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German Pages [268] Year 1970
Friedrich Beißer · Schleiermachers Lehre von Gott
FRIEDRICH BEISSER
Schleiermachers Lehre von Gott dargestellt nach seinen Reden und seiner Glaubenslehre
V A N D E N H O E C K & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 22
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. — ©Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Dieses Buch ist gewidmet meinem Lehrer Peter Brunner, aus Anlaß seiner Emeritierung. Ohne ihn hätte es weder der Methode noch der Sache nach in dieser Weise zustande kommen können. Fast hätte ich nun ausdrücklich erklärt, eine derartige Widmung gebe nicht immer von vornherein schon an, was im folgenden Text zu finden sei, oder Bescheid wissen könne man über dieses Buch wohl doch erst, wenn man es gelesen habe usw. Aber wozu den Leser mit solchen Selbstverständlichkeiten aufhalten! Er hat ohnehin eine sicher nicht immer bequeme und einfache Lektüre vor sich. Daran trägt die Schuld aber mindestens auch die Kompliziertheit und Schwierigkeit des Themas, das hier verhandelt wird. Uninteressant und unwichtig ist diese Sache allerdings nicht gerade. Nach meiner Überzeugung geht es darin um Fragen, die an die Existenz unserer Theologie und Kirche rühren, um Fragen, an denen wir alle heute zu laborieren, also zu arbeiten und zu leiden haben. Vielleicht kann das vorliegende Buch dazu einen Diskussionsbeitrag liefern. Mindestens sollte es aber darauf hinweisen, daß das Entscheidende nicht in unseren Händen liegt, nicht von uns wird bewältigt werden können, sondern von dem gelenkt und entschieden wird, der alle Unzulänglichkeiten unseres Stammeins über ihn gnädig verzeihen möge. Im Winter 1968 wurde diese Arbeit von der theologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Habilitationsschrift angenommen. Gegenüber dieser ersten Fassung wurden nur unwesentliche Änderungen vorgenommen. Hinzugekommen ist eine Zusammenfassung, die den Überblick etwas erleichtern soll. Für den Druck des Werkes leistete die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen wesentlichen Beitrag. Ihr möchte ich auch an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Heidelberg, im Mai 1969.
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INHALT Vorwort
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Einleitung
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Grundlegung: Die Gotteserfahrung nach den „Reden über die Religion" 1. Wo schildern die „Reden" die Grunderfahrung? 2. Abgrenzung der Religion von „Metaphysik" und „Moral" 3. Anschauung und Gefühl 4. Die Felder der Epiphanie des Universums 5. Was ist Universum? 6. Die Funktion des Universums 7. Ist Schleiermacher Pantheist? 8. Die Aussagen über Gott in Rede fünf 9. „Wesen der Religion" und „Christentum" Erstes Kapitel: Das Wesen der Frömmigkeit nach Schleiermachers „Glaubenslehre" 1. Zur Funktion der „Einleitung" 2. Frömmigkeit als ein Gefühl (§3) 3. Frömmigkeit als das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit ( § 4 ) 4. Frömmigkeit in ihrer Beziehung auf das Sein des Menschen in der Welt ( § 5 ) 5. Warum wurde die Grundformel für „Religion", wie sie in der ersten Auflage der Reden gegeben war, in dieser Weise verändert? 6. Zum Monotheismus und zur Absolutheit Gottes 7. Zur Vernünftigkeit Gottes 8. Über Gott und Sprache 9. Zum anthropologischen Ansatz und zur Stellung der Gotteslehre innerhalb der Dogmatik Zweites Kapitel: Aussagen über Gott im ersten Teil der Glaubenslehre 1. Zur Beweisbarkeit Gottes 2. Zum Problem der Transzendenz Gottes 3. „Das unendliche Sein Gottes" und der christliche Gottesglaube 4. Die Welt als Naturzusammenhang 5. Naturzusammenhang und Gott 6. Zur Lehre von den Eigenschaften Gottes 7. Die Eigenschaften Gottes im ersten Teil der Glaubenslehre 8. Die einzelnen Eigenschaften Gottes
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a) Ewigkeit (§52) b) Allgegenwart (§ 53) c) Allmacht (§54) d) Allwissenheit (§55) e) Weniger brauchbare Eigenschaftsbegriffe (§ 56) 9. Bemerkungen über das Verhältnis Gottes zur Geschichte Drittes Kapitel: Die Lehre von den Eigenschaften Gottes zweiten Teil der Glaubenslehre
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1. Über den Zusammenhang von Gottes Kausalität mit Gottes Beziehung zu Sünde und Erlösung 2. Zum Zusammenhang der Sünde mit der Gnade 3. Gottes Kausalität und die Sünde 4. Die Eigenschaften Gottes, die in diesen Zusammenhang gehören a) Heiligkeit (§ 83) b) Gerechtigkeit (§ 84,1—3) c) Über das gegenseitige Verhältnis von Gerechtigkeit und Heiligkeit (§ 84,4) d) Zur Barmherzigkeit Gottes (§ 85) (Stellungnahme) 5. Erlösung und ihre Übermittlung als Gottes Tat 6. Gottes Weltregierung 7. Gottes Eigenschaften, die sich auf die Erlösung beziehen a) Liebe b) Weisheit 8. Zu Schleiermachers Trinitätslehre 9. Weltgeschichte und Erlösungsglaube Schlußbemerkung
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Zusammenfassung
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Literaturverzeichnis
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Hinweis an den Leser: In den Anmerkungen und im Text werden Buchtitel gewöhnlich nach ein« einem Stichwort angegeben; der volle Wortlaut ist im Literaturverzeichnis zu finden.
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Einleitung Die Angriffe von außen, die Anfechtungen von innen, denen die Kirche ausgesetzt ist, konzentrieren sich heute immer mehr auf den Kern, nämlich auf den, den wir Gott nennen. In der Frage, wer Gott sei, hat Schleiermacher maßgebende Entscheidungen gefällt. Unsere theologische Lage ist nicht zu verstehen ohne diesen Ursprung. Schleiermacher gehört nicht zu ihrer Vorgeschichte, sondern zu ihrer Gegenwart und wohl auch zu ihrer Zukunft. Darum haben wir allen Grund, nach seiner Lehre von Gott zu fragen. Das Thema „Gott bei Schleiermacher" wurde nur in zwei neueren Monographien behandelt. Das eine Buch, eine New-Yorker Dissertation,1 ist hierzulande leider nicht greifbar, das andere, das 1942 von dem Wobbermin-Schüler G. Zumpe verfaßt wurde,2 ist zwar zu beschaffen, erreicht aber in den wesentlichen Sachfragen nicht die notwendige Klarheit. Darum ist eine Neubearbeitung gerechtfertigt. Während man in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts häufig den großen Überblick suchte, scheint es heute geboten, vor allem am einzelnen zu arbeiten. In der Tat lassen sich nur vom einzelnen her wirkliche Belege gewinnen. Dafür droht aber der Nachteil, daß die Einzelforschung im Fragmentarischen, ja im Unverbindlichen steckenbleibt. Die vorliegende Untersuchung stützt sich in der Hauptsache auf nur zwei Werke Schleiermachers, freilich wohl seine beiden wichtigsten, nämlich die „Reden über die Religion" von 1799 und die maßgebende zweite Auflage des „Christlichen Glaubens" von 1830/31. Jedem Kenner Schleiermachers muß diese Beschränkung problematisch erscheinen. Kann man ein Thema wie dieses behandeln, ohne mindestens die „Dialektik" einzubeziehen? Gewiß wird man gerade diesen Mann nur verstehen, wenn man das Ganze seines Systems, vor allem das Zusammenspiel von Philosophischem und Theologischem, in den Blick faßt. Insofern darf die Dialektik keinesfalls übergangen werden. Ich kann nur versichern, daß ich dieses Werk in seinen verschiedenen Fassungen sorgfältig durchgearbeitet habe. Diese Ausführungen haben mich ständig begleitet. Ich halte es aber für vertretbar, Schleiermachers Gotteslehre einstweilen allein nach seinen theologischen Hauptwerken darzustellen. 1 Paul Frederick Mehl, Schleiermachers mature Doctrine of God as found in the Dialektik of 1822 and the second Edition of the Christian Faith, Diss. New York 1961. 2 G. Zumpe, Die Gottesanschauung Schleiermachers und die Pantheismusfrage, Diss. Berlin 1942.
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Das Wesentliche der Dialektik ist nämlich von der Glaubenslehre mindestens vorausgesetzt oder sogar in sie eingegangen. Es wird in der Dogmatik das Ganze des Systems anvisiert und auch zum Ausdruck gebracht. Darum bedeutet die Konzentration auf das theologische Hauptwerk nicht notwendig eine Verengung des Blickwinkels. Die folgende Darstellung ist also — was die ausdrückliche Besprechung der Quellen betrifft — ein Fragment. Vielleicht ist es aber trotzdem gelungen, das Ganze von Schleiermachers Gotteslehre zu treffen. Nicht verzichtet wurde auf die Gegenüberstellung von Reden und Glaubenslehre. Nach meiner Überzeugung interpretieren sich diese beiden Werke gegenseitig, so daß eigentlich erst ein Vergleich zwischen ihnen jedes der beiden Bücher recht verständlich machen kann. Damit ist auch schon angedeutet, wie im einzelnen verfahren werden soll. Es wird darauf verzichtet, den Stoff im voraus sachlich einzuteilen. Ein solches Vorgehen ist sehr wohl möglich. Es birgt aber die Gefahr, daß dem erörterten Gegenstand eine fremde Systematik übergestülpt wird. Statt dessen versuche ich, den Denkschritten nachzufolgen, die Schleiermacher selbst geht. Eine solche Darstellung ist weniger leicht zu überblicken, Wiederholungen sind nicht ganz zu vermeiden; aber diese Nachteile werden wohl aufgewogen dadurch, daß auf diese Weise Schleiermacher selbst in größerer Unmittelbarkeit und im Zusammenhang zu Wort kommen kann. Auf der anderen Seite soll nicht Satz für Satz der Reihe nach kommentiert werden. Es wird versucht, Schleiermachers Ausführungen jeweils unter sachlichen Gesichtspunkten zusammenzufassen, die in den Überschriften der einzelnen Abschnitte angegeben werden. Man wird finden, daß die Rede Schleiermachers immer wieder von Einwänden und Gegenreden des Kommentators unterbrochen ist. Auch wer' sich mit dieser Kritik nicht befreunden kann, wird davon wenigstens den Vorteil haben, daß durch sie die Meinung Schleiermachers plastischer hervortritt. Es ist, wie schon gesagt, auch gar nicht die Absicht, lediglich einen vergangenen Gegenstand sorgfältig zu rubrizieren und auszustellen. Weil Schleiermacher lebendig ist, darum fordert er die Stellungnahme. Ein jeder Versuch, über Schleiermacher nachzudenken, ihn zu verstehen, stößt auf ungewöhnliche Schwierigkeiten. Dies liegt vor allem auch daran, daß es nicht ausreicht, ihn nur einfach beim Wort zu nehmen. Das Wesentlichste an dem, was er zu sagen hat, ist nach seiner Überzeugung im Wort nicht direkt mitteilbar. Das bedeutet aber, daß man beim Versuch, Schleiermacher zu verstehen, grundsätzlich über Vermutungen nie hinauskommen kann. Man muß sich aber darauf einlassen, denn einen besseren Zugang gibt es hier nicht. Das heißt nicht, daß seine Vorstellungen nur aus romantisch-vagen Ausbrüchen einer schweifenden Phantasie bestünden. Wer sich auf 10
Schleiermachers Denken einläßt, wird bald merken, daß hier ein Gegenstand ergriffen und festgehalten ist, der die volle Gewalt und Dignität der Wahrheit hat. Auch bleibt diese Sache in allen ihren verschiedenen Entfaltungen, in allen verschiedenen Anläufen des Denkens, von einer erstaunlichen Konstanz. Und dieses Denken selbst, dem man so oft irisierende Unklarheit, dem man das Schleier-Machen vorgeworfen hat,3 es erweist sich bei einer genaueren Betrachtung von stählerner Konsequenz. Daher hat man sich so genau wie möglich an seine Worte zu halten. 3
Vgl. das Spottgedicht von A.W. Schlegel, das z.B. in Redekers Einleitung zur 7. Auflage der Glaubenslehre zitiert wird (S. XXXIV).
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Grundlegung: Die Gotteserfahrung nach den „Reden über die Religion" Bei aller Verzweigung und Vielfalt hat das Denken Schleiermachers einen bestimmten Einheitspunkt. Es gibt bei ihm eine Art von religiöser Grunderfahrung, die auszuführen alles Weitere dienen soll. Wie ist dieses Grunderlebnis näher zu bestimmen? 1. Wo schildern die „Reden"1 die Grunderfabrutig?
Die Ausführungen der Glaubenslehre weisen zurück auf die ausführlichere Darstellung der „Reden". Da Schleiermacher behauptet, er habe seinen Standpunkt zwar vielleicht modifiziert oder präzisiert, nicht aber geändert,5 dürfen wir uns auch an diese frühere Schrift halten. Sucht man nach einer religiösen Grunderfahrung in den Reden, so stößt man auf das Problem, wie sich innerhalb dieser Schrift die allgemeinen Darlegungen über die Religion, also vor allem die Reden eins bis vier, zum eigentlich Christlichen verhalten, wie es innerhalb der fünften Rede auftaucht. Je nachdem, wie man diese Frage entscheidet, wird man auch die Grunderfahrung anders verstehen müssen. Die eine Deutung weist darauf hin, daß auch schon der Verfasser der Reden ganz auf dem Boden des christlichen Glaubens steht. Ziel und Gipfel der ganzen Darlegungen ist daher der Hinweis auf das Christentum in Rede fünf. Wenn es aber Schleiermacher im Grunde nur darum zu tun ist, so bedeutet das, daß die vorhergehenden Ausführungen nicht nur nebensächlich sind, sondern uneigentliche Rede.6 Hier ist Schleiermacher den Idealisten ein Idealist geworden, während seine eigentliche Meinung eben der christliche Glaube ist. Die philosophischen Erläuterungen dienen der Apologie, ihr Inhalt ist eine bloße Verallgemeinerung, etwas, 4 Schleiermachers Werk „Über die Religion, Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern", dessen maßgebende erste Auflage 1799 erschien, wird hier mit „R" abgekürzt. Zitiert wird nach der Seitenzählung in der Originalausgabe. 5 Dies betont mit Recht Seifert (Theologie 19). Eine ausführlichere Ubersicht über den Stand der Forschung an den Reden gibt Hertel (Denken 14—27). β Alle Aussagen Schleiermachers, die zur eigenen Konzeption nicht passen wollen, kann man dann natürlich leicht entkräften. In diesem Sinn will Seifert bei Schleiermacher einen „Exoterismus" finden (Theologie 29—35). Dieser Begriff ist nicht schöner, als die Behauptung, die er decken soll. Schleiermacher ist zwar überzeugt, daß das Entscheidende sich nicht adäquat aussprechen läßt, aber was er sagt, das meint er auch.
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was nirgendwo existiert. Es gibt nur die eigentlich christliche Erfahrung (baw. die Erfahrungen der anderen positiven Religionen); was über Religion allgemein gesagt wird, ist nichts, als eine theoretisch-rhetorische Abstrahierung von da aus. Nun ist aber die allgemeine Schilderung der Religion so kraftvoll und von solchem philosophischen Gewicht, daß man sie kaum nur als eine derartige Abstraktion auffassen kann. Von hier aus ergibt sich eine entgegengesetzte Auslegung. Der Wert des Werkes liegt in seiner Erklärung des Wesens der Religion, der religiösen Erfahrung, wie sie vor allem in der zweiten Rede geschildert wird. Wenn am Ende dann noch von der christlichen Religion gesprochen wird, so stellt dies nur eine Anwendung der Grundeinsicht dar. Religion existiert zwar in geschichtlich konkreten Einzelreligionen, diese sind aber nur die Erscheinungsformen, während das Wesen der Religion selbst, wie es die zweite Rede entwirft, das eigentlich Entscheidende ist. Wenn man Schleiermacher so verstanden hat, dann ist es nicht schwer, ihm Verrat am christlichen Glauben vorzuwerfen. Es bieten sich zur Erklärung jener Doppelheit in den Reden vor allem zwei Schemata an, nämlich die Gegenüberstellung von „Wesen und Erscheinung", die einem Platokenner wie Schleiermacher vertraut ist, und das Begriffspaar „spekulativ-empirisch", das zumindest später bei Schleiermacher vielfach auftaucht. Das erste Schema darf nun nicht so verstanden werden, als ob allein das Wesen wesentlich wäre und die Erscheinung Nebensache. Vielmehr muß man, wie Schleiermacher z.B. später in seiner Dialektik ausführt, stets Wesen und Erscheinung aufeinander beziehen. Er vertritt in der Universalienfrage den Standpunkt „Universalia in rebus". 7 Beides muß dabei zu seinem Recht kommen, das allem zugrunde liegende Wesen, das selbst nicht in Erscheinung tritt, aber von dem her allein die Vielfalt der Erscheinung ihren Zusammenhalt hat, und die konkrete Ausprägung in der Erscheinung, die als kontingent reale nicht aus dem Wesen deduziert werden kann. Ganz entsprechend hat man auch das andere BegrifFsschema zu verstehen. Das Spekulative richtet sich auf das Wesen, die empirische Untersuchung ergreift das je einzelne. Entscheidend ist bei alledem aber, daß beide Gesichtspunkte (Wesen und Erscheinung) nie ineinander aufgelöst oder auseinander abgeleitet werden dürfen. Andererseits müssen sie immer aufeinander bezogen werden und können sie nur in dieser gegenseitigen Beziehung verstanden werden. In diesem Sinn verwendet Schleiermacher auch das Bild der „Ellipse". An dieser Figur ist wesentlich, daß sie Mittelpunkte aufweist. Ihre ' Vgl. § 168—172 und § 180 (Werke IV, 2, 95ff.). 13
Kurve entsteht aus dem Zusammenspiel eben dieser zwei Mittelpunkte. Gerade die Beziehung auf zwei Ausgangspunkte hält das Denken in Bewegung und läßt es nicht zur Ruhe kommen. Deshalb hängt gerade mit solcher Doppelpoligkeit auch das ständige Oszillieren der Schleiermacherschen Gedanken zusammen. Die beiden Pole bilden aber nicht zwei für sich bestehende Gegebenheiten. Sie repräsentieren vielmehr eigentlich einen Mittelpunkt. Die Ellipse ist „ein unvollkommener Kreis". 8 Dient dieses Schema mehr dazu, die Bewegtheit des Denkens auszudrücken, so hat es aber auf der anderen Seite den Nachteil, daß es die Verschiedenartigkeit der beiden jeweiligen Ansatzpunkte nicht anzuzeigen vermag. Bei den anderen Schemata sind auch die Pole selbst als ungleichartig gekennzeichnet. Und in der Tat ergibt sich in Schleiermachers Denken die Spannung meist gerade aus diesem Umstand. Diese Denkfiguren sind nicht willkürlich gewählt oder nur Ausdruck eines persönlichen Geschmacks. Sie sind die Form, in der Schleiermacher seine Antwort geben will auf die großen Fragen der Zeit, auf die von der Aufklärung gestellten Probleme. Der Geist der Aufklärung bewirkt eine schwere Erschütterung gerade auch der christlichen Tradition. Christlicher Glaube und allgemeine geistige Entwicklung drohen vollkommen auseinanderzubrechen. Ein Abgleiten in „Materialismus, Fatalismus, Atheismus, freigeisterischen Unglauben, Schwärmerei und Aberglauben, . . . zuletzt auch in Idealismus und Skeptizismus" scheint möglich.9 Schleiermacher nun ist entschlossen, den modernen Geist ernst zu nehmen. Die Kirche darf davor nicht die Augen schließen und sich in ein Getto zurückziehen. So entsteht als Grundprogramm die Aufgabe, Spannungen auszuhalten, Gegensätze zu vereinen. Dies ist die Aufgabe der Zeit.10 Ihr sieht sich auch Hegel gegenüber. Er versucht, die gegensätzlichen Größen zu einer sich dialektisch entfaltenden Gesamtentwicklung zusammenzudenken. Schleiermacher empfindet im Vergleich dazu die Spannungen radikaler. Für ihn sind die zwei Pole nie zu einer angebbaren Einheit zusammenzufassen. Die Einheit ist vielmehr eine 8 M. Miller, Übergang 258, Anm. 13.Vgl. auch die Äußerung Schleiermachers, die bei Meisner (Schleiermacher als Mensch, Bd. 2, 274) aufbewahrt ist. W. Schultz (NZSTh 1968, 283) weist mit Recht darauf hin, daß Schleiermacher „zu dem heißen Rhythmus dieser Dynamik von Leibniz angeregt worden" sei. „Diese oszillierende Bewegung mit ihrer ausgesprochen harmonisierenden Tendenz (trägt) das ganze theologische wie philosophische Denken Schleiermachers." (284) 9 Dem entgegenzuwirken betrachtet Kant als seine Verpflichtung. (Kritik der reinen Vernunft, Vorrede Β XXXIV.) „Idealismus" hat hier eine etwas andere Bedeutung, als später (Vgl. ebd. Β 274 ff.). 10 Man hat Schleiermacher öfter als Romantiker bezeichnet (R. Haym, Th. Siegfried, C. Schwarz, O. Kirn u.a., vgl. auch Seifert, Theologie 39—42). Wenn Romantik den Versuch darstellt, den einseitigen, platten Rationalismus der Aufklärung zu überwinden in einer reicheren Weltsicht, so ist Schleiermacher Romantiker.
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letzte, äußerste Möglichkeit, die uns jenseits alles Feststellbaren geschenkt wird. Dieses Bewußtsein von der Unverschmelzbarkeit der Gegensätze kann aus der Tradition des Piatonismus abgeleitet werden, vielleicht liegt in ihm aber auch ein Rest von Empfinden für den eschatologischen Charakter des Christentums. Aushalten der Gegensätze heißt aber vor allem, sie zusammendenken, sie vereinen gerade in ihrer Unvereinbarkeit. Daß dies möglich, ja daß dies wirklich ist, darin liegt vielleicht die innerste Überzeugung des Denkers Schleiermacher. Sein philosophisches Hauptwerk, die Dialektik, ist ein einziger weitgespannter Versuch solchen Zusammendenkens, von Subjekt und Objekt, von Idealem und Realem. Woher dies ermöglicht ist, das ist die vornehmste Frage. Ebenso wird sich später zeigen, wie die Glaubenslehre alle Gegensätze zu einen sucht. Damit bleibt nun zu prüfen, wie in den Reden Wesen der Religion und konkrete Religionen aufeinander bezogen sind, also in welchem Sinn die genannten Denkformen hier angewandt werden. Die Religion wird „verachtet" (R 21—24). Geht diese Verachtung nun aus vom „Einzelnen oder vom Ganzen? Von den verschiedenen Arten und Sekten der Religion, wie sie in der Welt gewesen sind, oder von dem Begriffe selbst?" „Jede Äußerung, jedes Werk des menschlichen Geistes kann aus einem doppelten Standpunkt angesehen und erkannt werden. Betrachtet man es von seinem Mittelpunkte aus nach seinem inneren Wesen, so ist es ein Produkt der menschlichen Natur . . . ; betrachtet man es von seinen Grenzen aus, nach der bestimmten Haltung und Gestalt, die es hie und dort angenommen hat, so ist es ein Erzeugnis der Zeit und der Geschichte." Man nimmt Anstoß vor allem an zwei Dingen, der „Furcht vor einem ewigen Wesen" und dem „Rechnen auf eine andere Welt". Diese Punkte seien doch „die Angel aller Religion". Aber, so fragt Schleiermacher dagegen, enthalten denn diese beiden Punkte wirklich die richtige Auffassung vom Wesen der Religion? Wenn dies der „Inhalt der Religion" sein soll, so wäre erst zu prüfen, ob damit auch „all ihre Erscheinungen richtig beobachtet" sind. „Ihr müßt Euren Begriff, wenn er so entstanden ist, aus dem Einzelnen rechtfertigen " Es ist deutlich, daß Schleiermacher hier das Schema von Wesen und Erscheinung auf die Religion anwendet. Betont ist dabei vor allem auch, daß notwendig die beiden Gesichtspunkte aufeinander bezogen werden müssen. Die Wesenserkenntnis hat sich am einzelnen auszuweisen, und zwar deshalb, weil die Religion in Wirklichkeit nur in Form der bestimmten Religionen existiert. Umgekehrt sind aber die konkreten Religionen in ihrer Vielzahl deswegen Träger der Wahrheit, weil sie Ausdruck des Wesens der Religion sind. Gerade so haben sie Anteil am Menschlichen überhaupt und sind unvergänglich. Dieser Gedanke schafft auch Raum für ein gewisses 15
Nebeneinander verschiedener geschichtlicher Religionen, wie der neu errungene Gedanke der Toleranz es erfordert. 11 Daraus darf man aber nicht etwa den Anspruch ableiten, sich für seine Person jenseits der geschichtlichen Religionen ansiedeln zu wollen. Damit erläge man ja wieder der Illusion, als gebe es Religion außerhalb der geschichtlich wirklichen Religionen. Die Wahrheit ist unter uns anwesend in der Gestalt des historisch Gegebenen. Darum kann eine Apologie der Religion—für uns — nur eine Apologie des Christentums sein. Damit wird aber Geschichte zum entscheidenden Kriterium. 12 An ihr ist weniger wichtig der historische Verlauf. Ihre eigentliche Funktion ist das gegenwärtige Entbergen der jetzt geltenden Wahrheit. Die Grundaufgabe wird dann die Wahrnehmung des jetzt sich wirklich Bietenden. In diesem Sinne wird Phänomenologie zum wichtigsten Erkenntnisweg. Schleiermacher ist davon überzeugt, daß eben das Christentum es ist, das uns (jetzt) als Religion angeboten wird. Damit können wir die Frage entscheiden, von der wir ausgingen, nämlich wo in den Reden wir die religiöse Grunderfahrung zu suchen haben. Die Antwort wird lauten müssen: Es ist beides voll ernst zu nehmen, sowohl die Bestimmung des „Wesens der Religion", wie auch der Hinweis auf das konkrete Christentum. Von beiden Gesichtspunkten bildet jeder die notwendige Ergänzung des anderen. Man könnte also an sich ebensogut von dem einen ausgehen wie vom anderen, wenn man nur dabei bleibt, daß jeweils das andere ebenfalls notwendig ist.13 Falsch ist also eine Interpretation, die einen der beiden Pole gegen den anderen ausspielt, derart, daß Schleiermacher nur je von dem einen her verstanden werden darf. 14 Diese methodische Regel gilt allgemein bei Schleiermacher. 11 R 56. Diese Forderung der Toleranz wäre unverständlich, wenn das Christentum allein die wahre Religion wäre. Die Absolutheit des Christentums ist in diesem Sinne aufgegeben, jedoch nicht seine „Sonderstellung" (Gegen Fritzsche in EKL 3, 802). 12 Nach E. Huber (Religionsbegriff 16) ist das Wesen der Religion etwas zeitlos ewig Feststehendes. Diese Ewigkeit bedeutet aber nicht ein totes Gegebensein. 13 Daß Schleiermacher gewöhnlich vom Allgemeinen ausgeht und von da her zum Besonderen kommt, das bedeutet nicht, daß deswegen das Besondere einseitig an das Allgemeine gebunden wäre. 11 Diesem Fehler verfällt z.B. Weißenborn bei seiner Kritik der Glaubenslehre. Die Reinheit der Gottesvorstellung, wie die Dialektik sie erarbeitete, werde hier verwässert durch die Vorstellung von der Kausalität Gottes. Mit solchen Einwänden wird aber Schleiermachers Vorstellung in ihrer Doppelseitigkeit von vornherein verfehlt. Ähnliches gilt von Bender (Theologie). Flückiger erklärt (Philosophie 9): Schleiermachers „Philosophie zwar läßt sich nach ihren Grundgedanken und Hauptzügen darstellen, ohne daß eine Bezugnahme auf die Dogmatik unbedingt nötig ist; hingegen herrscht Einigkeit darüber, daß zum Verständnis seiner Dogmatik auf die Philosophie zurückgegriffen werden muß". Damit ist die Selbständigkeit der Philosophie überschätzt. Auf der anderen Seite wird man aber kaum mit Stephan behaupten
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All das setzt voraus, daß in Wirklichkeit „Wesen" und „Erscheinung" miteinander gegeben sind. Diese Einheit (mit ihren Polen) ist also das Primäre. Von da aus erweist sich die Debatte, ob Schleiermacher bei seiner Bestimmung von Religion „induktiv" bzw. „empirisch" vorgehe oder ob er „deduktiv" von einem „Begriff" der Religion ausgehe, als eine falsche Fragestellung. Schleiermacher sieht nicht vor sich bestimmte psychologische Verhaltensweisen, die nach einer Sinndeutung verlangen; er geht ebensowenig aus von der Existenz empirischer Religionsgemeinschaften, deren Berechtigung erfragt werden muß. Vielmehr bilden jene Erfahrungen oder solche Religionen eben von vornherein Manifestationen der Religion. Es ist klar, daß damit auch Voraussetzungen von weitgehender metaphysischer und theologischer Bedeutung gemacht sind, die den Zusammenhang von Wahrheit und Erkenntnis, von Subjekt und Objekt, von allgemeiner Vernunft und religiösem Glauben betreffen. Demnach muß es jedenfalls erlaubt sein, Schleiermachers Entwurf vom Wesen der Religion beim Wort zu nehmen. 2. Abgrenzung der Religion von „Metaphysik'
und „Moral"
Wie ihm auch sonst zuerst das Abzulehnende, das Unannehmbare, klar geworden ist, so beginnt Schleiermacher auch hier mit einer Abgrenzung. Religion muß unterschieden werden von „Metaphysik" und „Moral" (R 41). Auch diese haben auf ihrem „höchsten Standpunkt . . . denselben Gegenstand, nämlich das Universum und das Verhältnis des Menschen zu ihm". Trotzdem gilt es, den „schneidenden Gegensatz" (R 50) zu sehen, der sie von Religion trennt. Wenn der Inhalt derselbe ist, so muß der Unterschied in der Art und Weise liegen, wie dieser Inhalt jeweils gesehen wird. Dies wird tatsächlich von Schleiermacher festgestellt16 und in zwei Richtungen entfaltet: Derselbe „Stoff" wird jeweils in anderer Weise behandelt, und dabei wird jeweils „ein anderes Verhältnis der Menschen" zu diesem Stoff vorausgesetzt (R 42). Metaphysik will Wesenserkenntnis sein und errichtet dazu eine Ontologie, die auf letzte Gründe zurückgeführt wird. Dies gilt nicht etwa nur können, Schleiermachers Erlösungsglaube sei als Ausdruck religiösen Erlebens völlig unabhängig von Philosophie, die nur „Form" sei (Erlösung 5 f.). Korrigiert scheint dieser Standpunkt bei Stephan-Schmidt (z.B. 102). 15 Seifert meint, daß auch hier eine „exoteristische", eine uneigendiche Rede vorliege (Theologie 31). Metaphysik und Moral arbeiteten nämlich mit einem anderen Universumsbegriff, als die Religion. Sicher kann nach Schleiermacher allein die Religion das Universum voll erfassen. Das bedeutet aber nicht, daß jene beiden anderen Erkenntnisweisen nicht auf dasselbe Universum aus wären. Dies wird die Dialektik später ausführlich nachweisen. Richtig Bender, Theologie 1 , 1 5 8 .
