Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch 9783666538483, 3525538480, 9783525538487


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Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch
 9783666538483, 3525538480, 9783525538487

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V&R

BRIGITTE SEIFERT

Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 166. Heft der ganzen Reihe

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufoahme Seifert, Brigitte: Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch / Brigitte Seifert. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1996 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 166) ISBN 3-525-53848-0 NE: GT

© 1996 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Text & Form, Pohle. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.

Vorwort

Das Leitmotiv der vorliegenden Arbeit ist die Frage, wie wir mit menschlichen Worten angemessen von Gott reden können. Ein Thema, das normalerweise seinen O r t in der Systematischen und Praktischen Theologie hat, wird hier bewußt mit der exegetischen Arbeit am Alten Testament, speziell dem Hoseabuch, verbunden. Die Anregung für diese Themenstellung erwuchs aus einer Erfahrung, die mir der Dienst als Pastorin in kleinen Landgemeinden der Mark Brandenburg brachte: Metaphern scheinen besonders gut geeignet zu sein, die Botschaft von Gott für Menschen verstehbar zu machen; die biblischen Autoren selbst bedienen sich dieses sprachlichen Mittels allenthalben. Das Hoseabuch mit seinen verschiedenartigen Gottesmetaphern ist nur ein Beispiel hierfür. Die Exegese soll demonstrieren, wie die Metaphern im Text funktionieren und wie sie der Verkündigung des Propheten dienen. Dazu ist es nötig, sich vorher mit sprachphilosophischen und systematisch-theologischen Problemen metaphorischer Rede von Gott auseinanderzusetzen. In der jüngeren alttestamentlichen Forschung fand das Hoseabuch vielfach Beachtung, jedoch unter anderen Aspekten: NISSINEN und YEE untersuchen seine Redaktionsgeschichte, EMMERSON und NAUMANN speziell die Nachinterpretationen. DANIELS und NEEF interessieren sich für die Heilsverkündigung Hoseas und die entsprechenden Geschichtstraditionen, UTZSCHNEIDER für die Institutionen, die das Leben Israels zu jener Zeit prägten. BALZ-COCHOIS, WACKER u.a. repräsentieren die Perspektive feministischer Theologie, KINET arbeitet religionsgeschichtliches Vergleichsmaterial auf. Nicht zuletzt spielt Hosea eine wichtige Rolle in der sog. M o n o theismus-Debatte. Alle diese Themen werden in dieser Arbeit nur berührt, nicht ausführlich diskutiert. Vielmehr richtet sich das Augenmerk auf die sprachlichen Mittel, die der Prophet für geeignet hält, um seine Botschaft von J H W H dem Volk nahezubringen. Die Konfrontation alttestamentlich-exegetischer Arbeit mit systematischtheologischen Problemen mag ungewöhnlich sein, und manch andere Fragestellung kommt darüber zu kurz. Ich halte diese Konfrontation dennoch für notwendig. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. KÖCKERT, dem Betreuer dieser Arbeit. Vor allem die Gespräche mit ihm und seine kritischen Rückfragen halfen mir, Einsichten zu gewinnen, die eigene Position zu hinterfragen

6

Vorwort

und unter Berücksichtigung bisher vernachlässigter Aspekte neu zu beschreiben. Bei der Arbeit am I. Teil (Theorie der Metapher) waren mir Henrick und Claudia P F E I F F E R engagierte Gesprächspartner, denen ich auf diesem Wege herzlich danke. Den Studierenden der Frauenmission Malche, die mir beim Korrekturlesen und bei der Fertigstellung des Manuskriptes behilflich waren, sei ebenfalls herzlich gedankt. Bad Freienwalde, im Mai 1993

Inhalt

Erster Hauptteil: Zur Theorie der Metapher 1.

Allgemeine Metapherntheorie

11

1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3.

Der klassische Metaphernbegriff Die Aristotelische Definition der Metapher Die Tradition der Rhetorik Die gegenwärtige Diskussion um die Metapher und deren traditionelle Bewertung

11 11 12 14

1.2. Ansätze für eine neue Metaphorologie 1.2.1. Die Metapher als semantisches Phänomen 1.2.1.1. Monroe C. BEARDSLEY (1962) 1.2.1.2. Harald W E I N R I C H 1.2.1.3. Cornelia STOFFER-HEIBEL ( 1 9 8 1 ) 1 . 2 . 1 . 4 . Anders Jorgen BJORNDALEN ( 1 9 8 6 ) 1.2.2. Die Metapher als Phänomen der Spannung 1 . 2 . 2 . 1 . Paul RICOEUR 1.2.2.2. Matthias KRIEG 1.2.3. Die Metapher als Phänomen der Interaktion 1 . 2 . 3 . 1 . Ivor Armstrong RICHARDS 1.2.3.2. Max BLACK 1.2.4. Metaphorik als Grundstruktur der Sprache 1.2.4.1. Eberhard JÜNGEL 1.2.4.2. Diskussion 1.2.4.3. Metaphorische Grundstruktur der Sprache? 1.2.5. Schlußfolgerungen

41 45 45 50 54 57

2.

Zur Theorie der theologischen Metapher

60

2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4.

Terminologische Unterscheidungen Metapher und theologischer Begriff Metapher und Vergleich Metapher - Allegorie - Symbol Metaphern und Anthropomorphismen

60 60 61 62 64

2.2. Metapher und Analogie 2.2.1. Die Metapher als analogia proportionalitatis

19 19 19 21 25 28

33 33

37 40 40

66 67

8

Inhalt

2.2.2. Die Metapher im Unterschied zur mathematischen Proportion 2.2.2.1. Vertauschbarkeit und Umkehrbarkeit einzelner Glieder 2.2.2.2. Die Bedeutung des Relationengefiiges für die Relata 2.2.2.3. Identität oder Ähnlichkeit der Verhältnisse 2.2.3. Zusammenfassung

70 70 71 72 75

2.3. Gottesmetapher und Offenbarung 2.3.1. Zur Frage nach der Referenz von Metaphern 2.3.2 „Analogie und Doxologie" 2.3.2.1. Wolfhart Pannenberg 2.3.2.2. Diskussion 2.3.3. „Analogie des Advent" 2.3.3.1. Eberhard Jüngel 2.3.3.2. Diskussion 2.3.4. Problemanzeige: Hoseas Gottesmetaphern und ihre Voraussetzung

75 75 77 77 79 80 80 81 85

Zweiter Hauptteil: Exegesen Einführung 1. Zugrundegelegtes Metaphernverständnis 2. Ubersicht über die Textstellen 1. Betrogene Liebe 1.1. Israel als untreue Ehefrau und Geliebte 1.1.1. Hos 2,4-17 1.1.1.1. Der Text 1.1.1.2. Zur literarischen Komposition von Hos 2,4-17 1.1.1.3. Zu Einzelheiten der Auslegung 1.1.1.4. Zusammenfassung: Hos 2,4—17 als Gottesmetapher 1.1.2. Hos 2,18-25

87 87 87 92 92 92 92 94 98 113 114

1.2. Hoseas Ehe als Zeichen 119 1.2.1. Hos l,2b+3a 122 1.2.2. Hos 3,1-5 126 1.2.2.1. Der Text 126 1.2.2.2. Beobachtungen zur Redaktionsgeschichte und Literarkritik . 127 1.2.2.3. Die Struktur der Zeichenhandlung 129 1.2.2.4. Einzelexegese 130 1.2.3. Ergebnisse: Hoseas Ehe - JHWHs „Ehe" 135 1.3. 1.3.1. 1.3.2. 1.3.3.

„Hurerei" in Hos 4 - 1 4 Hos 4, 11-14 Hos 5,3+4 Hos 9,1-6

138 138 142 144

Inhalt 2. 2.1.

9 149

2.1.4.

Drohendes Verderben Der verworfene Arzt und die Ursache des Elends (Hos 5,12-14 in seinem Kontext) Der Text: Hos 5,8 - 6,6 Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund Hos 5,12-14 im einzelnen 2.1.3.1. Die formale Struktur des Spruches 2.1.3.2. Eiter und Knochenfraß (V12) 2.1.3.3. Reißender Löwe (VI4) Nachklänge in Hos 5,15-6,6

2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3.

Die dumme Taube und der Vogelsteller (Hos 7, 11-12) Der Text Der Spruch im Rahmen der Komposition Die Metaphern in Hos 7,11-12

164 164 165 167

2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5.

Der Hirte wird zum Raubtier (Hos 13,4-8) Der Text Kontext und geschichtliche Situation Der geschichtliche Gott im Gegensatz zu den toten Statuen JHWH als Hirte Tödliche Gottvergessenheit

170 170 171 171 174 178

2.4.

Zusammenfassung: Metaphern des Verderbens

181

3. 3.1. 3.1.1. 3.1.2.

Erfahrene Fürsorge Der Text: Hos 11,1-7 Übersetzung und Textkritik Formale und literarkritische Aspekte

183 183 183 187

2.1.1. 2.1.2. 2.1.3.

149 149 151 155 155 157 158 160

3.2. Spezifische Problemstellungen und Themen 3.2.1. •jis oderVw? (zu V4) 3.2.2. Die Alternative: JHWH als Bauer (Hos 11,4; 10,ll-13a) 3.2.2.1. Hos 11,4 3.2.2.2. Hos 10,1 l-13a 3.2.2.3. Zusammenfassung 3.2.3. JHWH als Vater oder als Mutter? 3.2.4. JHWH als Arzt (Hos 11,3b; 7,lf; 14,5) 3.2.4.1. KM im Alten Testament 3.2.4.2. Hos 7,lf 3.2.4.3. Kün im Hoseabuch

191 191 192 192 193 198 198 202 203 205 208

3.3.

JHWHs Klage über den Sohn (Hos 11,1-7)

211

3.4.

Zusammenfassung: Metaphern der Fürsorge

215

10

Inhalt

4.

Unbegreifliches Erbarmen

217

4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.3.

Der Umsturz in Gottes Herzen (Hos 1 1 , 8 - 1 1 ) Der Text Zur Literarkritik Auslegung

217 217 218 219

4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3.

Das geheilte Israel (Hos 1 4 , 2 - 9 ) Der Text Komposition und literarkritische Analyse J H W H - der Gott des Lebens

227 227 230 235

5.

Ergebnis: Metaphern als Gewinn flir das Reden von JHWH

243

5.1. Religöse Vorstellungen im Israel des 8. Jahrhunderts 5.1.1. Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion 5.1.2. Die von Hosea attackierte Religiosität

243 243 247

5.2. 5.2.1. 5-2.2. 5.2.3. 5.2.4.

Besonderheiten der hoseanischen Gottesmetaphern Vergleiche statt Identitätsaussagen Verben statt Nomina Metaphern für Israel umschließen JHWH-Metaphern Bestimmte Metaphern für bestimmte Verkündigungsinhalte

250 251 251 252 254

5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.4.

JHWH-Erkenntnis und Gottesmetaphern Das Nahekommen des fernen Gottes Das Vertrautwerden mit dem unverfugbaren Gott Die Vielseitigkeit des einen Gottes Das Leben mit dem geschichtlichen Gott

255 256 258 259 262

5.4.

Die Grenze menschlichen Redens von J H W H

263

Abkürzungen 1. Textzeugen 2. Literatur 3. Periodisierung der Archäologie

264 264 264 264

Literaturverzeichnis 1. Quellen 2. Wörterbücher und Hilfsmittel 3. Sekundärliteratur 3.1. Literatur zu Teil I: Theorie der Metapher 3.2. Literatur zu Teil II: Exegesen

265 265 265 266 266 270

Thesen für die öffentliche Disputation

280

ERSTER HAUPTTEIL Z U R T H E O R I E DER M E T A P H E R

1. Allgemeine Metapherntheorie 1.1. Der klassische Metaphernbegriff 1.1.1. Die Aristotelische Definition der Metapher Bis in die Gegenwart hinein beeinflußt ARISTOTELES die Diskussion um die Metapher in grundlegender Weise. Er definiert: „Metapher ist die Übertragung eines Wortes, das eigentlich eine andere Bedeutung hat (öv6|iaroc äXAorpiou emcpopd), entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von einer Art auf die andere oder durch Analogie." 1 Die Metapher und das durch sie Bezeichnete müssen zusammenpassen; die Übertragung bleibt nicht der Willkür überlassen, sondern geschieht aufgrund einer der vier genannten semantischen Beziehungen. Dabei verdienen die nach der Analogie gebildeten Metaphern, besonders beachtet und bevorzugt zu werden.2 Metaphorische Rede setzt das System der ö v o p a r a KUpia voraus: 3 Normalerweise werden die Dinge jeweils durch das ihnen entsprechende, im allgemeinen Sprachgebrauch übliche Nomen bezeichnet. Es gilt als „herrschendes Wort", weil alle es in dieser Weise gebrauchen. Seine Bedeutung hat es also aufgrund der in der Sprachgemeinschaft herrschenden Übereinkunft gewonnen. Für den bezeichneten Sachverhalt gilt es als r ö

' ARISTOTELES, Poetik, 1457b, 6 - 9 : p e x a c p o p ä

5e

eanv

övöfiarog

äXAoxpiou

ETnepOpa N Ct7TÖ TOÜ YEVOUC ETTI E\BOQ FI ¿CTO TOÜ El'8OUG E7T1 TO yEVCX; F] CX7TÖ TOÖ e'iöouc ¿Tri Ei'Bog n K a r ä TO ä v ä X o y o v . Die Übersetzung entstammt der Reclam-Ausgabe der „Poetik", 85. Eine detaillierte Interpretation und Würdigung der aristotelischen Äußerungen zu Metaphern bietet E. JÜNGEL, Metaphorische Wahrheit, 1 1 9 - 1 3 6 . 2 ARISTOTELES, Rhetorik F, 1405a, lOff: ÖEI 51 ... TCiq pexatpopctg äpiiOTTOuaac (zusammenpassend) Aeyeiv. TOOTO 5'etTTai EK TOÖ äv&Xoyov. EI ÖE PN, &JRPE7R£ro/>rz>,)-Bedeutung des m e t a p h o r i s c h g e b r a u c h t e n Wortes zwar vorausgesetzt, geht aber in der m e t a p h o r i s c h e n A u s s a g e verloren zug u n s t e n einer n e u e n B e d e u t u n g , die d u r c h Selektion eines A s p e k t e s des üblichen S i n n e s entsteht. S o entsteht ein „vernewetes W o r t " (LUTHER). 7 ' E s ist aber nicht korrekt, v o m Verlust der alten B e d e u t u n g zu sprechen. D a s trifft m . E . erst f ü r sogen a n n t e E x - M e t a p h e r n zu (JÜNGEL gebraucht diesen T e r m i n u s nicht!), wie z . B . das W o r t „ F l ü g e l " , w e n n es ein M u s i k i n s t r u m e n t bezeichnet: Seine „alte B e d e u t u n g " , d e r g e m ä ß es G l i e d m a ß e n v o n V ö g e l n oder Insekten bezeichnete, wird vorausgesetzt. E s verliert diese, wobei der A s p e k t der äußeren F o r m a u s g e s o n d e r t wird, g e w i n n t eine neue B e d e u t u n g u n d wird zu e i n e m neuen W o r t . A b e r es werden mittlerweile nicht m e h r zwei S i n n h o r i z o n t e zueinander in B e z i e h u n g gesetzt, was fiir die M e t a p h e r gerade k e n n z e i c h n e n d ist. S o m i t handelt es sich bei bei d e m M u s i k i n s t r u m e n t „ F l ü g e l " nicht m e h r u m eine vitale Metapher. Erst solche E x -

70 71

JÜNGEL, Gott, 381. Vgl. These 21 in: Metaphorische Wahrheit, 156. Vgl. These 8, ebd., 153.

Allgemeine Metapherntheorie

51

Metaphern haben ihre ursprüngliche Bedeutung in der neuen Bezeichnungsfunktion verloren. Vitale Metaphern dagegen (z.B „Achill ist ein Löwe.") funktionieren nur, wenn die gewöhnliche Bedeutung mit präsent ist.

Statt von einem Bedeutungswechsel durch Destruktion der alten Bedeutung sollte zutreffender von einer Erweiterung der Bedeutung gesprochen werden, die aus der Interaktion der beiden „Gegenstände" (Sinnhorizonte) resultiert. Diese Erweiterung geht nun allerdings mit einer Verfremdung des üblichen Sprachgebrauchs einher und schafft Spannung. Daß metaphorische Rede Vertrautheit sowohl mit dem üblichen Sprachgebrauch als auch mit dem metaphorisch bezeichneten Sachverhalt voraussetzt, ist wichtig zu bedenken, trifft freilich nicht nur für Metaphern zu.72 JÜNGEL wäre mißverstanden worden wollte man daraus schließen, die Metapher sage nur das, was man ohnehin schon weiß. Der Ton liegt vielmehr darauf, daß Metaphern den Verstehenshorizont und damit die vertraute Welt zu erweitern vermögen, indem sie etwas entdecken lassen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen JÜNGELS Ausfuhrungen zum Wahrheitsbegriff. Wahrheit als dasjenige Ereignis zu begreifen, in dem Seiendes sich entdecken läßt und in die Sprache übertragen wird, erscheint hilfreich für das, was RICOEUR „Lebenswelt" oder „In-der-Welt-Sein" nannte, und fiir das, was theologische Metaphern zeigen. Gefährlich ist es allerdings zu behaupten, eine geglückte Metapher habe axiomatische Kraft und Würde, sie brauche sich nicht zu beweisen. Denn wodurch wird sie dann von einer unglücklich gewählten Metapher unterscheidbar? Und wenn schiefe Metaphern schmerzen, bleibt metaphorische Wahrheit dann doch nur Gefühlssache? JÜNGEL selbst verweist auf die Erfahrung, an der sich metaphorische Aussagen messen lassen müssen. Dies zeigt wiederum eine Analogie zwischen Metaphern und Modellen in der Wissenschaft, da letztere nur so weit Geltung beanspruchen dürfen, wie sich durch Experimente (Erfahrung) gewonnene Erkenntnisse mit ihnen in Einklang bringen lassen. Zumindest die Grenzen einer metaphorischen Aussage müssen bestimmbar sein, um sagen zu können, welche Aspekte des „Sekundärgegenstandes" irrelevant sind für die metaphorische Wahrheit oder zu Fehlschlüssen fuhren. Wenn G o t t „Vater" genannt wird, dann bedeutet dies nicht, er sei ein Wesen männlichen Geschlechts. U n d wer betet „ D e r H E R R ist mein Hirte.", versteht sich selbst deswegen nicht unbedingt als „Herdentier".

72 Jede verbale Kommunikation setzt ein gewisses Maß an Vertrautheit sowohl mit dem üblichen Sprachgebrauch als auch mit dem Sachverhalt, um den es geht, voraus: Wenn ich nicht weiß, was die von meinem Gesprächspartner bebrauchten Worte bedeuten, kann ich nicht verstehen, was er meint. Wenn ich nicht weiß, worum es geht (was er meint), bleiben seine Worte für mich mehrdeutig.

52

Zur Theorie der Metapher

Mit anderen Worten: Metaphern bedürfen der kritischen Reflexion. Max BLACK hat eine Methode vorgeschlagen, wie die Angemessenheit einer Metapher geprüft werden kann (s.o. 1.2.3.2.). Für theologische Metaphern gibt JÜNGEL selbst das entscheidende Wahrheitskriterium an: die Geschichte des zur Welt kommenden Gottes, insbesondere das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Was mit dieser Geschichte nicht zusammenstimmt, muß in der christlichen Verkündigung als Lüge verworfen werden. Die Identifikation des Auferstandenen mit dem gekreuzigten Menschen Jesus nennt JÜNGEL die theologische Grundmetapher. Dies ist problematisch, weil JÜNGEL die Metapher als Möglichkeit begreift, von einem Wirklichen etwas auszusagen, was dieses wirklich nicht ist, ohne zu lügen (105). Der Satz „Der Gekreuzigte ist der Auferstandene." bedeutet aber keineswegs, der Gekreuzigte sei nicht „wirklich" auferstanden, so wie Achill in Wirklichkeit kein Löwe, sondern ein Mensch ist. Die „Identifikation des Auferstandenen mit dem gekreuzigten Menschen Jesus" bezeichnet ein — eschatologisches - Ereignis. Metaphorisch ist der Ausdruck freilich in dem Sinn, daß er mit weltlichen Worten wesentlich mehr und anderes zur Sprache bringt, als die Wirklichkeit der Welt zu fassen in der Lage ist. Leben und Tod, Gott und Mensch werden in einen gegenseitigen aktiven Zusammenhang gebracht und durch ein Höchstmaß an Spannung miteinander verbunden. Das Kreuz und die menschliche Wirklichkeit samt dem Tod rücken in die Qualität eines Prädikates Gottes ein. Sie lassen Gott neu und anders sehen. Zugleich erscheint durch die Auferstehung die Wirklichkeit der Welt in einem neuen Licht. So lehrt dieses Ereignis alles in einem anderen, in einem eschatologischen Licht sehen. Nur in diesem Sinn ist es korrekt, von der „theologischen Grundmetapher" zu sprechen. Dennoch besteht ein fundamentaler Unterschied zu Metaphern nach der Weise„Achill ist ein Löwe." Dem Auferstandenen wird nicht nur „etwas" vom Sein des Gekreuzigten zugesprochen aufgrund von Selektion eines Sinnaspektes, wie dies bei Achill und dem Löwen der Fall ist, sondern der Gekreuzigte und der Auferstandene sind „wirklich" eins in der Person Jesu Christi. 73 Wird dies nicht klargestellt, so kommt es zu einer Theologie, die alles offen läßt und nichts Verbindliches von Gott mehr zu sagen weiß.

73 M.a.W.: J Ü N G E L will nicht sagen, Jesus sei „nur metaphorisch" auferstanden. Vgl. J Ü N GEL, Gott, 420: In der Verkündigung der christlichen Gemeinde zeige sich „ein für die Erzählung des Osterereignisses unverzichtbares Wahrheitsinteresse. Es bezieht sich einerseits auf das wirkliche, will heißen, den irdischen Zusammenhang eben noch nicht aufhebende, sondern in ihn eingehende und ihn so neu bestimmende Geschehensein der Auferstehung Jesu. Das Wahrheitsinteresse des Glaubens an Jesus Christus spricht sich deshalb in dem ... Satz aus: ,er ist wirklich auferstanden' (Lk 24,34). Andererseits bezieht sich dasselbe Wahrheitsinteresse auf die richtige Explikation des Osterereignisses, die sich christologisch in der Erzählung der Evangelien, anthropologisch in der Rechtfertigungslehre vollzieht."

Allgemeine Metapherntheorie

53

Diese Gefahr besteht z.B. bei Sallie MCFAGUE.74 Gegen Fundamentalismus einerseits u n d Irrelevanz religiöser Sprache für viele Menschen unserer Zeit andererseits weist sie auf die Bedeutung von Metaphern u n d Modellen für religiös-theologische Sprache hin. Mit Recht betont sie die Notwendigkeit einer „metaphorischen Theologie". Diese setze bei Jesus als dem Gleichnis Gottes an u n d vertrete eine parabolische Christologie gegen die inkarnationale Christologie. Jesus, der als Gleichnis Gottes zugleich „Gott ist und nicht ist" (182), sei nicht mit Gott gleichzusetzen. Das Leben Jesu als Metapher für G o t t — das bedeute eine offene, vorläufige, indirekte, spannungsvolle Theologie, in der es zentral u m die Beziehungen zwischen G o t t u n d Mensch gehe. Bezeichnenderweise setzt Sallie MCFAGUE bei den Gleichnissen Jesu an, während Ereignisse in ihrer Theologie, soweit ich sehen kann, keine Rolle spielen. Sie wehrt sich gegen jede Art von Buchstabenglauben. In vielem ist ihr zuzustimmen. Doch man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß ihre metaphorische Theologie nicht nur offen ist, sondern ins Ungewisse, Unverbindliche abgleitet. Das Leben Jesu als Metapher ftir G o t t - das kann man so oder auch anders verstehen, je nachdem, wie es beliebt. H a n s BLUMENBERG k o m m t auf dieses Problem in seinem Aufsatz von 1979 „Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit", 447f, zu sprechen: „Wer nicht die Krisensymptome des ausgehenden Mittelalters in der zunehmenden Metaphorisierung der theologischen Dogmatik betrachten will, kann diese Vermeidung von Schwierigkeiten an der Wiederholung der Metaphorisierung in unserem Jahrhundert nach der Phase der Überforderungen durch die dialektische Theologie studieren. Die Entmythisierung ist zu einem guten Teil nichts anderes als Remetaphorisierung: das punktuelle Kerygma strahlt auf einen H o f von Sprachformen aus, die nun nicht mehr beim Wort genommen zu werden brauchen. Der dogmatische Realismus hatte v e r s t a n d e n ' , was Auferstehung heißen sollte; als absolute Metapher 75 für Heilsgewißheit ist das etwas, wovon man sagen kann, es bleibe besser unverstanden. Solche Zurückfuhrung auf Unbestimmtheit gehört durchaus zu den Eigentümlichkeiten sakraler Texte, die durch die Abwehr banaler Wörtlichkeit überdauern, weil ihnen etwas zugetraut wird, ohne die Probe darauf zu machen, was es wohl sein könnte." In jedem Fall ist es nötig, ein banal wörtliches Verständnis der Glaubenszeugnisse abzuwehren, weil diese immer mehr beinhalten, als menschliche Worte auszudrücken vermögen. W i r kommen nicht umhin, den durchgängig metaphorischen Charakter der Sprache des christlichen Glaubens zu behaupten. Ihr Abgleiten ins Unbestimmte u n d Beliebige kann aber nur dann verhindert werden, wenn die theologischen Metaphern radikal an die Geschichte des zu uns Menschen kommenden Gottes gebunden bleiben.

MCFAGUE, Metaphorische Theologie, 1 7 6 - 1 9 9 . Unter absoluten Metaphern versteht BLUMENBERG „Übertragungen, die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen", d.h. die sich nicht in begriffliche Sprache übersetzen lassen (Paradigmen, 288). Sie sind Grundbestände der philosophischen Sprache. 74

75

54 1.2.4.3. Metaphorische

Zur Theorie der Metapher

Grundstruktur der Sprache?

Die These von der metaphorischen Grundstruktur der Sprache bedarf näherer Erörterung. Wenn die ganze Sprache metaphorisch ist, in welchem Sinn kann dann religiöse Sprache sozusagen als Steigerung „durchweg metaphorisch" heißen? Und wie können Begriffe und Definitionen zur Kontrolle metaphorischen Redens verlangt werden, wenn auch sie Metaphern sind? Wie lassen sich diese von jenen abgrenzen? Eigenartigerweise setzt auch JÜNGEL, wenn er die Metapher als unübliche Prädikation unter Verlust der üblichen Bedeutung des metaphorisch gebrauchten Wortes bestimmt, eine wörtliche (proprie-)Bedeutung voraus. Also auch er geht zunächst vom System der etablierten Sprache aus. Er gelangt jedoch zu der Einsicht, daß dieses gegenüber dem Metaphorischen sekundär ist, weil er die Bewegung vom Sein in die Sprache als |J8TC(cpop& versteht. Dagegen steht die von ARISTOTELES herrührende These, das Phänomen der Metapher sei nicht urspünglich, sondern eine sprachliche Sekundärerscheinung. Metaphorischer Gebrauch eines Wortes setze dessen „eigentliche", unmetaphorische Bedeutung voraus.76 Wie aber kommen die Worte zu ihrer Bedeutung? ARISTOTELES sagt: durch Übereinkunft der Sprachgemeinschaft. Das heißt, man hat sich darüber geeinigt, eine Menge verschiedener Dinge oder Sachverhalte aufgrund gewisser Ähnlichkeiten zu einer Klasse zusammenzufassen.77 Man sieht das 76 So vertreten von Ulrich SUERBAUM, in: Die Metapher (Bochumer Diskussion), 101, These 2. Vgl. Earl MacCoRMAC, Die semantische und syntaktische Bedeutung von religiösen Metaphern, 8 4 - 1 0 7 . Gegen die These, Sprache sei grundsätzlich metaphorisch, behauptet MacCoRMAC, „daß Metaphern ausschließlich vor einem Hintergrund vorausgesetzter, wörtlich zu nehmender Sprache als Metaphern beurteilt werden können" (88). Er unterscheidet zwischen gewöhnlichen Metaphern und „Wurzel-Metaphern", die einer ganzen Theorie zugrundeliegen. Unter Wurzelmetaphern versteht er vorläufige Hypothesen, die bestimmte Kategorien fiir die Beschreibung der Realität bereitstellen. Alle Theorien seien in dem Sinn metaphorisch, daß sie auf einer Wurzelmetapher beruhen, was aber nicht heiße, daß jeder theoretische Ausdruck selbst metaphorisch ist. „Religiöse Sprache kann in dem Sinn metaphorisch genannt werden, daß eine religiöse Sichtweise oder Theologie auf einer , Wurzel-Metapher' beruht. In ihren eigentlichen Aussagen können Gläubige jedoch sowohl wörtliche als auch metaphorische Aussagen machen, während sie eine Wurzel-Metapher ihrem gesamten Glaubensgebäude zugrundelegen." (95) Eine religiöse Wurzelmetapher sei z.B. die Überzeugung: „Die Welt ist eine Sammlung von Taten eines himmlischen Königs, der in die Geschichte eingreift." (97) Die von religiösen Metaphern nahegelegten Dimensionen der Realität seien spekulative Hypothesen, die sich als annähernd wahr oder teilweise wahr verstehen ließen. - In dem hier vorausgesetzten Wirklichkeits- und Sprachverständnis m u ß ungewiß bleiben, ob und welche Glaubensaussagen wahr sind. Dagegen ist zu betonen: Die dem christlichen Glauben zugrundeliegende „Wurzel-Metapher" - die Auferstehung des Gekreuzigten - ist keine vorläufige Hypothese, sondern ein Ereignis im Rahmen der Geschichte Gottes mit den Menschen. 77 M a n bedenke nur, wie sehr sich die vielen als „Lampe" bezeichneten Gegenstände voneinander unterscheiden! Eine Taschenlampe ähnelt einem Kronleuchter in vieler Hinsicht überhaupt nicht.

55

Allgemeine Metapherntheorie

G l e i c h e i m U n g l e i c h e n u n d o r d n e t d e m e n t s p r e c h e n d die D i n g e u n d S a c h verhalte in b e s t i m m t e Kategorien ein. S o entsteht das Sprachsystem. N u n k o m m t die M e t a p h e r u n d bringt das System m i t seinen K a t e g o r i e n d u r c h einander, i n d e m sie w i e d e r u m das G l e i c h e i m U n g l e i c h e n sehen läßt u n d die D i n g e a u f n e u e W e i s e zusammenstellt. Sie tut also i m G r u n d e nichts anderes als das, was das Sprachsystem z u v o r konstituierte: Sie o r d n e t Verschiedenes a u f g r u n d gewisser A n a l o g i e n zueinander. In diesem

Sinn ist v o n d e r m e t a -

p h o r i s c h e n G r u n d s t r u k t u r der Sprache zu sprechen. V o m (bereits etabliert e n ) S p r a c h s y s t e m aus b e t r a c h t e t , erscheint die M e t a p h e r d a n n natürlich als Verletzung sprachlich vorgegebener O r d n u n g s s c h e m a t a . 7 8 G e r a d e d a d u r c h ist sie fähig, dieses System i m m e r wieder zu öffnen, zu erweitern, „ n e u e logische R ä u m e ... zu schaffen". 7 9 Sie ist als das bewegende

Prinzip

der Spra-

c h e aufzufassen u n d wirkt d e m ins System d r ä n g e n d e n stabilisierenden tor des üblichen S p r a c h g e b r a u c h s entgegen. Beides

zusammen

Fak-

konstituiert

die S p r a c h e ; das bewegende u n d das stabilisierende Prinzip b e d i n g e n sich gegenseitig, u n d ihr W i d e r s t r e i t erhält die Sprache lebendig. 8 0

78 Vgl. BLACK, Mehr über die Metapher, 385: „kreativ regelverletzend"; KJÄR, 25: Metapher ist eine „Lexemverknüpfung, die eine Verletzung der semantischen Kongruenz bzw. einen Verstoß gegen Selektionsregeln darstellt ..." Vgl. NIERAAD, 119. Er sieht in der Metapher die mit einem Bedeutungseffekt verbundene Verletzung sprachlich vorgegebener Ordnungsschemata; zugleich stellt er enge Zusammenhänge zwischen metaphorischem Sprechen einerseits und allgemeinen Systematisierungs- und Erkenntnisprozessen andererseits fest. Zur gegenwärtigen Diskussion um die Metapher (1977!) bemerkt er zusammenfassend, „daß die Metapher durchweg nicht mehr als auf bestimmte Textsorten - literarische Texte, Werbetexte - beschränkte Abweichung vom .normalen' Sprachgebrauch, d.h. als Stilistikum gesehen wird, sondern als konstitutives Prinzip der Sprache und zum Ausdruck gebrachter Schritt im Prozeß des vergleichend-begriffsbildenden Kategorisierens von Erfahrungsinhalten." (5). - Diese Bestimmung der Metapher kann ich nur bejahen; doch mit der von NIERAAD behaupteten Einmütigkeit der Diskussion („durchweg") scheint es mir nicht so gut bestellt zu sein. Jüngst erschienene Dissertationen (KJÄR, EMONDS) und Sammelbände (HAVERXAMP, v. NOPPEN) belegen in diesem Punkt eher das Gegenteil. 79 RICOEUR, Erzählung, 241. Vgl. auch Gerhard SELLIN, Allegorie und „Gleichnis", 381: „Begriffssprache gibt es überhaupt nur in einem umgrenzten (.definierten1) Bereich, einem System. Die metaphorischen Züge der Sprache brechen aber jeweils das System auf, erweitern es und machen den prinzipiell offenen Charakter der menschlichen Sprache offenbar." Zum Verhältnis Metaphorik/System vgl. ebd., 3 8 0 - 3 8 3 . 80 Vgl. Eugenio COSERIU, 15-52. Er sieht in der Sprache eine schöpferische Erkenntnistätigkeit, die vielfach metaphorische, d.h. aus Bildern gewonnene Erkenntnis sei. Die menschliche Phantasie fülle die Lautkontinua, die die Wörter physikalisch gesehen sind, mit vielfältigen metaphorischen Inhalten und verändere die Bedeutungen ständig, so daß sich ein einzelnes Wort nie gleichbleibe. „Dieser ständige Wandel, dieses beständige Streben nach Schöpfung und Neuschöpfung, bei dem ... in keinem einzigen Augenblick ein wirkliches statisches System erstellt werden kann, eben weil das System in jedem Augenblick gesprengt wird, um sich dann zu rekonstituieren und um in den unmittelbar darauf folgenden Momenten erneut zu zerbrechen, - dieser ständige Wandel ist nun gerade das, was wir die Wirklichkeit der Sprache nennen." (52).

56

Zur Theorie der Metapher

Eine Sprache, die das Metaphorische ausschalten will, wird zur toten Sprache. Sie kann nur das bereits Bekannte und Systematisierte aussagen, für Neues müssen neue Zeichen gefunden werden. Beispiele hierfür sind die Algebra oder andere Formelsprachen; in jedem Fall handelt es sich um abgeleitete Sprachen. Andererseits: Selbst wenn das Metaphorische gegenüber dem Sprachsystem primär ist, kann es nicht ohne dieses zur Geltung kommen. Denn wo immer Menschen miteinander sprechen, halten sie sich an gewisse Regeln. Sonst könnten sie einander nicht verstehen. Und wo eine Metapher auf Lücken im Sprachsystem trifft, rückt sie sehr schnell in dieses ein und wird zur üblichen Bezeichnung. Es muß also trotz allem unterschieden werden: Auf der einen Seite stehen die vitalen, aktiven Metaphern, die dem üblichen Sprachgebrauch zuwiderlaufen und offensichtlich zwei Sinnhorizonte miteinander verbinden. Andererseits gibt es die ruhenden Metaphern, die ursprünglich in anderen Kontexten beheimatete Worte enthalten, inzwischen aber sprachüblich geworden sind. Die Grenze zwischen beiden läßt sich nicht genau bestimmen, da die Ubergänge fließend sind; und selbst der Grenzbereich verschiebt sich ständig in diese oder jene Richtung. 81 Auch hört das Metaphorische nicht dort auf, wo der übliche Sprachgebrauch beginnt, sondern die Bewegung setzt sich innerhalb der Grenzen der etablierten Sprache fort. Denn wechselseitige Bedeutungsverschiebungen finden in jedem Kontext statt, und erst dadurch werden die Worte determiniert. Mary H E S S E meint aus diesem Grund, die Unterscheidung wortwörtlich/ metaphorisch habe eine pragmatische und keine semantische Grundlage,82 Dem ist freilich nicht beizupflichten; denn es ist semantisch sehr wohl von Belang, ob ein Wort in einer von Wörterbüchern dokumentierten Bedeutung gebraucht wird oder - wie im Fall der vitalen Metapher — nicht. Identifizierbar wird eine vitale Metapher durch die Spannung zwischen den einzelnen Termini der Aussage oder auch dadurch, daß verschiedene Ebenen erkennbar bleiben („heterogene Isotopien"), die sich nicht „durch ein rekurrent-dominantes Merkmal monosemieren" lassen (STOFFER-HEIBEL). O f t wird es eine Ermessensfrage sein und vom subjektiven Sprachempfinden abhängen, was noch als aktive Metapher gelten soll oder schon als sprachübli81 Eine Metapher wie „Die Sonne lacht." gehört vermutlich in diesen Grenzbereich und befindet sich auf dem Wege, ins Sprachsystem - d.h. in ein Lexikon - aufgenommen zu werden (vgl. KJAR, 22). Andere Ausdrücke, z.B. „Die Ware geht." sind für einen Teil der Sprachgemeinschaft zum terminus technicus geworden, werden von anderen Menschen aber als Metaphern empfunden. Die Unterscheidung zwischen ruhenden und erloschenen Metaphern (s.o. Anm. 57) wiegt in diesem Zusammenhang nicht so schwer, da beide Arten einen Status in der etablierten Sprache gewonnen haben. 82 Vgl. Mary H E S S E , 1 3 0 . Sie spricht von einem „Netzwerk" der Bedeutungen. „Die Bedeutungserweiterungen, die durch Ähnlichkeiten und Unterschiede in Metaphern auftreten, sind im Grunde nur besonders augenfällige Beispiele dessen, was in dem sich verändernden, ganzheitlichen Netzwerk, das die Sprache ausmacht, unablässig vor sich geht." (ebd.).

Allgemeine Metapherntheorie

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eher Ausdruck. Darüber zu streiten, wo im Einzelfall die Grenze der üblichen Bedeutung überschritten wird, lohnt nicht, wenn man sich der metaphorischen Grundstruktur der Sprache und der fließenden Grenzen zwischen Metapher und System bewußt bleibt. In JÜNGELS Aufsatz liegt ein entscheidender Mangel darin, daß er das Metaphorische nicht in seiner Bezogenheit auf das System der Sprache zeigt — als dessen bewegende, öffnende Kraft, die den stabilisierenden, ins System drängenden Kräften komplementär entgegenwirkt und gerade deswegen ohne diese nichts vermag. 1.2.5. Schlußfolgerungen „Denken ist metaphorisch und verfährt vergleichend; daraus leiten sich die Metaphern der Sprache her." Dies hatte schon 1936 R I C H A R D S bemerkt. 83 Außer Eberhard J Ü N G E L , Mary H E S S E u.a. lehrt auch Jürgen N I E R A A D , die Metapher aufzufassen „als konstitutives Prinzip der Sprache und zum Ausdruck gebrachter Schritt im Prozeß des vergleichend-begriffsbildenden Kategorisierens von Erkenntnisinhalten." 84 Dies gilt es im Auge zu behalten bei der Beschäftigung mit solchen Metaphern, die deutlich wahrnehmbar zwei verschiedene Vorstellungen miteinander verknüpfen. Obwohl sich die Grenze zwischen metaphorischer und wörtlicher Prädikation oft nur ungefähr angeben läßt, ist zu unterscheiden zwischen aktiven Metaphern und sprachüblich gewordenen Ausdrücken, deren ursprüngliche Metaphorizität gewöhnlich nicht mehr empfunden wird. Die Interaktionstheorie von Max BLACK erklärt am umfassendsten, wie metaphorische Prädikationen funktionieren. Sie soll deshalb die theoretische Grundlage für den exegetischen Teil dieser Arbeit bilden. Die anhand der Arbeiten anderer Autoren gewonnenen Einsichten brauchen dabei nicht abgeblendet zu werden, sondern sind zu integrieren. So ergibt sich folgender Begriff von der aktiven Metapher, der für die weitere Arbeit vorausgesetzt wird: Eine aktive Metapher läßt sich in der Regel identifizieren durch die Spannung zwischen einem in ungewöhnlicher Weise gebrauchten Ausdruck oder Einzelwort, dem Fokus, und seinem Kontext bzw. Rahmen. Der Fokus repräsentiert ein System von Beziehungen, den Sekundärgegenstand. Da er der Bezeichnung eines anderen Sachverhaltes, des Primärgegenstandes, dienen soll, kommt es zur Interaktion der beiden Gegenstände, wodurch der Fokus seine textuelle Bedeutung gewinnt. In der metaphorischen Aussage muß der Primärgegenstand nicht unbedingt expressis verbis genannt werden, unter Umständen ist er nur aus dem Kontext zu erschließen. An dieser Stelle muß BLACKS Terminologie präzisiert werden: „Implikationszusammenhang" nennt er einmal das gesamte System von Beziehungen, 83

RICHARDS,

84

NIERAAD, 5; siehe vorn Anm. 78.

35.

58

Z u r Theorie der Metapher

das den Sekundärgegenstand ausmacht. Ein andermal scheinen es nur die auf den Primärgegenstand projizierbaren Implikationen zu sein, die ja nur eine Auswahl der mit dem Sekundärgegenstand assoziierten Implikationen bilden. Da für die Gesamtheit des Systems von Beziehungen und Assoziationen der Terminus „Sekundärgegenstand" zur Verfugung steht, schlage ich vor, nur diejenigen Implikationen, bei denen Primär- und Sekundärgegenstand einander korrespondieren, den Implikationszusammenhangzu nennen. Dabei entspricht der dem Sekundärgegenstand entstammende Implikationszusammenhang (=Grundbedeutung) dem parallelen Implikationszusammenhang (=metaphorische Bedeutung), der auf den Primärgegenstand paßt.85 Er ist durch vielfältige Projektionsbeziehungen mit diesem verbunden. Der Sekundärgegenstand verhält sich zu wie die lexikalische Bedeutung des Fokus zu seiner textuellen Bedeutung. Diese allerdings umfaßt auch den isomorphen Implikationszusammenhang mit. liegt innerhalb der lexikalischen Bedeutung des Fokus, außerhalb. So kommt es zu der vielfach beobachteten Bedeutungsausweitung des metaphorisch gebrauchten "Wortes. Weil der Fokus in der metaphorischen Aussage aber den Primärgegenstand prädiziert, kommt es hinsichtlich seiner Bezeichnungsfunktion vor allem auf den Implikationszusammenhang an. Insofern hatte W E I N R I C H recht mit seiner Behauptung, ein metaphorischer Kontext determiniere ein Wort auf eine außerhalb seiner (lexikalischen) Bedeutung liegende Meinung. Wie bei jedem anderen Wort findet jedoch zugleich eine Determination innerhalb der Bedeutung statt, nämlich auf den Implikationszusammenhang , der dem Sekundärgegenstand entstammt. erweist sich als Modell dessen, was die Metapher vom Primärgegenstand sichtbar macht, d.h. als Modell des Implikationszusammenhanges . Bei der Interpretation einer Metapher lassen sich einzelne Glieder dieses Implikationszusammenhanges explizit machen. Deswegen bezeichnet BLACK die Metapher - genauer gesagt: den Fokus! - als Spitze eines untergetauchten Modells, denn und damit auch müssen erst hervorgeholt (ent-deckt) werden. Erinnert sei schließlich noch einmal an die Vorstellung, die Metapher funktioniere wie eine Art Filter, durch den wir auf den Hauptgegenstand schauen, oder wie eine Linse: „Eine denkwürdige Metapher besitzt die Kraft, zwei getrennte Bereiche sowohl in kognitiver als auch in affektiver Hinsicht zueinander ins Verhältnis zu setzen, und zwar dadurch, daß sie die dem einen Bereich eignende Sprache als Linse zur Betrachtung des anderen verwendet."86

85 86

Die Sigla und gebraucht BLACK (1977, 394ff), ohne sie näher zu erklären. BLACK, Models and Metaphors, Ithaca 1962, 237; zitiert nach RICOEUR, Herrn, 294.

Allgemeine Metapherntheorie

59

W i e w e i t diese T h e o r i e der M e t a p h e r z u m besseren Verständnis der biblis c h e n G o t t e s m e t a p h e r n d i e n e n k a n n , wird der exegetische Teil dieser A r b e i t erweisen m ü s s e n . Z u v o r j e d o c h s i n d n o c h e i n i g e E i g e n h e i t e n theologischer M e t a p h e r n u n d d a m i t v e r b u n d e n e P r o b l e m e zu b e d e n k e n . 8 7

87

Die von M . K O R P E L ( A Rift in the Clouds, 1990, bes. 1-76) erarbeitete Definition der Metapher gehört an diese Stelle, da auch sie die Ergebnisse von RICHARDS, BLACK, R I C O E U R u.a. voraussetzt: „ The metaphor ist the deliberate use of a set of signs (vehicle), against the rule (again, , rule' is equivalent to .use', .custom', or, to satisfy some, .cultural code') in order to give the set of signs a new meaning by association (tenor). Since association involves the/70 tentative comparison of one set of signs with another (known) set of signs, the new meaning of the set of signs is subject to interpretation ab long as it has not yet been fixed by repeated use. Repeated use gradually creates a so called .dead' metaphor. We shall call the new meaning attributed to the set of signs in the first stage a fuzzy set (tenor)." (69f) Die Bezeichnung „set of signs" fiir den Sekundär- und Primärgegenstand läßt diese vor allem als ein Bündel semantischer Merkmale erscheinen, nicht so sehr als System von Beziehungen, auf die es m.E. bei der Metapher aber gerade ankommt. Denn die Metapher gleicht eher einem Mosaik als einem Haufen bunter Steinchen. Das „fuzzy set" enthält diejenigen semantischen Merkmale aus beiden „sets of signs", die auf den „tenor" (Primärgegenstand) passen. K O R P E L vertritt also im Grunde eine Vergleichstheorie. Bei ihrer sehr instruktiven Untersuchung von ugaritischen und israelitischen Gottesbezeichnungen greift sie jedoch kaum auf die Metapherntheorie zurück.

2. Zur Theorie der theologischen Metapher

2.1. Terminologische Unterscheidungen 2.1.1. Metapher und theologischer Begriff Wer im alltäglichen Umgang mit der Sprache übersieht oder vergißt, daß diese durch metaphorische Prozesse konstituiert wird, begeht keinen schwerwiegenden Fehler. Anders verhält es sich mit der Sprache des christlichen Glaubens. Hier muß das Bewußtsein von der Differenz zwischen Gott und Welt, zwischen unserem Reden von seinem Wirken und dem, was wir damit benennen wollen, wachgehalten werden. Alle unsere Worte, mit denen wir das Kommen Gottes zu uns Menschen zu beschreiben versuchen, werden zu Metaphern. Denn sie bedeuten mehr und anderes, als sie im Kontext weltlicher Erfahrung zu bezeichnen gewohnt sind. Wenn dies nicht mehr gewußt wird, stehen wir in Gefahr, Gott zum Götzen und sein Wort zur Ideologie zu machen. Dennoch besteht ein Unterschied, ob J H W H s Verhältnis zur Welt und zu seinem Volk mit einem Verb wie K13 bezeichnet wird, das im Alten Testament allein Gott als Subjekt hat, oder ob das Wort für „Löwengebrüll" ANW plötzlich Gottes Reden bezeichnet. Wenn J H W H „rettet" und „erlöst", einen „Bund" mit Israel schließt oder seinen Tina erscheinen läßt, so sind dies in einem ähnlichen Sinn Metaphern wie (Atom-)"Kern", elektrischer „Strom", magnetisches „Feld" oder ähnliches in der Physik. Keines dieser Worte tritt mehr in Spannung zu seinem jetzigen Kontext. Sie lassen sich einebnen auf die Textisotopie und beugen sich ihrer Dominanz. Geht es um physikalische Zusammenhänge, so haben die Worte in diesem Kontext ihre spezifische Bedeutung. Man muß keinen anderen Kontext zu Hilfe nehmen, um sie verstehen zu können. Ebenso verhält es sich mit Worten, die im Kontext des Verhältnisses Gottes zur Welt einen Status gewonnen haben, so daß ihre Bedeutung nicht (mehr) aus einem anderen Zusammenhang erschlossen wird. Sie lassen nicht zwei verschiedene Sinnhorizonte assoziieren. Das ändert nichts an ihrer metaphorischen Grundqualität. Sie bleiben Ausdruck der Bewegung Gottes zu Welt und insofern Metaphern; aber sie bewegen nicht mehr unterschiedliche Bereiche der menschlichen Sprache aufeinander zu. Wenn sie im Kontext unseres Redens von Gott gebraucht werden, kommen sie dort zur Ruhe. Als ruhende Metaphern werden sie oft zu theo-

Zur Theorie der theologischen Metapher

61

logischen Begriffen und sind zu unterscheiden von aktiven Metaphern. Diese lassen sich nicht zur Ruhe bringen, wenn sie im Zusammenhang des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch aufrauchen; sie rufen sofort ein anderes Beziehungssystem mit wach. Selbst so häufig für Gott gebrauchte Metaphern wie „Vater" oder „Hirte", die längst eine spezifische Bedeutung als Gottesprädikation gewonnen haben, scheinen sich dem Determinationsdruck dieses Kontextes stets aufs neue zu widersetzen. Sie aktualisieren jeweils zugleich die entsprechenden Beziehungen im Bereich der Familie bzw. der Tierhaltung und erweisen sich darin als aktiv.1 Es sei jedoch nochmals betont, daß es sich hierbei um eine Unterscheidung handelt, die sehr abhängig ist vom individuellen Sprachempfinden. Die vorliegende Arbeit widmet sich vor allem den aktiven Metaphern und nicht der Grundmetaphorik, die alles Reden von Gott erst ermöglicht.

2.1.2. Metapher und Vergleich Seit jeher weiß man um die Nähe der Metapher zum Vergleich. Während wie bereits erwähnt, den Vergleich eher als eine erweiterte Metapher auffaßte, hielt die spätere Tradition im Gefolge QUINTILIANS die Metapher für ein verkürztes Gleichnis. Formal unterscheidet sich der Vergleich von der Metapher dadurch, daß er eine Vergleichspartikel enthält, z.B. 6|ioia in Mt 13,31 („Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn") oder 3 in Jes 66,13 („trösten MW einen seine Mutter tröstet"). Demnach wäre Hos 5,14a ein Vergleich ("1'fi 3 31, ^nt^a) die zweite Vershälfte dagegen eine Metapher:

ARISTOTELES,

„Denn ich bin wie ein Löwe flir Ephraim und wie ein Junglöwe für das Haus Juda. Ich, ich zerreiße und gehe davon; ich schleppe weg, und keiner rettet." behauptet, auf der semantischen Ebene bestehe kein Unterschied zwischen Metapher und Vergleich.2 Nur formal ließe sich dann das eine vom anderen abheben. Sollte sich aber die Form hier nicht in irgendeiner Weise auf Inhalt und Funktion auswirken? Auch BLACK räumt ein, daß jede Metapher eine Ahnlichkeitsaussage (likeness-statement) und eine Vergleichsaussage (comparison-statement) einschließt. Diese seien aber jeweils STOFFER-HEIBEL

1 Nach meinem Sprachempfinden wird „Vater" erst im Kontext der Trinitätslehre zur ruhenden Metapher und zum theologischen Begriff. Der Gebrauch des Wortes im Johannesevangelium liegt m.E. im Grenzbereich zwischen aktiver und ruhender Metapher. „Hirte" kommt beispielsweise in der Amtsbezeichnung „Pastor" als Metapher zur Ruhe. Zur allgemeinen Problematik des Verhältnisses von Metapher und Begriff vgl. besonders BLUMENBERG, Paradigmen, 2 8 5 - 3 1 5 ; auch WEINRICH, Linguistik, 28ff. 2

STOFFER-HEIBEL,

97.

62

Zur Theorie der Metapher

schwächer als die metaphorische Aussage. Implikation sei nicht dasselbe wie verdeckte Identität, eine Szene durch eine blaue Brille betrachten etwas anderes, als diese Szene mit etwas anderem zu vergleichen. Zwar sei der semantische Unterschied gering, doch „anzunehmen, die metaphorische Aussage sei ein Abstrakt... eines wörtlichen Punkt-für-Punkt-Vergleichs, in dem der Primär- und Sekundärgegenstand aneinandergehalten werden, um sowohl Unähnlichkeiten wie Ähnlichkeiten festzustellen, heißt die Funktion einer Metapher mißverstehen."3 Aber müssen Metapher und Vergleich hinsichtlich ihrer Funktionsweise wirklich qualitativeoneinander unterschieden werden? Es besteht m.E. nur eine quantitative Differenz: Auch bei einer vergleichenden Aussage interagieren zwei Gegenstände miteinander, nur daß diese im Unterschied zur Metapher immer expressis verbis genannt werden. Genau wie bei der Metapher kommt es auf die Konstruktion der beiden Implikationszusammenhänge und an. Diese bleiben jedoch nebeneinander stehen und sind nicht in der Bedeutung eines Fokus miteinander vereint und verflochten. Der Vergleich wäre demnach nichts weiter als eine entflochtene Metapher. Dadurch mindert er die Spannung und Dissonanz, die bei einer Metapher empfunden werden. Er wirkt insofern schwächer, sozusagen als „entschärfte Metapher". Dies stimmt zusammen mit dem, was W E I N R I C H zu Metaphern im Surrealismus bemerkt: „Eine Vergleichspartikel, also ein ,wie' oder dergleichen, würde ... nur als Widerstand wirken und die Spannung mindern. Die reine Metapher entsteht aus einem Kurzschluß."4 W E I N R I C H selbst hält die Metapher gegenüber dem Vergleich für ursprünglich und sieht in diesem eine erweiterte Metapher.5 Wenn es um Metaphern für Gott geht, gehören also auch vergleichende Aussagen wie Hos 5,14a oder 13,7.8 dazu. 2.1.3. Metapher — Allegorie — Symbol In der Tradition galt die Metapher als Baustein der Allegorie: „Die Allegorie ist für den Gedanken, was die Metapher ... für das Einzelwort ist: Die Allegorie steht also zum gemeinten Ernstgedanken in einem Vergleichsverhältnis. Das Verhältnis der Allegorie zur Metapher ist quantitativ: die Allegorie ist eine in einem ganzen Satz (und darüber hinaus) durchgeführte Metapher: Quint. 9,2,46 ctXXnvopiav facit continua |ieracpopd." 6 An dieser Traditi3

BLACK, Mehr über die Metapher, 397 (zum Ganzen vgl. 396f). WEINRICH, Kühne Metapher, 301. 5 WEINRICH, in: Metapher (Bochumer Diskussion), 100, These 2. 6 LAUSBERG, 44lf, § 8 9 5 . QUINTILLANS Definition von der Allegorie als ausgedehnter Metapher trifft eher das, was in der neueren Forschung „Gleichnis" genannt wird, während man die Allegorie öfter als Summe mehrerer Einzelmetaphern begreift. Vgl. WEDER, Gleichnisse, 69fF. - Das Entscheidende in der Tradition der Rhetorik ist die enge Zusammenbindung von Metapher und Allegorie. 4

Zur Theorie der theologischen Metapher

63

on orientiert sich BJ0RNDALEN, wenn er die Allegorie als eine Reihe aufeinander bezogener Metaphern innerhalb eines Textes definiert. Im Gegensatz zu J Ü L I C H E R möchte er die Allegorie nicht grundlegend von der Gleichnisrede abgrenzen. Die metaphorische Sprachverwendung sei das entscheidende Kriterium der Allegorie.7 Doch es ist nicht ratsam, wieder hinter die von J Ü L I C H E R getroffene Unterscheidung zwischen Allegorie und Gleichnis zurückzufallen. Gerhard SELLIN wies einen besseren Weg, die Formen zu bestimmen: 8 Das Wesentliche der Allegorie sei, daß sie auf dem Prinzip der Substitution beruhe. J Ü L I C H E R habe fälschlicherweise im Anschluß an die antike Tradition die durch „eigentliche" Ausdrücke zu ersetzenden Elemente der Allegorie „Metaphern" genannt. Die Bausteine der Allegorie seien jedoch eher Symbole oder Chiffren. SELLIN vergleicht diese Bausteine mit dem Stenosymbol und versteht sie als Zeichen, denen auf eindeutige Weise etwas Bezeichnetes zuzuordnen bzw. zugeordnet ist. Eine Allegorie zu verstehen heißt dann, so etwas wie den festgelegten Code einer Sondersprache zu dechiffrieren. Allegorie und Symbol bringen keine neuen Informationen und haben keine eigene Sprachkraft, betont SELLIN. Momente der Analogie spielten freilich auch hier mit hinein - etwa bei der Festlegung der Symbole. Insofern sei die Allegorie in sekundärer Hinsicht metaphorisch. Anders als bei Metapher und Vergleich legt sich zwischen Metapher und Symbol eher eine qualitative Unterscheidung nahe: Es kommt beim Symbol nicht mehr auf die Interaktion zwischen zwei Gegenständen an, die hier zutreffend mit den Termini significans und significatum benannt werden können. Die Bedeutung eines Symbols wird nicht erschbssen, indem man die Implikationszusammenhänge konstruiert; man muß einfach wissen, wofür es steht. Symbole sind fest gewordene Metaphern, die ihren verweisenden Sinngehalt auch außerhalb des spezifischen Kontextes behalten. 9 So ist ihnen gerade das verlorengegangen, was der Metapher wesentlich und eigentümlich ist: Bewegung und Interaktion.

7 BJORNDALEN, 97-132. Zur Differenzierung der Formen vgl. JÜLICHER, Gleichnisreden I, 25-118; Definition der Allegorie ebd., 58. Zur Kritik an JÜLICHER vgl. KIAUCK, 4 - 1 4 7 , der die Allegoriefeindlichkeit der Exegeten zu überwinden versucht (so 133) und dabei auf WEINRICHS Bildfeldtheorie zurückgreift (139-145): Eine anfängliche Metapher lasse sich mit Hilfe ihres Bildfeldes zur Allegorie erweitern, d.h. die Allegorie wird wie in der Tradition als metaphora continua begriffen ( l 4 2 f ) . 8 SELLIN, Allegorie und „Gleichnis", besonders 367-376. 389—403. Der ganze Aufsatz ist sehr instruktiv. Problematisch ist nur, daß SELLIN die Termini „Bildhälfte", „Sachhälfte" und „tertium comparationis" beibehält, obwohl er sie anders definiert als JÜLICHER. Vgl. HARNISCH, Gleichniserzählungen, 42-55.

' S o NIERAAD, 1 8 .

64

Zur Theorie der Metapher

2.1.4. Metaphern und Anthropomorphismen Da J H W H in Israel als ich-bewußte, ansprechbare, denkende, wollende und empfindende Person aufgefaßt wurde, sei die Rede über seine Willenstätigkeit, seine Stimmungen und Gefühle nicht ohne weiteres metaphorisch zu verstehen, meint BJ0RNDALEN. „Wenn auch Gott selbst tm Anderer ist, heißt das nicht schon, daß unsere Worte, wenn sie Gott selbst von den Eigenschaften seines Tuns her benennen, sich dabei auf,andere' Elemente der Eigenschaften seines Tuns beziehen oder beziehen können als diejenigen, auf die sie sich beim Benennen von uns direkt zugänglichen Denotaten beziehen." 10 Wo von der „Hand" JHWHs, seinem „Auge", „Mund" oder „Arm" gesprochen wird, kommt BJORNDALEN meist zu dem Schluß, es liege konjunktive, also nicht-metaphorische Bedeutungsverwendung vor, selbst wenn man sich J H W H nicht konkret körperlich vorgestellt habe. Denn wäre beispielsweise das Wort D'.aw in Hi 34,21 metaphorisch (disjunktiv) verwendet, so müßte es auf irgendwelche Instrumente des Sehens J H W H s bezogen sein, welche keine Augen sind. Doch im Kontext finde sich kein Hinweis auf einen solchen Bezugspunkt (81f). Die Schwierigkeit liegt in der Verschwommenheit der Begriffe „konjunktive" und „disjunktive" Wortverwendung, mithin in einer für die exegetische Arbeit nicht gut brauchbaren Metapherntheorie. Nach dem oben erarbeiteten Metaphernbegriff können die Anthropomorphismen des Alten Testaments nicht anders denn als Metaphern angesehen werden. Tief verwurzelt war in Israel die Uberzeugung von dem fundamentalen Unterschied zwischen Gott und Mensch. Sterben muß der Mensch, wenn er den H E R R n sieht.11 Das Bilderverbot zeugt auf seine Weise davon, daß J H W H sich nicht fixieren läßt auf einen Gegenstand der innerweltlichen Erfahrung, und wenn es die Gestalt eines Menschen wäre. Die Gläubigen Israels dürften die anthropomorphe Rede von ihrem Gott daher kaum in naiver Weise wortwörtlich verstanden haben. Dennoch hat BJORNDALEN zum Teil recht: Spezielle Metaphern wie „Gott der H E R R ist Sonne und Schild." (Ps 84,12) werden anders empfunden als Anthropomorphismen. Daß J H W H sich mit „Löwengebrüll" kundtut, ist anders zu verstehen, als wenn es heißt, er „rede" zu den Seinen und nahe sich ihnen mit menschlichen Worten. Das Menschliche scheint ihm eher zu entsprechen.12 Johannes HEMPEL meint, der Anthropomorphismus J H W H s im Alten Testament erwachse aus dem Selbstbewußtsein des Menschen gegenüber dem Tier. Er fragt, ob sich nicht in dem anthropomorphen Gottesbild der als jahwistisch angenommenen Pentateuchtexte weniger nur naiv-urtümliches Traditionsgut wiederspiegele als vielmehr „das Bekenntnis zu dem menschengestaltigen im Gegensatz zu dem tiergestaltigen Gotte" (78). Auch die Priesterschrift deute in diese Richtung, wenn 10

11 12

BJORNDALEN, 6 5 ; i n s g e s a m t v g l .

62-96.

Vgl. Ex 33,20; Ri 6,22f; 13,22f: Jes 6,5; Gen 32,31; aber: Ex 24,10f. HEMPEL, Grenzen, 75-85.

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sie den Menschen als „Bild Gottes" begreife (Gen 1,26). Andererseits „findet der Anthropomorphismus seine Grenze an der Unmöglichkeit, das Wesen der Gottheit im menschlichen Bilde zureichend darzustellen." (79) Israel habe diese Grenze zunächst im Bereich des Rechts empfunden. Während die Götter anderer Völker (man vergleiche z.B. die homerischen Götter) einem Weltgesetz, Grundgesetz oder wie auch immer unterworfen seien und sich in ihrem Handeln daran messen lassen müßten, sei dies für Israels Gott undenkbar. Er erläßt selbst seine Gesetze in souveräner Freiheit. Sodann zeige die Sphäre des Lebens eine Grenze des Anthropomorphismus. Der Ackerbaugott sei immer ein sterbender und auferstehender Gott gewesen; J H W H aber könne nicht sterben. Die Ausschaltung der Sexualität markiere schließlich die bezeichnendste Grenze des Anthropomorphismus JHWHs in der israelitischen Religion. Der Verkehr von Gott und Göttin gehöre zu den elementarsten Bestandteilen der Ackerbaureligion. Hier habe Israel radikal ausgeschieden, soviel es sonst beibehalten haben mag. Selbst die Rede vom Menschen als dem „Bild Gottes" (Gen 1,26) sei dem Gegensatz gegen eine Sexualität Gottes dienstbar gemacht, denn die Gottebenbildlichkeit umspanne nicht die Kraft, Leben zu zeugen. Diese werde den Menschen wie den anderen Geschöpfen - die bezeichnenderweise nicht Kinder einer „großen Mutter" sind - durch einen besonderen Segen verliehen. Auch könne von einer möglichen „Zweigeschlechtlichkeit" JHWHs nicht die Rede sein. Vom Christusgeschehen her fragt Ulrich M A U S E R weniger nach den Grenzen als nach der inneren Notwendigkeit, anthropomorph von Gott zu sprechen.' 3 Mit Z I M M E R L I sieht er im ganzen Alten Testament die Struktur der Erwartung des Kommens Gottes in Gericht und Gnade. Wieso könne man sagen, daß das Kommen Jesu Christi, in dem nach neutestamenlichem Zeugnis Gott selbst in der Geschichte eines Menschen kommt, dieser Erwartung sachlich entspricht? M A U S E R fragt, ob es möglich oder vom Wesen der alttestamentlichen Verheißung gar gefordert sei, das Erwarten des Kommens Gottes als Mensch im Alten Testament bezeugt zu finden. Seine These lautet: „Die Anthropomorphismen des Alten Testaments sind Anzeigen eines Gottes, der dem Menschen nicht fremd ist, sondern in Teilnahme an der Geschichte des Menschen sich Menschliches zugesellt." (17) Dem entspreche auf der anderen Seite das Menschenbild des Alten Testaments, das in einem bestimmten Sinne theomorph sei. So sei der alttestamentliche Gott ev (iopcpfj otv&pü)7rou bereits die Ankündigung des Deus incarnatus, und der alttestamentliche Mensch, der sein Leben in einer gewissen Weise ev (iopcpf) deoü erfahre, sei der Bote des Menschen Jesus, dem das christliche Bekenntnis vere Deus gelte. Diese These exemplifiziert M A U S E R u.a. an Verkündigung und Gestalt Hoseas (46-77). In Hoseas Verkündigung, formal überwiegend als direkte Gottesrede gestaltet, teile sich ein Gott mit, der in seinem Innersten teilnimmt an der Geschichte Israels, ein Gott, der als schwer verletzter und tief enttäuschter Liebender begegnet. „Er thront nicht über den Wechselfällen von Israels Geschichte in unbeteiligter Seligkeit, sondern er ist mit seinem eigenen Wesen aufs tiefste in sie hineingezogen. Israels Gegenliebe macht ihm Entzücken; Israels Undank verursacht 13

MAUSER, G o t t e s b i l d . V g l . JÜNGEL, A n t h r o p o m o r p h i s m u s ,

499-521.

66

Zur Theorie der Metapher

ihm Schmerz." (54) Diesem Gott korrespondiere der Prophet als JHWHs Gleichnis. Der göttliche Befehl in Hos 1,2 beispielsweise habe seinen eigentlichen Sinn nicht in der Zeichenhaftigkeit der Familie Hoseas für die, die diese Ehe von außen beobachten, sondern darin, daß das Leben des Propheten dadurch geprägt wird, daß er mit seinem Geschick teilnimmt an dem Leiden Gottes und mit ihm steht in der Kälte der Vergessenheit. So begegne uns im Hoseabuch ein Gott, „dessen eigenes Leben mit dem Leben des Menschen so verbunden ist, daß die menschliche Geschichte auch die Geschichte Gottes bestimmt." (76) In seinem geschichtlichen Verhalten sei JHWH anthropomorph. Zwar müsse die anthropomorphe Redeweise analog verstanden werden; sie bezeichne nicht Gottes Sein an sich oder eine göttliche Substanz, sondern jeweils ein Verhalten. Doch gebe es im Hoseabuch keinen Hinweis, „der es nahelegen würde, dem Sein Gottes eine Stellung zu reservieren, die vom Verhalten Gottes nicht völlig ausgedrückt würde. Im Gegenteil: die Leidenschaft der göttlichen Monologe enthüllen eine Intensität des Verhaltens Gottes zum Menschen, die Gott in seinem Sein bestimmt." (77) Darum könne das Sein Gottes nur im Lichte seines Verhaltens zu uns beschrieben werden und müsse als ein dem Menschen zugewandtes, an der menschlichen Geschichte teilnehmendes, d.h. als ein anthropomorphes Sein erkannt werden. - Diese Überlegungen leiten schon über zu den Fragen nach Analogie und Offenbarung, die die nächsten beiden Kapitel prägen. An dieser Stelle ist folgendes festzuhalten: Die Anthropomorphismen sind als metaphorische Rede zu begreifen. Dies muß bewußt bleiben, um damit zugleich die Grenzen der anthropomorphen Vorstellung von JHWH wahrnehmen zu können. Dennoch entsprechen die Anthropomorphismen JHWH in besonderer Weise, weil er sich zu erkennen gegeben hat als ein Gott, der sich mit seinem innersten Wesen hineinbegibt in die Geschichte mit Menschen. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung können nicht die allgemeinen anthropomorphen Ausdrücke sein, sondern nur diejenigen, die bestimmte Ausprägungen menschlichen Lebens, z.B. in Familie und Beruf, assoziieren lassen und sich dadurch als aktive Metaphern erweisen.

2.2. Metapher und Analogie Wo es um metaphorische Rede von Gott geht, greift dies in die Analogiedebatte hinein, die ihren dogmatischen Ort in der Gotteslehre hat. Die vorliegende Arbeit beabsichtigt nicht, sich in diese Diskussion der Systematiker einzuschalten, doch sollen wenigstens die Berührungspunkte benannt werden. Sie liegen zum einen in der Struktur der Metapher selbst als analogischer Denkfigur. Zum anderen betreffen sie die Voraussetzungen menschlicher Rede von Gott, die als solche nur metaphorische, analoge Rede sein kann. Letzteres ist im folgendes Kapitel (2.3.) zu bedenken; hier wird zunächst die analogische Struktur der Metapher thematisiert.

Zur Theorie der theologischen Metapher

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2.2.1. Die Metapher als analogia proportionalitatis schreibt zu Metaphern, die „nach der Analogie" gebildet werden: „Von avakoyov rede ich dann, wenn sich gleich (¿noicog) verhält das Zweite zum Ersten und das Vierte zum Dritten; dann sagt man statt des Zweiten das Vierte oder anstatt des Vierten das Zweite. Und gelegentlich wird (ausdrücklich) beigefügt, wofür es gesetzt ist und worauf es sich bezieht."14 Offensichtlich legt er hier die mathematische Proportion a: b = c : d als Denkfigur zugrunde. Wenn sich die Trinkschale (b) zu Dionysos (a) verhält wie der Schild (d) zu Ares (c), kann man die Trinkschale Schild des Dionysos und den Schild Trinkschale des Ares nennen. „Oder: wie sich das Greisenalter zum Leben verhält, so der Abend zum Tage; mithin kann man den Abend Alter des Tages nennen oder (wie Empedokles) das Alter Lebensabend oder Sonnenuntergang des Lebens ..." (ebd.) Verschiedene Größen werden hier aufgrund der Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zueinander in Beziehung gesetzt. Treffend formuliert Immanuel K A N T , Analogie meine „nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen ,.."15 Darin unterscheidet sich diese später sogenannte analogia proportionalitatis von dem anderen grundlegenden Anaolgiemodell, der analogia attributionis. Bei dieser werden verschiedene Größen aufgrund verschiedener Verhältnisse zu einem ihnen Gemeinsamen analog benannt. Beispielsweise heißt man den menschlichen Körper „gesund", aber auch die Medizin, den Urin, die Ernährung u.a. Die Ättributionsanalogie wird in der aristotelischen Tradition nicht mit der Metapher in Verbindung gebracht. Sie kann deshalb vorläufig außer acht gelassen werden. Anders die Proportionalitätsanalogie: Bis zum Erweis des Gegenteils ist anzunehmen, daß sich jede Metapher zurückfuhren läßt auf die proportionale Form a : b = c : d. Z.B. Achill verhält sich in der Schlacht wie ein Löwe beim Beutefang.16 Oder: Das Volk Israel verhält sich seinem Gott gegenüber wie eine treulose Frau zu ihrem Ehemann. Dem Beziehungsgeflecht des Primärgegenstandes einer Metapher entstammen die Glieder a und b der entsprechenden Proportion, die Glieder c und d gehören dem Sekundärgegenstand an. Das Entscheidende ist in jedem Fall die Relation, die zwischen a ARISTOTELES

14

ARISTOTELES, Poetik, 1457b, 16ff. Die Übersetzung wurde nach JÜNGEL, Gott, 364, zitiert, da die von mir benutzte griechisch-deutsche Reclam-Ausgabe ungenau übersetzt. Vgl. PANNENBERG, Art. .Analogie", in: RGG 3 , Bd. 1, 3 5 0 - 3 5 3 ; JÜNGEL, Gott, 3 5 7 - 3 8 3 ; TRACK, Art. ,Analogie", in: TRE, Bd. 2, 6 2 5 - 6 5 0 . 15

16

KANT, Prolegomena, 130.

TRACK formt die berühmte Metapher „Achill ist ein Löwe" in eine völlig unsinnige Proportion um: Es verhalte sich der Achill zum Mut wie der Mut zum Löwen nach der Form a:b-b:c. Auf die gemeinsame Mitte (Mut) komme es an (TRE, Bd. 2, 628).

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Zur Theorie der Metapher

und b wie zwischen c und d besteht. In der Mathematik ist diese Relation ftir die beiden Paare identisch, nicht nur ähnlich. Abgesehen von dieser Relation haben die Größen nichts miteinander zu tun. Vollkommen unähnliche Dinge, die ihrem Wesen nach nichts gemein haben, können mittels der analogia proportionalitatis zueinander in Beziehung gesetzt werden und wegen der Verhältnisentsprechung mit demselben Wort benannt werden. Übertragen auf die Beziehung zwischen Gott und Welt, führte dieses Denkmodell zu der Behauptung, jede noch so große Ähnlichkeit zwischen Gott und Geschaffenem sei von immer noch größerer Unähnlichkeit umgriffen. Denn die Ähnlichkeit betrifft „nur" die Relation zwischen ansonsten völlig unähnlichen Größen. Da Unendliches nicht zu Endlichem in ein Verhältnis gebracht werden kann, lautet die reine Verhältnisanalogie: Gott verhält sich zu Göttlichem wie das Geschöpf zu Geschöpflichem. „Nennt man Gott einen Löwen, so besagt das nur, daß Gott in seinen Aktionen ähnlich stark ist wie der Löwe in den seinen".17 Im Grunde läßt sich auf diese Weise gar nichts über Gott aussagen, denn die Proportion enthält mehrere Unbekannte. Selbst wenn man „Göttliches" als etwas in dieser Welt irgendwie Bekanntes annimmt, woher wollte man wissen, in welchem Verhältnis es zu Gott selbst steht? Gott wird aus der Welt herausgehalten bei dieser Anaologieform. 18 Mit Hilfe der analogia attributionis gelingt es dann immerhin doch noch, Gott in einem Verhältnis zur erfahrbaren Welt auszusagen: Die Welt steht zu Gott im Verhältnis der Abhängigkeit. Was Gott dem Schöpfer im eigentlichen Sinn zukommt (Sein, Güte usw.), wird den Geschöpfen, die ihr Sein von ihm empfangen haben, in einem anderen, abgeleiteten Sinn zuerkannt (attribuitur). Erst die Verknüpfung der analogia proportionalitatis mit der analogia attributionis ermöglicht die folgende Aussage: „... wie sich verhält eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment zum Künstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt ... zu dem Unbekannten, das sich also hierdurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst ist, aber doch nach dem, was es für mich ist, ... erkenne ... Eine solche Erkenntnis ist die n a c h d e r A n a l o g i e ..."19

17

JÜNGEL, G o t t , 376, A n m . 51.

18

Vgl. KLEIN, Art. „analogia entis", in: RGG3, Bd. 1, 349: „Gott verhält sich zu seinem Sein wie die Kreatur zu ihrem Sein. Wenn es sich dabei jedoch um Verhältnisse handelt, die zueinander in Beziehung gesetzt werden, und wenn dadurch jede inhaltlich identische Aussage vermieden werden soll, so ist demgegenüber festzustellen, daß damit in Wirklichkeit ebensowenig eine echte Erkenntnis gewonnen werden kann wie mit anderen an der Mathematik orientierten formalen Analogien ... Eine konsequente Durchdenkung der Proportionalitätsanalogie führt zu der Einsicht, daß menschliche Erkenntnis auch mit diesem Instrument über eine rein negative Theologie nicht hinauskommt." 19

KANT, Prolegomena, 129f.

Zur Theorie der theologischen Metapher

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Die so gewonnene Gleichung der Form x : a = b : c (Gott verhält sich zur erfahrbaren Welt z.B. wie der Baumeister zum Schiff) enthält zwar nur noch eine Unbekannte. Doch kann wegen des unendlichen qualitativen Unterschiedes zwischen Schöpfer und Geschöpf damit genaugenommen über Gott selbst inhaltlich auch nichts ausgesagt werden. Nur seine Relation zur Welt wird benannt. Es ist Immanuel KANT ZU verdanken, diese Grenze einer Gotteserkenntnis nach der Analogie unwiderruflich markiert zu haben. „Der zunächst als unerreichbar geltende Gott... wird mit Hilfe der Analogie nur gerade so weit zur Sprache gebracht, daß ein Verhältnis von ihm zur Welt aussagbar wird, ohne daß dieses Verhältnis als Aussage über Gottes Sein in Betracht kommt." 20 Mit dieser Aporie haben sich die Systematiker zu befassen. Nur soweit es die Metaphern über Gott betrifft, muß hier nun ein anderer Weg gezeigt werden. Zunächst ist es dabei nötig, an der entscheidenden Voraussetzung zu rütteln, die die Metapher wie die Proportionalitätsanalogie von der mathematischen Proportion herleitet. Denn das zugrundegeigte Denkmodell

20 JÜNGEL, Gott, 3 8 6 . Vgl. KANT, Prolegomena, 129f; im 3. Teil (Von der Grenzbestimmung der reinen Vernunft) heißt es: „§57 ... W i r halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sind. Denn alsdann eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften a n s i c h s e l b s t zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den d o g m a t i s c h e n Anthropomorphismus; wir legen sie aber dennoch dem Verhältnis desselben zur Welt bei und erlauben uns einen s y m b o l i s c h e n Anthropomorphismus, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht. Wenn ich sage, wir sind genötigt, die Welt so anzusehen, a l s o b sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nicht mehr als: wie sich verhält eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment zum Künstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt (oder alles, was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht) zu dem /'30 Unbekannten, das ich also hierdurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst ist, aber doch nach dem, was es für mich ist, nämlich in Ansehung der Welt, davon ich ein Teil bin, erkenne.

§ 5 8 . Eine solche Erkenntnis ist die n a c h d e r A n a l o g i e , welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet.* Vermittelst dieser Analogie bleibt doch ein f ü r u n s hinlänglich bestimmter Begriff von dem höchsten Wesen übrig, ob wir gleich alles weggelassen haben, was ihn schlechthin und a n s i c h s e l b s t b e s t i m m e n könnte; denn wir bestimmen ihn doch respektiv auf die Welt und mithin auf uns, und mehr ist uns auch nicht nötig ... "... Z . B . wie sich verhält die Beförderung des Glückes der Kinder = a zu der Liebe der Eltern = b, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts = c zu dem Unbekannten in Gott = x, welches wir Liebe nennen; nicht als wenn es die mindeste Ähnlichkeit mit irgendeiner menschlichen Neigung hätte; sondern weil wir das Verhältnis derselben (sc. der Liebe G o t tes; Anm. d. Hg.) zur Welt demjenigen ähnlich setzen können, was Dinge der Welt untereinander haben. Der VerhältnisbegrifF aber ist hier eine bloße Kategorie, nämlich der Begriff der Ursache, der nichts mit der Sinnlichkeit zu tun hat."

