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German Pages [419] Year 2022
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 256
Marie Herberger
Menschenwürde in der Zwangsvollstreckung Zur Genese und teleologischen Strukturierung des Vollstreckungsschutzes
Mohr Siebeck
Marie Herberger, geboren 1990; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes; 2014 Erste Juristische Prüfung; Masterstudiengang Europäisches und Internationales Recht am Europa-Institut der Universität des Saarlandes; 2018 Promotion; 2020 Zweite Juristische Staatsprüfung; derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürger liches Recht und Zivilprozessrecht der Universität Passau. orcid.org/0000-0002-1914-582X
Veröffentlicht mit finanzieller Unterstützung der Universität Passau und der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung.
ISBN 978-3-16-161207-7 / eISBN 978-3-16-161208-4 DOI 10.1628/978-3-16-161208-4 ISSN 0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Stempel Garamond gesetzt und dort auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt. Es wurde von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
parentibus meis
Vorwort WEnn du von deinem Nehesten ein Kleid zum pfande nimpst / Soltu es jm widergeben / ehe die Sonne vntergehet / Denn sein Kleid ist sein einige decke seiner haut / darin er schlefft. (Aus: II. Buch Mose, Kapitel XXII, in der Übersetzung von Martin Luther, 1545)
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis zum Sommer 2021 berücksichtigt werden. Das Thema für die Untersuchung verdanke ich einer Anregung meines akademischen Lehrers Prof. Dr. Markus Würdinger. Das wissenschaftliche Gespräch mit ihm hat mich bei der Arbeit begleitet und ermuntert, in Richtungen zu denken, die sich mir vorher so noch nicht erschlossen hatten. Ich bin ihm für die jahrelange intensive Förderung außerordentlich dankbar. Herrn Prof. Dr. Raphael Koch, LL.M. (Cambridge), EMBA danke ich für das Zweitgutachten und die vielfältigen vertiefenden Hinweise. Beiden Gutachtern bin ich für die sehr zeitnahe Erstellung der Gutachten zu Dank verpflichtet. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Thomas Riehm und Prof. Dr. Dennis Solomon, LL.M. (Berkeley), die mir als weitere Mitglieder meines Fachmentorats mit Rat und Tat zur Seite standen. Beim Mohr Siebeck-Verlag bedanke ich mich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Jus Privatum“ und bei Frau Dr. Julia Caroline ScherpeBlessing, LL.M. (Cantab) für die Unterstützung bei der Veröffentlichung auf Seiten des Verlages. Der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung und der Universität Passau schulde ich Dank für die Druckkostenzuschüsse. Last but not least sei meinen Eltern Marion und Maximilian gedankt, die mir mit Kost und Logis die Gelegenheit gegeben haben, meine Thesen zum Existenzminimum (sit venia verbo) in Ruhe auszuarbeiten. Obwohl sie auch diesmal – wie schon bei meiner Dissertation – nicht über Primärerfahrungen mit dem Thema verfügten, konnten sie sich doch letzten Endes immer für meine Überlegungen begeistern. Meiner Mutter bin ich für aufmunternde Worte in allen Lebenslagen und meinem Vater für viele Gespräche (nicht nur) rund um diese Arbeit zu Dank verbunden. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Blieskastel, im Dezember 2021
Marie Herberger
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI
Kapitel 1: Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 1: Historischer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 2: Methodische Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Kapitel 2: Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 1: Die Ausformung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 2: Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 § 3: Vorschläge zur dogmatischen Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . 12 § 4: Bereichsspezifische Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 § 5: Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 § 6: Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . 23 § 1: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 23 § 2: Die Rechtsverhältnisse innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung . 33 § 3: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in unterschiedlichen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 § 4: Funktion des Pfändungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 § 5: Rechtsmissbräuchliche Herbeiführung der Unpfändbarkeit . . . . . 51
Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in k örperliche Sachen (§§ 808 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . 53 § 1: Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 § 2: Analyse der relevanten Strukturfragen . . . . . . . . . . . . . . . . 118
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Inhaltsübersicht
Kapitel 5: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung beweglicher körperlicher Sachen (§ 847 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 § 1: Vollstreckungsschutz für den Vollstreckungsschuldner . . . . . . . . 225 § 2: Vollstreckungsschutz für den Drittschuldner . . . . . . . . . . . . . 229
Kapitel 6: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen (§§ 828 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 § 1: Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 § 2: Analyse der relevanten Strukturfragen . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Kapitel 7: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in andere Vermögensrechte (§ 857 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . 317 § 1: Unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . 318 § 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 319
Kapitel 8: Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen (§§ 883 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 § 1: Unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . 323 § 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 323
Kapitel 9: Generalklausel des § 765a ZPO . . . . . . . . . . . . . . 327 § 1: Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 § 2: Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 § 3: Anwendbarkeit von § 765a Abs. 2 ZPO im Rahmen von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
Kapitel 10: Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Kapitel 11: Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Stichwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
Kapitel 1: Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 1: Historischer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 2: Methodische Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Kapitel 2: Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 1: Die Ausformung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 2: Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 A. Inhaltliche Facetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 B. Zukunftsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 § 3: Vorschläge zur dogmatischen Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . 12 § 4: Bereichsspezifische Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 A. Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 B. Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 C. Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 D. Zwangsvollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 § 5: Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 A. Terminologische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 B. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 § 6: Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . 23 § 1: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Grundrechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Grundrechte des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Grundrechte des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Grundrechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 IV. Auflösung der Grundrechtskollisionen . . . . . . . . . . . . . 29 1. Grundsatz der praktischen Konkordanz . . . . . . . . . . . 29 2. Absoluter Schutz des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Eingriff zu Lasten des Schuldners bzw. Dritter . . . . . . 30 b) Eingriff zu Lasten des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . 30 B. Gesamtstaatliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 § 2: Die Rechtsverhältnisse innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung . 33 A. Beziehungen zwischen den Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Rollen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Schuldner und Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Auswirkungen der Einzelzwangsvollstreckung auf die Begründung von Rechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 D. Gewährleistung des Grundrechts des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 § 3: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in unterschiedlichen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 A. Zwangsvollstreckungsrecht und Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Zwangsvollstreckungsrecht und Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 § 4: Funktion des Pfändungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 A. Schutz des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein . . . . . 47 B. Schutz öffentlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 C. Schutz des Schuldners aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse 49 D. Schutz der Vertragsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 E. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 § 5: Rechtsmissbräuchliche Herbeiführung der Unpfändbarkeit . . . . . 51
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in k örperliche Sachen (§§ 808 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . 53 § 1: Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 A. Methodische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Qualifikation als Ausnahmevorschriften . . . . . . . . . . . . 53 1. Auslegungsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Analogiefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c) Analogievoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 aa) Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . 60 d) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 II. Zeitgemäße Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 B. Relevanter Beurteilungszeitpunkt für den Pfändungsschutz . . . . . 61 I. Pfändbar-Werden nach der Pfändung . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Unpfändbar-Werden nach der Pfändung . . . . . . . . . . . . . 63 1. Zeitpunkt der Pfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Zeitpunkt der Entscheidung über einen Rechtsbehelf . . . . 64 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 C. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Vollstreckungsschutz für Angehörige . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Argumentum e contrario zu § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2–Nr. 4a, Nr. 10–Nr. 12 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Vergleich mit § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2–Nr. 4a, Nr. 10–Nr. 12 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO . . . . . . . . 69 d) § 19 Abs. 1 SGB XII i.V.m § 27 Abs. 2 S. 2, S. 3 SGB XII . 69 e) Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Ratio legis des Vollstreckungsschutzes . . . . . . . . . . . 71 b) Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Verfassungsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . 73 5. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. Vollstreckungsschutz für Haushaltsmitglieder . . . . . . . . . 74 III. Vollstreckungsschutz für juristische Personen und Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . 76 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
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IV. Pfändungsschutz bei Vollstreckung aus Duldungstiteln . . . . 79 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen . . . . . . 80 b) Vergleich zur Herausgabevollstreckung . . . . . . . . . . 81 c) § 419 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 D. Unmittelbarer Pfändungsschutz kraft Verfassung . . . . . . . . . . . 84 E. Konnex zur Eigentumslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Formalisierung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . 86 b) Argument aus § 811 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 86 4. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. § 811 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Entstehungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. § 811 Abs. 2 ZPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Entstehungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 F. Austauschpfändung (§ 811a ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Pfändungsverbot nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), lit. b), Nr. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Meinungen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . 93 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Ersatzleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Zurverfügungstellung eines Ersatzstücks . . . . . . . . . 97 b) Überlassung des zur Beschaffung eines Ersatzstücks erforderlichen Geldbetrages . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Geldbetrag aus Vollstreckungserlös . . . . . . . . . . . . 98 3. Vorläufige Austauschpfändung (§ 811b ZPO) . . . . . . . . . 99 III. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
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G. Verzicht auf Pfändungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Verzicht vor der Vollstreckungsmaßnahme . . . . . . . . . . . 100 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Vergleich mit § 1229 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Verfassungsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . 105 5. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II. Verzicht während/nach der Vollstreckungsmaßnahme . . . . . 107 1. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Umkehrschluss zu § 49 Abs. 1 S. 1 MSchG . . . . . . 108 bb) Vergleich mit §§ 113–116 UrhG . . . . . . . . . . . . . 109 cc) Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 d) Interessen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 e) Verhalten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) § 58 der preußischen Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Entwurf einer Zivilprozeßordnung von 1931 . . . . . 114 c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 d) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 e) Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 f) Verfassungsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . 117 g) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 § 2: Analyse der relevanten Strukturfragen . . . . . . . . . . . . . . . . 118 A. § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Hausrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Der Verschuldung angemessen . . . . . . . . . . . . . 121 d) Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
XVI
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aa) Hausrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Der Verschuldung angemessen . . . . . . . . . . . . . 121 e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (1) Hausrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (2) Verschuldung angemessen . . . . . . . . . . . . . . 123 2. § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Grundrechtliche Herleitung . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Vergleich mit Herausgabevollstreckung und Immobiliarvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (1) Vollstreckungsschutz durch § 765a ZPO . . . . . . 125 (2) § 765a ZPO bei drohender Obdachlosigkeit . . . . 126 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Zeitliche Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Zeitliche Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Beleuchtungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Feuerungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Zeitliche Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Surrogate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Zeitliche Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Zeitliche Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
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XVII
4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Persönlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Sachlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Zeitliche Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 d) Surrogate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 IV. § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Versorgungsinteresse der Allgemeinheit . . . . . . . . . . 136 b) Sicherung der Arbeitsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . 137 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 V. § 811 Abs. 1 Nr. 4a ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 VI. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (1) § 46 GewO als Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Erstreckung auf Witwer und überlebende Lebenspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (3) Erstreckung auf volljährige Erben . . . . . . . . . 148 (4) Wegfall der personenbezogenen Beschränkung . . 148 (5) Anwendbarkeit auf erlaubnispflichtige und nicht-erlaubnispflichtige Gewerbe . . . . . . . . . 149 d) § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 e) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VII. § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VIII. § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 IX. § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
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3. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 X. § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Schutz vor Veräußerung durch Unkundige . . . . . . . . 157 b) Gesundheitsschutz für die Allgemeinheit . . . . . . . . . 158 c) Doppelzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 d) Menschenwürdiges Dasein . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 e) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 XI. § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 XII. § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO i. d. F. vom 01.12.2021 bis zum 31.12.2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 . . . . 166 b) § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO i. d. F. ab dem 01.12.2021 bis zum 31.12.2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 XIII. § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 1 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Haushaltungsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Geschäftsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 2 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . 172 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Haushaltungs- und Geschäftsbücher . . . . . . . . . . . . 173 b) Familienpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 c) Trauringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 d) Orden und Ehrenzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Staatliche vs. private Auszeichnungen . . . . . . . . . 178 bb) Duplikate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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3. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 1 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Geschäftsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Haushaltungsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 2 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . 181 XIV. § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Methodische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Bestimmungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 cc) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) § 811a ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 cc) Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen), Behindertengleichstellungsgesetz . . . . . . . . . . 188 (2) §§ 9 Abs. 1, 27a Abs. 1 S. 2, 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII 188 (3) §§ 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7, 114 SGB IX i. V. m. § 83 SGB IX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (4) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 dd) Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 ee) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 d) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 XV. § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Schutz der Totenruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Schutz vor Störung der Bestattungshandlung . . . . . . . 196 c) Schutz des Pietätsgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 d) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
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2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 aa) Unmittelbarkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) Vorgang des Bestattens . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 cc) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) § 844 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 cc) § 1968 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 dd) § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 ee) § 74 SGB XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 ff) Ausnahmevorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 gg) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 d) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Schutz des Verstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Schutz des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 cc) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 e) Pfändungsschutz durch Veräußerungsverbot . . . . . . . 209 f) Vollstreckung durch Steinmetz . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Vergleichende Betrachtung hinsichtlich der Herausgabevollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 g) Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 h) Übergesetzlicher Pfändungsschutz . . . . . . . . . . . . . 211 3. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 B. § 811c ZPO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Entstehungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 II. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Tierschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Affektionsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Tierschutz und Affektionsinteresse . . . . . . . . . . . . . . 219 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 III. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 IV. Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 VI. Wertgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
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Kapitel 5: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung beweglicher körperlicher Sachen (§ 847 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 § 1: Vollstreckungsschutz für den Vollstreckungsschuldner . . . . . . . . 225 A. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I. § 847 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Umkehrschluss zu § 851 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 226 III. Herausgabevollstreckung (§§ 883 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . 227 B. Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 C. Verfassungsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 D. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 § 2: Vollstreckungsschutz für den Drittschuldner . . . . . . . . . . . . . 229 A. Vergleich mit der Anfechtungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . 229 B. Verfahren der Vollstreckung nach § 847 ZPO . . . . . . . . . . . . . 230 C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Kapitel 6: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen (§§ 828 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 § 1: Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 A. Verzicht auf Pfändungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Öffentliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 II. Fehlende Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 III. Verfassungsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 232 IV. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 B. Herkunft des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 § 2: Analyse der relevanten Strukturfragen . . . . . . . . . . . . . . . . 234 A. Methodische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 B. Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen (§ 850 ZPO) . . . . . . . . 234 C. Unpfändbare Bezüge (§ 850a ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. § 850a Nr. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 II. § 850a Nr. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
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Inhaltsverzeichnis
a) Urlaubsgelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Treugelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Urlaubsgelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Treugelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 III. § 850a Nr. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Aufwandsentschädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen . . . . . 244 c) Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial . . . . . . . . 245 d) Gefahren-, Schmutz- sowie Erschwerniszulagen . . . . . 245 aa) Schmutzzulagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 bb) Gefahren- und Erschwerniszulagen . . . . . . . . . . 245 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 IV. § 850a Nr. 4 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 V. § 850a Nr. 5 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 VI. § 850a Nr. 6 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 VII. § 850a Nr. 7 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Sterbebezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Gnadenbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Sterbebezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Gnadenbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
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VIII. § 850a Nr. 8 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 D. Bedingt pfändbare Bezüge (§ 850b ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 III. § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 IV. § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Unterstützungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Kleinlebensversicherung auf den Todesfall . . . . . . . . 263 2. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 V. § 850b Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 E. Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO) . . . . . . . 265 I. Pfandfreie Grundbeträge (§ 850c Abs. 1 ZPO) . . . . . . . . . 265 II. Pfandfreie Mehrbeträge (§ 850c Abs. 3 ZPO) . . . . . . . . . . 267 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Quantifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Unterhaltsgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Höchstbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 bb) Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 F. Pfändbarkeit bei familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen (§ 850d ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
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G. Härteklausel (§ 850f Abs. 1 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Sozialleistungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Besondere Bedürfnisse des Schuldners . . . . . . . . . . . . 277 3. Gesetzliche Unterhaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 277 II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 1. Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Überwiegende Belange des Gläubigers . . . . . . . . . . . . 279 III. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Dem Grunde nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Der Höhe nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 IV. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 H. Pfändbarkeit bei Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (§ 850f Abs. 2 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 II. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 I. Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte (§ 850i ZPO) . . . . . . . . 284 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Nebentätigkeit in der Freizeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Miet- und Pachteinnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Schenkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 4. Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 5. Überwiegende Belange des Gläubigers . . . . . . . . . . . . 289 III. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 IV. Reformbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 J. Pfändungsschutzkonto (§ 850k ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Personell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2. Art der Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 3. Ansparschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 a) § 850k Abs. 1 S. 3 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 . . . . . 294 aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 bb) Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 cc) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 dd) Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 ee) Verfassungsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . 297 ff) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
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b) § 899 Abs. 2 ZPO i. d. F. ab dem 01.12.2021 . . . . . . . . 298 4. Debitorische Konten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 III. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Grundsätzlich pfändungsfreier Betrag . . . . . . . . . . . . . 300 2. Abweichender pfändungsfreier Betrag . . . . . . . . . . . . . 301 K. Pfändungsschutz für Landwirte (§ 851a ZPO) . . . . . . . . . . . . . 301 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Reformvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 L. Pfändungsschutz bei Miet- und Pachtzinsen (§ 851b ZPO) . . . . . . 303 M. Pfändungsschutz bei Altersrenten und steuerlich gefördertem Altersvorsorgevermögen (§§ 851c, 851d ZPO) . . . . . . . . . . . . . 303 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 1. § 851c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 a) Voraussetzungen des Pfändungsschutzes . . . . . . . . . 305 b) Reichweite des Pfändungsschutzes . . . . . . . . . . . . . 306 aa) Auszahlungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 bb) Ansparphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 cc) Erwerbsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. § 851d ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 III. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 N. Beschränkt pfändbare Forderungen (§ 852 ZPO) . . . . . . . . . . . 313 I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Kapitel 7: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in andere Vermögensrechte (§ 857 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . 317 § 1: Unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . 318 § 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 319 A. Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 B. Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Kapitel 8: Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen (§§ 883 ff. ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 § 1: Unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . 323 § 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 323
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Inhaltsverzeichnis
A. Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 B. Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
Kapitel 9: Generalklausel des § 765a ZPO . . . . . . . . . . . . . . 327 § 1: Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 A. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 B. Qualifikation als Ausnahmevorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 C. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 328 D. Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 II. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 III. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 IV. Verfassungsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 330 V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 § 2: Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 A. Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 B. Sittenwidrige Härte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 I. Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . 332 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 § 3: Anwendbarkeit von § 765a Abs. 2 ZPO im Rahmen von § 811 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 A. Kenntlichmachung durch Pfandsiegel oder in sonstiger Weise . . . . 334 B. Wegschaffung der Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 C. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
Kapitel 10: Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Kapitel 11: Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Stichwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Kapitel 1
Prolog § 1: Historischer Rückblick „Billige Nachsicht“ gegen den Schuldner in der Zwangsvollstreckung zu üben, war die Absicht des Gesetzgebers, als er 1877 in § 715 CPO Pfändungsverbote vorsah.1 Im Topos „billige Nachsicht“ schimmert ein Motiv durch, das schon früher als Begründung für die Gewährung von Schuldnerschutz genannt wurde. In einem königlich-preußischen Reglement vom 19.04.1787 ist zu lesen: „Es erfordert sowohl die Pflicht, als das eigene Interesse der Landschaft, daß sie denjenigen Schuldnern, welche nicht durch schlechte Wirthschaft, sondern durch andere von einer höheren Hand herrührende Unglücksfälle, in das Unvermögen, ihre Interessen von einem und dem andern Termin promt anzuführen, gesetzt werden, eine billige Nachsicht dazu verstatte.“2
Es handelt sich dabei ersichtlich um eine von hoher Hand gewährte Gnade, die zudem an ein untadeliges Vorverhalten des Schuldners geknüpft ist. Schuldner konnten zwar von solchen Regelungen profitieren, sie wurden aber nicht um ihrer selbst willen geschützt. Als der CPO-Gesetzgeber sich noch in alter Diktion auf „billige Nachsicht“ berief, konkurrierte diese Sicht aber schon mit anderen Begründungsansätzen. Einer davon zielte darauf ab, „das Existenz- oder richtiger vielleicht Wirthschaftsminimum“ als maßgeblichen Zweck zu bestimmen.3 Ein weiterer Schutzgedanke taucht in etwa zeitgleich mit der Einführung der CPO in unerwarteter Umgebung auf. In der Posse „Klein Geld“ soll eine Zwangsvollstreckung in einem kleinen Geschäft durchgeführt werden. Die anwesende Geschäftsfrau hält dem Executor und seinen Dienstmännern entgegen: „Sie lachen, die Barbaren lachen, wenn ein heroisches Weib von Menschenwür1 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungs gesetz zu derselben vom 30. Januar 1877, 21881, S. 453. Der Topos „billige Nachsicht“ hat weit zurückreichende philosophische Wurzeln. Diese zeichnet Rott, Zeitschrift für philosophische Forschung 54 (2000), 23 ff. ausgehend von Aristoteles über Thomas von Aquin bis in die Neuzeit nach und versucht, diesen Ansatz für die Interpretation fruchtbar zu machen. 2 Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum, Oder Neue Sammlung Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburgischer, sonderlich in der Chur- und Marck-Brandenburg, publicirten und ergangenen Verordnungen, Edicten, Mandaten, Rescripten, Berlin 1791, No. 46, S. 1061. 3 Jäger, Die Agrarfrage der Gegenwart, 1888, S. 18.
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Kapitel 1: Prolog
de spricht!“ Das beeindruckt den Executor aber nicht sonderlich. Er kündigt sein baldiges Wiederkommen an und verabschiedet sich ironisch mit den Worten: „Adieu, heroisches Weib mit der Menschenwürde.“4 Ein solcher Dialog auf der Bühne beweist zumindest eines: Die Berufung auf die Menschenwürde angesichts einer drohenden Zwangsvollstreckung war im Alltag angekommen. Dass in der Zwangsvollstreckung das Existenzminimum des Schuldners unantastbar sein soll, damit er ein „menschenwürdiges Dasein“ führen kann, wurde von Schroeder schon 1896 emphatisch gefordert: „Da nun der Staat allen seinen Angehörigen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen verpflichtet ist und nicht nur das Dasein, ein rein physisches, tierisches Dasein […]. So muss der Staat verhindern, dass seinen Angehörigen das Existenzminimum entzogen werde.“5
Schroeder fährt dann fort: „Es ist dies nicht so schwer auch unbeschadet der Rechte Dritter; denn es giebt keine Rechte Dritter auf ein Existenzminimum! Ebensowenig jemand ein Recht auf das Leben eines Mitmenschen erwerben kann, ebensowenig kann er – nach dem ungeschriebenen Gesetz der wirklichen Gerechtigkeit – ein Recht auf dessen menschenwürdiges Dasein, welches in untrennbarem, durch natürliche Gesetze bestimmten Kausalnexus mit dem Existenzminimum steht, erwerben. Das Existenzminimum muß unantastbar sein!“6
Der so gefundenen Begründungsspur gilt es nachzugehen. Dies führt allerdings auf gewundene Wege im Terrain der Pfändungsverbote. Man begegnet dort mehreren Besonderheiten. Selten existieren Regelungskomplexe, die in ihrem geltenden Zustand einhellig als nicht mehr zeitgemäß oder gar als antiquiert bewertet werden.7 Es ist auch anderwärts kaum zu beobachten, dass Regelungen aus dem Jahr 1877 wörtlich unverändert noch im Jahr 2021 in Geltung standen, wie es bei § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. der Fall war, der wörtlich § 715 Nr. 8 CPO entsprach. 8 Es stellt auch eine befremdliche Besonderheit dar, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Pfändungsschutzes innerhalb der Forderungspfändung die Lohnpfändungsverordnung von 1940 durchgehend als Blaupause verwendet hat, ohne naheliegende Reformüberlegungen anzustellen.9 4
Pohl, Klein Geld, 1880, S. 6 f. Schroeder, Das Recht der Wirtschaft, 1896, S. 194. 6 Ders., Das Recht der Wirtschaft, 1896, S. 194. 7 Ahrens, NZI 2021, 531; Bigge, WzS 2010, 198, 201; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 1; Glenk, ZRP 2013, 232 ff.; HK-ZV/ Kindl, § 811 ZPO Rn. 6; Wasser, in: Czerwenka/Korte/Kübler (Hrsg.), Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker, 2018, S. 129 f.; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 7; Zimmermann, ZInsO 2011, 2011, 2012. Schmidt, in: Drenseck/Seer (Hrsg.), Festschrift für Heinrich Wilhelm Kruse, 2001, S. 671, 679 stuft § 811 ZPO als „dringend einer redaktionellen Modernisierung“ bedürftig ein. 8 RGBl. 1877, S. 214. 9 So entspricht z. B. § 850a Nr. 1 ZPO exakt § 3 Nr. 1 der Lohnpfändungsverordnung 1940. 5
§ 1: Historischer Rückblick
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In weitere Untiefen geriet das Verständnis des Pfändungsschutzrechts an den Stellen, wo immer noch ein älteres Wirtschaftsmodell durchschimmerte. Das war evident, wenn etwa in § 811 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 1 ZPO a. F. Pfändungsschutz gewährt wurde für „Kleintiere in beschränkter Zahl sowie eine Milchkuh oder nach Wahl des Schuldners statt einer solchen insgesamt zwei Schweine, Ziegen oder Schafe, wenn diese Tiere für die Ernährung des Schuldners, seiner Familie oder Hausangehörigen, die ihm im Haushalt, in der Landwirtschaft oder im Gewerbe helfen, erforderlich sind“. Dabei war die Hinzufügung der Schweine eine gesetzgeberische Reform aus dem Jahre 1939.10 Will man die im Pfändungsschutzrecht bestehende Gesetzeslage metaphorisch beschreiben, drängt sich das Bild von Eisschollen auf, die sich im Laufe der Zeit übereinander geschoben haben. Dies geht nicht ohne Knirschen und Verwerfungen ab. So sind – mit den Worten von Brehm – die Schuldnerschutzvorschriften der ZPO „eben unsystematisch“ und geprägt von „historischer Zufälligkeit“.11 Die allseits als unbefriedigend empfundene Gesetzeslage hat dazu herausgefordert, die Möglichkeiten der juristischen Methodenlehre bis an ihre Grenzen auszureizen. Da ist von eng auszulegenden Ausnahmevorschriften12 die Rede, es wird die teleologische Reduktion13 eingesetzt und daneben die teleologische Extension14, sowie die Analogie15 etc. Gleiches gilt für § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, der § 4 Nr. 1 der Lohnpfändungsverordnung 1940 entspricht. § 850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO stimmt mit § 8 lit. a) der Lohnpfändungsverordnung 1940 überein. Zur Lohnpfändungsverordnung 1940 vgl. RGBl. I 1940, S. 1451 ff. 10 RGBl. I 1939, S. 1313. 11 Brehm, JZ 2005, 525, 527. 12 Vgl. z. B. BGH, Besch. v. 21.12.2004, IXa ZB 228/03, NZM 2005, 192; Gieseler, JR 2006, 26; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 84; Gottwald/Mock/Gottwald, § 765a ZPO Rn. 1; Hilzin ger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 2 2016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 426; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 1; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7 2020, § 850 ZPO Rn. 11; HK-ZV/Krone/Vierkötter, Zwangsvollstreckung in IT-Güter Rn. 30. 13 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 08.07.1993, IX ZR 116/92, NJW 1993, 2876, 2877; MüKo-ZPO/ Gruber, § 811 ZPO Rn. 12; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 35; Ponzer, Streitschrift für einen effektiven Gläubigerschutz beim Pflichtteil, 2018, S. 233; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 17; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850i ZPO Rn. 11. 14 Vgl. z. B. AG Passau, Beschl. v. 07.05.2020, 4 M 1551/20, juris, Rn. 10; AG Köln, Urt. v. 11.10.2010, 142 C 441/10, juris, Rn. 21; Ahrens, NJW 2020, 2752; Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851c ZPO Rn. 5; Els, Rpfleger 2020, 752; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850k ZPO Rn. 27a; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 41. 15 Vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 09.02.2012, VII ZB 49/10, NJW 2012, 1081, 1083; OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488; LG Mühlhausen, Beschl. v. 13.12.2012, 2 T 222/12, MMR 2013, 664, 665; AG Dorsten, Beschl. v. 18.01.2018, 6 M 457/17, ZVI 2018, 162, 163; AG Essen, Beschl. v. 25.03.1998, 31 M 888/89, DGVZ 1998, 94; Berger, Rpfleger
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Kapitel 1: Prolog
Während sich auf diese Weise alltagspraktische Probleme im Pfändungsschutzrecht einer Lösung zuführen lassen, bleibt eine Frage offen: Gibt es eine Möglichkeit dieses Konglomerat von Einzelregelungen, dessen Kohärenz sich nicht auf den ersten Blick erschließt, systematisch zu rekonstruieren? Jeder Versuch einer Unifizierung setzt eine Leitidee voraus, die geeignet ist, ein System zu stiften. Diese Leitidee muss zugleich in der Wertungshierarchie fundamental sein. In der Diskussion um das geltende Pfändungsschutzrecht scheint hier und da der Gedanke auf, dass der Schutz des Existenzminimums auf Seiten des Schuldners aus Gründen der Menschenwürde als übergeordnetes Ordnungsprinzip in Frage kommen könnte. Mit den Worten des Bundesgerichtshofs: „Die Pfändungsverbote […] sind Ausfluss der in Art. 1 GG und Art. 2 GG garantierten Menschenwürde bzw. allgemeinen Handlungsfreiheit und enthalten eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips (Art. 20 I, 28 I GG). Dem Schuldner und seinen Familienangehörigen soll durch sie die wirtschaftliche Existenz erhalten werden, um – unabhängig von Sozialhilfe – ein bescheidenes, der Würde des Menschen entsprechendes Leben führen zu können.“16
Damit kommt die Vision in den Blick, die schon in der Weimarer Reichsverfassung in Art. 151 angesprochen war: „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen.“
Ob die Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins in der Zwangsvollstreckung durch die existierenden Pfändungsverbote ausreichend und systematisch stimmig rekonstruierbar ist, bedarf der Überprüfung. Dies ist die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit.
