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German Pages [324] Year 1990
VÖR
ULRIKE LINK-WIECZOREK
Reden von Gott in Afrika und Asien Darstellung und Interpretation der afrikanischen Theologie im Vergleich mit der koreanischen Minjung-Theologie
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen z u r systematischen u n d ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 6 0
CIP-Titelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Link-Wieczorek, Ulrike: Reden von Gott in Afrika und Asien: Darstellung und Interpretation der afrikanischen Theologie im Vergleich mit der koreanischen Minjung-Theologie / Ulrike Link-Wieczorek. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1991 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 60) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-525-56267-5 NE: GT
© 1991 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Seit etwa dreißig Jahren versuchen die Christen in Afrika und Asien, ihre Hoffnung in den Gott der Bibel in einer eigenen Sprache zu artikulieren. In der Ökumene werden wir zunehmend gefordert, Kenntnis von solchen unterschiedlichen Sprachen zu haben, um eine sinnvolle Kommunikation der Christen verschiedener kultureller Kontexte zu ermöglichen. Mit diesem Buch soll ein Beitrag zur Bewältigung dieser Aufgabe geleistet werden. Der Schwerpunkt wurde dabei auf die Darstellung und Interpretation afrikanischer Theologie gelegt, deren spezifische Konturen ein vergleichender Teil über die koreanische Minjung-Theologie verdeutlicht. Durch einen Zuschuß des Ökumenischen Forschungs-Fonds des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses (DÖSTA) konnte die Veröffentlichung voll finanziert werden. Die vorliegende Studie wurde im Sommer 1989 von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Sie ist in erster Linie ermöglicht worden durch die kooperierende Betreuung von Prof. Dr. Dr. Dietrich Ritsehl und Prof. Dr. Theo Sundermeier. Diese verständnisvolle Zusammenarbeit bot fachkundige und hilfreiche Beratung, war oft Quelle der Ermutigung und ließ mich schließlich im Umgang mit zunächst fremdem Material einen eigenen Weg finden. Dafür sei an dieser Stelle herzlich gedankt. In den einzelnen Phasen der Arbeit an dieser Studie erfuhr ich außerdem von vielen Menschen und Institutionen Unterstützung. Die Deutsche Gesellschaft für Missionswissenschaft, der Lutherische Weltbund sowie die Badische Landeskirche förderten einen zehnwöchigen Aufenthalt in mehreren theologischen Ausbildungsstätten in Kenia sowie eine vierwöchige Reise nach Seoul. Den akademischen und menschlichen Kontakten während dieser Studienreisen habe ich wesentliche Anregungen für meine Arbeit zu verdanken. Nicht zuletzt durch die Vermittlung von Kontakten durch meinen Heidelberger Kollegen Dr. Gerhad Schäfer waren es in Kenia besonders Bischof Dr. David Gitari, Dr.Dr.Charles Nyamiti, Rev. Gibson Gichuki und seine Frau Mariam, Rev. Vitalis Okoyo, das Kollegium des St.Thomas Aquinas Seminary in Nairobi, des St. Paul's United Theological College in Limuru sowie des AMECEA Pastoral Institute in Eldoret. Meinem damaligen Doktoranden-Kollegen Rev. Dr. Charles Ndanyu ist für seinen phantasievollen Suaheli-Unterricht zu danken. Wertvolle Hilfe bei der Vorbereitung des KoreaAufenthaltes erfuhr ich durch Pfarrer Chai,So-Il beim EMW in Hamburg. In Seoul
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traf ich dank der unermüdlichen Organisation von Pfarrer Dr. Sohn,Kyoo-Tae, Pfarrer Chin,Yon-Sub und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Institute for Mission Education in Dr. Pyun,Sun-Hwan, Dr.Ryu,Tong-Shik und Dr. David Suh,Kwang-Sun auf interessierte und kundige Gesprächspartner. Besonders habe ich jedoch Dr. Ahn,Byung-Mu zu danken, der mir durch großzügige Förderung in vielen Stunden theologischer Gespräche einen Zugang zur Minjung-Theologie ermöglichte. Pfarrer Kim,Won-Bae in Freiburg orientierte mich durch mündliche Übersetzung wichtiger koreanischer Textpassagen. Um alle diese Menschen zu finden und ihre Anregungen zu bündeln, hatte ich in Heidelberg in Prof. Dr. H.-W. Gensichen einen gelehrten und stets erfrischend gut organisierten Berater. Bei der Erstellung des Manuskripts mit dem Computer wurden mir Beratung und unentbehrliche Hilfe zuteil durch Dipl.-Math. Werner Weiler, stud, theol. Friedrich-Wilhelm Oberheide, Gudrun Strehlow und Irmhild Fugger. Das gesamte Projekt hätte jedoch nicht Zustandekommen können ohne die immer wieder aufbauende Unterstützung meines Mannes und nicht ohne das Verantwortungsbewußtsein von Frau Johanna Joest, der ich in unseren Heidelberger Jahren die Betreuung unserer Kinder anvertrauen durfte. Heidelberg, im September 1990
Ulrike Link-Wieczorek
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Reden von Gott in Afrika und Asien Darstellung und Interpretation afrikanischer Theologie im Vergleich mit der koreanischen Minjung-Theologie
Einleitung a) Die "afrikanische Theologie" Heribert Rückers b) Zu Thema und Methode dieser Untersuchung c) Das heuristische Modell d) Der Vergleich mit der koreanischen Theologie e) Der Aufbau dieser Untersuchung
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Teil I: Reden von Gott in den afrikanischen Religionen als Boden afrikanischer Theologie
A. Die Diskussion über den afrikanischen "Hochgott" Einleitung 1. Darstellungen der Hochgott-Vorstellung 2. Die Diskussion über den "deus remotus" 3. Gott als Schöpfer und oberster Ahne: Darstellung des Hochgott-Problems durch Harry Sawyerr 4. Exkurs: Die großen Reiche in der afrikanischen Geschichte Resümee
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B. Strukturen der Stammesreligionen als Ausdruck afrikanischer Weltsicht Einleitung 1. Beschreibung der Strukturen durch afrikanische Autoren 2. Suche nach einem Beschreibungsmodell für afrikanische Weltsicht Einleitung a) O.Bimwenyi-Kweshi: Modell "Kommunikation" b) Stephen O. Okafor: Modell "Leben" Resümee
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C. Afrikanische Weltsicht im heuristischen Modell "Vitalismus" Einleitung 1. Die Dynamismus-Theorie
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2. Grundelemente des Vitalismus-Modells 67 Einleitung 67 a) Überleben im Leben der Gemeinschaft 68 b) Leben in der Interdependenz der Kräfte 71 c) Kontinuität des Lebens im "Machtstrom des Geschlechts" 74 d) Das Böse als Angst vor dem Versagen 76 e) Vertrauen in das Wachsen des Lebens 79 3. Weltgestaltung als Kanalisierung der Kräfte in Richtung von Gleichgewicht.. 80 4. Gott als Bewahrung des Lebens vor dem Untergang 88 Einleitung 88 a) Reden von Gott als Reden vom Gleichgewicht der Kräfte 88 b) Die Heils-Vorstellung in afrikanischen Religionen 96 c) Die Grenzen des Heils: Theodizeeproblematik in afrikanischen Religionen 103 Resümee 107
Teil II: Reden von Gott in afrikanischer Theologie
A. Reden von Gott als ständige Realisierung von Gleichgewicht als Modus der Schöpfung Einleitung 1. Gabriel Setiloane: Gott als Einheit in der ausgleichenden Gerechtigkeit.. . Einleitung a) Die Gemeinschaft als Manifestation von Gottes Einheit b) Gott als zeitlose Einheit des Gleichgewichts der Kräfte c) Afrikanische Probleme mit dem Gottesbegriff der christlichen Missionare 2.0.Bimwenyi-Kweshi: Schöpfung als Zusammengehörigkeit aller ihrer Teile im Gleichgewicht Einleitung a) Die wachsende Nähe Gottes: Theologie im Stufenmodell b) Die Rede der Schöpfung vom Schöpfer: Welt als Kohärenz ihrer Teile . . 3. Samuel Kibicho: Gleichgewichts-Ordnung der Schöpfung als Erlösung Einleitung a) Reden von Gott in den afrikanischen Religionen b) Die Hoffnung auf Veränderung in den Religionen c) Die Rede von der Identität von Gott und geordneter Schöpfung d) Gottes Befreiungswerk als Heil in der Schöpfung
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4. Exkurs: Christologie als Theorie der Kanalisierung zum Gleichgewicht Die Satisfaktionstheorie im afrikanischen Kontext Resümee
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B. Reden von Gott als Fülle des unbedrohten Lebens Einleitung 1. John Mbiti: Gott als Ewigkeit der neuen Zukunft Einleitung a) Die Diskussion über den afrikanischen Zeitbegriff b) Die neue Zukunft in der Zeitlosigkeit der vollkommenen Restauration.. 2. Charles Nyamiti: Gott als Garant des vorläufigen Gleichgewichts Einleitung a) Reden von Gott im Modell des Redens von den Ahnen b) Ahnen-Theologie als vitalistische Theologie c) Nyamitis Ahnen-Theologie vor dem Hintergrund ähnlicher Ansätze d) Die Intention der Methode: Die Lehre der Kirche als Bekenntnis zum überlegenen Schöpfer des Gleichgewichts 3. Fabien Eboussi Boulaga: Sprengung der Grenzen des Gleichgewichts Einleitung a) Die kritische Sichtung christlicher Theologie b) Die Rede von Gott als Rede von der Person-Werdung des Menschen... c) Boulagas Theologie der Fülle des Lebens: Gott als Kraft der Grenzsprengung d) Die Bezugnahme auf den Vitalismus der afrikanischen Religionen Resümee
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C. Der Begriff der Offenbarung in afrikanischer Theologie: Drei Modelle Einleitung 1. Samuel Kibicho: "Pluralistische Offenbarung" 2. O.Bimwenyi-Kweshi: "Progressive Offenbarung" 3. Fabien Eboussi Boulaga: Offenbarung als "Fetisch" Resümee
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D. Zusammenfassung: Reden von Gott in der Sprache der Erfahrung des gelingenden Lebens
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Teil III: Zum Vergleich: Reden von Gott in koreanischer Minjung-Theologie Vorbemerkung
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Einleitung 229 1. Die Gegenwart Gottes in der Erfahrung des Leidens 237 Einleitung 237 a) Gegenwart Gottes in der Identifikation Jesu mit der Masse des Volkes (Minjung) 237 b) Die neue Zukunft als Ende des Leidens 241 c) Exkurs: Eine asiatische Alternative - Die Theologie des leidenden Gottes von Jung-Young Lee 243 d) Reden von Gott in selektiver Bezugnahme auf die koreanische Kultur... 245 e) Veranschaulichung der Minjung-Theologie: Die Parabel "Die Todesprozession" von Ahn,Byung-Mu 250 2. Minjung-Theologie und Schamanismus 256 3. Minjung-Theologie als Geschichtstheologie 265 4. Reden von Gott als Reden von der bereits vollendeten Einheit in der Inkarnation 275 Resümee 290
Teil IV: Schlußüberlegungen Einleitung a) Afrikanische Schöpfungstheologie b) Koreanische Inkarnationstheologie c) Ausblick
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Literaturverzeichnis 1. Literaur zum Afrika-Teil 2. Literatur zum Korea-Teil
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Personenregister
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Abkürzungen: AFER:
African Ecclesiastical Review
Afr. Theol. Jour.:
Africa Theological Journal
AOTA:
Association of Theologians in Africa (später EAAT: Ecumenical Association of African Theologians)
CHIEA:
The Catholic Higher Institute of Eastern Africa. Nairobi, Kenia
CTC-Bulletin:
Bulletin of the Commission on Theological Concerns. Christian Conference of Asia
EATWOT:
Ecumenical Association of Third World Theologians
EKL:
Evangelisches Kirchenlexikon
EMS:
Evangelisches Missionswerk in Südwestdeutschland, Stuttgart
EMW:
Evangelisches Missionswerk im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und Berlin West e.V., Hamburg
EMZ:
Evangelische Missionszeitschrift
Ev. Ko.:
Evangelische Kommentare
Ev. Theol.:
Evangelische Theologie
Int. Rev. of Miss.:
International Review of Mission
JThSA:
Journal of Theology in South Africa
NZSTh:
Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionswissenschaft
ÖR:
Ökumenische Rundschau
Rez.:
Rezension
Scott. Jour, of Theol.:
Scottish Journal of Theology
ThZ
Basler Theologische Zeitung
TRE:
Theologische Realenzyklopädie
VuF:
Verkündigung und Forschung
WSCF:
World's Student Christian Federation
ZMiss:
Zeitschrift für Mission
ZMR:
Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft
Sammelbände werden verkürzt unter Nennung des Hrsg.s und Erscheinungsjahres zitiert. Koreanische Namen werden in der in Ostasien üblichen Reihenfolge zitiert. Der Name an erster Stelle ist der Familienname.
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Einleitung
"An gewöhnlichen Tagen trägt eine Frau hier ein handgesponnenes und handgewebtes Baumwolltuch um die Hüften (...). (...) An Markttagen trägt sie ein Manchester-Baumwolltuch (...) . Aber für große Gelegenheiten holt sie ihr Galakleid aus den Töpfen, in welchen sie es mit Blättern und Lehm zur Aufbewahrung versiegelt hält. Aus diesen Töpfen kommt die afrikanische Mode: Tennisschuhe; lange Kniestrümpfe, wie sie Engländer mit ihren Shorts tragen, aber für den afrikanischen Gebrauch in Grün, Rot und Gelb; ganze Bahnen von Seiden- und Kunstseidenstoffen; T-Shirts, (.. ) grellbunte Schals für den Kopf. Das war noch nicht alles. Amara sagte mir, daß Purgbilins Hauptfrau ihre Mutter besuchen gegangen war, deren Schwester eine Schwiegertochter hatte, die angeblich einen Regenschirm besaß."1 So wie die amerikanische Ethnologin Laura Bohannan hier die "Sonntagstracht" der Tiv-Frauen im nigerianischen Busch beschreibt, so offenbar sehen afrikanische Theologen heute ihre Kirchen: als äußerlich wie innerlich noch stark geprägt und verfremdet von der Auswirkung der westlichen Missionierung. Als Folge dieses "westlichen" Christentums sind in Afrika tausende von "Unabhängigen Kirchen" entstanden, die sich von der Missionskirchen lösten, um Christen mit einheimischen Frömmigkeitsformen und Kirchenstrukturen sein zu können.2 In den jüngsten 30 Jahren haben sich afrikanische Theologen mehr und mehr mit diesem Problem auseinandergesetzt. Ausgehend von gottesdienstlicher und seelsorgerischer Praxis sowie auch von politisch-sozialen Verhältnissen in den unabhängigen afrikanischen Staaten im Zeitalter des sogenannten "Neokolonialismus" begannen sie, Grundprobleme von afrikanischer Theologie überhaupt herauszuarbeiten. In aufeinanderfolgenden Phasen wurden - schließlich auch im Zusammenhang mit einer breiteren Diskussion innerhalb der Dritte-Welt-Ökumene, z.B. in der EATWOT - unterschiedliche und doch einander ähnelnde Ansätze entwickelt: Anpassungstheologie, Inkarnationstheologie, Indigenisierung, Inkulturation, kontextuelle Theologie.3 Grundanliegen all dieser Ansätze ist es, das Problem des E. Smith Bowen: Rückkehr zum Lachen. Ein ethnologischer Roman. Reinbek 1987, 152. (Orig.: Return to Laughter. An Anthropological Novel. New York 1964.) Eleonore Smith Bowen ist ein Pseudonym der amerikanischen Ethnologie-Professorin Laura Bohannan, die ihre Erfahrungen während eines mehrjährigen Feldforschungsaufenthaltes unter den Tiv in diesem Roman verarbeitet hat. 9 Zur Literatur über die "Unabhängigen Afrikanischen Kirchen" s. H. Rücker: "Afrikanische Theologie". Darstellung und Dialog. Innsbruck 1985; hier zitiert als: "Afrikanische Theologie": hier 257-59 (Bibliographie). Die Entwicklung afrikanischer Theologie ist zuletzt ausführlich dargestellt worden bei Rücker, "Afrikanische Theologie", 23-100. Einen kurzen Überblick bietet J. Parratt: Theological Methodologies in Africa. In: Verbum SVD 24, 1983, 47-62; hier zitiert als: Theological Methodologies. Zu Geschichte und Intention von "kontextueller Theologie" vgl. E.Kamphausen / P.Löffler / W.Ustorf: Kontextuelle Theologie in der Dritten Welt und westlich-christliche Identität. In: VuF 30,1985/1, 7079. Die jüngste Überblicksdarstellung eines afrikanischen Autors im deutschen Sprachraum stellt G.
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abendländisch-westlichen Einflusses in Theologie und Kirche zu bewältigen und eine "einheimische" Theologie zu entwickeln. Die Terminologie ist dabei oft nicht sehr genau, so daß es in vielen Fällen schwierig ist, die unterschiedlich benannten Ansätze inhaltlich zu unterscheiden. In seiner Heidelberger Gastvorlesung 1972 schlug der südafrikanische lutherische Bischof Manas Buthelezi vor, zwei Grundtypen südafrikanischer Theologie zu unterscheiden: den "ethnographischen" und den "anthropologischen" Ansatz.4 Hinter dieser Klassifizierung darf man wohl auch eine Anspielung auf die unterschiedliche Schwerpunktsetzung vermuten, die sich im Vergleich von theologischen Arbeiten aus Gebieten Schwarzafrikas südlich der Sahara mit solchen aus Südafrika und Namibia ergeben. In der Literatur wird dementsprechend unterschieden zwischen "Afrikanischer Theologie" und "Schwarzer Theologie". Die erstere bezieht sich bis heute sehr auf die eigene kulturelle Vergangenheit und versucht, aus den traditionellen afrikanischen Religionen Kategorien zu entwickeln, die den abendländischen Hintergrund - oder gar das Alte Testament der Bibel - in der christlichen Theologie in Afrika ersetzen sollen. Daher nennt Buthelezi den ihr zugrundeliegenden Ansatz "ethnographisch".5 Die Theologie Südafrikas, zu deren Hauptvertretern Buthelezi selbst zählt, ist mehr geprägt von der besonderen sozio-politischen Situation der Unterdrückung von Schwarzen durch Weiße und richtet sich in ihrem Interesse in erster Linie auf befreiungstheologische Implikationen. Buthelezi nennt dieses bewußte Ausgehen von einer bestimmten gegenwärtigen politischen Situation "anthropologisch" und plädiert zumindest in Bezug auf Südafrika für diesen Ansatz. Um der Fülle des Materials einigermaßen gerecht zu werden, beschränke ich mich hier auf die Theologie aus dem Afrika der unabhängigen Staaten, also auf die "Afrikanische" Theologie. Inzwischen ist auch in ihr der Kulturbegriff breiter geworden. Als bestimmende Ausgangssituation für die Theologie wird das sogenannte "europäische Christentum" in diesen Ländern gesehen: Afrikanische Kultur ist hier eine afrikanisch-europäische Mischkultur. Gwinyai H. Muzorewa aus Zimbabwe zählt diese Tatsache und ihre Geschichte zu den "Quellen" für eine afrikanische Theologie. 6 Kwesi Dickson aus Ghana spricht den Missionaren des 19. Jahrhunderts in der theologischen Arbeit Realitätssinn ab und meint noch heute
Setiloanes Lexikon-Artikel dar: Art. Afrikanische Theologie. In: Müller / Sundermeier (Hrsg.) 1987, 7-16. Vgl. weiterhin die Bibliographie zu afrikanischer Theologie von A. Ngindu Mushete in: Bulletin de Thdologie Africaine 6,1984/11,141-51 (Teil 1) und 6,1984/12,390-99 (TeU 2). ^ Der Vorlesungstext ist veröffentlicht als: Ansätze afrikanischer Theologie im Kontext von Kirchen in Südafrika. In: I. Tödt (Hrsg.): Thelogie im Konfliktfeld Südafrika. Dialog mit Manas Buthelezi. München 1976,33-132; hier zitiert als: Ansätze: vgl. hier 11 Iff. Buthelezi will mit dieser Bezeichnung auch der Tatsache Rechnung tragen, daß Afrikanern ihre Traditionen heute "literarisch als ethnographische Rekonstruktion vorliegt"; Ansätze, IIS. ® G.H. Muzorewa: The Origins and Developement of African Theology. Maryknoll 1985, 21ff.
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eine "theologische Wirklichkeitsferne der afrikanischen Kirchen" konstatieren zu müssen.7 Sie zeige sich sowohl in einer fehlenden theologischen Reflexion auf spezielle afrikanische Voraussetzungen als auch in der äußeren Struktur der Kirchen, die noch immer die Zeichen der Kolonialzeit trage. So werde die Kirche auch in den unabhängigen afrikanischen Staaten allgemein als Partner der jeweiligen Regierung verstanden und habe ein ausgesprochenes "middle-class-image".8 Auch innerkirchlich trage sie noch Strukturmerkmale aus der Kolonialzeit: Die Trauungsformel der ghaneischen Methodistischen Kirche z.B. entspreche überhaupt nicht der traditionellen matrilinearen Sozialstruktur. Ebensowenig habe man bisher einen Weg gefunden, polygam verheirateten Gemeindegliedern gegenüber keine ambivalenten Verhaltensweisen zu zeigen.9 Die Unsicherheit einer weitgehend europäisch strukturierten Kirche gegenüber afrikanischer Tradition hat nach Dicksons Darstellung zur Folge, daß für afrikanische Christen Christus nur innerhalb des engeren kirchlichen Raumes relevant sei, während außerhalb die nicht-christliche Tradition für bestimmend gehalten werde.10 Traditionelle Religionen spielen daher auch heute in der afrikanischen Theologie immer noch eine große Rolle, eben aus "anthropologischen" Gründen: Afrikanische Theologen sehen in der Integration ihrer kulturellen Traditionen eine wesentliche Voraussetzung zur NeuEntwicklung einer eigenen Identität.11 So gibt es in afrikanischer Theologie auch Zweige einer Befreiungstheologie, die an traditionellen Werten anzuknüpfen versucht.12
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Κ. Dickson: Theology in Africa. Maryknoll 1984; hier zitiert als: Theology, hier 89ff: "Theological Unreality in the Church in Africa". Q Dickson, Theology, 101. Vgl. auch F. Eboussi Boulaga: Christianisme sans fdtiche. Paris 1981, 60ff: "Rdsistance africaine au christianisme bourgeois." Über Boulaga s.u., Teil II., B.3. ® In seinem Beispiel berichtet Dickson von der Beerdigung eines Polygamisten, für den man nicht die sonst übliche Trauerfeier mit aufgebahrtem Leichnahm im Kirchengebäude wagte; Dickson, Theology, 105f. Dickson, Theology, 105. Vgl. auch Rückers Festeilung, viele afrikanische Christen befänden sich in einer "Amphibiensituation" zwischen zwei Welten; "Afrikanische Theologie", 30f und 59. ^ Vgl. Dickson, Theology, 122: Die Beschäftigung mit afrikanischen Religionen soll dazu dienen, "(...) to arrive at a distinctive mediation upon faith in Christ that does justice to the life-circumstances of the African." 12
Darauf weist auch John Parratt in seinem Aufsatz hin: In Tansania versucht man, den traditionellen Ujamaa-Begriff auch in der neueren Theologie (und Politik) zugrundezulegen, in Sambia spricht man von "Zambian Humanism"; vgl. Parrat, Theological Methodologies, 50, Anm. 21 (Lit.), und z.B. Μ. Niang: Place des droits de l'homme dans les traditions culturelles Africaines. In: Au Coeur de l'Afrique 24, 1984/4, 229-37. Umfang, aber auch Grenzen des traditionellen Einheits-Begriffs in Burundi für die heutige Zeit zeigte ein Referat während der Zweiten Vollversammlung der AOTA im Dezember 1984 auf, vgl.: A. Ntasbona: Profondeur et limites du concept d'Ubumwe/Unitd au Burundi et leurs implications sur les rapports "culture et döveloppement". In: Au Coeur de l'Afrique 25,1985/3, 146-64.
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Wie war Gott vor der Missionierung Afrikas auf diesem Kontinent wirksam? In welcher Weise war er Realität auch für den traditionell religiösen afrikanischen Vater oder die Großmutter eines afrikanischen Christen? Gehören die einzelne Familie, der Stamm, der ganze Kontinent erst nach Bekanntwerden des Evangeliums zur "Einflußsphäre" Gottes, weil erst jetzt der Wille zum bewußten Bekennen ermöglicht werden konnte?13 Dies sind durchaus auch noch heute für Afrikaner wichtige Fragen, wenn sie darüber nachdenken, wie sie in ihrem Kontext über Gott reden wollen. Das gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, daß gerade die afrikanischen Stammesreligionen von abendländischer (Forscher)Perspektive aus bis in die jüngste Zeit hinein als primitiv und vorgeschichtlich abgetan wurden. Buthelezis Unterscheidung und mit ihr verbundene Abwertung des ethnographischen Ansatzes ist unnötig, solange afrikanische traditionelle Vergangenheit identitätsstiftende Relevanz hat.14 Zudem läßt sich darüber streiten, ob Buthelezi recht hat, wenn er behauptet, eine einheimische Theologie in Afrika habe sich nicht um einen "einheimischen Inhalt"15 zu kümmern, sondern um die Situation "des afrikanischen Menschen selbst".16 Tatsache ist, daß das Problem der Entwicklung einer einheimischen afrikanischen Theologie bisher in erster Linie auf einer "metatheologischen" Ebene behandelt wurde. "Afrikanische Theologie" bestand aus mehr oder weniger genauen Situationsanalysen, Appellen zur Berücksichtigung dieser sowie vereinzelten, eher unsystematischen Bezügen zu traditionellen Religionen. Mercy Α. Oduyoye stellt noch 1986 fest, daß die Frage nach der Relevanz der traditionellen Religionen für afrikanische Christen gemeinhin nicht theologisch entschieden
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S.Z.B. P.Kalilombe: The Salvific Value of African Religions. In: AFER 21, 1979, 143-57; hier 155: "But, above all, he (an African, U.L.-W.) would start from the conviction that God has been ever present among his own people, just as he has been in all peoples, cultures and religious tendencies of the world, not just as a condescension, but because this benevolent present is in the logic of the covenant of creation and re-creation." ^ Zur Kritik Buthelezis vgl. Ansätze, 115ff: Zum einen sei der ethnographische Ansatz von den westlichen Missionaren selbst entwickelt worden, um die eigene Führungsrolle "auch im auslaufenden 'Missionszeitalter'" zu behaupten, zum andern trage die Beschäftigung mit der Vergangenheit für (Süd)Afrikaner nichts aus für die Bewältigung ihrer Probleme, sondern unterstütze vielmehr die Flucht aus der Gegenwart in die Nostalgie. Hauptsächlich richtet sich Buthelezis Kritik gegen ein generalisierendes und verobjektivierendes Betrachten der Vergangenheit, das unverbunden mit der Gegenwart bleibt. 15
Begriff von U.L-W.
^ Buthelezi, Ansätze, 129: "Das Grundproblem einheimischer Theologie in Afrika ist eigentlich nicht, welchen Inhalt eine solche Theologie haben müsse (ethnographischer Ansatz), sondern wer sie macht: das Problem ihrer causa efficiens, des afrikanischen Menschen selbst (anthropologischer Ansatz). Das Problem ist nicht in erster Linie, daß der Afrikaner es schwer finde, Theologie zu treiben, oder daß er den Inhalt für seine Theologie nicht finden könne - wie vom "ethnographischen Ansatz" vorgeschlagen. Es ist einfach so, daß das Leben, in dem er sich vorfindet, ihm die Ressourcen und Instrumente versagt, auch nur einen Anfang zu machen."
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wird. 17 Insbesondere scheint es kein Interesse daran zu geben, Modelle zur Kommunikationsregelung zu entwickeln über das, was man als Christ im heutigen Afrika sagen und hoffen und woraus man leben will.18 Dies wird als westlichpraxisferner Hang zum Abstrahieren oft grundsätzlich abgelehnt. Eine Konsequenz daraus ist, daß schließlich doch theologische Begründungen von "kontextuellen" Bekenntnissen oft aus klassisch-abendländischen theologischen Formulierungen übernommen werden, die dann formelhaft und unhinterfragt als kulturfremder, monolithischer Block in der afrikanischen Landschaft stehen. Von den in dieser Arbeit behandelten Themen wird das z.B. bei manchen Bemühungen um die Integration der traditionellen Ahnenverehrung in die afrikanische Theologie besonders deutlich (Teil II., B.2.c).).19 Mercy Oduyoye meint, die Lehre von der Inkarnation sei für Afrikaner der fremdeste Teil der klassischen christlichen Dogmatik. Sie führt diese These nicht weiter aus. 20 Im Ergebnis wird diese Untersuchung ihre Vermutung bestätigen. Kwesi Dickson berührt dieses Problem in seinen Überlegungen zum Begriff "Indigenisierung".21 Unter dieser Devise sei afrikanische Theologie davon ausgegangen, es ließe sich unterscheiden zwischen dem "Herzen des Evangeliums" und dem Christentum. Während man sich ja auch durchaus einigen könne, als Kern des Evangeliums die Erlösung der Menschen durch Christus zu bezeichnen, so könne man dennoch nicht in jeder Situation angeben, worin nun konkret das Heil Gottes bestehe. Offenbar läßt sich also der Kern des Evangeliums schlecht be-greifen, und daher auch ist eine "Übersetzung" des abendländisch geprägten Bekenntnisses dieses Kerns in ein afrikanisches nicht möglich. Wenn man es versucht, macht man vielmehr die abendländische Antwort auf die Frage nach dem Herzen des Evangeliums zur Vorlage für die afrikanische und entwickelt auf diese Weise keine
17 M A . Oduyoye: Wir selber haben ihn gehört. Theologische Reflexionen zum Christentum in Afrika. Freiburg/Schweiz 1988 (Orig.: Hearing and Knowing. Theological Reflections on Christianity in Africa. Maryknoll 1986); hier zitiert als: Wir selber: vgl. hier 86.
18 Vgl. dazu die Auseinandersetzung des Südafrikaners G. Setiloane mit der Schwarzen Theologie: Theologie sei Reflexion, und afrikanische Theologie müsse darüber reflektieren, wie Afrikaner in afrikanischer Kultur wirklich in Christus sich selbst und anderen begegnen und nicht einer westlichen Denkform; vgl. Setiloane: Black Theology. In: South African Outlook, Feb. 1971, 28-30; hier 29; und: Theological Trends in Africa. In: Missionalia 8,1980, 47-53; hier bes. 53. ^ A u c h Buthelezi klagt darüber, daß ein "aus griechisch-römischem Kulturhintergrund (hervorgegangener) (...) ganzer Traditionsblock (...) in die Kirchen Afrikas und Asiens eingeführt worden" sei als gemeinsames Bekenntnis des "Glaubens der Väter". Statt der "Lehre" will er "die Kategorie des 'Humanen'" als gemeinsame Basis der Ökumene wissen; vgl. Ansätze, 126-28. 20
Vgl. Wir selber, 103.
21
Dickson, Theology, 116-2o.
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"einheimische" Theologie. Vielmehr habe man, so Dickson, wohl oder übel den Weg von vorn zu gehen. 22 Das Anliegen, auf diese Probleme in afrikanischer Theologie nicht nur hinzuweisen, sondern das Selbstverständnis der adaptierten abendländischen Theologie für sie verantwortlich zu machen, macht die Dissertation des katholischen deutschen Theologen Heribert Rücker zu einer sehr interessanten Arbeit für die hier bearbeitete Frage des afrikanischen Redens von Gott. 23 Rückers These ist: Theologische Sätze sind nach der Zeit der Kirchenväter fälschlicherweise als absolute, d.h. kontextunabhängig formulierbare Wahrheiten rezipiert und vermittelt worden, obwohl sie noch in der Alten Kirche nicht so verstanden worden sind. Afrikanische traditionelle Religiosität hingegen betone die Partikularität von jeglicher Erfahrung - eben auch der Gottes. Rücker führt das abendländische Wahrheitsverständnis auf eine ihm zugrundeliegende Denkform der Allegorie, das afrikanische auf die des Symbols zurück. Rückers Arbeit ist die einzig forschungsgeschichtlich relevante Studie zum Thema des Redens von Gott in afrikanischer Theologie, die es bisher gibt. In einen direkten Dialog mit ihr zu treten, verbietet sich hier dennoch durch den streng induktiven Zugang meiner Untersuchung, deren Ziel es ist, Ansätze afrikanischer Theologie aus dem Zusammenhang ihres eigenen Denkens für europäische Leser vorzustellen. Rücker geht mit seinem Buch weit über dieses Ziel hinaus: Er entwickelt nach einer einfühlenden Analyse der afrikanischen Religiosität Kriterien für eine afrikanische Theologie, die es genaugenommen so (mindestens "noch") nicht gibt. Daher kann er sich dafür auch nicht auf bisher existierende afrikanische Texte beziehen. Seine "afrikanische Theologie" ist der Versuch einer Konstruktion von Theologie, die an dem Wirklichkeitsverständnis von Religion schlechthin anzuknüpfen versucht, wofür ihm afrikanische Stammesreligionen als Beispiel dienen. Die Verwendung einer transzendentalphilosophischen Terminologie verweist darauf, daß die Intention dieser Konstruktion über den afrikanischen Kontext hinaus relevant sein soll. Trotz der unterschiedlichen Intentionen von Rückers und meiner eigenen Untersuchung stellt seine Analyse afrikanischer Religiosität eine wichtige Vorarbeit für das Verständnis auch der Texte der afrikanischen Theologie dar.
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Dickson zitiert zustimmend D. von Allmen: "Any authentic theology must start ever anew from the focal point of faith, which is the confession of the Lord Jesus Christ who died and was raised for us; and it must be built or rebuilt in a way which is both faithful to the inner trust of the Christian revelation and also in harmony with the mentality of the pertson who formulates it. There ist no short cut to be found by simply adapting an existing theology to contemporary or local taste."; zitiert nach Dickson, Theology, 119/20. Rücker, "Afrikanische Theologie". Die Arbeit hat mir schon vor der Drucklegung vorgelegen und ist mir während meiner Arbeit eine wichtige Orientierung gewesen.
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Besonders für die Erklärung der Strukturen afrikanischer Religionen erfüllt sie hier eine heuristische Funktion. Daher soll sie an dieser Stelle in einem kurzen Überblick vorgestellt werden.
a) Die "afrikanische Theologie" Heribert Rückers Mit der Mission wurde, so Rücker, ein absolutistisches24 Theologieverständnis vom Abendland nach Afrika exportiert. Es sei als "allegorisch" zu bezeichnen, weil theologische Sätze nach diesem Verständnis in der Tradition des Populär-Platonismus' immer nur anders sagen sollten, was eigentlich schon (durch Offenbarung) bekannt sei.25 In der Missionstheologie bedeutete das dann, daß die Formulierungen der abendländischen Tradition als der christliche "Inhalt" angesehen worden seien, der in eine afrikanische "Form" gegeben werden müßte. Im ersten Teil seines Buches, in dem er die Entwicklung der afrikanischen Theologie während der jüngsten 30 Jahre schildert, zeigt Rücker, wie diese durch die mehr oder weniger bewußte Übernahme des allegorischen Theologieverständnisses immer wieder in ihrem Bemühen um eigenständige Ansätze scheitert. Letztlich werde in allen diesen Ansätzen eine geschichtslose, "absolute" Offenbarungswahrheit vorausgesetzt, die sich in eine bloße Form inkarniere. 26 Die afrikanische Kultur kommt in einem solchen Ansatz doppelt schlecht weg: Zum einen kann sie nie mehr sein als "bloße Form", zum andern muß der "absolute Inhalt" der geschichtslosen Offenbarung auch in einer Form, jedoch möglichst in einer anderen, vermittelt werden. Dadurch kommt es wohl zu der Verschmelzung von abendländischer Kultur und absolutem Inhalt, so daß für Afrikaner Theologie nur möglich zu werden scheint in der Übernahme unverständlicher, aufgestülpter westlicher Inhalte. Das sowohlMensch-als-auch-Gott der zwei-Naturen-Lehre, das im Chalcedonense weise als "rational nicht nachvollziehbare Einheit einander ausschließender Begriffe"27 ausgedrückt wurde, bringe in monophysitischer Interpretation die beiden Einseitigkeiten katholischer und protestantischer Missionstheologie hervor: in der Kontinuitäts- und in der Diskontinuitätstheologie. Während die eine als absoluten Satz einseitig die "geschichtliche Begegnung" betone, hebe die andere die "Ungeschuldetheit und Entzogenheit" der Offenbarung hervor28. Heutige
24
Begriff von U.L.-W.
25
"Afrikanische Theologie", 18.
"7/1 "Afrikanische Theologie", 75ff. Rücker wirft der Inkarnationstheologie eine monophysitismus-nahe Identifikation von Jesus und Gott vor; s. ebda, 75. 27 "Afrikanische Theologie", 97.
TO
"Afrikanische Theologie", 96.
7
Gottespräsenz und leibliche Offenbarung sollten aber eher Chalcedonense - als komplementäre Elemente aufgefaßt werden. 29
- wie
im
Für Rücker liegt der Grundfehler westlichen Theologieverständnisses in dem Ansatz, eine absolute Wahrheit vorauszusetzen. Er differenziert nicht zwischen dem Vorwurf, von Gott als absoluter Wahrheit zu sprechen, und dem, von Gott in absolutgesetzten abendländischen Sätzen zu sprechen. Das zweite folgt ihm vielmehr zwangsläufig aus dem ersten. Er versucht nun, mit Hilfe des transzendentalphilosophischen Ansatzes von Richard Schaeffler aus diesem Dilemma herauszufinden: mit der Einsicht, daß Wahrheit auch in den angeblichen "absoluten Sätzen" des biblischen Bekenntnisses immer nur als "intendierte Wahrheit" zum Ausdruck gebracht werde. 30 Die Aussagen des christlichen Credos wollen selbstkritisch und selbstrelativierend (indem sie den "transzendentalen Horizont ontologischer Argumentation sprengen") auf eine "übergeordnete Möglichkeitsbedingung" hinweisen.31 Die Behauptung, daß damit die umfassende Wahrheit selbst gesagt werde, kann nur in einem Verständnis der Sätze ohne "Mithören" dieser selbstrelativierenden Intention entstehen. Sie ist, so Schaeffler, erkenntnistheoretisch unsinnig. In diesem Mißverständnis wachsen also Entstehungsbedingungen der Formulierung (Kultur) und intendierte Wahrheit als angeblich unaustauschbar zusammen der Sprecher kann sich nicht vorstellen, daß dieselbe Wahrheit ("Möglichkeitsbedingung" in transzendentalphilosophischer Sprache) auch von einem anderen Standort (Kultur) aus intendiert werden kann. Daher wurden Evangelium und abendländische Kultur während der Mission in Afrika nicht genügend getrennt und vor allem afrikanische Kultur in den Augen der Christen abgewertet. Nach Rückers Darstellung geht es in afrikanischer Religiosität in erster Linie um die Selbstrelativierung, die ein absolutistisches Verständnis von Credo-Sätzen verhindert. Was Paul Ricoeur über Symbol und Richard Schaeffler über Sprengung des transzendentalen Horizontes sagen, davon gingen auch Afrikaner in ihrer Religiosität aus.32 Missionare und Ethnologen haben afrikanische Weltsicht oft als "materialistisch" bezeichnet. Nach Rücker nun wäre dieses Urteil das Ergebnis eines allegorischen Mißverständnisses, in dem Welt und Erfahrung bewirkende Möglichkeitsbedingung auseinandergerissen werden. Jemand, der in "nur weltlichen" Kategorien spricht und denkt, wird vor diesem Hintergrund verstanden als jemand, der die Möglichkeitsbedingung leugnet und die Welt verselbständigt. Ein Afrikaner, der den Stock seines verstorbenen Vaters sorgsam verwahrt und rituelle Ahnenvereh29 "Afrikanische Theologie", 96-97. 30
"Afrikanische Theologie", 166. "Afrikanische Theologie", 166.
32
"Afrikanische Theologie", 105ff.
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rung vor ihm ausübt, gilt dann als jemand, der einen Stock verehrt. Nach Rückers Verständnis afrikanischer Weltsicht ist in diesem Beispiel der Stock durchaus ein Teil der von Menschen gestalteten Welt. Jedoch wurde er gestaltet nach der Erfahrung einer Wirklichkeitstotalität, die nach einem Bewußtwerdungsprozeß in diesem Umgang mit dem Stock als Teil der Ahnenverehrung zum Ausdruck, "zu Wort" kommt. Der Stock ist in dieser Funktion "Symbol" des Ahnen, in ihm wirkt der verstorbene Vater, wenn der Sohn den Ahnenverehrungsritus ausübt und so den Vater "zu Wort" bringt. In diesem Sinn gelten in den afrikanischen Religionen Geister und Ahnen als "Symbole Gottes", in denen Gottes Gegenwart als "nichtidentifizierende" Einheit sichtbar wird.33 Auch Theo Sundermeier weist darauf hin, daß nach afrikanischem Verständnis ein Symbol nicht zusammenbringe, was eigentlich getrennt sei, sondern die Einheit von Zusammengehörendem zeige.34 Das Ziel von Rückers Interpretation afrikanischer Weltsicht ist offenbar, sich nicht von den beiden Alternativen, die in der abendländischen Theologie oft sehr radikal auseinandergerissen werden, "verführen" zu lassen: Ihnen entsprechend könnte und wird afrikanische Weltsicht entweder als deistisch oder als pantheistisch bezeichnet. Rückers Beschreibungsmodell "Symbol" will afrikanische Weltsicht als ganzheitlich zeigen, ohne sie pantheistisch zu nennen, und es will ihre Betonung der Relevanz der menschlichen Perspektive ernstnehmen, ohne sie als deistisch zu bezeichnen. 35 Eine große Hilfe ist ihm dabei offensichtlich der transzendentalphilosophische Erfahrungsbegriff, den er allerdings noch zu wenig differenziert vom allgemeinsprachlichen. Dadurch bleibt in seiner Darstellung die Beziehung zwischen Erfahrung und dem menschlichen zu Wort-Bringen noch zu unscharf. Die Konsequenz aus dieser Unschärfe wird in der zweiten Hälfte des Buches deutlich. Im 3. und 4. Teil geht Rücker schließlich auf die Darstellung afrikanischer christlicher Theologie über - Teil 3 beschäftigt sich mit den Afrikanischen Unabhängigen Kirchen, Teil 4 mit Südafrikanischer Theologie - und versucht hier zu zeigen, wie sinnvoll es sei, theologisch mehr vom Symbol und seiner offenen Horizontsprengung auszugehen, daß aber das afrikanische Reden von Gott durchaus nicht dasselbe sei wie das der Christen. Hier wird die aus der europäischen -Ϊ-1 "Afrikanische Theologie" 139f, 146, auch 148: "Sie sind Symbole Gottes, mit dem sie nicht identisch sind, dessen 'Zur-Sprache-Kommen' sie aber sind." ^ T h . Sundermeier: Nur gemeinsam können wir leben. Das Menschenbild schwarzafrikanischer Religionen. Gütersloh 1988, 51; hier zitiert als: Nur gemeinsam. "IC Vgl. Rückers Bemerkungen zum afrikanischen Reden von Gott, "Afrikanische Theologie", 146: "Der Schöpfer des Lebens kann nicht in angemessenerer Weise geehrt werden als durch die Achtung vor seiner Schöpfung, die Weitergabe des Lebens, so daß Ahnenverehrung und Verehrung des Schöpfers sich nicht zu unterscheiden brauchen, offensichtlich meist eine Einheit bilden, aber bei einigen Völkern auch durchaus differenziert werden. Die Erfahrung der Ahnen ist Erfahrung Gottes im nicht identifizierenden symbolischen Sinn der Erkenntnismöglichkeit Gottes. In solcher symbolischen Einheit kann auch die Feldforschung letztlich keine klaren Schichten differenzieren."
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Debatte um die "natürliche Theologie" bekannte Alternative von Erfahrung und Offenbarung wieder diskutiert, obwohl doch der transzendentalphilosophische Erfahrungsbegriff diese Alternative eigentlich unnötig machen will. Der Glaube könne "in den Religionen Jahwes Handeln entdecken", nicht umgekehrt die Religionen zum Glauben führen. Nur unter dieser Voraussetzung könne natürliche Theologie möglich sein.36 Die Verbindung von menschlicher Erfahrung und Jahwe, durch die der "Offenbarungs"gott erst zu einem solchen wird und einen "Namen" bekommt, 37 zeigt die symbolische Komponente auch des biblischen Monotheismus', die jedoch der offenbarungstheologischen untergeordnet bleibe. W i e sich "Offenbarung" von der transzendentalphilosophischen beschreibbaren Wirkweise der Möglichkeitsbedingung unterscheidet, sagt Rücker nicht deutlich; vielleicht durch eine größere Bestimmtheit.38 Auf jeden Fall wäre auch ein Reden vom Offenbarungsgott sinnvoll nur als symbolisches, d.h. horizontsprengend, aber auch ansetzend an innerhorizontaler Erfahrung. Damit werden Begriffe der traditionellen afrikanischen Kultur als Basisbegriffe in christlicher afrikanischer Theologie möglich und nötig, allerdings nur in offenbarungstheologischer "Relativierung der Relativierung" 39 : als "Chiffren" für das "christliche Spezifikum" Offenbarung. Eine Gleichsetzung von afrikanischem "Hochgott" und Offenbarungsgott übersehe diese verändernde Chiffrierung. 40 Ein Beispiel für eine symbolisch strukturierte Rede vom biblischen Offenbarungsgott ist für Rücker die Trinitäts"aussage". In ihr wird Gott symbolisch beschrieben als der, der sich in Jesus Christus neu und einmalig offenbart hat als derjenige, der "unter den Menschen weilt"41 und dessen Einzigartigkeit in der "Ausrichtung am Kreuzweg Jesu" bekannt wird.42
36
γτ
"Afrikanische Theologie", 198-201. "Afrikanische Theologie", 199f.
Vgl. Rückers Kapitel über die Sprache der Theologie, "Afrikanische Theologie", 220ff, wo er für ein symbolisches Verständnis theologischer Kernbegriffe ("C-Begriffe") plädiert, die als solche angewiesen seien auf eine Basis von Begriffen aus der religiösen Welt des jeweiligen Sprechers ("RBegriffe"). Zum Verhältnis dieser beiden "Ebenen" schreibt Rücker schließlich: "C-Begriffe unterscheiden sich untereinander nur in ihrem R-Fundament, aber nicht in ihrer C-Qualifikation. (...) Die genannten (...) Verwechslungen verraten ein mangelhaftes Bewußtsein um die spezifische biblische Botschaft."; ebda, 222. 39
Begriff von U.L.-W.
40
S.o., Anm. 36.
41
"Afrikanische Theologie", 203/04. Zu Rückers Verständnis der Trinitätslehre vgl. "Afrikanische Theologie", 211-13 und 217-19.
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Auch der südafrikanischen Schwarzen Theologie, die im Unterschied zur impliziten Theologie der Unabhängen Afrikanischen Kirchen sowie der Afrikanischen Theologie aus Ländern südlich der Sahara die Erfahrung des Leidens zum Ausgangspunkt ihrer Reflexion macht, wird nach Rücker die symbolische RelativieruOng des eigenen Horizontes nicht ernst genug genommen. 43 Afrikanische Theologie täte also gut daran - so läßt sich Rücker zusammenfassen - an ihrem Erbe "anzuknüpfen" und theologische Sätze als symbolische zu verstehen. Damit könnte sie sowohl ihrem eigenen kulturellen Hintergrund gerecht werden als auch für die abendländische Theologie ein Vorbild sein.
b) Zu Thema und Methode dieser Untersuchung Mit dieser Untersuchung soll ein erster Überblick darüber verschafft werden, welche Wege in der afrikanischen Theologie bisher eingeschlagen worden sind, in ihrem eigenen Kontext Strukturen des Redens von Gott zu entwickeln. Ich habe dieses Feld gewählt, um das bisher verhandelte "metatheologische" Rahmenproblem einer "afrikanischen" Theologie auf seine "innertheologische" Kernfrage zu beziehen. Dabei beschränke ich mich ausdrücklich auf eine phänomenologische, beschreibende Darstellung des aufzufindenden Spektrums. Der Sinn dieser Untersuchung liegt vor allem in der Arbeit des konstruktiven Verstehens der theologischen Gedanken aus einer nicht-westlichen Kultur. Ein vergleichender Einblick in die koreanische Minjung-Theologie soll dazu dienen, die kontextuellen Spezifika afrikanischer Theologie noch deutlicher werden zu lassen.44 Mit dem Begriff "Reden von Gott" ist zunächst danach gefragt, was von afrikanischen und und zum Vergleich auch von koreanischen Christen aus ihrem Glauben heraus über Gott so in Sprache gefaßt wird, daß eine Kommunikation darüber möglich ist. Dies geschieht meist eher indirekt als direkt, indem über Heil und Hoffnung oder über eine bestimmte Interpretation der Welt gesprochen wird. "Reden von Gott" setzt voraus, daß es verschiedene Ebenen von Aussagen gibt, auf denen über Gott gesprochen wird. In den einzelnen Analysen der Texte geht es darum, das dieses Reden steuernde "Credo" herauszufinden, von dem her die Gesamtheit des "Redens von Gott" dem Verständnis erschlossen werden kann. Dafür ist eine analysierende Aufdeckung der Verknüpfungen einzelner theologischer Aussagen notwendig. Dies ist die Hauptaufgabe, die hier erfüllt werden soll. Die transzendentalphilosophisch orientierte Arbeit Heribert Rückers geht in ihrem Anspruch über diesen Ansatz hinaus, weil sie letztlich doch nach Sprachmöglichkeiten fragt, in denen die Transzendenz Gottes in der Immanenz der Welt - also die Einheit Gottes in der Welt - zum Ausdruck kommt. Das hier ^ "Afrikanische Theologie", 223ff. ^ S. u., Abschnitt d) in dieser Einleitung.
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verwendete Verständnis der Möglichkeiten von Sprache wagt das nicht und erwartet es auch nicht von den Texten der afrikanischen Theologen. Vielmehr zeigt es eine Skepsis gegenüber theologischen Versuchen, die Einheit Gottes vollkommen in Sprache eingehen zu lassen, was in dem vergleichenden Teil über die koreanische Theologie thematisiert werden wird. Nach der Sichtung des für dieses Thema relevanten Materials zeigte sich, daß es ein großes Problem sein würde, die wissenschaftliche Überprüfbarkeit der Thesen und Analysen zu ermöglichen, die anhand der Quellen entwickelt werden. Deshalb wurde es notwendig, bei der Auswahl der zu behandelnden Autoren das Material zu berücksichtigen, das vom euro-amerikanischen akademischen Raum aus erreichbar ist und dennoch einen repräsentativen Querschnitt darstellt. Letztlich ist es auch Afrikanern nur mit einer solchen Auswahl möglich, in einen wissenschaftlichen Diskurs einzutreten. Ein längerer Aufenthalt in mehreren theologischen Ausbildungs- und Forschungsstätten in Kenia verschaffte mir 1986 die Gewißheit, daß die Zugänglichkeit des Materials in Europa größer ist als in Afrika selbst. Eine besonders große Unterstützung für die Sichtung des Materials erfuhr ich durch das katholische Missionswissenschaftliche Institut "Missio" in Aachen - zum einen durch die Bestände der Institutsbibliothek, in weit größerem Maße jedoch durch die hier herausgegebene Bibliographie "Theologie im Kontext", in der theologische Zeitschriften aus der Dritten Welt ausgewertet werden. Weder in Afrika noch in Europa oder Amerika gibt es zur Zeit eine theologische Diskussionssituation über das Thema dieser Untersuchung. Daher befinden sich auch die hier vorgestellten Autoren nicht miteinander im Diskurs. Im Grunde gilt sogar für afrikanische theologische Veröffentlichungen überhaupt, daß sie sich kaum auf eine Diskussion mit anderen afrikanischen Ansätzen einlassen. Das liegt zum einen an der Situation in Afrika, in der eine umfassende Zugänglichkeit von wissenschaftlicher Literatur kaum gegeben ist. Zum andern setzt eine solche Diskussion auch einen Prozeß voraus, der erst nach dem Aufbau eines "theologischen Kommunikationsnetzes" in Gang kommen kann. So fehlt afrikanischer Theologie also noch die Vor-Voraussetzung für einen theologischen Diskurs. Der Aufbau eines Kommunikationsnetzes ist erst im Anfangsstadium. Vielleicht wird es auch gar nicht die im Westen vertraute akademische Struktur haben. Die Möglichkeiten, die afrikanische Autoren jetzt zur Veröffentlichung bekommen, dienen (hoffentlich) der Entwicklung von ökumenisch-theologischer Kommunikation. Zum Stadium der Entwicklung im Augenblick gehört es noch, daß die Kriterien für die Veröffentlichung von Büchern afrikanischer Autoren sowohl in Afrika als auch in Europa oder Amerika weniger die wissenschaftliche Qualität des Werkes als Einfluß oder Bekanntheitsgrad des Autors widerspiegeln. Das hat auch etwas zu tun mit der Funktion von "Wissenschaft" in afrikanischer Kultur überhaupt: sie dient eher instrumental der Darstellung bestimmter Positionen als analytisch der Entwicklung von Positionen überhaupt. Dies macht eine Begrenzung der Er-
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Wartungen abendländisch wissenschaftlich sozialisierter Rezipienten an die Art und Weise der Präsentation afrikanischer Theologie notwendig. In Hinblick auf diese kulturwissenschaftliche Problematik erhält diese Untersuchung ein doppeltes Ziel: Mit ihr können Ansätze afrikanischer Theologie vorgestellt und rezipierbar werden, damit sie in eine abendländische Diskussion integriert werden können. Weiterhin soll sie für die afrikanische Theologie als ein Beispiel westlicher Rezeption afrikanischer Ansätze ein theologisches Kommunikationsangebot darstellen. In systematisch-theologischer Grundausrichtung interessiert sie sich für theologische Verknüpfungen, Begründungen, Argumentationen im Reden von Gott, wie es sich in den ausgewählten Texten findet. Dabei habe ich wenig Wert darauf gelegt, die euro-amerikanische Schulung der Autoren besonders zu betonen. Sie alle bedienen sich - mehr oder weniger ausgewiesen - irgendeines abendländischen philosophisch-theologischen Begriffsrasters, sei es von Heidegger, Wittgenstein, Barth, Brunner oder Thomas von Aquin. Dies auszuweisen und hervorzukehren bedeutet aber noch nicht, einen Erkenntnisgewinn innerhalb der ökumenischen Theologie erzielt zu haben, zumal es von den Autoren auch zumeist rein "instrumental" benutzt wird. Hier soll vielmehr danach gefragt werden, was diese Autoren auch innerhalb dieses abendländischen Kommunikationsrasters über ihre afrikanische Perspektive, von Gott zu reden, deutlich machen. Es wird also auch innerhalb des westlichen Instrumentariums nach den Strukturen gesucht, die es für Afrikaner interessant macht. Das möglichst induktive Vorgehen sollte auch bei der Vorstellung der schließlich ausgewählten Beispielwerke noch erkennbar bleiben. Daher werden diese Arbeiten möglichst deskriptiv vorgestellt, ohne sie sofort in das Raster einer theologischen Bearbeitung aus der Perspektive des Themas zu pressen. Auf diese Weise wird das Ziel verfolgt, die Autoren in die Diskussion westlicher und afrikanischer Theologie einzuführen und bekannt zu machen. Dadurch konzentriert sich die Darstellung der Arbeiten der Autoren auf ihre Hauptwerke und wird durch Hinzuziehung der übrigen ergänzt. Dieses Vorgehen wird dadurch erleichtert, daß die "Aufsatzliteratur" in der afrikanischen Theologie nicht von dem Prinzip gesteuert wird, mit jedem Artikel etwas Neues zu sagen. Die Arbeiten der afrikanischen Autoren werden in der Sprache der Originalveröffentlichung (englisch oder französisch) zitiert, außer wenn sie ins Deutsche übersetzt vorliegen. In jedem Fall wurde die Originalausgabe konsultiert. Für den Teil über die koreanische Theologie konnte ich nur das Material verwenden, das in europäische Sprachen übersetzt vorliegt, weil ich nicht über koreanische Sprachkenntnisse verfüge. Allerdings habe ich mich über wichtige koreanische Texte durch mündliche Übersetzungen orientieren lassen.
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c) Das heuristische Modell Für die mit dem Thema gestellte Aufgabe, Grundstrukturen des Redens von Gott in den afrikanischen Texten aufzuzeigen, war es nötig, ein heuristisches Modell zu entwickeln, mit dessen Hilfe bei der Analyse und Darstellung der theologischen Ansätze die Bezugnahme auf die traditionellen Religionen erklärt werden kann. Im Anschluß an die erste Phase der Textbearbeitung wurde daher in Anwendung von Theo Sundermeiers und Klaus Nürnbergers Begrifflichkeit ein Beschreibungsmodell "afrikanischer Vitalismus" erarbeitet. Heribert Rücker hat afrikanische Religiosität mit Hilfe seines Symbolbegriffs zu beschreiben versucht. Für die Darstellung der Strukturen des Redens von Gott jedoch erscheint mir der Symbolbegriff noch zu sehr im Vorfeld zu liegen: Rücker kann mit ihm wohl zeigen, w i e Afrikaner seiner Meinung nach von Gott reden, jedoch noch nicht, w a s sie reden. In seiner Verletzung durch eine abendländische Theologie, in der das Was zur leblosen Formel (Allegorie) geworden sei, scheut Rücker überhaupt vor solchen Aussageinhalten zurück - mit vielen guten Gründen. Bei meiner Suche nach einem geeigneten Darstellungsmodell wußte ich mich also durchaus gewarnt vor einem allzu engen Raster, das zudem in seiner Beheimatung im abendländischen Denken für die Erfassung afrikanischer Redeweisen unzureichend wäre. Daher verbot es sich auch, in dieser systematischtheologisch orientierten Arbeit als Grundraster unsere klassische Dogmatik heranzuziehen für die Beschreibung der in den afrikanischen Arbeiten gefundenen Strukturen. Ebenso unterblieb es, von aktuellen Fragen westlicher theologischer Arbeit - etwa denen aus der Ökologie oder, wie es Rückers Anliegen ist, von Problemen theologischen Redens überhaupt - auszugehen und diese an die afrikanischen Texte heranzutragen. Die Entwicklung eines heuristischen Modells wurde vielmehr geleitet von gemeinsamen Elementen in den afrikanischen Texten. Sie alle sind getragen von dem Bemühen, Verbindungen zur nicht-christlichen afrikanischen Vergangenheit herbzw. darzustellen. Die Diskussion um einen "afrikanischen Gottesbegriff" in den vielen Stammesreligionen, die in den 50er und 60er Jahren geführt worden ist, ist bei fast allen Autoren vorausgesetzt. Wichtig für das Verständnis afrikanischen Redens von Gott dieser Theologen ist also ihre Sicht der eigenen Tradition, die in dieses Reden Eingang finden soll. Es sind daher auch nicht in erster Linie die Ergebnisse ethnologischer oder religionswissenschaftlicher Forschungen für diese Arbeit relevant, sondern deren Rezeption durch die afrikanischen Theologen. Methodische und sachliche Zweifel an deren Darstellung afrikanischer Religionen sind dabei nicht immer auszuschließen, sollen jedoch für diese Arbeit beiseite gelassen werden. Die Arbeiten aus den 70er Jahren von Theo Sundermeier und Klaus Nürnberger, die afrikanische Weltsicht aus europäischer Perspektive verstehend erklären wollen, waren für die Entwicklung einzelner Strukturen des Modells besonders des14
halb hilfreich, weil auch sie sich auf das Bild der von Kräften durchwirkten Wirklichkeit stützen, das sich auch in den theologischen Texten der afrikanischen Autoren immer wieder antreffen läßt.45 Aus diesen Bausteinen wurde für die Systematisierung der afrikanischen Arbeiten über das Reden von Gott das heuristische Modell "afrikanischer Vitalismus" entwickelt. Es soll eine Veranschaulichung der Grundelemente afrikanischer Weltsicht sein, wie sie bei Afrikanern in ihrem Bezug auf ihre Kultur zu finden ist. Die mit Hilfe von Sundermeiers und Nürnbergers Arbeiten unter Berücksichtigung anthropologischer Forschungsergebnisse gewonnenen Begriffe sollen hier dazu dienen, die afrikanische Bezugnahme systematisch darzustellen. Dabei kommt es wie in jedem Modell zu einer den Sachverhalt selbst vereinfachend und reduzierend wiedergebenden Darstellung, in die nur die für diesen Zusammenhang typischen Elemente afrikanischer Weltsicht Eingang finden - d.h. diejenigen, die von den Autoren immer wieder direkt oder indirekt angesprochen werden. "Afrikanischer Vitalismus" ist ein theoretischer Begriff, in dem afrikanische traditionelle Kultur mehrfach gebrochen durch europäischamerikanische und afrikanische Perspektiven unterschiedlicher Zeiten erscheint. Dem Zweck, den Bezug zum traditionellen Stammesleben bzw. zu dessen Prägung noch in heutiger Zeit auch während der Explikation des theoretischen Modells nicht aus den Augen zu verlieren, dienen illustrative Passagen mit anthropologischen Konkretionen. Von Afrikanern wird eine solche Art des methodischen Vorgehens wegen der zwangsläufig notwendigen Generalisierung meist abgelehnt. Im ökumenischen Dialog mit Nicht-Afrikanern entsteht jetzt aber doch zunehmend das Bedürfnis, die eigene Tradition in durchaus generalisierten Grundzügen zu beschreiben. Als Beispiele dafür wurden die Ansätze O.Bimwenyi-Kweshis46 und Stephen Okafors in diese Arbeit aufgenommen, die mit Hilfe westlicher philosophischer Grundraster Modelle afrikanischer Weltsicht entwickeln. Das "Vitalismus-Modell" soll auch im Zusammenhang dieser beiden Entwürfe verstanden werden können, jedoch zusätzlich seine spezifische Funktion erfüllen, die Struktur der in den folgenden Kapiteln vorgestellten afrikanischen Ansätze unabhängig von klassischer Dogmatik zu verdeutlichen. Mit dem Begriff "Vitalismus" ist ein Wirklichkeitsverständnis gemeint, das als Vorstellung von einer Interdependenz von Kräften beschrieben werden kann, die zur Stärkung des vitalen Lebens zu bestimmten Konstellation "kanalisiert" werden müssen. Die meisten afrikanischen Autoren zögern nicht, den Begriff "Kräfte" für ^ Als Grundlage dienten mir insbesondere: K. Nürnberger: The Hidden God in Africa - Fate and Affliction. In: Missionalia 1, 1973, 21-31; und: Der afrikanische Hochgott unter dem Aufprall der christlichen Botschaft. In: NZfSTR 17, 1975, 151-78; Th. Sundermeier: Unio Analogica. Zum Verständnis afrikanischer dynamistischer Denkformen. In: EMZ 1973, 150-60 (Teil 1), 181-92 (Teil 2); Nur gemeinsam. 46
In Zaire, dem Heimatland Bimwenyis, ist es offiziell nicht mehr gestattet, westliche Vornamen zu tragen. Daher verwendet Bimwenyi seinen Vornamen nur in abgekürzter Form.
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die Veranschaulichung des dynamischen Elementes ihrer traditionellen Weltsicht zu benutzen, so daß es sich anbot, diese Terminologie für das heuristische Modell zu benutzen. Wegen der Notwendigkeit, an der Konstellation von Kräften mitzuwirken, spielt die Tradition eine große Rolle, ebenso wie die Kanalisierung, die sich durchaus nicht auf bestimmte rituelle Handlungen beschränkt, und schließlich als Konstruktionsmuster das Gleichgewicht der Kräfte. Ohne Gleichgewicht, so glaubt man entsprechend der Weisheit der afrikanischen Religionen, kann es kein Über-Leben der Gemeinschaft geben. Von Heribert Rücker übernehme ich das Modell von dem zweipoligen Wirklichkeitsspektrum zur weiteren Veranschaulichung: Gleichgewicht der Kräfte meint Gleichgewicht von lebensbedrohenden und lebensfördernden Kräften. 47 Dieser Begriff wird bei der Analyse der theologischen Arbeiten zum wichtigsten heuristischen Instrument.
d) Der Vergleich mit der koreanischen Theologie Das bewußt induktive Vorgehen bei der Behandlung des afrikanischen Materials bringt es mit sich, daß Strukturen afrikanischer Theologie nur von innen heraus analysiert werden können. Das Vitalismus-Modell ersetzt dabei das theologische Handwerkszeug der klassischen Dogmatik. Das Problem bei diesem Vorgehen besteht darin, daß die spezifischen Konturen afrikanischer Theologie nur jeweils im Rahmen der Einzelanalysen aufgezeigt werden können und wenig das generell Typische an ihr im Zusammenhang der übrigen Ökumene deutlich wird. Um diesen Nachteil der induktiven Methode abzugleichen, wird im dritten Teil dieser Arbeit mit einer Analyse der südkoreanischen Minjung-Theologie ein kleineres und überschaubareres Feld eines anderen theologischen Entwurfes aus der Dritten Welt zum Vergleich vorgestellt. Auf diese Weise zeigen sich spezifische Konturen afrikanischer Theologie, ohne daß sie mit der Begriffsapparatur klassischer Dogmatik herausgeschält werden müßten. Die Vergleichsfolie der südkoreanischen Theologie bietet sich hier insbesondere deshalb an, weil sie sich ebenfalls um die theologische Aufnahme spezifischer Volkstraditionen bemüht und sich von einer Überfremdung durch westliches Denken lösen will. Zudem ist die Materialfülle dieser noch sehr jungen theologischen Richtung nicht zu groß, so daß sich seine Verarbeitung für einen Teil dieser Arbeit bewältigen ließ. Ein dritter Grund für die Wahl der Minjung-Theologie als Vergleichsfolie für die afrikanische Theologie liegt darin, daß diese theologische Richtung auch im Westen inzwischen schon als so bekannt vorausgesetzt werden darf, daß über die strenge induktive Beschränkung bei der Vorstellung des Materials hinausgegangen werden kann. Die Entwürfe der Minjung-Theologen werden daher in einer kritischen Analyse vorgestellt, deren Kernfrage nach der Art und
^ "Afrikanische Theologie", 126ff.