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von der klassischen Schulmetaphysik, sondern ebenso von der neuen Transzendentalphilosophie (Kants wie seiner Nachfolger)16. Es wird dabei also vorausgesetzt, man könne die Welt auf diese Weise in ihrem Wesen wirklich erkennen. Das, was denkendes Erkennen erfaßt, es allein, wäre dann die Wirklichkeit (jedenfalls soweit sie uns zugänglich ist). Wenn Schleiermacher dagegen protestiert, lehnt er damit nicht überhaupt die Möglichkeit ab, denkend das Wesen der Welt und ihrer Dinge festzustellen und festzuhalten? So wird er allerdings später in der Dialektik sich gegen die Errichtung von philosophischen Systemen mit aller Entschiedenheit verwahren.17 Mit solchen Zugriffen droht die Wirklichkeit vergewaltigt zu werden. Aber das wird hier in den Reden noch nicht eigens ausgeführt. Klar muß nur sein, daß Religion so nicht verfahren darf. Aber schon damit wird — mag Metaphysik tun, was ihr gut scheint — der Raum offengehalten für die Wirklichkeit selbst, die nicht durch irgendwelche Vorstellungen unsererseits verbaut werden darf. Religion hat deshalb keine „ewigen Wahrheiten auszusprechen" (R43). Es dürfen keine Sätze, die Erkenntnisse fassen wollen, vor die Wirklichkeit gestellt werden. Wenn metaphysische Festlegungen möglich oder sinnvoll sind, dann allenfalls in dem Bewußtsein, daß sie nur einen Teilaspekt der Wirklichkeit erfassen, nicht sie selbst. Für dieses verfügende Erkennen, das Metaphysik vollzieht, deckt nun Schleiermacher einen tieferen Grund auf. Diese Philosophie stellt den Menschen als Maß aller Dinge in die Mitte.18 Aus seinem Wesen soll bestimmt werden, „was das Universum für ihn sein kann, und wie er es notwendig erblicken muß" (R 51). Fichtes „vollendeter und gerundeter Idealismus, der Triumph der Spekulation, wird das Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint, er wird es herabwürdigen zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde unserer eigenen Beschränktheit" (R 54). Ein solcher Entwurf der Metaphysik, wie er beim Ansatz von Subjekt aus mit gewisser Notwendigkeit sich ergibt,19 bedeutet also nach Schleiermacher die Vernichtung der Welt, die den 16 Auch Kant wird hiermit verworfen, und zwar nicht nur deshalb, weil Schleiermacher die Kantsche Neubegründung des Metaphysischen auf die sittliche Erfahrung für unmöglich hält. Auch die Transzendentalphilosophie bleibt „Metaphysik", auch sie ist eine Festlegung des Wirklichen vom Menschen aus. Auf den Menschen, auf das Vermögen seiner Vernunft, wird alles gebaut. Von hier aus entscheidet es sich, wie Gott erscheinen kann und wie nicht. 17 Alle philosophischen Systeme sind als solche anfechtbar und finden Widerspruch. Sie alle erfordern also einen Glauben. Sie werden von Schleiermacher als Ideologien durchschaut. 18 Daß Schleiermacher gerade dagegen kämpft, betont auch Dilthey (Leben 1,304). 18 Vgl. u. S. 40.
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Menschen als weltloses Ich einsam zurückließe und damit ihn selbst dem Nichts übergäbe. 20 Ganz auf dieselbe Weise muß Religion geschieden werden von Moral. 21 „Sie entwickelt aus der Natur des Menschen und seines Verhältnisses gegen das Universum ein System von Pflichten, sie gebietet und untersagt Handlungen mit unumschränkter Gewalt." (R 43) Auch dieser Gesichtspunkt, der der Moral, will absolut gelten und damit alles andere sich einverleiben oder unterordnen.22 Die Wirklichkeit besteht dann einerseits in der „Kraft der Freiheit und der göttlichen Willkür des Menschen", andererseits verwirklicht sie sich in einer großen Tätigkeit, nämlich der Aufgabe, „das Universum . . . fortzubilden und fertig zu machen" (R50). Das Gebot, die sittliche, soziale und kulturelle Höherentwicklung der Menschheit voranzutreiben, ja durch solche Höherentwicklung die Welt zu vollenden, dies ist dann die eigentliche Realität. Der Einbruch der Französischen Revolution und ihre Wirkungen dürften Schleiermacher dabei ebenso vor Augen stehen (R17; 226), wie die zu erwartenden Auswirkungen der philosophischen Ethik. 23 Auch hier ist wieder Ausgangspunkt der Mensch, der so zum Ursprung der Welt gemacht wird. „Die Moral geht vom Bewußtsein der Freiheit aus, deren Reich will sie ins Unendliche erweitern, und ihr alles unterwürfig machen." (R 51) Obendrein bleibt solche Gesetzesethik schablonenhaft abstrakt (R 53). Ein einziges Ideal soll für alle gelten. Mag auf diese Weise ein gewaltiges Wirken nach außen und „aufs Universum hin" 2 4 in Bewegung gesetzt 2 0 Nach M. Heidegger ist Metaphysik der Grund für das Heraufkommen und die Entfaltung des Nihilismus (Nietzsches Wort „ G o t t ist tot" in Holzwege 194). Luthers Unversöhnlichkeit gegen die sogenannten Schwärmer erklärt sich nicht zuletzt aus seiner Sorge, der Subjektivismus könne die Wirklichkeit des objektiv Gegebenen, des von Gott Gesetzten, auflösen und vernichten. Dies ist die Konsequenz, wenn alles vom Glauben des Menschen abhängig gemacht wird: „Coniugium, Magistratus, Servitus sunt opera Dei, sed quia homines sunt mali, ergo non sunt opera Dei. Solem, lunam, terram, aquas, aerem et omnia homini subdita habent impii, sed quia impii, non pii, ergo sol non est sol, luna, terra, aqua, aer non sunt quod s u n t . . . " (WA 40,1, 36,8, 1535). 2 1 Hier scheidet sich Schleiermacher scharf von der Aufklärung und von Kant. 2 2 A. Ritsehl wirft Schleiermacher vor, daß er das Religiöse nicht unmittelbar an das Moralische binde. Dieser Vorwurf ist zurückzugeben. Wenn Jesus nur die Ermöglichung unserer Sittlichkeit ist, so wird der Glaube an die Moral ausgeliefert, so wird Gott zum Helfer unseres Menschseins. Gegen eine solche Verkehrung gekämpft zu haben, ist Schleiermachers Verdienst. 2 3 Schon im voraus ist damit einem Programm wie dem Marxistischen eine grundsätzliche Absage erteilt. 2 4 Die Welt besteht dann gleichsam nur aus Gesetzen, einem Gesetzesprinzip, gesetzmäßigem und gesetzwidrigem Verhalten. Einem solchen Apparat den Menschen unterzuordnen, weigert sich Schleiermacher mit aller Entschiedenheit. Dieser Ein-
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werden, so wird doch dabei der Mensch selbst vergessen. Nur von einzelnen Taten, Pflichten, gesellschaftlichen Aufgaben ist die Rede, die, sozusagen je wenn sie wollen, von außen an den Menschen herantreten; nicht aber von ihm selbst als Person. So lautet von Anfang an ein Hauptvorwurf gegen die Ethik Kants, sie versäume es, den Menschen zu „bilden".25 Die Auflösung der Person ist die Strafe dafür, daß solche Moral den Menschen „dem Universum entgegensetzt", statt ihn „als einen Teil desselben und als etwas heiliges aus der Hand der Religion" zu empfangen. Damit sucht Schleiermacher zu zeigen, daß „menschliche Natur" erst dann vollendet sein kann, wenn sie außer Metaphysik und Moral auch „Religion" hat (R 52). Dies heißt nicht in erster Linie, daß in einem Menschen, wenn er wirklich gebildet sein will, neben der Fähigkeit des denkenden Erkennens und der zu sittlichem Handeln auch noch eine dritte, eben die religiöse, auszubilden sei. Es gilt vielmehr in der Frage nach der Weise, wie der Mensch auf Gott bezogen ist und wie er in der Welt ist, das letzte Wort weder der Philosophie noch der Ethik zu überlassen. Die Wirklichkeit dieser Beziehung und damit der Kern aller Realität überhaupt wird erst ergriffen in dem, was Schleiermacher Religion nennt. Erst von einem solchen Verstehen her kann dann der Metaphysik und der Ethik ihr Platz eingeräumt werden. Der Mensch, seine Welt, das Weltganze, werden eigentlich sichtbar erst in der religiösen Erfahrung. Darum bedeuten die Reden Schleiermachers wesentlich einen Aufruf zur wahren Wirklichkeit, einen Appell, alle Verstellungen zu durchbrechen, die sich zwischen uns und die Wahrheit schieben wollen.26 Solche Verbauungen entstehen dann, wenn der Mensch sich selbst als gegeben absolut setzt und von da her die Welt abzuleiten sucht. Eine grundsätzliche Umkehr ist nötig: Nicht die Welt vom Menschen aus schaffen, sondern den Menschen von anderswoher empfangen! Ein solches „Anderswoher" ist aber real angeboten. Das Universum will sich uns erschließen. Wir haben nur unsere Augen zu öffnen. Das aber geschieht in der Religion.27 Offenbar ist nun das Ereignis, in dem Religion wirklich wird, also auch das Ereignis der Entbergung der Wirklichkeit, ein derartiger Vorgang, daß weder Metaphysik noch Moral ihn in angemessener Weise erfassen können. Weshalb eigentlich nicht? Die Ursache muß darin liegen, daß Spruch hätte sein Recht auch dann, wenn jenes Gesetz fordern sollte, eine vollkommene Gesellschaft herbeizuführen. 25 Vgl. dazu Süskind, Schelling 2—14. 26 Man hat öfter erklärt, daß Schleiermacher ausgehe von einer „psychologischen Bewußtseinsanalyse" (Bender, Theologie I, 3) oder daß seine Theologie eine „Erfahrungstheologie" sei. Das Wahre daran ist, daß Schleiermacher bei dem ansetzt, was sich uns als wirklich bietet. Vgl. dazu auch W. Trillhaas in NZSTh 1968. 27 Vgl. Schultz, Protestantismus 15 f.
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das Universum selbst, wie es uns begegnet, grundsätzlich außerhalb der Reichweite unseres denkenden Erkennens oder unserer sittlichen Zwecke liegt. Alles derartige bewegt sich im Bereich von Gegebenem, sei es, daß die Welt als Summe alles Seienden (mit oder ohne einen seienden Inbegriff der Welt) vorgestellt wird, sei es, daß die Welt als ein einziger moralischer Zweck (mit oder ohne ein verbürgendes Prinzip) angesehen wird.28 Das Universum selbst bekommt nur der zu Gesicht, der es nicht als Gegebenes, nicht in Analogie zu anderem Seienden, nicht als sittlichen Anspruch erfährt. 3. Anschauung und Gefühl29 Die positive Schilderung von Religion wird in vielen Wendungen gefußt. Ihre wichtigsten sind „Anschauung" und „Gefühl". Was in ihnen aufgenommen wird, heißt meistens „das Universum". Im entscheidenden Geschehen, bei der Begegnung mit dem Universum, sind „Anschauung" und „Gefühl" unlöslich miteinander verbunden (R 71 bis R 73). Dieser Augenblick selbst ist nicht faßbar; sobald die notwendige Reflexion über den Vorgang eintritt, spaltet sich die ursprüngliche Einheit auf in Anschauung und Gefühl (R 72).30 Nach der Stelle R 66 hat man beide in folgender Weise zu unterscheiden. Anschauung ist der durch die „Organe" der sinnlichen Wahrnehmung vermittelte „Zusammenhang zwischen dem Gegenstande" und dem Ich. Anschauung wird von außen her passiv affiziert. Sie repräsentiert also die Außenwelt.31 Das Gefühl 28 Die Schärfe dieser Abhebung ist völlig verkannt bei Bender (Theologie I, 159—162). 29 Nicht viel Klarheit über das gegenseitige Verhältnis von Anschauung und Gefühl gewinnt Bender (Theologie I, 168—173). E. Fuchs (Religionsbegriff 26f.) versteht „Anschauung" allzusehr als ein vorgegebenes menschliches Vermögen, als subjektive Befähigung, statt sie in Zusammenhang zu bringen mit der Erfahrung des Universums. So folgert er etwa, weil Anschauung-eines-Menschen dessen Individualität und Charakter erfasse, so sehe „die Religion im Universum ein Wesen, das Individualität und Charakter hat". Das wird man aber vom Universum bestimmt nicht sagen können. Eine gute Darstellung findet sich bei Dilthey (Leben I, 304f. und 384—388). 30 Auch hier eine Einheit und zwei Pole. Das Primäre ist dabei die Einheit, die im Augenblick des Erlebens zustande kommt. 31 Es ist bezeichnend, daß bei Hertels Interpretation diese Seite des religiösen Erlebens fast verschwindet (Denken 67 f.). Anschauung wird zuerst erklärt „als notwendiges Offenbarmachen des Einzelnen durch das Game". Jede Anschauung steht aber „immer schon in einem Zusammenhang mit dem Menschen", weil sie mit einem Gefühl verbunden ist. Aus diesem „Zusammenhang" wird unversehens eine Alleinherrschaft des Gefühls, so daß gesagt werden kann: „Das .Anschauen des Universums' ist von vornherein und ursprünglich Geschehen im Verstehen des menschlichen Daseins. Ja es ist dasjenige Geschehen, das menschliches Verstehen verbindlich macht." Bei Seifert findet sich eine einigermaßen zutreffende Kennzeichnung von Anschauung (Theologie 73). Für ihn sind die beiden Begriffe aber
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bildet jene Veränderung im „innern Bewußtsein", in der das Ich auf diesen Impuls reagiert. Insofern käme im Gefühl eine gewisse Aktivität des Ich zum Ausdruck. Es „bestimmt die Stärke dieser Gefühle den Grad der Religiosität" (R 68). Die Unterscheidung von Anschauung und Gefühl entspricht in gewisser Weise dem Unterschied von Metaphysik und Moral.32 Dies zeigt sich etwa darin, daß bei den Ausführungen über die Anschauung betont wird, sie dürfe auf keinen Fall zum System oder zur Lehre werden, während das Gefühl abgegrenzt werden muß gegenüber dem Handeln (R 58—66 bzw. 67 und 68—71). Ganz deutlich werden auch im Abschnitt R 50—52 dem „Denken" die „Anschauung" und dem „Handeln" das „Gefühl" gegenübergestellt.33 Deshalb wird man sagen können, daß Religion, so scharf sie ihrer Art nach von beiden geschieden ist, die Bestrebungen von Philosophie und Sittlichkeit auf höherer Ebene in sich aufnimmt. Welche Bedeutung das hat, wird hier nicht ausgeführt. Doch wenn Religion in ihrer eigenen Struktur eine Parallele aufweist zu Denken und Handeln, so kann Schleiermacher unmöglich so verstanden werden, als wolle er Erkenntnis und Ethik einfach von Religion abschneiden.34 Es ist „Zeit, die Sache einmal beim anderen Ende zu ergreifen, und mit dem schneidenden Gegensatz anzuheben, in welchem sich Religion gegen Moral und Metaphysik befindet" (R 50), und in diese Richtung stoßen die Reden vor. Es muß der Raum freigekämpft werden für jene höhere Dimension des Religiösen. Es besteht auch ein unaufhebbarer Unterschied. Doch bleibt man dabei notwendig im selben Feld, das auch Denken und Handeln einnehmen. Es deutet jene Strukturparallele schon an, daß Religion erst der wahre Ermöglichungsgrund für die beiden anderen Tätigkeiten ist. mehr ein Hendiadyoin. So ist es wohl zu erklären, daß er gewöhnlich die Reihenfolge Schleiermachers aufgibt und v o n „Gefühl und Anschauung" spricht (S. 70, 73 u.a.). 32 Später wird in der Dialektik dem (religiösen) Gefühl der Ort angewiesen „zwischen" dem „abbildlichen" und dem „vorbildlichen" Denken, d.h. zwischen Erkennen und Wollen. Das Erkennen erhält demnach seinen Ort gleichsam v o r dem Ich, das Handeln nach ihm; das Erkennen liegt auf dem Weg des „Seins" (wie bei Schleiermacher dasjenige genannt wird, was wir das „Seiende" nennen würden) zum Ich, das Handeln ist ein Wirken des Ich auf das „Sein". Dieses „Zwischen" soll aber nicht eine Kreuzung von beidem angeben, sondern will sagen, daß die Dimension des Religiösen weder hier noch dort liegt, für beide aber der Angelpunkt ist. 3 3 A u f S. 50 (unten) handelt der Satz „Anschauen will sie das Universum " zunächst von der Anschauung, dann vom Gefühl („ . . . will sie sich ergreifen und erfüllen lassen"). Gegenüber der Metaphysik gilt es, das Universum „in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen zu belauschen", gegen die Moral kommt es darauf an, „in kindlicher Passivität (sich) ergreifen und erfüllen (zu) lassen". Ausgesprochen hat Schleiermacher diesen Zusammenhang in R72. Dort ist Anschauung mit dem „nachbildenden" und Gefühl mit dem „herrschenden" Denken in Verbindung gebracht, also mit Erkennen bzw. mit Wollen. 34 Gegen E. Brunner. Richtig Stephan-Schmidt 54.
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Im Akt der Begegnung mit dem Universum sind Anschauung und Gefühl völlig eins. Dieses Urerlebnis selbst ist ein flüchtiger Augenblick, ein reales Ereignis, das aber unfaßbar ist; sobald wir (denkend) nach ihm greifen, zerteilt sich die ursprüngliche Einheit von Anschauung und Gefühl, von Objekt und Ich. Dieser Moment ist wie ein „jungfräulicher Kuß, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung; ja nicht wie dies, sondern er ist alles dieses selbst. Schnell und zauberisch entwickelt sich eine Erscheinung, eine Begebenheit zu einem Bilde des Universums. So wie sie sich formt die geliebte und immer gesuchte Gestalt, flieht ihr meine Seele entgegen, ich umfange sie nicht wie einen Schatten, sondern wie das heilige Wesen selbst. Ich liege am Busen der unendlichen Welt: ich bin in diesem Augenblick ihre Seele, denn ich fühle alle ihre Kräfte und ihr unendliches Leben, wie mein eigenes, sie ist in diesem Augenblicke mein Leib, denn ich durchdringe ihre Muskeln und ihre Glieder wie meine eigenen, und ihre innersten Nerven bewegen sich nach meinem Sinn und meiner Ahndung wie die meinigen.... Dieser Moment ist die höchste Blüte der Religion." (R 74f.) Eine Schilderung von Unschilderbarem. Man darf daran vielleicht folgende Züge hervorheben. Für diesen geheimnisvollen Augenblick steht das Bild der Liebesvereinigung. Die Begegnung hebt an mit einem wundervollen süchtigen Hingerissenwerden. Es ist je ein bestimmter Gegenstand, ein bestimmtes Endliches, aus dem uns nun plötzlich ein Bild des Universums entgegentritt, nein, das dieses selbst wird. Damit verschmilzt mein Ich dem Unendlichen. Dieser Augenblick ist sprachlos-unaussprechlich. Doch bedeutet er nicht, wie bei anderen Mystikern, ein völliges Versinken im Dunkel, ein Aufhören des Ich, seine Auflösung in ein Grenzenloses. Diese Verschmelzung hier geschieht in strahlender Helligkeit. Jetzt fühlt das Ich sozusagen mit vollem Bewußtsein den Geist der Welt, wie er am Werk ist; jetzt ist das Ich eins mit dem waltenden Universum. 35 Drei Elemente sind also an diesem Vorgang beteiligt: ein bestimmtes Endliches, das Ich und das Universum. Die mystische Vereinigung geschieht nicht durch eine unmittelbare Zuwendung des Ich zum Göttlichen, sondern sie entzündet sich an einem Gegebenen. Gerade indem ein solches Gegebenes aufleuchtet, wird das Ich in das Universum hineingesogen. Es gibt keine weltlose Religion. Das bedeutet für das Universum, daß ihm eine Tätigkeit gegenüber dem in der Welt Gegebenen wesentlich zukommt. Es ist deshalb schwerlich ohne den Bezug auf das Gegebene vorstellbar. Jedoch ist klar, daß das Universum anderer Art ist, als alles Seiende. Auch mit dem Ich ist das Universum nicht identisch. 35 Erscheint in diesen Bildern das Universum nicht seltsam unpersönlich, passiv, feminin ? Ist nicht das Ich mit seinem Erleben, seiner Aktivität, das eigentlich Wichtige? Aber vielleicht tun solche Fragen diesen Sätzen schon Gewalt an.