§ 2: Methodische Orientierung Der Gesetzgeber hat in einer Fülle von Einzelvorschriften Vollstreckungsschutz normiert. Diese Vorschriften konnten im Ursprungskontext nicht mit Blick auf das erst später als Leitidee erkannte Grundrecht der Sicherung des menschenwürdigen Daseins konzipiert werden. Dies führt zu der Frage, ob das 2002, 181, 185; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850 ZPO Rn. 8; Homann, DGVZ 2015, 45; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 70 f.; Stöber, NJW 2007, 1242, 1245; Wacke, DGVZ 1986, 161, 164. 16 BGH, Beschl. v. 16.06.2011, VII ZB 114/09, NJW-RR 2011, 1366, 1367; BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, NJW-RR 2010, 642, 643; BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790. So auch mit gleicher Argumentation zur Schutzrichtung BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, NJW-RR 2014, 1197, 1198.
§ 2: Methodische Orientierung
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vorliegende Recht des Vollstreckungsschutzes trotzdem als ausreichend für den nun erkannten Schutzzweck angesehen werden kann. Um das zu prüfen, müssen alle Vollstreckungsschutzvorschriften mit Beziehung auf diesen Schutzzweck hin analysiert werden. Es geht dabei nicht um eine Kommentierung, sondern in erster Linie um eine Überprüfung in teleologischer Hinsicht mit Blick auf das Grundrecht der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins. Anders als in einer Kommentierung muss dabei nicht jedes Auslegungsdetail betrachtet werden. Auch muss nicht die komplette Kasuistik entfaltet werden. Es ist aber unumgänglich, in exemplarischer Hinsicht einzelne konkrete Anwendungskonstellationen zur Veranschaulichung zu betrachten. Zugleich ist zu überprüfen, ob die vorhandenen Einzelregelungen sich in Ansehung des übergeordneten Schutzzwecks als kohärentes System verstehen lassen. Wenn dabei konkrete Einzelsituationen betrachtet werden, dienen diese gewissermaßen als dogmatische Prüfsteine für die zu entwickelnden Thesen. Ein weiterer Umstand verdient Beachtung. Im Recht des Vollstreckungsschutzes besteht die Besonderheit, dass im Jahre 2010 mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung und Modernisierung des Pfändungsschutzes (GNeuMoP) ein vollständiger Reformvorschlag für den Schutz des Schuldners in der Fahrnis- und in der Forderungsvollstreckung vorgelegt wurde.17 Dieses Gesetzgebungsvorhaben wurde aber letztlich aufgrund des Ablaufs der Wahlperiode (Diskontinuität) nicht umgesetzt.18 Ein weiterer partieller Reformanlauf vor allem im Hinblick auf § 811 ZPO und das Pfändungsschutzkonto wurde mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (PKoFoG) unternommen.19 Die in diesem Zusammenhang geäußerten Reformüberlegungen wurden aber nur teilweise umgesetzt. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat zwar konstatiert, dass § 811 ZPO „die aktuellen rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sowie gesellschaftliche Anschauungen teilweise nicht mehr ausreichend widerspiegelt“. Er hielt deswegen mit Blick darauf eine weitergehende Reform der Zivilprozessordnung für sinnvoll.20 Mit dem Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (GvSchuG) wurde § 811 ZPO schließlich mit Wirkung zum 01.01.2022 gänzlich neu konzipiert.21 17 BT-Drs. 18 Vgl.
17/2167. https://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/247/24778.html (geprüft am 12.09.
2021). 19 BT-Drs. 19/19850. 20 BT-Drs. 19/23171, S. 29. Wenn im Folgenden vom PKoFoG die Rede ist, wird auch der Vorschlag zur Reform von § 811 ZPO in der Stellungnahme des Bundesrats herangezogen. 21 BGBl. I 2021, S. 850, 851 f.
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Kapitel 1: Prolog
Es gilt, die Reformvorschläge und ihre Begründungen durchgehend in die Überlegungen einzubeziehen. Wenn so die Genese des geltenden Rechts unter Einbeziehung auch älterer Reformvorschläge in die Betrachtung integriert wird, geht es nicht um ein rechtshistorisches Nachzeichnen der Entwicklung. Vielmehr wird die Aufmerksamkeit auf die Frage gerichtet, ob die Reform ansätze in der einen oder anderen Hinsicht argumentativ noch immer von Bedeutung sind und ob sie zum Verständnis der geltenden Rechtslage beitragen können. In gleichem Sinne wird der ein oder andere Seitenblick auf Regelungen in anderen europäischen Ländern geworfen, wenn diese heuristischen Wert haben. Dies war im Übrigen auch der Ansatz des CPO-Gesetzgebers, der die von ihm vorgesehenen Pfändungsbeschränkungen gedanklich mit den „bestehenden Rechten“ in Beziehung setzte und konstatierte, dass „die aufgestellten Beschränkungen der Pfändung […] ohne erhebliche Aenderungen bestehenden Rechten“ entsprächen.22 Wer der Frage nach dem Recht auf ein menschenwürdiges Dasein in der Einzelzwangsvollstreckung nachgehen will, bewegt sich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite steht ein Schutzkonzept. Auf der anderen Seite stehen vielfältige Einzelregelungen. Für die Beurteilung dieser Einzelregelungen muss zunächst das Schutzkonzept entfaltet werden. Im Anschluss daran können die Einzel regelungen mit Bezug darauf durchgemustert werden. Angesichts der granularen Strukturierung der Pfändungsschutzvorschriften lassen sich dabei Wiederholungen nicht vermeiden. Die dadurch notwendigerweise entstehende Monotonie hat aber gleichzeitig den Charakter, dass sich so die Hypothese – im günstigsten Falle – jeweils bestätigt. Gleiches gilt übrigens terminologisch dafür, dass immer wieder vom Recht auf ein menschenwürdiges Dasein die Rede sein muss.
22 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30. Januar 1877, 21881, S. 453.
Kapitel 2
Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums § 1: Die Ausformung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Grundgesetz sieht ein allgemeines Grundrecht auf Sicherung des menschen würdigen Existenzminimums nicht ausdrücklich vor.1 Zwar hat der Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates vorgeschlagen, explizit ein Recht auf ein Mindestmaß an Nahrung, Kleidung und Wohnung zu garantieren.2 Eine solche Bestimmung ist aber nicht in das Grundgesetz aufgenommen worden. Erst schrittweise hat das Bundesverfassungsgericht ein entsprechendes Grundrecht entwickelt. Das Bundesverfassungsgericht war im Jahre 1951 zunächst der Auffassung, dass der Grundgedanke der Grundrechte der Schutz des Einzelnen gegen den allmächtig und willkürlich gedachten Staat sei, nicht aber die Verleihung von Ansprüchen des Einzelnen auf Fürsorge durch den Staat.3 Damit sei aber nicht gesagt, dass der Einzelne überhaupt kein verfassungsmäßiges Recht auf Für sorge habe. In Art. 20 Abs. 1 GG sei ein Bekenntnis zum Sozialstaat verankert, welches bei der Auslegung des Grundgesetzes und bei der Auslegung anderer Gesetze von entscheidender Bedeutung sein könne. Allerdings könne das Wesentliche zur Verwirklichung des Sozialstaates nur der Gesetzgeber tun, der verfassungsrechtlich zu sozialer Aktivität, insbesondere dazu verpflichtet sei, sich um einen erträglichen Ausgleich der widerstreitenden Interessen und um die Herstellung erträglicher Lebensbedingungen zu bemühen. Wenn der Gesetzgeber diese Pflicht willkürlich verletze, könne möglicherweise ein mittels einer Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch des Einzelnen gegeben sein.4 1975 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Fürsorge für Hilfs bedürftige zu den selbstverständlichen Pflichten eines Sozialstaates zähle. Dazu gehöre notwendig die soziale Hilfe für Mitbürger, die wegen körperlicher oder 1
Martínez Soria, JZ 2005, 644. Deutscher Bundestag/Bundesarchiv, Der Parlamentarische Rat 1948–1949, 1993, 782 f. 3 BVerfG, Urt. v. 19.12.1951, 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97, 104. 4 BVerfG, Urt. v. 19.12.1951, 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97, 105. 2
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Kapitel 2: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein
geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert und außerstande seien, sich selbst zu unterhalten. Es bestünde eine Pflicht der staatlichen Gemeinschaft diesen Personen jedenfalls die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu sichern und sich zu bemühen, sie – soweit wie möglich – in die Gesellschaft zu integrieren.5 Diese Entscheidung wird bereits als eine erste Andeutung der verfassungsrechtlichen Sicherung des Existenzminimums angesehen. 6 Im Jahr 1977 bejahte das Bundesverfassungsgericht dann, dass aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG die Verpflichtung des Staates folge, jenes Existenzminimum zu gewährleisten, welches ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmache.7 Nicht entschieden war damit die Frage, ob mit dieser Verpflichtung des Staates ein Grundrecht des Einzelnen korrespondiert. Noch 1987 ließ das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen, ob Art. 1 Abs. 1 GG ein Grundrecht des Einzelnen auf eine gesetzliche Regelung von Ansprüchen auf angemessene Versorgung begründen könne.8 Erst 1990 judizierte das Bundesverfassungsgericht, dass Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG ein verfassungsrechtliches Gebot dahingehend zu entnehmen sei, dass der Staat dem Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu sichern habe.9 Erstmalig hat das Bundesverfassungsgericht damit ein subjektives Abwehrrecht auf einkommenssteuerrechtliche Verschonung des Existenzminimums mindestens in Höhe der sozialrechtlich gewährten Existenzsicherung geschaffen.10 In den folgenden Jahren finden sich beim Bundesverfassungsgericht immer wieder Andeutungen in Richtung eines Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, ohne dass explizit von einem Grundrecht gesprochen wird. So hat das Bundesverfassungsgericht 2008 – unter Bezugnahme auf die Entscheidung aus dem Jahre 1990 – fundamentaler das Prinzip begründet, nach dem der Staat das Einkommen insoweit steuerfrei stellen muss, als es der Bürger zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Lokalisiert wurde das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums in dem „Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat“.11 Im Jahr 2009 judizierte das Bundesverfassungsgericht, dass die Existenzsicherung des Ein5
BVerfG, Urt. v. 18.06.1975, 1 BvL 4/74, BVerfGE 40, 121, 133. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 32013, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 155 (Fn. 663). 7 BVerfG, Urt. v. 21.06.1977, 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187, 228. 8 BVerfG, Urt. v. 20.05.1987, 1 BvR 762/85, BVerfGE 75, 348, 360. 9 BVerfG, Urt. v. 29.05.1990, 1 BvL 20/84 (u. a.), BVerfGE 82, 60, 85. 10 Seiler, JZ 2010, 500, 503; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 32013, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 155 (Fn. 663) spricht von einer impliziten Anerkennung. 11 BVerfG, Beschl. v. 13.02.2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, 154. 6
§ 2: Reichweite
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zelnen nicht nur im Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG wurzele, sondern gleichermaßen eine in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Staatsaufgabe sei.12 Im Jahr 2010 wurde das bisher implizit Angedeutete explizit benannt: Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete die verfassungsrechtliche Garantie des Existenzminimums erstmals ausdrücklich als Grundrecht.13 Das Echo auf diese Entscheidung war vielstimmig. Es war umstritten, ob das Bundesverfassungsgericht von einem neuen Grundrecht14, von einem erstmals in dieser Deutlichkeit benannten Grundrecht15 , von der bloßen Präzisierung des Gehalts eines bereits anerkannten Grundrechts16 oder von der Subjektivierung einer bisher lediglich objektivrechtlichen Gewähr17 ausging. Es wurde die These vertreten, es handele sich um eine bloße Fortwicklung der bisherigen Rechtsprechung.18 Das Grundrecht sei einem bestimmten Verständnis nach nicht ganz neu,19 nach einem anderen Verständnis neu.20 Gemeinsam ist allen diesen Einschätzungen, dass von nun an der Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum als Grundrecht anerkannt war.
§ 2: Reichweite Es ist ungeklärt, wie weit das Existenzminimum reicht. Der Begriff „Existenzminimum“ wird als inhaltlich weitgehend unklar bezeichnet.21 Deshalb ist es unumgänglich, die einzelnen inhaltlichen Facetten zu beschreiben, die heran gezogen werden, um dem Begriff des Existenzminimums Konturen zu verleihen.
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BVerfG, Urt. v. 30.06.2009, 2 BvE 2, 5/08 (u. a.), BVerfGE 123, 267, 363. BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 221 f.; so auch Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2011, S. 273, 275. An dieser Qualifizierung hält das Bundesverfassungsgericht weiter fest, vgl. z. B. BVerfG, Urt. v. 18.07.2012, 1 BvL 10/10 (u. a.), NVwZ 2012, 1024, 1025. 14 So Fahlbusch, NDV 2010, 101, 102; Lenze, Hartz IV Regelsätze und gesellschaftliche Teilhabe, 2010, S. 4; Neumann, vorgänge 2010, 102, 103; Schnath, NZS 2010, 297, 298; Vogt, SRa 2010, 93. 15 Schärdel, in: Franzius/Lejeune/Lewinski u. a. (Hrsg.), Beharren. Bewegen., 2013, S. 175, 178. 16 So Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2011, S. 273, 274 f.; Hohm, ZFSH SGB 2010, 269, 271; Zivier, RuP 2010, 65. 17 Kempny/Krüger, SGb 2013, 384; Rixen, Sozialrecht aktuell 2010, 81 f. 18 Mahler, AnwBl 2013, 245, 247. 19 Wrackmeyer-Schoene, in: Flint (Hrsg.), SGB XII, 72020, § 28 SGB XII Rn. 3. 20 Axer, in: Anderheiden/Keil/Kirste u. a. (Hrsg.), Verfassungsvoraussetzungen, 2013, S. 335, 338 f. 21 Horrer, Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum, 2001, S. 142; Schmidt-Liebig, BB 1992, 107. 13
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Kapitel 2: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein
A. Inhaltliche Facetten Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum umfasst eine große Bandbreite an grundrechtlichen Gewährleistungen. So sichert es zunächst das physische Existenzminimum des Menschen. Dazu gehören Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit.22 In diesem Zusammenhang kann das gesundheitliche23 bzw. medizinische24 Existenzminimum in die Kategorie „Gesundheit“ eingeordnet werden. Damit verwandt ist das Konzept eines ökologischen Existenzminimums, das dem Staat aufgibt, dafür zu sorgen, dass diejenigen Umweltbedingungen bestehen bleiben, die für das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit notwendig sind.25 Weiter ist der Bereich des wirtschaftlichen Existenzminimums.26 Darunter wird verstanden, dass zunächst die Möglichkeit gegeben sein muss, das zum eigenen Lebensunterhalt unbedingt Notwendige zu erlangen 27 und dauerhaft so viel zu behalten, dass der notwendige Lebensunterhalt bestritten werden kann 28 . Hinzu kommt das sog. soziokulturelle Existenzminimum,29 das die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und – in einem Min22 BVerfG, Urt. v. 18.07.2012, 1 BvL 10/10 (u. a.), BVerfGE 132, 134, 160; BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 223; Kaiser-Plessow, FPR 2005, 479. Insofern wird auch von sächlichem Existenzminimum gesprochen: BVerfG, Beschl. v. 13.02.2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, 155. 23 Rixen, NVwZ 2015, 1640, 1643; Schnath, NZS 2010, 297, 301; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, 2001, S. 266. 24 Vgl. Hamdorf, in: Flint (Hrsg.), SGB XII, 72020, § 48 SGB XII Rn. 50 ff.; Neumann, NZS 2006, 393, 393 ff.; Ullrich, Finanzierungslücken bei medizinischen Innovationen?, 2013, S. 71. 25 Ekardt/Steffenhagen, NuR 2010, 705, 710; BeckOK-GG/Huster/Rux, Art. 20a GG Rn. 7; Murswiek/Rixen, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 2 GG Rn. 227; Rupp, JZ 1971, 401, 402; zweifelnd Voßkuhle, NVwZ 2013, 1, 6. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage nach der Existenz eines derartigen Grundrechts noch offen gelassen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, 1 BvR 2656/18 (u. a.), NJW 2021, 1723, 1727. 26 BVerfG, Urt. v. 10.03.1992, 1 BvR 454/91 (u. a.), BVerfGE 85, 360, 383; BVerfG, Urt. v. 24.04.1991, 1 BvR 1341/90, BVerfGE 84, 133, 158; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 434 f. Teilweise wird auch von ökonomischem Existenzminimum gesprochen, VGH München, Beschl. v. 20.09.2018, 3 ZB 15.763, juris, Rn. 32. 27 BVerwG, Urt. v. 01.02.2007, 1 C 24/06, NVwZ 2007, 590, 591; BVerwG, Beschl. v. 17.05. 2006, 1 B 100.05, juris, Rn. 11; BVerwG, Beschl. v. 09.01.1998, 9 B 1130.97, juris, Rn. 5. 28 Hofmann, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG Kommentar zum Grundgesetz, 142018, Art. 1 GG Rn. 40. 29 Seiler, JZ 2010, 500, 501. Das Bundesverfassungsgericht verwendet den Begriff des „soziokulturellen Existenzminimums“ nicht (vgl. Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2011, S. 273, 280; Axer, in: Anderheiden/Keil/Kirste u. a. (Hrsg.), Verfassungsvoraussetzungen, 2013, S. 335, 344; Lang, in: Höfling (Hrsg.), Kommentierte Verfassungsrechtsdogmatik, 2011, S. 309, 321; Rixen, Sozialrecht aktuell 2010, 81, 83; Spellbrink, in: Bender/Eicher (Hrsg.), Sozialrecht – eine Terra in cognita, 2009, S. 25, 36). Der Begriff taucht jedoch vielfach in Rechtsprechung (BSG, Urt. v. 17.04.2018, B 4 AS 350/17 B, juris, Rn. 7; BGH, Urt. v. 13.10.2011, VII ZB 7/11, DGVZ 2012, 11, 12; LSG Hessen, Urt. v. 18.12.2013, L 4 AY 16/13 B ER, juris, Rn. 11; SG Düsseldorf, Urt.
§ 2: Reichweite
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destmaß – die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben erlaubt.30 Diese Ausprägung des Existenzminimums lässt sich freilich noch weiter unterteilen, indem man von einem gesellschaftlichen 31, kulturellen 32 und politischen Existenzminimum spricht. Zusätzlich wird das religiöse Existenzminimum geschützt. Es umfasst nicht nur die Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich (forum internum), sondern auch die Möglichkeit zum Reden über den eigenen Glauben und zum religiösen Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich, wie schließlich das Gebet und den Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen (forum externum).33 Unter dem Gesichtspunkt, dass ein Mensch nicht isoliert lebt, wird neben dem individuellen zugleich das familiäre Existenzminimum garantiert.34 Außerdem wird noch das „ideelle Existenzminimum“ als schützenswert erachtet.35 Dabei geht es um ideelle Werte, um die gefühlsmäßigen Bindungen des Schuldners an Gegenstände, die deren objektiven Wert weit übersteigen können.36 Insofern ist hin und wieder auch vom Affektionsinteresse die Rede.37 v. 12.02.2016, S 29 AS 3545/15, juris, Rn. 33) und Literatur (Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 342; Kempny/Krüger, SGb 2013, 384; Sieper, jM 2020, 202, 205; Spitzlei, JA 2017, 165, 168) auf. Lang, in: Höfling (Hrsg.), Kommentierte Verfassungsrechtsdogmatik, 2011, S. 309, 325 kritisiert, dass „ein konsistentes und überzeugendes Konzept eines sozio kulturellen Existenzminimums“ nach wie vor fehle. 30 BVerfG, Urt. v. 18.07.2012, 1 BvL 10/10 (u. a.), BVerfGE 132, 134, 160; BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 223. Teilweise wird auch bloß vom kulturellen Existenzminimum gesprochen, Kaiser-Plessow, FPR 2005, 479, 479 f. 31 Stolleis, NDV 1981, 99, 101, der allerdings die Begriffe des gesellschaftlichen bzw. konventionellen Existenzminimums als Synonyme für das soziokulturelle Existenzminimum ansieht. 32 Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 150; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 51. 33 BVerfG, Beschl. v. 01.07.1987, 2 BvR 478/86 (u. a.), BVerfGE 76, 143, 158 f.; BVerwG, Urt. v. 18.02.1986, 9 C 16/85, NVwZ 1986, 569, 571; Dreier, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch u. a. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, S. 201, 213; Hong, Der Menschenwürdegehalt der Grundrechte, 2019, S. 458 f.; Ungern-Sternberg, Religionsfreiheit in Europa, 2008, S. 248. 34 BVerfG, Beschl. v. 11.01.2005, 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, 173; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 259 f.; BVerfG, Beschl. v. 12.06.1990, 1 BvL 72/86, BVerfGE 82, 198, 207; Axer, in: Mellinghoff (Hrsg.), Steuern im Sozialstaat, 2006, S. 175, 182; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 186; Söhn, in: Kirchhof/Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht – Verfassungsrecht – Finanzpolitik, 1994, S. 421, 426 f.; Wendt, in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, 1995, S. 47, 52. 35 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 1; Schulz, in: Schliesky/Ernst/Schultz (Hrsg.), Festschrift für Edzard Schmidt-Jortzig, 2011, S. 17, 27; Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 128; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 51. 36 Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 151. 37 Deuring, DGVZ 2020, 1, 4; Duru, Der grundrechtskonforme Pfändungsschutz für den Verlobungsring, 2017, S. 62; Grunsky, in: Töpper (Hrsg.), Wie würden Sie entscheiden?, 1990, S. 93, 101; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 58; Meller-Hannich, MDR 2019, 713, 715; Scholl, DZWIR 2005, 353, 359.
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Kapitel 2: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein
B. Zukunftsperspektive In erster Linie schützt das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenz minimum das Existenzminimum zu einem bestimmten Zeitpunkt.38 Indes bildet eine solche punktuelle Betrachtungsweise den grundrechtlichen Schutzgehalt nicht vollständig ab. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum muss zugleich mit einer Zukunftsperspektive ausgestattet werden. Dafür spricht die freiheitssichernde Funktion der Grundrechte.39 Würde nur das jeweils aktuelle Existenzminimum geschützt, wäre der Grundrechtsträger nicht in der Lage, eigenverantwortlich sein künftiges Existenzminimum zu sichern, weil ihm dafür kein Spielraum verbliebe. Eine solche Sichtweise würde dem Menschen als Subjekt mit ihm zustehenden Zukunftschancen nicht gerecht.40 Der Mensch muss sich in Freiheit selbst bestimmen und entfalten können.41 Dazu gehört auch, dass ihm der Arbeitsanreiz nicht genommen werden darf. Dies wäre dann der Fall, wenn ihm trotz aller Anstrengungen letzten Endes nur ein Existenzminimum ohne Zuschlag im Sinne eines Arbeitsanreizes verbleiben würde. Dann würde jegliche Motivation zerstört, eigenverantwortlich ein über die bloße Existenzsicherung hinausreichendes Potential auszuschöpfen.
§ 3: Vorschläge zur dogmatischen Einordnung Was die dogmatische Einordnung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums angeht, gibt es unterschiedliche Betrachtungsweisen. In der Literatur wurde immer wieder der Versuch unternommen, dieses Grundrecht aus speziellen Grundrechten wie bspw. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG42 , Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG43 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG44 abzuleiten. 38
Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 153. BVerfG, Beschl. v. 03.06.1992, 2 BvR 1041/88 (u. a.), BVerfGE 86, 288, 317; BVerfG, Urt. v. 29.05.1973, 1 BvR 424/71 (u. a.), BVerfGE 35, 79, 161. 40 BVerfG, Urt. v. 26.02.2020, 2 BvR 2347/15 (u. a.), NJW 2020, 905, 906; BVerfG, Beschl. v. 08.11.2006, 2 BvR 578/02 (u. a.), BVerfGE 117, 71, 89; BVerfG, Urt. v. 05.02.2004, 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133, 149 f. 41 BVerfG, Urt. v. 26.02.2020, 2 BvR 2347/15 (u. a.), NJW 2020, 905, 906; BVerfG, Beschl. v. 08.11.2006, 2 BvR 578/02 (u. a.), BVerfGE 117, 71, 89; BVerfG, Urt. v. 21.06.1977, 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187, 227. 42 Kingreen, NVwZ 2010, 558 f.; Rixen, Sozialrecht aktuell 2010, 81, 83; Schulz, SGb 2010, 201, 202; Wallerath, JZ 2008, 157, 164. 43 Ekardt, ZAR 2004, 142, 143; Smid, NJW 1992, 1935. In diese Richtung auch Schulz, in: Schliesky/Ernst/Schultz (Hrsg.), Festschrift für Edzard Schmidt-Jortzig, 2011, S. 17, 24. 44 Schulz, in: Schliesky/Ernst/Schultz (Hrsg.), Festschrift für Edzard Schmidt-Jortzig, 2011, S. 17, 24. 39
§ 3: Vorschläge zur dogmatischen Einordnung
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Anders ist der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts, das zwischen der Herleitung des Existenzminimums im Steuerrecht und der im Sozialrecht differenziert. Ausgangspunkt ist in beiden Rechtsgebieten grundsätzlich Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.45 Im Steuerrecht prüft das Bundesverfassungsgericht allerdings zusätzlich weitere Grundrechte als mögliche Fundierung. So nennt es z. B. Art. 6 Abs. 1 GG als Grundlage für die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts des Steuerpflichtigen und seiner Familie.46 Außerdem wertet es die Besteuerung des Existenzminimums als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit in seiner Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen und beruflichen Bereich (Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG).47 Im Rahmen der Herleitung des Prinzips der Steuerfreiheit für das Existenzminimum wird häufig auch Art. 3 Abs. 1 GG maßgeblich.48 Im Sozialrecht hingegen betont das Bundesverfassungsgericht, dass andere Grundrechte für die Bemessung des Existenzminimums keine weiteren Maßstäbe setzen. Von Verfassungs wegen sei allein entscheidend, dass für jede individuelle hilfsbedürftige Person das Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG ausreichend erfasst werde. Eines Rückgriffs auf weitere Grundrechte bedürfe es hier nicht.49 Während mithin der Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts bei der Herleitung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Sozialrecht und im Steuerrecht klar konturiert ist, fehlt bisher eine entsprechende Positionierung im Zwangsvollstreckungsrecht. Der BGH hat sich hinsichtlich der Rolle dieses Grundrechts überwiegend auf Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG festgelegt.50 In der Literatur wird das 45 Steuerrecht: BVerfG, Beschl. v. 19.11.2019, 2 BvL 22/14 (u. a.), NJW 2020, 451; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 259 f.; BVerfG, Beschl. v. 29.05.1990, 1 BvL 20/84 (u. a.), BVerfGE 82, 60, 85. Sozialrecht: BVerfG, Beschl. v. 19.11.2019, 2 BvL 22/14 (u. a.), NJW 2020, 451, 453; BVerfG, Urt. v. 18.07.2012, 1 BvL 10/10 (u. a.), NVwZ 2012, 1024, 1025; BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 222; BVerfG, Urt. v. 07.06.2005, 1 BvR 1508/96, BVerfGE 113, 88, 108 f. 46 BVerfG, Beschl. v. 19.11.2019, 2 BvL 22/14 (u. a.), NJW 2020, 451, 453; BVerfG, Beschl. v. 25.09.1992, 2 BvL 5/91 (u. a.), BVerfGE 87, 153, 169; BVerfG, Beschl. v. 04.12.2002, 2 BvR 400/98 (u. a.), BVerfGE 107, 27, 49; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 259 f.; BVerfG, Beschl. v. 29.05.1990, 1 BvL 20/84 (u. a.), BVerfGE 82, 60, 85. Teilweise zieht das Bundesverfassungsgericht auch nur Art. 6 Abs. 1 GG heran, ohne Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG zu nennen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.07.2010, 2 BvR 2122/09, NJW 2010, 3564. 47 BVerfG, Beschl. v. 25.09.1992, 2 BvL 5/91 (u. a.), BVerfGE 87, 153, 169. 48 BVerfG, Beschl. v. 19.11.2019, 2 BvL 22/14 (u. a.), NJW 2020, 451, 453; BVerfG, Beschl. v. 04.12.2002, 2 BvR 400/98 (u. a.), BVerfGE 107, 27, 49; BVerfG, Urt. v. 29.05.1990, 1 BvL 20/84 (u. a.), BVerfGE 82, 60, 85. 49 BVerfG, Beschl. v. 07.07.2010, 1 BvR 2556/09, NJW 2010, 2866, 2867; BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 227. 50 BGH, Beschl. v. 24.01.2018, VII ZB 21/17, FamRZ 2018, 768, 769; BGH, Beschl. v. 19.10.