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Weise des Bezuges auf den kulturellen Hintergrund aus der Beschäftigung mit der afrikanischen Theologie stammt. Ein vierwöchiger Aufenthalt in Seoul verschaffte mir zusätzlichen Einblick in den kontextuellen Hintergrund und ermöglichte Kontakte und klärende Gespräche mit Theologen. Mit der Berücksichtigung des Beispiels der Minjung-Theologie lassen sich in dieser Arbeit schließlich zwei unterschiedliche Grundtypen des theologischen Zugangs im Reden von Gott herausstellen: Eine (afrikanische) Schöpfungs- und eine (koreanische) Inkarnationstheologie. Unter Verwendung einer anderen Terminologie führt letztlich auch Heribert Rükker in seiner Arbeit Reden von Gott auf diese beiden Grundtypen zurück. Die in dieser Analyse herausgefundenen Ähnlichkeiten koreanischer Theologie mit den "allegorischen" Strukturen, die Rücker an der Verwendung des abendländischen Popularplatonismus' kritisiert, könnten ein Zeichen dafür sein, daß diese nicht auf den abendländischen Kontext beschränkt zu suchen wären. Ich führe sie in dieser Arbeit bezüglich des koreanischen Kontextes auf eine "holistische Sprachauffassung" zurück.
e) Der Aufbau dieser Untersuchung Das gesamte erste Teil soll dazu dienen, das Verständnis der Voraussetzungen zu erklären, die in den afrikanischen Arbeiten über das Reden von Gott mindestens implizit gemacht werden und einem europäischen Leserkreis nicht zur Verfügung stehen. Das erste Kapitel gibt zuerst einen theologiegeschichtlichen Einblick in die Ergebnisse der Diskussion um den Gottesbegriff in den traditionellen Religionen, dem sogenannten "afrikanischen Hochgott", wie sie sich in der Sicht afrikanischer Theologen darstellen (Teil I., Α.). Sie werden schließlich eingeordnet in einen kurzen Einblick in ebenfalls die Art afrikanischer Theologen, traditionelle Religionen im allgemeinen zu beschreiben (Teil I., B.). Ich habe für diesen Hintergrund den Begriff "afrikanische Weltsicht" gewählt, um zu enge, allein auf religiöse Riten bezogene Assoziationen zu verhindern und damit der stets wiederkehrenden Mahnung afrikanischer Theologen gerecht zu werden, afrikanische Religion und profanen Alltag als eine Einheit zu betrachten. Aus der summierenden Darstellung afrikanischer Beschreibungen traditioneller Weltsicht ergeben sich Fragen zur Struktur der Religionen, die schließlich den Ausgangspunkt bilden für die Entwicklung des "Vitalismus-Modells" (Teil I., C.). Sie geschieht unter Berücksichtigung der beiden afrikanischen Vorschläge von Bimwenyi-Kweshi und Okafor, Grundstrukturen eines Beschreibungsmodells afrikanischer Weltsicht zu beschreiben (Teil I., B.2.a) und b)). Für das Gelingen des dynamischen Geschehens, das mit ihm in seinen Strukturen erklärt wird, wird in den theologischen Texten Gott gelobt. Daher wird dieser einführende erste Teil mit Überlegungen zum impliziten
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Reden von Gott in den afrikanischen Religionen in der Terminologie des Vitalismus-Modells abgeschlossen: Das Vertrauen in die Kraft des Lebens, die sich im Gleichgewicht der Kräfte erhält, wird als durchaus nicht selbstverständlich verstanden, sondern auf Gottes stetige Schöpfung von lebensfördernder Welt zurückgeführt. Dieser Gedanke wird von afrikanischen Theologen in seinen verschiedenen Aspekten herausgestellt und mindestens als die Basis des Redens von Gott unter afrikanischen Christen dargestellt. Das erste Kapitel des zweiten Teils führt drei solcher Ansätze vor: Gabriel Setiloane stellt das Gleichgewicht als ausgleichende Gerechtigkeit, O.BimwenyiKweshi als das kohärente Zusammenwirken der Teile der Lebenswelt und Samuel Kibicho schließlich als lebensfördernde und d.h. für ihn befreiende Funktion der Ordnung dar (Teil II., A. 1.-3.). Allen Darstellungen gemeinsam ist die ausdrückliche Verbindung des Vertrauens, das die Erfahrung von Gleichgewichtsstruktur auslöst, mit dem Reden von Gott auch als Christen. Die mittelalterliche Satisfaktionslehre in der Form, in der sie in evangelikal-ausgerichteten Missionen nach Afrika exportiert worden ist, enthält ebenfalls Züge der Gleichgewichtstheologie, indem sie den einmaligen Opfertod Jesu Christi und den Heil realisierenden Glauben miteinander verbindet. Sie liefert die theologische Begründung für eine Form der "Bekehrungsfrömmigkeit", die in afrikanischen Kirchen sehr lebendig ist. (Teil II., A. 4.). Das zweite Kapitel dieses Teils stellt Ansätze afrikanischer Theologen vor, in denen im Reden von Gott eine Hoffnung laut wird, die sich auf ein Leben richtet, für das das Gleichgewichts-Ethos nicht Eingrenzung, sondern ermöglichende Voraussetzung ist: Die Gleichgewichtsstruktur der Schöpfung dient nach diesen Ansätzen der schöpfungsgemäßen, jedoch nicht statisch-fixierten Verwirklichung eines Lebens, die sich nicht von einer in-Kauf-zu-nehmenden Lebensbedrohung begrenzt weiß. Dies ist die Orientierung an der "Fülle des unbedrohten Lebens". In diesen Ansätzen findet die biblische Rede von der neuen Schöpfung Platz. John Mbiti formuliert sie in einer soteriologischen Remythologisierung der Christologie nach dem "Christus-Victor"-Modell. Damit kann er das afrikanische Zeitverständnis, das Zukunft an die Kontinuität aus der Vergangenheit gebunden sieht, beibehalten. (Teil II, B.l.) Charles Nyamiti verbindet traditionell-katholische scholastische Terminologie mit traditionellen afrikanischen Vorstellungen, um in seinem Reden von Gott das Gleichgewicht (z.B. die Funktion der traditionellen Ahnenverehrung) einzuordnen in eine radikale Verheißung der Fülle des Lebens. Nyamiti sagt dies, indem er die Priorität der immanenten Trinitätslehre in jeder Theologie behauptet. Gott, der Vater, habe sich selbst die Art von lebensbewahrender Struktur gegeben (Trinität), die in ihm jedoch nicht mehr angewiesen ist auf ein Gleichgewicht, sondern die "Leben an sich" ohne Lebensbedrohung ("Leben in Fülle") ermöglicht bzw. "ist". Afrikaner können entsprechend ihrer kulturellen Perspektive diese Struktur als Ahnen-Nachkommen-Verhältnis, also als Gleichgewichtsstruktur, erfahren und erkennen und sich von dieser aus hineintra-
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gen lassen in gottverheißenes unbedrohtes Leben: indem sie in dieser Gleichgewichtsstruktur Bruderschaft mit Christus erlangen und von hier aus mit ihm die Initiation in dieses göttliche Leben erreichen (Teil II., B.2.). Fabien Eboussi Boulaga schließlich geht auf diesem Weg noch einen Schritt weiter, indem er die klassisch-abendländische Terminologie, an der Nyamiti noch streng festhält, in ihrem Aussagewert relativiert und auch kritisiert. Er betont nicht mehr, wie noch Nyamiti, die Pflicht zur Erhaltung des Gleichgewichtes, obwohl es ihm als schöpfungsgemäße Struktur der Wirklichkeit ebenfalls nicht unwichtig ist. Boulaga legt den Finger vielmehr auf die Funktion, die das Gleichgewicht im Grunde auch bei Nyamiti haben soll: sich zu öffnen auf das radikal Neue hin, Grenzsprengung zu ermöglichen, sich selbst schließlich überflüssig zu machen. Gotteserfahrung siedelt Boulaga ausschließlich an der Stelle an, an der sich Strukturen öffnen um des Lebens willen, und das heißt dann: nicht im Ideal absoluter Wahrheit, sondern im konkreten menschlichen Leben in der Welt. Aus der Tendenz Nyamitis, dem "vitalistischen" Gleichgewicht innerhalb des Redens von Gott in christlicher Theologie eine Funktion zu geben, wird bei Boulaga die Betonung des dynamischen Elementes der Grenzsprengung, das er selbst auch auf afrikanische Weltsicht zurückführt. Die Schwierigkeiten, den klassischen Begriff der Offenbarung in diese Theologie zu integrieren, die so sehr von der Erfahrung der Schöpfung ausgeht, werden im dritten Kapitel durch die Vorstellung von drei Modellen aus der afrikanischen Theologie verdeutlicht (Teil II., C.). Auch hier soll nicht mit Kriterien klassischwestlicher Theologie analysiert und kritisiert werden, sondern zunächst die Einbettung der drei Modelle in die gemeinsame Intention afrikanischen Redens von Gott aufgezeigt werden. Dies mündet schließlich in eine Zusammenfassung, die die Intention der hier vorgestellten Ansätze afrikanischer Theologie als Rede von Gott in der Sprache der Erfahrung des gelingenden Lebens bündelt. Letztlich redet afrikanische Theologie von Gott als einem Interpretator von Erfahrungen, durch den ein gemeinsamer Gesamterfahrungshorizont überhaupt erst entstehen kann, in dem Lebensgestaltung möglich ist (Teil II., D.). An dieser Stelle werden auch die Grenzen und offenen Fragen dieser Theologie deutlich. Sie konzentrieren sich besonders auf das Problem der Thematisierung des Leidens, die bei der Konzentration auf die Tradierung von Formen gelungener Lebensgestaltung nicht zur Sprache zu kommen scheint. Die Orientierung an der traditionellen Vorstellung von Kontinuität scheint ihre Grenzen da zu haben, wo sie die Eingliederung von mißlungenem Leben in Gottes Zukunft nicht erlaubt. Der anschließende vergleichende Einblick in Strukturen südkoreanischer MinjungTheologie (Teil III.) dient dazu, die spezifische kulturelle Bedeutung der Tradition in Afrika vor dem Hintergrund einer anderen Theologie der Dritten Welt zu verdeutlichen, die ebenfalls versucht, einer Überfremdung durch westliches Denken
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in Theologie und Kirche durch eine verstärkte Bezugnahme auf die einheimische Kultur entgegenzuarbeiten. Die hier zudem vorgenommene Konzentration auf das Leiden und die Gegenwart Gottes in ihm bildet eine Alternative zum afrikanischen Reden von Gott, an dem auch Afrikaner nicht so einfach vorbeigehen können. Allerdings wird in der Analyse der Minjung-Theologie auch deutlich, daß eine einfache Übertragung ihrer Thesen in einen anderen Kontext nicht möglich ist: zu sehr ist der Begriff des Leidens hier gebunden an eine spezifische Erfahrung der Ambivalenz der eigenen Kultur, die es in Afrika so nicht gibt. Bei der Analyse der südkoreanischen Theologie fällt die Aufmerksamkeit erneut auf eine wichtige theologische Grundentscheidung afrikanischer Theologie: sie unterscheidet sich von der asiatischen Alternative durch den Versuch eines nicht nur impliziten, sondern bewußt indirekten Redens von Gott, während die Minjung-Theologie zwar implizit, aber in einer "holistischen Sprachauffassung" doch von einer direkten Gegenwart Gottes in der koreanischen Geschichte spricht. Diese Beobachtung mündet in die Schlußüberlegungen, in denen die Anregungen aus der afrikanischen Theologie im Bereich einer Schöpfungs- und die aus der koreanischen Theologie im Bereich einer Inkarnations-Theologie gewürdigt und auch ihre Grenzen markiert werden (Teil IV.).
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TEIL I: Reden von Gott in den afrikanischen Religionen als Boden afrikanischer Theologie A. Die Diskussion über den afrikanischen "Hochgott" Einleitung Für das Verständnis der Rückbezüge afrikanischer Theologen auf die traditionellen Religionen ist ein Einblick in die Diskussion des engeren religionsphänomenologischen "Befundes" unerläßlich. In diesem Kapitel soll daher der Frage nachgegangen werden, inwieweit in afrikanischen Religionen von einer explizierten Gottesvorstellung zu reden ist. Dies wurde in der Diskussion über den afrikanischen "Hochgott" zum Thema. Da sich an ihr auch afrikanische Theologen sehr stark beteiligt haben, können Problemstellung und Ergebnis dieser Diskussion einen Einblick verschaffen in die Sichtweise afrikanischer Theologen auf ihre religiösen Traditionen. Als Ergebnis der Diskussion kann die These festgehalten werden, der afrikanische Pantheon aus Göttern, Geistern und Ahnen werde implizit zusammengehalten von der Vorstellung eines diesen umgreifenden Gottes, der jedoch kultische Verehrung über die übrigen religiösen Instanzen erfährt. Sie gipfelt schließlich bei Harry Sawyerr in der Behauptung, afrikanische Religionen redeten von Gott als dem obersten Ahnen und gleichzeitig als Schöpfer. Der Beginn der Diskussion um einen Gottesbegriff, der den verschiedenen afrikanischen traditionellen Religionen gemeinsam ist, kann mit dem Erscheinen der von Edwin W. Smith herausgegebenen Aufsatzsammlung "African Ideas of God" im Jahr 1950 angesetzt werden. 1 Zwölf verschiedene afrikanische Stämme werden in diesem Buch in ihren Gottesvorstellungen untersucht. Smith faßt in seiner Einleitung gemeinsame Charakteristika zusammen und entwirft einen "Merkmalkatalog" für den "High-God"2, der in den folgenden 15 bis 20 Jahren immer wieder zitiert werden wird. Den nur auf den ersten Blick polytheistisch strukturier-
E.W. Smith (Hrsg.): African Ideas of God. London 1950; hier zitiert als: God . Smith wurde 1876 in Cape Colony, Südafrika, geboren. Über ein halbes Jahrhundert lang veröffentlichte er Bücher und Aufsätze insbesondere zur Religion der Bantu, so z.B. schon lange vor 1950: The Religion of Lower Races, as Illustrated by the African Bantu. New York 1923; The Secret of the African. London 1929; African Beliefs and Christian Faith. London 1936. Zu Smith's Missionstheologie und Bibliographie insgesamt vgl. Μ. McVeigh: God in Africa. Conceptions of God in African Traditional Religion and Christianity. Cape Cod 1974; hier zitiert als: God in Africa . 2
Smith, God, 21ff. Vgl. Zusammenfassung von R. Moore: Gott und Mensch im Bantu-Glauben. In: Bürkle (Hrsg.) 1968, 44-46; hier zitiert als: Gott und Mensch. S. auch K. Blaser: Aktuelle Probleme der Theologie in Afrika. In: Ev. Theol. 34,1974,479-95; bes. 483.
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ten afrikanischen Religionen liege ein Monotheismus zugrunde, der von der Vorstellung eines persönlichen, anderen Göttern, Geistern und Ahnen absolut übergeordneten Gottes ausgehe, der mehr sei als eine ewige "Energie". Dieser Gott habe in den unterschiedlichen Stammesreligionen unterschiedliche Namen, aber eine gemeinsame Struktur: Er ist Schöpfer3, ist "letzte Macht und Autorität hinter der Welt und allem Leben".4 Angebetet wird er meist indirekt durch andere göttliche Zwischenglieder (Ahnen, Geister, Götter). Die Menschen erfahren ihn als das Böse bestrafend und das Gute belohnend.5 In der folgenden Diskussion bestreiten eigentlich nur noch wenige Theologen, Religionsgeschichtler oder Ethnologen, daß den afrikanischen Stammesreligionen eine weitgehend gemeinsame Gottesvorstellung zugrundeliegt.6 Die Auseinandersetzung wird vielmehr geführt a) um die Beschreibung der einzelnen Charakteristika dieses "Hochgottes" und b) um die Möglichkeit, diesen Gottesbegriff mit dem Gott der Bibel zu verbinden.
1. Darstellungen der Hochgott-Vorstellung Allgemeine Einigkeit herrscht darüber, daß in den traditionellen afrikanischen Religionen von einem Schöpfergott gesprochen wird, welcher den höchsten Rang unter allen anderen verehrten Wesen einnimmt.7 Oft wird dabei die Schöpferkraft "1 Moore, Gott und Mensch,45. ^ Moore, Gott und Mensch, 45. ^ So jedenfalls interpretiert Moore, Gott und Mensch, 46. Smith selbst ist vorsichtiger, vgl. God, 22: "He is regarded as judge, or at least as being in an ethical relationship with mankind." Auch in dem Abschnitt, auf den Moore außerdem verweist, gibt es keinen Hinweis darauf, daß in den afrikanischen Religionen im Zusammenhang mit Gott von "dem Guten" oder "dem Bösen" gesprochen würde, sondern vielmehr von "God's prohibitions"; vgl. Smith, God, 159. S. auch Ch.Nyamiti: African Tradition and the Christian God. Eldoret 1978,1. ^ Einer von ihnen ist Aylward Shorter: Er betont in seinen Schriften (s. Literaturverzeichnis) die Unterschiedlichkeit und Verschiedenheit der afrikanischen Kulturen. Ähnlich seien sie lediglich im Ausdruck durch ihren "mythopoetischen Symbolismus"; s. Shorter: Gibt es eine afrikanische Kultur? In: Bürkle (Hrsg.) 1968, 23-33; hier 30. - Okot p'Bitek plädiert in seinen leidenschaftlichen Studien über die Religion der Central-Luo dafür, überhaupt nicht von einem afrikanischen Gottesbegriff zu sprechen. Zumindest bei den Luo gebe es Jok (Geist) nicht als Einzelbegriff für Gott, wie verschiedene Forscher behaupteten, sondern nur im Plural als "Geister von etwas bestimmtem", die unabhängig voneinander Bedeutung hätten. Insgesamt sei die Religion von dynamischem Funktionalismus geprägt. Die Rede von einem "Supreme Being" in ihr sei eindeutig christlich geprägt durch die Missionare; vgl. O. p'Bitek: African Religions in Western Scholarship. Nairobi 1970; hier zitiert als: Western Scholarship: und: Religion of the Central Luo. Kampala u.a. 1971; hier zitiert als: Central Luo.
η Vgl. zum folgenden außer den bereits genannten folgende Titel: - P. Bolink: God in Traditional African Religion - A Deus Otiosus? In: JThSA 1973, Heft 5,19-28; hier zitiert als: Deus otiosus. - D. Bosch: God through African Eyes. In: Becken (Hrsg.) 1973, 68-78; hier zitiert als: African Eves: und: Het evängelie in Afrikaans gewaad. Kampen 1974; hier zitiert als: Evängelie. - K.A. Busia: Das afri-
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wie ein notwendiges Zeichen der absoluten Souveränität und Transzendenz erwähnt.8 Differenziertere Äußerungen sehen entweder die Schöpfertätigkeit eingeschränkt9 oder beschreiben sie eher mit organisch-dynamischer Bildsprache. Dies trifft besonders für Bolaji Idowu zu, dessen Untersuchungen zum afrikanischen Gottesbegriff - nach in erster Linie westafrikanischem Material - immer wieder die Gemeinsamkeit der verschiedenen Gottesvorstellungen in dem zugrundeliegenden Konzept von Gott als schöpferischer Quelle, als lebenseinhauchendem Atem betont.10 Weitaus weniger Autoren bezeichnen den Gott der afrikanischen Religionen als "Richter". Zu ihnen gehört Idowu, doch scheint bei ihm wiederum das Richteramt
kanische Weltbild. In: Bürkle (Hrsg.) 1968, 34-41 (Orig.: The African World View in Christianity and African Culture. In: Christianity and African Culture. Christian Council of the Gold Coast. Accra 1955, 1-6); hier zitiert als: Weltbild. - F J . Couto: "Innere Anpassung" als Prinzip einer afrikanischen Theologie. In: Bettscheider (Hrsg.) 1978, 31-50; hier zitiert als: Anpassung. - S. Ezeanya: God, Spirits and the Spirit World. In: Dickson / Eilingworth (Hrsg.) 1969,30-46; hier zitiert als: Spirit World. - Η. Häselbarth: Die Auferstehung der Toten in Afrika. Eine theologische Deutung der Todesriten der Mamabolo in Nordtranswal. Gütersloh 1972;Jiier zitiert als: Auferstehung. - B. Idowu: Olodumare. God in Yoruba-Belief. London 1962, 1966 , hier zitiert als: Olodumare: Afrikanische Gottesvorstellungen. In: Bürkle (Hrsg.) 1968, 73-84 (= God. In: Dickson / Ellingworth (Hrsg.) 1969,17-29); hier zitiert als: Gottesvorstellungen: African Traditional Religion. Α Definition. New York 1973; hier zitiert als: Traditional Religion. - O A . Iloanusi: Myths of the Creation of Man and the Origin of Death in Africa. A Study in Igbo Traditional Culture and other African Cultures. Frankfurt u.a. 1984; hier zitiert als: Creation. - Β. Mangematin: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir". In: Bürkle (Hrsg.) 1968,277-84; hier zitiert als: Götter. - E J . Metuh: God and Man in African Religion. London 1981; hier zitiert als: God and Man. - J. Mbiti: Eschatologie und Jenseitsglaube. In: Bürkle (Hrsg.) 1968, 211-35 (Orig.: Eschatology and the After-Life. Vortrag auf AACC-Konsultation in Ibadan, Nigeria, 1966); hier zitiert als: Eschatologie: Eschatology. In: Dickson / Ellingworth (Hrsg.) 1969, 159-84 (Orig.: African Concept of Time. In: Afr. Theol. Jour. No 1, 1968, 8-20); hier zitiert als: Eschatology. - G. Mudiso: Überblick über die Bemühungen um eine afrikanische Theologie. In: Bettscheider (Hrsg.) 1978, 11-30; hier zitiert als: Überblick. - Th. Sundermeier: Nur gemeinsam können wir leben. Das Menschenbild schwarzafrikanischer Religionen. Gütersloh 1988; hier zitiert als: Nur gemeinsam. - J.F. Thiel: Begriff und Funktion der Afrikanität. In: Bettscheider (Hrsg.) 1978, 97-106; hier zitiert als: Afrikanität. 8
Vgl. z.B. Mudiso, Überblick, 17; Busia, Weltbild, 37; Moore, Gott und Mensch, 49; Idowu, Olodumare, 39/40; Gottesvorstellungen, 81/82; Couto, Anpassung, 36/37; Metuh, God and Man, 3-12 u. passim. ' So schon Smith, God, 22, und offensichtlich ihm folgend Couto, Anpassung, 36/37: Schöpfer "wenigstens einiger Teile der Welt". Leider ist die Einschränkung bei keinem der Autoren genauer erklärt. p'Bitek hält die Rede von einem Schöpfer im Falle der Luo für christlich beeinflußt; vgl. Western Scholarship, 74-76. Idowu, Gottesvorstellungen, 81; Traditional Religion, 156ff; noch nicht in Olodumare . Vgl. auch Moore, Gott und Mensch, 49: Gott ist der absolute Besitzer und Zuteiler von "Lebenskraft" (dazu s.u., Teil I., C.I.); Häselbarth, Auferstehung, 134: Gott ist weniger "prima causa im westlichen Sinn (...) als Urheber und Repräsentant aller lebendigen Energie auf Erden (...)"; Bosch, Evängelie, 43: Gott ist ein "verlegen woordiger van alle levende energie op aarde." - Weitere Literatur zum traditionellen afrikanischen Schöpfungsbegriff: Iloanusi, Creation, bes. 79.- Thiel, Afrikanität, 104, zweifelt daran, den Schöpferbegriff in afrikanischen Religionen gleichsetzen zu können mit dem biblischen: "Scheint dieses Wesen nicht häufig eine rationale Kategorie zu sein, um die sichtbare Kreatur zu erklären?" Ähnlich E. Dammann: Art. Afrika III. In: TRE, Bd. 1,1977, 716-49; hier 720.
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in erster Linie ein Zeichen der Souveränität zu sein.11 Couto drückt sich -hierin wieder Smith folgend - vorsichtiger aus und bezieht die Rede von Gott als Richter in erster Linie auf eine Beziehung zum "ethischen Verhalten der Menschen".12 John Mbiti schließlich bestreitet sogar, daß Afrikaner sich Gott überhaupt als Richter vorstellen, zumindest nicht im christlichen Sinne eines umfassenden "jüngsten Gerichtes".13 Noch verwirrender wird das Bild, wenn wir die Arbeiten berücksichtigen, die den afrikanischen Gott als sowohl wohltätig als auch gefährlich beschreiben.14 In diese Richtung weist auch Idowu in der Betonung der Vorstellung vom Zorn Gottes, doch bindet er diese noch ein in die Richterfunktion.15 Busia zufolge jedoch gilt die auch gefährliche Macht Gottes als Antwort auf die Theodizee-Frage.16 Entsprechend diesem schillernden Bild der afrikanischen Gottesvorstellung(en) sind die Ansätze, von hier aus Verbindungslinien zum christlichen Gottesbegriff zu ziehen, unterschiedlich. Während Mbiti, Idowu und Ezeanya eindeutig für eine direkte Linie von den Religionen zum Evangelium im Sinne der Offenbarungstheorie einer natürlichen Theologie plädieren17, sind Couto und Kato strikt dagegen, christliche Theologie mit den traditionellen afrikanischen Religionen in Verbindung zu bringen.18 Differenzierter geht David Bosch das Problem an: Der Gott der
Idowu, Olodumare, 42; Gottesvorstellungen, 83/84; Traditional Religion, 163ff, hier 164: "The whole African concept of justice is based upon the fact that the world belongs to Deity, that the social and the moral orders are his ordinance, and that he is far above all divisions into races, ethnic groups, clan differences, or political partisanships." So auch Iloanusi, Creation, S3, und Metuh, God and Man, 44/45. 12 Couto, Anpassung, 36/37:"Er ist Richter der menschlichen Handlungen; mindestens hat er mit dem ethischen Verhalten der Menschen zu tun." Vgl. Smith, God, 22, und s.o. Anm. 5 dieses Kapitels. 13 Mbiti, Eschatologie,218; Eschatology, 166ff; so auch Sundermeier, Nur gemeinsam, 201/02. 14
Z.B. Busia, Weltbild, 37.
^ Idowu, Gottesvorstellungen, 83/84: "Die Vorstellung vom Gericht Gottes ist so stark, daß der Zorn Gottes in einer bestimmten Gottheit zum Begriff geworden ist, nämlich im Sonnen- und Donnergott"; Traditional Religion, 164. ^ Busia, Weltbild, 38. So auch Bosch, African Eyes, 73: "He may, for example, send calamaties: earthquakes, droughts, plague and the like."; ebenso Bosch, Evingelie, 46/47: Gott ist Ursache des Bösen und übt keine ausgleichende Gerechtigkeit. Für Häselbarth ist die Theodizee-Frage das Hauptproblem afrikanischer Religionen, in denen die Menschen mit aller Macht versuchten, ihre Gottesvorstellung vor dem Vorwurf der Verursachung des Bösen und des Todes irgendwie zu bewahren; s. Häselbarth, Auferstehung, 138ff. 17 Mbiti, Eschatologie, 231: praeparatio evangelica; Idowu, Gottesvorstellungen, 75: erste Stufe der Offenbarung; Traditional Religion, 51ff; Ezeanya, Spirit World, 46. 18
Couto, Anpassung, 38: Afrikanische Religionen stammen aus vorindustrieller Zeit und sind nur noch sekundär über den Kolonialismus in Erinnerung. Daher sollte christliche Theologie nicht an ihnen anknüpfen. - Bjang Kato vertrat als evangelikaler Theologe einen klaren "Diskontinuitätsansatz",
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Offenbarung sei in Afrika nicht anzutreffen. 19 In der Christianisierung des afrikanischen Gottesbegriffes werde dieser vielmehr transformiert in etwas fundamental Neues, wobei der alte 'Treffpunkt Gottes" in der afrikanischen Kultur gleichsam als "Kleid" des Neuen bestehen bleibt.20 Uzukwu und Ranger versuchen, aus dem afrikanischen Gottesbegriff ideologisches Kapital zu schlagen: Er eigne sich gut für eine Erziehung zu einer neuen, überpartikularistischen afrikanischen Weltsicht, und unter diesem Gesichtspunkt könne auch vorsichtige Selektion aus der Bibel nützlich sein.21 So wenig theologisch diskussionswürdig dieser Ansatz auch ist, weil er das Reden von Gott zweifelhaftem politischen Machtstreben dienstbar machen will - er ist doch ein Hinweis darauf, daß mit den in dieser Diskussion entdeckten Strukturen traditionellen Redens von Gott ein Interesse erwacht, die ganzheitlichen Aspekte darin für die gegenwärtige Weltbewältigung fruchtbar zu machen. Die Bezeichnung "Hochgott" für den Gottesbegriff afrikanischer Religionen wurde zumindest in ihrem Ursprung mit der Beobachtung verbunden, daß es in der praktischen Frömmigkeit nicht um Gott, sondern um die partikularen Gottheiten, Geister und Ahnen des Stammes gehe. Gott selbst habe mit dem praktischen Leben nichts zu tun. Dies ist der Kern der These, die afrikanische Gottesvorstellung sei die von einem Gott, der sich aus der Welt zurückgezogen habe: von einem "deus remotus". Afrikanische Theologen wehren sich besonders gegen diese Interpretation, wie im folgenden Abschnitt deutlich wird.
2. Die Diskussion über den "deus remotus" Die deus-remotus-These basiert auf der Beobachtung, daß das oberste göttliche Wesen in den afrikanischen Religionen wohl in fast allen Fällen einen speziellen der gegen jede Anknüpfung des Evangeliums ist. Die traditionellen Religionen hält er zudem für in der Tendenz reaktionär und autoritär; vgl. B.Kato: Theological Pitfalls in Africa. Kisumu 1975, 32ff und passim; hier zitiert als: Pitfalls. ^ Gegen Idowu, vgl. Bosch, Evängelie, 48. 20 Bosch, African Eyes, 73. Bosch entwickelt diesen Ansatz nach dem alttestamentlichen Jahwe-Elohim-Modell. Schon Smith gab einen Hinweis auf diese Möglichkeit; vgl. God, 34. Vgl. dazu Rücker, "Afrikanische Theologie", 199/200. Als "Warnung" vor zu oberflächlichem Verständnis dieser Theorie s. Rückers Hinweis auf die "Amphibiensituation afrikanischer Christen", ebda, 30f und 59, oder die Feststellung des Professors für Staatswissenschaft in Nigeria, James O'Conell, der "getaufte" afrikanische Hochgott sei nicht der Gott der Liebe geworden; O'Conell: The Problems of Baptizing the High God. In: AFER 15, 1973, 218-26, hier: 220. Man muß Boschs Betonung der Transformation unbedingt ernstnehmen. So auch Bosch selbst in Evängelie, 48ff. 21
E.Uzukwu: The God of our Ancestors and African Unity. In: AFER 23,1981,344-52 und 365 (Teil 1); AFER 24,1982/1, 45-50 (Teil 2); und Τ. Ranger: The Churches, the Nationalist State and African Religion. In: Fashol6-Luke u.a. (Hrsg.) 1978, 479-502, hier 481: "Common ndgritude" des "Mobutuism". Ranger kommt aus Zaire.
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Namen hat, aber im alltäglichen Leben kaum kultisch verankert ist. Es heißt, die Verehrung Gottes geschehe indirekt in der Verehrung von Göttern, Geistern und Ahnen. In diesem Zusammenhang erscheinen die Mythen von der Entfernung des Himmels von der Erde als Erklärung. 22 Nur in Notfällen werde der entfernte Hochgott direkt angerufen. 23 Einzig die Akan in Westafrika scheinen einen ausgeformten Hochgott-Kult gehabt zu haben. 24 Für die westafrikanischen Ashanti wird die indirekte Hochgottverehrung besonders in der direkten Verehrung des Sonnengottes gesehen.25 Aus diesen Gründen spricht man vom afrikanischen "deus remotus", von dem Gott, der sich zurückgezogen hat und fern ist.26 Die gängigste theologische Interpretation dieser Beobachtung nun ist die These vom im Prinzip deistischen Gottesbegriff in afrikanischen Religionen. Manchmal wird dies durch Verwendung des Begriffs "deus otiosus" betont. 27 Bolaji Idowu gehört zu den Autoren, die die deus-remotus-These ablehnen. Für ihn ist das Grundcharakteristikum des allen afrikanischen Religionen gemeinsamen Gottesbegriffes das von Gottes Einheit. Diese werde auch von dem Verhältnis von Gott und Göttern ausgesagt, so daß es keinen Grund für die deus-remotusThese gebe.28 In diese Richtung weist auch die Erklärung von Samuel Kibicho. Nach seiner Darstellung wird der Kikuyu-Hochgott nicht so oft "belästigt", weil die Menschen wissen, daß sie seinen Willen erfüllen, wenn sie gute Beziehungen halten zu anderen Menschen, einschließlich der Ahnen. 29 Mulago und Setiloane füh-
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Smith, God, 159-61; Moore, Gott und Mensch, 49; Mangematin, Götter, 281; Mudiso, Überblick, 17; Couto, Anpassung, 36/37; Thiel, Afrikanität, 101; Ezeanya, Spirit World, 37f; Bosch, African Eyes, 74; Evängelie, 43/44; Kato, Pitfalls, 33/34; Bolink, Deus otiosus, 23; Iloanusi, Creation, 56. 23
Smith, God, 30; Ezeanya, Spirit World, 38ff; Häselbarth, Auferstehung, 133.
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So Harry Sawyerr: God: Ancestor or Creator? Bristol 1970, 6. Idowu, Traditional Religion, 151f gibt nur einen sehr oberflächlichen Befund. Er will Beispiele gegen die These der indirekten Gottesverehrung aufführen, differenziert dabei aber nicht zwischen ausgesprochen kultischen, rituellen Handlungen und der Erwähnung Gottes in Gebeten u.ä.. Anders noch Idowu, Olodumare, 142/43.1. erwähnt hier einen speziellen Olodumare-Kult, der allerdings aussterbe. Auch bei Metuh finden sich einige Hinweise auf Beispiele von "organized public worship of God"; God and Man, ix und 119-36. 25
So schon Smith: The Secret of the African. London 1929,19433,121.
^ Mbiti, Eschatologie, 235; Moore, Gott und Mensch, 49; Häselbarth, Auferstehung, 135; McVeigh, God in Africa, 151; Bolink, Deus otiosus, 24/25. Bosch, African Eyes, 74; Evängelie, 57; Moore, Gott und Mensch, 5o; Mangematin, Götter, 281. 28
Idowu, Olodumare, 142.
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S. Kibicho: African Traditional Religion and Christianity. In: WSCF (Hrsg.) 1972, 14-21; hier 17 u. 20; und: The Continuity of the African Conception of God into and through Christianity: a Kikuyu Case-Study. In E. Fasholi-Luke u.a. (Hrsg.) 1978,370-88; hier 372.
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ren als Erklärung der seltenen direkten Gottesverehrung an, daß gerade die Indirektheit in Afrika ein Zeichen besonderer Respektbezeugung sei. Auch nach ihrer Meinung ist es falsch, von daher auf einen deus remotus zu schließen.30 Rulange Rwenumbiza hält die Interpretation der afrikanischen Schöpfungsmythen als Erklärung eines zurückgezogenen Gottes für eine Verzerrung aus der Perspektive europäischer Theologie des 19. Jahrhunderts. Die Mythen sagten vielmehr nichts anderes als die alttestamentliche Geschichte von der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies, nämlich daß aufgrund menschlichen Vergehens die ursprünglich nahe Beziehung zwischen Gott und Menschen aufgehoben bzw. gestört sei. Dies sei Ausdruck des Redens von Gottes Transzendenz.31
3. Gott als Schöpfer und oberster Ahne: Darstellung des Hochgott-Problems durch Harry Sawyerr Viele Argumente aus der Diskussion um den afrikanischen Hochgottbegriff wurden besonders gründlich von Harry Sawyerr aus Sierra Leone abgewogen. Daher soll seine Darstellung hier referiert werden, um die Ergebnisse der Diskussion in Bezug auf das Reden von Gott festzuhalten.32 Der anglikanische Theologe bestätigt die Beobachtung, daß direkte Gottesverehrung in afrikanischer Tradition selten vorkommt.33 Er führt dies auf die afrikanische Art der Respektbezeugung gegenüber Häuptlingen und auf die Ahnenvereh-
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V. Mulago: Die lebensnotwendige Teilhabe. In: Bürkle (Hrsg.) 1968, 54-72; hier: 70; G. Setiloane: Modimo: God Among the Sotho-Tswana. In: JThSA 1973, Heft 4, 6-17; hier: 6/7; vgl. auch Idowu, Olodumare, 140-43.
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Vgl. R. Rwenumbiza: A Comparative Study between the Developement of Yahwistic Monotheism and the Concept of God among the Bantu People of Africa South of'Sahara: A Biblio-Theological Evaluation. Theol. Diss. Rom 1983,hier zitiert als: Comparative Study: hier: 114/115, bes. auch 118: "Transcendence of God must not be seperated from God's nearness to man." Ebenso denkt auch Metuh, God and Man, 14. H. Rücker unterstreicht diese Argumentation, s. "Afrikanische Theologie", 136: "Der zuweilen angemerkte Widerspruch zwischen 'Hochgott' und 'deus otiosus' geht von der Annahme aus, der bedeutsamste Gott müsse auch der nächste sein; der wahre Gott sei jener, den Frömmigkeit und Religionswissenschaft Tag für Tag bemühen. Diese Prämisse ist jedoch nicht akzeptabel; der Widerspruch liegt schlechthin nicht vor." 32
Vgl. folgende Arbeiten von Harry Sawyerr: - God: Ancestor or Creator? Aspects of Traditional Belief in Ghana, Nigeria and Sierra Leone. Bristol 1970; hier zitiert als: Ancestor. - Creative Evangelism: Towards a New Christian Encounter with Africa. London 1968; hier zitiert als: Creative Evangelism. - The African Concept of Death. In: WSCF (Hrsg.) 1972, 22-34; hier zitiert als: Concept of Death. - Grundlagen einer Theologie für Afrika: In: Gensichen u.a. (Hrsg.) 1965, 110-26; hier zi33
Ancestor, 6: "But God is, however, never worshipped except as in the case of Akan."
27
rung zurück.34 Könige oder Häuptlinge in afrikanischen Gesellschaften würden nur in seltenen Fällen direkt angesprochen. Selbst wenn ein Bittsteller dem Häuptling gegenüberstehe, werde die Bitte zu einem Vermittler gesprochen. Auf diese Weise werde der Regierende selbst vor zu vielen erschöpfenden Anfragen geschützt.35 In der Ahnenverehrung findet sich eine Parallele zur spärlichen direkten Gottesverehrung darin, daß solche Ahnen, von denen es keine lebenden Verwandten mehr gibt, nicht mehr ausdrücklich verehrt werden. Sie entfernen sich, bleiben jedoch weiterhin ein wesentlicher Teil des Stammes.36 Diese Beispiele, die in Sawyerrs Buch über den afrikanischen Gottesbegriff durch Detailuntersuchungen vertieft werden, sagen zweierlei aus: daß a) in der afrikanischen Kultur indirekte Kontaktaufnahme mit Respektpersonen nicht ungewöhnlich ist und daß daher b) diese Art des Kontaktes nicht bedeutet, daß der indirekt angesprochene Adressat unbedeutend oder etwa nicht zuständig sei. Die Analogie zum Häuptling und den frühen Ahnen bestätigt aber auch die Vermutung der Vertreter der deus-remotus-These, daß der Gott der traditionellen afrikanischen Religioneirim Alltagsleben selbst keine Rolle spiele.37 Dafür gibt es die anderen religiösen Instanzen, die allerdings, so sagt auch Sawyerr, als Manifestationen Gottes gelten.38 Die von Sawyerr in dem Buch über den afrikanischen Gottesbegriff gesammelten religionswissenschaftlichen Detailuntersuchungen über die Akan, die Yoruba und die Mende unterstützen eine ältere Untersuchung, die für Sawyerr offenbar wegweisend ist: die bereits 1944 von J.B.Danquah veröffentlichte Arbeit "The Akan Doctrine of God".39 Danquah hatte in dieser Untersuchung herausgestellt, wie sehr der afrikanische Gottesbegriff mit dem der Stammesgemeinschaft verbunden ist. Dies brachte er auf die Formel: Gott ist in Afrika der oberste Ahne. Harry Sawyerr hält nun offenbar von dieser These mehr als von der, daß die afrikanische Art,
^ Ancestor, 7-9. S. dazu auch u. den folgenden Abschnitt dieses Kapitels: Exkurs über afrikanische Geschichte. •ac Ancestor, 8: "Anyone in a position of headships realises how wearying it is to have to answer personally to all the calls on one's time and attention. Today we resort to personal secretaries who serve as a buffer between us and the various callers and petitioners. African chiefs discovered a solution to this problem several centuries ago and introduced the intermediaries we have described above." 36
Ancestor, 7.
T7 Ancestor, 5. 38
Ancestor, 10.
39
J.B. Danquah: The Akan Doctrine of God. London 1944,19682; hier zitiert als: Akan Doctrine.
28
von Gott zu reden, deistisch sei (deus-remotus-These).40 Afrikanisches Reden von Gott geschieht in Begriffen des entsprechenden Gemeinschaftssystems. Daher die Ähnlichkeit der Verehrung von Ahnen, Häuptlingen und Gott. Gott hat sich nicht zurückgezogen, sondern er wird als Höchstes Wesen nur in absoluten Krisenzeiten direkt angerufen - wenn alle Manifestationen versagen.41 Er ist grundsätzlich zuständig für (ausgleichende) Gerechtigkeit in der Welt.42 In diesem Sinn gilt er als Schöpfer. In seiner Analyse der traditionellen Schöpfungsvorstellungen kommt Sawyerr auf zwei Grundzüge von Schöpfungstheologie in den traditionellen Religionen: Gott wird zum einen als Vater (oder Urahne) der Schöpfung, analog zum Geburtsvorgang, gesehen. Der Schöpfer ist unter diesem Aspekt Symbol für kosmische Totalität43 Er ist als Prinzip der Wirklichkeit ihr immanent und steht ihr nicht gegenüber. Schöpfung wird aber außerdem verstanden wie ein handwerklicher Akt, also nicht als Geburt, sondern als Produktion.44 Dieser zweite Aspekt des Schöpfungsbegriffs afrikanischer Religionen zeigt, daß in diesen nicht rein nicht-dualistische Weltanschauungen vorherrschen45 Vertreter der deus-remotus-These beziehen sich auf diesen Aspekt. Forscher, die dieser These widersprechen, werden sich auf den ersten, nicht-dualistischen beziehen.46 Sawyerr will beide Aspekte berücksichtigt wissen. Der Gott der afrikanischen Religionen ist sowohl oberster Ahne als auch produzierender Schöpfer. Er steuert die Wirklichkeit von innen heraus. Sawyerr zieht deshalb die Formulierung, die sich auch
Vgl. auch N. Onwu: The Hermeneutical Model: The Dilemma of the African Theologian. In: Afr. Theol. Jour. 14,1985/3, 145-6o; 149: Die These vom afrikanischen deus remotus sei nur entstanden, weil der europäische Deismus des 18. Jahrhunderts in Afrika "wiedererkannt" wurde. ^ Ancestor, 9; Grundlagen,123/24. So auch B.Bujo: Der afrikanische Ahnenkult und die christliche Verkündigung. In: ZMR 1980,293-306; hier 294 und 299. ^ Ancestor, 9: "He rules the world and administers justice and equity."- Nach Iloanusi stimmen dieser These allerdings nicht viele Kenner von Akan-Religionen zu. Iloanusi sieht vielmehr die Ahnen nicht so verschmolzen mit dem Gottesbegriff: "They are not Gods themselves but rather functionaries of God." Die von Sawyerr referierte und detaillierte Danquah-These ist allerdings weitaus differenzierter als sie hier bei Iloanusi erscheint. Sie meint nicht, daß der afrikanische Gottesbegriff Resultat einer Vergötterung der Urahnen sei, sondern sie ist Resultat der Analyse der exklusiven, stammesgebundenen Funktion Gottes, wie sie in dem Reden von Gott in den drei untersuchten Stämmen ausgesagt werde. Iloanusi hält die Aussage, der afrikanische Gott sei exklusiv stammesgebunden, für falsch (Creation, 53f), bietet aber weder eine differenzierte Analyse noch ein präzises Literaturreferat. Es gelingt ihm dadurch nicht, sich wirklich von Danquahs These abzusetzen. Stellenweise klingt es sogar, als referiere er ihn; vgl. z.B. 231: "Although the Igbo concept of heaven may be termed a 'tribal heaven' or 'Uminna-centric', God is always where the ancestors dwell in the spirit world." 43
Ancestor, 96.
44
Ancestor, 97. Zu Sawyerrs These der zwei unterschiedlichen Gotteskonzepte s. auch Creative Evangelism, 65. ^ Vgl. dazu auch Ancestor, 103:"(...) transformation from immanence to transcendence." ^ So auch Danquah, Akan Doctrine.
29
oft in Darstellungen des traditionellen afrikanischen Gottesbildes findet, vor: Gott sei eine mächtige Kraft (power), bzw. eine Lebenskraft, "die praktisch im Menschen manifestiert gesehen wird und zum Teil auch in den Ahnen."47 Der nichtdualistische Zug des ersten Schöpfungsaspektes taucht wieder auf, wenn Sawyerr K.A. Busia folgt und betont, die afrikanische Gottesvorstellung deute sowohl auf wohltuende als auch auf gefährdende Macht.48 Die sowohl dualistische als auch nicht-dualistische Gottesvorstellung in traditionellen afrikanischen Religionen betont Sawyerr an anderer Stelle in Zusammenhang mit den Mythen, die den Ursprung des Todes zu erklären versuchen. Gott wird in ihnen zum Teil als Gegenüber des Todes, zum Teil als dessen allumfassende Umklammerung verstanden.49 Ein Beispiel dafür, daß trotz starken hierarchischen Denkens in afrikanischer Theologie mindestens nicht-dualistische Züge bestimmend sein können, ist die Arbeit des katholischen Theologen und Ethnologen aus Nigeria, Obiakoizu A. Iloanusi. Er hält insbesondere die Rede von der Ganzheitlichkeit (uniqueness) Gottes für unvereinbar mit der deus-remotus-These.50 Gott sei für die Igbo der Kontrolleur des Universums, und alle anderen religiösen Instanzen seien ihm untergeordnet. Daher könne man auch deren Funktion nicht abgelöst von seinem Wirken betrachten. Iloanusi bringt mit diesen Thesen nicht unbedingt neue Argumente in die Diskussion um den angeblichen afrikanischen deus remotus. Auch die Literatur, die er zitiert oder auf die er sich bezieht, ist zum größten Teil aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Insbesondere hält er sich an Idowu. Dennoch ist es sinnvoll, Iloanusi in diesem Zusammenhang zu konsultieren, denn aus der Lektüre seiner Arbeit wird deutlich, wie wichtig es ist, traditionelles afrikanisches Reden von Gott im Zusammenhang der gesamten Religion(en) zu betrachten. Wenn ein Igbo von Gott redet, dann redet er nicht von etwas anderem als von Göttern, Geistern und vielleicht auch Ahnen.51 Die einlinig-hierarchische Art der Beziehung der religiösen Instanzen im traditionellen Afrika, wie sie Iloanusi darstellt, wird allerdings nicht von allen afrikanischen Autoren, die die traditionelle Weltsicht darzustellen versuchen, so betont. Historische Hintergründe zu diesen Fragen soll der folgende Exkurs aufzeigen.
47
Ancestor, 104.
^ Ancestor, 104. 4 9
Concept of Death, 32.
5 0
Iloanusi, Creation, bes. 80ff. Bei Iloanusi nicht klar, s.o., Anm. 42 dieses Kapitels.
30
4. Exkurs: Die großen Reiche in der afrikanischen Geschichte Zum Verständnis der Analogien Saywerrs ist ein Einblick in die afrikanische Geschichte erforderlich. Afrikanische Gesellschaften der Vorkolonialzeit waren nicht nur Stammesgesellschaften. 52 Man kann sie grob in drei Typen unterscheiden: in akephale Stammesgemeinschaften, wie sie unter den meisten Bantu-sprechenden Völkern zu finden sind, in Häuptlingstümer und in die Königstümer der komplexeren afrikanischen Reiche. 53 Besonders in Westafrika gab es regelrechte Staatengebilde mit sehr differenzierter Sozialstruktur. Sie entstanden entlang der transsaharischen Verkehrsader und sind eng verbunden mit dem Austausch von Waren aus den schwarzafrikanischen Ländern (Gold, Elfenbein, Kolanüssen, Gummi, Tierhäuten) mit dem Salz aus dem Magreb und den Waren aus dem arabischen Osten (Stoffen, Perlen, Handschriften). Durch die Handelskontakte kam es zu Einflüssen aus der islamisch-arabischen Welt auf die schwarzafrikanischen Gemeinschaften. Berichte von Handelsreisenden sind denn auch die historischen Quellen, aus denen uns Informationen über diese Staaten zur Verfügung stehen. Vom 10. bis 13. Jahrhundert währte die Blütezeit des ältesten afrikanischen Königreiches "Gana", das etwa im Gebiet des heutigen Mali und südlichen Mauretanien lag und nichts außer dem Namen gemein hat mit dem heutigen Staat "Ghana".54 Die Bevölkerung setzte sich aus berberischen Hirten und seßhaften schwarzen Bauern zusammen. 55 Die Könige waren vermutlich zu Beginn des Reiches Berber. Seit dem 10. Jahrhundert gilt Gana als Königreich mit schwarzer Dynastie.56 Das Königsamt wurde durch Erbschaft nach matrilinearem System weitergegeben.
52
Zu diesem Abschnitt vgl. folgende Literatur: - P.Berteaux: Afrika. Von der Vorgeschichte bis zu den Staaten der Gegenwart. Frankfurt 1966 (Fischer Weltgeschichte 32); hier zitiert als: Afrika. D.Forde: Art. Africa, C.: West Africa. In: Encyclopaedia Britannica, 1971, Bd. 1, 267-70; hier zitiert als: West Africa. - J.Ki-Zerbo: Die Geschichte Schwarzafrikas. Frankfurt 1981 (Orig.: Histoire de l'Afrique Noire. Paris 1978); hier zitiert als: Geschichte. - E.Sik: The History of Black Africa. Vol. 1. Budapest, 7. Aufl. 1970. (Orig. franz. 1961); hier zitiert als: History. « Vgl. dazu A.Shorter: African Christian Theology - Adaption or Incarnation? London u.a. 1975, 97100. 54
Berteaux, Afrika, 47/48.
^ Genauere Angaben über die ethnische Zusammensetzung vgl. Ki-Zerbo, Geschichte, 106. 56
Berteaux, Afrika, 50; Ki-Zerbo, Geschichte, 107.
31
Die politischen Machtzentren Westafrikas verlagerten sich im Laufe der Geschichte vor Eintreffen der Europäer immer weiter nach Osten.57 Im Anschluß an das Königreich Gana erstarkte das Reich Mali, das bereits stärker islamisch geprägt, dessen Bevölkerung jedoch rein schwarz-afrikanisch war. Es ist gekennzeichnet durch eine dezentralisierte Monarchie. Das Reich, das in seiner Blüte 400 Städte zählte, wurde in mehrere Provinzen, diese in Bezirke und diese wiederum in Dörfer unterteilt. Verwaltungsbeamte des Königs überwachten die Tätigkeit der örtlichen Häuptlinge.58 Ki-Zerbo hält das Regierungssystem Malis trotz der Verbreitung des islamischen Glaubens für typisch für alle großen schwarzafrikanischen Königreiche. Obwohl schon in Gana muslimische Intellektuelle am Königshof tätig waren und in Mali arabische Gelehrte an den Hof kamen, hält er den Einfluß des Islam für nicht sehr tiefgreifend.59 Ki-Zerbo geht an keiner Stelle seines Buches über Andeutungen über das Typische afrikanischer Königsherrschaft hinaus. Offenbar meint er damit die Art der Verehrung des Königs als eine Manifestation Gottes, die man mit dem Begriff "sakrales Königtum" bezeichnet.60 Nach ihr war es verboten, den König bei Audienzen direkt anzusehen. Auf diese Verehrungsart wird in der Debatte um den afrikanischen Hochgott von afrikanischen Theologen als kultureller Hintergrund der kultischen Zurückhaltung bei der Gottesverehrung hingewiesen. Das Königsamt war in den afrikanischen Reichen mit strengen rituellen Auflagen verbunden.61 Wenn sich ein König durch Krankheit oder Unrechte Machtausübung seines Amtes für unwürdig erwies, mußte er damit rechnen, getötet zu werden.62
57 Ki-Zerbo, Geschichte, 174: wegen der Erschöpfung der Goldminen im Westen und der Eröffnung neuer im Osten. 58
Ki-Zerbo, Geschichte, 142/43.
59
Ki-Zerbo, Geschichte, 140.
^ Vgl. dazu z.B. A.E. Crawley: Art. King, Introductory. In: J.Hastings (Hrsg.): Encyclopaedia of Religion and Ethics, New York 1955, Vol. VII, 708-11; W. Macgaffey: Art. Kingship: Kingship in SubSaharan-Africa. In: M. Eliade (Hrsg.): The Encyclopaedia of Religion, Vol. 8, New York / London 1987,322-25. Vgl. Ki-Zerbo, Geschichte, 196, im Zusammenhang mit dem schwarzafrikanischen Königreich "Monomatapa" im heutigen Simbabwe: "Dieses Königreich war nach dem üblichen Muster der negerafrikanischen Monarchien aufgebaut. Z.B. sah die Audienzgemeinschaft den König nicht, sondern vernahm nur seine Stimme; die winzigste seiner Äußerungen, wenn er z.B. hustete, wurde vom gesamten Hof nachgeahmt." Vgl. auch Ki-Zerbos Äußerungen zum "Gottkönigtum" in Ruanda des 19. Jahrhunderts, Geschichte 330: "Übrigens war der Begriff des 'Gottkönigtums' nicht einzig auf dieses Berührungsgebiet zwischen Niloten, Bantu und Kuschiten oder Äthiopiden beschränkt. Er war charakteristisch für die Philosophie der Lebenskraft bei den Negern." Vgl. auch Forde, West Africa, 269, über den König von Gana, sowie 270, über Herrscher westsudanesischer Staaten. fO
Ki-Zerbo, Geschichte, 196: "Seine körperliche Unversehrtheit war die Vorbedingung für den Wohlstand des Landes. Deshalb gab es auch rituelle Giftmorde."
32
In vielen afrikanischen Monarchien war der Herrscher an Repräsentanten der Stämme seines Reiches gebunden. Ein solches Gremium bestimmte im 15. Jahrhundert im Königreich Kongo, einer Vereinigung mehrerer Stammeshegemonien, den König. Mindestens bestätigte es den Wahlvorschlag, den der verstorbene Monarch zu seinen Lebzeiten gemacht hatte.63 Der ungarische Historiker Endre Sik schreibt über einen der stammesföderativen "Haussa"-Staaten vom 10. bis 19. Jahrhundert in der Gegend des heutigen Nigeria, daß die politische Struktur "formal" die einer absolutistischen Monarchie gewesen sei, es sich tatsächlich jedoch um eine Herrschaft der Stammesrepräsentanten gehandelt habe, die gewählt wurden. Allerdings spielte dabei der große Stamm der Bambala eine führende Rolle. Alle Angelegenheiten seien nach der "öffentlichen Meinung" entschieden worden, auch gegen den Willen des Königs.64 Im Königreich Yoruba im heutigen Nigeria, das als eine Art Städteförderation bezeichnet werden kann, wurde der König "Gefährte der Götter" genannt.65 Ki-Zerbo zufolge hatten die "Stadtviertel- und Familienchefs eine ungeheure Kontrollmöglichkeit über den König", mit der sie ihn bei Machtmißbrauch durch ein "Mißtrauensvotum" zum Selbstmord zwingen konnten.66 Berteaux bezeichnet dieses System als "kompensierten Absolutismus".67 Im sich ebenfalls auf Yoruba-Tradition berufenden jüngeren Königreich Benin war der König gleichzeitig oberster Opferpriester und hatte auch Menschenopfer-Zeremonien zu leiten.68 Nach dem Tod des Königs wurden in Benin Angehörige des Hofstaates lebendig mitbegraben. Ki-Zerbo zitiert Quellen, denen zufolge sich die Günstlinge des Verstorbenen um diese Ehre gestritten haben.69 Die Sozialstruktur in diesen Staaten orientierte sich nicht mehr nur an der Altersstufung wie in den Stammesgesellschaften. Vielmehr waren auch Rangabstufungen der einzelnen in ihnen zusammengefaßten Stämme nicht ausgeschlossen, wie das
63
Ki-Zerbo, Geschichte, 191.
^ Sik, History, 65, über Bushongo. ^ Ki-Zerbo, Geschichte, 164. Laut Berteaux sind die Yoruba "das einzige schwarze Volk, das von sich aus seine Zusammenballung in großen Städten angestrebt hat"; Afrika, 72. Ki-Zerbo, Geschichte, 164; Berteaux, Afrika, 72: "Nur sehr wenige Herrscher scheinen eines natürlichen Todes gestorben zu sein." Berteaux, Afrika, 73. S. auch dort weiter: "Wohl um allzu häufige Palastrevolutionen zu vermeiden, sah das System in seiner Weisheit beim Tod des Königs aus politischen Gründen auch die Opferung fünf hoher Beamter, einer Gattin, der Königinmutter und der Mutter des Kronprinzen sowie oft des Kronprinzen selbst vor." SQ
00
Ki-Zerbo, Geschichte, 166: "Der Oba (d.h. König, U.L.-W.) ist Opferpriester bei den Riten, die manchmal auch Menschenopfer verlangten." Vgl. dazu Berteaux, Afrika, 74: "Das Massenopfer von Menschen war in Benin an der Tagesordnung. Die Feste waren von blutigen Zeremonien begleitet." 69
Ki-Zerbo, Geschichte, 168.
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Beispiel des verstärkten Einflusses des Bambala-Stammes in Bushongo zeigt.70 Während in einer Stammesgemeinschaft also jedes Mitglied lediglich älter werden muß, um die Rangstufen zu durchlaufen, kann in einem solchen komplexeren Sozialgebilde die Möglichkeit des Einflusses auf die Lebensgestaltung ihre Grenzen finden im u.U. nur beschränkten Einfluß des eigenen Stammes. Zu den sozialen Differenzierungen in diesen Staaten gehört auch die Entwicklung von Sklaven-Kasten. Schon der Reichtum Ganas beruhte nicht nur auf dem Handel mit Bodenschätzen, sondern zum Teil auch auf dem mit Sklaven. Die ganeischen Handelsleute nahmen auf ihrem Rückweg von der im Süden des Reiches gelegenen Goldstadt Bambuk Sklaven mit, die außerhalb des Landes in den Salzbergwerken von Taugendi guten Erlös brachten.71 Die Manufaktur-Industrie der Haussa-Staaten lebte von der Arbeitskraft von Sklaven, die in speziellen "SklavenRaubzügen" unter den Nachbarstämmen erbeutet wurden.72 Sie wurden auch nach Arabien und Nordafrika ausgeführt und den Wünschen türkischer Endabnehmer entsprechend sogar durch eine von den Haussa entwickelte Operationsmethode zu Eunuchen gemacht.73 "Die Sklaverei war in Afrika gang und gäbe", schreibt Ki-Zerbo. 74 Man kann zwischen Kriegs- und Haussklaven unterscheiden. In wirtschaftlichen Blütezeiten, so Ki-Zerbo, "hatte die Sklaverei wirklich einen ausgesprochenen Ausbeutungscharakter bekommen." Jedoch lebten die Sklaven nicht von ihren Familien getrennt. Colin Turnbull hält insgesamt den Ausdruck "Sklaven" für innerafrikanische Verhältnisse für irreführend und entscheidet sich für den Begriff der Leibeigenschaft.75 Wie Ki-Zerbo stellt er heraus, daß in afrikanischen Gesellschaften Sklaven in ein Pflichtgebot ihrer Herren eingebettet waren, nicht selten nach gewisser Zeit freigelassen und von den Familien ihrer Herren "adoptiert" wurden.76 Ariane Deluz stellt allerdings in sozial-anthropologischen
70
Sik, History, 65.
71
Berteaux, Afrika, 48.
7 2
Sik, History, 48.
73
Berteaux, Afrika, 83.
74
Vgl. hierzu und zum Folgenden Ki-Zerbo, Geschichte, 217.
7 5
C.M. Turnbull, Man in Africa. London 1976; Paperback 1978; hier 206; hier zitiert als: Man.
Turnbull, Man, 206-09; Ki-Zerbo, Geschichte, 217/18; vgl. 217: Historische Quellen berichten, "daB ein redlicher und sehr angesehener Sklave sogar die Vertretung des Häuptlings Ubernehmen konnte." - John Grace veröffentlichte eine Untersuchung über Formen der Sklaverei im britischen Protektorat Sierra Leone im 19. Jahrhundert: J . Grace: Domestic Slavery in West Africa. With Particular Reference to the Sierra Leone Protectorate, 1896-1927. London 1975. E r hält nichts von der terminologischen Unterscheidung zwischen Sklaverei und Leibeigenschaft, stimmt dabei jedoch indi76
34
Untersuchungen unter den Gouro im heutigen afrikanischen Staat Elfenbeinküste fest, daß die heutigen Nachkommen der ehemaligen Sklaven-Kaste ein geringes Sozialprestige haben, obwohl es offiziell eine solche Kaste in diesem Staat nicht mehr gibt.77 Dieser kurze Einblick in die Geschichte und Soziologie afrikanischer Gesellschaften soll die Entwicklung der Formen der Stammesgemeinschaft in größeren sozialen Organisationen andeuten. Auch in den komplexeren Staatengebilden scheint es eine Tendenz zur Relativierung der Macht der Herrscher gegeben zu haben, die sowohl einen Absolutismus der Könige wie auch die Enthumanisierung untergeordneter sozialer Schichten verhindern sollte. Jedoch ist auch deutlich, daß sich bereits im vorkolonialen Afrika mindestens mit dem Auseinanderbrechen der geschlossenen Gesellschaft der Stammesgemeinschaft "Verkrustungen" der Ausgleichsmechanismen entwickeln, durch die die Relativierung von Macht geringer wird. Schon über die Stammesgesellschaft schreibt Theo Sundermeier: "Die Gefahr eines Mißbrauchs des Senioritätssystems ist gegeben," und fährt fort: "Die Möglichkeit des absoluten Herrschertums ist verschiedenen Staatssystemen immanent. Dennoch setzt gerade das Bewußtsein von der partizipatorischen Interdependenz solchem Machtmißbrauch im traditionellen Afrika eine gewisse Grenze."78 Dies zu erläutern und die Beziehung des Redens von Gott zu dieser Interdependenz aufzuzeigen, ist Aufgabe der folgenden zwei Kapitel. In ihnen wird das Reden von Gott zunächst im Kontext der Oberflächenstruktur der Religionen und schließlich in dem der Tiefenstruktur der afrikanischen Weltsicht aufgespürt. Die "Verkrustungen" entstehen, wenn das Leben nicht mehr von Interdependenzbewußtsein gesteuert wird: als geduldeter Machtmißbrauch der Herrscher, als Verengung auf die partielle Gemeinschaft, in der Fremde schwer integriert und Nachbarn bereits Feinde sind und daher auch als Sklaven gejagt werden können, oder als Erstarrung bestimmter hierarchischer Rangstufen, deren wechselseitige Verpflichtung und Verantwortung nicht mehr gelebt wird. Es bietet sich an, die Rückbezüge der afrikanischen Theologen auf ihre Tradition im Sinne der Unterscheidung von "tradition" und "heritage" zu verstehen, die Heinrich Balz in seiner
rekt der These zu, die Ausbeutung der afrikanischen Sklaven-Herren sei geringer als der Begriff "Sklave" assoziieren läßt; vgl. ebda, Preface: "However mild it might be in practice, slavery is a system whereby one class of people is deprived of freedom for the benefit of another class." - Zu diesem Thema vgl. auch C. Maillassoux: L'esclavage en Afrique prdcoloniale. Paris 1975. 77 Vgl. A.Deluz: L'air de la calomnie. L'esclavage et son hdritage chez les Gouro (Cöte d'Ivoire). In: Centlivres-Demont u.a. (Hrsg.) 1981, 25-44; hier bes. 41: Die heutige Sicht und Wertung der ehemaligen Sklaverei und der Abstammung von Sklaven-Vorfahren offenbart einen impliziten Dualismus: "(...) une iddologie latente de type indgalitaire, dans une socidtd qui se dit 6galitaire." 78
Sundermeier, Nur gemeinsam, 214.
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Untersuchung über die Bakossi vorschlägt.79 Bezugnahme auf die Tradition ist die Bezugnahme auf eine in ihr wahrgenommenen Intention. An dieser Intention festzuhalten, ist das Erbe der Tradition. Es soll insbesondere im dritten Kapitel dieses ersten Teiles dieser Arbeit bei der Entwicklung des Vitalismus-Modells aufgezeigt werden und als heuristisches Instrument bei der Interpretation der theologischen Ansätze dienen.
Resümee Die Diskussion, ob dem polytheistisch strukturierten Religionen überhaupt ein einheitlicher Gottesbegriff zugrundeliege, mündet schließlich in die These, Gott sei der oberste Ahne. Allerdings wird dabei verneint, daß die Begriffe "Gott" und "Ahnen" in jedem Falle austauschbar seien. Dies wird durch die weitere Qualifizierung Gottes als Schöpfer unterstützt. Aber auch im Reden vom Schöpfer erweisen sich afrikanische Religionen als bestimmt von der Tendenz, von Gott nicht als von einer Instanz zu reden, die der Wirklichkeit gegenübersteht. Daher scheint das Bild von der Quelle diesem Schöpfungsbegriff adäquater zu sein als das von dem Ton-knetenden Töpfer. Die deistische Interpretation afrikanischen Redens von Gott, die von abendländischen Missionaren angeboten wurde, wird von afrikanischen Theologen durchweg abgelehnt. Ein Gott, der nicht direkt verehrt wird, so sagen sie, ist damit nicht ein Gott, der sich zurückgezogen hat. Hinweise auf die Monarchen der großen Reiche in der afrikanischen Geschichte können andeuten, daß es in afrikanischer Kultur durchaus Elemente gibt, die hierarchische Strukturen vor absolutistischer Verselbständigung zu schützen versuchen. Die Analogie von Gott und Herrschaft muß auch vor diesem Hintergrund verstanden werden.
H. Balz: Where the Faith Has to Live. Studies in Bakossi Society and Religion. Theol. Habil. Heidelberg 1985. Part 1: Living Together, 86/87: "Heritage is meant to indicate that even something which does not exist any more, neither in outward social reality, nor in the Bakossi sense of 'ideal', can still by unconscious transfer strongly colour or distort the Bakossi perception of some of the new realities, be they the Christian Church or the Gouvernment."
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Β. Strukturen der Stammesreligionen als Ausdruck afrikanischer Weltsicht Einleitung In der Diskussion um den afrikanischen "Hochgott" wurde weitgehend versucht, das Problem vorerst aus einem weiteren theologischen Kontext zu isolieren und genau zu umreißen. Besonders bei der Frage, ob die traditionelle afrikanische Redeweise von Gott eine streng deistische sei (deus-remotus-These), zeigt nun auch die Grenzen dieses Vorgehens auf. Um verstehen zu können, ob oder wie Menschen in der Welt der Stammesreligionen, die viele unterschiedliche Götter zu kennen scheint, von einem Gott reden, müssen wir wohl doch mehr über die Zusammenhänge in ihr wissen. Und als Menschen, die in einer anderen Kultur groß geworden sind, werden wir von diesen Zusammenhängen innerhalb der Stammesreligionen nur die erkennen können, deren Funktion uns deutlich wird in dem umfassenden Zusammenhang der Erfahrung und Interpretation der Wirklichkeit in dieser anderen Kultur. Religion kann nur als sinnvoll begriffen werden, wenn die Perspektive deutlich wird, aus der heraus sie Wirklichkeit ver- und bearbeitet (erfährt) und dementsprechend Teilbereiche einer Wirklichkeitstotalität (Welt) gestaltet.1 Darum soll im Laufe dieses Kapitels die Frage nach den Zusammenhängen an der Oberfläche der afrikanischen Religionen ausgeweitet werden auf die Frage nach deren Tiefenstruktur in einer afrikanischen Weltsicht. Über diese grundsätzlichen methodischen Überlegungen hinaus scheint es die afrikanische Theologie selbst zu sein, die die Ausweitung des Gegenstandsfeldes an dieser Stelle erforderlich macht: Wir finden in den theologischen Texten kaum spezielle Erörterungen über den Gottesbegriff - von den offensichtlich in Auseinandersetzung mit europäischer Theologie provozierten Äußerungen zum "afrikanischen Hochgott" abgesehen. Für afrikanische Religionen wird eher als typisch angesehen, daß sie sich einem Reden von Gott über das Reden von der Welt nähert. Das muß keineswegs heißen, daß Gott und Welt für identisch gehalten werden. Es deutet allerdings darauf hin, daß Gott und Welt nicht als strenge Gegenüber aufgefaßt werden. Um nicht den Rahmen dieser Arbeit zu sprengen und um das Ziel, das Aufzeigen eines afrikanischen Redens von Gott, nicht aus den Augen zu verlieren, werden wir uns bei der Beschäftigung mit den afrikanischen Religionen beschränken müs-
"Wirklichkeit" und "Welt" werden in dieser Arbeit als Relations-Begriffe gebraucht: Mit Wirklichkeit ist die Gesamtheit menschlicher Erfahrungsebenen gemeint. In diesem Sinne wird der Begriff meist in der Religionswissenschaft gebraucht und umschließt damit andere Korrelations-Begriffe wie Immanenz und Transzendenz, Bewußtsein und Vorbewußtsein u.ä. "Welt" meint hier den bewußten Teilbereich von Wirklichkeit. Zur Terminologie vgl. D. Ritsehl: Zur Logik der Theologie. München 1984,55-65; speziell zum afrikanischen Kontext Rücker, "Afrikanische Theologie", 118ff.
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sen.2 Die folgenden Überlegungen sind angeregt von afrikanischen Theologen, die aus christlicher Perspektive heraus auf ihre Tradition blicken. Ich werde dabei vorerst nur die Fragen verdeutlichen, die mir als Europäerin bei der Beschäftigung mit diesen Darstellungen kommen. Die afrikanischen Autoren haben alle eine akademische Ausbildung in Europa oder Amerika hinter sich, und in ihren theologischen Entwürfen bedienen sie sich meist auch westlicher Begriffsraster und Theorien. Die Ambivalenz dieser Tatsache, die in der Spannung von einerseits der Gefahr der kulturellen Entfremdung der nicht-westlichen Akademiker und andererseits der Chance einer größeren interkulturellen Kommunikationsmöglichkeit besteht, gehört zu den Realitäten der heutigen Ökumene. Sie ist daher auch ständige Begleiterin dieser Arbeit. Ebenso gehört es zu den Grundproblemen dieser Arbeit, daß es umstritten ist, ob es überhaupt eine einheitliche afrikanische Kultur gibt und wir von d e r afrikanischen Weltsicht sprechen können. Der katholische afrikanische Theologe Filipe Jos6 Couto aus Mosambik, der bei Karl Rahner promovierte und jetzt in Paderborn lebt und lehrt, meint sogar, es gebe überhaupt "nichts Afrikanisches, das derart neu wäre, daß es nicht auch bei anderen Rassen und Völkern zu finden wäre", ebenso wie es "nichts Spezifisches außerhalb Afrikas (gibt), derart einzigartig, daß es nicht auch im heutigen Afrika und mindestens bei einem Stamm im vergehenden Afrika eine Entsprechung fände."3 Aus einer ähnlichen Beurteilung heraus kommt es zu der Bemerkung von Edward Fashol6-Luke, Generalisierungen über Afrika und Afrikaner stünden nicht auf gesichertem Boden.4 Er empfiehlt afrikanischen Theologen sogar, theologische Ansätze nur auf den partiellen kulturellen Bereich ihres Heimatgebietes zu beziehen. Das sei sinnvoller "als Versuche, eine westafrikanische oder gar eine afrikanische Theologie zu schaffen, die die tiefen geistlichen Bedürfnisse unseres Volkes nicht erreichen."5 Vielleicht ist es aus diesem Grunde dazu gekommen, daß afrikanische Theologie oft in Form von Detailstudien getrieben wird. Das stellt auch Aylward Shorter fest, 2
Als Einführung in dieses Thema seien hier genannt: E.A. Adegbola(Hrsg.): Traditional Religion in West Africa. Ibadan 1983; N. Booth (Hrsg.): African Religions: Α Symposium. New York u.a. 1977; H. Bürkle: Einführung in die Theologie der Religionen. Darmstadt 1977, 92ff: Die Stammesreligionen Afrikas; E. Dammann: Die Religionen Afrikas. Stuttgart 1963; B. Idowu: African Traditional Religion: A Definition. New York 1973; E.G. Parrinder: Religion in Africa. London 1969; B.C. Ray: African Religions. New Jersey 1976; Th. Sundermeier: Art. Afrika. In: Ökumene Lexikon. Frankfurt, I. Aufl.1983,16-24; 2., veränd. Aufl. 1987,15-24. -2
Couto, Anpassung, 37.
^ E.W. Fashol6-Luke: The Quest for African Christian Theologies. In: Scot. Journ. of Theol. 29,1976,159-75; 162; hier zitiert als: Quest. Fashold-Luke wirft solche ungesicherten Generalisierungen übrigens auch John Mbiti vor, vgl. ebda, 162. Vgl. hierzu auch J.S.Pobee: Grundlinien einer afrikanischen Theologie. Göttingen 1981,37-38. 5
Fashol6-Luke, Quest,162.
