöhnlichen Bedeutung) hinwegfällt" (Enz. § 24 Zus.l), wie er Gegenstand dcrPhänomenologie des Geistes ist. Diese bringt die Erfahrung des Bewußtseins mit sich selbst und der Welt zur Darstellung. Sie ist wesentlich die Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des Bewußtseins und damit Morpheologie der verschiedenen geschichtlich auffindbaren Bewußtseinsgestalten, die als defiziente Wissensformen kritisiert werden. Das Voraussetzungsverhältnis von Logik und Phänomenologie des Geistes ist nicht von geltungstheoretischer, sondern allein von psychologisch-genetischer Bedeutung, denn der Begriff der Wissenschaft der Logik geht nach Aufhebung des phänomenologischen Bewußtseinsgegensatzes innerhalb der Logik selbst hervor (L. L, 29; 42), die insofern als voraussetzungsloses System betrachtet werden muß. Die kritische Einleitungsfunktion der Phänomenologie des Geistes kann daher von einem konsequenten Skeptizismus übernommen werden, wie Hegel in der Enzyklopädie sagt (vgl. Enz. § 78 Anm.; vgl. Hösle (1988), 58, 66).

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und die antike Atomistik (vgl. L. I., 147ff.; 174ff.) - ,auf ihre innere Konsistenz prüft und die Beziehung dieser Begriffe und Systeme untereinander. Hegel ging davon aus, daß es viele Ontologien gibt, die in einer bestimmten logischen Beziehung stehen. Die Logik als Formalontologie untersucht die Beziehung ihrer Formen. Die Denkformen, die Hegel in Anlehnung an Platon die "REINEN WESENHEITEN" (L. L, 7; 17) nennt, bilden jedoch kein unbewegtes Reich koexistenter Ideen wie bei Platon, sondern haben in sich Bewegung, die ihren Zusammenhang als einen genetischen konstituiert. Die Logik entwickelt die von der traditionellen formalen Logik und Metaphysik überlieferten Denkbestimmungen systematisch in einem genetischen Prozeß, in welchem aus einfachsten Begriffen immer komplexere entstehen. Das Konzept eines genetischen und generativen Systems der Begriffe gibt auch Einsicht in "ihre Bestimmtheit gegen- und ihr Verhältnis zueinander" (L. L, 46; 60), in ihre systematische Vernetzung miteinander (symploke).9 Die Wissenschaft der Logik ist darin wahrhaft wissenschaftlich, daß sie die Denkbestimmungen nicht nur empirisch aufnimmt - wie bei Aristoteles und Kant -, sondern gemäß der spekulativ-dialektischen Methode generiert: Über Aristoteles' Logik sagt Hegel, sie könne "höchstens auf den Wert einer naturhistorischen Beschreibung der Erscheinungen des Denkens, wie sie sich vorfinden, Anspruch machen" (L. II., 234; 269). Hegel wendet den von Kant gegen Aristoteles erhobenen Vorwurf, er habe die Kategorien bloß "rhapsodisch" aufgerafft (Kant, K.d.V., B 106f., A 81) gegen Kant selbst: "Bekanntlich hat es die Kantische Philosophie sich mit der AUFFINDUNG der Kategorien sehr bequem gemacht. ICH, die Einheit des Selbstbewußtseins, ist ganz abstrakt und völlig unbestimmt; wie ist also zu den BESTIMMUNGEN des Ich, den Kategorien, zu kommen? Glücklicherweise finden sich in der gewöhnlichen Logik die VERSCHIEDENEN ARTEN DES URTEILS bereits empirisch angegeben vor" (Enz. § 42 Anm.). Dagegen hebt Hegel lobend hervor, daß Fichte "diesen Mangel erkannt" habe, "indem er die Forderung einer Deduktion der Kategorien ausgesprochen, zugleich den Versuch gemacht hat, eine solche auch wirklich zu liefern" (Enz. § 60 Zus.2). "Das ist der erste vernünftige Versuch in der Welt, die Kategorien abzuleiten", schwärmt Hegel in den "Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie"(Werke 20, 401). Schillings Identitätsphilosophie stellt in gewisser Weise einen Rückfall hinter Fichte, ja sogar hinter Kant dar, da in ihr die Prädikate des Absoluten in keiner Weise aus dem Absoluten selbst hergeleitet werden. Absolute Identität, das EineSein, Unendlichkeit etc., die Schelling dem Absoluten als Bestimmungen zuspricht, werden keineswegs aus dem Absoluten gerechtfertigt, sondern aus der traditionellen Metaphysik 'aufgerafft'. Obgleich das Absolute Einheit von Subjektivität und Objektivität ist, wird diese Einheit nur substantial gedacht, so daß das Moment der Subjektivität, also das Moment reflexiver Selbstthematisierung, gleichsam durch die Objektivität neutralisiert wird. In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes stellt Hegel den entscheidenden Mangel von Schellings Konzeption des Absoluten deutlich heraus: "Es ist daher ein Verkennen der Ver-

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Spekulativ-dialektisch ist Hegels Logik erst als eine Theorie des notwendigen Beziehungs- und Bewegungszusammenhangs der Denkbestimmungen, der entsteht, indem aus den elementarsten und damit abstraktesten Bestimmungen immer konkretere hervorgehen. Die Wissenschaft der Logik beginnt ihre Darstellung mit den einfachsten Bestimmungen des Denkens und fahrt fort auf dem Weg zunehmender Anreicherung und Konkretion dieser Bestimmungen, so daß im Zusammenhang der Denkbestimmungen, welcher sich durch ihre bestimmten Beziehungen aufeinander ergibt, die reale Totalität als logische Gedankentotalität reproduziert wird. Das Grundinteresse von Hegels Logik besteht darin, im kritischen Durchgang durch ontologisch ausgerichtete metaphysische Begriffe und Begriffssysteme eine Metaphysik zu entfalten, die einen möglichst hohen Grad an innerer Konsistenz aufweist und die es erlaubt, mit dem von ihr bereitgestellten Kategorien zu einer wirklichen Erklärung und Erkenntnis der Welt zu gelangen. Die Logik zielt ab auf eine universale Relationsmetaphysik, die mit der Wesenslogik erreicht ist und die in der Begriffslogik zur konkreten Weltinterpretation wird. Hegels Wissenschaft der Logik ist nicht nur Metaphysikkritik, sondern Erneuerung der Metaphysik, wenn anders sie die "eigentliche Metaphysik oder rein spekulative Philosophie" (L. L, 5; 16) sein will. Sie möchte gegen Kants Metaphysikkritik die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Metaphysik neu begründen, und zwar durch die Kritik der vormaligen ontologischen Metaphysik ebenso wie durch die Kritik der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie.10 Von diesem Gedanken, daß das System der Denkbestimmungen und Denksysteme ein genetisches und generatives System ist, läßt

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nunfl, wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt wird" (Phän., 21; 25). Es komme daher alles darauf an, "das Wahre nicht als SUBSTANZ, sondern ebensosehr als SUBJEKT aufzufassen und auszusprechen" (Phän., 19; 23) - so Hegels wohl berühmtester Satz, der nicht zufällig eine Schelling-Kritik darstellt. Nach der allgemeinen Bedeutung des Wortes "Metaphysik* fällt für Hegel Metaphysik mit Denken überhaupt zusammen. An einer schönen Stelle erklärt Hegel, daß eine als Kategorienlehre verstandene Metaphysik von jedem Denken vorausgesetzt werde, und daß Macht über diese Metaphysik nur derjenige erlange, der sie expliziere. Genau das ist der Zweck der Wissenschaft der Logik: "Metaphysik heißt nichts anderes als der Umfang der allgemeinen Denkbestimmungen, gleichsam das diamantene Netz, in das wir allen Stoff bringen und dadurch erst verständlich machen. Jedes gebildete Bewußtsein hat seine Metaphysik, das instinktartige Denken, die absolute Macht in uns, über die wir nur Meister werden, wenn wir sie selbst zum Gegenstande unserer Erkenntnis machen" (Enz. § 246 Zus.).

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sich das Spezifische der Hegeischen Logik erfassen. Hegels Logik ist Darstellung des Systems der Denkbestimmungen, die kraft ihrer eigenen Reflexion auseinander hervorgehen. Die Reflexion der Denkbestimmungen an ihnen selbst ist eine substratlose Bewegung und bedarf keines zugrundeliegenden Subjekts. Es gibt in Hegels Wissenschaft der Logik keinen dem System der Begriffe vorgängigen konstitutiven Grund. Was in Kants und noch in Fichtes Transzendentalphilosophie als gründend fungiert, die absolute Einheit des transzendentalen Subjekts, wird vom Systemzusammenhang des Ganzen der Denkbestimmungen übernommen.11 Der Zusammenhang von Subjektivität und System der Denkbestimmungen läßt sich an einem für die Hegeische Logik grundlegenden Unterschied verdeutlichen, dem Unterschied zwischen den bestimmten Begriffen im Plural und dem Begriff als Singularetantum, der sich im prozessualen Beziehungszusammenhang der bestimmten Begriffe selbst bestimmt und am Ende der Logik als absolute Idee, als Prinzip aller bestimmten Begriffe, für sich selbst hervortritt (vgl. L. L, 18; 29f.). Die Subjektivität des Begriffs ist nicht wie das transzendentale Subjekt vorausgesetzt, sondern wird in der Bewegung der Reflexion der Denkbestimmungen an 11

Die Wissenschaft der Logik überführt die transzendentale Logik in spekulativdialektische Logik. Nach Hegel betrachtet die transzendentale Logik Kants die Denkbestimmungen "nach dem Gegensatz von SUBJEKTIVITÄT und OBJEKTIVITÄT überhaupt" (Enz. §41), welcher Gegensatz dem Bewußtsein, also der psychologischen Sphäre, angehört. Demgegenüber setzt Hegels Logik "die Befreiung von dem Gegensatze des Bewußtseins voraus" (L. L, 30; 43). Obgleich Hegel die Wissenschaft der Logik ausdrücklich von der transzendentalen Logik abgrenzt, greift er doch auf eine ihrer Bestimmungen zurück. Nach dereinen Seite, nach der sie die apriorischen "Regeln des reinen Denkens eines GEGENSTANDES" (L. L, 45; 59) enthält, also nicht von allem Inhalt der objektiven Erkenntnis wie die formale Logik abstrahiert, integriert Hegel sie in die Wissenschaft der Logik. Nach der anderen Seite, insofern die transzendentale Logik die Gültigkeit der Kategorien auf die Einheit des endlichen Selbstbewußtseins zurückführt, kritisiert er ihren transzendentalen Charakter und ersetzt sie durch das Konzept der spekulativen Logik. Die objektive Logik, in die die transzendentale Logik überführt wird, betrachtet nicht mehr das "sogenannte TRANSZENDENTALE der Denkbestimmungen" (ebd., 46; 60), "die abstrakte, allen gleiche Relation auf Ich" (ebd.) und die "Apriorität gegen das Aposteriorische, sondern sie selbst in ihrem besonderen Inhalte" (ebd., 47; 62). Wenn Hegel das "reine Denken" als "ursprüngliches und notwendiges Tun" (L. L, 45; 60) bezeichnet, welches "im absoluten Sinne" (ebd.) schlechthin unendlich ist, so ist das nicht als ursprüngliche Tathandlung im Sinne Fichtes aufzufassen. Fichtes Tathandlung ist nämlich noch ganz in den "Schein von Subjektivität" (ebd., 46; 60) gehüllt. Für Hegel handelt es sich bei diesem Tun vielmehr um die Darstellung der logischen Kategorien in ihrem objektiven Beziehungszusammenhang.

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ihnen selbst allererst konstituiert. Zugleich aber ist der eine sich in der Bewegung der Denkbestimmungen konstituierende Begriff der Begriff, der durch alle bestimmten Begriffe als durch seine Momente hindurchgeht. Daraus ergibt sich, daß die bestimmten Begriffe den Begriff ebenfalls voraussetzen, wie er sie voraussetzt. Soll daraus kein fehlerhafter Zirkel entstehen, so muß der Begriff die bestimmten Begriffe in anderer Weise voraussetzen, als diese ihn. Um das doppelte Voraussetzungsverhältnis zwischen den bestimmten Kategorien und der höchsten Kategorie des Begriffs zu erhellen, greift Hegel auf den platonisch-aristotelischen Grundgedanken zurück, daß das Resultat das eigentlich Wahre ist.12 Die bestimmten Begriffe sind nur als sich selbst aufhebende eine Voraussetzung für den Begriff. Dieser macht hingegen explizit, was jene implizit schon voraussetzen, aber geleugnet oder ignoriert haben. Insofern ist der Begriff als Singularetantum unaufhebbare, absolute Voraussetzung für alle endlichen Kategorien.13 Hegels Logik ist daher als Monismus des Begriffs oder der absoluten Idee zu verstehen. Die Sache von Hegels Wissenschaft der Logik ist also das "DENKEN ALS SOLCHES" (L. L, 46; 60) und seine Bestimmungen als abstrakte Objekte und Formen, die an sich selbst ihren Inhalt haben und die für sich selbst in einer Bezüglichkeit stehen, die Prozeß genannt werden kann, der auf die objektive und reflexive Bewegung des Begriffs zurückgeht. Die logischen Kategorien sind von vorneherein auf reflexive Prozesse hin angelegt. Werden sie in ihrer negativen 12

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Den Gedanken, daß das der Entstehung nach Spätere der Sache nach früher sein kann, hat Aristoteles mehrfach dargelegt: vgl. Aristoteles, Met., 989a 15fT., 1028a 32ff., 1049b lOff., 1076a 36ff.. Mit diesem systematischen Grundgedanken der Wissenschaft der Logik löst Hegel noch ein anderes, aber damit zusammenhängendes Problem: Schon in der Jenaer Zeit erklärt Hegel, daß Fichtes Wissenschaftslehre und Schillings System des transzendentalen Idealismus nur unvollkommene Versuche einer reinen Logik oder spekulativen Philosophie seien (vgl. Rosenkranz (1844), 188). Fichtes Konzeption der Wissenschaftslehre von 1794 beruht auf dem - allerdings von ihm selbst zugestandenen und für unvermeidbar gehaltenen Zirkel (vgl. Fichte (1794a), 74f.), daß sie die Gesetze der formalen Logik und ihre Gültigkeit voraussetzen muß, die sie durch die Subjektivitätstheorie allererst begründen möchte. Diesem fehlerhaften Zirkel entgeht Hegel dadurch, daß er die Entwicklung der logischen Gesetze des Denkens in die Wissenschaft der Logik verlegt. Das reine Denken seiner selbst entwickelt selbst seine logischen Gesetze als ein System von Rcflexionsbestimmungen. Anstatt also die logischen Gesetze als unbedingt gültige vorauszusetzen und für die Begründung in Anspruch zu nehmen, hebt Hegel sie in den zirkulären Prozeß des reinen Denkens seiner selbst auf, indem er zeigt, wie sie sich in diesem Prozeß als solche konstituieren.

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Selbständigkeit gesetzt, so ist ihr Aufgehobensein immer schon mitzudenken; in ihnen steckt wesentlich Negativität. Daraus ergibt sich Hegels Idee der bedingten Gültigkeit der Kategorien in der Wissenschaft der Logik. Die Reflexivität und Selbstbezüglichkeit der Kategorien folgt aus ihrer Allgemeinheit. Treffen die logischen Kategorien auf alles Seiende als Seiendes zu, dann müssen sie auch unter sich selbst fallen, also auf sich selbst angewendet werden. Da sie als endliche Negative sind, bezieht sich in ihnen das Negative auf sich selbst. Der logische Prozeß der Selbstaufhebung der endlichen Kategorien kommt in einer höchsten Kategorie zum Abschluß, deren Inhalt nichts anderes als die reinste Reflexivität ist. Das System der Logik kommt somit zum Abschluß in einer Kategorie, in der der logische Prozeß in sich 'zurückläuft'.14 Diesem prozessualen Reflexionszusammenhang der Denkbestimmungen, der in die absolute Reflexivität der Idee mündet, gilt die Darstellung. Dabei ist weder der Begriff als verschieden von den Gedanken vorausgesetzt noch ein reflektierendes Subjekt, das Gedanken denkt, vielmehr sind es Formen, die aus sich heraus erst Gedanken, andere Formen, heraussetzen. Was lediglich zu dieser Ideenwelt hinzutreten muß, ist, daß sie sich erstens überhaupt darstellt und zweitens nach dem gleichen Prinzip, das auch die Verwirklichung des Begriffs ist. Die logischen Kategorien müssen also an der Reflexivität des höchsten Prinzips, des Begriffs oder der Idee, teilhaben. Der Umstand, daß sich in diesem Prozeß (nach Hegels Anspruch) alle überlieferten Kategorien der Logik, Metaphysik und Transzendentalphilosophie erfassen lassen, findet seine Erklärung darin, daß bei der Darstellung des logischen Prozesses der Begriff als Inbegriff aller überhaupt denkbaren Begriffe oder als Idee die Sequenz aller Kategorien durchläuft, weil er nur so in sich zurückkehrt. Erfaßt werden kann der Prozeß der Denkbestimmungen nach Hegels Meinung nur in der Kombination mit der Idee, die diesen Prozeß durchdringt, und also objektiv, weil diese kraft ihrer Reflexivität in einer wissenden Selbstbeziehung steht. Als Genese der Idee ermöglicht die Wissenschaft der Logik dann auch die Kritik des einseitigen Gebrauchs der Kategorien, sobald diese als isoliert und verselbstän14

Nach Hösle zeichnen sich die logischen gegenüber den realphilosophischen Kategorien durch vier Eigenschaften aus: 1. Sie sind total substratlos und unsinnlich zu denken, so daß sie in keiner Weise Gegenstand der Vorstellung werden können. 2. Sie haben Allgemeinheitscharakter, d.h., sie treffen auf alles Seiende als Seiendes zu. 3. Sie haben eine selbstreflexive Struktur. 4. Sie sind die notwendigen Momente der absoluten Idee (vgl. Hösle (1988), 68ff.).

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digt von der Einheit der Idee als unbedingt gültig betrachtet werden, in der sie in Wahrheit nur Momente eines prozessualen Beziehungszusammenhangs sind. Im ganzen muß Hegels Logik platonisch als Ideenwelt aufgefaßt werden. Sie läßt sich mit Recht als "dynamisierter Platonismus" (Henrich (1982c), 190) beschreiben. Allerdings wehrt sich Hegel dagegen, daß das von der Logik thematisierte "Reich des reinen Gedankens" (L. L, 31; 44) vulgärplatonisierend zu einer 'zweiten (oder dritten) Welt' hypostasiert wird. Die Kategorien sind zwar, aber eben nicht in der Weise des natürlich oder geistig Realen, das raum-zeitlich strukturiert ist. Fassen wir zusammen: Das Eigentümliche der Wissenschaft der Logik besteht darin, daß sie das reine Denken des Denkens, die noesis noeseos, im Sinne einer objektiven Reflexion der Denkbestimmungen an ihnen selbst ist, kraft deren sie auseinander hervorgehen und einen notwendigen, systematischen Zusammenhang bilden. In der Logik wird das Wissen "zum reinen Wissen, das sich jene reinen Wesenheiten selbst, wie sie an und für sich sind, zum Gegenstand gibt. Sie sind die reinen Gedanken, der sein Wesen denkende Geist. Ihre Selbstbewegung ist ihr geistiges Leben und ist das, wodurch sich die Wissenschaft konstituiert und dessen Darstellung sie ist" (L. I., 7; 17). In der Logik hat sich das reine Wissen selbst zum Gegenstand und macht die Selbstdarstellung des Systems der Denkbestimmungen aus. Das reine Denken seiner selbst ist gesetzt als in sich bewegte, objektive Kategorienstruktur, deren Bewegung in der Kategorie der absoluten Idee in sich zurückläuft. Die beiden Kapitel über das Wesen als Reflexion und die Reflexionsbestimmungen am Anfang der Lehre vom Wesen sind deshalb so bedeutsam, weil in ihnen das Grundproblem der Hegeischen Logik, die Darstellung der Denkbestimmungen in ihrer Bewegung und ihrem Beziehungszusammenhang, in einer Weise behandelt wird, die für die Logik insgesamt Bedeutung hat. Zwar sind alle Teile der Logik Darstellung des prozessualen Beziehungszusammenhangs der Denkbestimmungen als formaler und abstrakter Objekte. Das haben die Logik der Reflexion und die Logik der Reflexionsbestimmungen mit allen Teilen der Logik gemeinsam. Doch in keinem anderen Teil der Logik werden die Bewegungsweise und die Beziehungsweise der Denkbestimmungen selbst zum Thema gemacht. Erst die Logik der Reflexion entwickelt mit dem Begriff der absoluten Negativität die formale Grundstruktur des generativen Charakters des logischen Prozesses. Während die Logik der Reflexion (1. Kapitel) die Negativität als die Selbstbewegung der reinen, absoluten Reflexion darstellt,

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ist der Widerspruch diese Negativität, wie sie an den Denkbestimmungen, den selbständigen Reflexionsbestimmungen, gesetzt ist (2. Kapitel). Es ist der Widerspruch einer jeden Denkbestimmung mit sich selbst, wodurch sie einen in sich bewegten Zusammenhang bilden. "Negativität" und "Widerspruch" sind die beiden Begriffe, mit denen Hegel die relationale Grundstruktur aller Kategorien, und damit die Grundproblematik der Logik analysiert. Beide kommen in der Wesenslogik zur Darstellung. In allen anderen Teilen der Wissenschaft der Logik erfolgt der Fortgang der Entwicklung zwar ebenfalls aufgrund der den Gedankenbestimmungen immanenten Negativität und Widersprüchlichkeit, ohne aber daß diese Begriffe selbst Thema wären. In der Wesenslogik ist die Bewegung der Denkbestimmungen jedoch gesetzt als Bewegung: "Das Wesen ist der Begriff als GESETZTER Begriff [...]" (Enz. § 112). Diese Tatsache erklärt auch, warum im ersten und zweiten Kapitel der Wesenslogik neben Negativität und Widerspruch die wichtigsten Explikationsmittel der Wissenschaft der Logik behandelt werden. Hier kommt es zu einer eigentümlichen Verschränkung der für die Logik insgesamt konstitutiven Bestimmungen. "Unmittelbarkeit" und "Vermittlung", "Selbstbeziehung" und "Negativität", "Setzen", "Voraussetzen", "äußere Reflexion" und "Bestimmen" (1. Kapitel), "IdentitätAJnterschied", "Verschiedenheit", "Gegensatz", "Widerspruch" und "Grund" (2. Kapitel) sind die wesentlichen Explikationsmittel für die Analyse des Prozesses der logischen Gedankenentwicklung in allen Teilen der Wissenschaft der Logik. Die Wesenslogik ist der Ort, an dem sie selbst zum Gegenstand der Untersuchung und in eine spekulativ-dialektische Entwicklung eingebaut werden. Auch innerhalb der Wesenslogik haben die Kapitel über die Logik der Reflexion und die Logik der Reflexionsbestimmungen eine ausgezeichnete Bedeutung. Auf sie gehen alle anderen Teile der Wesenslogik methodologisch zurück, insofern es in ihnen darum geht, die im ersten und zweiten Kapitel entwickelten abstrakten Bestimmungen von Unmittelbarkeit und Vermittlung, Selbstbeziehung und Negativität, Reflexion und Reflexionsbestimmung, Identität und Nichtidentität, Gegensatz und Widerspruch an den konkreten Bestimmungen der Metaphysik darzustellen. Hegels Lehre vom Widerspruch und Hegels Begriff der Negativität sind Schlüsselprobleme für das Verständnis der Hegeischen Dialektik. Die vorliegende Untersuchung versucht in einer detaillierten Textexegese der beiden ersten Kapitel der Wesenslogik, diese Grund-

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begriffe der Hegeischen Dialektik einer weiteren Klärung zuzuführen. III. Die Stellung der Wesenslogik innerhalb der Wissenschaft der Logik läßt sich unmittelbar aus Hegels Einteilung der Logik entnehmen. Bekanntlich unterteilt Hegel die Logik einerseits in objektive und subjektive Logik, andererseits in Seins-, Wesens- und Begriffslogik. In der Einleitung im Abschnitt "ALLGEMEINE EINTEILUNG DER LOGIK" (L. L, 41ff.; 56ff.) erklärt Hegel, diese Einteilung müsse sich aus der Natur des Begriffs selbst ergeben. Da zum Begriff der Logik die Überwindung des Bewußtseinsgegensatzes und daher der Trennung von Subjekt und Objekt gehöre, werde in der Logik "das Sein als reiner Begriff an sich selbst und der reine Begriff als das wahrhafte Sein gewußt" (ebd., 42; 57). Da die Einheit dieser Momente, die das "logische Prinzip zugleich als ELEMENT" (ebd.) ausmacht, konkret sei, spiele sich die logische Entwicklung innerhalb ihrer ab.15 "So ist es der ganze Begriff, der das eine Mal als SEIENDER Begriff, das andere Mal als BEGRIFF zu betrachten ist; dort IST er nur Begriff AN SICH, der Realität oder des Seins, hier ist er Begriff als solcher, FÜR SICH SEIENDER Begriff [...] Die Logik wäre hiernach zunächst in die Logik des BEGRIFFS ALS SEINS und des Begriffs ALS BEGRIFFS oder [...] in die OBJEKTIVE und SUBJEKTIVE Logik einzuteilen" (L. I., 43; 58). Obgleich die beiden Momente der Einheit des Begriffs untrennbar seien, müßten sie, insofern sie "UNTERSCHIEDEN" seien, "wenigstens in BEZIEHUNG aufeinander stehen. Es ergibt sich daraus eine Sphäre der VERMITTLUNG, der Begriff als System der REFLEXIONS BESTIMMUNGEN, d.i. des zum INSICHsein des Begriffs übergehenden Seins, der auf diese Weise noch nicht ALS SOLCHER für sich gesetzt ist, sondern mit dem unmittelbaren Sein als einem ihm auch Äußeren zugleich behaftet ist. Dies ist DIE LEHRE VON DEM WESEN, 15

Die absolute Einheit von Sein und Begriff, die Voraussetzung der Logik ist, muß allem Erkennen vorausgehen, denn sie ist es, die die Korrespondenz zwischen Sein und Erkennen garantiert, deren Leugnung zu den Widersprüchen der defizienten Bewußtseinsgestalten führt, die in der Phänomenologie des Geistes abgehandelt werden. Hegels Philosophie, die auf der Absolutheit und Unhintergehbarkeit des Denkens basiert, geht von der prinzipiellen Erkennbarkeit alles Seins aus. Darin liegt auch ihr kritisches Potential: Nichts, was ist, hat gegenüber dem erkennenden Zugriff des Denkens auf es einen selbständigen Bestand. Alles, was ist, hat sich vor der Vernunft zu rechtfertigen. Jede äußerliche Objektivität wird in Hegels Philosophie in den absoluten Vermittlungszusammenhang der Vernunft einbezogen, d.h. in ihrer Unmittelbarkeit negiert. Dieser Gedanke begründet auch die Systemform der Hegeischen Philosophie.

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die zwischen der Lehre vom Sein und der Lehre vom Begriff inmitten steht" (L. L, 44; 58). Deutlich hebt Hegel den vermittelnden Charakter der Wesenslogik hervor. Indem sie zwischen Seins- und Begriffslogik vermittelt, stellt sie zugleich die Vermittlung von objektiver und subjektiver Logik dar. Sie übt diese ihre vermittelnde Funktion aus, indem sie das Sein in Relationalität verwandelt und umgekehrt das Sein als Moment der Relationalität reformuliert. Erst wenn das Sein innerhalb der Sphäre des Wesens durch dessen Relationalität das Moment der Unmittelbarkeit und Äußerlichkeit ganz verloren hat, geht es in die Subjektivität des Begriffs über. Die Entwicklung vom Sein über das Wesen zum Begriff, die eine Entwicklung zu immer größerer Innerlichkeit ist, ist vermittelt durch die Transformation der Unmittelbarkeit des Seins in die Relationalität des Wesens. Die Bestimmungen des unmittelbaren Seins, die wesenslogische Relationalität und die begriffslogische Subjektivität sind die drei großen Themen der Wissenschaft der Logik. Während im Sein relationslose Unmittelbarkeit vorherrscht, resultiert aus der relationalen Struktur des Wesens ein System relationaler Bestimmungen - in welchem die Bestimmungen des unmittelbaren Seins als Momente aufgehoben sind -, die im Begriff an die Einheit der Subjektivität zurückgebunden werden. Deutlich ist zu sehen, daß die für den Aufbau der Logik grundlegende Entwicklung vom Sein zum Begriff über die Sphäre des Wesens mit einer immer größeren Einbeziehung von Negativität und Relationalität verbunden ist. Die in der Wesenslogik grundgelegte Metaphysik absoluter Relationalität ist zentral für Hegels These von der Unhintergehbarkeit und Autonomie des rein begrifflichen Denkens, das sich kritisch gegen alles unmittelbar vorgegebene Sein richtet. Die Wesenslogik ist überhaupt die Lehre von der Beziehung als solcher, von den Beziehungsweisen der Beziehung sowie von der Beziehung von Beziehung und Bezogenen: Im 1. Kapitel der Wesenslogik entwickelt Hegel die formalen Beziehungsweisen der Reflexion als solcher: setzende, äußere und bestimmende Reflexion. Die bestimmende Reflexion führt zum Begriff der Reflexionsbestimmung. Reflexionsbestimmungen sind von der bestimmenden Reflexion gesetzte "BESTIMMTE BEZIEHUNGEN" (L. II., 64; 81), zweistellige Relationskategorien, die auch außerhalb der reinen, absoluten Beziehung identisch mit sich sind. Die Theorie der Reflexionsbestimmungen (2. Kapitel) analysiert diese als Beziehungen von Bestimmungen und als Bestimmungen von Beziehungen. Sie erweist sich darin als universale Relationsmetaphysik.

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Die Bestimmungen der Seinslogik sind nicht ausdrücklich aufeinander bezogen; nur die Reflexion des Betrachters deckt ihre implizite Relationalität auf. Im Wesen ist die Relationalität der Kategorien dagegen explizit. Die Wesenslogik ist somit der Ort, wo die Funktionsweise von Beziehung, Vermittlung etc. thematisch wird. Auf diese Weise kommt es in der Wesenslogik zur Analyse der in der Seinslogik nur operativ gebrauchten begrifflichen Mittel. Operative Begriffe sind Begriffe, mittels deren thematische Begriffe thematisiert und analysiert werden, ohne daß sie ihrerseits Thema der Untersuchung sind. Die Differenz zwischen den begrifflichen Explikationsmitteln und den mit ihrer Hilfe gedachten Kategorien (zwischen dem, was 'an sich' ist, und dem, was 'gesetzt' ist) ist insgesamt kennzeichnend für den Gang der Seinslogik. In der Seinslogik entwickelt Hegel die begrifflichen Grundformen gegenständlicher Wirklichkeit (Qualität, Quantität, Maß). Demgegenüber untersucht die Wesenslogik, indem sie die verschiedenen Formen der Beziehung thematisiert, das begriffliche Instrumentarium, mit oder in dem die Kategorien der Seinslogik gedacht werden. Doch betrachtet Hegel auch die Kategorien nicht-gegenständlicher, relationaler Denkbestimmungen als formale Gegenstände bzw. abstrakte Objekte, denn er betrachtet sie nicht als Funktionen des Selbstbewußtseins, sondern an und für sich. Der Begriff schließlich macht nach Hegels Intention die "absolute Einheit des SEINS und der REFLEXION" (L. II., 214; 246, vgl. Enz. § 159 Anm.) aus. Die Bestimmungen des Begriffs stellen daher eine Art Synthese der Relationskategorien des Wesens und der unmittelbaren Bestimmungen des Seins dar. Sie sind weder unmittelbare noch "nur RELATIVE", sondern "schlechthin in sich reflektiert" (Enz. § 112), weil jedes Moment des Ganzen das Ganze selbst darstellt. Während die beiden ersten Teile der Logik nur Betrachtungsweisen einzelner Sphären der Wirklichkeit konstituieren, geht es in der Begriffslogik um die Entwicklung von Betrachtungsweisen der ganzen Realität, der Totalität. In der Begriffslogik wird daher die in der Wesen slogik begründete Metaphysik absoluter Relationalität zur Systemtheorie, die die Bestimmungen der Wirklichkeit in ihrer organischen Ganzheit entwickelt. IV. Die vorliegende Studie zu den beiden ersten Kapiteln der Wesen slogik ist in zwei große Kapitel eingeteilt, die ihrerseits jeweils in vier Paragraphen untergliedert sind. Obgleich das zweite Kapitel das erste sachlich voraussetzt, kann es als relativ eigenständige Abhandlung betrachtet werden. In § l wird anhand einer Interpretation des Einleitungstextes zur Wesenslogik Hegels Gesamtkonzept der Theorie des Wesens ex-

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poniert. Das "Proömium" (Theunissen) wiederholt den Übergang vom Sein zum Wesen, der bereits am Ende der Seinslogik vollzogen wurde und entwickelt die Minimalbedingungen, die der Wesensbegriff als logische Kategorie in Hegels Augen erfüllen muß. Hier zeichnet sich schon deutlich ab, auf was Hegel in der Wesenslogik hinaus will: Es geht ihm um die Entwicklung eines ontologiekritischen Wesensbegriffs, der durch die Integration des Begriffs der sich auf sich beziehenden Negativität in den Wesensbegriff ermöglicht wird. Neben einer Übersicht über die Logik der Reflexion, die Logik der Reflexionsbestimmungen und Ausblicken auf die Logik des Wesens insgesamt, rundet ein Blick auf die Gesamtkonstellation, innerhalb deren sich die Logik des Wesens in der Wissenschaft der Logik bewegt, den Paragraphen ab. In § 2 wird der Ansatz der Wesenslogik umfassend interpretiert und diskutiert. Die Entwicklung des Wesensbegriffs von der Gegenüberstellung des Wesentlichen und Unwesentlichen über die Logik des Scheins bis zur Reflexion wird in allen Einzelheiten erörtert. Im Abschnitt über das Wesentliche und Unwesentliche (§ 2 I) geht es um die spekulativ-dialektische Darstellung und Kritik des traditionellen ontologisch-metaphysischen Wesensbegriffs. Hier wird deutlich, daß der Übergang vom Sein zum Schein als Kritik an der metaphysischen Ontologisierung des Wesens zu begreifen ist. In der Logik des Scheins (§ 2 II) wird zunächst (§ 2 II 1) auf Basis der Analyse der logischen Struktur des Scheinbegriffs Kritik an metaphysischen Auffassungen des Scheins geübt, die in eine Kritik am antiken Skeptizismus und den Systemen des neueren Idealismus mündet. In der Logik des Scheins wird sodann (§ 2 II 2) die ontologische Konzeption des Wesens endgültig überwunden, indem das Wesen als Einheit von Unmittelbarkeit und Negativität entwickelt wird. Das spezielle Thema dieses Abschnitts ist die für die ganze Wesenslogik gültige schwierige "Abhandlung der wesentlichen sich setzenden Einheit der Unmittelbarkeit und der Vermittlung" (Enz. § 65 Anm.). "Hier schlägt das Herz der Wesenslogik", wie Theunissen sagt (Theunissen (1978), 313), weil mit der Einheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung der Begriff des Wesens als Reflexion erreicht wird (§ 2 II 3). § 3 bringt Hegels Logik der Reflexion zur Darstellung. Der spekulative Begriff der Reflexion stellt sich dar als in sich umgewendete (seinslogische) Andersheit oder als sich auf sich beziehende Negation, die Henrich als 'Hegels Grundoperation' nachzuweisen versucht hat (Henrich (1976)). Und in der Tat hat Hegel die sich auf sich beziehende Negation als das Innerste der Spekulation bezeichnet (Rph. § 7 Anm.) ( § 3 1 1,2). Hegel unterzieht in der Wesenslogik den Reflexi-

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onsbegriff (wie übrigens die ganze traditionelle metaphysische Begrifflichkeit) einer radikalen Umdeutung, die einen epistemologischen Bruch mit dem traditionellen Reflexionsbegriff impliziert. Mit dem spekulativen Begriff der Reflexion überwindet Hegel sowohl das schellingianische Konzept der intellektuellen Anschauung als auch das des fichteanischen Ich (§31 3). Die Textanalyse verfolgt sodann die Ausdifferenzierung der absoluten Reflexion in setzende, äußere und bestimmende Reflexion. Die Logik der setzenden Reflexion ist kritische Darstellung der ontologischen Fundierung der Reflexion in Schellings Identitätsphilosophie (§ 3 H). Die Logik der äußeren Reflexion ist einerseits kritische Darstellung der Immanenzmetaphysik der Absolutheitsphilosophie Schellings und ihres Organs der intellektuellen Anschauung (§ 3 III). Sie richtet sich gegen die schellingianische Tendenz, sich unmittelbar im Besitz der Vernunft zu wähnen, die nicht durch den Verstand vermittelt ist (§ 3 II 6). Die Textanalyse behandelt ausführlich die logischen Übergänge der Reflexionsformen, mit deren Hilfe Hegel die Rationalität seiner Argumentation zu sichern versucht, und bestimmt den logischen Status der äußeren Reflexion, der Aufschluß über Hegels Logik-Konzeption insgesamt gibt (§ 3 II 5,6; § 3 III 4). Die bestimmende Reflexion ist die über die äußere Reflexion objektiv gewordene absolute Reflexion. Aus ihr erwächst der Begriff der Reflexionsbestimmung, der die ontologiekritische Pointe der Reflexionslogik auf den Begriff bringt (§ 3 IV 1-4), und schließlich das System der Reflexionsbestimmungen, das Hegel als absolut relationales konzipiert (§ 3 IV 5). In § 4 wird der Schlüsselbegriff der Logik der Reflexion, der Begriff der absoluten Negativität, für sich betrachtet. Es geht um die Analyse der ersten oder einfachen Negation einerseits und der doppelten selbstbezüglichen Negation oder absoluten Negativität andererseits, welche die beiden Grundformen der Negation in Hegels Logik darstellen (§ 4 I). Der generative Charakter der absoluten Negativität wird anhand einer negationstheoretischen Reformulierung der Logik der Reflexion und anhand einer negationstheoretischen Reformulierung der begriffslogischen Sequenz Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit untersucht (§ 4 II). Der Zwischenbericht über Hegels Negativitätsbegriff unterbricht die Satz-für-Satz-Interpretation, um generelle Implikationen der Reflexionslogik herauszustellen. Im zweiten Kapitel wird die Satz-für-Satz-Interpretation mit einer genauen Analyse des Haupttextes des zweiten Kapitels der Wesenslogik fortgesetzt, das die Logik der Reflexionsbestimmungen beinhaltet. Die Analyse des Haupttextes wird durch eine Interpretation der "Anmerkungen" zu den einzelnen Reflexionsbestimmungen ergänzt,

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denn erst aus beiden Textbestandteilen zusammengenommen geht das philosophische Programm der Logik der Reflexionsbestimmungen hervor. Einen Überblick über die Logik der Reflexionsbestimmungen und eine erste philosophische Ortsbestimmung dieser Theorie gibt die Einleitung zum zweiten Kapitel dieser Untersuchung.

Erstes Kapitel Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

§ l Einführung in Hegels Theorie des Wesens anhand einer Interpretation des Einleitungstextes zur Wesenslogik Das Proömium zur Wesenslogik kann und will noch keinen vollständigen Begriff vom Wesen geben. Dazu fehlen ihm die nötigen entwicklungsfähigen Argumente. Andererseits will es mehr als eine bloße Übersicht über das Nachfolgende sein. Hegel entwickelt hier Skizzen, die für sein Gesamtkonzept der Wesenslogik einen ersten Orientierungsrahmen geben können. Es werden die Minimalbedingungen angegeben, die das Wesen erfüllen muß, um als vollgültiger Nachfolgerbegriff des Seins fungieren zu können.1 Obgleich wir also das Wesen im Einleitungstext in seiner "Selbstbewegung" noch nicht verfolgen können, also noch auf eine äußerliche Weise betrachten, können einige Kriterien angeführt werden, wie der Wesensbegriff gestaltet sein muß. Hegel eröffnet seine Lehre vom Wesen mit dem Grundsatz: Z l "DIE WAHRHEIT des SEINS ist das WESEN" (L. II., 3; 13).

Bei der Interpretation dieses Satzes müssen wir uns an die Wendung "WAHRHEIT des SEINS" halten. Diese Wendung bedeutet zweierlei: 1. Das Wesen ist das, was das Sein in Wahrheit ist. 2. Das Wesen ist die Wahrheit über das Sein. Demzufolge ist das Wesen Sein und nicht Sein. Es ist Sein, denn es ist das Resultat von dessen Entwicklung, und es ist nicht Sein, denn das Sein hat sich im Übergang zum Wesen aufgehoben. Als die Wahrheit über das Sein ist das Wesen eine Instanz, die das Sein ablöst. In dem zu bildenden Wesensbegriff muß also das enthalten sein, was das Sein ausmacht. Es darf nichts, was das Sein ist, beim Übergang zum Wesen verlorengehen. Andererseits muß das Wesen in Differenz zum Sein gedacht werden. Es lassen sich also zwei Bedingungen anführen, die das Wesen als die "WAHRHEIT des SEINS" erfüllen muß, um entwicklungsfähig zu werden. Einerseits müssen Sein 1

Zur Bedeutung der Begriffe "Nachfolger" und "Vorgänger" vgl. Henrich (1978), 233ff., 312.

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und Wesen identisch sein, das Wesen muß überhaupt dasselbe sein wie das Sein. Andererseits müssen genau darin Sein und Wesen different sein, also nicht dasselbe. Beide müssen zusammengehen in der Einheit im Unterschiede mit dem Unterschiede in der Einheit. Dies muß eine Differenz sein, die nicht mehr zwischen einem und einem anderen Selbständigen besteht, sondern wesensintern ist. So ist das Wesen negative, nicht abstrakte, ontologische Einheit, sondern die, die den Unterschied in sich enthält (vgl. L. L, 392; 451). Das Wesen muß also alles, was das Sein war, enthalten, aber so enthalten, daß es dies 'alles' zugleich in neuer Interpretation enthält. Die logische Struktur dieses ontologiekritischen Wesensbegriffs entwickelt Hegel mit Hilfe des Begriffs der absoluten Negativität.2 - Nachdem allgemein die Bedingungen angegeben worden sind, die der Wesensbegriff als Nachfolger des Seins erfüllen muß, kann jetzt dargestellt werden, inwiefern das Wesen diese Minimalbedingungen erfüllt.3 Zunächst stellt Hegel den Weg vom Sein zum Wesen als einen "Weg des Wissens" dar: Z 2 "Das Sein ist das Unmittelbare. Indem das Wissen das Wahre erkennen will, was das Sein AN UND FÜR SICH ist, so bleibt es nicht beim Unmittelbaren und dessen Bestimmungen stehen, sondern dringt durch dasselbe hindurch, mit der Voraussetzung, daß HINTER diesem Sein noch etwas anderes ist als das Sein selbst, daß dieser Hintergrund die Wahrheit des Seins ausmacht. Diese Erkenntnis ist ein vermitteltes Wissen, denn sie befindet sich nicht unmittelbar beim und im Wesen, sondern beginnt von einem Anderen, dem Sein, und hat einen vorläufigen Weg, den Weg des Hinausgehens über das Sein oder vielmehr des Hineingehens in dasselbe zu machen. Erst indem das Wissen sich aus dem unmittelbaren Sein ERINNERT, durch diese Vermittlung findet es das Wesen. In der allgemeinen Einteilung der Logik bemerkt Hegel, daß die "objektive Logik", die an die Stelle der traditionellen Ontologie tritt, genau das umfasse, was Gegenstand der überkommenen allgemeinen Metaphysik ist, das "ENS überhaupt". Dieses begreife aber sowohl Sein als Wesen in sich (vgl. L. L, 46; 61). Beide Teile der objektiven Logik zielen auf eine kritische Darstellung der seit Thomas von Aquins Schrift de esse et essentia kanonisierten ontologischen Metaphysik, wobei die wesenslogische Metaphysikkritik die seinslogische erheblich überbietet, weil erst in der Wesenslogik der Seinsbegriff als solcher zur Kritik ansteht. Das ontologiekritische Verhältnis zwischen Wesen und Sein läßt sich im Anschluß an Henrich mit Hilfe der Begriffe Vorgänger und Nachfolger explizieren. Wenn die Theorie des Wesens in ihrer Kritik an der Theorie des Seins diese nicht nur verdrängt, sondern auch ersetzt, dann muß sie auch das leisten, was die Seinstheorie leistete, aber eben nicht zureichend leistete, erst dann ist sie Nachfolgertheorie.

§ l Einführung

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Die Sprache hat im Zeitwort SEIN das Wesen in der vergangenen Zeit, "GEWESEN", behalten; denn das Wesen ist das vergangene, aber zeitlos vergangene Sein" (L. II., 3; 13).

Das Wissen präsentiert sich als eine Tätigkeit, die sich auf das unmittelbare Sein richtet, um dessen wahre Natur auszumachen. Das von allem Wissen faktisch vollzogene Urteil - daß das unmittelbare Sein nicht das "AN UND FÜR SICH" ist, als was es unmittelbar vorgefunden wird, daß erst die Erkenntnistätigkeit seine wahre Natur zur Darstellung bringt -, hält Hegel als den immanenten Zweck der Erkenntnis fest. Mit dem hier thematischen Wissen hat Hegel das philosophische Wissen vor Augen, das in der gesamten europäischen Philosophie wirksam war: das Denken der Metaphysik (vgl. Theunissen (1978), 320ff.). Hegel versteht den Namen "Metaphysik" so, wie ihn die Tradition nach Aristoteles verstanden hat, als eine philosophische Wissenschaft, die das hinter den Dingen Liegende erforscht. Das metaphysische Wissen greift hinter die vorgegebene Wirklichkeit zurück auf ein Anderes, um von diesem "Hintergrund" aus die vorgegebene Wirklichkeit zu begreifen. Die "Vermittlung", durch die das metaphysische Wissen zum "Wesen" gelangt, ist ein "Weg des Hinausgehens über das Sein oder vielmehr des Hineingehens in dasselbe". Das, was die Metaphysik eigentlich und im Grunde tut, wird von Hegel mithin als "Erinnerung" interpretiert: Erst das Wissen, "das sich aus dem unmittelbaren Sein ERINNERT", "findet" das "Wesen".4 Tatsächlich ist sowohl die platonische Idee als auch das aristotelische to ti en einai in Anamnesis fundiert. Hegel gewinnt seinen in der Wesenslogik zu entwickelnden Wesensbegriff in einer Kritik am ontologisch-metaphysischen Wesensbegriff der philosophischen Tradition. Nicht nur für Hegel auch und gerade für die platonisch-aristotelische Tradition gilt, daß die Wahrheit des Seins das Wesen ist. Ebenfalls gilt für sie, daß das Sein das Unmittelbare, das Wesen das Vermittelte ist und daß dieses durch Theunissen hat in seiner Interpretation des Ansatzes der Reflexionslogik herausgestellt, daß Hegel am Anfang der Wesenslogik zweierlei Arten von Metaphysik im Auge hat, die über das unmittelbare Sein bloß hinausgehende und die "erinnernde Metaphysik" (Theunissen (1978), 320). Theunissen zufolge unterscheiden sich beide Metaphysikarten durch die Art, wie sie sich zum "Stand der logischen Entwicklung" verhalten. Während die "erinnernde Metaphysik" dem "Stand der logischen Entwicklung" gemäß sei, fiele die über das Sein nur hinausgehende Metaphysik hinter diesen Stand zurück (ebd., 317). Tatsächlich ist jedoch, wie Schubert gezeigt hat (Schubert (1985), 42ff.), auch und gerade die erinnernde Metaphysik platonischer und aristotelischer Prägung Gegenstand von Hegels Kritik.

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

Erinnerung zu finden ist. Darüberhinaus wird in der gesamten philosophischen Tradition das Wesen als das "zeitlos vergangene Sein" verstanden, als das, was dem unmittelbaren Sein nicht der Zeit, sondern dem Begriff nach vorausgeht.s Alle diese Bestimmungen des Wesens fassen sich in der von der traditionellen Metaphysik gemachten Voraussetzung zusammen, daß das Wesen etwas anderes hinter, unter dem Sein oder in dem Sein ist und daß dieser Hintergrund, Untergrund bzw. dieses Innere die Wahrheit des Seins ausmacht. Der ontologisch-metaphysische Wesensbegriff konstituiert sich demnach, indem sich das Wissen aus dem unmittelbaren Sein erinnert, wobei diese Erinnerung und Bewegung - in der traditionellen Metaphysik und Transzendentalphilosophie "als Weg des Wissens vorgestellt" (Z 3) - als eine dem Sein äußerliche Erkenntnis erscheint: Z 3 "Diese Bewegung als Weg des Wissens vorgestellt, so erscheint dieser Anfang vom Sein und der Fortgang, der es aufhebt und beim Wesen als einem Vermittelten anlangt, eine Tätigkeit des Erkennens zu sein, die dem Sein äußerlich sei und dessen eigene Natur nichts angehe" (L. II., 3; 13).

Dieser Schein wird jedoch sogleich abgewehrt: Z 4 "Aber dieser Gang ist die Bewegung des Seins selbst. Es zeigte sich an diesem, daß es durch seine Natur sich erinnert, und durch dies Insichgehen zum Wesen wird" (L. II., 3; 13).

Hegel transponiert in kritischer Absicht die Tätigkeit des Wissens in das Sein selbst. Die Bewegung, in der sich das Wesen konstituiert, scheint nur dem Sein äußerlich zu sein, in Wahrheit ist sie die Bewegung des Seins selbst, eine Erinnerung, die durch seine eigene "Natur" gestiftet wird. Hegels wesenslogischer Erinnerungsbegriff steht sowohl quer zum gewöhnlichen Erinnerungsbegriff im zeitlichen Sinn, der Reproduktion früherer Zustände, als auch quer zum ontologisch-metaphysiAuch Schelling, der letzte große Restaurator der traditionellen Metaphysik, von dem sich Hegel zu Beginn der Wesenslogik kritisch absetzt, denkt in der Identitätsphilosophie die metaphysische Ewigkeit des Absoluten als zeitlose Vergangenheit. Das Absolute ist in seiner metaphysischen Ewigkeit das überzeitliche Ewige, das nur dem Gedanken, nicht der Zeit nach das dem endlichen Sein Vorhergehende ist; es ist das zeitlos Vorangehende: "§ 14 Gott kann nichts anderem als der Zeit nach vorangegangen oder vorangehend gedacht werden. [...] So geht Gott der Idee oder der Natur nach nothwendig allem ändern voran, aber er kann keinem Ding der Zeit nach vorangehen, ohne selbst in die Zeit gesetzt zu werden, was nach dem vorhergehenden Satze undenkbar ist" (Schelling (1804), 159f.).

§1 Einführung

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sehen Erinnerungsbegriff, der am quasi-räumlichen Modell des Heruntersteigens von der 'Erscheinungsoberfläche' des Seins in die 'Tiefe' des Wesens orientiert ist. Die wesenslogische Erinnerung ist nicht Erinnerung des Wesens als einer vorgegebenen Wahrheit des Seins. Sie ist vielmehr die kritische Bewegung des Seins selbst, die das Sein in seiner Unmittelbarkeit aufhebt und so zur Darstellung bringt, daß das Sein nur scheinbar ein Unmittelbares ist.6 Seine Erinnerung ist Erinnerung dieser seiner "Natur". Das Wesen geht also aus dem Sein hervor als jene Bewegung, die das Sein 'an sich' bereits war. Die Wesenslogik ist somit kritsche Darstellung der ontologischmetaphysischen Erinnerung. Maßstab der Kritik ist das "Insichgehen", das das Sein in seiner Bewegung selbst vollführt, durch das es sich in seiner Unmittelbarkeit aufhebt und zum Wesen wird.7 Daraus erhellt auch der kritische Sinn von Hegels Bestimmung des Wesens als "zeitloser Vergangenheit". Diese Metapher verweist darauf, daß es sich bei der Bewegung vom Sein zum Wesen nicht einfach um eine zeitliche Abfolge handelt, sondern um eine logische Bewegung. Diese faßt Hegel als ein Geschehen im Sinne "zeitloser Geschichte" (Theunissen (1978), 315) auf, die das Wesen des zeitlichen Nacheinanders von Sein und Wesen in der Darstellung ausmacht. Das Sein, das nicht das Wesen ist, ist präsentisch und unmittelbar. Das Wesen ist als vergangenes Sein nicht mehr das unmittelbare, präsentische Sein. Das Sein vergeht also in der Sphäre des Wesens. Was war, ist nicht mehr. Doch Nicht-mehr-Sein heißt nicht Niegewesen-Sein (vgl. Enz. § 112 Zus.). Das Sein ist vergangen, es war und bestand, zugleich ist es als "GEWESEN" (Z 2) aufbewahrt und erhalten. Das Wesen ist also das Sein, das als Gewesensein zugleich noch präsent ist. - Ist das Sein vergangen und zum Wesen geworden, dann ist es aber zu einem geworden, welches immer schon war, denn das Wesen ist das "zeitlos vergangene Sein" (ebd.). Hegel relativiert also seine Ausrichtung am "Zeifwort SEIN" (ebd.), wenn er das WeSchubert betont, daß "die Erinnerung des Wesens aus dem Sein eine kritische, keine affirmativ anamnetische" ist (Schubert (1985), 44), wie er überhaupt die wesenslogische Erinnerung als kritische Darstellung des ontologischen Anamnesismodells der traditionellen Metaphysik versteht. Schon der Begriff des Etwas in der Daseinslogik ist das "Insichsein", wenn auch "nur erst ganz unbestimmt" (L. L, 102; 123). Im Verlauf der Daseinslogik gestaltet sich das Insichsein des Etwas zu reicheren Formen, die alle dessen immanente Negativität zur Darstellung bringen, ohne aber den ontologischen Bereich des Seins zu verlassen (vgl. L. L, 112; 134, 113; 135). Das Insichgehen des Etwas ist der seinslogische Vorläufer-Begriff des wesenslogischen Insichgehens, durch das der ontologische Bereich der Sphäre des Seins insgesamt überwunden wird.

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

sen als das "zeitlos vergangene Sein" (ebd.) versteht. Der Zusatz "zeitlos" drückt den Ewigkeitscharakter der Bewegung vom Sein zum Wesen aus. Mit dem Wesensbegriffkommen in der Logik daher auch die logischen Kategorien in den Blick, durch die das scheinbar unmittelbare Sein immer schon vermittelt ist. Die ontologisch-metaphysische Erinnerung ist allerdings eine unmittelbar sich aufdrängende Reflexion in der philosophischen Tradition: Z 5 "Wenn also das Absolute zuerst als SEIN bestimmt war, so ist es jetzt als WESEN bestimmt. Das Erkennen kann überhaupt nicht bei dem mannigfaltigen DASEIN, aber auch nicht bei dem SEIN, DEM REINEN SEIN stehenbleiben; es drängt sich unmittelbar die Reflexion auf, daß dieses REINE SEIN, die NEGATION alles Endlichen, eine ERINNERUNG und Bewegung voraussetzt, welche das unmittelbare Dasein zum reinen Sein gereinigt hat. Das Sein wird hiernach als Wesen bestimmt, als ein solches Sein, an dem alles Bestimmte und Endliche negiert ist. So ist es die BESTIMMUNGSLOSE einfache Einheit, von der das Bestimmte auf eine ÄUSSERLICHE WEISE hinweggenommen worden; dieser Einheit war das Bestimmte selbst ein Äußerliches, und es bleibt ihr nach diesem Wegnehmen noch gegenüberstehen; denn es ist nicht an sich, sondern relativ, nur in Beziehung auf diese Einheit, aufgehoben worden" (L. II., 3f.; 13f.).

Zuerst ist das Absolute in der traditionellen Metaphysik als Sein, und zwar als reines Sein, bestimmt worden. Die Enzyklopädie nimmt zu Beginn ihrer Darstellung der Seinslogik diese erste Definition des Absoluten auf: "DAS ABSOLUTE IST DAS SEIN" (Enz. § 86 Anm.). Nun hat sich auch in der traditionellen Metaphysik das Wesen als die Wahrheit des Seins erwiesen. Das Wesen ist daher eine weitere Definition des Absoluten. Hegel denkt hier an die von der "Metaphysik des Seins" (L. I., 101; 121) abzugrenzende neuere Philosophie des Absoluten schellingscher Prägung, die das Sein als Wesen bestimmt, "als ein solches Sein, an dem alles Bestimmte und Endliche negiert ist". Die Fortbestimmung des reinen Seins zum Wesen, in welchem jenes zugleich fortlebt, setzt indes "eine ERINNERUNG und Bewegung" voraus, "welche das unmittelbare Dasein zum reinen Sein gereinigt" hat. Schellings Philosophie des Absoluten, die ganz an der ontologischen Anamnesis orientiert ist, restauriert in ihrer Wesensbestimmung die Einfachheit des parmenideischen Seins.8 Was hier am Anfang der Wesenslogik erinnert wird, ist diejenige Erinnerung, die am Anfang der Seinslogik in Vergessenheit geraten ist, durch die sich aber die antike Metaphysik des Seins mit Parmenides allererst konstituiert. Warum aber

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ist am Anfang der Seinslogik diese ' und Bewegung" in Vergessenheit geraten? Der am Anfang der Logik entwickelte Seinsbegriff des Parmenides ist durch Abstraktion von jeglicher Bestimmtheit, von jeglichem Inhalt, entstanden. Das metaphysische Denken muß, um das reine Sein denken zu können, von allem bestimmten Sein ("dem mannigfaltigen DASEIN") abstrahieren. Das reine Sein ist daher das "Resultat der vollkommenen Abstraktion" (L. I., 85; 104), und diese vollkommene Abstraktion ist Abstraktion von Allem, "welches Alles denn doch SEIENDES ist" (L. L, 86; 105). Von dieser Abstraktion, der Abstraktion von der Bestimmtheit alles Seienden, sagt Hegel, sie müsse "hinter der Wissenschaft zurückgelassen" (L. L, 85f.; 104) werden. Sie wird am Anfang der Logik also nicht thematisch. Innerhalb der Wissenschaft der Logik, und zwar "vom Wesen aus" (ebd.), wird jene absolute Unmittelbarkeit des reinen Seins als ein Vermitteltes dargestellt. Der Anfang der Wesenslogik ist nun der Ort, an dem diese "Vermittlung", die "vollkommene Abstraktion", durch die das reine Sein entstanden ist, innerhalb der Logik zur Darstellung kommt. Warum mußte aber diese "vollkommene Abstraktion" hinter der Wissenschaft der Logik zurückgelassen werden? Offenkundig deshalb, weil das von der Bestimmtheit alles Seienden abstrahierende Denken in Bewußtlosigkeit gegenüber seinem eigenen Abstraktionsakt verbleibt. Denn um reines Sein als absolut Unmittelbares denken zu können, muß das Denken nicht nur von der Bestimmtheit alles Seienden abstrahieren, es muß auch und vor allem von sich selbst abstrahieren. Solange das Denken nicht auch von sich selbst abstrahiert, bestimmt es ja das Sein als eine Denkbestimmung. Soll das Sein aber ohne alle Bestimmung ein schlechthin Unmittelbares sein, so muß das Denken auch von seiner eigenen Abstraktionsleistung abstrahieren. Das reine Sein ist daher nur der reinen intellektuellen Anschauung zugänglich; und reine Anschauung ist für Hegel ein Denken, das durch schlechthinnige Nichtbeachtung seiner Denkleistung ausgezeichnet ist. Abstrahiert das Denken von sich selbst, dann abstrahiert es notwendig auch von seiner Abstraktion von der Bestimmtheit alles Seienden. Denn diese Abstraktion von der Bestimmtheit alles Seienden ist das Denken des reinen Seins selbst. Damit beantwortet sich die Frage nach der Bewußtlosigkeit über die Genese des Seinsbegriffs am Anfang der Logik. Sie rührt daher, daß das Denken auch von sich selbst abstrahieren muß, um Sein als absolut Unmittelbares denken zu können. Zum Denken des reinen Seins gehört also auch die Vergessenheit dieser seiner Herkunft aus der Abstraktion von der Bestimmtheit alles Seienden. Zu Beginn der Wesenslogik wird nun innerhalb der Logik auf die Genese des reinen Seins aus der "ERINNERUNG und Bewegung" reflektiert, "welche das unmittelbare Dasein zum reinen Sein gereinigt hat". Es ist die Philosophie des Absoluten Schellings, die den absoluten Abstraktionsakt des Parmenides noch einmal bewußt nachvollzieht. Wird aber die Herkunft des reinen Seins aus der Abstraktion von allem Bestimmten bewußt, dann wird das Sein als Wesen bestimmt. Denn damit wird offenbar, daß die absolute Unmittelbarkeit des Seins eine Denkbestimmung ist und damit je im Zusammenhang der Bewegung des abstrahierenden Denkens der äußerlichen Reflexion steht, die die Logik des Wesens thematisiert. Wird aber die Herkunft des reinen Seins aus der Abstraktion von allem Bestimmten bewußt, so entfällt der Status des absoluten, den das reine Sein in der parmenideischen Ontologie für sich beansprucht. Das Absolute wird hiernach nicht als Sein, sondern als Wesen bestimmt.

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In den folgenden Passagen des Einleitungstextes bringt Hegel in einer Kritik an der ontologischen Wesensbestimmung die Brauchbarkeit des Wesensbegriffs für eine Definition des Absoluten zur Sprache, indem er die Minimalbedingungen des sich aus der Bewegung der Seinslogik konstituierenden Wesensbegriffs entwickelt. Dabei wird deutlich, daß der ontologisch-metaphysische Wesensbegriff diesen Minimalbedingungen widerspricht. Im Zusammenhang mit dieser Erörterung entwickelt Hegel zwei Begriffe vom Wesen: 1. Den Begriff des unbestimmten Wesens der ontologisch ausgerichteten Indifferenzmetaphysik Schellings. 2. Den ontologiekritischen reflexionslogischen Wesensbegriff: das Wesen als "ANUNDFÜRSICHSEIN" (Z 9), d.i. als autonome logische Struktur. Der unbestimmte Wesensbegriff, der durch jene ontologische Erinnerung zustande kommt, wodurch das unmittelbare Dasein zum reinen Sein gereinigt wird, erfüllt nicht die Kriterien, die der Wesensbegriff erfüllen muß, um entwicklungsfähig zu sein, und daher auch nicht diejenigen, denen das Wesen als eine Definition des Absoluten genügen können muß. Soll das Wesen das Absolute sein, so muß es an und für sich selbst sein, was es ist, d.h., es muß als autonome logische Struktur entwicklungsfähig sein. Das aber bedeutet, es muß aus sich selbst heraus zur Bestimmtheit gelangen können. Wird das Sein in der neueren Philosophie des Absoluten als Wesen bestimmt, "als ein solches Sein, an dem alles Bestimmte und Endliche negiert ist", so kommt es zum Begriff eines völlig unbestimmten Wesens. Ein solches Wesen ist in seiner Unbestimmtheit die "BESTIMMUNGSLOSE einfache Einheit", die, als Resultat des abstrahierenden Denkens der äußerlichen Reflexion das Bestimmte noch gegenüberstehen hat. Am Ende der Seinslogik hatte sich mit der Kategorie der absoluten Indifferenz die onto-logische Struktur einer ansichseienden, substrathaften Einheit ergeben, in der das Sein alle seine Bestimmtheiten negiert hatte, freilich so, daß sie ihm noch äußerlich gegenüberstanden. So sind diese nicht "an sich, sondern relativ, nur in Beziehung auf diese Einheit, aufgehoben". Unter dem Titel "Wesen" wird hier nur die absolute Indifferenz vom Ende der Seinslogik fortgeschrieben.

Zu Hegels Parmenides-Kritik am Anfang der Logik vgl. Theunissen (1978), 95ff. Zu den Voraussetzungen des abstrakten Gedankens des reinen Seins am Anfang der Logik vgl. Kesselring (1981a), 563-584, Henrich (1963), 73-94 und neuerdings Schubert (1985), 17fT. Zum Problem der Reflexion auf die Genese des reinen Seins am Anfang der Wesenslogik vgl. Theunissen (1978), 104ff., bes. 307f.

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Wird das Wesen in Schellings Philosophie des Absoluten im Rückgriff auf die Tradition der metaphysischen Ontotheologie schließlich als "INBEGRIFF ALLER REALITÄTEN" bestimmt, so wird es vollends "zur leeren Einfachheit reduziert": Z 6 "- Es wurde oben schon erinnert, daß, wenn das reine Wesen als INBEGRIFF ALLER REALITÄTEN bestimmt wird, diese Realitäten gleichfalls der Natur der Bestimmtheit und der abstrahierenden Reflexion unterliegen und dieser Inbegriff sich zur leeren Einfachheit reduziert" (L. II., 4; 14).

Hegel kommt hier auf seine bereits in der Daseinslogik (L. I., 98ff.; 119ff.) vorgetragene Kritik am metaphysischen Begriff Gottes als dem Inbegriff aller Realitäten zurück. Seine Kritik richtete sich dort maßgeblich darauf, daß Gott, aufgefaßt als "das REIN Reale in allem Realen [...] nichts anderes als das abstrakte Sein" ist, und das heißt "dasselbe Bestimmungs- und Gehaltlose, was das leere Absolute, in dem alles eins ist" (L. L, 100; 120). Die Wesenslogik nimmt die seinslogische Kritik an der ontologischen Kategorie der omnitudo realitatis wieder auf und setzt sie weiter fort.9 Z 7 "Das Wesen ist auf diese Weise nur Produkt, ein Gemachtes. Die ÄUSSERLICHE Negation, welche Abstraktion ist, hebt die Bestimmtheiten des Seins nur HINWEG von dem, was als Wesen übrigbleibt; es stellt sie gleichsam immer nur an einen anderen Ort und läßt sie als seiende vor wie nach" (L. II., 4; 14).

Das unbestimmte, affirmative Absolute der Schellingschen Philosophie ist für Hegel gerade aufgrund seiner ontologischen Fundierung das Konstrukt des abstrahierenden Denkens der äußerlichen Reflexion und nicht an und für sich selbst, was es ist. In diesem Sinne ist es "nur Produkt, ein Gemachtes". Die neuere Philosophie des Absoluten ist wie die traditionelle Metaphysik des Seins ontologisch ausgerichtet. Der ontologische Charakter dieser Philosophie, die Ontologisierung des Wesens als einfaches Sein, folgt für Hegel aus der Äußerlichkeit der Abstraktion. Schellings Indifferenzmetaphysik restauriert den archaischen Charakter des eleatischen Seins innerhalb der idealistischen PhiloGemäß der in der Daseinslogik entwickelten Kategorie der Bestimmtheit des Daseins als Realität, der die Bestimmtheit als Negation gegenübersteht, geht es Hegel in einer dortigen Anmerkung (L. L, 98-101; 119-122) um den Nachweis, daß das Absolute sowohl 'Inbegriff der Realitäten" oder alles "Affirmativen" als auch "Inbegriff aller Negationen" sei. Diese Kritik am affirmativen Charakter des Absoluten wird in der Wesenslogik weiterentwickelt.

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sophie. Das Wesen als Resultat der abstrahierenden Negation ist dieselbe strukturlose Einfachheit und Bestimmungslosigkeit, als die sich das Sein des Parmenides präsentiert. Hegels Kritik an Schellings Bestimmung des Wesens zielt demnach insgesamt auf die Gegenwart der parmenideischen Ontologie in der idealistischen Philosophie. Z 8 "Das Wesen ist aber auf diese Weise weder AN SICH noch FÜR SICH SELBST; es ist DURCH EIN ANDERES, die äußerliche, abstrahierende Reflexion; und ist FÜR EIN ANDERES, nämlich für die Abstraktion und überhaupt für das ihm gegenüber stehenbleibende Seiende. In seiner Bestimmung ist es daher die in sich tote, leere Bestimmungslosigkeit" (L. II., 4; 14).

Da nun durch das abstrahierende Denken der äußerlichen Reflexion das Wesen einer Definition des Absoluten nicht gerecht werden kann, weil so das Wesen weder an sich, da durch das metaphysische Denken, noch für sich selbst, weil es nicht durch sich selbst, sondern nur bezogen auf dieses Denken ist, was es ist, so kommt es auch nicht als ein vom "FÜRSICHSEIN" getrenntes "absolutes ANSICHSEIN" (Z 9) aus der "tote[n] leerefn] Bestimmungslosigkeit" heraus, in die es durch das abstrahierende Denken gerät: Was entsteht ist nur die "Abstraktion des reinen Wesens" (Z 9). Ein reines Wesen ist aber aufgrund seiner Reinheit gerade nicht absolut. Der ontologischmetaphysische Wesensbegriff widerspricht also in jeder Hinsicht den Bedingungen des sich aus der Bewegung des Seins konstituierenden Wesensbegriffs. Der ontologischen Anamnesis, jener Bewegung, wodurch das unmittelbare Dasein zum reinen Sein gereinigt wird, stellt Hegel die wesenslogische Erinnerung als "unendliche Bewegung des Seins" selbst entgegen: Z 9 "Das Wesen aber, wie es hier geworden ist, ist das, was es ist, nicht durch eine ihm fremde Negativität, sondern durch seine eigene, die unendliche Bewegung des Seins. Es ist ANUNDFÜRSICHSEIN, - absolutes ANSICHSEIN, indem es gleichgültig gegen alle Bestimmtheit des Seins ist, das Anderssein und die Beziehung auf Anderes schlechthin aufgehoben worden ist. Es ist aber nicht nur dies Ansichsein; als bloßes Ansichsein wäre es nur die Abstraktion des reinen Wesens; sondern es ist ebenso wesentlich FÜRSICHSEIN; es selbst ist diese Negativität, das Sich-Aufheben des Andersseins und der Bestimmtheit" (L. II., 4; 14).

Die dem Wesen hier zugesprochene Kategorie ist das "ANUNDFÜRSICHSEIN". Sie ist der Titel für das Wesen als autonomer logischer Struktur. Das Anundfürsichsein besteht nicht aus Ansichsein und Fürsichsein als zwei voneinander verschiedener Bestimmungen,

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so daß es sich additiv zusammensetzen ließe. Der Ausdruck 'Anundfürsichsein' läßt sich nicht auf seine Konstituentien reduzieren. Er ist deshalb genau genommen gar keine Konjunktion zweier Prädikate, sondern ein Prädikat. Der Bedeutungsüberschuß der beiden konjunktivistisch verbundenen Begriffe äußert sich zunächst darin, daß hier Ansichsein und Fürsichsein nicht mehr seinslogisch verstanden werden können10, denn das korrelierende Begriffspaar, in welches das Anundfürsichsein gespalten werden kann, ist "absolutes ANSICHSEIN" und "FÜRSICHSEIN". Beide können ihre wesenslogische Bedeutung nur entfalten, wenn sie aufeinander bezogen gedacht werden, d.h., wenn das Fürsichsein in das absolute Ansichsein integriert ist. Es muß dann auch die Frage beantwortet werden können, wie das Wesen, indem es "ANUNDFÜRSICHSEIN" ist, zur Bestimmtheit gelangt und damit seine metaphysische Bestimmungslosigkeit verliert. Wenn Hegel im Einleitungstext zur Wesenslogik von abolutem Ansichsein spricht, so besagt das Adjektiv "absolut", daß er nicht das daseinslogische meint. Während das daseinslogische Ansichsein nur zusammen mit dem Sein-für-Anderes gedacht werden kann, soll das Ansichsein absolut heißen, wenn "es gleichgültig gegen alle Bestimmtheit des Seins ist, das Anderssein und die Beziehung auf Anderes schlechthin aufgehoben worden ist". Das Ansichsein ist aber nur dann absolut, wenn das Aufheben des Andersseins und der Bestimmtheit durch es selbst erfolgt, also internes Moment seiner Bestimmung ist. Dann kann aber das Wesen nur unter der Bedingung absolutes Ansichsein sein, daß es nicht ausschließlich als Ansichsein gedacht wird. Um das Wesen als absolutes Ansichsein denken zu können, muß das Fürsichsein in es integriert werden. Das Ansichsein ist also nur absolut, wenn es "wesentlich FÜRSICHSEIN" ist. Mit der Integration des Fürsichseins in das absolute Ansichsein ist das Aufheben des Andersseins und der Bestimmtheit nicht mehr äußerlich, sondern internes Moment der Einheit des Wesens selbst. Die Integration des Fürsichseins in das absolute Ansichsein bedeutet wesentlich die Integration der Negativität in den Wesensbegriff. Es ist nicht mehr "eine ihm fremde Negativität", die Abstraktion der äußerlichen Reflexion, welche die Bestimmtheiten des Seins negiert. Das Wesen ist nun "selbst [...] diese Negativität, das Sich-Aufheben des Andersseins und der Bestimmtheit". Damit hat Hegel einen er10

Die Analyse des Begriffspaars Ansichsein und Sein-für-Anderes findet sich in L. L, 106ff.; 127ff. Die Kategorie des Fürsichseins wird im dritten Kapitel der Daseinslogik abgehandelt (L. L, 147ff.; 174fT.).

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sten Schritt im Übergang vom ontologisch-metaphysischen Wesensbegriff zum ontologiekritischen, in Negativität fundierten Wesensbegriff getan. Fragt man danach, ob das Wesen, indem es auf eine solche Weise Anundfürsichsein ist, zur Bestimmtheit gekommen ist, so zeigt sich, daß das Fürsichsein und die Negativität, weit entfernt die Bestimmungslosigkeit vom Wesen zu entfernen, die metaphysische Leere nur verstärken. Über die Unbestimmtheit ist das Wesen demnach bisher auch als Anundfürsichsein noch nicht hinausgekommen. Das Dilemma, in welchem sich das Wesen auch als Anundfürsichsein befindet, ist dadurch bezeichnet, daß das Wesen nur an und für sich selbst ist, was es ist, wenn es diesem Wesen nicht wie in der traditionellen Metaphysik an Bestimmtheit mangelt. Wie kommt nun das Wesen aus seiner metaphysischen Bestimmungslosigkeit heraus, ohne daß die Bestimmtheit als Beziehung auf Anderes im seinslogischen Verstande außerhalb seiner fällt, oder neben ihm bestehen bleibt? Z 10 "Das Wesen als die vollkommene Rückkehr des Seins in sich ist so zunächst das unbestimmte Wesen; die Bestimmtheiten des Seins sind in ihm aufgehoben; es enthält sie AN SICH; aber nicht, wie sie AN IHM gesetzt sind. Das absolute Wesen in dieser Einfachheit mit sich hat KEIN DASEIN. Aber es muß zum Dasein übergehen; denn es ist ANUNDFÜRSICHSEIN, d.h. es UNTERSCHEIDET die Bestimmungen, welche es AN SICH enthält; weil es Abstoßen seiner von sich oder Gleichgültigkeit gegen sich, NEGATIVE Beziehung auf sich ist, setzt es sich somit sich selbst gegenüber und ist nur insofern unendliches Fürsichsein, als es die Einheit mit sich in diesem seinem Unterschiede von sich ist" (L. II., 4f.;

Wie kommt das Wesen zu seiner Bestimmtheit? Bei der Betrachtung des Übergangs vom unbestimmten zum in sich bestimmten Wesen kann man sich auf die Interpretation des Teilsatzes stützen: "Das Wesen als die vollkommene Rückkehr des Seins in sich ist so zunächst das unbestimmte Wesen". Der Folgerungspartikel "so", der sich auf die Wendung "das Wesen als die vollkommene Rückkehr des Seins in sich" bezieht, verweist auf jene Bewegung der Seinslogik, aus der das Wesen resultiert. Das Wesen, wie es sich hier ergeben hat, ist im Gegensatz zur ontologisch-metaphysischen Wesensbestimmung "nicht durch eine ihm fremde Negativität, sondern durch seine eigene, die unendliche Bewegung des Seins" (Z 9) bestimmt. Die "unendliche Bewegung des Seins" hat die Herkunft des Wesens als die Selbstaufhebung der Bestimmtheiten des Seins dargestellt, und

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zwar kraft der "Negativität", die das sich in das Wesen verwandelnde Sein selbst ist. Hegel führt also die unendliche Bewegung des Seins auf die Negativität des Wesens zurück. Das Wesen ist daher selbst "diese Negativität, das Sich-Aufheben des Andersseins und der Bestimmtheit" (Z 9). Das "so" in dem zu interpretierenden Satz zieht die Schlußfolgerung daraus, insofern das Resultat dieses Negationsprozesses das "unbestimmte Wesen" ist, das in seiner Einfachheit "KEIN DASEIN" hat. Der zu interpretierende Satz sagt aber noch mehr. Indem er "zunächst das unbestimmte Wesen" sagt, will er offenbar noch etwas anderes sagen, als das, was er sagt, wenn er "zunächst" sagt, nämlich, daß im folgenden "Aber..." - Satz die Unbestimmtheit des Wesens überwunden wird: "Aber es [das Wesen, d.V.] muß zum Dasein übergehen". Das "so" schließt also an zwei Perspektiven an: Einmal verweist es auf die "unendliche Bewegung des Seins", die zur Darstellung bringt, warum "das Wesen als die vollkommene Rückkehr des Seins in sich" zunächst das "unbestimmte Wesen" ist. Alsdann weist es auf den Prozeß voraus, in welchem das Wesen zur Bestimmtheit kommt. Der Übergang von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit des Wesens ist nur vor dem Hintergrund der Identifikation der unendlichen Bewegung des Seins mit der Negativität des Wesens im Terminus "vollkommene Rückkehr des Seins in sich" verständlich. Die Negativität, durch die sich das Sein ins Wesen verwandelt, muß über die bisher explizierte Bedeutung hinaus eine solche entfalten, durch die das Wesen zu seiner Bestimmtheit kommt. Das anundfürsichseiende Wesen ist als Negativität zunächst das Sich-Aufheben der Bestimmtheiten des Seins. Die Bestimmtheiten des Seins sind im Wesen aufgehoben. In Anbetracht der drei gleichzeitig gültigen Bedeutungen von "aufheben" bedeutet dies: Die Bestimmtheiten des Seins sind in ihrer ursprünglichen Form eliminiert, ihr ontologischer Unmittelbarkeitscharakter ist beseitigt, und sie werden auf höherer, reflektierter Ebene, der Stufe des Wesens, reformuliert, u Das Wesen ist als Anundfürsichsein also zunächst das Sich-Aufheben der Bestimmtheiten des Seins. Als unbestimmtes enthält das Wesen diese Bestimmungen an sich. Es wäre nicht unbestimmt, "Aufheben" bedeutet nach den Gesetzen der Hegeischen Dialektik: 1. "ein Ende machen" bzw. "negieren" (L. L, 94; 114, Phän., 90; 94, Enz. § 96 Zus.), 2. "aufbewahren", "erhalten" (L. I., 94; 114) und 3. "emporheben" (L. L, 94; 114, ähnlich Enz. § 96 Zus.).

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enthielte es seine Bestimmungen anders als an sich. Als Anundfürsichsein ist es aber ferner auch Unterscheiden, d.h. Setzen der Bestimmungen, die es an sich enthält. Wie kann das Wesen aber die Bestimmungen des Seins unterscheiden, ohne sie nur wiederzugeben? Zweierlei ist zu beachten: 1. Das Wesen als Nachfolger des Seins muß zwar alle Bestimmungen des Seins enthalten, aber nicht so, daß es sie als solche bloß wiedergibt. 2. Das Wesen darf weder bloßes Wegschaffen und Eliminieren der Bestimmungen des Seins sein, noch ein bloß sekundäres Unterscheiden derjenigen Bestimmungen, die primär aus dem Sein kommen. Hegel muß also einsichtig machen, wie das Wesen, das die Bestimmungen des Seins an sich aufgehoben enthält, diese in einer Weise setzen kann, daß es sie als seine Bestimmungen setzt. Hegels Wesensbegriff hat mithin eine doppelte Bedeutung. Zum einen enthält er die Kritik der ontologischen Bestimmungen der Sphäre des Seins. Zum anderen reformuliert er die substantialen Bestimmungen des Seins als Wesensbestimmungen, indem er die aufgehobenen seinslogischen Bestimmungen als wesenslogische konstituiert. Im Wesen ist somit gesetzt, was die seinslogischen Bestimmungen an sich sind, d.h., was an ihnen bloß die äußerliche Reflexion erkennt. Die Art und Weise, wie das anundfürsichseiende Wesen die Bestimmungen unterscheidet, die es an sich enthält, charakterisiert Hegel mit den Wendungen "Abstoßen seiner von sich", "Gleichgültigkeit gegen sich" und "NEGATIVE Beziehung auf sich". Der Begriff des Unterscheiden s hat bei Hegel nicht nur die Bedeutung des 'symmetrischen' Unterschieds zweier Bestimmungen, sondern auch die des 'asymmetrischen' Unterschieds im Sinne von Sichvon-sich-selbst-Unterscheiden. Das Wesen unterscheidet seine Bestimmungen, die es an sich enthält, indem es sich von sich selbst unterscheidet. Es ist die diskursive Darstellung seiner Bestimmungen als immanentes Sich-von-sich-selbst-Unterscheiden. Die Selbstunterscheidung des Wesens ist nichts anderes als die diskursive Funktion des Darstellungsprozesses der Denkbestimmungen, die Funktion, die jede Bestimmtheit erst als solche konstituiert. Diese Konstitution der Bestimmtheiten als Bestimmmtheiten ist die Grundbestimmung des Wesens. Was bedeutet nun die im Sinne der natürlichen Sprache paradoxe Rede vom "Abstoßen seiner von sich"? Wenn wir uns von etwas abstoßen, so ist das wovon wir uns abstoßen, nicht das, was sich abstößt. Natürlicherweise stößt sich etwas von etwas anderem ab, während es paradox ist, sich von sich selbst abzustoßen. Über all dies hinaus versucht Hegel in der Wesenslogik ein reflexives Abstoßen-

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von-sich-selbst zu denken: Ein Abstoßen, das im Abstoßen von sich zugleich auf sich selbst zurückgestoßen ist.12 Ähnlich verhält es sich bei dem Begriff "Gleichgültigkeit gegen sich". Wenn uns etwas gleichgültig ist, dann haben wir normalerweise etwas anderes, das uns wichtig ist. Wenn uns alles gleichgültig ist, welches ein Ideal der stoischen Moralphilosophie ist, dann haben wir immer noch uns selbst, das eigentliche Selbst.13 Wenn wir auch noch gleichgültig gegen uns selbst sind, dann haben wir nur noch Gleichgültigkeit, das Dahinströmen in Nichtigkeit. Unter dem Titel "absolute Indifferenz" wird absolute Gleichgültigkeit gegen alles Bestimmte überhaupt ein Grundbegriff in Schellings Metaphysik. Ist die absolute Gleichgültigkeit auch noch gegen sich selbst gleichgültig, dann tritt etwas qualitativ Neues, etwas anderes als bloße Gleichgültigkeit ein. Gleichgültigkeit gegen sich selbst, gegen die Gleichgültigkeit, ist Selbstaufhebung absoluter Gleichgültigkeit. Dennoch ist die Indifferenz, die gegen sich indifferent ist, noch nicht das Wesen, das sich als Negativität auf sich selbst bezieht.14 12

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Hegel expliziert die innere Reflexivität des Abstoßens-von-sich bei der Analyse des Setzens und Voraussetzens unter dem Titel "ABSOLUTER GEGENSTOSS in sich selbst" (L. II., 16; 27). In der stoischen Moralphilosophie hat Gleichgültigkeit den Sinn des Sich-Freimachens von den äußeren Dingen, der Freigabe des Kontingenten (Adiaphorie). Diese Art von Gleichgültigkeit ist zu unterscheiden von der Gleichgültigkeit gegen die äußeren und körperlichen Dinge. Die "Geichgültigkeit gegen" ist immer behaftet mit demjenigen, gegen das sie sich richtet. Zum Verhältnis der Ethik Hegels zur stoischen Moralphilosophie vgl. Henrich (1958/9), 177f. Als aktives Gleichgültigwerden gegen alles Bestimmte betrachtet Hegel die Französische Revolution. Die Bestimmtheit und Besonderung wird abgeschafft und nicht zugelassen: Das ist der Terror, "die Furie des Zerstörens" (Rph. § 5 Anm.). Henrich ist der Auffassung, daß Hegel bei der Konstruktion des Übergangs von der absoluten Indifferenz zum Wesen die Differenz zwischen dem Begriff der "Gleichgültigkeit gegen sich" und dem Begriff der absoluten Negativität nicht beachtet: "Es ist [...] nicht möglich, aus dem Gedanken der gegen sich indifferenten Indifferenz mit der gleichen Sicherheit Folgerungen abzuleiten wie aus der verdoppelten Negation - es sei denn, die absolute Indifferenz wäre zuvor schon als Variante von negierter Negation interpretiert worden. Ist jemand gleichgültig gegen seine eigene Gleichgültigkeit, so ist er damit noch nicht in bestimmten Verhältnissen engagiert." (Henrich (1978), 232). Hegel verschleift die Differenz beider Begriffe keineswegs. Es ist ja allein der Begriff der absoluten Negativität, den er für die dialektische Bewegung des Wesens reserviert. Die Gleichgültigkeit gegen die Gleichgültigkeit läßt zwar gegenüber bloßer Gleichgültigkeit etwas Neues erwarten, aber die Bestimmtheit dieses Neuen liegt noch im Unbestimmten. Erst die Negativität des Wesens ist die Konstitution der Bestimmtheit als Bestimmtheit.

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Während die Metapher "Abstoßen" der physikalisch-mechanischen Bewegungslehre entnommen zu sein scheint und "Gleichgültigkeit" einen moralphilosophischen bzw. metaphysischen Hintergrund hat, ist der Begriff "NEGATIVE Beziehung auf sich" ein rein Hegelscher Terminus und von eminenter Wichtigkeit. Er tritt so oder in ähnlicher Form in der gesamten Logik auf. Die Negativitätsterminologie wird im Fortgang der Reflexionslogik die anderen Ausdrücke zur Charakterisierung der dialektischen Bewegung des Wesens mehr und mehr in den Hintergrund drängen. Erstaunlicherweise findet sich bei Hegel nirgendwo eine spezielle methodische Betrachtung des Begriffs der negativen Beziehung auf sich, auch nicht, wo man es eigentlich erwarten könnte, im sogenannten "Methodenkapitel" am Ende der Logik (vgl. L. II., 494-506; 561673). Normalerweise steht etwas in negativer Beziehung auf etwas anderes. Hegel spricht hier paradoxerweise von einer negativen Beziehung auf sich selbst. Diese darf nicht so verstanden werden, daß ihr noch ein Substrat zugrunde liegt, das sich negativ zu sich selbst verhält. Der eigentliche Sinn, den Hegel ihr gibt, besteht in der Selbstbezüglichkeit der Negation: Die negative Beziehung auf sich ist die Beziehung des Negativen auf sich selbst. Die logische Struktur der negativen Selbstbeziehung gründet in einer doppelten Negation, die selbstbezüglich ist. Eine solche Konstellation nennt Hegel mitunter "Negation der Negation" oder auch "absolute Negativität". Die Selbstbezüglichkeit der doppelten Negation läßt sich nicht verstehen, wenn man sie im aussagenlogischen Sinne auffaßt. Denn bei der aussagenlogischen doppelten Negation bezieht sich die Negation auf einen negierten Satz und nicht auf sich selbst. Die doppelte Negation im aussagenlogischen Sinne hat zwar zumeist einen affirmativen Satz zur Folge (duplex negatio est affirmatio), aber von Selbstbezüglichkeit ist bei ihr keine Spur. Die Negation bezieht sich nicht auf das isolierte Negationsmoment in einem Satz, sondern auf einen autonomen ganzen Satz. Die Tatsache, daß Hegel den Begriff der "Negation der Negation" aber doch im Sinne einer selbstbezüglichen Negation verstanden wissen will, läßt erwarten, daß bei ihm Negativität eine sowohl von der alltagssprachlichen Verwendungsweise als auch von jeder operativen Funktion im Sinne der Aussagenlogik losgelöste, eigenständige Bedeutung hat. Die selbstbezügliche Negativität des Wesens bezeichnet zum einen den Prozeß des Sich-Aufhebens der Bestimmtheiten des Seins, zum anderen die setzende, die Bestimmtheit als Bestimmtheit konstituierende Bewegung. Sie hat also einen sowohl ontologiekritischen als auch konstruktiven Sinn.

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Hegel greift hier mit den Ausdrücken "Gleichgültigkeit gegen sich", "Abstoßen von sich" und "NEGATIVE Beziehung auf sich" auf das zurück, was sich bereits am Ende der Seinslogik im Kapitel über die absolute Indifferenz ergeben hat. Mit der absoluten Indifferenz ist 'an sich' "das Sein zum WESEN" (L.I., 398; 457) bestimmt. Sie macht zwar den Übergang zum Wesen notwendig, als "letzte Bestimmung des SEINS" gehört sie jedoch noch der "Sphäre des SEINS" an und erreicht von sich aus das Wesen noch nicht (L. I., 397; 456). Das Problem dieses Übergangs besteht näher betrachtet darin, wie aus dem quantitativen Kontinuum der absoluten Indifferenz ein qualitativer Unterschied entspringen kann. Die Indifferenz ist eine ansichseiende, substrathafte Einheit, die alle Bestimmtheiten des Seins in sich aufgehoben enthält, derart, daß diese Unterschiede, "die quantitative Differenz und das umgekehrte Verhältnis von Faktoren als ÄUSSERLICHE an ihr" sind (ebd.). Die Kategorie der Indifferenz ist so durch das abstrakte Auseinanderfallen von qualitativer und quantitativer Bestimmtheit charakterisiert. So wie in der Kategorie des Maßes die beiden Momente des Qualitativen und Quantitativen unmittelbar als eins gesetzt sind, so müssen sie in der absoluten Indifferenz als der "AUFLÖSUNG DES MASSES" (L. L, 396f; 455) ebenso unmittelbar auseinanderfallen. Notwendig wird deshalb eine Form, in der es wirklich zur Einheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung kommt. In der negativen Einheit des Wesens soll nun dieser äußerliche, quantitative Unterschied aufgehoben sein. Diese negative Einheit ist im Begriff der absoluten Indifferenz zwar gedacht, aber noch nicht gesetzt. Sie zu setzen ist das Postulat am Ende der Seinslogik. Die Einheit der Indifferenz "ist der allseitige Widerspruch; sie ist somit ZU SETZEN als dieser sich selbst aufhebende Widerspruch, zur fürsichseienden Selbständigkeit bestimmt zu sein, welche die nicht mehr nur indifferente, sondern die in ihr selbst immanent negative absolute Einheit zum Resultate und Wahrheit hat, welche das WESEN ist" (L. I., 392; 451). Tatsächlich wird das am Ende der Seinslogik postulierte Setzen der negativen Einheit des Wesens noch innerhalb der Seinslogik erreicht, indem gezeigt wird, wie sich der Widerspruch der Indifferenz, "der Widerspruch ihrer selbst und ihres Bestimmtsein, ihrer an sich seienden Bestimmung und ihrer gesetzten Bestimmtheit" (L. L, 397; 456) aufhebt. Die Indifferenz ist damit gesetzt als "negative Totalität" (ebd.), als "die einfache und unendliche negative Beziehung auf sich, die Unverträglichkeit ihrer mit sich selbst, Abstoßen ihrer von sich selbst" (ebd.). Das Sein ist damit zwar zum Wesen weiterbestimmt, das Wesen ist aber noch nicht in seiner Negativität entwik-

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kelt, sondern lediglich als "durch Aufheben des Seins einfaches Sein mit sich" (L. L, 398; 457). Dadurch hüllt sich das Wesen zu Beginn der Wesenslogik in den Schein einer ontologischen Fundamentalkategorie, der ein qualifizierter Wesensbegriff allererst abzuringen ist (vgl. Schubert (1985), 41ff.). Aufgabe der Wesenslogik ist es also nicht, den Übergang vom Sein zum Wesen in einer Folge von Experimenten überhaupt erst zu vollziehen, wie dies Henrich meint (vgl. Henrich (1978), 236). Was die Wesenslogik zu entwickeln hat, sind die in der mit der Auflösung des Widerspruchs der Indifferenz gesetzten negativen Einheit des Wesens liegenden Implikationen. Hegel gibt der kritischen Darstellung der absoluten Indifferenz am Ende der Seinslogik nicht ohne Grund den Titel "DAS WERDEN DES WESENS" (L. L, 387; 445). Hier geht es ihm nämlich darum, in der Kritik am Grundbegriff der Schellingschen Identitätsphilosophie die Grundlegung seines eigenen Systemprogramms in Angriff zu nehmen. Die absolute Indifferenz geht aufgrund des ihr immanenten Sich-von-sich-selbst-Abstoßens in das Wesen über. Sie ist nicht nur wie in der Philosophie Schellings - Resultat eines Negations- und Abstraktion sprozesses. Sie ist überdies der Prozeß des immanenten Sich-von-sich-selbst-Unterscheidens selbst. Der Negationsprozeß verschwindet in ihr als dem Resultat also nur scheinbar und wird in ihr von der kritischen Darstellung wieder zutage befördert (vgl. L. L, 388; 446). Was also aus der Indifferenz hervorgeht, ist nicht nur die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind (vgl. Phän., 19; 22), sondern auch die Negativität des Wesens und damit der Grundbegriff von Hegels Metaphysik absoluter Relationalität. Gesetzt als Abstoßen ihrer von sich selbst, Gleichgültigkeit gegen sich selbst und negative Beziehung auf sich selbst, ist die Indifferenz das Wesen. Mit dem Übergang von der Indifferenz zum Wesen findet zugleich ein Übergang zwischen zwei logischen Sphären statt, der die Auflösung des substantialen Substrats der ontologisch ausgerichteten Metaphysik in den substratlosen Bewegungszusammenhang reiner Negativität beinhaltet. Die weitere Aufgabe der Wesenslogik ist es, das Wesen in seiner selbstbezüglichen Negativität zu entwickeln und damit als autonome logische Struktur gegen eine wie auch immer geartete ontologische Fundamentalbestimmung zu sichern. Kommen wir zum Einleitungstext der Wesenslogik zurück. Ein Aspekt von Z 10 blieb bisher noch unberücksichtigt. Indem das Wesen in seiner negativen Beziehung auf sich seine Bestimmungen unterscheidet, die es an sich enthält, setzt es sich zugleich sich selbst gegenüber. Im Prozeß seines Sich-Bestimmens geht das Wesen zu seinem "Dasein" fort, indem es sich sich selbst gegenübersetzt und in

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"diesem seinem Unterschiede von sich" zugleich "Einheit mit sich" ist. Wenn Hegel in der Wesenslogik vom "Dasein" spricht, dann ist damit das Dasein gemeint, das das Wesen sich gibt: die Existenz. Sich-sich-selbst-Gegenübersetzen bedeutet in diesem Zusammenhang, daß das Wesen sich selbst als sein Anderes, als seiendes Substrat, voraussetzt. Diese logische Struktur des Wesens entwickelt Hegel mit dem Theorem der zweimal verdoppelten selbstbezüglichen Negation. Indem sich die selbstbezügliche Negativität in sich verdoppelt, konstituiert sie notwendig äußerliche Substratbestimmtheit. Das Wesen ist also keine reine Immanenz Struktur, sondern begreift als bewegter Zusammenhang seiner Bestimmungen immer schon das Moment der Äußerlichkeit der Existenz und Erscheinung in sich. Die Wesenslogik ist damit Kritik der reinen metaphysischen Immanenz als solcher, die nur als reine Abstraktion - als abstraktes Sein, als absolute Indifferenz oder als Abstraktion des reinen Wesens gedacht werden kann. Sie ist kritische Darstellung der metaphysischen Immanenz, indem sie deren innere Logik verfolgt und so von innen aufsprengt. Mit dem notwendigen Heraustreten des Wesens in die Existenz verschwindet der Schein der Innerlichkeit des Wesens. Das Wesen bleibt nicht hinter, unter oder außerhalb der Existenz, sondern geht an und für sich selbst in die Existenz über. Zwar verschwindet die Negativität des Wesens zunächst in der Unmittelbarkeit der Existenz. Doch verschwindet sie nur zum Schein, in Wahrheit bleibt sie in der Existenz miteinbezogen. Das Wesen ist das Wesen der Existenz, somit die Negativität, die die Existenz wesentlich als Erscheinung konstituiert. Mit diesem Gedanken wendet sich Hegel gegen jedweden metaphysischen Essentialismus.15 Im folgenden kommt Hegel auf den methodischen Unterschied zwischen Seins- und Wesenslogik zu sprechen: Z 11 "Dieses Bestimmen ist denn anderer Natur als das Bestimmen in der Sphäre des Seins, und die Bestimmungen des Wesens haben einen anderen Charakter als die Bestimmtheiten des Seins. Das Wesen ist absolute Einheit des An-und [des] Fürsichseins; sein Bestimmen bleibt daher innerhalb dieser Einheit und ist kein Werden noch Übergehen, so wie die 15

"Der Ausdruck EXISTENZ (abgeleitet von EXISTERE) deutet auf ein Hervorgegangensein" (Enz. § 123 Zus.). Die Hegeische Unterscheidung von "Wesen" und "Existenz" steht quer zu der traditionellen metaphysischen von "essentia" und "existentia". Existenz hat bei Hegel nicht die übliche Bedeutung von Unmittelbarkeit: Vorhandenheit -, vielmehr bedeutet Existenz das Herausgegangensein des Wesens, die Sich-Äußerlichkeit, die der reinen Negativität des Wesens immanent ist.

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Bestimmungen selbst nicht ein ANDERES als Anderes, noch Beziehungen AUF ANDERES sind; sie sind Selbständige, aber damit nur als solche, die in ihrer Einheit miteinander sind" (L. II., 5; 15).

Die Bestimmungen des Seins sind selbständig, weil sie aufgrund ihres ontologischen Charakters der Unmittelbarkeit ein isoliertes, für sich seiendes Bestehen haben. Sie sind insofern "ein ANDERES als Anderes" und ihre Beziehungen aufeinander sind äußerliche "Beziehungen AUF ANDERES". Weil die Selbständigkeit und die Relationalität der Bestimmungen in der Seinslogik auseinanderfallen, heben sie sich in ihren Beziehungen aufeinander in ihrer Unmittelbarkeit auf und gehen ineinander über. Das "Bestimmen" innerhalb der Seinslogik ist daher ein "Werden" und "Übergehen" der Bestimmungen, ein äußerliches Bestimmen. Der infinite Prozeß des Übergehens von einer Bestimmung zur anderen wird im Wesen in die "absolute Einheit des An- und [des] Fürsichseins" aufgehoben. Das "Bestimmen" des Wesens ist daher ein immanentes Bestimmen. Hegel sagt, die Bestimmungen des Wesens seien "Selbständige" und damit nur solche, die "in ihrer Einheit miteinander" sind. Selbständigkeit und In-Einheit-Miteinandersein sollen in der Wesenslogik zusammen gedacht werden. Wie ist der Zusammenhang des InEinheit-Miteinanderseins und der Selbständigkeit der Wesensbestimmungen zu verstehen? Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei beides miteinander unvereinbar, denn In-Einheit-Miteinandersein bedeutet Relativität, Selbständigkeit dagegen die Unabhängigkeit der Bestimmungen voneinander. Die Pointe der Wesenslogik besteht darin, daß sie ein Relationssystem entwickelt, in dem kein prinzipieller Gegensatz zwischen Selbständigkeit und Relativität der Bestimmungen besteht. So wie die Bezogenheit der Bestimmungen aufeinander aus ihrer Selbständigkeit resultiert, so erwächst ihre Selbständigkeit aus ihrer Relativität. Die Selbständigkeit der Bestimmungen stellt sich als Funktion ihrer Relationalität dar. Während Selbständigkeit und Relationalität bei den seinslogischen Bestimmungen auseinanderfallen, fallen sie bei den wesenslogischen Bestimmungen zusammen. Die Selbständigkeit der Relate in der Wesenslogik ist rein relational verfaßt. Ganz in diesem Sinne definiert Hegel den Begriff der Reflexionsbestimmung, der Thema des 2. Kapitels der Wesenslogik ist:

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"[...] die Reflexionsbestimmung ist an ihr selbst die BESTIMMTE SEITE und die BEZIEHUNG dieser bestimmten Seite als bestimmter, d.h. auf ihre Negation" (L. II., 23; 35).

Nach dieser Definition der Reflexionsbestimmung ist jedes Relat ebensosehr die ganze Relation wie auch eine Seite von ihr. Der Begriff der Reflexionsbestimmung konstituiert auf diese Weise das System der Reflexionsbestimmungen als absolut relationales. Was die beiden logischen Sphären des Seins und des Wesens methodisch unterscheidet ist folgendes: In der Seinslogik werden die metaphysischen Bestimmungen aus der traditionellen Ontologie aufgenommen und auf ihre Bedeutung hin untersucht, ohne daß der ontologische Horizont und Rahmen der traditionellen Metaphysik überschritten wird. Die kritische Darstellung überprüft die analysierten Ontologien so auf ihre innere Konsistenz. In der reflexionslogischen Sphäre wird der ontologische Rahmen insgesamt gesprengt, indem die Ontologie als Ontologie zum Gegenstand der Kritik wird. Die Wesenslogik kritisiert den Seinsbegriff als solchen und hebt ihn in die Relationalität der absoluten Negativität auf. Die Seinslogik hat die Funktion, an den ontologischen Bestimmungen der Metaphysik (Sein, Dasein, Realität, Negation, Endliches, Unendliches etc.) die ihnen immanente Negativität und Relationalität zu entfalten, damit ihr "Übergehen" ineinander darzustellen und ihr selbständiges Sein als Schein zu entlarven. Woran die Seinslogik nicht heranreicht, ist die Frage nach der Konstitution der Bestimmtheit als Bestimmtheit und damit auch nach der Notwendigkeit des Scheins der Selbständigkeit der Bestimmungen. Diese Frage erschließt sich erst aus der Perspektive einer Metaphysik absoluter Relationalität, welche die Wesenslogik erarbeitet. Die Logik der Reflexionsbestimmungen zeigt auf, daß die Bestimmungen aufgrund ihrer Relationalität als selbständige gesetzt sind. Nachdem Hegel die Differenz der seins- und der wesenslogischen Bestimmungen angeführt hat, kommt er zurück auf die Verfassung des Wesens selbst: Z 12 "- Indem das Wesen zuerst EINFACHE Negativität ist, so hat es nun die Bestimmtheit, welche es nur AN SICH enthält, in SEINER Sphäre zu setzen, um sich Dasein und dann sein Fürsichsein zu geben" (L. II., 5; 15).

Der Wesenslogik kommt die Aufgabe zu, die Negativität des Wesens in ihrer doppelten Bedeutung zu entfalten. Das Wesen ist "zuerst EINFACHE Negativität", insofern es die Selbstaufhebung der Bestimmtheiten des Seins ist. Diese Selbstaufhebung der Bestimmt-

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heiten vollzieht sich innerhalb einer doppelten Negation: Die Bestimmtheit (Negation [1]) hebt sich auf (Negation [2]). Insofern diese Negation des Negativen durch sich selbst als Beziehung des Negativen auf sich selbst gedacht werden kann, ist das Wesen einfache Negativität. Die Bestimmtheiten des Seins sind in der selbstbezüglichen Negativität des Wesens sowohl aufgehoben (eliminiert) als auch erhalten. Unbestimmt ist das Wesen zunächst, weil die Bestimmtheiten des Seins im Wesen als Bestimmtheiten aufgehoben sind. Die Negativität des Wesens ist aber nicht nur als diese Selbstaufhebung der Bestimmtheiten des Seins zu begreifen. Sie ist darüber hinaus wesentlich auch die Konstitution der Bestimmtheit als Bestimmtheit, die das Wesen an sich enthält. Hegel nennt diesen Konstitutionsprozeß der Bestimmtheit "Setzen". In der Wesenslogik geht es mithin darum, die scheinbar positiven Bestimmtheiten des Seins in den sie konstituierenden Prozeß absoluter Negativität zu überführen, um sie dann auf reflektierter Ebene als Momente jenes negativen Vermittlungszusammenhangs darzustellen. Die positiven Seinsbestimmungen werden in die Bewegung der selbstbezüglichen Negativität aufgelöst, so daß aus dieser Auflösung der Seinsbestimmtheiten zugleich ein System negativer Bestimmtheit erwächst. Im letzten Teil des Zitats spricht Hegel davon, daß das Wesen die Bestimmtheiten des Seins in seiner Sphäre setzt, "um sich Dasein und dann sein Fürsichsein zu geben". Das "Fürsichsein" repräsentiert das schon erwähnte "unendliche Fürsichsein" (Z 10), das das Wesen auf dem Weg zum "Dasein" erst noch werden muß. Das absolute Wesen ist für Hegel nicht von einfacher Innerlichkeit wie in der klassischen Indifferenzmetaphysik, sondern hat nur insofern "unendliches Fürsichsein", als es in das Dasein heraustritt. Das vom Wesen gesetzte Dasein ist die Existenz, in der das Wesen zur Erscheinung kommt. Während die Seinslogik kritische Darstellung ontologischer Äußerlichkeitsverhältnisse ist, ist die Wesenslogik Kritik der Innerlichkeit und des Gegensatzes von Innerlichkeit und Äußerlichkeit in der traditionellen Verstandesmetaphysik. Der Wesensbegriff, insofern er aus der Aufhebung des Seins hervorgeht, erzeugt notwendig den Schein der Einfachheit und Innerlichkeit. Der reflektierende Verstand befestigt diesen Schein, indem er das Innere vom Äußeren trennt. Die Wesenslogik destruiert diesen Schein, indem sie aufzeigt, daß sich das Wesen notwendig als negative Einheit von Innerlichkeit und Äußerlichkeit setzt (vgl. L. II., 150ff; 179ff.).i6 16

Nach Schubert ist die wesenslogische Dialektik von Innerlichkeit und Äußerlichkeit "die eigentliche Pointe der Hegeischen Logik. Es ist dies die Grundvoraussetzung des Gedankens struktureller Relationalität" (Schubert (1985), 207).

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Z 13 "Das Wesen ist IM GANZEN das, was die QUANTITÄT in der Sphäre des Seins war; die absolute Gleichgültigkeit gegen die Grenze. Die Quantität aber ist diese Gleichgültigkeit in UNMITTELBARER Bestimmung und die Grenze an ihr unmittelbar äußerliche Bestimmtheit, sie GEHT ins Quantum ÜBER; die äußerliche Grenze ist ihr notwendig und ist an ihr SEIEND. Am Wesen hingegen IST die Bestimmtheit nicht; sie ist nur durch das Wesen selbst GESETZT; nicht frei, sondern nur in der BEZIEHUNG auf seine Einheit" (L. II., 5; 15).

Was in der Seinslogik nur in einem bestimmten Teilbereich ihrer Entfaltung, im Bereich der Quantität, stattfand, erstreckt sich im Wesen auf das Ganze: "die absolute Gleichgültigkeit gegen die Grenze". Mit dem Wesensbegriff findet eine Entgrenzung der "Gleichgültigkeit" statt. Die Gleichgültigkeit wird zur Gleichgültigkeit des Wesens, wenn die Einschränkungen aufgehoben werden, unter denen sie innerhalb der Kategorie der Quantität stand. Die Einschränkungen der Gleichgültigkeit im Bereich der Quantität macht Hegel durch die zweimalige Ergänzung des Prädikats "unmittelbar" deutlich: Die Quantität ist die "Gleichgültigkeit in UNMITTELBARER Bestimmung", ebenso ist die "Grenze an ihr unmittelbar äußerliche Bestimmtheit". Die Quantität steht in der Gleichgültigkeit gegen die Grenze zugleich in einer nur äußerlichen Beziehung zu ihr. Da sie die Grenze notwendig als seiende Bestimmtheit an ihr hat, "GEHT" sie in ihrer Spezifikation ins Quantum "ÜBER" (vgl. L. L, 195f.; 230). Das Wesen ist absolute Gleichgültigkeit nicht mehr in unmittelbarer, sondern gleichsam in reflektierter Bestimmung. Die Reflexion der Gleichgültigkeit hatte sich im Übergang von der absoluten Indifferenz zur negativen Einheit des Wesens ergeben. Aufgrund ihres sich selbst aufhebenden Widerspruchs "ihrer selbst und ihres Bestimmtseins" (L. L, 397; 456) erwies sich die absolute Indifferenz, "Gleichgültigkeit GEGEN SICH SELBST, gegen ihre eigene Gleichgültigkeit, ebensosehr als gegen das Anderssein zu sein" (ebd.), und damit als "absolute Negativität" (ebd.). Absolute Gleichgültigkeit des Wesens bedeutet, sich freimachen von aller seienden und unmittelbaren Bestimmtheit. Doch das Wesen kann sich nur dann von aller seienden Bestimmtheit befreien, wenn zugleich alle Bestimmtheiten schlechthin gesetzte Bestimmtheiten sind, so daß sie sich nicht mehr seinslogisch verselbständigen. Absolute Gleichgültigkeit gegen alle seiende Bestimmtheit läßt sich allein durch die absolute Negativität des Wesens realisieren, die die Bestimmtheiten schlechthin in Beziehung aufeinander und auf die Einheit des Wesens setzt. Der metaphysische Gedanke der aboluten Gleichgültigkeit und Indifferenz, den Schelling als Grundbegriff sei-

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ner Philosophie ansetzt, läßt sich somit nur in einem System absoluter Negativität und Relationalität einlösen, das jedwede metaphysische Unmittelbarkeit und ontologische Seiendheit einer Kritik unterzieht. Z 14 "- Die Negativität des Wesens ist die REFLEXION, und die Bestimmungen (sind) REFLEKTIERTE, durch das Wesen selbst gesetzte und in ihm als aufgehoben bleibende" (L. II., 5; 15).

Negativität in dem einen Sinne ihrer Bedeutung ist der Prozeß des Sich-Aufhebens der Bestimmtheiten des Seins ins Wesen. Hegel will aber - wie bereits angedeutet - über diese Bedeutung hinaus der Negativität eine Bedeutung beimessen, auf die das Wort "Rückkehr" in Z 10 hindeutet. Die Negativität ist erst dann die reine substratlose Bewegung des Wesens, wenn sie als selbstbezügliche entwickelt ist. Dann aber ist sie eine in sich zurückkehrende Bewegung. Die Explikation der Negativität des Wesens in ihrer zweiten Bedeutung ergibt die eigentliche Bestimmung des Wesens: das Wesen als Reflexion. 17 Die Entwicklung des Wesens als Reflexion ist Aufgabe des 1. Kapitels der Wesenslogik. Am Ende der Seinslogik ist das Sein zwar zum Wesen weiterbestimmt, das Wesen ist aber noch nicht als Reflexion entwickelt, sondern lediglich als "durch Aufheben des Seins einfaches Sein mit sich" (L. L, 398; 457). Dadurch erzeugt der Wesensbegriff am Anfang der Wesenslogik den Schein einer ontologischen Bestimmung. Die Kritik des ontologischen Wesensbegriffs zeigt, daß der traditionell metaphysische Wesensbegriff den Bedingungen des Wesens als sich auf sich beziehender Negativität widerspricht. Die Entwicklung des Wesens als Reflexion ist Hegels Kontrastprogramm zur ontologisch ausgerichteten Wesensmetaphysik. Das am Ende der Seinslogik Vorliegende ist, daß die "ursprüngliche Selbständigkeit und Identität mit sich" (ebd.) nur als Resultat der Selbstaufhebung des Seins ist, und ferner, daß deren "Abstoßen von sich" (ebd.) statt seiende, schlechthin gesetzte Bestimmtheiten hervorbringt, die "auf ihre Einheit, somit jede auf ihre andere und Negation BEZOGEN" (ebd.) sind, welche relationale Einheit zugleich ihr Wesen ausmacht. Die Entwicklung dieser wesentlichen Einheit erfolgt im 1. und 2. Kapitel der Wesenslogik, indem das Wesen als jenes Resultat des Sich-Aufhebens des Seins und dessen abgestoßene, gesetzte Bestimmtheiten in ihrem Verhältnis zueinander betrachtet Reflexion ist für Hegel eine zirkuläre Rückkehrbewegung. Dementsprechend analysiert er den Terminus Reflexion mit Hilfe solcher Begriffe wie "Rückkehr", "Rückkehr in sich" etc. (vgl. L. II., 15f.; 26f.).

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werden. Diese Darstellung zeigt, daß die an der Indifferenz entwikkelte absolute Negativität nicht wieder gegeneinander verselbständigte Bestimmtheiten im seinslogischen Sinne zum Resultat hat. Die Negativität des Wesens ist die Reflexion, und die Bestimmungen des Wesens sind negativ reflektierte Momente der Reflexionsbewegung, keine seienden, affirmativen Grundbestimmungen. In der Wesenslogik ist etwas überhaupt nur dadurch, daß es gesetzt ist und rein nur als ein solches Produkt ist. Insofern etwas ist, ist es durch das Wesen gesetzt. Die durch das Wesen gesetzten Bestimmungen sind daher "in ihm als aufgehoben bleibende", statt wie in der traditionellen Metaphysik aus dem in sich bewegten Reflexionszusammenhang als absolute Unmittelbarkeiten immer wieder herauszufallen. 'Rein gesetzt und darum aufgehoben' ist ein häufig verwendeter Ausdruck in der Reflexionslogik, der das Konstituiertsein der Bestimmtheiten durch und ihr Eingebundensein in die Reflexionsbewegung bezeichnet. Während das 1. Kapitel der Wesenslogik lediglich die Aufgabe hat, das Wesen als autonome logische Struktur zu entfalten, die mit dem Setzen der selbstbezüglichen Negativität als Reflexion erreicht ist, wird im 2. Kapitel der Zusammenhang des reflektierenden Wesens und seiner gesetzten Bestimmungen in extenso entwickelt. Da das Gesetztsein in der Wesenslogik zugleich nur als ein Aufgehobenes ist, hat es als solches keine Selbständigkeit. Wenn im Wesen von selbständigen Bestimmungen die Rede ist, können sie nur in Beziehung auf die selbstbezügliche Negativität des Wesens behauptet werden. Ihre Selbständigkeit haben sie nur kraft der Gleichheit dessen mit sich, was aus dem Wesen als Gesetztsein generiert worden ist. Die Reflexion ist dann der bewegte Zusammenhang zwischen dem Sich-Aufheben der selbständigen Bestimmungen und dem durch das Wesen Generiertsein dieser Bestimmungen. Mit der Selbstaufhebung der Bestimmungen in ihrer Selbständigkeit, welches mit ihrem Gesetztsein durch das Wesen einhergeht, ist das Problem des Widerspruchs im System der Reflexionsbestimmungen gegeben. Hegel bezeichnet es nicht als Widerspruch, wenn etwas durch etwas anderes aufgehoben wird, sondern allein dies, das in sich sich selbst aufhebend ist. Der für alle reflexionslogische Bestimmungen konstitutive Widerspruch besteht darin, in ihrer Selbständigkeit die eigene Selbständigkeit aufzuheben. Auch das 2. Kapitel der Wesenslogik bringt so noch einmal zur Darstellung, daß das Wesen keine absolut affirmative erste Grundbestimmung ist wie in Schellings Identitätsphilosophie, sondern nichts anderes als der negative Bewegungszusammenhang der Reflexionsbestimmungen selbst.

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Am Ende des Einleitungstextes zur Wesenslogik versucht Hegel das Spannungsfeld zu umreißen, in welchem die Logik des Wesens in der Wissenschaft der Logik insgesamt verläuft: Z 15 "Das Wesen steht zwischen SEIN und BEGRIFF und macht die Mitte derselben und seine Bewegung den ÜBERGANG vom Sein in den Begriff aus" (L. II., 5; 15f.)-

Der Wesensbegriff ist jener Begriff, der für den Bereich des mittleren Teils der Logik steht, so wie der Begriff des Seins das erste Drittel und der Begriff des Begriffs das letzte Drittel der Logik absteckt. Das Wesen steht daher in der "Mitte" zwischen "SEIN" und "BEGRIFF". Mit der Explikation des Wesensbegriffs beginnt zugleich der "ÜBERGANG vom Sein in den Begriff1. Das letzte Drittel der Logik, die Lehre vom Begriff steht als "subjektive Logik" den beiden anderen Teilen gegenüber, die Hegel unter dem Titel "objektive Logik" zusammenfaßt (L. L, 43ff.; 58ff.). Z 16 "Das Wesen ist das ANUNDFÜRSICHSEIN, aber dasselbe in der Bestimmung des Ansichseins; denn seine allgemeine Bestimmung ist, aus dem Sein herzukommen oder die ERSTE NEGATION DES SEINS zu sein. Seine Bewegung besteht darin, die Negation oder Bestimmung an ihm zu setzen, dadurch sich DASEIN zu geben und das als unendliches Fürsichsein zu werden, was es an sich ist. So gibt es sich sein DASEIN, das seinem Ansichsein GLEICH ist, und wird der BEGRIFF. Denn der Begriff ist das Absolute, wie es in seinem Dasein absolut oder an und für sich ist. Das Dasein aber, das sich das Wesen gibt, ist noch nicht das Dasein, wie es an und für sich ist, sondern wie das Wesen es sich GIBT oder wie es GESETZT wird, daher noch von dem Dasein des Begriffs unterschieden" (L. II., 5f.; 16).

Umreißen wir kurz die Grundlinien der drei verschiedenen Logikteile, um damit einen Überblick über die Gesamtkonstellation zu gewinnen, in welche die Wissenschaft der Logik mit der Wendung zum Wesen eintritt. Thema der Seinslogik sind die Kategorien und Bestimmtheiten des unmittelbar gegebenen Seins, wie sie von der traditionellen Ontologie entwickelt werden. Ihr kam die Aufgabe zu, den Vermittlungszusammenhang des Ganzen des Seins zur Darstellung zu bringen, der als absolute Indifferenz schließlich zum Übergang in den negativen Vermittlungszusammenhang des Wesens nötigte. Das spezifische Dilemma der Seinslogik, der infinite Prozeß des Übergehens von einer Bestimmtheit zur anderen, wird durch die Auflösung

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der ontologischen Sphäre des Seins in den negativen Reflexionszusaminenhang des Wesens aufgehoben. Hegel spricht nicht dem Sein, sondern dem Wesen die Kategorie des Anundfürsichseins zu, weil allein das Wesen eine autonome logische Struktur aufweist. Doch zugleich ergänzt er: Das Anundfürsichsein, das das Wesen ist, hat in der Wesenslogik erst noch die Bestimmung des Ansichseins. Zur Begründung dafür, daß das anundfürsichseiende Wesen zunächst den Status des Ansichseins hat, führt Hegel an, es sei die "allgemeine Bestimmung" des Wesens, "aus dem Sein herzukommen oder die ERSTE NEGATION DES SEINS zu sein". Daß das Wesen zunächst bloß die erste Negation des Seins ist, ergibt sich aus dem Umstand, daß die Wesenslogik als Kritik der traditionellen ontologisch ausgerichteten Metaphysik erst die Grundlegung einer Metaphysik absoluter Relationalität ist. Erst der Begriff ist "die ZWEITE oder die Negation dieser Negation" (L. II., 235; 269). Auf den ersten Blick unvereinbar scheint diese Feststellung mit der anderen zu sein, wonach das Wesen als Anundfürsichsein selbst schon Negation der Negation ist. Der Anschein der Unvereinbarkeit beider Behauptungen löst sich auf, wenn man mit Hegel davon ausgeht, daß der Begriff nur das realisiert, was das Wesen schon an sich ist, die absolute Negativität, die in sich die ontologische Dimension des Seins als kritisiertes Moment enthält. Das Wesen ist als erste Negation und Kritik des Seins also in Wahrheit schon die Negativität, als die sie der Begriff in aller Konkretion realisiert. Die Begriffslogik reformuliert dann die Fragestellungen der traditionellen Ontotheologie auf dem Boden der in der Wesenslogik grundgelegten ontologiekritischen Metaphysik absoluter Relationalität. Da das Wesen zu Beginn der Wesenslogik das Anundfürsichsein erst in der Bestimmung des Ansichseins ist, muß es "unendliches Fürsichsein" erst werden. "Unendliches Fürsichsein" wird das Wesen nach Hegels Auffassung, indem es aus der "REFLEXION IN IHM SELBST" (L. II., 7; 17) in das Dasein heraustritt. Wie wir gesehen haben, ist die der Wesenslogik entsprechende Kategorie des Daseins die Existenz bzw. die Erscheinung. Das Wesen als Reflexion nur in ihm selbst ist abstrakt, ohne Bezug auf die Erscheinung. "Unendliches Fürsichsein" also wird das zunächst im Modus des Ansichseins gesetzte anundfürsichseiende Wesen, insofern es sich zur Existenz und Erscheinung fortbestimmt. Aber erst dann, wenn sich das Wesen zur Substanz und Wirklichkeit bestimmt hat, hat es sich ein "DASEIN" gegeben, das "seinem Ansichsein GLEICH" ist. Die Wesenslogik hat also die Aufgabe, auf dem Boden der relationalen Struktur

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der absoluten Negativität die substantialen Bestimmungen der traditionellen Ontologie als rein relational konstituierte, als Verhältnis des Dings und seiner Eigenschaften, des Wesens und seiner Erscheinung, als wesentliches Verhältnis der Innerlichkeit und Äußerlichkeit und schließlich als kategoriales Verhältnis absoluter Substantialität zu reformulieren. Hier zeigt sich, daß das Sein als Sein und die Bestimmtheiten des Seins durch die Reflexion konstituiert sind und daß die negative Reflexivität in ihnen nur scheinbar verschwindet. Die relational rekonstruierte Substanzkategorie der spinozistischen Metaphysik ist die letzte Bestimmung des Wesens. Sie bildet zugleich die Basis und den Ausgangspunkt des Übergangs vom Wesen zum Begriff. Der Begriff ist die "VOLLENDUNG DER SUBSTANZ" (L. II., 216; 249) genau in dem Sinne, daß die Substanz nicht mehr ontologisch substantial, sondern wesenslogisch relational und prozessual zu denken ist - aufgehoben in die diskursive Bewegung von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit.18 In der Lehre vom Begriff findet somit Hegels Systemprogrammformel ihre konsistente Ausführung: Durch den Begriff des Begriffs wird die Substanz als Subjekt bestimmt. Die ontologiekritische Grundlegung dieses Systemprogramms hat aber bereits die Wesenslogik in Angriff genommen. Mit dem Hinweis auf die Differenz zwischen dem "Dasein" des Wesens und demjenigen des Begriffs wirft Hegel am Ende des Proömiums zur Wesenslogik noch ein Streiflicht auf den Unterschied zwischen Wesen und Begriff. - Das Wesen "GIBT" sich die Bestimmung des "Daseins", indem es sich selbst als seiendes Substrat voraussetzt. Es hat also noch ein Moment objektiven, scheinbar reflexion sunabh an gigen Daseins an sich. Es ist noch nicht der Begriff als solcher, weil es, so bemerkt Hegel in der allgemeinen Einleitung der Logik, "mit dem unmittelbaren Sein als einem ihm auch Äußeren zugleich behaftet ist" (L. L, 44; 58). Die Bewegung und logische Struktur des Wesens ist zwar konstitutive Grundlage, aber als solche zugleich nur ein Moment der höheren logischen Struktur der Subjektivität des Begriffs. Die Bewegung 18

Den Übergang vom Wesen zum Begriff betrachtet Hegel als den Übergang von der Notwendigkeit zur Freiheit. Das Wesen ist kritische Darstellung der blinden, noch nicht begriffenen metaphysischen Notwendigkeit. Erst im Begriff "hat sich daher das Reich der FREIHEIT eröffnet" (L. ., 218; 251). Mit dem Begriff wird die Logik auf ein Denken der Subjektivität in Freiheit zurückgeführt, die Hegel als Einsicht in die Notwendigkeit versteht. Frei ist das philosophische Denken erst dann, wenn es durch die Kritik an den Verstandeskategorien der Metaphysik und der Wissenschaften hindurchgegangen sich selbst begreift.

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der Reflexion des Wesens, die noch ohne Zentrum der Einzelheit und Subjektivität ist, konstituiert zugleich die Subjektivität des Begriffs, indem die Einheit des Logischen manifest wird, die die Reflexion an sich bereits ist. Die logische Struktur der Subjektivität des Begriffs expliziert sich als Einheit von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Die Begriffslogik unterscheidet sich damit von den beiden vorausgehenden Teilen der Logik durch die Weise, wie in ihr die verschiedenen Denkbestimmungen auseinander hervorgehen. In der Wesenslogik ist der Schein der Selbständigkeit der metaphysischen Denkbestimmungen noch nicht beseitigt. Das Wesen ist daher die "Sphäre des GESETZTEN WIDERSPRUCHS" (Enz. § 114). Alle Gedanken sind hier als selbständig gesetzt und aufgrund ihrer gesetzten Selbständigkeit in ihrer Selbständigkeit zugleich aufgehoben. Die Wesenslogik ist insofern der diskursive Prozeß des Durchlaufens von Kontradiktionen. Sie ist eine Theorie 'falscher Gedanken', der verselbständigten Abstraktionen des metaphysischen und wissenschaftlichen Verstandes (vgl. Enz. § 114 Anm.). Die logische Einheit, in der sich die Reflexion als Prozeß des Durchlaufens von Widersprüchen schon bewegt, ist noch nicht als solche gesetzt. Mit dem Übergang in den Begriff wird der Prozeß des Logischen zugleich von einer anderen Warte aus betrachtet. Die Gegensätze und Kontradiktionen, in denen das Wesen sich bewegt, werden erfaßt als Besonderungen ein und derselben Einheit, die in ihnen sich selbst bestimmt. Der Begriff bleibt in seinen Besonderungen mit sich derselbe Identische, ist insofern Einheit seiner selbst als des Allgemeinen und seiner Besonderungen: So ist er das an und für sich Bestimmte, das Einzelne. In gewisser Weise restituiert die Begriffslogik die Perspektive der schellingschen Philosophie des Absoluten. Im Hinblick auf die spekulative Einheit des Begriffs kann festgestellt werden, daß es Ziel der Wissenschaft der Logik ist zu explizieren, auf welche Weise die Logik als Theorie der Wahrheit und der Subjektform einerseits und als konkrete Weltinterpretation andererseits konzipiert werden kann. Mit dem Begriff - er ist das Dritte von Sein und Wesen - ist daher eine "Form des ABSOLUTEN" erreicht, "welche höher als Sein und Wesen" ist (L. II., 229; 263). Die Begriffslogik ist als "SYSTEM DER SUBJEKTIVEN Logik" (L. II., 211; 243), das zugleich die Systeme der Objektivität in sich einbegreift, die Nachfolgertheorie der objektiven Logik: Gegenüber dem seinslogischen "Übergehen" und dem wesenslogischen "Scheinen" ist der Begriff reine "ENTWICKLUNG" (Enz § 161), denn als Totalität des Logischen entwickelt er in seinen unterschiedenen Mo-

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menten nur sich selbst. Weder geht er in Anderes über, noch scheint er in es. Jedes der Momente ist das Ganze selbst, das der Begriff i st. Das bedeutet, daß in der Entwicklung des Begriffs die Bewegung des permanenten Übergehens und die Bewegung der Reflexion, des Schemens und des Widerspruchs zu einem Moment herabgesetzt sind. Dennoch bleibt festzuhalten, daß für Hegel - anders als für Schelling - die negative Reflexion unaufhebbar das Wesen des Logischen (vgl. Schubert (1985), 247) ausmacht, denn in der logischen Entwicklung des Begriffs sind der Widerspruch und die Bewegung des Scheinens der Reflexion keineswegs absolut aufgehoben, vielmehr erlangen sie hier ihre absolute Wahrheit und Konkretion. Dieser Sachverhalt wirft auch ein Licht auf Hegels Begriff der Dialektik. Dialektik ist für Hegel nicht nur der Weg zur spekulativen Einheit des Begriffs, sondern das Wesen der Spekulation als solcher: Dialektik ist Moment der Spekulation und zugleich das Ganze der Spekulation. Sie hat somit eine negative und eine positive Seite.19 Wenn Hegel das Logische in drei Seiten einteilt, die "ABSTRAKTE oder VERSTÄNDIGE", die "DIALEKTISCHE oder NEGATIV-VERNÜNFTIGE" und schließlich die "SPEKULATIVE oder POSITIVVERNÜNFTIGE" (Enz. § 79), dann ist damit jedoch offenbar mehr gemeint als die Tatsache, daß die negativ dialektische Seite immer auch ein positives Resultat hat und nicht bloß das reine unmittelbare Nichts. Denn das jeweilige positive Resultat der dialektischen Bewegung geht durch seine in ihm aufgehobene Negativität seinerseits in den negativ-dialektischen Prozeß zu weiteren Bestimmungen über. Obschon dieser diskursive Prozeß die formell-allgemeine Bewegungsweise "JEDES LOGISCH-REELLEN" (ebd.) ist, soll nach Hegel jedoch am Ende der logischen Darstellung eine spekulative Einheit er19

Schelling nennt die Dialektik in den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums "wissenschaftlichen Skeptizismus" (Schelling (1803), 269). Sie sucht in den Formen des "Reflexes" das "Urwissen auszudrücken" (ebd., 267), welches als Spekulation die unmittelbare, intellektuelle Anschauung des Absoluten ist. Dialektik ist für Schelling die systematische Entfaltung und Aufhebung der Formen der endlichen Verstandesreflexion. "Es ist dieses Verhältnis der Spekulation zur Reflexion, worauf alle Dialektik beruht" (ebd.). Diese Form der Dialektik als "wissenschaftlichen Skeptizismus", die Schelling allerdings in keiner seiner Schriften ausführt, ist noch für die frühe Logik Hegels maßgeblich gewesen, die ja nur systematische Einleitung in die Metaphysik sein wollte. Erst in der Wissenschaft der Logik wird die Dialektik zum wesentlichen Moment der Spekulation selbst. In den Weltalter[n] warnt Schelling vor einer Überschätzung der Dialektik, was man als Kritik an Hegels Dialektikauffassung verstehen kann (vgl. Schelling (1811), 8f. Zum Verhältnis von Spekulation und Reflexion und zum Stellenwert der Dialektik bei Schelling vgl. Dusing (1969).

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reicht sein, die nicht mehr in den Übergang fortgerissen wird, sondern als Totalität aller Gedankenbestimmungen in sich ruht, indem alle kategoriale Bewegung und Vermittlung in der subjektiven Immanenz der absoluten Idee zum Abschluß gekommen ist.

§ 2 Die Logik des Scheins: Vom Sein zum Wesen 7. Das Wesentliche und das Unwesentliche 1.

Die wesenslogische Darstellung der ontologisch-metaphysischen Wesensbestimmung

Die Entwicklung des Wesensbegriffs in den beiden Abteilungen A und B des 1. Kapitels der Wesenslogik ist zugleich eine kritische Darstellung des metaphysischen Wesensbegriffs, der hinter den Minimalbedingungen des in der Wesenslogik zu entfaltenden Wesensbegriffs zurückbleibt. Die Logik von Wesentlichem und Unwesentlichem ist zunächst spekulativ-dialektische Herleitung des Wesens des Seienden als einem selbst Seienden. Z 17 "Das Wesen ist das AUFGEHOBENE SEIN. Es ist einfache Gleichheit mit sich selbst, aber insofern es die NEGATION der Sphäre des Seins überhaupt ist" (L. II., 7f.; 18).

Hegel geht hier von einem Wesensbegriff aus, der die gesamte "Sphäre des Seins" einfachhin suspendiert. In diesem Sinne ist der erste Satz des Zitats zu verstehen (vgl. auch Henrich (1978), 236). Das Wesen hat dann den ontologischen Charakter "einfache Gleichheit mit sich selbst" aber nur insofern, als es die Sphäre des Seins, der es sich verdankt, zugleich negiert. Es kann also nur als "einfache Gleichheit mit sich selbst" bzw. als Unmittelbares erscheinen, wenn es seine Entwicklung und Vermittlung, die das Sein ist, in sich verleugnet.1 Die erste Abteilung des wesenslogischen Grundlegungskapitels ist also noch der Kritik des metaphysischen abstrakten Hinausgehens über das unmittelbare Sein gewidmet. Solange aber noch nicht deutlich geworden ist, wie das Wesen das Sein, aus dem es geworden ist, auch enthalten kann, steht ihm das Sein noch äußerlich gegenüber. Daraus folgt, daß das Wesen als "einfache Gleichheit mit sich selbst" nur die halbe Wahrheit ist und die "Unmittelbarkeit" (Z 18) des Seins als eine aufbewahrte und erhal1

Am Anfang der Seinslogik setzt Hegel Unmittelbarkeit geradezu gleich mit der Bedeutung des Ausdrucks "einfache Gleichheit mit sich selbst" (L. L, 67; 83).

§ 2 Die Logik des Scheins

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tene sich gegenüberstehen hat - gewissermaßen als die andere Hälfte der Wahrheit: Z 18 "So hat das Wesen die Unmittelbarkeit sich gegenüber als eine solche, aus der es geworden ist und die sich in diesem Aufheben aufbewahrt und erhalten hat" (L. II., 8; 18).

Obgleich es in einer negativen Beziehung auf die ihm gegenüberstehende Unmittelbarkeit des Seins steht, hat es ontologische Struktur und gestaltet sich dadurch selbst zu einem seienden, unmittelbaren Wesen. Womit wir es hier zu tun haben, ist der ontologische Wesensbegriff der platonisch-aristotelischen Tradition, das Wesen des Seienden als Seienden (on he on) als selbst Seiendes (ousia): Z 19 "Das Wesen selbst ist in dieser Bestimmung SEIENDES, unmittelbares Wesen und das Sein nur ein Negatives IN BEZIEHUNG auf das Wesen, nicht an und für sich selbst, das Wesen also eine BESTIMMTE Negation. Sein und Wesen verhalten sich auf diese Weise wieder als ANDERE überhaupt zueinander, denn JEDES HAT EIN SEIN, EINE UNMITTELBARKEIT, die gegeneinander gleichgültig sind, und (beide) stehen diesem Sein nach in gleichem Werte" (L. II., 8; 18).

In Beziehung auf das so bestimmte seiende und unmittelbare Wesen verhält sich das Sein nur als ein "Negatives", aber nicht als ein "an und für sich selbst" seiendes Negatives. So steht das Wesen zum Sein in der Beziehung der "BESTIMMTE[N] Negation". Die bestimmte Negation ist für Hegel nicht nur Negation von Bestimmtem, sondern hat selbst Bestimmtes zum Resultat. Dadurch unterscheidet sie sich von der sogenannten abstrakten Negation. Der Begriff der bestimmten Negation steht für den Bestimmtheitskontrast einer logischen Struktur. Sie ist daher geradezu gleichzusetzen mit der seinslogischen Bestimmtheitsrelation von Etwas und Anderem. Wesen und Sein geraten in dieser nur seinslogischen Bestimmtheitsbeziehung in eine logische Situation, in der sie sich wieder "als ANDERE überhaupt zueinander" verhalten. Die "BESTIMMTE Negation" unterwirft beide der seinslogischen Kategorie der Andersheit. Sein wie Wesen verhalten sich so gleichgültig gegeneinander und haben bezüglich ihres Seins und ihrer Unmittelbarkeit denselben Stellenwert. Als Beziehung zweier Anderer sind beide gleichgültiger und gleichwertiger Art.2

Hegel verwendet hier den naheliegenden daseinslogischen Ausdruck "gleichgültig", da Sein und Wesen nurmehr in einer äußerlichen bzw. beziehungslosen Beziehung zueinander stehen.

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

Z 20 "Zugleich aber ist das Sein im Gegensatze gegen das Wesen das UNWESENTLICHE; es hat gegen dasselbe die Bestimmung des Aufgehobenen. Insofern es sich jedoch zum Wesen nur überhaupt als ein Anderes verhält, so ist das Wesen nicht eigentlich Wesen, sondern nur ein anders bestimmtes Dasein, das WESENTLICHE" (L. II., 8; 18).

Sein und Wesen stehen zwar dem Sein und ihrer Unmittelbarkeit nach in "gleichem Werte", aber sie sind doch zugleich gegensätzlich. Ihre Gegensätzlichkeit ergibt sich aus der Tatsache, daß das Wesen das vorläufige Resultat der logischen Entwicklung der Seinslogik, das Sein aber nach dieser Entwicklung das Aufgehobene repräsentiert. Das Sein ist in der Bestimmung des Aufgehobenen als dem Wesen gegenüber Anderes das "UNWESENTLICHE" - das Wesen ist analog dazu hier noch nicht eigentlich es selbst, sondern als anders bestimmtes Dasein nur das "WESENTLICHE". Doch wird an dieser Stelle mit der Kategorie des Wesentlichen an der Priorität des Wesens gegenüber dem Sein festgehalten. Z 21 "Der Unterschied von Wesentlichem und Unwesentlichem hat das Wesen in die Sphäre des DASEINS zurückfallen lassen, indem das Wesen, wie es zunächst ist, als unmittelbares seiendes und damit nur als ANDERES bestimmt ist gegen das Sein" (L. IL, 8; 18).

Als Unmittelbares genommen ist das Wesen nicht das ganz und gar unbestimmte Wesen, als welches es die Indifferenzmetaphysik des Absoluten Schellingscher Prägung vor sich hat (vgl. Einleitungstext: "die Abstraktion des reinen Wesens" (Z 9)), vielmehr wird es selbst zu einem Seienden degradiert. Es ist wesentliches gegen unwesentliches Seiendes. Das Wesen ist damit nur als ein "ANDERES" gegen das Sein bestimmt. So wie das Sein dem Wesen gegenüber als ein unwesentlich bestimmtes Daseiendes auftritt, so kann das Wesen nurmehr als ein anders bestimmtes Dasein aufgefaßt werden. Der "Unterschied von Wesentlichem und Unwesentlichem hat das Wesen in die Sphäre des DASEINS zurückfallen lassen", so daß Wesen und Sein, obgleich als Wesentliches und Unwesentliches qualifiziert, prinzipiell den Status von gleichwertigen Daseienden haben. Z 22 "Die Sphäre des Daseins ist damit zugrunde gelegt, und daß das, was das Sein in diesem Dasein ist, Anundfürsichsein ist, ist eine weitere, dem Dasein selbst äußerliche Bestimmung, so wie umgekehrt das Wesen wohl das Anundfürsichsein ist, aber nur gegen Anderes, in BESTIMMTER Rücksicht" (L. II., 8; 18).

Das Sein in der Sphäre des Daseins mag wohl Anundfürsichsein sein, aber nur als eine weitere, dem Dasein selbst äußerliche Be-

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Stimmung, so wie auf der anderen Seite das Wesen durchaus Anundfürsichsein ist, aber nur gegen Anderes, in bestimmter Rücksicht. Deutlich zeichnet sich Hegels logische Strategie ab, die Kategorie des Wesens in eine Rücksicht aufgehen zu lassen, die irgendeine äußerliche Betrachtungsweise nimmt. Wie aber ist das Anundfürsichsein zu fassen, wenn es dem Sein zugesprochen wird? Auf welchem theoretischen Niveau läßt es sich lokalisieren? Vom Sein und vom Wesen wissen wir an dieser Stelle, daß sie als sich äußerlich gegenüberstehende Andere dasselbe theoretische Niveau haben und daß daher im Grunde weder dem Sein noch dem Wesen das Anundfürsichsein zukommen kann. Im Zusammenhang des Einleitungstextes in die Wesenslogik wurde dem Wesen die Bestimmung des Anundfürsichsein zugesprochen und festgehalten, daß sie zwar vom Wesen, nicht aber vom Sein ausgesagt werden kann. Wie das Sein absolutes Anundfürsichsein sein konnte, ließ sich dort nur im Rekurs auf die absolute Abstraktion des metaphysischen Denkens von der Bestimmtheit alles Seienden einsichtig machen. Als Produkt der absoluten Abstraktion ist das Anundfürsichsein aber nur "eine weitere, dem Dasein selbst äußerliche Bestimmung". Z 23 "- Insofern daher an einem Dasein ein WESENTLICHES und ein UNWESENTLICHES voneinander unterschieden werden, so ist dieser Unterschied ein äußerliches Setzen, eine das Dasein selbst nicht berührende Absonderung eines Teils desselben von einem anderen Teile, - eine Trennung, die in ein DRITTES fällt. Es ist dabei unbestimmt, was zum Wesentlichen oder Unwesentlichen gehört. Es ist irgendeine äußerliche Rücksicht und Betrachtung, die ihn macht, und derselbe Inhalt deswegen bald als wesentlich, bald als unwesentlich anzusehen" (L. II., 8; 18f.).

An einem Dasein besteht der Unterschied zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem in einer nur äußerlichen Setzung, welche zudem eine das Dasein nicht berührende Absonderung eines Teils desselben von einem anderen Teil darstellt, eine Trennung, die in den logischen Ort eines Dritten fällt. Da es vom Dasein selbst nicht nahegelegt wird, was an ihm wesentlich und unwesentlich ist, kann derselbe Inhalt aufgrund irgendeiner äußerlichen Rücksicht und Betrachtung einmal als wesentlich, einmal als unwesentlich angesehen werden. Damit entfällt jegliche Priorität des Wesens gegenüber dem Sein, da die Prädikate "wesentlich" und "unwesentlich" je nach Interessenlage

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

einer äußerlichen Betrachtung beliebig ausgetauscht werden können.3 Noch hat sich nicht ein wesentliches Dasein aus der Eigendynamik des Wesens selbst heraus entfaltet, vielmehr ist mit der Veräußerlichung der Relation von Wesen und Sein "die Sphäre des Daseins [...] zugrunde gelegt" (Z 22) und das Wesen selbst unter einen externen Gesichtspunkt gestellt worden. Das Wesen wird zu einem nur wesentlichen Dasein gegen ein unwesentliches unter einer äußerlichen Betrachtungsweise, der es letztlich gleichgültig ist, was als wesentlich und was als unwesentlich anzusehen ist. 2. Kritik der platonistisch-kantischen Chorismos-Theorie und ihrer skeptizistisehen Folgen Hegels Ausführungen über die Kategorien des Wesentlichen und Unwesentlichen enthalten die wesenslogische Kritik des ontologischen Wesensbegriffs der platonistisch-aristotelischen Tradition, indem sie zeigen, daß die metaphysische Bestimmung des Wesens die Bedingung eines entwicklungsfähigen Wesensbegriffs, die sich auf sich beziehende Negativität, nicht erfüllt. Die Bewegung des Seins erreicht dessen Wahrheit nicht, da sie immer wieder in die Sphäre des Daseins zurückfällt und so nur ein seiendes Wesen konstituiert. Hauptgegenstand der Metaphysikkritik ist hier jedoch "der (nach Hegel von der Intention Platons abweichende) Platonismus mitsamt seinen idealistischen Wandlungen und skeptizistischen Abwandlungen" (Theunissen (1978), 322). Das als "Platonismus wirksam gewordene Phaidon-Denken" (ebd.) Platons überwindet zunächst das Seiende durch die Anerkennung des Nichtseins des Endlichen, stellt es aber in potenzierter Form wieder her, indem es das Andere des Endlichen zur zweiten Welt hypostasiert. Mit der Unterscheidung zwischen unwesentlichem und wesentlichem Sein bringt Hegel die metaphysische Chorismos-Theorie der platonistischen Tradition, zu der er auch, wie die daseinslogische Unendlichkeitstheorie zeigt (vgl. L. I., 128; 152), die Philosophie Kants zählt, kritisch auf den Begriff. Mit dem Eintreten der Gleichgültigkeitsbeziehung zwischen Wesen und Sein treten auch die skeptizistischen Folgen der platonistischAn anderen Stellen, nicht nur der Logik, nimmt Hegel die Kategorien des Wesentlichen und Unwesentlichen auch konstruktiv auf, insofern die Zuschreibung dieser Gedanken in nicht ausschließlich äußerer Rücksicht erfolgt. Vgl. z.B. L. II, 136ff.; 164ff. und Enz. §§ 143, 144 und Werke 4, 96.

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kritizistischen Chorismos-Theorie in den Blick. Dem relativistischen Skeptizismus ist es "angesichts einer zur Gleichgültigkeit gesteigerten Gleichwertigkeit" (Theunissen (1978), 323) egal, was als Wesentliches und was als Unwesentliches gilt. Hegel denkt hier vornehmlich an den positivistischen Skeptizismus Gottlob Ernst Schulzes, den er bereits im Skeptizismusaufsatz von 1802 einer Kritik unterzogen hat: "Es ist nicht möglich, das Vernünftige und die Spekulation auf eine rohere Weise aufzufassen; die spekulative Philosophie wird beständig so vorgestellt, als ob vor ihr unüberwindlich die gemeine Erfahrung in der unverrückbaren Form ihrer gemeinen Wirklichkeit ausgebreitet als ihr eiserner Horizont vorliege und sie hinter diesem die DINGE AN SICH ihres Horizonts als Gebirge von einer ebenso gemeinen Wirklichkeit, die jene andere Wirklichkeit auf ihren Schultern trage, vermute und aufsuchen wolle; das Vernünftige, das Ansich kann sich Herr Schulze gar nicht anders vorstelllen als wie einen Felsen unter Schnee; dem Katholiken wandelt sich die Hostie in ein Göttlich-Lebendiges; hier geschieht nicht, was der Teufel von Christus begehrte, Stein in Brot zu wandeln, sondern das lebendige Brot der Vernunft verwandelt sich ewig in Stein" (Werke 2, 219f.).

3. Der Übergang vom Sein zum Schein als Kritik der metaphysischen Ontologisierung des Wesens Die folgende Passage bringt zunächst eine Wiederholung des bereits Gesagten, enthält aber einen Zusatz, in welchem die Resultate der vorliegenden Struktur in der Terminologie der Negation ausgedrückt werden und die den ontologiekritischen Übergang zum Wesen als absoluter Negativität einleiten:4 Z 24 "Genauer betrachtet, wird das Wesen zu einem nur Wesentlichen gegen ein Unwesentliches dadurch, daß das Wesen nur genommen ist als aufgehobenes Sein oder Dasein. Das Wesen ist auf diese Weise nur die ERSTE oder DIE Negation, welche BESTIMMTHEIT ist, durch welche das Sein nur Dasein oder das Dasein nur ein ANDERES wird" (L. II., 8f.; 19).

Als Unmittelbares genommen ist das Wesen ein Wesentliches gegen ein Unwesentliches, welches das Sein ist. Sein und Wesen sind so wieder Andere überhaupt gegeneinander, und das Wesen ist wieder in die Sphäre des Daseins zurückgefallen. "Genauer betrachtet" zeigt Schubert sieht in der folgenden Argumentation Hegels zurecht "die unmittelbar ontologiekritische Komponente der Hegeischen Logik" (Schubert (1985), 46).

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es sich, daß das Wesen nur dadurch zu einem nur Wesentlichen wird, daß es als in bestimmter Rücksicht "aufgehobenes Sein", nämlich als einfache Negation oder Dasein bestimmt wird. So ist das Wesen nur die "ERSTE [...] Negation" oder diejenige Negation, die in der Semslogik das [reine] Sein zum Dasein macht. Dasein ist bestimmtes Sein und seine Bestimmtheit ist Negation, und zwar "ERSTE [...] Negation"; so steht es in einer Gegenüberstellung zu bestimmtem anderem Daseienden und ist selbst nur ein Anderes. Genauso ist das Wesen als erste Negation der Sphäre des Seins überhaupt nur Daseiendes oder Anderes, sowie das Sein aufgrund dieser Negation nur anderes Daseiendes ist. Als erste Negation steht das Wesen zum Sein im Verhältnis der Äußerlichkeit und Andersheit.5 Es ist die paradoxe Situation entstanden, daß das Wesen als "aufgehobenes Sein" und damit als aufgehobene Äußerlichkeit selbst unter die Bedingungen von Äußerlichkeit geraten ist. Es ist nun näher darzulegen, wie Hegel den Begriff des Wesens aus dem Verhältnis der Äußerlichkeit zum Sein heraus- und damit das seiende Wesen auf Negativität zurückführt. Z 25 "Das Wesen aber ist die absolute Negativität des Seins; es ist das Sein selbst, aber nicht nur als ein ANDERES bestimmt, sondern das Sein, das sich sowohl als unmittelbares Sein wie auch als unmittelbare Negation, als Negation, die mit einem Anderssein behaftet ist, aufgehoben hat" (L. II, 9; 19). Das Wesen ist nicht nur erste Negation des Seins, vielmehr ist es dessen "absolute Negativität". Das Wesen ist die "absolute Negativität des Seins", insofern die erste Negation, das Verhältnis der Äußerlichkeit und Andersheit zwischen Wesen und Sein, negiert wird. Wie ist diese Negation der (ersten) Negation zu verstehen? Mit dem Hinweis darauf, daß "das Wesen aber [...] die absolute Negativität des Sein[s]" ist, wird noch einmal das Verhältnis zwischen Wesen und Sein zur Sprache gebracht. Hat dieses Verhältnis bisher unter der Bestimmung des Daseins (erste Negation) gestanden, so wird es nun als "absolute Negativität" entwickelt. Das bedeutet nichts anderes, als daß das Verhältnis zwischen Wesen und Sein nicht mehr einfachhin unter der Perspektive einer äußerlichen Be-

Der Begriff der ersten oder einfachen Negation (bestimmte Negation) hat bei Hegel drei Grundbedeutungen: a) Negation im Sinne von Unterscheiden bzw. Unterschied (vgl. Phän., 29; 36), b) Negation als Bestimmtheit (vgl. L. L, 100; 121) und c) Negation als Negatives oder Anderes (vgl. L. L, 103; 124 undEnz. § 91).

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trachtungsweise aufgebaut wird, sondern als Verhältnis zwischen dem Wesen als Resultat und dem Sein als seiner Entwicklung. Genauer: Dieses Verhältnis wird unter demjenigen Gesichtspunkt betrachtet, wonach das Sein in seiner Bewegung im Begriff ist, sich ins Wesen als in sein Resultat aufzuheben, so daß das Wesen als Resultat seine Genese einholt. Daß das Sein im Begriff ist, ins Wesen überzugehen und dieses somit seine Genese einholt, bedeutet, daß die Negation (erste Negation) negiert wird. Diese Negation der Negation hat den doppelten Sinn: 1. Das Verhältnis der Äußerlichkeit und Andersheit zwischen Wesen und Sein wird aufgehoben. 2. Das sich aufhebende Sein steht in Beziehung auf das Wesen in doppelter Negation. Da die Negation als Bestimmtheit oder erste Negation einerseits und die Negation als Aufheben jener ersten Negation andererseits nicht in zweimal demselben Sinne Negation sind, konstituieren sie insofern auch keine selbstbezügliche Negation. Dennoch ist hier die selbstbezügliche Negation angelegt. Denn die Negation (die erste oder "unmittelbare Negation") negiert sich. Die Aufhebung (Negation [2]) der Negation [1] vollzieht sich durch die Negation [1] selbst. Das bedeutet: Die Negation, die negiert wird, bezieht sich an sich auf sich selbst. Doch ist im gegenwärtigen Entwicklungsstadium noch nicht wirklich erkennbar, daß die als doppelte Negation qualifizierte logische Struktur des Seins den Charakter der Selbstbezüglichkeit hat. Der Übergang vom Sein zum Wesen besteht mithin darin, die Bewegung des Sich-Aufhebens des Seins, die an sich selbstbezügliche Negativität ist, als solche zu setzen. Die in Z 25 enthaltene Wendung "nicht nur [...] sondern [...] " bringt genau die nun in den Blick geratene Beziehung des Seins zum Wesen zur Sprache. Das Wesen ist nicht mehr nur ein Anderes gegenüber dem Sein, so wie dieses ein dem Wesen gegenüber Anderes ist, sondern das Verhältnis der Andersheit hebt sich auf, weil das Sein im Begriff ist, sich ins Wesen aufzuheben. Sofern es aber erst im Begriff ist, sich ins Wesen aufzuheben, ist es mit diesem noch nicht strukturgleich. Infolgedessen bleibt ein minimaler Aspekt der Andersheitsbeziehung von Wesen und Sein noch bestehen. Wir befinden uns in einem intermediären Stadium zwischen Andersheit und Nichtandersheit des Seins gegen das Wesen. Daß das Sein in seiner "absoluten Negativität" betrachtet wird, heißt also zunächst, daß es nicht mehr selbständig, sondern nur noch in Beziehung zum Resultat seines Sich-Aufhebens, dem Wesen, beleuchtet wird. Das Sein aber hebt sich "sowohl als unmittelbares Sein wie auch als unmittelbare Negation, als Negation, die mit einem Anderssein behaftet ist", auf.

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Hegel unterscheidet in Z 25 unmittelbares Sein und Dasein, die je im Übergang zum Wesen der absoluten Negativität unterworfen werden. Das hier als unmittelbar charakterisierte Sein bezeichnet den gesamten Bereich des Seins überhaupt, der in der Seinslogik abgehandelt wird. Das Sein als die mit einem Anderssein behaftete unmittelbare Negation ist die Sphäre des Seins in der speziellen Form des Daseins oder des Andersseins gegenüber dem Wesen.6 Das Wesen ist also das Sein selbst und dessen absolute Negativität, insofern dieses im Prozeß seines Sich-Aufhebens ins Wesen die Negation ist, die sich selbst negiert. Der Gang der Sache selbst zieht somit dem in der ontologischen Wesensbestimmung befangenen metaphysischen Denken den Boden unter den Füßen weg. Z 26 "Das Sein oder Dasein hat sich somit nicht als Anderes, denn das Wesen ist, erhalten, und das noch vom Wesen unterschiedene Unmittelbare ist nicht bloß ein unwesentliches Dasein, sondern das AN UND FÜR SICH nichtige Unmittelbare; es ist nur ein UNWESEN, der SCHEIN" (L. II., 9; 19).

Die Unmittelbarkeit des Seins ist zu Beginn der Abteilung A. als ein Anderes gegenüber dem Wesen eingeführt worden (vgl. Z 18). Nun hat sich herausgestellt, daß sich das "Sein oder Dasein" nicht länger als ein Anderes, vom Wesen wirklich Unterschiedenes, "erhalten" kann, weil es als sich aufhebend im Begriff ist, ins Wesen überzugehen und dieses somit seine Genese einholt. "Das Sein oder Dasein" ist als ein dem Wesen gegenüber Anderes "AN UND FÜR SICH" aufgehoben. Daher ist alle "noch vom Wesen unterschiedene" Unmittelbarkeit nur noch Nichtigkeit. Mit diesem Gedanken ist der Begriff des Scheins erreicht: Schein ist das Sein oder Dasein insofern, als alles noch vom Wesen unterschiedene Unmittelbare "das AN UND FÜR SICH nichtige Unmittelbare" ist. Ausgangspunkt für die Definition des Scheinbegriffs ist die schlechthin-

Das Sein als "unmittelbare Negation" ist das Dasein im Sinne des Bestimmten, welches als Etwas zugleich ein Negatives, d.h. ein Anderes ist. Vgl. die Wendungen: Dasein ist "ein Sein mit der Negation oder Bestimmtheit" (Enz. § 89 Anm.) und: "Die Negation ÜBERHAUPT ist das Negative als Qualität oder UNMITTELBARE Bestimmtheit" (L. II., 50; 66). "Unmittelbare Negation", "qualitative Bestimmtheit" und "Negation ÜBERHAUPT" bzw. "Anderes" sind in der Daseinslogik synonyme Begriffe. Die unmittelbare Negation ist daher immer "mit einem Anderssein behaftet". Denn: "Die Negation, nicht mehr das abstrakte Nichts, sondern als ein Dasein und ETWAS, ist nur Form an diesem, sie ist als ANDERSSEIN" (Enz. § 91).

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nige Nichtigkeit aller gegen das Wesen stehenden Unmittelbarkeit des Seins oder Daseins. Das dem Wesen zunächst Gegenüberstehende, das unmittelbare Sein oder Dasein, hat kein selbständiges Bestehen mehr, es ist in seinem Aufgehobensein nicht bloß "ein unwesentliches Dasein", sondern "ein UNWESEN, der SCHEIN". Der Scheinbegriff generiert hier aus der Begriffsfolge "Sein oder Dasein" - "ein UNWESEN" - "der SCHEIN". Der Schein wird also auf der Daseinsebene eingeführt: Die Sphäre des Seins als das Dasein oder Anderssein gegenüber dem Wesen ist ein Unwesen. Insofern ist es auch auffallend, daß Hegel von einem Unwesen als dem Schein spricht, den vom Unwesentlichen herrührenden Artikel also noch beibehält. In dieser Formulierung erweist sich auch die Kategorie Unwesen als Steigerungsform des unwesentlichen Daseins.7 Das Sein oder Dasein ist Unwesen und insofern Schein, weil es an und für sich nichtig ist. Als Nichtiges ist es zwar nicht dasselbe wie das, was es gar nicht gibt, - aber weil auch nichts Selbständiges mehr an ihm ist, ist es nicht nur als negiert vorhanden, sondern existiert auch nur unter der Voraussetzung, daß es negiert ist. Was den Schein charakterisiert, ist somit die Unmittelbarkeit des Negiertseins des Seins oder Daseins. Der Schein ist also das "AN UND FÜR SICH nichtige Unmittelbare" in einem zweifachen Sinne: 1. Er ist das nichtige Unmittelbare - die vom Wesen unterschiedene Unmittelbarkeit ist durchaus und im ganzen Nichtigkeit. 2. Er ist das nichtige Unmittelbare · nämlich die Nichtigkeit als bestehend. Die beiden Prädikate des Scheins sind demnach Nichtigkeit und Unmittelbarkeit, und zwar so, daß die Nichtigkeit den Schein grundlegend charakterisiert und die Unmittelbarkeit nur eine weitere Bestimmung der Nichtigkeit ist. Unmittelbarkeit ist nur noch Unmittelbarkeit der Nichtigkeit. Als Schein besteht das Sein, insofern es an und für sich aufgehoben ist. Es ist dann nichtig im Sinne der einem "UNWESEN" zugeschriebenen Nichtigkeit. Doch erweist sich die Identität des Scheinbegriffs mit der Kategorie des Unwesens als eine relative. Der als solcher gleichfalls nichtige Schein hat gegenüber dem Unwesen noch eine andere Bedeutung. Der logisch interessantere Aspekt im Begriff des Scheins ist der, daß wir vom Schein nicht sprechen können, ohne daß etwas scheint. Diese Bedeutungsdifferenz im Begriff des Scheins wird Hegel im folgenden metaphysikkritisch wenden. Die Kategorie Unwesen korrespondiert mit dem Ausdruck "wesenloses Sein" (L. ., 7; 17).

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Von der alltagssprachlichen Verwendungsweise des Scheinbegriffs her kann man sich zunächst folgendes klarmachen: Etwas kann scheinen im Sinne von radikaler Illusion (Täuschung), als 'es scheint bloß so' oder 'bloß so scheinen als ob', und es kann scheinen im Sinne von 'zum Vorschein kommen' - etwa wenn wir sagen, die Sonne scheint. Scheint die Sonne, so trifft uns nur ihr Licht und nicht sie selbst. Im Vorschein wird etwas sichtbar, indem es aus etwas herausscheint. So ist das Sonnenlicht sichtbar, obwohl es nicht die Sonne selbst ist. Ihr Sich-Zeigen ist von ihr selbst unterschieden, obgleich sie in ihrem Sich-Zeigen doch vorkommt. Wir haben im deutschen Wort 'Schein' ein solches vor uns, das je nach Kontext verschiedene Bedeutungen hat und ein stark metaphorisches Potential aufweist. Im Englischen z.B. gibt es dafür keine Entsprechung - übersetzt man Schein mit 'show', so wird Schein auf die Bedeutungskomponente reiner Illusion reduziert. Hegel nutzt diese Doppelsinnigkeit des Wortes 'Schein' tiefsinnig aus.

II. Der Schein 1. Das Sein ist Schein Hegel leitet die Abteilung B. des ersten Kapitels ein mit dem Satz: Z 27 "1. DAS SEIN IST SCHEIN" (L. II., 9; 19). Mit diesem Satz zieht Hegel die Konsequenz aus der vorhergegangenen Entwicklung: Das Sein ist in seiner Totalität zu Schein geworden. Der ganze erste Abschnitt der Abteilung B., B.L, dient der Erläuterung des Gedankens, daß das Sein Schein sei. Zunächst stellt sich die Frage, wie der Gedanke vom Schein selber zu denken sei: Z 28 "Das Sein des Scheins besteht allein in dem Aufgehobensein des Seins, in seiner Nichtigkeit; diese Nichtigkeit hat es im Wesen, und außer seiner Nichtigkeit, außer dem Wesen ist er nicht" (L. II., 9; 19).

Der Schein ist das Resultat der Selbstaufhebung des Seins, das "Aufgehobensein des Seins". Das Aufgehobensein des Seins wird von Hegel mit dessen Nichtigkeit identifiziert, weil es nach seiner Selbstaufhebung "das an und für sich aufgehobene Sein" (L. II., 7; 17) ist. Die Selbstaufhebung des Seins führt zu nichts als Nichtigkeit.

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Vom Sein ist also zunächst nichts als diese Nichtigkeit des Seins anzugeben, - "außer seiner Nichtigkeit [...] ist er nicht". Gerade diese Nichtigkeit des Seins ist der Schein. Das Sein ist aufgehoben; es war, es bestand. Nun ist es aufgehoben und besteht nur noch in seinem Aufgeh oben sein, ist Schein. Dieser Gedanke widerspricht dem natürlichen Verständnis: Wenn etwas beseitigt ist, ist es verschwunden und hat nicht daran wiederum ein Sein. Allerdings liegt in der Formulierung des Aufgehobenseins des Seins in gewissem Sinne auch schon ein Sein des Nichtseins des Seins. Das Aufgeh oben sein des Seins, dessen Nichtigkeit, besteht im Schein. Die Nichtigkeit des Seins als Sein, als bestehend, das ist der Schein. Im Begriff des Scheins muß also zweitens das Aufgeh oben sein des Seins, die Nichtigkeit, als bestehend gedacht werden. Die beiden Charaktere des Scheins sind demnach die schon erwähnten Bestimmungen Nichtigkeit und Unmittelbarkeit. Diese beiden Charaktere des Scheins sind jedoch nicht gleichwertig. Unmittelbarkeit gibt es im Begriff des Scheins nur auf der Grundlage und auf dem Boden der Nichtigkeit des Seins. Die Nichtigkeit charakterisiert den Schein grundlegend. Die Unmittelbarkeit ist zu einer Eigenschaft der Nichtigkeit geworden. Das Wesen wurde "zunächst als ein unmittelbares genommen" (L. II., 7; 17), als Dasein. So verhielten sich Wesen und Sein als Andere überhaupt gegeneinander, als Wesentliches und Unwesentliches. Dann wurde das unwesentliche Dasein zum Schein, weil sich das Sein in seiner absoluten Negativität an sich selbst ins Wesen aufhob. Das Wesen aber ist nichts anderes als die absolute Negativität des Seins selbst (vgl. Z 25). Daß das Sein nur noch Nichtigkeit ist, hat also seinen Grund allein in der Verfassung des Wesens, absolute Negativität des Seins zu sein. Deshalb kann Hegel auch die Nichtigkeit des Seins im Wesen lokalisieren. Die Nichtigkeit hat sich aber als die grundlegende Bestimmung des Scheins erwiesen. Insofern nun die Nichtigkeit des Seins ganz im Wesen angesiedelt ist, muß auch jedes äußerliche Verhältnis von Schein und Wesen bestritten werden. Die Verneinung des "außer" ist hier als Zurückweisung der metaphysischen Annahme zu verstehen, der Schein sei irgendwie 'außerhalb' des Wesens. Ist der Schein nichts als Nichtigkeit, so ist er nicht außer dem Wesen, so Hegels These. Dieser Sachverhalt wird noch einmal in der Negationsterminologie ausgedrückt: Z 29 "Er ist das Negative gesetzt als Negatives" (L. II., 9; 19). Der Schein ist das Negative (das Andere des Wesens), das als solches "gesetzt" und daher immer schon aufgehoben und negiert ist (im

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Wesen). Der Lokalisierung des Scheins im Wesen, die sich daraus erklärt, daß die inhaltliche Grundbestimmung des Scheins, seine Nichtigkeit, in der absoluten Negativität des Wesens ihren Grund hat, widerspricht aber im Text (Z 28), daß das Sein des Scheins auch Bestand hat. Dieser Widerspruch liegt im Text unmittelbar darin, daß einmal "das Sein des Scheins" (Z 28) besteht, andererseits die Nichtigkeit des Scheins quasi nur noch das Wesen oder im Wesen ist, also besteht. Mit dem, was der Schein ist (Nichtigkeit), widerspricht er dem, daß er ist (Sein, Unmittelbarkeit). Dieser Widerspruch bringt auch die noch zu entfaltende Vorläufigkeit der Begriffsbestimmung des Scheins zum Ausdruck. Das Wesen im Vollsinne haben wir hier noch nicht, stattdessen befinden wir uns in einer Zwischenstation, in der einerseits das Sein nur noch als Schein im Wesen besteht, aber anderseits der Schein zugleich noch ein Bestehen ("Sein des Scheins") gegenüber dem Wesen hat. Der Schein ist diese haltlose Zwischenstation, die, sobald sie durchschritten ist, sowohl entfaltet als auch im Wesen aufgehoben ist. Die Begriffsbestimmung des Scheins zieht die Notwendigkeit nach sich, vom Schein zum Wesen fortzuschreiten. Zugleich gibt sie zu erkennen, daß nur vom Schein aus und durch ihn hindurch zum Wesen zu gelangen ist. a) Kritik des metaphysischen Scheins des Scheins Z 30 "Der Schein ist der ganze Rest, der noch von der Sphäre des Seins übriggeblieben ist" (L. II., 9; 19).

Das Sein, auch wenn es in seiner Totalität vergangen ist, läßt etwas zurück, eine Spur, eine Erinnerung, zumindest aber einen Mangel. Der Schein ist diese leere Stelle, dieses rein gedankliche Vakuum, welches das Sein hinterließ, als es ein Anderes als das Wesen zu sein nicht mehr vorgab. Von dem Sein, das ein unmittelbar Unwesentliches gegen das Wesen zu sein schien, ist eben nichts mehr geblieben als dieser Schein. Er ist der "ganze Rest" - das will auch sagen kümmerliche Rest -, "der noch von der Sphäre des Seins übriggeblieben ist". Wird das unwesentliche Dasein zum Schein, so besteht die Unmittelbarkeit nicht mehr als die des Daseins, sondern nur noch als die der Nichtigkeit. Unmittelbarkeit ist zwar nur noch auf dem Boden von Nichtigkeit zu denken, ist aber doch noch, bildet immer noch einen Rest, wenn auch den letzten. Hegel spricht hier vom Schein als

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demjenigen, das noch nicht das Wesen ist, sondern etwas, das besteht, also noch einen "Rest" von Sein hat, wenn auch nur in dem Aufgehoben sein des Seins.8 Z 31 "Er scheint aber selbst noch eine vom Wesen unabhängige unmittelbare Seite zu haben und ein ANDERES desselben überhaupt zu sein" (L. II, 9; 19).

Der Schein "scheint" also ein eigenständiges Sein ("das Sein des Scheins" (Z 28)) und damit eine "vom Wesen unabhängige unmittelbare Seite" zu haben, weil der Schein mit dem Anschein eines eigenständigen Seins zwar tatsächlich ein Bestehen hat, darin aber nichtig ist, weil der Schein ein eigenständiges Sein zu sein, nur zu sein scheint. In Wahrheit ist der Schein nämlich nicht "außer dem Wesen" (Z 28). Dennoch stellt sich der Anschein einer Unabhängigkeit gegen das Wesen notwendigerweise ein. Denn solange noch nicht hergeleitet ist, in welcher Weise der Schein im Wesen zu denken ist, muß er auch vom Wesen unterschieden werden und eine "Seite" an sich haben, durch die er den Anschein erweckt, nicht vom Wesen abzuhängen. Aufgrund dieses Anscheins, den der Schein produziert, scheint er "ein ANDERES" gegen das Wesen "überhaupt" zu sein. In der metaphysischen Tradition wird der Schein genau in dieser Weise aufgefaßt, daß er in seiner Nichtigkeit das Andere gegenüber dem Wesen als dem wahren, scheinlosen Sein ist. Diese metaphysische Auffassung des Scheins geht auf Platons Ideenlehre im Phaidon zurück, wo Platon die Endlichkeit als ein Sein (on) begreift, das ein Nichtsein (me on) ist, und daher dem Gesetz des Entstehens und Vergehens (genesis kai phthora) ausgeliefert ist, während die Ideen als die wahre Wirklichkeit den Charakter der Ewigkeit haben. Daß der Schein kein solches Anderes gegenüber dem Wesen ist, steht bereits außer Frage, da sich der Schein, der als Prädikat des Insofern das unmittelbare Sein Widerpart des Wesens war, besteht es nicht mehr, ist es vergangen. Dennoch scheint es im Schein weiterhin gegenwärtig zu sein. Dem liegt nun keine denkerische Inkonsistenz zugrunde, sondern vielmehr die Behauptung, daß das Vergangene als Vergangenes präsent bleibt und sich somit vom Niegewesenen unterscheidet. Das Sein gerät im Schein aus der Vergangenheit in Präsens. Genauen es gerät aus der Vergangenheit in Präsens, ohne darin nicht mehr vergangen zu sein. Nach dem Anfang der Wesenslogik ist das Sein, das vergangen ist, das Wesen. Das Sein, das noch nicht das Wesen ist, ist präsentisch. Hiernach ist der Schein sowohl Sein, als präsentisch, wie Wesen, als Vergangensein. Später spricht Hegel vom Schein als dem Wesen in der Bestimmtheit des Seins (vgl. Z 42).

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

Seins auftritt, so prägnant erwiesen hat, nicht "außer dem Wesen" zu sein, daß die Vorstellung seiner Wesensunabhängigkeit nicht positiv aufgehoben werden muß, sondern nur begrifflich destruiert zu werden braucht. Diese Destruktion geschieht mit Hilfe eines Rückgriffs auf die Logik des Anderen, die in eine Logik des Scheins umgeformt wird (vgl. Henrich (1978), 239ff). Z 32 "Das ANDERE enthält überhaupt die zwei Momente des Daseins und des Nichtdaseins" (L. II., 9; 19).

Das "ANDERE" impliziert die beiden Aspekte des "Daseins" und "Nichtdaseins". In der 1. Auflage der Seinslogik wird der Terminus "ANDERSSEIN" im Abschnitt "2. REALITÄT" der Abteilung "A. DASEIN ALS SOLCHES" des 1. Kapitels der Daseinslogik eingeführt (vgl. L. I. (A), 49-51). Er steht dort für die Doppelung von Dasein und Nichtdasein (ebd., 49). Das Dasein wäre nicht, was es ist, ohne daß das Nichtsein in ihm gesetzt ist. Weil das Dasein in sich das Nichtsein enthält, muß es notwendig als Nichtdasein gesetzt werden (ebd., 49). Das Nichtdasein ist aber selbst Dasein, eben weil es ein notwendiges Implikat des Begriffs vom Dasein ist. Für die Einheit der Momente "Dasein" und "Nichtdasein" steht der Begriff des "Andersseins". Jedes Dasein ist Anderssein, weil es das "Nichtdasein" als Strukturmoment seiner selbst in sich trägt. Als solches steht Dasein immer schon in Beziehung auf anderes Dasein. Zugleich ist es auch gleichgültig gegen seine Beziehung auf Anderes, ein unmittelbares, einfaches Sein. Es ist daher nicht überhaupt Anderssein, nicht rein seine Beziehung auf Anderes, sondern erhält sich als Dasein in seinem Nichtdasein (ebd., 51). Das Anderssein des Daseins ist demnach ein substratbestimmter Unterschied.9 Die Anwendung der daseinslogischen Kategorie des Anderen auf den Begriff des Scheins unterstreicht dessen scheinhafte Substantialisierung in seiner Unmittelbarkeit und rückt den Schein in die Nähe des Daseins, auf dessen Ebene er ja auch eingeführt wurde. In der 2. Auflage der Seinslogik wird die Kategorie des Anderen nicht auf der Stufe des Daseins als solchem, sondern erst nach der Entwicklung des Begriffs des Etwas eingeführt (vgl. L. I., 103ff.; 124IT.). Statt "Dasein" und "Anderssein" werden in der 2. Auflage daher die Begriffe "Etwas" und "Anderes" eingesetzt. Dadurch verliert aber der Begriff des "Nichtdaseins", den Hegel auch in der 2. Auflage gebraucht, seine eigentümliche Funktion. Er ist in der 2. Auflage auch niemals ausdrücklich als Strukturmoment des Etwas eingeführt worden. Dennoch wird er von Hegel zur Explikation der Beziehung von Etwas und Anderem verwendet.(vgl. L. I, 106; 127). Ein Indiz dafür, daß Hegel die 1. Auflage nicht mit ausreichender Sorgfalt umgearbeitet hat.

§2 Die Logik des Scheins

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Hegel nimmt nun die Logik des Anderen in den Dienst der Logik des Scheins: Z 33 "Das Unwesentliche, indem es nicht mehr ein Sein hat, so bleibt ihm vom Anderssein nur das REINE MOMENT DES NICHTDASEINS; [...]" (L. II., 9; 19).

Hegel hat am Ende seiner Betrachtung zum Wesentlichen und Unwesentlichen das unwesentliche Dasein als ein in die absolute Negativität des Wesens aufgehobenes erwiesen. Das bedeutet: Das Unwesentliche hat kein Sein mehr. Vom Sein, das ein Unwesentliches gegen das Wesen zu sein schien, ist nichts geblieben als seine Nichtigkeit. Dem Unwesentlichen, das dadurch zum Schein wurde, kommt daher von der daseinslogischen Kategorie des Andersseins nur das "REINE MOMENT DES NICHTDASEINS" zu. Das Andere besteht aus der Gesamtkonstellation der beiden Momente "Dasein" und "Nichtdasein". Dem Schein kann aber kein "Dasein" zukommen. Im Schein bleibt vom Anderen nur das reine Moment des Nichtdaseins zurück, und zwar ohne seiendes Substrat, auf welchem es aufzutragen wäre. "Rein" ist der Titel für die substratlose Präsenz des "Nichtdaseins". Mit der Reduktion des Anderen auf das reine Moment des Nichtdaseins vollzieht Hegel einen ersten Schritt, um den metaphysischen Anschein der Unabhängigkeit der Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen durchzustreichen. Einschränkend ist hier jedoch hinzuzufügen, daß Hegel die grundlegende Bestimmung der Nichtigkeit des Scheins in Orientierung an der daseinslogischen Begrifflichkeit mit dem Terminus "Nichtdasein" belegt. Weil der Schein als "Nichtdasein" aber durchaus Präsenz und Bestehen hat, wird in der nunmehr veränderten Begriffskonstellation das zuvor eliminierte Moment des Anderen, das "Dasein" in der Form der Unmittelbarkeit, in die Definition des Scheinbegriffs wieder eingefügt (vgl. Henrich (1978), 240). Hegel hält also daran fest, daß zur Begriffsbestimmung des Scheins die Bestimmung der Unmittelbarkeit unerläßlich ist. Unmittelbarkeit kann aber nur unter der Voraussetzung des substratlos gedachten Nichtdaseins in den Scheinbegriff wiedereingegliedert werden. Auf diese Weise wird die Unmittelbarkeit zu einem Attribut des Nichtdaseins. Der Schein ist nicht nur das "REINE MOMENT DES NICHTDASEINS", sondern das "UNMITTELBARE Nichtdasein" (Z 34). Damit hat sich die Folgeordnung von Unmittelbarkeit und Nichtigkeit wieder eingestellt, durch die der Schein schon bei seiner systematischen Einführung am Ende der Abteilung A. charakterisiert war, die sich aber in der Konsequenz der Entfaltung des Gedankens vom Schein nicht durchhalten ließ.

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Hegel führt nun aus, wie der Schein in der Bestimmung des unmittelbaren Nichtdaseins zu denken sei: Z 34 "[...] der Schein ist dies UNMITTELBARE Nichtdasein so in der Bestimmtheit des Seins, daß es nur in der Beziehung auf Anderes, in seinem Nichtdasein Dasein hat, das Unselbständige, das nur in seiner Negation ist" (L. II., 9; 19f.).

Der Schein, der sich als unmittelbares Nichtdasein erwies, ist das Nichtdasein, das Dasein ausschließlich in seinem Nic/iidasein hat, mithin das Nichtdasein, das "die Bestimmtheit des Seins" allein in seiner Beziehung auf Anderes hat. Man muß hier beim Nachvollzug des Scheinbegriffs Vorsicht walten lassen, denn die immanente Logik der daseinslogischen Begrifflichkeit läuft Hegels ontologiekritischem spekulativem Anliegen zuwider. Will er den Schein als das unmittelbare Nichtdasein näher bestimmen, so muß er vom Schein sagen, daß er ist, etwas ist. In diesem 'ist' soll jedoch keine Existenz behauptet, sondern nur 'Sein' prädiziert werden, und zwar von einem Subjekt, welches Nichtiges ist. In Orientierung an der daseinslogischen Begrifflichkeit sieht es aber so aus, als sei der Schein als das Nichtdasem selbst noch ein 'Dasein', 'etwas'. Hegel gebraucht diese Begrifflichkeit an dieser Stelle, da er sich in das im Schein befangene metaphysische Denken hineinversetzt. Z 34 macht aber das weitergehende Angebot, den Schein zu verstehen als Verhältnis rein Unterschiedener ohne seiende Substrate, damit als reine Beziehung auf Anderes oder als die Andersheitsbeziehung als solche. Der Schein ist als das "UNMITTELBARE Nichtdasein" das Negative ohne Substrat, ein unselbständiges Negatives, "das nur in seiner Negation ist".™ 1°

Der Schein ist ein Negatives, das nicht mehr an einem seienden Substrat ist; daraus zieht Hegel die Schlußfolgerung, daß er ein unselbständiges Negatives darstellt, "das nur in seiner Negation ist". In Verbindung mit dieser Negation, die den Schein als das Negative negiert, sagt die Wendung "UNMITTELBARE[S] Nichtdasein" offenbar aus, daß der Schein ein Negatives sei, das unmittelbar negiert ist. Der Schein ist das "Nichtdasein", das im Modus der Unmittelbarkeit negiert ist. Dann ließe sich aber bereits hier vermuten, daß der Schein eine von der Unmittelbarkeit nur verdeckte selbstbezügliche Negationsstruktur ist. Daran anschließend läßt sich folgende Überlegung anstellen: Im Schein - wie er hier entwickelt ist - bezieht sich das Negative noch nicht erkennbar als solches auf sich. Nur für eine äußere Reflexion ist erkennbar, daß sich im Schein eine als "Nichtigkeit" qualifizierte Negation auf sich selbst bezieht, so daß erst auf einer höheren Stufe der Begriffsentwicklung, in der der Schein im Wesen gesetzt ist, von der im Schein erreichten Struktur als einer selbstbezüglichen Negation die

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Aufgrund dieses SachVerhalts wird der Schein das "Unselbständige" genannt. Ein Unselbständiges ist etwas, das nicht aus sich heraus ein Sein zu gewinnen vermag, sondern sein Sein in einem Anderen hat.11 Mit diesem Gedanken hat Hegel einen weiteren Schritt in die Richtung unternommen, dem Schein den metaphysischen Anschein einer Unabhängigkeit gegen das Wesen zu nehmen. Der metaphysische Schein eines eigenständigen "Sein[s] des Scheins" (Z 28) beginnt sich mehr und mehr aufzulösen. Der Schein sinkt zu einem rein unselbständigen Negativen herab. Gleichwohl wird auch hier die begriffliche Destruktion des Anscheins des Scheins mit den terminologischen Mitteln der Daseinslogik vollzogen. Ein Indiz dafür, daß sich Hegel weiterhin mit dem ontologische Konzept des Scheins auseinandersetzt. Z 35 "Es bleibt ihm also nur die reine Bestimmtheit der UNMITTELBARKEIT; es ist als die REFLEKTIERTE Unmittelbarkeit, d.i. welche nur VERMITTELS ihrer Negation ist und die ihrer VERMITTLUNG gegenüber nichts ist als die leere Bestimmung der Unmittelbarkeit des Nichtdaseins" (L. II., 9; 20).

Dem Schein als dem unmittelbaren Nichtdasein bleibt nur "die reine Bestimmtheit der UNMITTELBARKEIT". Zu der Unmittelbarkeit des Nichtdaseins gehört der Begriff der reinen Bestimmtheit, weil die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit aus der Reinheit der Differenzverhältnisse herrührt, in der das "Nichtdasein" "Dasein" hat.^ Für diesen Begriff von Unmittelbarkeit setzt Hegel den Terminus "REFLEKTIERTE Unmittelbarkeit" ein. Diese ist eine Unmittelbarkeit, die nur "VERMITTELS ihrer Negation" besteht. Hegel macht hier den Versuch, Unmittelbarkeit und Vermittlung derart zusammen zu denken, daß Unmittelbarkeit zu einer Funktion von Vermittlung wird, wobei Vermittlung nichts anderes als "Negation" meint. Es ist die Paradoxie ihrer Struktur, daß sie nur in ihrem Vermitteltsein ist. Die reflektierte Unmittelbarkeit ist daher immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit. Die reflektierte Unmittelbarkeit ist aber nicht schon die Unmittelbarkeit, die die Form der Vermittlung selber ist; sie ist nur ein As-

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Rede sein kann. Erst in Absatz B.2.5. wird deutlich, daß der Schein eine Struktur ist, die zugleich "das Negative" und "BEZIEHUNG [...] AUF SICH" ist (vgl. Z 50). An späterer Stelle sagt Hegel, das Wesen sei das "Selbständige" (Z 48). Die Selbständigkeit des Wesens generiert aus dem Herabsinken des Scheins zu einem Unselbstän digen. Für diesen Begriff von Bestimmtheit hält Hegel später den Begriff des Gesetztseins bereit (vgl. L. II., 15; 26).