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Kapitel 2: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein
Grundrecht im Kontext der Zwangsvollstreckung häufig erwähnt, ohne es dogmatisch zu verankern.51 Wenn eine dogmatische Verortung erfolgt, wird teilweise Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG52 genannt, manchmal aber auch zusätzlich Art. 2 Abs. 1 GG53, teilweise Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG54 , manchmal sogar nur Art. 20 Abs. 1 GG55 bzw. Art. 20 Abs. 1, Art. 28 GG56 . Partiell wird sogar eine Gesamtschau von Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG für notwendig erachtet.57
§ 4: Bereichsspezifische Konkretisierungen Die Vorschläge zur dogmatischen Einordnung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum machen deutlich, dass dieses Grundrecht in vielen verschiedenen funktionalen Zusammenhängen steht. Es weist je nach Rechtsgebiet unterschiedliche Ausprägungen auf. Diese stehen aber nicht zusammenhangslos nebeneinander, vielmehr gibt es vielfältige Verknüpfungen.58
A. Sozialrecht Aus einer sozialrechtlichen Perspektive betrachtet existiert ein unmittelbar verfassungsrechtlicher Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in der Form, dass der Staat diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen hat, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins un2017, IX ZB 100/16, MDR 2017, 1444, 1446; BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, ZIP 2014, 1542, 1543. Teilweise wird aber auch nur Art. 20 Abs. 1 GG genannt: BGH, Beschl. v. 25.11.2010, VII ZB 111/09, FamRZ 2011, 208, 209. 51 Bieback/Stahlmann, Sozialer Fortschritt 1987, 1, 8; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 1 f.; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 1; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 2. 52 Gaul, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 27, 28; Hasse, VersR 2006, 145; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 326; Honold, Die Pfändung des Arbeitseinkommens, 1998, S. 100; Lüke, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 161, 170. 53 Becker, JuS 2004, 780; Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 1; Götte, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit und die Randordnung der Zwangsvollstreckungsmittel, 1985, S. 72; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 1; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 176. 54 Peters, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 53, 54; Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1055; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 2. 55 Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850 ZPO Rn. 4. 56 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 277. 57 Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 76. 58 Vgl. dazu genauer Kapitel 3:§3.
§ 4: Bereichsspezifische Konkretisierungen
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bedingt erforderlich sind.59 Die Grundrechtsfunktion, die hier zum Tragen kommt, ist der status positivus. 60 Es handelt sich also um ein Leistungsrecht.
B. Steuerrecht Im Steuerrecht geht es um die Steuerfreiheit des Existenzminimums. Insofern gilt der Grundsatz, dass der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muss, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. 61 Relevant ist damit der status negativus. 62 Das Grundrecht dient als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat. Im Verhältnis zum sozialhilferechtlich definierten Existenzminimum hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass dieses die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum bildet. Diese Grenze darf überschritten, aber nicht unterschritten werden. 63 Mit anderen Worten: Soweit sozialrechtlich Bedürftigkeit gegeben ist, besteht keine steuerliche Leistungsfähigkeit. 64 Hintergrund ist die Überlegung, dass der Staat das, was er dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung stellen müsste, nicht durch Besteuerung des Einkommens entziehen darf. 65 Zivilrechtlich entspricht diese Betrachtungsweise dem aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) her geleiteten Grundsatz „dolo agit qui petit quod statim redditurus est“. Verfassungsrechtlich betrachtet wäre ein solcher steuerlicher Zugriff jedenfalls unverhältnismäßig. 66
C. Unterhaltsrecht Im Unterhaltsrecht spielt das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zweifach eine Rolle. Zum einen muss das Existenzminimum des Unterhaltspflichtigen gewährleistet werden, zum anderen aber auch das Existenz59
BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 223. Goerlich/Dietrich, Jura 1992, 134, 139; Kirchhof, Einkommensteuer, 2004, § 6 Rn. 9; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 100 f.; Ries, in: Kössler (Hrsg.), Die Würde des Menschen, 1998, S. 61, 67; Seiler, JZ 2010, 500, 504. 61 BVerfG, Beschl. v. 08.06.2004, 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, 433 f.; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 259; BVerfG, Beschl. v. 29.05.1990, 1 BvL 20/84 (u. a.), BVerfGE 82, 60, 85; a. A. Czub, Verfassungsrechtliche Gewährleistungen bei der Auferlegung steuerlicher Lasten, 1982, S. 59, der eine Kompensation durch Sozialleistungen als alternative Lösung für möglich hält. 62 Kirchhof, Einkommensteuer, 2004, § 6 Rn. 9. 63 BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 262; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvR 1852/97 (u. a.), BVerfGE 99, 273, 277 ff.; BVerfG, Beschl. v. 25.09.1992, 2 BvL 5/91 (u. a.), BVerfGE 87, 153, 169. 64 Jachmann, NZS 2003, 281, 282; Palm, Person im Ertragsteuerrecht, 2013, S. 419. 65 BVerfG, Beschl. v. 14.06.2016, 2 BvR 290/10, juris, Rn. 39; BVerfG, Beschl. v. 13.02.2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, 154 f. 66 Wernsmann, StuW 1998, 317, 323. 60
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Kapitel 2: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein
minimum des Unterhaltsberechtigten. In beiden Fällen geht es um ein privatrechtliches Verhältnis, in dem die Grundrechte bloß mittelbare Drittwirkung entfalten. 67 Was das Existenzminimum des Unterhaltspflichtigen angeht, regelt § 1603 Abs. 1 BGB, dass derjenige nicht unterhaltspflichtig ist, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. § 1603 Abs. 2 BGB normiert, dass Eltern ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Dem Unterhaltspflichtigen muss allerdings jedenfalls der Betrag verbleiben, der seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialhilferechtlichen Grund sätzen sicherstellt (sog. notwendiger Selbstbehalt). Daraus folgt, dass eine Unterhaltspflicht nicht besteht, soweit der Unterhaltsschuldner durch Unterhalts leistungen selbst sozialhilfebedürftig würde. Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet damit jedenfalls dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern.68 Zur Begründung wird angeführt, dass es schwer nachvollziehbar wäre, wenn der Staat den Unterhaltspflichtigen trotz fehlender Leistungsfähigkeit zum Unterhalt heranziehen würde, um ihm anschließend als Sozialhilfe den Betrag zur Verfügung zu stellen, der ihm aufgrund der Unterhaltszahlungen bis zum Existenzminimum fehlt. 69 § 1610 Abs. 1 BGB legt fest, dass das Maß des zu gewährenden Unterhalts sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen bestimmt. Dieser angemessene Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf. Es wird angenommen, dass ein unter dem Existenzminimum liegender Unterhalt nicht angemessen sein kann.70 Nach § 1612a Abs. 1 S. 2 BGB richtet sich der Mindestunterhalt minderjähriger Kinder nach dem steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimum des minderjährigen Kindes. Aber auch beim Ehegattenunterhalt (§ 1578 Abs. 1 BGB)71 und beim Unterhalt der kinderbetreuenden nichtehelichen Mutter 67 So bereits BVerfG, Urt. v. 15.01.1958, 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198, 206; aus neuerer Zeit BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019, 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300, 305. 68 BVerfG, Beschl. v. 20.08.2001, 1 BvR 1509/97, NJW-RR 2002, 73, 74; BGH, Urt. v. 09.01.2008, XII ZR 170/05, NJW 2008, 1373, 1375; BGH, Urt. v. 15.03.2006, XII ZR 30/04, NJW 2006, 1654, 1655. 69 Grandke, in: Scholz/Stein (Hrsg.), Praxishandbuch Familienrecht, 402021, Rn. 85. 70 BGH, Urt. v. 16.12.2009, XII ZR 50/08, DNotZ 2010, 784, 788; OLG Karlsruhe, Urt. v. 04.09.2003, 2 UF 6/03, NJW 2004, 523; Heiß, in: Heiß/Born (Hrsg.), Unterhaltsrecht, 592021, Erster Teil, 14. Kapitel Rn. 29; Maier, in: Johannsen/Henrich/Althammer (Hrsg.), Familienrecht, 72020, § 1610 BGB, Rn. 5; Wever/Schilling, FamRZ 2002, 582, 586. 71 BGH, Urt. v. 17.03.2010, XII ZR 204/08, NJW 2010, 1665, 1666; BGH, Urt. v. 17.02.2010, XII ZR 140/08, NJW 2010, 1598, 1601; MüKo-BGB/Maurer, § 1578 BGB Rn. 163; Schürmann, in: Kaiser/Schnitzler/Schilling u. a. (Hrsg.), BGB Familienrecht, 42021, § 1578 BGB Rn. 13. Zu Recht hat der BGH seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, dass es nicht Inhalt des nachehelichen Unterhalts sei, „dem Berechtigten unter allen Umständen das sog. Existenzminimum zu sichern – das ist notfalls Sache des Sozialhilfeträgers.“ (vgl. BGH, Urt. v. 11.01.1995, XII ZR 122/93, NJW 1995, 963, 964).
§ 4: Bereichsspezifische Konkretisierungen
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(§ 1615l Abs. 2 BGB)72 nehmen Rechtsprechung und Literatur einen Mindest bedarf in Höhe des Existenzminimums an.
D. Zwangsvollstreckungsrecht Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ist im Zwangsvollstreckungsrecht von zentraler Bedeutung. Dieses Grundrecht verpflichtet den Staat nämlich nicht nur seiner leistungsrechtlichen Dimension nach, dem Einzelnen notfalls die zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Daseins benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen, sondern gleichermaßen seiner abwehrrechtlichen Dimension nach, dem Einzelnen das selbst erzielte Einkommen bis zu einem bestimmten Betrag nicht zu entziehen. Dieser aus dem Steuerrecht bekannte Grundsatz gilt ebenfalls im Rahmen der Zwangsvollstreckung. Der Staat darf seinen Zwangsapparat nicht zur Verfügung stellen, um einem Schuldner den Teil des Einkommens zu entziehen, den er zur Sicherung des Existenzminimums benötigt.73 In diesem Sinne werden die Pfändungsschutzvorschriften als Gewährleistung des Existenzminimums angesehen.74 Allerdings muss diese Perspektive im Zwangsvollstreckungsrecht erweitert werden, weil es hier – anders als im Steuerrecht – nicht nur um ein Verhältnis zwischen Staat und Schuldner geht. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine Dreieckskonstellation Gläubiger-Schuldner-Staat handelt. Deshalb sind auch Grundrechte des Gläubigers zu beachten.
72 BGH, Urt. v. 13.01.2010, XII ZR 123/08, NJW 2010, 1138, 1139; BGH, Urt. v. 16.12.2009, XII ZR 50/08, NJW 2010, 937, 940; MüKo-BGB/Langeheine, § 1615l BGB Rn. 45; BeckOGK/ Lugani, § 1615l BGB Rn. 53. 73 BT-Drs. 16/7615, S. 12; BGH, Beschl. v. 19.10.2017, IX ZB 100/16, NZI 2017, 931, 933; BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, NZI 2014, 772, 773; Hornung, Rpfleger 2002, 125, 126; Kohte, Rpfleger 1991, 514; a. A. Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 78, die sich gegen eine Übertragung dieses Grundsatzes wendet, weil eine solche Annahme den grundsätzlichen strukturellen Unterschied zwischen einem klassischen hoheitlichen Eingriff und der Zwangsvollstreckung nicht hinreichend berücksichtigen würde. 74 Für § 811 ZPO: BSG, Urt. v. 16.10.2012, B 14 AS 188/11 R, NZS 2013, 273, 274; BGH, Beschl. v. 16.06.2011, VII ZB 12/09, NJW-RR 2011, 1367; BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 1. Für §§ 850 ff. ZPO: BSG, Urt. v. 16.10.2012, B 14 AS 188/11 R, NZS 2013, 273, 274; BGH, Beschl. v. 21.12.2004, IXa ZB 228/03, NJW 2005, 681, 682; Beck OGK/Lieder, § 400 BGB Rn. 3; Ries, in: Kössler (Hrsg.), Die Würde des Menschen, 1998, S. 61, 75; Würdinger, NJW 2014, 3121.
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Kapitel 2: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein
§ 5: Stellungnahme A. Terminologische Bewertung Es ist auffällig, dass die betrachteten Erwägungen alle den Terminus „Existenzminimum“ verwenden. Das ist unglücklich, weil der Gedanke eines Minimums rhetorisch impliziert, dass ein Bestand auf ein Minimum zurückgeführt werden muss. Mit diesem sprachlich nahegelegten Aspekt der Minimierung wird gewissermaßen eine race to the bottom eingeleitet. Dies kann dann dazu führen, dass die relevante positive Fragestellung, was der Mensch zum menschenwürdigen Dasein benötigt, zwar nicht notwendigerweise ausgeblendet wird, aber doch gewissermaßen mit einem negativen Vorzeichen versehen wird. Da die Minimalterminologie aber dermaßen verfestigt ist, wird sie hier verwendet, wenn es um das Referieren und Beurteilen von Gedankengängen geht. Soweit das eigene Konzept betroffen ist, wird der Begriff des Existenzminimums vermieden. Stattdessen wird von einem menschenwürdigen Dasein gesprochen, das es zu sichern gilt.75 Dabei wird nicht verkannt, dass es für die nötigen Garantien eine Grenze gibt. Diese muss aber jeweils unter dem Aspekt der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins konkretisiert werden, ohne dass Minimierungstendenzen dominant sind. Die gängige Terminologie weist noch ein weiteres Problem auf. Dem Begriff „Existenzminimum“ werden Adjektive wie „religiös“, „ideell“, „sozio-kulturell“ etc. beigefügt. Das ist bei zusammengesetzten Worten problematisch. Ein Zusatz wie „religiös“ kann sich auf den einen Wortbestandteil (Existenz) beziehen, aber nicht in sinnvoller Weise auf den anderen Wortbestandteil (Minimum). Deswegen ist die Beifügung von Adjektiven bei zusammengesetzten Worten nicht sinnvoll, wenn das Adjektiv sich nur auf einen Wortbestandteil beziehen kann.76 Die Problematik lässt sich auch anders darstellen. Adjektive sind dazu da, eine Eigenschaft zu beschreiben, die dem Gegenstand zugeschrieben werden kann, der durch den Begriff bezeichnet wird. Es liegt nun auf der Hand, dass das „Existenzminimum“ beispielsweise nicht die Eigenschaft haben kann, „religiös“ zu sein. Dies gilt in gleicher Weise für die weiteren verwendeten Zusätze. Im Grunde geht es in allen genannten Fällen darum, einen Bezug zwischen dem „Existenzminimum“ und einer weiteren Lebenssituation herzustellen. Man 75 In diese Richtung auch Horrer, Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum, 2001, S. 142, wenn auch unter anderen Gesichtspunkten. Außerdem ist auffällig, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Definition von Existenzminimum den Begriff des menschenwürdigen Daseins aufgreift, vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 09.02. 2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 224; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 249; BVerfG, Beschl. v. 29.05.1990, 1 BvL 20/84 (u. a.), BVerfGE 82, 60, 85. 76 So bereits analytisch präzise Günther, Recht und Sprache, 1898, S. 39 f., der von „unrichtiger Beziehung des attributiven Eigenschaftswortes zum Subjekte“ spricht.
§ 5: Stellungnahme
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sollte deswegen, um beim Beispiel des „religiösen Existenzminimums“ zu bleiben, im Sinne der hier vorgeschlagenen Terminologie von einem menschenwürdigen Dasein in religiöser Hinsicht sprechen. Gleiches gilt dann für die anderen Bezugsperspektiven, von denen die Ausgestaltung eines menschenwürdigen Daseins abhängt.
B. Dogmatische Einordnung Die dogmatische Einordnung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein in der Zwangsvollstreckung ist kein Selbstzweck. Vielmehr trägt die dogmatische Verankerung dazu bei, den Inhalt des Grundrechts zu konkretisieren und zu sichern. Es liegt nahe, auf Art. 1 Abs. 1 GG zu rekurrieren, weil das Grundrecht explizit von Menschenwürde spricht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Gedanke der Menschenwürde in sämtlichen Grundrechten präsent ist. Dies wird oft als Menschenwürdekern bezeichnet.77 Alle Grundrechte konkretisieren das Prinzip der Menschenwürde.78 Deshalb sollte – wann immer möglich – auf das sachnähere Grundrecht als lex specialis mit seinem Menschenwürdegehalt zurückgegriffen werden. Nur in den Fällen, in denen kein sachnäheres Grundrecht vorhanden ist, ist eine Heranziehung von Art. 1 Abs. 1 GG angezeigt.79 Diese Vorgehensweise hat zudem den Vorteil, dass dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein trotz seiner vielfältigen Erscheinungsformen bereits durch diese dogmatische Einordnung spezielle Konturen im grundrechtlichen Detail verliehen werden. Zusätzlich zu dem jeweils einschlägigen Grundrecht bzw. Art. 1 Abs. 1 GG ist Art. 20 Abs. 1 GG relevant. Aus dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG folgt nämlich die Verpflichtung des Gesetzgebers, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen.80 Dazu gehört es, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen.81 Der Gesetzgeber muss die 77 BVerfG, Beschl. v. 21.06.2016, 2 BvR 2728/13 (u. a.), BVerfGE 142, 123, 195 (Rn. 138); BVerfG, Beschl. v. 20.02.2009, 1 BvR 2266/04 (u. a.), NJW 2009, 3089, 3090 (Rn. 19); BVerfG, Beschl. v. 05.04.2001, 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957, 2959; Sondervotum Lübbe-Wolff zu BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, 2 BvR 955/00 (u. a.), BVerfGE 112, 44, 46. 78 BVerfG, Beschl. v. 04.02.2010, 1 BvR 369/04 (u. a.), NJW 2010, 2193, 2195 (Rn. 27); BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 1533/07, NVwZ 2008, 549, 550 (Rn. 10); BVerfG, Beschl. v. 11.03.2003, 1 BvR 426/02, NJW 2003, 1303 (1304); BVerfG, Beschl. v. 05.04.2001, 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957, 2959; BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995, 1 BvR 1476/91 (u. a.), NJW 1995, 3303, 3304. 79 In diesem Sinne zutreffend Schulz, in: Schliesky/Ernst/Schultz (Hrsg.), Festschrift für Edzard Schmidt-Jortzig, 2011, S. 17, 23. 80 BVerfG, Urt. v. 30.06.2009, 2 BvE 2, 5/08 (u. a.), BVerfGE 123, 267, 362; BVerfG, Beschl. v. 22.06.1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 163; BVerfG, Beschl. v. 13.01.1982, 1 BvR 848/77 (u. a.), BVerfGE 59, 231, 263. 81 BVerfG, Urt. v. 30.06.2009, 2 BvE 2, 5/08 (u. a.), BVerfGE 123, 267, 362.
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Kapitel 2: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein
soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums abbilden.82 Letztlich lehnt sich dieser dogmatische Ansatz an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum im Steuerrecht an. Jedoch wird Art. 1 Abs. 1 GG nur in den Fällen einbezogen, in denen kein sachnäheres Grundrecht zur Verfügung steht. Wenn ein sachnäheres Grundrecht existiert, wird auf den in diesem Grundrecht enthaltenen Menschenwürdekern zurückgegriffen. Durch den Rückgriff auf Art. 1 Abs. 1 GG in den Fällen, in denen kein sachnäheres Grundrecht vorhanden ist, kann gewährleistet werden, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in jeder Ausformung einer grundrechtlichen Gewährleistung zugeordnet werden kann. Art. 1 Abs. 1 GG bildet in dieser Konstruktion sozusagen ein Auffanggrundrecht.
§ 6: Resümee Vom Ausgangsgedanken der verfassungsrechtlich gebotenen Fürsorge für Menschen in Not bis zur heutigen Ausprägung des Grundrechts zum Schutz des Existenzminimums hat die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung einen langen Weg zurückgelegt. In der jetzigen verfassungsrechtlichen Ausformung ist dieser Schutzgedanke facettenreich angelegt. Berücksichtigt werden die Auswirkungen staatlichen Handelns auf den Einzelnen. Aber auch die Beziehung des vom staatlichen Handeln Betroffenen zu anderen wird einbezogen. Dabei ist ein dynamisches zukunftsorientiertes Verständnis notwendig. Die genauere grundrechtliche Verankerung ist im Sozialrecht und im Steuerrecht auskonturiert, nicht aber im Zwangsvollstreckungsrecht. Das Sozialrecht kann für die Orientierung im Zwangsvollstreckungsrecht nur bedingt herangezogen werden, weil es sich hier um ein Leistungsrecht handelt. Mit dem Steuerrecht teilt das Zwangsvollstreckungsrecht die Gemeinsamkeit, dass es in beiden Rechts gebieten – bezogen auf das Existenzminimum – um ein Abwehrrecht geht. Allerdings weist das Zwangsvollstreckungsrecht im Unterschied zum Steuerrecht die Besonderheit auf, dass es nicht nur um das Zweierverhältnis „Bürger-Staat“ geht, sondern um die Dreieckskonstellation zwischen Schuldner, Gläubiger und Staat. Eine sachgerechte Erfassung der zwangsvollstreckungsrechtlichen Gesamt lage setzt zunächst eine terminologische Korrektur voraus. Die Bezeichnung „Existenzminimum“ weckt Assoziationen der Minimalisierung, die man vermeiden sollte. Es empfiehlt sich deswegen, vom Schutz des menschenwürdigen Daseins zu sprechen.
82
BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 224.
§ 6: Resümee
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Hinsichtlich der dogmatischen Einordnung können wegen der Ähnlichkeit zum Steuerrecht Erwägungen aus diesem Rechtsgebiet herangezogen werden, sofern nicht die Dreieckskonstellation eine andere Beurteilung rechtfertigt. Seine Fundierung erfährt das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein im „Menschenwürdekern“ der einzelnen Grundrechte und letzten Endes im Schutz der Menschenwürde.
Kapitel 3
Parameter der Zwangsvollstreckung Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen entscheiden darüber, wer im Dreiecksverhältnis Gläubiger-Staat-Schuldner innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners gewährleisten bzw. respektieren muss. Darauf aufbauend kann dann untersucht werden, ob bzw. inwieweit das Grundrecht im Rahmen Vollstreckung kohärent Berücksichtigung findet.
§ 1: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen Auch wenn der Schuldner in den bisher angesprochenen Zusammenhängen mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins im Vordergrund steht, darf nicht übersehen werden, dass der Gläubiger sich gleichfalls auf Grundrechte berufen kann. Außerdem können Grundrechte Dritter berührt sein. Es gilt, diese Grundrechtspositionen in Beziehung zu setzen. Dabei spielen grundrechtliche Wertungen in dogmatischer Hinsicht an mehreren Schaltstellen eine Rolle. Zunächst müssen die zwangsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften im Einklang mit höherrangigem Recht stehen, wozu die Grundrechte gehören.1 Weiterhin ist jede Rechtsnorm im Einklang mit dem Grundgesetz auszulegen.2 Bevor eine Norm als verfassungswidrig angesehen werden kann, gilt es zu versuchen, die Vorschrift verfassungskonform auszulegen. Das Gebot einer ver fassungskonformen Auslegung verlangt, dass von mehreren möglichen Aus legungsergebnissen, die teilweise zu einem verfassungswidrigen, teilweise zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führen, dasjenige Auslegungsergebnis vorzuziehen ist, das im Einklang mit dem Grundgesetz steht.3 Gerade im Zwangsvollstreckungsrecht ist eine verfassungskonforme Auslegung geboten, 1 BVerfG, Beschl. v. 18.07.2019, 1 BvL 1/18 (u. a.), NJW 2019, 3054, 3056; BVerfG, Beschl. v. 06.12.2016, 1 BvR 2821/11 (u. a.), BVerfGE 143, 246, 323; BVerfG, Beschl. v. 12.12.2006, 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163, 181. 2 BVerfG, Beschl. v. 14.04.1987, 1 BvR 332/86, BVerfGE 75, 201, 218; BVerfG, Beschl. v. 19.06.1979, 2 BvL 14/75, BVerfGE 51, 304, 323. 3 BVerfG, Beschl. v. 11.07.2013, 2 BvR 2302/11 (u. a.), BVerfGE 134, 33, 63; BVerfG, Beschl. v. 19.09.2007, 2 BvF 3/02, BVerfGE 119, 247, 274; BVerfG, Beschl. v. 08.03.1972, 2 BvR 28/71, BVerfGE 32, 373, 383 f.