38
einer der größten Kenner afrikanischer Theologie und besonders Sozialethnologie.6 Und unsere bisher behandelten Untersuchungen zum afrikanischen Gottesbegriff scheinen das zu bestätigen. Allerdings zweifeln die Autoren, die über einen afrikanischen Hochgott schreiben, offenbar nicht oder wenig an der Möglichkeit, diesen Hochgott in jeder afrikanischen Kultur zu finden. Dennoch isolieren sie die Rede von Gott nicht nur aus der Redeweise über die Welt, sondern setzen auch als "typisch afrikanisches" Beispiel, was doch zumindest häufig aus Detailstudien in einem bestimmten Stamm gewonnen wurde. Auch Shorter ist der Meinung, daß man nicht ohne Einschränkungen von einer afrikanischen Kultur sprechen könne. Die traditionellen Theologien afrikanischer Kulturen seien verwirrend unterschiedlich. Dennoch gesteht auch er zu, von einer "weitläufigen Ähnlichkeit der geistigen Anschauung" ausgehen zu können.7 Die Frage nach der afrikanischen Weltsicht hält er also offenbar für legitim. Die Behandlung des partikular gewonnenen Materials zum Gottesbegriff als pars pro toto bei anderen Autoren hat vielleicht etwas mit der Zusammengehörigkeit von dieser "Ähnlichkeit der geistigen Anschauung" und dem Gottesbegriff zu tun. Ob die Unterschiede, die sich bei der Analyse der afrikanischen Weltsicht zur europäischen herausstellen, "schon als typisch afrikanisch anzusehen sind" und nicht auch woanders in der Welt auftauchen könnten, wie - darin Couto ähnlich - Josef Franz Thiel vermutet8, möchte ich hier vorerst dahingestellt sein lassen. Dahinter steht natürlich die Frage, ob überhaupt Typisches immer exklusiv sein muß. Ich werde zunächst einen Einblick in die Beschreibung afrikanischer Weltsicht vornehmen, wie sie uns neuerdings von afrikanischen Autoren geboten wird. Ziel dieser induktiven Analyse ist es durchaus, Strukturen zu finden, die es erlauben könnten, afrikanische Weltsicht zu charakterisieren. A. Shorter nennt diese Strukturen "values" und "themes", wobei er unter "values" "Leitmotive" versteht, die grundsätzlich bei der Wahl zwischen verschiedenen Alternativen eine im buchstäblichen Sinne "entscheidende" Rolle spielen. Diese Motive können sich in bestimmten "Themen" institutionalisieren - in Shorters Worten: Sie können z.B. in einem kulturellen System zu "patterns" werden, die sowohl partikular begrenzt, aber auch allgemein menschlich universal sein können, wenn sie sich auf menschli-
® A. Shorter: African Christian Theology - Adaption or Incarnation? London u.a. 1975; hier zitiert als: African Theology: hier 111. η
A. Shorter: Gibt es eine afrikanische Kultur? In: H. Bürkle (Hrsg.): Theologie und Kirche in Afrika. Stuttgart 1968,23-33; 28; hier zitiert als: Afrikanische Kultur. J.F. Thiel: Begriff und Funktion der Afrikanität. In: Bettscheider (Hrsg.) 1978, 97-105; 98. Thiel stimmt mit Shorter darin überein, daß er ähnliche Grundzüge afrikanischer Kulturen in der Weltsicht auf ähnliche Grundzüge im Wirtschafts- und Sozialsystem zurückführt. Diese seien nicht an Schwarzafrika gebunden; vgl. ebda, 98, und Shorter, Afrikanische Kultur, 27. 8
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che Grunderfahrungen (z.B. Geburt und Tod) beziehen.' Im Folgenden soll also versucht werden, die den Themen zugrundeliegenden Leitmotive der afrikanischen Religionen zu finden und in ihrem Zusammenhang zu verstehen. Sie sollen uns zur "Tiefenstruktur" der afrikanischen Weltsicht führen.
1. Beschreibung der Strukturen durch afrikanische Autoren Für viele ist die Beschreibung der afrikanischen Kultur identisch mit einer Darstellung der Hauptzüge der Stammesreligionen. Das ist ein Zeichen der engen Verbundenheit von Religion und Kultur in der afrikanischen Art, die Wirklichkeit zu sehen. Vielleicht liegt es an dieser immer schon mitgedachten Einheit, daß die meisten der afrikanischen Autoren, die über ihre Kultur schreiben, mit der Beschreibung der Gottesverehrung beginnen oder sie zumindest bald zu Anfang behandeln. Es ist, als sei es ihnen selbstverständlich, daß man aus der afrikanischen Art, Gott, Götter, Geister und Ahnen zu verehren oder sie anzusprechen, einen typischen Zugang zur afrikanischen Weltsicht habe. 10 Darin macht auch der Soziologe und ehemalige Staatspräsident Ghanas, K.A. Busia, keine Ausnahme. Für ihn enthält die Frage nach dem Weltbild eines Volkes selbstverständlich auch die
' Shorter, African Theology, U l f . Zum Folgenden vgl. diese Titel: B. Bujo: Afrikanische Theologie in ihrem gesellschaftlichen Kontext. Düsseldorf 1986; hier zitiert als: Afrikanische Theologie: K.A. Busia, Weltbild; K A . Dickson: Theology in Africa. London, New York 1984, 47-73: The African Religio-Cultural Reality, hier zitiert als: Theology: Β . Idowu: African Traditional Religion. A Definition. New York 1973; hier zitiert als: Traditional Religion: Ε . Ilogu: Christianity and Ibo Culture. Leiden 1974; hier zitiert als: Ibo-Culture: Κ. Koech: African Mythology: A Key to Understanding African Religion. In: Booth Jr. (Hrsg.) 1977, 117-39; hier zitiert als: Mythology: Ε . Kuukure: The Destiny of Man. Dagaare Beliefs in Dialogue with Christian Eschatology. Frankfurt u.a. 1985; hier zitiert als: Destiny: J.S. Mbiti: Afrikanische Religion und Weltanschauung. Berlin 1974 (Orig.: African Religions and Philosophy. London u.a. 1969); hier zitiert als: Weltanschauung: Ε . Metuh, God and Man; Ch. Nyamiti: African Tradition and the Christian God. Eldoret 1977; hier zitiert als: Christian God: C.O. Obiego: African Image of the Ultimate Reality. An Analysis of Igbo Ideas of Life and Death in Relation to Chukwu-God. Frankfurt u.a. 1984; hier zitiert als: Ultimate Reality: Ο. p'Bitek, Western Scholarship und Central Luo; J . Pobee: Grundlinien einer afrikanischen Theologie. Göttingen 1981 (Orig.: Toward an African Theology. Nashville 1979.); hier zitiert als: Grundlinien: A.T. Sanon: Die traditionelle afrikanische Religion und ihre Spiritualität. In: Mulago (Hrsg.) 1986, 11-32; hier zitiert als: Spiritualität: A. Shorter: African Christian Theology. London 1975; hier zitiert als : African Theology. Shorter ist der einzige NichtAfrikaner in dieser Liste. E r ist durch seine jahrzehntelange Erfahrung als Theologie-Dozent in vielen verschiedenen afrikanischen Ländern, der sich insbesondere mit afrikanischer Religion und Theologie beschäftigt, zu einem so großen Kenner afrikanischer Kultur geworden, daß es nicht sinnvoll zu vertreten wäre, seine Arbeiten hier nicht zu erwähnen. Diese Entscheidung wird unterstützt von der Beobachtung, daß sich auch viele afrikanische Autoren auf Shorter berufen. Zur Zeit unterrichtet Shorter an dem neuen Ausbildungsinstitut der katholischen Kirche Ostafrikas für theologischen akademischen Nachwuchs, CHIEA (The Catholic Higher Institute of Eastern Africa) in Nairobi, Kenia.
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Frage nach seiner "Auffassung des Übernatürlichen". 11 Heiliges und Profanes stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander, sagt John Pobee aus Ghana über die Akan-Kultur. 12 Wirklichkeit wird sowohl (natur)wissenschaftlich als auch theologisch interpretiert, wobei beide Interpretationsweisen als einheitlich verstanden würden - so meint Kwesi Dickson.13 Als "ganzheitlich" soll die afrikanische Art, die Wirklichkeit zu sehen, verstanden werden. Wer diesen Aspekt nicht berücksichtigt, mißversteht auch afrikanische Religionen. Der Pantheon von Göttern, Geistern und Ahnen, die Praktiken von Riten und Hexen, Medizinmännern und Priestern soll in diesem Zusammenhang beschrieben und dabei die Ganzheitlichkeit der afrikanischen Weltsicht mehr gewürdigt werden. Als Konsequenz aus diesem Hinweis erwarten afrikanische Autoren neues Überdenken der religiösen Oberflächenstruktur, insbesondere der Beziehungen, die zwischen Gott, Gottheiten, Geistern und Ahnen bestehen. Dabei soll deutlicher als bisher gesehen werden, daß in der Tiefenstruktur dieser Beziehungen die afrikanische Rede von Gott verankert ist. Dies war ja schon die Ausgangsthese für die Rede vom afrikanischen Hochgott gewesen: Der Pantheon ist nur scheinbar von so zahlreichen unterschiedlichen Wesen bevölkert - in Wahrheit lassen sich alle Gottheiten, Geister und Ahnen auf den einen zugrundeliegenden Begriff des Hochgottes zurückführen. Und um afrikanische Religionen zu verstehen, müsse man nur wissen, was oder wer mit diesem Gott gemeint ist.14 Nun ergibt sich jedoch schon in der unterschiedlichen Beschreibung der vielleicht auch unterschiedlichen Oberflächenstrukturen durch die hier zu Rate gezogenen Autoren ein verwirrendes Bild. Alle sagen sie, Gott werde als Schöpfer der Welt verstanden. Mbiti fügt hinzu, es werde geglaubt, daß sich dieser Gott in Naturkräften und -ereignissen kundtue und daß er in einer creatio continua die Schöpfung
11
Busia, Weltbild, 37.
12
Pobee, Grundlinien, 39. Das Gegenteil behauptet allerdings Nyamiti, s. Christian God, 66ff. Vgl. auch M.-J. Agossou: R6alit6 africaine, möthode et v6ritd. In: Savanes forets, 1985, 129-66; hier 135: "Logos' chez l'Africain serait plus que raison et discours. II et aussi initiation et participation, et, partant, la vdritd ddrive ä la fois de la profondeur inaccessible et de l'intemporalitd regissant le temps. Elle reldve de l'imaginaire comme de la raison, de la ldgende comme de l'histoire, du mythe comme de la science: eile est Totalitd-Sens"(Hervorhebungen vom Autor). 13
Dickson, Theology, 45-52.
14
So z.B. auch A.T. Sanon, Spiritualität, 16: "Das Wort 'Wuro' (Gott, U.L.-W.) jedoch weckt zugleich die Vorstellung von zahlreichen Himmels-Phänomenen, die irgendwie in der Höhe angesiedelt sind, wie etwa Donner, Blitz, Regen. Es wäre interessant, diese Tatsache näher zu untersuchen, um herauszufinden, was die Erfahrung des Göttlichen (Wuro) enthält und von welchen Zeichen ausgehend sie im volkstümlichen Bewußtsein der Bobo (Stamm im heutigen Obervolta, U.L.W.) entsteht."
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immer weiter erhalte. 15 Sie sagen auch alle, dieser Schöpfergott werde als absolut souverän gesehen. Für Mbiti scheinen die Gottheiten zum Beispiel so wenig wichtig im Zusammenhang mit der Erläuterung des Gottesbegriffes, daß er ihnen in seinem Buch über die afrikanische Weltanschauung nur knapp vier Seiten widmet.16 Er berichtet, daß viele afrikanische Völker sie als vom Schöpfergott geschaffen bezeichnen. Er selbst nennt sie "Gefährten Gottes", aber erklärt auch, mit ihnen seien "Personifikationen von Gottes Fähigkeiten und Erscheinungsformen, von Naturerscheinungen und Naturkräften sowie vergöttlichte Helden und mythologische Gestalten zu bezeichnen."17 Wenn wir mit Mbiti Natur und Gott schon recht nah zueinanderrücken, so kann man aus dieser Erklärung doch mindestens zwei Weisen der Beziehung zwischen Schöpfergott und Gottheiten ableiten. Die "göttlichen Helden und mythologischen Gestalten" wären die "Gefährten Gottes", die Personifikationen seiner Taten jedoch scheinen weniger von Gott selbst trennbar. 18 Mbiti meint damit vielleicht die Art von Beziehung, die Ilogu an die christliche Trinitätslehre erinnert: die Gottheiten seien verschiedene Aspekte des Schöpfers. Ein besonders wichtiger Aspekt wird im Sonnengott gesehen, der manchmal regelrecht als Schöpfer selbst, manchmal auch als Botschafter Gottes verehrt wird.19 Der Gewitter-Gott werde als göttliche Executive verstanden, die Göttin Erde als Hüterin der Moral.20 Kwesi Dickson erwähnt solche Beispiele für die These in der Forschung, afrikanische Religionen seien im Prinzip monotheistisch. Als Begründung dafür hält er selbst sie jedoch für ungeeignet, denn nicht alle Gottheiten seien als Aspekte des einen Schöpfergottes zu verstehen. Vielmehr seien Götter in vielen Fällen "selfsufficient" und nicht in direkter Abhängigkeit
Mbiti, Weltanschauung, 51. ^ Ebda, 94-97; etwas mehr in: Concepts of God in Africa. London 1970, 114-28, gar nichts in: Introduction to African Religion. London u.a. 1975. Das Bild ist anders in westafrikanischer Literatur, vgl. z.B. Metuh, God and Man, 60-84. 17
Mbiti, Weltanschauung, 94.
18
Hier leuchtet etwas auf von Sawyerrs Beobachtung, in afrikanischen Religionen finde man sowohl nicht-dualistische als auch dualistische Aspekte, s.o., Teil I., A.3. ^ Ilogu, Ibo Culture, 34. Vgl. dazu auch Samuel Kibicho über die Religion der Kikuyu im heutigen Kenia: Einer der Gottes"namen" bedeute "Besitzer von Glanz" und die Sonne gelte als Symbol Gottes; Kibicho: The Continuity of the African Conception of God into and through Christianity. A Kikuyu Case Study. In: Fashold-Luke u.a. (Hrsg.) 1978, 370-88. Vgl. auch Shorter, African Theology, 121: Wenn Gott durch die Sonne symbolisiert erscheint, wird das Richteramt Gottes betont, ähnlich wie im deutschen Volksmund: "Die Sonne bringt es an den Tag". - Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Schilderung Byang Kalos über sein Gespräch mit zwölf alten Männern aus dem westafrikanischen Stamm der Jabo (im heutigen Nigeria), die sich nicht recht einigen konnten in der Frage, ob Gott und Sonne identisch seien oder nicht; Kato, Pitfalls, 3o und 32. 20
Ilogu, Ibo Culture, 35.
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zum Schöpfergott zu sehen.21 Busia schreibt sogar, die Gottheiten seien "launenhaft"22, Pobee stellt heraus, daß sie - im Unterschied zu den Ahnen - von den Menschen auch mit Verachtung gestraft werden könnten, wenn sie nicht ihren Bitten gemäß handelten.23 Dieser Beobachtung entspricht Dicksons Analyse der Gebete an Gottheiten, in der er zeigt, daß der Schluß den Appell des Beters enthält, die Götter mögen helfen, aber auch eine Drohung, sie zu verlassen, wenn sie nicht hülfen.24 Wegen dieser Phänomene nennt Obiego die afrikanische (Igbo-) Religion eine "religion based on reciprocity". Bei seinen Untersuchungen fand er heraus, daß sich Igbos (im heutigen Nigeria) oft sogar gezwungen fühlten, die spirituellen "Partner" zu wechseln, wenn sich diese entweder als ungerecht oder als einer schwierigen Situation nicht gewachsen erwiesen hätten.25 Obwohl die Geister in dieser Darstellung recht selbstverantwortlich wirken, betont Obiego doch, daß ihr Einfluß abhängig sei von der Erlaubnis Chukwus, Gottes - sogar, wenn sie böse Geister seien.26 Shorter versucht, die unterschiedlichen afrikanischen Religionen auf drei Grundtypen von Gottesverehrung zu reduzieren27, die sich graduell unterscheiden in ihrem Bezugnehmen auf direkte Gotteserfahrung: Gott werde entweder in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen verehrt oder mit Hilfe von Vermittlern, die mit ihm als sehr eng verbunden angesehen werden, oder eben im Bezugnehmen auf Götter, von denen geglaubt wird, sie seien zwar dem Höchsten Wesen untergeordnet, jedoch auf dieser Ebene relativ unabhängig. Shorter sieht in diesen drei Typen auch eine graduelle Stufung von mehr theistischen zu mehr deistischen Strukturen. Er ordnet diesen drei Grundtypen schließlich verschiedene afrikanische Stammesreligionen zu, wobei er soziologische Untersuchungen mitberücksichtigt, nach denen der Grundtypus korrespondiert mit der Gesellschaftsstruktur des betreffenden Stammes.
21 Dickson, Theology, 56. Obiakiozu A. Iloanusi hält die Bezeichnung "Monotheismus" für afrikanische Religionen für ungeeignet, weil Monotheismus immer eine Entwicklung aus und schließlich Abwehr von Polytheismus meine. Dafür sei die Entwicklung des Gottesglaubens, wie er im Alten Testament geschildert werde, ein typisches Beispiel; Iloanusi, Myths of Creation, 66. 22 Busia, Weltbild, 38. Vgl. auch S.O. Okafor: Concepts of Salvation, African and European. Diss. Leicester 1983 (Microfilm), 307. 23 Pobee, Grundlinien, 41. Dickson, Theology, 57. Vgl. auch E.Uzukwu: Der spirituelle Gehalt der Igbo-Gebete. In: Mulago (Hrsg.) 1986, 71-92; 82: Beispiel für Gebet mit "Götterschelte". 25
Obiego, Ultimate Reality, 136.
26
Obiego, Ultimate Reality, 136.
27
Vgl. zum Folgenden Shorter, African Theology, 97-100.
43
Einen Gottesbegriff im Sinne der Vorstellung eines Höchsten Wesens konstatiert Shorter für jede afrikanische Religion, gleich welchen Grundtyps. Der einzige Fall, in dem Zweifel an dieser These auftauchen könnten, sei der der Religion der Acholi in Central Luo im heutigen Uganda. 28 Hier sei mindestens ein strikter Deismus zu beobachten. Der Soziologie p'Bitek lehnt es vehement ab, bezüglich dieser Religion überhaupt von einem Gottesbegriff zu sprechen. Es gebe dort Geister, wohl auch einen territorialen Hauptgeist, die bestimmte soziale Funktionen haben, aber keinen personalen Gottesbegriff. 29 Shorter hält die heutige Kenntnis über die ursprüngliche Stammesreligion der Acholi für zu ungenau, um solche Aussagen machen zu können. Offenbar ist aber auch für ihn ein unverzichtbares Kennzeichen für einen Gottesbegriff die Vorstellung Gottes als Person im Sinne einer Instanz, die unabhängig ist von der Erfahrungswirklichkeit.30 Es ist fraglich, ob damit afrikanische Religionen wirklich erfaßt werden können. Hat p'Bitek vielleicht doch recht, wenn er im Reden vom afrikanischen Hochgott einen westlich-christlichen Denkhorizont vermutet? 31 Denn wie soll es zu verstehen sein, daß der Schöpfergott kein "deus remotus", aber dennoch eben "nicht so familiär" mit den Menschen ist und deshalb indirekt durch die Gottheiten mit ihnen verkehrt - sind die Götter dann doch Personifikationen der Taten Gottes? Wenn sie deshalb "einspringen", weil Gott nicht alles selbst tun kann? 32 Dickson meint, daß für afrikanische Religionen die Begriffe Monotheismus und Polytheismus nicht greifen. Afrikanische Autoren stellten allerdings die Beziehungen zwischen Hochgott und Gottheiten gern als monotheistisch dar, um eine diskriminierende Charakterisierung ihrer traditionellen Religionen als polytheistisch abzuwehren. 33 Die Ahnen werden im Unterschied zu den Gottheiten und Geistern von unseren Autoren mehr mit den Menschen in Beziehung gesetzt als mit dem Hochgott - zu-
9Ä Vgl. auch S. Kibicho: Worship in African Religion. In: Journal of the National Association of Religious Education Teachers 3, 1983/2, 4-6;hier zitiert als: Worship: hier 4: Ähnlich wie bei den Acholi sei es auch bei den Zulus, Ashantis und Bacongos. Kibicho behandelt allerdings lediglich Formen der Gottesverehrung. 29
p'Bitek, Central Luo, 50. S. auch Shorters Rezension in: Azania, Vol.VII, 1972,190-93.
30
African Theology, 108.
^ p'Bitek, Western Scholarship, 60-68, 87/88 und passim; vgl. auch Rücker, "Afrikanische Theologie", 137. 32
Kuukure, Destiny, 46.
Dickson, Theology, 56. S. dazu auch p'Bitek, Western Scholarship, 67/68; Häselbarth, Auferstehung, 137; Th. Sundermeier: Art. Religion, Religionen. In: Müller / Sundermeier (Hrsg.) 1987, 411-22, hier 417.
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mindest auf den ersten Blick. Sie garantieren offenbar Gemeinschaft 34 - werden aber auch als mindestens "gottnah" angesehen. Shorter berichtet von den Kikuyus, daß deren Ahnen für solche verstorbenen Menschen gehalten werden, die während ihres Lebens die Gunst Gottes gewonnen haben. 35 Also sind die Ahnen von Menschen geehrte - nicht angebetete, wie Kwesi Dickson betont 36 - besonders "verdienstvolle" Verstorbene, mit deren Achtung die (gottgegebenen) Gesetze der Gemeinschaft geachtet werden. Sie zeigen die Unwandelbarkeit Gottes, der in seiner Schöpfung eine feste Ordnung aus Gesetzen und Sitten etablierte. 37 Indem sie diese Gesetze stabilisieren, die die Welt regieren38, sind die Ahnen die "Hüter von Sitte und Gesetz".39 Diese einmal etablierte und sich immer wieder stabilisierende Ordnung wird offenbar auch ohne den bewußten Rückbezug auf den Schöpfer anerkannt. Dann wird sie entweder mit Gottheiten, Geistern oder besonders gern mit den Ahnen in Verbindung gebracht, und diese wirken dann offenbar selbständig, ohne vom Schöpfer gelenkt zu werden. Oder sie wird anscheinend ganz säkular als Stammesgesetz oder Naturordnung aufgefaßt - und dann sieht es so aus, als könnten die Menschen gegen sie verstoßen, ohne damit gegen Gott zu verstoßen. 40 Okot p'Bitek findet dies besonders in der Religion der Central Luo.41 Kwesi Dickson vertritt die These, daß sich in der afrikanischen Weltsicht "(naturwissenschaftliche" und "theologische" Interpretation der Wirklichkeit nicht ausschlössen. Letztere sei nur die umfassendere. 42 Wie eine Puppe in der Puppe steckt also in der afrikanischen Weltsicht in dem umfassenden relgiösen Zugang zur Wirklichkeit ein säkularer. Gibt das der deisti-
34
Ilogu, Ibo Culture, 36; Dickson, Theology, 68-70.
35
Shorter, African Theology, 99/100.
36
Dickson, Theology, 70, Anm. 67.
37
Kuukure, Destiny, 53 und 58.
38
Kuukure, Destiny, 49.
39 Dickson, Theology, 69. Vgl. dazu auch Bujo, Afrikanische Theologie, bes. 24-26: Hier wird eine solche Art von "indirekter Identifikation" von Ahnen und Gott vorgenommen, die es dem Verfasser später ermöglicht, den afrikanischen Ahnenbegriff besonders für die Christologie heranzuziehen. S. dazu u., Teil II., B.2.c). 40 Dickson, Theology, 56ff (Selbständigkeit der Götter) und 67 (nicht-Gott-gerichtete Verstöße gegen die Ordnung); Shorter, African Theology, 124: T h e ancestors are the creators of society, analogous to the supreme being, the creator of the cosmos." 41
p'Bitek, Western Scholarship, bes. 70ff und 88, und Central Luo, 85. Dickson, Theology, 50. Vgl. auch Rücker, "Afrikanische Theologie", 123.
45
sehen Interpretation nicht doch recht? Haben wir dann nicht doch das Schema von einerseits kausal-logisch erklärbaren Phänomenen, die angeblich auch ohne Gott auskommen, und andererseits Gott für "übernatürliche Fälle"? Und ist es dann so, daß die übernatürliche Sphäre in der noch-nicht-technisierten Welt Afrikas einfach nur zur Zeit noch größer ist als in unserer abendländischen? So versteht es offenbar Couto, wenn er sich gegen eine Idealisierung afrikanischer Religiosität durch Europäer wehrt, die es für "vorbildlich und nachahmenswert" hielten, "ähnlich wie bestimmte afrikanische Beter bei einer Reifenpanne Gott um einen neuen Reifen zu bitten." Couto weist darauf hin, daß den Afrikanern erst zu einem Teil die abendländischen technischen Hilfsmittel zur Verfügung stünden und führt solche Gebete darauf zurück: "Soll dieser Zustand denn als erstrebenswert bewahrt werden?" 43 Kwesi Dickson akzentuiert dieses afrikanische Wirklichkeitsverständnis anders als Couto. Afrikaner in der traditionellen Weltsicht hätten durchaus z.B. "natürliche" Ursachen von Krankheiten gekannt. Dennoch bezeichneten sie als eigentliche Ursachen "unsichtbare Kräfte" oder "spirits" - ohne deshalb naturwissenschaftlichmedikamentöse Heilungsmethoden auszuschließen.44 Die Wirklichkeit wird letztlich bestimmt durch diese Kräfte, die das ganze Universum durchsetzen. Offenbar machen sie die Bewegung im Leben aus, sie "verursachen" Gutes und Übles. Das Bewußtsein der Kräfte-durchwirkten Wirklichkeit ziehe die "theologische" Wirklichkeitsinterpretation nach sich 45 Der Hinweis auf die "Geister" oder "Kräfte", die in dieser traditionellen Weltsicht die Wirklichkeit ausmachten, kommt bei fast allen hier zu Rate gezogenen Autoren direkt oder indirekt vor. Busia erklärt, daß der Sinn von Opfern an Bäume darin liege, daß die Opfernden meinten, hinter der sichtbaren Substanz befänden
^ Couto, Anpassung, 36. 44
Dickson, Theology, 50: "To the African, disease and death are caused ultimately by spirit powers; the universe is full of spirits which for one reason or the other may act for or against man." Vgl. auch ebda, 51: Dickson zitiert Robin Hortons Beschreibung der Konsultation eines Medizinmannes, bei der neben dem Hinweis, welche Gottheiten wie versöhnt werden müßten, immer auch erwartet werde, daß der Medizinmann ein Medikament o.ä. empfehle. Vgl. auch Kibicho, Worship, 6: Das Gebet schließt das Sammeln von Heilkräutern nicht aus. Kibichos Hauptbeispiel für die Parallelität von "natürlichen" und "übernatürlichen" Ursachen ist die Art, wie die Kikuyus über Empfängnis sprechen: Sie wüßten durchaus etwas über die biologischen Zusammenhänge, aber dieses Wissen mindere nicht den Lobpreis des Schöpfers, durch den diese "greatness or the miracle of the creation of a new life" möglich ist; vgl. Kibicho: The Interaction of the Traditional Kikuyu Concept of God with the Biblical Concept. In: Cahiers des Religiones Africaines 2, 1968, 223-37; 227; ebenso: The KikuyuConception of God, its Continuity into the Christian Era, and the Question it Raises for the Christian Idea of Revelation. Diss. Vanderbilt University 1972 , 15 (Microfilm). Grundsätzlich ist der Bereich der naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisse kein von dem "übernatürlichen" gesonderter: Auch diese Erkenntnisse kommen von Gott; ebda, 19. 45
Dickson, Theology, 50/51.
46
sich "Wesenheiten oder Kräfte".46 Die Rede von den Kräften in der Natur meine, daß die Natur Gewalt habe - und diese Gewalt könne der Mensch "benutzen".47 Offenbar hat also der Mensch Einfluß auf diese "Wesenheiten und Kräfte", und das Opfer an den Baum ist nicht ein Zeichen der Unterwerfung.48 Wird also der Mensch nicht von ihnen beherrscht? Wenn nicht, wenn er die Kräfte für sich nutzbar machen kann - warum ist er dann so begrenzt durch Umgebung und Situation, wie Kuukure darstellt, daß ihm die Heimat die Konzeption der Welt ist?49 Warum hat er, wenn Mbiti recht hat, keine Vorstellung von fernerer Zukunft, sondern lebt eher in einer natur-zyklischen Vergangenheit und Gegenwart?50 Wie ist das Verhältnis des Menschen zu diesen Kräften genau, und was hat es zu bedeuten, daß er zum einen als ein Wesen verstanden wird, das mit einem besonderen "Gottesorgan" ausgestattet, von Gott gelenkt wird - und dennoch zum anderen beont wird, daß er für seine Handlungen ganz allein verantwortlich ist?51 Wie ist überhaupt die Beziehung des Gottesbegriffs zu dieser "Rationalisierung des Schicksals"52, den Kräften? Steht Gott außerhalb der Kräfte oder meint man mit Gott die Summe dieser Kräfte - mit den übrigen Wesen des Pantheons dann verschiedene Teilgruppierungen der Kräfte?53 Was bedeutet die von keinem der Autoren bestrittene
46
Busia, Weltbild, 38. Ebenso Pobee, Grundlinien, 41/42. Vgl. auch Nyamiti, Christian God, 66: "The sacred object does not, however, usually become identified with the sacred it reveals."
^ Busia, Weltbild, 38. Auch hierzu bietet Pobee eine Parallele, vgl. Grundlinien, 42. S. auch Kuukure, Destiny, 54. 48 Vgl. dazu auch Koech, Mythology: Der Autor erzählt den Mythos von einem noch nicht initiierten Mädchen, das geopfert werden soll, weil in einer Zeit großer Dürre alle anderen Mittel versagt haben. Durch den Einsatz des Liebhabers des Mädchens, der dabei sein Leben riskiert, wird es gerettet und gleichzeitig kommt Regen. Auch Mbiti erzählt von Menschenopfern in Dürrezeiten, allerdings nicht davon, daß sie verhinderbar seien: Mbiti, Weltanschauung, 74. In Chinua Achebes 1958 erschienenem Roman "Things Fall Apart", dt.: Okonkwo oder Das Alte stürzt. Frankfurt 1983, versuchen immerhin Menschen, die Hauptperson Okonkwo zu überreden, das stammesgesetzlich vorgeschriebene Menschenopfer des diesem liebgewonnenen Pflegesohnes nicht darzubringen. Es bleibt im Roman jedoch offen, welche Konsequenzen es gehabt hätte, wenn O. den Pflegesohn nicht geopfert hätte. Der gesamte Handlungsverlauf läßt aber eine Lösung, wie sie Koech erzählt, nicht unwahrscheinlich scheinen. 49 Kuukure, Destiny, 54. ^ Mbiti, Weltanschauung, 18ff. S. dazu das Kapitel über Mbiti in dieser Arbeit. Dickson, Theology, 59/60. Er bezieht sich hier auf einen besonders in westafrikanischen Religionen anzutreffenden Schicksalsbegriff; vgl. Sundermeier, Nur gemeinsam, 227. Auch andere westafrikanische Autoren sprechen von einem unvergänglichen "Gottesorgan" im Menschen; vgl. z.B. Obiego, Ultimate Reality, 214. 52
Kuukure, Destiny, 54.
53
Diese Frage ist nicht unwichtig für die These, der afrikanische Hochgott sei eben derselbe Gott, der auch von den Christen verehrt wird. Ernst Dammann geht indirekt auf sie ein: "Diese Denkform steht im Gegensatz zur christlichen Verkündigung. In ihr ist für Gott kein wirklicher Raum, es sei
47
Souveränität Gottes in diesem Zusammenhang? Und wie kommt es, daß man von diesem Gott offenbar ähnliches meint wie vom Menschen, der ja Natur nutzen kann und doch an seine HeimaJ, gebunden ist: Gott ist omnipräsent und dennoch werden ihm bestimmte "Wohnbereiche" zugeschrieben (Himmel, göttliches Land).54 Hat die eigenartige Ferne in der Verehrung dieses Gottes, die zur deusremotus-These führte, etwas zu tun mit den Kräften des Universums? Wie ist die Funktion dieser "Wesenheiten" genauer zu erklären - gibt es "gute" und "böse" unter ihnen? Wie ist es zu verstehen, daß Pobee von "Sasabonsam", dem Obersten des Bösen, spricht, Ilogu hingegen behauptet, es gebe wohl "böse Geister", aber kein relativ selbständiges Wesen wie den biblischen Satan? 55 Ist es ein Hinweis auf die Klärung dieses Problems, daß Pobee den obersten Bösen der Gruppe der im Verhältnis zu den Ahnen weniger mächtigen Gottheiten zuordnet? Heißt das dann im Endeffekt dasselbe, wie das, was Ilogu feststellt: Böses ist nicht selbständig böse, sondern nur im Zusammenhang mit "etwas anderem", etwa dem "heiligen Hain" oder dem Ahn? 56 Wenn es so sein sollte - ist es dann mit dem Guten auch so? Wie ist es zu erklären, daß die Bobo im heutigen Obervolta die Lebenskraft eines "Naturgeistes" sowohl für Medizin als auch für Gift halten? 57 Die von Kwesi Dickson hervorgehobene Eigenart der afrikanischen Weltsicht - einerseits relative Selbständigkeit von Teilen der Wirklichkeit (Gottheiten oder Menschen), andererseits absolute Souveränität eines "höchsten Wesens" - taucht offenbar in diesen Fragen immer wieder auf. Dickson löst seine sowohl-als-auchThesen nicht auf. Er will sie lieber stehenlassen und an ihnen deutlich machen, daß an ihnen vorschnell gewonnene abendländische Kategorien versagen 58 Eine "Lösungsformel" wird nicht angeboten.
denn, man betrachtet Gott als über den magischen Kräften stehend. Dann mag formal das Bild einer theistischen Religion vorhanden sein, in Wirklichkeit wird dieser 'Hochgott' aber keine Rolle spielen, ist vielmehr selbst oft den magischen Gesetzen unterworfen. Damit ist ihm aber ein wesentliches Merkmal seiner Gottheit genommen. Das Vorhandensein magischer Kräfte anzunehmen und sich durch sie bestimmen zu lassen, verstößt gegen das erste Gebot." ( E . Dammann: Das Christentum in Afrika, München u.a. 1968,133.) 5 4
Kuukure, Destiny, 47.
Pobee, Grundlinien, 42; Ilogu, Ibo-Culture, 38/39. Vgl. auch Obiego, Ultimate Reality, 135f: Böse Geister sind abhängig von Chukwu (Gott) und können auch von Menschen verlassen werden. - "Nie gezweifelt" an der Existenz Satans haben, so Kato, die Jaba in Westafrika; vgl. Kato, Pitfalls, 37. 5 5
Ilogu, Ibo Culture, 39: Selbst Wesen, die dem biblischen Satan in der Ibo-Kultur ähnlich scheinen, unterscheiden sich dadurch, daß "its existence is always associated with something else, like the sacred grove or the ancestor, rather than a self existence dynamic force with independent life and personality." 5 7
Sanon, Spiritualität, 17.
58
Vgl. Dickson, Theology, 54/55 und 67: die Wahrheit liegt offenbar in der Mitte.
48
Allerdings gibt es noch einen weiteren Aspekt in der traditionellen afrikanischen Weltsicht, der nun wirklich einmütig von jedem der hier befragten Autoren erwähnt wird: den der Gemeinschaft. Obiego beschreibt das starke Sozialbewußtsein der Igbo anhand ihrer Vorstellung vom Leben nach dem Tode, das im Weiterleben der sozialen Beziehungen bestehen soll.59 Mbiti erwähnt den Ausdruck "Lebend-Tote" für Verstorbene, zu denen von den noch Lebenden bewußt symbolisch Kontakt gehalten wird und die dadurch nicht der Vergessenheit, d.h. dem endgültigen Tod anheim fallen.60 Pobee drückt den Grundgedanken der Akan-Kultur als "cognatus ergo sum" aus: "Ich bin blutsverbunden, deshalb lebe ich".61 Im Zusammenhang der Betonung von Gemeinschaft sind sogar dem vorsichtigen Dickson eindeutige Aussagen möglich. Den gesamten Abschnitt über afrikanische Religion in seinem Buch durchzieht die klare Feststellung, daß es sich in der afrikanischen Weltsicht immer um die Stabilität der Gemeinschaft drehe - um "society's equilibrium".62 An diesem Ziel ist offenbar alles ausgerichtet: die Funktion der Hexen, die eben nicht einfach nur böse, sondern gemeinschaftsstabilisierend wirken; die Stellung der Frau als Teil einer komplementären Rollenverteilung der Geschlechter; die Struktur der Gesellschaft; die Tabus; die Moral; die Anrufung der Ahnen 63 - und vielleicht auch die Verehrung Gottes und die relative Eigenständigkeit der Gottheiten? Letzteres läßt Dickson offen. Aylward Shorter stößt bei seiner Suche nach Grundlinien afrikanischer Religionen auf vier "Leitmotive": a) Gedenkhandlungen, die das Erinnerte reaktivieren sollen, b) Concreatio des Menschen, c) die Vorstellung von einem Gericht über die Welt und d) die Gemeinschaft von Lebenden und Verstorbenen. 64 Ich werde auf diese Typisierung und Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten verschiedener afrikanischer Stammesreligionen an anderer Stelle noch einmal eingehen. 65 Für eine Darstellung zusammenhängender Strukturen afrikanischer Weltsicht sind sie so zu unverbunden aneinandergereiht. Im folgenden Kapitel sollen zwei Versuche afrikanischer Autoren vorgestellt werden, Erklärungsmodelle zu entwickeln, um die Welt zu beschreiben, wie sie sich aus der Perspektive der traditionellen Religionen darstellt. Obiego, Ultimate Reality, 167 und 214. Ebenso auch Bujo, Afrikanische Theologie, 21-43. 60
Mbiti, Weltanschauung, 104ff.
^ Pobee, Grundlinien, 43. Dickson, Theology, 62,64 und passim. Vgl. auch Obiego, Ultimate Reality, 52. 63
Dickson, Theology, 62-72.
^ Shorter, African Theology, 111-29 (Memorial, Co-Creativity, Judgement, Whole Community). ^ S.u. Resümee des Kapitels C. dieses ersten Teils dieser Arbeit.
49
2. Suche nach einem Beschreibungsmodell für afrikanische Weltsicht Einleitung Afrikaner selbst haben bisher noch wenig an Überblicksarbeiten über die afrikanische traditionelle Kultur produziert. Dies hat wohl mindestens zwei Gründe. Zum einen darf man nicht vergessen, daß die traditionellen Religionen Stammesreligionen sind und damit eigentlich regional unterschiedlich. Daher fühlen sich Afrikaner wirklich kompetent nur auf dem Gebiet ihrer traditionellen Heimatreligion. Es gibt aus diesem Grunde viele Einzeluntersuchungen, aber kaum ein darüberhinausgehendes Interesse, nach Gemeinsamkeiten der verschiedenen Stammesreligionen zu suchen. Vielleicht ist dies ein eher nicht-afrikanis ches (nicht-stammesgebundenes) Interesse. Damit verbunden ist der zweite mögliche Grund: Das Interesse an der Suche nach Grundstrukturen afrikanischer Kultur und Religiosität entsteht offensichtlich erst im Zusammenhang mit Fragen einer spezifisch afrikanischen Theologie im ökumenischen Dialog mit Nicht-Afrikanern - und ist dann ein in hohem Maße apologetisches Interesse. Erst durch diese Situation kann wohl das Bedürfnis entstehen, über die eigenen Stammes- und Identitätsgrenzen hinwegzudenken und ein afrikanisches Gemeinschaftsbewußtsein zu entwickeln. So werden wir Konsequenzen aus dieser doch erst sehr jungen Situation des ökumenischen theologischen Dialogs auch nicht zu schnell erwarten dürfen. Die beiden Arbeiten, die jetzt hier referiert werden sollen, sind erst in jüngerer Zeit zugänglich geworden und stellen vielleicht den Beginn von einer Reihe solcher Versuche dar, afrikanisches Reden von der Welt in ihrem Zusammenhang zu erfassen und ihre Tiefenstruktur aufzudecken. Beide Autoren - der katholische Theologe aus Zaire, O. Bimwenyi-Kweshi, und der Nigerianer Stephen O. Okafor mit seiner philosophischen Dissertation, bedienen sich ausdrücklich westlicher philosophischer Begriffsapparatur, die sich jeweils dem Ort ihrer akademischen Ausbildung in Europa verpflichtet weiß. Bimwenyi versucht, mit Hilfe hermeneutischer Sprachphilosophie im Anschluß an Heidegger in der Darstellung von Sprache und Kommunikationsstrukturen traditioneller Religionen afrikanische Weltsicht darzustellen, auf deren Fundamenten schließlich christliche Theologie entwickelt werden sollte.66 Stephen O. Okafor arbeitet Grundzüge afrikanischer Weltsicht mit Mitteln angelsächsischer Religions- und Sprachphilosophie heraus.67 In der Folge des jeweiligen methodischen Ansatzes ergeben sich bei den beiden Autoren unterschiedliche Schwerpunkte in der Darstellung afrikanischer Welt-
O. Bimwenyi-Kweshis Dissertation wurde 1977 in Löwen, Belgien, fertiggestellt und 1981 in Paris erstmals veröffentlicht: Discours thdologique ndgro-africain. ProblÄme des fondements. Paris 1981; dt. (gekürzt): Alle Dinge erzählen von Gott. Freiburg i.B. 1982. ^ Stephen O. Okafor: Concepts of Salvation, African and European. Prolegomena to African Christian Theology. University of Leicester, 1983 (Microfilm).
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sieht. Bimwenyi hebt entsprechend seinem Ausgangspunkt bei den Strukturen religiöser Kommunikation die Funktion der (Sprach-) Gemeinschaft hervor. Okafor versucht, das Prinzip herauszuarbeiten, nach dem sich Wirklichkeitserfahrung in der Perspektive afrikanischer Weltsicht darstellt: die Lebensbewahrung. Beide Modelle dürfen nicht als sich ausschließend verstanden werden. Vielmehr betonen beide den kulturspezifischen Charakter afrikanischen Wirklichkeitsverständnisses und empfinden vielleicht auch deshalb einen sprachphilosophischen Zugang als sinnvoll. In beiden Arbeiten wird bei der Darstellung afrikanischer Weltsicht auch die Vorstellung der Kräfte erwähnt. Da diese jedoch nicht im Vordergrund dieser Modelle steht, soll sie auch in diesem Kapitel noch nicht Thema sein. Das Vitalismus-Modell, das mit Hilfe der Kräfte-Vorstellung afrikanische Weltsicht zu erklären versucht, soll erst im folgenden Kapitel vorgestellt werden. Jetzt werden Okafors und Bimwenyis Modelle in ihren Grundzügen zur Darstellung kommen. Die Anregungen, die von ihnen ausgehen, werden dann später in doppelter Weise aufgearbeitet werden: Einmal im Zusammenhang mit dem Vitalismus-Modell68 und zum andern schließlich bei dem Versuch, aus ihnen Strukturen des Redens von Gott herauszuarbeiten.69
a) O.Bimwenyi-Kweshi: Modell "Kommunikation" Mit dem Buch von O. Bimwenyi-Kweshi liegt uns die Arbeit eines einflußreichen afrikanischen katholischen Theologen vor.70 Grundlage seiner Darstellung afrikanischer Weltsicht ist die These, daß afrikanisches Reden über die Welt "theologisches" Reden sei.71 Das bedeutet in Bimwenyis Theologie-Begriff, den er von J. 68
S.u., Teil I., C.
® S.u., Teil II., A.2. (Bimwenyi-Kweshi) und B.l.a) (Okafor im Zusammenhang mit Mbiti). 70 Bimwenyi-Kweshi war 1982 Generalsekretär der Katholischen Bischofskonferenz von Zaire. Er studierte in Kinshasa und in Löwen Theologie. 71 Discours thdologique ndgro-africain. Probleme des fondements. Paris 1981; deutsche Ausgabe (im Einvernehmen mit dem Verfasser gekürzt): Alle Dinge reden von Gott. Grundlegung afrikanischer Theologie. Freiburg 1982. Für diese Arbeit konnte weitgehend die deutsche Ausgabe benutzt werden; hier zitiert als: Alle Dinge, in Klammern jeweils die Seitenzahlen der franz. Originalausgabe. - Der Rahmen der französischen Ausgabe ist weitaus größer als der der deutschen, für die lediglich die Kapitel V,§4, VI, VII (jedoch ohne §1 "Theologie, quelle 'science'") und VIII übersetzt und neu numeriert wurden. Diese Kapitel bilden in der Originalausgabe den zweiten Teil der Arbeit mit dem Titel "Des fondements du discours thdologique Africain" - der in unserem Zusammenhang wichtige Teil. Der erste Teil des Buches, "Vers l'finergence d'un discours thdologique propre" enthält als Situationsbeschreibung Erörterungen zum Thema Theologie und Kultur (Kap. I), Auswirkungen der Kolonisation in Afrika allgemein und auf die Entwicklung der Theologie insbesondere (Kap. II), Informationen über die N6gritude-Bewegung (Kap.III) und eine Darstellung der Hauptthemen in der Debatte über die "Afrikanische Theologie" (Kap. IV). Noch nicht aufgenommen in die deutsche Ausgabe wurde der Beginn von Teil 2, eine Einführung in die sprachanalytische Philosophie
51
Ladriöre übernimmt72, daß dieses Reden "auf die fundamentalen Strukturen der Realität, d.h. des 'nicht-Sichtbaren' gerichtet ist."73 Afrikanische Theologie sollte schließlich auf der Grundlage einer ursprünglichen afrikanischen Grunderfahrung aufgebaut werden, die schon eine afrikanische theologische Sprache entstehen läßt.74 Bimwenyi-Kweshis Buch ist nicht leicht zu verarbeiten. Sein Ziel ist, Gründzüge des afrikanischen Wirklichkeitsverständnisses herauszuarbeiten.75 Er geht dafür nicht den Weg über die Analyse und Interpretation der afrikanischen Religionsphänomene, sondern er beschäftigt sich speziell mit der religiösen Sprache der Afrikaner. Besonders religiöse Sprache sei nicht irgendein Sprachspiel unter vielen anderen, sondern sie sei "eingewurzelt in grundlegende menschliche Erfahrungen", aus denen heraus der Mensch "jene unaufhörliche Frage nach dem Sinn" artikuliere.76 Dieses Einsetzen bei der Sinnfrage des Menschen hat etwas mit den philosophisch-theologischen Voraussetzungen Bimwenyis zu tun: Er geht davon aus, daß sie in Zusammenhang steht mit den "Daseinsbedingungen des Menschen", die durch sie in seinen Blick geraten.77 In gewisser Weise sind es die "Daseinsbedingungen", die die Fragen des Menschen entstehen lassen. Es ist die Heideggersche These von der "ontologischen Verwurzelung" der Sprache78, die Bimwenyi zu seinem Ansetzen bei der Sprache führt. Und weil Theologie für ihn die Reflexion (Wittgenstein, Austin) und in den französischen Strukturalismus (de Saussure, Ricoeur) sowie Bimwenyis Kritik an deren angeblich zu enger Begrenzung ihres Gegenstandsfeldes. Die abgrenzende Kritik an diesen Ansätzen bildet schließlich die Startbahn für Bimwenyis eigenen Ansatz einer Theorie zur afrikanischen Theologie, der hier nun vorgestellt werden soll. Die deutsche Ausgabe beginnt an dieser Stelle mit der sprachphilosophischen Grundlegung Bimwenyis, der Verteidigung des Ansatzes bei der "religiösen Sprache". 72
J. Ladriöre: Le discours thdologique et le Symbole. In: Recherches de science religieuse, T.49, No. 1-2,1975, 115-41.
73
Alle Dinge, 110 (frz. 503).
74
Alle Dinge, 53ff und Kap. 3 und 4 (frz. 389ff und Kap. VII und VIII).
75
Alle Dinge, 87, 96 und passim (frz. 478, 488 und passim). Inwieweit darin eine "Grundlegung afrikanischer Theologie" bestehen kann, will Bimwenyi in dieser Arbeit nicht bestimmen. Dies wird zu Recht betont in der Rezension von Clerici in: ZMW 39, 1983, 151f: Der Untertitel der deutschen Übersetzung sei äußerst mißverständlich. Er läßt sich allerdings, so muß man diese Kritik dämpfen, mit Bimwenyis Sprachverständnis rechtfertigen: Wenn Sprache die Daseinsstrukturen widerspiegelt, muß sich zumindest die Rede von Gottes Schöpfung mit ihr beschäftigen. 76
Alle Dinge, 29 (frz. 364).
77
Vgl. Alle Dinge, 20: "(...) die 'fundamentalen Fragen' der menschlichen Existenz, die 'entscheidenden und primären' Erfahrungen der Sterblichen, die den Schleier über den Daseinsbedingungen des Menschen lüften (...)" (frz. 354). 78
Vgl. Alle Dinge, 20/21 (frz. 354); Bezug auf Heidegger: 22ff (frz. 357ff). Al Imfeid schreibt: "Jeder wird sagen: trotz Heidegger ist es afrikanisch!"; Imfeid: Afrikas Theologien (II). In: epd-Eqtwicklungspolitik 20/21/85, 33-35; hier 33.
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über die transzendentale Erfahrung dieser Daseinsbedingungen bedeutet, ist die Sprache, die diese Erfahrung artikuliert, in jedem Fall "theologische Sprache".79 Die Voraussetzung, aus der heraus Bimwenyi-Kweshi seine Theologie entwickelt, ist also nicht exklusiv afrikanisch.80 Dennoch scheint er zu meinen, daß afrikanische Weltsicht sich besonders bewußt sei über den Charakter von religiöser Sprache, auf die "Daseinsbedingungen" zu verweisen. In der Tat läßt sich ja auch dieses Sprachverständnis mit ganzheitlichem, nicht-dualistischem Denken verbinden, weil es keine Trennung zwischen Sprache und Wirklichkeit vorauszusetzen scheint. So kommt es, daß Bimwenyi "Sprache" und "Weltsicht" als Synonyma verwendet, wenn er von afrikanischer Tradition spricht. Die Grundstrukturen afrikanischer Weltsicht sind die Grundstrukturen der Funktion von Sprache und Kommunikationsformen in Afrika. Grundlage für die Entwicklung von Bimwenyis Beschreibungsmodell der afrikanischen Weltsicht ist eine Analyse von afrikanischer mündlicher Überlieferung (von Mythen, Sprichwörtern, Gebeten). Bimwenyi findet in den unterschiedlichen Gattungen mündlicher Überlieferungstradition einen gemeinsamen Bezugspunkt: die Gemeinschaft. Im Vorgang der mündlichen Traditionsüberlieferung ist der Sprecher der "Mund der Gemeinschaft"81, "die Öffentlichkeit" empfängt die Überlieferung, kritisiert sie oder selektiert aus ihr.82 Wie schon bei der Darstellung afrikanischer Weltsicht anhand der Religionsphänomene durch afrikanische Autoren können wir hier die zentrale Stellung der Aspektes der Kommunalität beobachten. Das, was überliefert wird, nennt Bimwenyi "verbum". Er meint damit eine unter Einbezug bestimmter Sprechhandlungen gemachte Aussage einschließlich der Konsequenzen (Handlungen der "Empfänger"), die sie hervorruft, 83 z.B. in der "Aufforderung zum Engagement" der Zuhörer und auch des Sprechers. In einem der Beispiele, die Bimwenyi für dieses dynamische Element der Kommunikationshandlung erwähnt, wird von einer rituellen Gesangsart berichtet, durch die die "patriotischen Gefühle" der Gemeinschaft "formiert" werden.84 "Verbum" wird nicht einfach nur mitgeteilt, sondern es zeigt sich "als Kraft, als wirkende und bewir-
79
Alle Dinge, 110 (frz. 503).
80
Alle Dinge, 114,116 (frz. 506,508).
81
Alle Dinge, 91f (frz. 483f).
82
Alle Dinge, 93f (frz. 484ff).
83 Alle Dinge, 118: "Die Rolle der 'Instanz der Rede' und die in den Sprech-Akten aufgebotene (vor allem illokutionäre und perlokutionäre) Kraft haben durch das Wort hindurch die Energie des 'Verbum' erkennen lassen." (frz. 513). 84
Kabala-Gesang der Baluba, vgl. Alle Dinge, 94 (frz. 485/86).
53
kende Energie".85 In der afrikanischen Religiosität werde diese Energie als Gottes Wirken verstanden. Bimwenyi nimmt zu dieser Interpretation nicht Stellung. Dies ist erstaunlich, denn er erwähnt sie, nachdem er erklärt hat, daß die Kraft des Verbums "gefährlich und sogar lebensbedrohend" werden kann - wenn es "unter gewissen Umständen und aus einer klaren Kompetenz heraus ausgestoßen" worden sei.86 "Unter gewissen Umständen" kann Gott also lebensbedrohend wirken - so jedenfalls sagen "verschiedene afrikanische Traditionen".87 Welche Umstände sind dies? Was ist gemeint mit "klarer Kompetenz"? An dieser Stelle werden die Grenzen von Bimwenyis Ansatz deutlich. Er versucht, anhand der Analyse der afrikanischen Kommunikationsformen in erster Linie formale Strukturen herauszuarbeiten. Damit kann er dann implizites afrikanisches Reden von Gott in seinen unterschiedlichen Aspekten lokalisieren.88 Im Grunde leistet er damit aber noch nicht mehr als die Reduktion einer Zahl von religiösen Phänomenen auf bestimmte Kommunikationsstrukturen. Den Zusammenhang dieser Phänomene hat er damit noch nicht erklärt, und damit auch noch nicht ihre zugrundeliegende Aussageintention. Diese kann nur klarer werden, wenn noch mehr über die "Daseinsbedingungen" selbst gesagt wird, wie sie sich angeblich aus der Sprache der Afrikaner erkennen läßt. Diese werden von Bimwenyi jedoch eher aneinanderreihend und nicht zusammenhängend dargestellt. Die Grundthese seiner Arbeit müßte eigentlich heißen: Afrikanische religiöse Sprache verweist in ihrer dialogischen und offenen Struktur auf "Daseinsbedingungen", die eine ihr entsprechende Struktur haben. Sie wird von Bimwenyi jedoch weder deutlich formuliert noch demonstriert. Dennoch liefern uns seine Andeutungen über die (afrikanischen) "Daseinsbedingungen" noch so viel Material, daß sich aus ihnen Überlegungen zu seinem Reden von Gott anstellen lassen. Dies geschieht im zweiten Teil dieser Arbeit.
b) Stephen O. Okafor: Modell "Leben" Vor dem Hintergrund angelsächsischer analytischer Philosophie beschäftigt sich Stephen O. Okafor ebenfalls ausdrücklich mit den "Prolegomena" zu einer afrikanischen christlichen Theologie, wobei er dafür Grundzüge afrikanischer Weltsicht
Alle Dinge, 94 (frz. 487); vgl. auch 118 (frz. 513): "Das Wort und vor allem das ausgeschmückte (literarische, verzierte), das rhythmische (tanzende) Wort ist eine Kraft, die explosiv sein kann." 8 6
Alle Dinge, 118 (frz. 513).
87
Ebda.
8 8
"Konstellationen"; vgl. Alle Dinge, 116 (frz. 508); vgl. dazu Teil II., A.2.
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analysiert.89 Er scheint nicht an der Möglichkeit zu zweifeln, die Grundzüge vieler einzelner afrikanischer Stammeskulturen mit einer auf alle anwendbaren Theorie erklären zu können. Ebenso hält er es für möglich, die Grundzüge abendländischer und sogar asiatischer Weltsicht herauszuarbeiten und der afrikanischen gegenüberzustellen. So operiert Okafor schließlich mit drei unterschiedlichen Zugängen zur Welt. Die Hauptthese seiner Arbeit bezieht sich allerdings nur auf den Vergleich der afrikanischen mit der "westlichen" Weltsicht: Die afrikanische Art, über die Welt zu reden, sei der biblischen adäquater als diejenige, die im Westen schließlich die Oberhand gewonnen habe.90 Stephen Okafor schreibt seine Prolegomena einer afrikanischen Theologie als philosophische Dissertation, und schon dies sagt etwas über seinen Ansatz. Theologisches Reden von Gott und Welt soll ein Reden über die Welt miterfassen, das mit philosophischen Begriffen und Methoden darstellbar ist. Daher will Okafor nicht bei Gott beginnen, sondern bei der Welt. "Gott" sei ein Code-Wort, das erst decodiert werden müsse, bevor man es verstehen könne. Dieses habe christliche Theologie oft nicht berücksichtigt.91 Eine Theorie der afrikanischen Weltsicht soll nun erklären helfen, in welchem Sinne der Begriff "Gott" in afrikanischer Theologie zu decodieren wäre. "Weltsicht" allgemein bezeichnet Okafor als "primary interpretation of the world".92 Mit ihr orientieren sich Menschen in der Welt bei der Suche nach dem Sinn des Lebens angesichts des Todes.93 Religiöse Systeme haben diese kosmologisch-existentiale Orientierung in der Welt zur Grundlage.94 Sie sind menschliche Konstruktionen und als solche kulturabhängig. Die Grundlage dieser religiösen Systeme, die die Orientierung in der Welt ermöglicht, könnte allerdings gottgegeben sein. Dieser Anspruch werde z.B. in der Bibel für die in ihr vertretene Perspektive QQ
Stephen O. Okafor: Concepts of Salvation, African and European. Prolegomena to African Christian Theology. Diss. Faculty of Arts, University of Leicester, 1983 (Microfilm); hier zitert als: Concepts.
90
Okafor gibt dafür sogar eine historische Erklärung: Das mehrere tausend Jahre alte, in Afrika etablierte Konzept, die Welt zu sehen, kam mit semi-nomadischen und nomadischen Völkern, aus denen sich "eventuell" die Nation Israel bildete, in die Delta-Region Ägyptens (Gen. 39 und Ex. 15); vgl. Concepts, 155. 91 92
Concepts, 3. Concepts, 4 und passim.
^ Vgl. Concepts, 61: "(...) primary interpretation (...) of the world answers ultimately to the prior question, 'What is the meaning of life in the world, given the fact of death?'"; ebenso ebda., 324. 94
Vgl. Concepts, 61: O u r claim is that the questions and the answers do pre-date their given religious-systems (...)."
55
erhoben.95 Okafor will keine offenbarungstheologische Diskussion führen in seiner Arbeit, sondern er will die Orientierungsstrukturen, von denen in der Bibel die Rede ist, verleichen mit denen der afrikanischen Weltsicht. Eine Weltsicht enthält also eine bestimmte Antwort auf die Basis-Frage des Menschen nach Orientierung in der Welt. Okafor nennt sie auch "view of meaning".96 In den meisten Religionen erscheint diese Antwort als Rede von Gott. 97 In seiner Arbeit will Okafor nun die vielen Komponenten der afrikanischen Weltsicht auf die Darstellung dieser Grundorientierung reduzieren, d.h. nicht die "a-posteriori-Fragen" eines religiösen Systems behandeln, sondern die "a-priori-notion" (oder "essence"), die diesen zugrundeliegt.98 Die "prior notion", auf die Okafor die Komponenten afrikanischen Redens von der Welt reduzieren zu können glaubt, ist "Leben". Der Sinn der Welt und des Lebens in ihr ist für Afrikaner das Leben selbst im kosmischen Sinn. Alle Komponenten afrikanischer Weltsicht sind Ausdruck der Überzeugung, daß das Leben an sich sinnvoll und bewahrenswert ist.99 Die Funktion der Ahnen in traditionellen afrikanischen Gesellschaften und Religionen habe mit Lebensbewahrung zu tun.100 Okafor verweist in seiner Arbeit auf die Ergebnisse der Ägyptologie und betont, afrikanische Weltsicht schließe auch die ägyptische Kultur mit ein, in der der Begriff des Lebens auch eine große Rolle spiele. Daher nennt er das Konzept, nach dem Afrikaner "das Universum ordnen"101, "ankhologisch", nach dem ägyptischen
95 Qjr
Vgl. Concepts 61 und 155. Concepts, 19, bes. 61ff und passim.
97
Concepts, 69. Daher auch die Gleichsetzung von "meaning" und "Gott", vgl. Concepts, 62, 306 und passim. Verschiedene Gottesbilder wären demnach verschiedene "views of meaning". 98
Concepts, 59.
QQ
Concepts, 51: "(...) the idea, that the meaningfulness of the universe is nothing else if not the meaningfulness of life." 1ΩΟ
Vgl. Concepts, 52/53: Ahnenverehrung (nicht -anbetung!) sei die "dogmatic affirmation of this concept of life". Okafor hält die Lebenszentriertheit afrikanischer Weltsicht für tiefgreifender als die Bedeutung, die Leben allgemein im menschlich-existentiellen Fragen hat; vgl. Concepts, 52: "However, a prolonged interaction with African phenomenological data leaves one with the awareness that the concept of life is only posed in the context of the ultimate meaning phenomena. In this context it is no longer a question seeking an answer; it is itself the answer to the problem posed by the very existence of phenomena. In traditional Africa both religion and society, the divinities and the ancestors, God and man will answer to the notion that the one certain reality (the meaning) in the intractable universe is life." Concepts, 306/07 und passim.
56
Wort für "Leben", "ankh".102 Die ankhologische Weltsicht stellt Okafor kurz der asiatischen und etwas ausführlicher der abendländischen gegenüber. Die asiatische Weltsicht nennt er "sunyatologisch", d.h. auf "Leere" hin gerichtet.103 Die abendländische Weltsicht sieht er stark von Plato und Augustin geprägt und nennt sie "nousologisch", d.h. das Geistige im Gegensatz zum konkreten Materiellen betonend.104 Die Bibel nun werde nicht von solchem Dualismus bestimmt, sondern vielmehr ebenso wie die afrikanische Weltsicht von der Betonung des Lebens selbst.105 In der traditionellen afrikanischen Gesellschaft konkretisiert sich die Überzeugung, daß der Sinn des Lebens das Leben selbst ist, in einer "Philosophie des Gemeinwohls", nach der soziale und religiöse Strukturen gestaltet werden. 106 Die Bewahrung und Konkretisierung des Lebens wird jedoch auch gefährdet. Diese Erfahrung wird es wohl sein, die zu der zweiten Grundkomponente der afrikanischen Weltsicht führt, die Okafor aufzeigt: die Vorstellung von einer "Aura", die von jeder "beseelten und unbeseelten Existenz" ausgehe107 Die Theorie von der "Aura der Phänomene" ist offenbar aufgrund von Analysen der traditionellen afrikanischen Religionsphänomene, speziell der Vorstellung von den "Kräften" entstanden.108 Okafor erklärt jedoch nicht, wie er sie daraus entwickelt hat und welche Funktion sie seiner Meinung nach innerhalb der lebenszentrierten Weltsicht habe. Meine Vermutung, daß er sie erwähnt, um auch den Kampf um die Lebenserhaltung in seinem Beschreibungsmodell afrikanischer Weltsicht zu berücksichtigen,
102
Vgl. Concepts, 44/45, 52 und 54, Anm. 82.
Concepts, 21ff und 66; bes. 27: "To be saved, now, means to attain harmony with meaning and thereby halt the threat of the meaningless world in its tracks." ^ Concepts, 28ff: Als beispielhaft für die westliche Weltsicht geht Okafor kurz auf folgende Philosophen ein: Aristoteles, Plato, Plotin, Dionysius von Areopagita, Augustin, Descartes. Schleiermacher habe sich nicht durchgesetzt, vgl. ebda., 7. Zur "nosologischen" Weltsicht s. auch ebda., 68. 105
Concepts, 90-157.
1Γ¥ί
Concepts, 51: "philosophy of commensality"; s. auch ebda., 55/56. Vgl. zum folgenden auch den 1982 erschienen Aufsatz Okafors: Bantu Philosophy: Placide Tempels revisited. In: Journal of Religion in Africa 8,1982, 83-100; bes. 91-96; hier zitiert als: Placide Tempels. 107 "Phenomenon-aura", vgl. Concepts, 51 und 57; Placide Tempels, 94: zum Wohl oder zum Schaden des Lebens, je nach dem, wie sie von Zauberern, Hexen oder Medizinmännern realisiert wird. 108 Okafor weist darauf hin, daß sie in der Religionswissenschaft bisher mit den Begriffen "mana", "Animismus" oder "Dynamismus" bezeichnet worden seien. Diese Bezeichnungen weist er ab, weil sie zu "exotisch" klängen und weil sie nichts aussagten über die Funktion der Vorstellungen, die sie bezeichneten; vgl. Concepts, 56ff; hier 57: "They are terms that could not account either for the origin of what they purport to name nor for its nature." Vgl. auch Placide Tempels, 94 und passim. Offenbar meint Okafor, daß er durch die Verankerung der Aura-Vorstellung im Lebensbegriff die kritisierten Defizite ausfülle.
57
folgt aus der Beobachtung, daß dies der einzige Zusammenhang ist, an dem Okafor auch von Lebensbedrohung spricht. Es ist sinnvoll, an dieser Stelle Okafors Ausführungen kurz zu ergänzen durch die Anregungen Heribert Rückers, um an dessen Darstellung afrikanischer Weltsicht deutlicher werden zu lassen, wo die Theorie von der "Aura der Phänomene" ihren Platz haben könnte.109 Auch Rücker sieht Leben als das Grundprinzip afrikanischer Wirklichkeitsorientierung. Das "ankhologische Ordnen des Universums", wie Okafor formuliert,110 ist für Rücker Erfahrung lebensfördernder Wirklichkeit, in der sich "Bewährtes" herausgestellt hat und sich weiter herausstellt. Darum liegt ihr eine "evolutionäre Hermeneutik" zugrunde.111 Nun erfährt der Mensch lebensfördernde Wirklichkeit allerdings nicht mit stets demselben Intensitätsgrad. Wie sollte man in Afrika nicht Hunger, Krankheit, Tod und Destruktion kennen! Wirklichkeitserfahrung nach dem Lebensprinzip zu ordnen, das heißt nach Rücker nun nicht, diese Erfahrungen von Nicht-Leben zu negieren. Das erläutert er mit dem Modell der zweipoligen Wirklichkeitserfahrung: Für die Erfahrung lebensfördernder Wirklichkeit in der Welt läßt sich ein breites Intensitätsspektrum ausmachen, das sich zwischen dem Maximum, dem "positiven Pol", und dem Minimum, dem "negativen Pol", abspielt.112 Ähnlich beschreibt Theo Sundermeier afrikanische Lebenserfahrung als "ambivalent" oder "dual", d.h. das Leben "stellt sich als weiblich und männlich, als gut und böse, als schwach und stark, wachsend und abnehmend dar".113 Wichtig ist nun, so weiter Rücker, daß dem "negativen Pol" keine eigene Ursprungsquelle zugeschrieben wird, so daß wir es also nicht mit einer dualistischen Weltsicht zu tun haben, in der Wirklichkeit verstanden würde als sowohl Leben wie auch prinzipielles Nicht-Leben verursachend. Vielmehr wird offenbar Leben selbst verstanden als ein so breites Spektrum, daß es auch zu Nicht-Leben führen kann.114 Der Tod eines individuellen Menschen stellt das Leben an sich nicht nicht in Frage, auch wenn er "Angst vor
109
Rücker, "Afrikanische Theologie", 123-31.
110
Concepts, 306/07.
1 1 1 "Afrikanische Theologie", 125: "Das Interesse am Leben bildet den Schlüssel aller afrikanischer Hermeneutik, die sich nur in der Weise bewährt, wie sie das Leben ermöglicht; sie ist eine evolutionäre Hermeneutik. Traditionen afrikanischer Praxis stellten das Bewährte dar, das bis zu seiner heutigen Entfaltung - trotz des Todes - das Leben ermöglicht hat." 112
"Afrikanische Theologie", 126.
113
Th. Sundermeier: Das Kreuz als Befreiung. München 1985,58; Nur gemeinsam, 30.
1 1 4 "Afrikanische Theologie", 129: Hexen z.B. "präsentieren (...) den Trend zum endgültigen NichtLeben und nicht die 'Gegenquelle' eines 'Gegenlebens'. Vielmehr bedienen sie sich des gleichen und einzigen Lebens, das in der von ihnen durchgeführten Relationierung den negativen Trend offenbart."
58
dem endgültigen Nicht-Leben" provoziert.115 Der "negative Pol" und wohl auch die Angst, die er auslöst, wird allerdings "nicht direkt verbalisiert": Eine Aussprache verliehe ihm noch mehr Einfluß, was um den Lebens willen nicht geschehen darf."116 Viele Riten in der afrikanischen Religion haben die Funktion, den Einfluß der maximalen Lebensintensität gegenüber der minimalen zu stärken. Sie sind im buchstäblichen Sinn des Wortes "überlebensnotwendig", denn ohne sie nimmt der "negative Pol" als sich selbst aushauchendes Leben Überhand in der Welt.117 Grundlage von Rückers Theorie des Lebensspektrums ist offensichtlich sein Verständnis des Lebensbegriffes afrikanischer Religionen, nach dem es Leben nur unter Einschluß von Sterben gibt. Sterben kann man nur begrenzen, nicht abschaffen. Das ist der "Kampf gegen Lebensminderung"118, der bei Okafor auftaucht in der Rede von der "Aura", die in der Welt erfahrbar ist und die lebensfördernd oder lebensschädlich beeinflußt werden kann. In diesem Zusammenhang kann Okafor sich sogar älterer dynamistischer Terminologie bedienen und von "Kräften" reden, die von sich aus schon gegen das Leben gerichtet seien.119 Nach Rückers Beschreibungsmodell des zweipoligen Erfahrungsspektrums der Lebenswirklichkeit wäre diese "Aura" der lebensbedrohend und lebensbewahrend zu beeinflussenden Kräfte eben das Spektrum. Sie kommt in Okafors Theorie vor, weil es auch ihm um einen kosmischen, überindividuellen Lebensbegriff geht. Mit seiner Theorie über die Struktur afrikanischer Weltsicht erfaßt Okafor also in erster Linie die afrikanische Vorstellung von der Orientierungsmöglichkeit in der Welt als Hochachtung des Lebens, die sich in Philosophie und Religion niederschlägt. Er hebt als zwei Grundkomponenten die sozial-philosophische Gemeinwohl-Orientierung (philosophy of commensality) und die metaphysische Vorstellung von der "Aura der Phänomene" (phenomenal aura) hervor, die beide auf den Kernbegriff "Leben" gerichtet sind. Formen der sozialen Organisation sollen damit ebenso erklärt werden wie z.B. bestimmte religiöse Riten oder medizinische Hei-
^
"Afrikanische Theologie", 127.