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pekt an der Vermittlung. Hegel ordnet sie, wie wir gleich sehen werden, philosophiegeschichtlich dem Skeptizismus und dem neueren Idealismus zu. Erst die Wesenslogik erkennt, daß sich die Unmittelbarkeit der Nichtigkeit des Scheins nicht nur der Negation verdankt, also reflektierte Unmittelbarkeit ist, sondern die Form der absoluten Negativität des Wesens selber ist. Dennoch ist die reflektierte Unmittelbarkeit ein weiterer Schritt auf dem Weg der Kritik des metaphysischen Scheins des Scheins. Da bisher Unmittelbarkeit nur im Gegensatz zur Vermittlung gedacht werden konnte, muß die reflektierte Unmittelbarkeit auch "ihrer VERMITTLUNG gegenüber" festgehalten werden. Sie soll und muß, aber sie kann nicht. Denn auch in dieser Situation erweist sich die reflektierte Unmittelbarkeit als aufgehobene Unmittelbarkeit. Unmittelbarkeit kann also als abhängige Funktion von Vermittlung nicht als solche festgehalten werden. Der Gegensatz von Unmittelbarkeit und Vermittlung, wie er im Schein besteht, muß also in der Entwicklung des Wesens aufgehoben werden. Damit müssen diese Begriffe entgegen ihrer seinslogischen Bedeutung uminterpretiert werden. Insbesondere muß die Bedeutung von Unmittelbarkeit korrigiert werden, will sie überhaupt im wesenslogischen Kontext gedacht werden können. Das angestrebte Ziel Hegels ist die mit der absoluten Vermittlung identische Unmittelbarkeit, eine Unmittelbarkeit, die die Form der Vermittlung des Wesens selber ist. Solange der Schein aber vom Wesen unterschieden ist, gibt es eine metaphysische Unmittelbarkeit des Scheins, die aber als reflektierte Unmittelbarkeit und damit immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit im ontologischen Sinne im Grunde undenkbar ist. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Schein ins Wesen zu überführen. Die Unmittelbarkeit des Scheins wird aus ihrer Undenkbarkeit herausgeholt, indem sie wesenslogisch uminterpretiert wird. Die seinslogische Unmittelbarkeit (die letzten Reste derselben) muß in die des Wesens transformiert werden. Auf dieser Grundlage kann dann auch diejenige Unmittelbarkeit, die im Gegensatz zur Negation und Vermittlung aufgehobene Unmittelbarkeit ist, vom Wesen aus rekonstruiert werden. War schon in Absatz B. 1.1. klar, daß der Schein nicht außer dem Wesen ist, so war unklar geblieben, wie der Schein im Wesen angesiedelt sein kann. Damit ergibt sich die Aufgabe zu zeigen, wie sich die Bestimmungen des Scheins als die des Wesens selber denken lassen.

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Wird aufgewiesen, daß die Bestimmungen des Scheins, so wie sie jetzt gedacht werden, nur noch als Bestimmungen des Wesens bestehen, dann ist der Schein und damit der letzte Rest des Seins ins Wesen hineingebracht. Solange der Schein noch vom Wesen unterschieden ist, gibt es einen letzten Rest des Seins auch unabhängig vom Wesen. Damit ist aber auch die ontologische Konzeption des Wesens noch nicht überwunden. Erst mit der Bewältigung dieser Aufgabe steht fest, daß das Sein qua Schein nur im Wesen lokalisiert ist und die ontologische Bestimmung des Wesens unhaltbar ist. Von der Unmittelbarkeit des Scheins, von der gesagt wurde, sie sei reflektierte Unmittelbarkeit, eine Unmittelbarkeit, die als abhängige Funktion der Vermittlung nur in ihrem Vermitteltsein ist, von dieser Unmittelbarkeit wird in Z 35 behauptet, daß sie, wenn sie gegen die Vermittlung festgehalten wird, "nichts [...] als die leere Bestimmung der Unmittelbarkeit des Nichtdaseins" sei. Und zwar ist diese Bestimmung der Unmittelbarkeit deshalb eine "leere Bestimmung", weil sie auch dann, wenn sie gegen die Vermittlung festgehalten wird, immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit ist. Die "ihrer VERMITTLUNG gegenüber" nur als "leere Bestimmung" zu bezeichnende "Unmittelbarkeit des Nichtdaseins" ist es nun, die dem Schein den scheinbaren, jetzt aber in seiner Nichtigkeit durchschauten Anschein eines eigenständigen Seins zukommen läßt, weil dem Schein dann die Bedeutung einer vom Wesen unabhängigen Unmittelbarkeit anzuhaften scheint. Diese Bestimmung des Scheins ist der Ausgangspunkt für die 'philosophische Anmerkung1 im nun folgenden Absatz B. 1.3. b) Kritik des Skeptizismus und des neueren Idealismus Bevor Hegel den Übergang des Scheins in das Wesen vollzieht, gibt er in einer 'philosophischen Anmerkung* eine kritische Darstellung des Scheinbegriffs in der skeptizistischen und neueren idealistischen Philosophie. Dabei geht er davon aus, daß die nun erreichte Begriffsbestimmung des Scheins als "die leere Bestimmung der Unmittelbarkeit des Nichtdaseins" mit dem übereinstimmt, was im Skeptizismus als "Phänomen" und im kritischen Idealismus als "Erscheinung" gilt: Z 36 "So ist der SCHEIN das Phänomen des SKEPTIZISMUS oder auch die Erscheinung des Idealismus eine solche UNMITTELBARKEIT, die kein Etwas oder kein Ding ist, überhaupt nicht ein gleichgültiges Sein,

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das außer seiner Bestimmtheit und Beziehung auf das Subjekt wäre" (L. II., 9; 20). Das "Phänomen des SKEPTIZISMUS" und die "Erscheinung des Idealismus" sind also "eine solche UNMITTELBARKEIT", die nichts Selbständiges an ihr hat und überhaupt nur vorhanden ist und Bedeutung in "Beziehung auf das Subjekt" hat. Der Scheinbegriff dieser Philosophien erhebt überhaupt auf keine Unmittelbarkeit Anspruch, die ihr Sein außerhalb der "Bestimmtheit" und der "Beziehung auf das Subjekt" hätte. Die naheliegende Frage, wie der Skeptizismus und kritische Idealismus zur Auffassung kommen, daß das unmittelbar vorfindliche Sein Schein sei, beantwortet Hegel hier in der Weise, daß für beide philosopischen Richtungen13 der Inhalt der Erkenntnis seine Bestimmtheit allein in der Beziehung auf das erkennende Subjekt hat. So ist das Kriterium des Skeptizismus das Erscheinende (phainomenon), worunter zu verstehen ist, wie das Erscheinende in seiner Erscheinung dem Subjekt erscheint. Daher haben die Skeptiker alle Wahrnehmungen für bloßen Schein erklärt, statt ihnen unleugbare Gewißheit zuzuschreiben. Ebenso ist für die Kantische Philosophie der Inhalt der Erkenntnis nur Erscheinung für uns. Die Gesamtheit der Erfahrungen, die Erscheinung, fällt ganz in die Subjektivität der Erkenntnis, der das Ding an sich als unerkennbares Jenseits entzogen bleibt. Die Erkenntnis hat also nur mit Erscheinungen zu tun. Das wahre Wesen der Dinge an sich bleibt ihr stets verborgen. Das Ding an sich bildet so die unüberschreitbare Grenze der Erkenntnis: Z 37 '"Es IST erlaubte sich der Skeptizismus nicht zu sagen; der neuere Idealismus erlaubte sich nicht, die Erkenntnisse als ein Wissen vom Ding-an-sich anzusehen; jener Schein sollte überhaupt keine Grundlage eines Seins haben, in diese Erkenntnisse sollte nicht das Ding-an-sich eintreten" (L. II., 9f.; 20). Hegel wirft dem Skeptizismus und dem Idealismus vor, den Schein zu isolieren und einseitig zu betonen und ihn damit aus jedem Verhältnis zum Wesen ("Ding-an-sich") herauszulösen. Der Schein wird in seiner "unabhängige[n] unmittelbare[n] Seite" (Z 31) gegen das Wesen fixiert und von allem Zusammenhang mit dem Wesensbegriff entblößt. Der Grund, warum Skeptizismus und kritischer Idealismus das unmittelbar vorgegebene Dasein für Schein erklären, liegt für Hegel also gerade nicht darin, daß sich ihr Denken zum Wesen 13

Hegel begreift hier den gesamten neuzeitlichen Idealismus als Folgeerscheinung des antiken Skeptizismus.

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erhebt, vielmehr darin, daß ihr Denken dem Prinzip der Subjektivität verhaftet ist. Doch begehen Skeptizismus und Idealismus, indem sie so denken, eine Inkonsequenz: Z 38 "Zugleich aber ließ der Skeptizismus mannigfaltige Bestimmungen seines Scheins zu, oder vielmehr sein Schein hatte den ganzen mannigfaltigen Reichtum der Welt zum Inhalte. Ebenso begreift die Erscheinung des Idealismus den ganzen Umfang dieser mannigfaltigen Bestimmtheiten in sich. Jener Schein und diese Erscheinung sind UNMITTELBAR so mannigfaltig bestimmt" (L. II., 10; 20).

Hegel rechnet dem Skeptizismus und dem kritischen Idealismus einen Widerspruch vor: Auf der einen Seite soll der Schein des Skeptizismus und die Erscheinung des Idealismus "überhaupt keine Grundlage eines Seins haben" (Z 37), auf der anderen Seite haben beide "den ganzen mannigfaltigen Reichtum der Welt zum Inhalte" und sind "UNMITTELBAR so mannigfaltig bestimmt". Dabei meint der hervorgehobene Ausdruck "UNMITTELBAR" die empirische Gegebenheit vorgefundener Inhalte. Das unmittelbare Bestimmtsein des Scheins ist daher gar nichts anderes als die scheinbare Vorgegebenheit des Tatsächlichen. Den Widerspruch im Begriff des Scheins (Erscheinung) erklärt Hegel also damit, daß der Schein trotz seiner Scheinhaftigkeit und Nichtigkeit tatsächlichen Bestand hat, also etwas ist. Die Form des Scheins, nach der seine Unmittelbarkeit nichts anderes als die Unmittelbarkeit der Nichtigkeit sein soll, die ihre Bestimmtheit allein ihrer Beziehung auf das Subjekt verdankt, kontrastiert mit dem Inhalt des Scheins, nach welchem er "UNMITTELBAR so mannigfaltig bestimmt" ist, so daß die Unmittelbarkeit des Seins oder Daseins als solche im Schein erhalten bleibt. Die Unmittelbarkeit des Seins, welche, im Schein als nichtig gesetzt, überwunden sein sollte, überlebt im Schein, weil der Schein mit dem ganzen Reichtum der Welt erfüllt bleibt. Der skeptizistische Schein und die idealistische Erscheinung konstituieren so eine 'Welt des Scheins', eine empirische Trugwelt, hinter der die Wahrheit und das Wesen verborgen bleiben. Wird der Schein in dieser Weise aufgefaßt, so ergibt sich der Begriff eines substantiellen Scheins, eines Scheins, der "den ganzen mannigfaltigen Reichtum der Welt zum Inhalte" hat, also selbst noch "Etwas", ein "Ding" oder "ein gleichgültiges Sein" (vgl. Z 36) ist. Z 39 "Diesem Inhalte mag also wohl kein Sein, kein Ding oder Ding-ansich zugrunde liegen; er für sich bleibt, wie er ist; er ist nur aus dem Sein in den Schein übersetzt worden, so daß der Schein innerhalb seiner selbst jene mannigfaltigen Bestimmtheiten hat, welche unmittelbare, seiende,

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andere gegeneinander sind. Der Schein ist also selbst ein UNMITTELBAR Bestimmtes. Er kann diesen oder jenen Inhalt haben; aber welchen er hat, ist nicht durch ihn selbst gesetzt, sondern er hat ihn unmittelbar" (L. II., 10; 20).

Im Skeptizismus und Idealismus ist der Inhalt "nur aus dem Sein in den Schein übersetzt worden". Dies bedeutet, daß der Schein die "Bestimmtheiten" des Seins als "unmittelbare, seiende" behält. So ist er "selbst ein UNMITTELBAR Bestimmtes". Der "Inhalt" des Scheins stammt nicht aus ihm selbst (oder aus der Formkonstitution des Subjekts), sondern er "hat" ihn "unmittelbar", indem er ihn als unmittelbar vorgefundenen in sich aufnimmt. Z 40 "Der Leibnizische, oder Kantische, Fichtesche Idealismus, wie andere Formen desselben, sind sowenig als der Skeptizismus über das Sein als Bestimmtheit, über diese Unmittelbarkeit hinausgekommen" (L. II., 10; 20).

Faktisch sind Skeptizismus und neuerer Idealismus also nicht über die Unmittelbarkeit des scheinbar vorgegebenen Seins oder Daseins hinausgekommen, wobei Hegel zum neueren Idealismus nicht nur die Kantische und Fichtesche Transzendentalphilosophie, sondern auch die Leibnizsche Monadologie rechnet. Die Unmittelbarkeit des Seins oder Daseins wird in diesen Philosophien gar nicht an ihr selbst als Schein durchschaut. Dies unterstellte die Erhebung des Gedankens zum Wesen. Denn erst dann, wenn das Sein oder Dasein als durch das Wesen vermittelt erkannt wird, kann vom Sein als vom Schein die Rede sein. Nach Hegel ist Sein oder Dasein Schein allein in Beziehung auf den Wesensbegriff. In Wirklichkeit findet im Skeptizismus und neueren Idealismus eine komplette 'Veränderung1 statt.14 Veränderung bedeutet nicht Veränderung, sondern dies, daß etwas nur als etwas anderes aufgefaßt wird. Für Hegel beinhaltet Veränderung keine wirkliche Veränderung, denn in ihr wird Etwas ein Anderes so, daß es das, was es war, immer noch ist. Es nimmt lediglich die 'Rolle' eines Anderen an und geht nicht wirklich in Anderes über. In diesem Sinne ist das Sein im Skeptizismus und neueren Idealismus in den Schein nur "übersetzt" worden, bleibt aber nach wie vor das, was es 14

Zum Begriff der Teranderung* vgl. Theunissen (1978), 237ff. Theunissen hat die Marxsche Hegelkritik auf den Begriff der Veränderung gebracht (vgl. ebd., 476). In ähnlicher Weise wie Marx später Hegel vorwirft, sein absoluter Idealismus sei in Wahrheit Positivismus, betreibt Hegel hier Idealismuskritik: Er weist dem subjektiven Idealismus seinen heimlichen Empirismus und Positivismus nach.

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ist: unmittelbar bestimmtes Dasein. 15 Der Schein der Skeptiker und Idealisten bleibt also mit der Vorstellung bloßer Gegebenheiten, der Unmittelbarkeit des Daseins, behaftet. Zum Subjektivismus dieser Philosophien gehört als empiristisches Moment das unmittelbare Aufnehmen der unmittelbar gegebenen Inhalte. Der krasse Subjektivismus schlägt in sein Gegenteil um, in Empirismus. Der Subjektivismus des Skeptizismus und vor allem des neueren Idealismus - so Hegels Urteil - erweist sich als ein sich nicht durchschauender ontologischer Realismus. Hegel expliziert diesen Gedanken im folgenden an der ontologischen Unmittelbarkeit der Struktur bloßer Gegebenheiten der Inhalte im Begriff des Scheins: Z 41 "Der Skeptizismus läßt sich den Inhalt seines Scheins GEBEN; es ist UNMITTELBAR für ihn, welchen Inhalt er haben soll. Die Leibnizische MONADE entwickelt aus ihr selbst ihre Vorstellungen; aber sie ist nicht die erzeugende und verbindende Kraft, sondern sie steigen in ihr als Blasen auf; sie sind gleichgültig, unmittelbar gegeneinander und so gegen die Monade selbst. Ebenso ist die KANTISCHE Erscheinung ein GEGEBENER Inhalt der Wahrnehmung; er setzt Affektionen voraus, Bestimmungen des Subjekts, welche gegen sich selbst und gegen dasselbe unmittelbar sind. Der unendliche Anstoß des FICHTESCHEN Idealismus mag wohl kein Ding-an-sich zugrunde liegen haben, so daß er rein eine Bestimmtheit im Ich wird. Aber diese Bestimmtheit ist eine dem Ich, das sie zu der seinigen macht und ihre Äußerlichkeit aufhebt, zugleich UNMITTELBARE, eine SCHRANKE desselben, über die es hinausgehen kann, welche aber eine Seite der Gleichgültigkeit an ihr hat, nach der sie, obzwar im Ich, ein UNMITTELBARES Nichtsein desselben enthält" (L. II., 10; 20f.).

Die Logik des Wesens ist kritische Darstellung der Kantischen Philosophie und des Fichteschen Idealismus, so wie die Daseinslogik mit der Kantischen auch die Fichtesche Philosophie zum Gegenstand der Kritik hat (vgl. L. II., 120; 148). Während Hegel aber in der Seinslogik den Leibnizschen Idealismus der Immanenz der Monade gegenüber dem Dualismus von Ding-an-sich und Erscheinung in der Kantischen und Fichteschen Transzendentalphilosophie positiv aufVgl. Hegels Argumentation gegen Kant in der Enzyklopädie: "Diese Welt wird zwar für eine Welt von ERSCHEINUNGEN ausgegeben. Dies ist jedoch ein bloßer Titel, eine nur formelle Bestimmung, denn Quelle, Gehalt und Betrachtungsweise bleiben ganz dieselben [wie im Empirismus, d.V.]" (Enz. § 60 Anm.). Einen ähnlichen Vorwurf erhebt Hegel gegen Fichte: "Femer ist nun der Inhalt, den die Tätigkeit des Ich hervorbringt, kein anderer als der gewöhnliche Inhalt der Erfahrung, nur mit dem Zusatz, daß dieser Inhalt bloß Erscheinung sei" (Enz. § 60 Zus. 2).

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nimmt (vgl. L. L, 152f.; 179f.), subsumiert er ihn in der Wesenslogik unter die Philosophien eines unmittelbar vorgegebenen Scheins. Der Grundmangel des Skeptizismus und neueren Idealismus besteht in der Ontologisierung des an sich Negativen. Zwar erarbeitet die Daseinslogik das idealistische Prinzip aller wirklichen Philosophie "Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts Anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes zu erkennen" (L. L, 145; 172) - , aber erst die Wesenslogik spricht die Wahrheit über dieses Prinzip aus. In der Wesenslogik geht es um die Überwindung der ontologischen Konzeption des Idealismus und damit für Hegel um die Grundlegung des "absoluten Idealismus". Faßt man den Schein im Sinne der 'philosophischen Anmerkung* als eine Maske des Seins auf, hinter der uns das Wesen als seine Wahrheit verborgen bleibt, dann erhält man den Begriff eines substantiellen Scheins, denn jedes Kostüm ist nicht nur eine Verkleidung von etwas, sondern selbst noch etwas. Diese Konsequenz ist es gerade, die Hegel vermeiden will. Schein im Sinne Hegels begründet keine empirische Trugwelt, eine Welt des Scheins, hinter der wir das Wesen nur vermuten oder postulieren können. Wenn das so wäre, so könnte sich die Unmittelbarkeit der Nichtigkeit des Scheins überhaupt nicht erhalten, ohne in die Unmittelbarkeit des Seins zurückzufallen. Das Wesen hat einen Schein und ist uns durch ihn zugänglich. Mit diesem Gedanken vollzieht Hegel die Überwindung sowohl der skeptischen Aphasie als auch der erkenntnistheoretischen Aporie im kritischen Idealismus. 2. Übergang vom Schein zum Wesen Mit dem ersten Satz des Einleitungsabsatzes zu B.2. hält Hegel die Implikationen des Begriffs vom Schein fest, die sich in B.l. ergeben haben, um dann das Programm für den Übergang vom Schein zum Wesen zu formulieren: Z 42 "2. Der Schein also enthält eine unmittelbare Voraussetzung, eine unabhängige Seite gegen das Wesen. Es ist aber von ihm, insofern er vom Wesen unterschieden ist, nicht zu zeigen, daß er sich aufebt und in dasselbe zurückgeht; denn das Sein ist in seiner Totalität in das Wesen zurückgegangen; der Schein ist das an sich Nichtige; es ist nur zu zeigen, daß die Bestimmungen, die ihn vom Wesen unterscheiden, Bestimmungen des Wesens selbst sind, und ferner, daß diese BESTIMMTHEIT DES WESENS, welche der Schein ist, im Wesen selbst aufgehoben ist" (L. II., 10f.; 21).

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Vom Schein galt, daß er eine "unmittelbare Voraussetzung, eine unabhängige Seite gegen das Wesen" "enthält". Doch hat sich bereits in B.l. dieser Anschein der Unabhängigkeit der Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen als durchaus nichtig erwiesen. Zur Widerlegung der Wesensunabhängigkeit der Unmittelbarkeit des Scheins bedarf es daher nicht noch des Nachweises, daß der Schein, "insofern er vom Wesen unterschieden ist", "sich aufhebt und in dasselbe zurückgeht". Denn schon längst steht das Faktum fest, daß das Sein "in seiner Totalität" in das Wesen aufgehoben worden ist, d.h., es kann nichts mehr, das auf irgendeine Weise ist, außerhalb des Wesens sein. Das Sein, als dessen Prädikat der Schein auftritt, hat sich durch seinen Rückgang in das Wesen vollständig in dasselbe aufgehoben. Der Schein, der durch die Bestimmung der Nichtigkeit des Seins grundlegend charakterisiert ist, ist daher in seinem Bestand selber nichtig: "der Schein ist das an sich Nichtige". Vorerst jedoch ist der Übergang des Scheins in das Wesen, seine Heimführung, noch nicht vollzogen. Wir befinden uns in der Nachfolge Hegels erst auf dem Weg dorthin, denn es bleibt nach wie vor auszumachen, aufweiche Weise der Schein im Wesen enthalten sein kann. Es gilt daher "zu zeigen", daß die internen Bestimmungen des Scheins, die ihn vom Wesen unterscheiden, solche des Wesens selber sind, und daß "ferner" die (externe) Bestimmtheit des Wesens, die der Schein ist, im Wesen selbst aufgehoben ist.16 Die beiden Charaktere des Scheins sind Nichtigkeit und Unmittelbarkeit, und zwar so, daß die Nichtigkeit wiederum durch die Unmittelbarkeit charakterisiert ist. Die erste Aufgabe Hegels besteht also darin aufzuzeigen, wie die Nichtigkeit und die Unmittelbarkeit des Scheins im Wesen fundiert sind. Ist dieser Nachweis geführt, so ist der Schein ins Wesen transponiert. Der Schein erweist sich als Schein des Wesens selbst. Soll also deutlich werden, wie der Schein im Wesen enthalten ist, so muß der Schein als Wesen und das Wesen selbst als Schein aufgewiesen werden können. Wie aber ist der zweite Teil des Programms zu verstehen? Und wie verhalten sich beide Programmpunkte zueinander? Im ersten Teil seines Programms will Hegel zeigen, daß die Bestimmungen des Scheins, die ihn vom Wesen unterscheiden, Bestimmungen des Wesens selbst sind. Wenn aber gezeigt wird, daß die Bestimmungen des Scheins nur noch Bestimmungen des Wesens 16

Zum methodischen Charakter des 'Zeigens' vgl. Henrich (1978), 244. Nach Henrich besteht die Eigentümlichkeit von Hegels Verfahren in einem Aufweis statt in einem Beweis, der unter den Regeln deduktiver Ableitung steht.

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sind, dann entfällt der Unterschied zwischen Schein und Wesen: Die Bestimmungen des Scheins sind die Bestimmungen des Wesens selbst. Der Schein ist dann vom Wesen nichts mehr Unterschiedenes, sondern derjenige Schein, der das Wesen selbst ist. Das ist die Identität beider, die "Identifikation von Schein und Wesen" (Henrich (1978), 242). Die Aufgabe des ersten Programmteils beschränkt sich also darauf aufzuzeigen, daß die Bestimmungen des Scheins mit der Verfassung des Wesens konvenieren. Der zweite Programmteil ergibt sich daraus, daß auch die Unterschiedenheit von Schein und Wesen festgehalten werden muß. Der Schein scheint zunächst eine externe Bestimmtheit des Wesens zu sein. Freilich kann die Bestimmtheit des Wesens, die der Schein ist, nicht eine solche sein, die ein dem Wesen äußerer Schein ist. Der Schein ist und bleibt aber durchaus die Bestimmtheit des Wesens. Die Differenz beider muß erhalten bleiben, andernfalls würde das Wesen seine Konturen gegenüber dem indifferenten Wesen der Schellingschen Philosophie verlieren. Dann bleibt aber zu zeigen, daß "das Bestimmtheitsverhältnis zwischen Schein und Wesen" (Henrich (1978), 252) im Wesen selbst aufgehoben ist. Der Schein, der zunächst die externe Bestimmtheit des Wesens ist, muß sich als interne Bestimmtheit des Wesens ausweisen. Das bedeutet, es muß sich zeigen, daß die externe Bestimmtheit des Wesens durch den Schein als sein, wenn auch nichtiges Anderes mit einer Bestimmtheit des Wesens in ihm selbst korreliert. Denn als Anundfürsichsein läßt das Wesen keine Bestimmtheit durch ein ihm Äußerliches zu. Es muß sich folglich in sich selbst zu sich als einem Anderen verhalten. Weil es in diesem Anderen, welches der Schein ist, auf sich selbst stößt, ist seine Bestimmtheit zwar gegeben, aber immer schon aufgehoben.17

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Die Bestimmtheit des Wesens durch den Schein ist eine Differenz zwischen dem Wesen und dem, was der Schein ist, eine Differenz, die derjenigen Differenz entspricht, welche zwischen dem Wesen und dem Sein waltet. Ist das Bestimmtheitsverhältnis zwischen Schein und Wesen im Wesen selbst aufgehoben, so ist der Unterschied des Scheins vom Wesen im Wesen ebenso verschwunden wie er fortbesteht. Dann ist auch das Sein als Schein im Wesen sowohl aufgehoben als auch aufbewahrt. Das Sein ist nicht nur auf das Wesen reduziert, sondern es befindet sich auch in Differenz zu ihm in ihm, dem Wesen, das nunmehr das Ganze ist. Die Differenz zwischen Sein und Wesen ist dann eine solche, die nicht mehr zwischen einem und einem anderen Selbständigen besteht, sondern wesensintern ist: Das Sein ist Moment des Wesens.

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a) Übersicht über den Gang der Argumentation in B.2. In B.2. soll der Nachweis gefuhrt werden, daß der Schein in das Wesen dann integriert ist, wenn sich aufzeigen läßt, daß sowohl die Bestimmungen des Scheins sich als solche des Wesens herausstellen lassen, als auch die Bestimmtheit des Wesens, welche der Schein ist, eine solche ist, die im Wesen selbst aufgehoben ist. Zunächst zeigt Hegel, daß zum einen die Bestimmung der Nichtigkeit des Scheins, zum anderen die der Unmittelbarkeit Bestimmungen des Wesens sind (B.2.2). Danach wird ein vorläufiges Resultat dieser Transposition der Scheincharaktere ins Wesen formuliert: Beide Momente des Scheins sind die Momente des Wesens selbst (B.2.3). Wenn so gezeigt worden ist, daß die Bestimmungen des Scheins solche des Wesens sind, muß des weiteren gezeigt werden, daß die Bestimmtheit des Wesens, die der Schein ist, im Wesen selbst aufgehoben ist. Diesen Nachweis führt Hegel in den Absätzen B.2.4., 5. und 6. In B.2.4. geht er vom Wesen aus und zeigt, daß die Bestimmtheit des Scheins in ihm aufgehoben ist. In B.2.5. beginnt er mit dem Schein und zeigt, daß dessen Unmittelbarkeit und Bestimmtheit gegen das Wesen die eigene Unmittelbarkeit des Wesens ist. In B.2.6. geht er abermals von der Bestimmtheit, die der Schein ist, aus, nun aber mit der Voraussetzung, daß die Bestimmtheit immer schon im Wesen aufgehoben ist. Aufgrund dieser Tatsache bezeichnet Hegel sie als "unendliche Bestimmtheit" (Z 51). Auch das Resultat der in sich gegenläufigen Bewegungen von Schein und Wesen, die Einheit von Schein und Wesen, wird mit einem eigenen Begriff belegt: "das WESEN ist das Scheinen seiner in sich selbst" (Z 54). In B.2.7. macht Hegel einen Rückblick auf die Entwicklung des Wesens in den beiden Abteilungen A. und B. des 1. Kapitels. Das Wesen - im vorläufigen Endstadium seiner Entwicklung - wird nun ausgezeichnet, die Bewegungsweise der "Selbstbewegung" (Z 57) zu haben, und schließlich wird der Terminus "REFLEXION" (Z 57) eingeführt. b) Die Überführung der Bestimmungen des Scheins ins Wesen In aller Kürze erfolgt die Transposition Scheins in die Negativität des Wesens:

der Nichtigkeit des

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Z 43 "Es ist die Unmittelbarkeit des NICHTSEINS, welche den Schein ausmacht; dies Nichtsein aber ist nichts anderes als die Negativität des Wesens an ihm selbst. Das Sein ist Nichtsein in dem Wesen. Seine NICHTIGKEIT an sich ist DIE NEGATIVE NATUR DES WESENS SELBST1 (L. II., 11; 21).

Zunächst nimmt Hegel an der Begriffsbestimmung des Scheins eine terminologische Veränderung vor. Zu Beginn von B.l. hat Hegel den Schein als Nichtigkeit des Seins definiert, welcher zugleich Unmittelbarkeit zukommt. Später bringt Hegel den Schein in Orientierung an der daseinslogischen Begrifflichkeit auf den Begriff des unmittelbaren Nichtdaseins. Die Unmittelbarkeit des Nichtdaseins wird nun an Ort und Stelle übersetzt in die "Unmittelbarkeit des NICHTSEINS". Es liegt die Vermutung nahe, daß Hegel glaubt, mit dem geänderten Begriff des "NICHTSEINS" dem Charakter der Nichtigkeit des zum Schein gewordenen Seins eher gerecht zu werden als mit dem Terminus "Nichtdasein". Denn der Begriff des Nichtdaseins hat noch den Mangel einer dem Scheinbegriff unangemessenen Gegenstandssprache an sich.ie Hegel sagt, die Nichtigkeit des Scheins sei "nichts anderes als" die Negativität des Wesens. Das bedeutet keineswegs, daß die Nichtigkeit des Scheins dasselbe wäre wie die Negativität des Wesens, sie ist nur "nichts anderes als" diese. Der Zusatz "nichts anderes als" gibt dem identifizierenden "ist" den Sinn von 'in Wahrheit' (vgl. Theunissen (1978), 353). Die Nichtigkeit des Scheins ist zwar nicht dasselbe wie die Negativität des Wesens, aber so, daß sie in Wahrheit die "Negativität des Wesens an ihm selbst" ist. Die Nichtigkeit des Scheins kann also nicht frei und unberührt von der Negativität des Wesens sein. Ist die Nichtigkeit in Wahrheit Negativität, so muß auch Negativität in Nichtigkeit zu finden sein. Hegel hält also in der Differenz von Nichtigkeit und Negativität eine Identität fest, welche er im Begriff der Negativität erblickt. Wenn das der Fall ist, dann fragt sich, wie und warum Nichtigkeit und Negativität identifiziert werden können und aufweicher Grundlage diese Identifikation erfolgt. 18

Mit dem Titel "Unmittelbarkeit des NICHTSEINS" knüpft Hegel direkt an Platons Begriff des me on an. Das Sein ist Schein als ein Sein, das in Wahrheit Nichtsein ist. Mit Platon möchte Hegel zeigen, daß das me on auch ein on ist. Im Unterschied zu Platon aber ist Hegel der Meinung, daß der Schein, das Nichtsein des Seins, sein eigenes Sein im Wesen hat. Hegel ordnet das on des me on dem Wesen zu, welches für Platon frei von Schein, das wahre Sein, das ontos on ist. Indem Hegel das Sein (die Unmittelbarkeit) des Nichtseins dem Wesen zuordnet, geht es über die ontologisch verfasste Ideenlehre Platons hinaus.

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Hegel charakterisiert die "NICHTIGKEIT an sich" des Seins als "DIE NEGATIVE NATUR DES WESENS SELBST", « Damit greift er auf seine am Ende von Abteilung A. gemachte Behauptung zurück, daß die "absolute Negativität des Seins" (Z 25) selbst das Wesen sei. Kraft seiner absoluten Negativität hebt sich das Sein selbst ins Wesen auf. Das Aufgehobensein des Seins wird dann mit dessen Nichtigkeit identifiziert (vgl. Z 28). Als Nichtiges hat sich das Sein aber nur dank seiner eigenen Negativität erwiesen, einer Negativität, die Hegel hier sogleich als Negativität des Wesens in Anspruch nimmt. Mit welchem Recht kann Hegel die absolute Negativität des Seins mit der Negativität des Wesens gleichsetzen? Das Sein ist als sich aufhebend die Negation, die sich selbst negiert. Der Prozeß des SichAufhebens des Seins unterstellt also den Gedanken der sich negierenden Negation. Die sich selbst negierende Negation hat aber den Charakter der Selbstbezüglichkeit. Die Selbstaufhebung des Seins vollzieht sich innerhalb einer doppelten Negation, die, sobald erkennbar ist, daß sie selbstbezüglich ist, als "Negativität des Wesens" bezeichnet werden kann.20 Das Sein hebt sich aus sich selbst heraus ins Wesen auf als sich negierende Negation. Das Aufgehoben sein des Seins, seine Nichtigkeit, ist daher nur im Horizont einer doppelten Negation, die selbstbezüglich ist, zu verstehen. Die Nichtigkeit des Seins hat zu ihrer inneren Natur und Grundlage die Selbstbeziehung der Negation, welche die Negativität des Wesens ist. Hegel kann daher mit Fug und Recht die Nichtigkeit des Scheins als Implikat des Begriffs der Negativität des Wesens auffassen. Daraus folgt: Die Nichtigkeit des Seins, welche der Schein ist, ist 'in Wahrheit' die Negativität des Wesens, weil das Nichtsein des Seins in der Negativität des Wesens seinen Grund hat. Die Transposition der Nichtigkeit des Scheins in das Wesen beruht also auf der Identität der Nichtigkeit des Seins und der Negativität des Wesens im Begriff der sich negierenden Negation. Die Nich-

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20

Der Ausdruck "NEGATIVE NATUR" geht auf die Seinslogik 1. Auflage zurück (vgl. L. I. (A), 64). Dort hat er aber eine deutlich engere Bedeutung als im Kontext des Wesens. Er bezeichnet dort die Nichtigkeit der ontologischen Kategorie des Etwas, welches nur in seiner Grenze, seiner Negation, ist. Das Sein ist selbst das Wesen, wenn es als sich negierende Negation deutlich geworden ist. Die Aufhebung des Seins ist keine externe Aktion des Wesens. Da das Sein sich durch sich selbst aufhebt, ist das Wesen im Aufgehobensein des Seins, im Schein, selbst gegenwärtig. Der Übergang vom Sein zum Wesen ist also nur das Setzen dessen, was das Sein von Anfang an ist.

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tigkeit des Scheins erweist sich so als Bestimmung der negativen Natur des Wesens selbst.21 Mit der nun folgenden Textpassage wendet sich Hegel der Bestimmung der Unmittelbarkeit im Begriff des Scheins zu. Wir wissen, daß die größte der Schwierigkeiten im weiteren Verlauf der Aufweis der Unmittelbarkeit in der Negativität des Wesens sein wird. Ein gegenüber der Seinslogik in seiner Bedeutung verschobener Begriff der Unmittelbarkeit wird auch mit der Negativität des Wesens zusammenstimmen können müssen.22 Z 44 "Die Unmittelbarkeit oder Gleichgültigkeit aber, welche dies Nichtsein enthält, ist das eigene absolute Ansichsein des Wesens. Die Negativität des Wesens ist seine Gleichheit mit sich selbst oder seine einfache Unmittelbarkeit und Gleichgültigkeit" (L. II., 11; 21).

Die zur Transposition ins Wesen bestimmte Unmittelbarkeit des Nichtseins wird durch ein "oder" mit dem Begriff der Gleichgültigkeit verbunden. Zusammen mit der Unmittelbarkeit geht also auch die Gleichgültigkeit in das Wesen über. Die Bestimmungen "Unmittelbarkeit" und "Gleichgültigkeit" im Begriff des Scheins sollen sich als Bestimmungen des Wesens erweisen. Während Unmittelbarkeit und Gleichgültigkeit im ersten Satz die Position des Satzsubjekts einnehmen, tauchen sie im zweiten Satz grammatisch als Prädikat der Negativität des Wesens auf. Damit will Hegel sagen, daß beide Begriffe zu Bestimmungen des Wesens

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Die Abteilung B. des Scheinkapitels faßt das Verhältnis von Schein und Wesen noch mittels vorläufiger Bestimmungen, die aber schon auf die Logik der Reflexion hin ausgerichtet sind, in welcher der Schein kraft der Negativität des Wesens gänzlich seine "unabhängige Seite" verliert, weil er dann als Gesetzt- und Vorausgesetztsein vom Wesen selbst generiert wird. Daß eine Entfaltung des Wesens als Schein, welche das Wesen als die absolute Negativität begreift, nicht vollständig geleistet wird, zeigt sich nicht nur an der vagen und vorläufigen Verfassung des Wesens - Hegel spricht statt von absoluter Negativität von "Negativität des Wesens an ihm selbst" und von "NEGATIVE[R] NATUR DES WESENS" -, sondern auch daran, daß im zweiten Teil des Scheinkapitels über das endgültige Verhältnis von Schein und Wesen noch kein abschließender Kommentar geliefert wird. Zur "Bedeutungsverschiebung" im Begriff der Unmittelbarkeit vgl. Henrich (1978), 2461T., der sie allerdings affirmativ fundamentalontologisch auslegt. Pur ihn ist das Wesen ein "Ontologiekern", in dem die Unmittelbarkeit des Seins, die Gleichheit mit sich, zu ihrer Wahrheit kommt. Tatsächlich aber wird im Übergang vom Sein zum Wesen die Unmittelbarkeit der gesamten Sphäre des Seins einer Kritik unterworfen.

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geworden sind. Was aber ermöglicht die Transposition beider Begriffe? Rein vom Text her gesehen besteht die begründete Annahme, daß sich die Transposition der Bestimmungen über den Begriff der "Gleichheit mit sich selbst" vollzieht. Die im Nichtsein enthaltenen Begriffe Unmittelbarkeit und Gleichgültigkeit kommen in der Bestimmung "Gleichheit mit sich selbst" überein.23 Unmittelbarkeit und Gleichgültigkeit ist demnach das "absolute Ansichsein des Wesens", weil der Negativität des Wesens gleichfalls "Gleichheit mit sich selbst" eignet. Nach der Seite ihrer Gleichheit mit sich selbst kommt der Negativität des Wesens also "einfache Unmittelbarkeit und Gleichgültigkeit" zu. Allerdings übernimmt die Negativität des Wesens nicht einfach die Bedeutung der Unmittelbarkeit, die in der Seinslogik dem Sein zukommt, sondern unterzieht sie einer ontologiekritischen Bedeutungsverschiebung.24 Wie ist der Zusammenhang von Unmittelbarkeit, Gleichgültigkeit und Negativität näher zu verstehen? Schatten wir zunächst den Begriff der Gleichgültigkeit ab und konzentrieren uns auf das Problem von Unmittelbarkeit und Negativität. ba) Unmittelbarkeit und Negativität (I) Wenn der Schein als Wesen gedacht werden soll, so muß zugleich die Unmittelbarkeit des Scheins im Wesen sein, und wenn es im Scheinkapitel gilt, das Wesen als Negativität zu denken, dann muß im Wesen die bisher nur als einfache Gleichheit mit sich zu denkende Unmittelbarkeit mit der Negativität zusammenkommen. Es muß also die Frage beantwortet werden, wo die Unmittelbarkeit im Wesen als Negativität zu finden ist. Fest steht, daß nur ein gegenüber der seinslogischen Bedeutung veränderter Begriff von Unmittelbarkeit die Unmittelbarkeit des Wesens sein kann. Blickt man zurück auf die Charakteristik des Scheins, dann liegt die Vermutung nahe, daß dieser geänderte Begriff schon dort zu fin23

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Unmittelbarkeit überhaupt ist die "Form des Seins als solchen" (Enz. § 84). Als solches ist Sein "einfache Gleichheit mit sich" (L. L, 67; 83). Insofern etwas im seinslogischen Sinne unmittelbar ist, nimmt es an dieser Einfachheit der Gleichheit mit sich teil. Von allen Autoren, die sich mit dem Anfang der Wesenslogik beschäftigen, betont allein Schubert den ontologiekritischen Charakter der "Bedeutungsverschiebung" im Begriff der Unmittelbarkeit am Anfang der Wesenslogik (Schubert (1985), 49).

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den sein muß. Hegel benutzt die beiden Bestimmungen des Scheins kombinatorisch: Er spricht einmal vom "UNMITTELBARE[N] Nichtdasein" (Z 34), ein andermal von der "Unmittelbarkeit des Nichtdaseins" (Z 35) und von der "Unmittelbarkeit des NICHTSEINS" (Z 43). In Verbindung mit dem Bestimmten, dem Schein, sagt Unmittelbarkeit des Nichtdaseins aus, daß der Schein ein Nichtdasein sei, das, insofern es Nichtdasein ist, zugleich Unmittelbarkeit ist. Die Unmittelbarkeit ist die Unmittelbarkeit des Nichtdaseins. Gerade diese Unmittelbarkeit war es, die dem Schein den Anschein einer vom Wesen unabhängigen Seite zukommen ließ. Insofern fiel es Hegel auch leicht zu behaupten, daß die Unmittelbarkeit des Scheins auch gegen die Vermittlung durch das Wesen festgehalten werden muß. Sie soll und muß, aber sie kann nicht. Die Unmittelbarkeit des Scheins ist immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit. "UNMITTELBARES] Nichtdasein" läßt dagegen eher vermuten, es sei hier der Schein gemeint als ein Nichtiges, das im Modus der Unmittelbarkeit nichtig ist. Das Unmittelbare am Nichtdasein hängt dann ganz von der Negation ab, die dieses Negative negierte. Könnten wir in diesem Fall "Negativität" berechtigtermaßen für "Nichtdasein" substituieren, so wäre die gesuchte Bestimmung der Unmittelbarkeit eines negierten Negativen, also die Unmittelbarkeit des Wesens, selbst schon im Schein entdeckt. Dieser Befund kann dazu veranlassen, Überlegungen darüber anzustellen, auf welche Weise Unmittelbarkeit von Negation dependiert. Seinem Inhalt nach ist der Begriff der Unmittelbarkeit zunächst einmal der strikte Gegenbegriff zur Vermittlung. Er wird daher auch zur Bezeichnung eines affirmativen Gehalts verwendet: Unmittelbarkeit ist das reine Auf-sich-Beruhen und Von-sich-her-Sein, das ebenso rein aus sich heraus aufnehmbar ist.25 Begrifflich läßt sich Unmittelbarkeit aber immer nur via negationis erreichen. Denn von ihrer Form her ist Unmittelbarkeit immer schon bestimmt durch ihr Gegenteil, die Vermittlung. Unmittelbarkeit ist insofern ja schon selbst ein negativer Terminus, der nichts anderes als Zurückweisung der Vermitteltheit oder Negation des Zustands des Vermitteltseins bedeutet. Man kann daher schon an der formalen Struktur von einfacher seinslogischer Unmittelbarkeit selbst eine rudimentäre Form doppelter Negation erkennen. Der formale Begriff der Unmittelbarkeit zeigt 25

Vgl. die Analyse des affirmativen Gehalts und positiven Sinns des Begriffs der Unmittelbarkeit durch Theunissen (1978), 200-202.

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an sich selbst, daß er gerade nicht das reine Auf-sich-Beruhen und Von-sich-her-Sein bezeichnet, welches ebenso rein aus sich heraus aufnehmbar ist, so daß dasjenige, das gedacht wird, wenn man Unmittelbarkeit denkt, je schon gegen die Negation, gegen die Vermittlung und gegen die Beziehung auf Anderes gedacht ist. Der Begriff der Unmittelbarkeit legt es selbst nahe, daß er ein Negatives ist, in Beziehung auf das die Negation schon eingetreten ist. Die Unmittelbarkeit konstituiert sich so nur als Negation der Negation. Eine Unmittelbarkeit, die ihr Bestimmtsein gegen Negatives hat, ist für Hegel z. B. das seinslogische Ansichsein: Im Ansichsein ist bekanntlich das Sein-für-Anderes, die Bestimmtheit als Beziehung auf Anderes, ausgeschlossen, und zugleich schließt das, was auf diese Weise das Andere ausschließt, das Ausschließen selber aus. So hat man hier schon eine vorläufige Form doppelter Negation, die Selbstbeziehung ist. Vorläufig deswegen, weil sie zur ontologischen Grundlage immer noch die Sichselbstgleichheit des Seins und die bestimmte Negation, d.h. die seiende Bestimmtheit als Beziehung auf Anderes, hat. Wenn nun das Wesen als Anundfürsichsein ein Selbständiges in seiner absoluten Negativität ist und sich als solche Bestimmtheit gibt, so kann hier nurmehr Selbstbeziehung in Beziehung auf die Negativität gedacht werden, d.h., die Negation muß in Gleichheit mit sich selbst stehen. Die Negation muß Beziehung auf sich selbst sein. Unmittelbarkeit ist in der Seinslogik eins mit der ontologischen Selbständigkeit und Einfachheit von Momenten und steht der Negation, der Beziehung auf Anderes, durch welche die Momente zur Bestimmtheit gelangen, gegenüber.26 Zugleich bezeichnet die Unmittelbarkeit in der Seinslogik die einfache Gleichheit mit sich. Insofern mit dem Begriff der einfachen Beziehung auf sich Selbstbeziehungs? 26

Ein Beispiel aus der 1. Auflage der Seinslogik: "Denn Etwas ist das Insichsein in einer Unmittelbarkeit; nach dieser hat es die Negation, die Grenze nur an ihm, als Sein-für-Anderes, und Etwas ist an sich gegen sie; [...]" (L. I. (A), 65).

27

Zwar hat die Rede von Selbstbeziehung als Gleichheit mit sich im Bereich der Logik des Seins einen ganz anderen Status als in der Logik des Wesens, doch muß in der Einfachheit der Beziehung auf sich, als welche in der Seinslogik Unmittelbarkeit primär auftritt, bereits latent Selbstbeziehung der Negativität vorhanden sein. Andernfalls könnte die Bedeutung der Unmittelbarkeit in der Wesenslogik keine Verschiebung erfahren. Darin ist, wenn nicht die Richtigkeit, so doch die Plausibilität der fundamentalontologischen Interpretation der "Bedeutungsverschiebung" durch Henrich begründet. Die einfache Beziehung auf sich, welche die seinslogische Unmittelbarkeit repräsentiert, wird im Wesen als Selbstbeziehung der Negativität gesetzt, indem sie

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

abgedeckt werden kann, muß sie in der Wesenslogik mit der Negativität zusammengedacht werden. Damit löst sie sich aber in ihrer seinslogischen Bedeutung auf. Wie kann nun die Unmittelbarkeit in der doppelten Negation, die selbstbezüglich ist, gedacht werden? Unmittelbarkeit tritt in der Negativität nur dann auf, wenn nicht nur auf eine Negation eine weitere Negation nochmals angewendet wird, sondern wenn an die Stelle des Seins und der seienden Bestimmtheit als Beziehung auf Anderes eine doppelte Negation tritt, die selbstbezüglich ist. Alle Beziehung auf Anderes ist dann in Selbstbeziehung umgewendet, da die erste Negation sich nicht mehr auf etwas von ihr Verschiedenes bezieht, sondern als solche sich selbst negiert. Dann liegt die Unmittelbarkeit in der Selbstbeziehung der Negation. Die Selbstbeziehung der Negation ist die Unmittelbarkeit, wie sie im Wesen ist. Im Wesen ist nichts mehr vorhanden als die Negation und deren Beziehung auf sich und diese Beziehung ist dann das Unmittelbare an dieser doppelten Negation. Damit hat sich der Begriff der Unmittelbarkeit in seiner ursprünglichen ontologischen Bedeutung verschoben. Hegel hat den Nachweis geführt, daß die Unmittelbarkeit die Natur einer sich auf sich beziehenden Negation aufweist. Bisher stand die Unmittelbarkeit der Vermittlung und der Negation gegenüber. Jetzt ist sie die Form der Selbstbeziehung der Negation und daher ein Charakter der Vermittlung selber. Der Gegensatz zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung hebt sich im Wesen auf in die Vermittlung, die die Unmittelbarkeit in nicht-ontologischem Sinne an ihr selbst hat, weil in ihr die Negation zugleich Beziehung auf sich selbst ist.28

28

als "Negation des Negativen, als Vermittlung seiner in sich mit sich selbst" (Enz. § 112 Anm.) gesetzt wird und damit der Schein ihrer seienden Einfachheit aufgelöst wird. - Für Hegel ist eine explizit selbstbezügliche Struktur dadurch gekennzeichnet, daß dasjenige, das in Beziehung auf sich selbst steht, selbst schon Beziehung ist. Diese Bedingung ist allein im Wesen erfüllt. Denn in der Wesenslogik ist das, was sich auf sich bezieht, anders als in der Seinslogik, an ihm selbst ein Beziehungsbegriff - die Negation. Indem allerdings die einfache Beziehung auf sich (Unmittelbarkeit) im Wesen als Beziehung der Negation auf sich selbst gesetzt wird, verliert sie die Form ihrer seienden Einfachheit. Das hat natürlich Konsequenzen für die Bedeutung der Negation und der Unmittelbarkeit im Wesen: So wie die Negation im Wesen in ihrer Selbstbeziehung Unmittelbarkeit ist, ist die Unmittelbarkeit im Wesen in sich selbst negativ. "Der ganze zweite Teil der LOGIK, die Lehre von dem WESEN, ist Abhandlung der wesentlichen sich setzenden Einheit der Unmittelbarkeit und der Vermittlung" (Enz. § 65 Anm.). Hegels Lehre vom Wesen hat also generell den Vermittlungszusammenhang von Unmittelbarkeit und Vermittlung zum Thema.

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Im Sein oder Dasein war Unmittelbarkeit das, was nicht vermittelt ist. Im Schein kam die Unmittelbarkeit in die prekäre Situation, nur noch vermittels der Negation zu sein. Die reflektierte Unmittelbarkeit ist etwas an der Negation oder durch die Negation und damit immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit.29 Eine solche Unmittelbarkeit ist aber in der traditionellen Ontologie und damit im seinslogischen Sinne undenkbar. So war zu befürchten, daß Unmittelbarkeit im Wesen ganz entfällt. - Jetzt hat sich gezeigt, daß auch dem Wesen Unmittelbarkeit zukommt, wenn auch in einer gegenüber der Seinslogik verschobenen Bedeutung. Es hat sich daher folgendes Resultat ergeben: Die seinslogische Entgegensetzung zwischen Negation und Vermittlung einerseits und Unmittelbarkeit andererseits hebt sich in der Negativität des Wesens auf, weil dieser die Bedeutung nicht nur der einfachen Negation, sondern der sich auf sich beziehenden Negation zukommt und sie daher die Unmittelbarkeit an ihr selber hat.30

29

30

Von der Unmittelbarkeit des Seins oder Daseins ist die Unmittelbarkeit des Nichtseins, die Unmittelbarkeit des Scheins, zu unterscheiden. Im Schein gibt es Unmittelbarkeit zwar nicht mehr als die des Seins oder Daseins, aber es gibt sie als letzten Rest seinslogischer Unmittelbarkeit dennoch, denn das Sein oder Dasein hat in seinem Aufgehobensein wiederum ein Sein. Das Sein des Aufgehobenseins des Seins ist diejenige Unmittelbarkeit, die von Hegel ins Wesen überführt wird. Für Hegel war der Negationsbegriff- sowohl der der ersten oder einfachen Negation als auch der der selbstbezüglichen Negation - eine Art Konstituens für seine spekulative Philosophie. In der 1. Auflage der Seinslogik, in der der Negationsbegriff im Gegensatz zur überarbeiteten 2. Auflage noch in einem eigenen Abschnitt systematisch eingeführt wird (vgl. L. I. (A), 75-78), betont Hegel den ontologiekritischen Charakter des Negationsbegriffs: "So ist die Negation das wahrhafte Reale und Ansichsein. Diese Negativität ist es, die das Einfache ist, welches als Aufheben des Andersseins in sich zurückkehrt; die abstracte Grundlage aller philosophischen Ideen, und des speculativen Denkens überhaupt, von der man sagen muß, daß sie erst die neuere Zeit in ihrer Wahrheit aufzufassen begonnen hat. - Diese Einfachheit hat an die Stelle des SEINS, oder jeder Bestimmtheit zu treten, die in UNMITTELBARER Form, als an-und-für-sich-seiend genommen wird. Wenn fernerhin von Negativität oder negativer Natur die Rede sein wird, so ist darunter nicht jene erste Negation, die Grenze, Schranke oder Mangel, sondern wesentlich die Negation des Andersseins zu verstehen, die, als solche, BEZIEHUNG AUF SICH SELBST ist" (L. I. (A), 77f.). Während die Negation als erste oder einfache Negation für den Charakter der Bestimmtheit eines seienden Unmittelbaren steht, steht die sich auf sich beziehende Negation für eine Negation, die in ihrer Selbstbeziehung selber Unmittelbarkeit und Einfachheit ist, jedoch nicht mehr im ontologischen Sinne. Die zweite Bedeutung von Negation hat im Wesen "an die Stelle des SEINS" und der ersten

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

Die Unmittelbarkeit ist nicht nur Unmittelbarkeit gegen die Vermittlung, sondern die Unmittelbarkeit der Vermittlung selber. Das begriffliche Instrumentarium, das Hegel im Begriff' der absoluten Negativität zur Verfügung steht, erlaubt es ihm, die zwei entgegengesetzten Bedeutungen von Unmittelbarkeit miteinander zu verbinden, so daß die eine Bedeutung die andere nicht nur verdrängt und ersetzt; beide Bedeutungen von Unmittelbarkeit können vielmehr ineinander überführt und auseinander interpretiert werden. Aufweiche Weise das möglich ist, wird an späterer Stelle noch zu zeigen sein (vgl. Unmittelbarkeit und Negativität (II)). bb) Gleichgültigkeit und Negativität Kommen wir nun auf den vorhin abgeschatteten Begriff der Gleichgültigkeit zurück. Mit der Transposition der Unmittelbarkeit oder einfachen Negation zu treten. In der Wesenslogik tritt also an die Stelle des ontologischen Charakters des Seins die "Natur" der Negativität des Wesens. Beide Bedeutungen von Negation sind für Hegel leitend gewesen. Die Negation als Bestimmtheit wird in der Form des Satzes des Spinoza angeführt: "DIE BESTIMMTHEIT ÜBERHAUPT IST NEGATION, (determinatio est negatio) sagt Spinoza" (L. I. (A), 75). Die erste Negation, die Negation als Bestimmtheit, ist Ausdruck des im Sein enthaltenen Nichtseins, das als solches gesetzt ist. Deutlicher als in der 2. Auflage der Seinslogik wird in der 1. Auflage, daß Hegel den Begriff der Negation als Bestimmtheit aus einer Interpolation des im Sein enthaltenen Nichtseins gewinnt, das vom bloßen Nichts unterschieden ist (L. I. (A), 77). In der 1. Auflage der Seinslogik hat der Begriff der ersten Negation allerdings noch einen stark von der traditionellen Ontologie geprägten Sinn. Die Negation als Bestimmtheit entwickelt Hegel in der Daseinslogik zu reicheren Formen, als "Grenze", "Schranke", "Mangel" etc. Auf der Ebene der gesetzten Endlichkeit hat sie durchgehend den Sinn von Beschränktheit. So spricht Hegel hier von der Negation "als Inbegriff aller Schranken und Endlichkeiten" (ebd., 76) ganz im Sinne der traditionellen Metaphysik. "Aber Schranke und Endlichkeit sind nur dies, sich selbst aufzuheben" (ebd.). Von hier aus schlägt Hegel eine Brücke zur zweiten Bedeutung der Negation: "daß sie als absolute Negativität wesentliche Bestimmung des absoluten Wesens" ist (ebd.). Aus der sich auf sich beziehenden ersten Negation oder Bestimmtheit entsteht der Begriff der absoluten Negativität. "Diese Negativität ist es, die das Einfache ist, welches als Aufheben des Andersseins in sich zurückkehrt" (ebd., 78). Damit hebt sich die ontologische Entgegensetzung von Unmittelbarkeit und Negation oder Bestimmtheit auf, da das "Einfache" und Unmittelbare jetzt im nicht-ontologischen Sinne als Selbstbeziehung der Negation besteht. Der Zusammenhang der beiden Bedeutungen des Negationsbegriffs kann nicht mit formallogischen Mitteln aufgezeigt werden. Daher ist auch der Gedanke der absoluten Negativität als doppelter selbstbezüglicher Negation in der formalen Logik gar nicht zu denken. Er erhält seine Pointe in einer Theorie, die den traditionellen ontologischen Charakter der Metaphysik aufhebt.

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des Scheins ins Wesen gelangt auch die Gleichgültigkeit ins Wesen, denn das "Nichtsein" "enthält" nicht nur die Bestimmung der Unmittelbarkeit, sondern auch den Begriff der Gleichgültigkeit. Zunächst ist zu fragen, warum das "Nichtsein" neben der Unmittelbarkeit auch die Gleichgültigkeit enthält. Der Schein ist das Aufgeh oben s ein des Seins oder Daseins. Insofern Hegel das Aufgehobensein des Seins mit dessen Nichtigkeit gleichsetzt, ist diese Nichtigkeit des Scheins auch das, was die gegenwärtige Bestimmtheit aller Bestimmtheiten des Seins ausmacht. Die Bestimmtheiten des Seins sind im Schein im Modus der Nichtigkeit gesetzt. Das "Nichtsein" "enthält" daher auch die Gleichgültigkeit gegen alle seiende und unmittelbare Bestimmtheit. Die Nichtigkeit des Scheins impliziert also die Gleichgültigkeit gegen alle Bestimmtheiten des Seins, und diesem Moment entspricht im Wesen, daß es nichts als Negation ist und in der Negation seine "Gleichheit mit sich selbst" hat. Hegel greift hier auf den speziellen Sinn von Gleichgültigkeit zurück, den er im Einleitungstext zur Wesenslogik erwähnt hat. Das Wesen ist "absolutes ANSICHSEIN, indem es gleichgültig gegen alle Bestimmtheit des Seins ist, das Anderssein und die Beziehung auf Anderes schlechthin aufgehoben worden ist" (L. II., 4; 14). Als absolutes Ansichsein erbt das Wesen die Bestimmung der seinslogischen absoluten Indifferenz und steht in jener Ataraxia, die absolute Gleichgültigkeit gegen alle seiende Bestimmtheit bedeutet.3i Die absolute Gleichgültigkeit gegen den Ge3l

Hegel knüpft hier an den skeptisch-stoischen Begriff der Ataraxia an. Vgl. auch Hegels Interpretation der Ataraxia im Skeptizismusaufsatz von 1801: Der alte Skeptizismus richtet sich nach Hegel "gegen den Dogmatismus des gemeinen Bewußtseins" (Werke 2, 238), "welches das Gegebene, die Tatsache, das Endliche (dies Endliche heiße Erscheinung oder Begriff) festhält und an ihm als einem Gewissen, Sicheren, Ewigen klebt" (ebd., 240). In seiner ontologiekritischen Funktion kann der Skeptizismus nach Hegels Auffassung als erste Stufe der Philosophie angesehen werden. Erbegründet "die Ungewißheit über die Endlichkeiten, [...] und diese Indifferenz des Geistes, vor der alles, was die Erscheinung oder der Verstand gibt, wankend gemacht wird, in welchem Wanken alles Endlichen nach den Skeptikern, wie der Schatten dem Körper folgt, die ataraxia durch Vernunft erworben eintritt. Wie Apelles, als er ein Pferd malte und die Darstellung des Schaums nicht herausbringen konnte, sie aufgebend, den Schwamm, woran er die Farben des Pinsels ausgewischt hatte, an das Bild warf und damit die Abbildung des Schaums traf, so finden in der Vermischung alles Erscheinenden und Gedachten die Skeptiker das Wahre, jene durch Vernunft erworbene Gleichmütigkeit, welche von Natur zu haben den Unterschied des Tiers von dem Menschen ausmacht und die Pyrrhon einst zu Schiffe seinen Gefährten, die in heftigem Sturm zagten, mit ruhigem Gemüte an einem Schwein, das im

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

danken der seienden Bestimmtheit und der einfachen Andersheit überhaupt wird aber zur Verfassung der Totalität des Wesens, weil es sich als Negation nur auf sich selbst bezieht und so zugleich als immanentes Sich-von-sich-selbst-Abstoßen aus der absoluten Indifferenz hervorgeht. bc) Das Sein als kritisiertes Moment im Wesen Z 45 "Das Sein hat sich im Wesen erhalten, insofern dieses an seiner unendlichen Negativität diese Gleichheit mit sich selbst hat; hierdurch ist das Wesen selbst das Sein" (L. II., 11; 21f.).

Die Nichtigkeit des Scheins wurde als "DIE NEGATIVE NATUR DES WESENS SELBST" (Z 43) bezeichnet. Die Bestimmung der Unmittelbarkeit des Scheins kommt ebenfalls dem Wesen selbst zu, und zwar nach Maßgabe der "Gleichheit mit sich selbst" (Z 44), die die Negativität des Wesens an sich hat. Die Negativität des Wesens ist daher an ihr selbst "einfache Unmittelbarkeit und Gleichgültigkeit" (Z 44); sie ist das "eigene absolute Ansichsein des Wesens" (Z 44). Mit "Unmittelbarkeit", "Gleichgültigkeit" und "Ansichsein" ist hier das angesprochen, was mit Sein des Wesens oder im Wesen gemeint ist. Hegel eliminiert oder vernachlässigt das Sein im Wesen nicht, vielmehr sind alle Seinscharakteristika, allerdings als kritisierte Momente einer neuen Einheit, im Wesen als Negativität zu finden. Wenn "das Wesen selbst das Sein" ist, so hat es nicht den Seinssinn ursprünglicher Gegebenheit, denn die Unmittelbarkeit des Wesens ist nicht mehr die des Seins. Die Unmittelbarkeit des Seins ist im Wesen vielmehr zum Schein herabgesetzt.32 Ebensowenig aber hat es den Seinssinn 'wahrer' Unmittelbarkeit und Vorgegebenheit, wie er etwa Platons Ideen zukommt. Das Wesen ist zwar selbst das Sein, aber so, daß das Sein zugleich nur ein Moment im Wesen ist, das Moment der Sich Selbstgleichheit, welches das Wesen "an seiner unendlichen Negativität" "hat". Das Sein ist kein Boden, auf dem das Wesen steht, vielmehr ist es in der Negativität des Wesens selbst fundiert. Das Sein, das das Wesen

32

Schiffe fraß, mit den Worten zeigte: der Weise müsse in solcher Ataraxie stehen" (Werke 2, 238f.). "Das Sein ist nicht verschwunden, sondern erstlich ist das Wesen, als einfache Beziehung auf sich selbst, Sein; fürs andere ist aber das Sein nach seiner einseitigen Bestimmung, UNMITTELBARES zu sein, zu einem nur negativen HERABGESETZT, zu einem SCHEINE" (Enz. § 112).

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selbst ist, ist daher das Auf geh oben sein des Seins, das "Sein des Scheins" (Z 28). Die wesensspezifische Konstellation von Sein bzw. Unmittelbarkeit und Negativität erbt die Rangordnung, wie sie bei den Bestimmungen des Scheins bestand (vgl. Theunissen (1978), 364). Primär ist das Wesen Negativität; sekundär ist es Unmittelbarkeit. Die "gegen die Ontologisierung des Wesens" (Schubert (1985), 49) gerichtete Folgeordnung von Unmittelbarkeit und Negativität im Wesen ergibt sich daraus, daß Unmittelbarkeit nur der Charakter der Selbstbeziehung der Negativität ist. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß erst mit der Transposition der Unmittelbarkeit ins Wesen die Negation definitiv als selbstbezüglich zu denken ist.33 Z 46 "Die Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheit am Scheine gegen das Wesen hat, ist daher nichts anderes als die eigene Unmittelbarkeit des Wesens; aber nicht die seiende Unmittelbarkeit, sondern die schlechthin vermittelte oder reflektierte Unmittelbarkeit, welche der Schein ist, - das Sein nicht als Sein, sondern nur als die Bestimmtheit des Seins, gegen die Vermittlung; das Sein als Moment" (L. II., 11; 22). Hegel unterscheidet hier dreierlei Unmittelbarkeiten: 1. "Die Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheit am Scheine gegen das Wesen hat", 2. "die eigene Unmittelbarkeit des Wesens" und 3. "die schlechthin vermittelte oder reflektierte Unmittelbarkeit, welche der Schein ist". (Die "seiende Unmittelbarkeit", von der Hegel hier noch spricht, entspricht der Unmittelbarkeit, die der Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen zukommt). Die Bestimmung der Unmittelbarkeit, die den Schein in den Anschein einer Unabhängigkeit gegen das Wesen hüllt, ist in Wahrheit "nichts anderes als die eigene Unmittelbarkeit des Wesens". Die Undenkbarkeit der Unmittelbarkeit des Scheins im ontologischen Sinne bestand darin, daß sie auch dann, wenn sie gegenüber der Vermittlung des Wesens festgehalten wird, immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit ist. Die Unmittelbarkeit des Scheins wird gerettet, indem sie der Unmittelbarkeit des Wesens überantwortet wird.34 Daß 33 34

"Daß Wesen nichts als Negation sein kann, leuchtet dennoch nicht ein, bevor das zweite Moment des Scheines mit ihm identifiziert ist" (Henrich (1978), 246). Die wesenslogische Ermöglichung des Gedankens vom Schein besteht für Hegel darin, daß der mögliche Sinn eines Seins von Nichtseiendem erwiesen werden muß. - Als das, was nicht das Wesen ist, hat das Sein des Nichtseins als ein dem Wesen gegenüber Anderes keinen Halt. Die Paradoxie, daß das Nichtsein ist, löst Hegel damit, daß er das Sein des Nichtseins dem Wesen zuordnet. Hegels These ist, daß das Sein des Nichtseins nur gedacht werden kann, wenn man es als Wesen, und das heißt nicht ontologisch denkt. So wird das Sein des Scheins aus sei-

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aber die Unmittelbarkeit nur "nichts anderes" ist als die Unmittelbarkeit des Wesens, bedeutet, sie ist durchaus noch eine andere Unmittelbarkeit, zwar nicht die "seiende Unmittelbarkeit" ("das Sein [...] als Sein"), so aber doch die "schlechthin vermittelte oder reflektierte Unmittelbarkeit" (das Sein "nur als die Bestimmtheit des Seins"). Als vermittelte oder schlechthin reflektierte Unmittelbarkeit ist die Unmittelbarkeit des Wesens auch eine Bestimmung "gegen die Vermittlung" des Wesens, und zwar kraft der Vermittlung. Die schlechthin reflektierte Unmittelbarkeit ist also diejenige, die identisch ist mit der absoluten Vermittlung des Wesens, so aber, daß sie zugleich gegen dieselbe bestimmt ist. So ist die Unmittelbarkeit des Scheins zwar einerseits die eigene Unmittelbarkeit des Wesens, sofern sie der Charakter der Selbstbeziehung der Negativität ist, aber andererseits ist sie auch gegen die Vermittlung zu denken, denn die eigene Unmittelbarkeit des Wesens ist durch die Negativität immer schon zu einem Moment im Wesen herabgesetzt. Mit der Transposition der Unmittelbarkeit des Scheins in die eigene Unmittelbarkeit des Wesens hat Hegel den Schein im Wesen fundiert. Daraus hat sich zugleich ergeben, daß das Wesen notwendigerweise als sich auf sich beziehende Negation zu denken ist. Hegel formuliert nun das Resultat der Transposition der beiden Bestimmungen des Scheins ins Wesen: Z 47 "Diese beiden Momente, die Nichtigkeit, aber als Bestehen, und das Sein, aber als Moment, oder die an sich seiende Negativität und die reflektierte Unmittelbarkeit, welche DIE MOMENTE DES SCHEINS ausmachen, sind somit DIE MOMENTE DES WESENS SELBST: es ist nicht ein Schein des Seins AM Wesen oder ein Schein des Wesens AM Sein vorhanden; der Schein im Wesen ist nicht der Schein eines Anderen, sondern er ist DER SCHEIN AN SICH, DER SCHEIN DES WESENS SELBST" (L. II., 11; 22).

"DIE MOMENTE DES SCHEINS", die Nichtigkeit und die reflektierte Unmittelbarkeit bzw. das Sein als Moment, sind "DIE MOMENTE DES WESENS SELBST", weil die Nichtigkeit des Scheins allein aufgrund der Negativität des Wesens "Bestehen" hat und weil die reflektierte Unmittelbarkeit, durch die der Schein gegen das Wesen bestimmt war, nur als Charakter der Negativität des Wesens reflektierte Unmittelbarkeit ist. So ist die Unmittelbarkeit des Scheins ner scheinbaren Undenkbarkeit gerettet. Die "eigene Unmittelbarkeit des Wesens" ist also die wesenslogische Ermöglichung des ontologisch undenkbaren Gedankens vom Schein.

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als reflektierte eine gegen das Wesen nicht festzuhaltende Unmittelbarkeit. Sie ist das Sein als Moment des Wesens. Hegel stellt also fest, daß ebenso wie die Nichtigkeit des Scheins nur die eigene Negativität des Wesens ist, auch die Unmittelbarkeit des Scheins als Charakter dieser Negativität die eigene Unmittelbarkeit des Wesens ist. So sind die beiden Momente des Scheins Momente der einen negativen Wesenseinheit. Damit ist der Nachweis geführt, daß der Schein der eigene Schein des Wesens selbst ist. Würde der Schein dem Wesen im metaphysischen Sinne noch gegenüberstehen, so läge allenfalls "der Schein eines Anderen" vor. Einerseits wäre dann nur "ein Schein des Seins AM Wesen", andererseits "ein Schein des Wesens AM Sein" vorhanden. Wäre also der Schein vom Wesen verschieden, so lägen auch Sein und Wesen noch als verschiedene Arten des Seins, als nichtiges und als wahres Sein, nebeneinander da. Aber das Sein ist qua Schein im Wesen aufgehoben und der Schein ist ein dem Wesen zugehöriger Schein, der "Schein im Wesen". Ist der Schein selbst dem Wesen wesentlich - ein dem Wesen genuin zugehöriger Schein - , so ist er "DER SCHEIN DES WESENS SELBST". Er ist der Schein, der das Wesen ist, der Schein als Wesen selbst. Damit sind Schein und Wesen miteinander identifiziert. Dadurch aber, daß der Schein mit dem Wesen identifiziert worden ist, haben wir es nicht nur mit einer Wesenhaftigkeit des Scheins, sondern auch mit einer Scheinhaftigkeit des Wesens zu tun. Der Schein ist als Wesen und das Wesen als Schein zu denken. Der Schein ist dank seiner Transposition ins Wesen "DER SCHEIN AN SICH". Der Schein an sich ist diejenige Form des Scheins, der nichts zugrunde liegt als die Selbstbezüglichkeit der sich auf sich beziehenden Negation des Wesens. So ist er das Wesen selbst als Schein. Wo immer der Schein als Wesen selbst gedacht wird, wird das Wesen selbst als Schein gedacht. Denn wenn der Schein das Wesen ist und jener, der Schein, deshalb wesenhaft ist, muß auch das Wesen der Schein sein und das Wesen deshalb scheinhaft sein. Mit diesem Gedanken wird der ontologiekritische Charakter der Überführung der Bestimmungen des Scheins ins Wesen offenbar. c) Die Überwindung der ontologischen Konzeption des Wesens Mit dem Nachweis, daß die Bestimmungen des Scheins, die ihn vom Wesen unterscheiden, ebenso Bestimmungen des Wesens sind, hat Hegel den ersten Teil seines in B.2. durchzuführenden Pro-

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gramms absolviert. Gemäß der Aufgabenstellung in Punkt 2 des Programms bleibt zu zeigen, daß die Bestimmtheit des Wesens, welche der Schein ist, im Wesen selbst aufgehoben ist. Welchen Sinn kann aber der zweite Programmteil nach der Transposition der Bestimmungen des Scheins ins Wesen noch haben? Es sei hier kurz daran erinnert, woraus sich das Interesse Hegels an dem noch ausstehenden Programmpunkt ergibt. Die Identifizierung von Schein und Wesen, die sich ergeben hat, ist zwar von großer Bedeutung für den spezifischen Charakter des Hegeischen Wesensbegriffs. Wären Schein und Wesen aber nur einund dasselbe, so käme die Behauptung einer Identität beider über platte Begriffsanalytik nicht hinaus. Zudem würde das Wesen, das bloße Identität von Schein und Wesen ist, sein Profil gegenüber dem indifferenten Wesen Schellingscher Provenienz verlieren. Durch die Aufhebung des Unterschieds von Schein und Wesen werden beide zwar ununterscheidbar; doch müssen Aspekte namhaft gemacht werden, unter denen der Unterschied gemacht bzw. aufgehoben worden ist. Zwar kommt mit der Beseitigung des Unterschieds von Schein und Wesen eine Identität beider zustande; damit entsteht jedoch die Gefahr eines andersgearteten Unterschieds: der zwischen der Identität von Schein und Wesen und ihrer abstrakten Unterschiedenheit. Ihr Unterschied bliebe ihrer Identität gegenüber erhalten und damit der Schein als "Bestimmtheit des Seins" gegen das Wesen. Auch dann also, wenn bereits gezeigt worden ist, daß der Schein der eigene Schein des Wesens ist, daß beide verfassungsmäßig übereinstimmen, bleibt das Bedürfnis bestehen nachzuweisen, daß der Schein als Seins-Bestimmtheit des Wesens im Wesen selbst aufgehoben ist, wobei Aufheben hier nicht nur die Bedeutung von 'Eliminieren', sondern von 'Aufbewahren* hat. Die Wesenseinheit besteht nicht nur in einer Identität von Schein und Wesen; auch die Unterscheidung des Wesens vom Schein muß in der Wesenseinheit als aufgehoben einbegriffen sein. Erst dann ist klar, daß das Sein bzw. die Bestimmtheit des Seins nur im Wesen angesiedelt ist. Hegel hat also "ferner" (Z 42) noch zu zeigen, daß die Seins-Bestimmtheit des Wesens, die der Schein ist, im Wesen selbst aufgehoben ist. Diesen Nachweis versucht er in den nächsten drei Absätzen einzulösen. Einen ersten Lösungsweg schlägt Hegel im unmittelbar nachfolgenden Absatz B.2.4. ein. Die Abschnitte dieses Absatzes vor und nach dem Gedankenstrich stehen in einer Korrelation zueinander. Im Abschnitt vor dem Gedankenstrich wird begründet, wieso die Unterscheidung des Wesens vom Schein und damit die Seins-Bestimmtheit

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des Wesens "schlechthin an ihr selbst aufgehoben" (Z 48) ist. Die Begründung dafür liegt für Hegel darin, daß das Wesen "das Selbständige" (Z 48) ist und als dieses eine bestimmte Einheitsform beschreibt, die unterschiedene Momente umgreift, nämlich Unmittelbarkeit und absolute Negativität. Im Abschnitt nach dem Gedankenstrich geht es Hegel um den Nachweis der "identische[n] Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit" (Z 48), die das Wesen ist. Z 48 "Der Schein ist das Wesen selbst in der Bestimmtheit des Seins. Das, wodurch das Wesen einen Schein hat, ist, daß es BESTIMMT in sich und dadurch von seiner absoluten Einheit unterschieden ist. Aber diese Bestimmtheit ist ebenso schlechthin an ihr selbst aufgehoben. Denn das Wesen ist das Selbständige, das IST als durch seine Negation, welche es selbst ist, sich mit sich vermittelnd; es ist also die identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit" (L. II., llf.; 22). Der erste Satz von Z 48 drückt aus, daß der Schein zwar das Wesen selbst ist, aber "in der Bestimmtheit des Seins". Das Wesen also, welches der Schein selbst ist, hat darüber hinaus einen Schein, denjenigen nämlich, wodurch das Wesen in der Bestimmtheit des Seins gesetzt ist und dadurch "von seiner absoluten [negativen, d.V.] Einheit unterschieden ist". Das Wesen hat also ebenso einen Schein, der es in den Anschein des Seins hüllt, wie es der Schein ist. Weil das Wesen auch einen Schein hat, ist es in sich als Sein gegen sich selbst als Negativität bestimmt. Denn die Bestimmtheit des Seins, die der Schein dem Wesen gibt, unterscheidet dasselbe vom Schein. Aber diese Ais-Sein-Bestimmtheit des Wesens und damit die Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen ist "ebenso schlechthin an ihr selbst aufgehoben".35 Die Begründung für diese Behauptung lautet: Das Wesen ist "das Selbständige", das nur ist, insofern es sich durch seine Negation, die es selbst ist, mit sich vermittelt. Da dem Wesen seine Bestimmtheit oder sein Sein nur vermittels seiner eigenen Negativi-

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Ineins mit der Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen, durch die sich das Wesen als Sein von seiner negativen Einheit unterscheidet, ist auch die Unmittelbarkeit von der Negativität unterschieden. Der Begriff des Wesens wird erst dann seine ontologiekritische Notwendigkeit und Nützlichkeit unter Beweis gestellt haben, wenn sich gezeigt hat, daß die Ais-Sein-Bestimmtheit des Wesens, die der Schein ist, in der negativen Einheit des Wesens aufgehoben ist und daher Unmittelbarkeit und Negativität unhintergehbar ihrer Identifikation zudrängen. Die Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen erweist sich dann als ein vom Wesen selbst generiertes Scheinen.

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tat, durch die es sich mit sich vermittelt, zukommt, ist sie, indem sie ist, auch zugleich als Bestimmtheit aufgehoben.3^ Das Wesen steht also erst in seinen vollen Würden, wenn es durch den Schein, der das Wesen selbst ist, wiederum bestimmt wird, und wenn zugleich erhellt, daß die Ais-Sein-Bestimmtheit des Wesens durch den Schein, den das Wesen hat, die immanente Bestimmtheit des Wesens selbst ist. Der die Seins-Bestimmtheit des Wesens diktierende Schein ist so zugleich der eigene Schein des Wesens. Und da die Unterscheidung des Wesens vom Schein in seine "absolute Einheit" integriert ist, ist der Schein nicht mehr äußeres, sondern internes Bestimmtheitsverhältnis des Wesens.37 ca) Unmittelbarkeit und Negativität (II) Nachdem der Argumentationsgang skizziert worden ist, bleibt die Frage unbeantwortet: Wie kann die "absolute Negativität" mit der "Unmittelbarkeit" eine "identische Einheit" bilden? Bisher hat Hegel behauptet, daß die Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen "schlechthin an ihr selbst aufgehoben" sei, weil das Wesen das "Selbständige" durch seine Negation ist, durch welche es sich mit sich selbst vermittelt. Daraus zog er den Schluß, daß das Wesen die Termini Unmittelbarkeit und absolute Negativität in einer identischen Einheit umfassen muß. Die Frage lautete also: Wie leistet Hegel den Nachweis für die "identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit", oder - anders formuliert - worin liegen die Eigenschaften der Negativität und der Unmittelbarkeit, in welchen ihre Einheit aufgewiesen werden kann? Hegel führt diesen Nachweis in drei Schritten: 36

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Der Begriff der Selbständigkeit kommt hier als wesenslogischer Gegenbegriff bloß ontologischer Substantialität herein. Die Selbständigkeit des Wesens ist seine Prozessualität, denn es ist, was es es ist, nur durch seine eigene Negativität, sich mit sich vermittelnd. Die Bestimmtheit des Seins gegen die Negativität des Wesens, die zu dem Schein genauso gehört wie die zwei anderen Charaktere des Scheins, die Nichtigkeit und die Unmittelbarkeit, erzeugt, obwohl sie nur durch die Negativität des Wesens zustande kommt und daher die interne Bestimmtheit des Wesens selbst ist, notwendig den Schein dessen, was Bestimmtheit in der Sphäre des Seins bedeutet: die seiende Bestimmtheit durch Anderes. In eins damit entsteht der Anschein, als unterscheide sich der Schein vom Wesen so wie das Akzidenz von der Substanz. Doch so wie dieser ontologische Schein entsteht, löst er sich auch unmittelbar auf.

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Z 49 " - Die Negativität ist die Negativität an sich; sie ist ihre Beziehung auf sich, so ist sie an sich Unmittelbarkeit; aber sie ist negative Beziehung auf sich, abstoßendes Negieren ihrer selbst, so ist die an sich seiende Unmittelbarkeit das Negative oder BESTIMMTE gegen sie. Aber diese Bestimmtheit ist selbst die absolute Negativität und dies Bestimmen, das unmittelbar als Bestimmen das Aufheben seiner selbst, Rückkehr in sich ist" (L. II., 12; 22). Bei der Interpretation von Z 49 fragt sich zunächst, in welchem Sinne hier der Terminus "an sich" zu verstehen ist. Im Text kommt das "an sich" insgesamt dreimal vor. Es ist zunächst die Rede von "Negativität an sich", dann von "an sich Unmittelbarkeit" und schließlich von "an sich seiende[r] Unmittelbarkeit". Der Ausdruck "an sich" hat dabei jeweils einen anderen Sinn. 1. Die Negativität wird zunächst als Ansichsein gefaßt im Sinne des "absolute[n] Ansichsein[s] des Wesens" (Z 44). Das absolute Ansichsein ergibt sich aus dem Aufsichbezogensein der Negation. Hat die Negativität in diesem Sinne Ansichsein, so hebt sie auf eine Unmittelbarkeit ab, insofern sie überhaupt sich auf sich bezieht. Die Negativität ist also "Negativität an sich", insofern sich das Ansichsein der Negation aus ihrer "Beziehung auf sich" ergibt; und die "Negativität an sich" ist "an sich Unmittelbarkeit", insofern die Unmittelbarkeit der Charakter der Selbstbeziehung der Negation ist. 2. Nach dem zweiten Semikolon erfolgt der zweite wesentliche Schritt. Die Negativität ist auch "negative Beziehung auf sich, abstoßendes Negieren ihrer selbst". Der Begriff der "negativetn] Beziehung auf sich" bedeutet: Die sich auf sich beziehende Negation negiert ihre Sichselbstgleichheit und bestimmt sich als das Andere ihrer selbst. Die Negation bezieht sich dann auf sich so, als bezöge sie sich auf ein Anderes, oder: die Negation bezieht sich auf sich als auf ein Anderes. Wenn sich also die selbstbezügliche Negation negativ auf sich bezieht, stößt sie sich von sich selbst ab und bezieht sich auf sich als auf ein Anderes. Die sich auf sich beziehende Negation (die "Negativität an sich") hebt sich also selbst auf, weil sie "abstoßendes Negieren ihrer selbst" ist. Sobald diese Konsequenz eintritt, hebt sich auch die Unmittelbarkeit auf, die die Negativität an sich selbst ist. In ihrer Selbstaufhebung setzt sich die sich auf sich beziehende Negation als ihr Anderes gegenüber. In den Blick kommt eine Unmittelbarkeit, die das Resultat der Selbstaufhebung der sich auf sich beziehenden Negation ist: "die an sich seiende Unmittelbarkeit". Diese Unmittelbarkeit wird das "Negative oder BESTIMMTE gegen sie" genannt. Wenn diese Unmittelbarkeit nicht die "Negativität an sich"

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ist, so kann nur gesagt werden, daß sie das Gegenteil der Negativität ist. Der Begriff der "an sich seiende[n] Unmittelbarkeit" entspricht also durchaus nicht dem Terminus "an sich Unmittelbarkeit", den Hegel auf die "Negativität an sich" anwendet. 3. Aber die "an sich seiende Unmittelbarkeit" kann nichts anderes sein als die Negativität selbst, denn die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit gegen die Negativität ist nur das Resultat der sich selbst entgegensetzenden Negativität. Und weil so die "an sich seiende Unmittelbarkeit" als das "Negative oder BESTIMMTE" gegen die Negativität die Negativität selbst ist, kann Hegel sagen: "Diese Bestimmtheit ist selbst die absolute Negativität". Dies ist der dritte Schritt. In diesem dritten Schritt zeigt sich die analoge Struktur der sich auf sich beziehenden Negativität, nur von der Unmittelbarkeit aus betrachtet. Weil das Resultat des "Bestimmen[s]M der Negativität gegen sich, die "an sich seiende Unmittelbarkeit" als das "Negative oder BESTIMMTE gegen sie", sie selbst ist, ist dieses "Bestimmen" unmittelbar "Aufheben seiner selbst". Die Bestimmtheit des Negativen gegen die sich auf sich beziehende Negation ist zugleich die Selbstbeziehung des Negativen oder der Negation.38 Kraft seiner Selbstbeziehung hebt sich das Negative oder Bestimmte als solches auf. Was sich also als Gegenteil der Negativität durch ihre Selbstaufhebung ergab, die an sich seiende Unmittelbarkeit, ist auch die Bestimmtheit gegen sich, die sich aufhebt. Bei der Negativität war es das Sichaufsichbeziehen der Negation, das unmittelbar zur Aufhebung führte, als Resultat des sich gegen sich Bestimmens aber ist die an sich seiende Unmittelbarkeit die "absolute Negativität" selbst. Es handelt sich hier bei diesem dritten Schritt um dieselbe Negativität wie die, die wir beim Ausgang der Bewegung haben, aber so, daß sich erst mit dem dritten Schritt zeigt, wie die Negativität das Resultat ihrer eigenen Bewegung ist.3^ Des38

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Die Negation als Negativität bezieht sich immer irgendwie auf sich selbst, auch dann, wenn sie das so tut, als wäre sie auf Anderes, als sie selbst ist, die Unmittelbarkeit, bezogen. Die Selbstbeziehung der sich auf sich beziehenden Negation ist zwar negativ, aber diese Fremdbeziehung weist ihrerseits den Charakter der Selbstbeziehung auf. Die Selbstbeziehung der Negation ist zwar negativ, aber das Negative selbst ist es, was sich auf sich bezieht. Es handelt sich also um dieselbe Negativität, die nur dadurch verschiedene Strukturen annehmen kann, daß sie an verschiedenen Stellen steht. Offensichtlich ist diese logische Struktur entwicklungsfähig. So läßt sich in einem Vorgriff auf die "bestimmende Reflexion" sagen, daß Hegel auch dort zwei verschiedene doppelte Negationen unterscheidet und zugleich ihre Identität behauptet, um so die Einheit des Wesens zu erhalten. - In der Einheit des Setzens mit der äußeren

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halb spricht Hegel an dieser Stelle zum ersten Mal von "Rückkehr in sich". Im dritten Schritt, der "Rückkehr in sich" der Negativität, wird auch die Unmittelbarkeit wiederhergestellt, die der Charakter der Selbstbeziehung der Negation ist.40 Als "Rückkehr in sich" aus ihrem Anderen, der "an sich seiende[n] Unmittelbarkeit", erweist sich die Negativität des Wesens als "die identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit".41 Die identische Einheit des anfanglichen Wesens ist eine Einheitsform, die zwar Negativität und Unmittelbarkeit als unterschiedene Momente umgreift, aber so, daß diese in ihrer Unterschiedenheit nicht festgehalten werden können, so daß Hegel ganz zu Recht von einer identischen Einheit spricht. Die Entwicklung des Wesens ist nichts anderes als das Setzen dessen, was in dieser Einheit enthalten ist. Fassen wir Hegels Erörterung der "identischen Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit" zusammen: Im Ausgang von der "Negativität an sich" liegt eine Negativität vor, die an sich selbst Unmittelbarkeit ist, insofern sich die Negation auf sich bezieht. Die Negativität ist aber zugleich abstoßendes Negieren ihrer selbst; sie setzt sich sich selbst als ihr Anderes gegenüber. So ist die an sich seiende Unmittelbarkeit das Negative oder Bestimmte gegen sie. Doch die an sich seiende Unmittelbarkeit ist zum einen das Bestimmte gegen die Negativität, zum anderen als Negativität auch nicht verschieden von ihr. Da so die Negativität allein sich selbst bestimmt, wenn sie die Unmittelbarkeit gegen sich bestimmt, in diesem Bestimmen also Zusammengehen mit sich oder Rückkehr in sich ist, hebt sich dies Bestimmen unmittelbar selbst auf. Mit dem Aufweis der "identischefn] Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit" hat Hegel den Nachweis geführt, daß alle im Wesen vorkommenden Unmittelbarkeiten - die, die das WeReflexion stößt die Reflexion ein Negatives von sich ab als Bestimmtheit gegen sich selbst, aber so, daß diese Bestimmtheit selbst als Reflexion gedacht wird. So bleibt die Reflexion auch als bestimmende Reflexion sie selbst, ohne in etwas wirklich anderes überzugehen. Genau diese Bewegung der Negativität ist es, die Hegel in der 1. Auflage der Seinslogik als "die abstracte Grundlage aller philosophischen Ideen, und des speculativen Denkens überhaupt" anspricht: "Diese Negativität ist es, die das Einfache ist, welches als Aufheben des Andersseins in sich zurückkehrt" (L. I., (A), 77f.). Die drei Etappen in der Entwicklung der identischen Einheit des Wesensbegrifls beschreiben einen Kreisgang, welcher am Ende von B.2. von Hegel auf den Begriff der "Reflexion" gebracht wird.

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sen selbst ist, wie die, die das Andere des Wesens ist - reflektierte Unmittelbarkeiten sind, ihr Bestehen also nur an und durch die Negativität haben und nicht gegen dieselbe festgehalten werden können. So sind sie an sich nichtig: Schein. Tatsächlich aber entsteht der Anschein, daß die an sich seiende Unmittelbarkeit als Resultat der Beziehung der Negativität dieser gegenübersteht, ein Anschein, der das Wesen in den Schein des Seins hüllt und der somit die objektive Grundlage für die ontologische Interpretation des Wesens in der traditionellen Metaphysik abgibt. Der Aufweis, daß die Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen vom Wesen immer schon aufgehoben ist, muß zugleich deutlich machen, wie sie als Charakter der absoluten Negativität auch gegen diese selbst bestimmt sein kann. Damit soll jedoch nur gezeigt werden, daß die Einheit der absoluten Negativität in der Unmittelbarkeit erhalten bleibt. Somit ist die Dominanz der Negativität über die Unmittelbarkeit gegenüber der Differenz beider in ihrer identischen Einheit gesichert. Es hat sich die Negativität des Wesens definitiv als die "absolute" erwiesen. Es sind die beiden Aspekte Selbstbeziehung und Abstoßen ihrer von sich selbst, die die Negativität zur absoluten machen. Beide Aspekte sind zwar different, schließen sich aber zu einer Einheit zusammen, denn dasjenige, was aus dem abstoßenden Negieren der Negation von sich selbst als das Negative ("an sich seiende Unmittelbarkeit") ihrer Selbstbeziehung hervorkommt, erweist sich seinerseits als Modus ihrer Selbstbeziehung und damit als immer schon aufgehoben. Die Negativität des Wesens kann also von Hegel an dieser Stelle deshalb als "absolute" bezeichnet werden, weil sich hier zeigt, daß sie nichts, insbesondere keine von ihr independente Unmittelbarkeit voraussetzt. Mit dem Aufweis der identischen Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit im Wesen hat Hegel den ontologischen Wesensbegriff definitiv überwunden.42 Das Wesen ist nicht ontologisch fundiert, sondern absolute Negativität. Im Gegensatz zu Absatz B.2.4., in welchem Hegel, vom Wesen ausgehend, zeigte, daß die Unterscheidung des Wesens vom Schein und damit die Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen an ihr selbst aufgehoben ist, setzt er im folgenden Absatz mit dem Schein ein und weist auf, daß seine Unmittelbarkeit nicht seine, sondern vielmehr die des Wesens ist und daß daher die Bestimmtheit des 42

Anders als Schubert (1985), 51f. sehe ich in der identischen Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit durchaus eine gewisse "Vollendung" des Wesens, insofern Hegel mit diesem Gedanken die ontologische Wesenskonzeption definitiv überwunden hat.

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Scheins gegen das Wesen im Wesen immer schon aufgehoben ist. Was Hegel also zunächst vom Wesen aus erklärt, zeigt er dann auch vom Schein aus auf. Mit diesem Nachweis gelangt die Entwicklung des Scheins zum Wesen an ihr Ende. Z 50 "Der Schein ist das Negative, das ein Sein hat, aber in einem Anderen, in seiner Negation; er ist die Unselbständigkeit, die an ihr selbst aufgehoben und nichtig ist. So ist er das in sich zurückgehende Negative, das Unselbständige, als das an ihm selbst Unselbständige. Diese BEZIEHUNG des Negativen oder der Unselbständigkeit AUF SICH ist seine UNMITTELBARKEIT; sie ist ein ANDERES als es selbst; sie ist seine Bestimmtheit gegen sich, oder sie ist die Negation gegen das Negative. Aber die Negation gegen das Negative ist die sich nur auf sich beziehende Negativität, das absolute Aufheben der Bestimmtheit selbst" (L. II., 12; 22f.).

Der Schein ist das Negative im Sinne des Nichtigen, das ein "Sein" und daher Unmittelbarkeit hat, aber nicht aus sich selbst oder an sich selbst, sondern "in einem Anderen, in seiner Negation". Er ist die an ihr selbst aufgehobene und nichtige Unselbständigkeit. Hegel verwendet hier also den Begriff des Negativen und den der Unselbständigkeit promiscue. Schon in Absatz B. 1.2. ist der Schein zu einem unselbständigen Negativen herabgesunken, welches nicht aus sich heraus ein Sein ausbilden konnte und deshalb paradoxerweise nur vermittels seiner Negation bestand. Doch damals wurde dieser Aufschluß über den Schein noch in Orientierung an der Terminologie der Daseinslogik gewonnen. Hegel sprach dort vom Schein als von einem unmittelbaren Nichtdasein, welches Dasein allein in seinem Nichtdasein hat. Jetzt wird er als die an ihr selbst aufgehobene und nichtige Unselbständigkeit bestimmt, weil er "das in sich zurückgehende Negative" ist. Deutlich wird hier erkennbar, daß sich im Schein eine als "das Negative" oder "das Unselbständige" qualifizierte Struktur auf sich selbst zurückbezieht, so daß von der im Begriff des Scheins erreichten logischen Struktur als von einer selbstbezüglichen Negation die Rede sein kann. Im Schein als dem Negativen bezieht sich das Negative als solches auf sich. Damit will Hegel allerdings nicht behaupten, daß der Schein als das unselbständige Negative mit der selbstbezüglichen Negation identisch ist, sondern nur, daß er als das in sich zurückgehende Negative in die Selbstbeziehung der Negation mündet, also in eine Relation, die mit der des Wesens identisch ist. Hegel will also zeigen, daß das "Sein" und die Unmittelbarkeit des Scheins die "sich nur auf sich beziehende Negativität" des Wesens ist.

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Die "BEZIEHUNG des Negativen [...] AUF SICH" ist "seine [des Negativen, d.V.] UNMITTELBARKEIT". Die Unmittelbarkeit als die Selbstbeziehung des Negativen ist aber "ein ANDERES" als das Negative selbst. Denn durch die Beziehung des Negativen auf sich ist das Negative als Negatives zugleich negiert. Durch seine Selbstbeziehung hebt sich das Negative als solches auf. Das Negative ist (Unmittelbarkeit) also nur, insofern es immer schon negiert ist. In diesem Sinne läßt sich sagen, daß die Beziehung auf sich des Negativen seine Unmittelbarkeit ausmacht. Aber diese Unmittelbarkeit ist eben darum nicht die des Negativen als solchen, sondern die seines Negiertseins oder seiner Negation. So ist seine Unmittelbarkeit ein Anderes als es selbst. Daher ist die Beziehung des Negativen auf sich oder seine Unmittelbarkeit zugleich die Bestimmtheit des Negativen gegen sich selbst "oder die Negation gegen das Negative". Indem diese Unmittelbarkeit so die "Negation gegen das Negative" ist, ist sie selbst "die sich nur auf sich beziehende Negativität" und "das absolute Aufheben der Bestimmtheit selbst".43 Der Schein, der die beiden Strukturmomente "das Negative" und "BEZIEHUNG [...] AUF SICH" in sich vereinigt, hat die paradoxe Gestalt eines in sich gegen sich bestimmten Negativen, welches zugleich in der Selbstbeziehung des Negativen aufgehoben ist.44 Die Unmittelbarkeit des Scheins oder des Negativen ist also nicht seine Unmittelbarkeit, vielmehr ist sie die des Wesens, als welches Hegel die Selbstbeziehung des Negativen auslegt. Damit ist der Nachweis geführt, daß der Schein als das Negative und Bestimmte gegen das Wesen sein "Sein" und seine Unmittelbarkeit in der Selbstbeziehung der Negativität des Wesens hat und daß 43

Schon an dieser Stelle wird die interne logische Struktur der Beziehung des Negativen auf sich deutlich: Sie enthält in einem sowohl den Aspekt der Gleichheitsbeziehung des Negativen als auch den Aspekt der Ungleichheitsbeziehung des Negativen. Der Ungleichheitsaspekt besteht darin, daß sich das Negative auf sich bezieht; der Gleichheitsaspekt liegt darin, daß sich das Negative dabei auf sich selbst bezieht.

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Die Paradoxie seiner logischen Struktur läßt sich auch auf folgende Weise verdeutlichen: Der Schein ist das Negative, das sein Sein in einem Anderen, in seiner Negation hat, denn das Negative besteht ja gerade darin, daß es nicht in sich selbst, sondern in einem Anderen besteht. Doch dann ist das Negative negativ und besteht gerade darin, daß es negativ ist. Das Negative bezieht sich also auf sich selbst. Insofern es sich auf sich bezieht, hebt sich das Negative aber als solches auf. Die Selbstbeziehung des Negativen ist als Negation des Negativen jedoch die absolute Negativität des Wesens.

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die Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen in der Selbstbeziehung des Wesens aufgehoben ist. Wenn in Z 50 von "absolute[m] Aufheben der Bestimmtheit" die Rede ist, so gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Bestimmtheit des Wesens so zu denken, daß sie an und für sich aufgehoben ist. Zum einen kann gesagt werden, daß eine solche Bestimmtheit aufgehoben ist, weil sie überhaupt eliminiert worden ist. Die Alternative dazu ist - und auf diese muß Hegel abzielen, wenn er der Intention des zweiten Program m punkte s von B.2. folgen will -, daß die Bestimmtheit in einem bestimmten Sinne zwar entfallen ist, daß sie aber als entfallene zugleich aufgehoben ist. Die Bestimmtheit muß als externe entfallen, aber nicht so, daß sie als Bestimmtheit überhaupt verschwindet, sondern so, daß sie als internes Moment des Wesens aufgehoben ist. Wenn Hegel also an dieser Stelle von "absolute[m] Aufheben der Bestimmtheit" spricht, so liegt der Akzent zum einen darauf, daß die Bestimmtheit des Scheins, die eine dem Wesen zunächst äußerliche war und das Wesen als Sein von seiner negativen Einheit unterschied, eo ipso wegfällt, zum anderen darauf, daß sie damit zugleich zur internen Bestimmtheit des Wesens geworden ist. Hegel hat also gezeigt, daß der Schein als die Seins-Bestimmtheit des Wesens im Wesen selbst aufgehoben ist. Im folgenden Absatz gibt sich Hegel Rechenschaft darüber, was sich als Resultat der Transposition der Bestimmtheit des Scheins ins Wesen ergeben hat. Der Absatz ist in drei Abschnitte aufgeteilt, die jeweils durch Gedan ken striche abgeteilt sind. Das Resultat wird also unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet: Z 51 "Die BESTIMMTHEIT also, welche der Schein im Wesen ist, ist unendliche Bestimmtheit; sie ist nur das MIT SICH zusammengehende Negative; sie ist so die Bestimmtheit, die als solche die Selbständigkeit und nicht bestimmt ist" (L. II., 12; 23).

Mit dem Folgerungspartikel "also" schließt Hegel an die beiden vorhergehenden Absätze an, die aufwiesen, daß und wie die Bestimmtheit des Scheins ins Wesen aufgehoben worden ist. Mit Hilfe der Begriffe "Bestimmtheit" und "Selbständigkeit" thematisiert Hegel die Relation von Schein und Wesen, wie sie als Resultat dieses Aufweises nun im Wesen angesiedelt ist. Die Bestimmtheit des Scheins innerhalb des Wesens wird als "unendliche Bestimmtheit" bezeichnet. "Unendlich" ist die Bestimmtheit, weil der Schein als das Negative im Wesen "nur das MIT SICH zusammengehende Negative" ist. Die "unendliche Bestimmtheit" ist also die Bestimmtheit, die sich als Negatives auf sich selbst bezieht.

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Aus ihrer Selbstbeziehung ergibt sich die Eigentümlichkeit, daß sie "als solche die Selbständigkeit und nicht bestimmt ist". Das "Selbständige" war schon in Absatz B.2.4. Titel für das Wesen. Wenn also die Bestimmtheit des Scheins im Wesen "als solche die Selbständigkeit" ist, dann ist sie nicht mehr die externe Bestimmtheit, sondern immanente Wesensbstimmtheit.45 Die "unendliche Bestimmtheit" ist als Beziehung des Negativen auf sich selbst eine Bestimmtheit, die mit der Selbständigkeit oder der absoluten Negativität des Wesens identisch ist. Mündet die Bestimmtheit, welche der Schein im Wesen als "das MIT SICH zusammengehende Negative" ist, instantan in die Selbständigkeit des Wesens, so tritt zunächst der Zustand des Nichtbestimmtseins ein. Denn in der Beziehung des Negativen auf sich selbst ist das Negative oder die Bestimmtheit zugleich negiert. - Dieser Abschnitt zieht also in veränderter Begrifflichkeit die Konsequenz aus Absatz B.2.5., der zeigte, daß die Unmittelbarkeit und die Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen die Unmittelbarkeit und die sich auf sich beziehende Negativität des Wesens ist. Damit scheint aber zunächst die Bestimmtheit des Scheins im Wesen ganz zu entfallen und die Beziehung des Negativen auf sich selbst zur selbständigen Unmittelbarkeit des Wesens verklärt. Z 52 - Umgekehrt die Selbständigkeit als sich auf sich beziehende UNMITTELBARKEIT ist ebenso schlechthin Bestimmtheit und Moment und nur als sich auf sich beziehende Negativität" (L. II., 12; 23).

Hegel beginnt diesen Abschnitt mit "umgekehrt". Offenbar will er eine zur im vorhergehenden Abschnitt dargestellten Bewegung gegenläufige Bewegung beschreiben. Es ist zu vermuten, daß Hegel im Gegenzug gegen das Entfallen der Bestimmtheit des Scheins in der 45

Die "unendliche Bestimmtheit" als Selbständigkeit des Wesens ist "nicht bestimmt", weil sie nicht Fremdbestimmtheit, keine seiende Bestimmtheit durch Anderes, sondern eigene, wesentliche Bestimmtheit des Wesens selbst ist (Bestimmtheit kath' auton). Wäre die Bestimmtheit des Wesens durch den Schein externe oder gar seiende Bestimmtheit, so wäre das Wesen selbst ein Seiendes, das je nach seiner Beziehung auf anderes eine andere Bestimmtheit hätte (Bestimmmtheit symbebekos) Der falsche ontologische Schein jedoch, als verhielte sich die Bestimmtheit des Scheins zum Wesen wie das Akzidenz zu einer Substanz, hat sich längst aufgelöst. "Unendlich" ist die Bestimmtheit des Wesens, weil es nicht von anderem her bestimmt ist. So wäre es Sein, bestimmtes Sein oder Dasein. Aber es bestimmt sich selbst. Es ist nicht fremd-, sondern selbstbestimmt. Es bezieht sich in seiner Bestimmtheit auf sich selbst. Es ist sich selbst gleich in seiner Bestimmtheit oder die Gleichheit seiner Bestimmtheit mit sich selbst.

§2 Die Logik des Scheins

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Selbstbeziehung des Negativen ihr Aufgehoben- und Erhaltensein im Wesensbegriff und damit zugleich den Momentcharakter der Unmittelbarkeit der Selbstbeziehung des Negativen ersichtlich machen will. Doch ergeben sich zunächst Schwierigkeiten mit der Terminologie. Der Begriff der Selbständigkeit, der für das Wesen steht, wird mit dem Ausdruck "sich auf sich beziehende UNMITTELBARKEIT" näher erläutert. Die Unmittelbarkeit war bisher erstens der Gegenbegriff zur Vermittlung und Negativität und zweitens der Charakterzug der Selbstbeziehung der Negativität, aber nirgends stand sie selbst in Selbstbeziehung. Will man nicht annehmen, daß Hegel hier einen neuen Begriff systematisch einführt, so liegt es nahe, die Begriffskonstellation "sich auf sich beziehende UNMITTELBARKEIT" als Kontamination der Selbstbeziehung des Negativen und derjenigen Unmittelbarkeit aufzufassen, die die Form dieser Selbstbeziehung ist. Es handelt sich dann bei der "sich auf sich beziehendeln] UNMITTELBARKEIT" um eine Unmittelbarkeit, der kein Substrat zugrunde liegt und nichts, was nicht die Selbstbeziehung der Negativität des Wesens wäre. Zunächst schien es so, als sei die Bestimmtheit des Scheins in der Selbständigkeit des Wesens eliminiert. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Selbständigkeit des Wesens nicht ebenso "schlechthin Bestimmtheit" und "Moment" ist. Die absolute Aufhebung der "Bestimmtheit" in die Selbständigkeit des Wesens und umgekehrt die Verwandlung dieser Selbständigkeit in "Bestimmtheit" und in ein "Moment" im Wesen vollzieht sich nur als "sich auf sich beziehende Negativität". Diese ist der Grund dafür, daß die externe Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen durch sich selbst entfällt, aber so, daß sie zugleich als interne, d.h. als Moment im Wesen, aufgehoben und erhalten bleibt. Das Aufheben der Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen geht also einher mit ihrer Restitution. Jedoch ist Hegel hier an dieser Restitution nur insoweit interessiert, als er darlegen möchte, inwiefern die restituierte Bestimmtheit des Scheins gegen das Wesen als "Moment" in der selbständigen Einheit des Wesens einbegriffen bleibt. Der Einheit von "Selbständigkeit" und "Bestimmtheit" entspricht die Einheit von "Negativität" und "Unmittelbarkeit": Z 53 "- Diese Negativität, die identisch mit der Unmittelbarkeit, und so die Unmittelbarkeit, die identisch mit der Negativität ist, ist das WESEN" (L. II., 12; 23).

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Als sich auf sich beziehende Negativität ist das Wesen charakterisiert als Identität von Negativität und Unmittelbarkeit. Wie ist diese Identität von Negativität und Unmittelbarkeit im Wesen zu denken? Bisher ergaben sich drei Möglichkeiten, Negativität und Unmittelbarkeit zusammenzudenken: 1. Die Negativität ist an sich selbst die Unmittelbarkeit, insofern diese der Charakter der Selbstbeziehung der Negation ist. 2. Jedoch ist die Negativität auch negative Beziehung auf sich, abstoßendes Negieren ihrer selbst. Das aber heißt, daß sich die selbstbezügliche Negativität negieren und damit aufheben muß. Sie ist gleichsam ein Sich-von-sich-Abscheiden. So hebt sich die Negativität in ihrer Selbstbeziehung auf und setzt sich sich selbst als ihr Anderes gegenüber. Mit der Selbstbeziehung der Negativität ist durch die Negativität auch die Unmittelbarkeit der Negativität aufgehoben. Daraus ergibt sich, daß das Negative als das Resultat der Selbstaufhebung der Negativität die Unmittelbarkeit als das Andere gegenüber der Negativität ist. So entwickelt sich aus der selbstbezüglichen Negativität die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit gegen die Negativität. Doch damit ist es noch nicht wieder zu einer Einheit von Unmittelbarkeit und Negativität gekommen. 3. Die dritte Möglichkeit, Unmittelbarkeit mit Negativität zusammenzudenken, ergibt sich durch die Entgegensetzung dessen, worauf sich die Negation bezieht. Indem die Negativität sich in ihrer Selbstbeziehung negiert und aufhebt, entsteht zunächst ein Resultat, das scheinbar durch das vollkommene Wegfallen des Negativseins charakterisiert ist. Der entstandene Zustand scheint einer zu sein, der unmittelbar, und zwar durch das Nichtsein jeglicher Negation gekennzeichnet ist. Doch die Unmittelbarkeit als das schlechthin Andere der Negativität ist die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit gegen die Negativität, somit eine Unmittelbarkeit, die das Negative selbst ist. Die Beziehung der Negativität auf ihre eigene Negation, die als Unmittelbarkeit ihr gegenübersteht, kann zugleich als Selbstverhältnis der Negativität gedeutet werden. Somit erhalten wir eine Unmittelbarkeit, die als das Negative der Selbstbeziehung der Negativität selbst ein Modus der Selbstbeziehung der Negativität ist. Es ergibt sich also eine Unmittelbarkeit, die nur als solche ist, weil die Negativität ist, und die nicht anders als vermittels der Negation ist: die reflektierte oder immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit. Die Unmittelbarkeit tritt demnach in der Negativität des Wesens zweimal hervor. Einmal ist die Unmittelbarkeit der nicht-ontologische Charakter der absoluten Negativität selbst. Zum anderen ist

§ 2 Die Logik des Scheins

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sie die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit gegen die Negativität, die aber immer schon im Selbstverhältnis der Negativität aufgehoben ist. 3. Das Wesen als der immanente Schein seiner selbst Der Begriff des Wesens wurde über die Kritik der seinslogischen Unmittelbarkeit und über die Identifikation der kritisierten, in ihrer Bedeutung verschobenen Unmittelbarkeit mit der Negativität gewonnen. Es hat sich nun herausgestellt, daß diese Identität eine Differenz impliziert. Denn ebenso wie die Negativität Unmittelbarkeit ist, hat sie eine Unmittelbarkeit gegen sich, die aber je schon in der Negativität aufgehoben ist. Diese Identität der Identität und der Differenz von Negativität und Unmittelbarkeit macht die Einheit des Wesens in seiner absoluten Negativität aus. Dieser Einheit von Negativität und Unmittelbarkeit entspricht die neu gewonnene Einheit von Wesen und Schein. Für diese Einheit wird der Ausdruck 'Scheinen des Wesens in ihm selbst' eingeführt: Z 54 "Der Schein ist also das Wesen selbst, aber das Wesen in einer Bestimmtheit, aber so, daß sie nur sein Moment ist, und das WESEN ist das Scheinen seiner in sich selbst" (L. II., 12; 23).

Das Wesen ist "das Scheinen seiner in sich selbst" dadurch, daß der Schein erstens das Wesen selbst ist (= "DER SCHEIN AN SICH" bzw. "DER SCHEIN DES WESENS SELBST" (Z 47)), derart, daß er zweitens auch von der Negativität des Wesens unterschieden und so das Wesen in der Bestimmtheit des Seins ist, die drittens in der negativen Einheit des Wesens als Moment aufgehoben ist. Das Wesen ist also der Schein ebenso, wie es einen Schein hat, kraft dessen es den Schein als eine Bestimmtheit gegen sich hat, welche im Wesen als "sein Moment" zugleich aufgehoben ist. Der Begriff des Scheins hat also erst dann seinerseits seine ontologiekritische Notwendigkeit und Nützlichkeit unter Beweis gestellt, wenn er aus dem Begriff des Wesens als die Bestimmtheit des Seins auftritt, die das Wesen hat, welche aber immer schon aufgehoben ist und aus ihrer Natur heraus, als nur vom Wesen generiertes Scheinen, ihrer Identifikation mit diesem unhintergehbar zudrängt. Die Bewegung des Wesens als Scheinen seiner in sich selbst läßt sich so als eine Sequenz von verschiedenen Verwendungsweisen des Scheinbegriffs ebensosehr wie eine des Bestimmtheitsbegriffs auffassen. Zugleich entspricht der Mehrsinnigkeit des Scheinbegriffs eine mehrsinnige Verwendung des Begriffs der Unmittelbarkeit.

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a) Mehrsinnigkeit des Begriffs der Unmittelbarkeit: 1. Die Unmittelbarkeit, die der nicht-ontologische Charakter der Selbstbeziehung der Negativität des Wesens ist. 2. Die Unmittelbarkeit, die das Andere der Negativität ist, aber aus der selbstbezüglichen Negativität gewonnen werden kann. 3. Die Unmittelbarkeit, die als Bestimmtheit gegen die Negativität zugleich immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit ist: die reflektierte Unmittelbarkeit. b) Mehrsinnigkeit des Bestimmtheitsbegriffs: 1. Die "unendliche Bestimmtheit" (Z 51) des Wesens - die Beziehung der Bestimmtheit oder des Negativen auf sich selbst. 2. Die Bestimmtheit als das gegen das Negative bestimmte Negative. 3. Die Bestimmtheit, die als das gegen das Negative bestimmte Negative zugleich die in der Selbstbeziehung des Negativen aufgehobene Bestimmtheit ist. c) Mehrsinnigkeit des Scheinbegriffs: 1. Der Schein, der das Wesen selbst ist. 2. Der Schein, den das Wesen hat; der Schein als Bestimmtheit des Seins gegen die Negativität des Wesens. 3. Der Schein, der als Bestimmtheit des Seins gegen die Negativität des Wesens je schon in der negativen Einheit des Wesens als "Moment", d.i. als Schein von Bestimmtheit, aufgehoben ist. Die Scheinbegriffe 1-3 ergeben das Wesen als "das Scheinen seiner in sich selbst". Dieser Begriff vom Wesen stellt Hegels kritisches Gegenkonzept zum ontologischen Wesensbegriff der traditionellen Metaphysik dar, das auf seiner eigenen Ebene noch einmal darlegen kann, wie es zur ontologischen Interpretation des Wesens kommt, und wie es notwendigerweise dazu kommt. Am Ende der Abteilung "B.DER SCHEIN" wird in einer zusammenfassenden Rekapitulation der Entwicklung vom Sein zum Wesen der Ausgangspunkt für die neu erreichte Entwicklungsstufe des Wesen sbegriffs exponiert. Z 55 "In der Sphäre des Seins ENTSTEHT dem Sein als UNMITTELBAREM das Nichtsein gleichfalls als UNMITTELBARES gegenüber, und ihre Wahrheit ist das Werden. In der Sphäre des Wesens findet sich zuerst das Wesen und das Unwesentliche, dann das Wesen und der Schein gegenüber, - das Unwesentliche und der Schein als Reste des Seins" (L. II., 12; 23).

Zunächst vergleicht Hegel den Beginn der Wesenslogik mit dem Anfang der Seinslogik und damit der Logik überhaupt.

§2 Die Logik des Scheins

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So wie in der "Sphäre des Seins" "dem Sein als UNMITTELBAREM" "das Nichtsein [...] als UNMITTELBARES"^ gegenübertritt, so stehen sich zu Beginn der Wesenslogik zuerst das Wesen und das Unwesentliche und dann das Wesen und der Schein gegenüber. Das Unwesentliche und der Schein werden als "Reste des Seins" bezeichnet. Dies ist ein Indiz dafür, daß in den Abteilungen A. und B. des 1. Kapitels der Wesenslogik das Wesen immer noch vom Sein aus betrachtet wird. Insofern ist die Logik des Scheins im ganzen kritische Darstellung des ontologischen Wesensbegriffs. Doch sobald das unmittelbare Nichts sich neben dem unmittelbaren Sein herausgebildet hat, ist es möglich, das Sein mit dem Nichts zu vergleichen. Dabei stellt sich heraus, daß die logische Struktur beider Kategorien dieselbe ist. Der Unterschied beider Begriffe hat sich gleichsam aufgelöst, noch ehe er postuliert bzw. festgehalten werden konnte. Sein und Nichts sind so immer schon ineinander "übergegangen" (L. L, 67; 83). In dieser Form ist aber Sein nicht mehr Sein und das Nichts nicht mehr Nichts, sondern beide sind Werden. Schon die Logik des reinen Seins also ist Ontologiekritik, Kritik am statischen Seinsbegriff des Parmenides (vgl. Theunissen (1978), 95ff.). Als Momente des Werdens sind Sein und Nichts nicht mehr "unmittelbar", da sie durch die ihnen gemeinsame Bewegungsstruktur das Werden - vermittelt werden. Das Werden ist als Einheit oder Vermittlung von Sein und Nichts die erste Vermittlungsstruktur der Logik überhaupt. Die "Wahrheit" von Sein und Nichts ist das Werden insofern, als Sein und Nichts im Werden zunächst nicht verschwunden sind, sondern jedes von ihnen diejenige Bestimmung ist, unter der beide allein konsistent gedacht werden können. - Auf der anderen Seite erweist Aus der Perspektive der Wesenslogik spricht Hegel hier vom reinen Nichts des Logikanfangs als vom Nichtsein, betrachtet es also sub specie seiner Beziehung auf das Sein. Der Begriff des Nichtseins wird in der Seinslogik aber erst auf der Stufe des Werdens bzw. des Daseins, der Stufe der Vermittlung des Nichts mit dem Sein, systematisch eingeführt: "Wollte man es für richtiger halten, daß statt des Nichts dem Sein das NICHTSEIN entgegengesetzt würde, so wäre in Rücksicht auf das Resultat nichts dawider zu haben, denn im NICHTSEIN ist die Beziehung auf das SEIN enthalten; es ist beides, Sein und die Negation desselben, in EINEM ausgesprochen, das NICHTS, wie es im Werden ist. Aber es ist zunächst nicht um die Form der Entgegensetzung, d.i. zugleich der BEZIEHUNG zu tun, sondern um die abstrakte unmittelbare Negation, das Nichts rein für sich, die beziehungslose Verneinung, was man, wenn man will, auch durch das bloße NICHT ausdrücken könnte" (L. L, 68; 84).

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sich das Werden als eine haltlose Vermittlungsstruktur, welche in ein "ruhiges Resultat", das sogleich "DASEIN" genannt wird, "zusammensinkt" (vgl. L. L, 93; 113). Das herakliteische Werden, das aus einer Kritik am eleatischen Sein hervorgeht, wird in die Ontologie des on he on, des Seienden als Seienden, zurückgeworfen. Das Argument für den Zusammenbruch des Werdens besteht in folgendem: Das Werden ist das Verschwinden von Sein in Nichts und von Nichts in Sein und setzt als solches den Unterschied zwischen beiden voraus. Da der Unterschied von Sein und Nichts im Werden "unmittelbar aufgelöst" ist (L. L, 67; 83), hat das Werden die Ununterscheidbarkeit von Sein und Nichts zur Folge. So kann nicht länger von ihrem Unterschied gesprochen werden. Da nun umgekehrt die Ununterschiedenheit von Sein und Nichts nicht ihrerseits ihre Unterschiedenheit zur Folge hat, die Differenz beider aber die Voraussetzung des Werdens ist, bricht das Werden aufgrund seiner ontologischen Struktur in sich zusammen. Das Werden, das Verschwinden von Sein und Nichts, führt daher zum "Verschwinden des Verschwindens selbst" (L. L, 93; 113). Auch in der Wesenslogik hat sich eine Vermittlungsstruktur herausgebildet, die aber von anderer Gestalt als die des anfänglichen Werdens ist. Das ontologische Fundament der Vermittlung hat sich aufgelöst: Z 56 "Aber sie beide, sowie der Unterschied des Wesens von ihnen, bestehen in weiter nichts als darin, daß das Wesen zuerst als ein UNMITTELBARES genommen wird, nicht wie es an sich ist, nämlich nicht als die Unmittelbarkeit, die als die reine Vermittlung oder als absolute Negativität Unmittelbarkeit ist. Jene erste Unmittelbarkeit ist somit nur die BESTIMMTHEIT der Unmittelbarkeit" (L. II., 12f.; 23).

Die Gegenüberstellung von Wesen und Unwesentlichem und dann von Wesen und Schein rührt daher, daß das Wesen "zuerst als ein UNMITTELBARES genommen wird". Ist das Wesen in diesem Sinne ein Unmittelbares, so stehen ihm das Unwesentliche und dann der Schein gleichfalls als Unmittelbare gegenüber. Doch in Wahrheit ist das Wesen eine Vermittlungsstruktur, in welcher die Unmittelbarkeit nur als "reine Vermittlung oder als absolute Negativität Unmittelbarkeit ist". Nur auf dem Boden der reinen Vermittlung oder der absoluten Negativität kann dem Wesen Unmittelbarkeit zugesprochen werden. Jene ontologische Unmittelbarkeit, in welcher das Wesen "zuerst" genommen wird, verschleiert gerade das, was das Wesen "an sich" ist. "An sich" ist das Wesen nämlich die Unmittelbarkeit, die mit der reinen Vermittlung identisch ist. Das We-

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sen vollendet sich folglich in einer Vermittlungsstruktur, in der die Unmittelbarkeit wirklich mit der absoluten Negativität zusammengeht, die ontologische Fundierung mithin verschwunden ist. Daraus ergibt sich, daß auch "jene erste Unmittelbarkeit", die dem Unwesentlichen und dem Schein als Bestimmung anhängt, "nur die BESTIMMTHEIT der Unmittelbarkeit" gegen die Vermittlung ist. Z 57 "Das Aufheben dieser Bestimmtheit des Wesens besteht daher in nichts weiter als in dem Aufzeigen, daß das Unwesentliche nur Schein [ist] und daß das Wesen vielmehr den Schein in sich selbst enthält, als die unendliche Bewegung in sich, welche seine Unmittelbarkeit als die Negativität und seine Negativität als die Unmittelbarkeit bestimmt und so das Scheinen seiner in sich selbst ist. Das Wesen in dieser seiner Selbstbewegung ist die REFLEXION" (L. II., 13; 23f.).

Die Aufgabe der Abteilungen A. und B. des 1. Kapitels der Wesenslogik war es aufzuzeigen, daß die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit gegen das Wesen im Wesen selbst aufgehoben ist. Diese Aufgabe hat Hegel in zwei Anläufen bewältigt. Sie bestand "in nichts weiter als in dem Aufzeigen", daß zum einen das Unwesentliche nur Schein ist und daß zum anderen dieser Schein im Wesen selbst enthalten ist. - Wie die hier vorliegende Interpretation gezeigt hat, ist der in Z 57 von Hegel skizzierte Gang der Wesenslogik tatsächlich in groben Zügen richtig, doch war er in eine wesentlich komplexere Entwicklung eingebaut. Es soll daher versucht werden, die Schrittfolge der bisherigen Entwicklung der Wesenslogik im Überblick zu systematisieren: 4. Zusammenfassung der Logik des Scheins 1. Das Wesentliche - das Unwesentliche (I. Stufe). Das Wesen ist das Resultat der Entwicklung des Seins. Als aufgehobenes Sein ist das Wesen aber zunächst selbst Sein. So tritt das Wesen am Anfang der Wesenslogik wieder in eine Gegenüberstellung zu seinem Anderen, als dessen Negation es sich ergeben hat, dem Sein. Als Unmittelbares genommen ist das Wesen nur ein Wesentliches gegen ein Unwesentliches, welches das Sein ist. Sein und Wesen sind so Andere überhaupt gegeneinander. Das Wesen ist daher sogar wieder in die Sphäre des Daseins zurückgefallen. Das Wesen wird aber nur dadurch zu einem nur Wesentlichen gegen ein Unwesentliches, daß es als einfache oder erste Negation, als aufgehobenes Sein oder Dasein bestimmt wird.

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Sodann rekapituliert Hegel das Verhältnis des Wesens als Resultat seiner Entwicklung zu dieser seiner Entwicklung selbst, welche die Bewegung des Seins ist. Dabei zeigt sich, daß das Wesen nicht nur einfache Negation, sondern die absolute Negativität des Seins ist. Das Sein hat sich nicht nur als Unmittelbares, sondern auch "als unmittelbare Negation, als Negation, die mit einem Anderssein behaftet ist, aufgehoben" (Z 25). So hat das Sein oder Dasein gegenüber dem Wesen kein selbständiges Bestehen mehr, sondern ist das "AN UND FÜR SICH nichtige Unmittelbare" (Z 26), der Schein. 2. Das Wesen - der Schein (H. Stufe). Der Schein ist ein schlechthin Nichtiges, ein Negatives gegen das Wesen, das von diesem immer schon negiert wird. Er ist ein unselbständiges Negatives, das nur in seiner Negation ist. Dem Schein, der sein Sein nur im Wesen, in seinem Nichtsein hat, bleibt nur noch die "reine Bestimmtheit der UNMITTELBARKEIT" (Z 35). Diese Unmittelbarkeit ist allerdings nicht mehr die des Seins oder Daseins, sondern die "REFLEKTIERTE Unmittelbarkeit" (Z 35), welche sich nur der Vermittlung oder der Negation verdankt. Doch gerade diese Unmittelbarkeit macht das aus, was Hegel die unabhängige Seite gegen das Wesen nannte, da sie noch nicht mit der Negativität des Wesens identisch ist. Der zweite Teil des Unterabschnitts "B. DER SCHEIN" zeigt nun, wie der Schein im Wesen aufgehoben und enthalten ist. Die beiden Bestimmungen des Scheins sind Nichtigkeit und Unmittelbarkeit. Hegel mußte also zeigen, daß 1. Die Bestimmungen des Scheins, die ihn vom Wesen unterscheiden, ebenso Bestimmungen des Wesens sind, sowie 2. die Bestimmtheit des Scheins in seiner Unmittelbarkeit gegen die Negativität des Wesens selbst aufgehoben ist. Als Ergebnis des ersten Programmpunktes stellt Hegel fest, daß die Nichtigkeit des Scheins nur die eigene Negativität des Wesens ist und daß die Unmittelbarkeit des Scheins nur ein Charakter dieser Negativität ist. Der Aufweis, daß die Unmittelbarkeit des Scheins, kraft deren der Schein eine Seins-Bestimmtheit gegen die Negativität des Wesens hat, vom Wesen immer schon aufgehoben ist, mußte zugleich deutlich machen, wie sie als Charakter der absoluten Negativität gegen diese selbst bestimmt sein kann. Dieser Nachweis war wesentlich Gegenstand der Durchführung von Punkt 2 des Programms. Das Resultat des zweiten Programmteils ist die Feststellung, daß das Wesen die "identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit" (Z 48) ist. Dergestalt ist das Wesen die Einheit seiner selbst und des Scheins.

§2 Die Logik des Scheins

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3. Die Einheit von Schein und Wesen: das Wesen als das Scheinen seiner in sich selbst (III. Stufe). Als Ergebnis der gesamten Abteilung "B. DER SCHEIN" stellt Hegel fest, daß nun das Wesen den Schein in sich selbst enthält, und zwar als die unendliche Bewegung in sich, welche seine Unmittelbarkeit als die Negativität und seine Negativität als die Unmittelbarkeit bestimmt. Das Wesen, das sich so als das Scheinen seiner in sich selbst präsentiert, wird sodann ausgezeichnet, die Bewegungsweise der Selbstbewegung zu haben, und schließlich mit dem Terminus "REFLEXION" belegt. "Unendlich" ist die Bewegung des Wesens in seinem von ihm selbst generierten Scheinen in sich selbst, weil es als reine Vermittlung oder absolute Negativität seine Momente "Negativität" und "Unmittelbarkeit" wechselweise bestimmt. Das Verhältnis der beiden Momente ist also kein statisch-ontologisches, vielmehr tauschen sie ihre Bestimmungen perennierend aus, d.h., jedes Moment geht in das je andere über. Dieses nicht anhaltbare Umschlagen von Negativität in Unmittelbarkeit und von Unmittelbarkeit in Negativität, das die Untrennbarkeit beider Bestimmungen dokumentiert, konstituiert die "REFLEXION" als Selbstbewegung des Wesens. Mit der Charakterisierung der Reflexion als unendliche Bewegung des In-sich-Scheinens und als Selbstbewegung ist die Reflexion gekennzeichnet als eine Bewegung, die a) von sich ausgeht und b) zu sich zurückkehrt. Selbstbewegung ist eine Bewegung aus sich ohne fremden Anstoß (vgl. den "unendliche[n] Anstoß des FICHTESCHEN Idealismus" (Z 4l)),47 denn durch einen Anstoß von außen wäre nicht zu begreifen, wie die Reflexion sich aus sich selbst heraus bewegen könnte. Die Reflexion erfüllt also die beiden Bedingungen des Von-sich-Ausgehens und In-sich-Zurückkehrens. Aufgrund ihrer Bewegungsweise der Selbstbewegung erhält die Reflexion bei Hegel einen über ihren gewöhnlichen subjektiven Sinn hinausgehenden, absoluten Status (vgl. den Ausdruck "absolute Reflexion" L. II., 14; 25, 17; 28, 22; 35). Aus der Einheit von Schein und Wesen als Scheinen des Wesens in sich selbst ist der Begriff der Reflexion hervorgegangen. Der Begriff der Reflexion ist der Titel für die dritte große Abteilung des 1. Kapitels der Wesenslogik. 47

Fichtes Tathandlung wird hier von Hegel als Sich-Bestimmen des Wesens reformuliert, als eine Dialektik von Bestimmen und Bestimmtheit, von Negativität und Unmittelbarkeit (vgl. Reisinger (1971), 245ff.), indem er sie zugleich vom "Schein von Subjektivität" (L. I., 46; 60), der ihr bei Fichte anhaftet, befreit. Die Bewegung des Wesens und der Reflexion ist nicht fichteanisch als actus purus eines absoluten Ich zu begreifen, sondern als "objektive" Bewegung des Denkens.

§ 3 Die Logik der Reflexion /. Der spekulative Begriff der Reflexion 1. Schein und Reflexion Das Wesen als die Einheit von Schein und Wesen ist "das Scheinen seiner in sich selbst" (Z 57). Die Bewegung des Wesens in seinem In-sich-Scheinen ist ein Gang vom Wesen selbst als Schein zur Bestimmtheit der Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen, die je schon im Wesen aufgehoben ist. Der Begriff des Wesens führt also instantan zum Begriff des Scheins zurück, der zugleich auch im Wesen aufgehoben ist. Dieser Kreisgang des Wesens in seiner unendlichen Bewegung des In-sich-Scheinens wurde bereits am Ende von B.2. als "Selbstbewegung" (Z 57) und als "REFLEXION" (Z 57) bezeichnet, denn dieser Kreislauf ist eine unendliche Bewegung des Wesens zu sich selbst zurück. Daß das Wesen in sich selbst scheint, heißt also für Hegel, daß das Wesen Reflexion ist. Auch im Einleitungsabschnitt der Abteilung "C. DIE REFLEXION" wird der Reflexionsbegriff über den Scheinbegriff eingeführt:1 Z 58 "Der Schein ist dasselbe, was die REFLEXION ist; aber er ist die Reflexion als UNMITTELBARE; für den in sich gegangenen, hiermit seiner Unmittelbarkeit entfremdeten Schein haben wir das Wort der fremden Sprache, die REFLEXION" (L. II., 13; 24).

Der Schein ist zwar identisch mit dem, was die Reflexion ist, stellt sie jedoch nur in einem Aspekt dar. Er ist die "Reflexion als UNMITTELBARE". Der Schein wird damit als Anfangsstadium der Reflexion charakterisiert. Er ist der logische Ort, an dem die Reflexion

1

"Die Reflexion verweist grundsätzlich und notwendigerweise auf den Begriff des Scheins, sie ist von diesem nicht zu trennen" (Schubert (1985), 53). Schubert versäumt es allerdings, den immanenten Zusammenhang von Schein und Reflexion näher zu untersuchen.

§3 Die Logik der Reflexion

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zum ersten Mal gegenwärtig ist.2 Doch ist die Reflexion in ihrem Anfangsstadium noch nicht eigentlich sie selbst. Daß der Schein die Reflexion als unmittelbare ist, heißt im Hinblick auf sie selbst, daß der Schein noch in seiner Unmittelbarkeit gegen das Wesen festgehalten wird. Die Reflexion selbst faßt Hegel als den "in sich gegangenen" und hiermit von "seiner Unmittelbarkeit [gegen das Wesen] entfremdeten Schein". Der Begriff der Reflexion tritt also erst dann ein, wenn die Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen aufgehoben ist. Die Bestimmung der Unmittelbarkeit, die dem Schein zukam, hatte ihn in den Anschein einer Unabhängigkeit gegen das Wesen gehüllt. Dieser Anschein der Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen hat sich jedoch längst als durchaus nichtig erwiesen. Hegel hat gezeigt, daß die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen im Wesen selbst aufgehoben ist. So erweist sich der Schein als derjenige, den das Wesen als unendliche Bewegung in sich enthält. Als solcher ist er der in sich gegangene Schein, der statt der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit gegen das Wesen die identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit ist. Indem der Schein in sich geht, geht er also über seine Unmittelbarkeit hinaus. Im In-sich-Gehen wird er seiner Unmittelbarkeit gegen das Wesen entfremdet. So verschwindet die Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen und der Schein ist Reflexion. Die Reflexion hat den Schein nicht außerhalb ihrer. Das In-sichGehen des Scheins ist vielmehr sein Rückgang in die Reflexion. So zeigt sich der Schein, mit dem die Reflexion als unmittelbare anhebt, als Moment der Reflexionsbewegung selber.3 An die Stelle der Unmittelbarkeit des Scheins tritt "das Wort der fremden Sprache, die

Hegel gebraucht den Begriff der "Unmittelbarkeit" oft in Verbindung mit dem Anfänglichen oder Ersten, das den Beginn einer Begriffsentwicklung ausmacht. "Zuerst" oder "unmittelbar" sind dann für Hegel austauschbare Begriffe (vgl. Phän., 79; 82, L. L, 52; 66). Der Begriff des Scheins ist für Hegel eine Kategorie, die sich mit dem Begriff der Reflexion in zweifachem Sinne überschneidet: 1. im Sinne des In-sich-Scheinens des Wesens, 2. im Sinne des bloßen Scheins, der Täuschung. Es besteht also eine Proportionsanalogie zwischen dem in sich gegangenen Schein und der Reflexion einerseits und dem Anschein der Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen und der "Reflexion als UNMITTELBARE" (Z 58) andererseits. Der Schein als 'illusio', als das abstrakt Andere gegen das Wesen als der Wahrheit, löst sich mit der Thematisierung der reflektierenden Bewegung des Wesens selbst auf. Der Schein gegen das Wesen erweist sich als die Reflexion des Wesens selbst und die Unmittelbarkeit der Reflexion als absolut vermittelte Unmittelbarkeit.

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

REFLEXION", weil dieser Ausdruck an das Vermittelte dieses Vorgangs erinnert.4 2. Die Reflexion als in sich umgewendete Andersheit oder als sich auf sich beziehende Negation Im folgenden versucht Hegel die logische Struktur der Reflexion näher zu bestimmen: Z 59 "Das Wesen ist Reflexion; die Bewegung des Werdens und Übergehens, das in sich selbst bleibt, worin das Unterschiedene schlechthin nur als das an sich Negative, als Schein bestimmt ist" (L. II., 13; 24).

Die Reflexion des Wesens wird als Bewegung des in sich bleibenden Werdens und Übergehens charakterisiert. Hegel greift hier zur Beschreibung der reflektierenden Bewegung auf seinslogische Termini zurück. Doch die seinslogischen Metaphern sind inadäquat für die Explikation der logischen Struktur der Reflexion. Das seinslogische Übergehen ist immer Übergehen in Anderes. Ein Übergehen, das in sich selbst bleibt, ist eigentlich kein Übergehen; es ist ein Hegel verwendet für das immanente Scheinen des Wesens "das Wort der fremden Sprache, die REFLEXION", gemäß einer Überlegung, die er zu Beginn der Seinslogik anstellt: "Noch öfter wird die Bemerkung sich aufdrängen, daß die philosophische Kunstsprache für reflektierte Bestimmungen lateinische Ausdrücke gebraucht, entweder weil die Muttersprache keine Ausdrücke dafür hat oder, wenn sie deren hat wie hier, weil ihr Ausdruck mehr an das Unmittelbare, die fremde Sprache aber mehr an das Reflektierte erinnert" (L. L, 95f.; 114f.). Bei der Einführung des Begriffs der Reflexion in der Enzyklopädie weist Hegel auf den Doppelsinn des Wortes Reflexion hin: Reflexion als optische Spiegelung und Reflexion als Nachdenken: "Der Standpunkt des Wesens ist überhaupt der Standpunkt der Reflexion. Der Ausdruck Reflexion wird zunächst vom Lichte gebraucht, insofern dasselbe in seinem geradlinigen Fortgange auf eine spiegelnde Fläche trifft und von dieser zurückgeworfen wird. Wir haben somit hier ein Gedoppeltes: einmal ein Unmittelbares, ein Seiendes, und dann zweitens dasselbe als ein Vermitteltes oder Gesetztes. Dies ist nun aber eben der Fall, wenn wir über einen Gegenstand reflektieren oder (wie man auch zu sagen pflegt) NACHDENKEN, insofern es hier nämlich den Gegenstand nicht gilt in seiner Unmittelbarkeit, sondern wir denselben als vermittelt wissen wollen" (Enz. § 112 Zus.). Hegel verwendet den Reflexionbegriff in der Wissenschaft der Logik allerdings zumeist in einer Weise, die sich der Deutung im mentalen Sinne verschließt. Auch läßt sich der Reflexionsbegriff nicht etwa von der Struktur des zurückgeworfenen Lichtes her verständlich machen. Hegel geht es in der Logik um die Herausarbeitung des spezifisch logischen Begriffs von Reflexion, der sich von der ursprünglichen Wortbedeutung her eben nicht erschließen läßt.

§3 Die Logik der Reflexion

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Übergehen, das schlechterdings in sich selbst umgewendet ist. Durch sein In-sich-Bleiben hebt sich das Übergehen also selbst auf: "Das Übergehen des Wesens ist also zugleich kein Übergehen" (Enz. § 111 Zus.). An die Stelle des Übergehens setzt Hegel später den Schlüsselbegriff des Zusammengehens des Negativen mit sich (vgl. L. II., 14; 25, L. II., 15; 27) als angemesseneres Interpretament der reflektierenden Bewegung ein: "Im Wesen findet kein Übergehen mehr statt, sondern nur Beziehung" (Enz. § 111 Zus.). Die Reflexion ist eine in sich kreisende, zirkuläre Bewegung. So ist auch der Rückgriff auf das Werden des Logikanfangs untauglich für die Explikation des Gedankens der Reflexion, denn das Werden des Logikanfangs ist eine in sich haltlose, verschwindende Vermittlungsstruktur.s Doch läßt sich bereits im Werden des Logikanfangs die rudimentäre Form einer zirkulären Kreisbewegung erkennen: Der Begriff des Werdens am Anfang der Logik ergibt sich aus der Dialektik von Sein und Nichts. Einerseits sind Sein und Nichts dasselbe, andererseits sind sie nicht dasselbe. Dieses widersprüchliche Verhältnis von Sein und Nichts wird von Hegel zunächst auf die metaphorische Formel "des unmittelbaren Verschwindens des einen in dem anderen" (L. I., 67; 83) gebracht und als "WERDEN" (ebd.) bezeichnet. Die sich in dieser Bewegung dokumentierende "Ungetrenntheit des Seins und Nichts" (L. L, 92; 111) ist "nicht die Einheit, welche vom Sein und Nichts abstrahiert, sondern als Einheit DES SEINS und NICHTS ist es diese BESTIMMTE Einheit, oder die, in welcher sowohl Sein als Nichts IST" (L. L, 92; Ulf.). Das Werden ist als Einheit von Sein und Nichts bestimmte, durch die Bewegung des Verschwindens von Sein in Nichts und von Nichts in Sein bestimmte Einheit. Dem Werden kann minimale Stabilität insofern zugeschrieben werden, als in ihm Sein und Nichts sogleich als "ZWEI SOLCHE EINHEITEN" (L. L, 92; 112) auftreten. Einmal die Einheit von Sein und Nichts in der Bestimmung des Seins "VERGEHEN" (ebd.); einmal dieselbe Einheit in der Bestimmung des Nichts "ENTSTEHEN" (ebd.). Es werden also zunächst unterschiedliche Bewegungsrichtungen im Werden angegeben. Hegel stellt fest, daß Vergehen und Entstehen miteinander abwechseln. Ihre Beziehung aufeinander besteht in einem ewigen Hin und Her der Richtungen. Der Endpunkt der Bewegung in der einen Richtung fällt zusammen mit dem Anfangspunkt der gegenläufigen Richtung: Das Sein als Vergehen geht ins Nichts über, das als Übergehen ins Sein das Entstehen ist; das Nichts als Entstehen geht ins Sein über, das als Übergehen ins Nichts das Vergehen ist. Sein und Nichts erscheinen so als bloße Umkehrpunkte der Bewegungsrichtungen. Doch zugleich erhellt auch, daß Entstehen und Vergehen als unterschiedliche Bewegungsrichtungen jede sich selbst zerstört. Tatsächlich lassen sich die Bewegungsrichtungen Entstehen und Vergehen als solche nicht mehr unterscheiden, wenn unablösbar das Vergehen zugleich das Entstehen und das Entstehen zugleich das Vergehen ist. Das Werden gehört genau deshalb der Sphäre des Seins an, weil es als diese gedoppelte Bewegung des Entstehens und Vergehens das Übergehen entweder des Nichts in das Sein oder des Seins in das Nichts ist. Aufgrund dieser sich selbst aufhebenden ontologischen Dichotomic las-

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Die adäquate Erörterung der logischen Struktur der Reflexion wird über den Gedanken der selbstbezüglichen doppelten Negation erfolgen. Wenn Hegel dennoch die Reflexion mit dem Werden und Übergehen vergleicht, ist dies ein Indiz dafür, daß er die Reflexion als kritische Umgestaltung des in der Seinslogik dargestellten Übergehens von einer zur anderen Bestimmung versteht. Obwohl Hegel hier also die Negationsstruktur der Reflexion noch nicht näher bestimmt, läßt sich bereits absehen, daß in ihr Andersheit im seinslogischen Verstande aufgehoben ist. Das Wesen als Reflexion läuft in seinem Scheinen über den Begriff des Scheins, insofern er im Wesen aufgehoben ist, unendlich in sich zurück. Zwischen dem Schein und dem Wesen selbst als Schein besteht nur ein "leerer durchsichtiger Unterschied" (L. II., 150; 180). Beide sind eigentlich nur Substrate der "Einbildungskraft" (L. II., 64; 81), weil sie keine Anderen gegeneinander sind. Die Andersheit des Scheins ist eine bloß phantasmagorische, der Unterschied nicht bestimmt, nur "ein Unterscheiden, wodurch nichts unterschieden wird" (L. II., 27; 40). Im Wesen als reiner Reflexion ist das Andere oder "das Unterschiedene schlechthin nur als das an sich Negative, als Schein bestimmt". Z 60 "- In dem Werden des Seins liegt der Bestimmtheit das Sein zugrunde, und sie ist Beziehung auf ANDERES" (L. II., 13; 24). sen sich Entstehen und Vergehen nicht in eine einheitliche, in sich gegenläufige Bewegung - eine Kreisbewegung - zusammenschließen: "Das Gleichgewicht, worein sich Entstehen und Vergehen setzen, ist zunächst das Werden selbst. Aber dieses geht ebenso in RUHIGE EINHEIT zusammen" (L. L, 93; 113). Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Das Werden ist zunächst Verschwinden von Sein in Nichts (Vergehen) und von Nichts in Sein (Entstehen), setzt also den Unterschied von Sein und Nichts voraus. Doch das Verschwinden von Sein und Nichts ineinander hat die Auflösung ihres Unterschieds zur Folge. Da aber das Verschwinden von Sein und Nichts ineinander den Unterschied beider voraussetzt, von einem Unterschied aber nicht länger gesprochen werden kann, liegt auch das Verschwinden oder Werden selbst nicht mehr vor. - Das Werden hebt in seinem Vorliegen die Bedingungen seines Vorliegens selbst auf. Dies ist ein Widerspruch: "Es widerspricht sich also in sich selbst, weil es solches in sich vereint, das sich entgegengesetzt ist, eine solche Vereinigung aber zerstört sich" (L. L, 93; 113). Dieser Widerspruch führt zur Selbstzerstörung der Vermittlungsstruktur des anfänglichen Werdens. Das Werden erweist sich als Begriff einer in sich haltlosen Vermittlung, die sich durch sich selbst zerstört. Das Verhältnis von Vergehen und Entstehen läßt sich also nicht als in sich kreisende Abwechslung von Entstehen und Vergehen begreifen, denn diese Bewegung bricht zusammen, noch ehe der Kreis geschlossen ist. - Das Werden ist entfallen. Was nunmehr vorhanden ist, ist die "ruhige Einfachheit" (L. I., 93; 113) von Sein und Nichts. Diese Einheit ist "SEIEND" (ebd.) und wird von Hegel "DASEIN" (ebd.) genannt.

§3 Die Logik der Reflexion

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Im "Werden des Seins" liegt der "Bestimmtheit", welche wie jede Bestimmtheit Negation ist (omnis determinatio est negatio), das substrathafte "Sein" zugrunde, und die Bestimmtheit selbst ist "Beziehung auf ANDERES". Wenn Hegel hier vom "Werden des Seins" spricht, so meint er nicht nur das Werden des Logikanfangs, sondern das Werden als die Bewegungsform der Seinslogik überhaupt. Die Darstellung und Entwicklung der ontologischen Denkbestimmung geht in der Seinslogik nicht über das Werden und Übergehen hinaus. Die Bestimmtheit im Wesen als Reflexion ist nicht das Andere bzw. die Beziehung auf Anderes im seinslogischen Verstande. Ebensowenig hat sie das "Sein" zugrunde liegen. In der reflektierenden Bewegung ist das Zugrundeliegen des Seins und die Vorhandenheit eines Anderen, also die seinslogische Andersheit, in die selbstbezügliche Negation aufgehoben. Die Bestimmtheit oder Andersheit kann nur noch in Einheit mit der Selbstbeziehung der Negation gedacht werden: Z 61 "Die reflektierende Bewegung hingegen ist das Andere als die NEGATION AN SICH, die nur als sich auf sich beziehende Negation ein Sein hat" (L. II., 13; 24).

Hier beginnt die logisch adäquate Erörterung der Reflexion als 'Negation der Negation'. - Auch die Bestimmtheit im Wesen ist wie jede Bestimmtheit Negation. Sie ist aber nicht wie die seiende Bestimmtheit unmittelbare, in das zugrundeliegende Sein eingebildete Negation als Beziehung auf Anderes. Die Bestimmtheit im Wesen ist vielmehr das Andere als die reflektierende Bewegung der "NEGATION AN SICH". Der Terminus "NEGATION AN SICH" ist als strikter Gegenbegriff zur seienden oder unmittelbaren Negation aufzufassen. 'Unmittelbar' ist die Negation, insofern ihr das Sein zugrunde liegt, auf dem sie aufgetragen wird. Die Negation streift ihre Unmittelbarkeit ab, wenn sie sich nicht mehr auf etwas von ihr Verschiedenes bezieht, sondern rein als solche begriffen werden kann.6 Als "NEGATION AN SICH" hat sie nicht das "Sein" zugrunde liegen, sondern ist nur als "sich auf sich beziehende Negation". Will man beim Wesen also vom 'Sein' oder einer 'Grundlage' sprechen, so ist sie als sich auf sich beziehende Negation, also als selbstbezügliche doppelte Negation zu denken. Ebensowenig stellt das Wesen Andersheit als solche in Frage, sondern nur die Vorhandenheit des Anderen im seinslogischen VerstanDer Begriff der "NEGATION AN SICH" korrespondiert mit dem Ausdruck "das an sich Negative" von Z 59.

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de. Das Andere ist allein in der reflektierenden Bewegung der "NEGATION AN SICH" zugegen. So geht das Andere oder die Andersheit in sich selbst zurück. Die Reflexion stellt sich als "internalisierte Andersheit" (Schubert (1985), 53) dar. Über den Schlüsselbegriff der "sich auf sich beziehenden Negation" wird die interne logische Struktur der Reflexion interpretiert. Dieser wesenslogische Ausdruck ist doppelsinnig: Er enthält einen Gleichheits- und einen Ungleichheitsaspekt. Der Ungleichheitsaspekt besteht darin, daß es die Negation ist, die sich auf sich bezieht. Die Negation negiert sich, hebt sich auf. Der Gleichheitsaspekt wird durch die Tatsache zur Darstellung gebracht, daß die Negation, die sich negiert und aufhebt, dabei auf sich selbst bezogen ist. Die Negation, die sich negiert, ist die Negation, die sich auf sich selbst bezieht. Im folgenden entfaltet Hegel die beiden Aspekte der sich auf sich beziehenden Negation, wobei er den Ungleichheitsaspekt unter dem Titel "das Andere", den Gleichheitsaspekt unter dem Titel "das Erste" erörtert. Z 62 "Oder indem diese Beziehung auf sich eben dies Negieren der Negation ist, so ist die NEGATION ALS NEGATION vorhanden, als ein solches, das sein Sein in seinem Negiertsein hat, als Schein" (L. II., 13; 24).

Die "Beziehung auf sich" der Negation ist das "Negieren der Negation". Der Genitiv "Negieren der Negation" ist als genitivus subiectivus zu verstehen: Die Negation negiert sich. So ist sie a/s Negation vorhanden, d.i. als etwas, das sein Sein in seinem Negiertsein hat. In der reflektierenden Bewegung der sich negierenden Negation ist die Negation also als Negation, als Schein, vorhanden. Z 63 "Das Andere ist hier also nicht das SEIN MIT DER NEGATION oder Grenze, sondern die NEGATION MIT DER NEGATION" (L. II., 13; 24).

Das Andere ist im Wesen nicht mehr wie in der Seinslogik "das SEIN MIT DER NEGATION", sondern die Negation, die nur zusammen mit der Negation besteht, also nur insofern ist, als sie ihrem eigenen Prinzip untersteht: "DIE NEGATION MIT DER NEGATION". Als sich negierende Negation ist die Negation als Negation vorhanden. Hat sich aber die Negation negiert, so ist in Wahrheit nur das Negiert- oder Aufgehoben sein der Negation vorhanden: Z 64 "Das ERSTE aber gegen dies Andere, das Unmittelbare oder Sein, ist nur diese Gleichheit selbst der Negation mit sich, die negierte Negation, die absolute Negativität" (L. II., 13; 24).

§ 3 Die Logik der Reflexion

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Das "ERSTE" gegen das "Andere als die NEGATION AN SICH" (Z 61) wird "das Unmittelbare oder Sein" genannt, nun aber nicht mehr in dem Sinne, daß das "Sein" das substrathaft Zugrundeliegende wäre, sondern "das Unmittelbare oder Sein" ist die Sich Selbstgleichheit der Negation selber. In der reflektierenden Bewegung der "NEGATION AN SICH" (Z 61), die sich im Negieren ihrer selbst als Negation negiert, wird der Zustand der "Gleichheit selbst der Negation mit sich" erreicht. Die Reflexion hat also die logische Struktur der selbstbezüglichen doppelten Negation: Sie ist die "NEGATION ALS NEGATION" (Z 62) oder die "NEGATION MIT DER NEGATION" (Z 63), die im Negieren ihrer selbst zugleich die "Gleichheit selbst der Negation mit sich" ist. Unter dem Titel "das ERSTE" wird der Gedanke "das Unmittelbare oder Sein" angeführt, unter dem Titel "das Andere" der Gedanke der "NEGATION MIT DER NEGATION" (Z 63). Doch ist das, was Hegel "das ERSTE" nennt, die "Gleichheit selbst der Negation mit sich, die negierte Negation, die absolute Negativität" nichts anderes als die Bewegung der Reflexion selbst: Z 65 "Diese Gleichheit mit sich oder UNMITTELBARKEIT ist daher nicht ein ERSTES, von dem angefangen wird und das in seine Negation überginge, noch ist es ein seiendes Substrat, das sich durch die Reflexion hindurch bewegte; sondern die Unmittelbarkeit ist nur diese Bewegung selbst" (L. II., 13; 24).

Die "Gleichheit mit sich oder UNMITTELBARKEIT" ist kein bleibender Ausgangspunkt, von dem die Bewegung anfängt, denn sie ist ja geradezu das Resultat der reflektierenden Bewegung der sich negierenden Negation. So wie die "NEGATION AN SICH" (Z 61), indem sie sich negiert, den Zustand der "Gleichheit selbst der Negation mit sich" (Z 64) erreicht, so hebt sich umgekehrt die "negierte Negation, die absolute Negativität" in ihre Negation auf, indem sie gleichsam zu sich selbst zurückkehrt, denn sie ist ja als "negierte Negation" oder "absolute Negativität" (Z 64) nichts anderes als die reflektierende Bewegung der sich negierenden Negation. Die "Gleichheit selbst der Negation mit sich, die negierte Negation, die absolute Negativität" ist ein nur von außen zu fixierender Scheitelpunkt der in Phasen, d.i. in in sich gegenläufigen Bewegungsrichtungen verlaufenden Selbstbewegung der Reflexion. Sie ist daher nicht ein "ERSTES", von dem die Bewegung anfängt, oder ein seiendes Substrat, das der Bewegung zugrunde läge, sondern die Reflexionsbewegung des Wesens selbst.

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Alle Vorstellungen von einem zugrundeliegenden Ersten und einem folgenden Anderen, von einem Substrat und seinen Bestimmungen, wie sie noch in der Seinslogik vorherrschten, werden abgewiesen, und es wird deutlich, daß aus der Selbstbeziehung der Negation die sich negierende Negation und die negierte Negation, die absolute Negativität, zu begreifen sind. - Der Gedanke der sich negierenden Negation und der der negierten Negation, der absoluten Negativität, sind nur Aspekte der einen Struktur der sich auf sich beziehenden Negation. Insofern also in der absoluten Negativität die Negation in wirklicher Selbstbeziehung steht, ist ihr als ganzer "UNMITTELBARKEIT" zuzusprechen. Und insofern der Gedanke der sich negierenden Negation und der der negierten Negation nicht wirklich voneinander abgehoben werden können, ist die Unmittelbarkeit "nur diese Bewegung" der Reflexion selbst.7 - Damit ist das Charakteristische der Reflexion als einer Selbstbewegung aufgewiesen. Die Reflexion ist eine Bewegung, die sich als sich auf sich beziehende Negation aus sich selbst heraus bewegt. Z 66 "Das Werden im Wesen, seine reflektierende Bewegung, ist daher die BEWEGUNG VON NICHTS ZU NICHTS UND DADURCH ZU SICH SELBST ZURÜCK. Das Übergehen oder Werden hebt in seinem Übergehen sich auf; das Andere, das in diesem Übergehen wird, ist nicht das Nichtsein eines Seins, sondern das Nichts eines Nichts, und dies, die Negation eines Nichts zu sein, macht das Sein aus" (L. II., 13f.; 24f.).

Das Wesen ist als Reflexion die Bewegung von Nichts zu Nichts, die dadurch zu sich selbst zurückkehrt. Was ist unter einer solchen Bewegung zu verstehen?» Wie Schubert richtig bemerkt (Schubert (1985), 54), wird in der Wesenslogik nicht die Bewegung zu einem schlechthin Unmittelbaren vergegenständlicht, sondern umgekehrt die Unmittelbarkeit in Bewegung aufgelöst: Die Unmittelbarkeit ist nur die Bewegung selbst. Nicht die Bewegung wird ontologisiert, sondern die Unmittelbarkeit wird durch die Bewegung der Negativität entontologisiert. Daß der mögliche Sinn dieser Stelle (Z 66) nicht unmittelbar auf der Hand liegt ja, daß der Gedanke einer Bewegung von Nichts zu Nichts schlechterdings unsinnig ist - , ist in der Hegelliteratur mehrfach erwähnt worden. Adorno rechnet diese Passage zu den kryptisch-unidentifizierbaren Stellen in Hegels Werk: "Im Bereich großer Philosophie ist Hegel wohl der einzige, bei dem man buchstäblich zuweilen nicht weiß und nicht bündig entscheiden kann, wovon überhaupt geredet wird, und bei dem selbst die Möglichkeit solcher Entscheidung nicht verbrieft ist" (Adorno (1963), 107). Adorno führt direkt im Anschluß an diese Bemerkung Z 66 an. Für Theunissen weist die Bewegung von Nichts zu Nichts einige Ähnlichkeiten mit dem Dogma auf, das "der altgrammatische Satz 'duplex negatio est af-

§3 Die Logik der Reflexion

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Die Bewegung des Seins als Übergehen von einem zum anderen wird in der Wesenslogik zurückgeführt auf die Reflexion als der Bewegung von Nichts zu Nichts. Der Terminus "BEWEGUNG VON NICHTS ZU NICHTS" steht hier für den Begriff der Reflexion als einer Subjekt- und substratlosen Bewegung. Die Reflexion ist reine Prozessualität, die zu ihrem Vollzug keines Substrats bedarf und die den 'Ursprung5 ihrer selbst in sich selbst trägt. Die reflektierende Bewegung geht vom Nichts, welches der Schein ist, zum Nichts, welches das Wesen selbst als Schein ist, über. Genauer: Die reflektierende Bewegung geht vom Nichts als der Negation als Negation, welche der Schein ist, zum Nichts als der Gleichheit der Negation mit sich, welches das Wesen selbst als Schein ist, über. Die Gleichheit selbst der Negation mit sich ist die Affirmation, das Wesen als "Sein", das in dieser Bewegung zustandekommt. Die Bewegung scheint daher ein Übergang in ein Anderes zu sein, denn die Gleichheit selbst der Negation mit sich ist das Andere der Beziehung der Negation als solcher. Aber ebenso ist es die Negation selbst, die mit sich zusammengeht. Indem die Bewegung von Nichts zu Nichts zu sich selbst zurückkehrt, hebt sich das Werden und Übergehen selbst auf. Sie ist also eine Bewegung, die "eine sich unmittelbar selbst negierende Bewegung" (Simon 1978), 68) ist - eine Bewegung, die zugleich aufgehobene Bewegung, also in sich umgewendete Bewegung, ist: Re-flexion.9 Das "Andere", das in dieser sich selbst aufheflrmatio' zur Regel macht. Jedoch selbst wenn diese Regel - was sie ja keineswegs ist - unproblematisch wäre, müßte man ihre Anwendung auf den Fall, den Hegel vor sich hat, für illegitim erachten, da es unter der Voraussetzung der schlechthinnigen Ursprünglichkeit von Verneinung nichts gibt, das durch die Verneinung dieser Verneinung bejaht würde. Nicht Hegel hat recht, sondern der seit Kierkegaard anhaltende, am leidenschaftlichsten von Adorno vorgetragene Protest gegen die an uns ergehende Zumutung, die Selbstnegierung der autonomen Negation als Affirmation denken zu sollen. Das Dictum: "dies, die Negation eines Nichts zu sein, macht das Sein aus" (14/25) ist und bleibt ein Dogma" (Theunissen (1978), 378). "Mit dem Nichts eines Nichts ist eben nichts" (ebd., 381). Auch Henrich gesteht die Schwierigkeit dessen ein, was hier eigentlich zu denken sei: "Hier wird Hegels Text aus guten Gründen komprimiert und hermetisch. Er enthält einige der spekulativ dichtesten Passagen seines ganzen Werkes [...]" (Henrich (1978), 273). Dabei ist dieser Terminus nur eine mehr oder weniger gelungene Metapher für das immanente Scheinen des Wesens, bringt also nichts anderes zum Ausdruck als, was im Gedanken der selbstbezüglichen Negativität enthalten ist. Zu den Hegelinterpreten, die sich ernsthaft mit dieser Formel auseinandersetzen, gehören Simon (1978) und Schubert (1985), 172ff. Schubert hat die wesenslogische Bewegung von Nichts zu Nichts in Anlehnung an Benjamin als eine "Dialektik im Stillstand" beschrieben: "Es ist jene Bewegung, die sich, um sich zu bestimmen als Bewegung negiert, und nur durch diese

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benden Bewegung des Übergehens entsteht, ist also nicht "das Nichtsein eines Seins", "sondern das Nichts eines Nichts" und eben diese Negation eines Nichts macht hier das "Sein" aus. Das "Andere" ist also das "Sein", das sich in oder an der Rückkehrbewegung des Nichts ergibt: Z 67 "- Das Sein ist nur als die Bewegung des Nichts zu Nichts, so ist es das Wesen; und dieses HAT nicht diese Bewegung IN SICH, sondern ist sie als der absolute Schein selbst, die reine Negativität, die nichts außer ihr hat, das sie negierte, sondern die nur ihr Negatives selbst negiert, das nur in diesem Negieren ist" (L. II., 14; 25). Mit diesem Hinweis werden falsche metaphysische Vorstellungen vom Begriff des Wesens als Reflexion abgewehrt. Hegel macht in der Logik ja überhaupt den Versuch, die traditionelle metaphysische Bedeutung der Begriffe radikal umzudeuten. Das Wesen ist kein identisches Selbst, das sich bewegte oder eine Bewegung in sich hat, sondern es ist nur der Vollzug der Bewegung von Nichts zu Nichts, den die Reflexion vollführt. "Bewegung" ist kein bloßes Prädikat oder Attribut, das dem Wesen zugesprochen wird, sondern das Wesen ist eins mit seiner Bewegung. Im Wesen als Reflexion bewegt sich also nicht etwas von Nichts zu Nichts, sondern die Reflexion ist nichts anderes als diese Bewegung selbst.10 Die Reflexion ist der "absolute Schein", weil sie die "reine Negativität" ist, die nichts außer sich hat, das sie negiert, sondern nur ihr Negatives selbst negiert, und dieses Negative, das sie negiert, ist nur in diesem Negieren selber. Absolut ist also der Schein, weil er als das

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Negation ihrer selbst überhaupt Bewegung ist. - Es gibt keine Bewegung, die nicht notwendig Stillstand impliziert, sowenig es einen Stillstand gibt, der nicht aufgehobene (im emphatischen Sinne!) Bewegung wäre" (Schubert (1985), 173). Er sieht in dieser spezifisch wesenslogischen Bewegung den Kern des 'Strukturgedankens' in Hegels Logik, dem er nachspürt. An späterer Stelle der Wesenslogik bemerkt Hegel über das Wesen als Reflexion: "Das Wesen als solches ist eins mit seiner Reflexion und ununterschieden ihre Bewegung selbst. Es ist daher nicht das Wesen, welches sie durchläuft; auch ist es nicht dasjenige, von dem sie als von einem Ersten anfängt. Dieser Umstand erschwert die Darstellung der Reflexion überhaupt; denn man kann eigentlich nicht sagen, das WESEN geht in sich selbst zurück, das WESEN scheint in sich, weil es nicht VOR oder IN seiner Bewegung ist und diese keine Grundlage hat, an der sie sich verläuft" (L. ., 67; 85). Die ganze Wesenslogik ist gegen die metaphysische Vorstellung vom Wesen als Subsistenz oder Essenz gerichtet, wonach es als einfaches Identisches der Bewegung seiner Bestimmungen zugrunde liegt, während es in Wahrheit nur das Wesen der Bewegung selbst ist, die Bewegtheit der Kategorien, in der sich deren metaphysische Absolutsetzung und Fixierung auflöst.

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Negative nichts außer dem Wesen ist - alle Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen ist aufgehoben - , sondern nur die Gleichheit der negierten Negation oder des Scheins mit sich selbst ist. u Mit der Totalisierung des Scheins geht auch eine Absolutsetzung der Reflexion einher. Worin besteht der Status des Absoluten der Reflexion? Der ganze Prozeß der Vermittlung der Negation oder des Scheins mit sich selbst, der die Reflexion ist, kann nicht mehr vom Standpunkt eines Dritten, von außen also, fixiert werden. Mit dem Wesen als Reflexion ist jede äußerliche Betrachtungsweise, jeder externe Gesichtspunkt, entfallen. Es gibt keine externe Relation mehr zu einem Ort außerhalb des Wesens, durch den es bedingt wäre. Das Wesen hat als Reflexion eine autonome logische Struktur erreicht. Das Wesen ist als Reflexion das Absolute, weil es als sich negierende Negation und negierte Negation Einheit von Selbstaufhebung und Selbstbeziehung der Negation ist und als solche von keinem zugrundeliegenden Subjekt dependiert. Erst als Reflexion tritt also das Wesen zum erstenmal als es selbst, als "ANUNDFÜRSICHSEIN" (Z 9) oder als das Absolute auf. Das Absolute ist nicht mehr wie in der traditionellen Metaphysik ein Inbegriff aller Realitäten, sondern nurmehr reine Negativität, Bewegung von Nichts zu Nichts, eine Bewegung, die sich durch diese ihre Selbstbeziehung negiert und auf diese Weise Bestimmtheit konstituiert. 3. Hegels spekulativer Begriff der Reflexion als Kritik am traditionellen Reflexionsbegriff Die Reflexion ist die Bewegung von Nichts zu Nichts, welche dadurch zu sich zurückkehrt. In dieser Kreisbewegung steckenzubleiben, wäre jedoch der "Kollaps" des gesamten logischen Prozesses (vgl. Henrich (1971), 116; ebenso Henrich (1978), 270 und im Anschluß an Henrich Theunissen (1978), 325f.). Doch enthält sie in ihr selbst die Notwendigkeit ihrer Fortbestimmung, denn sie ist ja als eine BeweWird das Sein als Wesen gedacht, so vollzieht sich eine vollkommene ontologiekritische Umkehr des Seins in Schein. Das Wesen als Reflexion restituiert das Sein in der Form des absoluten Scheins. Der absolute Schein, das ist nichts als Nichtigkeit, Nichtsein oder Nichts, das aber ist als das Sein des Nichtseins, wobei dieses Sein nur die Gleichheit des Nichtigen mit sich ist. Der Gedanke des Seins als absoluter Schein gelingt Hegel mit dem Gedanken der absoluten Negativität des Wesens, in welcher Unmittelbarkeit und Vermittlung schlechterdings identisch sind.

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gung zu verstehen, die sich als Bewegung selbst aufhebt und so Bestimmtheit konstituiert. Es ist das ihr selbst eigene Bewegungsgesetz, von sich selbst zu abstrahieren und sich selbst als ein Sein vorauszusetzen. Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit eine Erweiterung des Reflexionsbegriffs. In einem Vorspann gibt Hegel - wie üblich - einen Überblick über die zu erwartende logische Entwicklung. Die Reflexion entfaltet sich als "SETZENDE", "ÄUSSERLICHE" und "BESTIMMENDE Reflexion": Z 68 "Diese reine absolute Reflexion, welche die Bewegung von Nichts zu Nichts ist, bestimmt sich selbst weiter. Sie ist ERSTLICH SETZENDE REFLEXION; sie macht ZWEITENS den ANFANG von dem VORAUSGESETZTEN UNMITTELBAREN und ist so ÄUSSERLICHE Reflexion. DRITTENS aber hebt sie diese Voraussetzung auf, und indem sie in dem Aufheben der Voraussetzung ZUGLEICH voraussetzend ist, ist sie BESTIMMENDE Reflexion" (L. II., 14; 25).

Wie sich zeigen wird, ist dieser Dreischritt tatsächlich in groben Zügen richtig, doch wird er in eine wesentlich komplexere Entwicklung eingebaut: 1. Als setzende Reflexion (Abteilung C.l.) entwickelt sich die Reflexion zur Einheit von Setzen und Voraussetzen. 2. Die Verdoppelung der Reflexion - dies, daß sich die Reflexion im Aufheben ihrer selbst selbst voraussetzt - bildet nicht nur die Voraussetzung für den Übergang zur bestimmenden Reflexion, sondern ist konstitutive Bedingung schon für die äußere Reflexion (Abteilung C.2.). Schon im Abschnitt über die setzende Reflexion kommt es also zur Selbstaufhebung und zur Verdoppelung der Reflexion. 3. Erst die Identifikation der Reflexion und ihrer Voraussetzung, die selbst ein Fall von Reflexion ist, durch die Reflexion selbst, fuhrt zur bestimmenden Reflexion (Abteilung C.3.). Diese Mangelhaftigkeit der Vorankündigung ist insofern nicht gravierend, als Hegel auf solche Überblicke keinen gesteigerten Wert legt: An mehreren Stellen der Logik hat er sie als äußerliche Reflexion und nicht zur Sache gehörig abgetan (vgl. L. L, 36f; 50f). Traditionell ist Reflexion immer als Tätigkeit des Bewußtseins, des reflektierenden Verstandes oder als Tätigkeit eines vorausgesetzten Subjekts gefaßt worden. Hegels spekulativer Reflexionsbegriff dagegen deckt sich weder mit der Reflexion des Bewußtseins noch mit der des Verstandes. Seine Darstellung gilt dem Begriff der Reflexion als solchem:

§3 Die Logik der Reflexion

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"Es ist aber hier nicht, weder von der Reflexion des Bewußtseins noch von der bestimmteren Reflexion des Verstandes, die das Besondere und Allgemeine zu ihren Bestimmungen hat, sondern von der Reflexion überhaupt die Rede" (L. II., 19; 30f.).

Dieses Programm ergibt sich aus der systematischen Stellung und Natur von Hegels Wissenschaft der Logik: Die Logik ist Darstellung des "reinen Denkens", das sich vom "Gegensatz des Bewußtseins" (L. L, 42; 57) frei gemacht hat. Die Kategorien treten hier nicht mehr als Eigenschaften des Bewußtseins oder als Funktionen des Selbstbewußtseins auf, sondern bilden die "Momente des objektiven Denkens" (Jaeschke (1978), 86). Der Begriff des Logischen ist für Hegel das "ELEMENT" (L. I., 43; 57), in welchem die Denkbestimmungen an und für sich betrachtet werden. Als solche bilden sie eine eigene Dimension von Wirklichkeit, die sowohl von aller weltlichen Realität als auch von der Realität des subjektiven Bewußtseins unterschieden ist, doch so, daß in ihnen zugleich alle Wirklichkeit, sei es die des subjektiven Bewußtseins oder die der objektiven Welt, in ihren Formverhältnissen vorgebildet ist. Das Logische ist daher "die allgemeine Weise, in der alle besonderen aufgehoben und eingehüllt sind" (L. II.,484f.;550). Hegel entwickelt in der Wissenschaft der Logik erstmals einen Reflexionsbegriff, der die immanente Bewegung des objektiven Denkens darstellt und so die 'eigene Reflexion des Begriffs' bezeichnet. Damit setzt die Logik einen radikalen "Bedeutungswandel von Reflexion" (Jaeschke (1978), 95) voraus. Was ist das spezifisch Neue des Reflexionsbegiffs in Hegels Logik? Das Neue an Hegels Reflexionsbegriffist durch drei Momente gekennzeichnet: 1. Die Reflexion tritt als eine gegenüber dem Bewußtsein verselbständigte "objektive logische Struktur" (Schubert (1985), 66) auf. 2. Mit der Ablösung der Reflexion vom reflektierenden Subjekt wird diese zur objektiven Bewegung der Denkbestimmungen. Die Entwicklung der Denkbestimmungen durch ihre eigene Reflexion erfolgt ohne Rückbezug auf ein denkendes Subjekt. 3. Die Darstellung der Kategorienbewegung in der Wissenschaft der Logik beruht auf der logischen Bewegung der "absoluten Reflexion", welche sich als systematische Einheit von setzender, äußerer, und bestimmender Reflexion darstellt (vgl. Schubert (1985), 69).i2 12

Die bisherigen Interpretationen der Logik der Reflexion fassen Reflexion bei Hegel vornehmlich im traditionellen subjektiven Sinne als Darstellung des Verhältnisses des Ich zu sich selbst und zu seinem Gegenstand: Nach Henrich entfaltet die Reflexion die Grundstruktur des Ich = Ich (Henrich (1971), 134). Wetzel sieht

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Der spekulative Begriff der Reflexion beruht also auf der Abstraktion vom Bewußtsein. Die Ablösung des Reflexionsbegriffs vom reflektierenden Subjekt erlaubt es Hegel, den Begriff der Reflexion mit dem des Absoluten zu identifizieren. Voraussetzung dafür ist, daß der mentale Akt 'Reflexion' auf den logischen Sinn der "Reflexion überhaupt" reduziert ist. Hegels Begriff der Reflexion (und nebenbei bemerkt auch der der Subjektivität) ist emphatisch antisubjektivistisch und antipsychologisch. Der Begriff der "Reflexion überhaupt" impliziert weiterhin die Entdeckung einer sich in allen Kategorien durchhaltenden logischen Struktur, die die Funktion des Denkens als solchem ist. Es ist dies für Hegel der Gedanke der selbstbezüglichen Negativität. Allgemein ist daher der logische Begriff der Reflexion als Verhältnis von Selbstbeziehung und Negation bestimmt. Die Entdekkung des die interne Bewegung der Kategorien allein tragenden Gedankens der "Reflexion überhaupt" führt zu einer generellen Ausweitung des elementaren Begriffs der logischen Reflexion. Nachdem die Fundierung des logischen Prozesses in der Wissenschaft der Logik in unserer äußerlichen Reflexion entfällt und alle Kategorien in ihrer eigenen Reflexion betrachtet werden, die gesamte Bewegung des Begriffs also auf die Bewegungsweise der Reflexion überhaupt zurückgeführt ist, gewinnt der Reflexionsbegriff generelle Bedeutung für die Logik, so daß er als solcher gerechtfertigt werden muß. Der Anfang der Wesenslogik ist nun der Ort, an dem der Reflexionsbegriff als solcher zur Darstellung kommt. Die Logik entfaltet hier den Reflexionsbegriff als ein formales Objekt. Sie entwickelt die Formverhältnisse des Begriffs der Reflexion als solcher. In einer solchen Betrachtung versammelt sich nach Hegels Meinung die innere Logizität alles dessen, was mit der "Reflexion überhaupt" zusammenhängt. Es wird also die bestimmende logische Struktur der kategorialen Bewegung als solcher untersucht.13

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die Reflexion als Akt der Selbsterzeugung und Selbstvergegenständlichung des subjektiven Denkens an. Er spricht daher von sich setzender und sich voraussetzender Reflexion (Wetzel (1971), 50-66). Ebenso sieht Reisinger in Hegels Begriff der Reflexion die reflexive Struktur des Ich (Reisinger (1971), 231-265). Allein Schubert bildet hier eine Ausnahme. Er faßt Hegels ReflexionsbegrifT als "objektive logische Struktur" (Schubert (1985), 66). Bei der spekulativ-logischen Darstellung des Reflexionsbegriffs verwendet Hegel formale Begriffe wie z.B. Setzen, Negativität, Unmittelbarkeit usw. Sie sollen die Gedankenschrittfolge der formalen Verhältnisse, in denen sich der Reflexionsbegriff entwickelt, erklären. Sie müssen sich selbst aus dem logischen Bereich rechtfertigen, auf den sie angewendet werden. Hegels Kunst der formalen Begriffsbildung zeigt sich auch an den eigenartigen formalen sprachlichen Mitteln,

§3 Die Logik der Reflexion

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In den seinslogischen Kategorien ist die im Reflexionsbegriff gedachte Vermittlung nur an sich, noch nicht gesetzt. Erst in der Wesenslogik wird die eigene Reflexion des Begriffs als Reflexion thematisch. Die hier zum Thema gemachte "Reflexion überhaupt" hat nun keineswegs "logisch-ontologischen Sinn" (Jaeschke (1978), 116) und "substantiale" (ebd., 111) Bedeutung. Im Gegenteil: Erst nach der Aufhebung aller positiven Bestimmtheitsverhältnisse der ontologischen Kategorien des Seins in die absolute Negativität des Wesens tritt die Reflexion für sich hervor. Der spezifisch Hegeische Begriff der Reflexion konstituiert sich also im Rahmen eines ontologiekritischen Begriffs von Negativität. Die "Reflexion" steht deshalb im Zentrum der Wissenschaft der Logik, weil sie als Bewegung von Nichts zu Nichts die zentrale Funktion des Kategoriensystems darstellt. Sie ist die reine Bewegungsform des Denkens als solchem. In der Logik der Reflexion wird also die Bewegungsweise der Reflexion als solcher und damit der Gesamtzusammenhang der Logik thematisch gemacht. Die Reflexion ist die systematische Konstitution der Denkbestimmungen als Denkbestimmungen, die Bewegung des Übergehens der Denkbestimmungen ineinander und schließlich die Herstellung ihres systematischen Zusammenhangs untereinander. Ihre logische Struktur bezeichnet Hegel als selbstbezügliche Negativität. Was im spekulativen Reflexionsbegriff also zur Debatte steht, ist demnach durchaus die Reflexion des Bewußtseins, die Beziehung eines reflektierenden Subjekts auf einen Gegenstand und auf sich selbst, aber als reines Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung im Rahmen von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion. Das traditionell zugrundegelegte Verständnis von Reflexion tritt dabei nur insofern in den Blick, als es kritisch auf den Prozeß der absoluten Reflexion zurückgeführt wird (vgl. die "Anmerkung" zur äußeren Reflexion L. II., 18ff.; 30ff.). In der Tradition der Reflexionsphilosophie ist Reflexion immer als Funktion des Selbstbewußtseins, als wissende Selbstbeziehung des Ich oder des Subjekts, begriffen worden. Hegel begreift sie als objektive Bewegungsform des reinen Denkens. Mit diesem Kunstgriff gelingt Hegel, womit Fichte sich sein Leben lang abgemüht hatte, die mit denen er die Sequenz der Begriffe aufbaut. Er will mit den einfachsten und formalsten sprachlichen Mitteln der Darstellung auskommen. Nur so scheint ihm gewährleistet, ohne weitere inhaltliche Daten oder Prämissen von außen hereinzubringen, den logischen Zusammenhang der Denkbestimmungen durchsichtig zu machen. Auch wenn Hegel in die eigentliche logische Darstellung des öfteren außerlogische Begriffe und Beispiele einführt, haben sie nur erläuternden, nicht argumentativen Charakter.

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

Überwindung der Aporien der klassischen Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins. Nach dieser kommt die wissende Selbstbeziehung des Subjekts dadurch zustande, daß dieses sich durch Rückwendung auf sich selbst zum Gegenstand seiner selbst macht (vgl. Henrich (1966), 192). Da nun aber das Subjekt, auf das sich die Reflexion zwecks Selbstvergewisserung zurückwendet, bereits ein sich wissendes Ich sein muß, um sich auf sich zurückwenden zu können, gerät diese Theorie in den fehlerhaften Zirkel, in einer petitio principii das sich wissende Ich vorauszusetzen, das durch die Reflexion allererst zustande kommen soll. Kant hat diesen fehlerhaften Zirkel benannt (Kant, Kd.V., B 404, A 346), Fichte hat ihn mit Hilfe der Theorie der absoluten Tathandlung des Ich zu überwinden versucht (Fichte (1797), 458f.), Hegel hat ihn in die prozessuale Zirkularität des Wesens spekulativ aufgehoben. Für Hegel gehört die Zirkularität zum Wesen des Denkens als solchem und daher auch zur Natur des Ich.i* Seine Kritik richtet sich daher auch nicht gegen die Zirkularität als solche, sondern nur gegen die Fehlerhaftigkeit des Zirkels, "wie sie sich in der traditionellen Konzeption einstellt, indem diese das Subjekt als eine absolute Voraussetzung fixiert und es eben nicht in die Bewegtheit des Ganzen inHegel nimmt den "verzweifelten Zirkel" (Günther (1978), 128) Kants einfach positiv und denkt ihn zugleich radikal um. Günther spricht in diesem Zusammenhang von einer "unglaublich kühnen Wendung seines Denkens" (ebd., 129): "Sonderbar ist der Gedanke - wenn es anders ein Gedanke genannt werden kann ,daß Ich mich des Ich schon BEDIENEN müsse, um von Ich zu urteilen; das Ich, das sich des Selbstbewußtseins als eines Mittels BEDIENT, um zu urteilen, dies ist wohl ein x, von dem man, sowie vom Verhältnis solchen Bedienens, nicht den geringsten Begriff haben kann. Aber lächerlich ist es wohl, diese Natur des Selbstbewußtseins - daß Ich sich selbst denkt, daß Ich nicht gedacht werden kann, ohne daß es Ich ist, welches denkt - eine UNBEQUEMLICHKEIT und als etwas Fehlerhaftes einen Zirkel zu nennen, - ein Verhältnis, wodurch sich im unmittelbaren empirischen Selbstbewußtsein die absolute, ewige Natur desselben und des Begriffes offenbart, deswegen offenbart, weil das Selbstbewußtsein eben der DASEIENDE, also EMPIRISCH WAHRNEHMBARE, reine BEGRIFF, die absolute Beziehung auf sich selbst ist, welche als trennendes Urteil sich zum Gegenstande macht und allein dies ist, sich dadurch zum Zirkel zu machen" (L. ., 432; 490). Ironisch bemerkt Hegel: "Ein Stein hat jene UNBEQUEMLICHKEIT nicht" (ebd.). Hegel begreift das Selbstbewußtsein als die zirkuläre Bewegung des Denkens seiner selbst, indem er den Reflexionszirkel zugleich radikal uminterpretiert. Der Mangel der Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins gründet ihm zufolge nicht darin, das Selbstbewußtsein als Zirkel zu begreifen, sondern in dem Bemühen, es mittels Reflexion zu begründen, aber zugleich als unbedingtes, zugrundeliegendes Subjekt vorauszusetzen und so für seine Begründung durch Reflexion in einem fehlerhaften Zirkel bereits in Anspruch zu nehmen.