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Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung
weil das Zwangsvollstreckungsrecht überwiegend aus einer Zeit stammt, die keine Grundrechtsbindung der Vollstreckung kannte.4 Schließlich muss die einzelne zwangsvollstreckungsrechtliche Maßnahme grundrechtskonform durchgeführt werden. Nach Art. 1 Abs. 3 GG sind die Vollstreckungsorgane unmittelbar an die Grundrechte gebunden.5 Deswegen ist der Vollstreckungszugriff ein Grundrechtseingriff.6 Es bedarf also nicht der Figur der mittelbaren Drittwirkung bzw. der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte, um eine Grundrechtsbindung der Vollstreckungsorgane zu schaffen.7
A. Grundrechtspositionen I. Grundrechte des Schuldners Durch die Zwangsvollstreckung greift das Vollstreckungsorgan in die Sphäre des Schuldners ein. 8 Es kann keine Vollstreckung geben, die nicht in Grundrechte des Schuldners eingreift.9 Neben dem bereits angesprochenen Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein kann sich der Schuldner auf weitere Grundrechte berufen.10 Diese werden hier – soweit zwangsvollstreckungsrelevant – jedoch nur unter dem Gesichtspunkt der Ausformung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein betrachtet. In diesem Sinne kann sich der Schuldner auf das Grundrecht „Leben und körperliche Unversehrtheit“ berufen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG).11 Aus Art. 2 Abs. 2 4
Vollkommer, Rpfleger 1982, 1, 9. Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 277; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 117; Lüke/Beck, JuS 1994, 22, 24; Schilken, in: Juristische Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Vorträge zur Rechtsentwicklung der achtziger Jahre, 1991, S. 307, 312; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 15.05.2019, 2 BvR 2425/18, NJW 2019, 2012; BGH, Beschl. v. 21.09.2017, I ZB 125/16, NZM 2018, 511. 6 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 3 Rn. 3; Müller, Die Ablieferung nach § 817 Abs. 2 ZPO, 2014, S. 152; Vollkommer, Rpfleger 1982, 1. Insofern ist es wichtig, zwischen den Termini „Grundrechtseingriff“ und „Grundrechtsverletzung“ zu differenzieren. Nicht jeder Grundrechtseingriff stellt eine Grundrechts verletzung dar. Nur ein nicht gerechtfertigter Grundrechtseingriff ist eine Grundrechtsverletzung, vgl. Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313, 314. 7 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 239 (Fn. 299). 8 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, 5.10; Gerhardt, Vollstreckungs recht, 21982, S. 5. 9 Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 322. 10 Vgl. dazu z. B. Gaul, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvoll streckung, 1996, S. 27 ff.; Peters, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 53 ff.; Rauscher, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 213 ff.; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 28 ff. 11 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 7.3; Fenge, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 63, 71; Walker, in: Dammann/ 5
§ 1: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
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S. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG lässt sich dann das menschenwürdige Dasein in gesundheitlicher Hinsicht ableiten. Außerdem steht dem Schuldner die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG) zur Seite.12 Konsequenterweise ist damit das menschenwürdige Dasein in religiöser Hinsicht als durch Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG geschützt zu betrachten. Weiterhin kann sich der Schuldner auf die grundrechtlich geschützte Informationsfreiheit stützen (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 2 GG).13 Dazu gehört das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in informationeller Hinsicht. Wenn neben dem Schuldner durch eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme dessen Ehegatte bzw. dessen Kinder mittangiert werden, ist Art. 6 Abs. 1 GG relevant.14 In diesem Sinne wird durch Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG das familiäre Existenzminimum geschützt. Weiterhin kann sich der Schuldner auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen, wenn im Rahmen der Zwangsvollstreckung auf Gegenstände zugegriffen wird, die seiner Berufsausübung dienen.15 Besonders häufig wird auf Seiten des Schuldners in das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG) eingegriffen.16 Das insoweit zu schützende wirtschaftliche Existenzminimum ist durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG gewährleistet. Wenn Vollstreckungsmaßnahmen mit einem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung verbunden sind, ist Art. 13 Abs. 1 GG einschlägig.17 Die Wohnung bildet den Mittelpunkt der menschlichen Existenz.18 Der Schutz der Menschenwürde wird in dem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG konkretisiert.19 In diesem Sinne ist das menschenwürdige Dasein in häuslicher Hinsicht durch Art. 13 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG geschützt. Der Gedanke des ideellen Existenzminimums lässt sich dem allgemeinen PersönlichGrunsky/Pfeiffer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 561, 564; Weyland, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, 1987, S. 44 ff. 12 Huken, KKZ 1990, 11; Wacke, DGVZ 1986, 161, 164; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 29. 13 Kaiser, DGVZ 1966, 17, 21; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 29. 14 Peters, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 53, 54; Polzius, DGVZ 1982, 97, 100; Vollkommer, Rpfleger 1982, 1, 4; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 29. 15 Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 29. 16 Behr, KJ 1980, 156, 157; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 245; olzius, DGVZ 1982, 97, 99; Schilken, in: Juristische Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), P Vorträge zur Rechtsentwicklung der achtziger Jahre, 1991, S. 307, 311; Walker, in: Dammann/ Grunsky/Pfeiffer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 561. 17 Fenge, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 63, 71; Polzius, DGVZ 1982, 97, 100 f.; Schilken, in: Juristische Gesellschaft Osnabrück- Emsland (Hrsg.), Vorträge zur Rechtsentwicklung der achtziger Jahre, 1991, S. 307, 311; Walker, in: Dammann/Grunsky/Pfeiffer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 561, 563; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 29. 18 Sondervotum Böhmer, BVerfG, Beschl. v. 27.09.1978, 1 BvR 361/78, BVerfGE 49, 220 (238); BVerfG, Beschl. v. 01.07.1964, 1 BvR 375/62, BVerfGE 18, 121 (131 f.). 19 BVerfG, Urt. v. 03.03.2004, 1 BvR 2378/98 (u. a.), BVerfGE 109, 279, 313.
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keitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) zuordnen. Seine Aufgabe ist es, die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten.20 Ein menschenwürdiges Dasein setzt in diesem Sinne in ideeller Hinsicht (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) voraus, dass die gefühlsmäßigen Bindungen des Schuldners in einem Mindestmaß Berücksichtigung finden. Wenn kein sachnäheres Grundrecht zur Ausformung einer bestimmten Erscheinungsform des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein zur Verfügung steht, ist dieses durch Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG geschützt. Welche Ausprägungen des Grundrechts in der Zwangsvollstreckung in concreto in Betracht kommen, wird später anhand von §§ 811 ff. ZPO und §§ 850 ff. ZPO zu analysieren sein. II. Grundrechte des Gläubigers In der Literatur wird immer wieder kritisch angemerkt, dass in Literatur und Rechtsprechung die Grundrechte des Gläubigers vernachlässigt würden.21 Mit einer Überbetonung des Eingriffs in Grundrechte des Schuldners sei die Gefahr eines parteiischen Zwangsvollstreckungsrechts verbunden, das einseitig den Schutz des Schuldners in den Blick nehme.22 Der Gläubiger könne sich aber genauso wie der Schuldner auf Grundrechte berufen. Zunächst steht dem Gläubiger die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG zur Seite.23 Diese umfasst alle vermögenswerten Rechtspositionen, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung so zugewiesen sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zum privaten Nutzen ausüben darf.24 Dieser Begriff des Eigentums ist nicht mit dem zivilrechtlichen Eigentum i. S. d. bürgerlichen Rechts gleichzusetzen.25 Der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff schließt vielmehr schuldrechtliche Forderungen ein,26 also auch das Forderungsrecht des Gläubigers. 20
BVerfG, Beschl. v. 13.05.1986, 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155, 170. dazu Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 621. So auch Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 7.45; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 3 Rn. 1. Werner, DGVZ 1986, 49, 55 spricht von einem häufig zu beobachtendem übersteigerten Schuldnerschutz. So – ohne den grundrechtlichen Hintergrund – schon Stein, ZZP 44 (1914), 425, 446. 22 Fischer, Vollstreckungszugriff als Grundrechtseingriff, 2006, S. 6 . 23 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 3 Rn. 43; Heiderhoff/Skamel, Zwangsvollstreckungsrecht, 32017, Rn. 43; Stamm, Die Prinzi pien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 76; Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 758. 24 BVerfG, Urt. v. 28.01.1997, 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, 300; BVerfG, Beschl. v. 07.12. 2004, 1 BvR 1804/03, BVerfGE 112, 93, 107; BVerfG, Beschl. v. 18.01.2006, 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, 110 f. 25 BVerfG, Urt. v. 28.01.1997, 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, 300. 26 BVerfG, Beschl. v. 08.06.1977, 2 BvR 499/74 (u. a.), BVerfGE 45, 142, 179; BVerfG, Be21 Vgl.
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Hinzu kommt auf Seiten des Gläubigers der Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG).27 Zu dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gehört das Recht auf eine effektive Zwangsvollstreckung.28 Selbstverständlich kann sich ein Gläubiger auch auf das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein berufen (Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG).29 Dieses ist dann tangiert, wenn der Gläubiger ohne die begehrte Vollstreckungsmaßnahme und ohne staatliche Hilfe keine Lebensgrundlage in diesem Sinne mehr hätte. Folglich kann es keine Vollstreckungsverweigerung geben, die nicht in Grundrechte des Gläubigers eingreift.30 Hinsichtlich der Eingriffsintensität ist es aber wichtig zu sehen, dass es nicht nur punktuell um die eine Vollstreckungssituation geht. Nur weil in diesem einen Moment eine Vollstreckung scheitert, bedeutet dies nicht, dass dauerhaft keine Vollstreckung möglich sein wird. Der Vollstreckungstitel gilt weiter. Im Verlauf der Zeit können sich die schuldnerischen Verhältnisse so verändern, dass eine künftige Vollstreckung Erfolg versprechen kann. III. Grundrechte Dritter Neben den Grundrechten des Schuldners und denen des Gläubigers ist weiterhin zu beachten, dass Grundrechte Dritter betroffen sein können und nicht verletzt werden dürfen. Insofern kommen verschiedene Konstellationen in Betracht. Grundrechte Dritter werden erstens dann berührt, wenn das Vollstreckungsorgan auf Vermögensgegenstände Dritter zugreift.31 Da für Verbindlichkeiten des Schuldners nur der Schuldner einzustehen hat und Dritten insofern die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO zur Verfügung steht, bleibt diese Fallgestaltung außer Betracht. Zweitens wird von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht nur der Schuldner getroffen. Auch Familienangehörige haben darunter als Drittbetroffene zu schl. v. 09.01.1991, 1 BvR 929/89, BVerfGE 83, 201, 208; BVerfG, Beschl. v. 07.12.2004, 1 BvR 1804/03, BVerfGE 112, 93, 107. 27 BVerfG, Beschl. v. 20.06.1995, 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99, 107; BVerfG, Beschl. v. 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, 401; BVerfG, Urt. v. 10.01.2012, 1 BvR 3142/07 (u. a.), BVerfGE 132, 99, 132. 28 Geimer, NJW 1991, 3072; Meller-Hannich, ZZP 130 (2017), 303, 307; Zöller/Seibel, Vorbem. zu §§ 704–945b Rn. 2; Walker, in: Dammann/Grunsky/Pfeiffer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 561, 568; Weyland, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, 1987, S. 55; Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 621. 29 Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 187. 30 Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 322. 31 Walker, in: Dammann/Grunsky/Pfeiffer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 561, 569.
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leiden.32 Deswegen werden Auswirkungen auf die Familie bei den Vollstreckungsschutzvorschriften berücksichtigt. Eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme kann dazu führen, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein der Familienangehörigen berührt wird. Nach dem klassischen Verständnis würde man freilich keinen Grundrechtseingriff annehmen können, weil der Staat nicht final und unmittelbar in dieser Richtung tätig wird.33 Das heutige Verständnis von „Eingriff“ geht jedoch weiter. Die genauen Konturen des modernen Eingriffsbegriffs sind allerdings umstritten.34 Jedenfalls darf nicht jede einen Grundrechtsträger belastende staat liche Maßnahme als Eingriff gewertet werden.35 Wenn es an einem unmittel baren Eingriff fehlt, wird an mittelbare Eingriffe angeknüpft, vorausgesetzt, diese sind dem Staat zurechenbar.36 Wenn kein finaler Eingriff gegeben ist, stellen sich auch nicht beabsichtigte, aber typische Folgen staatlichen Handelns als Grundrechtseingriff dar.37 Teilweise wird zusätzlich noch eine gewisse Intensität in dem Sinne gefordert, dass bloße Bagatellen hinzunehmen seien.38 Die Voraussetzungen, die eingriffskonstituierend sind, liegen bei einer zwangsvollstreckungsrechtlichen Maßnahme hinsichtlich Familienangehöriger des Schuldners vor. Da der Staat bei einer zwangsvollstreckungsrechtlichen Maßnahme selbst tätig wird, ist ihm diese zuzurechnen. Der Staat handelt zwar nur hinsichtlich des Grundrechtseingriffs gegenüber dem Schuldner final. Dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in Bezug auf Familienan gehörige des Schuldners berührt wird, ist vom Staat nicht beabsichtigt, aber im Sinne einer typischen Folge vorhersehbar. Der Schuldner ist nämlich innerhalb der Gesellschaft in vielfältige Verflechtungen integriert. Da das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in Rede steht, ist per se die erforderliche Intensität gegeben. Der Bagatellvorbehalt kann im Zusammenhang mit der Menschenwürde nicht aufgerufen werden. Es ist den betroffenen Familienangehörigen also nicht zumutbar, eine solche Beeinträchtigung hinnehmen zu müssen.
32 Ders., in: Dammann/Grunsky/Pfeiffer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 561, 569. 33 Vgl. zum klassischen Eingriffsbegriff z. B. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 32013, Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 124; Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 942021, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 40; Maurer, Staatsrecht I, 62010, § 9 Rn. 46. 34 Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 192021, Rn. 299; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 32013, Vorbem. vor Art. 1 GG 127. 35 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 32013, Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 125. 36 Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2004, § 6 Rn. 58; Starck/Paulus, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 5 GG Rn. 267. 37 Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 192021, Rn. 299. 38 Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2004, § 6 Rn. 58; Manssen, Staatsrecht II, 182021, Rn. 166.
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IV. Auflösung der Grundrechtskollisionen Die Gegenüberstellung der relevanten Grundrechte auf Schuldnerseite, Gläubigerseite und der Seite Dritter zeigt, dass ein Spannungsverhältnis zwischen den in Rede stehenden Grundrechten besteht.39 Anders als bei einem klassischen Hoheitseingriff der Exekutive im Verhältnis zwischen Staat und Bürger kommt es im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu einer Grundrechtskollision.40 Es ist somit zu klären, wie sich diese Spannungslage austarieren lässt. 1. Grundsatz der praktischen Konkordanz Im Verfassungsrecht wird zur Auflösung von Grundrechtskollisionen der Grundsatz der praktischen Konkordanz herangezogen. Danach darf nicht nur eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal durch gesetzt werden, sondern alle involvierten Rechtspositionen müssen in einen möglichst schonenden Ausgleich zueinander gebracht werden.41 Dieses Prinzip kann jedoch in der Zwangsvollstreckung nicht ausschlaggebend sein, um die existierenden Grundrechtskollisionen aufzulösen. In der Zwangsvollstreckung geht es nämlich um die Durchsetzung eines Gläubigerrechts zu Lasten eines Schuldnerrechts bzw. ggf. zu Lasten Dritter. Deswegen kann in der Regel ein optimaler Grundrechtsausgleich nicht erreicht werden.42 2. Absoluter Schutz des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins Wie Grundrechtskollisionen in der Zwangsvollstreckung generell zu behandeln sind, bedarf im vorliegenden Kontext freilich keiner Beantwortung. Entschieden werden muss lediglich, wie bei einer Grundrechtskollision zu verfahren ist, bei der auf Seiten des Schuldners bzw. auf Seiten Dritter das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in der Waagschale liegt.
39 Gaul, ZZP 112 (1999), 135, 143; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 118. 40 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 6 .4; Gaul, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 3 Rn. 43; Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 487; Weyland, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, 1987, S. 34. 41 BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014, 2 BvR 661/12, BVerfGE 137, 273, 319; BVerfG, Beschl. v. 06.10.2009, 2 BvR 693/09, NJW 2010, 220, 221 f.; BVerfG, Beschl. v. 16.05.1999, 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1, 21. 42 Weyland, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, 1987, S. 5 4; in diese Richtung auch Schilken, in: Juristische Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Vorträge zur Rechtsentwicklung der achtziger Jahre, 1991, S. 307, 312.
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a) Eingriff zu Lasten des Schuldners bzw. Dritter Wenn auf Seiten des Schuldners bzw. eines Dritten das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein betroffen ist, auf Seiten des Gläubigers hingegen nicht, kann die Grundrechtskollision nur in einer Form aufgelöst werden, und zwar zu Lasten des Gläubigers.43 Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein ist Ausprägung der Menschenwürde und deswegen einer Abwägung nicht zugänglich.44 Die Menschenwürde ist unverfügbar45 und damit zugleich das darin wurzelnde Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein46 . Ein Eingriff in dieses Grundrecht lässt sich nicht rechtfertigen. Es handelt sich also stets um eine Grundrechtsverletzung.47 Davon zu unterscheiden ist allerdings die Frage, was inhaltlich dem Schutzbereich des menschenwürdigen Daseins zuzurechnen ist.48 In dieser Hinsicht bedarf es jeweils einer argumentativen Herleitung. Erst wenn diese abgeschlossen ist, steht fest, dass ein Eingriff in dieses so konturierte Grundrecht sich jeglicher Rechtfertigung entzieht. b) Eingriff zu Lasten des Gläubigers Trotzdem ist nicht zu verkennen, dass der Staat – wenn er sich aufgrund von Pfändungsverboten weigert, eine Vollstreckungsmaßnahme zugunsten des Gläubigers durchzuführen – einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG in Form einer Inhalts- und Schrankenbestimmung vornimmt.49 Unter einer Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG wird die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter verstanden, die als Eigentum
43 Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 79; a. A. Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, 78 f., die meint, dass das Interesse des Gläubigers an der Befriedigung in der Zwangsvollstreckung in bestimmten Fällen nach Durchführung einer Abwägung höher zu bewerten sei als das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. 44 Gerhardt, ZZP 95 (1982), 467, 488. 45 BVerfG, Urt. v. 17.01.2017, 2 BvB 1/13, BVerfGE 144, 20, 206; BVerfG, Urt. v. 21.06.1977, 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187, 229. 46 BVerfG, Urt. v. 05.11.2019, 1 BvL 7/16, NJW 2019, 3703, 3704; BVerfG, Urt. v. 18.07. 2012, 1 BvL 10/10, BVerfGE 132, 134, 159; BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 222. 47 Drohsel, NZS 2014, 96, 100; Martínez Soria, JZ 2005, 644, 645; Neškovic/Erdem, SGb 2012, 134, 140; Schnath, NZS 2010, 297, 301. 48 Vgl. zu diesem Gedanken Lübbe-Wolff, Menschenwürde weggewogen? (https://verfas sungsblog.de/menschenwuerde-weggewogen) (geprüft am 12.09.2021). So als Konsequenz einer anderen Konstruktion wohl auch Teifke, Das Prinzip Menschenwürde, 2011, S. 154 ff. 49 Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 81 („allenfalls noch um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung“).
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geschützt werden.50 Die Pfändungsverbote legen in abstrakt-genereller Weise fest, inwieweit das Eigentumsgrundrecht des Gläubigers geschützt wird. Inhalts- und Schrankenbestimmungen müssen sich am Wohl der Allgemeinheit orientieren, welches nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen ist.51 Es wird Allgemeinwohl erfordernissen nicht gerecht, wenn zugunsten von Privatinteressen agiert wird. Allgemeinwohlerfordernissen steht es aber nicht entgegen, wenn zugunsten Privater gehandelt wird.52 Da der Staat im Rahmen der Vollstreckungsschutzvorschriften zum Schutz des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein tätig wird, kann man nicht sagen, dass vom Grundgesetz missbilligte Ziele verfolgt werden.53 Ganz im Gegenteil schützt der Staat damit eine Grundrechtsposition, die bei objektiver Betrachtung das Eigentumsgrundrecht überwiegt.54 Deshalb lässt sich der Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG rechtfertigen. Gleiches gilt für den Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG. Hinzu tritt, dass diese Sichtweise nicht zu einer einseitigen Bevorzugung des Schuldners führt. Vielmehr kommt das, was dem Schuldner verbleibt, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ebenfalls dem Gläubiger zugute. Dadurch, dass dem Schuldner der Raum gegeben wird, den er zur Entfaltung seiner Persönlichkeit benötigt, kann er dauerhaft seinen Verpflichtungen aus seinen eigenen Möglichkeiten heraus nachkommen. Dies dient letztlich auch den Interessen des Gläubigers.55 Entscheidend fällt zusätzlich ins Gewicht, dass das Zwangsvollstreckungsverhältnis nicht nur in einem Zeitpunkt existiert, sondern sich mit dem länger vollstreckbaren Titel über einen Zeitraum erstreckt. 50 BVerfG, Beschl. v. 14.01.2004, 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 24; BVerfG, Beschl. v. 02.03.1999, 1 BvL 7/91, BVerfGE 100, 226, 240; BVerfG, Beschl. v. 12.06.1979, 1 BvL 19/76, BVerfGE 52, 1, 27. 51 BVerfG, Beschl. v. 15.09.2011, 1 BvR 2232/10, NVwZ 2012, 429, 430; BVerfG, Beschl. v. 30.11.1988, 1 BvR 1301/84, BVerfGE 79, 174, 198; BVerfG, Beschl. v. 15.01.1969, 1 BvL 3/66, BVerfGE 25, 112, 117 f. 52 Depenheuer/Froese, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 14 GG Rn. 433. 53 Vgl. zu diesem Aspekt BVerfG, Beschl. v. 25.01.2017, 1 BvR 2297/10, NVwZ 2017, 949, 950; BVerfG, Urt. v. 17.12.2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, 188; BVerfG, Urt. v. 17.12. 2013, 1 BvR 3139/08, BVerfGE 134, 242, 293. 54 Vgl. zu diesem Kriterium Wendt, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 14 GG Rn. 160. 55 Brock, DGVZ 1997, 33, 36; Grote, Einkommensverwertung und Existenzminimum des Schuldners in der Verbraucherinsolvenz, 2000, S. 30; Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 234; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 358; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 154; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 79 f.; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 52. Kritisch zu diesem Aspekt Bechtloff, ZIP 1996, 994, 995. Die irische Law Reform Commission betont in ihrem Consultation Paper von 2009, dass es zu einer „increased entrepreneurial activity“ führen kann, wenn man dem Schuldner finanzielle Spielräume belässt (Nr. 992), lawreform.ie/_fileupload/consultation%20papers/cp56.htm.
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Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung
B. Gesamtstaatliche Interessen Neben den betroffenen Grundrechtspositionen sind in der Zwangsvollstreckung auch gesamtstaatliche Interessen von Belang.56 Der Staat muss soziale und gesamtwirtschaftliche Auswirkungen der Zwangsvollstreckung berücksichtigen.57 Das Vollstreckungsmonopol liegt beim Staat.58 Zur Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, gehört demgemäß die Pflicht, ordnungsgemäß titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen, um dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen.59 Der Staat ist also Garant des Rechtsschutzes. 60 Er wird insofern aber nicht nur im Interesse des Gläubigers tätig. Vielmehr liegt eine effektive Zwangsvollstreckung gleichermaßen im eigenen Interesse des Staates. 61 Nur dann, wenn der Staat einen funktionsfähigen Vollstreckungsapparat zur Verfügung stellt, kann er das spiegelbildliche Verbot der Selbstvollstreckung effektiv durchsetzen. Damit dient das Vollstreckungsmonopol des Staates der Wahrung von Grundelementen des Rechtsstaats, nämlich des Rechtsfriedens und der Rechtsordnung. 62 Letztlich hat die Vornahme bzw. Nichtvornahme einer Vollstreckungsmaßnahme für den Staat auch finanzielle Auswirkungen. Wenn nämlich der Staat das menschenwürdige Dasein des Schuldners dadurch sichert, dass er eine Vollstreckungsmaßnahme verweigert, bleiben ihm Sozialleistungen erspart. 63 Der Vollstreckungsschutz zielt freilich nicht primär darauf ab, die öffentlichen Kassen zu entlasten. 64 Mit dieser Erwägung könnte der Eingriff in die Grundrech56 Lent, in: Schubert (Hrsg.), Akademie für Deutsches Recht, 1997, S. 257, 258; Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 321. 57 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850 ZPO Rn. 1; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 5.13; Schiffhauer, Rpfleger 1978, 397. 58 BGH, Beschl. v. 20.10.2016, IX ZB 66/15, NJW 2017, 959, 961; Gaul, Rpfleger 1971, 1; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, 21982, S. 5; Klose, NJ 2020, 334. 59 Sondervotum Böhmer, BVerfG, Beschl. v. 27.09.1978, 1 BvR 361/78, BVerfGE 49, 220, 231. 60 Gaul, JZ 1974, 279, 284. 61 Vgl. dazu auch noch Kapitel 3:§2:B.II. 62 BVerfG, Beschl. v. 03.11.2017, 2 BvR 2135/09, NJW 2018, 531, 533; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1982, 1 BvL 34/80 (u. a.), BVerfGE 61, 126, 136; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungsund Insolvenzrecht, 232010, § 1 Rn. 43; Paulus, DGVZ 2004, 65, 66; Zeller, Die Vollstreckung in offene Kreditlinien, 2006, S. 163. Vgl. zur parallelen Situation im Insolvenzrecht BVerfG, Beschl. v. 12.01.2016, 1 BvR 3102/13, NJW 2016, 930, 932. Zu den Gefahren für den Rechtsstaat, wenn kein effektives Zwangsvollstreckungsverfahren zur Verfügung steht Goebel, Kontopfändung unter veränderten Rahmenbedingungen, 2010, Rn. 34; Paulus, in: Prütting/ Vallender (Hrsg.), Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis, 2000, S. 33, 39. 63 Grote, Einkommensverwertung und Existenzminimum des Schuldners in der Verbraucherinsolvenz, 2000, S. 32; Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 232; Hoppe, Recht auf Existenz, 2005, S. 137 f.; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 182 f., 194; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 850 ZPO Rn. 3; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 16; Zwehl, Lohnpfändung, 151996, S. 3. 64 Pawlowski, ZZP 90 (1977), 345, 350, 363; Werner, DGVZ 1986, 49, 55.
§ 2: Die Rechtsverhältnisse innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung
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te des Gläubigers, der in einer Vollstreckungsverweigerung liegt, nicht legitimiert werden. 65 Vielmehr handelt der Staat in dieser Situation in erster Linie zum Schutz des Schuldners. Dass dadurch eine Entlastung der öffentlichen Kassen eintritt, ist lediglich eine möglicherweise willkommene, aber rechtlich nicht zu beanstandende zwangsläufige Folge des grundrechtlich gebotenen staatlichen Handelns.
§ 2: Die Rechtsverhältnisse innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung Fest steht, dass der Schuldner gegenüber dem Staat einen Anspruch auf die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins hat. Daraus folgt freilich noch nicht, dass der Staat dieses Grundrecht im Rahmen der Zwangsvollstreckung gewährleisten muss. Vorstellbar wäre möglicherweise alternativ, dass der Staat diesen Anspruch durch seine Leistungen im Sozialrecht erfüllt. Um die Belastbarkeit dieser Alternativannahme zu prüfen, muss zunächst ein Blick auf die Akteure und ihre Beziehungen innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung geworfen werden.
A. Beziehungen zwischen den Beteiligten Am Zwangsvollstreckungsverfahren ist neben Gläubiger und Schuldner ein staatliches Vollstreckungsorgan beteiligt. Es handelt sich um ein Dreiecksverhältnis66 bzw. eine Dreierbeziehung67. Folglich ist zwischen drei verschiedenen Rechtsbeziehungen zu differenzieren. Das Verhältnis zwischen Gläubiger und Vollstreckungsorgan wird als Antragsverhältnis bezeichnet, das Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem Vollstreckungsorgan als Eingriffsverhältnis und das Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger als Vollstreckungs verhältnis. 68
B. Rollen der Beteiligten I. Schuldner und Gläubiger Die Rollen von Schuldner und Gläubiger in der Zwangsvollstreckung sind antagonistisch. Während der Schuldner möglichst keine Zwangsvollstreckungs65
Vgl. dazu Kapitel 3:§4:B. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 8 Rn. 3; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, 21982, S. 10; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 118. 67 Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 321; Weyland, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, 1987, S. 34. 68 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 5.4; Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 321. 66
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Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung
maßnahmen wünscht, erstrebt der Gläubiger das Gegenteil. Diese Konflikt situation darf nicht stereotypisch dahingehend beschrieben werden, dass auf der einen Seite der „arme Schuldner“ und auf der anderen Seite der „hartherzige Gläubiger“ zu finden sei.69 Auf diese Weise würde von vornherein die denkbare Alternative ausgeschlossen, dass der Gläubiger dringend auf die Vollstreckung angewiesen sein kann. Gleichermaßen darf man nicht verallgemeinernd davon ausgehen, dass Schuldner generell an ihrer Lage selbst schuld seien. Vielmehr können sie auch unverschuldet in eine finanzielle Schieflage geraten sein.70 Es mag auch Schuldner geben, die zahlungsfähig sind, aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht zahlen wollen und es auf eine Zwangsvollstreckung ankommen lassen. Im Übrigen sind Motivationen in der Zwangsvollstreckung grundsätzlich nicht rechtsrelevant. II. Staat Bleibt noch zu klären, welche Rolle der Staat angesichts der gegensätzlichen Interessen von Schuldner und Gläubiger in der Zwangsvollstreckung spielt. Insofern ist umstritten, ob man den Staat tatsächlich als neutralen Mittler einstufen kann, obwohl durch die Zwangsvollstreckung auch gesamtstaatliche Interessen berührt werden.71 In diesem Sinne wird betont, dass der Staat die Vollstreckung nicht im eigenen Interesse, sondern zur Durchsetzung der dem Gläubiger zustehenden Rechte durchführt.72 Der Staat handelt also – wegen des Verbots der Selbsthilfe – anstelle des Gläubigers und für den Gläubiger.73 Er ist demnach als Garant des Rechtsschutzes ein neutraler Mittler.74 Auch wenn der Staat mit einem funktionsfähigen Zwangsvollstreckungssystems generell eigene Zwecke verfolgt, sind diese für die einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen nicht maßgeblich. Vielmehr stehen diese eigenen Interessen des Staates hinter dem Rechtsinstitut der Zwangsvollstreckung im Allgemeinen, nicht aber hinter den konkreten Vollstreckungsmaßnahmen zugunsten individueller Gläubiger.75 69 Münch, NJW 1958, 133; Wüst, JZ 1960, 656, 657, allerdings mit anderer Konsequenz. In diese Richtung auch Baur/Schönke, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 10 1978, S. 223; Brehm, in: Gerhardt/Diederichsen/Rimmelspacher u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Henckel zum 70. Geburtstag am 21. April 1995, 1995, S. 41, 49; Seidler, Selbständige in der Insolvenz – Der Insolvenzbeschlag von Arbeitsmitteln, 2008, S. 33 f.; Stürner, DGVZ 1985, 6, 9 f. 70 Lenz, Die Kirche und das weltliche Recht, 1956, S. 387. 71 Vgl. dazu oben Kapitel 3:§1:B. 72 Götte, ZZP 100 (1987), 412, 416; Schilken, in: Evangelische Akademie Bad Boll (Hrsg.), Verwirklichung der Rechtseinheit, 1992, S. 30, 38; Wolf, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 201. 73 Münzberg, in: Nörr (Hrsg.), 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland 40 Jahre Rechtsentwicklung, 1990, S. 99, 109. 74 Gaul, JZ 1974, 279, 284. 75 Wieser, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Zwangsvollstreckung, 1989, S. 100; Zeller, Die Vollstreckung in offene Kreditlinien, 2006, S. 163.