116 "Afrikanische Theologie", 129. Vgl. dagegen allerdings die Information von B.Bujo: "Nicht selten weisen Namen auf den Tod hin, mit dem jeder schon von Kindheit an rechnen muß. So begegnet man oft Namen wie Kufa-Lobi (Du stirbst morgen) (...). Diese und ähnliche Namen sind eine Herausforderung zur ständigen Auseinandersetzung mit dem Tod."; Bujo, Afrikanische Theologie, 132. 117 "Afrikanische Theologie", 127: "Die polare Symbolik stellt ständig die endgültige Falsifizierung des Lebens in den Bereich der Möglichkeit. Hier bestätigt nicht nur jedes 'Schöne' die letztliche Geborgenheit, sondern hier bestätigt genauso jedes lebenverneinende Vorkommen die letztliche Verlorenheit. Ein an solcher Symmetrie orientierter, immer um das Gleichgewicht bemühter Realismus weiß sich im Kampf um das Leben, vor dem kein Ästhetizismus retten kann." 118
"Afrikanische Theologie", 130.
Concepts, 322:"(...) forces that work against life"; ebda., 321/22 und öfter: "anti-ankhologjcal forces of the world".
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lungsmethoden. Sie sind Ausdruck einer nach einem bestimmten Muster geordneten Welt.120 Es kommt im traditionellen Afrika immer darauf an, Leben zu bewahren und zu fördern - aber eben auch darauf, Lebensschädliches zu eliminieren. Auf die lebensbedrohenden Aspekte der Wirklichkeit, auf die ja die Weltsicht, auf die er sich bezieht, doch auch reagiert, geht Okafor kaum ein. Die Theorie von der Aura der Phänomene wird von ihm nicht ausdrücklich in diesen Zusammenhang gestellt. Sie erscheint in seiner Darstellung eher unvermittelt und unbegründet. Im nächsten Kapitel soll ein heuristisches Modell afrikanischer Weltsicht entwikkelt werden, das helfen soll, die Bezüge afrikanischer Theologen auf die traditionelle Weltsicht zu erklären. Dabei müssen auch die Erfahrung der Lebensbedrohung und die Möglichkeiten ihrer Verarbeitung in afrikanischer Weltsicht berücksichtigt werden.
Resümee Bei aller Unterschiedlichkeit im Ansatz enthalten die von Bimwenyi-Kweshi und Okafor entworfenen Beschreibungsmodelle afrikanischer Weltsicht durchaus gemeinsame Züge. In beiden erscheinen Gemeinschaft und auch Tradition als bestimmende Faktoren. Okafors Modell ist weitreichender als Bimwenyis, indem es die "Daseinsbedingungen" als vom Prinzip der Lebensbewahrung bestimmt genauer charakterisiert. Die eigentlich hervorstechende Gemeinsamkeit beider Ansätze geht über einzelne Details hinaus: Beide Modelle entwerfen ein sehr dynamisches Bild der Welt. Bei Bimwenyi entsteht es durch die Darstellung der dialogischen und offenen Kommunikationsstruktur, von der die afrikanische Weltsicht geprägt sei - bei Okafor durch den Ansatz, "Daseinsbedingungen" nicht als ontologisch feststehend zu bestimmen, sondern sie nur durch die Interpretation der Welt für zugänglich zu halten. Einem Ansatz analytischer Philosophie vom Sehen als "Sehen als" folgend, neigt er dazu, Wirklichkeit nur als Ergebnis von Interpretation zu bestimmen. Beide Ansätze gehen davon aus, daß es keinen voraussetzungslosen, d.h. von traditioneller und kultureller Perspektive unabhängigen Zugang zu einer wie auch immer gearteten Weltdeutung gibt. Auf unsere einführende Annäherung an Elemente afrikanischer Religionen bezogen können wir diesen dynamischen und Anthropozentrik fördernden Grundzug an verschiedenen Punkten wiedererkennen: in der Möglichkeit, daß Menschen Götter verachten können, in der Nähe von (menschlichen) Ahnen und Gott, in der Identifikation der Gesetze der Gemeinschaft mit den Gesetzen Gottes und im Prinzip auch in der offenbar dynamisch gedachten Beziehung zwischen Göttern und Gott, die die Götter als untergeordnet
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Concepts, 306/07.
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und dennoch relativ unabhängig sein läßt. Am stärksten allerdings erscheint diese Dynamik offenbar im Zusammenhang mit der Vorstellung von den "Kräften". Sowohl Bimwenyi in seinem Begriff vom "Verbum" als auch Okafor mit seiner Theorie der "Aura der Phänomene" lassen Anklänge an diese Vorstellung aufkommen, die schon im Zusammenhang mit den Elementen afrikanischer Religionen auftauchte. 121 Ihr dynamischer Zug liegt offenbar nicht allein in der Vorstellung von Kräften als Energien, sondern insbesondere in der Betonung von deren Beeinflußbarkeit bzw. Realisierbarkeit. In diesem Zusammenhang scheint auch der Umgang mit der lebensbedrohenden Seite der Wirklichkeit gesehen werden zu müssen, die bei Bimwenyi und Okafor zwar gleichermaßen merkwürdig kurz abgehandelt wird, jedoch ebenfalls gleichermaßen nicht unabhängig von menschlicher Einflußnahme gedacht wird. Bei der Suche nach Strukturen afrikanischen Redens von Gott stellt sich die Frage, wie in dieser dynamischen, anthropozentrischen Weltsicht Gott zur Sprache kommen soll. Es hat den Anschein, daß die Rede von den Kräften mehr sagen kann über die Beziehungen der einzelnen Elemente afrikanischer Religionen. Daß Kräfte, Geister oder Wesenheiten auch in den neusten Darstellungen afrikanischer Weltsicht wie selbstverständlich erwähnt werden, wirkt ermutigend, an dieser Stelle weiterzufragen. Deshalb möchte ich mich in dieser Arbeit mit solchen Beschreibungen afrikanischer Weltsicht beschäftigen, die die Rede von den "Kräften" ernstnehmen und in ihr ein sinnvolles Modell für afrikanisches Wirklichkeitsverständnis sehen. Weil das Leben im Zentrum steht, wie auch Okafor betont, nenne ich es "afrikanischer Vitalismus".
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S.o., Teil I., B.l.
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C. Afrikanische Weltsicht im heuristischen Modell "Vitalismus" Einleitung In diesem Kapitel sollen die Grundzüge afrikanischer Weltsicht dargestellt werden, wie sie sich aus der Art des Rückbezuges der im zweiten Teil behandelten Theologen ergeben. Die Metapher der "Kräfte" erweist sich dafür als besonders geeignet, den dynamischen Grundzug afrikanischen Wirklichkeitsverständnisses zu veranschaulichen und damit die Struktur der Vielheit der religösen Instanzen zu erklären. Sie bietet sich auch an, weil sie sowohl von Afrikanern wie auch von abendländischen Religionsethnologen verwendet wird. Das Beschreibungsmodell der Kräfte stammt bereits aus der religionsphänomenologischen Theorie des Dynamismus aus dem 19. Jahrhundert. Sie wurde vor 50 Jahren von dem Franziskanerpater Placide Tempels in seiner Entwicklung einer "Bantu-Philosophie" mit Elementen einer Lebensphilosophie verbunden. Theo Sundermeier und Klaus Nürnberger benutzten in den 70er Jahren eine an Tempels anschließende Terminologie. Diese forschungsgeschichtliche Einordnung wird im ersten Abschnitt dieses Kapitels über die Dynamismus-Theorie nachgezeichnet. Der zweite Abschnitt enthält die Grundzüge des Vitalismus-Modells. Er besteht aus strengeren theoretischen Teilen, in die eher lockere illustrative Textpassagen eingeflochten sind, mit denen auf den anthropologischen Hintergrund der theoretischen Begriffe hingewiesen werden soll. Hierin werden auch Orte möglicher Verengungen angezeigt, die sich in der praktischen Lebensgestaltung ergeben können, wenn sie die Intention, die sie im Modell haben, nicht mehr erfüllen. Ich bezeichne sie mit dem Terminus "Verkrustungen". Die Entwicklung des Modells orientiert sich an Arbeiten Nürnbergers und Sundermeiers, die Illustrationen insbesondere an dem Buch von John Taylor, 'The Primal Vision", das Anfang der 60er Jahre bereits eine sehr einfühlsame Darstellung afrikanischer Kultur unter Berücksichtigung anthropologischer Forschungen bot. Der dritte Abschnitt konzentriert sich auf einen Schlüsselbegriff des VitalismusModells: die Metapher von der Kanalisierung der Kräfte in Richtung auf den Zustand des Gleichgewichts. Theo Sundermeiers und Heribert Rückers Vorschlag, das Spezifikum afrikanischer Weltsicht im afrikanischen Symbolverständnis zu sehen, soll in diesen Schlüsselbegriff integriert werden. Der Symbolbegriff dient dazu, die Theorie von der nicht-identifizierenden Einheit von Gott und mindestens bestimmten Teilen der Welt zu verdeutlichen, die für ein rechtes Verständnis der Relation von Gott, Göttern und Ahnen unerläßlich ist. Sie ist ebenfalls wichtig, um das Verständnis der Beziehung von Sprache und Wirklichkeit zu verstehen, in dem afrikanische Theologen ihre Rede von Gott zum Ausdruck bringen. Das Symbolverständnis sagt also etwas aus über das W i e der Rede von Gott.
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Der Begriff des Gleichgewichts der Kräfte soll verdeutlichen, w a s in afrikanischen Religionen von Gott gesagt werden kann. Er dient im vierten Abschnitt dieses Kapitels zur Erklärung der Begrenztheit der Hoffnung, die aus einem Reden von Gott innerhalb der Orientierung am Gleichgewicht kommt. Dafür wird zuerst die Verankerung des Redens von Gott in der Ur-Erfahrung der Lebensbewahrung durch Gleichgewicht aufgezeigt (a), anschließend auf die Begrenztheit der Heilsvorstellung der afrikanischen Relgionen hingewiesen (b) und schließlich auch die Begrenztheit der Hoffnung in Gott durch die Diskussion des Theodizeeproblems noch einmal von einer anderen Seite aus angedeutet (c). Während ich für Teil a) die Arbeiten von Nürnberger und Sundermeier zu Hilfe genommen habe, orientieren sich Teil b) und c) an Untersuchungen traditioneller Weltsicht durch afrikanische Christen. Das Vitalismus-Modell soll die Ergebnisse der religionsgeschichtlichen Arbeiten von Sundermeier, Nürnberger und auch Taylor zu einem heuristischen Instrument verarbeiten, mit dessen Hilfe Strukturen der afrikanischen Theologie aufgedeckt und erklärt werden können.
1. Die Dynamismus-Theorie Es waren vorwiegend europäische Religionswissenschaftler, die afrikanische Weltsicht als "dynamistisch" bezeichneten. Diese Theorie entstand nach religionsgeschichtlichen und sozialanthropologischen Forschungen bei den Melanesiern in der Südsee Ende des 19. Jahrhunderts, nach denen diese von einer "Macht" (mana) ausgingen, die in Personen, Tieren, Pflanzen und Dingen als Kräfte innewohne. Mit dem Begriff "Dynamismus" wird die Interpretation verbunden, die Kräfte seien in ihrer Wirkweise von vornherein in einer bestimmten Weise charakterisiert, z.B. als gut oder böse. Der Umgang mit dieser Macht und den Kräften nach bestimmten Regeln wird "Magie" genannt, wobei mit diesem Begriff meist ein Automatismus in der Wirkung bestimmter Symbole und Riten gemeint ist. Dies wird heute als zu wenig differenziertes Verständnis der Riten primaler Religionen kritisiert.1 Edwin Smiths Theorie vom "Hochgott" der afrikanischen Religionen ist auch vor dem Hintergrund der Dynamismus-Theorie entstanden, mit dem die These verbunden wurde, Menschen der traditionellen Religionen hätten keine persönliche Gottesvorstellung, sondern fühlten sich abhängig von einer abstrakten NaturKraft. Die Kraft sei fälschlicherweise von Missionaren mit "Gott" übersetzt
* Kurz zum Begriff vgl.: H.v. Glasenapp: Die nichtchristlichen Religionen. Frankfurt 1957, 244/45; Th. Sundermeier: Unio analogica. Zum Verständnis afrikanischer dynamistischer Denkformen. Teil 1. In: EMZ 1973,150-66; hier zitiert als: Uma; hier 152.
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worden. 2 Smith wollte dieser Meinung widersprechen. O h n e das dynamistische Beschreibungsmodell
grundsätzlich
zu
verwerfen,
hält
er
dennoch
in
den
R e l i g i o n e n die Vorstellung eines persönlichen G o t t e s für nachweisbar, d e n e r als "High G o d " bezeichnet. 3 N a c h Smith steht dieser G o t t ü b e r d e n K r ä f t e n . 4 D i e s e Gottesvorstellung wird in der R e g e l mit der deus-remotus-Vorstellung verbunden. 5 D e r b e r ü h m t e s t e Versuch, die Religion eines afrikanischen V o l k e s unter d e m B e griff Dynamismus systematisch darzustellen, wurde der des flämischen Franziskanerpaters Placide T e m p e l s im J a h r 1 9 4 5 . 6 T e m p e l s h a t t e in seiner "Bantu-Philosophie" d e n Begriff "Lebenskraft" (vitale f o r c e ) als Grundpfeiler d e r afrikanischen Weltsicht dargestellt. D e r afrikanische Mensch v e r s u c h e in der W e l t , die sich ihm als "geordnete, innig z u s a m m e n h ä n g e n d e Mannigfaltigkeit v o n K r ä f t e n " darstelle, die L e b e n s k r a f t zu stärken und ihr widerstrebende K r ä f t e abzuwehren. D i e L e benskraft k o m m t v o n G o t t . 7 D a b e i bleibt unklar, wie T e m p e l s sich die Beziehung zwischen d e n K r ä f t e n und der "Lebenskraft" denkt, die offenbar z u m W e s e n nur bestimmter, e b e n "lebendiger" K r ä f t e gehört, denn es gibt auch "leblose Kräfte", nämlich in den D i n g e n 8 T h e o Sundermeier hält es für falsch, so wie T e m p e l s v o n "verschiedenen" K r ä f t e n zu reden. 9 In der T a t sagt T e m p e l s auf diese W e i s e , der 2
Als Beispiel für diese Dynamismus-Theorie sei hier Smiths Verweis auf J.H. Driberg aus dem Jahr 1936 wiedergegeben: "J.H. Driberg declared that he had no hesitation in affirming that the religious beliefs and philosophy of the African are fixed primarily at the concept of a universal Power or Energy 'which informs and is the cause of all life'. This spiritual force consists of an abstract Power or natural potency, all-pervasive, and definitely never regarded anthropomorphically."; vgl. Smith, God, 20/21; Zitat aus Driberg: The Secular Aspect of Ancestor Worship in Africa. In: Supplement to the Journal of the Royal African Society, Jan. 1936, Vol. XXXV. No. 138. Vgl. Smith, God, 21: "But the unequivocal assertion that the 'High God' idea does not exist in Africa, that the Supreme Power is always thought of as 'It' and not 'He', cannot be accepted in view of the evidence set out in this book and elsewhere." ^ God, 29: "He is the ultimate Controller of natural forces and of human destiny." ^ Theo Sundermeier hält die Bezeichnung "Hochgott" deswegen für unpassend als Bezeichnung des Gottesvorstellung afrikanischer Religionen; vgl. Nur gemeinsam, 199. ^ P. Tempels: Bantu-Philosophie. Heidelberg 1956 (Erstveröff.: La philosophic Bantou. Elisabethville 1945); hier zitiert als: Bantu-Philosophie. Vgl. dazu auch Rücker, "Afrikanische Theologie", 35, Anm. 34: "Der niederländische Originaltext 'Bantoe-filosofie' erschien 1946 in Buchform, nachdem 1945 schon eine schlechte französische Übersetzung veröffentlicht worden war." S. dazu auch A J . Smet: Le p£re Tempels et son oeuvre publicde. In: Revue Africaine de Thöologie 1,1977, 77-128, hier 101 und 107; hier zitiert als: Le pfere Tempels. - Insgesamt zu Werk und Rezeption von Tempels vgl. außerdem Smet: Bibliographie de la philosophie africaine. Rdpertoire chronologique. Kinshasa 1977 (viel Lit.). 7 8
Tempels, Bantu-Philosophie, 74. Bantu-Philosophie, 29.
® Sundermeier, Unio, 151. Vgl. dazu Tempels, Bantu-Philosophie, 27: "Wir sagen, daß die Seinswesen nach Art und Natur verschieden sind, die Bantu sehen Kräfte, die sich nach ihrer Art und Natur
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Mensch in den afrikanischen Religionen fühle sich in einer kosmisch bereits vorgestalteten Ordnung, die ihre Struktur unabhängig von der menschlichen Einflußnahme auf die Kräfte habe. In diesem Sinne, so ist Sundermeiers Kritik zu verstehen, ist afrikanische Weltsicht nicht ontologisch. Das Mißverständnis primal-religiöser Riten, das ihnen eine magisch-automatistische Wirkungssweise zuschreibt, kann mit einer solchen ontologischen Interpretation afrikanischer Weltsicht verbunden sein, wenn es auch bei Tempels in dieser Form nicht auftritt. Mit dem Buch wurde vielmehr der Anfang gemacht, afrikanische Kultur philosophisch ernstzunehmen. Viele Afrikaner haben sich in dieser Darstellung wiedergefunden.10 Direkt auf Tempels berief sich in den fünfziger Jahren eine Gruppe von Priestern, die unter dem Namen "Jamaa" (Familie) versuchten, seine Anregungen in die kirchliche Praxis umzusetzen. Unter ihnen befanden sich auch Alexis Kagame und Vincent Mulago, die 1955 und 1962 in Rom mit Arbeiten promovierten, in denen Tempels* Gedanken fortgeführt wurden.11 Beide Arbeiten sind sehr von abendländischer Ontologie getragen und liegen zum Teil stärker auf der Linie aristotelischer Philosophie als die Anregung von Tempels selbst.12 Mulagos Arbeiten stellen afrikanische Weltsicht dar als Bestreben, an der Lebenskraft, also am Leben, zu partizipieren und damit Gemeinschaftsstrukturen für lebenswichtig zu halten und zu gestalten. 13 Kagames Methode ist im übrigen vergleichbar mit der Bimwenyi-Kweshis. Zwar analysiert er weniger Kommunikationsstrukturen, doch
unterscheiden. Nach ihnen existieren individuell unterschieden, zuerst die göttliche Kraft, dann die menschlichen, tierischen, pflanzlichen und rein stofflichen oder mineralischen Kräfte." ^ Vgl. z.B. folgende Beispiele aus jüngerer Zeit: R . Anstey: Christianity and Bantu Philosophy: Observations on the Thought and Work of Placide Tempels. In: Int. Rev. of Miss. 52,1963, 316-22; hier zitiert als: Christianity: weiterhin die Darstellung der Bantu-Religion in Rwenumbiza, Comparative Study, 32ff; J.S. Upkong: African Theologies Now. A Profile. Eldoret 1984, 31/32; Bujo, Afrikanische Theologie, 61-63 (Tempels' Werk sei der "eigentliche Anstoß zu afrikanischer Theologie"; ebda, 61) und die kritiklose Tempels-Anlehnung bei I.C. Onyewuenyi: A Philosophical Reappraisal of African Belief in Reincarnation. In: Prfisence Africaine 123,1982/3,63-78, bes. 73 und 75. ^ A. Kagame: La philosophie bäntu-rwandaise de l'Etre. Brüssel 1956; V. Mulago: Un visage Bantu face ä l'uniti vitale ecclesiale. Paris 1965. - Vgl. dazu auch: Β. Karango: Bref aper;u sur la philosophie et Pethno-anthropologic en Afrique. In: Dialogue 75, 1979, 77-92; hier: 8 4 / 8 5 (kurzer forschungsgeschichtlicher Uberblick); L. Djamba: A propos de la philosophie africaine. In: Au Coeur de 1'Afrique X X I , 1981/3,143-64; hier zitert als: Α propos. 12
Vgl. Mulagos Kritik an Tempels' These, in der Bantu-Philosophie sei das Sein die Kraft und nicht etwa die Kraft etwas Zusätzliches zum Sein, und auch an der Darstellung des Menschen als Schöpfer dieses Kräfte-Seins; Mulago-Kritik dargestellt in Djamba, Α propos, 151/52. 13
So noch z.B. Mulago: La religion traditionelle des Bantu et leur vision du monde. Kinshasa 1973, 143: "Dans la vie pratique, tout l'effort des Africains tend ä maintenir la solidaritd entre les merabres de la communaut6, ä faciliter la communion et la circulation de la vie, ä empecher la diminution de la vie."
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entwickelt er seine Analyse der Bantu-Philosophie aus einer sehr diffizielen Analyse der Bantu-Sprachen selbst.14 So ist also Tempels' Ansatz von Afrikanern auch variiert und natürlich bis zum heutigen Tage auch kritisiert worden.15 Skeptisch war man zum Beispiel grundsätzlich in der Beurteilung der Möglichkeit, ob ein Europäer überhaupt die "Bantu-Philosophie" adäquat sehen könne. Außerdem gab es Kritik an der Methode, von einem untersuchten Bantu-Volk auf alle zu verallgemeinern - geschweige denn, überhaupt relevante Aussagen für eine allgemeine "afrikanische Philosophie" machen zu können, was in der Folge von Tempels versucht wurde.16 Weiterhin wurde das Buch im Zuge der Unabhängigkeitsbewegungen als kolonialistisch gebrandtmarkt, weil es abendländisch geprägt sei. Als besonders kränkend wurde es von Autoren aus dieser Richtung empfunden, daß Tempels im Grunde als Missionar sein Buch geschrieben habe und die afrikanische Philosophie doch nur als Basis für das Christentum gelten lasse.17 Viele dieser kritischen Argumente finden sich schließlich auch in der jüngst erschienenen Überarbeitung des Tempelschen Ansatzes von Stephen O. Okafor. Sein 1982 veröffentlichter Aufsatz18 steht schon ganz im Licht der ein Jahr später fertiggestellten Dissertation.19 Ihm ist der Begriff "vitale force" bei Tempels zu "exotisch" im Sinne von folkloristisch20, und er schlägt daher vor, ihn durch den Be-
14
So bes. in seinem Werk: La philosophic bantu comparde. Paris 1976.
^ Vgl. zum Folgenden: Anstey, Christianity; Djamba, A propos; Smet, Le p£re Placide Tempels, 77; F.B. Boulaga: Le Bantou problömatique. Pr6sence Africaine 66, 1968, 4-44; L. Harris: Romanticism and Scientism in Africa. In: Prösence Africaine 13,1980/1,175-92. 16
Z.B. J.V. Taylor: Du findest mich, wenn du den Stein aufhebst. München 1965 (Orig.: The Primal Vision. London 1963). 17
S. dazu jedoch Rücker, "Afrikanische Theologie", 35: "Tempels' revolutionäre Haltung gehorcht der Konsequenz, daß der Missionar neben seinen anderen Vorurteilen auch sein gern für absolut gehaltenes Verständnis des 'Lebens in Christus' ablegen müsse. (...) Tempels' 'Bantu-Philosophie' wird wegen dieses nonkonformistischen Kerns mit seinen sozialen Implikationen weder von Politikern noch von der kirchlichen Hierarchie begrüßt." -IQ
S.O. Okafor: Bantu Philosophy: Placide Tempels Revisisted. In: Journal of Religion in Africa 13, 1982/2,83-100; hier zitiert als: Placide Tempels. 19
S.o., Teil I., B.2.b).
Placide Tempels, 89. - Okafor betont immer wieder, daß die religionswissenschaftlichen Beschreibungsmodelle Animismus, Mana oder Dynamismus, die ihm Synonyma zu sein scheinen, zur Darstellung afrikanischer Weltsicht unzureichend seien. Er gibt aber für dieses Urteil leider keine Begründung. Das ist besonders verwirrend, weil er im Zusammenhang der "phenomenon aura" mindestens in der Dissertation selbst den Begriff "Kräfte" benutzt; s.o., Teil I., B.2.b).
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griff "Leben" ("LIFE") zu ersetzen.21 Wahrscheinlich ist sein Unbehagen gegenüber der Dynamismus-Theorie im Grunde ein Unbehagen gegen die auch bei Tempels zugrundeliegende ontologische Interpretation afrikanischer Weltsicht. Okafor will nicht von einer vorgegebenen Ordnung afrikanischer Wirklichkeit reden, sondern von einer durch menschliche Erfahrungsperspektive gestaltete Welt (view). Darum ist ihm die allgemeinere Terminologie einer "Lebensphilosophie", die auch Tempels mitaufgenommen hat, lieber. Dennoch hat es den Anschein, als habe sich Okafor im Prinzip nicht so weit von dem dynamistischen Modell zur Beschreibung afrikanischer Weltsicht entfernt wie er selbst behauptet: Seine Theorie von der lebensfördernd oder lebensfeindlich nutzbaren "Aura der Phänomene" weist große Ähnlichkeiten auf mit der Vorstellung von den zu nutzenden Kräften der Wirklichkeit.22 Auch bei Bimwenyi-Kweshi läßt sich eine Verbindung zu dynamistischer Begrifflichkeit feststellen. Er beruft sich in seiner Darstellung afrikanischer Weltsicht in allen wesentlichen Punkten auf die Vorarbeiten von A. Hampate Bä, der ausgesprochen dynamistische Begrifflichkeit verwendet.23 So bezeichnet Bä z.B. den Menschen als den Ort, an dem "alle Kräfte zusammenfließen", und die menschliche Entwicklung als ein Fruchtbarmachen dieser Kräfte im Sinne der Ordnung innerhalb der Vielfalt der Kräfte.24
2. Grundelemente des Vitalismus-Modells Einleitung Ich möchte nun für den weiteren Verlauf dieser Arbeit ein Modell vorstellen, um die Elemente afrikanischer Weltsicht genauer erklären zu können, auf die sich afrikanische Theologen in ihren Arbeiten beziehen. Das Bild der "Kräfte" übernehme ich dafür, weil es die innere Dynamik der Vorstellung vom vitalen Leben, von der afrikanische Weltsicht getragen ist, am besten veranschaulicht. Die Hauptkriterien des dynamistischen Beschreibungsmodells afrikanischer Weltsicht liegen also dieser Arbeit als heuristisches Modell bei der Suche nach gemeinsamen Strukturen in den theologischen Texten zugrunde. Um nicht dem Mißverständnis ausgesetzt zu sein, auch in dieser Arbeit eine Dynamismus-Theorie im Sinne einer
21
Piacide Tempels, 90/91 und 91-93. Mit dem Begriff "Leben" ist für Okafor auch der afrikanische Gottesbegriff mitumfaßt.
22
S.o., Teil I , B.2.b).
23
A.H. Bä: Aspects de la civilisation africaine. Paris 1972; hier zitiert als: Aspects. Bä untersucht Stämme im heutigen Mali. 24
Aspects, 15f.
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Ontologie der Kräfte zugrundezulegen, wähle ich für meine Darstellung eines Modells afrikanischer Weltsicht den Begriff "Vitalismus". In Anlehnung an die Theorien Bimwenyi-Kweshis und Stephen Okafors meine ich damit afrikanische Religiosität als Erfahrung der Wirkweise des Lebens, das aus vielen miteinander verwobenen Kräften besteht, die jedoch nicht in sich schon in einer bestimmten Weise charakterisiert sind. Man könnte sie auch "Energien" nennen. In diesem Sinne haben auch Klaus Nürnberger und Theo Sundermeier den Dynamismus-Begriff und den Terminus "Kräfte" gelegentlich benutzt, ebenso wie der afrikanische Theologe Gabriel Setiloane. Die Elemente des Vitalismus-Modells sollen jetzt im Einzelnen genauer erklärt werden. Dabei stütze ich mich in erster Linie auf die Arbeiten von Nürnberger und Sundermeier. Mit Hilfe von Nürnbergers Anregungen können Strukturen des Redens von Gott in afrikanischer Weltsicht entwickelt werden. Sundermeier erläutert mit seinem Interpretationsmodell das Phänomen der Vorstellung von der Kanalisierung bzw. Realisation der Kräfte, das eine durchgehende Konstante auch zum Verständnis der Arbeiten der afrikanischen Theologie zu sein scheint.
a) Überleben im Leben der Gemeinschaft Die Theorien zur Beschreibung afrikanischer Weltsicht von Bimwenyi-Kweshi und Okafor betonen die beiden wichtigsten Elemente, auf die auch von anderen afrikanischen Theologen ständig Bezug genommen wird. Okafor zeigt mit seiner Darstellung des Lebensbegriffes in Anlehnung an die Methoden analytischer Philosophie, wie perspektivisch traditionelle Afrikaner Wirklichkeit ausschließlich als Lebenswirklichkeit erfahren. Die Phänomene der traditionellen Religionen lassen sich als Ausdruck dieser Interpretation der Wirklichkeit verstehen. Ihre Funktionen sind, das "Leben an sich" zu bewahren und Bedrohung zumindest zu begrenzen. Wichtig ist dafür, daß die Gemeinschaft der Menschen, in der sich die Lebensbewahrung konkretisiert, nicht auseinanderbricht. Darum will BimwenyiKweshi mit seiner Analyse der Kommunikationsstrukturen dieser Gemeinschaft etwas sagen können über die Art und Weise, in der mit der Gemeinschaft das Leben bewahrt wird. Der dialogische Charakter ist ein Zeichen für die Lebendigkeit des Lebens, in der Sprecher und Empfänger in gleicher Weise ihren Dienst der Lebensbewahrung leisten und sich ihre Funktionen daher nur schwer differenzieren lassen. Es geht nicht darum, das Leben des Einzelnen zu strukturieren, sondern darum, im Leben der Gemeinschaft das kosmische Atmen des Lebens zu konkretisieren und zu "vermenschlichen". Nur so hat nach dieser Weltsicht auch der Einzelne eine Überlebenschance. Nur im Eingehen in die Gemeinschaft wird er Sinn, d.h. Leben als "Mitatmen", finden. Das ist die Grundstimmung des afrikanischen Vitalismus'.
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Um Struktur und Bedeutung des afrikanischen Gemeinschaftsverständnisses deutlicher werden zu lassen, sollen hier einige illustrierende Bemerkungen zur Anthropologie der Stammesgesellschaft folgen: Mit dem Rückbezug auf die lebensbewahrende Funktion der Gemeinschaft verbinden afrikanische Theologen heute die Wertschätzung einer Anthropologie, die, wie Heribert Rücker schreibt, "eine grundsätzliche Gleichgeordnetheit aller Menschen" bedeutet. "Die auf diesem Schlüsselprinzip beruhende Stammesgemeinschaft oder Großfamilie bildet eine Einheit, in der es nur Abstufungen je nach Lebensweise gibt, in der aber jedem seine Aufgabe und Ehre zukommt." 25 Die Fähigkeit zur Lebensbewahrung wächst mit zunehmendem Alter und "Erfahrenheit". Dementsprechend erreicht ein Mensch innerhalb der Gemeinschaft die höchste Lebensstufe, wenn er ein "Ältester" wird. Dieses Stadium beginnt nicht mit dem Erreichen eines bestimmten Alters, sondern es ist gebunden an die Durchschreitung der unteren Lebensstufen der Kinder: Wenn der älteste Sohn gemeinsam mit den Jungen seiner Altersgruppe die Qualen der Pubertätsriten überstanden hat und damit in das Erwachsenenalter eingetreten (initiiert) ist, feiert der Vater seine eigene Initiation zum Ältesten. Der schweizer Ethnologe Hugo Huber nennt dies die "Zweigenerationentiefe", durch die "die Fortdauer der Gruppe doppelt gesichert" ist. 26 Sie zeigt sich auch bei anderen Gelegenheiten des Gemeinschaftslebens: wenn bei der Hochzeitsfeier eines jungen Paares auch dessen Eltern rituell miteinander verheiratet werden, oder wenn diese auch später parallel zur Entwicklung ihrer Großkinder bestimmte Riten vollziehen müssen 2 7 Das Verhältnis von Großeltern zu den Enkeln ist in allen afrikanischen Stammesgemeinschaften besonders eng. Nicht selten leben Kinder eine Zeitlang bei den Großeltern. Dies geschieht besonders in Situationen, in denen ein Verbleiben in der elterlichen Familie mit Spannungen verbunden ist. Meistens ist das für ein afrikanisches Kind die Zeit der Entwöhnung von der Mutterbrust, die nicht selten als eine plötzliche Veränderung des Lebens empfunden wird. 28 25 Rücker, "Afrikanische Theologie'', 143. Vgl. auch die Kapitel über Setiloane und Kibicho, s.u., Teil II., A.l. und 3. 9/i H.Huber: Stufen der Lebenserfüllung. Zur rituellen Symbolik der Simbete (Tansania). In: Centlivres-Demont u.a. (Hrsg.) 1981, 79-98; hier zitiert als: Stufen: vgl. 93. 27
Huber, Stufen, 86.
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Eine sehr eindrückliche Schilderung dieses Problems ist uns durch die Veröffentlichung der Tonbandaufnahmen der amerikanischen Ethnologin Majorie Shostak zugänglich geworden. Sie lebte zweienhalb Jahre unter den Kung San, einem Sammler- und Jägervolk in der Kalahari-Wüste im südlichen Afrika, das noch heute weitgehend nach alten Traditionen lebt. M. Shostak interviewte u.a. regelmäßig eine alte Kung-Frau, "Nisa", die schließlich die gesamte Geschichte ihres Lebens auf Band sprach. Dieser Bericht ist mit ergänzenden Kommentaren der Ethnologin 1981 in englischer und ein Jahr später auch in deutscher Sprache veröffentlicht: M. Shostak: Nisa erzählt. Das Leben einer Nomadenfrau in Afrika. Reinbek 1982 (Orig.: Nisa, The Life and Words of a !Kung Woman.
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John Taylor sieht in der Funktion der Großeltern, Onkeln und Tanten bei der Erziehung der Kinder ein wichtiges Korrektiv zu dem starken Abhängigkeitsgefühl, das Kinder gegenüber den Eltern und in patrilinearen Gesellschaften besonders gegenüber dem Vater empfinden.29 Es wird stets lebendig gehalten, am deutlichsten, "wenn es um das Vieh für den Brautkauf geht".30 Die Initiationsriten im Pubertätsalter zeigen nach Taylor ebenfalls, "daß die neugewonnene Unabhängigkeit ihnen nur dann verliehen werden kann, wenn sie und die Familien, die sie einmal gründen werden, ihren Eltern und Ahnen gegenüber Kinder bleiben."31 Die Kinder geben in dieser Familien-Solidarität auch den Älteren die Chance, das Leben weiterzutragen. Wenn sie den Namen eines älteren Menschen aus der GroßelternGeneration oder der darüber tragen, wenn sie in westafrikanischen Völkern sogar als deren "Reinkarnation" angesprochen werden und daher noch in heutiger Zeit sogar Töchter in Briefen an ihre Väter "mein liebstes Kind" schreiben können. 32 Insgesamt ist eine solche Gemeinschaft, so Taylor, gekennzeichnet durch ein "Ineinander von Abhängigkeit und Verantwortung, von Verpflichtung und Autorität."33 Der einzelne Mensch gehört dieser Gemeinschaft durchaus nicht durch Geburt "automatisch" an. Erst der Ritus vollzieht in jeder Lebensstufe neu die Eingliederung.34 Das Verständnis von menschlicher Identität ist weder biologisch noch psychologisch auf die Person des Einzelnen konzentriert. Nach Hugo Huber wird z.B. mit dem Ritus, der mit einem Baby und seiner Familie vollzogen wird, wenn es seinen ersten Zahn bekommen hat, die Entwicklungsstufe erreicht, von der ab Cambrindge, Massachusetts 1981.); hier zitiert als: Nisa. - Zu den frühesten Kindheitserinnerungen der Kung-Frau gehört die Erinnerung an die schwierige Zeit der Entwöhnung. Auch sie hat in dieser Zeit oft bei der Großmutter und bei einer Tante gelebt; vgl. Nisa, 11-23 und Shostaks Kommentar, 26. - Vgl. zu diesem Problem auch M. Geber: Nature and Nuture in African Infancy. In: Irvine/Sanders (Hrsg.) 1972,111-14, hier 113. 29
J. Taylor: Du findest mich, wenn du den Stein aufhebst. Christliche Präsenz im Leben Afrikas. München 1965 (Orig.: Primal Vision. Christian Presence amid African Religion. London 1963.); hier zitiert als: Du findest mich: hier 80/81. Vgl. auch A.T.Lambo: Early Childhood Experience and Adult Personality. In: Irvine/Sanders (Hrsg.) 1972,117-28; hier zitiert als: Childhood: hier 122 über matrilineare Gesellschaften, in denen der mütterliche Onkel das Familienoberhaupt ist: Ein Kind hat "viele Väter, die sogar mehr Autorität haben als die leiblichen Väter". 30
Taylor, Du findest mich, 80/81.
31
Ebda, 85.
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Huber, Stufen, 86; Taylor, Du findest mich, 81/82; vgl. auch dort weiter Taylors Bericht: "(...) in Rhodesien hörte ich eine alte Frau sagen, sie komme gerade von der Beerdigung ihrer Großmutter, doch sie sei dankbar, daß ihr Großvater noch bei ihr sei, und dabei zeigte sie auf einen kleinen Jungen an ihrer Seite." 33
Taylor, Du findest mich, 82.
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Ebda, 83/84.
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erst das Kind als menschliches Wesen bezeichnet wird.35 Von jetzt an kann das Kind den Namen eines Vorfahren tragen.36 Die Entwöhnung von der Mutterbrust kommt erst später. Ein solcher Selbständigkeitsgrad des Ichs des Kindes ist nicht Voraussetzung für seine menschliche Identität. Taylor spricht daher von dem "zentrifugalen Selbst" des Menschen in afrikanischen Stammesgemeinschaften, in denen Identität von "außen" aus der Gemeinschaft kommend gleichsam von jedem einzelnen hereingeholt wird und nicht wie im abendländischen "Seelen-Mythos" von "innen" herausstrahlt.37 Diese "soziale Identität" ist eingebettet in den "Lebensstrom" der Familie, der entweder patrilinear oder matrilinear gesteuert wird. Aus diesem Strom steigt der einzelne Mensch möglichst nicht aus. In einer patriliearen Gesellschaft wird z.B. bei einem Hochzeitsritus die Frau nicht als ganze Person des Mannes "übergeben", sondern deutlich gemacht, daß sie auch nach der Verbindung mit der neuen Familie ein Teil des väterlichen Lebensstromes bleibt.38
b) Leben in der Interdependenz der Kräfte Wenn das Leben selbst als so kostbar sinngebend und sinntragend verstanden wird, wie Okafor es darstellt, so legt sich die Vermutung nahe, daß diesem Verständnis die elementare Erfahrung der Lebensbedrohung vorausgeht. Erst wenn die Bewahrung des Lebens nicht mehr selbstverständlich ist, wird sie zum Sinngehalt als solchem werden. In unserem abendländischen Kontext erleben wir eine Höherbewertung der sinngebenden Funktionen des Lebens jetzt, nachdem wir in der ökologischen Krise mit der Erfahrung seiner elementaren Bedrohung konfrontiert werden. Eine Theorie der afrikanischen Weltsicht sollte also auch deutlich machen, auf welche Weise hier mit der Erfahrung der Lebensbedrohung umgegangen wird. Das Modell von der Wirklichkeit der Kräfte, wie es im Folgenden hier verwendet wird, hat nun den kommunikationsfördernden Vorteil, die Begrifflichkeit der Lebensphilosophie mit ihren semantisch breiten Metaphern zu verengen in konkretere, ebenfalls bildhafte Veranschaulichungen. Es soll die Zusammenhänge der inneren Struktur des Begriffes vom kosmischen Leben und ihrer Konsequenzen aufzeigen. Diese innere Struktur spielt in der afrikanischen Theologie eine große Rolle. Man kann sie die "Logik" der Weltsicht nennen. 35
Huber, Stufen, 88.
36
Taylor, Du findest mich, 84.
-ιη
Ebda, 48-56; vgl. auch Sundermeier, Nur gemeinsam, 18-22.
38 Huber, Stufen, 86. Vgl. auch "Nisas" Bericht vom Scheitern ihrer Ehen und der Zuflucht im väterlichen Familienkreis, die sie danach selbstverständlich geboten bekam; Shostak, Nisa, 87-124.
71
Theo Sundermeier und Klaus Nürnberger haben in ihren Arbeiten Anfang der 70er Jahre beide versucht, diese Logik mithilfe des Kräftemodells darzustellen. 39 Nürnberger prägte das Bild vom "Ozean dynamistischer Wirklichkeit", in dem sich die Menschen in afrikanischer Weltsicht erführen. 40 Sundermeier betont bis heute die nicht-dualistische Art der Wahrnehmung dieser Kräftewirklichkeit: Die Energien des Lebens werden nicht getrennt von der eigenen Person "erkannt", sondern sie werden in ihrem Wirksamsein "erfahren".41 Darum ist die alte mechanistische Vorstellung von Manipulation in der Theorie vom magischen Dynamismus falsch. Beeinflussung der Kräfte gibt es nach traditionellem afrikanischem Wirklichkeitsverständnis nur deswegen, weil der Mensch selbst ein Teil der Kräftewirklichkeit ist. Es ist nicht so, daß der Mensch sich einem Meer von Kräften ausgeliefert sieht, wie es Nürnbergers Bild aus dem Jahr 1973 noch nahezulegen scheint, in dem er von dem Schiff der menschlichen Gemeinschaft auf dem Ozean der Kräfte spricht.42 Vielmehr ist der Mensch selbst Kräftebündel innerhalb der vielen miteinander verwobenen Kräfte. Durch deren Interdependenz ist auch der Mensch geprägt, sowohl in sich selbst als auch in seinem Verhältnis zur Außenwelt. Als Teil dieser Interdependenz ist er Einflüssen ausgesetzt und hat selbst Einfluß innerhalb des Bereichs des Kräftemeeres, in dem er seinen Standort hat. Beeinflussung der Kräfte heißt also: sich innerhalb dieser Verwobenheit bewegen, bzw.: als ein Teil des Netzes funktionieren. Dies ist die Basis der Untersuchungen von Bimwenyi-Kweshi: die "Daseinsstrukturen", die die Kommunikationsstrukturen bestimmten, sind von dieser Wechselseitigkeit des Einflusses geprägt und bezeugen daher den dialogischen Charakter der Kommunikationsformen. Lebensbewahrung geschieht, indem das Kräftebündel Mensch seine Wirkungsmöglichkeiten in seiner Kräfteumgebung entsprechend einsetzt. Zur Illustration der Bedeutung der Interdependenz ist auf die psychologischen Konsequenzen dieses Selbstverständnisses hinzuweisen. Der afrikanische Psychiater Adeoye Lambo sieht in diesem Interdependenz-Bewußtsein eine "Psychologie -ig Zum Folgenden vgl. diese Arbeiten Nürnbergers: - The Hidden God in Africa - Fate and Affliction. In: Missionalia 1, 1973, 21-31; hier zitert als: Hidden God. - Der afrikanische Hochgott unter dem Aufprall der christlichen Botschaft. In: NZfSTR 17, 1975, 151-78; hier zitiert als: Hochgott· (Dieser Aufsatz ist hier besonders wichtig.) - Auf die Arbeiten Theo Sundermeiers wird im folgenden Abschnitt dieses Kapitels noch genauer eingegangen; hier vgl. vorerst: Nur gemeinsam. 40
Hidden God, 23/24; Hochgott, 154.
^ Das ist das Thema des folgenden Abschnitts dieses Kapitels; s.u., Teil I., C.3. Auch Nürnberger führt den nicht-dualistischen Grundzug afrikanischer Relgionen auf ihre dynamistische "Logik" zurück; vgl. Hidden God, 23/24: "It has often been observed that Africans have a strong urge for unity in their world-view. It is seldom recognised that this urge is born out of the dynamist experience of reality." Er führt dies hier nicht weiter aus - bis auf die Bemerkung, die afrikanische Weltsicht sei nicht pantheistisch und unterscheide sich von der indischen; ebda, 24. 42
Hidden God, 23.
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der interpersonalen Beziehungen" und hält sie für ein Merkmal einer gemein-afrikanischen Persönlichkeitsbildung. Sie enthalte einen "vor- oder außer-wissenschaftlichen Umgang mit primärer, sozialer Erfahrung, in der Raum und Zeit unendlich sind."43 Diese These steht auch im Mittelpunkt der Diskussion um den afrikanischen Zeitbegriff, wie sie von John Mbiti angeregt worden ist. 44 Lambo verbindet mit einer solchen psychischen Grundausrichtung die Beobachtung, daß Afrikaner Gefährdungen und Bedrohungen ihres Lebens eher als von außen eindringend emfpinden. Die Ahnenverehrung ist seiner Meinung nach ein Ausdruck der Externalisierung des Über-Ichs 4 5 In diese Richtung hatte auch schon John Taylor mit seinem Begriff des "zentrifugalen Selbst" über die Weichenstellung afrikanischer Persönlichkeitsbildung gedacht. 46 Lambo verbindet mit diesem Gedanken, daß Selbstkritik bei Afrikanern seltener zu finden sei als bei Menschen mit abendländischer Sozialisation, bei denen Introspektion üblicher sei als Projektion 4 7 John Taylor illustriert dies am Beispiel des Fetisch-Glaubens, der seiner Meinung nach als externalisiertes "schlechtes Gewissen" fungiert. 48 Die Betonung der Interdependenz der Kräfte der Wirklichkeit führt dazu, daß die Wahrnehmung isolierter "Kräftebündel" als Objekte der Erkenntnis als unvollkommen empfunden wird. Taylor typisiert dies als die unterschiedlichen Erkenntnisintentionen einer "Warum-" und einer "Wie-Frage". "Warum" fragt nach der Interdependenz - nach den Gründen einer Krankheit im Zusammenspiel der Energien der Gemeinschaft. "Wie" hingegen fragt nach den isolierten Symptomen der Krankheit. Die Präferenz für das Warum, so Taylor, sei auch bei Afrikanern zu finden, die vom europäischen Denken beeinflußt sind. Im Gesundheitswesen kann sich das dahin auswirken, daß afrikanische Ärzte und Pflegepersonal der Beobachtung von isolierten Krankheitssymptomen eines einzelnen Menschen weniger Aufmerksamkeit zu schenken bereit sind als den familiären Zusammenhängen. 49
Lambo, Childhood, 118/19: "Generally speeking, one can only note en passant, the psychology of the Nigerian, in common with that of his brother African, shows certain features, (...) but a more serious dissection of the mind reveals fundamentally the psychology of interpersonal relations in its pure form and with all its implications, including a pre- or extra scientific grasp of naive, social experience in which time is regarded as limitless and space as infinite." 44
Vgl. u. das Kapitel über John Mbiti, Teil II., B . l .
45
Lambo, Childhood, 125.
46 S.o., Anm. 37 dieses Kapitels. 47
Lambo, Childhood, 125.
48
Taylor, D u findest mich, 50.
49
Taylor, D u findest mich, 46: "Afrikanische Eltern verschaffen ihren Kindern, wenn sie deren Fragen beantworten, ganz unbewußt den Eindruck, daß die Frage "Warum?" wichtiger ist als die Frage "Wie?". U n d zwar einfach deshalb, weil sie · und zwar nicht nur die Ungebildeten unter ihnen - glauben, daß dies so ist. Es war ein afrikanischer Arzt in Uganda, der mir sagte: 'Die medizinischen
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c) Kontinuität des Lebens im "Machtstrom des Geschlechts" Woher jedoch weiß der Mensch, wie er sich in dem Netz am besten zu bewegen hat, ohne es zu zerstören? Allein kann er es weder wissen noch tun, lautet die Antwort afrikanischer Weltsicht. Er muß sich eingebettet fühlen in gewisse bewährte Bewegungsmuster und in deren Verdichtung durch andere Menschen, die an einer Position in unmittelbarer räumlicher Nähe im Kräftemeer denselben Mustern folgen: Tradition und Gemeinschaft sind unabdingbar für die Orientierung in dieser dynamistischen Wirklichkeit. Kontinuität bewahrt vor dem Chaos und daher vor der Bedrohung des Lebens, und der Mensch erfährt sie durch den "Machtstrom des Geschlechts", wie Nürnberger formuliert. 50 In der rituellen Handlung der Ahnenverehrung pendelt sich der einzelne Mensch zusammen mit seiner Gemeinschaft immer wieder in die Haltung der Solidarität mit der Vergangenheit ein. Obwohl Sundermeier schreibt, der Ahn setze "die Normen, an denen man sich orientiert, auch wenn er selbst nicht danach gelebt hat", 51 gibt es doch bei den afrikanischen Autoren, die die Ahnenverehrung theologisch interpretieren, keine Aufzählung solcher orientierungsleitender Normen. 52 Sie sind nicht als absolute Gesetzeskataloge formuliert, sondern sollen aus der Situation im Gemeinschaftsleben heraus lebendig werden. Das Wohl der Gemeinschaft, in dem Lebensbewahrung real wird, ist der Rahmen, aus dem heraus sich diese Moral bestimmt. Sundermeier erklärt deshalb: "Weil das Gesamtmuster, die Tönung aller Modalitäten, festliegt, braucht man kein Einzelgebot zu formulieren. Aus der gesamten Lebensanschauung ergibt sich das Detail. Jedes einzelne Detail erläutert das ihm nächst- und naheliegende." 53 Die "Normen", für die die Ahnen stehen, lassen sich verstehen als situationsbedingte Realisationen des "Gesamtmusters" des Gemeinschaftslebens: immer so zu leben, daß die Verstorbenen noch dabei sein könnten, und sie auf diese Weise dabeisein lassen. Die Tradition wird darin so lebendig, daß sie als Einwirkung auf die Gegenwart erfahren wird. 54 Der Sohn, der sich in Notzeiten klagend und bittend an den verstorbenen Vater wendet, bewegt sich damit nicht allein im intimen Bereich der Vater-Sohn-Beziehung,
Schulen sind der Krankheit gegenüber blind. Sie lehren uns nur zu fragen 'Wie?', aber nie 'Warum?"" Sundermeier betont, daß es ein abendländisches Mißverständnis afrikanischen Denkens sei, die beiden Frageintentionen als einander sich auschließend zu verstehen. Die Warum-Frage dringe vielmehr tiefer als die Wie-Frage; Nur gemeinsam, 64-66. 50
Hochgott, 153.
51
Sundermeier, Nur gemeinsam, 142-59, hier 148.
Μ
Vgl. u. dazu die Kapitel über Setiloane, Kibicho und Nyamiti, Teil II., A.l. und 3., B.2.
5-1 Sundermeier, Nur gemeinsam, 205. 54
Taylor, Du findest mich, 62: Alles hat eine personale Ursache.
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sondern "ratifiziert" die Bedeutung der Vergangenheit für das Leben der Gegenwart. 55 Die lebensbewahrenden Grundorientierungen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben und durch die die Verstorbenen zu Ahnen geworden sind, bleiben damit gültig für die Gegenwart. Lebensbewahrung ist Abwehr von Krankheit und Fortsetzung des Lebensstroms durch Zeugen und Gebären von Kindern. Darum wird kein Mann und keine Frau in den Kreis der Ahnen aufgenommen werden, der oder die schwer krank, behindert oder kinderlos ist.56 Sexualität ist ein hoher Wert in afrikanischer Weltsicht. Ob jedoch Geschlechtsverkehr vor der Ehe geächtet wird oder nicht, richtet sich nach den spezifischen Realisierungen innerhalb der Stammestradition und ist z.B. in Afrika nicht einheitlich.57 Lebensbewahrung ist weiterhin Stabilisierung der Harmonie der Gemeinschaft. Hieran orientieren sich die ethischen Grundsätze afrikanischer Weltsicht, die zwar nicht stammesübergreifend in Gesetzteskatalogen formuliert sind, jedoch an gemeinschaftsfördernden Grundintentionen erkennbar sind. Theo Sundermeier faßt sie zusammen unter dem Begriff "Ehrfurcht vor dem Nächsten".58 Damit ist die kommunale Orientierung im Bewußtsein der Interdependenz in der Gemeinschaft gemeint. Ihre Realisierungstypen der Vergangenheit können auch als "Stammesnormen", die die interpersonalen Beziehungen regeln, unverändert weitergetragen werden. In der Möglichkeit der unveränderten Übernahme von Realisierungstypen von Lebensbewahrung liegt der Grund für den "Konservativismus" afrikanischer Weltsicht.59 Vergangenheit kann auch "verkrusten", wenn sie absolut gesetzt wird und sich nicht mehr den Interdependenz-Verhältnissen der Gegenwart einpaßt. Da in der Anerkennung der Bedeutung der Vergangenheit durch die Ahnenverehrung immer nur die Vergangenheit des Stammes lebendig werden kann, sind Lebensbewältigungsformen aus anderen Gemeinschaften für die eigene
Sundermeier, Nur gemeinsam, 149: "Zu Recht sagt deshalb M. Fortes, daß die Ahnenverehrung nicht im Bereich des Vater-Sohn-Verhältnisses anzusiedeln ist, das durch spirituelle Gesetze geregelt wird, sondern in dem der öffentlich-politischen Ordnung." Vgl. auch ebda, 155-57 über den vertrauten Umgang mit den Ahnen. 56
Vgl. Sundermeier, Nur gemeinsam, 159: "Im Ahnenglauben symbolisiert und personalisiert der Afrikaner das, wonach er im tiefsten strebt, das Leben. Konstitutionell Kranke können nicht Ahnen werden!" Vgl. auch ebda, 143: "Nicht jeder Mensch wird durch das Sterben automatisch zum Ahnen. Kinder zu haben, ist - von Ausnahmen abgesehen - eine der wichtigsten Voraussetzungen. In der patrilinearen Gesellschaft muß es ein Sohn sein." 57
Vgl. Sundermeier, Nur gemeinsam, 218. S. auch Ki-Zerbo, Geschichte, 183.
CQ
JO
Nur gemeinsam, 204-23.
59 Sundermeier, Nur gemeinsam, 159.
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Lebensgestaltung irrelevant. Sie können als Gestaltungen anderer anerkannt werden, aber nicht ohne weiteres übertragen werden. Heribert Rücker sieht hierin die Chance zu einem Bewußtsein, das die Relativität der eigenen Erfahrung betont und frei ist von der Fesselung des Heils an absolute Normen.60 Auch afrikanische Theologen binden sich in dieser Weise an ihre Tradition.61 Die Konzentration auf den Lebensfluß des Stammes birgt jedoch ebenso die andere Alternative der "Verkrustung": nur den Stamm für die Welt und nur den Stammesbruder für den zu ehrenden Nächsten zu halten.62 Der Versuch in afrikanischer Theologie, Christus in den Ahnenkreis zu integrieren, darf auch als Versuch verstanden werden, diese Verkrustung zu verhindern.63
d) Das Böse als Angst vor dem Versagen Theo Sundermeier stellt fünf Grundelemente des afrikanischen Lebensbegriffes heraus: Kontinuität, Wiederholung, Kommunalität, Interdependenz und Potentialität.64 Das Bild des Kräftemeeres verdeutlicht, warum alle diese Elemente in besonderem Maße mit dem Leben zu tun haben: Wegen der Interdependenz aller Teile der erfahrbaren Wirklichkeit ist es überlebenswichtig, daß Menschen, in denen sich ja doch das Leben konkretisiert, Kontinuität durch Wiederholung bewährter Orientierungsmuster und durch Kommunalität dieser Orientierungsmuster erfahrbar machen. Sie überliefern sich dadurch einen gemeinsamen Erfahrungshorizont, durch den sie in ihrer Beeinflussung der Außenwelt aktiv wie passiv gesteuert werden. Darum schreibt Sundermeier: "Wiederholbarkeit und Kontinuität des Lebens b e w i r k e n d i e E r f a h r u n g von Vertrauen und Verläßlichkeit."65 Die so entstehende gemeinsame Erfahrungsperspektive ist, so Nürnberger, "'Rückgrat' des ganzen Rumpfes dynamistischer Mächte", der durch niemanden gefährdet werden darf.66
60
Rücker, "Afrikanische Theologie", 156/57.
61
Vgl. u. die Kapitel über Setiloane und Eboussi Boulaga, Teil II., A.l. und B.3.
t\)
Vgl. Sundermeier, Nur gemeinsam, 215.
Vgl. u. die Kapitel über Setiloane und Nyamiti, Teil II., A.l. und B.2. S. auch Sundermeier, Nur gemeinsam, 215/16: "Unter dem Einfluß des Islam und des Christentums wurde der Rahmen der Gültigkeit dieser Ethik endgültig erweitert, so daß heute auch Fremde zum Nächsten werden.". 64 Nur gemeinsam, 22-34. Nur gemeinsam, 24. 66
Hochgott, 158.
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Die gemeinsame Orientierungsperspektive ist nicht etwa deswegen wichtig, weil die Kräfte der Außenwelt einen grundsätzlich bedrohlichen Charakter hätten. Obwohl dies auch von afrikanischen Autoren oft so formuliert wird, ist es gerade die Kritik am mechanistischen Dynamismus-Modell, dies zu undifferenziert und damit dualistisch zu sehen - so, als gebe es nach afrikanischer Weltsicht einen guten und einen bösen Teil der Kräfte-Wirklichkeit. Immer wieder wird betont, daß in afrikanischer Weltsicht allein der Mensch für das Böse verantwortlich sei, weil er die an sich "ethisch neutralen" Kräfte eben auch lebensschädlich beeinflussen könne. 67 In der Diskussion um die Bedeutung der Religionsphänomene wurde schon deutlich, wie wenig klar eine Benennung des Bösen in den Religionen erfolgt.68 Wie sich schon aus der Einordnung in die Stammesordnung, wie sie mit der Ahnenverehrung geschieht, keine absoluten Normen ableiten lassen, wird auch das Böse nicht als eine absolut wirksame Macht verstanden. Es ist stets auf Wirksamkeit der Menschen zurückzuführen und fällt damit auch in deren Verantwortungsbereich. Es ist die Auswirkung einer Kanalisierung der Kräfte, bei der es nicht gelang, die Interdependenz so zu nutzen, daß sie sich für alle Glieder der Gemeinschaft lebensfördernd auswirkt. Weil die Konsequenzen für die Gruppe dabei im Zentrum stehen, definiert sich nach ihnen die Schuld, die dem einzelnen zugesprochen wird. Ein nicht aufgedecktes Vergehen gegenüber der Gemeinschaft kann daher ein geringeres sein als ein öffentlich bekanntes, weil es die Harmonie der Gruppe weniger gefährdet. Der Zeitpunkt des Bekanntwerdens einer Tat kann also schwerwiegender sein als die Tat selbst, und die Heftigkeit, mit der ein Streit geführt wird, u.U. entscheidender für die Schuldzumessung in einem Schiedsspruch als der Gegenstand des Streites. 69 Man hat aus diesem Grund die Kultur archaischer Gesellschaften als "Schamkultur" bezeichnet und sie damit unterscheiden wollen von abendländischer "Schuldkultur", in der Schuld eine Gewissensbelastung des Täters unabhängig von dem Bekanntheitsgrad der Tat bedeute. 70 Daß der einzelne Mensch sich in afrikanischer Kultur jedoch eines Vergehens nur "schäme", wenn es Öffentlichkeitscharakter angenommen hat, könnte durch eine
Λ7
Vgl Nürnberger, Hochgott, 153: "Diese Kräfte sind an sich nicht gut oder böse, sondern nützlich oder schädlich, wie bei uns die Naturgewalten."; ebenso Hidden God, 25, Anm. 13.
68
S.o., Teil I., B.l.
69
Sundermeier berichtet von einem Fall, in dem ein Ehemann den Ehebruch seiner Frau erst aufzuspüren und öffentlich anzuklagen begann, nachdem er das dabei gezeugte Kind als seines öffentlich anerkannt hatte. Durch die nachträgliche Stiftung von Unfrieden machte er sich selbst des Vergehens schuldig, die Harmonie in der Gemeinschaft zu stören; Nur gemeinsam, 226; vgl. auch P.Parin / F.Morgenthaler / Parin-Matthfy: Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst. Psychoanalyse und Gesellschaft am Modell der Agni in Westafrika. Frankfurt 1971, hier bes. 100/01.
70
Vgl. dazu Taylor, Du findest mich, 144; Sundermeier, Nur gemeinsam, 224/25.
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sozialpsychologische Interpretation des Hexen-Glaubens widerlegt werden, nach der diese als Projektion der eigenen Schuldgefühle auf andere Menschen aufgrund von Furcht, Versagen oder Vergehen im gemeinschaftlichen Zusammenleben verstanden wird. Der Hexen-Glauben speist sich aus dem Bewußtsein, daß die Kanalisierung der Kräfte auch mißlingen kann. Der Suche nach einer "Hexe", die sowohl weiblich als auch männlich sein kann, auf deren lebensgefährdende Kanalisierung erfahrenes Unglück zurückgeführt werden kann, kann dann als Projektion eines allgemeinen Leidens am Versagen verstanden werden. John Taylor nennt dieses Leiden "schwelenden Zorn" und zitiert das Beispiel aus einem Bericht von Monica Wilson, in dem eine Frau in der Betroffenheit von der Krankheit ihrer Schwester und dem Versagen von deren engerer Familie, ihr zu helfen, sich selbst von einer Hexe verfolgt fühlt und träumt, sie werde geschlagen und erdrosselt. "Der Mensch fürchtet seinen eigenen Zorn fast ebenso sehr wie den Zorn eines anderen", kommentiert Taylor diesen Bericht.71 Die Erfahrung des Mißlingens kann als verdrängte Schuld der Furcht nach außen auf eine Hexe gelenkt werden. Sie kann auch in dieser "Verfremdung" wieder zur eigenen Person "zurückkehren", wenn Menschen sich selbst als "Hexe" bezichtigen.72 Zur Projektion von Schuld und Furchtgefühlen aufgrund der Grunderfahrung des Mißlingens von Lebenserfahrung laden Menschen ein, deren Verhalten nicht dem Ideal des gemeinschaftsorientierten Lebens entspricht. Taylor nennt Beispiele von Vereinsamung einzelner in der Gemeinschaft, die als Kennzeichen von Hexen gedeutet werden, sobald ein Unglück geschieht 73 Die Angst vor dem Versagen bei der Kanalisierung der Kräfte - sei es aufgrund von Mißerfolg, Betroffenheit von Mißerfolg oder sei es aufgrund eines Konfliktes individueller Interessen und denen
71
Taylor, Du findest mich, 156.
72
Vgl. Taylors Verweis auf Beispiele bei M.Field und H.Debrunner: "Eine Frau in einem polygamen Hause glaubt, sie habe ihre Nebenfrau unfruchtbar gemacht. (...) Eine Frau mittleren Alters, deren unglückliche Ehe mit einer Scheidung endete und der fünf von sieben Kindern gestorben waren, wobei die zwei überlebenden jetzt bei ihrem Vater waren, belastet sich mit jedem Todesfall in der Familie in den letzten zwanzig Jahren."; Du findest mich, 156/57. Du findest mich, 157; Sundermeier, Nur gemeinsam, 229/30. Vgl. die Schilderung der Ethnologin Laura Bohannan, die ihre Erfahrungen als Feldforscherin unter den Tiv in Nigeria zu einem Roman verarbeitet hat: E. Smith-Bowen (Pseudonym): Rückkehr zum Lachen. Ein ethnologischer Roman. Berlin 1984 uns Reinbek 1987, 248-51 (Orig.: Return to Laughter. An Anthropological Novel. New York 1954): In seiner grandiosen Verteidigung, am Tod seiner Nichte unschuldig zu sein, brachte Yabo seine Persönlichkeitsstärke und Furchtlosigkeit endgültig an den Rand der Gemeinschaft und "verifizierte" gerade damit sich selbst als Hexe. Indem er zur Hexe wurde, seine Familie das Gehöft verließ und ihn allein zurückließ, wird in seinem Schicksal die Projektion der Furcht der Gemeinschaft vor seinem starken Einzelgängertum wirksam.
78
der Allgemeinheit74 - wird auf Menschen projiziert, in deren Schicksal man am ehesten Grund für Handlungen vermutet, die aus "schwelendem Zorn" heraus gemeinschaftsschädigend wirken.75 Auch der afrikanische Psychiater Lambo stellt Angst als ein gemeinsames Phänomen afrikanischer Lebenshaltung dar. Er führt dies darauf zurück, daß Afrikaner in einer weitgehend frustrationslosen Kindheit keine Mechanismen lernen, Bedrohungen zu verarbeiten.76 Bewältigung von Angst durch Projektion ist die Kehrseite des von "außen" gesteuerten Selbstverständnisses des Menschen in der Interdependenz der Kräfte. Sie wirkt sich insbesondere deshalb als "Verkrustung" der Intention der Lebensbewahrung aus, weil sie weder die Opfer der Projektion noch die projizierenden Subjekte auf therapeutische Weise in die Lebensgestaltung integrieren kann. Das Böse kann nicht geheilt werden, sondern lediglich abgewehrt. In diesem Sinne kann in afrikanischer Weltsicht auch von dem Bemühen um die Abwehr von "bösen Kräften" gesprochen werden, selbst wenn für diese keine metaphysischen Ursachen nach einem dualistischen Wirklichkeitsverständnis angenommen werden müssen.77
e) Vertrauen in das Wachsen des Lebens Nach dem dynamistischen Vitalismus-Modell gibt es nur das Leben-an-sich als Wirklichkeit für traditionelle Afrikaner. Es gibt kein eigenständig wirkendes AntiLeben, aber es können Lebenskräfte gegen das Leben benutzt werden. Placide Tempels hat dies mit dem Bild von der Stärkung und der Schwächung der Lebenskraft sagen wollen, und bei Theo Sundermeier finden sich heute ähnliche Formulierungen im Zusammenhang mit dem fünften Element des afrikanischen Lebensbegriffes, das er aufzählt: der Potentialität. Das Leben sei in afrikanischer Weltsicht in sich selbst dadurch charakterisiert, daß es auf Steigerung, auf Wachsen aus sei. Wenn die Menschen - so läßt sich diese These weiterformulieren - dieses nicht in ihrem Orientierungsmuster berücksichtigen, nach dem sie die Kräfte der Wirklichkeit beeinflussen und nutzbar machen, dann "mißbrauchen (sie) die Kräfte der
74 Nach Sundermeier lokalisieren Afrikaner das Böse im Allgemeinen im "Neid" des Menschen; Nur gemeinsam, 224.
75 Eine kinderlose Mitfrau kann zu einer solchen Projektion der allgemeinen Furcht vor Versagen einladen, sobald ein Unglück eintritt; vgl. Taylors Andeutungen, Du findest mich, 155. Lambo, Childhood, 232. Ebenso wird C.Staewen und F.Schönberg von Yoruba-Heilern versichert, "Angstbereitschaft" sei in ihrer Tradition "von Anfang an'" vorhanden gewesen. Allerdings steigert sie sich in der verunsichernden Situation des Kulturwandels; C.Staewen / F.Schönberg: Kulturwandel und Angstentwicklung bei den Yoruba Westafrikas. München 1970, hier bes. 251/52. Vgl. auch Sundermeier, Nur gemeinsam, 231: "In Zeiten des sozialen Umbruchs wuchert er (d.h. der HexenGlaube, U.L.-W.) gelegentlich ins Uferlose." 77 Vgl. auch Sundermeier, Nur gemeinsam, 231/32, über die "bedrückend negative Auswirkung" des Hexen-Glaubens: "Er wirkt nicht nur restriktiv, sondern auch repressiv."
79
Welt". 78 Weil das durchaus zum Erfahrungsbereich der Menschen gehört und weil Menschen in ihrer Einflußnahme auf die Kräfte genaugenommen ebenfalls ein Teil des Lebens sind, erfahren sie das Leben selbst als "dual", wenn auch nicht "dualistisch". Dies will auch Heribert Rückers Theorie vom Spektrum des Lebens, das von "negativ" bis "positiv" reicht, sagen.79 Dualistisch wäre die Weltsicht, wenn die Bedeutung der Einflußnahme auf das Wachsen des Lebens für höchstens ebenso groß gehalten würde wie die auf die Bedrohung. Daß dies in der afrikanischen Tradition nicht der Fall sei, ist die stille Voraussetzung der christlichen afrikanischen Theologen, die sich positiv auf sie beziehen. Hier setzt ihr Reden von Gott an: Daß das Leben sich nicht selbst "aushaucht", kommt daher, daß Gott die Menschen vor einer solchen mörderischen Nutzung der Kräfte letztlich bewahrt. Darin liegt in dieser Weltsicht die Bedeutung der Rede von Gottes Schöpfung: Reden von Gott geschieht in Afrika als Reden von der ständigen Schaffung von Leben angesichts der Lebensbedrohung. Die Grunderfahrung, die in der archaischen Welt besonders lebendig ist, daß sich Leben und Tod die Hand geben, ist der stets aktuelle Hintergrund dieses Redens von Gottes Schöpfung. Dank der Möglichkeit, daß Leben gegen Tod gestärkt werden kann, hat der Tod keine Macht der Zerstörung des Ganzen. Die Macht über das einzelne Leben ist ihm damit jedoch nicht genommen. Es hat allein keine Chance, sei es kräftig oder sei es schwach. Die Überlebenschance liegt allein im Gleichgewicht der Kräfte von Lebensbedrohung und Lebensbewahrung, das in der Gemeinschaft unter Verhinderung von Isolation des Einzelnen gehalten wird. Der Zustand des Gleichgewichts der Kräfte ist der Zustand des Heils in Afrika, und für die Möglichkeit seiner Realisierung durch die Kanalisierung der Kräfte in der Welt wird Gott als Schöpfer gelobt. Dieser Zusammenhang soll in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels erläutert werden.
3. Weltgestaltung als Kanalisierung der Kräfte in Richtung von Gleichgewicht Die Grundintention afrikanischer Weltsicht, so lassen sich die Ergebnisse der Überlegungen zum Vitalismus zusammenfassen, ist die Weltgestaltung in der lebensbewahrenden Orientierung in der Interdependenz der Kräfte. Daraus ergibt 78
Vgl. Nur gemeinsam, 30.