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Wenn es zum Akt einer solchen Begegnung, ja Verschmelzung kommt, so ist nicht das Ich mit sich allein, sondern es begegnet ihm aus einem Gegebenen heraus die sinngebende Macht der Welt selbst. Schleiermachers Meinung ist nur dann richtig verstanden, wenn die notwendige Beziehung der Religion auf das Universum nicht übersehen wird. Nicht darin besteht Religion, daß der Mensch Religion hat oder übt, sondern darin, daß er rein passiv dem von außen auf ihn Zukommenden sich öffnet.38 Es ist auf der anderen Seite kein Zufall, daß so ausdrücklich das Ich als der Ort angegeben wird, an dem das religiöse Erleben sich ereignet. Wie immer dieses Ich näher zu verstehen ist, in dem Hinweis auf diesen Ort des Erlebens liegt jedenfalls ein apologetisches Motiv. Weil Religion nachgewiesen werden kann als Grundfunktion des Menschen, darum ist sie auch sinnvoll und notwendig. Darin trägt Schleiermacher auch der Kritik Rechnung, die durch die Aufklärung und vor allem durch Kant vorgebracht worden war. Es ist unmöglich geworden, die Außenwelt naiv als gegeben und zugänglich anzusehen. Damit wird das Ich zum Ort der Wahrheit. Äußere Urkunden wie die Heilige Schrift können als solche nicht direkt verbindlich sein. Schleiermacher betont aber: Dieses Ich produziert nicht die Welt, sondern muß sie verlieren, wenn es nicht bereit ist, sie zu empfangen. Schleiermacher will das religiöse Erleben nicht als ein Sentiment bezeichnen. Ginge es ihm um eine reine Innerlichkeit, so könnte er sich später die Mühe sparen, diesem Erfahren ein alles umgreifendes philosophisches Konzept zuzuordnen. Mit erschütternder Gewalt erhebt dann Hegel gegen die protestantische Theologie den Vorwurf, sie ziehe sich in eine bloße Innerlichkeit zurück. Damit werde aber die Welt der Gottlosigkeit ausgeliefert.37 Mag die spätere Theologiegeschichte auch weithin Hegel bestätigen, Schleiermacher verdient einen derartigen Vorwurf nicht. Das Ich, das er meint, ist weder in vage Phantasien eingesponnen, die nicht standhalten, noch ist es ein isoliertes Subjekt, das die Welt preisgibt. Nach Schleiermachers Überzeugung erschöpft sich das Leben des Menschen nicht in seinem Erkennen und in seinem Handeln. Das Eigentliche des Menschen gehört einer tieferen Dimension an. Das ist keine fromme Behauptung, sondern eine ontologische Aussage. Das Feststellbare und Greifbare des Menschen ist nur eine Funktion an ihm.38 Er selbst, das Innerste seines Wesens, liegt dahinter. Diese Dimension des Geheimnisses ist der Ort der Religion. Dies hebt mit Recht Heftel hervor. So vor allem in seiner „Philosophie der Religion". 38 Man könnte ein Entsprechendes wohl auch von den anderen Wesen in der Welt aussagen. Vgl. unten S. 115—129. 36
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Damit fallen aber auch wesentliche Entscheidungen über die Art und Weise des Religiösen. Weil es Geheimnis ist, weil es jener Tiefe des Ich angehört, ist es grundsätzlich nicht in Sprache faßbar. Alles, was nach Lehre aussieht, muß ein Medium zweiten Grades sein. Die Religion und das Universum sind ihrem Wesen nach sprachfrei und übervernünftig. Es ist hier noch nicht der Ort zur Auseinandersetzung mit Schleiermacher, aber es sei wenigstens angemerkt, daß an dieser Stelle nach meiner Meinung eine verhängnisvolle Entscheidung gefallen ist. Doch darüber später.39 Eigentlich alle Aussagen über das Universum haben ein Ziel, nämlich klarzumachen, daß es kein Gegenstand sei. „Das Universum ist in einer ununterbrochenen Tätigkeit und offenbart sich uns jeden Augenblick." (R 56) Universum ereignet sich, Universum wird epiphan, Universum zeigt sich nur in einer Begegnung. Das bedeutet für uns, daß wir nur je in einem Akt der Begegnung von ihm berührt werden können. Es kann das Universum immer nur in seinen einzelnen Handlungen erfahren werden (R 58—62). Sobald wir versuchten, darüber hinaus ein Wesen des Universums zu konstruieren, so verließen wir die Dimension der lebendigen Begegnung und suchten das Universum dort, wo es nicht ist. Vollkommen mißverstanden hätte man die Meinung Schleiermachers, wenn man glaubte, daß damit die Realität des Universums irgendwie verflüchtigt werden sollte. Ein Grundmotiv etwa des Kantianismus liegt darin, in einer Welt, die vom naturwissenschaftlich-kausalmechanischen Denken verschlungen zu werden droht, einen Raum offen zu halten für den Menschen als sittliche Person. Einen ähnlichen Abwehrkampf führten in ihrer Weise bereits Pascal oder Kant selbst. Wenn bei Schleiermacher die Wirklichkeit des Universums für uns in die Begegnung hineinverlegt wird, so geschieht das nicht, um es vor einer übermächtig werdenden kausalmechanischen Realität zu retten, sondern diese Weise sich zu zeigen ist vom Universum selbst her die einzig würdige und mögliche, also eine höhere und wirklichere. Daß das Universum sich nur darbietet in einer gnadenhaften Epiphanie, daß es nur in der je einzelnen Begegnung wirklich berührt werden kann, daß es derart ungreifbar ist, eben darin liegt seine Göttlichkeit beschlossen. Alle Festlegungen, alle Versuche, das Universum als ein bestimmtes Wesen festzuhalten, bleiben unterhalb seiner Wahrheit. Es selbst wahrt seine Göttlichkeit gerade darin, daß es sich uns nur in flüchtiger Berührung offenbart. Religion „ist nicht nur deswegen unendlich, weil Handeln und Leiden auch zwischen demselben beschränkten Stoff und 39 Vgl. dazu auch M. Seils, Wirklichkeit und W o r t bei J. G. Hamann = Arbeiten zur Theologie H.6, Stuttgart 1961.
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dem Gemüt ohne Ende wechselt — Ihr wißt daß dies die einzige Unendlichkeit der Spekulation ist — nicht nur deswegen weil sie nach innen zu unvollendbar ist wie die Moral, sie ist unendlich, nach allen Seiten, ein Unendliches des Stoffes und der Form, des Seins, des Sehens und des Wissens darum" (R 62). Von jedem religiösen Standpunkt aus zeigt das All der Welt sich in je anderer, spezifischer Weise. Es gehört zum Wesen der Religion, derart unendlich zu sein. Ihre Mannigfaltigkeit ist „göttlicher Überfluß" (R 64). „Im Unendlichen steht alles Endliche ungestört nebeneinander, alles ist Eins und alles ist wahr." (R 64) In solcher Unendlichkeit zeigt sich also gerade die Göttlichkeit des Universums, welche es verschmäht, sich in bestimmte Doktrinen einschließen zu lassen. All dies hat aber seinen eigentlichen Grund darin, daß das Universum selbst in anderer Weise ist, als alles andere. Eben darin besteht seine Überlegenheit über alles Seiende. 4. Die Felder der Epiphanie des Universums
Nun sagt schon der Begriff „Universum", daß ein eigentliches Anschauen unmöglich ist. Anschauen (und in uns fühlen) können wir nur jeweils bestimmtes Endliches, Gegebenheiten, Vorgänge. Das Unendliche erscheint immer nur im Endlichen. Ausführlich beschäftigt sich Schleiermacher daher mit den Feldern, auf denen solche Epiphanie des Universums Ereignis werden kann. Schleiermacher führt uns dabei einen Weg, wie er formal den alten mystischen Aufstiegen zu Gott entspricht. Dort sind die Hauptetappen die Außenwelt, das Ich und die Überwelt. Die Stufe der Überwelt wird bei Schleiermacher am stärksten umgestaltet. Vor allem liegt aber bei ihm das Ziel des Aufstiegs nicht außerhalb des Weges. § Man könnte vielleicht erwarten, daß nun eben alles und jedes in der Welt in gleicher Weise dem Universum als Ort seiner Erscheinung dienen könnte. Aber Schleiermacher grenzt ein. Die „äußere Natur", die für viele seiner Zeitgenossen als „vornehmster Tempel der Gottheit", als „innerstes Heiligtum der Religion" gilt, kann allenfalls „Vorhof" sein (R 78). Religion ist nicht abzuleiten aus dem Unheimlichen der Natur, denn „das ist ja das große Ziel alles Fleißes, der auf die Bildung (die Kultivierung) der Erde verwendet wird, daß die Herrschaft der Naturkräfte über den Menschen vernichtet werde, und alle Furcht vor ihnen aufhöre; wie können wir also in dem was wir zu bezwingen trachten, und zum Teil schon bezwungen haben, das Universum anschauen?" (R 79) Ebensowenig hängt Religion am faszinierend Schönen der Natur. All das „verschwindet als ein zufälliger Schein", sobald man es als einen Abglanz der physikalisch-stofflichen Vorgänge durchschaut hat (R 80). Auch „der Raum und die Masse machen nicht die Welt aus 26
und sind nicht der Stoff der Religion; darin die Unendlichkeit zu suchen, ist eine kindische Denkungsart" (R 82). „Was in der Tat den religiösen Sinn anspricht in der äußern Welt, das sind nicht ihre Massen, sondern ihre Gesetze. Erhebt Euch zu dem Blick wie diese alles umfassen, das größeste und das kleinste, die Weltsysteme und das Stäubchen, welches unstet in der Luft umherflattert, und dann sagt, ob Ihr nicht anschaut die göttliche Einheit und die ewige Unwandelbarkeit der Welt." (R 82f.) Nicht als ob die Welt ein einfaches, durchschaubares, mechanisch geordnetes Modell wäre, wie die Aufklärung meinte. Die wirkliche Welteinheit umfaßt gerade auch „die Abweichungen, die man nicht begriff, die Revolutionen, für die es keine Gesetze gab" (R 84). „Wo Ihr eine erhabene Einheit, einen großgedachten Zusammenhang ahnden sollt, da muß es neben der allgemeinen Tendenz zur Ordnung und Harmonie notwendig im Einzelnen Verhältnisse geben, die sich aus ihm selbst nicht völlig verstehen lassen." (R 83f.) Weshalb diese Einschränkung, weshalb kann äußere Natur eigentlich nur unter diesem Gesichtspunkt zu einer Offenbarung des Universums werden? Schleiermacher mustert nicht die einzelnen Dinge daraufhin durch, unter welchen Gesichtspunkten sie von sich aus etwa erscheinen könnten, sondern es geht ihm von vornherein nur um solche Gesichtspunkte, unter denen die Dinge als Träger des gottheitlich Absoluten angesehen werden können. Das heißt jedenfalls dies, daß die Beziehung der Dinge auf das Universum nicht einfach eine selbstverständlich allgemeine ist, sondern eine spezifische. Dementsprechend ist auch das Universum nicht einfach die Allgemeinheit oder die Welt als Versammlung aller Dinge, sondern es hält die Dinge in einer spezifischen Weise fest, weil es selbst — wie immer — gottheitliche Funktionen ausübt. Der Gesichtspunkt, unter dem nun das Wirken des Universums an der äußeren Natur am klarsten und unmittelbarsten hervortritt, ist ein Geschehen, das man die Geschichte der Natur nennen könnte. Sie verläuft in einem Wechselspiel zwischen festgefügter Ordnung auf der einen Seite und andererseits dem Unberechenbaren, sei es dem empirisch einzelnen oder auch dem Chaotischen. Daß diese Vorgänge nicht auseinanderfallen, sondern zusammen die wunderbare Mannigfaltigkeit der Welt bilden, gerade diese Sicht ist die eigentlich religiöse. Das Universum leuchtet hier auf als die große Einheit, welche den gesamten Naturprozeß umspannt. Der Prozeß selbst erscheint als Wirkung des Universums. Als Einheit ist aber das Universum nicht direkt selbst der Beweger dieser Bewegungen, 40 sondern der zusammenfassende, aller Vielfalt vorausliegende, ungegliederte Einheitspunkt, der für allen Prozeß den Grund abgibt. 40
Dann müßte man es feststellen können, brauchte es nicht zu „ahnden".
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Nach einem kurzen Blick auf die belebte Natur (R 85 f.) und die eigens herausgestellten chemischen Kräfte (R 86 f.),41 kommt Schleiermacher zum Wichtigsten, zur „Menschheit". „Darum ist es auch das Gemüt eigentlich worauf die Religion hinsieht, und woher sie Anschauungen der Welt nimmt; im inneren Leben bildet sich das Universum ab, und nur durch das innere wird das äußere verständlich. Aber auch das Gemüt muß, wenn es Religion erzeugen und ernähren soll, in einer Welt angeschaut werden." (R 88 f.) Der Weltzusammenhang erschließt sich nur dem Menschen, der selbst Liebe erfährt. Der Mensch bedarf des Du, um in der Liebe zu lernen, was er selbst ist. Einem isolierten Ich blieben Welt und Gott ewig unerkennbar.42 Damit ist natürlich nicht gemeint, daß die Welt erst vom Ich und seiner Seelenkultur her gebildet werden würde: die Welt wäre auch so anwesend, doch bleibt sie dem stumm, der nicht von Liebe aufgeschlossen wird. Die liebende Begegnung mit dem Du konstituiert erst meine Persönlichkeit.43 Persönlichkeit ist nicht einfach Besitztum eines selbstmächtigen Ich. Erst das Zusammensein mit einem Du, mit einem Menschen außer mir, schließt mir die „Menschheit" auf und darin die „Welt" und die Beziehung zur „Gottheit". 44 Der andere, das Du, leistet mir solche Öffnung allerdings weniger durch seine bloße Existenz und Anwesenheit, sondern mehr durch seine Besonderheit, durch das Maß, in welchem er sich zum Spiegel der Welt gemacht hat, durch die Intensität, mit der er Menschheitsmöglichkeiten in sich verwirklicht. Auch für Schleiermachers Zeitgenossen ist „die Menschheit selbst eigentlich das Universum" (R 89). Auch für sie ist der Mensch eigentlicher Mittelpunkt. Aber nicht der gegebene, der wirkliche Mensch, sondern der Mensch als Erziehungsobjekt. Erst als sittlich gebildeter ist der Mensch wirklich von Belang. Schleiermacher richtet dagegen unseren Blick auf die Menschen, so wie sie in aller Verschiedenheit gegeben sind, Vertreter höchster Geistigkeit neben fast noch tierischen Wesen. Gerade diese Vielfalt ist die Menschheit, in dieser Mannigfaltig41 Diese haben bekanntlich auch Goethe in besonderem Maße beschäftigt (Wahlverwandtschaften). 42 So vor allem auch in den „Monologen". Bemerkenswert ist der Zusammenhang, in dem diese Aussage in den Reden steht. Nicht die religiöse Erfahrung überhaupt steht jetzt zur Debatte, sondern die Frage, wie der Mensch in sich selbst das Universum zu entdecken vermag. Man darf daher Schleiermacher wegen dieser Ausführungen nicht unterschieben, er gründe seine Sache auf Religionspsychologie. 13 Hierin sind Einsichten von F. Ebner vorweggenommen. 14 Nach Seifert (Theologie 95) ist es „zu beachten, daß Schleiermacher den terminus Menschheit in dem doppelten Sinne der Gesamtheit individuell-menschlichen Lebens und des .Menschtums' (Gundolf) gebraucht. Dabei liegt der Ton auf dieser zweiten Bedeutung des Wortes". Vgl. Hertel, Denken 73f.
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keit ist sie das Werk des Universums. Jeder einzelne hat seinen Wert darin, daß er geschaffen ist, in seiner Besonderheit einen bestimmten Platz in der unendlichen Skala von menschlichen Möglichkeiten auszufüllen. Die verschiedenen individuellen Möglichkeiten ergänzen sich nun zu einem großen Miteinander; der eine steuert seine Vernunft bei, der andere seine Seele, der seine Sinnlichkeit, ein anderer Sittlichkeit. So wird gleichsam jeder zu einem Organ der Menschheit. „So verschwinden" die für manche seiner Zeitgenossen so „bestimmt erscheinenden Umrisse der Persönlichkeit; der magischen Kreis herrschender Meinungen und epidemischer Gefühle umgibt und umspielt alles, wie eine mit auflösenden und magnetischen Kräften angefüllte Atmosphäre Das ist die Harmonie des Universums, das ist die wunderbare und große Einheit in seinem ewigen Kunstwerk." (R 96f.) 45 Diese Einheit der Welt ist freilich keine nackte Gegebenheit. Sie muß uns aufgeschlossen werden, und dies ist die Aufgabe derer, die Schleiermacher „Mittler" nennt. Daß jeder einzelne in seiner beschränkten Besonderheit seinen Ort im Ganzen ausfüllt, dies wird aufgedeckt oder eigentlich erst verbürgt durch je einige, „die ausgezeichnete und höhere Repräsentanten der Menschheit" sind (R 95). Sie vereinigen die Gegensätze in ihrer Person (R 5—12, besd. 9 f.) und zeigen damit für die anderen die große, alles überspannende Einheit auf. Eben von da aus kann nun der einzelne den Sinn seines individuellen Ortes erkennen, gerade die Verwirklichung der je individuellen Möglichkeiten gewinnt nun ihren Sinn. In ähnlicher Weise „erhellen" die Mittler auch den Menschheitszusammenhang (R 97f.). Dieselbe Vielfalt, dieselbe Fülle von Individuellem, das von einer großen Einheit umspannt wird, findet sich in jedem einzelnen Ich, das als Mikrokosmos die große Welt abbildet. „Ihr selbst seid ein Kompendium der Menschheit, Eure Persönlichkeit umfaßt in einem gewissen Sinn die ganze menschliche Natur und diese ist in allen ihren Darstellungen nichts als Euer eigenes vervielfältigtes, deutlicher ausgezeichnetes, und in allen Veränderungen verewigtes Ich." (R 99) Also doch eine Apotheose des Ich? Wer zu dieser Entdeckung des Universums durchgedrungen ist, der bedarf keines Mittlers mehr, der ist fähig, selbst einer zu sein (R 99). Das Ich und seine religiöse Erfahrung ist das eigentlich Entscheidende. Aber es kann dazu nur gelangen in Religion, also wenn das Universum es ergreift. 45 In seiner Vorstellung vom Universum verbindet Schleiermacher unendliche Bewegung und Harmonie. W. Schultz (NZSTh 1968, 284) schreibt mit Recht: „Diese von Leibniz und dem griechischen Denken inaugurierte Verbindung von unendlicher Bewegung und Harmonie ist bisher in der Schleiermacherforschung zu wenig beachtet worden."
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Einen weiteren Schritt vollzieht Schleiermacher, indem er uns über diese vergleichsweise statische Sicht hinausführt und die Menschheit „in ihrem Werden" zeigt (R 99—104). „Geschichte im eigentlichsten Sinn ist der höchste Gegenstand der Religion, mit ihr hebt sie an und endigt mit ihr." Nicht erst bei Hegel, schon hier ist Geschichte zur entscheidenden Größe geworden.46 Wahrheit ist nicht ein abstrakter Stoff mit einem eigenen Reich, sondern Wahrheit ist wirksam in der Entfaltung der Geschichte. Ja, Schleiermacher kann hier geradezu das Programm Hegels aussprechen, wenn er dazu aufruft, „den Gang des Universums und die Formel seines Gesetzes (zu) erkennen" (R 101). Geschichte zeigt uns das immer neue Aufblühen und Vergehen von Kulturen.47 Von diesen Kulturen gilt dasselbe wie von den einzelnen Menschen. Auch sie müssen wir sehen als einen bunten Kranz, der Höheres und Niedereres zusammenschließt. Auch hier muß das einzelne Gebilde gesehen werden in seiner Bezogenheit auf das Ganze der Geschichte. Wer sich nur an das einzelne hält, der mag Vergehen und Untergang beklagen, wer jedoch auf das Ganze zu sehen vermag, der erkennt diese Abfolge von Werden und Vergehen, dieses „wunderbare Gemisch von starrem Eigensinn und tiefer Weisheit, von roher, herzloser Gewalt und inniger Liebe" als Gestalt „des ewigen Schicksals". Geschichte bildet die Zusammenfassung aller Gegensätze zu einer großen Einheit. Sie ist dabei ein zielgerichteter Prozeß. Religion hat aber nicht die Aufgabe, die Fortschritte auf dieses Ziel hin zu „beschleunigen oder (zu) regieren" (R 99) 48 Sie hat nur zu „beobachten", die Einheit des Prozesses in aller Vielfalt festzuhalten. Ziel der Geschichte, das uns allerdings gerade die Religion zeigt, ist die Überwindung des Todes. Alles, was der Freiheit und Menschlichkeit träge entgegenstrebt, soll verlebendigt und erhöht werden.49 „Dahin deutet das Geschäft des Augenblicks und der Jahrhunderte, das ist das große, immer fortgehende Erlösungswerk der ewigen Liebe." (R 104) Die Verwirklichung echter Humanität verschlingt den Tod, weil sie ihn relativiert; der allumfassende Prozeß des Lebens enthält auch das Sterben als ein notwendiges MoNach Anregungen von Lessing und vor allem von Herder. O. Spengler versuchte aus dieser Einsicht heraus allgemeine Entwicklungsgesetze zu finden, denen jede Kultur unterliegt (Der Untergang des Abendlandes). Schleiermacher betont die Tatsache dieses Wachsens und Vergehens ohne den Versuch zu machen, dafür ein Gesetz anzugeben. Dies muß der wirklichen Entwicklung überlassen bleiben. 48 Für den späteren Schleiermacher zeigt M. Miller (Übergang), daß das „Reich Gottes" nicht das zukünftige Ziel ist, auf das die Geschichte zuläuft, sondern mehr die gegenwärtige Sinngebung der Welt, welche damit auch die gesamte Geschichte bestimmt. Eine ähnliche Vorstellung scheint auch schon hier angedeutet. 49 Damit wird die Erwartung einer eschatologischen Vollendung ganz in das Diesseits hereingenommen. 48
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ment in sich. Der Blick auf das Ganze zeigt die Begrenztheit des Todes und befreit. So wenig man nun ein System der einzelnen Individuen durchkonstruieren kann, so wenig ist es möglich, den Geschichtsprozeß in seinen einzelnen Phasen als eine zusammenhängende Entfaltung zu erkennen.50 Religion besteht vielmehr in der jeweiligen Beziehung des einzelnen auf ein umgreifend Ganzes. Nicht wie dieser Prozeß im einzelnen fortschreitet, noch welcher genaue Platz im Ganzen dem Individuum zukommt, kann festgestellt werden, vielmehr bedeutet Religion das Ahnden, die Gewißheit einer solchen Einordnung. Damit weist uns Schleiermacher an die gegebene Wirklichkeit selbst. Nicht ein Ideenprozeß soll als eigentlicher Grund der Geschichte geschaut werden, sondern das Wirkliche, so wie es in aller kontingenten Zufälligkeit sich entfaltet, ist gerade so notwendig. So ist es Glied der einen Welt. Diesen Blick zu vermitteln, ist das Werk aller Religion. Und doch ist damit das Letzte noch nicht erreicht. Menschheit, Menschheitsgeschichte ist nicht selbst schon das Universum (R 104£). Menschheit „wird anders"; das Universum ist ewig unveränderlich.61 Die Klarheit dieser ganzen Ausführungen leidet etwas darunter, daß von Menschheit oder vom Ich in doppelter Weise gesprochen wird. Das Ich kann betrachtet werden als ein Seiendes oder als der Ort der Begegnung mit dem Universum. Als Seiendes hat es seinen Platz in der Reihe aller Geschöpfe, der ein besonderer sein mag, aber doch nur ein relativ ausgezeichneter. Anders das Ich, sofern es Religion hat. Darin gewinnt es selbst die Ewigkeit des Universums, darin wird es zur Mitte, die qualitativ von allem Seienden zu unterscheiden ist. Diese Doppelbedeutung kommt zum Ausdruck in der These, daß für den einzelnen (als Träger der Religion) Menschheit oder Geschichte (als Seiende) „nur ein Mittelglied zwischen dem Einzelnen und dem Einen, einen Ruheplatz auf dem Wege zum Unendlichen" bilden. Das Menschsein des Menschen genügt nicht, um ihn „unmittelbar auf das Universum zu beziehen". Alle Religion strebt nach einer „Ahndung von etwas außer und über der Menschheit". Hier allerdings verlieren sich „die Umrisse der Religion dem gemeinen Auge". In dieses Mysterium will Schleiermacher seine Zuhörer, die der Religion entfremdeten, gar nicht hinaufführen. Mögen sie sich doch erst einmal an das halten, was ihnen als wirklich vor Augen steht! Das Wirkliche weist hin auf seinen Seinsgrund. Das Universum mögen sie also erkennen, sofern es das Wirkliche trägt. Dies gilt trotz der zitierten Stelle R 101. Die „Ewigkeit" des Universums und damit der religiösen Erfahrung ist mehrfach betont. Was damit gemeint ist, wird deutlicher in der Glaubenslehre gesagt (Vgl. dazu unten S. 144—149). 50
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Aber was ist nun mit jenem Geheimnis selbst gemeint, das Schleiermacher hier einfach stehenläßt? Das Schema des mystischen Aufstiegs fügt den Stufen der Außenwelt und des Ich, die wir beide nun durchmessen haben, als dritte die Stufe Gottes an. Deshalb kann unsere Stelle nicht hinweisen auf die Unabgeschlossenheit aller Religion. Schleiermacher will nicht sagen, daß es für die religiöse Betrachtung immer noch ein weiteres „Trans" gibt, das sich mit keinem, was ist, auch der Menschheit nicht, zufriedengeben kann. Es soll auch nicht etwas ausgespart werden, worüber dann der christliche Glaube besser Bescheid weiß. Vielmehr — so ist hier angedeutet — gibt es noch eine weitere, letzte göttliche Offenbarung jenseits aller Offenbarung durch Seiendes. Dies wäre wohl ein Entgegentreten des Göttlichen selbst, das nicht mehr durch anderes vermittelt wäre.52 Also doch eine jenseitige visio dei? Eine jenseitige schwerlich, auch keine eigentliche Schau. Ein Haben Gottes ist gemeint, das keiner Vermittlung mehr bedarf. Dies wäre „Seligkeit". Aber solches Geheimnis bildet eine äußerste Grenze, die den Außenstehenden, zu denen Schleiermacher hier redet, unerreichbar sein muß. 5. Was ist Universum ? Das Unendliche leuchtet nur auf im Endlichen, es trifft Anschauung und Gefühl nur je im Augenblick, es begegnet uns nur in einer „Handlung". Nur diese können wir nennen, nicht es selbst. Trotzdem müssen wir versuchen, etwas deutlicher zu erfassen, was eigentlich „Universum" heißen soll. Scharf abgegrenzt wird das, was Universum ist, von dem, was Gott heißt. Für Schleiermacher selbst ist der Begriff „Gott" nach allem bisher Gesagten nicht mehr nötig, da doch der „Weg, auf welchem die Gottheit zu finden ist", bereits genugsam angedeutet ist (R 123); er geht nur deshalb auf dieses Thema ein, um sich zu verdeutlichen und Mißverständnisse abzuwehren. Diesen Begriff vermeidet er nicht aus Furcht, in die juristischen Mühlen des Atheismusstreits hineinzugeraten. Vor allem setzt er ihn nicht deswegen beiseite, „um Allen Alles zu werden". „Gott", dies ist nicht ein Begriff, der für ihn (als Christen) „von ungleich größerer Wichtigkeit sein muß als er gestehen will" und den er nur in einem „frommen Betrug mit scheinbarer Gleichgültigkeit" herabsetze (R 124). Die Ablehnung des Gottesbegriffs, die hier stattfindet, ist nicht nur rhetorische Anpassung an geltende Vorstellungen, während doch in Wirklichkeit an einem spezifischen Gottesglauben festgehalten 52 So ist (nach einer mündlichen Äußerung von P. Brunner) diese vielumrätselte Stelle wohl zu verstehen. Vgl. dazu auch unten S. 77 und 73.