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C. Auswirkungen der Einzelzwangsvollstreckung auf die Begründung von Rechtsverhältnissen Betrachtet man das Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen, so wird deutlich, dass die Schuldner-Gläubiger-Beziehung nicht erst mit der Zwangsvollstreckung beginnt. Vielmehr hat bei materiell-rechtlichen Ansprüchen das Rechtsverhältnis bereits eine Vor geschichte. Bei vertraglichen Ansprüchen kann die Abschätzung der Zwangsvollstreckungsrealität schon im Vorfeld zu der Frage führen, ob überhaupt ein Rechtsverhältnis begründet werden soll. Während niedrige Pfändungsgrenzen die Kreditfähigkeit des Schuldners erhöhen, verringern hohe Pfändungsgrenzen dessen Kreditfähigkeit.76 Deshalb dürfen Vollstreckungsschutzvorschriften nicht nur im Hinblick auf den einzelnen Schuldner betrachtet werden. Zusätzlich müssen die generalisierten Folgen berücksichtigt werden. Selbst wenn weitgehende Vollstreckungsschutzvorschriften dem individuellen Schuldner im Zwangsvollstreckungsrecht zugutekommen, zeigt eine solche gesamtwirtschaftliche Betrachtung, dass es dadurch Schuldnern erschwert werden kann, Kredit zu erhalten. Wenn ihnen trotz dieser Sachlage ein Kredit gewährt wird, werden meist erhöhte Zinsen erhoben.77 Eine ökonomische Analyse von Vollstreckungsschutzvorschriften führt folglich zu dem Ergebnis, dass Schutzbestimmungen im Zwangsvollstreckungsrecht verhaltenssteuernde Wirkung haben.78 Diese Folgenanalyse muss bei der Frage der Austarierung zwischen Schuldner- und Gläubigerschutz berücksichtigt werden.
D. Gewährleistung des Grundrechts des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein Es gibt zwei verschiedene Möglichkeiten, das menschenwürdige Dasein des Schuldners im Dreiecksverhältnis der Zwangsvollstreckung zu sichern. Zum einen könnte der Staat eine solche Vollstreckungsmaßnahme im Eingriffsverhältnis vornehmen und den Schuldner gleichzeitig auf die Möglichkeit verweisen, sozialrechtliche Ansprüche geltend zu machen (Var. 1). Zum anderen könnte der Staat sich im Antragsverhältnis weigern, eine Vollstreckungsmaßnahme zugunsten des Gläubigers durchzuführen (Var. 2). 76 Alisch, DGVZ 1981, 106, 107; Arnold, BB 1978, 1314, 1316; Berner, Rpfleger 1959, 77, 81; Christmann, Rpfleger 1990, 403, 404; Künkel, Der Amtsvormund 1990, 90, 98. 77 Brehm, in: Gerhardt/Diederichsen/Rimmelspacher u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Henckel zum 70. Geburtstag am 21. April 1995, 1995, S. 41, 51; Schütte, WSI-Mitteilungen 1987, 107, 108; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 182. 78 In diese Richtung Jäger, ZVI 2008, 409, 415 f. Vgl. zum Konzept der verhaltenssteuernden Wirkung im Zivilrecht Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, passim; Wagner, AcP 2006, 352 ff. Im Kontext von § 1357 BGB Herberger, Von der „Schlüsselgewalt“ zur reziproken Solidarhaftung, 2019, S. 48, 110 f.
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Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung
Gegen eine Abwicklung im Sinne von Variante 1 wird zunächst eine Metapher ins Feld geführt. Es wird davon gesprochen, der Staat würde dann dem Schuldner zugunsten des Gläubigers mit einer Hand das nehmen, was er mit der anderen Hand wieder gewähren müsste.79 Das ist eine bildhaft einleuchtende Beschreibung, die aber keine präzise rechtliche Einordnung darstellt. Mit gleicher Tendenz wird formuliert, der Staat könne dann also genauso gut die So zialleistungen auf direktem Wege dem Gläubiger zukommen lassen.80 Diese Anknüpfung an die Geben- und Nehmen-Metapher, die ursprünglich auf das steuerrechtliche Nehmen im Verhältnis zum sozialrechtlichen Geben abgestimmt war, lässt sich auf das zwangsvollstreckungsrechtliche Nehmen im Verhältnis zum sozialrechtlichen Geben nicht übertragen. Während der Staat im Steuerrecht mit dem alleinigen Gegenüber des Steuerschuldners zugleich nimmt und gibt, ist es im Zwangsvollstreckungsrecht anders: Hier nimmt der Staat primär nicht zu seinen eigenen Gunsten, sondern zugunsten des Gläubigers. Das Geben vollzieht sich dann im Verhältnis zum Vollstreckungsschuldner. Die Dreiecksstruktur im Zwangsvollstreckungsrecht steht damit einer Übertragung der steuerrechtlichen Struktur entgegen. 81 Wiederum gegen einen Abwicklungsmodus im Sinne von Variante 1 wird auf einen sich dann ergebenden Wertungswiderspruch hingewiesen. Es sei wertungsmäßig widersprüchlich, wenn der Staat dem Bürger im Wege des Zwangsvollstreckungsrechts etwas wegnehme, was er ihm später durch Sozialhilfe zurückgewähren müsse. 82 Indessen kann von einem Wertungswiderspruch nicht die Rede sein. Es geht nicht darum, dass zwei Wertungen kollidieren. Vielmehr geht es darum, dass der Staat in unterschiedlichen Rollen handelt. In der einen Rolle nimmt er etwas weg, in der anderen Rolle gibt er etwas. Darin ist kein Widerspruch zu sehen. Man mag zwar über die Zweckmäßigkeit einer solchen Vorgehensweise streiten. Eine wertungsmäßige Inkonsistenz besteht jedoch nicht. Trotzdem bleibt die Frage, auf welche Weise das menschenwürdige Dasein des Schuldners im Dreiecksverhältnis der Zwangsvollstreckung zu sichern ist. Man könnte meinen, dass in beiden geschilderten Konstellationen, also sowohl bei der Durchführung der Zwangsvollstreckung mit Verweis auf sich dann ergebenden sozialrechtlichen Ansprüche (Var. 1) als auch bei der Verweigerung 79 Behr, Rpfleger 1981, 417, 423; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 28; Schneider/Becher, DGVZ 1980, 177, 179; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 78. 80 Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 78. 81 So auch Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 2 2 („Die ‚beteiligten Hände‘ gehören nicht mehr beide dem Staat, sondern verschiedenen Akteuren“). 82 Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S. 219. Vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht Axer, in: Mellinghoff (Hrsg.), Steuern im Sozialstaat, 2006, S. 175, 188; Birk/Wernsmann, JZ 2001, 218, 219; Dötsch, FR 1991, 315, 317.
§ 2: Die Rechtsverhältnisse innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung
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der Zwangsvollstreckung (Var. 2), das menschenwürdige Dasein des Schuldners sichergestellt wäre. 83 Diese Betrachtungsweise würde es rechtfertigen, die Vollstreckungsmaßnahme durchzuführen (Var. 1), weil sich der Anspruch des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein gegen den Staat richtet und der Staat diesem Anspruch durch seine Sozialleistungen genügt. Diesem Gedankengang steht aber ein entscheidendes grundrechtsdogmatisches Argument entgegen. Wenn man einen Schuldner, der sein menschenwürdiges Dasein selbst finanzieren kann, in die Lage bringt, auf sozialrechtliche Ansprüche angewiesen zu sein, bringt man ihn in die Wahrnehmungsperspektive eines „Bittstellers“. 84 Der Zwang, diesen Weg beschreiten zu müssen, kann als demütigend empfunden werden. 85 Dadurch sieht sich der Schuldner nicht mehr in der Lage als eigenverantwortlich handelndes Subjekt i. S. v. Art. 1 Abs. 1 GG leben zu können.86 Wer auf staatliche Leistungen verwiesen wird, muss gewisse Voraussetzungen beachten und erfüllen. Der Schuldner wird so in eine von ihm nicht gewollte Abhängigkeitsund Komplexitätssituation gebracht.87 Das ist mit der freiheitssichernden Funktion der Grundrechte nicht vereinbar.88 Der Mensch muss sich in Freiheit selbst bestimmen und entfalten können.89 Deshalb macht es einen entscheidenden Unterschied, ob der Staat erst wegnimmt und dann auf anderem Wege wie83 So für das Steuerrecht Czub, Verfassungsrechtliche Gewährleistungen bei der Auferlegung steuerlicher Lasten, 1982, S. 59. 84 So auch Moes, Die Steuerfreiheit des Existenzminimums vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011, S. 172 mit Rekurs auf das Subsidiaritätsprinzip. 85 Dötsch, FR 1991, 315, 317; Hartmann, NJW 1978, 609. 86 KG Berlin, Beschl. v. 09.09.1986, 1 W 2745/86, Rpfleger 1987, 73, 74; Gleichenstein, ZVI 2004, 149, 151; a. A. Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 77 f.; Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 14; in diese Richtung auch Brühl, JurBüro 1987, 801. Vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht Birk/ Wernsmann, JZ 2001, 218, 219; Friauf, in: ders. (Hrsg.), Steuerrecht und Verfassungsrecht, 1989, S. 3, 30 f.; Lang, StuW 1983, 103, 121; Pezzer, in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, S. 757, 765; Wendt, in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, 1995, S. 47, 51. 87 Arnauld, in: Arnauld/Musil (Hrsg.), Strukturfragen des Sozialversicherungsrechts, 2009, S. 251, 279 f.; vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht Axer, in: Melling hoff (Hrsg.), Steuern im Sozialstaat, 2006, S. 175, 187; Friauf, in: ders. (Hrsg.), Steuerrecht und Verfassungsrecht, 1989, S. 3, 31; Lang, StuW 1983, 103, 121; Pezzer, in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, S. 757, 765; Wendt, in: Rüßmann (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Käfer, 2009, S. 457, 459. 88 Arnauld, in: Arnauld/Musil (Hrsg.), Strukturfragen des Sozialversicherungsrechts, 2009, S. 251, 279 f.; vgl. zur freiheitssichernden Funktion der Grundrechte Kapitel 2 Fn. 39. Zu diesem Gedanken im Verhältnis Steuerrecht-Sozialrecht Birk, ZRP 1979, 221, 225; Jachmann, NZS 2003, 281, 282; Moes, Die Steuerfreiheit des Existenzminimums vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011, S. 171; Pezzer, in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, S. 757, 765. 89 Vgl. zu diesem Gedanken Kapitel 2 Fn. 41.
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Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung
der gibt, oder gleich auf das Wegnehmen verzichtet.90 Der Staat darf Selbstverantwortung nicht durch Staatsfürsorge ersetzen.91 Freiheitssicherung erfordert demnach die Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Eingriffsverhältnis bzw. die Schaffung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Leistungsverhältnis.92 Entscheidend ist letztlich: Ein Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein lässt sich nicht rechtfertigen. Sobald der Staat eine Vollstreckungsmaßnahme durchführt, die in dieses Grundrecht eingreift, verletzt er dieses Grundrecht. Eine solche Verletzung lässt sich nicht unter Hinweis auf die Möglichkeit relativieren, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Die eigenfinanzierte Existenz muss Vorrang vor staatlicher Hilfe haben.93 Folglich muss der Staat die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verweigern, wenn diese mit einem Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners verbunden ist. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu der These, dass der Staat – und nicht der Gläubiger – dieses Grundrecht gewährleisten muss. In der Tat ist es nicht Sache des Gläubigers, die Aufgaben der Sozialhilfeträger zu übernehmen und die Allgemeinheit insofern zu entlasten.94 Dass letztlich der Gläubiger seine Ansprüche gegen den Schuldner punktuell nicht um den Preis einer Grundrechtsverletzung auf Seiten des Schuldners durchsetzen kann, bedeutet nicht, dass der Schuldner gegen den Gläubiger einen Anspruch auf Gewährleistung dieses Grundrechts hat. Vielmehr handelt es sich um einen Reflex, der praktisch dazu führt, dass der Gläubiger das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners respektieren muss. Diese Konsequenz hat nichts mit dem Prinzip der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten im Privatrecht zu tun.95 Der Staat, der aufgrund des Vollstreckungsmonopols die Vollstreckung durchführt und der nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist, darf nicht in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners eingreifen. Diese unmittelbare 90 Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 30; vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht Axer, in: Mellinghoff (Hrsg.), Steuern im Sozialstaat, 2006, S. 175, 187; Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 137. 91 Vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht Dötsch, FR 1991, 315, 317; Söhn, FinanzArchiv 1988, 154, 168 f. 92 Birk, in: Deutscher Sozialrechtsverband e.V. (Hrsg.), Sozialrecht und Steuerrecht, 1989, S. 104, 107. 93 So zu der parallelen Fragestellung im Steuerrecht Söhn, FinanzArchiv 1994, 372, 380; in diese Richtung auch Hoppe, Recht auf Existenz, 2005, S. 119. Vgl. auch Moes, Die Steuerfreiheit des Existenzminimums vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011, S. 171 unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip. 94 Vgl. zu dieser Überlegung i.R.v. § 765a ZPO: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.1986, 3 W 449/85, NJW-RR 1986, 1512; OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.08.1980, 20 W 484/80, juris, Rn. 3. 95 So aber Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 184.
§ 2: Die Rechtsverhältnisse innerhalb der Einzelzwangsvollstreckung
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Grundrechtsbindung im Eingriffsverhältnis hat reflexartige Auswirkungen auf das Vollstreckungsverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger, in diesem Fall zu Lasten des Gläubigers. Dass den Gläubiger die mit dem beschriebenen Rechtsreflex verbundenen Folgen treffen sollen, ist mit Hinweis auf das Prinzip begründet worden, dass in einem Dreiecksverhältnis jeder Beteiligte das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners tragen müsse. Dadurch, dass sich der Gläubiger den Schuldner als seinen Vertragspartner ausgesucht habe, müsse er auch dessen Insolvenzrisiko in Kauf nehmen.96 Eine solche Betrachtungsweise passe natürlich nur für vertragliche Ansprüche. Bei der Durchsetzung gesetzlicher Ansprüche habe der Gläubiger keine Einflussmöglichkeit auf die Person des Schuldners,97 weswegen hier eigentlich ein anderes Ergebnis zwingend sei. Dieser denkbare Einwand sei aber nicht von Belang, weil der Gläubiger dem Schuldner näher stehe als der unbeteiligte Staat.98 Es bedarf aber nicht des Rückgriffs auf ein allgemeines zivilrechtliches Prinzip der geschilderten Art, um zu begründen, weswegen der Gläubiger letztlich das entgegenstehende Grundrecht des Schuldners zu respektieren hat. Dies ist nämlich eine zwingende Folge des für den Staat geltenden Verbots, in das betreffende Grundrecht des Schuldners einzugreifen. Zwar greift der Staat damit gleichermaßen in Grundrechte des Gläubigers ein, in der Regel nämlich in die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG) und den Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG).99 Ein solcher Eingriff lässt sich aber rechtfertigen. Der vom Staat mit den Pfändungsverboten verfolgte legitime Zweck ist in dem Schutz des Grundrechts des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein zu sehen.100 Da dieses Grundrecht absolut geschützt ist, bleibt kein Raum für eine Abwägung mit den Grundrechten, die dem Gläubiger zur Seite stehen.
96 Grote, Einkommensverwertung und Existenzminimum des Schuldners in der Verbraucherinsolvenz, 2000, S. 33; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 184 f.; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 78; Vollkommer, Rpfleger 1982, 1, 7. 97 Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 78. 98 Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 184 f.; Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 78. 99 Vgl. dazu bereits oben Kapitel 3:§1:A.II. 100 Vgl. dazu noch Kapitel 3:§4:A.
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Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung
§ 3: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in unterschiedlichen Rechtsgebieten Würdinger hat herausgearbeitet, dass das juristische Denken wesentlich durch ein Denken in Ähnlichkeitsmustern geprägt ist.101 Dieser Ansatz kann auch fruchtbar gemacht werden, wenn mögliche Bezüge zwischen verschiedenen Teilrechtsgebieten zu diskutieren sind. Für das Zwangsvollstreckungsrecht sind das Sozialrecht und das Steuerrecht mögliche Referenzbereiche. Eine Übertragung von Gedanken aus diesen Regelungskontexten setzt voraus, dass eine ausreichende Ähnlichkeit konstatiert werden kann.
A. Zwangsvollstreckungsrecht und Sozialrecht Bei der Analyse des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins ist deutlich geworden, dass zwischen der Ausprägung im Sozialrecht bzw. im Zwangsvollstreckungsrecht eine besonders enge Verbindung besteht. Dies ist schon allein deswegen der Fall, weil sich im Zwangsvollstreckungsrecht Verweisungen auf das Sozialrecht befinden.102 Trotzdem existieren in beiden Rechtsgebieten wesentliche Unterschiede, was den Schutzgehalt des Grundrechts angeht. I. Unterschiede Der im Zwangsvollstreckungsrecht vorgesehene Pfändungsschutz verfolgt eine andere Zielrichtung als die Gewährung sozialrechtlicher Ansprüche. Während die Pfändungsschutzvorschriften sicherstellen sollen, dass das menschenwürdige Dasein des Schuldners aufrechterhalten bleibt, soll durch das Sozialrecht eine bereits eingetretene Notlage ausgeglichen werden.103 In diesem Sinne geht es im Zwangsvollstreckungsrecht um ein Verbot des Nehmens, im Sozialrecht hingegen um ein Gebot des Gebens. Das Zwangsvollstreckungsrecht ist Eingriffsrecht, das Sozialrecht Leistungsrecht.104 Bei der Bestimmung des Umfangs dessen, was zu einem menschenwürdigen Dasein gehört, geht das Zwangsvollstreckungsrecht einen anderen Weg als das Sozialrecht. Der Pfändungsschutz im Zwangsvollstreckungsrecht ist weitgehend bundesweit pauschal festgesetzt. Individuelle Verhältnisse müssen häufig 101 Würdinger, in: Althammer/Schärtl (Hrsg.), Dogmatik als Fundament für Forschung und Lehre, 2021, S. 141 ff. 102 Vgl. z. B. § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO. 103 Arnold, BB 1978, 1314, 1316 (Fn. 21). 104 Zu dieser Differenzierung vgl. Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990, S. 103 ff. Zu der parallelen Konstellation Steuerrecht-Sozialrecht siehe Axer, in: Mellinghoff (Hrsg.), Steuern im Sozialstaat, 2006, S. 175, 186. Vgl. dazu auch bereits Kapitel 2:§4:A.
§ 3: Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein
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unberücksichtigt bleiben, damit das formalisierte Vollstreckungsverfahren funktionsfähig bleibt.105 Sozialrechtliche Leistungen hingegen werden auf Grundlage einer individuellen Bedarfsermittlung erbracht.106 Ein weiterer Unterschied betrifft das sog. Schonvermögen im Sozialrecht. Wie bei den Pfändungsverboten im Zwangsvollstreckungsrecht wird dadurch das individuelle Vermögen in gewisser Weise verschont. Dieses Vermögen muss nämlich nicht eingesetzt werden. Vielmehr erhält auch derjenige Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 12 Abs. 3 SGB II) bzw. Sozialhilfe (§ 90 Abs. 2 SGB XII), der über gewisse Vermögenswerte verfügt. Zum Schonvermögen im Sozialrecht gehört etwa ein angemessenes Hausgrundstück (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II bzw. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII). Hausgrundstücke stellen im Zwangsvollstreckungsrecht hingegen ein beliebtes Zugriffsobjekt für Gläubiger dar.107 Insofern wird das Vermögen aus sozialrechtlicher Perspektive wesentlich großzügiger geschützt als im Zwangsvollstreckungsrecht. Letztlich ist einem Schuldner durch den zwangsvollstreckungsrechtlichen Vollstreckungsschutz in der Regel mehr geholfen als mit einer Verweisung auf sozialrechtliche Ansprüche. So gibt es beispielsweise keinen sozialrechtlichen Anspruch auf einen Pkw für einen Handelsvertreter. Das Pfändungsverbot des § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO hingegen kann für diesen einen bereits vorhandenen Pkw schützen.108 Hinzu kommt, dass die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO – da von der Höhe des Einkommens abhängig – günstiger als sozialrechtliche Ansprüche sind.109 Dies entspricht der Wertung, dass das menschenwürdige Dasein den Schutz des Arbeitsanreizes voraussetzt.110 II. Vergleichbarkeit Trotz bestehender Unterschiede existieren vielfältige Verflechtungen zwischen dem Zwangsvollstreckungsrecht und dem Sozialrecht. Diese werden bei der Analyse der einzelnen zwangsvollstreckungsrechtlichen Normen näher beleuchtet.111 105 BT-Drs. 8/693, S. 45; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 31. Indes zeigt z. B. § 765a ZPO (vgl. dazu Kapitel 9), dass Abweichungen vom Formalisierungsgrundsatz durchaus in Betracht kommen, so auch Lackmann, ZVI 2017, 409, 411. 106 Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 31. 107 Noch zum BSHG Günther, NDV 1998, 143, 145; Mrozynski, Sozialer Fortschritt 1990, 136, 140; Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S. 224. 108 So noch zu § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 233. 109 Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 233; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 9 0. 110 Dazu nachdrücklich Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 234. Vgl. dazu bereits Kapitel 2:§2:B. 111 Vgl. dazu besonders § 850d ZPO [Kapitel 6:§2:F], § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO [Kapitel 6:§2:G.I.1] und § 850f Abs. 2 ZPO [Kapitel 6:§2:H].
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An dieser Stelle stehen deshalb nur die Gemeinsamkeiten in Rede, die sich auf einer übergeordneten Ebene ergeben. Gemeinsamer Grundgedanke sowohl für den Vollstreckungsschutz in der Zwangsvollstreckung wie auch für die sozialrechtlichen Ansprüche ist die Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins.112 Da der Staat in dieses Grundrecht nicht eingreifen darf, muss sichergestellt werden, dass die im Zwangsvollstreckungsrecht zu verschonenden Mittel die entsprechenden Vorgaben im Sozialrecht nicht unterschreiten.113 Ansonsten käme es zu der Situa tion, dass der Bürger aufgrund der Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegen seinen Willen von Sozialleistungen abhängig würde, was ihm – wie dargelegt – als Subjekt nicht gerecht würde.114 Mit anderen Worten: Soweit sozialrechtlich Bedürftigkeit gegeben ist, besteht keine zwangsvollstreckungsrechtliche Leistungsfähigkeit.115 Der Zusammenhang zwischen sozialrechtlicher Bedürftigkeit und zwangsvollstreckungsrechtlicher Leistungsfähigkeit lässt sich als verfassungsrechtlich verbundene Werteinheit zwischen Zwangsvollstreckungsrecht und Sozialrecht bezeichnen.116 Daraus folgt aber auch, dass Zwangsvollstreckungsrecht und Sozialrecht gerade nicht zwei Seiten derselben Medaille sind.117 Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob der Staat darauf verzichtet, einem Bürger etwas wegzunehmen, oder ob der Staat einem Bürger etwas wegnimmt und es ihm anschließend wiedergibt.118 Daraus folgt, dass eine rein pekuniär-quantitative Betrachtung die grundrechtlichen Wertungen nicht zutreffend abbilden kann. Das eigenständig erworbene Geld ist für den Einzelnen qualitativ mehr wert als das vom Staat gewährte Geld.119 Die Aussage, dass die zwangsvollstreckungsrechtliche Ausprägung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein nicht niedriger bemessen sein darf als im Sozialrecht, lässt offen, inwiefern dieser Schutzbereich im Kontext 112
Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 233. BGH, Urt. v. 25.11.2010, VII ZB 111/09, DGVZ 2012, 10, 11. Vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 262; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvR 1852/97 (u. a.), BVerfGE 99, 273, 277 ff.; Birk/Werns mann, JZ 2001, 218, 219; Kirchhof, StuW 1985, 319, 326; Söhn, FinanzArchiv 1988, 154, 168 f. 114 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§2:D. 115 Vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht Jachmann, NZS 2003, 281, 282; Palm, Person im Ertragsteuerrecht, 2013, S. 419. 116 Vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht Lang, StuW 1983, 103, 119; Söhn, FinanzArchiv 1988, 154, 168. 117 Vgl. zur parallelen Problematik Steuerrecht-Sozialrecht Axer, in: Mellinghoff (Hrsg.), Steuern im Sozialstaat, 2006, S. 175, 187; so aber Pezzer, in: Fürst/Herzog/Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, S. 757, 770. 118 Birk, in: Deutscher Sozialrechtsverband e.V. (Hrsg.), Sozialrecht und Steuerrecht, 1989, S. 104, 107. 119 Friauf, in: ders. (Hrsg.), Steuerrecht und Verfassungsrecht, 1989, S. 3, 31; Kirchhof, StuW 1985, 319, 326. 113
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des Zwangsvollstreckungsrechts weiter verstanden werden kann als im Sozialrecht.120 Teilweise wird vertreten, dass der Betrag staatlicher Unterstützung die Pfändungsfreigrenzen nicht übersteigen sollte.121 Dies läuft auf das Postulat hinaus, das Schutzniveau im Zwangsvollstreckungsrecht und im Sozialrecht übereinstimmend auszugestalten.122 Überwiegend wird aber angenommen, dass der Staat verpflichtet ist, dem Bürger, der sein Dasein selbst finanziert, mehr zu belassen, als der Sozialstaat dem Bürger gewähren würde.123 Wiederum liefert die grundrechtliche Perspektive den Schlüssel für die Entscheidung der Streitfrage. Würde man dem Vollstreckungsschuldner nur das nach sozialrechtlichen Maßstäben notwendige Minimum belassen, würde ihm jegliche Motivation genommen, sich noch um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit zu bemühen. Wem auf diese Weise die Chance der Eigeninitiative genommen wird, verfügt nicht mehr über das ganze Spektrum seiner Eigenständigkeit. Er wird damit der ihm als Subjekt zustehenden Chancen beraubt.
B. Zwangsvollstreckungsrecht und Steuerrecht Eine Brücke zwischen steuerrechtlichem Denken und zwangsvollstreckungsrechtlicher Analyse bildet – wie auch im Sozialrecht – der Gedanke des menschenwürdigen Daseins. Das hat seinen Grund darin, dass der Schutz des Existenzminimums im Steuerrecht letzten Endes auf vergleichbaren Überlegungen beruht. Dies ändert aber nichts daran, dass die steuerrechtliche bereichsspezifische Regelungslogik nicht in allen Einzelheiten übertragbar ist. I. Unterschiede Eine bedeutende Divergenz zwischen Zwangsvollstreckungsrecht und Steuerrecht ist im vorliegenden Kontext darin zu sehen, dass der Staat im Zwangsvollstreckungsrecht für fremde Interessen handelt, nämlich die des Gläubigers.124 120 Vgl. zur parallelen Problematik im Steuerrecht BVerfG, Beschl. v. 25.09.1992, 2 BvL 5/91 (u. a.), BVerfGE 87, 153, 171 („Der Steuergesetzgeber muß dem Einkommensbezieher von seinen Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt.“). 121 Häsemeyer, in: Gerhardt/Diederichsen/Rimmelspacher u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Henckel zum 70. Geburtstag am 21. April 1995, 1995, S. 353, 356. Ebenso Lang, StuW 1983, 103, 120 für die Vergleichsperspektive Steuerrecht-Sozialrecht. 122 So für das Verhältnis Steuerrecht-Sozialrecht Arndt/Schumacher, DStR 1994, 1219, 1221. 123 Hinrichs, in: Huster/Boeckh/Mogge-Grotjahn (Hrsg.), Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung, 32018, S. 223, 250; vgl. zur parallelen Problematik im Spannungsfeld von Steuerrecht und Sozialrecht Söhn, FinanzArchiv 1988, 154, 170; Wendt, in: Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, 1995, S. 47, 51. 124 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§2:B.II.