70
S.o., Teil I., B.2.b). Die Angst vor dem Versagen bei der Kanaliserung der Kräfte in Richtung von Lebensbewahrung hat ihren Grund im Leben selbst. So versteht auch der Psychiater Lambo die Angstgeprägtheit der erwachsenen Afrikaner: Childhood, 122: "Here we may have to agree with Heidegger who does not consider anxiety as a result of early childhood experiences, but as a constituent factor of being-in-the-world." (Hervorhebung Lambo).
80
sich ein aktivistischer Grundzug, den ich in diesem Vitalismus-Modell mit dem Bild von der Kanalisierung der Kräfte veranschaulichen möchte. Ich orientiere mich auch hier in erster Linie an den Arbeiten Theo Sundermeiers. 80 Er bevorzugt den Terminus "Kanalisierung", um die Assoziation an das mechanistische Modell des Dynamismus und den hier gebräuchlichen Begriff "Manipulation" auszuschließen. 81 Sundermeier verankert das Zutrauen in afrikanischer Weltsicht in die Möglichkeit der Kanalisierung der Kräfte in der Erfahrung einer "Ureinheit" aller erfahrbaren Kräfte und erkennt hierin ein Reden von Gott. 82 Ich werde in diesem VitalismusModell gegenüber Sundermeier eine Akzentverschiebung vornehmen, indem ich die Urerfahrung der Einheit mit der Urerfahrung des Gleichgewichts der Kräfte identifiziere. Als solche wird sie in afrikanischer Theologie für das Reden von Gott relevant. Wie im vorangehenden Abschnitt dieses Kapitels bereits deutlich wurde, ist die Zuversicht afrikanischer Weltsicht durchaus eingebunden in das Bewußtsein der Wirksamkeit von Lebensbedrohung - und in die Furcht davor. Sundermeier schreibt von "widerstrebenden, antagonistischen Kräfte(n), die der Afrikaner täglich erfährt"83, und er meint, es wäre kurzsichtig, zu vermuten, das bergende Verwandtschaftsgefühl komme direkt aus der Welterfahrung, d.h. aus der Erfahrung der Teilwirklichkeit, des Afrikaners. Vielmehr sei es die Folge der ganzheitlichen Weltsicht, daß eine solche Teilerfahrung im Rahmen einer umfassenden "UrErfahrung" geschehe. Diese Ur-Erfahrung ist die Erfahrung der "Ureinheit" aller Teile des Kräftemeeres. Die "antagonistischen Kräfte" können also in der direkten 80 Vgl. folgende Arbeiten Sundermeiers: - Unio Analogica. Zum Verständnis afrikanischer dynamistischer Denkformen. In: E M Z 1973, 150-66 (Teil 1), 181-92 (Teil 2); hier zitiert als: Unio. Symbol und Wirklichkeit. Zum Verständnis afrikanischer Symbolik. In: E M Z 1975, 155-76; hier zitiert als: Symbol. - Die Einzigartigkeit Christi und andere Glaubenssysteme. (Die Frage nach dem Dialog der Religionen) In: Beiheft zur Ö R 36, 1979, 26-35; hier zitiert als: Einzigartigkeit. - Die "Stammesreligionen" als Thema der Religionsgeschichte. Thesen zu einer "Theologie der Religionsgeschichte". In: Sundermeier (Hrsg.) 1980, 159-67; hier zitiert als: Stammesreliponen. - Todesriten und Lebenssymbole in den afrikanischen Religionen. In: Stephenson (Hrsg.) 1980,250-59; hier zitiert als: Todesriten· - Interreligiöser Dialog und die "Stammesreligionen". In: NZSThR 23, 1981, 22537; hier zitiert als: Dialog. - Religiöse Grunderfahrungen in den Stammesreligionen. In: Kaufmann (Hrsg.) 1983, 43-56; hier zitiert als: Grunderfahrungen. - Das Kreuz als Befreiung. Kreuzesinterpretationen in Asien und Afrika. München 1985; hier zitiert als: Kreuz. - Art. Religion, Religionen. In: Müller / Sundermeier (Hrsg.) 1987, 411-22; hier zitiert als: Religion· - Nur gemeinsam können wir leben. Gütersloh 1988; hier zitiert als: Nur gemeinsam.
81 Sundermeier, Unio, 152. 82 Unio, 152: Die scheinbar vielen verschiedenen Kräfte, die der Mensch erfährt, werden "ganzheitlich" erfahren als zurückgehend auf "ein und dieselbe Kraft, die ihren Ursprung allein in Gott, dem Schöpfer und Ursprung allen Seins und aller Macht und Mächte hat." Die Art von Kraft, die der Afrikaner im Menschen und in den Dingen findet, ist ein und dieselbe. 83
Unio, 156.
81
Welterfahrung nur überwunden werden, weil die Erfahrung "die Einheit zuvor kennt".84 Die Ur-Erfahrung kommt von Gott. In dieser These liegt die innere Achse von Sundermeiers Darstellung der afrikanischen Weltsicht. Einheit - von Mensch und Welt, von Subjekt und Objekt, von menschlichen und kosmischen Kräften usw. - wird nicht, oder zumindest nicht immer, direkt erfahren. Sie muß vielmehr - immer oder zumindest oft - an "uneinige" Erfahrung herangetragen werden. Sie muß ergänzt werden. Erfahrung ist also mehrschichtig: Sie hat einen partiellen, bruchstückhaften, ergänzungsbedürftigen, und einen totalen, ganzheitlichen Aspekt. Mit diesem ergänzenden Aspekt von Erfahrung hat das zu tun, was in diesem dynamistischen Vitalismus-Modell mit Sundermeier "Kanalisierung der Kräfte" genannt werden soll. Damit ist die wechselseitige Einflußnahme durch Menschen-Kräfte und Umwelt-Kräfte gemeint,85 die aus der Perspektive des Menschen als seine Kanalisierung der Kräfte geschieht. Dabei erst werden die Kräfte realisiert. Der Mensch setzt die "Ur-Erfahrung" von Einheit ein, die er "zuvor kennt",86 aus der heraus er die erlittenen Gegensätze ergänzt.87 Diese "Ur-Erfahrung" ist Gott zu verdanken, der alle Grenzen überschreitet.88 Durch die Kanalisierung der Kräfte werden lebenserhaltende Pfeiler der Welt gestaltet. Sundermeiers Kernbegriff für diese Gestaltung ist "Symbol"89 Heribert Rücker entwickelt daraus die theoretische Grundlegung einer afrikanischen Theologie.90 Im Symbol wird die Perspektive sichtbar gemacht, in der die Chancen, die in der Teilhaftigkeit am Ganzen liegen und deren Kenntnis zum Wesen der Teile gehört (Ur-Erfahrung), für das Leben der Menschen ausgeschöpft werden können. Symbole sind gelungene und bewährte Kanalisierungen von Kräften: Im Ritus, in dem durch gemeinsames Handeln Leben bewahrt und gefördert wird; im Hausbau oder in der Dorfgestaltung, wo sich Gemeinschaft durch eine bestimmte Gestaltungsform, die z.B. die Fruchtbarkeit der Bewohner verkörpern soll, in die Intention der Lebensförderung einordnet; und schließlich in der Medi-
84
Unio, 156.
85
Vgl. Grunderfahrungen, 52.
86
Unio, 156.
on
t
Unio, 156. Vgl. auch Grunderfahrungen, 51: "(...) die Einheit der vorgegebenen Gesamtwirklichkeit wird jeweils neu konstituiert." DO
Grunderfahrungen, 52/53; Einzigartigkeit, 30; Religion, 421. S. dazu bes. das hierauf folgende Kapitel dieser Arbeit. 89
Zu Sundermeiers Symbolbegriff vgl. Symbol, passim; Grundlagen, 46f, 49ff, 51; Kreuz, 57/58; Nur gemeinsam, 50-62.; vgl.
90 Rücker,"Afrikanische Theologie", Kapitel 2 und 3. Dies wird im folgenden Kapitel über das Reden von Gott aufgegriffen werden.
82
zin, in der die kanalisierenden Möglichkeiten der Teilhaftigkeit betont werden zur Heilung. 91 Das Symbol hat performativen Charakter; es ist nicht nur ein Zeichen, sondern Ausdruck und Mittel der Lebensförderung (Sundermeier: es ist "repräsentativ und effektiv"92). In ihm bewegt sich der Mensch berwußt als ein Teil der Kräftemeeres. Konsequenz daraus ist die "Ungespaltenheit von Subjekt und Objekt",93 denn weil das Subjekt sich als Teil des Kräftemeeres versteht, hat es ungebrochen Anteil am Erfahrungs"inhalt". Die wirkenden Kräfte der Umwelt werden nicht geschieden vom Menschen. Darum habe z.B. die Vorstellung vom "Zauber" nichts mit fatalistischer Automatik zu tun, denn: "Ohne Berücksichtigung der Absicht", ohne des Menschen "Bereitschaft (...), das durch den Zauber verursachte Unglück zu empfangen", könne es gar keinen Zauber geben. 94 Die Bereitschaft, Unglück zu empfangen, ist in bestimmten Situationen die angemessene Haltung eines Teiles innerhalb des Wirklichkeitsganzen. Symbolbildung als Kanalisierung von Kräften folgt bestimmten Gesetzen, die sich aus der Ur-Erfahrung ableiten. Sundermeier beschreibt ihre Grundstruktur als Analogie 9 5 Ein Beispiel führt uns einen Medizinmann vor Augen, der das Brustleiden einer Frau mit Hilfe des Saftes eines Baumes, der brustförmige Früchte trägt, zu heilen
Vgl. Symbol, bes. 157-67. In diesen Zusammenhang gehören auch Engelbert Mvengs Bemerkungen zur Funktion der Kunst in afrikanischen Religionen; vgl.E. Mveng: Auf dem Weg zu einer afrikanisch-christlichen Spiritualität. In: Mulago (Hrsg.) 1986,125-39; bes. 136. 92
93
Symbol, 169. Unio, 155.
94
Unio, 153. S. dazu bes. Sundermeiers Darstellung der Befragung des Wahrsagers, bei der die Lose so lange geworfen werden müssen, "bis der Klient der Diagnose zustimmt"; ebda, 153/54; vgl. auch Nur gemeinsam, 190/91 und 238. Dies wird auch von Gabriel Setiloane betont; vgl.: The Image of God among the Sotho-Tswana. Rotterdam 1976, 59. Allerdings gibt es auch andere Darstellungen afrikanischer Religiosität. Chukwuma A. Anijielo z.B. meint, daß gerade dem traditionellen ZauberRitus im Unterschied zum christlichen Sakramentsverständnis eine automatische Wirkung zugeschrieben werde; vgl. C A A : Theological Investigation into Fear of Mystical Forces (with special references to the Igbos). Theol. Diss. Innsbruck 1983. Masch, gesch., 289:"(...) since the implication is that the charms attain a certain degree of autonomy through the ritual acts and can, thereafter, work automatically, i.e. irrespective of the conscious dispositions of those on whom their effects are supposed to be manifest." - Wir haben es also mit der durch das Vitalismus-Modell erläuterten Interpretation afrikanischer Weltsicht u.U. auch mit einer idealisierenden Darstellung zu tun, in der die Intention für die Wirklichkeit genommen wird. Sie ist theologisch dennoch minder ernst zu nehmen, denn sie beschreibt am ehesten die Grundlagen, von denen aus die hier herangezogenen afrikanischen Theologen christliche Theologie in Afrika in afrikanische Kultur verwurzelt sehen. Vgl. auch Sanon, Spiritualität, 25: allgemeiner Hinweis auf "Mißbrauch von Ritualen" und deren "Abgleiten". 95
· "Die Dinge stehen durch eme unio analogica miteinander in Verbindung. Sie ist es, die das afrikanische Weltbild zusammenhält."; Unio, 157.
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versucht. 96 Dieses Beispiel ist vereinfacht - Sundermeier zählt im folgenden sieben Analogie-Typen auf. 97 Gemeinsam ist allen diesen Typen, daß sie dem afrikanischen Bestreben Ausdruck geben, die verschiedenen Kräfterealisierungen, in die sie sich im Leben eingebunden fühlen, als zusammengehörig zu betrachten. Die Erkenntnis der inneren Verbundenheit der Kräfte in der Welt gibt auch die Möglichkeit, sich in ihnen zurechtzufinden und sie recht zu verwirklichen - sie ist Grundlage für Heilen, soziale Ordnung, Identität des einzelnen. Sundermeier gibt das Beispiel eines Zulu-Schmiedes, der nur an bestimmten Tagen im Monat in seiner Werkstatt arbeiten könne, nämlich dann, '"wenn das Eisen gut fließt', wobei er offenbar diese Zeit mit der Zeit der Menstruation der Frau assoziierte." 98 Die "unio analogica" reguliert hier die Arbeit der Menschen. Ihre Funktion läßt sich nach diesem Beispiel abivalent beurteilen: In europäischen Augen "begrenzt sie das Handwerk und hindert den Menschen an der vollen weiteren Entfaltung seines technischen Könnens" - und das wird als "bedauerlich" empfunden 99 ; "im afrikanischen Lebensgefühl aber ist es das Natürlichste, denn sie hindert den unguten, prometheischen Ausbruch des einzelnen aus dem Rahmen des Gleichmaßes und der Tradition." 100 Bei diesen ambivalenten Beurteilungsmöglichkeiten der analogischen Weltbewältigung im Symbol tauchen Fragen auf: Wenn die Analogie so viele verschiedene Formen hat, wie Sundermeier herausstellt, 101 wenn der subjektive Wahrnehmungsanteil des analogisierenden Menschen so stark betont wird - was schützt die Afrikaner vor einer ungeregelten, rein subjektivistischen und individuellen Anwendung dieses Prinzips? Warum z.B. sieht der Zulu-Schmied in dem rotglühenden Eisen nicht eine Analogie zum fließenden Blut des Feindes, für das er mit den Produkten seiner Arbeit um so emsiger zu sorgen hat? Oder warum sieht dieser darin nicht einen Teil des sechsten Typs von Sundermeiers Auflistung der Analogie-Typen, der "Darstellung durch Gegensätzliches" 102 , und arbeitet gerade
Qi
Unio, 157. Sundermeier dort weiter: "Er (der Medizinmann) entdeckt etwas, das zu der Krankheit in einer inneren Beziehung steht, er findet etwas, das ihr innerlich entspricht. Er sieht ein Symbol, er bemerkt eine Kraft, die in Analogie zur Krankheit steht." 97
Unio, 158-62.
98
Unio, 183.
99
Unio, 184.
100 Unio, 184. Sundermeier fährt fort: "Sie (die unio analogica) hilft mit anderen Worten das Gleichgewicht der Kräfte zu bewahren; sie ermöglicht das heilvolle, ungefährdete Leben." 101
Unio, 158-62.
102
Unio, 160.
84
an diesen Tagen nicht? Warum empfindet er überhaupt das Eisen an bestimmten wiederkehrenden Zeitabschnitten als glühender als an anderen? Sundermeiers Frage nach dem "Gesetz, das alles zusammenschließt"103 ist mit dem Hinweis auf das Analogieprinzip noch nicht beantwortet. Vielmehr müssen wir sie ebenso in bezug auf diese "unio analogica" stellen: Welches sind die Strukturprinzipien dieser Weltsicht, aufgrund derer das Analogieprinzip angewendet wird? Oder bildlich gesprochen: Welche Form soll der Zusammenschluß der Kräfte haben, der durch Anwendung des Analogieprinzips geschieht? Es ist an dieser Stelle hilfreich, sich noch einmal die Intention der Kanalisierung der Kräfte zu vergegenwärtigen: Sie soll immer der Bewahrung des kosmischen Lebens dienen. In diesem Sinne werden bewährte Kanalisierungs-Muster überliefert. Sundermeier bezeichnet diese an anderer Stelle "Hauptgestaltungsprinzip" der "primären Religionserfahrung".104 Primäre Religionserfahrungen seien "Basiserfahrungen" in allen Religionen 105 und stellten ein "Preislied auf das Leben"106 dar. Die afrikanische "Urerfahrung" von Einheit ist als eine solche primäre Religionserfahrung zu verstehen. 107 Förderung des Lebens im nicht-individuellen Sinne, 108 Abwehr von lebensfeindlichen Kräften - das wäre demnach der Sinn der analogischen Weltsicht. Und da Leben eben "ganzheitlich" im korporativen Sinne verstanden wird, ge-
103
Unio, 156.
104
Vgl. zum folgenden: Dialog, 229; Grunderfahrungen, 54-56; Stammesreligionen, 162ff; Einzigartigkeit, 28ff; Religion, 417/18 und 421. Der Begriff wurde in Anlehnung an A. Portmanns Begriff der "primären und sekundären Welterfahrung" gebildet; vgl. Stammesreligionen, 162. 105 Dialog, 237. In Grunderfahrungen, 54f, werden primäre Religionserfahrungen europäischer Christen beschrieben: "Wir haben sie verdrängen wollen, doch das vitale Leben läßt sich nicht verdrängen"^). Ifwr
Dialog, 229. Sundermeier dort weiter: "Das (Leben) will sie stärken, stabilisieren, mehren, bewahren, sowie die Negation und Minderung des Lebens verhüten und abwehren." Dies ist bei Sundermeier insgesamt wohl weniger evolutionistisch gemeint als vielmehr sozialpsychologisch. Wir finden die These von der primären Religionserfahrung wieder in einer afrikanischen Arbeit, nämlich in der auch hier vorgestellten Dissertation von Stephen O. Okafor: Concepts of Salvation, African and European. Uni Leicester 1983 (Microfilm), S. 61: "(...) primary interpretation (that is, a given view of meaning) of the world answers ultimately to the prior question. 'What is the meaning of life in the world given the fact of death?' This basic prior question is, of course, reposed in the idioms of the philosophico-existential-question, and the existential-question." (Unterstreichungen U.L.-W.) S. auch ο., Kapitel Β. 2. b) in diesem ersten Teil. 107
. Sundermeier sieht Ähnlichkeiten des Begriffs primäre Religionserfahrung mit Schleiermachers "ursprüngliche Anschauung" und Rudolf Ottos "Begegnung mit dem Numinosen"; vgl. Stammesreligionen, 165. 108
Individualisierung - also "Leben" bezogen auf einen einzigen Menschen unabhängig von der Gesellschaft, in der er lebt · kann sich erst bei der Entwicklung von der Kleingesellschaft zur Großgesellschaft hin herausbilden. Dann entsteht die Möglichkeit der sekundären Religionserfahrung, die sich "immer wieder in die primäre Erfahrung integriert und an ihr ausrichtet." Beim Verstehen der afrikanischen Bilder reaktivieren Europäer also ihre primäre Religionserfahrung; vgl. Dialog, 230.
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schieht Lebensförderung auch in erster Linie durch Traditionsbewahrung,109 d.h. innerhalb eines bestimmten kulturellen Kontextes. Das ist der Grund, aus dem der Zulu-Schmied das Analogieprinzip zur Einschränkung seiner Produktion anwendet. "Prometheischer Ausbruch" würde die Einheit der Teile der Wirklichkeit zerstören, weil diese dann nicht mehr im ausgewogenen Verhältnis zueinander stünden. Die Ethik des Zusammenlebens in afrikanischer Weltsicht fordert in diesem Sinn die "Selbstbeherrschung" des einzelnen. 110 Lebenserhaltende Einheit gibt es nur im Gleichgewicht der Kräfte. Nur in solcher ausgewogenen Verbundenheit der Kräfte ist der Mensch davor bewahrt, im Kräftemeer nicht unterzugehen. Nur als Lebensförderung für die Gemeinschaft kann das Bestreben, das Gleichgewicht der Kräfte durch ein analogisches Strukturmuster herzustellen, richtig verstanden werden. 111 Der Realitätscharakter der Kräfte ist abhängig davon, wie sehr sie Auswirkung haben auf das Leben der Menschen und seine Bewahrung. Daher dient ihnen der menschliche Körper bei der Kanalisierung der Kräfte zum Gleichgewicht hin als Modell. Denn in ihm erleben sie bereits das Gleichgewicht und die Bedrohung durch Ungleichgewicht.112 Darum versuchen sie, auch das Dorf, in dem sie im Gleichgewicht der Kräfte zu leben hoffen, analog zum Körper zu gestalten.113 Mit der Gestaltung von Gleichgewichtsstrukturen in der Welt folgt der Mensch den Grundprinzipien des Lebens. Indem er sie immer wieder nachvollzieht, macht er sie für sich relevant und real. 114
109
Sundermeier weist sogar darauf hin, daß der Ausdruck der analogischen Weltsicht in Zauberei und Hexenwesen repressiven Charakter hat; vgl. Unio, ISS. Auch im Christentum taucht dieses Problem auf: vgl. die Diskussion um die "Schöpfungsordnungen" in der natürlichen Theologie! 110
Nur gemeinsam, 216-19.
111 Darum ist es der "Sinn des Lebens", nach "Harmonie und Gleichgewicht des Lebens in der Gesellschaft zu suchen"; vgl. Nyom, Beitrag, 59.
112 113
Nur gemeinsam, 54. Vgl. Symbol, 158/59; Nur gemeinsam, 55-59.
114
Zum Verhältnis von Anthropologie und Kosmologie vgl. auch A. Hampati Bä: Aspects de la civilisation africaine. Paris 1972, 14 (Schöpfungsmythos der Bambara im heutigen Mali): "(...) Pour contenir Maa (Mensch, U.L.-W.) Petre tout-en-un, Maa-Ngala (Gott, U.L.-W.) con;ut un corps special, vertical et sym6trique, capable de contenir ä la fois un brin de tous les etres existants. Ce corps, appel6 Fari, symbolise un sanctuaire oü tous les etres se trouvent en circumduction. C'est pourquoi la tradition considöre le corps de l'homme comme le monde en miniature (...)" (Unterstreichung U.L.W.). - So ist auch Leopold Senghor zu verstehen, der ebenfalls das Kräfte-Gebilde "Mensch-Person" eingeordnet sieht in das des Universums: "Für den schwarzen Afrikaner bedeutet also nach der Moral leben: gemäß seiner Natur leben, die aus einander widersprechenden Elementen, doch einander ergänzenden Kräften besteht. Das bedeutet, den Stoff des Universums zu bezeichnen, die Fäden des Lebensgewebes enger zu knüpfen." (Hervorhebung Senghor); vgl. S.: Die N6gritude ist ein Humanismus des 20. Jahrhunderts. In: Schwarz (Hrsg.) 1967, Teil II, 191-202; hier 1%.
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Das Gleichgewicht der Kräfte ist als Teil der Ur-Erfahrung, daß das Leben nicht untergeht - der Ur-Erfahrung von Einheit - bereits vorgegeben. Von Gott reden hieße dann, das Gleichgewicht der Kräfte, das in analogischer Ordnung konkret wird und der Lebensförderung dient, als vorgegebene Einheit zu erfahren. 115 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit möchte ich nicht den von Sundermeier und Rücker bevorzugten Terminus "Symbol" zur Bezeichnung des Angelpunktes afrikanischer Weltsicht benutzen. Vielmehr versuche ich, durch die Metapher "Gleichgewicht der Kräfte" die Grundtendenz der afrikanischen Weltgestaltung zu veranschaulichen. Diese Entscheidung ist verbunden mit einem Verzicht auf die angenehme semantische Weite der Sundermeierschen Begrifflichkeit. Sie soll hier lediglich damit gerechtfertigt werden, daß durch die Einschränkung der Weite die Spezifika des theologischen Bezuges auf afrikanische Weltsicht im Reden von Gott deutlicher werden. Mit "Gleichgewicht der Kräfte" ist in dieser Arbeit das Strukturprinzip der Gestalt und Gestaltwerdung von Lebensbewahrung in der Welt gemeint, das aus dem Bewußtsein der Interdependenz lebt. Das Prinzip der Orientierung am Gleichgewicht zeigt sich im Bild der Kräftewirklichlichkeit auf einer eher horizontalen Ebene in der Vorstellung der Ausgeglichenheit von Leben und Tod, im Ideal der Selbstbeherrschung und des Maßhaltens oder in dem Bewußtsein von der Zusammengehörigkeit aller Teile der Wirklichkeit nach einer gewissen Ordnung. Eher vertikal wird es in der dialogischen Struktur der Reziprozität von oben und unten wirksam, wie sie der Lebensgestaltung der Stammesgemeinschaft eigen ist und sich auch in den Religionen im Verhältnis von Göttern und Menschen zeigt. In der afrikanischen Theologie taucht es hier auf in der Rede von der Kohärenz von Schöpfer und Geschöpf und der daraus folgenden Reziprozität von Gott und Mensch. Ein Ergebnis aus Sundermeiers und Rückers Überlegungen zum afrikanischen Symbolbegriff ist für die Rezeption der afrikanischen Theologie noch besonders zu beachten: Die Warnung davor, afrikanische Symbole mit einem afrikanischen Gottesbegriff gleichzusetzen. Dies muß im folgenden Kapitel, in dem das Reden von Gott in der Tiefenstruktur afrikanischer Weltsicht aufgedeckt werden soll, erläutert werden.
115
Vgl. Unio, 156: Gott wäre dann die "einigende Kraft", nach der Sundermeier hier fragt.
87
4. Gott als Bewahrung des Lebens vor dem Untergang Einleitung Aus der Diskussion über den afrikanischen Hochgott, die während der 50er und 60er Jahre in afrikanischer Theologie geführt worden ist, muß als das wichtigste Ergebnis festgehalten werden, daß in afrikanischen Religionen von Gott eher implizit als explizit geredet wird. Die Vielheit der religiösen Instanzen (Götter, Geister, Ahnen) und Handlungen (Riten) wird auf eine in ihrer Tiefenstruktur wirkende Steuerung zurückgeführt, die man mit "Hochgott" bezeichnet hat. In der Diskussion über den "deus remotus" ging es um die Frage, ob sich die Menschen im traditionellen Afrika direkt von dieser Steuerung beeinflußt fühlen oder nicht. Das Vitalismus-Modell soll die Strukturen des Wirklichkeitsverständnisses veranschaulichen, innerhalb derer diese implizite Rede von Gott zu verorten ist. Sie lassen sich bündeln in der Vorstellung von der lebensnotwendigen Funktion des Gleichgewichts der Kräfte, das durch eine ständige entsprechende Einflußnahme des Menschen als Kanalisierung der Kräfte als seine Welt realisiert wird. Die Möglichkeit dieser Realisation wird dabei auf eine Ur-Erfahrung der Erhaltbarkeit des Lebens zurückgeführt, die in der Institution der Ahnen die tradierbare Gestalt der Gemeinschaft bekommt. Das führt zu der These von der Erfahrbarkeit Gottes in den Ahnen. Ahnenverehrung wäre dann Gottesdienst. Die in dieser Interpretation afrikanischer Religiosität immanente Rede von Gott fordert zum Nachdenken über das afrikanische Sprachverständnis heraus: Wird in der Partialität der (Ahnen-bezogenen) Erfahrung die gesamte Wirklichkeit so erfaßt, daß die Rede von Gott als oberster Ahne (Sawyerr) als Identitätsaussage aufgefaßt werden könnte? Ist der Ahne also der Gott? Diese Fragen werden hier mithilfe des von Theo Sundermeier und besonders von Heribert Rücker bevorzugten Schlüsselbegriffs zur Bezeichnung afrikanischer Religiosität erörtert: dem afrikanischen Symbolbegriff. Mit ihm soll die Eigenart afrikanischer Weltsicht umschrieben werden, die Einheit von Gott und Welt im Partiellen sichtbar machen zu wollen und dennoch Gott nicht in der Welt aufgehen zu lassen.
a) Reden von Gott als Reden vom Gleichgewicht der Kräfte Schon in der Ur-Erfahrung wird Lebensbewahrung vom Gleichgewicht der Kräfte abhängig erlebt. Das Gleichgewicht, das stets neu realisiert werden muß, ist also gleichzeitig Vorfindliches im Lebensstrom. Klaus Nürnberger verankert darum hier das Reden von Gott in afrikanischen Religionen.116 Seine Analyse, ergänzt mit
Zu diesem Abschnitt vgl. folgende Arbeiten Nürnbergers: - The Hidden God in Africa - Fate and Affliction. In: Missionalia 1, 1973, 21-31; hier zitiert als: Hidden God. - Der afrikanische Hochgott unter dem Aufprall der christlichen Botschaft. In: NZfSTR 17,1975,151-78; hier zitiert als: Hochgott.
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Ergebnissen aus Theo Sundermeiers Arbeiten, soll uns zu einer Klärung der genaueren Konturen der afrikanischen Rede von Gott führen. Nach Gott zu fragen heißt hier zu fragen, wodurch das Leben in seiner Erhaltung getragen wird angesichts des Wissens aus der Erfahrung, daß es durchaus auch untergehen könnte. Nürnberger und Sundermeier verorten deshalb den Anlaß afrikanischen Redens von Gott in der Erfahrung menschlicher Ohnmacht und Begrenztheit, in der die Einflußnahme auf die Wirklichkeit durch die Kanalisierung der Kräfte nicht mehr möglich ist. "Die Sotho kennen keine spekulative Transzendenz", stellt Nürnberger fest, aber sie machen doch auch "die Erfahrung der Begrenztheit des Menschen".117 Die Menschen erleben auch, wie ihre Beeinflussungsmöglichkeiten in dem Meer der Kräfte nicht immer zum Ziel kommen, daß ihnen nur ein eingeschränkter Teil der Wirklichkeit zugänglich ist. Diese Erfahrung des Unfaßbaren führe zum afrikanischen Gottesbegriff - bei den Sotho "Modimo". Auch Theo Sundermeier charakterisiert afrikanische Gotteserfahrung so als "äußerste Grenzerfahrung", 118 bei der Kanalisierung versagt bzw. nicht angebracht ist. Sein Beispiel dafür ist die Erfahrung des Todes durch Blitzschlag, die in vielen afrikanischen Religionen als direkte Gotteserfahrung interpretiert werde. 119 Und weil über einen Bereich jenseits von menschlicher Erfahrungswirklichkeit nicht spekuliert wird, kann das, was über diese Grenzerfahrung ausgesagt wird, nichts "ganz anderes" sein: Das Jenseits, so Nürnberger, ist höchstens quantitativ, nicht jedoch qualitativ vom Diesseits verschieden. Und als solches ist es auch immer im Diesseits schon enthalten. 120 Modimos Wirklichkeit überragt den von Menschen
- Systematisch-theologische Lösungsversuche zum Problem der anderen Religionen und ihre missionstheologischen Konsequenzen. In: NZSThR 12,1970,13-43; hier zitiert als: Lösungsversuche· 117 Hochgott, 158. Nürnberger benutzt in den hier herangezogenen Arbeiten den Begriff Wirklichkeit so, wie er ihn 1970 in einer Überarbeitung eines Referates von 1968 definiert: "'Wirklichkeit' heißt in diesem Referat das, was sich auf die Existenz eines Menschen auswirkt - wie auch immer! Das empiristische Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit wird bewußt fallengelassen, da es von vornherein das ausschließt, was für Menschen außerhalb der Aufklärung herkommenden geistigen Entwicklung bedrängende, tagtäglich erfahrene, ihre Existenz zutiefst bestimmende Wirklichkeit ist (...)"; vgl. Lösungsversuche, 14. Die hier auffällige Charakterisierung der nicht-aufgeklärten Wirklichkeitserfahrung als "bedrängend" hat in Nürnbergers Konzept eigentlich nicht philosophische, sondern theologische Gründe und trifft seiner Darstellung nach im Grunde auch Menschen nach der Aufklärung: Er betont in der Erfahrung der Wirklichkeit sehr die Erfahrung des "deus absconditus", weil Wirklichkeitserfahrung für ihn immer und überall Gotteserfahrung ist; vgl. ebda, passim, bes. 39. Von dieser theologischen Voraussetzung her nähert er sich auch den afrikanischen Religionen. - Zum Reden von Gott aus der Erfahrung der Begrenztheit heraus s. auch J. Mbiti, Introduction, 40/41. 118 119 120
Sundermeier, Grunderfahrungen, 52; Todesriten, 258. Sundermeier, Unio, 156. Nürnberger, Hochgott, 159.
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kanalisierbaren Teilausschnitt von Wirklichkeit wohl als Nicht-Kanalisierbarkeit, aber nicht als essentielle Andersartigkeit. Das hat entscheidende Konsequenzen für den Gottesbegriff: Wie innerhalb der vitalistischen Wirklichkeitserfahrung die Gesamtheit der Kräfte ethisch neutral ist,121 so ist auch nach Nürnbergers Darstellung die Vorstellung von Modimo nicht die eines helfenden und rettenden Gottes: Auch das Reden von Gott hat im traditionellen Afrika demnach eine ethisch-neutrale Grundstruktur. Dieser These wird durchaus nicht von allen anderen afrikanischen oder europäischen Theologen zugestimmt.122 Die Beobachtung vom afrikanischen deus remotus in den Schöpfungsmythen könnte Nürnberger nun vielleicht unterstützen. Die Mythen, die davon erzählen, daß sich der Schöpfer nach dem Schöpfungswerk zurückziehe und die Welt sich selbst überlasse, könnten als Ausdruck der Erfahrung des unfaßbaren und unnennbaren Wirklichkeitsganzen verstanden werden. Dann wäre die Rede vom deus remotus ein Mythologumenon, das gar nicht als Bekenntnis aus dem Vertrauen in eine vom Schöpfer geliebte Welt heraus entstanden ist - wie wohl doch die christliche Schöpfungstheologie -, sondern vielmehr Ausdruck verzweifelten Suchens nach diesem Vertrauen. Sie wäre dann gar kein Bekenntnis, das aus einer Basis-Perspektive des Redens über die Welt gesprochen wäre, sondern sie wäre eine Frage, die (nur) im Augenblick der Unsicherheit und Verzweiflung gestellt wird. Damit könnte sich auch erklären, warum es keinen Ritus im Zusammenhang mit diesem "deus remotus" gibt. In dem Moment, in dem die Frage nach dem Warum des Zurückziehens bzw. nach dem Ort Gottes in einen Ritus eingehen kann, wendet sich der Mensch wohl nicht mehr an einen zurückgezogenen Gott.123
121
Hochgott, 153; Hidden God 25, Anm. 13.
122
Schon Edwin Smith stellt ja den afrikanischen Hochgott als eine Instanz dar, die das Böse bestraft und das Gute belohnt; s.o., Teil I., Α. 1. Ebenso sehen auch Afrikaner die Hochgottvorstellung mit bestimmten ethischen Akzenten verbunden; vgl. die Arbeiten von Moore, Idowu, Setiloane, Kibicho, Sawyerr, Ezeanya - und auch die Deutschen Rücker und Dantine. Aber es gibt auch viele Autoren, die Nürnberger in seiner Darstellung folgen: vgl. Busia, Bosch, in gewissem Sinn auch BimwenyiKweshi, Kato, Thiel und Dammann . - Vom "deus otiosus* sprechen Mangematin und Mudiso. (Die genauen Titel der Arbeiten dieser Autoren s. Literaturverzeichnis.) 1
So versucht auch Heribert Rücker, die afrikanischen Schöpfungsmythen zu erklären; vgl. "Afrikanische Theologie", 135/36, bes. 136: "Auch in Afrika ist Gott ein ferner Gott, und das auf Erfahrung bauende Sprechen von Gott steht den gegenteiligen irritierenden Erfahrungen ungeschützt gegenüber. Solange der Afrikaner den Lebensfluß erfährt, erfährt er Gott als nahen Gott, ohne ihn ausdrücklicher nennen zu müssen, als er es durch sein Leben ohnehin tut. Sobald aber Not, Unglück und Tod eintreten, ist er mit der Möglichkeit des Nicht-Lebens konfrontiert und klammert sich als Leben-Wollender an jenen Gott, der ihm plötzlich so ferne steht" (Unterstreichung Rücker). Vgl. weiterhin Rwenumbiza, Comparative Study, 174: "The Gikuyu boy's Statement, 'God does not love me' is a cry of man as he faces the contradiction of life on earth. One cannot conclude from such a detached statement, as some scholars have falsely done, that God among the Gikuyu or the Bantu as a whole, is indifferent and is not the God of love for His people." Mit dieser Deutung verträgt sich auch gut die Beobachtung, daß Modimo nur in Notzeiten angerufen werde; vgl. Nürnberger, Hoch-
90
Die Mythen vom "deus remotus" wären also mißverstanden, wenn man sie als afrikanisches Glaubensbekenntnis verstehen würde. Gott ist im traditionellen Afrika irritierend unbegreiflich und kann damit sowohl Gefahr als auch Hilfe bedeuten,124 aber er wird nicht bekannt als gleichgültig und fern. Ja, man kann sogar noch weiter gehen: Wenn auch das vitalistische Weltverständnis nicht davon ausgeht, daß die Wirklichkeit getragen werde von einer bestimmten Wahrheit, die sich in ethische Sätze umsetzen ließe, so herrscht in ihnen wohl doch keine pessimistische Grundstimmung, die Ausdruck des Gefühls völliger Verlorenheit wäre. Nürnberger spürt eine "verborgene Zuversicht (...), daß das unbegreifliche Walten Modimos vorüberziehen wird (...)."125 Es geht nicht grundsätzlich drunter und drüber in diesem Meer der Kräfte, sondern es gibt eine Grundströmung zum Gleichgewicht hin, über die nicht spekuliert wird. Nürnberger beschreibt dieses Lebensgefühl sehr schön mit dem Satz: "Auf geheimnisvolle Weise bleibt man auch im tiefsten Unglück umgeben von dem unheimlichen, aber doch benennbaren und vielleicht sogar doch auch wieder tragenden Meer dynamistischer Wirklichkeit, welches auf das Gleichgewicht hin tendiert."126 In der Theologie Gabriel Setiloanes wird in dieser Tendenz das Reden von Gott verankert - im geheimnisvollen und unfaßbaren, aber letztlich Zuversicht spendenden Grund des Gleichgewichts der Kräfte. 127 Nürnberger sieht den Anlaß der Gottesvorstellung in erster Linie in der Erfahrung des Unfaßbaren und Unbeeinflußbaren, im Jenseitsbegriff.128 Damit betont er Modimos verunsichernde und damit schreckeneinflößende Züge.129 Dieser Akzent ist 1973 bei Nürnberger noch stärker als 1975.130 1973 ist noch keine Rede von einer "verborgenen Zuversicht" in der afrikanischen Weltsicht, sondern nur von Verzweiflung bzw. Resignation.
gott, 160; s. auch o., Teil I., A.l.und 2. in diesem ersten Teil dieser Arbeit. - Nürnberger hält eine Interpretation der Schöpfungsmythen, die zur deus-remotus-These führt, für ein "Mißverständnis"; vgl. Hochgott 162: "Wenn Modimo wirklich ohne existenzielle Bedeutung wäre, hätte er sich nicht in unerreichbare Ferne zurückgezogen, sondern er wäre aus dem Bewußtsein der Menschen verschwunden. Aber Modimo ist nicht fern. Er ist bedrängend nahe! Man kann ihn nur nicht in den Griff bekommen." ^
Sundermeier, Grunderfahrungen, 47/48.
125
Hochgott, 161.
126
Hochgott, 161.
127 128
S.u. das Kapitel über Setiloane im zweiten Teil dieser Arbeit. Hochgott, 159.
129
Vgl. Hochgott, 159: "Wird der Mensch mit diesem Jenseits konfrontiert, dann ist er machtlos. (...) Es gibt nur eine mögliche Reaktion: Stillehalten bis der Sturm vorüber ist." Ganz ähnlich Sundermeier, Todesriten, 258.
130 Hidden God, 25, bes. Anm. 3: "Modimo can also be a destructive, almost satanic power (...)".
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Diese Sicht hängt mit der hier noch unklaren Darstellung der nicht-dualistischen Weltsicht zusammen: Wenn die offenbar wichtigsten orientierungsbietenden Instanzen wie Gesellschaftsstruktur und Tradition nicht deutlich Teil der Gesamtheit des Kräftemeeres sind, kann sich in diesem Meer natürlich auch keine orientierungsbietende Grundstruktur zeigen. Vielmehr muß dann Orientierung als etwas von außen Heranzutragendes dazukommen. Nürnberger sieht 1973 die Kanalisierung der Kräfte durch den Menschen in afrikanischen Religionen als ein solches Herantragen. 131 An dieser Stelle ist noch einmal an die sowohl-als-auch-Sätze von Kwesi Dickson bei seinen Überlegungen zur Struktur afrikanischer Religionen zu erinnern. 132 Die Vorstellung von der relativen Selbständigkeit von Teilen der Welt und der absoluten Souveränität Gottes, die er konstatiert, verbietet es, Gemeinschaft und Tradition auf der einen und Gott auf der anderen Seite gleichzusetzen. So war auch das Verhältnis von Gott und Gottheiten beschrieben worden: Gott "manifestiere" sich zwar in den Gottheiten, jedoch seinen die Gottheiten mindestens für sich genommen nicht mit Gott zu identifizieren. In Bezug auf die Relation von Gottes- und Ahnenbegriff war dies auch das Ergebnis der Diskussion über den afrikanischen Hochgott. 133 Auch Theo Sundermeier sieht grundsätzlich einen Unterschied zwischen der Erfahrung allgemeiner "transzendentaler Mächte" (Gottheiten, Geister), denen man "einen Ort zuweisen", die man "personalisieren und lokalisieren" dürfe, und der eigentlichen Gotteserfahrung selbst, die "sich nicht festhalten" lasse.134 Dennoch beschreibt er in seiner Darstellung der Vorstellung von der Kanalisierung der Kräfte, wie afrikanische Religionen davon ausgingen, daß göttliche Kraft (Macht) "in den Dingen zugänglich" sei.135 Damit wäre göttliches Wirken z.B. auch im Wirken der Ahnen gemeint, was Sundermeier auch als "indirektes" Wirken Gottes bezeichnen kann.136 In Bezug auf die Ahnen jedoch hält Sundermeier es für religionsgeschichtlich nicht vertretbar, von einem indirekten Wirken Gottes zu sprechen. Die Ahnenverehrung habe vielmehr ihren Ort im sozialen Leben der Stammesgesellschaft. Sie sei eine Funktion des Stammesgesetzes und der Gemein"1-3-1 Er versteht dies als eine säkulare Weltinterpretation und findet darin eine Parallele zum modernen abendländischen Christentum; Hidden God, 28: "Modern Christianity has fallen into a similar error of not generally identifying God of Revelation with God the source of daily experience (creatio continua); the God of Revelation is regarded from a docetic point of view, while creation has a secular or atheistic interpretation." 132
S.o., Teil I., B.l.
133
S.o., Teil I., A.3.
^
Sundermeier, Grunderfahrungen, 53.
135 Sundermeier, Unio, 189 und passim. Vgl. bes. die Passage über die "Kanalisierung" in Unio, 152/53.
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schaft des Geschlechts, deute jedoch durchaus nicht als solches auf Gott selbst.137 Afrikanische Theologen allerdings verstehen die Strukturen traditioneller Religionen nicht immer in diesem Sinn. Gerade die Ahnen rücken in ihrer Bezugnahme auf die Religionen dichter an Gott heran. Dies wird auch im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden.138 Wenn Gott als das umfassende Ganze des Kräftemeeres zu verstehen ist - als seine "Lebensader" oder "Quelle", wie in den Überlegungen zum Schöpfungsbegriff der Religionen gesagt wurde 139 -, dann sind nicht nur die Ahnen, sondern auch alle anderen Elemente der Wirklichkeit als Teile des Ganzen Manifestationen Gottes. Dies ist das theologische Problem des Redens von Gott als bereits vorgegebener Einheit, mit dem afrikanische Theologen heute ringen, wenn sie sich auf ihre kulturelle Tradition beziehen. Die Abweisung des "religiösen" Verständnisses der Ahnen, die Sundermeier im Anschluß an Idowu vornimmt, ist unter der Prämisse eines solchen ganzheitlichen Gottesbegriffes schwierig. Afrikanische Theologen versuchen nicht, durch eine Trennung einer spirituellen und einer sozialen Sphäre eine symmetrische Identitätsaussage von Gott und Welt zu verhindern, sondern vielmehr durch den Begriff der Kanalisierung: Einheit Gottes kann nur als gestaltete in der Welt wirksam werden. Das bedeutet: Die Kanalisierungen, die durch die Tradition weitergetragen werden, sind nicht mit Gott zu identifizieren, aber sie haben ihren Grund in Gott und der Zuversicht, die aus ihm kommt. Gott kann in den Ahnen wirken, wenn sie Kanalisierungen tradieren, die so gelungen sind, daß sie Lebensbewahrung in der Welt realisieren. Mindestens wirkt er in ihnen, wenn die Lebenden durch die Bezugnahme auf ihre Vorfahren die Gemeinschaft auch auf diese ausweiten und damit die Kontinuität des Lebensstromes erhalten. Aber ein Ahne ist deshalb noch nicht Gott. Wenn von Gott als dem "Umfassenden", dem "Transzendenten" zu Rede ist, ist dieses asymmetrische Verhältnis des Ganzen zu einem seiner Teile gemeint. Heribert Rücker versucht, mit dem afrikanischen Symbolbegriff das Verständnis über die Beziehung von Teil und Ganzem zu erklären:140 Der Teil ist "Symbol" für das Ganze, wenn es die Funktion erfüllt, auf es hindeutend die partielle Relevanz des Ganzen sichtbar zu machen. "Das Symbol", so schreibt Theo Sundermeier,"(...) ist die Kontaktstelle zur 'Transzendenz', der Kanal, durch den die Kräfte der jenseitigen, in Afrika so nahen und gegenwärtigen anderen Welt verfügbar werden."141 137
Sundermeier beruft sich dafür auch auf Idowu; vgl. Nur gemeinsam, 159.
1TQ
Sundermeier beobachtet das auch allgemein in der Rede von Gott unter afrikanischen Christen; vgl. Gesetz, bes. 103/04 und 109: Während in den Religionen die Ahnen die "Hüter des Gesetzes" seien, werde in den afrikanischen christlichen Kirchen Gott selbst diese Eigenschaft zugesprochen. 139
S.o., Teil I., A.3. u n d B . l . Rücker, "Afrikanische Theologie"; s.o., Einleitung.
^
Sundermeier, Nur gemeinsam, 66.
93
Klaus Nürnbergers Beschreibung afrikanischer Weltsicht in der Version von 1975 betont stärker die lebensbewahrende Funktion der Ahnen innerhalb des Kräftemeeres.142 Daher kann die Erfahrung der Unfaßbarkeit des Ganzen nun eher als eine nach Gleichgewicht tendierende Grundströmung beschrieben werden. In diesem überschaubaren Bereich kann offenbar Einheit realisiert und d.h. erfahren werden. Wenn nun diese Erfahrung als Grunderfahrung der Wirklichkeit (d.h. als Teil der Gesamtwirklichkeit) angesehen wird, dann ist der Weg nicht weit zur Identifikation von gleichgewichtschaffender Einheit und "Modimo". Auf diesem Weg befindet sich Nürnberger offenbar, wenn er das Reden von "Modimo" nicht nur in der Erfahrung des Unfaßbaren gegründet sieht, sondern wenn er schreibt, Modimo repräsentiere "das umfassende Gleichgewicht der Kräfte" selbst und sei der Begriff für eine "Art unpersönlichem Ausgleichsmechanismus".143 Die ethisch neutrale Gleichgewichtstendenz im Meer der Kräfte schließt zwar Orientierungslosigkeit im Grundsätzlichen aus, aber doch nicht - mythologisch gesprochen - "ungerechtes Handeln" Modimos.144 Gott "darf" gar nicht jeden gleich behandeln, sonst gibt es kein Gleichgewicht.145 Aus diesen Grundstrukturen des Redens von Gott im Zusammenhang vitalistischer Wirklichkeitserfahrung heraus erklärt Nürnberger nun einzelne Beobachtungen in der Modimo-Verehrung. Sie alle können als Ausdruck der Erfahrung des unfaßlichen Wirklichkeitsganzen gesehen werden:146
142
Hochgott, 154-58.
143
Hochgott, 163.
144 Vgl. Hochgott, 163: "Und da das Gleichgewicht der Kräfte sich immer wieder irgendwie einspielt, wenn es gestört wird, rechnet der Mensch mit einer Art unpersönlichem Ausgleichsmechanismus, wo menschliche Rechtssprechung versagt. Aber das heißt keineswegs, daß Modimo nicht selbst in haarsträubend willkürlicher und ungerechter Weise 'handeln' kann." Im Folgenden gibt Nürnberger Beispiele für den "Dualismus des (Gottes-)Begriffs" und fährt fort: "In gewisser nicht-spekulativer, existcnziell erfahrener Weise ist Modimo eine Art coincidentia oppositorum und als solche ethisch neutral", ebda, 163. Vgl. auch ebda, 167. Eine größere Orientierung an der Tendenz zum Gleichgewicht verhindert bei den afrikanischen Theologen die Konzeption der Rede von einem so von Willkür geprägten Gott; s.u., Teil II.
Vgl. Sundermeier, Todesriten, 255: "Es gibt auch keinen Gott, vor dem alle gleicherweise vor Gericht erscheinen, wie z.B. in der christlichen Religion." S. hierzu auch J.R. Cabbage: Order and Chaos with Special Reference to Mende Religion. Philos. Diss., University of Aberdeen 1982 (Microfilm), 319/20: "To assert that God is behind either a benevolent or a vicious person seems to be less an ontological statement about God's nature than an observation drawn from actual acquaintance with auspicious or inauspicious circumstances or events in human experience which are attributed to the presence or absence of divine reinforcement." 146
Vgl. auch Hidden God, 21-23.
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1. " M o d i m o spricht nicht", d.h. Afrikaner gehen nicht davon aus, d a ß M o d i m o sich kundtue. 1 4 7 2. E s gibt nur sehr wenige Verehrungsrituale, die direkt a n M o d i m o gerichtet sind. 1 4 8 3. " M o d i m o handelt nicht", "sondern es geschieht". 1 4 9 D a s unfaßbare, nach Gleichgewicht d e r Kräfte s t r e b e n d e Wirklichkeitsganze ist nicht "Person". 1 5 0 E s kann j e d o c h mythologisch personifiziert werden. 1 5 1 Z u s a m m e n f a s s e n d bietet N ü r n b e r g e r zum Verständnis dieses afrikanischen G o t tesbegriffes den "Begriff des 'Schicksals'" an, auch u m zu verdeutlichen, daß diese A r t v o n Wirklichkeitserfahrung a u c h uns A b e n d l ä n d e r n bekannt ist - nicht j e d o c h in d e r Gotteserfahrung aufgeht, von der die Bibel spricht. 1 5 2 D i e Ü b e r l e g u n g e n Nürnbergers und Sundermeiers, die a n d e r G r e n z e r f a h r u n g anknüpfen, beziehen sich auf die spärlichen Explikationen d e r Gottesvorstellung in d e n Religionen. I m Augenblick d e r Bewußtwerdung, daß das Partielle nicht das G a n z e ist, wird ausdrücklich von G o t t als d e m Unbegreiflichen geredet. D a m i t ist deutlich, d a ß die partielle Welterfahrung nicht mit d e m g a n z e n Sein G o t t e s identifiziert wird. D e n n o c h w ä r e es mißverständlich, zu meinen, afrikanische Religionen führten G o t t e s W i r k e n ausschließlich auf die furchterregenden K a t a s t r o p h e n der Grenzerfahrung zurück. D a n n m ü ß t e ein fatalistischer Grundzug durch die Reli-
Hochgott, 159/60. Das bedeutet auch, daß man von Modimo keine Antwort erwartet - daher werden auch Gebete nicht an ihn gerichtet, vgl. Hochgott, 165: "Man redet nicht freien Herzens in eine antwortlose Leere hinein, ohne jemals die Gewißheit darüber zu erlangen, ob überhaupt jemand das Gebet zur Kenntnis nimmt." ^ Hochgott, 160: "Es fehlt jede positive Reaktion des Menschen auf das Grundwiderfahrnis, das mit Modimo bezeichnet wird. Es gibt kein Gebet und kein Opfer, die an Modimo gerichtet wären." Hochgott, 161/62: Modimos Wirken kann nicht eingeordnet werden "in das Koordinatensystem von Raum und Zeit". ^ Als Konsequenz dieses Gottesbegriffs kommt es zu der Aussage, Modimo sei ethisch und geschlechtlich "neutral"; Hidden God, 22/23 und 25; Hochgott, 162/63. Das spiegelt sich auch im grammatischen Geschlecht des Namens "Modimo" wider; Hidden God, 22; Hochgott, 164/65. Auch Gabriel Setiloane betont dies sehr, s.u. das Kapitel über Setiloane, Teil II., A.l. Samuel Kibicho berichtet, daß die Kikuyus für Gott ein Pronomen verwenden, das sonst nur für Tiere gebraucht wird, vgl. The Interaction of the Traditional Kikuyu Concept of God with the Biblical Concept. In: Cahiers des Religiones Africaines 2,1968,223-37, 231/32. ^ Hierzu gehört auch die Rede von "Modimo" als "Schöpfer"; Hochgott, 165. Sundermeier differenziert hier in die Personifikation von göttlichen Teilerfahrungen in z.B. Geistern und der Gotteserfahrung als ganzer, die nicht personifiziert werden könne. "Der Glaube an Gott, den Schöpfer, ist darum in Afrika ein kultloser Glaube geblieben"; Grunderfahrungen, 53. 152
Hochgott, 167/68; auch Hidden God, 25/26. Genau andersherum sieht das übrigens der Nigerianer Stephen O. Okafor, der die abendländische Theologie als "schicksalsbetont" bezeichnet; vgl. Okafor, Concepts, 136/37. Christian Gaba hingegen versucht wie Nürnberger, bestimmte Aspekte des traditionellen afrikanischen Gottesbegriffes mit dem Begriff "destiny" zu erklären. Er weist allerdings darauf hin, daß der afrikanische Schicksalsbegriff weniger Prädestination enthalte und mehr Realisierungsmöglichkeiten gewähre; vgl. Gaba: African Traditional Conception of Freedom and Responsibility. In: Orita XI/1, Juni 1977,41-55; hier 48/49,50 und 52; s.u., Teil I., C.4.b).
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gionen gehen. Dies ist jedoch auch nach Nürnberger und Sundermeier zumindest in der großen Linie nicht der Fall.1S3 Mindestens gilt das für die Perzeptionsweise der afrikanischen Theologen, die das Reden von Gott mit der traditionellen Religiosität verbinden wollen. In dieser Perspektive scheinen die Religionen getragen zu werden von der Gewißheit, daß das Leben erhalten wird durch die vorgegebene Möglichkeit des Gleichgewichts. Dies gilt nicht nur im überschaubaren partiellen Ausschnitt des Kräftemeeres, sondern es gilt für das Ganze. Die Realisierung, die nur im Partiellen möglich ist, weist auf Gott und gilt als Teil des indirekten Wirkens Gottes. Darum sind Geister, Gottheiten und Ahnen seine "Manifestationen", weil sie als Instanzen der Realisierung von Gleichgewicht gelten. In der Bezugnahme auf sie stellt sich eine nicht-identifizierbare Einheit mit Gott her: das Symbol. In ihm ist Gleichgewichtsrealsierung faßbar und weniger furchterregend. Geschieht sie jedoch außerhalb des menschlichen Bewegungsradius', bereitet sie Furcht, weil Gleichgewicht immer auch maßvolle Zerstörung beinhaltet. In diesem Sinne werden große Katastrophen als Eingreifen Gottes interpretiert. Sundermeier schreibt unter Berufung auf Gabriel Setiloane: "Das heißt nicht, daß das Böse direkt auf ihn zurückgeführt wird. Immer sind Menschen Agenten des Bösen, aber woher haben sie die Kraft zum bösen Tun, wenn nicht von Gott?! 'ES kontrolliert alles, letztendlich auch die Katastrophen und die Bosheit der baloi (Zauberer)'" 154 Gottes Kontrolle über die Bosheit ist die Kontrolle des Gleichgewichts der Kräfte. Die folgenden beiden Kapitel werden die Konsequenzen aus diesem Grundzug afrikanischen Redens von Gott an zwei Zusammenhängen zeigen: An der Vorstellung von Heil in afrikanischen Religionen, wie sie von afrikanischen Theologen dargestellt wird, und am Problem der Theodizeefrage.
b) Die Heils-Vorstellung in afrikanischen Religionen In der deutschen Sprache benutzt man mindestens zwei Begriffe, um das zu sagen, was das englische Wort "salvation" oder das französische "salut" meinen: "Erlösung" bzw. "Errettung" und "Heil". Ohne eine religionsgeschichtliche oder philosophische Spezifizierung der Begriffe vorzuehmen, werde ich in dieser Arbeit mit den Begriffen "Erlösung" und "Heil" operieren. "Erlösung" wird dabei immer dann gebraucht werden, wenn der dynamische Aspekt von "Heil", die Realisierung von Heil oder die Entwicklung zum Heil hin, ausgedrückt werden soll. Leider ist der Begriff "Heilung" im deutschen Sprachgebrauch zu sehr auf den medizinischen Bereich beschränkt, sonst könnte man ihn hier wohl am besten verwenden.
153 154
Sundermeier, Nur gemeinsam, 227. Nur gemeinsam, 1%.
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Wie generell die Rekonstruktion afrikanischer Religionen heute gewöhnlich von christlichen Anthropologen oder Theologen vorgenommen wird, so stehen uns Informationen über traditionelle afrikanische Heilsvorstellungen in erster Linie als von Christen verfaßte Darstellungen zur Verfügung, die zudem oft in apologetischer Absicht geschrieben worden sind. Es wäre daher Vorsicht angebracht, wenn sie als religionswissenschaftliches Material verwendet werden sollen. Für das Ziel dieser Arbeit ist jedoch nur von sekundärer Relevanz, wie religionswissenschaftlich "korrekt" die Darstellung der Tradition ist. Eine Darstellung der nichtchristlichen Tradition aus christlicher Perspektive läßt sich auch als ein Teil der jeweiligen christlichen Theologie verstehen. Das soll nicht heißen, daß eine offensichtlich "gefärbte" Darstellung der Tradition nicht missionstheologische und wohl auch psychologisch zu beschreibende Probleme aufwerfe. Diese können jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. In jüngster Zeit sind insbesondere westafrikanische theologische Arbeiten zum Zusammenhang der traditionellen Heilshoffnungen entstanden. Ihr kultureller Hintergrund, der im Vergleich mit dem ostafrikanischen einen eher individualistischen Akzent trägt, bietet sich besonders an, das aktivistische Element des Vitalismus zu betonen. Bei Christian Gaba, auf den ich mich für die Darstellung der Grundstrukturen der afrikanischen Heilsvorstellung beziehe, erscheint die Kanalisierung der Kräfte als Aufforderung zur "moralischen Entscheidung" über die Grundausrichtung des Lebens. Besonders typisch für einen großen Zweig afrikanischer Theologie ist Gabas Darstellung, weil sie Heil im Grunde als Restauration der Vergangenheit versteht. Anschließend möchte ich zeigen, wie diese Linie weitergezogen wird in den Darstellungen afrikanischer Theologen über die traditionelle Vorstellung vom Leben nach dem Tod. Ich gehe auf diese Vorstellung ein, weil sie als Symbol für die Art von Hoffnung gilt, von der sich Menschen in ihrer Lebensgestaltung getragen wissen. Afrikanische Religionen erscheinen in ihnen so sehr gebunden an die Erfahrungen der Vergangenheit, daß sich Menschen in der Gegenwart Heil in der Zukunft allenfalls als Wiederherstellung oder Rückkehr der Vergangenheit vorstellen können. Aber dies ist nicht in jedem Fall möglich; das Strukturprinzip des Gleichgewichts der Kräfte, das sie Lebensbedrohung in der Welt verhindert, verhindert auch die Zukunft derer, die ihm zum Opfer fallen mußten. Die Arbeiten von Christian Gaba aus Nigeria beschäftigen sich alle damit, die Grundstruktur eines traditionellen afrikanischen Heilsbegriffs herauszuarbeiten. 155 Er entwickelt sie aus der Situation eines einzelnen Menschen, der über die GestalVgl. folgende Arbeiten von Gaba: - African Traditional View of Freedom and Responsibility. In: Orita XI/1,1977, 41-55; hier zitiert als: Freedom. - Man's Salvation: Its Nature and Meaning in African Traditional Religion. In: Fashold-Luke u.a. (Hrsg.) 1978, 389-401; hier zitiert als: Man's Salvation. - Total Well-Being: Salvation and God in the Experience of an African People. In: Sontag / Bryant (Hrsg.) 1982,129-50 (Überarbeitung von Man's Salvation); hier zitiert als: Well-Beeing.
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tung seines Lebens im Rahmen der Traditionsgemeischaft eine individuelle Entscheidung fällen muß.156 Gaba nennt sie "moralische Entscheidung".157 Der Heilsbegriff bei den Ano läßt sich nach Gaba am besten mit dem hebräischen Begriff "schalom" vergleichen und meint den Zustand eines körperlich und materiell reichen Lebens: viele Kinder, gute Ernten, reichen Fischfang, erfolgreiche Handelsabschlüsse, Gesundheit und ein langes Leben.158 Jeder Mensch bekommt von Gott die Möglichkeit, ein solches Leben zu führen. Allerdings ist das Heil, das Gott für alle Menschen bietet, erst ein potentielles. Erst die Entscheidung für ein Leben nach den moralischen Standards der Ano-Gemeinschaft "realisiert" dieses Heil.159 In religiösen Riten werden die Menschen immer wieder aufgefordert, sich für eine solche Grundausrichtung zu entscheiden und dadurch Heil als Erlösung von "lebensverneinenden Phänomenen" zu realisieren.160 Die Theorie der "Realisierung" des Heils, die besonders in dem jüngsten Aufsatz Gabas so sehr im Zentrum steht,161 korrespondiert wörtlich mit der Funktion der Kanalisierung der Kräfte zur Lebensbewahrung im Vitalismus-Modell. Gott gilt als Garant der "moralischen Ordnung", der Gerechtigkeit in der Welt. Mit Entscheidungen im Sinne dieser Ordnung und Gerechtigkeit folgen die Menschen seinem lebensbewahrenden Strom im Kräftemeer, realisieren eine lebensfördernde Welt der Gemeinschaft und erweisen sich damit als verantwortliche Geschöpfe.162 Letztlich seien
156
Freedom, 42/43, 51 und passim; Well-Being, 138.
157
Freedom, 51 und 53; Well-Being, 140-46. Die Passage über die bösen Geister in Man's Salvation, 394, fehlt 1982 in Well-Being. Dadurch bekommt die Entscheidungshandlung des Menschen noch größeres Gewicht. 158
Well-Being, 132 nund 137.
^ Well-Being, 135f; Freedom, 52 und 54. - Den Zusammenhang von Heil und Kanalisierung in Richtung Ordnung betont auch Iloanusi; vgl. Myths of Creation, 231/32:"(...) conscious participation of man in the cosmic order and his active responsible acceptance of the rules of the community (...)". 160
Well-Being, 136.
^ Vgl. Well-Being, passim. Dieser Aufsatz ist eine Überarbeitung des älteren Aufsatzes Man's Salvation. Interessanterweise hat Gaba den Begriff "Realisierung" erst in Well-Being so stark betont. (Man fragt sich, ob diese Akzentbetonung damit zu tun hat, daß Well-Being als Vortrag auf einer Tagung gehalten wurde, die von dem der Vereinigungskirche nahestehenden F. Sontag organisiert worden war.) 1978 noch steht er neben verschiedenen anderen Ausdrücken, so z.B. "enjoyment", "participation", "appropriation (of salvation)"; vgl. Man's Salvation, 392, 393, 394, 399 mit Well-Being, 135,136,137,144. Vgl. Freedom, 53: "Freedom for them is not licence, an unrestrained exercise of personal choices, but rather judicious exercise of moral choices within a circumscribed, a prescribed, dimension. The prescription of the circumscribed dimension may immediately emanate from society and its members but to the people themselves fundamentally God is the one who imposes it. For in this traditional society all man's duties, in Kantian language, are divine commands fundamentally."
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alle Menschen sündlos geschaffen, schreibt Gaba. 163 Erst durch falsche Kanalisierungen von Krfäten werden sie zu Sündern. Das Gleichgewicht in der Welt, so können wir im Vitalismus-Modell sagen, wird deswegen zwar als gefährdet erfahren, dies jedoch nur in der Gegenwart und keinesfalls schon in der fernen Vergangenheit. In der Wiederherstellung des Zustandes vor der Gefährdung in der Gegenwart besteht denn auch die Erlösung, die die Menschen durch Realisierungsbemühungen erlangen können. Gaba stellt als versöhnendes Element der Ano-Religion heraus, daß in ihr "Sünder", d.h. Menschen, die versagt haben im Realisieren von Heil, wieder neu integriert werden können, wenn sie in einem Opfer den "Preis für ihre Sünden" zahlen und damit die Verletzungen heilen, die sie mit ihrem Verhalten angerichtet haben.164 Der Opferbegriff ist also ebenfalls im Zusammenhang mit der Kanalisierung der Kräfte zu verstehen. In ihm wirkt das Strukturprinzip des Gleichgewichts der Kräfte auf der vertikalen Ebene besonders deutlich. Ohne die Wiederherstellung des Gleichgewichts durch das Opfer kann es weder für die Gemeinschaft noch für den "Sünder" Heil geben. Im Anschluß an Mircea Eliade bezeichnet Gaba die Heilsvorstellung der Ano als restaurativ, denn auf eine Veränderung der Bedingungen des Lebens hoffe man nicht.165 Es gibt immer noch Unordnung und Ungerechtigkeit, auch wenn sich Menschen moralisch richtig entscheiden. Wirklich vollkommene Erlösung, so schreibt Gaba, gebe es erst, wenn diese "lebensnegierenden Phänomene" vollkommen ausgeschaltet sind. Wie das unter den Bedingungen des Lebens geschehen soll, sagt er nicht. Erfahrung von Erlösung sei immer unvollkommen und enthalte die Hoffnung auf Vervollkommnung - eine Zukunftsdimension, wie Gaba meint. Aber dennoch sei diese erhoffte Zukunft "paradoxerweise verwurzelt in der Vergangenheit, weil realisiertes vollkommenes 'well-being' nicht ein 'neues' Leben sein wird, sondern ein 'altes, verlorenes', das nun wiederhergestellt sein wird".166 Im Vitalismus-Modell erklärt sich das restaurative Element der traditionellen afrikanischen Hoffnung aus der Bedeutung, die die bewährten Orientierungsmuster der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft haben. Die Struktur dieses von Gaba theoretisch beschriebenen Heilsbegriffes findet sich wieder in Äußerungen afrikanischer Theologen über die traditionellen Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod.
163
Well-Being, 140.
164
Well-Being, 141.
165
Well-Being, 146.
^ Well-Being, 146. Vgl. dazu auch Iloanusi, Myths of Creation, 221ff: Erlösung ist die Wiedererlangung des verlorenen Paradieses.
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Es kann als allgemein unbestrittene Tatsache gelten, daß Afrikaner im Kontext der traditionellen Religionen an ein Weiterleben nach dem Tod glaubten oder zumindest: glauben wollten.167 Nach John Mbiti und Harry Sawyerr läßt sich dieses Weiterleben in zwei Phasen unterscheiden: In die, in der der Verstorbene noch "lebt" im Gedenken der Angehörigen, und in die daran anschließende, in der er zu den namenlosen Ahnen gehören wird.168 Oft wird diese zweite Phase auch als "endgültiger Tod" bezeichnet.169 In ihr besteht keine Abhängigkeit des Verstorbenen von den Lebenden mehr.170 Schon in diesem groben Überblick werden zwei unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten deutlich: Eine "optimistische", die die Möglichkeit des Weiterlebens der Toten als Teil der Lebenswirklichkeit der Lebenden betont, und eine "pessimistische", die die Abhängigkeit dieses Weiterlebens von den Lebenden und damit seiner begrenzten Dauer betont. Diese beiden Akzentuierungen finden sich auch in den im folgenden hier vorgestellten Untersuchungen. Als Beispiel für die "pessimistische" Interpretation kann die Untersuchung über die traditionelle Igbo-Religion des katholischen Theologen Cletus C. Osuji dienen.171 Für Osuji besteht in dieser Religion keine Hoffnung auf ein wirklich neues Leben. In der Darstellung ähnlich, in der Beurteilung etwas weniger pessimistisch ist die Arbeit von Kuuire aus Ghana über die Dagaati.172 Leben ist auch nach dem Tod Leben als Leben in Traditionsgemeinschaft. Dabei orientieren sich die Vorstellungen über die Art der Gemeinschaft nach dem Tode an ihrer Struktur im Leben. Das Leben nach dem Tod ist eine "Photokopie" des Lebens vor dem Tod.173 Folglich richtet sich auch die soziale Stellung des Verstorbenen in der Gemeinschaft der Ahnen nach der sozialen Stellung, die er vor seinem Tod innehatte. Wenn ein Mensch ein sozialer Außenseiter war - etwa eine
So die Einschränkung von Häselbarth, Auferstehung. 1 6 8 Vgl. Mbiti, Weltanschauung, 104ff und 201ff; Introduction, 118ff; Concepts of God, 253ff; Sawyerr, God, 7; auch: J. Ongong'a: Life and Death - A Christian/Luo Dialogue. Eldoret 1983, 22 und 24. 169
Mbiti, Weltanschauung, 32-34.
170
Idowu, Traditional African Religion, 188.
171
C.C. Osuji: The Concept of Salvation in Igbo Traditional Religion. Excerpta ec dissertatione ad Doctoratum in Facultate Theologiae Pontificiae Universitatis Urbania. Rom 1977; hier zitiert als: Concept of Salvation. 172
A A . Kuuire: Dagaati Solidarity and Salvation in Christ in the Light of "Gaudium et Spes". Diss. Pontificia Universitatis Lateranensis. Rom 1976; hier zitiert als: Dagaati Solidarity. ^ Concept of Salvation, 18; Kuuire, Dagaati Solidarity, 240; vgl. auch Shorter, African Theology, 122 und 126.