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tegriert" (Schubert (1985), 71). Hegel löst das zugrundeliegende Subjekt in die zirkuläre Bewegung des Denkens auf. Er entreißt die Reflexion dem ihr vermeintlich zugrundeliegenden Subjekt und faßt sie als objektive Bewegungsform des Denkens auf, in welcher sich das Subjekt allererst konstituiert, statt Konstitutionsbedingung zu sein. Hegels Reflexionsbegriff hebt somit den falschen Zirkel der traditionellen Reflexionsphilosophie in einem doppelten Sinne auf: Er beseitigt seine Fehlerhaftigkeit, indem er ihn als prozessuale Zirkularität, als Bewegung von Nichts zu Nichts, begreift. Dabei zeigt sich, daß jener falsche Zirkel der Reflexionsphilosophie seine Fehlerhaftigkeit keineswegs der Zirkularität als solcher verdankt, sondern im Gegenteil der Tatsache, daß die Zirkularität nicht als Prozeß begriffen worden ist, indem die Momente des zirkulären Reflexionsprozesses gegeneinander fixiert und verselbständigt wurden. Die "absolute Reflexion" ist eine substratlose Bewegung und bedarf keines zugrundeliegenden Subjekts, wie in der traditionellen Metaphysik und Transzendentalphilosophie. Die in sich gegenläufige Bewegung der Reflexion, die in der Seinslogik ansetzt und in der Wesenslogik zur Darstellung kommt, ist also, weit entfernt ein absolutes Ich Fichtescher Machart zu sein, die Bewegung, die "das Subjekt in den Zusammenhang der Denkbestimmungen auflöst" (Theunissen (1978), 52) und damit als Subjekt konstituiert. Die Voraussetzung eines absoluten Subjekts als Konstitutionsbedingung aller Bewegung in der traditionellen Metaphysik und Transzendentalphilosophie wird somit als Schein entlarvt. Hegel setzt mit seiner Theorie der Reflexion die Einsicht Fichtes in die Tat um, daß die Schwierigkeiten der Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins auf dem Subjekt-Objekt-Modell des Bewußtseins beruhen. Fichte konnte jedoch zu einer endgültigen Überwindung der Reflexionstheorie nicht kommen (vgl. Henrich (1966)), weil er seine Theorie der absoluten Tathandlung, die er zu ihrer Überwindung konzipierte, ebenfalls nur im Rahmen des vorausgesetzten, unaufhebbaren Gegensatzes von Ich und Nicht-Ich formulierte. Wie Henrich gezeigt hat, ist Fichte letztlich daran gescheitert, daß er am Grundbegriff des "Ich" als identifizierender Selbstbeziehung festgehalten hat, "weil er daran glaubte, auf die Abhängigkeit des Selbst allein von sich und auf seine Beschreibung als autosuffiziente Tätigkeit keinesfalls verzichten zu können" (Henrich (1970), 280f.). Hegel geht es darum, die Reflexionstheorie aus den Aporien des unreflektiert vorausgesetzten Gegensatzes von Ich und Nicht-Ich zu befreien, indem er ihn auf die absolute Reflexion zurückführt und als äußere Reflexion rekonstruiert. Die Auflösung der Aporien der Reflexions-

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Philosophie besteht nach Hegel also darin, daß das Absolute weder als subjektives Subjekt-Objekt (Fichte) noch als objektives SubjektObjekt (Schelling) begriffen wird, sondern als absolute Reflexion, die Subjekt und Objekt als negative Momente der selbstbezüglichen Negativität im Rahmen der äußeren Reflexion konstituiert. Jaeschke hat eine "Skizze der systematischen Geschichte des Reflexion sbegriff s in Hegels Logik-Entwürfen" (Jaeschke (1978), 85) gegeben, die den in Hegels Begriff der Reflexion in der Wissenschaft der Logik enthaltenen Bruch mit seinen früheren Konzeptionen der Reflexion zur Darstellung bringt. Der Begriff der absoluten Reflexion in der Logik steht am Ende eines fundamentalen Bedeutungswandels des Reflexionsbegriffs gegenüber Hegels früheren Logik-Entwürfen. Zunächst übernimmt Hegel den Begriff der Reflexion aus der Tradition und stellt ihm kontrastierend den Begriff der Spekulation als Einheit von Reflexion und Anschauung gegenüber (vgl. Düsing (1969)). Erst in der Wissenschaft der Logik wird die Reflexion als absolute frei von jeder Anschauung zur Bewegungsform des spekulativen Denkens selbst. Mit dem Begriff der absoluten Reflexion hat sich Hegel weit von demjenigen Sinn der Reflexion entfernt, wonach Reflexion wesentlich auf trennendes Verstandesdenken bezogen ist. Nach Hegels früher Konzeption von Logik und Dialektik (vgl. Düsing (1976), 75ff.) tritt die Reflexion als auf die Endlichkeit der Verstandesbestimmungen fixiertes Denken auf. Die Logik hatte nach dieser Konzeption die Aufgabe, die endlichen Verstandesbestimmungen systematisch aufzustellen und in ihrem Geltungsanspruch zu vernichten, damit die Wahrheit als das Absolute an ihr selbst zum Vorschein kommen könne. Begriff und Form des Absoluten mußten einem endlichen Verstandesdenken allererst abgezwungen werden. Das Absolute selbst war nur einer die bloße Reflexion tränszendierenden "transzendentalen Anschauung" (vgl. Werke 2, 41ff.) begreiflich. So war die Reflexion untergeordnetes, aber zugleich notwendiges Moment der spekulativen Erkenntnis des Absoluten, welche auf diese Weise "eine Art Synthese aus Reflexion und Anschauung" (Kesselring (1984), 70) bildete. Die Reflexion war ein Vehikel einer Logik, die nur als unabdingbare, systematische Einleitung in die eigentliche Philosophie des Absoluten, die Metaphysik, diente. Später hat Hegel die Trennung von Logik und Metaphysik aufgehoben. Die spekulative Logik ist an sich selbst schon die eigentliche Metaphysik. Diese neue Systemkonzeption hat Konsequenzen für den Begriff der Reflexion. In der Wissenschaft der Logik umfaßt der Begriff der Reflexion nicht nur die Trennung und Fixierung endlicher Relate einerseits und die Aufhe-

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bung dieser Trennung und Fixierung andererseits, sondern auch noch diejenige reine Relation, in die alle Bestimmtheit zurück- und aus der alle Bestimmtheit hervorgeht. Erst der Begriff der absoluten Reflexion macht verständlich, inwiefern die endlichen Relate Momente eines absoluten Vermittlungszusammenhangs sind, welcher selbst als Beziehung von Beziehung und Bezogenen zu begreifen ist. Mit dem Begriff der absoluten Reflexion als "REINE[R] Beziehung, ohne Bezogene" (L. II., 64; 81) wird auch der Begriff einer transzendentalen Anschauung, auf die die Reflexion als ihren vereinheitlichenden Grund angewiesen ist, hinfällig.15 Damit setzt sich Hegel in einen scharfen Gegensatz zu Schellings Theorie des Absoluten in der Identitätsphilosophie. Schelling geht in der Identitätsphilosophie von einem prärelationalen, ontologisch fundierten Absoluten aus, der absoluten Identität, die über aller Relationalst liegt. Das Absolute ist nicht Produkt und Resultat der Selbstaufhebung der Opposition von Subjekt und Objekt. Mit dieser Annahme wäre für Schelling 1. der Gegensatz von Subjekt und Objekt der Ausgangspunkt und 2. würde das Absolute von einer Negation abhängig, von der Negation der Differenz. Das Sein des Absoluten kann sich jedoch nicht auf ein Nicht-Sein gründen, sonst höbe sich das Absolute selbst auf. Das Absolute Schellings ist kein Produkt des "synthetisierenden Denkens" (Schelling (1804), 163), kein "bloßes Gedankending" (ebd., 164), sondern reine "Position" (ebd., 163). Das Absolute ist nur einfaches Eines, "keine Duplicität, nichts Zwiefaches" (ebd.) und als solches nur der intellektuellen Anschauung zugänglich. Die Reflexion ist Trennung; sie erzeugt das Widerspiel von einem Reflektierenden und einem Reflektierten. In der Welt der Reflexion erscheint als getrennt, was in der absoluten Identität ewig Eins ist. Unterscheiden ist auch für Schelling negieren. Jedes der beiden Relate ist das Nichtsein des anderen. Was sie an Sein haben, haben sie durch das Nichtsein ihres Korrelats. Sie sind zwei "relative Negationen" (ebd., 185), die ihres "Seins" beraubt sind. Und "Sein" kann nicht das ProNach Hegel ist der Begriff der absoluten Reflexion die Beziehung als solche, die reine, substratlose Beziehung. Die Beziehung, die nur als reine Beziehung ist, impliziert stets einen Rückbezug. Sie ist nur als Reflexion denkbar, die sich zugleich als Beziehung von Beziehung und Bezogenen konstituiert, als in sich bewegtes System absoluter Relationalität. Dieser Gedanke der absoluten Vermittlung als einer wechselseitigen Bestimmtheit von Relation und Reisten in einer absoluten Relation - nach Schubert der Gedanke "des logischen Strukturzusammenhangs überhaupt" (Schubert (1985), 118) - begründet Hegels Logik als eine Metaphysik absoluter Relationalität.

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dukt der Beziehung eines Nichtseienden auf ein anderes Nichtseiendes sein. Wenn Sein, so nicht aus Reflexion. Diese wird "in aller Ewigkeit in diesem Cirkel begriffen sein werden, innerhalb dessen ein Nichts durch die Relation zu einem anderen Nichts Realität bekommt" (Schelling (1802), 358). Aber aus Nichts kann nach Schelling kein Sein entstehen. Nun ist aber Sein, also kann es nicht in Reflexion fundiert sein. Daraus ergibt sich für Schelling die weitergehende Folgerung: Das Sein, das nicht aus der Reflexion stammen kann, ist zugleich das Sein der Reflexion. Die Reflexion, die sich nicht auf das Sein gründet, wäre nicht. "Diese Einsicht in die Abhängigkeit der Reflexion vom Sein, das nicht Reflexion ist, bringt jene zuerst auf den allein ihr angemessenen Begriff' (Frank (1975), 121). Frank bezeichnet die ontologische Fundierung der Reflexion bei Schelling in Anlehnung an Sartre als "ontologisehen Beweis der Reflexion" (ebd., 111). Der Minimalkonsens zwischen Schelling und Hegel besteht darin, daß das Absolute die immanente Selbstnegation der Relate erfordert. Während aber für Hegel das Absolute mit der Selbstnegation der Relate zusammenfällt, ist für Schelling das Absolute etwas, dessen Sein zur Selbstnegation des Endlichen hinzukommen muß. Für Hegel bedeutet die Selbstnegation der Relate keineswegs, wie dies Frank annimmt (Frank (1985), 127), daß im Absoluten alle Relativität entfällt. Für ihn ist Relationalität nicht wie für Schelling nur das Seinsgesetz des Endlichen. Im Gegenteil: Mit der Selbstnegation der endlichen Relate hebt sich für Hegel die faktische Verstandeskorrelation fixer Relate einerseits und fixer Relationen andererseits in ein in sich bewegtes System absoluter Relationalität auf und ist nunmehr aus diesem zu interpretieren. Hegels Begriff der absoluten Reflexion als reiner Beziehung ohne Bezogene, als absoluter Relationalität, ist Kritik des verstandesmäßigen Denkens, in welchem die realen Momente fixe Relate in ebenso fixen Relationen bilden. Sein Begriff des Absoluten ergibt sich aus einer Transformation der ontologisch fundierten Verstandesrelationalität in absolute Relationalität, die kein Sein zugrunde liegen hat. Der Begriff der Relation fällt also bei Hegel im Absoluten nicht völlig weg wie bei Schelling, er nimmt nur einen anderen Sinn an: Das ontologisch fundierte fixe Relationssystem des Verstandes wird zu einem in sich bewegten Relationssystem der Vernunft, das die fixen Verstandesbestimmungen verflüssigt und in ei16

Zu Schellings Kritik an der Reflexion vgl. insbesondere dessen Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft (Schelling (1803a)): "Die bloße Reflexion also ist eine Geisteskrankheit des Menschen [...]" (ebd., 13).

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nen systematischen Zusammenhang bringt, indem es sie als Bestimmungen konstituiert, statt sie als unmittelbar gegebene zu nehmen, i? Während sich für Hegel das Absolute als absolute Relationalität aus der Selbstnegation der endlichen Relate ergibt, ist für Schelling der Gedanke des Absoluten an ein aller Relationalität enthobenes Sein gebunden. Während bei Hegel das Absolute sein Sein in der Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität hat, hat es bei Schelling sein Sein jenseits aller Negativität. Mit dieser ontologischen Fundierung des Absoluten wiederholt Schelling nach Hegel aber bloß die Abstraktionen des ontologisch fundierten Verstandes, der allen Bestimmungen ein seiendes Substrat, letztlich das absolut seiende Substrat zugrunde legt. Fassen wir zusammen: Hegels Reflexionsbegriff stellt einen radikalen "epistemologischen Bruch" (Schubert (1985), 75) innerhalb des traditionellen Reflexionsbegriffs dar. Er ist aber keineswegs als ontologische Fundamentalstruktur im Schellingschen Sinne zu fassen, vielmehr begründet er in seiner absoluten Negativität eine Metaphysik absoluter Relationalität. Das Wesen als Reflexion ist als die in ihrer Negativität alles Sein auflösende logische Struktur fundamentale Kritik aller traditionellen Ontologie, namentlich des platonischen Wesensbegriffs und des aristotelischen on he on. Obgleich Hegel sich bisweilen affirmativ auf die platonische Ideenlehre und die aristotelische Nousphilosophie bezieht, ist seine Philosophie als Produkt des modernen Reflexionszeitalters nicht Restauration der antiken Ontologie, wie es immer wieder behauptet wird, sondern deren Reformulierung im Rahmen einer kritischen Selbstreflexion der modernen Reflexionsphilosophie.

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Diese Gegenkonzeption zu Schellings Theorie des Absoluten hat Hegel bereits in der Phänomenologie des Geistes formuliert: "Die Gedanken werden flüssig, indem das reine Denken, diese innere UNMITTELBARKEIT, sich als Moment erkennt, oder indem die reine Gewißheit seiner selbst von sich abstrahiert, - nicht sich wegläßt, auf die Seite setzt, sondern das FDCE ihres Sichselbstsetzens aufgibt, sowohl das Fixe des reinen Konkreten, welches Ich selbst im Gegensatze gegen unterschiedenen Inhalt ist, als das Fixe von Unterschiedenen, die, im Elemente des reinen Denkens gesetzt, an jener Unbedingtheit des Ich Anteil haben. Durch diese Bewegung werden die reinen Gedanken BEGRIFFE und sind erst, was sie in Wahrheit sind, Selbstbewegungen, Kreise, das, was ihre Substanz ist, geistige Wesenheiten" (Phän. 31; 37). Unschwer ist hier Hegels damaliger Fichteanismus zu erkennen. Die Verflüssigung der fixen Gedanken im Reflexionszusammenhang des reinen Denkens dependiert noch von einem zugrundeliegenden, absoluten Ich.

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//. Die setzende Reflexion 1. Die Logik der absoluten Reflexion als Kritik des Affirmatismus der Schellingschen Identitätsphilosophie Zu Beginn des Abschnitts über die setzende Reflexion hält Hegel den logischen Fortschritt fest, der vom Schein als dem Nichtigen und Wesenlosen zur absoluten Reflexion des Wesens führte: Z 69 "Der Schein ist das Nichtige oder Wesenlose; aber das Nichtige oder Wesenlose hat sein Sein nicht in einem ANDEREN, in dem es scheint, sondern sein Sein ist seine eigene Gleichheit mit sich; dieser Wechsel des Negativen mit sich selbst hat sich als die absolute Reflexion des Wesens bestimmt" (L. II., 14; 25).

Der Schein, das Nichtige oder Wesenlose, hat sein Sein nicht in einem Anderen, sein Sein ist vielmehr seine eigene Gleichheit mit sich. Hegel verweist hier auf einen fundamentalen Wandel in der Bestimmung des Scheins. Hieß es beim Übergang vom Schein zum Wesen: "Der Schein ist das Negative, das ein Sein hat, aber in einem Anderen, in seiner Negation" (L. II., 12; 22), so stellt Hegel nun fest, es sei das Wesentliche geworden, daß die Nichtigkeit des Scheins selbst seine Gleichheit mit sich oder sein Sein ist. Daß der Schein sein Sein in einem Anderen hat, trifft nach der Transposition seiner Bestimmungen ins Wesen nicht mehr zu. Von nun an ist er die sich auf sich beziehende Negativität selbst. Die Notwendigkeit dieser neuen Bestimmung des Scheins hat sich durch den Rückgang des Scheins in die Reflexion ergeben. Sie ist im Einleitungsabschnitt der Abteilung C. hergeleitet worden. Der Schein als der "Wechsel des Negativen mit sich selbst" hat sich zur "absolute[n] Reflexion des Wesens" fortbestimmt.18 18

Mit dem Ausdruck "Wechsel des Negativen mit sich selbst" scheint Hegel kritisch an den Fichteschen Begriff einer "Wechselwirkung des Ich mit sich selbst" (Fichte (1794), 280f.) anzuknüpfen. "Es ist demnach eine Wechselbestimmung des Ich und Nicht-Ich, die, vermöge der Einheit des Subjekts, zu einer Wechselbestimmung des Ich durch sich selbst werden muß" (ebd., 326). Hegels Kritik an Fichte in der Differenzschrift richtet sich darauf, daß diese Forderung nur ein unerfüllbares Sollen bleibt (vgl. Werke 2, 68ff.). Diesen Mangel des Fichteschen IchBegriffs will Hegel in der Wissenschaft der Logik dadurch beheben, daß er die absolute Tathandlung des sich bestimmenden Ich als Moment der absoluten Reflexion reformuliert. Hegel rekonstruiert die drei unbedingten Grundsätze der Wissenschaftslehre (1. Das Ich setzt sich selbst, 2. Das Ich setzt sich selbst ein NichtIch entgegen und 3. Das Ich setzt im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen) als Momente der absoluten Reflexion, wodurch diese Grundsätze ihren

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Die nachfolgenden Bemerkungen in Z 70-73 gelten der Negationsstruktur der absoluten Reflexion im ganzen: Z 70 "Diese sich auf sich beziehende Negativität ist also das Negieren ihrer selbst. Sie ist somit überhaupt sosehr AUFGEHOBENE Negativität, als sie Negativität ist. Oder sie ist selbst das Negative und die einfache Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit. Sie besteht also darin, SIE SELBST und NICHT SIE SELBST, und zwar in EINER Einheit zu sein" (L. II., 14; 25). Die hier skizzierten Eigenschaften der absoluten Negativität liegen sowohl der setzenden als auch der voraussetzenden Reflexion zugrunde. - Die "sich auf sich beziehende Negativität" ist das "Negieren ihrer selbst". Das bedeutet, daß sie, indem sie 1. negative Beziehung auf sich oder sich negierende Selbstbeziehung ist, sich in ihrer Selbstbeziehung negieren und damit selbst aufheben muß, und indem sie 2. auch noch dies Negierte oder ihr Anderes selbst sein soll, so muß sie zugleich das sein, was sie nicht ist. "Sie ist somit überhaupt sosehr AUFGEHOBENE Negativität, als sie Negativität ist". Das Andere der Negation ist die Unmittelbarkeit. Als absolute oder selbstbezügliche Negativität ist die Negation Gleichheit mit sich und selbst Unmittelbarkeit. Und indem die sich auf sich beziehende Negativität sie selbst und das ist, was sie nicht ist, das Andere der Negativität, ist sie sowohl die Unmittelbarkeit, die sie selbst ist, als unbedingten Status verlieren. Die absolute Reflexion ist weder bloß absolut setzende Tathandlung noch bloß subjektive, äußere Reflexion, sondern die systematische Bewegung der setzenden, äußeren und bestimmenden Reflexion. Fichte revidiert in seiner Spätphilosophie seine frühere Position der absolut gesetzten Subjektivität mit Argumenten, die sich an Schellings Absolutheitsphilosophie anlehnen. Die von Fichte im Rahmen einer Privatvorlesung vorgetragene Wissenschaftslehre von 1804 entwickelt eine Theorie des Absoluten, die eine Abkehr von der Absolutsetzung des endlichen Selbstbewußtseins und der Verstandesreflexion darstellt. Während Schelling die Einheit des über das endliche Selbstbewußtsein und die Verstandesreflexion hinausgehenden Absoluten als absolute Identität denkt, charakterisiert Fichte sie als "das reine bloße Sein" (Fichte (1804), 151). Sowohl die Spätphilosophie Fichtes als auch die Identitätsphilosophie Schellings stellen das Absolute abstrakt gegen das endliche Selbstbewußtsein und den Verstand, ohne eine Brücke zwischen beiden "Sphären" zu schlagen. Das Grundmotiv dieser Philosophien ist die "Vernichtung" des Subjekts und der Reflexion. Anders bei Hegel: Die Vernunft ist für ihn nichts anderes als die Heflexion der Reflexion', die Selbstreflexion der Verstandesreflexion oder eben die "absolute Reflexion". Schelling und der späte Fichte stellen das Absolute abstrakt gegen die Subjektivität und die Reflexion. Hegel gewinnt das Absolute aus der Reflexion der Reflexion. Schelling und der späte Fichte müssen die Verstandesreflexion vernichten, um zum Absoluten zu kommen, Hegel transformiert sie, ohne sie zu eliminieren.

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auch diejenige, die sie nicht ist.is Alle Unmittelbarkeit wird also von der Bewegung der Negativität umgriffen. Z 71 "Zunächst ist die Reflexion die Bewegung des Nichts zu Nichts, somit die mit sich selbst zusammengehende Negation. Dieses Zusammengehen mit sich ist überhaupt einfache Gleichheit mit sich, die Unmittelbarkeit. Aber dies Zusammenfallen ist nicht Übergehen der Negation in die Gleichheit mit sich als in ihr ANDERSSEIN, sondern die Reflexion ist Übergehen als Aufheben des Übergehens; denn sie ist unmittelbares Zusammenfallen des Negativen MIT SICH SELBST; [...]" (L. II., 14; 25f.).

Die Reflexion ist "zunächst" - diese Einschränkung gilt nur für die "setzende Reflexion" - "die Bewegung des Nichts zu Nichts", "die mit sich selbst zusammengehende Negation" und damit "überhaupt einfache Gleichheit mit sich, die Unmittelbarkeit". Die Gleichheit mit sich oder die Unmittelbarkeit des Wesens hat ihren Grund allein in diesem "Zusammengehen mit sich" der Negation".2o Hegel wehrt sogleich ein Mißverständnis ab: Das "Zusammengehen mit sich" der Negation - Hegel spricht nun von "Zusammenfallen des Negativen MIT SICH SELBST", weil in dieser Beziehung alles gegenüber der Negation Differente wegfällt - ist nicht ein "Übergehen der Negation" in eine von ihr verschiedene Gleichheit mit sich. Denn die Gleichheit mit sich ist nichts anderes als die Beziehung der Negation auf sich selbst. Die Negation geht also nicht in die Gleichheit mit sich "als in ihr ANDERSSEIN" über, vielmehr ist in der reflektorischen Rück19

Die "sich auf sich beziehende Negativität" ist "SIE SELBST und NICHT SIE SELBST, und zwar in EINER Einheit". Sie hat also den Widerspruch als Moment in sich. Von der logischen Seite her gesehen ist die absolute Reflexion bereits selbst der sich aufhebende Widerspruch, der als logische Kategorie, d.h. als Reflexionsbestimmung, erst im 2. Kapitel der Wesenslogik abgehandelt wird. Im spekulativen Reflexionsbegriff liegt schon selbst der Widerspruch einbegriffen, den die Logik der Reflexionsbestimmungen erst entwickeln und auf den Begriff bringen soll. Insofern expliziert die Kategorie des Widerspruchs am Ende der 2. Kapitels der Wesenslogik nur, was die absolute Reflexion am Anfang der Reflexionslogik selbst schon ist. Selbstbezügliche Negativität, absolute Reflexion und Widerspruch, so wird sich zeigen, sind die Prinzipien der inneren Bewegtheit des Kategoriensystems der Wissenschaft der Logik.

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Die Metaphorik des Gehens ist für die Hegeische Logik insgesamt charakteristisch: Die Logik ist eine Theorie des Gehens von Gedanken: über das seinslogische Übergehen, das wesenslogische Zusammengehen mit sich, das Zugrunde-Gehen und Zum-Grunde-Gehen, bis zum begriffslogischen Zusammengehen der Urteilsglieder in der Kopula als das sie Vereinigende. Die Metaphorik des Gehens indessen setzt ein Kontinuum voraus, in dem fortgeschritten werden kann. Dieses Medium nennt Hegel in der allgemeinen Einteilung der Logik das "ELEMENT" des Logischen (L. L, 43; 57).

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wendung des Negativen auf sich alle Beziehung auf Anderes in Selbstbeziehung umgewendet. Die Reflexion ist "Übergehen als Aufheben des Übergehens; denn sie ist unmittelbares Zusammenfallen des Negativen MIT SICH SELBST". Sie bleibt in jeder Dimension in eigentümlicher Weise stets bei sich selbst, wenn auch die Form zu berücksichtigen sein wird, in der sie als aufgehoben gedacht werden muß. - Hegel hebt zwei Aspekte an dem soeben erläuterten "Zusammengehen mit sich" der Negation hervor, die die Reflexion als Setzen kennzeichnen: Z 72 "[...] so ist dies Zusammengehen ERSTLICH Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit; aber ZWEITENS ist diese Unmittelbarkeit die Gleichheit DES NEGATIVEN mit sich, somit die sich selbst negierende Gleichheit; die Unmittelbarkeit, die an sich das Negative, das Negative ihrer selbst ist, dies zu sein, was sie nicht ist" (L. II., 14f.; 26).

Das Zusammengehen des Negativen mit sich selbst ist 1. Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit. Doch da die Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit als die Gleichheit des Negativen mit sich besteht, ist sie auch 2. sich selbst negierende Gleichheit. Die Gleichheit mit sich ist somit in sich ungleich, denn sie ist die Gleichheit des Negativen mit sich. Es besteht also eine Differenz zwischen der Gleichheit selbst und demjenigen, wovon sie Gleichheit ist. Die Gleichheit ist die Selbstbeziehung des Negativen, dessen Beziehung auf sich, das Negative dagegen ist dasjenige, welches sich auf sich bezieht. Die Gleichheit mit sich ist nicht zu trennen von dem, was da gleich mit sich ist, oder wodurch sie zustande kommt: durch eine Beziehung des Negativen. Die Gleichheit des Negativen mit sich negiert sich also, indem sie sich herstellt. Die Unmittelbarkeit, die sich in dieser Gleichheit des Negativen mit sich ergibt, ist, insofern sie eben nur durch diese Beziehung zustande kommt, immer schon aufgehobene Unmittelbarkeit. - Indem die Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit also die der Negation ist, negiert sich diese Gleichheit oder Unmittelbarkeit. So kann Hegel die Unmittelbarkeit als "an sich das Negative, das Negative ihrer selbst" bestimmen, "dies zu sein, was sie nicht ist".21 - Mit diesen

2l

In der mit sich zusammengehenden Negation heben sich die Negation und die Unmittelbarkeit gleichermaßen unmittelbar ineinander auf. Henrich stellt daher zu Recht fest, dieser Text sei "verwirrend, weil Hegel die Eigenschaft, 'sich selbst aufzuheben', sowohl der Unmittelbarkeit als auch der Negation beilegt, ohne die logische Bedeutung dieser verschiedenen Selbstaufhebungen gegeneinander abzugrenzen" (Henrich (1978), 275).

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Ausführungen hat Hegel den Grundgedanken für die Reflexion als Setzen dargelegt. Hegels Begriff der absoluten Reflexion als Einheit von Negativität und Unmittelbarkeit ist in allen seinen Momenten Kritik an Schellings Grundlegung der Identitätsphilosophie. Schellings Position der Identitätsphilosophie ist durch drei korrespondierende Thesen gekennzeichnet, gegen die Hegels Grundoperation der Wesenslogik die Affirmation und Unmittelbarkeit als Selbstbeziehung der Negation - insgesamt gerichtet ist: 1. Das Absolute ist ein von aller Negativität unabhängiges Positives. 2. Die Selbstbeziehung des Negativen kann keine Positivität zum Resultat haben. 3. Die Negativität hat somit keine Autonomie und Selbständigkeit, wie Hegel es annimmt, sondern ist selber nichtig. Was allein unabhängigen Bestand hat, ist die absolute Affirmation, deren Ausdruck die absolute Identität ist (vgl. Schelling (1804), §§ 4, 5 sowie § 7). Damit restituiert Schelling die parmenideische These, daß nur Seiendes sei, Nichts dagegen überhaupt nicht, und fällt damit faktisch hinter die Einsicht Platons, daß nicht nur Seiendes nicht ist, sondern auch Nichtseiendes ist, zurück. Wir erkennen, so Schellings These, "daß das Nichtsein ewig unmöglich und niemals zu erkennen noch zu begreifen ist" (ebd., 155). Schelling verbindet die parmenideische These mit der von Leibniz in der Monadologie gestellten Grundfrage der ontologischen Metaphysik: "warum ist nicht nichts, warum ist etwas überhaupt" (ebd.) und beantwortet sie mit der absoluten Notwendigkeit des Seins durch seine absolute Affirmation in der intellektuellen Anschauung des Absoluten. Der antikritische, traditionelle Ontologie restaurierende Zug des absoluten Affirmatismus der Schellingschen Identitätsphilosophie leugnet alle Negativität und widerspricht sich darin als absoluter Affirmatismus selbst, daß er alle Negativität negativ setzt. Das Sein und die absolute Identität sind notwendig und affirmativ, nicht, weil das Negative negiert ist, sondern weil Erkennen absolute An-erkenntnis des Seins ist, und das Nichts, die Negativität nicht bzw. undenkbar sind. Die Logik der absoluten Reflexion ist insofern kritische Darstellung der Schellingschen Identitätsphilosophie, als sie zeigt, daß die absolute Reflexion so Affirmation und Unmittelbarkeit ist, daß diese Affirmation und Unmittelbarkeit zugleich nur ihr Moment ist. Die absolute Unabhängigkeit der Affirmation und Unmittelbarkeit vor aller Negativität erweist sich als Schein. In eins damit erfährt die ontologische Fundierung der Reflexion in Schellings Identitätsphilosophie eine Erschütterung. Die Logik der absoluten Refle-

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xion ist innere Zersetzung der Theorie des Absoluten als absoluter Ontologie. 2. Die Reflexion als Setzen: Die Konstitution der Unmittelbarkeit als Reflexion Im Kontext der Thematisierung der setzenden Reflexion führt Hegel zwecks Analyse der reflektierenden Bewegung die Hilfsterme "Rückkehr", "Rückkehren", "Rückkehr in sich", "RÜCKKEHR AUS EINEM" etc. ein: Z 73 "Die Beziehung des Negativen auf sich selbst ist also seine Rückkehr in sich; sie ist Unmittelbarkeit als das Aufheben des Negativen; aber Unmittelbarkeit schlechthin nur als diese Beziehung oder als RÜCKKEHR AUS EINEM, somit sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit" (L. II., 15; 26).

Da die "Beziehung des Negativen auf sich selbst" eine reflektorische Rückwendung des Negativen auf sich impliziert, spricht Hegel von der Selbstbeziehung des Negativen als seiner "Rückkehr in sich". Das Negative bezieht sich also dann auf sich selbst, wenn es das, was es selbst ist, in sich zurückwendet. In der Reflexion als Setzen entfaltet sich eine Dialektik, in der sich Negation und Unmittelbarkeit gleichermaßen ineinander aufheben: Die Rückkehr des Negativen in sich selbst ist Unmittelbarkeit als "Aufheben des Negativen". Umgekehrt ist aber die Rückkehr des Negativen in sich auch Beziehung des Negativen und die Unmittelbarkeit nur als diese Beziehung; indem sie so nur als "RÜCKKEHR AUS EINEM" oder durch ihre Negation ist, hebt sie sich selbst auf. Sie ist Unmittelbarkeit nur als "sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit". In der Rückkehr des Negativen in sich tritt also die Unmittelbarkeit als "Aufheben des Negativen" ein, die, insofern sie nur durch diese Beziehung des Negativen oder als "RÜCKKEHR AUS EINEM" ist, zugleich "sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit" ist. Diese Unmittelbarkeit nennt Hegel das "GESETZTSEIN" (Z 74), das Negative der Rückkehr in sich als Negatives: Z 74 "- Dies ist das GESETZTSEIN, die Unmittelbarkeit rein nur als BESTIMMTHEIT oder als sich reflektierend" (L. II., 15; 26).

Der Begriff des Gesetztseins bezeichnet die durch die Reflexion des Wesens konstituierte Unmittelbarkeit, die, weil sie doch nur rein durch die Reflexion hervorgebrachte Unmittelbarkeit des Wesens ist,

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

"rein nur als BESTIMMTHEIT oder als sich reflektierend" zu begreifen ist. Das Gesetztsein ist also die Unmittelbarkeit, die im selben Maße, wie sie Unmittelbarkeit ist, sich selbst negierende Gleichheit oder Unmittelbarkeit ist. Die gesetzte Unmittelbarkeit ist "sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit" oder die "Unmittelbarkeit [...] als sich reflektierend". Sie ist so das Andere ihrer selbst. Als Gesetztsein ist die Unmittelbarkeit und ist zugleich aufgehoben, und zwar ist sie kraft ihres Gesetztseins durch sich selbst aufgehoben bzw. sich selbst aufhebend. Die Reflexion ist also Unmittelbarkeit, indem diese zugleich nur ein Moment eben dieser Reflexion ist. Die Begriffe "Gesetztsein" oder "Reflektiertsein" sind normalerweise Gegenbegriffe zum Begriff der Unmittelbarkeit. Tritt die Unmittelbarkeit in der Reflexion des Wesens als Gesetztsein hervor, so ist sie dasselbe, was der Schein ist, von dem die Reflexion anzuheben schien: Z 75 "Diese Unmittelbarkeit, die nur als RÜCKKEHR des Negativen in sich ist, ist jene Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheit des Scheins ausmacht und von der vorhin die reflektierende Bewegung anzufangen schien. Statt von dieser Unmittelbarkeit anfangen zu können, ist diese vielmehr erst als die Rückkehr oder als die Reflexion selbst. Die Reflexion ist also die Bewegung, die, indem sie die Rückkehr ist, erst darin das ist, das anfangt oder das zurückkehrt" (L. II., 15; 26). Die Unmittelbarkeit, die sich als "RÜCKKEHR des Negativen in sich" ergibt, ist zugleich die Bestimmtheit des Scheins, "von der vorhin die reflektierende Bewegung anzufangen schien". Doch ist die Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheit des Scheins ausmacht, kein Anfang, von dem die reflektierende Bewegung anfangen kann, da sie nur als Rückkehr hervorkommt. Die Reflexion ist also eine Bewegung, die ihren eigenen Ausgang, die Unmittelbarkeit des Scheins, als Rückkehr setzt, und "erst darin das ist, das anfängt oder das zurückkehrt". Die Reflexion hat ihren Anfang nur im Rückkehren. Die gesetzte Unmittelbarkeit ist der Schein, der in seinem Auftauchen auch schon wieder in die Reflexion verschwindet. Soll der Schein des Anfangs aus der Reflexion des Wesens wirklich wiederhergestellt werden, so muß Hegel zeigen, wie die gesetzte Unmittelbarkeit auch vorausgesetzt sein kann, so daß sie zumindest den Anschein einer Unabhängigkeit gegen das Wesen erweckt. Nach dem bisher Entwickelten ist die Reflexion zunächst Setzen: Z 76 "Sie ist SETZEN, insofern sie die Unmittelbarkeit als ein Rückkehren ist; es ist nämlich nicht ein Anderes vorhanden, weder ein solches,

§3 Die Logik der Reflexion

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aus dem sie, noch in das sie zurückkehrte; sie ist also nur als Rückkehren oder als das Negative ihrer selbst" (L. II., 15; 26). Die Reflexion ist Setzen, "insofern sie die Unmittelbarkeit als ein Rückkehren ist". Hegel charakterisiert hier das Setzen, indem er auf die Weise reflektiert, in der die Unmittelbarkeit, das Andere der Reflexion, aus der Reflexion des Wesens hervorgeht. Die Reflexion ist Setzen, indem sie sich selbst als Unmittelbarkeit, ihr Anderes, setzt.22 In seiner Rückkehr wendet sich das Negative in sein Anderes, die Unmittelbarkeit, um. Die Reflexion als Setzen unterscheidet sich nicht von der Bewegung von Nichts zu Nichts, die dadurch zu sich selbst zurückkehrt. Denn auch in der setzenden Reflexion ist kein Anderes im seinslogischen Sinne vorhanden. Die scheinende Bewegung des Wesens ist ja überhaupt die in sich umgewendete, "internalisierte Andersheit" (Schubert (1985), 53). Sie ist weder Rückkehr aus einem Anderen noch in ein Anderes. Dennoch ist Andersheit in dieser Rückkehr impliziert. Die Reflexion ist als Rückkehr in sich die Unmittelbarkeit und damit das Andere bzw. "das Negative ihrer selbst". Im Setzen setzt also die Reflexion ihre eigene Unmittelbarkeit, insofern sie dies "Andere" ihrer selbst als durch den Akt der Rückkehr generiert. Insofern sich die Reflexion als Setzen selbst als Unmittelbarkeit setzt, hat sie allerdings noch kein Verhältnis zu sich selbst. Unter dem Titel "Setzen" thematisiert Hegel die spezifische Bestimmungsweise des Wesens. In der Seinslogik scheint der kategoriale Bestimmungsprozeß eine Veränderung der ontologischen Bestimmungen selbst zu sein, eine Veränderung, die sich unabhängig vom Reflexionsprozeß wie von selbst einstellt. Für diesen Prozeß steht der Ausdruck "Übergehen". In der Seinslogik liegt der logische Bestimmungsprozeß noch unerkannt vor. Es kann der Konstitutionsprozeß der Denkbestimmungen noch nicht als solcher begriffen werden. Die Hervorbringungen des logischen Prozesses scheinen sich daher wie von selbst zu ergeben, aus sich selbst 'hervor'-zu- 'gehen': "In der Sphäre des Seins GEHT das Dasein aus dem Werden nur HERVOR, oder mit dem Etwas ist ein Anderes, mit dem Endlichen das Unendliche gesetzt, aber das Endliche bringt das Unendliche nicht hervor, SETZT dasselbe nicht" (L. L, 109; 130f.). 22

Um das Verhältnis von Reflexion und Unmittelbarkeit in der Reflexion als Setzen zu begreifen, sei an dieser Stelle daran erinnert, daß Unmittelbarkeit, und zwar jede überhaupt mögliche, nur ist, was sie ist, als das gegenüber der NegationAndere. (vgl. Theunissen (1978), 378).

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

In der Seinslogik stellt sich die dialektische Bewegung als ein "Werden" und "Übergehen" von einer Kategorie zur anderen dar. Zwar ist auch die Bewegungsweise der Bestimmungen der Seinslogik ein Bewegtsein. Aber: "Die Form der Beziehung ist im Sein nur erst unsere Reflexion" (Enz. § 111 Zus.). Es ist unsere Reflexion, die die ontologischen Bestimmungen bestimmt, so daß sie ineinander übergehen. Doch scheint diese Reflexion in der Seinslogik eine Veränderung der Bestimmungen selbst zu sein unabhängig von aller Reflexion, eben weil die Reflexion als solche noch nicht gesetzt ist, - 'an sich' ist sie aber von Anfang an impliziert und ist das heimliche Movens des Werdens und Übergehens, der dialektischen Bewegung des Seins. Die Seinslogik bleibt noch dem gegenständlichen Denken der traditionellen Ontplogie verhaftet, die den kategorialen Bestimmungsprozeß nur als Übergehen von einer zur anderen Bestimmung an Unmittelbarem kennt. So verläßt die Seinslogik nicht die ontologische Sphäre der Gegenständlichkeit. In der Seinslogik haben die Kategorien den Status unmittelbarer Gegebenheiten. Erst in der Wesenslogik ist den Kategorien die Reflexion und Beziehung immanent. Die "Beziehung" ist in der Wesenslogik nicht wie in der Seinslogik eine durch Übergehen, sondern eine durch "Setzen" verursachte Bewegung. Hier ist etwas nur dadurch, daß es gesetzt ist. Aber indem es nur als Gesetztes ist, kann es in keiner Weise als ontologisch Selbständiges und Gegenständliches begriffen werden. Das Wesen in seiner Negativität bedeutet überhaupt das Aufgehoben sein der ontologischen Selbständigkeit und Unmittelbarkeit. Die Sphäre der Wesenslogik ist nicht mehr die Sphäre der ontologischen Bestimmungen in ihrer Unmittelbarkeit, sondern die Sphäre der scheinenden Bewegung der Reflexion, die Sphäre der absoluten Relationalität. Aus der Perspektive der Wesenslogik werden dann die ontologischen Bestimmungen des Seins in kategorial transformierter Form als Momente der Beziehungskategorien reformuliert und rekonstruiert. 3. Die Reflexion als Voraussetzen: Die Restitution der Unmittelbarkeit gegen die Reflexion Hegel benennt sogleich das spezifisch Neue des Voraussetzens gegenüber dem bloßen Setzen:

§3 Die Logik der Reflexion

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Z 77 "Aber ferner ist diese Unmittelbarkeit die aufgehobene Negation und die aufgehobene Rückkehr in sich" (L. II., 15; 26).

Als Setzen ist die Reflexion die Unmittelbarkeit als Rückkehr in sich. Die gesetzte Unmittelbarkeit, also die Unmittelbarkeit, als die sich die Reflexion selbst setzt, kommt nur durch die Beziehung des Negativen zustande. In ihrer Selbstbeziehung, die zugleich negative Beziehung auf sich ist, hebt sich die Negation in diesem Rückkehren aber selbst auf; damit ist "diese Unmittelbarkeit die aufgehobene Negation oder die aufgehobene Rückkehr in sich". Damit hat sich für die Unmittelbarkeit in der Reflexion Neues ergeben. Z 78 "Die Reflexion ist als Aufheben des Negativen Aufheben IHRES ANDEREN, der Unmittelbarkeit" (L. II., 15; 26).

Mit diesem Satz faßt Hegel nochmals die Analyse des Setzens zusammen, um die Unmittelbarkeit des Voraussetzens von der des Setzens abzuheben: Die Rückkehr des Negativen in sich ist "Aufheben des Negativen" (vgl. auch Z 73) und damit Setzen der Unmittelbarkeit. Die Unmittelbarkeit ist als das Gesetzte der Reflexion das bloß Andere, das überhaupt nur als das Negative der Rückkehr in sich zu fassen ist. Durch eben dieses Aufheben des Negativen, durch das die Unmittelbarkeit zustande kommt, hebt sich die gesetzte Unmittelbarkeit auch selbst auf. Sie ist, wie Hegel in Z 72 sagt, "als Rückkehr nur das Negative ihrer selbst, nur dies, nicht Unmittelbarkeit zu sein". Die beiden Implikationen des Setzens werden also in Z 78 nochmals in einem Satz ausgesprochen: Die Reflexion ist als "Aufheben des Negativen" Setzen der Unmittelbarkeit und damit zugleich das "Aufheben IHRES ANDEREN, der Unmittelbarkeit". Die gesetzte Unmittelbarkeit ist nur in dem Sinne das Andere der Reflexion als sie zugleich sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit ist. Diese Unmittelbarkeit ist nichts als das Negative der Reflexion, das Residuum des bloßen Setzens. Z 79 "Indem sie also die Unmittelbarkeit als ein Rückkehren, Zusammengehen des Negativen mit sich selbst ist, so ist sie ebenso Negation des Negativen als des Negativen. So ist sie VORAUSSETZEN" (L. II., 15; 26).

Als Setzen ist die Reflexion "die Unmittelbarkeit als ein Rückkehren" (Z 76). Durch eben dieses Rückkehren des Negativen hebt sich aber die Unmittelbarkeit im selben Moment, in dem sie gesetzt ist, auch selbst auf. Doch die Reflexion ist in ihrem Rückkehren eben "Zusammengehen des Negativen mit sich selbst" und damit "ebenso Negation des Negativen als des Negativen". So entwickelt sich die

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

setzende Reflexion zur voraussetzenden. Was dabei geschieht, bezeichnet Hegel mit dem Ausdruck "Negation des Negativen als des Negativen", d.h. als des bloß Gesetzten. Fassen wir nochmals den Gedanken ins Auge, der vom Setzen zum Voraussetzen überleitet: Die Reflexion ist Setzen, indem sie sich selbst als Unmittelbarkeit setzt. Die setzende Reflexion ist aber diese Unmittelbarkeit nur als sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit. Das Setzen, das seine eigene Unmittelbarkeit aufhebt, ist so zugleich Voraussetzen einer Unmittelbarkeit. Wesentlich an diesem Gedanken ist, daß Setzen und Voraussetzen nur Funktionen des einen "Zusammengehens der Negation mit sich selbst" sind. Als Voraussetzen läßt die Reflexion der Unmittelbarkeit eine nicht nur phantasmagorische Selbständigkeit zuwachsen. Mithin ist die Unmittelbarkeit nicht mehr bloße Bestimmtheit oder sich reflektierend, sondern unabhängig und in stärkerem Sinne ein Anderes der Reflexion als das ursprünglich Gesetzte. Die Unmittelbarkeit bleibt zwar ein Gesetztsein, aber nicht mehr ein bloßes Gesetztsein, denn sie ist als unabhängig gesetzt. Ihre Eigenschaft, das bloß Negative zu sein, wurde von der Negation negiert. Das Gesetztsein ist nicht mehr nur das Negative der Rückkehr in sich. Es ist als Negatives selbst negiert. Es ist als unabhängig gesetzt, voraus-gesetzt. Während sich in der Reflexion als Setzen die Unmittelbarkeit nur als "Rückkehr" konstituierte, kommt es im Voraussetzen zur rückläufigen Restitution der Unmittelbarkeit gegen die Reflexion. Der Übergang vom Setzen zum Voraussetzen stellt als der "EINFACHE PUNKT DER NEGATIVEN BEZIEHUNG auf sich", wie Hegel im "Methodenkapitel" sagt, den "WENDUNGSPUNKT der Bewegung" (L. II., 496; 563) dar, insofern hier einerseits deutlich wird, daß die Unmittelbarkeit sich nur als Reflexion konstituiert, mithin nur ein Moment der Reflexion ist, und andererseits die Frage nach der rückläufigen Restitution der Unmittelbarkeit gegen die Reflexion gestellt wird (vgl. auch Schubert (1985), 59).23 23

Der Gedanke, daß sich in der "Rückkehr" der Reflexion Unmittelbarkeit restituiert, ist die logische Fassung der erkenntnistheoretischen These in der Phänomenologie des Geistes, derzufolge die "UMKEHRUNG DES BEWUSSTSEINS" (Phän., 74; 79) die Abfolge der Bewußtseinsgestalten durch eine Veränderung der Gegenstände leistet. Als Bewußtseinsumkehrung bezeichnet Hegel in der Phänomenologie des Geistes die Abwendung des Bewußtseins von seinem ursprünglichen Gegenstand in seiner Rückwendung auf sich und die dadurch erfolgte Konstitution des neuen Gegenstandes. Was aber im spekulativen Reflexionsbegriff zur Debatte steht, ist nicht das konkrete Verhältnis des reflektierenden Subjekts zu seinem Gegenstand und zu sich selbst, sondern dasselbe als generelles Ver-

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Z 80 "- Oder die Unmittelbarkeit ist als Rückkehren nur das Negative ihrer selbst, nur dies, nicht Unmittelbarkeit zu sein; aber die Reflexion ist das Aufheben des Negativen seiner selbst, sie ist Zusammengehen mit sich; sie hebt also ihr Setzen auf, und indem sie das Aufheben des Setzens in ihrem Setzen ist, ist sie Voraussetzen" (L. II., 15; 26f.)-

Dieser Satz wird eingeleitet mit "oder"; offenbar wird der Übergang vom Setzen zum Voraussetzen noch einmal auf andere Weise erläutert als zuvor: Die gesetzte Unmittelbarkeit "ist als Rückkehren nur das Negative ihrer selbst", so daß Hegel sagen kann, sie ist "nur dies, nicht Unmittelbarkeit zu sein". Aber die Reflexion ist auch "das Aufheben des Negativen seiner selbst", d.h. der bloß gesetzten, sich selbst aufhebenden Unmittelbarkeit. Sie ist als das Zusammengehen der Negation mit sich selbst zugleich die Unmittelbarkeit als "die aufgehobene Negation und die aufgehobende Rückkehr in sich" (Z 77). Denn die Negation ist in ihrem Zusammengehen mit sich zugleich ebenso Negation des Negativen als des Negativen. Sie hebt damit die Bestimmtheit der Unmittelbarkeit auf, das bloß Negative der Reflexion zu sein. Die Reflexion hebt das Setzen auf. Aber sie beseitigt das Setzen nicht schlechthin, denn sie hebt in ihrem Setzen das Setzen auf. Das Gesetzte ist jetzt als unabhängig gegen das Setzen gesetzt. Sie ist voraussetzende Reflexion. Voraussetzen ist also ein Setzen, das im Setzen das Setzen aufhebt. Voraussetzen ist demnach ein abkünftiger Modus von Setzen. In diesem Sinne ist die Reflexion voraussetzende Reflexion. Die "SETZENDE REFLEXION" hat sich in die beiden Momente "Setzen" und "Voraussetzen" ausdifferenziert. Gleichwohl sind Setzen und Voraussetzen in unmittelbarer Einheit zu denken: Das vorausgesetzte, unabhängige Unmittelbare ist nur, insofern es durch die Reflexion als solches gesetzt ist. 4. Die Einheit von Setzen und Voraussetzen als absoluter Gegenstoß in sich selbst: Kritik der ontologischen Fundierung der Reflexion Z 81 "- In dem Voraussetzen [das zugleich Setzen ist, d.V.] bestimmt die Reflexion die Rückkehr in sich [die sie selbst ist, d.V.] als das Negative hältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung in der "Reflexion überhaupt" (L. ., 19; 30f.).

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

ihrer selbst [als vorausgesetzte Unmittelbarkeit, d.V.], als dasjenige, desssen Aufheben [weil gesetzt, d.V.] das Wesen ist. Es ist sein Verhalten zu sich selbst, aber zu sich als dem Negativen seiner; nur so ist es die insichbleibende, sich auf sich beziehende Negativität" (L. II., 15; 27).

Im Voraussetzen setzt die Reflexion sich selbst als ihr Anderes voraus. Das vorausgesetzte Unmittelbare ist also von der Reflexion des Wesens nicht unterschieden, denn es ist ja selbst als die "Rückkehr in sich" bestimmt, die sich, weil gesetzt, an sich selbst aufhebt. Das Negative der Reflexion, das Vorausgesetzte, ist also das Wesen selbst, aber nur insofern es im Wesen zugleich aufgehoben ist. Im Aufheben seines Anderen, das es selbst ist, und das aus ihm als vorausgesetztes Negatives hervorgeht, verhält sich das Wesen zu sich selbst. Das Voraussetzen des Wesen ist sein Verhalten zu sich selbst, "aber zu sich als dem Negativen seiner", denn die Negativität soll ja ebensosehr aufgehobene Negativität sein, als sie Negativität ist (vgl. Z 70). Keineswegs ist im Voraussetzen alle Negation "entfallen", wie Frank im Anschluß an Henrich aus dem Ausdruck "Negation des Negativen als des Negativen" (Z 79) folgert.2* Das Voraussetzen weist selbst die Struktur der Negativität auf, denn es kommt ja überhaupt nur durch "das Zusammengehen des Negativen mit sich selbst" (Z 79) zustande. Auch wenn im Zusammengehen der Negation mit sich selbst das Negative als Negatives negiert wird, ist keineswegs die Negativität überhaupt negiert, denn es ist ja die Negation, die in ihrer Selbstbeziehung das Negative als Negatives negiert. Frank, der mit Schelling gegen Hegel die ontologische Fundierung der Reflexion einklagt, ist der Auffassung, daß selbst Hegels Logik der Reflexion die Abhängigkeit der Negativität von ihrem Anderen, der Unmittelbarkeit, dokumentiert: "Mit der Selbstdurchstreichung der Negation fallt dann aber auch die Ermöglichungsbedingung weg, auf Grund deren sich die Unmittelbarkeit [...] allererst ergeben konnte" (Frank (1975), 46).

Und noch nachdrücklicher hebt er an anderer Stelle die vermeintliche 'Uneinholbarkeit' der Voraussetzung hervor: "Ohne auf ein rein Unmittelbares sich zu beziehen, für dessen Bestand sie [die Reflexion, d.V.] sich nicht als Urheber weiß, höbe die doppelte Nega24

"Er [dieser Ausdruck, d.V.J muß unter allen Umständen meinen, daß die Negation sich in der Selbstbeziehung eliminiert" (Henrich (1978), 278) und so "alle negativen Verhältnisse wegfallen" (ebd., 277). Tatsächlich aber sind die negativen Verhältnisse im Voraussetzen nur scheinbar entfallen.

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tion absolut sich auf. Ein anderer Ausdruck für diesen Sachverhalt ist, daß die selbstbezügliche Negation nur unter Voraussetzung eines von selbstreferentieller Negation Unabhängigen stattfinden kann" ( ebd., 50).

Die Interpretation mißversteht überhaupt die logische Struktur der Negativität auch des Voraussetzens. Ausdrücklich hebt Hegel hervor, daß die Reflexion erst als Einheit des Setzens mit dem Voraussetzen als "die insichbleibende, sich auf sich beziehende Negativität" gesetzt ist. Die Einheit von Setzen und Voraussetzen ist nichts anderes als der Wechsel des Negativen mit sich selbst, der zwar die "Negation des Negativen als des Negativen" (Z 79) impliziert, aber eben als Negativität. Die Absicht des Abschnitts über die "setzende Reflexion" ist es, die letzten Reste des Scheins eines von Negativität unabhängigen und insofern positiven Seins, wie sie in Gestalt des Scheins einer Voraussetzung noch zu sehen sind, aufzulösen. Diesem Nachweis gelten die nun folgenden Ausführungen Hegels. Fassen wir zunächst die Negation s Struktur des Setzens und Voraussetzens zusammen: Die Negationsstruktur des Setzens: Die Rückkehr des Negativen ist Setzen der Unmittelbarkeit. Die gesetzte Unmittelbarkeit, also die Unmittelbarkeit, als die sich die Reflexion oder das Negative selbst setzt, ist sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit, weil sie nur das Negative der Rückkehr in sich ist. Die Negationsstruktur des Voraussetzens ergibt sich aus der des Setzens: Als Rückkehr in sich ist die Negation "Zusammengehen mit sich" und so zugleich "Negation des Negativen als des Negativen" (Z 79). So ist sie die Unmittelbarkeit als "die aufgehobene Negation und die aufgehobene Rückkehr in sich" (Z 77). Im Voraussetzen bestimmt die Negation ihre eigene Selbstbeziehung ("Rückkehr in sich" (Z 81)) als das Negative ihrer selbst, die sich als negative Beziehung auf sich an sich selbst aufhebt: Setzen. Im Voraussetzen also setzt sich die Negativität selbst als aufgehoben, derart, daß sie sich in ihr Anderes, das aus ihr hervorgeht, hineinversetzt, welches dann seinerseits an sich selbst aufgehoben ist. Die Negativität setzt sich in ihrer Selbstaufhebung selbst voraus und bestimmt sich als eine, die aus ihrer Voraussetzung wiederum hervorgeht. Nur so ist das Wesen "die insichbleibende, sich auf sich beziehende Negativität" (Z 81). Erst mit dem Voraussetzen ist ein Stadium der Reflexion erreicht, in welchem das Wesen sich zu sich selbst verhalten kann. Die Reflexion als Setzen hatte kein eigentliches Verhalten zu sich selbst zugelassen aufgrund des Charakters der Unmittelbarkeit ihrer Rückkehr in sich. Im Voraussetzen setzt sich die Reflexion zu sich selbst

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in Differenz, indem sie sich selbst als Unmittelbarkeit voraussetzt, die in der Einheit der Reflexion zugleich aufgehoben ist. Da die Reflexion in ihrem Voraussetzen auch Setzen ist, ist die von ihr vorausgesetzte Unmittelbarkeit, weil gesetzt, auch aufgehobene Unmittelbarkeit. Vor diesem Hintergrund der Analyse der setzenden Reflexion zeigt sich, daß Setzen und Voraussetzen nur Momente der absoluten Reflexion sind. Zum zweitenmal innerhalb des Abschnitts über die setzende Reflexion thematisiert Hegel den "Schein des Anfangs" (Z 82), nun aber im Kontext der voraussetzenden Reflexion: Z 82 "Die Unmittelbarkeit kommt überhaupt nur als Rückkehr hervor und ist dasjenige Negative, welches der Schein des Anfangs ist, der durch die Rückkehr negiert wird" (L. II., 15; 27).

In der voraussetzenden Reflexion wird der "Schein des Anfangs" aus dem Wesen selbst restituiert. Am Anfang der Entwicklung des Wesens war der Schein ein schlechthin Nichtiges, ein Negatives gegen das Wesen, das an sich selbst immer schon negiert war. Gleichwohl weist der Schein dank seiner Unmittelbarkeit eine unabhängige Seite gegen das Wesen auf. Wird der Schein in dieser Form aus dem Wesen wiederhergestellt, so zeigt sich, daß er selbst als Wesen gedacht werden muß, denn im Voraussetzen setzt das Wesen sich selbst voraus. Als gesetzte Unmittelbarkeit kommt der Schein aus dem Wesen nur so hervor, daß er unmittelbar in seinem Auftauchen auch wieder ins Wesen verschwindet. Als vorausgesetzte Unmittelbarkeit hat er auch das an sich, was eine unabhängige Seite gegen das Wesen genannt wurde. Doch dieser Anschein der Unabhängigkeit der Unmittelbarkeit des Scheins gegen das Wesen ist nun durch das Wesen selbst produziert, und zwar insofern, als sich im Schein das Wesen als sich selbst für sich selbst voraussetzt. Der Schein hat sich damit auch in seinem Anschein der wesensunabhängigen Unmittelbarkeit als logische Vollzugsform der Reflexion des Wesens erwiesen. Hegel faßt nun die mit dem "Voraussetzen" entstandene Bewegung der Reflexion zusammen: Z 83 "Die Rückkehr des Wesens ist somit sein Sich-Abstoßen von sich selbst. Oder die Reflexion-in-sich ist wesentlich das Voraussetzen dessen, aus dem sie die Rückkehr ist" (L. II., 15f.; 27).

Die "Rückkehr des Wesens" vollzieht sich als "Wechsel des Negativen mit sich selbst" (Z 69) über drei Stadien: Stadium 1: Die Rückkehr des Wesens ist zugleich sein Sich-Abstoßen von sich selbst und damit das Voraussetzen der Unmittelbarkeit. Das Setzen ist zugleich

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Voraussetzen. Stadium 2: Das vorausgesetzte Unmittelbare. Stadium 3: Die Rückkehr aus dem vorausgesetzten Unmittelbaren. Das Voraussetzen ist ein Setzen. Das Wesen stößt sich in seiner Bewegung von sich selbst ab. Die Reflexion des Wesens ist mit einem plötzlichen Aus-sich-Heraustreten verbunden. Sie projiziert gleichsam ihre eigenen Reflexionsstrukturen in eine scheinbar reflexionsunabhängige Sphäre, aus der sie dann wieder zurückkehren. Die Verdoppelung und Vergegenständlichung der Reflexion ist ein notwendiger Charakterzug der Reflexion. In negationstheoretischer Hinsicht stellen sich die drei Stadien der reflektierenden Bewegung des Wesens folgendermaßen dar: Stadium 1: Die Rückkehr des Negativen in sich ist Beziehung des Negativen: Die Reflexion ist Setzen. Das Gesetztsein ist das Negative der Rückkehr in sich aZs Negatives. Dann erweist sich, daß die Negation in ihrer Rückkehr ja Zusammengehen mit sich ist und somit Negation des Negativen als des Negativen. Das Setzen ist Voraussetzen. Stadium 2: Im Voraussetzen setzt sich die sich auf sich beziehende Negation in ihrer Selbstaufhebung selbst voraus. Stadium 3: Die vorausgesetzte sich auf sich beziehende Negation ist ihrerseits Negation des Negativen als des Negativen. So hebt sich die vorausgesetzte sich auf sich beziehende Negation selbst auf. Sie erweist sich als Gesetztsein einer sich auf sich beziehenden Negation. Das Voraussetzen ist ein Setzen. - Das Wesen und seine Voraussetzung sind jeweils nur verschiedene Fälle selbstbezüglicher doppelter Negation, die sich unmittelbar ineinander aufheben. In der nun folgenden Textpassage geht es Hegel um die Analyse der verschiedenen Aspekte der Einheit von Setzen und Voraussetzen, die notwendig den Schein einer ontologischen Fundierung des Wesens erzeugen: Z 84 "Es ist das Aufheben seiner Gleichheit mit sich, wodurch das Wesen erst die Gleichheit mit sich ist. Es setzt sich selbst voraus, und das Aufheben dieser Voraussetzung ist es selbst; umgekehrt ist dies Aufheben seiner Voraussetzung die Voraussetzung selbst" (L. II., 16; 27).

Hegel geht hier von dem erreichten Stand der Reflexionsbewegung aus und nimmt das in den Blick, was sich unmittelbar daraus ergeben hat: Im "Aufheben seiner Gleichheit mit sich" (vgl. Z 83: "Die Rückkehr des Wesens ist somit sein Sich-Abstoßen von sich selbst" (Stadium 1)) setzt das Wesen sich selbst voraus. Das als unabhängig gesetzte Unmittelbare ist das Wesen selbst, denn dieses "setzt sich selbst voraus". Im Voraussetzen kommt es zur Verdoppelung der Reflexion (Stadium 2). Das "Aufheben dieser Voraussetzung", die Rück-

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kehr des Wesens aus seiner Voraussetzung, "ist es selbst" (Stadium 3). Das vorausgesetzte Andere des Wesens ist also das Wesen selbst, aber nur insofern, als es im Wesen zugleich aufgehoben ist. Wurde bisher betont, daß das Voraussetzen auch ein Setzen ist, und die Unmittelbarkeit, die als unabhängig gesetzt, sofern gesetzt, auch aufgehobene Unmittelbarkeit ist, so wendet Hegel jetzt den Gedanken "umgekehrt" dahin, daß das Setzen auch ein Voraussetzen ist, daß "dies Aufheben seiner [des Wesens, d.V.] Voraussetzung [im Akte des Setzens, d.V.]" auch "die Voraussetzung selbst" ist. So ist das Wesen abhängig davon oder hat darin eine "Voraussetzung" und Bedingung, daß es seine Voraussetzung aufheben muß. Konnte bisher gesagt werden, daß alles Setzen ein Voraussetzen und alles Voraussetzen ein Setzen ist, so daß alle vorausgesetzte Unmittelbarkeit auf jeden Fall auch aufgehoben ist, so muß jetzt gesagt werden, daß, wenn einmal die Unmittelbarkeit als unabhängig gesetzt ist, die Reflexion sich auf sie als ein ihr Vorausliegendes wenden muß, so daß sich die vorausgesetzte Unmittelbarkeit in einem Aspekt tatsächlich als selbständiger Ausgang für die Reflexion präsentiert. Es entsteht notwendig der Schein, als habe die Reflexion in einem von ihr vorgefundenen Unmittelbaren ihr ontologisches Fundament (Hegel fixiert hier also Stadium 2): Z 85 "- Die Reflexion also FINDET ein Unmittelbares VOR, über das sie hinausgeht und aus dem sie die Rückkehr ist. Aber diese Rückkehr ist erst das Voraussetzen des Vorgefundenen. Dies Vorgefundene WIRD nur darin, daß es VERLASSEN wird; seine Unmittelbarkeit ist die aufgehobene Unmittelbarkeit" (L. II., 16; 27).

Die Reflexion findet ein Unmittelbares vor, d.h. etwas, dessen Gestalt von der Reflexion anscheinend unabhängig ist. Von diesem vorgefundenen Unmittelbaren anfangend und über es hinausgehend ist die Reflexion "Rückkehr". Aber die Reflexion, die das Unmittelbare vorfindet, impliziert die Reflexion, durch die das Vorgefundene gesetzt und konstituiert worden ist. Das Vorgefundene erhält seine Struktur allein durch die Reflexion (Stadium 2 (Voraussetzen) impliziert Stadium l (Setzen)). Der Charakter der Reflexionsunabhängigkeit des Vorgefundenen ist also ein Schein, der von der Reflexion selbst hervorgebracht wird. Die vorgefundene Unmittelbarkeit ist also - von höherer Warte betrachtet - aufgehoben (Stadium 3 (Rückkehr des Wesens)). Nachdem Hegel sich vorher der Implikation des Voraussetzens durch das Setzen versichert hat, betont er hier die Implikation des Setzens durch das Voraussetzen. Weil Stadium 2 (Voraussetzen) Stadium l (Setzen) impliziert, ist Stadium 3 (Rück-

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kehr des Wesens) immer schon eingetreten. Hegel kann also auch im Ausgang vom Begriff der vorausgesetzten Unmittelbarkeit die Einheit des Setzens und Voraussetzens begründen. Das Vorfinden eines Unmittelbaren ist nur ein Moment der reflektierenden Bewegung. Das vorausgesetzte Unmittelbare ist nur scheinbar einfache Unmittelbarkeit und ontologisches Fundament der Reflexion. Fest steht vielmehr, daß es als solches Gesetztsein ist und daher je schon von der Reflexion gestaltet und aufgehoben ist. Ist die vorausgesetzte Unmittelbarkeit aber immer schon "aufgehobene Unmittelbarkeit", so ist ihr Aufgeh oben s ei n im Wesen, welches aus ihrem Gesetztsein folgt, Rückkehr des Wesens in sich: Z 86 "- Die aufgehobene Unmittelbarkeit umgekehrt ist die Rückkehr in sich, das ANKOMMEN des Wesens bei sich, das einfache sich selbst gleiche Sein" (L. II., 16; 27).

Im Verlauf über die drei dargestellten Stadien kehrt das Wesen in seiner reflektierenden Bewegung zu sich selbst zurück. Hegel spricht hier vom "ANKOMMEN des Wesens bei sich". Das "ANKOMMEN des Wesens bei sich" ist die hergestellte Einheit der Reflexion als Setzen und Voraussetzen, die Hegel als "das einfache sich selbst gleiche Sein" bezeichnet. Es könnte nun der Eindruck entstehen, als hätte hier das Wesen wiederum eine ontologische Fundierung gewonnen, die sich als "Grund der dialektischen Selbstbegegnung" (Frank (1975), 54) der Reflexion dieser letztlich entzieht. Doch dieser Schein löst sich zugleich auf, indem deutlich wird, daß die Bewegung des Ankommens bei sich, durch die das einfache, sich selbst gleiche Sein zustande kommt, nur das Sich-von-sich-selbst-Abstoßen der Reflexion ist, durch die das einfache, sich selbst gleiche Sein zu einem flüchtigen Moment der ganzen Bewegung herabgesetzt wird. Ein weiteres Mal erfährt die ontologische Fundierung der Reflexion durch die reflektierende Bewegung des Wesens eine Kritik. Die Einheit von Setzen und Voraussetzen faßt Hegel nun als Wechsel von Ankommen und Abstoßen, die jedes ontologische Fundament der Reflexion in sich erschüttert: Z 87 "Damit ist dieses Ankommen bei sich das Aufheben seiner und die [sich] von sich selbst abstoßende, voraussetzende Reflexion, und ihr Abstoßen von sich ist das Ankommen bei sich selbst" (L. II., 16; 27).

Das "Ankommen bei sich" manifestiert sich nur darin, daß es "das Aufheben seiner und die [sich] von sich selbst abstoßende, voraussetzende Reflexion" ist. Das bedeutet umgekehrt soviel, daß das Abstoßen von sich dadurch, daß es gleichfalls Aufheben seiner selbst ist,

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

"das Ankommen bei sich selbst" ist. Die "[sich] von sich selbst abstoßende, voraussetzende Reflexion" ist also "das Ankommen bei sich selbst", denn sie hebt sich selbst auf, weil sie im Abstoßen von sich immer schon auf sich selbst zurückgestoßen ist. Die ontologiekritische Stoßrichtung dieses Gedankens bringt Schubert auf den Begriff, wenn er sagt: "Das Sein der Reflexion ist das sich selbst aufhebende Sein, und nur die Aufhebung des Seins ist das Sein der Reflexion" (Schubert (1985), 60): Z 88 "Die reflektierende Bewegung ist somit nach dem Betrachteten als ABSOLUTER GEGENSTOSS in sich selbst zu nehmen" (L. II., 16; 27).

Die Einheit von Setzen und Voraussetzen wird auf den jede Ontologisierung der Reflexion abweisenden Begriff des absoluten Gegenstoßes in sich selbst gebracht. Mit dieser paradoxen Formel macht Hegel den Versuch, die gleichzeitig vorhandenen, aber in sich gegenläufigen Bewegungsrichtungen der setzenden Reflexion in einen Gedanken zu integrieren. Hegel beschreibt diesen paradoxen Gedanken wie folgt: Z 89 "Denn die Voraussetzung der Rückkehr in sich - das, woraus das Wesen HERKOMMT und erst als dieses Zurückkommen IST - , ist nur in der Rückkehr selbst" (L. II., 16; 27).

Das Sein des Wesens ist nur als "Zurückkommen". Andererseits ist die Unmittelbarkeit gegen das Wesen, die Voraussetzung seiner Rückkehr in sich, ihrerseits von der Reflexion selbst hervorgebracht. Das Unmittelbare, aus dem das Wesen herkommt, ist Implikat der Rückkehr selbst, denn die Rückkehr des Wesens ist sein Abstoßen von sich, in welchem jenes Unmittelbare gesetzt wird, aus dem das Wesen herkommt. Im Sich-Abstoßen vom Unmittelbaren stößt sich das Wesen zugleich von sich selbst ab. Und im Abstoßen von sich ist es im Unmittelbaren, von dem es sich abstößt, auf sich selbst zurückgestoßen. In dieser Paradoxie schließt sich die Reflexion zu einem Kreislauf zusammen: Z 90 "Das Hinausgehen über das Unmittelbare, von dem die Reflexion anfangt, ist vielmehr erst durch dies Hinausgehen; und das Hinausgehen über das Unmittelbare ist das Ankommen bei demselben" (L. II., 16; 27f.).

Das Unmittelbare, das sich als Ausgang für die Reflexion präsentiert, wird von der Reflexion konstituiert, aber in einem Prozeß, der selbst vom Unmittelbaren ausgeht. Das Unmittelbare, über das die Reflexion hinausgeht, ist "erst durch dieses Hinausgehen" - ein Sach-

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verhalt, der so lange paradox ist, als man ihn sich, um ihn begreifen zu können, simultan vorstellt. Die Reflexion als Einheit von Setzen und Voraussetzen schließt sich also dadurch zu einer zirkulären Bewegung zusammen, daß das "Hinausgehen über das Unmittelbare" instantan ein "Ankommen bei demselben" ist. Der Terminus "ABSOLUTER GEGENSTOSS in sich selbst" (Z 88) bringt diese Äquivalenz von Setzen und Voraussetzen auf den Begriff: Die Einheit von Setzen und Voraussetzen besteht nur im unmittelbaren Umschlagen von Setzen zum Voraussetzen, vom Voraussetzen zur Rückkehr, vom Abstoßen zum Ankommen. Durch die Äquivalenz von Setzen und Voraussetzen hat sich eine sich selbst perpetuierende Bewegung in Gang gebracht. Für diese potentiell unendliche, substratlose Bewegung setzt Hegel wiederum den Terminus der "Selbstbewegung" ein: Z 91 "Die Bewegung wendet sich als Fortgehen unmittelbar in ihr selbst um und ist nur so Selbstbewegung - Bewegung, die aus sich kommt, insofern die SETZENDE Reflexion VORAUSSETZENDE, aber als VORAUSSETZENDE Reflexion schlechthin SETZENDE ist" (L. II., 16; 28).

Hegel faßt die logische Struktur der setzenden Reflexion zusammen: Z 92 "So ist die Reflexion sie selbst und ihr Nichtsein, und ist nur sie selbst, indem sie das Negative ihrer ist, denn nur so ist das Aufheben des Negativen zugleich als ein Zusammengehen mit sich" (L. II., 16; 28).

Die Reflexion ist sie selbst und ihr Nichtsein in einer Einheit. Indem sie so in sich ihr Negatives gegen sich ist, das sie ebensowohl aufhebt, geht sie nur mit sich selbst zusammen. Die Reflexion ist Zusammengehen mit sich im Aufheben des Negativen, das aus ihr als Gesetztsein hervorgeht. Das Gesetztsein des Negativen und das Aufgehobensein des Negativen zusammen machen die setzende Reflexion zur absoluten. Die absolute Reflexion, welche sie selbst und ihr Nichtsein als potentiell unendliche, substratlose Bewegung des Setzens und Voraussetzens ist, reformuliert in gewisser Weise die wahre Unendlichkeit in der Seinslogik (vgl. L. I., 132ff.; 156ff.). Das affirmativ Unendliche ist es selbst und sein Nichtsein. Es ist die Einheit des Unendlichen und des Endlichen, das das Gegenteil des Unendlichen ist. Im affirmativ Unendlichen gibt es aber keine fixe Korrelation als solche - die Trennung von Unendlichem und Endlichem entspricht der Art, wie das Verstandesdenken den Begriff des Unendlichen zu denken versucht -, vielmehr ist es es selbst und sein Nichtsein, sein Anderes,

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das Endliche an ihm selbst. Da die Trennung von Unendlichem und Endlichem von ihrer unendlichen Einheit unterlaufen und aufgehoben wird, erweist sich die affirmative Unendlichkeit als "Negation der Negation, Rückkehr zu sich und Beziehung auf sich selbst" (L. I. (A), 86). Die Differenz zwischen der absoluten Reflexion und der affirmativen Unendlichkeit besteht darin, daß diese der Sphäre des Seins angehört. Die affirmative Unendlichkeit gehört genau deshalb der Sphäre des Seins an, weil sie das "wahrhafte Sein" (L. L, 126; 150 ) als Negation der Negation ist. Dagegen zielt die selbstbezügliche Negation in der absoluten Reflexion nicht wie die doppelte Negation in der Seinslogik auf ein einfaches Sein ab. Das Zugrundeliegen des Seins ist in der Wesenslogik vielmehr in die sich auf sich beziehende Negativität aufgelöst: Das Sein ist nur noch als Negatives, als Schein, vorhanden. Die absolute Reflexion reformuliert also die affirmative Unendlichkeit als nicht-ontologische "unendliche Bewegung des Seins" (L. II., 4; 14). Auch die Kreisstruktur ist der absoluten Reflexion mit der affirmativen Unendlichkeit gemeinsam. Hegel symbolisiert die wahre Unendlichkeit im Bild einer sich in sich schließenden Linie, also des Kreises (L. L, 238; 164). Anders aber als die affirmative Unendlichkeit, die aufgrund ihrer Kreisstruktur wiederum in einfache Unmittelbarkeit zusammensinkt, enthält die absolute Reflexion, wie wir sogleich sehen werden, eine ihre Kreisstruktur potentiell sprengende Komponente von Negativität in sich. 5. Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion In drei knappen Sätzen vollzieht Hegel den Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion:25 Z 93 "Die Unmittelbarkeit, die sie als Aufheben sich voraussetzt, ist schlechthin nur als GESETZTSEIN, als AN SICH Aufgehobenes, das nicht verschieden ist von der Rückkehr in sich und selbst nur dieses Rückkehren ist. Aber es ist zugleich bestimmt als NEGATIVES, als unmittelbar GEGEN eines, also gegen ein Anderes. So ist die Reflexion BESTIMMT; sie ist, indem sie nach dieser Bestimmtheit eine Voraussetzung HAT und von dem Unmittelbaren als ihrem Anderen anfängt, ÄUSSERE REFLEXION" (L. II., 16; 28).

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Zum Problem des Übergangs von der setzenden zur äußeren Reflexion vgl. Henrich (1978), 292ff.

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Die Unmittelbarkeit, die die Reflexion sich in ihrer Selbstaufhebung voraussetzt, ist als Gesetztsein nicht verschieden von der Reflexion, nicht nur in dem Sinne, daß sie als Gesetztsein ein in der Reflexion an sich Aufgehobenes ist, sondern auch in dem, daß sie als Gesetztsein identisch ist mit der Reflexion selbst. Wird nun aber das vorausgesetzte Unmittelbare, das Gesetztsein, selbst als Wesen, als Rückkehr in sich bestimmt, so gewinnt es gerade dadurch Selbständigkeit gegen die Beziehung, in der es nur aufgehobenes Gesetztsein ist. So ist es zwar Gesetztsein, an sich Aufgehobenes, insofern es nämlich der Reflexion entstammt, aber ist zugleich "bestimmt als NEGATIVES, als unmittelbar GEGEN eines, also gegen ein Anderes". Damit hat sich in einem zweifachen Sinne Neues für die Reflexion ergeben: 1. Das Gesetztsein ist unmittelbar gegen eines, nämlich gegen die Reflexion, das heißt, daß es ihr Negatives oder Anderes ist, ist nun nicht mehr durch sie selbst gesetzt. 2. Das vorausgesetzte Unmittelbare ist gegen die Reflexion bestimmt. Es ist ein Anderes gegen die Reflexion, so wie die Reflexion ein Anderes gegen das Unmittelbare ist. Dadurch tritt die Reflexion selbst unter die Bestimmtheit der Andersheit. Nach der Seite dieser Bestimmtheit "HAT" die Reflexion eine bleibende Voraussetzung, von der sie abhängig ist. Indem sie von dem stabil vorausgesetzten Unmittelbaren als ihrem Anderen ihren Ausgang nimmt, ist sie "ÄUSSERE REFLEXION". In der Entwicklung der voraussetzenden Reflexion ist ein Verhältnis nicht nur scheinhafter Andersheit eingetreten. Diese Beziehung ist aber in die Figur der absoluten Reflexion nicht mehr zu integrieren. Damit hat sich die Einheit von Setzen und Voraussetzen, der absolute Gegenstoß der setzenden Reflexion, aufgelöst. Denn auch der absolute Gegenstoß des Wesens in sich selbst war nur unter der Bedingung zu denken, daß die vorausgesetzte Unmittelbarkeit als gesetzte und damit als vom Wesen bereits aufgehobene gefaßt wurde. Das Andere des Wesens, das Gesetztsein, war zwar selbst Wesen, aber nur insofern es im Wesen aufgehoben ist. Mit der Auflösung des absoluten Gegenstoßes hat sich ein Anderes und Gesetztsein des Wesens ergeben, das gerade dadurch, daß es das Wesen selbst ist, Selbständigkeit gegen die Reflexion gewinnt. Das Andere des Wesens, das Gesetztsein, ist das Wesen selbst, aber nicht nur insofern es im Wesen je schon aufgehoben ist, sondern indem es sich als solches Andere gegen das Wesen erhält. Dieser Gedanke führt aber zunächst nur zur äußeren Reflexion, in der das Andere gerade nicht als Wesen selbst erscheint.

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6. Der logische Status der äußeren Reflexion (I) Um die Stellung der äußeren Reflexion in der Reflexionstrias setzende, äußere und bestimmende Reflexion zu erhellen, soll hier der logische Fortgang der setzenden zur äußeren Reflexion aus etwas größerer Distanz zum Hegeischen Text betrachtet werden: I. In diesem Zusammenhang stellt sich folgende Ausgangsfrage: Wie läßt sich der Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion vor dem Hintergrund der Analyse der setzenden Reflexion erklären? Die Analyse der setzenden Reflexion hat gezeigt, daß das Setzen und Voraussetzen absolute Momente der reflektierenden Bewegung des Wesens sind: Das als unabhängig gesetzte Unmittelbare ist das Wesen selbst, denn dieses "setzt sich selbst voraus" (Z 84), und es ist als aufgehoben zu denken, denn es ist durch das Wesen selbst gesetzt. Hypothetisch kann man sich die Notwendigkeit des Fortschritts zur äußeren Reflexion in folgender Weise vorstellen: Will man die setzende Reflexion als Modell von Reflexion verstehen, in dem die Beschreibungsaufgabe gelöst ist, was Reflexion als reine Beziehung ohne Bezogene heißt, wie auch die Beschreibung selbst konsistent ist, so muß genau dann über es hinausgegangen werden, wenn etwas zu diesem Reflexionsmodell gehört, aber nicht auftritt oder wenn sich erweist, daß es keine Konsistenz hat. Es lassen sich nun zwei Argumente finden, daß dies bei dem Modell der setzenden Reflexion tatsächlich der Fall ist: Erstens ist die setzende Reflexion nur relativ konsistent, denn sie ist zirkulär konstruiert, - "insofern die SETZENDE Reflexion VORAUSSETZENDE, aber als VORAUSSETZENDE Reflexion schlechthin SETZENDE ist" (Z 91). Damit ist sie unendliche Selbstreflexion, und es ist nicht absehbar, wie sie aus diesem Zirkel heraus zur Bestimmtheit gelangen soll. Das Moment, das zu einer solchen Weiterentwicklung führt, muß sich aber in der setzenden Reflexion selbst finden lassen. Tatsächlich weist die setzende Reflexion zweitens ein in ihr ignoriertes Moment auf. Denn indem die setzende Reflexion Einheit von Setzen und Voraussetzen ist, ist die Differenz dieser beiden Momente nicht prägnant festzuhalten. Die Unmittelbarkeit wird durch die Reflexion gesetzt. Zugleich aber setzt die Reflexion die Unmittelbarkeit voraus. Damit ist die Differenz zwischen Setzen und Voraussetzen, zwischen Reflexion und Unmittelbarkeit, behauptet. Obwohl in der setzenden Reflexion diese Differenz nicht ganz verschwindet, ist sie jedoch nur eine, die momentan, nur um unmittelbar in der Einheit der Reflexion zu verschwinden, hervortritt.

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Doch ist in der Entwicklung der voraussetzenden Reflexion ein Verhältnis realer Andersheit entstanden. Da im Voraussetzen der Unmittelbarkeit die Reflexion sich selbst als aufgehoben setzt (Z 93), die äußere Reflexion zunächst nur die voraussetzende Reflexion ist, ist nichts vorhanden, von der die vorausgesetzte Unmittelbarkeit abhängig wäre. So tritt die vorausgesetzte Unmittelbarkeit in ihrem Negativsein gänzlich unabhängig gegen die Reflexion auf. Die Reflexion ist also nicht mehr diejenige, welche die setzende war und von der zuvor gesagt werden konnte, sie sei eine ebensosehr setzende wie voraussetzende. Aus den bisherigen Überlegungen zum Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion haben sich mithin zwei gegenläufige Folgerungen ergeben: Zum einen tritt ein zuvor unberücksichtigtes Moment, die Differenz oder Andersheit von Reflexion und Unmittelbarkeit in den Vordergrund; zum anderen tritt ein zuvor berücksichtigtes Moment, das Setzen, in den Hintergrund. Indem ein zuvor unberücksichtigtes Moment, die Differenz von Reflexion und Unmittelbarkeit, in den Vordergrund tritt, ist jedoch noch nichts über die Legitimität des Vergessene des Setzens gesagt worden. II. Es können drei generelle Interpretationsthesen zur äußeren Reflexion aufgestellt werden: 1. Der Begriff der Reflexion deckt sich als ganzer mit der äußeren Reflexion. - Der wahre Begriff der Reflexion ergibt sich dann nur an und in der äußeren Reflexion. Da aber im Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion vergessen wurde, daß die Reflexion Setzen ist, ist die äußere Reflexion jedenfalls nicht die ganze Reflexion. Somit muß diese These verworfen werden.26 26

Diese Position ist nach Hegel der Standpunkt sowohl des natürlichen Bewußtseins als auch der des metaphysischen Verstandes (vgl. Enz. § 26). Beide begreifen das, was gesetzt ist, nur als an sich bestehend, da sie die Dimension des Setzens nicht berücksichtigen: "[...] die Definitionen der Metaphysik wie ihre Voraussetzungen, Unterscheidungen und Folgerungen wollen nur SEIENDES und zwar ANSICHSEIENDES behaupten und hervorbringen" (L. I., 109; 131). Die Entwicklung des natürlichen Bewußtseins stellt Hegel im ersten Teil der Phänomenologie des Geistes dar. Für diese Entwicklung insgesamt gilt, "daß die Fortbildung des Bewußtseins als eine Veränderung der Bestimmungen seines Objekts erscheint" (Enz. § 420 Zus.). Zwar sind die Denkbestimmungen, mit denen das Bewußtsein umgeht, "logische Bestimmungen, durch das Denkende, d.i. hier durch das Ich gesetzte. Aber FÜR DASSELBE als erscheinend hat der Gegenstand sich so verändert" (Enz. § 419). Auch wenn das Bewußtsein in seiner Entwicklung durch Selbstreflexion "in sich selbst geht, selber an INNERLICHKEIT gewinnt", betrachtet es dennoch "dies INSICHGEHEN als in das Objekt fallend" (Enz. § 420 Zus.). "Obgleich die Fortbestimmung des Bewußtseins aus dessen EIGENEM Innern hervorgeht und auch eine NEGATIVE Richtung gegen

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2. Die äußere Reflexion hat nur Exkurswert, und es kommt mit ihr nichts Neues hinzu. - Die äußere Reflexion also hat keine logische Notwendigkeit, sondern ist nur ein naheliegender Fall von Reflexion, wenn man nicht berücksichtigt, daß die vorausgesetzte Unmittelbarkeit "schlechthin nur als GESETZTSEIN, als AN SICH Aufgehobenes" (Z 93) zu begreifen ist. - Diese These beseitigt die Mängel der ersten, indem sie aus Gründen, die gegen die erste These sprechen, das logisch zwingende Hervortreten der äußeren Reflexion bestreitet und in ihr nur einen willkürlichen, aus bestimmten Gründen Hegels unternommenen Einschub sieht.27 3. Die äußere Reflexion bedeutet eine Verwandlung und Bereicherung des Reflexionsbegriffs. - Indem die setzende Reflexion zur äußeren wird, so muß sie, indem sie dasjenige ist, das in der äußeren Reflexion in den Hintergrund tritt und daher unverarbeitet ist, wieder auftreten, so daß sie wieder in ihr Recht eingesetzt wird, aber im Durchgang durch die äußere Reflexion bereichert worden ist. Die äußere Reflexion intendiert eine Aspektenunterscheidung, die vorher nicht beheimatet werden konnte, so daß es der Begriff der Reflexion selbst ist, an dem etwas hat unterschieden werden können und der nun durch diese Aspektenunterscheidung hat verändert werden müssen. Wenn einsichtig gemacht werden kann, weshalb es notwendig zur äußeren Reflexion kommt, so ist diese Lesart der zweiten These vorzuziehen, da sie die äußere Reflexion nicht als für den logischen Gang der Entwicklung irrelevant bezeichnen muß und erklären kann, daß die bestimmende Reflexion wirklich und nicht willkür-

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das Objekt hat, dieses also vom Bewußtsein VERÄNDERT wird, so erscheint diese Veränderung dem Bewußtsein doch als eine ohne seine subjektive Tätigkeit zustandekommende und gelten ihm die Bestimmungen, die es in den Gegenstand setzt, als nur diesem angehörige, als seiende" (Enz. §415 Zus. 1). So erscheint "die DIALEKTISCHE Bewegung des Begriffs, die Fortbestimmung des Bewußtseins, ihm nicht als seine Tätigkeit, sondern sie ist AN SICH und für dasselbe Veränderung des Objekts" (Enz. § 415). Die spekulative Konstruktion des Begriffs der äußeren Reflexion ist für Hegel also auch eine spekulative Rekonstruktion subjektiver, nicht spekulativer Reflexionsformen und ihrer Gesetzmäßigkeiten. Diese Auffassung von der Bedeutung der äußeren Reflexion hat Henrich in der ersten Fassung seiner Studie zu Hegels Logik der Reflexion vertreten: "Wird also zum Gedankengang der 'setzenden Reflexion' nichts hinzugefügt, so kann auch die 'äußere Reflexion' nicht mehr als eine Anmerkung sein. In ihr würde dargelegt, was sich ergibt, wenn die Reflexion beim Voraussetzen ihre eigene setzende Tätigkeit vergessen macht" (Henrich (1971), 126). In der zweiten Fassung seiner Abhandlung hat Henrich diese These zurückgenommen. Er entwickelt dort die These, daß "die äußere Reflexion nicht nur als Exkurs, sondern als logische Kategorie" (Henrich (1978), 292) gefaßt werden muß.

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lieh als Einheit von setzender und äußerer Reflexion fungiert. Als solche Aspektenunterscheidung an der setzenden Reflexion kann die oben erwähnte Differenz zwischen Setzen und Voraussetzen und damit von Reflexion und Unmittelbarkeit bezeichnet werden. Diese Differenz ist aber nur ein Sollen, solange sie unmittelbar in der Einheit der Reflexion verschwindet -, auf diese Weise ist sie unverarbeitet. Die unverarbeitete Differenz zwischen Reflexion und Unmittelbarkeit innerhalb der setzenden Reflexion ist also der Grund für das notwendige Auftreten der äußeren Reflexion. Wenn das, was die Reflexion zur äußeren macht, von dem Gegebensein einer unmittelbaren und stabilen Voraussetzung abhängt, zu der die Reflexion notwendig nur noch äußerlich hinzutreten kann, so muß angenommen werden, daß es der Wegfall des Setzens ist, der die äußere Reflexion hervortreibt. Es muß also die Legitimität des Vergessens des Setzens aufgewiesen werden, um nicht der dritten These zugunsten der zweiten alles Recht abzusprechen. In der setzenden Reflexion ist die Reflexion eine Bewegung, in der die gesetzte Unmittelbarkeit immer schon aufgehoben ist. Zwar wird, indem die setzende Reflexion zum Voraussetzen wird, die gesetzte Unmittelbarkeit selbst als Reflexion gedacht, dennoch kommt es zu keinem wirklichen Verhältnis der Differenz und Andersheit zwischen Reflexion und Unmittelbarkeit, weil diese nur als vom Wesen bereits aufgehobene gefaßt wird. Zwar muß die Differenz beider behauptet werden, aber sie läßt sich nicht festhalten. Tritt diese unverarbeitete Differenz zwischen Unmittelbarkeit und Reflexion an der setzenden Reflexion wirklich hervor, so ist der Unterschied, in den sich diese dadurch zu sich selbst gesetzt hat, nicht mehr durch den Begriff der absoluten Reflexion zu fassen: Der Sinn des Gesetztseins wird extrem zum Sein und Unmittelbaren. Tritt die Äußerlichkeit von Reflexion und Unmittelbarkeit an der Reflexion hervor, so kann die Reflexion nicht mehr Setzen ihrer Bestimmtheit im Ganzen sein. Das vorausgesetzte Unmittelbare ist nun ihrer Macht entzogen. Die Reflexion ist äußere Reflexion. Allein also aus dem Umstand, daß die Differenz von Reflexion und Unmittelbarkeit in der setzenden Reflexion unverarbeitet ist, kann die Schlußfolgerung gezogen werden, daß sie zur äußeren Reflexion werden muß, und daß die Unmittelbarkeit, die die Reflexion sich voraussetzt, nicht mehr durch sie selbst gesetzt sein kann, und daher zur unmittelbaren Voraussetzung führt. III. Die äußere Reflexion hat im Ganzen der Reflexionstrias die Aufgabe, den Reflexionsbegriff zu bereichern. Vergegenwärtigt man sich die Makrologik des Abschnitts über die Reflexion, so erscheint

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als Ziel die Gewinnung eines Wesensbegriffs, in dem es zu einer Einheit von setzender und äußerer Reflexion gekommen ist. Indem die setzende Reflexion die Unmittelbarkeit setzt und aufhebt, setzt sie die Differenz beider, deren Einheit sie zugleich selber ist. Die Reflexion gelangt zu einer ihr eigentümlichen Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit erst in der bestimmenden Reflexion. Erst in der bestimmenden Reflexion ist die Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit so gedacht, daß sie durch die Reflexion selbst gesetzt ist. In der setzenden Reflexion ist die Reflexion zwar auch Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit, doch diese ist nur als sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit. Zwar muß die Differenz beider behauptet werden, aber sie ist ebenso unmittelbar verschwunden. In der äußeren Reflexion umgekehrt verschwindet die Einheit der Reflexion vollständig in der Differenz von Unmittelbarkeit und Reflexion -, die Reflexion ist getrennt von ihrem Anderen, dem Unmittelbaren. Der Übergang zur bestimmenden Reflexion hat nun die Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit in der Differenz nachzuweisen, in die die Reflexion in der äußeren Reflexion zu sich selbst getreten ist. Der Nachweis dieser Einheit kann nun zweierlei beinhalten: 1. Die bestimmende Reflexion holt die Differenz von Reflexion und Unmittelbarkeit in der äußeren Reflexion in sich zurück und ruht fortan dadurch in sich selbst, daß sie die Einheit der setzenden Reflexion wiederherstellt. Die bestimmende Reflexion wäre dann die Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit, in der die Differenz beider wieder verschwunden ist. 2. Die bestimmende Reflexion stellt die Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit der setzenden Reflexion im Differenzverhältnis der äußeren Reflexion wieder her. Im Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion gerät die vorausgesetzte Unmittelbarkeit, der Schein der unmittelbaren Voraussetzung - wieder unter die Herrschaft der Reflexion und des Gesetztseins, und zwar so, daß sich die Reflexion selbst in der vorausgesetzten Unmittelbarkeit voraussetzt. In der bestimmenden Reflexion gerät die Reflexion dadurch in ein äußeres Verhältnis zu sich selbst, daß sie sich selbst als "wesentliche Unmittelbarkeit" (L. II., 18; 30) entgegentritt. Darin ist die äußere Reflexion in der bestimmenden erhalten geblieben. Die bestimmende Reflexion ist die gesetzte, reflektierte Einheit von Reflexion und Unmittelbarkeit in dem Differenzverhältnis der äußeren Reflexion. Die äußere Reflexion erweist sich demnach als durchaus konstitutives Moment der bestimmenden Reflexion. IV. In der systematischen Einheit von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion hat die äußere Reflexion generelle Bedeutung für die logische Bewegung in der Wissenschaft der Logik. Sie ist ein

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notwendiges Moment der logischen Reflexion, weil sie es ist, durch die die Reflexion zur Bestimmtheit gelangt. Die Reflexion muß sich notwendig ein Sein, eine Unmittelbarkeit, voraussetzen, um sich als deren immanente Reflexion darstellen zu können. Der Begriff der äußeren Reflexion ist von daher Kritik der metaphysischen Absolutheitsphilosophie Schellings, die alle Äußerlichkeit als unwesentlich herabsetzt. Der Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion ist Kritik jedweder reinen metaphysischen Immanenz als solcher, die sich abstrakt gegen alle Äußerlichkeit stellt. Hier zeigt sich, daß die Äußerlichkeit und Andersheit der absoluten Reflexion immanent ist. Die absolute Reflexion Hegels ist also keine reine Immanenzstruktur wie etwa die intellektuelle Anschauung bei Fichte und Schelling. Als Rückkehr in sich ist sie zugleich Abstoßen-von-sich-selbst. Das immanente Scheinen der absoluten Reflexion impliziert eine immanente Sich-Äußerlichkeit. Andererseits ist der Begriff der äußeren Reflexion die spekulative Darstellung und Kritik nicht-spekulativen Denkens, Darstellung und Kritik der äußerlich räsonierenden Verstandesreflexion. Sie ist Kritik der Reflexion "in subjektivem Sinne" (L. II., 18; 30). Sie ist also nicht zu verwechseln mit dem äußerlich räsonierenden Verstandesdenken selbst, denn sie ist dessen spekulative Darstellung und Kritik. Andererseits entspricht sie diesem strukturell insofern, als das Verstandesdenken deren Verselbständigung im subjektiven Bewußtsein ist, das den Momentcharakter der äußeren Reflexion in der Bewegung von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion nicht begreift und sie absolut setzt. III. Die äußere Reflexion 1. Absolute und reale Reflexion Vor der eigentlichen Thematisierung der äußeren Reflexion bestimmt Hegel das Verhältnis von setzender und äußerer Reflexion als Verhältnis von absoluter und realer Reflexion. Zunächst kommt er auf die logische Struktur der absoluten Reflexion zu sprechen: Z 94 "Die Reflexion als absolute Reflexion ist das in ihm selbst scheinende Wesen und setzt sich nur den Schein, das Gesetztsein voraus; sie ist als voraussetzende unmittelbar nur setzende Reflexion" (L. II., 17; 28).

Die setzende Reflexion ist als "absolute Reflexion" des Setzens und Voraussetzens "das in ihm selbst scheinende Wesen". Sie ist eine un-

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endliche, substratlose Reflexionsbewegung, in der jedes Gesetztsein, das sie sich voraussetzt, ehe es hat Bestand gewinnen können, aufgehoben ist. Die absolute Reflexion ist "als voraussetzende unmittelbar nur setzende Reflexion". Was sich also die absolute Reflexion voraussetzt, ist nur der Schein. Doch die absolute Reflexion hatte sich im Verfolg ihrer inneren Bewegung aufgehoben und als äußere Reflexion gesetzt (vgl. Z 93). Die vorausgesetzte Unmittelbarkeit ist nun als Negatives der Reflexion gegenüber unabhängig, weil sie zugleich als Negatives negiert ist. Hierin liegt die Bestimmtheit der Reflexion begründet. So tritt in den Begriff der Reflexion eine externe Relationalität ein, die die Reflexion aus ihrer reinen, zirkulären Bewegung herausführt. Die Reflexion kommt zur Bestimmtheit, indem sie von einer vorausgesetzten Unmittelbarkeit dependiert. Das hat sich am Ende des Abschnitts über die setzende Reflexion ergeben, in welchem der Übergang zur äußeren Reflexion erreicht wird. Z 95 "Aber die äußerliche oder reale Reflexion setzt sich als aufgehoben, als das Negative ihrer voraus. Sie ist in dieser Bestimmung verdoppelt, das eine Mal als das Vorausgesetzte oder die Reflexion-in-sich, die das Unmittelbare ist. Das andere Mal ist sie die als negativ sich auf sich beziehende Reflexion; sie bezieht sich auf sich als auf jenes ihr Nichtsein" (L. II., 17; 28).

Indem die Reflexion zur äußeren wird, "verdoppelt" sie sich in das vorausgesetzte Unmittelbare, das Hegel als "Reflexion-in-sich" anspricht, und in die "negativ sich auf sich beziehende Reflexion". Es stellt sich hier zunächst die Frage, wie sich diese Verdoppelung vollzieht und welche Form sie hat. Die Reflexion, die zur äußerlichen oder realen Reflexion wird, setzt sich als aufgehoben und damit als das Negative ihrer voraus. Das 'Sich-als aufgehoben-Setzen' steht für ein Doppeltes: Sie, die Reflexion, ist es, die dieses Sich-Aufheben vollzieht, und das, was sie dabei hervorbringt, ist sie selbst. So läßt sich sagen, daß das, was sie als Unmittelbares voraussetzt, die Reflexion selbst ist. Darin ist sie verdoppelt. Die beiden Reflexionsfälle sind zwar unter dem Aspekt zweier verschiedener Auftrittsweisen desselben zu sehen, wobei aber die beiden Auftrittsweisen dadurch definitiv unterschieden bleiben, daß die zweite der ersten nachträglich und äußerlich ist, Reflexion auf sie. Das vorausgesetzte Unmittelbare ist zwar selbst Reflexion, allerdings gesetzt als ein Unmittelbares gegen die Reflexion. Die beiden Reflexionen repräsentieren so den Sachverhalt von Innen und Außen, von reflektierendem Subjekt und Objekt.

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So läßt sich sagen: Die äußere Reflexion bezieht sich auf sich als auf ein Anderes; oder: Sie bezieht sich auf sich, aber so, als wäre dasjenige, worauf sie sich bezieht, ein Äußerliches. Auf diese Weise bezieht sie sich auf sich als auf "jenes ihr Nichtsein".28 Die Reflexion als absolute Reflexion hat sich selbst in die Dimension der Andersheit und Äußerlichkeit aufgehoben. Dadurch wird im Begriff der Reflexion das Moment der Andersheit dominant. Die Reflexion kommt selbst in Beziehung auf einen Fall, den sie selbst darstellt, aber so, daß dieser Fall in Beziehung auf sie ein Anderes ist. So ist die Reflexion sich selbst ein Anderes. Mit der äußeren Reflexion ist zunächst die paradoxe Situation entstanden, daß die Reflexion sich selbst als fremde gegenübersteht, denn das Unmittelbare, welches sie sich als "Reflexion-in-sich" voraussetzt, ist ja dasselbe wie sie. Äußere Reflexion ist sie also darin, daß ihr Verhältnis zu sich keines der Re-flexion mehr ist. Die äußere Reflexion ist "negativ sich auf sich beziehende Reflexion". Zweierlei ist also kennzeichnend für die spekulative Darstellung der äußeren Reflexion: Erstens steht ihr die vorausgesetzte Unmittelbarkeit als ihr Anderes und Fremdes gegenüber. Zweitens ist dieses äußerliche Verhältnis von Reflexion und Unmittelbarkeit nicht als gegeben vorausgesetzt, sondern Produkt der sich äußerlich werdenden absoluten Reflexion. Die äußere Reflexion ist also nur ein Moment der Verdoppelung der Reflexion. Was für einen Stellenwert kann der Begriff "real" unter den Bedingungen der Selbstaufhebung der absoluten Reflexion haben? Hegel betont, die "äußerliche oder reale Reflexion" stehe im Gegensatz zur absoluten Reflexion, welche die substratlose Bewegung von Nichts zu Nichts als unendliche Bewegung des Setzens und Voraussetzens ist. Das Gesetztsein des Negativen und das Aufgehobensein des Negativen zusammen machen die Reflexion zur absoluten. Die äußere Reflexion ist äußerlich und real, weil das Gesetztsein des Negativen nicht in dieser Weise aufgehoben ist, sondern ein Anderes, ein seiendes Substrat für die Reflexion, ist und bleibt. 28

Hegel intendiert mit dem Begriff der äußeren Reflexion zugleich eine spekulative Darstellung nicht-spekulativen Denkens. Im 'äußerlichen Reflektieren' bezieht sich das denkende Subjekt auf die Welt als auf etwas, das es nicht ist. "In der Tat geht auch die denkende Reflexion, insofern sie sich als äußerliche verhält, schlechthin von einem gegebenen, ihr fremden Unmittelbaren aus und betrachtet sich als ein bloß formelles Tun, das Inhalt und Stoff von außen empfange und für sich nur die durch ihn bedingte Bewegung sei" (L. II., 19; 31). In der spekulativen Darstellung wird das 'äußerliche Reflektieren' nicht als gegeben vorausgesetzt, sondern als etwas, das sich aus dem Begriff der absoluten Reflexion ergibt.

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Die absolute Reflexion ist die unendliche, zirkuläre Bewegung der reinen, substratlosen Negativität. Auf der anderen Seite gibt es die reale Reflexion, in der alle selbstbezügliche Negativität ausgeschlossen zu sein scheint, die Beziehung auf die pure Positivität eines seienden Substrats. In der absoluten Reflexion ist das Moment der Differenz und Andersheit von Reflexion und Unmittelbarkeit verschwindend und unverarbeitet. Daher mußte sie in das Verhältnis der Differenz und Andersheit von Reflexion und Unmittelbarkeit treten. So ergibt sich aus der substratlosen Bewegung der reinen Reflexion das Verhältnis der Andersheit von substratbestimmter Unmittelbarkeit und Reflexion. Mit dem Begriff der äußeren Reflexion wird deutlich, warum die Kategorie der Realität aufgrund ihres Bedeutungsgehalts notwendig Schein produziert, wie Theunissen bemerkt (Theunissen (1978), 218): Die absolute Reflexion setzt notwendig ein seiendes Substrat voraus und wird reale Reflexion im Sinne der seinslogischen Kategorie der Realität, indem sie sich im Voraussetzen des Negativen selbst aufhebt. So ist der Bestand der vorausgesetzten Unmittelbarkeit gegen das Wesen wohl weiterhin Schein, doch erlangt sie in ihrer Funktion als seiendes Substrat ihm gegenüber Unabhängigkeit. 29 2. Der logische Status der äußeren Reflexion (II) Die Schwierigkeit einer Lokalisierung der Kategorie der äußeren Reflexion ergibt sich aus dem Problem, ob sich und wie sich die äuße29

"Realität" erweist sich in der Daseinslogik (vgl. L. L, 96fT.; 116fT.) als ein Ausdruck für einen Aspekt der Bestimmtheit des Daseins. Das Dasein ist Sein mit einem Nichtsein. Das Nichtsein im Dasein macht dessen Bestimmtheit aus (ebd.). Die Bestimmtheit oder Qualität des Daseins ist "als SEIENDE" (L. L, 98; 118) einerseits "REALITÄT" (ebd.), "als mit einer Verneinung behaftet" "NEGATION überhaupt" (ebd.). Beide Bestimmungen sind nur verschiedene Momente der Bestimmtheit des Daseins. Weiterhin aber enthält das Verhältnis von Realität und Negation überhaupt, daß die Realität die Bestimmung hat, different zu sein zu jeglichem, das Negation ist. Die Kategorie der Realität ist gesetzt als pure Positivität: "[...] aber in der REALITÄT als Qualität mit dem Akzente eine SEIENDE zu sein, ist es versteckt, daß sie die Bestimmtheit, also auch die Negation enthält; die Realität gilt daher nur als etwas Positives, aus welchem Verneinung, Beschränktheit, Mangel ausgeschlossen sei" (L. L, 98; 118). Realität ist im Gegensatz zur Negation im metaphysischen Verstande eine "verschleiernde Kategorie" (Theunissen (1978), 216fT.). Zum Verhältnis von seins- und wesenslogischer Kritik am metaphysischen Paradigma von Realität und Negation vgl. 2. Kap. § 3 Exkurs.

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re Reflexion in den Gang der logischen Entwicklung einordnen läßt.30 Auf dieses Problem soll hier nochmals gesondert eingegangen werden. Der Status der äußeren Reflexion ist durch zwei Momente gekennzeichnet: 1. Die äußere Reflexion bezieht sich auf das vorausgesetzte Unmittelbare genau so, daß dieses als ihr Nichtsein erscheint. Als mentaler Akt spielt sich die Reflexion als äußere gegenüber "unmittelbaren Gegebenheiten" ab. Die Differenz von Reflexion und vorausgesetzter Unmittelbarkeit ist für die äußere Reflexion charakteristisch. 2. Diese Differenz ist, näher betrachtet, keine absolute, denn die absolute Reflexion stellt in ihrer Selbstaufhebung diese äußerliche Beziehung zwischen Reflexion und vorausgesetzter Unmittelbarkeit her. Die äußere Reflexion ist das Produkt des Sich-Äußerlich-Werdens der absoluten Reflexion. Nimmt man Punkt l für sich, so muß es fragwürdig erscheinen, wieso die äußere auf die setzende Reflexion folgen kann. Denn bereits die setzende Reflexion schafft die Situation verdoppelter Reflexion, und nun erscheint es folgerichtig, daß die bestimmende Reflexion von 30

Henrich benennt "zwei Schwierigkeiten", die der Einordnung der äußeren Reflexion in die logische Entwicklung entgegenstehen: "Keine Interpretation kann vollständig sein, die sie nicht anerkennt und überwindet: a) Die erste Schwierigkeit betrifft den Status der äußeren Reflexion. Geht ihr die Identifikation von Schein und Wesen voraus, so scheint per definitionem die Möglichkeit der Äußerlichkeit der Reflexion ausgeschlossen zu sein. Denn zu dieser Äußerlichkeit scheint zu gehören, daß die Identität dessen, worauf reflektiert wird, mit dem Reflektierenden unbekannt ist. Die Identifikation etabliert aber gerade diese Kenntnis. Geht also die Identifikation der äußeren Reflexion voraus, so muß gezeigt werden, wie sie selbst zu ihrem Verlust in jedenfalls dem Maße führen kann, das der Begriff einer Äußerlichkeit der Reflexion verlangt. b) Der Text des Übergangs von der äußeren zur bestimmenden Reflexion läßt eine zweite Schwierigkeit entstehen. Denn Hegel behauptet in ihm ganz zweifellos, daß erst aus der näheren Betrachtung der äußeren Reflexion der Gedanke der bestimmenden Reflexion zu gewinnen sei. Wäre nun die Identifikation von Schein und Wesen nicht nur entscheidende Bedingung für den Gedanken der bestimmenden Reflexion, sondern würde sie allein und direkt zu diesem Gedanken führen, so wäre nicht mehr zu sehen, wie diese Identifikation der äußeren Reflexion vorangehen kann. Man müßte annehmen, daß sie vielmehr die äußere Reflexion zu ihrer Bedingung hat. Dem würde allerdings entgegenstehen, daß die Identifikation von Wesen und Schein aus der Analyse der setzenden Reflexion zwingend hervorging. Will man daran festhalten, so folgt, daß der äußerlichen Reflexion eigentlich gar kein Gedanke entspricht, der die Kriterien für eine "Kategorie' in Hegels Logik erfüllt" (Henrich (1978), 291).

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dieser Situation ausgeht und die Verschiedenheit als auch die Identifikation beider Reflexionsfälle miteinander verarbeitet. Für diese These spricht auf den ersten Blick, daß ganz offenkundig seinslogische Verhältnisse (Realität/Andersheit) in der äußeren Reflexion auftreten. Soll die äußere Reflexion als für den logischen Fortschritt des Reflexionsbegriffs konstitutiver Schritt gerechtfertigt werden, dann muß eine Interpretation der äußeren Reflexion diesem Umstand Berücksichtigung und Erklärung liefern. Zunächst können zwei Rechtfertigungen für die äußere Reflexion angegeben werden: 1. Auch in der äußeren Reflexion bezieht sich die Reflexion auf sich selbst, denn äußere Reflexion und vorausgesetzte Unmittelbarkeit sind die Momente der ureigensten Verdoppelung der Reflexion. Darin ist die äußere Reflexion eine Modifikation selbstbezüglicher doppelter Negation und darf nicht als seinslogisches Verhältnis interpretiert werden. 2. Ihr kann die Funktion zugesprochen werden, die zwei Reflexionsfälle der setzenden Reflexion als verschieden zu stabilisieren. Letzteres vermag sie dadurch, daß sie Beziehung auf Anderes ist. Die Reflexion kommt in der äußeren Reflexion in eine Situation, in der ihr ihre eigene selbstbezügliche Negationsstruktur ein Anderes ist. Die Identifikation der beiden Reflexionsfälle liefe dann über vorweg zwei als verschieden fixierte Fälle der Reflexion. Die Identifizierungsleistung trüge dann die bestimmende Reflexion; sie hätte demnach mehr zu leisten als im direkten Anschluß an die setzende Reflexion. In der ersten Version, in der der äußeren Reflexion keine konstitutive Funktion zuzusprechen wäre, hätte die bestimmende Reflexion bloß das Ergebnis der setzenden Reflexion zu kommentieren. Betrachtet man diese beiden Rechtfertigungsmomente, so fällt auf, daß die äußere Reflexion einmal als "Beziehung auf sich" und ein anderes Mal als "Beziehung auf Anderes" auftritt. Wenn die These richtig ist, daß die Identifizierung erst von der bestimmenden Reflexion nach der Stabilisierung der Differenz der beiden Reflexionsfälle durch die Andersheitsbeziehung der äußeren Reflexion geleistet wird, dann könnte dieser ein logischer Ort in der Reflexionstrias zuzuordnen sein. Zugleich würde dies auch den Umstand erhellen, daß es für die äußere Reflexion konstitutiv ist, daß aus ihr ein Mehr an logischen Strukturen erwächst. Denn sie erhält die Berechtigung aufzutreten ja durch die zweifache Weise, wie sie auftritt, nämlich als Beziehung auf sich und als Beziehung auf Anderes. Dieses herausgestellte Mehr an logischen Strukturen gilt auch schon für den Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion, denn mit ihm wird

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das überschritten, was mit bloßem Setzen erreicht wird: Die Selbstaufhebung der absoluten Reflexion in die beiden Reflexionsfälle der realen Reflexion, die als Reflexion und Unmittelbarkeit gesetzt sind. So kann die These aufgestellt werden, daß das Mehr an logischen Strukturen der äußeren Reflexion eigentümlich ist, und gerade weil die äußere Reflexion diese Verfassung aufweist, ist sie in den logischen Fortgang als eigenständige Kategorie der Reflexion integrierbar. Das Mehr an logischen Strukturen kann auch als Argument gegen die These gelten, die äußere fiele hinter die setzende Reflexion zurück. Die These des Mehr an logischen Strukturen bedarf genereller Begründung. Die Begründung kann aus der logischen Gesamtverfassung der Wissenschaft der Logik gegeben werden. Die Logik besteht aus zwei logischen Strukturen. Die erste hat die Form einer Kreisbewegung, die in sich zurückläuft. Die zweite ist eine Linearbewegung, die den Fortschritt der Gedankenbewegung sichert. Im sogenannten "Methodenkapitel" am Ende der Logik finden sich Belege für diese beiden Strukturen. Über die Kreisbewegung heißt es da: "Vermöge der aufgezeigten Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft als ein in sich geschlungener KREIS dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt; dabei ist dieser Kreis ein KREIS VON KREISEN; denn jedes einzelne Glied, als Beseeltes der Methode, ist die Reflexion-in-sich, die, indem sie in den Anfang zurückkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist" (L. II., 504; 571f.).

Über die Linearbewegung sagt Hegel: "Indem nun diese Bestimmtheit die nächste Wahrheit des unbestimmten Anfangs ist, so rügt sie denselben als etwas Unvollkommenes, sowie die Methode selbst, die von demselben ausgehend nur formell war. Dies kann als die nunmehr bestimmte Forderung ausgedrückt werden, daß der Anfang, weil er gegen die Bestimmtheit des Resultats selbst ein Bestimmtes ist, nicht als Unmittelbares, sondern als Vermitteltes und Abgeleitetes genommen werden soll, was als die Forderung des unendlichen RÜCKWÄRTS gehenden Progresses im Beweisen und Ableiten erscheinen kann, - so wie aus dem neuen Anfang, der erhalten worden ist, durch den Verlauf der Methode gleichfalls ein Resultat hervorgeht, so daß der Fortgang sich ebenso VORWÄRTS ins Unendliche fortwälzt" (L. II., 500; 567).

Die beiden Grundstrukturen der Logik, Kreis- und Linearbewegung, sollen bloße Tautologiebildungen ausschließen. Die dialektische Methode verfährt demgemäß analytisch und synthetisch zugleich, synthetisch, insofern sie eine Anfangsstruktur auf ein reales

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Anderes hin überschreitet, analytisch, sofern sie dieses Andere in der Anfangsstruktur selber entdeckt.31 So erfolgt also kein bloßer Implikation sschritt zwischen den einzelnen Schritten der Gedankenabfolge, so daß aus einem analytisch mehreres per Implikation folgt. Die Abfolge der Gedankenschritte ist ein synthetischer Fortschritt, aber er bewegt sich innerhalb einer Figur: "Die Methode der Wahrheit aber, die den Gegenstand begreift, ist zwar [...] selbst analytisch, da sie schlechthin im Begriffe bleibt, aber sie ist ebensosehr synthetisch, denn durch den Begriff wird der Gegenstand dialektisch und als anderer bestimmt" (L. II., 499f.; 566).

Der Fortgang ist also einerseits analytisch, andererseits führt er die Anfangsbestimmung weiter aus, bestimmt sie neu und anders als zuvor. Die dialektische Bewegung ist "dies IMMANENTE Hinausgehen" (Enz. § 81), das Hinausgehen einer Bestimmung zu einer qualitativ anderen, welche in ihrer Notwendigkeit in der ersteren enthalten ist. Die Frage, in welcher Weise Hegels Logik überhaupt eine Methode sein kann, die über die bloß zirkuläre Bewegung der Reflexion hinausgeht, steht im Zusammenhang mit der Frage, wie es denn möglich ist, daß die Reflexion nicht nur das 'Andere ihrer selbst' ist, sondern auch auf reale Andersheit Bezug nehmen kann. Die Instanz, die zu erklären vermag, wie die Reflexion auf ein qualitativ Anderes hin überschritten werden kann, ist die äußere Reflexion. Das Auftreten der äußeren Reflexion hat also die Funktion, der absoluten Reflexion "Realität" zu geben. Insofern ist die Funktion, die sie ausübt, die, immer mehr neue reale "Gegebenheiten" in den "Cirkel der Reflexion" (Schelling) zu integrieren und damit synthetischen Fortschritt zu ermöglichen und herbeizuführen. In der äußeren Reflexion reflektiert sich so das logische Mehr des Reflexionsbegriffs. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Logik zu interpretieren: Einmal als einsinnige, nicht wieder einholbare Bewegung, in der der Anfang nur Anfang ist und nicht wieder eingeholt wird, der Anfang bleibt zurück. Die zweite Möglichkeit ist zunächst als Alternative aufzufassen. Sie sieht die Bewegung der Logik als Kreislauftheorie, als ein ewiges In-sich-selber-Kreisen. In der Bewegung des In-sich-Zurück31

Im Methodenkapitel der Logik erklärt Hegel mehrfach, daß das absolute Erkennen analytisches und synthetisches Erkennen in sich vereinigt (vgl. L. II., 491; 557, 497; 563, 499f.; 566, Enz. § 238 Anm. u. Zus., Enz. § 239 Anm.). Zur spekulativen Methode als sowohl anlytische und synthetische vgl. Wohlfahrt (1981), 335342 sowie Kesselring (1984), 250-282.

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kehrens sind Anfang und Ende nicht einsinnig; der Anfang kehrt am Ende wieder zurück. Die ganze Logik ist als Kreis ein in sich geschlossenes System, das gerade aufgrund seiner inneren Abgeschlossenheit über sich hinausweist auf andere Systeme, die Systeme der Natur- und der Geistphilosophie. Die Kreisstruktur kann mit dem Fortschrittsgedanken kollidieren, wenn Fortschritt als unendlicher Fortschritt im Sinne des infiniten Progresses gedacht wird. In der Logik wird unter Fortschritt ein solcher verstanden, unter dessen Perspektive immer neue Kreise initiiert werden. Formal kehrt der jeweilige Anfang des Kreises wieder auf sich zurück, aber inhaltlich ist das Ende, in das der Anfang verschwindet, reicher als der Anfang. So ergibt sich inhaltlich Neues. Jeder Kreis wiederholt also nicht nur den vorhergehenden, sondern führt ihn weiter aus. Die Logik insgesamt ist ein "KREIS VON KREISEN" (L. II., 504; 571), der als ganzer in sich zurückläuft, in sich geschlossener Kreis ist. Die Struktur der Logik besteht also aus der Gedoppeltheit von Kreis- und Linearprozeß, wobei der Linearprozeß an den Kreisprozeß gebunden ist. So kommt die Eigentümlichkeit zustande, daß die Logik Gedankenfortschritt im Kreisgang ist. Den jeweiligen Kreisbewegungen ist gemeinsam, daß sie in sich geschlossene Systeme sind. Dieser Sachverhalt trifft auch auf die Logik der Reflexion zu. Das im System der Reflexion thematische formale Objekt 'Reflexion' erfährt im Durchgang durch die Trias setzende, äußere und bestimmende Reflexion eine zunehmende Bestimmtheit und Ausdifferenzierung. Daß der Reflexionsbegriff mit Bestimmtheit angereichert wird, hat seinen Grund in dem Auftreten der äußeren Reflexion, aus der ihm das logische Mehr zuwächst. Das letzte Objekt im geschlossenen System der Reflexion muß aber die Reflexion selbst sein, die somit in sich zurückkehrt. Daß die Reflexion also in sich zurückkehrt, hat seinen Grund in der Totalität der ganzen Struktur des Systems der Reflexion. Der Reflexionsbegriff kehrt also im Durchgang durch den Kreis der setzenden, äußeren und bestimmenden Reflexion angereichert zu sich selbst zurück. 3. Die Voraussetzungslogik der äußeren Reflexion Z 96 "Die äußerliche Reflexion SETZT also ein Sein VORAUS, ERSTENS nicht in dem Sinne, daß seine Unmittelbarkeit nur Gesetztsein oder Moment ist, sondern vielmehr, daß diese Unmittelbarkeit

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die Beziehung auf sich und die Bestimmtheit nur als Moment ist" (L. II., 17; 28).

Die Situation, die sich durch das Auftreten der äußeren Reflexion ergibt, ist eine grundsätzlich andere als noch in der setzenden Reflexion. Konnte da die Reflexion als Kreisbewegung verstanden werden, so wird der Kreis nun gesprengt durch die äußere Reflexion. Die äußere Reflexion setzt eine Unmittelbarkeit frei, die nicht mehr durch Negativität beschreibbar ist, denn die Reflexion negiert ihre selbstbezügliche Negationsstruktur. Sie "SETZT" ein "SEIN" "VORAUS", das in seiner Unmittelbarkeit und Unbestimmtheit aller Bestimmtheit durch die Reflexion entzogen ist. In der setzenden Reflexion ist die Unmittelbarkeit "Gesetztsein oder Moment" der Reflexion und infolgedessen in sich haltlose, sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit. Indem nun die Reflexion auf das Vorausgesetzte reflektiert, wird die Situation eine andere: Die Unmittelbarkeit tritt in ihrer gänzlichen Positivität als seiendes Substrat auf, und das Vorausgesetzte ist "Beziehung auf sich" gerade dadurch, daß es nicht von anderem abhängig ist. Die äußere Reflexion ist also nicht mehr Setzen ihrer Bestimmtheit im Ganzen, denn das Vorausgesetzte ist ihrer Macht entzogen. Die Folge davon ist, daß das Vorausgesetzte "die Bestimmtheit" nur noch als "Moment" an sich hat. Z 97 "Sie bezieht sich auf ihre Voraussetzung so, daß diese das Negative der Reflexion ist, aber so, daß dieses Negative ALS Negatives aufgehoben ist" (L. II., 17; 28f.).

Das Vorausgesetzte, auf das sich die Reflexion bezieht, ist zwar ein Negatives, aber eines, das als Negatives negiert ist, und damit in der Relation der Andersheit zur Reflexion steht. Daraus geht hervor, daß das vorausgesetzte Unmittelbare weiterhin nicht so beschrieben werden darf, als sei es ein Produkt der Selbstaufhebung der Reflexion, entstamme also aus dieser. Eine solche Beschreibung könnte nur um den Preis des Verlustes der Andersheit gegeben werden. Wird also gesagt, das Vorausgesetzte sei ein Negatives der Reflexion, so ist damit nichts über die interne negative Verfassung der Voraussetzung ausgesagt. Aus dem Umstand, daß das Vorausgesetzte ein Negatives ist, darf also nicht der Schluß gezogen werden, hier würde sich die äußere Reflexion schon der setzenden erinnern und das Vorausgesetzte als Gesetztsein behandeln. "Negatives" meint hier das Relat in der Relation seinslogischer Andersheit. Z 98 "- Die Reflexion in ihrem Setzen hebt unmittelbar ihr Setzen auf, so hat sie eine UNMITTELBARE VORAUSSETZUNG" (L. II., 17; 29).

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Die Reflexion ist Voraussetzen, indem sie in ihrem Setzen "unmittelbar" ihr Setzen aufhebt. Das Produkt dieses Prozesses ist eine "UNMITTELBARE VORAUSSETZUNG". Die Reflexion "hat" also eine "UNMITTELBARE VORAUSSETZUNG", weil sie im Übergang zur äußeren Reflexion die Abstraktion des Setzens im Akte des Setzens von sich selbst ist. So wird durchgestrichen, daß das Vorausgesetzte ein Gesetztes oder die Reflexion selbst ist. Hierin hat die Neigung der traditionellen Verstandesmetaphysik ihren Grund, das seiende Substrat zur absoluten Unmittelbarkeit zu verklären. Und hier setzt Hegels Kritik an der positiven Voraussetzung des seienden Substrats ein, denn die unmittelbare Voraussetzung ist freilich eine scheinhafte. Die äußere Reflexion nimmt ihren Anfang beim vorausgesetzten Unmittelbaren. Dieser Anfang der äußeren Reflexion ist jedoch nur scheinbarer Anfang. Dies bedeutet nun keineswegs, daß der wahre Anfang im Gegensatz zu diesem scheinbaren Anfang bei der bloß setzenden Reflexion zu suchen wäre. Denn die Logik der absoluten Reflexion hat gezeigt, daß sich diese in ihrer Selbstaufhebung die substratbestimmte Unmittelbarkeit als realen Anfang voraussetzt. Der Schein des Anfangs bei der vorausgesetzten Unmittelbarkeit besteht vielmehr in der absoluten Vermittlungslosigkeit dieser Voraussetzung. Im Verlauf der äußeren Reflexion wird sich zeigen, daß der Anfang beim vorausgesetzten Unmittelbaren nur Bestand hat im Akte des Setzens als solchem. Der Anfang mit dem vorausgesetzten Unmittelbaren wird dann nur noch ein Moment der Reflexion selbst sein. Der Schein des Anfangs bei der unmittelbaren Voraussetzung wird also destruiert, indem offenbar wird, wie die Voraussetzung als Reflexion durch die Reflexion hervorkommt. Es ist das Charakteristische des Abschnitts über die äußere Reflexion, daß Hegel aus der Situation der Andersheit zwischen Reflexion und vorausgesetzter Unmittelbarkeit die Situation selbstbezüglicher Negativität restituiert. Das Ziel der Logik der äußeren Reflexion ist es nämlich, daß die Reflexion sich im Anderen wiederfindet. Oder von der vorausgesetzten Unmittelbarkeit her gesehen ist es das Ziel, die Äußerlichkeit der Reflexion aufzuheben, indem die Reflexion mit der vorausgesetzten Unmittelbarkeit zusammengeht, so daß eine Situation entsteht, in der die Reflexion nicht nur 'an sich' sich selbst ein Anderes ist, sondern 'gesetzt' ist, daß sie im Modus der Andersheit existiert. Diese Bewegung, die zur bestimmenden Reflexion führt, wird erst am Ende des Abschnitts über die äußere Reflexion ausgeführt. Zwar wird auch hier eine Bewegung des In-sich-Zurückgehens in Anspruch

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genommen, doch ist diese eine Bewegung, die ihren Anfang in einem Anderen hat: Z 99 "Sie FINDET also dasselbe vor als ein solches, von dem sie anfangt und von dem aus sie erst das Zurückgehen in sich, das Negieren dieses ihres Negativen ist" (L. II., 17; 29).

Das Zusammenstellen der Begriffe "anfangen" und "Zurückgehen in sich" erscheint widersprüchlich angesichts des spekulativen Begriffs der Reflexion, wonach der Anfang nur in der Rückkehr zu finden ist. Der Terminus "vorfinden" indiziert ein Sein, das Bestand hat ohne die Reflexion, die da vorfindet. So wird das ontologisch Fundamentale und Reflexionsfremde des Anfangs betont. Die äußere Reflexion ist also eine Bewegung, die ihren Anfang in einem vorgefundenen Negativen, dem Sein, hat, das anscheinend nicht durch die Reflexion konstituiert ist. Von da aus ist sie erst die Bewegung des Insich-Zurückgehens und "das Negieren dieses ihres Negativen". Wie kann aber die Reflexion, die etwas vorfindet, von da aus "Zurückgehen in sich" sein, wenn das Zurückgehen in sich in Wahrheit die Metapher für eine Rückkehrbewegung ist, die den Schein des Anfangs negiert, indem sie ihn überhaupt erst hervorbringt. Denn so muß, wenn die Reflexion Rückkehr ist, der Anfang der Bewegung gleichwohl Reflexion sein, trotz des zunächst vorfindlichen Anfangs im Anderen. Es muß sich also die der äußeren Reflexion eigentümliche Voraussetzung letztlich als Reflexion erweisen. Zunächst stellt Hegel fest, daß die äußere Reflexion ihre Bewegung des In-sich-Zurückgehens und Negierens ihres Negativen nur so in Gang bringen kann, daß das, wovon sie ihren Ausgang nimmt, eine konstante und stabile Voraussetzung bleibt. Er hebt ausdrücklich hervor, daß der Charakter des Negativen oder Gesetzten eine der Voraussetzung äußere Bestimmung sei und nicht ihre innere Verfassung betrifft: Z 100 "Aber daß dies Vorausgesetzte ein Negatives oder Gesetztes ist, geht dasselbe nichts an; diese Bestimmtheit gehört nur der setzenden Reflexion an, aber in dem Voraussetzen ist das Gesetztsein nur als aufgehobenes" (L. II., 17; 29).

Die Voraussetzung bleibt also eine stabile Form des Anderen. Die äußere Reflexion kann daher nur so in sich zurückkehren, daß sie von einem Anderen anfängt, das trotz des Zurückgehens in sich der Reflexion als Voraussetzung erhalten bleibt. Als Zurückgehen in sich ist die Reflexion zwar "das Negieren dieses ihres Negativen" (Z 99), aber die Bestimmung der Andersheit und Äußerlichkeit der Voraus-

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setzung wird durch dieses Negieren nicht tangiert. Damit ist zwar eine Situation selbstbezüglicher doppelter Negation geschaffen, aber im Rahmen der äußeren Reflexion und auf dem Boden der Relation der Andersheit. Die äußere Reflexion erfüllt als Zurückgehen in sich beide Bedingungen des Begriffs der Reflexion, die des Sich-von-sichAbstoßens und des Zu-sich-Zurückkehrens. Sie ist weiterhin Setzen, aber ihr Setzen findet unter den Bedingungen des Bestandes einer unaufhebbaren Voraussetzung statt. Die äußere Reflexion bezieht sich auf eine unmittelbare Voraussetzung. Von da aus entfaltet sie sich als Reflexion so, daß sie in Beziehung auf diese Voraussetzung auch Setzen ist. Die äußere Reflexion ist in ihrem Setzen jedoch zunächst ein permanenter Umgang mit Unmittelbarem, wobei sie an diesem Unmittelbaren weitere Bestimmungen setzt, die diesem jedoch äußerlich sind: Z 101 "Was die äußerliche Reflexion an dem Unmittelbaren bestimmt und setzt, sind insofern demselben äußerliche Bestimmungen" (L. II., 17; 29).

Der Begriff der äußeren Reflexion stellt so alle wesentlichen Momente des Verstandesdenkens dar. Dieses ist durch vier Voraussetzungen ausgezeichnet: 1. die eines unmittelbar gegebenen Substrats, 2. die von unmittelbar gegebenen Bestimmungen, 3. die des Erkennens als eines bloßen Beziehens solcher unmittelbar gegebenen Bestimmungen auf ein solches Substrat, und schließlich 4. die des Gegensatzes des erkennenden Subjekts und eines damit nicht zu vereinenden Objekts - Voraussetzungen, die in der spekulativen Philosophie aufzugeben sind: Sie werden zurückgeführt auf das reine Scheinen der absoluten Reflexion und rekonstruiert als der wesentliche und notwendige Schein des Denkens als solchen, das ohne solche Voraussetzungen nicht auskommt, ja nicht einmal in Gang kommt. Die Gegenüberstellung von äußerer Reflexion und vorausgesetztem Unmittelbaren hat eine analoge Struktur wie die verstandesmäßige Kontraposition von Unendlichem und Endlichem in "der Sphäre des Seins": Z 102 "- Sie war das Unendliche in der Sphäre des Seins; das Endliche gilt als das Erste, als das Reale; von ihm wird als dem zugrunde Liegenden und zugrunde Liegenbleibenden angefangen, und das Unendliche ist die gegenüberstehende Reflexion-in-sich" (L. II., 17; 29).

Die absolute Reflexion und die reale Reflexion reformulieren in je spezifischer Weise die beiden Unendlichkeitsformen der Seinslogik aus der Perspektive der Reflexionslogik. Während die absolute Reflexion die Kreisstruktur der vernünftigen, affirmativen Unendlich-

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keit reflexionslogisch reformuliert, indem ihr immanentes Scheinen zugleich den Schein reiner Immanenz hervorbringt, reformuliert die äußere Reflexion reflexionslogisch die Verstandeskonzeption eines dem Endlichen opponierenden Unendlichen, bei dem das Hinausgehen über das Endliche die diesem gegenüberstehende "Reflexion-insich" ist, indem sie den Schein eines gegenständlichen Substrats einerseits und den des zugrundeliegenden reflektierenden Subjekts andererseits hervorruft. Die zirkuläre Bewegung der absoluten Reflexion wiederholt in sich die Kreisstruktur der affirmativen Unendlichkeit, indem sie sie zugleich von innen aufbricht. Demgegenüber wiederholt die äußere Reflexion in ihrer äußeren Beziehung gegebener Bestimmungen auf gegebene Substrate den unendlichen Progreß des Schlecht-Unendlichen, für welchen sich das Bild einer ins Unendliche fortlaufenden Linie nahelegt (vgl. L. L, 138; 164). Insofern die Bewegung von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion den Linearprozeß mit dem Kreisprozeß verbindet und so die beständig fortschreitende Aufnahme "unmittelbarer Gegebenheiten" in den Zirkel der Reflexion darstellt, überwindet die Wesenslogik die seinslogische Alternative von infinitem Regreß endlicher Bestimmungen einerseits und die in einfache Unmittelbarkeit zusammenfallende Kreisstruktur andererseits, so gewiß sie die "Sphäre des Seins" insgesamt überwindet. Gegen die Mutmaßung, das Auftreten von seinslogischen Kategorien (Realität, Andersheit, Unendliches/Endliches) im Kontext der äußeren Reflexion rechtfertige die Annahme, die äußere Reflexion falle in die Sphäre der Seinslogik zurück, ist also das Argument entgegenzustellen, daß zwar seinslogische Kategorien auftreten, aber auf dem Hintergrund der setzenden Reflexion. So ergibt sich kein Rückfall in die Seinslogik, denn gegenüber der Seinslogik ist der Fortschritt festzuhalten, daß die Reflexion in ihrem Setzen das Setzen aufhebt. Dieser Sachverhalt, der beim Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion konstatiert werden konnte, sichert der äußeren auch den Übergang zur bestimmenden Reflexion. Die beiden letzten Absätze des Abschnitts über die äußere Reflexion gelten dem Übergang zur bestimmenden Reflexion. Absatz C.2. 3. bereitet diesen Übergang vor, Absatz C.2.4. führt ihn aus. Z 103 "Diese äußere Reflexion ist der Schluß, in welchem die beiden Extreme, das Unmittelbare und die Reflexion-in-sich, sind; die Mitte desselben ist die Beziehung beider, das bestimmte Unmittelbare, so daß der eine Teil derselben, die Unmittelbarkeit, nur dem einen Extreme, die an-

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dere, die Bestimmtheit oder Negation, nur dem anderen Extreme zukommt" (L. II., 17; 29).

Auffällig ist an dieser Stelle Hegels Bezugnahme auf die Logik des Schlusses, und zwar zum einen deshalb, weil hier im Vorgriff auf eine viel spätere Stufe der Logik die laufende Argumentation durch einen Gedanken gestützt wird, der nicht systematisch und terminologisch abgesichert ist, zum anderen deshalb, weil hier in einem logisch durch externe Bestimmtheit und Veräußerlichung gekennzeichneten Feld in einer Sprache operiert wird, die der Logik der Subjektivität des Begriffs angehört.32 Ohne auf die möglichen interpretatorischen Schwierigkeiten einzugehen, die durch den maßgeblichen Stellenwert des Schlusses in Hegels Logik33 und den von Hegel gewählten, gegenüber gängigeren Theorien der aristotelischen Logik 32

33

Eine Parallelstelle, an der Hegel gleichfalls in einem durch Äußerlichkeit gekennzeichneten Terrain schlußlogisch verfährt, findet sich in der daseinslogischen Dialektik von Bestimmung, Beschaffenheit und Grenze: "Bestimmung und Beschaffenheit sind so voneinander unterschieden; Etwas ist seiner Bestimmung nach gleichgültig gegen seine Beschaffenheit. Das aber, was Etwas AN IHM hat, ist die sie beide verbindende Mitte dieses Schlusses. Das AM-ETWAS-Sein zeigt sich aber vielmehr, in jene beiden Extreme zu zerfallen. Die einfache Mitte ist die BESTIMMTHEIT als solche; ihrer Identität gehört sowohl Bestimmung als Beschaffenheit an" (L. L, 111; 133). In dem, was Etwas "AN IHM" ist, im An-ihm-Sein des Etwas, treffen beide Aspekte dessen, was die "BESTIMMTHEIT" von Etwas ausmacht, zusammen. Die "BESTIMMTHEIT als solche" wird in diesem Zusammenhang als die einfache Mitte eines Schlusses verstanden, der die beiden Extreme, Bestimmung und Beschaffenheit - Hegel bezeichnet sie als "SEITEN für die äußerliche Reflexion" (L. L, 119; 142) -, verbindet. Der Grund, warum Hegel an dieser Stelle der Daseinslogik das Operationsmittel des Schlusses gebraucht, ist dieser: Er will durch ihn die auseinanderfallenden und von der traditionellen Ontologie abgetrennten Aspekte dessen, was die Bestimmtheit von Etwas ausmacht, in einen einheitlichen Gedanken der Qualität von Etwas integrieren. Die Vereinigung von Bestimmung und Beschaffenheit führt zur Kategorie der Grenze. Hegels Logik der "Subjektivität" des Begriffs hat zu ihrem Kern die spekulativ interpretierten Formen der Figuren des Schlusses. Sie dienen Hegel als formale Schemata für die Auslegung der "Objektivität" des Begriffs als reale Systeme. In Form eines ganzen Syllogismus - d.i. für Hegel ein Schluß von drei Schlüssen abgehandelt werden z.B. das Sonnensystem, Chemismus, Organismus, der objektive und der absolute Geist. "Es ist nur durch die Natur dieses Zusammenschließens, durch diese Dreiheit von Schlüssen derselben TERMINORUM, daß ein Ganzes in seiner Organisation wahrhaft verstanden wird" (Enz. § 198 Anm.). Erst in der Begriffslogik wird Hegels Logik als Metaphysik absoluter Relationalität zur wirklich konkreten Weltinterpretation. Vgl. zu Hegels Schlußlehre Düsing (1976), 266ff.).

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noch erhöhten Abstraktionsgrad entstehen, sei hier kurz umrissen, was Hegel an dieser Stelle voraussetzt: Der Syllogismus besteht im geläufigen formallogischen Modell aus drei Termen: dem Subjekt (terminus maior), dem Prädikat (terminus minor) und dem Mittelbegriff (terminus medius). Diese werden in drei Urteilen, den beiden Prämissen und der Konklusion, aufeinander bezogen. Was Hegel an der formalen Logik des Schlusses interessiert haben muß, ist folgender Umstand: In sämtlichen Schlußmodi es gibt deren vier - enthält der Nachsatz die gefolgerte, also bewiesene Prädikation, im klassischen Beispiel: die Einführung des Einzelnen ins Allgemeine. Es figurieren nurmehr Subjekt und Prädikat (SeP), der terminus medius ist verschwunden. Seine Rolle erschöpft sich in der Stiftung der Einheit Diskreter. Er ist das Wodurch des Schlusses, welches die Extreme zusammenschließt. Der Syllogismus, und dies ist für seine Anwendung auf die Kategorie der äußeren Reflexion von außerordentlicher Bedeutung, enthält seine begrifflichen Momente separatim und vermittelt sie in der Einheit des Schlusses. Die Vereinigung der Differenten vollzieht sich dabei grundsätzlich unter Wahrung der Differenz. Schließen ist synlegein, nicht homo-legein. Der Syllogismus ist also eine logische Form, die es erlaubt, Gedanken so zusammenzubringen, daß sie zugleich in ihrer Differenz verdeutlicht werden. Die Verschiedenheit der aufeinander Bezogenen wird noch dadurch besonders deutlich, daß der Schluß zu erkennen gibt, wie wenig Subjekt und Prädikat des Folgerungssatzes ohne Vermittlung durch den terminus medius zueinander fänden. Zwei Terme, die für uns normalerweise allemal zusammengehören, können logisch an ihnen selbst erst durch Beziehung, also durch Trennung, in Einheit gesetzt werden. Auf solche Weise sind hier terminus maior und terminus minor, die "Reflexion" und das "Unmittelbare", im Schlüsse durch ihre Mitte, "die Beziehung beider, das bestimmte Unmittelbare", wohl vereinigt und doch nicht einerlei. Hegel kleidet an dieser Stelle zum Zwecke der Explikation der Beziehung von Unmittelbarem und Reflexion die äußere Reflexion in die Form eines Schlusses, um damit deutlich zu machen, daß die Überwindung der Äußerlichkeit der Reflexion im Durchgang durch dieselbe erfolgt. Ist also Hegels Vorgriff auf die Schlußlogik methodisch erlaubt? Daß Hegel kaum einen methodisch unerlaubten Vorgriff auf seine Schlußlogik unternimmt, erhellt daraus, daß sich der Sinn des Schlusses leidlich aus dem heraus ergibt, was noch vor und neben Hegel als Syllogismus gilt. Allerdings fällt eine Eigenwilligkeit in Hegels Auffassung des Schlusses auf. Es wird im betrachteten Kon-

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text gar nicht geschlossen im Sinne einer Schlußfolgerung, sondern nur im Sinne des Zusammenschließens, des Beziehung-Stiftens Geschiedener. Diese Eigentümlichkeit in der Auffassung des Syllogismus ergibt sich aus Hegels reduzierten triadischen Schlußschemata, worin nicht drei Terme und drei Urteilsätze, sondern nur deren Abbreviaturen, die kategorialen Abbreviaturen dieser Sätze (Einzelheit, Besonderheit, Allgemeinheit) in jeweils variierter Stellung von Extrem und Mitte in Beziehung zueinander gesetzt werden.34 4. Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion Der Absatz, der zur bestimmenden Reflexion überleitet, lautet vollständig: Z 104 "Aber das Tun der äußeren Reflexion näher betrachtet, so ist sie ZWEITENS Setzen des Unmittelbaren, das insofern das Negative oder Bestimmte wird; aber sie ist unmittelbar auch das Aufheben dieses ihres Setzens; denn sie setzt das Unmittelbare VORAUS; sie ist im Negieren das Negieren dieses ihres Negierens. Sie ist aber unmittelbar damit ebenso SETZEN, Aufheben des ihr negativen Unmittelbaren; und dieses, von dem sie als von einem Fremden anzufangen schien, ist erst in diesem ihrem Anfangen. Das Unmittelbare ist auf diese Weise nicht nur AN SICH, das hieße für uns oder in der äußeren Reflexion, DASSELBE, was die Reflexion ist, sondern es ist GESETZT, daß es dasselbe ist. Es ist nämlich durch die Reflexion als ihr Negatives oder als ihr Anderes bestimmt, aber sie ist es selbst, welche dieses Bestimmen negiert. - Es ist damit die Äußerlichkeit der Reflexion gegen das Unmittelbare aufgehoben; ihr sich selbst negierendes Setzen ist das Zusammengehen ihrer mit ihrem Negativen, mit dem Unmittelbaren, und dieses Zusammengehen ist die wesentliche Unmittelbarkeit selbst. - Es ist also vorhanden, daß die äußere Reflexion nicht äußere, sondern ebensosehr immanente Reflexion der Unmittelbarkeit selbst ist oder daß das, was durch die setzende Reflexion ist, das an und für sich seiende Wesen ist. So ist sie BESTIMMENDE REFLEXION" (L. II., 18; 29f). In diesem Absatz vollzieht sich der Übergang von der äußeren Reflexion in den Bereich bestimmender Reflexion und reflektierter Be34

Auch Hegels Lehre vom Schluß ist daher wirklich nur vor dem Hintergrund der in der Wesenslogik entwickelten ontologiekritischen Metaphysik negativer Relationalität zu verstehen, denn erst Hegels Begriff der Relation macht deutlich, daß die Vereinigung von Momenten nur über die Wahrung ihrer Differenz erfolgen kann. Zu den vereinigungsphilosophischen Motiven von Hegels Schlußlogik vgl. Henrich (1982a), 428-450.

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Stimmungen. - Hegels argumentatives Projekt wird am ehesten aus seinem eigenen Resümee nach dem ersten Gedankenstrich deutlich: "Es ist damit die Äußerlichkeit der Reflexion gegen das Unmittelbare aufgehoben". Man kann dies als Plädoyer lesen für eine Rückführung aus dem Bereich der Äußerlichkeit und Verdoppelung der Reflexion.35 Doch waren Reflexion und Unmittelbarkeit schon so sehr als zwei gegeneinander bestimmte Fälle von Reflexion erarbeitet worden, daß ein Rückfall auf das frühere Stadium der Innerlichkeit der Reflexion qua setzender Reflexion auf unüberwindlichen Widerstand stößt. Zumal ja eben die setzende Reflexion in Verlängerung ihrer logischen Konsequenz das Movens für die Extrapolation der Reflexion als äußerer darstellte. Vielmehr ist zu erwarten, daß die Überwindung der Äußerlichkeit der Reflexion nur im Durchgang durch dieselbe, demnach nicht mittels ihrer Rückführung, sondern mittels ihrer Fortführung erreicht wird. Von hervorragender Bedeutung wird dabei die Analyse dessen sein, was "Setzen" in einem derartigen Zusammenhang bedeuten kann. Auch die Tatsache, daß in Absatz C.2.4., in dem die Äußerlichkeit der Reflexion gegen die Unmittelbarkeit aufgehoben werden soll, das "Setzen" zum Thema gemacht wird, legt den Verdacht nahe, daß sich damit ein Rückfall auf die Stufe der setzenden Reflexion vollzieht. Dieser Verdacht drängt sich um so mehr auf, als in Absatz C.2.4. in anscheinend ähnlicher Weise von Setzen und Voraussetzen die Rede ist, wie im Abschnitt über die setzende Reflexion.36 Soll die Kategorie

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In der ersten Fassung seiner Arbeit über Hegels Logik der Reflexion ist Henrich der Auffassung, daß Hegel selbst den Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion so sieht: "Wenn die äußere Reflexion, die ein Unmittelbares voraussetzt, auch berücksichtigt, daß ihr Voraussetzen auch ein Setzen ist, wird die Unabhängigkeit des Unmittelbaren gegenüber der Reflexion wieder zurückgenommen. Das Unmittelbare war nur als das Andere der Reflexion bestimmt. Wird diese Differenz aufgehoben, so wird damit auch das Anderssein des Anderen aufgehoben. Darin geht die Reflexion mit dem Unmittelbaren zusammen, und es zeigt sich, daß das Unmittelbare selber Reflexion ist" (Henrich (1971), 127f.). Henrich fügt hinzu: "Dieses Argument ist nicht überzeugend" (ebd.). Bei der Interpretation des Abschnitts über die äußere Reflexion bemerkt Henrich, "daß Hegel den Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion in der gleichen Terminologie und dem Anschein nach auch mit genau den gleichen Argumenten bewerkstelligt, die schon am Ende der Analyse der setzenden Reflexion zur Verfügung stehen (GH, 4): Was von der Reflexion vorausgesetzt ist, muß zugleich als Setzen gedacht werden; ergo ist die Unmittelbarkeit nicht gegen das Wesen, sondern das Wesen selbst. Der Schritt zur bestimmenden Reflexion scheint durch den Einschub der äußeren nur verzögert zu sein, wodurch sich die

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der bestimmenden Reflexion nicht zu einem Anhängsel der setzenden Reflexion verkommen, so muß dieser Verdacht entkräftet werden. Es muß deshalb nachgewiesen werden, daß der Rekurs auf das Setzen und Voraussetzen keine Retardation zur Folge hat, sondern im Gegenteil einen wichtigen Fortschritt in der Entwicklung der Reflexion bedeutet. Es ist daher angebracht, den Absatz C.2.4. zunächst nicht direkt zu thematisieren, sondern ihn in den Kontext seiner Bedingungen und Resultate zu stellen. Im Anschluß daran ist dann zu fragen, ob "Setzen" in diesem Zusammenhang auch einen anderen Stellenwert haben kann als in der nur setzenden Reflexion. 1. Mit der Aufhebung der Fremdheit und Äußerlichkeit der Reflexion gegen die Unmittelbarkeit entsteht die bestimmende Reflexion. Die Unmittelbarkeit wird dabei nicht ihrer Selbständigkeit beraubt und in die Immanenz der reinen Reflexion zurückgeführt, wie es in der setzenden Reflexion der Fall war, sondern behält ausdrücklich ihre Eigenständigkeit bei. Die Selbständigkeit des Vorausgesetzten bleibt also erhalten. Die Äußerlichkeit wird nur solchermaßen aufgehoben, daß diese Unmittelbarkeit nicht mehr nur an sich oder für uns dasselbe ist wie die Reflexion, sondern daß diese Identität jetzt eine durch die Reflexion "gesetzte" ist. Sie ist also nun auch für die Reflexion. Die Identität der Reflexion und ihrer Voraussetzung bestimmt sich nicht so, daß die Voraussetzung wieder in die Rückkehr in sich verschwindet, vielmehr ist sie als bestimmende ihr Anderes selbst so geworden, daß sie nun dessen "immanente Reflexion" ist. Damit ist eine Situation etabliert, in der auch für die Reflexion 'gesetzt' ist, daß sie im Modus ihrer Andersheit existiert. Die Vereinigung von Reflexion und Unmittelbarkeit durch die Reflexion findet also auf dem Boden der Unmittelbarkeit statt. Auf diese Weise ist allerdings keineswegs Äußerlichkeit eliminiert; vielmehr ist der die Äußerlichkeit stiftende Schein der Unmittelbarkeit sogar derart verstärkt, daß noch weit über die äußere Reflexion hinaus (vgl. "die außer sich gekommene Reflexion" (L. II., 22; 34)) die Entwicklung des Wesens unter dessen Primat stehen wird.37 Wiederholung der Argumentation, die ihn einleitet, erklären würde" (Henrich (1978), 291 ). Henrich hebt hervor, daß sich mit der äußeren Reflexion "die gesamte Problemlage der Logik auf bedeutsame Weise verlagert" (Henrich (1978), 298) hat. "Es zeichnet sich ab, daß die Reflexion und ihre formale Entwicklung in sich nicht als definitives Ganzes zu fassen sind. Die formale Entwicklung treibt vielmehr in Be-

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Dennoch ist die Äußerlichkeit in dem Sinne aufgehoben, daß nun keine Reflexion mehr besteht, der sich ein Unmittelbares als eine ihr äußerliche, 'unaufhebbare Voraussetzung* (Frank) entgegenstellen könnte. Durch die Aufhebung der Äußerlichkeit im Zusammengehen mit dem die Äußerlichkeit begründenden Unmittelbaren konstituiert die Reflexion die "wesentliche Unmittelbarkeit". Damit ist die äußere Reflexion zugleich "nicht äußere, sondern ebensosehr immanente Reflexion der Unmittelbarkeit selbst" und das, was sie "an die Stelle des aufgehobenen Seins" (L. II., 20; 32) setzt, ist "das an und für sich seiende Wesen". Auch der Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion steht also noch im Kontext von Hegels Kritik der Ontologisierung der Reflexion. 2. Nachdem die Bedingungen und Resultate von Absatz C.2.4. umrissen worden sind, kann aus dieser Perspektive versucht werden, die Art und Weise des dort thematisierten "Setzens" zu analysieren. Der bisherige Gedankengang der äußeren Reflexion war folgender: Der Absatz C.2.2. insgesamt beschreibt die äußere Reflexion als eine voraussetzende. Die Reflexion setzt notwendig ein Sein voraus, das in seiner Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit aller Bestimmtheit durch die Reflexion entzogen ist. Das vorausgesetzte Unmittelbare ist nur deshalb ein der Reflexion vorausliegendes unmittelbares Substrat, weil die Reflexion im Voraussetzen von ihrem Setzen abstrahiert. Sie hebt im Setzen "unmittelbar" ihr Setzen auf. Zwar kommt die Unmittelbarkeit eines ontologischen Substrats nur durch die Abstraktion von der Bewegung der Reflexion zustande, doch begreift die Reflexion das von ihr konstituierte Substrat als von ihr unabhängig bestimmt, als eine "UNMITTELBARE VORAUSSETZUNG". Zwar ist die Reflexion auch als äußere weiterhin Setzen, aber ihr Setzen hat zunächst die Form des äußerlichen Ponierens. So bezieht sie sich äußerlich auf ein unmittelbar gegebenes Substrat und setzt an demselben äußere Bestimmungen. stimmtheitsverhältnisse, in denen die Reflexion 'außer sich kommt*. Sie müssen dann allererst entwickelt und in eine einheitliche Wesensform zurückgebracht werden. Der Zielpunkt eines Abschlusses des logischen Prozesses rückt aber damit auch in unbestimmte Ferne hinaus" (ebd., 295). Dieser Zielpunkt rückt im gesamten Verlauf der Wesenslogik nicht näher; und dies deshalb, weil die Wesenslogik den Schein der die Äußerlichkeit konstituierenden Unmittelbarkeit, der an den metaphysischen Verstandesbestimmungen haftet, als Schein zur kritischen Darstellung bringen will.

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Während Absatz C.2.2. die äußere Reflexion als voraussetzende thematisiert, läßt Absatz C.2.4. demgegenüber das "Tun der äußeren Reflexion" aus der Perspektive des Setzens vor sich abrollen. Gegen die Äußerlichkeit macht Hegel also geltend, das die voraussetzende Reflexion ebenso wesentlich Setzen ist. a) Was heißt es, daß die äußere Reflexion "näher betrachtet" das "Setzen des Unmittelbaren" ist, "das insofern das Negative oder Bestimmte wird"? Das Unmittelbare wird durch die Reflexion gesetzt als Bestimmtes. Die Unmittelbarkeit ist zwar der Reflexion vorausgesetzt, doch wird sie durch die Reflexion erst bestimmt und als Unmittelbarkeit gesetzt. Damit ist der ontologische Schein der unmittelbaren Voraussetzung der äußeren Reflexion aufgehoben. In der setzenden Reflexion kam es zu keiner Selbständigkeit der gesetzten Unmittelbarkeit; dort ist die Unmittelbarkeit gesetzt und ist zugleich aufgehoben. Wird das Unmittelbare als Negatives oder Bestimmtes gesetzt, so tritt es als dieses Bestimmte in seiner wesentlichen Selbständigkeit für sich hervor. Ihm wird also lediglich ein Prädikat zugesprochen, das ihm zuvor nicht zuerkannt worden ist. Und dieses Prädikat wird ihm so zugesprochen, wie es ihm seinem Wesen nach zukommt. Das vorausgesetzte Unmittelbare selbst hat in der äußeren Reflexion schon Bestand gegen die Reflexion. Es erscheint ihr jedoch zunächst als ein ihr Negatives oder Fremdes. Was die äußere Reflexion einzig noch leistet, ist, daß sie dem Unmittelbaren diejenige Bestimmung zuspricht, die ihm wirklich zukommt. So wird sie bestimmende Reflexion. Die bestimmende Reflexion setzt also das Unmittelbare und seine Bestimmungen so in Beziehung aufeinander, wie sie "an sich" wirklich aufeinander bezogen sind. Dieser Sachverhalt kennzeichnet den objektiven Sinn der bestimmenden Reflexion. Der Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion ist mithin zusammen mit der Kritik an der ontologischen Fundierung des Wesens Kritik an der Äußerlichkeit der bloß subjektiven Verstandesreflexion. b) Im folgenden gibt Hegel die Bedingungen an, die das "Setzen" haben muß, um das Setzen der bestimmenden Reflexion zu werden: "[...] aber sie ist unmittelbar auch das Aufheben dieses ihres Setzens; denn sie setzt das Unmittelbare VORAUS; sie ist im Negieren das Negieren dieses ihres Negierens" (Z 104). Die äußere Reflexion ist also 1. "Setzen des Unmittelbaren, das insofern das Negative oder Bestimmte wird" und 2. ebenso "unmittelbar auch das Aufheben dieses ihres Setzens". Das Setzen hebt sich in seinem Setzen "unmittelbar" selbst auf und ist so Voraussetzen eines Unmittelbaren. Die

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negationstheoretische Fassung des Voraussetzens -"sie ist im Negieren das Negieren dieses ihres Negierens" - ist nur eine verkürzte Darstellung des Sachverhalts, daß das Setzen sich selbst aufhebt. Die äußere Reflexion als selbstbezügliche doppelte Negation negiert ihre selbstbezügliche Negationsstruktur. Sie ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie das Unmittelbare nicht setzt, sondern voraussetzt. c) Doch entspringt das Wesen des vorausgesetzten Unmittelbaren zugleich aus ihrem eigenen Tun: "Sie ist aber unmittelbar damit ebenso SETZEN, Aufheben des ihr negativen Unmittelbaren; und dieses, von dem sie als von einem Fremden anzufangen schien, ist erst in diesem ihrem Anfangen" (Z 104). Die äußere Reflexion ist, insofern sie sich selbst aufhebendes Setzen oder Voraussetzen eines Unmittelbaren ist, "aber unmittelbar damit ebenso SETZEN". - Mit dieser scheinbar pleonastischen Formulierung betont Hegel die Implikation des Setzens durch das Voraussetzen, nachdem er sich vorher der Implikation des Voraussetzens durch das Setzen versichert hat. Die Implikation des Setzens durch das Voraussetzen kann Hegel allerdings nur angesichts einer durch die äußere Reflexion veränderten Gesamtlage behaupten. Das Unmittelbare hat in der äußeren Reflexion Bestand gegen die Reflexion schon vor ihrem spezifischen Setzen. Insofern es Bestand hat, kann nun auch nicht mehr ohne Widerspruch behauptet werden, daß das Unmittelbare im selben Akt vorausgesetzt und, weil gesetzt, zugleich auch aufgehoben ist. Damit fiele die äußere Reflexion wieder in die setzende zurück. Also muß die Implikation des Setzens durch das Voraussetzen anders interpretiert werden: Die äußere Reflexion ist in ihrem Setzen das Aufheben dieses ihres Setzens, denn sie setzt das Unmittelbare voraus. Wenn Hegel nun die Implikation des Setzens durch das Voraussetzen betont, so bedeutet dies keineswegs das Aufheben oder Rückgängigmachen des Voraussetzens wie in der nur setzenden Reflexion. Vielmehr stellt sich das sich selbst aufhebende Setzen oder Voraussetzen selbst als ein "SETZEN" dar, und zwar als ein ausgezeichnetes. In ihm entäußert sich die äußere Reflexion ihrer eigenen Äußerlichkeit, d.h. von sich selbst. Das "sich selbst negierende Setzen" (Z 104) ist ein ausgezeichnetes Setzen, durch das die Reflexion sich selbst mit ihrem Negativen, dem Unmittelbaren, als identisch bestimmt. Indem die Reflexion sich in ihrem Setzen also selbst aufhebt, ist sie ebenso nur Setzen, d.i. "das Zusammengehen" mit ihrem Negativen und im Negativen mit sich selbst. Dieses Zusammengehen konstituiert die "wesentliche Unmittelbarkeit". Deshalb sind die sich selbst negierende

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Reflexion und die Unmittelbarkeit beide auf der Seite der Unmittelbarkeit als identisch gesetzt. Die Reflexion bezieht sich nun nicht mehr äußerlich auf ihre Voraussetzung, sondern ist gesetzt als die "immanente Reflexion" der Unmittelbarkeit selbst. In diesem Sinne ist die Reflexion in ihrem spezifischen "SETZEN" "Aufheben des ihr negativen Unmittelbaren". Sie hebt dessen Fremdheit auf, indem sie sich selbst an das Unmittelbare entäußert. Das Unmittelbare, von dem sie "als von einem Fremden anzufangen schien", ist das, was es seinem Wesen nach ist, "erst in diesem ihrem Anfangen".38 Dies Anfangen ist zugleich das Aufhören der Reflexion in ihrer Äußerlichkeit, weil sie sich ihrer Äußerlichkeit darin selbst entäußert. Die Äußerlichkeit der Beziehung zwischen Reflexion und vorausgesetzter Unmittelbarkeit hebt sich also derart auf, daß sich die Reflexion zur immanenten Bewegung der Sache selbst macht.™ 38

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So erweist sich im Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion, daß dasjenige Andere, von dem die äußere Reflexion als ihrer Voraussetzung anfängt, in Wahrheit Reflexion selbst ist. Kant, so referiert Hegel in der "Anmerkung" zur äußeren Reflexion, nimmt die Reflexion im gewöhnlichen subjektiven Sinn als "Bewegung der Urteilskraft" (L. ., 18; 30), die zu einem "gegebenen" Besonderen das Allgemeine aufsucht. Nach Hegels Meinung hat es Kant also nur mit der "äußeren Reflexion" zu tun. Die Tleflexionsbegrifle' sind Mittel der subjektiven Reflexion des Bewußtseins, durch Vergleichung und Unterscheidung vom "Gegebenen" zu Allgemeinbegriffen zu gelangen. Zwar hält Hegel diese Reflexion der "Urteilskraft" für einen Fall der logfisch "äußeren Reflexion", weil sie als Tätigkeit eines dem "Gegebenen" gegenüberstehenden Subjekts begriffen wird. Aber, so Hegels weitere Überlegung, es "liegt" in Kants Begriff der subjektiven Reflexion bereits "auch der Begriff der absoluten Reflexion", denn "die Bestimmungen, die von ihr [der subjektiven Reflexion, d.V.] herkommen", gelten "nicht als ein jenem Unmittelbaren äußerliches, sondern als dessen eigentliches Sein" (L. II., 19; 31). Hegel hebt also die traditionelle Bewußtseinstheorie, die vom Gegensatz von Subjekt und Objekt ausgeht, kritisch auf, indem er zeigt, daß in ihrem Begriff von Reflexion der Begriff der absoluten Reflexion enthalten ist. Im Klartext: Das Bewußtsein, das einen gegebenen, besonderen Inhalt mit Hilfe von Reflexionsbegriffen auf ein Allgemeines hin überschreitet, setzt eben damit den Inhalt nicht als gegeben voraus, sondern geht über seine Unmittelbarkeit hinaus und bestimmt ihn durch das Beziehen und Unterscheiden als besonderen. Andererseits unterstellt es, daß die Bestimmungen, die es ihm beilegt, seine wesentlichen Bestimmungen sind. Die subjektive Reflexion des Bewußtseins zeigt damit an sich selbst, daß sie implizit den Begriff der bestimmenden Reflexion enthält, die Reflexion als Beziehung von Substrat als Substrat und Bestimmungen als Bestimmungen an dem Substrat, welche Bestimmungen sich eben durch diese Beziehung als Bestimmungen des Substrats erweisen. Diese "REFLEKTIERTEN BESTIMMUNGEN' (ebd.), die sich in der bestimmenden Reflexion ergeben, sind denn auch "anderer Art" (ebd.) als die "unmittelbaren Bestimmungen des Seins" (ebd.). Gerade die Form ihres Anund-

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IV. Die bestimmende Reflexion 1. Die bestimmende Reflexion als Einheit von setzender und äußerer Reflexion Z 105 "Die bestimmende Reflexion ist überhaupt die Einheit der SETZENDEN und ÄUSSEREN Reflexion. Dies ist näher zu betrachten" (L. II., 20; 32).

Die beiden Sätze dieses Absatzes sind als Einleitung programmatischer Natur. Die Einheit der setzenden und äußeren Reflexion, in der sich die Identifikation der Reflexion mit dem ihr negativen Unmittelbaren ergab, ist die bestimmende Reflexion. Es gilt zunächst den Sinn dieser Einheit herauszuarbeiten. Das am Ende des Abschnitts über die äußere Reflexion Vorliegende ergab folgendes: a) Die Äußerlichkeit der Reflexion hebt sich auf, indem sie sich als immanente Reflexion der Unmittelbarkeit selbst setzt und so den Schein der unmittelbaren Voraussetzung aufhebt. Damit ist die Identität der Reflexion mit der ihr negativen Unmittelbarkeit gesetzt. Diese durch die Reflexion gesetzte Identität von Reflexion und Unmittelbarkeit fällt jedoch auf die Seite der Unmittelbarkeit. b) Indem die Reflexion als immanente Reflexion der Unmittelbarkeit gesetzt ist, ist die Unmittelbarkeit wieder unter die Herrschaft der Reflexion und des Gesetztseins geraten, wobei sich aber im Unterschied zum Vorhergehenden das Verhältnis von Reflexion und Unmittelbarkeit umkehrt. Während die setzende Reflexion die Unmittelbarkeit setzt und aufhebt und somit die Reflexion die Unmittelbarkeit dominiert, ist in der bestimmenden Reflexion die gesetzte Unmittelbarkeit zur Herrschaft über die Reflexion gelangt. Die gesetzte Unmittelbarkeit erreicht nicht nur Selbständigkeit gegenüber der Reflexion wie in der äußeren Reflexion, sondern absorbiert sie. Das Gesetztsein ist die Reflexion selbst, dominiert sie: Die Reflexion ist unter die Herrschaft ihres Gesetztseins geraten. Im selben Maße also, wie im Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion die vorausgesetzte, scheinbar reflexionslose Unmittelbarkeit wieder fürsichseins bewirkt, daß sie sich als die wesentlichen geltend machen "und statt übergehend in ihre entgegengesetzten zu sein, erscheinen sie vielmehr als absolut, frei und gleichgültig gegeneinander. Sie widersetzen sich daher hartnäckig ihrer Bewegung" (L. II., 19f.; 31) - womit bereits die Aufgabe der Logik der Reflexionsbestimmungen angedeutet wäre, diese nämlich in ihrer Bewegung darzustellen.

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unter die Herrschaft der Reflexion und des Gesetztseins kommt, gerät die Reflexion unter die Herrschaft ihrer gesetzten Unmittelbarkeit. So restituiert sie an ihr selbst den ontologisch-metaphysischen Schein der Unmittelbarkeit im Wesen. c) Diese Entwicklung erscheint notwendig, um zwei mögliche Gefahren, den Rückfall in die setzende und das Stehenbleiben bei der äußeren Reflexion, abzuwenden. Das neue Verhältnis von Unmittelbarkeit und Reflexion ist ein Fortschritt, den die äußere Reflexion in ihrer Selbsttranszendierung selbst leistet und durch den sie zur bestimmenden Reflexion wird. Die Dominanz des Gesetztseins wird für den Gedanken der Reflexionsbestimmung bedeutsam. Das Gesetztsein wird in der bestimmenden Reflexion selbst als Reflexion, als in sich reflektiertes Gesetztsein, beschrieben. Dieses Problem steht im Zusammenhang mit der Frage nach den Begriffen "Gesetztsein" und "Reflexionsbestimmung" und wird in einem späteren Kontext wieder aufgenommen werden. Z 106 "1. Die äußere Reflexion fängt vom unmittelbaren Sein an, die SETZENDE vom Nichts. Die äußere Reflexion, die bestimmend wird, setzt ein Anderes, aber das Wesen, an die Stelle des aufgehobenen Seins; das Setzen setzt seine Bestimmung nicht an die Stelle eines Anderen; es hat keine Voraussetzung. Aber deswegen ist es nicht die vollendete, bestimmende Reflexion; die Bestimmung, die es setzt, ist daher NUR ein Gesetztes; es ist Unmittelbares, aber nicht als sich selbst gleich, sondern als sich negierend, es hat absolute Beziehung auf die Rückkehr in sich; es ist nur in der Reflexion-in-sich, aber es ist nicht diese Reflexion selbst. Das GESETZTE ist daher ein ANDERES, aber so, daß die Gleichheit der Reflexion mit sich schlechthin erhalten ist; denn das Gesetzte ist nur als Aufgehobenes, als Beziehung auf die Rückkehr in sich selbst" (L. II., 20; 32).

Hegel erinnert zunächst in Rekapitulation des Erreichten, daß sich die setzende und die äußere Reflexion durch ihre Ausgangspunkte unterscheiden: Die äußere Reflexion nimmt ihren Anfang beim unmittelbaren Sein, die setzende beim Nichts. Die äußere Reflexion ist nicht die setzende oder absolute Reflexion, weil sie nicht das Gesetztsein ihrer Voraussetzung impliziert, sondern wesentlich nur Reflektieren-aw/' ist. Damit steht sie im direkten Gegensatz zur setzenden Reflexion. Wenn nämlich in der äußeren Reflexion auf etwas reflektiert wird, so ist dies der Reflexion Vorausgesetzte selbst absolut und nicht als gesetzt vorhanden. Die setzende Reflexion geht vom Nichts als Nichts aus, und das, was ist, geht aus ihrer Bewegung selbst hervor und ist nicht außer

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dieser Bewegung. Zum entgegengesetzten Gedanken fuhrt die äußere Reflexion: Das, was ist, ist ein der Reflexion unmittelbar vorausgesetztes seiendes Substrat. Damit wird in den Begriff der Reflexion ein Gedanke hereingebracht, der gerade nicht Reflektieren, sondern in dem die Auflösung des Reflexionszirkels alles ist. Das Ziel, die bestimmende Reflexion, ist mit der äußeren Reflexion ebensowenig wie mit der setzenden Reflexion erreicht. Erst dann, wenn die äußere Reflexion das Wesen oder die Reflexion selbst "an die Stelle des aufgehobenen Seins" setzt, wird sie "bestimmend". Die Reflexion steht dann nicht mehr einer ihr äußeren, unmittelbaren Voraussetzung gegenüber, vielmehr geht sie mit ihrem vermeintlich Anderen so zusammen, daß Reflexion und aufgehobenes Sein schlechterdings als identisch gesetzt sind. Das Gesetztsein der Reflexion ruht dann nicht mehr auf einem ontologischen Fundament, sondern ist selbst als Reflexion gegen sie zu denken. Die Bedingungen, unter denen sich diese Identifikation vollzieht, bleiben hier jedoch noch ausgeblendet, so daß auch der für den Fortgang zur bestimmenden Reflexion wichtige Punkt, die Dominanz des Gesetztseins, noch nicht angesprochen wird. Im Rückblick auf die setzende Reflexion wird allein deren Mangel noch einmal festgehalten: Das Setzen der setzenden Reflexion hat keine Voraussetzung. Als Bewegung des Nichts zu Nichts, als immanentes Scheinen, erzeugt sie zugleich den Schein abstrakter Innerlichkeit: Sie setzt ihre Bestimmung "nicht an die Stelle eines Anderen". Als ein "NUR [...] Gesetztes" ist das Gesetzte nur in der "Reflexion-in-sich", nicht aber mit dieser identisch. Darin hat es "absolute Beziehung auf die Rückkehr in sich". Es ist zwar "ein ANDERES" der Reflexion, das Unmittelbare, "aber nicht als sich selbst gleich, sondern als sich negierend". Als von rein transitorischer Andersheit vermag es "die Gleichheit der Reflexion mit sich" nicht zu tangieren.- "Gesetztsein" bedeutet hier also zunächst nur das Negative als Negatives, das Negative als unmittelbar aufgehobene Bestimmtheit. Im Wesen als bestimmender Reflexion kommt es aber zu einer Bestimmheit neuer Art. Dazu muß aber erst die Einheit der setzenden mit der äußeren Reflexion entwickelt werden. 2. Die ontologiekritische Pointe der Reflexionslogik Bevor Hegel sich dieser reflexionslogischen Bestimmtheit neuer Art zuwendet, untersucht er die Entsprechung zwischen dem "DASEIN" in der "SPHÄRE DES SEINS" und dem "GESETZTSEIN" in

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der "SPHÄRE DES WESENS". Die Klärung des wesenslogischen Verhältnisses zwischen Dasein, Gesetztsein und Wesen macht den ontologiekritischen Charakter der Logik der Reflexion offenbar: Z 107 "- In DER SPHÄRE DES SEINS war DAS DASEIN das Sein, das die Negation an ihm hatte, und das Sein der unmittelbare Boden und Element dieser Negation, die daher selbst die unmittelbare war. Dem Dasein entspricht in DER SPHÄRE DES WESENS das GESETZTSEIN. Es ist gleichfalls ein Dasein, aber sein Boden ist das Sein als Wesen oder als reine Negativität; es ist eine Bestimmtheit oder Negation nicht als seiend, sondern unmittelbar als aufgehoben. DAS DASEIN IST NUR GESETZTSEIN; dies ist der Satz des Wesens vom Dasein. Das Gesetztsein steht einerseits dem Dasein, andererseits dem Wesen gegenüber und ist als die Mitte zu betrachten, welche das Dasein mit dem Wesen und umgekehrt das Wesen mit dem Dasein zusammenschließt" (L. II., 20; 32£).

Das Dasein in der Sphäre des Seins ist durch drei Aspekte gekennzeichnet: 1. Es hat die Negation an ihm; 2. das Sein ist der "Boden" und das "Element" dieser Negation; 3. die Negation ist deshalb eine "unmittelbare". Bei der Analyse des Daseins in der Seinslogik ergeben sich zwei grundlegende Formmomente: Die "Bestimmung des SEINS" (L. I., 96; 116) und die "Bestimmung des Nichts" (ebd., 98; 118) im Dasein. Das Dasein hat als "das einfache Einssein des Seins und Nichts" (ebd., 96; 116) die "Form von einem UNMITTELBAREN" (ebd.) und steht so zunächst in der "einseitigen Bestimmung des SEINS" (ebd.). Die Bestimmung des Nichts - im Dasein in das zugrundeliegende Sein aufgenommen - markiert als "NICHTSEIN" (ebd.) die "BESTIMMTHEIT als solche" (ebd.). "Unmittelbar" ist die Bestimmtheit oder Negation im Dasein, insofern ihm die Bestimmung des unmittelbaren Seins als ontologisches Fundament zugrunde liegt, auf dem sie aufgetragen und von dem sie in der gesamten Seinslogik nicht wirklich abgehoben wird: "Die Bestimmtheit hat sich noch NICHT vom SEIN ABGELÖST; zwar wird sie sich auch nicht mehr von ihm ablösen, denn das nunmehr zum Grunde liegende Wahre ist die Einheit des Nichtseins mit dem Sein; auf ihr als dem Grunde ergeben sich alle ferneren Bestimmungen" (L. L, 98; 118).

In dieser ontologischen Konstellation von Sein und Negation im Dasein zeichnet sich die Kategorie des Daseins aus, wie sie in der Seinslogik aus der traditionellen Ontologie aufgenommen und auf ihren Sinn hin analysiert wird. In der Seinslogik sind überhaupt die Kategorien durch diese ontologische Konstellation charakterisiert,

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deren eines Moment häufig mit dem Attribut "Sein" oder "Bestimmung des Seins", das andere mit dem Ausdruck "Nichts", "Nichtsein" oder "Bestimmung des Nichts" bezeichnet wird. Die in der Seinslogik analysierten Kategorien reflektieren so die Schwierigkeit der traditionellen Ontologie, die positiv-ontologischen Bestimmungen mit den negativ-relationalen zu verbinden. In der Theorie der Endlichkeit setzt sich die Differenz positiv-ontologischer und negativ-relationaler Terme fort und nimmt konkretere Gestalt an: "Dasein" - "Anderssein", "Etwas" - "Anderes", "Ansichsein" - "Sein-für-Anderes", "Bestimmung" - "Beschaffenheit" (Grenze), "Sollen" - "Schranke", "Endliches" - "Unendliches" etc.Erst die affirmative Unendlichkeit hebt die Differenz zwischen seiender und negativer Bestimmung in den Begriff der Negation der Negation auf. In gewisser Weise präfiguriert ja die Logik der Unendlichkeit die Logik der Reflexion. Allerdings gehört auch die affirmative Unendlichkeit noch der ontologischen Sphäre des Seins an, da in ihr die Negation der Negation als Sein gesetzt ist. So verläßt die Seinslogik generell noch nicht den Horizont der traditionellen Ontologie. Ontologiekritik übt sie daher auch nur in deren Rahmen, der erst im Übergang vom Sein zum Wesen gesprengt wird. Die Seinslogik bleibt deshalb der inneren Logik der ontologischen Denkformen verhaftet. Das Gesetztsein in der Sphäre des Wesens ist gegenüber dem Dasein in der Sphäre des Seins durch folgende Momente ausgezeichnet: 1. Es ist das Dasein in der Sphäre des Wesens; 2. sein "Boden" ist "das Sein als Wesen oder als reine Negativität"; 3. die Bestimmtheit oder Negation ist deshalb nicht als "seiend" oder "unmittelbar", sondern als "unmittelbar aufgehoben" aufzufassen. In der Wesenslogik ist etwas nur dadurch, daß es gesetzt und rein nur als ein so negativ Konstituiertes ist. Das Gesetztsein wird vom Wesen gesetzt. Daher ist es immer schon auf die negative Einheit des Wesens zurückbezogen, denn es wurde durch sie gesetzt. Weil das Gesetztsein zugleich nur als ein Aufgehobenes ist, ist es nicht "unmittelbare" Bestimmtheit oder Negation. Die Negation streift ihre Unmittelbarkeit ab, wenn sie allein als solche, d.i. in und aus der reinen Negativität begriffen werden kann. Wenn im Wesen von Bestimmtheit oder Negation die Rede ist, so kann sie nur in Beziehung auf die absolute oder selbstreferentielle Negativität behauptet werden. In der Wesenslogik gibt es keine prinzipielle Differenz mehr zwischen Sein und Negation, denn das Zugrundeliegen des Seins ist in selbstbezügliche Negativität aufgelöst. Das Sein der Momente wird durch nichts anderes als durch Konfigurationen von Negationen ge-

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bildet. Die Bestimmungen werden als Fälle selbstbezüglicher doppelter Negation voneinander abgehoben. Der "Satz des Wesens vom Dasein": "DAS DASEIN IST NUR GESETZTSEIN" spricht aus, daß aus der ontologiekritischen Perspektive der Wesenslogik das Dasein nur ist, was es ist, als ein durch die Negativität des Wesens Konstituiertes. Der ontologische Schein der Seiendheit, in welchen sich das Dasein bei seinem ersten Auftreten in der Seinslogik hüllt, wird damit als Schein offenbar und somit aufgelöst. Alles, was ist, erscheint vom Standpunkt des Wesens als Ergebnis des Setzens und Voraussetzens der Reflexion. Die Wesenslogik führt daher alle ontologischen Kategorien zurück auf Kategorien bewegter negativer Relationalität. Nach ihrer Verwandlung in Relationsbegriffe rekonstruiert sie dann die substantialen Bestimmungen der traditionellen Metaphysik als Momente von Relationskategorien im Rahmen einer Metaphysik absoluter Relationalität. Zum Zwecke der Explikation der reflexionslogischen Beziehung zwischen "DASEIN" und "WESEN" kleidet Hegel den "Satz des Wesens vom Dasein" in die Form eines Schlusses, in dem das Gesetztsein als "Mitte" fungiert, "welche das Dasein mit dem Wesen und umgekehrt das Wesen mit dem Dasein zusammenschließt". Zur Erläuterung des Satzes des Wesens vom Dasein dienen die ergänzenden Ausführungen zum philosophischen Sprachgebrauch der Rede vom "Gesetztsein": Z 108 "- Wenn man sagt, eine Bestimmung ist NUR ein Gesetztsein, so kann dies daher den doppelten Sinn haben; sie ist dies im Gegensatze gegen das Dasein oder gegen das Wesen. In jenem Sinne wird das Dasein für etwas Höheres genommen als das Gesetztsein und dieses der äußeren Reflexion, dem Subjektiven zugeschrieben. In der Tat aber ist das Gesetztsein das Höhere; denn als Gesetztsein ist das Dasein als das, was es an sich ist, als Negatives, ein schlechthin nur auf die Rückkehr in sich bezogenes. Deswegen ist das Gesetztsein NUR ein Gesetztsein in Rücksicht auf das Wesen, als die Negation des Zurückgekehrtseins in sich selbst" (L. II., 20f.; 33).

Vor allem in der neueren Transzendentalphilosophie hat das Gesetztsein den Sinn des einem gegebenen Dasein äußerlichen Poniertseins, das Konstituiertsein durch die äußere bzw. subjektive Reflexion. Hierbei wird das Sein als ein der Reflexion an und für sich vorausliegendes ontologisches Fundament ( Kants "Ding-an-sich") aufgefaßt und deshalb "für etwas Höheres" "als das Gesetztsein" genommen. Außer dieser subjektiven Bedeutung kommt dem Gesetztsein

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wesentlich die objektive zu, die ihm aus seinem Bezug zum Wesen erwächst. Danach ist "das Gesetztsein das Höhere" als das Dasein, denn es macht dasselbe zu dem, was es in Wahrheit ist, das Gesetzte oder bloß Negative der objektiven Reflexion zu sein.^o Aus der Analyse des philosophischen Sprachgebrauchs geht hervor, daß für Hegel die neuzeitliche Reflexionsphilosophie und ihre kritizistische Aufhebung in der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes die traditionelle ontologische Metaphysik nicht wirklich überwunden hat. Ja mehr noch: Die Transzendentalphilosophie der Subjektivität und die klassische Metaphysik machen nach Hegel dieselben ontologischen Voraussetzungen. 3. Die Konstitution der Reflexionsbestimmung in der bestimmenden Reflexion Die bisherigen Ausführungen Hegels dienten vornehmlich der Klärung des ontologiekritischen wesenslogischen Zusammenhangs der Begriffe "Gesetztsein", "Dasein" und "Wesen". Erst im nun folgenden Absatz wird der Begriff der "Reflexionsbestimmung" systematisch eingeführt: Z 109 "2. Das Gesetztsein ist noch nicht Reflexionsbestimmung; es ist nur Bestimmtheit als Negation überhaupt. Aber das Setzen ist nun in Einheit mit der äußeren Reflexion; diese ist in dieser Einheit absolutes Voraussetzen, d.h. das Abstoßen der Reflexion von sich selbst oder Setzen der Bestimmtheit ALS IHRER SELBST1 (L. II., 21; 33).