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Im Steuerrecht hingegen verfolgt er ein eigenes Interesse.125 Deshalb ist bei der Übertragung von Wertungen Vorsicht geboten. An den Schutzbereich des menschenwürdigen Daseins in steuerrechtlicher Hinsicht kann demnach im Zwangsvollstreckungsrecht nicht unmodifiziert angeknüpft werden. Die Rechtswirkungen einer Grenzüberschreitung unterscheiden sich in beiden Rechtsgebieten. Bei Beträgen oberhalb der Pfändungsfreigrenzen kann der Gläubiger unbeschränkt auf den überschießenden Betrag zugreifen. Im Bereich oberhalb des jeweiligen steuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums ist hingegen nur ein Zugriff in Höhe des – zunächst niedrigen – Durchschnittssteuersatzes erlaubt.126 Dieser Unterschied ist bei vergleichenden Betrachtungen zu berücksichtigen. II. Vergleichbarkeit Eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen Zwangsvollstreckungsrecht und Steuerrecht ist darin zu sehen, dass es in beiden Rechtsgebieten um Eingriffsrecht geht. Insofern passen Wertungen aus dem Steuerrecht besser für das Zwangsvollstreckungsrecht als die aus dem Sozialrecht.127 Eine noch weitergehende Nähe zwischen Zwangsvollstreckungsrecht und Steuerrecht ergibt sich daraus, dass das Bundesverfassungsgericht für das Steuerrecht auf das Subsidiaritätsprinzip zurückgegriffen hat. Der Grundgedanke der Subsidiarität besteht danach darin, dass „Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat“.128 Auf diese Weise wird der Freiheitsdimension der Grundrechte Rechnung getragen. Demnach darf der Staat nicht durch einen Besteuerungszugriff sozialhilferechtliche Bedürftigkeit herbeiführen.129 Die zwangsvollstreckungsrechtliche Parallele ist darin zu sehen, dass der Staat nicht durch einen Zugriff im Wege der Zwangsvollstreckung sozialrechtliche Bedürftigkeit schaffen darf. Das Subsidiaritätsprinzip erweist sich damit als ein mög liches Unifizierungsprinzip für heterogene Rechtsgebiete.
C. Resümee Sozialrecht und Steuerrecht können nur teilweise zur Orientierung im Zwangsvollstreckungsrecht herangezogen werden. Eine generelle Übertragbarkeit der 125 Das Steuerrecht dient vorrangig der staatlichen Einnahmenerzielung, vgl. Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3 2007, § 116 Rn. 84; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, 2001, S. 10. 126 BFH, Beschl. v. 27.11.2012, X B 48/11, juris, Rn. 13. 127 Für einen entsprechenden Transfer steuerrechtlicher Wertungen in das Zwangsvollstreckungsrecht ausdrücklich BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, NJW-RR 2014, 1197, 1198. Vgl. bereits Kapitel 2:§4:B. 128 BVerfG, Beschl. v. 13.02.2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, 154. 129 Vgl. dazu bereits Kapitel 2 Fn. 63. So auch die Interpretation von Moes, Die Steuerfreiheit des Existenzminimums vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011, S. 171.
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dortigen Wertungszusammenhänge scheidet aus. In Teilbereichen lassen sich indessen fruchtbare Anregungen gewinnen. Das Zwangsvollstreckungsrecht ist mit dem Sozialrecht dadurch verbunden, dass das sozialrechtliche Minimum eine Referenzgröße bildet. Diese Ausstrahlungswirkung des Sozialrechts ist darin zu sehen, dass das dort garantierte Minimum nicht unterschritten werden darf. Allerdings darf der so gegebene Bezug zum Sozialrecht nicht dahingehend missverstanden werden, dass dem Schuldner nur dieses Minimum zu belassen wäre. Die zentrale Gemeinsamkeit zwischen Zwangsvollstreckungsrecht und Steuerrecht ist darin zu sehen, dass man es hier wie dort mit rechtfertigungsbedürftigen Eingriffen zu tun hat. Einer unmodifizierten Übertragung von Wertungen steht aber der Umstand entgegen, dass der Staat im Steuerrecht eigene Interessen verfolgt, während er im Zwangsvollstreckungsrecht für den Gläubiger handelt.
§ 4: Funktion des Pfändungsschutzes Im Zwangsvollstreckungsrecht findet sich keine Norm, die ausdrücklich den Schutz des menschenwürdigen Daseins als Schranke für staatliche Vollstreckungsmaßnahmen festlegt.130 Trotzdem ist anerkannt, dass die Vorschriften zum Vollstreckungsschutz dieses Grundrecht gewährleisten müssen.131 So finden sich Pfändungsverbote für die Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen und Tiere in § 811 ZPO und für die Zwangsvollstreckung in Forderungen in §§ 850 ff. ZPO. Diese Vorschriften werden als gesetzlicher Vollstreckungsschutz bezeichnet. Darüber hinaus steht zusätzlich der sog. richterliche Vollstreckungsschutz – § 765a ZPO – zur Verfügung.132 Der CPO-Gesetzgeber sah die Rechtfertigung für den Pfändungsschutz in „einer billigen Nachsicht gegen den Schuldner“.133 Diese auf älteren Wurzeln 130 So Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 185 zum Begriff der Existenzsicherung. 131 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 27; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 368; Jarass, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 1 GG Rn. 29; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 52; Künkel, Der Amtsvormund 1990, 90; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 99; Merold, Freiheit durch den Staat, 2016, S. 393. 132 Vgl. zu der Terminologie gesetzlicher-richterlicher Vollstreckungsschutz z. B. Behr, KJ 1980, 156, 157; kritisch zu der Terminologie Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 140; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 4 4 f. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 43 Rn. 3 differenziert zwischen gesetzlichem und gerichtlichem bzw. individuellem Vollstreckungsschutz. 133 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30. Januar 1877, 21881, S. 453. Zustimmend Gaupp, Die Civilprozeßord-
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beruhende Rechtfertigung für den Schuldnerschutz ist dann bald hinter andere Ansätze zurückgetreten. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass in der Literatur schon 1898 mit dem Hinweis auf den nötigen Schutz des menschenwürdigen Daseins in der Zwangsvollstreckung eine neue Begründungsdimension eröffnet wurde.134 Später trat dann noch der Topos der Kahlpfändung hinzu. Dieser wird besonders prägnant in einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1907 auf folgenden Nenner gebracht: „Sie [die Rechtsnorm des § 811 Nr. 1 ZPO a. F.] beruht auf dem sozialpolitischen Gedanken, daß die Zwangsvollstreckung nicht zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners und seiner Familie führen darf. Der Staat hat ein wesentliches Interesse daran, daß der einzelne nicht durch völlige Kahlpfändung auf einen Grad der wirtschaftlichen Mittellosigkeit herabgedrückt wird, der ihm die Grundlagen geordneter Beschaffung seines Unterhalts zerstört.“135
Die Notwendigkeit, eine Kahlpfändung zu vermeiden, wird hier damit begründet, dass der Schuldner dann jeglicher Möglichkeit beraubt wäre, sich noch den nötigen Lebensunterhalt zu beschaffen. Damit klingt an, dass der Zweck des Pfändungsschutzes darin besteht, dem Schuldner die Chance für eine aktive Beteiligung am Erwerbsleben zu belassen. Bis heute taucht der Gedanke „Vermeidung einer Kahlpfändung“ als Zweck des Pfändungsschutzes immer wieder auf.136 Eine Metapher allein kann aber keine Begründung sein. Was die Diskussion zur Zweckrichtung des Pfändungsschutzes angeht, lassen sich folgende, noch heute relevante Auffassungen ausmachen. Ein Orientienung für das Deutsche Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen, 1881, S. 278. Kritisch Kleybolte, NJW 1955, 1140, 1141; Schultzenstein, Zeitschrift für deutschen Civilprozess Band XVII. (1892), 485, 490 f. 134 Schroeder, Das Recht der Wirtschaft, 1896, S. 194. Dazu im Einzelnen bereits Kapitel 1:§1. 135 RG, Urt. v. 19.11.1909, Rep. III 566/08, RGZ 72, 181, 186. 136 Vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 21.12.2004, IXa ZB 228/03, NJW 2005, 681, 682; Beetz, VuR 2011, 276; Biermann/Göler, DGVZ 2018, 83, 84; Brock, DGVZ 1997, 33, 36; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 278; Dötsch, ZWE 2015, 157, 160; Helwich, JurBüro 2007, 286; Hergenröder, DGVZ 2013, 145, 148; Hofmann, Rpfleger 2001, 113, 114; Jauernig/ Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 31 Rn. 2; Koch, Die Insolvenz des selbständigen Rechtsanwalts, 2008, S. 109; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 182; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 1; Ponzer, Streitschrift für einen effektiven Gläubigerschutz beim Pflichtteil, 2018, S. 289; Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 2001, S. 316; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, S. 223; Schütte, WSI-Mitteilungen 1987, 107, 109; Schwabe, Das niederländische Zwangsvollstreckungsrecht mit vergleichenden Bezügen zum deutschen Recht, 2010, S. 147 f.; Strehl, Der Schuldnerschutz in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Vollstreckung von Geldforderungen in bewegliche und unbewegliche Sachen, 2009, S. 263; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 1; Zimmermann/Zipf, ZVI 2006, 275, 279.
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rungsversuch muss maßgeblich berücksichtigen, dass durch die Pfändungsverbote in Grundrechte des Gläubigers eingegriffen wird (Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG). Ein solcher Eingriff lässt sich nur rechtfertigen, wenn damit ein legitimer Zweck verfolgt wird.
A. Schutz des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein Der Pfändungsschutz bezweckt die Wahrung des menschenwürdigen Daseins des Schuldners.137 Da der Staat nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist, muss er diese im Rahmen der Gesetzgebung berücksichtigen. Ohne Vollstreckungsschutzvorschriften bestünde die Gefahr, dass Vollstreckungsmaßnahmen in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein eingreifen würden. Dieses Risiko wird durch die Pfändungsverbote gebannt. Der Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners erweist sich damit als legitimer Zweck, mit dem sich die Pfändungsverbote rechtfertigen lassen. Diese Auffassung hat auch Bestand, wenn man alternative Zweckzuschreibungen analysiert.
B. Schutz öffentlicher Interessen Einer anderen Ansicht nach wird der Pfändungsschutz mit dem öffentlichen Interesse begründet.138 Es gilt danach zu verhindern, dass der Staat dem Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung nimmt, was er ihm mit Mitteln des So zialrechts anschließend wieder geben müsste.139 Dies hätte zur Konsequenz, dass der Gläubiger seine Befriedigung letztlich auf Kosten der Allgemeinheit erhalten würde.140 Dies werde durch den Pfändungsschutz vermieden. Die Funktion des Pfändungsschutzes wird also in der fiskalischen Entlastung des Staates gesehen.141 137 Grote, in: Paulus/Wimmer-Amend (Hrsg.), Festschrift für Dr. Klaus Wimmer, 2017, S. 219, 236; Henckel, in: Jaeger/Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Kommentar zur Insolvenzordnung, 2004, § 36 InsO Rn. 6; Kühne, Die Insolvenz des selbständig tätigen Schuldners, 2013, S. 27; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 154 f.; Lorscheider/Targan, NZI 2012, 741, 744; Medicus, ZIP 1989, 817, 823; Runkel, in: Schilken/Kreft/Wagner u. a. (Hrsg.), Festschrift für Walter Gerhardt, 2004, S. 839, 842 f.; Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 759; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 51. 138 Conrad, Die Pfändungsbeschränkungen zum Schutze des schwachen Schuldners, 1906, S. 467; Goose, ZZP 1937, 37, 40. In diese Richtung auch Leuffen, Die Austauschpfändung, 1939, S. 3 („in erster Linie“). Bartels, Rpfleger 2008, 397, 399 sieht den an öffentlichen Interessen orientierten Begründungsansatz als gewohnheitsrechtlich legitimiert an. 139 Conrad, Die Pfändungsbeschränkungen zum Schutze des schwachen Schuldners, 1906, S. 467. 140 Kritisch zu diesem Aspekt Alisch, Wege zur interessengerechten Auslegung vollstreckungsrechtlicher Normen, 1981, S. 32. 141 Kleybolte, NJW 1954, 1097, 1099.
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Diese Zweckzuschreibung überzeugt nicht. Zwar kann eine Vollstreckungsmaßnahme kausal zur Bedürftigkeit des Schuldners führen. Pfändungsverbote vermeiden dies. Da im Sozialrecht aber kein Tatbestand der Art „Hilfsbedürftigkeit wegen Vollstreckung“ existiert, wird man nicht sagen können, dass der Gläubiger auf Kosten der Allgemeinheit vollstrecke. Vielmehr sieht das Sozialrecht Leistungen für Bedürftige – unabhängig von der Ursache für die Bedürftigkeit – vor.142 Hinzu kommt, dass sozialrechtliche Ansprüche nicht ipso iure erfüllt werden. Vielmehr ist ein Antrag des Bedürftigen notwendig. Nicht jeder Bedürftige nimmt sozialrechtliche Leistungen in Anspruch. Es kann also auch Fälle geben, in denen trotz Vollstreckungsmaßnahmen keine Belastung der öffentlichen Hand eintritt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Konstellationen denkbar sind, in denen Pfändungsverbote in fiskalischer Hinsicht negativ zu Buche schlagen. Wenn nämlich ein Gläubiger seine Forderung nicht durchsetzen kann, weil dem Schuldner ein Pfändungsverbot zur Seite steht und er damit seinerseits in einen Zustand der Bedürftigkeit gerät, kann er auf sozialrechtliche Ansprüche angewiesen sein.143 Demnach lässt sich die These, dass Vollstreckungsschutz zwingend zu einer Entlastung der öffentlichen Hand führe, nicht aufrechterhalten. Entscheidend muss aber eine verfassungsrechtliche Beurteilung sein: Wenn sich der Staat aufgrund von Pfändungsverboten weigert, eine Vollstreckungsmaßnahme zugunsten des Gläubigers durchzuführen, stellt dies u. a. einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG in Form einer Inhalts- und Schrankenbestimmung dar.144 Rein fiskalische Interessen genügen dem dafür erforderlichen Gemeinwohlbezug nicht.145 Deshalb lässt sich der Vollstreckungsschutz nicht mit der fiskalischen Entlastung des Staates rechtfertigen.146 Folglich kann der 142 Alisch, Wege zur interessengerechten Auslegung vollstreckungsrechtlicher Normen, 1981, S. 32. 143 Seidler, Selbständige in der Insolvenz – Der Insolvenzbeschlag von Arbeitsmitteln, 2008, S. 33. Vgl. zu dieser Problematik auch schon Alisch, DGVZ 1981, 106, 107. 144 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§1:A.IV.2.b). 145 BVerfG, Beschl. v. 25.01.2017, 1 BvR 2297/10, NVwZ 2017, 949, 950; BVerfG, Urt. v. 17.12.2013, 1 BvR 3139/08 (u. a.), BVerfGE 134, 242, 293; BVerfG, Beschl. v. 12.11.1974, 1 BvR 32/68, BVerfGE 38, 175, 180. Vgl. zu Art. 15 Abs. 4 Bad. Verf. Bad. StGH, Urt. v. 03.07.1950, StGH 1/50, VerwRspr 2, S. 411, 416; Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, 21968, S. 331, 383. 146 Alisch, Wege zur interessengerechten Auslegung vollstreckungsrechtlicher Normen, 1981, S. 33; Fenge, Die dogmatische Bedeutung des richterlichen Schuldnerschutzes in der Zwangsvollstreckung, 1961, S. 66 f.; Götte, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit und die Randordnung der Zwangsvollstreckungsmittel, 1985, S. 74; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 359; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 57 (Fn. 36); Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 100; Schaal, Tiere in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 68 (Fn. 294); Seidler, Selbständige in der Insolvenz – Der Insolvenzbeschlag von Arbeitsmitteln, 2008, S. 32.
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Schutz öffentlicher Interessen nicht als rechtfertigender Grund für die Pfändungsverbote angeführt werden. Trotzdem ist unverkennbar, dass der Vollstreckungsschutz in seiner praktischen Wirkung die öffentliche Hand entlasten kann. Insofern wird der Schutz öffentlicher Interessen als Folge147 oder Reflex148 des primären Ziels der Pfändungsverbote angesehen. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die Entlastung der öffentlichen Hand Zweck der Vollstreckungsschutzvorschriften sein dürfte. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Staat neben einem anerkannten legitimen Zweck weitere – für sich allein als Rechtfertigungsgrund nicht ausreichende – Zwecke verfolgt.149
C. Schutz des Schuldners aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse Eine vermittelnde Ansicht kombiniert die bisher genannten Zwecke zu einem Doppelzweck, in der Form, dass der Schutz des Schuldners und der Schutz der Allgemeinheit gleichermaßen bezweckt werden. Anders ausgedrückt: Die Pfändungsverbote sollen den Schuldner aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse schützen.150 Da der Gesetzgeber neben einem anerkannten legitimen Zweck (hier: Schutz des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners) weitere – für sich allein als Rechtfertigungsgrund nicht ausreichende – Zwecke (hier: Entlastung der öffentlichen Hand) verfolgen darf,151 spricht zunächst nichts gegen diese Qualifizierung der Pfändungsverbote. Allerdings ist fraglich, ob eine reflexartige Folge eines von dem Gesetzgeber legitimerweise verfolgten Zweckes zu einem Zweck hochstilisiert werden sollte. Vorzugswürdig ist es, strikt zwischen dem Kriterium eines legitimen Zweckes zur Rechtfertigung von Grundrechts147 Götte, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit und die Randordnung der Zwangsvollstreckungsmittel, 1985, S. 74. 148 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 154 f. 149 BVerfG, Urt. v. 28.03.2006, 1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276, 307; BVerfG, Beschl. v. 19.07.2000, 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197, 216. 150 BT-Drs. 13/341, S. 23; BSG, Urt. v. 16.10.2012, B 14 AS 188/11 R, NZS 2013, 273, 274; BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, NJW-RR 2010, 642, 643; BGH, Urt. v. 20.11.1997, IX ZR 136/97, NJW 1998, 1058; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 23.2; Blomeyer, Zwangsvollstreckung, 21956, S. 88; Grote, ZInsO 2020, 2630, 2634; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 57; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 1; Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 182; Meller-Hannich, KTS 2000, 37, 39; Noack, MDR 1966, 809; Thomas/ Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 1; Sievers, Die Insolvenz der Arztpraxis, 2020, S. 24; Skaurads zun, Das Urheberrecht in der Zwangsvollstreckung, 2009, S. 87 (Fn. 479); Sosnitza, JZ 2004, 992, 997; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 176; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 1. 151 Vgl. Kapitel 3 Fn. 149.
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Kapitel 3: Parameter der Zwangsvollstreckung
eingriffen und reflexartigen Folgen zu differenzieren. Ansonsten besteht zu befürchten, dass argumentativ immer wieder fiskalische Interessen des Staates aufgerufen werden, die allein einen Grundrechtseingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG nicht rechtfertigen können. Derartige gewissermaßen reflexartige Argumentationsrückgriffe auf nicht primär maßgebliche Gesichtspunkte stellen assoziativ eine Gefahr dar.
D. Schutz der Vertragsgerechtigkeit Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt Wagner, der in den Pfändungsverboten die Vertragsgerechtigkeit als Regelungszweck erblickt. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die Pfändungsverbote die Gegenstände umfassen, hinsichtlich derer sich ein rationaler und wohl informierter Schuldner vertraglichen Schutz ausbedingen würde, wenn über den Pfändungsschutz verhandelt worden wäre.152 Allerdings ist nicht nachvollziehbar, weswegen zum Schutz der so verstandenen Vertragsgerechtigkeit ipso iure Pfändungsverbote aufgestellt werden müssen. Zwar mag darin in verfassungsrechtlicher Hinsicht ein legitimer Zweck gesehen werden. Es gibt aber mildere und sogar effektivere Mittel, um die Vertragsgerechtigkeit zu gewährleisten.153 Als Ausprägung der Privatautonomie stellt die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) den Parteien Gestaltungsfreiheit hinsichtlich ihrer vertraglichen Beziehungen zur Verfügung.154 So können die Parteien selbst festlegen, inwiefern für Verbindlichkeiten gehaftet werden soll. Wenn dieses System funktioniert, es also keine gestörte Vertragsparität155 gibt, besteht die Möglichkeit, auf diese Weise auch mit Blick auf eine denkbare Pfändungssituation schon im Vorhinein Vertragsgerechtigkeit herzustellen. Sollte aber bei gestörter Vertragsparität der Gläubiger seine Machtposition über Gebühr ausnutzen, stehen rechtliche Instrumentarien zur Verfügung, um einer einseitigen Interessendurchsetzung des Gläubigers auf Kosten des Schuldners entgegenzuwirken. Dies kann auf dem Weg über eine grundrechtsorientierte Interpretation von zivilrechtlichen Generalklauseln erreicht werden.156 Auf diese Weise kann die Vertragsgerechtigkeit für das individuelle Schuldner-Gläubiger-Verhältnis garantiert werden, das besser auf die konkrete Interessenlage passt als pauschale Vorschriften. 152
Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 760. Vgl. zu den Voraussetzungen für das Kriterium der Erforderlichkeit BVerfG, Beschl. v. 18.05.2004, 2 BvR 2374/99, BVerfGE 110, 370, 394; BVerfG, Beschl. v. 26.04.1995, 1 BvL 19/94, BVerfGE 92, 262, 274; BVerfG, Beschl. v. 16.03.1971, 1 BvR 52/66 (u. a.), BVerfGE 30, 292, 316 154 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 942021, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 101; BeckOGK/Möslein, § 145 BGB Rn. 20 ff. 155 Vgl. zu dieser Thematik umfassend Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, passim. 156 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993, 1 BvR 567/89 (u. a.), BVerfGE 89, 214, 233. 153
§ 5: Rechtsmissbräuchliche Herbeiführung der Unpfändbarkeit
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E. Resümee Die Funktion der Vollstreckungsschutzvorschriften ist in dem Schutz des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins des Schuldners zu sehen. Nur diese Zweckzuschreibung ist geeignet, die mit Pfändungsverboten einhergehende Kollision zwischen den Grundrechten auf Seiten des Schuldners und des Gläubigers in verfassungskonformer Weise aufzulösen. Andere Auffassungen (wie etwa Schutz öffentlicher Interessen bzw. Schutz der Vertragsgerechtigkeit) sind nicht in der Lage, den auf Seiten des Gläubigers zu konstatierenden Grundrechtseingriff zu legitimieren.
§ 5: Rechtsmissbräuchliche Herbeiführung der Unpfändbarkeit Für alle Pfändungsverbote stellt sich die Frage, ob diese auch dann einschlägig sein können, wenn der Schuldner in rechtmissbräuchlicher Art und Weise die Unpfändbarkeit herbeigeführt hat. Auf den ersten Blick besteht sicherlich eine gewisse Neigung, in diesem Falle Pfändungsverbote für nicht angezeigt zu halten. Ein solcher erster Eindruck beruht möglicherweise auf der unterbewussten Annahme, dass man aus einem Rechtsmissbrauch keine Vorteile ziehen dürfe und dass ein solches Verhalten in irgendeiner Weise sanktioniert werden müsste. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass die Pfändungsverbote den Schutz des menschenwürdigen Daseins bezwecken, stellt sich die Beurteilungslage anders dar. Die Einschränkung des Pfändungsschutzes würde dann nämlich dazu führen, dass man sehenden Auges Eingriffe in die nicht zur Disposition stehende Menschenwürde vornehmen würde. Eine solche Sanktion ist wegen der Unverfügbarkeit der Menschenwürde ausgeschlossen.157 Deshalb muss von Unpfändbarkeit – selbst bei rechtsmissbräuchlicher Herbeiführung der Unpfändbarkeit – ausgegangen werden, wenn feststeht, dass der Schuldner das für eine Pfändung in Aussicht Genommene zur Sicherung seines menschenwürdigen Daseins benötigt.158 Dieses Ergebnis ändert im Übrigen nichts daran, dass in Gestalt von § 288 StGB (Vereiteln der Zwangsvollstreckung) eine Sanktionsnorm für derartige Fallgestaltungen zur Verfügung steht. Dies zeigt im Übrigen auch systematisch, wo der Gesetzgeber die entsprechende Sanktion sachgerecht verortet hat.
157 Vgl. dazu Kapitel 3:§1:A.IV.2.a). So in einem sozialrechtlichen Kontext auch Kanalan, NZS 2018, 641, 646 158 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 295; Walker, in: Bruns/Kern/ Münch u. a. (Hrsg.), Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag, 2013, S. 829, 839.
Kapitel 4
Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen (§§ 808 ff. ZPO) Für die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen sind unter dem Gesichtspunkt des menschenwürdigen Daseins primär die Pfändungsverbote in § 811 Abs. 1 ZPO einschlägig.
§ 1: Dogmatische Grundlagen A. Methodische Parameter Zwei methodische Fragestellungen treten im Zusammenhang mit allen Pfändungsverboten auf, nämlich das Thema der engen Auslegung und das der Analogiefähigkeit von Vollstreckungsschutzvorschriften als Ausnahmevorschriften. I. Qualifikation als Ausnahmevorschriften Immer wieder wird in Literatur und Rechtsprechung betont, dass es sich bei den Pfändungsverboten um Ausnahmevorschriften handele.1 Das ist zutreffend. Die Regel ist die Haftung des Schuldners mit seinem gesamten Vermögen.2 Da die Vollstreckungsschutzvorschriften dazu führen, dass der Schuldner nicht mehr mit seinem vollständigen Vermögen haftet, qualifizieren sie sich dadurch als Ausnahmen von der Regel.3 1 BGH, Beschl. v. 20.12.2006, VII ZB 92/05, NJW-RR 2007, 1219, 1221; Heiderhoff/ Skamel, Zwangsvollstreckungsrecht, 32017, Rn. 320; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 426; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 1; Pardey, DGVZ 1978, 102, 103; Schaal, Tiere in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 65; Schneider/Becher, DGVZ 1980, 177, 178; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 1; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 9; Wolf, InVo 2007, 483, 485; Zimmermann, ZInsO 2011, 2011, 2012. Zu § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO: OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703. 2 OLG Neustadt a.d.Hdt., Beschl. v. 12.05.1950, 1 W 77/50, NJW 1951, 80; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 62; Lorscheider/Targan, NZI 2012, 741, 744; Schmidt-Futterer, DAR 1961, 219; Wacke, DGVZ 1986, 161, 164; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 47. 3 Schmidt-Futterer, DAR 1961, 219; Wacke, DGVZ 1986, 161, 164; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 47.
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
1. Auslegungsmaximen Die Tatsache, dass es sich bei den Pfändungsverboten um Ausnahmevorschriften handelt, wird häufig mit Auslegungsmaximen in Verbindung gebracht. So wird postuliert, dass die Vollstreckungsschutzvorschriften – wie alle Ausnahmen – eng4 bzw. nicht weit5 auszulegen seien. Widersprüchlich ist es, wenn die gleichen Autoren in anderen Zusammenhängen behaupten, dass einzelne Pfändungsverbote großzügig6 bzw. weit7 auszulegen seien. Daneben gibt es Stimmen, die – obwohl es sich bei den Vollstreckungsschutzvorschriften um Ausnahmen handelt – eine weite8 bzw. extensive9 Auslegung für möglich halten. In diesem Sinne wird vertreten, dass sich eine starre schematische Anwendung der Schutzbestimmungen als Ausnahmevorschriften verbiete. Vielmehr seien die Besonderheiten eines jeden Einzelfalls zu berücksichtigen.10 Will man in dieser Kontroverse Position beziehen, sind folgende Gesichtspunkte maßgeblich. Die Auslegungsmaxime „Ausnahmen sind eng auszulegen“ ist letzten Endes nicht brauchbar.11 Sie gibt nur eine Richtung vor, besagt aber nicht, wo der Endpunkt der für nötig erachteten Einengungsbemühungen liegen soll. Zur Bestimmung dieses Endpunktes muss man zusätzliche Argumente vortragen. Wenn diese tragfähig sind, ist das „Vorschalten“ der Maxime von der engen Auslegung überflüssig und damit aus argumentationsökonomischen Gründen abzulehnen.