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Frau, die eine Mehrlingsgeburt hatte174 - oder sich geographisch außerhalb der Stammesgemeinschaft befand und daher seine Angehörigen nicht die vorgeschriebenen Riten vollziehen konnten,175 hat er auch nach seinem Tod keine Änderung dieses Zustandes zu erwarten. Wer zu Lebzeiten zu den Geächteten gehörte, wird auch nach dem Tod nicht "rehabilitiert" werden.176 Offenbar kann es auch vorkommen, daß ein Glied der Stammesgemeinschaft erst durch die Todesart zu den Geächteten gehören wird.177 Das Leben nach dem Tod verspricht im traditionellen Afrika, so urteilt schließlich Osuji, weder Ermutigung noch Hoffnung.178 Im Unterschied zur christlich geprägten Weltsicht habe die traditionell afrikanische keinen Begriff von "neuer Schöpfung".179 Nach Osujis Darstellung ist der traditionell afrikanische Erlösungsbegriff ausschließlich mit dem Leben in der Ahnengemeinschaft nach dem Tod verbunden. Daher unterscheidet er zwischen Erfahrungen von Errettung aus Gefahren im Leben und umfassender Erlösung.180 Nach Kuuire bedeutet Erlösung bei den Dagaati
174
Concepts of Salvation, 27.
175
Concepts of Salvation, 18/19.
17ή Concepts of Salvation, 23: "No deceased person rejected by the living community as wicked and failure, may hope for a welcome attitude on the part of the ancestral dead." Kuuire sagt nichts über soziale Außenseiter; vgl. Kuuire, Dagaati Solidarity, 239ff, 309ff. Vgl. auch Shorter, African Theology, 126: "There are large numbers of deceased who never become ancestors, children, barren women or sterile men, cripples and social drop-auts, people who die far away from their homeland, outcasts and those who in any way incur social censure or disapproval." - Diesen Zusammenhang übersieht Simon Maimela, wenn er behauptet, von Afrikanern im traditionellen Religionssystem werde das Leben nach dem Tode nicht gefürchtet, weil sie dort keine Strafen, sondern die Eingliederung in die Ahnengesellschaft erwarteten; vgl. S. Maimela: Salvation in Traditional African Religions. In: Missionalia 13,1985/2, 63-77; hier 73-75. 177 Vgl. Concept of Salvation, 20: z.B. durch plötzlichen Tod, Tod durch Pocken, Unfall, Ertrinken, Selbstmord oder Verbrennen. 178
Concept of Salvation, 65.
179
Concept of Salvation, 69. In den missionstheologischen Konsequenzen, die Osuji aus dieser Analyse zieht, ist allerdings von diesem Unterschied nicht mehr die Rede. Vielmehr beschränkt er sich darauf, die Betonung der Gemeinschaft auch für die Strukturierung christlicher Gemeinden zu empfehlen (z.B. Gründung von Fußballclubs, 71) und die Ahnenverehrung mit der Heiligenverehrung (74) und der Christologie (Christus als Stammvater, 75) zu verbinden. - Im Zusammenhang einer solchen pessimistischen Interpretation der Todesvorstellungen können wir auch die Praxis einer Völker erwähnen, die Frauen eines verstorbenen Königs mit diesem zusammen lebendig zu begraben, damit er das Leben nach dem Tod nicht ohne sie führen muß. Vgl. dazu z.B. Rwenumbiza, Comparative Study, über die Banyoro im heutigen Uganda und seine Äußerung, vom heutigen Standpunkt aus wohl diese Sitte als "unmoralisch" und "grausam" abzulehnen, nicht jedoch die gesamte Religion der Banyoro für unmoralisch zu halten; ebda, 217ff.S. auch o., Teil I., A.4.: Exkurs über afrikanische Geschichte. 180
Concept of Salvation, 28/29.
101
im heutigen nordwestlichen Ghana primär Gemeinschafts-Solidarität, sowohl im Leben als auch im "Nach-Leben" im Kreise der Ahnen. 181 Die Solidarität mit den Gruppenmitgliedern garantiert "Sicherheit gegen Unsicherheit" und damit Heil.182 Als solches "Leben in Sicherheit" läßt sich auch Kibichos "well-being" verstehen, aus dem für ihn die Gleichsetzung von Erlösung und Befreiung (Befreiung von Ungleichgewicht bzw. nach Kuuire Unsicherheit) folgt. Da Osuji die Erlösung allein auf das Leben nach dem Tod auf die Ahnengemeinschaft beschränkt, läßt sich aus seiner Darstellung keine Verbindung von Erlösung und Befreiungserfahrung im irdischen Leben entnehmen. Lediglich aus der Behauptung, das Leben im Jenseits sei für traditionelle Afrikaner eine Photokopie des Diesseits, ließe sich logisch eine Befreiungsaufforderung zur Erlösung ableiten - wenn Osuji die Kanalisierungsmöglichkeit des Menschen in afrikanischer Weltsicht erwähnt hätte. Diese scheint es jedoch nach seiner Darstellung gar nicht zu geben. Es sei dahingestellt, ob nach afrikanischen Religionen der menschlichen Kanalisierung wirklich so viel Raum gegeben wird wie Kibicho und in seiner DynamismusTheorie auch Sundermeier behaupten. Es ist jedoch zu befürchten, daß ein afrikanisches theologisches Konzept, das eine Kanalisierung der Kräfte in die Richtung Gottes gar nicht mehr erwähnt, besonders restaurativ und statisch-hierarchisch wirken muß, wenn es den Boden der traditionellen afrikanischen Religionen (unverändert) beibehalten will. Es ist ein Unterschied, ob man Ordnung für ständig im Entstehen befindlich oder ob man sie für zementiert hält. Je nach der Bedeutung, die der Möglichkeit der Kanalisierung der Kräfte zugesprochen wird in der Darstellung der Vorstellungen vom Leben nach dem Tode, entscheidet sich, ob der Gesamteindruck "optimistisch" oder eher "pessimistisch" ist. So sehen auch nach Cosmas O. Obiego 183 die Igbo-Vorfahren sehr zuversichtlich dem Tod entgegen, weil sie ihn im Leben vorbereiten können. Dennoch ist auch nach Obiego die Art der Igbos, vom Tod zu reden, ambivalent: Einerseits wird er erfahren als etwas, das alle Lebewesen erleiden müssen und insofern als etwas "Natürliches", andererseits paßt die Erfahrung des Todes nicht zum Reden von Gott als souveränem Lebensermöglicher und wird deshalb "umgedreht": Der Tod ist ein Heimgehen zu Gott, die Ermöglichug einer reicheren Exi101
Das "Nach-Leben" nennt er darum "transcendental, eschatological congregation of solidarity"; Dagaati Solidarity, 241ff. 182
Dagaati Solidarity, 294ff. "Sicherheit" entspricht dem, was ich in dieser Arbeit im Vitalismus-Modell mit den Begriffen Orientierung und Kontinuität zu fassen versuche. - Vgl. zum Thema auch Rücker, "Afrikanische Theologie", 128: Todesriten "dienen (...) der Ermöglichung eines Ja" zum Leben. 101 C.O. Obiego: African Image of the Ultimate Reality. An Analysis of Igbo Ideas of Life and Death in Relation to Chukwu-God. Frankfurt u.a. 1984; hier zitiert als: Ultimate Reality.
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Stenz. Afrikanische Mythen "entschuldigen" Gott, indem sie erklären, daß der Tod ursprünglich entweder durch menschliche Schuldhaftigkeit oder durch einen Irrtum der Gottesboten entstanden sei.184 Der Tod wird als ein Element in das Gleichgewicht der Kräfte eingeordnet, das Garant bleibt für das Weiterbestehen des Lebendigen überhaupt. Auf dieses "kosmische Leben" hin können Kräfte manipuliert werden. In voller Zuversicht in Gottes Schöpfung und die Unsterblichkeit des menschlichen Lebenselementes 185 nutzten die Igbos, so können wir es ausdrücken, ihre Kanalisierungsmöglichkeiten, um den Verstorbenen fähig zu machen, "ein ruhiges und sicheres 'soziales' Leben wieder anzufangen",186 von dessen Realität sie ausgingen. Dies ist der Sinn der Todesriten. 187 Im folgenden Kapitel wird die Begrenzung der Hoffnung auf Heil, die auch als eine Konsequenz des Redens von Gott als Gleichgewicht der Kräfte dargestellt werden kann, am Beispiel der Theodizeeproblematik in afrikanischen Religionen noch einmal beleuchtet.
c) Die Grenzen des Heils: Theodizeeproblematik in afrikanischen Religionen Die positive Darstellung der afrikanischen Heilsvorstellungen stützt sich also auf die Bedeutung der Kanalisierungsmöglichkeit. Dennoch kann keine Kanalisierung den Rahmen des Gleichgewichts der Kräfte sprengen. So viel also innerhalb dieses Rahmen möglich ist - Gott kann nicht jemand sein, der mehr verspricht, als daß Lebensbedrohendes das Leben nicht voll-kommen auslöschen wird. Dies wurde von Christian Gaba bei der Beschreibung der Grundstrukturen des afrikanischen Heilsbegriffs schon betont. 188 In diesem Kapitel soll jetzt noch einmal auf diese
Vgl. auch Sawyerr, Creative Evangelism, 49; Iloanusi, Myths of Creation, bes. 218ff: Die Haltung der Igbo zum Tod ist abivalent: Zum einen bedeutet er die Fortsetzung des Lebens unter den Ahnen, zum andern eine Strafe Gottes für menschlichen Ungehorsam oder einfach ein "Fehler". 185
Ultimate Reality, 214.
186
Ultimate Reality, 215.
187
Es wird aus Obiegos Text nicht ganz klar, inwieweit die Dimension des sozialen Lebens nach dem Tode auch neue Dimensionen sein können. Er spricht einerseits von einem "qualitativ neuen Anfang", jedoch im selben Satz auch davon, daß in dem reicheren Leben nach dem Tod "die begrenzten und persönlichen Leistungen und die sozialen Fehlleistungen in persönlichen Situationen ihre endgültig letzte Realisierung finden, zum Besseren und zum Schlechteren" (Ulimate Reality, 215; Unterstreichung U.L.-W.). Vgl. ebenso Sawyerr, Concept of Death, 33. Positiv als mächtigere Existenzweise wird das Leben nach dem Tod dargestellt bei I.C. Onyewueny: A Philosophical Reappraisal of African Belief in Reincarnation. In: Pr6sence Africaine 123,1982/3, 63-78. 188
S.o. das vorangehende Kapitel.
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"Begrenztheit" der afrikanischen Heilshoffnung hingewiesen werden. Sie wird besonders deutlich im Zusammenhang der Theodizeeproblematik. 189 Es gibt eine starke Meinung in der religionsgeschichtlichen Forschung, nach der es in traditionellen afrikanischen Religionen kein Theodizeeproblem gebe, weil die Existenz des Bösen allein in den Verantwortungsbreich des Menschen falle.190 Es wäre also Ergebnis menschlicher Realisierung durch Kanalisierung oder zumindest ihrer Unterlassung. Christian Gaba betont sehr die Bedeutung der Kanalisierung für die Erlösung nach afrikanischer Weltsicht: Der Mensch hat durch seine Entscheidungsfähigkeit die Aufgabe, Lebensbewahrung zu "realisieren". Mensch und Gott gehören darin eng zusammen, bei Gaba und fast allen westafrikanischen Autoren erkennbar an der starken Betonung einer "imago-dei"-Anthropologie: Es gibt einen göttlichen Teil im Menschen, der den Menschen vor seiner Entscheidung warnt, diese auch im gottgemäßen Sinne zu treffen. 191 Für die dann getroffene Entscheidung ist der Mensch allein verantwortlich. Wenn er sich also gegen die Lebensbewahrung entscheidet, realisiert er Lebensbedrohung, für die Gott nicht verantwortlich ist. Auch nach Harry Sawyerr ist Gott in den traditionellen Religionen nicht Verursacher des Bösen. Dennoch kann er entweder dem Bösen "erlauben" zu wirken oder sogar es versäumen, es in die Schranken zu weisen.192 Letztlich werde jedoch die zweite Möglichkeit auch auf die erste zurückgeführt. 193 Sawyerr kommt bei der Diskussion der Theodizeefrage schließlich auf zwei Grundzüge: Zum einen werden grundsätzlich alle Erfahrungen auf Gott zurückgeführt, also auch die Erfahrung des Bösen: "Sogar Krankheit und Tod sind Boten Gottes."194 Zum andern wird offenbar eine bestimmte "Ordnung" vorausgesetzt, innerhalb derer der Mensch sich zu bewegen hat. Wenn er gegen diese Ordnung verstößt, erfährt er
18Q Wie schon an anderen Stellen in dieser Darstellung afrikanischer Religiosität wird auch an diesem Punkt deutlich, daß Fragen und versuchte Anworten in diesem Kontext nicht unbedingt exklusiv afrikanisch sein müssen. 10fl · Vgl. z.B. Mbiti, Weltanschauung, 260; Sundermeier, Nur gemeinsam, 224; Rücker, "Afrikanische Theologie", 154. 191 Man's Salvation, 394; Well-Being, 138; Freedom, 52. (Die genauen Literaturangaben zu Gaba s.o., Teil I., C.4.b).) - Vgl. auch A.H. Bä: Aspects de la civisilation africaine. Paris 1972, 133/34: In den traditionellen Religionen im Gebiet des heutigen Mali war der Mond Symbol für die immer wiederkehrende Chance, sein Schicksal zu tragen und zu bestimmen, was individuell getan werden mußte und nicht etwa für den Nächsten stellvertretend.
^
Sawyerr, Creative Evangelism, 17/18.
^ Creative Evangelism, 18: "But on closer examination the origin of sickness and death is only indirectly attributed to God." ^
Creative Evangelism, 21.
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Böses. Dies läßt sich aus Sawyerrs Beispielen für die zweite Erklärung für den Ursprung des Bösen herauslesen: "Das Böse scheint mit der Verletzung der WeltOrdnung zusammenzuhängen."1®5 Der Mensch hat also seinen Kanalisierungsspielraum innerhalb dieser Ordnung zu nutzen, sonst erfährt er das Böse als "Boten Gottes", als Konsequenz der Kanalisierung gegen die Ordnung. Solange also die "Realisierungsmächtigkeit" des Menschen außer Frage steht, scheint es kein Theodizeeproblem in afrikanischen Religionen zu geben. Können aber wirklich alle Leiden als Vergehen gegen die Ordnung verstanden werden? Offensichtlich ist Christian Gaba mit dieser Frage beschäftigt, ohne sie jedoch zu stellen oder Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Er läßt seine Darstellung des Entscheidungsgebots des Menschen einmünden in das Problem der begrenzten Realisierungsfähigkeit des Menschen: Es gibt Situationen, in denen die Entscheidungsfreiheit des Menschen stark eingeschränkt ist. Diese Erfahrung werde auch in traditionellen afrikanischen Gesellschaften bewußt gemacht, und in afrikanischer Weltsicht sei der Mensch in diesen Situationen zumindest nicht verantwortlich für seine Handlungen. 196 Es gibt nämlich Bereiche, in denen der Mensch nicht mehr kanalisieren kann, sie sind "jenseits" des menschlichen Kontrollbereiches: "Dies sind die harten Fakten des Lebens."197 Im Vitalismus-Modell heißt das: Es gibt Kräfte, die außerhalb des Kontrollbereiches der Menschen liegen, d.h. die nicht direkt beeinflußt werden können. Es gibt sie nicht nur potentiell, sondern ganz real und lebensbedrohend. Für ein Versagen in diesen Bereichen sind weder Gott noch Mensch zur Verantwortung zu ziehen. Gott ist bei keinem afrikanischen christlichen Autor für lebensbedrohende Wirklichkeit verantwortlich - es sei denn als Provokation der Menschen, als heilende
195 Creative Evangelism, 21. S. auch Sawyerr: Sin and Salvation. Soteriology Viewed from the African Situation. In: Becken (Hrsg) 1973. 126-38. Sawyerr betont hier, daß afrikanische Religion durchaus einen Schuldbegriff hätte, der als Erlösung verhindernd aufgefaßt werde. - Vgl auch Gaba, Man's Salvation, 392: "It is unlawful for and, therefore, extremely dangerous to the well-being of a person who realizes that he is morally unhealthy but participates wilfully in this meal." ΊΟίί Freedom, 49: "Equally strong is the evidence that the individual is also exonerated at times from personal responsibility." - Insgesamt hat Gaba offenbar einen recht individualistischen Begriff von Entscheidungsfreiheit des Menschen, bei dem offenbar westafrikanischer Hintergrund deutlich wird. So betrachtet er z.B. geographische, historische oder traditionelle (heredity) Fakten als externe Faktoren. die die Entscheidungsfreiheit des einzelnen einschränken; Freedom, 51. Wir wollen uns hier bei der Analyse seines Ansatzes auf die Darstellung der Lebenswirklichkeit konzentrieren, das Problem des "freien Willens" ist dabei sekundär. 197 Freedom, 49: "The next moment the view is unequivocally expressed that man's behaviour is thrust upon him by forces external to him and beyond his controll. These are the hard facts of life, indeed the realities, that one fmds in the Anlo traditional society." 1978 in Man's Salvation gibt es noch eine Passage über den Glauben der Anlo an böse Geister, die durch bestimmte Riten in Schach gehalten werden müssen; Man's Salvation, 398. Jedoch geht Gaba nicht so weit, sie außerhalb des menschlichen Kontrollbereichs anzusiedeln.
105
Strafe sozusagen.198 Gabas
Argumentation verläuft an dieser Stelle kreisförmig
und mündet wieder in die These, für schlechtes Schicksal sei der Mensch allein verantwortlich, weil es nur Realität werde, wenn der Mensch dem warnenden göttlichen Gewissen nicht gehorche.
199
Wie er das tun kann in Situationen, in
denen er nicht "kontrollfähig" ist, sagt Gaba nicht. Überhaupt chrakterisiert er auch die "harten Fakten des Lebens" nicht näher.200 Eine Erklärungsmöglichkeit verbirgt sich in der Weise, in der Gaba hier den westafrikanischen Schicksalsbegriff heranzieht:201 Schicksal ist dem Menschen von Gott auferlegt, erfüllt sich aber erst in menschlicher Entscheidungsrealisierung. Im Schicksalsbegriff sieht Gaba die "unvermeidliche Spannung" 202 von einerseits menschlicher Entscheidungsfreiheit und andererseits Entscheidungszwang in eine vorgegebene Richtung.203 Die vorgegebene Richtung ist auferlegt von Gott, als Schicksal, aber nicht als Prädetermination, wie der Begriff "Schicksal" zumindest im Englischen verstanden werde.204 W i e nebenbei sagt Gaba für "destiny" auch "supernatural justice". Das läßt sich wiederum als implizites Reden von Gott als Ausrichtung des Gleichgewichts der Kräfte verstehen. Wenn es dem Menschen also nicht gelingt, heiles Leben zu realisieren, ohne daß er eine falsche (moralische) Entscheidung getroffen habe - so wird der Sinn in übernatürlicher Gerechtigkeit, im Ausgleich der Kräfte, im Schicksal liegen. Weder Gott noch Mensch sind schuldig für das Unglück. So stellt Klaus Nürnberger den Anlaß afrikanischen Redens von Gott dar. Lebensbdrohende Kräfte im Maß, Schicksal als "Welt-Ordnung" sind vom Gott des Gleichgewichts der Kräfte nicht zu trennen. A n dieser Stelle haben auch die Hinweise auf das Element der Furcht in afrikanischen Religionen ihren Ort. Klaus Nürnberger verbindet es mit dem Gottesbegriff und zieht die lutherische Rede vom "deus absconditus" zur Erklärung hinzu - was ein Anzeichen dafür sein kann,
198
S. bes. das Kapitel über Setiloane, Teil II, A . l .
199
Gaba, Well-Being, 138; Man's Salvation, 394.
200
J. O'Donohue nennt als ein Schlüsselelement der "Philosophie der Magie" das "Prinzip der Kausalität": "Magical systems (...), which postulate a personal cause behind every event, cannot accept the notion of 'accident'"; O'Donohue: Spirits and Magic - a critical look. Eldoret 1981,29.
201
Vgl. dazu Sundermeier, Nur gemeinsam, 227.
202 Freedom, 50: inevitable tension. 203 204
Ebda. Freedom, 51.
106
daß der Begriff von Gott als Gleichgewicht der Kräfte nicht nur in Afrika anzutreffen ist.205 Auch in der Arbeit von Rulange Rwenumbiza, der die Gottesvorstellung der Bantu als die eines liebenden und um die Menschen besorgten, väterlichen Gottes darstellt, kommen im Zusammenhang mit der Theodizeeproblematik Züge eines Gleichgewichts-Gottes zum Vorschein. So ist nach Rwenumbiza der Bantu-Gott zwar den Leidenden nahe, aber doch ist Leiden eine universale Erfahrung, die von Gott "erlaubt" wird und mit Geduld zu tragen ist.206 Das Mädchen in der Legende, das von Gott neue Zähne und neue Kleider bekommt, muß doch an den Ort seiner Unterdrückung durch die Stiefmutter zurückkehren. 207 Das Problem der Rechtfertigung Gottes für das Leiden und das Böse in der Welt, wie es die Theodizeefrage beschäftigt, greift hier in der Tat nicht, weil sie einen anderen Gottesbegriff voraussetzt: einen Gott, der nicht nur "im Prinzip" gerecht ist, sondern auch im Einzelfall. Die Gerechtigkeit Gottes in afrikanischen Religionen bezieht sich auf das kosmische und nicht so sehr auf das einzelne Leben.
Resümee Das Vitalismus-Modell zur Beschreibung afrikanischer Weltsicht gründet sich also in erster Linie auf die afrikanische Vorstellung von einer "wirkenden Wirklichkeit", durch die sich "Lebenswelt" im engeren Sinne gestaltet. Sie soll hier mit dem Terminus "Kräfte" erfaßt werden. Wir können nun die Vielfalt der Elemente in den traditionellen Religionen vor diesem Hintergrund zu verstehen versuchen und sagen: Mit Göttern, Geistern und Ahnen werden jeweils bestimmte Kräftekonstellationen, geordnet wirkende Wirklichkeitsteile, in unterschiedlicher Funktion für den Menschen erfahren. Sie sind Ausdruck einer dynamistischen Wirklichkeitserfahrung, deren Grundcharakteristikum sowohl das Beeinflussen als auch das Beeinflußt-Werden der einzelnen Teile dieser Wirklichkeit (Kräfte) ist, die in dieser Arbeit mit dem Terminus "Kanalisierung der Kräfte" bezeichnet wird. Als Teile der Wirklichkeit haben also die Menschen durchaus Einfluß auf den Vorgang der
205
Vgl. Nürnberger, Hidden God und Lösungsversuche. · Peter Sarpong macht den zweifelhaften Vorschlag, die Furcht als Plattform der Liebe zu verstehen und dieses Element der afrikanischen Religionen in christlicher Theologie nicht untergehen zu lassen; Sarpong: Christianity and Traditional African Religion. In: Best (Hrsg.) 1975,25-31; hier bes. 26-29. Rwenumbiza, Comparative Study, 117. 207 Comparative Study, 119. - Am ehesten im Verständnis von Gott als Gleichgewicht der Kräfte ist diese Äußerung zu verstehen:"He (God) has absolute right to give and to take back the gift with no one challenging him. Here it is uttered in a situation of suffering but it does not mean that the Bailado do not believe in the goodness and compassion of God who cares for their needs every day" (Comparative Study, 118).
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Konstellation der Kräfte und damit auf die Art, wie Wirklichkeit wirkt und als Welt Realität wird. Sie stehen dabei aber auch unter Einfluß ihrer jeweiligen Kräfteumwelt. Daher wird in den Religionen ein reziprokes Verhältnis zwischen Göttern und Menschen vorausgesetzt. Die "Ortsgebundenheit" der Götter ließe sich mit dieser dynamischen Interdependenz erklären. Konstruktion von Welt durch diese Kanalisierungsbewegung innerhalb des Kräftemeeres wird erfahren als ständiges konkret-Werden der Verbundenheit der Kräfte im Leben der Menschen. Welt ist ausschließlich für den Menschen relevante Kräftewirklichkeit, und afrikanische Weltsicht ist immer Ausdruck dieser existentiellen Perspektive. Das ist gemeint mit dem Begriff "afrikanischer Anthropozentrismus". Auch der anthropomorphe Grundzug in der Sprache afrikanischer Religionen gehört in diesen Zusammenhang. Die Wirklichkeitserfahrung der Menschen in dieser Weltsicht ist getragen von der Überzeugung, daß es innerhalb der Kanalisierungsbewegung eine Grundströmung gibt, in der die Kräfte sich stets im Gleichgewicht einander zuordnen können. Auch diese zählt in afrikanischer Weltsicht nur als in der Menschen-Welt konkretisierte. Sie ermöglicht dem Menschen Orientierung und lebenserhaltendes Gestalten von Welt. Sie wird konkretisiert im Bewahren der Tradition, die Kanalisierung in die Grundströmungsrichtung bedeutet. Dies ist der Ort sowohl der Ahnenverehrung als auch der Gestaltung sozialer Systeme. Damit ist auch die Vorstellung vergangenheitsgebundener Zukunft verbunden sein. In der Überzeugung von dieser grundsätzlichen Orientierungsmöglichkeit in der dynamistischen Wirklichkeit ist nun der Gottesbegriff der traditionellen afrikanischen Religionen verankert. Die Differenzen, die bei seiner Darstellung auftreten, resultieren aus dem Grundzug afrikanischer Weltsicht, der es nicht erlaubt, von der Verwirklichung der Kräfte unabhängig von menschlichen Kategorien zu reden. So kann Reden von Gott hier nur bedeuten: Reden von einer Orientierung bietenden Möglichkeit, die durch menschliches Engagement wirksam und im menschlichen Leben konkret wird. Genau das geschieht, wenn Afrikaner Gott in seinen "Manifestationen" - Götter, Geister oder Ahnen - verehren.208 Wenn man nun die Rede von der Orientierungsmöglichkeit isoliert von ihrer Verwirklichung, gelangt man zum Begriff des deus remotus, der sich entfernt hat und die Welt sich selbst überläßt. Betont man hingegen den Vorgang der Verwirklichung, erscheint die Rede von Gott in rein anthropologischen Kategorien. Wenn man betonen will, daß ohne diese potentielle Grundströmung lebensbewahrende Welt nicht möglich
2Ω8
Vielleicht darf man auch linguistische Befunde in diesem Sinne interpretieren, s. z.B.: "When Mulungu definitely designates the Supreme Being it has no plural form; it is then a proper name. But when it refers to the ancestral spirit it is a class-name and has a plural."(Smith, God, 60) In den Ahnen (der Tradition der Gemeinschaft) wird durchaus Göttliches erfahren. - Ähnlich auch p'Bitek über "Jok" der Central-Luo, s. Western Scholarship, 70/71.
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wäre, kann man das ausdrücken, indem man von einem souveränen Gott spricht. Wenn man das Orientierungsmuster, das Gleichgewicht der Kräfte, betonen will, kann man vom belohnenden und strafenden Gott und von seiner Beziehung zu den Ahnen sprechen. Wenn die Begrenztheit des menschlichen Kanalisierungshorizontes im Vordergrund steht, wird die Orientierungsmöglichkeit als unberechenbarer Schicksalsgott (Nürnberger) erfahren. Alle diese Redeweisen finden sich nicht nur in der religionsgeschichtlichen Literatur über die afrikanischen Religionen, sondern schon in diesen Religionen selbst, in unterschiedlicher Zahl und Intensität.209 Alle diese Redeweisen sind jedoch falsch interpretiert, wenn - in der Sprache des Vitalismus-Modells - Gott als eine zusätzliche, oberste Kraft verstanden wird.210 In der Tiefenstruktur afrikanischer Religionen findet sich ein Gottesbegriff, der sich weniger mit Begriffen umschreiben läßt, die etwas Substanzielles beschreiben, als mit solchen, die eine Qualität oder eine Bewegung meinen: Potenz oder Tendenz zum Gleichgewicht der Kräfte. 211 In dieser Abstraktion jedoch kommt Gott nicht zur Sprache, sondern relevant im Leben wird er als Erfahrung gelingender Lebensbewahrung (z.B. bei langersehntem Regen), als Achtung der traditionellen Ordnung (Ahnenverehrung) oder auch als Strafer und Warnung vor drohendem Ungleichgewicht durch Unordnung (Mißgeschick, das mit Störung sozialer Beziehungen in Zusammenhang gebracht wird).212 Okot p'Bitek wehrt sich besonders dagegen, afrikanischen Völkern den Begriff eines "allwissenden" und "allmächtigen" Gottes zuzuschreiben. In der Sprache unseres Modells stünde ein solcher Gott außerhalb des Kräftemeers, und dies empfindet p'Bitek als nicht-afrikanisch.213
209
Vgl. z.B. Shorters Beispiele in Bürkle (Hrsg.) 1968, 23-33; hier 30: "Für die Dogon und die Fon in Dahomey ist Gott das Prinzip der Dualität in der Schöpfung. Die Dinka und die Nuer des Sudans sehen das göttliche Wesen in der Vielfältigkeit menschlicher Erfahrungen und Beziehungen. Die Akan erkennen Gott in dem einzigartigen Charakter und in den Begabungen des Individuums." 210 Dies ist offensichtlich im Falle der Luo-Religion am deutlichsten zu sehen, daher p'Biteks Kritik an einer Interpretation, die - Tempels folgend - einen Ober-Jok" (Geist) als Gott annimmt; vgl. p'Bitek, Central Luo, 55f. Es ist durchaus möglich, daß p'Bitek recht hat, wenn er behauptet, der Begriff des Supreme Being sei aus christlicher Theologie in afrikanische Religionen hineingetragen worden. 211 Der Vorrang der Vorstellung von Energie vor der von Substanz ist bestimmend in dieser Denkstruktur und gilt nicht nur für Gott. Vgl. Nyom, Beitrag, 64, der diesen afrikanischen Dynamismus absetzt vom Neuplatonismus: "Von daher erklärt sich die Bedeutung des Faktors Kraft, Dynamismus im religiösen und philosophischen Denken der Bantu; was man in jedem Geschöpf begreift, das ist weniger Substanz als Ausdruck seiner Kraft, seiner wohlwollenden oder übelwollenden Macht, weniger sein Sein als sein Werden." 212 Manche Autoren betonen deshalb, afrikanischer Gottesbegriff sei nicht personal: s.u. das Kapitel über Setiloane, Teil ΙΙ.,Α.1. 213 Vgl. p'Bitek, Western Scholarship, 79: "It is clear from the above summery that jok is not one thing but many and different things or powers. Claims that jok is the Supreme Being do not seem to be based on any concrete evidence, and must be rejected"; weiterhin ebda, 88: "African peoples may
109
In diesen Weisen des Redens von Gott als Reden von der zu verwirklichenden Lebensmöglichkeit steckt nun immer auch ein Reden von deren NichtVerwirklichung. Wenn lebensermöglichende Orientierung im Kräftemeer in der Tendenz zum Gleichgewicht der Kräfte liegt - dann bedeutet eine ungleichgewichtige Verwirklichung der Kräfte Lebensbedrohung, Zerstörung oder gar Tod. Dies ist in den Religionen der Ort für Hexen, Zauberer und böse Geister. In der hier referierten religionswissenschaftlichen Literatur kommt diese Seite afrikanischer Weltsicht in unterschiedlicher Weise zur Sprache: Nürnberger und Sundermeier versuchen, die grundsätzlich in beide Richtungen mögliche Verwirklichung der Kräfte zu betonen, indem sie sagen, die Kräfte selbst seien "ethisch neutral" und im Prinzip eher als nützlich oder schädlich zu bezeichnen. In welche Richtung sie nützlich oder schädlich werden, erweist sich erst in der verwirklichenden Kanalisierung unter Beteiligung der Menschen.214 Rückers Theorie von den zwei Polen der Wirklichkeitserfahrung und Sundermeiers Darstellung afrikanischer Lebenserfahrung als "dual" sind weitere Versuche der Darstellung dieses Phänomens.215 In beiden Modellen wird großer Wert auf die Funktion der Kanalisierung gelegt, und beide wollen die afrikanischen Religionen nicht als dualistisch erscheinen lassen. Sie wollen zeigen, daß die Möglichkeit der Lebensbedrohung der der Lebensbewahrung immanent ist und nicht etwa eine gleichwertige Alternative.216 Schon der Begriff des Gleichgewichts der Kräfte bedeutet ja gerade ein Miteinander von Bewahrung und Bedrohung. Lebensbewahrung wird also als Überleben in gedrosselter, maßvoller Lebensbedrohung gesehen. In den Religionen findet sich das im Reden von der Überlegenheit Gottes über die bösen Geister, das jedoch wiederum nicht unabhängig gesehen werden darf von Riten und Lebensformen zur Bewahrung des Lebens und Abwehr der Lebensbedrohung. Lebensbewahrung geschieht durch die Wahrnehmung der Chance ständiger Produktion von Kräftegleichgewicht gegen Übergewicht, d.h. gegen die Übermacht des Lebensbedrohlichen. Von Gott reden heißt also, von der Möglichkeit und der Herstellung dieses Gleichgewichts reden. Theologisch gesehen ist dieses Reden von Gott ein Reden von Gottes Schöpfung, wobei mit Schöpfung beides, Möglichkeit und Prozeß der Realisierung von lebensbewahrender Welt, gemeint ist.217 Offenbar bietet die sodescribe their deities as 'strong' but not 'omnipotent'; 'wise', not 'omniscient' (...) . The Greek metaphysical terms are meaningsless in African thinking." Ebenso Central Luo, 85. ^ ^ S.o., Teil I., C.2. Ähnlich, doch unklarer ist auch Okafors Theorie von der Aura der Phänomene, s.o., Teil I., B.2.b). 215
ft
S.o., Teil I., B.2.b). Literatur dazu: vgl. Rücker, "Afrikanische Theologie", 129, Anm. 12; s. auch Nyom, Beitrag, 65.
217
Es ist interessant, daß auch neuere ökologisch ausgerichtete Theologie in Europa und Amerika diesen Schöpfungsbegriff wieder zu entdecken scheint; vgl. z.B. Gerhard Liedke: Im Bauch des Fisches. Stuttgart 1979, 99: Schöpfung ist "der Begriff von der Bedingung der Möglichkeit von Lebens-
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genannte "natürliche Theologie" die Möglichkeit, diesen schöpfungstheologischen Grundzug afrikanischer Weltsicht zu erhalten. Anselme T. Sanon stellt den Prozeß der Realisierung von lebensbewahrender Welt dar als Zusammenwirken von suchendem "Geist" und Antwort Gottes, die deutlich werde an den "vielfachen Zeichen wiedergefundener Harmonie, (...) regelmäßigen Rhythmen unserer alten Gesellschaften, (...) ihr(em) Überleben trotz vieler Widrigkeiten (...)".218 Geist und Antwort Gottes gehören zusammen wie garantierte Möglichkeit und Realisierung von Gleichgewicht.219 In Afrika wird Bewahrung des Lebens verbunden mit bestimmten Konstanten, die wir nun als die von Aylward Shorter herausgearbeiteten "Leitmotive" beschreiben können: Schöpfung geschieht unter Wahrung der Tradition ("Memorial"), in Kanalisierung der Kräfte ("Co-Creativity") nach dem Maßstab der Lebensbewahrung ("Judgement") in der kulturellen (Stammes-) Gemeinschaft ("Whole Community").220 Dies sind die Konstanten des "Gleichgewichts der Kräfte", dem innersten Wesen des Schöpfungswortes Gottes in Afrika.
bewahrung", d.h. das "Grundgeschehen der Lebensbewahrung". Liedke arbeitet in diesem Buch mit den Ergebnissen aus Claus Westermanns Genesis-Kommentar. Vgl. weiterhin sogar Karl Barths Kapitel mit der "Lichterlehre" in KD IV sowie auch Grundzüge der amerikanischen Prozeßphüosophie, vgl. M. Welker: Universalität Gottes und Relativität der Welt. Neukirchen 1981. 218
A. Sanon, Spiritualität, 29-30.
219
S. ebda, 30: "Das Gleichgewicht, der Friede in der gesellschaftlichen Gerechtigkeit, (...) sollte dies alles nichts zu tun haben mit der Gabe Gottes, die der Friede Gottes ist für alle jene Menschen, die, wenn auch tastend, seinen Willen auf Erden suchen?" Vgl. auch Nyom, Beitrag, 64: "Es ist also nicht mehr die Welt, die Gott als Stütze dient, vielmehr ist es Gott, der der Welt als Stütze dient." 220
Vgl. Shorter, African Theology, 111-29.
Ill
TEIL II: Reden von Gott in afrikanischer Theologie A. Reden von Gott als ständige Realisierung von Gleichgewicht als Modus der Schöpfung Einleitung Die drei Ansätze, die in diesem Kapitel vorgestellt werden sollen, beziehen sich in ihrem Reden von Gott ausdrücklich auf die afrikanische Weltsicht. Besonders Setiloane und Kibicho betonen dabei die traditionelle Gottesvorstellung und halten sie der abendländisch-geprägten entgegen, die die Missionare nach Afrika gebracht hätten. Dabei heben sie das afrikanische Reden von Gottes umfassender Einheit der Wirklichkeit hervor, die sie im Reden von Gott der Missionare vermissen. Die Rede von Gott als Einheit der Wirklichkeit verbindet sich bei den hier vorgestellten Ansätzen mit einer Rede von Gott als Gleichgewicht der Kräfte, durch das das Leben vor dem Untergang bewahrt wird. Die drei hier vorgestellten Ansätze weisen gleichermaßen einen impliziten Vitalismus als Würdigung des Gleichgewichts auf. Setiloane spricht in diesem Sinne von Gott als Hüter der Gerechtigkeit, Bimwenyi führt den Charakter der Interdependenz der Schöpfung darauf zurück und Kibicho sieht schließlich in der Ordnung der Schöpfung den Grund des Heils. Diese Ansätze müssen vor dem Hintergrund der Lebendigkeit von "Diskontinuitäts-Theologien" in Afrika gesehen werden, in denen eine Verbindung von christlicher Theologie und afrikanischen Religionen grundsätzlich abgelehnt wird. Als ein Beispiel für diesen Hintergrund geht zum Abschluß dieses Kapitels ein Exkurs auf die evangelikale Theologie des Nigerianers Tokunboh Adeyemo ein. Diskontinuitäts-Theologien sind eher an einer Soteriologie interessiert und weniger an einer Schöpfungstheologie, die an der Erfahrung von Gottes Einheit anknüpft. Entsprechend benutzt und mißbraucht sie die Christologie, um von Gott als selektierendem Erwähler in einer dualistischen Wirklichkeit zu reden. Auch in diesen Soteriologien finden Heil und Gottes Größe im Gleichgewicht ihre Grenzen.
1. Gabriel Setiloane: Gott als Einheit in der ausgleichenden Gerechtigkeit Einleitung Der südafrikanische Methodist Gabriel M. Setiloane stellt sich in der Darstellung der afrikanischen Weltsicht ebenfalls in die Tradition von Placide Tempels. In seinen Arbeiten versucht er insbesondere, die afrikanische Gottesvorstellung zu ana-
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lysieren.1 In seiner Hauptthese will er die traditionelle Gottesvorstellung der Afrikaner für das afrikanische Christentum als relevant zeigen: Die christliche Botschaft, die - so zeigt Setiloane am Beispiel des Bantu-Volkes der Sotho-Tswana - in abendländischem Gewand nach Afrika gelangte, habe mit ihrem europäischen Gott den afrikanischen Gotteserfahrungen nicht entsprechen können. Daher habe sich die traditionelle Gottesvorstellung auch durch die christliche Verkündigung hindurch gehalten. Diese entspreche viel eher dem Gottesbild in der Bibel, Jahwe, als der von den Missionaren verkündete. Die ökumenische Aufgabe der afrikanischen Christen bestehe jetzt darin, die abendländische Art, von Gott zu reden, ihrer kulturellen Geprägtheit zu entkleiden und deutlich zu machen, daß der von den afrikanischen Christen aus den Religionen bekannte Gott der der ganzen Menschheit sei. Die Rede von Gott unter den afrikanischen Christen habe die eigene kulturelle Partialität (Beschränkung auf den Stamm) überwunden - und darum sei sie wirklich christlich -, ohne die Gebundenheit an die abendländische Kultur von den Missionaren zu übernehmen. Das mache sie ökumenisch wertvoll. Im folgenden soll gezeigt werden, wie Setiloane den afrikanischen Gottesbegriff als Bestandteil der afrikanischen Weltsicht und dennoch als universal gültig beschreibt.
^ Vgl. folgende Texte von Setiloane: - God of my Fathers and my God. In: South African Outlook, Oct. 1970, 157-61; hier zitiert als: God. - Black Theology. In: South African Outlook, Feb. 1971, 2830; hier zitiert als: Black Theology. - Ukubuyisa. In: South African Outlook, Mar.1973, 36-41; hier zitiert als: Ukubuvisa. - M O D I M O : God Among the Sotho-Tswana. In: JThSA, Heft 4 , 1 9 7 3 , 6 - 1 7 ( = Kapitel 6 aus Image; hier jeweils zitiert aus Image). - Ich bin ein Afrikaner. In: Potter (Hrsg.) 1973, 134-36; hier zitiert als: Ich bin ein Afrikaner. (Andere Veröffentlichungen dieses Gedichts s. Literaturverzeichnis). Confessing Christ Today. From one African Perspective: Man and Community. In: JThSA, Heft 12, 1975,29-38; hier zitiert als: Confessing. (Dt. erschienen als: Christus heute bekennen. Aus der afrikanischen Sicht von Mensch und Gemeinschaft. In: ZMiss 11, 1976, 2132. - The Image of God Among the Sotho-Tswana. Rotterdam 1976 (Dissertation); hier zitiert als: Image. - How the Traditional World-View Persists in the Christianity of the Sotho-Tswana. In: Fashol6-Luke u.a.(Hrsg.) 1978, 402-12; hier zitiert als: Traditional World-View. - Where Are We in African Theology? In: A T h J 8, 1979, 7-14; hier zitiert als: Where Are We. - Theological Trends in Africa. In: Missionalia 8, 1980, 47-53; hier zitiert als: Theological Trends. - Art. Afrikanische Theologie. In: Müller / Sundermeier (Hrsg.) 1987, 7-16; hier zitiert als: Afrikanische Theologie. Der Gott meiner Väter und mein Gott. Afrikanische Theologie im Kontext der Apartheid. Wuppertal 1988; hier zitiert als: Gott meiner Väter. - Deutlich Setiloanes Handschrift trägt auch der auf der Faith-and-Order-Konferenz 1974 in Accra entstandene Text über die "Herausforderungen der christlichen Hoffnung" durch das afrikanische Christentum. (Orig.: The Christian Hope Challenged. 1. The Challenge of African Christianity. In: Uniting Hope. Accra 1974. Faith and Order Paper No.72. Genf 1975, 33/34.) Man kann ihn geradezu als Kurzfassung der Theologie Setiloanes lesen. Setiloane selbst zitiert ihn auch mehrmals in Traditional World-View. Laut Teilnehmerliste der Dokumentation über die Konferenz war er als Berater anwesend (S. Accra 1974. Faith and Order Paper No.71. Genf 1974, 11.). Vgl.dt.: - Die Herausforderung durch das afrikanische Christentum. In: Moltmann / Vischer (Hrsg.) 1975,21-27; hier zitiert als: Herausforderung.
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a) Die Gemeinschaft als Manifestation von Gottes Einheit Das Hauptcharakteristikum der afrikanischen Weltsicht ist nach Setiloane die "Überzeugung" von der Eingebundenheit des Einzelnen in die Gemeinschaft.2 Die Welt setzt sich zusammen aus vielen miteinander verbundenen Lebenskräften Setiloane bedient sich der Terminologie aus der Dynamismus-Theorie. "Community" und "relationship" sind die Kernbegriffe dieser Art der Welterklärung. Sie werden von Setiloane in erster Linie in ihrer anthropologischen Bedeutung hervorgehoben: Der Afrikaner fühlt sich zuerst als Gemeinschaftswesen, und Gemeinschaft meint nicht nur die Gesellschaft, in der er lebt, sondern auch die durch die Vorfahren ("badimo") repräsentierte Tradition.3 Dies ist das Thema des Aufsatzes "Ukubuyisa". Ukubuyisa ist ein Bantu-Wort für den Trauerritus, in dem Verstorbene als Ahnen in die Gemeinschaft neu integriert werden. Setiloane plädiert in seinem Aufsatz dafür, diesen Ritus nicht nur religionswissenschaftlich zu sehen, sondern ihn theologisch als Gottesdienst zu bezeichnen.4 Dies weist darauf hin, daß die vitalistische Schlüsselfunktion der kommunalen Traditionsbewahrung theologische Relevanz für das Reden von Gott zugesprochen wird.5 Die Initiation der Verstorbenen in die Gemeinschaft der Ahnen kann als ein Kanalisierungsvorgang zur Festigung des gemeinschaftlichen Lebens bezeichnet werden. Sie zu vollziehen heißt, Gott zu ehren und ihm gemäß Leben zu gestalten. Die Gemeinschaft aus Lebenden und Verstorbenen, die u.a. in einem solchen Initiationsritus Realität wird, ist eine Gemeinschaft, in der sich die Einheit Gottes als Einheit der Menschen realisiert. In diesem Sinn ist der Initiationsritus ein performativ wirkendes Symbol der Einheit Gottes. Die Orientierung in dem "Meer von Kräften" wird für den Afrikaner gesichert durch die - bewußte oder unbewußte6 - Einsicht, daß die Kräfte nur in Verbundenheit miteinander und in Kontinuität bestehen. Wenn man will, kann man das "afri-
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God, 158/59; Image, 224 und passim; Confessing, passim; Herausforderung, 22/23; Afrikanische Theologie, 11; Gott meiner Väter, 30-33 und 64/65. Vgl. bes. Image, 64-76. - S. dazu auch Nürnberger, Hochgott, 155: Ein von den Lebenden vergessener Verstorbener "fällt (...) aus der Kontinuität heraus in die Abgründe des dyn am istischen Alls. E r ist verloren, denn heilvolles Sein gibt es nur im Kraftfeld der Geschlechterfolge. Und doch ist er nicht ein Nichts, das man einfach ignorieren könnte. E r wird gewissermaßen zu einem heimatlosen, umherirrenden Kraftsplitter, der unberechenbar auf seinen früheren Habitus zurücktendiert und unter seinen Angehörigen Unheimliches und Unheilvolles anrichtet." 4
Ukubuyisa, 36 und 37.
S.o., I.C.2. und 4.a). Vgl. auch Nürnberger, Hochgott, 154-58 und 169/70, über den "Machtstrom des Geschlechts".
5
® Confessing, 34.
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kanischen Optimismus" nennen.7 Der Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum jedenfalls hat daher existentielle Bedeutung - auch wenn Menschen sterben müssen, um der Gemeinschaft den Vorrang zu gewähren.8 Die Störung der Harmonie bedroht das Ganze, und eine Ethik, die auf "Gelassenheit" aus ist, verhindert das Erstarken der Mächtigen auf Kosten der Schwachen.9 Vielleicht kann man sagen, daß sich auch die Afrikaner in der Welt der Stammesreligionen mindestens "unbewußt bewußt" waren, daß ihre Überzeugung von der Möglichkeit, sich in diesem Kräftemeer zu orientieren, nicht selbstverständlich ist: vielleicht sprechen sie aus diesem Bewußtsein heraus von "Modimo", dem hinter allem stehenden Gott, wie Setiloane es darstellt.10 Denn "Modimo" ist in dieser Darstellung eben nicht der "Schöpfer", der sich nach dem Schöpfungswerk zurückgezogen hat, wie Edwin Smith den afrikanischen Hochgott ja als "deus remotus" beschrieben hatte. Vielmehr ist Modimos Schöpfungswerk nie abgeschlossen.11 Schöpfung der Welt ist Schaffung von Orientierungsmöglichkeit im Kräftemeer, und diese geschieht ständig. Die Theologie afrikanischer Religionen ist Kosmologie, sagt Setiloane.12 Vielleicht ist sie noch besser als Theogonie zu bezeichnen. Dies jedenfalls legen Setiloanes Ausführungen zum Gottesbegriff nahe.
η
Vgl. Rücker, "Afrikanische Theologie", 130/31, inkl. Anm. 14. Setiloane sieht in der wachzuhaltenden Erinnerung an die "Wurzeln", die die Afrikanische Theologie gegenüber der Schwarzen Theologie besonders betont, eine wichtige Quelle der Hoffnung für Schwarze, "weil sie von der Voraussetzung ausgeht, daß eine Zeit kommen wird und vielleicht schon gekommen ist, in der die Schwarzen den Gang der Dinge auf diesem Subkontinent beeinflussen werden.", Gott meiner Väter, 67. Q Confessing, 31, Anm. 5: Setiloane weist auf den 1958 erschienenen Roman des Nigerianers Chinua Achebe "Things Fall Apart" (Neuste dt. Übersetzung: Okonkwo oder Das Alte stürzt. Frankfurt 1983) hin, "where the chief character succumbs to his solidarity to the group and kills a young man he had raised and loved (...)". Allerdings erwähnt Setiloane nicht, daß Achebe mit diesem Roman besonders die problematischen Seiten des afrikanischen Normen- und Gemeinschaftsdenkens aufzeigt. Durch die liebevoll-solidarische und dadurch sehr glaubwürdige Art der Darstellung gelingt dies Achebe in eindrucksvoller Weise, und es ist daher um so verwunderlicher, daß Setiloane diesen Hauptzug des Buches unerwähnt läßt. - Vgl. auch Setiloane, Image, 226: Die Ahnen halten Menschen "in a relationship which they have not willed and, even if they wished, cannot escape." ο Gott meiner Väter, 97-109, hier z.B. 100: "Wer Macht, Ansehen, Autorität oder was auch immer genießt, kann seine Reichtümer, seinen Erfolg und das, was er hat, nur mit der Zustimmung und dem Segen des armen, einfachen Mitmenschen bewahren." Vgl. z.B. Ukubuyisa, 41: "He works wether man, proud of his own meagre achievement is aware of it or not, and the rich fools of this life he catches in the blindness of their folly." ^ Vgl. z.B. Setiloanes Vorsicht gegenüber der Bezeichnung "Schöpfer" für "Modimo", die er für christlich-abendländisch "gefärbt" hält: Image, 79. S. auch Image, 81, ähnlich auch in Herausforderung, 22: "Was in anderen Traditionen 'Schöpfung' genannt wird, wird hier als Gottes leben-gebende Tat durch die Kraft seines alles durchdringenden, allgegenwärtigen Geistes gesehen. Jede Geburt eines Menschen ist eine neue Darstellung, ein neues Offenbarwerden jener ursprünglichen Tat Gottes." 12
Ukubuyisa, 36.
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b) Gott als zeitlose Einheit des Gleichgewichts der Kräfte Die afrikanische Gottesvorstellung - so Setiloane - ist nicht die von einem persönlichen Schöpfer, der am Anfang der Geschichte die Welt und all ihre Kräfte geschaffen hat. Sie spricht vielmehr von "Modimo" ebenso dynamistisch wie von der Welt und dem Menschen in seiner Verbundenheit mit der Gemeinschaft: Das "Meer von Kräften" geht zurück auf eine "dynamic force behind all being".13 Sie ist die "Quelle allen Lebens" 14 oder auch: der "Möglichmacher" allen Lebens 15 . Wenn in dieser Weltsicht von Schöpfung gesprochen wird, dann nicht im linear-zeitlichen Sinne. "Modimo" als Quelle, als Lebensstrom ist zeitlos16 und alles Lebensmögliche in dieser Zeitlosigkeit umfassend17. Darin besteht die Kontinuität des Lebens: in diesem zeitlosen Lebensstrom, der alles umfaßt und der nicht in den Grenzen der von Menschen erlebbaren Welt aufgeht.18 Darum ist er "überall und in allem enthalten" und dennoch "der ganz andere". 19 Den Begriff des "Andersseins" Gottes hat Setiloane offensichtlich von Rudolf Otto, an den er sich sehr anlehnt. Das "Anderssein" Gottes ist hier das Unverstandene in der Erfahrung des "Mysteriums", das noch nicht in die rationalisierbare partielle Erfahrungsperspektive der
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Ukubuyisa, 36; Image, 224; Herausforderung, 21. 14
Image, 80/81.
15
Image, 81.
^ Image, 81: "MODIMO is motlhodi, the source, originating in unrecorded time, of the stream of life which flows into the indeterminate future and is ever returning to its source." 17
Image, 81: "Men and animals already existed in the bowels of the earth (of their temporal origins no questions are asked). M O D I M O enabled them (as he enables all events) to emerge on its surface." Weiter Image, 83: "Although, to use western terms, it is difficult to describe this as a pantheist view, it may well be panentheist." - Mit diesen Zitaten wird erkennbar, was Rücker ("Afrikanische Theologie, 102/03 ) meint, wenn er die dynamistischen Interpretationen der afrikanischen Weltsicht als "neuplatonisch beeinflußte Versuche" bezeichnet. Sicher würde er auch folgende Formulierung Setiloanes hier einordnen: "Zum Beipsiel wird die hebräische Ausdrucksweise, daß 'Gott dem ersten Menschen seinen Atem einhauchte', von uns so aufgefaßt, daß es unser Verständnis (...) bestätigt, d.h. daß etwas von Gott in dem Menschen ist (...)" (Unterstreichung U.L.-W.); Herausforderung, 22, ebenso Gott meiner Väter, 42. Leider geht Rücker nicht weiter auf seine Charakterisierung ein. Die Ähnlichkeiten zum neuplatonischen Denken bei Setiloane sind offensichtlich. Die Frage ist allerdings, ob sie wirklich aufgrund eines neuplatonischen "Einflusses" entstanden sind oder ob sie nicht vielmehr aus dem grundsätzlich eher holistischen Denken kommen, das Setiloane eben mit bestimmten Aspekten des Neuplatonismus' gemeinsam hat. Auf jeden Fall wird man den Neuplatonismus nicht mehr als typisch dualistisches Denkmodell verstehen dürfen, wie es z.B. Stephen Okafor in seiner Analyse westlichen Denkens tut; s.o., Teil I.,B.2.b) und u., Teil II., C.l. 18
Image, 82/83.
^ Image, 82/83 Vgl. auch Gott meiner Väter, 61: Gott ist niemals außerhalb der Schöpfung und doch auch transzendent.
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Weltgestaltung integriert ist.20 Weil Gott die ganze Wirklichkeit umfaßt, hat er eine alle Erfahrungsgrenzen sprengende Größe. Darum ist die Verehrung durch die Menschen, so Setiloane, respektvoll zurückhaltend.21 Und auch aus eben diesem Grund ist ihnen die Vorstellung von diesem Lebensfluß als etwas Persönlichem - wie es die christlichen Missionare ihnen vorschlugen, als sie "Modimo" einfach mit ihrer Gottesvorstellung verbanden - befremdlich. Setiloane übersetzt das grammatische Geschlecht, in dem "Modimo" in den Bantu-Sprachen ausgedrückt wird, ins Neutrum,22um klarzumachen, daß "Modimo" auf keinen Fall in weltlicher Begrenztheit gedacht wird.23 "Modimo" hat "agents" und "Manifestationen", aber Setiloane sagt auch, daß Afrikaner auch vom direkten Eingreifen Modimos sprechen können.24 Am ehesten scheint jedoch die Gotteserfahrung in der Erfahrung der Gemeinschaft mit den Ahnen faßbar zu werden. Jedoch will Setiloane Gott und Ahnen nicht gleichgesetzt wissen. Ahnen sind "Leute Modimos", aber sie werden nicht angebetet, und Gott steht über ihnen, bzw. umgreift sie.25 Das weist wiederum auf die zentrale Funktion der Traditionsbewahrung im afrikanischen Denken hin. Die Lebensquelle "Modimo" steht über aller Erfahrung und ragt doch in sie hinein. Sie umfaßt alle Kräfte, d.h. nicht nur lebensbewahrende, sondern auch zerstörende
20
Vgl. R. Otto: Das Heilige. Uber das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Neuausg. München 1963, 28-37, hier bes. 31. Zu Setiloanes Verweis auf Rudolf Otto s. auch u., Anm. 34 dieses Kapitels. 21 Image, 85 und passim; God, 157. 22
Image, 77; Confessing, 30, Anm. 2; Afrikanische Theologie, 12. - Vgl. auch Nürnberger, Hidden God, 22 incl. Anm. 3 (Lit.); Häselbarth, Auferstehung, 133. 23 Vgl. Image, 77: "It is to say that, while humanity is a sufficient analogy for the understanding of 'badimo' ( = Ahnen, U.L.-W.), it is wholly inadequate in the case of MODIMO." Daher nennen Afrikaner ihren Gott eher "Monster", um seine überlegene Größe auszusagen. (Auch in Ruhmesformeln für Häuptlinge werde diese Bezeichnung gewählt.) Setiloane sieht Parallelen in R. Ottos Kategorie des "Ungeheuren" bzw. im "mysterium tremendum et fascinans" (Image, 83-86). Obwohl er den Personbegriff offenbar als anthropozentrisch ablehnt, zieht er doch gern den Personbegriff Martin Bubers heran und läßt sich z.B. zu dieser Formulierung hinreißen: "The eternal I creates in relationship a plurality of thous" (Image, 226; Buber-Erwähnung ebda, 225, und Confessing, 38). Offenbar überwiegen in der Ablehnung des Personbegriffes die Furcht vor Anthropomorphismus, in der Annäherung die Sympathie mit dem Relationen-Denken. Vgl. auch Confessing, 31: "The African (...) person is a dynamic concept, understanding the human person as if it were a magnet, creating with other persons a complex field." Hingegen sei der Personbegriff im griechisch-römischen Denken individualistisch und offenbar statisch:"(...) a self-directing, self-determining, closed unit" (ebda, 31). ^ Image, 226: agents; ebda, 80: manifestations; ebda, 83: direktes Handeln "Modimos". 25
S. bes. Image, 64-76 und 83; auch Ukubuyisa, 37 und 41; Traditional World-View, 406-07, bes. 407 Mitte; Afrikanische Theologie, 11: Ahnen sind "Leute Modimos (...), Übermittler von Modimos Wesen, Energie, Lebenskraft (...)." Vgl. ebda, 16: keine Ahnen-Anbetung! - In God, 157:"(...) he is even above the ancestors (...)."; Gott meiner Väter, 42.
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Kräfte. 26 Dennoch meint wohl gerade die Rede von einem "Es", das alles umfaßt, daß mit der Konstatierung der "Ganzheit" der umfaßten Kräfte noch nicht alles gesagt ist: Kontinuität und Möglichkeit der Einordnung in die Gemeinschaft besteht nur deshalb, weil die Quelle aller Kräfte in ihrem Lebensstrom zumindest nach "Gleichgewicht der Kräfte" strebt. Darum kann auch menschliche Erfahrung selbst die von unterdrückten Schwarzen (in Amerika) - nicht ausschließlich leidvoll sein.27 Setiloane schreibt: "Modimo" werde "berührt" (affected) von Unordnung, und "fordert, daß der Mensch - entweder durch Riten oder andere Handlungen die Ordnung wiederherstellt, wenn er sie zerstört hat."28 Von diesem Credo sieht sich Setiloane auch in der südafrikanischen Gegenwart getragen: Selbst wenn es so aussähe, als sei Gott auf der Seite der Unterdrücker, so diene diese Drangsal doch letztlich dazu, eine "Sitzung des Heilens" herbeizuführen, durch die allein die Wiederherstellung der Menschlichkeit der ganzen Gemeinschaft geschehen könne.29 Daher kann "Modimo" auch bezeichnet werden als "Hüter der Gerechtigkeit".30 Wegen der Verwobenheit der Kräfte wird nicht nur "Modimo" so, sondern jeder einzelne Teil dieses Kräftemeeres von Unordnung berührt. Für den Menschen bedeutet das, daß es kein nur individuelles Leiden gibt. Setiloane beschreibt die für die Sotho-Tswana typische Art, Unglück zu erfahren: das sotho-tswanische Wort für Krankheit meine nicht Leiden eines einzelnen Menschen, sondern zerstört die Harmonie, und d.h. das Gleichgewicht, der Gemeinschaft.31 "Modimo" ist die Quelle der Ausrichtung von Gleichgewicht. Darum auch kann man von ihm sagen, daß er Gutes für die Menschheit wolle, und ihn in Verbindung bringen mit ΛιΤ
Image, 57: "maleficent forces".
27
Black Theology, 30: "But, the sufferings of the black are not 'all' and 'only1 his 'experience'. Even in the United States (...) the other side of Black American experience of God is patent. The (xaira) joy and celebration of faith that comes through in their song from 'Satchmo' to 'We shall overcome', the humour and general unattachedness to the transitoriness of life which can only come through a knowing, out of practical living, that our real citizenship denied us, and violently contested by here 'is in heaven' whatever we understand by that." 2Ä
Image, 82/83; Hinweis auf Ritus bzw. "in Sotho-Tswana terms it would be better to say, the therapeutic specialists" s. ebda, 57: Aufgrund ihrer besonderen Beziehung zu den Ahnen "they can call upon the unfailing sources of order to restore what evil has destroyed." 2q Gott meiner Väter, 108/09; s. dort weiter, 109: "Nur dann wird das Unheimliche, das mystenum tremendum, (...) seine Macht über uns und das Land freigeben (...). Erst dann werden wir das ersehnte fascinans Gottes erfahren und verstehen können, was mit Immanuel, Gott mit uns, gemeint ist." in Image, 83; der Sache nach noch stärker in God, 159/60 oder z.B. in Ukubuyisa, 41: "He works in the hidden recesses for the revelation of His righteousness, the exoneration of Truth and the damnation of evil and error." Image, 44: "It implies a break-down - a 'dis-ease' - in the harmony of his relationships with all the order centres of force - from M O D I M O to inanimate stones - of which his universe is made" (Unterstreichung U.L.-W.). Vgl. ebenso Image, 83.
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guter Ernte oder langersehntem Regen. 32 Und ebenfalls nur im Zusammenhang mit dieser nach Kräftegleichgewicht strebenden Tendenz des Lebensstroms kann man sagen: Gott lege zwar eigentlich der Welt nicht Böses auf, aber wenn der Mensch das Gleichgewicht zu zerstören drohe, dann tue er es doch, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken und Gegenmaßnahmen zu provozieren.33 Für diese afrikanische Art, von Gott zu reden, erscheinen Setiloane die Kategorien von Rudolf Otto am adäquatesten.34 Das Christentum der Missionare habe jedoch nicht diesen Gottesbegriff nach Afrika gebracht, sondern einen im Grund heute noch fremden, weil vollständig in abendländischer Kultur aufgehenden.
c) Afrikanische Probleme mit dem Gottesbegriff der christlichen Missionare Warum unter Zuhilfenahme der Kategorien Rudolf Ottos das Reden von Gott weniger von westlichen Kulturformen eingeengt worden wäre, erklärt Setiloane nicht genauer. Es wird aber klar, wenn er seine Darstellung westlicher Theologie gibt: Es ist das sogenannte "dualistische" Denken, das ihn an dieser stört und das sich bei Otto wohl in der Tat in eingeschränkterem Maße findet. Die Darstellung der Grundstruktur westlichen Redens von Gott, die Setiloane gibt, ist nicht sehr tiefgreifend und recht pauschalistisch, jedoch zeigt sie deutlich sein Interesse und sein Konzept von afrikanischer Theologie. In der westlichen Theologie wird, so Setiloane, Gott als "Supreme Being" bezeichnet: Gott ist das oberste Sein von allem Seienden. Setiloane vermutet hinter dieser Metaphysik die Gefahr der Teilung der Welt in eine "religiöse" und eine "säkulare Sphäre". In der religiösen unterscheide man noch zwischen "Supreme Being" und "other beings", in der säkularen spreche man nur noch von "beings" und nicht mehr
32
Image, 83. Vgl. auch ebda, 57: "More than any other factor, it is perhaps this quality of steady assurance, shown by 'dingaka' ( = practioners in medicine and the healing acts; ebda, Register) in times of extreme crisis, which focuses the meaning of existence as it is experienced by the Sotho-Tswana. For theirs is not a self-assurance, but assurance in 'badimo', the all-perversive 'other'. The universe is intrinsically good; and death from natural causes, for instance, is accepted with equanimity as 'tiro ya M O D I M O ' (the work of MODIMO). It exists for the good of all - men, animals and plants. The greatest good for all can be achieved if all live according to the basic virtue of harmony; of that harmony among men 'badimo' (Ahnen, U.L.-W.) are the guardians and arbiters; and in normal circumstances the heads of kinship groups are their proper mediators." Vgl. auch ebda, 79: Hinweis auf traditionellen Sprachgebrauch des Regenmachers, der von Christen falsch interpretiert worden sei. 33
Image, 8 3 : " IT (sic) does not inflict evil save to draw attention to a disruption of harmony by man." Naturkatastrophen bezeichnet Setiloane als "Modimos letzte Zuflucht", ebda, 82; vgl. auch 45. Das Gleichgewicht der Kräfte wird immer durch den Menschen gestört.In diesem Sinn muß man auch seine Ausführungen über "Heil und Welt" verstehen; Gott meiner Väter, 97-109. 34
Image, 77-86 und passim; Traditional World-View, 411; Herausforderung, 22; s.o., Anm. 20 dieses Kapitels.
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von "Supreme Being".35 Die Rede von Gott bezöge sich in der westlichen Theologie nicht auf die ganze Welt und nicht auf alle Lebensbereiche des Menschen, sondern eben nur auf diese begrenzte religiöse Sphäre. Die Logik, die hinter diesem Urteil steckt, ist dieselbe, die Heribert Rücker in seinem Vorwurf an westliche Theologie voraussetzt: Wer theoretisch von zwei Ebenen der Wirklichkeit ausgeht, verbannt den Wirkungsbereich theologischer Sätze auf nur eine von beiden.36 Das hat große Konsequenzen: Es tun sich "schreckliche Gräben" auf,37 in denen Menschen sich nicht orientieren können an der nach Gerechtigkeit - oder physikalisch ausgedrückt: nach "Gleichgewicht" - strebenden Intention des Lebensflusses "Modimo". Afrikaner jedenfalls suchen nach dieser Orientierung in allen Lebensbereichen - oder mit Setiloanes Worten: sie spüren das Bedürfnis nach einer "spirituellen Dimension, die das ganze Leben durchzieht".38 Diese lebt von dem Bewußtsein der Interdependenz der Kräfte. 39 In seinem frühesten Aufsatz, in dem er noch keine dynamistische Terminologie benutzt, verankert er an dieser Stelle eine "afrikanische" Christologie: Weil Afrikaner in ihrer ganzheitlichen Weltsicht von der Einheit der Menschheit (als traditionswahrende Gemeinschaft) in Gott ausgehen und nicht glaubten, der Mensch lebe ganz aus sich allein heraus, könnten sie in der konkreten menschlichen Gestalt Jesu durchaus Gott sehen. Sie verstünden Christus als eine weitere "confirmation" des unfaßbaren Gottes. 40 Die Rede von Christi Opfertod zur Versöhnung der Menschen weise sie an eine Wahrheit, die nicht mit dem Intellekt erkannt werden könne, doch spürbar sei als "verborgen weit weg in den Tiefen afrikanischer Genesis".41 Auch westliche Christen könnten doch eigentlich nicht wirklich erklären,
35
Image, 227; Confessing, 37, Anm. 29; Traditional World-View, 405; God, 160; Gott meiner Väter, 60. Den Vorwurf der säkularen Theologie richtet Setiloane auch an die Schwarze Theologie: Theological Trends, 50/51. 36
.
.
.
S.o., Einleitung dieser Arbeit. 37
Image, 228.
38
39 Image, 228. Setiloane begrüßt das auch in westlicher Wissenschaft zunehmende Interesse an systemischen oder holistischen Perspektiven; Gott meiner Väter, 61. God, 160: "They (d.h. My fathers, U.L.-W.) found in Jesus another cornfirmation of the unknowability of their Modimo. (...) While we, in Africa, may accept all the complicated talk about the Atonement and Saviourhood of Christ, yea, and even indulge in it, he stands out, to us, more significantly as the symbol of the Unity of Man. The white man, irreverent, lying proud, and marauding, would not find acceptance into the humanity (man-ness) which we appropriate to ourselves in our concept of UBUNTU, with links with Badimo and Modimo, if it were not because of this Jesus Christ: The Great Uniter." 41
God, 161.
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was sie mit solchen Beschreibungen von Christi Werk meinten.42 Mit der Terminologie des Vitalismus-Modells lassen sich diese Sätze Setiloanes etwas leichter verstehen. "Opfer" ist ihm wie die Initiation der Ahnen ein Symbol, in dem sich Gemeinschaft konstitutiert. In ihm ereignet sich eine lebensbewahrende Kanalisierung der Kräfte, in der das Geschick eines einzelnen Auswirkungen hat auf das der gesamten Gemeinschaft. Die innere Struktur der Einheit, die mit dieser Handlung realisiert wird, zeigt wiederum Züge des Gleichgewichts: Im Opfer wird die Lebensbedrohung zugunsten der Lebensbewahrung gesteuert. Im Alltag afrikanischer Kirchen läßt sich eine starke Empfänglichkeit für die Soteriologie der Satisfaktionstheologie beobachten. Besonders in der evangelikalen Theologie zeigen sich in ihr bestimmte Verkrustungen afrikanischer Weltsicht.43 Setiloane versucht hier in der Rede von der Manifestation Gottes in Jesu Opfertod an die "Weisheit" afrikanischen Symbolverständnisses zu appellieren, wie es Heribert Rücker in seiner Arbeit herausgestellt hat.44 Die Suche nach dem Symbol in afrikanischer Theologie ist die Suche nach der in der Einheit der Menschen sichtbaren Einheit Gottes. Die Redeweise von den Kräften der Wirklichkeit, die Setiloane später benutzt, versucht soweit es möglich ist, etwas über die Struktur der Einheit zu sagen, die im Symbol sichtbar wird. Im Vitalismus-Modell und bei Setiloane trägt sie die Züge des Gleichgewichts der Kräfte. Die "spirituelle Dimension" erscheint darin nicht abgetrennt von der Welt, sondern nur als realisierte in ihr. Darum auch muß es Setiloane befremdlich erscheinen, überhaupt zu meinen, Gott zeige sich kulturunabhängig 45 Ein solcher Gott hätte mit der Welt nur noch wenig zu tun und wäre deshalb "klein". Und es sei kein Wunder, so führt Setiloane diesen Gedanken in seinen späteren Schriften fort, daß afrikanische Christen schließlich den für so klein gehaltenen Gott der Missionskirchen in seine eigentliche Größe zu setzen versuchen, indem sie abendländische Gottesverehrung entweder ergänzen durch ihre traditionellen Stammesgebräuche oder sich gar in den Unabhängigen Kirchen vollends davon zu trennen und an ihre eigene Gotteserfahrung anzuknüpfen suchen.46 In seiner Dissertation erklärt und unterstützt Setiloane diese Bestrebungen.