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Zur Theorie der Metapher

der Proportion impliziert Denkzwänge, die zu Denkfehlern fuhren, wenn sie nicht explizit gemacht und ausgeschlossen werden. 2.2.2. Die Metapher im Unterschied zur mathematischen Proportion 2.2.2.1. Vertauschbarkeit und Umkehrbarkeit einzelner Glieder Mit einer Proportion a : b = c : d sind zugleich weitere Entsprechungen gegeben. So gilt a : c = b : d ebenso wie b : a = d : c. Bei einer Metapher jedoch ist es nicht möglich, einzelne Glieder derart zu vertauschen. Wenn Dionysos (a) sich zu seiner Trinkschale (b) verhält wie Ares (c) zu seinem Schilde (d), dann verhalten sich die beiden Götter zueinander (a : c) deswegen keineswegs wie eine Trinkschale zu einem Schild (b : d). Diese Aussage wäre sinnlos. ARISTOTELES scheint Metaphern zumindest in einer Hinsicht grundsätzlich für umkehrbar zu halten: Man kann die Trinkschale den Schild des Dionysos (ad) nennen und den Schild die Trinkschale des Ares (bc). Auch kann man vom „Lebensabend" ebenso sprechen wie vom „Alter des Tages", wenn sich der Abend zum Tag wie das Alter zum Leben verhält. Im Gefolge des ARISTOTELES behauptet auch W E I N R I C H die prinzipielle Umkehrbarkeit von Metaphern. Dies gelte jedoch nicht für die Bildfelder: „Lebensabend" sei geläufiger als „Tagesalter"; die Tradition habe einer Richtung den Vorrang gegeben, in die sich die Metapher zu einem Bildfeld entwickelt habe.21 Manche Metaphern allerdings erwecken Zweifel daran, ob sie wirklich grundsätzlich umkehrbar sind: Es ist sinnvoll zu sagen, das Evangelium ist der Same des Reiches Gottes, da sich das Evangelium zum Reich Gottes verhält wie der Same zur ausgewachsenen Pflanze. Doch unsinnig wäre es zu behaupten, der Same sei das Evangelium der Pflanze. ,,Abends, das Herz bleischwer"22 ist eine aussagestarke Metapher. Das Blei mit der ihm eigenen Schwere läßt den Zustand des Herzens deutlicher sehen und bestimmt ihn näher. Das Herz (auch dies übrigens eine metaphorische Benennung!) aber eignet sich nicht dazu, die Beschaffenheit eines Bleiklumpens genauer erkennen zu lassen. Schwermut des Herzens kann dem Blei auch metaphorisch nicht zugesprochen werden.23

21

WEINRICH, Kühne Metapher, 315. Aus: W. BENJAMIN, Möwen; zitiert bei WEINRICH, Streit, 328. 23 Martin L U T H E R bestreitet die Umkehrbarkeit von Metaphern der Bibel entschieden: „Nu sind die selbigen tropi ynn der schrifft also gethan/ das die wort nach der alten odder ersten deutunge / zeigen das ding/ so des newen gleichnis ist/ Vnd nach der newen deutunge/ zeigen sie das newe rechte ding odder wesen selbs/ vnd nicht widderumb zuruck / Als ynn diesem spruch/ Ich bin der rechte weinstock/ Hie ist das wort/ Weinstock/ ein tropus odder newe wort worden/ welchs nicht kan zu ru(e)ck deuten 22

Zur Theorie der theologischen Metapher

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Das legt folgende Vermutung nahe: Eine Metapher ist ohne weiteres umkehrbar, wenn Primär- und Sekundärgegenstand annähernd den gleichen Grad an Konkretheit, Anschaulichkeit, Komplexität oder Vertrautheit aufweisen. Ist dies nicht der Fall, so läßt sich die Metapher nur schwer oder gar nicht umkehren. Das erklärt, weshalb „Lebensabend" geläufiger ist als „Tagesalter". Ein Tag ist leichter überschaubar als ein ganzes menschliches Leben, er eignet sich deshalb besser als Metapher. Dennoch ist die Vorstellung vom Lebensalter noch gerade konkret genug, um die Umkehrung der Metapher („Der Tag ist alt geworden.") zu ermöglichen. Der erste gewichtige Unterschied zwischen Metapher und mathematischer Proportion besteht also darin, daß die Gesetze, nach denen die Glieder einer Proportion vertauscht und ihre Verhältnisse umgekehrt werden können, für die Metapher

nicht gelten.

2.2.2.2. Die Bedeutung des Relationengefuges fiir die Relata Einen weiteren Unterschied mag die Proportion 2 : 8 = 3 : 12 verdeutlichen: Erst durch diese Gleichung tritt die Zahl „3" in ein Verhältnis zur „12". Ihre Qualität als Ausdruck eines bestimmten Zahlenwertes besitzt sie auch außerhalb dieses Verhältnisses; sie ist, was sie ist, auch ohne die „12". Die Relation, in die sie der „Kontext" der Gleichung stellt, ist sozusagen für sie nur etwas Äußerliches, Hinzukommendes. Mit ihrem „Wesen" als Zahl „3" hat die Relation nichts zu tun. Dem Alter dagegen eignet von vornherein eine bestimmte Beziehung zum Leben; es ist nicht ohne diese Beziehung etwas „für sich" gleich einer mathematischen Größe. Auch dem Löwen ist sein Verhalten beim Beutefang nicht etwas rein Äußerliches; es gehört zu seinem Sein, es betrifft sein Wesen. Erst recht gilt dies für den Menschen. Er kann unmöglich er selbst sein ohne die vielfältigen Beziehungen und Verhältnisse, in denen er lebt. Erst in ihnen, mit ihnen und durch sie findet er seine Identität. Diese Beobachtungen lassen sich verallgemeinern: Primär- und Sekundärgegenstand einer Metapher sind immer jeweils ein System von Beziehungen. Sie können nicht ohne diese Beziehungen gedacht werden. Darin unterdeuten / den alten Weinstock ... Denn Christus ist nicht ein gleichnis des weinstocks/ sondern widderumb der weinstock ist ein gleichnis Christi ..." (LUTHER, Abendmahl, 129, 1 8 - 2 6 ) . „Es ist ja billicher/ das Christus bedeutet werde/ denn das er allererst bedeuten sollt/ sintemal das da deutet allemal geringer ist/ denn das bedeutet wird/ Vnd alle zeichen geringer sind/ denn das ding/ so sie bezeichnen/ wie das alles auch narren vnd kinder wol verstehen." (Ebd., 42, 1 5 - 1 9 ) . Die letzte Behauptung ist nicht fiir jeden Fall aufrechtzuerhalten. Sie trifft z.B. nicht zu, wenn Dinge der unbelebten Welt anthropomorph zur Sprache gebracht werden - vorausgesetzt, Unbelebtes ist gegenüber Belebtem als „geringer" anzusehen - , z.B. „Der Schrank seufzt.", „Der Himmel weint." Die menschlichen Verhaltensweisen „seufzen" und „weinen" sind jedoch vertraut genug, um Erfahrungen mit der außermenschlichen Wirklichkeit (be-)deuten zu können.

72

Zur Theorie der Metapher

scheiden sie sich grundsätzlich von den Gliedern einer Proportion, die als mathematische Größen aus dieser herausgelöst und in jedes beliebige andere „Beziehungsgeflecht", also jede beliebige andere mathematische Formel eingefügt werden können. Sicherlich ist es zu einem guten Teil dem vom Modell der Proportion herrührenden Denkzwang zuzuschreiben, daß man mit der analogia proportionalitatis jede inhaltliche Aussage über Gott selbst und sein Wesen zu vermeiden glaubte. „Die als Mittel der Erkenntnis angesetzte Analogie läßt jedes der vier Relata für sich selbst sein, so daß die Relationen ihnen völlig äußerlich bleiben."24 Deswegen, also unter der Voraussetzung der mathematischen Denkfigur, wird die angebbare vollkommene Ähnlichkeit der Relationen von einer immer noch größeren Unähnlichkeit der Relata übertreffen. JÜNGEL dringt demgegenüber auf ein neues Verständnis der Analogie „als je immer größere Ähnlichkeit inmitten noch so großer Unähnlichkeit zwischen Gott und Mensch" (408). Das Relationengefüge bleibt hier nicht etwas bloß Äußerliches in bezug auf die Relata, sondern die Analogie als dieses Relationengefüge bestimmt bei JÜNGEL die Relata (neu), so daß es durch die Analogie zu einem neuen Sein kommt. Diese in ihren Konsequenzen weitreichende These setzt das Ereignis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus voraus und gehört deshalb in das folgende Kapitel. Auf formalem Wege, also von der proportionalen Struktur der Analogie her, läßt sie sich nicht erschließen. Die Struktur der Metapher ermöglicht JÜNGELS These eher: Denn wenn es durch die Interaktion der beiden Gegenstände auch nicht unbedingt zu einem neuen Sein kommt, so sind diese doch von vornherein als Beziehungssysteme (= Relationengefüge) definiert. Wenn Gott seinem Volk begegnen will wie eine Mutter, die ihr Kind tröstet (Jes 66,13), so kann rein formal zumindest nicht ausgeschlossen werden, daß gerade in diesem Verhältnis etwas über Gott selbst und sein Wesen erkennbar wird. Denn auch das Verhältnis der Mutter zu ihrem Kind sagt etwas über sie selbst und ist ihr keineswegs nur etwas Äußerliches. 2.2.2.3. Identität oder Ähnlichkeit der Verhältnisse Nach verbreiteter Auffassung setzt jede Analogie einen identischen Logos voraus.25 Bei der Proportionalitätsanalogie liegt die Identität in den Relationen, bei der Attributionsanalogie in dem einen Gemeinsamen, auf das sich verschiedene Größen in je verschiedener Weise beziehen. Allerdings gab es in 24

25

JÜNGEL, G o t t , 3 8 7 .

Vgl. PANNENBERG, Doxologie, 190: „Die Analogie hängt an dieser Voraussetzung eines gleichen Logos ..." Auf S.191 wird er ausdrücklich „identischer Logos" genannt. Vgl. ders., Offenbarung, 18. 21. 28. 31: Ähnlichkeit setze ein Moment partieller Identität voraus, welches konstitutiv sei für die Analogie. Vgl. JÜNGEL, Gott, 367f.

Zur Theorie der theologischen Metapher

73

der Geschichte des Analogiebegriffes auch die Auffassung, Analogie sei ein eigenständiges Drittes zwischen Univokation und Aquivokation, d.h. sie braucht kein univokes Element zu enthalten. — Die mathematische Proportion setzt in der Tat identische Verhältnisse voraus. Trifft dies auch für die Metapher zu? J Ü N G E L konstatiert für das von der Metapher hergeleitete Analogiemodell „zwei ähnliche (identische) Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen". 26 .Ähnlich" und „identisch" werden hier offenbar zu Synonymen. In der Mathematik ist dieser Sprachgebrauch jedoch falsch. Die Ähnlichkeit zweier geometrischer Figuren besagt noch lange nicht, daß sie identisch sind. Identität stellt vielmehr denjenigen Sonderfall von Ähnlichkeit dar, der aus dem Verhältnis 1 : 1 resultiert.27 Von einer Identität der in Frage stehenden Verhältnisse kann bei einer Metapher nicht die Rede sein. Denn das Beziehungsgefiige ist jeweils so vielschichtig, daß es sich nicht auf einen Begriff bringen läßt. Primär- und Sekundärgegenstand bzw. die entsprechenden Implikationszusammenhänge sind durch vielfältige Projektionsbeziehungen miteinander verbunden. B L A C K grenzt die Metapher in dieser Hinsicht gerade gegen die mathematische Proportion ab.28 Den Begriff der Identität (von Relationen) sollte man deswegen im Blick auf Metaphern vermeiden und statt dessen von ähnlichen oder auch gleichen Verhältnissen sprechen. Man mag sich dabei an der deutschen Sprache orientieren, die von zwei verschiedenen Gegenständen nicht zu sagen erlaubt, der eine sei „derselbe" (Identität) wie der andere, selbst wenn sich beide aufs Haar gleichen. Wenn Analogie allerdings als ein Mittleres zwischen Univozität und Äquivozität verstanden wird, so trifft dies auch auf die Metapher zu: .Analogie in diesem Sinn liegt... vor, wenn dasselbe Wort von verschiedenen Dingen weder völlig gleichbedeutend oder sinnidentisch (univoce) noch extrem mehrdeutig und völlig sinnverschieden (aequivoce) gebraucht wird, sondern so, daß es etwas teils Gleiches, teils Verschiedenes aussagt."29 Damit rückt JÜNGEL, Gott, 368. Zwei Dreiecke z.B. sind einander ähnlich, wenn ihre Seiten jeweils im gleichen Winkel bzw. Verhältnis zueinander stehen. Dabei kann das eine Dreieck größer sein als das andere; das spielt keine Rolle, solange die Relationen übereinstimmen. Identisch sind die Dreiecke dann, wenn ihre Seiten jeweils genau gleich lang sind, so daß auch Fläche und U m f a n g genau übereinstimmen. Vermutlich gebraucht JÜNGEL die Begriffe „ähnlich" und „identisch" hier deswegen synonym, weil in der Scholastik immer von Ähnlichkeit gesprochen wird, das Verhältnis zwischen immanenter und ökonomischer Trinität aber identisch sein muß. 28 BLACK, Mehr über die Metapher, 395. 29 JÜNGEL, Gott, 367. Der Begriff „Univozität" bedarf freilich im Licht der modernen Semantik einer Überprüfung. Es ist zu bezweifeln, ob das Wort „Lebewesen" sowohl v o m Menschen wie v o m Ochsen „genau dasselbe" (ebd., 366) aussagt. Denn „Leben" bedeutet für einen Ochsen etwas anderes als für einen Menschen. Ein und dasselbe Wort erfährt in verschiedenen Kontexten jeweils eine - wenn auch geringfügige - Verschiebung seiner Be26

27

74

Zur Theorie der Metapher

die Metapher nun doch in die Nähe der Attributionsanalogie, die sich von dieser Unterscheidung zwischen univoker, äquivoker und analoger Prädikation herleitet. Wie schwierig es ist, bei Metaphern einen identischen Logos zu bestimmen, verdeutlicht PANNENBERGS Dissertation.30 In ihrem ersten Teil befaßt sich der Autor mit Namen und Bezeichnungen Gottes im Alten Testament. Mit Recht bringt er den JHWH-Namen als die entscheidende Selbstoffenbarung Gottes im Alten Testament zur Geltung, die alle anderen Gottesbezeichnungen erst ermöglicht. Es sei nicht sachgerecht, innerhalb der alttestamentlichen Gottesbezeichnungen - z.B. Vater, Er-Löser, König, Hirte - zwischen metaphorischen und eigentlichen Benennungen zu unterscheiden; dies behalte immer etwas Gequältes (11). Die Vergleichsebene jedoch liege durchweg in einem Tun, in tätigem Verhalten. Auch wo von Eigenschaften Gottes die Rede sei (gut, gerecht, barmherzig usw.), würden diese „nicht zu abgesonderten Bestimmungen eines dem Handeln vorausliegenden und im Handeln zwangsläufig sich äußernden göttlichen Wesens." (13f) Gott müsse nie so oder so handeln. Die Erkenntnis JHWHs liege ausschließlich in seiner tätigen Selbstgegenwart beschlossen. PANNENBERG schreibt: „Diese Tätigkeit nun - das scheint mir der entscheidende Punkt zu sein - muß als identisch verstanden werden, identisch bei dem als Bild gebrauchten Substantiv und bei Gott." (12). Daß es auf Gottes Tun ankommt, auf sein Verhalten, in dem er sich auf uns bezieht, und daß wir ihn allein aufgrund dessen erkennen können, bleibt unbestritten. Insgesamt liegt der Darstellung PANNENBERGS deutlich die Denkfigur der analogia proportionalitatis zugrunde: Es kommt auf das Verhältnis an. Dieses muß identisch sein (bei Gott und dem als Gottesbild gebrauchten Substantiv). Es sagt aber nichts über Gottes Wesen aus. Die Tätigkeit (Verb!) ist Ausdruck dieses identischen Verhältnisses. Dahinter steht die Einsicht, daß Verben (und auch Adjektive) für sich allein nicht bildlich gebraucht werden können, sondern erst durch die Beziehung auf ein Substantiv, dem sie „eigentlich" verbunden sind. Das bedeutet aber nicht — hier liegt ein Fehlschluß PANNENBERGS vor —, daß Verben keinem Bedeutungswandel unterliegen, wenn sie mit verschiedenen Subjekten verbunden werden. Wenn J H W H „brüllt" (iKttO, so ist dieses Brüllen auf keinen Fall identisch mit dem Gebrüll eines Löwen, sondern das Verb erfährt die für Metaphern typische Bedeutungsausweitung. Würde „weiden" in Ps 28,9 genau dasselbe bedeuten („identisch"!) wie bei einem Schafhirten, so müßte das Volk Gottes Gras fressen. Verben können demnach ebenso wie Substantive Fokus einer metaphorischen Aussage sein und erfahren dann eine Erweiterung ihrer Bedeutung.

deutung, so daß es nicht „genau dasselbe" bedeutet wie in einem anderen Kontext. Die Differenzierungen „univok", „analog" und „äquivok" müssen zwar beibehalten werden, doch die Termini bedürfen einer neuen Definition. 30 PANNENBERG, Offenbarung, besonders 1-15.

Zur Theorie der theologischen Metapher

2.2.3.

75

Zusammenfassung

Die Exkursion in das weite Gebiet der Analogielehre konnte nur weniges von den dort anzutreffenden ehrwürdigen Gedankengebäuden in den Blick nehmen, und auch dies nur flüchtig und mehr mit den Augen eines Fremden, der hier nicht zu Hause ist. Folgendes dürfte dennoch deutlich geworden sein: Die Metapher ist der Analogie verwandt; sie ist eine Form analogen Redens. Wie die mathematische Proportion zeigt die Metapher in vielen Fällen „die vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen vollkommen unähnlichen Dingen". Diese Verhältnisse dürfen jedoch nicht als etwas rein Äußerliches angesehen werden, da die beiden Gegenstände der Metapher von vornherein als Systeme von Beziehungen zu denken sind. Die Relationen betreffen das Sein der Relata. Wegen der Komplexität der beiden Beziehungssysteme, die den Primär- und den Sekundärgegenstand einer Metapher bilden, kann nicht von einer Identität der Relationen im strengen Sinn des Wortes gesprochen werden. In der lebendigen Sprache, die der unendlichen Vielfalt des Seienden zu entsprechen versucht, sollte man den Begriff der Identität ohnehin nur in Beziehung auf ein und denselben Gegenstand gebrauchen. Dagegen eignet er sich für den mathematischen Sachverhalt proportionaler Verhältnisse durchaus. Die Metapher aber gehört der lebendigen Sprache an und darf nicht in die Mathematik umgesiedelt werden. Denn auch hinsichtlich der Umkehrbarkeit und Vertauschbarkeit einzelner Glieder folgt die Metapher eigenen Gesetzmäßigkeiten, nicht denen der mathematischen Proportion. So gewiß alles menschliche Reden von Gott auf analoge Sprachformen angewiesen bleibt, für die Interpretation der alttestamentlichen Gottesmetaphern erweist sich die alte Analogielehre als wenig hilfreich. Die im ersten Teil dieser Arbeit gewonnenen Einsichten scheinen eher geeignet zu sein, die Exegese zu befruchten. Dazu ist es freilich notwendig, über das rein Formale hinausgehend, die Bedingung der Möglichkeit, überhaupt von Gott reden zu können, in den Blick zu nehmen.

2.3. Gottesmetapher und Offenbarung

2.3.1. Zur Frage nach der Referenz von Metaphern Fragen nach der Bedeutung religiöser Metaphern bleiben im Innersten unbeantwortet, „wenn nicht gezeigt wird, in welcher Weise religiöse Behauptungen referentiell sein können." So stellt J . M . SOSKICE am Schluß ihres Aufsatzes „Metapher und Offenbarung" 3 1 fest. Auf der Basis eines Wirklichkeitsverständnisses, das sich am objektiv Handhabbaren orientiert und 31

SOSKICE, 82. Eine Antwort auf diese Frage bleibt sie allerdings schuldig.

76

Zur Theorie der Metapher

Wirklichkeit gleichsetzt mit dem, was empirische Wissenschaften erforschen können, läßt sich dies nicht zeigen. Mary HESSE 32 fragt in Auseinandersetzung mit Paul RICOEUR und Nelson GOODMAN, wie Metaphern referieren und ob sie wahr oder falsch sein können. Zwar gesteht sie den Metaphern sowohl Referenz als auch Wahrheitswert zu, doch ausdrücklich wehrt sie die Annahme ab, daß sie „Wahrheitswerte transportieren oder eine Referenz besitzen, die mit der wissenschaftlicher Modelle verglichen werden könnte. Welche Wahrheit und Referenz sie auch immer besitzen, sie müssen unabhängig von dem pragmatischen Erfolg empirischer Wissenschaft analysiert werden." (143) Hier scheint stillschweigend derjenige Ausschnitt von Wirklichkeit, der Gegenstand empirischer Wissenschaft sein kann, als Norm für Wirkliches vorausgesetzt zu sein. Dieser Norm gegenüber können Metaphern natürlich nichts anderes als „spekulative Hypothesen" sein. Ihre Wahrheit hängt dann allein am Gefühl und an der subjektiven Erfahrung des einzelnen.33 Dieser Schwierigkeit ist sich M . H E S S E bewußt; die Frage nach der metaphorischen Referenz könne nur mit Hilfe einer überarbeiteten Ontologie und Theorie von Wissen und Wahrheit beantwortet werden. So stelle die Metapher für die Philosophie eine radikale Herausforderung dar.34 Wer das durch empirische Wissenschaft Erforschbare zur Norm für Wirkliches überhaupt erhebt, wird schon bei solchen Metaphern hilflos sein, die menschliche Grunderfahrungen wie Liebe und Leid, Glück oder Angst benennen, erst recht bei Metaphern für Gott. Eine Metapher, die die Erfahrung von Angst beschreibt, mag verdeutlichen, unter welcher Voraussetzung die Frage nach der Referenz von Gottesmetaphern zu beantworten möglich wird: In dem Roman „Augenoperation" von Jurij K O C H wird der jugendliche Ich-Erzähler in ein Becken mit Kalklauge gestoßen, die ihm beide Augen verätzt. „In mir stieg Angst auf. Daß es aussein könnte. Mit dem Tageslicht. Für immer. ... ich hatte mit dieser Angst zu tun, mit der ich noch nie etwas zu tun gehabt habe. Mit Ängsten schon, aber nicht mit dieser. Sie kam unerwartet wie ein Krokodil aus der Spree."35 32

Vgl. HESSE, 1 3 6 - 1 4 5 .

33

So MacCoRMAC, Bedeutung, 106: „Die von religiösen Metaphern nahegelegten Dimensionen der Realität lassen sich als annähernd wahr oder teilweise wahr verstehen - sie sind spekulative Hypothesen, auf die gleiche Art, wie wissenschaftliche Theorien vorläufige Wege zum Verständnis der Welt annehmen. O b die von Metaphern nahegelegten religiösen Möglichkeiten Wirklichkeit werden, hängt zum Teil von der Erfahrung des Einzelnen mit dieser Dimension der Realität ab ... Sowohl religiöse Bedeutung als auch religiöse Wahrheit sind kaum absolut, eine Lektion, die uns die religiösen Metaphern deutlich erteilen." Vgl. ders., Religiöse Metaphern, 174f: Religiöse Metaphern verweisen „auf eine transzendente Bedeutung für das Leben ..., eine hypothetische metaphorische Möglichkeit, die nur durch vor dem Hintergrund der historischen Welt interpretierte persönliche Erfahrung bestätigt werden kann." - S.o. 1.2.4.3. Anm. 76. 34

35

HESSE, 1 4 5 .

Z u m Ganzen vgl. besonders RICOEUR, Erzählung.

J. KOCH, 7f (Hervorhebung von mir).

Zur Theorie der theologischen Metapher

77

Ohne Zweifel ist diese Metapher mehr als eine spekulative Hypothese. Sie referiert auf etwas sehr Reales, auf eine bestimmte Angst, die den Jungen bedroht und mit etwas Unheimlichem konfrontiert, was er noch nie in Erwägung gezogen hat. Der Leser braucht diese konkrete Angst nicht zu kennen. Die Metapher von dem Krokodil aus der Spree macht ihn recht genau mit ihr bekannt, vorausgesetzt, er hat Angst in anderen Situationen, also andere Ängste schon erfahren. Die Metapher sagt somit mehr, als der Leser schon weiß; denn die konkrete Angst dieses Jungen kann er nicht kennen. Aber sie vermag dies nur, weil sie sich auf etwas bezieht, was der Leser kennt, was ihm vertraut ist: Angst im allgemeinen. Auch Gottesmetaphern können Neues über Gott sagen, was der Rezipient so noch nicht gesehen oder gewußt hat. Doch sie werden nur dann verstanden, wenn Gott nicht völlig unbekannt ist.

Die Möglichkeit, metaphorisch von Gott zu reden und diese Rede verstehen zu können, setzt eine gewisse Vertrautheit mit Gott voraus. Der Exkurs in die Analogielehre hat gezeigt, daß der Mensch mittels eines Analogieschlusses von der geschöpflichen Wirklichkeit auf die Wirklichkeit eines göttlichen Verursachers dessen Sein und Wesen nicht erkennen kann. Nur gerade ein Verhältnis der Abhängigkeit zwischen Geschöpf und Schöpfer wird aussagbar. So ist jede positive Gotteserkenntnis darauf angewiesen, daß Gott sich selbst bekanntmacht. Sie setzt Offenbarungvoraus. Offenbarung konstituiert somit die Referenz metaphorischer Rede von Gott. Selbst so unterschiedliche Theologen wie PANNENBERG und J Ü N G E L weisen der Offenbarung im Zusammenhang mit der Analogie Schlüsselfunktion zu, allerdings in verschiedener Weise. 2.3.2.

2.3.2.1.

Wolfiart

„Analogie und Doxologie"

PANNENBERG*

Von Gott kann nur mittelbar geredet werden, „nämlich so, daß von demjenigen welthaft Seienden die Rede ist, durch das die Wirklichkeit Gottes sich kundtut... Und von der Wirklichkeit Gottes ist immer nur so, wie sie durch eine bestimmte Gestalt der Welterfahrung in den Blick kommt, die Rede." (181) D.h. von Gott ist nur analog zu reden möglich, nur durch Übertragung von anderweitig gebildeten Wörtern, also metaphorisch. Nach der Analogielehre wurde von den Wirkungen Gottes her etwas über ihn selbst ausgesagt. Die Erkenntniskraft der Analogie hänge aber an der Voraussetzung eines gleichen (identischen!) Logos. Doch PANNENBERG bestreitet, daß es zwischen Schöpfer und Geschöpf einen eindeutig umgreifenden Mittelbegriff gibt bzw. eine Analogie, die das Sein Gottes erreichen könnte. In dem analogischen Rückschlußverfahren sieht er einen geistigen Zugriff — eine 36

PANNENBERG, D o x o l o g i e ,

181-201.

78

Zur Theorie der Metapher

Haltung, die Gott gegenüber unangemessen ist.37 In der Bibel dagegen wurzele alle Rede von Gott, die über die Bezeichnung eines besonderen Wirkens ihn selbst meine, in der Anbetung und sei in diesem Sinn doxologisch zu nennen. Das anbetende Reden von Gott unterscheide sich intentional von dem Verfahren, die Eigenschaften des göttlichen Ursprungs aus seinen Wirkungen durch Analogie zu erschließen. Denn im Akt der Anbetung werden nach P A N N E N B E R G unsere Worte der erhabenen Unendlichkeit Gottes übereignet. Dabei erleiden sie eine uns nicht mehr überschaubare Verwandlung ihres Wortsinnes. Das anbetende Reden von Gott enthält zwar eine Analogie, aber diese besteht nur in der Sprache, zwischen dem alltäglichen Sinn des Wortes und seiner theologischen Verwendung, nicht zwischen dem Wortsinn und dem Sein Gottes an und für sich. Von uns aus gesehen, werden die in der Anbetung Gott übereigneten Worte äquivok im Verhältnis zu ihrem sonstigen Wortsinn. Doch es handelt sich um eine aequivocatio a consilio, doxologische Aussagen sind nicht unbegründet. Sie werden begründbar durch Erfahrungen mit dem Göttlichen, die als Handeln Gottes - in Analogie zu menschlichem Handeln gedeutet werden. Solche Erfahrungen mit dem Göttlichen sind durch konkrete Ereignisse vermittelt, durch die uns das Ganze der Wirklichkeit ergreift. Zwar ist es möglich, derartige Ereignisse auch ohne Rückgriff auf Gott zu beschreiben, doch damit wäre die Tiefendimension der Wirklichkeit abgeblendet. P A N N E N B E R G setzt voraus, daß wir Menschen im Grunde unseres Wesens „die Einheit alles Wirklichen und unseres eigenen Daseins nur unter einer Voraussetzung zu denken vermögen, die alles, was wir in uns und um uns vorfinden, übersteigt und die wir Gott oder das Göttliche nennen, noch diesseits aller Unterscheidungen zwischen Monotheismus und Polytheismus, zwischen persönlicher und unpersönlicher Gottesauffassung." (194f) In dieser Weise deutete Israel konkrete geschichtliche Ereignisse als Handeln Gottes. Und nachdem die göttliche Macht einmal als handelnde Person verstanden war, „gestaltete sich in Israel so etwas wie ein Charakterbild seines Gottes, durch die fortgesetzte Erfahrung, wie dieser Gott sich durch sein Handeln mit Israel diesem Volke erwies." (198) Die Spannung der Eigenschaften untereinander hielt dabei das Bewußtsein der Vorläufigkeit alles Redens von Gott wach. Die Offenbarung, die P A N N E N B E R G nirgendwo anders als im Christusgeschehen festmacht, führt in gewissem Sinn über diese Vorläufigkeit hinaus. „Die Metaphorik unseres Redens von Gott, die auch Jesus teilte, wenn er von Gott als dem Vater sprach, ist gleichsam durch Gott selbst angenommen worden, indem er Jesus auferweckte und sich so zu ihm bekannte." (199)

3 7 D a m i t benennt PANNENBERG genau die Aporie der traditionellen Analogielehre: Entweder eine positive Gotteserkenntnis wird unmöglich, oder der Mensch bemächtigt sich in unangemessener Weise des Göttlichen, indem er Gott zu einem Teil der Welt macht.

Zur Theorie der theologischen Metapher

79

Fortan ist Gott nicht anders da als so, wie er durch Jesus verkündigt wurde. Doch auch das Reden von Gott aufgrund seiner Offenbarung in Jesus Christus bleibt vorläufig. Sie selbst ist zwar endgültig, aber wir können ihren vollen Inhalt erst erfassen in jener eschatologischen Zukunft, in der endgültig offenbar wird, was sich im Geschehen der Auferstehung Jesu bereits ereignet hat. Das bedeutet, daß auch die durch die Offenbarung Gottes in Christus ermöglichten menschlichen Worte von Gott keine endgültige Gotteserkenntnis vermitteln. Nur die Demut der Anbetung bewahrt vor der Hybris zu meinen, man habe die ewige Wahrheit Gottes durch menschliche Worte ergriffen. Es kann keine Analogie des Sprachgebrauchs zu Gott selbst behauptet werden, nur eine analoge Übertragung in der Sprache. Der Begriff der Offenbarung tritt fiir PANNENBERG an die Stelle, wo die alte Analogielehre die Entsprechung des Gott benennenden Wortes in Gott selbst behauptet: „Darum ist Gott nicht - gleichsam naturhaft — in Analogie zu unserem Reden von ihm, sondern - wiederum in einer Metapher gesagt - er macht sich unser metaphorisches Reden zueigen durch seine Offenbarung, und er gibt dadurch unsern lobpreisenden Worten erst ihren endgültigen Inhalt." (201). 2.3.2.2.

Diskussion

PANNENBERGS Entwurf läßt etwas von der Ehrfurcht ahnen, die uns Menschen gegenüber dem Geheimnis Gottes angemessen ist. Es gelingt ihm, Offenbarung ausschließlich an das Christusgeschehen zu binden. Durch den Begriff der Prolepse vermag er auch die alttestamentliche Gotteserkenntnis in dieses Geschehen einzubeziehen. Er versucht, auch die Gotteserfahrungen von Menschen anderen Glaubens positiv aufzunehmen. Doch hier beginnen zugleich die Schwierigkeiten: Bei PANNENBERG klingt es so, als sei das menschliche Reden von Gott in der Doxologie primär gegenüber der Offenbarung. Der Mensch scheint in seiner Deutung der Erfahrungen erst einmal völlig auf sich allein gestellt zu sein. PANNENBERG macht zwar die Verkündigung Jesu als Kriterium geltend, das zwischen angemessener und unangemessener menschlicher Rede von Gott zu scheiden erlaubt. Gott sei fortan nur noch so da, wie er von Jesus Christus verkündigt wurde. Trotzdem bleibt Gott selbst in PANNENBERGS Entwurf merkwürdig unbekannt; denn Offenbarung bedeutet lediglich, daß Gott Jesu metaphorisches Reden von ihm angenommen hat, indem er ihn auferweckte. Obwohl von daher unser metaphorisches Reden von Gott gut begründet ist, sofern es sich auf Jesu Verkündigung stützt, erleiden unsere Worte eine uns nicht überschaubare Verwandlung ihres Sinnes, wenn sie von Gott angenommen werden. In der Doxologie könnte man sich mit einem solchen unüberschaubaren Bedeutungswandel abfinden. Doch mindestens ebenso wichtig wie das doxologische Reden des Menschen zu Gott ist die andere Richtung, nämlich

80

Z u r T h e o r i e der M e t a p h e r

daß von Gott zu Menschen gesprochen wird. Das Evangelium, das als Kraft zur Rettung verkündigt wird, hat diese Richtung zum Menschen hin, die bei PANNENBERG kaum in den Blick kommt. Offenbarung muß mehr sein als das göttliche Sich-Aneignen unserer metaphorischen Worte des Lobpreises; sonst erreicht sie im Grunde nicht uns Menschen in unserer Verlorenheit und Gottesferne, sondern nur unsere Worte. Sie bleibt sozusagen auf halbem Wege stehen. 2.3.3. „Analogie des Advent" 2.3.3.1. Eberhard

JÜNGEL38

Nach JÜNGEL setzt jede Analogie zwischen Gott und Welt und damit auch jede Gott entsprechende menschliche Rede von Gott Offenbarung allererst voraus. „Es geht um eine Analogie des Advent, die die Ankunft Gottes beim Menschen als ein definitives Geschehen zur Sprache bringt." (389) Diese Analogie des Advent ist nur als analogia fidei im Sinne Karl BARTHS zu begreifen (356f; vgl. 390, Anm. 12). Analogie wird verstanden als ein Geschehen, das Gott (x) zur Welt (a) kommen läßt mit Hilfe der Beziehung (b : c), die innerweltlich bekannt ist. Das entsprechende Weltverhältnis vermag von sich aus keinerlei Hinweis auf Gott zu geben. Es beginnt aber dann aufgrund des Verhältnisses Gottes (x) zur Welt (a) für Gott zu sprechen, und es erscheint dadurch „in einem ganz und gar neuen, in einem dieses Weltverhältnis selbst neu machenden, in einem eschatologischen Licht." (389) Wenn von (b : c) so erzählt wird, daß es dem Verhältnis Gottes zur Welt entspricht, hört Gott dadurch auf, unbekannt zu sein. Im Ereignis der Analogie stellt sich Gott vor, indem er ankommt. „Und dieses sein Ankommen gehört selbst zu seinem Sein, das er ankommend offenbart." (390). Die Ankunft Gottes beim Menschen vollzieht sich als ein Zur-SpracheKommen, und zwar als Evangelium, das es zu verstehen gilt als Ereignis der Entsprechung. Den wesentlichen Inhalt des Evangeliums sagt die paulinische Wendung Xöyoc, roC araupoö aus. Dies meint ein Geschehen, in dem das göttliche Wort als eindeutiges „Ja" zu uns Menschen und zur Welt (2Kor 1,19) definitiv Ereignis wurde. Der Name Jesu Christi des Gekreuzigten steht für diese Definitivität des göttlichen Wortes. Der Ereignischarakter des Kreuzesgeschehens teilt sich nach JÜNGEL der Sprache mit, die davon redet, so daß das göttliche „Ja" je neu für die Hörer des Evangeliums Ereignis wird. „Ja" ist ein menschliches Wort. Das Modell menschlicher Rede wird auf Gott übertragen aufgrund der Gewißheit, „daß Gott sich gerade im Vollzug seiner Göttlichkeit zugleich als menschlich erwiesen hat." (393). 38

JÜNGEL, Gott, 3 8 3 - 4 0 8 , vgl. besonders 389ff.

Zur Theorie der theologischen Metapher

81

Diese Gewißheit, in der Gott als Redender gedacht wird, gründet sich auf das, was die Bibel Offenbarung nennt: auf dasjenige Ereignis, in dem Gott als Gott sprachlich zugänglich wird. „In diesem Ereignis und als dieses vollzieht sich die Analogie des Glaubens, in der nicht etwa menschliche Worte Gott zu nahe treten, sondern Gott als Wort in menschlichen Worten Menschen nahe kommt." (ebd.) Von hier aus kommt J Ü N G E L ZU der These, die das Wesen des christlichen Glaubens konstituierende Differenz von Gott und Mensch auszusagen als „die Differenz einer inmitten noch so großer Unähnlichkeit immer noch größeren Ähnlichkeit zwischen Gott und Mensch." (ebd.) Die so verstandene Analogie setzt das Ereignis der Menschwerdung Gottes, die Fleischwerdung des Wortes Gottes in Jesus Christus voraus, die der christliche Glaube bekennt. An diesem Ereignis wird zugleich deutlich, daß die immer noch größere Ähnlichkeit nicht umschlägt in beziehungslose Identität, sondern die Differenz wird gewahrt: zwischen Jesus Christus als dem Sohn und Gott dem Vater, zwischen dem konkreten Menschen Jesus, mit dem Gott sich identifizierte, und den anderen Menschen. Gerade so wird Nähe ermöglicht. Die sich im Ereignis des Zur-Welt-Kommens Gottes vollziehende Analogie versteht J Ü N G E L wesentlich als Sprachereignis. Gott verhält sich zu seinem Wort so, daß er sich dabei zugleich in einer bestimmten Weise zum Menschen und zum Verhältnis des Menschen zu seinem eigenen Wort verhält. Die Relationen selbst sind sprachlich. Sie „geschehen, insofern in ihnen und nicht nur in einer von beiden — Gott sich selber verhält. Die Relationen sind also nicht den Relata gegenüber äußerliche Verhältnisse, sondern Vollzüge eines sprachlichen Verhaltens, das die zueinander in Beziehung tretenden Relata in ein neues, ihr eigenes Sein zutiefst bestimmendes Verhältnis bringt." (395) Dabei ist das Ereignis der Entsprechung menschlicher Rede zu Gott kein der Sprache eigenes Vermögen, sondern eine ihr selbst fremde, von Gott aber ihr eröffnete und zugemutete Möglichkeit. Insgesamt hat die analoge Rede von Gott die Struktur der Metapher (396ff). Die Gleichnisse, von der Struktur der Metapher her verstanden, stehen für die Sprache des Glaubens überhaupt. „Die Gottesherrschaft kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache (und so zum Hörer)." (403) Das, wovon im Gleichnis die Rede ist, wird im Gleichnis selbst, also in der Sprache („non-referential"!) konkret und bestimmt die Angesprochenen in ihrer eigenen Existenz neu (400, bes. Anm. 22).

2.3.3.2.

Diskussion

Die als analogiafidei zu verstehende „Analogie des Advent" weist genau in die entgegengesetzte Richtung wie die von P A N N E N B E R G behauptete doxologische Analogie. Die Bewegung geht von Gott zu den Menschen. Diese ist gegenüber der doxologischen Bewegung vom Menschen zu Gott primär.

82

Z u r T h e o r i e der M e t a p h e r

Mit einer Analogie des Advent wird die Frage nach der Referenz theologischer Metaphern beantwortbar, besser gesagt: bei J Ü N G E L wird sie überflüssig. Gott kommt zur Welt, indem er zur Sprache kommt. Und dieses sein Kommen bindet J Ü N G E L so stark in die Sprache ein, daß es mit ihr eine „in sich differenzierte Einheit" (400) eingeht. Die Sprache, die Gottes Kommen zu uns entspricht, verweist nicht auf etwas Außersprachliches, sondern sie ist „non-referential". Offenbarung ist Sprache. Von einer Theologie des Wortes Gottes her ließe sich das bejahen. Um Mißverständnissen vorzubeugen, müssen jedoch zwei Gefahren dieses Ansatzes benannt werden: Als erstes darf nicht der Eindruck entstehen, Gott identifiziere sich in seinem Kommen derart mit der Sprache, daß seine Offenbarung in menschlichen Worten verfugbar erscheint, als sei mit der Erzählung eines Gleichnisses das Gottesreich quasi automatisch anwesend. J Ü N G E L versucht, dieser Gefahr zu begegnen, indem er das Kommen Gottes betont (403). Es geht also um ein dynamisches Geschehen, dessen Subjekt Gott in seiner je neuen, freien Zuwendung zu uns Menschen ist. Der Mensch kann Gott nicht „haben", auch nicht in den Worten, mit denen Gott schon einmal bei ihm angekommen ist - etwa in den Zeugnissen der Bibel. Sie bleiben leer, wenn Gott sie nicht selbst jeweils aufs neue mit seiner Gegenwart füllt. Wenn allerdings Gott bei uns ankommt, dann ist die Erfahrung seines Kommens nicht mehr zu trennen von der Sprache, die sie vermittelt. J Ü N G E L wahrt hierbei die Differenz zwischen unserem Reden und der Wirklichkeit Gottes dadurch, daß er den Gleichnischarakter der Sprache des Glaubens hervorhebt. („Die Gottesherrschaft kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache ." 403). Doch um Gleichnisrede verstehen zu können, muß man, wie er selbst sagt, vertraut sein mit dem Sachverhalt, der im Gleichnis zur Sprache gebracht wird. Das bedeutet aber: Das Gleichnis ist nicht der Sachverhalt selbst, auch wenn dieser nur gleichnishaft benannt werden kann. Aus diesem Grund müßte das Ereignis der Ankunft Gottes noch einmal unterschieden werden von den Worten, die es ansagen, so gewiß wir nur „in, mit und unter" diesen Worten Zugang zu ihm gewinnen.39 39 Das Problem wird evident, wenn man der These JÜNGELS von „Gottes Sein als Liebe" nachdenkt. Liebe dränge zur Sprache, Liebeserklärung und Liebesbestätigung gehörten zu ihr (408). Dies bleibt unbestritten. Doch schon die Liebe zwischen zwei Menschen ist zweifellos mehr als ein Sprachgeschehen. Wenn Liebende dem, was sie erfüllt, mit Worten Ausdruck zu verleihen suchen, werden sie diese Differenz empfinden. Worte haben gerade in diesem Zusammenhang verweisenden Charakter. Übrigens, wenn JÜNGEL sagt, die Liebe (Gottes) dränge zur Sprache, begreift er sie als etwas der Sprache Vorausliegendes. Vgl. G . SELLIN, 4 1 1 - 4 1 6 : Der Verfasser setzt sich hier mit JÜNGELS Arbeiten zum Verständnis der Gleichnisse Jesu kritisch auseinander. Für die Theologie sei unbedingt am Ereignischarakter von Sprache festzuhalten, jedes Ereignis habe in seiner Bedeutung eine sprachliche Struktur. Das Problem liege in der Frage, inwiefern Aussage bzw. Behauptung und Ereignis des Aus-

Zur Theorie der theologischen Metapher

83

Eine zweite Gefahr betrifft das Verhältnis von Sprache und Geschichte zueinander. Die Offenbarung bleibt bei J Ü N G E L auf geschehene und geschehende Geschichte Gottes mit den Menschen bezogen. Gerade die Sprache sucht diese Geschichte zur Geltung zu bringen: Wie Gott zum Menschen kommt, ist nach J Ü N G E L wesentlich eine zu erzählende Geschichte (409ff). In der Erzählung kehre „die Geschichte in das Element zurück, aus dem sie hervorging: in die Sprache. Und durch eben diese Rückkehr in die Sprache kommt die geschehene Geschichte als geschehende Geschichte voran." (418) Geschichte wird hier also zu einer Funktion der Sprache. Auch Gottes Geschichte mit den Menschen wird sofort in die Sprache hinein aufgehoben — als Erzählung vom Leben, Leiden und Auferstehen Jesu Christi, die die Geschichten JHWHs mit Israel und dann auch die Geschichten Gottes mit seinem neu berufenen Volk aus Juden und Heiden mit umfaßt.40 JÜNGEL macht diese Geschichte zum Kriterium unseres Redens von Gott. Hier verbirgt sich ein Widerspruch: Wie kann etwas, was allein in Abhängigkeit von der Sprache gedacht wird, als ihr Kriterium fungieren? Geschichte kann nur dann Kriterium der Sprache sein, wenn sie nicht vollständig in ihr aufgeht. Zugestandenermaßen sind Sprache und Geschichte auf das engste miteinander verflochten. Wir nehmen Ereignisse und Gegebenheiten immer schon in der Sprache wahr. Die Art und Weise, wie sie dann zur Sprache gebracht werden, vermag wiederum unsere Sicht der Ereignisse und Gegebenheiten zu verändern bzw. zu prägen. Unser Sprechen über etwas impliziert immer zugleich eine gewisse Deutung. So beeinflußt es unser Verhalten und bestimmt unsere Geschichte. Ereignisse bekommen sprachliche Struktur und werden in dieser Gestalt als Informationen an andere weitergegeben. Dadurch wird Geschehenes zur Geschichte. In diesem Sinn ist Geschichte in der Tat abhängig von der Sprache. Andererseits kann Geschichte - so betont auch J Ü N G E L — nicht verzichten auf die „ Wahrheit des Faktischen ". Denn die „Wahrheit der Pointe" (Relevanz), auf die es bei der Geschiehtserzählung primär ankommt, geht aus der „Wahrheit des Faktischen" hervor (422, vgl. 421). Das Faktische aber muß als etwas gedacht werden, was auch außergesagten zusammenfallen. SELLIN hält es für nötig, zwei Ebenen getrennt zu halten: „Der Unterscheidung von Exegese und Glauben entspricht eine Unterscheidung der Ebene der Aussage von der Ebene des Ereignisses des Ausgesagten. Zwar fällt für den Glauben notwendig beides zusammen: als Wortgeschehen ist die Heilszusage zugleich das Geschehen dessen, was ausgesagt wird ... Für die Exegese ist jedoch beides zu unterscheiden." (412). 40 Es scheint, als meine JÜNGEL mit „Sprache" so etwas Ahnliches wie den Hegeischen Weltgeist. Hier drohen metaphysische Spekulationen durch die Hintertür wieder in die Theologie einzuziehen. Wenn die menschliche Sprache gemeint ist, geht es nicht an, Geschichte allein in Abhängigkeit von ihr zu begreifen; denn die Geschichte schließt so vieles ein, was nicht von Menschen gemacht wird, und wird mitbestimmt von Kräften, die nicht vom Menschen ausgehen.

84

Zur Theorie der Metapher

sprachlich ist. So bezieht sich Geschichte auf Geschehnisse, die der Sprache in einem bestimmten Sinn vorausliegen, und Aufgabe der Sprache ist es, den ihr vorausliegenden Geschehnissen zu entsprechen. Wenn Gott so zur Welt kommt, daß er in der Geschichte etwas bewirkt, was auch außersprachlich ist, dann muß geklärt werden, inwiefern die Offenbarung als „Sprachereignis" qualifiziert werden darf. (Daß Gottes Wort wirkmächtig ist, weil es zugleich bewirkt, was es sagt, steht hier nicht zur Debatte, da es um die menschliche Sprache geht.) Die Geschehnisse als solche vermögen Gott nicht bekannt zu machen, ebensowenig wie menschliche Worte als solche dazu in der Lage wären. Alles hängt von dem je neuen Kommen Gottes ab. Wie Jesus unter den Menschen seines Volkes lebt und am Kreuz stirbt, wie die völlig verzweifelte und sich um ihre Hoffnung betrogen wähnende Schar seiner Anhänger ihn wenig später als den Lebendigen verkündigt und zu einer weltweiten Kirche wird, wie das geknechtete Volk der Israeliten den Ägyptern entkommt - das alles ist mehrdeutig und nicht an sich selbst Offenbarung. Doch wenn Gott bei uns ankommt, dann beginnen diese Ereignisse für ihn zu „sprechen", dann weisen sie auf ihn und zeigen, wie er ist. Den betroffenen Menschen „geht etwas a u f von Gott. Das Erkannte drängt zur Sprache; es läßt Worte finden, die die Deutung des Geschehenen vermitteln und es mitsamt der Deutung weiterzugeben ermöglichen, so daß es auch für andere Menschen relevant werden kann. Um die Relevanz des Geschehenen für die Angeredeten geht es vor allem; deswegen wird davon erzählt. Auf diese Weise werden Gottes geschichtliche Taten zu ¿¡¿»racAereignissen. Aber sie dürfen nicht so weit in Sprache aufgelöst werden, daß die „Wahrheit des Faktischen" keinen Ort mehr hat oder die Geschichtserzählung ihren Bezug auf außersprachliche Geschehnisse verliert. Außerdem muß erwogen werden, inwieweit neben der Sprache oder in Verbindung mit ihr auch Bilder Geschichte wahrnehmen lassen und deuten — z.B. als Bilder der Erinnerung, Zeichnungen, in unserer Zeit auch Fotografien und Filme.41 Die Sprache selbst ruft ja Bilder wach, und in vielen Metaphern wird die Sprache bildhaft. Nicht selten bekennt das Neue Testament das Evangelium als etwas, was Menschen „gehört und gesehen haben ... vom Wort des Lebens".42 Die Erscheinungen des Auferstandenen, der Mann am Kreuz, die Gemeinschaft der Glaubenden, Kranke, die geheilt werden, und Sünder, die ein neues Leben beginnen — dies alles wird gesehen, nicht nur gehört. In aller Regel freilich wird es erst in Verbindung mit dem verkündigten und gehörten Wort, das das Gesehene weit überbietet, zum sicht41 Für taubstumme Menschen beispielsweise bleibt die (verbale) Sprache lebenslang ein fremdes Element; sie denken ausschließlich in Bildern. Zur Bedeutung von Bildern für die

Geschichtserkenntnis vgl. KEEL/UEHLINGER, 453—456 (im Literaturverzeichnis II). 42

l j o h 1,1; vgl. ljoh 1,2+3; Joh 1,14; IKor 15,5-9; Joh 20,18; Mt 28,7; Lk 2,20.30; 7,22 par Mt 11,4; Lk 10, 24; Act 4,20.

Zur Theorie der theologischen Metapher

85

baren Zeichen des Kommens Gottes. So jedoch dient es der Bestätigung des Wortes. Menschliches Wort begegnet ohnehin niemals isoliert. Es ist eingefügt in den Kontext einer bestimmten Situation. Gesten und der Klang der Stimme, Gesichtsausdruck u.a.m. „sprechen" mit, wenn Menschen sich unterhalten. Wenn Gottes Wort uns erreicht, ist das nicht anders: Dargestellt durch Werke der bildenden Kunst, vermittelt durch die Geste der Handauflegung beim Segnen, eingebettet in sakrale Musik, weitergereicht in Gestalt von Brot und Wein beim Abendmahl... — es begegnet uns auf vielfältige Weise. In jedem Fall bleibt Gottes Kommen an die Sprache gebunden: Es bedeutet aber eine Engfuhrung, Gottes Kommen auf ein ausschließlich sprachliches (verbales) Geschehen einzugrenzen. Daß Gottes Wort Mensch wurde, meint mehr, als daß es menschliche Sprache wurde, wiewohl es dies mit einschließt. Wie nach JÜNGEL der Mensch welthaft Seiendes in die Sprache überträgt, so müßte auch unser Reden von Gott, sofern es ihm entspricht, als Übertragung des Kommens Gottes in die Sprache verstanden und dieses als etwas von ihr Unterschiedenes gedacht werden. Die Ankunft Gottes liegt unserem Sprechen von ihm logisch (nicht unbedingt zeitlich!) voraus, so wie - um noch einmal RICOEUR zu zitieren - auszugehen ist vom „Vorrang eines zu sagenden Seins gegenüber unserem Sagen", das danach verlangt, gesagt zu werden.43 Darum kann die „Analogie des Advent" nur in einem gegenüber JÜNGEL modifizierten Sinn angenommen werden: Gott kommt zur Welt und macht sich ihr selbst bekannt. Definitiv geschah dies im Leben, Sterben und Auferstehen des Menschen Jesus von Nazareth. Indem davon erzählt wird, wird es für die Angeredeten Ereignis. An dieser Geschichte, die die Geschichte Gottes mit Israel voraussetzt und sich in der Geschichte der Kirche als der Gemeinde des auferstandenen Gekreuzigten in dieser Welt fortsetzt, muß sich alles Reden von Gott messen lassen. Der Mensch erfährt die Ankunft Gottes mittels der Sprache, wobei er mit der menschlichen Erfahrung eine Erfahrung macht, die ihrerseits nicht aus menschlicher Erfahrung her kommt. 44 Nur insofern kann die Offenbarung Gottes ein Sprachereignis genannt werden. Menschliche Rede von Gott, die ihm zu entsprechen beansprucht, bleibt in jedem Fall auf das je neue Kommen Gottes angewiesen und setzt Offenbarung voraus. 2.3.4. Problemanzeige:

Hoseas Gottesmetaphern und ihre Voraussetzung

Es bleibt dabei: Gottes Offenbarung konstituiert die Referenz theologischer Metaphern. Damit wird zugleich der Anspruch dieser Metaphern behaup43 44

RICOEUR, Erzählung, 253. Die Formulierung bebraucht JÜNGEL in: Gott, 381.

86

Z u r Theorie der Metapher

tet, „ein wirkliches außersprachliches Ziel zu erreichen, also ... die Wahrheit zu sagen."45 Sie wirken nicht non-referential und sind mehr als „spekulative Hypothesen". Dies hat Folgen für das Verständnis von Wirklichkeit überhaupt und erfordert eine Ontologie, die der Offenbarung Raum läßt. Es kann jedoch nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, diese Folgen zu explizieren. Vielmehr ist es an der Zeit, das Erarbeitete auf die alttestamentlichen Metaphern, speziell auf die Gottesmetaphern im Hoseabuch anzuwenden. Die Aufgabe konzentriert sich in der Frage: Wie ereignet sich das Kommen Gottes für den Propheten und seine Zuhörer, und was leisten die Metaphern dabei? Das impliziert die Unterstellung, daß der Gott des Alten Testaments sich seinem Volk zu erkennen gegeben hat und daß er unter dieser Voraussetzung verkündigt und geglaubt wurde. Mit anderen Worten: Auch für das Alte Testament ist eine „Analogie des Advent" anzunehmen als Bedingung der Möglichkeit, metaphorisch von Gott reden zu können.46 Dieser offenbarungstheologische Ansatz schließt nicht aus, den JHWH-Glauben der Israeliten in seinem religionsgeschichtlichen Kontext zu verstehen und diesen mit in den Blick zu nehmen. Unter religionsgeschichtlich-vergleichenden Gesichtspunkt aber ist die Wahrheitsfrage nicht beantwortbar und wird auch nicht gestellt. Ein Anliegen dieser Arbeit ist es dagegen, die Fragen der alttestamentlichen Exegeten mit denen der Systematiker zu konfrontieren, um — wenn möglich - beide miteinander ins Gespräch zu bringen. Das Hoseabuch beginnt mit der Wendung: „Wort JHWHs, das geschehen ist zu Hosea ..." (1,1). Dies deutet vordergründig auf ein rein sprachliches Geschehen. Woher aber weiß Hosea, woher wissen die Israeliten, wer der ist, dessen Wort sie trifft? - In 12,10 stellt JHWH sich vor mit den Worten: „Ich, JHWH, dein Gott vom Lande Ägypten her ..." (vgl. 13,4) und verweist damit auf ein Ereignis in der Geschichte des Volkes. Allein diese beiden Beobachtungen zeigen, daß Wort und Geschichte auch hier ineinandergreifen, wenn es um JHWHs Kommen geht. Wie beides aufeinander bezogen bleibt, soll die Exegese der aktiven Gottesmetaphern erhellen.

Ricoeur, Erzählung, 2 4 3 . Vgl. Zimmerli, Verheißung, 3 4 - 5 9 . Wesentlicher Inhalt der alttestamentlichen Verheißungen sei das Kommen J H W H s selbst in Gericht und Heil: „,Ich, ich' - das ist die eindeutige Mitte alles kommenden Geschehens ... Es ist Geschehnis, in dem der Gott Israels von Ägypten her, der Heilige Israels seinem Volke begegnet." (44f)45

46

ZWEITER HAUPTTEIL EXEGESEN

Einführung

1. Zugrundegelegtes Metaphernverständnis Eine aktive Metapher ist erkennbar an der Spannung zwischen einem in ungewöhnlicher Weise gebrauchten Ausdruck oder Einzelwort, dem Fokus, und seinem Kontext bzw. Rahmen. Der Fokus repräsentiert ein System von Beziehungen, den Sekundärgegenstand, dient jedoch der Bezeichnung eines anderen Sachverhaltes, des Primärgegenstandes. Dadurch kommt es zur Interaktion der beiden Gegenstände, wobei Implikationen des einen wie des anderen zueinander in Beziehung gesetzt und Entsprechungen zwischen beiden entdeckt werden. Diese Entsprechungen bilden den Implikationszusammenhang. Der dem Sekundärgegenstand entstammende Implikationszusammenhang erweist sich als Modell dessen, was die Metapher vom Primärgegenstand sichtbar macht (Implikationszusammenhang ). Der Sekundärgegenstand umfaßt die lexikalische Bedeutung des Fokus, während der Implikationszusammenhang dessen textuelle Bedeutung determiniert. liegt dabei innerhalb und außerhalb der lexikalischen Bedeutung. Auf diese Weise erfährt der Fokus gegenüber dem üblichen Sprachgebrauch eine Bedeutungsausweitung. 2. Ubersicht über die Textstellen Hoseas gesamte Verkündigung wird von verschiedenartigsten Metaphern geprägt. Für diese Untersuchung interessieren nur diejenigen, die auf JHWH verweisen. Sie sind freilich oft eng verflochten mit Metaphern fiir Israel und für Ereignisse in seiner Geschichte. Eine Reihe von JHWH-Bildern wird mit der Vergleichspartikel 3 eingeführt: 5,12 u>sn „wie (der) Eiter" a p a „wie (die) Knochenfäule" 5,14 brntfa „wie (der) Löwe" HÜ33 „wie (der) Jung-Löwe"

88

Exegesen

13,7f bnuTma „gleich einem Löwen" "IW33 „wie ein Panther" ^iStt; 313 „wie eine Bärin, die ihrer Jungen beraubt wurde"1 11,10 rp-)iO „wie ein Löwe" 6,3 nufaa „wie Regen" unp'jwa „wie Spätregen" 14,6 bvz „wie der Tau" fJSn «71133 „wie eine grünende Zypresse" Andere Metaphern für J H W H sind nur aufgrund der finiten Verbform, die im Satzgefüge als Fokus der Metapher erscheint, identifizierbar: So deutet nsn in 13.5+62 und 4,16 darauf, daß J H W H als Hirte gesehen wird. Nül (6,1 vgl. 5,13; 7,1; 11,3; 14,5) läßt ihn als einen Arzt begreifen. 3'1 (2,4; 4,1.4; 12,3) ruft die Vorstellung eines Gerichtsverfahrens wach, in dem J H W H als Kläger und/ oder Richter auftritt. Die Wurzel "im (7,15; 10,10; vielleicht 5,2) weist in den Bereich der Erziehung und gibt J H W H die Rolle eines Pädagogen. Die Spannung, in die diese Verben durch ihre Verbindung mit dem Subjekt „JHWH" treten, wird unterschiedlich stark empfunden, zuweilen kaum wahrgenommen. Vor allem 10' und 3'T liegen sicherlich im Grenzbereich des Ubergangs zu ruhenden Metaphern. Sie umreißen den Verstehenshorizont der entsprechenden Aussagen.3 Einige Gottesmetaphern schließlich sind an einzelnen Worten und Wendungen erkennbar, die als sog. Fokus den Sekundärgegenstand im Text repräsentieren: Die Kapitel 1—3 werden beherrscht von der Metapher des betrogenen Ehemannes, identifizierbar durch Wendungen wie - 1,2 mrr nnxia... rm, - 2,4 ntf'N k1? i3SNi intfK ab »ort, - die Rede von den D'SnNia in Kap. 2 oder - bin'icn ij3 riK mir» r a n i o im Kontext von 3,1. Die Wurzeln rtJT bzw. t^na begegnen auch in 4,10.12.13.14.15; 6,10;

1

Zu »oa 1 » 13,8b s.u. II/2.3.1. Zur Textkritik s.u. II/2.3.1. 3 J H W H als Subjekt wird im Hoseabuch durch viele verschiedene Verben prädiziert: Oft sind es allgemeine Anthropomorphismen wie IHK 1,2; Ipb 1,3; 4,9; tarn 1,6; 2,6; JM 2,10; 13T 9,9; Vit 5,3 u.v.a. Manchmal begegnen die Verben in metaphorischen Ausdrücken, die ohnehin in dieser Ubersicht als Gottes-Metaphern mit erfaßt sind, z.B. tpu 5,14; vgl. 6,1; anK 3,1; 11,1. Anders verhält es sich mit 5,10; 6,5 oder 9,10. Ohne Zweifel haben wir es mit metaphorischer Redeweise zu tun; doch nicht J H W H selbst wird ins Licht eines bestimmten Vorstellungshorizontes gerückt. In 6,5 bricht JHWHs Recht „wie das Licht" hervor. „Über sie schütte ich meinen Zorn aus wie Wasser" (5,10) beschreibt den Zorn (JHWHs) mittels eines Vergleiches. Daß J H W H Israel fand „wie Trauben in der Wüste" (9,10) sagt aus, was Israel für J H W H bedeutet. Im Blick auf J H W H gehören diese beiden Metaphern zu Anthropomorphismen, denn „zornig werden" oder „etwas Kostbares finden" kann jeder Mensch unabhängig von seiner speziellen Lebenssituation. 2

Einleitung

89

7,4.14; 9,1. Es wird zu prüfen sein, auf welche Weise hier das gleiche metaphorische Motiv wieder aufklingt und evtl. variiert wird. An keiner Stelle wird J H W H direkt unK genannt; als fokales Wort taucht es nur in der Negation auf (2,4; vgl. 11,9) oder in der direkten Rede der Ehefrau (2,9.18). In 11,1 ff läßt die Rede von Israel als „meinem Sohn" J H W H in der Rolle der Mutter oder des Vaters sehen. Dieses Bild wird mindestens bis V 3 weitergeführt, wenn man "yy „Säugling" liest, sogar bis V4. Doch weder a n noch DK tauchen expressis verbis auf. Leise Anklänge an diese Metapher finden sich in 7,15 und 14,4b. Die im Bild des Vogelschwarms vorgestellten Israeliten in 7,12 und das Netz, das J H W H ausbreitet, um sie zu fangen, weisen ihn als Vogelsteller aus. In 10,11—13a schließlich werden Tätigkeiten eines Bauern beschrieben. Wieder wird nur beschrieben, was er tut, und es wird gesagt, daß die wertvolle Jungkuh, mit der er sich abgibt, Ephraim ist. J H W H selbst wird nicht auf den Begriff des Bauern festgelegt. Gleiches trifft fiir 4,16 und 11,4 zu (falls bii„Joch" zu lesen ist). Auch 2,25 assoziiert mit v i r den Vorstellungsbereich der Landwirtschaft. Schon bei diesem groben Uberblick fällt eines auf: Metaphern der Form „ J H W H ist x." bzw. in der Gottesrede „Ich bin x." gibt es bei Hosea nicht. Während Israel ohne Vergleichspartikel metaphorisch einfach eine „gelehrige Jungkuh" (10,11) oder ein „üppiger Weinstock" (10,1) genannt werden kann, fehlt die Vergleichspartikel nie bei metaphorischen Nominalsätzen, die auf J H W H verweisen. 4 Auch die Gottesmetaphern, die als Fokus Verben oder andere Wendungen haben, nennen niemals ein Nomen, mit dem eine Identitätsaussage über J H W H getroffen werden könnte. 5 Wo so entschieden jedem möglichen Mißverständnis vorgebeugt wird, durch das J H W H quasi begrifflich auf metaphorische Bezeichnungen fixiert werden könnte, drängt sich die Frage auf, ob es überhaupt Nomina gibt, die ohne Vergleichspartikel J H W H benennen können. Sieht man von Partizipialkonstruktionen, die ja den Schwerpunkt auf die entsprechende Tätigkeit legen, ab, so finden sich im Hoseabuch folgende Nominalsätze, die J H W H prädizieren:

4 LABUSCHAGNE, Similes, weist deutlich auf Hoseas Vorliebe fiir „similes" hin (er rechnet zu „metaphors" nur Ausdrücke ohne Vergleichspartikel und grenzt sie hierin gegenüber „similes" ab). Der Prophet vermeide durchweg die Metapher, wenn er J H W H mit etwas anderem vergleicht, u m jedes mögliche Mißverständnis zu verhindern, falls der Ausdruck „should ... be taken literally or the words taken in their usual or primary sense." (66) - Da LABUSCHAGNE Verbalmetaphern anzuerkennen scheint - A m 1,2; Joel 4,16; Jer 2 5 , 3 0 rechnet er zu Metaphern (64)! - stimmt seine Behauptung nicht ganz; denn auch Hosea gebraucht ja fiir J H W H neben Vergleichen solche Metaphern, die ein Verb oder andere Ausdrücke als Fokus haben. 5 ittfiN in der direkten Rede der Frau (2,9.18) bildet hier nur scheinbar eine Ausnahme. Vgl. Auslegung (II/1.1.1.3. und II/1.1.2.)

90

Exegesen

1 1 , 9 b „Denn bin ich und unK'K'1?, in deiner Mitte B H j ..." 12,6 „JHWH ist n t o q V B V f a s . J H W H ist sein Name." 1 2 , 1 0 „Ich aber bin J H W H , ipn'1?« vom Land Ägypten her ..." 13,4 „Ich aber bin J H W H , vom Lande Ägypten her, DTi'^Kl neben mir kennst du nicht, einen yiunn außer mir gibt es nicht." Unsicher ist, ob 5,2b in diesen Zusammenhang gehört: 9M „Ich aber bin H j l » für sie alle." ® übersetzt 7rai5ei)rr|g und scheint das Partizip zu lesen.6 Allerdings spricht einiges dafür, 5,lf ebenso wie 5,3—7 als Prophetenrede zu begreifen.7 Von J H W H bzw. „ihrem Gott" wird in V 3 - 7 viermal in der 3. Person gesprochen, obwohl dies noch kein sicheres Indiz gegen die JHWH-Rede in der 1. Person ist (vgl. 3,1). Wenn sich der Prophet als der dem Volk und seinen Repräsentanten gegenübertretende Repräsentant JHWHs versteht,8 braucht das betonte „Ich" (V2b. 3) in der Prophetenrede nicht zu befremden. Dagegen befremdet "lljlö in diesem Kontext, besonders wenn J H W H dies von sich sagen sollte. Denn es geht nicht um Erziehung, sondern um ein Geschehen, das zum Verhängnis, zur gefährlichen Falle wird. Dies zeigen die Metaphern aus dem Jagdleben. Somit liest man, wie oft vorgeschlagen wird, besser npiM „Fessel". Doch Hosea pflegt derartige Bilder mit 3 einzuführen, 5 allerdings nur, sofern es sich um ///W7/-Metaphern handelt. Die Repräsentanten des Volkes nennt er unvermittelt nb, n^h oder nnur.10 So liegt es nahe zu vermuten, daß Hosea selbst und nicht J H W H sich als „Fessel" für alle versteht. Als ein Israelit tritt er den Repräsentanten Israels im Namen J H W H s entgegen ('3Kl), indem er sie bei ihrer Schuld behaftet („fesselt"). Hier drückt sich das gleiche Prophetenverständnis aus wie in 6,5. Den oben genannten Nominal- bzw. Identitätsaussagen über J H W H gebührt im Fortgang dieser Arbeit besondere Aufmerksamkeit, denn sie drükken aus, was den Israeliten von J H W H bekannt und vertraut ist.11 Somit bilden sie die Grundlage für das rechte Verständnis der Gottesmetaphern. Inhaltlich lassen sich die zu untersuchenden Metaphern unter vier Aspekten ordnen: Von „betrogener Liebe"künden die Texte, die J H W H s Verhältnis zu Israel im Bild einer (gescheiterten) Ehe zur Sprache bringen. W o J H W H als Hirte, Bauer, Arzt oder Mutter bzw. Vater gesehen wird, geht es um „er6

V g l . MURAOKA, 1 2 3 . ELLIGER, 1 5 5 , g i b t

den Vorzug.

Vgl. BALZ-COCHOIS, 41 f. Die meisten Kommentatoren setzen dagegen voraus, daß es sich um JHWH-Rede handelt. Eine ausführliche Darstellung der textkritischen Varianten 7

b i e t e n RUDOLPH, K A T , 1 1 6 , u n d NEEF, 2 1 l f . 8

V g l . UTZSCHNEIDER, 1 4 0 f f , 2 3 2 - 2 3 4 .

9

S o WOLFF, B K ,

10

120.

S i e h e B H S , ELLIGER, bes. 1 5 6 - 1 6 0 , u.v.a.

" 1 2 , 6 ist allerdings aus stilistischen Gründen als relativ späte Zufiigung anzusehen (vgl. BHS und Kommentatoren) und trägt für das Verständnis der hoseanischen Metaphern nichts aus.

Einleitung

91

fahrene Fürsorge". „Drohendes Verderben"haben die meisten Metaphern mit 3 (Raubtiere, Eiter und Knochenfraß) sowie das Wort vom Vogelsteller zum Inhalt. Dennoch weiß der Prophet von „unbegreiflichem Erbarmen"(11,8f) zu sagen, was am Schluß des Buches (l4,2fF) weiter ausgeführt wird.

1. Betrogene Liebe

1.1. Israel als untreue Ehefrau und Geliebte 1.1.1. Hos 2,4-17 1.1.1.1. Der Text 2.4

2.5

2.6 2.7

2.8

2.9

Streitet gegen eure Mutter, streitet, denn sie ist nicht meine Frau, und ich bin nicht ihr Mann! Sie entferne (die Zeichen) ihrer Hurerei von ihrem Angesicht und (die Zeichen) ihrer Ehebrecherei zwischen ihren Brüsten, damit ich sie nicht nackt ausziehe, sie hinstelle wie am Tag ihrer Geburt, sie wie die Wüste mache, sie zurichte wie dürres Land und sie sterben lasse vor Durst. Auch ihrer Kinder will ich mich nicht erbarmen, denn Hurenkinder sind sie. Ja, gehurt hat ihre Mutter, Schandbares trieb ihre Gebärerin, da sie sprach: Ich will meinen Liebhabern hinterherlaufen, die mir mein Brot und mein Wasser geben, meine Wolle und meinen Flachs,a) mein Öl und meine Getränke. Darum: Siehe, ich verzäune ihrenh> Weg mit Dornen und baue um sie einec> Mauer, so daß sie ihre Pfade nicht findet. Dann wird sie ihren Liebhabern nachlaufen, kann sie aber nicht einholen, sie wird sie suchen, aber nicht finden. Dann wird sie sprechen: Ich will mich aufmachen und zurückkehren zu meinem früheren denn damals ging es mir besser als jetzt. Mann,

Betrogene Liebe

2.10

2.11

2.12 2.13

2.14

2.15

2.16

2.17

93

Aber sie hat nicht gemerkt, daß ich es bin, der ihr gegeben hat den Weizen und den Most und den Olivensaft. Auch Silber — ich habe es ihr vermehrt, und Gold — sie machten es zum Baal. Darum nehme ich wieder zurück meinen Weizen zu seiner Zeit und meinen Most zu seiner Frist. Wegnehmen will ich meine Wolle und meinen Flachs,d) womit sie ihre Blöße deckt. So decke ich jetzt ihre Scham auf vor den Augen ihrer Liebhaber, und niemand kann sie meiner Hand entreißen. Ein Ende mache ich all ihrer Freude, ihrem Fest, ihrem Neumond und ihrem Sabbat, all ihrem Feiern. Ich verwüste ihren Weinstock und ihren Feigenbaum, von denen sie sagt: Dirnenlohn sind sie mir, den mir meine Liebhaber gegeben haben. Zum Gestrüpp mache ich sie (pLm.!), und die Tiere des Feldes werden sie fressen. So stuhe ich heim an ihr die Tage der Baale, denen sie räuchert,e) Sie hat sich geschmückt mit ihrem Ring und ihrem Halsgeschmeide, um ihren Liebhabern hinerherzulaufen. Mich aber hat sie vergessen! spricht JHWH. Darum: Siehe, ich will sie verlocken und in die Wüste führen, und ihr (freundlich) zu Herzen reden. Ich will ihr ihre Weinberge von dort hergeben, und das Tal Achor wird zum Tal der Hoffnung werden. Dorthin wird sie mir willig folgen wie in den Tagen ihrer Jugend, wie an dem Tag, als sie heraufzog vom Lande Ägypten.

a) Lies inttrö, da der Sg. niyü sonst nirgends belegt ist und gerade in Verbindung mit "Dax (Sg.!) der PL mnttiö gebräuchlich ist (vgl. Dt 22,11; Prv 31,13). Dadurch ergeben sich in V7bß drei Wortpaare, deren erstes Glied jeweils auf und deren zweites a u f e n d e t . Vgl. RUDOLPH, 63; ANDERSEN/FREEDMAN, 227. 232. Anders TÄNGBERG, 222—224, der SR als lectio difficilior vorzieht und ftir eine archaische oder eine Dialektform hält. b) Lies H3T1 mit @ und ® (s. BHS). Erst in 2,18 wird die Frau direkt angesprochen. Vgl. Auslegung. c) Wörtlich: „ihre Mauer".

94

Exegesen

d) Lies 'nwö; vgl. a) zu V7. e) l ü p begegnet im Pi. wie im Hi., so daß man nicht in "lüp_n zu ändern braucht. Mit R U D O L P H gegen B H S , W O L F F , K R S Z Y N A , 4 1 , u.a.

1.1.1.2. Zur literarischen Komposition von Hos 2,4—17 Daß mit 2,4 eine neue thematische Einheit beginnt, ist deutlich. Schwerer fällt die Abgrenzung nach vorn. Die Gottesspruchformel am Ende von VI 5 markiert eine Zäsur. Während die Verse 4 - 1 5 hauptsächlich Gericht ansagen, enthalten VI 6—25 Heilsverheißungen. Dies bewog viele Exegeten dazu, V4—15 als eine eigene literarische Einheit zu betrachten und VI 6f zum Folgenden zu ziehen.12 "]3 b spricht jedoch für eine Verbindung von VI 6f mit V4—15, weil es als Adverb der Ursache eine vorherige Begründung erwarten läßt. 13 Der Spruch korrespondiert zudem inhaltlich mit den beiden anderen •pb-Sprüchen dieser Einheit (8f. 11-15). Die folgenden Verse 18-25 haben durch das dreimalige Kinn ni'3 (VI8. 20. 23) ihr eigenes Gliederungsprinzip. Inhaltlich wirken sie recht locker aneinandergefügt. Dagegen macht die Komposition V 4 - 1 7 einen sehr geschlossenen Eindruck: Das Motiv der Klage des betrogenen Ehemannes über bzw. gegen seine untreue Frau bestimmt den gesamten Abschnitt. Er will ganz und gar als JHWH-Rede verstanden sein, wie die im Hoseabuch außerhalb von Kap. 2 nur noch in 11,11 begegnende Gottesspruchformel VI 5 anzeigt.14 Ob und inwiefern sich hierin persönliche Erfahrungen Hoseas niedergeschlagen haben, wird später zu erörtern sein. V4a bildet den Auftakt und fordert die Söhne in direkter Anrede auf zum Rechtsstreit gegen ihre Mutter wegen deren ehebrecherischen Verhaltens. V4b.5: Sie soll dem entsagen, andernfalls wird ihr die Todesstrafe angedroht ("!&). V7 begründet die Strafandrohung (mit zweifachem indem er die Schuld der Mutter aufzeigt, und findet seine unmittelbare Fort12

S o u.a. SELLIN, W E I S E R , R U D O L P H , ANDERSEN/FREEDMAN, W I L L I - P L E I N . Z u r l i t e r a r i -

schen Struktur des Abschnitts vgl. KRSZYNA und CLINES. 13 Vgl. GesB, zu I c). Einen Bezug zum Vorhergehenden stellt p b auch dann her, wenn es keine Kausalverbindung im strengen Sinn einleitet. So kann es z.B. adversativ gebraucht werden („trotzdem", „selbst unter diesen Umständen"; vgl. Jer 5,2) oder wie in lSam 28,2 („wahrlich") einen Satz einleiten, der durch die Bemerkung eines anderen hervorgerufen wird. 14 Gegen ANDERSEN/FREEDMAN, 1 2 5 - 1 2 7 . 2 1 8 , der einmal das Ich JHWHs, dann wieder das Ich des Propheten heraushören will und in Kap. 2 sowohl Hoseas Familiengeschichte als auch JHWHs Verhältnis zu Israel in unauflöslicher Verflochtenheit miteinander ausgedrückt findet. In V4—15 dominiere eher das Verhältnis Hoseas zu seiner Frau, der Schwerpunkt verschiebe sich jedoch mehr und mehr auf Jahwe in seiner Beziehung zu Israel (V 1 6 - 2 5 ) . - SELLIN grenzt V4aß. 6 aus und versteht sie als Hoseawort, seine eigene Familie betreffend (35).