Das bloße Gesetztsein ist als sich negierendes Unmittelbares noch nicht Reflexionsbestimmung, weil es noch nicht durch die Reflexion als Reflexion Selbständigkeit gegen die Reflexion gewonnen hat. Insofern es noch nicht in sich hatte Bestand gewinnen können, ist es 40

Die subjektive Bedeutung des Gesetztseins macht für Hegel die Annahme unerkennbarer "Dinge-an-sich" unvermeidlich, die er zu Recht für inkonsistent hält, weil das Ding-an-sich ebenfalls nur ein Produkt des Denkens ist (vgl. Enz. § 44). Der Widerspruch des Dings-an-sich besteht darin, daß es als solches außer unserer Reflexion gesetzt ist. Hegel transformiert den Kantischen Begriff des Dingsan-sich, in dem der klassisch-metaphysische Gedanke des absoluten Substrats fortlebt, in die diskursive Bewegung des Wesens und schließlich in die des Begriffs: "Was aber das Ding-an-sich in Wahrheit ist, was wahrhaft an sich ist, davon ist die Logik die Darstellung, wobei aber unter ANSICH etwas Besseres als die Abstraktion verstanden wird, nämlich was etwas in seinem Begriffe ist; dieser aber ist konkret in sich, als Begriff überhaupt begreiflich und als bestimmt und Zusammenhang seiner Bestimmungen in sich erkennbar" (L. L, 108; 130).

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nichts weiter als das Negative des setzenden Wesens. Bestimmtheit kann ihm zwar zugesprochen werden, aber "nur Bestimmtheit als Negation überhaupt". Das Gesetztsein wird zur Reflexionsbestimmung erst durch die Einheit von setzender und äußerer Reflexion, wodurch die äußere Reflexion zu jenem Prozeß wird, den Hegel "absolutes Voraussetzen" nennt. Die prozessuale Einheit der "bestimmenden Reflexion" vereinigt in sich den logischen Status der setzenden Reflexion und dasjenige Moment, das ihr im Durchgang durch die äußere Reflexion erwachsen ist: das "Sein" aufhebende und "Reflexion" voraussetzende Setzen. Dieses ist nicht mehr nur das Setzen der bloß setzenden Reflexion, sondern das Setzen der bestimmenden Reflexion, bei dem das Moment des Setzens "der Bestimmtheit ALS IHRER SELBST" hinzukommt. Ein Hinweis darauf, daß die setzende Reflexion im Durchgang durch die äußere eine Fortbestimmung erfahren hat. Das Setzen der bestimmenden Reflexion ist das Negieren des sich selbst negierenden Negierens und damit das "Zusammengehen" der Negation im Negativen oder Anderen mit sich selbst. Das Setzen ist im "absoluten Voraussetzen" nicht mehr nur einfach, wie im bloßen Voraussetzen, sondern gewissermaßen doppelt negiert, so daß sich die Reflexion im Aufheben ihrer selbst als sich selbst voraussetzt. In der Einheit des Setzens mit der äußeren Reflexion stößt die Reflexion etwas von sich ab als Bestimmtheit (Negation), das sich selbst als die ganze Reflexion (= selbstbezügliche doppelte Negation) erweist. Im Wesen als bestimmender Reflexion kommt es also zu einer Bestimmtheit neuer Art. Zwar meint Gesetztsein auch auf der Ebene der bestimmenden Reflexion Bestimmtheit, das Negative als Negatives, aber es tritt das Moment des In-sich-Reflektiertseins hinzu. Dieses Gesetztsein wird von Hegel "REFLEXIONSBESTIMMUNG" (Z 110) genannt. Als Reflexionsbestimmung ist es zugleich alle Reflexion oder die Reflexion ist nur noch als in sich reflektiertes Gesetztsein: Z 110 "Das Gesetztsein ist daher als solches Negation; aber als vorausgesetztes ist sie als in sich reflektierte. So ist das Gesetztsein REFLEXIONSBESTIMMUNG" (L. II., 21; 33).

Das Gesetztsein als solches ist "Bestimmtheit als Negation überhaupt" (Z 109). Als Reflexionsbestimmung muß es aber ebenso als Reflexion-in-sich gedacht werden. Als in sich reflektiertes oder vorausgesetztes ist das Gesetztsein nicht mehr nur das Negative der Reflexion oder "Negation überhaupt". Es ist "in sich reflektierte" Negation. Es ist gesetzt als die Beziehung der Negation auf sich selbst. So

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ist es eben dieselbe Sichselbstgleichheit der Negation, die die Reflexion des Wesens ist, aus der es als Gesetztsein stammt. In der bestimmenden Reflexion gerät daher die Reflexion unter die Herrschaft ihres Gesetztseins. Das Wesen ist die Reflexion, die eine Bestimmung aus sich heraussetzt derart, daß sie selbst nur noch unter den Bedingungen des Gesetztseins dieser Bestimmung gedacht werden kann. Im Fortgang der Textanalyse wird es von Wichtigkeit sein, das Problem der Herrschaft des Gesetztseins über die setzende Einheit des Wesens wieder aufzunehmen. Im Begriff der Reflexionsbestimmung als Einheit von Gesetztsein und Reflexion-in-sich muß auch die Verdoppelung der Reflexion erhalten bleiben. Dies muß auch dann der Fall sein, wenn die äußere Reflexion sich dadurch transzendiert, daß sie mit der ihr vorausgesetzten Unmittelbarkeit zusammengeht und die wesentliche Unmittelbarkeit konstituiert. Wie die Verdoppelung der Reflexion auch im Wesen als bestimmender Reflexion gedacht werden kann, muß sich aus der Analyse der logischen Struktur der Reflexionsbestimmung ergeben. Hegel verdeutlicht zunächst den neu eingeführten Begriff der Reflexionsbestimmung vor dem Hintergrund der seinslogischen Bestimmtheit: Z 111 "Die Reflexionsbestiminung ist von der Bestimmtheit des Seins, der Qualität, unterschieden; diese ist unmittelbare Beziehung auf Anderes überhaupt; auch das Gesetztsein ist Beziehung auf Anderes, aber auf das Reflektiertsein in sich" (L. II., 21; 33).

Hegel unterscheidet die Reflexionsbestimmung von der seinslogischen Bestimmtheit in dreierlei Hinsicht: a) Die Qualität in der Seinslogik und die Reflexionsbestimmung sind insofern miteinander vergleichbar, als beide Begriffe die Bestimmtheit als "Beziehung auf Anderes" bezeichnen. Der Unterschied beider Begriffe besteht darin, daß sie in unterschiedlicher Weise "Beziehung auf Anderes" sind. Während die qualitative Bestimmtheit die "unmittelbare Beziehung auf Anderes überhaupt" ist, ist die Reflexionsbestimmung das "Gesetztsein", das zwar gleichfalls "Beziehung auf Anderes" ist, "aber auf das Reflektiertsein in sich". Die reflexionslogische Bestimmtheit ist also gesetzte, reflektierte Beziehung auf Anderes.41 Während also die seinslogischen Bestimmungen aufgrund

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"In der Sphäre des Seins ist die Bezogenheit nur AN SICH, im Wesen dagegen ist dieselbe gesetzt" (Enz. § 111 Zus.). Ganz allgemein gilt, daß in der Seinslogik die

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ihrer Unmittelbarkeit isoliert, unvermittelt und äußerlich einander gegenüberstehen, enthalten die Reflexionsbestimmungen ihre Beziehung aufeinander je schon in sich. Z 112 "Die Negation als Qualität ist Negation als SEIEND; das Sein macht ihren Grund und Element aus. Die Reflexionsbestimmung hingegen hat zu diesem Grunde das Reflektiertsein in sich selbst" (L. II., 21; 33).

b) Der Charakter der Negation als Qualität ist die seiende Negation, also die Negation, die zu ihrem "Grund" und "Element" das "Sein" hat. Als Negation, die auf einem seienden Substrat basiert, macht sie die Bestimmtheit ontologischer Denkformen aus. Demgegenüber hat die Reflexionsbestimmung "das Reflektiertsein in sich selbst" zu ihrer Grundlage, denn das Gesetztsein, die Negation als solche, wird in der Reflexionsbestimmung selbst als Reflexion, als Gleichheit mit sich der Negation, gedacht. Die Reflexionsbestimmung ist der Begriff nicht-ontologischer Relationskategorien, deren Fundament allein das Moment der Sich Selbstgleichheit in der Bewegung der Negativität ist: Z 113 "Das Gesetztsein fixiert sich zur Bestimmung eben darum, weil die Reflexion die Gleichheit mit sich selbst in ihrem Negiertsein ist; ihr Negiertsein ist daher selbst Reflexion-in-sich. Die Bestimmung besteht hier nicht durch das Sein, sondern durch ihre Gleichheit mit sich" (L. II., 21; 33).

Die bestimmende Reflexion setzt ihre "Bestimmung" nicht mehr bloß als Gesetztsein. Sie ist selbst "die Gleichheit mit sich" dessen, was sich in ihrer Bewegung als Gesetztsein konstituiert, denn sie ist auch in ihrem "Negiertsein" "Reflexion-in-sich". Das "Negiertsein" der Reflexion (= Gleichheit mit sich selbst der Negation) ist selbst die "Reflexion-in-sich" des Gesetztseins (= Gleichheit mit sich selbst der Negation). Die Reflexion bleibt also Reflexion, auch wenn sie negiert ist. Die Reflexionsbestimmung hat zu ihrer Grundlage das Reflektiertsein in sich selbst. Ihr "Bestehen" verdankt sie also nicht wie die Qualität dem "Sein", sondern ihrer eigenen "Gleichheit mit sich". Sein, das bedeutet auf dem Boden der Reflexion: Gleichheit mit sich der Negation.^

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Kategorien "unmittelbar" auftreten, während sie in der Wesenslogik "vermittelt" oder "gesetzt" bzw. "reflektiert" sind. Bereits die Seinslogik kündigt diesen Paradigmenwechsel im Begriff der Bestimmtheit an: "Diese Einfachheit [der Negativität, d.VJ hat an die Stelle des

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c) Hegel kommt nun auf das auffalligste Unterscheidungsmerkmal der wesenslogischen von der seinslogischen Bestimmtheit zu sprechen: Z 114 "Weil das Sein, das die Qualität trägt, das der Negation ungleiche ist, so ist die Qualität in sich selbst ungleich, daher übergehendes, im Anderen verschwindendes Moment. Hingegen die Reflexionsbestimmung ist das Gesetztsein ALS Negation, Negation, die zu ihrem Grunde das Negiertsein hat, also sich in sich selbst nicht ungleich ist, somit WESENTLICHE, nicht übergehende Bestimmtheit. Die SICHSELBSTGLEICHHEIT DER REFLEXION, welche das Negative nur als Negatives, als Aufgehobenes oder Gesetztes hat, ist es, welche demselben Bestehen gibt" (L. II., 21; 33f.).

Bei der Qualität erscheint zunächst das "Sein", auf das die Negation aufgetragen ist, als "das der Negation ungleiche". Da aber die qualitative Bestimmtheit das Sein und die Negation in sich vereinigt, ist diese Ungleichheit zwischen Sein und Negation ebensosehr die Ungleichheit der Qualität zu sich selbst.43 Die Qualität ist daher nur "übergehendes, im Anderen verschwindendes Moment".44 Die seins-

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SEINS oder jeder Bestimmtheit zu treten, die in UNMITTELBARER Form, als an-und-für-sich-seiend genommen wird" (L. I. (A), 78). Freilich ist auch die Wesenslogik nicht frei von "Unmittelbarkeit", doch das, was in ihr als Unmittelbarkeit auftritt, ergibt sich allein aus der Beziehung der Negation. Unmittelbarkeit ist nur noch als Gleichheit mit sich selbst der Negation, auch wenn sie zugleich notwendig den Schein der Seiendheit erweckt. "Das Dasein ist das aufgehobene, aber nur unmittelbar aufgehobene Sein; es enthält so zunächst nur die erste, selbst unmittelbare Negation; das Sein ist zwar gleichfalls erhalten, und beide im Dasein in einfacher Einheit vereint, aber eben darum an sich einander noch UNGLEICH, und ihre Einheit noch NICHT GESETZT. Das Dasein ist darum die Sphäre der Differenz, des Dualismus, das Feld der Endlichkeit" (L. L, 147; 174). "Qualität, Anderssein, Grenze, wie Realität, Ansichsein, Sollen - sind die unvollkommenen Einbildungen der Negation in das Sein, als in welchen die Differenz beider noch zugrunde liegt" (ebd.). Erst mit dem Begriff des Fürsichseins überwindet die Seinslogik die unverarbeitete Differenz zwischen Sein und Negation: "Im Fürsichsein ist der Unterschied zwischen dem Sein und der Bestimmtheit oder Negation gesetzt und ausgeglichen" (ebd.). Im Fürsichsein ist die Negation "in die GESETZTE Negation der Negation, übergegangen, ist sie einfache Beziehung auf sich, also an ihr selbst die Ausgleichung mit dem Sein, - ABSOLUTES BESTIMMTSEIN" (ebd.). Doch auch das Fürsichsein hat die Form des Seins oder der Unmittelbarkeit, so daß jedes Negationsmoment zugleich als eine eigene, seiende Bestimmung gesetzt ist (vgl. L. L, 154; 182). Die Logik des Fürsichseins verläßt so nicht den ontologischen Rahmen der Seinslogik. Dieser Vorgang wird in der Seinslogik als *Negation der Negation' bezeichnet. Der Negationsbegriff steht in der Seinslogik einerseits für Bestimmtheit und Unter-

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logische Bestimmtheit gibt sich aufgrund ihres ontologischen Charakters als akzidentelle Bestimmtheit zu erkennen. Anders als die Qualität hat die Reflexionsbestimmung keine Ungleichheit zwischen "Sein" und "Negation" in sich. Die Reflexionsbestimmung ist vielmehr gesetzte Sichselbstgleichheit der Negation. Sie ist "das Gesetztsein ALS Negation", d.i. eine Negation, die zu ihrem "Grunde" das "Negiertsein" der Reflexion selbst hat. Das Negiertsein der Reflexion ist aber ebenso Sichselbstgleichheit der Negation oder des Gesetztseins: Die bestimmende Reflexion ist die sich auf sich beziehende Negativität, die sich selbst negiert und dennoch als solche erhalten bleibt. Die negierte Sichselbstgleichheit der Negation erweist sich wiederum als Sichselbstgleichheit der Negation. - Die Reflexionsbestimmung geht daher nicht wie die Qualität in Anderes über, sondern bleibt in ihrer negativen Bestimmtheit Gleichheit mit sich selbst und wird so zur Wesenheit. Das Gesetztsein als solches ist "das Negative nur als Negatives", das Negative "als Aufgehobenes". Im Begriff der Reflexionsbestimmung aber gibt die "SICHSELBSTGLEICHHEIT DER REFLEXION" dem Aufgehoben sein des Gesetztseins ein Bestehen. - So zeigt sich die Reflexionsbestimmung in dreierlei Hinsicht unterschieden von der seinslogischen Bestimmtheit, hinsichtlich ihres negativen Beziehungscharakters, hinsichtlich ihres reflexionslogischen 'Fundaments' und hinsichtlich ihrer wesentlichen Selbständigkeit. 4. Der ontologisch-metaphysische Schein der Reflexionsbestimmungen Z 115 "UM DIESER REFLEXION IN SICH WILLEN erscheinen die Reflexionsbestimmungen als freie, im Leeren ohne Anziehung oder Abstoßung gegeneinander schwebende WESENHEITEN" (L. II., 21f.; 34).

Aus dieser Wendung ergeben sich folgende Probleme: 1. Wenn Hegel von "erscheinen" spricht, dann meint er damit stets, daß es sich in Wahrheit anders verhält, als es erscheint. Andererseits ist "Erscheinung" nicht bloßer Schein. Wie also ist der Schein der Reflexionsbeschied am Sein (erste Negation), andererseits hat er die Bedeutung des Ununterscheidbarwerdens bzw. des Verschwindens dieser Bestimmtheit oder Unterscheidung. Negation im Sinne der Beseitigung einer Bestimmtheit oder eines Unterschieds CNegation der Negation') führt zum "Übergehen" einer Bestimmtheit in eine andere. Im seinslogischen Gebrauch der doppelten Negation sind zumeist negierende und negierte Negation noch verschieden.

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Stimmungen, der über ihrem Auftreten liegt, aufzufassen und zu erklären? 2. Welchen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang die Metapher "freie, im Leeren ohne Anziehung oder Abstoßung gegeneinander schwebende WESENHEITEN"? Hegel hebt hervor, daß die "REFLEXION IN SICH", die sich an dem "Gesetztsein" in der Bewegung der bestimmenden Reflexion ergeben hat, für die Konstitution des Scheins der Reflexionsbestimmungen in besonderer Weise relevant ist, insofern sie dafür verantwortlich ist, daß die Reflexionsbestimmungen eine wesentliche Fixierung gegeneinander und gegen ihren Zusammenhang erfahren. So erscheinen sie als das, was sie sind, als selbständige Wesenheiten. Schein allerdings produziert diese den Reflexionsbestimmungen wesentliche Erscheinungsform insofern, als sie nicht zu erkennen gibt, daß die Wesenheiten auch wesentlich in einer Bewegung stehen, in welcher sie sich wechselseitig anziehen und abstoßen. Nichtiger Schein ist also nicht ihre wesentliche Selbständigkeit, sondern ihre absolute Fixierung.45 Für diese mit der Verabsolutierung der Selbständigkeit der Wesenheiten eintretende Abstraktion von ihrem wesentlichen Zusammenhang steht auch die Metapher "freie, im Leeren ohne Anziehung oder Abstoßung gegeneinander schwebende WESENHEITEN". Z 116 zeigt, wie es zu dieser absoluten Verselbständigung der Reflexionsbestimmungen kommt: Z 116 "In ihnen [den Wesenheiten, d.V.] hat sich die Bestimmtheit durch die Beziehung auf sich befestigt und unendlich fixiert. Es ist das Bestimmte, das sein Übergehen und sein bloßes Gesetztsein sich unterworfen oder seine Reflexion-in-Anderes in Reflexion-in-sich umgebogen

hat" (L. II., 22; 34).

Absolute Gleichgültigkeit und Selbständigkeit besitzen die Reflexionsbestimmungen insofern, als sich in ihnen die Bestimmtheit oder Negation durch die Reflexion-in-sich nicht nur "befestigt", sondern

45

Bereits in der Anmerkung zur "äußeren Reflexion" bemerkt Hegel, daß die bloß unmittelbaren Bestimmungen des Seins "leichter als vorübergehende, bloß relative, in der Beziehung auf Anderes stehende zugegeben" (L. II., 19; 31) werden, während die Reflexionsbestimmungen durch ihre "Reflexion-in-sich" "die Form des Anundfürsichseins [haben]; sie machen sich daher als die WESENTLICHEN geltend, und statt übergehend in ihre entgegengesetzten zu sein, erscheinen sie vielmehr als absolut, frei und gleichgültig gegeneinander" (L. ., 19f.; 31). Schubert hat den spezifischen Schein der Reflexionsbestimmungen vorzüglich auf den Begriff gebracht, wenn er sagt, daß der Schein der Reflexionsbestimmungen "als Schein und darüber hinaus als notwendiger Schein, als Er-scheinung der Reflexion selbst" (Schubert (1985), 116) zu begreifen ist.

§ 3 Die Logik der Reflexion

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auch "unendlich fixiert" hat. Das bloße Gesetztsein bezeichnet die Bestimmtheit als "sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit" (L. II., 15; 26). Als Reflexionsbestimmung hat "das Bestimmte" dagegen sein Aufgehoben sein als bloßes Gesetztsein und sein Übergehen angehalten. Indem so die Reflexionsbestimmung ihr "bloßes Gesetztsein sich unterworfen" und ihre "Reflexion-in-Anderes" in "Reflexion-in-sich umgebogen" hat, abstrahiert sie zugleich von ihrem Gesetztsein und hüllt sich damit in den ontologischen Schein absoluter Unmittelbarkeit des Für-sich-Bestehens, den das metaphysische Denken affirmativ nimmt. Hegel bringt den den Reflexionsbestimmungen spezifischen Schein auf den Begriff des "wesentlichen Scheins": Z 117 "Diese Bestimmungen machen hierdurch den bestimmten Schein aus, wie er im Wesen ist, den wesentlichen Schein" (L. II., 22; 34).

Die Reflexionsbestimmungen sind in der ihnen wesentlichen Selbständigkeit, die sie ihrer inneren Reflektiertheit verdanken, nicht bloßer Schein, sondern machen den "bestimmten Schein" im Wesen aus, den "wesentlichen Schein". Dieser unterscheidet sich dadurch vom bloßen Schein, daß er die notwendige Erscheinungsform der bestimmenden Reflexion ist: Mit dem Übergang von der absoluten zur bestimmenden Reflexion kommt es zur äußerlichen Verselbständigung des immanenten Scheinens. Der Schein der Selbständigkeit der Reflexionsbestimmung hat also durchaus Realität; er hat seine objektive Grundlage im Wesen der bestimmenden Reflexion selbst. Fassen wir zusammen: Indem die Reflexion zur bestimmenden wird, bringt sie die Reflexionsbestimmungen als den wesentlichen Schein hervor. Die den Reflexionsbestimmungen wesentliche Selbständigkeit konstituiert zugleich den hartnäckigen, aber nichtigen Schein ihrer absoluten Fixierung gegeneinander. Gerade die "Reflexion-in-sich", die ihr Sein gegenüber den seinslogischen Bestimmtheiten 'entontologisiert', restituiert an ihnen selbst den ontologischmetaphysisehen Schein absoluter Unmittelbarkeit, der sie dem metaphysischen Denken als unendlich fixierte "freie, im Leeren ohne Anziehung oder Abstoßung gegeneinander schwebende WESENHEITEN" (Z 115) erscheinen läßt. Mit dem Terminus "Wesenheiten" hat Hegel offensichtlich neben Platons Ideen, das ontologische Prinzip der Substanz bei Aristoteles, Spinoza und Leibniz und das transzendentale Prinzip des Subjekts in der neueren Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes im Blick. Denn logisch sind diese Prinzipien alle als jene unmittelbare Einheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung qualifiziert, die die Reflexions-

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bestimmung ausmacht, ganz gleichgültig, ob diese Einheit mehr die Bestimmtheit der Substanz oder die des Subjekts hat. Vor allem aber dürfte Hegel mit diesem Ausdruck natürlich auf Platon rekurrieren. Dieser thematisiert die 'ideai' oder Wesenheiten im Sophistes (bes. 254c ff.) als anundfürsichseiende Momente in einem ontologisch fundierten Relationssystem. Teilhabend am tauton (Identität) und heteron (Andersheit) haben sie zwar ihre Relation auf ihr jeweiliges Korrelat an ihnen, aber sie werden als selbstgenügsam prädiziert.46 Diese ontologische Konzeption der Wesenheiten bei Platon entspricht dem Schein der absoluten Gleichgültigkeit und Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen, der zwar in der bestimmenden Reflexion verbauter auftritt, aber zugleich als Schein seine Auflösung erfährt. Der hartnäckige Schein der absoluten Fixierung der Wesenheiten gegeneinander wird aufgehoben, indem er auf das in sich bewegte Relationssystem der selbstbezüglichen Negativität der Reflexionsbestimmungen zurückgeführt wird. Indem der ontologisch-metaphysische Schein der Reflexionsbestimmungen als Schein zur Darstellung kommt, löst er sich zugleich auf. Rekapitulieren wir, wie sich der Schein der Reflexionsbestimmungen in der Bewegung der bestimmenden Reflexion konstituiert hat: In der bestimmenden Reflexion setzt sich die Reflexion selbst als Unmittelbarkeit voraus und gerät so unter die Bedingungen ihres eigenen Gesetztseins. Zweierlei sollte daher an dieser Stelle festgehalten werden: 1. Die bestimmende Reflexion als der Prozeß des zur Herrschaft gekommenen Gesetztseins, 2. die Reflexionsbestimmung

Platon betrachtet die Ideen als oberste Gattungen, die auch in ihrer Beziehung aufeinander ihre bestimmte, festgelegte und identische Bedeutung behalten, ohne die eine Wissenschaft vom Seienden nicht möglich wäre. So enthält z.B. die Identität die Andersheit nicht in ihrer Bedeutung, sondern hat nur teil an der Idee der Andersheit, wenn sie sich auf Anderes bezieht (Sophistes 255 e). Platon vermeidet durch den Gedanken der Teilhabe den Widerspruch, der in einem rein negativen Relationssystem, das jede ontologische Fundierung aufhebt, denknotwendig ist. Hegels Konzept der 'Symploke' der Reflexionsbestimmungen enthält eine Kritik der reinen, anundfürsichseienden Wesenheiten der platonischen Ontologie. Einerseits leitet er die Wesenheiten aus der Reflexion des Wesens her, andererseits integriert er sie in der Logik der Reflexionsbestimmungen in ein System negativer Relationalität, das ihren Schein der unbedingten Selbständigkeit aufhebt. Sie sind daher für ihn nicht höchste, unableitbare Begriffe. Hegel hat also eine andere Konzeption als Platon für die Entwicklung der 'Symploke' der Wesenheiten. Zum Unterschied zwischen Platons und Hegels Dialektik vgl. Düsing (1980), 95-150.

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selbst als das Resultat dieses Prozesses.47 Die bestimmende Reflexion muß die Bestimmtheit dessen garantieren, was als Reflexionsbestimmung zu denken ist. Denn alles Gesetztsein ist Gesetztsein durch die Reflexion. Ist aber die Reflexion im ganzen selbst nur noch die "Reflexion-in-sich" des Gesetztseins, so kann sie nicht mehr als diejenige gedacht werden, durch die das Gesetztsein gesetzt ist. "Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eigenen Resultat und läßt keine Spur zurück" (MEW 23, 107; vgl. Angehrn (1977), 31-35).« Jede Erinnerung an die Herkunft des Gesetztseins in der Bewegung der Reflexion ist ausgelöscht.49 47

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Vgl. dazu Henrich (1978), 302. Henrich hebt hervor, daß die Unterscheidung des Wesens als Prozeß des zur Herrschaft gekommenen Gesetztseins und dem Wesen als Reflexionsbestimmung selbst unter den Bedingungen des Resultats nicht mehr festgehalten werden kann. Anläßlich der Ableitung der Geldform stellt Marx fest, daß "die Geldform nur der an einer Ware festheftende Reflex der Beziehung aller anderen Waren" (MEW 23, 105) ist, daß aber umgekehrt die Ware, worin sich die Wertgröße darstellt, ihre Äquivalentform "unabhängig von dieser Beziehung als gesellschaftliche Natureigenschaft zu besitzen scheint" (ebd., 107). Zur Erklärung dieses 'Naturscheins' des Geldes greift Marx in der 1. Auflage des Kapital ausdrücklich auf Hegels Terminus der "REFLEXIONSBESTIMMUNG" (Marx (1867), 22) zurück. Bereits im Kontext der Seinslogik, im Kapitel über das Fürsichsein, wird nicht nur dargestellt, wie der metaphysische Schein der ontologischen Kategorien seine Auflösung erfahrt, wie es sonst in der Seinslogik üblich ist, sondern darüber hinaus, wie dieser Schein durch die ontologischen Kategorien produziert wird. Auf die Nähe der Logik des Fürsichseins zur Logik der Reflexion hat Henrich hingewiesen (vgl. Henrich (1978), 318 Anm.). Die Differenz zur Logik des Wesens besteht vornehmlich darin, daß im Fürsichsein die Negationsattitüden der selbstbezüglichen Negativität die Form der ontologischen Unmittelbarkeit haben, so daß jedes Negationsmoment zugleich als eine seiende Bestimmung gesetzt ist. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, daß sich in der Logik des Fürsichseins die selbstbezügliche Negativität noch im ontologischen Rahmen der antiken und modernen Atomistik bewegt. In der Abteilung "B. EINS UND VIELES" des Kapitels vom Fürsichsein (L. I., 154-160; 182-189) ist von einer "Repulsion des Eins' die Rede, in der das einfache Eins in zweierlei Bedeutung zu fassen ist: (a) als Unmittelbarkeit oder Sein, das reines Negieren ist, d.h. als "das einfache Beziehen der Negation auf sich selbst" (L. I. (A), 100), (b) in Gestalt eines Seienden, d.h. als Eines, das "ein DASEIN erlangt" (L. L, 156; 184). Insofern das Eins die Gestalt eines Seienden hat, erscheint seine eigene Negationsstruktur als "ein AUSSER IHM SEIENDES Anderes" (L. I. (A), 102), das so das "Nichts als LEERES" (ebd.) ist. Das Leere ist das Andere des Eins, da es die Negation in der Bestimmung des daseienden Nichts ist, während das Eins selbst eben dieselbe Negation in der Bestimmung des Seins ist. (vgl. L. I., 158; 186). Insofern das Eins in seinem reinen und einfachen Fürsichsein Dasein hat, ist es Eines und Leeres zugleich. Das seiende Eins konstituiert sich über sich als Anderes im Sinne des Leeren und ist damit als Eins unmittelbar aufgeho-

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

Dadurch, daß sich die Reflexion in der bestimmenden Reflexion selbst den Charakter der Unmittelbarkeit gibt, kann sie nur noch unter den Bedingungen ihres Gesetztseins gedacht werden. Nach der Selbsttranszendierung der äußeren Verstandesreflexion durch die bestimmende Reflexion muß nun die absolute Reflexion selbst unter den Bedingungen der Äußerlichkeit des Verstandes gedacht werden. Äußerlichkeit meint jetzt nicht mehr die äußere Beziehung der Verstande sreflexion auf ihre Voraussetzung, sondern stellt nun die Verstandesform der absoluten Reflexion selbst dar: Z 118 "Aus diesem Grunde ist die BESTIMMENDE REFLEXION die außer sich gekommene Reflexion; die Gleichheit des Wesens mit sich selbst ist in die Negation verloren, die das Herrschende ist" (L. II., 22; 34).

Die absolute Reflexion, die als bestimmende unter die Herrschaft ihres eigenen Gesetztseins geraten ist, bezeichnet Hegel als die "außer sich gekommene Reflexion". Die Gleichheit der Negation mit sich selbst, das Wesen, ist in das Gesetztsein oder die (einfache) Negation "verloren", die dadurch "das Herrschende" im Wesen geworden ist. Der Begriff des Verlorenseins steht für den Verlust der absoluten Reflexion und korrespondiert mit dem zur Herrschaft gekommenen Gesetztsein.

ben. Die Beziehung des seienden Eins auf das Leere als auf sich selbst ist daher zugleich "NEGATIVE Beziehung des Eins auf sich" (ebd., 159; 188) und darin "Setzen der VIELEN EINS" (ebd., 158; 187). Der Begriff der Repulsion ist nur auf dem Hintergrund dieser Bestimmung der Vervielfachung des Eins zu verstehen: Das Eins bezieht sich auf das Leere als auf ein ihm Anderes als auf sich selbst, wird darin nicht zu vielen Eins, aber vervielfacht sich doch, indem es als daseiendes Anderes (Leeres) zugleich es selbst und sein eigenes Nichtsein ist (vgl. L. I. (A), 105). Auf der einen Seite spricht Hegel das Leere als den "GRUND" und "QUELL" (L. L, 157; 185) der Bewegung der Repulsion an. Auf der anderen Seite weist er darauf hin, daß das Leere in den atomistischen Theorien als Grund der Bewegung der Repulsion "vergessen" (ebd., 157; 186) und die Bewegung nicht als "Erzeugung des Eins" (ebd., 158; 187), sondern "als gegenseitiges Abhalten vorausgesetzter, schon VORHANDENER Eins" (ebd.) verstanden wird. Das hat zur Folge, daß die Leere - der Grund der Bewegung der Repulsion - nur noch als die Beziehungslosigkeit der vorausgesetzten vielen Eins erscheint. Der ontologisch-metaphysische Schein, der über ihrem Auftreten liegt und ihre bloße Vorhandenheit vortäuscht, gründet also darin, daß an ihnen selbst das Leere als Grund ihrer Bewegung nicht mehr sichtbar ist. So scheint in der traditionellen Atomistik "das Leere nur die Voraussetzung oder Bedingung, nicht der GRUND ihrer Bewegung [„.J" zu sein, "so wie auch die Bewegung selbst als vorhanden vorausgesetzt, und das Wesentliche, ein Grund derselben vergessen ist" (ebd., 157; 185f.).

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Die Reflexion hat sich zur Reflexionsbestimmung gemacht, ohne daß dieser Prozeß in seinem Resultat noch einholbar wäre. Die Reflexion sbestimmung ist zwar Produkt der Reflexionsbewegung, doch kommt in ihr diese Bewegung selbst nicht mehr zur Darstellung. So tritt sie als ein ursprüngliches Faktum auf.50 Die Herrschaft des Gesetztseins oder der einfachen Negation bedeutet wesentlich den Verlust der absoluten Reflexion in der bloß faktischen Verstandeskorrelation selbständiger Reflexionsbestimmungen. Der als zentrales Interpretament benutzte Herrschaftsbegriff wird von Hegel mehrfach in der Wesenslogik verwendet (L. II, 22; 34, 75; 94). Der Begriff des Verlorenseins, der für den Verlust der absoluten Reflexion steht, findet sich ebenfalls an mehreren Stellen (ebd., 22; 34, 63; 80). Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, wie der von Hegel selbst gebrauchte Herrschaftsbegriff zu verstehen ist. Nach der von Theunissen vorgelegten Interpretation gehört er zur 'Sache selbst', denn ihm zufolge umfaßt Herrschaft zwar nicht die volle Komplexität der Wesenslogik, sei aber der Punkt, an dem die ganze wesenslogische Problematik offenbar wird (Theunissen (1978), 25ff., bes. 328-332). Dieser These ist zuzustimmen, obgleich sie nichts darüber aussagt, wie der Herrschaftsbegriff selbst auszulegen ist. Während Theunissen vornehmlich an soziale Herrschaft denkt (vgl. ebd., 143f.), ist die in der Wesenslogik zur kritischen Darstellung kommende Herrschaft für Hegel primär die Vorherrschaft des Verstandes in der traditionellen Metaphysik und Transzendentalphilosophie. Indem die 'Reflexion der Reflexion' den Mangel an Selbstreflexion des Verstandes aufhebt, relativiert sie auch deren Herrschaft. Die Reflexion der Verstandesreflexion ist es auch, die die absolute Fixierung der verständigen Reflexionsbestimmungen aufhebt, indem sie deren immanente Reflexion freilegt, durch die sie über sich hinausgetrieben werden. In der Verflüssigung der gegeneinander verselbständigten Reflexionsbestimmungen stellt sie zugleich ihren systematischen Zusammenhang her. Insofern in Hegels Wesenslogik der Versuch gemacht wird, Tendenzen gegenläufiger Verselbständigung sich wechselseitig voraussetzender Verstandesbestimmungen, also deren unaufgelösten Widerspruch zwischen Selbständigkeit (Reflexion-in-sich) und Relativi50

"So erscheint die bestimmende Reflexion schließlich als Reflexionsbestimmtheit, nämlich als Relation zweier, deren Beziehung aufeinander aussieht wie ein elementares Faktum der Vernunft selber. Der Ursprung der Relation in der Selbstbeziehung der Reflexion ist verborgen. So erscheint die Relation unhintergehbarer Anfang aller Theorie zu sein" (Henrich (1971), 130).

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Die Entwicklung des Wesens als Reflexion

tat (Gesetztsein) (vgl. Enz. § 114 Anm.) durch Selbstreflexion beherrschbar zu machen, kommt in ihr Herrschaft noch in einer anderen Hinsicht herein. Nicht Herrschaft überhaupt wird in Hegels Logik kritisiert, sondern die defiziente Vorherrschaft der Verstandesreflexion, die aufgrund mangelnder Selbstreflexion in für sie unauflösbare Widersprüche gerät. Mit der Darstellung des systematischen Bewegungszusammenhangs der Reflexionsbestimmungen, der den Schein ihrer Selbständigkeit auflöst, wird auch die Einheit des Wesens aus ihrem Verlorensein in ihre Negation wiederhergestellt. Der voll entwickelte WesensbegrifF ist erst dann erreicht, wenn die selbstbezügliche Negativität, die in die einfache Negation der Verstandesbestimmungen verloren ist, an den selbständigen Reflexionsbestimmungen als solche gesetzt ist. Dies ist erst im Begriff des Widerspruchs der Reflexionsbestimmungen der Fall, dessen paradigmatische Darstellung im 2. Kapitel der Wesenslogik erfolgt. Durch die Darstellung der Notwendigkeit des Widerspruchs der Reflexionsbestimmungen und seiner Auflösung werden die Inkonsistenzen der Verstandesreflexion durch logische Einheit beherrschbar gemacht. Nach dem bisher Entwickelten hat sich für die logische Struktur der Reflexionsbestimmungen somit folgendes ergeben: Z 119 "Es sind also an der Reflexionsbestimmung zwei Seiten, die zunächst sich unterscheiden. ERSTLICH ist sie das Gesetztsein, die Negation als solche; ZWEITENS ist sie die Reflexion-in-sich. Nach dem Gesetztsein ist sie die Negation als Negation; dies ist somit bereits ihre Einheit mit sich selbst. Aber sie ist dies nur erst AN SICH, oder sie ist das Unmittelbare als sich an ihm aufhebend, als das Andere seiner selbst. Insofern ist die Reflexion in sich bleibendes Bestimmen. Das Wesen geht darin nicht außer sich; die Unterschiede sind schlechthin GESETZT, in das Wesen zurückgenommen. Aber nach der ändern Seite sind sie nicht gesetzte, sondern in sich selbst reflektiert; die Negation ALS Negation ist in Gleichheit mit ihr selbst, nicht in ihr Anderes, nicht in ihr Nichtsein reflektiert" (L. II., 22; 34).

Die Reflexionsbestimmung ist durch "zwei Seiten" charakterisiert, die sich zunächst unterscheiden: 1. Das Gesetztsein und 2. die Reflexion-in-sich. Nach der Seite des Gesetztseins ist die Reflexionsbestimmung die "Negation als solche", das Negative als Negatives der Reflexion. Dem Gesetztsein ist die Sichselbstgleichheit der Negation nur zugesprochen, - es hat sie an ihm, ist aber nicht sie selbst. Das hat zur Folge, daß das Gesetztsein Aufheben seiner selbst in einem ganz formalen Sinne ist. Es ist die "Negation als Negation", das Negative als Auf-

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gehobenes. Nach der Seite ihres Gesetztseins ist die Reflexionsbestimmung in einem dadurch, daß sie vom Wesen gesetzt ist, in diesem Wesen auch aufgehoben. So sind die Bestimmtheiten und Unterschiede, weil "schlechthin GESETZT", immer schon in die negative Einheit des Wesens "zurückgenommen", so daß die Reflexion in diesem Bestimmen in sich bleibt und nicht außer sich gerät. Nach der Seite der Reflexion-in-sich ist die Reflexionsbestimmung "nicht gesetzte". Sie schließt vielmehr alle Reflexion-in-Anderes oder ihr Nichtsein aus sich aus. "Die Negation ALS Negation ist in Gleichheit mit ihr selbst [...] reflektiert". Während dem Gesetztsein die Sichselbstgleichheit der Negation nur zugesprochen wurde, ist die Reflexion-in-sich diese Sichselbstgleichheit selbst. Nach der Seite ihrer Reflexion-in-sich ist die Reflexionsbestimmung somit Beziehung nur auf sich, Gleichheit mit sich oder nicht gesetzte Selbständigkeit. Im Begriff der Reflexionsbestimmung stehen sich also das Gesetztsein und die Reflexion-in-sich als Aufheben dieses Gesetztseins gegenüber. Hierin liegt der Widerspruch im Begriff der Reflexionsbestimmung begründet. Als bloßes Gesetztsein ist sie schlechthin aufgehoben in der negativen Einheit des Wesens. Im Widerspruch dazu hebt sie als Reflexion-in-sich jeden Bezug auf die Einheit des Wesens auf. Aus dem in den beiden Charakteren der logischen Struktur der Reflexionsbestimmungen liegenden Widerspruch ergibt sich das Programm der Logik der Reflexionsbestimmungen im 2. Kapitel der Wesenslogik: In ihr geht es darum, den Widerspruch der selbständigen Reflexionsbestimmungen in seiner Notwendigkeit zur Darstellung zu bringen, und dies geschieht, indem die unterschiedenen Charaktere der Reflexionsbestimmungen, Gesetztsein und Reflexion-in-sich, in ihrer notwendigen Einheit begriffen werden. Der so an ihnen selbst hergestellte systematische Zusammenhang fordert auch die in ihnen verschwundene, aber als ihre immanente Reflexion gegenwärtige negative Einheit des Wesens wieder zutage. 5. Das System der Reflexionsbestimmungen als absolut relationales Hegels Ausführungen am Ende des Abschnitts über die bestimmende Reflexion gelten der Herausarbeitung des spezifisch relationalen Charakters der Reflexionsbestimmung: Z 120 "3. Indem nun die Reflexionsbestimmung sowohl reflektierte Beziehung in sich selbst als auch Gesetztsein ist, so erhellt unmittelbar daraus

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ihre Natur näher. Als Gesetztsein nämlich ist sie die Negation als solche, ein Nichtsein gegen ein Anderes, nämlich GEGEN die absolute Reflexionin-sich oder gegen das Wesen. Aber als Beziehung auf sich ist sie in sich reflektiert. - Diese ihre Reflexion und jenes Gesetztsein sind verschieden; ihr Gesetztsein ist vielmehr ihr Aufgehobensein; ihr Reflektiertsein in sich aber ist ihr Bestehen" (L. II., 22; 34f.).

Die Reflexionsbestimmung wird nun als Einheit von Gesetztsein und Reflexion-in-sich beschrieben. Sie ist "sowohl reflektierte Beziehung in sich selbst als auch Gesetztsein". Worin besteht die von Hegel postulierte Einheit der beiden Charaktere der Reflexionsbestimmung, die jeweils in unterschiedlicher Weise als selbstbezügliche doppelte Negation zu denken sind? Bevor Hegel herausarbeitet, wie die Einheit beider Charaktere an der Reflexionsbestimmung gesetzt ist, hebt er nochmals den in der Verschiedenheit der Momente begründet liegenden Widerspruch der Reflexionsbestimmung hervor: Als Gesetztsein ist die Reflexionsbestimmung die Negation als solche, ein Nichtsein gegen ein Anderes, nämlich gegen die absolute Reflexion-in-sich oder gegen das Wesen. Darin ist sie Beziehung auf Anderes. Als Reflexion-in-sich ist sie Beziehung auf sich und restituiert an ihr selbst den Schein der Unmittelbarkeit. Daraus ergibt sich der Widerspruch der Reflexionsbestimmung: Das Gesetztsein ist als Negation das "Aufgehobensein", die Reflexion-in-sich ist als Gleichheit mit sich der Negation das "Bestehen" der Reflexionsbestimmung. Wie ist nun die Einheit der beiden Charaktere an der Reflexionsbestimmung selbst gesetzt, und wie ist dann die "Natur" der Reflexionsbestimmung "näher" zu fassen: Z 121 "Insofern es nun also das Gesetztsein ist, das zugleich Reflexion in sich selbst ist, so ist die Reflexionsbestimmtheit DIE BEZIEHUNG AUF IHR ANDERSSEIN AN IHR SELBST1 (L. II., 22; 35).

Die Reflexionsbestimmung ist Gesetztsein, Bestimmtheit und damit Beziehung auf Anderes. Doch ist das Gesetztsein zugleich Reflexion-in-sich. Dies kann nur so gedacht werden, daß die Reflexionsbestimmung ihr Gesetztsein, ihre Bestimmtheit und damit ihre Beziehung auf Anderes zu ihrer internen Bestimmung hat. So ist die Reflexion sbestimmung ein Relat, das zugleich die Relation aufsein Korrelat an sich selbst ist. Die Reflexionsbestimmung kann nicht als Reflexion-in-sich Gesetztsein sein, wenn sie nicht dieses ihr Gesetztsein und damit ihre Bezogenheit auf Anderes in sich enthielte und zu einem wesentlichen Aspekt ihrer internen Verfassung hätte. Es besteht also kein prinzi-

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pieller Gegensatz zwischen ihrem Gesetztsein oder ihrer Bezogenheit einerseits und ihrer Reflexion-in-sich oder Selbständigkeit andererseits: Die Reflexionsbestimmtheit ist "DIE BEZIEHUNG AUF IHR ANDERSSEIN AN IHR SELBST". Allerdings nicht mehr auf die absolute Reflexion, denn diese ist selbst nur noch als Gesetztsein. Ihr Anderes ist so dasselbe wie sie, eine korrelative Bestimmung. Darin ist die Verdoppelung der Reflexion erhalten geblieben. Die absolute Reflexion ist als in sich bewegte Korrelation von Reflexionsbestimmungen gesetzt. Auf diese Weise ist die Einheit von Gesetztsein und Reflexion-insich an der Reflexionsbestimmung selbst gesetzt. Beide Charaktere sind ihr zwar wesentlich, dennoch sind beide nicht gleichwertig: Alles Gesetztsein ist zwar auch Reflexion-in-sich, aber die Reflexion-in-sich ist nur als Gesetztsein zu denken. Beide haben in der Wesenslogik nicht gleichen Rang und Bedeutung, vielmehr ist die Reflexion-insich auf das Primärsein des Gesetztseins aufgetragen. Ist das Gesetztsein zugleich auch in sich reflektiert, so ist diese Reflexion-insich doch nur als Gesetztsein. Das in sich reflektierte Gesetztsein ist somit nicht schlechthin das Anundfürsichsein, sondern nur, was in Beziehung auf ein Korrelat ist. In diesem Sachverhalt ist die abolute Relationalität der Reflexionsbestimmung begründet.5! Hegel kontrastiert die relationale logische Struktur der Reflexionsbestimmung mit dem ontologischen Charakter der seinslogischen Bestimmtheit: Z 122 "- Sie ist nicht als eine seiende, ruhende Bestimmtheit, welche bezogen würde auf ein Anderes, so daß das Bezogene und dessen Beziehung verschieden voneinander sind, jenes ein Insichseiendes, ein Etwas, welches sein Anderes und seine Beziehung auf dies Andere von sich ausschließt. Sondern die Reflexionsbestimmung ist an ihr selbst die BESTIMMTE SEITE und die BEZIEHUNG dieser bestimmten Seite als bestimmter, d.h. auf ihre Negation" (L. II., 22f.; 35).

Die seinslogische Bestimmtheit ist "ruhende Bestimmtheit". In der Seinslogik ergibt sich die Bestimmtheit aus der Unmittelbarkeit 51

Der hier analysierte Umstand wirft ein Licht auf die Differenz zwischen Wesensund Begriflslogik. In der Enzyklopädie heißt es: "Das Wesen ist der Begriff als GESETZTER Begriff, die Bestimmungen sind im Wesen nur RELATIVE, noch nicht als schlechthin in sich reflektiert; darum ist der Begriff noch nicht als FÜRSICH" (Enz. § 112). Da sich die Reflexion-in-sich im Wesen nur als Gesetztsein, als Reflexion-in-Anderes konstituiert, sind die Bestimmungen im Wesen nur "RELATIVE", noch nicht 'schlechthinnige' Reflexion-in-sich oder die ganze Totalität wie die Bestimmungen des Begriffs.

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an sich seiender Relate, Relate, die von der Relation, in der sie stehen, auch unabhängig sind. Die Bestimmungen des Seins sind unmittelbar und selbständig, weil sie auch nicht miteinander in Beziehung stehen. Relate und Relation fallen auseinander. Sie gelten daher auch unabhängig voneinander als für sich bestehend.52 So ist zum Beispiel die ontologische Kategorie des Etwas ein "Insichseiendes", das seinem Anderen äußerlich gegenübersteht, so daß es "seine Beziehung auf dies Andere von sich ausschließt". Der Begriff für diese Beziehungslosigkeit oder Äußerlichkeit an sich seiender Relate in der Seinslogik ist 'abstrakte Gleichgültigkeit gegen Anderes'. Von ganz anderer Art ist die logische Struktur der Reflexionsbestimmungen, auf die die Bestimmungen des Seins im Wesen schließlich zurückgeführt werden. Während die reflektierenden Bestimmungen des Seins trotz ihrer Beziehung aufeinander als selbständig und für sich bestehend gelten, hat die Reflexionsbestimmtheit keine Bedeutung, die sich von ihrer Relation wirklich unterscheiden ließe. Die Reflexionsbestimmung hat ihre Selbständigkeit und ihre Relationalität je an ihr. Als solche ist sie Ausdruck von absoluter Vermittlung. Die Beziehung auf ihr Korrelat ist ihr nicht äußerlich, sondern gehört konstitutiv zu ihr. Relat und Relation fallen in ihr zusammen. Die Reflexionsbestimmung ist somit dadurch definiert, daß sie eine bestimmte Seite und die Beziehung dieser bestimmten Seite als bestimmter auf ihr Gegenteil ist. Sie ist also ein Relat, das an sich selbst zugleich die Beziehung auf sein Korrelat ist. So begründet der Begriff der Reflexionsbestimmung ein System absoluter Relationalität, in welchem die Relate nur durch ihre Relation konstituiert sind. Hier entfaltet sich die wesenslogische Dialektik des Ganzen, welches zugleich sein eigenes Moment ist: Jedes Relat ist das Ganze der Relation und zugleich ein Moment dieser Relation und impliziert deswegen das andere Relat als Moment seines Selbstverhältnisses, obgleich es von der Selbständigkeit seines Anderen doch auch wieder dependiert. Die Reflexionsbestimmung ist so52

Die Bestimmungen der Seinslogik "wie Etwas und Anderes oder das Endliche und Unendliche, ob sie gleich wesentlich aufeinander hinweisen oder als Sein-fürAnderes sind, gelten als QUALITATIVE für sich bestehend; das ANDERE IST, das Endliche gilt ebenso als UNMITTELBAR SEIEND und für sich feststehend wie das Unendliche; ihr Sinn erscheint als vollendet auch ohne ihr Anderes" (L. L, 109; 131). Zwar wird bereits in der Seinslogik die unmittelbare Selbständigkeit dieser Bestimmungen als Schein destruiert, doch erst in der Wesenslogik werden die positiven Bestimmtheiten des Seins auf den sie konstituierenden negativen Zusammenhang der absoluten Negativität zurückgeführt und in das rein relationale System der Reflexionsbestimmungen überführt.

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mit das prozessuale, zirkuläre Verhältnis eines Relats, das sich in seinem Korrelat selbst voraussetzt. Der fehlerhafte Zirkel der Verstandesreflexion, wonach die Relation nicht ohne die selbständigen Relate zu denken ist, sowie umgekehrt die Relata nur durch ihre Relation bestehen und ohne sie keine Bedeutung haben, löst sich im spekulativen Begriff der Reflexionsbestimmung auf, demzufolge jedes Relat die ganze Relation wie auch ihre eine Seite darstellt. Die Fehlerhaftigkeit des Zirkels zwischen Relation und Relat in der Reflexion smetaphysik, entsteht ja gerade dadurch, daß Relat und Relation als fixe Momente festgehalten und so aus der objektiven, prozessualen Zirkularität des Begriffs der Reflexionsbestimmung herausgelöst werden. Z 123 "- Die Qualität geht durch ihre Beziehung in Anderes über; in ihrer Beziehung beginnt ihre Veränderung. Die Reflexionsbestimmung hingegen hat ihr Anderssein in sich zurückgenommen" (L. II., 23; 35). Die qualitativen Bestimmungen des Seins gehen trotz bzw. wegen ihres gleichgültigen Für-sich-Bestehens "durch ihre Beziehung in Anderes über". Die Kategorien der Seinslogik sind für sich genommen einfache, in sich beziehungslose Bestimmtheiten (Negationen). Gleichzeitig sind sie jedoch "in ihrem Unterschiede ANDERE gegeneinander, und ihre weitere Bestimmung (die Form des Dialektischen) ist ein ÜBERGEHEN IN ANDERES" (Enz. § 84).53 In der Wesenslogik wird die Bewegung des Übergehens von einer Bestimmung zur anderen auf die Beziehung der Kategorien zurückgeführt. In der wesenslogischen Beziehung geht das seinslogische Übergehen in seinen Grund zurück. Die Beziehung ist gleichsam die innere logische Struktur des Übergehens. Sie ist Übergehen "und zugleich kein Übergehen" (Enz. § 111 Zus.), aufgehobenes Übergehen: die reflektierende Bewegung als "Scheinen" der Bestimmungen ineinander. Während das Übergehen der Bestimmungen in der Seinslogik deren "Veränderung" darstellt, gehen die Reflexionsbestimmungen nur deshalb ineinander über, weil sie ihre Beziehung aufeinander je schon gegenseitig enthalten.

53

Wie sich die Dialektik des Übergehens bestimmt, laßt sich z.B. an der daseinslogischen Kategorie des Etwas zeigen: Wird das einfache Etwas bestimmt, so wird es der Bestimmung des Anderen gegenübergestellt, die gleichfalls Etwas ist. Doch in ihrer Beziehung aufeinander sind Etwas und Anderes beide Andere. Es bleibt kein Etwas zurück, das nicht ein Anderes wäre. Das Etwas geht also in sein Gegenteil, das Andere, über (vgl. L. L, 103f.; 125f.).

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Da die Reflexionsbestimmungen "Bestimmtheiten" sind, welche "BEZIEHUNGEN an sich selbst" (L. II., 24; 37) sind, also als Relationskategorien die Explikationsmittel darstellen, die die Kategorien in allen Teilen der Logik in ein Beziehungssystem bringen, können sie ihrerseits selbst nur so in ein Beziehungsgefüge gebracht werden, daß sie auf sich selbst bezogen werden. Aus diesem Umstand ergibt sich der spekukativ-dialektische Charakter der Entwicklung des Systems der Reflexionsbestimmungen im 2. Kapitel der Wesenslogik. In der absoluten Relationalität der selbständigen Reflexionsbestimmung stellt sich zugleich der ontologisch-metaphysische Schein absoluter Selbständigkeit der Wesenheit wieder her: Z 124 "Sie ist GESETZTSEIN, Negation, welche aber die Beziehung auf Anderes in sich zurückbeugt, und Negation, die sich selbst gleich, die Einheit ihrer selbst und ihres Anderen und nur dadurch WESENHEIT ist. Sie ist also Gesetztsein, Negation, aber als Reflexion-in-sich ist sie zugleich das Aufgehobensein dieses Gesetztseins, unendliche Beziehung auf sich" (L. II., 23; 35).

Als Gesetztsein ist die Reflexionsbestimmung die Negation, die als in sich reflektierte die "Beziehung auf Anderes", die sie selbst ist, "in sich zurückbeugt". Die Negation ist so sich selbst gleich in ihrer Beziehung auf Anderes. Sie bleibt in ihrer Sichselbstgleichheit weiterhin ein Negatives, daher "Einheit ihrer selbst und ihres Anderen", und ist nur dadurch "WESENHEIT". - Durch die Reflexion-in-sich des Gesetztseins oder der Negation ist die Reflexionsbestimmung sodann aber auch ebensosehr "das Aufgehobensein dieses Gesetztseins, unendliche Beziehung auf sich". Wogegen kann aber das von der Reflexion-in-sich aufgehobene Gesetztsein dann noch gesetzt sein? In der absoluten Relationalität der Reflexionsbestimmung restituiert sich somit der Schein absoluter Selbständigkeit und Autarkie. Mit der 'schlechthinnigen' Reflexion-in-sich, die Hegel hier als "unendliche Beziehung auf sich" bezeichnet, wird die dem Gesetztsein der Reflexionsbestimmung eigene Reflexion-in-sich verabsolutiert und dabei von dem mit ihr wesentlich kontaminierten Moment des Gesetztseins abstrahiert. Damit ist bereits der Übergang von der Logik der Reflexion zur ersten Reflexionsbestimmung, der Identität, vollzogen, denn diese ergibt sich überhaupt nur als immanente Abstraktion vom Unterschied. Der Begriff der "unendlichen Beziehung auf sich" stellt keineswegs einen Rückfall hinter die absolute Relationalität der selbständigen Reflexionsbestimmungen dar, oder vielmehr nur insofern, als jeder Übergang in der Wissenschaft der Logik, in welchem sich

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eine negative Bewegung aufhebt und in eine einfache, positive Einheit zurückgeht, als ein solcher Rückfall hinter bereits Erreichtes aufgefaßt werden muß. Aufgabe des Abschnitts "A. DIE IDENTITÄT" des 2. Kapitels der Wesenslogik wird es somit sein, den Schein der absoluten Selbständigkeit der Identität in ihrer Zurückführung auf die Bewegung der selbstbezüglichen Negativität aufzulösen. Fassen wir das aus der "Natur" der Reflexionsbestimmung Entwickelte zusammen: Das System der Reflexionsbestimmungen läßt sich als ein absolut relationales bezeichnen. Die 'Symploke' der Wesenheiten ist dadurch charakterisiert, daß sie durch ihre Relation aufeinander als selbständige, anundfürsichseiende gesetzt sind, aber auch wegen ihrer Relation diese ihre Selbständigkeit zugleich als aufgehoben bestimmt ist. Jedes Relat ist ebensosehr die ganze Relation, wie auch nur eine Seite derselben. Jede Reflexionsbestimmung ist das Ganze des Zusammenhangs der selbstbezüglichen Negativität und zugleich ebenso nur ein Moment dieses Zusammenhangs. Sie sind - obgleich Unbedingtheit beanspruchende Verstandesbestimmungen - einbezogen in den sie relativierenden Bewegungszusammenhang der absoluten Reflexion, der Bewegung von Nichts zu Nichts. Die Fixierung der Wesenheiten gegeneinander durch ihre Reflexion-in-sich, ist nur ein Moment ihres bewegten relationalen Zusammenhangs, in dem sie als Gesetztsein sind. Allerdings ist ihre Fixierung ein konstitutives Moment, denn die Reflexionsbestimmungen sind wesentlich Selbständige aufgrund der Form des Anundfürsichseins bzw. der Reflexion-in-sich, die ihnen eignet. Die Reflexionsbestimmungen machen sich in ihrer Selbständigkeit also selbst zu Momenten ihres bewegten relationalen Zusammenhangs, weil ihre Reflexion-in-sich nur als Gesetztsein ist. Der hartnäckige Schein absoluter Fixierung der Reflexionsbestimmungen gegeneinander kommt demgegenüber allein durch den ontologischen Schein der Unmittelbarkeit herein, der den Wesenheiten in der traditionellen Ontologie und Metaphysik ebenso wie in der neueren Transzendentalphilosophie anhaftet, der aber gleichwohl seine objektive Grundlage in der reflexionslogischen Struktur der Reflexion sbestimmungen selbst hat. Der Schein der ontologischen Unmittelbarkeit ist reflexionslogisch zurückzuführen auf das verselbständigte Moment der "Reflexion-in-sich", das den Reflexionsbestimmungen zukommt. Es ist die Ontologisierung der Reflexionsbestimmungen zu anundfürsichseienden Wesenheiten, was die traditionelle Metaphysik und die Transzendentalphilosophie als solche charakterisiert. Sei es die

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platonische Idee, die Substanz bei Aristoteles, Spinoza und Leibniz, oder sei es das transzendentale Subjekt bei Kant und Fichte, immer wird auf die Instanz einer selbständigen Wesenheit abgezielt, die sich der kategorialen Bewegung scheinbar entzieht und so als die Bedingung ihrer Möglichkeit erscheint. Das Programm der Darstellung der Logik der Reflexionsbestimmungen - wie der Reflexionsbewegung in der Wesenslogik überhaupt - stellt sich daher wesentlich als Kritik des ontologischen Scheins der Unmittelbarkeit der Denkbestimmungen in all seinen Erscheinungsformen in der traditionellen Metaphysik und neueren Transzendentalphilosophie dar.

§ 4 "Negation" und "Negativität" bei Hegel Als wichtigste spekulative Begriffsform der Logik des Wesens hat sich der Gedanke der absoluten Negativität als selbstbezüglicher doppelter Negation erwiesen. Es mag daher durchaus nützlich sein, die Frage nach dem Sinn der Hegeischen Begriffsfigur der selbstbezüglichen doppelten Negation noch einmal für sich aufzuwerfen. Klar ist zunächst, daß der Gedanke der Selbstbezüglichkeit der Negation kein willkürlicher ist, sondern in Hegels Wissenschaft der Logik eine zentrale Stellung einnimmt, wenn er auch nicht als das ausreichende Konstituens überhaupt in ihr gelten kann. Einerseits als ontologiekritisch, andererseits als konstruktiv hat sich uns dieser Gedanke insbesondere auf dem Weg vom Schein zum Wesen und innerhalb der Logik der Reflexion gezeigt. Überall dort, wo er auftauchte und aus sich selbst heraus die Mittel bereitstellte, die ihn uns in seiner Komplexität zu erfassen erlaubten, hat er dazu beigetragen, daß Vorgegebenheit destruiert wird und doch Fortschritt stattfindet im Sinne der spezifisch Hegeischen Sichtweise weiterer Gedanken entwicklung. In der Formel von der absoluten Negativität als der selbstbezüglichen doppelten Negation bildet sich die Verfassung dessen heraus, was Hegel - mehr das Ergebnis als den Prozeß oder die Tätigkeit ausdrückend - mitunter auch als "Negation der Negation" oder "das Negative des Negativen" bezeichnet. Die Schwierigkeiten, die einer Klärung des mit diesen Begriffen Gemeinten im Wege stehen, sind darauf zurückzuführen, daß Hegel zwar in ihnen denkt, nicht aber zugleich über sie nachdenkt. Hegel eignet eine eigentümliche Bewußtlosigkeit über sein Tun und über die begrifflichen Mittel, mit denen er tut, was er tut. Da Philosophie vom Grundsätzlichen ihren Anfang nimmt, läßt sich nahezu bei allen Denkern, die eine neue theoretische Möglichkeit entdecken, registrieren, daß sie das Charakteristische dieser Theorie und die bei ihrer Konstruktion sich ergebenden Probleme nicht ebenso klar zu artikulieren vermögen wie die Schwächen vorhergehender Theorien und die auf den neuen Theorieweg führenden Ursachen. So gelingt Kant z.B. in der Denkfigur der transzendentalen Einheit der Apperzeption nicht dieselbe Klarheit wie in dem Be-

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reich, den er sich mittels dieses Gedankens macht. Während man bei Platon schon eher feststellen kann, daß er ein zu seinem Denken distanziertes Verhältnis hatte, ist bei Hegel ein Defizit an methodischem Bewußtsein in ziemlich hohem Grade festzustellen.i Er konnte seine Argumente nicht zugleich mit den Mitteln einer Theorie über sie angemessen beschreiben und entwickelte die Gedanken in der Wissenschaft der Logik, ohne irgendwo - auch nicht im sogenannten Methodenkapitel am Ende der Logik - anders als beiläufig oder äußerlich über ihren inneren Aufbau und ihren Entwicklungsfortschritt selbst zu reflektieren. Die vielfältigen Bedeutungen des Ausdrucks "negativ" sind überliefert worden und waren Hegel bekannt: "Das Negative, dieser abstrakte Ausdruck, hat sehr viele Bestimmungen" (Werke 16, 419). Platon kritisierte im Sophistes die parmenideische These, daß nur Seiendes sei. Die Gegenposition von Platon ist: Auch das Nichtseiende ist (241d 2ff.). Diese These beruht bei Platon auf der Gleichsetzung des Nichtseienden mit dem Anderen (to heteron). Platon hat das Nichtseiende auf das Andere zurückgeführt (257b 2 - 257c 3), das für ihn die Funktion hatte, verschiedene Arten des Seienden oder der Wirklichkeit überhaupt und ihrer Gemeinschaft (symploke) zu etablieren. Er wurde auf diese Weise zum Begründer einer relationalen Ontologie. Der Problemtitel für die Disziplin der Logik und Rhetorik lautete in der Tradition: der vielfache Sinn des Nichtseienden (vgl. Hübener (1975), 112ff.). So stellte auch Kant in der Kritik der reinen Vernunft eine Tafel mit der Einteilung vom Nichts auf (Kant, Kd.V., B 348, A 292). Aus Hegels historischem Bewußtsein heraus können wir uns seine Bereitschaft erklären, den Begriff des Negativen bzw. der Negation zu differenzieren. So ist z. B. der Begriff des "Nichtseins" oder "Nichtdaseins" nicht synonym mit dem "Anderssein", wie wir in der Logik des Scheins gesehen haben. Es ist alo die Aufgabe der Interpretation, eine Theorie zu begreifen, die den vielfältigen und spezifischen Gebrauch des NegationsbegrifFs zur Grundlage ihrer Entfaltung macht.

Über den Mangel von Hegels Methodenbewußtsein und "die Schwäche der philosophischen Ausbildung von Hegels Generation" berichtet Henrich (1978), 226f.

§4 "Negation" und "Negativität" bei Hegel

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I. Erste oder einfache Negation und doppelte Negation oder absolute Negativität Hegel unterscheidet im Kontext der Wesenslogik sowie in den beiden anderen Teilen der Logik prinzipiell zwei Formen der Negation: 1. die erste oder einfache Negation und 2. die doppelte Negation oder absolute Negativität. Eine Interpretation des Hegeischen Negationsbegriffs hat zwei Bedingungen zu erfüllen. Zum einen muß sie den unterschiedlichen Sinn der beiden Formen der Negation erhellen, zum anderen muß sie Aufklärung darüber geben, auf welche Weise beide Negationsformen zusammenhängen. 1. Die erste oder einfache Negation Hegel gibt der ersten oder einfachen Negation hauptsächlich drei Bedeutungen: 1. Unterschied bzw. Unterscheiden, 2. Bestimmtheit und 3. Beziehung auf Anderes bzw. Andersheit. Hegels Begriff der ersten oder einfachen Negation begründet sein Konzept der bestimmten Negation. Man kommt diesem Begriff von Negation auf die Spur, wenn man ihn nach zwei Seiten hin abgrenzt. Was Hegel primär unter Negation versteht, ist einerseits nicht die Negation in der Form der negativen Aussage, das logische "Nicht" der Verneinung, andererseits nicht das, was Hegel als "abstrakte Negation" bezeichnet, die Negation im metaphysischen Verstande. Die abstrakte Negation ist äußerliche Negation, welche Abstraktion ist, und die zu ihrem Resultat nichts oder nichts Bestimmtes, den Mangel an Bestimmung, hat.2 Demgegenüber ist Hegels erste oder einfache Negation gerade umgekehrt Unbestimmtheit aufhebende Negation, also Negation, die zu ihrem Resultat Bestimmtheit hat. Hegels Begriff der Negation ist aber auch nicht der, der in der Aussage gebraucht wird. Negationen in der Form der negativen AusVgl. Enz. § 89 Anm., ferner L. II., 4; 14. Die vorkantische Leibniz-Wolffsche Ontologie kannte im wesentlichen zwei Negationsarten: die logische Negation und die Negation im metaphysischen Verstande. Der Gesamtheit aller möglichen Bestimmungen von Gegenständen, dem sog. "Inbegriff aller Realitäten", stellte sie den Mangel an Bestimmung als "Schranken der Realität" gegenüber. Alle wahren Verneinungen, die von den Dingen ausgesagt werden, haben diese Schranken oder das absolute Nichts zum Inhalt. Dieses metaphysische Paradigma von Realität und Negation ist, wie wir noch sehen werden, Gegenstand der Kritik der Hegelschen Negationstheorie.

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sage sind nicht negative Relationen, sondern Aufhebungen im Sinne von Elimination: Zurückweisungen eines Wahrheitsanspruchs. Durch die Negation einer Behauptung wird ein Satz als Behauptung in seinem Wahrsein schlichtweg bestritten: Die aussagenlogische Negation ist wahrheitsfunktionale Negation. Wichtig für den primären Sinn der Negation in der Wissenschaft der Logik ist aber nicht Aufhebung im Sinne von Elimination, sondern Aufhebung im Sinne von Differenzierung. Die Grundbedeutung des Hegeischen Negationsbegriffs ist Unterscheiden, Differenzieren, Ausgrenzen oder Bestimmen, wie sie in der von Hegel angeführten, aber zugleich umgedeuteten spinozistischen Formel "Omnis determinatio est negatio" zum Ausdruck kommt: "Die Bestimmtheit ist Negation als affirmativ gesetzt,- ist der Satz des Spinoza: OMNIS DETERMINATIO EST NEGATIO. Dieser Satz ist von unendlicher Wichtigkeit; nur ist die Negation als solche die formlose Abstraktion; der spekulativen Philosophie muß nicht die Schuld gegeben werden, daß ihr die Negation oder das Nichts das Letzte sei; dies ist sie ihr so wenig als die Realität das Wahrhafte" (L. L, 100; 121).

Negation also ist Bestimmtheit im Unterschied zur reinen Negation (im Sinne von Nichtsein), wenn sie als affirmativ gesetzt ist3, d.h. in Einheit mit dem Sein ist, wodurch dieses umgekehrt als Negatives gesetzt ist. Hegel hat sich also bei der ersten oder einfachen Negation nicht am aussagenlogischen Gebrauch der Negation orientiert. Ebensowenig hat er die Negation "ontologisiert" (vgl. Jaeschke (1978), 117 sowie Henrich (1975), 246ff.), vielmehr hat er versucht, die Negation ihrem ontologischen Fundament zu entreißen. Hegels Negationsbegriff ist von ontologiekritischer Natur. Er hat eine wohldefinierte Stelle im Aufbau der Wissenschaft der Logik, in der die traditionelle Ontologie und Metaphysik ebenso wie die Transzendentalphilosophie in eine Metaphysik absoluter Relationalität aufgehoben wird. Tatsächlich kann ich ja Bestimmtheit nur denken, wenn ich die Negation als seiend setze. So habe ich etwas Bestimmtes nicht bereits dann gedacht, wenn ich, wie es etwa in Fichtes "Reflexionsgesetz" heißt, etwas anderes nicht denke (Fichte (1797a), 521), sondern wenn ich dieser Negation zugleich eine affirmative Seite abgewinne. Im Anschluß an Hegel hat Marx diese Art leeren metaphysischen Räsonierens kritisiert, indem er auf die wahre Bedeutung des Satzes von Spinoza verweist: "Der Vulgärökonom hat nie die einfache Reflexion angestellt, daß jede menschliche Handlung als "Enthalten" von ihrem Gegenteil aufgefaßt werden kann. Essen ist Enthaltung von Fasten, Gehn Enthaltung von Stehn, Arbeiten Enthaltung von Faulenzen, Faulenzen Enthaltung vom Arbeiten etc. Die Herren täten wohl, einmal nachzudenken über. Spinozas: Determinatio est negatio" (MEW 23, 623).

§4 "Negation" und "Negativität" bei Hegel

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Ein aus der Negation als Bestimmtheit abgeleiteter Gedanke von Negation ist Andersheit. Die Negation als Nichtsein oder Bestimmtheit ist Unterscheiden eines Etwas von einem anderen Etwas. Sie konstituiert so den Gedanken einfacher Andersheit, in welchem die Beziehung mindestens zweier Relata angenommen wird. Durch den Gedanken der Andersheit wird die Negation als Bestimmtheit (Nichtsein im Sein) allererst in eine Korrelation mit anderer Bestimmtheit gebracht. Anders als Platon, der im Sophistes (257b 2 - 257c 3) die Negation bzw. das Nichtseiende auf die Andersheit zurückführt, führt Hegel die Andersheit auf die Negation zurück. Hegel geht einen Schritt über Platon hinaus, indem er einen Schritt von der Andersheit zurück in die Negation macht, in welcher sich das Andere als Anderes allererst konstituiert. Negation ist ursprünglicher als Andersheit, und Andersheit wurzelt in Negation, weil das Andere nur ist, insofern es nicht das Eine ist. Nach Hegels Meinung können wir nur auf dem Boden der Negation oder des Nichtseins vom Anderen sprechen. 4 Hegels Begriff der ersten oder einfachen Negation ist teils am Bestimmtheitsbegriff der Spinozistischen Philosophie (omnis determinatio est negatio), teils am heterotes-Begriff der Platonischen Philosophie orientiert, die er zugleich einer gewissen ontologiekritischen Umdeutung unterzieht. 2. Die Negation der Negation oder die absolute Negativität Mag bei Hegel der Ausdruck "Negation der Negation" auch vielerlei Bedeutungen haben, Hegel hat ihn doch im wesentlichen im Sinne einer strikt selbstbezüglichen Negation verstanden wissen wollen. Bei dem Begriff der selbstbezüglichen doppelten Negation stellt sich zunächst die Frage, wo wir eigentlich in der doppelten Negation Selbstbeziehung vor uns haben.

Die Kontroverse zwischen Rickert, einem Hauptvertreter der westdeutschen Schule des Kantianismus, der jene platonische These vom Vorrang der Andersheit vor der Negation vertritt, und Kroner, der von einem orthodoxen Hegelschen Standpunkt aus darauf geantwortet hat, hat Flach (1959) in seinem Buch Negation und Andersheit zusammengefaßt. Vgl. auch Theunissen, der in der Kontroverse "Vorrang der Andersheit oder Vorrang der Negation" eine dritte, mittlere Position einnimmt (Theunissen (1978), 246JT.).

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Im natürlichen und im aussagenlogischen Sprachgebrauch ist eine Selbstbezüglichkeit der doppelten Negation undenkbar. Die aussagenlogische Negation ist als Operator von Negativzeichen immer auf einen autonomen Satz so bezogen, daß sie zum Satz hinzutritt und ihn damit voraussetzt. Negiert man einen Satz "p" beliebig oft, so kommt dabei statt einer selbstbezüglichen Struktur nur eine Verdoppelung und Wiederholung zustande. Die Negation eines negierten Satzes ist nur Negation des ganzen, erstmals negierten Satzes. Sie kann sich also nur auf den ganzen negierten Satz ( r p) und nicht auf den vom Satzelement isolierten Operator beziehen. Wir erhalten immer nur "nicht-nicht p" (logische Schreibweise: r (r p)). Die doppelte aussagenlogische Negation stellt ein System zweier negativer Aussagen unterschiedlichen Grades dar, von denen die erste auf eine positive Aussage, die zweite auf eine negative, also beide auf etwas Verschiedenes gehen, und die daher irreflexiver Natur ist. Es ist eine Aufgabe der modernen Beweistheorie herauszufinden, unter welchen Bedingungen mittels einer Negation der Metasprache bezogen auf eine Negation der Objektsprache Selbstbezüglichkeit entstehen kann.5 Die Negation eines negierten Satzes führt zwar normalerweise zu einem affirmativen Satz, nicht aber unter allen Umständen: "Die doppelte Verneinung eines Satzes führt übrigens nicht notwendig zu einer Affirmation, wie das Beispiel von Sätzen zeigt, die in der traditionellen Logik zu den 'unendlichen Urteilen' gerechnet wurden: 'y ist nicht unwichtig* - diese Aussage läßt offen, wie wichtig y ist. Die Unbestimmtheit kommt dadurch zustande, daß das Prädikat 'unwichtig* für ein Extrem auf einer Begriffsskala steht. Durch seine Negation eröffnet sich die ganze Skala der Alternativen" (Kesselring (1984), 381). Auch nach Hegel vollzieht das (negative) unendliche Urteil eine doppelte Negation, der kein positives Resultat entspringt. Es verbleibt in positionsloser Negativität (vgl. L. II., 284; 324, vgl. Schmitz (1957), 105). Eine Aussage, die eine doppelte Negation ausdrückt, ist also nicht notwendigerweise logisch äquivalent mit dem affirmativen Satz, desVgl. Kesselring (1981), 215ff. und ders. (1984), 104ff. Kesselring untersucht die beiden Merkmale "Negation" und "Selbstbeziehung" als Grundbedingungen für das Entstehen formallogischer und mathematischer Antinomien. Es ist das Verdienst Kesselrings, die Beziehung zwischen der selbstbezüglichen Negativität und dem Begriff des Widerspruchs bei Hegel aufgedeckt zu haben. Zum Verhältnis von selbstbezüglicher Negativität, Widerspruch und Antinomie bei Hegel vgl. 2.Kap. § 4 I 2 d.

§4 "Negation" und "Negativität" bei Hegel

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sen Negation in der zweiten negativen Aussage negiert wird. Insofern ist auch die altgrammatische Regel "duplex negatio est affirmatio" in Anwendung auf die doppelte aussagenlogische Negation nicht unproblematisch: "Entsprechend besagt der Satz 'duplicate negatio efficit affirmation em' (doppelte Negation bewirkt Affirmation), der ungeachtet verschiedener Auslegungen Gemeingut aller philosophischen Schulen des Mittelalters ist, auch nicht Äquivalenz, wie sie aufgrund des Ersetzungscharakters gilt, den ein positives Prädikat im Verhältnis zu einem anderen Prädikat hat" (Fulda (1984), 690). Für den natürlichen und aussagenlogischen Gebrauch der doppelten Negation ist folgendes festzuhalten: Erstens ergibt die Negation eines negierten Satzes zwar im Normalfall die Affirmation des zunächst negierten Satzes, doch muß die Affirmation aller Negation vorausgesetzt sein. Damit sich die Affirmation in einer doppelten Negation einstellen kann, muß sie schon vorausgesetzt sein. Zweitens bezieht sich die Negation in ihrer doppelten Anwendung nicht auf sich selbst. Hegels Begriff der doppelten Negation unterscheidet sich in zweierlei Weise vom natürlichen und aussagenlogischen Gebrauch der doppelten Negation: 1. In Hegels spekulativer Theorie erscheint die Verdoppelung der Negation als Beziehung des Negativen auf sich selbst. Dabei wird diese Selbstbeziehung der Negation selbst schon als Affirmation angesehen und nicht erst das, was aus der selbstbezüglichen Negation als von ihr verschiedenes Resultat folgt. In Hegels Konzept der doppelten Negation ist die Negation also schon kraft ihrer Selbstbeziehung Affirmation, Selbstaffirmation. Die Vereinigung von Negation und Selbstbeziehung in der sich auf sich beziehenden Negation konstituiert die spezifisch idealistische Konstruktion der selbstbezüglichen Negation bei Hegel. Die Rede von der "duplex negatio", die einer "affirmatio" gleichkommt, beeinflußte Hegel im Sinne einer ontologiekritischen Metaphysik absoluter Relationalität. Scheinbar umfaßt die für sich bestehende, seiende affirmatio alles Wirkliche. Ist dieses Wirkliche aber wesentlich als Relationalität zu denken, so muß sie in Negativität bestehen, im Term aus seinem als Negativität zu fassenden Wesen hervorgegangen sein. Den ontologiekritischen Aspekt der Negativität stellt Hegel besonders in der 1. Auflage der Seinslogik heraus: "So ist die Negation das wahrhafte Reale und Ansichsein. Diese Negativität ist es, die das Einfache ist, welches als Aufheben des Andersseins in sich zurückkehrt; die abstracte Grundlage aller philosophischen Ideen,

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und des speculativen Denkens überhaupt, von der man sagen muß, daß sie erst die neuere Zeit in ihrer Wahrheit aufzufassen begonnen hat. Diese Einfachheit hat an die STELLE DES SEINS, oder jeder Bestimmtheit zu treten, die in UNMITTELBARER Form, als an-und-für-sich-seiend genommen wird" (L. I.(A), 77f.).

2. Im natürlichen und aussagenlogischen Gebrauch der doppelten Negation ergibt die zweite Negation die Affirmation des zunächst Negierten, setzt also etwas Affirmatives schon voraus. Umgekehrt beim spekulativen Gebrauch der doppelten Negation. Die Selbstbeziehung der Negation hat etwas von ihr Verschiedenes, die Affirmation, zu ihrer Folge. Was im natürlichen und aussagenlogischen Gebrauch bei der Verdoppelung der Negation vorausgesetzt ist, die Affirmation, wird im spekulativen Gebrauch zu einem Resultierenden. Der Gedanke der Selbstbeziehung der Negation ist eine methodische Operation, die zuvor in der philosophischen Tradition niemand in den Sinn gekommen war (vgl. Hübener (1975a), 476-481). Durch ihn kommt Hegels Theorie zu ihren eigentlichen Thesen: 1. Mit dem Konzept der "Negation der Negation" geht Hegel definitiv über die ontologische Substanzmetaphysik Spinozas hinaus: "- 'DIE BESTIMMTHEIT IST NEGATION' ist das absolute Prinzip der spinozistisehen Philosophie; diese wahrhafte und einfache Einsicht begründet die absolute Einheit der Substanz. Aber Spinoza bleibt bei der NEGATION als BESTIMMTHEIT oder Qualität stehen; er geht nicht zur Erkenntnis derselben als absoluter, d.h SICH NEGIERENDER NEGATION fort; [...]" (L. II., 164; 195).

Die beiden hier angegebenen Bedeutungen der Negation entsprechen der ersten oder einfachen und der selbstbezüglichen doppelten Negation. Die beiden Bedeutungen der Negation sind: 1. Bestimmtheit und 2. die sich negierende Negation oder Bestimmtheit. Die Selbstbeziehung der Negation tritt nur dann ein, wenn nicht nur auf eine Negation eine weitere Negation nochmals angewendet wird. Die erste Negation darf sich nicht auf etwas von ihr Verschiedenes beziehen, sondern muß sich als solche auf sich selbst beziehen. Kraft ihrer Selbstbeziehung hebt sich die Negation als solche selbst auf. Das Konzept der "Negation der Negation" dient so zur Charakterisierung des Gedankens der Selbstaufhebung von Bestimmtheit. Aus dem Gesagten erhellt auch der Zusammenhang zwischen der ersten oder einfachen Negation und der doppelten Negation oder der absoluten Negativität. Beide Formen der Negation sind nicht etwa zwei voneinander verschiedene Negationen, sondern sie sind nur unterschiedliche Aspekte ein und derselben Negation. Es ist die Nega-

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tion selbst, die einmal für den Charakter der Bestimmtheit eines Unmittelbaren steht, und zum anderen als das Sich-Aufheben der Bestimmtheit zu begreifen ist. Die Negation als solche ist erste oder einfache Negation; in Beziehung auf sich selbst ist sie doppelte Negation oder absolute Negativität. 2. Die Negation der Negation als absolute Negativität ist ferner auch der Ausdruck für das Hervorgehen von Differenz und Bestimmtheit. Es ist die Natur der Negation, "als die sich auf sich selbst beziehende Negativität sich von sich abzustoßen, wodurch sie setzend und schaffend ist" (L. H., 168; 199f.). Die Negation der Negation als absolute Negativität läßt in ihrer Artikulation also sowohl Bestimmtheit aus sich selbst heraus entfallen als auch neue Bestimmtheit hervorgehen. Absolute Negativität dient so zur Charakterisierung des generativen Prinzips, aus dem der Prozeß der Gedankenbestimmungen erfolgt. Aufgrund welcher formaler Eigenschaften der absoluten Negativität dieser generative Effekt eintritt, kann am Modell der selbstreferentiellen Andersheit aufgezeigt werdend Worin besteht die Selbstbeziehung des selbstbezüglichen Anderen? Der doppelte Gebrauch des Terminus 'Andersheit' kann in mehrfacher Weise auftreten: - Etwas ist ein Anderes gegenüber einem Anderen. Es ist das Andere des Anderen. - Die Andersheit kann auf den Begriff des Anderen selbst angewendet werden, um ihn von anderen Begriffen zu unterscheiden. Das Andere ist anders als das Eine. - Der Begriff der Andersheit kann auf verschiedene Fälle von Andersheit selbst angewendet werden, um sie voneinander zu unterscheiden. Ein Fall von Andersheit ist ein anderer als ein weiterer (vgl. auch Henrich (1978),

Henrich vertritt in mehreren seiner dem NegationsbegrifT Hegels gewidmeten Untersuchungen die These, daß Hegel den Gedanken einer Selbstbeziehung der doppelten Negation am Modell der selbstreferentiellen Andersheit entwickelt hat. "Das Andere seiner selbst" ist dann der primäre Sinn der sich auf sich beziehenden Negation (vgl. Henrich (1975), 245-256, ferner Henrich (1978). 261fT.). Henrich vertritt diese These, weil er der Auffassung ist, daß sich Hegels NegationsbegrifT teils am heterotes-Begriff der Platonischen Philosophie, teils aber auch am Negationsbegriff der Aussagenlogik orientiert. Beide Begriffe von Negation haben für ihn einen ganz verschiedenen Sinn und sind nicht ineinander zu überführen (bes. Henrich (1975), 249). Wie die hier vorliegende Interpretation zeigt, ist ersteres nur bedingt der Fall, da die Andersheit bei Hegel nur ein weiterer Fall der Negation als Bestimmtheit ist. So ist auch das selbstbezügliche Andere nur ein abgeleiteter Gedanke der sich auf sich beziehenden Negation. Letzteres trifft überhaupt nicht zu. Hegel orientiert sich weder an der aussagenlogischen noch an der ontologischen Negation (Mangel).

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262). In all diesen Fällen des doppelten Gebrauchs der Andersheit besteht keine Selbstbeziehung. Die Selbstbeziehung der Andersheit entsteht erst bei einem ganz besonderen doppelten Gebrauch der Andersheit. Wird auf das Andere der Terminus 'anders' angewendet, ohne daß auf einen weiteren Fall Bezug genommen wird als auf eben dieses Andere, dann und nur dann steht das Andere in Beziehung auf sich selbst. Was sind die formalen Eigenschaften dieser Selbstbeziehung? 1. Die Selbstbeziehung, in der das Andere steht, führt dazu, daß es sich aus sich selbst heraus gegen sich wendet. Das selbstbezügliche Andere ist in Beziehung auf sich selbst ein Anderes. Das Andere ist ein Anderes als es selbst ist. Es ist verschieden von sich selbst, das Andere seiner selbst. Kraft seiner Selbstbeziehung hebt sich das Andere durch sich selbst auf. Seine Selbstbeziehung ist so zugleich Selbstnegation. Das selbstbezügliche Andere ist also in einem Selbstbeziehung und negative Beziehung auf sich. 2. Die Selbstbeziehung der Andersheit verlangt, etwas anzugeben, was aus ihr folgt. - Der Begriff des Anderen ist ein relativer Ausdruck. Er impliziert daher die Angabe eines mit seinem Begriff nicht schon Genannten. Was aber im natürlichen Gebrauch des Anderen zunächst vorausgesetzt ist, daß nämlich etwas vorliegt, relativ zu dem das Andere ein Anderes ist, wird im spekulativ selbstbezüglichen Gebrauch zugleich zu seiner Folge. Doch lassen sich verschiedene logische Situationen denken, in denen der relative Ausdruck 'das Andere' verabsolutiert wird. In der daseinslogischen Situation von Etwas und Anderem (vgl. L. L, 104ff.; 125ff.) führt der absolute Gebrauch des Anderen dazu, daß das Andere zugleich dasjenige Etwas verkörpert, dem es zunächst gegenübersteht. Ist das Andere dagegen alles Andere oder absolute Andersheit wie in der Wesenslogik, dann ist auch das Gegenteil des selbstbezüglichen Anderen, das scheinbar Anderslose, das Unmittelbare, in Wahrheit selbstbezügliche Andersheit. Daraus erhellt, daß sich verschiedene mögliche Modifikationen selbstbezüglicher Andersheit denken lassen. Über sie hat die Wissenschaft der Logik Rechenschaft abzugeben.

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77. Der generative Charakter der absoluten Negativität Der generative Charakter der absoluten Negativität hat sich uns in seiner ontologiekritischen Funktion vornehmlich bei der Analyse der Logik der Reflexion gezeigt.7 1. Die absolute Negativität in der Logik der Reflexion a) Selbstbezügliche Negation in der setzenden Reflexion A) Die Bewegung der Reflexion kann nur aus der logischen Struktur der selbstbezüglichen Negation verstanden werden. Negation und Unmittelbarkeit sind daher primär die Begriffe, mit deren Hilfe Hegel die Bewegung der Reflexion logisch beschreibt. B) Als Selbstbeziehung der Negation ist die Reflexion Setzen der Unmittelbarkeit. Das Setzen der Unmittelbarkeit ist erstens das Aufheben des Negativen, denn als Selbstbeziehung ist die Negation Aufheben des Negativen als solchen. Zweitens aber ist die gesetzte Unmittelbarkeit auch aufgehobene Unmittelbarkeit, denn sie kommt durch die Selbstbeziehung der Negation zustande. Die gesetzte Unmittelbarkeit ist also selbst ein Negatives und damit unmittelbar sich aufhebende Unmittelbarkeit. - In der Selbstbeziehung der Negation heben sich Negation und Unmittelbarkeit unmittelbar ineinander auf. C) Als Setzen entwickelt sich die Reflexion weiter zum Voraussetzen, denn als Selbstbeziehung der Negation ist sie auch negative Beziehung der Negation auf sich selbst. Als negative Selbstbeziehung hebt sich die Negation in ihrer Selbstbeziehung selbst auf. In der Selbstaufhebung der selbstbezüglichen Negation wird die gesetzte Unmittelbarkeit als unabhängig von aller selbstbezüglichen Negation gesetzt; so wird sie vorausgesetzt (Hegel: "diese Unmittelbarkeit [ist] die aufgehobene Negation und die aufgehobene Rückkehr in sich" (L. II., 15; 26).

Die folgenden Ausführungen über den generativen Charakter der absoluten Negativität orientieren sich zwar zum Teil an Henrichs Theorie der absoluten Negativität als zweimal verdoppelter Negation, setzen sich aber zugleich in ein kritisches Verhältnis zu deren fundamental-ontologischen Prämissen. Hegel hat keineswegs die Negation "ontologisiert", wie Henrich meint, sondern vielmehr die Metaphysik durch Negativität entontologisiert.

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Aus der Selbstbeziehung der Negation folgt also etwas von ihr Verschiedenes. Es geht eine Unmittelbarkeit aus ihr hervor, die aller selbstbezüglichen Negation vorausgesetzt ist. Nun kann aber die vorausgesetzte Unmittelbarkeit nicht schlechthin das Gegenteil zu aller Negation sein, denn sie ist ja schon an ihr selbst das Negative gegen die Selbstbeziehung der Negation. Insofern muß die vorausgesetzte Unmittelbarkeit selbst als Negation gedacht werden. Als Negation aber wäre die Unmittelbarkeit das Gegenteil ihrer selbst. Insofern also die Unmittelbarkeit einerseits nicht nur schlechthin das Gegenteil zu aller Negation, aber andererseits auch nicht bloß Negation sein kann, da sie als Negatives das Negative ihrer selbst ist, kann sie nichts anderes sein als diejenige Negation, die in Beziehung auf sich selbst steht. Die vorausgesetzte Unmittelbarkeit muß also ihrerseits als Selbstbeziehung, und zwar als Selbstbeziehung der Negation, gedacht werden. Sie ist selbstbezügliche Negation in einem zweiten Fall. Der Gedanke der einen selbstbezüglichen Negation ist also so zu denken, daß er aufgrund der in der Selbstbeziehung der Negation gelegenen Selbstaufhebung der Negation zu einer Verdoppelung seiner selbst führt. Daß es einen zweiten Fall von selbstbezüglicher Negation gibt und warum es ihn gibt, ergibt sich als notwendige Konsequenz der die selbstbezügliche Negation charakterisierenden Bestimmungen. D) Die Verdoppelung der selbstbezüglichen Negation hat sich aus der Zweiheit der Richtungen der Selbstbeziehung und der Selbstaufhebung der Negation ergeben. Beide Eigenschaften sind direkte Implikate der selbstbezüglichen Negation. Der zweite Fall der selbstbezüglichen Negation, als welcher sich die aus dem ersten Fall resultierende Unmittelbarkeit herausstellt, hat genau dieselbe Form wie der erste. Die Selbstbeziehung und Selbstaufhebung der selbstbezüglichen Negation führt zu einem zweiten Fall von selbstbezüglicher Negation, die als Selbstbeziehung und Selbstaufhebung wiederum zum ersten Fall der selbstbezüglichen Negation zurückkehrt. In der Entwicklung der einen selbstbezüglichen Negation kommt es so zu einem Kreisgang zweier Fälle von selbstbezüglicher Negation, die sich wechselseitig voneinander unterscheiden und sich wechselseitig auseinander ergeben. Jeder der beiden Fälle der selbstbezüglichen Negation zieht den anderen unmittelbar nach sich. Somit ergibt sich folgendes Resultat: Mit der Reflexion als Voraussetzen haben sich zwei Fälle oder Auftrittsweisen der selbstbezüglichen Negation ergeben, die wechselweise auseinander resultieren. Aufgrund der Identität zwischen dem ersten und dem zweiten

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Fall der selbstbezüglichen Negation heben sich beide Fälle unmittelbar ineinander auf. Schon in der setzenden Reflexion kommt es zur Verdoppelung der Reflexion oder zur zweifach selbstbezüglich verdoppelten Negation. Innerhalb der setzenden Reflexion läßt sich jedoch noch kein Verhältnis der Andersheit oder der Differenz zwischen beiden Fällen oder Auftrittsweisen der selbstbezüglichen Negation etablieren. Aufgrund ihrer Identität sind sie ebenso unmittelbar, wie sie auseinander resultieren auch unmittelbar ineinander aufgehoben. Das Verhältnis der Andersheit kommt erst unter den Bedingungen des Übergangs von der setzenden zur äußeren Reflexion zustande. b) Selbstbezügliche Negation in der äußeren Reflexion E) Soll der aus der einen selbstbezüglichen Negation resultierende zweite Fall der selbstbezüglichen Negation als ein zweiter Fall festgehalten werden können, so muß er als vom ersten Fall verschieden etabliert werden. Im Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion wird eine Form der Verdoppelung der selbstbezüglichen Negation erreicht, in der der zweite Fall der selbstbezüglichen Negation zugleich als kein Fall von selbstbezüglicher Negation erscheint. Zur äußeren Reflexion kommt es, indem sich die Reflexion selbst als aufgehoben setzt und damit sich selbst als ihr Negatives, die vorausgesetzte Unmittelbarkeit, voraussetzt. Zwar ist das vorausgesetzte Unmittelbare selbst ein Fall von Selbstbeziehung der Negation, doch ist sie zunächst nicht als solche kenntlich. Die selbstbezügliche Negation hat sich in den gegenständlichen Schein einfacher Unmittelbarkeit gehüllt. Sie ist sich in der äußeren Reflexion selbst äußerlich geworden, da sie sich als vorausgesetzte Unmittelbarkeit fremd gegenübersteht. Dies ist der Grund dafür, daß das Andere der selbstbezüglichen Negation, das ebenso ein Fall von selbstbezüglicher Negation ist, nicht als solcher Fall erscheint. Aus dem Verhältnis des wechselseitigen Sich-Unterscheidens und Sich-auseinander-Ergebens der beiden Fälle der selbstbezüglichen Negation in der substratlosen Wechselbeziehung von Setzen und Voraussetzen hat sich ein Verhältnis der Andersheit zwischen selbstbezüglicher Negation und substratbestimmter Unmittelbarkeit errichtet, welche scheinbar kein Fall selbstbezüglicher Negation ist. Damit wird aber auch der Kreisgang der selbstbezüglichen Negation in der Verdoppelung ihrer selbst unterbrochen.

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Wie kann aber die vorausgesetzte Unmittelbarkeit, obgleich sie selbst selbstbezügliche Negation ist, gegen die Reflexion als bloß seiende Unmittelbarkeit erscheinen? Fest steht, daß die vorausgesetzte Unmittelbarkeit nicht in demselben Sinne selbstbezügliche Negation sein kann wie die Reflexion selbst. In der äußeren Reflexion tritt die vorausgesetzte Unmittelbarkeit als reine Selbstbeziehung der Negation auf, die den Schein der bloßen Seiendheit erzeugt, während sich die Reflexion als aufgehobene Selbstbezüglichkeit der Negation setzt und damit den Schein der einfachen Negation gegen das vorausgesetzte Unmittelbare an sich trägt. So kommt es in der äußeren Reflexion zu zwei Fällen oder Auftrittsweisen der selbstbezüglichen Negation, die nur als entgegengesetzte gelten können, insofern der eine Fall die selbstbezügliche Negation im Status des Aufgeh oben sein s der Selbstbeziehung der Negation, der andere die selbstbezügliche Negation im Status der reinen Selbstbeziehung repräsentiert, in der alle Negation ausgeschlossen erscheint. Aus der einen substratlosen selbstbezüglichen Negativität folgen also die beiden Fälle ihrer Realisierung als die zwei sich einander äußerlich gegenüberstehenden Gedanken von einfacher, nicht selbstbezüglicher Negativität und substratbestimmter Unmittelbarkeit. Dies ist freilich nur Schein. Gegen die vorausgesetzte, seiende Unmittelbarkeit macht Hegel im Übergang zur bestimmenden Reflexion den ontologiekritischen Charakter der selbstbezüglichen Negativität geltend. Die der Reflexion vorausgesetzte Unmittelbarkeit erweist sich als ein Fall selbstbezüglicher Negation, indem deutlich wird, daß die Unmittelbarkeit nur Unmittelbarkeit als "Gesetztsein", als negativ bestimmtes, als Produkt der selbstbezüglichen Negation ist. Sie erweist sich selbst als ein Fall selbstbezüglicher Negation, weil sich in der bestimmenden Reflexion die Reflexion selbst als Unmittelbarkeit voraussetzt. c) Selbstbezügliche Negation in der bestimmenden Reflexion F) Der Begriff der bestimmenden Reflexion setzt voraus, daß der Schritt zum Verhältnis der Andersheit zwischen den beiden Fällen oder Auftrittsweisen der selbstbezüglichen Negation erfolgt ist. Die bestimmende Reflexion hat dann die Funktion, die beiden Seiten der äußeren Reflexion, seiende Unmittelbarkeit und einfache Negativität, als Momente der sich auf sich beziehenden Negativität auszuweisen, indem die Unmittelbarkeit mit der Negativität identifiziert wird. Nachdem sich die beiden Fälle der selbstbezüglichen Negation

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aufgrund ihrer entgegengesetzten Bestimmtheit als einfache Negativität und seiende Unmittelbarkeit gegeneinander fixiert haben, kann ihre Identifizierung unter Wahrung des Prinzips der Selbstbeziehung der Negation nur in der Weise erfolgen, daß sich der erste Fall in den zweiten verwandelt und dadurch der gegenständliche Schein des zweiten aufgehoben wird. In der bestimmenden Reflexion gerät im Prozeß der selbstbezüglichen Negativität das substratbestimmte Unmittelbare, das den Schein reiner Positivität erzeugt, unter die Herrschaft der Negativität. Der selbstbezüglichen Negativität ist zwar ein seiendes Substrat vorausgesetzt, doch wird es durch den Prozeß der selbstbezüglichen Negation erst bestimmt und als Substrat gesetzt und damit als ein selbstbezügliches Negatives. So entspricht der Prozeß der selbstbezüglichen Negativität, verstanden als Bewegung der sich verdoppelnden selbstbezüglichen Negation, in Wahrheit der bestimmenden Reflexion, während die traditionelle formallogische und metaphysische Auffassung des Verhältnisses von einfacher Negation und seiender Unmittelbarkeit nur ein Moment derselben ist, das Moment der äußeren Reflexion. Und wie die äußere Reflexion ein nichteliminierbares Moment der bestimmenden ist, so ist auch das Verhältnis von einfacher Negation und substrathafter Unmittelbarkeit ein aufgehobenes, wie auch erhaltenes Moment der selbstbezüglichen Negativität. Die selbstbezügliche Negativität verdoppelt sich in der äußeren Reflexion so, daß sie sich als einfache, nicht selbstbezügliche Negativität und als seiende Unmittelbarkeit setzt, wobei das Verhältnis der Momente aufgrund der reinen Form der Unmittelbarkeit auf der einen Seite und der reinen Form der Negation auf der anderen als das der traditionellen Verstandesmetaphysik von Sein und Nichtsein, von Realität und Negation erscheint. Die Bewegung der sich auf sich beziehenden Negativität der Reflexion kann sich also nur so verdoppeln, daß sie zugleich den Schein des Verhältnisses einfacher Negation und seiender Unmittelbarkeit erzeugt. - In der bestimmenden Reflexion sind die beiden Fälle der selbstbezüglichen Negation, die einfache Negativität und die substratbestimmte Unmittelbarkeit, nicht nur an sich identisch, sondern es ist gesetzt, daß sie es sind. Der eine Gedanke der selbstbezüglichen Negation hat sich in der bestimmenden Reflexion zu einer Pluralität bestimmter Fälle von selbstbezüglicher Negation entwickelt: den Reflexionsbestimmungen. Die Reflexionsbestimmungen sind bestimmte Fälle von gesetzter selbstbezüglicher Negation, die einerseits als Gleichheit mit sich der Negation den Schein der Selbständigkeit an sich haben und anderer-

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seits als negative Beziehung auf sich sich aufheben und ineinander übergehen. 2. Die absolute Negativität in der begriffslogischen Begriffssequenz Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit Auch die begriffslogische Sequenz Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit ergibt sich aus der absoluten Negativität. Hegel entwickelt die Grundstruktur des Begriffs im Ausgang von der "ursprünglichen Einheit" der Allgemeinheit. Von hier aus macht er die Selbstspezifikation der Einheit plausibel. Doch die Struktur der Negativität der Allgemeinheit des Begriffs ist selbst nur im Rückgriff auf die logische Verhältnisweise, welche Resultat der Wesenslogik ist, zu entwickeln. Die Allgemeinheit des Begriffs ist reine Beziehung auf sich, absolute Identität mit sich nur durch Negation des Negativseins des Negativen. Die NegativitätsStruktur der Allgemeinheit ist das Resultat der im Verhältnis der wesenslogischen Wechselwirkung stehenden Substanzen. Diese sind sich auf sich beziehende Negationen, die sich wechselseitig durch ihr Verhältnis der Negativität zueinander ihre Selbstbezüglichkeit ermöglichen. Die Wechselwirkung ist ein Kreisgang zweier Fälle von selbstbezüglicher Negation, die sich wechselseitig voneinander unterscheiden und sich wechselseitig auseinander ergeben. Die wechselseitige Konstitution sich auf sich beziehender Negationen ist "die wechselseitige Konstitution positiver Unmittelbarkeit kraft Negation" (Fink-Eitel (1978), 202.). Die Zusammenfassung dieses Kreisganges in einen Gedanken ist die ursprüngliche, sich auf sich beziehende Negativität, welche die Allgemeinheit ist. "Nimmt man von ihr den Ausgang, dann müssen keine bestimmten Voraussetzungen der Wesenslogik als Voraussetzungen in die Begriffslogik übernommen werden. Die absolute, selbstbezügliche Negation vielmehr eröffnet als Resultat der Wesenslogik die Dimension der Begriffslogik, und zwar so, daß dies Resultat nicht mehr mit den Mitteln der Wesenslogik explizierbar ist" (FinkEitel (1978), 202f.). In der wesenslogischen Relation der Wechselwirkung nämlich impliziert jeweils ein Fall selbstbezüglicher Negation sein Negatives oder sein Gegenteil, von dem er abhängt. Jeder Fall von selbstbezüglicher Negation dependiert von seiner Negation, die er in prozessualer Zirkularität seinerseits konstituiert. Jeder ist das Ganze und zugleich ein Moment des Ganzen, ohne daß jedoch das Ganze der selbstbezüglichen Negativität als solches gesetzt ist.

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Der Begriff dagegen ist das 'Licht', das in die "Dunkelheit der im Kausalverhältnisse stehenden Substanzen" fällt (L. II., 219; 251). Er konstituiert sich als die einfache Identität durch Negation der negativen Selbstbeziehung der Substanzen. Die undurchdringliche Substratbestimmtheit der Substanzen wird "zur sich selbst durchsichtigen KLARHEIT" (ebd.) des Begriffs aufgrund ihrer systematischen inneren Negativität kraft deren sie zugleich als gegeneinander Negative negiert sind. Jede der Substanzen ist Beziehung auf sich durch Negation des Negativseins des Negativen. Der Begriff ist diese ganz einfache Beziehung auf sich, die reine Selbstbeziehung, die jede Substanz abwechselnd an sich selbst ist, durch Negation des Negativseins der negativ zueinander stehenden Substanzen: die negative Beziehung der sich auf sich beziehenden Negationen bzw. Substanzen ist negiert. Als Resultat der Reflexion-in-sich aus der Bestimmtheit der sich negativ zueinander verhaltenden Substanzen - der Begriff konstituiert sich einzig als Reflexion der Reflexion, wobei Hegel in diesem Zusammenhang explizit den Terminus "totale Reflexion" (L. II., 243; 278) gebraucht -, ist die Allgemeinheit des Begriffs zugleich der Grund ihrer eigenen Differenzialität. Die Allgemeinheit ist die einfache Beziehung auf sich als sich auf sich beziehende Negation. Als solche ist sie auch sich negierende Negation. So ist sie durch das, was sie ist, als das, was sie ist, unterschieden von sich. Die sich auf sich beziehende Negation ist von ihrer Beziehung auf sich unterschieden bestimmt, oder anders gesagt: sie ist als erste oder unmittelbare Negation, welche Bestimmtheit überhaupt ist, gesetzt: die Besonderheit. Als sich auf sich beziehende Negation unterscheidet sich die Allgemeinheit - als Beziehung auf sich von sich als erste Negation: die Besonderheit. Dergestalt ist also die erste Negation (Beziehung auf Anderes) und damit die Besonderheit der sich auf sich beziehenden Negation oder der Allgemeinheit immanent. - Daraus läßt sich jedoch unmittelbar eine weitere Schlußfolgerung ziehen: Ist die sich auf sich beziehende Negation (Allgemeinheit) als erste Negation (Besonderheit) gesetzt, so bezieht sie sich doch als das, was sie ist, als das Negieren (negierende Negation) auf sich. Die sich auf sich beziehende Negation erhält sich also in ihrer Bestimmtheit als erste Negation. Und die erste Negation bezieht sich als Negation, als Beziehung auf Anderes bzw. als Bestimmtheit, auf sich selbst. Demnach ist die sich auf sich beziehende Negation der Allgemeinheit als zweite Negation, als Negation der Negation, gesetzt. So ist sie "ABSOLUTE BESTIMMTHEIT oder EINZELHEIT und KONKRETION (L. II., 243; 277).

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Ist die Allgemeinheit die sich auf sich beziehende Negation, und die Besonderheit die darin implizierte einfache oder erste Negation, so ist die Einzelheit die sich auf sich beziehende Negation, die als solche gesetzt ist. Die Einzelheit ist die einfache oder erste Negation, die sich auf sich bezieht, und zwar so, daß in der Beziehung auf sich die Negativität zugleich entfällt: das Einzelne ist ein "FÜRSICHSEIENDES" (L. II., 263; 300). So ergibt sich im Rahmen der Begriffslogik eine unmittelbare, singuläre Beziehung auf sich, eine Einzelheit, welche der "Verlust" des Begriffes ist (vgl. L. II., 262; 299). Die Abfolge von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit vollzieht sich als dreifaches Auftreten der sich auf sich beziehenden Negation. Das Allgemeine ist das erste Stadium der sich auf sich beziehenden Negation. Dieses leitet zur Besonderheit über, indem sich die sich auf sich beziehende Negation durch ihre Selbstunterscheidung als erste, unmittelbare Negation setzt. Die erste oder einfache Negation erweist sich aber unmittelbar als Negation, als Beziehung auf sich oder als sich auf sich beziehende Negation. Als ein Negatives, das sich auf sich bezieht, ist sie Einzelheit. So tritt in der Einzelheit die sich auf sich beziehende Negation zum dritten Mal auf, nunmehr aber als gesetzte. Dies soll in unserem Zusammenhang nur heißen, daß es keine letzte Differenz zwischen den Auftrittsweisen der selbstbezüglichen doppelten Negation gibt. Wir haben sie als Ausgang, als Durchgang und schließlich als Resultat der Bewegung. Das Allgemeine als absolute Negativität bleibt in seiner Bestimmtheit erhalten. Besonderheit und Einzelheit stellen nur die Entwicklungsmomente des Allgemeinen und der absoluten Negativität dar. Daß sich solche Fälle und Formen von selbstbezüglicher Negativität unterscheiden lassen, in denen die Entwicklung des allgemeinen Begriffs vor sich geht, macht ihn zur Totalität, in der "JEDES der Momente DAS GANZE ist" (Enz. § 160). Es ist der ontologiekritische und der generative Charakter der selbstbezüglichen Negativität, der Hegel interessierte und den er tiefgründig auslegt. Daß der generative Charakter eintritt, dieser logische Effekt liegt in der in der Selbstbeziehung gelegenen Selbstaufhebung der Negativität, die zu etwas von der Negativität Verschiedenem führt. Die absolute Negativität setzt notwendig etwas von ihr Verschiedenes, ein seiendes Unmittelbares, voraus. Dieses Unmittelbare ist also nicht nur der logischen Form der absoluten Negativität vorausgesetzt, sondern als ein solches zu denken, das nur mit der Selbstbeziehung der Negation selbst gegeben ist, also nur in de-

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ren Horizont eine Bedeutung hat und daher selbst als Fall von selbstbezüglicher Negativität zu verstehen ist. Hegel hat die Negation sowohl als erste oder einfache Negation als auch als doppelte selbstbezügliche Negation oder absolute Negativität zur Grundlage seiner Theorie gemacht. Der Hegeische Negationsbegriff ist aber in seiner einfachen sowie in seiner doppelten Gestalt weder der aussagenlogische (bzw. formallogische) noch der metaphysische. Er ist abstrakter als beide, ohne daß er sich in kein Verhältnis zu ihnen bringen ließe. Hegels Intention ist vielmehr, die logische und metaphysische Negation mit dem Begriff der Negativität so zusammenzudenken, daß das "Nicht" der logischen und metaphysischen Verneinung als Moment einer auf sie nicht reduzierbaren, völlig anders gearteten, reine Relationalität begründenden selbstbezüglichen Negativität fungiert. - Es empfiehlt sich daher, diesen Hegelschen Begriff in der Kategorienentwicklung der Logik anhand der jeweils an Ort und Stelle abgehandelten Denkbestimmungen nachzukonstruieren. Jedenfalls läßt sich Negation im Hegeischen Sinne und vor allem absolute Negativität, wenn überhaupt, nur auf diese Weise wirklich begreifen. Die Wissenschaft der Logik wird also auch weiterhin in folgender Hinsicht unter die Lupe zu nehmen sein: Wie arbeitet Hegel mit der ersten oder einfachen und mit der doppelten selbstbezüglichen Negation, und welchen systematischen Stellenwert haben sie?

Zweites Kapitel Die Logik der Reflexionsbestimmungen

Einleitung In einem Vorspann gibt Hegel - wie üblich - eine Übersicht über den Gang der zu erwartenden logischen Entwicklung. Zunächst hält er das Resultat des bisher Entwickelten fest: Z 125 "Die Reflexion ist bestimmte Reflexion; somit ist das Wesen bestimmtes Wesen, oder es ist WESENHEIT. Die Reflexion ist das SCHEINEN DES WESENS IN SICH SELBST. Das Wesen als unendliche Rückkehr in sich ist nicht unmittelbare, sondern negative Einfachheit; es ist eine Bewegung durch unterschiedene Momente, absolute Vermittlung mit sich. Aber es scheint in diese seine Momente; sie sind daher selbst in sich reflektierte Bestimmungen" (L. II., 23; 35f.).

Dem ersten Kapitel der Wesenslogik kam die Aufgabe zu, einen Wesensbegriff zu entwickeln, der als autonome Struktur aus sich selbst heraus entwicklungsfähig ist. Das "SCHEINEN DES WESENS IN SICH SELBST" ist die Reflexion, die Bewegung von Nichts zu Nichts, die dadurch "unendliche Rückkehr in sich" ist. Als Reflexion ist das Wesen in sich umgewendete, gegenläufige Bewegung. Es erfüllt so die Bedingungen einer Selbstbewegung, die Bedingungen des Von-sich-Abstoßens und In-sich-Zurückkehrens. So ist es nicht "unmittelbare", also ontologische Einfachheit, sondern "negative Einfachheit", also Einfachheit, die Negativität in sich enthält. Die Reflexion ist zunächst Einheit von Setzen und Voraussetzen und bestimmt sich über die äußere zur bestimmenden Reflexion fort. In der bestimmenden Reflexion kommt es zur Konstitution der Bestimmtheit als Reflexionsbestimmung. Der Begriff der Reflexion überhaupt ist noch keine Reflexionsbestimmtheit. Die der Reflexion eigene Bestimmtheit ist erst mit dem Begriff der Reflexionsbestimmung erreicht. Innerhalb der Bewegung der Reflexion findet also die Konstitution von Bestimmtheit statt, so daß aus der Reflexion überhaupt "bestimmte Reflexion" und aus dem Wesen überhaupt "bestimmtes Wesen" wird. Indem die Reflexion des Wesens selbst den Charakter von Reflexionsbestimmungen erhält, erwächst aus ihr das Wesen als "System der REFLEXIONSBESTIMMUNGEN" (L. L, 44; 58).

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Die Reflexion des Wesens ist eine logische Struktur, die nicht ontologisch einfach ist, sondern Negativität in sich enthält. Diese in sich differenzierte logische Struktur entwickelt sich in einer "Bewegung durch unterschiedene Momente" weiter. In dieser Bewegung ist das Wesen "absolute Vermittlung mit sich". "Absolut" ist diese Vermittlung, weil sich das Wesen darin nur mit sich selbst vermittelt. Es vertieft sich gleichsam in sich selbst und nimmt immer mehr an Komplexität zu. Indem es aber in seinen Momenten zugleich selbst auf scheinende Weise präsent ist, sind diese "selbst in sich reflektierte Bestimmungen". Die Reflexionsbestimmungen sind so die selbständigen Momente der scheinenden Reflexionsbewegung. Mit der Konstitution der Reflexionsbestimmungen in der bestimmenden Reflexion kommt es zu einer äußerlichen Verselbständigung des immanenten Scheinens der Reflexion. Während die Reflexion überhaupt das in ihm selbst scheinende Wesen ist, machen die Reflexionsbestimmungen den "bestimmten" oder "wesentlichen Schein" (L. II., 22; 34) aus, wie er im Wesen ist. In der bestimmenden Reflexion verliert sich die Gleichheit des Wesens mit sich in ihre Negation, die Reflexionsbestimmungen, welche fortan "das Herrschende" (ebd.) im Wesen sind. Die Form des Anundfürsichseins, die ihnen daher eigen ist, konstituiert zugleich den hartnäckigen Schein ihrer absoluten Fixierung gegeneinander. Wesentlicher Schein ist aber nicht bloßer Schein, sondern notwendige Erscheinungsform der Reflexion. Der Schein der Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen hat also durchaus Realität. Die Logik der Reflexionsbestimmungen hat nun die generelle Aufgabe, die Reflexionsbestimmungen in ihrem Zusammenhang und ihrer Bewegung darzustellen und so den Schein ihrer Selbständigkeit und Gleichgültigkeit aufzulösen. Mit der Darstellung der Reflexionsbestimmungen in ihrem Bewegungszusammenhang wird auch die Einheit des Wesens aus ihrem Verlorensein in ihre Negation wiederhergestellt werden (vgl. zum Programm der Logik der Reflexionsbestimmungen auch Schubert (1985), 63, 76ff.). Die Logik der Reflexionsbestimmungen hat generelle Bedeutung innerhalb der Wissenschaft der Logik. Diese Bedeutung läßt sich aus dem Sinn der Reflexionsbestimmungen selbst erschließen. Reflexionsbestimmungen sind nach Hegel Beziehungskategorien, Bestimmungen logischer Beziehungen oder "BESTIMMTE BEZIEHUNGEN" (vgl. L. II., 64; 81), wie Hegel sagt. Die Logik der Reflexionsbestimmungen untersucht, wie diese Kategorien miteinander zusammenhängen. Hegel geht davon aus, daß die Gültigkeit der Reflexionsbestimmungen nur bestehen kann, wenn ihr System zugleich die Einheit der Vernunft gewährleistet. Eine zusammenhanglose Viel-

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heit der Reflexionsbestimmungen (ebenso wie aller anderen Kategorien) widerspräche an sich der Einheit der Vernunft. Wenn gezeigt werden soll, daß das System der Kategorien die Einheit der Vernunft ermöglicht, dann kommt es darauf an, an dem inneren Begriffsinhalt der Kategorien ihren Zusammenhang und dadurch die Einheit des Kategoriensystems darzustellen. Als Teil des Kategorien systems bilden die Reflexionsbestimmungen selbst ein System, das "System der Reflexionsbestimmungen". Die Entwicklung dieses Systems enthält der Haupttext des 2. Kapitels der Wesenslogik. Obgleich die Logik der Reflexionsbestimmungen nur ein Teil des Kategoriensystems ist, ergibt sich deren ausgezeichnete Bedeutung für das ganze Kategoriensystem aus folgendem Umstand: Die Reflexion sbestimmun gen sind als logische Beziehungen die Explikationsmittel für die Analyse der Beziehungen der Kategorien untereinander in allen Teilen der Logik. Die Wesenslogik ist der Ort, an dem sie selbst zum Gegenstand der Untersuchung gemacht und in eine spekulativ-dialektische Entwicklung gebracht werden. Das Spezifische der spekulativ-dialektischen Entwicklung der Reflexionsbestimmungen ergibt sich aus dem Problem, wie die Menge von Beziehungen (Identität, Verschiedenheit, Gegensatz etc.) ihrerseits untereinander zusammenhängen. Hegel löst dieses Problem auf folgende Weise: Er nimmt an, daß die Reflexionsbestimmungen auf dieselbe Weise aufeinander bezogen werden müssen, wie die Kategorien in den anderen Teilen der Logik. Das bedeutet aber, sie müssen auf sich selbst bezogen werden. Daraus ergibt sich ein erstes Charakteristikum der Logik der Reflexionsbestimmungen. Sie ist ein ausgezeichneter Fall von Reflexion der Reflexion, nicht Reflexion über die Reflexionsbestimmungen, Meia-Reflexion, sondern Selbst-Reflexion, immanente oder objektive Reflexion der Reflexionsbestimmungen an ihnen selbst.1 Es sei an dieser Stelle daran erinnert, daß "Reflexion" bei Hegel eine gegenüber dem traditionellen Reflexionsbegriff andere, neue Bedeutung erhalten hat. Reflexion wird traditionellerweise immer als ein Vorgang im Bewußtsein, als Denktätigkeit eines Subjekts gefaßt. Hegel begreift Reflexion als objektive Bewegung der Kategorien. DaZwar sind alle Kategorien in Hegels Logik selbstbezüglich, doch bedeuten nicht alle etwas Selbstbezügliches. Die Kategorien des Seins sind, aber sie sind selbst nichts Reflexives. Dagegen fallen die wesenslogischen Kategorien nicht nur unter sich selbst, sondern haben selbst reflexive Struktur. Man könnte daher mit Hösle "die logischen Kategorien in an-sich- und für-sich-reflexive Kategorien unterteilen" (Hösle (1988), 74).

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mit löst er den Reflexionsbegriff vom Bezug auf ein vorausgesetztes denkendes Subjekt ab. Reflexion wird zu einer "objektiv logischen Struktur" (vgl. Schubert (1985), 68f.). Die Reflexion der Reflexionsbestimmungen an ihnen selbst setzt sie als das, was sie an sich sind, als System der Reflexionsbestimmungen. Auch die Logik der Reflexionsbestimmungen ist eine Logik der Negativität. Die Reflexion als setzende, äußere und bestimmende Reflexion ist Darstellung selbstbezüglicher Negativität, die sich in sich selbst verdoppelt. Als solche ist die Reflexion reine Negativität, reine Bewegung von Nichts zu Nichts und somit "REINE BEZIEHUNG, ohne Bezogene" (L. II., 64; 81). Erst die bestimmende Reflexion setzt solche, die auch außerhalb der reinen Beziehung identisch mit sich sind: "BESTIMMTE BEZIEHUNGEN" (ebd.). Etwas Bezogenes tritt somit in der Logik der Reflexion erst mit den Reflexionsbestimmungen auf. Diese sind als bestimmte Beziehungen bestimmte Fälle gesetzter Gleichheit mit sich der Negation, die auch negative Beziehung auf sich, sich aufhebende Beziehung auf sich ist. Es ist also darauf zu achten, wie auch in der Logik der Reflexionsbestimmungen die selbstbezügliche Negativität am Werke ist. Die spekulativ-dialektische Darstellung der Reflexionsbestimmungen im Haupttext ergänzt Hegel in den "Anmerkungen" mit kritischen Kommentaren zu den sog. "allgemeinen Denkgesetzen", als welche er die logischen Gesetze, die Gesetze der formalen Logik, bezeichnet. Diese Kommentare sind nun nichts Beiläufiges, wie man annehmen könnte, da sie in "Anmerkungen" verbannt sind, sondern enthalten die Sache, um die es Hegel in der Logik der Reflexionsbestimmungen geht. Die spekulativ-dialektische Entwicklung der Reflexionsbestimmungen ist die Grundlage für Hegels Kritik an den allgemeinen Grundsätzen oder Axiomen des Denkens, den Gesetzen der formalen Logik. Bekanntlich ist der Kernpunkt seiner Kritik an der bisherigen Auffassung der Logik der Formalismus, d.h. die Überzeugung, daß es möglich sei, eine Logik als Wissenschaft der bloßen Form des Denkens unter Abstraktion von allem Inhalt überhaupt aufzubauen. Genau dieses Verständnis ist ja für alle Metaphysik seit Aristoteles, aber auch für Kant und seine Idee der transzendentalen Logik als einer besonderen Logik grundlegend gewesen. Die Kritik am Formalismus der traditionellen Logik bedeutet jedoch nicht, daß die Logik für Hegel überhaupt nicht formal ist; die Form muß aber ihren Inhalt an sich selbst haben. Hegel entwickelt seine Kritik an der traditionellen Logik ausgehend von der Differenzschrift von 1801 (Werke 2, 35-41) in Auseinan-

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dersetzung mit vorliegenden philosophischen Systemen, vornehmlich mit der sog. "Reflexionsphilosophie der Subjektivität" Kants, Jacobis und Fichtes und damit immer im Zusammenhang mit in ihr verhandelten inhaltlichen Problemen. Er trägt also seine Kritik an der traditionellen Logik nicht für sich vor. Sie ist untrennbar mit inhaltlichen Problemen der Philosophie verbunden. Doch von Anfang an war sich Hegel bewußt, daß der Mangel der zeitgenössischen Philosophie in bezug auf Aufgabe, Gegenstand und Vorgehen der Philosophie untrennbar verbunden ist mit der formallogischen Auffassung des Denkens. So kam es Hegel also darauf an, die logischen Grundlagen dieser Philosophien einer kritischen Analyse zu unterziehen. Nur allmählich schälte sich die Logikkritik in ihrer logischen Reinheit und systematischen Form heraus. In ihrer Reinform tritt sie schon deutlich in der Jenenser Logik und Metaphysik von 1804/5 (JL, 132143) zutage. Aber in der Phänomenologie des Geistes von 1807 (Phän., 221-223; 226-228) ist sie wieder mit inhaltlichen Problemen des Bewußtseins vermischt. Erst die Wissenschaft der Logik trägt die Logikkritik, die Kritik an der logischen Grundlage der Metaphysik und Transzendentalphilosophie, rein logisch vor. Beides zusammen, die spekulativ-dialektische Entwicklung der Reflexionsbestimmungen im Haupttext und die darauf basierende Kritik Hegels an den traditionellen Grundsätzen oder Axiomen der formalen Logik in den "Anmerkungen" läßt das philosophische Programm der Logik der Reflexionsbestimmungen erkennen: Die Grundlegung der Umgestaltung der auf Aristoteles zurückgehenden formalen Logik und damit die Kritik der logischen Grundlagen aller bisherigen Metaphysik und Transzendentalphilosophie. - Die Beziehung des philosophischen Programms der Logik der Reflexionsbestimmungen zum generellen Programm der Wissenschaft der Logik ist dadurch charakterisiert, daß die in der Logik der Reflexionsbestimmungen durchgeführte Kritik an den logischen Grundlagen der traditionellen Metaphysik und neuzeitlichen Transzendentalphilosophie die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Metaphysik - auch und gerade gegen Kants Metaphysikkritik - neu begründen soll. Die Wahrheitsfrage ist an beide Teilstücke der Logik der Reflexionsbestimmungen zu stellen: 1. Ist die spekulativ-dialektische Entwicklung der Reflexionsbestimmungen nachvollziehbar? Kann Hegel die Gedankenschrittfolge mit Argumenten einsichtig machen? 2. Stimmt Hegels Kritik an den Gesetzen der formalen Logik? - Auch wenn man das philosophische Programm der Logik der Reflexionsbestimmungen anzuerkennen bereit ist, lassen sich doch Zweifel am generellen Programm der Wissenschaft der Logik, für das die Logik der

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Reflexion sbestimmungen grundlegend ist, anmelden. In Hegels Aufgabenbestimmung der spekulativen Philosophie, die Totalität der Denkbestimmungen der Wirklichkeit im ganzen zu entfalten, läßt sich als leitendes Motiv für Hegels Untersuchungen erkennen, alle Gegensätze in ihrer abstrakten Fixierung zu erfassen und in immer höheren "Synthesen" aufzulösen und schließlich in einer höchsten Einheit, der "absoluten Idee", aufzuheben. Diese konstruktive Kühnheit in der Versöhnung von Subjekt und Objekt, von Substanz und Subjektivität und die konzeptuellen Vorzüge der spekulativen Philosophie z.B. gegenüber dem transzendentalen Idealismus können jedoch keineswegs die spekulativen Fehlschlüsse in Hegels Entwicklung des Systems verkennen. Auch wenn man der Auffassung ist, daß Hegels Theorie bezüglich Identität und Widerspruch, seine Kritik am absoluten Charakter der Sätze der Logik etc., kurz Hegels Konzept einer spekulativen Logik in den Grundzügen richtig ist und einen wesentlichen Fortschritt gegenüber Kant, Fichte und Schelling darstellt, darf der Punkt nicht übersehen werden, wo Hegels Leistung aufhört und die ideosynkratische Spekulation anfängt. Jüngst hat Hösle wieder gravierende Mängel der Wissenschaft der Logik, vor allem in den Kategorien der Begriffslogik, hervorgehoben (Hösle (1988), 227ff.). So ist der Übergang von der Subjektivität zur Objektivität im Rahmen von Hegels Programm einer Reformulierung des ontologischen Gottesbeweises nicht wirklich schlüssig, denn Gott ist auch nach der ontotheologischen Tradition schwerlich in der Weise des Objekts zu denken. In diesem Übergang findet eine - gemessen an Hegels eigenen, vor allem in der Wesenslogik entwickelten Maßstäben - inakzeptable Reobjektivierung und Vergegenständlichung des Begriffs statt: eine Positivierung des rein begrifflichen Denkens. Schon zu Lebzeiten Hegels und unmittelbar nach seinem Tode hat es großes Befremden erweckt, daß Hegel Mechanismus, Chemismus, Teleologie und die Idee des Lebens als Kategorien in die Logik aufnimmt. Tatsächlich schleichen sich mit diesen Bestimmungen Kategorien der Realphilosophie unstatthaft in die Logik ein. Ein weiteres Beispiel ist Hegels Konstruktion der absoluten Idee als Einheit von theoretischer und praktischer Idee, in der das Gute, statt zu realisierendes Ziel "an und für sich erreicht ist" (Enz. § 235). Hier macht sich Hegels apologetischer Quietismus bemerkbar, der dann in der Rechtsphilosophie voll zum Ausdruck kommt. Der Hauptmangel der Wissenschaft der Logik dürfte aber in folgendem bestehen: "[...] weder in Fichtes noch in Hegels Fundamentalphilosophie sind Subjekt-Subjekt-Beziehungen, also intersubjektive Relationen vorgesehen" (Hösle (1988), 433). Die Förde-

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rung Hegels nach einer Erneuerung der Metaphysik gegen die Metaphysikkritik Kants läuft daher in letzter Instanz auf nichts Geringeres hinaus als auf eine unkritische Restauration der traditionellen aristotelischen Nousmetaphysik des absoluten Subjekts. Die Idee einer absoluten Vereinigung aller Widersprüche von Sein und Bewußtsein (Phänomenologie des Geistes), von Sein und Nichts, von Endlichkeit und Unendlichkeit (Seinslogik), von Relativität und Relat, von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, von Substantialität und Akzidentalität (Wesenslogik), von Subjekt und Objekt und schließlich von Theorie und Praxis (Begriffslogik) in einer absoluten Totalität der Idee ist der keineswegs kritische, sondern affirmative Gedanke einer universellen Versöhnung von allem mit allem überhaupt im Denken der absoluten Subjektivität, welchem gegenüber die Gegensätze in der Wirklichkeit der Moderne durchaus bestehen bleiben. Das letzte Wort von Hegels Enzyklopädie ist die reine Theoria des sich aus der Welt zurückziehenden Denkens, nachdem sie in unkritischer Affirmation alles Bestehende als 'vernünftig' gerechtfertigt hat. Das Endresultat des Hegeischen Systems läßt sich daher mit Recht als "egoistische[r] Intellektualismus" oder gar - im Rückgriff auf Jacobis Idealismuskritik - als "Nihilismus" bezeichnen (Hösle (1988), 433). Bevor Hegel nun die Reflexionsbestimmungen im einzelnen thematisiert, gibt er einen Überblick über die Theorie der Reflexionsbestimmungen:2 Z 126 "Das Wesen ist ZUERST einfache Beziehung auf sich selbst, reine IDENTITÄT. Dies ist seine Bestimmung, nach der es vielmehr Bestimmungslosigkeit ist. ZWEITENS: die eigentliche Bestimmung ist der UNTERSCHIED, und zwar teils als äußerlicher oder gleichgültiger Unterschied, die VERSCHIEDENHEIT überhaupt, teils aber als entgegengesetzte Verschiedenheit oder als GEGENSATZ. DRITTENS: als WIDERSPRUCH reflektiert sich der Gegensatz in sich selbst und geht in seinen GRUND zurück" (L. II., 23; 36).

Folgt man Hegels Einteilung, so ergeben sich in einem strikten Sinne drei Reflexionsbestimmungen: die Identität, der Unterschied In der Enzyklopädie bezeichnet Hegel die hier thematisch werdenden Reflexionsbestimmungen als die "REINEN REFLEXIONSBESTIMMUNGEN" (Überschrift über die §§ 115-122). Der Ausdruck "rein" weist darauf hin, daß die Reflexionsbestimnuingen durch andere Verhältnisse, an denen sie zur Darstellung kommen, auch verunreinigt werden können. Hegel macht also einen Unterschied zwischen den eng und streng verstandenen Reflexionsbestimmungen und den mit den wesenslogischen Kategorien überhaupt zusammenfallenden Reflexionsbestimmungen.

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und der Widerspruch.3 Die Verschiedenheit und der Gegensatz werden als Reflexionsformen des Unterschieds behandelt. Der Grund wird als diejenige Bestimmung angeführt, in die die ganze Bewegung der Reflexionsbestimmungen "zurück"- geht. Der Grund ist, wie Hegel sagt, zwar "selbst EINE DER REFLEXIONSBESTIMMUNGEN des Wesens, aber die letzte, vielmehr nur die Bestimmung, daß sie aufgehobene Bestimmung ist" (L. II., 63; 80). Zwar ist Hegels Untergliederung der Reflexionsbestimmungen in Identität, Unterschied und Widerspruch in groben Zügen richtig - Hegel folgt ihr sowohl in der Einteilung der Abschnitte des Kapitels ("A. DIE IDENTITÄT", "B. DER UNTERSCHIED", "C. DER WIDERSPRUCH") als auch in der logischen Darstellung selbst - im einzelnen jedoch verläuft die Bewegung der Reflexionsbestimmungen über sechs Stufen.* Ordnet man die Logik der Reflexionsbestimmungen in einer Sequenz von sechs Stufen an, so kommt man zu einer von Hegels Einteilung in der Übersicht abweichenden Anordnung der Reflexionsbestimmungen: I. Stufe: Identität und Unterschied, II. Stufe: Verschiedenheit, III. und IV. Stufe: Gegensatz (konträrer und kontradiktorischer Gegensatz), V. Stufe: Widerspruch und VI. Stufe: Grund. Die enzyklopädische Fassung der Logik der Reflexionsbestimmungen folgt einer etwas anderen Einteilung. Dort wird der Grund an Stelle des Widerspruchs als die dritte Reflexionsbestimmung nach Identität und Unterschied aufgeführt, wie ein Blick in das Inhaltsverzeichnis lehrt. Wie wir sehen werden, müssen beide Einteilungen miteinander kombiniert werden. Mit der Interpretation der Logik der Reflexionsbestimmungen in einer Abfolge von sechs Stufen nehme ich eine Anregung Kesselrings auf. Kesselring hat in seiner Hegel-Interpretation ein Dialektikmodell entwickelt, das die Entwicklung der Denkbestimmungen in Hegels Wissenschaft der Logik in einer Stufenfolge darstellt (Kesselring (1984), 250ff.). Insbesondere hat er an der Logik des Daseins zeigen können, daß die logische Bewegung in einem Kapitel der Wissenschaß der Logik über sechs Stufen verläuft (ebd., 2831T.). Er ist darüber zu der Auffassung gelangt, daß sich fast jedes Kapitel von Hegels Wissenschaft der Logik, und so auch das Kapitel über die Logik der Reflexionsbestimmungen, in sechs Stufen darstellen läßt (vgl. ebd, 317): "Die Entwicklung der logischen Strukturen, die Hegel in seiner WISSENSCHAFT DER LOGIK darstellt, läuft in jedem Kapitel über eine Reihe von in der Regel sechs Stufen [...]" (Kesselring (1981), 345). Daß sich in den meisten Kapiteln von Hegels Wissenschaft der Logik sechs Stufen unterscheiden lassen, ist eine Tatsache, die sich vermutlich aus der internen Architektur der Hegeischen Dialektik erklären lassen dürfte. Auch das 1. Kapitel der Wesenslogik weist zweimal drei, also sechs Stufen auf: Wesentliches-Unwesentliches (I), Schein-Wesen (II) und das Wesen als das Scheinen seiner in sich selbst ( ) einerseits und die Trias setzende (I), äußere ( ) und bestimmende Reflexion ( ) andererseits.

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Der Vorteil dieser Sechs-Stufen-Anordnung der Reflexionsbestimmungen besteht erstens darin, daß in ihr alle Reflexionsbestimmungen erfaßt werden, also auch die des Grundes, und zweitens darin, daß, wie wir noch sehen werden, mit ihr die innere Systematik und Architektur des Systems der Reflexionsbestimmungen durchsichtig wird.5 Auf den verschiedenen Stufen der Logik der Reflexionsbestimmungen rücken unterschiedliche Probleme in den Vordergrund. Auf der I. Stufe wird das Verhältnis von Identität und Unterschied analysiert. In der Konstellation von Identität und Unterschied ist die Verhältnis weise aller Reflexionsbestimmungen vorgebildet. Zunächst wird anhand einer Interpretation der einleitenden Anmerkung Hegels Theorie der Reflexionsbestimmungen als Kritik der traditionellen Axiomatik exponiert. Die Interpretation der beiden Anmerkungen zur Identität, die Hegels Kritik an der abstrakten Verstandesidentität und seine Kritik am Satz der Identität und des Widerspruchs enthalten, soll einen ersten Zugang zur Logik von Identität und Unterschied verschaffen. Die Logik von Identität und Unterschied ist Kritik an aller Philosophie, die von der Identität als dem obersten Grundgesetz ausgeht. Darunter fällt inbesondere Fichtes Wissenschaftslehre von 1794, die das gesamte System der Philosophie auf das Ich = Ich als seine Grundlage zurückführt, und Schellings Identitätsphilosophie aus den Jahren 1800-1806, die das präreflexive Absolute als über allen Gegensätzen stehende transrelationale Identität versteht (§ l I, II). Es folgt eine Analyse der spekulativ-dialektischen Entwicklung von Identität und Unterschied im Haupttext, in der der Kritik an Fichtes und Schellings Konzeption der Identität nachgegangen wird (§ l III). In der II. Stufe (Verschiedenheit) tritt die Reflexion auseinander in äußere und ansichseiende Reflexion. Hier wird das Sich-ÄußerlichÜber die innere Architektur der Logik der Reflexionsbestimmungen sagt Kesselring: "Für die LOGIK DER REFLEXIONSBESTIMMUNGEN gilt [...]: In der I. und . Stufe (Identität, Unterschied/Verschiedenheit) liegt ein Strukturgefüge vor, das in der . und IV. Stufe (Gegensatz) in Trennung und Entzweiung, also Negativität, aufgelöst wird, während die V. und VI. Stufe (Widerspruchs-Abschnitt) mit der Reflexion auf diese Reflexion (d.h. mit dem Nachweis, daß der Widerspruch "zugrunde" geht bzw. zu "Null" führt) und mit der Reflexion auf diese Reflexion (d.h. mit dem Nachweis, daß der Widerspruch "in den Grund zurück" geht bzw. die Bewegung auf höherer Stufe in sich selbst zuücklaufen läßt) zu neuer Affirmation weiterschreitet" (Kesselring (1984), 317). Die vorliegende Interpretation verdankt der Kesselnngschen Hegel-Interpretation vieles, auch wenn sie zu ganz anderen Konsequenzen gelangt.

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werden und das Sich-Fremdwerden der Reflexion auf dem Boden der Theorie der Reflexionsbestimmungen thematisch. Mit dem Übergang zur Verschiedenheit beginnt Hegels Kritik an der traditionellen Auffassung der Reflexionsbegriffe als Vergleichsbegriffe, die auch bei Kant noch eine Rolle spielt, und an der Leibnizschen Philosophie (§ 2 I). Hegels Deutung des Satzes der Verschiedenheit enthält seine Kritik am Leibnizschen Satz der Identität des Nichtzuunterscheidenden sowie am Leibnizschen Grundsatz der Verschiedenheit und damit seine Kritik am Prinzip der Leibnizschen Monadenlehre, der Absolutsetzung der Vielheit (§ 2 II 1). Mit der Kritik des reflektierenden Verstandes in der Logik der Verschiedenheit setzt sich die Wissenschaft der Logik auch in ein Verhältnis zu den sog. "empirischen Wissenschaften" (§ 2 II2). Gegenstand der III., IV. und V. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen ist Hegels Lehre vom Gegensatz und Widerspruch, in der die Konstitution der Entgegensetzung von Positivität und Negativität und die Aufhebung dieser Entgegensetzung zum Thema wird. In metaphysikkritischer Hinsicht enthält Hegels Lehre vom Gegensatz (III. und IV. Stufe) 1. eine Kritik an der formallogischen, auf Aristoteles zurückgehenden Gegensatztheorie. Sie enthält 2. eine Kritik an Kant und dessen Oppositionslehre, und zwar in allen ihren drei Teilstücken, der analytischen, realen und der dialektischen Opposition. Und 3. enthält sie eine Kritik an dem traditionellen metaphysischen Paradigma von Realität und Negation, von realer Bestimmung und Bestimmungsmangel (§ 3 I). Die Untersuchung des Haupttextes analysiert Hegels systematische Entwicklung und Begründung des Begriffs des Gegensatzes und seiner drei Formen (§ 3 II). Die wesenslogische Lehre vom Gegensatz und Widerspruch nimmt die in der Seinslogik geübte Kritik an der metaphysischen Trennung von Realität und Negation wieder auf und führt sie weiter fort. Ein wichtiges Problem wird die Bestimmung des Verhältnisses von seinslogischer und wesenslogischer Kritik an dieser metaphysischen Trennung sein (§ 3 II Exkurs). Die Lehre vom Gegensatz und Widerspruch steht überhaupt im Zentrum von Hegels Kritik der traditionellen Verstandesmetaphysik. Hier wird die innere Logik des reflektierenden Verstandes nachgezeichnet und gleichsam von innen aufgesprengt. Thematisch wird hier das vom Verstand nicht reflektierte Verhältnis von Selbständigkeit und Relativität der metaphysischen Denkbestimmungen. Die Theorie des Gegensatzes und des Widerspruchs vertieft Hegels Kritik am reflektierenden Verstand, die schon in der Logik der Identität

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und der Differenz und in der Logik der Verschiedenheit eine maßgebliche Rolle spielt (§ 3 III). Nach einem kurzen Blick auf Hegels Deutung der entgegengesetzten Größen in der Mathematik (§ 3 IV), wird auf seine kritische Darstellung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten eingegangen (§ 3 V). Obgleich Hegels Interpretation des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten in die Anmerkung 2 zum Widerspruch fällt, ist sie systematisch der Kategorie des Gegensatzes zuzuordnen. Hegels Unternehmen gilt hier erstens der Kritik der formallogischen Auffassung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, zweitens der Kritik der Transformation dieses formallogischen Satzes in ein ontologisches bzw. metaphysisches Prinzip und schließlich drittens der reflexionslogischen Umdeutung dieses Satzes in ein Prinzip der objektiven Logik, in den sog. "Satz des Gegensatzes". In diesem Zusammenhang wendet sich Hegel gegen Kants Deutung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten als Grundsatz der durchgängigen Bestimmung. Die Kritik am Satz des ausgeschlossenen Dritten steht noch ganz im Kontext der Kritik an der metaphysischen Trennung von Realität und Negation. Hegels Programm einer Umgestaltung der formalen Logik und Überführung der transzendentalen Logik in spekulative Logik stößt notwendig auf das Problem des Widerspruchs (§ 4). Die V. Stufe hat daher eine ausgezeichnete Stellung im System der Reflexionsbestimmungen. Zunächst soll anhand einer detaillierten Interpretation des Haupttextes Hegels Entwicklung des "Wesens" des Widerspruchs nachgezeichnet werden, mit dem Ziel, die Wahrheit oder Unwahrheit von Hegels Kerngedanken zu erweisen, daß der Widerspruch nur als sich auflösender ein Dasein hat. In diesem Zusammenhang steht das Problem des Verhältnisses von Hegels Begriff des Widerspruchs zur Widerspruchsdefinition der formalen Logik und der auf sie aufbauenden Metaphysik und Metaphysikkritik im Vordergrund (§41 1,2). Mit dem Thematisch werden des Begriffs des Widerspruchs auf der V. Stufe wird die Rolle und Funktion des Widerspruchs im System der Reflexionsbestimmungen selbst und in Hegels Begriffsbewegung insgesamt als Problem aufgeworfen. In den Abschnitten über den Gegensatz und den Widerspruch geht es Hegel darum, einen Begriff von Negativität zu entwickeln, der die Defiziens des (formallogischen) Begriffs logischer Negation bzw. die der Negation im metaphysischen Verstande ebenso überwindet wie die Mängel des auf Privation zurückführbaren Begriffs der mathematischen Negativität bei Kant. Widerspruch und selbstbezügliche Negativität stehen bei Hegel in einem untrennbaren Zusammenhang. Sie erweisen sich als die

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beiden Seiten des generativen Charakters der Wissenschaft der Logik. Hegels Lehre vom Widerspruch wird auch Hegels Begriff der selbstbezüglichen Negativität einer deutlicheren Klärung als Schlüsselbegriff für das Verständnis der Hegeischen Dialektik zuführen lassen. Nach einer zusammenfassenden Betrachtung der sechs Stufen der Logik der Reflexionsbestimmungen (§ 4 II), wird die Anmerkung 3 zum Widerspruch thematisiert (§ 4 III). Hier formuliert Hegel den Satz des Widerspruchs, nun aber auf Grundlage der Reflexionsbestimmung des Widerspruchs als spekulativ-dialektischen Grundsatz des eingeschlossenen Widerspruchs. Alle endlichen Dinge, so Hegels These, haben den Widerspruch als ihre Wahrheit und ihr Wesen innewohnen. Anhand der Anmerkung 3 zum Widerspruch wird abschließend die Bedeutung und die Rolle des Widerspruchs in Hegels Philosophie erörtert sowie der metaphysikkritische Hintergrund seiner Widerspruchstheorie aufgehellt (§ 4 III 1-3). In einem weiteren Schritt will Hegel zeigen, daß sich der Widerspruch nicht nur auflöst, sondern auch in seinen "Grund" zurückgeht. Der Widerspruch löst sich nicht nur in Nichts auf, sondern konstituiert auch etwas Positives, das Wesen als Grund, der die VI. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen bezeichnet. Das Problem des positiven Resultats des Widerspruchs steht im Zusammenhang mit dem Problem der Konstitution der Einheit oder Totalität der Reflexionsbestimmungen (§41 3). Das positive Resultat des Widerspruchs zeigt ihn als etwas Einheitsstiftendes. Dadurch entsteht bei Hegel eine ganz neue Idee von Synthesis, die zum erstenmal von Leibniz mit der Unterscheidung der Kategorie des Grundes von der der Ursache formuliert wurde. In dieser neuen Idee von Synthesis, die im wesenslogischen Rahmen zuerst mit der Kategorie des Grundes ausgesprochen wird, faßt sich Hegels Programm zusammen, die Gültigkeit der formallogischen Gesetze bzw. aller Kategorien und zugleich die Bedingtheit ihrer Gültigkeit zu erklären. Die Bedeutung der Kategorie des Grundes für Hegels wesenslogisches Unternehmen der Grundlegung einer Metaphysik absoluter Relationalität wird anhand von Hegels Deutung des Leibnizschen Satzes des Grundes deutlich werden (§ 4 III 4).

Hegels Theorie der Reflexionsbestimmungen als Kritik der traditionellen Axiomatik Noch bevor Hegel die Reflexionsbestimmungen im einzelnen thematisiert, gibt er in einer "Anmerkung", die noch in den Rahmen der Kapitelübersicht gehört, Hinweise, die das philosophische Programm der Logik der Reflexionsbestimmungen im ganzen erhellen. Der erste Absatz enthält schon die Sache, die Hegel im zweiten Kapitel der Wesenslogik verhandelt: "Die REFLEXIONSBESTIMMUNGEN pflegten sonst in die FORM VON SÄTZEN aufgenommen zu werden, worin von ihnen ausgesagt wurde, daß sie VON ALLEM GELTEN. Diese Sätze galten als DIE ALLGEMEINEN DENKGESETZE, die allem Denken zum Grunde liegen, an ihnen selbst absolut und unbeweisbar seien, aber von jedem Denken, wie es ihren Sinn fasse, unmittelbar und unwidersprochen als wahr anerkannt und angenommen werden" (L. II., 23f.; 36).

Das, was Hegel unter dem Begriff der "Reflexionsbestimmungen" im Haupttext entwickelt hat, pflegte in der philosophischen Tradition in "Sätzen" formuliert zu werden. In die Form von Sätzen aufgenommen, wurde von den "Reflexionsbestimmungen" ausgesagt, daß sie von allem Seienden gelten.1 Der Charakter dieser "Sätze" entspricht der Definition der Axiome bei Aristoteles: Axiome sind Sätze, die von allem Seienden, insofern es seiend ist, gelten (Aristoteles, Met.,

Als Beispiel dafür, in welcher Weise gewöhnlich die "Rcflexionsbestimmungen" in die Form von Sätzen aufgenommen zu werden pflegten, führt Hegel hier den Satz der "wesentliche[nl Bestimmung der IDENTITÄT" (L. .,24; 36) an: "ALLES IST SICH SELBST GLEICH; A = A. Oder negativ: A kann nicht zugleich A und nicht A sein" (ebd.). Der positive Ausdruck der Bestimmung der Identität ist der Satz der Identität, ihr negativer Ausdruck der Satz des Widerspruchs. Hegel übernimmt hier Ausdrucksweise, Symbolik und Formalisierung der Logik des 18. Jahrhunderts. Im zweiten Kapitel der Wesenslogik gebraucht Hegel gewöhnlich Buchstabensymbole mit algebraischen Vorzeichen für Bestimmungen überhaupt; das Vorzeichen lose A verwendet er für das "reflexionslogische Substrat" (Wolff (1981), 113ff.).

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1005a 24-29).2 Axiome sind die grundlegenden Sätze der formalen Logik. Hegel bezeichnet sie als "DIE ALLGEMEINEN DENKGESETZE". Welche "allgemeinen Denkgesetze" oder Grundsätze des Denkens gibt es? Was ist das Wesen derselben? Überliefert sind folgende: 1. das principium identitatis (Satz der Identität), 2. das principium contradictionis (Satz des Widerspruchs), 3. das principium exclusii tertii (Satz des ausgeschlossenen Dritten) und 4. das principium rationis sufficientis (Satz des Grundes). Der Satz der Identität, der des Widerspruchs und der des ausgeschlossenen Dritten gehen auf Aristoteles zurück, während der Satz des zureichenden Grundes von Leibniz ausgesprochen wurde. In der klassischen Axiomatik sind diese "allgemeinen Denkgesetze" nicht Regeln neben dem Denken, das anderswoher bestimmt würde, sondern Gründe für Sätze überhaupt, Gründe, die das Denken bestimmen und ermöglichen. Heidegger hat sie deshalb als die "metaphysischen Angangsgründe der Logik" bezeichnet (Heidegger (1978)). In der Axiomatik der formalen Logik gelten sie, wie Hegel sagt, "an ihnen selbst absolut und unbeweisbar" und werden auch "von jedem Denken, wie es ihren Sinn fasse, unmittelbar und unwidersprochen als wahr anerkannt und angenommen". Axiome sind in der Logik und Mathematik seit Aristoteles und Euklid Grundsätze, deren Wahrheit unmittelbar einleuchtet und die eines Beweisgrundes weder bedürfen noch fähig sind, weil sie allem Beweisen zugrunde

"Reflexionsbestimmungen" sind "logische Beziehungen", die in der philosophischen Tradition in "formallogischen Gesetzen" ausgedrückt wurden. Kant führt unter dem Begriff "Reflexionsbegriffe" eine Vielzahl reflexionslogischer Beziehungen an, die er unter vier Paare zusammenfaßt: "Einerleiheit" und "Verschiedenheit", "Einstimmung" und "Widerstreit", "Inneres" und "Äußeres", "Materie" und "Form". Diese Begriffe heißen Reflexionsbegriffe, weil sie uns zu "aller Vergleichung und Unterscheidung" (Kant, K.d.V., B 325, A 269) von Begriffen oder von Gegenständen als begriffliche Mittel dienen. Nach Kants Auffassung ist jeder "logischen Reflexion" der Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand sowie eine Vielzahl reflexionslogischer Beziehungen (Identität, Verschiedenheit, Widerstreit etc. ) durch den Inhalt der Begriffe und durch die Bestimmtheit der Gegenstände selbst vorgegeben. Diese Auffassung impliziert die unbedingte Geltung der formalen Logik einschließlich ihres obersten Prinzips, des Satzes vom Widerspruch, denn es sind die formallogischen Sätze, die über solche reflexionslogischen Beziehungen Aussagen treffen. Die Vorstellung einer "Gegebenheit" einer Vielzahl nebeneinanderstehender reflexionslogischer Beziehungen ist also verknüpft mit der Vorstellung der unbedingten Gültigkeit der formallogischen Gesetze.

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liegen. Sie haben daher in der klassischen Logik den Charakter unbedingter Gültigkeit. (Vgl. Aristoteles, Met., 1005b 6-17). Schon das Aristotelische Programm einer "Metaphysik" versucht das, was traditionell in der formalen Logik nur äußerlich und technisch erörtert wird, von seinen Grundlagen her zu fassen. Die Gründe und Fundamente der formalen Logik erreicht nur, so Aristoteles, die Metaphysik, die die Frage nach dem Seienden als Seienden stellt und was diesem an sich zukommt (vgl. Aristoteles, Met., IV, 2). Aristoteles untersucht in der Metaphysik auch die Prinzipien (archai), bei denen das, was die formale Logik behandelt, anfängt. Er hat damit die klassische Axiomatik begründet. Die Metaphysik des Aristoteles hat also ebenso wie Hegels Logik die "metaphysischen Anfangsgründe der Logik" zum Gegenstand. Geht Hegels Programm einer spekulativen Logik über die Metaphysik des Aristoteles hinaus? Es ist offenkundig, daß Hegel die Absolutheit und unbedingte Gültigkeit der "allgemeinen Denkgesetze", wie sie die klassische Axiomatik behauptet, ablehnt. - Die Theorie der Reflexionsbestimmungen begründet Hegels Kritik an der klassischen Axiomatik der formalen Logik und damit an der formalen Logik überhaupt. In der Logik der Reflexion sbestimmungen wird die Grundlegung der Umgestaltung der auf Aristoteles zurückgehenden formalen Logik in Angriff genommen, die Hegel in der "Einleitung" zur Wissenschaft der Logik für die Durchführung des Programms einer spekulativen Logik fordert (vgl. L. L, 33; 46). Hegels kritische Reflexion der klassischen Axiomatik läßt sich in bezug auf folgende zwei Fragen näher charakterisieren: 1. Worin besteht die Gültigkeit der formallogischen Gesetze? 2. Worin besteht die Bedingtheit der Gültigkeit der formallogischen Gesetze? Das Hinterfragen der Axiome bedeutet nicht, ihre Gültigkeit zu leugnen, sondern ihre Gültigkeit zu begreifen, d.i. zu wissen, worin sie besteht. Das impliziert, sie nicht als absolute Grundlage des Denkens anzuerkennen, vielmehr sie in ihrer Absolutheit in Frage zu stellen. Es ist nach Hegels Ansicht ein folgenschwerer Irrtum, von der abstrakten Gültigkeit der sog. "logischen Gesetze" auf ihre unbedingte Gültigkeit zu schließen. Grundlage der kritischen Reflexion der Axiomatik ist die Theorie der Reflexionsbestimmungen, die Hegel im Haupttext entwickelt, denn sie bringt genau diejenigen Kategorien zur Darstellung, die in der traditionellen Logik als Axiome des Denkens auftreten. Die Logik der Reflexionsbestimmungen hat also die Aufgabe zu zeigen, wie sich die "Reflexionsbestimmungen" als "metaphysische Anfangsgründe

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der Logik" konstituieren und wie sie sich gleichwohl notwendig zum Schein der Absolutheit und Unbedingtheit verselbständigen. Darüber hinaus hebt sie drittens, eben indem sie aufweist, wie sich jene "Reflexionsbestimmungen" als Axiome des Denkens konstituieren, diesen Schein der Absolutheit und Unbedingtheit kritisch auf. Die kritische Darstellung der Reflexionsbestimmungen weist nach, wie in ein und derselben Bewegung mit der Konstitution einer Reflexionsbestimmung zugleich die jeweils gegenteilige Bestimmung hervorgeht. Das Ziel der Logik der Reflexionsbestimmungen ist es, den Schein der absoluten Gültigkeit der formallogischen Gesetze zu destruieren und zugleich ihre bedingte Gültigkeit zu erklären, d.h. zu begreifen, worin ihre Gültigkeit besteht. Der Unterschied zwischen der gewöhnlichen formalen Logik und Hegels Wissenschaft der Logik besteht also darin, daß Hegel die Gesetze, deren Gültigkeit die formale Logik nur voraussetzt, auf noch elementarere reflexionslogische Beziehungen und deren Bewegung zurückführt. I. Was qualifiziert die "Reflexionsbestimmungen" dazu, als Axiome der formalen Logik aufzutreten? Hegel stellt zunächst die Frage, "warum nur diese einfachen Bestimmungen der Reflexion in diese besondere Form [des Satzes, d.V.] gefaßt werden sollen und nicht auch die anderen Kategorien, wie alle Bestimmtheiten der Sphäre des Seins. Es ergäben sich die Sätze z.B. "Alles IST", "Alles hat ein DASEIN" usf., oder "Alles hat eine QUALITÄT, QUANTITÄT" usw." (L. II., 24; 36). Die Bestimmungen des Seins sind wie alle "logische[n] Bestimmungen" in der Wissenschaft der Logik "überhaupt Prädikate von ALLEM" (ebd.). Hegel greift hier auf die Definition der Kategorien bei Aristoteles zurück: "An sich zu sein aber wird von all dem gesagt, was die Formen der Kategorien bezeichnet; denn so vielfach diese ausgesagt werden, so viele Bedeutungen des Seins bezeichnen sie " (Aristoteles, Met., 1017a 22fF.).

Aristoteles klassifiziert alle Prädikate (generelle Termini) in einer obersten Reihe von Gattungen, die er "Kategorien" nennt. Die wichtigsten Kategorien sind: Substanz, Qualität, Quantität und Relation. Mit jedem Prädikat wird über die Kopula etwas von einem Gegenstand ausgesagt. Jede Kategorie drückt insofern eine Seinsbestimmung aus und steht für ein Soseiendes von etwas. Die Kategorien sind bei Aristoteles also die grundlegenden Aussageformen von allem Seienden. Nach dieser Definition der Kategorien bei Aristoteles ist nicht abzusehen, warum die Kategorien der Seinslogik nicht ebenso wie die Reflexionsbestimmungen des Wesens in der Form des Satzes gefaßt

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werden sollen. Hegels Argument dafür, warum für die Reflexionsbestimmungen die Satzform näher liegt als für die Kategorien des Seins, rekurriert auf den spezifischen Charakter der Bestimmtheiten des Seins im Unterschied zu den Reflexionsbestimmungen des Wesens. Die Bestimmtheiten des Seins sind "wesentlich ein Übergehen ins Entgegengesetzte" (ebd.). Das bedeutet, sie sind nicht nur verschiedene Kategorien, die sich gleichgültig gegenüberstehen, sondern unmittelbar entgegengesetzte Bestimmungen, die, weil sie dem Seienden zugleich zukommen, einander widersprechende Bestimmungen sind, die sich gegenseitig aufheben. Als ineinander übergehende und verschwindende lassen sich die Bestimmungen des Seins nicht in ihrer Selbständigkeit festhalten. Ihre Selbständigkeit und Unmittelbarkeit ist bloßer Schein. Wenn also die Kategorien des Seins in die Form von Sätzen gefaßt würden, so forderte ein Satz sofort einen anderen, entgegengesetzten heraus, schon bevor er als wahr anerkannt werden könnte. In ihrer Entgegensetzung böten sich diese Sätze in gleicher Notwendigkeit dar und hätten als unmittelbare Behauptungen wenigstens gleiches Recht. Um als wahr anerkannt werden zu können, erforderten sie wechselseitig "einen Beweis gegen den anderen" (L. II., 24; 37). Ihnen könnte daher in keiner Weise "der Charakter von unmittelbar wahren und unwidersprechlichen Sätzen des Denkens" (ebd.) zugesprochen werden; und so könnten sie auch nicht als unbedingt geltende Grundsätze (Axiome) auftreten. Im Unterschied zu den Bestimmungen des Seins sind die Reflexionsbestimmungen "nicht von qualitativer Art", sondern "sich auf sich beziehende und damit der Bestimmtheit gegen Anderes zugleich entnommene Bestimmungen" (ebd.). Der Charakter der "Reflexion-insich" qualifiziert sie für die Funktion von Axiomen der formalen Logik. Nicht zufällig also bringt Hegel die "Reflexionsbestimmungen" in Verbindung mit den Axiomen der traditionellen Logik, da ihnen aufgrund ihrer "Reflexion-in-sich" die "Form des Anundfürsichseins" (vgl. L. II., 19; 31) eigen ist. Da sie nicht bloß in andere übergehende sind wie die qualitativen und quantitativen Bestimmungen des Seins, sondern in sich reflektierte sind, konstituieren sie zugleich den hartnäckigen Schein absoluter Fixierung, der auch ihre weitere Hinterfragung als unsinnig erscheinen läßt. "[...] sie machen sich daher" wie Hegel in der Anmerkung zur "äußeren Reflexion" sagt - "als die WESENTLICHEN geltend [...] [und] erscheinen [...] als absolut, frei und gleichgültig gegeneinander" (L. II.,19f; 31). Im Haupttext sagt Hegel:

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"UM DIESER REFLEXION-IN-SICH WILLEN erscheinen die Reflexionsbestimmungen als freie, im Leeren ohne Anziehung oder Abstoßung gegeneinander schwebende WESENHEITEN" ( L. II., 21f.; 34).3

Die Reflexionsbestimmungen machen den "bestimmten" oder "wesentlichen Schein" aus, wie er im Wesen ist (ebd.). Die Form ihres Anundfursichseins ist zwar Schein, insofern sie für die absolute Fixierung derselben verantwortlich ist, dennoch ist diese Form kein bloßer Schein, derart, daß sie in Wahrheit nur übergehende wären. Im Gegenteil, die Form ihres Anundfursichseins ist den Reflexionsbestimmungen wesentlich; es ist ihre notwendige Erscheinungsform. Wesentlicher Schein ist also nicht bloßer Schein, sondern realer Schein, notwendiger Schein oder notwendige Erscheinungsform der Bewegung der Reflexion. Die Form des Anundfursichseins hat also, obgleich Schein, durchaus Realität. Das charakterisiert die Reflexionsbestimmungen im Unterschied zu den Seinsbestimmungen und qualifiziert sie dazu, als Axiome der formalen Logik aufzutreten. Die Reflexionsbestimmungen sind schon im Haupttext als "in sich reflektiertes Gesetztsein" bestimmt worden; ihnen liegt von daher die Form des Satzes selbst nahe. Sie enthalten aufgrund ihrer inneren Reflektiertheit "die Form des Satzes schon in sich" (L. II., 24; 37), da der Satz ebenso wie sie selbst "eine BESTIMMTE BEZIEHUNG" (ebd.) ist. Was die Reflexionsbestimmungen also über ihre "Reflexionin-sich" hinaus auszeichnet, ist die Form von Sätzen.4 Im Unter"Hartnäckiger sind wir rücksichtlich der Verstandesbestimmungen. Diese, als Denkbestimmungen, gelten für ein Festes, ja für ein absolut Festes. Wir betrachten dieselben als durch einen unendlichen Abgrund voneinander getrennt, so daß die einander gegenüberstehenden Bestimmungen sich nie zu erreichen vermögen. Der Kampf der Vernunft besteht darin, dasjenige, was der Verstand fixiert hat, zu überwinden" (Enz. § 32 Zus.). Hegel unterscheidet an mehreren Stellen in der Wissenschaft der Logik (L. II., 24f.; 37 und L. II., 267; 305) und in der Enzyklopädie (Enz. § 167 Anm.) den Satz vom Urteil. In der Begriffslogik unterscheidet er das Urteil vom Satz dahingehend, daß, während im Urteil Subjekt und Prädikat im Verhältnis von Begriffsbestimmungen zueinander stehen, im bloßen Satz von einem einzelnen Subjekt etwas Einzelnes prädiziert wird (vgl. L. II., 267; 305 und Enz. § 167 Anm.). Hier in der Begriffslogik ist für Hegel ein "Satz" ein Urteil der sinnlichen Wahrnehmung, das die sinnliche Gewißheit zur Prüfungsinstanz hat, also ein daseinslogisch qualifiziertes Urteil ist. Die Beispiele, an denen er den Unterschied zwischen Satz und Urteil in der Begriffslogik plausibel macht, sind von der Art "Hans ist blauäugig", also Sätze, die belanglos sind, weil sie das zufällig Einzelne nach zufälligen Eigenschaften hin bestimmen. Solche Sätze können zwar richtig oder falsch sein, haben aber mit "Wahrheit", dem gedanklichen (Erkenntnis)-Gehalt eines Satzes wenig zu tun. "Es ist eines der wesentlichsten logischen Vorur-

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schied zu den Seinsbestimmungen lassen sich die Reflexionsbestimmungen von ihrer Satzform im Grunde gar nicht trennen.5 Der Satzcharakter der Reflexionsbestimmungen erstreckt sich aber nicht bloß auf die eng und streng verstandenen Reflexionsbestimmungen (2. Kapitel der Wesenslogik). Auch die mit den wesenslogischen Kategorien überhaupt zusammenfallenden Reflexionsbestimmungen haben die Form von Sätzen. Das Kapitel über den Grund befaßt sich mit dem "Satz des Grundes", das Kapitel über die Existenz mit dem von Hegel selbst aufgestellten "Satz der Existenz" usw. II. Was ist nach Hegel daran verkehrt, die Reflexionsbestimmungen als Axiome (allgemeine Denkgesetze) festzuhalten? 1. Zunächst kommt Hegel auf die sog. "schiefe Seite" der Reflexion sbestimmungen zu sprechen. Indem die Reflexionsbestimmungen als "ALLGEMEINE DENKGESETZE" in der Form von Sätzen ausgesprochen werden, so "bedürfen sie noch eines Subjekts ihrer Beziehung, und dies Subjekt ist ALLES, oder ein A, was ebensoviel als Alteile, daß solche qualitative Urteile wie "die Rose ist rot" oder "ist nicht rot" Wahrheit enthalten können. RICHTIG können sie sein, d.i. in dem beschränkten Kreise der Wahrnehmung" (Enz. § 172 Anm.). Ein Urteil demgegenüber drückt einen Gedanken über die Welt aus, erfaßt also etwas, was der Wahrnehmung nicht zugänglich ist. In der Wesenslogik ist nach Hegel der Satz vom Urteil vornehmlich dadurch unterschieden, daß in jenem der "INHALT DIE BEZIEHUNG selbst ausmacht oder daß er eine BESTIMMTE BEZIEHUNG [von Subjekt und Prädikat, d.V.] ist" (L. II, 24; 37), während das Urteil den Inhalt in das Prädikat verlegt, was dadurch zum Ausdruck kommt, daß das Prädikat in seiner Allgemeinheit selbständig und von seiner Beziehung auf das Subjekt, der einfachen Kopula, unterschieden ist. Zur Verdeutlichung des Unterschieds von Satz und Urteil greift Hegel hier auf die von Aristoteles eingeführte Umschreibung aller S-P-Sätze in Sätze der Form "S ist P" zurück, also auf ihre periphrastische Konstruktion mit Hilfe von Partizipien ("Wenn ein Satz in ein Urteil verwandelt werden soll..." (L. II.,25; 37)). Während im Satz die Beziehung des Prädikats zum Subjekt untrennbar mit dem Prädikat selbst verbunden ist, wird im Urteil durch die Kopula im Satzprädikat die Existenz des Subjekts von seinen Bestimmungen abgetrennt. Durch diese Abstraktionsleistung erlaubt das Urteil Nominalprädikate mit allerlei logischen Funktionen und taugt somit zur Formulierung und Unterscheidung verschiedener Formen des Urteils. Auf diese Überlegungen baut Hegel übrigens in der Begriffslogik seine Theorie des Urteils auf. Die Affinität der Reflexionsbestimmungen zur Form des Satzes veranlaßt Hegel in der Logik der Enzyklopädie für die Oberklasse (1808ff.) dazu, die Bestimmungen der Identität, der Verschiedenheit, des Gegensatzes und des Grundes unter dem Titel "Satz" abzuhandeln (Werke 4, 17f.). Die Jenenser Logik und Metaphysik von 1804/05 behandelt diese Bestimmungen als ein "System von Grundsätzen" (JL., 132ff.).

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les und Jedes Sein bedeutet." (L. II., 25; 37). Sie setzen also seiende Substrate voraus. Dieser Sachverhalt entspricht der schon erwähnten Definition der Axiome bei Aristoteles, daß Axiome Sätze sind, die auf alles Seiende, insofern es seiend ist, zutreffen (Aristoteles, Met., 1005a 24-29). Das seiende Substrat, das durch die Satzform der Reflexionsbestimmungen hereinkommt, bezeichnet Hegel nun als die "schiefe Seite" der Reflexionsbestimmungen. "Diese Sätze", so kritisiert er, haben "die schiefe Seite, DAS SEIN, ALLES ETWAS, zum Subjekte zu haben. Sie erwecken damit das Sein wieder [...]" (L. II., 25; 37f). Die Reflexionsbestimmungen erscheinen daher als Qualitäten eines seienden Substrats. 2. Worin besteht nach Hegel der Mangel, wenn die Reflexionsbestimmungen als Qualitäten eines seienden Substrats genommen werden? Die unmittelbare Folge, die durch die "schiefe Seite" hereinkommt, besteht darin, daß die Reflexionsbestimmungen von selbständigen Wesenheiten zu akzidentellen Seinsbestimmungen herabgesetzt werden. Wenn die Reflexionsbestimmungen als Sätze gleichberechtigt auf alles Seiende wie seinslogische Bestimmungen angewandt werden, so fallen sie ebenso wie diese wieder nur in eine unbezogene Vielheit von Bestimmungen auseinander, deren Relationalität sich im unreflektierten Umschlag ineinander geltend macht. Sie erscheinen dann als akzidentelle, ineinander übergehende Bestimmungen. In diesem Umschlag von wesentlichen in akzidentelle Bestimmungen besteht für Hegel auch der Mangel in Aristoteles' Definition der Kategorien und Axiome. Die Kategorien werden ja von Aristoteles als "dasjenige, was von dem Seienden gesagt, behauptet wird" (L. II., 24; 36), definiert und die Axiome gelten für jedes Seiende als Seiendes. In dieser Definition werden sie jedoch immer nur als Eigenschaften (Qualitäten) eines dinglichen Substrats ausgesprochen. Im Begriff der Kategorien und Axiome liegt somit ein von der klassischen Kategorienlehre und Axiomatik nicht reflektierter Widerspruch begründet: Einerseits sind die Kategorien und Axiome als selbständige Wesenheiten gesetzt. Da sie jedoch zugleich Aussageformen des Seienden sind, sind sie zugleich unselbständig und haben ihr Bestehen an einem zugrundeliegenden Seienden. So werden sie letzten Endes wie akzidentelle Bestimmungen behandelt. Es ist dieser von der klassischen Kategorienlehre und Axiomatik nicht reflektierte Widerspruch im Begriff der Kategorie resp. des Axioms, den Hegel im Widerspruch-Abschnitt der Logik der Reflexionsbestimmungen als Widerspruch der selbständigen Reflexionsbestimmungen rekonstruiert, re-

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flektiert und damit auflöst. Hegel kritisiert die Aristotelische Kategorienlehre und Axiomatik nicht dafür, daß in ihr Widersprüche auftreten, sondern dafür, daß sie sie nicht bemerkt und sie somit unaufgelöst stehen läßt. Zwar unterscheidet sich die aristotelische Kategorie von der platonischen Idee dadurch, daß sie - da sie wesentlich eine Aussageform ist - durch ihre Relation auf ein hypokeimenon definiert ist (Aristoteles, Met., 1003b, 5ff.), doch zahlt sie für diese Relationalität den Preis der Akzidentalität. Alle Kategorien sind unselbständig und abhängig von der ousia und nur seiend, weil sie Bestimmungen an der Substanz sind, außer eben der Kategorie der Substanz selbst, die als einzige reale Wesenheit ist, aber dafür in keiner Weise relational bestimmt ist.6 Hegels Kritik richtet sich darauf, daß in der aristotelischen Kategorienlehre und Logik die Relationalität der Kategorien und der Beziehungscharakter der Axiome nicht begriffen wird, es sei denn um den Preis ihrer Verwandlung in akzidentelle Bestimmungen an einem zugrundeliegenden Seienden.7 3. Hegel hebt auf den prozessualen Beziehungscharakter der Reflexionsbestimmungen ab. Die Reflexionsbestimmungen sind in spekulativem Sinne aufzufassen, d.h. "an und für sich zu betrachten" (L. II., 25; 37). Bei dieser Betrachtungsweise ist die "Form von Sätzen etwas Überflüssiges" (ebd.). Die Reflexionsbestimmungen sind somit keineswegs als Qualitäten eines seienden Substrats zu denken; sie sind vielmehr die Bestimmungen, in welche das Seiende "als in seine Wahrheit und sein Wesen übergegangen" (L. II., 25; 38) ist. In der spekulativen Betrachtungsweise kommt die Relationalität des im Begriff der Reflexionsbestimmung 'an sich' gedachten Vermittlungszusammenhangs 'zu sich selbst'. Ihr Vermittlungszusammenhang ist bestimmt durch den Begriff der "bestimmenden Reflexion". Die Reflexion sbestimmungen sind nichts anderes als die Momente der scheinenen Bewegung der bestimmenden Reflexion. Diese bringt zur Darstellung, daß sie als selbständige gesetzt, aber aufgrund ihrer Selbständigkeit sich selbst aufheben und ineinander übergehen. Jede Reflexionsbestimmung hebt also in ihrer Selbständigkeit ihre eigene Tugendhat hat die Differenz zwischen aristotelischer Kategorie und platonischer Idee auf den Begriff gebrach t, wenn er sagt: "Die Umdeutung der Präsenz von der Idee zur Kategorie erwingt zugleich eine Unterscheidung verschiedener Arten von Präsenzen, die Herausstellung einer augezeichneten Kategorie, die vom hypokeimenon nicht als von einem anderen weitere Bestimmungen aussagt, sondern es an ihm selbst bestimmt" (Tugendhat (1958), 24). Vgl. zu Hegels Kritik der aristotelischen Grundbegriffe Schubert (1985), 189ff.

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Selbständigkeit zugleich auf, widerspricht sich so selbst und geht in eine andere über. Jede Reflexionsbestimmung ist insofern der Widerspruch, den Hegel im Widerspruch-Abschnitt der Logik der Reflexion sbestimmungen als eigene Reflexionsbestimmung in seiner logischen Struktur darstellen wird. An dieser Stelle drängt sich jedoch der Interpretation eine Schwierigkeit auf. Begeht Hegel in seinen Behauptungen nicht selbst einen unreflektierten Widerspruch? Einerseits behauptet er, daß die Reflexion sbestimmungen die Form des Satzes schon in sich enthalten und aufgrund dieser ihrer Satzform notwendigerweise "seiende Substrate" voraussetzen, andererseits ist er der Meinung, daß in der spekulativen Betrachtung die "Form von Sätzen etwas Überflüssiges" sei und somit das vorausgesetzte Substrat an und für sich aufgehoben zu denken ist. Anders gewendet: Einerseits sagt Hegel, die Reflexionsbestimmungen seien als Qualitäten eines seienden Substrats zu denken, andererseits sagt er, daß das seiende Substrat in die Reflexionsbestimmungen als "in seine Wahrheit und sein Wesen übergegangen" ist, diese mithin als selbständige Wesenheiten und nicht als qualitative Bestimmungen zu denken sind. Muß man Hegel nicht also selbst den Widerspruch vorwerfen, den die klassische Axiomatik im Begriff des Axioms ausspricht? Wie ist dieser Widerspruch zu interpretieren? Der Widerspruch läßt sich nur aus der Warte der spekulativ-dialektischen Entwicklung der Reflexionsbestimmungen begreifen. Diese hat offenbar eine doppelte Aufgabe: Sie muß zeigen, wie sich die Reflexionsbestimmungen als selbständige Wesenheiten konstituieren und sich doch gleichwohl zum Schein der Absolutheit verselbständigen und somit zugleich als "allgemeine Denkgesetze" auftreten können, die aufgrund ihrer Satzform notwendig "seiende Substrate" voraussetzen. Sie muß darüber hinaus zeigen, wie im Konstitutionsprozeß der Reflexionsbestimmungen diese Substrate als Voraussetzungen der reflexionslogischen Beziehungen gesetzt werden und aufgrund ihres Gesetztseins in ihrer bloßen Seiendheit und Substrathaftigkeit aufgehoben und damit immer schon in den Bewegungszusammenhang der Reflexionsbestimmungen einbezogen sind. Die spekulativ-dialektische Darstellung der Reflexionsbestimmungen macht so deutlich, daß der Gedanke der Reflexionsbestimmung aufgrund seiner Satzform notwendig auf ein Substrat verwiesen ist; hierin besteht auch zunächst der Seiendes voraussetzende Charakter der Reflexionsbestimmungen als Axiome. Das Substrat, das sich im Konstitutionsprozeß der Reflexionsbestimmungen als Voraussetzung ergibt, ist jedoch nur ein wesentlicher Schein, ein als Seiendes vom

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Reflexionsprozeß verselbständigter Schein, das nicht mehr als schlechthin seiendes Substrat, sondern als "reflexionslogisches Substrat" (Wolff (1981), 113ff.) zu begreifen ist. Die "schiefe Seite" der Reflexionsbestimmungen, die durch die Satzform hereinkommt, erhält also in der spekulativen Darstellung ihre Korrektur, indem sie als Schein, als notwendiger oder realer Schein, als der gegenständliche Schein der Reflexionsbestimmungen bestimmt wird. Aus dieser Perspektive läßt sich noch eine weitere Aufgabe der Logik der Reflexionsbestimmungen erkennen: Sie ist Kritik an dem auf Aristoteles zurückgehenden traditionellen Verständnis des Satzes als Verhältnis von Substanz und Akzidenz. Nach der Grundvoraussetzung der aristotelischen Metaphysik ist das Satzsubjekt als festes, seiendes Substrat bestimmt, das als Träger seiner Eigenschaften (Akzidenzen) fungiert. Die Logik der Reflexionsbestimmungen ist Kritik eines solchen substratmetaphysischen Satzverständnisses. Nach dem traditionellen Verständnis des Satzes steht das Satzsubjekt für ein Substrat und das Prädikat für eine Bestimmung, wobei zwischen beiden das Verhältnis der Äußerlichkeit herrscht (Substanz - Akzidenz - Modell). Die Logik der Reflexionsbestimmungen "zerstört" (Phän., 51; 59) die Form des Satzes insofern, als sie zeigt, wie sich die Elemente des Satzes konstituieren und damit die Äußerlichkeit und Unabhängigkeit der Elemente des Satzes, wie sie das gewöhnliche Verständnis auffaßt, negiert und somit als Schein entlarvt. Nach dem traditionellen Verständnis der 'logischen Prädikate' sind die Kategorien und logischen Beziehungen Bestimmungen an dem Seienden, Qualitäten eines vorausgesetzten seienden Substrats. In der Reflexionslogik wird diese metaphysische Auffassung destruiert. Die "bestimmende Reflexion" ist es, die die Substrate a/s Substrate und die Bestimmungen als Bestimmungen setzt: Das seiende Substrat ist dann in der Reflexion in der Weise aufgehoben, daß es als solches durch die Reflexion gesetzt ist. Es ist nichts anderes als der wesentliche Schein der Reflexion selbst. In bezug auf die Satzform der Reflexionsbestimmungen bedeutet diese kritische Reflexion des traditionellen Verständisses des Satzes folgendes: Indem die "bestimmende Reflexion" die Reflexionsbestimmungen konstituiert, setzt sie das seiende Substrat als Substrat und seine logischen Beziehungen in Beziehung zueinander. Der Begriff der Reflexionsbestimmungen hat also als diese immanente Beziehung von Substrat als Substrat und Bestimmungen als Bestimmungen an dem Substrat die Form des Satzes schon in sich. Doch indem

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die Reflexionsbestimmung in einem Satz als "allgemeines Denkgesetz" ausgesprochen wird, entsteht zugleich der Schein der Äußerlichkeit von seiendem Substrat und Bestimmung, ein Schein, der auf die immanente Reflexion, auf das Wesen der Reflexionsbestimmungen selbst, zurückzuführen ist, weil eben die Reflexionsbestimmungen Bestimmungen von Beziehungen sind, die notwendigerweise Substrate voraussetzen, die, obgleich als Substrate gesetzt, sich zum Schein der Seiendheit verselbständigen und so die Äußerlichkeit von Substrat und Bestimmungen (Substrat-Akzidenz-Modell) als ihre eigene Erscheinungsform konstituieren: den gegenständlichen Schein der Reflexionsbestimmungen. Fassen wir Hegels reflexionslogische Kritik am traditionellen Satzverständnis zusammen: Das Verhältnis von seiendem Substrat und seinen logischen Bestimmungen (Beziehungen) ist ein wesentlicher Schein, der durch die Satzform der Reflexionsbestimmungen hereinkommt. Durch sie entsteht der Schein, als ob die Reflexionsbestimmungen qualitative Bestimmtheiten an einem Substrat wären. Die Logik des Reflexionsbestimmungen zeigt auf, wie es sich in Wahrheit verhält, indem sie zeigt, wie sich Substrate und Bestimmtheiten konstituieren als logische Konsequenz des wesentlichen Scheinens der bestimmenden Reflexion, welches immer auch zugleich den Schein der Selbständigkeit der Substrate und Bestimmungen gegeneinander erzeugt. Die reflexionslogische Kritik am traditionellen Satzverständnis verweist auf den Zusammenhang der Logik der Reflexionsbestimmungen und der Theorie des spekulativen Satzes. Die Logik der Reflexion sbestimmungen läßt sich als Grundlegung der Theorie des spekulativen Satzes interpretieren, insofern sie die den Reflexionsbestimmungen immanente Satzform, ihre Ausdifferenzierung in Subjekt und Prädikat thematisiert und spekulativ aufhebt. Alle logischen Grundsätze erweisen sich, wie wir sehen werden, als sich selbst widersprechend. Jedes Axiom ist ein Widerspruch mit sich selbst. Die reflexionslogische "Sinnanalyse" (Günther (1978), 53) der klassischen Axiomatik hebt die einzelnen Grundsätze des Denkens in ein bewegtes System von Sätzen auf. Keiner der Grundsätze der Logik (Satz der Identität, Satz des Widerspruchs, Satz der Verschiedenheit, Satz des ausgeschlossenen Dritten, Satz des Grundes) hat an sich selbst Wahrheit und unbedingte Gültigkeit. Alle diese Sätze haben nur Bestand, insofern sie zugleich in ihre Gegen-sätze übergehen. Sie sind als Grund-sätze gesetzt und zugleich aufgehoben. Indem sie sich selbst widersprechen und somit sich selbst aufheben und ineinander

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übergehen, konstituieren sie ein "System von Grundsätzen" (JL., 132ff.). 4. Hegels Kritik in den Anmerkungen zu den einzelnen Reflexionsbestimmungen richtet sich gegen die traditionelle axiomatische Auffassung der logischen Sätze. Die klassische Axiomatik der formalen Logik orientiert sich nur an der Form des Insichreflektiertseins oder der Sichselbstgleichheit der Reflexionsbestimmungen, "ohne ihr anderes Moment, das GESETZTSEIN oder ihre BESTIMMTHEIT als solche zu beachten" (L. II., 26; 38), denn als allgemeine Denkgesetze oder Axiome lassen sich die Reflexionsbestimmungen nur dadurch festhalten, "daß sie in keiner Beziehung aufeinander erscheinen" (ebd.). Dieser Betrachtungsweise entsprechen die Forderungen, die an ein Axiomensystem traditionellerweise gestellt werden: a) Die Widerspruchslosigkeit der Axiome in sich und untereinander, b) die Irreduzibilität der Axiome aufeinander; kein Axiom läßt sich aus einem anderen ableiten oder beweisen, und c) die Vollständigkeit der Axiome (vgl. Günther (1978), 67). Hegel zeigt nun in einer "sinnanalytischen Betrachtungsweise" (Günther ebd.), daß diese Auffassung der traditionellen formalen Logik mangelhaft, ja inkonsistent ist. Die traditionelle Logik faßt die allgemeinen Denkgesetze in ihrer Selbständigkeit resp. in ihrer unbedingten Gültigkeit und in ihrer Unbezogenheit aufeinander auf. Dabei abstrahiert sie von der Tatsache, daß es sich bei den Denkgesetzen um negativ bestimmte, um "BESTIMMTE GEGENeinander" (L. II., 25; 38) handelt, obgleich sie diese Tatsache beständig dadurch voraussetzt, daß sie eben von "MEHREREN SÄTZE[N]" (ebd.) ausgeht. Um dem Widerspruch, der in der Beziehung der absoluten Denkgesetze aufeinander enthalten ist, zu entgehen, zählt sie diese gedankenloserweise "NACHEINANDER" auf. Die Wesenslogik ist kritische Reflexion der klassischen Axiomatik nun insofern, als sie die formallogischen Grundsätze in ihrem systematischen "Sinnzusammenhang" (Günther (1978), ebd.) untersucht, den die formale Logik zwar implizit voraussetzt, auf den sie jedoch in keiner Weise reflektiert. Die reflexionslogische Betrachtung der Reflexionsbestimmungen orientiert sich nicht nur an der Form ihrer Sichselbstgleichheit, sondern beachtet auch das andere Moment im Begriff der Reflexionsbestimmung, "das GESETZTSEIN oder ihre BESTIMMTHEIT als solche [...], welche sie in den Übergang und in ihre Negation fortreißt" (L. H., 26; 38), wodurch ihre Beziehung aufeinander und ihr systematischer Zusammenhang deutlich wird. Die reflexionslogische Analyse der Denkgesetze zeigt, daß sie einander entgegengesetzt sind, sich einander widersprechen und sich ge-

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genseitig aufheben. Daß sich die allgemeinen Denkgesetze wirklich kontradiktorisch zueinander verhalten, läßt sich - so Hegels These gerade aus dem Umstand erkennen, daß sie als unbedingt und absolut geltende alle Entgegensetzung von sich uneingeschränkt ausschließen. Durch die Absolutsetzung der Denkgesetze intendiert die Axiomatik den Ausschluß der jeweils entgegengesetzten Sätze und damit den Ausschluß der Kontradiktion, schließt jedoch, in Umkehrung ihrer Intention, die Kontradiktion nicht aus, sondern ein, ohne sich dessen bewußt zu sein. Die absolut gesetzten Denkgesetze enthalten also gerade in ihrer Absolutheit die Negation der anderen, verhalten sich kontradiktorisch gegeneinander und heben sich gegenseitig auf. Die auf Widerspruchsfreiheit intendierten Sätze erweisen sich als widersprechende Sätze, und zwar zunächst als einander widersprechende Sätze. Daß sie sich auch selbst widersprechen, d.h. den Widerspruch in sich selbst enthalten, ist ein weiterer Schritt, den Hegel in der Kritik an der formalen Verstandesreflexion geht: Die Bestimmtheit, die negative Beziehung der Denkgesetze aufeinander, zeigt sich bei näherer Betrachtung als negative Beziehung auf sich selbst. Sie heben sich als Axiome nicht nur gegenseitig, sondern an sich selbst auf. Damit verlieren sie jedoch endgültig ihren axiomatischen Charakter (vgl. Günther (1978), 53). Für das Verständnis von Hegels Vorgehen in der Logik der Reflexionsbestimmungen ist es sinnvoll, die Verstandes- von der Vernunftansicht der logischen Gesetze zu unterscheiden und die Hegelsche Kritik als Entwicklung der in der Verstandesansicht selbst enthaltenen Vernunft zu begreifen.8 Für den Verstand "erscheinen" die formallogischen Gesetze als unbedingt gültig. Vom Standpunkt der Vernunft wird diese unbedingte Gültigkeit in Zweifel gezogen. Hegel setzt dem Verstand jedoch nicht abstrakt die Ansicht der Vernunft gegenüber, wie es etwa Schelling tut, der der Verstandesreflexion unvermittelt die intellektuelle Anschauung entgegensetzt. Seine Kritik beansprucht vielmehr immanente Verstandeskritik zu sein. Hegel geht es um den Nachweis eines Selbstwiderspruchs des Verstandes. Er will zeigen, daß der Verstand gegen sein eigenes Prinzip der Widerspruchsfreiheit verstößt, wenn er an ihm festhält. Der Verstand geht selbst in Vernunft über, wenn er zum Bewußtsein über seine WiÜber das Verhältnis von Verstand und Vernunft gibt ein Aphorismus aus Hegels Wastebook treffend Auskunft: "Die Vernunft ohne Verstand ist nichts, der Verstand doch etwas ohne Vernunft. Der Verstand kann nicht geschenkt werden" (Werke 2, 551).