4 Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 426; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 1. Zu § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F.: OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703. 5 OLG Neustadt a.d.Hdt., Beschl. v. 12.05.1950, 1 W 77/50, NJW 1951, 80 („nicht […] weiter auszudehnen, als dies mit ihrem Wortlaut noch vereinbar ist“); Heiderhoff/Skamel, Zwangsvollstreckungsrecht, 32017, Rn. 320; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 1; Vogt- Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 2 („nicht zu weit“). 6 Zu § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F.: Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 34. 7 Zu § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F.: Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 466. 8 Huken, KKZ 1990, 11. 9 Wacke, DGVZ 1986, 161, 164. 10 LG Berlin, Urt. v. 04.01.1992, 64 S 290/91, NJW-RR 1992, 1038, 1039; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 3; Zimmermann, ZInsO 2011, 2011, 2012. 11 BAG, Urt. v. 16.12.2010, 6 AZR 423/09, NZA-RR 2011, 421, 424; Effer-Uhe, in: Brinkmann/Effer-Uhe/Völzmann-Stickelbrock u. a. (Hrsg.), Dogmatik im Dienst von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung, 2018, S. 15; Merten, in: Wilke (Hrsg.), Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 431, 447; Muscheler, in: Drenseck/Seer (Hrsg.), Festschrift für Heinrich Wilhelm Kruse, 2001, 135; Reimer, in: Kube/Reimer (Hrsg.), Ausnahmen brechen die Regel, 2019, S. 71, 87; Rosenkranz, Jura 2015, 783 ff. Vgl. zu einer tauglichen Alternativformel Herberger, „Ausnahmen sind eng auszulegen“, 2017, S. 63 („Singularia non sunt extendenda praeter necessitatem“).
§ 1: Dogmatische Grundlagen
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Betrachtet man die Entstehungsgeschichte von § 811 ZPO, findet sich ein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber eine frühere Engführung aufheben wollte. Während früher an vielen Stellen in § 811 ZPO von „unentbehrlich“ die Rede war,12 um die Relation zwischen Gegenständen und Tätigkeiten zu beschreiben, wurde dieses Kriterium zunächst durch das der Erforderlichkeit und jetzt durch das des Benötigens ersetzt. Schon daraus folgt, dass jedenfalls eine un modifizierte Anwendung der Maxime von der engen Auslegung im früheren Sinne nicht mehr maßgeblich sein sollte.13 Entscheidend aber ist: Wenn die Pfändungsverbote dem Schutz des menschenwürdigen Daseins dienen,14 kann bezogen darauf ein Verengungsgebot nicht angenommen werden. Vielmehr geht es darum, den Gehalt dieses Grundrechts in den einzelnen Pfändungsverboten zum Tragen zu bringen. Das ist mit dem Gedanken einer „Minimierung“ nicht verträglich.15 Daran ist zu erkennen, dass die methodische Maxime argumentativ nicht verwendet werden darf, um die Grundrechtslage gewissermaßen zu überlagern. Um einem naheliegenden Missverständnis vorzubeugen, sei angemerkt, dass es auch nicht um eine „Maximierung“ des Pfändungsschutzes geht, sondern um die Bestimmung des notwendigen Gehalts vor dem Hintergrund der Grundrechtsdimension des menschenwürdigen Daseins. 2. Analogie Wenn man Ausnahmevorschriften nicht mehr mit einem Verengungsgebot koppelt, bleibt immer noch die Frage offen, ob die betreffenden Ausnahmevorschriften einem Analogieverbot unterliegen. a) Analogiefähigkeit Ob aus der Tatsache, dass es sich bei den Pfändungsverboten um Ausnahmevorschriften handelt, ein Analogieverbot folgt, wird uneinheitlich beantwortet. Teilweise wird pauschal behauptet, dass Vollstreckungsschutzvorschriften als Ausnahmen generell nicht analogiefähig seien.16 Demgegenüber wird aber auch 12
Vgl. § 715 CPO, RGBl. 1877, S. 199, 213 f. In diese Richtung auch Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 39. 14 Vgl. dazu Kapitel 3:§4:A. 15 Vgl. zu diesem Aspekt bereits in terminologischer Hinsicht Kapitel 2:§5:A. 16 BGH, Beschl. v. 20.12.2006, VII ZB 92/05, NJW-RR 2007, 1219, 1221 („grundsätzlich“); Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 1. Zu § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F.: Looff, Rpfleger 2008, 53, 54. Teilweise wird auch davon gesprochen, dass eine „entsprechende Anwendung“ nicht in Betracht komme: Heiderhoff/Skamel, Zwangsvollstreckungsrecht, 32017, Rn. 320; Thomas/ Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 1; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 79 2021, § 811 ZPO Rn. 9. Insofern differenzieren die Autoren nicht zwischen einer analogen und einer entsprechenden Anwendung. Vielmehr meinen sie mit dem Verbot einer „entsprechenden Anwendung“ das Verbot einer analogen Anwendung. 13
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vorgetragen, dass eine Analogie im Rahmen der Pfändungsverbote möglich sei, obwohl es sich dabei um Ausnahmevorschriften handelt.17 Anerkanntermaßen geht es bei der Analogie darum, einem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck zum Durchbruch zu verhelfen.18 Nun ist aber offensichtlich, dass der Gesetzgeber auch mit Ausnahmevorschriften Zwecke verfolgt, die es zu berücksichtigen gilt. Gemessen daran liegt die Qualifizierung als Ausnahmevorschrift also kategorial auf einer Ebene, die mit der Thematik der zweckorientierten Analogiefähigkeit nichts zu tun hat. Damit entfällt das immer wieder vorgebrachte Argument, die Analogie scheitere am Ausnahmecharakter einer Norm. Mithin sind Ausnahmevorschriften als analogiefähig anzusehen.19 Entscheidend für das weitere Prozedere bei der nötigen Bejahung der Analogiefähigkeit von Ausnahmevorschriften ist damit allein die Frage, nach welchen Kriterien es sich richtet, ob eine Analogie argumentativ begründet werden kann. b) Gesetzesvorbehalt Da Pfändungsverbote Grundrechtseingriffe zu Lasten des Gläubigers darstellen, gilt der Gesetzesvorbehalt (Art. 20 Abs. 3 GG). Inwiefern dieser einer Analogie entgegenstehen kann, wird uneinheitlich beurteilt.20 Fest steht, dass eine Analogie vor dem Hintergrund des Gesetzesvorbehalts jedenfalls dann ausscheidet, wenn der Gesetzgeber eine ganze Rechtsmaterie mit vielfältigen Grundrechtsbezügen überhaupt nicht geregelt hat.21 So liegt der Fall hier aber nicht. Der Gesetzgeber hat vielfältige Pfändungsverbote normiert, also grundsätzlich die erforderlichen grundrechtsrelevanten Entschei17 Wacke, DGVZ 1986, 161, 164; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 7. Teilweise wird von der Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung gesprochen: Huken, KKZ 1990, 11. Vgl. zu der terminologischen Problematik Kapitel 4 Fn. 16. 18 Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 6 Rn. 102. 19 BAG, Urt. v. 18.11.2004, 6 AZR 651/03, NZA 2005, 516, 519; BGH, Beschl. v. 29.04.1997, X ZB 19/96, NJW 1997, 2683, 2684; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 21983, S. 181; Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 965 ff. 20 Allgemeines Analogieverbot Caspar, AöR 125 (2000), 131, 148; Gusy, DÖV 1992, 461, 464; Heselhaus, DVBl. 2004, 411, 414; Konzak, NVwZ 1997, 872, 873; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, 1977, S. 241; Kudlich/Christensen, JZ 2009, 943, 946; Mutius, VerwArch 71 (1980), 93, 102; Offerhaus, BB 1984, 993, 995; Ruffert, BayVBl 2003, 33, 36. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Beaucamp, AöR 2009, 83, 105. Nur für vorhersehbare Normanwendungen Kemmler, Geldschulden im Öffentlichen Recht, 2015, S. 233. Kein generelles Analogieverbot BGH, Urt. v. 22.02.2001, IX ZR 357/99, NJW 2001, 1569, 1570 f.; Bach, Das Analogieverbot im Verwaltungsrecht, 2011, S. 181; Danwerth, ZfPW 2017, 230, 245; Decker, Öffentlich-rechtlicher Rechtsschutz der Zielgesellschaft und ihrer Aktionäre in Übernahmesituationen, 2009, S. 361 f.; Gern, DÖV 1985, 558, 563; Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004, S. 330; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 20 GG Rn. 121; Schmidt, VerwArch 97 (2006), 139, 158; Schwabe, DVBl. 1997, 352, 352 f.; Stelkens, DVBl. 1998, 300, 303. 21 BVerfG, Urt. v. 31.05.2006, 2 BvR 1673/04 (u. a.), BVerfGE 116, 69, 83.
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dungen getroffen. In einer solchen Konstellation wird man eine Analogie für zulässig erachten müssen.22 Das Ausfüllen einer Gesetzeslücke führt nicht zwangsläufig zu einem Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt.23 Es liegt ja gerade ein Gesetz vor, wenn auch ein unvollständiges. Durch die Analogievoraussetzung der hinreichend vergleichbaren Interessenlage wird sichergestellt, dass der Wille des Gesetzgebers zur Geltung kommt. Insofern ist nämlich erforderlich, dass der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Vorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre.24 Die Besonderheit bei den Pfändungsverboten ist darin zu sehen, dass sie als Ausprägung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein keinen Raum für eine Abwägung lassen. Der Gesetzgeber hätte also keinen Gestaltungsspielraum, in den durch eine Ana logie in unzulässiger Weise eingegriffen werden könnte. Mit anderen Worten: Die methodisch korrekte Anwendung der Analogievoraussetzungen sichert die Beachtung der Rechtsbindung durch den Rechtsanwender.25 c) Analogievoraussetzungen Eine Analogie setzt neben einer planwidrigen Regelungslücke eine hinreichend vergleichbare Interessenlage zwischen dem geregelten und dem nicht-geregelten Fall voraus.26 aa) Planwidrige Regelungslücke In den Fällen, in denen die Pfändungsverbote den grundrechtlichen Anforderungen an den Schutz eines menschenwürdigen Daseins nicht gerecht werden, besteht eine planwidrige Regelungslücke in dem Sinne, dass man gemessen an den normativen grundrechtlichen Vorgaben mit einer Unvollständigkeit konfrontiert ist.27 22 So auch Kemmler, Geldschulden im Öffentlichen Recht, 2015, S. 233 für vorhersehbare Normanwendungen. 23 So aber Konzak, NVwZ 1997, 872, 873. 24 Vgl. zu diesem Erfordernis Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 949. 25 Danwerth, ZfPW 2017, 230, 245; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 20 GG Rn. 121. 26 BGH, Beschl. v. 22.07.2020, XII ZB 131/20, juris, Rn. 2 2; BGH, Urt. v. 04.05.2016, XII ZR 62/15, NJW 2016, 3718, 3719; BGH, Urt. v. 03.12.2002, VI ZR 304/01, NJW 2003, 1871, 1872; Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 32018, S. 89; Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 6 Rn. 102; Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 949. 27 Vgl. zur Definition einer Regelungslücke: BGH, Urt. v. 13.03.2018, II ZR 158/16, NJWRR 2018, 738, 740; BGH, Urt. v. 28.05.2008, VIII ZR 126/07, NJW 2008, 2257, 2258; BGH, Urt. v. 04.05.1988, VIII ZR 196/87, NJW 1988, 2109, 2110; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 21983, S. 31; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 122018, S. 198; Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 950.
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Nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Regelungslücke wird zwischen anfänglichen und nachträglichen Lücken unterschieden. Während die anfängliche Lücke schon bei Erlass des Gesetzes vorhanden war, entsteht eine nachträgliche Lücke erst später. Ursache dafür kann eine Änderung entweder der tatsäch lichen Gegebenheiten oder der Wertungen sein, die der Rechtsordnung zugrunde liegen.28 Vor diesem Hintergrund wird bei vorkonstitutionellem Recht mit Blick auf den Grundrechtsbezug eine nachträgliche Regelungslücke angenommen, weil vor Inkrafttreten des Grundgesetzes der Grundrechtsschutz nicht als regelungsbedürftig angesehen werden konnte.29 Allerdings handelt es sich bei den Pfändungsschutzvorschriften gerade nicht um vorkonstitutionelles Recht.30 Der Bundesgesetzgeber hat die Zivilprozessordnung in ihrem ganzen Inhalt durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 neu beschlossen.31 Die Zivilprozessordnung insgesamt ist deshalb insgesamt nachkonstitutionelles Recht.32 Bei der Transformation von vorkonstitutionellem in nachkonstitutionelles Recht bewegt sich der Gesetzgeber nach Inkrafttreten des Grundgesetzes im Geltungsbereich der Grundrechte. Für diese Sachlage hat das Bundesverfassungsgericht folgende Prämisse aufgestellt: Der Gesetzgeber müsse insoweit pflichtgemäß davon ausgegangen sein, dass die Vorschriften der ZPO – und damit auch die Pfändungsverbote – mit den grundrechtlichen Anforderungen im Einklang stünden.33 Es handelt sich um eine normative Annahme zum Plan des Gesetzgebers und zur darauf bezogenen korrekten gesetzgeberischen Willensbildung. Für die einzelnen Vorschriften kann diese Hypothese dann auf den Prüfstand gestellt werden. Es ist nämlich nicht von vornherein anzunehmen, dass der Gesetzgeber dieser normativen Vorgabe durchgehend gerecht geworden ist. Immer dann, wenn die Pfändungsverbote nicht verhindern können, dass in Grundrechte des Schuldners eingegriffen wird, liegt folglich eine plan28 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 21983, S. 135; Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 6 Rn. 101. 29 Vgl. generell zu dieser Überlegung Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2 1983, S. 136. Vgl. zu einem anderen Anwendungsfall, nämlich den Auswirkungen der Aussagefreiheit auf andere staatliche Verfahren im Hinblick auf vorkonstitutionelles Recht Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, 2005, S. 545. Weitergehend und im Ergebnis dann so wie hier Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, 1999, S. 582, der meint, man könne bei der Gesetzesauslegung generell mit der Annahme arbeiten, dass sich der Gesetz geber verfassungskonform verhalten wollte. 30 So aber Müller-Eiselt, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler (Hrsg.), Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 2632021, § 295 AO Rn. 14; Philipp, Rpfleger 2010, 456, 460. 31 BGBl. I 1950, S. 455 ff. Für die Pfändungsverbote vergleiche dort S. 605 f. 32 BVerfG, Beschl. v. 23.10.1958, 1 BvL 45/56, BVerfGE 8, 210, 213. 33 So für § 644 ZPO i. d. F. v. 12.09.1950: BVerfG, Beschl. v. 23.10.1958, 1 BvL 45/56, BVerfGE 8, 210, 220.
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widrige Regelungslücke vor. Der Gesetzgeber hat dann nämlich entgegen dem von ihm zu beachtenden Grundrechtsplan einen verfassungswidrigen Zustand geschaffen, was er nicht wollen durfte. Dagegen lässt sich nicht anführen, dass der Gesetzgeber auch nach 1950 noch Änderungen bei den Pfändungsverboten vorgenommen hat. Aus der Änderung einzelner Bestimmungen lässt sich indes nicht ohne weiteres entnehmen, dass der Gesetzgeber alle übrigen Bestimmungen geprüft hat. Besonders bei umfangreichen Gesetzen ist es – so das Bundesverfassungsgericht – eine „irreale Unterstellung“, dass der Gesetzgeber sich insgesamt mit der Verfassungskonformität des gesamten Gesetzes befasst habe.34 Gegen die hier postulierte Annahme eines gesetzgeberischen Willens zur verfassungskonformen Rechtssetzung wird vorgetragen, dass die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes als solche nicht Motiv für ein Gesetz sein könne. Ein derartiger Rechtsirrtum des Gesetzgebers stelle keinen Motivirrtum dar, der den Weg zu einer Gesetzeskorrektur eröffnen könne.35 Dieses Argument gibt die Sachlage nicht zutreffend wieder. Wenn von einem „Rechtsirrtum des Gesetzgebers“ die Rede ist, wird ja gerade bestätigt, dass der Gesetzgeber von dem Willen getragen ist, verfassungskonformes Recht zu setzen. Im Falle eines Irrtums ist er sich dann über die Tragweite der von ihm gewählten gesetzgebe rischen Mittel im Unklaren. Will man eine zivilrechtliche Irrtumskategorie in diesem Kontext verwenden, was durchaus problematisch ist, wäre nicht von einem Motivirrtum, sondern von einem Inhaltsirrtum zu sprechen. Wie dem auch sei: Es ist dem Gesetzgeber in diesem Fall nicht gelungen, seinen Willen zu verfassungskonformem Handeln adäquat umzusetzen, was zu einer planwidrigen Regelungslücke führt. Die Annahme eines gesetzgeberischen Willens zur verfassungskonformen Rechtssetzung36 ist strukturell vergleichbar mit der Annahme, der Gesetzgeber sei bei seinem Handeln von einem Willen zur richtlinienkonformen Rechtssetzung getragen. Insofern wird zutreffender Weise angenommen, dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien stillschweigend die Richtlinienkonformität des Umsetzungsaktes anstrebe.37 34 So für die Abgrenzung zwischen vorkonstitutionellem und nachkonstitutionellem Recht BVerfG, Beschl. v. 17.05.1960, 2 BvL 11/59 (u. a.), BVerfGE 11, 126, 131. 35 Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 1996, S. 232. 36 Vgl. dazu Determann, Kommunikationsfreiheit im Internet, 1999, S. 582. Siehe auch Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S. 116 ff. für den Fall, dass die Gesetzesmaterialien Aussagen über den Willen zur verfassungskonformen Rechtssetzung enthalten. 37 BGH, Urt. v. 21.12.2011, VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073, 1077; Pfeiffer, NJW 2009, 412, 413; Schnorbus, AcP 201 (2001), 860, 891 f.; Witt, NJW 2006, 3322, 3325 (Fn. 30). In diese Richtung auch Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 52020, Rn. 120 f. Ähnlich Riesenhuber/ Domröse, RIW 2005, 47, 52. So im Ergebnis ebenfalls Weiss, ZRP 2013, 66, 67, allerdings nicht unter Heranziehung des gesetzgeberischen Willens, sondern des Haftungsrisikos nach Art. 258 ff. AEUV.
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bb) Vergleichbare Interessenlage Die Pfändungsschutzvorschriften sollen verhindern, dass eine Vollstreckungsmaßnahme zu einem Eingriff in das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein führt.38 Erweist sich eine dem Wortlaut der Pfändungsverbote folgende Vollstreckungsmaßnahme als Eingriff in dieses Grundrecht, zeigt dies, dass eine Regelungslücke besteht. Diese kann nur in der Weise geschlossen werden, dass in diesem Fall ebenfalls Pfändungsschutz gewährt wird. Zu diesem Ergebnis hätte der Gesetzgeber kommen müssen, wenn er sich bei der dann nötigen Analogie von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der für die Analogie heranzuziehenden Gesetzesvorschriften.39 Auf diese Weise wird in dem nicht-geregelten Fall gleichfalls der erforderliche Grundrechtsschutz sichergestellt. d) Resümee Die Pfändungsverbote sind – obwohl es sich um Ausnahmevorschriften handelt – analogiefähig. Eine Analogie ist immer dann möglich, wenn eine Voll streckungsmaßnahme in einem nicht ausdrücklich geregelten Fall zu einem Eingriff in das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein führen würde. Die analoge Anwendung in concreto hängt dann allein davon ab, ob ein solcher Grundrechtseingriff festgestellt werden kann. II. Zeitgemäße Auslegung Was den Vollstreckungsschutz aus § 811 ZPO in der früheren Fassung angeht, wurde immer wieder kritisch angemerkt, dass dieser antiquiert40 bzw. nicht mehr zeitgemäß41 sei. Er habe sich weitgehend noch an überholten sozialen Strukturen des 19. Jahrhunderts orientiert.42 In methodischer Hinsicht wurde daraus gefolgert, dass dem Wortlaut von § 811 ZPO a. F. bei der Auslegung nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommen könne.43 Beachtet man den Grundsatz, dass der mögliche Wortlaut die Grenze der Auslegung bildet,44 wird man diese Schlussfolgerung so nicht ziehen können. Könnte man den Wortlaut mit 38
Vgl. dazu Kapitel 3:§4:A. zu diesem Verständnis BGH, Beschl. v. 22.04.2020, XII ZB 383/19, NJW 2020, 1955, 1959; BGH, Urt. v. 13.07.1988, IVa ZR 55/87, NJW 1988, 2734; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 112020, Rn. 889; Würdinger, AcP 206 (2006), 946, 949. 40 Glenk, ZRP 2013, 232, 233; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 6 . 41 Jäger, ZVI 2007, 544; Zimmermann, ZInsO 2011, 2011, 2012. In diese Richtung auch BT-Drs. 19/23171, S. 29. So jetzt auch BR-Drs. 62/21, S. 14. 42 Hoppe, Recht auf Existenz, 2005, S. 144; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 6; Zimmermann, ZInsO 2011, 2011, 2012. 43 HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 6 . 44 BVerfG, Beschl. v. 19.03.2007, 2 BvR 2273/06, NZV 2007, 368; BVerfG, Beschl. v. 10.01. 39 Vgl.
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Blick auf veränderte soziale Verhältnisse ohne weiteres beiseitesetzen, wäre die Wortlautgrenze nicht mehr beachtet. Der gut begründete und verständliche Wunsch, den veränderten sozialen Verhältnissen Rechnung zu tragen, lässt sich dadurch realisieren, dass man unbestimmte Rechtsbegriffe wie „bescheiden“, „benötigt“ oder „erforderlich“ durch eine zeitgemäße45 und damit sozialadäquate Interpretation mit Inhalt füllt und dabei die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte berücksichtigt.46
B. Relevanter Beurteilungszeitpunkt für den Pfändungsschutz Hinsichtlich des Pfändungsschutzes ist zu klären, in welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Pfändungsverbote vorliegen müssen, damit sie einer Pfändung entgegengehalten werden können. Grundsätzlich beurteilt sich die Unpfändbarkeit nach der Sachlage im Zeitpunkt der Pfändung.47 Allerdings ist es möglich, dass nach der Pfändung Umstände eintreten, die rückwirkend Einfluss auf die Pfändbarkeit bzw. Unpfändbarkeit haben können. Dabei sind zwei verschiedene Konstellationen zu unterscheiden. Zum einen kann eine Sache, die im Zeitpunkt der Pfändung unpfändbar war, nunmehr pfändbar geworden sein. Zum anderen kann eine Sache, die im Zeitpunkt der Pfändung pfändbar war, nunmehr unpfändbar geworden sein. I. Pfändbar-Werden nach der Pfändung Wenn eine Sache im Zeitpunkt der Pfändung unpfändbar war, danach aber pfändbar wird, soll die zunächst anfechtbare Pfändung ex nunc geheilt werden.48 1995, 1 BvR 718/89, BVerfGE 92, 1, 12; BVerfG, Beschl. v. 23.10.1991, 1 BvR 850/88, BVerfGE 85, 69, 73; Reimer, Juristische Methodenlehre, 22020, Rn. 310. 45 Alisch, DGVZ 1981, 106, 107; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 1; Hoppe, Recht auf Existenz, 2005, S. 144; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 6; Noack, DGVZ 1984, 145, 147; Schaal, Tiere in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 66; Vollkommer, Rpfleger 1982, 1, 8; Winterstein, Das Pfändungsverfahren des Gerichtsvollziehers, 1994, Rn. 147; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 7. 46 Vollkommer, Rpfleger 1982, 1, 8. In diese Richtung auch Strehl, Der Schuldnerschutz in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Vollstreckung von Geldforderungen in bewegliche und unbewegliche Sachen, 2009, S. 68. Vgl. auch das entsprechende Postulat bei Lewinski, RW 2011, 70, 76 f. 47 LG Berlin, Beschl. v. 24.09.1964, 81 T 474/64, DGVZ 1965, 8; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 18; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 2 1974, S. 164; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 3; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 3a; Seuffert, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 121933, S. 488; BeckOK-ZPO/ Uhl, § 811 ZPO Rn. 7. 48 OLG Köln, Beschl. v. 02.11.1964, 2 W 137/64, DGVZ 1965, 108, 109; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, S. 187; Brock, DGVZ 1997, 65; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 61; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 34; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 9; Jauernig/
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Dafür spreche die Möglichkeit der Vorwegpfändung (§ 811c ZPO). Dadurch habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass es für die Beurteilung der Pfändbarkeit nicht auf den Zeitpunkt der Pfändung ankomme.49 Außerdem sei der Schutzzweck von § 811 ZPO nicht tangiert. Denn der Schuldner könne sich gegen eine nach Eintritt der Pfändbarkeit erfolgende Pfändung nicht erfolgreich zu Wehr setzen.50 Es drohe keine unbillige Bevorzugung des Gläubigers, der sich zunächst über ein Pfändungsverbot hinweggesetzt habe, denn nach der gemischt privatrechtlich-öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie entstehe das Pfändungspfandrecht erst in dem Zeitpunkt, in dem der Verfahrensmangel geheilt wurde.51 Eine Ausnahme wird dann gemacht, wenn die Pfändbarkeit dadurch eintritt, dass der Schuldner sich nach der Pfändung des unpfändbaren Gegenstandes eine Ersatzsache angeschafft hat.52 Alle diese Gedankengänge laufen darauf hinaus, im Falle des nachträglichen Pfändbarwerdens einer Sache eine Heilung des vorherigen Verstoßes gegen die Unpfändbarkeit anzunehmen. Begründet wird dies mit einfach-rechtlichen Argumenten. Diese halten einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung ist das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners zu gewährleisten. Dieses wird durch die Zulassung der nachträglichen Heilungsmöglichkeit nicht tangiert, weil in diesem Augenblick die Pfändungsschutzvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 32 Rn. 22; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 9; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 145; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 21974, S. 165; Pardey, DGVZ 1987, 180, 183; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 81; Thomas/Putzo/Sei ler, § 811 ZPO Rn. 3a; Seuffert, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 121933, S. 488; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 21; MüKo-ZPO/Schmidt/Brinkmann, § 766 ZPO Rn. 50; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 7; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.139; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 102016, § 811 ZPO Rn. 2. 49 Brock, DGVZ 1997, 65; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 294; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 61; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 18; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 22 f.; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 9; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 145; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 3a; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 21; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 17; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 102016, § 811 Rn. 2. 50 Brock, DGVZ 1997, 65; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 294; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 61; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 23; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 145; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 17. 51 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 294; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 23; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 145. 52 MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 18.
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II. Unpfändbar-Werden nach der Pfändung 1. Zeitpunkt der Pfändung Wenn eine Sache im Zeitpunkt der Pfändung pfändbar war, danach aber unpfändbar wird, soll nach einer Ansicht weiterhin der Zeitpunkt der Pfändung über die Pfändbarkeit entscheiden.53 In diese Richtung deute schon der Wortlaut von § 811 ZPO, der sich auf die Pfändung, nicht hingegen auf die Verwertung beziehe.54 Dafür spräche außerdem, dass der Gläubiger bereits ein Pfandrecht an der Sache erworben habe.55 Diese Risikoverteilung zwischen der Lage des Schuldners und der des Gläubigers sei im Übrigen interessengerecht, weil die nachträgliche Entstehung der Unpfändbarkeit in der Sphäre des Schuldners liege.56 Außerdem sei der Schuldner dem Risiko des Unpfändbarwerdens der gepfändeten Sache nach der Verwertung ohnehin ausgesetzt. Deshalb sei es nicht nachvollziehbar, warum er dieses Risiko nicht schon ab der Pfändung tragen solle.57 Hinzu komme weiterhin die Gefahr, dass der Schuldner die Unpfändbarkeit vorsätzlich herbeiführen könne.58 Für Härtefälle stehe dem Schuldner § 765a ZPO zur Seite.59 Jedoch sei § 765a ZPO als Auffangnorm – das wenden Gegner dieser Auffassung ein – 53 LG Bochum, Beschl. v. 25.04.1979, 7 T 115/79, DGVZ 1980, 37, 38; LG Berlin, Beschl. v. 01.03.1977, 81 T 39/77, Rpfleger 1977, 262; LG Berlin, Beschl. v. 24.09.1964, 81 T 474/64, DGVZ 1965, 8; AG Sinzig, Beschl. v. 07.12.1989, 6 M 2370/89, DGVZ 1990, 95; AG Warendorf, Beschl. v. 11.01.1968, 6 M 963/67, DGVZ 1968, 188; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 34; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 9; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 32 Rn. 22; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 8; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 21974, S. 164; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 81; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 3a; AK-ZPO/ Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 3; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 8; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 102016, § 811 ZPO Rn. 2. 54 LG Berlin, Beschl. v. 01.03.1977, 81 T 39/77, Rpfleger 1977, 262. 55 LG Bochum, Beschl. v. 25.04.1979, 7 T 115/79, DGVZ 1980, 37, 38; LG Berlin, Beschl. v. 01.03.1977, 81 T 39/77, Rpfleger 1977, 262; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 34. In diese Richtung auch BT-Drs. Nr. I/3284, S. 23. 56 LG Berlin, Beschl. v. 01.03.1977, 81 T 39/77, Rpfleger 1977, 262. 57 LG Berlin, Beschl. v. 01.03.1977, 81 T 39/77, Rpfleger 1977, 262. 58 LG Berlin, Beschl. v. 24.09.1964, 81 T 474/64, DGVZ 1965, 8; AG Warendorf, Beschl. v. 11.01.1968, 6 M 963/67, DGVZ 1968, 188; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 34; Saenger/ Kemper, § 811 ZPO Rn. 8; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 21974, S. 164; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 3; Thomas/Putzo/ Seiler, § 811 ZPO Rn. 3a; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 8; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 102016, § 811 ZPO Rn. 2. 59 LG Bochum, Beschl. v. 25.04.1979, 7 T 115/79, DGVZ 1980, 37, 38; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 34; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 48; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 32 Rn. 22; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 3a.