Betrogene Liebe

95

setzung in VlOa. 1 5 Die Söhne werden hier repräsentiert durch das Personalpronomen der 3.P.P1. („ihre Mutter"/ „ihre Gebärerin"). Da zuletzt in V 5 aber von der Frau bzw. Mutter in der 3.R die Rede war und die Söhne in V 4 direkt angeredet wurden (2.EP1.), können V 4 f und V 7 nur mit Hilfe eines Brückensatzes zueinandergefügt werden, der die Söhne in der 3.P.P1. einführt. V6 erfüllt diese Funktion. Inhaltlich klingt er deutlich an 1,2 („Hurenkinder") und 1,6 ( n r n * N1?) an. Deshalb entstammt er wahrscheinlich der Hand des Redaktors, der Kap. 2 , 4 f f mit Kap. 1 verbunden hat. V8f: Der erste p^-Spruch unterbricht den Schuldaufweis V 7 . 1 0 und kündigt eine pädagogische Strafmaßnahme an mit dem Ziel, die Frau zur Rückkehr zu bewegen. V I 1 - 1 5 : Dieser wiederum mit p 1 ? beginnende Spruch sagt ausschließlich Unheil an, nämlich die Rücknahme der Kulturlandgüter und Verödung des Landes. Vl6f: Schließlich geht der dritte dieser Sprüche von einer Rückführung der Frau in die Wüste aus, wo J H W H erneut um sie wirbt und die Wiederherstellung der zerbrochenen Liebesgemeinschaft: erwirkt. Inhaltlich lassen sich diese drei p b - W o r t e nur schwer miteinander vermitteln. V l O a kann als unmittelbare Fortsetzung von V 7 gelesen werden; beide zusammen beinhalten den Schuldaufweis für die in V I 1 - 1 5 gegebene Strafankündigung. So dürften V 7 . 1 0 a . l l — 1 5 eine ursprünglich selbständige Sprucheinheit bilden. Von politischen Unruhen ist nichts zu spüren; vielmehr scheint eine Zeit des Wohlstandes vorausgesetzt zu sein, in der die fröhlichen Kultfeiern nicht durch katastrophale Ereignisse getrübt werden. Dies weist am ehesten in die letzten Regierungsjahre Jerobeams II., also in Hoseas Frühzeit. V I 6 f beziehen sich auf die vorangegangene Einheit und nehmen die Gerichtsdrohung von V I 1—15 in variierter Form auf: Nicht die Verwüstung des Kulturlandes, sondern (Rück-)Führung in die Wüste wird angedroht. Doch nicht zum Verderben, sondern zum Heil Israels dient diese Maßnahme J H W H s . Das erinnert an Worte aus Hoseas Spätzeit, z.B. 9 , 1 0 (Wüste als O r t heilvoller Beziehung zwischen J H W H und Israel); 12,10; l l . 8 f . l l . 15 V I Ob fällt stilistisch und inhaltlich aus dem Rahmen: 1) Das neu eingeführte Verb 'rrQ"in und das vorangestellte Objekt geben dem Satz den Charakter eines Nachtrages. 2) Keines der Worte in V I Ob (außer n1?) hat im Kontext eine Entsprechung, was bei den häufigen Wortwiederholungen und Parallelen in diesem Text besonders auffällt. 3) Es geht in 2,4—17 nicht um Götzen bilder („Gold für Baal" - Sg.!), sondern um die Verehrung der Baalim (vgl. V I 5 und Q'arjKM V7.9.12 stets PI.!). - Darum dürfte der ganze Halbvers eine aktualisierende Glosse sein. Vgl. JEREMIAS, ATD, 44, Anm. 44. Gegen CLINES, 96, Anm.

49.

96

Exegesen

Am schwersten fügen sich V8f ein. Es geht nicht an, das Wort — wie oft vorgeschlagen - hinter VI 5 umzustellen.16 Denn die Strafmaßnahme V8 wäre dann nichts weiter als eine schwache Wiederholung des in VI 1—15 Angesagten, und der in V9 bekundete Rückkehrwille der Frau würde sich mit Vl6f reiben, wo ein solcher Entschluß der Frau gerade nicht vorausgesetzt wird. Außerdem ist V9b (na'pis. rnnK) in - sicherlich bewußter — Antithese zu V7b formuliert. Der Spruch V8f gehört also in seinen jetzigen Kontext. So bleibt die Frage: Hat Hosa selbst - zumindest zeitweise — die Umkehr des Volkes zu J H W H erhofft, oder haben seine Tradenten V8f eingeschoben, um die Spannung zwischen den beiden Sprüchen VI 1-15 und V16f abzumildern? Träfe letzteres zu, dann wäre wohl eher mit einer Einfügung zwischen VI 5 und VI 6 zu rechnen. Zudem paßt sich V8f sprachlich außerordentlich harmonisch in seinen Kontext ein,17 wobei der Spruch zugleich neue Bilder einbringt. Aus stilistischen Gründen kann ihm seine Authentizität darum schwerlich abgesprochen werden. Gegen Hosea als Autor spricht freilich, daß der Prophet schon in seiner Frühzeit die Möglichkeit der Umkehr für Israel ausdrücklich verneint (vgl. 5,4). Erst recht gilt dies für die letzte Periode seiner Verkündigung: Das Volk bleibt gefangen in Abkehr von J H W H (11,7). Allerdings zeugt Hos 6,1-3 von einem Versuch Israels, sich J H W H wieder zuzuwenden (vgl. 8,2), und in 5,15 spricht sich wie in 2,8f JHWHs Absicht aus, des Volkes Sinn durch Not zur Umkehr zu bewegen. Zudem finden sich in 2,8f überraschende sprachliche Anklänge an 5,15-6,3, z.B. t p i , ©pa. Hier wie dort jedoch führt der Wille zur Umkehr nicht zu einer echten JHWH-Erkenntnis (vgl. 6,4-6). So halte ich es für möglich und wahrscheinlich, daß Hosea selbst 2,8f zwischen V7 und V10 gestellt hat und mit diesem Einschub Israels flüchtige Ansätze zur Buße prophetisch deutete: J H W H wird bei dieser Buße wieder verfehlt. Dies mag Hosea letztlich nur bestätigt haben in der Grundüberzeugung, daß das Volk von sich aus unfähig ist zur Umkehr.18

16

Vgl. JEREMIAS, ATD, 39; KRSZYNA, 4 1 ff; CLINES, 83ff. Vgl. „Liebhaber" V9 mit V7.12.14; nabx mBK V9 mit V7 und n w V14; n ü n V9 mit n n x naSx V7. " J E R E M I A S nimmt an, Hosea habe in seiner Frühzeit noch mit der Möglichkeit einer Umkehr Israels gerechnet, und versteht Hos 2,8f als ursprünglich sehr frühes Hoseawort (vgl. Eschatologie, 221-223.225; ATD, 38-40). Doch ist es m.E. leichter, anzunehmen, daß dieses Wort nie ohne Hos 2,7.10.11-15 bestanden hat. - Vgl. WILLI-PLEIN, 120f, die Hos 2,4-9 als vollständiges Hoseawort versteht, hinter das der Redaktor mit V10-15 eine zweite, inhaltlich parallele Worteinheit setzte. Diese Sicht aber wird der Tatsache, daß VlOa deutlich als Antithese zu V7bß formuliert ist und daß V12 und V14 wieder auf die in V7 genannten Liebhaber rekurriert, nur schwer gerecht. 17

Betrogene Liebe

97

I m R a h m e n der Gesamtkomposition 2 , 4 - 1 7 b e k o m m t V 8 f noch einmal eine n e u e F u n k t i o n : D e r S p r u c h stellt die S t r a f m a ß n a h m e n J H W H s v o n A n f a n g a n u n t e r das Vorzeichen seiner heilvollen A b s i c h t , die in schließlich ihr Ziel erreicht, so d a ß selbst die reine Unheilsansage

Vl6f von

V I 1—15 als eine S t a t i o n a u f d e m W e g zu einer neuen, geheilten Gottesbezieh u n g verstehbar wird. 1 9 D i e Verse 4 + 5 gehen wahrscheinlich ebenso wie V 7 . 1 0 — 1 5 a u f ein frühes, ursprünglich selbständiges H o s e a w o r t zurück. Z u m i n d e s t V 4 b . 5 erweist sein e ehemalige Eigenständigkeit darin, d a ß hier die „ F r a u "

metaphorisch

a u c h für das L a n d stehen kann. Z u s a m m e n m i t V 4 a k o m p l e t t i e r t der S p r u c h die K o m p o s i t i o n 2 , 4 — 1 7 . 2 0 D e r g e s a m t e A b s c h n i t t erweist sich als ein kunstvoll gestaltetes N e t z w e r k v o n K o r r e s p o n d e n z e n , M o t i v w i e d e r h o l u n g e n u n d -Variationen. Von V 4 b . 5 ausgehend, sei nur auf einige wenige hingewiesen: Die „Huren- bzw. Ehebruchszeichen" V 4 b bereiten die Rede von den „Liebhabern" V 7 . 9 . 1 2 . 1 4 . 1 5 vor. Die Drohung, die Frau nackt auszuziehen, korrespondiert mit V I 2a und rtnyis; V I 1. In V I 7 erinnern „die Tage ihrer Jugend" und „der Tag ihres Heraufziehens aus dem Land Ägypten" an den „Tag ihrer Geburt" V 5 . In der Ankündigung von V I 4, Weinstock und Feigenbaum - nicht die „Frau" selbst! - zu verwüsten, wird V 5 b vorsichtig wieder aufgenommen (latKD ¡Tnafert V 5 als Parallele zu lin 1 ? DUiötm V 1 4 ) . Die „Wüste" schließlich begegnet nach V 5 wieder in V 1 6 ; doch ist sie nicht mehr der Ort des Verdurstens, sondern der Ort neuen Liebeswerbens. 21 A u f g r u n d ihrer w o h l d u r c h d a c h t e n , v o n h o h e r künstlerischen Meisterschaft z e u g e n d e n Gestalt u n d Geschlossenheit dürfte die K o m p o s i t i o n 2 , 4 — 1 7 (außer V 6 . 1 Ob) a u f d e n P r o p h e t e n selbst z u r ü c k g e h e n . 2 2

19 CLINES versteht die drei pb-Sprüche nicht als eine Sequenz von Aktionen, die J H W H plant, sondern als „a set of options" (86). J H W H erwäge mehrere Möglichkeiten (Einsperren V 8 - 1 0 , Berauben V I 1-15), um sich schließlich für die dritte (V16f) zu entscheiden (86-88). Hierin vermag ich ihm nicht zu folgen, sehe vielmehr jedes der Worte (und die Gesamtkomposition) jeweils in eine spezifische Verkündigungssituation hineingesprochen. Im Blick auf die Gesamtkompostion hat EMMERSON, Hosea, richtig gesehen, daß angesichts des Kontextes der Liebe JHWHs das Wesen der Strafe verändert werde; es bekomme einen notwendigen Platz in JHWHs übergreifendem Heilshandeln (16). EMMERSON sieht keine Notwendigkeit, die Heils- und Gerichtsworte auf verschiedene Perioden in Hoseas Verkündigung zu verteilen. - Anders YEE, 55.76-82. 127-130. 310f: Er schreibt 2,8f und 2,(15b)16f der exilischen Endredaktion zu, 2 , 1 0 a . l l . l 3 - 1 5 a einem deuteronomistischen Redaktor um 622, 2,4aß.6-7a dem Sammler der Hoseaworte (um 701) und nur 2,(4aa.b.5) 7b. 12 Hosea selbst. 20 Anders KRSZYNA: Er versteht Hos 2,4-17 als „eine literarische, organische Einheit" (56), nicht als eine Komposition aus ehemals selbständigen Einzelsprüchen (55f)21 Ausführlicher aufgelistet sind die vielfältigen Korrespondenzen bei ANDERSEN/FREEDMAN, 133-139; vgl. CLINES, 88ff: V 4 - 2 5 bildeten „a delicate network of ideas" (88). 22

S o a u c h JEREMIAS, A T D , 3 9 ; W O L F F , B K ,

39.

98

Exegesen

1.1.1.3.

Zu Einzelheiten

der

Auslegung

V4a fordert die Kinder auf, gegen ihre Mutter aufzutreten, a n mit a ist Terminus der Anklage23 und läßt fragen, ob hier an einen Rechtsstreit, etwa ein Verfahren zur Ehescheidung gedacht ist. Doch außer diesem einen Wort erinnert sonst nichts an einen Prozeß vor Gericht. Der ganze Abschnitt ist ein einziger Monolog des Ehemannes, der von der Frau nur in der 3. Person spricht, als wäre sie gar nicht anwesend. Schon der folgende Spruch V4b.5 zielt nicht auf ein Strafurteil, sondern sucht die Strafe zu verhindern (jöl). Auf der Ebene der Komposition lassen V8f und besonders V l 6 f keinen Zweifel daran, daß nicht die endgültige Trennung intendiert ist, sondern die Wiederherstellung der zerbrochenen Gemeinschaft. Alles dies paßt nicht zu einem förmlichen Prozeß.24 a n als Terminus der Gerichtssprache deutet freilich an: Es besteht Grund zur Anklage. Die Lebensordnung der Gemeinschaft ist gestört. Die Schuldige aber ist nicht unberechenbarem Zorn und Willkür ausgeliefert, sondern ihr soll Recht zuteil werden; es ist um Uätttta zu streiten.25 Wer sind aber die Angeredeten, wenn die Mutter das Volk Israel repräsentiert? Die Anrede schafft die Möglichkeit, sich zu distanzieren vom schuldhaften Verhalten der Mutter.26 Wer immer sich ansprechen läßt vom Wort JHWHs, ist aufgerufen, gegen die Entfremdung Israels von seinem Gott zu streiten. Daß es vor allem darum geht und nicht etwa um einen Ehekonflikt Hoseas, kann man den Worten allein in V4 noch nicht entnehmen. Der Leser bemerkt die Span-

23

Vgl. LIEDKE, T H A T II, 775 (771-777).

24

G e g e n W O L F F , B K , 3 7 - 3 9 . V g l . ANDERSEN/FREEDMAN, 2 1 8 - 2 2 1 . KRSZYNA,

56-59,

bestimmt die Gattung von 2,4-17 als „rib über die Untreue Israels gegen Gott" (59), stellt aber den Unterschied zu anderen Rechtsstreittexten heraus, die alle mit Bestrafung enden. Hier dagegen wandle Gott die Sünde selbst in Liebe um und die Vernichtung als Folge der Sünde in blühendes Leben und Vertraulichkeit mit Gott. Man könne Hos 2,4-17 „bezeichnen als den a n schmerzlicher, aber schöpferischer und siegender Liebe." (58) - Dagegen DANIELS, 94f: Die Bedeutung von a n sei nicht auf die Gerichtssphäre beschränkt. Hier handle es sich um eine Familien-, nicht um eine Gerichtssache. Vgl. LIEDKE, Art. a n , in: T H A T II, 771-777. 25 UTZSCHNEIDER weist nachdrücklich darauf hin, daß die Beziehung zwischen J H W H und Volk ein ubttrta-Verhältnis ist. Dies meine nicht den Willensakt der Herrschaft, sondern die theokratische „Lebens- und Rechtsordnung, die gewußt, interpretiert werden kann, auf die Berufung möglich ist." (153) Ist das USltfM-Verhältnis gestört, kommt es zum a n (150ff). 26 Vgl. WOLFF, BK, 40: „Die kühne Unterscheidung von Mutter und Söhnen eröffnet neue Wege für die Hörer, inmitten des schuldigen Israel auf Jahwes Seite zu treten."; CLINES, 91: „... Israels children are Israel itself in its capacity to criticize itself..." Es zeuge von Israels Unfähigkeit, sich selbst zu kritisieren, wenn im Folgenden von den Kindern nicht mehr die Rede ist.

Betrogene Liebe

99

nung, die Hos 2,4—17 als metaphorische Rede verstehen läßt, erst von V5 an. Denn z.B. der Drohung, die Mutter zur Wüste zu machen, wäre schwerlich ein Sinn abzugewinnen, wenn sie Hoseas Frau beträfe. Hoseas Hörer dagegen - falls es sich, wie vermutet, um einen ursprünglich mündlich vorgetragenen Spruch handelt - hatten es leichter: Zur Situation mündlicher Verkündigung, in der ein Prophet JHWHs zu Israeliten spricht, gehört von vornherein die Erwartung, es werde um das Verhältnis JHWHs zu seinem Volk gehen. Somit ist der Hauptgegenstand vorgegeben. Er tritt in Spannung zu den Worten Hoseas und ihrem vermeintlichen Gegenstand (Ehekonflikt), so daß der Interaktionsprozeß in Gang kommt.

Begründet wird die Anklage gegen die Mutter mit V4aß. Man hat oft vermutet, es handle sich um eine juristische Ehescheidungsformel. 27 Doch eine solche könnte kaum als Begründung der Anklage dienen, sondern müßte am Ende des Prozesses als dessen Ergebnis stehen. In den von KÜHL28 gesammelten altorientalischen Belegen sind zudem sämtliche Ehescheidungsformeln eingliedrig und in der Anrede gehalten: entweder „Du bist nicht mein Mann." oder „Du bist nicht meine Frau." Dagegen haben Heiratsformeln in den Eheverträgen des Alten Orient fiir gewöhnlich die Form: „N.N. ist meine Frau, und ich bin ihr Mann." bzw. „A ist ihr Mann, und B ist seine Frau." Sie sind also reziprok und in der 3.P. formuliert. 29 Demnach ist Hos 2,4aß eher eine negierte Heiratsformel und konstatiert, daß die eheliche Gemeinschaft faktisch zerbrochen ist. Sachlich entspricht dies der analog formulierten Aussage in 1,9: Israel hat aufgehört, J H W H s Volk zu sein. Zu beachten ist dabei, daß V4aß die Anklage begründet (r?), nicht J H W H s Urteil verkündet, m.a.W.: Nicht J H W H hat sein untreues Volk verstoßen, sondern Israel selbst hat den Bruch herbeigeführt. Höchst verwunderlich ist der Fortgang in V4b.5, denn einer Ehebrecherin droht in Israel die Todesstrafe (Gen 38,24; Lev 20,10; Dtn 22,22.24). Der vorliegende Spruch zielt dagegen auf eine Verhinderung der Strafe Die Frau soll ermahnt werden, ihr Verhalten zu ändern und die äußeren Zeichen der Hurerei zu entfernen. Die angeredeten Söhne (und Töchter?) bekommen den Auftrag, ihr diese Mahnung nahezubringen. J H W H sinnt also darauf, den Riß zu heilen. 30

27

S o z.B. WEISER, 2 5 ; WOLFF, B K , 4 0 .

28

KÜHL, D o k u m e n t e ,

102-109.

Da KÜHL in Hos 2,4 eine Ehescheidung vermutet, sieht er sich aufgrund seiner Beobachtungen zu einer Textänderung genötigt. V4a habe ursprünglich gelautet: „Verklagt eure Mutter, verklagt! Denn sie hat gesagt: Du bist nicht mein Mann!" (108). Vgl. JEREMIAS, ATD, und RUDOLPH, KAT, z.St; FREEDMAN, Israels Response, 1 9 9 - 2 0 4 . 30 Vgl. EMMERSON, Hosea, I4f: „Implicit throughout is a movement towards restoration. The rift in the marriage relationship is not to be regarded as final and irretrievable, for the court scene portrayed in the allegory is not a divorce hearing but an attempt at reconciliation." 29

100

Exegesen

Die Wurzel nst bezeichnet allgemein „das ungeregelte, unrechtmäßige geschlechtliche Verhalten zwischen Mann und Frau",31 ihre Verbindung mit f)K3 jedoch determiniert ihre Bedeutung auf sexuelles Verhalten, das die Ehe verletzt. Auf der Ebene des Sekundärgegenstandes läßt sich als „Hurenzeichen" allenfalls ein Gesichtsschleier denken (Gen 38,l4f), der eine Dirne als solche erkennbar macht; rpülSKJ, als hapax legomenon möglicherweise eine Wortschöpfung Hoseas, bleibt auf dieser Ebene ohne Bedeutung und weist von vornherein auf äußerlich sichtbare Zeichen baalistischen Kultes. Aufgrund von VI 5 könnte an Amulette, Nasenringe und andere Schmuckstükke mit kultischer Bedeutung gedacht sein, denen magische Schutz- und Segenskräfte zugeschrieben wurden.32 Sie abzulegen bedeutet nicht weniger, als sich ausschließlich der Fürsorge und dem Schutz JHWHs anzuvertrauen. Von V5 her drängt sich noch eine dritte Ebene hinein: Dort scheint die ehebrecherische Mutter plötzlich nicht mehr nur das Volk zu repräsentieren, sondern zugleich das Land. Auf dieser Ebene bekommt die Mahnung in V4b einen noch umfassenderen Sinn: Die baalistischen Kultstätten und -bräuche insgesamt gilt es zu beseitigen.33 V5: Das Wechselspiel zwischen Frau, Volk und Land muß etwas genauer betrachtet werden. V5 besteht aus fünf Drohungen, deren jede eine HiphilVerbform in der l.P. Sg. (Gottesrede) mit Suffix der 3. E Sg. cfem. enthält. Auf der Ebene des Sekundärgegenstandes (Frau) lassen sich für die erste Drohung außerisraelitische Parallen finden, wonach eine Frau nackt (und damit mittellos) vertrieben wird, wenn die Ehescheidung von ihr ausgeht.34 Im Alten Testament wird einer Frau nirgends das Recht zugebilligt, von sich aus eine Scheidung ihrer Ehe zu veranlassen. Ob diese Strafe für israelitische Ehebrecherinnen üblich war, ist ungewiß. Ihnen drohte eher der Tod durch Steinigung oder Verbrennung.35 Der Ehemann war laut Ex 21,10 verpflich31

KÜHLEWEIN, Art. nar, in: THAT I, 519. Vgl. ERLANDSSON, Art. mt, in: ThWAT II,

6 1 2 - 6 1 9 ; FREEDMAN/WILLOUGHBY, A r t . QW, in: T h W A T V, 1 2 3 - 1 2 9 . 32 WOLFF, BK, 40, versteht unter den „Hutenzeichen" Abzeichen von Frauen, die an kanaanäischen Sexualriten teilnahmen, und denkt dabei ebenfalls an Schmuckstücke (vgl. Gen 35,4; Ex 32,2), evtl. auch Ritzwunden auf der Brust vom ekstatischen Rausch her (vgl. Sach 13,6). Doch warum sollte die Mahnung in V4b nur die Frauen des Volkes Gottes betreffen? Die Anklage wegen hurerischen Gottesdienstes trifft die Männer mindestens ebenso, nach Kap. 4 (vgl. 4,13f) sogar in erster Linie! WOLFF bezieht Implikationen des Sekundärgegenstandes, nämlich daß die Frau sich der Hurerei schuldig macht, unreflektiert auf den Primärgegenstand, indem er auch hier nur an die weiblichen Glieder des Gottesvolkes denkt. Ohne Zweifel liegt darin eine Gefahr dieser Metapher. 33 RUDOLPH, KAT, 66, sieht (auf der Sachebene) dies allein. 34 V g l . KÜHL, D o k u m e n t e , 1 0 2 - 1 0 9 , u n d GORDON, HOS 2 , 4 - 5 , NIEHR, A r t . A N » , in: T h W A T V I , 3 7 5 - 3 8 0 .

277-280.

Ferner

35 Verbrennung: Gen 38,24; LEV 21,9; Steinigung: Dtn 22,21.24; vgl. Ez 16,40; Joh 8,5. Aus Jer 13,26f; Ez 16,36f; 23,10.29; Nah 3,5 kann man nicht unbedingt auf eine Sitte zur

Betrogene Liebe

101

tet, seine Frau mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. Wenn sie die Ehe bricht, fühlt er sich dieser Pflicht entbunden, und es ist immerhin vorstellbar, daß er die Frau zum Zeichen dessen nackt davonschickt.36 Eindeutige Belege hierfür fehlen jedoch im Alten Testament. Ich halte es für möglich, daß Hos 2,5 nicht auf eine allgemeine Sitte zur Bestrafung von Ehebrecherinnen anspielt, sondern daß hier der Primärgegenstand auf die Art und Weise eingewirkt hat, wie vom Sekundärgegenstand - der ehebrecherischen Frau - gesprochen wird. Für die letzte Drohung gilt dies auf jeden Fall: Man kann sich gut vorstellen, wie eine Frau vor Durst zugrundegeht, doch als Strafe für Ehebruch kommt das nicht in Betracht. Auch das zweite Glied der Reihe (sie hinstellen wie am Tag ihrer Geburt) transzendiert den Sekundärgegenstand in Richtung auf das Verhältnis J H W H s zu Israel. Als Drohung gegen die Frau könnte es nur noch einmal die Nacktheit betonen (vgl Koh 5,14; Hi 1,21), als Drohung gegen JHWHs Volk aber bedeutet es wesentlich mehr (s.u.). Dagegen ergibt die dritte und vierte Drohung kaum einen Sinn, wenn man sie auf die Frau bezieht: Wie sollte ein Mann seine Frau zur Wüste machen können? Für das Volk Israel bedeutet die Drohung, nackt ausgezogen zu werden, materielle Not. Es fehlt am Nötigsten. Die Metapher deutet diese Not als Schande. Ungeschützt, preisgegeben, erniedrigt sein — dies alles sind nur schwache Umschreibungen dessen, was die Drohung auf der Ebene des Primärgegenstandes für Israel impliziert. Gefangene wurden z.B. nackt ins Exil geführt. 3 7 Nacktheit kann u.a. ein Zeichen der Unterdrückung durch den Feind (Dt 28,48; vgl. A m 2,16) oder derTrauer (Mi 1,8) sein.

Der „Tag ihrer Geburt" läßt an einen hilflosen Säugling denken, der sterben muß, wenn sich niemand seiner annimmt. Es liegt nahe, dabei das Urdatum der Geschichte Israels zu assoziieren, den Exodus aus Ägypten.38 Israel war bedrückt und bedroht von allen Seiten, nicht fähig zu existieren aus eigener Kraft. Ohne J H W H s Hilfe hätte es nicht überlebt. - Das Bild von der Verdurstenden schließlich ruft die Vorstellung einer Dürrekatastrophe wach, ist jedoch auch für andere Deutungen offen. Eigenartigerweise sperren sich die dritte und vierte Drohung auch auf der Ebene J H W H / Israel, des (bisher angenommenen) Primärgegenstandes, gegen den Versuch, sie in einen Implikationszusammenhang einzufügen. Sie zeichnen das Bild eines verdorrten Landes, in dem jede Vegetation stirbt, Bestrafung treuloser Ehefrauen schließen, da sich diese Stellen allesamt auf das untreue Volk beziehen und von Hos 2,5 abhängig sind. 36

S o VOGELS, HOS 3 , 2 , 4 1 9 f ; NIEHR, T h W A T V I , 3 7 9 .

" V g l . die Elfenbeinschnitzerei aus Megiddo (BHH II, 927f) und Jes 20,2-4; Hi 12,17.19; 2Chr 28,15. 38 Vgl. 2,17; 11,1; 12,10; 13,4.

102

Exegesen

und richten sich offenbar gegen das Kulturland. Dieses drängt somit in den Primärgegenstand hinein. Einmal präsent, vermag es auch die erste und letzte D r o h u n g in eine etwas andere Richtung zu lenken. In Gen 4 2 , 9 . 1 2 wird von der „Blöße" des Landes gesprochen, wo es ungeschützt der Gefahr des Zugriffs von Feinden ausgesetzt ist. Auch das „Sterben vor D u r s t " läßt sich v o m Land aussagen. Der „Tag ihrer Geburt" allerdings bleibt im Blick auf das L a n d ohne Bedeutung, so daß sich das Volk keineswegs aus d e m Primärgegenstand der Metapher eliminieren läßt. Der Primärgegenstand spaltet sich, wo es um die Entsprechung zur Frau (im Sekundärgegenstand) geht, und bewegt sich zwischen Volk und Land hin und her. Dadurch wird Folgendes vermittelt: — D a s Kulturland ist auf unlösliche Weise hineinverwoben in den „Treuebruch"; schuldig gemacht hat sich das Volk im Lande. — D i e M a h n u n g in V 4 b wird geöffnet für die Deutung, die fremden Kultstätten ganz und gar zu beseitigen (s.o.). — O h n e den Drohungen ihren erschreckenden Ernst zu nehmen, wird deren tödliche Spitze im letzten M o m e n t v o m Volk weg gegen das Land gewendet und trifft die Menschen nur noch mittelbar. D e n n im verdursteten u n d dem Zugriff von Feinden preisgegebenen Land bleibt ftir Israel die Möglichkeit, zaghaft zu hoffen, J H W H könnte sich seiner auf's neue erbarmen wie damals beim Exodus und in der Wüste. Diese letzte Chance wird allerdings nur ganz vorsichtig angedeutet, denn Volk und L a n d sind gleichermaßen präsent: 1. 2. 3. 4. 5.

Drohung: bezieht sich auf Volk oder Land, Drohung: " Volk, Drohung: " Land Drohung: Land Drohung: " " Volk oder Land.

In welcher Beziehung aber steht J H W H zum Land? D i e Metapher legt ihn auf die Rolle des Ehemannes fest. M a n hat vermutet, Hosea greife hier Vorstellungen der kanaanäischen Mythologie auf, in der der Himmelsgott sich mit der Erde vermähle und sie mit dem Sperma seines Regens befruchte. 3 9 Aus den ugaritischen Texten ließ sich allerdings ein solcher Mythos bisher nicht nachweisen, so gewiß Baal der Spender des Regens ist. 40 H o s 2 , 4 f zeigt J H W H als den, der über den Regen verfugt (vgl. V5b!), u n d beansprucht so die D o m ä n e Baals fiir J H W H . D a m i t setzt die Metapher den kanaanäischen Mythos - falls es ihn gegeben hat - außer Kraft. Sofern sie in der Frau das L a n d erblicken läßt, bleibt das Implikat der ehelichen Gemeinschaft ohne

39

40

S o z.B. WOLFF, B K , 40f; JEREMIAS, A T D , 4 l f .

Vgl. KINET, 13-46.

Betrogene Liebe

103

Entsprechung. Dieses betrifft nur das Volk.41 Hosea sieht das Land vielmehr als J H W H s Haus (9,15; 8,1; vgl. 9,3). Über der Betrachtung des komplizierten metaphorischen Gebildes in V5 sei nicht vergessen, daß sämtliche Drohungen unter dem Vorzeichen stehen. Sie werden ausgesprochen mit dem Ziel, sie nicht realisieren zu müssen. V6 schlägt dagegen einen anderen Ton an. Die Zeit, in der die Söhne sich gegen ihre Mutter auf die Seite J H W H s stellen könnten, ist vorbei. Mutter und Kinder sind zusammen eine einzige Schuld- und Schicksalsgemeinschaft, da sie beide das Volk Israel repräsentieren. Eingefugt, um dem Personalsuffix der 3. P. PI. masc. in V7a das Bezugswort zu geben, schlägt der Vers zwar rein formal eine Brücke von V4f zu V7. Inhaltlich aber bringt er einen Bruch; denn J H W H ist noch nicht bei dem unerbittlichen Urteil: „Kein Erbarmen!", nicht einmal im Blick auf die Mutter. Vielmehr zeugen gerade V4f von seinem Willen, auf erbarmungslose Härte zu verzichten, falls Israel sich aus seiner Verfehlung herausreißen läßt. Erst in V I 1—15 findet das nrnK K1? eine sachliche Entsprechung. Dies bestätigt die Vermutung, daß V6 in Anlehnung an 1,6 und 1,2 redaktionell eingetragen wurde.42 V7: Das erste '3 in V7a dient der Bekräftigung, nicht der Begründung. 43 rut schließt in diesem Kontext den Aspekt der Treulosigkeit ein (vgl. 5,7), da die mit dem Bild der Ehe vorausgesetzte Gemeinschaft schuldhaft zerstört wurde. Eigenartigerweise hat das Verb, obwohl es zum Fokus der Metapher gehört, auf der Ebene des Primärgegenstandes (zunächst) die gleiche Bedeutung wie sonst im üblichen Sprachgebrauch. Aus 4,12—14 (s.u.) geht hervor, daß kultische Prostitution neben Opfern und Orakeln wesentlicher Bestandteil der Kultfeste auf den Höhen war. Da in Israel jede außereheliche sexuelle Beziehung als „Hurerei" bezeichnet werden konnte (vgl. Gen 34,24; Dtn 22,20f), fielen auch die Sexualriten - wie auch immer sie im einzelnen ausgesehen haben mögen — in diese Kategorie. Von hier aus erfährt das Verb seine metaphorische Bedeutungserweiterung insofern, als der ganze Kult als illegitime, hurerische Beziehung des Volkes zu „Liebhabern" erscheint. Der Implikationszusammenhang , der den außerehelichen geschlechtlichen Umgang betrifft, ist in diesem Fall Teil des Implikationszusammenhanges auf der Ebene des Verhältnisses der Israeliten zu J H W H und zu den Gegen WACKER, Frau, l l 4 f f . Im Unterschied zu JEREMIAS, ATD, 42, der V6 auf die spätere judäische Redaktion zurückfuhrt, schreibe ich den Vers jenen Tradenten zu, die Kapitel 1 gestaltet und mit 2,4ff verknüpft haben, da es offensichtlich nur um den Ausgleich eines stilistischen Bruches geht und nicht um eine inhaltliche Erweiterung oder Aktualisierung fiir judäische Hörer. EMMERSON, Hosea, befaßt sich in ihrer Untersuchung zur judäischen Redaktion des Hoseabuches nicht mit 2,6. 4 3 Vgl. Gen 18,20; GKa, § 148d; vgl. § 159ee. 41 42

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Baalen; er ist nicht nur - wie normalerweise - durch verschiedene Projektionsbeziehungen mit diesem verbunden. ttha enthält sowohl den Aspekt der Schande als auch den der Nichtigkeit bzw. Nichtswürdigkeit („zuschanden werden"). 44 Israels Verhalten bedroht seine Existenz. Es besteht in dem willentlichen Entschluß (m^K mttK), den „Liebhabern" hinterherzulaufen in der Meinung, sie seien die Geber (niini) der Kulturlandgüter. Die drei Wortpaare stehen für all das, was die Frau zum Leben braucht und was ihr Leben angenehm macht. Im letzten Wortpaar schwingt deutlich die Assoziation von Erquickung und Freude mit (vgl. Ps 23,5). 45 In dem sechsmal wiederholten Suffix der I. P Sg. meldet sich der Besitzanspruch der Frau, die die Güter des Landes wie selbstverständlich als ihr Eigentum betrachtet, das sie von den O'anKö empfing. Der Plural deutet auf eine Mehrzahl verehrter Gottheiten, denn für den Sekundärgegenstand wäre er nicht nötig gewesen; dort spielt es keine Rolle, ob die Frau einem oder mehreren Liebhabern huldigt. In VI 5 werden sie „Baalim" genannt. Nirgendwo finden sich bei Hosea Namen anderer Gottheiten. In den ugaritischen Mythen begegnet Baal in vielfältigen Beziehungen zu anderen Gottheiten: zu seiner Gefährtin Anat, seinen Gegenspielern Mot und Jam, dem Göttervater El und dessen Gemahlin Aschirat. 46 Es ist schwer zu sagen, welche dieser Gottheiten und welche Mythen zur Zeit Hoseas eine Rolle spielten. Wie auch immer - der Prophet straft sie alle mit Ignoranz und subsumiert sie unter den Sammelbegriff „Baale" bzw. „Liebhaber". Wahrscheinlich ist außerdem mit verschiedenen lokalen Ausprägungen des einen Gottes Baal zu rechnen (s.u. II/5.1.). Die Formulierung des Schuldaufweises V7 läßt vermuten, daß Israel die kanaanäischen Gottheiten bewußt neben J H W H verehrte.47 Hier klagt J H W H nicht wie an anderen Stellen darüber, daß er mit einem Baal verwechselt und wie ein Baal verehrt wird, sondern daß sein Volk die fremden

Vgl. STOLZ, Art. «na, THAT I, 2 6 9 - 2 7 2 . Öl (iwttf) konnte vielseitig verwendet werden, z.B. als Heilmittel (Jes 1,6), zur Beleuchtung (Ex 27,20), als Nahrungsmittel (lKön 17,12), aber auch zur Bereitung wohlriechender Kosmetika (Cant 1,3; 4,10; vgl. 2Sam 14,2). An mehreren Stelle wird es zum Symbol der Freude (Prv 21,17; 27,9; vgl. „Freudenöl" Ps 45,8; Jes 61,3). Das seltene 'ipw meint in Ps 102,10 (neben an 1 ?) ein Getränk. In Prv 3,8 steht es für Erquickung und Labsal. 46 Vgl. G E S E , Religionen, 50FF; RINGGREN, israelitische Religion, 36FF; BEYERLIN, RTAT, 44

45

2 0 5 F F ; KINET, 28FF; B A L Z - C O C H O I S ,

73-133.

Gegen KINET, der Israels Schuld nicht in der bewußten Verehrung fremder Gottheiten, sondern allein in einer vom Baalsglauben infizierten JHWH-Verehrung sieht ( 1 1 5 - 1 1 7 . 150f u.ö.). Ähnlich urteilen auch JEREMIAS, ATD, 42f. u.ö., und ALBERTZ, 269ff; vgl. RUDOLPH, KAT, 67f. Gewiß deuten andere Stellen (z.B. 5,6; 6 , 1 - 3 ; 7,14; 8,2) darauf, daß auch J H W H angerufen und kultisch verehrt wurde und daß er im Verständnis des Volkes ein Gott wie Baal war. Es gab sicherlich beides, den kanaanäisch verfälschten JHWH-Kult und die direkte Verehrung der kanaanäischen Gottheiten; s.u. II/5.1. 47

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105

Götter ausdrücklich sucht. Alle Initiative geht dabei von der „Frau" aus, ihre Liebhaber werden in keiner Weise aktiv, um sie zu verführen. V8.9: So richtet sich J H W H s Reaktion auch nicht gegen die Liebhaber, sondern darauf, den Kontakt der Frau mit ihnen zu unterbinden, p b leitet nach dem Schuldaufweis die Strafansage ein, so daß die Verse 7 - 9 formal einem prophetischen Gerichtswort entsprechen. Allerdings fehlt wie fast überall im Hoseabuch die Botenspruchformel. Inhaltlich liegt der Akzent jedoch nicht auf der Strafe, sondern auf der erklärten Absicht JHWHs, sein Volk durch diese Maßnahme zurückzugewinnen. Die Mahnung V4b und die Drohung V5 hatten offenbar nicht gefruchtet. Nun muß das Volk J H W H s Eingreifen schmerzhaft erfahren. Sehr plastisch wirkt das Bild: Dorngestrüpp hindert die Frau am Weiterkommen. 4 8 Die Mauer mitten auf dem Weg irritiert sie. Mit wachsender Unruhe sucht sie nach einem gangbaren Weg. Bei dem Versuch, sich durch die Dornen hindurchzukämpfen, reißt sie sich wund und verstrickt sich immer mehr, bis sie schließlich resigniert und als letzte Möglichkeit nur noch das eine sieht: umzukehren.

V7f sagen nicht, daß J H W H „den Weg zu den Baalkultstätten unmöglich" 49 macht, „weil im verwüsteten Land nur noch Dornen wachsen und die Grenzmauern der früheren Weinberge zusammengefallen sind und jegliche Orientierung verhindern."50 Weg, Dornen und Mauer sollten besser dem Sekundärgegenstand zugewiesen werden. Die Metapher zeichnet dadurch mit kräftigen Farben ein Bild von den vergeblichen kultischen Bemühungen um die Baale. Mit großem Eifer läuft das Volk zu den Kulthöhen (tpl). Mit Opfern und Klageriten sucht es den in der Trockenzeit abwesenden Vegetationsgott (ttrpa). Doch er ist nicht zu finden, trotz eifrigster religiöser Aktivität nicht zu erreichen (vgl. lKön 18,25-29). Immer verzweifelter wird darum das Suchen und Laufen, weil das Ausbleiben des Regens sich bereits notvoll auszuwirken beginnt. Dem Entschwinden der Liebhaber entspricht stilistisch das immer kürzer werdende Objekt in V9a: von rnartKöTiK am Anfang der Reihe über nriN und das ObjektsufFix Dx bis zum letzten Glied, wo es gar nicht mehr zu finden ist. In dieser Situation bleibt nur der Weg zurück zu dem Gott, dem Israel früher verbunden war. ]WK"irt weist auf das geschichtliche Moment der Beziehung. J H W H ist es, der am Anfang der Geschichte Israels stand. Zugleich werden die geschichtlichen Erfahrungen mit diesem Gott erinnert: „Denn gut ging es mir damals, besser als jetzt." Als 48 DALMAN, AUS II, 54f, beschreibt, wie beispielsweie zum Schutz von Weingärten eine rohe Steinmauer oft mit Dornen belegt wird, um Schakale von den Trauben fernzuhalten. Eventuell dient dazu auch ein nur aus dornigen Zweigen hergestellter, 1-2 m hoher und breiter Wall, dessen untere Lagen mit Steinen beschwert sind. 49

RUDOLPH, K A T , 6 8 .

50

JEREMIAS, A T D , 4 3 .

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Entschluß der Frau ist der Satz antithetisch zu V7b formuliert (na^N mia«). Er spricht J H W H s Hoffnung aus, sein treuloses Volk werde sich zur Umkehr bewegen lassen, und lehrt erfahrene Not begreifen als Maßnahme eines leidenschaftlich liebenden Gottes, der die Seinen zurückgewinnen möchte. Dieses Ziel drückt V9b aus; über die tatsächliche Reaktion des Volkes wird nichts gesagt. Nach Dtn 24,1-4 darf eine Frau, die von ihrem Mann entlassen wurde und danach einem anderen Mann gehörte, zu ihrem ersten Mann nicht zurückkehren. Falls dieses Gesetz schon zur Zeit Hoseas galt, zeigt der Sekundärgegenstand die Botschaft der Verse 8 und 9 als etwas ganz und gar Ungewöhnliches, ja Ungeheuerliches (vgl. Jer 3,1 ff): Was bei Menschen unmöglich ist, eröffnet J H W H als verheißungsvolle Möglichkeit. VlOa: Israel aber läßt sich auf diese Möglichkeit nicht ein. Der Halbvers korrespondiert mit V7b. Im jetzigen Kontext ist das einleitende ) adversativ zu übersetzen: „ A b e r s ie will nicht wissen ..." Ein Ton der Trauer und Klage schwingt hier mit. Es schmerzt J H W H , wenn sein Volk ihn nicht erkennt, wenn es nicht wahrnimmt, daß es ihm allein die Güter des Kulturlandes und damit seine Existenz verdankt (vgl. fru V7b und 10). Dem Willensentschluß der Frau, ihren Liebhabern nachzulaufen (na^K m ö K , V7b), entspricht ihr Nicht-Wissen (nsn' heb). Beides bedingt sich wechselseitig und wird zu einem Teufelskreis, den die Frau von sich aus nicht mehr zu durchbrechen vermag (vgl. 5,4). Der Mangel an D'n^K 71 xn zählt zu den Hauptanklagepunkten in Hoseas Verkündigung (außer 5,4 vgl. 4,1.6; 6,6; 11,3). Hier besteht er darin, daß die Erträge des Bodens nicht als Gaben J H W H s und Zeichen seiner Güte erkannt werden. Die Dreierreihe „Getreide, Most, Olivensaft" repräsentiert ähnlich wie die drei Wortpaare in V7b die Kulturlandgüter schlechthin. Sie wird im Deuteronomium später geradezu formelhaft gebraucht (Dtn 7,13; 11,14; 12,17; 14,23; 18,4; 28,51). V I Ob spielt möglicherweise auf die Herstellung von Götzenbildern an (vgl. 8,4; 13,2) und aktualisiert die Bildrede für Israeliten, die eher im städtischen Bereich zu Hause sind, die also ihren Wohlstand mehr an der Menge von Gold und Silber denn an der Fülle der agrarischen Güter messen. Diese und die in Anm. 15 aufgezählten Beobachtungen weisen VlOb als Glosse aus. V l l : p 1 ? leitet diesmal eine reine Strafankündigung ein, die auf das in VlOa beklagte Nicht-Wissen reagiert: „Ist der Geber vergessen, so wird er sich im Zurücknehmen als Herr der Gaben erweisen."51 Diese tragen sämtlich das Suffix der 1. E Sg. Dadurch wird der Besitzanspruch der Frau (V7bß) ne51 WOLFF, BK, 45. Vgl. 4,10: Weil die Israeliten ihre Fortpflanzungskraft durch „Hurerei" sichern wollten - angespielt wird auf Sexualriten - , straft J H W H sie mit Unfruchtbarkeit (vgl. 9,11). Z u 4,10 vgl. DEROCHE, 1 9 4 - 1 9 8 .

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giert. Indem sie meinte, die Gaben seien ihr Eigentum und sie habe dies den Liebhabern zu verdanken, ist sie in zweifacher Weise einem verhängnisvollen Irrtum verfallen. D i e Aufzählung der Güter n i m m t jeweils zwei Stichworte aus V 1 0 (ijn, ufvwi; vgl. 7 , 1 4 ; 9 . 1 f ) u n d zwei aus V 7 b (nnar, n'ntfb) auf. aitf spielt auf V 9 b an, erfährt je doch einen „twist in meaning" 5 2 und fungiert hier als Hilfsverb in der B e d e u t u n g „wieder (zurück)" ähnlich wie in Ps 8 5 , 7 und G e n 3 0 , 3 1 . Vijnn verknüpft mit V 12: „Ich entreiße meine Wolle und meinen Flachs, aber keiner kann Israel meiner H a n d entreißen."

V I 2 : Was VI 1 im Zusammenhang des Primärgegenstandes als Strafe ankündigte, bedeutet auf der Ebene des Sekundärgegenstandes die öffentliche Schändung der Ehebrecherin. Ohnmächtig müssen ihre Liebhaber dabei zusehen. Sie stehen da wie phantomhafte Schatten, die nichts, aber auch gar nichts bewirken. Die Metapher wirkt hier verstärkend, vor allem durch die emotionalen Implikationen des Sekundärgegenstandes: Die Vorstellung, nackt am Pranger zu stehen, ist noch weit grauenvoller als der Gedanke, keine Wolle und keinen Flachs mehr zu ernten. Andererseits schließt das Entblößtwerden (VI2) auch den Verlust von Weizen und Most (VI la) mit ein. Damit bindet VI 1 den Sekundärgegenstand unmißverständlich an die gefurchtete Realität einer Hungerkatastrophe. Die mit VI 1 und V I 2 gegebenen Implikationen verstärken sich also jeweils gegenseitig. Beide Verse zusammen nehmen die erste Drohung von V5 auf.53 V13: Wenn Israel, all seiner Existenzmittel beraubt, nackt und hilflos dasteht, hört alle Festfreude auf. Fünfmal das Suffix der 3. P Sg. fem. unterstreicht mit Nachdruck: J H W H distanziert sich von diesen Festen, er ist nicht dabei und nicht gemeint, wenn sein Volk feiert, rttthttta'^3 und m v m bs (vgl. IJNM VI 1) bilden die Klammer, die jährliche, monatliche und wöchentliche Feste umschließt.54 Es ist nicht gesagt, daß alle diese Feste kanaanäischen Ursprungs waren und daß die Israeliten J H W H überhaupt nicht kultisch verehrt hätten. Opfer für J H W H (vgl. 6,6; 9,4) und andere Kulthandlungen, die ihm galten (vgl. 5,6; 6,1-3; 7,14; 8,2), wird es durchaus

52

V g l . ANDERSEN/FREEDMAN,

245.

Zur Wirkungsgeschichte der Metapher vgl. Nah 3,5; Jes 47,2f; Ez 16,37 u.a. 54 Da Neumond und Sabbat bei Arnos, Hosea und Jesaja zusammen genannt werden (vgl. Am 8,5; Jes 1,13), ist zu fragen, ob zu dieser Zeit schon der Wochensabbat gefeiert wurde, oder ob es sich in Entsprechung zum Neumond um ein Monatsfest (Vollmondtag; vgl. Ps 81,4) handelte. Die Parallelität von Neumond und Sabbat erklärt sich jedoch hinreichend aus dem Umstand, daß es die beiden einzigen Feiertage sind, die sich in kürzeren als jährlichen Abständen wiederholen. Vgl. STOLZ, Art. natf, in: T H A T II, 863-869, bes. 865f; DE VAUX, I, 299-303; II, 323f. 330-340. 53

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gegeben haben, wahrscheinlich sogar recht viele (vgl. 8,11.13; 10,lf; 4,7f). Doch dadurch daß die Israeliten ihren Gott JHWH in eine Reihe mit den „Baalen" stellen und ihn wie einen der kanaanäischen Gottheiten verehren, verfehlen sie ihn. Einsichtig wird dies durch den Sekundärgegenstand, der hier durch die Femininsuffixe und den Kontext präsent ist: Weil die geliebte Ehefrau ihrem Mann zumutet, Zeuge ihres Amüsements mit den Liebhabern zu sein, macht er diesem Festtreiben ein Ende. Seine Liebe erleidet Gewalt, wenn er nur noch einer unter vielen ist. Doch nicht genug damit: V14: Weinstock und Feigenbaum, Symbol für das Leben in Frieden und Wohlstand (vgl. lKön 5,5; Mi 4,4; Sach 3,10), betrachtet die Frau als „Hurenlohn". Ihre Hingabe an die Fremden ist nichts weiter als ein Mittel zum Zwecke der Wohlstandsmehrung. Statt des üblichen (9,1; vgl. Ez 16,31.34.41) steht das singulare runx, wohl wegen des Wortspieles mit rUKn von Hosea so gestaltet.55 Es geht der Frau also gar nicht um die Liebhaber, sondern nur um ihren Reichtum. Das ist der eigentliche Götze, dem alles geopfert wird und der für wahre Hingabe, Liebe und Dankbarkeit keinen Raum läßt. Diesen Götzen wird JHWH zerschlagen, wenn er Weinstock und Feigenbaum verwildern läßt, das Kulturland zur Wildnis macht.56 nyi, das auch den Hochwald bezeichnen kann (vgl. Jes 7,2 u.ö.), meint neben dem „Getier des Feldes" Dickicht oder Gestrüpp (vgl. Jer 26,18; Jes 21,13) und hebt den Gegensatz zum bebauten Ackerland hervor. Hier ist nicht unbedingt eine Dürrekatastrophe im Blick; auch eine Verheerung durch Feinde wäre denkbar. VI 5: "tpü im Sinne von „aufmerksam bzw. prüfend nach jemandem/ etwas sehen"57 kann die heilvolle Zuwendung JHWHs (Jer 29,10) bedeuten. Hosea aber gebraucht das Verb ausschließlich für JHWHs richtendes Einschreiten, wobei jemand aufgrund geschehener Prüfung zur Verantwortung gezogen und Schuld geahndet wird (vgl. 1,4; 4,9.14; 8,13; 9,9; 12,3). In jedem Fall drückt es eine intensive „Anteilnahme JHWHs an den Menschen und ihren Taten"58 aus, die mehr ist als ein Sich-Auswirken-Lassen des menschlichen Verhaltens. In VI 5a wird der falsche Kult zunächst erstmals direkt benannt, danach wieder mittels des Sekundärgegenstandes („und sie läuft hinter ihren Lieb55

V g l . W O L F F , B K , 4 6 ; JEREMIAS, A T D ,

45.

Das Maskulinum n » n deutet darauf, daß j s j hier wie in 10,1 maskulin ist. Die bei ANDERSEN/FREEDMAN vertretene These, es beziehe sich auf die Kinder der Frau (vgl. nnn V6), ist zu weit hergeholt. Da die Frau ohnehin ganz Israel repräsentiert, bedarf es nicht einer besonderen Drohung gegen die Kinder. Die Differenzierung ist nur in V4 sinnvoll und wird nach V 7 gegenstandslos. 57 SCHOTTROFF, Art. npü, T H A T II, 466-486. 58 Ebd. 479. 50

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habern her.") Diesen Worten ist kein Hinweis auf Prozessionen hinter einem Kultbild her zu entnehmen, da sie den Sekundärgegenstand beschreiben.59 Das Modell der Dirne (vgl. „Hurenlohn" V I 4 ) wird vom Primärgegenstand her modifiziert, was die Wirkung steigert: Die Frau wartet nicht auf ihre Liebhaber, um von ihnen aufgesucht zu werden, sondern läuft ihnen nach (vgl. V7.9). Wieder sind sie absolut passiv. Einzelgestalten des kanaanäischen Pantheon interessieren nicht (s. zu V7). Die Imperfektform (Pk) T>UJ?n hebt hervor, daß den Baalen ständig bzw. regelmäßig Rauchopfer dargebracht wurden. Darüber hat Israel seinen Herrn vergessen (vgl. 4,6; 13,6). Stärker noch als in VlOa drücken die beiden Worte rrna ttj in Kl J H W H s Klage und Trauer aus. Sie „gehen zu Herzen" (vgl. V16), weil sie von einer tiefen Liebe zeugen, die enttäuscht und betrogen wurde. Hier begegnet ein Gott, der nicht apathisch und weltfern irgendwo im Himmel thront, sondern der seinen Menschen so nahekommt, daß sie ihn verletzen können. Die bei Hosea seltene Gottesspruchformel schließt jeden Zweifel darüber aus, ob nicht vielleicht doch der Prophet selbst seinem Kummer über die eigene zerbrochene Ehe Luft macht. Nein, J H W H ist der bekümmerte Sprecher! VI 6: Er ist es auch, der in V16 erneut die Initiative ergreift (betontes Subjekt SN; vgl. V4.10). Gegen ihren Willen verfuhrt er die Frau in die Wüste, nnü meint jedoch nicht eine Gewalttat, sondern das Uberreden durch Worte, die den Betreffenden verleiten, etwas ursprünglich nicht Beabsichtigtes zu tun — sowohl im positiven (Prv 25,15) als auch im negativen Sinn (Prv 16,29; Ri 14,15). 60 Da V I 6 auf die angekündigte Verwüstung des Kulturlandes reagiert (vgl. V l 4 ) , ist zu fragen, ob m i t t hier das verödete Land bezeichnet.61 In V5 ist dieser Bezug eindeutig, doch das 3 wahrt zugleich die Gegen WOLFF, BK, 4 8 . Z u n n ü vgl. auch Ex 2 2 , 1 5 (eine Jungfrau verführen) u n d Jer 2 0 , 7 . 1 0 (der Prophet f ü h l t sich v o n J H W H überredet). - SELLIN u n d RUDOLPH z.St. behaupten, n n b sei ein A u s d r u c k der Liebessprache. D o c h er k o m m t in diesem Kontext relativ selten v o r u n d ist sicher nicht dort beheimatet. Vgl. SAEBO, A r t . nnü, T H A T II, 4 9 5 - 4 9 8 . - Großes G e w i c h t legt M o s i s , 1 1 0 - 1 3 3 , dem nnü bei: Im weisheitlichen Kontext schließe der Ausdruck einen Mangel an Erfahrung und Reife ein und v o n daher die O f f e n h e i t f ü r Belehrung und Erziehung. Dies bedeute f ü r Hos 2 , 1 6 : „Jahwe selbst, so verheißt er hier, w i r d Israel in jenen Zustand zurückführen, in dem Israel fiir ihn offen ist und sich willig seiner gnädigen Führung überläßt, pth Pi. meint also v. 1 6 a a jenes Handeln Jahwes an Israel, durch das Israel selbst so verändert wird, daß es f ü r die verheißenen Heilsgüter empfänglich u n d fiir ein neues heilvolles Verhältnis zu Jahwe bereit und fähig ist." ( 1 2 6 f ) Das Gegenteil davon sei „störrisch" (Hos 4 , 1 6 ) , „nicht hören" ( 9 , 1 7 ; vgl. 1 3 , 1 3 ) oder Verschlossenheit ( 1 1 , 1 - 7 ) . 59

60

61 V g l . KÖCKERT, Land, 6 1 f . mit A n m . : „Wüste" ( " n m ) sei als Nicht-Kulturland ausschließlich am Gegensatz orientiert und meine hier das verwüstete K u l t u r l a n d (vgl. 2 , 1 4 ) , in das J H W H das exilierte Israel zurückführen wird, u m ihm v o n hier aus die G a b e n des Landes neu zu schenken, d.h. das verödete Land wieder in Kulturland u m z u w a n d e l n . - Z u " m n vgl. WYATT, 3 7 5 - 3 8 9 ; TALMON, T h W A T IV, 6 6 0 - 6 9 5 .

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Differenz zum "Din. Von den übrigen Belegen bei Hosea hat i r u in 1 3 , 1 5 lediglich geographische Bedeutung, in 9 , 1 0 wird es im metaphorischen und in 13,5 stärker im heilsgeschichtlichen Sinn gebraucht. Die beiden letztgenannten Stellen vermögen auch 2,15 zu erhellen: 9,10: Daß J H W H Israel fand „wie Trauben in der Wüste", ist eine Metapher. Wie beim parallelen Glied, den „Frühfeigen am Feigenbaum", ist von einer köstlichen Frucht die Rede, die den Finder erfreut und beglückt. Die „Trauben in der Wüste" fiigen dem noch den Aspekt des Wundersamen, ja Unglaublichen hinzu: In der Wüste können Trauben nicht gedeihen, sie würden sofort verdorren. Dies zeigt Israel als ein Volk an lebensfeindlichem Ort, eine Kostbarkeit fiir J H W H , ein Wunder, daß es überhaupt existiert. — Da die Anfänge der Beziehung J H W H s zu Israel nach Hosea im Ägypten-Exodus liegen (11,1; 12,10; 13,4 u.ö.), an den sich die Wanderung durch die Wüste anschloß, steht " n m in 9,10 metaphorisch für jene Situation der Bedrückung und Existenzbedrohung. Die Erwähnung von BaalPeor (vgl. Num 25,1 ff) in 9,10b bringt den (heils-)geschichtlichen Aspekt deutlich zur Geltung, so daß "law von daher mehr ist als reine Metapher. „Wüste" und „ausgedörrtes Land" bilden einen synonymen Parallelismus und stehen in unmittelbarer Nachbarschaft zu JHWHs rettendem Handeln (jouriö) in Ägypten (V4). Seine Fürsorge in der Wüste und der Exodus werden zusammengeschaut und als die grundlegende - Heilserfahrung beschrieben. Ähnlich geschieht das in 12,10, wo das Wohnen in Zelten die „Tage der Begegnung" kennzeichnet und unmittelbar neben dem Hinweis auf die Herausfuhrung aus Ägypten steht. In diesem heilsgeschichtlichen Sinn ist "imü auch in 2 , 1 6 zu verstehen, wie der folgende Vers 1 7 („wie in den Tagen ihres Heraufkommens aus dem Land Ägypten") verdeutlicht. J H W H wird das Volk abermals in eine Situation existentieller Bedrohung (vgl. 9,10) fuhren. 62 Damit negiert er die Heilsgeschichte, weil Israel sie zur Schuldgeschichte werden ließ. Zugleich ist die Wüste der Ort, an dem es keine Baale gibt, an dem das Volk erfahren wird, daß es allein auf J H W H angewiesen ist. Im Kontext hoseanischer Verkündigung kann die „Wüste" in 2 , 1 6 beides umschließen: die Wegführung in Feindesland (vgl. 9,3; 8,13) und die Verödung des Landes. Obwohl der Spruch insgesamt Heil für Israel bedeutet, enthält er zugleich einen an i m » haftenden Aspekt des Gerichtes. 63 rtnb

62 Zu l'jn Hi.: Daß J H W H Menschen ins Unheil „führt", wird z.B. in Thr 3,2; Ps 125,5; Hi 1 2 , 1 7 . 1 9 gesagt. Für die Wegfiihrung ins Exil wird "]brt Hi. in Dtn 2 8 , 3 6 (Subjekt: J H W H ) sowie 2Kön 2 4 , 1 5 ; Jer 32,5 (König von Babel); 2Kön 25,20; Jer 52,26 (Nebukadnezar) 2Chr 3 3 , 1 1 (Assyrer); 2Chr 3 6 , 6 (Nebukadnezar) gebraucht. 63 Als reine Verheißung könnte man die „Führung in die Wüste" nur dann verstehen, wenn das „Zurück nach Ägypten!" (9,3; 8,13) nicht mehr Drohung, sondern bereits erfahrene Realität wäre. Dies ließe sich frühestens für die Zeit nach 7 2 2 sagen. In Hoseas übriger Verkündigung steht aber Israel diese Erfahrung staatlicher Nicht-Existenz erst noch bevor, auch wo der Prophet darüber hinausblickt und Zukunftshoffnung nach dem Gericht erschließt (vgl. 1 1 , 8 - 1 1 ; 3 , 1 - 4 ) . So muß man sicher auch fiir 2 , 1 6 f noch von der Blickrich-

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gewinnt dabei eine geradezu provozierende Bedeutung: JHWH selbst hat Israel überredet, sich in die gefahrvolle Wüstensituation zu bringen, um gerade so sein Werk der Neuschöpfung an Israel selbst zu vollbringen.64 Aufgrund der heilsgeschichtlichen Implikationen von VI6a wiegt die wiederum mit p 1 ? eingeleitete Maßnahme JHWHs weitaus schwerer als die in VI 1—15 angedrohte Verwüstung des Kulturlandes. VI 5 bildet den Angelpunkt, der den vorigen Spruch beschließt und zugleich der Begründung des folgenden dient: Weil Israel den Gott, der mit ihm Geschichte machte, vergißt, wird diese Geschichte negiert. Doch JHWH gedenkt nicht, mit dem Volk an diesem Nullpunkt stehenzubleiben. Die Wendung ab'^J? meint immer ein freundliches Reden (2Chr 30,22; 2Sam 19,8). Es gehört zur Sprache der Liebe (Gen 34,3, parallel zu an«) und ist darauf gerichtet zu trösten (Jes 40,2; Gen 50,21; Ruth 2,13, jeweils parallel zu nna), zu ermutigen (2Chr 32,6f), zu versöhnen (Ri 19,3; vgl. Gen 50,21). Der betrogene Ehemann findet Worte, die als Botschaft der Liebe zu Herzen gehen und die jetzt die in ihrer Existenz bedrohte Partnerin in ihrem Innersten erreichen, ihr Erkennen, Fühlen und Wollen gleichermaßen berührend.65 So umschließt VI 6 beides: drohendes Gericht und inmitten des Unheils die Verheißung eines neuen Anfangs. VI7: Die Linie der Hoffnung zieht VI7 weiter aus. Probleme bereitet die Auslegung von vl7a(X: Wie ist die Gabe der Weinberge von der Wüste aus vorzustellen? Einige Exegeten denken an eine Neuschöpfung bzw. Verwandlung der Wüste in fruchtbares Land (vgl. Jes 4l,18ff) und übersetzen Dttrtt mit „dort".66 Doch das Bild vom Tor (nnü V17aß) legt es näher, an einen verheißenen neuen Einzug ins Kulturland zu denken. So kann V17aa nur bedeuten: Noch in der Wüste übereignet der Hausherr (vgl. 9,15) der Frau Güter seines Besitztums als Geschenk (Suffix der 3. P. fem., vgl. VI 1 Suffix der 1. P!). Dabei drängt alles von der Wüste weg (Dttta) in das Land, um die Weinberge auch nutzen zu können. Falls in Israel bei Eheschließungen Geschenke des Mannes an seine Braut allgemein üblich waren, könnten die Weinberge hier als ein Brautgeschenk wie in Ri 1,15 (nana; vgl. Jos 15,16-19) aufgefaßt werden.67 Damit wäre die Ehebrecherin zu einer Braut

tung Kulturland » „Zurück ...!" (nach Ägypten bzw. in die Wüstensituation) » ginn ausgehen. Gegen KÖCKERT, Land, 61 f. 64 Vgl. Mosis, 123ff (s.o. Anm. 60). 65 Vgl. STOLZ, Art. ab, T H A T I, 861-867. 66

S o z . B . SELLIN, 4 0 ; WEISER, 3 0 .

Neube-

Vgl. ANDERSEN/FREEDMAN, 272-274; JEREMIAS, ATD, 47. Auch in Gen 24,53 erhält die Braut Geschenke, und in Gen 34,12 wird neben dem an den Schwiegervater zu zahlenden Brautpreis i n » ein i n » (Geschenk) erwähnt, das vielleicht der Braut zugedacht war. Vgl. dazu PLAUTZ, 316f. 67

112

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geworden. Diese vorsichtig angedeutete Modifikation übermittelt - sehr verhalten - die Botschaft, daß J H W H mit der bisherigen Heilsgeschichte auch die Untreue Israels getilgt hat und jetzt völlig neu beginnt: eine Beziehung, die in keiner Weise durch die Vergangenheit belastet ist. Das Tal Achor, im Zusammenhang mit dem Einzug ins Land als Ort des Unglücks bekannt (Jos 7,25f), wird nicht länger an Schuld und Gericht erinnern. 68 J H W H macht es zum Tor der Hoffnung auf eine neue, heilvolle Zukunft (im Land) und überwindet die Unheilstradition, indem er neue Heilstaten schafft. Dies ist sein Geschenk an Israel. bezieht sich auch auf V17aß! Erst jetzt, nachdem J H W H alles vollbracht hat, um die Schuldgeschichte zu tilgen, ist die Reaktion der Frau von Belang.69 „Das Verbum 'nh bedeutet in erster Linie nicht .antworten', sondern , reagieren'." 70 Diesmal wird J H W H s Liebe ihr Ziel erreichen und nicht ins Leere gehen: Die Frau wendet sich dem, der ihr liebevoll zu Herzen redet, mit neuer Aufmerksamkeit zu und läßt sich von ihm willig in eine neue Zukunft fuhren (nöttr in Bezug auf nip;rt nnö). Diese Antwort, sofern sie dem Handeln J H W H s entspricht, umfaßt Israels ganze Existenz, bindet Wort und Verhalten zusammen. Solche Konkordia zwischen J H W H und Israel hatte es nur in der Frühzeit Israels gegeben, als das Volk noch keine Baale kannte. Die „Tage ihrer Jugend" stehen den „Tagen der Baale" VI 5 gegenüber. Wann genau der entscheidende Bruch in Israels Gottesverhältnis geschah, wird nicht gesagt. Doch in Hos 2,4ff deutet vieles darauf hin, daß er sich erst im Kulturland manifestierte (vgl. 9,10). Entsprechend negiert J H W H nicht die gesamte Geschichte Israels, sondern nur die Geschichte des Abfalls. Die Heilsereignisse des Anfangs bleiben gültig und werden zum Typus der verheißenen neuen Heilszeit. Dem „Tag ihrer Geburt" (V5) entspricht der „Tag ihres Heraufkommens aus Ägypten" in VI7, der den Anfang der Gottesgeschichte markiert (vgl. 11,1;12,10.14; 13,4 u.ö.). Daß er parallel zu den „Tagen ihrer Jugend" steht, bestätigt die Beobachtung, daß Hosea zwischen Exodus und Wüstenwanderung keine scharfe Trennlinie zieht, sondern beides zusammen

68

Z u r Lokalisierung vgl. NEEF, Ebene Achor, 9 1 - 1 0 7 , zu H o s 2 , 1 7 bes. 9 7 - 1 0 1 .

DIJK-HEMMES, 7 5 - 8 8 , sieht aus diesem und anderen Gründen nicht nur in Hos 2 , 4 - 1 5 , sondern auch in 2 , 1 6 - 2 5 ein Zeugnis für Gewalt gegen Frauen: Die Frau werde zur Passivität verurteilt und zum Objekt gemacht. 70 LABUSCHAGNE, Art. I, THAT II, 3 3 5 - 3 4 1 , 337. Das Verb meine ursprünglich „umwenden" (z.B. des Antlitzes, um Aufmerksamkeit zu bekunden), so daß sich folgende semasiologische Kette ergibt: „,sich umwenden' > , reagieren' > .jemandem oder etwas seine Aufmerksamkeit zuwenden' > ,sich beschäftigen mit' > .willig reagieren', d.h. .erhören', .antworten' usw." (335f) - Vgl. Mosis, 127ff: m y enthalte das Moment der Willigkeit und Fügsamkeit als Folge von nnü Pi. FRIEDMAN, 1 9 9 - 2 0 4 , versteht na» hier als Anspielung auf die Eheschließungsformel, durch die der Bund zwischen J H W H und Israel wieder geschlossen wird, und zieht V I 7 deshalb zu V I 8. 69

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als eine heilsgeschichtliche Epoche sieht, die hier im Gegensatz zur Zeit des Wohnens im Lande steht.71 1.1.1.4. Zusammenfassung: Hos 2,4—17 als Gottesmetapher Unbekannt war J H W H der israelitischen Landbevölkerung nicht. Sicher hatten auch die einfachen Bauern und ihre Familienangehörigen die Geschichten von der Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft gehört, sicher wußten sie um die wunderbare Führung in der Wüste, und sie verbanden dies alles mit dem Namen „JHWH". 7 2 Doch diese Ereignisse waren vor langer Zeit geschehen, an fremdem, fernem Ort. Jetzt drängten sich die Sorgen des bäuerlichen Alltags in den Vordergrund: ob das Land seinen Ertrag bringt, ob der Himmel zur rechten Zeit Regen spendet. Dafür waren natürlich die Landesgötter zuständig, von denen die alteingesessene Bevölkerung zu erzählen wußte. Die Mythen entsprachen ja den Erfahrungen der Bauern und deuteten die Naturphänomene. Was lag näher, als die Götter des Landes neben J H W H zu verehren? Die prophetische Bildrede rückt dies alles in ein völlig anderes Licht. Sie wirkt kognitiv, emotional und voluntativ. Kognitiv: Schlagartig entlarvt die Metapher das harmlos erscheinende Nebeneinander von J H W H - und Baalsverehrung als Unrecht, ja Untreue gegenüber J H W H . Sie vermittelt die Einsicht, daß die Teilnahme am Kult für die „Baalim" ein strafwürdiges Vergehen darstellt und daß J H W H allein Israels Gott ist. In wünschenswerter Schärfe läßt die metaphorische Rede dies sehen (erkennen). Emotional: Falls sich der Hörer bzw. Leser von Hos 2,4-17 nicht bewußt dagegen wehrt, fühlt er sich unwillkürlich in jenen Ehemann ein. Die Bildrede läßt mitempfinden, was er an Schmerz, Zorn und Bitterkeit durchlebt. Sie läßt ahnen, wie stark seine Liebe zu dieser Frau sein muß, die sich durch ihre Liebschaften mit anderen und ihre verletzende Igno-

71 Siehe Auslegung zu V I 6. 11,1 ff dagegen läßt einen Gegensatz zwischen einer Heilszeit in der Wüste und der Zeit des Abfalls im Lande überhaupt nicht erkennen, und in 13,4ff bleibt die Frage, ob Israel überhaupt jemals eine angemessene Antwort auf J H W H s Heilshandeln gab, unbeantwortet. - EMMERSON, Hosea, 21-24, versteht Hos 2,16f (bzw. 2 , 4 17) als eine Art Schlüsselwort für Hoseas Theologie: J H W H s Heilsaktion ist nicht abhängig von Israels vorheriger Umkehr, sondern Israels Antwort folgt dem überraschenden „ZuHerzen-Reden" J H W H s . Die Initiative zur Erneuerung geht allein von J H W H s Liebe aus. - So gewiß dies konstitutiv ist für Hoseas Verkündigung in der Spätzeit, trifft es m.E. nicht alle Aspekte seiner Botschaft. Ich sehe ihn in verschiedenen Perioden unterschiedliche Akzente setzen. 72

DANIELS, 1 1 1 - 1 1 6 . 1 1 7 - 1 3 0 , meint, daß unter n'n^K n j n p r i m ä r das W i s s e n u m die

historischen Traditionen des JHWH-GIaubens zu verstehen sei. Es sei Aufgabe der Priester gewesen, neben den nilY" n m n diese Kenntnis zu vermitteln, und „it is ... a very real possibility that the historical traditions drawn upon by Hosea were preserved by the priests in written compilations." (116).

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ranz ihm gegenüber eines solchen Ehemannes eigentlich als unwürdig erweist. In der Gestalt dieses betrogenen Liebenden kommt J H W H den Israeliten in aufregender Weise nahe, während ihr eigenes Verhalten äußerst befremdlich und schändlich erscheint. Mit einem Mal ist der ferne Staatsgott vertrauter als die selbstverständlich gewordenen Kultfeiern auf den Höhen. Jeder Versuch, diese Nähe ohne die Metapher auszudrücken, würde platt und geschmacklos wirken. Voluntativ: Auch den Willen der Angesprochenen vermag die Metapher zu bewegen. Wer sich auf sie einläßt, der wird in seinem Verhalten der Nähe J H W H s zu entsprechen trachten. Das bedeutet, die Verehrung der „Baalim" aufgeben und J H W H „über alle Dinge furchten, lieben und vertrauen." 73 Formal zeichnet sich die metaphorische Rede im besprochenen Abschnitt dadurch aus, daß die Worte manchmal dem sprachlichen Umfeld des Sekundärgegenstandes entstammen, manchmal mehr dem Primärgegenstand angepaßt sind. M.a.W., hier „liegen Bild - und Sachebene unlöslich ineinander;"74 „Bild und Sache .oszillieren'."75 Dabei präzisieren sich die beiden Implikationszusammenhänge gegenseitig, wie an VI 1 und 12 exemplarisch deutlich wurde. Zugleich bleiben einzelne Aspekte des Primärgegenstandes so offen, daß verschiedene Deutungen möglich, unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen integrierbar sind. Zum Beispiel muß sich V8f nicht unbedingt auf eine Dürrekatastrophe beziehen, VI 6a braucht nicht die Exilierung zu meinen. Bei aller Klarheit in den wesentlichen Aussagen bleibt die Metapher ein bewegliches Gebilde; sowohl Primär- als auch Sekundärgegenstand werden unter verschiedenen Aspekten beleuchtet und notfalls variiert: Die Frau als Land begegnet nur in V5, sonst repräsentiert sie stets das Volk Israel. Sie erscheint als Ehebrecherin (V5), Prostituierte (Vl4), in V l 6 f gar als Braut. In alledem versetzt die Metapher die Angeredeten in die Lage, den „Ehekonflikt" zwischen J H W H und Israel regelrecht mitzuerleben und nimmt sie unmittelbar hinein in ein tragisches, bewegendes und spannungsreiches Geschehen. 1.1.2. Hos 2,18-25 Die Sprüche in 2,18-25 zeigen nicht die gleiche Dynamik wie 2,4—17. Die dramatischen Szenen des vorausgegangenen Abschnitts kommen zur Ruhe in Bildern des Heils. Gegenüber 2,16f vermitteln sie keine neuen Inhalte, 73

M. LUTHER, Kleiner Katechismus, Erklärung zum 1. Gebot.

74

JEREMIAS, A T D ,

75

UTZSCHNEIDER, 5 6 u . ö .

43.

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115

sondern sie reflektieren das dort Verheißene, wobei sie auch einzelne Motive aus 2,4-15 aufnehmen (vgl. V24a mit VlOa; V20 mit V14: mfon n»n). V24b und vorallem V25 schlagen die Brücke zu Kapitel 1, indem sie die Unheilsnamen der Kinder in Heilsverheißungen umwandeln (vgl. 2,1-3). Die Formel K i n n Di'3 ( r n n i ) gliedert den Abschnitt in drei Strophen (V18.20.23), die jeweils zwei Einzelsprüche enthalten: I. V18 und V19, II. V20 und V21f, III. V23f und V25. Sie sind sicherlich von einem Redaktor in diese kompositionelle Form gebracht worden. In ihrem Rückbezug auf 2,4—17 bzw. 1,2—9 bestehen sie je für sich, ohne daß sie innerhalb der Komposition VI 8 - 2 5 inhaltlich miteinander verknüpft oder verzahnt wären, wie dies in 2,4—17 zu beobachten war. Vermutlich handelt es sich um Worte von Schülern oder Tradenten Hoseas (aus verschiedenen Zeiten), die die Botschaft des Propheten reflektieren und in bezug auf ihre Konsequenzen meditieren. Die Einzelexegese hat diese Vermutung zu prüfen. Im Rahmen des Gesamtthemas interessieren hierbei nur die Sprüche, die die Ehemetaphorik aufnehmen, also V18.19.21f. 76

2,18: Und es wird geschehen an jenem Tag, spricht JHWH, da wirst dua) rufen: „Mein Mann!" und wirst mich nicht länger nennen: „Mein Baal!" a) Die Einfügung v o n (je (iS) in @ ist als Angleichung an V I 8 b zu erklären (vgl. Die Verwendung der 3.E bei der Verbform ( © , 53) gleicht an den Kontext an.

Nicht selten wird die häufig vorkommende Wendung Kinn lediglich als zeitadverbielle Bestimmung ohne einen besonderen theologischen Gehalt gebraucht (vgl. Gen 26,32). Bezieht sie sich jedoch wie hier auf künftiges Geschehen, besonders in prophetischen Texten, so nähert sie sich vielfach der prophetischen Rede vom „Tag JHWHs" und gewinnt den Charakter eines eschatologischen Terminus, (vgl. Jes 2,17.20; 3,18 u.ö. mit Jes 2,12; Am 8,3.9; Sach 12,3.4.6 u.ö.). 77 Bei Hosea begegnet sie außer in 2,18.20.23 nur noch in 1,5. Dort leitet sie eine zweite Deutung des Namens „Jesreel" für Hoseas Sohn ein, was den Vers insgesamt als spätere Erweiterung erkennbar macht. Er zeigt deutliche Berührungspunkte mit 2,20 („an jenem Tag", riurp, nau?), so daß es naheliegt, 1,5 und 2,18-25 der gleichen (sekundären)

76 Möglicherweise klingt das Ehegleichnis auch in 2,25 nach, nämlich in dem Suffix der 3.Rfem. bei N'NVM („und ich säe sie mir ein"; vgl. JEREMIAS, ATD, 51). Doch von einer echten Metaphorik kann hier nicht gesprochen werden, da sich das Suffix ohne Verlust durch ein anderes, auf das Volk Israel referierendes Objekt ersetzen läßt (z.B. in-, bezogen auf „Jesreel" V24b, wie u.a. BHS vorschlägt). 77 Vgl. SAEB0, ThWAT III, 569f; siehe auch 5 8 4 - 5 8 6 .

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Bearbeitungsschicht zuzuordnen.78 In Kapitel 2 meint Kinn DIU jenen Tag des Heils, der in V17 geschildert wurde. VI 8 formuliert die positive Antwort, die Israel seinem Gott geben wird. Erstmals wird die Frau direkt angeredet (2.P.Sg.fem.). Im Kontext der Ehe sind ttf'K und 'ryn nahezu synonym (vgl. 2Sam 11,26). ibva betont eher die rechtliche Stellung des Eheherrn gegenüber der Frau (vgl. Ex 21,22; Dtn 22,22; 24,4), während ntnN etwas intimer klingt (Gen 29,32.34; vgl. Gen 3,6). Auf der Ebene des Sekundärgegenstandes ergibt der Spruch jedoch kaum einen Sinn. Er richtet sich gegen den Synkretismus, durch den J H W H wie eine der Baal-Gottheiten verehrt wird.79 VI 8b funktioniert also nur auf der Ebene des Primärgegenstandes. Dagegen stellt VI 8a Primärund Sekundärgegenstand verbal sehr dicht nebeneinander („JHWH" „mein Mann"), was Hosea bei Gottesmetaphern sonst niemals tut, ohne die nötige Distanz wenigstens durch ? zu sichern. In V9b gehört tö'K im Munde der Frau unmißverständlich zum Sekundärgegenstand und steht verbal den „Liebhabern" gegenüber. Auch V4 bewegt sich expressis verbis ausschließlich auf der Ebene des Sekundärgegenstandes. So kann ttfiN dort nicht isoliert auf J H W H projiziert werden, sondern immer nur zusammen mit dem gesamten Beziehungsgeflecht „Ehemann - Ehefrau ( - Liebhaber)", das den ganzen Komplex des Verhältnisses „JHWH - Israel - Baale" beleuchtet.

Diese Vorsicht läßt VI 8 fallen. JHWH wird zwar deutlich gegen Baal abgegrenzt, doch die Metapher rückt in die Nähe einer Identitätsaussage: „JHWH ist mein Mann." Darüber hinaus unterscheidet sich VI 8 durch den Singular „Baal" von 2,4-17. 2,19

78

Und ich werde die Namen der Baale aus ihrem Mund entfernen, so daß man ihrer Namen nicht mehr gedenken wird.