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wäre. Die Gottesvorstellung, dies ist die entscheidende Aussage, ist „eine einzelne religiöse Anschauungsart", eine neben anderen, eine Weise, sich das Universum zu vergegenwärtigen. Weder im Begriff, noch in der Sache decken sich „Universum" und „Gott". Allenfalls kann die Wirklichkeit des Universums durch die Vorstellung Gott andeutend bezeichnet werden. Aus welchem Grund wählt Schleiermacher nun den Begriff „Universum" und setzt den Begriff „Gott" auf die Seite? Die herrschenden Vorstellungen von Gott kennzeichnet Schleiermacher so: Für die „meisten" ist Gott nichts als „der Genius der Menschheit", für weiter Fortgeschrittene, für „dichterische Gemüter", ist er „ein von der Menschheit gänzlich unterschiedenes Individuum, ein einzelnes Exemplar seiner Gattung" und im besten Fall ein „höchstes Wesen, ein Geist des Universums, der es mit Freiheit und Verstand regiert" (R 124—126). Für die erste Gruppe ist das allein Wesentliche die Menschheit und ihre Geschichte, die Menschheit in ihrer Geschichte. Das in diesen „Ereignissen und Führungen" als wirksam angenommene Prinzip wäre „Gott". Aber eben nicht eigentlich an diesem Gott ist dabei gelegen, sondern nur an der Geschichte, für die jener Gott etwa die Rolle des Nothelfers oder der Vorsehung oder einer höheren Ordnung zu spielen hat.53 Damit ist „der Mensch das Urbild (dieses) Gottes" geworden. Tatsächlich ist aber die „Menschheit mit allem, was ihr angehört, nur ein unendlich kleiner Teil, nur eine einzelne vergängliche Form" des Universums, nicht etwa dieses selbst. Der Grundfehler ist hier, die Menschheit für das eigentlich Wirkliche anzusehen und das Universum zu einem bloßen Appendix zu machen. Religion geht aber nicht vom Ich aus, sondern empfängt das Ich von anderswoher. Deshalb ist eine solche Vorstellung von Gott untragbar. Die zweite Vorstellung ist wohl bereits hinreichend gekennzeichnet. Daß Gott ein eigenes Wesen sei, einziges Wesen einer nur ihm eigenen Gattung, dies ist ein Satz der traditionellen Metaphysik und Theologie. Dieser Einzigartigkeit entspricht es, daß ein solcher Gott sich durch Offenbarung bekanntmachen muß. Schleiermacher soll es erwünscht sein, solche Offenbarungen sich vorführen zu lassen. Der Grundmangel, das Ungenügende liegt hier darin, daß diese Gottesvorstellungen begrenzt sind. Für Schleiermacher können solche Offenbarungen immer nur anregen zu weiteren Offenbarungen weiterer Gattungen, weiterer solcher Götter. Ein Gott also, der als ein Bestimmter, als ein abgegrenzt Besonderer in einer kontingenten Offenbarung sich zu erkennen gibt, muß es hinnehmen, daß grundsätzlich andere Götter neben ihm denkbar 63 Ob Schleiermacher selbst diese Gefahr wirklich vermeiden kann, wird noch zu prüfen sein.
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sind. Das heißt, eine solche Vorstellung ist immer offen oder latent polytheistisch. Ist es nicht Willkür, bei diesem geoffenbarten Sondergott stehenbleiben zu wollen, ihn als den einzigen auszugeben, statt sich offenzuhalten für immer weitere, neue Offenbarungen? Sind doch alle derartigen Kundmachungen immer nur lediglich Enthüllung einer „einzelnen Anschauung", die in ihrer Begrenztheit niemals das Universum selbst sein kann. Die dritte, die höchste Gottesvorstellung, hat nicht nur die Verkehrtheit der Bindung Gottes an den Menschen überwunden, sie läßt auch die Begrenztheit der anderen Gottesvorstellung hinter sich. Dieser Gott ist allumfassend, der Geist des Universums selbst. Eine solche Gottesvorstellung mag sowohl in der philosophischen Spekulation wie in einem recht verstandenen Christentum gebildet werden. Aber selbst „von dieser Idee ist die Religion nicht abhängig". Der Wert einer Religion hängt nicht davon ab, ob in ihr der Begriff Gott vorkommt (R126). Diese Analyse wird bestätigt durch einen Blick auf drei Stufen, in welche die verschiedenen Religionen sich gruppieren. Diese Verschiedenheit hängt zusammen mit der verschiedenen kulturellen Entwicklung. Die niederste Stufe nehmen die Religionen der Götzen- und Fetischverehrer ein, eine höherstehende die polytheistischen Religionen und schließlich die höchste solche Religionen, „wo das Universum sich als Totalität, als Einheit in der Vielheit, als System darstellt". Die zweite Stufe etwa ist der ersten überlegen. Doch gibt es auf ihr neben der Vielgötterei auch eine atheistische Ehrfurcht vor der „ewigen und unerreichbaren Notwendigkeit". Diese hat gewiß „mehr Religion als der rohe Anbeter eines Fetischs", auch wenn dieser seinen Götzen vielleicht Gott nennt (R 128). Ebenso ist der polytheistischen Götterverehrung eine Religiosität überlegen, die der dritten Stufe angehört, die also das Universum anschaut als „Eins und Alles" („Hen kai pan"), auch wenn sie damit nicht die Idee eines Gottes verbindet. Aber nicht nur das. Die entscheidende Frage ist nun nämlich, ob etwa innerhalb der dritten Stufe der Religion eine Verehrung Gottes der atheistischen Vorstellung vom Universum überlegen sei oder nicht. Mehr unter der Hand, aber doch eindeutig läßt der Redner erkennen, daß hier eine Rangordnung unmöglich ist. Auf der höchsten Stufe der Religion ist also neben einem Gottesglauben ebenso eine atheistische Frömmigkeit möglich. An dieser Stelle ist vielleicht eine kleine Verdeutlichung nötig. Sowohl der Begriff „Gott" wie der des Atheismus ist hier in einem spezifischen Sinn gebraucht. Universum ist nicht Gott. Während der Begriff Gott auch fallen kann, ist eine Leugnung des Universums unmöglich, man kann es höchstens verkennen. Es kann nie einen sinnvollen Atheis34
mus geben, der die Wirklichkeit des Universums bestritte.54 Anders liegt es mit der Gottesvorstellung. Diese ist allerdings ersetzbar. Ob eine Anschauung des Universums sich umsetzt in die Vorstellung „Gott" oder nicht, dies hängt ab „von der Richtung (der) Phantasie" (R 128f.). Phantasie, wie sie hier verstanden ist, hat nichts gemein mit Phantasterei. Sie gehört jener Dimension der Ursprünglichkeit im Ich an, welche auch das religiöse Erlebnis birgt.65 Sie gehört noch dem Bereich an, der vor dem Heraustreten in die Reflexion, in Denken und Sprache, liegt. Vom religiösen Sinn kann man Phantasie vielleicht darin unterscheiden, daß sie es ist, welche unseren Gefühlen die individuelle Färbung verleiht. Wenn es heißt, daß „Phantasie es ist, welche für Euch die Welt erschafft", so ist natürlich nicht ein eigentliches Schaffen gemeint, sondern eher ein Ausgestalten, ein Gerade-so-erscheinen-Lassen. Damit ist klar, daß solche Phantasie nichts gemein hat mit Willkür. Diese Phantasie ist Ausdruck der Individualität des Ich, aber wohl auch des (damit zusammenhängenden) geschichtlichen Ortes, wenn wirklich die Verschiedenheit der Gottesvorstellungen auch mit der verschiedenen kulturellen Entwicklungsstufe zusammenhängt.56 Wenn einen Menschen in solcher Weise etwa das Bewußtsein seiner Freiheit bestimmt, so wird er sich auch das Universum in seiner Wirksamkeit als einen handelnden, ja einen persönlichen Gott vorstellen. Wenn er dagegen von dem Grundbewußtsein getragen wird, „Freiheit habe nur Sinn im Einzelnen und fürs Einzelne", sei also nicht eine göttlich regierende Macht, so wird sich daraus eine Vorstellung vom Universum ergeben, die keinen Gott braucht. Das heißt mit anderen Worten: die Wirklichkeit des Universums wird von uns direkt aufgefaßt allein im Akt des religiösen Erlebens selbst. Unsere „Phantasie" bestimmt solches Erleben in einer Weise, daß daran dann auf der anderen Ebene der Reflexion und Sprache die Begriffe sich anschließen können. So kann in einem Fall das religiöse Erleben in die Vorstellung von einem Gott umgesetzt werden, im anderen eine andere Vorstellung, etwa von einer ursprünglichen Welteinheit entstehen. Vorstellungen aber sind in jedem Fall nur zeichenhaft indirekter Ausdruck des wahren Erlebens. 54 Ähnlich schon Lessing: „Man kann einem Nationalgott wohl untreu werden, aber nie Gott, sobald man ihn einmal erkannt hat." (Erziehung des Menschengeschlechts § 40.) 55 E. Fuchs weist darauf hin, daß Schleiermacher den Begriff mit „Gemüt" identifizieren kann (an Sack, Br. III, 283): „Fantasie . . . ist die alle Anschauung schaffende, schöpferische Kraft des Menschen nach ihrer formalen Seite." (Religionsbegriff 46 f.) Allerdings wird man dieses „Schaffen" nicht im eigendichen Sinn verstehen dürfen. 58 Individualität hat anscheinend zwei Seiten, Selbstbestimmung und Bestimmtsein durch die Umwelt. Beides zusammen ergibt das Individuum, ja beides scheint kaum unterscheidbar.
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Sie gehören immer der Ebene des Denkens an und müssen daher inadäquat sein.57 In diesen Ausführungen sind vor allem zwei Motive wirksam. Das eine ist die Unterscheidung zwischen Universum und Gott, das andere die Rückführung aller Vorstellungen vom Universum (also z.B. auch der Gottesvorstellungen) auf das ursprüngliche religiöse Erlebnis. Das erste könnte man demnach auf die Formel bringen: „Das Universum in seinem Wesen ist nicht Person", das andere auf die Formel: „Das Universum ist kein seiender Gott." Gleichwohl bleiben diese Thesen ambivalent. Man kann sie so verstehen, daß Schleiermacher mit ihnen die Vollwertigkeit der religiösen Gotteserkenntnis vor der Philosophie zu verteidigen sucht, die alles derartige als Anthropomorphismus ausschalten möchte. Demgegenüber wäre festgehalten, daß alle Religion (eigentlich) die volle Wahrheit Gottes (oder des Universums) meint. Aber eben dieser Satz ist zweideutig. Soll man hier das „Meinen" unterstreichen? Dann entstünde die Aufgabe, die Gottes Vorstellung mehr und mehr zu reinigen, mehr und mehr dem Wesen anzupassen. Dann wäre etwa auch innerhalb der christlichen Dogmatik die Personhaftigkeit Gottes aufzugeben. Oder soll man hervorheben, daß wir die Wahrheit immer nur unter Vorstellungen haben können? Dann könnte z.B. eine christliche Vorstellung, die sich Gott als Person denkt, das Letzte sein, was wir hier überhaupt erreichen können. Die Reden scheinen hier noch keine einheitliche Linie erreicht zu haben. Doch tritt das erste Motiv deutlich hervor. Es wird sich vollends durchsetzen in der Glaubenslehre. Am Anfang der Reden bekennt Schleiermacher in einem Rückblick von sich, es habe für ihn eine Zeit gegeben, in der er den „väterlichen Glauben" habe „sichten" müssen. „Gott und Unsterblichkeit" seien „dem zweifelnden Auge verschwunden" (R 14f.).58 In den Reden hat er diesen Glauben auch nicht etwa wiedergewonnen. Der traditionelle Gottesbegriff ist nicht mehr direkt anwendbar. Hierin teilt Schleiermacher die Überzeugung der führenden idealistischen Philosophen.69 57 Es bleibt aber dann das Problem, wie Zeichen und Sache zusammenhängen. V o n daher können schwerlich alle Vorstellungen als gleichberechtigt nebeneinander stehenbleiben. Schließlich ist auch „Universum" ein Begriff. 58 Vielleicht soll mit dieser Wendung auch gesagt werden, daß Kants Neubegründung v o n „Gott und Unsterblichkeit" ebenso zweifelhaft wurde, wie die Auffassungen des traditionellen Christentums, von deren „Schutte" Schleiermacher sich zu reinigen hatte. Als Hinweis auf Kant versteht Miller die Stelle (Ubergang). 59 Vgl. ζ. B. Schelling (an Hegel am 4. 2. 1795): „ . . . Auch für uns sind die orthodoxen Begriffe von Gott nicht mehr (so wenig wie für Lessing). — . . . W i r reichen weiter noch als zum persönlichen W e s e n . . . Persönlichkeit entsteht durch Einheit des Bewußtseins, Bewußtsein aber ist nicht ohne Objekt möglich, für Gott aber, d.h. für das absolute Ich gibt es gar kein Objekt, denn dadurch hörte es auf,
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Ein Einzelwesen, das Person ist, in einer jenseitigen Welt lebt und sich uns durch Offenbarungen kundmacht, das nach seinem Entschluß die Welt hervorgebracht hat und mit ihr handelt — diese Vorstellung ist radikal unglaubhaft geworden. Unter den Gründen für diese Entwicklung — soweit man dergleichen überhaupt begründen kann — wird man vor allem die folgenden zu nennen haben. Ein Jenseits wird zweifelhaft und der Absolutheitsanspruch des Christentums läßt sich in der bisherigen Weise nicht mehr halten. Das Erstere hängt zusammen mit dem Aufkommen einer rein kausalmechanischen Welterklärung, das Letztere mit einer weiteren Ausdehnung des Gesichtskreises einerseits und andererseits mit dem Schaden, welchen die Greuel der Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts der Glaubwürdigkeit des Christentums zugefügt hatten. Das, was für Schleiermacher an die Stelle des traditionellen Gottes getreten ist, nennt er Universum. Das Universum unterliegt nicht den Gebundenheiten und Grenzen eines als Person vorgestellten Gottes. Es selbst wahrt seine Reinheit und seine Absolutheit, in der allein so etwas wie wirkliche Gottheit vorstellbar ist, indem es sich nicht festhalten läßt. Daher legt Schleiermacher auch so großen Wert darauf, daß auch eine atheistische Religion wirkliche Frömmigkeit sein kann. Diese Gottheit heißt Universum, weil sie grundsätzlich auf die Welt bezogen ist. Sie ist, wie Bender immer wieder mit Recht betont, zur unendlichen Vielheit alles Seienden der ungegliederte Einheitspunkt. Als solcher ist sie auf die Totalität des Seienden bezogen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen diesem Universum und dem alten Gott liegt schließlich darin, daß man an das Universum eigentlich nicht zu glauben braucht.60 Das Universum ist nichts anderes als der tiefste Grund der Wirklichkeit. Es ist daher mit Wirklichkeit immer schon gegeben; es ist, was es eben in Wirklichkeit ist. Darum ist es uns grundsätzlich offen. Deshalb ist das Universum auch unabweisbar. Alle diese Ausführungen sind aber mißverständlich, solange man nicht das andere Motiv mitbedenkt. Ob man sich nun das Universum unter der Vorstellung eines Gottes vergegenwärtigt oder nicht, auf jeden Fall gilt: „Auch Gott kann in der Religion nicht anders vorkommen als handelnd, und göttliches Leben und Handeln des Universums hat noch niemand geleugnet, und mit dem seienden und gebietenden Gott hat sie (die Religion) nichts zu schaffen, so wie ihr Gott den Physikern und Moralisten nichts frommt, deren traurige Mißverständnisse dies eben sind und immer sein werden." (R 130) absolut zu sein. — Mithin gibt es keinen persönlichen G o t t . " (Zitiert bei Dilthey, Leben II, 1, 30.) 80 Vgl. dazu auch Schultz, Protestantismus 72—79.
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In dieser Ablehnung eines seienden Gottes scheint Schleiermacher auch übereinzustimmen mit Kant. Dieser Philosoph hatte ja nachgewiesen, daß theoretische Vernunft immer gebunden ist an die Anschauungsformen von Raum und Zeit und die Kategorien, so daß es für die Erkenntnis eines Gottes, der doch außer Raum und Zeit sein müßte, keine Möglichkeit geben kann. Die Vorstellung Gott kann für die erkennende Vernunft allenfalls eine Art Arbeitshypothese darstellen. Damit kann es auch für die praktische Vernunft einen seienden Gott nicht geben. Im Anspruch der sittlichen Forderung aber sind implizit Voraussetzungen enthalten, die die Annahme eines Gottes erfordern. Die Erwartung einer endgültigen Glückseligkeit als Lohn für das sittlich gute Verhalten ist für die Sittlichkeit selbst notwendig. Als Garant einer solchen Belohnung muß Gott postuliert werden. Aber gerade diese Gedanken Kants lehnt Schleiermacher scharf ab. „Der handelnde Gott der Religion kann aber unsere Glückseligkeit nicht verbürgen; denn ein freies Wesen kann nicht anders wirken wollen auf ein freies Wesen, als nur daß es sich ihm zu erkennen gebe, einerlei ob durch Schmerz oder Lust. Auch kann es uns zu Sittlichkeit nicht reizen, denn es wird nicht anders betrachtet als handelnd, und auf unsere Sittlichkeit kann nicht gehandelt und kein Handeln auf sie kann gedacht werden." (R 130) Dieser Einwand sagt vor allem, bei Kant werde Gott zu einem Anhängsel unserer Sittlichkeit gemacht. Insofern treffen ihn alle Vorwürfe, die Schleiermacher gegen eine Bindung Gottes an den Menschen erhoben hat. Man könnte paradoxerweise sagen, diese Gottesauffassung sei, da sie Gott einem anderen Zweck zuordnet, eigentlich amoralisch. Gott will „betrachtet" werden, nichts weiter, und zwar in seinem Handeln. Alles haben wir aus seiner Hand zu empfangen, gleich, ob es uns Glück oder Leid bereitet. Daß alles für uns Welt wird, das ist Gottes Handeln. Dagegen handelt er nicht in einzelnen Taten, die unsere Freiheit aufheben müßten. Weil aber Gott mehr ist, als nur der Garant unserer Sittlichkeit, darum kann nicht zugegeben werden, daß er nur Arbeitshypothese oder Postulat ist. Damit wäre der Mensch als gegeben vorausgesetzt und Gott diesem Menschen nur zugeordnet. Darin freilich hat Kant recht, daß Gott nicht als ein Seiendes vorgestellt werden darf. Die Vorstellung von einem „seienden und gebietenden Gott" scheint nach Kant erledigt.61 Das Universum haben wir nur in seinem Handeln. Etwa deshalb, weil es selbst nicht als ein Seiendes ist? Oder meint Schleiermacher, daß so etwas wie Universum immer je im Vollzug aufleuchtet, so daß es eigentlich nur den Vollzug der Religion gibt? Wohl kaum. Das Universum 6 1 Nach M. Schmidt (mündlich) ist bei Schleiermacher der Gottesbegriff ein „Grenzbegriff". In welchem Sinn diese Bezeichnung zutrifft und in welchem sie mißverständlich ist, geht aus dem Text hervor.
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ist nicht nur ein Interpretament, ein Anhängsel unserer Frömmigkeit. Also nicht deswegen wird der Begriff Gott beiseitegestellt, weil es lediglich auf den Vollzug von Religiosität ankäme. Vielmehr ist der wahre Gott der, der nur in der Begegnung uns entgegentritt. Das Universum darf nicht als eine gegebene Realität aufgefaßt werden. In diesem Fall wäre es als etwas Festgelegtes wieder des Glaubens bedürftig und also bestreitbar. „Göttliches Leben und Handeln des Universums" dagegen sind deshalb völlig unbestreitbar, weil das Universum jenseits von allen Festlegungen ist. Ihm eignet ein Sein, das vom Sein alles Seienden grundverschieden ist. Aber schon mit diesem Satz treten wir seinem Geheimnis zu nahe. Es „ist", indem es handelt, es ist der alles Geschehen tragende Grund. Deswegen können wir zu ihm den Zugang nur gewinnen im Vollzug der Existenz, nicht in einem theoretischen Wissen. Hier liegt die Ursache für alles Existentielle in Schleiermachers Theologie. Gleichwohl fehlt ihm das heute so verbreitete Pathos, mit dem „in die Entscheidung gerufen" wird. Ein solcher Appell setzt voraus, daß ich mich zunächst in einer Haltung uneigentlichen Existierens befinde, aus der ich durch meine Entscheidung herauszufahren habe. In diesem Sinne sagt man, ich stünde zuerst einmal unter dem „Gesetz". Anders als etwa bei Luther ist hiermit in erster Linie ein Selbstverständnis gemeint, das sich lediglich auf Vorfindlich-Gegebenes zu stützen bestrebt ist. Eine solche Voraussetzung läßt aber Schleiermacher nicht zu. Wie sollte es zu einem Leben aus dem „Verfügbaren" kommen können, wenn immer schon alles vom Universum getragen ist? Gewiß kann ich unfähig sein, mein ganzes Leben von Religion tragen und durchdringen zu lassen. Aber was an mir dann zu geschehen hat, kann allenfalls eine Art von Enthüllung sein. 6. Die Funktion des Universums Dürfen wir überhaupt das Universum auf eine bestimmte Funktion festlegen? Es scheint ein spezifisches Handeln des Universums zu geben. Dann kann aber auch es selbst nicht einfach eine höchste, inhaltslose Allgemeinheit sein. In der Tat ist das auch nicht der Fall. Seine Allgemeinheit ist nicht die einer äußersten Abstraktion, die jedes Inhaltliche ausschließt. Es ist nicht ein beliebig Allgemeines, sondern es ist — das zeigen seine Funktionen — ein bestimmtes Allgemeines. Wenn nun vom Handeln des Universums gesprochen werden soll, so muß in Erinnerung gerufen werden, was oben (S. 23 f.) schon gesagt wurde. Es sind bei diesem Vorgang drei Größen im Spiel, das Universum, das Ich und die Welt. Das Universum ist bezogen auf das Zusammensein des Ichs mit der Welt, es bewirkt, daß das Ich Welt hat. Diese Bestimmung ist für alles Weitere fundamental. 39
Religion läßt, so heißt es gegen Fichte (R 54) einen „höheren Realismus" ahnden.82 Dieser Philosoph erhebt (etwa in der ersten Einleitung in die „Wissenschaftslehre") den Anspruch, die allein richtige Interpretation Kants zu liefern, nämlich die „idealistische". Während bei Kant doch wohl theoretische und praktische Philosophie noch nicht vollends in ein einziges widerspruchsfreies System integriert sind, soll nun — als Kants eigentliche Intention — ein alles umfassendes idealistisches System entworfen werden. „Idealismus" ist dabei der kontradiktorische Gegensatz gegen „Dogmatismus". Dieser will den Vorgang der Erfahrung erklären, indem er als Grundlage für sie ein gegebenes Ding an sich annimmt, d.h. er geht aus von der Realität einer an sich bestehenden Außenwelt. Der Idealismus hingegen läßt als einziges Prinzip der Erkenntnis die Intelligenz, das Ich gelten. Es besteht die Alternative, „ob der Selbständigkeit des Ich die Selbständigkeit des Dinges, oder umgekehrt, der Selbständigkeit des Dinges, die des Ich aufgeopfert werden solle". 63 Fichte hält nun diesen Idealismus für den einzigen gangbaren und eines Philosophen würdigen Weg. Ein naiver Realismus, darin stimmt Schleiermacher Fichte zu, ist nun nach Kant nicht mehr möglich. Es besteht ein Graben zwischen dem Ich und der Welt und es liegt ein Grundproblem darin, wie dieser Graben überbrückt werden kann. Die Außenwelt ist uns nicht einfach selbstverständlich gegeben. Eine gewaltige Perversion stellt es aber dar, wenn Fichte meint, alle Erkenntnis allein aus dem Ich ableiten zu können.64 Eine solche Bindung der Welt an das Ich kann nur die Welt vernichten.65 Da nun aber ein einfacher Realismus unmöglich geworden ist, können wir die Welt nur haben, wenn sie uns geschenkt wird. Eine gnadenhafte Gewährung verleiht uns die Welt als ein reales Gegenüber. Deshalb bedürfen wir der Erfahrung des Universums, um Welt zu haben. So kommt es zu jener viel umrätselten Aussage, daß Religion uns einen höheren Realismus eröffne.66 62 Die Schärfe dieser Auseinandersetzung ist verharmlost bei Fischer, Subjektivität 33. 6 3 Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, Abschnitt 5, in der Ausgabe von Medicus bei Meiner, Hamburg 1961,18. Diese Schrift wurde zuerst 1797 veröffentlicht. 64 Wenn man E . Fuchs glauben dürfte (Religionsbegriff 49), so wäre Schleiermachers Standpunkt mit dem von Fichte identisch. Die starke Abhängigkeit Schleiermachers von Fichte behauptet auch E . Hirsch (Geschichte I V und V). Dagegen ausführlich und überzeugend Hertel (Denken 183—198). Ein gut fundiertes Urteil auch schon bei Süskind, der ebenfalls die Selbständigkeit Schleiermachers betont (Schelling 51—56). 65 Wie wichtig für Schleiermacher die Wirklichkeit der Welt ist, die Tatsache, daß das Ich nicht mit sich allein ist, dies zeigt überzeugend F . Jacob (Geschichte). ββ Vgl. das Referat bei Süskind, Schelling 27 f.
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Indessen ist das Universum nicht um solcher Funktion willen. Es „lebt", es „handelt"; wir werden von ihm getragen, bestimmt, bewegt; es „schuf" uns (R 2). Von ihm selbst her verleiht es uns die Welt. Hinter all diesen Aussagen liegt offenbar eine Art Grunderfahrung. Das trifft auch dann zu, wenn wir hier nur das Wesen der Erfahrung geschildert fänden, während sie darüber hinaus auch noch konkretere Züge aufwiese. Das Gegenteil wäre vielleicht die Erfahrung einer radikalen Vereinzelung des Ich, einer totalen Skepsis, eines Zerfallens der Welt zu einem sinnlos zufälligen Chaos, in dem nichts mehr sinnvoll auf anderes bezogen wäre. Die Grunderfahrung ist eben die Erfahrung des „Universums", der Welt.67 Diese Welterfahrung ereignet sich weniger am einzelnen Ding als solchem, als vielmehr am einzelnen Ding, sofern es in den Gesamtzusammenhang einbezogen ist. Ja, nicht die Einordnung, die von jedem Ding aus sich dann eben vornehmen lassen müßte, ist das Wesentliche, sondern jener Zusammenhang selbst. Dies zeigt die Auswahl unter den Feldern der Epiphanie des Universums. In dieser Erfahrung leuchtet Sinn auf; das je einzelne erscheint als Glied, als sinnvoll notwendiger Bestandteil der Welt. Umgekehrt zeigt die Fülle der verschiedensten Individuen gerade auf das Wunder des alles umfassenden Zusammenhanges. Die Erfahrung des Universums ist also weder allein ein Sinnvollwerden des je Besonderen, des Individuums,68 noch ist sie allein Einsicht in den großen Weltzusammenhang an sich, sondern sie ist beides zusammen. In diesem Sinn ist die Grunderfahrung eine Erfahrung der Geschichte. Man hat Schleiermacher zu den Entdeckern des Individuums gerechnet. Dies trifft zu. Hierin unter6 7 Dilthey formuliert (Leben I, 306f.): „Das metaphysische Grundverhältnis, dessen Anschauung im Hintergrunde der Reden steht, ist die Immanenz oder Gegenwart des Unendlichen, Ewigen im Endlichen." Die Einseitigkeit v o n Diltheys Deutung der Reden zeigt M. Schmidt (Dilthey 34): Dilthey läßt „nichts Geringeres als das Entscheidende" fort, nämlich „die Aktivität Gottes im Glauben . . . Er geht nicht ein auf Schleiermachers Würdigung von Altem und Neuem Testament durch die Gegenüberstellung von Vergeltung und Vermittlung. Er mißachtet die — nach Schleiermacher — geschichtsbestimmende Bedeutung der Sünde: das Entgegenstreben des Endlichen gegen das Unendliche." Damit werde aber Schleiermachers Auffassung als „ästhetische" Religionsdeutung mißverstanden. 68 Nach Süskind (Schelling 27 u.a.) ist in den Reden dies „der metaphysische Grundgedanke von Schleiermachers Weltanschauung", daß „Individualität... nicht bloße Beschränkung, sondern positive Darstellung des Unendlichen, (daß) alles Endliche als Individuelles selbst unendlich" ist. Für diese These beruft sich Süskind auf Dilthey (Vgl. Leben I, 310—314). Indessen dient das Universum keineswegs nur dazu, dem Individuum Sinn zu verleihen. Vielmehr ist alles einzelne nur als Geschöpf des Universums. Was Dilthey hier als „Individuum" bezeichnet, ist ebenfalls mißverstanden. Es ist damit weniger ein subjektiv individuelles Ich gemeint, als vielmehr jener ontologische Bezugspunkt, der in der Glaubenslehre „unmittelbares Selbstbewußtsein" heißt. Daher irrt Süskind, wenn er meint, Schleiermacher habe an dieser Stelle v o n den Reden zur Glaubenslehre seinen Standpunkt wesentlich verändert.