^ God, 161: "Does Western Christian thought really know what this description, and others, of Christ's work and achievement means? I am persuaded that we are all groping." ^ S. dazu u., Teil II., A . 4.: Exkurs zur Satisfaktionstheologie. ^
Zu Setiloanes Symbolbegriffs, auch Ukubuyisa, 36/37 und 37.
^ God, 158: "It is the same God who reveals himself. Surely experience of him in men of various nations should not be different beyond only the accident of their geographical and cultural situations!" 4 6 Ukubuyisa, 36; Image, 230; Confessing, 34/35; Traditional World-View, 408/09 und 411; Where A r e W e , 8 und 11.
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Daraus resultiert für ihn die Aufgabe afrikanischer Christen heute in der Ökumene. Sie haben sich noch ihren traditionellen Gottesbegriff bewahrt und wissen noch um seine Bedeutung in allen Lebensbereichen. Sie erkennen Jesus Christus als einen von Gott "besessenen" Menschen an, der in durchaus einzigartiger Weise die Weisheit afrikanischer Weltsicht verkörpert, die nicht nur exklusiv innerhalb der Stammesgrenzen gültig ist: daß Gott - einschließend und nicht ausgrenzend Gerechtigkeit will für die ganze Menschheit. Hier liegen die Wurzeln für eine afrikanische Christologie, die laut Setiloane jetzt entwickelt werden muß.47 Die Erkenntnis, "that they are One" müsse doch endlich in der Christenheit auch dazu führen, daß "(they) live as One".48 2. O. Bimwenyi-Kweshi: Schöpfung als Zusammengehörigkeit aller ihrer Teile im Gleichgewicht Einleitung Die katholische Mission hat in Afrika leichter Zugang gehabt zu den traditionellen Religionen als die protestantische, weil sie sie in ihrem "Kontinuitätskonzept" eher zu integrieren versuchen konnte.49 Es entspricht dem Konzept der "natürlichen Theologie", daß in der katholischen Theologie die Rede vom "Schöpfergott in den Religionen" mindestens für einen Teil der christlichen Rede von Gott gehalten wird. Schon diese Formulierung zeigt jedoch auch den Unterschied zu Setiloanes (und auch Kibichos) Thesen. Diese beiden nämlich halten die afrikanische Rede von Gott auf keinen Fall für "ergänzungsbedürftig". Ich werde im Kapitel über den Offenbarungsbegriff den Unterschied zwischen diesen beiden Ansätzen noch genauer beleuchten.
In Ukubuyisa, 38, stellt Setiloane den verstorbenen Häuptling Lutuli, dessen Grabsteinsetzung Anlaß dieses Aufsatzes bildete, folgendermaßen dar: "For Albert Lutuli the whole lineage - so called - was not only his tribe of the Amakholwa or the Zulu nation. He was Chief indeed by birth of the Amakholwa, but 'chief of us all by common approval." Vgl. weiterhin Confessing, 38,und Where Are We, 12: "(...) I confess 'Jesus as the Christ of God' i.e. as the most unique unprecedented and so far unrepealed or surpassed human manifestation of Divinity." Vgl. auch ähnlich Kibicho 1972, African Traditional Religion, 21: "For Christ is seen as the ever present, incarnate, divine Representative Head and Redeemer of this New United Humanity." - Wilhelm Dantine beobachtet an der südafrikanischen Schwarzen Theologie eine "eigentümliche Identifikation von Christus und der eigenen IchPerson des Sprechers, des Glaubenden; vgl. Dantine: Schwarze Theologie: Eine Herausforderung der Theologie der Weißen? Freiburg 1976; 41. Diesen "Grundgedanken von der Bruderschaft Christi" (ebda.) finden wir auch bei Setiloane, besonders eindrücklich in dem Gedicht "Ich bin ein Afrikaner" (vgl. dort, 135/36). Dennoch wäre es zu schnell, seiner Christologie den Vorwurf der "Vermenschlichung Gottes" zu machen (Dantine, op. cit., 41/42). Das wird bes. deutlich in Ukubuyisa, 37/38, wo Setiloane die Eingliederung Verstorbener in die (Ahnen-) Gemeinschaft der Heiligen unbedingt als auf die Initiative Gottes gegründet erklärt. - S. hierzu auch das Konzept der "Ahnen-Bruderschaft Christi" bei Charles Nyamiti, Teil II. C.2. 48
Confessing, 38.
^ Vgl. dazu Rücker, "Afrikanische Theologie", 55ff.
122
Hier soll jetzt Bimwenyi-Kweshis Beschreibung der traditionellen afrikanischen Rede von Gott vorgestellt werden. 50 In seinem Hauptwerk, der umfangreichen Dissertation über die Kommunikationsstrukturen afrikanischer Religionen, will er lediglich Grundlegungen zu einer noch zu entwickelnden afrikanischen Theologie aufzeigen. 51 Die darin beschriebenen Grundzüge afrikanischer Gotteserfahrung sollten nach seiner Meinung allerdings unbedingt als Grundpfeiler aufgenommen werden. 52 Wir werden sehen, daß sich Reden von Gott bei ihm grundsätzlich einbettet in eine Schöpfungstheologie, die sich ebenfalls mit Hilfe des VitalismusModells erklären läßt: Gott, der Schöpfer, zeigt sich in der Kohärenz der Schöpfung. Das Modell der "natürlichen Theologie" kommt sowohl diesem Credo als auch dem kulturellen Problem afrikanischer Theologie entgegen. a) Die wachsende Nähe Gottes: Theologie im Stufenmodell Bimwenyi-Kweshi bedient sich in der Beschreibung des Verhältnisses von afrikanischen Religionen und christlicher Theologie immer eines Stufenmodells - sei es nach dem Muster Teilhardscher Evolutionstheologie oder dem des allgemeinen Natur-und-Gnade-Modells der natürlichen Theologie. Dennoch stellt er kaum Überlegungen darüber an, wie sich die verschiedenen Stufen in ihrem Reden von Gott unterscheiden. Das ist deshalb besonders erstaunlich, weil er eben nicht, wie Kibicho in seiner Theorie von der "pluralistischen Offenbarung", traditionelles afrikanisches Reden von Gott für ebenso "vollkommen" hält wie das etwa afrikanischer Christen, sondern beide in seiner Theorie von der "progressiven Offenbarung" mindestens quantitativ - was immer das heiße - voneinander unterscheidet. Dieses Problem soll am Schluß dieser Arbeit eingehender erörtert werden. 53 Hier gilt es vorerst festzuhalten, daß Bimwenyi die formal-quantitative Unterscheidung weder als identitätsschädigend für Afrikaner empfindet noch hiermit zwei verschiedene Gottesbegriffe meint. Eher beschreibt er diese Unterscheidung als Grundmerkmal von christlichem Reden über das Verhältnis von Gott (bzw. Chri-
50
Zu diesem Kapitel vgl. folgende Arbeiten Bimwenyis: - Alle Dinge reden von Gott. Freiburg 1982 (Dissertation; genauere Angaben s. Literaturverzeichnis oder o., Teil I., B.2.a); hier zitiert als: Alle Dinge. - Le Christ, pole d'attraction de toutes choses. In: Revue du Clergd Africain 25, 1970/1,3-19; hier zitiert als: Le Christ. - L'emergence a l'aurore du Christianisme Africain. In: Bulletin de Theologie Africaine 1979/2, 195-203; hier zitiert als: L'emergence. - Inculturation en Afrique et attitude des agents de l'evangelisation. In: Bulletin de Theologie Africaine 1981/5, 5-17; hier zitiert als: Inculturation. ^ S.o., Teil I., B.2.a); dort auch Literaturangaben. 52
Vgl. Bimwenyi, Alle Dinge, 114 (frz. 506): Mit dem Christentum soll kein fremder Gott nach Afrika gebracht werden, sondern die afrikanische "überlieferte religiöse Sprache" beschrieben werden als der "natürliche Entstehungsort der christlichen-religiösen afrikanischen Sprache wie auch der in zweiter Linie folgenden (theologischen) Sprache, die die religiöse Sprache weiterführt und interpretiert (...)". 53
S.u., Teil III.
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stus) und Kultur überhaupt. Darum werden die Stufen im universalen Rahmen von Menschheitsgeschichte (Evolution)54 oder allgemein anthropologischer Grundaussagen über Erkenntnisbedingungen Gottes (Gotteserkenntnis nach dem Naturund-Gnade-Modell) verortet. Reden von Gott vollzieht sich immer und überall innerhalb der Stufen "(schon) auf Christus zulaufend"55 bzw. "(noch) ohne Christuskenntnis"56 und "nach Christus"57, vor-bewußt als Reden von den "Daseinsbedingungen" und bewußt als Reden von Jesus Christus, dem "Gott-Menschen" und damit dem "überkulturellen Menschen an sich".58 Innerhalb dieser Stufen ist es immer derselbe Gott, von dem in Religionen oder in der Kirche die Rede ist - allerdings kennt die Kirche an ihm eine "neue Nähe".59 Bimwenyi gebraucht hierfür zwar den Begriff 'Transfiguration1'.60 Aber die Beziehung Gottes zu den Menschen stellt er eher wachsend als verändernd dar: Die "neue Konfiguration menschlicher Beziehungen" nach der Offenbarung in Christus ist noch "positiver, konstruktiver und gerechter", und in diesem Sinne haben Christen das "Gesicht der Erde zu erneuern".61 Die in Gott geschaffene Welt, die Schöpfung eben, wird höchstens größer - "mehr Schöpfung" -, nicht jedoch anders. Darum ist traditonelles afrikanisches Reden von Gott konstitutiv für eine afrikanische christliche Theologie. Dies ist Voraussetzung von Bimwenyis Dissertation, in der nun implizit ein afrikanischer Gottesbegriff beschrieben wird. Dazu nun im Einzelnen.
54
Vgl. Le Christ.
^ So evolutionstheologisch in Le Christ, 8ff: "La Christofinalisation de toutes choses". Hierin liegt auch die Sympathie mit Rahners Lehre vom "anonymen Christentum" begründet; vgl. ebda, 4. ^ Inculturation, 11: "On peut dire: mais il est Dieu, et, comme Dieu, il n'est dtranger nulle part. Ceci est vrai." 57 Inculturation, 11: "Mais ce Dieu s'est incarn6 quelque part et nous arrive par le chemins de l'histoire." 58 L'emergence, 196: "Ce n'est pas sa judaitd comme telle qui importe avant tout. II suffit qu'elle lui ait permis de devenir vraiment-homme-comme-nous. Pour que son incarnation concerne rdellement le N6gro-Africain, il n'est nullement ndcessaire que le Christ naisse i nouveau - et d'une femme ηέgro-africaine cette fois! La pldnitude de la divinitd qui habite 'corperellement' en lui (Col. 2,9), s'est approchde de l'homme et de l'humain d'une man&re si nouvelle et si radicale qu'il s'est lui-meme en quelque sorte 'uni ä tout homme'." (Hervorhebung B.-K.) ^ L'emergence, 197: "Nouvelle proximit6 de l'lmprobable". Alle Dinge, 68 (frz. 405): "Konkret gesprochen, gibt es hier ein Fortleben der alten Welt als Möglichkeitsbedingung des Anbruchs der neuen Welt, des Weiterlebens als diese neue Welt, in Transfiguration der vorherigen." So könnte in einer solchen Transfiguration die "afrikanische Litanei der Namen Gottes" auch "möglicherweise eine neue Dimension" bekommen; ebda, 115 (frz. 506/07). Vgl. auch Alle Dinge 50 (frz. 386): "Neuordnung aller Beziehungen (...) in Kontinuität zu den bisherigen religiösen Erfahrungen", sowie Inculturation, 16:"(...) une nouvelle configuration ä cause du Christ." ^ L'emergence, 199.
124
b) Die Rede der Schöpfung vom Schöpfer: Welt als Kohärenz ihrer Teile Bimwenyi beschreibt die vier tragenden Säulen afrikanischer traditioneller Rede von Gott als vier Grunderfahrungen Gottes in der Welt: 1. als "immer-schon-Dagewesener", d.h. als Erfahrung von Schöpfung und Erhaltung, 62 2. als Distanz, d.h. als "der ganz Andere", 63 3. als Nähe 64 und 4. als Unverstehbarer, der Leiden und Verwirrung verursacht.65 Diese "vier Aspekte Gottes" lassen sich zusammenfassend umschreiben als Präsenz und Abwesenheit Gottes. 66 So furchteinflößend diese schillernde Beziehung Gottes zur Welt auch nach dieser Darstellung klingen mag wir finden auch bei Bimwenyi-Kweshi die grundsätzliche Zuversicht, die wir aus dem vitalistischen Verständnis der Wirklichkeit zu verstehen suchten. Die Wirkweisen Gottes als Präsenz und Abwesenheit sieht Bimwenyi als ganzheitlich an und behauptet, zwischen ihnen herrsche ein "strukturales und dynamisches Gleichgewicht".67 Wenn wir das Vitalismus-Modell der Wirklichkeit auf diese Darstellung afrikanischer Gotteserfahrung legen, könnten wir in den verschiedenen Aspekten Gottes durchaus etwas von den "Kräften" sehen, aus denen sich das Universum zusammensetzt, und den Gottesbegriff im Reden vom Grundstrom zum Gleichgewicht hin erkennen. Auch die Rede vom "Verbum"68 findet in dem Erklärungsmodell mehr Klarheit. Zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts wirkt Gott als Gleichgewichtstendenz manchmal auch lebensbedrohend. 69 Bimwenyi verzichtet darauf, das Strukturmuster dieser Gleichgewichtsströmung so zu betonen, wie dies Setiloane und Kibicho tun. Daher bleibt bei ihm die Rede vom "Geheimnis" Gottes bestimmend.™ Er zieht es vor, von der Welt zu reden, aus
62
Alle Dinge, 124ff (frz. 526ff).
63
Alle Dinge, 134ff (frz. 549ff).
64
Alle Dinge, 141ff (frz. 560ff).
65
Alle Dinge, 146ff (frz. 571ff).
66
Alle Dinge, 151/52 (frz. 582).
f\7
Ebda., s. bes. 151 (frz. 582): "So wie die Konstellation des Unterschieds (...) diejenige der Anteriorität vervollständigt, indem sie aufweist, daß der Vater-Ahne-Pfeiler, der in der Welt gegenwärtig ist, doch nicht von der Welt ist, so scheint die 'Konstellation des Verwirrenden' diejenige des verschwenderisch gebenden und Verbündeten zu vervollständigen, indem sie zeigt, daß dies ein Verbündeter ist, der in Verwirrung stürzt, der hohe Anforderungen stellt, der nicht von der Art der Sterblichen ist." Bimwenyi scheint hier die traditionelle afrikanische Gleichgewichtstendenz durchaus auch in christlicher Theologie zu erkennen. 68
S.o., Teil I., B.2.a).
69
Alle Dinge, 118 (frz. 513); s. o., Teil I., B.2.a).
70 Alle Dinge, 152 (frz. 582): "Es ist dies eine nicht konfiszierbare, nicht kontrollierbare Präsenz, die sich gibt und entzieht, die unaufhörlich dabei ist, zu kommen und zu gehen, eine Präsenz, die den
125
theologischen Gründen, denn nach seiner Meinung können wir die afrikanische Art, von Gott zu reden, nur entdecken, wenn wir verstehen, wie dort Gottes wegen über die Welt geredet wird. Dies wird schon im Titel des Buches der deutschen Übersetzung deutlich ("Alle Dinge reden von Gott"). Bimwenyis Reden von der Welt ist ein Reden von der Welt als Gottes Schöpfung. In seinem Versuch, Grundstrukturen dafür zu beschreiben, finden wir auch eine Konstante des VitalismusModells wieder - Bimwenyi beschreibt die Welt als ein Ganzes aus vielen Teilen, die gemeinsam ein "großes, kosmisches, spinnwebartiges Gewebe" bilden,71 in dem der Mensch den "Mittelpunkt" darstellt.72 Die Struktur der Wirklichkeit zeigt eine "ontologische Ähnlichkeit" ihrer Teile, mit der sich eine "universale brüderliche Zusammengehörigkeit" verbindet.73 Weil diese Teile alle von Schöpferhand geschaffen wurden, werden sie in der Bildsprache der Mythologie als ähnlich dargestellt.74 Bimwenyi leitet aus diesen Bildern deutlich natürlich-theologische Sätze her: Die Dinge der Schöpfung sprechen vom Schöpfer - in ihrer Verbundenheit miteinander. Genauer gesagt: Sie werden vom Menschen zum Sprechen gebracht dadurch, daß er sie entsprechend dem göttlichen "Verbum" benennt.75 Dies ist Bimwenyis Schöpfungstheologie. Der Mensch "weiß" um die Verbundenheit der Teile der Wirklichkeit aus der "Urerfahrung" ihrer Einheit und kann sie daher nach dem Strukturprinzip der Analogie kanalisieren - so hatte es Theo Sundersterblichen zu einem unaufhörlichen Fragen und Suchen treibt und die niemals absolute Sicherheit und Ruhe gibt." 71
Alle Dinge, 100 (frz. 493). Vgl. auch Le Christ, 4-5, mit den Stichworten "compldmentaritd", "caractfcre dynamique", "unitd globale" und "hidrarchique", "n'est pas anarchique, chaotique". 72
Ebda, und 117 (frz. 510/11). Vgl. auch Le Christ, 5: "Tout le er66 est pour l'homme et trouve son achövement en l'homme (...)." S. weiter ebda, 5-8, Kap. "Le Muntu (Mensch, U.L-W.), 'centre et sommet' de la creation". 73
Alle Dinge, 164 (frz. 600). Vgl. auch ebda, 99 (frz. 491): Bimwenyi beschreibt die "afrikanische Denkweise" als analogisch und trifft sich darin mit der Analyse Theo Sundermeiers; s.o., Teil I., C.3. Er bezieht sich auf H. Aguessy: Tradition orale et structures de pcns6e: essai de methodologie. In: Cahiers d'Histoire mondaile (UNESCO), Vol. 14, No. 2,1972, 269-97. 74
Alle Dinge, 165/66 (frz. 603).
75
Alle Dinge, 165ff, bes. 168 (frz. 600ff, bes. 606): Verwandtschaft der Kreaturen. Die deutsche Ausgabe ist an dieser Stelle leicht gekürzt. Im Originaltext wird noch deutlicher, daß Bimwenyis natürlich-theologische Sätze eng verbunden sind mit einer Theologie, die Schöpfung im vertikalen Gleichgewicht der Reziprozität von Schöpfer und Geschöpf versteht: Zuerst ist das göttliche Verbum, dann der Mensch, der es durch sein Sprechen (Benennen) zum Klingen bringt, so daß "die Dinge von Gott sprechen". Diese Theorie "de la parole comme 'verbe du monde' et, flnalement, comme 'parole de Dieu'" zieht Bimwenyi ausdrücklich - aber nicht begründet - den religionswissenschaftlichen Theorien von Animismus ("l'homme voyant en chaque chose quelque chose comme une 'äme' semblable i la sienne") "und anderen -ismen" vor; vgl. frz. 601, Anm. 116. Zu Bimwenyis Begriff "Verbum" s.o., Teil I., B.2.a). In Le Christ, 7, sagt er im Prinzip Ahnliches, indem er dem Menschen - theologisch begründet in der imago-Dei-Lehre - als einzigem Teil der Schöpfung die Funktion zuspricht, Medium der Welt im Dialog mit Gott zu sein: "Et comme il est seul de tous les etres cr66s ä pouvoir vraiment rdpondre ä Dieu, le muntu (Mensch, U.L.-W.) devient, d'office, la voix, la parole par laquelle le monde dialogue avec Dieu." (Hervorhebung B.-K.)
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meier ausgedrückt.76 Deutlich ist die Tiefenstruktur zu erkennen, die ich mit dem Vitalismus-Modell dazustellen versuche. Vielleicht kommen Bimwenyi hier die traditionellen Schöpfungsmythen entgegen, um die - vielleicht - auch ohne sie zu erklärende "brüderliche Zusammengehörigkeit" von Mensch und Natur theologisch zu begründen. Die jüdisch-christliche Rede von der Schöpfung scheint ihm nicht unterschiedlich von der der traditionellen afrikanischen Schöpfungsmythen. Diese Gleichsetzung ermöglicht es Bimwenyi jedenfalls, die Theorie der natürlichen Theologie, nach der Gotteserkenntnis aus der Schöpfung möglich ist, auch auf die afrikanische Religion anzuwenden. Seine Beispiele aus der afrikanischen Mythologie, in denen diese "sprechende Schöpfung" vorkommt, verweisen auf den Schöpfer immer nur indirekt durch den Zusammengehörigkeitscharakter der einzelnen Bestandteile der Natur, besonders von Mensch und Tier.77 Dieser sei ein Zeichen dafür, daß die "Wirklichkeiten 'capax verbi' (...) eines Tages (...) zu entschlüsselndes 'Wort' sind und mitunter zum 'Mund' des Unaussprechlich-Anderen werden."78 So ist es also der Zusammengehörigkeitscharakter der Schöpfung, der auf Gott verweist, und von Gott kann man nur reden, indem man von dieser Schöpfung redet.79 Der Mensch gilt als das Wesen, das am meisten befähigt ist, diesen Zusammengehörigkeitscharakter aller Teile zu betonen, und ist daher Gott am nächsten.80 Der Mensch wird sogar als "Garant des Gleichgewichts der äußeren
76
S.o., Teil I., C.3.
77
Alle Dinge, 165 (frz. 603ff); vgl. auch 129 (frz. 535): Afrikanische Religionen kennen keine Vorstellung von "Schöpfung aus dem Nichts", sondern eher von Schöpfung als "Arrangement einer vorangehenden Materie". Vgl. dazu Sawyerr über Schöpfungstheologie in afrikanischen Religionen, s.o., Teil I. A.3. 78
Alle Dinge, 165 (frz. 603).
79 Auch dies wird in der französischen Originalausgabe noch klarer. Die sprechende Natur hat offenbar wohl einen gemeinsamen Ursprung: "Que cette 'parole' retentisse par la bouche d'un animal, d'un insecte ou d'un d£funt, agissant en allid, son origine ne fait pas de doute." Deutlicher als in diesem Satz sagt Bimwenyi das jedoch nicht. Vielmehr legt er Wert auf den Zusammenhang von Benennung, d.h. Ordnung der Welt-Teile, und Präsenz Gottes darin, vgl. den dem eben zitierten folgenden Satz: "Dieu lui-meme n'est-il-pas invoqui sous des 'nomes' et 'titres' relevant de la 'serie' des insectes ('cancrelat'), des animaux ('leopard'), des 'ddfunts' (un 'Mäne mis6ricordieux'), etc.?"; frz. 601, Anm. 116. 80
Alle Dinge, 165 (frz. 602/03): "Der Mensch als Meister des Wortes, als Vortänzer im Reigen des Seienden bleibt doch eines der Byo, 'Fleisch vom Fleische der Welt', 'durchlässig für jeden Hauch der Welt', und ermöglicht so den Zusammenfluß aller Wesen in einen gewaltigen kosmischen Rhythmus, eine Art kosmischer Liturgie, die er anstimmt und leitet. Nach einigen schwarzafrikanischen Überlieferungen ermöglicht der muntu (Mensch, U.L.-W.) den Zusammenfluß der Wesen nicht allein durch sein 'Wort', (...) sondern auch und bereits durch eben diese seine Konstution als Wesen, ist er doch verwirklicht als 'das Zusammentreffen aller Kräfte', als 'die Synthese aller Dinge'." - Vgl. auch frz. 601 (in der deutschen Ausgabe gekürzt): "Le mortel est done ouvert k Dieu dont il est, dans le monde, l'auditeur privil6gi6, ä la maniöre du po£te luba (afr. Stamm, U.L.-W.) dont 'le coeur' est 'reli6 par un fil' ä Dieu lui-meme. Mais il est dgalement l'interlocuteur des 616ments de l'univers, ce-
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Welt, ja des Kosmos" bezeichnet.81 Dennoch ist er dabei nicht der uneingeschränkte Schalter und Walter, sondern er hat die Regeln der Zusammengehörigkeit zu beachten.82 Realisierung der Kräfte geschieht im Rahmen der Tendenz zum Gleichgewicht.
3. Samuel Kibicho: Gleichgewichts-Ordnung der Schöpfung als Erlösung
Einleitung Samuel Kibicho aus der presbyterianischen Kirche Kenias äußert sich seit 1972 in der Grundthese wie Setiloane: Der in der traditionellen Welt Afrikas bekannte Gott ist eben der Gott der Juden und Christen.83 Schon um dieses Gottes willen
lui-ci dtant comme un archipel de signifiants innombrables dont, peu ä peu (connaissance par 'panneaux* et initiatique), il apprend le 'chiffre'." Ol Alle Dinge, 166 (frz. 603), Zitat von Bä. Vgl. auch frz. 602 (in deutscher Ausgabe gekürzt): "Par le pouvoir de nommer, l'homme appelle des choses ä une nouvelle existence en rapport avec lui-meme. II rdveille en elles la parcelle engourdie du verbe primordial et, par cet ένεϋ, cette sorte de 'r6surrection', il anime toutes choses du rhythme vibratoire inhdrent au verbe." 82
Alle Dinge, 169 (frz. 607): "Bleibt abschließend noch hinzuzufügen, daß trotz all dieser in mancher Hinsicht 'unwahrscheinlichen' Leistungen der normale muntu (Mensch, U.L.-W.) doch in keinem Augenblick einen absoluten Besitzanspruch auf das Universum erhebt (sein Spätersein verbietet ihm dies). Wenn er auch als Vortänzer den Reigen der Seienden anführt, so doch in Respektierung der vom Komponisten aufgestellten Regeln und in Beachtung der Rechte des Autors. Der normale muntu gibt Gott, was Gottes ist." In dieser Tendenz auch in Le Christ, 6: " Sa (des Menschen, U.L.W.) sup£riorit£ sur les 616ments du cosmos ne l'empeche pas d'etre lui-meme de ce cosmos." Vgl. dazu auch die von Kuukure betonte Begrenzung des Menschen im Einflußnehmen auf die Natur, die er durch Umgebung und Situation erfährt; s.o., Teil I., B.I., sowie die Erklärung B.Nyoms, "die Vielzahl der Vermittler" in afrikanischen Religionen sei "nichts anderes als die Bekräftigung einer universalen Solidarität und das Eingeständnis der Ohnmacht des Menschen, ganz allein aus eigener Kraft die Leiter des Absoluten zu erklimmen"; B.Nyom: Der eigenständige Beitrag der afrikanischen Spiritualität. In: Mulago (Hrsg.) 1986,59-69; hier 62. Q-l Zu diesem Kapitel vgl. folgende Arbeiten Kibichos: - The Interaction of the Traditional Kikuyu Concept of God with the Biblical Concept. In: Cahiers des Religiones Africaines 2, 1968, 223-37; hier zitiert als: Interaction. - African Traditional Religion and Christianity. In: WSCF (Hrsg.) 1972, 14-21; hier zitiert als: African Traditional Religion. - The Kikuyu Conception of God, its Continuity into the Christian Era, and the Question it Raises for the Christian Idea of Revelation. Dissertation Vanderbilt University 1972. Nashville, Tennesse 1972 (Microfilm); hier zitiert als: Kikuvu-Conception. - The Continuity of the African Conception of God into and through Christianity: a Kikuyu Case-Study. In: Fashold-Luke u.a. (Hrsg.) 1978, 370-88; hier zitiert als: Continuity. - Challenge from the Encounter of Christianity and African Religion to the Traditional Christian Idea of Revelation. In: Word of God - Human Languages. Yaunde 1980, 115-22; hier zitiert als: Challenge. - The Teaching of African Religion in our Schools and Colleges and the Christian Attitude towards this Religion. In: Afr. Theol. Jour. 10,1981/3, 29-37; hier zitiert als: Teaching. - Revelation in African Religion. In: Afr. Theol. Jour. 12, 1983/3, 166-77; hier zitiert als: Revelation. - Worship in African Religion. In: Journal of the National Association of Religious Education Teachers 3, 1983/2, 4-6; hier zitiert als: Worship. - The Mission of the Church of Jesus Christ Today from the Perspective of the
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könne es gar nicht anders sein, denn er sei kein Gott, sondern ein Dämon, wenn er große Teile seiner Menschheit einfach im Dunkeln ließe.84 Wie Setiloane weist auch Kibicho darauf hin, daß das Christentum, das die Missionare nach Afrika brachten, zu sehr mit abendländischer Kultur identifiziert wurde, als daß das afrikanische Gottesbekenntnis wirklich als solches erkannt werden konnte. Afrikanische Christen sind jetzt in der Lage, darauf hinzuweisen und damit Christentum das sein zu lassen, was es entsprechend dem Bekenntnis des einen Gottes nur sein könne: eine Alternative unter mehreren, dem Glauben an diesen einen Gott Ausdruck zu verleihen, der einem Teil der Menschheit Erlösung brachte durch die Sendung Jesu Christi, einem anderen durch die Entwicklung der afrikanischen traditionellen Religionen.85 Die theologischen Grundüberlegungen Kibichos drehen sich um den Begriff der "Offenbarung". Er will zu entwickeln versuchen, wie wir heute angemessen von einer Offenbarung Gottes reden können, ohne einen historisch-kulturellen Kontext absolut zu setzen. Daher schlägt er vor, das Modell einer "pluralistischen Offenbarung" Gottes in verschiedenen kulturellen, historischen und religiösen Kontexten zu benutzen. 86 Wir wollen uns jetzt mit seinen Ausführungen zum Gottesbegriff beschäftigen. Kibichos Theorie zum Offenbarungsbegriff soll später in einem Vergleich mit dem Ansatz Bimwenyi-Kweshis und Fabien Eboussi Boulagas analysiert werden. 87
a) Reden von Gott in den afrikanischen Religionen Kibicho hat nicht immer den traditionellen afrikanischen Gottesbegriff und den christlichen für austauschbar gehalten. In einer Vorstudie zu seiner 1972 erschienenen Dissertation beschreibt er 1968 das traditionelle Reden von Gott bei den Kikuyus.88 Dabei konstatiert er einen im Grundsätzlichen monotheistischen Schöpferglauben, in dem jedoch im Unterschied zum christlichen Reden von Gott kein Raum bleibe für die Vorstellung, daß Gott in die menschliche Geschichte einbezogen sei. Dieses sei neu an der christlichen Botschaft. Im Kikuyu-Glauben werde Ngai, der "Zuteiler", primär als Schöpfer und Erhalter verehrt, nicht jedoch als derjenige, dessen Schöpfungsakt schon auf Erlösung abziele und dementsprechend Younger Churches, with Particular Reference to those in Africa. In: Bulletin de Thdologie Africaine 7, No. 13-14,1985,17-27; hier zitiert als: Mission. 84
Kikuyu-Conception, 308.
85
Challenge, 121/22; Teaching, 34; Revelation, 172. S. bes. Kikuyu-Conception, passim, und Revelation, passim.
87
S.u., Teil III.
QQ
S. Interaction.
129
in der Geschichte wirke. Der Hauptunterschied zwischen der Gottesvorstellung der Kikuyus und der der Christen liege in der Rede von der Inkarnation bei den Christen. Und an der Vorstellung vom ungeschichtlichen Schaffen und Erhalten des afrikanischen Gottes liege es auch, daß z.B. Liebe keine allzu große Rolle spiele im Kikuyu-Glauben.89 Es gibt eine große Ähnlichkeit in der Darstellung des Kikuyu-Gottesbegriffes durch Kibicho und dem der Bantus durch Setiloane, wobei Kibicho allerdings den Gottesbegriff nicht in seiner Einbettung in das Wirklichkeitsverständnis der Kikuyus zeigt. Wir wollen später noch untersuchen, ob sich in Kibichos Texten Hinweise darauf finden. Die Ähnlichkeit zu Setiloanes Darstellung liegt bei Kibicho darin, daß er 1968 die Ungeschichtlichkeit des afrikanischen Gottesbegriffes hervorhebt. Setiloane beschreibt "Modimo" als zeitlose Quelle des Lebens - und auch er spricht nicht von der "Liebe Gottes", sondern vom unpersönlichen Streben nach Ordnung.90 Kibichos Analyse von 1968 entspräche also sehr wohl den Beobachtungen Setiloanes - jedoch scheint er sie anders zu bewerten. 1968 meint Kibicho nicht, wie etwa Setiloane, daß diese traditionelle Redeweise von Gott, die Ordnung über Liebe setzt, grundsätzlich die Gott adäquate sei. Setiloane empfiehlt doch diese Redeweise nicht nur den damaligen Missionaren, sondern allen heutigen Christen. Kibicho liegt besonders viel an der Vorstellung von Gott, dessen Liebe zur Welt ihn eingreifen läßt in deren Geschichte, die er 1968 in der christlichen Redeweise von Gott eher findet als in der traditionellen afrikanischen. Er hält sie für die Folge einer "klarere(n) Offenbarung desselben Gottes".91 Linear-zeitliches Denken scheint er nicht für unbrauchbar zu halten beim Reden von Gott. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn wir Kibichos spätere Arbeiten betrachten. Es ist natürlich interessant, daß er seine Einschätzung des traditionellen Gottesglaubens der Kikuyus mit dem Fortschreiten seiner Untersuchungen entscheidend ändert. So findet er schon in der Dissertation von 1972 und in allen späteren Veröffentlichungen die wesentlichen Charakteristika der christlich-jüdischen (was nicht heißen muß: der abendländischen!) Redeweise von Gott im traditionellen Kikuyu-Glauben wieder. Von 1978 an schreibt er, daß auch traditionelle Afrikaner
QO
Interaction, 236. - So auch P. Sarpong: Christianity and Traditional African Religion. In: Best (Hrsg.) 1975, 25-31; hier 26; und etwas vorsichtiger E.I. Metuh, God and Man 164/65: Die Missionare "unconsciously clarified the Igbo traditional concept of God" in diesem Sinne. 90
S.o., Teil II., A.l.
^ Interaction, 226. Ähnlich auch noch 1972 in African Traditional Religion, 14: "I am approaching this subject from the point of view of a Christian who believes that Christianity fulfils the African traditional religions (...)."
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ihren Schöpfer als in die Geschichte der Menschen eingreifend verehrten. 92 In afrikanischen Religionen könne sich also ebenso eine Befreiungstheologie entwickeln wie in der jüdisch-christlichen - und um so legitimer sei es, von der "pluralistischen Offenbarung" zu sprechen.
b) Die Hoffnung auf Veränderung in den Religionen Der afrikanische "Hochgott" erscheint in Kibichos Texten seit 1972 in neuem Licht. Mit seiner Verehrung verbindet sich jetzt durchaus die Hoffnung auf eine Veränderung der geschichtlichen Situation der Menschen. Kibicho verwendet viel Raum auf die Darstellung von Kikuyu-Befreiungsorganisationen während der Kolonialzeit, deren Existenz ihm nicht nur ein Hinweis ist auf die Hoffnung auf Befreiung durch den Schöpfergott, sondern damit auch als Befreiungstat Gottes selbst gilt.93 Religion und Politik seien in Afrika keine getrennten Sphären, und deshalb könne man politische Bewegungen durchaus theologisch interpretieren, d.h. als religiöse Äußerungen verstehen. Dies wiederum bedeutet in diesen späteren Veröffentlichungen Kibichos, keinen Unterschied zu machen zwischen dem religiösen Bezugnehmen des Menschen auf Gott (das nicht nur im gemeinsamen Gebet, sondern auch in sozialethischer Orientierung geschieht) und den Taten Gottes selbst. Wir haben bereits die Theorie von der Kanalisierung der Kräfte als ein Element im Modell für dieses ganzheitliche Denken kennengelernt. 94 Die Lebensgestaltung innerhalb der Interdependenz der Kräfte wurde jedoch immer noch als menschliche Tat verstanden, die zwar im Zusammenhang mit dem umfassenden Wirken Gottes steht, aber nicht mit ihr gleichzusetzen ist. Bei Kibicho fällt diese Differenzierung weg, und so weist er zur Unterstützung seines Gedankens darauf hin, daß die Teilnehmer dieser Befreiungsbewegungen Anhänger traditioneller Religionen gewesen seien.95 Theologisch muß es uns wohl unbefriedigend erscheinen, wenn Kibicho diese afrikanische "Befreiungstheologie" nicht auch im afrikanischen Reden von Gott aufzeigt. Es ist hier auf einen entscheidenden Unterschied zwischen seiner und Se-
92
Continuity, 381,382/83; Teaching, 37.
93
Z.B. Kikuyu-Conception, 116ff; noch nicht so in African Traditional Religion! Vgl. dazu die kritischere Beschreibung afrikanischen Christentums bei Jean Marc Ela aus Kamerun, der darüber klagt, daß durch die Kolonisation die afrikanische Befreiungstradition verschüttet wurde und heute in afrikanischen Kirchen die Tendenz zu beobachten sei, es mit den Mächtigen zu halten; J.M. Ela: Le role des eglises dans la liberation du continent Africain. In: Bulletin Th6ologie Africain 6,1984, 281-302. 94
S.o., Teil I., C.3.
95
Kikuyu-Conception, 34; Continuity, 381. - Dies stimmt wahrscheinlich nur zum Teil; Kibicho unterschlägt zumindest, daß einige der Teilnehmer Christen waren - der berühmteste ist wohl Jomo Kenyatta.
131
tiloanes Theologie aufmerksam zu machen: Kibicho scheint nicht auf die Warnungen afrikanischen Symbolverständnisses zu hören, die eine identifizierende Einheit von Symbolisierendem und Symbolisiertem verhindern sollen.96 Darum genügt ihm der Hinweis auf Ganzheitlichkeit von Religion und Politik. Ich möchte im folgenden Abschnitt noch einmal genauer seine Darstellung des afrikanischen Redens vom Verhältnis Gottes zur Welt betrachten, um dabei nach Anhaltspunkten für ein Reden vom befreienden Gott in den Religionen zu suchen.97
c) Die Rede von der Identität von Gott und geordneter Schöpfung Kibicho entnimmt das Material für seine Darstellung des Kikuyu-Gottesbegriffes in erster Linie mündlicher Tradition, die er durch Interviews sammelt. Die Art der Gottesverehrung selbst ist dabei nur eines der patterns, die ihm bei der Durchführung der Interviews offenbar zugrundelagen.98 Wie Setiloane nimmt auch er die "Manifestationen" Gottes (Medizinmänner, Wahrsager, Propheten 99 ) und schließlich auch das sozio-politische Leben 100 ) als Teil der afrikanischen Rede von Gott ernst. Sozusagen summierend für alle oder auch nur einzelne dieser Aspekte stehen die "Namen Gottes".101 Die Aussagen über den afrikanischen Gottesbegriff sind also nicht nur die Aussagen, die explizit über Gott gemacht werden. Weil sich der Schöpfer in seiner Schöpfung manifestiert hat und ständig weiter manifestiert 102 - oder weil er "durch
96
S.o., Teil I., C.4.a).
97
Eine sehr interessante Alternative zu Kibicho bildet die wesentlich differenziertere Präsentation einer Theologie mit ähnlichen Intentionen der ghaneischen Methodistin Mercy A. Oduyoye: Wir selber haben ihn gehört. Theologische Reflexionen zum Christentum in Afrika. Freiburg / Schweiz 1988 (Orig.: Hearing and Knowing. Theological Reflections on Christianity in Africa. Maryknoll 1986). Sie beginnt in ihrer Konzeption eines afrikanischen Redens von Gott allerdings mit der Auslegung biblischer Texte. Insbesondere regt sie an, die für Afrika neu zu erzählende Exodus-Geschichte in den Mittelpunkt zu stellen. O. wählt also einen methodischen Zugang, den die Autoren dieses Kapitels gerade ablehnen. Dennoch wird auch bei ihr Jahwe als auch afrikanischer Gott gelobt (126). Zu diesem Buch vgl. meine Rez. in ÖR 39,1990/3. QO Kikuyu-Conception, 39. ff. QQ Kikuyu-Conception, 17ff; vgl. 17:"(...) and other important ways God used to reveal the secrets of his nature and his will as well as the secrets of other mysteries of his creation of the Kikuyu people." 100
Kikuyu-Conception, 53ff.
101
Kikuyu-Conception, 58ff; Continuity, 371-73; Challenge, 116.
102
Kikuyu-Conception, 12ff.
132
Medien spricht", wie Kibicho auch sagen kann 103 - sind auch Aussagen über diese Schöpfung Aussagen über Gott. 104 Wie schon in der Schöpfungstheologie von Bimwenyi-Kweshi, so klingt auch bei Kibicho dieser Satz vager als die Beispiele, die er zur Erläuterung heranzieht. Es ist durchaus nicht jede Aussage über die Welt eine Aussage über Gott, sondern insbesondere die, die sich auf die "Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit" und die grundsätzliche Bewahrung des Lebens sogar in großen Katastrophen beziehen.105 Naturphänomene werden nicht als Einzelphänomene mit Gott identifiziert - allenfalls dienen sie als Symbol für diesen gottgeschaffenen Ordnungsfaden in der Natur. 106 "Schöpfung" und "Welt" sind also nicht einfach identisch, sondern "Schöpfung" meint hier zumindest das "Geordnete" in der Welt. So haben wir schon BimwenyiKweshi über die Welt als Gottes Schöpfung reden hören, nur spielte bei ihm der Begriff der Kanalisierung eine geringere Rolle. Das ist anders bei Stephen Okafor, der die afrikanische Rede von Gott als Rede vom Leben darzustellen versucht.107 Wenn für Afrikaner in Okafors Darstellung das Leben-an-sich im Mittelpunkt ihrer Wirklichkeitsbewältigung steht (und damit Gott "Leben" ist), dann bedeutet dies, daß sie eine ungeordnete Wirklichkeit nach diesem Lebens-Maßstab ordnen (kanalisieren). 108 Wir müssen Okafors Lebensbegriff also unbedingt mit Ordnung verbinden, aber auch umgekehrt Ordnung mit Leben: "Leben" soll in irgendeiner Weise "geordnetes Leben" heißen, und Ordnung soll heißen "lebensfördernde Ordnung". Im christlich-jüdischen und im christlich-afrikanischen Reden von Gott werde dieser Ordnungsmaßstab als gottgegeben - geoffenbart - angesehen. 109 Afrikanische Weltsicht geht nach Christian R. Gaba davon aus, "daß das Universum ein Kosmos ist und nicht ein Chaos", was sich zeige, wenn es den Menschen gelinge, gottgemäß "Leben zu realisieren."110 In diesem Sinne ist Kibichos Reden von Gott ein Reden von der Welt als Gottes ordnender Schöpfung und erinnert damit wieder an die Orientierungsmöglichkeit im Kräftemeer, die wir im Vitalismus-Modell als so bestimmend für den Gottesbe-
103
Challenge, 116.
104
S. bes. Revelation, 173ff.
105
Revelation, 173: "orderliness & dependability".
106
Ebda.
107
S.o., Teil I., B.2.b).
108 Vgl. Okafor, Concepts, 51: meaning (Gott) = "ordering of a disordered world". 109
Vgl. z.B. Concepts, 61, 70,155, 258.
110
Gaba, Freedom, 54.
133
griff fanden. Auch die übrigen Beispiele für "Manifestationen" oder "Offenbarungsmedien" Gottes, die Kibicho anführt, passen gut in diesen Zusammenhang. Mission ist für ihn z.B. nicht nur Zeugnis, sondern "aktive Repräsentation von Gottes erlösender und verändernder Gegenwart". 111 Menschen können Offenbarungsmedium sein - in ihrer "Weisheit und Einsicht in die verborgene Wirklichkeit", 112 in das Orientierungsmuster also (u.U. als Propheten und Wahrsager 113 ); in der Vielfalt der "Talente", mit denen sie der Lebensbewahrung dienen. 114 Kibicho sieht offenbar bestimmte Anhaltspunkte in Natur und eben auch in der Geschichte, die auf die gottgegebene zuverlässige Ordnung hindeuten. Man könnte sie durchaus als Schöpfungsordnungen bezeichnen, zumal dieser Begriff sehr gut hineinpaßt in Kibichos schöpfungstheologische Argumentationsweise, in der immer wieder von Gotteserkenntnis aus den Werken der Schöpfung die Rede ist. Kibicho selbst gebraucht den Ausdruck nicht, obwohl er ihm sicher vertraut ist, zumindest von seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff der Offenbarung her. Es ist zu vermuten, daß ihm der Begriff der "Schöpfungsordnungen" zu wenig Raum läßt, die Handlungen der Menschen als Bestandteil der Einheit Gottes zu begreifen. Ich versuche daher im Folgenden, die Grundlinien des Vitalismus-Modells mit Kibichos Theologie in Verbindung zu bringen. Schon bei Setiloane konnten wir sehen, wie die Begriffe Gemeinschaft und Gerechtigkeit zum sozialethischen Ausdruck für die mehr physikalische Vorstellung vom Gleichgewicht der Kräfte verstanden werden können. 115 Kibichos Beschreibungen des afrikanischen Gottesbegriffs zeigen ähnliche Züge, sind aber enger an die Grenzen der partikularen Gemeinschaft gebunden als bei Setiloane. Gott wolle Gerechtigkeit und harmonische Gemeinschaft. 116 Individuelles "well-being" kann es nur in der Gemeinschaft geben, die darum nicht gegen das Individuum sei, sondern gerade für sein Wohlergehen. Gottesverehrung gebe es nur im Einklang mit Gemeinschaft, d.h. soziale Außenseiter haben in den Augen der Kikuyus keine Beziehung zu Gott. 1 1 7 Die Orientierung im Kräftemeer kann nur im Rahmen der
111
Mission, 18.
112
Revelation, 173/74.
113
Kikuyu-Conception, 17.
Ebda, 17. Auch "Narren", die Kibicho hier neben Richtern, Advokaten, Propheten, Wahrsagern und Schmieden aufzählt, haben lebensbewahrende Funktion. 115
S.o., Teil II., A.l.a)
116
S. bes. African Traditional Religion, 18-19 und 20.
117
Kikuyu-Conception, 40: "Strictly speaking, there could be no God of an individualistic anti-social person, according to Kikuyu-belief." Vgl. hierzu auch Worship, 5: Gott ist "the ultimate upholder of
134
Gemeinschaft erfolgen; nur so kann das Gleichgewicht der Kräfte erfahren werden. Gerechtigkeit ist also ebenfalls gebunden an Gemeinschaft - darum ist der Orientierung versprechende Gott auch nicht ungerecht, wenn soziale Außenseiter keine Beziehung zu ihm haben (können). Für Kibichos Theologie ist dieser Gerechtigkeitsbegriff ein wichtiger Angelpunkt, in dem seine Öffnung für die Befreiungstheologie verankert ist. Hoffnung auf Befreiung - das bedeutet, zu glauben, daß "Gerechtigkeit oder Wahrheit" letztlich gewinnen werden, "weil Gott selbst auf ihrer Seite ist". 118 Die Harmonie der Gemeinschaft wird durch den Sieg des Gleichgewichts der Kräfte wiederhergestellt werden, weil dies das Grundprinzip der Welt ist - ist das nicht wieder der sogenannte "afrikanische Optimismus", den wir auch bei Setiloane feststellten? 119 Kibicho jedenfalls sieht die Orientierung bietende Kontinuität im Kräftemeer, wie wir bei Setiloane im Vitalismus-Modell formulieren konnten, auch in den Ereignissen der Geschichte, die auch zum Meer der Kräfte gehören. Die Erkenntnis Gottes in der Geschichte entspringt bei ihm aus der ganzheitlichen Weltsicht. Gott als der ewige Lebensstrom im Kräftemeer setzt sich auch in der menschlichen Geschichte durch, wenn Menschen ihn erkennen und unterstützen - wie in den Befreiungsbewegungen in der Kolonialzeit. 120 Es ist dasselbe ganzheitliche Denken, das ihn auch wie Setiloane zu der Äußerung führt, die Erkenntnis Gottes als der Einheit in der Christenheit müsse doch auch zum Leben in Einheit führen. 121 Kibichos "historische" Bezüge sind nicht mit Analysen der sozialen Wirklichkeit verbunden. Es gibt keinen Hinweis darauf, ob nicht auch in der Unabhängigkeit des kenianischen Staates Ungleichgewicht bestehen könnte. Allein die Tatsache der Existenz einer Befreiungsbewegung genügt ihm als Anzeichen für Gottes Wirken in Richtung auf die Wiederherstellung von Gleichgewicht, das durch den Einfluß fremder Mächte bedroht war. "Befreiung" bedeutet damit jedoch nicht ein Hingeführtwerden zu völlig neuen Ufern. Der Gleichgewichtsstrom im Kräftemeer ist nicht neu. Er wurde vielmehr durch Unordnungsbewegungen sozusagen partiell "überschüttet", oder anders gesagt: Das potentielle Gleichgewicht wurde nicht verwirklicht. "Befreiung" meint genau dieses: Realisierung des Gleichgewichts, und
justice, punishing the wicked and rewarding the upright." Deshalb müsse auch das Tier, das diesem G o t t geopfert werde, vollkommen sein, insbesondere geopfert werden von einer "upright person".
118 Kikuyu-Conception, 119
57.
S.o.,TcilH,A.1.a).
120 In diesem Zusammenhang zitiert Kibicho gern ein Kikuyu-Sprichwort: '"God helps those who are helping themselves' or ' G o d helps men as they are in the process of helping themselves.'"; Continuity, 372 und 381; auch Challenge, 116. 121
Vgl. Mission, 19ff: Church Unity; s.o., Teil II., A . l . c ) .
135
d.h. "well-being", "happy life".122 In seiner jüngsten Veröffentlichung benutzt er zwar den Begriff "Revolution", jedoch ist auch hiermit die Restauration von (ursprünglichem) Gleichgewicht gemeint: Das Christentum habe sich zu befreien gewußt aus sowohl jüdischem als auch griechisch-römischem Übergewicht. 123 Diese Thesen werden nur sinnvoll vor dem Hintergrund von Kibichos Plädoyer für ein afrikanisches Christentum, das sich aus westlich-dominierendem Ungleichgewicht zu befreien habe. Wenn man genau liest, merkt man, daß Kibicho eigentlich schon 1968, als er noch einen Unterschied machte zwischen afrikanischem und christlichem Gottesbegriff, dieselbe Vorstellung von einem ursprünglichen Gleichgewicht hatte, ohne sie damals jedoch auf afrikanische Weltsicht zurückzuführen. Daher schreibt er, erst im christlichen, geschichtsbezogenen Reden von Gott erscheine der Schöpfer als der, der diese Orientierungsmöglichkeit schon bei der Konstruktion der Welt als Heil mitgeschaffen habe.124 Diese Vorstellung von Heil und Erlösung nun findet er nach ausführlicheren Untersuchungen doch schon im traditionellen afrikanischen Gottesglauben - und daher kommt es zu der nur scheinbaren Veränderung in der Einschätzung dieses Redens von Gott. Befreiung im Sinne von Stabilisierung des Gleichgewichts - darauf hofften auch Afrikaner, die noch nichts von der christlichen Botschaft gehört hatten.
d) Gottes Befreiungswerk als Heil in der Schöpfung Offensichtlich meint Kibicho mit "Geschichte" im Zusammenhang dieser Verkopplung von Schöpfung und Heil bzw. Erlösung zu diesem Heil hin nicht den uns geläufigen Begriff von Geschichte, dem ein lineares Zeitverständnis zugrundeliegt. Harry Sawyerr bezeichnete 1968 den afrikanischen Gottesbegriff als nicht geschichtsbezogen - wie ja auch Kibicho 1968.125 Mit der Entdeckung der These von der Verkopplung von Schöpfung und Befreiung bzw. Erlösung ändert sich bei Kibicho offenbar auch der Geschichtsbegriff. Er greift zurück auf den der traditionellen afrikanischen Religionen. Nach Sawyerr, der afrikanische Mythen mit Texten des Alten Testaments verglich, wird in ihnen archetypisch gedacht. Vergangenheit erscheint in Erzählungen von Ereignissen, die "in illo tempore"
yyy Das versteht Kibicho unter "salvation"; vgl. Revelation, 172. S. auch Continuity, 387/88: Der christliche Begriff "salvation" muß nach Kibichos Meinung neu interpretiert werden. 123
Mission, 23 und 27.
124 Interaction, 235:"(...) but unlike the Hebrews they (the Kikuyus, U.L.-W.) did not see him (God, U.L.-W.) also and at the same time as the Lord of history whose act of creation had as its main purpose the redemption of mankind and thereby the manifestation of God's glory."
Sawyerr, Evangelism, 50ff, bes. 50 und 64.
136
stattfanden. Jüdisches bzw. christliches Reden von Gott meine hingegen ein Handeln Gottes zu bestimmten historisch fixierbaren Zeitpunkten, das ebenfalls historisch beschreibbare Auswirkungen habe. Kibichos Zusammenrücken von Schöpfung und Erlösung entspräche für Sawyerr wohl dem archetypischen Denken, nicht jedoch dem biblischen Begriff von Gottes Wirken in der Geschichte, wie er aus der Bibel deutlich werde. Wir werden dieses Problem im folgenden Kapitel ausführlich erörtern. Es mündet in die von John Mbiti angeregte Diskussion über den afrikanischen Zeitbegriff. Die in den drei hier vorgestellten Ansätzen afrikanischer Theologie gemeinsame Betonung der lebensbewahrenden Funktion des Gleichgewichts der Kräfte muß in einem folgenden Exkurs noch um einen wichtigen Aspekt ergänzt werden: Um die Darstellung der Verwendung der Satisfaktionstheorie in der afrikanischen evangelikalen Theologie. Sie stellt eine prägende Wirklichkeit protestantischer afrikanischer Kirchen dar und ist sicherlich eine Position, von der sich die hier vorgestellten Ansätze absetzen wollen. 4. Exkurs: Christologie als Theorie der Kanalisierung zum Gleichgewicht Die Satisfaktionstheorie im afrikanischen Kontext In Ostafrika breitete sich in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts in großer Geschwindigkeit eine Erweckungsbewegung aus, die bis heute dort die Wirklichkeit der kirchlichen Frömmigkeit, besonders der anglikanischen Kirche, entscheidend prägt. Sie entstand in einer Phase der Kolonialzeit, in der einer eigenverantwortlichen Tätigkeit der Afrikaner auch in den noch jungen Missionskirchen besonders wenig Raum geboten wurde.126 Die Erweckungsfrömmigkeit stellte dieser Realität ein verstärktes Selbstbewußtsein von Laien und bekehrten Schwarzen entgegen, das sich auf die Erfahrung eines rettenden "Bekehrungserlebnisses" durch Jesus Christus berief. Die Bewegung ist soteriologisch orientiert und greift Muster der englischen Erweckung auf, die durch die Theologie der Missionare nach Afrika gelangten. Wilhelm Wille beschreibt die Ähnlichkeit der Elemente ihrer Frömmigkeitsmuster mit denen vergleichbarer europäischer: "plötzliche intensive Erfahrung der eigenen Sündhaftigkeit, Erfahrung von Vergeltung und plötzliche Annahme durch Jesus, öffentliches Bekenntnis der erfahrenen Vergebung, öffentliches Sündenbekenntnis und Versprechen eines konsequenten christlichen Lebenswandels in der Gemeinschaft von Christen, die durch dieselbe Erfahrung gegangen sind. Auch die Kriterien des wahrhaft Christlichen sind dieselben wie in erweckten Kreisen Europas: Betonung persönlicher Integrität, Ehrlichkeit, Fleiß,
1 Vgl. hierzu W.Wille: Die Rolle der Erweckungsbewegung in Uganda. In: Ustorf / Weiße (Hrsg.) 1979, 51-61; hier zitiert als: Erweckungsbewegung.
137
Strenge, monogame Sexualmoral, Verzicht auf Rauchen, Tanzen und Trinken."127 Das Bedürfnis, christliche Lebensgestaltung äußerlich sichtbar zu demonstrieren, das die Erweckungsbewegung trägt, findet sich in ganz Afrika in verschiedenen verwandten Richtungen kirchlicher Frömmigkeit. Soziologisch mag es ein allgemeines Merkmal Neubekehrter überhaupt sein und findet sich aus diesem Grund auch besonders mächtig in der charismatischen Frömmigkeit südkoreanischer Kirchen.128 Die spezielle Form der christlichen Lebensgestaltung findet offenbar Anknüpfungspunkte in der kulturellen Tradition.129 Nach dem Vitalismus-Modell ließe sich die Struktur dieser soteriologischen Frömmigkeit als eine Reaktion aus der Angst vor dem Versagen bei der Gestaltung von Lebensbewahrung verstehen, aus der starke Schuldgefühle erwachsen können. Die westliche Theologie der Missionare bot für diese Situation die Theorie der Satisfaktionslehre an. Auch sie funktioniert nach der Logik des Gleichgewichts der Kräfte und wird vielleicht deswegen von afrikanischen Christen gern angenommen. Das folgende Beispiel soll uns die Argumentation dieser Soteriologie der afrikanischen evangelikalen Theologie vor Augen führen. Auch hier verbinden sich europäische und afrikanische Denkmuster an der Nahtstelle der Soteriologie. Evangelikaie Theologen in Afrika wollen eigentlich nicht an afrikanische Religiosität anknüpfen. Sie lehnen eine um Integration bemühte Auseinandersetzung mit afrikanischer Weltsicht als unevangelisch ab 130 und versuchen, von einem ausgesprochenen Diskontinuitätsansatz aus Theologie in Afrika zu entwickeln.131 Daher finden wir auch in der evangelikalen Theologie in Afrika keinen so dezidiert schöpfungstheologischen Ansatz wie bei den in dieser Arbeit vorgestellten afrikanischen Theologen unterschiedlicher Konfessionen. Evangelikaie Theologie sucht vielmehr ihren Ausgangspunkt von der Christologie aus zu nehmen und die Erlö-
127 128
Wille, Erweckungsbewegung, 57. Vgl. dazu Teil III.
129
Wille stellt fest: "Ungeplant hat die Erweckungsbewegung trotz der bewußten Absage an alles Paktieren mit der traditionellen afrikanischen Religion an deren Ausdrucksform angeknüpft. (...) Das öffentliche Sündenbekenntnis als Mittel der Aufdeckung von Konflikten mit dem Ziel ihrer Regulierung hatte seinen festen Platz in den Ritualen vieler ethnischer Gruppen (...). In den Liedern der Erweckten und ihren Predigten ist oft die Rede vom Abwaschen der Sünden durch das Blut Jesu. Diese Bildersprache war dort, wo man darum wußte, daß rituell vergossenes Blut unverbrüchliche Gemeinschaft stiftet, unmittelbar einsichtig."; Erweckungsbewegung, 58. 130
Vgl. Kato, Pitfalls, bes. die hier geübte Kritik an John Mbiti.
I I I
Zu den beiden Grundtypen missionarischer Theologie, Kontinuitäts- und Diskontinuitätstheologie, vgl. z.B. als Überblick Rücker, "Afrikanische Theologie", 55-65, und als problembewußte afrikanische Erörterung K. Dickson: Kontinuität und Diskontinuität zwischen Altem Testament und afrikanischem Leben und Denken. In: Torres / Fabella / Appiah-Kubi (Hrsg.) 1980,187-201.
138
sungsbedürftigkeit aller Kulturen und Religionen schlechthin zu betonen. Dabei legt sie das Hauptaugenmerk auf die das Individuum betreffenden Aspekte christlichen Glaubens. Beides, christologische Ausgangsbasis und Individuum-bezogener Interessenschwerpunkt scheint an afrikanische Weltsicht mindestens als "Zusätzliches" herangetragen werden zu müssen und wird von evangelikaler Theologie auch als solches proklamiert. 132 Und doch finden finden wir in der Soteriologie der Satisfaktionstheorie gerade in der evangelikalen Theologie ein Bezugnehmen auf klassische theologische Traditionen, die der afrikanischen Weltsicht sehr entgegenkommen. Erlösung als individuelles Heil kommt durch den Glauben an die einmal in Christus geschehene Satisfaktionsleistung zustande, durch die das generelle Gleichgewicht der Kräfte garantiert ist und im Glauben individuell realisiert wird. Im einzelnen lassen sich die Verbindungen der Satisfaktionstheorie mit der afrikanischen Weltsicht zeigen anhand der Ausführungen von Tokunboh Adeyemo zu unserem Thema. 133 Nach Adeyemos Darstellung fühlt sich der Anhänger einer afrikanischen Religion bedroht von realen und potentiellen Feinden, gegen die es die Hilfe der Ahnen und Götter zu sichern gilt. Eine solche Darstellung setzt am Problem der Furcht vor dem Versagen in der Kanalisierung der Kräfte in afrikanischer Weltsicht an. Sie ist auch von den Missionaren in dieser Weise interpretiert worden.134 Sicherheit erhalte der Mensch, so Adeyemo weiter, wenn er vorgeschriebene Opferriten vollziehe.135 Nach der "frohen Botschaft", auf die sich die Christen beziehen, seien nun diese Opfer überflüssig, seitdem durch Jesu Tod ein einmaliges Opfer zur Besänftigung des göttlichen Zorns geleistet worden sei. Im Prinzip gilt also auch nach "christlichem" Weltbild die Notwendigkeit des Opfers als gedrosselte Lebensbedrohung zur Erhaltung des Gleichgewichts. Was in der afrikanischen Weltsicht die Bedrohung durch die lebensfeindlichen Kräfte war, sieht Adeyemo in der christlichen Theologie in der heilshindernden Sündenlast des einzelnen: Sie steht einer unbelasteten Beziehung zu Gott im Wege. Gott muß daher Strafe für die Sünde
132
Vgl. Kalo, Pitfalls.
Vgl. folgende Aufsätze Adeyemos: - The Idea of Salvation in Contemporary World Religions. In: East African Journal of Evangelical Theology 2, 1983/1,4-12; hier zitiert als: Idea of Salvation. - The Salvation Debate and Evangelical Response. In: East Africa Journal of Evangelical Theology 2, 1983/2,4-19; hier zitiert als: Salvation Debate. 134
Vgl. dazu ο., Teil I., C.2.
135
Idea of Salvation, 4ff. Adeyemo sieht afrikanische Religionen im Strom frühjüdischer Stammesreligionen, in denen man Erlösung auch durch Opferriten für erreichbar gehalten habe. Afrikanische Religionen stellten jedoch eine degenerierte Form dieser Stammesreligionen dar, in der der Gottesbegriff sekundäre Funktion bekommen habe gegenüber den Göttern; ebda., 6. Adeyemo unterstützt also die deus-remotus-These.
139
fordern, 136 und in seiner Liebe zu den Menschen läßt er seinen Sohn die Sühneleistung erbringen. 137 So argumentiert die klassische Satisfaktionslehre. Für den Horizont afrikanischer Weltsicht könnte sie vertraut klingen, denn der Begriff von dem Sühne fordernden Gott scheint sich durchaus zu vertragen mit einem Gottesbegriff, der sich nach dem Vitalismus-Modell als Tendenz zum Gleichgewicht der Kräfte umschreiben ließe. An dieser strukturellen Ähnlichkeit ändert auch der stärkere christologische Akzent nichts. Im Gegenteil, es lassen sich bei Adeyemo erstaunliche Parallelen zum Wirklichkeitsverständnis afrikanischer Weltsicht finden. Wie in den Erlösungsvorstellungen traditioneller afrikanischer Religiosität findet sich auch in der von Adeyemo ausgeführten Satisfaktionstheologie die rückwärts gewandte Struktur der Hoffnung, und zwar in doppelter Weise. Generell wird die Sühneleistung Jesu Christi als Restauration der Original-Beziehung zwischen Gott und Mensch bezeichnet.138 Wir können darin wieder die schöpfungsbezogene Perspektive der Heilshoffnung erkennen. 139 Im einzelnen geschieht die Erlösung des individuellen Menschen wiederum durch Rückbezug auf die einmalige Tat Jesu in der Vergangenheit. Die Erlösungs-Hoffnung des einzelnen entsteht durch den Glauben an die einmal geschehene Satisfaktion, der eine bewußte Entscheidung für diesen Rückbezug beinhaltet. In diesem doppelten Rückbezug auf die geordnete Schöpfung, die ungetrübte Beziehung zwischen Gott und Mensch, findet sich eine weitere Ähnlichkeit mit der Struktur afrikanischen Wirklichkeitsverständnisses. An dieser Stelle wird auch in Adeyemos Theologie der Begriff der Kanalisierung sinnvoll: In der generellen Versöhnungstat Christi liegt für den einzelnen Menschen erst die Möglichkeit der eigenen Erlösung. Diese muß er unbedingt selbst realisieren - durch die Entscheidung zum Glauben. Adeyemo ist ganz strikt gegen die Proklamation einer universalen Erlösung aller Menschen durch das Werk Christi, wie sie noch durch Setiloane vertreten wird. Dieser Universalismus übersehe, daß die göttliche Gnade aufgrund von "biblischen Bedingungen" geschenkt werde, nämlich der bewußten Ausrichtung des Willens des Menschen, im Glauben an Christus zu leben: "Gott macht jeden verantwortlich für seine Wahl (...) . Er lädt ein, Verantwortung zu
ιij-
"He cannot but satisfy His justice and righteousness.", Salvation Debate, 13.
1T7
"God's justice demands a punishment of every sinner; God's love provides a substitute in the person of Christ (...)"; Salvation Debate, 7. S. ebenso Idea of Salvation, 11. 1-lQ "It is a restoration of that original relationship, fellowship and communion with the living personal Creator-Father-God."; Idea of Salvation, 12. ^
Durch Christi Tod werde der Schöpfer-Gott offenbart; Idea of Salvation,11.
140
übernehmen."140 Es gibt keine Erlösung eines einzelnen Menschen gegen dessen Willen.141 Durch Christi Werk wird die Menschheit "saveable", aber ohne "Kanalisierung der Kräfte" in seine Richtung eben noch nicht erlöst.142 In diesem Zusammenhang könnte man dann auch die Missionstätigkeit der Christen sehen - als Kanalisierung der Kräfte zur Realisierung des generellen Heils.143 Wie sieht denn nun die Welt aus, die die durch Christi Tod erlösungsfähigen Christen erhoffen? Adeyemo betont die Realisation (Glaubensentscheidung) des Menschen so sehr, daß er universale Erlösung der Menschheit eigentlich nur dann für möglich hält, wenn alle Menschen Christen geworden sind. Als ein Credo von der Zukunft Gottes wäre darüber ja vielleicht sogar noch theologisch zu diskutieren. Adeyemo spricht es jedoch interessanterweise nicht aus. Vielmehr spricht er von Verdammten und Erlösten - so, als ginge er grundsätzlich davon aus, daß es Erlösung nur partiell geben wird, nicht für die gesamte Menschheit.144 Es scheint, als reiche die Hoffnung nicht so weit. Gott kann nie zu einem Gott der ganzen Menschheit werden. Darum ist es so wichtig, sich rechtzeitig auf die richtige Seite zu schlagen. Adeyemos Ausführungen gehen auf die konkreten Inhalte der Erlösungshoffnungen zu wenig ein, um hier mehr darstellen zu können als Vermutungen, die aus der bisher herausgearbeiteten Argumentationsstruktur seiner Satisfaktionstheologie erwachsen: Es könnte sein, daß die Hoffnung auf Heil auch hier nicht über die Hoffnung auf Realisierung der mit der Schöpfung gegebenen Möglichkeit der Ordnung hinausreicht. Daß also auch mit Christus nicht wirklich Neues erhofft wird, sondern vielmehr die Ermöglichung des Alten. Daß die Schöpfung nicht für "seufzend" gehalten wird - und wenn, dann für ewig seufzend. Immerhin hält
140
Salvation Debate, 11.
141
Salvation Debate, 11.
Vgl. Salvation Debate, 12: "By his death (...) Christ makes everyone saveable since everyone is the object of God's love. Wether a man is saved or condemned in the end depends on the provision made by God but rather on his response of faith or rejection in revolt." In der Frage, ob dann verstorbene kleine Kinder oder Geisteskranke, die nicht genügend verantwortungsfähig waren, nicht gerettet werden könnten, entscheidet sich Adeyemo dann doch für das Credo, Gottes Güte sei größer als die menschliche Sünde. Menschen, denen das Evangelium noch nicht verkündet wurde, würden von Gott entsprechend ihrem "natürlichen" Kenntnisstand beurteilt, s. R ö 2; vgl. insgesamt Salvation Debate,12. Vgl. auch Salvation Debate, 11: Wenn es stimmte - so argumentiert Adeyemo - , daß Erlösung sozusagen automatisch für den einzelnen Realität werde, dann wäre der Verkündigungsauftrag Unsinn. S.o., Anm. 12,und auch Salvation Debate, 7ff. Die Ablehnung aller universalistischer Tendenzen bringt ihn schließlich sogar dazu, sich deshalb gegen die katholische Lehre vom Fegefeuer zu wenden, weil es nach ihr nach dem Tod der Menschen noch eine generelle Chance zur Umkehr geben soll; Salvation Debate, 13f.