Anders EMMERSON, Hosea, 24—40: Sie hält sämtliche Einzelsprüche in 2 , 1 8 - 2 5 für hoseanisch, die Komposition dagegen für redaktionell. Die Wendung „an jenem Tage" (vgl. 1,5) weise fiir die Komposition auf judäischen Einfluß. Allein durch den neuen Kontext würden neue Akzente gesetzt: Während bei Hosea selbst allein J H W H s Heilsaktion die Wende in Israel vollbringe, liege der Komposition die theologische Ansicht zugrunde, daß Israels Buße J H W H s Heil vorausgehen müsse und somit die Initiative beim Volk liege. Vgl. DANIELS, 9 6 - 9 8 (2,16-25 Hosea selbst zugeschrieben). 79 Die religionsgeschichtliche Forschung hat gezeigt, daß J H W H und Baal im Bewußtsein der Israeliten einander sehr ähnlich gewesen sein müssen: Beide sind kämpferisch-dynamische Gottheiten, beide können durch einen Stier symbolisiert werden, beide wurden im 8. Jh. als „Himmelsherr" und „Höchster Gott" mit uranisch-solaren Zügen verehrt (vgl. KEEL/UEHLINGER, 296f). M. WEIPPERT (Synkretismus, 143-179) geht sogar von der Identität der beiden Gottheiten aus (s.u. II/ 5-1-1-, Anm. 14; vgl. II/5.3.2.). Hos 2,18 bestätigt zumindest dies, daß es das Problem der Verwecbselbarkeit von Baal und J H W H gegeben hat.

Betrogene Liebe

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War die Frau in V 4 b aufgefordert worden, von sich aus dem hurerischen Kult zu entsagen, so räumt jetzt J H W H selbst das Trennende aus dem Weg (jeweils n o ) . Dies entspricht dem Duktus von V l 6 f . W e n n J H W H seinem Volk zu Herzen redet, bleibt kein Raum mehr für die Baale. Sie werden nicht mehr kultisch angerufen ("13T als Kultterminus, vgl. Jos 2 3 , 7 ) und schließlich ganz vergessen. W e n n man jemandes Namen nicht mehr gedenkt (verneintes "IST ni.), dann bedeutet dies dessen totale Vernichtung (vgl. Sach 13,2; Jer 1 1 , 1 9 ; Ps 83,5). 8 0 Insofern hat dieses Vergessen eine andere Qualität als Israels JHWH-Vergessenheit in 2 , 1 5 b . Der Plural m a l » erweist D ^ s n wieder als Gattungsbezeichnung, u.U. gehörten auch weibliche Gottheiten dazu. 81 Allerdings werden die „Baalim" bei Hosea sonst nirgends eines Namens gewürdigt. Hier erscheinen sie nicht mehr wie in 2 , 4 - 1 7 als völlig namen- und damit wesenlose Gestalten. Die Ehemetaphorik wird durch das Femininsuffix bei r p ü ö vergegenwärtigt. Sie spielt freilich nur noch eine untergeordnete Rolle. Immerhin gibt sie dem Geschehen die W ä r m e einer Begegnung zwischen Liebenden, da V l 6 f noch nachklingt.

2,21f Ich will mich dir verloben für ewig, ich will mich dir verloben um Gerechtigkeit und Recht, um Hingabe und Erbarmen. Ich will mich dir verloben um Treue; und du wirst JHWH erkennen. Anders als „verloben" im Deutschen meint WIK einen verbindlichen Akt, der die Ehe rechtlich in Kraft setzt, auch wenn die Braut noch bei ihrem Vater w o h n t (vgl. D t n 20,7; Ex 2 2 , 1 5 ) . Dabei bezahlt der Bräutigam den Brautpreis an den Schwiegervater (vgl. 2Sam 3 , 1 4 mit l S a m 18,25—27). Praktisch vollzogen wird die Ehe erst, wenn der Mann seine Braut heimholt und „zur Frau nimmt" (np1? Dtn 20,7; vgl. 2 2 , 1 3 f ) . 8 2 Eine Verlobung ist nur möglich mit einem Mädchen, das noch keinem anderen M a n n gehört hat. 83 In Hos 2 , 2 l f wird also offen ausgesprochen, was V 1 6 f nur verhalten andeutete: Israel tritt nicht mehr als Ehebrecherin auf, sondern als Braut. Vgl. SCHOTTROFF, Art. 13t, in: THAT I, 507-518, 512. Die Frage, an welche Gottheiten im einzelnen gedacht ist, läßt sich von der Exegese her nicht entscheiden und wird darum in Kapitel II/5.1.2. gesondert diskutiert. 82 Vgl. KÜHLEWEIN, Art. to-w, in: THAT I, 2 4 0 - 2 4 2 ; PLAUTZ, Eheschließung, 80 81

298-318. 83 Die Verlobte wird nbina genannt (Ex 22,15f; Dtn 22,23.28). Wo es um die Wiederverheiratung einer (z.B. verwitweten) Frau geht, steht nie unN, sondern rrpb (Dtn 25,5.7; Ruth 4,13). Auch wenn der Verlobte stirbt, kann das Mädchen von einem anderen Mann höchstens noch geheiratet, nicht aber mit ihm verlobt werden (Dtn 20,7; 28,30; vgl. auch Dtn 22,23-29).

118

Exegesen

J H W H hat die Schuld ausgelöscht und dadurch ein neues Israel geschaffen, dem er sich auf's neue verbindet, und zwar für immer. Die dreimal mit i1? (vgl. 3,2.3) verbundene direkte Anrede zeugt von inniger Gemeinschaft, nbiyb begegnet nur hier im Hoseabuch. Es begegnet der aus V I 7 erwachsenden Sorge, ob Israel nicht erneut seinem Gott untreu werden und das neu geschenkte Heil wiederum verscherzen wird durch Schuld: J H W H selbst gibt dem Volk, was eine heile Beziehung auf Dauer ermöglicht und auszeichnet. 3 neben ftnK gibt gewöhnlich den an den Schwiegervater zu zahlenden Brautpreis an ( l S a m 18,25; 2Sam 3,14), den hier die Braut empfängt. Das erste Wortpaar bezieht sich auf die Normen des Zusammenlebens und steckt den äußeren Rahmen ab. plJi könnte mit „Gemeinschaftstreue" umschrieben werden, die sowohl das entsprechende Verhalten als auch den dadurch ermöglichten heilvollen Zustand des Miteinanderlebens meint (vgl. Jes 51.1.5). 8 4 Auf Schalom zielt auch Uüttto, die Lebens- und Rechtsordnung. 8 5 Diesen Rahmen füllen „Hingabe" und „Erbarmen", non 86 meint die über alles Pflichtgemäße hinausgehende herzliche Zuwendung, in der einer sich dem anderen schenkt, und D'iam 87 das von tiefem Mitempfinden getragene Erbarmen, mit dem jemand sich besonders des Schwächeren und Hilfsbedürftigen annimmt. Während "ton bei Hosea sonst immer die von Israel erwartete Haltung gegenüber J H W H (und gegenüber den Mitmenschen, vgl. 4,1 f; 10,12) 8 8 bezeichnet, wird D'iam im Alten Testament nie von einem Menschen gegenüber Gott ausgesagt. Darum muß sich auch das erste Glied des Wortpaares hier primär auf JHWHs Zuwendung zu Israel beziehen. naiöN 89 schließlich, wie D'iam im Hoseabuch singulär, rekurriert auf die Zuverlässigkeit und Treue, die das Verlöbnis beständig sein lassen. J H W H zwar war stets treu geblieben (5,9; 12,1 paK Pt. ni.), doch Israel ließ solches bislang vermissen (nwx 4,1). 84 Bei Hosea noch in 10,12; vgl. KOCH, Art. ¡rw, in: T H A T II, 5 0 7 - 5 3 0 , bes. 5 1 4 - 5 1 8 . JOHNSON, Art. p i x , in: T h W A T VI, 8 9 8 - 9 2 4 . 85 Vgl. Hos 5 , l f ; 6,5; 10,4; 12,7; UTZSCHNEIDER, 150ff; LIEDKE, Art. ubtf, in: T H A T II, 9 9 9 - 1 0 0 9 ; JOHNSON, Art. Bütfn, in: ThWAT V, 9 3 - 1 0 7 . 86 Bei Hosea außerdem in 10,12 neben ¡ n s , in 12,7 neben ttbw», in 4,1 parallel zu DMN und dviSk n j n , in 6,6 ebenfalls parallel zu D'rt^K rnn und im Gegensatz zu nar und nby, schließlich in 6,4 ohne Parallelbegriff. Vgl. STOEBE, Art. I o n , in: T H A T I, 600-621; ZO-

BEL, Art. -ran, in: ThWAT III, 48-71.

87 Im Hoseabuch singulär. Von den übrigen 38 Belegen im Alten Testament (incl. l K ö n 3,26) meinen 28 Gottes Erbarmen mit Menschen. Vgl. H.J. STOEBE, Art. n m , in: T H A T

II, 761-768.

88 Gegen ZOBEL, T h W A T III, 68f: Obwohl er das Moment der Gegenseitigkeit im Begriff t o n betont, bestreitet er die Möglichkeit eines "tpn-Erweises des Menschen gegenüber Gott. „Der Mensch empfängt zwar die Güte J H W H s , aber er kann Gott nichts Gutes antun." (69). 89 Vgl. JEPSEN, Art. 1»*, in: T h W A T I, 511-518.

Betrogene

Liebe

119

Alle fünf Nomina benennen vor allem, was J H W H dem Volk zuwendet bzw. schenkt. Zugleich dürfte allerdings jeweils Israels Verhalten mitgemeint sein, das aus solcher Zuwendung seines Gottes erwächst und ihm entspricht. Denn die Brautgaben bewirken, was J H W H zuvor an seinem Volk vermißte: Es wird ihn erkennen als seinen Gott, dem es Rettung (13,4), Heilung (11,3) und alle Güter des Lebens (2,10) verdankt, so daß nichts wichtiger erscheint, als seine Gemeinschaft im bereitwilligen Gehorsam gegenüber seinen Weisungen (4,6) und vertrauensvoller Hingabe (6,6; jeweils mit nsn bzw. i m ) zu bewahren. 90 Die Wortuntersuchung zeigte, daß in Hos 2,2 l f hoseanische Verkündigungsinhalte teils in anderer Terminologie ( n a i ö K , D ' ö m ) , teils mit den gleichen Worten wie bei Hosea (übttto, pnir) aufgenommen werden, oder daß ein Terminus wie "tort anders gefüllt wird - ein weiteres Indiz dafür, daß der Spruch wohl auf Schüler Hoseas zurückgeht. In allen drei Sprüchen wirkt die Ehemetaphorik aus 2,4—17 nach und dient der Darstellung des Verhältnisses JHWH/ Israel. Doch die Metapher ist hier blasser, wirkt eher als Rahmen und Vorstellungshorizont. Während es in 2,4—17 völlig unmöglich ist, auch nur annähernd den gleichen Verkündigungsinhalt ohne die Metapher zu vermitteln, fällt dies bei 2,18.19.21f nicht sonderlich schwer. Statt MP'K könnte in V18 auch Tj^K stehen (vgl. V25), das Feminin-Suffix bei rpDö (VI 9) wäre auch durch ein anderes Objekt zu ersetzen, und r i n a m a (vgl. V20) würde in V21f etwas ähnliches aussagen wie ttHK. Durch derartige Substitutionsversuche gingen zwar einige Aspekte verloren. Die warmen und zarten Töne, die die Metapher vom Verhältnis zweier Liebender her einbringt, würden weitgehend verschwinden. Allein, daß die Substitutionsversuche überhaupt möglich sind, zeigt einen Unterschied zu 2,4—17 an. Die Ehemetapher klingt nach, aber sie dominiert nicht mehr; sie prägt die Aussagen in charakteristischer Weise, aber sie bringt J H W H nicht mehr auf eine so ungestüme, leidenschaftliche Weise nahe.

1.2. Hoseas Ehe als Zeichen Die Frage nach der Ehe des Propheten beantwortet fast jeder Ausleger anders.91 90 Vgl. BOTTERWECK, Art. JH\ in: ThWAT III, 4 7 9 - 5 1 2 ; SCHOTTROFF, Art. in', in: THAT I, 6 8 2 - 7 0 1 ; WOLFF, Wissen um Gott, 1 8 2 - 2 0 5 . 51

V g l . d i e Ü b e r s i c h t b e i BITTER, 1 7 4 - 1 8 2 .

233-236,

s o w i e RUDOLPH, K A T ,

39-49,

und ROWLEY, Marriage, 2 0 0 - 2 3 3 , die verschiedene Deutungen referieren und diskutieren. Ein kurzer Überblick findet sich bei SELUN/FOHRER, 4 6 0 - 4 6 3 . Vgl. ferner: BLANKENBER-

120

Exegesen

Von den neueren Arbeiten seien folgende erwähnt: Wilhelm RUDOLPH (1966) liest als ursprünglichen Text in 1,2b: „ J H W H sprach zu Hosea: Nimm dir eine Frau, daß sie dir Kinder gebäre." D'31JT sei aus 2,4.6. sekundär eingetragen worden. Kap. 3 spreche nicht von einer Ehe und habe mit Gomer nichts zu tun. anK 3,1 sei ironisch gemeint. „Es handelt sich ... um eine Frau, die früher verheiratet gewesen war, ihrem Mann die Treue gebrochen hatte und, nachdem sie von ihm ... geschieden oder getrennt war, ein Luderleben führte." (KAT, 90f) Hosea habe sich auf Gottes Befehl hin eine solche Frau zu seiner eigenen Verfugung erworben, sie aber unberührt gelassen. Ina WILLI-PLEIN (1971) sieht Hos 1,2 als das Ergebnis der Arbeit eines Fremdberichterstatters an, der gewußt habe, (1) daß Hosea eine lasterhafte Frau hatte, (2) daß Hosea das Verhältnis zu ihr als Bild des Verhältnisses J H W H s zu Israel sah, und (3) daß Israels Verhalten vor J H W H für Hosea als „Hurerei" galt. Kap. 3 meine dieselbe Frau. „In jedem Fall besteht der Sachverhalt, der sich als historischpersönlicher Hintergrund des eigenen Erlebens des Propheten erschließen läßt, im Bruch der bereits bestehenden Ehe, über deren Vorgeschichte und Verlauf bis zum Zeitpunkt der Anklage sich nichts ausmachen läßt." (126) Obwohl Hos 1,2 aus der Rückschau formuliert sei, habe Hoseas Ehe im Licht ihrer weiteren Geschichte und im Licht der Botschaft des Propheten von vornherein eine von J H W H gesetzte Zeichenfunktion gehabt, die sich in der Untreue der Frau enthüllte. Josef SCHREINER (1977) hält den '3-Satz in 1,2b und „hurerische Kinder" für sekundär. Der ursprüngliche Text habe gelautet: „ J H W H sagte zu Hosea: Geh, nimm dir eine hurerische Frau! Und er ging ..." Hosea habe den Befehl erhalten, eine Frau zu heiraten, die am Baalskult teilnimmt und die Fruchtbarkeitsriten vollzieht. In Kap. 3 habe ursprünglich nur gestanden: „ J H W H sagte zu mir: Geh, liebe eine Frau, die sich von einem anderen lieben läßt. D a kaufte ich sie mir um fünfzehn (Schekel) Silber und um einen Homer Gerste und einen Letek Gerste und sagte zu ihr: Viele Tage sollst du mir dasitzen, ohne zu huren und keinem Mann gehören. Denn viele Tage werden die Israeliten ohne König, ohne Fürst und ohne Opfer dasitzen." (177) Der Text sage nichts über die Eheverhältnisse Hoseas aus, er sei als reines Drohwort zu deuten, der das Gericht als Wegnahme der Stützen der Nation ansage. Erst die Nachinterpretation habe die Ehethematik in die Zeichenhandlung der Namengebung (1,2-9) und der Absperrung (3,1-4) eingetragen, z.B. durch nüKJö in 3,1. Helgard BALZ-COCHOIS (1982) geht davon aus, daß es sich in Hos 1 und 3 um ein- und dieselbe Frau handelt. Gomer sei eine fromme Frau aus dem Volk gewesen, die sowohl an bräutlichen Initiationsriten für die Muttergöttin Aschera (um Fruchtbarkeit zu erlangen, wird der Göttin die Jungfrauschaft geopfert), als auch nach ihrer Eheschließung mit Hosea an der allgemeinen Festpromiskuität auf den Höhen zu Ehren der erotisch-aggressiven Göttin Astarte teilgenommen hat. Hosea, vom synkretistischen Höhenkult zugleich fasziniert und angewidert, „hört den Heiratsbefehl, weil er Gomer nicht nur verabscheut, sondern auch leidenschaftlich GER, T r a d i t i o n a n d Creavity, 1 5 - 2 9 ; VOGELS, HOS 3 , 2 , 4 1 2 - 4 2 1 : a n älterer Literatur: H . SCHMIDT, E h e , 2 4 5 - 2 7 2 ; ALLWOHN, Ehe; GINSBERG, H o s e a 1 - 3 , 5 0 - 6 9 ; DEISSLER, H o s 1 , 2 - 9 , 1 2 9 - 1 3 5 ( g e n a u e Titel s. Literaturverzeichnis).

Betrogene Liebe

121

liebt, und weil das Moment der erotischen Faszination im Berufungsaugenblick durchschlägt und aufsteigt wie eine Stichflamme: J H W H will es! Astarte ist über den Umweg des Unterbewußtseins ans Ziel gelangt. Im jahwistischen Bewußtsein Hoseas aber ist das Entscheidende des Berufungserlebnisses das Moment entsetzter Intuition: Israel hurt von J H W H weg!" (177f). 9 2 Jörg JEREMIAS (1983) urteilt ähnlich wie W I L L I - P L E I N , auch wenn er sich nur vorsichtig über Hoseas Ehe zu äußern wagt und vor Spekulationen warnt. Die Intention der Texte sei kerygmatisch, nicht biographisch. Doch auch er nimmt an, daß das Erzählte tatsächlich geschehen ist. Kap. 1 sei von einem Vertrauten Hoseas verfaßt worden, 1,2 jedoch von vornherein für seinen Kontext niedergeschrieben worden. Grundschicht: V2b „Es sprach J H W H zu Hosea: ,Auf, nimm dir eine Frau und (zeuge) Kinder.'" (ATD, 24) In Kap. 3 hält JEREMIAS es für wahrscheinlich, daß die Frau (identisch mit Gomer aus Kap. 1) Hosea gegenüber die Ehe brach. Die Vermutung, sie habe sich als Sklavin verdingen müssen oder als Kultprostituierte einem Tempel geweiht, sei nicht von der Hand zu weisen, doch müßten die Ausleger ihre Neugier zügeln (ATD, 53f). Bernd J. D I E B N E R (1984) meint, in Hos 1 - 3 sei von zwei Ehen des Propheten die Rede. Gomer stehe für das Volk des Nordens (Ez 38,6; vgl. Gen 10,2f; IChr l,5f)> und Hosea vollziehe mit seiner ersten Ehe symbolisch das Geschick des Nordreiches. Die zweite Ehe (Hos 3) werde mit Blick auf das Schicksal des Südens geschlossen, denn Hos 3,4 z.B. deute auf das babylonische Exil. Ludwig S C H M I D T (1992) kommt zu dem Ergebnis, Hosea habe zunächst eine normale Israelitin geheiratet. Erst nach der Geburt der Kinder sei Gomer ihm untreu geworden und in fremde Gewalt geraten, jedoch nicht rechtlich geschieden worden. Der Fremdbericht Hos 1,2-9 stamme von einem Schüler Hoseas, der ihn bald nach 722 als Einleitung zu seiner Sammlung verfaßt habe, zu der ein Grundstock von 2,4ff und 3,l.a.2-4 gehörten. Hosea selbst habe zwar die Wiederaufnahme seiner ehebrecherischen Frau als Zeichenhandlung verstanden, der Heiratsbefehl in 1,2b aber gehe auf die Interpretation jenes Schülers zurück, der dadurch die schon bei Hosea bestehende Verbindung von Botschaft und persönlicher Existenz erweitert habe. Angesichts dieser Forschungslage erscheint es wenig sinnvoll, all die Argumente, die für oder wider diese und jene Interpretation sprechen, aufzulisten u n d gegeneinander abzuwägen. Methodisch soll vielmehr nicht der Dialog mit den verschiedenen Exegeten (deren Ergebnisse vorausgesetzt werden), sondern der Dialog mit d e m Text im Mittelpunkt stehen. U m dabei nicht irrezugehen, ist folgendes im Blick zu behalten:

9 2 V g l . ALLWOHN, der ebenfalls eine psychoanalytische Erklärung f ü r H o s e a s E h e versucht hatte. Seiner Ansicht nach reift aber in H o s e a , dessen Eheschließung m i t G o m e r zunächst eine Folge verdrängter sinnlicher Lust gewesen sei, m i t der Zeit die Fähigkeit zu einer reinen, sich selbst verleugnenden, vergebenden u n d h o f f e n d e n Liebe. I n d e m er die untreu g e w o r d e n e G o m e r wieder a u f g e n o m m e n ( H o s 3) u n d seine Liebe zu dieser Frau bejaht habe, h a b e er eine ganz neue G o t t e s a u f f a s s u n g g e w o n n e n : Bei H o s e a werde J H W H z u m G o t t der Liebe (vgl. 54ff. 7 0 f f . 7 4 f ) .

122

Exegesen

1) Hos 1 und 3 sind um ihres Verkündigungsgehaltes willen als Botschaft JHWHs an Israel aufgeschrieben worden, nicht primär aus biographischem Interesse. Von vornherein darf deshalb nicht mit einem auch nur halbwegs kontinuierlichen Erzählfaden für die Familiengeschichte Hoseas gerechnet werden. 2) Da aber die Texte selbst eine Verflechtung der Botschaft Hoseas mit seinen familiären Verhältnissen behaupten, ist um dieser Botschaft willen zu fragen, auf welche biographischen Gegebenheiten und persönlichen Erfahrungen im Leben des Propheten die Texte schließen lassen. Das Ergebnis solchen Rückschlusses kann nicht mehr als eine Hypothese sein. Sie darf dann als wohlbegründet gelten, wenn sie sich widerspruchsfrei mit den Texten in Einklang bringen läßt. 3) Die Forschungsgeschichte zu Hos 1 und 3 zeigt, wie stark immer wieder subjektive Verstehensvoraussetzungen und theologische Vorentscheidungen das Ergebnis der Auslegung beeinflussen.93 Der subjektive Faktor läßt sich zwar bei keiner Interpretation ausscheiden, und es wäre auch nicht wünschenswert. Doch mahnt dieses Wissen zu besonderer Behutsamkeit im Umgang mit den Texten, insbesondere bei literarkritischen Operationen. 94 Da Hoseas Kinder und ihre Namen nicht mit einer JHWH-Metapher verbunden sind, können sie hier außer Betracht bleiben. Hinweise auf die Ehe des Propheten finden sich in l,2f und 3,1-5. 1.2.1. Hos l,2b+3a 1,2b JHWH sprach zu Hosea: Geh, nimm dir eine hurerische Frau und (zeuge) hurerische Kinder; denn Hurerei treibt das Land, es hurt von JHWH weg. 1,3a da machte er sich auf und nahm Gomer, die Tochter Diblaims, zur Frau.

93

Vgl. das Ergebnis der Arbeit von S. BITTER, 179f. 181f. Bei J . SCHREINER beispielsweise gewinnt man den Eindruck, daß die Eliminierung von nöK JMl (3,1) und ijK'dJl (3,3) aus der Grundschicht nicht hinreichend vom Text her begründet wird, sondern eher aus einer Vorentscheidung erwächst, dergemäß die Ehethematik nach Möglichkeit von Kap. 3 zu lösen ist. Oder: GINSBERG meint, sexuelle Beziehungen zwischen Hosea und einer Frau könnten keine symbolische Bedeutung für das Verhältnis JHWH/Israel haben, da dies zu nahe an die Vorstellung vom hieros gamos rücke. Vermutlich entspreche also 1,2b nicht den historischen Tatsachen (62f). 94

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123

Literarkritisch fallen in Kap. 1,2 - 2,3 sofort die Verse 1,1.5.7 und 2,1—3 als sekundäre Erweiterungen ins Auge.95 Der übrige Abschnitt wird strukturiert durch vier Befehle J H W H s an Hosea, die jeweils mit einem 13 -Satz begründet werden. Dazwischen stehen kurze Notizen über die Ausfuhrung des ersten Befehls (V3a) und die Geburt der Kinder. Daß Hosea ihnen die von J H W H gebotenen Namen gab, wird wie selbstverständlich vorausgesetzt und nicht eigens vermerkt. Der Name der Frau wird in keiner Weise der prophetischen Verkündigung dienstbar gemacht, ebensowenig die Notiz in V8a, daß Gomer das dritte Kind erst empfing, als sie Lo-Ruhama entwöhnt hatte. Wenn es sich in 1,2-9 um eine Allegorie oder einen Visionsbericht handelte, wären diese beiden Aussagen bedeutungslos.96 Sie dürfen deshalb als Indizien dafür gelten, daß hier etwas tatsächlich Geschehenes erzählt wird. Die Einleitung der Befehle an Hosea wird immer knapper: V2 „Da sprach J H W H zu Hosea ..." - V4 „Und J H W H sprach zu ihm ..." - V6 „Und er sprach zu ihm ..." - V9 „Und er sprach ..." Die Stuktur des Kapitels bietet keinen Anlaß, einen Teil von V2b herauszulösen; der begründende -Satz fügt sich gut ein und entspricht formal den drei anderen '3 -Sätzen. Daß in der Gottesrede plötzlich „ J H W H " in der 3. Person auftaucht, muß nicht gegen die Einheitlichkeit sprechen.97 Das Phänomen begegnet öfter im Hoseabuch (vgl. 2,22; 3,1; 8,1). Die prophetische Verkündigung wird so oder so als „Wort J H W H s " (1,1) verstanden. Hinter diesem Anspruch treten die formalen Differenzierungen zwischen J H W H - und Prophetenrede zurück, was sich bei Hosea z.B. auch im fast völligen Fehlen der Gottesspruch- und Botenformeln zeigt. Schwerer wiegt ein anderes Argument: Die Formulierungen in V2bß sind bei Hosea sonst nicht belegt. mrP nriKM scheint eine typisch deuteronomistische Wendung zu sein (Num 14,43; Jos 22,16.18.23.29; lSam 12,20; 2Kön 17,21 u.ö.). 98 Gleiches gilt für die Verbindung von rtJT mit ' " i n N , wenn es um die Verehrung fremder Götter geht (Ex 34,15f; Dtn 31,16; Ri 2,17; 95 H o s 1,5 bietet eine zweite D e u t u n g des Jesreel-Namens u n d fällt durch die Formel „ E s wird geschehen an j e n e m Tage ..." als fremder Eintrag auf. 1,7 setzt die in 1,6 gegebene N a m e n s d e u t u n g für J u d a außer Kraft u n d dürfte der judäischen Redaktion zuzurechnen sein. 2 , 1 - 3 wandelt die drei Unheilsnamen der Kinder in Heilsnamen um, setzt also der B o t s c h a f t von K a p . 1 bewußt eine neue Botschaft entgegen. Anders EMMERSON, H o s e a , 8 8 - 9 5 : 1,7 sei authentisches Hoseawort, nur seine jetzige Position sei sekundär (wie 1,5; ebd., A n m . 140, S. 184). 9 6 V g l . H . SCHMIDT, Ehe, 2 4 5 - 2 5 0 . Außerdem gibt der Text nirgendwo einen Hinweis darauf, daß er als Allegorie oder Vision verstanden werden will. D i e allegorische D e u t u n g wird i m 2 0 . J h . nur noch selten vertreten, z.B. von J . ZIEGLER, der sich dabei vor allem a u f GRESSMANN stützt (ZIEGLER, 8 1 - 8 3 ) . 9 7 G e g e n SCHREINER, 172. 176. 9 8 H o s e a gebraucht in ähnlichen S i n n z u s a m m e n h ä n g e n ürT'rfVN n r j n ö (4,12) oder

bv_n (9,1).

124

Exegesen

8,27.33). Beide Konstruktionen sowie ynxn als Subjekt des Hurens lassen sich aber gut erklären, wenn man sie in Abhängigkeit von Hos 2 versteht, d.h. sie verdanken sich der Formulierung „hinter den Liebhabern herlaufen" (2,7.15), dem Stichwort „Hurerei" (2,4.7) bzw. der Drohung gegen das Land (2,5). Als Fremdbericht könnte Hos 1,2—4.6.8f insgesamt relativ spät (zwischen 733 und 725/722) von einem Schüler oder Vertrauten des Propheten verfaßt worden sein, so daß sich die Abhängigkeit von Kapitel 2 daraus erklärte. Doch spricht 2,6, der von 1,6 (und l,2ba?) abhängig sein dürfte, eher dafür, daß ein Grundbestand von Kapitel 1 und die Komposition Hos 2,4-17 (außer V6.10b) nachträglich durch einen Redaktor miteinander verknüpft wurden. Der '3 -Satz in 1,2bß dient dann dieser Redaktion als Überschrift über die gesamte Komposition der Kapitel 1+2(3)." Weiter ist zu fragen, ob n'3«T in l , 2 b a der Grundschicht von Kapitel 1 angehört; denn die Wurzel nJT spielt keine Rolle bei der Deutung der Kindesnamen, verbindet vielmehr Hos 1 mit Hos 2. Von der Untreue Gomers ist in Hos 1 sonst nichts vermerkt. Inwiefern also kann sie samt ihren Kindern „hurerisch" genannt werden? Vermutlich war sie weder eine profane noch eine kultische Prostituierte, weil dann nJiT bzw. nttH|? (Hos 4,14) gestanden hätte. niJiat könnte bedeuten, daß die Frau wie Thamar in Gen 38,24 außereheliche sexuelle Beziehungen mit anderen Männern schon vor ihrer Verheiratung mit Hosea hatte.100 Der Befehl, eine solche Frau zu heiraten, wäre allerdings als außergewöhnliche Zumutung empfunden worden und hätte dringend einer Deutung durch J H W H bedurft. Mit derselben Wahrscheinlichkeit, wie V2bß redaktionell ist, scheidet diese Sicht aus. Außer in Gen 38,24 bezieht sich n'JlJT immer auf die Teilnahme an götzendienerischem Kult.101 W O L F F , D E I S S L E R , S C H R E I N E R u.a. schließen daraus, Hosea habe auf J H W H s Befehl eine Baalsverehrerin geheiratet, die an Fruchtbarkeitsriten teilgenommen hat.102 Die Kinder wären dann „hurerisch" zu nennen, weil ihre Mutter sie einem fremden Gott verdankt. Diese

99 Anders DEISSLER, HOS 1,2-9, 131f, und L. SCHMIDT, 157f: Hos 1,2b sei unentbehrlich für den Zusammenhang von 1,2-9, da die Strafankündigungen in V4.6.9 einer Begründung bedürften (L. SCHMIDT hält nur „weg hinter J H W H " für einen erläuternden Zusatz). Es handelt sich aber formal nicht um Strafankündigungen, sondern um die Deutung der Kindesnamen. Ihre Begründung ist im Kontext der Verkündigung Hoseas zu suchen und gehört nicht notwendig zum Bericht über die Zeichenhandlung. Ein Redaktor jedoch, der diesen Bericht an den Anfang seiner Sammlung stellt, sieht sich natürlich genötigt, einen Grund für die unheilträchtigen Namen anzugeben, und tut dies, indem er Hoseas Scheltworte von Kap. 2 in l,2bß zusammenfaßt. 100 So ähnlich vermutet ROWLEY, 225. 101 Vgl. 2Kön 9,22; Ez 23,11.29; Nah 3,4; bei Hosea 2,4.6; 4,12; 5,4. 102

WOLFF, B K , 1 3 - 1 5 ; DEISSLER, H o s 1 , 2 - 9 , 1 3 2 ; SCHREINER, 1 7 8 . I m U n t e r s c h i e d zu

Hos l , 2 b ß hält er V 2 b a für ursprünglich (und einheitlich), vgl. BALZ-COCHOIS, l ö l f f .

Betrogene Liebe

125

Möglichkeit ist nicht auszuschließen, doch folgendes spricht dagegen: Mit großer Wahrscheinlichkeit sind alle Stellen, an denen die Wurzel nat Götzendienst meint, von Hosea abhängig. Was bei Hosea zunächst aktive Metapher war, wird später zur sprachüblichen Bezeichnung für Fremdgötterverehrung, wobei z.B. Jer 3, Ez 23 und Nah 3 die metaphorische Redeweise ausdrücklich aufnehmen, d.h. die Metapher reaktivieren. Schaltstellen für diese sprachliche Entwicklung sind Hos 2 und 4. Dabei fällt auf, daß Hosea niemals einzelne Frauen oder Männer der Hurerei im Sinne von „Götzendienst" bezichtigt. Was sie tun, wird zwar mit den Verba nar und t|Kj neben „opfern", „räuchern", „das Holz befragen" usw. beschrieben, jedoch sind alle diese Verben in ihrer gewöhnlichen Bedeutung und nicht metaphorisch gebraucht (4,12-14). Dies alles zusammen ist „Hurerei", jetzt im erweiterten Sinn als Untreue gegen J H W H , deren Subjekt das ganze Volk bzw. die nniJT rrn ist (4,14; 5,4), die das Volk irreführt. Auch in Kapitel 2 kann „Hurerei" im Rahmen des Primärgegenstandes nur auf das Volk bezogen werden. Sofern die Frau als Teil des Sekundärgegenstandes Subjekt ist, wird die gewöhnliche Bedeutung von rtJT und vorausgesetzt. Anderenfalls würde die Metapher nicht funktionieren. Erst wenn die Metapher „Hurerei" als Bezeichnung flir den baalistischen Gottesdienst ein Stück weit sprachüblich geworden ist, kann eine einzelne Frau mit diesem Wort als Baalsverehrerin gekennzeichnet werden. Das mag relativ schnell gegangen sein, zumal wie wir sahen - mr in seiner profanen Bedeutung Teil des Baalskultes ist. Doch ist es wenig wahrscheinlich, daß die Grundschicht von Hos 1 diese sprachliche Entwicklung schon hinter sich hat. Vielmehr scheint D'Jiar im frühesten Stadium des Textes noch nicht gestanden zu haben, sondern durch die gleiche Redaktion eingetragen worden zu sein, der wir auch den is-Satz V2bß verdanken. Im ursprünglichen Text hat dann vermutlich nur gestanden: Es sprach JHWH zu Hosea: Geh, nimm dir eine Frau und (zeuge) Kinder. Da machte er sich auf und nahm Gomer, die Tochter Diblaims, zur Frau. Sie wurde schwanger und gebar ihm einen Sohn ...I03 Dieser könnte sehr bald nach der Geburt des jüngsten Kindes von einem dem Propheten nahestehenden Menschen oder auch von Hosea selbst ver-

,03

Vgl. JEREMIAS, A T D , 24-28. Ahnlich R U D O L P H , K A T , 48, und RUPPERT, Beobachtungen, 165f. W I L L I - P L E I N dagegen hält den Vers für einheitlich und führt den gesamten Fremdbericht 1,2-9 (außer V7) auf den frühesten Redaktor des Hoseabuches zurück (116. 127), der „sehr bald nach den Ereignissen schrieb." (116); vgl. DEISSLER und L . S C H M I D T , s.o. Anm. 99.

126

Exegesen

faßt worden sein, wahrscheinlich noch vor 733. Darauf deutet die harte Gerichtsbotschaft der Kindesnamen; in 11,7 z.B., einem Wort der Spätzeit, heißt es nicht mehr Lo-Ammi wie in 1,9. Daraus ergibt sich: Hosea ging zunächst wohl eine normale Ehe ein, deren spätere Zeichenfunktion bei der Heirat noch nicht evident war. Daß Gomer vorher eine Baalsverehrerin, Prostituierte oder eine durch sexuelle Beziehungen zu anderen Männern belastete Frau war, läßt sich dem Text nicht entnehmen, ist aber auch nicht mit Sicherheit auszuschließen. Hos 1,2b in seiner jetzigen Gestalt wurde von einem frühen Redaktor gestaltet und faßt das Thema der Komposition von Hos 1+2 zusammen (zu Kapitel 3 s.u.). Das bedeutet freilich nicht, der Redaktor habe die Verhältnisse sachlich verfälscht dargestellt. Er kannte Hosea und seine Familie mit Sicherheit besser als wir. In jedem Fall formuliert er ja aus der Retrospektive. Hos 3 legt die Vermutung nahe, daß Hoseas Frau ihm die Treue brach und daß der Prophet seine Ehe als Zeichen für das Verhältnis JHWHs zu Israel verstand (s.u. II/1.2.2.). Dies dürfte der Redaktor gewußt haben.104 Er fängt darum in 1,2b sowohl die (spätere) Untreue der Frau („hurerische Frau") als auch den Zeichencharakter der Ehe ein (V2bß), wobei das Schwergewicht aber auf Israels Schuld fällt. Allein aus diesem Grund wird diese Familientragödie erzählt. Die Kinder heißen wohl nur deshalb „hurerisch", weil sie Kinder einer „hurerischen Frau" sind und vor allem weil sie wie ihre Mutter das Volk Israel repräsentieren. So bereitet das zweite QiJUT V2ba die zeichenhaften Unheilsnamen vor. 1.2.2. Hos 3,1-5 1.2.2.1. Der Text 3.1

3.2 3.3

3.4 3.5 104

UndJHWH sprach zu mir noch einmal: a) Geh, liebe eine Frau, die von einem anderen geliebt worden isth) und die Ehe gebrochen hat, so wie JHWH die Söhne Israels liebt, während sie sich anderen Göttern zuwenden und Rosinenkuchen lieben. Da kauftec) ich sie mirfürfünfzehn (Schekel) Silber, einen Homer Gerste und einen Letek Gerste und sprach zu ihr: Viele Tage sollst du (bei) mir (zu Hause) bleiben — ohne zu huren und ohne einem Mann zu gehören — und auch ich (wende mich) zu dir. Denn viele Tage werden die Israeliten dasitzen - ohne König, ohne Obere, ohne Opfer, ohne Masszeben, ohne Ephod und Teraphim. Danach werden die Israeliten umkehren, und sie werden JHWH, ihren

Vgl. L. SCHMIDT, 163: Der Verfasser von Hos 1,2ff habe die Frau von 3,1 als Ehefrau (Gomer) verstanden. „Da er mit den Lebensumständen Hoseas vertraut war, ist es schwer vorstellbar, daß er diese Gleichsetzung vornahm, wenn es historisch eine andere Frau gewesen wäre."

Betrogene Liebe

127

Gott, suchen (und auch David, ihren König) und werden sich bebend zu JHWH nahen und zu seinem Gut — in den letzten Tagen. a) Gegen die Akzentuierung von 9W; vgl. GINSBERG, 51. Zur Begründung s.u. II/1.2.2.4. b) ® und SS lesen das aktive Partizip. Dies läßt sich als Angleichung an V l b n a n i o erklären, so daß 9W als lectio difficilior beizubehalten ist. c) Das Dagesch forte im 3 ist schwer zu erklären: Wenn m s II vorausgesetzt ist, muß man eine falsche Punktierung annehmen, ansonsten ist das sonst nicht belegte "DJ als Nebenform zu rna II zu postulieren. An der Bedeutung „kaufen" besteht k e i n Z w e i f e l . V g l . VOGELS, HOS 3 , 2 , 4 1 3 .

1.2.2.2.

Beobachtungen

zur Redaktionsgeschichte

und

Literarkritik

Im jetzigen Zusammenhang wirkt Kap. 3 angehängt; die Komposition der beiden ersten Kapitel ist in sich geschlossen und abgerundet. 2,23—25 verbindet bewußt Aussagen von Kapitel 2 , 4 - 1 7 (vgl. 2,10; n s » 2,17) mit den Kindesnamen aus Kapitel 1, geht aber mit keiner Silbe auf H o s 3 ein. RUPPERT schließt daraus, 3,1—4 sei ursprünglich an anderer Stelle überliefert worden, etwa am Schluß des Buches anstelle von 14,2-9. 105 Die judäische Redaktion um 620 habe Hos 3,1—4 an seinen jetzigen Platz gestellt, um V5 (ohne V5bß) sowie und nüKJttl in VI ergänzt und fälschlicherweise als Wiederaufnahme der Ehe mit Gomer und Zeichen für J H W H s Liebe zu Israel verstanden. Außerdem habe erst diese Redaktion Hos 1,2b in Anlehnung an 2,4.6 geändert und Gomer zu einer „hurerischen Frau" gestempelt (ebd.). Ursprünglich habe Hos 1,2b gelautet: „Geh, nimm dir eine Frau, daß sie dir Kinder gebäre." (Ebd., 209) Die unbekannte Frau von Kapitel 3 sei entweder eine Kultprostituierte oder eine als Sklavin verkaufte Frau gewesen. Hos 3,1-4 habe ursprüngliche eine symbolische Handlung beschrieben, die J H W H s Gericht über Israel ankündigte und mit Hoseas Ehe nichts zu tun hatte. „Hosea ,mußte' eine Frau mit fortwährend lockerem Lebenswandel dazu auserwählen (vgl. V.l), damit sich die Israeliten in ihrem gestörten Verhältnis zu ihrem Gott J H W H in eben dieser Frau und ihrem Abgeschlossensein wiedererkennen konnten." 106 anN VI muß bei dieser Interpretation ironisch verstanden werden.107 Als Schlußwort des Hosea-Buches eignet sich 3,1—4 jedoch ebensowenig wie 14,1; dafür hätte sich notfalls eher Kapitel 11 angeboten.108 YEE hält Hos 3,1-5 ebenso wie Hos 11 und 14,2-9.10 für eine Ergänzung des exilischen Endredaktors.109 Dessen Thema sei die Buße und Rückkehr Israels zu RUPPERT, Erwägungen, 213. Ders., Beobachtungen, 176. 107 RUPPERT, ebd., 174; vgl. RUDOLPH, KAT, 89; SCHREINER, 175. 108 H o s 1 2 - 1 4 als Komposition dürften darum nie ohne 14,2-9 bestanden haben und wohl bald nach der Katastrophe von 7 2 2 zusammengestellt worden sein. Vgl. JEREMIAS, A T D , 169f. 109 YEE, 5 1 - 9 5 . 1 2 7 - 1 3 0 (bes. 5 5 . 5 7 - 6 4 ) . Auf Hosea selbst gehe in Kap. 1 - 3 nur 2 , 4 a a . 4 b - 5 . 7b. 12 zurück. Es handle sich um eine gerichtliche Beschwerde gegen eine ehebrecherische Frau und ihre entsprechende Bestrafung. Gemeint sei Rahel, die Frau von Jakob/ 105 m

128

Exegesen

J H W H , verbunden mit der Heimkehr ins Land. Dazu führe er das sog. „ReiseMotiv" in Kap. 2 ein, indem er 2 , 1 1 - 1 5 a um die beiden p'r-Sprüche 2,8f und 2 , 1 6 f erweitere, so daß jetzt das Gericht von 2 , 1 1 - 1 5 a als zweiter Schritt eines Reinigungsprozesses erscheine. Hos 3,1—5 sei ein interpretativer Kommentar zu Hos 1* und 2* und ziele auf JHWHs „Bundes-Liebe", durch die er die Untreue Israels vergibt, wenn es sich ihm in Buße nähert (63f. 9 0 - 9 5 . 129f). Gegen diese Sicht sprechen u.a. die sehr konkreten Angaben in 3,2, die als exilische Nachinterpretation keinerlei Sinn ergeben und dazu nötigen, den Ich-Bericht in Hos 3 als biographisches Dokument zu verstehen.

Wenn dem ersten Redaktor von Hos 1 - 3 der Er-Bericht Hos 1,2—9*, die Hoseasprüche 2,4-17, der Ich-Bericht 3,1—4 und vielleicht schon einige der Heilsworte aus 2,18-25 (am ehesten V18.19.21f) vorgelegen haben, muß die Einarbeitung von 3,1—4 von vornherein problematisch gewesen sein. Denn das Stück paßt nicht zum Bericht über Hoseas Heirat und die Geburt der Kinder, weil es in eine andere Lebenssituation und spätere Wirkungsperiode (s.u.) des Propheten gehört. Zu den Sprüchen von Kapitel 2 paßt es seiner Gattung wegen nicht, denn das Ich in Kap 2 meint J H W H , das Ich in Kapitel 3 dagegen den Propheten. Offenbar kam es dem Redaktor darauf an, Hos 2 unmißverständlich als JHWH-Rede zu kennzeichnen. Deshalb hat er, was ihm von 3,1-4 wesentlich war, in 1,2 eingearbeitet und den IchBericht auf diese Weise mit dem Fremdbericht 1,2-9 verklammert, "riy in 3,1 schlägt die Brücke in umgekehrter Richtung zu 1,2. So umschließen die beiden biographischen Stücke die in sich abgerundete Komposition der Hoseasprüche (Kap. 2), so daß deutlich wird, in welcher Weise Hoseas persönliches Erleben den Rahmen für seine Verkündigung bildet. Erst die spätere Erweiterung 2,23-25 grenzt Hos 3 aus. V5 gehörte sicherlich nicht zum ursprünglichen Bestand von Kapitel 3, denn er findet keine Entsprechung in der Zeichenhandlung, die schon in V4 gedeutet wird. Durch "iriN weist er sich selbst als Nachtrag aus. V 5 a a bildet eine positive Entsprechung zu dem wohl ebenfalls nachgetragenen Vers 7,10b. 110 Die Gottesbezeichnung nn'n'jK nirf begegnet im Hosea-Buch nur an diesen beiden Stellen und in 1,7. Inhaltlich erinnert 3,5 an 2,9 (aittr, 310, vgl. auch 5,15; 6,1). Die Zeichenhandlung wird jetzt als Parallele zu 2,8f verstanden. Durch V5 wird Kapitel 3 also nachträglich mit der KompoIsrael, ihre „hurerischen Kinder" seien die Nordstämme. Einem Schüler Hoseas (C = Collector; um 7 0 1 ) sei die erzählerische Einleitung Hos 1,2-9* zu verdanken (ferner 2,4aß. 6 - 7 a . 18aß.b. 2 1 - 2 2 a ) . Er interpretiere das Hoseawort als Ehe zwischen J H W H und Israel und bringe sie in eine strukturelle Analogie zur Ehe zwischen Hosea und Gomer. Ein deuteronomistischer Redaktor (Rl, um 622) habe interpretative Bemerkungen zum Verfall des Kultes beigesteuert (2,10a. 11. 13-15a). Der exilische Endredaktor (R2: 1,1. 5. 6 b ß - 7 ; 2 , 1 - 3 . 8 - 9 . 10b. 1 5 b - 1 8 a a . 1 9 - 2 0 . 2 2 b - 2 5 ; 3 , 1 - 5 ) strukturiere das gesamte Material neu. 110

V g l . JEREMIAS, A T D , 9 8 . G e g e n EMMERSON, H o s e a , 1 0 1 - 1 1 3 , d i e 3 , 5 n i c h t f u r s e -

kundär hält, da 3,1 ein abschließendes Heilswort erfordere.

Betrogene Liebe

129

sition von Hos 1+2 verknüpft und zugleich parallelisiert, dadurch daß es jetzt wie die ersten beiden Kapitel nach dem Schema Heil/Unheil gestaltet ist." 1 Allerdings scheint 3,5 in sich nicht einheitlich zu sein. Formal und inhaltlich wirken die Schlußwendungen der beiden Halbverse („und David, ihren König" sowie „in den letzten Tagen") wie Anhängsel, die die Heilshoffnung ins Messianisch-Eschatologische wenden. Solches ist frühestens in exilischer Zeit zu erwarten, während der übrige V5 der judäischen Redaktion zur Zeit Josias zugeschrieben werden kann. Hinweise ftir die Datierung von 3,1—4 gibt V4: Er kündigt ähnlich wie 10,1—8 an, daß J H W H Könige, Altäre und Mazzeben, die falschen Stützen des Volkes, wegnehmen wird. Solche grundsätzlichen Worte gegen das Königtum werden vor allem in den Jahren um den syrisch-ephraimitischen Krieg und danach laut (vgl. 13,9-11). Hos 3,1—4 gehört demnach (trotz 1,4) vermutlich in die Spätzeit hoseanischer Verkündigung. 112 1.2.2.3. Die Struktur der Zeichenhandlung Der Abschnitt 3,1-4 enthält die drei Hauptelemente prophetischer Zeichenhandlungen: Auftrag (VI), Ausführung (V2f), Deutung (V4). Doch fallen zwei Besonderheiten auf: Es ist nicht ohne weiteres einsichtig, inwiefern das, was der Prophet tut, dem Auftrag „liebe!" entspricht. Außerdem fließt schon in den Auftrag ein deutendes Moment ein, der Hinweis nämlich, worin Primär- und Sekundärgegenstand einander entsprechen: So wie J H W H die Israeliten liebt, soll der Prophet jene Frau lieben. Diese beiden Besonderheiten dürfen nicht außer acht gelassen werden, wenn die metaphorische Struktur der Zeichenhandlung recht erfaßt werden soll. Sie geben wichtige Koordinaten, an denen vorbei eine Auslegung nicht gelingt: 1) Des Propheten Liebe zu dieser Frau entspricht J H W H s Liebe zu Israel. 2) Der Kauf der Frau (V2) und ihre Absonderung (V3) müssen eindeutig als Liebe verstehbar sein. 3) Der Situation der Frau, die ohne ehebrecherische Beziehungen zu leben genötigt wird, entspricht Israels Situation, wenn es ohne seine staatlichen und kultischen Institutionen leben muß. Da der Auftrag nur das erste Entsprechungsverhältnis nennt, ist klar, daß die Bedeutung der Zeichenhandlung vor allem dort zu suchen ist. Sie soll demnach nicht primär J H W H s Gerichtshandeln abbilden, sondern seine Liebe. Was V4 beschreibt, wird von den Betroffenen freilich kaum als liebevolle Zuwendung J H W H s erfahren werden. Genau hier liegt der Grund für

1.1 Zur Datierung vgl. RUPPERT, Erwägungen, 213-216; JEREMIAS, ATD, 57f. 2,1-3 ist wahrscheinlich noch jünger. Der uns heute vorliegende Text bringt in Hos 1 - 3 das Thema Heil/Unheil in drei Variationen. 1.2

V g l . JEREMIAS, A T D ,

56f.

130

Exegesen

die Zeichenhandlung: V4 formuliert nicht deren Botschafi, sondern beschreibt die Situation, für die die in VI angedeutete Botschaft: bestimmt ist. Ein Israel, das den Verlust seiner staatlichen und kultischen Identität erleidet, soll sich in der von fremden Liebhabern abgesonderten Frau wiedererkennen. Vor allem aber soll es die dieser Frau erwiesene Liebe entdecken und darin JHWHs Liebe zu seinem Volk begreifen. Inwieweit Einzelbeobachtungen am Text dieser Deutung recht geben, ist nunmehr zu prüfen. 1.2.2.4. Einzelexegese VI: tiy gehört entweder zum Vorangehenden („JHWH sprach noch einmal zu mir: Mach dich auf ..."),113 oder es leitet den Auftrag an Hosea ein („Mach dich noch einmal auf und liebe eine Frau ..."). In jedem Fall verweist es auf das in Kapitel 1 Berichtete. Falls die zweite Möglichkeit zutrifft, stiftet Tis? Verwirrung: Soll Hosea nach Gomer noch eine zweite Frau lieben, oder soll er Gomer noch einmal Liebe erweisen? Darum erscheint es mir besser, Ii» auf das erneute Reden JHWHs zu beziehen. Doch die Mehrdeutigkeiten, die das kleine Wort in den Text bringt, erhärten den Verdacht, den schon seine eigenartige Stellung zwischen zwei Satzteilen provozierte: ist nachträglich eingefügt worden, um Kapitel 3 mit Kapitel 1 zu verknüpfen (s.o. II/1.2.2.2.).114 nt»K ohne Artikel erweckt den Eindruck, es handle sich um eine beliebige Frau, die mit irgendeinem (fremden) Mann verheiratet ist bzw. war und diese Ehe gebrochen hat. Dagegen steht V2: Der Prophet weiß offenbar genau, welche Frau er lieben soll. Für ihn muß das eine Zumutung sein, denn es handelt sich um „eine Frau, die von einem anderen geliebt worden ist und die Ehe gebrochen hat."115 Die beiden Partizipien drücken „eine beim Eintritt der Haupthandlung noch andauernde Zuständlichkeitaus ..." (GKa, § ll6v) Das Pt. pass. qal entspricht dabei immer einem lateinischen Pt. Perfekt pass. (GKa, § 116e), das „die zur Haupthandlung vorzeitige oder vor der Haupthandlung vollendete Handlung" bezeichnet.116 Also unabhängig davon, ob jener andere die Frau noch immer liebt, bleibt sie die „Geliebte eines anderen", allein weil er sie geliebt hat. Und weil sie sich darauf eingelassen hat, ist sie eine Ehebrecherin, selbst wenn das Liebesverhältnis möglicherweise inzwischen längst zerbrochen ist. Das Gebot, eine solche Frau zu lieben, ist nur sinnvoll, wenn sie dem Propheten selbst die Treue gebrochen hat. Denn sonst wäre er von ihrer " 3 S o z . B . GINSBERG, 5 1 .

" 4 Vgl. RUPPERT, Beobachtungen, 175.177; ders, Erwägungen, 216; SCHRJEINER, 174f. 115 Als Nebenbuhler des Propheten ist V1 einfach „ein anderer" (vgl. Prv 18,17), für die Frau dagegen ist er der Freund oder Geliebte (Cant 5,16). Darum wäre es auch möglich zu übersetzen „die von einem Freund geliebt worden ist". 116

RUBENBAUER/HOFMANN, §

178.2.3.

Betrogene Liebe

131

Schuld nicht persönlich betroffen, seine Liebe wäre nicht wie die Liebe J H W H s betrogen worden, und sein Verhalten könnte darum niemals J H W H s Liebe zu Israel abbilden.117 Diese war das erste, was Israel zu Beginn seiner Geschichte erfuhr (11,1); mit ihr leitete J H W H das Volk auch weiterhin (11,4); doch Israel in seiner Schuld verspielte diese Liebe (9,15). Wenn in 3,1 trotzdem wieder positiv von J H W H s Liebe gesprochen wird, und zwar angesichts der um nichts verminderten Schuld des Volkes, markiert dies eine durchaus nicht zu erwartende Wendung, eine Wendung, die ebenso unbegreiflich ist wie des Propheten Liebe zu seiner treulosen Frau. Die Frau in Kapitel 3 ist demnach höchstwahrscheinlich identisch mit Gomer, der Tochter Diblaims. Daß Israel seinerseits J H W H geliebt hätte, wagt Hosea nirgends zu sagen. Statt dessen liebt es zu unterdrücken (12,8), es liebt Schimpf und Schande (4,18), Buhlerlohn (9,1) und Rosinenkuchen (3,1; vgl. aber 10,11 „die es liebte zu dreschen"). Mit den Rosinenkuchen spielt Hosea vermutlich auf die Verehrung einer Göttin an.118 Damit auch Leser, denen die Szenerie israelitischer Kultfeste nicht mehr so vertraut ist, die polemische Spitze gegen den Götzendienst verstehen, wird erläuternd eingefügt: „die sich anderen Göttern zuwenden und". Das geht wahrscheinlich auf spätere (deuteronomistische?) Bearbeiter zurück. Die Wendung begegnet mehrfach im Deuteronomium (Dtn 31,18.20; vgl. 30,17), wogegen Hosea die kanaanäischen Gottheiten sonst nirgends OTt^K nennt, denn Israel kennt keinen DTi^K außer J H W H (13,4). 119 V2: Hosea ist sich offenbar sofort darüber im klaren, wie Liebe in diesem Fall zu konkretisieren ist. Er kauft die Frau gegen Silber und Gerste. Der Preis wird in sehr umständlicher Formulierung angegeben, was auf die Tatsächlichkeit des Geschehens hindeutet.120 Daß es sich dabei um den Braut" 7 V g l . JEREMIAS, A T D , 5 3 ; L . SCHMIDT, 163. Ä h n l i c h WOLFF, B K , 7 5 , der in K a p i t e l 3

von einem wirklichen Ehebruch ausgeht, nicht nur wie in Kapitel 1 von einem bräutlichen Initiationsritus. Es handle sich dabei nicht um irgendeine Ehebrecherin, sondern u m die Frau, die Hosea gegenüber die Ehe gebrochen hat. - ROWLEY, 225: Schon Kapitel 2(!) zeige Gomer als Ehebrecherin. Ihre Liebhaber aber hätten sie verlassen, so daß sie sich nach ihrem Mann zurücksehnte. Aus Kapitel 3 gehe hervor, daß sie in Sklaverei fiel und Hosea sie zurückkaufen mußte, als er sie fand. 118

V g l . BALZ-COCHOIS, 50f; JEREMIAS, A T D , 5 4 f ; WOLFF, B K , 7 6 . T r a u b e n k u c h e n gel-

ten als Liebessymbol (Cant 2,5) und begegnen in 2Sam 6,19; IChr 16,3 (Jes 16,7?) als Festspeise im Kult. Vielleicht entsprechen sie den Opferkuchen, die zu Jeremias Zeiten für die Himmelskönigin gebacken wurden (Jer 7,18; 44,19). 119 EMMERSON, Hosea, 13 (Anm. 13, S. 170) dagegen sieht keinen Grund, die Wendung Hosea abzusprechen. 120 ROWLEY, 218f, und JEREMIAS, A T D , 55, berechnen den Wert der Gerste mit Hilfe von 2 K ö n 7,1 auf insgesamt 15 Schekel Silber, so daß der Kaufpreis insgesamt 30 Schekel Silber betrug. Das entspräche nach Ex 21,32 der Entschädigungssumme fiir einen getöteten Sklaven und nach Lev 27,4 dem Preis, um eine Frau von einem Gelübde freizukaufen. Ahn-

132

Exegesen

preis handelt, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden; denn Kapitel 3 spricht nicht von einer (zweiten) Eheschließung.121 Außerdem durfte ein Mann seine geschiedene Frau nach Jer 3,1 und Dtn 24,1—4 nicht noch einmal heiraten. Daher ist anzunehmen, daß Gomer Hosea ohne Scheidebrief verlassen hatte um eines Liebhabers willen (VI), daß sie aber juristisch nach wie vor mit Hosea verheiratet war. Wenn der Prophet sie trotzdem zurückkaufen muß, läßt sich daraus nur schließen, daß sie in Sklaverei geraten war, sich als Kultprostituierte verdingen mußte oder auf irgendeine andere Weise von jemandem abhängig geworden war, der Anspruch auf sie erhob. Bei der Formulierung in VI war ja offen geblieben, ob das außereheliche Liebesverhältnis zu dieser Zeit noch bestand. V2 läßt das Gegenteil vermuten. Ob Hosea den Preis an jenen sn bezahlt, der die Frau jetzt als seine Sklavin betrachtet, oder ob sie inzwischen einem anderen Herrn gehört, läßt sich dem Text nicht entnehmen. In jedem Fall scheint es der Preis zu sein, durch den Hoseas Frau die Freiheit wiedererlangt. Sie kann diese allerdings nur in der Bindung an ihn (i1?) bewahren. Doch so wird verstehbar, was Hoseas Verhalten mit Liebe zu tun hat. V3 interpretiert man gewöhnlich als eine Maßnahme der Züchtigung: Hosea sperrt die Frau in seinem Haus ein, um sie von Liebhabern fernzuhalten, und auch er selbst enthält sich der Gemeinschaft mit ihr. Der Vers wird in erster Linie als Strafansage begriffen. Sicher inspiriert die Wendung „und keinem Mann sollst du gehören" eine solche Deutung. Neben i1? bedeutet U?it Wie beim Trauerbrot (geht es) ihnen: Alle, die es essen, verunreinigen sich. Denn ihr Brot ist nur für sie selbst,c> es kommt nicht in JHWHs Hausfl Was werdet ihr tun am Feiertag und am Tag des JHWH-Festes? Denn siehe, die der Vervuüstung entgangen sind, die wird Ägypten einsammeln, und Memphis wird sie begraben. Wie kostbar ist ihr Silber!** Unkraut wird sie beerben, Dorngestrüpp in ihren Zielten.

145 ausgießen

a) Wegen des Parallelismus ist wahrscheinlich "jjn" bt< zu lesen (vgl. ©). So 172; W E I S E R ; SELLIN u.a. Gegen R U D O L P H , der © unterstellt, („nicht sei Jubel!") gelesen zu haben. Nominalsätze werden aber mit ]iN verneint, nicht mit "7K! Im übrigen schlägt er vor, ^K als Dittographie ganz zu streichen: „Freue dich nicht, Israel, in Jubel ..." (KAT, 1700. b) Von nsn I I „mit jm. Umgang haben" (vgl. Ps 13,20; 28,7; 29,3). Mit W O L F F ; U T Z S C H N E I D E R , 155f; JEREMIAS. Auch die Herleitung von n i n I „weiden" im Sinne von „versorgen, nähren" (so R U D O L P H ) ist zur Not möglich. Die Änderung in NY 7 ' (BHS, W I L L I - P L E I N ) ist unnötig und leuchtet vom Sinn her noch weniger ein. c) Lies wegen 9,2a (s. BHS). Schluß-D, kann leicht als n verlesen worden sein. Im Feminin-suffix mag sich die naheliegende Assoziation von der Dirne Israel niedergeschlagen haben (gegen JEREMIAS, ATD, 112, der darin das Land vermutet). d) So FABRY/LAMBERTY-ZIELINSKI, Art. M V I I / I I I , ThWAT V I , 355-359, 358; 3 JEREMIAS, ATD, 112; R U D O L P H , KAT, 172. 176; KBL , 380, u.a. U T Z S C H N E I D E R , 158 („ihre Schlachtopfer werden ihm nicht angenehm sein") und W O L F F , BK, 192f („nicht ihn freuen ihre Schlachtopfer"), setzen ebenfalls 9W voraus, doch ihre Übersetzung verfehlt den Kern des Problems, da es um die Unmöglichkeit geht, im fremden Land überhaupt ein JHWH-Opfer darbringen zu können. e) Reflexiver Gebrauch von viä 3; vgl. GesB, 515 (ttrbJ). f) m m iva meint hier im Unterschied zu 9,15 nicht das Land (vgl. 9,3), sondern den Tempel, und weist den Halbvers als judäische Nachinterpretation aus (vgl. N A U M A N N , 8 9 - 9 2 ; JEREMIAS, ATD, 1 1 6 , Ajim. 1 3 ) . g) Wörtlich: „Kostbarkeit (eignet) ihrem Silber." (vgl. W O L F F , BK, 193). WOLFF; WILLI-PLEIN,

D i e Israeliten m e i n e n , G r u n d z u m Feiern zu haben; d e n n die E r n t e ist offenbar g u t ausgefallen, u n d nach den Schrecken des syrisch-ephraimitischen

146

Exegesen

Krieges hofft man, nun wieder besseren und ruhigeren Zeiten entgegenzugehen. Fröhlich und ausgelassen begeht man das Herbstfest zur Zeit der Weinlese.152 - Jäh verdirbt der unbequeme Prophet die schöne Stimmung. Kein Wunder, wenn ihm daraufhin nur Feindschaft entgegenschlägt und die Menge ihm zornig nachstellt (V7-9)! Grimmig gebietet er den Versammelten, sich nicht zu freuen; denn es besteht kein Anlaß zum Jubel. Hosea wiederholt die Anklage, die seine frühe Verkündigung prägte: Israel treibt „Hurerei", wendet sich treulos von seinem Gott ab. Die Schuld besteht vor allem in der „Zerstörung der personhaften Verbundenheit Israels mit seinem Gott, der sich ihm in seiner Geschichte mit persönlicher Liebe zugewendet hat ..."153 Auf den Korntennen — die nicht gleichzeitig Kultorte gewesen sein müssen154 - empfängt es die Erntegaben als „Hurenlohn", weil es sie den Opfern ftir die Fruchtbarkeitsgötter zu verdanken meint (vgl. 2,14), unter die es auch J H W H mit eingereiht hat.155 Israels Feste und Gottesdienste unterscheiden sich in nichts mehr von denen der anderen Völker ( n i m als „Heiden"!). Indem es sich den Völkern angleicht, gibt es seine Identität als J H W H s Volk preis. Das hat Folgen, die der Prophet in „eisiger Distanz" 156 aufzeigt, ohne eine Spur von Mitleid oder Klage, auch ohne ein direktes JHWH-Wort, das wenigstens JHWHs Nahen zum Gericht ansagte — hier ist nichts als tödliche Gottesferne. Trügerisch ist der Reichtum von Tenne und Kelter (zu U/m vgl. 4,2); denn Fremde werden ihn genießen (vgl. 7,9; 8,7). Ein Israel nämlich, das sein einzigartiges Verhältnis zu J H W H leichtfertig dem Fruchtbarkeitskult opfert, hat sein Wohnrecht in „JHWHs Land" verloren. Die Vorstellung vom Land als „JHWHs Haus" (8,1; 9,15) klingt hier an. Wer gegen die Weisungen des Hausherrn (vgl. rn in 4,6; 8,1.12) und gegen die Hausordnung (vgl. Uü wn 5,1; 6,5; 10,4) permanent verstößt, kann dort nicht wohnen bleiben. Das erscheint hier als unausweichliche Konsequenz. Kalt, unpersönlich, mit eherner Härte rollt das namenlose Verhängnis über Israel hinweg; es trägt nicht einmal wie in 9,15 die

152

Z u diesem „Sitz im Leben" v o n Hos 9 , 1 - 9 vgl. WOLFF, B K , 1 9 6 f ; RUDOLPH, KAT,

1 7 4 f ; JEREMIAS, A T D , 153 154

WOLFF, B K , Vgl.

113-115,

NAUMANN,

89f,u.a.

XXI.

SELLIN, 9 2 f ; R U D O L P H , K A T ,

1 7 5 ; JEREMIAS, A T D ,

115;

gegen WOLFF,

BK,

196. 198. 155 V 4 (Trankopfer für J H W H ) und V 5 (JHWH-Fest) deuten an, daß die Israeliten durchaus auch J H W H zu verehren meinten, aber eben nach der Weise der (anderen) Völker wie einen der kanaanäischen Götter. Sie verwenden den Namen J H W H und meinen damit einen Götzen (vgl. 7,14), den man zur Sicherung des Lebensstandards braucht und der auf die emsigen kultischen Aktivitäten marionettengleich und wunschgemäß zu reagieren hat (vgl. Hoseas Polemik gegen die vielen Altäre in 8 , 1 1 - 1 3 ; 1 0 , 1 0 - Dieses Bild, das die prophetische Kritik zeichnet, braucht freilich nicht unbedingt dem Selbstverständnis der synkretistischen Frömmigkeit zu entsprechen. 156

KÖCKERT, L a n d , 6 0 .

Betrogene Liebe

147

zornigen Gesichtszüge J H W H s . Schlimmeres als H e i m a t l o s i g k e i t d r o h t d e m Volk: Z u r ü c k nach Ä g y p t e n - das ist das E n d e . D i e g e s a m t e G e s c h i c h t e Israels wird r ü c k g ä n g i g gemacht. M i t der R e t t u n g aus Ä g y p t e n rief J H W H sein Volk ins L e b e n . D o r t h i n zurückkehren zu m ü s s e n bedeutet, in den T o d zu gehen (vgl. 8 , 1 3 ; 11,5; auch 7 , 1 6 ) . Ä g y p t e n gewinnt hier seine textuelle B e d e u t u n g vor allem von j e n e m geschichtlichen Heilsereignis her u n d steht für K n e c h t s c h a f t , G o t t e s f e r n e (die Zeit, bevor J H W H sich der B e d r ü c k t e n a n n a h m ) u n d - was Israel als Volk angeht - Nicht-Sein. G e o g r a p h i s c h heißt der heillose O r t jetzt Assur; d o r t wird die Heillosigkeit konkret u n d real. Ihre D e u t u n g j e d o c h e m p f ä n g t sie von . Ä g y p t e n " her. 1 5 7 Eine terminologische Präzisierung wird an dieser Stelle notwendig: Es ist nicht falsch, „Ägypten" in Verbindung mit der Exilierung nach Assur eine Metapher zu nennen. Die geschichtliche Erfahrung aus der Zeit vor dem Exodus wird zum Sekundärgegenstand und tritt in Interaktion mit dem Primärgegenstand, dem Geschick Israels in den politischen Entwicklungen zur Zeit Hoseas. Was einmal war damals in Ägypten — gewinnt eine neue Bedeutung. Zweifellos ist dies eine metaphorische Bedeutungsausweitung, insgesamt ein metaphorischer Prozeß. Doch es wirkt unangemessen, die Ereignisse in Ägypten einen Sekundärgzgenstznd. zu nennen; denn die mit ihnen verbundene theologisch-heilsgeschichtliche Bedeutung wird dominant und beeinflußt den sog. Primärgegenstand viel stärker, als dies bei gewöhnlichen Metaphern der Fall ist. Der Sekundärgegenstand hat hier nicht nur eine dienende Funktion, von der fast ausschließlich der Primärgegenstand profitiert, sondern vor allem eine prägende Funktion, in der er sein Eigengewicht behält und dem Primärgegenstand sein Profil aufdrückt. Nach herkömmlichem Sprachgebrauch haben wir es mit einer Typologie zu tun, die sich somit als eine besondere Spezies von Metaphern erweist. 158

157 Einige Ausleger vermuten, Hosea habe Assur oder Ägypten als Ort des Exils im Blick, verstehen „Ägypten" also mehr geographisch (so SELLIN, 92; RUDOLPH, KAT, 176). In 9,6 trifft das in der Tat zu. Der Prophet scheint mit einer Flüchtlingswelle nach Ägypten zu rechnen, wodurch man den Assyrern und der Verwüstung im eigenen Land zu entkommen meint. Doch wo von der „Rückkehmach Ägypten" (311») die Rede ist (8,13; 9,3; 11,5), wird sofort die gesamte Heilsgeschichte erinnert, und die theologische Deutung liegt näher als die geographische. 158 Vgl. HOFFMANN, Typological Myth, bes. 170-177. Hosea betrachte den Exodus als „a typological event" (171). Unter einer Typologie versteht HOFFMANN „a connection between two events or persons, the first of which signifies not only itself but also the second, while the second encompasses or fulfills the first ... ist differs from most of the allegorical forms known to us by the historic both of the sign and what it signifies" (171, Anm. 7, Definition von E. AUERBACH). - Zur „Rückkehr nach Ägypten" vgl. JEREMIAS, Umkehrung von Heilstraditionen, 309-320. Wenn Propheten Heilstraditionen umkehrten, geschehe das nicht, um deren Wert oder Gültigkeit zu bestreiten, sondern um „das Volk davor zu bewahren, daß es Jahwe durch einseitige, statische Deutung der Tradition zum Heil garantierenden Götzen

degradiert." ( 3 1 9 ) .

148

Exegesen

Das fremde Land gilt eo ipso als unreines Land, als Ort, an dem Gemeinschaft mit J H W H ausgeschlossen ist (vgl. auch 9,4f). 159 Diese Vorstellung steht unvermittelt neben jener anderen, nach der J H W H seinem Volk in der „Wüste" begegnet (2,16; 9,10; 13,5; vgl. 12,10b). Auch wenn „Wüste" nicht an allen Stellen genau dasselbe bedeutet, so ist sie doch in jedem Fall zu unterscheiden vom Kulturland. J H W H s Wirkungsbereich dürfte darum nicht auf dieses begrenzt werden. 160 Hosea war Prophet und nicht Systematiker. Er sieht in dieser Stunde, wie Israel aus dem schützenden Raum, den J H W H seinem Volk als Wohnstatt bereitet hatte, hinausgestoßen wird in die Gottesferne. Verbal vermittelt er dies seinen Zuhörern mit Hilfe der bekannten kultischen Kategorie des Unreinen. Die Fremde, wo die Israeliten nur Unreines essen können, gilt Hosea wohl nicht so sehr als der Herrschaftsbereich fremder Gottheiten, zu dem J H W H keinen Zutritt hätte; denn Hosea kennt außer J H W H keinen Gott, der diesen Namen wirklich verdiente (vgl. 13,4f und die Art und Weise, wie er von den kanaanäischen Gottheiten spricht). Vielmehr scheint das fremde Land der Ort zu sein, an dem J H W H faktisch nicht ist, an dem er sich auch durch Opfer und Gottesdienste nicht finden läßt (in 5,6.15 zum Beispiel gilt dies für das eigene Land!). Gemeinschaft mit ihm ist dann unmöglich. 161 Damit wird dem Volk J H W H s das Ende angesagt. Für Hoffnung bleibt hier kein Raum. Israel, das von J H W H weghurte und seines Gottes Liebe betrog, sieht sich am Ende selbst betrogen (ttirta V2!) und, fern von J H W H , dem Verderben ausgeliefert. Eine Reihe von Gottesmetaphern zeigt J H W H selbst als den, der das Verderben über Israel bringt. Sie sind im folgenden Gegenstand der Betrachtung. 162

159

V g l . KÖCKERT, L a n d , 6 0 f ; NAUMANN,

89-92.

RUDOLPH, KAT, 176, und SELLIN, 93, nehmen daher an, daß Hosea lediglich eine Vorstellung seiner Zuhörer aufgreift, wenn er die Fremde unrein heißt, und daß er selbst nicht so dachte. 161 J H W H wird deswegen noch nicht als der Herr über alle Völker gesehen, und man kann auch noch nicht von einem theoretischen Monotheismus sprechen. Doch es ist m.E. ungerechtfertigt, aus 9,3.4a zu schlußfolgern, für Hosea sei J H W H s Wirkungsbereich exklusiv mit dem Land verbunden und das Leben in der Fremde bedeute automatisch, dem Machtbereich anderer Götter unterstellt zu sein (gegen NAUMANN, 9 1 f ) . 162 Auf eine Untersuchung von 6 , 1 0 („Hurerei") und 7,4 („allesamt sind sie ehebrecherisch") sei hier verzichtet. 6 , 1 0 repetiert nur, was zuvor schon gesagt wurde (vgl. 5,3 nach 5 , l f ) , und ist wahrscheinlich ein Nachtrag aus der Zeit Josias (vgl. JEREMIAS, ATD, 94; anders NAUMANN, 46). Falls Q'ÜIOTT in 7,4 ursprünglich ist, gehört es zu 7,3 und bedeutet kaum mehr als „treulos". Es wäre eine schwache Metapher, die sich leicht und ohne viel Verlust substituieren läßt. Dem Bild des Backofens V 4 aß.6f fügt es sich nur schwer ein, so daß manche Ausleger statt „ehebrecherisch" lieber „wutentbrannt" (taiüiK ) lesen (s. BHs). 160

2. Drohendes Verderben

In 5,14 und 13,7f. begegnet J H W H den Israeliten wie ein angreifendes Raubtier, in 5,13 wie ein böser Krankheitsherd, und in 7,12 erscheint er als Vogelsteller.

2.1. Der verworfene Arzt u n d die Ursache des Elends (Hos 5 , 1 2 - 1 4 in seinem Kontext) 2.1.1. Der Text: Hos

5,8-6,6

Der Spruch 5,12-14 ist hineinverwoben in die Komposition 5,8 - 6,6 und kann ohne diesen Kontext nicht angemessen interpretiert werden. Deshalb sei der Text des gesamten Abschnitts vorgestellt: 5.8

5.9

Stoßt ins Horn zu Gibea, in die Trompete zu Ramal Schreit laut: Beth Awen, hinter dir ist Benjamin! Ephraim,a) du sollst zur schaurigen Wüste werden am Tage der Züchtigung. Unter den Stämmen Israels habe ich Zuverlässiges kundgetan.

5.10

Die Oberen von Juda wurden wie solche, die die Grenze verrücken; Uber sie werde ich ausschütten wie Wasser meinen Grtmm.

5.11

Unterdrückt ist Ephraim, zerbrochen das Recht; denn es hat sich darauf versteift, dem NichtigenP nachzulaufen.

5.12

Ich aber (wurde) wie Eiterc) für Ephraim und wie Knochenfraß für das Haus Juda.

150

5.13

5.14

Exegesen

Als jedoch Ephraim seine Krankheit sah und Juda sein Geschwür, da ging Ephraim zu Assur und sandte zum Großkönigfi Der aber kann eudf } nicht heilen und euch das Geschwür nicht entfernen. Denn ich bin wie ein Löwe für Ephraim, wie ein junger Löwe für das Haus Juda. Ich, ich zerreiße und gehe davon, ich schleppe weg und keiner rettet.

5.15

Ich will weggehen und wieder an meinen Ort zurückkehren, bis sie unter den Folgen ihrer Schuld leiden und mein Angesicht suchen. Wenn sie in Bedrängnis sind, werden sie mich suchen.

6.1

Kommt, laßt uns zurückkehren zu JHWHl Er nämlich hat zerrissen - und wird uns heilen. Er hat geschlagen^ - und wird uns verbinden. Er wird uns (wieder) beleben nach zwei Tagen, am dritten Tag wird er uns aufrichten, und wir werden leben vor seinem Angesicht. So laßt uns erkennen,*> laßt uns eifrig danach trachten, JHWH zu erkennen! So sicher, wie es Morgen wird, ist sein Erscheinend Und er wird kommen wie der Regen uns zugute, wie Spätregen, der die Erde tränktß

6.2 6.3

6.4

6.5 6.6

Was soll ich dir tun, Ephraim, was soll ich dir tun, Juda? Ist doch eure Hingabe wie Gewölk am Morgen, wie der Tau, der früh vergeht. Darum habe ich dreingehauen durch die Propheten, habe sie (?) getötet durch die Rede meines Mundes, damit mein Recht wie das Licht k) hervorbricht. Denn ich habe Wohlgefallen an der Hingabe, nicht am Schlachtopfer, an der Erkenntnis Gottes statt an Brandopfern.

a) „Ephraim" als Land könnte feminin sein, vgl. G K a §122 h+i, GesB nnbK 3./ S. 61. D a aber „Ephraim" in der Regel als Maskulinum begegnet (bei Hos ausschließlich), ist hier wohl eher die 2.RSg.masc. zu lesen. Vgl. S c h ü t t e , 406. b) TüJV ( j a r a i w v (vgl. £ ) . I2f ist möglicherweise eine Sprachvariante zu Nitf (vgl. W o l f f , Jeremias). Seit D u h m wird oft konjiziert zu mar „sein Feind" (=

Drohendes Verderben

151

in 3W LAR + L v o n V 1 2 A n f a n g ; vgl. A L T , H o s 5 , 8 - 6 , 6 , 1 7 4 ; WEISER, RUDOLPH,

SELLIN). RUDOLPH lehnt die Ableitung von Kitt; deswegen ab, weil es hier nicht um Götzendienst, sondern um politische Dinge gehe (124). — Doch warum sollte der Prophet nicht auch eine politische Größe - z.B. Aram - „nichtig" nennen? LIND, 399f, vermutet, der Prophet bezeichne mit lar ein Götzenbild, in dem die Israeliten ihre eigene nationale Identität vergöttlichen („protection of its own national ego into world of divine", 400). Somit sei hier kultische Sünde angeklagt, die eng mit der politischen verbunden sei. - Da jedoch die Existenz eines besonderen Götzenbildes als Repräsentation Ephraims äußerst fragwürdig ist, liegt es näher, hier eine reale politische Macht zu vermuten, der Ephraim hinterherläuft. c) wv

II „ E i t e r " m i t DRIVER, 6 6 f , K B L 3 , WOLFF, RUDOLPH, JEREMIAS, SOGGIN,

13 lf, u.a. d) Vgl. 10,6;

als Adjektiv zur syrisch-aramäischen Wurzel 3 T „groß sein", ist

w o h l e i n e S p r a c h e i g e n t ü m l i c h k e i t d e s N o r d r e i c h s (vgl. RUDOLPH, JEREMIAS, SOG-

GIN, 132). Andere lesen M isbn nach einem Vorschlag von MÜLLER, 1897, 3 3 4 - 3 3 6 (vgl. B H S ) .

e) Wörtlich: „das Geschwür von euch (weg-)hei\en". f) 7p als apokopierte Form kann nicht Imperfekt sein - wie es wahrscheinlich ® versteht, indem sie irarot^ei (Fut.) übersetzt. Vgl. JENNI, Grammatik, 9.3.4.2.; 24.3.1. Deshalb ist mit den meisten Auslegern 1 (Haplographie des 1 ) zu lesen. g) rtSHJl wird wegen seiner isolierten Stellung öfter als ergänzende Glosse verstanden (FOHRER, Umkehr, 229, Anm. 9; BH, SELLIN). Doch wie und aus welchem Grund sollte ein solcher Zusatz in den Text gekommen sein? Eher könnten einige Worte ausgefallen sein, so daß n»Ul ursprünglich einen Parallelsatz zu mm" nK nm 1 ? rtDTn eingeleitet hätte (vgl. BHS). Da dies nicht mehr rekonstruierbar ist und 8W einen guten Sinn ergibt, sollte nicht geändert werden. h) D i e i m G e f o l g e GIESEBRECHTS v o n ALT, WEISER, SELLIN u.a. v o r g e n o m m e n e

Konjektur in V3aß «JKJjna ]3 unrjttra „wie wir ihn suchen, so werden wir ihn finden" ist unnötig. Lies 9W! j) Asyndetischer Relativsatz, r n i ' ist entweder als Impf. Hi. von m ' II zu deuten (so KBL 3 , WOLFF, BHS u.v.a.) oder man nimmt eine Verwechslung mit dem sinngleichen n n an. k) Kai TÖ Kpipa POU TBG cpwq. Lies: "liio »BSttföi 2.1.2.