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dersprüche kommt. Die Vernunft ist das Bewußtsein des Verstandes über sich selbst. Indem der Verstand also den Widerspruch gegen sein eigenes Prinzip der Widerspruchsfreiheit als diesem Prinzip selbst immanent erkennt, hebt er seine Voraussetzungen als falsch selbst auf und wird Vernunft.9 Die Wesenslogik im ganzen kann somit als Erarbeitung des Bewußtseins über die Kontradiktionen angesehen werden, in denen sich der metaphysische Verstand bewegt. Diese immanente Verstandeskritik kommt auch in den Anmerkungen zu den sog. "allgemeinen Denkgesetzen" zur Anwendung. Der Verstand geht von der absoluten und unbedingten Gültigkeit der logischen Denkgesetze aus. Die kritische Darstellung zeigt, daß sich das Widerspruchsfreiheit intendierende Denken des Verstandes, indem es die Denkgesetze in ihrer absoluten Fixierung und Unbedingtheit behauptet, notwendigerweise in Widersprüche verwickelt und damit gegen seine eigene Voraussetzung, das Prinzip der Widerspruchsfreiheit, verstößt, sich mithin selbst widerspricht. Gerade der Umstand, daß sich die allgemeinen Denkgesetze in ihrer ihnen vom Verstand erteilten Absolutheit und Unbedingtheit einander widersprechen und sich gegenseitig aufheben, führt zu der Forderung, die verstandesmäßige Voraussetzung ihrer Unbedingtheit aufzugeben,

Zum generellen Verhältnis von Verstand und Vernunft vgl. die Begriffslogik (L. ., 250fT.; 285fT.). Der Verstand, so führt Hegel dort aus, ist nicht nur Gegenspieler, sondern auch Organ der Vernunft. Zwar gibt er den Bestimmungen durch die Form der Allgemeinheit ihre Festigkeit und ' des Seins" (L. II., 252; 287), durch welche sie als absolut fixe gegeneinander erscheinen, "aber durch diese Vereinfachung BEGEISTET er sie zugleich und schärft sie so zu, daß sie eben nur auf dieser Spitze die Fähigkeit erhalten, sich aufzulösen und in ihr Entgegengesetztes überzugehen" (ebd.). Das heißt, an der verständigen, als absolut gedachten Form selbst läßt sich das Gegenteil nachweisen. Die Bestimmungen gehen durch ihre Selbständigkeit oder besser: Verselbständigung, die sie durch die Form der Allgemeinheit erhalten, ineinander über. Der Verstand verwirklicht also durch seine Verwirklichung das Gesetz seiner Selbstzerstörung (vgl. Werke 2, 28): "Die höchste Reife und Stufe, die irgend Etwas erreichen kann, ist diejenige, in welcher sein Untergang beginnt" (ebd). Die Form der Unbedingtheit, die der Verstand den endlichen Bestimmungen erteilt, gehört dem Begriffe an und ist diesen endlichen Bestimmungen unangemessen. In diesem Widerspruch, daß bedingt Geltende absolut gesetzt werden, liegt selbst "die Auflösung des Endlichen ausgedrückt" (ebd.). Der Verstand darf also nach Hegels Meinung nicht von der Vernunft abgetrennt werden. Er ist "die BEDINGUNG oder vielmehr WESENTLICHES MOMENT der Vernunft" (ebd.). Der Verstand ist also nicht nur Gegenspieler, sondern auch Organ der Vernunft, so wie die Vernunft nichts anderes ist als der über sich verständigte Verstand.

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also den Standpunkt der Vernunft einzunehmen, von deren Warte die Gültigkeit der logischen Gesetze als bedingt anzusehen ist. Das "Gedankenlose" und "Abstrakte" des Verstandes besteht für Hegel darin, daß er von den Widersprüchen abstrahiert, die er begeht, und sich somit auch nicht von dem damit verbundenen Verstoß gegen das Prinzip der Widerspruchsfreiheit Rechenschaft ablegt. Hegels Verstandeskritik richtet sich also gegen die Bewußtlosigkeit des Verstandes. Er kritisiert den Verstand nicht dafür, daß Widersprüche vorkommen, sondern dafür, daß er sie nicht reflektiert und somit als unaufgelöste stehen läßt.

§ l Die erste Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Identität und Unterschied /. Hegels Kritik am Begriff der abstrakten Identität des Verstandes Anmerkung l zur Reflexionsbestimmung der Identität dient der kritischen Reflexion des Verstandes, der über die äußere Reflexion nicht hinauskommt und auch die Kategorie der Identität in diesem Rahmen auffaßt. 1. Der Verstand hat nur die "abstrakte Identität" vor sich und "außer und neben" derselben den Unterschied (L. II., 26; 39). Er trennt die Identität vom Unterschied und bezieht sie bloß äußerlich aufeinander. Er ist also durch "Abstraktion" charakterisiert: "FORMELLE oder VERSTANDESIDENTITÄT ist diese Identität, insofern an ihr festgehalten und vom dem Unterschiede ABSTRAHIERT wird" (Enz. § 115 Anm.). Obgleich der Verstand beim Gedanken der Identität vom Unterschied abstrahiert, beläßt er denselben neben der Identität bestehen, setzt also beständig voraus, wovon er abstrahiert. Er betrachtet die Kategorien der Identität und des Unterschieds als zwei voneinander unabhängige, selbständige Bestimmungen, die aufeinander auch bezogen sind. 2. Hegels eigene Konzeption der Identität als "einfache sich auf sich beziehende Negativität" ist nicht "Produkt der äußeren Reflexion", sondern Resultat der immanenten Reflektiertheit, die sich "an dem Sein selbst ergeben" hat (L. II., 27; 40). Die abstrakte Identität des Verstandes dagegen ist ein unreflektiertes Abstraktionsprodukt, der der Unterschied ein äußerliches Anderes ist. Im Begriff der wesentlichen Identität ist eben diese Abstraktion mitreflektiert. Die Differenz ist hier kein äußerliches Anderes gegenüber der Identität, sondern immanenter Bestandteil ihrer selbst. Die wesentliche Identität ist nicht ruhende Einfachheit, sondern im Gegenteil die Identität als aufgehobener Unterschied. Die Identität, bestimmt als aufgehobener Unterschied, ist die immanente Abstraktion vom Unterschied. Auch Hegels Begriff der Identität ist die Abstraktion wesentlich, aber eben nicht als unreflektierte, äußere Abstraktion, sondern als immanente Abstraktion von

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aller Bestimmtheit. In der Identität des Wesens ist, wie Hegel im Haupttext darlegen wird, alles Anderssein und alle Beziehung auf Anderes in die reine Sich Selbstgleichheit der absoluten Negativität verschwunden. Die Identität des Wesens ist "die bloße Form des Bestimmens, wenn von aller Bestimmtheit abstrahiert wird" (Günther (1978), 65), in der aber deswegen an sich alle Bestimmtheit auch gesetzt ist. Dadurch unterscheidet sich der Begriff der wesentlichen Identität, wie er sich ergeben hat, von dem des Verstandes, der ihn willkürlich auf dem Standpunkt der gleichgültigen Verschiedenheit zum Unterschied festhält. 3. Die Verstandesreflexion ist dadurch gekennzeichnet, daß sie von "Gegebenheiten" oder "Unmittelbarem" ausgeht. Sie faßt die bestimmten Begriffe und Kategorien - die Denkbestimmungen - als "Gegebenheiten" unseres Denkens auf. Dementsprechend ist die Vernunft in der Verstandesansicht "weiter nichts als ein Webstuhl" (L. II., 26; 39), auf dem die gleichgültig neben- oder nacheinander wie "Zettel" (ebd.) aufgereihten Denkbestimmungen bloß äußerlich miteinander verbunden sind. Diese Vorstellungen vom Wirken der Vernunft sind für Hegel von nur historischem Wert und haben deswegen keine Bedeutung für die Erörterung des Begriffs der Identität in der spekulativen Logik. 4. Die Wesenslogik "enthält vornehmlich die Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaften überhaupt, - als Erzeugnisse des reflektierenden Verstandes" (Enz. § 114 Anm.). Der reflektierende Verstand, dem die kritische Darstellung der Wesenslogik gilt, ist nach Hegel dadurch charakterisiert, daß er "die Unterschiede als SELBSTÄNDIG annimmt und zugleich AUCH ihre Relativität setzt, beides aber nur neben- oder nacheinander durch ein AUCH verbindet und diese Gedanken nicht zusammenbringt, sie nicht zum Begriffe vereinigt" (ebd.). Die Kritik der Wesenslogik richtet sich darauf, daß der Verstand die Relativität und die Selbständigkeit seiner Bestimmungen durch das "AUCH" bloß äußerlich verbindet, daß er also Relativität und Selbständigkeit nicht richtig in Verbindung bringt (vgl. Wolff (1981), 128). Demgegenüber kommt es in der kritischen Darstellung der metaphysischen und wissenschaftlichen Verstandeskategorien darauf an aufzuzeigen, daß kein prinzipieller Gegensatz zwischen der Form des Anundfürsichseins und der wechselseitigen Bezogenheit der Denkbestimmungen besteht: "[...] so kommt es also in ihrer kritischen Darstellung darauf an, die Bezogenheit aufeinander aus der Form ihres Anundfürsichseins selber zu

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entwickeln, so wie umgekehrt die Form ihres Anundfürsichseins als Funktion ihrer Beziehungsstruktur darzustellen" (Schubert (1985), 78).

Diese innere Verbindung von Selbständigkeit und Relativität der Denkbestimmungen aufzuzeigen, hielt Hegel für das schwierigste Problem der Wissenschaft der Logik. Eben diese Verbindung versucht Hegel mit dem Begriff des reflexionslogischen Widerspruchs auf den Begriff zu bringen. Der metaphysische oder wissenschaftliche Verstand nimmt nicht nur die Selbständigkeit seiner Bestimmungen, sondern "AUCH" ihre Relativität an. Daß er das eine und "AUCH" das andere tut, aber so, daß er beide Gedanken nicht zusammenbringt, verwickelt ihn in einen für ihn unauflösbaren, nicht reflektierten Widerspruch. Die Aufgabe der Wesenslogik besteht für Hegel somit darin, den vom Verstand begangenen, aber nicht reflektierten Widerspruch bewußt zu machen. Hegel rekonstruiert ihn als den Widerspruch der Reflexionsbestimmungen als selbständiger Wesenheiten. Der Widerspruch der Verstandesbestimmungen wird begriffen als der notwendige Widerspruch von Selbständigkeit und Gesetztsein. In der Wesenslogik geht es also darum, den Widerspruch der Verstandesbestimmungen logisch zu fundieren, ihn in seiner Notwendigkeit zu begreifen und damit zugleich aufzulösen und durch die Vernunft beherrschbar zu machen. 5. Gegen die Verstandesansicht der Vernunft macht Hegel geltend, daß die Betrachtung der Denkbestimmungen zeigt, daß sich die in ihrer Selbständigkeit ("Gleichheit mit sich" (L. II., 27; 40)) vorgegebenen Bestimmungen durch ihre eigene Natur in ihrer Selbständigkeit aufheben, ineinander übergehen und in dieser Veränderung sind, was sie sind. Dabei läßt sich die spekulativ-dialektische Bewegung der Reflexionsbestimmungen in gewissem Sinne als Vorbild für die Bewegungsform aller Denkbestimmungen in der Wissenschaft der Logik begreifen. Jede Denkbestimmung, so zeigt sich, ist in spekulativ-dialektischer Bewegung einbegriffen, in der sie allein Bedeutung hat. In diesem Fall kann von einer Vielzahl von bestimmten Begriffen und Kategorien als "Gegebenheiten" unseres Denkens nicht mehr die Rede sein. Nur in ihrem Bewegungszusammenhang haben sie ihre spezifische Bedeutung. Die Vernunft ist die absolute Vermittlung, die alle Denkbestimmungen in die logische Bewegung integriert, während sie der äußerlich reflektierende Verstand immer wieder aus der Bewegung herausfallen läßt, so daß sie sich gegenüber dem bewegten Gesamtzusammenhang als absolut selbständige und unbewegte behaupten.

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Die vernünftige Betrachtung der Denkbestimmungen basiert auf dem Gedanken, daß die Begriffe einer bewegten Eigendynamik unterliegen, ineinander übergehen und ihren bestimmten Zusammenhang herstellen. Diese Bewegung ihres systematischen Zusammenhangs ist in den seltensten Fällen deckungsgleich mit dem, was der Verstand, der mit ihnen operiert, über sie meint. H. Hegels Kritik am Satz der Identität und des Widerspruchs Anmerkung 2 zur Reflexionsbestimmung der Identität enthält Hegels Kritik an den Grundsätzen der Identität und des Widerspruchs, die von der Verstandesmetaphysik als oberste Denkgesetze fixiert werden. Zunächst wird der "SATZ DER IDENTITÄT" betrachtet, da er in.» der philosophischen Tradition "als das ERSTE DENKGESETZ aufgeführt zu werden pflegt" (L. II., 28; 41). Hegel ist allerdings nicht der Meinung, daß der Satz der Identität dem Satz des Widerspruchs vorzuordnen sei. Er ist der Auffassung, daß der Satz der Identität dasselbe Prinzip, die Identität, positiv faßt, welches der Satz des Widerspruchs negativ ausdrückt. Der Satz des Widerspruchs ist nur "der andere Ausdruck des Satzes der Identität" (L. II., 31; 45), die "negative Form" (ebd.) desselben. Der Satz der Identität, der Satz des Widerspruchs und der Satz des ausgeschlossenen Dritten werden herkömmlicherweise als die obersten Denkgesetze angeführt. Insofern die formale Logik diese grundlegenden Sätze alle unter dem Begriff des analytischen Urteils subsumiert, werden sie auf das Prinzip der Identität zurückgeführt. "Identität" ist der metaphysische Anfangsgrund der formalen Logik (vgl. Heidegger (1978), 64ff.). Die historisch erste genaue Formulierung des Satzes der Identität ist umstritten. Man nimmt an, daß er zuerst im 14. Jahrhundert von Antonius Andreas in der Formulierung "Ens est ens" als ursprünglicher und oberster Grundsatz aufgestellt worden ist.1 Sachlich geht das Identitätsprinzip auf Aristoteles zurück (Aristoteles, Top., 103a 8ff.; ders., Met., 1016b 32f.). Der Begriff der Identität wird von ihm in zweierlei Bedeutung verwandt: erstens im Sinne der quantitativen Identität, des Einsseins jedes Seienden mit sich selbst, zweitens im Sinne der qualitativen Identität, daß zwei verschiedene Gegenstände Vgl. dazu und den folgenden Ausführungen Muck (1976), 152f.

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hinsichtlich einer oder mehrerer Eigenschaften gleich sind. Die Konvergenz von Einssein und Sein macht die Identität bei ihm zum ontologischen Prinzip. Parmenides ist der Begründer der Ontologie, indem er das Sein zum Prinzip der Philosophie erklärt: "Richtig ist, das zu sagen und zu denken, daß Seiendes ist; denn das kann sein; Nichts ist nicht: das, sage ich dir, sollst du dir klarmachen" (Parmenides, Fr. 6, 1-3). Parmenides verknüpft auch schon das Sein mit der Identität: "Als ein Selbiges, und im Selbigen verharrend, ruht es in sich und wird so fest auf der Stelle verharren" (ders., Fr. 8, 29f.).2 Der eleatische Sprachgebrauch - die Verbindung von Sein und Identität - wird von Platon übernommen (Platon, Parmenides 139b 4; ders., Sophistes 255b 12f.). Leibniz schreibt dem Identitätsprinzip großen Erkenntniswert zu, indem er Wahrheit auf Identität zurückführt (vgl. Leibniz, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (2), 239). Chr. Wolff faßt es als principium certitudinis (vgl. Wolff, Ontologia § 55). Kant hat in der nova dilucidatio von 1755 den Satz der Identität als oberstes logisches Prinzip anerkannt (vgl. Kant, ND, 409ff.). Fichte hat den Satz der Identität zur Grundlage seiner Philosophie erhoben. Er eröffnet seine Wissenschaftslehre von 1794 mit dem Satz A = A, aus welchem er dann den ersten unbedingten Grundsatz Ich = Ich gewinnt (Fichte (1794), 91ff.). Schellings Philosophie ist seit 1800 Identitätsphilosophie. Als Theorie der "absoluten Identität", die "ewige Wahrheit" und "Unendlichkeit" hat, gilt ihr: "Alles, was ist, ist an sich Eins" (Schelling (1801), 119.). Hegels Kritik am Identitätsprinzip als oberstem Grundsatz des Denkens ist also Kritik an der bisher überlieferten Metaphysik und Philosophie im ganzen, und zwar Kritik der platonischen Theorie der reinen Wesenheiten, der aristotelischen Ontologie, der Leibniz-Wolffschen Verstandesmetaphysik, der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes sowie der Identitätsphilosophie Schellings. 1. Satz der Identität Der Satz der Identität "in seinem positiven Ausdrucke A = A" (L. II., 28; 41) ist für Hegel "zunächst" (ebd.) erstens tautologisch und Identität wird "in der griechischen Metaphysik als "Zeichen des Seins" verstanden, weil Sein nach seiner ursprünglichen Bedeutung die Konotation von Dauer bzw. Unveränderlichkeit hat" (Ilting (1982), 103). Gegen eine solche unbewegte eleatische Welt richtet sich Hegels Lehre vom Wesen vornehmlich.

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zweitens inhaltslos. "Es ist daher richtig bemerkt worden, daß dieses Denkgesetz [...] nicht weiterführe" (ebd.). Damit ist für Hegel schon die Unwahrheit über alle Philosophie ausgesprochen, die als wahr nur solche Gedanken gelten läßt, die "Identität" zum Ausdruck bringen, deren Leistung also darin besteht, von einem Subjekt nur die Identität mit sich selbst aufzuzeigen. Der Satz der Identität, das erste oberste Denkgesetz, ist für Hegel Ausdruck der sog. "leeretn] Identität" (ebd.). Er hält die Identität daher nicht nur nicht für den höchsten Gedanken überhaupt, sondern für überhaupt keinen unbedingt gültigen Gedanken. Der Kritik der unbedingten Gültigkeit und Wahrheit des Satzes der Identität gilt die folgende kritische Darstellung. a) Reflexionslogische Analyse der Verstandesreflexion der abstrakten Identität Hegel unterzieht die Verstandesreflexion der abstrakten Identität einer gedoppelten, gestuften Reflexion. In einem ersten Schritt charakterisiert er die Verstandesreflexion als einen nicht reflektierten Widerspruch zwischen Meinen und Sagen. In einem zweiten Schritt führt er den unmittelbaren Widerspruch des Verstandes auf die negative Bewegung der Identität selbst zurück. 1. Der Verstand, der die Identität "als solche für etwas Wahres" (L.II., 28; 41) nimmt, d.h. von der Wahrheit und der unbedingten Gültigkeit des Prinzips der Identität ausgeht, bringt zu ihrer Bekräftigung vor, "die Identität sei nicht die Verschiedenheit, sondern die Identität und die Verschiedenheit seien verschieden" (ebd.). Hegel zeigt nun, daß der Verstand sich bei der Begründung des Identitätsprinzips in einen Widerspruch verwickelt. Der Verstand, so Hegel, sagt das Gegenteil von dem, was er meint. Die Verfechter des Prinzips der Identität "sagen, DASS DIE IDENTITÄT EIN VERSCHIEDENES IST; denn sie sagen, DIE IDENTITÄT SEI VERSCHIEDEN von der Verschiedenheit" (ebd.). Gemeint ist, daß die Identität für sich isoliert etwas Wahres sei. Gesagt wird vom Verstand, daß sie als solche die Verschiedenheit sei. Daraus folgt für Hegel: Die Verschiedenheit ist der Identität als solcher nicht äußerlich, sondern hat diese an sich selbst; d.h., die Identität hat die Verschiedenheit in ihrer "Natur" oder ihrer eigenen Bedeutung. Das vom Verstand Gemeinte ist nicht das Ausgewiesene. Das Gesagte ist nicht das Gemeinte. Der Verstand verstrickt sich in seinen Aussagen über die Identität in einen von ihm nicht reflektierten Wi-

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derspruch zwischen Sagen und Meinen.3 Die kritische Reflexion der Verstandesreflexion fördert so das "Wesen" des abstrakten Identitätsbegriffs zutage: die "Natur" der Identität ist die Verschiedenheit.4 2. Der zweite Reflexionsgang wird mit dem Gedanken eingeleitet, daß die Verfechter "dieser unbewegten Identität" (ebd.), indem sie dennoch an ihr als solcher im Gegensatz zur Verschiedenheit festhalten, sie damit zu einer "einseitigen Bestimmtheit" machen, "die als solche keine Wahrheit hat" (ebd.) - Im folgenden geht Hegel dann davon aus, daß vom Verstand "zugegeben" (ebd.) wird, daß der Satz der Identität nur eine "einseitige Bestimmtheit ausdrücke", also nur "die FORMELLE, eine ABSTRAKTE, UNVOLLSTÄNDIGE WAHRHEIT enthalte" (L. II., 28; 42). "Unvollständig" ist die Wahrheit jedoch nur im Kontrast zur vollständigen Wahrheit. Hegel folgert daraus, daß in dem Urteil, die Identität sei eine unvollständige Wahrheit, "unmittelbar" liege, "DASS DIE WAHRHEIT NUR IN DER EINHEIT DER IDENTITÄT MIT DER VERSCHIEDENHEIT VOLLSTÄNDIG ist" (L. II., 29; 42). Nur in dieser Einheit der Identität und der Verschiedenheit besteht die Wahrheit der abstrakten Identität. Als Maßstab der Kritik der Verstandesreflexion fungiert also kein dem Verstand transzendentes Prinzip, sondern die im vom Verstand vollzogenen Urteil liegende Wahrheit selbst. Hegel rechnet nun dem Verstandesdenken einen weiteren unmittelbaren, nicht reflektierten Widerspruch vor: Einerseits behauptet der Verstand, daß die "leere" Identität "unvollkommen" sei (ebd.). Bei dieser Behauptung schwebt natürlich die "Totalität, an der gemessen die Identität unvollkommen ist, [...] dem Gedanken vor" (ebd.). Der Verstand unterstellt also bei dieser Behauptung das Ganze dessen, in welchem die Identität allein Wahrheit hat. Andererseits behauptet er jedoch, daß die Identität "als absolut getrennt von der Verschiedenheit festgehalten [...] in dieser Trennung [...] ein Wesentliches, Geltendes, Wahres" sei (ebd.). Hegel sieht in diesen "widerstreitenden Behauptungen" nichts als den "Mangel" des Verstandes, "diese Gedanken, daß die Identität als ab-

Als "Denken des Denkens" befreit Hegels Logik die Kategorien des Verstandes aus ihrer Bewußtlosigkeit. Hegel bestimmt das Begreifen in einer Rezension von Solgers nachgelassenen Schriften (1828) als "Wissen, was man sagt" (Werke 11, 249ff.; vgl. dazu Theunissen (1978), 51). "Indem der Verstand sich an die Betrachtung der Identität begibt, so ist er in der Tat bereits darüber hinaus, und was er vor sich hat, das ist der Unterschied in der Gestalt der Verschiedenheit" (Enz. § 117 Zus.).

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strakte wesentlich und daß sie als solche ebenso unvollkommen ist, zusammenzubringen" (ebd.). Die kritische Reflexion auf die Verstandesreflexion der abstrakten Identität zeigt, daß der Verstand sich in der Bekräftigung des Identitätsprinzips unmittelbar selbst widerspricht. Indem er den Satz der Identität realisieren will, gerät er eben dadurch in für ihn unauflösliche Widersprüche zu seiner eigenen Voraussetzung, dem Identitätsprinzip. Statt den Widerspruch zu beherrschen, wird er bewußtlos von Kontradiktion zu Kontradiktion getrieben. Hegel interpretiert "die widerstreitenden Behauptungen" des Verstandes als Ausdruck des "Mangel[s] des Bewußtseins", "die negative Bewegung, als welche in diesen Behauptungen die Identität selbst dargestellt wird" (ebd.), einzusehen. Damit führt er den subjektiven Widerspruch des Verstandes auf seine objektive Grundlage, die "negative Bewegung" der Identität selbst zurück, deren bewußte Darstellung Aufgabe der Wissenschaft der Logik im Haupttext ist. Die kritische Reflexion der Verstandesreflexion der abstrakten Identität fördert also die "ausgesprochene Wahrheit" (ebd.) des Identitätsbegriffs, der von der Verschiedenheit getrennt gehalten wird, zutage, nämlich "TRENNUNG als solche zu sein oder IN DER TRENNUNG wesentlich, d.i. NICHTS FÜR SICH, sondern MOMENT DER TRENNUNG zu sein" (ebd.). b) Reflexionslogische Analyse des Satzes der Identität in der konkreten Anwendung 1. In einer weiteren Reflexion beruft sich der Verstand auf die Erfahrung des Bewußtseins als Geltungsgrund des Satzes der Identität und behauptet, daß jedes Bewußtsein den Satz der Identität "unmittelbar zugebe und darin befriedigt sei, daß der Satz als unmittelbar klar durch sich selbst keiner anderen Begründung und Beweises bedürfe" (L. II.,29; 42).5 - Gegen diese Beweisführung wendet Hegel zunächst ein, daß die Berufung auf die "Erfahrung" eine "bloße Redensart" sei. Denn man wolle ja nicht gesagt haben, man habe "das Experiment mit dem abstrakten Satze A = A an jedem Bewußtsein Offensichtlich hat Hegel hier Fichte vor Augen, der in der Wissenschaftslehre von 1794 den Satz der Identität A = A als unbestrittene Tatsache des Bewußtseins auffaßt: "Den Satz A ist A [...] gibt Jeder zu; und zwar ohne sich im geringsten darüber zu bedenken: man erkennt ihn als völlig gewiß und ausgemacht an" (Fichte (1794), 93).

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gemacht" und es habe sich "das Resultat des allgemeinen Anerkennens" (ebd.) ergeben. Die Berufung auf "wirklich gemachte Erfahrung" ist daher für Hegel eine bloße "VERSICHERUNG" (L. II., 29; 43). 2. Ist mit "Erfahrung" aber nicht nur eine abstrakte Berufungsinstanz, sondern die "KONKRETE ANWENDUNG" des Satzes gemeint, aus welcher dieser erst "ENTWICKELT" (ebd.), d.h. als allgemeingültig aufgewiesen werden soll, so müßte die "Behauptung von seiner Allgemeinheit und Unmittelbarkeit" darin bestehen, daß "jedes Bewußtsein und selbst in jeder seiner Äußerungen ihn ZUGRUNDE LEGE oder daß er IMPLICITE in jeder liege" (L. II., 29f.; 43). Die "ANWENDUNG" des Identitätssatzes - Hegel nennt sie das "KONKRETE" - besteht in der "BEZIEHUNG des einfachen IDENTISCHEN auf EIN von. ihm VERSCHIEDENES MANNIGFALTIGES" (ebd.). Die konkrete Anwendung des Identitätssatzes ist also synthetisch, weil in ihr verschiedene Momente - Identität und Mannigfaltigkeit - zusammengefügt sind: "Als Satz ausgedrückt wäre das Konkrete zunächst ein synthetischer Satz" (ebd.). Man könnte nun durch Analyse das Konkrete auflösen und so durch Abstraktion den Satz der Identität als solchen aus dem konkreten Zusammenhang seiner Anwendung herausbringen. Dabei hätte man aber die Erfahrung nicht in ihrer Unmittelbarkeit belassen, sondern "VERÄNDERT" (ebd.). Die "Erfahrung" selbst, auf die sich der Verstand beruft, enthält somit "die Identität in Einheit mit der Verschiedenheit" und ist damit die "UNMITTELBARE WIDERLEGUNG von der Behauptung, daß die abstrakte Identität als solche etwas Wahres sei, denn das gerade Gegenteil, nämlich die Identität, nur vereinigt mit der Verschiedenheit, kommt in jeder Erfahrung vor" (ebd.). Die bisherige Prüfung des Wahrheitsgehalts des Satzes der Identität hat folgendes ergeben: Nicht nur die Verstandesreflexion, sondern auch die konkrete Erfahrung zeigt, daß die Identität als solche keine Wahrheit, d.i. unbedingte Gültigkeit hat, und daß die Wahrheit und Gültigkeit der Identität nicht absolut, sondern nur in ihrer Einheit mit der Verschiedenheit besteht. c) Reflexionslogische Analyse der Form des Satzes der Identität 1. Hegel macht nun die Probe aufs Exempel. Er prüft den Wahrheitsgehalt des Satzes der Identität, indem er die "Erfahrung", die das Denken "mit dem reinen Satze der Identität" (ebd.) macht, als solche darstellt.

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Hegel führt zunächst an, daß, wenn z.B. auf die Frage "WAS IST EINE PFLANZE?" die Antwort gegeben wird "EINE PFLANZE IST EINE PFLANZE", zugleich zugegeben werde, daß "damit NICHTS gesagt ist" (ebd.). Die mit der Frage 'was etwas sei' gegebene Erwartung auf eine "VERSCHIEDENECN] BESTIMMUNG" (ebd.), wird durch die Aussage 'es sei, was es sei' enttäuscht. Identische Sätze oder Urteile sind "wahr", und doch sagen sie in gewissem Sinne "nichts". Hegel bezeichnet sie daher als "absolute Rednerei" und "als eine nur dasselbe wiederkäuende Unterhaltung", die "doch Wahrheit sein soll" (L. II., 30; 44). 2. Die nähere Betrachtung der "Wirkung der Langeweile bei solcher Wahrheit" (ebd.) fördert die logische Grundlage für die Erwartungsenttäuschung zutage, die mit dem "IDENTISCHE[N] Reden" verbunden ist. Es ist die Form des Satzes, durch die die kognitive Erwartung auf eine verschiedene Bestimmung gegeben ist. Die Funktion des Satzes besteht darin, "ETWAS zu sagen" (ebd.), d.h. etwas Bestimmtes zu verstehen zu geben, und zwar dadurch, daß mit dem vom Subjekt verschiedenen Prädikat eine "weitere Bestimmung" (ebd.) vorgebracht wird.6 Die Erwartungsenttäuschung, die mit dem "IDENTISCHE[N] Reden" verbunden ist, beruht darauf, daß der identische Satz aus der generellen Gleichheit seiner Terme besteht. In Identitätsaussagen unterscheidet sich der Prädikatausdruck nicht vom Subjektausdruck. Indem aber im Prädikat der Subjektausdruck wiederkehrt, "ist NICHTS herausgekommen". Es ist das "Gegenteil" dessen geschehen, was der Sinn eines Satzes ist: "Solches IDENTISCHE Reden WIDERSPRICHT SICH also SELBST" (ebd.).

Wendet man nun das über die Identitätsaussagen Gesagte auf den Satz der Identität selbst an, so läßt sich sagen: Der Satz der Identität sagt "NICHTS", da er von allem (A) aussagt: es sei eben, was es sei. Der Satz der Identität widerspricht somit der semantischen Funktion eines Satzes, etwas zu verstehen zu geben. Dabei besteht der Widerspruch des Identitätssatzes im Widerspruch zwischen der Form des Satzes, - das, was der Satz selbst ist, indem er etwas behauptet, der Zur semantischen Funktion des Satzes vgl. Aristoteles: Etwas sagen bedeutet: etwas zu verstehen geben, sowohl sich selbst wie einem anderen (Met., 1006a 21). Etwas zu verstehen geben heißt aber, etwas Bestimmtes zu verstehen geben (1006a 24). Wer nicht etwas Bestimmtes zu verstehen gibt, gibt nichts zu verstehen (1006b 7).

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Differenz von Subjekt und Prädikat, - und dem Inhalt des Satzes, das, was der Satz behauptet, die Identität.7 Der Satz, der die Identität behauptet, dementiert seinen propositionalen Gehalt durch seine eigene Form.» Dieser Widerspruch des Identitätssatzes löst den Schein der unbewegten Einfachheit und Wahrheit der Identität in eine Bewegung auf, die die Identität über sich hinausführt. 3. Der Satz der Identität in seinem positiven Ausdruck A = A wurde von Hegel zunächst als der Ausdruck der leeren Tautologie und als ohne Inhalt charakterisiert, von dem daher richtig bemerkt worden sei, daß er nicht weiterführe. In der Form des Satzes, in welchem die Identität zum Ausdruck kommt, so korrigiert sich Hegel, liegt jedoch zugleich "MEHR als die einfache, abstrakte Identität", "in der das Andere nur als Schein, als unmittelbares Verschwinden auftritt" (L. II., 31; 44). Schon Aristoteles thematisiert den mit der Identität verbundenen Schein des Anderen, wenn er sagt, daß man mit dem Satz, etwas sei mit sich selbst dasselbe, dieses Etwas betrachtet, "als seien es zwei" (Met., 1018a 9). Während für Aristoteles diese Zweiheit jedoch bloßer Schein und die "Selbigkeit" vielmehr die "Einheit des Seins" (ebd., 1018a 7) dokumentiert, ist der Schein der Andersheit für Hegel ein wesentlicher Schein, der sich der der Identität immanenten Nichtidentität verdankt (vgl. Schubert (1985), 84f). Der Satz der Identität zeigt, daß die Identität bestimmt ist als "Verschwinden des Andersseins" (L. II., 32; 45), und zwar nicht als Resultat des Verschwundenseins, sondern als die Bewegung des Verschwindens, in der die Andersheit und Nichtidentität als notwendiges Implikat in der Identität zum Vorschein kommt. In der Form des Identitätssatzes liegt mithin "die verborgene Notwendigkeit", das "Mehr jener Bewegung zu der abstrakten Identität hinzuzufügen" (L. II., 31; 44). Zwar haben die Grundsätze, in denen die traditionelle Logik die Reflexionsbestimmungen wie die der Identität faßt, die "schiefe Seite'XL. II., 25; 37), diese Bestimmungen auf seiende Sub"DieFORM DES SATZES widerspricht ihm schon selbst, da ein Satz auch einen Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat verspricht, dieser aber das nicht leistet, was seine Form fordert" (Enz. § 115 Anm.). Das "NICHTS" des Satzes der Identität vergleicht Hegel später in Anmerkung 3 des Widerspruch-Abschnitts mit dem Widerspruch. "Der Widerspruch", so sagt Hegel dort, "ist nur das entwickelte Nichts, das in der Identität enthalten ist und in dem Ausdrucke vorkam, daß der Satz der Identität NICHTS sage" (L. II., 58; 74f.). Das "NICHTS" der Identität ist also die Anzeige auf den Widerspruch, in den das identische Reden sich verwickelt. Der Widerspruch ist es, der die Identität nicht einfach bestehen bleiben läßt, sondern über sich hinaustrcibt.

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strate aufzutragen. Doch die reflexionslogische Analyse zeigt gerade an deren Satzform die Anzeige auf die dialektische Bewegung, die den durch den Verstand vorausgesetzten unwahren Begriff der Identität dementiert. In dem Satz "A ist A" "kommt auch ein A [...] oder sonst ein Substrat hinzu, das als ein unnützer Inhalt keine Bedeutung hat; aber er macht die Verschiedenheit aus, die sich zufälligerweise beizugesellen scheint" (L. II., 31; 44). Diese Verschiedenheit kommt jedoch keineswegs zufällig hinzu, sondern ist notwendig mit dem Begriff der Identität verbunden. Gerade die Voraussetzung der Abstraktion von allem Unterschied, die im Satz der Identität zum Ausdruck kommt, zeigt, daß die Identität nichteliminierbar den Unterschied enthält. Der Satz "A ist A" ist in der Wiederholung desselben A zugleich Setzung eines formalen Unterschieds, eines Unterschieds, der sich im lokalen Neben- oder im temporalen Nacheinander oder sonstwie z.B. in schriftbildlicher Differenz dokumentiert. Es zeigt sich also, daß "in dem Ausdrucke der Identität auch unmittelbar die Verschiedenheit vorkommt" (L. II., 31; 44f.).s So ist die Identität nicht äußerlich auf den Unterschied bezogen, sondern selbst "der absolute Unterschied von sich selbst" (L. H., 31; 45). Als Resultat von Hegels Überlegungen über den Satz der Identität läßt sich folgendes festhalten: Der Satz der Identität ist zunächst nichts weiter als der Ausdruck der leeren Tautologie, die nicht weiter führt. Doch die nähere Betrachtung zeigt, daß er mehr enthält, als vom Verstand mit ihm gemeint ist, nämlich den absoluten, sich selbst auflösenden Unterschied. 2. Satz des Widerspruchs Der Satz der Identität in seinem positiven Ausdruck lautet: A ist A (A = A). Der "andere Ausdruck" (L. II., 31; 45) dieses Satzes ist der Satz des Widerspruchs. Er lautet: "A KANN NICHT ZUGLEICH A UND NICHT-A SEIN" (ebd.) (A r (A r A)). Der Satz des WiderHegel macht mit der formalen Logik die Voraussetzung, daß im Satz der Identität A = A aus A jede Verschiedenheit ausgeschlossen wird. So triffl jedenfalls nicht zu, daß "Hegel mit seinen Formeln auf ein Mittelding zwischen Identitätsaussagen und singulären prädikativen Aussagen" abzielt, wie Kesselring behauptet (Kesselring (1984), 63). Hegel zeigt vielmehr auf, daß gerade in der Abstraktion von aller Verschiedenheit in A = A diese nichteliminierbar enthalten ist, daß also A = A nicht nur einfache Identität, sondern Identität und Nichtidcntität beinhaltet.

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Spruchs, so betont Hegel, hat negative Form: Dasselbe Prinzip, das im Satz der Identität positiv ausgedrückt wird, wird im Satz des Widerspruchs negativ gefaßt. Inhaltlich drücken beide Grundsätze dasselbe aus, nämlich die abstrakte Identität. Hegel geht zunächst der Frage nach, "wie die FORM DER NEGATION, wodurch sich dieser Satz vom vorigen unterscheidet, an die Identität komme" (ebd.), da sich die traditionelle Logik darüber keine Rechenschaft ablegt. - Hegel konstatiert, daß die Form der Negation schon im Begriff der Identität liegt. Die reine Reflexionsform der Identität ist die "einfache Negativität" (L. II., 31; 45) als "Verschwinden des Andersseins" (ebd., 32; 45) 0" r A). Diese Negativität enthält der Satz des Widerspruchs, "entwickelter" (ebd., 31; 45). Wie ist dieser Sachverhalt zu verstehen? "Es ist A ausgesprochen und ein Nicht-A, das Rein-Andere des A; aber es zeigt sich nur, um zu verschwinden. Die Identität ist also in diesem Satze ausgedrückt - als Negation der Negation" (ebd.).

Der Satz des Widerspruchs enthält die einfache Negativität der Identität (r r A) entwickelter, und zwar in der Form A r r A bzw. A r (A r A). Die negative Form, wodurch sich der Satz des Widerspruchs vom Satz der Identität unterscheidet, liegt also darin, daß die Identität die bloß einfache, noch unentwickelte Negativität ist, während der Satz des Widerspruchs diese Negativität "entwickelter" enthält. Warum kommt es Hegel aber darauf an, den Zusammenhang zwischen der einfachen Negativität der Identität und der entwickelten Form dieser Negativität, die der Satz des Widerspruchs enthält, darzustellen? Was kommt dabei zum Vorschein? In ihrer negativen Form als Satz vom Widerspruch (A r r A) ist die Identität auf die ihr kontradiktorische Form A r A, den Widerspruch, selbst bezogen ( A A r r A = r ( A A r A). Hegel drückt sich so aus: "A und Nicht-A sind unterschieden, diese Unterschiedenen sind auf ein und dasselbe A bezogen. Die Identität ist also als DIESE UNTERSCHIEDENHEIT IN EINER BEZIEHUNG oder als der EINFACHE UNTERSCHIED AN IHNEN SELBST hier dargestellt" (L. II., 31f.; 45).

Im Satz des Widerspruchs ist die Unterschiedenheit von A und Nicht-A (A r A) auf "ein und dasselbe A" bezogen, und zwar in der Konjunktion A r (A r A). Oder anders ausgedrückt: Die "Identität" ist als der einfache Unterschied von A und Nicht-A (A r A) in einer Beziehung, nämlich in der Konjunktion A r (A r A), darge-

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stellt. Der Satz der Identität oder des Widerspruchs kann somit nicht das Sichtbarmachen der wirklichen reflexionslogischen Verhältnisse verhindern, nämlich der notwendigen Verbindung von Identität und Differenz, von Nichtwiderspruch und Widerspruch. Hegel bringt dies in der Differenzschrift von 1801 auf die Formel, daß "der Widerspruch ebenso notwendig ist, als der Nichtwiderspruch" (Werke 2, 39). 3. Der synthetische Charakter der logischen Sätze der Identität und des Widerspruchs Für Hegel sind die Sätze der Identität und des Widerspruchs analytisch und synthetisch zugleich. Analytisch ist der Satz der Identität, weil er aus der generellen Gleichheit seiner Terme besteht. Der Prädikatausdruck unterscheidet sich nicht vom Subjektausdruck. Synthetisch ist er, weil er die notwendige Beziehung auf sein Gegenteil, die Nichtidentität, enthält. Der Satz der Identität enthält die "Reflexionsbewegung, die Identität als Verschwinden des Andersseins" (L. II., 32; 45). Ihn nicht nur als analytisch, sondern zugleich als synthetisch auffassen, heißt dementsprechend, seine in ihm enthaltene Beziehung auf sein Gegenteil erkennen. Auch der Satz des Widerspruchs ist nicht nur analytisch, sondern auch synthetisch. Analytisch ist er, insofern er aus der bloßen Form der Identität (A = A) unmittelbar entwickelt werden kann. Synthetisch ist er, weil er die Beziehung auf sein Gegenteil in sich enthält. Der Satz des Widerspruchs enthält nach Hegel nun nicht nur wie der Satz der Identität das Andere der Sich Selbstgleichheit überhaupt, "sondern sogar die ABSOLUTE UNGLEICHHEIT, den WIDERSPRUCH AN SICH" (ebd.) (A r A). Der Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs also, so Hegels provokante These, enthält den Widerspruch in sich. Hegels Auffassung vom synthetischen Charakter der logischen Sätze ist in der Geschichte der Logik vollkommen neu und einmalig. Auch vom heutigen Standpunkt aus erscheint sie als ungewöhnlich. Die grundlegenden Sätze der Logik sind in der traditionellen Logik unter die Form der analytischen Urteile subsumiert worden. Auch von Kant ist niemals bestritten worden, daß z.B. der Satz der Identität ein analytischer ist. Für ihn sind die Sätze der Logik ausdrücklich analytische Sätze und beruhen auf dem Satz des Widerspruchs, der als oberstes logisches Gesetz selbst ein analytisches Urteil ist (Kant, K.d.V., B 189f., A 150f.; vgl. Wolff (1984), 180 ff.). Es ist der Gedanke

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der Identität und der des Ausschlusses des Widerspruchs, auf dem die traditionelle Logik beruht. Den Satz der Identität und den des Widerspruchs nicht für analytisch, sondern auch für synthetisch ansehen heißt, sie als auf ihr Gegenteil bezogen betrachten. Dem synthetischen Charakter der logischen Sätze Rechnung tragen bedeutet also, sie nicht mehr als unbedingt geltende Grundsätze oder als Axiome begreifen, - "und so verlieren die alten Axiome im Zusammenhang der Hegeischen Logik ihren gesetzlichen Charakter" (Günther (1978), 53). 4. Die Verkehrtheit der logischen Denkgesetze Hegel faßt das Resultat der reflexionslogischen "Sinnanalyse" (Günther) der obersten Denkgesetze in zwei Punkten zusammen: 1. Der Satz der Identität oder des Widerspruchs, insofern er nur die abstrakte Identität im Gegensatz gegen den Unterschied ausdrückt und als solcher unbedingte Gültigkeit beansprucht, ist "kein Denkgesetz, sondern vielmehr das Gegenteil davon" (L. II., 32; 45). 2. Diese logischen Sätzen enthalten "MEHR", als mit ihnen in der traditionellen Logik "GEMEINT" wird, "nämlich dieses Gegenteil, den absoluten Unterschied selbst" (ebd.). Weil der Satz der Identität die Abstraktion von allem Unterschied verlangt, den jedes A als A notwendigerweise an sich hat, und weil die Abstraktion von allem Unterschied daher in letzter Instanz nicht möglich ist, vielmehr umgekehrt die Beziehung oder Konjunktion von A und r A notwendig ist und zum Gedanken der Identität uneliminierbar gehört, ist er als Denkgesetz, das unbedingte Gültigkeit beansprucht, falsch. Ebenso muß dem Satz des Widerspruchs seine absolute Gültigkeit abgesprochen werden. Als unbedingte Gültigkeit beanspruchender Satz behauptet er, daß das Auftreten von Widersprüchen als solche Gedanken und Aussagen unwahr mache. Er fordert den vollständigen Ausschluß des Widerspruchs, das Nichtauftreten von Widersprüchen, und damit nach Hegel etwas Unmögliches, weil er in seiner Reflexionsform selbst den Widerspruch enthält und daher im strikten Sinne gar nicht ohne ihn gesetzt, gedacht oder Bestand haben kann. Da also der traditionelle Satz der Identität oder des Widerspruchs die unbedingte Gültigkeit der Reflexionsform A = A oder A r- r A unter Ausschluß des Gegenteils behauptet, ist er falsch oder kein Denkgesetz und muß in dieser Form von der spekulativen Logik verabschiedet werden.

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Was bleibt aber nach Hegels Kritik an den Denkgesetzen von diesen in der Wissenschaft der Logik übrig? In der Enzyklopädie spricht Hegel von den "sogenannten Denkgesetzen (der Identität, des Unterschiedes und des Grundes) in der gewöhnlichen Logik" (Enz. § 192 Zus.). In der Phänomenologie des Geistes redet er sogar von der "Ungültigkeit der sogenannten Denkgesetze" (Phän., 222f.; 228), obgleich er der Sache nach lediglich ihre unbedingte Gültigkeit verneint (vgl. Wolff (1984), 197ff.). Was ihnen allein zukommt, ist ihre bedingte Gültigkeit. Auch nach Hegels spekulativem Verständnis des Logischen ist es notwendig, am Gedanken der Identität festzuhalten und den Widerspruch auszuschließen. Beides ist Grundlage allen Bestimmens in allen Kontexten überhaupt. Und insofern kommt dem Satz der Identität und dem des Widerspruchs Gültigkeit zu. Sie sind aber nur bedingt gültig, weil mit dem Setzen des einfachen A die wesentliche Beziehung zu r A und damit die Aufhebung der einfachen Identität, die mit dem Satz des Widerspruchs als unbedingt gültig behauptet wird, verbunden ist. Identität und Ausschluß des Widerspruchs sind für Hegel richtige oder legitime und notwendige bedingte Abstraktionen von der Beziehung A r A, um ein bestimmtes A als Grundlage weiterer Bestimmung zu fixieren. Dann sind aber Identität und Ausschluß des Widerspruchs als das begriffen, was sie in Wahrheit sind, Momente der logischen Reflexion, die ebensowohl Nichtidentität und Widerspruch aus- als einschließt. Als verselbständigte Abstraktionen des Verstandes, der sie als unbedingt gültige Denkgesetze hypostasiert, sind sie ein Hindernis für die Entdeckung der Wahrheit, die in der nicht zu eliminierenden reflexionslogischen Beziehung von A zu «· A und von A und A r A besteht. Weil aber andererseits die Abstraktionen des Verstandes in letzter Instanz nicht aufrechtzuerhalten sind, können sie auch als falsche Abstraktionen das Sichtbarwerden der wirklichen reflexionslogischen Beziehungen, nämlich die Verbindung von A = A (Identität) bzw. A r r A (Nichtwiderspruch) und A r A (Widerspruch) in jedem A, nicht verhindern. Der Verstand, der mit dem obersten Denkgesetz der Identität und des Widerspruchs Widerspruchsfreiheit realisieren möchte, gerät eben dadurch, daß der Ausschluß des Widerspruchs den Widerspruch impliziert, in für ihn unauflösliche Widersprüche zu seinen eigenen Voraussetzungen. Statt den Widerspruch zu beherrschen, reproduziert er ihn bewußtlos. Das in abstrakten Entgegensetzungen fixierte Denken des Verstandes, das falsche, verselbständigte Abstraktionen zugleich als universal gültige Denkregeln propagiert, ist ständig

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Quelle von unbewußt reproduzierten Widersprüchen und ihrer unangemessenen Auflösungsformen. Der bewußte und deshalb angemessene, den Widerspruch nicht verleugnende, sondern verarbeitende Umgang mit ihm, ist erst dem spekulativen Denken möglich. Fassen wir Hegels Kritik an den obersten Denkgesetzen zusammen: Falsch ist für Hegel die vom Verstand vorausgesetzte Unbedingtheit der Gültigkeit der logischen Sätze. Er bestimmt sie als verselbständigte, verkehrte Abstraktionen, indem er die ihnen immanenten Widersprüche aufzeigt. Die Logik der Reflexionsbestimmungen ist das 'Bewußtsein' des abstrakten Charakters der Abstraktionen des Verstandes und der ihnen anhaftenden Widersprüche. Sie hebt damit den vom Verstand erzeugten Schein der absoluten Gültigkeit der formallogischen Gesetze auf und erklärt zugleich ihre bedingte Gültigkeit. Der Gedanke der bedingten Gültigkeit der Denkgesetze bleibt also von der traditionellen Logik in Hegels spekulativer Logik übrig: der Gedanke der Notwendigkeit der Abstraktion, der Identität und des Ausschlusses des Widerspruchs als Grundlage allen Bestimmens und ihre Relativierung. Diese Wahrheit der formalen Logik hebt Hegel somit in seiner spekulativen Logik in affirmativem Sinne auf. III. Die spekulativ-dialektische Entwicklung der Identität und des Unterschieds im Haupttext "Nun aber ist das Geschäft der Logik eben nur dies, die bloß vorgestellten und als solche unbegriffenen und unbewiesenen Gedanken als Stufen des sich selbst bestimmenden Denkens aufzuzeigen, womit dieselben dann zugleich begriffen und bewiesen werden" (Enz. § 121 Zus.).

A. Die Logik der Identität 1. Wesentliche und abstrakte Identität Die Reflexion des Wesens bestimmt sich zuerst als Identität. Thema des ersten Teils des Abschnitts über die Identität (A) ist der Begriff der wesentlichen Identität. Diese führt Hegel zunächst ein als reine Sichselbstgleichheit des Wesens in seiner absoluten Ne-

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gativität, um sie daraufhin im Kontrast zur Gleichheit mit sich des reinen Seins und Nichts und zum Begriff der abstrakten Identität näher zu interpretieren. Z 127 "1. Das Wesen ist die einfache Unmittelbarkeit als aufgehobene Unmittelbarkeit. Seine Negativität ist sein Sein; es ist sich selbst gleich in seiner absoluten Negativität, durch die das Anderssein und die Beziehung auf Anderes schlechthin an sich selbst in die reine Sichselbstgleichheit verschwunden ist. Das Wesen ist also einfache IDENTITÄT mit sich" (L. II., 26; 38f).

Hegel führt den IdentitätsbegrifF vor dem Hintergrund des entwickelten Wesensbegriffs ein. Das Wesen ist einfache Unmittelbarkeit als "aufgehobene Unmittelbarkeit" des Seins, denn "seine Negativität ist sein Sein". Die Unmittelbarkeit des Seins hat sich im Übergang von der Seins- zur Wesenslogik als Schein, als in die absolute Negativität des Wesens aufgehoben erwiesen. Im Wesen taucht Unmittelbarkeit dann als Charakter der Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität auf. Das Wesen ist also als aufgehobene Unmittelbarkeit des Seins selbst Unmittelbarkeit, die Unmittelbarkeit der absoluten Vermittlung oder der absoluten Negativität. 1° Auf der anderen Seite ist das Wesen als Reflexion einfache Unmittelbarkeit nur so, daß diese Unmittelbarkeit immer zugleich auch aufgehobene Unmittelbarkeit ist. Das ergab sich bei der Analyse der setzenden Reflexion. Die Reflexion ist Unmittelbarkeit so, daß diese nur sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit ist, also zugleich zu einem Moment der Reflexion herabgesunken ist. Die einfache Unmittelbarkeit des Wesens ist also nur ein Aspekt im Wesen, der Aspekt der "Sichselbstgleichheit" in der "absoluten Negativität". In dieser logischen Situation ist das Wesen "einfache IDENTITÄT mit sich". Erinnern wir uns: Die seinslogische einfache Unmittelbarkeit ist das Andere gegenüber aller Negation (Ul «-> N). Im Übergang vom Sein zum Wesen kommt es zur "reflektierten Unmittelbarkeit". Die einfache Unmittelbarkeit des Seins, die je schon durch die Negation 10

Diese Wendung - "Das Wesen ist die einfache Unmittelbarkeit als aufgehobene Unmittelbarkeit" - kann als Pointe der Logik des Wesens im ersten Kapitel der Wesenslogik betrachtet werden. Die Unmittelbarkeit, die in Opposition zum Wesen stand, die Unmittelbarkeit des Seins, hat sich als in die Struktur der absoluten Negativität aufgehoben erwiesen. Im entwickelten Wesensbegriff taucht Unmittelbarkeit dann nur noch im Kontext der absoluten Negativität auf. Durch diese "Bedeutungsverschiebung" (Henrich) im Begriff der Unmittelbarkeit am Anfang der Wesenslogik kommt die Logik des Wesens allererst in eine eigenständige Entwicklung.

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aufgehoben ist, ist die reflektierte Unmittelbarkeit, die der Schein ist (N - Ul) -> (N - N). Die Unmittelbarkeit, die das Wesen selbst ist, ist die einfache Unmittelbarkeit als Beziehung der Negation auf sich: die schlechthin reflektierte Unmittelbarkeit bzw. die Unmittelbarkeit, die nur als absolute Negativität Unmittelbarkeit ist, "die einfache Unmittelbarkeit als aufgehobene Unmittelbarkeit" (N - N = U2). Mit der äußeren Reflexion kommt es zu einer rückläufigen Konstitution der seinslogischen einfachen Unmittelbarkeit aus dem Wesen (N - N -> Ul). In der bestimmenden Reflexion erfolgt schließlich die Identifikation von Ul und U2 durch die Reflexion. Fassen wir zusammen: Die Reflexion des Wesens (N - N) bestimmt die Unmittelbarkeit des Seins als Schein (Ul - N). Sie ist selbst einfache Unmittelbarkeit so, daß diese zugleich ihr Moment (N - N = U2) ist. Andererseits restituiert sich an ihr selbst der Schein der Unmittelbarkeit des Seins (N - N -> Ul), der sich aber als die Reflexion selbst erweist ((Ul - N) = (N - N) = U2). Vor dem Hintergrund des entwickelten Wesensbegriffs wird deutlich, daß Hegel die Identität als logische Funktion der absoluten Negativität entwickelt. Die Identität des Wesens bezeichnet die "reine Sichselbstgleichheit" der "absoluten Negativität", durch die alle Bestimmtheit, alles "Anderssein" und "alle Beziehung auf Anderes" an sich selbst "verschwunden" ist.11 Die absolute Negativität ist der Prozeß, in dem sich die Andersheit selbst aufhebt und in "reine Sichselbstgleichheit" verschwindet. Das Resultat ist nun aber diese "reine Sichselbstgleichheit" der absoluten Negativität selbst. Das Wesen ist zunächst dadurch als einfache Identität mit sich zu denken, daß alle Bestimmtheit, alles Anderssein und alle Beziehung auf Anderes nicht nur von ihm ferngehalten wird, sondern im strikDie Wesenslogik kann also nicht, wie McTaggart es vorgeschlagen hat, mit der Kategorie der Identität beginnen (McTaggart (1910), 99), denn die Identität unterstellt einen selbständig gewordenen WesensbegrifT, den BegrifTdes Wesens als Anundfürsichsein, also als autonome logische Struktur. Um aber einen solchen Begriff des Wesens zu erreichen, mußte der Gedanke der absoluten Negativität entwickelt werden. Es ist also Henrich zuzustimmen, wenn er gegen McTaggart die These vertritt, daß es keinen direkten Übergang von der Indifferenz zur Identität geben kann (vgl. Henrich (1978), 231f.). Die Indifferenz setzt sich als Identität, indem sie als immanentes Sich-Abstoßen-von-sich-selbst in die absolute Negativität des Wesens übergeht. Damit verschwindet auch die Differenz, die die Indifferenz als ein ihr äußerliches Anderes gegenüber hatte. Die Indifferenz ist also als Identität gesetzt, wenn alles Anderssein und alle Beziehung auf Anderes in die reine Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität des Wesens verschwunden ist.

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ten Sinne in "reine Sichselbstgleichheit" "verschwunden" ist. Dadurch unterscheidet sich auch, wie wir sehen werden, die wesentliche von der abstrakten Identität. Das Wesen ist also einfache Identität, insofern neben ihm nichts einen eigenständigen Bestand hat und insofern alle Differenz an oder in dem Wesen als reine Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität verschwunden ist und in diesem Sinne dasselbe ist. Es wird sich allerdings zeigen, daß die Andersheit nur scheinbar völlig verschwunden ist. "Reine Sichselbstgleichheit" und "Verschwinden der Andersheit" stehen im Verhältnis von Resultat und Genese. Die Andersheit ist im Prozeß des Sich-Aufhebens schlechterdings in sich umgewendet. Das Wesen ist in sich umgewendete, internalisierte, selbstbezügliche Andersheit, in der das Andere allenfalls als Schein gegenwärtig ist. Zunächst scheint jedoch Andersheit völlig verschwunden zu sein. Der weitere Gang der Entwicklung zeigt auf, wie das Resultat seine Genese und damit die Andersheit in sich einholt. Der Gedanke der Identität ist, so hat die Interpretation von Z 127 gezeigt, zunächst gleichbedeutend mit dem Aspekt der reinen Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität. Im folgenden kommentiert Hegel die Bedeutung der einfachen Identität, indem er Schritt für Schritt deutlich macht, inwiefern sie als Fall bestimmender Reflexion auf die Struktur der absoluten Negativität zurückzuführen ist. Schon hier wird erkennbar, daß für Hegel Identität nicht etwa wie bei Schelling selbstgenügsame oder ewige "Gleichheit mit sich" bedeutet. Das Sichselbstgleichsein, in dem alle Differenz verschwunden ist, ist vielmehr in absoluter Negativität fundiert. Von vorneherein also führt Hegel die Identität, auch wenn sie sich zunächst als "reine Sichselbstgleichheit" darstellt, auf absolute Negativität zurück. Z 128 "Diese Identität mit sich ist die UNMITTELBARKEIT der Reflexion" (L. II., 26; 39).

Der Charakterisierung der Identität als reiner Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität entspricht die Bestimmung der "UNMITTELBARKEIT der Reflexion". 12 Die Identität bezeichnet also 12

"Sichselbstgleichheit" ist der Seinscharakter oder der Charakter der Unmittelbarkeit, der der absoluten Negativität als solcher eigen ist. Hegel bringt sie auch in der Begriffslogik an mehreren Stellen mit Unmittelbarkeit zusammen: "Das Unmittelbare ist [...] sich auf sich beziehende Allgemeinheit" (L. II., 490; 556) - als der "Begriff, der [...] seine EINFACHE Beziehung auf sich hergestellt hat" (ebd., 498f.; 565) - als "Negativität" und "das Negative des Negativen" (ebd., 497; 564).

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zunächst das Stadium der Unmittelbarkeit der Reflexion. In diesem Stadium eignet ihr die Form des Anundfürsichseins, die zugleich den Schein der Selbständigkeit der Identität erzeugt. Das Moment der Unmittelbarkeit der Reflexion ist im Unterschied zur Unmittelbarkeit des Seins keine Vorgegebenheit. Die Unmittelbarkeit des Wesens ist nicht einfachhin, sondern stellt sich her. Zweitens ist die Unmittelbarkeit der Reflexion nur als sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit: "[...] die Unmittelbarkeit, die an sich das Negative, das Negative ihrer selbst ist, dies zu sein, was sie nicht ist" (L. II., 15; 26). Dennoch konstituiert sie einen Moment lang den Schein einfacher, reflexionsloser Unmittelbarkeit, solange nämlich ihre Reflektiertheit noch verborgen ist. In dem Moment jedoch, in dem die Bewegung der Reflexion einsetzt und die Unmittelbarkeit zu einem Moment herabsetzt, wird sich auch die Identität in ihrer scheinbar ruhigen Einfachheit aufheben und als Moment der negativen Bewegung darstellen. Erinnern wir uns noch einmal an die Charakterisierung der Unmittelbarkeit des Wesens, die Hegel im ersten Kapitel der Wesenslogik gegeben hat: Was in der Reflexion des Wesens als Unmittelbarkeit auftritt, ist nicht wie in der Seinslogik Unmittelbarkeit gegen die Negation, sondern ergibt sich allein aus oder an der Beziehung der Negativität. Dementsprechend hat die wesentliche Bestimmung der Identität für Hegel die Bedeutung der Beziehung auf sich, wie sie im Wesen ist: die Gleichheit mit sich der absoluten Negativität, deren immanente Reflektiertheit: "Die Beziehung-auf-sich im Wesen ist die Form der IDENTITÄT, der REFLEXION-IN-SICH; diese ist hier an die Stelle der UNMITTELBARKEIT des Seins getreten; beide sind dieselben Abstraktionen der Beziehung-auf-sich" (Enz. § 113). Beiden Formen der Beziehung-auf-sich ist die Abstraktion wesentlich. Während aber die Beziehung-auf-sich im Sein ein unreflektiertes Abstraktion sprodukt des Verstandes ist, der die Differenz oder die Negation ein äußerliches Anderes ist, ist die Abstraktion der Beziehungauf-sich, welche die wesentliche Identität ist, durch ihre innere Reflektiertheit gekennzeichnet. Die wesentliche Identität ist die immanente Abstraktion der reinen Sichselbstgleichheit aus dem differenten Bewegungszusammenhang der absoluten Negativität. Insofern die Identität das Moment der "UNMITTELBARKEIT der Reflexion" bezeichnet, ist sie auch nicht diejenige Gleichheit mit sich, die das Sein oder auch das Nichts ist: Z 129 "Sie [die Identität, d.V.] ist nicht diejenige Gleichheit mit sich, welche das SEIN oder auch das NICHTS ist, sondern die Gleichheit mit sich,

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welche als sich zur Einheit herstellende ist, nicht ein Wiederherstellen aus einem Anderen, sondern dies reine Herstellen aus und in sich selbst, die WESENTLICHE Identität. Sie ist insofern nicht ABSTRAKTE Identität oder nicht durch ein relatives Negieren entstanden, das außerhalb ihrer vorgegangen wäre und das Unterschiedene nur von ihr abgetrennt, übrigens aber dasselbe außer ihr als SEIEND gelassen hätte vor wie nach. Sondern das Sein und alle Bestimmtheit des Seins hat sich nicht relativ, sondern an sich selbst aufgehoben; und diese einfache Negativität des Seins an sich ist die Identität selbst" (L. II., 26; 39). Zunächst grenzt Hegel die Struktur der Gleichheit mit sich, welche die Identität ist, ab von derjenigen Gleichheit mit sich, welche das Sein oder das Nichts ist. Vor diesem Hintergrund unterscheidet er dann die wesentliche von der abstrakten Identität. Die Kategorie des Seins am Anfang der Logik ist das "unbestimmte Unmittelbare" (L. I., 66; 82). "Unmittelbar" ist das Sein, insofern zu seiner Gewinnung im Denken auf keinerlei Vermittlung oder Voraussetzung innerhalb des Ganges der Logik zurückgegriffen werden kann. "Unbestimmt" ist diese Kategorie, weil noch keine Bestimmung zur Verfügung steht, mit deren Hilfe sie bestimmt und gegen andere abgegrenzt werden könnte. Das reine Sein ist unbestimmt und unmittelbar nicht nur in dem Sinne, daß es in keiner Relation zu Anderem steht, sondern auch in dem, daß es völlig ununterscheidbar in ihm selbst ist (vgl. ebd.). Für diese Strukturlosigkeit steht der Begriff der einfachen Gleichheit mit sich (vgl. L. L, 67; 83). In diesem Sinne läßt sich auch der Begriff "reflexionslos" (L. L,66; 82) verstehen, mit welchem Hegel das reine Sein charakterisiert. Dabei steht der Begriff der "Reflexion" für eine logische Struktur, die explizit selbstbezügliche Negativität einschließt. Genau diese Negativität der Reflexion aber ist es, aus der sich im Wesen die Identität ergibt. Die Begriffe "einfache Gleichheit mit sich selbst", "vollkommene Leerheit", "Bestimmungs- und Inhaltslosigkeit" und "Ununterschiedenheit in ihm selbst" (L. L, 67; 83), die für das reine Sein gelten, werden analog auch für die Strukturbeschreibung des reinen Nichts verwandt. Ebenso wie das reine Sein hat das reine Nichts keinerlei Außenbezug, noch ist es irgendwie intern strukturiert. Beide haben die Gestalt strukturloser Einfachheit, weshalb sie in ihrer absoluten Unterschiedenheit ebenso unmittelbar zusammenfallen und dasselbe sind. Die Wahrheit ihres Übergehens - oder vielmehr ihres Übergegangenseins - ist das Werden, der Prozeß des unmittelbaren Verschwindens des Einen in das Andere, in welchem die Gleichheit mit

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sich einer jeden Bestimmung beständig nur ein "Wiederherstellen aus einem Anderen" ist. Bei der Gleichheit mit sich, die das Sein und das Nichts ist, handelt es sich mithin um eine Bestimmung, der keinerlei Negativität und Vermittlung immanent ist. So ist sie eine Eigenschaft, die sich überhaupt nur aus der Perspektive der äußeren Reflexion feststellen läßt. Demgegenüber ist die Identität "die Gleichheit mit sich, welche als sich zur Einheit herstellende ist". Sie enthält Negativität und Vermittlung, kraft der sie aus sich selbst heraus zur Einheit mit sich kommt. Hegel bestimmt sie als "reines Herstellen aus und in sich selbst". So ist sie die "WESENTLICHE Identität".ia Die Identität ist nicht wie das Sein und Nichts eine einfache Gleichheit, sondern eine in sich reflektierte Gleichheit mit sich. Die Unmittelbarkeit der reflektierten Gleichheit mit sich, wie sie im Wesen ist, ist nicht einfachhin, sondern stellt sich her, konstituiert sich. Gerade deshalb aber entsteht im Begriff der Identität der Schein eines ursprünglichen, sich selbst konstituierenden positiven Selbstverhältnisses. In der Zurückführung der Identität auf die negative Bewegung der Reflexion wird sich die Identität nicht nur in ihrer Einfachheit und Positivität, sondern auch in ihrer Anfänglichkeit und Ursprünglichkeit als Schein erweisen. Von der wesentlichen Identität, dem "reinen Herstellen aus und in sich selbst", unterscheidet Hegel die abstrakte Identität, wie sie in der traditionellen formalen Logik definiert ist, wo das Unterschiedene zwar durch Abstraktion von der Identität abgetrennt, aber zugleich "außer ihr" als "SEIEND" belassen wird, "vor wie nach", wie Hegel sagt. Gegenüber der abstrakten Identität, die durch ein "relatives Negieren" entstanden ist, das "außerhalb ihrer" in der äußeren Reflexion vorgeht, ist die wesentliche Identität aus einem Prozeß hevorgegangen, in dem sich "das Sein" und damit "alle Bestimmtheit des Seins" "an sich selbst" in "einfache Negativität" aufhebt, so daß

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Die Bestimmung der wesentlichen Identität als "reines Herstellen aus und in sich selbst" tangiert in keiner Weise ihre Bestimmung als Unmittelbarkeit der Reflexion. Denn die Unmittelbarkeit der Reflexion ist nur die Unmittelbarkeit, die als absolute Vermittlung Unmittelbarkeit ist. Die Identität ist als Unmittelbarkeit der Reflexion die Unmittelbarkeit der Beziehung des Negativen auf sich selbst, die Unmittelbarkeit eines sich herstellenden Selbstverhältnisses der Negativität. Demgegenüber ist die Unmittelbarkeit der einfachen Gleichheit mit sich, die das Sein und das Nichts ist, die Unmittelbarkeit des reinen (gegenständlichen) AufSich-Beruhens und Von-Sich-Her-Seins.

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Hegel sagen kann, "diese einfache Negativität des Seins an sich ist die Identität selbst". Die Selbstaufhebung des Seins scheint eine externe Bedingung für die Identität des Wesens zu sein. Doch insofern sich das Sein aus sich selbst heraus ins Wesen aufhebt, vollzieht sich dieser Prozeß in einer doppelten Negation, die selbstbezüglich ist, die also identisch ist mit der absoluten Negativität des Wesens. Die sich negierende Negation ist zwar nicht die Selbstbeziehung der Negation als solcher, doch führt sie instantan zu ihr. Aus der Selbstaufhebung des Seins ergibt sich die Identität des Wesens, insofern eben diese Selbstaufhebung des Seins identisch ist mit dem Sich-Herstellen des Negativen zur Identität mit sich. Die Selbstaufhebung des Seins geht also vollkommen in die Definition der Identität des Wesens ein. Der Begriff der wesentlichen Identität ergibt sich somit unmittelbar aus der Struktur selbstbezüglicher Negativität, als die sich das Sein erwiesen hat: "Der Begriff der Identität, einfache sich auf sich beziehende Negativität zu sein, ist nicht ein Produkt der äußeren Reflexion, sondern hat sich an dem Sein selbst ergeben" (L. II., 27; 40).14 Nach der bisher erfolgten Begriffsentwicklung ergibt sich für die Bestimmung der Identität: Z 130 "Sie ist insofern noch überhaupt dasselbe als das Wesen" (L. II., 26; 39).i5

14

15

Die wesentliche Identität ist "als geworden durch Aufhebung der unmittelbaren Bestimmtheit [...] das Sein als Idealität" (Enz. § 115 Zus.). Der Ausdruck "Idealität" wird in der Enzyklopädie im Zusammenhang mit dem Begriff der Identität verwendet. "Idealität" ist der Ausdruck für die Art und Weise, wie sich das Sein ins Wesen aufgehoben hat und in ihm ein Moment bildet. "Idealität" bedeutet Aufheben aller realen Unterschiede, "verschwindende Trennung", "sich aufhebendes Anderssein" (L. I. (A), 95; vgl. auch die Ausführungen zum Begriff der "Idealität" in L. L, 139; 165). Demnach ist in der wesentlichen Identität das "Sein als Idealität", weil dessen Bestimmtheiten als aufgehobene nur in der Selbstbeziehung des Wesens sind, was sie sind. Die Identität des Wesens läßt also durchaus Unterschiede zu, aber so, daß sie nur aus der Einheit des Wesens mit sich zu verstehen sind und nur in Beziehung auf sie. Sie ist eine wesentliche und zugleich einfache Einheit, die auch den Unterschied, aber als aufgehobenen, in sich einbegreift. Die weitere Aufgabe der Logik der Identität wird es sein, den Unterschied als eine der Identität immanente Nichtidentität aufzuweisen. In der Lasson-Ausgabe steht Z 130 nicht im Haupttext, sondern bildet den ersten Satz der Anmerkung 1. Demgegenüber bezieht die Suhrkamp-Ausgabe Z 130 in den Haupttext mit ein. Das Letztere liegt insofern nahe, als dieser Satz eine Art Zusammenfassung des bisher im Haupttext Entwickelten darstellt.

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Um zeigen zu können, wie die Identität an und für sich selbst zum Unterschied wird, geht Hegel von einer spezifischen Konzeption der Identität aus. Die Identität ist für ihn die "reine Sich Selbstgleichheit" der "absoluten Negativität", durch die "das Anderssein und die Beziehung auf Anderes an sich selbst [...] verschwunden" ist (vgl. Z 127). Mit der Bewegung der Reflexion, die das Anderssein und die Beziehung auf Anderes in reine Selbstbeziehung umwendet, wird der absolute Unterschied jedoch als vorhanden gedacht. Was das genau bedeutet, wird Hegel im folgenden zeigen. Die Identität repräsentiert zunächst das Stadium der Unmittelbarkeit der Reflexion. Dieses Stadium wird sogleich abgelöst vom Stadium der Bewegung der Reflexion in ihrer Negativität, in der sich die Unmittelbarkeit der Reflexion selbst aufhebt und zu einem Moment der Bewegung herabsetzt. In der Bewegung der Reflexion wird sich ergeben, daß die Identität, die sich zunächst in der Form der Einfachheit präsentierte, als absoluter Unterschied gesetzt ist. Im ersten Teil des Abschnitts über die Identität (A 1.) nimmt Hegel vornehmlich den Begriff der absoluten Identität Schellings kritisch auf. Kritik übt er an Schellings Identitätsphilosophie, weil sie den Schein der Selbständigkeit der Identität, der sich aus dem Moment der Unmittelbarkeit der Reflexion ergibt, affirmativ nimmt und ontologisch wendet.!6 Die kritische Darstellung zeigt, daß die scheinbar einfache und selbständige Identität immer schon in die negative Bewegung der Reflexion mit einbezogen ist, daß ihre Selbständigkeit also Schein ist. Schelling geht von einem präreflexiven Absoluten aus, mithin von einer reinen, unvermittelten Identität, die über aller Relationalität liegt. Die Reflexion setzt für ihn eine unvermittelte Identität voraus, 16

Schelling stellt dem formellen Identitätabegriff des Verstandes die vollkommene Identität der Vernunft gegenüber. Während der Verstand von den Relata ausgeht und in Abstraktion von deren Differenz zur Identität gelangt, geht die Vernunft auf die Identität selbst und betrachtet die Relata als ideelle, in der Identität fundierte Momente. Daraus erhellt das Spezifische von Schellings Identitätskonzeption: Allein die Identität hat konkurrenzlosen selbständigen Bestand. Die Differenz der Relata ist kein letzter, orginaler Ausgangspunkt. Die Differenz wird zwar nicht geleugnet, aber sie ist in radikaler Weise abgeleitet. Aus der absoluten Betrachtung des Identitätsgesetztes ergibt sich für Schelling "die gänzliche und absolute Unabhängigkeit der Identität oder der Gleichheit an sich selbst von dem Subjektiven und Objektiven" (Schelling (1804), 147). Dieser Gedanke der absoluten Identität läßt sich, wie Hegels Schelling-Kritik in der Wesenslogik zeigt, nur rechtfertigen und begründen, wenn die Identität eine ontologische Fundierung erfährt. Aus dem bloßen Begriff der Identität ergibt sich auf jeden Fall keine absolute Selbstgenügsamkeit der Identität.

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weil "Relationalität" in seinen Augen keine autonome logische Struktur aufweist. Wenn Sein, so nicht aus Reflexion, sondern aus absoluter Identität, die daher auch nur einer der verständigen Reflexion gegenüberstehenden intellektuellen Anschauung unmittelbar zugänglich ist. Die Unmittelbarkeit der intellektuellen Anschauung steht der Vermittlung der Reflexion schroff gegenüber. Hegel unterzieht Schellings Begriff der absoluten Identität einer doppelten Kritik: - Er zeigt auf, daß die absolute Identität, gerade indem sie abstrakt dem Identitätsbegriff des reflektierenden Verstandes gegenübergestellt wird und so den Anspruch reiner Affirmation und ewiger Gleichheit mit sich erhebt und nur einer intellektuellen Anschauung zugänglich ist, im Grunde die Abstraktion des Verstandes nur reproduziert, da Schelling ebenso wie der Verstand die Identität als oberstes Grundgesetz der Philosophie fixiert. - Er führt die reine Affirmation und Selbständigkeit der Identität, die Schelling gegenüber der Reflexion in ihrer Unmittelbarkeit festhält, auf das Moment der Unmittelbarkeit der Reflexion zurück, die in ihrer Bewegung den Schein der Selbständigkeit und reiner Unmittelbarkeit der Identität aufhebt. Der Identitätsbegriff Hegels unterscheidet sich von dem Schellings durch seine innere Reflektiertheit, durch das Faktum also, daß er eine bestimmte Beziehung ist, während er bei Schelling das Sein gegenüber aller Relationalität repräsentiert. Damit fallt er für Hegel konsequenterweise in seinslogische Indifferenz zurück, der alle Differenz ein äußerliches Anderes ist. Hegel entontologisiert den Identitätsbegriff, indem er ihn in absoluter Negativität fundiert. Sein Konzept der Identität als Identität der absoluten Negation mit sich, als reiner Sich Selbstgleichheit der absoluten Negativität, ist keineswegs ruhige Einfachheit des Seins, sondern im Gegenteil, die Identität als Bewegung des absoluten, sich selbst auflösenden Unterschieds. Der Vergleich der Gleichheit mit sich, welche die Identität ist, mit derjenigen des Seins und des Nichts, macht darüber hinaus deutlich, daß Hegel die auf Aristoteles und Parmenides zurückgehende ontologische Konvertibilität von Sein und Identität kritisch aufhebt, indem er die Identität zurückfuhrt auf die reine Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität. Die Identität ist die Sichselbstgleichheit der Reflexion, die sich aus sich selbst heraus zur Einheit mit sich herstellt. Gerade deswegen kommt ihr eine gewisse Selbständigkeit zu. Sie ist nicht die einfache Gleichheit mit sich, die das Sein ist, das in der griechischen

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Ontologie in seiner bleibenden Gegenwart absolut unterschieden vom Nichtseienden intendiert wird, aber aufgrund seiner Strukturgleichheit mit dem Nichts ewig in Nichts umschlägt. Das Sein des Parmenides, das in seiner einfachen Gleichheit mit sich maßgeblich durch seinen absoluten Gegensatz zum Nichts (me on) geprägt ist, schlägt nach Hegels Interpretation am Anfang der Logik beständig hinter dem Rücken dieser Ontologie in Nichtsein um und kann daher in seiner einfachen Gleichheit mit sich ebenso nur beständig aus seinem Nichtsein als seinem absolut Anderen "wiederhergestellt" werden. Dieser Umstand bekräftigt, daß bei Hegel Identität nicht als ontologische Sichselbstgleichheit interpretiert werden kann. In der Bestimmung der wesentlichen Identität als "reines Herstellen aus und in sich selbst" scheint Hegel völlig konform zu gehen mit dem transzendentalphilosophischen Identitätsbegriff Fichtes, der den abstrakten Identitätsbegriff, den Satz der Identität, also die Identität des abstrakten Verstandes, auf das Ich als einem Begriff wesentlicher oder absoluter Identität zurückführt. Der Satz der Identität, so argumentiert Fichte in der Wissenschaftslehre von 1794 (Fichte (1794, 91ff.), ist eine "Tatsache" des Bewußtseins und gilt als absolut gewiß. Nun ist der Satz der Identität nicht an und für sich gewiß, sondern nur für das Ich und im Ich. Es ist also das Ich, das diesen Satz setzt, weil es selbst eine ursprüngliche Identität ist (Ich = Ich), die Fichte dynamisch als Sich-selbst-Setzen oder Tathandlung faßt. Den Fichteschen Begriff der Tathandlung legt Hegel als "reines Herstellen aus und in sich selbst" aus.17 Hegel hat Fichte in der Differenzschrift dafür gelobt, im Ich = Ich sozusagen eine schlechthinnig unüberbietbare Identität und damit das Prinzip der Spekulation aufgestellt zu haben (Werke 2, 54). Ich = Ich eröffnet in der Tat die Dimension absoluter Identität. Anders jedoch als bei Fichte ist bei Hegel das "reine Herstellen aus und in sich selbst", als welches sich die Identität darstellt, von vorn eherein auf die absolute Negativität bezogen, die die Identität sogleich zu einem Moment ihrer negativen Bewegung macht, wodurch sie ihre urÜber den Zusammenhang der sich selbst erzeugenden Reflexion der Identität bei Hegel und der Natur des Ich als ursprünglicher Tathandlung bei Fichte vgl. Wetzel (1971), 57f.und 67ff. Wetzel macht aber die Differenzen Hegels gegenüber Fichte zu wenig deutlich, wie überhaupt die bisherigen Hegelinterpretationen fast ausnahmslos die Logik der Reflexion nach dem traditionellen Modell der Reflexion aufgefaßt haben, nämlich als subjektives Denken, welches auf Gegenstände geht, als ein Verhältnis von Ich und Gegenständlichkeit (Schelling (1833/34), 126-164: Kap. 'Hegel"; Henrich (1966; 1970); Reisinger (1971); Wetzel (1971). Eine rühmliche Ausnahme bildet Schubert (1985).

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

sprüngliche Stellung, die sie bei Fichte innehat, im Gang der Entwicklung verliert. Zwar bringt Fichte - im Unterschied zum Identitätssystem Schellings - in das Setzen der Identität des Ich eine diese potentiell sprengende Negativität ins Spiel, insofern er dem Setzen des Ich das Entgegensetzen des Nicht-Ich gegenüberstellt, ohne jedoch daraus für den Identitätsbegriff Kon Sequenzen zuziehen. Hegel rekonstruiert die absolute Tathandlung der Setzung des Ich und die Handlung der Entgegensetzung des Nicht-Ich als systematische Einheit von setzender und äußerer Reflexion. So wenig die Bewegung der Reflexion bloß äußere, subjektive Reflexion ist, so wenig ist sie nur setzende, absolute Tathandlung. Beide bei Fichte als unbedingt geltende Handlungen werden bei Hegel zu Momenten der scheinenden Bewegung der Reflexion herabgesetzt. Als verselbständigte, unbedingt geltende, sind sie bloßer Schein. Fassen wir zusammen: Hegels spezifisches Konzept der Identität als Identität der absoluten Negation mit sich enthält eine Kritik sowohl am Identitätsbegriff des abstrakten Verstandes als auch am transzendentalphilosophischen IdentitätsbegrifF Fichtes und am Begriff der absoluten Identität Schellings. Zwar sind die beiden letzteren nicht identisch mit der abstrakten Verstandesidentität, Hegel kann jedoch zeigen, daß Fichte und Schelling die Abstraktion des äußerlich reflektierenden Verstandes nur wiederholen, indem sie die Identität genauso wie dieser als oberstes und erstes Denkgesetz fixieren, ein Schein, der sich in der reflexionslogischen Analyse des Identitätsbegriffs aufhebt. Hegels Konzept der Identität der absoluten Negativität ist also weit über die traditionellen Begriffe der Identität hinaus. 2.a) Rückführung der Identität auf den absoluten Unterschied Aufgabe der Abteilung A.2 ist es, den Unterschied als eine der Identität immanente Nichtidentität aufzuzeigen. Dies tut Hegel, indem er die Identität in der Bewegung ihrer Reflexion darstellt. In der Bewegung der Reflexion wird sich zeigen, daß die Identität, die zunächst die Form der Unmittelbarkeit der Reflexion bezeichnet, welche zugleich den Schein der ruhigen Einfachheit und Selbständigkeit erzeugt, als absoluter Unterschied gesetzt ist, so daß sich auch dieser Schein auflöst.

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Z 131 "2. Diese Identität ist zunächst das Wesen selbst, noch keine Bestimmung desselben, die ganze Reflexion, nicht ein unterschiedenes Moment derselben" (L. II., 27; 40).

Z 131 hält die Identität in der bisher entwickelten Bestimmung fest, knüpft also an den bisherigen Gedankengang an und bezeichnet so den Ausgangspunkt der gesamten Bewegung im zweiten Teil des Abschnittes über die Identität. Die Identität ist bestimmt worden als reine Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität; so ist sie vorerst "das Wesen selbst", noch keine wirkliche "Bestimmung desselben". Solange sie das Stadium der Unmittelbarkeit der Reflexion bezeichnet, gilt sie für die "ganze Reflexion" und kann daher noch nicht gegenüber einer anderen Bestimmung abgegrenzt werden. Der anfängliche Zustand der Unmittelbarkeit ist einer, der mehr repräsentiert, als er wirklich ist. Er erzeugt den Schein, als sei die Unmittelbarkeit und damit die Identität das Ganze der Reflexion und somit absolute Selbständigkeit. Doch indem die Bewegung der Reflexion einsetzt, wird sich die Unmittelbarkeit aufheben und zu deren Moment herabsetzen. Was bedeutet es, daß die Reflexion die Unmittelbarkeit zu ihrem eigenen Moment herabsetzt? Im Abschnitt über die setzende Reflexion hat Hegel gezeigt, daß die Reflexion im selben Maße, wie sie Unmittelbarkeit ist, auch sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit ist, denn sie ist sich selbst negierende und nicht nur einfache Gleichheit der Negation mit sich. Die Reflexion ist mithin Einheit von Unmittelbarkeit und Negativität. In Wahrheit ist also die Unmittelbarkeit der Reflexion in der Bewegung der Negativität zugleich aufgehoben. Deshalb wird sich zeigen, daß die Identität nicht nur für die "ganze Reflexion" steht, sondern auch ein "unterschiedenes Moment" derselben darstellt. Das, was jetzt als ganze Struktur der Reflexion erscheint (Unmittelbarkeit/Identität), wird sich in der Bewegung der selbstbezüglichen Negativität als "Moment" erweisen. Die folgenden Ausführungen gelten dem Aufweis des im Gedanken der Identität gelegenen absoluten Unterschieds. Zu diesem Zweck wird die Bewegung der Reflexion dargestellt, die der Identität notwendig immanent ist (vgl. auch Enz. § 116 Zus.): Z 132 "Als absolute Negation ist sie [die Identität, d.V.] die Negation, die unmittelbar sich selbst negiert, - ein Nichtsein und Unterschied, der in seinem Entstehen verschwindet, oder ein Unterscheiden, wodurch nichts unterschieden wird, sondern das unmittelbar in sich selbst zusammenfällt" (L. H., 27; 40).

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Die Identität ist als Reflexion die "absolute Negation". Die Explikation der Identität als absolute Negativität erfolgt in zwei Schritten. Zunächst übersetzt Hegel den formalen Begriff der Negation in Nichtsein, Unterschied und Unterscheiden. Sodann transformiert er den Gedanken der Negation, die unmittelbar sich selbst negiert, in den Gedanken der sich auf sich beziehenden Negativität bzw. den Gedanken des verschwindenden, sich selbst aufhebenden Unterschieds in den des sich auf sich beziehenden, absoluten Unterschieds. Diese Transformation geschieht über den Nachweis der "Internalisierung der Andersheit" (Schubert (1985), 57). Erinnern wir uns an die Bedeutung von Hegels Begriff der absoluten Negation. "Absolut" im Sinne von autark und autonom ist die Negation, wenn sie auf nichts anderes als auf sich selbst bezogen ist. Sie ist also die Negation, die nichts anderes, sondern nur sich selbst negiert. Die Identität ist als absolute Negation also die Negation, die unmittelbar sich selbst negiert. Hegel geht es im folgenden darum, zu analysieren, was in dieser anscheinend haltlosen Struktur "vorhanden" ist. Wohl im Hinblick auf die Einführung der Kategorie des Unterschieds wird nach dem Gedankenstrich in Z 132 der formale Begriff der "Negation" durch die Begriffe "Nichtsein und Unterschied" und "Unterscheiden" ersetzt. Diese Übersetzung ist insofern legitim, als die drei Grundbedeutungen von Negation a) Nichtsein/Bestimmtheit, b) Unterschied/Unterscheiden und c) Andersheit sind.ie Der Negationsbegriff muß verschiedener Modifikationen fähig sein. Nur dann reicht er aus zur Explikation der spezifischen Begriffsbestimmungen, die sich in den einzelnen Stadien der Reflexionsbewegung ergeben. Aufgrund des Umstands, daß die Identität als absolute Negation die Negation ist, die unmittelbar sich selbst negiert, handelt es sich hier um ein "Nichtsein" und "Unterschied", der in seinem Entstehen verschwindet. Als Reflexion ist die Identität ein "Unterscheiden", aber eines, "wodurch nichts unterschieden wird, sondern das unmittelbar in sich selbst zuwsammenfällt". Wie liegt also die Negation, das Nichtsein bzw. der Unterschied oder das Unterscheiden hier vor? Die Negation ist unmittelbar sich negierende Negation, das Nichtsein bzw. der Unterschied ist das in seinem Entstehen verschwindende Nichtsein und Unterschied und das Unterscheiden ist ein nichts un18

Es sei hier daran erinnert, daß "Unterscheiden" eine der Grundbedeutungen des Negationsbegrifls in Hegels Philosophie ist. Das Negative ("die ungeheuere Macht des Negativen") ist die dem Verstand bzw. der Reflexion zugerechnete "Tätigkeit des Scheidens" (Phän., 29; 36).

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terscheidendes, ein unmittelbar in sich zusammenfallendes Unterscheiden. Gegeben ist also eine unmittelbar sich selbst negierende Negation und ein unmittelbar verschwindender Unterschied. Läßt sich in dieser anscheinend haltlosen Struktur etwas als "vorhanden" festhalten? Hegel beginnt nun mit der Analyse dessen, was in diesem Negieren und Unterscheiden "vorhanden" ist: Z 133 "Das Unterscheiden ist das Setzen des Nichtseins als des Nichtseins des Anderen. Aber das Nichtsein des Anderen ist Aufheben des Anderen und somit des Unterscheidens selbst" (L. II., 27; 40).

Hegel entwickelt die Struktur des nichts unterscheidenden Unterscheidens im Rückgriff auf den Begriff des Anderen. Das Unterscheiden, mit dem wir es hier zu tun haben, definiert er als "das Setzen des Nichtseins als des Nichtseins des Anderen". Das hier vorliegende Unterscheiden ist also nicht nur einfaches "Setzen des Nichtseins". Das Setzen des Nichtseins ist vielmehr näher charakterisiert als "Setzen des Nichtseins des Anderen". Das thematische Unterscheiden ist also "das Setzen des Nichtseins", das näher bestimmt ist als "Setzen des Nichtseins des Anderen". Als bloßes "Setzen des Nichtseins" ist das Unterscheiden Setzen des Anderen. Die Negation ist nämlich als Nichtsein oder Bestimmtheit Unterscheiden eines Etwas von einem Anderen. Das Andere ist das Nichtsein des Einen. Die Negation konstituiert auf diese Weise den Gedanken der einfachen Andersheit. Im Setzen des Nichtseins wird das Andere als Anderes konstituiert. Das hier vorliegende Unterscheiden ist demgegenüber das Setzen des Nichtseins als Setzen des Nichtseins des Anderen. Das bedeutet, es ist Setzen und Negieren des Anderen. Die Identität ist als Unterscheiden das "Setzen des Nichtseins als des Nichtseins des Anderen" und damit genau jene Bewegung des Verschwindens des Anderen, von der Hegel in der Anmerkung 2 zur Bestimmung der Identität sagt, daß in ihr das Andere nur als Schein, als unmittelbares Verschwinden auftritt.19 Somit ist sie das "Aufheben des Anderen" im Sinne der Seinslogik und damit zugleich das Aufheben des Unterscheidens selbst. In ihr ist sowohl das Andere als

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Anläßlich der Analyse der der Identität eigenen Satzform bemerkt Hegel, daß in der "FORM DES SATZES [...] MEHR als die einfache, abstrakte Identität" liegt, nämlich die "reine Bewegung der Reflexion", "in der das Andere nur als Schein, als unmittelbares Verschwinden auftritt" (L. ., 31; 44).

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auch das Unterscheiden selbst nur negiert vorhanden oder als Schein.2o Das Anderssein und die Beziehung auf Anderes schienen durch die absolute Negativität in der "reinen Sichselbstgleichheit" der Identität völlig verschwunden zu sein. Die kritische Darstellung der Reflexion der Identität fördert dieses Andere wieder zutage, aber als "Nichtsein", als Schein. Daß die Identität das Unterscheiden als Setzen und Negieren des Anderen ist, bedeutet also keineswegs, daß Andersheit überhaupt entfällt. Was negiert wird, ist die Vorhandenheit des Anderen, also die seinslogische Andersheit. Damit wird aber zugleich das Vorhandensein des Unterscheiden s selbst in Frage gestellt. Wie läßt sich aber die anscheinend völlig haltlose Struktur dieses Unterscheiden s stabilisieren? Zunächst: Der Umstand, daß der Unterschied, noch ehe er behauptet wird, verschwindet, setzt voraus, daß er vorhanden ist, wenn auch nur, um zu entfallen. Daraus schließt Hegel: Z 134 "So ist aber das Unterscheiden hier vorhanden als sich auf sich beziehende Negativität, als ein Nichtsein, das das Nichtsein seiner selbst ist, - ein Nichtsein, das sein Nichtsein nicht an einem Anderen, sondern an sich selbst hat" (L. II., 27; 40).

Was hier vorhanden ist, ist nicht das Unterscheiden, das Nichtsein, der Unterschied oder das Anderssein als solches. "Vorhanden" ist in der Reflexion der Identität das Unterscheiden nur "als sich auf sich beziehende Negativität". Dieser Begriff eignet sich bekanntlich zur Darstellung der Parallelität der Ungleichheits- und Gleichheitsbeziehung der absoluten Negation. Der Ungleichheitsaspekt wird in der Tatsache, daß sich die Negation auf sich bezieht, zur Darstellung gebracht; der Gleichheitsaspekt durch den Umstand, daß sich die Negation dabei auf sich selbst bezieht. Vorhanden ist also die Bewegung der sich auf sich beziehenden Negativität. Das Unterscheiden als sich auf sich beziehende Negativität ist die Andersheit, wie sie im Wesen auftritt, die in sich umgewendete, internalisierte und damit dem Wesen immanente selbstbezügliche Andersheit. Die internalisierte Andersheit ist in Wahrheit die Beziehung des Unterschiedes auf sich, dasjenige Aufheben des Unter20

Fink-Eitel hat diesen Gedanken auf den Begriff gebracht, wenn er sagt: "Identität ist ein unterscheidendes In-Beziehung-auf-sich-Setzen, aber so, daß gerade vom Unterschied abgesehen wird. Sie ist das Sich-im-Anderen-auf-sich-Beziehen der bestimmenden Reflexion kraft Abstraktion von der Andersheit des Anderen" (Fink-Eitel (1978), 95).

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schieds, das zugleich das Aufheben der Andersheit im Sinne der Seinslogik ist. Das Unterscheiden als sich auf sich beziehende Negativität ist also "ein Nichtsein, das das Nichtsein seiner selbst ist", ein Nichtsein, das sich nicht durch ein Anderes, sondern an sich selbst aufhebt. - Die Identität ist somit nichts anderes als dieser Wechsel des Nichtseins mit sich selbst, die Identität der absoluten Negativität mit sich selbst. Z 135 "Es ist also der sich auf sich beziehende, der reflektierte Unterschied vorhanden oder [der] reine, ABSOLUTE UNTERSCHIED (L. II., 27; 40).

Mit dem neu eingeführten Terminus "[der] reine, ABSOLUTE UNTERSCHIED" ist nicht das Gegenmoment zur Identität gemeint. Der absolute Unterschied, der hier "vorhanden" ist, repräsentiert vielmehr die interne Struktur der Identität, soweit diese nicht nur die Unmittelbarkeit der Reflexion, sondern die Reflexion selbst ist. Neben dem Status kann die Struktur des reinen, absoluten Unterschieds angegeben werden. Er ist der "sich auf sich beziehende" Unterschied, also der Unterschied, der nicht auf ein von ihm Verschiedenes bezogen ist, sondern nur auf sich selbst und in dieser Selbstbeziehung seine eigene Struktur in sich zurückgewendet hat. Dieser Unterschied ist noch ohne Relate oder besser: der Unterschied, der seine eigene Struktur reflektiert: "der reflektierte Unterschied". - So ist der "ABSOLUTE UNTERSCHIED" nicht ein schlechterdings Anderes gegenüber der Identität, sondern deren immanente "reine Bewegung der Reflexion" (L. II., 31; 44). Die Identität ist zunächst die reine Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität und bezeichnet somit das Stadium der Unmittelbarkeit der Reflexion. In der Bewegung der Reflexion hat sie sich nun selbst als der absolute Unterschied bestimmt. Die Identität ist also zunächst das Wesen selbst oder die ganze Reflexion. Dies aber nur insofern, als sie selbst der absolute Unterschied ist. Die Identität ist somit auf den Gedanken des absoluten Unterschieds zurückgeführt. Sie ist nicht äußerlich auf ihn bezogen, sondern bestimmt sich selbst als der absolute Unterschied. Fassen wir die bisherige Entwicklung der Identität in A.2. zusammen: Die Identität war zunächst als reine Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität und als Unmittelbarkeit der Reflexion bestimmt, die zugleich den Schein der ruhigen Einfachheit und Selbständigkeit erzeugt, in der die Negativität erloschen ist. Jetzt zeigt sich, daß die Identität nicht nur als reine Sichselbstgleichheit oder

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Unmittelbarkeit der Reflexion, sondern im Gegenteil als sich selbst negierende Negation und als sich auf sich beziehender Unterschied, als Prozeß der absoluten Negativität selbst zu denken ist, die nur als sich auf sich beziehende Negativität Bestand hat. Die Identität ist also als sich auf sich beziehende Negativität oder als sich auf sich beziehender, absoluter Unterschied gesetzt. Weit gefehlt wäre es mithin, die Identität bloß als Resultat des Negationsprozesses der sich negierenden Negation zu betrachten. Sie ist überdies das sich auf sich beziehende Unterscheiden, der Prozeß der sich auf sich beziehenden Negativität selbst, der in der Identität als dem Resultat nur scheinbar verschwindet, den die kritische Darstellung aber wieder zutage fördert. Was also aus der Identität hervorgeht, der absolute Unterschied, ist in ihr selbst als Konstitutivum je impliziert. Die Identität konstituiert sich nur als sich selbst aufhebender und damit sich auf sich beziehender Unterschied. Nun ist sie als das, was sie an sich bereits ist, auch gesetzt, als absoluter Unterschied. Hegel hat den Nachweis geführt, daß die Identität der als verschwindend gesetzte bzw. der absolut gesetzte Unterschied selbst ist. Z 136 "Oder die Identität ist die Reflexion in sich selbst, welche dies nur ist als innerliches Abstoßen, und dies Abstoßen ist es als Reflexion-insich, unmittelbar sich in sich zurücknehmendes Abstoßen" (L. II., 27; 40).

Dieser Absatz wird mit "oder" eingeleitet; offenbar wird derselbe Nachweis - daß die Identität der absolute Unterschied selbst ist - auf anderem Wege erreicht als zuvor. Zudem bedient sich Hegel hier einer anderen Terminologie als im vorhergehenden Absatz. Er faßt die Reflexion der Identität nicht mehr mit Hilfe von Negationsbegriffen, sondern mit Hilfe von Reflexionsmetaphern. Die Identität ist die Bewegung der "Reflexion-in-sich". Diese ist die Rückkehrbewegung, die sie ist, nur als ein "innerliches Abstoßen", das aber auf sich selbst gerichtet ist und so "unmittelbar sich in sich zurücknehmendes Abstoßen" ist. Die reflexive Bewegung ist eine Bewegung, die im Aus-sich-Herausgehen actu in sich zurückgekehrt ist. Sie ist je in sich umgewendete, gegenläufige Bewegung: der absolute Gegenstoß in sich selbst.21 Hegel zieht daraus die Schlußfolgerung: 2l

Bereits die Einheit von Setzen und Voraussetzen hat Hegel als absoluten Gegenstoß in sich selbst charakterisiert. Die Logik der Identität und des Unterschieds reformuliert im Rahmen der Logik der Reflexionsbestimmungen die setzende und voraussetzende Reflexion.

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Z 137 "Sie ist somit die Identität als der mit sich identische Unterschied" (L. ., 27 ; 40).

Die Identität ist also nicht einfachhin Identität, sondern die Identität des absoluten Unterschieds mit sich selbst, die Identität des absoluten Unterschieds (gen. subj.). Sie ist also identisch mit dem ursprünglichen, dem absoluten Unterschied, und dies deshalb, weil es der Unterschied ist, der identisch mit sich ist. - Identität und Unterschied fallen somit zusammen im Gedanken des absoluten Unterschieds. Z 138 "Der Unterschied ist aber nur identisch mit sich, insofern er nicht die Identität, sondern absolute Nichtidentität ist. Absolut aber ist die Nichtidentität, insofern sie nichts von ihr Anderes enthält, sondern nur sich selbst, d.h. insofern sie absolute Identität mit sich ist" (L. II., 28; 40f.).

So wie die Identität nicht an ihr selbst Identität, sondern nur Identität ist als der mit sich identische Unterschied, so ist der Unterschied nur identisch mit sich, sofern er "nicht die Identität", sondern "absolute Nichtidentität" ist. Denn nur als absolute Nichtidentität enthält er nichts anderes als sich selbst, ist er der absolute sich nicht auf Anderes beziehende Unterschied und daher "Identität mit sich". Die Identität ist auf den Gedanken des absoluten Unterschieds zurückgeführt. Die Logik der Identität erweist sich als Logik des Unterschieds: Was mit sich identisch ist, was sich auf sich bezieht, ist nicht die Identität, sondern der Unterschied. Während die Identität eine abhängige Funktion des Unterschiedes ist - "die Identität als der mit sich identische Unterschied" (Z 137) -, ist der Unterschied Identität als absolute Nichtidentität. Beide, Identität und Nichtidentität, gehören untrennbar zusammen, aber auf dem Boden der absoluten Nichtidentität. Die Einheit oder Identität von Identität und Nichtidentität ist nicht, wie viele Hegelianer meinen, schlicht Identität an und für sich, allumfassende Identität, die ihr Anderes, die Nichtidentität unter sich subsumiert, sondern nur als absolute Nichtidentität. Die Identität ist als Identität der Identität und Nichtidentität absolute Nichtidentität, der absolute Widerspruch mit sich selbst (vgl. Schubert (1985), 84). Z 139 "Die Identität ist also AN IHR SELBST absolute Nichtidentität" (L. II., 28; 41).

Dieser Satz faßt die nun vorliegende Konstellation von Identität und Nichtidentität zusammen. Die Identität, die an ihr selbst absolute Nichtidentität ist, reformuliert den Terminus der "Identität der

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Identität und der Nichtidentität" als absolute Nichtidentität. Diese Konstellation impliziert einen Widerspruch. Wenn die Identität identisch ist mit der absoluten Nichtidentität, dann ist sie sie selbst, identisch mit sich und nicht identisch mit sich, also unterschieden von sich selbst. Sie hat die Form negativer Selbstbeziehung. Der Begriff der Identität des Wesens enthält also an sich selbst den Widerspruch von Identität und Nichtidentität, den absoluten Widerspruch mit sich selbst. Die Identität ist selbst "der absolute Unterschied von sich selbst" (L. II., 31; 45).22 Im Gegensatz zu Schelling, der alle Differenz aus der absoluten Identität, aus der Struktur der Verdoppelung der Identität herleitet, und zwar so, daß die Differenz die irrelationale Identität nicht beeinträchtigt (vgl. Schelling (1810), 424f.), setzt Hegel die Identität in radikaler Weise herab, indem er sie auf den Gedanken des absoluten Unterschieds zurückführt, der die Identität in ihrer ruhigen Einfachheit und Absolutheit aufhebt und schließlich zu einem bewegten Moment des Logischen herabsetzt. b) Die Identität als Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied: die Identität als solche Als Reflexion ist die Identität an und für sich selbst in den absoluten Unterschied übergegangen. Die Identität ist die Identität des absoluten Unterschieds mit sich. Z 140 "Aber sie ist auch die BESTIMMUNG der Identität dagegen" (L. II., 28; 41).

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In ihrem spekulativ gefaßten Begriff bilden Identität und Unterschied jene Konstellation, die schon der Hegel der Jenaer Zeit als Widerspruch bzw. als Antinomie gedacht hat: die "Identität der Identität und der Nichtidcntität" (Werke 2, 96). Die Ersetzung des Begriffs des Unterschieds durch den der Nichtidentität in Z 138 verweist darauf, daß Hegel an dieser Stelle die wesenslogische Fassung des ursprünglich in der Differenzschrift entwickelten Gedankens der "Identität der Identität und der Nichtidentität" im Auge hat, mit dem er sein Systemprogramm im Gegenzug zur Identitätsphilosophie Schellings begründet. Der Phasenwechsel von Selbstbeziehung (Identität) und dem, was sich auf sich bezieht (Unterschied/Nichtidentität), d.h. die Einheit von Selbstbezichung (Identität) und Negation (Nichtidentität), die Beziehung des Negativen auf sich selbst (absolute Nichtidentität), kennzeichnet die widersprüchliche Natur der Identität. Die Identität ist als Identität der Identität und der Nichtidcntität absolute Nichtidentität, der absolute Widerspruch mit sich selbst.

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Die Identität ist also nicht nur unmittelbar an ihr selbst ihr Anderes, die absolute Nichtidentität, sondern sie ist auch die "BESTIMMUNG" gegen die absolute Nichtidentität. Mit der Explikation der im Gedanken der Identität gelegenen absoluten Nichtidentität ist die Identität an und für sich in den absoluten Unterschied übergegangen. Doch ist es für Hegel gerade deswegen nur konsequent, daß sich die Identität auch gegen den absoluten Unterschied bestimmt. Indem die Identität in eine definitive Gegenüberstellung zum absoluten Unterschied tritt, kristallisiert sie sich allererst zu einer wirklichen "BESTIMMUNG" heraus. Hegels Begründung für diesen Vorgang lautet: Z 141 "Denn als Reflexion-in-sich setzt sie sich als ihr eigenes Nichtsein; sie ist das Ganze, aber als Reflexion setzt sie sich als ihr eigenes Moment, als Gesetztsein, aus welchem sie die Rückkehr in sich ist" (L. II., 28; 41).

Die Identität ist das Ganze der Reflexion, solange sie das Moment der Unmittelbarkeit der Reflexion bezeichnet. Aber als Reflexion setzt sie sich als "ihr eigenes Nichtsein", d.i. als aufgehoben. Die Identität ist also zunächst die ganze Reflexion, aber als Reflexion des Ganzen, nämlich als absoluter Unterschied oder absolute Negativität setzt sie sich als ihr eigenes Moment, als Gesetztsein, aus welchem sie dann noch in einer letzten Reflexion "die Rückkehr in sich" ist. Hegel beschreibt hier die Identität als jene zirkuläre Reflexionsbewegung in der Form eines absoluten Gegenstoßes in sich, durch welchen sich ein Ganzes zu seinem eigenen Moment herabsetzt. Die Identität ist als innerliches Abstoßen zugleich auf sich selbst zurückgestoßen. Die Bewegung der Reflexion hebt die Identität als das Ganze auf und setzt sie zu ihrem eigenen Moment herab. Z 142 "So als ihr Moment ist sie erst die Identität als solche als BESTIMMUNG der einfachen Gleichheit mit sich selbst, gegen den absoluten Unterschied" (L. II., 28; 41).

Indem die Identität als Reflexion sich als ihr eigenes Moment setzt, ist sie zugleich Setzen der Identität als Bestimmung der einfachen Gleichheit mit sich gegen den absoluten Unterschied. Es ist also die reflektierende Bewegung der Identität, in der diese sich als Ganzes aufhebt und als ihr eigenes Moment oder Gesetztsein setzt, "aus welchem sie die Rückkehr in sich ist" (Z 141). Die Identität ist somit nicht unmittelbar identisch mit sich, sondern nur als rückkehrende Bewegung. Die "BESTIMMUNG" der Identität gegen den absoluten Unterschied ist nicht Produkt der äußeren Reflexion. Insofern steht sie

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nicht im Belieben der Darstellung, so daß der Fortgang zu ihr erfolgen oder auch unterbleiben könnte. Sie ist die notwendige Konsequenz und Produkt der negierenden Reflexionsbewegung der Identität selbst. Die Identität, die an ihr selbst absolute Nichtidentität ist, ist der absolute Widerspruch mit sich selbst und eben deshalb zugleich das Setzen der Identität als Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied. Erst das Gesetztsein der Identität als Identität ist die Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied. Hegel hebt ausdrücklich hervor, daß die Identität erst als Moment ihrer eigenen Reflexionsbewegung "die Identität als solche", nämlich "als BESTIMMUNG der einfachen Gleichheit mit sich, gegen den absoluten Unterschied ist". Die "Identität als solche", die der Verstand als erstes und oberstes Denkgesetz fixiert, erweist sich als abgeleitete Funktion der ganzen Reflexionsbewegung. Das Gesetz der abstrakten Identität, das in der traditionellen Onto-Logik als absolut gültig behauptet wird, wird in der spekulativ-dialektischen Logik zu einem bedingt gültigen "Moment" des Logischen herabgesetzt. Die "Identität als solche" ist eine abgeleitete "BESTIMMUNG" des Wesens. Fassen wir die Ergebnisse der Logik der Identität kurz zusammen: Die Identität des Wesens ist zunächst einfache Identität. Sie ist die "reine Sich Selbstgleichheit" der "absoluten Negativität", durch die "das Anderssein und die Beziehung auf Anderes schlechthin an sich selbst [...] verschwunden" (Z 127) ist. Sie ist insofern nicht die abstrakte, durch relatives Negieren entstandene Identität, die das Unterschiedene als Seiendes außer ihr hat, sondern die wesentliche Identität, das "reine Herstellen aus und in sich selbst" (Z 129), das nichts Seiendes mehr außer sich hat. Als reine Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität bezeichnet die Identität das Stadium der "UNMITTELBARKEIT der Reflexion" (Z 128), die zugleich den Schein der Selbständigkeit und ruhigen Einfachheit der Identität erzeugt. Nach dieser Seite ist die Identität "noch überhaupt dasselbe als das Wesen" (Z 130), "die ganze Reflexion, nicht ein unterschiedenes Moment derselben" (Z 131). Doch ist der Negationsprozeß, aus dem sich die Identität ergibt, nur scheinbar in der reinen Sichselbstgleichheit erloschen. Das Stadium der Unmittelbarkeit der Reflexion, in dem die Identität das Ganze repräsentiert, wird abgelöst durch das Stadium der Bewegung der Reflexion, in der die Identität zu ihrem eigenen Moment herabgesetzt wird. Als Reflexion ist die Identität die absolute Negation, die Negation, die unmittelbar sich selbst negiert. Sie ist ein Nichtsein oder Unterschied, der in seinem Entste-

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hen unmittelbar verschwindet, und somit ein Unterscheiden, wodurch nichts unterschieden wird, sondern das unmittelbar in sich zusammenfällt. Das Unterscheiden ist als Setzen und Negieren des Anderen das Aufheben der seinslogischen Andersheit in selbstbezügliche Negativität. Was ist also in der Identität als Unterscheiden vorhanden? Vorhanden ist nicht das Andere als solches, auch nicht das Unterscheiden als solches. Vorhanden ist die internalisierte, selbstbezügliche Andersheit, das sich aufhebende Unterscheiden oder eben das "Unterscheiden [...] als sich auf sich beziehende Negativität" (Z 134). Als Reflexion des Ganzen ist die Identität selbst das Unterscheiden als sich auf sich beziehende Negativität: "[der] reine, ABSOLUTE UNTERSCHIED" (Z 135). Die Identität als der mit sich identische Unterschied ist "AN IHR SELBST absolute Nichtidentität" (Z 139). Aber zugleich ist sie auch die Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied. Die Identität ist das Ganze der Reflexion, aber als Reflexion des Ganzen setzt sie sich als ihr eigenes Moment oder Gesetztsein. Was ursprünglich (anfänglich) als das Ganze erschien, die Identität, ist nunmehr "Nichtsein" (Z 141) des Ganzen oder Moment. In dieser Situation ist die Identität nicht mehr Unmittelbarkeit, sondern Gesetztsein der Reflexion. Die Identität ist also Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied, weil sie als Reflexion sich als ihr eigenes Moment oder Gesetztsein setzt, "aus welchem sie die Rückkehr in sich ist" (Z 141). Erst als Moment oder Gesetztsein ihrer eigenen Reflexion ist sie "die Identität als solche" (Z 142). Diese erweist sich als abgeleitete Funktion der ganzen Reflexionsbewegung der Identität. Es ergibt sich somit folgendes Resultat der Logik der Identität: Die Kategorie der Identität ist das Ganze der Reflexion, aber sie ist zugleich auch ebenso nur ein Moment eben dieser Reflexion. Sie ist das Ganze und ihr eigenes Moment und damit für Hegel letzten Endes Moment des absoluten Unterschieds, der seinerseits "das Ganze und sein Moment" (Z 152) ist. Hegel hat einen gegenüber der traditionellen formalen Logik ebenso wie gegenüber der Transzendentalphilosophie Fichtes und der Identitätsphilosophie Schellings qualitativ geänderten Identitätsbegriff. Identität ist für Hegel nicht reine Affirmation und ewige Gleichheit mit sich. Seine spezifische Konzeption von Identität ist dadurch charakterisiert, daß Identität die Identität der absoluten Negation mit sich ist. Hegels IdentitätsbegrifF ist also keineswegs ontologisch fundierte absolute Identität, die in ruhiger Einfachheit gegenüber al-

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ler Differenz verharrt, sondern umgekehrt die Identität als absoluter Unterschied, aufgrund dessen sie sich zu einem bewegten Moment herabsetzt und unterschieden vom absoluten Unterschied ist. Die Identität, die an ihr selbst absolute Nichtidentität ist, ist nicht schlicht Identität an und für sich, sondern logische Bewegung. Diese ihre spezifische Bewegung ist einzig eine Funktion ihrer Unterschiedenheit in sich. Die Identität, die die Identität des absoluten Unterschieds ist, ist zugleich die Reflexionsbewegung des absoluten Gegenstoßes in sich, der ihr Anundfürsichsein und ihre Selbständigkeit aufhebt und sie zu einem Moment herabsetzt. Die Reflexionsbewegung der Identität, in der diese ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment ist, ist auf diese Weise zugleich die Konstitution des Scheins der fixen Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied. Die "Identität ist die bloße Form des Bestimmens, wenn von ihrer Bestimmtheit abstrahiert wird" (Günther (1978), 65). Sodann ist sie als absoluter Unterschied oder absolute Negativität der Prozeß des Bestimmens, das Setzen der Identität als Identität, die Konstitution der Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied. Die Logik der Identität ist als Logik des absoluten Unterschieds bzw. der absoluten Negativität der Prozeß der Selbstbestimmung der Identität. Sie kann so zugleich als Konstitutionsgrund des Prozesses der Logik der Reflexionsbestimmungen im ganzen angesehen werden. Die Logik der Identität reformuliert innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen die Einheit von setzender und voraussetzender Reflexion. So kann gesagt werden, daß die Identität, die den absoluten Unterschied impliziert, sich als Ganzes aufhebt und als ihr eigenes Moment setzt (Aspekt der setzenden Reflexion) und sich als Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied voraussetzt (Aspekt der voraussetzenden Reflexion). So ist die Identität in sich gegen sich und zugleich gegen den absoluten Unterschied bestimmt. Die Identität ist als sich selbst setzende und voraussetzende Tätigkeit aber nur zu fassen, wenn sie historisch und logisch schon Identitätsbegriffe voraussetzt, die sie in den logischen Prozeß aufhebt. Die Leistung von Hegels Konzeption der Identität als absoluter Negativität besteht mithin darin, philosophiehistorisch relevante Identitätsbegriffe, vornehmlich die absolute Identität Fichtes und Schellings sowie die abstrakte Identität des reflektierenden Verstandes in einen systematischen Zusammenhang zu bringen. Hegel kennt also im wesentlichen drei verschiedene Identitätsbegriffe: die Identität als reine Sichselbstgleichheit, in der alle Negation verschwunden scheint (Identität Fichtes und Schellings), die Identität als absoluter Unter-

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schied/Negativität (Hegels eigener Identitätsbegriff) und die Identität als Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied (Identitätsbegriff des abstrakten Verstandes). Der Gedanke der Identität als absolute Nichtidentität, die wesenslogische Fassung des von Hegel zum ersten Mal in der Differenzschrift formulierten Systemgedankens der Identität der Identität und der Nichtidentität, durchzieht das ganze System der Reflexionsbestimmungen. Die Identität der Identität und der Nichtidentität ist nicht allumfassende Identität, die ihr Anderes, den Unterschied, nur als aufgehobenes Moment in sich enthält, sondern notwendig nichtidentisch mit sich selbst, sich selbst widersprechend. Sie ist damit bereits übergegangen in die Differenzierung. Sie ist logische Bewegung, Zerfall in Verschiedenheit und Konstitution des Gegensatzes. Die Identität der Identität und Nichtidentität ist zugleich der Gegensatz, die Vollendung der bestimmenden Reflexion, d.i. des Unterschieds überhaupt, die Einheit der Identität und der Verschiedenheit, ebenso ist sie der Widerspruch, in welchem sich der Gegensatz in sich selbst reflektiert und aufhebt, weil in ihm Identität und Unterschied ebensosehr zusammenfallen wie sie auseinanderfallen, und schließlich ist sie der Grund, die neue "Einheit der Identität und des Unterschiedes" (Enz. § 121), in dem die Bewegung der Reflexionsbestimmungen in sich zurückgeht. So kann gesagt werden, daß das System der Reflexionsbestimmungen die Darstellungsweise der Identität von Identität und Nichtidentität ist. Der Gedanke der Identität der Identität und der Nichtidentität ist also von zentraler Bedeutung für die Logik der Reflexionsbestimmungen. In ihr geht es - wie im System der Logik überhaupt - darum, die Bewegung einer Vielheit von unterschiedlichen Bestimmungen zu entfalten, die zugleich in ihrem einheitlichen Zusammenhang und nicht in bloße Vielheit dissoziiert begriffen werden, so aber, daß diese Bewegung in ihrer logischen Struktur reflektiert wird. Die spekulative Philosophie verfährt weder reduktionistisch wie die Identitätsphilosophie, die alle Unterschiede auf Identität reduziert, noch bloß begriffslos empirisch wie die "endlichen" Wissenschaften im Auflesen einer unstrukturierten Mannigfaltigkeit von Bestimmungen. Ihr geht es vielmehr darum, die "innere Einheit alles dessen, was da ist, zu erkennen" (Enz. § 118 Zus.). Die Logik der Reflexionsbestimmungen ist der Ort, an dem dieses Programm von Hegels spekulativer Philosophie in seiner inneren Logizität zutage tritt. In ihr zeigt sich, daß die Reflexion als Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung oder die Identität als Identität von Identität und Nichtidentität die allen dargestellten Kategorien inhärente Di-

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mension ausmacht, die sie jeweils als Ganzes und Moment bestimmt. Die Identität der Identität und Nichtidentität, die Identität als absolute Nichtidentität ist das die Kategorien immanent strukturierende und differenzierende Prinzip - das, was die Identität im kritischen Sinn gegenüber den indifferenten Identitätsbegriffen der traditionellen Metaphysik auszeichnet. Dem entspricht die logische Struktur des Gedankens der selbstbezüglichen absoluten Negativität als Bestimmtheit setzendes und Bestimmtheit aufhebendes Prinzip. Die selbstbezügliche absolute Negativität, die Bewegung von Nichts zu Nichts, macht die interne logische Struktur des Zusammenhangs der Reflexionsbestimmungen aus, indem sie sich durch ihre Selbstbeziehung in ihrer Selbstbeziehung negiert und auf diese Weise Bestimmtheit konstituiert. Weil aber die Bestimmtheit als Negation von Selbstbeziehung selbst ein Modus von Selbstbeziehung ist, ist sie als Bestimmtheit zugleich aufgehoben und übergehend in andere Bestimmtheit. Die spekulative Logik ist kein Denken, das äußerlich, subjektiv von einer fixen Bestimmung zu einer anderen fortgeht, in ihr ist vielmehr jede Bestimmung an ihr selbst, durch ihre eigene Reflexion, das Übergehen in andere Bestimmungen. Alle Bestimmungen sind an ihnen selbst nicht reine Affirmation, sondern sich auf sich beziehende Negation, somit je Abstoßen von sich selbst, nichtidentisch mit sich selbst. Jede Bestimmung erweist sich als eine spezifische Modifikation des Gedankens der selbstbezüglichen Negativität. Die selbstbezügliche Negativität, so wird sich in der Logik des absoluten Unterschieds noch näher zeigen, ist der logische Grund der Bewegung der Denkbestimmungen im Sinne einer "Selbstbewegung". B. Die Logik des absoluten Unterschieds In einem Einleitungsabsatz wird rekapituliert, wie der Unterschied in der Reflexion der Identität hat aufgewiesen werden können: Z 143 "Der Unterschied ist die Negativität, welche die Reflexion in sich hat, das Nichts, das durch das identische Sprechen gesagt wird, das wesentliche Moment der Identität selbst, die zugleich als Negativität ihrer selbst sich bestimmt und unterschieden vom Unterschied ist" (L. II., 32; 46).

Der Unterschied ist erstens die "Negativität, welche die Reflexion in sich hat". Hegel bezieht sich hier auf die Negativitätsstruktur der Reflexion. Das erste Argument erinnert also daran, daß die Reflexion der Identität einen Unterschied impliziert, der "in seinem Entstehen

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verschwindet" (Z 132), oder ein "Unterscheiden", aber eines, "wodurch nichts unterschieden wird, sondern das unmittelbar in sich selbst zusammenfallt" (Z 132), also ein "Unterscheiden [...] als sich auf sich beziehende Negativität" (Z 134). Zweitens ist er das "Nichts", das durch das identische Sprechen gesagt wird. Dieses Argument hat Hegel nicht im Haupttext der Abteilung "A. DIE IDENTITÄT" entwickelt, sondern in der Anmerkung 2 zur Identität. Es ist hier gleichsam in den Haupttext gerutscht. Das identische Sprechen, das wie jede Tautologie ein Nichts-Sagen ist, spricht eben damit die der Identität immanente McÄiidentität aus.23 Das Nichts-Sagen des identischen Sprechens bringt zum Ausdruck, daß die Identität nicht äußerlich auf den Unterschied bezogen ist, sondern daß sie selbst "das Nichts [...], die Negativität, der absolute Unterschied von sich selbst ist" (L. II., 31; 45). Daß der Unterschied drittens "das wesentliche Moment der Identität selbst" ist, ist kein zusätzliches Argument für den Aufweis des Unterschieds. Diese Bemerkung ist vielmehr die Zusammenfassung der beiden ersten Argumente: Die Identität ist als absoluter Unterschied gesetzt. Daraus ergibt sich jedoch eine weitere Konsequenz: Da die Identität selbst der absolute Unterschied ist, bestimmt sie sich als "Negativität ihrer selbst" und ist dann sogleich "unterschieden vom Unterschied". Mit der Identität als Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied, ist dieser gesetzt, wie er an und für sich ist. Z 143 rekapituliert also nochmals die Logik der Identität, die sich als Logik des absoluten Unterschieds erweist. Der Abschnitt "1. DER ABSOLUTE UNTERSCHIED" von Abteilung "B. DER UNTERSCHIED" ist in drei Unterabschnitte gegliedert: In "1." wird der Unterschied in der Form seiner Einfachheit oder seines Anundfürsichseins betrachtet: der absolute Unterschied als sich auf sich beziehender oder einfacher Unterschied. "2.": Hier wird der Unterschied als Einheit seiner selbst und seines Anderen, der Identität, entwickelt: der absolute Unterschied als der ganze Unterschied von sich selbst und der Identität: der an sich selbst bestimmte Unterschied. In "3." werden die diesem Unterschied imma-

23

Das Nichts-Sagen, das mit dem identischen Sprechen verbunden ist, beruht - wie wir bereits in der Interpretation der Anmerkung 2 zur Identität gesehen haben darauf, daß im identischen Satz der Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat je vernichtet ist. Er widerspricht daher der semantischen Funktion eines Satzes, etwas zu verstehen zu geben. Oder wie Hegel sagt: "Solches IDENTISCHE Sprechen WIDERSPRICHT SICH also SELBST" (L. ., 30; 44).

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nenten Momente, Identität und Unterschied, analysiert. Diese Analyse leitet zum Begriff der "VERSCHIEDENHEIT" über. 1. Der absolute Unterschied als einfacher Unterschied Nachdem die Identität an und für sich in den Unterschied übergegangen ist, geht auch der Anteil der Aktivität der Begriffsentwicklung von nun an auf den Unterschied über: Z 144 "1. Dieser Unterschied ist der Unterschied AN UND FÜR SICH, der ABSOLUTE Unterschied, DER UNTERSCHIED DES WESENS" (L. II., 32; 46).

Der Unterschied, in den die Identität übergeht, ist der Unterschied, wie er "AN UND FÜR SICH" ist: "der ABSOLUTE Unterschied, DER UNTERSCHIED DES WESENS". - Die Identität hat sich selbst als der absolute Unterschied bestimmt, zugleich aber auch als Bestimmung der Identität gegen ihn. Insofern die Identität als Bestimmung gegen den absoluten Unterschied festgehalten wird, kann auch der Begriff des Unterschieds für sich hervortreten. Die Bestimmtheit der Identität gegen den absoluten Unterschied, geht also mit einer Verselbständigung des absoluten Unterschieds einher. Während die Identität "zunächst das Wesen selbst" (Z 131) ist, ist der Unterschied "der ABSOLUTE Unterschied, DER UNTERSCHIED DES WESENS", den Hegel später als "das ANDERE DES WESENS" (Z 150) bezeichnet. Das Andere des Wesens ist als selbstbezügliches Anderes nicht das Andere gegenüber dem Wesen sondern selbst Wesen und somit dessen immanente Negativität. Z 145 "- Er ist der Unterschied an und für sich, nicht Unterschied durch ein Äußerliches, sondern SICH AUF SICH BEZIEHENDER, also EINFACHER Unterschied" (L. II., 32; 46).

Der Unterschied, wie er hier thematisch wird, ist der Unterschied "an und für sich", also nicht der Unterschied, der von der äußeren Reflexion gemacht oder festgestellt wird ("nicht Unterschied durch ein Äußerliches"), denn er hat sich aus der Reflexion der Identität selbst ergeben, die somit an und für sich in ihn übergeht. Gesetzt als unterschieden von der Identität, tritt der Unterschied als für sich isolierte Struktur auf, als "SICH AUF SICH BEZIEHENDER, also EINFACHER Unterschied". Der absolute Unterschied wird also zunächst in der Form seines Anundfürsichsein oder seiner Einfachheit betrachtet.

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Der absolute Unterschied ist zunächst nicht Beziehung auf ein Anderes, hat kein Anderes außer sich, sondern ist sich auf sich beziehender Unterschied. Als solcher stellt er sich unabhängig von konkreten Inhalten gleichsam in Reinkultur dar. Rein in bezug auf sich selbst ist der absolute Unterschied also einfacher Unterschied. Der einfache Unterschied ist wesentlich die Unterschiedsrelation selbst. Diese ist nicht von den in ihr unterschiedenen Relaten her zu fassen, d.h., die Unterschiedsbeziehung ist das Primäre und das in ihr Unterschiedene das Sekundäre. Der ursprüngliche Sinn des Unterschieds ist nach Hegel also ein Scheiden und Unterscheiden, welches das Unterschiedene übergreift. Dies ist wesentlich für die Hegeische Logik, daß sie nur die Denkbestimmungen selber denken will und nicht die Substrate, an denen sie vorkommen. Es ist nach ihrer Anweisung nur die jeweilige Kategorie selbst und nichts anderes zu denken. In diesem Sinne tadelt Hegel in der Vorrede zur zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik "das üble, d.h. ungebildete Benehmen, bei einer Kategorie, die betrachtet wird, ETWAS ANDERES zu denken und nicht diese Kategorie selbst" (L. L, 20; 32). Mit dieser Anweisung ist in bezug auf den Unterschied die These verbunden, daß wir beim Gedanken des Unterschieds zwar immer den Unterschied und das von ihm Unterschiedene zusammendenken, hierbei aber der Unterschied das primär Gedachte ist, auf dessen Basis sich das Unterschiedene erst selber denken läßt. In dieser Betrachtungsweise kommt gleichsam die Binnen Struktur des Unterschieds in den Blick. Die weiteren Ausführungen über den absoluten als sich auf sich beziehenden und damit einfachen Unterschied machen deutlich, daß er eine (mit sich) identische Beziehung ist und somit einen Aspekt von Identität in sich enthält: Z 146 "- Es ist wesentlich, den absoluten Unterschied als EINFACHEN zu fassen. Im absoluten Unterschiede des A und Nicht-A voneinander ist es das EINFACHE NICHT, was als solches denselben ausmacht" (L. II., 32; 46).

Hegel hebt hervor, es sei "wesentlich", den absoluten Unterschied als "EINFACHEN" zu fassen. Der Unterschied, sofern er gesetzt ist, wie er an und für sich ist, hat zunächst die Form der Einfachheit. Nur in dieser Form kommt seine Elementargestalt zum Ausdruck. Es ist das "EINFACHE NICHT" im Term "Nicht-A", was den absoluten Unterschied des A und Nicht-A ausmacht. A und Nicht-A, B und Nicht-B usw., all dies sind absolute Unterschiede, die durch nichts anderes als durch das "EINFACHE NICHT" konstituiert sind.

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Im absoluten Unterschied des A und Nicht-A fallen die Differenten völlig auseinander und sind zugleich wesentlich aufeinander bezogen. Zwar sind die Unterschiedenen A und Nicht-A absolut gesetzt, doch haben sie darin nicht unabhängig voneinander Bestand; vielmehr sind sie als Momente eines und desselben A als absolut unterschieden gesetzt. Negativ formuliert bedeutet dies, daß der Sachverhalt A allein durch beide Momente A und Nicht-A als solcher repräsentiert wird, denn eine Sphäre dessen, was Unterschied nicht ist, ist am Ort des absoluten Unterschieds gar nicht verfügbar. Dieser Sachverhalt läßt sich nun auch so ausdrücken, daß sie eben dann, wenn sie als absolut unterschiedene gesetzt sind, als diese Differenten in einer Relation stehen, in der beide einander implizieren. Als Grund ihrer absoluten Unterschiedenheit läßt sich keine Position außer ihnen denken. Sie sind als absolut Unterschiedene ebenso absolut aufeinander bezogen. A ist mit nicht-Nicht-A und Nicht-A ist mit nicht-A identisch. Der Unterschied trennt mithin das, was er unterscheidet, aber eben damit bezieht er es auch aufeinander. Die Beziehung ist ein notwendiges Moment des Unterschieds, und sie ist Einheit, denn im Beziehen wird das Bezogene zusammengedacht. Der Unterschied drückt also zugleich die Einheit dessen aus, was er unterscheidet: Z 147 "Der Unterschied selbst ist einfacher Begriff' (L.H., 32; 46).

Der Unterschied ist wesentlich differente Beziehung, also in einem Trennung und Beziehung, trennendes Beziehen und beziehendes Trennen. Er ist, wie Hegel im Abschnitt über den Widerspruch sagt, "die EINHEIT von solchen, die nur sind, insofern sie NICHT EINS sind, - und die TRENNUNG solcher, die nur sind als IN DERSELBEN BEZIEHUNG getrennte" (L. II., 49; 65). Der Widerspruch ist für Hegel demnach dem Gedanken des Unterschieds inhärent. In diesem Zusammenhang erinnert Hegel an die sprachliche Ausdrucksweise für die Unterscheidung zweier Gegenstände: Z 148 "DARIN, drückt man sich aus, sind zwei Dinge UNTERSCHIEDEN, daß sie usw. DARIN, d.h. in einer und derselben Rücksicht, in demselben Bestimmungsgrunde" (L. II., 32; 46).

In dieser sprachlichen Ausdruck s weise kommt der Sinn des Unterscheidens zum Vorschein. Der Unterscheidung zweier Dinge liegt nicht nur die Operation "x ist nicht y" bzw. "dies ist nicht jenes" zugrunde. Zwei Dinge unterscheiden sich nur in oder durch etwas, müssen in einer bestimmten Hinsicht also identisch sein. Als Dinge

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haben sie Bestand unabhängig voneinander, unterschieden sind sie nur in einer identischen Beziehung. Vor dem Hintergrund der Differenz zwischen seinslogischer Andersheit und reflexionslogischem Unterschied erklärt sich auch die Differenz zwischen "einfacher Negation", die primär in der Seinslogik ihren Ort hat, und der spezifisch wesenslogischen doppelten selbstbezüglichen Negation. Sofern zwei Bestimmungen und y nur die einfache Negation voneinander sind, sind sie nicht unterschieden. Jede ist nur, was die andere ist, das Andere des Anderen. In der Seinslogik zeigt Hegel, daß Bestimmungen durch einfache Negation ineinander "übergehen". Zwei Bestimmungen und y sind aber erst dann unterschieden oder entgegengesetzt, wenn sie in einer bestimmten Hinsicht identisch sind, wenn mit nicht-y und y mit nicht-x identidsch ist (vgl. Wolff (1981), 140f.). Jede Bestimmung ist im absoluten Unterschied dieselbe Negation der Negation.24 Der absolute Unterschied von A und Nicht-a ist nur der elementarische und einfachste Fall einer solchen Unterschiedenheit in einer identischen Beziehung. Die Einfachheit des absoluten Unterschieds von A und Nicht-A besteht also 1. darin, daß er durch das "EINFACHE NICHT" konstituiert ist und 2. darin, daß A und Nicht-A in einer Identität unterschieden sind. Der absolute Unterschied von A und Nicht-A ist Unterschiedenheit in einer identischen Beziehung. - So wie die Identität nur die Identität des Unterschieds mit sich ist, also den absoluten Unterschied impliziert, so ist der Unterschied nur dadurch absolut, daß er identisch mit sich ist, also einen Aspekt von Identität impliziert: "Der Unterschied ist aber nur identisch mit sich, insofern er nicht die Identität" als solche ist ((L. II., 28; 40f.) vgl. Z 138). In der nun folgenden Passage werden die Begriffe "UNTERSCHIED DER REFLEXION" und "ANDERSSEIN DES DASEINS" gegeneinander abgehoben und damit die logische Struktur eines jeden verdeutlicht:25 2

*

25

Auf die begriffliche Differenz von Andersheit und Unterschied macht zum ersten Mal Aristoteles aufmerksam: "Unterschied aber und Andersheit sind verschieden. Denn das Andere braucht nicht gegen das, gegen welches es ein Anderes ist, durch etwas ein Anderes zu sein; denn jedes Seiende überhaupt ist entweder dasselbe oder ein anderes. Was aber von etwas unterschieden ist, muß durch etwas unterschieden sein. Es muß also für beide etwas Identisches geben, wodurch sie sich unterscheiden" (Aristoteles, Met., 1054b 23-27). Mit dem Begriff "ANDERSSEIN DES DASEINS" greift Hegel auf die 1. Auflage der Seinslogik zurück. Er entfaltet dort im Abschnitt "A. DASEIN ALS SOL· CHES" (L. L, (A), 47-59) die Dialektik von "DASEIN" und "ANDERSSEIN". Hegel

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Z 149 "Er [der absolute Unterschied, d.V.] ist der UNTERSCHIED DER REFLEXION, nicht das ANDERSSEIN DES DASEINS. Ein Dasein und ein anderes Dasein sind gesetzt als außereinanderfallend; jedes der gegeneinander bestimmten Dasein[e] hat ein UNMITTELBARES SEIN für sich" (L. II., 32f.; 46).

In der Sphäre des Daseins fallen "ein Dasein" und "ein anderes Dasein" auseinander. "Ein Dasein" und "ein anderes Dasein" (nach der 1. Auflage der Seinslogik) oder "Etwas" und "Anderes" (nach der 2. Auflage der Seinslogik) sind Bestimmungen, die für sich isoliert und unvermittelt einander gegenüberstehen, d.h. sie sind Momente die unmittelbar sind, insofern sie auch nicht miteinander in Beziehung stehen. Ihnen eignet "ein UNMITTELBARES SEIN für sich", weil sie unabhängig von ihrer Beziehung aufeinander ein positives Bestehen haben. Sie haben also den Charakter gegenständlicher Substrate.26 Der Unterschied dagegen ist nicht das Anderssein des Dasein, sondern die Andersheit, wie sie im Wesen auftritt: "das ANDERE DES WESENS": Z 150 "Das ANDERE DES WESENS dagegen ist das Andere an und für sich, nicht das Andere als eines anderen außer ihm Befindlichen, die einfache Bestimmtheit an sich" (L. II., 33; 46).

Der Unterschied, in den die Identität an und für sich übergeht, ist die Andersheit, wie sie im Wesen auftritt. Der Übergang von der Identität zum Unterschied, der sich als "Verschwinden des Andersseins" (L. II.,32; 45) vollzog, ist also keineswegs das Verschwinden der Andersheit schlechthin. Was in diesem Übergang verschwindet, ist allein das Anderssem des Daseins. Der Unterschied der Reflexion ist "das ANDERE DES WESENS", d.i. "das Andere an und für sich". Der Titel "das Andere an und für sich" ist der Titel für die logische Struktur des Anderen, "das nicht das Andere als eines anderen außer ihm Befindlichen ist", wie noch

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hat diesen Abschnitt in der Überarbeitung für die 2. Auflage stark verändert. Mit der früheren Einführung der Kategorie "ETWAS" in der 2. Auflage wird das Begriffspaar "DASEIN" und "ANDERSSEIN" der 1. Auflage durch das Begriffspaar "ETWAS" und "ANDERES" ersetzt (vgl. L. L, 104ff.; 125ff.). In der 2. Auflage fehlen daher (fast) alle Stellen, an denen in der 1. Auflage von "ANDERSSEIN" die Rede ist. Der Begriff "ANDERSSEIN" gehört also der 1. Auflage der Seinslogik an. Der Begriff des Andersseins, den die 1. Auflage der Seinslogik verwendet, macht deutlicher als der des Anderen der 2. Auflage, daß das Andere des Daseins das Sein zu seinen Grunde hat.

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in der Sphäre des Daseins. Das Andere des Wesens ist also ein solches Andere, das nicht Beziehung auf ein außer ihm Befindlichen ist, sondern rein Beziehung auf sich selbst. Es enthält so nichts von ihm Verschiedenes in sich, sondern nur sich selbst und ist insofern identisch mit sich ("die einfache Bestimmtheit an sich"). Der Unterschied der Reflexion ist mithin die wesentliche, immanente Andersheit der Identität oder die mit sich identische, selbstbezügliche Andersheit. Das Anderssein des Daseins steht dem Daseins selbst äußerlich gegenüber. In der Sphäre des Daseins fallen daher Dasein und Anderssein auseinander. Dieses Auseinanderfallen der Anderen ist im Wesen aufgehoben; der Unterschied der Reflexion ist die der Identität immanent Anderheit. Er ist die Unterschiedenheit der Identität in sich oder eben der mit sich identische Unterschied.27 Auf diese Begriffskonstellation passen tatsächlich die Begriffe "identischer Gegensatz" bzw. "einfache Bestimmtheit" (Z 151). Z 151 "Auch in der Sphäre des Daseins erwies sich das Anderssein und die Bestimmtheit von dieser Natur, einfache Bestimmtheit, identischer Gegensatz zu sein; aber diese Identität zeigte sich nur als das ÜBERGEHEN einer Bestimmtheit in die andere. Hier in der Sphäre der Reflexion tritt der Unterschied als reflektierter auf, der so gesetzt ist, wie er an und für sich ist" (L. II., 33; 46).

Schon in der Daseinslogik tritt "das Anderssein" und die "Bestimmtheit" als Beziehung auf sich selbst und somit als "einfache Bestimmtheit" bzw. "identischer Gegensatz" auf. Freilich "zeigte" sich diese "Identität" "nur als das ÜBERGEHEN einer Bestimmtheit in die andere". So gehen z.B. in der Daseinslogik Dasein in Anderssein (1. Auflage) und Etwas in Anderes (2. Auflage) über. Dabei zeigt sich, daß Etwas sosehr ein Anderes ist als das Andere. Denn das Etwas ist gegenüber dem Anderen genauso ein Anderes, wie das Andere gegenüber dem Etwas ein Anderes ist. Beide sind in ihrem Übergehen wesentlich Anderes. Da also im Übergehen von Etwas in Anderes ineinander nur noch die logische Struktur des Anderen vorhanden ist, 27

Das Andere des Wesens ist kein seiendes Relat mehr. Jedes gegenständliche Relat ist ein Anderes von Etwas und damit selbst etwas. So tritt das Andere primär in der Daseinslogik auf. Das Andere des Wesens dagegen darf nicht wieder auf das Substrat eines Etwas aufgetragen werden. Es bleibt mithin nichts anderes übrig, als es relational zu denken, als ein Negatives in Beziehung auf sich selbst: "Das Anderssein ist hier [im Wesen, d.V.] nicht mehr das QUALITATIVE, die Bestimmtheit, Grenze; sondern als im Wesen, dem sich auf sich beziehenden, ist die Negation zugleich als Beziehung, UNTERSCHIED, GESETZTSEIN, VERMITTELTSEIN" (Enz. § 116 Anm.).

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

ist das Andere als Beziehung auf sich gesetzt. Das selbstbezügliche Andere ist das Andere seiner selbst und damit wiederum Übergehen in Etwas. Das Andere ist in der Logik des Daseins also bereits an sich selbstbezügliche Andersheit, doch erst im Wesen ist es als selbstbezügliche Andersheit gesetzt,26 28

Zur Dialektik von "DASEIN" und"ANDERSSEIN" in der 1. Auflage der Seinslogik vgl. L. I. (A), 47-51. Zur analogen Dialektik von "ETWAS" und "ANDERES" in der 2. Auflage der Seinslogik vgl. L. I., 104-106; 125-127. Als wichtigstes Interpretament dieser Dialektik wird von Hegel in beiden Fassungen der Seinslogik an entscheidender Stelle die Kategorie des selbstbczüglichen Anderen, "das Andere seiner selbst", eingeführt. Die Dialektik des Etwas und des Anderen ist als Dialektik des Übergehens der Bestimmungen ineinander zugleich die Entwicklung der Kategorie des Etwas überhaupt. In der 2. Auflage der Seinslogik entfaltet Hegel das Verhältnis von Etwas und Anderem in drei Schritten: 1. Etwas und Anderes sind zunächst "gleichgültig" (L. I., 108; 125) "Daseiende" (ebd., 104; 125), für sich Bestehende. Beide sind irgend bestimmte Etwas. 2. In der Gegenüberstellung von Etwas und Anderem sind beide Andere gegeneinander. So sind Etwas und Anderes beide Andere. Etwas und Anderes sind also nicht nur das eine oder das andere; vielmehr sind beide beides. Etwas und Anderes sind sowohl Etwas als auch Anderes. Doch zugleich sind beide in ihrem Übergehen wesentlich Anderes. Denn indem ein Anderes Etwas wird, wird es genauso ein Anderes wie Etwas, das ein Anderes wird. Es bleibt kein Etwas mehr unterschieden von seinem Anderssein zunick. Etwas ist vollständig in Anderes übergegangen. Wie das Andere "zunächst gesetzt" (L. L, 105; 126) ist, ist es zwar "in Beziehung auf das Etwas" (ebd.) ein Anderes, "aber", so fügt Hegel hinzu, "auch FÜR SICH AUSSERHALB DESSELBEN" (ebd.). - Der Begriff des Anderen ist ein relativer Ausdruck. Er enthält die Bezugnahme weg vom direkt Bezeichneten, verlangt also die Angabe eines mit ihm nicht schon Genannten. Er setzt also voraus, daß etwas vorliegt, relativ zu dem er ein Anderes bezeichnet. Wird davon jedoch im Übergehen von Etwas und Anderem ineinander notwendig abstrahiert, so muß er - unter der Voraussetzung, daß er gar nicht anders als relativ (in Beziehung auf etwas) verstanden werden kann - in Beziehung auf sich selbst gesetzt werden. 3. Da also im Übergehen von Etwas und Anderem ineinander nur noch die logische Struktur des Anderen vorhanden ist und dem Anderen damit eine "eigene NATUR" (ebd., 105; 127) zugeschrieben werden muß, so ist das Andere zu nehmen "als isoliert, in Beziehung auf sich selbst" (ebd., 105; 126), "ABSTRAKT als das Andere" (ebd.). Das selbstbezügliche Andere ist für Hegel "nicht das Andere von Etwas, sondern das Andere an ihm selbst, d.i. das Andere seiner selbst" (ebd.). Der Gedanke des "Anderen seiner selbst" als Ergebnis der Dialektik des Übergehcns von Etwas und Anderem bedeutet zweierlei: a. Das Andere ist in Beziehung auf sich selbst ein Anderes, "das in sich schlechthin Ungleiche, sich Negierende, das sich VERÄNDERNDE" (L. I., 106; 127). Die Selbstbcziehung, in der das Andere steht, führt also dazu, daß das Andere sich aus sich selbst heraus gegen sich wendet.

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Die Beziehung auf sich selbst, die Identität, ist den Bestimmtheiten des Daseins noch nicht immanent, denn sie haben in ihrer Explikation nur die Bedeutung, qualitative Bestimmungen zu sein, so daß sie aufgrund ihrer Beziehungsweisen nur in andere übergehen. Während sich also in der Daseinslogik "diese Identität" "nur als das ÜBERGEHEN einer Bestimmtheit in die andere" "zeigte", erweist sie sich in der Wesenslogik als eine gesetzte. Als Reflexionsbestimmung dagegen ist der Unterschied so "gesetzt", wie er "an sich" ist, als Beziehung auf sich selbst. Gerade aber als nur mit sich identischer ist der Unterschied nicht die Identität. So bleibt die Bestimmung der Identität gegenüber dem absoluten Unterschied ein Anderes. Um seiner Absolutheit willen, muß diese Andersheit der Identität gegenüber dem absoluten Unterschied in den Begriff des Unterschied eingeholt werden. Zwar verschwindet in der Selbstbeziehung des Unterschieds die Äußerlichkeit der Andersheit und damit das bloße Übergehen in Anderes wie in der Seinslogik, die Andersheit als solche bleibt jedoch im refiexionslogisehen Unterschied zugleich aufbewahrt und macht sich im Fortgang der Logik des Unterschieds als dessen immanente Andersheit geltend. 2.a) Der absolute Unterschied als der Unterschied seiner von sich selbst Hegel geht nun zur Betrachtung des absoluten Unterschieds unter einem neuen Gesichtspunkt über: Z 152 "2. Der Unterschied an sich ist der sich auf sich beziehende Unterschied; so ist er die Negativität seiner selbst, der Unterschied nicht von einem Anderen sondern SEINER VON SICH SELBST; er ist nicht er b. Da aber das Andere, zu dem das sich Negierende und sich Verändernde wird, keine andere Eigenschaft aufweist, die über das sich negierende und sich verändernde Andere hinausweist, "GEHT" (ebd.) das Andere in seiner negativen Beziehung auf sich in dem Anderen, in das es sich verändert, "NUR MIT SICH SELBST ZUSAMMEN" (ebd.). Dadurch ist das in bezug auf sich selbst Andere oder das Andere seiner selbst zugleich gesetzt als "mit sich IDENTISCHES Etwas" (ebd.). Dieses ist weder das einfache Etwas, von dem ausgegangen wird, noch das bestimmte Etwas, das dem Anderen gegenübersteht, sondern das Etwas, das durch das Anderssein hindurchgegangen und ein auf höherer Ebene "in sich Reflektiertes" (ebd.) ist. Das auf höherer Ebene in sich reflekierte Etwas enthält das Anderssein, aber als aufgehobenes, in sich. Das Anderssein, durch das das Etwas hindurchgegangen ist, ist so zwar "Moment desselben" (ebd.), aber auch "ein Unterschiedenes, ihm nicht als Etwas selbst Zukommendes" (ebd.).

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selbst, sondern sein Anderes. Das Unterschiedene aber vom Unterschiede ist die Identität. Er ist also er selbst und die Identität. Beide zusammen machen den Unterschied aus; er ist das Ganze und sein Moment" (L. II., 33; 46f.).

Insofern die Identität an und für sich in den absoluten Unterschied übergegangen ist, zugleich aber auch die Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied ist, präsentiert sich dieser zunächst als für sich isolierte Bestimmung, als einfacher Unterschied. Als einfacher, nur mit sich identischer Unterschied muß der absolute Unterschied sein Anderes, die Identität, an ihm verleugnen. Er ist der Unterschied, der so gesetzt ist, wie er an sich ist: "der sich auf sich beziehende Unterschied". Gerade aber als sich auf sich beziehender, ist er "Unterschied nicht von einem Anderen, sondern SEINER VON SICH SELBST". Er ist die "Negativität seiner selbst", d.i. "nicht er selbst, sondern sein Anderes", die Identität. Er ist somit "er selbst und die Identität", "das Ganze und sein Moment". Der Begriff des sich auf sich beziehenden Unterschieds führt also zu einer in sich widersprüchlichen Begriffskonstellation: Als sich auf sich beziehender Unterschied ist der Unterschied in bezug auf sich selbst ein Unterschied, ein seinen eigenen Bestand negierender oder, wie Hegel sagt, "die Negativität seiner selbst". Der sich auf sich beziehende Unterschied ist also nicht "Unterschied von einem Anderen", sondern Unterschied "SEINER VON SICH SELBST". Damit ist er zugleich sein eigenes Anderes, die Identität, weil er zugleich dasjenige verkörpert, was er nicht ist. Er ist "nicht er selbst, sondern sein Anderes". Doch ist "die Andersheit [zwar] konstitutives Moment des Unterschieds, aber eben auch nur ein Moment der ganzen Bewegung" (Schubert (1985), 84f). So kann gesagt werden: Der absolute Unterschied hat sein Anderes, die Identität, in sich, weil er in seiner Selbstbeziehung sich von sich selbst unterscheidet und damit sich selbst zu seinem Anderen, der Identität, in Beziehung setzt. Er ist also "er selbst und die Identität". Er enthält die Identität als sein von ihm Unterschiedenes in sich und macht so den ganzen Unterschied von Identität und Unterschied aus. Er ist "das Ganze und sein Moment".29 29

Alle Reflexionsbestimmungen sind als selbständige oder anundfürsichseiende gesetzt und widersetzen sich daher "hartnäckig" ihrer Bewegung (vgl. L. ., 20; 31). So aber wie die Identität als Anundfürsichsein zugleich nichtidentisch mit sich selbst ist, so ist auch der anundfürsichseiende Unterschied negative Beziehung auf sich, also sich selbst widersprechend. Die Reflexionsbestimmungen Identität

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Der für sich betrachtete absolute Unterschied hat die Identität an ihm, allerdings in anderer Hinsicht als die Identität den absoluten Unterschied an sich hatte. Der absolute Unterschied ist nach Hegel die Negativität seiner selbst oder das Andere seiner selbst, damit aber selbst sein Anderes. Während die Identität unmittelbar an ihr selbst der absolute Unterschied ist, ist der Unterschied die Identität, weil er sich von sich selbst unterscheidet. - Beide, Identität und Unterschied, sind das Wesen selbst ("das Ganze"), aber in entgegengesetzter Bestimmtheit. Die Betrachtung des absoluten Unterschieds als für sich isolierte Struktur hat seine ihm wesensimmanente Korrelativität zur Identität zum Vorschein gebracht. Hegel hat also den Nachweis geführt, daß der absolute Unterschied sein Anderes, die Identität, in seinem eigenen Begriff enthält und somit nicht bloß einfacher ist. Damit verdoppelt sich der Unterschied in sich selbst und in die Einheit seiner selbst und der Identität. Hegel interpretiert also den Unterschied "AN UND FÜR SICH" (Z 144) in einer doppelten Weise. Zunächst ist er "SICH AUF SICH BEZIEHENDER, also EINFACHER Unterschied" (Z 145). Ebendeswegen ist er der Unterschied "SEINER VON SICH SELBST" (Z 152), enthält also sein Anderes, die Identität. So kann gesagt werden: "zum ganzen an und für sich seienden Unterschied gehört also sowohl er selbst als die Identität" (Enz. § 120).3o

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und Unterschied gehen also in der Tat ineinander über, aber nur und genau deshalb, weil sie bestimmte Beziehungen an und für sich selbst sind, d.h. weil sie sich je schon gegenseitig implizieren. Der Gedanke des absoluten Unterschieds wirft auch ein Licht auf die interne logische Struktur des spekulativen Satzes. Auf den Zusammenhang des Problems des spekulativen Satzes mit dem Gedanken des absoluten Unterschieds machen sowohl Röttges (1976), 67f. als auch Schubert (1985), 256 aufmerksam. Der spekulative Satz "zerstört", wie Hegel in der Phänomenologie des Geistes darstellt (Phän., 51; 59ff.), die gewöhnliche Form des Satzes zunächst dadurch, daß er den fixen Unterschied von Subjekt und Prädikat in einen "identischen Satz" aufhebt. Doch "vernichtet" er den Unterschied von Subjekt und Prädikat nicht völlig, stellt vielmehr eine 'harmonische' Einheit von Verschiedenen her. So wie sich in der Musik der Rythmus aus dem Spannungsverhältnis von Metrum und Akzent ergibt und nicht aus der Auflösung des einen zugunsten des anderen, so bringt die spekulative Bewegung des Satzes das Spannungsverhältnis von Identität und Nichtidentität von Subjekt und Prädikat zur 'harmonischen' Einheit. Das Zusammenfallen von Subjekt und Prädikat in Identität impliziert ebenso ein Auseinanderfallen beider in Unterschiedenheit. Der identische Satz, zu dem der spekulative Satz wird, ist die Identität, die zugleich ein absoluter Gegenstoß in sich ist. Er stellt die reflexionslogische Identität dar, die identisch

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

Der Unterschied ist unter dem Aspekt, daß er in sich die Identität als Moment enthält, also unter dem Aspekt, der ganze Unterschied seiner selbst und seines Anderen, der Identität, zu sein - ein anderer als unter dem Aspekt, wonach die Identität in ihm unberücksichtigt bleibt und er sich als für sich isolierte Struktur präsentiert (einfacher Unterschied). Der Unterschied ist als die ganze Relation von Identität und Unterschied das Negative seinere selbst als für sich isolierte Struktur: Z 153 "- Es kann ebenso gesagt werden, der Unterschied als einfacher ist kein Unterschied; er ist dies erst in Beziehung auf die Identität; aber vielmehr enthält er als Unterschied ebenso sie und diese Beziehung selbst" (L. II., 33; 47).

Der Unterschied ist also durch seine wesensmäßige Bezogenheit aufsein Anderes, die Identität, definiert. Der Unterschied als isoliertes Moment, "der Unterschied als einfacher", ist eigentlich "kein Unterschied. Er "enthält" "vielmehr" als Unterschied sowohl die Identität als auch die "Beziehung" auf sie. Daß mit "Beziehung" hier kein äußerliches In-Beziehung-Setzen - dies wäre das Werk der äußeren Reflexion - gemeint ist, erhellt aus dem Umstand, daß der Unterschied als Unterschied der Unterschied seiner von sich, selbst ist. Die Beziehung auf die Identität ist in der Reflexion des Unterschieds selbst gesetzt. Trotz bzw. gerade wegen seiner Beziehung auf sich selbst ist der Unterschied nicht ohne Beziehung auf die Identität denkbar. Mit der folgenden Passage erreicht Hegel in der Explikation von Identität und Unterschied eine Schlüssel stelle: Z 154 "- Der Unterschied ist das Ganze und sein eigenes MOMENT, wie die Identität ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment ist. - Dies ist als die wesentliche Natur der Reflexion und als BESTIMMTER URGRUND ALLER TÄTIGKEIT UND SELBSTBEWEGUNG zu betrachten. - [Der] Unterschied wie die Identität machen sich zum MOMENTE oder zum GEist mit dem absoluten Unterschied, die Identität des Unterschieds mit sich, der damit immer auch der Unterschied seiner von sich selbst ist. In der spekulativen Bewegung des Satzes gehören Identität und Nichtidentität von Subjekt und Prädikat untrennbar zusammen. Die Bewegung des spekulativen Satzes setzt im Aufheben der Satzform diese zugleich voraus. Auf diese Weise konstituiert sie ein System von Sätzen, die an und für sich ineinander übergehen. Die Selbstbezüglichkeit der Negativität bzw. des Unterschiedes ist es, die das Auseinanderfallen, die abstrakte Trennung der Bestimmungen aufhebt, und zugleich deren Unterschied als Unterschied setzt und so den inneren Motor des spekulativen Satzes ausmacht.

§ l Die erste Stufe der Logik

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SETZTSEIN, weil sie als Reflexion die negative Beziehung auf sich selbst sind" (L. II., 33; 47).

Hegel faßt hier die Logik von Identität und Unterschied zusammen: Identität und Unterschied bezeichnen Weisen, wie sie sich als das Ganze und als ihr Moment verhalten. Mit emphatischen Worten drückt Hgel seine Grundüberzeugung aus, wonach diese Verhältnisweisen von Identität und Unterschied "als die wesentliche Natur der Reflexion und als BESTIMMTER URGRUND ALLER TÄTIGKEIT UND SELBSTBEWEGUNG zu betrachten" sind. Hegel geht also davon aus, daß den Nachweis für die Bewegung, durch die die Identität - als das Ganze gefaßt - zu ihrem Moment herabgesetzt wird, zum Moment des absoluten Unterschieds, der nun seinerseits als das Ganze und sein eigenes Moment auftritt, nicht die äußere Reflexion des Betrachters erbringt, vielmehr deutet Hegel diesen Prozeß im Sinne einer "SELBSTBEWEGUNG". Die Darstellung des Zusammenhangs der Denkbestimmungen erfolgt quasi ohne Bezug auf ein reflektierendes Subjekt, indem die Kategorien in ihrer Selbstbewegung begriffen werden. Die Evidenz für diesen nur behaupteten logischen Sachverhalt einer Selbstbewegung der Kategorien sieht Hegel darin, daß die Bestimmungen "als Reflexion die negative Beziehung auf sich selbst sind". Der logische Kern "ALLER TÄTIGKEIT UND SELBSTBEWEGUNG" der Bestimmungen liegt also in ihrer negativen Selbstbeziehung. Diese ist das ihnen eigene Gesetz ihrer Selbstbewegung.3! So läßt sich sagen: Die Identität ist das Ganze, aber als Reflexion, als "negative Beziehung auf sich selbst", setzt sie sich "zum MOMENT oder GESETZTSEIN" herab. Der Unterschied ist als an und 3l

Schon im 1. Kapitel der Wesenslogik hat Hegel das Problem der Selbstbewegung behandelt. Mit der Entwicklung der absoluten Reflexion als einer autonomen logischen Struktur konstituiert sich das Wesen in der Bewegungsweise der Selbstbewegung. Mit dem Übergang zur bestimmenden Reflexion wird diese Bewegungsweise der Reflexion als die der Wesenheiten oder Reflexionsbestimmungen selbst gesetzt. Das Problem der Selbstbewegung der Denkbestimmungen ist für das Konzept der Wissenschaft der Logik fundamental: "Die Selbstbewegung" der "reinen Wesenheiten, die den Inhalt der Logik ausmachen", "ist das, wodurch sich die Wissenschaft konstituiert, und dessen Darstellung sie ist" (L. L, 7; 17). Die Wissenschaft der Logik hat sich als Darstellung des reinen Denkens ja überhaupt vom "Gegensatze des Bewußtseins" (L. L, 30; 43) freigemacht. Die Kategorien werden daher nicht als Eigenschaften des Bewußtseins oder als Funktionen des Selbstbewußtseins begriffen, sondern als "Momente des objektiven Denkens" (Jaeschke (1978), 86). Sie werden damit in ihrer eigenen Reflexion und d.h. in ihrer Selbstbewegung begriffen.

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Die Logik der Refiexionsbestimmungen

für sich seiender zunächst sich auf sich beziehender oder einfacher Unterschied, aber als Reflexion, als "negative Beziehung auf sich selbst", macht er sich selbst "zum MOMENT oder zum GESETZTSEIN" eines Ganzen, das er selbst ist. Jede Bestimmung ist also das Ganze der Reflexion, aber zugleich ebenso nur ein Moment eben dieser Reflexion. Identität und Unterschied bilden so die I. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen. Doch ist in dieser ihrer Bewegungsweise zugleich die aller Reflexionsbestimmungen vorgebildet. Denn alle Reflexionsbestimmungen sind einerseits das Ganze der Reflexion und zugleich ebenso ihr Moment. Alle haben sie die logische Struktur der gesetzten Gleichheit der Negation mit sich, die auch negative Beziehung auf sich ist, so daß sie notwendig nichtidentisch mit sich selbst, sich selbst widersprechend und damit übergehend in andere sind. Es ist die Logik der Reflexionsbestimmungen, in der die Konstitution der Gedanken als Gedanken und ihre Aufhebung in ihren systematischen Zusammenhang zum expliziten Thema wird. Die negative Selbstbeziehung, die Bewegungsstruktur aller Reflexionsbestimmungen, ja aller Kategorien der Logik, wird im 3. Unterabschnitt der Logik der Reflexionsbestimmungen im Begriff des Widerspruchs logisch auf den Begriff gebracht. Daraus ergibt sich die zentrale Stellung des Widerspruch-Abschnitts in der Logik der Reflexionsbestimmungen. Im Begriff des Widerspruchs ist gesetzt, daß die Reflexionsbestimmungen insofern ineinander übergehen und in Selbstbewegung einbegriffen sind, als sie die negative Beziehung auf sich selbst sind. Mit dem Begriff des Widerspruchs wird die negative Selbstbeziehung als "BESTIMMTER URGRUND ALLER TÄTIGKEIT UND SELBSTBEWEGUNG" der Reflexionsbestimmungen logisch auf den Begriff gebracht. Über den Widerspruch, der allen Reflexion sbestimmungen immanent ist, sagt Hegel: "[·..] er aber ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit" (L. II., 58; 75).

Der Widerspruch einer jeden Reflexionsbestimmung mit sich selbst ist das, was das "Prinzip aller Selbstbewegung" (L. II., 59; 76) in der Logik der Reflexionsbestimmungen ausmacht. Die Logik der Reflexionsbestimmungen ist als Logik der Negativität die Logik der sich setzenden Differenz. Dieser Sachverhalt macht sich schon auf der I. Stufe (Identität/Unterschied) bemerkbar. Zwar sind beide Bestimmungen, Identität und Unterschied, sowohl das Ganze als auch ihr Moment, indes in entgegengesetzter Bestimmtheit und in unterschiedlichen Stadien der Reflexionsbewegung.

§ l Die erste Stufe der Logik

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Die Identität ist das Ganze im Stadium der Unmittelbarkeit der Reflexion. Sie ist aber nur insoweit das Ganze der Reflexion, als sie die Identität des absoluten Unterschieds mit sich ist, somit nichtidentisch mit sich selbst und sich selbst widersprechend. Im Stadium der Unmittelbarkeit ist sie das Ganze der Reflexion, aber als Reflexion des Ganzen setzt sie sich als ihr eigenes Moment oder Gesetztsein. Das Gesetztsein der Identität als Identität ist die Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied. So ist sie aber bereits in den Unterschied übergegangen. Anders beim Unterschied: Indem sich die Identität an und für sich selbst als der absolute Unterschied bestimmt, von dem sie sich als Bestimmung der Identität auch unterscheidet, tritt der Unterschied hervor, wie er an und für sich ist. Der anundfürsichseiende Unterschied ist zunächst der Unterschied als für sich isolierte Sruktur: der sich auf sich beziehende oder einfache Unterschied. Von diesem so gearteten Unterschied war zu zeigen, daß er, indem er Unterschied seiner von sich selbst ist, die Negativität seiner selbst ist, sich selbst als die ganze Relation von sich selbst und der Identität setzt, selbst die Einheit beider ist. Das Ergebnis dieses Schrittes ist die Feststellung, daß der Unterschied "das Ganze und sein Moment" (Z 152) ist. Damit tritt beim Unterschied eine Besonderheit auf: Als Relation der Relate Identität und Unterschied ist der Unterschied das Ganze. Als eines dieser Relate von ihm selbst als ganzer Relation ist er zugleich "sein eigenes MOMENT" (Z 154). (Hegel hebt den Ausdruck "MOMENT" nur beim Unterschied ausdrücklich hervor). Das Besondere bei der Reflexionsbestimmung des absoluten Unterschieds ist, daß er sich, indem er sich als sich auf sich beziehender zu seinem eigenen Moment oder Gesetztsein macht, zugleich als das Ganze setzt. Das Reflexionsverhältnis von Identität und Unterschied scheint zunächst "eine symmetrische, stabile Gleichgewichtsbeziehung" zu sein (Schubert (1985), 86) - "Der Unterschied ist das Ganze und sein eigenes MOMENT, wie die Identität ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment ist" (Z 154) -, ist es jedoch keineswegs. In der Reflexion der Identität und des Unterschieds kommt es vielmehr zur Dominanz des Unterschieds über die Identität und schließlich zum Zerfall der Identität in Verschiedenheit. Die Frage ist also, wie es zur Dominanz des Unterschieds und zum Zerfall der Identität kommt. So viel läßt sich schon hier feststellen: Die Identität ist zwar genauso wie der Unterschied das Ganze und ihr Moment, aber einmal zum Moment herabgesetzt, kann sie nicht mehr als das Ganze auftreten. Während sich die Identität im logischen Fortgang als das Ganze aufhebt und zum Moment herabsetzt, ist es der Unterschied, der, indem er sich zu sei-

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

nem eigenen Moment macht, zugleich als das Ganze setzt. Schon an dieser Stelle zeigt sich also, daß der Unterschied das stärkere Moment ist. b) Der absolute Unterschied als der an sich selbst bestimmte Unterschied Z 155 "Der Unterschied, so als Einheit seiner und der Identität, ist AN SICH SELBST BESTIMMTER Unterschied. Er ist nicht Übergehen in ein Anderes, nicht Beziehung auf Anderes außer ihm; er hat sein Anderes, die Identität, an ihm selbst, so wie diese, indem sie in die Bestimmung des Unterschieds getreten, nicht in ihn als ihr Anderes sich verloren hat, sondern in ihm sich erhält, seine Reflexion-in-sich und sein Moment ist " (L. II., 33; 47).

Zunächst stetzt Hegel hier für den absoluten Unterschied als "Einheit seiner und der Identität" den Begriff "AN SICH SELBST BESTIMMTER Unterschied" ein. Außerdem gibt er in diesem Absatz das Argument bzw. den Grund für den Übergang des Unterschieds in die Verschiedenheit an. Den Übergang selbst allerdings vollzieht er erst in Z 156. Der absolute Unterschied hat sich als Unterschied seiner von sich selbst fortbestimmt zur Einheit seiner selbst und der Identität. Als Einheit seiner selbst und der Identität ist der Unterschied "an sich selbst bestimmt", weil er "nicht Übergehen in eine Anderes, nicht Beziehung auf ein Anders außer ihm" ist, vielmehr "sein Anderes, die Identität, an ihm selbst" hat, weil er also Unterschiedenheit in sich ist. Die Beziehung des Unterschieds auf sein Anderes, die Identität, bleibt ganz in der Immanenz des Unterschieds. Identität und Unterschied sind zwar Momente dieser Struktur, so aber, daß der Unterschied als Einheit seiner selbst und der Identität zugleich das Ganze darstellt. Mit der Verdoppelung des Unterschieds in sich selbst und die Einheit seiner selbst und der Identität kommt es zur Dominanz des Unterschieds über sein Anderes, die Identität. Doch kommt die Dominanz des Unterschieds über die Identität nur dadurch zustande, daß sich die Identität als Identität im Unterschied zugleich erhält (vgl. auch Schubert (1985), 86). Denn der Umstand, daß der Unterschied sein Anderes, die Identität, an ihm hat, impliziert umgekehrt, daß diese, indem sie in die Bestimmung des Unterschieds getreten ist, "nicht in ihn als ihr Anderes sich verloren hat, sondern in ihm sich erhält". Und zwar erhält sie sich in zweifacher Weise: als "seine Reflexion-in-sich" und als "sein Moment".

§ l Die erste Stufe der Logik

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Gerade durch das Faktum also, daß sich die Identität in dieser Weise im Unterschied erhält, wird dieser seinen Momenten äußerlich und geht in Verschiedenheit über. Die Identität im Unterschied ist der Grund für den Übergang vom Unterschied in Verschiedenheit. So kommt es mit der Dominanz des Unterschieds über die Identität schließlich zum Zerfall der Identität in Verschiedenheit. Der plotinischen Aufwertung der Identität und Abwertung der Differenz in Schellings Identitätssystem setzt Hegel die Logik der Identität als Logik der Negativität gegenüber, und zwar findet er die die bloße Identität sprengende Negativität in der Identität selbst. Im Gegensatz zur Identitätsphilosophie Schellings erweist sich in Hegels Logik von Identität und Unterschied der Unterschied als das stärkere Moment.32 Zwar ist die Identität ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment, aber einmal zum Moment herabgesetzt, ist sie in den Unterschied übergegangen, der seinerseits das Ganze und sein Moment ist. Als Einheit seiner selbst und der Identität ist er der an sich selbst bestimmte Unterschied, weil er sich selbst als auch die Identität als Momente in sich enthält. Dies ist die entscheidende Wendung gegen die Identitätsphilosophie Schellings. Es ist dieser Unterschied, der sich vermittels seines anderen Moments, der Identität, weiterentwickelt zur "VERSCHIEDENHEIT" und zum GEGENSATZ" und der sich schließlich im "WIDERSPRUCH" selbst aufhebt. Die Logik der Reflexionsbestimmungen erweist sich als Logik des Unterschieds. So gehört auch noch die Darstellung des Übergangs von der Identität zur Verschiedenheit als einer wesentlichen Bestimmung mit zur Kritik an einer Philosophie, die alle Differenz als quantitativ und damit unwesentlich setzt und als allein wesentlich die Identität betrachtet.

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Über den Übergang von der Identität zum Unterschied sagt Schelling: "Man hat diesen Übergang von Identität zu Differenz sehr oft als ein Aufheben der Identität angesehen; dies ist aber gar nicht der Fall, wie ich gleich zeigen werde. Es ist vielmehr nur eine Doublirung des Wesens, also eine Steigerung der Einheit, was wieder durch Analogie mit uns deutlich zu machen ist" (Schelling (1810), 424f.). Implizit gibt Schelling Hegel recht, wenn er die Differenz aus der Verdoppelung der Identität - er bezeichnet diese auch als "Identität der Identität" (Schelling (1801), § 16 Zus. 2) - herleitet, denn die Identität kann sich nur in ihrem Gegenteil, dem Unterschied, douplizieren: "Nun kann aber alles nur in seinem Gegenteil offenbar werden, also Identität in Nicht-Identität, in Differenz, in Unterscheidbarkeit der Prinzipien" (Schelling (1810), 424). Darin ist aber der Gedanke der Dominanz des Unterschieds über die Identität impliziert, der allererst zu verarbeiten ist, um zur Identität zurückkehren zu können. Diese Verarbeitung der Differenz versäumt Schelling in seiner Identitätsphilosophie.

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

3. Übergang vom Unterschied zur Verschiedenheit Am Ende der Abteilung B. 1.2. hatte Hegel bereits den Grund für den Übergang vom Unterschied zur Verschiedenheit benannt. In B. 1.3. führt er nun diesen Übergang durch. Zu Beginn des Abschnitts über die Verschiedenheit wird dann nochmals in einem einleitenden Satz (Z 157) dieser Übergang rekapituliert, wobei ihn Hegel dort nach dem Muster des Zerfalls der Identität deutet. Daraus geht hervor, daß mit der Reflexionsbestimmung der "Verschiedenheit" die Logik von Identität und Unterschied über sich hinausgetrieben wird. Z 156 "3. Der Unterschied hat die beiden Momente, Identität und Unterschied; beide sind so ein GESETZTSEIN, Bestimmtheit. Aber in diesem Gesetztsein ist jedes BEZIEHUNG AUF SICH SELBST. Das eine, die Identität, ist unmittelbar selbst das Moment der Reflexion-in-sich; ebenso ist das andere der Unterschied, Unterschied an sich, reflektierter Unterschied. Der Unterschied, der zwei solche Momente hat, die selbst die Reflexionen-in-sich sind, ist VERSCHIEDENHEIT" (L. II., 33f.; 47).

Bei der Interpretation dieses Absatzes stellt sich die Frage: Wie entsteht die Begriffskonstellation der Reflexionsbestimmung "VERSCHIEDENHEIT"? Im Unterschied, der sich selbst als auch die Identität als seine "Momente" enthält, sind diese ein "GESETZTSEIN, Bestimmtheit". So ist der Unterschied ein relationales Ganzes, das seine Momente, Identität und Unterschied, übergreift. Dieser Sachverhalt könnte als Grund dafür angesehen werden, daß beide Momente nicht aus ihrer Einheit heraustreten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die beiden Momente sind in ihrem "GESETZTSEIN" zugleich "BEZIEHUNG AUF SICH SELBST". Das eine Moment, die Identität, "ist unmittelbar selbst das Moment der Reflexion-in-sich". Aber auch das andere, der Unterschied, ist "Unterschied an sich, reflektierter Unterschied". Im Charakter der "BEZIEHUNG AUF SICH SELBST", als die die Momente des Unterschieds in ihrem Gesetztsein gesetzt sind, macht sich der oben erwähnte Umstand geltend, daß sich die Identitä als Identität in ihrem Anderen, dem Unterschied, in zweifacher Weise erhält. Der Unterschied, dessen Momente selbst "Reflexionen-insich", identisch mit sich sind und somit nicht aufeinander, sonder nur auf sich bezogen sind, ist Verschiedenheit. Es ist also das Andere des Unterschieds, die Identität, vermittels derer sich der Unterschied fortbestimmt zur Verschiedenheit. Zunächst hat der Unterschied die beiden Momente, Identität und Unterschied, als "GESETZTSEIN", so daß sie von ihm in einer Ein-

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heit zusammengehalten werden. Sie fallen jedoch sofort auseinander, sobald sie sich aus ihrer Einheit loslösen - und dies geschieht, indem sie sich selbst als Reflexion-in-sich oder identisch mit sich erweisen. Der Unterschied, dessen Momente als identisch mit sich gesetzt sind, wird seinen Momenten äußerlich und ist Verschiedenheit. Somit ergibt sich also folgendes Resultat: Mit der Verdoppelung des Unterschieds in sich selbst und die Einheit seiner selbst und der Identität ist durch die Tatsache, daß sich die Identität als Identität im Unterschied erhält, die Grenze der Möglichkeit überschritten, Identität und Unterschied als Momente des Unterschieds in dessen Einheit integriert zu halten. Der Gedanke des absoluten Unterschieds setzt vielmehr Implikationen frei, die gegenläufig sind, und die den Übergang zum Begriff der Verschiedenheit erwirken.33 Fassen wir die Logik des absoluten Unterschieds zusammen: Im Übergang von der Identität zum Unterschied wird der der Identität immanente absolute Unterschied gesetzt, wie er an und für sich ist. Thema des Abschnitts über den absoluten Unterschied ist der Unterschied an und für sich, der absolute Unterschied, der Unterschied des Wesens. 1. Der Unterschied an und für sich ist zunächst der Unterschied als für sich isolierte Struktur: der sich auf sich beziehende oder einfache Unterschied. 2.a) Der Unterschied bezieht sich nurmehr auf sich selbst. Doch gerade als sich auf sich beziehender Unterschied wendet er sich aus sich selbst heraus gegen sich. Er ist nach Hegel die Negativität seiner selbst oder das Andere seiner selbst, mithin selbst sein Anderes, die Identität. Der Unterschied ist somit er selbst und die Identität, das Ganze und sein Moment. Während die Identität unmittelbar an ihr selbst absolute Nichtidentität ist, aber auch die Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied, ist der absolute Unterschied zunächst sich auf sich beziehender oder einfacher Unterschied. Dieser wird zu seinem Anderen, der Identität, indem er sich von sich selbst unterscheidet. Identität und Unterschied sind in unterschiedlicher Weise sie selbst und ihr Anderes, bezeichnen also Weisen, wie sie sich als das Ganze und als ihr Moment verhalten. Die Identität ist als fugenlose 33

Nach D. Henrich ist dem Hegeischen Wesen sbegri ff überhaupt eigentümlich, daß er unmöglich alle seine Implikationen "in einer einzigen Struktur [...] integriert zu halten und manifest zu machen" (Henrich (1978), 298) vermag. Die Bewegung des Wesens ist eine durch Kontradiktionen. So ist hier der Unterschied als Reflexion-in-sich zugleich Reflexion-in-Anderes, Übergehen in Verschiedenheit.