141
Adeyemo die Hoffnung auf generelle Vernichtung des Bösen für unbiblisch.145 John Mbitis Äußerung, die Partizipation des Menschen am Auferstehungsereignis sei unvollständig, solange die Schöpfung noch "seufze", tadelt Adeyemo als unzulässigen Universalismus.146 Hier wird deutlich, wie wenig Hoffnung Adeyemo in das Ende der Geburtswehen der Schöpfung eigentlich setzt. Entsprechend orientiert sich in solcher Theologie auch Versöhnung am Gleichgewicht. Unrecht muß ausgeglichen werden, weil es nicht nur um die "Ehre" geht, sondern um die Welt als solche, die nicht aus den Fugen geraten darf.147 Die innere Struktur der Satisfaktionstheorie, die ebenso wie afrikanische traditionelle Heilsvorstellungen eine Abhängigkeitsbeziehung von unveränderlichen Grundbedingungen der Schöpfung und darin möglichem Heil aufweisen, findet sich hier also eingebettet in die durch einen Gott des Gleichgewichts der Kräfte begrenzte Hoffnung. In dieser Theologie wird die Einheit Gottes nicht in einer Gemeinschaft sichtbar, die aus dem Anspruch heraus lebt, die Einheit der ganzen Menschheit im Partiellen zu repräsentieren. So hatte Setiloane von Gott geredet. Hier wird vielmehr die Rede von der Lebensbewahrung im Gleichgewicht zu einer dualistischen Aufteilung der Menschheit in Erlöste und Verdammte. Die mißlingende Kanalisierung der "Verdammten" wirkt sich nicht negativ aus auf die der "Erlösten", wenn diese ihr entsprechende Abwehrmechanismen entgegenhalten. Die Furcht vor dem Versagen in afrikanischer Weltsicht hatte jedoch sehr viel damit zu tun, daß an die isolierende Wirksamkeit solcher Mechanismen nicht geglaubt wurde. Die Struktur des Vitalismus-Modells, nach dem Leben gleichgewichtsorientiert gestaltet werden muß, ist hier in einen Exklusivismus verkrustet, der nicht mehr aus dem Bewußtsein der Interdependenz der Kräfte der Wirklichkeit lebt. Hier ist kein Relativierungsmechanismus gegen die normative Fixierung von "Gesetzen der Erlösung" mehr lebendig. Der Dualismus erweist sich als Folge des mangelnden Interdependenzbewußtseins. Die Polemik der afrikanischen Theologen gegen westliche Theologie muß vor dem Hintergrund der Wirklichkeit solcher Verkrustungen verstanden werden.
^ Salvation Debate, 12, im Zusammenhang mit der Argumentation gegen die universalistischen Erlösungshoffnungen Gregor von Nyssas. 146
Salvation Debate, 8.
Aus Mercy Amba Oduyoyes Ausführungen über Versöhnung z.B. läßt sich dieses herauslesen; Versöhnung ist Gleichgewichtsordnung: "Reconciliation has a central role in African religion and practice. Broken relations are never allowed to go unhealed. Sacrifices are performed and communal meals held to restore normalcy. In both African religion and Christianity, when life is sacrificed, when it is given back to God, it is made sacred and harmony is restored." Oduyoye: The Value of African Religious Beliefs and Practices for Christian Theology. In: Appiah-Kubi/Torres (Hrsg.) 1979, 109-16; hier 113; oder Ferm (Hrsg.) 1986, 240-47; hier 244.
142
Resümee Setiloane, Bimwenyi und Kibicho setzen bei ihren Überlegungen zum Gottesbegriff in afrikanischer Theologie an der Vorstellung von Gott als umfassende Einheit der Wirklichkeit an. Besonders Setiloane und Kibicho führen diese ausdrücklich auf die afrikanischen Religionen zurück. Setiloane entwickelt aus der Vorstellung von der Einheit der Kräfte die Rede von Gottes Wirken in der Einheit der Menschheit: Menschen leben bewußt und lebensfördernd in dem Meer der Wirklichkeit, wenn sie ihre Lebenswelt so gestalten, daß die Einheit aller Teile in ihr die umfassende Einheit Gottes repräsentieren kann. Dies findet bei Bimwenyi Ausdruck im Reden von der Schöpfung als Zusammengehörigkeit aller ihrer Teile. Reden von Gott als Reden von der umfassenden Wirklichkeit hat auch zur Folge, daß die Strukturen der Wirklichkeit, die in der Welterfahrung bestimmend werden, als Strukturen Gottes identifiziert werden. Dies geschieht, wenn Setiloane und Bimwenyi von Gottes schreckeneinflößenden Zügen reden, die eine Realisierung der Kräfte zur Lebensbewahrung zu verhindern scheinen. Dennoch lassen beide Autoren diese Erfahrungen nicht in fatalistischen Pessimismus münden: Das Verunsichernde des umfassenden Unkontrollierbaren wird wieder aufgefangen durch die Zuversicht in das Gleichgewicht der Kräfte. Gott wird niemals das Leben als Ganzes untergehen lassen. An dieser Gleichgewichtsströmung setzt Kibichos Befreiungsbegriff an. Bei ihm ist jede Art von Kanalisierung der Kräfte in die Richtung der Wiederherstellung von verlorenem Gleichgewicht ein direktes Handeln Gottes. Stärker als Bimwenyi, den eine Zwei-Stufen-Theologie bremst, aber auch stärker als Setiloane sieht er in dem Grundbekenntnis von Gottes umfassender Einheit die Erlaubnis, Teil-Erfahrungen der Wirklichkeit als Ur-Erfahrung Gottes zu identifizieren. Während Setiloane offenbar sogar die Einheit der Menschheit, mindestens aber die Festigung der Stammesgemeinschaft durch die Bezugnahme auf die Ahnen als "Gottesdienst" versteht, gibt es bei Kibicho keinen Unterschied zwischen "Gottesdienst" und "Gott". Diese Art von Holismus geht theologisch über das Vitalismus-Modell hinaus, in dem die Einheit im Partiellen und Ganzen nicht im Sinne einer symmetrischen Identitätsaussage vorgenommen wird. Nach dem afrikanischen Symbolverständnis hat das Partielle immer nur Verweischarakter, in dem das Ganze nur sichtbar werden kann, aber nicht vollständig enthalten ist. "Befreiung" ist bei Kibicho die Realisierung der Gleichgewichtsordnung gegen drohendes Ungleichgewicht und müßte eigentlich als permanenter Prozeß der Lebensbewahrung, als Schöpfung, beschrieben werden können. Hoffnung auf Gottes Befreiung ist die Hoffnung in ein Weiterbestehen der lebensfördernden Gleichgewichtsordnung der Welt. Kibicho entwickelt mit diesem Konzept ein Reden von
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Gott in "abgeschlossener Eschatologie", in der das Neue das ewige Alte, das mit der Schöpfung garantierte Heil ist. Diese Struktur hat die Hoffnung auch bei Setiloane, nach dem Gott sich um die Wiederherstellung der Welt sorgt. Der restaurative Grundzug dieser Hoffnung findet sich auch in der Theologie afrikanischer evangelikaler Kirchen wieder. Hier steht eine Soteriologie im Mittelpunkt, deren Ziel weniger die versöhnende Wiederherstellung des Gleichgewichts der ganzen Welt, sondern eher die als schützend empfundene Exklusivität der "Bekehrten" inmitten einer bedrohlichen Wirklichkeit von "Verdammten" ist. Die Theorie der Satisfaktionslehre bestätigt in dieser Theologie die grundsätzliche Wirksamkeit des Gleichgewichts, über die auch Gott nicht hinausgelangen kann. Während Heil bei Kibicho und auch Setiloane der zeitlose Strom des Gleichgewichts in der Schöpfung ist, dem die Menschen stets neu Gestalt geben müssen, um ihn dadurch in ihrer Welt konkret erfahrbar zu machen, ist es in der evangelikalen Theologie auf die individuelle Entscheidung zur Bezugnahme auf die Person Jesu begrenzt. Weil das Gleichgewicht hier nicht als lebensbewahrend in der Schöpfung erfahren wird, muß es durch eine soteriologische Christologie an sie herangetragen werden. Christologie und Schöpfung fallen in einem Dualismus auseinander. "Neues" kann auch in dieser Theologie nicht von Gott erwartet werden, denn hier zeigt sich eine Grundausrichtung an der Endgültigkeit des zu realisierenden Gleichgewichts durch die normative Bezugnahme auf bewährte Lebensformen der (Bekehrten-)Gemeinschaft. Im folgenden Kapitel wird dieser Grundzug afrikanischer Theologie am Beispiel der Diskussion um den afrikanischen Zeitbegriff, wie sie durch John Mbiti angeregt worden ist, vertieft werden. Kibichos These von der Erlösung, die bereits in der Ordnung der Schöpfung angelegt ist, wird hier implizit weitergeführt.
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Β. Reden von Gott als Fülle des unbedrohten Lebens
Einleitung Die drei Autoren, die im Mittelpunkt des nun folgenden Kapitels stehen, stellen Beispiele für den zweiten Pol im Spektrum des Redens von Gott in afrikanischer Theologie dar: Für sie ist das Gleichgewicht von Lebensüberschwang und Lebensbedrohung nicht mehr das Ziel aller Hoffnungen. Zwar preisen auch sie mit Gott dem Schöpfer die erreichte Lebensbewahrung innerhalb dieses Gleichgewichts. Doch sie sehen sich veranlaßt, das Gleichgewicht eher als vorläufiges Kennzeichen einer "seufzenden Schöpfung" zu relativieren und sich von der Hoffnung auf die endgültige "Fülle des Lebens" gegenüber Lebensbedrohung tragen zu lassen. Damit wird von Gott nicht mehr nur als allumfassender Wirklichkeit geredet. Die Hoffnung in ihn verbindet sich vielmehr mit der Hoffnung auf eine Veränderung der Strukturen der Wirklichkeit und nicht mehr nur darauf, von diesen getragen zu werden. Begriffe aus der christlichen Theologie, entweder in biblischen Bezügen (Mbiti), in Verteidigung klassischer Dogmen (Nyamiti) oder in Verweis auf die Orientierungs-Geschichte der Christen (Boulaga), werden in diesen Ansätzen selbstverständlicher gebraucht als in den bisher vorgestellten. John Mbiti remythologisiert die Rede von Gott jenseits des Gleichgewichts der Kräfte in die Rede vom Christus Victor, der allen Grund zur Furcht vor dem Versagen bei der Kanalisierung der Kräfte beseitigt habe. Gegenwart Gottes wird erfahrbar in dem gemeinsamen Rückbezug auf diese Tat Jesu in der Eucharistie. Der katholische Theologe aus Tansania, Charles Nyamiti, bedient sich scholastischer Begrifflichkeit, um diese "Theologie der Fülle des Lebens" zu entfalten. Bei ihm ist es die bestimmende Rolle der immanenten Trinitätslehre, die in komplizierten Überlegungen für Afrika um die Funktion afrikanischer Ahnenverehrung bereichert wird, durch die Gott als über das kreatürliche Gleichgewicht hinausreichend gepriesen wird. Dennoch wird gerade bei ihm auch innerhalb des abendländischen Denkmusters deutlich, wie sehr das Gleichgewicht als notwendige Realisierung göttlicher Lebensschöpfung in seinem lebenserhaltenden Wert gewürdigt und für unverzichtbar gehalten wird. Dies ist nach Nyamiti die Weisheit traditioneller afrikanischer Religionen. Fabien Eboussi Boulaga, ein ehemaliger Jesuitenpriester aus Kamerun, geht in seinem Ansatz ganz ab von den Vergleich traditioneller afrikanischer Religionen und Christentum. Er versucht vielmehr, die systematischen Grundstrukturen, d.h. den Orientierungsrahmen, "christlicher Weltsicht" zu beschreiben. Sie bestehen nach seinem Modell darin, Partikularistisches in seiner Einzigartigkeit zu würdigen, jedoch nicht absolut zu setzen. Anthropologisch wird so von der "Person-Werdung" eines jeden Menschen gesprochen. Boulaga hält es nun für den Kern des
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christlichen Credos, nicht nur jeden einzelnen Vorgang solcher Person-Werdung (eines Menschen, einer Kultur) auf Gott zurückzuführen, sondern ausschließlich hierin Gott suchen und finden zu können. Person ist ein Mensch dann, wenn er selbstbestimmt für die Selbstbestimmung anderer eintreten kann, also seinen eigenen Horizont nicht verabsolutiert, sondern ihn öffnet für die Horizonte anderer. In diesem Sinne wird in Boulagas Modell Gott als die eigentlich freiheitsstiftende Kraft in seiner Funktion als "Grenzsprengung" bezeichnet. Freie Personen leben immerhin in der Vorläufigkeit ihrer orientierungliefernden Instanzen wie Tradition oder Heimat, nicht in statischer Vergangenheit, sondern aus einer verheißenen Zukunft heraus. Wie Nyamiti würdigt Boulaga das Gleichgewicht, solange es nicht zum Gefängnis wird und Veränderungen verbietet. Das folgende Kapitel stellt diese drei Ansätze nacheinander vor. Dabei wird ergänzend thematisch relevantes Zusatzmaterial anderer afrikanischer Autoren behandelt. Für die Verdeutlichung des Spezifikums von Charles Nyamitis AhnenChristologie ist die Darstellung des Hintergrunds thematisch ähnlicher Ansätze anderer afrikanischer Theologen besonders wichtig.
1. John Mbiti: Gott als Ewigkeit der neuen Zukunft Einleitung Mit dem Ansatz des anglikanischen Theologen John Mbiti soll jetzt ein auch im Westen recht bekannt gewordener afrikanischer Autor vorgestellt werden.1 Mbiti argumentiert ähnlich wie Bimwenyi-Kweshi in einer Zwei-Stufen-Theologie und hält die afrikanischen Religionen für eine "praeparatio evangelica". Sein theologischer Ansatzpunkt liegt im Bereich der Soteriologie. Wie in der evangelikalen Diskontinuitätstheologie hält auch Mbiti die Furcht vor dem Versagen bei der Kanalisierung der Kräfte der Menschen in afrikanischer Religiosität für die seelsorgerliche Nahtstelle von traditioneller und christlicher Perspektive auf die Wirklichkeit. Daher setzt er bei der Begrenztheit des traditionellen Heilsbegriffs an, propagiert eine größere Reichweite der Hoffnung durch das Evangelium und mündet schließlich in eine Darstellung der eucharistischen Gemeinschaft als Verwirklichung der Einheit Gottes und der Menschen in Jesus Christus.
1 John Mbiti ist ein anglikanischer Priester aus Kenia. E r promovierte 1963 in Oxford, war viele Jahre im Ökumenischen Institut in Bossey tätig und lebt heute in Burgdorf / Schweiz.
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a) Die Diskussion über den afrikanischen Zeitbegriff In der Veranschaulichung der Strukturen afrikanischer Weltsicht durch das Vitalismus-Modell wurde bereits auf den restaurativen Grundzug traditioneller afrikanischer Hoffnung auf Heil hingewiesen.2 Wie die Kontinuität im Kräftemeer durch die Bewahrung der Tradition aufrechterhalten wird, orientiert sich auch die Hoffnung auf künftige Lebensbewahrung an den Strukturen bewährter Muster der Kanalisierung der Kräfte. In der Befreiungstheologie Samuel Kibichos taucht dieses Element als Wiederherstellung der Ordnung wieder auf und wird verbunden mit der These, Gottes Schöpfung enthalte bereits in ihren Strukturen alles, was für die Verwirklichung von lebenserhaltendem Gleichgewicht nötig sei. Wenn Gott nicht mehr garantieren kann als die Möglichkeit der stetigen Realisierung von Gleichgewicht, durch das sich schon in der Vergangenheit stets das Leben vor dem Untergang bewahrt hat, dann werden die unterschiedlichen Stufen der Erfahrung von Zeit unwesentlich: Das Gleichgewicht der Vergangenheit wird dasselbe sein wie das der Zukunft, und so ist es nur sinnvoll, sich bei der Gestaltung der Zukunft an den Strukturen der Vergangenheit zu orientieren. Es ist diese restaurative Art von Hoffnung, die John Mbiti versuchte, mit seinen Untersuchungen zum traditionellen afrikanischen Zeitbegriff näher zu erklären.3 In seiner 1969 erstmals erschienenen umfassenden Arbeit über afrikanische Religion und Weltanschauung stellt er diese Theorie als "Schlüssel" des afrikanischen Weltverständnisses dar.4 1963 schon lag sie seiner Dissertation über neutesta-
2
S.o., Teil I., C.4.b).
Zu diesem Kapitel vgl. folgende Arbeiten Mbitis: - Afrikanische Religion und Weltanschauung. Berlin u.a. 1974 (Orig.: African Religions and Philosophy. London u.a. 1969.); hier zitiert als: Weltanschauung. - New Testament Eschatology in an African Background. A Study of the Encounter between New Testament Theology and African Traditional Concepts. Oxford 1971 (Dissertation); hier zitiert als: New Testament Eschatology. - Eschatologie und Jensseitsglaube. In: Bürkle (Hrsg.) 1968, 211-35 (Kurzfassung der Thesen in der Dissertation); hier zitiert als: Eschatologie· - African Concept of Time. In: Afr. Theol. Jour. 1,1968, 8-20 ( = Eschatology. In: Dickson / Eilingworth (Hrsg.) 1969, 159-84); hier zitiert als: Time. - New Testament Eschatology and the Akamba of Kenya. In: Barrett (Hrsg.) 1971,17-28; hier zitiert als: Akamba. - Ho soter hemon as an African Experience. In: Lindars / Smalley (Hrsg.) 1973, 397-414; hier zitiert als: African Experience. - Some Reflections on African Experience of Salvation Today. In: Samartha (Hrsg.) 1974, 108-119; hier zitiert als: Reflections. - Introduction to African Religion. London u.a. 1975; hier zitiert als: Introducion. - Le temps et l'espörance chritienne. In: Lumen Vitae 30 (Brüssel), 1975, 172-84 ( = Hope, Time and Christian Hope. In: Lumen vitae 30 (Washington), 1975/1,93-104); hier zitiert als: Le temps. - Christianity and African Culture. In: JThSA, Heft 20,1977,26-40; hier zitiert als: Christianity. - Rechenschaft von der Hoffnung in Afrika. 1. Beispiel aus: Hoffnung in Widerspruch und Begegnung. Zehn Beispiele. In: Müller-Fahrenholz (Hrsg.) 1979, 61-72; hier zitiert als: Rechenschaft. - A Change to the African Concept of Man through Christian Influence. In: Robinson (Hrsg.) 1980, 54-63; hier zitiert als: Change. - Eschatologie im Kontext afrikanischen Christentums. In: Art. Eschatologie. In: EKL, 3. Aufl. 1985,1120-21; hier zitiert als: Eschatologie im Kontext. - Bibel und Theologie im afrikanischen Christentum. Göttingen 1987 (Orig.: Bible and Theology in African Christianity. Nairobi 1986); hier zitert als: Bibel. 4
Weltanschauung, 18ff.
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mentliche Eschatologie vor afrikanischem Hintergrund zugrunde, die 1971 veröffentlicht wurde.5 Bis in die jüngste Zeit wurde er nicht müde zu betonen: Afrikanisches traditionelles Weltverständnis kenne keine weite Zukunftsdimension. Diese lernten Afrikaner vielmehr erst mit der christlichen Eschatologie oder dem Einfluß westlicher technisierter Welt kennen.6 Die traditionelle afrikanische Zukunftserwartung reiche nicht über ein paar Monate bis maximal zwei Jahre hinaus;7 sie sei Teil eines Geschichtsbegriffs, der nicht "'vorwärts' orientiert" sei.8 Das, was erwartet werde, unterscheide sich nicht grundlegend vom Inhalt des "sasa" (Suaheli-Wort für unmittelbare "Jetztzeit")9 und dem "samani" (die an die Vergangenheit gekoppelte "Makrozeit")10. Dieser Geschichtsbegriff begreift Geschichte ausschließlich als Urgeschichte.11 In dieser Kurzfassung hat Mbiti seine These in seinen jüngeren Schriften wiederholt und in dieser Form ist sie auch weitgehend von anderen Autoren diskutiert worden. Dabei wird der weitere Begründungszusammenhang, in dem Mbiti sie 1963 entwickelte, unberücksichtigt gelassen. Er erklärt nämlich diesen Zeitbegriff damit, daß für Afrikaner Zeit eine Verbindung von Ereignissen sei und somit nur "erlebte Zeit" als Zeit gelte. Da in der Zukunft noch keine Ereignisse stattgefunden hätten, sei sie so etwas wie "Nicht-Zeit" oder allerhöchstens "potentielle Zeit".12 Joshua W. Sempebwa stellt diesen Zusammenhang von Mbitis Theorie deutlicher heraus, indem er die Verbindung zum Erfahrungsbegriff betont.13 Zu-
^ New Testament Eschatology. 6
New Testament Eschatology, 31; Time, 20. In Christianity, 39/40, stellt Mbiti das Fehlen eines Zukunftsbegriffes als Charakteristikum von Kultur schlechthin dar. 7 New Testament Eschatology, 28: individuell verschieden; Time, 11; Akamba, 18f. 8
Vgl. Weltanschauung, 30; New Testament Eschatology, 26-32; Time, 10, Eschatologie, 212. - Vgl. auch Osuji, Concept of Salvation, 67/68: Igbo-Heilsbegriff ist nicht teleologisch.
' In New Testament Eschatology in der Sprache der Akamba "tene", 27ff. Weltanschauung, 28-30; in New Testament Eschatology in Akamba-Sprache "mituki", 27ff; Time, 15/16; Eschatologie, 212/13. 11 Weltanschauung, 30.Vgl. auch Time, 16/17; Eschatologie, 214/15. - Mbitis Dissertation entstand in der theologischen Atmosphäre des Nachdenkens im Westen über die Relation von Offenbarung und Geschichte, in der auch in der alttestamentlichen Wissenschaft die These von einem in seiner kulturellen Umwelt angeblich einmaligen linearen hebräischen Geschichtsbegriff aufgestellt wurde. Dieses Schema entspricht dem der Mbitischen These. Zur Kritik daran vgl. James Barr, z.B. die auch in deutscher Sprache erschienene Aufsatzsammlung: Alt und Neu der biblischen Überlieferung. München 1967; hier 61-98: Geschichte und Offenbarung; hier 68/69. 12
New Testament Eschatology, 24ff; Time, 10; Weltanschauung, 21ff; Eschatologie, 211.
13 J.W. Sempebwa: The Ontological and Normative Structure in the Social Reality of a Bantu-Society. Phil. Diss. Heidelberg 1978; hier zitiert als: Ontology, vgl. hier 73ff.
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kunft kommt in diesem Zeitbegriff zum Ausdruck in Begriffen des "ewigen Gestern",14 aus der "endlosen Zeit".15 Ein Kalender im traditionellen Afrika enthält daher auch keine absoluten Daten, sondern Begriffe von "ewig gestrigen" Erfahrungen aus dem Zyklus der Natur. 16 Im Grunde sagt Sempebwa nichts Neues im Vergleich zu Mbiti, hat aber mit seinem Ansatz beim Erfahrungsbegriff einen geschickteren Zugang zur Darstellung afrikanischer Weltsicht gewählt als Mbiti mit der Isolierung des Zeitbegriffs. In Mbitis jüngster Monographie, in der er sehr ausführlich über den Heilsbegriff afrikanischer Christen schreibt, spielt denn auch die Zeitthese nicht mehr so eine bestimmende Rolle. Vielmehr steht die Erfahrung von Heil als Erlösung im Vordergrund der Darstellung. 17 Auch in unserem Beschreibungsmodell spielt der Erfahrungsbegriff eine große Rolle: Die Realisierung der Kräfte zugunsten der Lebensbewahrung nach dem Muster der Orientierung an Tradition und Gemeinschaft ist immer wieder geschehende Welt-Erfahrung. Das ist gemeint mit dem ebenfalls bereits von Mbiti erwähnten Slogan aus dem afrikanischen "Volksmund", der Europäer "habe" Zeit, der Afrikaner hingegen "schaffe" Zeit. 18 Afrikanische Christen "sind entschlossen, ihre Erfahrung von Heil und deren Umsetzung so zu erweitern, daß sie allen Formen der Bedrohung begegnen können", schreibt John Mbiti.19 In ihrem Begründungszusammenhang verstanden ist Mbitis Zeit-These auch besser geschützt gegen das Mißverständnis, mit ihr werde traditionellen Afrikanern jegliches Antizipieren von Zukunft abgesprochen. In der kritischen Mbiti-Rezeption findet sich dieses Mißverständnis sehr häufig.20 Auch im zyklischen Zeitver-
14
Ontology, 90.
^ Ontology, 89. Dieser Begriff entspricht Mbitis "samani". Ontology, 82/83: z.B. Januar = "During this time the bananas are harvested". Vgl. auch Mbiti, New Testament Eschatology, 29. Er schreibt 1975 von "minor" und "major rhythm of time"; Introduction, 35. - Vgl. auch die Zeitangaben in Chinua Achebes Roman Things Fall Apart"! 17
Vgl. Bibel,119-54 und 207-09.
18 . . . Mbiti, Time, 13; Rücker, "Afrikanische Theologie",120; Moreau, Critique (s.u. übernächste Anm.), 39; Akiiki, The Bantu Case (s.u. übernächste Anm.), 360. 19
Bibel, 208.
20
Zur Diskussion über Mbitis Zeit-These vgl. folgende Literatur: - J.M. Agossou: Appropriation et Maitrise du Temps par le N6gro-Africain: Essai. In: Savannes et Forets 3, 1980, 117-28; hier zitiert als: Appropriation. - A.B.T. Byaruhanga Akiiki: The Philosophy and Theology of Time in Africa. The Bantu Case. In: AFER 22, 1980, 357-69; hier zitiert als: Bantu Case. - Ders.: The Luo Philosophy of Time. In: AFER 24, 1982/3, 164-70; hier zitiert als: Luo Philosophy. - Β. Bujo, Afrikanische Theologie, 32ff. - B.W. Burleson: John Mbiti as Anti-Historian of Theology. In: Afr. Theol. Jour., 1987/2,104-20; hier zitiert als Anti-Historian. - Β. Kato, Pitfalls, 57ff. - A.S. Moreau: A Critique of John Mbiti's Understanding of the African Concept of Time. In: East Africa Journal of Evangelical Theology 5, 1986/2,36-48; hier zitiert als: Critique. - N.M. Mtega: Analogy and Theolo-
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ständnis, so lautet das Argument, gebe es eine Vorstellung von weiterer Zukunft; traditionelle Afrikaner hätten das schließlich bewiesen, indem sie noch ungeborene Babies hätten miteinander verheiraten können.21 Gerade diese Art von "Zukunftsplanung" entspricht ja dem, was Mbiti mit seinem samani-Begriff von an die Vergangenheit gebundener Zukunftsvorstellung meint.22 Kritik an Mbitis These wird durch begriffliche Unscharfe in Mbitis Darstellung durchaus erleichtert.23 Seine Behauptung von dem sehr nahen Zukunftsbegriff im zyklischen Zeitverständnis ist irreführend, weil sie die Vorstellung von den samani-eingebundenen wiederkehrenden Ereignissen auszuschließen scheint. Im zyklischen Zeitverständnis fehlt ja nicht das Wissen um die Tatsache, daß es Erfahrungen in der Zukunft geben wird - darin haben die Kritiker sicherlich recht. Vielmehr ist das eigentlich Wichtige doch, daß diese Erfahrungen nicht als η e u e Erfahrungen vorgestellt werden können.24 Darum sieht Mbiti die "Makrozeit" samani an die Vergangenheit gical Language in the Summa Contra Gentiles. Frankfurt u.a. 1984, hier 157-59; hier zitiert als: Analogy. - L.W.T. Sankey: Reader's Comments: "African Concept of Time". In: Africa Theological Journal, 1969/2, 94-101; hier zitiert als: Comments. - J.C.Thomas: What is African Theology? In: Ghana Bulletin of Theology 1973/4,14-30; hier: 21-25; hier zitiert als: What is. 21 So Kato, Pitfalls, 60. Vgl. auch Sankey, Comments, 94-96; Moreau, Critique, 42/43. Bdndzet Bujo beruft sich interessanterweise auf die Arbeit Max Secklers über das geschichtstheologische Denken bei Thomas von Aquin, in der herausgestellt werde, daß auch im zyklischen Zeitverständnis eine "heilsgeschichtliche Dimension" vorhanden sei. In afrikanischer Weltsicht würden in diesem Sinne die Ahnen als "Modelle, die die Zukunft garantieren", verstanden; Bujo, Afrikanische Theologie, 32ff, bes. 34/35, hier auch die Berufung auf M.Seckler: Das Heil in der Geschichte. Geschichtstheologisches Denken bei Thomas von Aquin. München 1964.
22
Vgl. New Testament Eschatology, 24: "The future is virtually absent because events which lie in the future have not been realized and cannot, therefore, constitute Time (...).(...) only events come and go, often in a rhythmic succession" und bes. 28: "Only what is in the rhythm of natural phenomena (...) can be thought and expected to take place as it has always done." - Diese "Rehabilitation" Mbitis soll Kritik an seinem methodischen Vorgehen allerdings nicht ausschließen! 23
Neben der Isolation der These aus dem Begründungszusammenhang führt Mbitis methodische Unscharfe dazu, daß er mißverstanden wird. So wirken z.B. seine religionsgeschichtlichen Beispiele wenig überzeugend, weil sie sich weder auf Feldstudien noch auf systematische Lektüre ethnologischer Literatur stützen, sondern hauptsächlich von persönlichen Informationen Mbitis über seinen eigenen Stamm, den der Akamba, leben. Dies kritisiert Thomas, What is, 23. Mbitis Generalisierungen zu Aussagen über ganz Afrika werden dadurch als um so fragwürdiger empfunden; vgl. auch Moreau, Critique, 41/42 und 43; Sankey, Comments, 94; Mtega, Analogy, 157. Für nicht überzeugend werden auch Mbitis philologische Begründungen gehalten; vielleicht schließt er sich darin auch zu sehr an eine abendländische, auch inzwischen veraltete religionsgeschichtliche Arbeitsmethode an; zur Kritik vgl. Mtega, Analogy, 158. ^ Dies wird leider auch von E. Uzukwu (CSSp) aus Nigeria nicht diskutiert, obwohl dieser behauptet, die traditionelle afrikanische Weltsicht biete mehr Möglichkeiten zur Veränderung als man ihr zutraue, weil sie - wie er anhand eines Igbo-Gebetes darstellen zu können glaubt - nicht von einem abgeschlossenen Weltbild ausgehe. Dies wird jedoch von ihm nicht genügend erläutert; vgl. Uzukwu: Der spirituelle Gehalt der Igbo-Gebete. In: Mulago (Hrsg.) 1986, 71-92; 82: "So scheint mir die Behauptung vertretbar, daß das Prinzip der Veränderung sozusagen eingebaut ist in die Art und Weise, wie diese Gemeinschaft das Universum erfährt." Im Prinzip heißt das aber dann doch: "(...) jedes Wesen (sollte) seiner Art treu bleiben, und es sollten Eintracht und Einklang herrschen, um das für die Verwirklichung des menschlichen Geschickes nötige Gleichgewicht herzustellen."; ebda, 92.
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gekoppelt. Hinter seiner Theorie von sasa und samani steht das, was wir im Zusammenhang mit der Theologie S.Kibichos als "konservativen Befreiungsbegriff' entdeckten, der aus den traditionellen afrikanischen Vorstellungen von Erlösung als Restauration stammt oder ihm zumindest ähnlich ist.25 Allerdings finden wir in Mbitis zahlreichen Schriften nirgends eine Kritik an dem schöpfungsgebundenen Heilsbegriff afrikanischer Religionen. Vielmehr stellt er diese weiterhin dar als eine praeparatio evangelica. In erster Linie scheint es ihm um die Vermeidung von Mißverständnissen bei der Evangelisation zu gehen. Heil bedeutete für die afrikanischen Menschen konkrete Erfahrung von vergehender Lebensbedrohung, also von überstandener Krankheit oder Dürre, die ständig wiederkehrt. Die Missionare hingegen meinten damit eher eine Hoffnung auf eine einmalige, grundsätzliche Wendung des Schicksals der Menschen in ihrer Beziehung zu Gott und hätten dies mit einem moralischen Begriff von Sünde verbunden.26 Die konkreten Hoffnungen der Afrikaner auf eine rhythmische Wiederholung gegenwärtiger Heilserfahrung müßten durch das auf Einmaligkeit abzielende Heilsverständnis der Missionare früher oder später enttäuscht werden.27 Mbiti sucht nun nach einem theologischen Ansatz, in dem eben die seiner Meinung nach von Afrikanern gesuchte wiederholbare Erfahrung von gegenwärtigem Heil ermöglicht wird. "Afrikanische" Theologie war für ihn darum lange eine Sakramenten-Theologie, nach der besonders in der Eucharistie die heilsame Gegenwart Christi immer wieder neu erfahren werden kann.28
So auch J . Pdnoukou: Christologie au village. In: Kabasdld / Dor6 / Luneau (Hrsg.) 1986, 69-106; hier 86 über die Religion der Ewe-Mina in Süd-Togo:"(...) ce que l'homme est et sera ddfinitivement lui est ddjä doiw6 au ddpart rdellement dans l'au-dclä ce qu'il aura fait de so destin ici-bas, en relation avec son univers socio-cosmique." 2 5
26
Vgl. Mbiti, Reflections, HOff; Akamba, 22; Soter, 406ff; Change, 10; Bibel, 141.
27
In diesen Zusammenhang gehört auch Mbitis Kritik an der Theologie der African Inland Mission, sie schüre bei den Afrikanern durch ihre ausschließlich linearen eschatologischen Aussagen über das Zweite Kommen Christi leidvolle Naherwartungsenttäuschung; vgl. New Testament Eschatology, 5Iff; Akamba, 20ff. - Mbiti erklärt sich übrigens auch das Entstehen der schon 1968 mehr als 6000 Afrikanischen Unabhängigen Kirchen aus solcher Enttäuschung: in ihnen könnten die Menschen ihre Zukunftshoffnungen auf eine (lebende) Zentralfigur oder -lehre richten; vgl. New Testament Eschatology, 61.
28
New Testament Eschatology, 91ff; Akamba, 23ff; Change, 60/61; nicht mehr so ausschließlich in Bibel, vgl. dort z.B. 152:"(...) das Abendmahl und andere Formen von Glaubensgemeinschaften sind Ausdrücke der unterstützenden, nährenden und hoffnungsbringenden Handlungen, die sich aus der Erlösung in der Gemeinschaft ergeben."
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b) Die neue Zukunft in der Zeitlosigkeit der vollkommenen Restauration Es ist schwer zu sagen, worin denn nun für Mbiti das Heil besteht, das in der Eucharistie erfahren wird. Mit Recht kritisiert J.GThomas an Mbitis Theologie, daß er den Begriff "Christus" nicht mehr fülle.29 Mbitis "sakramentale Eschatologie" scheint auch nicht so gemeint zu sein, daß diese Füllung durch die jeweils konkrete Erfahrung von Heil geschehen soll. Die konkreten Erlösungshoffnungen der traditionellen Afrikaner auf Beendigung einer Dürre oder Heilung eines Kranken kommen in diesem Zusammenhang nicht mehr zur Sprache. Dennoch soll diese Art von Heilserfahrung doch gerade ihnen entsprechen. Es gibt keine wirklich rational faßbare Lösung dieses Problems in Mbitis Texten. Hier ist die Mbiti-Interpretation von Blake Burleson hilfreich, um den weiteren Weg der Gedanken Mbitis zu beschreiben: Burleson vergleicht Mbitis Zeit-These mit der Theorie von Mircea Eliade, der "archaische Mensch" organisiere seine Weltsicht nach dem "Mythos der ewigen Rückkehr" und versuche, durch den Ritus in die Zeitlosigkeit eines ursprünglichen "in illo tempore" (zurück)zugelangen. 30 Dieses Schema findet Burleson auch bei Mbiti, und zwar schon in dessen Definition von sasa und samani, so daß Burleson sasa schließlich mit Zeit und Geschichte, samani mit der Zeitlosigkeit der Urgeschichte identifiziert. 31 Mbitis Heilsvorstellung sei es im Grunde, der Zeitverhaftung der Geschichte zu entfliehen und in die Zeitlosigkeit des samani gelangen zu können. Mbiti selbst stellt dies als "Rückkehr" dar, wenn er sich auf afrikanische Schöpfungsmythen bezieht und aus ihnen die Heilssehnsucht afrikanischer Weltsicht ableitet, auf die christliche Verkündigung zu reagieren habe: Gott und Mensch seien einmal nahe beieinander gewesen, bevor sich Gott in den Himmel zurückgezogen habe. Die neue Hoffnung durch Christus erlaube es, mit der Wiederherstellung der ursprünglichen Beziehung von Gott und Mensch "im nächsten Leben" zu rechnen. 32 Begründet wird diese Hoffnung von Mbiti ebenfalls mythologisch: Jesus sei als Gott-Mensch der Besieger aller bösen Mächte ("Christus Victor"), stärker als jeder Heilsbringer bisher. Daher bietet allein die Erfahrung der Gemeinschaft mit ihm Erfüllung der
29
Thomas, What is, 22/23.
Trt
Vgl.Burleson, Anti-Historian, 104 und Mircea Eliade: Cosmos and History. The Myth of the Eternal Return. New York 1954. Eine ähnliche Behandlung des Zeit-Themas findet sich bei Agossou: "Le partage du temps en 'concret africain' et abstrait (malhdmatique) occidental n'existe que dans l'esprit de ceux qui les ont cr66s. Le temps ce lieu de notre croissance spirituelle, connait deux aspects fondamentaux: Temps Humain et Divin.": Α., Appropriation, 124. Reflections, 117. Vgl. auch o. das Kapitel dieser Arbeit über die Diskussion über den afrikanischen "deus remotus", Teil I., A.2.
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Hoffnung auf Einheit mit Gott. 33 Erfüllung von Hoffnung heißt hier: Wiederherstellung dessen, das am Anfang verloren schien.34 Burleson zitiert aus einem Manuskript Mbitis, in dem dieser Christus als "göttliches Chameleon" bezeichnet. 35 Er weist mit Recht auf die zentrale Funktion des Chameleons als Überbringer der Unsterblichkeitsbotschaft in afrikanischen Mythen hin.36 Mbiti setzt in seiner Bezugnahme auf die afrikanische Weltsicht also an der Furcht vor dem Versagen bei der Kanalisierung der Kräfte ein. In dieser Perspektive stellt sich afrikanische Wirklichkeit dualistisch als Kampfplatz von guten und bösen Mächten dar.37 Reden von Gott als einer Instanz, die über der Wirklichkeit steht und in diese verändernd eingreift, wird in diesem Zusammenhang in erster Linie als Reden von einem Sieger formuliert, der diesen Kampf beenden kann. In diesem Sinne versteht auch Stephen Okafor die "Furcht der Vorfahren" als eine "Illusion", die mit der Rede von der Auferstehung Jesu endgültig zerstört werde und damit den Sieg ermögliche für den 'Triumph des Lebens", aus dem heraus Furcht und Haß nicht mehr nötig seien.38 Diese soteriologische Christologie ist eine mythologische Redeweise vom grundsätzlich verändernden Eingreifen Gottes in die Welt zu deren Heil. Sie hat die Struktur des Rückbezugs auf einmaliges vergangenes Handeln Gottes, in dem das Heil schon vollständig realisiert wurde. Die mythologische Christus-Victor-Theorie wird von ihren Vertretern in der Regel - wie auch von Mbiti - als Begründung der neuen Hoffnung auf die Fülle des Lebens formuliert. Im Grunde ist sie jedoch eine Folge dieses Credos von Gott jenseits des Gleichgewichts der Kräfte.
Mbiti betont ausdrücklich, daß Christus in Afrika als Manifestation des allmächtigen Gottes wichtig sei und nicht als leidender am Kreuz; Soter, 402 und 411/12; Christologie, 78. 34
Christologie, 82.
IC
In einem unveröffentlichten Artikel für die "Graduate School of Ecumenical Studies " des ORK in Bossey habe Mbiti geschrieben: O n e may call Jesus Christ the divine chameleon. He is the heavenly chameleon who is present with us and yet often camouflaged. We seek Him, yet often He eludes us. We try to frame Him, yet He is beyond any framework (of time) paradoxically. He is like the chameleon also in as far as those who seek Him find Him within their settings - and is known in a diversity of answers many of which have their own validity."; zitiert nach Burleson, Anti-Historian, 114. Burleson, Anti-Historian, 115: "In the Akamba Zamani, the chameleon was sent by Mulungu (God) to announce the news that men were to live forever. But the chameleon lingered on the way and stammered in delivering the message. Thus man was thrown into the Sasa and lost his immortality. Now Mbiti envisions Jesus as he who fills the 'mythological' gap. He is the Divine chameleon bringing the message of immortality. He has the power to effect it, the power to return man to the Zamani." 37
Vgl. ο., Teil I., C.2.d).
TU
Vgl. Okafor, Concepts, 149: "Therefore to turn to Christ is to turn to God and thus obtain the long awaited chance of participating in the destruction of the illusion, of death and all the other anti-life forces like sin, hate, lack of love for God and neighbour, enforced individualism or totalitarianism (that is to say, absence of commensality) and selfishness etc."
153
Mbitis "sasa" ist nicht gar so eindeutig als negative Zeiterfahrung gefaßt wie Burleson es wohl stärker in Anlehnung an Eliade darstellt. Dennoch ist es Burlesons Verdienst, gezeigt zu haben, daß Mbiti die Struktur der restaurativen Eschatologie nicht nur als typisch für afrikanische Religionen beschreibt, sondern sie auch beibehält, wenn er afrikanische Theologie entwickelt. In der verkürzten Fassung der Zeitthese wird das gar nicht mehr deutlich. Auch wenn Mbiti von der umfassenderen Hoffnung der Christen spricht,39 verläßt er nicht den Grundsatz, daß Heilserfahrung sich orientiert an bereits bewährten Mustern von gelingender Lebensbewahrung. Die Erfahrungsmuster der afrikanischen Tradition werden jetzt allerdings ausgetauscht durch diejenigen, die durch die Lebensgeschichte Jesu geliefert werden. 40 So wie Jesus in seiner Gotthaftigkeit die Mächte des Bösen besiegt hat, so wird es auch heute weiterhin Menschen gelingen, diese Mächte in Schach zu halten, wenn sie die Gemeinschaft mit diesem Jesus in ihrer Gegenwart erfahren. Das geschieht, so Mbiti, in der Eucharistie. Es wird vorausgesetzt, daß sich die Schöpfung in der Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott lebensbewahrend realisiert. 41 Das Neue an dieser Hoffnung ist dann doch eine größere Unabhängigkeit von kulturgebundenen Traditionen - von der bereits realisierten Schöpfung also. Damit relativiert sich auch die Vergangenheitsgebundenheit der Zukunftsvorstellung: In dem mythologischen Bezug auf Jesu Leben ist es die Vergangenheit Gottes, die die Zukunft bestimmt - die Verheißung. Die Struktur der Heilserwartung wäre demnach bei Mbiti durchaus zirkelhaft, jedoch wäre es ein einmaliger Zirkel, der, in Zeitbegriffen ausgedrückt, sich einmalig "von der Unendlichkeit in die Unendlichkeit" bewegt und nicht als ewige Wiederholung darzustellen wäre 42 Darum legt Mbiti Wert darauf zu betonen, daß das Neue Testament selbst diese Doppelheit von einmaliger Zielgerichtetheit und ewiger Kreisförmigkeit kenne. 43
39
Reflections, 113/14; Bibel, 141.
40
Christologie, 75ff; Bibel, 145.
^ Neuerdings bedient sich Mbiti des problematischen Begriffspaares "geistig" und "körperlich", um dies zu sagen; vgl. Bibel, 144: "Wenn die geistige Welt nicht erlöst wird, kann auch die körperliche Welt nicht sicher sein." ^ Eschatologie, 211. Vgl. auch Mbitis Versuch, christliche Hoffnung im Begriff von "einer einzigen Gegenwart, der Gegenwart Gottes" zu beschreiben; New Testament Eschatology, 168/69. Die Einmaligkeit des Heilsgeschehens sieht Mbiti in der neutestamentlichen Apokalyptik ausgedrückt, und es ist sein Anliegen, zu zeigen, daß eine solche apokalyptische Sprache in Afrika mißverstanden werden könnte im Sinne eines Ereignisses, das innerhalb des ewigen sich ständig wiederholenden Kreislaufes stattfindet und daher sehr bald erwartet wird; vgl. New Testament Eschatology, 2 5 , 3 1 , 4 3 und passim; Eschatologie, 215, 218ff; zuletzt in Eschatologie im Kontext, 1121/22. Vgl. New Testament Eschatology, 91ff: ein "Vertikaler", linearer, geschichtlicher und ein "horizontaler", zyklischer, urgeschichtlicher Zeitbegriff.
154
Mbiti entwickelt seine Theologie in Abgrenzung von einer überwiegend fundamentalistischen evangelikalen Alternative. 44 Es geht ihm darum, eine christliche Heilshoffnung zu erklären, die weder auf das persönliche Innere von Individuen begrenzt,45 noch moralistisch verengt ist46 und die keine Flucht aus der Realität darstellt47. So sei die Theologie als Theologie der Missionare gewesen.48 Die Sprache des afrikanischen Mythos und die Form des gemeinschaftlichen Ritus ist ihm im Vergleich dazu eine sinnvollere afrikanische Alternative. Darum ist ihm lange Jahre die Eucharistie so wichtig, und auch heute gibt er deren Funktion nicht auf, sondern erweitert im Grunde lediglich die Palette der rituellen Erfahrbarkeit Gottes.49 Die in Zeitbegriffen ausgedrückte Gebundenheit der Hoffnung an die realisierte Schöpfung, die der Hoffnungsstruktur afrikanischer Weltsicht entspricht, wird hier jedoch zur Orientierung an der Verheißung Gottes in Christus.50 Doch sind auch die Grenzen dieses Ansatzes deutlich zu erkennen: Wie will Mbiti vermeiden, daß es anstelle einer Flucht in die Jenseitshoffnung nun zu einer Flucht in den (Eucharistie-)Ritus kommt? Wie soll die kosmische Dimension des Heilsbegriffs gefaßt werden, wenn er die konkreten Probleme der Zeit schon in der Gegenwart in mythische Zeitlosigkeit auflöst? Ist es vielleicht gar nicht der richtige Weg, das gesamte Heil von der direkten Erlösungserfahrung in der Gegenwart her bestimmen zu wollen? Immerhin wird besonders in Mbitis neustem Buch, aber auch schon früher, der Gedanke deutlich, daß das Heil, auf das Christen hoffen,
Als Beispiel für diese Alternative vgl. Kato, Pitfalls. S. auch o., Teil II., A.4.: Exkurs über die Satisfaktionstheorie in afrikanischer Theologie. 45
Reflections, 113/14; Soter, 406; Bibel, 144,151f.
^ Darum wendet er sich gegen die Funktion des Sündenbegriffs in afrikanischer Theologie; Reflections, 113; Soter, 408/09; Change, 10. New Testament Eschatology, 88/89: Christliche Hoffnung richte sich sehr wohl auf ein neues Leben, das im Kontrast stehe zum gegenwärtigen, jedoch nicht als eine "heavenly Utopia" vorgestellt werde. Dort weiter 89: "Just as in Jesus God has become as near and visible as possible, so also in Him Heaven becomes as tangible and available as possible, within and beyond Time. In Him, therefore, Christian Eschatology becomes practical Eschatology."- Neuerdings äußert sich Mbiti jedoch zurückhaltender und weniger kritisch über diese Muster; vgl. die Passage über die ostafrikanische Erweckungsfrömmigkeit in Bibel, 145ff. 48
S.o., Anm. 27 dieses Kapitels.
49
Vgl. bes. Bibel 153/54 ebenso wie die Erörterungen über die "Geographie der Erlösung", ebda, 149-51 und 209: "Pontius Pilatus hat vor 1950 Jahren gelebt, seine Geschichte liegt weit zurück. Aber Jerusalem besteht weiter, wir können es besuchen, wir können darin leben, wir können das 'Wo' dieses endgültigen Heilsgeschehens anschauen." 50
Als einen solchen Re-Mythologisierungsversuch beschreibt Werner Ustorf auch theologische Interpretationsmuster in den heilenden unabhängigen Kirchen Afrikas; vgl. Ustorf: Das Heilen in den unabhängigen Kirchen Schwarzafrikas. Ein Versuch interkulturellen Verstehens. (Habilitationsvortrag; gehalten vor der theologischen Fakultät in Heidelberg am 22.6.87.) In: ZMiss XIII, 1987/4,198-210; hier 209.
155
als Erfahrung zu beschreiben sei, die den Menschen durchaus in der Gegenwart des Lebens "heraushebt aus dem traditionellen religiösen Hintergrund". 51 Die in Burlesons Interpretation aufgezeigte innere Dynamik in der Zeit-These von geschichtlich-kultuereller Zeitlichkeit in ungeschichtliche, mythische Zeitlosigkeit ist auch in diesem Ansatz Mbitis zu beobachten und bedeutet allein noch nicht ein restauratives Festhalten am Bestehenden. Mbitis mythologisches Reden von der ewigen Gegenwart der Einheit mit Gott ist als ein Versuch zu beschreiben, mitten im Rahmen afrikanischer Bestimmung von Heil als Durchsetzung von lebensbewahrendem Gleichgewicht der Kräfte in der realisierten Schöpfung die Hoffnung auf eine neue, noch nicht realisierte und unter Umständen auch anders zu realisierende Schöpfung zu formulieren. 52 So sehr Gott als Schöpfer in der Achtung der Schöpfung als Lebensspender gelobt wird, so sehr will Mbiti doch noch deutlich machen können, daß nicht die Schöpfung, die wir kennen, schon Gott ist. Sein theologischer Ansatz bildet damit den Übergang zu den im folgenden Kapitel zu erörternden Versuchen afrikanischer Theologie, Gott als Schöpfer des neuen Lebens, das nicht die Lebensbedrohung in sich einschließen muß, zu preisen.
2. Charles Nyamiti: Gott als Garant des vorläufigen Gleichgewichts Einleitung Der katholische Theologe Charles Nyamiti ist ein eher "konservativer" Anhänger offizieller katholischer Theologie, wobei er insbesondere eine rationalistische Systematisierung christlicher "Wahrheiten" schätzt, wie sie in der neoscholastischen Schule seiner europäischen theologischen Ausbildung üblich war.S3 Klassisch-ka-
51
Bibel, 97.
52 New Testament Eschatology, 168/69: Hinweis auf die für diesen Zusammenhang wichtige Bibelstelle Rö 8,19ff über die "seufzende Schöpfung". Charles Nyamiti hat nach seiner theologischen Grundausbildung in Kinshasa in Löwen (Belgien) außer einem musikwissenschaftlichen Studium ein Theologie-Studium mit dem Schwerpunkt scholastischer Philosophie abgeschlossen. Seine Dissertation 1969 drehte sich um Fragen der Übernahme afrikanischer Initiationsriten in die christliche Liturgie; in Auszügen veröffentlicht als: The Transformation of the Tribal Initiation into the Rituals of Initiation Sacraments and Sacramentals. In: Cahiers des religions africaines. Vol. 5 (Travaux de doctorat en thdologie et en droit canonique. N.S., T.4). Louvain 1973. Im Anschluß an dieses Studium ging Nyamiti nach Wien und arbeitete dort an einer zweiten Dissertation in Völkerkunde über den Ahnenkult der Kikuyu, die 1975 abgeschlossen werden konnte. Auch in Wien beschäftigte er sich übrigens weiter mit der Musikwissenschaft. - Zu Informationen über Nyamiti s. H.Rücker: "Afrikanische Theologie": Charles Nyamiti, Tansania. In: Waidenfels (Hrsg.) 1982, 54-70; hier zitiert als: Nvamiti. s. S. 55/56. Nyamiti ist heute als Professor für Systematische Theologie am 1985 gegründeten Catholic Higher Institute of Eastern Africa (CHIEA) in Nairobi (Kenia) tätig.
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tholisch spricht er von zwei Wirklichkeitsebenen: von Natur und Übernatur in Bezug auf afrikanische Religionen, von Natur und Gnade in Bezug auf die christliche Theologie. Die ganzheitliche Weltsicht, die solche angeblich dualistischen Konzepte ausschließt, ist also offenbar seiner Meinung nach nicht so typisch für die traditionelle afrikanische Weltsicht wie alle bisher hier behandelten Autoren behaupten. 54 Der neo-scholastischen Schulung aus seinem europäischen Theologiestudium ist Nyamiti bis heute treu geblieben, obwohl er sich ausdrücklich darum bemüht, eine "afrikanische Theologie" zu entwickeln. Nicht nur Heribert Rücker, der sich im Rahmen seiner Studien mit Nyamiti beschäftigt hat, kritisiert diesen Ausgangspunkt als nicht-afrikanisch,55 sondern auch bei vielen seiner afrikanischen Kollegen scheint Nyamiti dafür nicht sehr viel Verständnis zu finden. Und in der Tat wirken seine Texte wie eine rationalistische Eigenwelt und inzwischen mindestens schon ein wenig "altmodisch". Es ist wohl nicht sehr wahrscheinlich, daß er damit Schule machen wird in den kommenden afrikanischen Theologengenerationen. Dennoch sind Nyamitis Arbeiten gerade in unserem Zusammenhang wichtig und hilfreich: Zum einen, weil er einer der wenigen afrikanischen Autoren ist, die sich überhaupt speziell mit dem Reden von Gott in afrikanischer Theologie beschäftigen, und zum andern, weil sich zeigen läßt, daß er durchaus "afrikanische" Gründe hat, das scholastische System der Ordnung christlicher Sätze als eine Form der Verbegrifflichung heranzuziehen. Die sogenannte katholische "natürliche Theologie", die wir schon durch Bimwenyi-Kweshi im afrikanischen Kontext - allerdings nicht in ihrer scholastischen Form - kennengelernt haben, erweist sich für Nyamiti schließlich als ein solides, für Katholiken traditionell anerkanntes Mittel, das Credo von Gott als "Fülle des Lebens" innerhalb des Gleichgewichts der Kräfte in seiner Schöpfung theoretisch zu formulieren und zu erklären.
54 Zu diesem Kapitel vgl. folgende Arbeiten von Charles Nyamiti: - African Tradition and the Christian God. Eldoret 1977; hier zitiert als: Christian God. - Christ's Resurrection in the Light of African Tribal Initiation Ritual. In: Pastoral Orientation Service 1979, No. 3, 4-13; hier zitiert als: Resurrection. - The African Sense of God's Motherhood in the Light of Christian Faith. In: AFER 23, 1981, 269-74; hier zitiert als: Motherhood. - Christ as Our Ancestor. Gweru (Zimbabwe) 1984; hier zitiert als: Christ. - The Mass as Divine and Ancestral Encounter Between the Living and the Dead. In: African Christian Studies 1/1,1985,28-48; hier zitiert als: Mass. - The Trinitarian Foundation of the Church's Teaching on Christian Marriage and Sexual Ethics. In: African Christian Studies 1/2,1985, 70-92; hier zitiert als: Trinitarian Foundation. - Autour de "Christ as Our Ancestor". (Interview mit Charles Nyamiti.) In: Telema 46, 1986, 37-38; hier zitiert als: Interview. - Uganda Martyrs: Ancestors of All Mankind. In: African Christian Studies 2/2, 1986, 41-66; hier zitiert als: Uganda Martyrs. - Christ's Ministry in the Light of African Tribal Initiation Ritual. In: African Christian Studies 3/1,1987, 65-87; hier zitiert als: Christ's Ministry. - Ancestral Kinship in the Trinity. An African Theology on the Trinity. In: A A Roest Crollius, SJ. (Hrsg.) 1987, 29-48; hier zitiert als: Ancestral Kinship. ^ S. Rücker, Nyamiti, passim, und "Afrikanische Theologie", 80/81.
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Basis seiner Argumentation ist also auch, wie für Bimwenyi-Kweshi, die These von der schrittweisen Zunahme des Wissens über Gott von den Religionen bis zum Christentum. Der Extrakt dieses Wissens, das Christen aus der Offenbarung Gottes selbst zugekommen sei, ist seiner Meinung nach in der klassischen (neu)scholastischen Theologie sinnvoll summiert. Vielleicht hat Heribert Rücker unrecht, wenn er Nyamiti unterstellt, er nehme die Sätze dieser Theologie als absolut und überkulturell, denn Nymaiti weiß durchaus, daß Theologie als Reflexion über die Offenbarung mit Hilfe von philosophischen Erklärungsmustern geschieht, die in der Erfahrung der Menschen gewachsen sind.56 So muß er also auch die klassische abendländische Theologie im abendländischen Kontext gewachsen sehen. Ihre "Güte" erweist sich für ihn allerdings nicht an diesem Kontext, sondern vielmehr darin, daß sie zur Gestalt der Kirche gehört. Es ist das (vielleicht auch in der afrikanischen Weltsicht?) geradezu ontologische Gewicht der Tradition, das ihn stark an die westliche Theologie bindet. 57 Daher kann er moderne westliche, besonders protestantische Theologie, oder auch katholische Ansätze, die (noch?) nicht in den festen Kern der dogmatischen Tradition seiner Kirche eingegangen sind, auch freimütig kritisieren58 oder sogar ganz allgemein behaupten:"(...) a baptisted Catholic belongs more to Christ's Ancestorship than a baptisted non-Catholic."59 Überwiegend sind diese anti-ökumenischen Töne bei Nyamiti jedoch nicht, und sie klingen im Textzusammenhang auch weit weniger aggressiv als im isolierten Zitat. Dies sollte deutlich werden, wenn jetzt im folgenden Nyamitis Arbeiten im einzelnen vorgestellt werden. Anschließend sollen bestimmte Grundzüge seines Ansatzes noch einmal im Licht des Zusammenhangs dieser Arbeit beleuchtet werden, die Nyamiti als afrikanischen Theologen zeigen. In diesem Teil des Kapitels wird auch die Kritik afrikanischer und nicht-afrikanischer Theologen an Nyamitis Methode erläutert und diskutiert werden. Charles Nyamiti möchte eine systematische Theologie auf dem Boden afrikanischen Christentums entwickeln. Dafür sichtet er die traditionellen Religionen und versucht, in ihnen Begriffe zu finden, mit deren Hilfe sich die "christliche Lehre" nicht nur für Afrikaner verständlich darstellen läßt, sondern durch die sich auch
56
Christian God, 72.
Vgl. Nyamitis Belegungsweise mit Auszügen aus dem II. Vaticanum oder auch aus den Schriften Thomas von Aquins in allen seinen Arbeiten. CO
S. die - allerdings sehr vorsichtige - Kritik an Moltmanns, Pannenbergs und Rahners Christologie in Christ, 43f, 47; Rahner-Kritik ebenso in Trinitarian Foundation, 88/89 Anm. 3; vgl. auch Kritik an Befreiungstheologie bes. in Christian God, 42/43. 59
Christ, 63.
158
u.U. Elemente dieser Lehre überhaupt einleuchtender erklären ließen.60 Nach der Phase der allgemein-theoretischen Erörterungen dieses Plans geht Nyamiti von den späten 70er Jahren an ans Werk und legt konkrete Ergebnisse dieser Bemühungen vor. Somit ist er einer der wenigen afrikanischen Autoren, die nicht nur über afrikanische Theologie schreiben, sondern sie wirklich konkret zu entwickeln versuchen. Basis für seine Überlegungen bleibt in allen seinen Schriften eine spekulative Theologie, in deren Mittelpunkt das Reden vom Wesen Gottes-in-sich in der Form der immanenten Trinitätslehre steht. Auf sie wird alles bezogen, was sich vom christlichen Glauben her sagen läßt - ganz gleich, ob durch Elemente afrikanischer Weltsicht ausgedrückt oder nicht. Sogar die Reihenfolge der Themen, die Nyamiti seit Ende der 70er Jahre behandelt, orientiert sich an der Trinitätslehre: 1977 das Buch über den Gottesbegriff (Christian God), 1979 der Aufsatz über die Rede von der Auferstehung Christi als Initiation in die Trinität (Resurrection; dieses Thema wird 1987 mit Christ's Ministry wiederaufgenommen), 1984 schließlich das Buch über afrikanische Christologie unter Einbeziehung traditioneller Ahnenverehrung (Christ) und schließlich, im zweiten Teil dieses Buches, die Lehre von der Gemeinschaft der Heiligen, ebenfalls verbunden mit traditioneller Ahnenverehrung. Die beiden Teile des Buches sind Überarbeitungen von älteren, unveröffentlichten Schriften. Im Anschluß an diese Publikation beschäftigt sich Nyamiti weiter im Rahmen der Trinitätslehre - mit von ihm immer besonders ekklesiologisch gewichteten Detailbereichen und Konsequenzen aus den bisher behandelten Themen (Messe, Sexualethik, Ahnenverehrung und Trinität). Für die Darstellung seiner theologischen Thesen werde ich mich besonders auf Christian God und Christ stützen. In seinem ersten Buch über den traditionellen afrikanischen Gottesbegriff im Zusammenhang christlicher Theologie (African Tradition and the Christian God) sieht Nyamiti grundsätzlich eine gemeinsame Basis für traditionelles und christliches Reden von Gott: Er spricht von einer "intrinsic oneness of African and Christian beliefs".61 Dies wird ihm in der kritischen Rezeption von katholischen Theo-
So z.B. in Ancestral Kinship, 31: 'The aim is both theological and pastoral: our theological reflections are intended to deepen our understanding of the trinitarian mystery, to render it, so to speak, at home in the African churches, and to contribute a further understanding of this mystery to the World Church." Zu Nyamitis methodischem Ansatz vgl. seine früheren Schriften: - African Theology, its Nature, Problems and Methods. Kampala 1971. - The Way to Christian Theology for Africa. Eldoret 1973. - The Scope of African Theology. Kampala 1973. Kurzfassung dt.: Afrikanische Kultur · Afrikanische Theologie. In: Sundermeier (Hrsg.) 1978,29-57. - Ansätze afrikanischer Theologie. In: Torres / Fabella (Hrsg.) 1980, 20-33. (Orig.: Approaches to African Theology. In: Torres / Fabella (Hrsg.) 1978, 31-45. Im großen und ganzen gleich ist das Referat: - Überlegungen methodischer Art zu einer Afrikanischen Theologie. In: Theologia Mundi 1975. Ökumenische Arbeitstagung. Hg. von Missio München und dem Missionswerk der Ev.-Luth. Kirche in Bayern. Ο J., 13-30. 61
Christian God, 18.
159
logen vorgeworfen.62 Dennoch sind für Nyamiti die Unterschiede zum christlichen Reden von Gott gravierend genug, um afrikanische Religionen auf untergeordneter Stufe rangieren zu lassen: Traditionelle Afrikaner kennen keinen Bundesgott, der die Menschen rettet, eine persönliche Beziehung zu ihnen hat und sich ihnen gegenüber als gnädig erweist.63 In der Terminologie dieser Arbeit hieße das: Traditionelle afrikanische Religionen lassen sich nicht mit einer Theologie der Fülle des Lebens interpretieren, sondern reden von Gott als der Garantie des Gleichgewichts der Kräfte. Aber - so Nyamiti weiter - Afrikaner können das, was der Bundesgott ihnen durch Christus von sich selbst sagt, mit ihren traditionellen Begriffen aufnehmen: z.B. mit der dynamistischen Weltsicht, die Gottes Wirken mit Kraft, Leben und Partizipation verbindet.64 Zum Reden von Gott werden diese Begriffe für Nyamiti jedoch erst, wenn sie sich in die immanente Trinitätslehre integrieren lassen. Und so kommt es denn zu den für protestantische Ohren vielleicht wunderlich klingenden Spekulationen über Kraft als Produkt von "Solidarität, Totalität und Kommunion" der drei Personen in Gott" oder über Einzelheiten der Partizipation der drei Personen.66 Immer scheint wichtig zu sein: Was nicht innerhalb der Trinität, also in Gott selbst, gilt, kann erst recht nicht gelten für die Beziehung Gott-Mensch oder eine gottgewollte der Menschen untereinander.67 Weil auch in Gott eine Person stark ist aufgrund der Dynamik von Geben und Empfangen, darum eignet sich diese tradtionelle afrikanische Weisheit auch für die christliche Theologie.68 Und weil in Gott dieses Geben und Empfangen vollkommene Partizipation an sich bildet, strebt die Schöpfung auf dieses Ziel hin.69 Auch die Frage,
Sehr vorsichtig A. Shorter: Theology in an multi-cultural church. In: A F E R 20, 1978, 164-68, hier: 166; stärker H. Rücker, Nyamiti, 66/67.
6 2
6 3
Christian God, 57.
6 4
Christian God, 53-65.
6 5
Christian God, 54.
6 6
Christian God, 62.
ffl S. dazu besonders den Aufsatz Trinitarian Foundation, in dem Nyamiti aus diesem Grund nun sogar wieder rückwärts von der katholischen Ehe- und Sexualethik aus sozusagen "heim" auf die immanente Trinität schließen zu können glaubt. So erklärt er die fruchtbringenden Relationen in Gott selbst. 6 8
Christian God, 54.
® Christian God, 62. S. auch: Christian God, 56, und Mass, 45f: "Trinity-centered life". Vgl. auch den kleinen Artikel des ebenfalls tansanischen katholischen Bischofs Christopher Mwoleka, der in ähnlicher Weise aus dem trinitarischen Reden von Gott sozialethische Perspektiven ableiten will: "We have behaved as though God had not revealed His inner intimate life to us. What we should do is to present the Trinity to people, not in abstract ideas, but in concrete facts of our human earthly life: present the life of the Trinity as shared and lived by us Christians here and now."; Mwoleka: Trinity and Community. In: A F E R 17, 1975/4, 204; auch in: Anderson / Stransky (Hrsg.) 1976,151-55, hier
160
welches biologische Geschlecht am ehesten mit dem Reden von Gott in Verbindung gebracht werden sollte, wird so angegangen: Zuerst werden die Begriffe Vater, Mutter, Androgynität in der afrikanischen Tradition kurz analysiert und dann schließlich auf die immanente Trinitätslehre übertragen. Das nimmt zumindest auf den ersten Blick (neu)scholastisch-skurrile Formen an: "Die Frage, die sich hier ergibt, ist: wenn Mütterlichkeit Gott zuzuschreiben ist, wer von den drei göttlichen Personen sollte Mutter genannt werden?"70 Zwar kann diese Frage gelöst werden (die erste Person oder alle drei sind mütterlich zu nennen, auf keinen Fall die zweite), und Thomas von Aquin hatte Unrecht, als er das Weibliche als "passiv" kennzeichnete, 71 jedoch wäre es eigentlich besser, alle geschlechtlichen Bezeichnungen in Bezug auf Gott zu vermeiden: "Sie sind fast unlöslich verbunden mit dem Fleisch, insbesondere im traditionellen afrikanischen Sinn."72 In dem späteren Aufsatz über Gottes Mütterlichkeit verzichtet Nyamiti ausnahmsweise auf die Übertragung auf die immanente Trinitätslehre und kommt daher auch zu einem anderen Resümee: Von Gott spreche man am besten in der Terminologie von "Elternschaft" - nicht, weil Mütterlichkeit zu wenig sei, sondern weil sie, nach psychologischen Erkenntnissen von Jung und Freud, als alleinige Komponente dem Menschen weder "psychische noch religiöse Balance" geben könne und sich daher für das Reden von Gott in solcher Einseitigkeit nicht empfehle 73 In dieser Argumentation setzt Nyamiti die mögliche (afrikanische) Redeweise ein in einen ungenannten Sprachschatz, aus dem sich offenbar zumindest ableiten läßt, welche Redeweise sich für das Reden von Gott der Christen n i c h t eignet. Die Trinitätslehre hat ganz offensichtlich für Nyamiti die Funktion eines solchen Sprachschatzes.
a) Reden von Gott im Modell des Redens von den Ahnen Nyamitis Hauptinteresse im Bereich der afrikanischen Weltsicht liegt jedoch nicht in deren direkten Aussagen über Gott. Er beschäftigt sich vielmehr mit der Vorstellung der Ahnen, die seiner Darstellung nach als Mittler und Heilsweg zu Gott galten, und überlegt, wie dieses zentrale Element afrikanischer Religiosität für die Formulierung christlicher Glaubensaussagen herangezogen werden könnte. Nya153. Mwoleka verzichtet allerdings vollständig auf eine theologische Begründung dieser Argumentation. 70
Christian God, 15.
71
Christian God, 15.
72
Christian God, 16.
73
Motherhood, bes. 274.
161
Anschluß an das Referat seiner Überlegungen sollen hier noch andere vergleichbare Ansätze afri arischer Theologen vorgestellt werden, um zu verdeutlichen, worin sich Nyamiti on ihnen unterscheidet und was sich für das Reden von Gott in afrikanischer Thei logie aus diesen Versuchen ergibt. Wie auch bei der Eehandlung der anderen afrikanischen Themenbereiche klärt Nyamiti zuerst die Bedeutung des Begriffs Ahne im afrikanischen Kontext und zeigt Parallelen in der christlichen Theologie auf: Ahne wird man erst nach dem Tod, der eine Initiation in eine andere Lebensform bedeutet, in der der Verstorbene in einer "mystischen Beziehung" zu seinen Verwandten steht.74 Er erweist sich ihnen gegenüber als wohltätig, solange sie die Kommunikaton mit ihm durch Gebete und Opfer aufrechterhalten. Andernfalls wird er ärgerlich und wird sie strafen. Der Ahne gilt als Quelle und Garant für Tradition und Ordnung. 75 In "Christ as Our Ancestor" hat Nyamiti diese Charakteristik noch ausgebaut und stärker systematisiert. Er stellt fünf Elemente heraus, die für einen Ahnen notwendig zutreffen müssen: Natürliche Beziehung (Verwandtschaft) zu den Lebenden (Blutsverwandtschaft oder eine andere Art), übernatürlicher Status nach dem Tod, Vermittlung (zwischen Gott und Menschen), Anspruch auf geregelte sakrale Kommunikation, Vorbild- und Urbildhaftigkeit. 76 Wichtig ist, daß nicht jeder Verstorbene ein Ahne werden könnte, sondern nur derjenige, der entsprechend der Stammesmoral und damit als "Freund Gottes" gelebt habe. 77 Die so beschriebene Beziehung des Ahnen zu den Lebenden vergleicht Nyamiti nun mit der Beziehung der christlichen Gemeinschaft (= Familie) zu Gott. Die Möglichkeit zu diesem Vergleich wird theologisch - genauer: christologisch begründet: durch Christus steht Gott mit seinem Volk in einem der afrikanischen Familienbeziehung ähnlichen Verhältnis.78 Dies wird das Thema in "Christ as Our Ancestor". Hier, in "African Tradition and the Christian God", liegt der Schwerpunkt auf der Ahnenschaft Gottes, des Vaters, dort wird er auf der "Bruder-Ahnenschaft" Christi, des Sohnes, bzw. der Heiligen liegen. Die Parallelen zu den Kennzeichen afrikanischer Ahnen werden jedoch auch in Christian God in der Geschichte Christi gesehen: in seinem Tod, in seiner Liebe zur Gemeinde, in seinem angeblichen Unmut über deren Gleichgültigkeit, in der Kommunikation der Menschen mit dem Erhöhten besonders durch die Eucharistie. Christus ist
74
Christian God, 46/47; Resurrection, 9.
75
Christian God, 46.
7