Zum zeitgeschichtlichen

Hintergrund

N a c h d e m ALT 1 dargestellt hat, wie die Sprüche in 5,8 — 6,6 auf die verschiedenen Phasen des syrisch-ephraimitischen Krieges gedeutet werden können, wird dieser Zusammenhang heute nur von wenigen Forschern bestritten. Die meisten Exegeten weichen höchstens in Einzelheiten von der Interpretation A L T S ab. 2 ALT, HOS 5,8 - 6,6, 1 6 3 - 1 8 7 . WOLFF meint, alle Sprüche von 5,8 - 7,16 stammten aus ein und derselben geschichtlichen Stunde und seien bald danach festgehalten worden. Es handle sich um einen Auftritt des Propheten im Jahre 7 3 3 anläßlich einer großen Kultfeier in Samaria (7,1), in der die Unterwerfung unter Assur mit Büß- und Opferriten begangen wurde, nachdem Tiglat-Pile1

2

152

Exegesen

Den alttestamentlichen und assyrischen Quellen 3 läßt sich folgendes entnehmen: Israles König Menahem hatte Tiglat-Pileser III. von Assur (745-727) bereits 738 einen hohen Tribut bezahlt, nachdem dieser durch die Eroberung Hamaths seine Macht demonstriert hatte. Menahems Sohn Pekachja, der nach dem Tod seines Vaters (738/ 737?) König geworden war und dessen assyrienhörige Politik fortsetzte, wurde nach zweijähriger Regierungszeit von Pekach ermordet, der dann etwa von 735 bis 733/732 den Thron innehatte. Während dieser Zeit setzte TiglatPileser seine Annexionspolitik fort. 734 startete er seinen großen Feldzug nach Philistäa und mußte dabei wohl auch durch das Gebiet von Israel ziehen. Kurz darauf versuchten Rezin von Damaskus und Pekach anscheinend eine antiassyrische Koalition und wollten dazu auch Juda gewinnen. Als dessen König Ahas sich weigerte, war der Anlaß für den sog. syrisch-ephraimitischen Krieg (733) gegeben. Daraufhin wandte sich Ahas - gegen die Weisung Jesajas! (Vgl. Jes 7,9 „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.") - an Tiglat-Pileser mit der Bitte um Hilfe. Dieser bereitete dem Aufstand sehr schnell ein Ende, was er sicher auch ohne den Hilferuf Judas getan hätte. Noch im selben Jahr eroberte er weite Teile des israelitischen Gebietes, deportierte die Oberschicht der Bevölkerung und ließ dem israelitischen König nur noch Ephraim und Samaria übrig. Pekach allerdings wurde im Zuge dieser Ereignisse von seinem Landsmann Hosea ben Ela ermordet. Diesen bestätigte Tiglat-Pileser als tributzahlenden Vasallenkönig über den Rest des Nordreichs.4 Ebenfalls in diesem Jahr oder kurz darauf (732) 3 unterwarf sich der Assyrer auch das Gebiet von Damaskus und war damit Großkönig über ganz Syrien-Palästina. ALT stellt nun H o s 5,8ff. in den Kontext dieses Geschehens und interpretiert die Verse von daher. V 8 f „ V 1 0 , V l l , V 1 2 - 1 4 und 5 , 1 5 - 6 , 6 behandelt er jeweils als selbständige Einheiten. Die Ortsnamen in V8f. (Gibea - R a m a Beth Awen für Bethel - Ephraim) ließen einen von Süden ausgehenden und nach Norden gerichteten Angriff erwarten, es könne sich also nicht u m eine ser III. von Norden her in Israel eingefallen war und die ostjordanischen Gebiete Israels (Gilead) sowie das galiläische Bergland mitsamt der Jesreel-Ebene (Megiddo) erobert hatte (BK, 140-142). - Auch SELLIN, 68, nimmt zumindest für 5,8 - 6,6 ein und dieselbe Situation an, allerdings einen etwas früheren Zeitpunkt als WOLFF, nämlich als Assur den Tribut des Ahas angenommen hatte, die Belagerung Jerusalems durch Pekach und Rezin schmählich aufgehoben werden mußte, Assur gegen Israel marschierte (evtl. Rezin schon gestürzt hatte) und Juda in einem Rachefeldzug von Süden her in Benjamin einfiel. - Dagegen datieren R U D O L P H , J E R E M I A S u.a. die Einzelsprüche auf verschiedene Situationen im Zusammenhang mit dem syrisch-ephraimitischen Krieg. Vgl. besonders JEREMIAS, „Ich bin wie ein Löwe für Ephraim ...", SBS 100, 75-95. Vgl. ferner SOGGIN, 132f; DONNER, Israel unter den Völkern, 42-53. 3 Vor allem 2Kön 15,19f. 29f; 16,5ff; Jes 7; A O T 345-348. Vgl. BEGRICH, Der syrischephraimitische Krieg; NOTH, 233-237; HERRMANN, 305-310. 4 Tiglat-Pileser schreibt in seinen Annalen (AOT, 348): „... Da sie Paqaha, ihren König, gestürzt hatten, setzte ich Ausi' (zur Herrschaft) über sie. 10 Talente Gold, (x) Talente Silber empfing ich (als Tribut) von ihnen." Gemeint sind offenbar Pekach und Hosea ben Ela (vgl. 2Kön 15,29f.). 5 Anders BEGRICH, 107, der vermutet, daß zunächst Aram und erst danach Israel von Assur unterworfen wurden.

Drohendes Verderben

153

Aktion des assyrischen Heeres handeln. Vielmehr erwarte der Prophet den Gegenstoß der Judäer gegen den Vorstoß der Israeliten und Aramäer. Da Gibea und Rama unter normalen Verhältnissen zu Juda gehören, schließt ALT, dieser Teil Benjamins müsse kurz zuvor von Israel okkupiert worden sein. Der Spruch gehöre in die Zeit kurz vor dem Auftreten der Assyrer, das die Wendung im syrisch-ephraimitischen Krieg herbeiführte und einen judäischen Gegenangriff ermöglichte. In V10 sei das in V8f. Erwartete Wirklichkeit geworden. Aber Juda habe nicht nur das von Israel okkupierte Gebiet Benjamins zurückerobert, sondern auch ehemals israelitisches Gebiet annektiert, somit das von J H W H gesetzte Strafmaß überschritten. Deswegen werde jetzt den Judäern J H W H s Zorn angedroht. Die Klage in VI 1 scheine „dem frischen Schmerz über das eben Geschehene" (176) zu entstammen und sich sowohl auf den Gebietsverlust an der judäischen Grenze als auch auf den von Tiglat-Pileser eroberten Teil Israels zu beziehen. Dies sei geschehen, weil Israel sich darauf versteift habe, „ ,... seinem Feinde nachzulaufen', indem es der von dem aramäischen Nachbarreiche eingeschlagenen Politik durch dick und dünn folgte." (175) V12-14 betrachte Ephraim und Juda als Schicksalsgenossen, die Gleiches leiden und tun. Der Spruch habe eine Situation vor Augen, in der Juda und Ephraim gleichzeitig von Assur abhängig sind, am ehesten kurz nach dem Krieg, als Hosea ben Ela König von Assurs Gnaden wurde und Ahas von Juda sich wenig vorher den Assyrern zu Füßen geworfen hatte. 5,15-6,6 setzten das Vorhergehende voraus und zielten auf einen zu erwartenden Umschwung in der Haltung des Volkes. Diese zweifellos geniale Interpretation A L T S hat nur eine Schwäche: Da er seine These, Hos 5,8ff sei aus der historischen Situation des syrisch-ephraimitischen Krieges heraus zu verstehen, gleich an den Anfang seiner Arbeit stellt und dann viele einschneidende Konjekturen vornimmt, hat es den Anschein, er passe den Text seiner These an. Daran n i m m t Edwin M . GOOD6 Anstoß. Er weigert sich, irgendeinen konkreten geschichtlichen Anlaß oder Bezugspunkt von Hos 5,8 - 6,6 zu suchen, findet statt dessen in fast jedem der Sprüche zwei Basisthemen: Gesetz u n d Theophanie. Es gehe u m einen Rechtsstreit J H W H s mit Israel u n d Juda („... we are in a legal context in wich the two nations are before the bar of Yahweh's justice." 279). Dieser vollziehe sich innerhalb eines liturgischen Rahmens, in dem J H W H s Erscheinen zum Gericht bzw. zur Wiederherstellung des Volkes erwartet werde, z.B. 5,15 mpw u n d N2f> als Hinweise auf Theophanie (279); 6 , 1 - 3 als liturgischer Ausdruck der „expected theophanie restoration" (280); 6,4—6: „The ,Coming forth' is in judgmental rather than restorative theophany." (281). Wegen dieses Inhalts u n d seiner liturgischen Anklänge verweise der Abschnitt auf das Herbstfest, ein Fest, das „involved the theophanie presentation of the covenant law and its ratification."

6

GOOD, A n A l t e r n a t i v e to A l t , 2 7 3 - 2 8 6 .

154

Exegesen

(283) Der Verfasser sei dabei als „Prophet wie Mose" (Dtn 18,16) aufgetreten: „The relationship with the covenant festival, implied by both the legal and theophanic elements of this poem, suggests the mode in wich the poet functioned in the cult", und zwar „in the fiilfillment of the Mosaic prophetic office." (286). Hosea soll demnach ein Kultprophet gewesen sein und seine Botschaft (zumindest in 5,8 - 6,6) ohne einen historischen Bezugspunkt. Dieser Gedanke ist schwer nachzuvollziehen. Abgesehen davon, daß die Annahme eines wie auch immer gearteten Bundeserneuerungsfestes im Israel des 8.Jahrhunderts eine höchst fragwürdige These ist, scheint mir GOODS Interpretation am Wesen der Prophetie Hoseas vorbeizulaufen.7 Wer wie GOOD die Textänderungen bei A L T ablehnt, hat dessen Auslegung damit noch nicht entkräftet. Es bleibt das Naheliegendste, in V 8 einen Kriegsruf zu hören, der auf einen Angriff von Süden her gegen Ephraim zielt. Offenbar ist in der Tat Juda der Aggressor (V10). Von einem bewaffneten Konflikt zwischen den beiden Bruderstaaten zu Zeiten Hoseas ist uns außer dem syrisch-ephraimitischen Krieg nichts überliefert. Allerdings wissen die übrigen Quellen nichts von Judas Gegenschlag. Er paßt jedoch in das Bild dieses Krieges, und es ist leichter, Hos 5,8ff von daher zu verstehen, als einen davon unabhängigen Bruderzwist vor oder nach 733 zu postulieren. In einigen Details allerdings stimme ich ALT nicht zu: 1. Aus V8f folgt nicht zwangsläufig, das benjaminitische Gebiet sei kurz zuvor von Israel annektiert worden. Gibea und Rama werden syntaktisch anders eingeführt als Beth Awen (Bethel).8 Die beiden erstgenannten Städte scheinen noch nicht das Ziel des Angriffs zu sein. Vielmehr werden sie als Repräsentanten Benjamins zu den Waffen gerufen, um gemeinsam mit dem von Süden heranrückenden judäischen Heer gegen den feindlichen Bruder im Norden zu ziehen. „Beth Awen, hinter dir (her) ist Benjamin!" ergibt 7 Zur Kritik an G O O D vgl. ANDERSEN/FREEDMAN, 401 f. Sie kommen hier zu dem Schluß, daß weder die Fragestellung bei ALT (nach dem historischen Sitz) noch die bei G O O D (nach dem kultischen Sitz) dem Text gerecht werde. Man müsse vorsichtig sein bei dem Versuch, ihn auf eine bestimmte Situation zu fixieren. Dennoch wird angenommen, daß von einem bewaffneten Angriff Judas gegen Ephraim (V8) die Rede sei, der freilich nirgends als Gegenschlag gegen eine vorherige Invasion Ephraims deklariert sei. Der judäische Angriff sei zwar Jahwes Gericht an Ephrarim, weil es „persistendy walked after säw (VI 1)." (404), dennoch handelt Juda im Unrecht und wird dafür bestraft (VlOb). Aram sei nirgends im Blick, Assyrien scheine fern („remote") zu sein und komme nur als potentieller Verbündeter in Betracht. Das passe eher in die Anfangszeit Tiglat-Pilesers. Vielleicht habe juda während des Bürgerkrieges zwischen Menahem und Shallum in Israel interveniert. Diese Vermutung wird freilich nirgendwo in den Quellen bestätigt, so daß dieser Versuch einer zeitlichen Einordnung vgl. 404ff) äußerst fragwürdig bleibt. 8 Dies (Bet-Awen ohne a ) und die Tatsache, daß Bethel nicht wie Gibea und Rama zu benjaminitischem Gebiet gehört, spricht gegen die Übersetzung „... erhebt in Bet-Awen den Kriegsruf: ,Dir nach, Benjamin!'" (so z.B. JEREMIAS, ATD, 78).

Drohendes Verderben

155

dabei einen guten Sinn als Schmäh- und Kriegsruf. O b auch V9a ursprünglich noch zu diesem Kriegsgeschrei gehörte, läßt sich schwer entscheiden. 9 Im jetzigen Kontext ist deutlich, daß J H W H selbst hinter dem Aufruf u n d der D r o h u n g steht, womit freilich Juda in seinem Rachefeldzug keineswegs gerechtfertigt ist (V10). Schuld bleibt als solche bestehen, auch wenn J H W H das schuldhafte Verhalten der Menschen in seinem Handeln benutzt. 2. Wenn man V I l b als „das Nichtige" versteht und den Text nicht mit ALT u.a. in i i y („sein Feind") ändert, ist die Anklage umfassender: Nicht nur den Aramäern folgte Ephraim blindlings, sondern auch den Baalen (vgl. Kap. 2). Durch beides (!) hat das Volk seinen Gott verlassen, u m seine Hoffn u n g auf ein „Nichts" zu setzen. 3. Im Rahmen der Komposition liegen V8f, V10 und V I 1 auf einer anderen Ebene als die folgende Einheit V 1 2 - 1 4 : Hier rückt J H W H selbst viel stärker ins Blickfeld, was schon die Einleitung mit betontem "»JK l verdeutlicht. Erstmals werden Juda und Ephraim gemeinsam angesprochen, während vorher jeweils nur ein Teil des Gottesvolkes benannt wurde. Das zuvor Gesagte wird jetzt zusammengeschaut und von einer anderen Warte aus neu beleuchtet. Vielleicht hat die Einheit VI 2 - 1 4 niemals ohne die drei vorhergehenden Sprüche bestanden, zumindest ist sie in ihrer jetzigen Form auf diesen Kontext hin gestaltet worden. Die drei früheren Worte aus je verschiedenen Situationen des syrisch-ephraimitischen Krieges werden vergegenwärtigt, u m zu illustrieren, worauf sich das jetzt zu Verkündende bezieht. 10 Es wird - darin liegt kein Dissens zu ALT — in die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Krieges zu datieren sein. 2.1.3. Hos 5,12—14 im einzelnen 2.1.3.1.

Die formale Struktur des Spruches

Wie Schläge einer Pauke dominiert das I C H J H W H s den Spruch 5,12-14. Jeweils betont vorangestellt als Personalpronomen (V12 und I4a.b), am Schluß noch stärker hervorgehoben durch Verdoppelung (VI4b), bean5 Wolfgang SCHÜTTE hält die gesamte Einheit Hos 5,8f für „die Rede eines judäischen Führers, welche Hosea in seiner Verkündigung ohne kennzeichnende Redeeinführungsformel zitiert." (Zu Hos 5,8 - 6,6, 408) - In V 10 freilich bezieht sich die l.P.Sg. eindeutig auf Jahwe als den Redenden, und dadurch wäre der Racheruf aus Juda verwechselbar geworden mit dem Wort Jahwes. Falls SCHÜTTE recht hat, ist die Rede des judäischen Führers V8f in dem Moment, da Hosea sie zitiert, nicht mehr das, was sie vorher war. Sie ist durch den neuen Kontext, in den sie gestellt wurde, zur Weissagung geworden. D a r u m erscheint es mir sinnvoller, V9 gleich als prophetische Jahwerede zu begreifen und nur den Kriegsruf in V8b als Zitat im Prophetenspruch (nach SCHÜTTE „direkte Rede in der direkten Rede", 407). 10 Das Verhältnis der Einzelsprüche in 5,8-11 zu V 1 2 - 1 4 hat JEREMIAS überzeugend herausgearbeitet. Vgl. besonders „Ich bin wie ein Löwe für Ephraim ...", 7 5 - 9 5 .

156

Exegesen

sprucht es höchste Aufmerksamkeit. Die solcherart eingeleiteten JHWHMetaphern rahmen die Einheit und sind nach der Weise einer „Perlenschnur"11 zueinandergefügt: Mehrere Metaphern werden aneinandergereiht, wobei ein Ausschnitt aus dem Vorstellungsbereich der einen Metapher als Bindeglied dient, um zur nächsten überzugehen. Hier bewegen sich die Metaphern vom Bildfeld „Krankheit" (V?n, u/y, Kbn) über das Bindeglied der „(eiternden) Wunde" (lim) zum „Raubtier" TÜ3, cpu), das tödliche Wunden schlägt. Die beiden rahmenden Nominalsätze (VI 2. 14a) enthalten je zwei mit 3 eingeführte Vergleiche und formulieren parallel ftir Ephraim und Juda.12 Ihnen folgen jeweils Verbalaussagen: In VI 3a ist Ephraim/ Juda das Subjekt, wobei sich das Augenmerk zunehmend auf Ephraim konzentriert und Juda in V13aß nicht noch einmal ausdrücklich genannt wird. Im Erzähltempus wird geschildert, wie das kranke Volk mit seinen Leiden Assur und seinen König um Hilfe ersucht. Dies läßt die Metaphern in VI 2 als Deutung bereits erfahrener Not verstehen. - Der Verbalsatz VI 4b dagegen beschreibt JHWHs Handeln (hervorgehobenes Subjekt), und zwar imperfektisch: Was hier Schreckliches gesagt wird, das haben Ephraim und Juda noch nicht hinter sich. Es dauert entweder weiter an oder steht erst bevor. Strukturell fällt VI3b aus diesem Rahmen heraus bzw. wird von ihm umschlossen. „Der aber kann euch nicht heilen ...!" _ eine grundsätzliche Aussage (Pk!), nicht mehr das Erzähltempus. Ephraim hat sich an den falschen Arzt gewandt, dessen Unfähigkeit zu heilen von vornherein feststeht. Gegen diese Negation klingt vom Anfang und vom Schluß her das paukengleiche 'JiM: „ICH aber ... (ICH bin's doch, der euch heilen könnte)!" So steht unausgesprochen in der Mitte des Spruches das Bild von J H W H als dem Arzt, der wirklich zu helfen die Macht hat. Des Propheten Sprache vermag den rettenden J H W H zu zeigen, gerade indem sie ihn verhüllt. Und er muß ja als solcher verborgen bleiben, weil das Volk in seiner Bedrängnis sich anderen — vermeintlichen - Rettern zuwandte und IHN zu suchen unterließ. Unvermittelt geht VI 3b in die direkte Anrede über, so daß der Kern des Drohwortes einen Ton verzweifelt-sorgenvoller Nähe gewinnt. Dagegen wahren die Unheilsmetaphern des Rahmens durch die 3.P. eine gewisse Distanz. Der Dativ communis (nnüx 1 ? bzw. ¡Trift' nia1?), der in keinem der vier Glieder von V I 2 und VI4a fehlt, stellt klar, daß es hier um eine Bezie-

" So nannte LABUSCHAGNE diese eigentümliche Kompositionsmethode (Similes, 69 u.ö.). 12 Daß die Erwähnungen Judas in 5,10.12-14 zum ursprünglichen Text gehören, wird heute weithin anerkannt (vgl. EMMERSON, Hosea, 68-70; NAUMANN, 42-44). Aus den gleichen Gründen muß man m.E. „Juda" in 6,4 für ursprünglich halten (gegen EMMERSON, Hosea, 7 0 - 7 4 ) .

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hung, nicht um eine situationsunabhängige grundsätzliche Aussage über J H W H geht. 2.1.3.2. Eiter und Knochenfraß (VI2) Die Bedeutung Vis „Eiter" hat DRIVER13 mit überzeugenden Argumenten nachgewiesen. apTT (vgl. „verfaulen") wird in Prv 12,4; 14,30 und Hab 3,16 mit DSfS verbunden und meint eine Krankheit, die die Knochen zersetzt, also den Körper von innen her zerstört. Daß sie krank sind, haben die beiden Brudervölker selbst gemerkt, das braucht ihnen nicht erst gesagt zu werden (V13aa). Aber sie täuschen sich über die Ursache ihrer Schmerzen. Tragischerweise haben sie nicht erkannt, daß sie an JHWH kranken, und suchen deshalb an der allerverkehrtesten Stelle Hilfe. So befremdlich es anmutet, daß J H W H selbst mit der ekelerregenden Krankheit verglichen wird, gibt es doch einen guten Sinn, wenn man die positive Kehrseite des Vergleichs bedenkt: J H W H ist des Volkes Leben, seine Stärke und Kraft; es ist nicht ohne ihn. Wäre die Beziehung zu ihm heil, könnte sich das Volk ungebrochener Lebenskraft erfreuen. Jede Störung dieser Beziehung bedeutet notwendigerweise Krankheit, deren Ursache J H W H s enge Verbundenheit mit diesem Volk ist. Worin die Störung besteht, wurde in V10 für Juda und in V l l für Ephraim konkretisiert: Wer die Grenzen verrückt, verachtet J H W H s Weisungen und vergreift sich an J H W H s (!) Eigentum (vgl.9,3.15 Land als „JHWHs Haus"); 14 wer dem Nichtigen hinterherläuft, verachtet ihn selbst. Beides ist Ausdruck praktischer Gottvergessenheit und zeigt den Versuch, an J H W H vorbei aus eigener Kraft leben zu wollen. Das aber ist unmöglich, es zerstört die Lebensgrundlage von innen her. Die Funktionsweise der Metapher läßt sich leicht nachzeichnen: Das Volk erfährt im Umfeld des syrisch-ephraimitischen Krieges auf schmerzhafte Weise Not und Bedrängnis. Diese als „Krankheit" zu begreifen, fällt nicht schwer (vgl. Jes l,5ff; Jer 10,19; 30,12f). „Eiter" und „Knochenfäule" bringen das Moment der Zersetzung von innen her hinzu und lenken den Blick auf die Ursache der Krankheit. Klargemacht werden muß den Menschen jetzt nur noch, daß sie in Wahrheit an ihrem Gottesverhältnis kranken, an ihrem Gott zerbrechen, daß sie es in ihrem Leiden ausschließlich mit J H W H und keinem anderen zu tun haben. Dies leistet die schockierende Formulierung: „ICH bin wie Eiter für Ephraim und wie Knochenfäule für das Haus Juda ..." Daß es angesichts dessen absurd ist, von Assur Hilfe zu erwarten, liegt auf der Hand. Die Metapher läßt das politisch Vernünftige absolut unsinnig erscheinen. Angespielt wird dabei für Juda sicherlich auf Ahabs Hilfeersuchen an Tiglat-Pileser (vgl. 2Kön 16,7ff). Für Ephraim 13

DRIVER, Difficult Words, 66f. Zum Land als J H W H s Eigentum vgl. auch Lev 25,23; Dtn 19,14; 27,17. Zur LandTheologie Hoseas vgl. KÖCKERT, Land, 43-74. 14

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dürfte am ehesten Hosea ben Ela und seine assyrienhörige Politik im Blick sein. Möglicherweise war er der Exponent einer politischen Partei, die schon länger für den Anschluß an Assyrien plädiert und durch die Ermordung Pekachs die Oberhand gewonnen hatte. Assur aber vermag den Schaden nicht zu heilen.

2.1.3.3. Reißender Löwe (V14) Noch gefährlicher wird jetzt JHWHs Nähe dem Volke: einem Löwen gleich, der seine Beute zerreißt und wegschleppt. Die etymologische Herkunft von bn M) ist ungewiß.15 Als Parallelbegriff zu u m (Hos 5,14; Hi 4,10; Ps 91,13), n n « (Hi 4,10), n x (Prv 26,13) sowie ttb^ und KU1? (Hi 4,10f) ist es eine der sieben (!) hebräischen Bezeichnungen für Löwen. Außer an den genannten Stellen begegnet es noch in Hi 10,16; 28,8 und Hos 13,7, also durchweg in poetischen Texten. Es könnte sich demnach um einen dichterischen Ausdruck handeln.16 T>ü3 meint daneben den „Junglöwen", der schon selbständig nach Beute ausgeht.17 Die vielen verschiedenen Worte, die das Hebräische zur Bezeichnung von Löwen kennt, weisen darauf hin, daß dieses Tier wohlbekannt war und im Bewußtsein der Menschen eine wichtige Rolle spielte. Eine Fülle von Assoziationen ist mit ihm verbunden und bildet den Sekundärgegenstand: Der Löwe ist der Held(y\li) unter den Tieren (Prv 30,30). Stärke (2Sam 1,23), Mut (2Sam 17,10) und sichere Überlegenheit (Prv 28,1) zeichnen ihn aus. Im Verborgenen lauert er seinem Opfer auf (Ps 10,9; 17,12), um es dann zu zerreißen, und keiner kann es retten (Ps 7,3; Mi 5,7). Aus dem Dickicht (TpD bzw. T|b) bricht er auf (Jer 4,7; 25,38) und fällt die Herde an (vgl. Jer 15 Vgl. dazu und zum folgenden BOTTERWECK, Art. n « , ThWAT I, 4 0 4 - 4 1 8 ; ders., Löwenbilder, 117-128 (Hier bezieht B. zwar die metaphern-theoretische Fragestellung ein, rezipiert jedoch unkritisch das u.a. in LAUSBERGS „Handbuch der Rhetorik" vertretene traditionelle Metaphernverständnis.); BONNET, Art. „Löwe", Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, 427—429; HEMPEL, Jahwegleichnisse, 7 4 - 1 0 7 u.a. 16 Dies vermutet z.B. GesB, 819. Daß der Kontext speziell an „Löwenjunges" denken ließe, kann ich nicht erkennen (vgl. BOTTERWECK in ThWAT I, 407). 17 Männliche Tiere werden erst mit 5 - 6 Jahren voll erwachsen. Die jungen Löwen bleiben bis zum Alter von 1 Vi—2 Jahren in dem Rudel, in dem sie geboren wurden, werden dann von den erwachsenen Männchen des Rudels vertrieben und schließen sich oft mit anderen Junglöwen zu Junggesellentrupps zusammen, bis sie sich im Alter von 5 - 6 Jahren ein eigenes Weibchenrudel von alternden Männchen erkämpfen. Ihre Beute erjagen Löwen ähnlich wie Tiger: Sie lauern den Beutetieren - besonders an Wasserstellen — auf, schleichen sich auf 2 bis 1 5 m heran und fallen die Beute dann mit einem oder mehreren weiten AngrifFssprüngen an. Sollte das Tier zu entkommen versuchen, wird es u.U. 50 bis 100 m weit verfolgt. Kleinere Tiere werden „durch Nackenbiß getötet, größere durch Kehlbiß niedergerissen und bis zum Verbluten festgehalten. Beute wird in möglichst wassernahes Versteck getragen oder geschleift, dort gefressen, Reste werden mit Laub und anderem Pflanzenmaterial bedeckt, bewacht und später verzehrt." (PUSCHMANN, 310, bei „Tiger"! Vgl. 310f „Löwe".)

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49,19; 50,17.44). Schon sein Brüllen ist furchterregend (Am 3,8; vgl. Am 3,4). In Kunst und Religion begegnet der Löwe häufig. Während er in der Bronzezeit zur Sphäre der Göttin gehörte, ist er in der EZ II B „Ausdruck einer männlich determinierten Machtsphäre", 18 entweder als Königssymbol (vgl. Gen 49,9f; N u m 24,9; D t n 33,20f.22 u.a.) oder als Wächtertier. Im nordisraelitischen Umfeld des Propheten tritt er vor allem in der Funktion des (aggressiven) „Wächterlöwen" auf, was wohl auf nordsyrische Traditionen zurückgeht. Als Dekor oder Ornament an verschiedenen Gegenständen, z.B. Luxusbetten in Samaria, hat er apotropäische Funktion: Er soll den Feinden Schrecken einflößen, ist also ein Schutzsymbol. 19 Sehr oft wird der Löwe als Metapher für Feinde gebraucht: In Jes 5,29 beispielsweise sind es die Assyrer mit ihrer militärischen Macht, in den Klagepsalmen werden die Bedränger des Beters als raubgierige Löwen geschildert ( u b a z.B. in Ps 17,12; 35,17; 58,7; n n « bzw. H « in Ps 7,3; 10,9; 17,12; 22,l4.17.22) 2 0 , ja, Gott selbst wird als ein solcher Feind erfahren (Thr 3,10f). D a ß der Löwe Gefahr bedeutet, wird u.a. in Jes 30,6; Prv 22,13; 26,13; Ps 91,13 deutlich. nennt folgende Grundtypen von Löwenvergleichen und -metaphern: „Der Löwe selbst bleibt immer ,Held unter den Tieren' Spr 30,30b, das überlegene, majestätische und furchtgebietende Tier; er stellt eine Vergleichsnorm der Stärke dar ... Der brüllende Löwe ... hat dabei ... das Kolorit des beutegierigen, furchtbaren Feindes ... Der anfallende und jagende Löwe ist Bild der unmittelbaren Gefahr ... Eng verbunden mit dem Typ des jagenden Löwen gilt der reißende Löwe als Bild bedrohlicher, grausamer und vernichtender Macht... Schließlich erscheint der Typ des erjagten oder erlegten Löwen ..." BOTTERWECK 21

Der in Hos 5,14 begegnende Löwe wirkt außerordentlich furchterregend und gefährlich. Für die Einwohner Samarias, die sich im Schutz von Löwen schlafen legten (s.o.), m u ß diese Metapher schockierend gewirkt haben. D e n n dieser Löwe greift an statt zu schützen. Bei ihm findet der Mensch nicht Ruhe und Sicherheit, sondern es bleibt ihm nichts als Erschrecken und danach der Tod. 22 18 KEEL/UEHLINGER, 215. Zum Löwen im Bereich der Königssymbolik vgl. LINGER, 191 f (§105). 306 (§158). " Vgl. außer BONNET, BOTTERWECK und H E M P E L (S.O. Anm. 1 5 ) besonders

KEEL/UEHKEEL/UEH-

LINGER, § 1 1 8 , 2 1 0 - 2 1 5 ; W E I P P E R T , H „ 1 6 f (S.U. A n m . 2 2 ) . 20

Vgl. KEEL, Feinde, 201ff; ders., Bildsymbolik, Abbildungen auf S. 75. BOTTERWECK, ThWAT I, 4l7f. 22 Helga W E I P P E R T (Arnos, 1-29) hat am Beispiel der Löwenmetaphern bei Arnos diesen Unterschied auf eindrückliche Weise herausgearbeitet: Im Milieu der Städter begegne der „gebändigte Löwe", der apotropäische Funktion habe, und wenn J H W H löwengleich vorgestellt werde, begreife man ihn damit als Schutzgottheit. Der Löwe des Arnos dagegen entstamme dem Hirtenmilieu und repräsentiere das Schrecken verbreitende, todbringende 21

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Es sind neben dem Kontext (V8-11. 12f) vor allem die Verben in Vl4b, die den Sekundärgegenstand in dieser Weise eingrenzen und präzisieren. Für sich genommen, könnte die Metapher VI 4a auch verheißungsvollen Charakter tragen: JHWH, mächtig und stark wie ein Löwe, schützt Ephraim und Juda vor den andrängenden Feinden, denn er steht natürlich auf der Seite seines Volkes und kämpft gegen die anderen (vgl. Jes 31,4!). Doch diese Assoziation, nach VI 3b immerhin nicht ausgeschlossen, wird durch VI 4b völlig unmöglich gemacht. Er zeichnet ein anschauliches Bild von dem Raubtier in Aktion, das angreift, seine Beute niederreißt und wegschleppt. Wer es beobachtet, muß hilflos dabei zusehen. Dem Verbum tpu23 haftet der Charakter des Gewalttätigen an; es assoziiert immer Raubtierverhalten. In Hi 16,9 und Ps 50,22 wird es von Gott gesagt, ohne daß er in einem formalen Vergleich als wildes Tier bezeichnet würde. Keine Hoffnung auf Rettung bleibt für das Opfer, das zerrissen wird, tpu und bixn J1K korrespondieren auch in Jes 5,29; Mi 5,7; Ps 7,3 und Ps 50,22 miteinander. Bei Hosea ist diese Unmöglichkeit, dem Gericht JHWHs zu entrinnen (vgl. 2,12), die Kehrseite dessen, daß es für Israel keinen Retter außer JHWH gibt (13,4).24 Gerade die Verbindung der beiden Metaphern „Arzt" und „Löwe" macht dies deutlich: Wer JHWH als Arzt verwirft, muß ihn als angreifenden Löwen erfahren. Hinsichtlich des Primärgegenstandes ist das Unheilträchtige der Löwenmetapher durch die gegenwärtigen Erfahrungen des Volkes noch nicht voll gedeckt: Noch lebt Ephraim, auch wenn weite Teile des Staatsgebietes den Assyrern zum Opfer fielen. Doch weil der Schmerz und der Schrecken dieser Ereignisse noch frisch sind, gewinnt die Metapher einen unmittelbaren Realitätsbezug, auch wenn sie als Drohung das bereits Erfahrene weit übertrifft. Die Situation, in der sich Israel befindet, fließt in den Implikationszusammenhang ein, konkretisiert ihn und erfährt durch die Metapher ihre Deutung. Schrecklich ist's, JHWH in seinem Zorn zu begegnen. 2.1.4. Nachklänge in Hos 5,15-6,6

V15 bringt eine überraschende Wendung. JHWH geht weg, um sich vor seinem Volk zu verbergen. Gottesferne bedeutet eo ipso Not ). JHWH überläßt die Israeliten damit zugleich den Folgen ihrer Schuld (nu/K)25. Er Tier aus der Wüste. Aus diesem Bereich der vom Menschen nicht gebändigten Natur, der darum Gefahr und Dunkelheit bedeutet, bricht er in die Lebenswelt der Menschen ein. „Es ist der Löwe aus der Wüste, dem Arnos ins Maul schaut, nicht der in den Rang eines apotropäischen Symbols erhobene Löwe der Städter." (25) Gleiches gilt fiir die Löwenmetaphern des Hosea. 23 Vgl. WAGNER, Art. tyiu, ThWAT III, 3 7 5 - 3 8 3 . 24

V g l . JEREMIAS, A T D ,

25

Vgl. KELLERMANN, ThWAT I, 4 6 3 - 4 7 2 . Auch wenn nti>K hier nicht auf eine kulti-

83.

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hofft jedoch, daß die Bedrängnis sie zur Besinnung fuhrt, so daß sie ihn auf's neue suchen. Hier berührt sich 5,15 mit 2,8f, wo die Widrigkeiten des Weges, auf dem sich die Frau von ihrem Mann entfernt, sie zur Umkehr bewegen sollen. Auch wenn J H W H s Verhalten den Israeliten in beiden Fällen Schmerzen bereitet, zielt es jeweils auf die Erneuerung der Gemeinschaft. Wenn sie seine Nähe suchen, so darf man in 5,15 erwarten, wird J H W H sich von ihnen finden lassen, und zwar als der Retter aus Bedrängnis. Isoliert betrachtet, hat der Spruch mit der Löwenmetapher nichts zu tun. Nach 5,14 jedoch bekommt die durchaus bedrohliche Ankündigung J H W H s , sich zurückzuziehen (und die Israeliten in notvoller Lage allein zu lassen), einen anderen Klang: Das Erschrecken vor dem Gott, der sein Volk als ein Löwe anspringt, ist dem aufmerksamen Zuhörer in Mark und Bein gedrungen — da kehrt der Löwe plötzlich aus unerklärlichen Gründen um. Ohne angegriffen zu haben, geht er in seine Höhle zurück. Wo J H W H s Nähe tödlich ist, bedeutet sein Weggehen Gnade. So läßt V I 5 aufatmen. Indem er die Löwenmetapher von V I 4 aufnimmt, löst er sie zugleich auf. Von ferne wird J H W H s Angesicht wieder erkennbar, und es erscheint menschlich ('Jö): ein Gott, der auf sein Volk wartet, den zu suchen die Möglichkeit der Rettung in sich birgt. 26 Die folgenden Verse zeigen, wie diese Botschaft in Israel gehört wurde. Hos 6,1—3 ist vermutlich ein vom Volk bzw. von Kultbeamten stellvertretend für das Volk angestimmtes Lied. Aufgrund seiner einleitenden Aufforderung (mrp-^K mittij) läßt es sich leicht im Rahmen eines liturgisch begangenen Fast- und Bußtages vorstellen, der durch die Notsituation um 733 - vielleicht auch als Reaktion auf Hoseas Verkündigung - veranlaßt wurde. Daß es sich nicht um ein allgemeines liturgisches Formular handelt, belegt der bis in die Wortwahl hinein zu beobachtende direkte Bezug auf Hos 5,12-14.15. sehe Sühnehandlung verweist, ist seine Bedeutung mit „sich verschulden, schuldig werden, strafbar machen" (vgl. ebd., 470f) nicht zutreffend wiedergegeben bzw. zu eng gefaßt. In Hos 5,15 meint das Verb wie in 10,2 und 14,1 nicht nur die Verschuldung, sondern vor allem deren Folgen, während in 4,15 und 13,1 der Akzent auf der Verschuldung selbst liegt. Das Verb zeigt, wie der Hebräer Schuld und ihre Folgen in einem engen Zusammenhang sieht (vgl. Schuld, Strafe). DttiK scheint in Hos 5,15 selbst die Schulderkenntnis mit einzuschließen (vgl. JEREMIAS, A T D , 83).

26 EMMERSON, Hosea, 71-73, erkennt in Hos 5,15 die judäische Redaktion, da der Spruch Umkehr als Voraussetzung für das Heil betone. Ausgehend von 2,16f, sieht sie Hoseas Theologie dadurch charakterisiert, daß JHWHs Heilsaktion nicht abhängig ist von Israels vorheriger Buße, alle Initiative zur Erneuerung gehe allein von JHWHs Liebe aus. Für Hoseas Heilsverkündigung in der Spätzeit (2,16f; 3,lff und 11,8-11) bleibt dies unbestritten. Wegen 2,8f, den auch EMMERSON für hoseanisch hält (vgl. 21fF), kann jedoch vermutet werden, daß Hosea eine Zeitlang mit der Möglichkeit rechnete, eine Zeit der Not könne Israel zur Umkehr bewegen (s.o. zu 2,8f)- Da in 5,15 sonst nichts auf judäischen Einfluß deutet, reicht EMMERSONS Argument m.E. nicht aus, ihn Hosea abzusprechen. Anders YEE, 144-158. 170-74: Er schreibt 5,15-6,3 der exilischen Endredaktion zu.

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Über Hos 6,1—3 gehen die Meinungen der Exegeten seit jeher weit auseinander. Oft wird die These vertreten, der Prophet habe dem Volk das Lied in den Mund gelegt: Entweder man versteht es als - (für die Zukunft) erhofften - Ausdruck dessen, was in 5,15 mit dem „Suchen nach Jahwe" erwartet wird.27 Doch dann wäre Hos 6,4—6 als deutlich kritische Antwort Jahwes schwer verständlich. Oder man sieht in Hos 6,1-3 Worte Hoseas, mit denen er die tatsächliche gegenwärtige Gesinnung im Volk ausdrücken will.28 In diesem Fall müßten Hoseas Formulierungen allerdings des Volkes Stimmung so genau getroffen haben, daß dieses sich ohne weiteres mit dem Lied des Propheten zu identifizieren bereit war; denn nur so könnten die Menschen das in 6,4-6 Folgende als ein Wort Jahwes hören, das sie angeht. Die innere Distanz zwischen Prophet und Volk dürfte solche Identifizierungsmöglichkeit von seifen des Volkes kaum zugelassen haben. Außerdem: Wenn Hos 6,1-3 die „Terminologie des Propheten" sein soll, wirken die Vergleiche in V3 ( i n w , Dtt/J, ttfip^ö) fremd. Viel leichter ist es, anzunehmen, daß das Volk tatsächlich mit diesem Lied auf Hoseas Verkündigung reagierte und dabei dessen Worte z.T. aufgegriffen hat.29 Daß in 6,4 Juda zugleich mit Ephraim angesprochen wird, spricht nicht dagegen, da Hosea schon in 5,12-14 beide Brudervölker in gleicher Weise anspricht, auch wenn er es im Moment nur mit Ephraim zu tun hat.30 Daß Hos 6,1-3 formal eher ein Wallfahrtslied denn ein Bußlied darstellt, hat J E R E M I A S m.E. richtig gesehen.31 Seit B A U D I S S I N wird erwogen, ob Hos 6 , 2 die Vorstellung einer „Wiederbelebung am dritten Tag" enthält, wie sie in Mythen von sterbenden und auferstehenden Vegetationsgottheiten vorkommt.32 In Hos 6,1-3 geht es jedoch nicht um einen toten Gott, sondern um das geschlagene Volk. Nicht in der Natur, sondern im Rahmen der Geschichte wird Wiederbelebung erwartet. Falls die Wendung Hpi^tpn ni'3 - Q'H'n überhaupt in irgendeinem Zusammenhang mit Vegetationskulten steht, wird sie hier allenfalls sprichwörtlich gebraucht und verdeutlicht die sehr kurze Zeitspanne, innerhalb der JHWHs rettendes Eingreifen erwartet wird.33

27

S o N O W A C K , 4 3 ; BAUDISSIN, 4 0 4 ; WELLHAUSEN, 1 1 5 f ; ä h n l i c h a u c h SELLIN, 7 0 ; v g l .

schon © , die nach 5 , 1 5 28

„XiyoVTeg" einfugt.

WEISER, 4 3 ; STAMM, 2 6 8 ; ALT, 1 8 4 f ; SCHMIDT, H . , HOS 6 , 1 - 6 , 1 2 2 f ; z u l e t z t JEREMI-

AS, A T D , 84: Hos 6,1—3 „stellt eine Gesamtdeutung der Möglichkeiten und Absichten des Volkes in der Terminologie des Propheten dar." - Eine völlig andere Position vertritt LORETZ, HOS 6 , 1 - 3 , 37—42: Hos 6 , 1 - 3 bestehe aus mehreren Schichten und könne weder dem Propheten selbst zugeschrieben noch als ein Zeugnis für eine baalisierte Volksreligion aus der Zeit des Propheten verstanden werden (42). Für die zeitliche Einordnung läßt er jedoch eine Begründung vermissen. 29

V g l . W O L F F , B K , 1 4 8 ; RUDOLPH, K A T , 1 3 4 ; HENTSCHKE, 8 9 f .

30

G e g e n JEREMIAS, A T D ,

31

Ebd.

32

84.

V g l . BAUDISSIN, 4 0 3 - 4 1 6 ; WEISER, 5 7 ; JEREMIAS, A T D , 8 5 , u . a .

Vgl. BARRII, New Light on the Interpretation of Hosea VI 2, 1 2 9 - 1 4 1 . Er weist nach, daß die Verben MN/ DIP sowohl im Hebräischen als auch im Aramäischen und Akkadischen ein festes Wortpaar bilden. W i e aus akkadischen Texten ersichtlich ist, gehöre das Paar in den Kontext medizinischer Progrosen. Dieser Sitz im Leben erkläre auch die Zeitangabe „nach zwei Tagen/ am dritten Tag". Hos 6,2 beziehe sich deshalb eher auf die Heilung 33

Drohendes Verderben

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D a s V o l k scheint eingesehen z u h a b e n , d a ß es sich v o n J H W H e n t f e r n t hat, u n d zeigt jetzt d e n ernsthaften W i l l e n , zu i h m z u r ü c k z u k e h r e n . D i e schrecklichen G o t t e s m e t a p h e r n h a b e n ihre W i r k u n g o f f e n b a r nicht verfehlt. K i n in 6,1 entspricht d e m betonten v o n 5 , 1 2 + 1 4 . t p u n i m m t das B i l d v o m L ö w e n direkt a u f ; ¡"DJ f ü h r t d e n G e d a n k e n an einen V e r w u n d e t e n o d e r K r a n k e n f o r t (vgl. N u m 1 4 , 1 2 ; l S a m 5 , 6 ) , enthält j e d o c h o h n e d i e s zugleich d a s M o m e n t göttlicher Z ü c h t i g u n g (vgl. J e s 6 0 , 1 0 ; J e r 1 4 , 1 9 ) . A u c h der verhaltene H i n w e i s a u f J H W H als A r z t in 5 , 1 3 b ( « i n u n d Uran 6 , 1 ) w u r d e w a h r g e n o m m e n . D e n zu s u c h e n (tt>pa, m t P 5 , 1 5 ) , hat sich d a s V o l k a u f g e m a c h t (na-lltfai n f ? 6 , 1 e n t s p r i c h t na-lWK 5 , 1 5 ) . S o b e w u ß t Israel hier a u s s p r i c h t , d a ß es J H W H als U r h e b e r seiner W u n d e erkennt, s o zuversichtlich verleiht es der H o f f n u n g A u s d r u c k , d a ß er a u c h wieder heilen wird, u n d zwar b i n n e n k u r z e m . B e i d e s fehlte n o c h in 5 , 1 3 , w e s w e g e n d a s V o l k hart g e t a d e l t w u r d e . Ü b e r r a s c h e n d g r o ß ist plötzlich des Volkes Z u v e r s i c h t , d a s e b e n n o c h seine H o f f n u n g a u f A s s u r u n d die B a a l e setzte. E s v e r k e n n t j e d o c h d e n E r n s t seiner L a g e : D i e S c h u l d vor J H W H n i m m t es nicht wahr. S t a t t dessen m e i n t es, er m ü s s e sich i h m m i t naturgesetzlicher N o t w e n d i g k e i t w i e d e r z u w e n d e n u n d Heil s c h a f f e n ( V 3 ) 3 4 . Allzu sicher ist es sich des g ö t t l i c h e n E r b a r m e n s (^iaa). D a r i n zeigt Israel seinen M a n g e l a n eines Kranken als auf eine Auferstehung vom Tod und wehrt damit ausdrücklich die von (Death and Resurrection, 226-239) vertretene Auffassung ab. Dieser findet in Hos 6,2 die Sprache altorientalischer Vasallenverträge wieder, in denen z.B. das Entmachten eines Königs mit dem Wort „töten" umschrieben werde, auch wenn dessen Leben bewahrt werde. Entsprechend nenne man das Wiedereinsetzen eines Vasallen auf den Thron „raising him from death to life" (233). Auf das Verhältnis JHWs zu Israel angewandt, sei in Hos 6,1-3 von einer „covenantal resurrection" (236ff) die Rede: Hos 6,1-3 drücke die Hoffnung aus, J H W H werde Israel „wieder beleben", indem er den Bund erneuert. Dies bedeute „Auferweckung vom Tod zum Leben", weil dadurch Segen und Fruchtbarkeit wiedergewonnen würden, die gute „Bundes-Beziehungen" voraussetzen. - Eine Bundestheologie, die sich an altorientalischen Vasallenverträgen orientiert, läßt sich bei Hosea jedoch nicht nachweisen, da er das Verhältnis JHWHs zu Israel von der Liebesbeziehung her begreift, die mit dem Exodus begann (vgl. P E R L I T T , 139-152). 34 Wenn das Kommen JHWHs hier mit dem Regen v e r g l i c h e n wird und die Umkehr zu J H W H als Voraussetzung für eine Besserung der Lage gilt, so ist das kein Synkretismus, sondern höchstens ein „Nachhall alter Baallyrik und -mythik" (LORETZ, Hos 6,1-3, 41). Denn dort wird der Regen direkt als Gabe des Wettergottes gefeiert und soll durch eine magische Handlung herbeigeführt werden (vgl. KTU 1.16 III, 1—11; L O R E T Z , 4lf)- Die Naturvergleiche in 6,3 lassen sich durchaus vom JHWH-Glauben her begreifen: "in®, nach KBL, 962, der rötliche Schein, der dem Tagesanbruch vorausgeht, wird auch in Jes 58,8 als Metapher in einer Heilsverheißung gebraucht, in Joel 2,2 steht es für aufsteigende Macht. KV bezeichnet den Sonnenaufgang (Gen 19,23; Jes 13,10; Ps 19,7) und ist zugleich typische Vokabel bei Theophanieschilderungen (Jes 26,21; 42,13; Mi 1,3; Hab 3,13). Daß Regen, der zur rechten Zeit kommt, in Palästina als Zeichen der Gnade Gottes gewertet wurde (Dtn 11,14; 28,12; Ez 34,26; Joel 2,230, m a g niemanden wundern. Von da aus ist es nicht mehr weit zu Metaphern wie in Dtn 32,2; Jes 55,10f oder auch Hos 6,3, die Jahwes Wort bzw. sein Kommen mit dem lebenspendenden Regen vergleichen. WIJNGAARDS

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Exegesen

JHWH-Erkenntnis, wiewohl es im Moment der rrirP n i n ebenso eifrig nachzujagen bereit ist wie einst den Liebhabern (vgl. tpn in 6,3 und 2,9). Es hat noch immer nicht begriffen, daß J H W H sich nicht einfach durch kultische Mittel herbeizitieren läßt, sondern daß er nach den Herzen der Menschen fragt (vgl. 7,14) und die Totalität ihres Lebens beansprucht. Insofern offenbart Israels Lied, das so viel Zuversicht ausdrückt, eine Tragik: Es zeigt den Willen, zu J H W H zurückzukehren, doch das Volk bleibt befangen in einer Religiosität, die sich Gott gefügig machen zu können meint. So ist es unfähig, seine Schuld und damit seine wahre Situation vor J H W H zu erkennen. Entsprechend fällt JHWHs Antwort in 6,4-6 aus.35 Nicht ein Heilswort, wie die Gemeinde wohl erwartet haben mag, wird ihr zugesprochen. Freilich, ein Drohwort ist es auch nicht. Vielmehr spricht zunächst Ratlosigkeit aus der Gottesrede. Des Volkes Wille, zu J H W H zurückzukehren, in dem sich 10 n zu seinem Gott kundtut, wird anerkannt. Aber dieser 10 n ist ohne Bestand, zu flüchtig, als daß er das Leben und das Gottesverhältnis spürbar erneuern könnte. J H W H aber besteht auf der Wiederherstellung seiner Lebensordnung (üö^ö V5). Darum steht am Ende keine Drohung und keine Verheißung, sondern JHWHs erneute, klare Willenskundgabe: Nicht kultische Aktivitäten erwartet er, sondern Hingabe und Gotteserkenntnis. Dieser Gott möchte personale Gemeinschaft mit den Seinen; Opfer und Riten allein genügen ihm nicht. Die Gottesmetaphern von 5,12—14 sind hier endgültig verlassen, werden auch nicht durch neue ersetzt. Dennoch zieht sich J H W H nicht ins Schweigen zurück, sondern er spricht sich in einer menschlichen Weise aus: Ein Gott der sich bekümmert fragt, was er noch tun soll, damit sein Volk ihn erkenne. Ein Gott, der dabei nichts von seiner Souveränität und Unverfügbarkeit preisgibt.

2.2. Die d u m m e Taube und der Vogelsteller (Hos 7, 11-12) 2.2.1. Der Text 7,11

35

Ephraim wurde wie eine Taube, leicht zu verfuhren, ohne Verstand; Ägypten riefen sie,tt)

Es entspricht liturgischer Tradition, daß dem Volk bzw. einem einzelnen Beter auf seine Klage hin durch einen Priester, Propheten oder sonstigen Bevollmächtigten J H W H s ein göttliches Heilswort zugesprochen wurde. Ps 85 gibt davon ein schönes Zeugnis (vgl. auch Joel 2,l6+18ff; Hab 1,12-17 + 2,1-3; s. GUNKEL, 136f). Bezeichnenderweise aber ist Hos 6,1-3 formal gar kein Gebet und auch kein Klagelied, obwohl es in VI Elemente der Klage enthält. Und der Gottesbescheid in 6,4-6 ist alles andere als ein Heilswort.

Drohendes Verderben

7,12

165

nach Assur gingen sie. Sobald sie gehen, spanne ich mein Netz gegen sie aus, wie Vögel des Himmels hole ich sie herunter; ich fange sie, sobald man ihren Schwärm hört.h)

a) Die Pausaform 1JOJ5 steht wohl um des Gleichklangs mit

n willen; vgl.

RUDOLPH, KAT, 151.

b) Sowohl SW als auch die übrige Überlieferung (vgl. © iraxÖEuaw, caedam) verstehen DIO'K als eine Form von „züchtigen". Da das Verb im Hi. sonst nicht belegt ist, lesen manche Pi. DTD.'K (vgl. G.-K. § 70b; WOLFF, BK, 136). Der Sinn der beiden folgenden Worte bleibt dann dunkel: Wie soll man 9W verstehen? Vgl. „secundum auditionem coetus eorum" und Luther (1984 rev.) „Ich will sie strafen, wie es ihrer Gemeinde verkündet ist." - Wieso übersetzt © „ev ifj äicofj Tfjg öAtyecoe auroüv"? Man hat vermutet, sie setze OLJJN1?voraus (vgl. BH). So WOLFF: „Ich züchtige sie entsprechend der Kunde von ihrer Bosheit." (BK, 133. 136) Eher hat sie wohl NNTV1? gelesen (WILLI-PLEIN, l60f). Wie auch immer, WELLHAUSEN sagt mit einem gewissen Recht: „Die letzten drei Worte sind unverständlich."(119). - Die Schwierigkeiten lassen sich jedoch lösen, wenn man rny wie in Ri 14,8 (dort für Bienen) als „Schwärm" versteht und damit in V12b die Vogelsteller-) Metapher fortgesetzt findet. Dann kann man freilich mo'N schwerlich von n o herleiten. Manche Ausleger vermuten eine Metathesis von i und 0 und lesen OTPHI (von HD Hi. „entfernen, wegschaffen"; so u.a. BH und WILLI-PLEIN, 160). Leichter ist es j e d o c h , m i t B H S , KINET, 3 3 7 , A n m . 138, RUDOLPH, JEREMIAS, WEISER u.a. DTD IN = NIVNN (nach N"B, vgl. G K a , § 68g, v o n "ION „fangen")

anzunehmen, zumal "ION und IDi öfter miteinander verwechselt wurden (vgl. Hos 10,10; Ps 105,22). vnu/3 wird als Inf. es. 3; NUR3 (BHS; JEREMIAS) oder Part. JRNT ' TTE (RUDOLPH,

KAT, 151: „wie der, der auf ihre Schar horcht") vokalisiert. Da Njaiü jedoch auch „das Hören" bedeutet (vgl. Ps 18,45; Hi 42,5), kann es m.E. ebensogut bei 9W bleiben.

2.2.2. Der Spruch im Rahmen der Komposition Schon im vorangehenden Spruch Hos 7,8f (V10 ist interpretierende Ergänzung) ging es um Ephraims Vermengung unter die Völker, so daß 7,8—12 eine thematische Einheit bilden. Während in 7,3-7 die Königsmorde und schlimmen Verhältnisse bei Hofe angeprangert worden waren, hatte 6,7 — 7,2 das von Betrug, Bosheit und Gewalt gekennzeichnete Leben im ganzen Lande zum Thema. In alledem zeigt sich auf jeder der drei Ebenen — Außenpolitik, Innenpolitik, gesellschaftliches Leben - Israels Treulosigkeit und Auflehnung gegen seinen Gott (vgl. 6,7: 11J3 und 7,13: U lSlffS). Alle Bosheit richtet sich letztlich gegen ihn (vgl. njjn in 7,1.2.3 und sn in 7,15: „... gegen mich ersinnen sie Böses."). Die genannten Verfehlungen sind Aus-

166

Exegesen

druck der Trennung von JHWH: 7,7 „... keiner unter ihnen rief mich an." und 7,14 „... und sie schreien nicht zu mir in ihrem Herzen!" Wie allein diese wenigen Beobachtungen zeigen, wird in 7,13-16 inhaltlich mehrfach auf das Vorangehende zurückgegriffen. Der Spruch ist demnach nicht isoliert zu betrachten, steht jedoch auf einer anderen Ebene als die drei vorhergehenden (6,7-7,2; 7,3-7; 7,8-12). Er faßt in einer eher grundsätzlichen Weise zusammen, was zuvor anhand konkreter Mißstände über Israels zerbrochenes Gottesverhältnis gesagt worden war: 7.13

7.14

7.15 7.16

Weh ihnen, daß sie vor mir flohen; Verwüstung ihnen, weil sie sich gegen mich auflehnten. Ich bin es doch, der sie (immer wieder) befreit,a) sie aber redeten Lügen gegen mich. Und sie schrieen ja nicht zu mir in ihrem Herzen, wenn sie heulen b) auf ihren Lagerstätten, um Weizen und Most sich wundritzen!c) Störrischd) sind sie gegen mich. Dabei bin ich es doch, der ihre Arme stärkte,'* aber gegen mich ersinnen sie Böses. Sie wenden sich zum „Nicht-Erhabenen ". $ Wie ein tückisch-schlaffer Bogen sind sie geworden. Ihre Oberen werden durch das Schwert fallen wegen der Verwünschung ihrer Zunge** (das ist ihr gotteslästerliches Reden)h) - im Lande Ägypten.

a) Andere übersetzen als Frage: „Und ich, ich soll sie loskaufen?" ( W O L F F , J E als Impf, de conatu: „Wollte ich sie befreien, so redeten sie Lügen wider mich." (KAT 150. 151f). b) Zur Form s. GKa, § 70d. REMIAS); R U D O L P H

c) Mit ® (KarerepvovTo) m a n ? ; s. BHS. d) Lies mit @ und !£:

N'D'

(plene

NIOJ;

von

"HD

„widerspenstig sein"); siehe

B H S , R U D O L P H , JEREMIAS.

e) Da *rn 01! noch in ® fehlt, scheint es später hinzugefügt worden zu sein (mit 162; BHS). Anders JEREMIAS und R U D O L P H , die statt dessen das zweite Verb als Zufugung betrachten. f) Von all den verschiedenen Konjekturvorschlägen leuchtet JEREMIAS' Erklärung (ATD 91) am ehesten ein: bv ist wie in 11,7 Bezeichnung für den „Hohen/ Höchsten" (vgl. KBL3 III, 780) und meint Baal. Die Überlieferung hat ihn durch Metathesis von N und V zum „Nicht-Hohen", d.h. zugleich „Nichts" degradiert, wodurch die Präposition verlorenging. Demnach könnte © „ElC oüöev" durchaus 9W voraussetzen. WOLFF, WILLI-PLEIN,

g) V g l . WILLI-PLEIN, 1 6 3 ; K B L 3 .

h) n^sb it (von JV1? „Spott, freche, gotteslästerliche Rede", vgl. GesB) ist vermutlich ein erläuternder Zusatz; vgl. JEREMIAS, ATD, 92.

167

Drohendes Verderben

Wie in 6,4—6 gibt J H W H zu erkennen, wie er selbst betroffen ist von Israels Verhalten. Doch nicht mehr ratlos klingt seine Rede, sondern zornig. Zumindest für die Sprüche in 7,3—7 und 7,8—12 läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie wie 5,8ff in die Zeit um 733 zu datieren sind. Vermutlich gehört die gesamte Komposition bis 7,16 in diese Zeit. Man kann den Bogen bis 5,8 zurückschlagen und erhält dann zwei parallel strukturierte Teile, deren Angelpunkt 6,6 bildet.36 7,13-16 bedeutet insofern eine Steigerung gegenüber 6,4—6, als jetzt nichts mehr zu Israels Gunsten gesagt werden kann. Nicht einmal mehr ein Schimmer von Hingabe ist zu finden (wie noch in 6,1-3.4), sondern J H W H kann nur noch ein alles durchdringendes „gegen mich" (allein 5mal in 7,13-16 und zum Auftakt in 6,7) beklagen; „weg von mir"0/ 13a) streben „sie". Israel wird nicht mehr beim Namen genannt, geschweige denn angeredet, sondern lediglich mit dem distanzierten Pronomen der 3. P. PI. bezeichnet. Die Kluft, die sie von J H W H trennt, ist unüberbrückbar geworden. 2.2.3. Die Metaphern in Hos

7,11-12

Einen Ausschnitt aus diesem dunklen Bild zeigen die Metaphern in 7,11 f. J H W H ist der Sprecher. Die Taube dient hier in einer ungewöhnlichen Weise als Vergleich: r u f begegnet häufig in der Liebeslyrik. Kosename für die Geliebte wird sie in C a n t 2 , 1 4 ; 5>2; 6,9, an den beiden letzgenannten Stellen neben ' n i a n (von nn „rein, integer"). Wenn in C a n t 5,12 die Augen des geliebten Freundes „wie Tauben an den Wasserbächen" erscheinen, wird die Taube als Liebesbotin verstanden. 3 7 Sie gilt als friedlicher Vogel, redlich u n d zuverlässig. M a n sagt, ein Taubenweibchen bleibe seinem Täuberich in treuer Einehe verbunden. 3 8 - DALMAN zitiert ein Schlummerlied, in d e m das K i n d als Taube gesehen wird. 3 9 - N e b e n Liebe und Zärtlichkeit ist die Klage ein Bereich, in d e m die Taube bzw. ihr Gurren als Metapher begegnet ist (Jes 3 8 , 1 4 im Lied des Hiskia; Jes 59,11 in der Volksklage; vgl. N a h 2,8; Ez 7 , 1 6 ) . - D a ß Tauben weit und auch relativ schnell fliegen können, spielt für die Metaphorik in Ps 55,7 und Jes 6 0 , 8 eine Rolle. Für die Jesajastelle ist außerdem die Instinktsicherheit dieser Vögel bedeutsam, die sie aus der Fremde zurückfinden läßt in den heimatlichen Schlag (vgl. H o s 11,11 und "lin in Jer 8,7). 4 0

In Hos 7,11 gebietet der Kontext, den Implikationszusammenhang in völlig anderer Weise zu konstruieren. Diese Taube ist weder eine Liebesbotin noch die zärtlich Geliebte, sie findet gerade nicht zielsicher nach Hause und bietet 36

V g l . b e s o n d e r s JEREMIAS, A T D , 7 9 f . 9 2 .

37

Vgl. KEEL, Blicke, 53-62. 142-152 Abb. 36-55.

38

V g l . DALMAN, A U S V I I ,

262-265.

Ebd., 262: „Schlafe, o bei Gott, o mein Kindchen, schlafe im kleinen Taubenschlag." (neben anderen Schlummerliedern). 39

40

Z u m G a n z e n v g l . v. S O D E N / B O T T E R W E C K , T h W A T I I I ,

586-594.

168

Exegesen

auch nicht ein Bild der Klage, nniü ist sie, einfältig-naiv, leicht verleitbar und darum töricht. 41 Im Sekundärgegenstand hat dies seinen Anhaltspunkt darin, daß Tauben relativ leicht zu fangen sind.42 Dieser Aspekt, der bei den anderen Taubenmetaphern für den Implikationszusammenhang kaum eine Rolle spielte, wird hier dominant, a1? verstärkt ihn noch. Das „Herz", im Alten Testament ein anthropologischer Hauptbegriff, ist der Ort, wo Gefühle leben, wo Einsicht gewonnen wird, wo Entscheidungen getroffen werden. Gemeint ist das Zentrum bzw. Wesen der Persönlichkeit.43 Wird einem Lebewesen diese Mitte abgesprochen, so kann man das nur als Inbegriff der Selbstentfremdung verstehen. „Ohne Herz" meint hier, ohne Verstand und Willen zu sein, nicht zu begreifen, was in der gegenwärtigen Lage hilfreich und nützlich ist, sondern orientierungslos zwischen den Großmächten hinund herzuflattern. Ägypten war in 5,12-14 nicht genannt worden. Sicherlich ist die antiassyrische Koalition, in der König Pekach während des syrisch-ephraimitischen Krieges auf die Unterstützung Ägyptens hoffte, im Blick. Weder diese Partei noch die des Gegenspielers und Nachfolgers Hosea ben Ela hat J H W H auf ihrer Seite; beide repräsentieren das törichte Volk, das sinnlos in sein Verderben läuft. Daß die Taube sonst als Inbegriff der Treue gilt und sich mit bewunderswerter Sicherheit zu orientieren vermag, kann die Wirkung der Metapher in Hos 7,11 nur steigern: Dieser dumme Vogel ist völlig aus der Art geschlagen. Der Sekundärgegenstand erlaubt es jedoch, die Taube so wie hier zu sehen: Es ist leicht, sich das ziellos umherflatternde, leicht zu lockende und zu fangende Tier vorzustellen. Mit VI 2 wird das Bild leicht modifiziert, insofern statt eines einzelnen Vogels ein ganzer Schwärm erscheint. Dennoch wirkt das Vorhergehende weiter: Ägypten und Assur sind noch präsent, werden aber in keiner Weise aktiv. Stumm und teilnahmslos stehen sie im Hintergrund. Ephraim, zuvor Alleindarsteller in der Rolle der Taube, bekommt es jetzt mit J H W H als Vogelsteller zu tun. rHth meint im Unterschied zu dem fallenartigen Klappnetz (nü)44 entweder ein auf dem Boden ausgebreites Netz, in dem sich Tiere 41

Vgl. SAEBO, Art. nnü, THAT II, 4 9 5 ^ 9 8 . Vgl. DALMAN, A U S VII, 256FF, bes, 2 6 1 , wo beschrieben wird, wie wilde Tauben ohne große Mühe eingefangen werden. Folgendes Beispiel mag das rmiü illustrieren: „In Aleppo stellte man einen Käfig ... auf das Dach und streute im November Futter hinein, um sie in der draußen futterlosen Zeit anzulocken. Ein Mann schwang dann in einer Hand drehend ein langstieliges Netz, ähnlich unseren Schmetterlingsnetzen, hielt in der anderen Hand eine zahme Taube und pfiff zischend, um fliegende Tauben aufmerksam zu machen. Sie fliegen nun im Kreise und lassen sich schließlich nieder, so daß man sie allmählich zu den Taubenlöchern des Hauses treiben kann und die abirrenden zurückjagen." 43 Vgl. STOLZ, Art. a ^ . T H A T I, 861-867; W O L F F , Anthropologie, 46-62. Vom „Herzen" eines Tieres wird in Hi 41,16 (Leviatan) und in 2Sam 17,10 („der ein Herz hat wie ein Löwe" als Vergleich für mutige Krieger) gesprochen. An manchen Stellen bezeichnet ab einfach die Mitte, das Innere, z.B. des Meeres (Exl5,8; Ez 27,4.25-27; Jona 2,4; Ps 46,3; Prv 23,34) oder des Himmels (Dtn 4,11). 42

Drohendes Verderben

169

mit den Füßen verfangen (vgl. Ps 9,16; 25,15; vgl. Hos 5,1; in Ez 19,8 zum Löwenfang), oder ein Zugnetz (vgl. Ps 10,9), dessen Funktionsweise KEEL folgendermaßen beschreibt: „Das Netz wurde ... in einer Lücke in einem sonst mit dichter Vegetation bestandenen Gelände aufgestellt. Oft schirmte eine zusätzlich aus Schilf und Papyrus errichtete Wand die Fänger vor dem Blick der Vögel. Hinter dieser Wand lauerte der Anführer des Unternehmens. Sobald sich eine Menge Vögel, vom Köder angelockt, zwischen den beiden Flügeln des Netzes niedergelassen hatte, gab er seinen weiter abseits stehenden Kollegen ein Zeichen, und diese begannen kräftig zu ziehen."45 Wie man sich das Netz in Hos 7,12 genau vorzustellen hat, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Falls es sich um ein solches Zugnetz handelt, ergibt der Text einen guten Sinn: Tiun nrr'yy fcniüK meint dann das Aufstellen des Netzes, und bv müßte mit „gegen" übersetzt werden. Mittels des Köders werden die Vögel „vom Himmel heruntergeholt". Der Vogelsteller „hört", wenn sich eine Schar niedergelassen hat, und „fängt sie ein", indem er das Netz zuzieht. Das Verderben bricht über sie herein in einem Moment, da sie sich nicht in Gefahr wähnen, und der Feind lauert gerade dort, wo sie ihn nicht vermuten. In den Psalmen vergleichen sich die Beter manchmal mit hilflosen Vögeln (Ps 11,1; 102,8; 124,7). Es sind die Feinde, die hinterhältig Netze aufstellen (Ps 10,9; 31,5; 35,7; 57,7; 140,6) und J H W H befreit aus dieser Todesgefahr (Ps 25,15; 31,5). In Thr 1,13 freilich empfindet der Beter, daß J H W H selbst ein Netz gegen ihn ausgebreitet hat (vgl. Ez 12,13; 17,20; 32,3).

Die Klage über die dumme Taube, die nicht weiß, wohin sie gehört (VI 1), geht mit V12 in eine handfeste Drohung über: J H W H selbst ist der Feind (vgl. 5,12-14). Er läßt die Israeliten nicht entkommen. Im Gericht hält er an seinem Volk fest. Die Vogelmetapher wirkt in 7,13 zunächst noch weiter, da öfter für wegflatternde Vögel gebraucht wird (Jes 16,2; Jer 4,25; Ps 55,7f)- Das Verb bindet auf diese Weise VI 3 - 1 6 eng mit dem vorhergehenden Spruch zusammen. Dadurch daß man 113 ebensogut von Menschen oder Völkern sagen kann (Jes 10,31; Ps 68,13; vgl. Hos 9,17), ohne eine metaphorische Spannung zu empfinden, führt es zugleich aus der Metaphorik heraus. Als Vogelsteller jedoch erscheint J H W H schon zu Beginn von V I 3 nicht mehr, denn sonst wäre es sinnlos zu sagen, daß „sie" vor ihm flüchten und gegen ihn freveln. Somit umschließt die Metapher, die Ephraim im Bild der Vögel zeigt, die Vorstellung von J H W H als dem Vogelsteller; die JHWH-Meta44 A m 3,5; vgl. Hos 5,1; 9,8; ferner die Abbildungen in B H H III, 2 1 1 1 , und bei KEEL, Bildsymbolik, 80. Hier ist auch die Funktionsweise des Klappnetzes beschrieben. 45 KEEL, Bildsymbolik, 80f. Vgl. DALMAN, AUS VI, 3 2 3 f (Netz); 3 3 5 - 3 4 1 (Arbeitsweise des Vogelstellers). Das von KEEL beschriebene Zugnetz bezeichnet DALMAN als Klappnetz (ebd., 3 3 6 f ) .

170

Exegesen

pher wird später eingeführt und eher aufgelöst als jene. Dies bietet Schutz gegen die Gefahr, sich den Gott Israels auch außerhalb dieses spezifischen Kontextes als Vogelsteller vorzustellen. Wieder fällt die außerordentliche Vorsicht auf, mit der Hosea dafür sorgt, daß es nahezu unmöglich ist, J H W H auf eines der verwendeten Sprachbilder zu fixieren.

2.3. Der Hirte wird z u m Raubtier ( H o s 1 3 , 4 - 8 ) 2.3.1. Der Text

13.4

13.5 13.6 13.7 13.8

Ich bin JHWH, dein Gott, vom Lande Ägypten her. Einen Gott neben mir kennst du nicht, und Retter gibt es keinen außer mir. Ich, ich habe dich geweidet a) in der Wüste, im ausgedörrten Lande. Als sie so weideten, b) wurden sie satt. Satt geworden, überhob sich ihr Herz. Darum haben sie mich vergessen. Da wurde ich ihnen gleichwie ein Löwe, wie ein Panther lauere c) ich am Wege. Ich falle sie an wie eine Bärin, die ihrer Jungen beraubt und zerreiße den Verschluß ihres Herzens. So werden sie dort ein Fraßjiir die Hunde, d) die wilden Tiere zerfetzen sie.

wurde,

a) Wegen V6a ist mit ® und ® ^ W i zu lesen (s.BHS). 3Jt erklärt sich leicht als Verschreibung ("l zu Dittographie des '), die durch j n n V4b beeinflußt wurde. b) Wörtlich: „Entsprechend ihrem Weiden ...", von rvin W . c) Von nty II „blicken, schauen" (vgl. 14,9), hier im Sinne von „auflauern" (vgl. Jer 5,26). 9W als lectio difficilior ist der ©-Lesart UteN ('Aacrupitov) vorzuziehen. d) © „Kai KaTacpöcYOVTca airrouc ekei (TKUpvoi SpupoO" und das parallele Glied in V8bß weisen auf ein von JHWH (l.ESg.) verschiedenes pluralisches Subjekt. Wahrscheinlich ist m ^ g j i z u lesen. aKupvoc; könnte durchaus KD1? (vgl. 9W) voraussetzen (wie Joel 1,6; Gen 49,9; Num 23,24; 24,9), und öpupoß ist vielleicht als Parallele zu rtTiv ergänzt worden (vgl. Willi-Plein, 223f). 3 wäre dann von © unterschlagen worden, um zu einer sinnvollen Aussage zu gelangen. Andere Versuche, die ©-Vorlage zu rekonstruieren, sind bei Harper, 392, aufgeführt. Die seit Duhm fast durchgängig akzeptierte Änderung des Konsonantentextes von K'aba in B'3^3 ist nicht unbedingt notwendig, wenn man den aramäischen pl. determinatus IOA'PA liest (vgl. Labuschagne, Similes, 65f). Dies ist als sprachliche Eigentümlichkeit des Nordreiches erklärbar, die später nicht mehr verstanden wurde

Drohendes Verderben

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(vgl. © ) . Vielmehr las man unter d e m Einfluß von V 7 . 8 a K'nb plus 3, wodurch freilich die Verbform (3.P.P1.) nicht mehr stimmte. Sie wurde später entsprechend angeglichen (vgl. 3W). D e m n a c h lautet der vermutete ursprüngliche Konsonantentext: K i a ^ a tau; m b a i o .

2.3.2. Kontext und geschichtliche Situation „Schuld zum Tode" ist das Thema von Hos 13,1 - 14,1, das in verschiedenen Variationen durchgeführt wird.46 BttrK 13,1; 14,1 rahmt die Einheit, zunächst in der Bedeutung „sich verschulden", in 14,1 meint es „die Schuld büßen". Von Kun ist die Rede ( 1 3 , 2 . 1 2 ) und von ( V 1 2 ) . D i e S ü n d e wird beschrieben als Götzendienst ( 1 3 , l f ) , als H o c h m u t , JHWH-Vergessenheit (V6) u n d Widerspenstigkeit gegen J H W H (14,1), schließlich im Bild des ungeborenen Kindes, das törichterweise die Geburtswehen nicht nutzt, u m den Mutterschoß zu durchbrechen (13,13). Implizit wird auch das falsche Vertrauen auf politische Kräfte wieder thematisiert (vgl. 1 3 , 1 0 0 - Dies alles wird zu einem Bündel „verschnürter S c h u l d " (13,12) und m u ß den T o d zur Folge haben: m » begegnet schon in 13,1, in V 1 4 wieder; V7f, 15 und 14,1 schildern das schreckliche Geschick mit anderen Worten (vgl. auch V 9 nnttr).

Mit 13,4-8 rückt die besondere Beziehung JHWHs zu diesem Volk ins Blickfeld: Gegen das Vertrauen auf Götzen ( V i f ) und politische Führer (V9-11) wird betont, daß es keinen Retter außer ihm gibt. Allein mit seinem Gott hat Ephraim es zu tun - im Guten wie im Schlimmen. Die Komposition gehört vermutlich in Hoseas Spätzeit, als die Belagerung Samarias bereits begonnen hatte und ihr Todeskampf bevorstand (14,1). Es scheint die Zeit zu sein, von der 2Kön 17,4fberichtet: DieAssyrer hatten den letzten israelitischen König, Hosea ben Ela, gefangen genommen und waren im Begriff, nun auch dem kläglichen Rest des ehemaligen Nordreiches Israel ein Ende zu bereiten.47 2.3.3. Der geschichtliche Gott im Gegensatz zu den toten Statuen Gleich einem Film zeigt Hos 13,4—8 nacheinander verschiedene Bilder, die mit rein verbalen Aussagen korrespondieren. Es beginnt mit einer verbalen Selbstvorstellung JHWHs (vgl. 12,10): „ICH bin JHWH, dein Gott ..., und einen Gott neben mir kennst du nicht ..." Exklusiv ist die Bindung dieses Volkes an seinen Gott, auch wenn es das nicht wahrhaben will und 46 Vgl. JEREMIAS, ATD, 160f. Wenn man V14 als Verheißung auffaßt ( « , SELLIN, WEISER, KINET, 196f u.a.; vgl. Paulus in IKor 15,55), dann müßte man in V12 eine neue Einheit beginnen lassen. Doch auch dann fugt sich VI 4 als Heilswort („Aus der Hand der Unterwelt will ich sie befreien, vom Tode will ich sie erlösen...") schwer in den Zusammen-

h a n g e i n , s o d a ß m a n i h n b e s s e r m i t W E L L H A U S E N , R U D O L P H , W O L F F , JEREMIAS u . a . a l s

eine rhetorische Frage ohne Fragepartikel interpretiert (vgl. GKa, § 150,1). 47

V g l . W O L F F , B K , 2 9 1 ; JEREMIAS, A T D ,

161.