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Einheit mit der absoluten Nichtidentität das Ganze, als Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied ist sie ihr eigenes Moment. Der Unterschied ist dagegen als Differenzeinheit seiner selbst und der Identität das Ganze und sein eigenes Moment. Beide sind das Ganze des Wesens selbst, aber in entgegengesetzter Bestimmtheit: Die Identität ist das Wesen selbst, der Unterschied dessen immanente Andersheit. - Die Dialektik von Identität und Unterschied bildet die I. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen. b) Der Unterschied ist die Einheit seiner selbst und der Identität: Er ist "AN SICH SELBST BESTIMMTER Unterschied" (Z 155). Der Unterschied geht also nicht über in die Identität als in sein Anderes außer ihm, vielmehr hat er sie an sich selbst. Da er die Identität in sich hat, hat diese sich in ihm auch nicht "verloren" (Z 155), sondern "erhält" (ebd.) sich in ihm in doppelter Weise: als "seine Reflexion-insich" und als "sein Moment" (ebd.). Der Übergang vom Unterschied zur Verschiedenheit besteht also in nichts weiter als in der Explikation der Tatsache, daß sich die Identität als Identität im Unterschied erhält. 3. Der Unterschied hat sich selbst als auch die Identität zu seinen Momenten. Diese sind als "GESETZTSEIN" zugleich "BEZIEHUNG AUF SICH SELBST" (Z 156). Da so die Momente des absoluten Unterschieds in sich reflektierte sind, wird dieser zum bestimmten, zum Unterschied von solchen, die nicht aufeinander bezogen sind. Der Unterschied ist Verschiedenheit.

§ 2 Die zweite Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Die Verschiedenheit /. Die spekulativ-dialektische Entwicklung der Verschiedenheit im Haupttext 1. Spekulative Herleitung der Verschiedenheit aus dem Zerfall der Identität Vor der eigentlichen Thematisierung der begrifflichen Struktur der Verschiedenheit werden in einem einleitenden Satz nochmals zusammenfassende Bemerkungen zum Übergang der Dialektik von Identität und Unterschied zur Verschiedenheit gemacht:1 Z 157 "1. Die Identität ZERFÄLLT an ihr selbst in Verschiedenheit, weil sie als absoluter Unterschied in sich selbst sich als das Negative ihrer setzt und diese ihre Momente, sie selbst und das Negative ihrer, Reflexionen-in-sich, identisch mit sich sind; oder eben weil sie ihr Negieren unmittelbar selbst aufhebt und in ihrer BESTIMMUNG IN SICH REFLEKTIERT IST" (L. II., 34; 47f.). Das Besondere dieses Übergangs besteht darin, daß er als Zerfall der vorhergehenden Begriffsstrukur exponiert wird. Hegel konstruiert den Übergang zum Begriff der Verschiedenheit nach dem Muster des Zerfalls der Identität.2 - Es werden zwei Begründungen für die-

McTaggart hält in seinem Kommentar zur Logik diesen Übergang für "extremly obscure" (McTaggart (1910), 108). Fink-Eitel bezeichnet die Logik der Identität in Anlehnung an Adornos negative Dialektik als "Logik des Zerfalls" (Fink-Eitel (1978), 104). Adornos Programm einer "Negativen Dialektik" besteht darin, dem Idealismus seine eigene Melodie vorzuspielen und die der Identität immanente konstitutive Negativität und Nichtidentität gegen die am Ende hypostasierte Identität zu kehren (Adorno (1973), 183). Zentrales Argument von Adornos "Negativer Dialektik" ist, daß Identität durch ihren Selbstwiderspruch verschwindet, wenn sie sich nur als identisch mit sich voraussetzt. "Gerade das unersättliche Identitätsprinzip verewigt den Antagonismus vermöge der Unterdrückung des Widersprechenden" (ebd., 146). Zumindest was die Wesenslogik Hegels angeht, scheint Adornos Idealismuskritik offene Türen einzurennen, da Hegel hier die Identität als Unter-

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

sen Zerfall angeführt. Nach der ersten Begründung "ZERFÄLLT" die Identität "an ihr selbst" in Verschiedenheit, weil sie sich mit der Explikation des in ihr enthaltenen absoluten Unterschieds "als das Negative ihrer setzt", d.h., sich selbst zu einem Moment herab- und diesem ihr Anderes, den Unterschied, als korrelatives Moment gegenscheiden, Negation bestimmt, die sich damit selbst zu einem bewegten Moment des Logischen herabsetzt: Die Identität ist an ihr selbst Unterschied und Verschiedenheit. Adorno geht es ebenfalls um die irreduzible Differenz, das Nichtidentische. Er betont auch, daß dieses sich nicht einer abstrakten Beteuerung erschließt, sondern nur der immanenten Kritik des Bestehenden. In einem entscheidenden Punkt jedoch weicht Hegels Dialektik von der Adornos ab: in der Bestimmung der Negativität. Das dialektische "Prinzip' ist bei Hegel die selbstbezügliche Negativität, die Identität der Identität und Nichtidentität, der Widerspruch und die Auflösung des Widerspruchs. Zwar steht auch bei Adorno der Begriff der Negativität im Mittelpunkt seiner Metaphysik-, Idealismus- und Gesellschaftskritik, doch ist er merkwürdig im Dunkeln geblieben. Wenngleich der Gedanke der Negativität bei Adorno auf das Konzept der Konstellation verweist, so bleibt er in letzter Instanz doch einer Substanzontologie verhaftet. Adornos Prinzip der "Nichtidentität" trägt Züge des Prinzips des "hypokeimenon", das nach Adorno die Zugehörigkeit zum Idealismus definiert. Ebenfalls läßt sich zwischen dem Nichtidentischen und der unmittelbaren Fundamentalität des Seins bei Heidegger eine Parallele ziehen. Negativität und Nichtidentität sind für Adorno Chiffren für eine Positivität, die zwar noch prinzipiell unsagbar und unerkennbar ist, als Ideal einer absoluten Wahrheit indes den Horizont einer "Ontologie des falschen Zustandes" (Adorno (1973), 22) bildet. Es läßt sich also eine entscheidende Differenz zwischen Hegels und Adornos Kritik am Begriff der Identität konstatieren. Hegel kritisiert den abstrakten Identitätsbegriff des reflektierenden Verstandes und stellt diesem seine Konzeption der Identität der absoluten Negativität gegenüber. Denken - so Hegel - ist Identität als absolute Nichtidentität. Als solches entfaltet es die Bestimmungen seines Gegenstandes in ihrer Mannigfaltigkeit und begreift sie zugleich in ihrem einheitlichen Zusammenhang. Hegels Kritik am Identitätsbegriff des abstrakten Verstandes ist Kritik einer bestimmten Form des Denkens. Ganz anders verhält es sich bei Adorno. Adorno kritisiert die Form der Identität als sochc: "Identität ist die Urform von Ideologie" (ebd., 151), ist eine seiner Hauptthesen. Damit kritisiert er nicht nur bestimmtes ideologisches Denken, sondern das Denken selbst. Adornos Konzept der "Nichtidentität" ist eine Ontologie des Nichtwissens, die Jacobi näher als Hegel steht. Wirkliche Erkenntnis einer Sache ist nach Adorno schon aufgrund der puren Differenz von Gegenstand und Denken unmöglich. Negative Dialektik ist als konsequentes Bewußtsein der irreduziblen Nichtidentität, der Differenz von Gedanke und Gegenstand, Kritik des Denkens als solchem: "Der Schein von Identität wohnt [...] dem Denken selber seiner puren Form nach inne" (ebd., 17). Adorno kritisiert das Denken als Denken, indem er die Voraussetzung des Denkens, die Nichtidentität von Gedanke und Sache, gegen das Resultat der Erkenntnis, die im Wissen hergestellte Identität von Denken und Gegenstand, geltend macht. Die Kritik des Denkens mündet bei ihm konsequenterweise in die Behauptung, Wissen sei per se Ideologie oder Denken sei Gewalt.

§ 2 Die zweite Stufe der Logik

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übersetzt, und zwar so, daß "diese ihre Momente", sie selbst und der Unterschied, "Reflexionen-in-sich, identisch mit sich" sind. Die zweite Begründung führt an, daß die Identität sich zwar aufgrund ihrer immanenten Unterschiedenheit in Differenz zu sich setzt, daß sie aber "ihr Negieren unmittelbar selbst aufhebt". "Negieren" soll hier heißen: Die Identität entzweit sich in sich selbst und ihr Gegenteil. Hebt die Identität "ihr Negieren unmittelbar selbst auf, so ist sie eben damit in den von ihr konstituierten differenten Momenten als "in ihrer BESTIMMUNG IN SICH REFLEKTIERT". Die zweite Begründung ist insofern als Ergänzung zur ersten zu betrachten, als sie darlegt, warum die Momente, in die sich die Identität entzweit, ihrerseits Identitätscharakter annehmen. Die Identität zerfällt also an ihr selbst in Verschiedenheit, weil sie sich in sich selbst und ihr Gegenteil, den Unterschied, entzweit, ihr Negieren aber ebenso unmittelbar selbst aufhebt und daher in dieser Entzweiung als in ihrer Bestimmung in sich reflektiert ist. Um den Gedanken des Zerfalls der Identität zu erläutern, drängt Hegel die gesamte Dialektik von Identität und Unterschied in einen einzigen Gedanken zusammen. Insbesondere blendet er die Logik des absoluten Unterschieds aus. Der absolute Unterschied wird nur insoweit berücksichtigt, als er das unmittelbare Implikat der Identität ist. Hegel verzichtet hier also auf diejenige Bewegung in der Reflexion der Identität, durch die der ihr immanente absolute Unterschied gesetzt wird, wie er an und für sich ist.3 Die Verschiedenheit stellt sich als unmittelbare Konsequenz des Zerfalls der Struktur der Identität dar: Die Identität hat die logische Struktur der Identität von Identität und Nichtidentität. Sie ist aber nur insofern Einheit von Identität und Nichtidentität, als sie zugleich der absolute Unterschied in sich ist. Sie ist die Identität des absoluten Unterschiedes mit sich und somit wesentlich absoluter Unterschied von sich selbst. Die Identität als Identität der Identität und Nichtidentität ist also nicht schlichte Identität an und für sich, sondern notwendig nichtidentisch mit sich selbst und sich selbst widersprechend. Sie ist Einheit von Identität Beide Begründungen, die Hegel für den Zerfall der Identität in Verschiedenheit anführt, sind - nimmt man sie als Begründungen für die Überleitung zur Verschiedenheit - mangelhaft, weil sie die komplexe Dialektik von Identität und Unterschied, wie sie in den beiden vorangegangenen Abschnitten ausgeführt wurde, auf unzulässige Weise verkürzen. Diese Mangelhailigkeit ist aber insofern nicht gravierend, als Hegel den Übergang zur Verschiedenheit schon am Ende des vorhergehenden Abschnitts vollzogen hat.

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und negativer Selbstbeziehung. Eben darum entzweit sie sich in sich selbst und ihr Negatives, die Nichtidentität, und ist nur in diesem ihrem Gegenteil, ihrer Entzweiung, identisch mit sich. Weil so die beiden entzweiten Momente, sie selbst und die Nichtidentität, als mit sich selbst identisch gesetzt sind, sind sie gegeneinander gleichgültig Verschiedene. Die Identität der Identität und der Nichtidentität ist also aufgrund ihres absoluten Widerspruchs mit sich selbst dem Zerfall in Verschiedenheit anheimgegeben. So läßt sich zusammenfassend sagen: Da die Identität der Identität und der Nichtidentität den absoluten Unterschied von Identität und Unterschied impliziert und weil sie sich als Identität nur in ihrem Gegenteil, dem absoluten Unterschied, erhält, zerfällt sie an ihr selbst in Verschiedenheit. Was also in der Identität in einer soliden Synthese vereinigt zu sein schien, "ZERFÄLLT" in der Folge in die Reflexionsbestimmung "Verschiedenheit". Seine Entsprechung findet dieser Übergang im Übergang vom reinen Sein oder Werden zum Dasein zu Beginn der Seinslogik (vgl. L. I., 93; 113). Eine weiter Parallele hat dieser Übergang in der Begriffslogik: Der Begriff, der sich als Urteil setzt, ist die "absolute, ursprüngliche TEILUNG SEINER" (L. II., 264; 301). Zu erwähnen ist hier auch der Übergang von der absoluten Idee in die Naturphilosophie am Ende der Logik, in dem die Idee sich aus sich selbst heraus in die Äußerlichkeit der Natur "FREI ENTLÄSST" (L. II., 505; 573). Die Darstellung des Übergangs der Identität zur Verschiedenheit gehört mit zur Kritik an der Identitätsphilosophie Schillings, die der "Verschiedenheit" keinerlei Recht einräumt, indem sie alle Mannigfaltigkeit auf absolute Identität zurückführt. Geistesgeschichtlich betrachtet vollbringt Hegel mit der reflexionslogischen Konstruktion des Übergangs der Identität zur Verschiedenheit nach dem Muster des Zerfalls der Identität die Leistung, das neuplatonische Denken (Plotin/Proklos), in dessen Nähe auch Schellings Denken angesiedelt ist, das das Verhältnis des Einen zum Mannigfaltigen als "Abfall" verstand, einzuarbeiten in die christliche Schöpfungstheologie, nach der Gott, das Absolute, in der von ihm erschaffenen Welt auch bei sich bleibt, so wie sich die Identität auch im Unterschied erhält. Die Verschiedenheit kann entsprechend als reflexionslogische Form der Erscheinungswelt gefaßt werden. Sie tritt ein für das, was Welt überhaupt ist, die Endlichkeit im Gegensatz zum Absoluten, das im Übergang in die Welt auch zerfällt. Die Struktur der Endlichkeit wird hier eingebettet in eine Theorie des Absoluten, die der Wesenslogik folgt. Während das Absolute, das sich als Wesen bestimmt,

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die Form der Identität der Identität und Nichtidentität hat, hat das Endliche reflexionslogisch den Status der Verschiedenheit. Henrich hat daraufhingewiesen, daß sich Hegels Denken "weder aus der Unüberholbarkeit des Anfangs noch aus der Bewegung, die von ihm ausgeht, für sich allein hinreichend interpretieren [läßt], sondern nur mit dem Blick auf beides zugleich" (Henrich (1963), 93). Während die Daseinslogik im ganzen Emanzipationsphilosophie ist in der Daseinslogik wird ein Endliches gedacht, das sich selbst transzendiert, indem es sich als Negatives auf sich selbst bezieht und ins Unendliche übergeht, womit es seine Nichtigkeit und Beschränktheit überwindet-, läßt sich in der Wesenslogik der ursprungsphilosophische Aspekt der Hegeischen Logik erblicken. Alles, was ist, hat seinen Ursprung in der setzenden Tätigkeit der Reflexion. Der hier vorliegende Übergang von der Identität zur Verschiedenheit läßt erkennen, daß die Verschiedenheit an sich in der Identität gesetzt ist. Der Übergang selbst besteht in nichts anderem als in dem Setzen dessen, was die Identität an sich enthält. Hegel führt im folgenden die Überlegungen zur begrifflichen Struktur der Verschiedenheit so aus, als ob er jede Einzelheit argumentativ aus einer Reflexion auf das Resultat des Zerfalls der I. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen (Identität/Unterschied) gewinnen könnte. Z 158 "Das Unterschiedene BESTEHT als gegeneinander gleichgültig Verschiedenes, weil es identisch mit sich ist, weil die Identität seinen Boden und Element ausmacht; oder das Verschiedene ist das, was es ist, eben nur in seinem Gegenteile, der Identität" (L. II., 34; 48).

Das "Verschiedene" konstituiert sich aus den Elementen der vorhergehenden Stufe: Das "Unterschiedene" sind die ehemaligen Submomente des absoluten Unterschieds, Identität und Unterschied. Diese haben sich als "Reflexionen-in-sich" (Z 156), als mit sich identische Entitäten, erwiesen. Beide Momente sind strukturgleich "Reflexion-in-sich" (ebd.). Das "Unterschiedene", dessen "Boden und Element" die Identität ist, "BESTEHT", wie Hegel sagt, als "gegeneinander gleichgültig Verschiedenes". Damit ergibt sich das Paradox, daß das Verschiedene nur in seinem Gegenteil, der Identität, ist, was es ist. Was es ist, ist es aufgrund seines Identitätscharakters. Erinnern wir uns: Die Identität im Unterschied ist Verschiedenheit. Dieser Umstand führt sowohl zu einer kategorialen Transformation des absoluten Unterschieds als auch zu einer Mutation seiner Relata: Der absolute Unterschied, der solche hinsichtlich ihrer Identität mit sich gleichgeltenden und hinsichtlich ihrer Beziehung auf-

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einander gleichgültigen Momente hat, transformiert sich in "Verschiedenheit", und das "Unterschiedene" wird "Verschiedenes".4 Mit dem Zerfall der Identität in Verschiedenheit nehmen die ursprünglichen Submomente des absoluten Unterschieds gleichsam gegenständliche Struktur an. So restituieren sich im Bereich der Reflexionslogik und auf dem Boden der Reflexion daseinslogische substrathafte Strukturen, s Z 159 "Die Verschiedenheit macht das Anderssein als solches der Reflexion aus. Das Andere des Daseins hat das unmittelbare SEIN zu seinem Grunde, in welchem das Negative besteht. In der Reflexion aber macht die Identität mit sich, die reflektierte Unmittelbarkeit, das Bestehen des Negativen und die Gleichgültigkeit desselben aus" (L. II., 34; 48).

Es sind bisher in der Logik der Reflexionsbestimmungen zwei Formen der Andersheit aufgetreten: das Andere des Daseins (Z 149) und das Andere des Wesens (Z 150). Das Anderssein des Daseins steht dem Dasein selbst äußerlich gegenüber. Beide haben "ein UNMITTELBARES SEIN für sich" (Z 149), weil auch das "Andere des Daseins [...] das unmittelbare SEIN zu seinem Grunde" hat. Auf dem Boden des Seins "besteht" in der Daseinslogik das Negative oder die Bestimmtheit.6

Der daseinslogische Begriff "Gleichgültigkeit" hat bei Hegel zwei Bedeutungen. Zum einen meint er gleiche Geltung von etwas, zum anderen hat er die Bedeutung von Fremdheit. Diese Fremdheit ist charakterisiert durch das paradoxe Verhältnis einer beziehungslosen Beziehung. Das spezifisch daseinslogische Attribut "gleichgültig" ist daher auch wesenslogischer Natur, denn es ist die Wesenslogik, die den Charakter von Beziehungen untersucht. Mit der "Verschiedenheit" kommen in die Logik der Reflexionsbestimmungen auch solche Beziehungsstrukturen in den Blick, denen das Prädikat "gleichgültig" zukommt. Die "Terschiedenheit" kann als reflexionslogische Reformulierung der dascinslogischen Dialektik von Etwas und Anderes aufgefaßt werden, denn die Selbständigkeit, die die Verschiedenen aufweisen, entspricht der Gegenstandsstruktur, die Etwas und Anderes auszeichnet. So wie das Verschiedene sind auch Etwas und Anderes "gleichgültig gegeneinander" (L. I., 103; 125). Wie Hegel hervorhebt, "BESTEHT" [das Unterschiedene d.V.] als gegeneinander gleichgültig Verschiedenes" (Z 158). Aus diesem Umstand geht deutlich hervor, daß diesen Momenten gegenständliche Struktur beigemessen werden muß. In der 1. Auflage der Seinslogik, auf die sich Hegel in der Wesenslogik vornehmlich bezieht, hat der zweite große Hauptabschnitt der Daseinslogik noch den Titel "B. BESTIMMTHEIT". In der 2. Auflage wird dieser Mittelteil der Daseinslogik "B. ENDLICHKEIT" genannt. Dem entspricht, daß der Begriff der "Bestimmtheit" in der 1. Auflage deutlicher exponiert wird als in der 2. Auflage.

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Das Andere des Wesens steht dem Wesen selbst nicht äußerlich gegenüber. Es ist vielmehr die der Identität des Wesens immanente Andersheit, der Unterschied, der sich auf sich bezieht: der "UNTERSCHIED DER REFLEXION" (Z 149). Die "Verschiedenheit" macht nun eine neue Form reflexionslogischer Andersheit aus. Sie ist "das Anderssein als solches der Reflexion", also ein wirklich Anderes gegenüber der Reflexion. Dennoch hat es nicht das Sein zu seinem Grunde. Sein Bestand verdankt sich vielmehr der "Identität mit sich", der "reflektierten Unmittelbarkeit", also trotz der scheinbaren Reflexionsunabhängigkeit selber noch der Reflexion. Die reflexionslogische Reformulierung substrathafter Strukturen des Seins muß zugleich darstellen, wie sich diese rein relational als "Identitäten mit sich" konstituieren. So ist die Verschiedenheit nichts anderes als die Reflexion selbst. Sie ist ein "Substrat", das als Reflexion-in-sich gesetzt ist (vgl. Enz. § 117 Anm.). Ihre Andersheit gegenüber der Reflexion ist ein realer Schein, der seine Grundlage im Wesen der Reflexion selbst hat, insofern diese, um zur Bestimmtheit zu gelangen, sich selbst als ihr Anderes voraussetzen muß. Schon beim Übergang von der setzenden zur äußeren Reflexion im ersten Kapitel der Wesenslogik hat sich gezeigt, daß mit der äußeren Reflexion ein Verhältnis nicht bloß scheinhafter, verschwindender, sondern realer Andersheit entstanden ist. Indem sich die absolute Reflexion als aufgehoben setzt, setzt sie sich ein Unmittelbares voraus, von dem sie, obgleich es selbst Reflexion ist, als von einem von ihr unabhängigen Anderen anfängt. Schein ist also nicht die reale Andersheit oder die Realität der Andersheit selbst, sondern die Reflexionsunabhängigkeit der Andersheit. Der Begriff der "reflektierten Unmittelbarkeit" bezeichnet an der vorliegenden Stelle diesen Sachverhalt. Er ist ein Ausdruck für Verhältnisse der Andersheit, die durch die Reflexion entstanden und von ihr abhängig sind, die aber dennoch von der Reflexion unabhänAbgesehen von der "negativen Einheit des Insichseins" (L. I. (A), 59) des Etwas, der internen Bestimmtheit des Etwas, ist Bestimmtheit in der Dascinslogik ein Ausdruck für die Beziehung des Etwas auf das Andere: a) Bestimmtheit als "Gleichgültigkeit" des Etwas gegen Anderes überhaupt (vgl. ebd., 61). b) Bestimmtheit als Grenzbeziehung, in der Etwas zu einem Anderen steht (vgl. ebd., 62ff.). c) Bestimmtheit als Qualität. Die Qualität vereinigt "Bestimmung" und "Be schaffenheit" von Etwas in sich und ist diejenige Bestimmtheitsbeziehung von Etwas auf Anderes, in der Etwas seinen Begriff realisiert (vgl. ebd., 67 u. 69).

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von ihr abhängig sind, die aber dennoch von der Reflexion unabhängig zu sein scheinen, insofern ihr Ursprung aus der Reflexion und damit ihr Reflexionsgehalt verborgen ist. Eine solche notwendige 'Verkehrung' liegt der Reflexionsbestimmung "Verschiedenheit" zugrunde.7 Im folgenden Absatz, der ja noch zum Abschnitt über die spekulativ-dialektische Herleitung der Verschiedenheit gehört, zeigt Hegel, wie sich die begriffliche Struktur der Verschiedenheit aus einer kategorialen Transformation des absoluten Unterschieds und seiner Momente, Identität und Unterschied, ergibt. Eine kategoriale Transformation ist eine geregelte Bedeutungsverschiebung der Kategorien, die sich bei jedem "Übergang" ergibt. Hegel gewinnt also die aktuelle Bedeutung einer Begriffsstruktur aus der Reflexion auf das Resultat des Vorhergehenden, welches dadurch eine Fortbestimmung erfährt. Dabei ergeben sich die neuen Reflexionsstrukturen aus einer kategorialen Transformation von früheren Strukturzusammenhängen: "In diesem Wege hat sich das System der Begriffe überhaupt zu bilden und in unaufhaltsamem, reinem, von außen nichts hereinnehmendem Gange sich zu vollenden" (L. I., 36; 49).

Im ersten Teil des Absatzes (Z 160) stellt Hegel die kategoriale Transformation der Momente des (absoluten) Unterschieds dar, im zweiten Teil (Z 161) die damit gegebene Transformation des Unterschiedes selbst. Z 160 "Die Momente des Unterschiedes sind die Identität und der Unterschied selbst. Verschiedene sind sie als in sich selbst reflektierte, SICH AUF SICH BEZIEHENDE; so sind sie IN DER BESTIMMUNG DER IDENTITÄT Beziehungen nur auf sich; die Identität ist nicht bezogen auf den Unterschied, noch ist der Unterschied bezogen auf die Identität; indem so jedes dieser Momente nur auf sich bezogen ist, sind sie NICHT BESTIMMT gegeneinander" (L. II., 34; 48)

Indem die Momente des Unterschieds, Identität und Unterschied, als "in sich reflektierte, SICH AUF SICH BEZIEHENDE" gesetzt sind, sind sie "IN DER BESTIMMUNG DER IDENTITÄT Beziehungen nur auf sich". Sie sind so nicht mehr aufeinander, sondern nur noch auf sich selbst bezogen. Als "Beziehungen nur auf sich" fallen sie in beziehungslose Bestimmungen auseinander. Ihr Verhältnis ist So sind z.B. die politisch ökonomischen Verhältnisse, in denen wir leben, durch die Aktivität der Menschen entstanden und von den Menschen abhängig, erscheinen zugleich aber in gewisser Weise als vorgegeben und von der Aktivität der Menschen unabhängig.

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fortan durch Beziehungslosigkeit definiert. Aufgrund ihrer Beziehungslosigkeit sind sie auch "NICHT BESTIMMT gegeneinander". An dieser Stelle wird deutlich, daß in der Reflexionslogik Bestimmtheit eine Funktion negativer Beziehung ist. Z 161 "- Weil sie nun auf diese Weise nicht an ihnen selbst unterschiedene sind, so ist der UNTERSCHIED ihnen ÄUSSERLICH. Die Verschiedenen verhalten sich also nicht als Identität und Unterschied zueinander, sondern nur als VERSCHIEDENE überhaupt, die gleichgültig gegeneinander und gegen ihre Bestimmtheit sind" (L. II., 34; 48).

Mit der kategorialen Transformation der Momente des Unterschieds ist zugleich eine kategoriale Transformation des Unterschiedes selbst gegeben. Sind die Momente des Unterschieds, Identität und Unterschied, nicht mehr aufeinander bezogen, sondern beziehungslos auseinanderfallende Bestimmungen, dann treten sie auch in eine äußerliche Beziehung zu dem ihnen gemeinsamen Unterschied, der sich so seinerseits äußerlich ihnen gegenüber verhält. Auf diese Weise wird der Unterschied seinen Momenten äußerlich. So ergibt sich folgendes Resultat: Der Unterschied wird zum äußerlichen Unterschied und die Momente des Unterschieds verhalten sich nicht mehr als Identität und Unterschied zueinander, sondern als "VERSCHIEDENE überhaupt". Die Verschiedenheit ist nichts anderes als der verdinglichte Schein der Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied, in welchem deren negative Relationalität scheinbar verschwindet. Hegel begreift sie also als Vergegenständlichung oder Verdinglichung reflexionslogischer Beziehungen, als reale Existenz oder realen Schein reflexionslogischer Strukturen. Das paradoxe Verhältnis der beziehungslosen Beziehung, das in der Verschiedenheit waltet, bringt Hegel auf den Begriff der Gleichgültigkeit. Und zwar sind die Verschiedenen durch ein doppeltes Gleichgültigkeitsverhältnis gekennzeichnet: Sie sind erstens "gleichgültig gegeneinander" und zweitens gleichgültig "gegen ihre Bestimmtheit". Das bedeutet, sie sind zum einen einander gleichgültig, zum anderen ist ihnen ihre Bestimmtheit ausmachende Unterschiedsbeziehung gleichgültig. 2. Verschiedenheit und äußere Reflexion Z 162 "2. In der Verschiedenheit als der Gleichgültigkeit des Unterschieds ist sich überhaupt die REFLEXION ÄUSSERLICH geworden; der Unter-

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schied ist nur ein GESETZTSEIN oder als aufgehobener, aber er ist selbst die ganze Reflexion" (L. II., 34; 48).

Mit der Verschiedenheit als der Stufe der "Gleichgültigkeit des Unterschieds" wird sich die Reflexion äußerlich und tritt auseinander in Gesetztsein und Reflexion-in-sich. So wird innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen die äußere Reflexion wieder thematisch. Im Abschnitt über die äußere Reflexion hat Hegel gezeigt, daß sich die Reflexion, indem sie zur äußeren wird, "verdoppelt" in das vorausgesetzte Unmittelbare, das er als "Reflexion-in-sich" bezeichnet, und in die "negativ sich auf sich beziehende Reflexion" (L. II., 17; 28). Diese Verdoppelung vollzieht sich so, daß sich die Reflexion als aufgehoben setzt. Damit ist die paradoxe Situation entstanden, daß sich die Reflexion fremd gegenübersteht. So ist die Reflexion sich selbst ein Anderes. Sie bezieht sich zwar auf sich, aber so, als wäre dasjenige, auf welches sie sich bezieht, etwas Anderes als sie. Das Sich-äußerlich-Werden der Reflexion wiederholt sich nun innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen und zwar als Moment der Beziehungsstruktur der Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied. In der Logik der Reflexionsbestimmungen ist nämlich das im ersten Kapitel der Wesenslogik entwickelte Verhältnis von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion als die den dargestellten Reflexionsbestimmungen inhärente Dimension gesetzt. Im folgenden rekapituliert Hegel im Rückgriff auf den Übergang vom Unterschied zur Verschiedenheit, wie es dazu gekommen ist, daß die Reflexion oder der Unterschied auseinandertritt in Gesetztsein und Reflexion-in-sich. So wie sich die absolute Reflexion, indem sie zur äußeren wird, als aufgehoben setzt, so hat der Unterschied, der seinen Momenten äußerlich wird, nur noch den Status eines aufgehobenen oder eines Gesetztseins.» Hegel macht sich daraufhin den Einwand, daß der Unterschied selbst aber doch die "ganze Reflexion" sei. Was soll es nun aber heißen, daß der Unterschied selbst die "ganze Reflexion" ist? Z 163 "- Dies näher betrachtet, so sind beide, die Identität und der Unterschied, wie sich soeben bestimmt hat, Reflexionen; jedes [ist] Einheit seiner selbst und seines Anderen; jedes ist das Ganze. Damit aber ist die Bestimmtheit, NUR Identität oder NUR Unterschied zu sein, ein Aufgeho-

Sich selbst als aufgehoben setzen und sich damit zu einem Gesetztsein, d.i. zu einem Moment eines Ganzen herabsetzen, hat für Hegel den gleichen Sinn. Zu dieser Terminologie vgl. L. II., 91; 113.

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benes. Sie sind darum keine Qualitäten, weil ihre Bestimmtheit durch die Reflexion-in-sich zugleich nur als Negation ist" (L. II., 34f.; 48f.).

Wie die Interpretation des Übergangs vom Unterschied zur Verschiedenheit gezeigt hat, repräsentiert der Unterschied zunächst die "ganze Reflexion", weil er als "AN SICH SELBST BESTIMMTER Unterschied" (Z 155) sich selbst und die Identität zu seinen Momenten hat. Aber auch die Identität ist das Ganze der Reflexion, denn sie ist die Reflexion der Momente des absoluten Unterschieds in sich. Dieser Gedanke entspricht dem soeben aufgewiesenen Sachverhalt, wonach die Momente Identität und Unterschied als Reflexionen-in-sich mit sich identische Einheiten bilden und sich daher als eigenständige Momente aus ihrer ursprünglichen Einheit, dem absoluten Unterschied, loslösen, der ihnen so seinerseits äußerlich wird. Als "Reflexion-in-sich" ist der Unterschied absoluter Unterschied und enthält seine beiden Momente, Identität und Unterschied, als "Gesetztsein" in sich. Indem seine Momente nun aber selbst als "Reflexionen-insich" gesetzt sind, hebt er sich als solcher auf und macht sich zu einem "Gesetztsein". Die Konsequenz aus dieser Tatsache ist, daß die "Bestimmtheit" der Momente, "NUR Identität oder NUR Unterschied zu sein, ein Aufgehobenes", gleichsam unsichtbar geworden ist. Als strukturgleich jeweils dieselbe Reflexion-in-sich sind Identität und Unterschied "keine Qualitäten" mehr.s Ihre Bestimmtheit kommt ihnen aufgrund ihrer Reflexion-in-sich nur noch äußerlich als Negation zu. Die Negation kommt zwar am Verschiedenen vor, das dadurch aber nur äußerlich bestimmt wird. Z 164 "Es ist also dies Gedoppelte vorhanden, die REFLEXION-IN-SICH als solche und die Bestimmtheit als Negation oder das GESETZTSEIN. Das Gesetztsein ist die sich äußerliche Reflexion; es ist die Negation als Negation, - hiermit AN SICH zwar die sich auf sich beziehende Negation und Reflexion-in-sich, aber nur an sich; es ist die Beziehung darauf als auf ein Äußerliches" (L. II., 35; 49).

Damit ist ein Stadium der Argumentation erreicht, in dem sich deutlich zwei Aspekte unterscheiden lassen: Die "REFLEXION-INSICH" und das "GESETZTSEIN". Nach der Seite der "REFLEXIONIN-SICH" verlieren die ursprünglichen Submomente des absoluten Unterschieds ihre Bestimmtheit, "NUR Identität oder NUR Unterschied zu sein" (Z 163). Ihre Bestimmtheit wird aufgehoben. Das "GESETZTSEIN" repräsentiert den Sachverhalt, daß die BestimmtDer Ausdruck "Qualität" gehört eigentlich in das 2. Kapitel der Daseinslogik und paßt hier nicht unbedingt.

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heit der Momente eine nicht ihnen selbst zukommende, sondern von außen kommende und von der äußeren Reflexion abhängende Bestimmtheit ist. Das "GESETZTSEIN" ist das äußerliche Poniert- bzw. Konstituiertsein der äußeren Reflexion. Zugleich wird angedeutet, daß die Bestimmungen "GESETZTSEIN" und "REFLEXION-INSICH" durch eine Sphärendifferenz voneinander getrennt sind. Das "GESETZTSEIN" ist "die Negation als Negation", die aber von der Sphäre der "REFLEXION-IN-SICH" dissoziiert ist. Die Gleichheit der Negation mit sich selbst ("die sich auf sich beziehende Negation") besteht nur "AN SICH", d.h., sie ist in der thematischen Reflexion nicht "gesetzt". Die Beziehung der Negation auf sich selbst ist noch eine Fremdbeziehung, keine Selbstbeziehung. Die Beziehung der Negation oder des Gesetztseins läßt sich zwar "AN SICH" als Beziehung der Negation auf sich selbst oder als Reflexion-in-sich beschreiben, weil aber die Selbstbeziehung der Negation noch nicht bzw. nicht mehr vollendet ist, liegen die Momente Gesetztsein und Reflexion-in-sich als zwei verschiedene Negationen getrennt vor. So bezieht sich die Negation oder das Gesetztsein auf sich selbst oder auf seine Reflexion-in-sich "als auf ein Äußerliches". Die Stufe der "Verschiedenheit" ist also durch die Dimension der Negativität der Ungleichheitsbeziehung der Negation mit sich selbst charakterisiert. Die Negation bezieht sich auf sich selbst, aber so, als wäre das, worauf sie sich bezieht, ein Anderes als sie selbst ist.10 Z 165 "Die Reflexion an sich und die äußere Reflexion sind somit die zwei Bestimmungen, in die sich die Momente des Unterschiedes, Identität und Unterschied, setzten. Sie sind diese Momente selbst, insofern sie sich nunmehr bestimmt haben" (L. II., 35; 49).

Nach der soeben angedeuteten "Sphärendifferenz" (Fink-Eitel (1978), 106) von "GESETZTSEIN" und "REFLEXION-IN-SICH" fallen die Momente des absoluten Unterschieds, Identität und Unterschied, in die "zwei Bestimmungen" "Reflexion an sich" und "äußere Reflexion" auseinander. Daß die Momente des absoluten Unterschieds "diese Momente [d.i. diese zwei Bestimmungen] selbst sind", bedeutet, sie sind zum einen in die Bestimmung der "Reflexion an sich", zum anderen in die der "äußeren Reflexion" gesetzt. Auf der Stufe der Verschiedenheit wird die Reflexion sich äußerlich, tritt in Gesetztsein und Reflexion-in-sich auseinander und damit Die hier vorliegende Struktur der Negativität hat die Eigenart, daß der Negation ihre eigene Selbstbeziehung fremd ist.

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in die Gegenüberstellung von Reflexion an sich «und äußerer Reflexion. Reflexion an sich und äußere Reflexion sind also die beiden Bestimmungen, die die Reflexion-in-sich und das Gesetztsein in ihrer Dissoziation markieren. Reflexion-in-sich und Gesetztsein fallen nicht mehr in unmittelbare Einheit zusammen wie in der "absoluten Reflexion" von Identität und absolutem Unterschied. In der äußeren Reflexion der Verschiedenheit fallen beide auseinander. In der bestimmenden Reflexion der Entgegensetzung kommt es schließlich zur gesetzten Einheit beider. Äußere Reflexion und Reflexion an sich sind die beiden Fälle der verdoppelten Reflexion im Rahmen der Verschiedenheit, so aber, daß beide Andere gegeneinander sind. Die Reflexion an sich ist zwar ein Fall von Reflexion, der aber aus der Perspektive der äußeren Reflexion gerade nicht als Reflexion erscheint. Die Reflexion steht sich in der Gegenüberstellung von Reflexion an sich und äußerer Reflexion selbst fremd gegenüber. Ihr Verhältnis zu sich selbst ist in der "Verschiedenheit" keines der Reflexion mehr. In dieser der sich selbst äußerlichen Reflexion spezifischen Gegenüberstellung von Reflexion an sich und äußerer Reflexion sind nun die Momente des absoluten Unterschieds, Identität und Unterschied, selbst gesetzt. Im folgenden Passus kommt Hegel auf die beiden Seiten der Gegenüberstellung zu sprechen, wobei er jede Seite für sich erläutert: Z 166 "- DIE REFLEXION AN SICH ist die Identität, aber bestimmt, gleichgültig gegen den Unterschied zu sein, nicht den Unterschied gar nicht zu haben, sondern sich als mit sich identisch gegen ihn zu verhalten; sie ist die VERSCHIEDENHEIT. Es ist die Identität, die sich so in sich reflektiert hat, daß sie eigentlich die EINE Reflexion der beiden Momente in sich ist; beide sind Reflexionen-in-sich. Die Identität ist diese eine Reflexion beider, die den Unterschied nur als einen gleichgültigen an ihr hat und Verschiedenheit überhaupt ist" (L. H., 35; 49).

Die Seite der "REFLEXION AN SICH" ist die Identität, die bestimmt ist, "gleichgültig gegen den Unterschied zu sein". Nicht, daß diese Identität den Unterschied nicht mehr an sich hätte, sie verhält sich vielmehr als "mit sich identisch" gleichgültig gegen ihn. In der Verschiedenheit modifiziert sich nicht nur die Bedeutung des Unterschieds, auch die Identität erfährt eine Bedeutungsmodifikation. Anders als die Identität, die den absoluten Unterschied an sich hat, ist die Identität der ansichseienden Reflexion die in sich reflektierte Identität nur mit sich gegen den Unterschied. Sie reformu-

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liert wesenslogisch das seinslogische "Ansichsein" (vgl. Fink-Eitel (1978), 105). Wenn Hegel die Identität der "Reflexion an sich" als die "VERSCHIEDENHEIT" bezeichnet, wird einmal mehr der paradoxe Sachverhalt deutlich, daß die Identität der "Boden" und das "Element" der Verschiedenheit ausmacht, daß also das Verschiedene nur in seinem Gegenteil ist, was es ist: Das Unterschiedene besteht als Verschiedenes aufgrund seiner Identität. Diesen Identitätscharakter der Verschiedenheit hebt Hegel im folgenden nochmals hervor, indem er wieder auf die ursprünglichen Momente des Unterschieds, Identität und Unterschied, zu sprechen kommt. Die "REFLEXION AN SICH" ist die Identität, die sich so in sich reflektiert hat, daß sie die "EINE Reflexion" bezeichnet, die die beiden Momente des Unterschieds im Übergang zur Verschiedenheit erfahren haben. Die beiden Momente des Unterschieds, Identität und Unterschied, sind als "Reflexionenin-sich" nur identisch mit sich und verhalten sich dank und aufgrund dieser unbestimmten, in sich reflektierten Identität gleichgültig gegen den Unterschied, den sie gleichwohl an sich, wenn auch nur äußerlich an sich haben.n Die "REFLEXION AN SICH" ist also die in sich reflektierte, gegen den Unterschied gleichgültige Identität der Momente des Unterschieds. Als "REFLEXION AN SICH" ist die Identität somit die Verschiedenheit selbst als Substrat, das Substrat unbestimmter, mit sich identischer Entitäten (vgl. Enz. § 117 Anm.).i2

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An dieser Stelle holt Hegel in der spekulativ-dialektischen Entwicklung der Reilexionsbestimmungen die in der Anmerkung 2 zur Identität gemachte Behauptung ein, daß die Verstandesidentität das Prinzip der Verschiedenheit sei. Wir haben bisher also im wesentlichen zwei Begriffe von Identität kennengelernt: Der spekulative Begriff der Identität, die Identität als absoluter Unterschied oder als absolute Negativität, und die abstrakte Verstandesidentität, die in sich reflektierte Identität gegen den Unterschied, die den "Boden und Element" der Verschiedenheit ausmacht. Die substratbestimmte Identität der Verschiedenheit ist die Identität im gewöhnlichen Verstande. Von ihr trifft zu, was Quine einmal gesagt hat: "No entity without identity", kein Gegenstand ohne Identität. Die Umkehrung dieses Satzes "no identity without entity" (wo immer von Identität die Rede ist, haben wir es mit Gegenständen zu tun) gilt für Hegel nicht, da sie den gegenständlichen Schein der Reflexionsbestimmung "Identität" affirmativ nimmt. In der diesem Abschnitt folgenden Anmerkung bezeichnet Hegel die "Verschiedenheit überhaupt" als "die ganz unbestimmte Verschiedenheit", "denn im Plural der Dinge liegt unmittelbar die Mehrheit" (L. II., 38; 53). Z.B. zwei völlig gleichgestaltige Wassertropfen sind in jedem Fall durch ihre raum-zeitliche Position vor-

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Z 167 "- Die ÄUSSERE REFLEXION dagegen ist der BESTIMMTE Unterschied derselben nicht als absolute Reflexion-in-sich, sondern als Bestimmung, wogegen die an sich seiende Reflexion gleichgültig ist; seine beiden Momente, die Identität und der Unterschied selbst, sind so äußerlich gesetzte, nicht an und für sich seiende Bestimmungen" (L. II., 35; 49).

Die Seite der "äußeren Reflexion" ist der "bestimmte Unterschied" der Momente Identität und Unterschied. Der Terminus "bestimmter Unterschied" ist nur ein anderer Ausdruck für "äußerlicher Unterschied". Er ist nicht mehr der Unterschied, der als "absolute Reflexion-in-sich" seine Momente (Identität/Unterschied) als Gesetztsein in sich aufgehoben enthält; er ist vielmehr der Unterschied der entäußerten Reflexion, der seine Momente in der Positivität bloßer Identität mit sich bzw. Reflexion-in-sich voraussetzt. Er ist deshalb eine "Bestimmung", wogegen die "an sich seiende Reflexion" der Momente (Identität/Unterschied) "gleichgültig" ist. Die entäußerte Reflexion des bestimmten Unterschieds verwandelt die Momente des Unterschieds, Identität und Unterschied, somit zu "äußerlich gesetzte[n], nicht an und für sich seiende[n] Bestimmungen", zu äußerlicher Identität und äußerlichem Unterschied. Fassen wir die Entwicklung der begrifflichen Struktur der Verschiedenheit zusammen: Nach der Seite der Reflexion an sich sind die Momente des Unterschieds, die Identität und der Unterschied selbst, in der Bestimmung der Identität. Nach der Seite der äußeren Reflexion sind sie dagegen in der Bestimmung des bestimmten Unterschieds. In der letzteren Bestimmung werden sie zu äußerlicher Identität und äußerlichem Unterschied. Mit den Bezeichnungen "REFLEXION AN SICH" und "ÄUSSERE REFLEXION" ist von Hegel die Grundkonstellation der Gegenüberstellung auf der Reflexionsstufe der Verschiedenheit umrissen worden: Die "REFLEXION AN SICH" ist die unbestimmte Verschiedenheit selbst als Substrat, der gegenüber die "ÄUSSERE REFLEXION" bestimmte Bestimmungen setzt. Wie beide Seiten der Gegenüberstellung zusammenspielen, wird aus dem weiteren Gang der Entwicklung hervorgehen. Im folgenden Absatz werden die Bestimmungen angeführt, mit denen die äußere Reflexion operiert: Z 168 "Diese äußerliche Identität nun ist die GLEICHHEIT und der äußerliche Unterschied die UNGLEICHHEIT. - Die GLEICHHEIT ist schieden, durch ihr Neben- und Nacheinander. "Verschiedenheit überhaupt" ist also die bloße Pluralität an sich unbestimmter, mit sich identischer Entitäten.

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zwar Identität, aber nur als ein Gesetztsein, eine Identität, die nicht an und für sich ist. - Ebenso die UNGLEICHHEIT ist Unterschied, aber als ein äußerlicher, der nicht an und für sich der Unterschied des Ungleichen selbst ist" (L. II., 35; 49). Die eine Bestimmung der äußeren Reflexion ist die "äußerliche Identität" oder die "GLEICHHEIT", die andere ist der "äußerliche Unterschied" oder die "UNGLEICHHEIT". Die Gleichheit ist die auf der Stufe der Verschiedenheit durch die äußere Reflexion kategorial transformierte Identität, is Z 169 "Ob etwas einem anderen Etwas gleich ist oder nicht, geht weder das eine noch das andere an; jedes derselben ist nur auf sich bezogen, ist an und für sich selbst, was es ist; die Identität oder Nichtidentität als Gleichheit und Ungleichheit ist die Rücksicht eines Dritten, die außer ihnen fällt" (L. II., 35f.; 49f.). Die Rede von einer Gleichheit oder Ungleichheit zwischen zwei Gegenständen erfordert im Unterschied zur anundfürsichseienden Identität oder zum anundfürsichseienden Unterschied die Angabe eines Bezugs, hinsichtlich dessen die Gleichheit oder Ungleichheit besteht. Der äußerliche Sinn von Identität und Unterschied als Gleichheit und Ungleichheit läßt sich daran erkennen, daß die Feststellung einer Gleichheit oder Ungleichheit zweier Gegenstände ungeachtet und in Abstraktion von deren spezifischer Qualität und Bestimmtheit erfolgt ("geht weder das eine noch das andere an"). Zudem erfordert die äußerliche Natur von Gleichheit und Ungleichheit den logischen Ort eines "Dritten". Die Rücksicht, hinsichtlich deren die Gleichheit von etwas besteht oder nicht, fällt außer sie in den logischen Ort eines "Dritten", unterstellt also eine Instanz, die weder in die Gegenstände noch in die Bestimmungen selbst fällt; sie unterstellt die Instanz der äußeren Reflexion.14 13

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Gleichheit ist ein schwächerer Sinn von Identität, die man teilweise oder partielle Identität nennen könnte. Die Identität selbst kann als konkrete Gleichheit der Gleichheit selbst als abstrakter Identität gegenübergestellt werden. Schon Aristoteles unterscheidet diese zwei Arten von Identität: Erstens die numerische Identität (to auton arithmo), danach ist jeder Gegenstand mit sich selbst der Zahl nach identisch. Daneben kennt er die Identität speziell als Gattungs- und Artgleichheit (to tauton eidei bzw. genei). Diese ist die Identität im schwächeren Sinne. Identität wird dann als Gleichheit zweier Gegenstände hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft verstanden (vgl. Aristoteles, Top., 103a 8ff.; ferner Aristoteles, Met., 1016b 32f.). "Gleichheit" und "Ungleichheit" haben für Hegel den Status von Prädikaten, die Gegenständen zu- oder abgesprochen werden. Hegel spricht in der Anmerkung

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An der entäußerten Reflexion konstituieren sich Gleichheit (äußerliche Identität der Momente) und Ungleichheit (äußerlicher Unterschied der Momente) als die Gesichtspunkte, nach denen das Verschiedene verglichen wird. Gleichheit und Ungleichheit sind also die Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied als "Vergleichsbegriffe" (Kant), d.h. als Begriffe der äußerlichen oder subjektiven Reflexion. Die nun folgende Entwicklung der Logik der Verschiedenheit enthält Hegels Kritik am Wesen der Reflexionsbegriffe als bloß subjektiver "Vergleichsbegriffe". 3. Die Verschiedenheit in der Betrachtungsweise der äußeren Reflexion: das Vergleichen In Z 170/71 beschreibt Hegel die äußere Reflexion als ein Vergleichen (comparatio), in Z 172 bezeichnet er sie als "sich selbst äußerlich" und bindet sie in spekulativ-dialektischer Weise zurück an den negierten absoluten Unterschied. Z 170 "3. Die äußere Reflexion bezieht das Verschiedene auf die Gleichheit und Ungleichheit. Diese Beziehung, das VERGLEICHEN, geht von der Gleichheit zur Ungleichheit und von dieser zu jener herüber und hinüber" (L. II., 36; 50).

Auf der Stufe der Verschiedenheit zerfällt die ehedem einheitliche Struktur der Reflexion in drei verschiedene reflexionslogische Ebenen: 1. Die äußere Reflexion, 2. das Verschiedene und 3. die kategorialen Bestimmungsweisen der äußeren Reflexion Gleichheit und Ungleichheit.15 Diese drei auseinanderfallenden Ebenen befinden sich im Rahmen der Grundgegenüberstellung der Reflexion an sich und der äußeren Reflexion.16 Die "äußere Reflexion" bezieht das ihr gegenüberstehende "Verschiedene" auf ihre kategorialen Bestimmungsweisen "Gleichheit"

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zur Verschiedenheit von ihnen als von Bestimmungen, die prädikativ aussagbar sind (vgl. L. ., 40; 54). Vgl. zu diesem Punkt die detaillierte Interpretation des Abschnitts über die Verschiedenheit von Fink-Eitel (1978), 107. Gleichheit und Ungleichheit sind nicht die Momente des Verschiedenen selbst, sondern die beiden Gesichtspunkte der zwischen diesen Momenten bestehenden Relationen, Gesichtspunkte, die sich aus dem Horizont der äußeren Reflexion ergeben. - In ähnlicher Weise bilden in der Daseinslogik die Bestimmungen Ansichsein und Sein-für-Anderes Interpretamente der Beziehungsweisen der Momente Etwas und Anderes (vgl. L. L, 106-110; 127-131).

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

und "Ungleichheit". Die "Beziehung" von Gleichheit und Ungleichheit durch die äußere Reflexion ist ein "VERGLEICHEN", das den Bestimmungen selbst äußerlich ist. Sie werden mithin nicht aufeinander, sondern auf ein zugrundeliegendes Drittes, ein Substrat (Enz. § 117 Anm.) - bezogen. Das Vergleichen ist gekennzeichnet durch eine doppelte Reflexion: Es enthält 1. die Reflexion des Verschiedenen auf die Gleichheit und 2. die Reflexion des Verschiedenen auf die Ungleichheit. Diese doppelte Reflexion manifestiert sich darin, daß Gleichheit und Ungleichheit "in dieser Abwechslung unmittelbar für sich hervortreten" (Z 171). Das Vergleichen ist also ein gleichgültiges Herüber- und Hinübergehen der Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit an einem Substrat. Für Hegel ist es der Prototyp der räsonierenden Verstandeshandlung. Z 171 "Aber dieses herüber- und hinübergehende Beziehen der Gleichheit und Ungleichheit ist diesen Bestimmungen selbst äußerlich; auch werden sie nicht aufeinander, sondern jede für sich nur auf ein Drittes bezogen. Jede tritt in dieser Abwechslung unmittelbar für sich hervor" (L. II., 36; 50).

Das Ganze der in drei verschiedene reflexionslogische Ebenen auseinanderfallenden Gegenüberstellung der Reflexion an sich und der äußeren Reflexion ist durch eine dreifache Äußerlichkeitsstruktur bestimmt: 1. Das vergleichende Tun der äußeren Reflexion ist den kategorialen Bestimmungen "Gleichheit" und "Ungleichheit" äußerlich. 2. Die Bestimmungsweisen "Gleichheif'und "Ungleichheit" werden "nicht aufeinander" bezogen, stehen sich also äußerlich gegenüber. 3. Die Kategorien "Gleichheit" und "Ungleichheit" werden "jede für sich", d.h. getrennt voneinander, auf ein ihnen äußerliches zugrundeliegendes Drittes, das Verschiedene, bezogen. In ihrer vergleichenden Tätigkeit ist die äußere Reflexion nicht nur in dem Sinne äußere Reflexion, daß sie sich äußerlich auf ihren Gegenstand, das Verschiedene, bezieht, also von der Reflexionsstruktur ihres Tuns abstrahiert, sondern sie bezieht sich zugleich äußerlich auf ihre eigene kategoriale Bestimmungsweise. Sie kann sich daher auch keine Rechenschaft über die reflexionslogische Natur ihrer Kategorien geben, mit denen sie operiert. Z 172 "- Die äußerliche Reflexion ist als solche sich selbst äußerlich; der BESTIMMTE Unterschied ist der negierte absolute Unterschied; er ist somit nicht einfach, nicht die Reflexion-in-sich, sondern diese hat er außer ihm; seine Momente fallen daher auseinander und beziehen sich auch als gegeneinander äußerliche auf die ihnen gegenüberstehende Reflexion-insich" (L. II., 36; 50).

§ 2 Die zweite Stufe der Logik

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Hegel bezeichnet die äußere Reflexion als "sich selbst äußerlich". Damit hat er den spekulativen Begriff der äußeren Reflexion eingeholt. Schon im ersten Kapitel der Wesenslogik hat sich gezeigt, daß die äußere Reflexion in Wahrheit sich selbst äußerliche Reflexion ist. Auch hier erweist sich die äußere Reflexion als sich selbst äußerliche Reflexion, denn das Verschiedene, das sie als Vergleichen auf die Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit bezieht, ist nichts anderes als die Reflexion an sich. In der an sich seienden Reflexion steht sich die äußere Reflexion also selbst äußerlich gegenüber. Hegels spekulativer Begriff der äußeren Reflexion ist nicht identisch mit dem äußerlichen Räsonieren, das seinem Gegenstand äußerlich bleibt, wenn dieses jenem auch in einem Aspekt strukturell entspricht, so daß es durch jenen Begriff rekonstruiert werden kann. Das Wesentliche an dieser Rekonstruktion ist, daß Hegel die Struktur der äußerlich räsonierenden Reflexion nicht als gegeben voraussetzt, sondern aus dem Begriff der absoluten Reflexion entstehen läßt. Aus der spekulativen Warte ist die äußere Reflexion die sich selbst äußerlich gewordene absolute Reflexion. Die äußere Reflexion ist die Abstraktion der absoluten Reflexion von sich selbst. Die unmittelbare Voraussetzung, die sie hat und von der sie als einem Anderen anfängt, ist nichts anderes als das Produkt der Abstraktion des Setzens im Akte des Setzens. Die spekulative Interpretation der äußeren Reflexion verbindet Hegel mit der spekulativen Deutung des bestimmten Unterschieds. Im Rückgriff auf den bestimmten Unterschied als dem negierten absoluten Unterschied verdeutlicht er, daß die drei verschiedenen reflexionslogischen Ebenen in der Verschiedenheit - die äußere Reflexion, das Verschiedene und Gleichheit und Ungleichheit - das Produkt des Sich-äußerlich-Werdens des absoluten Unterschieds sind. Der bestimmte Unterschied ist der "negierte absolute Unterschied", gleichsam das Sich-Äußerlichsein des absoluten Unterschieds. Der absolute Unterschied ist der Unterschied, der mitsamt seinen Momenten, Identität und Unterschied, in der Immanenz seiner selbst ("Reflexion-in-sich") verharrt. Demgegenüber hat der bestimmte Unterschied, eben weil er der negierte absolute Unterschied ist, seine Immanenz "außer ihm" als seine ihm "gegenüberstehende Reflexion-in-sich". Seine "Momente", Gleichheit und Ungleichheit, fallen daher auseinander; sie sind nicht aufeinander, sondern als gegeneinander äußerliche äußerlich auf ein zugrundeliegendes Drittes, das Verschiedene, bezogen. Soweit der "BESTIMMTE Unterschied" die ganze logische Struktur der Verschiedenheit repräsentiert, ist er ebenso wie diese durch eine dreifache Äußerlichkeitsstruktur charak-

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

terisiert: 1. Der Unterschied ist seinen beiden Momenten Gleichheit und Ungleichheit äußerlich. 2. Die Momente des Unterschieds fallen auseinander und sind so äußerlich gegeneinander. 3. Die Momente beziehen sich äußerlich auf die ihnen gegenüberstehende Reflexionin-sich - nun aber nicht mehr als gegebene Struktur des äußerlichen Vergleichens, sondern als Produkt der Negation des absoluten Unterschieds. Die drei verschiedenen Reflexionslogischen Ebenen sind Produkt des Zerfalls der absoluten Reflexion des Unterschieds in die dreifache Äußerlichkeitsstruktur des bestimmten Unterschieds. Mit dem Ausdruck der "sich entfremdeten Reflexion" (Z 173) wird die Gleichgültigkeits- und Äußerlichkeitsstruktur der Reflexionsbestimmung "Verschiedenheit" auf den Begriff der Entfremdung gebracht. - Mit dem Zerfall der Identität in Verschiedenheit tritt das Wesen im System der Reflexionsbestimmungen in die Phase der Entfremdung von sich selbst, in welcher es sich von seiner eigenen immanenten Reflexionsstruktur entäußert, die ihm in Gestalt eines Fremden gegenübertritt. In der Verschiedenheit steht der Wesensbegriff unter der Kategorie der Fremdheit. Der Sinn der Verschiedenheit ist der Sinn der äußeren Reflexion und von ihr nicht zu trennen. Die Äußerlichkeits- und Gleichgültigkeitsverhältnisse auf der Stufe der Verschiedenheit wurzeln in dieser Entfremdung der Reflexion von sich selbst. In der Verschiedenheit, so sahen wir, wird die Reflexion sich äußerlich und tritt in die ansichseiende Reflexion und das Gesetztsein auseinander. Die Entäußerung der Reflexion hat zwar den Charakter einer Selbstentfremdung, dies bedeutet für Hegel jedoch nicht, daß das Sich-fremd-Werden der Reflexion zu einem vollständigen Verlust ihrer selbst führt. Nach seiner Meinung bleibt die Reflexion trotz ihrer Entfremdung gleichwohl bei sich selbst, ja sie muß sich sogar, um letztlich sein zu können, was sie ist, nämlich bestimmende Reflexion, zunächst als äußere Reflexion von sich selbst entfremden. Hegel hat für diese These, wie wir bereits im Abschnitt über die äußere Reflexion sahen, zwei Argumente. Zunächst ist die äußere Reflexion bei all ihrer Entfremdung selbst am Werke, und sodann ist die Entfremdung der Reflexion die Entfremdung ihrer von sich selbst, d.h., das, was ihr als Anderes und Fremdes gegenübersteht, ist nur sie selbst. Sie setzt sich selbst als ihr Anderes voraus. In ihrer Fremdbeziehung bleibt demnach ihre Selbstbeziehung bestehen.i7

Letztlich ist Hegels Entäußerungs- und Entfremdungstheorie an der "Idee der Unaufgebbarkeit von Selbstbeziehung" (Kesselring (1984), 164) orientiert. Dies

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Z 173 "An der sich entfremdeten Reflexion kommen also die Gleichheit und Ungleichheit als gegeneinander selbst unbezogene hervor, und sie TRENNT sie, indem sie sie AUF EIN UND DASSELBE bezieht, durch die INSOFERNS, SEITEN UND RÜCKSICHTEN. Die Verschiedenen, die das eine und dasselbe sind, worauf beide, die Gleichheit und Ungleichheit, bezogen werden, sind also NACH DER EINEN SEITE einander gleich, nach der ÄNDERN SEITE aber ungleich, und INSOFERN sie gleich sind, INSOFERN sind sie nicht ungleich. Die GLEICHHEIT bezieht sich nur auf sich, und die UNGLEICHHEIT ist ebenso nur Ungleichheit" (L. II., 36; 50).

Die im "Vergleichen" auf die Spitze getriebene "Entfremdung" der Reflexion von sich selbst kommt Hegel zufolge besonders deutlich in den "INSOFERNS, SEITEN UND RÜCKSICHTEN" der äußeren Reflexion zum Ausdruck. - Die äußere Reflexion bezieht ihre beiden kategorialen Bestimmungsweisen "Gleichheit" und "Ungleichheit" "AUF EIN UND DASSELBE" Substrat, das Verschiedene, als auf ihren Gegenstand. Dabei hält sie, um die Sichselbstgleichheit des Substrats sowie ihre kategorialen Bestimmungen "als gegeneinander selbst unbezogene" zu gewährleisten, ihre Bestimmungen durch Operationen auseinander, die durch die Partikel "INSOFERNS, SEITEN UND RÜCKSICHTEN" verdeutlicht werden. Sie trennt nach äußerlichen Rücksichten Gleichheit und Ungleichheit, obgleich sie sie auf ein und dasselbe Substrat bezieht.™ Die Verschiedenen - der einheitliche Gegenstand der äußeren Reflexion - sind erstens a) einander gleich und b) ungleich, und sie sind zweitens, insofern sie gleich sind, nicht ungleich und umgekehrt. Beide, Gleichheit und Ungleichheit, stehen so nicht in Beziehung aufeinander, sondern nur in bezug auf sich selbst und fallen abstrakt auseinander. Würde die Reflexion von der Trennung ihrer Bestimmungen absehen, so würde sich ein Widerspruch ergeben. Denn dann würde von ihrem Gegenstand, dem Verschiedenen, gelten, daß er beides zugleich ist: "gleich" und "ungleich". Die Reflexion läßt also ihre Bestimmungen auseinanderfallen, um der Gefahr des Widerspruchs zu entgehen. Der nachfolgenden Kritik des äußerlichen Vergleichens entspricht die in der Anmerkung zum "Satz der Verschiedenheit" vorgetragene Polemik Hegels gegen die "Zärtlichkeit der Dinge", die man am be-

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verbietet ihm, Entfremdung in einem radikalen Sinne als Selbstverlust zu denken. Vgl. Enz § 117 Anm.: "Diese Bestimmungen selbst laßt der Verstand so auseinanderfallen, daß, obschon die Vergleichung ein und dasselbe Substrat für die Gleichheit und Ungleichheit hat, dies verschiedene SEITEN und RÜCKSICHTEN an demselben sein sollen [...]".

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sten als Ironie gegen die pietistische "Unbefangenheit" versteht, mit welcher "die demütige Behauptung aufgestellt und nachgesprochen worden, daß nicht das weltliche Wesen, sondern das denkende Wesen, die Vernunft, das in sich widersprechende sei" (Enz. § 48 Anm.). Hegels Kritik am Prinzip der Vergleichung wird sich als Kritik am Prinzip der Voraussetzung mit sich selbst gleicher Substrate erweisen. 4. Hegels Kritik am Prinzip des äußerlichen Vergleichens Hegels Kritik am äußerlichen Vergleichen ist primär Kritik am Wesen der Reflexionsbegriffe Gleichheit und Ungleichheit als bloßer "Vergleichsbegriffe" (Kant), d.h. als Begriffe der bloß äußeren oder subjektiven Reflexion. Hegel kritisiert die äußere Reflexion, indem er sie eines Selbstwiderspruchs überführt. Seine Kritik beansprucht also immanent zu sein. Hegel behauptet, daß die Trennung von Gleichheit und Ungleichheit ebenso zu ihrer "Zerstörung" führen wird, zu der schon der Widerspruch ihres Zugleichseins geführt hätte, und auf dessen Gefahr hin das "Auseinanderhalten von Gleichheit und Ungleichheit" durch die äußere Reflexion vorgenommen wurde: Z 174 "Durch diese ihre Trennung voneinander aber heben sie sich nur auf. Gerade was den Widerspruch und die Auflösung von ihnen abhalten soll, daß nämlich etwas einem anderen in EINER RÜCKSICHT GLEICH, IN EINER ÄNDERN ABER UNGLEICH SEI, - dies Auseinanderhalten der Gleichheit und Ungleichheit ist ihre Zerstörung" (L. II., 36; 50).

Hegels Begründung für diese Behauptung besteht in folgender Überlegung: Z 175 "Denn beide sind Bestimmungen des Unterschiedes; sie sind Beziehungen aufeinander, das eine, zu sein, was das andere nicht ist; gleich ist nicht ungleich, und ungleich ist nicht gleich, und beide haben wesentlich diese Beziehung und außer ihr keine Bedeutung; als Bestimmungen des Unterschiedes ist jedes das, was es ist, als UNTERSCHIEDEN von seinem Anderen. Durch ihre Gleichgültigkeit aber gegeneinander ist die Gleichheit nur bezogen auf sich, die Ungleichheit ist ebenso eine eigene Rücksicht und Reflexion für sich; jede ist somit sich selbst gleich; der Unterschied ist verschwunden, da sie keine Bestimmtheit gegeneinander haben; oder jede ist hiermit nur Gleichheit" (L. II., 36f.; 50f.).

Gleichheit und Ungleichheit sind in Wahrheit "Bestimmungen des Unterschiedes" und damit wesentlich aufeinander bezogen. Gleich ist

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nur, was nicht ungleich ist, und umgekehrt. Jede Bestimmung hat nur kraft des sie aufeinander beziehenden Unterschieds ihre Bestimmtheit. Durch die "Gleichgültigkeit" aber von Gleichheit und Ungleichheit gegeneinander ist jede "nur sich selbst gleich" bzw. nur "eine eigene Rücksicht und Reflexion für sich". Indem aber beide Bestimmungen nur sich selbst gleich sind, verschwindet ihr Unterschied und ihre Bestimmtheit gegeneinander. Beide sind ununterscheidbar nur "Gleichheit". Durch ihre abstrakte Trennung in der äußeren Reflexion fallen Gleichheit und Ungleichheit nicht nur auseinander, sondern recht eigentlich zusammen. Weil sie in der äußeren Reflexion keine bestimmte Beziehung aufeinander haben, können sie in ihrer Bestimmtheit nicht festgehalten werden. Dies könnten sie nur, wenn sie als "Bestimmungen des Unterschiedes" erkannt würden. Die abstrakte Trennung, die sie von ihrer bestimmten Beziehung, ihrem Unterschied, ablöst, läßt sie so zugleich in ihre "Gleichheit" verschwinden. Die Trennung von Gleichheit und Ungleichheit führt also genauso zu ihrer "Auflösung" und "Zerstörung" (Z 174), zu der auch der Widerspruch ihres Zugleichseins am Verschiedenen geführt hätte. In der Rettung beider Bestimmungsweisen vor dem Widerspruch liegt ihre Preisgabe an ihn. Fassen wir Hegels Argumentation zusammen: Die äußere Reflexion bezieht als Vergleichen Gleichheit und Ungleichheit auf ein zugrundeliegendes Drittes, das Verschiedene. In Beziehung auf es trennt sie jedoch beide Bestimmungen zugleich voneinander durch die "INSOFERNS, SEITEN UND RÜCKSICHTEN" (Z 173). So ist die Gleichheit nur sich selbst gleich und die Ungleichheit ist nur Ungleichheit. Indem aber jede Bestimmung nur sich selbst gleich ist, verschwindet ihr Unterschied und ihre Bestimmtheit gegeneinander. Bloße Gleichheit mit sich von Gleichheit und Ungleichheit läßt beide Bestimmungen in Gleichheit zusammenfallen. Z 176 "Diese gleichgültige Rücksicht oder der äußerliche Unterschied hebt somit sich selbst auf und ist die Negativität seiner an sich selbst. Er ist diejenige Negativität, welche in dem Vergleichen dem Vergleichenden zukommt. Das Vergleichende geht von der Gleichheit zur Ungleichheit und von dieser zu jener zurück, läßt also das eine im ändern verschwinden und ist in der Tat DIE NEGATIVE EINHEIT BEIDER. Sie ist zunächst jenseits des Verglichenen sowie jenseits der Momente der Vergleichung, als ein subjektives, außerhalb ihrer fallendes Tun. Aber diese negative Einheit ist in der Tat die Natur der Gleichheit und Ungleichheit selbst, wie sich ergeben hat. Eben die selbständige Rücksicht, die eine je-

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

de ist, ist vielmehr die ihre Unterschiedenheit und damit sie selbst aufhebende Beziehung auf sich" (L. II., 37; 51). Das Verschwinden von Gleichheit und Ungleichheit durch ihre Gleichheit nur mit sich in ihre Gleichheit zeigt, daß "die gleichgültige Rücksicht oder der äußerliche Unterschied" sich selbst aufhebt. Dieser erweist sich somit als "die Negativität seiner an sich selbst". Der sich selbst aufhebende äußerliche Unterschied ist diejenige Negativität, die zunächst in dem Vergleichen dem vergleichenden Subjekt zugesprochen werden muß. Denn es ist die vergleichende äußere Reflexion, die einerseits ihre Bestimmungen voneinander trennt, andererseits von einer Bestimmung zur anderen fortgeht. So läßt sie "das eine im ändern verschwinden" und stellt "in der Tat DIE NEGATIVE EINHEIT BEIDER" dar. Was bedeutet der Ausdruck "negative Einheit"? Dieser Ausdruck ist hier der Begriff für diejenige Einheit, in die Gleichheit und Ungleichheit gerade aufgrund ihres gegeneinander gleichgültigen Auseinanderfallen s recht eigentlich in ihre Gleichheit zusammenfallen und verschwinden. Diese "negative Einheit" steht jedoch zunächst nur auf der Seite des Vergleichenden, der äußeren Reflexion, die außerhalb der Gegenstandssphäre ("des Verglichenen") sowie außerhalb der Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit ("der Momente der Vergleichung") fällt. Es ist nämlich die subjektive Reflexion, die beide Bestimmungen als selbständige Rücksichten behandelt, aber in der Vergleichung mit ihnen beständig abwechselt, sie also in ihrer bloßen Gleichgültigkeit nicht bestehen läßt. So ist es also zunächst die äußerlich vergleichende Instanz, die sich zur "negativen Einheit" von Gleichheit und Ungleichheit fortbestimmt. Hegel zeigt hier sowie in der Anmerkung zur "Verschiedenheit", daß die subjektive Reflexion, die den Widerspruch von den Dingen fernhalten möchte, ihn nicht wirklich aufzulösen imstande ist. Er wird lediglich aus dem Bereich der Dinge verbannt und in den Bereich der subjektiven Reflexion übersetzt, ohne jedoch aufgehoben zu werden. Der Widerspruch, den die äußere Reflexion auszuschließen versucht, den sie aber gleichwohl begeht, thematisiert Hegel hier im Begriff der "Negativität" bzw. der "negativen Einheit". Er besteht darin, daß die äußere Reflexion beständig die Trennung von Gleichheit und Ungleichheit negiert, die sie hinsichtlich ihrer gerade postuliert. 19 19

Der Widerspruch der äußeren Reflexion ist der zwischen dem Inhalt ihres Tuns (beziehendes Unterscheiden (Negation [1]) von Gleichheit und Ungleichheit aufeinander) und dem Wie ihres Tuns (Trennung (Negation [2]) von Gleichheit und

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Bei genauerem Hinsehen trifft "diese negative Einheit" aber noch in einem grundlegenderen Sinne mit den Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit zusammen: Die "negative Einheit" fällt nicht nur "jenseits des Verglichenen sowie jenseits der Momente der Vergleichung" in die Subjektivität der äußeren Reflexion, sondern macht die "Natur der Gleichheit und Ungleichheit selbst" aus. Dieser Sachverhalt hat sich schon in Z 174 und 175 angedeutet. Die "negative Einheit" hat für Hegel also nicht nur subjektive, auf die Seite des Vergleichenden fallende Bedeutung, so daß sie nichts mit den Bestimmungen selbst zu tun hat. Sie stellt vielmehr zugleich die objektive logische Struktur von Gleichheit und Ungleichheit selbst dar. Sie zeigt sich als das Wesen der Reflexionsbegriffe Gleichheit und Ungleichheit, insofern diese als "Vergleichsbegriffe" (Kant), als Begriffe der äußeren oder subjektiven Reflexion bestimmt sind: In ihrer Gleichgültigkeit und selbständigen Rücksicht sind Gleichheit und Ungleichheit als Gleichheit nur mit sich gesetzt. Dieser ihr durch die äußere Reflexion erteilte Charakter erweist sich als "die ihre Unterschiedenheit und damit sie selbst aufhebende Beziehung auf sich". Gleichheit und Ungleichheit heben sich also in ihrem gleichgültigen und äußerlichen Unterschied selbst auf und verschwinden in ihre Gleichheit zusammen. So ergibt sich folgendes Resultat: Als Bestimmungen der äußeren Reflexion fallen Gleichheit und Ungleichheit abstrakt auseinander. Weil darin aber ihr Unterschied nicht bestimmt ist, fallen sie ebenso, wie sie auseinanderfallen, unmittelbar zusammen. Das Problem ist nun, wie aus dieser "negativen Einheit" von Gleichheit und Ungleichheit, in der ihr Unterschied verschwindet, ihr qualitativer Unterschied zu extrapolieren ist. Die Frage ist also: Wie kommt die negative Einheit von Gleichheit und Ungleichheit zur internen Bestimmtheit? 5. Übergang von der Verschiedenheit zur Entgegensetzung Der Übergang von der Verschiedenheit zur Entgegensetzung behandelt im wesentlichen die Aufhebung der Andersheit und ÄußerDie Negation [1] steht also für die Bestimmtheit oder für den Unterschied von Gleichheit und Ungleichheit, die Negation [2] für das Ununterscheidbarwerden bzw. Verschwinden der Unterscheidung oder Bestimmtheit. Die Trennung (Negation [2]) von Gleichheit und Ungleichheit von ihrem Unterschied (Negation [1]) führt zur widersprüchlichen Einheit von Trennung und Ungetrenntheit von Gleichheit und Ungleichheit.

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lichkeit des mit sich identischen Substrats in die negative Reflexion von Gleichheit und Ungleichheit. Z 177 "Nach dieser Seite, als Momente der äußeren Reflexion und als sich selbst äußerlich, verschwinden die Gleichheit und Ungleichheit in ihre Gleichheit zusammen" (L. II., 37; 51).

Mit diesem Satz faßt Hegel das bisher Entwickelte zusammen: Als Bestimmungen der äußeren Reflexion und als sich selbst äußerliche Bestimmungen "verschwinden die Gleichheit und Ungleichheit in die Gleichheit zusammen". Mit dem Verschwinden in ihre Gleichheit ist auch ihre Gleichgültigkeit und ihr äußerlicher Unterschied aufgehoben. Doch haben sie auf diese Weise noch keine bestimmte Beziehung aufeinander. Die Aufgabe der kommenden Entwicklung wird es also sein, sie an ihnen selbst als gegeneinander bestimmt zu erweisen. Es folgt nun eine Passage, die für die Explikation der Dialektik der Verschiedenheit von höchster Wichtigkeit ist, weil sie den Stufenübergang zur Kategorie des Gegensatzes einleitet: Z 178 "Aber diese ihre NEGATIVE Einheit ist ferner auch an ihnen GESETZT; sie haben nämlich die AN SICH SEIENDE Reflexion außer ihnen oder sind die Gleichheit und Ungleichheit EINES DRITTEN, eines Anderen, als sie selbst sind" (L. II., 37; 51).

Was kann es bedeuten, wenn es heißt, die "NEGATIVE Einheit" von Gleichheit und Ungleichheit sei "ferner auch an ihnen GESETZT"? Bisher hat sich die "NEGATIVE Einheit" als etwas erwiesen, was zunächst in das subjektive Tun der äußeren Reflexion fiel. Sodann hat sie sich als die "Natur der Gleichheit und Ungleichheit selbst" (Z 176) gezeigt. Jetzt soll sie an diesen Bestimmungen selbst gesetzt sein.20 Nach der bisher entwickelten negativen Bedeutung der "negativen Einheit", in welcher Gleichheit und Ungleichheit in ihre Gleichheit verschwinden, ist nun die Frage, wie die negative Einheit von Gleichheit und Ungleichheit zu interner Bestimmtheit kommt. Da Gleichheit und Ungleichheit das Substrat, auf welches sie sich beziehen, die ansichseiende Reflexion, "außer ihnen haben" und so die "Gleichheit und Ungleichheit eines DRITTEN, eines Anderen, als sie selbst sind", scheint beider Beziehung auf es eine äußerliche zu sein. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch gerade das Gegenteil. 20

Die "NEGATIVE Einheit" hat für Hegel also nicht nur subjektive, auf die Seite der äußeren Reflexion fallende Bedeutung. Sie stellt vielmehr die objektive und differente logische Struktur von Gleichheit und Ungleichheit selber dar.

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Als solchermaßen Anderes und Äußerliches gegenüber diesen in Beziehung auf es gesetzten Bestimmungen differenziert es diese in sich, da es als ein ihnen gegenüber Ungleiches unter sie fallt: Z 179 "So ist das Gleiche nicht das Gleiche seiner selbst, und das Ungleiche als das Ungleiche nicht seiner selbst, sondern eines ihm Ungleichen ist selbst das Gleiche. Das Gleiche und das Ungleiche ist also das UNGLEICHE SEINER SELBST" (L. II., 37; 51).

Der Gedanke ist offenbar dieser: In Beziehung auf ein ihm Ungleiches ist das Gleiche nicht das Gleiche seiner selbst, sondern eines ihm Ungleichen. Andererseits ist das Ungleiche in dieser Beziehung nicht das Ungleiche seiner selbst, sondern das Ungleiche eines ihm Ungleichen. In dieser Beziehung ist das Ungleiche aber selbst das Gleiche. In der Beziehung auf ein und dasselbe Substrat erweist sich das Gleiche und das Ungleiche als "das UNGLEICHE SEINER SELBST". Unabhängig von ihrer Beziehung auf das zugrundeliegende Dritte ist die Gleichheit nur Gleichheit und die Ungleichheit nur Ungleichheit. Diese ihre bloße Sichselbstgleichheit hat zur "Auflösung" ihres Unterschiedes und zu ihrem Verschwinden geführt. In Beziehung auf ein Drittes jedoch, ein Anderes, als sie selbst sind, sind Gleichheit und Ungleichheit nicht nur sich selbst gleich, sondern ebenso sich ungleich. So enthält die Gleichheit die Reflexion, daß sie sie selbst und die Ungleichheit, und die Ungleichheit, daß sie sie selbst und die Gleichheit ist. Auf diese Weise bilden sie ein Paar von Begriffen, deren jeder nicht ohne den Anderen seine Natur erhält und behält: Z 180 "Jedes ist somit diese Reflexion, die Gleichheit, daß sie sie selbst und die Ungleichheit, die Ungleichheit, daß sie sie selbst und die Gleichheit ist" (L. II., 37; 51)

Damit hat sich einerseits der Schein der Äußerlichkeit des Substrats gegenüber den Bestimmungsweisen Gleichheit und Ungleichheit aufgelöst. Fink-Eitel beschreibt diesen Vorgang zurecht als "Internalisierung des unbestimmten Substrats durch die äußere Reflexion" (Fink-Eitel (1978), 111). Das Substrat der ansichseienden Reflexion wird damit in die negative Reflexion von Gleichheit und Ungleichheit integriert. Zwar ist damit das Substrat als Bezugspunkt von Gleichheit und Ungleichheit nicht überhaupt entfallen, doch ist der Schein der Äußerlichkeit und Andersheit desselben aufgehoben. Auf der anderen Seite werden die Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit durch ihre Bezugnahme auf das Substrat der ansichseien-

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den Reflexion und durch eben dessen Integration neu strukturiert. Die Bestimmungen gelangen erst durch die Internalisierung des ihnen äußerlichen mit sich identischen Substrats, auf das sie sich bestimmend beziehen, zu ihrem internen Unterschied. - Dieser wechselseitige Prozeß leitet zur nächsten Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen über, der des Gegensatzes. So ergibt sich folgendes Resultat: Gerade durch das Faktum, daß Gleichheit und Ungleichheit in Beziehung auf ein Drittes, ein Anderes, als sie selbst sind, bestimmt sind, wird die negative Einheit an ihnen gesetzt. Der abschließende Absatz des Abschnitts über die Verschiedenheit ist durch einen Gedankenstrich in zwei Teile geteilt. Im ersten Teil des Absatzes (Z 181) behauptet Hegel, daß durch die Aufhebung der Andersheit und Äußerlichkeit des an sich s ei enden Substrats in das Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit die "Sphärendifferenz" zwischen der ansichseienden Reflexion und dem Gesetztsein aufgehoben ist. Der zweite Teil (Z 182) zieht daraus die Konsequenz, daß damit die ansichseiende in die negative Reflexion und die Verschiedenheit in Entgegensetzung übergegangen ist. Z 181 "Gleichheit und Ungleichheit machten die Seite des GESETZTSEINS gegen das Verglichene oder das Verschiedene aus, das sich als die AN SICH SEIENDE Reflexion gegen sie bestimmt hatte. Aber dieses hat damit seine Bestimmtheit gegen sie ebenfalls verloren. Eben die Gleichheit und die Ungleichheit, die Bestimmungen der äußerlichen Reflexion, sind die nur an sich seiende Reflexion, welche das Verschiedene als solches sein sollte, sein nur unbestimmter Unterschied. Die AN SICH SEIENDE Reflexion ist die Beziehung auf sich ohne Negation, die abstrakte Identität mit sich, damit eben das Gesetztsein selbst" (L. II., 37f.; 52).

In der Verschiedenheit wurde die Reflexion sich äußerlich und trat in die Gegenüberstellung von ansichseiender Reflexion und Gesetztsein auseinander. - Gleichheit und Ungleichheit waren als Bestimmungen der äußeren Reflexion die "Seite des GESETZTSEINS". Die ansichseiende Reflexion des Verschiedenen war der äußere Bezugspunkt der Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit und von ihnen durch eine "Sphärendifferenz" getrennt. Diese "Sphärendifferenz" zwischen ansichseiender Reflexion und Gesetztsein hat sich aufgehoben. Gleichheit und Ungleichheit, vormals die Bestimmungen der äußeren Reflexion, sind die nur an sich seiende Reflexion, die der nur unbestimmte Unterschied des Verschiedenen als solches sein sollte. Umgekehrt ist die ansichseiende Reflexion, die Beziehung auf sich ohne Negation, "die abstrakte Identität mit sich", das Gesetztsein

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selbst und damit die Beziehung auf sich mit Negation, in sich differente Beziehung auf sich. Gesetztsein und ansichseiende Reflexion gehen von nun an eine unaufhebbare Einheit ein. In dieser Synthese strukturiert die Identität der an sich seienden Reflexion die Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit in sich und gegeneinander und ist als solche deren immanenter Unterschied. So vereinigt die Identität der ansichseienden Reflexion in analoger Weise die Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit in sich, wie die äußere Reflexion sie letztlich nicht voneinander trennen konnte, obwohl sie sie gegeneinander ausspielte. Mit der Einheit von Gesetztsein und ansichseiender Reflexion hat sich zweifach Neues ergeben: Z 182 "- Das bloß Verschiedene geht also durch das Gesetztsein über in die negative Reflexion. Das Verschiedene ist der bloß gesetzte Unterschied, also der Unterschied, der keiner ist, also die Negation seiner an ihm selbst. So die Gleichheit und Ungleichheit selbst, das Gesetztsein, geht durch die Gleichgültigkeit oder die an sich seiende Reflexion zurück in die negative Einheit mit sich, in die Reflexion, welche der Unterschied der Gleichheit und Ungleichheit an sich selbst ist" (L. II., 38; 52)

Hegel faßt hier das Resultat des wechselseitigen Integrationsprozesses von ansichseiender Reflexion und Gesetztsein zusammen: Das "bloß Verschiedene", das sich als ansichseiende Reflexion gegen das Gesetztsein bestimmt hatte, geht durch das Gesetztsein über in die "negative Reflexion". Der Begriff der "negativen Reflexion" ist der Titel für die nächste Reflexionsstufe, der Reflexion des Gegensatzes. Sie ist die bestimmte, das Verschiedene in seinem immanenten Unterschied bestimmende Reflexion. Durch das Gesetztsein geht also die ansichseiende Reflexion - die Beziehung auf sich ohne Negation über in die immanente negative Reflexion. Umgekehrt gehen die Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit, das Gesetztsein, "durch die Gleichgültigkeit oder die an sich seiende Reflexion zurück in die negative Einheit mit sich, in die Reflexion, welche der Unterschied der Gleichheit und Ungleichheit an sich selbst ist". Der Übergang "in die Reflexion, welche der Unterschied der Gleichheit und Ungleichheit an sich selbst ist", ereignet sich als Modus der in der äußeren Reflexion gesetzten Beziehung von Gleichheit und Unleichheit auf die ansichseiende Reflexion. Hierbei nimmt die Gleichheit die Ungleichheit und die Ungleichheit die Gleichheit in sich auf. Da so Gleichheit und Ungleichheit jede auch die andere ist, vereinigt jede für sich beide Bestimmungen in sich. Beide sind also in je-

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Die Logik der Reflexion sbcstimmu n gen

dem der beiden Begriffe gesetzt. Dies bedeutet in bezug auf sie selbst, ihr Gesetztsein ist selber gesetzt. Hierdurch ist mitgesetzt, daß jede Bestimmung nur zusammen mit der anderen gesetzt sein kann, derart, daß sie als in sich reflektierte auch reflektierende oder ineinander scheinende Bestimmungen sind.21 Damit sind Gleichheit und Ungleichheit, was sie für Hegel im Grunde sind: nicht mehr bloß "Vergleichsbegriffe" (Kant) der äußeren, subjektiven Reflexion, sondern anundfürsichseiende Reflexionsbestimmungen, also in sich und negativ ineinander reflektierte Bestimmungen. Ihr Verhältnis fällt so nicht mehr in das äußerliche Vergleichen der äußeren Reflexion. Ihre Beziehung ist vielmehr jedem der beiden Momente immanent. 22 Hieraus wird deutlich, daß Gleichheit und Ungleichheit nur von einem neuen und höheren Reflexionsstandpunkt aus als an sich selbst unterschiedene Momente gelten können. Dieser Standpunkt ist der Standpunkt der immanenten oder bestimmenden Reflexion. Ihre Trennung und gesonderte Auffassung als gleichgültige und selbständige Rücksichten ("Vergleichsbegriffe") erfolgte aus dem Horizont der äußeren Reflexion. Z 183 "Die Verschiedenheit, deren GLEICHGÜLTIGE Seiten ebensosehr schlechthin nur MOMENTE als einer negativen Einheit sind, ist der GEGENSATZ" (L. II., 38; 52).

Im letzten Satz dieses Abschnitts wird der Begriff "GEGENSATZ" systematisch eingeführt. Die "Verschiedenheit", deren "GLEICHGÜLTIGE Seiten", Gleichheit und Ungleichheit, in der bestimmenden Reflexion zugleich als "MOMENTE" einer sie in sich und gegeneinander strukturierenden "negativen Einheit" gesetzt sind, heißt "GEGENSATZ". Der Gegensatz gibt sich mithin als Fortbestimmung und Nachfolgerkategorie der Verschiedenheit zu erkennen. Er ist der Titel für den dritten und letzten Abschnitt der Abteilung "B. DER UNTERSCHIED".

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"Die Gleichheit ist eine Identität nur solcher, die NICHT DIESELBEN, nicht identisch miteinander sind, - und die Ungleichheit ist BEZIEHUNG der Ungleichen. Beide fallen also nicht in verschiedene Seiten oder Rücksichten gleichgültig auseinander, sondern eine ist ein Scheinen in die andere. Die Verschiedenheit ist daher Unterschied der Reflexion oder UNTERSCHIED AN SICH SELBST, BESTIMMTER Unterschied" (Enz. § 118). "Während die bloß Verschiedenen sich als gleichgültig gegeneinander erweisen, so sind dagegen die Gleichheit und die Ungleichheit ein Paar Bestimmungen, die sich schlechthin aufeinander beziehen und von denen die eine nicht ohne die andere gedacht werden kann" (Enz. § 118 Zus.).

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6. Zusammenfassung der Logik der Reflexionsbestimmungen bis zum Gegensatz Die Identität ist an ihr selbst absolute Nichtidentität, aber auch die Bestimmung dagegen. Sie ist das Ganze und zugleich ihr eigenes Moment. Der Unterschied ist ebenso das Ganze und sein Moment, allerdings in anderer Hinsicht. Er ist als einfacher, sich auf sich beziehender zugleich Unterschied seiner von sich selbst und damit Einheit seiner selbst und seines Anderen, der Identität. Indem seine Momente, Identität und Unterschied, in sich reflektierte sind, ist er Verschiedenheit. Die Verschiedenen sind zwar nichts anderes als die Identität und der Unterschied selbst, aber in der Bestimmung der Identität, der ansichseienden Reflexion, gesetzt. Ihr nurmehr nur noch äußerlicher Unterschied macht sie zu äußerlicher Identität und äußerlichem Unterschied, Gleichheit und Ungleichheit, Bestimmungen, wogegen die ansichseiende Reflexion gleichgültig ist. Als gleichgültige Rücksichten der äußeren Reflexion fallen Gleichheit und Ungleichheit nicht nur auseinander, sondern ebenso unmittelbar in Gleichheit zusammen. In Beziehung auf ein Substrat, ein Drittes, sind sie zugleich negativ ineinander reflektiert und sind die Seiten des Gegensatzes. Die Bestimmung des Gegensatzes ergibt sich also durch die Aufhebung der ansichseienden Reflexion - jenes zugrundeliegenden substrathaften Dritten im Gleichheits- und Ungleichheitsverhältnis - in die immanente negative Reflexion von Gleichheit und Ungleichheit. Als Momente des Gegensatzes werden sie - eine ihrer erweiterten logischen Struktur angemessene, neue Bezeichnung erhalten (Positives/Negatives). Der Gegensatz hat darum ebenso wie der Unterschied und die Verschiedenheit nichts anderes zu seinen Momenten als die Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied, diesmal aber gesetzt als Reflexionsbestimmungen. Mit dem Übergang von der Verschiedenheit zur Entgegensetzung wird "ein Kulminationspunkt der Wesenslogik" (Schubert (1985), 91) erreicht. Der Gegensatz markiert die Vollendung der bestimmenden Reflexion und des Unterschieds in der Einheit von Identität (Reflexion an sich) und Verschiedenheit (Gleichheit/Ungleichheit). Die Entgegensetzung ist die Verschiedenheit in einer Identität. Im Gegensatz wird somit die abstrakte Äußerlichkeit der Verschiedenheit in die Einheit von Reflexion-in-sich und Gesetztsein aufgehoben und damit die logische Struktur der "Reflexionsbestimmung" restituiert. Im Übergang von der Verschiedenheit zum Gegensatz wiederholt sich der Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion im Rahmen der Logik der Reflexionsbestimmungen. Während die Analy-

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se der Verschiedenheit eine Analyse der Beziehungsweise der äußeren Reflexion war, ist mit dem Gegensatz wieder das Niveau der bestimmenden Reflexion erreicht. //. Die Logik der Verschiedenheit als Verstandeskritik 1. Hegels Deutung des Leibnizschen Grundsatzes der Verschiedenheit I. In der Anmerkung zur Reflexionsbestimmung der Verschiedenheit thematisiert Hegel den von Leibniz formulierten Satz der Verschiedenheit: "ALLE DINGE SIND VERSCHIEDEN" oder "ES GIBT NICHT ZWEI DINGE, DIE EINANDER GLEICH SIND" (L. II., 38; 52).23 Die gewöhnliche Auffassung dieses Satzes hält ihn gleichgültig neben den Satz der Identität, "so daß jeder für sich gilt ohne Rücksicht auf den anderen" (ebd.). Die nähere Betrachtung zeigt jedoch, daß sie einander entgegengesetzt sind, sich widersprechen und sich gegenseitig aufheben: Der Verstand meint zwar, daß die Verschiedenheit nur "der äußeren Vergleichung" angehöre und die Dinge "FÜR SICH SELBST nur IDENTISCH mit sich" (Enz. § 117 Anm.) seien, so daß der Satz der Verschiedenheit dem Satz der Identität nicht widerspreche. "Dann aber GEHÖRT auch die Verschiedenheit NICHT dem Etwas oder Allem AN, sie macht keine wesentliche Bestimmung dieses Subjekts aus; dieser zweite Satz kann auf diese Weise [als unbedingt gültiger Grundsatz, d.V.] g^r nicht gesagt werden" (ebd.). Der Satz der Verschiedenheit läßt sich also als Grundsatz, als Axiom, nur formulieren, wenn "Etwas SELBST [...] durch SEINE EIGENE Bestimmtheit" (ebd.) verschieden ist, die Dinge die Verschiedenheit als ihre "wesentliche Bestimmung" an sich haben. Das impliziert aber, daß die Dinge nicht nur identisch mit sich sind, sondern auch eine Negation, d.h. eine Verschiedenheit von sich an ihnen aufweisen (L. II., 38; 53). Mit der Freilegung dieser im Satz der Verschiedenheit liegenden Implikation verbindet Hegel eine radikale Kritik an der Verstandesansicht des Satzes der Verschiedenheit. Der Verstand meint mit dem 23

Vgl. Leibniz, Monadologie § 9: Nach dem Satz der Verschiedenheit "[muß] [...] jede Monade [...] von jeder anderen verschieden sein. Denn es gibt niemals in der Natur zwei Seiende, die einander vollkommen gleich wären und bei denen es nicht möglich wäre, einen inneren oder auf einer inneren Bestimmung (denominatio intrinseca) beruhenden Unterschied zu finden".

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Satz der Verschiedenheit, daß jedes Ding "nicht ein Verschiedenes VON SICH, sondern nur VON ANDEREM" (L. H.,38; 53) sei. Diese Meinung erweist sich als verkehrt, indem deutlich wird, daß jedes Ding nur dann notwendig verschieden von allen anderen ist, wenn es zugleich eine 'Verschiedenheit seiner selbst von sich an ihm" (ebd.) hat.24 Die reflexionslogische Sinnanalyse des Grundsatzes der Verschiedenheit fordert zutage, daß er etwas "enthält", was in den traditionellen Formulierungen nicht ausgesprochen, sondern nachgerade verdrängt wird, und offenbart in diesem Widerspruch somit die "Auflösung und Nichtigkeit" (L. II., 40; 54) der Verstandesansicht dieses Grundsatzes. Hegels kritische Interpretation des Satzes der Verschiedenheit besagt also, daß etwas zwar ein Verschiedenes von einem Anderen sein soll, aber in Wahrheit diese Verschiedenheit seine eigene bzw. innere Bestimmung ist. Jedes Ding muß daher eine innere Verschiedenheit oder seine Verschiedenheit an sich selbst haben. Damit ist aber die Verschiedenheit in bestimmte Verschiedenheit, in Entgegensetzung übergegangen. In diesem Übergang wird das nur mit sich identische Ding in die negative Reflexion des Gegensatzes aufgelöst. II. Hegels Deutung des Satzes der Verschiedenheit enthält implizit eine Kritik an Kants Leibnizkritik. - Für Leibniz war der Grundsatz der Identität des Nichtzuunterscheidenden die Kehrseite des Satzes der Verschiedenheit: "Es kann nicht zwei gleiche Dinge geben; denn sonst eben wären sie nicht zwei, nicht unterschieden, sondern ein und dasselbe" (Principia philosophiae § 7, zit. nach Hegel, Werke 20, 241).

Für Leibniz sind zwei Dinge immer verschieden; sind sie es nicht, so sind sie nicht zwei Dinge, sondern fallen in ein einziges identisches, in numerische Identität, zusammen. Kant kritisiert das Leibnizsche "principium identitatis indiscernibilium" im Zusammenhang seines Amphibolievorwurfs gegenüber den Reflexionsbegriffen der klassischen Metaphysik. Reflexionsbegriffe sind für Kant "Vergleichungsbegriffe" (Kant, Kd.V., B 318, A 263), bei denen sich in dem Moment ein Problem ergibt, wenn Be24

Vgl. Hegels Auslegung der Kategorie des begrenzten Etwas in der Daseinslogik: Das Etwas hat "seine Grenze zunächst [...] gegen Anderes" (L. L, 114; 136), ist dadurch aber "ebensosehr von sich selbst getrennt" (L. L, 115; 137). Schon in der Daseinslogik wird deutlich, daß nach Hegel sich Etwas von etwas anderem unterscheidet, indem es sich zugleich von sich selbst unterscheidet. Ebenso ist das Andere nur wirklich das Andere von Etwas, wenn es zugleich das Andere seiner selbst ist.

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griffe nicht nur logisch miteinander verglichen (logische Reflexion), sondern auf Gegenstände bezogen werden. Dann ist zu unterscheiden, ob die zu vergleichenden Gegenstände Gegenstände des reinen Verstandes (Noumena) oder empirische Gegenstände (Phaenomena) sind. Diesen generellen Unterschied festzustellen, obliegt der der logischen Reflexion vorausliegenden "transzendentalefn] Reflexion" (ebd.). Diese unterscheidet die zu vergleichenden Vorstellungen nicht nach ihrem Gehalt, sondern danach, zu welchen "Erkenntnisquellen" sie gehören, also nach ihrer Zugehörigkeit zur Sinnlichkeit oder zum Verstand. Ohne diese vorherige Feststellung, um welche Gegenstände es sich handelt, kommt es nach Kant zu einer "tranzendentalen Amphibolie" (Kant, Kd.V., B 326, A 270), d. h. einer Verwechslung von Noumena und Phaenomena. Eine eben solche wirft Kant Leibniz vor. Vor diesem Hintergrund kritisiert Kant die Leibnizsche Auffassung, wonach die Identität des Nichtzuunterscheidenden die Kehrseite des Satzes der Verschiedenheit sei. Sind zwei Gegenstände auch hinsichtlich ihrer Begriffe (z.B. Qualität, Quantität) vollkommen ununterscheidbar, so sind sie noch lange nicht identisch (numerisch identisch), da sie zu gleicher oder verschiedener Zeit an verschiedenen Orten im Raum sind (Kant, Kd.V., B 320, A 264). Für Leibniz zählt die Verschiedenheit der physischen Orte nicht, weil es für ihn bei der Verschiedenheit nur um innere Qualitäten und nicht um äußere Verhältnisse gehen kann (Leibniz, Monadologie §§ 9, 11; Kant, K.d.V., B 331, A 275). Das Resultat war konsequenterweise das "principium identitatis indiscernibilium", wonach alles logisch-kategorial nicht zu Unterscheidende (numerisch) identisch ist. Kant relativiert diesen metaphysischen Grundsatz, indem er zeigt, daß er keine Anwendung auf Gegenstände der Sinnlichkeit haben kann. Er kritisiert den Leibnizschen Grundsatz also nicht an und für sich selbst. Er kritisiert nur, daß Leibniz die Verhältnisse der Dinge an sich mit den Erscheinungen verwechselt. Im Prinzip wäre der Leibnizsche Grundsatz durchaus akzeptabel, aber nur "für die Gegenstände des reinen Verstandes [...] und da konnte sein Satz des Nichtzuunterscheidenden [...] allerdings nicht bestritten werden" (Kant, Kd.V., B 320, A 264). Im Bereich der Dinge an sich ist es also für Kant wirklich so, daß zwei Dinge, die nicht zu unterscheiden sind, identisch sind. Dieser Sachverhalt bezeichnet die Grenze der Kantischen Metaphysikkritik deutlich. Kant kritisiert den metaphysischen Grundsatz der Identität des Nichtzuunterscheidenden gar nicht an und für sich selbst, schränkt lediglich seine Anwendung im Bereich der Erscheinungen ein, beläßt ihn aber im Bereich der Dinge

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an sich -, eine Grenze, die selbst Folge seines metaphysischen Konzepts der Trennung von Ding an sich und Erscheinung ist. Nach Hegels Auffassung läßt sich der Leibnizsche Satz der Identität des Nichtzuunterscheidenden als Kehrseite des Satzes der Verschiedenheit nicht wegen der fehlenden Berücksichtigung von Noumena und Phaenomena nicht aufrechterhalten, sondern weil dem Satz der Verschiedenheit das Prinzip der Vergleichung und die Annahme von Substraten zugrunde liegt. Schon der ganz oberflächliche Sinn des Satzes der Verschiedenheit zeigt, daß der Grundsatz der Identität des Nichtzuunterscheidenden nicht aus der Gültigkeit des Satzes der Verschiedenheit folgt, denn die Annahme von Dingen impliziert immer die numerische Verschiedenheit. Der Satz der Verschiedenheit enthält nach Hegel ein Doppeltes: die numerische, äußere Verschiedenheit und die bestimmte, innere Verschiedenheit. Der Fehler von Leibniz besteht demnach darin, daß er erstere leugnet, indem es ihm auf letztere ankommt. Der Leibnizschen Intellektualansicht des Universums liegt, wie Kant bereits bemerkt hat (Kant, Kd.V., B 331, A 275), eine metaphysische Trennung von äußerlichen und innerlichen Verhältnissen zugrunde, die Hegel nicht wie Kant mit der Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung, sondern mit einer immanenten Kritik des metaphysischen Substratdenkens selbst überwinden möchte. Hegels Kritik am Satz der Verschiedenheit zeigt auf, daß die gleichgültige Äußerlichkeit der Verschiedenheit der Substrate notwendig in die negative Reflexion der Entgegensetzung übergeht. Zwar folgt Hegel der Sache nach der Kantischen Leibnizkritik. Der Intention nach jedoch folgt er eher dem Anliegen der Leibnizschen Metaphysik, den universalen Beziehungszusammenhang aller Dinge an ihnen selbst zu entwickeln. Ihm geht es um den Nachweis, daß "der Unterschied eben nicht bloß als die äußerliche und gleichgültige Verschiedenheit, sondern als Unterschied an sich aufzufassen ist und daß es somit den Dingen an ihnen selbst zukommt, unterschieden zu sein" (Enz. § 117 Zus.). Und Hegel ergänzt: "Dies ist auch der Sinn des Leibnizischen Satzes" (Enz. § 117 Anm.). III. Hegel gibt dem Satz der Verschiedenheit also einen ganz speziellen Sinn. Für den Verstand ist er ein analytischer Satz, "denn im Plural der Dinge liegt unmittelbar die Mehrheit und die ganz unbestimmte Verschiedenheit" (L. II., 38; 53). Nach Hegels Deutung enthält der Satz "mehr" als die numerische, äußere Verschiedenheit, nämlich die bestimmte, innere Verschiedenheit -, daß die Dinge durch eine Bestimmung, durch die Bestimmung der Ungleichheit verschieden sind. Daß Dinge verschieden sind, bedeutet, ihnen kommt

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die Bestimmung der Ungleichheit ebenso zu wie die der Gleichheit, "denn erst beide zusammen machen den bestimmten Unterschied aus" (L. II., 39; 54); ihre bloß numerische Verschiedenheit ist die ganz unbestimmte Verschiedenheit, "DIE BLOSSE GLEICHHEIT der Dinge" (ebd., 39; 53). Nach Hegels Deutung ist der Satz der Verschiedenheit also kein bloß analytischer Satz mehr, der unmittelbar aufgestellt werden kann, sondern ein synthetischer Satz, da er die "Verknüpfung" (ebd., 39; 54) verschiedener Bestimmungen (Geichheit/Ungleichheit) enthält. Als synthetischer Satz bedarf er eines "Beweises" (ebd.), denn diese "Verknüpfung" liegt nicht unmittelbar vor. Dieser Beweis kann nun nicht empirisch im Auffinden des Sachverhalts, daß es nicht zwei gleiche Dinge gibt, erfolgen ("Glückliche Zeiten für die Metaphysik, wo man sich am Hofe mit ihr beschäftigte und wo es keiner anderen Anstrengung bedurfte, ihre Sätze zu prüfen, als Baumblätter zu vergleichen" (ebd., 39; 53)), sondern besteht in der Darstellung des logischen Übergangs der Identität in die Verschiedenheit und von dieser in die bestimmte Verschiedenheit. Diese Darstellung hat Hegel im Haupttext gegeben. Die reflexionslogische Sinnanalyse des Grundsatzes der Verschiedenheit fördert seine "Auflösung und Nichtigkeit" (L. II., 40; 54) zutage, indem sie dessen Widerspruch mit sich selbst zur Darstellung bringt. Daß zwei Dinge nicht vollkommen gleich sind, besagt, daß sie gleich und ungleich zugleich sind: gleich, denn sie sind gleichermaßen Dinge; ungleich, denn sie sind durch die Bestimmung der Ungleichheit verschieden. Damit sind Gleichheit und Ungleichheit aber in Entgegensetzung übergegangen, denn als verschiedene Bestimmungen eines und desselben Substrats sind sie entgegengesetzte. Mit der Verwandlung verschiedener in entgegengesetzte Bestimmungen eines und desselben Dinges ist der Sache nach der "Widerspruch" gegeben. Während die Verstandesreflexion den Widerspruch von den Dingen fernhalten und in die subjektive Reflexion verbannen will, zieht Hegel die entgegengesetzte Konsequenz: Ihm zufolge muß das, was verschieden ist, auch als entgegengesetzt bestimmt und die Entgegensetzung als Widerspruch gedacht werden. Die "Zärtlichkeit für die Dinge" (L. II., 40; 55), die den Widerspruch an den Dingen nicht als solchen akzeptieren kann, widerspricht sich letztlich selbst, denn sie "vergißt [...], daß damit der Widerspruch nicht aufgelöst, sondern nur anderswohin, in die subjektive oder äußere Reflexion geschoben wird" (ebd.).

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2. Der Stellenwert der Logik der Verschiedenheit in Hegels Philosophie Die Logik der Verschiedenheit hat generelle Bedeutung für Hegels Konzept einer spekulativen Philosophie. So wie die Logik der Identität und des absoluten Unterschieds die logische Grundlage der Kritik an der Absolutheitsphilosophie Schellings enthält, enthält die Logik der Verschiedenheit die logische Grundlage der Kritik der aristotelischen Ontologie individueller Substanzen sowie der Leibnizschen Monadologie. Für Hegel ist der "Satz der Verschiedenheit" der ontologische Grundsatz einer Metaphysik und Ontologie, die von der abstrakten Verstandeskategorie der Absolutheit der Vielheit, der abstrakten Einzelheit, ausgeht. Die reflexionslogische Kritik an der Verschiedenheit löst die Dinge in Funktionen von Beziehungen auf. Anders als bei Aristoteles und Leibniz ist für Hegel die Totalität dessen, was ist, nicht ein Kosmos von Dingen, Substanzen oder Monaden, sondern ein Universum von Relationen. Am Ende der Wesenslogik, im Kapitel über das "absolute Verhältnis" (L. II., 184ff.; 217ff.) entwickelt Hegel das Absolute als absolute Relationalität. Die Wesenslogik ist jedoch nicht nur kritische Darstellung der "Kategorien der Metaphysik" (Enz. § 114 Anm.), sondern auch der Kategorien der "Wissenschaften überhaupt" (ebd.), speziell der empirischen Wissenschaften. Die Logik der Verschiedenheit enthält die logische Grundlage der Kritik insbesondere am vergleichenden Verfahren der "endlichen Wissenschaften" und der Kritik an denjenigen Verstandesbegriffen, mit denen diese Wissenschaften als operative Mittel umgehen. Das Geschäft der "endlichen Wissenschaften", so führt Hegel im Zusatz zu Enz. § 117 aus, besteht zum großen Teil in der Anwendung der Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit. Ihr Verfahren geht darauf aus, die in Betracht gezogenen Gegenstände, die sie als gegeneinander gleichgültig verschiedene in ihre Untersuchungen aufnehmen, miteinander zu vergleichen. Hegel hebt hervor, daß die Methode des Vergleichs in den endlichen Wissenschaften zu "wichtigen Resultaten" führt und verweist auf die "großen Leistungen" auf den Gebieten der "vergleichenden Anatomie" und der "vergleichenden Sprachforschung". Seine Kritik richtet sich gegen zweierlei: Erstens sei man zu weit gegangen, indem man das vergleichende Verfahren auf alle Gebiete der Erkenntnis mit gleichem Erfolg anzuwenden meinte, und zweitens werde durch das bloße Vergleichen dem wissenschaftlichen Bedürfnis noch nicht letztlich Genüge getan. Die Resultate des vergleichenden Verfahrens seien "nur als (allerdings unent-

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behrliche) VORARBEITEN für das wahrhaft begreifende Erkennen zu betrachten" (ebd.). Hegels Kritik an der Methode des Vergleichs richtet sich vornehmlich gegen die Willkür von Vergleichen, die eine Differenz ohne Identität und eine Identität ohne Differenz konstatieren. Bei den empirischen Wissenschaften käme es häufig vor, "daß das eine Mal das wissenschaftliche Interesse nur in das Zurückführen vorhandener Unterschiede auf Identität und ein anderes Mal wieder ebenso einseitigerweise in das Auffinden neuer Unterschiede gesetzt wird" (Enz. § 118 Zus.). Der einseitige begriffslose Empirismus wird komplettiert durch einen ebenso einseitigen Reduktionismus. Im Zurückführen von allem auf Identität kommen die empirischen Wissenschaften mit den formalen Konstruktionen der "Identitätsphilosophie" Schellings überein. Demgegenüber hat die Philosophie bzw. die spekulative Logik für Hegel die Aufgabe, "die Nichtigkeit der vom Unterschied abstrahierenden, [...] bloßen Verschiedenheit" aufzuzeigen. Die Kritik der Verschiedenheit ergänzt sie durch das Bemühen, "die innere Einheit alles dessen, was da ist, zu erkennen" (ebd.). Die empirischen Wissenschaften analysieren gegebene, konkrete Gegenstände, heben deren allgemeine Bestimmungen hervor und gehen sodann dazu über, diese nach Gleichheit und Ungleichheit zu vergleichen. Die Mathematik, für Hegel die Verstandes Wissenschaft par excellence, operiert von vorneherein mit den Verstandesbestimmungen der "Gleichheit und Ungleichheit, der Identifizierung und des Unterscheidens" (Enz. § 259 Anm.). Denn es ist "die Größe, der unwesentliche Unterschied, den die Mathematik allein betrachtet" (Phän., 38; 45). In der Mathematik ist daher für Hegel die Methode des Vergleichens am vollständigsten ausgebildet: "Insofern es übrigens beim Vergleichen darum zu tun ist, vorhandene Unterschiede auf Identität zurückzuführen, so muß die Mathematik als diejenige Wissenschaft betrachtet werden, in welcher dieses Ziel am vollständigsten erreicht wird, und zwar um deswillen, weil der quantitative Unterschied nur der ganz äußerliche Unterschied ist" (Enz. § 117 Zus.).

Die Abstraktionen der Mathematik haben ihre Berechtigung auf dem Felde der Quantität, darüber hinaus liefern sie keine Erkenntnis. Daher ist sie weder von Seiten der empirischen Wissenschaften noch von Seiten der Philosophie um den Vorzug der angeblich exakten Methode zu beneiden. Allein die philosophischen Wissenschaften sind diejenigen, die nicht instrumentell vergleichend den inneren und notwendigen Zusammenhang der Bestimmungen begreifen und die Dinge in ihrer Wahrheit erkennen.

§ 2 Die zweite Stufe der Logik

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Die spekulative Philosophie zeichnet sich nach Hegel dadurch aus, daß sie den Zusammenhang der verschiedenen Gegenstände, deren sich die empirischen Wissenschaften erkennend bemächtigen, als logische Beziehungen der Gedanken über diese Gegenstände zu ermitteln sucht. Dabei kommt der spekulativen Logik eine besondere Bedeutung zu, weil sie es ist, die diese Gedanken und ihre Beziehungen aufeinander in ihrer logischen Reinheit herausarbeitet, um sie in ihrer inneren Konsistenz und Wahrheit zu überprüfen. Dieses Konzept der spekulativen Philosophie begründet Hegels Postulat, die einzelnen Bestimmungen der Gegenstände und die verschiedenen Gegenstandsbereiche ins Verhältnis der Notwendigkeit zu setzen, im System zu philosophieren. Die verschiedenen Inhalte dürfen nicht gleichgültig nebeneinander auftreten und nur äußerlich miteinander verglichen werden, sondern stehen durch die Formbestimmungen, die sie angenommen haben, in Beziehung zueinander. Durch dieses Vorgehen erweist sich die Hegeische Philosophie als Kritik der abstrakten Verstandesreflexion der empirischen Wissenschaften. Die in den Bestimmungen der empirischen Wissenschaften enthaltenen und der logischen Reflexion unterzogenen Widersprüche gestatten Hegel die Konstruktion seines Systems der philosophischen Wissenschaften, das die Gegenstände der empirischen Wissenschaften als klar vermittelt aufweist: Die Logik geht als Fundamentalwissenschaft Natur- und Geistphilosophie voraus. Die spekulative Philosophie stellt so ideell den Zusammenhang zwischen den unvermittelten Phänomenen und Gegenstandsbereichen der empirischen Wissenschaften als Zusammenhang ihres Denkens her. Sie kritisiert theoretisch das Denken der "endlichen Wissenschaften" als abstraktes Verstandesdenken, mit dessen begriflfslosem Empirismus, den widersprüchlichen und zusammenhangslosen Theoremen sie sich nicht bescheidet.

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Der Gegensatz I. Einführung in Hegels Gegensatztheorie 1. Rekapitulation des Übergangs von der Verschiedenheit zum Gegensatz Bevor wir die Entwicklung des Gegensatzes im Haupttext weiter verfolgen, wollen wir die differentia specifica des Gegensatzbegriffs, wie er sich aus dem Übergang von der Verschiedenheit ergeben hat, gegenüber dem Gegensatzbegriff der traditionellen formalen Logik festhalten. Der Übergang von der Verschiedenheit zum Gegensatz stellt uns vor die Frage, durch welches "Reflexionsgesetz" die Verschiedenheit in Entgegensetzung übergeht. Zu Beginn des Abschnitts über den Gegensatz kommt Hegel auf diesen Übergang nochmals zu sprechen: Z 184 "Im Gegensatze ist die BESTIMMTE REFLEXION, der Unterschied vollendet. Er ist die Einheit der Identität und der Verschiedenheit; seine Momente sind in EINER Identität verschiedene; so sind sie ENTGEGENGESETZTE" (L. II., 40; 55).

1. Mit der Kategorie des Gegensatzes ist die "BESTIMMTE REFLEXION [...] vollendet". Der Ausdruck "BESTIMMTE REFLEXION" deutet darauf hin, daß sich im Übergang von der Verschiedenheit zur Entgegensetzung der Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen wiederholt. Im Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion hat sich die Reflexion des Wesens zur Reflexionsbestimmung fortbestimmt. Mit der Konstitution des Bereichs der Reflexionsbestimmungen wird die Reflexion als BestimmtheitsVerhältnis gesetzt, die reine Reflexion "BESTIMMTE REFLEXION".i Vgl. den Vorspann zum 2. Kapitel der Wesenslogik: "Die Reflexion ist bestimmte Reflexion, somit ist das Wesen bestimmtes Wesen, oder es ist WESENHEIT" (L. ., 23; 35).

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik

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Die Reflexionsbestimmungen sind die der Reflexion des Wesens eigenen Bestimmtheiten. Im Durchgang durch die Logik der Reflexionsbestimmungen hat sich nun im Gegensatz die "BESTIMMTE REFLEXION" "vollendet". Mit der Vollendung der bestimmten Reflexion im Gegensatz ist auch der "Unterschied" vollendet. Der Gegensatz ist der vollendete Unterschied, weil in ihm die Reflexionsbestimmungen als selbständige Wesenheiten gesetzt sind, und somit der Unterschied des Wesens vollständig entwickelt ist.2 2. Hegel definiert den "Gegensatz" als "Einheit der Identität und der Verschiedenheit". In dieser Begriffsbestimmung liegt zweierlei: a) Dem Gegensatz liegt das Verhältnis der Verschiedenheit zugrunde, b) Der Gegensatz ist ein Grenz- oder Spezialfall der Relation Verschiedenheit. Verschiedene Bestimmungen sind nur unter der Bedingung entgegengesetzte, daß sie nicht in beliebiger Rücksicht verschiedene sind. Entgegengesetzt sind Bestimmungen dann, wenn sie "in EINER Identität verschiedene" sind. "ENTGEGENGESETZTE" sind Bestimmungen also dann und nur dann, wenn sie in ein und derselben Rücksicht, in einer Beziehung verschiedene sind. Aufweicher Überlegung beruht Hegels Auffassung, daß entgegengesetzte Relate in einer Identität verschiedene sind? Wie ist das Zusammenfallen von Identität und Verschiedenheit im Gegensatz zu denken? Im Gegensatz ist die logische Struktur der Verschiedenheit als besonderes Verhältnis der Identität gesetzt. Wie ist dieser Gedanke zu verstehen? Entgegengesetzt verhalten sich zwei Relate x und y genau dann, wenn identisch ist mit nicht · y und y identisch ist mit nicht - x. Beide Bestimmungen sind dann identisch damit, nicht die andere zu sein. Zu irgendeiner beliebigen Bestimmung liegt also eine entgegengesetzte Bestimmung dann vor, wenn es nicht nur andere Bestimmungen y, z etc. gibt, die von verschieden sind, sondern wenn es zu genau eine Bestimmung y gibt, die mit nicht - identisch ist. Die Verschiedenheit "x ist nicht y" geht also in Entgegensetzung über, wenn gilt: "x ist identisch mit nicht - y" und "y ist identisch mit nicht - x". Dieses Zusammenfallen von Identität und Verschiedenheit im Gegensatz läßt sich als Zusammenfallen von Identität und Negativität Hegel orientiert sich bei der Einführung der Gegensatzkategorie an der aristotelischen Bestimmung des Gegensatzes als größtem und vollendetem Unterschied: "Da sich aber das Unterschiedene mehr oder weniger voneinander unterscheiden kann, so gibt es auch einen größten Unterschied und diesen nenne ich konträren Gegensatz" (Aristoteles, Met., 1055a 3-5).

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

deuten. Die Negativität entgegengesetzter Relate hat eine andere logische Struktur als die "einfache Negation". Sie läßt sich als besonderes Verhältnis der Identität beschreiben, als Identität oder Selbstbeziehung, die durch Negativität vermittelt ist. Jede Bestimmung ist im Gegensatz identisch mit sich oder bezieht sich auf sich selbst als die andere negierend. Beim Gegensatz haben wir es also mit einer Bestimmung selbstbezüglicher Negativität zu tun (vgl. Wolff (1981), 106ff.). Was besagt also Hegels Auffassung, daß entgegengesetzte Relate "in EINER Identität verschiedene" sind? Wenn zwei Bestimmungen und y entgegengesetzt sind, dann ist mit nicht - y und y mit nicht identisch. Jedes Entgegengesetzte besitzt sein eigentümliches Gegenstück, welchem es entgegengesetzt ist, "SEIN Anderes" (Enz. § 119).3 Jede Bestimmung bedarf zu ihrem Sein einer sie ergänzenden anderen Bestimmung, der sie entgegengesetzt ist. Die negative Beziehung zu der ihr anderen Bestimmung konstituiert ihr eigenes Wesen. So ist der Gegensatz der Unterschied von Bestimmungen, die in einer Identität verschiedene sind. 3. Nachdem wir uns den Übergang von der Verschiedenheit zum Gegensatz in von Hegels Gedankengang unabhängigen Überlegungen verständlich gemacht haben, ist nun darauf zurückzukommen, auf welche Weise Hegel selbst diesen Übergang im Abschnitt über die Verschiedenheit vollzogen hat. Hegel ging von der gleichgültigen Verschiedenheit von Gleichheit und Ungleichheit aus. Diese gehen in Entgegensetzung über, indem sie als Bestimmungen eines und desselben Substrats gesetzt sind. Damit ist nach Hegel mitgesetzt, daß die Gleichheit identisch ist mit Nicht-Ungleichheit und die Ungleichheit identisch mit Nicht-Gleichheit. Doch läßt sich in Hegels Konstruktion dieses Übergangs eine Eigentümlichkeit erkennen, die man als spezifisch idealistischen Charakter von Hegels logischer Argu"Der Unterschied des Wesens ist daher die ENTGEGENSETZUNG, nach welcher das Unterschiedene nicht ein ANDERES ÜBERHAUPT, sondern SEIN Anderes sich gegenüber hat; [...] jedes ist so des Anderen SEIN Anderes" (Enz. § 119). Der Begriff "das Andere" umfaßt eine Skala, deren oberstes Ende Hegel mit dem Term "SEIN Anderes" bezeichnet und dessen unterstes Ende ein Anderes unter vielen Anderen (Verschiedenheit) ist, die gleichgültig gegeneinander sind. "Der Zweck der Philosophie ist dagegen, die Gleichgültigkeit zu verbannen und die Notwendigkeit der Dinge zu erkennen, so daß das Andere als SEINEM Anderen gegenüberstehend erscheint" (Enz. § 119 Zus.l). Die "Notwendigkeit", von der Hegel hier spricht, ist die Notwendigkeit als Verhältnis der Abhängigkeit eines Begriffs von einem anderen. Diese Abhängigkeit konstituiert sich als Entgegensetzung.

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik

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mentation deuten kann: Der Übergang von der Verschiedenheit zur Entgegensetzung ist in Hegels Argumentation im Grunde unproblematisch, weil an sich ja bereits Gleichheit und Ungleichheit identisch damit sind, nicht die andere zu sein (vgl. L. II., 36f; 50f.). Das, was Gleichheit und Ungleichheit an sich bereits sind, nämlich Entgegengesetzte, wird nach Hegels Auffassung erst gesetzt, wenn sie auf ein und dasselbe Substrat bezogen werden, wobei die Bestimmtheit des Substrats gleichgültig ist. Erst in dieser Beziehung wird Hegel zufolge auch dem Verstand deutlich, daß beide Bestimmungen nicht mehr in gleichgültige Rücksichten auseinanderfallen. Anders sieht die Sache aus, wenn man Hegels Voraussetzung nicht mitmacht. Geht man von zwei beliebigen positiven Bestimmungen und y aus (z.B. zwei Farben wie blau und gelb; zwei Richtungen wie 6 km von Ost nach West und 6 km von West nach Ost; zwei Kapitalsummen von 100 Dollar aktivem und 100 Dollar passivem Kapital), dann können wir nur unter einer ganz bestimmten (inhaltlichen) Voraussetzung sagen, sie seien einander entgegengesetzt und verhielten sich negativ zueinander, ist nicht schlechthin identisch mit nicht - y, denn auch z,r etc. sind nicht-y. Nur als Bestimmungen eines bestimmten Gegenstandes, eines bestimmten Substrats verhalten sich und y entgegengesetzt zueinander. Blau ist nicht schlechthin identisch mit nicht-gelb. Die Auffassung, blau und gelb verhielten sich negativ zueinander, setzt vielmehr eine bestimmte Farbentheorie (die Goethesche Farbenlehre, deren Anhänger Hegel war) voraus, wonach blau als einfache "Ergänzungsfarbe" mit nicht-gelb identisch ist. Ein 6 km langer Weg von Ost nach West ist identisch mit dem Weg, der nicht 6 km von West nach Ost führt, nur insofern, als er ein Weg mit einem ganz bestimmten Vektorbetrag und einer ganz bestimmten Lage ist. Aktives und passives Kapital verhalten sich als "positives" und "negatives" Kapital nur, soweit Kapital mit einem bestimmten Absolutbetrag gemeint ist. Die angeführten Beispiele, die zum Teil identisch sind mit denen, die Hegel in der Anmerkung zum Gegensatz anführt (vgl. L. II., 44ff; 60ff), zeigen folgendes: Nur als Bestimmungen eines vorausgesetzten bestimmten Gegenstandes geht die Verschiedenheit zweier beliebiger Bestimmungen und y in Entgegensetzung über. Anders bei Hegel: Gleichheit und Ungleichheit waren an sich bereits entgegengesetzt. Ihre Entgegensetzung wird allerdings erst gesetzt, indem sie auf ein und dasselbe Substrat, gleichgültig welches, bezogen werden. Tatsächlich ist die Bestimmtheit des Substrats gleichgültig, wenn die Bestimmungen eh schon entgegengesetzt sind. Daß Gleichheit und Ungleichheit in einer Identität Verschiedene sind, ist bei Hegel also

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schon vor dem Übergang zur Entgegensetzung vorausgesetzt gewesen. Hegels Konstruktion des Übergangs von der Verschiedenheit zum Gegensatz läßt sich dahingehend interpretieren, daß mit ihm dem "Verstand" einsichtig gemacht wird, was die "Vernunft" bereits begriffen hat. 2. Hegels Kritik an der Unterscheidung der Begriffe in "konträre" und "kontradiktorische" in der traditionellen formalen Logik Die traditionelle formale Logik unterscheidet hauptsächlich zwei Gegensatzarten: den konträren und den kontradiktorisehen Gegensatz. Aristoteles führt noch zwei weitere Arten an: den privativen und den relativen Gegensatz (Aristoteles, Met., 1018a 20-35). Jener ist im Grunde kein logisch-formales, sondern ein "reales" Entgegensetzungsverhältnis. Auf den privativen Gegensatz geht Kants Lehre von der Realrepugnanz zurück. Der relative Gegensatz ist gleichfalls kein logisch-formaler Gegensatz; logisch reduziert er sich auf den äußerlichen Vergleich (Aristoteles, Kat., Kap. 10). Der konträre Gegensatz zeichnet sich dadurch aus, daß es zu ihm mindestens ein Mittleres gibt (Aristoteles, Kat., 12a), wohingegen für den kontradiktorischen Gegensatz das "tertium non datur" gilt. Logisch kann der Gegensatz sowohl zwischen Aussagen bzw. Urteilen als auch zwischen Begriffen bestehen. Von zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzten Urteilen (A ist schwarz; A ist nicht schwarz) muß immer eines wahr und eines falsch sein. Eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen. Bei einander konträr entgegengesetzten Urteilen (A ist schwarz; A ist weiß) können beide falsch sein, wenn z.B. A grün ist. Das Gleiche gilt für konträre und kontradiktorische Begriffe. Konträre Begriffe schließen einander aus, aber so, daß zwischen ihnen ein mittlerer Begriff möglich ist. So ist z. B. "blau" zu "gelb" ein konträrer Begriff, weil es noch andere "mittlere" Farbbegriffe zwischen beiden gibt. Kontradiktorische Begriffe schließen sich dagegen so aus, daß zwischen ihnen kein mittlerer Begriff möglich ist. So ist "nicht-blau" ein zu "blau" kontradiktorisch entgegengesetzter Begriff, weil mit "blau" und "nicht-blau" alle Farbbegriffe erfaßt sind. Hegel lehnt die traditionelle Unterscheidung von konträren und kontradiktorischen Begriffen ab. Worauf beruht nun seine Auffassung, daß es eine solche Unterscheidung zweier besonderer Arten von Begriffen im Grunde gar nicht gibt?

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Die Geschichte der Logik lehrt, daß die Charakterisierung der Prädikate als "konträre" und "kontradiktorische Begriffe" weder aus ihrer logischen Form noch aus ihrer inhaltlichen Bestimmtheit plausibel gemacht werden kann. Insbesondere die Antinomienlehre Kants hat gezeigt, daß Urteilspaare trotz ihrer kontradiktorischen Form einander bloß konträr oder gar subkonträr entgegengesetzt sein können; also im ersten Fall beide als falsch, im letzten beide als wahr. Das erste Verfahren wendet Kant bei den sog. mathematischen Antinomien (Antinomie von der Endlichkeit und Unendlichkeit der Welt, Antinomie von der unendlichen Teilbarkeit der Materie (vgl. Kant, K.d.V., B 548f., A 520)) an, das letztere bei den sog. dynamischen Antinomien (Antinomie von Kausalität und Freiheit, Antinomie des schlechthin unendlichen Wesens (vgl. Kant, K.d.V., B 564, A 535)). Antinomien sind für Kant dialektische Entgegensetzungen (Kant, K.d.V., B 533, A 505). Diese zeichnen sich dadurch aus, daß sie zwar keine wirklichen, wohl aber scheinbare Widersprüche sind. Scheinbar widersprüchlich sind nach Kant z.B. auch Zenons Bewegungsparadoxien. So löst sich nach ihm der Widerspruch zwischen Urteilen wie "ein Gegenstand bewegt sich" und "x bewegt sich nicht" als nur scheinbarer Widerspruch auf, wenn man für den Gegenstand etwas voraussetzt, das sich weder bewegt noch nicht bewegt. Ein solcher Gegenstand ist für Kant das "Weltall", denn das Weltall als Universum kann seinen Ort weder ändern noch behalten, da es einen solchen Ort außerhalb nicht gibt. Ist der Gegenstand also das Weltall, dann erweisen sich die formal widersprechenden Urteile beide als falsch (Kant, K.d.V., B. 531, A 503). Ein weiteres triviales Beispiel: Die Urteile "ein Körper riecht gut" und "ein Körper riecht nicht gut" behaupten formal eine Kontradiktion. Doch löst sich der Widerspruch als scheinbarer auf, wenn vom Satzsubjekt vorausgesetzt wird, daß es einen Gegenstand bezeichnet, dem die Bestimmung des Riechens gar nicht zukommt und der daher weder wohlriechend noch nicht wohlriechend ist. Die Prädikationen erweisen sich dann, trotz ihrer kontradiktorischen Form, nur als konträr. Ob sich die Begriffe "wohlriechend" und "nicht wohlriechend" zueinander kontradiktorisch verhalten, hängt allein vom vorausgesetzten Satzsubjekt ab. Auch umgekehrt gilt: Zwei formal konträre Prädikationen können in echte kontradiktorische Prädikationen übergehen, wenn nur der vorausgesetzte Inhalt bzw. Bestimmtheit des Gegenstandes sich ändert. Ein Beispiel: Der Begriff "Weg in Richtung Westen" verhält sich zum Begriff "Weg in Richtung Osten" konträr oder kontradiktorisch je nachdem, ein wie bestimmter Weg

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Die Logik der Reflexionsbestiramungen

unter diesen Begriff fallt. Es hängt von der Lage des absoluten Vektorbetrags ab, den wir einem Weg zuschreiben, ob jene Prädikate konträr oder kontradiktorisch sind. Kants transzendentale Dialektik beweist also, ohne daß dies Kant bemerkt zu haben scheint, daß die der Logik zugrundeliegende Lehre von den konträren und kontradiktorischen Begriffen unhaltbar ist. Die Antinomienlehre macht deutlich, daß es eine Illusion ist, zu glauben, man könnte gegebenen Begriffen unabhängig von ihrer Beziehung auf bestimmte Gegenstände ansehen, ob sie sich widersprechen oder nicht. Selbst Prädikate, die der Form nach Negationen voneinander sind, wie "wohlriechend" und "nicht wohlriechend", also der Form nach kontradiktorisch sind, geben aufgrund ihrer Form allein keine Auskunft darüber, ob sie sich auch dem Inhalt nach kontradiktorisch verhalten. Kants Antinomien sind der Form nach kontradiktorische, dem Inhalt nach teils konträre, teils subkonträre Urteilspaare. Der Unterschied konträrer und kontradiktorischer Begriffe beruht also gar nicht allein auf ihrem Inhalt oder ihrer logischen Form, sondern ist "kontextabhängig" (Wolff (1981), 103). Die Kontextabhängigkeit dieses Unterschieds besteht darin, daß es von der Bestimmtheit des Gegenstandes, auf den die Begriffe als Prädikate bezogen werden, abhängt, ob die Begriffsinhalte als bloß verschieden oder entgegengesetzt aufeinander bezogen werden. Aus dieser "Erfahrung" zieht Hegel die Konsequenz, die Konzeption konträrer und kontradiktorischer Begriffe als zwei Arten von Begriffen aufzugeben. In der Begriffslogik kritisiert er an der bisherigen formalen Logik, daß beide Begriffe "als zwei besondere ARTEN angesehen [werden], d.h. jeder als fest für sich und gleichgültig gegen den anderen, ohne allen Gedanken der Dialektik und der inneren Nichtigkeit dieser Unterschiede" (L. II., 256; 292). Sie bezeichnen nach Hegel vielmehr zwei "Reflexionsformen", die dialektisch ineinander übergehen. Und zwar muß ihm zufolge das, was konträr ist, "ebensosehr als KONTRADIKTORISCH" (ebd.) bestimmt werden. Explizit im Hinblick auf das Gegensatz- und Widerspruchskapitel der Wesenslogik fügt er hinzu: "Die Natur und der wesentliche Übergang der Reflexionsformen, die sie ausdrücken, ist an ihrer Stelle betrachtet worden" (ebd.). Nach Hegels Auffassung haben die Abschnitte über den Gegensatz und den Widerspruch im 2. Kapitel der Wesenslogik eine doppelte Aufgabe: Sie sollen erstens die "Nichtigkeit" des Unterschieds von konträren und kontradiktorischen Begriffen aufzeigen und zweitens, sollen sie Begriffe, die scheinbar nur konträr sind, auch als kontra-

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diktorisch erweisen. Aufgabe der Wesenslogik ist es mithin, den Übergang von der Kontrarietät zur Kontradiktorietät und schließlich zur Kontradiktion in seiner logischen Notwendigkeit darzustellen. Die in Kants Theorie der dialektischen Opposition entwickelte Einsicht, daß konträre Urteilsbeziehungen die Form der Kontradiktorietät haben können, ist Grundlage für zwei weitere Einsichten Hegels: Daraus folgt nämlich, daß kontradiktorischen Prädikationen gar nicht das in der traditionellen Metaphysik stets angenommene Verhältnis zwischen Bestimmungen einerseits und deren "Mangel" andererseits zugrunde liegt. In impliziter Kritik an der auf der metaphysischen Unterscheidung von Realität und Negation beruhenden Kantischen Theorie der analytischen Opposition betont Hegel, daß das Entgegengesetzte einer Bestimmung nicht bloß ein "Mangel" oder "Nichtsein" dieser Bestimmung bedeutet, sondern die im Verhältnis zu ihr negative Bestimmung. Jeder Gegensatz beruht nach Hegels Auffassung auf einer im Sinne reflexionslogischer Negativität negativen Beziehung zweier Bestimmungen und nicht auf dem Verhältnis von Sein und Nichtsein einer Bestimmung. Das Positive und Negative sind nun die Bestimmungen, die stets die Bestimmungen des Gegensatzes sind. Da der Gegensatz durch das Verhältnis des Positiven und Negativen konstituiert wird, nimmt Hegels Gegensatztheorie ihren Ausgang von der Analyse dieser Bestimmungen. In der bereits erwähnten Passage der Begriffslogik behauptet Hegel, daß den kontradiktorischen Begriffen die Reflexionsbestimmung der "Entgegensetzung", den konträren Begriffen nur die Reflexionsbestimmung der "Verschiedenheit" zugrunde liegt. Er begreift also die traditionell sog. "konträren" Beziehungen gar nicht mehr als Beziehung eines wirklichen Gegensatzes, sondern nur noch als Beziehung einer Verschiedenheit. Verhalten sich zwei Urteile konträr zueinander, d.h. ist ihr logisches Verhältnis so geartet, daß beide Urteile falsch sein können, dann sind sie nach Hegel zwar entgegengesetzt, an sich jedoch liegt ihnen die bloße Verschiedenheit zugrunde. Das bedeutet, der wirkliche Gegengsatz ist für Hegel erst der kontradiktorische. 3. Hegels Kritik an der traditionellen Reflexionslogik Die Analyse der Beziehungen zwischen Begriffsinhalten (Intensionen) fällt im Unterschied zur Analyse der Beziehungen zwischen Begriffsumfängen (Extensionen), die zur gewöhnlichen formalen Lo-

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gik gehört, in den Bereich der Reflexionslogik.* Nach Auffassung der traditionellen Reflexionslogik beruht die Unterscheidung zwischen konträren und kontradiktorischen Begriffen auf dem Unterschied der Beziehungen zwischen Begriffsinhalten. Sind Begriffsinhalte entgegengesetzt, so heißen sie kontradiktorische Begriffe. Sind sie bloß verschieden, so heißen sie subkonträr oder allenfalls konträr. "Verschiedenheit" und "Gegensatz" ("Widerstreit") heißen Reflexionsbegriffe, denn sie bezeichnen Beziehungen zwischen Begriffsinhalten. Die Relationen der Verschiedenheit und des Gegensatzes bestimmen die Beziehungen zwischen den konträren und kontradiktorischen Begriffen. Eine ähnliche Auffassung hat, wie wir gesehen haben, auch noch Hegel. Hegels Kritik der traditionellen Reflexionslogik richtet sich nun gegen die Auffassung, daß die durch Reflexionsbegriffe bezeichneten Beziehungen zwischen Begriffsinhalten durch die Begriffe als solche vorgegeben seien. Eine Reflexionslogik, die von bloßen Begriffen anfängt, und deren Gebrauch sowie deren logische Beziehungen untersucht, ohne daß sie zugleich auch die Beziehung der Begriffe auf die Bestimmtheit der Gegenstände berücksichtigt, ist unmöglich, denn unabhängig von der Beziehung auf bestimmte Substrate läßt sich nicht entscheiden, ob z.B. zwei gegebene Begriffe A und B ihrem Inhalt nach konträr, subkonträr oder kontradiktorisch sind. Die traditionelle Reflexionslogik geht von einer metaphysischen Trennung von Gegenstand und Begriff, von Substrat und Bestimmungen aus. Auf der einen Seite nimmt sie eine Sphäre für sich bestehender Gegenstände, auf der anderen Seite eine Sphäre inhaltlich bestimmter Begriffe, die als Prädikate von den Gegenständen ausgesagt werden, an. Die Beziehungen der Begriffe, die diese aufgrund ihres Inhalts haben sollen, werden als Beziehungen nur innerhalb der Begriffssphäre, als Beziehungen von Begriffsarten vorgestellt. Die traditionelle Reflexionslogik, die auch bei Kant noch vorliegt, geht also von der "Gegebenheit" einerseits der Begriffe, andererseits der Gegenstände aus, und meint, daß die logische Reflexion es mit solchen Gegebenheiten zu tun habe, ohne zu beachten, daß die Beziehungen zwischen Begriffen und der Bestimmtheit der Gegenstände, auf die die Begriffe als Prädikate bezogen sind, voneinander abhängig sind. Dieses Modell von logischer Reflexion ist für Hegel das der "äußeren" oder "subjektiven" Reflexion, die von der Trennung von GegenVgl. Kants Bemerkung zur logischen Reflexion in der K.d.V., B 316fT., A 260ff.

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stand und Begriff ausgeht und sie als "Gegebenheiten" nimmt. Die äußere Reflexion ist eine subjektive Verstandestätigkeit, die vorgegebene Begriffsinhalte unabhängig von ihrer Beziehung auf objektive Gegenstände in Beziehung aufeinander bringt. Die Beziehungen der Bestimmungen scheinen so nur aufgrund der subjektiven Verstandestätigkeit zu bestehen. Demgegenüber macht Hegels Wesenslogik die von der traditionellen Reflexionslogik (und formalen Logik) vernachläßigte Beziehung zwischen Gegenstand und Begriff, Substrat und Bestimmtheit zum eigentlichen Thema. Die Logik der Reflexionsbestimmungen untersucht also erstens die Reflexionsformen, in welchen sich die Bestimmungen der Substrate aufeinander beziehen, und zweitens untersucht sie, in welcher Weise diese Beziehungen die Beziehung auf eine Substratbestimmtheit voraussetzen. In Hegels Reflexionslogik erfährt damit der traditionelle Begriff der Reflexionsbestimmung eine qualitative Veränderung. Identität, Unterschied, Verschiedenheit etc. sind nicht mehr als subjektive Verstandestätigkeit (identifizieren, unterscheiden etc.), vielmehr als Beziehungen objektiver Reflexion, als "objektive Beziehungen" zu betrachten. Reflexionsbegriffe sind bei Hegel demnach nicht mehr Begriffe der äußeren, subjektiven Reflexion, sondern objektive, den Dingen selbst zukommende Beziehungen (vgl. Wolff (1981), 105). Daher kommen sie auch in Sätzen wie "Alle Dinge sind identisch", "Alle Dinge sind verschieden", "Alle Dinge sind entgegengesetzt", "Alle Dinge haben einen Grund" etc. zum Ausdruck. Die Auffassung, den Reflexionsbestimmungen müsse Objektivität beigelegt werden, verändert ihre traditionelle Bedeutung völlig und macht sie bei Hegel zum Gegenstand der "objektiven Logik". Die veränderte Bedeutung besteht darin, daß sie nun nicht mehr durch die Begriffsinhalte gegeben erscheinen, sondern in Abhängigkeit von anderen Beziehungen stehen, in Beziehung auf vorausgesetzte Substrate. Reflexionsbestimmungen sind, wie Hegel sagt, "reflektierte Bestimmungen" (vgl. L. II., 19; 31) in dem Sinne, daß sie als objektive Beziehungen durch andere objektive Beziehungen, durch Beziehungen auf vorausgesetzte Substrate, reflektiert werden. Reflexionsbestimmungen setzen also notwendigerweise Substrate voraus, die aber als bloße Substrate zugleich in den Beziehungszusammenhang der Reflexionsbestimmungen aufgehoben sind. Reflexionslogische Substrate sind nicht schlechthin seiende Substrate, denn sie sind ja durch und in Beziehung auf die Bestimmungen und deren Beziehungen überhaupt nur "gegeben". Die Logik der Reflexionsbestimmungen enthält also als Teil der "objektiven Logik" eine Kritik sowohl am

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Formalismus wie am Subjektivismus der traditionellen formalen Logik. Hegel orientiert sich im 2. Kapitel der Wesenslogik nicht an logischen Urteils- und Prädikatbeziehungen wie sie die traditionelle Metaphysik und Logik im "logischen Quadrat" (vgl. Menne (1974), 118f.) darstellt, um von daher "reale" Prädikate zu klassifizieren und untereinander in Beziehung zu bringen. Hegel verfährt umgekehrt. Er stellt die "objektive Logik" objektiver Beziehungen zwischen Bestimmungen von Gegenständen der "subjektiven Logik" der Begriffe, Urteile und Schlüsse voran. II. Die spekulativ-dialektische Entwicklung des Gegensatzes im Haupttext 1. Der Begriff des Gegensatzes Da mit dem Gegensatzbegriff als Vollendung der bestimmenden Reflexion in der Einheit von Identität und Verschiedenheit "ein Kulminationspunkt der Wesenslogik" (Schubert (1985), 91) erreicht ist, greift Hegel alle bisher entwickelten Momente der Reflexionsbewegung der Logik der Reflexionsbestimmungen noch einmal auf, um so den Boden zu gewinnen für die Einführung des Gegensatzbegriffs als Verhältnis des Positiven und Negativen. Das Positive und das Negative erweisen sich als Nachfolgerbegriffe von Gleichheit und Ungleichheit, die ihrerseits Identität und Unterschied auf der Stufe der Verschiedenheit ablösen. a) Rekapitulation der Logik der Reflexionsbestimmungen bis zum Gegensatz Z 185 "Die IDENTITÄT und der UNTERSCHIED sind die Momente des Unterschiedes innerhalb seiner selbst gehalten; sie sind REFLEKTIERTE Momente seiner Einheit" (L. II., 41; 55).

Zunächst rekapituliert Hegel die Logik der Reflexionsbestimmungen bis zur Verschiedenheit. Auf der I. Stufe der Logik der Reflexion sbeStimmungen sind Identität und Unterschied "die Momente des Unterschiedes innerhalb seiner selbst gehalten", da sie in dessen Einheit aufgehoben sind. Die Momente des absoluten Unterschieds sind noch ganz von dessen Immanenz durchdrungen: "REFLEK-

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TIERTE Momente" der noch einheitlichen, substratlosen Wesensstruktur. Z 186 "GLEICHHEIT und UNGLEICHHEIT aber sind die entäußerte Reflexion; ihre Identität mit sich ist nicht nur die Gleichgültigkeit eines jeden gegen das von ihm Unterschiedene, sondern gegen das Anundfürsichsein als solches, eine Identität mit sich gegen die in sich reflektierte; sie ist also die nicht in sich reflektierte UNMITTELBARKEIT" (L. II., 41; 55).

Indem die beiden Momente des Unterschieds als mit sich identische (durch ihre Reflexion-in-sich) gesetzt sind, sind sie gegeneinander gleichgültig verschiedene. Die Verschiedenen sind zwar nichts anderes als die Identität und der Unterschied selbst, aber in der Bestimmung der Identität, der sog. an sich seienden Reflexion, gesetzt. Ihr nunmehr nur noch äußerlicher Unterschied macht sie zu äußerlicher Identität und äußerlichem Unterschied, Gleichheit und Ungleichheit, Bestimmungen, wogegen die an sich seiende Reflexion gleichgültig ist. Im Übergang von der Logik von Identität und Unterschied zur Logik der Verschiedenheit tritt die Reflexion auseinander in an sich seiende und äußere Reflexion. Als kategoriale Bestimmungen der äußeren Reflexion bilden Gleichheit und Ungleichheit die 'Mitte' innerhalb der Gegenüberstellung von äußerer und an sich seiender Reflexion. Mit der Verschiedenheit zerfällt die ehedem einheitliche, substratlose Wesensstruktur in mehrstellige substratbestimmte Gleichgültigkeits- und Äußerlichkeitsverhältnisse. Die Reflexion des Wesens tritt in die Phase der Entfremdung von sich selbst, indem sie sich die an sich seiende Reflexion als substratbestimmte Identität voraussetzt. Als Bestimmungen der entäußerten Reflexion sind Gleichheit und Ungleichheit in ihrer "Identität mit sich" sowohl gleichgültig gegeneinander als auch gleichgültig gegen das selbständige Substrat, "das Anundfürsichsein als solches". So besteht nicht zuletzt auch ein Gleichgültigkeitsverhältnis zwischen ihrer "Identität mit sich" und der "in sich reflektierten" Identität, für die der Ausdruck "REFLEXION AN SICH" (L. II., 35; 49) einstand. Aufgrund der Gleichgültigkeits- und Äußerlichkeitsverhältnisse auf der Stufe der Verschiedenheit fallen auch Reflexion und Unmittelbarkeit auseinander. So restituiert sich an den Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit die Struktur seinslogischer, "nicht in sich reflektiertetr] Unmittelbarkeit".

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Z 187 "Das Gesetztsein der Seiten der äußerlichen Reflexion ist daher ein SEIN, so wie ihr Nichtgesetztsein ein NICHTSEIN" (L. II., 41; 55).

Das "Gesetztsein" der Bestimmungen der äußeren Reflexion hat, weil es ganz in dieser seinslogischen Unmittelbarkeit eingehüllt ist, die Gestalt des bloßen Seins, so wie das "Nichtgesetztsein" der Bestimmungen als bloßes "NICHTSEIN", d.h. als bloßer Mangel an Bestimmung, erscheint. Im Setzen einer Bestimmung und im Nichtsetzen dieser Bestimmung besteht für die äußere Reflexion eine vollständige Disjunktion. Entweder die äußere Reflexion setzt Bestimmungen oder sie setzt keine Bestimmungen, sie setzt nichts, sie setzt überhaupt nicht, so daß ein Mangel an Bestimmung vorliegt. Nach Auffassung der traditionellen Metaphysik ist es dieses Verhältnis zwischen Bestimmungen einerseits und deren "Mangel" andererseits, welches kontradiktorischen Prädikationen zugrunde liegt. Dagegen betont Hegel, daß das Entgegengesetzte einer Bestimmung nicht der "Mangel" dieser Bestimmung ist, sondern die im Verhältnis zu ihr negative Bestimmung. Es war die Leistung Kants, die Bestimmung der negativen Größe in die Weltweisheit einzuführen (vgl. Kant, NG). Nach Hegels Meinung beruht der Gegensatz nicht auf der Disjunktion Setzen einer Bestimmung und Nichtsetzen einer Bestimmung und damit Vorliegen von Bestimmungsmangel, sondern auf der Disjunktion: Setzen einer Bestimmung und Setzen einer ihr entgegengesetzten negativen Bestimmung. Eine negative Bestimmung ist also nicht dasselbe wie der Mangel einer Bestimmung, sie ist vielmehr als negative das Gegenstück einer positiven Bestimmung. Entgegensetzung ist für Hegel ein Verhältnis von Bestimmungen rnd nicht eines von Bestimmung und deren "Nichtsein" (Vgl. Kants Begriff der analytischen Opposition: Kant, NG, A 3; Wolff (1981), 41ff.). So kann vorausblickend schon gesagt werden, daß die Momente des Gegensatzes nicht aus der Disjunktion "Gesetztsein" - "Nichtgesetztsein" bestehen, sondern daß sie beide ein "Gesetztsein" darstellen.5 Mit dem folgenden Absatz wird durch eine Rekapitulation des Vorhergehenden der Ausgangspunkt für die neue Reflexionsstufe exponiert. Zunächst werden die "Momente des Gegensatzes näher be"Für eine gegebene (negationsfreie) Bestimmung +A, was immer ihr Inhalt sei, gilt [...], daß sie in Beziehung zu einer (negationsfreien) Bestimmung -A steht, die nicht nur von +A verschieden, sondern +A entgegengesetzt ist. Die Bestimmung -A ist dabei, wegen ihrer Negationsfreiheit nicht dasselbe wie der Mangel der Bestimmung +A, sie ist vielmehr das negative Gegenstück von +A" (Wolff (1981), 115 ).

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trachtet" (Z 188). Wie bei der kategorialen Entfaltung der Verschiedenheit will Hegel die konstituierenden Bestimmungen der Relate des Gegensatzes aus einer Reflexion auf das Resultat des Vorausgegangenen gewinnen. Dabei wird sich eine kategoriale Transformation früherer logischer Strukturzusammenhänge bei ihrer Integration in die aktuellen Reflexionsstrukturen ergeben. Z 188 "Die Momente des Gegensatzes näher betrachtet, so sind sie das in sich reflektierte Gesetztsein oder Bestimmung überhaupt. Das Gesetztsein ist die Gleichheit und Ungleichheit; sie beide in sich reflektiert machen die Bestimmungen des Gegensatzes aus. Ihre Reflexion-in-sich besteht darin, daß jedes an ihm selbst die Einheit der Gleichheit und Ungleichheit ist" (L. II., 41; 55f.).

Die Momente des Gegensatzes sind nicht das Gesetztsein und Nichtgesetztsein, Sein und Nichtsein, sondern "das in sich reflektierte Gesetztsein oder Bestimmung überhaupt". Der Terminus "in sich reflektierte^] Gesetztsein" steht für die Synthese von Gesetztsein und Reflexion-in-sich. Damit erneuert sich die logische Struktur der Reflexionsbestimmung, wie sie am Ende des 1. Kapitels der Wesenslogik im Abschnitt über die bestimmende Reflexion eingeführt wurde, innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen. Gesetztsein und Reflexion-in-sich sind in ihrer Einheit die konstituierenden Elemente der Reflexionsbestimmungen.e An dieser Stelle stellt sich die Frage, warum Hegel immer wieder auf frühere Kategorien zurückgreift, um spätere zu beschreiben, denn die allgemeine Strukturbeschreibung der Reflexionsbestimmungen liegt so weit zurück, daß sie dem aktuellen Niveau der Begriffsentwicklung kaum mehr angemessen sein dürfte. Zum einen scheint es so, daß Hegel stets dort, wo auf höherer Reflexionsstufe Verhältnisse zwischen Denkbestimmungen angetroffen werden, die denen analog sind, die in früheren Kategorien maßgeblich waren, auf diese früheren Bestimmungen zurückgreift. Zum anderen rekurriert Hegel immer dort auf frühere Kategorien, wo neue Bestimmungen entwickelt werden, weil jene die Voraussetzung dafür bilden, daß die neuen Denkbestimmungen adäquat expliziert werden können. Insbesondere in der Reflexionslogik bilden die neu eingeführten Kategorien diejenigen Bestimmungen, die sich aus den Relationen zwischen den logisch früheren konstituieren. Einmal mehr ein Hinweis darauf, daß sich im Übergang von der Verschiedenheit zur Entgegensetzung der Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion wiederholt.

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So wird auch im zweiten Satz von Z 188 angegeben, in welcher Weise sich die Bedeutung des aktuellen "Gesetztseins" von dem Begriff des Gesetztseins überhaupt, das als ein Moment in der Synthese mit dem Begriff der Reflexion-in-sich die logische Struktur der Reflexion sbeStimmungen überhaupt ausmachte, dem aktuellen Niveau der Begriffsentwicklung aber nicht mehr entspricht, unterscheidet. Für das aktuelle Gesetztsein - es ist das Gesetztsein der äußeren Reflexion, wie sie auf der Stufe der Verschiedenheit thematisch war stehen die Begriffe "Gleichheit" und "Ungleichheit". Infolge der Synthese von Gesetztsein und an sich seiender Reflexion sind "beide in sich reflektiert". Ihre "Reflexion-in-sich" - und damit ihre erweiterte logische Struktur - ist ihnen aus dem letzten Stadium der Logik der Verschiedenheit erwachsen. Aufgrund ihrer "Reflexion-in-sich" sind beide Bestimmungen an ihnen selbst "Einheit der Gleichheit und Ungleichheit". Die Gleichheit ist Einheit von Gleichheit und Ungleichheit; die Ungleichheit ist ebenfalls Einheit von Gleichheit und Ungleichheit. Als Einheit von Gleichheit und Ungleichheit hat die Gleichheit die Ungleichheit und die Ungleichheit die Gleichheit in sich. Als in sich reflektierte Bestimmungen sind sie einerseits als selbständige gesetzt und zugleich andererseits ineinander reflektierende oder scheinende Bestimmungen. In dieser Gestalt, als in sich reflektierte Gleichheit und in sich reflektierte Ungleichheit, bilden sie die "Bestimmungen des Gegensatzes". Z 189 "Die Gleichheit ist nur in der Reflexion, welche nach der Ungleichheit vergleicht, somit durch ihr anderes gleichgültiges Moment vermittelt; ebenso die Ungleichheit ist nur in derselben reflektierenden Beziehung, in welcher die Gleichheit ist" (L. II., 41; 56).

Hegel beschreibt die "Einheit", die beide Bestimmungen sind, zunächst als reflektierende Beziehung einer vergleichenden Reflexion: Die Gleichheit impliziert die "Reflexion, welche nach der Ungleichheit vergleicht", die Ungleichheit ist nur in der "reflektierenden Beziehung, in welcher die Gleichheit ist".7 Jedoch verwendet Hegel hier auch den Begriff "gleichgültig". Denn Gleichheit und Ungleichheit haben, unbeschadet ihrer zur internen Reflexion internalisierten Beziehung auf ihr Anderes, auch Bestand Die Einsicht in diese Tatsache bildet die Voraussetzung für das Verständnis der Hegeischen Kritik an der Willkür von Vergleichen, die eine Ungleichheit ohne Gleichheit und eine Gleichheit ohne Ungleichheit konstatieren (vgl. Enz. § 118 Zus.).

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außer dem Anderen. Ihre Gleichgültigkeit rührt daher, daß sie ursprünglich die Momente der Verschiedenheit waren. Diese aber waren durch ihre "Gleichgültigkeit [...] gegeneinander" (L. II., 37; 51) charakterisiert. Im Übergang von der Verschiedenheit zur Entgegensetzung kam bloß die Vermittlung beider gleichgültigen Momente hinzu, so daß auf der Reflexionsstufe des Gegensatzes die Gleichgültigkeit noch nicht völlig getilgt ist. Obschon die Bestimmungen im Übergang zur Entgegensetzung also zu Momenten einer negativen Einheit herabgesetzt wurden, bleiben sie als gleichgültige Seiten weiter bestehen. Die Gleichgültigkeit, die die Bestimmungen auf der Stufe der Verschiedenheit im ganzen kennzeichnete, ist somit zwar in der darauffolgenden Stufe vorhanden und bleibt so erhalten, jedoch nur in modifizierter Form. Z 190 "- Jedes dieser Momente ist also in seiner Bestimmtheit das Ganze. Es ist das Ganze, insofern es auch sein anderes Moment enthält; aber dies sein anderes ist ein gleichgültig SEIENDES; so enthält jedes die Beziehung auf sein Nichtsein und ist nur die Reflexion-in-sich oder das Ganze als sich wesentlich aufsein Nichtsein beziehend" (L. II., 41; 56).

Hegel faßt nun das neue reflexionslogische Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit in der Terminologie der Ganzes - Moment Relation zusammen und verweist dabei auf die Struktur der Negativität dieses Verhältnisses. Jedes Moment, das zusammen mit dem anderen Moment ein Ganzes ausmacht, ist selbst zugleich "in seiner Bestimmtheit das Ganze". Jedes ist selbst das Ganze, von dem es ein Moment ist, insofern es dieses Ganze in sich reflektiert. So ist die Gleichheit (das eine Moment) in ihrer Bestimmtheit das Ganze, insofern sie das ganze Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit in sich spiegelt. Ebenso verhält es sich bei der Ungleichheit. Die Ungleichheit (das andere Moment) ist das Ganze, insofern sie das ganze Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit in sich abbildet. So ist jedes Moment das Ganze, "insofern es auch sein anderes Moment enthält". Doch ist auf der anderen Seite "dies sein anderes [...] ein gleichgültig SEIENDES". Dabei hat der Ausdruck "gleichgültig" sowohl die Bedeutung von "Bestand haben auch außer dem einen" als auch die von "gleichgeltend" bzw. "gleichrangig". Einerseits gilt also: Jedes ist das Ganze, insofern es auch sein anderes Moment enthält. Nun ist das andere Moment auch ein "gleichgültig SEIENDES", also nicht nur in dem einen Moment enthalten, d.h., es behält noch einen Rest von Äußerlichkeit gegen das eine bzw. hat Bestand auch außerhalb desselben, und zwar so, daß es von gleichem Rang und Status wie das erste ist, mithin selbst das Ganze ist. Da das andere Moment in die-

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sem Sinne ein "gleichgültig SEIENDES" ist, gilt also andererseits, daß jedes nur insofern das Ganze ist, als es wesentlich seine Beziehung auf sein Nichtsein enthält bzw. als es sich wesentlich auf sein Nichtsein bezieht. Hegel möchte hier deutlich machen, daß die Beziehung beider Momente, insofern sie in ihrer Bestimmtheit das Ganze sind, eine negative ist. Der Begriff "sein Nichtsein" macht hier das andere Moment als das kenntlich, was nicht das eine ist, aber nicht so, daß es bloß nicht das eine überhaupt ist, also irgendein anderes, sondern so, daß es identisch ist damit, nicht das eine zu sein. "Sein Nichtsein" bezeichnet also genau das andere Moment, das identisch ist mit der Negation des einen. Bezieht sich eine Bestimmung wesentlich auf ihr Nichtsein, so bezieht sie sich auf diejenige andere Bestimmung, die ihre Negation ist. So läßt sich zusammenfassend sagen: Jedes Moment ist in seiner Bestimmtheit das Ganze, insofern es auch sein anderes Moment enthält. Und zugleich gilt, daß jedes nur insofern das Ganze ist, als es zugleich als das Ganze negiert ist, da das andere Moment eines von gleichem Status und Rang ist wie das eine, also ebenfalls in seiner Bestimmtheit das Ganze ist und sein anderes Moment enthält. Anders ausgedrückt: Indem jedes Moment in seiner Bestimmtheit das Ganze ist, so ist nicht nur das eine, sondern auch das andere Moment das Ganze. Insofern das andere Moment das Ganze ist, ist das erste Moment selbst eines, das in dem anderen enthalten ist. Jedes Moment ist sowohl Enthaltendes als auch Enthaltenes. Als das andere Moment Enthaltendes ist es das Ganze, als im anderen Moment Enthaltenes ist es als das Ganze negiert. Es ergibt sich somit, daß jedes Moment nur insofern das Ganze ist, als es zugleich als dieses Ganze negiert ist. Jedes Moment ist das Ganze nur durch seine Negativität. Die logische Struktur der reflexionslogischen Negativität entgegengesetzter Relate wird Hegel weiter unten noch genauer untersuchen. b) Das Positive und Negative als Nachfolgerbegriffe von Gleichheit und Ungleichheit In der folgenden Passage werden die Begriffe "das POSITIVE" und "das NEGATIVE" eingeführt. Sie lösen die Begriffe "Gleichheit" und "Ungleichheit" ab und bilden die Momente der Gegenüberstellung von der Reflexionsstufe des Gegensatzes an:

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Z 191 "Diese in sich reflektierte GLEICHHEIT mit sich, die in ihr selbst die Beziehung auf die Ungleichheit enthält, ist das POSITIVE; so die UNGLEICHHEIT, die in ihr selbst die Beziehung auf ihr Nichtsein, die Gleichheit enthält, ist das NEGATIVE" (L. II., 41; 56).

Schon an den von Hegel hervorgehobenen Begriffen wird deutlich, daß "das POSITIVE" ein neuer Ausdruck für den Begriff "GLEICHHEIT" und "das NEGATIVE" der Nachfolgeterm für den Begriff "UNGLEICHHEIT" ist. Gleichheit und Ungleichheit waren die gleichgültigen Momente der Verschiedenheit. Im Übergang zur Kategorie des Gegensatzes wurden sie neu strukturiert. Als in sich reflektierte Bestimmungen sind sie in sich und gegeneinander bestimmt und machen aufgrund ihrer begrifflichen Neufassung die "Bestimmungen des Gegensatzes" (Z 188) aus. Die Terme "das POSITIVE" und "das NEGATIVE" werden nun für die Momente des Gegensatzes eingesetzt; offensichtlich sind sie besser dazu geeignet als diese, die Seiten des Gegensatzes und des Widerspruchs zu charakterisieren. Dabei ergibt sich die Einsetzung im Falle des Positiven daraus, daß die Gleichheit als "in sich reflektierte" "die Beziehung auf die Ungleichheit enthält". Daß der Begriff des Negativen an die Stelle der Ungleichheit tritt, folgt aus dem Umstand, daß die Ungleichheit als Reflexion-in-sich die Beziehung auf die Gleichheit "enthält". Das Positive und das Negative sind also die Nachfolgebestimmungen für die Begriffe Gleichheit und Ungleichheit in der neuen Reflexionsstufe, in welcher die logische Struktur des Gegensatzes thematisch wird. Im nächsten Satz - er wird eingeleitet mit "oder" - wird eine andere Argumentation mit dem gleichen Ergebnis angeführt. Die wesenslogische Neubenennung von Gleichheit und Ungleichheit wird unter einem anderen Aspekt betrachtet: Z 192 "- Oder beide sind das GESETZTSEIN; insofern nun die unterschiedene Bestimmtheit als unterschiedene BESTIMMTE BEZIEHUNG des Gesetztseins AUF SICH genommen wird, so ist der Gegensatz einesteils das GESETZTSEIN in seine GLEICHHEIT MIT SICH reflektiert, andernteils dasselbe in seine Ungleichheit mit sich reflektiert, das POSITIVE und NEGATIVE" (L. II., 41; 56).

Hier erfolgt die Gewinnung der neuen Begriffe über den Begriff des Gesetztseins. - Gleichheit und Ungleichheit waren das Gesetztsein der äußeren Reflexion. Inzwischen ist das Gesetztsein eine Synthese mit der Reflexion-in-sich eingegangen. Das Gesetztsein, das seinem Sinne nach selbst ein in sich reflektiertes ist, hat den Charakter der Beziehung auf sich angenommen. Aufgrund dieser seiner Verfassung kann die "unterschiedene Bestimmtheit" des Gesetztseins

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"als unterschiedene BESTIMMTE BEZIEHUNG des Gesetztseins AUF SICH genommen" werden. Nach der einen Bestimmtheit - dieser Bestimmtheit entspricht der Begriff der Gleichheit - ist "das GESETZTSEIN in seine GLEICHHEIT MIT SICH reflektiert", nach der anderen Bestimmtheit - sie korrespondiert mit dem Begriff der Ungleichheit - ist es "in seine Ungleichheit mit sich reflektiert". Seine "unterschiedene Bestimmtheit" verdankt das Gesetztsein also seinen unterschiedlichen Beziehungsweisen auf sich selbst. Für die eine Art der Beziehung des Gesetztseins auf sich steht das Positive, für die andere das Negative. In der Bestimmtheit des Positiven und Negativen erhält das Gesetztsein die Bedeutung des Entgegengesetztseins. Genauer: Die unterschiedlichen Beziehungsweisen des Gesetztseins auf sich (Gleichheit mit sich/Ungleichheit mit sich) machen es zu einem Entgegengesetztsein. (Hegel: "[...] der Gegensatz einesteils das GESETZTSEIN [...], andernteils dasselbe [...]"). Es wird deutlich, daß Hegel versucht, die kategoriale Transformation von "GLEICHHEIT" und "UNGLEICHHEIT" in "das POSITIVE" und "das NEGATIVE" in allen Einzelheiten argumentativ zu erschließen. Während in Z 191 die Introduktion der neuen Begriffe unmittelbar an die neue reflexionslogische Struktur von Gleichheit und Ungleichheit angeknüpft wurde, werden sie Z 192 zufolge aus einer bestimmten Beziehungsstruktur des Gesetztseins hergeleitet. In Z 191 treten Gleichheit und Ungleichheit als Subjektausdrücke auf, die Gegenstand bestimmter reflexionslogischer Beziehungen sind. In Z 192 haben sie den Status bestimmter reflexionslogischer Beziehungen (Gleichheit mit sich/Ungleichheit mit sich) des Gesetztseins. Was als Subjekt in Z 191 fungiert, macht Hegel in Z 192 zum Prädikat. Auf diese Weise vollzieht sich die spekulativ-dialektische Transposition von Gleichheit und Ungleichheit in das Positive und Negative. - Gleichheit und Ungleichheit sind zunächst das Gesetztsein. Das Gesetztsein ist als in sich reflektiertes zum einen in die Gleichheit mit sich reflektiert, das Positive, zum anderen in die Ungleichheit mit sich reflektiert, das Negative. Für die Einführung der beiden neuen Begriffe dient also eine komplexe argumentative Struktur. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, daß die Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit einer niedrigeren Reflexionsstufe (Verschiedenheit) angehören. Sie sind zwar in der darauffolgenden Stufe noch vorhanden und bleiben so erhalten, aber sie sind in einer Weise in die neuen Bestimmungen integriert, daß sie ihre unmittelbare Individualität und Aktualität einbüßen.

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Z 193 "- Das POSITIVE ist das Gesetztsein als in die Gleichheit mit sich reflektiert; aber das Reflektierte ist das Gesetztsein, d.i. die Negation als Negation; so hat diese Reflexion-in-sich die Beziehung auf das Andere zu ihrer Bestimmung. Das NEGATIVE ist das Gesetztsein als in die Ungleichheit reflektiert; aber das Gesetztsein ist die Ungleichheit selbst; so ist diese Reflexion somit die Identität der Ungleichheit mit sich selbst und absolute Beziehung auf sich" (L. II., 41f.; 56).

Die Begriffe "das POSITIVE" und "das NEGATIVE" werden nun in ihrer logischen Struktur je für sich bestimmt, wobei auf ihre spezifische Herkunft Rücksicht genommen wird. Diese ihre Begriffsbestimmungkann als ihre Definition angesehen werden. Das Gemeinsame beider Bestimmungen besteht darin, daß sie eine Synthese aus Gesetztsein und Reflexion-in-sich darstellen. Insofern eignet ihnen die allgemeine logische Struktur der Reflexionsbestimmungen überhaupt. Die Differenz zwischen dem Positiven und dem Negativen dementgegen besteht darin, daß das Gesetztsein in unterschiedlicher Weise in sich reflektiert ist. Das Positive ist das Gesetztsein als in die Gleichheit mit sich reflektiert. Das Negative ist das Gesetztsein als in die Ungleichheit mit sich reflektiert. Diese unterschiedliche Art der Reflexion-in-sich macht es aus, daß aus dem Gesetztsein ein Entgegen-gesetztsein wird. Das Positive und Negative sind die Reflexionsbestimmungen gesetzt als Reflexionsbestimmungen. In der Beschreibung ihrer begrifflichen Struktur wird die Asymmetrie zwischen dem Positiven und dem Negativen deutlich hervorgehoben. Während das in sich reflektierte Gesetztsein, welches das Positive ist, "die Beziehung auf das Andere zu [seiner] Bestimmung" hat, gilt dies vom Negativen nicht. Vom Negativen gilt vielmehr, daß es als die Ungleichheit "die Identität der Ungleichheit mit sich selbst" und somit "absolute Beziehung auf sich" ist. Der entscheidende Punkt für diese Asymmetrie liegt darin, daß das Positive das in die Gleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein, das Negative dagegen das in die Ungleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein ist. Wie ist diese Asymmetrie näher zu verstehen? Das in die Gleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein hat die Beziehung auf das Andere zu seiner Bestimmung, weil das, was in dieser Gleichheitsbeziehung reflektiert wird, das Gesetztsein oder die Negation selbst ist. Es ist also als Reflexion-in-sich zugleich Reflexion-in-Anderes. Demgegenüber ist das in die Ungleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein dadurch, daß "das Gesetztsein [...] die Ungleichheit selbst" ist, die "Identität der Ungleichheit mit sich selbst", welche "absolute Beziehung auf sich" ist. Im Negativen liegt also ein Selbstverhältnis der

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Ungleichheit vor. Es ist als Reflexion-in-Anderes zugleich Reflexionin-sich. Während die Bezogenheit des Positiven eine Funktion seiner Selbständigkeit ist, stellt sich umgekehrt beim Negativen die Selbständigkeit als Funktion seiner Beziehungsstruktur dar. Hegel faßt die logische Strukturanalyse der Begriffe "das POSITIVE" und "das NEGATIVE" zusammen mit den Worten: Z 194 "- Beide also, das in die Gleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein hat die Ungleichheit, und das in die Ungleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein hat auch die Gleichheit an ihm" (L. II., 42; 56).

Z 194 macht deutlich, daß beide - das in die Gleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein und das in seine Ungleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein - ihr Gegenteil nicht an einem Anderen, sondern an sich selbst haben. Diese Begriffsbestimmung kann als die Definition des Positiven und Negativen angesehen werden. Damit wäre aber bereits in der logischen Strukturanalyse des Positiven und Negativen der Begriff des Widerspruchs erreicht. Doch thematisiert Hegel das Verhältnis des Positiven und Negativen zunächst als Gegensatzverhältnis. c) Der Begriff des Gegensatzes als Beziehung reflexionslogischer Negativität Z 195 "Das Positive und das Negative sind so die selbständig gewordenen Seiten des Gegensatzes" (L. II., 42; 57).

Wie das Positive und Negative in Z 193 - Z 194 bestimmt wurden, bilden sie zunächst die selbständigen Seiten des Gegensatzes. "Zunächst" bedeutet, daß der Begriff des Gegensatzes der vollen logischen Struktur des Positiven und Negativen noch nicht entspricht. Hinter der Formulierung, daß etwas 'seinem Begriff nicht entpricht', steckt bei Hegel nie, daß es nicht existiert, sondern lediglich, daß es noch nicht als solches gesetzt und entwickelt ist. Erst als Seiten des Widerspruchs sind das Positive und das Negative als solche gesetzt. Der Widerspruch erst ist die ihrem "Begriff1 entsprechende "Realität" beider Bestimmungen. Z 196 "Sie sind selbständig, indem sie die Reflexion des GANZEN in sich sind, und sie gehören dem Gegensatze an, insofern es die BESTIMMTHEIT ist, die als Ganzes in sich reflektiert ist" (L. II., 42; 57).

Das Positive und Negative sind also zunächst die selbständigen Seiten des Gegensatzes. Sie sind 1. "selbständig", insofern sie jeweils

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die Reflexion des Ganzen in sich sind, sich mithin wechselseitig implizieren, und 2. "gehören sie dem Gegensatze an", insofern es "die BESTIMMTHEIT ist, die als Ganzes in sich reflektiert ist". Der Begriff des Gegensatzes besteht also aus den beiden selbständigen Bestimmungen des Positiven und Negativen, die in ihrer Bestimmtheit je für sich das Ganze repräsentieren, mithin das jeweils andere Moment enthalten, welches sie zugleich als Ganzes ausschließen und negieren. Z 197 "Um ihrer Selbständigkeit willen machen sie den AN SICH bestimmten Gegensatz aus. Jedes ist es selbst und sein Anderes, dadurch hat jedes SEINE BESTIMMTHEIT nicht an einem Anderen, sondern AN IHM SELBST" (L. II., 42; 57).

Die Bestimmungen des Positiven und Negativen machen den "AN SICH bestimmten Gegensatz" aus, weil sie stets Relate eines Verhältnisses sind, das wir "Gegensatz" nennen. Der Terminus "AN SICH bestimmter Gegensatz" bringt darüber hinaus zum Ausdruck, daß der Gegensatz zunächst nur formell bestimmt, den Status des ansichseienden hat, der sich erst im Verlauf seiner Fortbestimmung zum wirklich bestimmten Gegensatz entwickelt. Da jedes Relat in der Entgegensetzung "es selbst und sein Anderes" ist, hat jedes "SEINE BESTIMMTHEIT" nicht "an einem Anderen", sondern "AN IHM SELBST". Die Bestimmtheit des einen ist nur gesetzt vermittels der Bestimmtheit des Anderen. Genau dieser Sachverhalt machte die Definition der Reflexionsbestimmung überhaupt aus. Mit der Entgegensetzung restituiert sich also die logische Struktur der Reflexionsbestimmung (vgl. L. II., 23; 35).8 Im folgenden untersucht Hegel die logische Struktur der Beziehung der Negativität entgegengesetzter Relate. Zunächst kommt er auf die Selbstbeziehung entgegengesetzter Bestimmungen zu sprechen: Z 198 "- Jedes bezieht sich auf sich selbst nur als sich beziehend auf sein Anderes" (L. II., 41; 57).

In der Enzyklopädie erläutert Hegel die Bedeutung des Ausdrucks "seine Bestimmtheit-an-ihm-selbst-Haben", die entgegengesetzte Momente auszeichnet, an einem Beispiel: "Der Nordpol am Magnet kann nicht sein ohne Südpol und der Südpol nicht ohne den Nordpol. Schneidet man einen Magnet auseinander, so hat man nicht an einem Stück den Nordpol und am anderen den Südpol. Ebenso sind dann auch bei der Elektrizität die positive und die negative Elektrizität nicht zwei verschiedene, für sich bestehende Fluida" (Enz. § 119 Zus.l).

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Selbstbezüglichkeit kommt den beiden entgegengesetzten Relaten je für sich zu. Doch ist das eine ein sich zu sich selbst Verhaltendes nur als sich beziehend auf sein Anderes. Desgleichen ist das andere seinerseits ein für sich Selbstbezügliches, das seine Selbstbeziehung nur im Verhältnis zum anderen setzt. Die Selbstbeziehung entgegengesetzter Relate ist also eine Funktion ihrer Beziehung aufeinander. In welcher Weise ist nun Negativität in der Beziehung der Entgegensetzung vorhanden? Die Selbstbeziehung entgegengesetzter Relate ist durch Negation, und zwar durch doppelte Negation vermittelt: Z 199 "Dies hat die doppelte Seite: jedes ist Beziehung auf sein Nichtsein als Aufheben dieses Andersseins in sich; so ist sein Nichtsein nur ein Moment in ihm. Aber andernteils ist hier das Gesetztsein ein Sein, ein gleichgültiges Bestehen geworden; das Andere seiner, das jedes enthält, ist daher auch das Nichtsein dessen, in welchem es nur als Moment enthalten sein soll" (L. II., 42; 57).

Das Verhältnis von Entgegengesetzten hat die "doppelte Seite": 1. Jedes Relat verdankt sein Bestehen der "Beziehung aufsein Nichtsein als Aufheben dieses Andersseins in sich". Jedes ist nur durch die Negation dessen, was es nicht ist. Sie haben ihr Sein durch die Negation ihres Anderen. Das Korrelat ist so als "sein Nichtsein nur ein Moment in ihm". Jedes Relat hat sein Nichtsein, sein Korrelat, dessen Negation es sein Sein verdankt, als Moment in sich. 2. Das "Gesetztsein" des Korrelats ist aber auch ein "Sein" bzw. "gleichgültiges Bestehen" geworden. Hier wird das in 1. Gesagte umgekehrt. Denn betrachtet man die Relate als strukturell gleichwertige Momente, so erscheint die Beziehung zwischen ihnen als umkehrbar. Das Gegensatzverhältnis ist daher eine Relation, welche dem einen Relat um das "Sein" seines Korrelats willen, ebenfalls den Status eines "Nichtseins" erteilt. Die Entgegensetzung ist also ein Verhältnis, in dem das eine nur ist, insofern es nicht das Andere, und zugleich nicht ist, insofern das Andere ist.9 Als Resultat aus 1. und 2. ergibt sich: Z 200 "Jedes ist daher nur, insofern sein NICHTsein IST, und zwar in einer identischen Beziehung" (L. II., 42; 57). In der "Logik für die Unterklasse" (1809/10) sagt Hegel über die Momente der Entgegensetzung: "In der Entgegensetzung ist die Verschiedenheit so, daß Eines nur ist, insofern es NICHT das Andere ist, und zugleich nicht ist, als insofern das Andere ist oder in seinem Begriff unmittelbar dies sein Entgegengesetztes liegt" (Werke 4, 130).

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Beide Relate erweisen sich in ihrem Gegensatzverhältnis - relativ zueinander - als Nichtsein. Berücksichtigt man die Gegensatzrelation aus der Perspektive eines Relats, so ergibt sich: 1. Das eine hat sein Anderes, dessen Nichtsein es sein Sein verdankt, als Moment in sich. So enthält es also das Nichtsein seines Anderen in sich. 2. Das andere macht das erstere seinerseits zu einem Nichtsein. Behält man nun die Umkehrung unter 2. bei, so folgt darüber hinaus, daß das eine Relat nicht nur das Nichtsein seines Anderen in sich enthält, sondern auch sein eigenes Nichtsein.10 Die Relate des Gegensatz Verhältnisses sind also dergestalt aufeinander angewiesen, daß sie, um selbst sein zu können, was sie sind, des Seins des je anderen Relats bedürfen, und gleichwohl gilt, daß jedes der beiden Relate nur ist, wenn das andere nicht ist. Jedes Relat fordert also mit dem Sein des anderen dessen Nichtsein, oder das Sein des einen Relats, das die Möglichkeitsbedingung des Seins des anderen ist, bedeutet zugleich dessen Nichtsein. Im Gegensatz sind mithin Sein und Nichtsein der Momente ineinander verschränkt.11



11

"Gegensatz" ist somit ein Ausdruck für diejenige Beziehung zwischen zwei Relaten, nach der das eine Relat genau dann besteht, wenn das andere nicht besteht. Jedes der in Frage kommenden Relate kann gemeint (gesetzt) sein oder nicht; ist es gemeint (gesetzt), dann ist es das andere nicht und umgekehrt. Im Gegensatz kann also stets nur ein Relat gemeint sein. Die logische Struktur des Gegensatzes läßt sich demnach an der logischen Verknüpfung des "entweder - oder" ablesen: "Die Frageform nämlich "ob...oder" wird immer nur beim Gegensatz angewendet, z.B. ob etwas weiß oder schwarz und ob es weiß oder nicht weiß ist; dagegen sagen wir nicht: ob ein Mensch oder weiß, außer unter einer bestimmten Voraussetzung und so, wie wenn wir z.B. fragen, ob Kleo oder Sokrates kam. Denn eine Notwendigkeit dazu, daß nur eines von beiden der Fall ist, liegt in keiner Art vor. Aber auch dies ist von jenem abgeleitet; denn nur bei dem Entgegengesetzten ist es unmöglich, daß es zugleich vorliege, und dies wendet man auch an, wenn man fragt, ob der eine oder der andere kam; denn wenn beides zugleich möglich wäre, so wäre die Frage lächerlich" (Aristoteles, Met., 1055b 32-1056a). In der Jenenser Logik beschreibt Hegel die Verschränkung von Sein und Nichtsein entgegengesetzter Bestimmungen folgendermaßen: Jede ist "schlechthin nur in der Beziehung auf die andere; und das Sein einer jeden ist das Nichtsein der ändern; es ist schlechthin nicht beide bestehend, sondern als sich aufhebend kann die eine nur bestehen, insofern die andere nicht ist. Aber ebenso ist nicht die eine nur bestehend, sondern auf gleiche Weise ist jede seiend, insofern die andere aufgehoben ist. Jede ist aber ebenso absolut nicht, insofern die andere nicht ist; denn es ist jede nur in Beziehung auf die andere, oder jede ist nur, insofern die andere nicht ist. Aber sie ist nur als wesentlich bezogen auf die andere; insofern also diese nicht ist, ist sie selbst nicht, und insofern sie ist, ist unmittelbar die andere ebensowohl als auch nicht" (JL., 37).