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scheidet et sich etwa am deutlichsten von Spinoza, daß bei ihm gerade dem einzelnen als solchem seine spezifische und unaustauschbare Bedeutung zukommt. Aber dies ist nur die halbe Wahrheit. Gerade Schleiermacher kann nie vom Individuum reden, ohne es sofort eingeordnet zu sehen in einen größeren Zusammenhang oder in das Ganze der Geschichte. Doch wie vollzieht sich nun diese Einordnung des einzelnen in das Ganze? Ist sie die gegebene Wirklichkeit, so daß jede wissenschaftliche Forschung sie eigentlich treffen müßte? In welchem Sinne gilt es, daß das Universum Ursache ist? Die Erfahrung des Universums ist Sache der Religion. Jene Einordnung leuchtet uns auf im religiösen Erleben. Daß wir solchen Weltzusammenhang entdecken, dazu bedürfen wir der „Mittler", die uns die Einheit der Vielheit aufdecken. Sie sind es, die die äußersten Extreme „zusammenbringen", „um die lange Reihe (der verschiedenen Individuen) in jenen geschlossenen Ring zu gestalten, der das Sinnbild der Ewigkeit und der Vollendung ist" (R 9f.). Ihre Verkündigung öffnet anderen den Blick. Man kann aus der Einsicht in den Weltzusammenhang keinen direkt verwertbaren Gewinn schlagen. Wir haben damit nicht den wissenschaftlich nachkonstruierbaren Aufbau der Welt entdeckt,69 noch haben wir nun einen Weltsinn in der Hand, der Schlüssel für alle Moral wäre. Frei von solchen Anwendungen will die Herrlichkeit des Universums selbst um ihrer selbst willen anerkannt und verehrt werden. Dabei ist aber dieses Universum der tatsächliche Grund aller Wirklichkeit. Es begründet und ermöglicht deshalb auch alle unsere wissenschaftliche Forschung. Das Universum selbst aber kann nicht vom Denken erreicht werden. Damit drängt sich die Frage auf, ob man unter diesen Umständen gegen Schleiermacher zu Recht oder Unrecht den Vorwurf des „Pantheismus" erhoben hat. 7. Ist Schleiermacher
Pantheist?70
Der Vorwurf ist alt, aber die Debatte über ihn leidet oft an Klarheit. Es hängt für das Urteil viel davon ab, was man jeweils selbst unter diesem Begriff versteht. Ich verzichte auf eine eigene Definition und versuche nur, Schleiermachers Position darzustellen. An sie ist also die Frage zu stellen: Identifiziert Schleiermacher Universum und Welt? 69 Darin unterscheidet sich Schleiermacher von Hegel und dessen Nachfolgern, deren Verfahren die Wirklichkeit vergewaltigen muß. 70 Schleiermacher gebraucht den Begriff in R256—259, um damit eine „atheistische" Vorstellung vom Universum zu kennzeichnen im Unterschied zur Vorstellung eines persönlichen Gottes.
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Mit anderen Autoren ist G. Zumpe der Meinung, an diesem Punkte bestehe bei Schleiermacher eine Unklarheit. Ja es soll sogar ein gigantisches Ringen stattfinden zwischen der Tendenz, Gott (oder Universum) und Welt auseinanderzuhalten, und der anderen, sie zu verbinden.71 Nach meiner Überzeugung ist Schleiermachers Denken an diesem Punkt im Grundsätzlichen völlig eindeutig und klar. Was „Universum" ist, versuchten die bisherigen Ausführungen zu erklären. Wenn hier von diesem Begriff das Wort „Welt" unterschieden wird, so muß erklärt werden, was darunter zu verstehen ist. „Welt" ist die Gesamtheit alles Seienden, sie setzt sich aus allem Seienden zusammen und ist seine Summe. Davon ist aber das „Universum" klar zu unterscheiden. Nun hat freilich das Wort „Universum" auch die Bedeutung von „Welt". Darin kommt zum Ausdruck, daß in gewissem Sinn Universum und Welt sich decken. Man könnte sagen, ihre Erstreckung ist dieselbe. Die Welt umfaßt das All, es gibt keine Dimension außer ihr, welche ein „Universum" eigens bewohnen könnte. Das Universum ist nicht außer und vor der Welt, sondern es ist immer nur, indem es mit der Welt handelt. Dieser Gott, der Universum heißt, ist der Gott der Welt, dieses Sein ist das Sein des Seienden. Daher könnte es, wenn es die Welt nicht gäbe, auch kein Universum geben. Auf der anderen Seite besteht aber ein unaufhebbarer Unterschied zwischen „Welt" und Universum". Es ist der Unterschied zwischen dem Seienden und dem Urgrund alles Seienden. Welt ist immer seiend, das Universum „ist" in anderer Weise. Eine Verwechslung oder Vermengung ist hier völlig ausgeschlossen. Dieser Unterschied, eine wahrhaft ontologische Differenz, ist auch die Ursache für das Übergewicht, welches das Universum über die Welt hat. Das Universum ist, wie schon gesagt, nicht ein Anhängsel des Seienden, nicht dessen dienender Seinsspender, es ist vielmehr der begründende Grund alles Seienden. Von daher ist allerdings der Zusammenhang zwischen Universum und Seiendem der innigste. Das Seiende kann nicht verstanden werden als ein für sich bestehendes Seiendes, sondern es ist überhaupt nur, indem es vom Sein getragen wird. Dies zu vergessen oder gar das Ich zum tragenden Grund der Welt zu machen, ist der Grundirrtum. Soweit Schleiermachers durchaus klare Konzeption. Ob man sie nun phanteistisch nennen will oder nicht, ist mehr eine Definitionsfrage. 71 G. Zumpe, Gottesanschauung 17 u.ö. Natürlich trifft es zu, daß das Universum sowohl von der Welt unterschieden, wie mit ihr zusammengenommen wird. Vgl. dazu etwa Dilthey, Leben I, 309 f.
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8. Die Aussagen Über Gott in Rede fünf Es muß nun noch geprüft werden, in welcher Weise dort von Gott gesprochen wird, wo Schleiermacher die eigentlichen Inhalte des Christentums entfaltet. Erst dann kann entschieden werden, ob wir die Geltung des bisher Entfalteten nicht etwa einzuschränken haben. Nach den Darlegungen in Rede zwei ist das Christentum zu verstehen als eine Religion. Was als Wesen „der" Religion aufgestellt wurde, ist auch Wesen des Christentums; das Christentum ist eine bestimmte Ausprägung dieses Wesens. Seine Gottesvorstellung etwa ist ein möglicher Ausdruck für das, was hier „Universum" hieß. All das wird bei den Ausführungen über das Christentum wiederholt und bestätigt. Das Universum entwickelt eine Vielzahl von positiven Religionen. Jedes dieser Individuen hat seine unverwechselbare Art, jedes bringt damit eine von den unendlichen Möglichkeiten, wie Religion sein kann, zur Existenz. Es ist jede wirkliche Religion unentbehrlich und deshalb „ewig" (R 307), weil sie alle sein müssen, damit die Totalität der Religion zur Existenz kommt (R 260 und öfter). Man darf darin wohl kaum eine Spekulation über das Wesen „der" Religion sehen, vielmehr hat man diesen Satz von seiner Umkehrung her zu verstehen: Jede Religion, wie die Geschichte sie immer neu hervorbringt, ist gerade in ihrer individuellen Besonderheit die Realisierung einer der Möglichkeiten von Religion. Das heißt, alle je möglichen Religionen — Schleiermacher redet von „unendlich" vielen — werden zusammen jenen bunten Kranz bilden, der „die" Religion wirklich darstellt. Die Fülle des in der Geschichte Wirklichen ist die Wahrheit. Jede der positiven Religionen tritt entgegen als geschichtliche Realität, man empfindet ihre Macht unmittelbar. Sucht man nun herauszufinden, durch welches Kriterium ihre Besonderheit sich bestimmen läßt, so kann das jedenfalls nicht „ein bestimmtes Quantum religiösen Stoffs" sein (R 250). Eine Religion ist nicht einzufangen in ein System von Dogmen oder Lehrsätzen, die immer auch abgrenzen und abschließen und deshalb sektenhaft sind (R 253). Es muß grundsätzlich immer der Blick für das Ganze der Religion freibleiben, jede Einschränkung wäre irreligiöse Willkür. Das bedeutet, daß jede positive Religion sich auf das Ganze der Religion richtet. Worin liegt aber dann ihre Besonderheit? Sie besteht darin, „daß irgendeine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkür zum Zentralpunkt der ganzen Religion gemacht, und Alles darin auf sie bezogen wird" (R 259). Die positive Religion ist als solche „Häresis" (R 260), weil sie „in Beziehung auf eine Zentralanschauung Alles" ansieht. Unter einem Gesichtspunkt, von einem Gesichtspunkt her, wird das Ganze der Religion gesehen. Damit ist nichts Religiöses ausgeschlossen, der ganze Umfang der Reli44
gion kann integriert werden. Wiederum wird kein besonderes Fürwahr-Halten gefordert, da ja das ganze Feld der Religion offen steht. So unmittelbar und direkt hat die einzelne Religion Anteil am „Wesen der Religion". Dieses Wesen ist Wesen aller irgend wirklichen und wirklich werdenden Religionen, nicht allein Wesen des Christentums. Es enthält aber das Christentum nicht nur einen Teil dieses Wesens, sondern die ganze Religion unter einem besonderen Aspekt. Darum ist das, was als Wesen der Religion aufgestellt wurde, ohne Rest auch Wesen des Christentums. Die strenge Christozentrik, die Schleiermacher in seiner Dogmatik vertritt, ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen. „Christus" ist nicht ein Glaubensartikel, neben dem es auch andere (weniger wichtige) gäbe. Vielmehr ist er der einzige Gesichtspunkt, von dem aus der (für alle Religionen gleiche) Inhalt der Religion christlich gesehen wird. Daß nun gerade diese oder diese Religion konkret existiert, ist, wie jedes geschichtliche Ereignis, eine unableitbare, kontingente Setzung. Daß ich mich etwa gerade für diese Religion entscheide, entspringt meiner persönlichen Disposition im Zusammenhang mit dem geschichtlichen Augenblick, der mir gerade diese Möglichkeit anbietet (R 307). Damit sind grundsätzlich alle Religionen vergänglich, für viele „ist es Zeit sie zu sammeln als Denkmäler der Vorwelt und niederzulegen im Magazin der Geschichte; ihr Leben ist vorüber und kommt nimmer zurück" (R 308). Gilt das etwa auch vom Christentum, wie viele in der Tat meinen? Es wäre eine letzte Vollendung in der Evolution der Menschheit vorstellbar, in der sie vollkommen religiös geworden ist, in der sie sich und alles in völliger Selbstverständlichkeit im Universum ansieht, so daß „von keinem Mittler mehr die Rede sein wird, sondern der Vater Alles in Allem" (R 308). Dies wäre das Ende des Christentums, aber nur, weil es damit zum Ziel gelangt wäre. Gerade es selbst steuert auf dieses Ziel zu; es „hat diese Vergänglichkeit seiner Natur ausdrücklich anerkannt", offenbar indem es an eine Endvollendung glaubt. Doch ist das Eintreten eines solchen vollkommenen Zustandes faktisch undenkbar, ist also auch das Christentum unaufhebbar. Dabei beansprucht es nicht, absolut oder einzig zu sein; mögen andere, neue Religionen aus dem Schoß der Geschichte hervortreten, es wird sie freudig begrüßen, da doch alle Religionen nur das fördern können, was es selbst als seinen Wesenskern in sich trägt, die Verehrung und Anbetung des Universums (R 309—312). Damit stimmt nun völlig überein, was in einer genial raffenden und uminterpretierenden Skizze als Grundanschauung des Christentums entworfen wird. Sie wird bezeichnet als „die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, und der Art wie die Gottheit dieses Entgegenstreben behandelt, wie sie die Feindschaft 45
gegen sich vermittelt (d. h. durch Vermittlung aufhebt), und der größer werdenden Entfremdung Grenzen setzt durch einzelne Punkte über das Ganze ausgestreut, welche zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und Göttliches sind. Das Verderben und die Erlösung, die Feindschaft und die Vermittlung, das sind die beiden unzertrennlich miteinander verbundenen Seiten dieser Anschauung" (R 291). Diese Grundanschauung weiß um die Bedürftigkeit alles Endlichen, seine Gottesferne, sein Angewiesensein auf eine gottgewirkte Erlösung. Diese Bedürftigkeit sieht das Christentum gerade an sich selbst; es selbst findet sich entfremdet. Sein Vorzug vor allen anderen Religionen liegt darin, daß es gerade auch die Religiosität selbst in Frage stellt.72 Wie in der Geschichte der Religion dem ständigen Versinken in den „irdischen Sinn" immer neue gottgewirkte Mittler entgegen treten, wie gerade die Religion selbst in ihrer Abwendung von Gott von ihm aufgesucht wird, dieses sein Bewußtsein macht das Christentum „gleichsam (zu) einer höheren Potenz" der Religion (R 293f.). In diesem Sinn ist es notwendig nach außen und innen „polemisch" (R 294—298). Dieser Grundanschauung entspricht ein Gefühl, das Schleiermacher „heilige Wehmut" nennt (R 299), „das Gefühl einer unbefriedigten Sehnsucht die auf einen großen Gegenstand gerichtet ist, und deren Unendlichkeit" die Christen sich bewußt sind. Mit alledem wird offensichtlich in keiner Weise zurückgenommen, was oben über das „Universum" gesagt worden war. Keineswegs wird die Vorstellung des Universums jetzt ersetzt durch die eines Gottes, der Person ist und in der Freiheit seiner Entscheidungen die Welt schafft und lenkt. Nach christlicher Anschauung, so hören wir etwa, wirkt Gott als „Vorsehung". Diese Macht kennt keine individuelle Belohnung oder Bestrafung des einzelnen Menschen, ja sie nimmt auf den einzelnen keine 72 Für Luther ist das Wort (in seinen verschiedenen Formen) die bleibende Basis der Kirche. Das wird dadurch nicht aufgehoben, daß dieses Wort immer auf das äußerste gefährdet ist. Gewiß besteht nun ständig die Aufgabe, dieses Wort gegen alle Verbauungen durch „traditiones humanae" durchzusetzen. Damit ist aber die Anwesenheit des Wortes und damit die Gegenwart von Kirche gerade vorausgesetzt. Die These „ecclesia semper reformanda" geht der Sache nach auf Müntzer zurück (Vgl. Mülhaupt, Immerwährende Reformation? = Im Lichte der Reformation, Göttingen 1968). Die Formel findet sich nach Mülhaupt zuerst bei Jodocus von Lodenstein gegen 1675. Sie wird später „ein besonderes Anliegen der Reformierten". Berufen könnte sich diese Meinung auf bestimmte Stränge des Alten Testaments, in denen die eigene Glaubenstradition immer wieder radikal in Frage gestellt wird. Dabei ist es aber die Heiligkeit Gottes, an der die eigene Religion zerbricht. Bei Schleiermacher entsteht dagegen die Fraglichkeit einer konkreten Religion an ihr selbst. Sie ist wesentlich ein Gefühl für die metaphysische Bedürftigkeit des Kreatürlichen. Daher äußert sich in der Selbstinfragestellung der Religion gerade selbst Religion.
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Rücksicht. Die große Bewegung der Geschichte ist ihr Werk, nicht ein spezielles Eingreifen für je den einzelnen Menschen (R 292 f.). Allerdings erscheint die religiöse Wirklichkeit jetzt in einem neuen Lichte. Das, was irgendwie auch in allen anderen Religionen erspürt wurde, wird hier zur Hauptsache gemacht: die absolute Bedürftigkeit alles Endlichen. Dieser Gesichtspunkt kommt wohl nach Schleiermacher dem Wesen der Religion, seiner Wahrheit, am nächsten. So ist der christliche Erlösungsglaube die sachgemäßeste Religion. Aber gerade dieser Bedürftigkeit wegen ist das Christentum immer bereit, sich selbst aufzugeben. 9. „ Wesen der Religion" und „Christentum" Es gilt nun nach diesem Streifzug durch die Reden die am Anfang aufgeworfene Frage wieder aufzunehmen, die gegenüber Schleiermacher wohl die wichtigste bleibt, nämlich die nach dem Verhältnis der allgemeinen Wesensbestimmung von Religion zum konkreten christlichen Glauben.73 Wenn man Schleiermacher beim Wort nimmt, wenn man ihm also nicht unterstellt, er meine an sich etwas ganz anderes, als er sagt oder zu sagen wagt, so wird man zunächst folgendes feststellen können. Schleiermacher schreibt eine Apologie des Christentums, nicht des Religiösen überhaupt. Er verteidigt aber das Christentum damit, daß er es als eine Religion nachweist. Weil Religion überhaupt notwendig und für das Menschsein grundlegend ist und weil sie heute unter uns in der Form des Christentums auftritt, darum haben wir uns an diese Glaubensweise zu halten. Damit wird die Vernunft an den Glauben gebunden und der Glaube als wahrhaft vernünftig erwiesen, werden also allgemein humane Vernunft und christlicher Glaube in einer großen Synthese vereint. Dies dürfte die innerste Absicht der Reden sein. Hier entsteht nun aber auch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten. So lautet ein alter Vorwurf, Schleiermacher stelle das Wesen der Religion über den christlichen Glauben, der erst dadurch begründet und im einzelnen bestimmt werde. Damit unterwerfe er aber den Glauben der Philosophie.74 Das Recht dieses Einwands ist erst zu erörtern, wenn vor73
Wenn Schleiermacher Religion überhaupt und Christentum nach dem Schema von „Wesen und Erscheinung" einander zuordnet, so könnte man fragen, ob er sich damit nicht an einen Ort jenseits dieses Gegensatzes begibt. Ein solches Drittes ist aber keine reale Möglichkeit. 74 Hörenswert die Einwände von Friedrich Samuel Gottfried Sack: „Ich kann das Buch (die Reden), nachdem ich es bedachtsam durchgelesen habe, leider für nichts weiter erkennen, als für eine geistvolle Apologie des Pantheismus, für eine rednerische Darstellung des Spinozistischen Systems. Da gestehe ich Ihnen nun ganz freimütig, daß dieses System mit allemdem, was mir bisher Religion geheißen hat und gewesen ist, ein Ende zu machen scheint... Ich will durchaus niemanden 47
her einige Begriffe geklärt sind. Was heißt hier „Philosophie" und welche Funktion übt sie gegenüber dem Glauben aus ? Nach Schleiermachers späterem Sprachgebrauch, der bestimmt nicht leichtfertiger oder weniger bedacht ist, gehören die Aussagen über das Wesen der Religion zur Philosophie.76 Diese Aussagen sind auch in bestimmtem Sinn Philosophie, und zwar mit Notwendigkeit. Sie nehmen gerade nicht einen vorher gegebenen christlichen Glauben in Anspruch, sondern appellieren an die Vernunft. Nur so können sie Apologie sein, indem sie die Notwendigkeit der Religion für den Menschen überhaupt aufzeigen. Diese Argumente haben nur solange einen Sinn, solange sie beanspruchen, allgemein zu gelten. Dennoch kann man, wenn man sich auf den Standpunkt Schleiermachers begibt, nicht behaupten, er unterstelle das Christentum der Philosophie. Diese Philosophie ist nämlich nicht das Denken eines autonomen Menschen. Sie hat vielmehr die religiöse, die christliche Erfahrung hinter sich. Wie sollte sie sonst von der Religion reden können? Diese Erfahrung ist erst einmal kontingent gegeben. Alle Rede über sie kann nur aus ihr abgeleitet sein. Solche Philosophie befindet sich also gleichsam im Vorhof des Glaubens. Dieses Denken will nun aber gerade als Philosophie ernst genommen werden. Es besteht vor allem in einer Art Grundontologie, in der allem weiteren Denken erst der Platz angewiesen ist. Scheinbar im Widerspruch dazu steht es, wenn Schleiermacher über sein Werk sagt: „Mein Endzweck ist gewesen, in dem gegenwärtigen verachten, verketzern und verdammen, aber ich verachte, verketzere und verdamme unverhohlen die nach meinen Einsichten verabscheuungswerte (sogenannte) Philosophie, die an der Spitze des Universums kein sich selbst bewußtes, weises und gütiges Wesen anerkennt, die mich zu dem Geschöpf einer Allmacht und Weisheit macht, die nirgends ist und überall; die mir die edle Freude, das untilgbar süße Bedürfnis rauben möchte, meine Augen dankbar zu einem Wohltäter aufzuheben, die unter meinen Leiden mir den Trost grausam entzieht, daß ein Zeuge meiner schmerzhaften Gefühle da sei, und ich unter der Regierung einer auch auf mein Wohl bedachten Güte leide." (Abgedruckt auch bei Kantzenbach, Schleiermacher 65—67.) In seiner Antwort (a.a.O. 67f.) erklärt Schleiermacher, er habe „nirgends... von dem Glauben an den persönlichen Gott mit Verachtung g e r e d e t . . . Ich habe nur gesagt, daß die Religion nicht davon abhänge, ob man im abstrakten Denken der unendlichen, übersinnlichen Ursache der Welt das Prädikat der Persönlichkeit beilege oder nicht." Daß Gott Person sei, ist also eine mögliche Vorstellung von Gott, aber eben nur eine Vorstellung: „Ohne einen gewissen Anthropomorphismus (kann) nichts in der Religion in Worte gefaßt w e r d e n . . . und dieser ist es wohl eigentlich, den Sie, ehrwürdiger Mann, so festhalten, und ich thue es mit I h n e n . . . " (Br. III, 283f.) Es handelt sich aber darum, ob die Personhaftigkeit Gottes nur eine anthropomorphe Vorstellung von ihm ist, oder sein Wesen ausspricht. Später wird die Glaubenslehre eine Personalität Gottes eindeutig aus der Dogmatik ausscheiden. 75 In der Glaubenslehre werden diese Ausführungen zur (philosophischen) Ethik gerechnet. Dasselbe setzt die „Kurze Darstellung" voraus, wenn sie die Religionsphilosophie und die Apologetik als „philosophische Theologie" bezeichnet.