172

Exegesen

Bilder von Götzen neben ihm verehrt. Dieser Ausschließlichkeitsanspruch, verbunden mit JHWHs klassischer Selbstvorstellung, wird später zum 1. Gebot des Dekalogs.48 Hier aber erscheint er weniger als Forderung denn als schlichte Feststellung: Es gibt einfach nichts und niemanden sonst, der sich in Israels Geschichte als Retter und als Gott erwiesen hätte. ,Ägypten" heißt das Stichwort, mit dem Bilder von Bedrückung und wunderbarer Befreiung, von einem Dasein im Schatten des Todes und dem hoffnungsvollen Aufbruch in eine neue Existenz wachgerufen werden. Daß dieses Geschehen unlöslich mit dem Namen JHWHs verbunden ist und daß es Rettung bedeutete, wurde in Israel nie ernsthaft bestritten. J7tttt Hi. gehört nicht zu den Verben, die den Auszug aus Ägypten beschreiben (vgl. Ex 3,7-10; 6,6—8). Es wird aber für die Rettung vor der Gewalt des ägyptischen Heeres, die Israel am Schilfmeer erlebt hat, gebraucht (Ex 14,13.30; vgl. Ex 15,2; Ps 106,8.10), steht also für JHWHs Hilfe in der Bedrängnis, weniger für die von ihm ermöglichte Flucht aus der notvollen Situation.49 „hösia ist der häufigste soteriologische terminus in religiösen Kontexten, dagegen der seltenste in der täglichen Umgangssprache ... Das Subjekt von hösia ist fast ohne Ausnahme JHWH, oder sein ernannter Stellvertreter ..."50 Bei den Propheten des 8.Jh. begegnet die Wurzel selten, außer in Mi 7,7 nur noch bei Hosea (13,8.1.0 und die vermutlich nach-hoseanischen Stellen 1,7; 14,4). Dagegen entstammen 85% aller Belege den Psalmen und exilischen Kompositionen. Daß von JHWH allein njnttft zu erwarten ist, wird mehrfach betont (Jes 43,11; 45,21; vgl. Jes 45,20; 46,7; 47,13; Jer 2,27f; 11,12). Durch xntffin wird D'n^N inhaltlich qualifiziert. In Entsprechung zur geschichtlichen Erfahrung, die durch Dn^U yi.Nö vergegenwärtigt wird, definieren sich die Begriffe gegenseitig. Für Hosea ist bzw. D'n^N das einzige Nomen, mit dem er J H W H in direkten Identitätsaussagen zu benennen wagt, und er gebraucht es nur fiir JHWH. Dabei wird es in jedem Fall noch einmal näher bestimmt - durch ttnK'K1? in 11,8f, jnunn in 13,4 sowie D1» T r ö yn K ö in 12,10; 13,4; vgl. 11,1. Was und vor allem wen der Prophet meint, wenn er „Gott" sagt, ist eindeutig und für alle Israeliten verstehbar. Zweifellos, sie kennen (VT) ihn, denn von diesem Gott wissen sie eine Geschichte zu erzählen. Und es ist ihre eigene, nicht eine x-beliebige Geschich48 JEREMIAS, ATD, 163, weist daraufhin, daß Hos 13,4 zusammen mit 1 2 , 1 0 das älteste datierbare Zeugnis im AT für diese Verbindung ist, wobei nicht zu entscheiden sei, ob sie von Hosea geschaffen wurde oder ihm schon vorgegeben war. - Vgl. dagegen VOLLMER, 68f, der Hos 13,4 als späteren Zusatz versteht, da er als Zusage zwischen den beiden Drohworten keinen Platz habe und V 4 b die Sprache Deuterojesajas spreche. — Wegen 1 2 , 1 0 wird man dem Propheten 13,4a kaum absprechen können. Auch V 4 b fugt sich gut in hoseanisches Denken ein, man vergleiche nur Kap 1 - 3 ! Zwar nennt Hosea den Gott Israels nur hier V'ttn», doch dies allein ist kein Grund, den Vers als Glosse zu betrachten. 49 Vgl. SAWYER, ThWAT III, 1 0 4 5 . 50 Ebd., 1040.

Drohendes Verderben

173

te, in der er sich ihnen offenbart und vertraut gemacht hat. 51 D'n^N r u n (vgl. 4,1.6; 6,6) bedeutet somit wesentlich, J H W H in Vergangenheit und Gegenwart zu erkennen als den Gott des Exodus, der Hilfe und Heil schaßt. Unbegreiflich, weshalb Israel gerade dies immer wieder nicht wahrnimmt oder nicht wahrhaben will (vgl. 2 , 1 0 ; 11,3). Hier wird deutlich, daß der von Hosea oft beklagte Mangel an Gotteserkenntnis aus Ignoranz erwächst und schwerer wiegt als intellektuelles Nicht-Wissen. Ohne das Erinnern der geschichtlichen Erfahrungen, das ein intellektuelles Bewußtwerden einschließt, ist er freilich nicht zu beheben. 52 Ein Charakteristikum des nordisraelitischen Staatskultes in Bethel (und Dan? Vgl. lKön 12,29) war die JHWH-Verehrung an einem Stierbild. 53 Laut lKön 12,28 gehört zu dem Bild die orthodoxe Kultformel „Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland heraufgefiihrt hat." (vgl. Ex 32,4; Neh 9,18). Falls die bei Dothan gefundene Jungstier-Figur aus der EZ I54 zu einem israelitischen Heiligtum gehört, hätte Jerobeam mit seinen Kultbildern an alte Traditionen des JHWH-Glaubens angeknüft. Vermutlich war der Stier nicht als JHWH-Bild, sondern als Postament des unsichtbar darauf thronenden J H W H gedacht. Nicht einmal Elia oder Arnos scheinen daran Anstoß genommen zu haben. Hosea jedoch wendet sich in scharfer Form gegen den Stierkult (8,5f; 10,4-8; 1 3 , l f ) . Es ist zum einen die durch solche Verehrung provozierte Verwechslung bzw. Verwechselbarkeit von Gott und Bild, die ihn in seinen Augen verwerflich macht: „Menschen küssen Kälber!" (13,2) — welch eine Verirrung! Zum anderen kann der Stier auch El oder Baal repräsentieren. 55 Das bedeutet: Der im Stierbild verehrte Exodusgott wird mit den „Baalim" verwechselbar. Durch Israels Gottesdienste, insbesondere den Stierkult ( 1 3 , l f ; vgl. 8,5f; 10,4—8), war J H W H unkenntlich geworden. Dennoch gelingt es in 13,4, die Identität J H W H s aufs neue klarzustellen. Möglich wird dies aufgrund jener Vertrautheit Israels mit seinem Gott, die dem Volk aus der Geschichte mit ihm erwachsen ist und die aller irregeleiteten Gottesverehrung und JHWH-Vergessenheit vorausliegt. Mag sie verloren gegangen oder verschüttet sein, geschichtliche Erinnerung hilft, sie zurückzugewinnen.

51 Vgl. JEREMIAS, ATD, 163: „... von ,Gott' spricht Hosea also im inhaltlich gefüllten Sinn des Retters, von .kennen' im ebenso gefüllten Sinn geschichtlicher Erfahrung ..." 52 Vgl. dazu KÖCKERT, Verbindliches Reden (zu Hos 13,4 vgl. bes. S. 1 1 8 f ) ; WOLFF, Wissen um Gott, 1 8 2 - 2 0 5 . 53

Vgl.

KÖCKERT, V e r b i n d l i c h e s R e d e n ; UTZSCHNEIDER, 8 8 - 1 0 4 ;

KEEL/UEHLINGER, 1 3 4 . 2 1 5 - 2 2 0 ; RINGGREN, A r t . ^ » . T h W A T V ,

Albertz,

220-226;

1056-1061;

SCHROER,

Bilder, 8 4 - 1 0 4 . 54

V g l . KEEL/UEHLINGER, 1 3 4 ; ALBERTZ, 2 2 1 ; KÖCKERT, Verbindliches Reden, 105fF.

Zumindest für Bethel läßt sich annehmen, daß dort ursprünglich El im Stierbild verehrt wurde (KEEL/UEHLINGER, 2 1 9 . 3 1 8 ; ALBERTZ, 223, u.a.). Als Symbol für den Wettergott ist der Stier darüber hinaus auch mit Baal verbunden (vgl. KEEL/UEHLINGER, 134; 55

RINGGREN, T H W A T V , 1 0 5 7 ; ALBERTZ, 2 2 2 ) .

174

Exegesen

Vergegenwärtigte Geschichtserfahrung'mHos 13,4 wehrt zunächst der Verwechslung JHWHs mit den „Baalen",56 denn mit Baal oder dem kanaanäischen El hat Israel keine Geschichte. Zugleich ist es ein Mittel gegen den Versuch, JHWHs Nähe in tote Statuen zu bannen. Doch hier könnten Israeliten einwenden, daß sie mit ihrem Stierbild ja auch nichts anderes wollten, als diese Erfahrung festzuhalten: „Dies ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland gefuhrt hat." Erinnern allein fuhrt noch nicht automatisch zur rechten Gotteserkenntnis; die Verwechslung von Gott und Bild wird dadurch nicht ausgeschlossen. In Hos 13,4—8 kommen darum zwei weitere Momente hinzu, mit deren Hilfe JHWHs wahre Identität kenntlich wird: An die Stelle der unpersönlichen Kultformel tritt Gottes direkte Anrede. „Ich bin JHWH, dein Gott ..." - ein Gott, der dem Menschen nahekommt, indem er ihn anspricht. Schließlich werden Gottesmetaphern vor Augen gestellt, die im Gegensatz zu den starren hölzernen bzw. metallenen Gottesbildern als außerordentlich „bewegte" Bilder erscheinen. Sie zeigen und deuten die z.T. widersprüchlichen Erfahrungen Israels in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (!) als Begegnungen mit JHWH. Dabei wird deutlich: Der Gott, der hier begegnet, paßt nicht in unbewegliche Statuen. Sprache, Bild und Erfahrung gehen hierbei eine unlösliche Verbindung ein: Erlebte und im Medium der Sprache gedeutete Geschichte (nnsrtt yiKtt) fuhrt zur Vertrautheit (sni) mit Gott. Diese bildet die Voraussetzung dafür, die Gottesmetaphern recht verstehen zu können. Zugleich deuten diese wiederum die erlebte Geschichte, und in alledem kommt J H W H seinem Volk nahe. Das Bild als Medium spielt dabei sowohl für die Metaphern als auch für die Erinnerungen eine Rolle. 2.3.4. JHWH als Hirte Nach den Bildern vom Auszug, die J H W H als Retter erkennen ließen, wechselt die Szene (V5): Wüstenlandschaft, von der Sonne ausgedörrte Erde. niaK^n begegnet nur hier. Es wird von einem im AT nicht belegten 3Kb abgeleitet, das mit an"? („verbrennen, lodern, aufflammen") verwandt ist und in dessen Bedeutung vom Akkadischen und Arabischen her „erschlaffen, strapazieren" mitschwingen könnte.57 Man hat sich eine Gegend mit verdorrten oder wegen Wassermangels schlaff gewordenen Pflanzen in glühender Hitze vorzustellen. Schwer ist es für Mensch und Tier, hier zu überleben.

56

Ursprünglich schloß Hos 13,4 wohl direkt an V2 an. Vgl. JEREMIAS, ATD, 162f. Vgl. GesB zu nhicbn und anb und KBL3 II, 487, a>6, bzw. 494, nnb, an1?. Von akk. la'äbu „strapazieren" oder ar. lagaba „erschlaffen" leitet sich nach KBL3 ax1? her. Doch auch hier wird auf an1? (akk. la'bu „Flamme, Fieber") bzw. anb verwiesen. 57

Drohendes Verderben

175

- I 3 T » weckt gleiche Assoziationen. 5 8 Es ist z u m einen die F u r c h t u n d Schrecken einflößende Einöde, der unheimliche O r t , der an das U r c h a o s erinnert (vgl. D t n 3 2 , 1 0 ; Jer 4 , 2 3 - 2 6 ; M a l 1 , 3 u.ö.). Z u m anderen werden die ebenfalls

genannten Steppengebiete als Weideland für Kleinvieh

genutzt. 5 9 D a s W e i d e n in der W ü s t e ist nicht unbedingt etwas U n g e w ö h n l i ches; außer H o s 1 3 , 5 zeugen a u c h E x 3 , 1 ; l S a m 2 5 , 2 1 u n d Jes 2 7 , 1 0 davon ( n s n neben m i n ) . D o c h der Parallelbegriff m a K ^ n y i N sorgt daftir, d a ß der C h a o s - A s p e k t der W ü s t e , das Bedrohliche u n d Lebensfeindliche dieser G e gend ausreichend zur Geltung gebracht wird. E i n dritter Aspekt k o m m t hinzu: I m Z u s a m m e n h a n g m i t d e m Exodusgeschehen ( V 4 ) wird neben der räumlichen die zeitlich-heilsgeschichtliche D i m e n s i o n von

aktualisiert. 6 0 Es ist die Zeit, in der Israel total a u f

J H W H s Fürsorge angewiesen war, in der es v o n sich aus nichts hatte u n d aus eigener Kraft nicht sein konnte. D o c h gerade hier erfährt es aufs neue J H W H s M a c h t zu helfen (vgl. v u n n V 4 ) , die in H o s 1 3 , 5 d u r c h das Verb n j n repräsentiert wird. Die Tradition von der Wüstenwanderung verarbeitet Hosea anders als etwa der Pentateuch: Das Motiv des Murrens gegen J H W H , das im Pentateuch als ein Charakteristikum der Wüstenzeit herausgestellt wird, spielt bei Hosea keine Rolle. Er sieht Israels Schuld vor allem darin, daß es sich von J H W H abwendet (vgl. nsur 2 , 1 5 ; 4,6; 13,6; npiuto 11,7) und im Gottesdienst wie im politischen Leben dem „Nichtigen" hinterherläuft (5,11; vgl. Kap. 2; 4 sowie den Gebrauch von mt). Demgegenüber weiß der Prophet von einer weit zurückliegenden Zeit, in der es einmal beglückende Begegnung zwischen J H W H und Israel gegeben hat. Dies geschah in der Situation der „Wüste" (vgl. 9,10; 2 , 1 6 f ) und ging dem Abfall vor-

Vgl. zu Hos 2,5.16, s.o II./1.1.1.3. " Vgl. TALMON, ThWAT IV, 660ff. nam als „Weidetrift" vgl. besonders 664. 677f. 691. Zum Chaos-Charakter von "iam: 664. 668f. Generell kann gesagt werden: „Der biblische Mensch ... sieht die Wüste als gähnende Leere: kein Kultur-Mensch wohnt in ihr ... Hunger und Durst... schwächen ... den Menschen ..., der in die Einöde ... verstoßen wird ..., auf der Suche nach Wasser in ihr herumirrt..., vor Hitze und Durst verschmachtend ... schließlich dort umkommen muß ... Nur göttliche Intervention kann eine Rettung vom Tod bewirken (... Ps 107,9)." (675f; jeweils mit Belegstellen). WYATT (Sea and Desert, 375-389) deutet die Wüste als Symbol für die Grenze zwischen Welt und Unterwelt im Rahmen einer philosophisch-mythischen Gesamtkonzeption. Auch bei Hosea bedeute sie nicht die Erinnerung an vergangene Ereignisse. Dies ist zwar m.E. etwas überzogen, doch der symbolische Aspekt schwingt in Hos 13,5 zweifellos mit. 58

60 TALMON, ebd., weist daraufhin, daß der Raumbegriff 13TM auch eine temporale Prägung erhält (679f. 685ff). Eine solche „Fusion von Raum-Dimension und Zeit-Aspekt" (685) lasse sich sonst nur noch für "|V43 V")K bzw. SlOWi y i i j (Ära der Seßhaftigkeit im Land) und n'jia/ni1?^ (im fremden Land verbrachte Exilszeit) nachweisen. „Die sprachlichkonzeptuelle Eigentümlichkeit dieser drei Begriffe unterstreicht die Bewertung der ursprünglichen midbär-Erfahrung als ein situationsbedingtes Übergangsstadium zwischen der Versklavung in Ägypten - als exemplarisches Exil - und der Selbständigkeit im eigenen Land." (685).

176

Exegesen

aus. Oft wird darum behauptet, Israel sei nach Hosea erst im Kulturland von J H W H abgefallen.61 Offenbar aber kam es dem Propheten gerade in Hos 13,4-8 nicht darauf an, einen genauen Zeitpunkt fiir den Abfall zu nennen. Nur in 9,10 legt er sich fest und markiert die kritische Grenze beim Übertritt Israels in das verheißene Land. An anderer Stelle (z.B. 11,2) reicht die schuldhafte naiitfö sogar deutlich bis in die Zeit des Anfangs zurück. Demnach sieht Hosea Israels Wüstenwanderung nicht generell als ideale Zeit. "15-1)23 in 13,5 (vgl. 2,16f; 9,10) hat zwar jenen zeitlich-heilsgeschichtlichen Aspekt, ist aber nicht einfach identisch mit der „Zeit der Wüstenwanderung", wie sie beispielsweise die Pentateuchtradition beschreibt. Es ist einerseits enger gefaßt, da Israels Schuld bei Hosea in keiner Weise mit diesem Ausdruck verbunden wird. Andererseits erfährt "lyilsa eine Bedeutungsausweitung, insofern es an den drei genannten Stellen fast zur Metapher wird fiir bedrohte Existenz in lebensfeindlicher Umgebung, fiir das Angewiesensein allein auf J H W H . So umschließt es zugleich die Erfahrung, wie J H W H sich liebevoll seines Volkes annimmt und Freude an ihm hat (9,10!). Nur diese Taten Gottes qualifizieren die „Wüste" zum Ort des Heils, zu „Tagen der Begegnung" (12,10), wobei heilsgeschichtlich die „Zeit der Wüstenwanderung" lediglich der exemplarische Ort dafür ist. - Die Frage, ob Hosea die dem Pentateuch zugrundeliegende Tradition gekannt hat und in welchem Verhältnis er überhaupt zu den ihm vorgegebenen Traditionen steht, braucht an dieser Stelle nicht diskutiert zu werden.62 n i n beschreibt hier die Beziehung J H W H s zu Israel. Es aktualisiert als Sekundärgegenstand die Welt des Kleinviehhirten, die den Israeliten wohlvertraut war. Bei DALMAN wird sie anschaulich beschrieben 63 : Während des langen niederschlagsarmen Sommers war Grünfiitter nur in feuchten Tälern zu finden, so daß sich die Herden oft monatelang vom Besitzer weit entfernt aufhielten und der O b h u t eines Hirten anvertraut wurden. Seine Aufgabe war es, die Herde vor Diebstahl und wilden Tieren zu schützen, verirrenden Tieren nachzugehen sowie für Weide und Tränkung aller zu sorgen. D a ß

61

V g l . VOLLMER, 69f; KINET, 174f, u.a. -

BARTH, V T S u p p l

15, 1 9 6 6 ,

14-23,

mahnt

dagegen zur Zurückhaltung gegenüber der These, es habe in der Geschichte der Wüstentradition eine „idealistische" Periode gegeben, in der Israels Wüstenjahre als „Zeit ungetrübter Harmonie" zwischen Jahwe und Israel interpretiert wurde (z.B. von Hosea und dem jungen Jeremia). Eine positive Wertung des Verhaltens Israels ließe sich den Texten, auf die man sich bei dieser These stützt, nur e silentio entnehmen, insofern sie über Israels Verhalten in der Wüste nichts Negatives berichten. „Es sind die Taten Jahwes, die der Wüstenzeit bei Hosea und Jeremia einen so positiven Aspekt geben, und zu diesen Heilstaten gehört für sie auch die Ermöglichung des initialen Gehorsamsaktes auf Seiten des Volkes." ( 1 9 0 6 2 Vgl. demgegenüber NEEF, Heilstraditionen, 5 8 - 1 1 9 (besonders 1 0 1 - 1 0 4 zu H o s 13,4—8 und die Zusammenfassung auf S. 113fF), der die Tradition von der Erwählung Israels in der Wüste bei Hosea als Uminterpretation der Sinaitradition begreift. VOLLMER, 6 6 - 7 2 , bestimmt Hoseas Verhältnis zur Tradition als „schroffe Diskontinuität" (71), UTZSCHNEIDER, 176f, dagegen sieht neben einem Moment der Diskontinuität ein Kontinuum zur traditionellen Geschichtsbetrachtung darin, daß Jahwe, der Gott von Ägypten her, Israel ins Land brachte und darum „Herr (ist) über Israels Sein « » ¿ N i c h t s e i n im Lande." (177). 63

DALMAN, A u S V I ,

204-287.

Drohendes Verderben

177

dies nicht leicht war, belegt das Sprichwort: „Das Schafhüten eines Tages macht gut ftir die Bockigkeit eines Jahres."64 Besonders das Tränken erwies sich wegen der Wasserarmut oft als Problem. Weil die Weideplätze woanders lagen als die Wasserstellen, bedurfte der Hirte einer guten Lokalkenntnis, um mit der Herde an jedem Tag die Wanderung von der Weide zum Wassser und zurück zu schaffen. Gefahrvoll ist die Tätigkeit des Hirten, weil die Herde durch wilde Tiere bedroht ist (vgl. Jes 56,9; Jer 50,17; Ez 34,8), von denen vor allem Löwe, Panther und Wolf häufig genannt werden (Jes 11,6; Jer 5,6). Auch der Bär begegnet als Feind der Herde (lSam 17,34f). „Im übrigen wird von einem Hirten beteuert, daß er schon durch Befühlen des Kopfes eines Tieres ohne Sehen feststellen könne, welches es sei. Außerdem kennt der Hirte aus Erfahrung die Art jedes Tieres und weiß, welches aus Eigenwillen oder Torheit geneigt ist, sich von der Gesamtheit zu trennen." 65 Um die schwachen Tiere, die säugenden Mutterschafe und die Lämmer kümmert sich der Hirte besonders (vgl. Jes 40,11; Ps 78,71). Schlimm ist es für eine Herde, keinen Hirten zu haben, ohne ihn muß sie verschmachten (Sach 10,2; vgl. lKön 22,17; Num 27,17). So nimmt es nicht wunder, daß der Beruf des Hirten zum Bild umfassender Fürsorge wurde. Im Alten Orient werden Herrscher gern als die von der Gottheit eingesetzten „Hirten" betitelt, für Kanaan ist dies allerdings bislang nicht belegt.66 Das Alte Testament bezeichnet zwar - besonders in prophetischen Drohworten (vgl. Jes 56,11; Jer 2,8; 10,21; 23,1 ff; Ez 34; Sach 1 1 ) politische und geistliche Führer häufig als Hirten, doch im Unterschied zum altorientalischen Hofstil ist dies nirgends Titeides regierenden Königs. Eine Ausnahme bildet lediglich der Perserkönig Kyros (Jes 44,28). Ansonsten bekommen nur der künftige messianische Davidide (Ez 34,23; 37,24) und Mose an einer Stelle (Jes 63,11) den Titel „Hirte". JHWH wird seit alter Zeit, wahrscheinlich schon zur Zeit der Väter, als Hirte Israels verstanden (vgl. Gen 49,24; 48,15). 67 Umso mehr fällt auf, daß das Nomen nur selten J H W H direkt bezeichnet (außer an den genannten Stellen nur noch Ps 23,1; 80,2); es ist nicht zur formelhaften Gottesprädikation erstarrt. Viel häufiger wird einfach in der Hirten spräche von ihm geredet: Er geht seiner Herde voran (Ps 68,8.11), leitet sie (Ps 23,2f; 80,2; Jes 40,11) zu den Weideplätzen (Jer 50,19) und Raststätten am Wasser (Ps 23,2; Jes 49,10), schützt sie mit seinem Hirtenstab (Ps 23,4), pfeift nach den Verstreuten (Sach 10,8; Ri 5,16), 68 sammelt sie (Jes 56,8), trägt die Lämmer an 64 65 66 67

Ebd., 217. Ebd., 251. So Joachim JEREMIAS, ThWNT VI, Art. RROIMNV, 485 (484-501). V g l . J . A . SOGGIN, A r t . r u n , in: T H A T

II, 7 9 1 - 7 9 4 ,

u n d v o r allem J.JEREMIAS,

ThWNT VI, 486f. 68 Gedacht ist dabei sicher auch an das Flötenspiel der Hirten, vgl. DALMAN, AUS VI, 258f.

178

Exegesen

seinem Busen und führt die Mutterschafe (Jes 40,11). Solcherart metaphorische Rede hat nichts Statisches, sie vermittelt etwas von der Lebendigkeit der Beziehung zwischen J H W H und seinem Volk, und sie vermag den Hörer hineinzunehmen in das Geschehen. Dies trifft auch für Hos 13,5 zu. Weil den Hörern Hoseas die Lebenswelt von Hirt und Herde ebenso gut vertraut war wie deren Funktion in metaphorischer Rede, ruft allein das Verb nun eine Fülle von Assoziationen wach, die sich zu einem reich ausgestalteten Implikationszusammenhang fügen. Die oben genannten Aspekte der Hirtenmetapher bilden nur einen kleinen Ausschnitt desselben. Diese Metapher bringt sehr viele Saiten zum Klingen, und ihre Resonanz wird verstärkt durch die lange Tradition, die sie in Israels Frömmigkeit hat. 2.3.5. Tödliche Gottvergessenheit Wenn 3W den Text in V6 richtig überliefert hat, deutet sich bereits hier eine Störung der Beziehung zwischen der Herde und ihrem Hirten an: D r w i ö S - „Ihrem Weiden entsprechend wurden sie satt." Sie finden ausreichend Nahrung, doch sie sehen nur das Futter; „ihr" Weiden und Sattwerden allein interessiert sie. Der Hirte ist schon hier nicht mehr im Blick. Es bleibt unklar, ob sich das Sattwerden noch auf die Situation der Wüste bezieht, oder ob es bereits auf den Reichtum des Kulturlandes anspielt. Offenbar möchte der Prophet beides nicht in eine scharfe Antithese zueinander gestellt sehen: Wenn der HERR seine Fürsorge aufgibt, wird selbst das reiche Kulturland zur Wüste (vgl. 2,5), und wo er die Seinen versorgt, werden sie auch in der Wüste mit allem Guten gesättigt.69 Der entscheidende Gegensatz liegt darin, ob Israel J H W H als seinen Retter und fürsorglichen Hirten erkennt (V4f), oder ob es ohne ihn auszukommen meint, ob es sich von ihm helfen läßt, oder ob es sich in Hochmut gegen ihn verschließt. „Satt geworden, überhob sich ihr Herz", so daß sie sich auf eigene Kraft, eigene Leistung, eigene Religiosität zu gründen begannen — und ihren Herrn vergaßen. Es ist die gleiche Klage wie in 2,15 (mitf). Hier aber wird Israels Ignoranz gegenüber J H W H nicht wie in Kap. 2 als Abfall zu den Baalen beschrieben (vgl. 9,10; 11,2), sondern rein anthropologisch auf „satte Überheblichkeit" zurückgeführt. „Deutlicher könnte nicht zum Ausdruck kommen, daß Baal für den Propheten nicht eigentlich ein Gegenspieler Gottes ist, sondern die Vergötzung von Wohlstand und menschlicher Leistung."70 Die Herde aber, die den Kontakt zu ihrem Hirten verliert, begibt sich in tödliche Gefahr. Schutzlos ist sie den wilden Tieren ausgeliefert. Wieder ist

69 Gegen JEREMIAS, ATD, 164, der Wüste und Land hier wie in 9,10; 10,11-13; 12,8-10 in einen absoluten Gegensatz zueinander gestellt sieht. 70

JEREMIAS, A T D ,

164.

Drohendes Verderben

179

es J H W H selbst, der sie bedroht. Nach 9W spielt V 7 a auf bereits Vergangenes an und nimmt das Löwengleichnis von 5 , 1 4 (^nttr) auf: Damals schon - um 7 3 3 - wurde der Retter zum Raubtier. Doch von V 7 b an folgen Imperfekta: Schreckliches steht noch bevor. Am Wege lauert der Leopard ("lttj) auf seine Beute. Erkennbar an seinem gefleckten Fell (Jer 13,23), gilt er neben Löwe und W o l f (SKT) als gefährlicher Feind der Herde (Jer 5,6; Jes 11,6). Er ist in den Bergen zu Hause (vgl. Cant 4 , 8 ) und wird wegen seiner Schnelligkeit gerühmt (Hab 1,8). 71 Sprichwörtlich geworden ist die Aggressivität der Bärin, wenn sie ihrer Jungen beraubt wurde (vgl. 2Sam 17,8; Prv 17,12). Auch sonst ist der Bär seiner Stärke und Unberechenbarkeit wegen gefurchtet (vgl. 2 K ö n 2 , 2 4 ; Prv 2 8 , 1 5 ; Jes 11,7). Nach lSam 1 7 , 3 4 - 3 7 greift er wie der Löwe die Herde an. In Wirklichkeit ist er normalerweise gar nicht so angriffslustig. Wohl nur in Hungerzeiten fällt er größere Tiere an. Wenn er gereizt wird oder wenn er seine Jungen in Gefahr wähnt, kann er allerdings sehr gefährlich werden. 72 Für das Funktionieren der Metapher ist es weniger entscheidend, wie bedrohlich Bären in Wirklichkeit sind, sondern wie groß die Furcht vor ihnen ist, welche Assoziationen sich unmittelbar einstellen, wenn von einer ^lattf 3 1 die Rede ist. 73 Diese müssen in der Tat schreckenerregend gewesen sein, was die beiden Parallelstellen 2Sam 17,8 und Prv 17,12 bestätigen. Am 5 , 1 9 legt nahe zu vermuten, daß man einem Bären mit ebenso großer oder gar mit noch größerer Furcht begegnete als einem Löwen. 74 Im Unterschied zum „Panther, der am Wege lauert", wird die „ihrer Jungen beraubte Bärin" nicht aufgrund eines natürlichen Nahrungsbedürfnisses aggressiv. Der Schmerz um den Verlust ihrer Kinder macht sie wild - so empfindet man es als Mensch und überträgt unwillkürlich die menschlichen Gefühle auf die Bärin. Dies fällt für die Metapher ins Gewicht, während das theoretische Wissen um Mutterinstinkt und um die Unangemessenheit solcher Übertra-

71 Vgl. PUSCHMANN, 3 0 6 - 3 0 9 . Hier wird bestätigt, daß Leoparden ihrer Beute auflauern, um sie dann plötzlich mit einem u.U. weiten Fangsprung zu überfallen. Siehe auch B H H III, 1 3 9 0 . - KEEL, Blicke, 3 9 - 4 5 . 1 3 0 - 1 3 9 (Abb. 1 3 - 3 1 ) , zeigt, daß sowohl Löwen als auch Panther häufig Begleittiere der Großen Göttin sind. Diese Tatsache gehört zwar mit zum Sekundärgegenstand der Metaphern in Hos 13,7, spielt aber für den Implikationszusammenhang keine Rolle. Denn hier geht es um jene Löwen und Panther, mit denen Hirten und ihre Herden zu tun bekommen. 72

V g l . PUSCHMANN, 2 4 6 - 2 4 8 ; BURKHARDT u . a . ( B i b e l l e x i k o n ) I I I , 1 5 6 2 ; B H H

I,

196;

CAQUOT, T h W A T II, 7 4 - 7 6 . 73 Vgl. BLACK, 1 9 5 4 , 7 0 f (s. Literaturverzeichnis zu Teil I): A m Beispiel der Metapher „Der Mensch ist ein Wolf." erläutert der Autor, daß der Leser bzw. Hörer zwar etwas über Wölfe wissen muß, um die Metapher zu verstehen. Doch nicht auf Fachwissen komme es dabei an, sondern auf assoziierte Gemeinplätze, die auch Halbwahrheiten oder Fehler einschließen können. Hauptsache sei, daß sich diese Assoziationen zwanglos und ohne Umstände einstellen. 74 Vgl. auch KEEL, Bildsymbolik, Abb. auf S.78.

180

Exegesen

gungen demgegenüber belanglos bleibt. Der Grund für die Aggressivität der Bärin wird fiir den Primärgegenstand relevant, weil er anzeigt, daß J H W H durch die Ignoranz seines Volkes einen schmerzlichen Verlust erlitten hat, den er nicht so einfach hinzunehmen gewillt ist. Hier berührt sich die Raubtiermetaphorik mit der vom Ehemann. Bezeichnenderweise ist es diesmal wieder anthropomorph ausgedrückt - die Mutter-Liebe, die verletzt wurde. n a ^ TiJD ist eine eigentümliche Wendung. Mit dem „Verschluß ihres Herzens" (von "IAO „verschließen") ist vordergründig sicher der Brustkorb gemeint, und man sieht vor sich das Raubtier, wie es seine Beute zerlegt. Auf der Ebene des Primärgegenstandes klingt bei dieser Ausdrucksweise noch etwas anderes an: In Ps 17,10 wird von den Gottlosen ( n ' y u n ) gesagt, sie hätten ihr Herz verschlossen ( u o ) . Hos 13,8 kann so verstanden werden, daß J H W H solche Verschlossenheit aufbricht, um die, deren „Herz sich überhob, so daß sie ihn vergaßen", endlich wieder in ihrem Innersten zu erreichen. Doch das muß jetzt für die Betroffenen tödlich sein. Was von ihnen übrig bleibt, wird zum Fraß für die Hunde. V8b spricht damit einen Fluch aus, der im Alten Orient wohlbekannt war.75 Ahija von Silo schleuderte ihn gegen Jerobeam I. ( l K ö n 14,11), Elija gegen Ahab und Isebel ( l K ö n 21,19.23f; 22,38; vgl. 2Kön 9,10.36; l K ö n 16,4). Die nach Blut dürstenden (vgl. Ps 68,24), aasfressenden Hunde waren im gesamten Alten Orient äußerst verachtet. Zwar nutzte man den Dienst von Jagd- und Hütehunden, doch in Israel wurden auch sie als unreine Tiere geringgeschätzt. 76 In Ps 22,17.21 und 59,7.15 werden die Feinde als wilde Hunde geschildert. Im Unterschied etwa zum Löwen, der bei aller Bedrohlichkeit Respekt einflößt und in königlicher Würde erscheint, ist der H u n d in metaphorischer Verwendung ausschließlich negativ belegt, ja verabscheuungswürdig. 77 Etwas Dämonisches haftet ihm an. 78 Die „Tiere des Feldes" (V8bß) erscheinen neben den Hunden oder den „Vögeln des Himmels" in ähnlichen Verfluchungen (vgl. l S a m 17,43f mit l K ö n 14,11; 16,4; 21,24) und in prophetischen Gerichtsworten (vgl. Jes 56,9; Jer 12,9; Ez 34,5.8; 39,4.17 u.ö.) 75

V g l . FENSHAM, D o g ,

504-507.

V g l . DALMAN, AUS V I , 2 2 1 . 2 4 l f . 3 1 9 f . 3 3 3 f u.ö.; THOMAS, Kelebh, 4 L ( M 2 7 . THOMAS zeigt, wie „ H u n d " i m gesamten Alten Orient als A u s d r u c k der B e s c h i m p f u n g 76

u n d (Selbst-)Entwürdigung gebraucht wurde (z.B. 2 K ö n 8 , 1 3 ) : »A d o g is a vile, contemptible, a n i m a l . " ( 4 1 7 ) N u r in religiöser Sprache könne der Terminus weniger verächtlich i m S i n n e von „treuer D i e n e r " einer Gottheit verwendet werden, z.B. in d e m G e b e t „Like a little dog, O M a r d u k , I run behind thee". ( 4 2 4 ) . 7 7 D a r a u f macht KEEL, Bildsymbolik, 7 5 - 7 8 , a u f m e r k s a m . N e b e n d e m L ö w e n eigne z.B. auch d e m Stier u n d der Schlange diese Ambivalenz, gefürchtet u n d zugleich bewundert zu werden, die beim H u n d gänzlich fehle. Vgl. auch die A b b i l d u n g e n 1 0 7 u n d 108 ( S . 7 7 ) . 7 8 V g l . KEEL, Feinde, 2 0 2 f : „Wer je Gelegenheit hatte, die stets halbverhungerten, gierigen, ständig von Steinwürfen bedrohten ..., aasfressenden ... Straßenhunde des N a h e n O s t e n s zu beobachten, wird ihre D ä m o n i s i e r u n g verstehen."

Drohendes Verderben

181

In Hos 13,8 könnte sich beides auf die Assyrer79 beziehen: Die geftirchtete Großmacht holt sich die kläglichen Reste — einem Aasfresser gleich, der seine Beute nicht selbst erlegt hat. Nicht die politischen Feinde richten Israel zugrunde, sondern J H W H s Zorn. Zu beachten ist hier wieder, daß sämtliche JHWH-Metaphern in V7f durch die Vergleichspartikel 3 vermittelt sind, während die Metaphern in V8b, die auf ein von J H W H verschiedenes Subjekt referieren, direkt eingeführt werden. Allerdings muß V8b nicht unbedingt als Metapher interpretiert werden; er kann einfach eine Verwünschung sein, dergemäß wirkliche Hunde und andere wilde Tiere sich über die Leiber der getöteten Israeliten hermachen. Wie auch immer,' festzuhalten bleibt,' daß die K'aba oder n n b a keine r ///W7/-Metapher sind. Das Wort, das ein derart verächtliches Wesen bezeichnet, ist offenbar nicht geeignet, die Begegnung mit dem Gott Israels zu beschreiben. -

I -



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2.4. Zusammenfassung: Metaphern des Verderbens Hosea ist durchaus nicht zimperlich in der Wahl seiner Worte: Wie „Eiter" und wie „Knochenfraß" kann J H W H sein (5,12), aber nicht wie ein „Hund". An sich ist eines so abscheulich wie das andere. Doch die Krankheiten werden in der Umgangssprache nicht als Schimpfworte gebraucht; sie haben keine Bild-Tradition, die ihrem Gebrauch als JHWH-Metapher widerspräche. Primär- und Sekundärgegenstand können unvorbelastet miteinander kommunizieren. Die Gefahr der Fehlinterpretation ist dabei nicht groß, auch wenn diese Metapher schockierend wirkt. Der Hund dagegen steht in einer Tradition metaphorischer Verwendung, durch die eine so benannte Person ihrer Würde beraubt wird. Der Implikationszusammenhang ist damit in einer Weise vorgeprägt, die den Gebrauch des Wortes als JHWH-Metapher ausschließt. Bei sämtlichen Verderbensmetaphern fällt auf, daß sie von Israels Verhalten abhängen: Wären die Israeliten bei J H W H geblieben, er wäre ihnen niemals als Vogelsteller begegnet; diese Metapher setzt wegflatternde Vögel voraus (vgl. 7,11.13). J H W H wollte die geschlagenen Israeliten heilen; doch weil sie lieber Assur als Arzt suchten und dem Nichtigen hinterherliefen, wurde ihnen ihres Gottes Nähe zur tödlichen Bedrohung (5,11.12-14). Hätten sie ihn, den Retter von Ägypten her, der sie als guter Hirte durch die Wüste leitete, nicht in satter Selbstherrlichkeit ignoriert, er hätte sie vor den Raubtieren geschützt, anstatt die Herde nun seinerseits anzufallen.

79

S o JEREMIAS, A T D , 1 6 4 ; RUDOLPH, K A T , 2 4 3 f ; SELLIN, K A T , 1 3 1 u.a.

182

Exegesen

Diese Erkenntnis nimmt der Botschaft nichts von ihrem Ernst, im Gegenteil: Zu wissen, daß J H W H viel lieber seines Volkes snunn sein wollte, z.B. als Arzt oder Hirte, und daß man dies durch die eigene Schuld verhindert hat, macht das Unglück nur noch bitterer. Hoseas unheilkündende Gottesmetaphern zeigen J H W H nicht an und flir sich als einen verderbenden Gott; keine zeitlos-übergeschichtlichen Wahrheiten über das Wesen Gottes lehren sie, wohl aber lassen sie in konkreter geschichtlicher Stunde J H W H als den lebendigen Gott erkennen, der allein zu furchten ist. Gerade in dieser Geschichtsbezogenheit weisen sie über die aktuelle Situation hinaus, insofern sie von den furchtbaren Folgen eines zerbrochenen Gottesverhältnisses und der Unmöglichkeit, J H W H zu entkommen, künden. Hierin erweisen sie ihre Relevanz auch für spätere Generationen.

3. Erfahrene Fürsorge

Schon zusammen mit den Metaphern, die Verderben ankündigten, war J H W H als Arzt und Hirte erschienen, nsn begegnet außerdem in 4,16. Doch der Schwerpunkt liegt dort auf der Metapher von der „störrischen Kuh" Israel, es geht nicht so sehr um J H W H s Verhalten. Seine fürsorgliche Zuwendung zu Israel kommt vor allem in Hos 11 zur Sprache. Von hier aus kann auch die durch KÜT aktualisierte JHWH-Metapher (11,3) in 5,13; 7,1 und 14,5 genauer betrachtet werden. Außerdem wird zu diskutieren sein, ob in 11,4 von einem Säugling oder einem Joch die Rede ist, von zärtlichen Eltern oder von Bauern, die sich liebevoll um ihr Vieh kümmern. Das erlaubt in jedem Fall einen Seitenblick auf 10,11—13a, wo J H W H eindeutig im Bild des Bauern gesehen wird. So kann Hos 11,1-7 den Rahmen dieses III. Kapitels bilden, weil sich hier die Metaphern der Fürsorge konzentrieren. Nur Hos 13,4—6 ( J H W H als Hirte) stünde neben diesem Rahmen. Doch weil es nicht sinnvoll gewesen wäre, 13,7f losgelöst von 13,4—6 zu interpretieren, hat dieser Spruch ohnehin seinen Platz bereits im vorangegangen Kapitel gefunden.

3.1. Der Text: Hos 1 1 , 1 - 7

3.1.1. Ubersetzung und Textkritik 11.1 11.2

11.3 11.4

Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb; aus Ägypten rief ich meinen Sohn." 1 Sobald ich sie rief, b> liefen sie von mir fort; c) sie opferten den Baalen, und den Götterbildern räucherten sie. Ich aber war es doch, der Ephraim großgezogen hat; d> ich nahm e) sie auf meine Armeß Aber sie merkten nicht, daß ich sie heilte. Mit menschlichen Seilen zog ich sie, mit Banden der Liebe. Ich war für sie wie diejenigen, h)

184

Exegesen

die einen Säuglingan ihre Wangen heben; ich neigte k) mich zu ihm und gab ihm zu essen. 0 11.5 Er kehrt zurück ins Land Ägypten, und Assur ist sein König denn sie weigerten sich umzukehren. 11.6 So wird das Schwert in seinen Städten tanzen, es wird vertilgen seine Orakelpriesterm) und fressen um ihrer Ratschläge willen. 11.7 Doch mein Volk bleibt verstrickt n) in Abtrünnigkeit und zum,flohen " p > rufen sie; q) aber der bringt sie nimmermehr r) hoch! s)

von

mir, o)

a) @ r a TÉKva aÜToO (vgl. 3!) liest V331?, wohl weil die Übersetzer die geprägte Wendung von den „Söhnen Israel" im Ohr hatten und an den Plural V2 angleichen wollten. 8W braucht nicht geändert zu werden. b) Lies mit ® (Ka&cbc nexeKáXeaa) 'K*ip r 3 (so BHS, NEEF, 84f; KINET, 97; W I L L I - P L E I N , 1 9 6 ; SELLIN; JEREMIAS; W O L F F ; W E I S E R u . a . ) . B e m e r k e n s w e r t ist

RUDOLPHS Vorschlag, den Infinitiv SNPT zu lesen, den © richtig aufgelöst habe. — 9W „ S i e r i e f e n s i e . . . " b z w . „ M a n r i e f s i e . . . " ( s o D A N I E L S , 6 2 f ; B A C H , 6 5 . 7 6 ; V O L L MER, 5 7 f ; N I S S I N E N , ' 2 3 3 . 2 4 0 - 2 4 2 ; A N D E R S E N / FREEDMAN z . S t . ) ist s c h w i e r i g .

Denn auch bei unbestimmtem Subjekt („man") bleibt die Frage, wer da eigentlich gerufen hat. Es wären entweder die Baale (V2b), die jedoch bei Hosea sonst nie als aktiv Handelnde auftreten, oder die moabitischen Frauen (NISSINEN, ANDERSEN/ FREEDMAN; vgl. Num 2 5 , l f f ) . Die aber kommen im Kontext gar nicht vor. ZENGER (Hos 11,4, 194) denkt wegen V4a („Durch Menschen zog ich sie an Stricken der Liebe...") auch in V2 an die Propheten, die das Volk im Auftrag J H W H s riefen. Das entspricht zwar dem Geschichtsverständnis Hoseas (vgl. 12,11-14; 6,5), doch in Hos 11 fehlt jeder explizite Hinweis auf die Propheten. Vielleicht ist 9W dadurch entstanden, daß man aufgrund von t o p in Num 25,2 die Moabiterinnen oder aufgrund von Hos 12,11-14 die Propheten assoziierte. c) Lies mit @ und nahezu allen Auslegern Dn wobei man tin besser mit dem Folgenden verbindet. 9M ist möglicherweise entstanden, weil man noch an den Exodus dachte: „Sie — die Ägypter - riefen, so liefen sie vor ihnen davon." V2b steht jedoch bei dieser Lesart isoliert. d) iri^nri wird gewöhnlich als Tiphel-Form mit Hiphil-Bedeutung interpretiert (vgl. G K a § 55h). WILLI-PLEIN nimmt eine Verschreibung N zu RI und damit gewöhnliches Hiphil an. SCHÜNGEL-STRAUMANN, Mutter, 123f, leitet die Wurzel "JJH von arab. rgl her, das „säugen, stillen" bedeute.1 Als Argumente fuhrt sie an: In der

1

V g l . RUDOLPH, K A T , 2 0 9 , d e r diese a u f GOLDMAN z u r ü c k g e h e n d e D e u t u n g a b e r a b -

lehnt. Ü b e r n o m m e n w i r d SCHÜNGEL-STRAUMANNS T h e s e z . B . v o n WACKER, F r a u - S e x u s M a c h t , 122 f.

Erfahrene Fürsorge

185

Bedeutung „gehen lehren" komme bjn im Alten Testament sonst nicht vor, und in früheren Zeiten hätte man dem Laufenlernen der Kinder keine Bedeutung beigemessen, weil diese das von selbst lernten. — Dies ist zwar ernstzunehmen, SCHÜNGEL-STRAUMANNS Lösungsversuch vermag jedoch aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen: 1) Das Problem der singulären Tiphel-Form bliebe auch dann bestehen, wenn „säugen, stillen" bedeuten würde. 2) Zusätzlich hätte man die Schwierigkeit, daß die Wurzel im Alten Testament sonst nirgends in dieser Bedeutung belegt ist, statt dessen immer - und zwar recht häufig - im Wortfeld „Fuß", „laufen" usw. „Fuß", 'bin „Fußgänger", b n qal und pi. „herumlaufen" u.a.). Für das Stillen stehen dagegen pa' und bis; II zur Verfügung. (Bei dem deutschen Satz „Mein Enkel ist krank." kommt ja auch kein Mensch auf die Idee, an einen kranken Knöchel zu denken, bloß weil enkel in der dem Deutschen sehr nahe verwandten niederländischen Sprache „Knöchel" meint.) 3) Schließlich hat KREUZER, 128f, gezeigt, daß ragala auch im Arabischen „zu Fuß gehen" bedeutet. Lediglich in Abhängigkeit von dieser Bedeutung kann ein Jungtier, das mit der Mutter mitläuft, um bei ihr zu trinken, dieses Verb als Prädikat erhalten. Vgl. Edward W. LANE, An Arabic-English-Lexicon, London-Edinbourgh 1863-1874: „ ragala 'ummahu, He (a young camel or a lamb, or kid, or calf) sucked his mother." (unter verschiedenen Belegen des Grundstammes ragala), zitiert nach KREUZER, 129. - Wer sagt aber, daß Tiphel bzw. Hiphil „gehen lehren " bedeuten müsse?! Die Kausativ-Form könnte ebensogut besagen, jemanden „auf die Beine bringen, großziehen" oder auch „führen, leiten". Letzteres schlägt DANIELS, 63, vor, der sich dabei auf ® und $ beruft und die gewöhnliche Ubersetzung „to teach to walk" mit guten Argumenten zurückweist. Ahnlich ANDERSEN/ FREEDMAN, 574: „I was a guide for Ephraim." - Ich ziehe die erstgenannte Möglichkeit vor, da sie sich besser in den Kontext einfügt. Gestützt wird sie von der Vulgata („et ego quasi nutricius Ephraim"). Vgl. KREUZER, 130, der vom arabischen Kausativstamm rgl her an die Bedeutung „erwachsen werden" denkt, die als Intransitivum für Hos 1 1 , 3 freilich nicht möglich ist. Vgl. ferner: NISSINEN, 242f; Hans W E H R : Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart, Leipzig 1952, 296f: Unter ragila - „zu Fuß gehen" findet sich auch die Bedeutung (X) „ein Mann werden, sich wie ein Mann benehmen". e) Lies an;?«, gestützt von ® ccveXaßov aürov ist sicher Angleichung an das vorangehende singularische Objekt „Ephraim". Vgl. NISSINEN, 2 3 3 . 2 4 3 F . scheint von einer beschädigten Textvorlage herzurühren. — Ipf. ist dem Ipf. cons. nnpxi (so BHS, W O L F F , KINET 9 7 . 2 9 0 u.a.) vorzuziehen, da an ein wiederholtes bzw. andauerndes Handeln gedacht ist. Vgl. B3TTR)3K V4; DANIELS, 6 3 . AN|?N von N|?N „das Nehmen" (so RUDOLPH) ließe zwar den Wegfall des n als Haplographie erklären, ergäbe aber einen recht gezwungenen Satz. f ) Lies 'niniT mit (Dittographie des l). Nach dem Pluralsuffix nnpK wäre die Rückkehr zum Singular-Objekt sinnentstellend. Bei SU bleiben dagegen RUDOLPH u n d ANDERSEN/FREEDMAN.

g) DTK in max oder 10fl zu ändern (vgl. B H S , SELLIN) ist unnötig. h) >aniJ3 als Hi. pt. pl. Da der Plural dem Suffix an tsriin1? entspricht, sollte er bei der Lesart bv (s.u.) keinesfalls in einen Singular umgewandelt werden. Auch

186

Exegesen

wenn man bv voraussetzt, ist die Änderung unnötig. B H S , SELLIN, WILLI-PLEIN, W E I S E R u . a . l e s e n N N N A . DANIELS, 6 3 , u n d VOLLMER, 5 7 f , p u n k t i e r e n I J A N M u n d

erklären es als Pt. sg. mit '-compaginis, vgl. G K a § 90k-m. j ) L i e s b v m i t B H S , SELLIN, W O L F F , SCHÜNGEL-STRAUMANN, KREUZER, W I L L I -

PLEIN, GROSS u.a. bv (SW) und damit einen Wechsel zum Bild des Bauern nehmen DANIELS, 6 2 . 6 4 ; N E E F , 8 4 - 8 6 ; K I N E T , 9 7 . 2 9 1 ; N I S S I N E N , 2 3 3 . 2 4 6 f ; JEREMIAS;

RUDOLPH; ANDERSEN/FREEDMAN u.a. an. Zur Diskussion dieser Alternative s.u. k) Lies UN l als Ipf. cons. von n u r S B könnte als iterativer Ipf. verstanden werden; doch dann wäre der Wegfall des n (apokopierte Form) schwer zu erklären. Andere l e s e n q a l U K I (vgl. DANIELS, 6 4 ; RUDOLPH).

1) Lies I1? ^ipiK, vgl. @ öuvr|CTO|aai a ü r w . SW könnte ein Hörfehler sein (to zu k b ) . Bleibt man bei SB, so ist V 5 als rhetorische Frage zu verstehen („Muß er nicht zurückkehren ins Land Ägypten ...?"), oder k 1 ? dient als Bekräftigungspartikel („Fürwahr, er soll nach Ägypten zurück!" So NISSINEN, 233. 249f; vgl. SOGGIN, 135: lamed emphaticurri). Anders LOHFINK, HOS XI,5, 227: „Zwar wird es nicht zurückkehren ins Land Ägypten - aber Assur, der ist sein König..." m) B H S , WEISER, SELLIN lesen l ' j a , was sich aber durch keinen der alten Textzeugen stützen läßt. Einige Exegeten übersetzen "RA mit „Geschwätz" (WILLIPLEIN, 2 0 0 f ; KÖCKERT, P r o p h e t i e , 6 , A n m . 1 6 ) bzw. „ S c h w ä t z e r " ( W O L F F ; N E E F

84. 86; vgl. GesB, na IV, von K i a „ersinnen, frei erfinden" hergeleitet; vgl. H i 11,3; Jes 16,6; Jer 48,30). Neuerdings entscheidet man sich aufgrund von Jes 4 4 , 2 5 und Jer 50,36 öfter für die Ubersetzung „Orakelpriester, Wahrsager" (JEREMIAS; DANIELS, 62. 64; NISSINEN, 2 5 1 f ) . Dies leuchtet am ehesten ein. Wie die von G e s B unter und "ia II geordneten Belege wäre 13 auch in Hos 11,6; Jes 4 4 , 2 5 ; Jer 50.36 von n a „absondern" herzuleiten. Vgl. ZOBEL, T h W A T I, 51 lf. D a s träfe übrigens auch für die bei GesB "ia III aufgeführten Stellen zu, da sie ausnahmslos Pnesierkleidung bezeichnen. D^ia sind demnach .Abgesonderte" insofern sie kultische Funktion haben. Als „Wahrsager" oder „Orakelpriester" rücken sie an den genannten Stellen durchaus in die Nähe von i a IV „Geschwätz". n) BUjt^n als Pt. pass. von » 6 n „aufhängen". Vgl. D t 2 8 , 6 6 (2Sam 21,12). So a u c h JEREMIAS, W O L F F , K I N E T , 3 4 1 , A n m . 1 6 3 ; N E E F , 8 4 . 8 6 f ; KÖCKERT, P r o p h e -

tie, 17, Anm. 43; SPEISER; NISSINEN, 234. 2 5 4 u.a. Andere Exegeten setzen ein Form von HK1? „ermüden" (qal), „erschöpft sein, sich abmühen" (ni.) voraus, kommen dabei aber nicht ohne Textänderungen aus (vgl. B H S , WEISER, SELLIN, RUDOLPH, W I L L I - P L E I N , 2 0 1 - 2 0 3 . 2 7 7 ; D O N N E R , Israel, 8 6 ) . D a 9W v e r s t ä n d l i c h ist

und auch @ ( ¿ 7 n K p s | i d | i E V O c ; ) trotz ihrer Differenzen zu SR offenbar von K ^ n ausgeht, besteht zu einer Konjektur hier kein Anlaß. U m zu zeigen, wie stark die Übersetzungen voneinander abweichen, seien einige aufgelistet: JEREMIAS, A T D , 138: „ A b e r m e i n Volk bleibt verstrickt in die Abkehr von mir: zum , Hohen' rufen sie; der bringt sie nie und nimmer hoch." WOLFF, B K , 246: „Aber mein Volk hält fest am Abfall von mir, zum Baal ruft man, (aber) er bringt sie ganz und gar nicht hoch." - SCHÜNGEL-STRAUMANN, Mutter, 120: „... aber der zieht sie nie und nimmer groß!" (sonst wie WOLFF). - DANIELS, 62: „Then my people are hung on (their) turning away from me. To Baal they call, but he cant raise them up at all." NEEF, 84: „Mein Volk muß aufgehängt werden wegen seines Abfalls von mir, zum Baal rufen sie, er aber richtet sie nicht auf." - KÖCKERT, Prophetie, 17: „Mein Volk

Erfahrene Fürsorge

187

ist aufgehängt an Abtriinnigkeit von mir." — SPEISER, 190: „... my people is addicted to turning away from me..." W E I S E R , 84: „Mein Volk ist erschöpft durch den Abfall von mir. Zum Baal rufen sie, doch der hilft nicht auf." - SELLIN, 111: „Aber mein Volk ist krank an seinem Abfall / Und ruft zum Baal. Der zieht allzumal nicht auf." - R U D O L P H , KAT, 208: „Da wird sich mein Volk Mühe geben, zu mir umzukehren, und zu mir werden sie rufen wegen des Jochs, das sie gemeinsam nicht zu heben vermögen." — W I L L I - P L E I N , 202f: „Mein Volk hat sich ermüdet, auf seinen Abfall hat es sich versteift... ein Joch wird es (das Volk) treffen, daß es ablasse und ich mich erbarme." Ebd., 277: irgitutt1? ' J N ^ na? : n r n « V m j i i m o f o h's Vgl. auch die Aufstellung bei H A R P E R , 368 (zu Hos 11,7 vgl. 365f. 367f). V O L L MER, 60, und W E L L H A U S E N , 127, verzichten gänzlich auf eine Übersetzung, weil sie den Vers nicht für rekonstruierbar halten. o) Das Suff, der 3.P.Sg. (vgl. ©) stünde im Widerspruch zum vorangehenden Plural-Partizip, während 'H 2 als Kollektivum durchaus pluralische Formen nach sich ziehen kann (vgl. GKa §145 a-c). rpiuto meint sonst immer „Abtrünnigkeit" (vgl. Hos 14,5; Jer 2,19; 3,6.8.11.12.22; 5,6; 14,7; Prv 1,32), kann demnach hier kaum im positiven Sinn von „Umkehr (zu JHWH)" verstanden werden (gegen RUDOLPH).

p) Siehe oben zu Hos 7,16 (II/2.2.2). Vgl. JEREMIAS; K B L 3 I I I , 780. Viele Ausleger nehmen den Ausfall eines 3 an und setzen blf? voraus, was am Sinn nicht viel ändert. Andere lesen *72 R U D O L P H , W I L L I - P L E I N , 202f; N I S S I N E N , 234. 255), kommen dann aber mit dem Verb m p schwer zurecht. q) Ich lese an Vv K ^ i r m uopi. BY - S K I (vgl. DANIELS, 65, Anm. 7c). Die von W O L F F , N E E F , 87, und JEREMIAS favorisierte Möglichkeit (trp Kin i o p i ) meint inhaltlich das gleiche, ergibt aber ein holpriges Versmaß. r) Zu i r n im Sinne von „ganz und gar" vgl. Hos 11,8; Mi 2,12; evtl. Ps 33,15. Hier mit KS: „ganz und gar nicht" = „keineswegs", „nie und nimmer". s) Nach GKa, § 72cc, kann DHi"V eine kontrahierte Polel-Form sein (aus D ö M ' i T i ) und braucht deshalb nicht in n a i v oder 0)3)3111 geändert zu werden (vgl. D A N I E L S , 6 5 , Anm. 7d, gegen JEREMIAS, W O L F F , K I N E T ) .

3.1.2. Formale und literarkritische Aspekte Das Kapitel beginnt mit einem erneuten Rückblick auf Israels Geschichte (vgl. 9,10; 10,1—2.11—13a). Insofern ist es mit dem Vorhergehenden verbunden und erweist sich zugleich innerhalb des Komplexes 9,10—11,11 als eigene, von 10,15 abzugrenzende Einheit. Daß mit Kap. 12, geprägt vom Thema „Gottesbetrug", etwas völlig Neues beginnt, leuchtet ohne weiteres ein. Formal markiert die im Hoseabuch sonst nur noch in Kap. 2 vorkommende Gottesspruchformel am Ende von 11,11 diesen Einschnitt.

188

Exegesen

Strittig sind die Relationen innerhalb von Kapitel II. 2 V l ^ i beschreiben in eindrücklichen Bildern J H W H s beständige liebevolle Zuwendung und in scharfem Kontrast dazu Israels Abkehr und Ignoranz. Unklar ist, ob V5 noch von der Schuld Ephraims spricht oder schon wie V6 von den schlimmen Folgen solchen Verhaltens (s.u. Anm. 5). Die Kopula verbindet V7 mit dem Vorhergehenden, außerdem weist er inhaltlich auf V2 zurück. So wird man ihn als eine abschließende Feststellung verstehen müssen: Weder durch J H W H s Fürsorge noch durch sein Gericht läßt sich des Volkes Verschlossenheit für J H W H aufbrechen.3 Wie ein verzweifelter Ausruf klingt dieser Satz. Israel wird erstmals seit Kap. 4 von J H W H wieder „mein Volk" genannt. 4 Dadurch bereitet V7 zugleich den Umschwung in V8ff vor. Die Bestimmung der Form bereitet Schwierigkeiten. Meist versteht man den Rückblick in V l - 4 als Schuldaufweis, der die Strafansage V5f begründet. Mitunter wird V5 als weiterer Schuldaufweis gesehen.5 Zweifellos zeigt Hos 11,1—7 Merkmale des klassischen Gerichtswortes. Doch diese formale Kategorie fixiert das Stück m.E. zu einseitig auf eine bestimmte Betrachtungsweise. Auch W O L F F S Interpretation als „geschichtstheologische Anklagerede" wird ihm nicht voll gerecht.6 Zwar steht die Gesamtkomposition der Kapitel 4 - 1 1 unter der Überschrift eines „Rechtsstreites ftir J H W H " (4,1; vgl. 4,4; ähnlich 12,3 flir die Komposition der Kapitel 12 - 14). Diese Vorstellung bildet aber lediglich den großen Rahmen und „Deutehorizont", in dem Hoseas Verkündigung insgesamt verstanden werden soll.7 Die einzelnen Stücke beraubt man ihres Eigenlebens, wenn man ihnen den Sekundärgegenstand vom Gerichtsverfahren wie ein Korsett überstülpt. Er darf höchstens so etwas wie ein Haus bilden, in dem sich die verschiedensten Szenen abspielen. Diese müssen jeweils in ihrer Besonderheit wahrgenommen werden. 2 JEREMIAS, A T D , 139f (vgl. WEISER, 85), faßt 1 1 , 1 - 6 zusammen und sieht V 7 in enger Verbindung zum Folgenden. Zwischen der Verkündigung von V l - 6 und V 7 müsse eine gewisse Zeit vergangen sein, in der Jahwe die Wirkung auf die Hörer abgewartet habe. V 7 setze eine unausgesprochene „Hoffnung Gottes voraus, die bitter enttäuscht wurde." (140). Die meisten Exegeten sehen demgegenüber zwischen V 7 und V8 den entscheidenden Einschnitt. 3 Vgl. DANIELS, 66: V 7 sei wohl als „concluding characterisation" zu begreifen und nicht als Teil der Vorhersage (d.h. das Volk werde trotz des Gerichtes untreu bleiben). 4 6 , 1 1 , wo lysv noch einmal nach Kap. 4 begegnet, ist ein Nachtrag. Vgl. JEREMIAS,

ATD, 5

139.

W I L L I - P L E I N , 1 9 9 f ; D O N N E R , Israel, 8 9 - 9 1 ; v g l . K I N E T , 1 0 0 ( A n m . 2 9 , S . 2 9 5 ) . 2 0 0 ;

diskutiert auch bei VOLLMER, 6 l f , der aber bei der üblichen Deutung von V5 als Teil des Drohwortes bleibt. 6

W O L F F , B K , 2 4 9 . V g l . VOLLMER, 6 1 - 6 3 , u . a .

Vgl. JEREMIAS, A T D , 59FF. Vermutlich haben die Redaktoren des Buches in durchaus sachgemäßer Weise den Worten ihres Meisters diesen Rahmen eines Rechtsstreits ( a n 4,1.4; 12,3) gegeben, was durch das Stichwort a n in 2,4 (hier am ehesten ursprünglich hoseanisch) nahegelegt war. 7

Erfahrene Fürsorge

189

Eine Besonderheit von Hos 11,1—7 besteht darin, daß es deutlich Elemente der Klage enthält.8 Das Stück kann sogar insgesamt verstanden werden als Klage JHWHs, so wie eine Mutter oder ein Vater klagt über den Sohn, der auf Abwege geraten ist und sich dabei selbst ins Verderben stürzt. In diesem Fall würde V(5)6 weniger Strafe ankündigen als vielmehr die unausweichlichen Folgen solchen Verhaltens darstellen. Aufifälligerweise ist J H W H in V(5)6 nicht das Subjekt! Genaueres dazu wird die Einzelexegese erbringen müssen. Für derartige Inhalte bedarf es nicht des Forums eines öffentlichen Gerichtshofes; Familiensorgen bespricht man lieber im Kreise von Vertrauten. So ist es durchaus denkbar, daß die Worte in Hos 11 zunächst vor einer kleineren Gruppe von Hörern gesprochen wurden, die dem Propheten nahestanden, und erst nach und nach auf eine eher stille Weise öffentlich wurden.9 — Für die Datierung deuten V5+6 wohl auf die Zeit um oder kurz vor 724, als Israel sich mit Hilfe der Ägypter noch einmal gegen Assyriens Oberhoheit aufzulehnen versuchte, was Salmanassar V. von Assur mit einem militärischen Feldzug beantwortete (vgl. 2Kön 17,3-6). Literarkritisch macht sich V5b verdächtig: Vom Metrum her schießt er über. Zwischen zwei Sätzen, die in der 3.P.Sg. von Israel sprechen, bringt er die 3.EP1. Er unterbricht die Unheilsansage mit einer Begründung, die als überflüssig empfunden werden mag, da VI—4 bereits eine hinreichende Begründung geben. Schließlich steht die Weigerung umzukehren in einer gewissen Spannung zu V7, wo von Israels Unfähigkeit zur Umkehr gesprochen wird. J E R E M I A S hält V5b darum für eine Ergänzung deuteronomistischer Kreise, die „zur Umkehr als letzter Rettungsmöglichkeit riefen ..." 10 Die Wendung nitt^ «h: n ist freilich nicht typisch deuteronomistisch, begegnet statt dessen gleich zweimal in den Spruchsammlungen Jeremias (Jer 5,3; 8,5; vgl. 9,5 w k n j n UK w), nicht in den deuteronomistisch bearbeiteten Reden des Jeremiabuches und nirgendwo sonst bei den Propheten oder im DtrG. Da die Abhängigkeit vor allem des jüngeren Jeremia von Hosea offenkundig ist," spricht dieser Befund eher für die Ursprünglichkeit von Hos 11,5b.

8 S.o. Anm. 6; vgl. NISSINEN, 2 9 8 - 3 0 0 . 308. Allerdings klagt hier nicht das Volk, sondern J H W H (gegen NISSINEN). 9 Vgl. JEREMIAS, A T D , 140: Hos 11,1-6 seien im mündlichen Stadium „öffentlich verkündet worden, V. 7 - 1 1 dagegen später im Kreis der Vertrauten ..." Als literarische Einheit gehöre das Gesamtkapitel deutlich in die theologische Reflexion der Kreise um Hosea. WOLFF hält Kap. 11 für die „Nachschrift eines Auditionsberichtes des Propheten aus seinem Freundeskreis" (BK, 254). Anders YEE, 214—249: Hos 11 als Ganzes gehöre der exilischen Endredaktion an. 10 JEREMIAS, A T D , 143; vgl. B H S ; VOLLMER, 57.60. WILLI-PLEIN, 200f, dagegen hält V 5 b fiir authentisch, zieht ihn aber zu V6: „Weil er sich geweigert hat umzukehren, so kreise das Schwert in seinen Städten ..." Vgl. NAUMANN, 103-109. " Die umgekehrte Abhängigkeit behauptet NISSINEN, 320, der Hos 11,5 und die da-

190

Exegesen

Das Wortspiel mit aitu in V5a - „Rückkehr nach Ägypten" wegen der „Weigerung umzukehren" - verstärkt diese Vermutung. Die übrigen Argumente gegen die Authentizität von V5b lassen sich entkräften: 12 Das überschießende Metrum verleiht dem Halbvers ein besonderes Gewicht. Ohnehin zeichnet sich Hos 11,1-7 gerade nicht durch strenge Parallelismen aus, so daß dem Abschnitt eine eigenartig unruhige Dynamik eignet. Wer dies wahrgenommen hat, empfindet V5b nicht mehr als befremdliche Unterbrechung; denn schon von V I an wird man immerzu hinund hergerissen, und das entspricht auch inhaltlich dem Charakter des Ganzen. Der häufige Wechsel zwischen Singular und Plural der 3. Person zieht sich ebenfalls durch das gesamte Stück. Dies läßt sich besser metapherntheoretisch als literarkritisch erklären:13 Die Sprache orientiert sich einmal mehr am Sekundärgegenstand („Sohn", 3.P.Sg.), dann wieder mehr am Primärgegenstand (Israeliten, 3.P.P1.). Von V5 an tritt die Metaphorik zunehmend in den Hintergrund, so daß die 3.RSg. auch das Volk meinen kann. Die inhaltliche Spannung zu V7 schließlich ist als Steigerung interpretierbar: Die Untw7/zgkeit zur Umkehr gewinnt eine Eigenmacht, die zur Fessel wird, aus der sich Israel nicht mehr selbst zu befreien vermag.14 Umstritten ist auch V3b, zumindest an seinem jetzigen Platz, da Kül nicht in den Kontext zu passen scheint.15 Allerdings ist ein Wechsel der Bilder durchaus nicht ungewöhnlich (vgl. 5,12-14; 13,4-8 u.ö.), und als Metapher der Fürsorge fügt sich der Halbvers gut in den Zusammenhang. Problematischer erscheint V&. Warum wird das Verderben plötzlich auf die Orakelpriester eingegrenzt? Warum wird eine erneute Begründung für das Unheil gegeben („wegen ihrer Ratschläge")? Nirgendwo sonst in diesem Abschnitt wird eine Gruppe des Volkes besonders herausgehoben. Vermutlich haben wir es mit einer späteren interpretierenden Ergänzung zu tun. Aufgrund von V2 sollte die besondere Verantwortung der Kultbeamten für den Untergang des Volkes herausgestellt werden.16

zugehörige Schicht ftir spätdeuteronomistisch hält, so daß aittib 1JKM i s ein Zitat aus Jer 5,3; 8,5 sein könnte. 12 V g l . dazu NAUMANN, 1 0 3 - 1 0 9 . 13 Gegen ZENGER, HOS 11,4, 194: Er versteht H o s 1 l , 1 . 3 a . 4 b . 5 a . 6 a als Grundschicht, in der Ephraim/ Israel als „ S o h n " gesehen wird, und Hos l l , 2 . 3 b . 4 a . 5 b als Erweiterung, die Israel als pluralische Größe anspricht und neue Bilder einbringt. - D a d u r c h wird aber z.B. V 5 a . 6 a . völlig unverständlich, weil die sog. Grundschicht nichts von einem Konflikt zwischen Jahwe und Israel erkennen läßt. 14 V g l . dazu 5,3f: Aus der aktiven sündigen Tat (nur in V 3 b ist das Volk Subjekt!) wird schließlich eine Macht, der sich die Menschen nicht mehr entziehen können („Geist der Hurerei" V 4 b ) . 15 V g l . WILLI-PLEIN, 197. 276(, die V 3 b hinter V 4 b umstellt. VOLLMER, 57f, hält V 3 b ftir nicht ursprünglich. 16

V g l . JEREMIAS, A T D ,

143; KÖCKERT, Prophetie,

6.

Erfahrene Fürsorge

191

3.2. Spezifische Problemstellungen und Themen 3.2.1. blV oderbw? (zu V4) Gegen die Lesart biv spricht V4b: Bei solch zärtlicher Zuneigung (oKl) erwartet man eher, daß sie einem Menschen gilt. Auch die Rede von „menschlichen Seilen" und „Banden der Liebe" V4a scheint bei aller Tierliebe nicht sehr geeignet, die Beziehung zu Pflugtieren zu charakterisieren, es sei denn, man versteht dies vor allem vom Primärgegenstand „JHWH - Israel" her. Allerdings legen ban und nag trotz eines weiten Bedeutungsspektrums Assoziationen an Wagenseile (vgl. Jes 5,18; Hi 39,10) und damit an bäuerliches Leben nahe. Vermutlich haben deswegen schon die Massoreten bll? gelesen. Bei Jeremia wird ^iJ? neben nag metaphorisch gebraucht für die Bindung an J H W H und sein Recht (2,20; 5,5). Überhaupt werden 'yarj und n a g öfter als Metaphern verwendet: In Ps 2,3 lehnt man sich gegen die Herrschaft J H W H s und seines Gesalbten auf, man möchte ihre Bande zerreißen und ihre Stricke abwerfen. Mit „Stricken der Lüge" wird in Jes 5,18 lij; herbeigezogen, HKOn mit Wagenseilen (vgl. Prv 5,22). Um die Bande des Totenreiches geht es in Ps 18,6; 116,3.

An dem metaphorischen Gebrauch von ^arr und nas? in Hos 11,4 besteht wegen DT K und nan ; K keinerlei Zweifel. Von VI an dominiert das Bild von Israel als dem Sohn, den zu erziehen J H W H sich alle erdenkliche Mühe gibt. Nichts liegt näher, als die Metapher von den Seilen und Stricken im Rahmen dieser Tätigkeit zu verstehen. Dagegen bringt der Kontext die Welt des Bauern überhaupt nicht ins Gespräch; das geschieht erst in dem Moment,' da der bvs zum b'v wird. Daraus ergibt sich: Auch wenn man beim Bild des Kindes bleibt ), weckt V4a keineswegs eine „unzeitgemäße Erinnerung an den Ausmarsch eines Kindergartens",17 sondern wir finden hier einen sehr schönen sprachlichen Ausdruck für JHWHs pädagogisches Handeln an Israel. Freilich entsteht dadurch eine recht komplizierte metaphorische Struktur, sozusagen eine „Metapher in der Metapher". Dieses Problem verliert aber dadurch an Gewicht, daß schon ab V3b von den Israeliten im Plural die Rede ist. Das bedeutet, der Sekundärgegenstand (Verhältnis Eltern - Sohn) tritt in den Hintergrund zugunsten des Primärgegenstandes. Dadurch wird Raum geschaffen für die neue Metapher.

17

S o RUDOLPH, K A T , 2 1 0 , gegen

WOLFF.

192

Exegesen

3.2.2. Die Alternative: JHWH als Bauer (Hos 11,4;

10,ll-13a)

3.2.2.1. Hos 11,4 11,4

Mit menschlichen Stricken zog ich sie, mit Seilen der Liebe. Ich war für sie wie solche, die das Joch hochheben, das auf ihren Kinnbacken liegt. Ich neigte mich zu ihm und gab ihm zu essen.

Zwei Schwierigkeiten fallen bei dieser Lesart sofort ins Auge: 1.) Ein Joch liegt normalerweise auf dem Nacken des Pflugtieres, nicht auf den Kinnbakken. 2.) Für die 3.P. Singular in V4b fehlt der Bezug. Es müßte Ephraim von V3a sein, doch der wird dort im Bild des kleinen Jungen gesehen. Das mag nicht besonders schwerwiegen, da ein Wechsel der Metaphern nichts Außergewöhnliches ist (vgl. 13,5-8; 14,2-9) und in Hos 11,1-7 singularische und pluralische Redeweise ohnehin einander ständig ablösen. Die Erwähnung der Kinnbacken versucht man zumeist mit dem Hinweis zu erklären, es gehe ja um die Fütterung des Rindes: Der (oft zusammen mit einem zweiten Tier) angejochte Ochse könne sich schwer bücken und kauen. Deswegen hebe der Bauer vor dem Füttern das Joch hoch, um dem Tier das Fressen zu erleichtern. Das Joch sei „ohne eine den Hals umschließende und die Kinnbacken berührende Einrichtung nicht zu denken ..." 18 V4aß.b zeigt bei dieser Interpretation einen Bauern, der seine Tiere nicht nur pflichtgemäß versorgt, soweit es gerade eben notwendig ist, sondern der überlegt, was ihnen guttut, und sie dementsprechend einfühlsam behandelt. Sie sind für ihn nicht bloße Objekte oder Arbeitsmittel, über die er einfach verfugt; er geht auf ihre Bedürfnisse ein und achtet sie so als Geschöpfe mit eigenem Lebensrecht. Eine etwas andere Situation hat V 4 a a im Blick: Hier zieht der Bauer die Tiere, und zwar mit DTK '^art und nanu mnny. 1 9 D.h., wenn er „ein Stück Vieh vor sich hertreibt oder hinter sich dreinzieht, quält er es nicht, indem er am Strick reißt und das Tier verletzt...;... was von dem, der den Strick zieht, gilt, wird metabolisch von den Stricken selbst ausgesagt." 2 0 DALMAN, AUS II, 100; vgl. 99f zu H o s 11,4; 93ff zu Joch allgemein. Übernommen wurde diese Erklärung u.a. von JEREMIAS, A T D , 142; VOLLMER, 57. 58f (Anm. f ) ; v glWOLFF, B K , 258, der sich dann aber doch für die Lesart „Säugling" statt „Joch" entscheidet. RUDOLPH, KAT, 215, erklärt die nninb damit, daß die Hände des Bauern beim Hochheben des Jochs die Kinnbacken des Rindes berühren. " V g l . DALMAN, AuS II, 113. 20 RUDOLPH, KAT, 215. Vgl. JEREMIAS, A T D , 142: „Es waren nicht Wunden und Striemen scheuernde Seile ..." 18

Erfahrene Fürsorge

193

Im Primärgegenstand bezieht JEREMIAS diese Aussage mit Recht „auf die gütige, verständnisvolle Erziehung Israels durch Gott ... Es waren ... .menschliche Seile'..., mit denen er es lenkte ..., insofern alle notwendige Züchtigung milde war (vgl. 2Sam 7,14 für das Vater-Sohn-Verhältnis), , Stricke der Liebe', insofern alle Erziehung nur dem einen Ziel diente, Israel zum Heil zu führen und es in ungeteilter Liebe und Hingabe an sich zu binden." 21 JEREMIAS' Auslegung macht offenbar, daß die Metapher vom Bauern und seinem Vieh nicht recht passen will. Die Interpretation gelingt nur mit Hilfe des zusätzlichen Denkmodells von der Erziehung. Auch in V4aß.b wirkt die Metapher als Aussage über J H W H relativ schwach und wenig resonant: Denn es ist eigentlich selbstverständlich, daß ein Bauer seine Pflugtiere ordentlich versorgt! Schließlich liegt das in seinem eigenen Interesse. Somit verstärkt der Versuch, J H W H in Hos 11,4 als einen Bauern zu sehen, letztlich die Argumente für die Gegenposition (s.o.). 3.2.2.2. Hos

10.11

10.12

10,13a

10,11-13a

Ephraim war eine angelernte Jungkuh, die es liebte a) zu dreschen. Ich aber: Als ich vorübergingt an ihrem schönen Nacken, wollte ich Ephraim anspannen; c> er (Juda) d> sollte pflügen; Jakob sollte für sich eggen: „Säet euch zugute, wie es der Gerechtigkeit entspricht, erntet gemäß der Hingabe; brecht euch Neuland! Ist es doch Zeit, e) JHWH zu suchen, bis er kommt und Gerechtigkeit über euch regnen$ läßt." Ihr habt Unrecht gepflügt, Verkehrtheit habt ihr geerntet, die Frucht des Betruges gegessen f>

a) Z u m i-compaginis vgl. G K a , § 90 k.l. Es dient der Hervorhebung des Stat. constr. b) D i e meisten Exegeten lesen b'v i n T a v n oder ähnlich und nehmen an, bv sei durch Haplographie ausgefallen ( B H , B H S , VOLLMER, 72; WILLI-PLEIN, 191; WEISER; KINET, 172. 3 2 6 , A n m . 58; SELLIN u.a.; vgl. RUDOLPH: BV IRNAY). D o c h weder noch SB, noch einer der übrigen Textzeugen stützt dies, so daß SW vorzuziehen ist (mit JEREMIAS; NEEF, 7 8 . 7 9 ; WOLFF). c) D i e Imperfekt-Formen nach d e m Perfekt sind voluntativ zu verstehen (vgl. G K a , § 1 0 7 m.n.q.r.; WILLI-PLEIN, 191). 21 JEREMIAS, ebd. Zu ZENGERS Deutung auf die Propheten s.u. II/3.3. (Anm. 87; vgl. Textkritik zu V2, II/3.1.1.b).