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Daraus ist ersichtlich, daß jedes der Gegensatzglieder durch sein eigenes Nichtsein wie durch das Nichtsein des Anderen ist, was es ist. Genau dieser Sachverhalt ist gemeint, wenn von der Beziehung reflexionslogischer Negativität entgegengesetzter Relate die Rede ist (vgl. Wolff (1981), 106ff.): Zwei Bestimmungen und y sind entgegengesetzt, wenn mit nicht - y und y mit nicht - identisch ist. Jedes der Gegensatzglieder ist identisch mit "dem eigentümlichen Gegenstück seines eigentümlichen Gegenstücks" (ebd., 107). Es verdankt sein Sein seinem Gegenmoment, welches seine Negation ist, und dem Aufheben desselben, der Negation der Negation. Ihnen ist dieselbe Negation und Negation der Negation gemeinsam. Die Selbstbeziehung entgegengesetzter Relate ist also durch ihre Negation und durch die Negation dieser Negation vermittelt. Exkurs: Die daseinslogischen Vorläuferbegriffe des Positiven und Negativen: Realität und Negation a) Die daseinslogische Herleitung von Realität und Negation In der 2. Auflage der Daseinslogik werden die Begriffe "Realität" und "Negation" im Abschnitt "A. DASEIN ALS SOLCHES" des 2. Kapitels der Seinslogik eingeführt. Beide bilden verschiedene Aspekte der qualitativen Bestimmtheit des Daseins. Da das Dasein Einheit von Sein und Nichts ist, ist es selbst der "Maßstab" (L. I., 98; 118) dafür, daß die Qualität, nur als "UNMITTELBARECR] oder SEIENDE[R] Bestimmtheit" (ebd.) genommen, einseitig aufgefaßt ist. Wird die Qualität als unmittelbare oder seiende Bestimmtheit in der "Bestimmung des Nichts" (ebd.) gesetzt, so wird sie als "unterschiedene, reflektierte" (ebd.) gesetzt. Die "Bestimmung des Nichts" ist also diejenige Bestimmung, die die qualitative Bestimmtheit erst zu einer solchen macht ("das Bestimmte einer Bestimmtheit" (ebd.)) und wodurch die bloß seiende Bestimmtheit zur reflektiert seienden Bestimmtheit wird. Dadurch unterscheidet sich auch erst die seiende Bestimmtheit vom Dasein. Für diesen Übergang ist also die Bestimmung des Nichts konstitutiv, von der gesagt wird, sie sei "ebenso" wie die reflektiert seiende Bestimmtheit "ein Reflektiertes, eine VERNEINUNG" (ebd.). Mit dem Übergang der unmittelbaren oder seienden Bestimmtheit in die reflektiert seiende und damit vom Dasein unterschiedene Be-

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stimmtheit ergibt sich zugleich ein Unterschied innerhalb der qualitativen Bestimmtheit: Realität und Negation. Beide sind qualitative Bestimmungen bzw. Bestimmungen qualitativer Bestimmtheit, die seiende Qualität einerseits und die mit einer Verneinung behaftete Qualität, also negative Qualität andererseits, die Negation überhaupt, die aber "für einen Mangel gilt, sich weiterhin als Grenze, Schranke bestimmt" (ebd.). Die Negation gilt zwar für einen Mangel, aber der Schein dieses Geltens geht auf das Konto der traditionellen Metaphysik, für die die Negation mit einem Mangel an Realität identisch ist (vgl. Theunissen (1978), 216ff.). b) Hegels Kritik am metaphysischen Paradigma von Realität und Negation Die Begriffe "Realität" und "Negation" sind in Hegels Augen zurecht als Konstituentien von qualitativer Bestimmtheit betrachtet worden. Dennoch sind sie ihm zufolge ihrem Sinn nach ganz anders zu fassen als in der metaphysischen Tradition. In der traditionellen Metaphysik wurde die qualitative Bestimmtheit nur als unmittelbare oder seiende Bestimmtheit genommen. Die Realität wurde als reine Affirmation der reinen Negation im Sinne des Nichtseins oder der Verneinung gegenübergestellt. Negation hatte so den Sinn des bloßen Mangels an Realität. Es ist generell eine Implikation traditionell metaphysischen Denkens, daß es alle Bestimmung entweder als seiende oder als nichtseiende definiert, als Realität oder Realitätsschranke. Die Widerlegung dieses metaphysischen Dogmas, daß immer Etwas oder Nichts, daß es zwischen Sein und Nichtsein keinen Mittelzustand geben könne, ist das eigentliche Grundthema des 1. Buchs der Wissenschaft der Logik. In der Daseinslogik zeigt Hegel, daß die abstrakte Gegenüberstellung von Realität als reiner Affirmation und Negation als Mangel unhaltbar ist, daß vielmehr jede nicht nur ihre eigene Negation enthält, sondern aufgrund dieser Negation überhaupt nur Bestand hat. Die Realität "enthält" nämlich die Negation, weil sie ja Bestimmtheit, bestimmtes Dasein ist, als auch umgekehrt die Negation die Realität aus demselben Grunde: ohne Moment der Realität wäre sie bloß das unbestimmte Nichts (vgl. L. I., 10If.; 122). Damit ist dem Begriff der Realität die Qualifikation entzogen, nur als reine Affirmation bestimmt zu werden. Zugleich ist andererseits der Begriff der Negation von der Bestimmung bloßen Mangels enthoben. Hegel faßt dementsprechend die Negation als Realität enthaltend und die Reali-

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tat als die Negation enthaltend, die Realität als negationshaltig und die Negation als realitätshaltig. Die "Bestimmtheit" ist, wie Hegel Spinoza beipflichtend und ihn zugleich umdeutend bemerkt, "die Negation als affirmativ gesetzt". (L. I., 100; 121). Bestimmtheit ist in Hegels Konzeption also die Einheit von Realität und Negation: die Realität, die die Negation enthält oder die Negation als daseiend oder affirmativ gesetzt. Die Negation als Bestimmtheit oder eben die Negation als affirmativ gesetzt ist die Negation, die Hegel "erste oder einfache Negation" nennt. Das metaphysische Denken produziert nun Schein, insofern es dies nicht wahrhaben will. Ihm "gilt" Realität "nur als etwas Positives, aus welchem Verneinung, Beschränktheit, Mangel ausgeschlossen sei" (L. I., 98; 118). Der metaphysische Realitätsbegriff erweckt den Eindruck reiner Positivität, weil er faktisch verschleiert, daß er die Negation enthält. In ihm ist "versteckt" (ebd.), wie Hegel sagt, daß er die Negation impliziert. Die traditionelle Metaphysik ist wesentlich Ontologie und als solche Ontotheologie. Der Begriff der "Realität" ist für sie orginaliter Gott als "der Inbegriff aller Realitäten", der "metaphysische Begriff von Gott, der vornehmlich dem sogenanntem ontologischen Beweise vom Dasein Gottes zugrunde gelegt wurde" (L. L, 99; 119). Hegel verknüpft also die kritische Darstellung des metaphysischen Realitätsbegriffs mit der Kritik der ontotheologischen Tradition. Im Zusammenhang mit seiner Kritik am Gottesbegriff als dem Inbegriff aller Realitäten kommt Hegel in der Daseinslogik explizit auf die wesenslogischen Kategorien der Entgegensetzung und des Widerspruchs zu sprechen. Die Metaphysik faßt die Realitäten als rein affirmativ, so daß sie sich weder widersprechen noch einander entgegengesetzt sind (ebd.). Während die Seinslogik die Unhaltbarkeit des metaphysischen Paradigmas anhand ihrer Konzeption qualitativer Bestimmtheit nachweist, destruiert die Wesenslogik dieses Paradigma anhand der Darstellung des Gegensatzes und des Widerspruchs, d.h. anhand der Konzeption selbstbezüglicher Negativität. Wie unterscheidet sich die wesenslogische von der seinslogischen Kritik?12 Zunächst sieht es so aus, als mache die Wesenslogik dasselbe wie die Seinslogik.

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Einen Versuch, die Differenz der wesenlogischen von der seinslogischen Kritik des metaphysischen Paradigmas von Realtität und Negation theoretisch zu bestimmen, hat Schubert (1985), 165ff. unternommen. Allerdings arbeitet er die dafür grundlegende Differenz zwischen einfacher und selbstbezüglicher Negation nicht genügend heraus.

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In der Wesenslogik wird in der Darstellung des Gegensatzes und Widerspruchs die Auflösung des metaphysischen Paradigmas ebenfalls Thema, allerdings in anderer Weise als in der Seinslogik. Zunächst wird in der Logik der Reflexionsbestimmungen der daseinslogische Begriff der Realität mit dem Begriff des Positiven und der der Negation mit dem des Negativen vertauscht. Dieser Wandel tritt dadurch ein, daß die reflexionslogische Struktur der Gegenüberstellung von Realität und Negation freigelegt wird. Dies scheint zunächst nur zu bedeuten, daß mit den reflektiert-reflektierenden Bestimmungen des Positiven und Negativen die Fiktion der Selbständigkeit der Begriffe Realität und Negation aufgegeben werden muß. Indem die Wesenslogik wahrnimmt, wie das Negative im Positiven "scheint", d.h. mitgesetzt ist, legt sie die in der Realität versteckte Negativität frei. Doch diese Wahrheit hat bereits die seinslogische Kritik freigelegt, indem sie aufzeigte, daß Realität und Negation sich jeweils gegenseitig "enthalten". Wie also läßt sich die Differenz zwischen der seinslogischen und wesenslogischen Kritik am metaphysischen Paradigma von Realität und Negation charakterisieren? Die Seinslogik nimmt Realität und Negation als vorgefundene Bestimmungen auf, so wie sie in der metaphysischen Tradition vorkommen und analysiert sie auf ihre Bedeutung hin. Indem sie aufzeigt, daß sie sich wechselseitig implizieren, stellt sie das "Übergehen" dieser Bestimmungen ineinander dar und hebt so den ihnen anhaftenden metaphysischen Schein der Selbständigkeit auf. Anders verfährt die Wesenslogik. Sie zeigt auf, wie sich das Positive und Negative als selbständige Reflexionsbestimmungen konstituieren, daß sie sich notwendig widersprechen, insofern sie als selbständige Reflexionsbestimmungen gesetzt sind und daß sie sich deshalb in ihrer Selbständigkeit aufheben und an und für sich selbst ineinander übergehen. In den "selbständigen Reflexionsbestimmungen", welche die Seiten des Gegensatzes und Widerspruchs bilden, im Positiven und Negativen, ist der metaphysische Schein der Selbständigkeit von Realität und Negation als Schein gesetzt und daher als notwendiger Schein begriffen, als Erscheinung der immanenten Reflexion des Gegensatzes, als ein Schein, der sich im Übergang vom Gegensatz zum Widerspruch als solcher auflöst. Die wesenslogische Darstellung des Gegensatzes und Widerspruchs des Positiven und Negativen hebt also die zufällige Vorgefundenheit von Realität und Negation auf und stellt dar, wie sich ihr metaphysischer Schein der Selbständigkeit notwendig konstituiert. Erst die Wesenslogik macht einsichtig, warum die Kategorie der Realität aufgrund ihres Bedeu-

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tungsgehalts notwendig Schein produziert, wie Theunissen behauptet (Theunissen (1978), 218). Aus dem soeben Dargelegten läßt sich auch der Zusammenhang der "objektiven Logik" hinsichtlich der Methode, d.h. der methodische Zusammenhang zwischen Seins- und Wesenslogik einsichtig machen. Die Seinslogik kann nur die Bedeutung der Begriffe Sein, Dasein, Realität, Negation etc. analysieren und durch diese Hinterfragung die Scheinhaftigkeit ihrer Selbständigkeit aufheben und das Übergehen dieser Bestimmungen ineinander darstellen. Woran die seinslogische Methode nicht heranreicht, ist die Frage nach der Konstitution der Bestimmtheit als Bestimmtheit und damit auch nicht an die Frage nach der logischen Notwendigkeit des Scheins der Selbständigkeit der Bestimmungen. Diese Fragen erschließen sich erst aus der Perspektive der Wesenslogik, aus der Perspektive der Logik der Reflexion sbestimmungen des Gegensatzes und des Widerspruchs. Während die Seinslogik bloß das Vorliegen des Widerspruchs und das Übergehen der Bestimmungen ineinander konstatieren kann, analysiert die Wesenslogik die Notwendigkeit und das Wesen des Widerspruchs. Die Wesenslogik ist "daher auch die Sphäre des GESETZTEN WIDERSPRUCHES, der in der Sphäre des Seins nur AN SICH ist" (Enz. § 114). Die beiden Teile der objektiven Logik - Seins- und Wesenslogik bilden einen Zusammenhang. Die Seinslogik hat die Funktion, die ontologischen Kategorien der Metaphysik (Sein - Nichts; Dasein - Bestimmtheit; Realität - Negation; Etw°s - Anderes; Endliches - Unendliches etc.) in ihrem Übergehen ineinander darzustellen und so ihr selbständiges und gegeneinander gleichgültiges Sein als Schein zu entlarven. Letztlich geht es in der Seinslogik darum, das Verwiesensein aller Seinsbestimmtheiten (Qualität, Quantität, Maß) auf den Vermittlungszusammenhang des Ganzen des Seins, der Indifferenz, zu demonstrieren. Zwar ist am Ende der begrifflichen Entwicklung der Seinslogik mit der Kategorie der Indifferenz an sich "das Sein zum Wesen" (L. L, 398; 457) bestimmt, doch kann sie von sich aus das Wesen nicht erreichen. Erst mit der Aufhebung der Indifferenz als seiende Totalität, also mit der Überführung der Indifferenz als absolutes, seiendes Substrat in die Reflexion als reine Bewegung der Negativität ohne Substrat, ist das Sein ins Wesen übergegangen. In der Wesenslogik geht es zunächst darum, die scheinbar positive Bestimmtheit des Seins bzw. die seiende Bestimmtheit in den sie konstituierenden Zusammenhang absoluter Negativität zu überführen, um dann die positive Bestimmtheit auf reflektierter Ebene als

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Konstitutivum des negativen Vermittlungszusammenhangs des Wesens darzustellen. Es wird die Seinsbestimmtheit in die reine, negative Bewegung der Reflexion aufgelöst und in das System der Reflexion sbestimmungen überführt, so daß aus der Aufhebung der Bestimmtheit des Seins in die reine Negativität des Wesens zugleich das bestimmte System der Reflexionsbestimmungen erwächst. Der Übergang von der positiven Bestimmtheit des Seins in den negativen Funktionszusammenhang des Wesens ist vollzogen, sobald ein ReflexionsbegrifF entfaltet ist, der die absolute selbstbezügliche Negativität als solche bezeichnet. Das Wesen ist reine Bewegung von Nichts zu Nichts, reines Scheinen-in-sich-selbst. Als solches entfaltet es sich als Dialektik von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion. In der Bewegung der bestimmenden Reflexion findet die Konstitution von Bestimmtheit als Bestimmtheit, und zwar als Bestimmtheitsverhältnis statt und damit auch von Schein. Mit dem Übergang zur Logik der Reflexionsbestimmungen tritt das Problem von Identität und Differenz, von Positivität und Negativität und der Konstitution von Gegensätzlichkeit in den Mittelpunkt. Der Gegensatz des Positiven und Negativen als den selbständigen Reflexionsbestimmungen wird schließlich in den Widerspruch überführt. Der Widerspruch macht offenbar, daß die Reflexionsbestimmungen als selbständige, d.h. aufgrund ihrer Selbständigkeit, die durch ihr immanentes Reflektiertsein-in-sich entsteht, an und für sich ineinander übergehen. Damit steht die Darstellung des "Wesens" des Widerspruchs im Zentrum von Hegels Kritik am reflektierenden Verstand. Hegels Programm einer kritischen Darstellung der metaphysischen Kategorien macht sich zur Aufgabe, den relationalen Zusammenhang der Kategorien an den inhaltlichen Distinktionen der Kategorien selbst zu entfalten. Dabei fällt der Logik der Reflexion und der Reflexionsbestimmungen die Hauptrolle zu, den Gedanken der "Beziehung als solcher" und den Gedanken der Bestimmungen als "bestimmter Beziehungen" zu entwickeln. Das Gesamtkonzept der objektiven Logik ist darauf angelegt, daß zunächst in der Seinslogik die ontologischen Kategorien, die die seienden Bestimmtheiten oder die Bestimmtheiten an dem Seienden ausdrücken, zu entwickeln, um sie dann in der Wesenslogik auf die ihnen zugrundeliegende logische Struktur der absoluten Negativität zurückzuführen. In der Wesenslogik werden die Relationsbestimmungen als solche in ihrem Wesen und systematischen Zusammenhang untereinander und zu den seienden Substraten untersucht. Nach der spekulativ-dialektischen Entfaltung der Relationsbegriffe im System der Reflexionsbestim-

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mungen werden die ontologischen Kategorien des Seins sodann (2. Abschnitt der Wesenslogik: Die Erscheinung) als wesentliches Verhältnis der Grundes, des Dings und seiner Eigenschaften und schließlich als absolutes Verhältnis der Substantial i tat kritisch rekonstruiert (3. Abschnitt der Wesenslogik: Die Wirklichkeit). Die Relationalität der Substanz fundiert Hegel schließlich in der Begriffslogik als 'Bewegung des Begriffs'. Kommen wir noch einmal auf die unterschiedliche Behandlungsweise von Realität und Negation in der Seins- und Wesenslogik zu sprechen. Der methodische Unterschied zwischen der Behandlung der Bestimmungen "Realität" und "Negation" in der Seinslogik und der reflexionslogischen Behandlung des Verhältnisses ihrer Nachfolgerbestimmungen "Positives" und "Negatives" in der Wesenslogik besteht darin, daß in der Seinslogik das "Übergehen" der Bestimmungen in ihre jeweilige einfache Negation dargestellt wird (wobei das Übergehen selbst schon Negation der Negation ist), während in der Wesenslogik die reflexionslogische Negativität (doppelte selbstbezügliche Negation) im nun entwickelten Gegensatzverhältnis dieser Bestimmungen zum Thema gemacht wird. In der Wesenslogik zeigt Hegel anhand seines Konzepts der selbstbezüglichen Negativität, daß die metaphysische Alternative zwischen "Realität" und "Schranken der Realität", zwischen realer Bestimmung und Bestimmungsmangel unhaltbar ist, indem er darlegt, daß die traditionelle Metaphysik das Entgegensetzungsverhältnis nicht begriffen hat, da sie das jeweils Entgegengesetzte einer Bestimmung zu einem bloßen Bestimmungsmangel herabsetzt. Nach Hegels Auffassung besteht ein Gegensatz stets in der Entgegensetzung von Bestimmungen. Das Entgegengesetzte einer Bestimmung bedeutet nicht bloß den "Mangel oder vielmehr die UNBESTIMMTHEIT" (L. II., 57; 73), sondern die im Verhältnis zu ihr negative Bestimmung. Eine negative Bestimmung ist aber nicht dasselbe wie eine negierte Bestimmung. Hegels Logik des Gegensatzes und des Widerspruchs und der in ihr entwickelte Begriff von reflexionslogischer Negativität sprengt die metaphysische Alternative zwischen Realität und Negation vollständig, die schon von Kant als unzulänglich kritisiert wurde. Kant hatte daraufhingewiesen, daß wahre Verneinungen nicht nur Schranken der Realität beinhalten müssen, sondern Privationen bedeuten können (vgl. Kant, K.d.V., B 328f., A 272f.). Damit hatte er das metaphysische Verhältnis von Realität und Negation, nach welchem nur Negationen der Realität, aber nicht Realitäten einander widersprechen können, durch den Begriff des "realen Widerstreits", der realen Entgegensetzung, relativiert. Zu diesem Zweck hat Kant in Auseinandersetzung

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mit C.A.Crusius den Begriff der negativen Bestimmung im Gegensatz zur logischen Negation bzw. metaphysischen Negation in die "Weltweisheit" eingeführt (Kant, NG). Veranlaßt wurde er dazu durch die Entwicklung der Newtonschen Mechanik. Newton hatte das Verhältnis von Attraktion und Repulsion als Verhältnis von positiver und negativer Größe definiert -, die vor dem Hintergrund des traditionellen logischen Verhältnisses von Realität und Negation nicht mehr plausibel waren. So hat noch C.A. Crusius den Begriff der negativen Größe für absurd erklärt, insofern er ihn als Begriff einer logisch negierten Größe auffaßte. Um dieses Mißverständnis zu beseitigen, führte Kant den grundlegenden Unterschied von logischer Negation und mathematischer Negativität ein. Kant gibt für die mathematische Negativität eine Art dynamische Erklärung (vgl. Wolff (1981), 71). Die mathematische Negativität ist für ihn ein Verhältnis von positiven Gründen, die sich wechselseitig ihrer Folgen berauben. Die Beraubung nennt Kant im Gegensatz zur logischen Verneinung "Privation". Sie ist eine "Verneinung" im nichtlogischen Sinne. Das wesentliche an der Kantischen Konzeption der Realrepugnanz ist ihre Beraubungsfunktion, die sich nicht auf die positiven Gründe, sondern nur auf deren Folgen bezieht. Hegel hat Kants Metaphysikkritik fortgesetzt, indem er die schroffe Unterscheidung zwischen mathematischer Negativität und logischer bzw. metaphysischer Negation als grundlos beseitigte. Hegel zeigt, daß die logische Struktur der Negativität entgegengesetzter Relate weder auf das traditionelle metaphysische Verhältnis von Realität und Negation noch auf die wechselseitige Privation der Folgen von positiven Vermögen, Kräften oder Gründen beruht, sondern nur durch folgende Überlegung erklärt werden kann: Zwei dem Inhalt nach verschiedene Bestimmungen gehen dadurch in Entgegensetzung über, daß ihre Identität und Selbstbeziehung eine Funktion ihrer Negativität wird. Negativ ist eine Bestimmung im Verhältnis zu einer anderen bei Hegel nicht dadurch, daß sie auf dynamische Weise die andere der Folgen beraubt, sondern dadurch, daß sie identisch ist damit, nicht die andere zu sein. Der Gedanke der Negativität als einer Selbstbeziehung ist es, der sowohl das metaphysische Paradigma von Realität und Negation sprengt als auch die Mängel des Kantischen Begriffs der mathematischen Negativität beseitigt. Die traditionelle Ontologie stellte sich die "Realität" als einen großen metaphysischen "Substanzkuchen" (Wolff) vor, von dem die einzelnen Dinge mehr oder weniger große Portionen abkriegen. Diese Portionen sind Beschränkungen der Realität. Alle wahren Vernei-

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nungen haben diese Realitätsschranken, das absolute Nichts zum Inhalt. Schon Kant hat mit den begrifflichen Mitteln seiner Negativitätstheorie einen Angriff auf den metaphysischen Substanzkuchen gestartet. Hegel setzt diese Kritik an der Substanzontologie fort. Die Totalität dessen, was ist, ist in seinen Augen nicht als riesiger metaphysischer Substanzkuchen vorzustellen, von dem die Einzeldinge nur bestimmte Portionen abkriegen, sondern als Prozeß, als Beziehungszusammenhang der Dinge in ihrer Relationalität. Diesen Funktion szusammenhang der Momente, der diese als Momente seiner selbst konstituiert, der ihnen aber keineswegs absolut vorausgesetzt ist, sondern umgekehrt aus dem bestimmten negativen Charakter der Momente selbst erwächst, - diesen Funktionszusammenhang der Momente faßt Hegel im Begriff der absoluten Negativität (vgl. auch Schubert (1985), 118). Er hebt damit die traditionelle Substanzmetaphysik in eine Metaphysik absoluter Relationalität auf. 2. Die drei Formen des Gegensatzes Hegel faßt den Begriff des Gegensatzes als Verhältnis des Positiven und Negativen, weil nach seiner An sieht jeder Gegensatz, sei er konträr, real oder kontradiktorisch, als Verhältnis von etwas Positivem und etwas Negativem zu begreifen ist. Das Positive und Negative "machen [...] den AN SICH bestimmten Gegensatz" (L. II., 42; 57) aus. Sie sind stets Relate eines Gegensatzverhältnises, weil ihnen von Haus aus, aufgrund ihrer reflexionslogischen Struktur, die Beziehung reflexionslogischer Negativität entgegengesetzter Relate zukommt. Ohne diese spezifisch reflexionslogische Negativität kann nach Hegels Ansicht der Begriff des Gegensatzes gar nicht exponiert werden. Im ersten Teil des Gegensatz-Abschnitts, in dem Hegel den Begriff des Gegensatzes entwickelt, geht es folglich im wesentlichen um zwei Dinge: Einmal um die spekulativ-dialektische Ableitung der reflexionslogischen Struktur des Positiven und Negativen, andererseits um die Untersuchung der logischen Struktur der Beziehung der reflexionslogischen Negativität entgegengesetzter Relate. Obgleich jedem Gegensatz das Verhältnis der Negativität von Positivem und Negativem zugrunde liegt, unterscheidet Hegel verschiedene "Formen des Positiven und Negativen" (L. II., 45; 60) und dementsprechend verschiedene Formen des Gegensatzes. Diese ergeben sich aus internen Transformationen der reflexionslogischen Struktur des Positiven und

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Negativen. Man muß also die reflexionslogische Struktur des Positiven und Negativen, welche den Grund für deren Formunterschied enthält, und die von Hegel analysierte logische Struktur der Negativität entgegengesetzter Momente begreifen, um den Übergang der drei Formen des Gegensatzes und die Exposition des Widerspruchs zu verstehen. Hegel entfaltet den Gegensatzbegriff in den drei Bestimmungen der Entgegensetzung als Durchgang durch zwei Stufen des Gegensatzverhältnisses. Zunächst wird unter "ERSTENS" (Z 201) das Positive und das Negative unter dem "einfachen Begriffe ihrer Entgegensetzung" (L. H., 45; 60) betrachtet. Danach sind beide "absolute MOMENTE des Gegensatzes" (Z 201). Das Positive und Negative als "ENTGEGENGESETZTE überhaupt" (Z 202) ergibt die l. Bestimmung des Gegensatzes: Das Verhältnis des Positiven und Negativen als Verhältnis gegeneinander negativer Relate. Diese Form des Gegensatzes bildet die I. Stufe des Gegensatzverhältnisses (III. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen). Aus der Reflexion der Seiten des Gegensatzverhältnisses I. Stufe in sich ergibt sich "FERNER" (Z 204), daß das Positive und Negative auch "GLEICHGÜLTIG" (Z 204) gegen den Umstand sind, Momente des Gegensatzes 1. Bestimmung zu sein. Als "reale oder gleichgültige" (L. II., 47; 62) sind sie "bloß verschiedene" (Z 206). Dies deutet auf einen Rückfall auf die Stufe der Verschiedenheit hin. Das Positive und Negative als "reale oder gleichgültige" Bestimmungen ergibt die 2. Bestimmung des Gegensatzes: Das Verhältnis des Positiven und Negativen als miteinander verwechselbarer Relate: der reale als amphibolischer Gegensatz. Diese Form des Gegensatzes ereignet sich zwar als Gegensatzverhältnis I. Stufe, führt jedoch faktisch zu einem Rückfall in die Verschiedenheit. Unter "DRITTENS" (Z 208) zeichnet sich ein neues Gegensatzverhältnis des Positiven und Negativen ab. Das Positive und Negative als an sich positiv und an sich negativ, d.i. als selbständige Reflexion sbeStimmungen, ergibt die 3. Bestimmung des Gegensatzes: Das Verhältnis zwischen dem Positiven und Negativen als Verhältnis zwischen dem Nichtentgegengesetzten und dem Entgegengesetzten. Diese Form des Gegensatzes macht das Gegensatzverhältnis II. Stufe aus (IV. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen).i3 13

Dem Gegensatz I. und . Stufe des Positiven und Negativen entspricht in der traditionellen Logik der konträre und kontradiktorische Gegensatz. Die "reale oder gleichgültige" (L. ., 47; 62) Entgegensetzung des Positiven und Negativen entspricht dem Begriff der realen Entgegensetzung bei Kant (vgl. Kant, NG;

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a) 1. Bestimmung des Gegensatzes (Gegensatzverhältnis I. Stufe = III. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen) Z 201 "Die Bestimmungen, welche das Positive und Negative konstituieren, bestehen also darin, daß das Positive und das Negative ERSTENS absolute MOMENTE des Gegensatzes sind; ihr Bestehen ist untrennbar EINE Reflexion; es ist eine Vermittlung, in welcher jedes durch das Nichtsein seines Anderen, damit durch sein Anderes oder sein eigenes Nichtsein ist" (L. II., 42; 57).

Nach der von Hegel analysierten reflexionslogischen Struktur des Positiven und Negativen ergibt sich zunächst, daß sie "absolute MOMENTE des Gegensatzes" sind. Aufgrund ihres Momentcharakters ist ihr "Bestehen" "untrennbar EINE Reflexion". Das Positive und Negative sind zunächst Momente einer Vermittlung, in der jedes erstens durch das "Nichtsein seines Anderen", d.h. durch die Negation seines Anderen, und zweitens durch das Sein seines Anderen und damit durch "sein eigenes Nichtsein" ist. Jedes Relat ist nur durch sein eigenes Nichtsein oder durch sein Anderes sowie durch das Nichtsein seines Anderen. Wie das Negativitätsverhältnis der Relate und die eine Vermittlung zusammenzudenken sind, wird weiter unten noch näher bestimmt. Die erste Bestimmung des Gegensatzes ist unmittelbar die Bestimmung des Gegensatzes, die sich aus der Auflösung des Substrats, des zugrundeliegenden Dritten, in das gleichgültige Gleichheits - Ungleichheitsverhältnis der Verschiedenheit ergeben hatte -, aus der Auflösung also, durch die die ansichseiende Reflexion, die "Beziehung auf sich ohne Negation" (L. II., 38; 52), in die "negative Reflexion" (ebd.) übergegangen war. In der "EINE[N] Reflexion" bzw. "einefnj Vermittlung" des Gegensatzes ist der Schein des Andersseins und der Äußerlichkeit des vormals zugrundeliegenden Substrats aufgehoben. Die Substratbestimmtheit selbst jedoch ist im Gegensatz noch erhalten geblieben. Sie ist also noch im Gegensatz Verhältnis, wenn auch nur als Schein, gegenwärtig. Z 202 "- So sind sie ENTGEGENGESETZTE überhaupt; oder JEDES ist nur das Entgegengesetzte des Anderen, das eine ist noch nicht positiv und das andere noch nicht negativ, sondern beide sind negativ gegeneinander" (L. II, 42; 57).

Wolff (1981), 62fT.) Hegel macht in der Reflexionslogik den Versuch, die verschiedenen Arten des Gegensatzes in ihrem systematischen Zusammenhang und in ihrem Übergehen ineinander darzustellen.

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Als Momente des Gegensatzverhältnisses I. Stufe sind das Positive und das Negative "ENTGEGENGESETZTE überhaupt". Das bedeutet, jedes Relat ist in gleicher Weise, ohne Unterschied "nur das Entgegengesetzte des Anderen". Wegen ihrer Strukturgleichheit ist "das eine [...] noch nicht positiv und das andere noch nicht negativ". Als Entgegengesetzte überhaupt sind die Bestimmungen als positiv und als negativ vollkommen ununterscheidbar. Die Prädikate "positiv" und "negativ" sind noch keine spezifischen Qualifikationen und daher nur austauschbare Namen für die Relate der Entgegensetzung. Das Verhältnis der Entgegensetzung I. Stufe des Positiven und Negativen ist daher das bloße Verhältnis gegeneinander negativer Relate. Positives und Negatives sind im Gegensatz Verhältnis I. Stufe noch nicht so bestimmt, wie es ihrem Begriff entspricht, der in Z 194 definiert worden ist. Im folgenden hebt Hegel nochmals die Momente, die die Entgegensetzung der Relate auf der aktuellen Reflexionsstufe konstituieren, für sich hervor: Z 203 "Jedes ist so überhaupt ERSTENS, INSOFERN DAS ANDERE IST; es ist durch das Andere, durch sein eigenes Nichtsein das, was es ist; es ist nur GESETZTSEIN. ZWEITENS: es ist, INSOFERN DAS ANDERE NICHT IST; es ist durch das Nichtsein des Anderen das, was es ist; es ist REFLEXION-IN-SICH. - Dieses beides ist aber die EINE Vermittlung des Gegensatzes überhaupt, in der sie überhaupt nur GESETZTE SIND" (L. H., 42; 57).

Das Negativitätsverhältnis des Gegensatzes ist durch zwei Seiten charakterisiert: Jedes Relat ist erstens durch das Sein des Anderen, durch welches es selbst den Status des "Nichtseins" zuerteilt bekommt und zweitens durch das Nichtsein des Anderen, denn es ist das, was es ist, nur durch die Negation des Anderen. Dem ersten Sachverhalt wird der Begriff "GESETZTSEIN", dem zweiten Sachverhalt der Ausdruck "REFLEXION-IN-SICH" zugeordnet. Beide Relate sind sowohl "GESETZTSEIN" als auch "REFLEXION-IN-SICH" und zugleich gilt, daß sie nur dann den Status des Gesetztseins haben, wenn sie nicht Reflexion-in-sich sind und umgekehrt. Beide Charaktere können von einem Relat nur alternativ behauptet werden: Wenn die Relate "GESETZTSEIN" sind, dann ist gesetzt, daß sie nicht "REFLEXION-IN-SICH" und wenn sie "REFLEXION-IN-SICH" sind, dann ist gesetzt, daß sie nicht "GESETZTSEIN" sind. Die 1. Bestimmung des Gegensatzes ist jedoch durch die bloße Erläuterung des Negativitätsverhältnisses der Relate noch nicht zureichend bestimmt. Das erste Verhältnis des Positiven und Negativen,

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in welchem sie als unmittelbare Einheit von Gesetztsein und Reflexion-in-sich nur "ENTGEGENGESETZTE überhaupt" sind, bezeichnet Hegel als "die EINE Vermittlung des Gegensatzes überhaupt, in der sie überhaupt nur GESETZTE SIND". Die "Reflexion" des Gegensatzes ist also auf zweifache Weise bestimmt: Die Gegensatzrelate sind erstens dadurch bestimmt, daß sie beide das jeweils andere nicht sind und zugleich gilt, daß beide als Negative nur durch das Andere "gesetzt" und "reflektiert" sind. Zweitens sind sie dadurch bestimmt, daß beide als Bestimmungen "EINE[R] Vermittlung" gesetzt sind. Diese "EINE Vermittlung" ist der spekulative Ausdruck für das Substrat, von dem das Gegensatzverhältnis zweier Bestimmungen abhängt, und welches von M. Wolff "das reflexionslogische Substrat" (Wolff (1981), 113ff.) genannt wird. Der Sinn der ersten Form des Gegensatzes läßt sich an folgenden Beispielen erläutern: Wohlriechend und übelriechend sind entgegengesetzt (und nicht bloß verschieden) dann, wenn sie als Bestimmungen eines bestimmten Gegenstandes gedacht werden, der ein riechender Gegenstand ist. Ein 6 km langer Weg nach Westen und ein 6 km langer Weg nach Osten sind entgegengesetzt, wenn es sich um einen Weg mit einem ganz bestimmten Vektorbetrag und einer ganz bestimmten Lage handelt. Die Bestimmungen +A und -A sind entgegengesetzt, wenn es sich um Bestimmungen eines als IAI bestimmten Substrats handelt etc. Das "Finden" der entgegengesetzten Bestimmung für eine vorgegebene Bestimmung und das "Voraussetzen" eines reflexionslogischen Substrats ist ein Vorgang der "setzenden Reflexion", die Einheit von Setzen und Voraussetzen ist (vgl. Wolff (1981), 112ff.). Das Verhältnis des Positiven und Negativen als "ENTGEGENGESETZTE überhaupt" und damit als bloß gegeneinander negativer Relate bezeichnet also die Bestimmung des Gegensatzes unter dem Aspekt der setzenden Reflexion.14 14

Offensichtlich wird in der Entfaltung des Gegensatzverhältnisses die Reflexionstrias setzende, äußere und bestimmende Reflexion nachgebildet. Schon im Übergang von der Verschiedenheit zum Gegensatz hat sich der Übergang von der äußeren zur bestimmenden Reflexion wiederholt. Jetzt soll offenbar darüber hinaus auf dem Boden der vollendeten, bestimmenden Reflexion innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen das Gegensatzverhältnis sowohl unter dem Aspekt setzender und äußerer als auch unter dem Aspekt bestimmender Reflexion analysiert werden. Die Wiederholung der Reflexionsformen innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen hat systembildende Funktion. Je eine Reflexionsbestimmung oder Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen rekapituliert wesentlich eine der Reflexionen der Reflexionstrias. Die I. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmun-

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Mit der Bestimmung des ersten Gegensatzverhältnisses des Positiven und Negativen als "die EINE Vermittlung des Gegensatzes überhaupt, in der sie überhaupt nur GESETZTE SIND", ist implizit bereits angedeutet, daß die Fortentwicklung des Positiven und Negativen darin besteht, daß sie als Bestimmungen des Gegensatzes jedes nicht nur Gesetztsein, sondern auch Reflexion-in-sich sind. Der Gegensatz muß sich deshalb notwendigerweise weiterbestimmen. b) 2. Bestimmung des Gegensatzes (Gegensatzverhältnis I. Stufe) Mit dem folgenden Absatz der Argumentation über die Begriffe das Positive und das Negative kündigt sich eine neue Form ihres Gegensatzverhältnisses an. Z 204 "Aber FERNER dies bloße Gesetztsein ist in sich reflektiert überhaupt; das Positive und Negative ist nach diesem Momente DER ÄUSSEREN REFLEXION GLEICHGÜLTIG gegen jene erste Identität, worin sie nur Momente sind; [...]" (L. II., 43; 57f.).

Das "bloße Gesetztsein" der Momente des Gegensatzes ist "FERNER" "in sich reflektiert überhaupt". Für die zweite Bestimmung des Gegensatzes ist in der Einheit von Reflexion-in-sich und Gesetztsein, welche jedes Moment auszeichnet, die Reflexion-in-sich das Entscheidende. Aufgrund ihrer Reflexion-in-sich lösen sich die Bestimmungen des Positiven und Negativen von ihrem Gegensatzverhältnis ab. Denn indem ihr "Gesetztsein" "in sich reflektiert" ist, stehen beide Bestimmungen in der Beziehung nur der "ÄUSSEREN REFLEXION" und sind "GLEICHGÜLTIG gegen jene erste Identität, worin sie nur gen (Identität/Unterschied) wiederholt vor allem die Perspektive der Innerlichkeit setzender und voraussetzender Reflexion. Auf der Stufe der Verschiedenheit ( . Stufe der Reflexionsbestimmungen) treten die Äußerlichkeitsverhältnisse der äußeren Reflexion wieder auf. Die Reflexionsstufen des Gegensatzes ( . und IV. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen) stehen insgesamt unter der Dominanz der bestimmenden Reflexion. Sie ist der Bestimmungsgrund, auf dem dann seinerseits das ganze Verhältnis von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion nachgebildet wird. Das Gegensatzverhältnis wird unter dem Aspekt aller drei Reflexionsformen untersucht. Das Gegensatzverhältnis I. Stufe wird als Implikat setzender und äußerer Reflexion, das Gegensatzverhältnis . Stufe als Implikat bestimmender Reflexion analysiert. Die Stufen V und VT der Logik der Reflexionsbestimmungen, Widerspruch und Grund, eröffnen keine strikte Parallele zur Reflexionstrias. Im Widerspruch bestimmt sich die bestimmende Reflexion zur sich selbst ausschließenden Reflexion fort, im Grund hebt sie sich als sich selbst ausschließende Reflexion schließlich selbst auf.

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Momente sind", d.h. gleichgültig gegen den Umstand, nur absolute Momente des Gegensatzes zu sein wie in der 1. Bestimmung des Gegensatzes. Solange das Positive und Negative auf eine Identität, d.i. ein Substrat, bezogen sind, sind sie "Momente" der einen Vermittlung des Gegensatzes. Ihre Gleichgültigkeit "gegen jene erste Identität" markiert dagegen das Moment der äußeren Reflexion des Gegensatzes. Der nächste Teilsatz beginnt mit "oder". Derselbe Sachverhalt wird also nochmals in anderer Weise beleuchtet: Z 205 "[...] oder indem jene erste Reflexion die eigene Reflexion des Positiven und Negativen in sich selbst, jedes sein Gesetztsein an ihm selbst ist, so ist jedes gleichgültig gegen diese seine Reflexion in sein Nichtsein, gegen sein eigenes Gesetztsein" (L. II., 43; 58).

Indem "jene erste Reflexion", diese eine Reflexion und Vermittlung des Gegensatzes, zugleich "die eigene Reflexion des Positiven und Negativen m sich selbst" ist, die dadurch gewissermaßen selbst zu eigenständigen Reflexionen-in-sich werden ("jedes sein Gesetztsein an ihm selbst ist"), lösen sie sich von jener ersten Reflexion ab. Daraus resultiert, daß das Positive und Negative "gleichgültig gegen diese seine Reflexion in sein Nichtsein, gegen sein eigenes Gesetztsein", d.i. Entgegengesetztsein, ist. Z 206 "Die beiden Seiten sind so bloß verschiedene, und insofern ihre Bestimmtheit, positiv und negativ zu sein, ihr Gesetztsein gegeneinander ausmacht, so ist jede nicht an ihr selbst so bestimmt, sondern ist nur Bestimmtheit überhaupt; [...]" (L. II., 43; 58).

Durch das Moment der äußeren Reflexion nehmen die Seiten des Gegensatzes den Charakter von Substraten an und Positives und Negatives werden in ihrer Gleichgültigkeit zu prädikativen Bestimmungen verschiedener Substrate. So kommt es innerhalb der Logik des Gegensatzes zur Restitution substrathafter Verschiedenheit. Die "beiden Seiten" (Positives und Negatives) - vormals jene (nicht qualitative) Bestimmtheit, die als Ganzes in sich reflektiert ist - sind nur noch zwei verschiedene Substratbestimmtheiten. Ihre Qualifikation als "positiv" und "negativ", also ihre Betrachtung als Entgegengesetzte, bezeichnet nichts mehr, was den substratbestimmten Seiten selbst angehört, "sondern ist nur Bestimmtheit überhaupt". So kommt ihnen ihre Bestimmtheit, positiv und negativ zu sein, nunmehr nur noch äußerlich zu ("so ist jede nicht an ihr selbst so bestimmt"). Die Bestimmtheit ihrer Entgegensetzung ("ihr Gesetztsein

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gegeneinander") ist keine Eigenschaft, die sie an sich selbst aufweisen, sondern eine Erkenntnis der äußeren Reflexion. Die 2. Bestimmung des Gegensatzes kommt durch die Bestimmung der äußeren Reflexion herein. Diese setzt die Bestimmungen "positiv" und "negativ" und die beiden verschiedenen Substrate als gegeben voraus und bezieht sie nur äußerlich aufeinander.15 Was ist der Grund für das Auftreten der äußeren Reflexion innerhalb der Logik des Gegensatzes und damit für das Eintreten eines Rückfalls in die Verschiedenheit? Nach der 1. Bestimmung des Gegensatzes waren Positives und Negatives durch rein relationale Negativität bestimmt, aufgrund deren sie überhaupt noch nicht eigentlich positiv oder negativ bestimmt, sondern bloß Negative gegeneinander, Momente der einen Reflexion des Gegensatzes waren. Sollte nun das Positive und Negative und damit der Gegensatz fortbestimmt werden, so mußte die eine Reflexion des Gegensatzes als die eigene Reflexion der Gegensatzseifen gesetzt werden. Aber die "eigene Reflexion des Positiven und Negativen in sich selbst" führte zunächst dazu, die Bestimmungen in ihrer Äußerlichkeit zu konstituieren. Die Äußerlichkeit und Gleichgültigkeit von Positivem und Negativem ist zwar Schein, insofern sie auf die innere Reflexion des Gegensatzes zurückzuführen ist; jedoch gleichwohl wesentlicher oder realer Schein, weil die eigene Reflexion der Bestimmungen vermittels ihres Moments der äußeren Reflexion diese in ihrer Äußerlichkeit und Gleichgültigkeit als ihre eigene Erscheinungsform konstituiert. Das Positive und Negative sind von nun an mit objektivem, gegenständlichem Schein versehen. Z 207 "[-..] jeder Seite kommt daher zwar eine der Bestimmtheiten von Positivem und Negativem zu; aber sie können verwechselt werden, und jede Seite ist von der Art, daß sie ebensogut als positiv wie als negativ genommen werden kann" (L. II., 43; 58).

Den beiden substratbestimmten Seiten kommen die Prädikate "positiv" und "negativ", die ihnen die äußere Reflexion beilegt, "zwar" tatsächlich zu, "aber" sie können beliebig vertauscht werden, ohne ihre Bedeutung zu ändern. Die beiden Substrate sind nur vermöge der ihnen von der äußeren Reflexion zugesprochenen Prädikate "posi15

Nach dem "Momente DER ÄUSSEREN REFLEXION" (Z 204) fallen die Charaktere "Gesetztsein" und "Reflexion-in-sich" auseinander, denn charakteristisch für die äußere Reflexion ist es, daß sie ihre Gegenstände nur äußerlich bestimmt. Daß also den als Reflexion-in-sich vorausgesetzten substratbestimmten Seiten entgegengesetzte Bestimmungen zukommen, ist eine Feststellung ("Gesetztsein") der nur äußeren Reflexion.

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tiv" und "negativ" entgegengesetzt. Ihnen kommen diese gegensätzlichen Bestimmungen nicht an sich als Substraten zu. Als solche, als Substrate, sind sie nicht entgegengesetzt, sondern bloß verschieden. Die äußere Reflexion des Gegensatzes hat eine unvermeidliche Amphibolie zur Folge. Die entgegengesetzten Prädikate "positiv" und "negativ" der beiden vorausgesetzten positiven Substrate "können verwechselt" werden. Daher sind sie auch allgemein, ohne Unterschied, in bezug auf beide Substrate verwendbar. Jede der beiden substratbestimmten Seiten ist ebensogut positiv wie negativ. Welche als positiv und welche als negativ "genommen" wird, ist gleichgültig. IG Unter dem Aspekt der äußeren Reflexion stellt sich das Gegensatzverhältnis des Positiven und Negativen als "reale Opposition" zweier entgegengesetzter Substratbestimmtheiten dar, die in ihrer Bestimmtheit miteinander verwechselbare, amphibolische Relate sind. Als Gegensatz der äußeren Reflexion ist die "reale oder gleichgültige" (L. II., 47; 62) Entgegensetzung des Positiven und Negativen also amphibolischer Gegensatz. Die Amphibolie verdankt sich dem Moment der äußeren Reflexion und d.h. der Voraussetzung von Substraten, also der Restitution bloßer Verschiedenheit. Es erhebt sich hier die Frage, ob mit dem realen bzw. amphibolischen Gegensatz nicht schon eine neue Stufe des Gegensatzverhältnisses erreicht ist. Doch die Art und Weise, wie es zur Amphibolie der Gegensatzglieder kam, läßt darauf schließen, daß in Wahrheit ein Gegensatzverhältnis neuer Stufe noch nicht erreicht ist. Die Verwechslung der Bestimmungen des Positiven und Negativen ereignet sich vielmehr als ein Modus des Gegensatzverhältnisses I.Stufe, das in der Bestimmtheit der äußeren Reflexion gesetzt ist.17

16

17

Aufgrund der unvermeidlich entstehenden Amphibolie entgegengesetzter Bestimmungen als Folge "äußerer Reflexion" bezeichnet Wolff diese Gegensatzform als amphibolischen Gegensatz (vgl. Wolff (1981), 116ff.). "Bereits mit der Voraussetzung gleicher Substrate ist die Tatsache verbunden, daß die Bestimmungen des Positiven und Negativen auf beide Substrate nur äußerlich, nur amphibolisch bezogen werden können" (ebd., 120). Eine ähnliche Auffassung über die Stellung des amphibolischen Gegensatzes vertritt Wolff (vgl. Wolff (1981), 1161T.). Wolff unterscheidet drei Gegensatzformen in seiner Interpretation des Gegensatz-Abschnitts, das "Entgegengesetzte überhaupt", den "amphibolischen Gegensatz" und die dritte Gegensatzform: das an sich Positive und das an sich Negative, wobei für ihn die 2. Form des Gegensatzes wesentlich zur 1. Form gehört (vgl. Wolff (1981), 112ff.).

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c) 3. Bestimmung des Gegensatzes (Gegensatzverhältnis II. Stufe = IV. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen) Die Ausführungen unter "DRITTENS" (Z 208) gelten einem Gegensatzverhältnis neuer Art zwischen dem Positiven und Negativen. In einer zusammenfassenden Wiederholung der Bestimmungen, die bisher das Positive und Negative und ihr Verhältnis zueinander konstituierten, wird die Basis zur Einführung der 3. Form des Gegensatzes, des Gegensatzverhältnisses II. Stufe, vorbereitet: Z 208 "Aber das Positive und Negative ist DRITTENS nicht nur ein Gesetztes, noch bloß ein Gleichgültiges, sondern ihr GESETZTSEIN oder die BEZIEHUNG AUF DAS ANDERE IN EINER EINHEIT, die NICHT SIE SELBST SIND, ist in jedes ZURÜCKGENOMMEN" (L. II., 43; 58).

Das Positive und das Negative sind weder nur Entgegengesetzte überhaupt ("ein Gesetztes") - das sind sie als Momente der einen Reflexion oder Vermittlung des Gegensatzes bzw. als Bestimmungen eines und desselben Substrats, wobei ihre Charaktere "Gesetztsein" und "Reflexion-in-sich" nur alternativ behauptet werden können noch sind sie gleichgültige Bestimmungen zweier verschiedener vorausgesetzter Substrate, wobei die Charaktere "Gesetztsein" und "Reflexion-in-sich" auseinanderfallen und nur äußerlich aufeinander bezogen sind, so daß der Status des Entgegengesetztseins der beiden Substrate nur Produkt der äußeren Reflexion ist. Die neue Form des Positiven und Negativen tritt dadurch ein, daß die Charaktere "Gesetztsein" und "Reflexion-in-sich" beider Begriffe eine Synthese bilden. Die Einheit, die "Gesetztsein" und "Reflexion-in-sich" eingehen, beruht auf der Eigentümlichkeit, daß das "Gesetztsein" der Relate "oder die BEZIEHUNG AUF DAS ANDERE IN EINER EINHEIT, die NICHT SIE SELBST SIND", in jedes der Momente "ZURÜCKGENOMMEN" ist. Diese Einheit von "Gesetztsein" und "Reflexion-insich" ist Resultat der bestimmenden Reflexion. Die bestimmende Reflexion ist "die Einheit der SETZENDEN und ÄUSSEREN Reflexion" (L. H., 20; 32). Als solche setzt sie die Bestimmungen der setzenden Reflexion und die Substrate der äußeren Reflexion so in Beziehung aufeinander, wie sie an sich aufeinander bezogen sind, d.h. als Substrat und als Bestimmungen -,nämlich als einander selbst entgegengesetzt. Die Pointe der 3. Form des Gegensatzes besteht, wie Wolff gezeigt hat, darin, daß in ihm das Substrat als Substrat und die entgegengesetzten Bestimmungen als Bestimmungen an einem Substrat entgegengesetzt sind (vgl. Wolff (1981), 124).

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Wo immer - wie im Gegensatzverhältnis I. Stufe (1. und 2. Bestimmung des Gegensatzes) - die Relate in "der BEZIEHUNG AUF DAS ANDERE IN EINER EINHEIT, die NICHT SIE SELBST SIND", Entgegengesetzte waren, ist diese Beziehung in jedes Relat "ZURÜCKGENOMMEN". Damit ist der Ausgangspunkt zur Einführung einer neuen kategorialen Form für das Positive und das Negative gewonnen: Z 209 "Jedes ist an ihm selbst positiv und negativ; das Positive und Negative ist die Reflexionsbestimmung an und für sich; erst in dieser Reflexion des Entgegengesetzten in sich ist es positiv und negativ" (L. II., 43; 58).

Da das Positive und das Negative, das eine an ihm selbst positiv, das andere an ihm selbst negativ bestimmt ist, ist es "die Reflexionsbestimmung an und für sich". Erst insofern das Positive als Positives und das Negative als Negatives gesetzt ist, "erst in dieser Reflexion des Entgegengesetzten in sich" ist es positiv und negativ. Bemerkenswert ist die Wendung "die Reflexionsbestimmung an und für sich". Sie gibt zu erkennen, daß erst mit dem Gegensatz II. Stufe (3. Form des Gegensatzes) die Reflexionsbestimmungen als das gesetzt sind, was sie an sich sind. Mit dem Gegensatz des Positiven und Negativen als den an und für sich seienden Reflexionsbestimmungen sind die Reflexionsbestimmungen gesetzt als selbständige Reflexionsbestimmungen. Das System der Reflexionsbestimmungen erreicht mit der IV. Reflexionsstufe einen, wenn auch nur vorläufigen Kulminationspunkt. Z 210 "Das Positive hat die Beziehung auf das Andere, in der die Bestimmtheit des Positiven ist, an ihm selbst; ebenso das Negative ist nicht Negatives als gegen ein Anderes, sondern hat die Bestimmtheit, wodurch es negativ ist, gleichfalls in ihm selbst" (L. II., 43; 58).

Hegel erläutert hier, was es bedeutet, daß das Positive und Negative an ihm selbst positiv und negativ ist. Das Positive ist an sich positiv, indem es "die Beziehung auf das Andere", in der es die Bestimmtheit seiner Positivität hat, "an ihm selbst" hat. Das an ihm selbst Positive ist nicht nur als das Nicht-Negative, sondern auch als Positives bestimmt. In der Anmerkung zum Gegensatz-Abschnitt verdeutlicht Hegel, wie wir sehen werden, den Begriff des "an sich Positiven" am Beispiel des absoluten Betrags in der Mathematik. Auf der anderen Seite ist das Negative nicht nur ein Negatives in Beziehung auf ein Anderes, sondern hat die Bestimmtheit, negativ zu sein, "in ihm selbst". In der Anmerkung erläutert Hegel den Begriff des "an sich Negativen" am Beispiel der negativen Zahlen.

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Das Positive und Negative sind also an ihnen selbst positiv und negativ, wenn sie auch unabhängig von ihrer Relation zueinander als positiv und negativ bestimmt sind. Die entgegengesetzten Relate der I. Stufe des Gegensatzes waren "positiv" und "negativ" nur aufgrund ihrer Relation zueinander. Als solche waren Positives und Negatives nur austauschbare Namen für die Gegensatzrelate und verwechselbar. Als die selbständigen Reflexionsbestimmungen sind sie unverwechselbar und bedürfen keiner Relation auf Anderes, um positiv und negativ zu sein. Somit ergibt sich folgendes Resultat: Das Positive und das Negative sind als an sich positiv und als an sich negativ bzw. als die selbständigen Reflexionsbestimmungen spezifisch und unverwechselbar. Sie sind nun so bestimmt, wie es ihrem Begriff entspricht. Z 211 "So ist jedes [eine] selbständige, für sich seiende Einheit mit sich" (L. II., 43; 58).

Im folgenden entfaltet Hegel die 3. Gegensatzform (das Gegensatzverhältnis II. Stufe) aus der entwickelten neuen reflexionslogischen Struktur des Positiven und Negativen. Z 211 hält die neue kategoriale Struktur des Positiven und Negativen fest: Der Sachverhalt, daß das Positive ebenso wie das Negative eine "selbständige, für sich seiende Einheit mit sich" ist, macht deutlich, daß sie ihre Gegensatzrelation zueinander nicht mehr in einem Substrat bzw. in einer Einheit haben, die nicht sie selbst sind. Vielmehr macht die Selbständigkeit der Relate das Gegensatzverhältnis II. Stufe (3. Bestimmung des Gegensatzes) aus. Die Grundlage ihrer Selbständigkeit besteht darin, daß jedes "für sich seiende Einheit mit sich" ist. Die Beziehung der Momente zueinander in einem Substrat bzw. in einer Einheit, die nicht sie selbst sind, ist in jedes zurückgenommen. Die Eigenart ihres Gegensatzverhältnisses wird von dieser ihrer Selbständigkeit abhängen bzw. davon, daß das Positive und das Negative auch unabhängig von ihrer Relation zueinander als positiv und negativ bestimmt sind. Ein solcherart bestimmter Gegensatz selbständiger Reflexionsbestimmungen ist aufgrund ebendieser Selbständigkeit seiner Momente "ein Gegensatz ohne ein vorausgesetztes Substrat" (Schubert (1985), 103). In den nun folgenden Passagen führt Hegel die logische Struktur ihrer Selbständigkeit und die damit zusammenhängende Eigenart ihres neuen Gegensatzverhältnisses für das Positive und Negative getrennt auf. - Die Struktur des selbständigen Positiven und die Spezifik seines Gegensatzverhältnisses zum selbständigen Negativen entfaltet Hegel in drei Schritten:

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

Z 212 "Das Positive ist wohl ein Gesetztsein, aber so, daß für es das Gesetztsein nur Gesetztsein als aufgehobenes ist. Es ist das NICHTENTGEGENGESETZTE, der aufgehobene Gegensatz, aber als Seite des Gegensatzes selbst" (L. II., 43; 58).

1. Das Positive ist zwar an sich "ein Gesetztsein", doch "für es", d.i., insofern es das an ihm selbst Positive ist, ist sein Gesetztsein "nur Gesetztsein als aufgehobenes". Das an ihm selbst Positive ist also das Gesetztsein als aufgehobenes Gesetztsein. Es ist gesetzt als Nichtgesetztes, d.h. als selbständige Reflexionsbestimmung. Insofern das Positive das Gesetztsein als aufgehobenes Gesetztsein ist, ist es nicht mehr das Gesetztsein oder Moment des Gegensatzverhältnisses I. Stufe. Es ist nicht positiv oder negativ im Sinne der I. Stufe des Gegensatzes. Hiermit ist aber der Gegensatz I. Stufe selbst aufgehoben. Das selbständige Positive präsentiert sich folglich als "das NICHTENTGEGENGESETZTE" oder als "der aufgehobene Gegensatz" I. Stufe. Allerdings ist das Positive nur so bestimmt als "Seite des Gegensatzes selbst". Es bildet also ein Relat eines neuen Gegensatzverhältnisses, des Gegensatzverhältnisses II. Stufe. Z 213 "- Als positiv ist zwar etwas bestimmt in Beziehung auf ein Anderssein, aber so, daß seine Natur dies ist, nicht ein Gesetztes zu sein; es ist die das Anderssein negierende Reflexion-in-sich" (L. II., 43; 58). 2. Etwas, ein Substrat, ist als "positiv" bestimmt, wenn 1. gilt, daß es "in Beziehung auf ein Anderssein" steht, d.h. ein Moment in einer Beziehung ist, in der es gesetzt ist, und 2. , daß seine "Natur" dies ist, nicht ein Gesetztes zu sein, sondern ein selbständiges Bestehen zu haben.18 Ein Substrat ist also als positiv und damit als Substrat bestimmt, insofern es gesetzt ist als Nichtgesetztes. Es verhält sich folg-

18

Wenn etwas als "positiv" bestimmt ist, dann kann angenommen werden, daß es "in Beziehung auf ein Anderssein" (Z 213) steht. Auf der anderen Seite ist etwas nur dann ein wirklich Positives, wenn es ein selbständiges Bestehen, eine eigene "Natur" aufweist. Mit der Tatsache, daß das Positive ein "Gesetztsein" ist, ist der erstgenannte Gesichtspunkt erfüllt, mit dem Umstand, daß es "nicht ein Gesetztes" (Z 213) ist, der zweite. In der Anmerkung l zum Widerspruch-Abschnitt sagt Hegel, daß das Positive "vornehmlich [...] in dem Sinne genommen" wird, daß es "(ob es gleich seinem Namen nach das PONIERTSEIN, GESETZTSEIN ausdrückt) ein Objektives sein soll" (L. II., 55; 71). Der Begriff der Position hat also eine doppelte Bedeutung: Über die subjektive "Setzung" hinaus, bedeutet er das selbständige Sein als objektives Gesetztsein im Sinne des Gegebenseins (vgl. Kant, DG, A 8). Beide Bedeutungen kontaminiert Hegel im Begriff des "an sich Positiven".

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lieh so, als ob außer ihm kein Anderes wäre, durch das es gesetzt ist: "es ist die das Anderssein negierende Reflexion-in-sich". Z 214 "Aber das Andere seiner, das Negative, ist selbst nicht mehr Gesetztsein oder Moment, sondern ein selbständiges SEIN; so ist die negierende Reflexion des Positiven in sich bestimmt, dies sein NICHTSEIN von sich AUSZUSCHLIESSEN" (L. II., 43; 58f.).

3. Das Andere des selbständigen Positiven, das Negative, ist nun seinerseits nicht mehr ein "Gesetztsein oder Moment" im Sinne der Entgegensetzung I. Stufe, sondern "ein selbständiges SEIN". Als solches tritt es dem Positiven als Seite einer neuen Gegensatzrelation gegenüber. Aus diesem Sachverhalt folgt auch die besonders geartete Negativität des selbständigen Positiven zum selbständigen Negativen: Das Positive ist als selbständige Reflexionsbestimmung die das Anderssein negierende Reflexion-in-sich, die Hegel mit dem Terminus 'Ausschließen' näher charakterisiert. Was es durch die das Anderssein negierende Reflexion-in-sich ausschließt, ist das ihm gegenüberstehende selbständige Negative und daher dasjenige, das ihm den Status eines Nichtseins erteilt. Das Positive ist als Seite des Gegensatzes II. Stufe also dadurch bestimmt, daß es als in sich reflektiertes sein Nichtsein von sich ausschließt. Einerseits resultiert das selbständige Positive aus der Aufhebung des Gegensatzes I. Stufe. Andererseits steht es als Relat des Gegensatzes II. Stufe dem selbständigen Negativen gegenüber, das es von sich ausschließt. - Die logische Struktur des selbständigen Negativen und die Eigenart seines Gegensatzverhältnisses zum selbständigen Positiven entwickelt Hegel ebenfalls in drei Schritten: Z 215 "So das Negative als absolute Reflexion ist nicht das unmittelbare Negative, sondern dasselbe als aufgehobenes Gesetztsein, das Negative an und für sich, das positiv auf sich selbst beruht" (L. II., 44; 59).

1. Das an ihm selbst Negative ist nicht mehr das "unmittelbare Negative", d.h. ein Gegensatzmoment der I. Stufe des Gegensatzes, sondern "dasselbe als aufgehobenes Gesetztsein". Das Negative wird zum an sich Negativen, indem es sein "Gesetztsein" oder "die BEZIEHUNG AUF DAS ANDERE", d.i. die Beziehung auf das Andere der I. Stufe des Gegensatzes, in einer Einheit, die nicht sie selbst sind, in sich "ZURÜCKGENOMMEN" (Z 208) hat. Dieser Vorgang macht die "absolute Reflexion" des Negativen aus. Als solches hat es nicht mehr ausschließlich relationale Bedeutung. Es ist vielmehr "das Negative an und für sich, das positiv auf sich selbst beruht".

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Z 216 "Als Reflexion-in-sich negiert es seine Beziehung auf Anderes; sein Anderes ist das Positive, ein selbständiges Sein; - seine negative Beziehung daraufist daher, es aus sich auszuschließen" (L.II., 44; 59).

2. Das an ihm selbst Negative ist als "Reflexion-in-sich" die Negation seiner Beziehung auf Anderes. Da sein Anderes, das Positive, ein "selbständiges Sein" ist, wird die das Verhältnis der Andersheit negierende Reflexion-in-sich des Negativen von Hegel ebenfalls mit Hilfe der Metapher des Ausschließens näher charakterisiert. So wie das selbständige Positive das selbständige Negative als sein Nichtsein von sich ausschließt, so schließt das selbständige Negative das selbständige Positive aus sich aus. Die Negativität des Positiven und Negativen als selbständiger Reflexionsbestimmungen ist dadurch bestimmt, daß sie sich wechselseitig von sich ausschließen. Z 217 "Das Negative ist das für sich bestehende Entgegengesetzte, gegen das Positive, das die Bestimmung des aufgehobenen Gegensatzes ist, - der auf sich beruhende GANZE GEGENSATZ, entgegengesetzt dem mit sich identischen Gesetztsein" (L. II., 44; 59).

3. Abschließend bestimmt Hegel das an sich Negative und seine Entgegensetzung gegen das an sich Positive folgendermaßen: Das an ihm selbst Negative steht als "das für sich bestehende Entgegengesetzte" I. Stufe dem an sich Positiven als dem aufgehobenen Gegensatz I. Stufe gegenüber. Das Positive ist das Nichtentgegengesetzte oder der aufgehobene Gegensatz der I. Stufe, insofern es nicht positiv und nicht negativ im Sinne der Entgegensetzung I. Stufe ist. Das Negative ist das "für sich bestehende Entgegengesetzte", weil es die negativ entgegengesetzten Relate der I. Stufe des Gegensatzes repräsentiert, und dies tut es, insofern es nicht das Positive im Sinne des Nichtentgegengesetzten bzw. des aufgehobenen Gegensatzes I. Stufe ist. Das an sich Negative ist als "der auf sich beruhende GANZE GEGENSATZ" I. Stufe ausschließend entgegengesetzt dem "mit sich identischen Gesetztsein", als welches das an sich Positive definiert ist. Der Gegensatz H. Stufe (3. Bestimmung des Gegensatzes) besteht in einer doppelten Gegenüberstellung. Der Gegensatz tritt also zweifach auf. Das an sich Negative steht als der Gegensatz I. Stufe dem Positiven als dem aufgehobenen Gegensatz I. Stufe in einem Gegensatzverhältnis neuer Art gegenüber. Dieser Gegensatz, der als Verhältnis zwischen dem "NICHTENTGEGENGESETZTE[N]" (Z 212) und dem "Entgegengesetzte[n]" stattfindet, erweist sich als Gegensatzverhältnis besonderer Art:

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Deutlich wird hier die schon in Z 193 angesprochene Asymmetrie zwischen dem Positiven und Negativen. Das Positive und das Negative sind nicht mehr nur Entgegengesetzte überhaupt, d.h. auf gleiche Weise Entgegengesetzte; sie sind vielmehr auf verschiedene, ja entgegengesetzte Weise einander entgegengesetzt. Das Positive ist dem Negativen als das Nichtentgegengesetzte entgegengesetzt. Das Negative ist dem Positiven als das Entgegengesetzte entgegengesetzt. Das Gegensatz Verhältnis ist in diesem einzigen Fall nicht mehr umkehrbar. Das Gegensatzverhältnis II. Stufe hat eine zentrale Stellung innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen, was sich an dessen ausgezeichneter Struktur zeigt. Nach Hegels Meinung kann von einer Ausschlußbeziehung erst gesprochen werden, wenn ein Gegensatzverhältnis H. Stufe vorliegt. Die Gegensatzrelate I. Stufe schließen einander nicht aus, sie sind bloß negativ gegeneinander. Die Seiten der 1. Form des Gegensatzes sind noch nicht positiv und noch nicht negativ. Die Seiten der 2. Bestimmung des Gegensatzes können verwechselt werden. Ein Ausschließen findet erst statt zwischen dem an sich Positiven und dem an sich Negativen. Die Ausschlußbeziehung ist die besonders geartete Negativität des Positiven und Negativen als den selbständigen Reflexionsbestimmungen, die von einer Einheit, die nicht sie selbst sind, bzw. von einem vorausgesetzten Substrat unabhängig sind. Erst der Gegensatz II. Stufe ist ein Verhältnis "substratfreieLr] Negativität" (Wolff (1981), 149). Wolff sieht die entscheidende Pointe des Gegensatz Verhältnisse s II. Stufe darin, daß in ihm das im Gegensatzverhältnis I. Stufe zugrundeliegende Substrat der entgegengesetzten Bestimmungen und diese entgegengesetzten Bestimmungen selbst einander entgegengesetzt sind (Wolff (1981), 124). Vom Standpunkt des Gegensatzverhältnisses U. Stufe erscheinen die beiden Bestimmungen des Gegensatzes I. Stufe als implizite Anwendungen des Begriffs des "an sich Positiven" und des "an sich Negativen". Die 1. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe nimmt die entgegengesetzten Bestimmungen (positiv/negativ) von der Seite, daß sie etwas an sich Negatives sind, dem ein Substrat zugrunde liegt. Die 2. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe nimmt die entgegengesetzten Bestimmungen (positiv/negativ) von der Seite, daß sie etwas an sich Positives, zwei verschiedene Substrate, sind. Erst im Gegensatzverhältnis II. Stufe werden die Substrate und die entgegengesetzten Bestimmungen so miteinander in Bezieh ung gesetzt, wie sie "an sich" aufeinander wirklich bezogen sind nämlich einander als an sich Positives und an sich Negatives entgegengesetzt. Im Gegensatzverhältnis II. Stufe lassen sich also die Mo-

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mente der 1. und 2. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe von einem höheren Standpunkt aus beurteilen. In Hegels Worten: Im Gegensatzverhältnis II. Stufe ist das Gegensatzverhältnis I. Stufe "gesetzt". 3. Kritik an der metaphysischen Verstandesansicht des Positiven und Negativen Der nachfolgende Absatz enthält abschließende Erörterungen über das Begriffspaar 'das Positive und Negative'. - Die Ausschlußbeziehung zwischen dem an sich Positiven und dem an sich Negativen hat sich als Pointe der vollständigen Analyse ihrer logischen Struktur ergeben. Sie ist diejenige Beziehung, die sich aus dem immanenten Bestimmungsgehalt beider Begriffe ergibt. Dieses Resultat stellte sich aber erst in der systematischen reflexionslogischen Herleitung beider Bestimmungen ein. Z 218 "Das Positive und Negative ist hiermit nicht nur AN SICH positiv und negativ, sondern an und für sich. AN SICH sind sie es, insofern von ihrer ausschließenden Beziehung auf Anderes abstrahiert und sie nur nach ihrer Bestimmung genommen werden" (L. II., 44; 59).

Wie das Positive und das Negative als Relate des Gegensatzverhältnisses II. Stufe bestimmt sind, sind sie nicht nur "AN SICH positiv und negativ", sondern "an und für sich". Werden sie nur als "AN SICH positiv und negativ" betrachtet, so wird in Wahrheit von "ihrer ausschließenden Beziehung auf Anderes abstrahiert". Diese Art der Betrachtung pflegt nach Hegel das "metaphysische Philosophieren" (L. I., 109; 13l).19 Diese metaphysische Verstandesansicht des Positiven und Negativen wird im folgenden zurückgewiesen; damit sie aber zurückgewiesen werden kann, muß sie sich erst einmal aufdrängen. Tatsächlich weisen die selbständigen Relate des Gegensatzverhältnisses II. Stufe den Umstand auf, daß sie auch unabhängig von ihrer Relation zueinander als positiv und negativ bestimmt sind. Gerade diese ihre Selbständigkeit legt dem Verstand die Vermutung nahe, daß eine Ausschlußbeziehung zwischen ihnen nicht besteht. Z 219 "AN SICH ist etwas positiv oder negativ, indem es nicht bloß GEGEN ANDERES so bestimmt sein soll. Aber das Positive oder Negative

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"[...] die Definitionen der Metaphysik wie ihre Voraussetzungen, Unterscheidungen und Folgerungen wollen nur SEIENDES und zwar ANSICHSEIENDES behaupten und hervorbringen" (L. L, 109; 131).

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nicht als Gesetztsein und damit nicht als Entgegengesetztes, ist es jedes das Unmittelbare, SEIN und NICHTSEIN" (L. II., 44; 59).

Das Positive ist "AN SICH" positiv, wenn es nicht nur als das Nicht-Negative, sondern auch als Positives bestimmt ist. Ebenso ist das Negative "AN SICH" negativ nicht nur als das Nicht-Positive, sondern wenn es an ihm selbst so qualifiziert ist. Werden beide Bestimmungen aber nicht als Gegensatzrelate aufgefaßt, so werden sie in Gestalt ihrer abstrakten Grundlage, der Gestalt des verhältnislosen Seins und Nichtseins, gedacht. Nach dieser Version sind sie "das Unmittelbare", weil sie nicht miteinander in Beziehung stehen. Das hat zur Folge, sie hören auf, sie selbst zu sein. Zwar sprechen wir vom Positiven und Negativen im Hinblick auf den Unterschied von Sein und Nichtsein, aber darin erschöpft sich nicht ihre volle logische Struktur. Umgekehrt: Positives und Negatives sind die Begriffe, als die die metaphysischen Anfangsbegriffe Sein und Nichts in der Wesenslogik reflexionslogisch reformuliert werden.20 Hegel löst den Schein dieser verstandesmäßigen Betrachtungsweise auf, indem er aufzeigt, daß die Selbständigkeit der Relate und ihr Entgegengesetztsein zusammengehören. Die Tatsache, daß Positives und Negatives an ihnen selbst positiv und negativ bestimmt sind, bedeutet also nicht, daß sie unabhängig von ihrer Beziehung auf Anderes wären. Z 220 "Das Positive und Negative sind aber die Momente des Gegensatzes, das Ansichsein derselben macht nur die Form ihres Reflektiertseins in sich aus" (L. II., 44; 59).

Das Positive und Negative sind, was sie sind, stets nur als "die Momente des Gegensatzes". Denn als Reflexionsbestimmungen sind sie wesentlich Einheit von Ansichsein (Reflexion-in-sich) und Gesetztsein. Der bloße Aspekt des Ansichseins der Bestimmungen, den der Verstand allein berücksichtigt, drückt nur die einseitige "Form ihres Reflektiertsein in sich" aus und trägt dem Moment des Gesetztseins nicht Rechnung: Z 221 "Es ist etwas AN SICH positiv, außer der Beziehung auf das Negative; und es ist etwas AN SICH NEGATIV, außer der Beziehung auf das Negative; in dieser Bestimmung wird bloß an dem abstrakten Momente dieses Reflektiertsein festgehalten" (L. II., 44; 59). 20

"Es kommen in der Entwicklung des Wesens [...] dieselben Bestimmungen vor als in der Entwicklung des Seins, aber in REFLEKTIERTER Form. Also statt des SEINS und NICHTS treten jetzt die Formen des POSITIVEN und NEGATIVEN ein [...]" (Enz. § 114 Anm.).

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Etwas als "AN SICH positiv" und etwas als "AN SICH NEGATIV" zu bestimmen, stützt sich also nicht auf die Beziehung, die zwischen den zur Debatte stehenden Bestimmungen vorliegt, vielmehr werden sie so "außer der Beziehung auf das Negative" genommen. - Als an sich positiv und an sich negativ sind das Positive und Negative zwar auch unabhängig von ihrer Relation zueinander bestimmt, aber eben so, daß dies den Status ihrer Entgegensetzung ausmacht. Der Status des Entgegengesetztseins des an sich Positiven und an sich Negativen ergibt sich gerade daraus, daß sie unabhängig von ihrer Relation aufeinander als positiv und negativ bestimmt sind. Der Charakter ihrer Entgegensetzung hängt dann davon ab, daß beide Relate selbständig, d.h. an sich selbst positiv und negativ sind: Z 222 "Allein das ANSICHSEIENDE Positive oder Negative heißt wesentlich, daß entgegengesetzt zu sein nicht bloß Moment sei, noch der Vergleichung angehöre, sondern die EIGENE Bestimmung der Seiten des Gegensatzes ist" (L. II., 44; 59).

Das Entgegengesetztsein des an sich Positiven und an sich Negativen ergibt sich also nicht daraus, daß beide bloß Momente einer Reflexion sind, wie in der 1. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe, noch daraus, daß sie der "Vergleichung" der äußeren Reflexion angehören, wie in der 2. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe. Ihr Entgegengesetztsein ergibt sich in diesem Fall aus dem immanenten Bestimmungsgehalt der Relate, ihrer ansichseienden und selbständigen Struktur. Auf der U. Stufe des Gegensatzes ist die Bestimmung des Entgegengesetztseins ein Charakterzug, der jedem Relat selbst eignet: "die EIGENE Bestimmung der Seiten des Gegensatzes". Z 223 "AN SICH positiv oder negativ sind sie also nicht außer der Beziehung auf Anderes, sondern [so,] daß DIESE BEZIEHUNG, und zwar als ausschließende, die Bestimmung oder das Ansichsein derselben ausmacht; hierin sind sie es also zugleich an und für sich" (L. II., 44; 59).

Daß das Positive und Negative "AN SICH positiv oder negativ" sind, bedeutet nicht, daß ihre Beziehung auf Anderes verschwindet, vielmehr macht gerade "DIESE BEZIEHUNG, und zwar als ausschließende", ihre ureigenste, an sichseiende Bestimmung aus. Die "Beziehung auf Anderes" des an sich Positiven und an sich Negativen ist als "ausschließende" unter allen Reflexionsbestimmungen die einzige Relation, die sich aus dem innerlichen Bedeutungsgehalt der Relate ergibt. Hierdurch sind sie zugleich an und für sich positiv und negativ. Die Ausschlußoezie/mrcg bildet also den notwendigen Charakterzug der an und für sich seienden Reflexionsbestimmungen.

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Damit ist der Gegensatz aber bereits in den Widerspruch übergegangen. 4. Zusammenfassung der Logik des Gegensatzes I. Die beiden ersten Formen des Gegensatzes gehören dem Gegensatzverhältnis I. Stufe des Positiven und Negativen an. Die 1. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe ergibt sich aus dem Positiven und Negativen als Entgegengesetzte überhaupt. Als solche sind sie eigentlich noch nicht positiv und negativ. Ihr Verhältnis zueinander ist daher bloß das Verhältnis gegeneinander negativer Relate. Die Reflexion dieses Gegensatzes ist durch zweierlei bestimmt: 1. durch das Negativitätsverhältnis der Gegensatzrelate, das durch zwei Seiten charakterisiert ist: Jedes Relat ist a) durch das Nichtsein oder Negation des Anderen und b) durch das Sein des Anderen und somit durch sein eigenes Nichtsein; 2. durch den Umstand, daß beide entgegengesetzte Bestimmungen als Bestimmungen einer Vermittlung gesetzt sind. Diese eine Vermittlung ist der spekulative Ausdruck für die Substratbestimmtheit, von dem das Gegensatz Verhältnis zweier Bestimmungen abhängt. In der einen Vermittlung des Gegensatzes ist das vormals in der Verschiedenheit zugrundeliegende Substrat an sich aufgehoben und nur noch als Schein gegenwärtig. Die 1. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe ist der Gegensatz der setzenden Reflexion. Denn das "Setzen" der entgegengesetzten Bestimmungen und das "Voraussetzen" eines reflexionslogischen Substrats ist ein Vorgang setzender Reflexion, die ja Einheit von Setzen und Voraussetzen ist. Die 2. Bestimmung des Gegensatzverhältnisses I. Stufe ergibt sich daraus, daß die Seiten des Gegensatzes in sich reflektiert sind, wodurch das Moment der äußeren Reflexion hereinkommt. Durch das Moment der äußeren Reflexion nehmen die Seiten des Gegensatzes den Charakter von verschiedenen Substraten an und Positives und Negatives werden zu prädikativen Bestimmungen, die diesen Substraten nur äußerlich zukommen, also nichts bezeichnen, was diese an sich sind. Die beiden Seiten des Gegensatzes können so verwechselt werden. Unter dem Aspekt der äußeren Reflexion stellt sich der Gegensatz als reale Opposition zweier entgegengesetzter Substratbestimmtheiten dar, die in ihrer Bestimmtheit miteinander verwechselbare, amphibolische Relate sind. II. Das Gegensatzverhältnis II. Stufe ergibt sich dadurch, daß das Positive und Negative an ihnen selbst positiv und negativ bestimmt

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sind. Erst hier sind sie als selbständige Reflexionsbestimmungen einander entgegengesetzt. Der so bestimmte Gegensatz selbständiger Reflexionsbestimmungen ist aufgrund dieser Selbständigkeit seiner Momente ein Gegensatz ohne vorausgesetztes Substrat. Die Beziehung der Momente in einem Substrat bzw. in einer Einheit, die nicht sie selbst sind, wie im Gegensatzverhältnis I. Stufe, ist in jedes zurückgenommen. Die 1. Bestimmung des Gegensatzverhältnisses I. Stufe ist die Entgegensetzung von Bestimmungen eines und desselben Substrats. Die 2. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe bezeichnet die Entgegensetzung zweier vorausgesetzter Substrate. Das Gegensatz Verhältnis II. Stufe schließlich ist dasjenige von Substrat als Substrat und den entgegengesetzten Bestimmungen als Bestimmungen an dem Substrat. Die Pointe des Gegensatzverhältnisses II. Stufe besteht darin, daß in ihm die Substrate und die Bestimmungen des Gegensatzes so zueinander in Beziehung gesetzt werden, wie sie an sich, d.h. als Substrate und als entgegengesetzte Bestimmungen aufeinander wirklich bezogen sind - nämlich als einander als an sich Positives und an sich Negatives entgegengesetzt. Das Substrat der entgegengesetzten Bestimmungen ist, insofern es als Substrat gesetzt ist, das anundfürsichseiende Positive, ein wesentlich Nichtentgegengesetztes, während die entgegengesetzten Bestimmungen als an sich Negatives gesetzt, als wesentlich Entgegengesetztes bestimmt sind. Damit treten beide, das Substrat als Substrat und seine entgegengesetzten Bestimmungen selbst in ein Entgegensetzungsverhältnis, und zwar in eines besonderer Art. Der Gegensatz von Substrat als Substrat und entgegengesetzten Bestimmungen als Bestimmungen des Substrats ist als Ausschließungsbeziehung ein besonders geartetes Verhältnis der Negativität. Es ist ein Verhältnis "substratfreieH Negativität" (Wolff (1981), 149), das nicht wiederum ein neues Substrat voraussetzt. Andernfalls führte dies in "einen unendlichen Regress immer neuer Substrate" (Schubert (1985), 117). In der Fortbestimmung des Gegensatzes findet eine fortschreitende Aufhebung des Scheins der Positivität des Substrats statt. Erst in der II. Stufe des Gegensatzes erweist sich das in der I. Stufe des Gegensatzes zugrundegelegte Substrat als Schein: Es ist nichts anderes als das an sich Positive, das Hegel als das "mit sich identische[n] Gesetztsein" (Z 217) definiert, welches aufgrund seiner Identität mit sich den Schein einfacher Unmittelbarkeit erzeugt. In der II. Stufe des Gegensatzes wird dieser Schein der Unmittelbarkeit des

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Substrats als Schein dargestellt, indem das vorausgesetzte Substrat als Setzung kenntlich wird. Das zugrundeliegende Substrat ist nichts anderes als das Gesetztsein selbst, - aber als aufgehoben, d.i. als positiv gesetzt. Das Substrat ist gerade, weil es als Substrat, als an sich Nichtentgegengesetztes gesetzt ist, ein Moment der negativen Reflexion des Gegensatzes, insofern es dem Entgegengesetzten (den entgegengesetzten Bestimmungen) entgegengesetzt ist. Mit dem Übergang von der Verschiedenheit zum Gegensatz war an sich die Positivität des Substrats aufgehoben. In der 1. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe hatte sich ein Verhältnis rein relationaler Negativität entgegengesetzter Bestimmungen ergeben, aufgrund dessen die Entgegengesetzten noch nicht positiv und negativ bestimmt waren, sondern bloß Negative gegeneinander, Momente der einen Reflexion des Gegensatzes sind, in der das Substrat nur noch als Schein gegenwärtig ist. Mit der Fortbestimmung des Gegensatzes mußte das bereits an sich aufgehobene Substrat wiederum als ein gedoppeltes in seiner Positivität vorausgesetzt werden. Den positiven Substraten, die als solche nur verschiedene sind, kommen zwar die Prädikate "positiv"" und "negativ" zu, aber um den Preis der Verwechselbarkeit, die sich der Restitution der Verschiedenheit und dem Moment der äußeren Reflexion in der 2. Bestimmung des Gegensatzes I. Stufe verdankte. Erst in der II. Stufe des Gegensatzes ist der Schein der Unmittelbarkeit des Substrats definitiv aufgehoben, indem deutlich wird, daß es als Substrat gesetzt und damit nur Moment der negativen Reflexion des Gegensatzverhältnisses II. Stufe ist, das als Verhältnis rein relationaler, substratfreier Negativität kein weiteres Substrat voraussetzt. ///. Hegels Lehre vom Gegensatz als Kritik des reflektierenden Verstandes Alle drei Bestimmungen des Gegensatzes enthalten eine Kritik am reflektierenden Verstand: I. Die erste Bestimmung des Gegensatzes enthält sowohl eine Kritik an der metaphysischen Konzeption von Realität und Negation als auch eine Kritik an Kants Begriff der mathematischen Negativität. Mit Kant ist Hegel gegen die traditionelle Metaphysik der Auffassung, daß die negative Bestimmung nicht dasselbe wie ein bloßer Mangel an Bestimmung ist, sondern die entgegengesetzte einer positiven Bestimmung. Hegel gibt jedoch Kants Begriff der mathematischen Negativität auf. Er zeigt, daß die Negatitvität der Entgegenset-

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zung gar nicht auf der wechselseitigen Privation positiver Vermögen, Kräfte oder Gründe beruht, sondern nur dadurch erklärt werden kann, daß zwei Bestimmungen und y genau dann entgegengesetzt sind und sich negativ zueinander verhalten, wenn identisch ist mit nicht - y und y identisch ist mit nicht - x. Hegel verabschiedet damit die dynamische Interpretation der Negativität (vgl. WolfF(1981), 71). Die Negativität entgegengesetzter Relate ist von einer ganz bestimmten logischen (nicht wie bei Kant dynamischen) Struktur: Die logische Struktur der Negativität entgegengesetzter Relate hat den Charakter einer Selbstbeziehung. II. Die zweite Bestimmung des Gegensatzes, welche eine Amphibolie der Entgegengesetzten mit sich bringt, enthält nach M. Wolff einen "doppelten Angriff auf Kant und dessen Oppositionstheorie" (Wolff (1981), 118f). Und zwar richtet sie sich gegen Restbestände von Substratmetaphysik in Kants Metaphysikkritik. Der erste Angriff richtet sich dagegen, daß Kant mit seiner Theorie der realen Opposition das Grundkonzept der Leibniz-Wolffschen Metaphysik, die Konzeption von Realität und Negation nur modifiziert, nicht aber aufgehoben hat. Denn Kant hat die metaphysische Trennung zwischen Realität und Negation nur für den Bereich der Erscheinung, nicht aber für den Gegenstandsbereich der Dinge an sich aufgehoben. Den Dingen an sich können zwar keine Privationen, also auch keine negativen Bestimmungen zukommen, wohl aber kommt ihnen Realität im Sinne der "transzendentalen Bejahung" und Verneinung im Sinne der "transzendentalen Verneinung" zu. Kant rettet also die Substanzmetaphysik, deren Prämissen er im Bereich der Erscheinungen negiert, im Begriff des "transzendentalen Ideals" in den Bereich der Dinge an sich (vgl. Kant, Kd.V., B 602, A 574). Wie sieht Kants Kritik an der Metaphysik der Leibniz-Wolffschen Schule aus? Nach Kant macht sich die Leibniz-Wolffsche Metaphysik einer Amphibolie schuldig, wenn sie annimmt, daß von logisch entgegengesetzten Urteilen das eine immer eine reale Bestimmung, das andere den Mangel dieser Bestimmung anzeigt. Denn in der Erscheinung sind auch "Privationen" möglich. "Privationen" sind aber von objektiven Negationen im metaphysischen Verstande unterschieden, da sie keinen Mangel an Bestimmung, sondern nur reale Oppositionen von Bestimmungen voraussetzen (vgl. Kant, Kd.V., B 328f., A 272f.). Kant hat seinen Amiphibolievorwurf auf den Nachweis einer "transzendentalen Amphibolie" gegründet, d.h. einer Verwechslung von Ding an sich und Erscheinung. Hegel nimmt nun keineswegs den Amphibolievorwurf gegen die von Kant angegriffene Metaphysik

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zurück. Jedoch kann er die von Kant gegebene Begründung des Amphibolievorwurfs nicht teilen. Die zweite Bestimmung des Gegensatzes zeigt, daß eine Amphibolie bereits mit der Voraussetzung zweier gleicher Substrate als Träger entgegengesetzter Bestimmungen verbunden ist. Die Amphibolie gründet nach Hegels Ansicht also nicht in der Verwechslung von Noumenon und Phaenomenon, Ding an sich und Erscheinung, sondern im Prinzip der Vergleichung, d.h. im Prinzip der Voraussetzung von Substraten, unabhängig davon, ob diese Substrate als Erscheinungen oder als Dinge an sich vorausgesetzt werden. Was Kant "transzendentale Amphibolie" nennt, die Verwechslung von Ding an sich und Erscheinung, ist für Hegel somit nur ein Spezialfall einer reflexionslogischen Amphibolie, die im Prinzip der äußeren Reflexion und d.h. im Prinzip der Verschiedenheit begründet liegt. Die metaphysische Trennung von Realität und Negation läßt sich also auch nicht im Hinblick auf die Dinge an sich aufrechterhalten, denn bereits mit der Voraussetzung gleicher Substrate - seien es nun Erscheinungen oder Dinge an sich - ist die Tatsache verbunden, daß die Bestimmungen des Positiven und Negativen nur äußerlich, nur amphibolisch bezogen werden können. "Negative Bestimmungen wären insofern auch keine Schranken der Realität, wenn sie Dingen an sich zukommen würden" (Wolff (1981), 120), denn auch diesen kommen positive und negative Bestimmungen nur äußerlich und amphibolisch zu. "Kants Versuch, den metaphysischen Kuchen in die Speisekammer der Dinge an sich zu verbannen, um ihn dort als "transzendentales Ideal" zu retten, muß daher mißlingen" (Wolff (1981), ebd.). Hegels zweiter Angriff richtet sich gegen Kants dualistische Konzeption von Ding an sich und Erscheinung, durch die dieser die dialektischen Oppositionen (Antinomien) auflösen wollte. Nach Kants Ansicht ist die Grundlage der dialektischen Oppositionen die Verwechslung von Ding und Erscheinung. Deren Ursache liegt in der Zweideutigkeit des Begriffs desjenigen Gegenstandes, den wir als Ding an sich und Erscheinung notwendigerweise unterscheiden müssen. Aus der vorgestellten Gleichartigkeit der Gegenstände als Dinge an sich und als Erscheinungen entspringt nach Kant die "transzendentale Amphibolie". Hegels These ist nun, daß verschiedene Gegenstände nicht aufgrund ihrer vorgestellten Gleichheit miteinander verwechselbar sind, sondern schon deshalb, weil sie als verschiedene Substrate gedacht werden. Der Verstand unterstellt den Dingen an sich und den Erscheinungen Substrate und macht sie dadurch verwechselbar. Die verwechselnde Verstandestätigkeit ist nach Hegels

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Meinung nur zu vermeiden, wenn das Prinzip der äußeren Reflexion und d.h. das Prinzip der Voraussetzung von gleichen Substraten, auf die nur äußerlich Bestimmungen bezogen werden, aufgegeben wird. Erst das Prinzip der bestimmenden Reflexion bezieht die Substrate und die Bestimmungen der Substrate so aufeinander, wie sie an und für sich selbst aufeinander bezogen sind. Damit ist aber der "Widerspruch" denknotwendig geworden. III. Hegels Kritik am metaphysischen und wissenschaftlichen Verstand besteht bekanntlich darin (vgl. Enz. § 114 Anm.), daß dieser die "Selbständigkeit" und die "Relativität" seiner Bestimmungen (Substrate und Bestimmungen der Substrate) nicht richtig in Verbindung bringt. Der Verstand bringt die Relativität mit der Selbständigkeit der Relate in einer Weise in Verbindung, die durch das "Neben- oder Nacheinander" nicht hinauskommt. Er verbindet sie durch das bloße "Auch" nur äußerlich miteinander. In der wesenslogischen Lehre vom Gegensatz und Widerspruch kommt es Hegel darauf an, die Selbständigkeit und die Relativität der Verstandesbestimmungen in ihrem inneren Verhältnis zu rekonstruieren. Die Implikationen des Gegensatzverhältnisses II. Stufe machen deutlich, daß es nicht nur zwischen Bestimmungen ein Verhältnis der Entgegensetzung gibt, sondern auch zwischen diesen Bestimmungen und dem Substrat dieser Bestimmungen. Die entgegengesetzten Bestimmungen des Substrats und das Substrat dieser Bestimmungen sind im Gegensatz II. Stufe in ihrer Selbständigkeit gesetzt. Diese Selbständigkeit schließt aber nicht aus, sondern ein, daß das reflexionslogische Substrat und seine entgegengesetzten Bestimmungen nicht aufgrund irgendeiner äußerlichen Relation, sondern innerlich oder an sich bezogen sind auf das jeweils ihnen an sich Entgegengesetzte. Der in der Ausschlußbeziehung der Reflexionsbestimmungen als selbständiger Wesenheiten liegende Widerspruch von Ausschließen und Enthalten liefert den Ansatzpunkt von Hegels metaphysikkritischem Programm, Selbständigkeit und Relativität metaphysisch getrennter Bestimmungsrelate innerlich miteinander zu verbinden. Im Übergang vom Gegensatz II. Stufe zum Widerspruch wird deutlich, daß Selbständigkeit und Relativität der Reflexionsbestimmungen nicht einander ausschließen, sondern einander bedingen. Hegels Lehre vom Widerspruch ergibt sich aus der näheren Untersuchung der Beziehung der Entgegensetzung von Substrat als Substrat und den entgegengesetzten Bestimmungen als Bestimmungen wie sie im Gegensatzverhältnis II. Stufe vorliegen. Dabei wird sich zeigen, daß zwei Bestimmungen +A und - A, die in bezug auf ein als IAI bestimmtes Substrat einander entgegengesetzt sind, obgleich

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beide diesem Substrat ihrerseits ausschließend entgegengesetzt sind, gleichwohl beide in ihm enthalten sind. TV. Die entgegengesetzten Größen in der Mathematik In der Anmerkung zu den entgegengesetzten Größen in der Mathematik behandelt Hegel den Begriff des Positiven und Negativen, wie er in der Arithmetik vorkommt. In der spekulativ-dialektischen Entwicklung im Haupttext haben sich im wesentlichen zwei Bestimmungen des Positiven und Negativen ergeben: Das Positive und Negative als gegeneinander negative Relate und als an sich positiv und an sich negativ. Diese beiden Formen des Positiven und Negativen kommen auch in den Bestimmungen entgegengesetzter Größen in der Mathematik vor. Die Unterscheidung dieser beiden Formen des Positiven und Negativen macht den eigentlichen Kerngedanken der "Anmerkung" zum Gegensatzabschnitt aus. Hegels Kritik an der Mathematik richtet sich gegen zweierlei: Erstens dagegen, daß sie den Begriff des Positiven und Negativen "nicht in seinem bestimmten Unterschiede aufgefaßt" (L. II., 44; 60) habe und zweitens dagegen, daß sie aufgrund dieses Mangels an Unterscheidung nicht zum Begriff des an sich Positiven und an sich Negativen gelangt. Obgleich die Anmerkung nur "illustrativen Charakter" (Wolff (1981)2i, 160) hat, tragen Hegels Vorschläge zur Klärung der mathematischen Begriffe des Positiven und Negativen zur Überwindung von Schwierigkeiten bei, in die sich die Mathematik in ihren Theorien über die entgegengesetzten Größen verwickelt hatte. Hegel ist der Meinung, daß erst unter Berücksichtigung des an sich Positiven und an sich Negativen "die Schwierigkeiten und Verwicklungen" (L. II., 45; 60) auflösbar sind, die in der traditionellen Arithmetik mit den Begründungsversuchen der Vorzeichenregeln verbunden gewesen sind.

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Wolff hat eine ausführliche Interpretation der mathematik-philosophischen Bezüge von Hegels Gegensatztheorie geliefert. Dabei bemüht er sich vor allem, die mathematik-historischen Hintergründe freizulegen, auf die Hegel indirekt verweist (vgl. Wolff (1981), 83ff.).

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

1. Die erste Form des Positiven und Negativen in der Mathematik Nach Hegels Auffassung kann die erste Form des Positiven und Negativen von zwei verschiedenen Seiten aus betrachtet werden: Entgegengesetzte Größen sind einerseits bloß entgegengesetzte überhaupt, andererseits reale oder gleichgültige. 1. In der Arithmetik sind +a und -a "zuerst ENTGEGENGESETZTE GRÖSSEN ÜBERHAUPT" (L. II., 45; 60), wobei "a" ihre "zum Grunde liegende AN SICH SEIENDE EINHEIT" ausmacht, die aber gegen die Entgegensetzung gleichgültig ist, mithin als Substrat, "als tote Grundlage dient" (ebd.). Hegel gebraucht hier außer den Symbolen "+a" und "-a" das vorzeichenlose Symbol "a", das die "tote Grundlage" der entgegengesetzten Größen überhaupt bezeichnet. Diese "Grundlage" a ist die den entgegengesetzten Größen +a und -a "zum Grunde liegende AN SICH SEIENDE EINHEIT", die gegen die Entgegensetzung selbst gleichgültig ist. Mit dieser "Grundlage" a ist sachlich dasselbe gemeint, was der Mathematiker Georg Simon Klügel die "Quantität" entgegengesetzter Größen nannte und was Mitte des 19. Jahrhunderts der "(positive) Wert" oder der "(absolute) Betrag" positiver oder negativer Zahlen genannt wurde. Das dafür heute gebräuchliche Symbol ist: "lal". Zwar kannte Hegel weder den Begriff noch das Symbol des absoluten Betrags. Wenn er jedoch das a vorzeichenlos verwendet, implizieren seine Bestimmungen bereits das, was später absoluter Betrag hieß (vgl. Wolff, (1981), 83-100, bes. 90f.)22. Hegel schränkt also den Begriff der entgegengesetzten Größen auf diejenigen Größen ein, deren absoluter Betrag gleich ist. Sind +a und -a entgegengesetzte Größen überhaupt, dann liegt beiden Größen erstens ein und nur ein lal zugrunde; und zweitens ist dieses zugrundeliegende lal selbst keine entgegengesetzte Größe überhaupt, sondern vielmehr das "gegen die Entgegensetzung selbst Gleichgültige" (L. II., 45; 60). Solange +a und -a nur als entgegengesetzte überhaupt betrachtet werden, solange sind sie als Größen gar nicht zweierlei Größen, sondern machen "EINES" (L. II., 46; 61). aus. Sie sind dann etwas, dem nur ein lal zugrunde liegt, "ein Gleichgültiges" (ebd.). Nach Hegel ergibt sich der Gedanke, daß zwei entgegengesetzte Größen "EINES" ausmachen daraus, daß in ihnen eine "IDENTISCHE BEZIEHUNG" (ebd.) vorhanden ist. Diese identische Beziehung besteht darin, daß,

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Das moderne Symbol "lal" ist als Abkürzung von 'l a " entstanden.

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik

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trotz des Entgegengesetztseins der Größen gegeneinander, ihre Positivität und Negativität ununterscheidbar ist: "Das -a ist zwar das Negative, das +a als das Positive bezeichnet, aber DAS EINE ist so gut ein ENTGEGENGESETZTES als DAS ANDERE" (L. II., 45; 60).

+a und -a unterscheiden sich von ihrer "tote[n] Grundlage", ihrem Substrat, nur darin, daß sie entgegengesetzte überhaupt sind. Dieses einzige Unterscheidungsmerkmal, das Entgegengesetztsein, ist aber das, was beiden Größen gemeinsam zukommt. Insofern sind beide Größen +a und -a nicht voneinander verschieden. Solange sie voneinander ununterscheidbar sind, solange sind die Prädikate "positiv" und "negativ" nur austauschbare Namen für die Relate der Entgegensetzung. 2. "Ferner", fährt Hegel fort, "ist a nicht nur die EINFACHE zum Grunde liegende Einheit, sondern als +a und -a ist sie die Reflexion dieser Entgegengesetzten in sich; es sind ZWEI VERSCHIEDENE a vorhanden, und es ist gleichgültig, welches von beiden man als das positive oder negative bezeichnen will; beide haben ein besonderes Bestehen und sind positiv" (L. H., 45; 60f). - Daß wir +a und -a als zwei Größen ansehen können, ergibt sich für Hegel daraus, daß das vorzeichenlose a "nicht nur die EINFACHE zum Grunde liegende Einheit" ausmacht, sondern zugleich die Reflexion der entgegengesetzten Größen in sich darstellt. Die "Entgegengesetzten [sind] nicht nur EIN Gleichgültiges, sondern auch ZWEI GLEICHGÜLTIGE. Sie sind nämlich als Entgegengesetzte auch in sich Reflektierte und bestehen so als Verschiedene" (L. II., 46; 61). Durch die Reflexion-insich der Größen sind nun zwei verschiedene absolute Beträge lal vorhanden. Das zugrundeliegende Substrat ist in sich verdoppelt. Diesen beiden Beträgen kommt es nicht an sich selbst zu, entgegengesetzt überhaupt zu sein. Nach ihren Beträgen betrachtet haben beide vielmehr "ein besonderes Bestehen und sind positiv". Wenn den Größen +a und -a zwei verschiedene Beträge !+al und l-al zugrunde liegen, so können die Prädikate "positiv" und "negativ", die wir beiden Beträgen beilegen, beliebig vertauscht werden, ohne ihre Bedeutung zu verändern. Hegel macht offensichtlich einen zweideutigen Gebrauch vom Ausdruck "positiv". Zum einen bezeichnet er zusammen mit dem Negativen eine der beiden entgegengesetzten prädikativen Bestimmungen eines oder mehrerer Substrate, zum anderen bezeichnet er die Bestimmtheit des Substrats selbst. Diese Zweideutigkeit ergibt sich daraus, daß die für die Substrate behauptete Eigenschaft positiv zu

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

sein, bereits eine Vorwegnähme der zweiten Form des Positiven und Negativen ist (vgl. Wolff (1981), 92). Fassen wir zusammen: Nach der ersten Form des Positiven und Negativen sind entgegengesetzte Größen noch nicht an sich positiv und an sich negativ. Die Prädikate "positiv" und "negativ" sind für die Träger dieser Prädikate gleichgültig, solange den Größen +a und a nur ein einfacher Betrag lal zugrunde liegt. Wenn den Größen +a und -a zwei Beträge l+al und l-al zugrunde liegen, dann können die Prädikate "positiv" und "negativ", die den Beträgen beigelegt werden, beliebig vertauscht werden, ohne ihre Bedeutung zu ändern. Hegels Analyse der bisher betrachteten Form entgegengesetzter Größen umfaßt dasselbe, was Kant unter dem Titel des "Begriffs der negativen Größe" untersucht hatte (vgl. Kant, NG). Auch Kant sah, daß positive Größen in ihrer Beziehung auf andere Größen als negativ angesehen werden können und daß negative Größen auch als positiv aufgefaßt werden können. Doch verfügte er noch nicht über den Gedanken des "absoluten Betrags"; ihm fehlte deswegen auch eine befriedigende Antwort auf die Frage, worin die "Gleichgültigkeit" der Prädikate "positiv" und "negativ" eigentlich besteht. Hegel deutet dasjenige, was Kant die "Aufhebung" real entgegengesetzter Größen genannt hatte, in anderer Weise. Nach Kantischer Auffassung ist diese "Aufhebung" auf die "Privation" der Folgen real entgegengesetzter Bestimmungen zurückzuführen. "Aufgehoben" werden in diesem Verhältnis weder der Gegenstand noch die entgegengesetzten Prädikate, sondern die Folgen der an sich positiven Realitäten (Kant, NG, A 13-19). Hegel gibt der "Aufhebung" entgegengesetzter Bestimmungen und ihres Resultats der "Null" eine ganz andere Interpretation: Er deutet sie als Auflösung des Widerspruchs entgegengesetzter Bestimmungen. Insofern sich das Resultat der "Aufhebung" entgegengesetzter Größen nicht daraus ergibt, daß positive Gründe sich ihrer Folgen berauben, kann die "Null" nach Hegel auch kein "nihil privativum" im Kantischen Sinne sein. Zur Frage, wie Hegel das Resultat der "Aufhebung" der Entgegensetzung, die "Null", verstanden wissen wollte, gibt das Kapitel über den Widerspruch Aufschluß. Die Null als Resultat der Aufhebung entgegengesetzter Bestimmungen kann nach Hegel nur in der "Beziehung" liegen, die zwischen entgegengesetzten Bestimmungen besteht. Die Beziehung zwischen entgegengesetzten Größen, durch die sie sich aufheben, so daß das Resultat Null ist, ist in Hegels Augen ein Widerspruch. Was das genau bedeutet, wird sich im Kapitel über den Widerspruch ergeben.

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik

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2. Die zweite Form des Positiven und Negativen in der Mathematik Entgegengesetzte Größen sind nicht nur einerseits bloß entgegengesetzte überhaupt, andererseits reale oder gleichgültige, sondern auch an sich positiv und an sich negativ. Hegel verdeutlicht den Begriff des an sich Positiven am Beispiel des absoluten Betrags in der Arithmetik: "Das a z.B., insofern es kein Zeichen hat, gilt dafür, daß es als positives zu nehmen sei, wenn es zu bezeichnen ist. Wenn es nur überhaupt ein entgegengesetztes werden sollte, so könnte es ebensogut als -a genommen werden. Aber das positive Zeichen wird ihm unmittelbar gegeben, weil das Positive für sich die eigentümliche Bedeutung des Unmittelbaren, als mit sich identischen, gegen die Entgegensetzung hat" (L. II., 47; 62).

Der Betrag lal ist als positiv gesetzt ein wesentlich Nichtentgegengesetztes, das, weil gesetzt, ein Moment des Gegensatzes ist, insofern es eben dem Entgegengesetzten, den Größen +a und -a, entgegengesetzt ist. Den Begriff des an sich Negativen erläutert Hegel anhand der negativen Zahlen in der Mathematik: Eine negative Zahl ist nicht nur entgegengesetzt gegen eine positive Zahl, vielmehr gilt sie als "entgegengesetztes AN SICH, außer dieser Beziehung" (L. II., 47; 63). Wir können zwei Größen +a und -a, die voneinander zu subtrahieren sind, auf zwei verschiedene Weisen betrachten: Wir können sie auf demselben Abschnitt oder auf verschiedenen Abschnitten der Zahlengeraden abtragen. Wenn beide Größen auf die positive Seite der Zahlengeraden fallen, verhalten sich die beiden Zahlen negativ nur in ihrer Beziehung aufeinander. Fallen die beiden entgegengesetzten Größen auf verschiedene Abschnitte der Zahlengeraden, so ist die negative Größe negativ nicht nur in Beziehung auf die positive, sondern "an sich" negativ, d.i. auch unabhängig von dieser Beziehung. Die erste Betrachtungsweise ist üblich im Rahmen der Einführung der elementaren Rechenoperationen vor Einführung der negativen Zahlen, die zweite nach deren Einführung. In der folgenden Überlegung nimmt Hegel beides zusammen: "In 8 - (-3) heißt das erste Minus entgegengesetzt GEGEN 8, das zweite Minus aber (-3) gilt als entgegengesetztes AN SICH, außer dieser Beziehung" (L. II., 47; 62f.).

Hegel weist daraufhin, daß der Gebrauch der algebraischen Vorzeichen in höherstufigen Rechenoperationen wie der Multiplikation und Division nur dann aufgehellt werden kann, wenn man diese

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

Operationen als Rechnen mit dem Positiven und Negativen der zweiten Form begreift: "Näher tritt dies bei der Multiplikation und Division hervor; hier ist das Positive wesentlich als das NICHTENTGEGENGESETZTE, das Negative hingegen als das Entgegengesetzte zu nehmen, nicht beide Bestimmungen auf gleiche Weise nur als Entgegengesetzte überhaupt" (L. II., 47; 63).

Nur unter Berücksichtigung der zweiten Form des Positiven und Negativen ("an sich positiv" und "an sich negativ") sind die Paradoxien und Widersprüche auflösbar, die in der traditionellen Arithmetik mit den Begründungsversuchen der Vorzeichenregeln immer verbunden gewesen waren: "Indem die Lehrbücher in den Beweisen, wie sich die Zeichen in diesen beiden Rechnungsarten verhalten, bei dem Begriffe der entgegengesetzten Größen überhaupt stehenbleiben, so sind diese Beweise unvollständig und verwickeln sich in Widersprüche. - Plus und Minus erhalten aber bei der Multiplikation und Division die bestimmtere Bedeutung von Positivem und Negativem an sich, weil das Verhältnis der Faktoren, Einheit und Anzahl gegeneinander zu sein, nicht ein bloßes Verhältnis des Mehrens und Minderns ist wie bei dem Addieren und Subtrahieren, sondern ein qualitatives, womit auch Plus und Minus die qualitative Bedeutung des Positiven und Negativen erhält" (L. II.,47; 63).

Hegels Überlegung ist folgende: In Ausdrücken wie (-a) (+a), (+a) (-a) oder (-a) (-a) bezeichnet +a eine an sich positive (gleichgültige, nicht entgegengesetzte) Größe; -a dagegen eine an sich negative (nicht gleichgültige, an sich entgegengesetzte) Größe. Daraus ergibt sich folgende mathematische Regel: Der Betrag eines Produkts zweier Faktoren ist das Produkt aus den Beträgen dieser Faktoren. Das Vorzeichen des Produkts richtet sich nach dem Vorzeichen des Multiplikanden ("Einheit"); allerdings ist dieses Vorzeichen auf die ihm entgegengesetzte Weise zu nehmen, wenn der Multiplikator ("Anzahl") an sich negativ ist [-a +a = -a2; +a -a = -a2; +a +a = a2; -a -a = +a2]. Hegels Argumente für diese Regel enthalten eine indirekte Beweisführung: "Ohne diese Bestimmung [des 'an sich Positiven' und 'an sich Negativen', d.V.] und bloß aus dem Begriffe entgegengesetzter Größen kann leicht die schiefe Folgerung gezogen werden, daß, wenn -a +a = -a2 ist, umgekehrt +a -a = +a2 gebe. Indem der eine Faktor die Anzahl und der andere die Einheit, und zwar die erstere wie gewöhnlich der voranstehende bedeutet, so unterscheiden sich die beiden Ausdrücke -a +a und +a -a dadurch, daß im ersteren +a die Einheit und -a die Anzahl und im anderen es um-

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gekehrt ist. Es pflegt nun beim ersteren gesagt zu werden, wenn ich +a nehmen soll -a mal, so nehme ich +a nicht bloß a mal, sondern zugleich auf die ihm entgegengesetzte Weise, +a mal -a; also da es Plus ist, so habe ich es negativ zu nehmen, und das Produkt ist -a2. Wenn aber im zweiten Falle -a zu nehmen ist +a mal, so soll -a gleichfalls nicht -a mal genommen werden, sondern in der ihm entgegengesetzten Bestimmung nämlich +a mal. Nach dem Räsonnement des ersten Falles folgt also, daß das Produkt +a2 sein müsse. - Ebenso bei der Division" (L. II., 47f.; 63).

Hegel begründet hier indirekt die Ansicht, daß Vorzeichen der Faktoren eines Produkts nicht "ein bloßes Verhältnis des Mehrens oder Minderns" anzeigen wie beim Addieren oder Subtrahieren, denn beim Multiplizieren und Dividieren ist "das Verhältnis der Faktoren, Einheit und Anzahl gegeneinander zu sein", kein bloß quantitatives, sondern "qualitatives" Verhältnis (L. II., 47; 63). Das hat zur Folge, daß "auch Plus und Minus die qualitative Bedeutung des Positiven und Negativen" (ebd.) erhalten. Plus und Minus erhalten eine Bedeutung, die sich von der Bedeutung des "Mehr" oder "Minder" qualitativ unterscheidet. Die Faktoren eines Produkts sind positiv und negativ nicht im Sinne "entgegengesetzter Größen überhaupt", sondern im Sinne des "an sich Positiven" und "an sich Negativen". "So ist denn auch -a -a = +a2, darum weil das negative a nicht bloß auf die entgegengesetzte Weise (so würde es zu nehmen sein mit - a multipliziert), sondern weil es negativ genommen werden soll. Die Negation der Negation aber ist das Positive" (L. II., 48; 64).

Hegel ist also der Auffassung, daß nur die Berücksichtigung der zweiten Form des Positiven und Negativen geeignet ist zu erklären: "erstens: warum nicht jeder Multiplikand aufgrund eines entgegengesetzten Multiplikators ein entgegengesetztes Produkt bildet, sondern nur ein positiver Multiplikand; zweitens: warum Faktoren gleichen Vorzeichens nicht immer Produkte desselben Vorzeichens bilden, sondern nur dann, wenn die Faktoren positiv sind" (Wolff (1981), 99). Das Produkt an sich negativer Faktoren ist positiv. V. Hegels Deutung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten Die Reflexionsbestimmung der Entgegensetzung wird in der traditionellen formalen Logik und Metaphysik in einem Satz zum Ausdruck gebracht, dem Satz des ausgeschlossenen Dritten. Hegel gibt verschiedene Formulierungen dieses Grundsatzes an. In der Wissenschaft der Logik lautet er: "ETWAS IST ENTWEDER A ODER

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

NICHT-A; ES GIBT KEIN DRITTES" (L. II., 56; 73). In der Enzyklopädie formuliert ihn Hegel so: "VON ZWEI ENTGEGENGESETZTEN PRÄDIKATEN KOMMT DEM ETWAS NUR DAS EINE ZU; ES GIBT KEIN DRITTES" (Enz. § 119 Anm.).23 Hegels Deutung des Drittensatzes läßt sich in bezug auf zwei Fragen erschließen: 1. Was kritisiert Hegel am formallogischen Sinn des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten? 2. Wie hängt seine Kritik am Drittensatz mit seiner zuvor im Haupttext entwickelten Gegensatztheorie zusammen? I. Hegel unterzieht den Satz des ausgeschlossenen Dritten einer reflexionslogischen Sinnanalyse, indem er untersucht, was er "enthält": "Dieser Satz enthält ZUERST, daß alles ein ENTGEGENGESETZTES ist, ein entweder als positiv oder als negativ BESTIMMTES" (L. II., 56; 73).

Hegel behauptet also, daß der Satz "Etwas ist entweder A oder Nicht-A" (oder A ist entweder +A oder -A) besagt, daß Alles, d.i. alles Etwas, entweder ein positiv oder negativ Bestimmtes ist, bzw. jedes als IAI bestimmtes Substrat entweder durch die Bestimmung +A oder durch die Bestimmung -A bestimmt ist; eine und nur eine der beiden entgegengesetzten Bestimmungen +A und -A kommt dem als reflexionslogisches Substrat zugrundeliegenden Etwas (IAI) zu. Nach dieser Deutung ist der Satz des ausgeschlossenen Dritten für Hegel ein "wichtiger Satz", der darin den Beweis für seine Notwendigkeit findet, "daß die Identität in Verschiedenheit und diese in Entgegensetzung übergeht" (L. II., 56f; 73). Diesen Nachweis hat Hegel im Haupttext erbracht. Hegel gibt dem herkömmlichen Satz vom ausgeschlossenen Dritten einen ganz speziellen Sinn. Während dieser Satz "gewöhnlich" besagt, "daß einem Ding von allen Prädikaten entweder dieses Prädikat selbst oder sein Nichtsein zukomme" (ebd.), besagt er in Hegels Deutung, "daß alles ein ENTGEGENGESETZTES ist, ein entweder als positiv oder als negativ BESTIMMTES". Nach der formallogischen Deutung ist der Satz für Hegel zwar nicht falsch, aber "so unbedeutend, daß es nicht der Mühe wert ist, ihn zu sagen" (L. II., 57; 23

In der Enzyklopädie vereinheitlicht Hegel seinen Gebrauch von Symbolen. Das Symbol "A" führt er anstelle des in der Wissenschaft der Logik vorkommenden Ausdrucks "Etwas" ein; die Symbole "+A" und "-A" setzt er durchgängig an die Stelle von "A" und "Nicht-A". Dadurch wird deutlich, daß das vorzeichenlose A als reflexionslogisches Substrat und + A und -A als seine entgegengesetzten Bestimmungen aufzufassen sind.

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik

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73). Dabei betont er, daß im formallogischen Verständnis das logisch entgegengesetzte Prädikat "bloß Mangel oder vielmehr die UNBESTIMMTHEIT bedeutet" (ebd.). Die traditionelle Logik hat den Sinn des Entgegensetzungsverhältnisses nicht begriffen. Für sie ist damit lediglich die Distinktion zwischen einer Bestimmung und dem Nichtsein dieser Bestimmung gemeint, womit das jeweils Entgegengesetzte zu einem bloßen Bestimmungsmangel bzw. zur Unbestimmtheit degeneriert. Grundlage für Hegels Kritik an der formallogischen Auffassung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten ist sein Verständnis von der logischen Struktur der Negativität entgegengesetzter Relate, die er im Haupttext entwickelt hat. Danach ist das Entgegengesetzte einer Bestimmung nicht bloß der Mangel dieser Bestimmung, sondern die im Verhältnis zu ihr negative Bestimmung. Nach dieser Seite basiert Hegels Kritik an der formallogischen Deutung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten auf dem Gegensatzverhältnis I. Stufe. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten geht auf das Aristotelische Prinzip des tertium non datur zurück, wonach jedes Prädikat einem Gegenstand zukommt oder nicht zukommt (Aristoteles, Met., 101 Ib 23 - 1012a 17). In der traditionellen Metaphysik dient dieser Grundsatz als ontologisches Axiom; er fundiert die metaphysische Alternative zwischen Realität und Negation. Hegels Kritik am Satz vom ausgeschlossenen Dritten steht daher noch im Kontext seiner Kritik an der metaphysischen Trennung von Realität und Negation. Kant nimmt diese metaphysische Deutung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten wieder auf im Prinzip der durchgängigen Bestimmung, nach welchem "von allen Prädikaten der Dinge, sofern sie mit ihrem Gegenteile verglichen werden, eines zukommen muß" (Kant, Kd.V., B 599f., A 57If.). Darin zeigt sich die Abhängigkeit von Kants Metaphysikkritik von diesem metaphysischen Paradigma. Während er die Dichotomie von Realität und Negation im Bereich der Erscheinungen einschränkt (vgl. seine Theorie der Realrepugnanz: Kant, NG; ders., Kd.V., B 328f., A 272f), dient ihm das Prinzip der durchgängigen Bestimmtheit als transzendentale Idee zur Grundlegung des transzendentalen Ideals. Mit der dualistischen Konzeption von Erscheinung und Ding an sich rettet Kant den metaphysischen "Inbegriff aller Realitäten" in seine Metaphysikkritik. Im Begriff des transzendentalen Ideals ist das ens realissimum erhalten geblieben. Dieses bezeichnet ein "transzendentales Substrat", die "Idee von einem All der Realität (omnitudo realitatis). Alle wahren Verneinungen sind alsdenn nichts als Schranken" (Kant, K.d.V., B 604, A 576).

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

Hegel hält diesen Satz der durchgängigen Bestimmtheit nicht für falsch, jedoch für "eine Trivialität, die zu nichts fuhrt" (L. II., 57; 73). Er sagt aus, daß etwas bestimmt sei. Statt nun aber diese Bestimmtheit näher zu bestimmen, "zur Bestimmtheit AN SICH, zur Entgegensetzung" zu kommen, "geht er [...] in jenem trivialen Sinne von der Bestimmtheit nur über zu ihrem Nichtsein überhaupt, zurück zur Unbestimmtheit" (L. II., 57; 74). Nach Hegels Deutung "enthält" der Satz des ausgeschlossenen Dritten also mehr, als mit ihm im formallogischen Sinne gemeint ist, nämlich, "daß alles ein ENTGEGENGESETZTES ist, ein entweder als positiv oder als negativ BESTIMMTES", ein Grundsatz, der die metaphysische Alternative von Realität und Negation (Schranken der Realität) sprengt. So ist der Satz des ausgeschlossenen Dritten nicht nur ein fomallogischer Satz, ein begriffs- oder urteilslogischer Satz, sondern ein Prinzip der objektiven Logik, der Reflexionslogik. Für den so umgedeuteten Satz hält Hegel in der Enzyklopädie § 119 Anm. den Namen "Satz des Gegensatzes" bereit. Für den Satz des Gegensatzes gilt das Prinzip tertium non datur, wie Hegel in einem weiteren Schritt zeigt, nicht mehr im strengen Sinne. II. Der Satz des ausgeschlossenen Dritten "enthält" weiterhin, wie Hegel sagt, "daß es nicht etwas GEBE, welches WEDER A NOCH NICHT-A, daß es nicht ein Drittes gebe, das gegen den Gegensatz gleichgültig sei" (L. II., 57; 74). Der Verstand meint mit dem Satz des ausgeschlossenen Dritten ein Prinzip an der Hand zu haben, womit er den Widerspruch von sich abhalten kann. Dieser Satz entspringt insofern dem Bedürfnis des Verstandes, den Widerspruch zu vermeiden. Doch, so Hegels These, indem der Verstand den Widerspruch von sich "abhalten" will, "begeht er denselben" (Enz. § 119 Anm.). Um Hegels Kritik an der Verstandesansicht des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten zu verstehen, muß man sich klar machen, daß die Zeichen +A und -A entgegengesetzte Bestimmungen bedeuten, denen ein als reflexionslogisches Substrat bestimmtes vorzeichenloses A [IAI] zugrunde liegt.24 - Wenn der Satz des ausgeschlossenen Dritten "enthält", daß es nicht etwas gibt, das weder +A noch -A ist, so fordert er implizit, dem Substrat IAI solle entweder +A oder -A zukommen. Aber "damit ist schon das Dritte, das A ausgesprochen, welches weder + noch - ist, und das ebensowohl auch als +A und als -A 24

Zu Hegels Kritik an der Verstandesansicht des Drittensatzes vgl. auch Wolff (1981), 114ff., 143ff. Wolff zeigt, daß in Hegels Verstandeskritik der Gedanke des "reflexionslogischen Substrats" eine ausgezeichnete Rolle spielt.

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik

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gesetzt ist" (Enz § 119 Anm.). Die reflexionslogische Sinnanalyse des Drittensatzes erweist, daß das als IAI bestimmte Substrat gerade in seinem Ausgeschlossensein von den entgegengesetzten Bestimmungen +A und -A in diesen Gegensatz eingeschlossen ist, denn es ist dasjenige, was als +A oder als -A bestimmt ist: "In der Tat aber GIBT ES in diesem Satze selbst das Dritte, das gleichgültig gegen den Gegensatz ist, nämlich A selbst ist darin vorhanden. Dies A ist weder +A noch -A und ebensowohl auch +A als -A" (L. II., 56; 74).

Dies besagt, daß die entgegengesetzten Bestimmungen +A und -A selbst auf ein als IAI bestimmtes Etwas bezogen sind und daß das Etwas somit entweder als +A oder als -A bestimmt ist. Das Substrat IAI ist aber zugleich immer auch den beiden entgegengesetzten Bestimmungen +A und -A, die ihm zukommen, entgegengesetzt, denn als Substrat ist es ja gerade das, was die entgegengesetzten Bestimmungen nicht sind. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen: Dem als IAI bestimmten reflexionslogischen Substrat kommen 1. weder +A noch -A und 2. sowohl +A als auch -A zu. Diese Kritik Hegels am Satz des ausgeschlossenen Dritten setzt also der Sache nach die Bekanntschaft mit den Implikationen des Gegensatzverhältnisses II. Stufe voraus. Sie enthält schon den Gedanken des Widerspruchs, denn die Implikationen des Gegensatzverhältnisses II. Stufe bestehen, wie wir noch sehen werden, darin, daß sich die Gegensatzglieder sowohl ausals einschließen. Diese Folgerungen sind auch der sachliche Grund für Hegels Behauptung, der Satz des ausgeschlossenen Dritten unterscheide sich bzw. widerspreche (vgl. Enz. § 119 Anm.) dem Satz der Identität und dem Satz des Widerspruchs, der lautet: "A KANN NICHT ZUGLEICH A UND NICHT-A SEIN" (L. II., 31; 45). Weil das als IAI bestimmte reflexionslogische Substrat die entgegengesetzten Bestimmungen +A und -A ebensowohl ein- wie ausschließt, ist der als "Satz des Gegensatzes" (Enz. § 119 Anm.) gedeutete Satz des ausgeschlossenen Dritten bereits in den Satz des (eingeschlossenen) Widerspruchs übergegangen. In einem letzten Schritt erweist sich das reflexionslogische Substrat IAI ("das tote Etwas" (L. II., 57; 74)) als Repräsentant der "Einheit der Reflexion" selbst, in welche als in den "Grund" (ebd.) die ganze Entgegensetzung von IAI und +A und -A zurückgeht. Der "Grund" ist in Wahrheit nicht ein "totes Etwas", sondern die Einheit der scheinenden, widersprüchlichen Bewegung der Reflexion, in welcher die Entgegengesetzten sowohl gesetzt als aufgehoben sind, die aber im Satz des ausgeschlossenen Dritten ausgeschlossen erscheint.

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

Weil der Satz des ausgeschlossenen Dritten den Ausschluß des Dritten verlangt, das er notwendigerweise an sich hat, weil also der Ausschluß des Dritten in letzter Instanz nicht möglich ist, vielmehr umgekehrt die entgegengesetzten Bestimmungen +A und -A das vorzeichenlose A als Drittes enthalten, ist er als Denkgesetz, das unbedingte Gültigkeit beansprucht, falsch. Zwar behält dieser Satz im Kontext der formalen Logik durchaus seine Gültigkeit bei, jedoch um den Preis einer doppelten Abstraktion. Erstens abstrahiert der formallogische Verstand davon, daß das Engegengesetzte einer Bestimmung nicht nur der Mangel einer Bestimmung ist, sondern auch die zu ihr negative Bestimmung; zweitens abstrahiert er davon, daß entgegengesetzten Bestimmungen immer ein reflexionslogisches Substrat zugrunde liegt (Wolff (1981), 146). Der Verstand abstrahiert also vom Sinn der Prädikation. Der Satz des ausgeschlossenen Dritten "enthält" also in einem zweifachen Sinn "mehr", als vom Verstand mit ihm gemeint wird. Erstens enthält er nicht nur, "daß einem Dinge von allen Prädikaten entweder dieses Prädikat selbst oder sein Nichtsein zukomme" (L. II., 57; 73), sondern "daß alles ein ENTGEGENGESETZTES ist" (ebd., 56; 73); zweitens enthält er nicht nur, "daß es nicht ein Drittes gebe, das gegen den Gegensatz gleichgültig sei" (ebd., 57; 74), sondern selbst das Dritte. III. Der "Satz des Gegensatzes", so behauptet Hegel, "widerspricht am ausdrücklichsten dem Satz der Identität (Enz. § 119 Anm.), also noch ausdrücklicher als ihm schon der Satz der Verschiedenheit widerspricht. Nach dem Satz der Identität ist alles Seiende nur "DIE BEZIEHUNG AUF SICH", nach dem Satz des Gegensatzes ist alles Seiende "ein ENTGEGENGESETZTES, DIE BEZIEHUNG AUF SEIN ANDERES" (ebd.). Nach Hegel ist es eine "eigentümliche Gedankenlosigkeit" des Verstandes, "zwei solche widersprechende Sätze als Gesetze nebeneinanderzustellen, ohne sie auch nur zu vergleichen" (ebd.). Ein Vergleich des Identitätsaxioms mit dem Satz des Gegensatzes gibt folgendes zu erkennen: Während im Satz der Identität allem Seienden Identität mit sich zugesprochen wird, wird ihm im Satz des Gegensatzes positive oder negative Bestimmtheit zugesprochen. Das besagt, daß im Satz der Identität alles Seiende unabhängig von aller Bestimmtheit als "geheimnisvolles "metaphysisches" Substrat" (Günther (1978), 76) genommen wird. Im Satz des Gegensatzes kommt das mit sich identische Seiende dagegen nur noch im Sinne eines reflexionslogischen Substrats vor, im Hinblick worauf die Bestimmungen +A und -A entgegengesetzte Bestimmungen sind und das entweder ein positiv oder negativ Bestimmtes ist. Damit löst sich

§ 3 Die dritte und vierte Stufe der Logik

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im Satz des Gegensatzes das seiende, an sich selbst gleiche und nur mit sich identische Substrat in Negativität auf. Die reflexionslogische Sinnanalyse des Satzes des ausgeschlossenen Dritten hat ergeben, daß das als IAI bestimmte Substrat gerade in seinem Ausgeschlossensein von den entgegengesetzten Bestimmungen +A und -A in diesen Gegensatz eingeschlossen ist, denn ihm kommt entweder + A oder -A zu. Die "entgegengesetzten Bestimmungen [sind] im Etwas ebensosehr gesetzt als in diesem Setzen aufgehobene" (L. II., 57; 74). H. Wagner bestimmt den formallogischen Sinn des Prinzips des ausgeschlossenen Dritten so: "Es besagt zunächst, daß es neben der Setzung und Aufhebung ein Dritten nicht gibt" (Wagner (1967), 105). Hegels ganzes Interesse richtet sich indes auf dieses Dritte als die "Einheit der Reflexion" (L. II., 57; 74) in ihrem Setzen und Aufheben. Damit wendet er sich gegen das abstrakte Entweder-Oder des Verstandesdenkens: "[...] das ENTWEDER-ODER, was ein Prinzip aller formalen Logik und des der Vernunft entsagenden Verstandes ist, in der absoluten Mitte schlechthin vertilgt" (Werke 2, 411). Diese Kritik am Entweder-Oder der Verstandes ist konstitutiv für Hegels spekulative Philosophie: - Vgl. Hegels Auseinandersetzung mit dem Entweder-Oder in F. H. Jacobis Denken in der Enzyklopädie § 65: Jacobi möchte mit seiner Unmittelbarkeitsphilosophie das abstrakte Verstandesdenken überwinden. Da er jedoch das "unmittelbare Wissen" dem vermittelten Wissen per Ausschließung entgegensetzt, fällt er faktisch in das "Entweder-Oder" des reflektierenden Verstandes zurück. - Vgl. Hegels Bestimmung der Freiheit im Naturrechtsaufsatz: Dort verwirft er "die Ansicht der Freiheit völlig [...], nach welcher sie eine Wahl sein soll zwischen entgegengesetzten Bestimmtheiten, so daß, wenn +A und -A vorlägen, sie darin bestünde, ENTWEDER als +A ODER als -A sich zu bestimmen, und an dies ENTWEDER-ODER schlechthin gebunden wäre. [...] Sie ist vielmehr die Negation oder Idealität der Entgegengesetzten, sowohl des +A als des -A, die Abstraktion der Möglichkeit, daß keines von beiden ist" (Werke 2, 476f.). Das Spezifische von Hegels FreiheitsbegrifF hängt an seinem Begriff der Unendlichkeit (vgl. Wildt (1982), 312ff.). - Vgl. Hegels Fichtekritik in der Differenzschrift: Hegel wendet gegen Fichte ein, daß dieser von "Grundsätzen" ausgegangen sei, die zwar faktisch eine Antinomie formulieren, ohne daß Fichte sie als Antinomie erfaßt und damit aufgelöst habe (Werke 2, 35ff.). Da Fichte die Widersprüchlichkeit seiner Grundsätze nicht erfaßt habe, bliebe er in der Durchführung seines Systems bei der "Reflexion" stehen und gehe nicht zur "Spekulation" fort. "Ich = Ich" verwandelt sich in

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seinem System in "Ich SOLL gleich Ich sein" (Werke 2, 50). "Die Antinomie BLEIBT als Antinomie und wird im Streben [...] ausgedrückt" (ebd. 70). Hegels eigenes Programm ist dagegen: "Die wahre Antinomie, die beides, das Beschränkte und Unbeschränkte, nicht nebeneinander, sondern zugleich als identisch setzt, muß damit zugleich die Entgegensetzung aufheben" (ebd., 44) (zu Hegels Fichtekritik vgl. Wildt (1982), 304ff. und Kesselring (1984), 62ff.). Mit der Freilegung des im Satz des ausgeschlossenen Dritten enthaltenen Widerspruchs ist der Satz des ausgeschlossenen Dritten in den Satz des (eingeschlossenen) Widerspruchs übergegangen. Der Widerspruch durchzieht also nicht nur das System der Reflexionsbestimmungen im Haupttext. Als solcher ist er vielmehr jedem der bisher dargestellten Axiome der traditionellen formalen Logik und Metaphysik immanent. Der Satz des (ausgeschlossenen) Widerspruchs, der in einem Atemzug mit dem Satz der Identität genannt wird, enthält den Widerspruch, in den sich der Satz der Identität (das identische Sprechen) verwickelt, "an sich" in seiner negativen Form. Auch der Satz der Verschiedenheit ist sich selbst widersprechend. Mit dem Aufweis des im Satz des ausgeschlossenen Dritten liegenden Widerspruchs ist offenbar, daß alle Grundsätze sich nicht nur gegenseitig widersprechen und aufheben, sondern auch für sich genommen sich selbst widersprechend sind. Aufgrund ihres Widerspruchs mit sich selbst haben sie nur Bestand, insofern sie zugleich aufgehoben sind und in ihre Gegen-sätze übergehen. Keinem dieser Sätze kann also unbedingte Gültigkeit zugesprochen werden. Der Widerspruch, der von Anfang an im System der Logik der Reflexionsbestimmungen präsent ist und in allen Grundsätzen der traditionellen Logik und Metaphysik zum Ausdruck kommt, wird von Hegel nun seinerseits in einem "Satz" gefaßt, dem spekulativ-dialektischen Grundsatz des (eingeschlossenen) Widerspruchs: "Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend" (L. II., 58; 74).

§ 4 Die fünfte und sechste Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen: Widerspruch (V. Stufe) und Grund (VI. Stufe) I. Die spekulativ-dialektische Entwicklung des Widerspruchs im Haupttext 1. Der Widerspruch (V. Stufe) Die Abteilung "C. DER WIDERSPRUCH" innerhalb des 2. Kapitels der Wesenslogik bildet das Zentrum der Logik der Reflexion sbestimmungen, denn im Begriff des Widerspruchs reflektiert sich die logische Struktur der Reflexionsbestimmungen und damit das Ganze des Systems der Reflexionsbestimmungen. a) Rekapitulation der Logik der Reflexionsbestimmungen vom Unterschied bis zum Gegensatz Bevor Hegel den Begriff des Widerspruchs thematisiert, gibt er einen Rückblick auf den Gang der Entwicklung der Logik der Reflexion sbestimmungen: Z 224 "1. Der UNTERSCHIED überhaupt enthält seine beiden Seiten als MOMENTE; in der VERSCHIEDENHEIT fallen sie GLEICHGÜLTIG auseinander; im GEGENSATZE als solchem sind sie Seiten des Unterschiedes, eines nur durchs andere bestimmt, somit nur Momente; aber sie sind ebensosehr bestimmt an ihnen selbst, gleichgültig gegeneinander und sich gegenseitig ausschließend: die SELBSTÄNDIGEN REFLEXIONSBESTIMMUNGEN" (L. II., 48C; 64).

Hegel rekapituliert hier die bisher betrachtete Entwicklung der Reflexionsbestimmungen vom "UNTERSCHIED" über die "VERSCHIEDENHEIT" bis zum "GEGENSATZ", wobei auffällt, daß dieser Rückblick auf die Logik der Reflexionsbestimmungen nicht vollständig ist, denn es fehlt die Kategorie der Identität. Obgleich Identität und Unterschied zusammengehören (vgl. I. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen), trennt Hegel beide

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

hauptsächlich in den Großeinteilungen der Reflexionsbestimmungen voneinander. Im Vorspann zum 2. Kapitel der Wesenslogik, wo Hegel einen Überblick über die Theorie der Reflexionsbestimmungen gibt, bezeichnet er die Betimmung der Identität des Wesens als die "Bestimmung, nach der es vielmehr Bestimmungslosigkeit ist" (L. II., 23; 36). Die Identität ist somit nur die Grundlage für die "eigentliche Bestimmung" (ebd.) des Wesens. Unter der eigentlichen Bestimmung faßt Hegel den "UNTERSCHIED" und seine beiden Formen "VERSCHIEDENHEIT" und "GEGENSATZ" zusammen. Diese Einteilung der Reflexionsbestimmungen reflektiert sich auch in den Abteilungen A., B. und C. des 2. Kapitels. In Abteilung A. wird die Reflexionsbestimmung der Identität für sich abgehandelt. Demgegenüber fallen unter die Abteilung "B. DER UNTERSCHIED" die Unterabschnitte "1. DER ABSOLUTE UNTERSCHIED", "2. DIE VERSCHIEDENHEIT" und "3. DER GEGENSATZ". Es ist also der Unterschied, der sich in die Formen Verschiedenheit und Gegensatz untergliedert und der seinerseits der Identität gegenübertritt. Zwar ist die Identität die Grundlage für die eigentliche Bestimmung, den Unterschied, so daß gesagt werden muß, daß der Unterschied nicht ohne die Identität gedacht werden kann. Doch andererseits wird die Identität auf den absoluten Unterschied als auf ihre Wahrheit zurückgeführt. Die Rolle der Identität erschöpft sich im logischen Fortgang darin, zum Moment des Unterschieds herabgesetzt zu werden. Hegel rekapituliert die Gestalten des Unterschieds zu Beginn des Widerspruch-Abschnitts nun deshalb, weil es der Widerspruch ist, durch den sich die Entgegensetzung der selbständigen Reflexionsbestimmungen, der gesetzte Unterschied des Wesens, an sich selbst aufhebt. Der primäre Zweck dieses Abschnitts liegt dementsprechend darin aufzuzeigen, daß sich die selbständigen Reflexionsbestimmungen aufgrund ihres Widerspruchs in ihrer Selbständigkeit auflösen und in ihren Grund zurückgehen. Den Ankündigungen und Einteilungen folgt auch die logische Darstellung der Bewegung der Reflexionsbestimmungen selbst. - Die Logik der Reflexionsbestimmungen ist keine Logik der Identität, sondern eine des Unterschieds. Dieses Faktum wurde bereits auf der I. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen deutlich: Die Identität ist, wie wir sahen, zunächst das Wesen selbst. Das ist sie aber nur insoweit, als sie die Identität des absoluten Unterschieds mit sich ist. Die Identität ist also an ihr selbst absolute Nichtidentität. Sie ist das Ganze der Reflexion, aber zugleich die Bestimmung der Identität gegen den absoluten Unterschied, also ihr eigenes Moment. So ist sie in den absoluten Unterschied übergegangen.

§ 4 Die fünae und sechste Stufe der Logik

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So wie die Identität an ihr selbst absolute Nichtidentität ist, so hat auch der Unterschied die Identität an ihm, allerdings in anderer Weise. Er ist als Unterschied an und für sich zunächst sich auf sich beziehender oder einfacher Unterschied, damit aber zugleich Unterschied seiner von sich selbst. Er ist er selbst und die Identität. Er ist somit ebenso wie die Identität das Ganze und sein Moment. Doch tritt diese scheinbar gleichgewichtige Struktur von Identität und Unterschied unter die Dominanz des Unterschieds. Denn obgleich die Identität das Ganze und ihr Moment ist, bleibt sie im logischen Fortgang nur als Moment des Unterschieds erhalten. Der Unterschied hat sich selbst und sein Anderes, die Identität, zu seinen Momenten. Die Reflexionsbestimmung "UNTERSCHIED" "enthält" also, wie Hegel in Z 224 sagt, ihre "beiden Seiten als MOMENTE". Diese sind als Gesetztsein jedoch zugleich Reflexion-in-sich. Da so die Momente des absoluten Unterschieds in sich reflektierte sind und somit selbst die logische Struktur der Reflexionsbestimmungen haben, wird er zum bestimmten Unterschied, zum Unterschied von solchen Momenten, die, als mit sich selbst identisch gesetzt, nicht aufeinander bezogen sind. Der Unterschied wird somit seinen Momenten äußerlich und ist Verschiedenheit. Die Verschiedenheit bildet die II. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß in ihr die Seiten des Unterschieds "GLEICHGÜLTIG auseinander"- fallen. Die Momente der Verschiedenheit sind zwar selbst die Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied, doch fallen ihre Charaktere Gesetztsein und Reflexion-in-sich auseinander. Erst auf der Stufe des Gegensatzes sind die Reflexionsbestimmungen als Reflexionsbestimmungen (und damit als Einheit von Reflexion-in-sich und Gesetztsein) gesetzt. Nach der Seite ihrer Reflexion-in-sich sind die Momente der Verschiedenheit in der Bestimmung der substrathaften Identität, der ansichseienden Reflexion, gesetzt. Nach ihrem äußerlichen Unterschied, ihrem Gesetztsein, sind sie äußerlich identisch und äußerlich unterschieden. An der entäußerten Reflexion der Verschiedenheit konstituiert sich so Gleichheit (äußerliche Identität) und Ungleichheit (äußerlicher Unterschied) als die Nachfolgerbestimmungen von Identität und Unterschied. Obgleich die äußere Reflexion diese Bestimmungen auf ein und dasselbe Substrat bezieht, läßt sie sie als gleichgültige Rücksichten auseinanderfallen. In Beziehung auf das Substrat jedoch, das zugrundeliegende Dritte, sind sie zugleich negativ ineinander reflekiert und bilden sich so zu den Seiten des Gegensatzes aus.

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

Der Begriff des Gegensatzes markiert die III. und IV. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen. Mit dem Übergang von der Verschiedenheit zum Gegensatz wird der Unterschied des Wesens gesetzt. Der Gegensatz ist die Vollendung der bestimmenden Reflexion und des Unterschieds überhaupt. Die Logik der Reflexionsbestimmungen zeigt sich also in jeder Hinsicht als eine Logik des Unterschieds. Während die Identität aufgrund des ihr immanenten absoluten Unterschieds dem Zerfall anheimgegeben ist, bestimmt sich der Unterschied gerade dadurch fort, daß er die Identität als Moment in sich aufnimmt. Innerhalb des Unterschieds entwickelt Hegel eine zunehmende Verschärfung der Unterscheidung. Der Unterschied entwickelt sich vom absoluten Unterschied des A und Nicht-A über den äußerlichen Unterschied der Verschiedenheit und Vergleichung zum Gegensatz fort. Im Gegensatz ist der Unterschied vollendet, der Unterschied des Wesens gesetzt. Die Vollendung des Unterschieds besteht darin, daß der Gegensatz die "Einheit der Identität und der Verschiedenheit" (L. II., 40; 55) ist. Die Momente des Gegensatzes konstituieren sich aus den Elementen der vorhergehenden Reflexionsstufe. Beide sind Einheit von Gleichheit und Ungleichheit: die Gleichheit so in sich reflektiert, daß sie Beziehung auf die Ungleichheit ist, das Positive; die in sich reflektierte und damit auf die Gleichheit bezogene Ungleichheit, das Negative. Hegel entfaltet den Gegensatz als Verhältnis des Positiven und Negativen im wesentlichen auf zwei Reflexionsstufen: I. Stufe: Das Verhältnis zwischen dem Positiven und Negativen als Verhältnis gegenseitig negativer Relate: Entgegengesetzte Bestimmungen in einer Einheit bzw. eines Substrats. Auf der I. Stufe des Gegensatzverhältnisses sind die Seiten des Unterschieds "eines nur durchs andere bestimmt, somit nur Momente". Mit der Reflexionin-sich der Seiten des Gegensatzes I. Stufe kommt es zur Restitution verschiedener Substrate, denen die Bestimmungen des Positiven und Negativen nur äußerlich und amphibolisch zukommen: der reale als amphibolischer Gegensatz. II. Stufe: Das Verhältnis zwischen dem an sich Positiven und dem an sich Negativen als Verhältnis von sich gegenseitig ausschließenden "SELBSTÄNDIGEN REFLEXIONSBESTIMMUNGEN". Im Gegensatzverhältnis II. Stufe sind die Momente des Unterschieds als selbständige Reflexionsbestimmungen einander entgegengesetzt, indem jedes Moment als in sich reflektiertes sein Nichtsein von sich ausschließt. Das Gegensatzverhältnis II. Stufe ist ein Gegensatzverhältnis selbständiger Reflexionsbestimmungen, deren Negativität

§ 4 Die fünfte und sechste Stufe der Logik

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nicht mehr von der Beziehung auf eine zugrundeliegende, substrathafte Einheit abhängt. Der Gegensatz II. Stufe (IV. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen) markiert das Resultat des Abschnitts über den Gegensatz. Er beschreibt eine logische Situation, worin die Herrschaft der Negation oder Bestimmtheit, in der die Einheit der Wesens "verloren" ist, in ihrer bisher schärfsten Form auftritt: Die Reflexionsbestimmungen des Wesens haben sich als selbständige und sich wechselseitig ausschließende gegeneinander fixiert. b) Übergang vom Gegensatz II. Stufe zum Widerspruch Zunächst thematisiert Hegel den Übergang von der Entgegensetzung II. Stufe zum Widerspruch (V. Stufe): Z 225 "Die eine [der selbständigen Reflexionsbestimmungen, d.V.] ist das POSITIVE, die andere das NEGATIVE, aber jene als das an ihm selbst Positive, diese als das an ihm selbst Negative. Die gleichgültige Selbständigkeit für sich hat jedes dadurch, daß es die Beziehung auf sein anderes Moment an ihm selbst hat; so ist es der ganze in sich geschlossene Gegensatz" (L. II., 49; 64).

Hegel vollzieht den Übergang vom Gegensatz II. Stufe zum Widerspruch, indem er eine bisher nicht berücksichtigte Implikation dieses Gegensatzverhältnisses freilegt. - Die selbständigen Reflexionsbestimmungen des Gegensatzverhältnisses II. Stufe sind das "an ihm selbst Positive" und das "an ihm selbst Negative". Daß jedes "gleichgültige Selbständigkeit für sich" hat, bedeutet nun keineswegs, daß sie unabhängig von ihrer Beziehung auf ihr Anderes wären. Vielmehr gilt im Gegenteil: Gleichgültige Selbständigkeit hat jedes Moment dadurch, daß "es die Beziehung auf sein anderes Moment an ihm selbst hat", daß es also die Beziehung auf sein Anderes zu seiner ureigensten Bestimmung hat. Bereits am Ende des Gegensatz-Abschnitts hat Hegel gezeigt, daß das wechselseitige Ausschließen der selbständigen Reflexionsbestimmungen in Wahrheit eine Beziehung ist. Hegel zieht daraus die Schlußfolgerung: Jedes Moment ist somit "der ganze in sich geschlossene Gegensatz" und impliziert sein Anderes. Auf der anderen Seite schließt es gerade dadurch auch sein Anderes aus sich aus, weil der gleiche Sachverhalt auch vom anderen Moment gilt. Es ergibt sich somit folgende logische Situation: Z 226 "- Als dieses Ganze ist jedes vermittelt DURCH SEIN ANDERES mit sich und ENTHÄLT dasselbe. Aber es ist ferner durch DAS NICHT-

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SEIN SEINES ANDEREN mit sich vermittelt; so ist es für sich seiende Einheit und SCHLIESST das Andere aus sich AUS" (L. II., 49; 64f.).

Jedes der Gegensatzglieder des Gegensatzverhältnisses II. Stufe ist an ihm selbst die ganze Form der Entgegensetzung von Nichtentgegengesetztem und Entgegengesetztem, enthält somit sein Anderes als solches und schließt es zugleich als solches aus sich aus. Hegel formuliert es so: Jedes der selbständigen Momente des Gegensatzes II. Stufe ist das Ganze im Sinne des ganzen in sich geschlossenen Gegensatzes, insofern es erstens durch sein Anderes mit sich vermittelt ist und dasselbe enthält und zweitens durch das Nichtsein seines Anderen mit sich vermittelt ist und dasselbe aus sich ausschließt. Als dieses Ganze enthält jedes sein Anderes als solches und schließt es als solches zugleich aus. Die Ausschlußbeziehung des Gegensatzes der selbständigen Reflexion sbestimmungen ist also der unmittelbare Ausgangspunkt für die Exposition des Widerspruchs. Hegels These ist, daß am Gegensatzverhältnis II. Stufe der Widerspruch hervorbricht, in welchem sich die Reflexionsbestimmungen als selbständige Wesenheiten schließlich auflösen. Der Widerspruch tritt also nicht trotz, sondern wegen der Ausschlußbeziehung der Gegensatzrelate des Gegensatzes II. Stufe ein, und zwar deshalb, weil die Ausschlußbeziehung zugleich ein Ausschließen und Enthalten ist. Nun liegt aber ein Widerspruch erst dann vor, wenn das Aus- und Einschließen in derselben Hinsicht erfolgt. Durch eine einfache Überlegung kann einsichtig gemacht werden, daß im Gegensatzverhältnis II. Stufe implizit ein strikter Widerspruch enthalten ist. Dabei ist es die Reflexion der an und far sich seienden Reflexionsbestimmungen selbst, die erkennen läßt, daß an ihnen der Widerspruch gesetzt ist: Indem an jeder Bestimmung die Beziehung auf ihr Anderes, aber als ausschließende, gesetzt ist, ist jede Bestimmung zugleich als das Ganze gesetzt und enthält die jeweils andere als solche. Da aber jede Bestimmung als das Ganze gesetzt ist, schließen sie die andere zugleich auch als solche aus sich aus. Hieraus ergibt sich: 1. Jede Bestimmung ist das Ganze, insofern sie auch die andere als solche enthält. 2. Da aber jede Bestimmung das Ganze ist, schließen sie sich als solche aus sich aus. Es ergibt sich somit folgendes Resultat: Die selbständigen Reflexionsbestimmungen schließen sich in derselben Rücksicht aus, in der sie sich enthalten. Welches ist nun die identische Rücksicht, in der sie sich enthalten und ausschließen? Eine selbständige Reflexionsbestimmung schließt die andere genau dann in derselben Rücksicht aus, in der sie sie enthält, wenn sie sie

§ 4 Die fünfte und sechste Stufe der Logik

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als solche ausschließt und zugleich als solche enthält. Sie schließt sie dann genau in der Rücksicht aus, in der sie sie enthält, nämlich a/s solche. Der Gegensatz geht also in den Widerspruch über, indem deutlich wird, daß jedes Moment der als selbständig gesetzten Reflexionsbestimmungen in derselben Hinsicht, wie es sein Anderes enthält und dadurch selbständig ist, sein Anderes auch aus sich ausschließt.1 Es kann somit der Begriff des Widerspruchs angegeben werden: Z 227 "Indem die selbständige Reflexionsbestimmung in derselben Rücksicht, als sie die andere enthält und dadurch selbständig ist, die andere ausschließt, so schließt sie in ihrer Selbständigkeit ihre eigene Selbständigkeit aus sich aus; denn diese besteht darin, die ihr andere Bestimmung in sich zu enthalten und dadurch allein nicht Beziehung auf ein ÄußerliZum Übergang von der Entgegensetzung zum Widerspruch vgl. auch Theunissen (1975), 322. Theunissen geht von einem qualitativen Unterschied zwischen dem Gegensatz und dem Widerspruch aus. Ihm zufolge ist der Gegensatz dadurch ausgezeichnet, daß sich seine Seiten als Momente enthalten und als Ganze ausschließen, während der Widerspruch dadurch definiert sei, daß sich bei ihm eine solche Hinsichtsunterscheidung von Enthalten und Ausschließen nicht mehr treffen läßt: Seine Momente enthalten einander in derselben Hinsicht, in der sie sich ausschließen: als das Ganze. So richtig Thcunissens Begriffsbestimmung des Widerspruchs ist, so verkehrt ist seine Konstruktion des Übergangs vom Gegensatz zum Widerspruch. Nach der hier vorliegenden Interpretation expliziert der Begriff des Widerspruchs nur das, was an sich bereits im Gegensatz enthalten ist, daß nämlich das Ausschließen der selbständigen Rcflcxionsbestimmungen zugleich ein Enthalten ist. Es stehen sich hier im wesentlichen zwei konträre Auffassungen gegenüber: Die eine sieht es im Widerspruch-Abschnitt zu einer Art "Katastrophe" kommen, nachdem sich die Problematik des Wesens im Bereich der Rcflexionsbestimmungen, seine Verlorenheit in die Negation, im Laufe der Logik der Rcflexionsbestimmungen immer weiter zugespitzt hat. Die andere interpretiert die Reflexionsbestimmung des Widerspruchs als Thcmatisierung der allen Rcflcxionsbestimmungen eigenen widersprüchlichen Struktur. In der Terminologie von Ganzem und Moment ausgedrückt, heißt das: Der Widerspruch ist das Ganze und ein Moment der Reflexionsbestimmungen. Die zweite These wird dadurch gestützt, daß schon in der Seinslogik die Widersprüchlich keit einer jeden Kategorie Grund ihres Übergehens in die nächste ist, daß also der Widerspruch offensichtlich die treibende Kraft in der ganzen bisher entwickelten Logik ist. Wird mit dem Widerspruch die logische Struktur der Reflexionsbestimmungen thematisch, so folgt daraus, daß mit ihm zugleich die logische Struktur aller Denkbestimmungcn thematisch wird. Diese Interpretation formuliert das Skandalen der Hegeischen Theorie: Dem Widerspruch wird systembildende Funktion zugesprochen. Das Skandalöse dieser Theorie wird aber durch den Umstand gemildert, daß der Widerspruch nach Hegels Auffassung nur als sich auflösender ein Dasein hat. Doch zunächst gilt es, Hegels Darstellung der logischen Struktur des Widerspruchs nachzuvollziehen.

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ches zu sein, - aber ebensosehr unmittelbar darin, sie selbst zu sein und die ihr negative Bestimmung von sich auszuschließen. Sie ist so der WIDERSPRUCH" (L. II., 49; 65).

c) Der Begriff des Widerspruchs Worin besteht der Widerspruch? Hegel gewinnt den Begriff des Widerspruchs aus dem Begriff der Selbständigkeit der selbständigen Reflexionsbestimmungen. Die selbständige Reflexionsbestimmung ist selbst der Widerspruch, indem sie die andere in derselben Rücksicht ausschließt als sie diese einschließt, so daß sie in ihrer Selbständigkeit ihre eigene Selbständigkeit aus sich ausschließt, weil sie dann genau das ausschließt, wodurch sie selbständig ist. Der Widerspruch besteht also im Gedanken des Selbstausschlusses reflexionslogischer Selbständigkeit. Er ist die Beziehung des Enthaltens und Ausschließens zweier einander entgegengesetzter selbständiger Reflexionsbestimmungen. In der formalen Logik wird der Widerspruch als die aus (formal) logischen Gründen falsche Aussage definiert, wobei eine Aussage aus formallogischen Gründen insofern falsch ist, als sie aus Teilaussagen besteht, die sich der Form nach wie die Bejahung und die Verneinung einer Aussage verhalten. Diese Widerspruch-Definition ist nur hinreichend für formale Sprachen. Für nicht formale Sprachen ist sie keine hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines Widerspruchs. Denn der Form nach kontradiktorische Urteile können dem Inhalt nach nicht kontradiktorisch sein, wie Kant in der transzendentalen Dialektik gezeigt hat. Hegel entwickelt darüber hinaus die Ansicht, daß echte kontradiktorische Urteile nicht falsch sein müssen. In den traditionellen Widerspruch-Definitionen, die sich in der Geschichte der Philosophie finden, ist im Grunde der Begriff des Widerspruchs vorausgesetzt. Es wird nicht eigentlich untersucht, was ein Widerspruch ist und worin er besteht. Hegel geht über die Behandlung des Widerspruchs in der traditionellen metaphysischen Logik dadurch hinaus, daß er nach dem "Wesen" des Widerspruchs fragt. Das Resultat dieser Untersuchung ist, daß das "Wesen" des Widerspruchs eine Beziehung des Enthaltens und Ausschließens zweier einander entgegengesetzter selbständiger Reflexionsbestimmungen ist. Hegels These ist: Der Widerspruch ist die "selbständige Reflexionsbestimmung", und zwar insofern, als diese "in derselben Rücksicht" enthält, was sie ausschließt.

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Eine Besonderheit der Hegeischen Widerspruchstheorie liegt also schon darin, daß sie zum erstenmal den Versuch macht, die logische Struktur des Widerspruchs zu durchdenken. Schon bei Parmenides heißt es: "Denn dazu werden sich Dinge gewiß niemals zwingen lassen: zu sein, wenn sie nicht sind" (Parmenides, Fr. 7).2 Die Geschichte des Widerspruchs in der Philosophie ist die Geschichte eines Tabus. Der Widerspruch wird verboten, noch bevor geklärt ist, was er eigentlich ist. So läßt sich dann aber auch die Notwendigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht direkt beweisen. Erst Hegel versucht die Notwendigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht aus dem gesunden Menschenverstand, sondern aus der logischen Struktur des Widerspruches selbst nachzuweisen.3 Der eigentliche Skandal der Wissenschaft der Logik besteht darin, daß sie den Widerspruch positiv integriert. Kontrastiert man diese Integration mit dem Status des Widerspruchs in anderen philosophischen Systemen, so ist in diesen der Ausschluß desselben entscheidend für ihren Aufbau. Ist ein solches System dadurch ausgezeichnet, daß sich in ihm durch formales Räsonieren Bestimmtes herleiten läßt, so wie dadurch anderes als nicht Herleitbares ausgeschlossen ist, und macht diese Möglichkeit der Herleitung seinen systematischen Anspruch aus, so gäbe es, würde das System den Widerspruch positiv integrieren, nichts, was kraft des Systems beweisbar wäre. Damit unterscheiden sich philosophische Systeme darin, wie sie sich zum Widerspruch verhalten. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie in philosophischen Systemen der Widerspruch ausgeschlossen sein kann: "Parmenides von Elea hat zwar nicht den Satz vom Widerspruch, wie manchmal zu lesen ist, zuerst formuliert; er hat aber intuitiv die Einsicht benutzt, daß etwas nicht zugleich sein und nicht sein kann" (Patzig (1974), 1695). Hegel verleugnet keineswegs den Satz des Widerspruchs, wie dies von Seiten der kritischen Rationalisten, vornehmlich von Popper (1940), behauptet wird. Hegel akzeptiert die argumentationslogische Version des Satzes des Widerspruchs, wonach ein Widerspruch in der Theorie diese inkonsistent und damit falsch macht, und verwirft die ontologische Fassung des Satzes vom Widerspruch, wonach es nichts gebe, was sich widerspricht. Er zeigt auf, daß der argumentationslogische Satz des Widerspruchs insofern die Falschheit der ontologischen Fassung des Widerspruchssatzes voraussetzt, als er nur indirekt - über den Widerspruch in seiner Negation - bewiesen werden kann. Das aber bedeutet, er kann nur darüber bewiesen werden, daß dargelegt wird, daß der Widerspruch aufgrund seiner logischen Struktur an und für sich etwas Unhaltbares ist. Auch für Hegel also ist der Widerspruch sowohl in der Theorie als auch in der Realität etwas Negatives, das in sich keinen absoluten Bestand haben kann. Zur Differenz zwischen argumentationslogischer und ontologischer Fassung des Satzes vom Widerspruch vgl. Hösle(1988), 156ff., IGlff.

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a) Der Widerspruch kann vollkommen ignoriert werden, so daß er im System überhaupt nicht vorzukommen hat: der positive Ausschluß des Widerspruchs (z. B. in der analytischen Philosophie), b) Er kann als systembildende Funktion zwar zu den Formationsbedingungen eines Systems gehören, aber nur derart, daß seine Integration ausschließlich so vollzogen wird, daß er im System ausgeschlossen zu sein hat: die negative Integration des Widerspruchs (z.B. in der Wissenschaftslehre Fichtes). Gegenüber dieser negativen Integration intendiert das System der Hegeischen Logik eine positive Integration des Widerspruchs. Will die Hegeische Logik den Widerspruch als eine positive Bestimmung aufnehmen, aber zugleich nicht in eine Gleichgültigkeit und Willkür gegenüber Herleitbarem verfallen (anything goes), so kann sie, um nicht sinnlos zu sein, den formallogischen Widerspruch nicht meinen. Der Begriff des Widerspruchs, den die Wesenslogik positiv integriert, ergibt sich aus dem Begriff der Selbständigkeit der selbständigen Reflexionsbestimmungen. Hegel kennt ihn in der Wissenschaft der Logik insofern nur als einen Widerspruch, als den Widerspruch der Reflexionsbestimmungen als selbständiger Wesenheiten.4 Der Widerspruch wird, wie gesagt, über den Gedanken reflexionslogischer Selbständigkeit eingeführt. Die Selbständigkeit der Reflexion sbestimmung besteht darin, "die ihr andere Bestimmung in sich zu enthalten und dadurch allein nicht Beziehung auf ein Äußerliches zu sein, - aber ebensosehr unmittelbar darin, sie selbst zu sein und die ihr negative Bestimmung von sich auszuschließen". Damit widerspricht die Selbständigkeit der selbständigen Reflexionsbestimmung ihrer eigenen Definitionsbedingung. Wie ist also der Begriff des Widerspruchs, den Hegel in die Wesenslogik positiv aufnimmt, aufzufassen? Das genuin Hegeische an der Formulierung des Widerspruchs besteht im Gedanken des Selbstausschlusses reflexionslogischer Selbständigkeit. Der Widerspruch, den die Wesenslogik als positive Bestimmung integriert, ist also ein Widerspruch, der nicht der formallogische ist, sondern der für alle reflexionslogischen Strukturen konstitutive Widerspruch, in der Selbständigkeit die eigene Selbständigkeit aus sich auszuschließen. In dieser Bedeutung macht der Widerspruch, wie wir noch sehen werden, eine zentrale Funktion der Die reflexionslogische Selbständigkeit ist die logische Struktur der endlichen Dinge überhaupt. Insofern nun in der reflexionslogischen Selbständigkeit der Widerspruch fundiert ist, vertritt Hegel die Ansicht, daß alles Endliche in sich widersprüchlich sei, wobei diese Widersprüchlichkeit keine akzidentelle Bestimmung des Endlichen ist, sondern sein Wesen.

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Begriffsbewegung in der Logik der Reflexionsbestimmungen aus. Die Reflexionsbestimmungen sind als selbständige gesetzt und in ihrer Selbständigkeit zugleich aufgehoben und gehen notwendig in andere über. Auf diese Weise kommt es zum Fortgang innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen.5 Die logische Funktion des Widerspruchs im System der Reflexionsbestimmungen besteht darin, die Selbständigkeit der selbständigen Reflexionsbestimmungen in ihrer Negativität zu dechiffrieren, durch welche sie sich als ineinander übergehende erweisen. Widerspruch und Negativität sind so die beiden generativen, systembildenden Kräfte innerhalb der Wissenschaft der Logik. Der reflexionslogische Widerspruch ist für Hegel ein logisch notwendiger oder echter Widerspruch. Demgegenüber ist der Widerspruch in der formalen Logik ein bloß formaler Widerspruch, der, insofern er nur formal ist, kein logisch notwendiger oder echter Widerspruch ist. Hegels generelle These im Abschnitt über den Widerspruch ist: Indem der Widerspruch der Reflexionsbestimmungen als selbständiger Wesenheiten in seiner logischen Notwendigkeit dargestellt wird, wird er in einem dadurch auch seine Auflösung erfahren. Hegel geht es also nicht um scheinbare Widersprüche und deren Auflösung (vgl. Kants Antinomien), sondern um die Darstellung des logisch notwendigen Widerspruchs der selbständigen Reflexionsbestimmungen und der Notwendigkeit seiner Auflösung. Der Widerspruch wird in seiner logischen Notwendigkeit dargestellt, indem aufgezeigt wird, daß der Unterschied des Wesens in der Konsequenz der Bewegung der Reflexionsbestimmungen eine Zuspitzung erfährt, indem er sich zu einem Gegensatz selbständiger Reflexion sbestimmungen fortbestimmt, einem Gegensatz derart, daß jede der beiden Bestimmungen in derselben Rücksicht, in der sie die jeweils andere in sich enthält und in der sie dadurch, daß sie die andere in sich enthält, selbständig ist, die andere auch ausschließt, so daß sie in ihrer Selbständigkeit ihre eigene Selbständigkeit aus sich ausschließt. Nach M. Wolffs Interpretation steht das Positive und Negative einerseits für das reflexionslogische Substrat entgegengesetzter Bestimmungen, andererseits für diese entgegengesetzten Bestimmungen selbst. Der Widerspruch des Positiven und Negativen ist dann Natürlich ist der Widerspruch in allen Denkbestimmungen, die in der Wissenschaft der Logik dargestellt werden, am Werke, aber nur in der Logik der Reflexionsbestimmungen wird er in seiner Notwendigkeit dargestellt und in seiner logischen Struktur thematisiert.

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der Widerspruch des reflexionslogischen Substrats als Substrats und der der entgegengesetzten Bestimmungen als Bestimmungen. Der Widerspruch des reflexionslogischen Substrats besteht darin, daß es die entgegengesetzten Bestimmungen in derselben Rücksicht sowohl enthält als auch ausschließt. Der Widerspruch der entgegengesetzten Bestimmungen als Bestimmungen besteht darin, daß sie in derselben Hinsicht ihr reflexionslogisches Substrat sowohl ausschließen als enthalten (vgl. Wolff (1981), 154). Hierin läßt sich eine Parallele, aber auch eine Differenz zur aristotelischen und kantischen WiderspruchDefinition entdecken. Die klassische Formulierung, die Aristoteles dem Satz des Widerspruchs gegeben hat, lautet: "Daß nämlich dasselbe demselben in derselben Beziehung [...] unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann, das ist das sicherste unter allen Prinzipien" (Aristoteles, Met., 1005b 19f.). Aristoteles orientiert sich bei seiner Widerspruch-Definition an der Struktur singulärer Aussagen. Danach besteht der Widerspruch in einem nicht denkbaren Verhältnis zwischen Satzsubjekt und Prädikat. Nach Kant besagt der Satz des Widerspruchs: "Keinem Ding kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht" (Kant, K.d.V., B 190, A 151). Dieser Definition zufolge ist der Widerspruch eine bestimmte Beziehung zwischen Ding und Prädikat. Kant führt den Begriff des Widerspruchs auf den der Analytizität zurück. Für ihn ist der Widerspruch eine analytische Opposition. Der Widerspruch besteht demnach im Ausschluß eines in einem Ding analytisch enthaltenen Prädikats. Die Kantische Theorie vom Widerspruch steht noch ganz in der von Hegel kritisierten metaphysischen Tradition, die Realität nur als negationslose Affirmation und Negation nur als realitätslose Verneinung faßt. Kants Konzeption logischer Entgegensetzung bzw. des Widerspruchs ist also noch völlig im metaphysischen Verhältnis von Bestimmung und Mangel dieser Bestimmung befangen. Darüberhinaus bleibt der Widerspruch bei Kant wie schon bei Aristoteles auf der Ebene der subjektiven Logik angesiedelt. Er ist ein aussagenlogisches Problem. In der Realität dagegen gibt es für Kant keinen Widerspruch. Hier setzt die Kritik Hegels an. Wenn auch Kants Widerspruch "genau genommen" (Wolff (1981), 43) kein bloßes Aussagenverhältnis ist, sondern eine Beziehung benennt, die bestimmte Prädikate untereinander haben, also ein Verhältnis nicht bloß logischer, sondern "realer" Prädikate ist, so ist dieses Ein- und Ausschließen bei Kant doch nicht als ein synthetisches, sondern als analytisches gedacht. Er setzt einen immer schon bestimmten Gegenstand voraus, dem analytisch zugesprochene Prädi-

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kate abgesprochen werden. Bei Kant ist also vorausgesetzt, worum es Hegel gerade geht: um die Möglichkeit nicht-analytischen Enthaltens von Bestimmungen in einem Gegenstand. Für Hegel ist der innere Zusammenhang zwischen an sich entgegengesetzten, analytisch einander nicht enthaltenden Relaten (Substrat und Bestimmungen) der Widerspruch als eine objektive Bestimmung. Nach Hegel sind also die Beziehungen des Ein- und Ausschließen s, die den Widerspruch der selbständigen Reflexionsbestimmungen ausmachen, keine analytischen Beziehungen, denn entgegengesetzte Bestimmmungen können in einem Ding nicht "analytisch" enthalten sein. Der Widerspruch bei Hegel ist also ein wechselseitiges nicht analytisches Enthalten und Ausschließen des realen Substrats einerseits und seiner entgegengesetzten Bestimmungen andererseits. Demzufolge besagt der Satz "Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend" (L. II., 58; 74): Jedes Ding "enthält" entgegengesetzte Bestimmungen in derselben Hinsicht, als es diese auch "ausschließt". Die Differenz zwischen Kant und Hegel in der Auffassung des Widerspruchs läßt sich somit folgendermaßen bestimmen: Von Kant wird der Widerspruch nur als analytisches Verhältnis realer Prädikate gefaßt und ist im Bereich subjektiver formaler Logik angesiedelt. Der subjektiven (äußeren) Reflexion stellt Hegel die objektive Reflexion gegenüber, die zwischen Substraten einerseits und entgegengesetzten Bestimmungen andererseits besteht. Der Widerspruch, als reale oder objektive Bestimmung gesetzt, weist über den Bereich der formalen Logik hinaus. Hegels Wissenschaft der Logik ist ihrer Intention nach überhaupt Wissenschaft einer nicht bloß formalen Logik; sie ist als Onto-logik eine Logik realer Bestimmungen. Während für Kant der Widerspruch ein subjektiver Fehler ist, den es zu vermeiden gilt, ist er für Hegel nichts Zufälliges, sondern vielmehr Bestandteil jeder Bestimmung, jedes Dings, jedes Begriffs. Damit ist nun auch schon eine weitere Antwort auf die Frage nach der Stellung des Widerspruchs in Hegels Logik gegeben. Z 228 "Der Unterschied überhaupt ist schon der Widerspruch AN SICH; denn er ist die EINHEIT von solchen, die nur sind, insofern sie NICHT EINS sind, - und die TRENNUNG solcher, die nur sind als IN DERSELBEN BEZIEHUNG getrennte. Das Positive und Negative aber sind der GESETZTE Widerspruch, weil sie als negative Einheiten selbst das Setzen ihrer [sind] und darin jedes das Aufheben seiner und das Setzen seines Gegenteils ist" (L. II., 49; 65).

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

Den "Unterschied überhaupt" bezeichnet Hegel als den "Widerspruch AN SICH". Das Positive und Negative sind dagegen der "GESETZTE Widerspruch". Bereits der Unterschied überhaupt ist an sich der Widerspruch, weil er die Einheit wesentlich und notwendig getrennter Momente ist und die Trennung solcher, die nur in derselben Beziehung getrennte sind, weil er also beides, Einheit und Trennung, zugleich ist. Da der Unterschied der Begriff reflexionslogischer Beziehung überhaupt ist, ist für Hegel der Begriff des Widerspruchs dem Begriff der reflexionslogischen Beziehung notwendig immanent. Obgleich die Kategorie des Widerspruchs erst im dritten Unterabschnitt der Abteilung "B. DER UNTERSCHIED" thematisch wird, ist sie im Begriff des Unterschieds von Anfang an im System der Reflexionsbestimmungen präsent: So ist die Identität als Identität des absoluten Unterschieds mit sich der absolute Widerspruch mit sich selbst. Ebenso ist der Unterschied als Unterschied negative Beziehung auf sich, also von widersprüchlicher Natur. Auch das Verschiedene ist sich selbst widersprechend. Es soll zwar ein Verschiedenes "nur VON ANDEREM" (L. II., 38; 53) sein, doch ist zugleich eine "Verschiedenheit seiner selbst von sich an ihm" (ebd.) gesetzt. Der Widerspruch durchzieht also die Logik der Reflexionsbestimmungen im ganzen. Doch erst das Positive und Negative sind der "GESETZTE Widerspruch". Das Positive und Negative sind nämlich nicht nur Reflexionsbestimmungen überhaupt, sondern die Reflexionsbestimmungen gesetzt als Reflexionsbestimmungen. An ihnen wird daher der Widerspruch aller Reflexionsbestimmungen als solcher auch gesetzt oder thematisch. Auf der V. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen, im Begriff des Widerspruchs, der selbst eine der Reflexionsbestimmungen ist, wird so zugleich die logische Struktur aller Reflexionsbestimmungen reflektiert. Z 229 "- Sie [das Positive und Negative, d.V.] machen die bestimmende Reflexion als AUSSCHLIESSENDE aus; weil das Ausschließen EIN Unterscheiden und jedes der Unterschiedenen als Ausschließendes selbst das ganze Ausschließen ist, so schließt jedes in ihm selbst sich aus" (L. II., 49; 65).

Der gesetzte Widerspruch des Positiven und Negativen ist eine Funktion der bestimmenden Reflexion in der Bestimmtheit der ausschließenden Reflexion. Sie setzt diese Bestimmungen so zueinander in Beziehung, wie sie "an sich" aufeinander bezogen sind. Die bestimmende Reflexion als ausschließende Reflexion der selbständigen Reflexionsbestimmungen ist als "EIN Unterscheiden" nicht

§ 4 Die fünfte und sechste Stufe der Logik

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ein 'Drittes', das diese Bestimmungen in Beziehung setzt, sondern ist an jedem der Unterschiedenen selbst gesetzt. Bedurfte es bisher einer Reflexionseinheit, die die beiden Seiten des Unterschieds zueinander in Beziehung setzte, so setzen sich nun die selbständigen Reflexion sbestimmungen, das Positive und Negative, selbst zueinander in Beziehung. Sie sind nicht mehr in einer negativen Einheit aufeinander bezogen, sondern sind beide an ihnen selbst die Beziehung auf das Andere. Jede ist selbst die negative Einheit, d.i. widersprüchlich bestimmt: Jede Bestimmung repräsentiert das "ganze Ausschließen", so daß sie nicht nur die jeweils andere ausschließt, sondern sich im Ausschließen der anderen auch von sich selbst ausschließt. Jede der Bestimmungen ist durch ihre ausschließende Reflexion in ihrer Selbständigkeit gesetzt und dadurch in ihrer Selbständigkeit zugleich aufgehoben. Das "Ausschließen" war der metaphorische Terminus für die substratfreie Negativität der Momente des Gegensatzes II. Stufe. Mit dem "ganzen Ausschließen" der selbständigen Reflexionsbestimmungen wird die Negativität als reflexionslogische Beziehung vervollständigt: Die selbständigen Reflexionsbestimmungen sind nicht allein selbstbezüglich durch Negation des Anderen, sondern in letzter Konsequenz eben auch Negation ihrer Selbstbeziehung. Mit dem Übergang vom Gegensatz zum Widerspruch wird so auch die selbstbezügliche Negativität in ihrer vollen logischen Struktur gesetzt. Z 230 "Die beiden selbständigen Reflexionsbestimmungen für sich betrachtet, [...]" (L. II., 49;; 65).

An dieser Stelle nimmt Hegel einen Perspektivenwechsel vor, dem für die Entwicklung des Widerspruchs der Reflexionsbestimmungen eine wesentliche Bedeutung beizumessen ist. Bisher hat Hegel die selbständigen Reflexionsbestimmungen zunächst in ihrem Verhältnis zueinander betrachtet, jetzt will er sie "für sich" betrachten. Dabei wird sich zeigen, daß der gesetzte Widerspruch aus der Perspektive des Positiven und Negativen strukturell anders erscheint als zuvor unter dem Aspekt ihrer Relationalität. - Hegel führt also den Nachweis des Widerspruchs für das Positive und das Negative getrennt durch. Bei der Interpretation dieser Abschnitte ist es hilfreich, davon auszugehen, daß sich der Begriff des Widerspruchs als Selbstausschluß der Selbständigkeit in den Ausführungen über das Positive und Negative wiederfinden lassen muß.

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

d) Der Widerspruch des Positiven In Z 231 - 233 gibt Hegel zunächst eine Strukturbeschreibung des Widerspruchs des Positiven und entwickelt sodann die These, daß das Positive aufgrund seines Widerspruchs notwendig ins Negative übergeht. Z 231 "Die beiden selbständigen Reflexionsbestimmungen für sich betrachtet, so ist das Positive das GESETZTSEIN als IN DIE GLEICHHEIT MIT SICH reflektiert, das Gesetztsein, das nicht Beziehung auf ein Anderes ist, das Bestehen also, insofern das Gesetztsein AUFGEHOBEN und AUSGESCHLOSSEN ist. Damit aber macht sich das Positive zur BEZIEHUNG EINES NICHTSEINS, - zu einem GESETZTSEIN" (L. II., 49f; 65).

Das Positive ist "das GESETZTSEIN als IN DIE GLEICHHEIT MIT SICH reflektiert1^, "das Gesetztsein, das nicht Beziehung auf ein Anderes ist", "das Bestehen also, insofern das Gesetztsein AUFGEHOBEN und AUSGESCHLOSSEN ist". Das Positive ist so als das Nichtentgegengesetzte, als das an sich Positive des Gegensatzes II. Stufe bestimmt. Es hat seine Beziehung auf sein Anderes in sich zurückgenommen und sich als Identität mit sich gesetzt. Jetzt wird aber eine damals im Gegensatz-Abschnitt nicht berücksichtigte Implikation dieser Bestimmung geltend gemacht: Das so bestimmte Positive macht sich damit selbst "zur BEZIEHUNG EINES NICHTSEINS", zu einem Gesetztsein. Indem sich das Positive zur Bestimmung der Identität mit sich gegen das Gesetztsein macht, ist es selbst ein Negatives gegen ein Anderes, ein Gesetztsein. Das Positive schließt somit das Negative genau in derselben Rücksicht aus, wie es das Negative enthält. Bei ihm findet sich also die logische Struktur der sich selbst ausschließenden Selbständigkeit: Z 232 "- So ist es der Widerspruch, daß es als das Setzen der Identität mit sich durch AUSSCHLÜSSEN des Negativen sich selbst zum NEGATIVEN von einem macht, also zu dem Anderen, das es von sich ausschließt" (L. II., 50; 65).

Der Widerspruch des Positiven besteht also in folgendem: In derselben Rücksicht, in der es sich als identisch mit sich setzt durch Ausschließen des Negativen, macht es sich selbst zu einem Negativen, also zu dem Anderen, das es von sich ausschließt, und schließt Zur Interpretation des Ausdrucks "das GESETZTSEIN als IN DIE GLEICHHEIT MIT SICH reflektiert" siehe § 4 I 2 d dieser Arbeit.

§ 4 Die fiinfle und sechste Stufe der Logik

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sich somit von sich selbst aus. Der Widerspruch des Positiven ist mithin der Widerspruch des Selbstausschlusses. Für den Widerspruch des Positiven soll folgende Formulierung festgesetzt werden: Das Positive ist, insofern es positiv ist, zugleich negativ - oder vielmehr: das Positive ist, insofern es das Positive ist, in derselben Rücksicht, in der es das Positive ist, auch das Negative.7 Z 233 "Dieses ist als Ausgeschlossenes frei von dem Ausschließenden gesetzt; hiermit als in sich reflektiert und selbst ausschließend. So ist die ausschließende Reflexion Setzen des Positiven als ausschließend das Andere, so daß dies Setzen unmittelbar das Setzen seines Anderen, es auschließenden ist" (L. H.,50; 65f.).

Der Widerspruch des Positiven hat notwendig den Übergang des Positiven in das Negative zur Folge.8 Aufgrund seines Widerspruchs geht das Positive notwendig in das Negative über, weil die ausschließende Reflexion des Positiven "das ganze Ausschließen" (Z 229), also auch die ausschließende Reflexion des Negativen ist. Indem das Positive im Ausschließen des Negativen sich selbst zu dem Negativen macht, das es von sich ausschließt, sich also von sich selbst ausschließt, "ist (das Negative) als Ausgeschlossenes frei von dem Ausschießenden (dem Positiven) gesetzt" und "selbst ausschließend". Der Widerspruch des Positiven, in welchem sich das Positive als Positives von sich selbst ausschließt, setzt das Negative frei und läßt somit das Positive notwendig in das Negative übergehen und verschwinden, so daß "dies Setzen (des Positiven) unmittelbar das Setzen seines Anderen (des Negativen), es (das Positive) Ausschließenden ist".

Die Logik des Widerspruchs des Positiven ist immanente Kritik der traditionellen Logik, welche im Satz der Identität und des Widerspruchs die Identität als das den Widerspruch ausschließende Prinzip setzt, dabei aber den Widerspruch begeht, weil die Identität den Widerspruch ebensowohl aus- als einschließt. Dieser Selbstwiderspruch des abstrakten Verstandes erfährt in der Reflexion des Widerspruchs des Positiven seine Auflösung. Am Widerspruch des Positiven wird deutlich, daß die selbständigen Reflexionsbestimmungen - und alle Reflexionsbestimmungen sind als selbständige gesetzt - aufgrund ihres Widerspruchs mit sich selbst notwendig in andere übergehen. Der Widerspruch ist konstitutives Moment des "Übergangs".

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

e) Der Widerspruch des Negativen In Z 234 - 236 betont Hegel zunächst, daß der Widerspruch des Negativen nur die Kehrseite des Widerspruchs des Positiven ist, d.h. mit diesem unmittelbar verbunden ist. Sodann gibt er eine Strukturanalyse des Widerspruchs des Negativen und erläutert ihn anhand eines Vergleichs zwischen dem Negativen der Wesenslogik und dem der Seinslogik. Z 234 "Dies ist der absolute Widerspruch des Positiven, aber er ist unmittelbar der absolute Widerspruch des Negativen; das Setzen beider ist EINE Reflexion" (L. II., 50; 66).

Der "absolute Widerspruch des Negativen" ist nur die Kehrseite des "absolutetn] WidersprucMs] des Positiven", d.h., er ist "unmittelbar" mit demselben gesetzt. Beide sind nur zwei Seiten einer Medaille. Z 235 "- Das Negative für sich betrachtet gegen das Positive ist das Gesetztsein ALS IN DIE UNGLEICHHEIT MIT SICH reflektiert, das Negative als Negatives. Aber das Negative ist selbst das Ungleiche, das Nichtsein eines Anderen; somit ist die Reflexion in seine Ungleichheit vielmehr seine Beziehung auf sich selbst" (L. II., 50; 66).