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Sturm philosophischer Meinungen die Unabhängigkeit der Religion von jeder Metaphysik recht darzustellen und zu begründen." 76 Diese Philosophie oder Metaphysik, der gegenüber die Selbständigkeit der Religion erstritten werden soll, darf mit der eben skizzierten Philosophie nicht verwechselt werden. In dem einen Fall ist Philosophie das Denken des autonomen Menschen, der alles auf sein Ich als die Grundgegebenheit aufbaut. Die rechte Philosophie der Religion dient gerade dazu, diese Haltung als falsch, als weltzerstörend zu entlarven. Sie ruft zur Umkehr: Die Welt ist nicht Geschöpf des Ich, sondern das Ich hat die Welt nur, wenn es sich und alles als Geschenk des Universums in Empfang nimmt. Unabhängig ist die Religion vor allem in einer zweifachen Weise, einmal durch die spezifische Dimension, andererseits durch ihre geschichtliche Kontingenz.77 Das Erste wird nachgewiesen, wenn gezeigt wird, daß Religion „weder Metaphysik noch Moral" sei. Solange die Welt nur als Gegenstand des Wissens gilt oder solange sie nur aus den moralischen Zwecken besteht, ist ihre Wahrheit noch verborgen. Was der Mensch, was die Welt überhaupt ist, dies wird deutlich erst in der Dimension des Religiösen. Erst jetzt leuchtet ihr Geheimnis auf, erst jetzt ihr Leben, ihre Fülle. Dies ereignet sich als innerste Erfahrung. Deshalb handelt es sich aber nicht um ein bloß subjektives Meinen, sondern darin wird das Ganze der Welt neu begründet. Selbständig ist in dieser Weise das Religiöse überhaupt. Auch die geschichtliche Kontingenz ist Sache der Religion im allgemeinen, doch in anderer Weise.78 Religion lebt in Gestalt der Religionen und nirgendwo anders. Insofern ist diese Geschichtlichkeit Sache der Religion überhaupt. Zu erfahren ist dies aber nur angesichts der tatsächlichen religiösen Erfahrung. Es sind bestimmte religiöse Erfahrungen, die jüdische, die christliche, die sich jeweils aufdrängen.79 In diesem Sinn ist die Religion, 76
An Sack (vgl. Anm. 74). Diese beiden Gesichtspunkte finden sich auch bei A. Ritsehl und W. Herrmann. Nach Herrmann beginnt der Weg, der zum Glauben führt, mit der Einsicht, daß gegenüber der Natur, dem wissenschaftlich Feststellbaren, das Sittliche als ein „Erlebbares" einer eigenen Dimension angehört. Nach dieser Freilegung kommt es (vermittelt durch das Zeugnis der Gemeinde) zum eigendichen (geschichtlichen) Glaubensereignis, zur Begegnung mit dem „inneren Leben Jesu". Bei beiden Theologen wird das Erlebbare ganz als Sittlichkeit verstanden; darin stimmen sie mit Kant überein. Gegen Schleiermacher erhebt Ritsehl daher auch den Vorwurf, er habe ein ästhetisches Religions Verständnis. Die Gründe, warum Schleiermacher nicht bereit ist, den Glauben an das Sitdiche auszuliefern, wurden oben angedeutet. 78 „Die Religion . . . muß . . . ein Prinzip sich zu individualisieren in sich haben." (R 241) Damit ist nur gesagt, daß konkrete Religionen überhaupt sein müssen, nicht aber welche. Die Entscheidung gerade für den christlichen Glauben ist damit natürlich nicht begründet. Es kann und soll also der christliche Glaube nicht direkt aus dem Wesen der Religion abgeleitet werden. 7 " Unsinnig ist Gundolfs Vorwurf, Schleiermacher kenne eigentlich nur eine ausgedachte, keine erfahrene Religion (Romantik 453f.). Flückiger hätte hier nicht zu77
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für die ich mich entscheide, ein Angebot der Geschichte. Nur wenn Religion so angeboten ist, ist Glaube mehr als eine bloße Willkürentscheidung. Daß er die Unabhängigkeit der Religion verteidigt habe, dies wurde Schleiermacher immer wieder nachgerühmt.80 Es fragt sich aber, ob dies auf diese Weise wirklich gelungen ist, ja gelingen konnte. Mag erst Religion die eigentliche Tiefendimension des Menschen aufschließen, so bleibt doch diese Religion eben das Tiefste des Menschen. Die Welt der Religion ist unendlich mehr, als die von Wissen und Tun, aber es handelt sich doch nur um eine Welt. Religion — das ist die höchste Lebensmöglichkeit des Menschen. Ganz entsprechend steht es mit der geschichtlichen Kontingenz. Das Christentum hat seine Überzeugungskraft als eine geschichtliche Realität. Aber damit ist es auch grundsätzlich voll in die Geschichte hineingenommen. Das geht schon daraus hervor, daß vom „Christentum" die Rede ist, also von einer Religion. Damit wird das Christentum eingeordnet. Es zeigt sich also, daß die Selbständigkeit des christlichen Glaubens nur eine relative ist. Eine volle, die absolute Unabhängigkeit, läßt sich auf diese Weise auch gar nicht erreichen. Dies hat seinen entscheidenden Grund darin, daß eine eigentliche Transzendenz aufgegeben ist.81 Es gibt nur diese eine Welt, und die ist nicht gefährdet durch den Einbruch eines neuen, anderen Äons. Alles, was ist, kann sich nur innerhalb des Diesseits abspielen. Das Christentum kann nur mehr sinnvoll sein als Bestandteil dieser Welt. Es ist keine Frage, daß sich damit das bisherige Christentum eine fundamentale Umformung gefallen lassen muß. In diese Konzeption paßt nur ein Glaube, der auf alles Eschatologische verzichtet, sei es die Schöpfermacht Gottes, sei es das Eschatologische in seinem Erlösungswerk, sei es die göttliche Weltvollendung. Das derart modernisierte Christentum ist es, das von der „Philosophie" unabhängig ist, und zwar relativ unabhängig.82 Ein solcher Glaube ist es, der sich auf der anderen Seite mit der Vernunft zu jener großen Synthese verbinden kann. stimmen dürfen (Philosophie 53). Wenn die berühmte Schilderung des Grunderlebnisses in R 74 f. von Schleiermacher später zurückgenommen wird, so liegt darin nicht, wie Flückiger (a. a. O. 57) meint, das Eingeständnis, daß hier gar kein Erlebnis gemeint war. Es soll vielmehr das Mißverständnis vermieden werden, als könne es solches Erleben an sich, abgesehen von der konkret frommen Erregung, geben. 80 So z.B. W. Herrmann, der gerade in den Reden diese Tendenz finden will, während in der Glaubenslehre das Religiöse von Schleiermacher wieder allzusehr in den Horizont der Metaphysik eingestellt werde (Christl.-protest. Dogmatik, in: Die Kultur der Gegenwart, Teil I, Abteilung IV, 2,139—153, 2 1909). Auch Hertel betont, daß Schleiermacher für die Selbstständigkeit der Religion kämpfe. 8 1 Vgl. dazu Dilthey, Leben II, 1,12—14. 82 Dabei bleibt natürlich die Frage, ob es theologische Gründe sind, die diese Modernisierung veranlaßten. Stephan-Schmidt urteilen: „Die eigene Leuchtkraft der
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Der Vorwurf, er binde den Glauben an die Philosophie, ist also im Sinne Schleiermachers unangebracht. Es erfaßt nicht erst eigens die Philosophie eine Wahrheit und Wirklichkeit, welcher sich dann das Christentum anbequemen muß. Vielmehr wird das, was Wesen des Christentums ist, zuerst in einer phänomenologischen Analyse allgemein aufgezeigt. Die Frage ist nun aber, ob dieses Wesen wirklich als das Wesen des Christentums angesehen werden kann oder nicht. Diese Frage stellt sich also nicht am Verhältnis von Philosophie und Theologie, sondern an Schleiermachers Auffassung vom Christentum selbst. Wenn man nun finden müßte (wie ich allerdings meine), daß hier wesentliche Inhalte der biblischen Botschaft verfälscht sind, so kann man fragen, was dafür die Ursache ist. Hier wird man urteilen können, daß diese Neufassungen mit den philosophischen Ansichten Schleiermachers zusammenhängen: Es kann nur ein solches Christentum wahr sein, das in die moderne Welt paßt.83 Aber ist damit wirklich eine neue, tragfähige Basis gewonnen? Mustern wir daraufhin noch einmal die These von der zweifachen Unabhängigkeit des Religiösen. Das Christentum hat seine Kraft als etwas geschichtlich Wirkliches, als etwas, das mich in tatsächlicher Erfahrung überwältigt. Angenommen es ist so. Was bürgt aber dann dafür, daß es so bleiben muß? Wenn das geschichtlich Wirkliche das Wahre ist, so kann es sich sehr wohl ändern, so gewiß wie Geschichte weiterschreitet. Bleibt damit das letzte Kriterium, das über die Wahrheit entscheidet, nicht die Geschichte selbst, so wie sie eben kommt? Ist es wirklich eine Nebensache, daß die Reden in einem solchen Maß auch über das Christentum hinausblicken? idealistisch-natürlichen Religion färbte die Strahlen des chrisdichen Glaubens und warf sie gefärbt auf den Quellpunkt zurück, so daß die biblische Botschaft selbst tiefgehende Fehlbeleuchtung erlitt." (57) Statt dessen müßte Schleiermacher „die unbedingte Forderung" über „das Unendlichkeitsmotiv", „das Sittliche" über „das moderne Weltbild und das Ästhetische" setzen. Diese Kategorien gehen aber ebenfalls auf den Idealismus zurück (Vgl. a . a . O . 56) und sichern als solche noch keine Transzendenz Gottes. 8 3 Ähnlich wie Bender urteilt auch Flückiger (z.B. Philosophie 89f.): „Die philosophische Theologie ist von wahrhaft fundamentaler Bedeutung für die gesamte Theologie Schleiermachers. Hier werden die theologischen Prinzipien formuliert, welche nachher der Dogmatik zur Grundlage dienen. Erlösungslehre und Christologie, welche die sachliche Mitte der Glaubenslehre ausmachen, erhalten hier ihre Voraussetzungen." Wenn dabei gemeint ist, daß die Philosophie die „philosophische Theologie" beherrscht, so ist dieses Urteil im Sinne Schleiermachers wohl schief, wenn auch in der Sache vielleicht nicht unberechtigt. Umgekehrt werden Stephan (nach dem die Philosophie nur „ F o r m " für den „Inhalt" des Glaubens sein soll), Seifert, R. Hermann u.a. nur scheinbar Schleiermacher besser gerecht; solange sie sich aber der Frage verschließen, ob seine Auffassung des Christentums wirklich christlich ist, nützt ihre Feststellung wenig.
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Hat nicht das Lob der Religion mitunter die Aufgabe, uns über die Gebrechlichkeiten des historischen Christentums hinwegzutrösten? Im Untergrund dieses Buches merkt man sehr wohl die Gefahr, daß auch das Christentum von der Geschichte überrollt werden könnte. Meiner Überzeugung nach wird der, der sich in dieser Weise auf die Geschichte einläßt, ihr am Ende auch folgen müssen, wohin immer sie führt.84 Auf der anderen Seite sind die Ausführungen über das Wesen der Religion gewiß nicht nur blutleere Abstraktionen. So sehr diese Ausführungen für das Christentum in Anspruch genommen werden, so sehr sie mit dem christlichen Glauben identifiziert werden, so behalten sie doch ein Eigengewicht. In ihnen steckt nach meiner Überzeugung eine philosophische Grundkonzeption von höchstem Rang. Könnte man nicht sagen, daß hier wesentliche Gedanken Heideggers vorausgedacht sind? Man kann jedenfalls Schleiermachers Begriffe sehr leicht in die Sprache Heideggers übertragen. Es geht Schleiermacher darum, durch alle Metaphysik und Moral hindurch, also durch alles Seiende hindurch, das verdeckte Universum, das verstellte Sein aufzuweisen. Darin erst gewinnt das Ich sich selbst und die Welt, daß es die ontologische Differenz zwischen dem Universum und allem Seienden entdeckt. Diese Gemeinsamkeiten ließen sich noch weiter verfolgen. Bedeutet das aber nicht, daß sich solche Erfahrungen dann doch von der konkreten Religion weg verselbständigen lassen? Schleiermachers Behauptung, es könne (wie er sagt) eine natürliche Religion nicht geben, überzeugt nicht. Er begründet sie durch den Hinweis, wie dürftig und abstrakt und künstlich solche Konstruktionen bisher geblieben seien. Aber kann sich das nicht ändern? Und schließlich jene Synthese. Wenn Glaube nicht mehr ist, als die volle Verwirklichung des Menschseins, nichts anderes, als die wahre Humanität, so wird man sehr bald fragen, ob man solche Humanität nicht auch einfacher ohne diesen Glauben haben könne. Gewiß würde Schleiermacher und würden mit ihm alle, die ihm folgen, dagegen heftig protestieren. Ohne Jesus, so würden sie versichern, seien alle derartigen Versuche vergeblich. Mir scheint es wahrscheinlicher, daß man — mit welchem Erfolg auch immer — über diesen Einspruch sich hinwegsetzen wird. Was soll auch ein Christentum zu sagen haben, das nicht mehr gibt, als das, was wir eigentlich sind? Wenn der christliche Glaube derart mit dem Humanen verbunden wird, so wird es immer das Christentum sein, das dabei den Kürzeren zieht. Oder besser: so müßte es wohl sein, wenn dieser Glaube allein von unseren Entscheidungen und von unserer Pflege abhinge. 84
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Dieser Ansicht scheint sich Dilthey zu beugen (Leben II, 2, 473—478).
Erstes Kapitel: Das Wesen der Frömmigkeit nach Schleiermachers „Glaubenslehre" 1 „Der Christliche Glaube" 2 in seiner zweiten Auflage von 1830/31 bildet die endgültige Fassung, die Schleiermacher seiner Theologie zu geben vermochte. Gegenüber den Reden ist dieses Buch abstrakter; was Schleiermacher damit an Anschaulichkeit vielleicht verliert, gewinnt er aber an begrifflicher Klarheit. Den drei Hauptteilen (einem zweiten, der die Lehre von der Sünde enthält, und einem dritten, der die Lehre von der Gnade darstellt, ist ein erster vorangestellt, der entwickelt, was Voraussetzung und bleibende Grundlage der beiden anderen ist) geht eine „Einleitung" voraus, welche die Aufgabe hat, „die dem Werke selbst zum Grunde liegende Erklärung der Dogmatik aufzustellen" und die Methode der Dogmatik zu entwickeln.3 Im ersten dieser beiden Abschnitte wird die Konzeption, die Schleiermacher in den Reden über „das Wesen der Religion" vorgetragen hat, neu gefaßt.
1. Zur Funktion der „Einleitung' Schleiermacher ist bemüht, diesmal das Verhältnis des Christlichen zum allgemeinen Menschlichen, also auch der „Theologie" zur „Philosophie", so wie sie innerhalb seiner Dogmatik auftreten, genau zu bestimmen.4 1 Die folgende Darstellung stützt sich auf die zweite Auflage des „Christlichen Glaubens", die 1960 von M. Redeker (als 7. Auflage) neu herausgegeben wurde. Zitiert werden zuerst die Paragraphen bzw. deren Unterabschnitte. „LS" heißt Leitsatz, „ZS" Zusatz. Danach wird zuerst die Seite in der Urausgabe (der 2. Auflage) und dann (nach Strichpunkt) die Seite in der 7. Auflage angegeben. Ob es sich um Seiten im ersten oder im zweiten Band handelt, geht aus der Paragraphenzahl hervor. Um das Auffinden der Stellen zu erleichtern, ist angenommen, der Text jeder Seite bei Redeker sei in fünf gleiche Abschnitte eingeteilt, die fortlaufend von oben nach unten mit großen Buchstaben bezeichnet werden, also von Α bis E. „25C" heißt demnach Seite 25, Mitte; „72E" heißt Seite 72 ganz unten. Die von Redeker hinzugesetzten Anmerkungen werden ζ. B. mit „Red. I, 34 Anm. a" zitiert. In diesem Fall wäre hingewiesen auf die Anmerkung a zu Seite 34 in Band I. 2 Dieses Werk wird hier auch unter seinem populären Namen „Glaubenslehre" zitiert. 3 1 LS. Vor Schleiermacher enthalten die Einleitungen (Prolegomena) gewöhnlich die drei Themen „Die Heilige Schrift", „Die Religion" und „Die Theologie". Es ist bezeichnend, daß Schleiermacher den ersten Punkt streicht. 4 Vgl. dazu J. Wendland, Entwicklung und Stephan-Schmidt 96—109.
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Die Theologie und damit auch die Dogmatik ist eine „positive Wissenschaft" in dem Sinn, daß sie allein in Beziehung auf etwas positiv Gegebenes ihre Existenzberechtigung hat.5 Für die christliche Theologie ist diese Gegebenheit die in Wirklichkeit existierende christliche Kirche. Aus Kirche entspringt sie und Kirche recht weiterzuentwickeln ist ihre Absicht.6 Es ist also klar, daß Theologie ihren Inhalt niemals aus „allgemeinen Prinzipien" gewinnen kann. „Die Sätze des christlichen Glaubens" sollen auch nicht „vernunftmäßig erwiesen werden". 7 Damit wird übrigens nicht ausgeschlossen, daß philosophische Sätze auch denselben Inhalt haben können. So kann z.B. die „richtige" Gottesvorstellung grundsätzlich auch von der Philosophie konzipiert werden. Festzuhalten ist aber, daß christliche Theologie niemals aus Philosophie abzuleiten ist, sondern allein aus der Wirklichkeit der Kirche. Diese Eigenständigkeit hängt wohl daran, daß christlicher Glaube Sache der Erfahrung ist, daß er sich in Wirklichkeit ereignet, daß Schleiermacher für seine Person sich ihm unterworfen und damit diese Erfahrung als eine von der Geschichte gebotene Existenzweise ergriffen hat. Diese Eigenständigkeit ist also auch die des geschichtlich Individuellen. Dies gilt sowohl für die persönliche Glaubensentscheidung wie für das Christentum als Ganzes.8 Damit wird auf der einen Seite die unableitbare Besonderheit festgehalten, auf der anderen aber eine Einordnung vollzogen. Das Christentum ist eine der historischen Religionen. Die entsprechenden Sätze gelten auch für alle anderen Religionen und ihre Theologien.9 5 Schleiermacher weist (in Anm. zu § 2) ausdrücklich hin auf seine Ausführungen in der „Kurzen Darstellung". Vgl. dort § 1. 6 Darin liegt natürlich keine Abwertung der Theologie, wie Bender befürchtet (Theologie II, 299—304). Weder ist sie deswegen unwissenschaftlich, noch verdankt sie ihre Existenz „einem (bloß) praktischen Bedürfnisse". Eher kann man Schleiermachers These in Verbindung bringen mit dem alten Satz „Theologia est eminens practica". Über Schleiermachers Auffassung der Praktischen Theologie neuerdings M. Doerne in NZSTh 1968. 7 2,1 3; 11 und 4; 12. 8 Es ist Schleiermachers Tat, „die positiven Religionen unter den Gattungsbegriff der Religion zu subsummieren" (Bender, Theologie II, 310). Ob hierin aber „ein großer theologischer Fortschritt, j a . . . der Anfang einer wahrhaft wissenschaftlichen Behandlung" liegt, das wird die Frage sein müssen. An dieser Stelle zeigt sich übrigens die Inkonsequenz der Benderschen Kritik an Schleiermacher. Man wird Schleiermacher nur dann seine Bindung an die Philosophie vorwerfen dürfen, wenn man sie selbst überwindet. Dies geschieht aber nicht schon dadurch, daß man die Kategorie des Ethischen betont. 9 2, 1 Red. I, 10 Anm. α. Mit großem Pathos wurde die Unableitbarkeit des Christentums, seine Unabhängigkeit von der philosophischen Vernunft später in der Theologie A. Ritschis und seiner Schüler verfochten. Begründet wird diese Selbständigkeit durch die persönliche Erfahrung. Je mehr man nun bestrebt ist, jene Ein-
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Aus dieser Einsicht leitet Schleiermacher die Aufgabe ab, zu erklären, was christliche Kirche sei. Das wiederum ist nur möglich, indem man allgemein feststellt, was Kirche überhaupt ist, und danach die Besonderheit der christlichen angibt.10 Also gerade weil das Christentum etwas unableitbar Besonderes ist, weil es ein geschichtliches Phänomen ist, darum muß allgemein erklärt werden, was es seinem Wesen nach eigentlich sei. Es ist klar, daß eine solche Erklärung nur von außen her gegeben werden kann. Sie ist Sache vor allem der „Ethik", 11 also einer philosophischen Disziplin; denn „Ethik" wird hier definiert als „die der Naturwissenschaft gleichlaufende spekulative Darstellung der Vernunft in ihrer Gesamtwirklichkeit".12 Wenn zwischen einer philosophischen Ethik und dem hier Auszuführenden ein Unterschied besteht, so liegt er lediglich darin, daß dort dieselben Sätze in einem anderen Zusammenhang vorgetragen werden müßten.13 Aber weshalb ist eine solche „Erklärung" eigentlich notwendig? Dies ist die Kardinalfrage zum Verständnis der ganzen Einleitung in die Glaubenslehre. Diese Notwendigkeit ergibt sich unmittelbar daraus, daß das Christentum als eine Religion, als eine in der Geschichte gegebene Wirklichkeit bestimmt wird. Eine solche Bestimmung enthält die Voraussetzung, daß das Christentum geschichtliche Wirklichkeit ist, und eben dies muß aufgewiesen werden. Damit ist nämlich nicht ein zufälliges Existieren gemeint, sondern darin liegt ein unabweisbarer Anspruch. Zum wahren Menschsein ist Frömmigkeit unabdingbare Voraussetzung, und die uns angebotene Form der Frömmigkeit ist das Christentum. Es entsteht demnach eine doppelte Aufgabe: zuerst nachzuweisen, daß Frömmigkeit ist, und dann zu zeigen, daß uns heute das Christentum angeboten ist. Mit alledem soll aber weniger etwas andemonstriert werden, als vielmehr das eigentlich Vorhandene in seiner Wirklichkeit und seinem Sinn aufgezeigt werden. Die persönliche Entscheidung für den christlichen Glauben wird dadurch nicht überflüssig. Was gezeigt werden kann, ist dies, daß Frömmigkeit überhaupt für alles Menschsein konstitutiv ist.14 Dies gerade deshalb, weil Frömmigordnung, die Schleiermacher auf der anderen Seite auch vornimmt, fahrenzulassen, desto mehr erhält die Glaubensentscheidung etwas grundsätzlich Irrationales. Die These von der Eigenständigkeit setzt nämlich als solche schon eine Eingliederung voraus, welche vorzunehmen man nun sich einfach weigert. 10 2,2 4; 12B. 1 1 Damit wird das Christentum von vornherein als ein Gebilde des menschlichen Zusammenlebens angesehen. Jedoch kann man nicht sagen, „eigendich zu verstehen ist die Glaubenslehre aber erst von der (philosophischen) Ethik her, auf die sie gegründet werden soll" (Fritzsche E K L 3, 803). 12 2 ZS 2. 13 2 ZS 1. 14 Aber auch dieser Nachweis ist kein zwingender Vernunftbeweis. Er wird erst den überzeugen, der in einer konkreten Religion Wohnung genommen hat.
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keit existiert. „Wenn fromme Gemeinschaften nicht als Verirrungen angesehen werden sollen: so muß das Bestehen solcher Vereine als ein für die Entwicklung des menschlichen Geistes notwendiges Element nachgewiesen werden können." So lautet Paragraph 22 der „Kurzen Darstellung" von 1830. Man beachte, was demnach geschehen muß und was geschehen kann. Wenn es unmöglich wäre, im Raum der Vernunft nachzuweisen, daß Frömmigkeit unabdingbar ist, so wäre das Christentum erledigt. Dies ist also eine Notwendigkeit. Dieser Nachweis selbst ist aber kein zwingender Beweis, wie er vom vernünftigen Denken her notwendigerweise geführt werden müßte. Hier genügt es, daß ein solcher Aufweis gegeben werden kann. Daraus läßt sich bestimmen, welche Rolle in diesem Zusammenhang der Philosophie zukommt. Der erforderliche Nachweis kann nur geführt werden im Raum der Vernunft; er ist deshalb notwendig ein philosophischer Gedankengang. Philosophie kann so denken, ja sie sollte es, sofern sie sinnvoll ist, doch sie muß es nicht. Das zeigt, daß diese Philosophie, die in der Einleitung vorgetragen wird, kaum einfach ablösbar ist von der eigentlichen Glaubenserfahrung. In diesem Sinn ist Schleiermacher grundsätzlich Apologet. Seine Apologetik soll nicht etwas Zweifelhaftes entschuldigen und nun doch annehmbar und schmackhaft machen, vielmehr spricht er aus ruhiger Überzeugung heraus. Er entwirft sein großes System, weil beides für ihn unaufgebbar ist, sowohl die vernünftige Erkenntnis dessen, was er Wesen der Frömmigkeit nennt, wie auch die Glaubenserfahrung, in der die Frömmigkeit sich als christliche Kirche besonders ausprägt. Beides ist Darstellung der Wirklichkeit, Darlegung, die immer über sich hinausweist auf die Realität des heute Gebotenen.16 Die Frage bleibt aber, ob die vernunftgemäße Analyse und die Glaubenserkenntnis wirklich derart konvergieren, wie Schleiermacher es voraussetzt. Wenn das Christentum den Anspruch erhebt, das Ende aller Dinge in sich zu haben, so wird man es kaum einfach als Glied in die übrige Wirklichkeit einbauen können. Eines muß dann am anderen zerbrechen, der christliche Glaube an der Geschichte oder die Geschichte am christlichen Glauben. Kann bei dieser Lage der Dinge die Orientierung an dem erfolgen, was uns als Wirklichkeit begegnet? Ist nicht 15 Nach Slenczka (Geschichtlichkeit 204f.) „ist es nicht so, daß Schleiermacher... die positive Religion aus dem Religiösen ableitet und damit als möglich und wirklich .beweist'. Das Wesen der sokratischen Mäeutik (die Schleiermacher vor allem in den Reden anwendet) besteht vielmehr umgekehrt darin, das bereits Vorhandene in seiner Wirklichkeit aufzudecken, wobei das Ontische dem Noetischen vorgeordnet ist. Dasselbe Verfahren wird von Schleiermacher in den Prolegomena zur .Glaubenslehre' angewandt." In diesem Sinn ist Schleiermachers Untersuchung eine phänomenologische. Das wirklich Gegebene ist dabei natürlich nicht das Wesen allein, aus dem das einzelne deduziert wird, sondern das Wesen in seinen Erscheinungen.
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schon damit der eschatologische Charakter des Christentums preisgegeben? Er wird sich nur wahren lassen, solange wir uns an Gottes Taten in Jesus Christus und an das Wort, das davon zeugt, halten. Solcher Glaube wird sich seinerseits um der Menschen willen, an die er sich wendet, nicht scheuen, Rechenschaft zu geben von seinem Sinn. Insofern mag man Intentionen Schleiermachers aufnehmen. Auch kann es nicht gleichgültig sein, was die Welt, wenn ein glaubendes Ohr sie belauscht, von sich aus zu sagen hat; wenn anders Gott der Schöpfer hinter ihr steht. Von da aus wird man vielen Wegen dankbar folgen, die Schleiermacher gebahnt hat, auch wenn seine Grundbestimmung des Verhältnisses von Vernunft und Glaube nicht annehmbar erscheint. 2. Frömmigkeit als ein Gefühl (§ 3)16 Wollte man die Bestimmungen, die in den Reden vom „Wesen der Religion" gegeben werden, auf eine Formel bringen, so müßte sie lauten: „Religion ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl des Universums". Die neue Formel heißt: „Frömmigkeit ist weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins" (§ 3 LS). Übereinstimmung besteht in der Abgrenzung; jetzt wird allerdings klargemacht, daß Frömmigkeit nur insofern weder Wissen noch Tun ist, sofern man sie „rein für sich betrachtet". Ersetzt ist der Begriff der „Religion" durch das Wort „Frömmigkeit". Während nämlich Religion sowohl eine Gruppe wie die persönliche Haltung bezeichnen kann, ist Frömmigkeit eindeutig nur dieses Zweite. Der Nachweis, daß Religion für das Menschsein konstitutiv ist, wird also nicht damit geführt, daß auf die Existenz von kirchlichen Gebilden in der Geschichte hingewiesen wird. Er führt zum Menschen selbst. Erst von da aus wird später zu zeigen sein (in § 6), wie Frömmigkeit immer zu Gemeinschaft werden muß. „Basis" aller Kirchen ist aber die Frömmigkeit. Völlig neu ist die positive Bestimmung. Gestrichen sind „Anschauung" und „Universum". Wenn das Wort „Gefühl" bleibt, so muß es, weil es nun nicht mehr das Gegenstück zur Anschauung meint, neu verstanden sein. Hat Schleiermacher also an diesem entscheidenden Punkt seine Meinung revidiert? Welche Gründe nötigten zur Abänderung der Formel? Anscheinend ist Schleiermacher bestrebt, die Frömmigkeit selbst ganz in das Ich hineinzunehmen. Deshalb scheidet die Anschauung aus, die sich auf außer uns gegebene Gegenstände bezog. Die Beziehung der l e Dieses „Wesen der Frömmigkeit" existiert nach Schleiermacher keinesfalls als eine allgemeine, natürliche Religion, wie sie die Aufklärung erträumte. Vgl. 10 ZS 67f.; 69C.