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Exegesen

d ) VOLLMER, 7 2 ; WOLFF, 2 3 2 . 2 3 3 . 2 4 0 ; N E E F , 7 8 . 7 9 ; KINET, 1 7 3 u.a. h a l t e n

„Juda" an dieser Stelle fiir ursprünglich wegen der Dreigliedrigkeit, die sich mit den drei Imperativen in VI 2 und den drei Perfekt-Aussagen VI 3a fortsetzt. V l l b fällt aber schon insofern aus dem Rahmen, als zuerst JHWH Subjekt ist und dann zweimal das Volk, so daß der Halbvers in keinem Fall eine Dreierstruktur wie in VI 2 und VI 3a zeigt. WOLFF argumentiert außerdem mit der an anderen Stellen zu beobachtenden gesamtisraelitischen Sicht des Propheten (vgl. 5,10.12; 6,4). Doch diese wird hier durch „Jakob", der alle zwölf Stämme repräsentiert, eingebracht. Der Rückblick bezieht sich ja auf die Zeit vor der Zweistaatlichkeit, so daß die Erwähnung Judas neben Ephraim nicht sinnvoll ist. Ephraim dagegen wird genannt, weil es dem Propheten um die Identität des jetzt angeredeten mit dem damals von J H W H beauftragten Volk geht; es ist seit dem Anfang des Spruches „the focus of attention" (EMMERSON, 85; vgl. deren ausführliche Diskussion, 84—86). mirp dürfte darum eine Ergänzung der judäischen Redaktion sein, die die Botschaft des Spruches ausdrücklich auch auf das Südreich bezogen wissen wollte (mit WEISER, SELLIN, JEREMIAS, WILLI-PLEIN, 191f; NAUMANN, 98-101). Besonders phantasievoll wirkt RUDOLPHS Vorschlag (200. 201): „... daß es sein Feld pflüge ..." Aus ursprünglichem innt? wurde durch Haplographie des to Inn, das dann zu m i n ' erweitert wurde. e) Aus ursrünglichem nsn konnte durch Verlesung leicht nsn werden, so daß 3W als lectio difficilior beizubehalten ist (mit JEREMIAS; RUDOLPH; WILLI-PLEIN, 1 9 3 ; WEISER; N E E F , 7 9 . 80; gegen WOLFF; SELLIN, die sich auf @ stützen). f) Wegen 6.3 und der Metaphorik des Spruches ist die Ubersetzung „regnen lassen" vorzuziehen gegenüber ¡TV III „lehren".22 ® liest vermutlich n ä , was auf Verlesung bzw. Mißverständnis aufgrund von V12aa und VI 3a zurückzuführen sein dürfte. WOLFF und SELLIN schließen sich ® an. g) Es gibt keinen Grund, das 3. Glied von V13a futurisch zu übersetzen, nur um es als Strafandrohung interpretieren zu können (gegen RUDOLPH und SELLIN). Wahrscheinlich bezieht es sich auf die notvolle Zeit um 733, auf die zurückgeblickt wird. Gegen V I 2 werden mitunter literarkritische Bedenken erhoben. 23 Nicht mehr befremdlich wirkt das Mahnwort allerdings, wenn man es als Zitat der damals an die Israeliten ergangenen Weisung versteht: 24 J H W H hat ihnen deutlich gemacht, auf welche Weise die Feldarbeit geschehen soll. Doch Ephraim hat sich nicht daran gehalten. Den drei Imperativen in V I 2 ent22 Die Bedeutung n n „lehren" wurde allerdings in der Traditionsgeschichte wichtig fur die Erwartung des „Lehrers der Gerechtigkeit", die sich über die Qumranschriften bis hinein in die mittelalterliche rabbinische Literatur verfolgen läßt (KÖLICHEN, 3 2 4 - 3 2 7 ) . 23 VOLLMER, 72f, hält den gesamten V I 2 fiir eine Glosse. Das Mahnwort passe nicht in den Zusammenhang, und die Vorstellung vom K o m m e n Jahwes sei der vorexilischen Prophétie fremd. WILLI-PLEIN, 192f, sieht nur in V12aß.b eine spätere Erweiterung, „die ... die hoseanischen Bilder im Lichte und in der Sprache der späteren Prophetie auslegt ..." (193). Vgl. WELLHAUSEN z.St. 24 So die meisten der neueren Kommentare, vgl. JEREMIAS, A T D , 135.

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sprechen die drei perfektischen Aussagen von V I 3a. TU Q31? n ' J kommt noch einmal in Jer 4,3 vor. Es ist nicht einzusehen, weshalb Spätere die Wendung von Jer 4,3 in Hos 10,12 eingetragen haben sollten. Viel eher hat Jeremia sie von Hosea übernommen und für seine Hörer inhaltlich neu gefüllt. Sie bezieht sich bei Hosea nicht auf den Neuanfang nach einem schon geschehenen Abfall von J H W H , sondern hat einfach die völlig neue Situation im Blick, die Israel mit dem Ubertritt ins Kulturland zu bewältigen hat. 25 Somit sind die Gründe, V12aß auszuscheiden, hinfällig. V12b dagegen erinnert in der Tat an Weissagungen aus jüngerer Zeit (vgl. Joel 2,23; Sach 9,9; Ez 21,32). Ein Blick auf Hos 6,3 lehrt jedoch, daß die Vorstellung vom Kommen J H W H s auch zuzeiten Hoseas im Volk lebendig war. Möglicherweise steht sie in Beziehung zu den alten Theophanieschilderungen des Gottes „vom Sinai" (vgl. Dtn 33,2; Ri 5,4). Hosea scheint die Sehnsucht der Menschen, die sich in 6,(1.2)3 ausspricht, bewußt aufzunehmen und macht ihnen zugleich klar: Denen, die den HERRN suchen, ist sein Kommen verheißen (vgl. 5,15). Auch im Kulturland soll das ganze Leben auf ihn ausgerichtet sein und in der inneren Beziehung zu ihm gestaltet werden. 26 J E R E M I A S weist darauf hin, daß M N I - RIK U / N besonders im Nordreich terminus technicus für das Aufsuchen eines Propheten ist, um durch ihn J H W H s Willen in konkreten Situationen zu erfahren. 27 - Aufgrund dieser Beobachtungen erscheint es mir unangemessen, V I 2 b für eine sekundäre Erweiterung zu halten. Der gesamte VI 2 beinhaltet das Programm für Israels Leben im Land. Dabei ist es müßig zu streiten, ob er als Prophetenrede gemeint ist (weil J H W H am Ende in der 3.P genannt wird) oder vielleicht doch als JHWH-Rede (vgl. 1,2; 3,1). In jedem Fall handelt es sich um JHWHs Auftrag und Verheißung. Als Gottesmetapher präsentiert sich der Spruch nur in VI 1. Wieder fällt die außerordentliche Vorsicht auf, mit der sie eingeführt wird: Am Anfang steht eine Metapher für Ephraim in der Form „A ist X", also nicht durch 3 vermittelt. Sie rückt die Welt des Bauern als Sekundärgegenstand in den Blick und

25

26

G e g e n WILLI-PLEIN, 192.

WOLFF, BK, 232. 241, spricht in diesem Zusammenhang von „bundesgemäßem Verhalten" und findet in Hos 10,12 die drei Haupttermini desselben: n^TSf bzw. p i y als „Bundesrecht", "rpn als „Bundestreue" und ru;i (nach ©). Natürlich kann er, wenn es um ein Verhalten geht, r n i nicht mit „regnen lassen" übersetzen. V12aß.b heißt bei ihm: „Schafft euch einen Neubruch der Erkenntnis und fraget Jahwe, bis zu euch kommt die Frucht des Bundesrechts." - Als Interpretation dessen, was von Hosea intendiert war, ist das sicher nicht unsachgemäß. Problematisch daran ist jedoch m.E., daß der Prophet selbst kaum in der rechtlichen Kategorie des Bundes denkt, so daß diese mehr von außen an die Texte herangetragen wird. Hosea beschreibt sozusagen den inneren Gehalt dessen, was wenig später „Bund" genannt wird. Vgl. PERLITT, 150-152. 27 JEREMIAS, ATD, 136. Vgl. lKön 22,8; 2Kön 3,11; 8,8; 22,13.18; Jer 21,2; zum Vorgang der Jahwe-Befragung vgl. ferner: lKön 14,lff (V5); 2Kön l,2ff; Jer 37,3ff; 42,lff.

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stellt unmißverständlich klar: Sowenig Ephraim nach den üblichen sprachlichen Kategorien eine junge Kuh „ist", so wenig „ist" Gott ein Bauer. Für sich allein jedoch bedeutet V I l a a nicht viel; erst von V I laßy her, der die Beziehung zu J H W H thematisiert, gewinnt die Metapher für Ephraim ihre Bedeutung: Daß die junge Kuh bereits angelernt ist und gerne drischt,28 hat im Primärgegenstand keine direkte Entsprechung. Vielleicht kann man bei rn ö ^ ü noch an die Gesetzesmitteilung am Sinai denken,29 beim Dreschen will selbst phantasiebegabten Exegeten nichts Passendes einfallen. Das ist auch nicht nötig. Denn auf etwas anderes kommt es an: Hosea spricht zu Menschen, denen bäuerliches Leben zumindest vertraut ist, viele werden selbst Landarbeiter sein. Das Herz eines Bauern schlägt höher, wenn er die Schilderung in V I l a a hört: Kostbar ist ein solches Tier! Glücklich, wer es sein eigen nennt. Die Metapher bewirkt also, daß die Israeliten sich plötzlich auf J H W H s Seite wiederfinden und mit ihm fühlen. Denn selbstverständlich versetzen sie sich von Anfang an in die Lage des Bauern, dem diese junge Kuh gehört. Man spürt förmlich die Freude und den Stolz, mit dem er das schöne Tier, wenn er vorbeikommt, betrachtet und ihm über den Nacken streicht, ms? braucht m.E. nicht tiefsinnig theologisch gedeutet zu werden, auch wenn im Hintergrund Assoziationen an Gotteserscheinungen mitschwingen mögen, bei denen J H W H „vorüberging" (vgl. Ex 33,19.22; 34,6; lKön 19,11). 30 Keineswegs wird hier der Akt der Erwählung beschrieben, diese ist vielmehr vorausgesetzt. Ephraim gehört dem H E R R N bereits.31 Der Bauer stellt hier lediglich fest, daß das Tier herangewachsen und dabei stark und schön geworden ist. Kein Wunder, wenn er beschließt, es zur Feldarbeit einzusetzen und vor den Pflug zu spannen! Töricht wäre jeder

28 Offenbar ist mit dem Dreschen nicht das Ziehen des schweren Dreschschlittens gemeint, sondern das Rind zertrampelt das Getreide mit den Hufen, kann dabei frei gehen (ohne Joch) und fressen, soviel es mag (vgl. Dtn 25,4; DALMAN, AUS III, 104FF; VI, 169). Kein Wunder also, daß es diese Arbeit gerne tut. Zum Dreschen allgemein vgl. bes. DAL-

MAN, A u S I I I , 7 8 - 1 1 6 . 29 So vermutet RUDOLPH, KAT, 203. Die Pual-Form bedeutet wohl nicht - wie meist übersetzt wird - „lernwillig, gelehrig" (dies könnte eher ein Niphal ausdrücken: „sich lehren lassen"), sondern „angelernt, geübt" wie in Jer 31,18; Jes 29,13. Vgl. WOLFF, BK, 239; GOSHEN-GOTTSTEIN, 6 4 - 6 6 („well-trained heifer"). Dagegen spricht selbst JEREMIAS, A T D , 132, noch von der „gelehrigen Jungkuh". 30 JEREMIAS, A T D , 134, versteht "LAU auch hier als Fachausdruck für die Theophanie am Sinai. 31 WOLFF, BK, 240, interpretiert las; als ein „Entdecken im Vorübergehen" (wie Ez 16,6.8), das dem Finden in Hos 9,10 entspricht, und als Akt der Erwählung. „Es ist demnach die treffliche Brauchbarkeit Israels hier wie in 9,10, die die Erwählung J H W H s in dieser Tradition voraussetzt." (ebd.; vgl. 239) - Auch JEREMIAS, ATD, 134, geht davon aus, daß hier die erste Begegnung J H W H s mit Israel beschrieben wird. RUDOLPH, KAT, 202f, dagegen merkt an, dies führe zu dem fatalen Gedanken, Israel sei aufgrund seiner vorzüglichen Eigenschaften von J H W H erwählt worden.

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Bauer, der dies nicht täte. Dies verstehen Hoseas Zuhörer sehr wohl. Sie begreifen, wie wertvoll Ephraim für J H W H gewesen ist und wie berechtigt die in sein Volk gesetzten Erwartungen waren. Weil sie selbst Bauern sind, k o m m t ihnen ihr Gott durch diese Metapher nahe. Doch bereits in V I l b wird die///W7/-Metapher verlassen: Ephraim „sollte pflügen" - das kann vom Pflugtier ebenso gesagt werden wie vom Bauern selbst; V l l b ß dagegen („Jakob sollte für sich (ib) eggen") kann das Rind nicht meinen, denn es arbeitet nicht zu seinem eigenen Nutzen. Israel selbst wird jetzt als Bauer angesprochen; ihm und nicht J H W H sollte die Frucht seiner Mühe zugutekommen. 3 2 Deutlich erkennbar wird dies von V I 2 an. W i r haben es hier mit einer Metapher zu tun, deren Struktur die gleiche ist wie bei „Hurerei" als Charakteristikum des irregeleiteten Gottesdienstes (z.B. 4 , 1 2 ) : Die lexikalische Bedeutung von „säen", „ernten" und „Neuland brechen" ist jeweils ein Teil ihrer metaphorischen Bedeutung; Primär- und Sekundärgegenstand sind nicht zwei voneinander getrennte Bereiche, sondern ersterer beinhaltet den zweitgenannten. D a ß es zu einer metaphorischen Bedeutungsausweitung gekommen ist, wird durch n p t y , "ton und V I 2 b angezeigt, desgleichen in V I 3 a durch sruh, nnbiy (vgl. 10,9) und ttira (vgl. 12,1). 3 3 Die Arbeit auf dem Felde, die sozialen Beziehungen und in alledem das Verhältnis zu J H W H sind gleichermaßen im Blick. Anders als in 8,7, wo die Ernte als Konsequenz des Säens betont wird, stehen „säen" und „ernten" hier nebeneinander als zwei Aspekte der Arbeit im Kulturland. Gerechtigkeit und Hingabe verhalten sich nicht wie Ursache und Folge zueinander. 34 Klar formuliert V I 2 J H W H s Erwartungen an Israel, unmißverständlich dokumentiert V I 3a, wie sehr er darin enttäuscht wurde. Hierin wirkt die Metapher von V I I nach: Weil die Hörer die in die junge Kuh gesetzten Erwartungen geteilt hatten, können sie nun auch J H W H s Enttäuschung nachempfinden. Die meisten Ausleger finden in diesem Spruch die Diskrepanz zwischen Einst und Jetzt ausgedrückt. V I l a blicke auf die ideale Zeit des Anfangs in der Wüste zurück (n^jy als die „junge Kuh" verweise auf Israels Frühzeit), während mit dem Übertritt ins Kulturland der Abfall erfolgt sei und Israel in der Gegenwart nur noch negativ bewertet werde. 35 Von der Wüstenzeit ist in

32 33 34

Vgl. zweimal n? 1 ? in V I 2a. Zu wns vgl. ferner Hos 4,2; 7,3; 9,2. V g l . R U D O L P H , K A T , 2 0 3 ; JEREMIAS, A T D ,

135. Gegen WOLFF, B K ,

241.

Exemplarischer Vertreter dieser Auffassung ist J . VOLLMER: Auch in Hos 10,11—13a erkennt er eine strenge Zweigliedrigkeit in Hoseas Geschichtsbild. Einst hatte Israel für Jahwe einen Wert, war gelehrig und willig, jetzt ist es frevlerisch, ungehorsam, verkehrt. Den Zeitpunkt des Ungehorsams sieht VOLLMER in jenem Moment, da Ephraim das Joch tragen sollte, d.h. die Gabe des Kulturlandes bekam und den Auftrag, J H W H dort zu 35

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diesem Spruch aber nicht ausdrücklich die Rede; das Bild von der dreschenden Jungkuh sperrt sich sogar gegen diesen Bezug. Nun fällt auf, daß VI l a a ein Nominalsatz (!) ist, während das Versagen Israels mit Hilfe von finiten Verbformen beschrieben wird (VI 3a). Es geht also eher um die Diskrepanz zwischen Sein und Verhalten. Natürlich schaut der Prophet dabei auf die Vergangenheit zurück (vgl. 'rnaj;!), doch die historische Dimension der Schuld ist weniger bedeutsam als die grundsätzliche Erkenntnis: Ephraim hat seine Bestimmung verfehlt. Ein Zeitpunkt für den Abfall wird nicht genannt; er ist unwichtig, weil klar ist, daß das ganze Leben im Kulturland davon geprägt ist. Für die These von der idealen Wüstenzeit sollte man Hos 10,11—13a besser nicht in Anspruch nehmen.

3.2.2.3. Zusammenfassung J H W H als Bauer — das wäre nur in 11,4 eine Metapher der Fürsorge. Doch dort wirkte sie merkwürdig schwach und wenig resonant. — Anders verhält es sich mit 10,11—13a: Der Skopus liegt nicht in der Fürsorge des Bauern, sondern in seiner Wertschätzung der jungen Kuh und seinen berechtigten Erwartungen an sie. Weil die Israeliten selbst mit der Landwirtschaft verwachsen sind, können sie dies unmittelbar nachvollziehen. Die Metapher versetzt sie in die Lage, JHWHs Enttäuschung mitzuempfinden und ihr Verhalten im Kulturland als Verfehlung ihrer Bestimmung zu erkennen. Sie schafft eine unerwartete Nähe zu Gott, sofern sich die Israeliten als Bauern fühlen. Durch den offensichtlichen Unterschied zwischen dem Volk und einer Kuh wahrt sie dabei zugleich die Distanz zwischen J H W H und Ephraim.

3.2.3. JHWH als Vater oder als Mutter? Mit der größten Selbstverständlichkeit sehen Generationen von Exegeten Gott in Hos 11 als Vater, obwohl es ebensogut eine Mutter sein könnte, die in VI „mein Sohn" sagt. Helen SCHÜNGEL-STRAUMANN36 stellt darum das traditionelle Bild m.E. zu Recht in Frage. Besonders in der feministischen Theologie ist man/ frau ihrer Interpretation gern gefolgt. 37 Leider gründet sie ihre Argumentation u.a. auf verschiedene Konjekturen, die textkritisch nicht einleuchten, und bietet schon dadurch den Kritikern viele Angriffs-

dienen (74f). - Zu der Voraussetzung, V l l a meine die Wüstenzeit, vgl. JEREMIAS, ATD, 135; NEEF, Heilstraditionen, 83; RUDOLPH, KAT, 203; WEISER, 82; W O L F F , BK, 240, u.a. 3 6 SCHÜNGEL-STRAUMANN, Gott als Mutter in Hos 11, 1 1 9 - 1 3 4 . Beispiele fiir die traditionelle Sicht, Hos 11 zeige JHWHs väterliche Liebe, gibt sie auf S. 126, Anm 17. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. 37 Vgl. z . B . W A C K E R : Frau - Sexus - Macht, bes. 121f.

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möglichkeiten. Die Schwierigkeiten sind denn auch von Siegfried

199 KREU-

ZER38 haarklein aufgespießt worden. Wie bereits diskutiert, gibt es gute Gründe, SCHÜNGEL-STRAUMANN in der Lesart „Säugling" statt „Joch" (V4) zu folgen. Die Bedeutung „stillen, säugen" für Vil V3a kann dagegen nicht aufrechterhalten werden (s.o. II/3.1.1.d). Weiter fallen folgende Besonderheiten ihrer Interpretation auf: KQ1 V3b versteht sie ebenfalls als ein Verb, das sich „auf ein ganz kleines Kind, auf einen Säugling" (123) bezieht, und übersetzt es mit „pflegen" (120. 124). Bei genauer Uberprüfung des lexikalischen Befundes stellt sich jedoch heraus, daß KÖT im Alten Testament kein einziges Mal ein kleines Kind als Objekt oder eine Mutter als Subjekt hat. - Anstelle von nn'nV in V4 liest sie np/n1? (von pin, nach KBL3 1, 300, die „untere, äußere Vorderseite des menschlichen Leibes, wo man Geliebte, Tiere, Kinder hegt"), weil dann auch der Plural erklärt wäre (124f). 39 Abgesehen davon, daß der Plural von i n n » 3 abhängt und darum nicht problematisch ist, muß p'n nicht unbedingt „Busen" heißen, sondern es bedeutet wohl eher oder zumindest ebensogut „Schoß". Jedenfalls wird das Nomen häufig auch für Männer gebraucht (vgl. lKön 1,2; Mi 7,5; 2Sam 12,3; für die Bedeutung „Busen" käme etwa Ruth 4,16; lKön 3,20 in Betracht). O b nun in1? oder pin, es trägt in jedem Fall ein maskulines Suffix, und auch ' ö n n 3 ist maskulin. Schließlich wäre die Doppelpräposition b bv bei pin äußerst schwierig zu deuten. Im übrigen nötigt nichts dazu, ®t zu ändern. Für V8 übernimmt SCHÜNGEL-STRAUMANN den Konjekturvorschlag W E L L H A U SENS, ' n n i („Erbarmen" von an"i „Mutterschoß") statt 'WinJ zu lesen, und übersetzt „ganz und gar entbrannt ist mein Mutterschoß" (128). Auch dies kann freilich von Männern ausgesagt werden (Gen 43,30; vgl. Ps 103,13; Prv 12,10), und sie könnte schon deswegen ebensogut bei 9W bleiben. Als letzte Besonderheit betont die Autorin bei U»K in V9b die Bedeutung „Mann" im Gegensatz zur Frau, obwohl es primär um den Gegensatz zu Gott geht. Dies ist im nächsten Kapitel eingehender zu diskutieren. Dadurch daß sie W'N hier in einem geschlechtsspezifischen Sinn interpretiert und behauptet, J H W H lehne typisch männliches, nicht wahrhaft menschliches Verhalten für sich ab (130), kommt sie nicht umhin zu sagen, was sie unter „typisch männlich" versteht: „eine Strafe konsequent durchzuziehen, dem Zorn seinen Lauf zu lassen, eine Gerechtigkeit durchzusetzen, die für Israel den Untergang bedeutete." (131) Dies bringt ihr den Vorwurf sexistischen Denkens ein: „Wird hier etwas anderes gemacht, als was man sonst sexistisch, androzentrisch oder patriarchalisch geprägtem Denken vorwirft, nämlich das andere Geschlecht abzuwerten und Gott auf die eigene Seite zu ziehen?"40

38

KREUZER, Gott als Matter in Hos 11?, 123-132. Hier hat KREUZER anscheinend mißverstanden: Er bemerkt, DJJIRI sei gar kein Plural, trage nur ein Plural-Suffix (KREUZER, 124). Das weiß SCHÜNGEL-STRAUMANN doch selber! Problematisch erschien ihr m.E. der Plural bei nrnnb (SCHÜNGEL-STRAUMANN, Mutter, 125, Anm. 14). Sie hat sich allerdings mißverständlich ausgedrückt. 39

40

KREUZER, 130f.

200

Exegesen

Doch gerade dies will sie m.E. nicht. Hosea gehe es darum, seinen Gott von dem männlichen Baal abzugrenzen. „Weibliche Gottheiten werden nicht deswegen bekämpft, weil der Prophet etwa frauenfeindlich wäre, sondern ...: J H W H braucht keine 'aserah, weil er kein Baal ist, er braucht keine Frau, weil er kein V/ist!" (132) - Außerdem möchte S C H Ü N G E L - S T R A U M A N N herausarbeiten, daß in einer Zeit der Katastrophe (verzweifelte Situation vor dem endgültigen Zusammenbruch des Nordreiches) die männlichen Gottesbilder (Richter, König, Held, Ehemann) nicht mehr helfen. Der Prophet kann seine letzten und tiefsten Erfahrungen mit dem Gott Israels besser mit Hilfe weiblicher Gottesbilder ausdrücken. Sie schlußfolgert: „, Gott als Mutter' kann darum genauso die prophetische bzw. biblische Gotteserfahrung ausdrücken wie , Gott als Vater', wenn man sich bewußt bleibt, daß beides Bilder sind, die in ihrer jeweiligen Ganzheit nicht beabsichtigen, den andern Teil auszuschließen. Das Göttliche zeigt sich mit verschiedenen Gesichtern, wobei je nach den Umständen einmal das väterliche, dann das mütterliche Angesicht Gottes hilfreicher erscheint." (133) - Diese Einsichten verdienen Beachtung, auch wenn sie in diesem Aufsatz auf schwachem exegetischen Grund stehen. Es bleibt zu fragen, wie sich das Angesicht Gottes in Hos 11 zeigt, wenn man auf die genannten Textänderungen und Spezialinterpretationen verzichtet: Hosea nennt Gott auch im Rahmen der Metapher weder „Vater" noch „Mutter", nicht einmal in einem Vergleich. Zudem vermeidet er alle geschlechtsspezifischen Ausdrücke. 41 Das kleine Kind wird nicht gestillt, nicht an die Brust genommen (vgl. Hos 2,4; 9,14); vom Mutterschoß ist nicht die Rede (vgl. nn"i in 9,14). Aber es wird geliebt, gerufen, großgezogen, auf die Arme genommen; man drückt es zärtlich an die Wange, neigt sich zu ihm und gibt ihm zu essen. Das alles könnte auch von einem Vater gesagt werden. Doch die Kinderbetreuung im Alten Orient darf wohl mit Recht vorwiegend als Aufgabe der Mütter betrachtet werden. 42 Die Maskulinformen in V4a erlauben zwar nicht, die Aussage auf weibliche Subjekte einzugrenzen, sie können jedoch Frauen mit einschließen. 43 Das bedeutet: O h n e Zweifel tut J H W H in Hos 11, was in der Regel Mütter tun, aber er tut es nicht als eine weibliche Gottheit. Dieses Mißverständnis will der Prophet offenbar u m jeden Preis verhindern: Mit einer mütterlichen Göttin darf J H W H keinesfalls verwechselt werden! Das Motiv von der Göttin, die ein Kind auf ihren Armen trägt, war im Alten Orient verbreitet. Während W I N T E R vor allem das entsprechende ikonographische

41

Auch ttf'K V9 sollte nicht als ein solcher interpretiert werden. Vgl. NISSINEN, 270f. Obwohl er SCHÜNGEL-STRAUMANN in Einzelinterpretationen nicht zustimmt, sieht er in Hos 11 Gott überwiegend als Mutter (268ff). 43 Vgl. KREUZER, 132. - Bis vor nicht allzu langer Zeit wurden Wendungen wie diese im Deutschen nicht als falsch empfunden: „Student^«, die ein Kind erwarten...", „Jeder, der die Pille nimmt...", „Der Nächste bitte!" im Wartezimmer des Frauenarztes usw. Dementsprechend könnte V4 womöglich doch in erster Linie die Mütter betreffen. 42

Erfahrene Fürsorge

201

Material auswertet,44 untersucht N I S S I N E N auch Texte aus der neuassyrischen Prophetie des 7.Jh. 45 In ihnen wird der König (Asarhaddon bzw. Assurbanipal) als Sohn oder (häufiger) als Pflegekind der Göttin angesprochen, die ihm ihre Liebe erweist. Dadurch soll die Herrschaft dieses Königs legitimiert werden. Als mütterliche Göttinnen erscheinen Ischtar oder Mulissu. Mit Hos 11 haben diese Texte manches gemein: die göttliche Liebe zu einem Kind, das als Sohn der Gottheit bezeichnet wird, das Füttern des Kindes, das Tragen auf den Armen und das Großziehen. - Einmal stellt sich die Gottheit (Ischtar?) zugleich als Vater und Mutter vor.46 Auch in Palästina läßt sich gegen Ende des 8.Jh. beobachten, wie die Tradition von der mütterlichen Göttin wieder aufzuleben beginnt. Sie ist hier vermutlich mit dem Namen Aschera verbunden und soll vor allem Schutz und Segen im familiären Alltag vermitteln, dient also nicht primär der Legitimation königlicher Herrschaft. 47

Hos 11 nimmt Motive aus der Tradition der Mutter-Gottheiten auf und beansprucht sie fiir JHWH; doch zugleich ist der Text auf deutliche Abgrenzung bedacht. Daraus erklärt sich z.B. die umständliche Ausdrucksweise in V4: „Ich war fiir sie wie diejenigen, die einen Säugling an ihre Wangen heben." Zusätzlich zur Vergleichspartikel wird noch der Plural eingeführt, um eine Gleichsetzung Gottes mit dem anthropomorphen (bzw. „gynaikomorphen"48) Subjekt unmöglich zu machen. „Dieser überraschende Plural ... wahrt die Grenze anthropologischen Redens von Gott ..."49 Die Alternative, ob JHWH nun wie eine Mutter oder wie ein Vater an Israel handelt, war dagegen nicht Hoseas Problem; er wollte seine Hörer davor bewahren, Gott auf menschliche Bilder zu fixieren. Dessen eingedenk läßt sich feststellen: Hos 11 zeigt JHWH m.E. vor allem mit mütterlichen Zügen, obwohl es keineswegs unangemessen ist, sie väterlich zu nennen. Wenn wir darum streiten, welches von beiden eher zutrifft, stellen wir lediglich unsere Mutter- und Vaterbilder zur Diskussion, nicht das Gottesbild; denn im Blick auf JHWH ist die Sprache von Hos 11 eindeutig. Die Gottesmetapher vermittelt auf diese Weise einen Maßstab, an dem sich menschliche Mütter und Väter messen lassen müssen. Zwar ist es bedauerlich, daß die christliche Tradition aufgrund der prägenden Kraft ihres Bildes vom Vater-Gott JHWHs Mütterlichkeit kaum mehr wahrzunehmen gestattet. Doch Hos 11 leitet dazu an, sich nicht an diesem Streitpunkt festzubeißen, Vgl. WINTER, 118f. 385-404; Abb. 57-61. 398-412. NISSINEN, 280-294; vgl. 276-280. Vgl. auch M. WEIPPERT, Bildsprache der neuassyrischen Prophetie, 55-93. 46 Vgl. ebd., 289. Auch im Gebet des Sumererfiirsten Gudea an die Muttergöttin Gatumdu übernimmt diese die Rolle von Mutter und Vater zugleich (RTAT, 136f). 47 Vgl. KEEL/UEHLINGER, (370ff) 378-385; bes. Abb. 327a-b (aus Samaria!). 44

45

48 45

V g l . SCHÜNGEL-STRAUMANN, M u t t e r , 1 3 2 . KREUZER,

132.

133.

202

Exegesen

sondern Gott zu erkennen, wie er hier begegnet: zärtlich, liebevoll besorgt, Leid tragend um sein Kind. Wer sich weigert oder gar nicht auf die Idee kommt, dieses Verhalten mütterlich zu nennen, muß sich fragen lassen, welche Ideologie ihn dabei bewegt bzw. behindert. Wer andererseits nur Müttern die Fähigkeit zu solchem Verhalten zutraut und sie Vätern absprechen will, ist vermutlich Opfer derselben Ideologie geworden, bloß mit umgekehrtem Vorzeichen. Es wäre wünschenswert, fiir unser Reden von Gott das Bild der Mutter neu zu entdecken, ohne es gegen das Vaterbild ausspielen zu müssen. Hos 11 kann dabei helfen, gerade weil Gott nicht festgelegt wird auf eines der beiden.50

3.2.4. JHWH als Arzt (Hos 11,3b; 7, Iß 14,5) Das Verb KU1 in 11,3b scheint nicht recht in den Kontext zu passen. Das Problem läßt sich nicht dadurch lösen, daß man den Halbvers als Glosse ausscheidet;51 man müßte zumindest erklären, weshalb er eingefugt wurde. Weiterhelfen kann hier nur die Frage, was der Prophet sonst meint, wenn er N£H gebraucht. An fünf markanten Stellen des Hoseabuches begegnet das Verb: 5,13; 6,1; 7,1; 11,3; 14,5. Wenn man bedenkt, daß es im gesamten Psalter nicht öfter als siebenmal vorkommt, ist dies fiir das kleine Buch eine beachtliche Zahl.52 Wie ein roter Faden zieht es sich durch Hoseas Botschaft.53 Um diesen besser erkennen zu können, sei ein kurzer Überblick über den Gebrauch von Köl im Alten Testament gegeben.

50 Ein Lied von Johann Jakob SCHÜTZ nimmt ganz unbefangen beide Metaphern für Gott in Anspruch: Der Herr ist noch und nimmer nicht von seinem Volk geschieden; er bleibet ihre Zuversicht, ihr Segen; Heil und Frieden. Mit Mutterhänden leitet er die Seinen stetig hin und her. gebt unserm Gott die Ehre! Wenn Trost und Hilf ermangeln muß, die alle Welt erzeiget, so kommt, so hilft der Überfluß, der Schöpfer selbst und neiget die Vateraugen denen zu, die sonsten nirgends finden Ruh. Gebt unserm Gott die Ehre! (Aus dem Choral „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut", EG 326, 5+6.) Vgl. auch GROSS, 86f, der in Hos 11 die Liebe Gottes „in Gestalt der Liebe von Vater und Mutter zugleich" (86) sieht. NISSINEN, 27 lf, betont unter Berufung auf WINTER, daß J H W H im Alten Testament als ein „Gott jenseits der Geschlechtlichkeit" geschildert wird und darum auch feminine Züge in sich schließt. 51

G e g e n VOLLMER, 5 7 f .

Häufigstes Vorkommen von Kb*l qal: Psalter 7x; Jesaja 6x; Jeremia und Hosea je 5x. Vgl. STOEBE, Art. xtn in: THAT II, 8 0 3 - 8 0 9 , 804. 53 Ähnlich verhält es sich mit der Wurzel ttrm, die in ganz verschiedenen Kontexten und Bedeutungsnuancen immer wieder auftaucht: Hos 4,2; 7,3; 9,2; 10,13; 12,1. 52

Erfahrene Fürsorge 3.2.4.1.

N£n im Alten

203

Testament

Im Südsemitischen bedeutet die Wurzel „flicken, ausbessern, zusammennähen". Das hebräische Verb Kün „heilen" dürfte davon abgeleitet sein und hat zunächst wundärztliche Maßnahmen im Blick. Ursprünglich wird es gemeint haben: „etwas zusammenfügen, was entzweigegangen ist". 54 Darauf deutet die Tatsache daß es öfter als Antonym zu naw gebraucht wird, z.B. bei einem zerbrochenen Krug ( J e r 19,11), bei Erdbebenrissen (Ps 60,4), im übertragenen Sinn bei „zerbrochenen Herzen" (Ps 147,3) oder beim Volk, dessen Schaden als Zerbruch empfunden wird (Jer 6,14; Thr 2,13; vgl. Sach 11,16; Ez 30,21). Auch lKön 18,30, wo der zerstörte Altar (onn) wiederhergestellt werden soll, weist in diese Richtung. Üblicherweise bezieht sich K£n auf die Heilung von Verletzungen (2Kön 8,29) und Krankheiten aller Art (Gen 20,17 Unfruchtbarkeit; Lev 13,18.37 Hautkrankheiten; Num 12,13 Aussatz). Häufigstes Parallelverb ist ttfnn „(Wunden) verbinden" (Hos 6,1; Jes 1,6; 30,26; Ez 30,21; 34,4.16; Hi 5,18; Ps 147,3 u.ö.). 55 Es fällt auf, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Belege, vor allem im Qal, J H W H das Subjekt ist, und selbst von den übrigen Stellen beziehen sich mehrere indirekt auf ihn, oder sie verneinen die Möglichkeit, von jemand anderem geheilt zu werden.56 Deutlicher könnte nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß Heilung letztlich nur von J H W H kommen kann und man sie von Menschen vergeblich erwartet. Dabei ist er nicht etwa ein professioneller „Heilgott" wie z.B. der Baal Sebub von Ekron (2Kön 1,16). Vielmehr ist er es, von dem auch Krankheit und Unheil kommen (vgl. Jes 45,7); derselbe Gott schlägt und heilt (Hos 6,1; vgl. lSam 2,6; Dtn 32,39). 54 STOEBE, T H A T II, 803, der allerdings die Verwendung des Verbs für das Reparieren zerbrochener Dinge als relativ seltene Übertragungen und nicht als Hinweis auf den ursprünglichen Wortsinn betrachtet (805). HEMPEL, Arzt, 810, geht von der Grundbedeutung „vereinigen" aus, BROWN dagegen inThWAT VII, 619f, von „wiederherstellen, ganz/ heil machen". Eine sorgfältige Analyse der alttestamentlichen Belege zeige, „daß rp immer bezüglich der Wiederherstellung eines kranken, ge-/zerbrochenen oder unzureichenden Zustands in den ursprünglichen bzw. richtigen gebraucht wird..." (620). 55 Auffällig ist der Gebrauch von Köl fiir das Gesundmachen salzigen bzw. ungenießbaren, krankmachenden Wassers in 2Kön 2 , 2 l f und Ez 4 7 , 8 f . l l . 56 Von den 33 Belegen im Qal werden in Hi 13,4 die Freunde „unnütze Ärzte" genannt, in Thr 2,13 wird gefragt, wer Jerusalem/ Zion wieder heilen kann, Hos 5,13 konstatiert, daß Assur das Volk nicht zu heilen vermag, und in Koh 3,3 ist Nbl absolut gebraucht („Töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit..."). An allen übrigen Stellen ist Jahwe/Gott der Heilende (in Jes 6,10 indirekt als Subjekt gedacht). - Das substantivierte Partizip KS1 (insgesamt 5x im AT) meint nur in Gen 50,2 (2x) und 2Chr 16,12 menschliche Arzte. Jeremía klagt: „Ist denn kein Arzt da?" (für das Volk angesichts der Dürrekatastrophe; Jer 8,22). Ex 15,26 spricht direkt von Jahwe als Arzt. Unter den 8 Piel-Belegen wird zweimal den Lügenpriestern und -propheten vorgeworfen, daß sie den Schaden des Volkes nur oberflächlich und damit eben nicht heilen (Jer 6,14; 8,11), und zweimal trifft der Vorwurf die Hirten des Volkes (Ez 34,4; Sach 11,16).

204

Exegesen

Diese radikale Unterordnung auch der Krankheit und der dunklen Seiten des Lebens unter J H W H ist eine Besonderheit des israelitischen Glaubens. 57 Dabei weiß der Leidende, der ihn um Heilung von seiner Krankheit bittet, „daß diese nicht Willkür Gottes, sondern eine Antwort darauf ist, daß die Sünde des Menschen seine Herrlichkeit verletzt."58 Heilung ist immer mehr als nur ein medizinischer Vorgang; sie schließt zugleich Vergebung ein (vgl. Ps 30,3+6; 41,5; 103,3; 2Chr 7,14; Jes 57,17f). Die tiefste Krankheit ist das gestörte Verhältnis zu Gott, so daß R A I U / J A zum Objekt von K Ü T werden kann (Hos 14,5; Jer 3,22; vgl. Jes 6,10). Besonders die Propheten weiten den Begriff der Krankheit aus auf den schlimmen Zustand des Volkes, auf „gesellschaftliche und wirtschaftliche Störungen, Nöte und Lebensminderungen jeder Art" 59 (vgl. Jes l,5f; Jer 30,12f), wobei auch hier der Kern des Übels in der zerbrochenen Gottesbeziehung liegt. Entsprechend gebrauchen sie auch Kin in diesem erweiterten Sinn (Jes 30,26; 57,18f; Jer 30,17; 33,6; vgl. Dtn 32,39). Bei Hosea beziehen sich alle fünf K£n-Stellen auf den Schaden des Volkes, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten: 5,13; 6,1 und 7,1 beziehen sich vordergründig auf die äußere politische Notlage (im Zusammenhang mit dem syrisch-ephraimitischen Krieg), doch der Prophet (5,13; 7,1) sieht im Unterschied zum Volk (6,1) zugleich die tiefere Not im gestörten Gottesverhältnis. In 14,5 geht es ausdrücklich um die Heilung der rtaitow, während 11,3 J H W H s Heilen im umfassenden Sinn versteht. Auf paradoxe Weise drückt Jes 53,5 den Zusammenhang von Sünde und Krankheit, Heilung und Vergebung aus. Das stellvertretende Leiden des Gottesknechtes um der Heilung der vielen willen darf sicher mit Recht als eine Spitzenaussage des Alten Testamentes gewertet werden. All diese Beobachtungen haben verdeutlicht, daß es kein sehr weiter Weg ist von K£n in seiner üblichen Bedeutung bis zum Gebrauch des Verbs für die Heilung des Volkes. Die Bedeutung dahingehend auszuweiten liegt nahe, weil:

57 V g l . HEMPEL, Arzt, 820FF. Von Rescheph beispielsweise, d e m G o t t der Pest, gilt freilich auch, daß sowohl die Krankheit als auch die H e i l u n g von ihm k o m m e n (vgl. RJNGGREN, Religionen, 2 1 0 ) . D o c h er ist nicht in einem so u m f a s s e n d e n Sinn für Heil u n d Unheil zuständig wie J H W H . 5 8 STOEBE, T H A T II, 8 0 8 . 59 LOHFINK, Arzt, 4 7 . M a n spreche hier m a n c h m a l von metaphorischem G e b r a u c h der W ö r t e r für Krankheit u n d Heilung. „ D a s ist irgendwie richtig, u n d d a n n d o c h wieder nicht. D e n n die Krankheit i m strengen Sinn bildet ja ein T e i l p h ä n o m e n des u m f a s s e n d e n P h ä n o m e n s , das hier . K r a n k h e i t ' genannt wird." (ebd.) - A u f g r u n d der neueren metapherntheoretischen Erkenntnisse ist die beobachtete Bedeutungsausweitung durchaus metaphorisch zu nennen, d o c h scheint sich die M e t a p h e r a u f d e m W e g zu einer ruhenden M e t a p h e r zu befinden. D i e S p a n n u n g ist nicht sehr groß.

205

Erfahrene Fürsorge

— die Wiederherstellung von Zerbrochenem oder Beschädigtem ursprünglich und wesentlich zur Bedeutung von Nin gehört, — auch bei körperlichen Gebrechen des einzelnen Heilung allein von J H W H zu erwarten ist, — die tiefste Ursache der Krankheit in der gestörten Gottesbeziehung gesehen wird und darum auch beim einzelnen Vergebung und Heilung eng aneinanderrücken.

3.2.4.2. Hos 7,lf 7.1

7.2

Wenn ich Israel heile, so wird aufgedeckt Ephraims Schuld und die Bosheit a) Samarias; denn sie haben Betrug verübt, und der Dieb bricht ein, während draußen die Räuberbande loszieht. b> Aber sie machen sich nicht klar in ihrem Herzen, daß ich all ihrer Bosheit gedenke. Jetzt haben ihre Taten sie umzingelt; sie sind vor meinem Angesicht.

a) Der Plural nisn dürfte als Steigerung gegenüber ns; "l gemeint sein und sollte n i c h t g e ä n d e r t w e r d e n ( m i t R U D O L P H u n d JEREMIAS g e g e n B H S , SELLIN, W E I S E R , WOLFF, WILLI-PLEIN,

156).

b) Neben dem Imperfekt (Pk) Nla' ist das Perfekt üttiö ungewöhnlich, so daß möglicherweise ULÖ'B zu punktieren ist, was sich auf 8 (EK5I5UCTKUV) berufen kann (s. BHS).

Oft werden die beiden ersten Worte von 7,1 mit 6,1 l b verbunden und entweder zum vorhergehenden Spruch oder zum folgenden gezogen. 60 Beides stellt aber vor neue Probleme: Zusammen ergeben 6,11b und der Anfang von 7,1 eine Heilsansage von großem Gewicht und eschatologischer Quali60

Letzeres versuchen

B U D D E ( H O S 6 , 7 - 7 , 2 , 1 1 9 ) , SELLIN, W E I S E R

und

WOLFF.

Vgl.

AN-

„Je mehr ich das Schicksal meines Volkes wende,/ Je mehr ich Israel heile..." (schrittweises Geschehen). - W E I S E R , 5 9 : „So oft ich wende meines Volkes Geschick,/ so oft ich Israel heilen will... " (versuchtes Geschehen). - W O L F F , B K , 1 3 2 : „Sooft ich das Geschick meines Volkes wendete,/sooft ich Israel heilte..." (mehrfach wiederholtes Geschehen). - Mit Recht wendet R U D O L P H dagegen ein, daß n n t i aito als terminus techni-

DERSEN/FREEDMAN, 4 3 2 . -

SELLIN, 7 5 :

cus der Heilseschatologie nicht ein stufenweises, versuchsweises oder oft wiederholbares Handeln Gottes meint, sondern die entscheidende, endgültige Heilswende. Weil aber die beiden ersten Worte von 7,1 sachlich parallel zu 6,1 lb sind und beide Wortgruppen inhaltlich auf 6, l f weisen, meint er, sie nicht voneinander trennen zu können und statt dessen den ganzen Vers 6 , 1 1 zusammen mit ^ I N I N B ' K Ü 1 3 nach 6 , 1 - 3 umstellen zu müssen ( R U D O L P H , KAT, I43f).

206

Exegesen

tat. Die Wendung iftV rmitf-riK imun gehört zum geprägten Vokabular der Heilseschatologie, wie Jer 31,23; Zeph 3,20 und Ps 14,7 = 53,7 belegen (vgl. Jer 29,14; Zeph 2,7). Eine derart massive Heilsverkündigung fugt sich nur dann in den Kontext ein, wenn sie entweder abgeschwächt ( S E L L I N , W E I S E R , W O L F F ) oder kurzerhand fiir fehlplaziert erklärt wird ( R U D O L P H ; S.O. Anm. 60). Keines von beidem wird dem Text gerecht. Folgender Erklärungsversuch erscheint darum angemessener: V l l a gibt sich schon wegen m i m - d a als judäische Glosse zu erkennen (vgl. 5,5bß). 61 „Ernte" muß dabei als Ausdruck des Gerichtes verstanden werden (vgl. Jer 50,16; 51,33; Joel 4,13). Da V I lb ziemlich genau das Gegenteil davon aussagt, hat er ursprünglich sicher nicht zu dem Nachtrag 6,(10) 1 la gehört. Er scheint eingefügt worden zu sein, um das Folgende zu interpretieren. Denn N£n beinhaltet selbst in diesem Kontext Heilvolles und steht in Opposition zu den scharfen Tönen von 6,7—9. 10—IIa und dem Rest von 7,1 f. Der Glossator von 6,11b empfand diese Spannung, vernahm aus 7 , l f die Botschaft, daß auch J H W H s Gericht letztlich die „Heilung" des Gottesvolkes zum Ziel hat und stellte darum das Drohwort von der „Ernte" für Juda in den Zusammenhang der großen, von J H W H herbeigeführten Heilswende. Die Zeit für eine solche Neuinterpretation ist mit dem Exil gegeben, als Juda die Früchte seiner Sünde ernten muß und dennoch hören darf, daß dies nicht das Ende der Wege Gottes mit diesem Volk ist. Die erste Ergänzung 6,(10?)IIa dagegen gehört vermutlich wie andere judäische Nachträge in die Zeit der josianischen Reform. 62 Daraus ergibt sich, daß ^NTit/i^ iKbia von 6,1 l b zu trennen ist und dem Spruch 7,1 f zugehört. Er antwortet auf 6,1-3, wo das Volk so zuversichtlich von J H W H erwartete, er werde es schnell heilen. Es verstand darunter die Beseitigung der äußerlich sichtbaren und spürbaren Krankheitssymptome. J H W H möge die Not des Krieges und seiner schlimmen Folgen wenden, damit es den Menschen wieder gutgehe, und dann könne alles so weitergehen wie bisher. Doch auf eine rein symptomatische Behandlung der Krankheit läßt sich J H W H nicht ein. Die Ursache muß aufgedeckt werden (n^s). Ohne eine gründliche Diagnose kann dem Volk nicht geholfen werden. Sie offenbart, 61 JEREMIAS, A T D , 94 (90f), rechnet auch 6,10 zu diesem Nachtrag und gibt folgende Gründe dafür an: VlOb ist Zitat aus Hos 5,3b (vgl. auch B H S ) , die Wurzel "lUltf in der Bedeutung „Abscheuliches" begegne nur hier und im Jeremia-Buch (Jer 5,30; 26,12; 29,17), und auch das Abstraktum NI3T sei ein typischer Ausdruck der Generation Jeremias. Anders NAUMANN, 46. 62 Ähnlich: WILLI-PLEIN, 153-155. Die Autorin hält jedoch nicht den gesamten Vers 6,10, sondern nur VlOb fiir sekundär. Vgl. auch NAUMANN, 4 5 - 5 5 : 6,10 sei hoseanisch, 6,11a (1. Erweiterungsstufe) aktualisiere 6,10 mit Blick auf das vorexilische Juda, 6,11b (2. Erweiterungsstufe) interpretiere die Heilungs-Metapher 7 , l a a mit Blick auf die eschatologische Wiederherstellung Israels.

Erfahrene Fürsorge

207

wie tief die Wurzel des Übels liegt, nämlich in „Ephraims Schuld (yiy) und Samarias Bosheit (nisn )." Beide Ausdrücke gebraucht Hosea öfter, Jig z.B. in 4,8; 5,5; 9,7; vgl. 14,2.3. Daß J H W H der Schuld des Volkes gedenkt (nat), wird in 8,13 und 9,9 gesagt, und in 13,12 findet sich das Wort von der „verschnürten Schuld" ("jig TO). n$n begegnet in diesem Spruch ( 7 , l f ) gleich zweimal, außerdem gleich wieder in 7,3, dann in 9,15; 10,15. Sie richtet sich letztlich gegen J H W H selbst (vgl. sn 7,15). Fragt man, welche Verfehlungen hier vor allem im Blick sind, so wird man zunächst auf 6,7—9 verwiesen; denn beide Spüche sind mehrfach miteinander verknüpft. n » ^ in 6,7 erinnert an ">¡7$ in 7,1; Räuber ( i n i ( ) werden hier wie dort genannt; •jiK î b j ï ô 6,8 ist vergleichbar mit i p i ù 7,1.

In 6,7—9 war von Vertragsbruch, Gewalttaten (einschließlich Mord) und anderen schlimmen Dingen die Rede, wobei auf einzelne, extreme Verfehlungen angespielt wurde. 7 , l f nimmt dies auf und verallgemeinert zugleich: Betrüger ("lgttJ ^ S ö ) , Dieb (33 ä) und Räuber ("tna ) repräsentieren Ephraim als ganzes. Nicht der falsche Gottesdienst und auch nicht die verfehlte Politik stehen hier im Vordergrund, sondern Korruption in der Gesellschaft. Doch auch dies ist nichts anderes als Untreue gegen J H W H ('a n a n 6,7; 63 vgl. 5,7 in bezug auf kultische Sünde). Das Lied des Volkes in 6,1—3, in dem es umzukehren und der Erkenntnis Gottes nachzustreben versprach, wird durch solches Verhalten als Lüge entlarvt (npu;).64 Die Ephraimiten betrügen Gott und zugleich sich selbst. Uber die Macht ihres verkehrten Tuns täuschen sie sich ebenso wie über J H W H , indem sie meinen, ihn kümmere ihr Verhalten nicht. bezeichnet bei Hosea immer böseTaten (vgl. 9,15 mit in ). Sie stehen zwischen den Menschen und Gott und lassen es nicht zu, daß diese umkehren zu ihm (5,4: aiw qal). Er aber läßt es zu, daß das Unheilspotential der n i ^ y n zurückfällt auf die Täter (4,9; 12,3: miù hi.). Die Taten verselbständigen sich (Subjekt von 7,2b; vgl. 5,4!) gegenüber ihren Urhebern, umzingeln sie und werden zum Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt. 65 Wenn J H W H Israel heilt, bedeutet dies in der gegenwärtigen Situation (nny V2) eine große Ent-Täuschung, weil offenbar wird, wie erschreckend 63 In 6,7 ist sicher nicht der JHWH-Bund gemeint, sondern der Bruch von Verträgen zwischen Menschen. Dies nennt der Prophet Verrat an JHWH, weil Gott zur Besiegelung

des Vertrages im Eid angerufen wurde. Vgl. PERLITT, 1 4 1 - 1 4 4 ; JEREMIAS, A T D , 93.

64 Vgl. M. A. KLOPFENSTEIN, Art. -ipvtf, THAT II, 1010-1019. gebraucht Hosea nur hier, doch durch eine Reihe von Synonymen gewinnt der Sachverhalt des Betruges in seiner Botschaft ein relativ großes Gewicht. Vgl. 1 » 5,7; 6,7; tfrw 4,2; 7,3; 9,2; 10,13;

12,1; nana 12,1.8.

65 Vgl. dazu Klaus KOCHS einschlägige Arbeit zum Tun-Ergehen-Zusammenhang (Vergeltungsdogma, 130-180, bes. 141—148). Bei Hosea gebe es wie in der Weisheit die Auffassung von schicksalwirkender Tat. JHWHs Unheilswirken wird von hier aus begriffen, nicht von einem rechtlich bestimmten Vergeltungsdenken her (1470-

208

Exegesen

der Schaden ist. Dem Volk wird hier keine Strafe angedroht, sondern lediglich gesagt, daß J H W H die Schuld in ihrem ganzen Gewicht ans Licht bringt und nichts übersieht. Das allein ist bedrohlich genug. Keinen faulen Frieden wird es mit ihm geben; denn das wäre nur wieder ein neuer Betrug, der Heilung in Wahrheit gerade verhindert (vgl. Jer 6,13f; 8 , 1 0 f - "ip.ttOUnheilträchtig ist darum der Spruch 7,1 f. Allein das Wort K£n steht der bedrohlichen Macht der Sünde entgegen. Birgt es die Verheißung in sich, daß J H W H das Böse überwinden und allen Schaden heilen wird, auch wenn dieser Prozeß sehr schmerzhaft ist? Oder lautet seine Diagnose: Die Krankheit ist zu schlimm, als daß es noch Heilung geben könnte ^K 2Chr 36,16; vgl. Prv 6,15; 29,1)? Da letzteres nicht gesagt wird, bleibt dort, wo die Menschen in Israel über ihre Sünde erschrecken, die Hoffnung, daß J H W H hier selbst am Werk ist und anfängt, das Zerbrochene zu heilen.66

3.2.4.3. KDi im Hoseabuch Aufgrund der Exegese von Hos 5,13; 6,1 67 und 7 , l f läßt sich auch flir 11,3b die Bedeutung von N£n erschließen. Das Volk und J H W H stimmen darin überein, die mit dem syrisch-ephraimitischen Krieg und seinen Folgen einhergehenden Nöte als „Krankheit" und „eiternde Wunde" zu beschreiben bzw. zu empfinden (5,13; 6,1). K£n schließt also auch für J H W H die Sorge um äußeres Wohlergehen ein. Doch 7 , l f zeigt, daß für ihn die Wiederherstellung heiler Beziehungen zwischen den Menschen ebenso dazu gehört wie ein Gottesverhältnis, das nicht mehr durch Schuld belastet ist. Korruption, Heuchelei, das Streben nach unrechtem Gewinn und alles, was vor Gott böse zu nennen ist, müssen dabei überwunden werden. Im Rahmen des Geschichtsrückblickes muß „heilen" in 11,3b auf einen größeren Zeitraum bezogen werden, der auch den Exodus mit einschließt:68 Der Knabe, den J H W H liebgewann, war geschlagen und todkrank, als er ihn auf seine Arme nahm und heraustrug aus Ägypten. Er heilte ihn, so daß er heranwuchs und stark wurde. Dabei war er natürlich wie jedes Kind weiteren Gefahren ausgesetzt, zog sich Verletzungen zu und wurde hin und wie66 Wenn daraus jedoch geschlußfolgert wird, Hosea habe zumindest zeitweise den Zusammenbruch der antiassyrischen Koalition und die Konfrontation mit den von Juda alarmierten Assyrern als „Heilung" Jahwes verstanden, ist dies sicher zu vordergründig gesehen

(gegen WILLI-PLEIN,

156).

Siehe oben Kap. II/2.1.3. und II/2.1.4 68 Siehe oben Kap. II/2.1.3. und II/2.1.4. WOLFF, BK, 257f, denkt bei NTN primär an die Herausfuhrung aus Ägypten (wie V I ) , sieht aber, daß bei Hosea „die Auszugs-Landnahmetraditionen mit der Wüstentradition zusammengeschlossen" werden (258). Gegen RU67

DOLPH, K A T , 2 1 5 , u n d DANIELS, 6 7 , ist e i n z u w e n d e n , d a ß KÜL t r o t z E x

15,26 nur

im

entfernten Sinn „gesund erhalten" bedeutet, weil es, wie oben gezeigt wurde, etwas Zerbrochenes, Verletztes oder Beschädigtes voraussetzt. Wenn Gott dies immer wieder zurechtbringt, hat das natürlich Gesunderhaltung zur Folge.

Erfahrene Fürsorge

209

der krank. Nicht nur Kriege, Hungersnöte und soziale Konflikte dürften dabei im Blick sein, sondern auch das Weglaufen zu den kanaanäischen Gottheiten (V2). Ein gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis bedarf nicht weniger der Heilung als physische Störungen. In alledem half J H W H , wendete die Not, vergab Schuld und ermöglichte einen neuen Anfang, wo es einen Bruch im Verhältnis zu ihm gegeben hatte. So gehört lnKüT unlöslich zu v&AUi, zum „Großziehen" des Knaben. — „Sie aber merkten nicht, daß ich sie heilte." Da ist wieder die gleiche Ignoranz wie in 2,10. Metapherntheoretisch fällt V3b aus dem Rahmen. Kül fiigt sich schwer in den Implikationszusammenhang der Metapher von Mutter/ Vater und Sohn ein, obwohl oder gerade weil es seinen Platz sowohl im Primär- als auch im Sekundärgegenstand behauptet. Einerseits steht es nicht in der Macht irdischer Eltern, ihr Kind zu heilen. Sie können es höchstens pflegen, damit es wieder gesund wird, während die Heilung allein bei Gott steht. Insofern hat KüT nur im Primärgegenstand ein adäquates Subjekt ( J H W H heilt das Volk). Doch weil eben auch das kranke oder verletzte Kind von J H W H geheilt wird, gehören das Verb und sein Objekt zugleich zum Sekundärgegenstand, während das Subjekt außerhalb desselben bleibt. Vermutlich wird der Halbvers aus diesem Grund von manchen Exegeten als unpassend empfunden. 69 Könnte man V 3 b ausschließlich auf den Primärgegenstand ( J H W H - Israel) beziehen, so wäre die Auslegung ebenso wie bei V 2 kein Problem. Doch dagegen wirken die metaphorische Spannung, die man bei Köl immer noch empfindet, und die besondere Art der Verankerung im Sekundärgegenstand. Das Verb hat zwar eine metaphorische Bedeutungsausweitung hinsichtlich seines Objektes erfahren, nicht aber in bezug auf sein Subjekt. Dies trifft auch für 14,5 zu.70 Nur bereitet die Interpretation hier keine Schwierigkeiten, weil KüT nicht noch mit einer weiteren Metapher verknüpft ist. Die n a w n , die Israel gefangenhält (11,7), ist jetzt expressis verbis das Objekt des Heilens (vgl. Jer 3,22). Als eine tödliche Krankheit wird sie verstanden (vgl. Prv 1,32!), was die Verantwortlichkeit der Menschen für ihr Verhalten keineswegs mildert. 71 Gewiß, die naiu/ö erwuchs aus bewußter Widerspenstigkeit gegen Gott (vgl. m n , 14,1), aus der willentlichen Weigerung, zu ihm umzukehren (11,5b). Nicht als passive Opfer sind sie vom 69

S o VOLLMER, 5 7 f ; STOEBE, in: T H A T II, 8 0 7 ; vgl. NEEF, 9 1 .

70

Mehr zu 14,5, besonders seine Bedeutung im Rahmen der Komposition 14,2-9, s.u.

I I / 4 . 2 . V g l . NAUMANN, 1 4 1 - 1 7 2 , bes.

144-146.

Gegen RUDOLPH, KAT, 251: Er meint, nailtfn sei falsch verstanden, wenn man sie als Krankheit, d.h. als menschliche Schwäche, interpretierte, sondern sie sei bewußter Widerspruch gegen Gottes Willen und werde nur mit einer Krankheit verglichen, um J H W H im Bild des Arztes zeigen zu können. - Strenggenommen handelt es sich formal gerade nicht um einen Vergleich. Doch „Abtrünnigkeit" als Objekt von KD1 meint ja auch mehr als nur eine menschliche Schwäche. 71

210

Exegesen

Bösen überfallen worden, sondern sie haben es selbst und höchst aktiv getan: Frevel haben sie gepflügt statt Gerechtigkeit zu säen (10,12f), das Gute haben sie verworfen (8,3), beharrlich sind sie dem Nichtigen hinterhergelaufen (5,11), auf ihren Gott haben sie nicht gehört (9,17). Doch wer etwa meinte, danach stünde es dem Menschen frei, wieder das Gute zu erwählen und das Rechte zu tun, denkt gefährlich harmlos von der Sünde. Wer einmal Wind gesät hat, wird unweigerlich Sturm ernten (8,7); „das nichtige Tun vernichtet die Täter." 7 2 Unentrinnbar ist er seinen Taten und ihren Folgen ausgeliefert (7,2), seine Abkehr von Gott ist zur tödlichen Krankheit geworden, in der er sich nicht mehr selbst helfen kann (vgl. 5,4), ja, in der nach menschlichem Ermessen keine Hilfe mehr möglich ist. Nach 11,7 bleibt dem Arzt nur noch, den Kranken aufzugeben und seinem Schicksal zu überlassen (vgl. 14,1): „Mein Gott wird sie verwerfen." (9,17). Nur wer die naittrn in dieser Tiefe erfaßt hat, nur wer Sünde so radikal zu sehen gelernt hat wie Hosea, kann die Botschaft von 14,5 ermessen: J H W H verspricht, die Krankheit zum Tode und damit den todgeweihten Patienten zu heilen. Hier wird nicht weniger als neues Leben aus dem Tode verheißen; „das hier erwartete Israel mit .geheilter Abtrünnigkeit' ist eine Neuschöpfung Gottes, ist ein im strengen Sinne eschatologisches Israel wie das von Ezechiel erwartete Israel mit ,neuem Herz' (Ez 11,19; 36,26f)." 7 3 „ I C H , J H W H , bin dein Arzt (Ex 15,26), es gibt niemanden sonst, der dir helfen kann." Wenn auch verborgen hinter der Negativaussage von Hos 5,13b und überlagert von den grausamen Bildern in 5,12+14, war diese Botschaft dennoch schon während der schlimmen Zeit um 733 vernehmbar geworden. Das Volk hatte sie wohl gehört, aber zugleich gründlich mißverstanden (6,1), als gehe es nur um eine schnelle Beseitigung äußerer Bedrängnisse. 7 , l f räumt dieses Mißverständnis aus und deckt die Schuld Israels als tiefere Ursache der Krankheit auf. Trotz des erdrückenden Gewichts dieser ent-täuschenden Diagnose, bleibt wie von ferne hörbar, daß es J H W H letztlich u m die Heilung seines Volkes geht. Er beklagt in 11,3, daß sie nicht merkten, wie er ihnen im Lauf ihrer Geschichte in Gefahr und Zerbruch stetig als der Heilende begegnete. Die Verheißung von 14,5 schließlich fuhrt zur Vollendung, was verborgen schon in 5,13 und 7 , l f angelegt war: Israels Abkehr von seinem Gott und die Verschlossenheit ihm gegenüber als die eigentliche Krankheit wird überwunden; J H W H selbst heilt den tödlichen Riß, und zwar aus freien Stücken, allein aufgrund seiner Liebe. J E R E M I A S behauptet, N Ü " I meine bei Hosea außer in 1 4 , 5 immer die Rettung aus bedrängender politischer Not, und konstatiert daraufhin für 14,5

Prophetie, 17.

72

KÖCKERT,

73

JEREMIAS, A T D ,

172.

Erfahrene Fürsorge

211

eine „theologische Umprägung hoseanischer Begrifflichkeit".74 Doch dies scheint nur auf den ersten Blick so zu sein. Auch in 14,5 umfaßt Kin die Überwindung der äußeren Not, wie die Schilderung von 14,6—8 zeigt, und schon in 5,13 geht es ebenso wie in 7 , l f und 11,3 letztlich um des Volkes zerbrochenes Gottesverhältnis als Kern des Übels. Bei all diesen Prophetenworten haben wir es mit einer Metapher besonderer Art zu tun: KD1 behält das Subjekt, mit dem es sehr oft auch im medizinischen Bereich verbunden ist (JHWH), erfährt jedoch eine metaphorische Bedeutungsausweitung hinsichtlich seines Objektes, insofern die Not eines ganzen Volkes und seine Schuld als Krankheit gesehen werden. Aus diesem Grunde erscheint es nicht ganz angemessen, von J H W H als dem „Arzt" zu sprechen, weil der (menschliche) Arzt letztlich auch nur Gehilfe dessen sein kann, der sagt: „Ich, JHWH, bin es, der dich heilt."75

3.3. J H W H s Klage über den Sohn (Hos 11,1-7) Nachdem einzelne Aspekte von Hos 11,1—7 betrachtet wurden, ist noch einmal das Gedicht im ganzen in den Blick zu nehmen. In drei Anläufen wird JHWHs fürsorgliche Liebe gegenüber seinem Sohn „Israel" geschildert (VI ,3a.4), der diese jedoch mit Abkehr (V2) und Ignoranz (V3b) beantwortet. Wenn V5a als Strafansage interpretiert wird (s.o. II/3.1.2.), vermißt man nach V4 eine Notiz über Israels Reaktion auf JHWHs Zuwendung. R U D O L P H meint, das Vermißte in V5b zu finden.76 Doch liegt es m.E. näher, den ganzen V5 als ,Antwort" des Volkes zu verstehen, wobei V5b mehr zusammenfassenden Charakter trägt. Dann tritt die Struktur des Abschnitts klar zutage: Umrahmt von zwei '3 -Sätzen (Vla.5b), folgt auf die dreifache Beschreibung der Liebeserweise Gottes jeweils der Hinweis auf Israels abweisendes Verhalten. Obwohl der erste '3 -Satz (Via) temporal und der zweite kausal (V5b) zu verstehen ist,77 entsprechen sie einander, indem sie jeweils die Grundeinstellung der Konfliktpartner benennen. JHWHs Verhalten ist durchweg von Liebe (an«) geprägt, Israels Verhalten dagegen von der Weigerung, sich ihm zuzuwenden. Das ist der Grund, weshalb sie nach Ägypten zurückkehren und so zunichte machen, was Jahwes Liebe für sie erwirkte, nämlich den rettenden Ruf aus Ägypten. VI und V5 bilden somit eine chiastische Klammer, die alles umschließt, was von JHWHs Geschichte mit Israel zu sagen ist.

74 75

Ebd., 172, Anm. 9. Ahnlich HEMPEL, Arzt, 823, mit etwas anderer Begründung.

76

R U D O L P H , K A T , 2 3 1 f.

77

Vgl. G K a , § 164d (Temporalsätze); § 158a (Kausalsätze).

212

Exegesen

So betrachtet, wird der Streit, ob V5 noch Schuld aufzeigt oder schon Strafe ankündigt, gegenstandslos.78 Die Israeliten wandten sich nach TiglatPilesers Tod (727) an Ägypten um Hilfe gegen die assyrische Vorherrschaft (2Kön 17,4). Vermutlich waren auch seit dem syrisch-ephraimitischen Krieg immer wieder Teile der Bevölkerung nach Ägypten geflohen, um dort dem Unheil zu entrinnen (vgl. Hos 9,6). Die freiwillige Anlehnung an Assur liegt etwas weiter zurück (vgl. 5,13; 8,9), so daß V5 nur noch die Folge dessen konstatiert: labö Jon "llttfKl. Auf diese Weise hat sich Israel selbst wieder in die Knechtschaft begeben, aus der J H W H es befreit hatte. Ägypten und Assur stehen nicht im Gegensatz zueinander,79 sondern wie in 7,11 und 12,2 parallel, wobei „Ägypten" hier von VI her seine heilsgeschichtliche Bedeutung in das Scheltwort einbringt. Eben dadurch bekommt V5 das gleiche Gewicht wie 9,3 und 8,13, wo die Rückkehr nach Ägypten als Gericht angedroht wird. In 11,5 fallen Schuld und Strafe zusammen, Israel selbst macht die Heilsgeschichte rückgängig.80 Es fällt auf, daß die Verse 2.3b und 5, die Israels Verhalten beschreiben, mit keinem Wort die Metapher vom Sohn berühren. In V2+3b wird dies noch verstärkt durch die 3.P. pluralis. Das Volk hat sich zu seinem Gott in keiner Weise wie ein Sohn verhalten. Wie in 10,11-13a wird auch hier wieder die Diskrepanz zwischen Sein und Verhalten sichtbar. - Benannt werden die Hauptsünden, die in Hoseas Prophetie eine Rolle spielten: der pervertierte Gottesdienst, wobei Baalsopfer und Bilderdienst auf ein- und derselben Stufe stehen (vgl. Kap. 2; 4; 8,4-6.11.13; lO.lf.5; 12,12; 13,lf u.ö.), das verkehrte Vertrauen aufpolitische Kräfte (5, IIb. 13; 7,11; 8,9; 12,2 u.ö.) und als Mitte des Ganzen die stumpfe Ignoranz gegenüber einem liebevoll für das Wohlergehen der Seinen sorgenden Gott (vgl. 2,10a. 15b; 13,6b; ferner 6,6; 4,1). — Die Verse 1.3a.4 zeichnen ein Bild voller Wärme und Innigkeit, das nicht nur an die altorientalischen Darstellungen von Göttinnen mit Kind erinnert (s.o. II/3.2.3.); es zeigt vor allem eine menschliche Mutter, einen menschlichen Vater. Neben den Mutter-Göttinnen gab es in der altorientalischen Welt auch eine Reihe von Gottheiten, die „Vater" genannt wurden. Sie bildeten oft das Haupt des Pan78

Gegen

Interpretation von V5 als weiterem Schuldaufweis (BK, 259; ähnlich Anm. 29, 295; W I L L I - P L E I N , 199f; D O N N E R , Israel, 89-91, u.a.) wendet sich vor allem JEREMIAS (ATD, 1 4 2 , Anm. 1 2 ) , der wie die meisten Forscher die „Rückkehr nach Ägypten" als Drohwort versteht. 79 Gegen WOLFF, BK, 259: „aber Assur, der ist (und bleibt) sein König." (in konzessivem oder adversativem Sinn). 80 Vgl. JEREMIAS, ATD, 110, zu 8,9: .„Assyriens Oberherrschaft war Israels Sünde und Strafe zugleich' (Gnuse). Damit ist das Stichwort ,zurück nach Ägypten' (V.13), Zielpunkt und Abschluß des Abschnitts, sachlich schon vorbereitet." Für Hos 8 stellt JEREMIAS also das Ineinanderfallen von Schuld und Strafe heraus, während er für 11,5 auf der Alternative von Schuldaufweis oder Strafansage beharrt und sich für Letzteres entscheidet. KINET, 1 0 0 ,

WOLFFS

Erfahrene Fürsorge

213

theon. In Ugarit z.B. galt bekanntlich El als Vater der Götter wie der Menschen.81 Den Ägyptern ist die Vorstellung vom König als dem „Sohn" eines Gottes (vgl. Ps 2,7; 89, 2 7 f ) wohlvertraut. 82 Auch in der ägyptischen Weisheitsliteratur begegnet die Gottheit als Vater, desgleichen in mesopotamischen und hethitischen Texten.83 Auf nordsemitischen Siegelinschriften fand man die Anrede „mein Vater" für eine Gottheit. 84 Dabei fallen einige Unterschiede zu Hos 11,1 ff auf: J H W H bekommt hier nicht den Titel „Vater" oder „Mutter" beigelegt. Er herrscht nicht wie El über ein Pantheon. Auch nennt er nicht einen König seinen „Sohn", sondern das Volk.85 Der „einsame" JHWH, der keine Familie in der Welt der Götter hat, zieht Menschen in seine Nähe und nennt ein ganzes Volk seinen Sohn. Doch dies geschieht nicht im Mythos, sondern in der Metapher, wobei die menschliche Familie der Vorstellungsbereich ist, aus dem Hos 11,1 ff unmittelbar Sprache und Bilder bezieht.

Daß Ephraim JHWHs Sohn sei, wird auch in Ex 4,22f gesagt.86 Das Besondere von Hos 11 ist, daß der Akzent auf Gottes Liebe liegt (artK, s.o. zu 3,1; II/1.2.2.4.). Sie bewirkte Israels Befreiung aus Ägypten, sie ist der Grund für die Erwählung (vgl. Dtn 7,7 f) und das Motiv, das J H W H dazu bewegt, sich des hilflosen kleinen Kindes anzunehmen. Auch V3a.4 sagen nicht nur, was J H W H getan hat, sondern zugleich, in welcher inneren Haltung dies geschah. Er zog den Knaben groß (in^ain). was die Sorge um all seine äußeren Bedürfnisse einschließt. Er gab ihm zu essen (l1? "7131«) und mühte sich um seine Erziehung (V4aa). Das beinhaltet im Sekundärgegenstand auch die Unterweisung in den Glaubenstraditionen des Volkes und in der Thora (die im Judentum übrigens Sache des Vaters war!). - Auf der Ebene des Primärgegenstandes umfaßt dies zusammen mit dem Ruf aus Ägypten (VI) all die Gottestaten, die sich in der Geschichte Israels verifizieren lassen. Die Führung durch die Wüste gehört ebenso dazu wie die Fruchtbarkeit der Felder; mindestens so wichtig wie der Beistand gegen Feinde von außen ist die Sorge um soziale Gerechtigkeit im Inneren und um die rechte Gotteserkenntnis.

81 K T U 1.14 (RTAT, 2 4 0 f ) ; vgl. K T U 1.3, V (Anats Audienz bei El: „Willfahren soll mir Stier El, mein Vater...", zitiert nach RTAT, 2 1 8 f ) . Vgl. GESE, Religionen, 9 4 - 1 0 0 . 82 Vgl. RTAT, 5 3 - 5 6 . Auch Asarhaddon von Assur steht im Verhältnis eines „Sohnes" zu Ischtar, die er „Mutter" nennt (AOT, 281). 83 Vgl. RTAT, 72. Mesopotamien: 124. 1 3 7 (Mutter und Vater zugleich); Hethiterreich: 191. 84 Ebd., 264. Zum Vater-Sohn-Bild im Alten Orient vgl. auch JEREMIAS, ATD, 140f; WOLFF, BK, 2 5 4 - 2 5 7 . 85 Zum Vergleich zwischen Ugarit und Altem Testament siehe KORPEL, 2 3 2 - 2 6 4 , bes. 263f. 86 Die Stelle dürfte jünger sein als Hos 11,1 und ist möglicherweise von Hosea abhängig. Vgl. auch Dtn 32,6; Jer 3,4.19; Jes 1,2; 63,16; Mal 1,6; 2,10. Auch wenn diese Stellen von J H W H als Vater Israels sprechen, lassen sie nicht die gleiche emotionale Verbundenheit wie in Hos 11 erkennen. Diese wird am ehesten in Jer 3 1 , 2 0 (vgl. V9) und dann in den Mutterbildern von Jes 4 9 , 1 5 ; 6 6 , 1 3 wieder sichtbar.

214

Exegesen

Hier kommen die durch Propheten und Priester vermittelten Gebote und Weisungen (vgl. 4,6; 8,12; Mose als Prophet: 12,11-14) in den Blick. Neben i n b n n , MtföK und l1? V>31K stehen jeweils Wendungen, die vor allem J H W H s innere Einstellung zu dem Kind Ephraim erkennen lassen: „Ich nahm ihn auf meine Arme" — um ihn zu tragen, wenn er müde war, oder ihn zu trösten, wenn er weinte. „Ich neigte mich zu ihm (l'^K UNl)", so wie Eltern ihr Kind liebkosend an ihre Wangen drücken (V4aß). Menschliche Weisungen waren es, die J H W H ihnen gab (DIN i^an), nicht solche, durch die sie überfordert und bedrückt worden wären; in Liebe leitete und ermahnte er sie (nnrtK nmnya). 8 7 Neben Perfekta, die die Handlungen als „faktisch vorliegende" charakterisieren (Gka, § 106a), bzw. Formen des Ipf. cons. tauchen in diesem Abschnitt unvermittelt reine Imperfekta auf: (nnpK V3) MtttoN V4a, 'roiK V4b. Sie betonen, daß J H W H sich immer wieder (Iterativ) und stetig so verhielt (Durativ)}* Bestimmte Aspekte des Sekundärgegenstandes, die durchaus für den Implikationszusammenhang relevant werden könnten, spielen hier kaum eine Rolle, der Gedanke der Abstammung beispielsweise (vgl. Dtn 32,6) oder gar Zeugung. Manche Ausleger schließen daraus, in Hos 11 sei von Sohnschaft durch Adoption die Rede.89 Doch auf die Alternative leiblicher oder adoptierter Sohn scheint es hier gar nicht anzukommen, d.h. sie gehört nicht in den Implikationszusammenhang. Selbst der dem Vater geschuldete Respekt und Gehorsam (vgl. Mal 1,6; Jes 1,2) steht nicht im Mittelpunkt, obwohl dies mit hineinspielt. Entscheidend ist vielmehr die von emotionaler Zuwendung geprägte Liebe, wie sie eine Mutter ihrem Säugling entgegenbringt, ein Vater seinem schutzbedürftigen Jungen. Hos 11 zeigt, was J H W H für dieses Volk empfindet, das Innere seines Verhältnisses zu Israel, und worin dies äußerlich sichtbar wird (Exodus, Führung und Fürsorge im Lauf der Geschichte usw.). Was er beklagt, ist darum nicht nur die fehlende Dankbarkeit, die das Volk ihm schuldet als eine mit Recht zu fordernde Pflicht. Vielmehr sehnte er sich danach, daß seine Zuneigung erwidert wür-

87 „Menschliche Seile" und „Stricke der Liebe" stehen syntaktisch parallel, so daß die Bedeutung von dik hier durch nanu determiniert wird und das Gegenteil von „unmenschlich" meint. - Erich ZENGER, H O S 11,4, 192-194, bestreitet dies und deutet D I N in Hos 11,4 als Genitivus epexegeticus, „der erklärt, welcher Art die Seile waren, durch die Jahwe Israel zog: durch einen Menschen bzw. durch Menschen" (193). Darunter versteht er Mose und die Propheten. Auch V2 und V3b (die er zusammen mit V4a und V5b für eine Erweiterungsschicht hält) seien in diesem Sinn zu verstehen: Die Propheten riefen, und durch ihr Wort heilte JHWH das Volk (194). - Damit hat ZENGER einen wichtigen Aspekt des Primärgegenstandes hervorgehoben. Doch weil die Propheten in Hos 11 nirgendwo ausdrücklich erwähnt werden, darf JHWHs Heilen und Erziehen nicht auf ihr Wirken eingegrenzt werden. 88 Vgl. GKa, § 107a-g. 89

JEREMIAS, A T D ,

1 4 1 ; WOLFF, B K , 2 5 5 ; vgl. RUDOLPH, K A T , 2 1 4

u.a.