Das Negative, indem es das Positive von sich ausschließt, ist "das Gesetztsein ALS IN DIE UNGLEICHHEIT MIT SICH reflektiert'^ oder "das Negative als Negatives". - Das an und für sich seiende Negative hat den Charakter des in seine Ungleichheit mit sich reflektierten Gesetztseins. Es ist also in seine Ungleichheit mit sich reflektiert. Da aber das Negative, das in seine Ungleichheit mit sich reflektiert ist, selbst das Ungleiche ist, so ist diese seine Reflexion zugleich identische Beziehung auf sich. Das "Negative als Negatives" ist somit der Widerspruch, daß es im Ausschluß seines Anderen, des Positiven, das ist, was es von sich ausschließt, und sich daher von sich selbst ausschließt. Das Negative "enthält" also in derselben Rücksicht, was es von sich "ausschließt". Der Widerspruch des Negativen ist somit ebenso wie der Widerspruch des Positiven der Widerspruch des Selbstausschlusses. Für den Widerspruch des Negativen soll folgende Formulierung festgelegt werden: Das Negative ist, insofern es das Negative ist, ne-

Zur Interpretation des Ausdrucks "das Gesetztsein ALS IN DIE UNGLEICHHEIT MIT SICH reflektiert" vgl. auch § 4 I 2 d dieser Arbeit.

§ 4 Die fünfte und sechste Stufe der Logik

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gativ und positiv zugleich - oder vielmehr: das Negative ist, insofern es das Negative ist, das Negative und das Positive zugleich.1° Hegel erläutert den Widerspruch des Negativen anhand eines Vergleichs zwischen dem Negativen der Wesenslogik und dem Negativen der Daseinslogik: Z 236 " - Die Negation ÜBERHAUPT ist das Negative als Qualität oder UNMITTELBARE Bestimmtheit; das Negative aber ALS NEGATIVES, [so] ist es bezogen auf das Negative seiner, auf sein Anderes. Wird dies Negative nur als identisch mit dem ersten genommen, so ist es, wie auch das erstere, nur unmittelbar; sie werden so nicht genommen als Andere gegeneinander, somit nicht als Negative; das Negative ist überhaupt nicht ein Unmittelbares. - Indem nun ferner aber ebensosehr jedes dasselbe ist, was das Andere, so ist diese Beziehung der Ungleichen ebensosehr ihre identische Beziehung" (L. II., 50; 66).

Vom Negativen der Wesenslogik hebt Hegel das Negative der Daseinslogik ab. Das Negative der Daseinslogik ist "die Negation ÜBERHAUPT" bzw. "das Negative als Qualität oder UNMITTELBARE Bestimmtheit". Als solches steht es unmittelbar der Realität gegenüber. Realität und Negation sind unmittelbare, qualitative Bestimmungen, deren Beziehung aufeinander nicht an ihnen selbst gesetzt ist. Sie gehen zwar ineinander über, aber ebenso nur unmittelbar, nicht an und für sich selbst. Beide sind nicht Andere gegeneinander im reflexionslogischen Sinne, sie verhalten sich somit nicht als Negative. Die Wesenslogik entlarvt solches Negatives als Schein: "das Negative ist überhaupt nicht ein Unmittelbares". Sie zeigt auf, wie sich das Negative als Negatives aufgrund seiner reflexionslogischen Beziehung auf Anderes konstituiert. Das Negative als Negatives (das Entgegengesetzte als Entgegengesetztes) ist an ihm selbst Beziehung, und zwar ausschließende Beziehung auf sein Anderes. Es ist das das an sich Positive ausschließende Negative. Das Negative Aus etwas größerer Distanz zu Hegel läßt sich der Widerspruch des Negativen etwa wie folgt erklären: Das Negative ist dadurch definiert, daß es nicht die Eigenschaft hat, mit sich gleich zu sein, bzw. es ist dadurch definiert, daß es die Eigenschaft hat, das mit sich Ungleiche oder einfach das "Ungleiche" zu sein. Nun ist das Negative aber selbst das Ungleiche. Kommt dem Negativen also das Prädikat" "negativ" oder "mit sich selbst ungleich" zu, so hat es nach seiner Definition nicht die Eigenschaft, die es auszeichnet (nämlich nicht die Eigenschaft zu haben, mit sich gleich zu sein), ist also nicht negativ bzw. nicht mit sich ungleich. Ist das Negative aber nicht negativ bzw. nicht mit sich ungleich, so muß es die Eigenschaft haben, die es auszeichnet (nämlich nicht die Eigenschaft zu haben, mit sich gleich zu sein), muß also negativ bzw. mit sich ungleich sein. Der Begriff des Negativen als Negativen erweist sich zugleich als negativ und nicht negativ.

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Die Logik der Reflexionsbestimmungen

als Negatives ist nicht das an sich Positive, vielmehr schließt es das an sich Positive als das Nichtentgegengesetzte aus sich aus. Andernfalls wäre es kein Entgegengesetztes. Das Andere des Negativen, das an sich Positive, ist aber seinerseits nur insofern nicht das erste Negative, als es das Negative dieses Negativen ist, also diesem Negativen entgegengesetzt ist. Wäre das Negative als Negatives und das Negative dieses Negativen (das an sich Positive) identisch, so wären sie nicht Entgegengesetzte: "sie werden so nicht genommen als Andere gegeneinander, somit nicht als Negative". - Nach dem Gedankenstrich zieht Hegel eine erstaunliche Folgerung. Er betont, daß das an sich Negative und das an sich Positive als Negative beide dasselbe sind; so ist "diese Beziehung der Ungleichen ebensosehr ihre identische Beziehung". So wie die Negation überhaupt und die Realität dasselbe sind aufgrund ihrer Unmittelbarkeit, ist das Negative als Negatives und das an sich Positive dasselbe, aber aus entgegengesetzten Gründen. Das Negative als Negatives und das Negative dieses Negativen, das an sich Positive, sind nicht identisch, sondern entgegengesetzt. Aber als Negative sind beide dasselbe. So zeigt sich: Das Negative als Negatives ist an und für sich selbst sein Gegenteil, das an sich Positive. Z 237 "Dies ist also derselbe Widerspruch, der das Positive ist, nämlich Gesetztsein oder Negation, als Beziehung auf sich. Aber das Positive ist nur AN SICH dieser Widerspruch; das Negative dagegen der GESETZTE Widerspruch; denn in seiner Reflexion in sich, an und für sich Negatives oder als Negatives identisch mit sich zu sein, hat es die Bestimmung, daß es Nichtidentisches, Ausschließen der Identität sei. Es ist dies, GEGEN DIE IDENTITÄT IDENTISCH MIT SICH zu sein, hiermit durch seine ausschließende Reflexion sich selbst von sich auszuschließen" (L. II., 50; 66).

Der Widerspruch des Positiven und des Negativen ist zwar derselbe Widerspruch des Selbstausschlusses der reflexionslogischen Selbständigkeit, doch ist das Positive nur an sich dieser Widerspruch, während das Negative der gesetzte Widerspruch ist. Derselbe Widerspruch hat auf Seiten des Positiven und Negativen eine je verschiedene Gestalt und tritt auch in verschiedener Weise ein. Das Positive ist nur "AN SICH" dieser Widerspruch, weil es nur dadurch zu seinem Anderen wird und sich von sich selbst ausschließt, daß es dieses von sich ausschließt. Das Negative hingegen ist der "GESETZTE" Widerspruch, weil sein Selbstausschluß darin liegt, daß es im Ausgeschlossensein von seinem Anderen, der Identi-

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tat, bereits an ihm selbst sein Anderes, nämlich die Identität ist, die es von sich ausschließt.1! Daraus ergibt sich eine Differenz beider Widersprüche in struktureller Hinsicht: Das Positive bestimmt sich in seinem Widerspruch als das, was es nicht ist (als Negatives), d.h., es gilt nur als das, was es ist (als Positives). Der Widerspruch des Positiven ist der Widerspruch des Geltungsanspruchs reiner Positivität. Das Negative hingegen ist in seinem Widerspruch bereits das, was es nicht ist (das Positive), und ist nicht, was es ist (das Negative). Der Widerspruch des Negativen ist der Widerspruch der absoluten Negativität des Wesens mit sich selbst. Auch in funktionaler Hinsicht erweist sich der Widerspruch des Positiven und Negativen als different. Das an sich Positive ist nur insofern der Widerspruch, als es nämlich als Nichtentgegengesetztes ein Entgegengesetztes ist. Das Negative ist als ein Entgegengesetztes schon vorausgesetzt, damit das an sich Positive ein Entgegengesetztes sein kann. Der Widerspruch des Positiven ist Folge davon, daß das Negative ihm entgegengesetzt ist. Dagegen ist das an sich Negative bereits dadurch der Widerspruch, daß an ihm selbst als Entgegengesetztem das Positive als Nichtentgegengesetztes gesetzt ist, das es von sich ausschließt. Das "ENTGEGENGESETZTE ist überhaupt dasjenige, welches DAS EINE und SEIN ANDERES, SICH und SEIN ENTGEGENGESETZTES, in sich selbst enthält" (Enz. § 120). Das Entgegengesetzte ist an ihm selbst das Entgegengesetzte und das Nichtentgegengesetzte, also dasjenige, welches ihm entgegengesetzt ist. Aus der strukturellen und funktionalen Differenz des Widerspruchs des Positiven und Negativen ergibt sich eine weitere Differenz: Der Widerspruch des Negativen, in welchem das Negative im Ausschließen seines Anderen das ist, was es von sich ausschließt, und sich daher von sich selbst ausschließt, läßt im Unterschied zum Wi11

Hegel spricht in Z 237 vom an und für sich seienden Negativen als vom "Nichtidentischen", das "GEGEN DIE IDENTITÄT IDENTISCH MIT SICH" ist. Er bezeichnet also den Widerspruch des Negativen und auch des Positiven auf der V. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen mit den anfänglichen Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied aus der I. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen. Der Rechtsgrund dafür liegt in dem schon erwähnten Umstand, daß mit dem Widerspruch des Positiven und Negativen auf der V. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen die widersprüchliche Struktur aller Reflexionsbestimmungen thematisch wird, also auch die der anfänglichen Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied.

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derspruch des Positiven das Negative in ihm selbst, dem Negativen, verschwinden. Damit erweist sich der Widerspruch des Negativen auch in dieser Hinsicht anders als der des Positiven. Während das Positive in seinem Widerspruch nur überging in das Negative, ist das Negative in seinem Widerspruch bereits übergegangen in das Positive. Es ist es selbst und reproduziert in sich selbst das Positive, das es von sich ausschließt. Im Ausschließen seines Anderen ist es selbst sein Anderes, das es von sich ausschließt, und schließt sich daher von sich selbst aus. Damit zeigt sich, daß dem Widerspruch des Positiven und dem des Negativen dieselbe logische Struktur selbstbezüglicher Negativität zugrunde liegt. Der Widerspruch des Positiven und des Negativen erweist sich als der eine Widerspruch der sich auf sich beziehenden Negativität. Die Besonderheit beim Widerspruch des Negativen wird von Hegel noch einmal abschließend beleuchtet: Z 238 "Das Negative ist also die ganze, als Entgegensetzung auf sich beruhende Entgegensetzung, der absolute sich NICHT AUF ANDERES BEZIEHENDE Unterschied; er schließt als Entgegensetzung die Identität von sich aus, - aber somit sich selbst; denn als BEZIEHUNG AUF SICH bestimmt er sich als die Identität selbst, die er ausschließt" (L. II., 50f.; 66f.). Das Negative, "die ganze, als Entgegensetzung auf sich beruhende Entgegensetzung", faßt Hegel als den absoluten, sich nicht auf Anderes beziehenden Unterschied. Hegel arbeitet hier weiterhin mit Begriffen aus der I. Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen. Der absolute Unterschied schließt als Entgegensetzung die Identität von sich aus. Als solcher enthält er nichts von ihm, dem Unterschied, Unterschiedenes in sich, und ist so gesetzt als "BEZIEHUNG AUF SICH". Diese Konsequenz ergibt sich einfach aus dem Sachverhalt, daß der absolute Unterschied nichts von ihm Verschiedenes enthält, sondern nur sich selbst. Hegel betont nun, daß der absolute, sich nicht auf Anderes, sondern nur auf sich beziehende Unterschied ein Verhältnis ist, das ein widersprüchliches Verhältnis ist, ein Verhältnis, das sich von sich selbst ausschließt. Das Widersprüchliche dieses Verhältnisses liegt schon darin, daß der absolute, die Identität von sich ausschließende Unterschied als "BEZIEHUNG AUF SICH" gesetzt und somit die Identität selbst ist, die er von sich ausschließt. Der Widerspruch des Negativen besteht also darin, daß das Negative als der absolute Unterschied die Identität von sich ausschließt, somit als "BEZIEHUNG AUF SICH" gesetzt ist, darin aber das ist, das er von sich aus-

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schließt, die Identität, und sich deshalb als Unterschied von sich selbst ausschließt.12 Das Positive und das Negative, die sich ausschließend entgegengesetzten selbständigen Reflexionsbestimmungen, die an sich selbst die Nachfolgerbestimmungen von Identität und Unterschied darstellen, sind, so hat sich gezeigt, zu sich selbst widersprechenden geworden. Indem sie selbst das ausgeschlossene Andere sind (bzw. werden), schließen sie sich selbst von sich aus. 2. Die Auflösung des Widerspruchs Der Satz Z 239 "2. DER WIDERSPRUCH LÖST SICH AUF" (L. H.,51; 67)

kann als Ersatz für den Titel genommen werden. Er bezeichnet das Grundthema des zweiten Teils des Widerspruch-Abschnitts. Er beinhaltet zunächst zweierlei: 1. Der Widerspruch hat nur als sich auflösender ein Dasein. 2. Der Widerspruch löst sich durch sich selbst auf. In seinem reflexiven Sichauflösen erhält der Widerspruch nach Hegels Meinung erst seinen eigentlichen Sinn. 13 12

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Ähnliche Überlegungen zum Widerspruch des absoluten Unterschieds finden sich in der Enzyklopädie: "Oder unmittelbar ist der wesentliche Unterschied, als Unterschied an und für sich, nur der Unterschied seiner von ihm selbst, enthält also das Identische; zum ganzen an und für sich seienden Unterschiede gehört also sowohl er selbst als die Identität. - ALS SICH AUF SICH BEZIEHENDER Unterschied ist er gleichfalls schon ALS DAS MIT SICH IDENTISCHE ausgesprochen, [...]" (Enz. § 120). Das Widersprüchliche des Unterschieds an und für sich liegt darin, daß er sowohl Relation als auch Relat dieser Relation ist. Ist der Unterschied in derselben Hinsicht Relation wie auch Relat, so liegt ein strikter Widerspruch vor. Die Frage ist also, unter welchen Umständen der Unterschied in derselben Rücksicht eine Relation und zugleich Relat dieser Relation sein kann. Ein solcher Umstand Hegt in der logischen Situation, in der der Unterschied Beziehung auf sich selbst ist. Wird der Unterschied "ALS DAS MIT SICH IDENTISCHE ausgesprochen", so ist er zugleich der "Unterschied seiner von ihm selbst". Er ist so er selbst und die Identität und enthält damit sich selbst und die Identität als sein von ihm Unterschiedenes in sich und macht den "ganzen an und für sich seienden Unterschied[e]" aus. "Offenbar ist es eine Eigentümlichkeit Hegel scher Dialektik, daß Verhältnisbestimmungen (die er oft als "Unterschied" bzw. "Gegensatz" bezeichnet) häufig oder gar regelmäßig nicht bloß einfach, sondern doppelt auftreten: als Relationen, die in einem ihrer Relate als solche wiederkehren" (Kesselring (1984), 272). Wolff hat dies vorzüglich auf den Begriff gebracht, wenn er sagt: "Der Widerspruch selbst ist es, der den Widerspruch auflöst" (Wolff (1981), 163).

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Die Reflexionsbestimmung des Widerspruchs ist nach Hegels Auffassung dem Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs im herkömmlichen Sinne entgegengesetzt. Denn dieser Grundsatz schließt ja die Möglichkeit des Widerspruchs gerade aus. Nach Hegels Überzeugung kann aber die formale Logik diesen Satz gar nicht wirklich begründen, da sie ja noch nicht einmal über einen zureichenden Begriff vom Widerspruch verfügt. Allein die spekulativ-dialektische Logik kann eine Begründung für die formale Geltung dieses Satzes liefern, da sie allein es ist, die über einen entwickelten Widerspruchbegriff verfügt. Die Reflexionslogik macht gerade auf Basis des entwickelten Widerspruchbegriffs deutlich, worauf die formale Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch eigentlich beruht. Die Geltung des Satzes vom Widerspruch beruht nach Hegel nicht darauf, daß es aus logischen Gründen falsch wäre, einem Gegenstand einander widersprechende Bestimmungen beizulegen, sondern darauf, daß der Widerspruch aufgrund seiner logischen Struktur unhaltbar ist, somit nur als sich auflösender ein Dasein hat (vgl. Wolff (1986), 113). Daß die Gültigkeit des formallogischen Satzes in Wahrheit auf dem Gedanken des sich auflösenden Widerspruchs beruht, bedeutet, dieser Satz ist nur von bedingter Gültigkeit. Das Ausgeschlossen sein des Widerspruchs dependiert von seinem "Dasein". Z 240 "In der sich selbst ausschließenden Reflexion, die betrachtet wurde, hebt das Positive und das Negative jedes in seiner Selbständigkeit sich selbst auf; jedes ist schlechthin das Übergehen oder vielmehr das sich Übersetzen seiner in sein Gegenteil. Dies rastlose Verschwinden der Entgegengesetzten in ihnen selbst ist die NÄCHSTE EINHEIT, welche durch den Widerspruch zustande kommt; sie ist die NULL" (L. II., 51; 67).

In der "sich selbst ausschließenden Reflexion", zu der sich die bestimmende Reflexion als ausschließende im Widerspruch fortbestimmt hat, heben sich die sich selbst widersprechenden Bestimmungen, das Positive und das Negative, jede in ihrer Selbständigkeit selbst auf. Jede Bestimmung ist "schlechthin das Übergehen oder vielmehr das sich Übersetzen seiner in sein Gegenteil". Daß das Positive und Negative in ihr Gegenteil übergehen im Sinne des SichÜbersetzens, bedeutet: Es ist nicht eine äußere Reflexion, die ihr Übergehen ineinander konstatiert, sondern sie sind es selbst aufgrund ihrer logischen Struktur, die ihr Übergehen ineinander bewerkstelligen. Das ineinander Übergehen des Positiven und Negativen aufgrund ihres Widerspruchs ist die reflexionslogische Reformulierung der Dialektik von Sein und Nichts am Anfang der Logik. Am Anfang der

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Logik ist der Vorgang des Umschlags von Sein und Nichts ineinander unmittelbar und eine nur für die äußere Reflexion mögliche Feststellung. Der Umschlag hat dort den Charakter der Unmittelbarkeit, weil Sein und Nichts immer schon "DASSELBE" (L. I., 67; 83) sind, ohne daß der logische Grund dafür, der Widerspruch der Kategorien, zur Darstellung kam. Die Begriffe der "BEWEGUNG" und des "Verschwindens" (ebd.) sind zwar gekennzeichnet durch den "Unterschied" zweier Momente (Sein/Nichts), "der sich ebenso unmittelbar aufgelöst hat", basieren also auf einem Widerspruch, ohne daß jedoch dieser Widerspruch als solcher thematisch ist.14 Das Übergehen bzw. das Sich-Übersetzen des Positiven und Negativen ineinander beschreibt Hegel als Prozeß des rastlosen Verschwinden s der Entgegengesetzten in ihnen selbst. Indem jede Bestimmung in ihre entgegengesetzte übergeht, verschwindet sie in ihrem Gegenteil. Die Bestimmungen heben sich also so auf, daß sie ihrer Bestimmtheit verlustig gehen. Mit der Auflösung des Widerspruchs droht die Wesenslogik in sich zusammenzufallen, der logische Prozeß an sein paradoxes Ende zu kommen, und tatsächlich ist die "NÄCHSTE EINHEIT, welche durch den Widerspruch zustande kommt", "die NULL". 15 Die Null ist für Hegel kein nihil negativum im Kantischen Sinne. Hegels Auffassung des Widerspruchs steht im Gegensatz zu der Kants, wonach ein Ding, dem Widersprechendes beigelegt wird, "nichts", ein nihil negativum ist, das schlechterdings nicht gedacht werden kann (vgl. Kant NG, A 3; ders. Kd.V., B 348f., A 291f.). Zwar ist es nach Hegel in einem bestimmten Sinne berechtigt zu sagen, daß "nichts" gesagt wird, wenn man Dingen einander widerspre14

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Zum Charakter der Unmittelbarkeit des Umschlags von Sein und Nichts ineinander für das Denken des reinen Seins am Anfang der Logik vgl. Theunissen (1978), 116ff. Auf den Zusammenhang des Begriffs des Widerspruchs mit dem Begriff der Null macht auch Wittgenstein aufmerksam, ohne jedoch den Grund für diesen Zusammenhang näher zu erläutern. Hegel dagegen entwickelt über diese Beziehung im Widerspruch-Abschnitt der Logik der Reflexionsbestimmungen eine ausführliche Theorie. Im Traktatus logico-philosophicus sagt Wittgenstein: "4.461 Der Satz zeigt was er sagt, die Tautologie und Kontradiktion, daß sie nichts sagen". "4. 4611 Tautologie und Kontradiktion sind aber nicht unsinnig; sie gehören zum Symbolismus, und zwar ähnlich wie die "0" zum Symbolismus der Arithmetik". Im Gegensatz zu Hegel stellen für Wittgenstein Kontradiktion und Tautologie keine objektiven Bestimmungen dar, sondern gehören in den Bereich des Formalen: "4. 462 Tautologie und Kontradiktion sind nicht Bilder der Wirklichkeit. Sie stellen keine mögliche Sachlage dar. Denn jene läßt jede mögliche Sachlage zu, diese keine"'.

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chende Bestimmungen beilegt. Dieses Nichtssagen - ähnlich wie beim Nichtssagen der Identitätsaussagen, hat aber die Bedeutung, daß beim Widerspruch "nichts" Bestimmtes gesagt wird. Die "Null" ist also für Hegel kein undenkbares Nichts. Daß sich entgegengesetzte Bestimmungen in "Null" aufheben, bedeutet vielmehr, sie heben sich in ihrer Bestimmtheit auf. Die "Null" ist nicht absolut nichts, sondern "nichts" im Sinne von negierter Bestimmtheit. Entgegengesetzte Bestimmungen gleich "Null" setzen, bedeutet für Hegel, daß sie aufgrund ihres Widerspruchs in einer "Einheit" zusammengefaßt sind. Wenn wir entgegengesetzte Bestimmungen gleich "Null" setzen, heißt das für Hegel nicht, einen Widerspruch begehen, sondern daß ein Widerspruch vorliegt, ein Widerspruch zwischen Bestimmungen, aufgrund deren sie zur Einheit der Null reduziert werden. Nach dieser Seite, insofern die "NÄCHSTE EINHEIT", die durch den Widerspruch zustande kommt, die Null ist, wird der Widerspruch von Hegel als Auflösung von genuin reflexionslogischer Bestimmtheit gedacht. Für Kant ist die Folge des logischen Widerspruchs bzw. logisch entgegengesetzter Prädikate ein Nichts im Sinne des nihil negativum, ein "leerer Gegenstand ohne Begriff1, etwas "nicht Denkbares" (Kant, NG, A 3; ders. K.d.V., B 348f, A 29 If.), da der vorausgesetzte Gegenstand infolge des Widerspruchs aufgehoben wird. Dagegen führt die Aufhebung der Folgen real entgegengesetzter Bestimmungen ihm zufolge nur zu einem Nichts im Sinne des "nihil privativum" (Kant NG, A 4), denn die Aufhebung der Folgen entgegengesetzter Bestimmungen bedeutet nicht, daß die positiven Bestimmungen selbst gar nichts sind. Kant deutet nun den mathematischen Begriff der Null als ein nihil privativum, da durch die reale Entgegensetzung nur die Folgebestimmungen gleich Null ("Zero = O" (ebd., A 4)) sind. Für Hegel dagegen ist die Null als Resultat des Widerspruchs einerseits kein nihil privativum, da für ihn durch den Widerspruch die Bestimmungen bzw. der Gegenstand selbst aufgehoben wird, andererseits ist sie nicht Nichts im Sinne des nihil negativum, da sie nicht durch Undenkbarkeit definiert ist. Die Null ist vielmehr die in sich widersprüchliche "negative Einheit" (L. II., 62; 79), die den Widerspruch ausmacht. Z 241 "Der Widerspruch enthält aber nicht bloß das NEGATIVE, sondern auch das POSITIVE; oder die sich selbst auschließende Reflexion ist zugleich SETZENDE Reflexion; das Resultat des Widerspruchs ist nicht nur Null" (L. II., 51; 67).

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Hegel differenziert hier das Resultat des Widerspruchs. Der Widerspruch "enthält" nicht nur das Negative, sondern auch das Positive, wobei die Termini des Positiven und Negativen hier nicht die Reflexionsbestimmungen bezeichnen, sondern den Resultatsinn des Widerspruchs. Daß Hegel von "enthält" spricht, macht deutlich, daß der ganze zweite und dritte Teil des Widerspruch-Abschnitts nur die 'Implikationen' freilegt, die im Begriff des Widerspruchs enthalten sind. Was sich also durch den Widerspruch der selbständigen Reflexionsbestimmungen ergibt, ist nicht nur das Negative ihres Verschwindens ineinander. Das Resultat des Widerspruchs ist nicht nur "Null", weist nicht bloß eine negative Seite auf. Zugleich meint Hegel auch etwas Positives - besser: eine positive Seite - im Resultat des Widerspruchs festhalten zu können. Daß das Resultat des Widerspruchs nicht nur "Null" ist, sondern etwas Positives aufweist, verdankt sich einer Eigenschaft der Reflexion, die sie auch als sich selbst ausschließende Reflexion nicht verloren hat, nämlich "SETZENDE Reflexion" zu sein. Das Positive, das im Widerspruch enthalten ist, ist also dasjenige, was die sich selbst ausschließende Reflexion setzt. Diese Feststellungen können an Ort und Stelle aber nur antizipatorischen Charakter haben. Z 242 "- Das Positive und Negative machen das GESETZTSEIN der Selbständigkeit aus; die Negation ihrer durch sie selbst hebt das GESETZTSEIN der Selbständigkeit auf. Dies ist es, was in Wahrheit im Widerspruche zugrunde geht" (L. II.,51; 67).

Hegel nimmt noch eine weitere Antizipation vor: Er nennt das Positive und Negative, die selbständigen Reflexionsbestimmungen, "das GESETZTSEIN der Selbständigkeit"^ und behauptet: "die Negation 16

Im Terminus "GESETZTSEIN der Selbständigkeit" dokumentiert sich das Spannungsverhältnis von Relativität bzw. Vermittlung und Selbständigkeit bzw. Unmittelbarkeit. Mit dem Nachweis, daß der Widerspruch "zugrunde" geht bzw. zu "Null" führt, und dem Nachweis, daß der Widerspruch in seinen "Grund" zurückgeht, soll also auch das in der Wesenslogik bisher unausgeglichene Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung beseitigt bzw. neu gefaßt werden. Der Grund ist die "REALE VERMITTLUNG" (L. ., 64; 81) von Reflexion und Unmittelbarkeit, in der die Unmittelbarkeit das wirklich Andere gegen die Reflexion ist. Hegel gibt im Grund-Kapitel vornehmlich eine kritische Darstellung der Substratbestimmtheit des Grundes. In der Kategorie des Grundes fungiert das Wesen, das Vermittlungsganze des Systems der Refiexionsbestimmungen, als reales Substrat, indem es selbst als seiende Unmittelbarkeit gesetzt wird (vgl. L. II., 64; 82). Das Wesen ist seiendes Unmittelbares und damit das Andere der Reflexion indes nur als Resultat der unmittelbar sich selbst negierenden Bewegung der Re-

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ihrer durch sie selbst hebt das GESETZTSEIN der Selbständigkeit auf. Das "GESETZTSEIN der Selbständigkeit ist es also, "was in Wahrheit im Widerspruche zugrunde geht". Indem das Positive und Negative jedes in seiner Selbständigkeit sich selbst aufhebt - in dieser Negation ihrer durch sie selbst -, verschwindet nicht die Selbständigkeit als solche, sondern eben nur die Selbständigkeit der selbständigen Reflexionsbestimmungen, welche gesetzte Selbständigkeit ist. Daher bezeichnet Hegel den "Grund" als die "vollendete Selbständigkeit" (Z 259), weil er als nichtgesetzte Selbständigkeit gesetzt ist. Wenn aber im Widerspruch der selbständigen Reflexionsbestimmungen in Wahrheit das Gesetztsein der Selbständigkeit zugrunde geht, dann ist darin vor allem die Relation der ausschließenden Reflexion aufgehoben, denn es ist die ausschließende Reflexion, die die Reflexionsbestimmungen als selbständige setzt. Diese Relation der ausschließenden Reflexion wird es sein, was in Wahrheit im Widerspruch zugrunde geht, und der Grund ist das Wesen als aufgehobene Reflexion. a) Das negative Resultat des Widerspruchs: Das Zugrundegehen der selbständigen Reflexionsbestimmungen Hegel entfaltet zunächst die negative Seite der Auflösung des Widerspruchs: Z 243 "Die Reflexion-in-sich, wodurch die Seiten des Gegensatzes sich zu selbständigen Beziehungen auf sich machen, ist zunächst ihre Selbständigkeit als UNTERSCHIEDENER Momente; sie sind so nur AN SICH diese Selbständigkeit, denn sie sind noch entgegengesetzte, und daß sie es AN SICH sind, macht ihr Gesetztsein aus" (L. II., 51; 67).

flexion und damit selbst nur als ein Moment dieser ganzen Bewegung. Das Wesen als Grund im Sinne der Grundlage oder des Substrats ist somit selbst der Widerspruch, zwar als seiende Unmittelbarkeit gegen die Form gesetzt, an sich aber zugleich nichts anderes als Moment der absoluten Vermittlung der Form zu sein. In der Logik des Grundes kommt es so wieder zur reflexionslogischen Herrschaft, des Gesetztseins über die ontologische Selbständigkeit. Die Logik des absoluten Grundes zeigt, daß das Wesen als Grund kein unreflektiertes, vorausgesetztes ontologisches Substrat ist, wie in Schellings Identitätsphilosophie, sondern das Setzen und Aufheben des Substrats als eines solchen in den Vermittlungszusammenhang der Form. Rohs hat gezeigt, daß insbesondere der Abschnitt über "Form und Wesen" im Grund-Kapitel kritische Darstellung der ontologischen Fundierung des Absoluten in Schellings Identitätsphilosophie ist (Rohs (1969), 1221T.).

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Die Seiten des Gegensatzes I. Stufe sind qua "Reflexion-in-sich" "selbständige Beziehungen auf sich". Damit qualifiziert sich ihre Selbständigkeit als Selbständigkeit "UNTERSCHIEDENER Momente". Die Momente des Gegensatzes I. Stufe sind zunächst nur "AN SICH" Selbständige, denn sie sind noch "ENTGEGENGESETZTE überhaupt" (L. II., 42; 57). Daß sie nur "AN SICH" Selbständige sind, macht ihr "Gesetztsein" aus. Ansichseiende Selbständigkeit ist daher gesetzte Selbständigkeit. Der Begriff der ansichseienden Selbständigkeit muß als Antezedentium aufgefaßt werden. Er ist nur verständlich im Lichte von Hegels späterer These, daß das Wesen als Grund die "vollendete Selbständigkeit" (Z 259) ist. Der Weg, den Hegel dorthin zurücklegt, führt von der Selbständigkeit "AN SICH" (Gegensatz I. Stufe) über die fürsichseiende Selbständigkeit (Gegensatz II. Stufe bzw. Widerspruch) zur vollendeten oder an und für sich seienden Selbständigkeit (Grund). Z 244 "Aber ihre ausschließende Reflexion hebt dies Gesetztsein auf, macht sie zu fürsichseienden Selbständigen, zu solchen, die nicht nur AN SICH, sondern durch ihre negative Beziehung auf ihr Anderes selbständig sind; ihre Selbständigkeit ist auf diese Weise auch gesetzt. Aber ferner machen sie sich durch dies ihr Setzen zu einem Gesetztsein. SIE RICHTEN SICH ZUGRUNDE, indem sie sich bestimmen als das mit sich Identische, aber darin vielmehr als das Negative, als ein mit sich Identisches, das Beziehung auf Anderes ist" (L. II., 51; 67).

Hegel nimmt hier in der Darstellung einen 'Subjektwechsel' von den selbständigen Reflexionsbestimmungen zu der Relation der ausschließenden Reflexion vor, weil diese es ist, durch die die Bestimmungen sind, was sie sind. Die Analyse geht also von den Bestimmungen in ihrem Widerspruch auf die widersprüchliche Relation der ausschließenden Reflexion über, ein Perspektiven Wechsel, der die nachfolgende Analyse des Resultats des Widerspruchs terminologisch vereinfacht. Der Rechtsgrund für diesen 'Subjektwechsel' ist darin zu sehen, daß der Widerspruch der selbständigen Reflexionsbestimmungen in Wahrheit im Widerspruch der Relation der ausschließenden Reflexion begründet liegt. Es ist ihre ausschließende Reflexion, in der sich die selbständigen Reflexionsbestimmungen in ihrer Selbständigkeit zugrunde richten. Die ausschließende Reflexion hebt einerseits das bloße Gesetztsein der Reflexionsbestimmungen auf und setzt sie als selbständige, andererseits macht sie gerade durch dieses Faktum die selbständigen Reflexion sbestimmungen zu einem Gesetztsein. Es ist die ausschließen-

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de Reflexion, die in ein und derselben Bewegung die Selbständigkeit der Bestimmungen setzt und zugleich dadurch ihre Selbständigkeit aufhebt. Das Sich-Zugrunderichten der selbständigen Wesenheiten durch ihre ausschließende Reflexion umfaßt zwei Stadien: 1. Die ausschließende Reflexion macht aus "AN SICH" Selbständigen des Gegensatzes I. Stufe bzw. aus Selbständigen, die nur als "Gesetztsein" sind, "für sich seiende Selbständige" des Gegensatzes H. Stufe, d.h. Selbständige, deren Selbständigkeit "durch ihre negative Beziehung auf ihr Anderes" an ihnen selbst gesetzt ist. Auf diese Weise hebt die ausschließende Reflexion das bloße Gesetztsein der Bestimmungen auf und fixiert sie als "für sich seiende Selbständige" auf sich. Indem die ausschließende Reflexion des Gegensatzes II. Stufe die Reflexionsbestimmungen als selbständige setzt, geht der Gegensatz II. Stufe in den Widerspruch über, in den Widerspruch der Reflexion sbeStimmungen als selbständiger Wesenheiten. 2. Ihr Sich-selbständig-Setzen im Aufheben ihres Gesetztseins gerät zu einem Gesetztsein, und zwar zu einem Gesetztsein im strengen Sinne, zu einem Negativen, das "als ein mit sich Identisches" zugleich nur "Beziehung auf Anderes" ist. Die Reflexionsbestimmungen sind durch ihre ausschließende Reflexion als selbständige gesetzt und eben deshalb in ihrer Selbständigkeit zugleich auch aufgehoben. Durch das Gesetztsein ihrer Selbständigkeit heben sie sich in ihrer Selbständigkeit selbst auf: Sie richten sich zugrunde. Als Zugrundegerichtete haben die Reflexionsbestimmungen eine analoge Struktur wie die Unmittelbarkeit, die im Abschnitt über die setzende Reflexion als das "Gesetztsein" eingeführt worden war: die sich selbst aufhebende Unmittelbarkeit, die der "Schein" ist. Das bedeutet, die Selbständigkeit und Unmittelbarkeit der Reflexionsbestimmungen erweist sich als Schein. Die als selbständig gesetzten Reflexionsbestimmungen sind nur scheinbar mit sich identisch, in Wahrheit sind sie Negative, sich Aufhebende und in andere Übergehende. Doch ist der Schein ihrer Selbständigkeit notwendig. Sie sind notwendig als selbständige gesetzt und in einem dadurch in ihrer Selbständigkeit zugleich aufgehoben. Die Darstellung der Notwendigkeit des Widerspruchs und seiner Auflösung ist so die Darstellung der Notwendigkeit des Scheins der Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen und sein Verschwinden. Indem die Logik der Reflexionsbestimmungen den Schein der Selbständigkeit der Reflexionsbestim-

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mungen als Schein, als notwendigen Schein, begreift, löst sie ihn zugleich auf.17 Das Sich-Zugrunderichten der selbständigen Reflexionsbestimmungen ist aber nur das negative Resultat der Auflösung des Widerspruchs. Nach dieser Seite wird der Widerspruch von Hegel wesentlich als Auflösung von genuin reflexionslogischer Bestimmtheit gedacht. Die Reflexionsbestimmtheit, die im Abschnitt über die bestimmende Reflexion eingeführt wurde, löst sich in "nichts" (L. II., 62; 79) auf, d.h., sie wird als "Null" betrachtet. b) Das positive Resultat des Widerspruchs: Das Zurückgehen der Reflexionsbestimmungen in ihren Grund Die weiteren Erörterungen Hegels im alles entscheidenden Absatz 12 des Widerspruch-Abschnitts dienen dem Nachweis des Positiven in der Auflösung des Widerspruchs. Hegels These geht aus einer Stelle im Grund-Kapitel besonders deutlich hervor: "Die Reflexionsbestimmungen sollten ihr Bestehen an ihnen selbst haben und selbständig sein; aber ihre Selbständigkeit ist ihre Auflösung; so haben sie dieselbe an einem Anderen; aber diese Auflösung ist selbst diese Identität mit sich oder der Grund des Bestehens, den sie sich geben" (L. II., 68; 85f.).

Die Reflexionsbestimmungen waren vermittels ihrer ausschließenden Reflexion, die ihr "Gesetztsein" aufhob, als selbständige Wesenheiten gesetzt, sollten also ihr Bestehen an ihnen selbst haben. Da aber das Aufheben ihres Gesetztseins zugleich zu einem Gesetztsein geriet, waren sie ebenso unselbständig und hatten ihr Bestehen an einem Anderen: Sie richteten sich zugrunde. Doch die Negation ihrer durch sie selbst, die Auflösung ihrer Selbständigkeit, ist zugleich ihre "Identität mit sich" als Bestimmungen. Diese "Identität

Die Darstellung des Bewegungszusammcnhangs der Denkbestimmungen in der Wissenschaft der Logik zielt überhaupt auf die "OBJEKTIVITÄT DES SCHEINS und NOTWENDIGKEIT DES WIDERSPRUCHS" ab, "der zur NATUR der Denkbestimmungen gehört" (L. L, 38; 52). Der Widerspruch der Rcflcxionsbestimmungen als selbständiger Wesenheiten ist insofern der Widerspruch aller Denkbestimmungen. Im Prozeß der logischen Darstellung sind die Dcnkbestimmungen als selbständige gesetzt und zugleich in ihrer Selbständigkeit aufgehoben. Sie gehen aufgrund ihrer widersprüchlichen Natur in andere über. Ihre Darstellung ist so zugleich Darstellung ihres Übergehens ineinander.

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mit sich", die sie in ihrer Auflösung selbst haben, ist der "Grund" ihres Bestehens, den sie sich geben. Hegels These ist also, daß das Sich-Auflösen der selbständigen Reflexionsbestimmungen in ihrem Widerspruch zugleich ihre Identität mit sich als Bestimmungen ist. Und so ist das Wesen als die sich selbst ausschließende Reflexion der selbständigen Reflexionsbestimmungen zugleich der Grund ihres Bestehens, den sie sich geben. Daraus geht zweierlei hervor: 1. Das Zurückgehen in ihren Grund ist ohne das Sich-Zugrunderichten der selbständigen Reflexionsbestimmungen nicht denkbar. Das Zurückgehen in den Grund ist also nicht so zu verstehen, daß es als Alternative zum Zugrunderichten zu denken ist. Nur in ihrer Selbstnegation gewinnen die selbständigen Reflexionsbestimmungen ihre Identität mit sich als Bestimmungen. 2. Es ist der selbstbezügliche Charakter der Negativität der ausschließenden Reflexion, mit deren Hilfe Hegel den Nachweis führt, daß der Widerspruch nicht nur zugrunde geht bzw. zu Null führt, sondern zugleich in seinen Grund zurückgeht. Die Bedeutung, die Hegel dem positiven Resultat des Widerspruchs beimißt, geht aus zwei Stellen am Anfang und am Ende der Wissenschaft der Logik hervor. In der "Einleitung" zur Wissenschaft der Logik sagt Hegel: "Das Einzige, UM DEN WISSENSCHAFTLICHEN FORTGANG ZU GEWINNEN - und um dessen ganz EINFACHE Einsicht sich wesentlich zu bemühen ist - ,ist die Erkenntnis des logischen Satzes, daß das Negative ebensosehr positiv ist, oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in der Negation seines BESONDEREN Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die NEGATION DER BESTIMMTEN SACHE, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist; daß also im Resultate wesentlich das enthalten ist, woraus es resultiert" (L. I., 35f.; 49).

Im "Methodenkapitel" heißt es: "Das Unmittelbare ist nach dieser negativen Seite in dem Anderen UNTERGEGANGEN, aber das Andere ist wesentlich nicht das LEERE NEGATIVE, das NICHTS, das als das gewöhnliche Resultat der Dialektik genommen wird, sondern ES IST DAS ANDERE DES ERSTEN, das NEGATIVE DES UNMITTELBAREN; also ist es bestimmt als das VERMITTELTE, - ENTHÄLT überhaupt die BESTIMMUNG DES ERSTEN in sich. Das Erste ist somit wesentlich auch im Anderen AUFBEWAHRT und ERHALTEN, - Das Positive in SEINEM Negativen, dem Inhalt der Voraussetzung, im Resultate festzuhalten, dies ist das Wichtigste im vernünftigen Erkennen; es gehört zugleich nur die einfachste Reflexion dazu, um sich von der absoluten Wahrheit und Notwendigkeit dieses Erforder-

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nisses zu überzeugen, und was die BEISPIELE von Beweisen hierzu betrifft, so besteht die ganze Logik darin" (L. II., 494f.; 561).

Der Gedanke des positiven Resultats des Widerspruchs, das geht aus beiden Zitaten hervor, ist konstitutiv für den logischen Fortgang in Hegels Wissenschaft der Logik. Die Interpretation von Absatz 12 läßt sich in Bezug auf drei Fragen konkretisieren: 1. Kann Hegel überhaupt ein positives Resultat des Widerspruchs aufweisen? 2. Wenn ja, ist die positive Einheit, in die die Relfexionsbestimmungen durch ihren Widerspruch zurückgehen, diesem Vorgang nicht bereits substantial vorausgesetzt oder wird sie tatsächlich erst durch das Zugrundegehen der Bestimmungen konstituiert? 3. Kann Hegel die zweite Alternative begründen, dann stellt sich das Problem, ob die ganze "Grund"-Struktur nicht haltlos wird. Kann also von Hegel die Kategorie der Grundes konsistent entwickelt werden, ohne daß der Grund beständig zurückfällt in die Negativität des Widerspruchs der Reflexionsbestimmungen? Die unter 3. aufgeworfene Frage kann im Rahmen des WiderspruchAbschnitts nicht mehr zureichend beantwortet werden. Die Bestimmung des Grundes wird in der Interpretation jedoch insoweit berücksichtigt, daß sich der Horizont einer Antwort auch auf die dritte Frage deutlich abzeichnet. Absatz 12 des Widerspruch-Abschnitts ist folgendermaßen gegliedert: 1. Formulierung des Programms für den Nachweis des Positiven in der Auflösung des Widerspruchs (Z 245). 2. Argumentative Durchführung dieses Programms (Z 246 - Z 249). 3. Ergebnis (Z 250) und 4. Resümee (Z 251). Zu 1.: Durch eine winzig kleine Verlagerung in der Problematik kann Hegel zeigen, daß in der Auflösung des Widerspruchs etwas Positives aufzufinden ist. Z 245 "Allein diese ausschließende Reflexion ist näher betrachtet nicht nur diese formelle Bestimmung. Sie ist ANSICHseiende Selbständigkeit und ist das Aufheben dieses Gesetztseins und durch dies Aufheben erst fürsichseiende und in der Tat selbständige Einheit" (L. II., 51; 67f.).

Hegel resümiert zunächst: Es ist die ausschließende Reflexion, in der sich die Reflexionsbestimmungen zugrunde richten. Diese Seite ist jedoch nur die "formelle Bestimmung" der ausschließenden Reflexion. Die nähere Betrachtung zeigt jedoch fügendes: Die ausschließende Reflexion selbst ist zunächst a) "ANSICHseiende Selbständigkeit", also das Gesetztsein der Selbständigkeit, und b) das "Aufheben dieses

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Gesetztseins"; und erst durch das Aufheben dieses Gesetztseins ist sie "fürsichseiende" und "selbständige Einheit". Der Begriff der fürsichseienden, selbständigen Einheit, der der ausschließenden Reflexion notwendig immanent ist, ist das positive Resultat des Ganzen. Damit antizipiert Hegel das positive Resultat des Widerspruchs, ohne daß jedoch in irgendeiner Weise deutlich würde, wie ein solches positives Resultat zu denken ist. Hegel behält bei der Untersuchung der positiven Seite der Auflösung des Widerspruchs den 'Subjektwechsel' von den selbständigen Reflexionsbestimmungen zu der Relation der ausschließenden Reflexion, den er in Z 244 vorgenommen hatte, bei. Während er im ersten Teil des Widerspruch-Abschnitts die selbständigen Reflexionsbestimmungen, also die Relate der ausschließenden Reflexion in ihrem Widerspruch darstellt, betrachtet er im zweiten Teil das Zugrundegehen der Relation der ausschließenden Reflexion, denn der Widerspruch der selbständigen Reflexionsbestimmungen ist für Hegel im Widerspruch der Relation der ausschließenden Reflexion fundiert. Zu 2.: In der Bewegung des Zugrundegehens der ausschließenden Reflexion der Selbständigkeit sind nicht nur zwei Stadien wie in Z 244, sondern drei Stadien zu unterscheiden: Z 246 "Durch das Aufheben des Andersseins oder Gesetztseins ist zwar wieder das Gesetztsein, das Negative eines Anderen, vorhanden. Aber in der Tat ist diese Negation nicht wieder nur erste unmittelbare Beziehung auf Anderes, nicht Gesetztsein als aufgehobene Unmittelbarkeit, sondern als aufgehobenes Gesetztsein" (L. II., 51f.; 68).

Hegel wiederholt zunächst das Zugrundegehen der ausschließenden Reflexion der Selbständigkeit in ihrem Widerspruch mit ihren zwei Phasen, um dann in einem dritten Schritt eine Uminterpretation des negativen Resultats, des Gesetztseins, vorzunehmen: a) Die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit ist in ihrem Ausschließen "das Aufheben des Andersseins oder Gesetztseins". Sie hebt damit alle Abhängigkeit von Anderem und alle Beziehung auf Anderes auf und bestimmt so die ansichseiende Selbständigkeit zur fürsichseienden Selbständigkeit. b) Mit dem Aufheben des Andersseins oder Gesetztseins durch die ausschließende Reflexion ist "wieder das Gesetztsein, das Negative eines Anderen, vorhanden". Dieser Gedanke wiederholt jedoch nur die negative Seite der Auflösung des Widerspruchs: Das Sich-Zugrunderichten der Selbständigkeit durch die ausschließende Reflexion. Das Aufheben des Andersseins oder Gesetztseins durch die aus-

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schließende Reflexion gerät zu einem Gesetztsein, zur aufgehobenen Selbständigkeit, so daß wieder das Gesetztsein vorhanden ist. c) Hegel nimmt nun eine Umdeutung des wieder vorhandenen Gesetztseins vor. Zwar ist durch das Aufheben des Andersseins oder Gesetztseins durch die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit wieder das Gesetztsein, das Negative eines Anderen vorhanden. Aber, so Hegel, dieses wieder vorhandene Gesetztsein ist "nicht nur wieder erste unmittelbare Beziehung auf Anderes", also Gesetztsein im negativen Sinne, "Gesetztsein als aufgehobene Unmittelbarkeit" oder aufgehobene Selbständigkeit, sondern auch als "aufgehobenes Gesetztsein". Es ist also im Resultat des Widerspruchs mehr vorhanden, als das Gesetztsein im negativen Sinne, nämlich das Gesetztsein im positiven Sinne, das Gesetztsein als aufgehobenes Gesetztsein. An dieser Stelle wird deutlich, auf was Hegel hinaus möchte: Das wieder vorhandene Gesetztsein oder Negative ist nicht nur erste Negation, sondern Negation der Negation im selbstbezüglichen Sinne. In einem weiteren Schritt erläutert Hegel, wie dies genauer zu verstehen ist: Z 247 "Die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit, indem sie ausschließend ist, macht sich zum Gesetztsein, aber ist ebensosehr Aufheben ihres Gesetztseins" (L. II., 52; 68).

Hegel expliziert nun den Gedanken, daß sich im Widerspruch reflexion slogi seh er Selbständigkeit nicht nur das Gesetztsein der Selbständigkeit, sondern auch das Gesetztsein der Selbständigkeit aufhebt. Das Resultat des Widerspruchs, das Gesetztsein, ist nicht nur aufgehobene Selbständigkeit, sondern auch aufgehobenes Gesetztsein: Die das Anderssein oder das Gesetztsein ausschließende Reflexion der Selbständigkeit macht sich selbst zum Anderssein oder Gesetztsein, "aber ist ebensosehr Aufheben ihres Gesetztseins", denn sie macht sich ja gerade zu dem Anderssein oder Gesetztsein, das sie aufhebt. Sie ist das Aufheben ihrer selbst als Gesetztsein oder Anderssein, denn das Gesetztsein oder Anderssein, das sie aufhebt, ist ja sie selbst: Z 248 "Sie ist aufhebende Beziehung auf sich; [...]" (L.IL, 52; 68).

Die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit ist im Ausschließen ihres Anderen Ausschließen ihrer selbst als Anderes: Selbstaufhebung ihrer Andersheit. Sie ist eine Beziehung, die sich negativ zu sich selbst verhält, denn sie macht sich im Ausschließen

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ihres Anderen zu dem Anderen, das sie von sich ausschließt und schließt sich deshalb von sich selbst aus. Hegel erläutert nun die Selbstaufhebung der ausschließenden Reflexion der Selbständigkeit in der Negationsterminologie: Z 249 "[...] sie hebt darin ERSTENS das Negative auf, und ZWEITENS setzt sie sich als Negatives, und dies ist erst dasjenige Negative, das sie aufhebt; im Aufheben des Negativen setzt und hebt sie zugleich es auf (L. II., 52; 68).

Die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit ist dadurch "aufhebende Beziehung auf sich" (Z 248), daß sie 1. das Aufheben des Negativen (Gesetztsein/Anderssein), 2. das Sich-Setzen als Negatives (Gesetztsein/Anderssein) und 3. das Aufheben dieses Negativen (Gesetztsein/Anderssein) ist. Im Aufheben des Negativen ist bzw. setzt sich die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit als dasjenige, das sie aufhebt, nämlich als Negatives, und hebt sich deshalb selbst als Negatives auf. Ist die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit im Ausschließen des Negativen selbst das Negative, das sie negiert, so läßt sie damit ihr eigenes Negativsein aus sich selbst heraus entfallen. Die Aufhebung und Negation des Negativen ist so nicht nur "erste Negation", sondern doppelte selbstbezügliche Negation, Negation des Negativen als Negativen durch sich selbst. Zu 3.: Hegel kann nun das Ergebnis der Analyse dessen formulieren, was im Resultat des Widerspruchs an Positivem vorhanden ist: Z 250 "Die AUSSCHLIEßENDE BESTIMMUNG SELBST ist auf diese Weise sich das ANDERE, dessen Negation sie ist; das Aufheben dieses Gesetztseins ist daher nicht wieder Gesetztsein als das Negative eines Anderen, sondern ist das Zusammengehen mit sich selbst, das positive Einheit mit sich ist" (L. II., 52; 68).

In der ausschließenden Reflexion der Selbständigkeit ist die "AUSSCHLIESSENDE BESTIMMUNG" sich selbst das Andere, das sie negiert: "das Aufheben dieses Gesetztseins ist daher nicht wieder Gesetztsein als das Negative eines Anderen", sondern das Gesetztsein als "Zusammengehen mit sich selbst, das positive Einheit mit sich ist". In der Negation ihres Anderen oder Negativen ist die ausschließende Bestimmung selbst das Andere oder Negative, das sie negiert und ist daher Aufheben ihrer selbst als Anderes oder Negatives. Die ausschließende Bestimmung ist ein Negatives, das im Negieren seines Negativen sich selbst als Negatives negiert, also ein Negatives, das Beziehung auf sich selbst ist.

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Es ergibt sich somit folgendes Resultat: Erstens hebt sich die ausschließende Bestimmung in ihrem Widerspruch durch sich selbst auf, also weder durch einen Mechanismus der äußeren Reflexion noch durch das Eintreten (vorausgesetzter) übergeordneter logischer Strukturen. Zweitens geht die ausschließende Bestimmung in ihrem Widerspruch als Negatives mit sich selbst zusammen. Das Resultat des Widerspruchs, das Gesetztsein oder Negative, ist mithin nicht nur das Gesetztsein im negativen Sinne, das Gesetztsein als Negatives eines Anderen: das Zugrundegerichtetsein der Selbständigkeit - , sondern auch das Gesetztsein im positiven Sinne, das Gesetztsein oder Negative als Zusammengehen mit sich selbst. Dieses "Zusammmengehen mit sich selbst" des Negativen ist das Positive, das im Resultat des Widerspruchs enthalten ist. Das Resultat des Widerspruchs ist das Gesetztsein. Gesetztsein, Anderssein und Negatives sind Synonyme. Kann der Nachweis geführt werden, daß das Gesetztsein oder Negative nicht nur den Sinn hat, das Negative eines Anderen zu sein, sondern auch das "Zusammengehen mit sich" ist, dann ist der Nachweis erbracht, daß im Widerspruch das Positive enthalten ist. Es ist also der selbstbezügliche Charakter der Negativität der ausschließenden Reflexion der selbständigen Reflexionsbestimmungen, mit dessen Hilfe Hegel den Nachweis führt, daß der Widerspruch nicht nur zugrunde geht bzw. zu Null führt, sondern zugleich in seinen Grund zurückgeht. An dieser Stelle wird zum einen verständlich, warum es das "GESETZTSEIN der Selbständigkeit" (Z 242), d.i. der negative Charakter der Selbständigkeit ist, "was in Wahrheit im Widerspruche zugrunde geht" (Z 242), zum anderen, warum die sich selbst ausschließende Reflexion zugleich "SETZENDE Reflexion" (Z 241) ist: Sie ist das Negative, das im Aufheben seiner selbst zugleich Beziehung auf sich selbst, "Zusammengehen mit sich selbst" ist, eine Eigenschaft der Reflexion, die gewährleistet, daß in der Auflösung des Widerspruchs etwas Positives aufzuweisen ist. Mit dem Prozeß der sich selbst ausschließenden Reflexion, der dem Widerspruch und seiner Auflösung zugrunde liegt, hat Hegel das Niveau erreicht, von dem aus die "positive Einheit", die im Widerspruch des Positiven und Negativen enthalten ist, sichtbar wird. Es tritt hier ein Aspekt hervor, der bei der Analyse des Widerspruchs des Positiven und Negativen noch im Dunkeln lag: der Aspekt der Selbstbezüglichkeit der Negativität der ausschließenden Reflexion. Dieser selbstbezügliche Charakter der Negativität ist es, der gewährleistet, daß der Widerspruch nicht nur zugrunde geht bzw. zu Null führt, sondern zugleich in seinen Grund zurückgeht.

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Das, was Hegel die positive Seite der Auflösung des Widerspruchs nennt, ist die wesentliche Einheit der als Positives und Negatives entwickelten selbständigen Reflexionsbestimmungen. Diese Einheit ist nicht als seiende zugrundeliegend, sondern beruht allein auf der Negativität des Widerspruchs des Positiven und Negativen mit sich selbst. Aufgrund ihres Widerspruchs gehen Positives und Negatives notwendig ineinander über. Was durch das "rastlose Verschwinden der Entgegengesetzten in ihnen selbst" (Z 240) zustande kommt, ist ihre Auflösung in "NULL" (ebd.). Doch ist ihr Übergehen ineinander zugleich kein Übergehen, vielmehr das "Zusammengehen mit sich selbst" (Z 250) und damit ihre Einheit miteinander. Diese Einheit ist das positive Resultat, das durch den Widerspruch des Positiven und Negativen zustande kommt. Zu 4.: Abschließend resümiert Hegel die ganze Bewegung, in der die negative Selbständigkeit der selbständigen Reflexionsbestimmungen durch ihren Widerspruch in ihren Grund zurückgeht: Z 251 "Die Selbständigkeit ist so durch IHRE EIGENE Negation in sich zurückkehrende Einheit, indem sie durch die Negation IHRES Gesetztseins in sich zurückkehrt. Sie ist die Einheit des Wesens, durch die Negation nicht eines Anderen, sondern ihrer selbst identisch mit sich zu sein" (L. II., 52; 68).

Indem die Selbständigkeit der ausschließenden Reflexion sich selbst das Andere oder Negative ist, das sie negiert, somit sich selbst als Negatives negiert, ist sie "durch IHRE EIGENE Negation" "in sich zurückkehrende Einheit". Nur im Widerspruch mit sich selbst, "durch die Negation IHRES Gesetztsei n s", ihres Negativseins, ist die negative Selbständigkeit "identisch mit sich" und damit positiv. Dieser ontologiekritische Gedanke ist grundlegend für die gesamte Wesenslogik: Schon im 1. Kapitel bestimmt Hegel das Wesen als das Selbständige, das nur ist, insofern es sich durch seine Negation, welche es selbst ist, sich mit sich vermittelt (vgl. L. II., 11; 22). Die Selbständigkeit der Wesens vermittelt sich also durch ihre Negation mit sich selbst. Die positive Selbständigkeit des Wesens besteht überhaupt nur in der sich auf sich beziehenden Negativität. Auch die aus der Auflösung des Widerspruchs der negativen Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen resultierende positive Selbständigkeit ist die "Einheit des Wesens", die nicht durch die Negation eines Anderen, sondern ihrer selbst "identisch mit sich" ist, d.h. nur im beständigen Widerspruch mit sich selbst Identität mit sich erhält. Diese Einheit ist jedoch eine Einheitsfunktion höherer Ordnung als die des Wesens als Reflexion, denn sie enthält das "Wesen als System

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der Reflexionsbestimmungen", für die der Terminus "GESETZTSEIN der Selbständigkeit" (Z 242) als pars pro toto steht, aufgehoben in sich. Mit dem Wesen als Grund ist die VI. Stufe der Logik der Reflexion sbestimmungen erreicht. c) Die Rolle des Widerspruchs und seines positiven Resultats im System der Reflexionsbestimmungen 1. Der Widerspruch, so hat sich gezeigt, enthält nicht nur das Negative, daß sich die Reflexionsbestimmungen in ihrer Selbständigkeit zugrunde richten und ineinander übergehen, sondern auch das Positive, daß sie mit sich zusammengehen. Er konstituiert somit zugleich die wesentliche Einheit der Reflexionsbestimmungen. Ihre Einheit ist den Reflexionsbestimmungen also nicht vorausgesetzt, sondern beruht allein auf der Negativität des Widerspruchs des Positiven und Negativen mit sich selbst. 2. Es ist von besonderer Wichtigkeit, daß nach Hegels Auffassung die Aufhebung der Entgegensetzung durch den Widerspruch nicht nur "Null" zur Folge hat, sondern eine neue, positive Einheit. Dadurch bekommt der Begriff des Widerspruchs eine ganz herausragende Stellung im System der Reflexionsbestimmungen, aber auch im Aufbau des Systems der Kategorien der Logik überhaupt. Er bezeichnet nicht nur die destruktive Seite der Dialektik, sondern auch die konstruktive Seite derselben. Die Einheit sowohl der Reflexionsbestimmungen wie aller anderen Kategorien resultiert nicht aus ihrer bloßen Identität, ebensowenig aus ihrer Verschiedenheit oder Entgegensetzung, sondern aus ihrem Widerspruch. Nur der Widerspruch ist für Hegel etwas Einheitsstiftendes. Dabei ist er sowohl einheitsstiftend als auch selbst etwas Synthetisches. Der synthetische Charakter der Widerspruchs besteht darin, daß er eine Beziehung entgegengesetzter Relate ist, die Beziehung des Enthaltens und des Ausschließen s von Bestimmungen, durch die sie sich als Entgegengesetzte selbst aufheben ohne jedoch bloß "Null" zur Folge zu haben.l8 18

Die Unterscheidung des positiven vom negativen Resultat des Widerspruchs ist grundlegend für die Unterscheidung des Spekulativen vom bloß Dialektischen. In § 79-82 der Enzyklopädie erklärt Hegel, das Logische habe drei Seiten, die nicht voneinander abgetrennt werden könnten. Die erste Seite sei die abstrakte oder verständige, die zweite die dialektische oder negativ-vernünftige, die dritte die spekulative oder positiv-vernünftige (vgl. Enz. § 79). Während der Verstand die

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Mit dem Gedanken des positiven Resultats des Widerspruchs löst Hegel ein Problem des Aufbaus eines Systems der Kategorien, das Kant nicht zu lösen imstande war. Kant sieht, daß der traditionelle Aufbau der Kategorientafel sich aus der "Opposition" zweier Kategorien ergibt, die in einer "dritten" verknüpft werden (vgl. Kant, Kd.V., B 110); um was für eine Art von Opposition es sich dabei handelt, ob eine "analytische", "reale" oder "dialektische" erfährt man jedoch nicht. Zwar war Kant der Meinung, daß die Einheit der Kategorien und damit ihr System ohne Reflexionsbegriffe nicht gedacht werden kann, auf der anderen Seite hat er keinerlei Vorstellung, wie aus der "Opposition" zweier Kategorien eine dritte entstehen kann. Es scheint sogar so zu sein, daß der Oppositionsbegriff, den Kant für den Aufbau der Kategorientafel für wesentlich erachtet, seinen eigenen Intentionen zuwiderläuft. Insofern Kategorien reine Verstandesbegriffe sind, und nach Kants Theorie der Reflexionsbegriffe die Opposition zwischen bloßen Begriffen stets eine analytische Opposition ist, sprich Kant indirekt aus, daß die Kategorien einander widersprechen. Ein Widerspruch hat aber nach Kant ein nihil negativum zur Folge. Kant kann also in keiner Weise die Einheit zweier Kategorien und damit eine abgeleitete Kategorie nachweisen. Einer immanenten Deduktion der Kategorien ist er also nicht fähig. 3. Hegels Widerspruchsbegriff enthält eine ganz neuartige Idee von Synthesis. A. Schubert sieht in ihr daher folgerichtig "den Gedanken des logischen Strukturzusammenhangs" (Schubert (1985), 118). Synthetische Einheit ist für Hegel nicht Zusammensetzung oder Verbindung von zuvor "gegebenen" verschiedenen Elementen. Sie ist nichts Quasi-Mechanisches oder Quasi-Chemisches. Sie ist vergleichbar vielmehr mit dem Gedanken der organischen Einheit. Der Widerspruch speziell der Reflexionsbestimmungen, aber auch aller anderen Kategorien, hebt sie als "gegebene" auf und setzt sie als Resultate ihrer Einheit, führt sie also auf Synthesis zurück. Die Zuendlichen Kategorien gegeneinander fixiert und sie in ihrer Isolierung für gültig hält (Enz. § 80), weist das Dialektische Widersprüche in den isolierten Kategorien auf, wodurch diese sich als sich selbst aufhebend und ineinander übergehend erweisen (Enz. § 81). Das Resultat des Widerspruchs der Bestimmungen ist zunächst negativ. Erst das Spekulative entwickelt eine affirmative Konzeption, die den Widerspruch dadurch löst, daß sie "die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung" begreift (Enz. § 82). Das Spekulative sei außerdem das, "was früher [...] als das MYSTISCHE bezeichnet zu werden pflegte" (Enz. § 82 Zus.). Mit Hösle ließe sich sagen, "daß das Mystische (wie etwa Schellings intellektuelle Anschauung) das Spekulative ist, das nicht durch Dialektik - und d.h.: durch den Nachweis der Inkonsistenz der isolierten Bestimmungen - vermittelt ist" (Hösle (1988), 179).

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rückführung der Reflexionsbestimmungen durch ihren Widerspruch auf ihre Einheit, den Grund, ist Gegenstand des zweiten und dritten Teils des Widerspruch-Abschnitts. 4. Vor dem Hintergrund von Hegels neuer Idee von Synthesis läßt sich auch sein Programm verstehen, die absolute Gültigkeit der formallogischen Gesetze zu relativieren und die Bedingtheit ihrer Gültigkeit zu erklären. Die Gültigkeit der formallogischen Gesetze läßt sich nach Hegel nur aus dem systematischen Beziehungszusammenhang der Reflexionsbestimmungen begreifen, die diesen Gesetzen zugrunde liegen. Ihre Gültigkeit ist also eine Funktion ihrer Beziehungsstruktur und damit auch nur von bedingter Art. Die Gültigkeit der formallogischen Gesetze korrespondiert mit dem Moment der Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen. Die Bedingtheit ihrer Gültigkeit besteht darin, daß die Reflexionsbestimmungen in ihrer Selbständigkeit zugleich aufgehoben sind. Sie sind als selbständige gesetzt und heben sich aufgrund ihrer gesetzten Selbständigkeit in ihrer Selbständigkeit selbst auf. Diese Beziehungsform der Reflexionsbestimmungen wird im Begriff des Widerspruchs reflektiert. Im Widerspruch des Positiven und Negativen, insofern diese selbst die selbständigen Reflexionsbestimmungen sind, ist eben gesetzt, daß die Reflexionsbestimmungen als selbständige gesetzt und in einem dadurch in ihrer Selbständigkeit auch aufgehoben sind und notwendig ineinander übergehen. Mit der Reflexion des Widerspruchs ist aber zugleich der Einheits-Grund aller Reflexionsbestimmungen gesetzt. Der Widerspruch der Reflexionsbestimmungen, der der bedingten Gültigkeit der formallogischen Gesetze zugrunde liegt, ermöglicht so zugleich die synthetische Einheit aller Reflexionsbestimmungen und damit die Einheit des Denkens. Weil die formallogischen Gesetze nur im System der Reflexionsbestimmungen ihre Gültigkeit haben, ist ihre unbedingte Gültigkeit verkehrt. Ihre Bedingtheit besteht darin, daß sie nur im System der Reflexionsbestimmungen und in bezug auf dessen synthetische Einheit und damit auf die Einheit des Denkens ihre Gültigkeit haben. Die unbedingte Gültigkeit der logischen Gesetze, der der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch korrespondiert, würde sie aus ihrem systematischen Zusammenhang loslösen und damit die Einheit des Denkens verunmöglichen. So gehört der Begriff des Widerspruchs notwendig zum Aufbau des Kategoriensystems und damit zum Denken und seiner Einheit. 5. Der Widerspruch, so läßt sich zusammenfassend sagen, konstituiert das System der Denkbestimmungen als System, indem er den prozessualen Beziehungszusammenhang der Kategorien stiftet. Die

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Lehre vom Widerspruch in der Wesenslogik ist daher ein wesentliches Moment von Hegels philosophischer Grundlegung einer Metaphysik absoluter Relationalst. d) Widerspruch, Antinomie und selbstbezügliche Negativität Bevor der Hegeische Text weiter interpretiert wird, soll der Versuch unternommen werden, den systematischen Zusammenhang des Positiven und Negativen in ihrem Widerspruch mit sich selbst in den Kreisgang einer Antinomie einzuzeichnen. Die Rekonstruktion des Widerspruchs des Positiven und Negativen als Antinomie macht deutlich, daß der Begriff des Widerspruchs bei Hegel auf dem Gedanken der selbstbezüglichen Negativität beruht. Sie bietet die Gewährleistung dafür, die von Hegel vorgebrachte These vom wechselseitigen Übergehen der sich widersprechenden Bestimmungen ineinander und der daraus resultierenden positiven Einheit aus einem einheitlichen Gedanken heraus verständlich zu machen. Strikte Antinomien sind von bloßen Widersprüchen unterschieden. Eine strikte Antinomie weist immer zwei sich gegenseitig negierende und zugleich wechselseitig implizierende Seiten auf, während bei einem einfachen Widerspruch bloß eine Konjunktion kontradiktorisch entgegengesetzter Bestimmungen bzw. Aussagen vorliegt. Meschkowski definiert "Antinomie" im Unterschied zum Paradox bzw. Widerspruch - als "eine in sich widerspruchsvolle Behauptung [...], die formal dargestellt werden kann als Äquivalenz zwischen einer Aussage und ihrer Negation" (Meschkowski (1964), 45). Strikte Antinomien weisen demnach zwei Merkmale auf: sie sind sowohl Kontradiktionen als auch Tautologien (Äquivalenz). Zwei Aspekte sind für Antinomien konstitutiv, das Mekmal der Selbstbeziehung und das Merkmal der Negation, wobei der interne Zusammenhang dieser beiden Merkmale so aussieht, daß dasjenige, was negiert wird, nicht irgend eine beliebige Eigenschaft ist, sondern die Selbstbeziehung. Die Negation, die Negation von Selbstbeziehung ist, ist aber genau das, was bei Hegel sich auf sich beziehende Negation heißt. Die Negation von Selbstbeziehung ist darin antinomisch, daß sie sich als ein Modus von Selbstbeziehung erweist: Die Negation ist als Negation der Selbstbeziehung selbstbezügliche Negation. Die Möglichkeit, den Widerspruch des Positiven und Negativen als Antinomie zu rekonstruieren zeigt also deutlich, daß für ihn die idealistische Konstruktion der selbstbezüglichen Negation konstitutiv ist. Im

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Widerspruch als Antinomie offenbart sich der selbstbezügliche Charakter der Negativität.19 Der antinomische Zusammenhang des Widerspruchs des Positiven und Negativen läßt sich also mit Hilfe des Begriffs der selbstbezüglichen Negativität rekonstruieren. Die zu rekonstruierende Antinomie wird demnach in der Negativitätsterminologie formuliert. Die Konstruktion hat dabei von der Definition des an sich Positiven auszugehen. Aus der Bestimmung des an sich Positiven muß sich nahtlos die Definition des an sich Negativen ergeben, die aufgrund ihres Gehalts wiederum zu der des an sich Positiven führt. Die Definition des an sich Positiven in Z 231 lautet: "das GESETZTSEIN als IN DIE GLEICHHEIT MIT SICH reflektiert". Die in dieser Wendung enthaltenen Begriffe "GESETZTSEIN" und "GLEICHHEIT MIT SICH" beinhalten die Anweisung, sie in der Negationsterminologie zu reformulieren. "GESETZTSEIN" steht für das Negative bzw. Negation, und der Ausdruck "GLEICHHEIT MIT SICH" besagt dann, daß das Negative (Negation) in die Gleichheit mit sich zu setzen ist.20 Das an sich Positive kann also negativitätsterminologisch als Sich Selbstgleichheit des Negativen gedeutet werden. Die Bestimmung des an sich Negativen ist Z 235 zufolge: "das Gesetztsein ALS IN DIE UNGLEICHHEIT MIT SICH reflektiert". Ersetzen wir "Gesetztsein" wieder durch das Negative bzw. Negation, so beinhaltet die Definition des an sich Negativen: Das an sich Negative ist das Negative, das in die Ungleichheit mit sich reflektiert ist. Ich werde im folgenden also an Stelle des Begriffs "das Gesetztsein" den Begriff "das Negative" verwenden. Der Zusammenhang des Widerspruchs des Positiven mit dem des Negativen läßt sich nun mit Hilfe der neu eingeführten Begriffe als strikte Antinomie darstellen: 19

Zu den Entstehungsbedingungen von Antinomien und ihrer Struktur vgl. Kesselring (1984), 98ff. Kesselring zeigt, daß Hegels Begriff der selbstbezüglichen Negativität der logischen Form nach strikten Antinomien gleicht (vgl. ebd., 146ff.). Dementsprechend interpretiert er die selbstbezügliche Negativität bei Hegel als strikten antinomischen Zusammenhang. Er arbeitet die Bezüge zwischen den formallogischen Antinomien und Hegels Begriff der selbstbezüglichen Negativität en detail heraus (ebd., 114ff.; ders. (1981), 215ff), die Hegel selbst so nicht durchschaut hat. Kesselring sieht jedoch nicht, daß die antinomische Grundstruktur der selbstbezüglichen Negativität den spezifisch idealistischen Charakter von Hegels Negativitatstheorie indiziert, der in der Unaufhebbarkeit der "Selbstbeziehung" begründet liegt.

20

Vgl. Z 237, wo Hegel das an sich Positive genau in diesem Sinne interpretiert: "Gesetztsein oder Negation, als Beziehung auf sich".

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Das an sich Positive: (a) Das an sich Positive ist das Negative, das in die Gleichheit mit sich reflektiert ist. - Das Negative steht in Gleichheit mit sich selbst. Es schließt also die Negation seiner Sichselbstgleichheit aus sich aus (das an sich Negative). Doch ist die Gleichheit mit sich des Negativen Gleichheit des Negativen mit sich, somit sich selbst negierende Gleichheit. Daraus folgt: Das Negative bezieht sich negativ auf sich (Widerspruch zu (a)). - Insofern das Negative gleich mit sich ist, ist es nicht gleich mit sich. Es schließt seine Sichselbstgleichheit in seiner Sichselbstgleichheit aus sich aus. Resultat: Das Negative als Negation seiner Sichselbstgleichheit ist in die Ungleichheit mit sich reflektiert. Das an sich Negative: (b) Das an sich Negative ist das Negative, das in die Ungleichheit mit sich reflektiert ist. - Das in die Ungleichheit mit sich reflektierte Negative ist nicht mit sich gleich. Es negiert dann seine eigene Sichselbstgleichheit (das an sich Positive), ist in bezug auf sich selbst also selbst das Ungleiche. Die Reflexion in seine Ungleichheit ist somit seine Beziehung auf sich selbst oder Gleichheit mit sich. Daraus folgt: Das Negative als in die Ungleichheit mit sich reflektiert ist das sich selbst Gleiche (Widerspruch zu (b)). - Indem sich das in die Ungleichheit mit sich reflektierte Negative als das mit sich selbst Gleiche erweist, bestimmt es sich als das, was es ausschließt (die Sich Selbstgleichheit des Negativen) und schließt damit sich als das mit sich Ungleiche von sich selbst aus. Resultat: Das Negative ist in die Gleichheit mit sich reflektiert. Der Widerspruch des Positiven und des Negativen nimmt in der hier vorgenommenen negativitätstheoretischen Reinterpretation die Form eines antinomischen Prozesses an. Das Negative, das in die Gleichheit mit sich reflektiert ist (das an sich Positive), negiert seine Sichselbstgleichheit und ist dadurch als das in die Ungleichheit mit sich reflektierte Negative (das an sich Negative) vorhanden, das seinerseits Gleichheit mit sich ist, also zur Gleichheit des Negativen mit sich zurückkehrt. Was sich auf der Oberfläche der Erscheinung7 als ein jeweils einfacher Widerspruch des Positiven und Negativen darstellt, entpuppt sich in der Tiefe' der sich selbst ausschließenden Reflexion als strikte Antinomie der selbstbezüglichen Negativität. Nach der Rekonstruktion des Widerspruchs des Positiven und Negativen als Antinomie kann auch die in diesem Widerspruch enthaltene positive Einheit herausgearbeitet werden. Die paradoxe Tatsache, daß das Negative auch dann, wenn es in die Ungleichheit mit

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sich reflektiert ist, Gleichheit mit sich selbst ist, scheint für Hegel hinreichender Grund dafür zu sein, einen strukturellen Aspekt der im Widerspruch des Positiven und Negativen enthaltenen Antinomie mit der Bezeichnung "Grund" festzuhalten. Die positive "Einheit", die in der Antinomie der beiden Widersprüche liegt, ist die Selbstbeziehung der Negativität. Denn wie immer man das Verhältnis der Negativität auffaßt - als das Negative, das in die Gleichheit mit sich reflektiert ist (das an sich Positive) oder als das Negative, das in die Ungleichheit mit sich reflektiert ist (das an sich Negative) -, es stellt sich immer Selbstbeziehung ein. Die Selbstbeziehung der Negativität ist zwar antinomisch, aber im Aspekt der Selbstbeziehung liegt auch "Zusammengehen mit sich", welches "positive Einheit mit sich" ist. Die Negativität ist in ihrer Selbstbeziehung also als der Widerspruch und als "der sich selbst aufhebende Widerspruch" (L. II., 497; 564) und damit als "Grund" aufzufassen. Die Rekonstruktion des Widerspruchs des Positiven und Negativen als Antinomie hat somit einmal mehr deutlich gemacht, daß es der selbstbezügliche Charakter der Negativität ist, mit dessen Hilfe Hegel den Nachweis führt, daß der Widerspruch nicht nur "zugrunde geht" bzw. zu "Null" führt, sondern zugleich auch in seinen Einheits-"Grund" zurückgeht. 3. Das Wesen als Grund (VI. Stufe) Der ganze dritte Teil des Widerspruchkapitels faßt nur Konsequenzen zusammen, die sich aus dem positiven Resultat des Widerspruchs ergeben. a) Der Rückgang des Gegensatzes durch seinen Widerspruch in seinen Grund Hegel benennt zunächst die neue Kategorie, die sich mit dem positiven Resultat des Widerspruchs ergeben hat: Z 252 "3. Nach dieser positiven Seite, daß die Selbständigkeit im Gegensatze als ausschließende Reflexion sich zum Gesetztsein macht und es ebensosehr aufhebt, Gesetztsein zu sein, ist der Gegensatz nicht nur ZUGRUNDE, sondern IN SEINEN GRUND zurückgegangen" (L. II., 52; 68).

Nach der betrachteten "positiven Seite" des sich auflösenden Widerspruchs "ist der Gegensatz nicht nur ZUGRUNDE, sondern auch

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IN SEINEN GRUND zurückgegangen". Das Positive in diesem Prozeß besteht darin, daß sich die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen (Gegensatz H. Stufe: IV. Stufe) als sich selbst ausschließende Reflexion (Widerspruch: V. Stufe) zum Gesetztsein macht (Null), es aber ebenso aufhebt, Gesetztsein zu sein und als ausschließende Reflexion der negativen Selbständigkeit zugleich aufhebende Beziehung auf sich und Zusammengehen mit sich ist (Grund: VI. Stufe). Z 253 "- Die ausschließende Reflexion des selbständigen Gegensatzes macht ihn zu einem Negativen, nur Gesetzten; sie setzt dadurch ihre zunächst selbständigen BESTIMMUNGEN, das Positive und Negative, zu solchen herab, welche NUR BESTIMMUNGEN sind, und indem so das Gesetztsein zum Gesetztsein gemacht wird, ist es überhaupt in seine Einheit mit sich zurückgekehrt; es ist das EINFACHE WESEN, aber das Wesen als GRUND" (L. II., 52; 68).

Der Nachweis, daß der selbständige Gegensatz (II. Stufe) durch seinen Widerspruch nicht nur zugrunde, sondern auch in seinen Grund zurückgegangen ist, hat nun Konsequenzen für die selbständigen Reflexionsbestimmungen selbst. Die ausschließende Reflexion macht den selbständigen Gegensatz zu einem Negativen, nur Gesetzten. Insbesondere setzt sie die Reflexionsbestimmungen selbst. Hier wird deutlich, in welcher Weise die sich selbst ausschließende Reflexion zugleich setzende Reflexion ist. Sie setzt die "zunächst selbständigen BESTIMMUNGEN, das Positive und Negative, zu solchen herab, welche NUR BESTIMMUNGEN sind". Hierdurch bestimmt sich die spezifische Weise ihres Setzens: Sie ist Setzen als Herabsetzen. Sie macht solche, die an sich zwar Gesetztsein sind, als in sich reflektierte aber Selbständigkeit haben, erst zu einem eigentlichen Gesetztsein und macht so "das Gesetztsein zum Gesetztsein". Die ausschließende Reflexion setzt auf diese Weise die Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen herab. Die Bestimmungen sind nunmehr "NUR BESTIMMUNGEN". Das "NUR" drückt das Herabgesetztsein ihrer Selbständigkeit aus. Die Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen ist 'aufgehoben' im negativen Sinne. Als "NUR BESTIMMUNGEN" sind sie 'aufgehoben' im Sinne von 'aufbewahrt'. Sie werden im 3. Kapitel der Wesenslogik, dem Grund-Kapitel, als Formbestimmungen wieder virulent werden. Indem die ausschließende Reflexion die selbständigen Reflexionsbestimmungen herabsetzt zu solchen, die nur Bestimmungen sind (das Gesetztsein zum Gesetztsein macht), ist sie zugleich Setzen der positiven Einheit der Reflexionsbestimmungen. Mit dem aufgehobe-

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nen Gesetztsein des selbständigen Gegensatzes ist das "EINFACHE WESEN, aber das Wesen als GRUND" eingetreten. So ist das Setzen der sich selbst ausschließenden Reflexion doppelt bestimmt: Sie ist erstens Herabsetzen der selbständigen Reflexionsbestimmungen zu bloßen Bestimmungen und zweitens ist sie dadurch Setzen der positiven Einheit der Reflexionsbestimmungen. Schon an dieser Stelle sind die beiden in sich gegenläufigen Bewegungsrichtungen der einen in sich umgewendeten Reflexionsbewegung der Konstitution des Wesens als Grund, die Hegel im folgenden beschreibt, deutlich zu erkennen: Das Gesetztsein des Wesens als Grund ist nur als aufgehobenes Gesetztsein der selbständigen Reflexion sbestimmungen des Gegensatzes denkbar, und umgekehrt ist das sich selbst aufhebende Gesetztsein der selbständigen Reflexionsbestimmungen das Gesetztsein des Wesens als Grund.21 So hat sich bisher folgendes für die Kategorie des Grundes ergeben: Die Kategorie des Grundes ist die Einheit des Positiven und Negativen so, daß diese Reflexionsbestimmungen nicht mehr nur selbständige sind. Die Reflexionsbestimmungen sind vielmehr nur noch Formaspekte eines Gedankens: der Einheit des Wesens als Grund (VI. Stufe). Unter dem Titel "Grund" versucht Hegel mithin eine synthetische Einheit des Wesens zu denken, in der alle Reflexionsbestimmungen, gerade weil sie als selbständige gesetzt und zugleich in ihrer Selbständigkeit aufgehoben sind, aufgehoben und enthalten sind. Z 254 "Durch das Aufheben der sich an sich selbst widersprechenden Bestimmungen des Wesens ist dieses wiederhergestellt, jedoch mit der Bestimmung, ausschließende Reflexionseinheit zu sein, - einfache Einheit, welche sich selbst als Negatives bestimmt, aber in diesem Gesetztsein unmittelbar sich selbst gleich und mit sich zusammengegangen ist" (L. II., 52; 68f.).

Durch das "Aufheben der sich an sich selbst widersprechenden Bestimmungen des Wesens" in der Einheit des Grundes "ist dieses wiederhergestellt". Die wiederhergestellte einfache Einheit des Wesens als Grund wird von Hegel näher charakterisiert: "jedoch mit der Bestimmung, ausschließende Reflexionseinheit zu sein". Diese "Bestimmung" kennzeichnet den paradoxen Gedanken einer einfachen Einheit, die als ausschließende Reflexion "sich selbst als Negatives be21

Der Gedanke des Wesens als Grund besteht darin, "daß das Gesetztsein, das dem Wesen zukommt, nur als aufgehobenes Gesetztsein ist, und umgekehrt, daß nur das sich aufhebende Gesetztsein das Gesetztsein des Wesens ist" (L. II., 63; 80).

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stimmt", also genau zu der Bestimmtheit, die es von sich ausschließt, aber in dieser Negativität, "in diesem Gesetztsein unmittelbar mit sich selbst gleich und mit sich zusammengegangen ist". Dadurch, daß sich die Reflexionsbestimmungen aufgrund ihres Widerspruchs in ihrer Selbständigkeit aufheben, scheint alle Bewegung gleichsam in die ruhige Einfachheit des Wesens als Grund zusammengezogen zu sein. Das Wesen als Grund ist jedoch nur scheinbar einfache Einheit, vielmehr ist es eine Einheit, die nur in ihrer Negativität identisch mit sich bleibt. Dieser Gedanke des Grundes, in seiner Negativität identisch mit sich zu sein, wird Hegel weiter unten noch ausführlich erörtern. Der Grund ist mithin gar kein 'eigentliches' Substrat, an dem die Bestimmungen gesetzt sind, vielmehr die synthetische Einheit aller (negativen) Bestimmungen, welche kein 'Drittes' neben ihren Momenten ist, sondern überhaupt nur in den "Negationsattitüden der Momente" (Flach (1964), 59) besteht. "Der Momentcharakter der Momente selbst macht die Bedingung der Bestimmtheit und den Grund der Begründetheit der Momente aus" (ebd.). Einzig die "Einbildungskraft" macht aus dem negativen Beziehungsgefüge der synthetischen Einheit des Grundes ein Substrat, indem sie sie vergegenständlicht und aus dem Beziehungskontext der Negativität herauslöst. Dennoch ist der Gedanke des Substrats notwendig für die vollständige Beschreibung der Kategorie des Grundes. Den logischen Prozeß, wodurch der Bestimmtheit des Wesens als Grund der Charakter der Unmittelbarkeit und seiender Substrathaftigkeit erwächst, bringt Hegel im "Proömium" des Grund-Kapitels zur Darstellung (vgl. L. II., 64; 82). b) Die Konstitution des Grundes als in sich umgewendete Reflexionsbewegung Im folgenden thematisiert Hegel explizit die beiden in sich gegenläufigen Bewegungsrichtungen der Reflexion, die das Wesen als Grund konstituieren: Z 255 "Zunächst GEHT also der selbständige Gegensatz durch seinen Widerspruch in den Grund ZURÜCK; jener ist das Erste, Unmittelbare, von dem angefangen wird, und der aufgehobene Gegensatz oder das aufgehobene Gesetztsein ist selbst ein Gesetztsein. Somit IST DAS WESEN ALS GRUND EIN GESETZTSEIN, EIN GEWORDENES" (L. II., 52f.; 69).

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Die Reflexionsbewegung, die zum Grund führt, nimmt ihren Ausgang vom "selbständigen Gegensatz". Dieser erscheint als "das Erste, Unmittelbare, von dem angefangen wird", weil im System der Reflexion sbeStimmungen erst im Gegensatzverhältnis II. Stufe die Reflexion sbestimmungen als selbständige gesetzt sind. Der Schein der Erstheit des selbständigen Gegensatzes hat also an der Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen seine objektive Grundlage. Sobald sich die selbständigen Reflexionsbestimmungen des Gegensatzes durch ihren Widerspruch in ihrer Selbständigkeit aufheben, konstituieren sie das Wesen als eine Funktion höherer Einheit, "DAS WESEN ALS GRUND". Nach dieser Seite ist das Wesen als Grund "EIN GESETZTSEIN, EIN GEWORDENES". Das Wesentliche dieses Gedankengangs besteht darin, daß der Prozeß der Konstitution des Wesens als Grund, der vom "selbständigen Gegensatz" seinen Ausgang nimmt, die Existenz des Grundes nicht schon von vorneherein voraussetzt. Vielmehr ist er erst durch das Zugrundegehen der selbständigen Reflexionsbestimmungen gesetzt und entstanden. Z 256 "Aber umgekehrt hat sich nur dies gesetzt, daß der Gegensatz oder das Gesetztsein ein Aufgehobenes, nur als Gesetztsein ist" (L.IL, 53; 69).

"Umgekehrt", sagt Hegel, wird in diesem Prozeß, der vom "Gegensatz" anhebt, dieser retrospektiv gesetzt und begründet. Der Gegensatz, der als "das Erste, Unmittelbare" erschien, erweist sich im Grund selbst als Gesetztsein, d.h. als in der Einheit des Grundes Aufgehobenes. Die Unmittelbarkeit und Selbständigkeit des Gegensatzes erweist sich als Schein. Durch die zweite, zur ersten gegenläufigen Bewegungsrichtung der Reflexion wird der Gegensatz zu einem internen Moment der Einheit des Wesens als Grund. Mit dieser zweiten Bewegungsrichtung erfährt das Wesen eine zunehmende Bereicherung, weil es durch sie seine Bedingungen und Voraussetzungen in sich aufhebt und als seine Resultate setzt, wobei es selbst eine kategoriale Veränderung erfährt. Nimmt man beide gegenläufigen Bewegungsrichtungen zusammen, so ergibt sich das Paradox, daß die Herleitung höherer logischer Strukturen des Wesens (Grund) aus seinen 'tieferen' Verhältnissen (Gegensatz) diese zugleich "umgekehrt" reflektiert und integriert und damit als Moment einer höheren Einheit reorganisiert. Paradox sind diese gegenläufigen Bewegungsrichtungen vor allem deshalb, weil sie von Hegel simultan aufgefaßt werden, als zwei in sich gegenläufige Bewegungsrichtungen einer in sich umgewendeten Reflexion. - Es ist ein und dieselbe Reflexionsbewegung, in der sich das Wesen mit der

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Aufhebung der Vorgegebenheit der selbständigen Reflexionsbestimmungen des Gegensatzes als Grund konstituiert und diese Bestimmungen zugleich als Resultate setzt. Mit dem Wesen als Grund ist somit die reflexive Struktur des Wesens, das von Anfang an als in sich umgewendete Rückkehr zu denken war, an den Reflexionsbestimmungen selbst gesetzt.22 Um die paradoxen Formulierungen verstehen zu können, die Hegel für die Beschreibung dieser einen in sich umgewendeten Reflexionsbewegung im folgenden verwendet, muß man sich Klarheit darüber verschaffen, daß er die Bewegung der ausschließenden Reflexion (Gegensatz, Widerspruch, Grund) in der Einheit des Grundes selbst konzentriert und zusammenfaßt. Z 257 "Das Wesen ist also als Grund so ausschließende Reflexion, daß es sich selbst zum Gesetztsein macht, daß der Gegensatz, von dem vorhin der Anfang gemacht wurde und der das Unmittelbare war, die nur gesetzte, bestimmte Selbständigkeit des Wesens ist und daß er nur das sich an ihm selbst Aufhebende, das Wesen aber das in seiner Bestimmtheit in sich reflektierte ist" (L. II., 53; 69).

Aus dem bisher Dargestellten ergibt sich, daß das Wesen als Grund selbst diese ganze in sich gegenläufige Bewegung der "ausschließenden Reflexion" des selbständigen Gegensatzes ist. Es macht sich durch seine ausschließende Reflexion selbst zum "Gesetztsein", so daß der "Gegensatz, von dem vorhin der Anfang gemacht wurde und der das Unmittelbare war", das sich an ihm selbst Aufhebende und "die nur gesetzte, bestimmte Selbständigkeit des Wesens" ist. Für das Wesen als Grund bedeutet dies, daß es in seinem Gegensatz, der sein Gesetztsein ist, als "in seiner Bestimmtheit in sich reflektiert • j 11 ist . Das Wesen ist somit der Grund, indem es sich als "ausschließende Reflexion" einerseits selbst zum Gesetztsein macht und sich andererseits in diesem Gesetztsein auf sich selbst bezieht. Die Selbstbeziehung des Wesens als Grund ist eine der Negativität. Z 258 "Das Wesen schließt als Grund SICH von sich selbst aus, es setzt SICH; sein Gesetztsein - welches das Ausgeschlossene ist - ist nur als Ge-

22

Diese reflexive Bewegung des Logischen hat sich Marx für seine Konzeption des Kapitalbegriffs zu eigen gemacht, wonach ja das Kapital, nachdem es einmal historisch in der sog. ursprünglichen Akkumulation durch die gewaltsame Trennung der subjektiven von den objektiven Bedingungen der Produktion entstanden ist, diese seine Entstehungsbedingungen als Resultate seines Verwertungsprozesses setzt (vgl. MEW 23, 603f.).

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setztsein, als Identität des Negativen mit sich selbst. Dies Selbständige ist das Negative, GESETZT als Negatives; ein sich selbst Widersprechendes, das daher unmittelbar im Wesen als seinem Grunde bleibt" (L. II., 53; 69).

Als Grund schließt das Wesen "SICH" als ausschließende Reflexion selbständiger Reflexionsbestimmungen von sich selbst aus; "es setzt SICH" damit selbst als selbständiges, negatives Moment seiner selbst als Grund, da "sein Gesetztsein - welches das Ausgeschlossene ist - [...] nur als Gesetztsein, als Identität des Negativen mit sich selbst" ist.23 Das Wesen als Grund ist die bewegliche, reflexive Gesamtstruktur, in der das Wesen als ausschließende Reflexion selbständiger Reflexionsbestimmungen aufgehoben und gesetzt ist. Als ausschließende Reflexion des Gegensatzes ist es zwar ein Selbständiges, doch "dies Selbständige ist das Negative, GESETZT als Negatives". Es ist "ein sich selbst Widersprechendes", das beständig in seinen Grund zurückgeht und "das daher unmittelbar im Wesen als seinem Grunde bleibt". Im Wesen als Grund ist somit gesetzt, daß die Reflexionsbestimmungen als selbständige gesetzt und zugleich in ihrer Selbständigkeit aufgehoben sind. - Damit ist im Grund eine logische Struktur erreicht, in der die Bewegung der Logik der Reflexionsbestimmungen in sich zurückläuft. c) Die logische Struktur der Einheit des Grundes Ziel und Zweck der Entwicklung der Wesenslogik in ihrem 2. Kapitel ist es, durch die Auflösung des Widerspruchs in seinen Grund eine Einheitsform zu gewinnen, in der alle entwickelten, aber bisher unfaßbar gebliebenen Implikationen des Wesensbegriffs aufgefaßt und integriert werden können. Auf die Einlösung dieses Programms kommt Hegel im folgenden zu sprechen. Z 259 "Der aufgelöste Widerspruch ist also der Grund, das Wesen als Einheit des Positiven und Negativen. Im Gegensatze ist die Bestimmung 23

An dieser Stelle ist die erst im "Proömium" zum Grund-Kapitel ausgeführte Verdoppelung des Wesens im Grund angedeutet: In der Selbstaufhebung des Wesen als Reflexion setzt sich das Wesen als Wesen. Das Wesen als Reflexion und das Wesen als Grund sind, obgleich beide Wesen sind, Andere gegeneinander. Im Grund hat das Wesen somit eine logische Struktur erreicht, in der es das wirklich Andere der Reflexion ist (vgl. L. II., 64; 82). Diese so gedachte Verdoppelung des Wesens im Grund wird sich später als Einheit von Form und Wesen entfalten.

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zur Selbständigkeit gediehen; der Grund aber ist diese vollendete Selbständigkeit; [...]" (L. II., 53; 69).

Die Darstellung im dritten Teil des Widerspruch-Abschnitts hat ergeben, daß der zugrundegegangene bzw. der "aufgelöste Widerspruch" der "Grund" ist. Der Grund ist als der aufgelöste Widerspruch das Wesen als Einheit des Positiven und Negativen. Welches Aussehen hat nun die neue Einheitsform des Wesens als Grund? Das Wesen hat mit der Kategorie des Grundes eine solche Form von Selbständigkeit erreicht, der das Attribut "vollendet" zugesprochen werden kann. Während im Gegensatz II. Stufe die Reflexionsbestimmung zur Selbständigkeit gelangte, ist der Grund die "vollendete Selbständigkeit" des Wesens. Eine solche Selbständigkeit des Wesens konnte aber nach Hegels Meinung allein über die Aufhebung der nur negativen Selbständigkeit der selbständigen Reflexionsbestimmungen in der Thematisierung ihrer Widerspruchsstruktur erreicht werden. Der Grund ist "vollendete" und damit positive Selbständigkeit, insofern er die Negation der negativen Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen durch sich selbst ist. Im folgenden analysiert Hegel den Zusammenhang der Negativität der selbständigen Reflexionsbestimmungen und der Positivität der Grundes. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich die asymmetrische Struktur der Einheit des Grundes: Z 260 "[...] das Negative ist in ihm selbständiges Wesen, aber als Negatives; so ist er ebensosehr das Positive als das in dieser Negativität mit sich Identische" (L. II., 53; 69).

Zunächst zur Terminologie: Mit der Kategorie des "Grundes" bekommen die Begriffe "das Positive" und "das Negative", mit denen Hegel die Seiten des Gegensatzes und des Widerspruchs bezeichnete, eine andere Bedeutung. Sie bezeichnen nun nicht mehr die selbständigen Reflexionsbestimmungen, sondern die Momente der Einheitsform des Grundes. Das "Negative" steht für die Negativität der selbständigen Reflexionsbestimmungen in ihrem Widerspruch, "das Positive" dagegen für dasjenige, das als das "mit sich Identische" in dieser Negativität hat aufgewiesen werden können: der Aspekt der Selbstbezüglichkeit der Negativität. In dieser Selbstbezüglichkeit liegt die Einheit und Positivität des in die widersprüchliche Negativität seiner Bestimmungen 'verlorenen' Wesens. In der Beschreibung der Einheitsform des Grundes wird von Hegel die Asymmetrie seiner Struktur deutlich hervorgehoben. Für diese Asymmetrie spricht die Tatsache, daß das "Negative" qua "selb-

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ständiges Wesen" "in ihm", dem Grund, als Moment angesiedelt ist24, während er selbst "das Positive" darstellt, welches das in "dieser Negativität mit sich Identische" ist. Der Aspekt "das Positive" ist im Grund das übergreifende Moment, weil in bezug auf es die Identität, die es in seinem Gegenmoment, der Negativität, mit sich selbst herstellt, berücksichtigt werden muß. Die Asymmetrie der Einheit des Grundes besteht also darin, daß das Wesen als "das Positive" in seinem Gegenmoment, der Negativität, mit sich identisch ist. Z 261 "Der Gegensatz und sein Widerspruch ist daher im Grunde sosehr aufgehoben als erhalten" (L. II., 53; 69).

Als im Grunde zugrundegegangener ist der Widerspruch in keiner Weise verschwunden, wie die Rede von seiner "Auflösung" nahelegen könnte. Da die Positivität des Grundes von seiner Negativität nicht zu trennen ist, ist er vielmehr "im Grunde sosehr aufgehoben als erhalten". In Anbetracht der drei verschiedenen Bedeutungen des Begriffs "aufheben" bedeutet dies: Der Widerspruch ist als ein im Grunde zugrundegegangener und damit im negativen Sinne aufgehobener keineswegs entfallen, sondern wird im Grunde aufbewahrt. Er besteht im Grunde darin weiter fort, daß er auf höherer Ebene, auf der Ebene des Grundes, erhalten bleibt.25 In Anlehnung an Marx' Widerspruchstheorie läßt sich sagen: Der Widerspruch hat im Grunde nur die Form gefunden, in der er sich "bewegen" kann.26 Z 262 "Der Grund ist das Wesen als die positive Identität mit sich; aber die sich zugleich als die Negativität auf sich bezieht, sich also bestimmt 24

25

26

Das "Negative" ist im Grunde zwar "selbständiges Wesen", doch ist es "GESETZT als Negatives" (Z 258) und somit Moment einer Kategorie höherer Einheit. Indem der Widerspruch im Grund "aufgehoben" (aufbewahrt) ist, wird er in der weiteren Entwicklung des Wesensbegriffs, die mit dem Grund-Kapitel einsetzt, auch mit fortgeschleppt. Dementsprechend wird sich der Widerspruch im Verhältnis von "Form und Wesen" und noch mehr in" Form und Materie", aber auch in "Form und Inhalt" wieder einfinden (vgl. Rohs (1969), 1221T.). Nach Marx hebt die theoretische Entwicklung einer Sache deren Widersprüche keineswegs auf, "schafft aber die Form, worin sie sich bewegen können" (MEW 23, 118). Wirkliche Widersprüche einer Sache können nach Marx und Hegel überhaupt nicht theoretisch aufgehoben, sondern nur theoretisch bewältigt oder "gelöst" werden. "Dies ist überhaupt die Methode, wodurch sich wirkliche Widersprüche lösen. Es ist z.B. ein Widerspruch, daß ein Körper beständig in einen andren fällt und ebenso beständig von ihm wegflieht. Die Ellipse ist eine der Bewegungsformen, worin dieser Widerspruch sich ebensosehr verwirklicht als löst" (ebd.). Für Marx ist also ebenso wie für Hegel der Widerspruch der Grund der Bewegung.

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und zum ausgeschlossenen Gesetztsein macht; dies Gesetztsein aber ist das ganze selbständige Wesen, und das Wesen ist Grund, als in dieser seiner Negation identisch mit sich selbst und positiv" (L. II., 53; 69f.)

Der Grund ist das Wesen als die "positive Identität mit sich". Aber diese seine "Identität mit sich" ist zugleich als "Negativität", die "sich [...] auf sich bezieht", strukturiert, und so bestimmt sich das Wesen als Grund zum Gegensatz selbständiger Reflexionsbestimmungen ("ausgeschlossenen Gesetztsein"). Dieser Gegensatz ist "das ganze selbständige Wesen". Aber das Wesen ist zugleich Grund, weil der Gegensatz durch seinen Widerspruch zugrunde geht und das Wesen "in dieser seiner Negation identisch mit sich selbst und positiv" ist. Das 'Zugrundegehen' des selbständigen Gegensatzes führt also zum 'Grund', aus dem heraus überhaupt erst der selbständige Gegensatz gebildet und verständlich wird. Der Grund ist hier keineswegs (schon) als positive, substrathafte Grundlage zu verstehen, die unterschiedene, sich negativ zueinander verhaltende Bestimmungen enthält und trägt, sondern als die Positivität, die identisch ist mit der Negativität. Den Bedeutungsaspekt der Kategorie des Grundes als positives Substrat, welches auch gegen die Negativität der Reflexion festgehalten werden kann, führt Hegel erst im "Proömium" des Grund-Kapitels ein. Der Grund ist das Wesen, das sich als Identität mit sich negativ zu sich selbst verhält und umgekehrt zugleich in dieser Negativität identisch mit sich bleibt. Erst im Grund also ist eine logische Dimension erreicht, in der sich das Wesen in seiner Negativität, in der es bisher "verloren" war, identisch mit sich setzen kann. Daß der Widerspruch im Grund, wie Hegel sagt, "sosehr aufgehoben als erhalten" (Z 261) ist, liegt also daran, daß die Selbstbeziehung des Wesens als Grund die Selbstbeziehung der Negativität ist, die als solche widersprüchlich ist. "Die Negativität als Selbstbeziehung macht den Widerspruch und zugleich die Auflösung des Widerspruchs aus" (Wolff (1981), 168). Da die Selbstbeziehung eine der Negativität ist, so ist der aufgelöste Widerspruch selbst ein Widerspruch. Im Grunde ist der Widerspruch also so aufgelöst, daß er zugleich erhalten bleibt. Der Grund ist nicht nur der "aufgelöste Widerspruch" (Z 259), sondern die Einheit des Widerspruchs und des aufgelösten Widerspruchs, die Einheitsform des Wesens, in der sich der Widerspruch "bewegen" (Marx) kann. Erst in der Exposition des Begriffs des Grundes im Grund-Kapitel führt Hegel den Gedanken weiter aus, daß und inwiefern im Wesen fortan Negativität und Identität bzw. Positivität eine Einheit bilden.

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Diese neue Einheit des Wesens realisiert sich dann zunächst in den Beziehungen "Form und Wesen", "Form und Materie" und "Form und Inhalt". Hegel rekapituliert noch einmal die drei Phasen des Gegensatzes und seiner Auflösung durch den Widerspruch in die Einheit des Grundes, wobei er alle bisher dargestellten Momente der Reflexionsbewegung des Widerspruchs noch einmal aufgreift: Z 263 "Der sich widersprechende selbständige Gegensatz war also bereits selbst der Grund; es kam nur die Bestimmung der Einheit mit sich selbst hinzu, welche dadurch hervortritt, daß die selbständigen Entgegengesetzten jedes sich selbst aufhebt und sich zu dem Anderen seiner macht, somit zugrunde geht, aber darin zugleich nur mit sich selbst zusammengeht, also in seinem Untergange, d.i. in seinem Gesetztsein oder in der Negation, vielmehr erst das in sich reflektierte, mit sich identische Wesen ist" (L. II., 53; 70).

Die Feststellung, daß der "sich widersprechende Gegensatz" "bereits selbst der Grund" war, ist eine, die nur im nachhinein und also nur aus der Perspektive der äußeren Reflexion möglich ist. Deshalb fügt Hegel hinzu, daß der Nachweis für "die Bestimmung der Einheit mit sich selbst" im Gange der logischen Entwicklung selbst hervorzutreten habe. Das Positive und Negative sind im Gegensatz II. Stufe als die selbständigen Reflexionsbestimmungen gesetzt. Der erste Schritt für den Nachweis ihrer Einheit ist, "daß die selbständigen Entgegengesetzten jedes [in seinem Widerspruch, d.V.] sich selbst aufhebt und sich zu dem Anderen seiner macht, somit zugrunde geht". Damit ist die nächste Einheit: die Null eingetreten. Der zweite Schritt für den Nachweis ihrer Einheit besteht darin, daß jede der entgegengesetzten Bestimmungen in ihrem Widerspruch nicht nur "zugrunde", sondern "darin zugleich mit sich selbst zusammengeht". Der "Untergang" der Entgegengesetzten führt nicht zur Auslöschung aller Bestimmungen. Das Zugrundegehen der Bestimmungen führt vielmehr zu ihrem "Grund", der die Identität mit sich der sich in ihrer Selbständigkeit aufhebenden Bestimmungen selbst ist. Und so ist gerade die Auflösung der entgegengesetzten Bestimmungen ihre Identität mit sich als Bestimmungen. Fassen wir zusammen: Der Nachweis für die Einheit, die der Grund ist, geschieht dadurch, daß aufgewiesen wird, daß das Positive und Negative, indem "jedes sich selbst aufhebt und sich zu dem Anderen seiner macht, somit zugrunde geht", vielmehr "darin zugleich mit sich selbst zusammengeht".

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Das Positive und Negative lösen sich in Null auf, weil sie als einander entgegengesetzte Bestimmungen in ihrem Widerspruch in ihr Anderes verschwinden. Der Untergang der Entgegengesetzten führt so zur Nacht, in der alle Kühe schwarz sind (vgl. Phän., 19; 22). Zugleich geht jedes in seinem Anderen nur mit sich zusammen, weil jedes in seinem Widerspruch sich selbst das Andere ist, das es negiert, somit sich als Anderes selbst negiert und identisch mit sich ist. Das Positive und Negative sind insofern in ihrem Gegenteil identisch mit sich selbst. Jedes ist nichtidentisch mit sich selbst und identisch mit sich in seinem Gegenteil. Der Nachweis der Einheit des Grundes zeigt also, daß jedes der "selbständigen Entgegengesetzten" "in seinem Untergange, d.i. in seinem Gesetztsein oder in seiner Negation, vielmehr erst das in sich reflektierte, mit sich identische Wesen ist". Die Positivität des Grundes ist nur die "Identität mit sich" (Z 262) in der Negativität der sich widersprechenden Reflexionsbestimmungen. Rekapitulieren wir das Wesentliche des dritten Teils des Widerspruch-Abschnitts: Der dritte Teil des Widerspruch-Abschnitts entwickelt die neue Kategorie des Grundes, soweit sie sich unmittelbar aus dem positiven Resultat des Widerspruchs ergibt. 1. In Z 252 - Z 254 hält Hegel fest, was sich mit dem positiven Resultat des Widerspruchs ergeben hat: Nach der "positiven Seite" (Z 252) ist der Gegensatz durch seinen Widerspruch nicht nur zugrunde, sondern in seinen Grund zurückgegangen. Der Absatz beschreibt, welche Konsequenzen dieser Sachverhalt sowohl für den Gegensatz bzw. die selbständigen Reflexionsbestimmungen als auch für den Wesensbegriff hat. Für den Gegensatz gilt, daß die ausschließende Reflexion ihn zu einem Negativen, zum Gesetztsein macht. Sie setzt die zunächst selbständigen Reflexionsbestimmungen zu solchen herab, die nur Bestimmungen sind. Die ausschließende Reflexion ist Setzen als Herabsetzen. Für das Wesen gilt, daß es in die Einheit mit sich zurückgekehrt ist. Damit ist das einfache Wesen als Grund eingetreten. Mit dem Aufheben der sich an sich selbst widersprechenden Bestimmungen des Wesens scheint alle Bewegung gleichsam in die ruhige Einfachheit des Wesens als Grund verschwunden zu sein. Das Wesen als Grund ist jedoch nur scheinbar einfache Einheit, in Wahrheit ist es "ausschließende Reflexionseinheit" (Z 254), die nur in ihrer Negativität identisch mit sich ist.

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2. In Z 255 - Z 258 thematisiert Hegel - gleichsam nochmals rückblickend - das Zurückgehen des Gegensatzes durch seinen Widerspruch in seinen Grund, wobei er zwei in sich gegenläufige Bewegungsrichtungen der ausschließenden Reflexion benennt: a) Die Reflexionsbewegung, die zum Grund führt, nimmt ihren Ausgang vom Gegensatz. In der Aufhebung des Gegensatzes konstituiert sie das Wesen als Grund. Nach dieser Seite ist der Grund ein Gesetztsein, ein Gewordenes. b) Andererseits wird in diesem Prozeß, der vom Gegensatz anhebt, gerade dieser gesetzt. Der Gegensatz, der als das Erste oder das Unmittelbare erschien, erweist sich als ein im Grunde Gesetztes oder Aufgehobenes. Diese zwei in sich gegenläufigen Bewegungsrichtungen machen die eine in sich umgewendete Bewegung der sich selbst ausschließenden Reflexion aus. Hegel faßt hier das Wesen als Grund nicht nur als Resultat des Widerspruchs, sondern als die ganze Bewegung der ausschließenden Reflexion, die zum Grund als dem positiven Resultat des Widerspruchs führt. Das Wesen ist als Grund die Bewegung der ausschließenden Reflexion des Gegensatzes, die zweierlei umfaßt: Das Herabsetzen des Gegensatzes zum Moment, zu einem Gesetztsein des Grundes, und die Reflexion-in-sich des Wesens als Grund in diesem Gesetztsein. Damit ist in der Kategorie des Grundes eine Struktur erreicht, in der die Bewegung der Logik der Reflexionsbestimmungen in sich zurückläuft. 3. In Z 259 - Z 263 nimmt Hegel einen 'SubjektwechseV vor. Er spricht nicht mehr vom "Wesen als Grund", sondern vom Grund selbst. Das bedeutet, er zeichnet nicht mehr die Bewegung des Wesens nach, die zum Grunde führt, sondern untersucht die logische Struktur des Grundes selbst. Mit der Kategorie des Grundes hat sich für den Wesensbegriff Neues ergeben: Der Grund ist das Wesen, das in seiner Negativität identisch mit sich und positiv ist. Die Einheit des Wesens als Grund ist allem Anschein nach nicht mehr mit den Mängeln der einfachen Identität des Wesens behaftet, die aufgrund der ihr immanenten absoluten Negativität dem "Zerfall" in Verschiedenheit anheimgegeben war. Die Identität des Wesens verlor sich in die Differenz und die Negativität der selbständigen Reflexionsbestimmungen. So ist die Einheit des Grundes nicht mehr die unmittelbare Einheit, in der die einfache Identität des Wesens mit seiner absoluten Negativität war. Im Grund soll sich das Verhältnis der Negativität der selbständigen Reflexionsbestimmungen als ein in das Ganze des Wesens integriertes Moment denken lassen. Der Grund ist nicht mehr die einfache

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Identität des Wesens als absolute Negativität, vielmehr ist er das Wesen, das in seiner Negativität identisch mit sich ist. Erst im Grund also ist eine logische Dimension erreicht, in der das Wesen in seiner Negativität positiv ist. Das System der Reflexionsbestimmungen ist eine fortschreitende Bewegung, die in der Einheit des Grundes in sich zurückläuft. Die Reflexionsbestimmungen haben Bestand und sind in ihrem Bestand zugleich aufgehoben. Auf diese Weise kommt es zum Fortschritt innerhalb der Logik der Reflexionsbestimmungen. Doch ist auch das System der Reflexionsbestimmungen - wie das System der Logik überhaupt - eine Doppelbewegung von linearem Prozeß und Kreisbewegung. Die Reflexionsbestimmungen, die sich in ihrer Selbständigkeit aufheben und in andere übergehen und so in ihrem Aufgehobensein wiederum Bestand gewinnen, indizieren in dieser Bewegung einen linear definierten Prozeß. Indem sie aber in dieser Bewegung zugleich ihre Einheit als Grund konstituieren, sind sie in zirkulärer Komplexität zusammengeschlossen. Mit der Kategorie des Grundes als Einheit aller Reflexionsbestimmungen ist damit auf die in sich geschlossene Systematizität des Ganzen der Logik der Reflexionsbestimmungen abgehoben.

//. Die sechs Stufen der Logik der Reflexionsbestimmungen Die sechs Stufen der Logik der Reflexionsbestimmungen können in einem Zwei-Phasenmodell dargestellt werden: ERSTE PHASE:

I. Stufe: II. Stufe:

Identität/Unterschied Verschiedenheit (Gleichheit/Ungleichheit) III. und IV. Stufe: Gegensatz (Positives/Negatives) - Gegensatzverhältnis I. Stufe: Das Entgegengesetzte überhaupt Der reale oder amphibolische Gegensatz

ZWEITE PHASE:

- Gegensatzverhältnis II. Stufe: das an sich Positive und an sich Negative V. Stufe:

Widerspruch - der Widerspruch des Positiven und Negativen

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-

VI. Stufe:

die Auflösung des Widerspruchs in Null Das Wesen als Grund - der Grund als der aufgelöste Widerspruch - der sich beständig in Null auflösende Widerspruch des Positiven und Negativen als Moment der Negativität im Grund - die Einheitsform des Grundes als die positive Identität des Wesens mit sich in seiner Negativität

Die Bewegung des Systems der Reflexionsbestimmungen verläuft über sechs Stufen, wobei sich deutlich zwei Bewegungsphasen unterscheiden lassen: Die erste Bewegungsphase der Logik der Reflexionsbestimmungen führt von den Reflexionsbestimmungen der Identität und des Unterschieds (I. Stufe), die beide Einheit ihrer selbst und ihres Anderen sind, über die Entäußerung und Entfremdung der Reflexion in der Verschiedenheit (II. Stufe) bis zum Gegensatz als dem Verhältnis des Positiven und Negativen (III. und IV. Stufe). Das erste Stadium der Bewegung im System der Reflexionsbestimmungen ist durch den Prozeß des sich immer mehr vergrößernden Unterschieds der Reflexion sbeStimmungen gekennzeichnet. Der Unterschied entwikkelt sich vom absoluten Unterschied der Identität und des Unterschieds über die Verschiedenheit von Gleichheit und Ungleichheit bis zum Gegensatz des Positiven und Negativen als den selbständigen Reflexionsbestimmungen. Bemißt man den Weg der sich entäußernden und entfremdenden Reflexion von Identität und Unterschied (I. Stufe) über die Verschiedenheit (II. Stufe) zu den Gegensatzverhältnissen I. und II. Stufe (III. und IV. Stufe), so kommt man auf genau drei Stufen. Der Weg von den Gegensatzstufen I und II (III. und IV. Stufe) über den Widerspruch (V. Stufe) bis zum Grund (VI. Stufe), also der Weg aus der Entäußerung und Entfremdung der Reflexion, wird somit gleich lang sein. Nimmt man sechs Stufen an, so bildet das Gegensatzverhältnis des Positiven und Negativen (III. und IV. Stufe) die Symmetrieachse der Logik der Reflexionsbestimmungen. Im Gegensatzverhältnis der II. Stufe (IV. Stufe) sind die Reflexion sbe Stimmungen des Positiven und Negativen notwendig ausschließend einander entgegengesetzt. Die Reflexionsbestimmungen sind

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als Reflexionsbestimmungen gesetzt. Der Gegensatz geht in den Widerspruch über, sobald deutlich wird, daß jedes Moment sein Anderes, das es von sich ausschließt ebenso zugleich enthält. Die Bestimmungen des Gegensatzes heben sich durch ihren Widerspruch (V. Stufe) in ihrer Selbständigkeit selbst auf und gehen so notwendig ineinander über. Im gesetzten Widerspruch des Positiven und Negativen als den selbständigen Reflexionsbestimmungen wird die Negativitätsstruktur aller Reflexionsbestimmungen offenbar: Die sich selbst widersprechenden selbständigen Reflexionsbestimmungen erweisen sich als Negation des Negativen durch sich selbst, also als doppelte selbstbezügliche Negationen. Das System der Reflexionsbestimmungen bewegt sich nach Hegels Anspruch auf einen Zielpunkt hin, wo die Negativitätsstruktur der Reflexionsbestimmungen und damit der Motor ihrer Entwicklung gesetzt, erfaßt und reflektiert ist. Dieser Zielpunkt ist der gesetzte Widerspruch der Reflexionsbestimmungen als selbständiger Wesenheiten. Im Widerspruch des Positiven und Negativen reflektiert sich das System der Reflexionsbestimmungen gleichsam in sich selbst. Aufgrund ihres Widerspruchs gehen die Reflexionsbestimmungen notwendig ineinander über und konstituieren in ihrem Übergehen ineinander zugleich ihre Einheit, das Wesen als Grund. Mit dem Wesen als Grund ist das Endstadium der zweiten Bewegungsphase erreicht. Der Grund ist als Einheit des Positiven und Negativen der Zusammenhang des Ganzen der sich an sich selbst widersprechenden Reflexionsbestimmungen. Da im Grunde die sebständigen Reflexionsbestimmungen als sich selbst widersprechende zugleich gesetzt, erkannt und reflektiert sind, ist auch gesetzt, daß sie in der Einheit des Grundes verbleiben. Mit der Etablierung der Kategorie des Grundes ist auch die Phase der Entäußerung und Entfremdung der Reflexion von sich selbst überwunden, die Einheit des Wesens aus ihrem Verlorensein in die Differenz und die Negativität der selbständigen Reflexionsbestimmungen wiederhergestellt. In der Einheitsform des Grundes werden die sechs Stufen der Logik der Reflexionsbestimmungen auf einer einzigen Stufe abgebildet. Im Grunde ist somit das ganze System der Reflexionsbestimmmungen aufgehoben. Die Positivität des Grundes als der aufgelöste Widerspruch und die Negativität des gesetzten Widerspruchs der selbständigen Reflexionsbestimmungen bilden die beiden Hauptmomente dieser Einheitsform. Die Einheitsstruktur des Grundes wird dann im 3. Kapitel der Wesenslogik der "ABSOLUTE GRUND" (vgl. L. II., 66; 84) genannt. Das Grund-Kapitel knüpft also, indem es an die VI. und letzte Stufe der Logik der Reflexionsbestimmungen anschließt, zu-

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gleich an die Gesamtbewegung des Systems der Reflexion sbestimmungen an.2V In der Interpretation des dritten Teils des Widerspruch-Abschnitts wurde deutlich, daß die Bewegung des Systems der Reflexion sbestimmungen in der Einheit des Grundes auf höherer Ebene in sich zurückläuft. Die Logik der Reflexionsbestimmungen als eine Folge von sechs Stufen stellt sich als ein in sich zurückgeschlungener Kreis dar.28 Das System der Wissenschaft der Logik als Ganzes schließt sich als ein Kreis von Kreisen (vgl. L. II., 504; 571). III. Die metaphysikkritische Bedeutung von Hegels Lehre vom Widerspruch l. Hegels Satz des Widerspruchs Die Reflexionsbestimmung des Widerspruchs ist für Hegel die Grundlage für die Formulierung des spekulativ-dialektischen Grundsatzes des (eingeschlossenen) Widerspruchs: "Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend" (L. II., 58; 74). Dieser Satz besagt: Jeder als IAI bestimmte Gegenstand muß als Beziehung der einfachen Identität mit sich unter Ausschluß der entgegengesetzten Bestimmungen + A und -A und zugleich als Beziehung der Ungleichheit gegenüber sich selbst unter Einschluß der entgegengesetzten Bestimmungen +A und -A begriffen werden. Der Hegeische Satz des Widerspruchs bezeichnet also das Zugleich der Ein- und Ausschlußbeziehungen zu entgegengesetzten Bestimmungen, die jeder Gegenstand an sich selbst hat. Dieser von Hegel aufgestellte Satz hat insofern eine ausgezeichnete Bedeutung, als er gegen alle übrigen Axiome "die Wahrheit und das Wesen der Dinge" (L. II., 58; 74) ausspricht. Dies tut er, weil in der Entfaltung der Reflexionsbestimmungen von der Identität über die Verschiedenheit und Entgegensetzung, die ganze Bewegung darin zugespitzt wird, daß im Begriff des Widerspruchs die "Wahrheit" über die logische Struktur der Reflexionsbestimmungen offenbar wird: Positives und Negatives widersprechen sich genau insofern, als sie selbst die selbständigen Reflexionsbestimmungen sind. Im Wider27

Vgl. auch Kesselrings "Überlegungen zur Scchs-Stufen-Architektur der Hegelschen Dialektik" (Kesselring (1984), 316 ff.).

28

"Hegel stellt [...] in den einzelnen Kapiteln der LOGIK eine Folge von in der Regel sechs Stufen dar, die am Ende auf höherer Ebene in sich zurücklaufen" (Kesselring (1984), 282).

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spruch des Positiven und Negativen ist gesetzt, daß die Reflexionsbestimmungen überhaupt als selbständige Wesenheiten sich widersprechend sind. Der Widerspruch ist nur "das entwickelte Nichts" (L. H., 58; 74f), die Negativität, die allen Reflexionsbestimmungen immanent ist. Insofern alle bisher betrachteten Sätze (Axiome) an sich selbst widersprechend waren, formuliert der Satz des (eingeschlossenen) Widerspruchs auch die "Wahrheit" über alle Grundsätze. Sowohl die aristotelische Metaphysik (Aristoteles, Met., 1005b 1525,33) als auch die kantische Metaphysikkritik (Kant, K.d.V., B XXVI Anm., B 189ff., A 150f.) basieren auf dem Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs als dem obersten Prinzip. Mit der Grundlegung der Umgestaltung der traditionellen formalen Logik und Metaphysik, die Hegel in der Logik der Reflexionsbestimmungen im Hinblick auf eine Metaphysik absoluter Relationalst in Angriff nimmt, ist das Problem des Widerspruchs und damit das Problem des Zusammenhangs des Prinzips der Identität und des ausgeschlossenen Widerspruchs mit dem Widerspruch selbst gegeben. Hegel wendet sich gegen "eines der Grund verurteile der bisherigen Logik", daß "der Widerspruch nicht eine so wesenhafte und immanente Bestimmung sei als die Identität" (L. II., 58; 75). Er ist für ihn sogar im Vergleich zur Bestimmung der Identität in gewisser Weise, was "die Rangordnung" betrifft, "für das Tiefere und Wesenhaftere zu nehmen" (ebd.), denn während die Identität die "Bestimmung des einfachen Unmittelbaren, des toten Seins" ist, ist der Widerspruch die "Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit" (ebd.). Hat also der Widerspruch und damit der Satz des eingeschlossenen Widerspruchs, der hier als ein "herakliteisch Wesenhaftes" (Adorno (1973), 17) ausgesprochen wird, bei Hegel das letzte Wort? Wie ist der Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Identität bzw. dem des (ausgeschlossenen) Widerspruchs und Hegels Satz des (eingeschlossenen) Widerspruchs näher zu bestimmen? Über die Gültigkeit des Satzes vom (ausgeschlossenen) Widerspruch und seine Beziehung zum Satz des (eingeschlossenen) Widerspruchs sagt Hegel im Skeptizismusaufsatz von 1802: "Der sogenannte Satz des Widerspruchs ist [...] so wenig auch nur von formeller Wahrheit für die Vernunft, daß im Gegenteil jeder Vernunftsatz in Rücksicht auf die Begriffe einen Verstoß gegen denselben enthalten muß; ein Satz ist BLOSS formell, heißt für die Vernunft: er für sich allein gesetzt, ohne den ihm kontradiktorisch entgegengesetzten ebenso zu behaupten, ist eben darum falsch. Den Satz des Widerspruchs formell anerkennen heißt also, ihn zugleich für falsch erkennen" (Werke 2, 230).

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Der Satz des (ausgeschlossenen) Widerspruchs ist für Hegel durchaus in seiner formellen oder abstrakten Geltung anzuerkennen. In dieser Anerkennung liegt jedoch nicht die Anerkenntnis seiner unbedingten Gültigkeit. Im Gegenteil, in dieser Anerkenntnis ist die Gültigkeitsbedingung bereits ausgesprochen, daß er für sich allein, ohne den ihm kontradiktorisch entgegengesetzten Satz, den Satz des (eingeschlossenen) Widerspruchs, keine Gültigkeit hat. Hegels Auffassung, den Satz des (ausgeschlossenen) Widerspruchs "formell" anzuerkennen, ihn aber "zugleich für falsch erkennen", berührt den "Nervpunkt der traditionellen Logik" (Schubert (1985), 92) des Verstandes. Für die Vernunft kommt es darauf an, die Bedingtheit des Satzes vom (ausgeschlossenen) Widerspruch zu erkennen. Von ihrer Warte ist er eine notwendige, bedingte Abstraktion des A von der Beziehung des A und Nicht-A, die als Abstraktion eben das enthält, wovon sie abstrahiert, den Widerspruch, und daher bedingte Abstraktion ist. Die Erkenntnis der bedingten Gültigkeit des Satzes vom (ausgeschlossenen) Widerspruch schließt die Erkenntnis seiner in ihm enthaltenen Beziehung auf sein Gegenteil, den Widerspruch, ein, den Hegel ebenfalls in einem Satz formuliert, wonach jedes A eine kontradiktorische Konjunktion von A und Nicht-A ist. Aber auch dieser Satz kann nicht als unbedingt gültig festgehalten werden. Seine Ungültigkeit beruht für Hegel jedoch nicht darauf, daß es falsch wäre, Dingen entgegengesetzte Bestimmungen beizulegen, sondern darauf, daß der Widerspruch nur als sich auflösender ein Dasein hat. Der Widerspruch der Dinge ist die Ursache dafür, daß sie nicht einfach sind, was sie sind, sondern in dem, was sie sind, nicht einfach bestehen können, vielmehr "zugrunde gehen" und in ihren "Grund" zurückgehen. Jedes A, das als Einheit seiner Aus- und Einschlußbeziehungen von A und Nicht-A aufgefaßt und begriffen werden kann, ist als "Grund" und Totalität seiner negativen Beziehungen zu begreifen. Wahrer Ausdruck aller Wirklichkeit ist für die Vernunft der bloßen Form nach, wie Hegel in der Differenzschrift sagt, "die Antinomie, der sich selbst auflösende Widerspruch" (Werke 2,39), die die einfache Identität und den Nicht-Widerspruch zusammen mit der Nichtidentität und dem Widerspruch als gleichnotwendige Momente in sich einbegreift. So wie der Satz der Identität oder des ausgeschlossenen Widerspruchs notwendig in den Satz des eingeschlossenen Widerspruchs übergeht, so bestimmt sich Hegels Satz des Widerspruchs "Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend" aufgrund seines Gehalts fort zum Satz des Grundes: "Die endlichen Dinge in ihrer gleichgültigen Mannigfaltigkeit sind [...] überhaupt

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dies, widersprechend an sich selbst, IN SICH GEBROCHEN ZU SEIN UND IN IHREN GRUND ZURÜCKZUGEHEN" (L. II., 62; 79). 2. Der Widerspruch als Grund der Bewegung Hegel tritt der Behauptung entgegen, "DASS ES NICHTS WIDERSPRECHENDES GEBE" und bestreitet die Ansicht, "das WIDERSPRECHENDE könne nicht VORGESTELLT noch GEDACHT werden" (L. II., 58; 75). Seine Auffassung des Widerspruchs steht damit im Gegensatz zu der Kants, wonach einem Ding, dem Widersprechendes beigelegt wird, "nichts", ein nihil negativum ist, das schlechterdings nicht gegeben noch gedacht werden kann (vgl. Kant, NG, A 3, ders., Kd.V., B 348f., A 291f.). Gegen diese gewöhnliche Auffassung vom Widerspruch wendet Hegel zunächst ein, daß der Widerspruch "in aller Erfahrung [...], in allem Wirklichen wie in jedem Begriffe" (L. II., 59; 75) zu finden sei. Die Rede von der Realität des Widerspruchs, der allen möglichen Begriffen, Dingen und Einrichtungen etc. innewohnt, schließt allerdings ein, daß echt kontradiktorische Urteile nicht falsch sein müssen. Die Auffassung von der Objektivität des Widerspruchs impliziert, näher betrachtet, einen doppelten Angriff auf die Grundlagen der klassischen formalen Logik: 1. Es soll gestattet sein, der Form nach sich widersprechende Sätze mit Wahrheitsanspruch auszusagen. Widerspruchsfreiheit hat also nichts mit Wahrheit in der Theorie zu tun. Sie ist nicht einmal hinreichende Bedingung für Wahrheit. Sowenig Wahrheit mit Widerspruchsfreiheit kann der Widerspruch selbst mit Falschheit definiert werden. Die Rede von der bloß formalen Wahrheit und Falschheit hätte Hegel wahrscheinlich selbst für einen Widerspruch gehalten: Eine Sache auf ihre Wahrheit hin überprüfen, ohne sich auf ihren Inhalt einzulassen, bedeutet, man soll richtig denken, ohne etwas zu denken, also ohne überhaupt zu denken. 2. Die Auflösung des Widerspruchs wird als ein Erfordernis betrachtet, das sich nicht aus der bloß formallogischen Falschheit kontradiktorischer Sätze ergibt, sondern aus der objektiv-logischen Struktur des Widerspruchs selbst.29 29

Das impliziert keineswegs die Leugnung des argumentlogischen Sinns des Satzes vom Widerspruch, wonach Theorien falsch sein müssen, in denen theoretische Widersprüche vorkommen. Aber Theorien sind dann nicht aus formallogischen Gründen falsch, sondern weil sie sich in ihrer inhaltlichen Argumentation in Widersprüche verwickeln. Theoretische Widerspruchsfreiheit - notwendige Bedin-

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a) Widerspruch und Ortsbewegung Als Beweis für die Realität des Widerspruchs führt Hegel den Begriff der Bewegung an. Entgegen der gewöhnlichen Meinung von der "Abnormität" des Widerspruchs ist er für Hegel das "Prinzip aller Selbstbewegung" (L. II., 59; 76), die darin besteht, daß der Widerspruch zur "Darstellung" (ebd.) kommt. Von der Bewegung im engeren Sinne, der Ortsbewegung ("die äußerliche sinnliche Bewegung" (ebd.)), behauptet Hegel, sie sei der "DASEIENDE Widerspruch" (ebd.). Dabei erinnert er an die "alten Dialektiker", insbesondere an Zenon und seine Bewegungsparadoxien. Zenons Argumente sind folgende:30 1. Ein sich von einem zu einem anderen Ort bewegender Gegenstand (z.B. ein Pfeil) befindet sich in jedem Augenblick seiner Bewegung an genau einem Ort. 2. Bewegung ist aber Ortsveränderung; und kein Gegenstand kann gleichzeitig an verschiedenen Orten sein. Aus diesem Grunde ist der bewegte Körper an jedem Ort, an dem er sich befindet, unbewegt. 3. Das hat zur Folge, daß ein bewegter Gegenstand in Wahrheit unbewegt ist. Wie Aristoteles, so bestreitet Hegel diese Folgerung. Aber im Unterschied zu Aristoteles hält er das Argument selbst, wonach die Ortsbewegung den Widerspruch impliziert, daß also der bewegte Gegenstand in jedem Augenblick an einem bestimmten Ort ist und nicht ist, für akzeptabel. Er hält Zenons Argument sogar für "bis auf den heutigen Tag unwiderlegt" (Werke 18, 304).3i Aristoteles (Aristoteles, Physik, IV. 9, 239b 30ff.) hat gegen Zenon eingewandt, daß seine Argumente auf der Annahme beruhen, die Zeit bestehe aus Jetztpunkten. Gebe man diese Annahme auf, so könne Zenons Folgerung nicht zustande kommen. Bewegung und Ruhe finden nach Aristoteles zwar in der Zeit statt, aber Zeit besteht ihm zufolge nicht aus Zeitpunkten, sondern aus Zeitintervallen, die von Zeitpunkten zwar begrenzt, nicht aber erfüllt werden. In einem Zeit-

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gung von Konsistenz - bedeutet also nicht etwa, daß z.B. Gescllschaftstheorien nicht mit Wahrheitsanspruch objektive Widersprüche in der Gesellschaft feststellen dürften. Vgl. den Bericht des Aristoteles, Physik, VI. 9, 239b 5-7. Eine genaue Interpretation von Zenons Pfeilargumentation hat G. Vlastos (1966) vorgenommen. Hegels Stellung zu Zenons Bewegungsparadoxien hat Wolff (1981), 26ff. näher untersucht. Zu Hegels Deutung der Zenonischen Paradoxien außerdem: Werke 18, 295ff.; Enz. § 261 Zus.

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punkt bewegt sich ein bewegter Gegenstand nicht, darin stimmt Aristoteles mit Zenon überein, wohl aber innerhalb eines Zeitintervalls. Kant (Kant, , lOff.) ist im Gegensatz zu Aristoteles der Meinung, daß sich ein bewegter Gegenstand in jedem Punkt der Linie, die er durchläuft, einen Augenblick befindet, und zwar so, daß er sich in jedem der im Raum durchlaufenen Punkte bewegt. In dieser Auffassung trifft sich Kant mit Hegel. Was es aber heißt, daß ein bewegter Gegenstand an allen Orten, die er durchläuft, bewegt ist, konnte Kant nicht erklären. Rüssel (Rüssel (1968)) ist der Auffassung, daß Bewegung und Veränderung kein (zeitlich dimensionierter) Zustand ist. Nach ihm befindet sich ein bewegter Körper weder im Zustand der Bewegung oder Veränderung noch läßt sich in bezug auf ihn von "Ortswechsel" sprechen, so daß er innerhalb eines Zeitpunktes einen "nächsten Ort" erreicht. Denn nach der mengentheoretischen Auffassung des Kontinuums, von der Rüssel im Anschluß an Cantor ausgeht, ist die Punktmenge eines räumlichen Kontinuums "überabzählbar", so daß es zu jedem Punkt eines Bahnkontinuums keinen von ihm unterschiedenen Punkt gibt, der als räumlich "nächster Punkt" anzusehen wäre. Rüssel ist gegen Zenon der Auffassung, daß Bewegung möglich ist, denn es ist ihm zufolge möglich, daß ein bewegter Körper infolge seiner Bewegung zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen Orten sein kann. Allerdings folgt er Zenon darin, daß an keinem Ort die bewegten Körper bewegt sein können. Für alle Orte, die ein bewegter Körper durchläuft, gilt also, daß er darin nicht bewegt ist. Wie Wolff gezeigt hat (Wolff (1981), 30ff.), verhält sich Hegels Deutung der Zenonischen Paradoxien gegenüber der mengentheoretischen Auffassung vom Kontinuum indifferent. Denn eine Theorie wie die Hegels, die über die Existenz eines gegebenen "nächsten Punktes" zu einen gegebenen Punkt keine Annahmen macht, befindet sich in diesem Punkt in keinem Widerstreit zur Kontinuumstheorie. Hegel ist vielmehr der Meinung, daß sich der Ort als Ort allererst durch die Bewegung konstituiert. Hegel ist jedenfalls nicht der Auffassung, daß ein bewegter Körper in einem Zeitpunkt seinen Ort "wechselt" und daß er in diesem Ortswechsel einen "anderen" Ort erreicht: "Wenn wir von der Bewegung überhaupt sprechen, so sagen wir: Der Körper ist an einem Orte, und dann geht er an einen anderen Ort". Aber: "Indem er sich bewegt, ist er nicht mehr am ersten, aber auch noch nicht am zweiten" (Werke 18, 313f.).

Bewegung ist also die Änderung des Ortes, die ein Gegenstand in einem bestimmten Zeitpunkt einnimmt. Dabei ist die Änderung eines

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Ortes für Hegel nicht dasselbe wie ein Ortswechsel von einem gegebenen Ort zu einem nächsten gegebenen Ort. Bewegung heißt vielmehr, daß ein Gegenstand seinen Ort in einem bestimmten Zeitpunkt ändert, und ändern heißt, daß er in diesem Zeitpunkt an diesem Ort ist und nicht ist, und das wiederum bedeutet, der Gegenstand hebt seinen aktuellen Ort auf, indem er den nächsten Ort als Ort konstituiert. So betont Hegel in der Wissenschaft der Logik, daß sich etwas nur bewegt, "indem es nicht in diesem Jetzt hier ist und in einem anderen Jetzt dort, sondern indem es in einem und demselben Jetzt hier und nicht hier, indem es in diesem Hier zugleich ist und nicht ist" (L. II., 59; 76). Der eigentliche Skandal der Hegeischen Auffassung der Bewegung besteht in der kontradiktorisehen Form, die Hegels Aussagen über bewegte Gegenstände enthalten. Diese können nur dann sinnvoll sein, wenn sie trotz ihrer kontradiktorischen Form wahr sind. Der Widerspruch kann also nicht als Widerspruch im formallogischen Sinne verstanden werden, nämlich nicht als identisch mit logisch falsch. Welchen Sinn kann es aber für Hegel haben, das Vorliegen eines Widerspruchs nicht als hinreichendes Kriterium einer falschen Aussage anzuerkennen? Der Widerspruch der Ortsbewegung ist kein formallogischer. Er ist etwas den bewegten Dingen selbst Zukommendes: ein objektiver oder realer Widerspruch, der seinen Ursprung nicht im Irrtum über die Dinge, sondern im Wesen der Dinge selbst hat. Wolff bezeichnet deshalb den "objektiven" Widerspruch zutreffend als "Paronymie" (Wolff, (1981), 24). Hegel ist allerdings auch der Meinung, daß der reale Widerspruch unhaltbar ist, aber nicht deshalb, weil er "undenkbar" wäre, sondern weil er aufgrund seiner logischen Struktur nur als sich auflösender ein Dasein hat. Die Unhaltbarkeit des objektiven Widerspruchs ist also anders beschaffen als die auf bloßen Irrtümern beruhende Falschheit von Aussagen. Die Auflösung des Widerspruchs erfolgt durch die Bewegung des Gegenstandes, von dem die kontradiktorischen Prädikate ausgesagt werden. "Die Bewegung des Gegenstandes ist es, wodurch sich der Widerspruch auflöst" (Wolff (1981), 34). Doch besteht der Widerspruch, solange auch die Bewegung fortbesteht. Die Bewegung ist also die Auflösung des Widerspruchs, und zwar so, daß der Widerspruch der Grund der Bewegung ist, so daß die Bewegung entfällt, sobald der Widerspruch entfällt. "Solange daher die Bewegung besteht, entsteht aus jeder Auflösung eines Widerspruchs ein neuer Widerspruch." (Wolff (ebd.), 34f.).

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b) Der Widerspruch als Prinzip der Lebendigkeit überhaupt Der Widerspruch ist nicht nur Grund der Bewegung im engeren Sinne, der Ortsbewegung, sondern das Prinzip der Lebendigkeit überhaupt, denn diese besteht darin, "daß etwas IN SICH SELBST, UND der Mangel, DAS NEGATIVE SEINER SELBST, in einer und derselben Rücksicht ist" (L. II., 59; 76). Obgleich die Lebendigkeit durch den Widerspruch definiert ist, ist es nach Hegels ausgearbeiteter Widerspruchstheorie nicht immer so, daß dasselbe Subjekt, das als der Widerspruch zugrunde geht, ihn auch aufzulösen imstande ist. Hegel unterscheidet das Leben des Geistes von dem der Dinge. Im Hinblick auf die Dinge konstatiert er, daß sie den Widerspruch nicht in sich selbst zu halten vermögen und somit an ihm "zurunde gehen". Darin liegt auch die spezifische Endlichkeit der Dinge begründet. Demgegenüber ist das Leben des Geistes dadurch ausgezeichnet, daß es die Kraft ist, den Widerspruch in sich aufzufassen und auszuhalten. An der Differenz zwischen Leben der Dinge und Leben des Geistes schlägt sich somit die wichtige Differenz des negativen und positiven Resultats des Widerspruchs nieder. Der Geist ist der "Grund", der als der aufgelöste Widerspruch den Widerspruch in sich zu enthalten vermag: "[...] der Geist ist nicht jener Widerspruch, welcher das Ding ist, das sich auflöst [...]; sondern er ist schon an ihm selbst der in seine absolute Einheit, nämlich den Begriff, zurückgegangene Widerspruch" (L. II., 122; 147).

Dementsprechend sind für Hegel die verschiedenen Stufen der Erkenntnis fortschreitende Stufen der Auffassung und Beherrschung des Widerspruchs. Das "Vorstellen" (L. II., 60; 77) hat den Widerspruch vor sich, kommt aber nicht zum Bewußtsein desselben. Der Mangel des Vorstellens besteht darin, daß es die selbständigen, aber zusammengehörigen Bestimmungen gegeneinander festhält und nur in eine äußerliche Beziehung setzt: Es vergleicht die jeweiligen Bestimmungen miteinander. Die "GEISTREICHE Reflexion" (L. II., 61; 78) spricht den Widerspruch zwar aus, ohne sich jedoch von ihm einen Begriff zu machen. Erst die "DENKENDE Vernunft" (ebd.) begreift die Bestimmungen einer Sache in ihrem Widerspruch und erfaßt damit "die Negativität, welche die inwohnende Pulsation der Selbstbewegung und Lebendigkeit ist" (ebd.). Die spezifische Differenz zwischen Vernunft oder spekulativem Denken und Verstand oder vorstellendem Denken beruht auf der unterschiedlichen Stellung zum Widerspruch. Während die Vernunft

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den Widerspruch zu beherrschen vermag, wird der Verstand von ihm beherrscht, indem er von einem unaufgelösten Widerspruch zum anderen getrieben wird. Die Aporien, in denen sich der Verstand beständig verstrickt, resultieren nach Hegel gerade aus dessen Ideosynkrasie gegenüber dem Widerspruch, aus dem Versuch also, den Ausschluß des Widerspruchs zum Prinzip zu machen. Aporien sind unmittelbare, nicht reflektierte, für den Verstand unkontrollierbare und unauflösbare Widersprüche unvermittelt nebeneinanderstehender und unmittelbar ineinander umschlagender entgegengesetzter Bestimmungen. Die Kritik der Aporie besteht für Hegel darin, sie auf den ihr zugrundeliegenden notwendigen Widerspruch zurückzuführen, also nicht in der Auflösung jeglicher Widersprüchlichkeit in Widerspruchsfreiheit, sondern in der logischen Fundierung des Widerspruchs in seiner Notwendigkeit, die aus der unmittelbaren, nicht reflektierten Situation der Aporetik des Verstandes eine Vermittlung der unmittelbar ineinander umschlagenden Bestimmungen zustande bringt. Indem so die Vernunft die Verstandesaporie aus dem logischen Vermittlungszusammenhang der Bestimmungen als notwendigen Widerspruch entwickelt, löst sie ihn zugleich auf. Im Begreifen des Widerspruchs als notwendigen löst das spekulative Denken ihn zugleich auf. Die Auflösung des Widerspruchs besteht also allein im Begreifen seiner als Widerspruch. Das spekulative Denken muß daher gegen den obersten Grundsatz der klassischen Logik und Metaphysik, den Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs, beständig verstoßen, ohne jedoch damit wie der Verstand in einen unauflösbaren Widerspruch mit sich selbst verstrickt zu werden. Dieser ständige, vernünftige Verstoß gegen den Satz des Widerspruchs ist es allein, der die wirkliche Beherrschung des Widerspruchs möglich macht und damit ein Denken, das in sich konsistent bleibt. 3. Hegels Lehre vom Widerspruch als Kritik zentraler Paradigmen der traditionellen Metaphysik Hegel glaubte mit seiner Lehre vom Widerspruch sachliche Probleme der traditionellen Metaphysik und Metaphysikkritik lösen zu können. Einerseits knüpft er mit seiner Widerspruchstheorie an Kants frühe Kritik der mechanistischen Kosmologie an. Kants Problem bestand darin, wie trotz der Geltung mechanistischer Erhaltungssätze (Trägheitsgesetz, Impulserhaltungsgesetz) Bewegung im Sinne einer Zustandsveränderung der Welt erklärt werden kann. In seiner Schrift Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Welt-

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Weisheit einzuführen (1763), erklärt er alle Selbstentwicklung in der Welt aus der wechselseitigen Privation real entgegengesetzter Bestimmungen, dessen Resultat gleich Null im Sinne eines nihil privativum ist. Überall, wo etwas vergeht, findet eine Aufhebung infolge einer Privation statt. Wo dagegen etwas aus dem Nullzustand der Welt entsteht, da gibt es auch andere entgegengesetzte Realgründe (Kant, NG, A 51f.). Für Hegel sind es keine positiven, substrathaft gedachten metaphysisch-mechanistischen "Kräfte" mehr, die sich wechselseitig ihrer Folgen berauben, sondern es ist der Widerspruch des Positiven und Negativen, der für die Aufhebung der Bestimmungen der Dinge in Null und für die Selbstbewegung der Dinge verantwortlich ist. Hegels Lehre vom Widerspruch setzt Kants Kritik an der mechanistischen Kosmologie fort bzw. hebt die letzten Reste metaphysisch-mechanistischen Denkens in Kants kosmologischer Spekulation auf. Direkt knüpft Hegel mit seiner Lehre vom Widerspruch an Leibniz' Monadologie an, wie Wolff gezeigt hat (vgl. Wolff (1981), 160ff.). Leibniz' Monadenlehre ist ebenso wie die frühen Entwürfe Kants ein Versuch einer nicht-mechanistischen metaphysischen Kosmologie. Der "Appetitus" oder "Nisus" der Monade, ein Terminus, den Hegel explizit in der Anmerkung 3 zum Widerspruch aufgreift, ist bei Leibniz das spontane "Streben", aufgrund dessen die Monaden von einer "Perzeption" zur anderen gelangen (Leibniz, Monadologie §§ 15, 18; ders., Prinzipien der Natur und Gnade §§ 2, 3). Was bei Leibniz die Monaden sind, sind bei Hegel die "Dinge". Sie unterscheiden sich voneinander wesentlich durch ihre "Perzeptionen" bzw. durch das Streben nach Perzeptionen. Perzeptionen sind - in die Sprache Hegels übersetzt - die den Dingen zukommenden "Bestimmungen". Der Appetitus ist das den Monaden immanente teleologische Prinzip, durch das sie von einer Perzeption zur anderen streben, und das so einen inneren Zusammenhang der Bestimmungen in den Monaden herstellt. Durch ihre Perzeptionen, die sie aktiv hervorbringen, stehen die Monaden in einem universalen Beziehungszusammenhang aufeinander (vgl. Prinzipien der Natur und Gnade § 3). Leibniz' Ontologie enthält so Ansätze zu einer Metaphysik der Relationalität. Die Perzeptionen kommen den Monaden nach dem Prinzip "praedicatum inest subiecto" zu. Es gibt nun zwei Weisen, in denen den Dingen Prädikate zukommen können. Einerseits können sie im Subjekt aufgrund des Satzes vom (ausgeschlossenen) Widerspruch enthalten sein. Sie kommen dann dem Subjekt "analytisch" (Kant) zu. Oder sie kommen dem Subjekt nur faktisch, d.i. kontingent zu. Dieser zweite Modus des Enthaltens von Bestimmungen in den Dingen

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erklärt Leibniz durch das teleologische Prinzip des Appetitus der Monaden, wonach alles, was den Monaden nur faktisch zukommt, ihnen aufgrund des Willens Gottes zukommt, dessen Vollkommenheitsideal des Monaden-Universums das Telos abgibt, auf das der Appetitus der Monaden gerichtet ist. Hegels Lehre vom Widerspruch ist Kritik am Prinzip der Teleologie in Leibniz' Monadenlehre. "Widerspruch" und "Negativität" ersetzen den Appetitus der Monaden. So wie der Monadenappetitus das nicht-analytische Enthalten der Bestimmungen in der Monade herstellt, so ergibt sich für Hegel der innere Zusammenhang zwischen an sich entgegengesetzten, analytisch in den Dingen nicht enthaltenen Bestimmungen und den Dingen nur durch die Beziehung der Negativität, die zwischen den Dingen und den entgegengesetzten Bestimmungen besteht. Die Dinge "enthalten" die entgegengesetzten Bestimmungen genau insofern, als sie sie "ausschließen". Darin besteht der Widerspruch der Dinge und ihrer Bestimmungen. "Die Negativität, die "als der sich aufhebende Widerspruch" aufzufassen ist, ist nach Hegels Meinung diejenige Beziehung, die die Einheit verschiedener, analytisch einander nicht enthaltender Bestimmungen stiftet" (Wolff, (1981), 164), und erweist sich damit als synthetisches Prinzip a priori innerhalb der Wissenschaft der Logik.32 Die Dinge als Grund ihrer Bestimmungen verstehen, ist nach Hegel nichts anderes als sie in ihrem in sich widerspruchsvollen Wesen erfassen. Die traditionelle Metaphysik deutet die Dinge als Grund im Sinne von "Grundlage" oder "Substrat" von Bestimmungen. Sie vergißt, daß der Grund nur im selbstbezüglichen Charakter der Negativität der Dinge besteht. Die Positivität des Substrats läßt sich nicht von der Negativität der Bestimmungen trennen. Die Äußerlichkeit von Substrat und Bestimmungen ist Schein. Einen ersten Schritt in Richtung der Kritik dieser Substratmetaphysik hat Leibniz getan. So wie nach Leibniz der Appetitus der Monade die "Quellen ihrer inneren Handlungen" (Leibniz, Monadologie § 18) ist, so ist für Hegel der Widerspruch das "Prinzip aller Selbstbewegung" (L. II., 59; 76) der Dinge. Nach dem negativen Resultat des Widerspruchs verschwinden die entgegengesetzten Bestimmugen der Dinge und damit diese selbst in die "negative Einheit" (L. II., 62; 79) des Nichts. Der Untergang der Dinge und ihrer entgegengesetzten Bestimmungen führt 32

Für Hösle "bleibt anzuerkennen, daß Hegels Widcrspruchstheorie, so ungewöhnlich sie auf den ersten Blick erscheint, eine originelle Antwort auf jene Frage gibt, die am Anfang des deutschen Idealismus gestanden hat - die Frage nach den synthetischen Sätzen a priori" (Hösle (1988), 210).

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aber nicht nur zum Nichts, in dem Alles ausgelöscht ist, sondern in den Grund als dem aufgelösten Widerspruch der Dinge, aus dem heraus überhaupt erst die Dinge mit ihren entgegengesetzten Bestimmungen zu verstehen sind. Nach seiner positiven Seite ist der Widerspruch also der "Quell" aller Dinge und ihrer Bestimmungen. Die Leistung von Hegels Widerspruchstheorie besteht somit darin, die metaphorische Ausdrucksweise der Leibnizschen Metaphysik ins "Logische" zu übersetzen und diese damit auf ihren rationalen Kern zurückzuführen. Hegels Lehre vom Widerspruch steht im Zentrum seiner Kritik der traditionellen Metaphysik, die ja im wesentlichen Ontotheologie war. In der thomistischen Tradition der Ontotheologie wird Gott als absolute Realität (omnitudo realitatis) gefaßt, in der alle Negativität und Diskursivität ausgeschlossen sein soll und die daher nur ursprünglich angeschaut, nicht aber vom endlichen Erkennen, das auf diskursive Sukzession angewiesen ist, erfaßt werden kann. Diese Denktradition hält sich über Spinoza und Leibniz bis zu Kant durch, der ja die intelligible Welt der Dinge an sich von der raumzeitlichen Dimension der Erscheinungen trennt, in der allein der endliche Verstand angesiedelt ist. Hegels Lehre vom Widerspruch - wie generell seine Theorie vom Wesen - zeigt auf, daß der "INBEGRIFF ALLER REALITÄTEN" (L. II., 61; 78) in der Form einer absoluten, positiven Substanz, von der alle Negativität ausgeschlossen sein soll, in Wahrheit den Unterschied, die Verschiedenheit, den Gegensatz und damit den Widerspruch und seine Negativität enthält, so daß er in Wahrheit als der "absolute Widerspruch mit sich selbst" (ebd.) gesetzt ist. Das metaphysische Verstandesdenken "verwirft diese Konsequenz" (ebd.) in seinem "HORROR" vor dem Widerspruch, "denn es bleibt bei der einseitigen Betrachtung der AUFLÖSUNG des Widerspruchs in NICHTS stehen und erkennt die positive Seite desselben nicht, nach welcher er ABSOLUTE TÄTIGKEIT und absoluter Grund wird" (ebd.). Die Wahrheit über den metaphysischen Substanzkuchen ist das prozessuale Verhältnis der Negativität, die Bewegung von Nichts zu Nichts, welche Bewegungsstruktur aller Realität innewohnt. Das Wesen ist absolute Negativität, die das Übergehen aller Bestimmungen ineinander charakterisiert. Durch diese Bestimmung erhält der Wesensbegriff bei Hegel einen ganz anderen Charakter als in der ontologischen Tradition. Indem Hegel die positive Substanz zur absoluten Negativiät und Reflexion erhebt, bricht er mit der Tradition der thomistischen Ontotheologie, insofern er die diskursive Sukzessivität des Denkens zum Absoluten selbst erklärt. Er kommt dadurch zur

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Konzeption einer Metaphysik, die die Bewegung der Bestimmungen zur "Sache selbst" erhebt und nicht als approximative Annäherung des endlichen Bewußtseins an eine außerhalb vorgegebene, letztlich aber für es unerreichbare positive, absolute Wahrheit begreift -, einer Metaphysik absoluter Relationalität. 4. Der Satz des Grundes 1. Versucht man sich der Kategorie des Grundes von der Alltagssprache her zu nähern, so stößt man zunächst auf die Begriffspaare Grund - Folge und Grund - Begründetes. Diese Begriffspaare werden vor allem im Kontext von Begründungen gebraucht. Bestimmt sich hier die Folge als die Sukzession einer logischen Ableitung, dann muß der Grund als etwas bestimmt werden, aus dem sich etwas herleiten läßt. In dieser Verwendung gehört der Grund immer der ideellen Sphäre an. Gründe sind dann Sätze oder Prämissen. Diese Bestimmung des Grundes als Prämissen findet sich bereits bei Aristoteles. In diesem Verständnis der Kategorie des Grundes hat der Grund den Sinn von ratio, nicht aber den von realer "Grundlage". Manche philosophische Position macht sich für die Verwendung des Grundes in diesem Sinne stark, etwa die Schellings. Für den Schelling der Freiheitsschrift hat der Grund primär die Bedeutung von "Grundlage", "Basis", "Unterlage" (griech. hypokeimenon) und nicht den Sinn von ratio, des logischen Grundes mit seinem GegenbegrifF der logischen Folge (Schelling (1809), 357ff.). Die Bestimmung des Grundes als reales Substrat hat zwar auch in Hegels Logik ihren Stellenwert, doch primär versteht Hegel den Grund im Sinne von ratio. In der wesenslogischen Behandlung der Kategorie des Grundes ist von großer Bedeutung, daß der logische Grund nicht seinslogisch bestimmt werden kann. Ein Grund kann nie etwas Unmittelbares sein, ist also nicht empirisch erfaßbar, sondern eine Bestimmung der Reflexion: "Wenn wir nach den Gründen der Dinge fragen, so ist dies überhaupt der bereits früher (§ 120 Zusatz) erwähnte Standpunkt der Reflexion; wir wollen die Sache dann gleichsam doppelt sehen, einmal in ihrer Unmittelbarkeit und zweitens in ihrem Grunde, wo sie nicht mehr unmittelbar ist" (Enz. § 121 Zus.).

Da in die klassische Axiomatik auch der Satz des Grundes gehört und Hegel bereits im Widerspruch-Abschnitt des Kapitels über die

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Reflexionsbestimmungen die Kategorie des Grundes im Ansatz entwickelt hat, soll an dieser Stelle Hegels Interpretation des von Leibniz aufgestellten Satzes vom Grund (vgl. Leibniz, Monadologie § 32; ders., Prinzipien der Natur und Gnade § 7f.) näher betrachtet werden, obgleich Hegel diesen Satz erst in der Anmerkung zum "Proömium" des Grund-Kapitels behandelt. Die traditionelle metaphysische Logik hat die Kategorie des Grundes wie alle anderen Reflexionsbestimmungen in einem Satz formuliert: "ALLES HAT SEINEN ZUREICHENDEN GRUND" (L. II., 65; 82). Hegel sieht die generelle Bedeutung dieses Satzes in seiner ontologiekritischen Funktion, daß das, "was IST, [...] nicht als SEIENDES Unmittelbares, sondern als GESETZTES zu betrachten" (ebd.) ist. Der Satz des Grundes spricht die "Wesentlichkeit der Reflexion-in-sich gegen das bloße Sein" aus (L. II., 65; 82f). Die Wahrheit des Wesens oder der Reflexion über das Sein wird also in diesem Satz ausdrücklich konstatiert. - Es ist für Hegel "überflüssig" (ebd.) zu erwähnen, daß der Grund "ZUREICHEND" (ebd.) sein muß, d.h. vollständig das enthalten muß, was er begründet, weil sonst das Begründete nicht notwendig ist, also kein Begründetes ist. 2. Der Grund als eigenständige Kategorie der Philosophie ist relativ jung. Er verdankt seine Selbständigkeit Leibniz. Zuvor war er in unreflektierter Weise weitgehend identisch mit der Kategorie "Ursache" verwendet worden. In nichtlogischem Sinne war er in der Mystik als Ausdruck der Tiefe und Innerlichkeit von Bedeutung (vgl. Bendszeit (1974), 902ff.). Der Grund als eigenständige logische Kategorie neben der Ursache findet sich zum erstenmal bei Leibniz (ebd., 906). Was verstand Leibniz nun unter der Kategorie des Grundes? Eine Annäherung bringt das Wort, welches sich in den Französisch geschriebenen Originaltexten findet. Leibniz spricht dort von "raison" als Grund im Gegensatz zu "cause" als Ursache. "Raison" muß hier nicht immer als Vernunft übersetzt werden, angesprochen ist vielmehr eine zweite Bedeutungsdimension dieses Wortes, welches sich im Deutschen am besten mit dem Wort "Verhältnis" bezeichnen läßt. Das romanische Wort für Grund verweist also nicht auf Sachen oder Substrate, sondern auf Verhältnisse und Relationen. Leibniz führt diesen eigenständigen Begriff ein, weil der zuvor bedeutungsgleich gebrauchte Begriff der Ursache ganz von den mechanistischen Theorien seiner Zeit belegt worden war. Mit dem Grund als Kategorie sind bei Leibniz somit Verhältnisse angesprochen, die sich gerade nicht in den mechanistischen Kausalitätsverhältnissen erschöpfen (vgl. Leibniz,

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Prinzipien der Natur und Gnade § 11). Ganz in dieser Tradition führt auch Hegel ihn gegen das mechanistische Denken ins Feld. An Leibniz knüpft im 18. Jahrhundert eine Tradition an, in welcher der Satz des Grundes ein zentraler Diskussionsgegenstand war. Gestritten wurde darüber, ob dieser Satz gleiche Würdigkeit wie der Satz der Identität und der Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs haben sollte (vgl. Kant, ND). Hegel nimmt auch diese Linie in der Wissenschaft der Logik auf. Das Verhältnis des Grundes zu den anderen Reflexionsbestimmungen ist zentrales Thema des "Proömiums" des Grund-Kapitels: Hegel spricht sich für eine Vorrangstellung des Grundes gegenüber den anderen Reflexionsbestimmungen aus. Er bestimmt ihn als die letzte Reflexionsbestimmung: "Der GRUND ist daher selbst EINE DER REFLEXIONSBESTIMMUNGEN des Wesens, aber die letzte, vielmehr nur die Bestimmung, daß sie aufgehobene Bestimmung ist" (L. II., 63; 80).

Die "zugrunde gegangene Bestimmung" aber ist die "wahrhafte Bestimmung des Wesens" (ebd.). Der Satz vom Grund geht unmittelbar aus der Reflexionsbestimmung des Widerspruchs, des zentralen Kettenglieds des Systems der Reflexionsbestimmungen, als deren Einheit hervor. Er nimmt als Grundsatz den übrigen Axiomen gegenüber eine ausgezeichnete Stellung ein, denn die Bedeutung dieses Satzes erschöpft sich nicht im Rahmen der traditionellen formalen Logik. Nach Hegels Deutung ist der Satz des Grundes nicht nur ein formallogischer Satz, sondern ein Prinzip der objektiven Logik, d.h., es kommt ihm eine Bedeutung zu, die über den Bereich der formalen Logik hinausgeht.33 Neben der Schulmetaphysik bauten zwei philosophische Traditionen auf Leibniz auf, die auch heute noch von Bedeutung sind. Die eine ist die transzendentalphilosophische Tradition mit ihren herausragenden Vertretern Kant und Fichte. Auch Schopenhauer gehört dieser Linie an, der ja in wesentlichen Teilen an die Kantische Philosophie anknüpft. Für die Transzendentalphilosophie ist der Grund als subjektive Kategorie ein apriorisches Verknüpfungsprinzip, welches den Zusammenhang unserer Erkenntnis in einer Einheit garantieren soll. Besonders deutlich kommt dies bei Schopenhauer in dem gleichzeitig mit der Wesenslogik veröffentlichten Werk Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde zum Ausdruck. Der Grund wird hier als transzendentales Prinzip bestimmt, welches 33

Die Behandlung des Denkgesetzes vom zureichenden Grund in der formalen Logik untersucht Hegel kritisch in: Enz. § 121 Zus.

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die Einheit des Bewußtseins begründet und Voraussetzung der spezielleren Kategorien wie Ursache und Wirkung ist.34 Die zweite Linie führt über Schelling zu Hegel. Bei beiden ist der Grund mehr als eine subjektive Kategorie. Schelling faßt in der Freiheitsschrift den Grund objektiv als Grundlage jeder Existenz im Sinne von Fundament und Basis des eigentlich Existierenden auf. Neben dieser neueren Philosophiegeschichte der Kategorie des Grundes steht die wesentlich ältere, in der noch nicht zwischen Ursache und Grund unterschieden wurde. Sie geht auf Aristoteles zurück (Aristoteles, Met, 1.3, 983a 24-b 6; ders., Physik, II. 3,7). Von den vier Arten von Ursachen/Gründen, die sich bei ihm finden, nämlich 1. Stoffursache, 2. Formursache, 3. Wirkursache und 4. Zweckursache, nimmt Hegel nur die ersten drei in der Wesenslogik auf. Es ist dies ein Indiz dafür, daß Hegel eine abschließende Behandlung der Kategorie des Grundes auf der Ebene der Wesenslogik für nicht möglich hält (vgl. L. II., 66; 83). 3. Im zweiten Teil der Anmerkung geht Hegel dazu über, die Bedeutung zu explizieren, die der Satz des Grundes in der Leibnizschen Philosophie hat. Leibniz hat "das Prinzip des zureichenden Grundes [...] zum Grundsatz seiner ganzen Philosophie gemacht" (L. II., 65; 83) und ihm damit "einen tieferen Sinn" als gewöhnlich in der formalen Logik gegeben. Was sieht Hegel als das Entscheidende dieser Kategorie bei Leibniz an? "Leibniz aber stellte das ZUREICHENDE des Grundes vornehmlich der Kausalität in ihrem strengen Sinne, als der mechanischen Wirkungsweise, entgegen" (ebd.).

Die Kausalität war in der Naturwissenschaft und Metaphysik des 17. Jahrhunderts das Prinzip der mechanistischen Erklärungsweise. Mit der Kategorie des Grundes, so hebt Hegel hervor, will Leibniz eine Kategorie von Verhältnissen einführen, welche nicht auf das kausale Erklärungsmuster festgelegt ist. "Indem diese [die Kausalität, d.V.l eine äußerliche, ihrem Inhalte nach auf EINE Bestimmtheit beschränkte Tätigkeit überhaupt ist, so treten die durch sie gesetzten Bestimmungen ÄUSSERLICH und ZUFÄLLIG in 34

Im Satz des Grundes sieht Schopenhauer die gemeinschaftliche Bezeichnung für die verschiedenen Gesetze des Erkenntnisvermögens, d.h. "für alle uns a priori bewußten Formen des Objekts", so daß "alles, was wir rein a priori wissen, nichts ist als eben der Inhalt jenes Satzes und was aus diesem folgt, in ihm eigentlich unsere ganze a priori gewisse Erkenntnis angesprochen ist" (Schopenhauer, Werke III, 36, 40, 107, 406 ; Werke I, 36).

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eine VERBINDUNG; die Teilbestimmungen werden durch ihre Ursachen begriffen; aber die BEZIEHUNG derselben, welche das Wesentliche einer Existenz ausmacht, ist nicht in den Ursachen des Mechanismus enthalten" (L. II., 65f.; 83).

Hegel beschreibt hier präzise die Leibnizsche Kritik der kausalmechanistischen Welterklärung und deutet sie zugleich in seinem Sinne einer Metaphysik der Relationalität um. Die Kausalität kann immer nur einzelne Bestimmungen einer Sache in eine äußerliche und zufällige "VERBINDUNG" bringen. Sie kann zwar alle Einzelmomente in ihrer Notwendigkeit nacheinander kausal darlegen, nicht aber in ihrer Gesamtheit begreifen. Die Gesamtheit der Bestimmungen, die als einzelne notwendig sind, ist zufällig. Die Ursachen sind nicht Ursachen ihrer Einheit. Der Verstand, dessen Prinzip auch nach Kants Kritik der reinen Vernunft die Kausalität ist, kann nur die "Teilbestimmungen" durch ihre Ursachen, nicht aber ihre "BEZIEHUNG", die das Wesentliche ist, erfassen. Das Unzureichende dieser Form der Erklärung zeigt sich spätestens beim "Organismus", der schlechterdings unmöglich als ein Aggregat, als zusammengesetzt aus "gegebenen" Elementen, zu verstehen ist, - ein Mangel, den Kant in der Kritik der Urteilskraft zwar bemerkt, nicht aber wirklich zu lösen in der Lage ist.35 Im Rahmen der Kritik an der mechanistischen Metaphysik kommt es zur Einführung der Grundkategorie, mit der in anderer Weise "BEZIEHUNG" gedacht werden soll. Leibniz hat mit dem Grund eine Kategorie gefunden, die auch für die Einheit der Teilbestimmungen als Grund zureicht. Die Grundbestimmung, die Hegel von Leibniz aufnimmt, enthält eine ganz neue Idee von Beziehung als Synthesis. Die synthetische Einheit der Beziehung des Grundes ist für Hegel nicht Zusammen35

Schon in Glauben und Wissen kritisiert Hegel Kants Bestimmung der Zweckmäßigkeit im Organismus als eines bloßen Als-Ob-Prinzips (Werke 2, 326ff.). Hegel sieht zwar in Kants Philosophie des Organismus einen Durchbruch zur Erfassung des Idee des Absoluten, verwirft aber Kants subjcktivistische Wendung, wonach der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur nur ein subjektiver Grundsatz für die reflektierende Urteilskraft sei (Kant, K.d.U., B 333, A 329): "So wie die wahrhaft spekulative Seite der Philosophie Kants allein darin bestehen kann, daß die Idee so bestimmt gedacht und ausgesprochen worden ist, und wie es allein interessant ist, dieser Seite seiner Philosophie nachzugehen, so viel härter ist es, das Vernünftige nicht etwa nur wieder verwirrt, sondern mit vollem Bewußtsein die höchste Idee verderbt und die Reflexion und endliches Erkennen über sie erhoben werden zu sehen" (Werke 2, 328). Die Enzyklopädie § 57f. nimmt diese Kritik an Kants Organismustheorie wieder auf.

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Setzung von zuvor "gegebenen" verschiedenen Elementen. Sie ist nichts Mechanisches, sondern eine Zusammensetzung, wie sie im Organismus vorliegt als Beziehung einer synthetischen Einheit, die sich von sich selbst unterscheidet und sich in ihren unterschiedenen Momenten auf sich selbst bezieht. Vor dem Hintergrund dieser neuen Idee von Beziehung als synthetischer Einheit läßt sich Hegels Programm verstehen, die traditionelle Substanzmetaphysik in eine Metaphysik reiner Relationalität aufzuheben, die imstande ist, die Totalität dessen, was ist, in konsistenter Weise zu erfassen. Die Kategorien des Organismus und der Totalität und ihre Probleme zeigen deutlich, daß der neue Gedanke des Grundes auf der Ebene der Wesenslogik gar nicht restlos geklärt werden kann. Die begriffliche Grundlage der Totalität als einer organischen Einheit die Zweckkategorie - wird erst in der Begriffslogik erreicht. Erst dort wird die mechanistische und chemistische Welterklärung definitiv von der Metaphysik reiner Relationalität abgelöst, die Hegel in der Wesenslogik entwickelt. Und so wird in der Begriffslogik die in der Wesenslogik begründete Metaphysik absoluter Relationalität zur konkreten Weltinterpretation.

Literaturverzeichnis Das Literaturverzeichnis umfaßt ausschließlich Titel, auf die in der vorliegenden Untersuchung ausdrücklich Bezug genommen wird. Die Literatur ist nach zwei Gesichtspunkten geordnet: In I sind die mit Sigeln versehenen Werke Hegels, in II die Schriften anderer Philosophen und die benutzte Sekundärliteratur aufgeführt. I. Werke Hegels G.W. F. HEGEL: Werke: Hegel-Werkausgabe in 20 Bänden, hrsg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel. Frankfurt^: Suhrkamp, 1969ff. L: Wissenschaft der Logik I (Erster Teil: Die Lehre vom Sein) und II (Zweiter Teil: Die Lehre vom Wesen und vom Begriff) A: Hrsg. G. Lassen. Hamburg: Meiner, 1932/34. B: Werke 5 und 6. L (A): Wissenschaft der Logik, erster Band, erstes Buch: Das Sein. Faksimiledruck nach der Erstausgabe von 1812. Hrsg. W. Wieland, Göttingen 1966. JL: Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie. Hrsg. G. Lassen. Hamburg: Meiner 1967. Phän: Phänomenologie des Geistes (1807). A: Hrsg. J. Hoffmeister. Hamburg: Meiner, 1952. B: Werke 3. Rph: Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821). Werke 7 (zit. nach Paragraphen, Anmferkungen] und Zusfätzen], letztere redigiert von Gans). Enz: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Werke 8-10 (zit. nach Paragraphen, Anm[erkungen] und Zus[ätzen], letztere redigiert von Henning, Michelet, Boumann).

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Literaturverzeichnis

//. Werke anderer Philosophen und Sekundärliteratur ADORNO, THEODOR W. (1963): Drei Studien zu Hegel. Frankfurt/M. ders., (1973): Negative Dialektik. Frankfurt/M. ANGEHEN, EMIL (1977): Freiheit und System bei Hegel. Berlin. ARISTOTELES (Met.): Metaphysik. Übersetzt von H. Bonitz, hrsg. von Horst Seidl. Hamburg 1978/80. ders., (Kat.): Kategorien, Lehre vom Satz (Organon I/II). Übersetzt von E. Rolfes. Hamburg 1974. ders., (Physik): Physikvorlesungen, hrsg. von Paul Gohlke. Paderborn 1975. ders., (Top.): Topik. Übersetzt von E. Rolfes, Hamburg 1968. BENDSZEIT, K. (1974): Stichwort "Grund", in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. III, hrsg. von Joachim Ritter, Darmstadt. Spalten 902-910. DÜSING, Klaus (1969): Spekulation und Reflexion, in: Hegel-Studien, Bd. 5, Bonn, S. 95-128. ders., (1976): Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik. In: Hegel-Studien. Beiheft 15. ders., (1980): Ontologie und Dialektik bei Platon und Hegel. In: Hegel-Studien 15, S. 95-150. FICHTE, JOHANN GOTTLIEB (1794): Grundlagen der gesamten Wissenschaftslehre. Zit. nach der Ausgabe I.H. Fichtes, Berlin 1845/ 1846 (Nachdruck Berlin 1971), Bd. I S. 83-328. ders., (1794a): Über den Begriff der Wissenschaftslehre. Zit nach der Ausgabe I.H. Fichtes, Berlin 1845/1846 (Nachdruck Berlin 1971), Bd. I S. 27-81. ders., (1797): Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre. Zit. nach der Ausgabe I.H. Fichtes, Berlin 1845/1846 (Nachdruck Berlin 1971), Bd. I S. 451-518. ders., (1797a): Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Zit. nach der Ausgabe I.H. Fichtes, Berlin 1845/1846 (Nachdruck Berlin 1971), Bd. I S. 519-534.

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Personenregister ADORNO, . W. 128, 129, 331, 332, 502

FRANK, M. 140, 154, 155, 159, 188

ANAXAGORAS 10 ANGEHRN, E. VII, 207 ANTONIUS ANDREAS 272 APELLES 95

FREUD, S. 4 FULDA, H. F. 225 GADAMER, H.-G. VI GOETHE, J.W.v. 373

ARISTOTELES 9, 11, 14, 141, 205, 218, 245, 247, 250, 253256, 256, 261, 263, 272, 278, 279, 294, 315, 347, 367, 371, 374, 393, 435, 452, 502, 505, 513,516 BARDILI, G.G. 5,7 BENDSZEIT, K. 514 BENJAMIN, W. 129 CANTOR, G. 506 CRUSIUS, C.A. 401 DESCARTES, R. 3 DÜSING, K. 56, 138, 183, 206 EUKLID 254 FEUERBACH 4 FICHTE, J.G. 1-5, 7 , 1 l , 13, 14, 80, 81, 119, 135-138, 142, 143, 169, 198, 205, 218, 222, 245, 246, 249, 273, 276, 295, 308, 439, 440, 450, 515 FINK-EITEL, H. 234, 300, 331, 342, 344, 347, 357

GÜNTHER, G. 4, 136, 264-266, 270, 283, 308, 438

FLACH, W. 223,488

HABERMAS, J. l, 4 HEIDEGGER, M. 4,254, 272 HENRICH, D. V, VI, 9, 10, 16, 2l, 27, 28, 34, 41, 44, 58, 72, 73, 83, 84, 88, 91, 97, 129, 131, 133, 136, 137, 145, 154, 162, 166, 173, 185-187, 207, 209, 220, 222, 227, 229, 286, 287, 295, 329, 335

HERAKLIT 116, 502 HÖLDERLIN, F. 3 HÖSLE, V. VII, 4, 8, 10, 15, 243, 246,247,449,480,511 HÜBENER, W. 220,226 ILTING, K.-H. 273 JACOBI, F.H. 5, 7, 245, 247, 439 JAESCHKE, W. 222, 323

133, 135, 138,

KANT, I. VI, 1-5, 5, 7, 11, 13, 62, 80, 81, 136, 191, 198, 205, 218-220, 244-247, 250,

528

Personenregister

251, 254, 273, 282, 347, 352, 355, 360, 363-365, 374-378, 382, 400, 401-403, 414, 423, 425, 430, 435, 448, 451-453, 465, 466, 480, 502, 504, 506, 509, 510, 515, 517

KESSELRING,

. VII, 34, 138,

176, 224, 248, 249, 280, 350, 440, 463, 483, 501

KIERKEGAARD, S. 4,129 KLÜGEL, G.S. 428 KRONER, R. 223 LEIBNIZ, G.W. 5, 10, 80, 8l, 146, 205, 218, 221, 250, 252, 254, 273, 362-365, 367, 424, 510-512, 514-517 MARX, K. 80, 207, 222, 490, 493, 494 MCTAGGART, J. u. E. 4, 287, 331

MENNE, A. 380 MESCHKOWSKI, H. 482 MUCK, 0. 272 NEWTON, I. 401 NIETZSCHE, F. 4 PARMENIDES 32, 33, 34, 36, 115,146,220,271,293,448 PATZIG, G. 449 PLATON 11, 6l, 70, 85, 96,14l, 206,218,220,223,273 PLOTIN 327, 334 POPPER, KR. 449 PROKLOS 334 PYRRHON 95 QUINE.W.V.O. 344

REINHOLD, K.L. 5, 7 REISINGER, P. 119,134,295 RICKERT, H. 223 RÖTTGES, H. 321 ROHS, P. V, 468,493

ROSENKRANZ, K, 14 RÜSSEL, B. 506 SCHELLING, F.W.J. 2-4, 11, 12, 14, 22, 30, 32-36, 41, 44, 51, 56, 60, 100, 138-143, 146, 154, 169, 176, 246, 249, 266, 273, 288, 293, 294, 302, 304, 308, 327, 334, 367, 368, 480, 513, 516

SCHMITZ, H. 224 SCHOPENHAUER, A. 4,515, 516 SCHUBERT, A. v, 4, 7, 29, 3l, 34, 44, 48, 56, 63, 89, 97, 106, 120, 126, 128-130, 133, 134, 137, 139, 141, 149, 152, 160, 204, 242, 244, 261, 271, 279, 295, 298, 303, 320, 321, 325, 326, 361, 380, 396, 402, 413, 422, 480, 503

SCHULZ, W. 4 SCHULZE, G.E. 63 SIMON, J. 129 SPINOZA, B. 5, 94, 205, 218, 222, 223, 226, 396 THEUNISSEN, M. VII, 4, 7, 2l, 29, 31, 34, 62, 63, 80, 86, 90, 97, 115, 128, 129, 131, 137, 149, 172, 209, 223, 275, 395, 398, 447, 465

THOMAS v. AQUIN 28, 512 TUGENDHAT, E. 261

Personenregister

VIASTOS, G. 505

529

WOLFF, M. 263, 270, 282, 315,

WAGNER, H. 439 WETZEL, M. 133, 134, 295

372 376 379 382

WILDT, A. 439, 440 WITTGENSTEIN, L. 465

438, 451, 452, 464, 494, 505507, 511

WOHLFAHRT, G. 176 WOLFF, CHR. 5,221,273,424

' · ' > 394> 401> 404, 406, 410, 411, 417, 422,

ZENON

505

MICHAEL T H E U N I S S E N

Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat Groß-Oktav. XIV, 459 Seiten. 1970. Ganzleinen DM 68,ISBN 3110063530 Im Horizont der Tradition, die von Spinozas Tractatus theologico-politicus bis zu Benjamins Theologisch-politischem Fragment verläuft, zeigt sich am Denken Hegels, was die Scheidung der Schule in eine Rechte und eine Linke verdeckt hat: die Abhängigkeit des leitenden Begriffs der Philosophie als einer reinen und doch praktisch-engagierten Theorie von ihrer Selbsteinordnung in den Prozeß der subjektiven Realisation objektiver Versöhnung.

EMIL A N G E H R N

Freiheit und System bei Hegel Groß-Oktav. XII, 490 Seiten. 1977. Ganzleinen DM 165,ISBN 3 11 006969 5 Die Hegeische Philosophie wird als Theorie der Freiheit interpretiert. Gegenstand der Untersuchung sind die Wissenschaft der Logik, die Rechtsphilosophie und die Theorie des absoluten Geistes.

ANDRIES SARLEMIJN

Hegelsche Dialektik Groß-Oktav. X, 206 Seiten. 1971. Ganzleinen DM 79,ISBN311001839X Analyse der logisch-philosophischen Voraussetzungen der Dialektik Hegels, ihrer historischen Quellen und ihres Wesens. Der Unterschied zwischen Analytik und Dialektik wird aufgezeigt, das Widerspruchsproblem gelöst.

Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

W DE

G

Berlin · New York

Die ontologische Option Studien zu Hegels Propädeutik, Schellings Hegel-Kritik und Hegels Phänomenologie des Geistes Herausgegeben von Klaus Hartmann Mit Beiträgen von Friedhelm Schneider, Klaus Brinkmann und Michael Aschenberg Groß-Oktav. VIII, 312 Seiten. 1976. Ganzleinen DM 101,- ISBN 3 11 006813 3 Sammlung von drei Monographien zur Hegeischen Philosophie. Für die Bereiche der Ethik, der Metaphysik und der Erkenntnistheorie hebt die Analyse der behandelten Werke Hegels Position als die einer kategorischen Ontotogie heraus. H E R M A N N DRÜE

Psychologie aus dem Begriff Hegels Persönlichkeitstheorie Groß-Oktav. XII, 392 Seiten. 1976. Ganzleinen DM 165,- ISBN 3 11 0046032 Untersuchung der idealistischen Konzeption einer begrifflichen Psychologie und Persönlichkeitstheorie. Analyse der gedanklichen Entwicklung der Person bei Hegel unter Einschluß der „Begriffe" des Lebens, des Ich, des Individuums, des Menschen und der Seele. Kritik an Hegels Entw"ürf aus der Sicht der erfahrungswissenschaftlichen Psychologie. — Eingefügt eine psychopathologische Untersuchung Hegels.

JOACHIM RINGLEBEN

Hegels Theorie der Sünde Die subjektivitäts-logische Konstruktion eines theologischen Begriffs Oktav. 300 Seiten. 1970. Ganzleinen DM 98,ISBN 3 11 006650 5 (Theologische Bibliothek Töpelmann, Band 31) Hegels subjektivitätstheoretische Rezeption wird dargestellt im Ausgang von Gen. 3 und in den Beiträgen von Selbstbewußtsein, Gottesidee und Versöhnungsgedanke, Pantheismusproblem und Freiheitsbegriff. Die Hegelkritik von Kierkegaard, Tholuck, J. Müller u.a. wird ausführlich diskutiert. Preisänderungen vorbehalten

W Walter de Gruyter

DE

G

Berlin · New York