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Frömmigkeit zur Außenwelt wird erst Paragraph 5 wieder knüpfen. Aus demselben Grund taucht auch das Universum nicht mehr als eigene Größe auf. Es könnte höchstens mitgemeint sein, wenn es heißt, daß Frömmigkeit nicht mit Gefühl überhaupt identisch ist, sondern „eine (spezifische) Bestimmtheit" des Gefühls darstellt. Diese Besonderheit der Frömmigkeit gegenüber anderen Gefühlen wird in Paragraph 4 dargestellt. Die Begriffe „Gefühl" und „unmittelbares Selbstbewußtsein" bezeichnen nicht an einer Sache zwei Seiten,17 sondern sind nur zwei Ausdrücke für ein und dasselbe, die sich gegenseitig interpretieren und begrenzen. Die hier gemeinten Gefühle sind nicht „bewußtlose Zustände", weder ein dumpfes, untermenschliches Brüten, noch eine, die Person verlassende Ekstase. In ihnen ist das Ich bei sich selbst und auf seiner vollen Höhe.18 Daher heißen sie ein „Selbstbewußtsein". Das hier Gemeinte ist aber als ein Gefühl wieder deutlich zu scheiden von einem bloßen Bewußtsein meiner selbst und heißt deswegen „unmittelbar". Diese Abgrenzung ist besonders wichtig. Ein Bewußtsein von sich selbst konstatiert, es stellt fest: Jetzt denkt das Selbst so und so, jetzt tut es dies usf. Es verobjektiviert darin sich selbst. Damit ist es gleichzeitig immer gebunden an den gerade gewesenen Zustand des Ich, den es eben festhält und zu Bewußtsein bringt. Es gibt darin also nur Seiendes. Anders das unmittelbare Selbstbewußtsein; es hängt nur in lockerer Weise mit dem jeweiligen Denken und Handeln zusammen, es kann beides manchmal zurückdrängen, es kann andauern, während das Denken oder das Handeln schon anders weitergelaufen sind. Das hier gemeinte Gefühl tritt nie ohne Zusammenhang mit einem konstatierbaren Verhalten auf,19 doch ist es selbst davon zu unterscheiden und eigentlich unabhängig. Nach der Dialektik (in der Fassung von 1822) ist das „unmittelbare Selbstbewußtsein = Gefühl 1. verschieden von dem reflektierten Selbstbewußtsein = Ich, welches nur die Identität des Subjekts in der Differenz der Momente aussagt, und also auf dem Zusammenfassen der Momente beruht, welches allemal ein Vermitteltes ist; 2. verschieden von der Empfindung, welche das subjektive Persönliche ist im bestimmten Moment, also mittelst der Affektion gesetzt. Von der Empfindung wird niemand sagen, daß sie die Identität von Denken und Anders als „Anschauung und Gefühl" in den Reden. Damit dürften wohl auch Vorwürfe Hegels zurückgewiesen werden. 19 Lebensakte, die gar keine Beziehung zur Außenwelt haben, gibt es nicht. „Ein rein innerer Verlauf, der weder in seinem Anfange noch seinem Ende eine Beziehung hätte auf das Äußerlich-werden-wollen, i s t . . . nur Schein, und es gibt einen rein innerlichen Verlauf innerhalb des bloßen Einzelwesens überhaupt nicht." (Psychologie von 1818, Werke III, 6, 69). 17 18
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Wollen sei (wie das vom unmittelbaren Selbstbewußtsein gilt), sondern sie ist nur keines von beiden." 20 Dieses Gefühl ist also scharf zu unterscheiden von jedem Ichbewußtsein und von jedem bloßen Sentiment. Das Ich, von dem ich weiß, halte ich immer nur fest in bestimmten Momentaufnahmen. Wenn ich alle diese Augenblicke zusammensetze, so erhalte ich das, was Schleiermacher das „gegenständliche" Selbstbewußtsein nennen kann.21 Damit habe ich aber das Ich nur als ein „vermitteltes", das Ich nur, wie es in bestimmten Beziehungen steht, wie es bestimmte Funktionen ausübt. In Wahrheit geht aber die Person nicht auf in den Funktionen, die sie ausübt. Weniger als das unmittelbare Selbstbewußtsein ist das bloße Fühlen. Es kann auf keinen Fall leisten, zu all unseren Funktionen die Mitte zu sein. Man erkennt hinter dieser doppelten Abhebung noch die ursprüngliche Erklärung, Frömmigkeit sei „Anschauung und Gefühl". Beides wird jetzt ausgeschaltet. Ganz entsprechend ist das unmittelbare Selbstbewußtsein abzugrenzen gegenüber „Wissen" und „Handeln".22 Unser Leben vollzieht sich „als ein Wechsel von Insichbleiben und Aussichheraustreten des Subjekts". Damit soll nicht, wie man gemeint hat, das Ich gegenüber der Außenwelt abgegrenzt werden.23 Von dieser Beziehung wird erst Paragraph 5 handeln. Vielmehr ist hier von vornherein nur die Rede von den verschiedenen Lebensfunktionen des Ich, ist also das Ich für sich genommen. Während nun das Aussichheraustreten des Subjekts in seinem Handeln besteht, bleibt das Ich „in sich", wenn es weiß und fühlt. Aber auch Wissen ist als das geleistete Ergreifen eines Gegenstandes immer auch auf etwas Bestimmtes bezogene Tat. Fühlen allein ist reines Insichbleiben, nicht nur (wie beim Wissen) im Ergebnis, sondern auch wenn es erregt wird. Fühlen bleibt deshalb immer — und das ist hier das Wesentliche — reine Passivität. Es „wird nicht von dem Subjekt bewirkt, sondern kommt nur in dem Subjekt zustande". Gefühl ist keine Leistung des Ich. Überdies richtet sich alles „Aussichheraustreten" immer auf Bestimmtes. Nur das reine Insichbleiben kann ungegenständlich sein. Eine gewisse Unklarheit entsteht wohl dadurch, daß jene Dimension allgemein als die des „Gefühls" bezeichnet wird. Als Gefühle werden eigens genannt Freude und Leid. Frömmigkeit ist eines der Gefühle. Damit ist aber die einzigartige Bedeutung gerade dieses Gefühls zu wenig deutlich gemacht. Ist jene ganze Dimension nur der Ort für die Frömmigkeit (und daneben für andere ebenso wesentliche oder weniger wichtige Gefühle)? 20 21 22 23
Werke IV, 2, 429. 4 , 1 17; 24. 3 , 3 10f.; 18f. So z.B. Weißenborn, Dogmatik 3f.
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Was Schleiermacher hier aber bezweckt, ist deutlich. Die Aufgabe der Einleitung kann nur erfüllt werden, wenn zu zeigen ist, wie die Frömmigkeit in das Ganze des Lebens eingebaut ist. Das soll hier geleistet werden durch den Nachweis, daß die drei Funktionen Wissen, Tun und Gefühl das Ganze des Selbst und seines Lebens erschöpfen. Einen anderen Ort für die Frömmigkeit kann es also nicht geben. Damit wird der Frömmigkeit ein Ort angewiesen. Schleiermacher tritt nicht einfach als Künder, als Prophet des religiösen Gefühls auf. Er versäumt nicht, ihm seinen Platz anzuweisen. Über das eigentlich Wichtige, nämlich über die Funktion jener Dimension des Gefühls, finden sich hier nur einige Andeutungen. Dies liegt wohl daran, daß innerhalb der Dogmatik nicht der Ort ist, die ontologische Bedeutung des unmittelbaren Selbstbewußtseins zu entfalten. Frömmigkeit hat, worüber die Dialektik nachdenken mag. Immerhin ist das Entscheidende auch hier angedeutet. Das unmittelbare Selbstbewußtsein „vermittelt den Übergang zwischen Momenten, worin das Wissen, und solchen, worin das Tun vorherrscht".24 Es ist also keines von beiden, es bedeutet ein Heraustreten aus ihnen in einem eigentlich räum- und zeitlosen Augenblick des „Übergangs". 25 Es liegt daher „zwischen" beiden. Das heißt natürlich nicht, daß es eine Art Produkt zwischen Wissen und Handeln darstellt. Dann wäre es ja an jene beiden Tätigkeiten ausgeliefert. Vielmehr ist es für beide Angelpunkt. Es bildet die nichtobjektivierbare Einheit des Ich selbst, die allen seinen feststellbaren Äußerungen zugrunde liegt.2® Daß man diese Mitte nicht als Sentiment mißverstehen darf, wurde schon gesagt. Es handelt sich dabei aber wohl nicht einmal um ein Besitztum des Ich. Die Reden erklärten, daß das eine Erlebnis des Universums sich alsbald aufspalte in Anschauung und Gefühl. Damit trägt das religiöse Erleben selbst eine Analogie zu Wissen und Tun in sich. Jetzt erscheint das „Gefühl" als die Mitte, die sich im Übergang zwischen Erkennen und Handeln befindet. Es selbst ist eine undifferenzierbare Einheit. Damit unterscheidet es sich klar von jenem Gefühl, von dem die Reden sprachen, das eine gewisse Affinität zu Wollen und Empfinden besaß. Aber auch das unmittelbare Selbstbewußtsein ist eins nur im Augenblick. Das heißt, daß auch dieses Gefühl sich in ähnlicher Weise aufspalten wird.27 Aber sobald dies eintritt, wird eben die Dimension des 3 , 4 1 1 ; 19 B. Vgl. dazu M. Miller, Übergang 13 ff. 26 Mit weitgehender Zustimmung wird von Schleiermacher eine Beschreibung des Gefühls zitiert, die Steffens gibt: „ G e f ü h l . . . ist die unmittelbare Gegenwart des ganzen, ungeteilten, sowohl sinnlichen als auch geistigen Daseins, der Einheit der Person und ihrer sinnlichen und geistigen Welt." (3,2 Anm. 9 ; 17). 2 7 In 3, 4 zeigt Schleiermacher, „daß es Wissen und Tun gibt zur Frömmigkeit gehörig, daß aber keines von beiden das Wesen derselben ausmacht, sondern nur M
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Gefühls verlassen und bewegen wir uns auf der Ebene von Wissen und Tun.28 Das bedeutet aber, daß jetzt — entschiedener als früher — alle Bestimmtheit aus dem Gefühl ausgeschieden wird. Natürlich weiß Schleiermacher, daß unser Leben sich in bestimmten Akten vollzieht. Diese entstehen aber gleichsam durch eine Art von inkarnatorischer Vereinigung des undifferenzierbaren Gefühls mit bestimmtem Gegebenen. Das Gefühl selbst bleibt dabei gleich. Andernfalls müßte es irgendwie gegenständlich sein. Das Gefühl an sich ist wesentlich raumlos und zeitlos. Da alles Konkrete, da alle Gegenstände für es nur sind, indem sie ihm entgegengehalten werden, ist es selbst für sich (als reines Insichbleiben) ohne Gegenstand. Damit sind Raum und Zeit, die Bedingungen des Gegenständlichen, aufgehoben. Gerade darin aber ist das unmittelbare Selbstbewußtsein das Organ für Gott. Dieses Verlassen des Gegenständlichen bedeutet nicht ein Versinken im Nebel. Wie immer dieses Gefühl eigentlich ist, es ist nicht irgendetwas, sondern es ist die Lebensmitte, aus der heraus wir eigentlich existieren. Schleiermacher will also durch alles, was auf Gegenständliches bezogen ist, hindurchstoßen in eine Dimension des Nichtobjektivierbaren. Die Wirklichkeit der Welt und des Menschen sollen freigelegt werden, indem eine Dimension aufgewiesen wird, in der nicht nur Seiendes erfaßt und behandelt wird. Der Mensch ist mehr als Träger des Wissens und mehr als nur Glied im sozialen Prozeß. Aber kann all das nur erreicht werden, wenn dem Seienden ein übersprachlich-ungegenständliches Sein entgegengesetzt wird? 29 Wird damit nicht alles Seiende als ein nur Gegenständliches abgewertet? Und vor allem: Ist jenes Sein, auf welches das fromme Gefühl sich richtet, wirklich derart inkonkret? Dies wird die entscheidende Frage an Schleiermacher — und alle, die ihm folgen — sein müssen. 3. Frömmigkeit als das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit
(§4)
In der Weise einer klassischen Definition wird nun, nachdem in Paragraph 3 die Frömmigkeit der „Gattung" Gefühl eingereiht wurde, in Paragraph 4 die „spezifische Differenz" bestimmt, die dieses Gefühl insofern gehören sie ihr an, als das erregte Gefühl dann in einem es fixierenden Denken zur Ruhe kommt, dann in ein es aussprechendes Handeln sich ergießt" (14; 21D). 28 Vgl. auch unten S. 70, Anm. 56. 29 Daß Glaube nicht auf der Ebene der Lehre liegt, soll in 3, 4 nachgewiesen werden. Diese Argumentationen haben Sinn nur unter der Voraussetzung, daß Sprache gegenständlich, Gott aber schlechterdings ungegenständlich ist. Wenn Gott selbst konkreter wäre, könnte er auch direkter ausgesprochen werden. 61
von anderen unterscheidet. Es ist also unsinnig, Schleiermacher vorzuwerfen, er habe Frömmigkeit nur allgemein als Gefühl bezeichnet.30 Ausdrücklich wird hier das Schema von „Wesen und Erscheinung" angewandt.31 Es soll jetzt „das sich selbst gleiche Wesen der Frömmigkeit" bestimmt werden, welches „das Gemeinsame aller noch so verschiedenen Äußerungen der Frömmigkeit" bildet. „Erscheinungen" sind alle tatsächlich als konkrete Religionen vorkommenden Frömmigkeiten. Die Frömmigkeit, von der jetzt gesprochen wird, ist das wirkliche Wesen dieser Erscheinungen, nicht nur eine theoretische Abstraktion. Es existiert aber in Wirklichkeit immer nur in einzelnen bestimmten Frömmigkeiten. Was Frömmigkeit ist, wird in einem doppelten Satz ausgesprochen, dessen beide Aussagen „dasselbe sagen" wollen. Sie besteht darin, „daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig, oder als in Beziehung mit Gott bewußt sind" (4 LS). Wenn das Ich sich betrachtet, so findet es, daß es immer je in einer besonderen Bestimmtheit existiert.32 Vom Ich, wie es an sich ist, muß man also sein jeweiliges Sosein unterscheiden. Diese jeweilige Modifikation des Ich hat ihren Grund nicht im Ich selbst, sondern geht von einem „anderen" aus. Gewiß kann man nun dies „andere" namhaft machen. Bestimmte Ereignisse oder Tatbestände meiner Umwelt sind es, die gerade diese Bestimmtheit meines Ich veranlaßt haben. Das unmittelbare Selbstbewußtsein liegt jedoch vor solcher Reflexion.33 Es liegt auf anderer Ebene als alles Seiende, kann also auch nicht aus einem solchen bestimmten „anderen" hergeleitet werden. Das bedeutet übrigens auch, daß das Transcendens, welches von der Frömmigkeit erfaßt wird, nie direkt erwiesen werden kann.34 Gott ist kein Seiendes und deshalb gibt es auch keinen „allgemeinen" Gottesbeweis in der Art eines Wissens. Das Ich findet sich also in einem „Sichselbstsetzen und (einem) Sichselbstnichtsogesetzthaben", es ist selbst dementsprechend einerseits „selbsttätig" und andererseits „empfänglich". Sofern das Ich es selbst ist und sich verwirklicht, ist es „frei", und sofern es gleichzeitig immer 30 V o n Lempp und E. Brunner wird erklärt, die volle Weite halte Schleiermacher nur in § 3 offen. Mit § 4 enge er schon ein, werde er schon konkreter. Damit bestehe aber zwischen beiden Paragraphen ein Widerspruch. Indessen meint Schleiermacher v o n vornherein das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit. 31 Vgl. oben S. 13—17. 82 4, 1. Vgl. dazu auch die Ausführungen zu § 3. 33 „.Gefühl' ist nicht ein Sentiment, sondern bedeutet das ,unmittelbare Selbstbewußtsein', wie es v o n dem Cogito-Ich zu unterscheiden ist, das sich in dem ,Ich denke mich' selbst objektiviert Das Wort .Gefühl' können wir hier also als Innewerden verstehen, wobei der Mensch als ganzer . . . , nicht bloß eine der seelischen Funktionen beteiligt ist." (R. Hermann in R G G V , 1430). 34 Vgl. Red. I, 24 Anm. b.
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auch durch „anderes" bestimmt und modifiziert wird, ist es „abhängig". Weil in unserem Leben immer anderes auf uns wirkt, darum gibt es für uns immer nur eine mit Abhängigkeit gemischte Freiheit. 35 Umgekehrt üben wir auf alles, was uns in dieser Weise als „anderes" begegnet, immer auch eine gewisse Freiheit aus. In jeder Begegnung, in der wir mit außer uns Seiendem zusammentreffen, sind wir immer beides, frei und abhängig, wenn auch beides je in verschiedener Stärke. Dies gilt für alles, was uns je als Seiendes begegnen kann, also für alles und jedes in der Welt und auch für die Welt selbst, sofern sie die Summe alles Seienden ist. Aber warum ist das eigentlich so? Warum bleiben wir immer auch frei? Es handelt sich dabei um eine unmittelbare Gegebenheit, wie sie eine phänomenologische Untersuchung aufzeigen kann. So wie auf der einen Seite uns immer ein „anderes" entgegentritt und als Wirkliches uns begrenzt und beschränkt, so wird umgekehrt das Ich vom „anderen" nie einfach aufgesogen; es vermag sich gegen jenes andere zu behaupten als ein unverwechselbar Eigenes. Das Ich will und kann sich als Ursprung seines Lebens gegenüber den von außen auf es eindringenden Kräften erhalten. 36 Alles Seiende erscheint uns daher als solches doch in gewisser Weise mit uns gleich. Dies vollzieht sich darin, daß solches andere als ein Seiendes immer für uns Gegenstand ist; in welchem Sinne, wird noch zu fragen sein.37 Daß es eine absolute Freiheit nicht geben kann, dies geht einfach aus der Existenz von „anderem", also einer Welt außer uns, hervor. 38 Die prometheische Behauptung, das Ich sei schlechthin frei, ist entweder Selbsttäuschung oder beruht auf dem unheilvollen Versuch, das Ich aus der Welt herauszureißen. Es eröffnet uns also nicht nur, wie in den Reden gesagt war, die Religion einen „höheren Realismus", 39 daß doch einer bestimmten idealistischen Philosophie zum Trotz die Welt außer uns ein reales Gegenüber bleibt, dies grenzt auch unsere Freiheit ein. Wir müßten schon die Welt selbst aus dem Nichts erschaffen können, um wirklich frei zu sein. Bei allem, was wir „Schaffen" nennen können, arbeiten wir aber an Vorgegebenem und wirken mehr verändernd, als wirklich schaffend. 36
4, 2. * Vgl. Psychologie (Werke III, 6, 64). Das Ich ist entweder selbst der gegenüber den Einflüssen von außen überwiegende Ursprung seiner „Veränderungen" oder es verteidigt sich — wenn der Einfluß von außen der ursprüngliche ist — gegen „das Eindringenwollen des Äußeren in das Innere und seine Gegenwirkung ist zunächst nichts anderes als daß es sich in diesem Den-Grund-seiner-Veränderung-insich-selbst-haben erhalten will". Hier, also anderem Seienden gegenüber, gibt es eine Selbstbehauptung des Ich. Diese kann und darf aber nicht zum Angelpunkt der Welt gemacht werden. 37 38 39 Vgl. unten S. 69f. 4, 3. Vgl. oben S. 40. 3
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Nun ist aber eine relative Freiheit ein Unding. Wenn wir nur relativ frei sind, nie absolut, so ergibt sich daraus nach Schleiermacher unmittelbar, daß wir schlechthin abhängig sind. Gerade die Unmöglichkeit, absolut frei zu sein, zeigt uns unsere absolute Gebundenheit. „Allein eben das unsere gesamte Selbsttätigkeit, also auch, weil diese niemals Null ist, unser ganzes Dasein begleitende, schlechthinnige Freiheit verneinende Selbstbewußtsein ist schon an und für sich ein Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit; denn es ist das Bewußtsein, daß unsere ganze Selbsttätigkeit ebenso von anderwärts her ist, wie dasjenige ganz von uns her sein müßte, in Bezug worauf wir ein schlechthinniges Freiheitsgefühl haben sollten." 40 Vorausgesetzt ist dabei ein Mensch, der sich bereits als Person konstituiert hat. In der Persönlichkeit liegt implizit oder explizit der Drang zur absoluten Herrschaft und Freiheit. Es ist nun gerade das Entgegenstehen des gegebenen Seienden, das diese absolute Freiheit radikal und vollkommen aufhebt. Darum ist es nicht etwa eine besondere Begegnung mit einem eigens existierenden Gott, sondern es ist unser Zusammensein mit der Welt, in welchem das Gefühl der absoluten Abhängigkeit erweckt wird. Dieses Gefühl geht nun aber, wie wir hörten, niemals von einem Seienden aus, auch nicht von der Gesamtheit des Seienden. Es kann also auch niemand gezwungen werden, es anzuerkennen. Daß wir, indem wir nicht absolut frei sein können, absolut gebunden sind, das ist kein Gemeinplatz, sondern eine bestürzende und wunderbare Entdeckung. Selbst wenn man den Drang zu einer absoluten Freiheit anerkennt, so muß, wenn diese Freiheit scheitert, damit nicht unmittelbar eine absolute Abhängigkeit gegeben sein. Es könnte solche Freiheit in immer neuen Anläufen verzweifelt versuchen, sich doch durchzusetzen, und ein Getragensein leugnen. Was auf keinen Fall abgestritten werden kann, ist der Widerstand des Entgegenstehenden. Aber daß wir dieses Entgegenstehende nun sozusagen verbinden, so daß uns aus ihm heraus eine umfassende, jenseits alles Seienden liegende Einheit entgegentritt, dies müssen wir eigens entdecken. Bei einer solchen Entdeckung handelt es sich freilich nicht um einen Phantasieakt, sondern um die Aufdeckung des Seinsgrundes, der uns trägt. Das „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit" ist nun als solches das Bewußtsein der Beziehung zu Gott. 41 „Gott" ist nur der Begriff, mit dem wir das bezeichnen, was in unserem Selbstbewußtsein als „ Woher unseres empfänglichen und (!) selbsttätigen Daseins" mitgesetzt ist. *o 4,3 21 f.; 28D. 41 4,4. 64
An dieser Stelle muß zuerst auf ein naheliegendes Mißverständnis eingegangen werden. Es könnte nämlich den Anschein haben, als ob Schleiermacher die Religion damit etwa so bestimmt, wie es später die Kritik Feuerbachs tut. Was wirklich existiert, ist nur ein Gefühl des Menschen. Gott ist nicht, er ist lediglich der Name für eine Projektion dieses Gefühls. Freilich muß man in bestimmtem Sinne sagen, Gott ist nicht.42 Er ist nämlich nicht, wie alles andere Seiende „ist". Er ist schlechterdings keine Gegebenheit. Es ist kein bestimmtes eigens existierendes Wesen, das wir Gott nennen dürften. Alle derartigen Bestimmungen würden nämlich nach der Überzeugung Schleiermachers die Göttlichkeit Gottes zerstören. Ein solcher Gott müßte der philosophischen Kritik verfallen, einen solchen Gott zu glauben, wäre Willkür.43 Mit alledem soll aber nicht Gott geleugnet, sondern dem wahren Gott Raum geschaffen werden. Gott ist nicht objektivierbar, darauf zielt alles ab. Dies wird jetzt mit solcher Strenge festgehalten, daß „Gott" nicht mehr (wie das Universum) als eigene Größe auftaucht, sondern als das „Woher" jenes Abhängigkeitsgefühls. Damit soll Gott nicht zum Gefühl des Menschen gemacht werden. Der Mensch findet sich in diesem Gefühl vielmehr vollkommen abhängig.44 Das, wovon jene Abhängigkeit ausgeht, ist sozusagen mehr als nur Seiendes. Indem wir so von ihm sprechen, behandeln wir es aber schon wieder nach der Art eines Seienden. Indem wir von ihm überhaupt reden, müssen wir es als eine Vorstellung festlegen. 42 Es ist irrig zu meinen, „das Ursprüngliche sei, daß der Begriff der Gottheit sich zuerst entwickelt und die Rückwirkung auf das subjektive Bewußtsein sei das Sekundäre". Denn die Frömmigkeit findet sich auch „auf einer Stufe des Bewußtseins, wo von einem Gedanken der Gottheit gar nicht die Rede sein kann; ja je mehr sich dieser Zustand als Gedanke entwickelt, desto mehr treten die inneren Erregungszustände zurück, was nicht dafür spricht, daß sie aus dem Gedanken entstanden sind". Auch die „Ideen der Welt und des Seins schlechthin . . . oder noch etwas höheres, was sich aus diesen beiden zusammen entwickelt" sind nicht als „die eigendiche Quelle für alle Zustände der Frömmigkeit anzusehen". Diese Begriffe entwickeln sich erst „spät", Religion aber gibt es auch unter primitiven Menschen. (Psychologie von 1818, Werke III, 6, 197.) Ähnliche Äußerungen finden sich öfter bei Schleiermacher. Sie richten sich vor allem gegen die Annahme, der absolute Gott existiere wie ein Seiendes. Dann könnte nur eine solche Frömmigkeit anerkannt werden, die diesen in seiner Absolutheit seienden Gott verehrt, die also Gott in seiner ungeschmälerten Absolutheit zu denken vermag. Hierin aber wäre die Philosophie den Religionen wohl immer überlegen. 43 Ein solcher Gott müßte, weil er konkret wäre, in bestimmtem Maße von uns abhängig sein, so wie jedes Gegenständliche auch von uns abhängt. Es nützt dann auch nichts „eine freiwillige Entsagung" auf die Gegenwirkung, die wir auf ein Seiendes immer ausüben müssen (4, 3 21; 28C). 44 Wegen des Wortes „abhängig" mußte Schleiermacher manche Kritik hinnehmen. Man darf dieses Wort aber nicht pressen, etwa indem man es in Gegensatz bringt zu Gottes Lieben.