Erfahrene Fürsorge

215

de und nicht an verschlossenen Herzen abprallte. Doch ihm wurde die Antwort auf seine Liebe verweigert. Liebe, die ins Leere geht, ist das Hauptthema von Hos 11,1—5. Das Stück kommt darin Hos 2,4ff und 3,1 recht nahe. Doch während in Kapitel 2 der Zorn überwiegt, spricht aus Hos 11 vor allem Trauer. Selbst das Unheilswort in V6 ist davon geprägt. Der Prophet sieht, daß Israels Abkehr von seinem Gott, nicht zuletzt in der Politik (vgl. V5), einen verheerenden Krieg zur Folge haben wird. Die „Rückkehr nach Ägypten" wird von dem tanzenden Schwert über Ephraims Städten begleitet (vgl. 10,14; 14,1), wobei es ohne Belang ist, wenn das Land der Bedrückung jetzt Assur heißt. In scharfer Dissonanz zueinander stehen die drei Worte von V7a. Nicht eines paßt hier zum anderen. Das letzte (Tiaiurtt1?) gibt wieder, wie Israel sich seinem Gott gegenüber verschlossen hat. Aus dem ersten spricht dieselbe innere Verbundenheit wie in V1.3a.4 (vgl. '3a). J H W H nennt Israel wieder „Mein Volk!"90 und gibt damit die mit dem Kindesnamen „Lo Ammi" (1,8) angezeigte Distanz auf. Doch es besteht keine Hoffnung, daß dieses Volk sich ihm je wieder zuwenden könnte; denn es ist „aufgehängt in Abtrünnigkeit", festgebunden an seine eigene Verstockung. So ruft es zu Baal, dem „Hohen", der doch ohnmächtig ist und niemanden aufzurichten vermag.

3.4. Zusammenfassung: Metaphern der Fürsorge Typische Metaphern der Fürsorge sind vor allem 13,5f (Hirte) und 11,1—5 (Mutter/ Vater). Im Unterschied zu den Verderbensmetaphern sind sie nicht von Israels Verhalten abhängig. Sie beschreiben J H W H s zuvorkommendes Handeln zum Heil. Nicht zufällig kommen sie in Geschichtsrückblicken vor und deuten darin keine Einzelereignisse, sondern das, was J H W H ständig für sein Volk getan hat. Doch Israel ignorierte diese Liebeserweise, vergaß den Hirten, verweigerte sich der Mutter, mißachtete den, der es heilte. Auch der Bauer in 10,11 wird enttäuscht. So führen alle Metaphern, die heilvolles Tun J H W H s in der Geschichte zum Inhalt haben, zu dem Ergebnis: vergebliche Liebesmüh. Dieses Volk bleibt verschlossen für ihn. Dabei besteht der entscheidende Gegensatz nicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen ungetrübter Harmonie während der Wüstenzeit und dem Abfall im Kulturland. Für diese These lassen sich allenfalls 2,17 und 9,10 heranziehen; schon bei 13,4—6 gerät sie ins Wanken. Vielmehr dominiert der Gegensatz zwischen J H W H s Wertschätzung (9,10) und Für-

90

So zuletzt in Hoseas Frühzeit: 4,6.8.12 (6,11b ist ein später Nachtrag).

216

Exegesen

sorge für Israel einerseits (13,4-6; 10,11; 11,1-5) und der unverständlichen Abkehr Israels andererseits. Im Blick auf das Volk wird darüber hinaus an zwei Stellen die Diskrepanz zwischen Sein und Verhalten herausgestellt (10,11—13a; 11,1-5). Hier erhebt sich die Frage, ob Israel in Hoseas Augen überhaupt jemals eine adäquate Antwort auf J H W H s Liebeserweise gegeben hat. Nur in 2,17 ist davon ausdrücklich die Rede, für alle anderen Stellen bleibt die Frage offen oder wird eher verneint. 91 Dem Propheten scheint an dieser exegetischen Streitfrage nicht sonderlich gelegen zu sein, weil ihn die Vergangenheit nur interessiert, sofern ihre Wirkungen bis in die Gegenwart hineinreichen. Das gilt für J H W H s Heilstaten ebenso wie für Israels Schuld, nicht aber für eine weit zurückliegende Periode, in der das Volk seinem Gott zugewandt war in i p f l und O'n'^N D y t .

" 9,10; 10,11—13a und 13,4-6 sprechen eben bei genauerem Hinsehen nicht von Israels ursprünglich positiver Reaktion auf die Erwählung.

4. Unbegreifliches Erbarmen

Wenn alle Liebe J H W H s ohne Antwort bleibt, müßte dies von Rechts wegen dazu fuhren, daß J H W H sich nicht weiter um dieses Volk bemüht, daß er aufhört, es zu lieben (vgl. 9,15), es preisgibt und damit dem Tod überläßt. Deutlich genug hatte der Prophet seinen Hörern diese Konsequenz vor Augen gestellt (vgl. 5,14; 9,17; 13,1.7f.l4; 14,1 u.ö.). Doch überraschenderweise bleibt dies nicht das letzte Wort. 2 , l 6 f und 3,1-4 künden erneut von einer Initiative J H W H s , die seiner Liebe entspringt (3,1) und Heil für Israel bewirkt. Die tiefste Ursache dieser Wende offenbart Hos 11,8-11, wo ein dramatisches Geschehen in Gott selbst und seine Folgen geschildert werden.

4 . 1 . Der U m s t u r z in Gottes Herzen (Hos 1 1 , 8 - 1 1 )

4.1.1. Der Text 11.8

11.9

Wie kann ich dich preisgeben, Ephraim, dich dahingehen, Israeli! Wie kann ich dich preisgeben gleich Adma, dich zurichten wie Zeboimi! Umgestürzt ist gegen mich mein Herz; all mein Erbarmen a) ist entbrannt. Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken, ich will Ephraim nicht wieder verderben. Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, in deiner Mitte - heilig und nicht mit Schrecken b> komme ich.

11.10 Hinter JHWH werden sie herziehen, der wie ein Löwe brüllt. Denn wenn er brüllt, so kommen zitternd die Söhne von Westen.

11.11 Zitternd wie Vögel werden sie von Ägypten kommen, wie eine Taube vom Lande Assur, zu ihren Häusern will ich sie zurückbringen, c) spricht JHWH.

218

Exegesen

a) W E L L H A U S E N , 1 2 8 , M A R T I , 9 0 , SELLIN, 1 1 5 , SCHÜNGEL-STRAUMANN,

Mutter,

1 2 1 . 1 2 8 f , u.a. lesen wegen Gen 4 3 , 3 0 und l K ö n 3 , 2 6 ' ö r n . Doch gerade weil m n i m mit iwa ni. ungewöhnlich ist, sollte man bei SR als lectio d i f ß c i l i o r bleiben. b) Lies wie in Jer 15,8 n y II „Erregung, Schreck" (vgl. KBL 3 III, 777). Weil n y in Jer 15,8 das Erschrecken des Volkes meint, sollte man auch in Hos 1 1 , 9 eher an die Erregung denken, die die Menschen bei J H W H s Kommen ergreift, und nicht an dessen Zornesglut, zumal das eine Wiederholung von V 9 a a wäre (gegen JEREMIAS, ATD, 139: „Ich lasse Zornesglut nicht aufkommen."; WOLFF, BK, 2 4 9 : „und nicht gerate ich in Wut."). - Seit WELLHAUSEN, 128, ändert man gern in ( M A R T I , 9 1 ; W I L L I - P L E I N , 2 0 3 ; SELLIN, 1 1 6 ; RUDOLPH, K A T , 2 1 2 ; v g l . d i e Ü b e r -

sicht über verschiedene Varianten bei WOLFF, BK, 249). c) Für Dinanpm (©) spricht bv (vgl. RUDOLPH, KAT, 209, u.a.).

4.1.2. Zur

Literarkritik

Im Unterschied zu den oft unruhig wechselnden Versmaßen in 11,1-7 zeichnen sich V 8 f . l l durch strenge Parallelismen aus. V10 fällt in diesem Gedicht als Prosawort auf. Zudem wird nur hier in Kapitel 11 von J H W H in der 3. Person gesprochen. Auch inhaltlich bringt der Vers auffällige Besonderheiten: Uberraschend wird die Löwenmetapher wieder eingeführt, die sich mit dem Vogelbild in VI 1 nicht gut verträgt. Während Hosea den Löwen "yn© oder -iiü3 nennt (5,14; 13,7), heißt er hier nnN wie in Am 3,4.8. Zudem ist er nicht mehr der angreifende Löwe, sondern das Ehrfurcht gebietende und die ihm Nachfolgenden schützende königliche Tier.1 Auch das Verb AKW gebraucht Hosea sonst nicht. Statt dessen ist es markanter Ausdruck für JHWHs Rufen in Am 1,2 (vgl. 3,8); Jer 25,30; Joel 4,16, wo es jeweils mit „Jerusalem" verbunden ist. Exulanten im Westen (n'M D'ja) gab es zu Hoseas Zeiten, da Ägypten und Assur die Orte der Verbannung waren, noch nicht (vgl. aber Jes 11,14; 24,14.15; 49,12!). Dies alles legt es nahe, V10 für eine spätere Ergänzung zu halten, die Hoseas Botschaft judäischen Hörern nahebringt. 2

1

V g l . KEEL/UEHLINGER, 2 1 5 . 2 1 7 . 3 0 6 . 4 4 6 - 4 4 8 .

Mit EMMERSON, Hosea, 41.43-45; JEREMIAS, ATD, 147; WOLFF, BK, 263; NAUMANN, 109-113, u.a. Gegen JANZEN, Metaphor, 4lf, Anm. 18, der die Echtheit von V 1 0 verteidigt, und YEE, 214-229, bes. 217f, der Hos 11 für einheitlich hält und insgesamt der exilischen Endredaktion zuschreibt. SELLIN, 111. 116f, hält V 8 - 1 1 für einheitlich hoseanisch, sieht sich aber deswegen zu mehreren Textänderungen in V10 genötigt, die die l.RSg. (JHWH-Rede) herstellen und aus den D'M D'J3 „Kinder aus Ägypten" machen. - RUDOLPH, KAT, 208f. 213f, stellt die beiden Satzteile von VlOa um und sieht nur VI Ob als sekundäre Erweiterung an, so daß sein Text von V9b.l0 lautet: „Denn Gott bin ich und kein Mensch,/ ein Heiliger in deiner Mitte,! und komme nicht, / 10 wie ein brüllender Löwe./ Hinter Jahwe gehen sie drein!/Wenn er brüllt, werden zitternd herbeikommen/ die Söhne aus dem Westen." (209) Doch diese Lösung wirkt inkonsequent, da das Problem der 3.P. für JHWH bestehen bleibt und der Vers arg zerstückelt wird. 2

Unbegreifliches Erbarmen

219

Auch V I 1 wird dem Propheten öfter abgesprochen. 3 Dazu besteht aber aus literarkritischen Erwägungen heraus kein Anlaß. Vielmehr gehört er genuin zu Kapitel 11, das mit J H W H s rettendem Ruf aus Ägypten begann und zu Israels selbstverschuldeter Rückkehr nach Ägypten bzw. Assur führte (V5). Nun ermöglicht der Umsturz in Gottes Herzen die Heimkehr aus dem Exil und damit einen Neuanfang der Heilsgeschichte (vgl. 2,17). 4

4.1.3. Auslegung Hos 1 1 , 8 - 1 1 ist untrennbar mit V l - 7 verbunden. Die Spannung von V 7 a muß aufgelöst werden. Das könnte so geschehen, daß J H W H sich von diesem Volk löst und es dem Verderben überläßt. Nicht mehr 'ÖJJ dürfte es dann heißen,* sondern unwiderruflich '»J7 x b und unerbittlich n T» Tm's • (1,6.9; vgl. 2,4). Doch dann erhebt sich die Frage: Läßt Gott sich von den Menschen seine Heilstaten zunichte machen (vgl. V5)? Kann er es um seines Gottseins willen zulassen, daß sie sein Werk der Liebe zerstören? Die Antwort darauf gibt V 8 - 1 1 . V8: Erstmals in diesem Kapitel wird das Volk direkt angesprochen; J H W H stellt die Beziehung zu ihm wieder her. Wenn wie in Jer 3 , 1 9 ; 9 , 6 als Ausruf im Sinne von „wie sehr!" verstanden wird, bedeutet das allerdings gnadenlose Vernichtung. 5 Doch dies steht im Widerspruch zum Folgenden, so daß die Partikel notwendigerweise als ein Ausruf interpretiert werden muß, der Unmögliches benennt: „wie könnte ich!" (vgl. Gen 3 9 , 9 ; 4 4 , 8 . 3 4 ; 2Sam 2 , 2 2 ; Ps 137,4 u.ö.). 6

3

S o v o n M A R T I , 9 1 ; W I L L I - P L E I N , 2 0 5 . WELLHAUSEN,

128, meint, V 8 B - l l

stünden

verfrüht an dieser Stelle, und erwägt deren Streichung. 4 O b MRP~NKA am Ende von V I 1 redaktionell ist (z.B. WOLFF, B K , 2 5 3 . 2 6 2 ) oder von Hosea selbst stammt (z.B. RUDOLPH, KAT, 2 1 9 ) , darüber läßt sich streiten. A u f alle Fälle markiert es in der Komposition des Hoseabuches den Abschluß einer Sammlung, und für Kapitel 11 unterstreicht es die Autorität der Botschaft als J H W H - W o r t . Die Formel begegnet sonst nur noch in 2 , 1 5 sowie 2 , 1 8 . 2 3 . 5 So WELLHAUSEN, 18.127f, der darum schon V 8 b . 9 fiir sekundär halten muß. Falls zwischen dem ersten und dem zweiten Teil von V 8 ein innerer Zusammenhang bestehe, sei V 8 a a als drohender Ausruf, V 8 a ß als einlenkende Frage zu begreifen. - MARTI, 8 9 - 9 1 , versteht V 8 f insgesamt als Drohung. Obwohl J H W H s Mitgefühl entbrennt, kann er dieses aufgrund seiner Heiligkeit nicht über sich herrschen lassen und seinen Vernichtungsbeschluß nicht zurücknehmen. Er ist nicht wie ein schwacher Vater, der seinem unverbesserlichen Sohn gegenüber von Liebe übermannt wird. „Dieses menschliche Pathos, diese menschliche Schwäche, ist dem Heiligen fern, so sehr es schmerzt, daß er strafen muss." ( 9 0 ) - Bei dieser Interpretation stehen Stärke und Liebe, Heiligkeit und Erbarmen einander feindlich gegenüber. D o c h es ist schlecht bestellt um die Stärke und Heiligkeit eines Gottes, wie MARTI ihn zeigt, denn er muß ohnmächtig zusehen, wie schwache Menschen sein Heilswerk vernichten. Was ist seine Stärke und Heiligkeit wert, wenn sie an der Sünde scheitert?! 6 In den allermeisten Fällen weist auf Unmögliches bzw. Unglaubliches hin („wie ist

220

Exegesen

Adma und Zeboim werden sonst stets mit Sodom und Gomorrha zusammen genannt (Gen 10,19; 14,2.8; Dtn 29,22) und stehen als Beispiele ftir ein Vernichtungsgericht. "|ün bedeutet „umstürzen, umstülpen" und wird besonders häufig für die Zerstörung von Sodom und Gomorrha gebraucht (Gen 19,21.25.29; Dtn 29,22; Am 4,11; Thr 4,6; vgl. auch Jer 20,16; 2Kön 21,13; Jona 3,4)7 Ein gewandeltes Herz bezeichnet das Verb z.B. in l S a m 10,6.9; vgl. Ex 14,5, ein durch Reue erschüttertes Herz in Thr 1,20. Doch während es dort heißt '31,¡7 3 iah ^önj lesen wir in Hos 11,8 '21? ^ s ; "|üm. Gott wendet sich gegen sich selbst und seinen Zorn (by im feindlichen Sinn). 8 In ihm selbst findet die Katastrophe statt, die von Rechts wegen sein Volk treffen müßte (KaraciTpocpr), z.B. in Gen 19,29 © für *|ün), und er ist in der Tiefe seiner Person davon betroffen. 9 Der Ausdruck muß zum einen als Anthropomorphismus gewertet werden (a1? als anthropologischer Hauptbegriff). Wörtlich übersetzt, wird er darüber hinaus als Metapher empfunden, deren Fokus "]bn bildet. D a das Verb relativ häufig in ähnlichen Kontexten begegnet, müßte man für das Hebräische eher von einer ruhenden Metapher sprechen, die sich jedoch sofort und mit Gewinn reaktivieren läßt. Es will schwer gelingen, V 8 b a angemessen zu paraphrasieren; dieser außergewöhnlich starke Ausdruck läßt sich wohl nur meditativ erschließen. Mit V8bß verhält es sich ähnlich, i m im Sinne von „ganz und gar" begegnete schon in V 7 (vgl. Mi 2,12). 1 0 m a ni. kommt sonst zusammen mit n i n n i vor (s.o. Anm. a). Das Problem liegt bei » m m . Soll man, wenn man sich nicht für W E L L H A U S E N S Konjektur entscheidet, „mein Mitleid" (RUDOLPH), „meine Reue" (WOLFF), „mein Erbarmen" (WEISER) oder

es nur möglich, daß ..."), z.B. in der Totenklage (2Sam 1,19.25), bei Vorwürfen (Gen 26,9), als Selbstanklage (Prv 5,12), als Ausdruck des Erstaunens (Ps 73,19) und der Klage (Jer 2,21). 7 Das Verb steht dann auch in einem allgemeineren Sinn für „verwandeln", z.B. Jer 13,23 (die dunkle Haut des Kuschiters), Jer 31,13; Ps 30,12; Thr 5,2; Am 8,10 (Trauer in Freude bzw. Freude in Wehklagen); Am 5,7f; 6,12 (Recht in Wermut). Vgl. JANZEN, 28f. 39f, Anm. 5 und 6. 8 Gegen JANZEN, 2 9 , und N I S S I N E N , 2 5 8 , die bv hier nicht im Sinne von „gegen" verstehen wollen. 9 JEREMIAS, ATD, 145, baut eine falsche Alternative auf, wenn er behauptet, im Alten Testament sei „das Herz nicht Sitz des Gefühls, sondern der Willens- und Entscheidungsbildung". Zahlreich sind die Stellen, die das „Herz" auch als Ort der Gefühle nennen (z.B. Freude in lSam 2,1; Ps 13,6; 33,21; Angst in Jes 7,2; Verzagtheit in Jes 35,4; vgl. Ps 40,13 u.v.a.), so wie es in Jer 24,7 Ort des Erkennens, in Prv 16,9 Ort des Planens und Wollens ist. Gemeint ist etwa, was wir heute die Psyche nennen, das Innenleben einer Person in seiner Gesamtheit (s.o. zu 2,16, II/l. 1.1.3., und 7,11, II/2.2.3.). 10 Anders versteht es JANZEN, 30f: "irp zeigt an, daß alle Komponenten des göttlichen Lebens, eingeschlossen Zorn und Liebe, zu einer neuen Einheit und Ganzheit zusammenwachsen.

Unbegreifliches Erbarmen

221

gar „meine Selbstbeherrschung" ( J E R E M I A S " ) übersetzen? In Jes 57,18 und Sach 1,13, den beiden einzigen Stellen, wo diese Nominalbildung sonst noch begegnet, meint sie „Trost". Eine Untersuchung der Wurzel DIU mag weiterhelfen. Hosea gebraucht sie noch einmal in 13,14, dort in Gestalt des hapax legomenon nn J, das wiederum alles Mögliche heißen kann.12 Eine wichtige Untersuchung zu oni mit J H W H als Subjekt hat Jörg J E R E M I A S 1 3 vorgelegt. Das Verb, das im Pi. meist „trösten" und im Ni. „bereuen", aber auch „sich trösten (lassen)", „Mitleid haben", „Leid tragen um jmd.", „sich erbarmen" und sogar „sich rächen" bedeutet, fuhrt J E R E M I A S auf das arabische nahama „heftig atmen, Luft schnappen, aufatmen" zurück. Maßgeblich für die Grundbedeutung sei „die Idee einer Erleichterung, die aus einem tiefen Atemzug gewonnen wird und der eine Gemütserregung vorausgeht, die als (seelische) Atemnot erfahren wird." (16) oru meint demnach „sich Erleichterung verschaffen", was angesichts von Zorn Rache bedeutet, angesichts von Leid ist es Trost, angesichts vertrauter Menschen in Not Mitleid und angesichts einer vollbrachten Tat bzw. einer getroffenen Entscheidung Reue. J E R E M I A S zeigt, wie nna in der klassischen Prophetie (seit Arnos) auf JHWHs geplantes Strafhandeln bezogen wird. Es bezeichnet hier „eine letzte Weise, in der Jahwe sein unrettbar verlorenes Volk dem von ihm selber fest beschlossenen Verderben entreißt. "(110) Gerade an Hos 1 l,8f werde deutlich, daß dies mit einem Kampf JHWHs gegen sich selbst verbunden ist. Gegen die Kraft seines glühenden Zornes flamme eine andere Kraft auf, die B'öina, die darauf „brennt", ihn zu unterbinden. Dies sei keine selbständige Kraft, sondern eine reine Gegenkraft zu Gottes Zorn, die „den Tat-Ergehen-Zusammenhang, den selbstwirkenden Schuld-Strafe-Mechanismus grundlegend durchbricht und außer Kraft setzt..." (57). Nicht Reue sei diese Kraft in J H W H zu nennen, denn er hat nichts zu bereuen (vgl. Num 23,19; lSam 15,29), weil seine Gerichte gerechtfertigt sind, sondern Selbstbeherrschung (11 Of; vgl. 58f u.ö.). Obwohl J E R E M I A S ' Untersuchung sehr instruktiv ist, will sein Verständnis von D'Mina als „Selbstbeherrschung" nicht befriedigen. Denn dieses Wort meint im Deutschen so etwas wie einen Wall, den ein Mensch in seinem Inneren errichtet, um die Affekte nicht nach außen dringen zu lassen, gegen den sie aber mit unverminderter Heftigkeit anstürmen. Selbstbeherrschung verschafft keine Erleichterung, im Gegenteil! Hos 1 l,8f schildert etwas anderes; weder Reue noch Selbstbeherrschung ist hierfür eine angemessene Bezeichnung. Man kommt weiter, wenn man für DIU von den zwei Bedeutungsaspekten „trösten" und „über etwas Leid empfinden" ausgeht, sofern dabei die Einflußnahme auf die notvolle Situation mit im Blick ist und der Wille, sie zu verändern.14 Es handelt sich um eine Aktivität " So diskutiert in ATD, I45f; vgl. ders., Reue, 39fF. 12 WELLHAUSEN, RUDOLPH und W O L F F übersetzen „Mitleid", JEREMIAS „Rücksicht", W E I S E R und SELLIN „Rache", auch „Reue" wäre möglich. Man wird 'J'pM i n y ' nna wohl doch an eine „Haltung der Unbeugsamkeit" (SIMIAN-YOFRE, ThWAT V, 383) denken müssen, dürfte nnjalso nicht mit „Rache" übersetzen. 13 JEREMIAS, Die Reue Gottes. u Vgl. SIMIAN-YOFRE, ThWAT V, 366-384, 368f, und STOEBE, Art. nm, in: THAT II, 59-66. - nm als „sich rächen" (ni. bzw. hitp.: Gen 27,42; Jes 1,24; vgl. Ex 5,13) meint dann „sich Trost verschaffen" auf Kosten des Feindes. Das durch n n j ausgedrückte Mitleid

222

Exegesen

gegen die innere Bedrängnis, die dem Subjekt von Diu aus dem Leid eines anderen (Trost, Mitleid), aus seinem eigenen Tun, einem geplanten Vorhaben (Reue) oder eben auch aus erlittenem Unrecht erwächst (Rache). Obwohl heute die Herleitung von arab. nahama nicht allgemein vertreten wird, scheint darum JEREMIAS' Gedanke des „sich Erleichterung verschaffen" nicht ganz abwegig zu sein.15 DIU verändert Situationen nicht in kühler Sachlichkeit, sondern weil sie dem Betreffenden Not bereiten, weil ihm das Geschehene nahegeht. - Obwohl S I M I A N - Y O F R E das emotionale Moment von DIU für unwesentlich hält (s.o. Anm. 15), legt er für D'Uim in Hos 11,8 „eine Ubersetzung nahe, die eine intensive innere Erschütterung wiedergibt",16 und zwar wegen "i»3 ni. und seiner Verbindung mit D'wm In lKön 3,26 bezeichnet es die Angst der Mutter um ihr Kind, in Gen 43,30 Josephs Erschütterung, als er nach all den leidvollen Jahren seinen Brüdern wieder begegnet.

So mag es denn nicht unbillig erscheinen, die Kraft, die JHWHs Zorn überwindet, Erbarmen zu nennen (vgl. Jes 49,13, wo nna und Dm im synonymen Parallelismus stehen).17 Für JHWH selbst bedeutet solches Erbarmen ein tiefes Betroffensein und Mit-Leiden, für Israel wirksamen Trost, der ihre hoffnungslose Situation wendet (Vll). Freigesetzt wird diese Kraft durch den Umsturz in Gottes Herzen, wobei sein Zorn verwandelt wird.18 Indem „erscheint als Wille, eine sachliche Lösung zu finden ... Mitleid haben und getröstet sein erweisen sich so als die zwei Richtungen ein und desselben Tuns von seinen beiden Endpunkten her." (SIMIAN-YOFRE, ThWAT V, 378, l.e.Y-/2.) Tröstung kann nur dort geschehen, wo der Tröster auch über Mittel verfugt, die Situation des Unglücks zu verändern (ebd., 380f), der nnjM ist zugleich ein Helfer (STOEBE, THAT II, 62). Wenn am ni. „bereuen" heißt, hat auch dies konkrete Folgen und meint nicht resignierendes Bedauern, besonders, wenn JHWH das Subjekt ist (ebd., 65). Vgl. JANZEN, 29f. 39f, Anm. 5: Die Bedeutung (force) der Wurzel liege in einem Wandel (change). 15 SIMIAN-YOFRE, ThWAT V, 367f. Der Autor grenzt die Bedeutung von N M gegen den Sinn von „trösten" und „bereuen" ab, denn diese Bedeutungsfelder „schließen in den modernen Sprachen häufig und in erster Linie den emotionalen Bereich (Veränderung in den Empfindungen dessen, der bereut oder tröstet), verbunden mit faktischer Ineffizienz ein: Reue über etwas, was schon geschehen ist oder nicht geändert werden kann: Trost für den, dem man nicht wirksam helfen kann." (368) - Ob Trost im Deutschen wirklich etwas Ineffizientes bezeichnet, wage ich zu bezweifeln. Man wird das emotionale Moment auch aus dem hebräischen Wort nicht heraushalten dürfen, selbst wenn mit Recht die Effizienz des Tröstens und Bereuens herausgestellt wird. 16 Ebd., 382. 17 Drrj nimmt öfter die Bedeutung „sich erbarmen" an (vgl. z.B. Jes 4 9 , 1 5 ; Dtn 3 2 , 3 6 ) . V g l . STOEBE, T H A T II, 6 2 - 6 4 . 18 Vgl. W E I S E R , 86: „In einem innergöttlichen Vorgang vollzieht sich die wundersame Wandlung der vernichtenden Glut seines , Zorns' in die wärmende Kraft seines Erbarmens ..." Fraglich erscheint mir allerdings, ob die Liebe Gottes wirklich als „stetiger Erziehungswille Gottes" verstanden werden kann, der sich auch und gerade im Ernst des Gerichtes zeige (86f); denn nach V7 gibt es nichts mehr zu erziehen. Da läßt sich von menschlicher Seite nur noch auf das Wunder einer Erneuerung von Grund auf hoffen (vgl. 14,5!). Allerdings scheinen JHWHs Gerichte der Boden zu sein, auf dem dieses Wunder zu keimen beginnt. - Von einer Verwandlung (transformation) im göttlichen Leben, die nicht nur

Unbegreifliches Erbarmen

223

JHWH seinen Zorn gegen sich selbst wendet, verwandelt er dessen Energie in eine Kraft zur Rettung seines Volkes. Nicht umsonst steht hierfür die Nominalbildung d'öim, die im Unterschied zu U'öm nur für JHWHs Handeln gebraucht wird und in Jes 57,18 durch Kbn, in Sach 1,13 durch mu näher bestimmt ist. Nicht umsonst verwendet Hosea in 13,14, wo es um Hölle und Tod geht, ein anderes Wort (nn j) . V9: In V9a wird gezeigt, was geschehen wäre, wenn die Wandlung in Gott nicht stattgefunden hätte. Zweifaches k1? verneint diese Alternative; V9b begründet dieses doppelte Nein in zwei positiven Nominalaussagen, deren negative Entsprechung wiederum jeweils durch K^ ausgeschlossen wird. ntyVN gibt die „normale" Zielrichtung des göttlichen Zornes an: Er wird zur Tat und richtet sich gegen die, die ihn provoziert haben. Das kann in der gegebenen Situation (VI—7!) nur totales Verderben bedeuten (nmt;; vgl. 13,9; 9,9). 31WK kann nicht heißen, daß J H W H sein Volk schon einmal vernichtet hätte, sondern muß auf VI zurückbezogen werden: Ephraim, den er durch seinen Ruf aus Ägypten dem Verderben entrissen hat, will er nicht wieder dem Verderben preisgeben.19 Mit Recht stellt JEREMIAS heraus, daß JHWHs Zorn die primäre Reaktion ist, die nahezu automatisch „aufflammt" (mri; vgl. 8,5), wo immer menschliche Schuld geschieht.20 Menschen sind nicht in der Lage, sich selbst und andere dagegen zu schützen (vgl. 5,14 ^'VÖ f 1 * 2,12). Nur wenn Gott seinen Zorn von ihnen abwendet, ihn also in eine andere Richtung gehen läßt, gibt es wirklich Trost für sie und Hoffnung (vgl. aitf in Jes 12,1; Ex 32,12; Hos 14,5; Jona 3,9; Ps 78,38 u.ö.). 21 Doch was dann mit dem nur allzu berechtigten Zorn geschieht, wo doch im Unterschied zu Jona 3 von einer Umkehr und Besserung des Volkes keine Rede sein kann, darüber wird an den genannten Stellen nicht reflektiert. Allein Hos 11,8f gibt darauf eine Antwort: Die Zornesglut, die unter Menschen nur Verderben anrichtet, bringt zwar auch dann etwas zum Einsturz, wenn sie sich an Gott selbst auswirkt (vgl. den Zusammenhang von "]ün und Gottes Zorn in Dtn 29,22), doch sie wird dadurch zur Quelle der Energie, die neues Leben für die Menschen ermöglicht. Gottes nimm sind darum mehr als nur eine Gegenkraft zu seinem Zorn, die diesen lediglich unterbände; denn dann würden Gottes Kräfte sich gegenseitig verzehren und nicht tatkräftige Tröstung JHWHs Zorn, sondern sein ganzes Selbst betreffe, spricht JANZEN, 3 0 - 3 6 . Vgl. dazu die Kritik von MAYS. " SELLIN, 1 1 5 ; WOLFF, BK, 2 6 2 ; Anders RUDOLPH, KAT, 2 1 8 , der aiw auf V 5 f beziehen

möchte und das dort Angedrohte als bereits erfolgt voraussetzt. Er räumt aber ein, daß bei der Ubersetzung von nmtf mit „vernichten" ein Rückbezug auf VI besser ist. - Zu nnW als Vernichtungsgericht vgl. D. VETTER, Art. nmü, in: THAT II, 8 9 1 - 8 9 4 . 20 JEREMIAS, ATD, 145. Zu t\t< bei Hosea vgl. 8,5; 13,11; 14,5 und RRI^ in 5,10. 21 Oft ist im Alten Testament vom Gegenteil die Rede, daß Gott seinen Zorn nicht abwendet, z.B. in 2Kön 23,26; Jes 5,25; 9,11.16.20; Jer 4,8; 23,20; 30,24 u.ö.

224

Exegesen

nach außen freisetzen. Nein, der „umgekehrte" Zorn selbst wird zu einer Kraft, die das Unheil wendet (DiMini).22 Wie ist so etwas möglich? „Denn Gott bin ich und nicht ein UTK." Mit einer ähnlichen Formulierung wird in Num 23,19 und lSam 15,29 gesagt, daß Gott im Unterschied zu Menschen sich nichts gereuen läßt. 23 Für Hos 11,9 trifft dies insofern zu, als J H W H die Erwählung des Volkes Israel nicht zurücknimmt, während er von der bereits angesagten Preisgabe seines Volkes (vgl. 1,9; 9,17!) Abstand nimmt. Als Gott erweist er sich darin, daß er sein Heilswerk vollendet, obwohl menschliche Schuld es verdorben hatte, und daß er souverän genug ist, das schon beschlossene Vernichtungsgericht zu bereuen (vgl. Ex 32, 12.14). Er gerät nicht in Abhängigkeit von den Menschen und ihrem Verhalten. Obwohl er sich selbst aus Liebe an sie gebunden hat, bleibt er ungebunden; nicht einmal der unerbittlichen Verbindung, die zwischen bösem Tun und seinen schlimmen Folgen besteht, unterwirft er sich.24 Wir sind hier an die Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten unserer Sprache gekommen, an der die Analogien menschlichen Denkens und Handelns versagen.25 S C H Ü N G E L - S T R A U M A N N u.a. legen Wert darauf, UJ'K im geschlechtsspezifischen Sinn zu verstehen: „Männliches Verhalten lehnt Jahwe für sich ab, nicht (wahrhaft) menschliches!"26 Das führt freilich zu der fatalen Folge, daß die Antithese „Gott — unx" unterderhand zu einer Antithese „weiblich männlich" wird. Hosea gebraucht das Nomen zwar häufig für „(Ehem a n n " , besonders in Kapitel 2 (vgl. 3,3), aber auch ganz allgemein im Sinne von „irgendjemand" bzw. in der Negation „niemand" (2,12; 4,4). Bei ttriK in Hos 11,9 mag die Konnotation „männlich" mitschwingen, doch sie wird für die textuelle Bedeutung nicht dominant. Der Kontext erlaubt es nicht zu schlußfolgern, daß Frauen weniger als Männer geneigt wären, ihre Liebe, wenn sie stetig abgewiesen wird, in Haß oder Zorn zu verkehren, daß Frauen leichter verzeihen können als Männer. Selbst wenn dies zuträfe, es wäre keine angemessene Analogie für das, was hier von Gott gesagt werden Gegen JEREMIAS, ATD, 145; vgl. ders., Eschatologie, 231. Zur Problematik der Reue Gottes vgl. SIMIAN-YOFRE, ThWAT V , 3 6 9 - 3 7 5 ; STOEBE, THAT II, 64f; vor allem JEREMIAS, Reue. 24 Vgl. SIMIAN-YOFRE, ThWAT V, 383, und WOLFF, BK, 262, die JHWHs Unabhängigkeit von den Menschen herausstellen, dabei allerdings m.E. zuwenig bedenken, daß er sich diese bewahrt, ohne die Bindung an sein Volk aufzulösen. - Zum Sünde-Unheil-Zusammenhang vgl. auch KOCH, Vergeltungsdogma. 22

23

25

Vgl. JEREMIAS, A T D , 146; ferner EMMERSON, Hosea, 4 3 (Anm. 1 0 6 , S. 1 7 6 ) .

Mutter, 1 3 0 (vgl. 1 2 9 - 1 3 1 ) . 2 7 ) Vgl. WACKER, Frau - Sexus - Macht, 123: „In Gott selbst findet gleichsam eine Auseinandersetzung zwischen dem Vater und der Mutter statt, in Gott vermag sich die Mutter gegen den Vater zur Rettung des Sohnes durchzusetzen ..." - Dagegen weist JÜNGLING nach, daß männliche wie weibliche Gottheiten zerstören können; moralische Qualitäten wie Barmherzigkeit und Liebe seien nicht geschlechtsspezifisch auf Frau oder Mann verteilt (Bemerkungen, 83ff. 92). 26

SCHÜNGEL-STRAUMANN,

Unbegreifliches Erbarmen

225

soll und nur noch via negationis zu erfassen ist. unK meint an dieser Stelle den Mann, sofern er Mensch ist, nicht den Mann im Gegensatz zur Frau. Allerdings weist tti'N auf Hos 2 zurück: Mit Hilfe der Metapher vom Ehemann hatte J H W H sich seinem Volk kundgetan; doch nun wird diese Metapher relativiert und transzendiert. J H W H ist nicht wie ein Ehemann, sondern noch ganz anders, sagt Hos 11,9. Damit werden zugleich alle anderen Metaphern in ihre Schranken verwiesen. Die menschliche Sprache als solche ist hier an ihre Grenzen gestoßen. Immerhin wird noch gerade erkennbar, was den Menschen jenseits dieser Grenze erwartet: nicht Verderben (nnttr), nicht Zorn (t|K I n n ) , nicht Schrecken ("|iy n), sondern unergründliches Erbarmen, wie Menschen es nicht kennen (nimm statt Oi»m). Wo menschliche Worte ihn nicht mehr erfassen können, läßt J H W H sein Volk dennoch nicht im Dunkel der Gottesferne stehen, sondern er ist mitten unter ihnen ( ^ " i p a ) . Wegen der D'Jiar n n in ihrer Mitte (5,4) hatte er sich ihnen entzogen (5,6; vgl. 5,15; 9,12). Als der Heilige kann er keinen Hurengeist und keine Unreinheit neben sich dulden (vgl. Lev 19,2 als Motiv des Heiligkeitsgesetzes). In lSam 6,20, der ältesten Stelle, die J H W H tPiti? nennt, 27 fragen sich die Menschen bestürzt: „Wer kann bestehen vor J H W H , diesem heiligen Gott?" Selbst der Prophet Jesaja furchtet, vor ihm zu vergehen um seiner Sünde willen (Jes 6 , 1 - 7 ) . Hier dagegen naht sich der Heilige seinem schuldbeladenen Volk, ohne daß es vor Schrecken umkommen muß ( l ' y a Niaij N1?] ). Ähnliches begegnet in Ez 3 6 , 2 0 - 2 3 (vgl. Ez 2 0 , 9 . 1 4 ; 39,7.25): Um seines heiligen Namens willen läßt Gott das Volk, das er aus Ägypten herausgeführt hat, nicht untergehen. Um seines heiligen Namens willen läßt er sich sein Werk des Heiles nicht durch die Schuld von Menschen zerstören. Der Heilige weicht letztlich nicht einer D'JIJT n n , er beugt sich nicht der naittta seines Volkes. So wird es schließlich möglich, daß J H W H gerade wegen seiner Heiligkeit als Retter und Erlöser erfahren wird. Doch erst Deutero-Jesaja spricht dies aus (vgl. Jes 4 1 , 1 4 . 2 0 ; 43,3; 48,17; 54,5). V l l : Das unergründliche Geschehen in Gott bleibt nicht ohne Folgen ftir Israel. Das Gericht wird dadurch allerdings nicht aufgehoben; die Exilierung müssen sie erleiden. Doch dies ist nicht das Ende. Wie zu Beginn der Heilsgeschichte kommen sie a n s s ö (vgl. V I und V5), das wieder parallel zu Assur steht, n n zeigt an, daß auch die Begegnung mit dem erbarmenden Gott keineswegs etwas Harmloses ist. Es steht bei der Theophanie am Sinai (Ex 19,16.18), beim Gericht Gottes (Ez 26,16.18; 32,10), aber auch in profanen Zusammenhängen, wo Menschen vor Schreck oder Angst erbeben (vgl. Gen 27,33; 4 2 , 2 8 ; lSam 28,5; Am 3,6). Hier wie in lSam 13,7; 16,4; 21,2 ist es zugleich ein Verb der Bewegung („bebend gehen"), für das es im Deutschen keine Entsprechung gibt. 27

V g l . MÜLLER, Art.

tolp,

i n : T H A T II, 5 8 9 - 4 5 0 9 ,

597.

226

Exegesen

Für die heimkehrenden Exulanten wird auch in Jes 60,8 das Bild von Zugvögeln und Tauben gebraucht. Doch meint es hier neben Tin sicher nicht die Schnelligkeit der Rückkehr,28 sondern schildert „die Rückkehr der Geängsteten". 29 Tiöv wird oft als Metapher für das Gejagt- und Bedrohtsein durch das Netz des Vogelfängers gebraucht (vgl. Am 3,5; Prv 6,5; 7,23; Koh 9,12; Thr 3,52; vgl. auch Ps 102,8). Ps 124,7 kommt Hos 11,11 am nächsten: Die aus Ägypten Kommenden sind dem Tode entronnen wie Vögel dem Fangnetz, und der Schrecken steckt ihnen noch in den Gliedern. Die Taube (VI laß) erinnert an 7,11. Sie hat jetzt die rechte Orientierung gefunden. Damit wird zugleich die Vogelstellermetapher von 7,1 l f aufgenommen und modifiziert: Dort wollten die Israeliten von J H W H „wegflattern" nach Ägypten und Assur, er aber breitete sein Netz über sie, daß sie ihm nicht entkommen konnten. In 11,11 ist offenbar, daß Ägypten und Assur selbst ihnen zum Netz geworden sind. Doch J H W H läßt sie wieder frei und bringt sie zu ihren früheren Wohnstätten zurück, so daß das Exil nicht den Tod bedeutet (vgl. 7,16; 9,3.6). Die Drohung „Zurück nach Ägypten!", die das Ende der Heilsgeschichte bedeutete, wird umfangen von der Verheißung eines neuen Anfangs. V10 unterbricht die JHWH-Rede. 131?' mm '"in« steht in bewußtem Gegensatz zu V2 und darüber hinaus zu 2,7.15 und 5,11. Die Wandlung in Gott bewirkt eine Umkehr im Volk. Den Ruf des mütterlich liebenden Gottes hatten sie ignoriert (V2), doch wenn er wie ein Löwe brüllt, werden sie ihm folgen. Der Schrecken des Gerichtes steckt in dem AKUT. E S nimmt sowohl hoseanische Gerichtsworte (5,14; 13,70 als auch die Botschaft des Arnos auf (Am 3,4.8), scheint jedoch in der Jerusalemer Kulttradition verwurzelt zu sein (vgl. Am 1,2; Jer 25,29.30; Joel 4,16). 30 n n bindet die Ergänzung mit VI 1 zusammen. Was damals - zur Zeit Hoseas den nach Ägypten und Assur Deportierten verheißen wurde, gilt nun auch denen, die nach dem Westen verbannt worden waren (vgl. Joel 4,6; ferner Jes 11,11 f; Ez 37,21), wobei D'ja wieder auf VI zurückweist. - So ist die Erweiterung V10 ein Zeichen dafür, wie Hoseas Botschaft von späteren Generationen neu entdeckt wurde als Wort J H W H s für ihre Situation.

Mehrfach hatte sich J H W H durch das Wort seines Propheten zu erkennen gegeben als ein Gott, der mit sich selber ringt, der sich ratlos und beküm28 Gegen JEREMIAS, A T D , 146, und RUDOLPH, KAT, 219. Auch heißt unbedingt, daß „ein geläutertes, gehorsames Volk ... zurückkommt" (ebd.). 29

noch nicht

W O L F F , B K 2 6 2 ; vgl. NAUMANN, 1 0 9 f .

Vgl. EMMERSON, Hosea, 41. 43—45. NAUMANN, 109-113, versteht das Löwenmotiv in V10 von Am 3,3-4-8 her. n n enthalte eigentlich das Moment der Panik als Reaktion auf eine Bedrohung und sei in V I 1 untypisch gebraucht. Beim Bearbeiter habe dieser seltsame Gebrauch das ihm aus Am 3,3-4-8 bekannte Löwenbild wachgerufen (vgl. "nn in Am 3,6), so daß mit dessen Hilfe die gleichermaßen erschreckende wie gnädige Majestät J H W H s artikulierte. Durch V10 werde nun zugleich Tin in V l l determiniert „als Folge der heilvollen Schrecken verbreitenden Löwenstimme Jahwes" (112). 30

Unbegreifliches Erbarmen

227

mert fragt, was er denn machen soll mit diesem störrischen und unverständigen Volk (vgl. 4,16; 6,4; 7,13; 13,14).31 In Kap. 11 fällt die Entscheidung: J H W H kann sich nicht entschließen, seinem berechtigten Zorn Raum zu geben und damit sowohl Israel als auch seine Geschichte mit ihm auszulöschen. Zugleich wird deutlich, daß dies mit einem Kampf in J H W H selbst und gegen sich selbst verbunden ist, wobei sein Zorn zum Erbarmen wird.32 Das ist die Voraussetzung für die hoseanische Heilsverkündigung, wie wir sie in 3,1—4 und 2,16f finden.

4.2. Das geheilte Israel (Hos 14,2-9) Zu den Folgen des Herzensumsturzes in Gott gehört auch, was Hos 14,2—9 beschreibt. 4.2.1. Der Text 14.2

14.3

14.4

14.5

14.6

31

Kehre um, Israel, zu JHWH, deinem Gott, denn du bist gestrauchelt um deiner Schuld willen! Nehmt Worte mit euch und kehrt um zu JHWH! Sprecht zu ihm: Ganz"1 vergib die Schuld und nimm Güteb> an! So wollen wir darbringen als (anstelle von) Stiere unsere Lippen:c> Assur soll uns nicht helfen, auf dem Roß wollen wir nicht reiten, und wir wollen nicht länger sagen „ Unser Gott!" zu dem Werk unserer Hände! (Denn bei dir findet der Verwaiste Erbarmen.) Ich will ihre Abtrünnigkeit heilen, gern will ich sie lieben; denn mein Zorn hat sich von ihmd> gewandt. Ich will wie der Tau für Israel sein; es soll blühen wie ein Lotos und seine Wurzeln treiben'1 wie der Libanon.

D e m philosophischen und theologischen Sinn solcher Fragen an sich selbst spürt JAN-

ZEN n a c h ( S e m e i a 2 4 , 1 9 8 2 , 7 — 4 4 ) . V g l . d a z u d i e K r i t i k v o n MAYS ( e b d . , 4 5 - 5 1 ) . 32 Vgl. GROSS, Liebe Gottes, 90: „Im Interesse seines Volkes sagt Gott nein zu sich, um zum Menschen weiterhin und immerfort ja sagen zu können..."

228 14.7

14.8

14.9

Exegesen Seine Sprößlinge breiten sich aus, und seine Pracht wird sein wie die des Ölbaums, sein Duft wie der des Libanon. Umkehren werden, die in seinem & Schatten wohnen, sie werden aufleben (und sich sättigen) am Weizen.^ sie werden sprießen wie ein Weinstock, dessen Ruhm wie der Wein des Libanon ist. Ephraim — was habe ichh) jetzt noch mit den Götterbildern zu schaffen? ICH bin es, der (gewiß) erhört und der es anschaut.i} ICH bin wie ein grünender Wacholder,k) an mir wird Frucht für dich gefunden.

a) vorangestellt und adverbiell gebraucht („Insgesamt"). Vgl. GKa, § 128e; 2Sam 1,9; Hi 27,3- GORDIS emendiert zu ^ („Indeed, forgive..."; wie lat. nonne). b) Die Wendung ist singulär im Alten Testament und gab vielfach Anlaß zu Konjekturen. Oft ändert man, allerdings ohne Stütze in den alten Textzeugen, in (n)n|?3l „daß wir Gutes empfangen!", so z.B. BHS, BH, MARTI, SELLIN, WILLIPLEIN, 2 2 9 ; WEISER. WOLFF u n d RUDOLPH postulieren die B e d e u t u n g

„Wort,

Rede" für lio und berufen sich dabei auf Neh 6,19; Ps 39,3 (vgl. GORDIS). Doch an beiden Stellen meint niu „Gutes", auch wenn es sich in Neh 6,19 eindeutig um gute Worte handelt. - Die Bitte an JHWH „Nimm Güte an!", d.h. „Sei uns wieder gut!", wird keineswegs dadurch sinnlos, daß niü oft als eine seiner Eigenschaften genannt wird (z.B. Ps 25,8; 34,9; 54,8 u.ö.); denn von Gottes Eigenschaften kann man nur in Beziehung auf die Menschen sprechen, und die ist in Hos 14,3 durch die Schuld der Beter gestört, also nicht „gut" (gegen WILLI-PLEIN, 229). Vgl. JEREMIAS, ATD, 168: „Nimm guten (Willen) an..." Möglich wäre auch die Deutung „Nimm (unser) Gutes an!", nämlich unsere Bitte um Vergebung und den Willen, uns zu bessern. Doch daß die Beter das, was sie JHWH zu bringen haben, selbst als aiu qualifizieren, ist unwahrscheinlich. c) Vgl. EKG 346,3 „Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen Güter und Gaben; was wir nur haben, alles sei Gotte zum Opfer gesetzt! Die besten Güter sind unsre Gemüter; dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder, an welchen er sich am meisten ergötzt." (P. Gerhardt). - Meist folgt man hier © und spricht von der „Frucht unserer Lippen" (lmütt/ nö: BH, BHS, WELLHAUSEN, WEISER, MARTI, SELLIN u.a.) Das überschüssige D wird dabei entweder fallengelassen oder als enklitisches D (altkanaanäische Kasusendung) erklärt (so z.B. GORDIS, WOLFF, JEREMIAS). Letzteres ist allerdings schwer nachweisbar (vgl. EMMERSON, Hosea, 152, Anm. 154, S. 197). Eher wäre JEREMIAS' Alternatiworschlag uvistoa n s zuzustimmen ebenso wie seiner Beobachtung, daß der Text vermutlich doppelsinnig ist, so daß 9W und & einander ergänzen. - WILLI-PLEIN, 230, plädiert für 9W als lectio dijjßcilior. Vgl. RUDOLPH, der sowohl 'IS als auch avib in den Text bringt. Interessante Aspekte beleuchtet EMMERSON, Hosea, 151-155. Als ursprünglichen Text vermutet sie irnüw nnü („Stiere unserer Hürden"; vgl. Ps 68,14), der Tieropfer als Dank für Gottes Vergebung im Blick habe und Hoseas Meinung repräsentiere. Unter redaktionellem Einfluß habe man später wribif („unsere Lippen") ge-

Unbegreifliches Erbarmen

229

lesen und ni"ib metaphorisch verstanden (exilische Neuinterpretation, durch SR vertreten). Die Septuaginta repräsentiere ein Stadium, in dem die Spiritualisierung noch weiter fortgeschritten sei. EMMERSON vermag so zu erklären, wie es zu dem schwierigen massoretischen Text gekommen ist. Nicht überzeugen kann dagegen ihr Versuch, zu zeigen, daß Hosea nicht grundsätzlich gegen Opfer polemisiert habe, wenn sie nur in der rechten Beziehung zu Gott dargebracht würden. Denn selbst wenn man Worte wie 4,8; 5,6; 8,13; 9,4 nicht als generelle Ablehnung von Opfern versteht, so findet sich doch bei Hosea kein einziger Hinweis auf eine positive Bewertung derselben. — Unabhängig von der Frage, ob Hos I4,2ff von Hosea selbst stammt, wird man wegen V3a bei M'nüto bleiben müssen („Nehmt Worte mit euch!") und den Text mit JEREMIAS doppelsinnig verstehen dürfen: w n a t o n n s odermngtoia n s . d) Der Wechsel vom Plural- zum Singularsuffix ist für das Hebräische nicht ungewöhnlich (vgl. nur 11,3.4.6.7) und ist kein hinreichender Grund, V5b als Glosse auszuscheiden (gegen W O L F F ; vgl. R U D O L P H ) . e) Die Wendung „Wurzeln schlagen" kennt das Alte Testament sonst nicht, doch wird rDJ auch im Sinne von „vorstoßen" gebraucht (vgl. lSam 2,14; 19,10). Zu Konjekturen besteht kein Anlaß (vgl. R U D O L P H ; gegen WELLHAUSEN SELLIN üil u.a.). Auch die Änderung des „Libanon" in eine Baumart, z.B. nj.aV „Pappel" (so SELLIN, M A R T I , WEISER, BHS u.a.), ist unnötig. f ) In der Regel liest man weil man meint, „die Israeliten können nicht im Schatten des Baumes wohnen, mit dem sie selber verglichen sind" (MARTI, 107; vgl. WELLHAUSEN, SELLIN, W E I S E R , W O L F F , R U D O L P H , W I L L I - P L E I N , 234). Doch wenn Israel als Volk im Bild des Baumes gesehen wird, können die einzelnen Menschen sehr wohl in seinem Schatten wohnen (vgl. EMMERSON, Hosea, 46 und Anm. 117, S. 177; JEREMIAS; C O O T E , 161). - ® liest ebenfalls lbara (atnroß), statt n v ; ' j e d o c h n t ü ' ( i ) (E7noTp£ipouoiv Kai Ka&ioövTai). Das mag ein Lesefehler sein, der dadurch entstand, daß man unter dem Eindruck der Diasporasituation lau» stärker als Verheißung der Rückkehr verstand. JEREMIAS und EMMERSON, 46, verstehen das Verb hier einfach wie in 2,11; 11,9 als „wieder" und ziehen es in der Ubersetzung zu i w . Doch dies scheint mir problematisch, da die beiden Verben zu weit auseinander stehen. Andere ändern entsprechend © (z.B. BH, WEISER; vgl. W I L L I - P L E I N , 234; WOLFF; SELLIN; R U D O L P H : „Sie werden wieder wohnen ..." o.a.). Ich plädiere für 3JI als lectio difficilior. g) „,Sie werden Getreide erzeugen und grünen wie eine Rebe' ist ein höchst unerquicklicher Mischmasch von eigentlicher und bildlicher Rede." (WELLHAUSEN, 134). Darum gab auch dieser Teil von V8 immer wieder Anlaß zu Konjekturen. Verlockend ist der Vorschlag bei JEREMIAS: "ß? „aufleben wie ein Garten". Andere lesen m s hi. und streichen das 3 bei p j („sie werden Getreide bauen und Weinstöcke ziehen"; vgl. BHS, WEISER, SELLIN u.a.) Doch hat dies alles keine Stütze in den Textzeugen. Weitere Vorschläge findet man bei RUDOLPH. - Unklar ist, woher ® das zweite Verb hat (Cncrovrat Kai |i£E>ua9r|CTOVTai crirw). Eine einleuchtende Erklärung bietet C O O T E in seinem Aufsatz zu Hos 14,8: Er hält den Versteil JN 1TT> für korrupt und vermutet, daß flir das zweite griechischen Verb ursprünglich eine Form von n n gestanden habe, die später durch Haplographie ausgefallen sei ( m n oder w w neben i w ) . Er liest IST WV lim (mit © qal statt pi.

Exegesen

230

von n'n) und gleicht in der Übersetzung syntaktisch an die erste Verszeile an: „They who dwell in its shade shall return, they who are filled with grain shall live..." (170). Obwohl er einräumt, daß dies ziemlich hypothetisch ist, hat bislang niemand eine überzeugendere Lösung vorgeschlagen. Welche Form von rm allerdings ® vorlag, läßt sich nicht sagen. Zumindest steht das Verb wie in Prv 7,18 mit Akkusativobjekt, so daß die fehlende Präposition vor i n kein Problem darstellt. Für die Übersetzung von nn mit )-ie8ua9f)vai vgl. z.B. Ps 36 (35),9; Jes 34,7. - Iba ist hier wie in 10,2 maskulin. h) Wegen "TISR ist schwierig: Entweder es kann sich nicht auf JHWH beziehen (so © durch Einfügung von "löN'l: „Ephraim wird sagen: ..."; s. BHS) oder muß mit ® und den meisten Exegeten als lb gelesen werden; denn JHWH hatte nie etwas mit den Götzenbildern zu tun. Die erste Möglichkeit ist unwahrscheinlich, da die 1. P. in V9b eindeutig JHWH meint, so daß vieles für die Septuaginta-Lesart (i1?) spricht. Allerdings erscheinen sowohl © als auch % gegenüber als Glättungen. Obwohl 1 und ' allzu leicht verwechselt werden können, plädiere ich darum dennoch für 9JI (vgl. BRAULIK, Aschera, 121f; s. Auslegung). i) Da 9W einen guten Sinn ergibt, sollte nicht geändert werden. Die Perfektformen sind Ausdruck der Gewißheit (Pf. confidentiae; vgl. GKa, § 106n). - Erwähnt werden muß WELLHAUSENS berühmte Konjektur: „Ich bin seine Anat und seine Aschera (irntt/N;i in^jj 'Ji, in: T H A T I, 682-701. Ders..: Art. ipü, T H A T II, 466-486. SCHREINER, Josef: Hoseas Ehe, ein Zeichen des Gerichts, in: B Z N.F. 21, 1977, 163-183.

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Thesen für die öffentliche Disputation

Teil 1: Theorie der Metapher 1.

1.1. 1.2. 2. 3.

4. 5. 5.1.

5.2.

6. 6.1.

6.2.

6.3.

Traditionell gilt die Metapher als uneigentliche Redeweise: Ein Wort, das „eigentlich" eine andere Bedeutung habe, werde aufgrund gewisser Ähnlichkeiten auf einen ihm ursprünglich fremden Sachverhalt übertragen und ersetze dabei ein anderes Wort, das nach dem üblichen Sprachgebrauch „eigentlich" für diesen Sachverhalt zur Verfügung stehe. Die Metapher diene lediglich zur Verzierung der Rede; sie spreche den Hörer nur emotional an. Sie bringe keine neuen Informationen und helfe nicht weiter bei der rationalen Suche nach Wahrheit. Dieses traditionelle Verständnis wird der Metapher in keiner Weise gerecht. Metaphern lassen sich kaum jemals durch „eigentliche Redeweise" ersetzen, ohne einen erheblichen Verlust an Aussagekraft zu erleiden. Die Substitutionstheorie verfehlt das Wesen der Metapher. Metaphern haben nicht nur ornamentale, sondern auch kognitive Funktion, und sind dabei Modellen in der Naturwissenschaft vergleichbar. Eine Metapher ist niemals nur ein einzelnes Wort, sondern immer ein Wort (eine Wendung, ein Text) zusammen mit seinem Kontext. Jedes Wort hat eine (weitgespannte, vage und abstrakte) lexikalische Bedeutung und wird erst durch den jeweiligen Kontext auf seine (engumgrenzte, präzise und konkrete) textuelle Bedeutung determiniert. Während der gewöhnliche Kontext ein Wort innerhalb seiner lexikalischen Bedeutung determiniert, findet im metaphorischen Kontext zugleich eine Determination außerhalb der lexikalischen Bedeutung statt, so daß es gegenüber dem üblichen Sprachgebrauch zu einer Bedeutungsausweitung kommt. Metaphorik ist keine Randerscheinung, sondern ein Grundprinzip der Sprache. Während durch den üblichen Sprachgebrauch verschiedene Sachverhalte aufgrund gewisser Ähnlichkeiten in bestimmte Kategorien geordnet werden, öffnet die Metapher diese Kategorien, indem sie die Sachverhalte — wiederum aufgrund gewisser Analogien - auf neue Weise zusammenordnet. Die Metapher ist das bewegende Prinzip der Sprache und wirkt dem ins System drängenden stabilisierenden Faktor des üblichen Sprachgebrauchs entgegen. Die das System öffnende Metapher und das Sprachsystem mit seinen stabilisierenden Kräften bedingen sich gegenseitig; ihr Widerstreit erhält die Sprache lebendig.

Thesen 7.

281

Die Metapher ist mehr als die Summe der kompatiblen Seme (Bedeutungsaspekte) im Gegensatz zu den inkompatiblen; sie gibt wie bei einem Mosaik zugleich das Muster, nach dem die einzelnen Seme zueinanderzuordnen sind. Deshalb kann eine Vergleichstheorie die Funktionsweise der Metapher nicht hinreichend erklären. 8. Als hilfreich für das Verständnis der Metapher erweist sich die Interaktionstheorie (vgl. R I C H A R D S , BLACK). 8.1. Eine aktive Metapher ist erkennbar an der Spannung zwischen einem in ungewöhnlicher Weise gebrauchten Ausdruck oder Einzelwort, dem Fokus, und seinem Kontext bzw. Rahmen. 8.2. Der Fokus repräsentiert ein System von Beziehungen, den Sekundärgegenstand, dient jedoch der Bezeichnung eines anderen Sachverhaltes, des Primärgegenstandes. 8.3. Dadurch kommt es zur Interaktion der beiden Gegenstände, wobei Implikationen des einen wie des anderen zueinander in Beziehung gesetzt und Entsprechungen zwischen beiden entdeckt werden. Diese bilden den Implikationszusammenhang. 8.4. Der dem Sekundärgegenstand entstammende Implikationszusammenhang erweist sich als Modell dessen, was die Metapher vom Primärgegenstand sichtbar macht (Implikationszusammenhang ). 8.5. Der Implikationszusammenhang determiniert die textuelle Bedeutung des Fokus, wobei innerhalb und außerhalb seiner lexikalischen Bedeutung liegt. Dadurch erfährt der Fokus gegenüber dem üblichen Sprachgebrauch die fiir Metaphern charakteristische Bedeutungsausweitung. 9Der formale Vergleich (der die Vergleichspartikel „wie" o.ä. enthält) erweist sich als eine besondere Spezies von Metaphern: Er ist eine „entschärfte Metapher", d.h. Primär- und Sekundärgegenstand werden explizit nebeneinandergestellt, treten aber dennoch miteinander in Interaktion. 10. Aufgrund ihrer Fähigkeit, die menschliche Sprache für neue Bedeutungen zu öffnen, eignet sich die Metapher in besonderer Weise für das Reden von Gott. 10.1. Im Kontext des Verhältnisses Gottes zur Welt gewinnen alle Worte eine neue Bedeutung, so daß die Sprache des Glaubens eo ipso metaphorisch ist. 10.2. Zu unterscheiden ist zwischen Metaphern, die in diesem Kontext zur Ruhe kommen (z.B. als Anthropomorphismen oder theologische Begriffe) und aktiven Metaphern, die stets ein anderes innerweltlich bekanntes Beziehungssystem mit wachrufen (z.B. Gott als Hirte). 11. Offenbarung konstituiert die Referenz theologischer Metaphern. 11.1. Unter dieser Voraussetzung können theologische Metaphern mit Recht beanspruchen, die Wahrheit zu sagen, d.h. ein wirkliches, außersprachliches Ziel zu erreichen. 11.2. Die Geschichte des zur Welt kommenden (sich offenbarenden) Gottes ist das Kriterium, das theologische Metaphern im Blick auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen erlaubt.

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Teil 2: Exegesen 12. Für Hosea ist allein JHWH Gott (vgl. 13,4). 12.1. Die vom Volk verehrten Gottheiten würdigt er keines Namens, nennt sie vielmehr allesamt „Baalim". 12.2. Die in Hos 2 beklagte „Hurerei mit den Baalim" ist fiir ihn letztlich nichts anderes als Sattheit und Hochmut (vgl. 13,6), die Vergötzung von Fruchtbarkeit und Wohlstand. 12.3. Auf derselben Ebene liegt fiir Hosea das Vertrauen auf politische Kräfte statt auf JHWH (vgl. 5,11.12-14; 7,1 lf). 12.4. Auch die Verehrung JHWHs im Stierbild, die zum offiziellen Staatskult gehörte, nennt er Abkehr von JHWH. 13. Neben dem offiziellen Staatskult attackiert Hosea den Kult auf den ländlichen Höhen. 13.1. Dort wurden vermutlich neben JHWH der phönizische Baal in seinen lokalen Repräsentationen und andere göttliche Mächte verehrt, die zwischen dem fernen Himmelsgott (JHWH/Baal-Schamem) und den Menschen vermitteln sollten. 13.2. Dazu dürfte auch eine Göttin gehört haben, der sexuelle Riten galten. 13.3. Möglicherweise handelt es sich dabei um Aschera, die im Israel der EZ II B nicht als eigenständige Göttin, sondern als geschlechtlich indifferente Mittlergröße gedacht wurde und JHWHs Segen vermitteln sollte. In der 2. Hälfte des 8. Jh. gewinnt sie aber zunehmend an Popularität und wird repersonalisiert. 14. In der Verkündigung Hoseas wird JHWH radikal unterschieden von allen weltlichen Repräsentationen (z.B. Stierbild), Mittlergrößen (z.B. Aschera) und Baal-Gottheiten, denen er in der Vorstellung der Israeliten zum Verwechseln ähnlich war. 15. Gegen die Gefahr, daß JHWH dadurch unvorstellbar fremd wird, stellt Hosea Metaphern von JHWH, die ein neues Erkennen JHWHs ermöglichen. 16. Formal sichert der Prophet die Metaphern auf verschiedene Weise gegen jeden Versuch, JHWH mit dem Sekundärgegenstand zu verwechseln oder ihn auf dieses Bild zu fixieren. 16.1. Für JHWH verwendet er keine Metaphern der Form „X ist Y", sondern sichert die Differenz zwischen Primär- und Sekundärgegenstand durch die Vergleichspartikel 3. Diese sorgt in einer Situation, in der die Grenzen zwischen Göttlichem und Weltlichem zu verwischen drohen, fiir klare Unterscheidung und dient gerade so der Begegnung Gottes mit der Welt. 16.2. Einige Gottes-Metaphern haben als Fokus nur ein Verb (wn in 5,13; 6,1; 7,2; 11,3; 14,5; nsn in 13,5f; 4,16), wobei die entsprechenden partizipialen Nominalbildungen Ktn und n y i fehlen. So lehren diese Verben JHWHs Handeln an seinem Volk verstehen, ohne ihn auf ein bestimmtes Handlungsfeld festzulegen und damit einzugrenzen. 16.3. Auch die Metaphern von JHWH als Ehemann (2,4-15), Vogelsteller (7,1 lf), Bauer (10,11-13a) und Mutter bzw. Vater (11,1-7) werden überwiegend durch Verben angezeigt, sind aber darüber hinaus jeweils umschlossen von

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einer Metapher für Israel, die zuerst eingeführt wird und den Sekundärgegenstand ins Spiel bringt. Weil bei den Metaphern fiir Israel der Unterschied zwischen Primär- und Sekundärgegenstand offensichtlich ist, sichern sie die Gottesmetapher gegen das Mißverständnis, J H W H auch außerhalb des metaphorischen Beziehungsgeflechtes auf das entsprechende Bild zu fixieren. 17. Bei aller Flexibilität in der Wahl der Sprachbilder ist Hosea darin konsequent, daß er mit Tiervergleichen als Gottesmetaphern immer Verderben ansagt, während J H W H in allen Metaphern der Fürsorge anthropomorph erscheint. 17.1. Alle Metaphern der Fürsorge gehen dem Tun Israels voraus und zeigen so J H W H s primäres Handeln (vgl. 11,1-7; 13,4-6). 17.2. Alle Verderbensmetaphern ( 5 , 1 2 - 1 4 : Eiter, Knochenfraß, Löwe; 7,1 lf: Vogelsteller; 13,6-8: Löwe, Panther, Bärin) werden eindeutig als /fe-aktion J H W H s auf das schuldhafte Verhalten Israels eingeführt, wobei die nichtanthropomorphen Vergleiche jeweils auf eine anthropomorphe Metapher, die J H W H s Fürsorge zeigt, bezogen sind ( 5 , 1 2 - 1 4 : Arzt; 13,4-8: Hirte). 17.3. Alle hoseanischen Heilsankündigungen (außer der vermutlich nach-hoseanischen Heilsschilderung in 14,6-8.9) sind jeweils mit einer anthropomorphen J H W H - M e t a p h e r verbunden ( 2 , l 6 f und 3 , 1 - 4 : Ehemann; 1 1 , 8 - 9 . 1 1 : Vater/ Mutter; 14,5: Arzt). Nicht zufällig handelt es sich bei der Ehe- und der Elternmetapher gerade um jene menschlichen Beziehungen, in denen Zuwendung, Fürsorge und Liebe am intensivsten erfahren werden. 18. Hoseas Gottesmetaphern machen die Nähe JHWHs erfahrbar, ohne die Distanz zwischen Gott und Mensch aufzuheben. 18.1. D a ß sich die Israeliten in ihren alltäglichen Sorgen lieber an „Baalim" statt an JHWH wandten, hat seine Ursache darin, daß J H W H als Gott der Nation und Herr des Himmels ihnen zu fern erschien. 18.2. Diese Gottesferne wird überwunden, indem die Israeliten mittels metaphorischer Rede z.B. von J H W H s Sorge u m sein eigenes Kind erfahren (Hos 11), seine Trauer und seinen Zorn über die Untreue seiner Frau nachempfinden können (Hos 2) oder seine Enttäuschung begreifen, als die junge Kuh den in sie gesetzten Erwartungen nicht entspricht (10,11—13a). 18.3. Mit den Verderbensmetaphern wird das Unglück, das den Menschen ohnehin nahegeht, transparent gemacht fiir J H W H und geschichtlich Erlebtes als Gotteserfahrung gedeutet. 18.4. Durch die Metaphern werden die Menschen selbst zu einem Teil dessen, was ihnen von J H W H erzählt wird, obwohl zugleich das Bewußtsein fiir den Abstand zwischen Gott und Mensch wachgehalten wird. Hierin unterscheidet sich die Metapher grundlegend vom Mythos. 19. Hoseas Gottesmetaphern ermöglichen Vertrautheit mit J H W H als dem unverfugbaren Gott. 19.1. Wenn Hosea beklagt, daß die Israeliten JHWH wie einen Baal verehren, zeugt dies von ihrem Wunsch, Gott „begreifen" zu können und verfügbar zu haben. 19.2. D e m zur vergoldeten Stierstatue erstarrten Gottesbild mit seiner geprägten Kultformel (vgl. l K ö n 12,28) setzt Hosea die persönliche Anrede J H W H s mit der Vergegenwärtigung seiner Heilstaten (13,4) und Metaphern von

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Gott entgegen, die weitere geschichtliche Erfahrungen deuten und die Verfestigung der Gotteserfahrung zu einem einzigen, unbewegten Bild aufbrechen (13,5-8). 19-3. Besonders die Ehe- und Elternmetapher sowie die Bilder vom abgewiesenen Arzt (5,12-14) und vergessenen Hirten (13,4-8) verdeutlichen, wie J H W H darauf wartet, daß seine Liebe zu Israel die entsprechende Antwort finde. Diese läßt sich nicht auf „Kultbetrieb" reduzieren, sondern kann sich nur in einer ganzheitlichen personalen Beziehung verwirklichen, die durch IDH und DTiSk nsn gekennzeichnet ist. 20. Die verschiedenen Metaphern zeugen von der Vielseitigkeit JHWHs als des einzigen Gottes; sie vermitteln die Einsicht, daß Israel in Wohl und Wehe immer J H W H begegnet und außer ihm keines anderen Gottes bedarf. 20.1. Wenn in Israel „Baalim neben JHWH" verehrt wurden, deutet dies auf das Problem der Begrenztheit des einen Gottes. 20.2. Einem Volk, dessen Glaube an J H W H für das Geschlechtliche keinen Raum hatte und das sich der Faszination eines sexuell gefärbten Kultes nicht länger zu entziehen vermochte (Hos 41), gibt Hosea die Ehemetapher, in der der sexuell-erotische Aspekt „aufgehoben" und spiritualisiert wird. 20.3. Indem J H W H von der Geschichte her als Herr des Landes verkündigt wird, dessen Früchte seine Gaben an die Frau sind, übernimmt er die wesentlichen Funktionen Baals (zuständig für Regen, Vegetation und damit Fruchtbarkeit) und wird zugleich deutlich von ihm unterschieden. 20.4. Wenn J H W H als Ehemann die Gaben wieder entzieht oder das Volk wie ein Raubtier angreift (vgl. auch die übrigen Verderbensmetaphern), so zeigt dies, daß auch der Bereich des Unheils JHWHs Befehl untersteht. 20.5. In Hos 11 wird die Tradition der Mutter-Kind-Darstellungen aufgenommen, und J H W H übernimmt Funktionen, die sonst der Muttergöttin oder persönlichen Schutzgottheiten zukommen. 21. Fast jede hoseanische Gottesmetapher ist direkt auf vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Geschichte bezogen. 21.1. Geschichtliche Erfahrung ermöglicht es, die Gottesmetaphem zu verstehen und sachgemäß zu interpretieren; zugleich geben die Gottesmetaphern den geschichtlichen Erfahrungen ihre Deutung als je neue Begegnung mit JHWH. 21.2. Die Exoduserfahrung ist der Grund für die Ehe- und Elternmetapher (Hos 2; 11); hier hat das besondere personale Verhältnis zwischen J H W H und Israel seinen Ursprung. 21.3. In dieser Geschichte wurde JHWHs Identität als rettender und Heil schaffender Gott für die Israeliten erkennbar (vgl. 13,4f). 21.4. Der von Hosea beklagte Mangel an Gotteserkenntnis erwächst darum aus Ignoranz, nicht aus mangelnder Gelegenheit, ihn kennenzulernen. 21.5. Gegenwärtige bzw. noch bevorstehende geschichtliche Unheilserfahrungen werden vor diesem Hintergrund verstehbar als Folgen der Abkehr von J H W H (vgl. 5,12-14; 7,lf; 7,1 lf). 21.6. Wenn Hosea dennoch von der Hoffnung auf künftiges Heil spricht, ist dies allein der erneuten Initiative JHWHs zu verdanken (vgl. 2,16f; 3,1-4; l l , 8 f . l l ) , durch die er Israels Abtrünnigkeit heilt (14,5).

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22. vjiK 'Kb in Hos 11,9 markiert die Grenze menschlichen Redens von Gott. 22.1. An der Stelle, wo JHWH seinen berechtigten Zorn zurücknimmt, um sich alle Schuld zum Trotz seines Volkes zu erbarmen, versagen alle menschlichen Analogien. 22.2. Hier wird auch die Ehemetapher (JHWH als unk), die sehr viele Aspekte des Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk sichtbar machte, relativiert und transzendiert. 22.3. Weil JHWH zugleich „heilig" und „in deiner Mitte" ist (11,9), verschließt die mit iff'N" N1? bezeichnete Grenze nicht die Möglichkeit, Gott zu begegnen, sondern bewahrt die Offenheit dafür, ihn zu erkennen als den Gott, als der er sich an den Menschen je neu erweist.

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend. Eine Auswahl:

170: Bernd Kollmann

163: Werner Kahl

Jesus und die Christen als Wundertäter

New Testament Miracle Stories in their

Studien zu Magie, Medizin und Schama-

Religious-Historical Setting

nismus in Antike und Christentum. 1996.

A Religionsgeschichtliche Comparison from

438 Seiten, Leinen. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 5 3 - 7

a Structural Perspective. 1994. 259 Seiten,

169: Andreas Dettwiler

Leinen. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 4 5 - 6

Die Gegenwart des Erhöhten

162: Rüdiger Lux

Eine exegetische Studie zu den johanne-

Jona. Prophet zwischen "Verweigerung"

ischen Abschiedsreden (Joh 13,31 - 16,33)

und "Gehorsam"

unter Berücksichtigung ihres Relecture-

Eine erzählanalytische Studie. 1994. 240

Charakters. 1995. 328 Seiten, geb.

Seiten, Leinen. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 4 4 - 8

ISBN 3-525-53852-9

161: Martin Winter

168: Ferdinand Ahuis

Das Vermächtnis Jesu und die

Exodus 11,1 - 13,16 und die Bedeutung

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der Trägergruppen für das Verständnis

Gattungsgeschichtliche

des Passa

Vermächtnisrede im Blick auf Joh. 13-17.

1996. 126 Seiten, kartoniert

1994. 370 Seiten, Leinen

ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 5 1 - 0

ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 4 3 - X

167: Albrecht Scriba

Untersuchung

der

160: Odil Hannes Steck

Die Geschichte des Motivkomplexes

Das apokryphe Baruchbuch

Theophanie

Studien zu Rezeption und Konzentration

Seine Elemente, Einbindung in Geschehens-

"kanonischer" Überlieferung. 1993. XI,340

abläufe und Verwendungsweisen in altisrae-

Seiten, Leinen. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 4 2 - 1

litischer, frühjüdischer und frühchristlicher

159: Hans Jonas

Literatur. 1995. 274 Seiten, 1 Tabelle,

Gnosis und spätantiker Geist

Leinen. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 5 0 - 2

Teil 2: Von der Mythologie zur mystischen

165: Jan Christian Gertz

Philosophie. Erste und zweite Hälfte.

Die Gerichtsorganisation Israels im

Hrsg. von Kurt Rudolph. 1993. XVI, 410 Sei-

deuteronomischen Gesetz

ten, Leinen. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 4 1 - 3

1994. 256 Seiten, Leinen

Teil 1: Die mythologische Gnosis

ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 4 7 - 2

Band 33 dieser Reihe. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 1 2 3 - 0

164: Gerhard Saß Leben aus den Verheißungen Traditionsgeschichtliche und biblisch-theologische Untersuchungen zur Rede von Gottes Verheißungen im Frühjudentum und beim Apostel Paulus. 1995. 579 Seiten, Leinen. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 3 8 4 6 - 4

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Vandenhoeck Ruprecht

Studien zu den Büchern der Kleinen Propheten Jörg Jeremias Der Prophet Hosea 1983. 174 Seiten. (Das Alte Testament Deutsch 24/1). Kartoniert ISBN 3-525-51224-4, gebunden ISBN 3-525-51225-2 Der Prophet Hosea hat nach Ansicht des Autors noch lange nicht die Aufmerksamkeit in Theologie und Kirche gefunden, die ihm als einzigem Schriftpropheten, der aus dem Nordreich Israel stammt, gebührt. Kein anderer Prophet reflektiert und beschreibt das Gottesverhältnis Israels so grundsätzlich wie Hosea, kein anderer greift in einem auch nur annähernd vergleichbaren Maße auf Traditionen der frühen Geschichte des Gottesvolkes zurück. Die Auslegung ist von der Überzeugung geleitet, daß die gegenwärtige Prophetenexegese stärker als bisher zwischen mündlich verkündetem und schriftlich überliefertem Prophetenwort zu unterscheiden hat. Das Hoseabuch ist als ein umfassendes Ganzes literarisch konzipiert worden und beansprucht als solches Gültigkeit für spätere Generationen.

Helga Weippert / Klaus Seybold / Manfred Weippert Beiträge zur prophetischen Bildsprache in Israel und Assyrien 1985. IX, 93 Seiten. (Orbis Biblicus et Orientalis 64 / Gemeinsam mit dem Universitätsverlag Fribourg/Schweiz). Kartoniert. ISBN 3-525-53687-9 Die Verfasser untersuchen die Bildsprache bei Arnos, Zephanja und den neuassyrischen Propheten.

Artur Weiser Das Buch der zwölf Kleinen Propheten I Die Propheten Hosea, Joel, Arnos, Obadja, Jona, Micha 8. Auflage 1985. 294 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-51223-6

Silvia Schroer In Israel gab es Bilder Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Israel. 1987. XIV, 553 Seiten mit 146 Abbildungen und 1 Frontispiz (Orbis Biblicus et Orientalis 74 / Gemeinsam mit dem Universitätsverlag Fribourg/Schweiz) Leinen ISBN 3-525-53703-4 Weitgehend vollständig sind hier alle alttestamentlichen Nachrichten über reale Kunstwerke gesammelt und mit den Ausgrabungsfunden verglichen worden. Die Studie demonstriert nicht nur das vielfältige Vorhandensein von Bildern in Israel, sondern liefert auch wichtige Ergänzungen zu den archäologischen Funden. Das Buch ist eine kunst- und religionsgeschichtlich höchst informative Vergegenwärtigung von Vorstellungen und Bildern, an denen sich das Alte Testament orientiert hat.

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