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Der Begriff „Gott" ist zunächst „das unmittelbare innere Aussprechen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls".46 Diese Vorstellung ist also gegenüber der lebendigen Erfahrung der Abhängigkeit eine sekundäre. Das heißt aber nicht, daß die erfahrene Wirklichkeit Gottes gegenüber unserer Frömmigkeit das Zweite wäre. Es ist eigentlich nicht angemessen zu sagen, Gott begegne. Damit wäre Gott schon wieder vereinzelt, als wäre er einer, der einmal begegnet. Das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit mag in uns einmal zum Durchbruch kommen. Es entdeckt aber dabei nur die den Menschen wie alles übrige Seiende immer schon tragende und umfassende Ganzheit. Kann nun die Wirklichkeit dieses Gottes nur der Frömmigkeit aufgehen oder auch der Philosophie?46 Auszuschließen ist, daß Gott zuerst (philosophisch) „gewußt" werden müsse, damit er dann vom frommen Gefühl ergriffen werden könne. Aber grundsätzlich gibt es ebenso eine philosophische Erkenntnis von Gott, wie das fromme Bewußtsein. „Beides ist gleich ursprünglich und kann deshalb auch miteinander sein." Auf das schärfste zurückzuweisen ist nur der Hochmut derjenigen Philosophen, „welche sich eines vollkommen begriffenen ursprünglichen, d. h. von allem Gefühl unabhängigen Begriffs von Gott sicher wissen" und deshalb „eben das Gefühl, welches uns für die Grundform aller Frömmigkeit gilt, als etwas fast Untermenschliches weit von sich weisen".47 Diese Verachtung des Gefühls und damit der bestehenden Religionen, denen wahre Gotteserkenntnis deswegen abgesprochen wird, „mag wohl nahe genug an ein schlechthinniges Freiheitsgefühl streifen", ist Auflehnung gegen Gott. Diese Sätze werfen Fragen auf. Gibt es demnach etwa einen zweifachen Zugang zu Gott, einen über das (fromme) Gefühl und einen über die (philosophische) Erkenntnis? Ist dann das Gefühl, um Gott zu finden, gar nicht unbedingt erforderlich? Oder ist „Gott" eine derart sekundäre Größe, daß er ebensogut auch der Philosophie überlassen werden kann, während das Eigentliche der Religion allein im Vollzug des Gefühlsakts läge? Beide Folgerungen würden die bisherige Analyse widerlegen. Was Schleiermacher hier wahren will, ist eine letzte Identität von theologischer und philosophischer Erkenntnis. Weil nicht zwischen einer Welt und einer Überwelt unterschieden werden kann, weil es immer nur eine Wahrheit gibt, darum muß der Gegenstand, auf den sich philosophisches Denken und frommes Empfinden richten, derselbe sein. Es hat den Anschein, als ob der Gottesbegriff nach Schleiermacher eher in der Philosophie zu Hause wäre, während Religion als Gefühl lebt, das freilich ohne ein „Woher" nicht sein kann. « 5 ZS 34; 40C. " Vgl. Red. I, 28 f. Anm. a. " 4, 4 22; 29 C. Wohl gegen Hegel.
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Gibt es nun ein Wissen von Gott? Die eigene Philosophie Schleiermachers verneint diese Frage auf das entschiedenste. Auch die Dialektik will vor allem vermeiden, den für alles Wissen konstitutiven Seinsgrund zu einem Gegenstand werden zu lassen. Es ist daher unmöglich, diesen Seinsgrund zu wissen. Die Philosophie hat vielmehr zu zeigen, daß der transzendente Grund allein im religiösen Gefühl erfaßt wird. 48 Man darf aber deshalb nicht die Philosophie der Theologie unterordnen. Was nämlich das Gefühl wirklich hat, das hat es doch nur unrein; was dagegen das Denken in weit größerer Schärfe und Reinheit und also angemessener besitzt, das wird nicht eigentlich lebendig ergriffen. 49 Denken vermag wohl weitgehend zu bestimmen und einzugrenzen, was von Gott zu sagen ist. Das so Aufgestellte kann in seiner Allgemeinheit so weit wie möglich der Forderung Rechnung tragen, daß Gott nicht objektiviert werden darf. Im wirklichen religiösen Bezug haben wir dagegen Gott immer nur unter einer konkreten Gestalt. Hier begegnet das Absolute nie an und für sich, wie die Spekulation es sucht, sondern immer nur in einer durch die jeweilige Umwelt bedingten Abschattung. Dafür wird es aber hier im wirklichen Lebensvollzug ergriffen. Dies wird durch die Ausführungen der Glaubenslehre in gewisser Weise bestätigt. Was bisher in der Einleitung über Gott gesagt war, ist doch nach Schleiermacher Philosophie, nämlich darüber, was in den Religionen in bestimmter Gestalt lebendig ist. Dennoch bleibt die gegebene Verhältnisbestimmung von Wissen und Glauben problematisch. Auf selten der Philosophie deswegen, weil man von ihr schwerlich verlangen kann, einen rechten Entwurf vom Absoluten zu liefern, wenn sie es nicht selbst im Gefühl lebendig erfahren hat. Auf selten des Glaubens aber deswegen, weil er mit dem Konkreten sich zufriedengeben soll, obwohl er wissen könnte, daß das Absolute darin verzerrt wird. Drängen nicht dieses Wissen und dieser Glaube daraufhin, ineinander aufzugehen, nicht nur sich zu ergänzen? Damit ist nun das wesentlichste Stück der Aufgabe geleistet, die die Einleitung sich stellte. Aus einer unbestreitbaren Tatsache des Menschseins, nämlich aus dem Sein-mit-anderem heraus wurde das Gottesbewußtsein aufgewiesen. Es wurde damit so etwas wie die Kreatürlichkeit als Existential des Menschen aufgezeigt. Diese Ableitung leistet einiges, was für Schleiermacher überaus wichtig ist. Sie zeigt, daß das Gottesbewußtsein die fertige Bildung des Menschen zur Person gerade voraussetzt, also nicht einer kindischen Phase des Menschseins angehört. Sie zeigt weiter, daß es zu diesem Bewußtsein kommt gerade auf Grund des Seins-mit-anderem. Klar ist dabei, daß das Bewußtsein Gottes aber nicht 48
Dialektik von 1814, Werke IV, 2,151—153; Fassung von 1822, ebd. 4 2 9 - 4 3 1 . » Vgl. Dialektik, Werke IV, 2, 152f. (§ 215, 2). Vgl. dazu die Fassung von 1818.
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von einem dieser gegebenen anderen ausgeht. So bleibt Gott unverwechselbar von der Welt geschieden, mit der er gleichzeitig unlöslich verbunden ist.50 Obwohl wir die Entdeckung Gottes nur machen können, weil wir in der Welt sind, so bleibt diese Entdeckung doch dem Selbst vorbehalten und hängt letztlich nicht an einem bestimmten begegnenden Sachverhalt, der sie auslöst. In welcher Weise ist nun Gott das Woher dieses Gefühls ? Empfängt das Gefühl Gott In-seiner-reinen-Nichtobjektivierbarkeit oder hat es immer nur diesen Gott auch in einer durch die Situation verzerrten Weise? In jedem wirklichen frommen Gefühl ist zwar der eigentlich gemeinte Gott jener absolute, der konkret festgehaltene aber immer ein Gott mit spezifischen Zügen. Der absolute Gott ist voll in ihm da, er kann aber in Reinheit eher gedacht werden. Es ist evident, daß der absolute Gott selbst nicht als Person existiert. Auch die Vorstellung einer Trinität wäre, wenn sie das Wesen Gottes aussprechen wollte, polytheistisch. Ein eigentliches Handeln Gottes scheidet ebenso aus. Von diesem Gott ist es vollkommen unmöglich auszusagen, „er ward Fleisch". Aber gilt all das nicht nur von jenem absoluten Gott, während der konkret erfahrene Gott durchaus solche Züge tragen kann? Wie verhält sich in diesem Fall das Wesen zu seinen Erscheinungen? In Paragraph 4,4 ist (auf Seite 23; 30A) zu lesen, daß „jeder anderweitige Inhalt (der Gottesvorstellung) erst aus dem angegebenen Grundgehalt entwickelt werden muß". Der absolute Gott ist Kriterium für die konkreten Gottesvorstellungen. Diese müssen sich nach ihm richten. Das gilt auch dann, wenn das Wesen Gottes, von dem hier die Rede ist, die einzig sachgemäße christliche Auffassung von Gott sein sollte, die im Christentum auch noch weitere Bestimmungen empfängt. Das zeigt sich am klarsten darin, daß die christliche Lehre nun eben umgeformt wird, so daß sie möglichst weitgehend mit jener Konzeption vom absoluten Gott zusammenstimmt. All das müßte nach dem Grundschema von Wesen und Erscheinung an sich gar nicht sein. Aber offenbar drängt der einmal entdeckte absolute Gott darauf, sich immer mehr durchzusetzen, auch wenn es kaum ganz gelingen wird, alle Erdenreste abzustreifen. Sind wir dann aber nicht doch auf dem Wege, das Christentum so fortzubilden, daß es in natürliche Religion übergehen soll? 50 Diese Seite scheint bei Hermann verkannt (RGG V, 1430): „Das Innewerden schlechthinniger Abhängigkeit setzt ein .Woher' nicht in kausalem, den Begriff ,Welt' mitkonstituierendem, sondern in eigenem, über diesen Begriff hinausweisendem Sinne."
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4. Frömmigkeit in ihrer Beziehung auf das Sein des Menschen in der Welt (§5) Es ist außerordentlich wichtig, daß die Beschreibung der Frömmigkeit mit den bisherigen Ausführungen noch nicht abgeschlossen ist. Nun wird ihr Zusammenhang mit dem Ganzen des Lebens genauer angegeben; erst damit kann sie ausreichend gekennzeichnet werden.51 Es lassen sich in der Entwicklung des einzelnen Menschen (wie auch der verschiedenen Kulturen) drei Stufen unterscheiden.82 Auf der untersten Stufe ist das Selbstbewußtsein noch „tierartig verworren"; das Ich grenzt sich nicht klar ab gegen seine Umwelt. Die zweite Stufe ist die des „sinnlichen Selbstbewußtseins".53 Sie wird erreicht, wenn der Mensch sich als Person konstituiert und sich damit der Welt gegenüberstellt. „Sinnlich" heißt diese Stufe deshalb, weil die Sinneserfahrung dem Selbst die Begegnung mit allem Seienden vermittelt. Die letzte Stufe, die höchste, wird von dem eben beschriebenen „unmittelbaren Selbstbewußtsein" eingenommen. Die zweite Stufe ist eine Stufe des „Gegensatzes" und der „Gleichheit". Der Gegensatz entsteht durch die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt,64 wie sie mit der Konstituierung der Person notwendig sich ergibt. Im Verständnis dieser Entgegensetzung unterscheidet sich Schleiermacher wesentlich von Späteren. Sie ist bei ihm nicht subjektivistisch. Zwar ereignet sich das Entgegensetzen wesentlich zwischen der Einzelperson und dem, was außer ihr liegt. Aber das Ich kann sich auch (mit anderen zusammen) als Gruppe in Gegensatz stellen zu dem, was außer dieser Gruppe liegt, so etwa sofern es einer Familie oder einem Vaterland angehört.85 Die Entgegensetzung wird auch nicht vollzogen allein durch das Denken. Wir sind nämlich durch Anschauung und Ge51 Abgeschlossen ist die Wesensbeschreibung der Frömmigkeit erst mit Paragraph 6, in dem gezeigt wird, wie sie sich als Gemeinschaft konstituiert. Diese Ausführungen sind aber für unser Thema weniger wichtig. 52 Eine ähnliche Dreiteilung findet sich ζ. B. schon bei Calvin CR 8, 349. 53 „Anschauung und Gefühl" oder „das Gegenständliche und das In-sichZurückgehende" (5, 1 25; 31D) werden als die zwei Grundfunktionen des Selbst (auf dieser Stufe) unterschieden. Mit der Abhebung des Ich von der Welt ist eine klare Sonderung von Anschauung und Gefühl verbunden. Anschauung ist das Aufgreifen des Gegenstandes; sie ist insofern mehr aktiv. Das Gefühl ist der Eindruck, der daraufhin im Ich entsteht. Es repräsentiert also das Ich, sofern es sich vorwiegend von einem anderen abhängig findet. 54 Eigendich redet Schleiermacher allein vom Subjekt. Das Objekt tritt (zunächst) nur auf, sofern es etwas ist, was im Subjekt „mitgesetzt" wird. Damit soll natürlich nicht alle Realität in das Subjekt hineinverlegt werden. Es ist aber nach Kant ein naiver Realismus, der gegebene Objekte einfach annimmt, unmöglich geworden. 55 5, 1 26; 32D.
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fühl auf Gegenständliches bezogen.66 Es ist nicht lediglich das heute so oft als „objektivierend" gescholtene rationale Denken, welches den Graben zwischen Ich und Welt aufreißt. Vielmehr ist der Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt eine dem Denken schon vorausliegende Grundgegebenheit, die unmittelbar mit dem Bewußtwerden des Ich auftritt. Wesentlich für das Ich ist sein Wille zur „Freiheit". Weil es Ich ist, wollte es eigentlich Ursprung seiner Geschichte sein. Die Welt außer dem Ich ist „Gegenstand", weil sie der Freiheit des Ich entgegensteht und sie damit begrenzt. In dieser Entgegensetzung findet sich das Ich von jenem anderen abgespalten, vereinzelt, getrennt. Wäre dies die letzte Wirklichkeit, so würde die Welt zu einem chaotischen Haufen von „einzelnem", das sich in zufälligen Zuckungen hin- und herschöbe. Das Ich aber fände sich stoßend und gestoßen, ohne einen sinnvollen Zusammenhang mit der Welt, ohne Wahrheit und ohne Wirklichkeit. Eine Zusammenfassung des Ichs mit der Welt, eine Überwindung des Gegensatzes, wie wir ihrer bedürfen, kann aber weder das Ich, noch einer jener Gegenstände leisten. Denn alle jene Gegenstände sind in ihrer Beziehung zum Ich, wie das Ich in der Beziehung zu ihnen, grundsätzlich gleichwertig. Das zeigt sich an der Tatsache des Gegensatzes selbst. Indem sich das Ich anderem entgegensetzen kann, bleibt es ihm gegenüber jedenfalls in einem Mindestmaß frei. Es ist nun gerade die Besonderheit der schlechthinnigen Abhängigkeit, daß sie nicht von einem einzelnen, nicht von einem Seienden ausgeht.57 In ihr finden wir uns „als einzelnes endliches Sein überhaupt". Es ist nicht nur unmöglich, daß dem Ich Gott als Gegenstand gegenübergesetzt wird; indem das Ich seine schlechthinnige Abhängigkeit entdeckt, findet es sich in seiner Endlichkeit gleichzeitig auch mit allem anderen Seienden zusammengefaßt. Und damit ist der Gegensatz überwunden. Übrigens so, daß das Ich auf seine (relative) Freiheit nicht verzichten muß. Aber ist Frömmigkeit wirklich die einzige Möglichkeit, diesen Gegensatz zu überwinden? 58 Auch eine absolute Freiheit, wenn sie sein könnte, würde ihn aufheben. Aber ein Ich, das die Welt sich voll und ganz selbst schafft, ist einfach deswegen undenkbar, weil jeder Mensch sich immer mit Gleichartigem zusammen findet. Die Überbrückung des Gegensatzes kann auch weder von einem „absoluten Wissen" noch von einem 66 Diese Ausführungen enthalten eine Schwierigkeit dadurch, daß damit in zweifachem Sinn vom „Gefühl" gesprochen wird, nämlich oben vom Gefühl = unmittelbarem Selbstbewußtsein, jetzt vom „sinnlichen" Gefühl, das als solches einen Gegenstand hat. Darin dürfte sich zeigen, daß Schleiermacher nicht schon am Gefühl als Gefühl, nicht vor allem an der Innerlichkeit als solcher interessiert ist. 57 5, 1 26; 32D. 58 5, 2.
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„höchsten Tun" geleistet werden. Es wäre zwar ein allumfassendes Wissen vorstellbar, das damit auch alles einzelne zusammenschließen und die gesuchte Einheit herstellen würde. Aber auch hier bliebe noch ein Spalt, nämlich zwischen dem an sich alles umgreifenden Wissen und dem Subjekt, das solches Wissen sich anzueignen hätte. Wenn es also je möglich sein sollte, daß die wissenschaftliche Erkenntnis zu einer abschließenden Vollendung gebracht würde — was kaum zu erwarten ist —, so könnte auch eine so vollendete Wissenschaft nicht das Ich mit der Welt aussöhnen. Dasselbe gilt entsprechend für einen allumfassenden „Entschluß". Wenn es etwa möglich wäre, die sozialistischen Utopien in Wirklichkeit umzusetzen, wenn es gelänge, alles auf ein Ziel hinzurichten, so könnte auch dies den Bruch nicht heilen, der zwischen dem Ich und einer solchen umfassenden Tat läge. Allein Frömmigkeit vermag es also, den Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt zu überwinden und beide in einer Einheit zusammenzuschließen. Damit stehen wir vor der wichtigsten Aussage dieses ganzen Abschnitts :59 Im wirklichen Leben ist Frömmigkeit immer verbunden mit dem „sinnlichen Selbstbewußtsein". Nun tritt Frömmigkeit als solche in uns auf unabhängig von einem Seienden. Deswegen gehört sie auch ganz allein dem Selbst an. Gott tritt nie als einzelner dem Ich gegenüber, auch nicht eigentlich (wie die Reden wollten) aus einem einzelnen heraus. Er selbst tritt in seiner Absolutheit und Unwandelbarkeit nur dem Selbst im Ganzen, nicht dem Ich, sofern es sich in dieser oder jener Lage befindet, entgegen. In dieser Weise wird auf das strengste die Unveränderlichkeit Gottes gewahrt. Frömmigkeit selbst hat (was ihr „Wesen" betrifft) keine Geschichte; sie kennt kein Mehr oder Weniger, kein Früher oder Später. Sie ist ewig sich selbst gleich. Andernfalls wäre Gott als ein veränderlicher Besonderer in den Bereich der „Gegensätze" hereingezogen. Der wirkliche Gott wahrt seine Gottheit, indem er actus purus ist, zeitfrei und ewig. Damit entsteht aber das Problem, wie dieser Gott, wie solche Frömmigkeit sich überhaupt mit Geschichte bzw. mit der Stufe des Gegensatzes verbinden können. Wie kann dieser absolute Gott unser konkretes geschichtliches Leben tragen? In seiner Antwort weist Schleiermacher einfach auf die Erfahrung. Das sinnliche und das unmittelbare Selbstbewußtsein schließen sich weder in der Weise aus, daß im Leben immer nur das eine oder das andere auftreten könnte, noch kann es überhaupt eine Einheit des Lebens geben, wenn unsere Beziehung auf Gegenstände von der Frömmigkeit losgerissen werden könnte. „Die Forderung einer Beharrlichkeit des höchsten Selbstbewußtseins kann nur aufgestellt 59
5, 3.
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werden unter der Voraussetzung, daß zugleich mit demselben auch das sinnliche Selbstbewußtsein gesetzt sei." 60 Von den berühmten vier verneinenden Adverbien des Chalcedonense, die die Art des Vereintseins der beiden Naturen Christi eingrenzen sollen, könnte man auf die Weise dieser Vereinigung jedenfalls das „Unvermischt" und das „Ungetrennt" anwenden, in bestimmtem Sinne auch das „Unverwandelt" und das „Ununterschieden". Frömmigkeit bleibt klar abgehoben von jeder Begegnung mit Seiendem. Frömmigkeit verschmilzt auch nicht mit der Erfahrung der Welt zu einem Dritten, so daß das Ergebnis eine Art höheren Daseins wäre, in dem Gesellschaft und Kirche identisch würden. Insofern ist der „Pantheismus" deutlich ausgeschieden, die Absolutheit Gottes gewahrt. Frömmigkeit ist nicht Lebenserhöhung und nicht Weltgläubigkeit. Sie ist als Beziehung zu Gott eine unverwechselbar eigene Größe. Ebenso wichtig ist nun aber auch die andere Seite. Frömmigkeit läuft der Beziehung des Ich zu anderem nie einfach nur nebenher. Sie begleitet nicht das übrige Leben nur als ein „unisones Mittönen". 61 Im Gegenteil! Gerade in ihrer Beziehung auf das übrige Leben, auf die Begegnungen des Ich mit „anderem" übt Frömmigkeit ihren eigentlichen Dienst aus. „Dieses Bezogenwerden des sinnlich bestimmten auf das höhere Selbstbewußtsein in der Einheit des Momentes ist der Vollendungspunkt des Selbstbewußtseins." Eine Frömmigkeit, die nicht in solcher Weise zwischen dem Ich und der Welt vermittelte, wäre, wenn es sie geben könnte, selbst unvollkommen. Könnte irgendwann lediglich Frömmigkeit allein in uns sein, so fehlte diesem Moment „die Begrenztheit und Klarheit". Diese entsteht nur aus der Beziehung der Frömmigkeit eben auf einen bestimmten Lebensmoment. Frömmigkeit unterliegt darin nicht einer Entfremdung, sondern wird gerade so konkret.62 Insofern ist Gott, insofern ist der Glaube auf das unlöslichste in das Menschenleben hineingebunden. Schleiermachers Mystik unterscheidet sich an dieser Stelle von allen Tendenzen zur Ekstase. Von hier aus ergibt sich nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Notwendigkeit, Konkretes mit der Frömmigkeit zu verbinden. Ohne die Beziehung auf Christus wäre die Gottesvorstellung allzu ungreifbar. Von hier aus ergibt sich ferner die Verbindung der Religion mit allem geschichtlich Wirklichen, also auch mit der Kultur. Die eigentliche Aufgabe der Frömmigkeit ist es geradezu, dem Ich die Begegnung mit der Welt grundlegend zu vermitteln. Der Glaubende entdeckt, indem er sich seiner eigenen Kreatürlichkeit bewußt wird, den ,0 62
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5, 3 29; 35B.
« 5, 4 30; 37A.
Auch hier zeigt es sich, daß die Konkretheit der Religionen notwendig ist.
alles umfassenden und alles tragenden Weltgrund. Von da an leuchtet jedes einzelne uns auf als eingebettet, als Glied des Ganzen. 63 Es wird nun aus seiner Vereinzelung herausgelöst. Damit bleibt es nicht nur in seinem Gegensatz zu uns uns gegenüber stehen, sondern öffnet sich und gewährt sich uns auch. Fromm sein heißt also, das ganze wirkliche Leben durchdringen lassen von Gott, alles, was wir antreffen, aus seiner Hand, als sein Geschenk empfangen. Nichts mehr soll uns nur einfach eine Gegebenheit sein, alles muß durchsichtig werden als sein Werk und Wirken, alles, Freude wie Leid. Je mehr in solcher Weise der Glaube alle unsere Lebenszüge zu durchdringen vermag, desto stärker ist unsere Frömmigkeit. Frömmigkeit selbst ist als solche unveränderlich, der Umfang und die Intensität aber, mit denen wir unser ganzes Leben ihr unterstellen, wechselt. Solcher Wechsel von gelingendem und mißlingendem Glauben ist für das Ich qualvoll. So erscheint am Horizont eine äußerste Möglichkeit, in der Frömmigkeit voll und ganz verwirklicht ist, die Seligkeit. Im tatsächlichen Leben können wir uns diesem Zustand immer nur annähern, nie ihn erreichen.64 Diese Annäherung könnte etwa so beschrieben werden. Einerseits würde es uns immer leichter, immer selbstverständlicher werden, alle Begebenheiten unseres Lebens auf Gott zu beziehen. Auf der anderen Seite würde damit auch die Frömmigkeit selbst mehr und mehr zum eigentlich Entscheidenden werden. Das einzelne Ereignis, an das Frömmigkeit anknüpft, würde immer weniger als solches von Bedeutung sein, als nur dadurch, daß es das Gottesgefühl veranlaßt. Frömmigkeit würde also nicht nur immer mehr durch unser Leben sich ausbreiten, sondern sie würde auch beginnen, sich immer mehr vom einzelnen Geschehen abzulösen. In diesem Sinn kann der Gegensatz von Subjekt und Objekt für sie immer bedeutungsloser werden. Es ist „dieses Fast-wieder-Verschwinden jenes Gegensatzes aus (!) der höheren Lebensstufe ohnstreitig zugleich der stärkste Gefühlsgehalt derselben". 65 So wäre es das Höchste, daß Frömmigkeit selbst, daß Gott allein das Feld behauptete? Man beachte aber das „Fast". Ein solches Verschwinden ist — jedenfalls unter der Bedingung dieses Lebens — unvorstellbar. Derartige Grenzaussagen sollen auch wohl weniger einen dereinst eintretenden Zustand beschreiben, als eine Tendenz, die jetzt in der erfahrenen Frömmigkeit (als deren äußerste Grenze) darinsteckt, bezeichnen. 8 3 Dies betont immer wieder Bender. E s bedeutet aber eine Einseitigkeit, wenn darin die einzige Funktion der Frömmigkeit gesehen wird. Gewiß ist Gott nur als Gott-der-Welt, aber er ist Gott-der-Welt nur als Gott. 6 1 Vgl. dazu unten Seite 181 f. 6 5 5, 4 33; 39C.
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5. Warum wurde die Grundformelfür „Religion", wie sie in der ersten Auflage der Reden gegeben war, in dieser Weise verändert? An sich wäre es nötig, die Abänderungen der Grundformel über alle Einzelaussagen Schleiermachers hin zu verfolgen. Dies wurde bisher am genauesten von H. Süskind unternommen.66 Seine Arbeit zeigt aber, daß die nach und nach eingetragenen Veränderungen auf die Fassung zustreben, die Schleiermachers Gedanken in der Glaubenslehre finden. Daher mag es erlaubt sein, Anfangs- und Endpunkt direkt miteinander zu vergleichen. Süskind erblickt den Grund für die Änderungen in Schleiermachers Auseinandersetzung mit Schelling.67 „Was nach Schleiermachers ersten Reden das Wesen der Religion ausmachte: die Anschauung des Universums als eines Entwicklungssystems von Individualisationen, deren jede als solche ein positiver Ausdruck des Unendlichen — genau dasselbe wurde nun in Schelüngs Identitätssystem als das Wesen der Philosophie, der Kern und Grundgedanke der wissenschaftlichen Welterkenntnis entwickelt. Schleiermacher wurde dadurch genötigt, für seine Religion, da sie nicht zugleich Philosophie sein konnte, einen andern Begriff und eine andere Begründung zu suchen, und suchte den Ausweg in der folgenreichen Wendung, daß er sich mit ihr von der Anschauung ins Gefühl zurückzog."68 Aber was wird Schleiermacher damit eigentlich zugemutet! Nur aus einer Art Eigensinn, nur weil ein Philosoph dasselbe zum Inhalt seines Denkens macht, was für Schleiermacher Wesen der Religion ist, soll er seine Konzeption wieder verlassen haben. Dazu besteht überdies nach seinen eigenen Angaben gar keine Notwendigkeit; es wird ja der Philosophie ausdrücklich zugestanden, daß sie richtige Erkenntnis von Gott haben könne. Vor allem aber: Kann man denn im Ernst annehmen, Schleiermacher sei seiner Sache so wenig sicher gewesen, daß er allein um einer möglichen Verwechslung willen diese Sache aufgab und sich auf eine andere zurückzog? Doch wohl nicht. Im einzelnen zeigt Süskind, wie Schleiermacher ζ. B. bestrebt ist, seine veränderte Auffassung bei der zweiten Auflage der Reden zu berücksichtigen. Da nach unserem Autor der Gegensatz zwischen alter und neuer Meinung ein so tiefgreifender ist, muß Schleiermachers Vorgehen Schelling. Die Abhängigkeit von Schelling behaupten schon Tschirner, Bretschneider, Marheineke und Hase (So Fischer, Subjektivität 28). Zeller (Geschichte der deutschen Philosophie 697 ff.) ordnet sogar die Philosophie Schleiermachers kurzerhand in die Schule Schelüngs ein. Dagegen macht Bender geltend (Theologie I, Alf.), daß Schleiermacher eigenständig sei, weil er seine „Metaphysik" (die der Schellingschen allerdings weitgehend entspricht) auf eine psychologische Bewußtseinsanalyse aufbaue. Wirklich erwiesen wurde die Selbständigkeit Schleiermachers durch Süskind. 88 A . a . O . 108.