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nur auf besondere Ausnahmefälle anwendbar und könne den von § 811 ZPO gebotenen Grundrechtsschutz nicht ausreichend sicherstellen. 60 2. Zeitpunkt der Entscheidung über einen Rechtsbehelf Es wird jedoch auch vertreten, dass im Falle des nachträglichen Unpfändbarwerdens einer Sache – jedenfalls wenn der Schuldner nicht missbräuchlich gehandelt habe61 – nicht der Zeitpunkt der Pfändung ausschlaggebend sein dürfe, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung über einen Rechtsbehelf. 62 Für diese Sichtweise spreche, dass die sozialpolitische Zwecksetzung von § 811 ZPO verfehlt würde, wenn nach der Pfändung eintretende Umstände, die eine Unpfändbarkeit begründen, nicht mehr berücksichtigt werden könnten. 63 Der von § 811 ZPO gebotene Grundrechtsschutz könne gleichfalls aufgrund nachträglicher Entwicklungen erforderlich werden. 64 Sonst sei nämlich der Staat gehalten, im Wege staatlicher Unterstützung den Vollstreckungsschuldner 60 MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 19; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 63; in diese Richtung auch Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 10. 61 Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, S. 187; Brock, DGVZ 1997, 65, 66; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 60 f.; Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 766 ZPO Rn. 24; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 10; BeckOK-ZPO/Preuß, § 766 ZPO Rn. 40; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 22; MüKo-ZPO/Schmidt/Brinkmann, § 766 ZPO Rn. 50; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 17. Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 24 und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 22 stellen darauf ab, ob die nachträgliche Unpfändbarkeit durch ein Verhalten des Schuldners herbeigeführt worden ist, welches der gebotenen Einrichtung auf die Pfändung widerspricht. Ähnlich Pardey, DGVZ 1987, 180, 183; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.142. 62 LG Stuttgart, Beschl. v. 10.12.2004, 10 T 466/04, DGVZ 2005, 42, 43; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 295; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 7; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 19; HK-ZV/ Kindl, § 811 ZPO Rn. 8; Ochs, NJW 1959, 180 f.; Säcker, NJW 1966, 2345, 2348; Schmitt- Kästner, Bürgerlich-rechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, 2018, S. 222; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 10; Wittschier, JuS 1999, 585, 588. So BFH, Beschl. v. 03.08.2012, VII B 40/11, juris, Rn. 10 zu § 295 AO, allerdings unter Hinweis auf Besonderheiten des steuerrechtlichen Verfahrensrechts. 63 BFH, Beschl. v. 03.08.2012, VII B 40/11, juris, Rn. 11; zustimmend MüKo-ZPO/G ruber, § 811 ZPO Rn. 19. In diesem Sinne gleichfalls Schmitt-Kästner, Bürgerlich-rechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, 2018, S. 222. So auch schon Säcker, NJW 1966, 2345, 2347; Brock, DGVZ 1997, 65, 66; Ochs, NJW 1959, 180, 181. 64 Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 62; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 19; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 10; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 22.
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wiederum mit den entzogenen Gütern zu versorgen. 65 Außerdem müsse jede Maßnahme eines Vollstreckungsorgans während der gesamten Zwangsvollstreckung rechtmäßig sein, und nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. 66 Im Wege der Erinnerung (§ 766 ZPO) bzw. der sofortigen Beschwerde (§ 793 ZPO) solle nicht nur die Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme in der Vergangenheit festgestellt werden, sondern gleichermaßen geprüft werden, ob die zum Zeitpunkt der getroffenen Vollstreckungsmaßnahme bestehenden Verhältnisse noch gegeben seien. 67 Unterschiedlich wird beurteilt, wie bei arglistigem Handeln des Schuldners zur Herbeiführung der Unpfändbarkeit zu verfahren ist. Manchmal wird dem Gläubiger der Arglisteinwand an die Hand gegeben,68 teilweise wird aber auch eine Umkehr der Beweislast in dem Sinne postuliert, dass der Schuldner beweisen müsse, nicht arglistig gehandelt zu haben. 69 Wie bereits dargelegt, muss der Pfändungsschutz aber auch dann eingreifen, wenn die Unpfändbarkeitsvoraussetzungen rechtsmissbräuchlich herbeigeführt worden sind.70 3. Stellungnahme Die beiden referierten Ansichten führen zu konträren Ergebnissen. Wiederum ist es ein Blick auf das menschenwürdige Dasein, der eine Entscheidung erlaubt. Die Pfändung selbst stellte in der angenommenen Konstellation keinen Grundrechtseingriff dar, weil die Sache im Zeitpunkt der Pfändung noch pfändbar war. Erst nach der Pfändung ist die Sache unpfändbar geworden. Der Schuldner sieht sich also der Situation ausgesetzt, dass aufgrund nachträglich eingetretener anderer Umstände sein menschenwürdiges Dasein gefährdet wurde. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, den schützenswerten Status des Schuld65 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 10; Ochs, NJW 1959, 180, 181; Säcker, NJW 1966, 2345, 2347. 66 Brock, DGVZ 1997, 65, 66; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 295; Schmitt-Kästner, Bürgerlich-rechtliche Generalklauseln als Schranken der Rechtsausübung in der Zwangsvollstreckung, 2018, S. 222. 67 Brock, DGVZ 1997, 65, 66; Ochs, NJW 1959, 180, 181; BeckOK-ZPO/Preuß, § 766 ZPO Rn. 40; Säcker, NJW 1966, 2345, 2347; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, 4.142; a. A. LG Lüneburg, Beschl. v. 06.07.1954, 5 T 97/54, DGVZ 1955, 138, 139. 68 Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 63; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 19; Säcker, NJW 1966, 2345, 2348. 69 Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, S. 187; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 63; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 7; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 19; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 60 f.; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 8; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 145; Wittschier, JuS 1999, 585, 588; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, 4.142. 70 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§5. So auch Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 295.
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ners wiederherzustellen. Zum einen könnte man den Schuldner auf sozialrechtliche Ansprüche verweisen (Var. 1). Zum anderen könnte man ihm die bereits gepfändete Sache zurückgewähren (Var. 2). Variante 2 wäre mit einem Eingriff in Grundrechte des Gläubigers verbunden. Ein solcher Eingriff lässt sich nicht mit rein fiskalischen Interessen rechtfertigen.71 Ein legitimer Zweck kann aber im Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners erblickt werden, dies darf aber nicht zu Lasten des Gläubigers gehen, wenn mildere, gleich geeignete Mittel existieren, um dieses Ziel zu erreichen. Der Schuldner könnte im Sinne des milderen Mittels auf so zialrechtliche Ansprüche verwiesen werden (Var. 1). Der Gläubiger würde so weniger belastet, weil seine gegen den Schuldner gerichteten Ansprüche befriedigt würden. Indes handelt es sich nicht um ein gleich geeignetes Mittel. Es bliebe nämlich außer Acht, dass der Schuldner so auf staatliche Unterstützung angewiesen wäre, was mit Blick auf den in Rede stehenden Gegenstand nicht als gleichwertig angesehen werden kann. Es geht nämlich darum, dass der Schuldner wegen der nachträglich eingetretenen Notlage einen „eigenen“ Gegenstand als nunmehr unpfändbar geworden zurückerhalten will. Das „Eigene“ ist aber immer etwas anderes als das „Fremde“. Dies steht im Einklang mit dem Grundgedanken, dass das menschenwürdige Dasein – soweit als möglich – Eigenständigkeit erfordert. Hinzu kommt, dass die Gleichsetzung von „Zugriff auf den eigenen Gegenstand“ mit „Erhalt eines solchen Gegenstandes aus staatlichen Mitteln“ verkennt, dass es sich nicht um gleichartige Situationen handelt. Denn die hier ins Feld geführte Gleichsetzung verkennt, dass die staatliche Unterstützung eine umfängliche Antragsprozedur voraussetzt. Folglich ist eine Abwicklung im Sinne der Variante 1 nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbart. Im Ergebnis ist somit dann, wenn eine Sache nach der Pfändung unpfändbar werden sollte, auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Rechtsbehelf als maßgeblich abzustellen.
C. Reichweite I. Vollstreckungsschutz für Angehörige Auffallend ist, dass der Gesetzgeber nicht in allen von § 811 ZPO erfassten Konstellationen die Familie des Schuldners ausdrücklich einbezogen hat. Nur in § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2,72 Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 4a, Nr. 10, Nr. 11, Nr. 12 ZPO 71
Vgl. dazu Kapitel 3:§4:B. Interessanterweise war in § 715 Nr. 1 CPO, der als Vorgängernorm zu § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. verstanden werden kann, die Familie des Schuldners noch ausdrücklich erwähnt, vgl. RGBl. 1877, S. 213. Diese ausdrückliche Erwähnung ist dann 1898 entfallen, vgl. RGBl. 1898, S. 256, 305. Da ein gesetzgeberischer Wille, die Familie auszuklammern, nicht anzunehmen ist, lässt sich diese Veränderung nur so erklären, dass die Familie über den Oberbegriff „Hausstand“ weiter einbezogen bleiben sollte. 72
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a. F. wurde die Familie des Schuldners expressis verbis mitgeschützt. Auch heute bietet sich kein ganz einheitliches Bild. Einerseits ist von Personen die Rede, mit denen der Schuldner in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt (§ 811 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 lit. b), Nr. 4, Nr. 6 , Nr. 8 ZPO). Andererseits wird auch für den Schutz explizit an die Familie angeknüpft (§ 811 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 6 ZPO). Beide Begriffe sind nicht deckungsgleich. Deshalb ist nach wie vor zu untersuchen, ob die Familie in allen Pfändungsverboten Berücksichtigung zu finden hat. Diese Diskussion wurde in der Regel zu § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. geführt, bleibt aber auch darüber hinaus relevant. 1. Wortlaut Gegen eine Einbeziehung der Familie in den Vollstreckungsschutz in den Fällen, in denen die Familie im Rahmen der Pfändungsverbote nicht ausdrücklich genannt wird, wurde zunächst der Wortlaut der entsprechenden Normen angeführt. Die Familie sei demnach gerade nicht in den Schutzbereich einbezogen.73 In der Tat spielt der Wortlaut einer Vorschrift im Rahmen der Auslegungsmethoden eine wichtige Rolle, weil sich der Gesetzgeber ausdrücklich nur so äußern kann.74 Jedoch folgt aus der Notwendigkeit einer Anknüpfung an den Wortlaut nicht, dass eine darüber hinausgehende Auslegung ausgeschlossen ist. Dies zeigt das Beispiel der verfassungskonformen Auslegung. Deren Grenze ist erst dann erreicht, wenn sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde.75 Deshalb kann allein der Wortlaut der Vollstreckungsschutzvorschriften für das endgültige Auslegungsergebnis nicht ausschlaggebend sein.76 2. Systematik Besonders häufig wurden systematische Gesichtspunkte genannt um zu klären, ob die Vollstreckungsschutzvorschriften auf Familienangehörige erstreckt werden können.
73 OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1963, 8 W 294/62, Die Justiz 1963, 143, 144; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 160; Müller, Zwangsvollstreckung gegen Ehegatten, 1970, S. 41. 74 Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 4 Rn. 39. 75 BVerfG, Beschl. v. 30.03.2004, 2 BvR 1520/01, BVerfGE 110, 226, 267; BVerfG, Beschl. v. 22.10.1985, 1 BvL 44/83, BVerfGE 71, 81, 105; BVerfG, Beschl. v. 30.06.1964, 1 BvL 16/62, BVerfGE 18, 97, 111. 76 So im Ergebnis auch BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, FamRZ 2010, 550, 551; Beetz, VuR 2011, 276, 277 f.
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a) Argumentum e contrario zu § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 –Nr. 4a, Nr. 10–Nr. 12 ZPO a. F. Zunächst wurde argumentiert, dass der Gesetzgeber in § 811 Abs. 1 ZPO a. F. ausdrücklich die Fälle benannt habe, in denen das Pfändungsverbot auch zugunsten der Familie wirken solle. In allen anderen Fällen habe sich der Gesetzgeber damit bewusst gegen einen weitergehenden Pfändungsschutz entschieden.77 Es handelte sich um einen Umkehrschluss: Weil in § 811 Abs. 1 ZPO a. F. die Familie lediglich in einzelnen Tatbeständen angesprochen sei, könne sie in die anderen Tatbestände nicht integriert werden.78 Auf dieser Auslegungsebene ist das Argument stichhaltig. Es lässt sich auf der System-Ebene keine andere plausible Erklärung für das Zusammentreffen von Erwähnung und Nicht-Erwähnung der Familie finden. Jedoch kann eine Auslegungsebene allein nicht ein Gesamtergebnis tragen, wenn noch andere Auslegungsmethoden in Betracht zu ziehen sind. Bei divergierenden Auslegungsergebnissen kann schließlich der verfassungskonformen Auslegung die Rolle eines „Schiedsrichters“ zukommen.79 b) Vergleich mit § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 –Nr. 4a, Nr. 10–Nr. 12 ZPO a. F. Für eine Einbeziehung der Familie in den Vollstreckungsschutz auch dann, wenn die Familie im Wortlaut der entsprechenden Normen keine Erwähnung findet, wurde angeführt, dass die in § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 4a, Nr. 10, Nr. 11, Nr. 12 ZPO a. F. genannten Sachen unmittelbar dem Gebrauch und Verzehr durch den Schuldner und durch dessen Familie dienten. Im Rahmen von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. handele es sich hingegen um Gegenstände, die dazu gebraucht würden, Mittel zu erwerben, um davon wiederum Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände zu erlangen.80 Diese Auffassung lief darauf hinaus, dass in den Fällen, in denen nachgelagert Schutz entsteht, gleichermaßen bereits im Vorfeld Schutz gewährt werden muss. Das leuchtet ein, weil bei anderer Betrachtungsweise der nachgelagerte Schutz leerlaufen würde. Anders ausgedrückt: Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise war die Familie zur Aufrechterhaltung des Status, der in § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 4a, Nr. 10, Nr. 11, Nr. 12 ZPO a. F. geschützt war, auf einen gleichlaufenden Schutz in § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. angewiesen.
77 LG Augsburg, Beschl. v. 17.10.2002, 5 T 3477/02, FamRZ 2003, 697, 698; Müller, Zwangsvollstreckung gegen Ehegatten, 1970, S. 41. 78 Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 161. 79 Vgl. dazu Kapitel 3:§1. 80 LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.01.2009, 2 T 286/08, juris, Rn. 20.
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c) Die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO Gegen eine Einbeziehung der Familie in den Schutzbereich der Pfändungsverbote wird weiter die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO ins Feld geführt. Insofern wird argumentiert, dass nach § 739 ZPO für den Fall der Eigentumsvermutung des § 1362 BGB unbeschadet der Rechte Dritter für die Durchführung der Zwangsvollstreckung nur der Schuldner als Gewahrsamsinhaber und Besitzer gelte. Diese Vollstreckungschance dürfe durch § 811 ZPO nicht konterkariert werden.81 Durch § 739 ZPO wird Gläubigern eines Ehegatten der Zugriff auf dessen Vermögen und die Zwangsvollstreckung gegen den verpflichteten Ehegatten erleichtert. 82 Dies steht freilich einer Erstreckung der Pfändungsverbote aus § 811 ZPO auf Familienangehörige nicht entgegen.83 Man kann nicht sagen, dass § 739 ZPO sinnentleert wird, wenn man § 811 ZPO neben § 739 ZPO für anwendbar hält.84 Die Wertung des § 739 ZPO bleibt auch so vollumfänglich in Geltung. Die Pfändungsmöglichkeit wird nur unter einem Aspekt eingeschränkt, der mit der Gewahrsamsvermutung in keinem Zusammenhang steht. 85 Gewahrsam des Schuldners und das Fehlen von Pfändungsverboten sind zwei verschiedene Pfändungsvoraussetzungen, die unabhängig voneinander betrachtet werden müssen.86 d) § 19 Abs. 1 SGB XII i.V.m § 27 Abs. 2 S. 2 , S. 3 SGB XII Außerdem wird auf den Rechtsgedanken des § 19 Abs. 1 SGB XII i.V.m § 27 Abs. 2 S. 2, S. 3 SGB XII hingewiesen. 87 Nach § 19 Abs. 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. § 27 Abs. 2 S. 2 SGB XII regelt, dass bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen ist. Wenn minderjährige unverheiratete Kinder dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils angehören und den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem eigenen Einkommen und Ver81
OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1963, 8 W 294/62, Die Justiz 1963, 143, 144. BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, FamRZ 2010, 550, 551 f.; BGH, Urt. v. 26.11. 1975, VIII ZR 112/74, NJW 1976, 238, 239. 83 BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, FamRZ 2010, 550, 551 f.; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 286; Mümmler, DGVZ 1963, 101, 103; Noack, JR 1970, 337, 338; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 811 ZPO Rn. 55. 84 BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, FamRZ 2010, 550, 552. So aber OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.01.1963, 8 W 294/62, Die Justiz 1963, 143, 144. 85 BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, FamRZ 2010, 550, 552. 86 Walker/Findeisen, FamRZ 2010, 552, 553. 87 Noch zu § 19 Abs. 1 S. 2 SGB XII i. d. F. bis zum 31.12.2010, der dem heutigen § 27 Abs. 2 S. 2, S. 3 SGB XII entspricht: LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.01.2009, 2 T 286/08, juris, Rn. 22. 82
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mögen nicht bestreiten können, ist grundsätzlich auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils gemeinsam zu berücksichtigen, § 27 Abs. 2 S. 3 SGB XII. Daraus wird geschlossen, dass einem Schuldner in der Zwangsvollstreckung auch das belassen werden muss, was er benötigt, um die für den notwendigen Lebensunterhalt erforderlichen Mittel zu erzielen. Dabei könne es nicht ausschlaggebend sein, ob der Schuldner selbst mittels des zu pfändenden Gegenstandes Erwerbseinkommen erzielt oder ob er dieses einem Familienangehörigen zur Verfügung stellt, damit dieser für den Familienunterhalt sorgen kann.88 Damit derartige sozialrechtliche Wertungen auf das Zwangsvollstreckungsrecht übertragen werden können, bedarf es eines Brückenarguments. Insofern ließe sich auf die Einheit der Rechtsordnung rekurrieren.89 Allerdings gibt es wesentliche Unterschiede zwischen Sozialrecht und Zwangsvollstreckungsrecht.90 So bezieht sich § 19 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 27 Abs. 2 S. 2, S. 3 SGB XII auf die sozialrechtliche Einsatzgemeinschaft. Diese Vorschriften regeln die Frage, welches Einkommen und welches Vermögen eingesetzt werden muss, bevor Hilfe zum Lebensunterhalt in Anspruch genommen werden kann. Es geht also darum, was seitens der Familie aufzubringen ist. Im Zwangsvollstreckungsrecht hingegen ist relevant, was der Familie verbleiben muss. Das sind nicht zwei Seiten derselben Medaille, sondern unterschiedliche Wertungszusammenhänge. Deshalb dürfen diese gesetzgeberischen Entscheidungen aus dem Sozialrecht nicht unbesehen auf das Zwangsvollstreckungsrecht übertragen werden. e) Einheit der Rechtsordnung Der Aspekt der Einheit der Rechtsordnung sollte einer Ansicht nach in die Richtung deuten, dass die Familie auch dann in der Vollstreckung mit zu schützen sei, wenn sie im Rahmen der Pfändungsverbote nicht ausdrücklich genannt werde. Denn das Zwangsvollstreckungsrecht sei durch das Prinzip geprägt, dem Schuldner und seiner Familie zumindest so viel zu belassen, dass davon in einem bescheidenen Umfang gelebt werden könne. Dies werde in Normen wie §§ 850d ff. ZPO und § 765a ZPO deutlich.91 Diese einfach-rechtlichen Normen sind bei genauerer Betrachtung Ausprägungen des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein. Deshalb können sie nicht ohne Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Einbettung ausgelegt werden.92
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LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.01.2009, 2 T 286/08, juris, Rn. 22. So LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.01.2009, 2 T 286/08, juris, Rn. 22. 90 Vgl. dazu Kapitel 3:§3:A.I. 91 LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.01.2009, 2 T 286/08, juris, Rn. 21. 92 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:C.I.4. 89
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3. Teleologie a) Ratio legis des Vollstreckungsschutzes Für eine Erstreckung der Pfändungsverbote auf die Familie wird weiter vorgetragen, dass sich der Zweck der Vollstreckungsschutzvorschriften darauf richte, die Existenz der Familie sicherzustellen.93 Zu diesem Zweck werde der Unterhalt der Familie geschützt.94 Würde man zulassen, dass Gegenstände gepfändet werden, die der Ehegatte des Schuldners für seine Erwerbstätigkeit benötigt, würde es ihm unmöglich gemacht oder zumindest wesentlich erschwert, seiner Unterhaltsverpflichtung nach § 1360 BGB nachzukommen. Die wirtschaftliche Existenz der Familie wäre dann genauso gefährdet wie bei einer Pfändung beim erwerbstätigen Schuldner selbst.95 In diese Richtung deutet auch das Argument, dass es mit dem Wesen der Ehe nicht vereinbar sei, die Familie im Rahmen der Pfändungsverbote unberücksichtigt zu lassen.96 Man könnte einwenden, dass sich dieser Schutzzweck bereits durch § 809 ZPO und § 771 ZPO realisieren lässt. Wenn ein Familienangehöriger des Schuldners Gewahrsam über den zu pfändenden Gegenstand hat, steht ihm § 809 ZPO zur Seite.97 Ist der Familienangehörige des Schuldners sogar Eigentümer oder Inhaber eines sonstigen die Veräußerung hindernden Rechts am zu pfändenden Gegenstand, steht ihm die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) zur Verfügung.98 Es ist aber auch für die Konstellationen eine Lösung zu finden, in denen weder § 809 ZPO noch § 771 ZPO einschlägig ist. Das ist der Fall, wenn der Familienangehörige des Schuldners weder Gewahrsamsinhaber noch Inhaber eines die Veräußerung hindernden Rechts an der zu pfändenden Sache ist. Dann kön-
93 BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, FamRZ 2010, 550, 551; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 41; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 23. 94 OLG Hamm, Beschl. v. 01.03.1984, 14 W 253/83, DGVZ 1984, 138 f.; LG Siegen, Beschl. v. 25.07.1985, 4 T 385/84, NJW-RR 1986, 224; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 161; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 39; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 24; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 34; Pardey, DGVZ 1987, 180, 182; Pauly, DGVZ 2006, 103, 682 f.; Walker/Findeisen, FamRZ 2010, 552; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 55. 95 BGH, Beschl. v. 28.01.2010, VII ZB 16/09, FamRZ 2010, 550, 551. 96 Pohle, MDR 1955, 1; in diese Richtung auch Beitzke, ZZP 68 (1955), 241, 246. 97 Noack, DGVZ 1966, 129; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 55. Dieser Ansatz ist wegen § 739 ZPO für das Verhältnis zwischen Ehegatten bzw. Lebenspartnern nicht einschlägig. § 739 ZPO beinhaltet nach ganz h. M. eine unwiderlegbare Vermutung, vgl. z. B. MüKo-ZPO/Heßler, § 739 ZPO Rn. 1; HKZV/K indl, § 739 ZPO Rn. 7; Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 18 2021, § 739 ZPO Rn. 6. 98 OLG Hamm, Beschl. v. 01.03.1984, 14 W 253/83, DGVZ 1984, 138, 140; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 55.
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ne nur eine Einbeziehung des Familienangehörigen in den Anwendungsbereich der Pfändungsverbote den notwendigen Schutz vermitteln.99 Die referierte teleologische Argumentation läuft mit der Bezugnahme auf die „Existenz der Familie“ letzten Endes darauf hinaus, dass ratio legis der Voll streckungsschutzvorschriften die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein sei. Dieser Aspekt lässt sich wiederum nur im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Betrachtung adäquat diskutieren.100 b) Folgenbetrachtung Weiterhin wird eine Folgenbetrachtung für die Einbeziehung der Familie ins Feld geführt. Kann nämlich der Schuldner selbst keine Erwerbstätigkeit ausüben, stellt er aber einem Familienangehörigen einen Gegenstand zur Verfügung, mit dessen Hilfe dieser Erwerbseinkommen erzielen kann, würde die Pfändung dieses Gegenstandes dazu führen, dass der Staat für den Unterhalt der Familie sorgen müsse.101 Bei dieser Betrachtungsweise rücken fiskalische Interessen in den Vordergrund. Solche öffentlichen Interessen können aber nicht erklären, weswegen der Gläubiger seinen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Befriedigung nicht durchsetzen darf.102 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass ein Ausschluss der Familie aus dem Pfändungsschutz eine unerwünschte Konsequenz hätte. Auf diese Weise würde der Schuldner wesentlich besser geschützt als die nicht verpflichteten Familienangehörigen.103 Dies führe zu einem „merkwürdigen Ergebnis“.104 Wenn der schuldende Familienvater keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, seinen Pkw allerdings seiner Ehefrau zu deren Erwerbstätigkeit zur Verfügung stelle, würde bei Verweigerung des Pfändungsschutzes für die Ehefrau tatsächlich das Ergebnis eintreten, dass der Familienvater besser gegen die Pfändung geschützt wäre als die nicht-schuldende Ehefrau (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F.). Die Qualifikation dieses Ergebnisses als „merkwürdig“ kann aber eine Begründung nicht ersetzen. Damit ist nicht gesagt, dass dieses Ergebnis nicht mit anderen Begründungsweisen erzielt werden kann. Es ist lediglich festgestellt, dass die vorgelegte Begründung nicht trägt.
99 Ders., in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 55. 100 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:C.I.4. 101 LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.01.2009, 2 T 286/08, juris, Rn. 2 2; in diese Richtung auch Walker/Findeisen, FamRZ 2010, 552 f. 102 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B. 103 OLG Hamm, Beschl. v. 01.03.1984, 14 W 253/83, DGVZ 1984, 138, 140; Beetz, VuR 2011, 276, 277; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 162; Würdinger, in: Stein/ Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 55. 104 OLG Hamm, Beschl. v. 01.03.1984, 14 W 253/83, DGVZ 1984, 138, 140.
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4. Verfassungsrechtliche Beurteilung Die verfassungskonforme Auslegung wird sowohl für als auch gegen eine Erstreckung der Pfändungsverbote auf Familienangehörige herangezogen. In der einen Richtung wird argumentiert: Die Verpflichtung zur Einbeziehung der Familie in Vollstreckungsschutzvorschriften folge aus einer verfassungskonformen Auslegung. Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG lege fest, dass einer Familie die Mittel zur Verfügung stehen müssen, die sie benötigt, um die eigene Existenzgrundlage zu sichern.105 In die andere Richtung verfassungskonform wollen diejenigen argumentieren, die Grundrechte des Gläubigers in den Vordergrund rücken. Dem Gläubiger sei es grundsätzlich nicht zumutbar, neben dem Schuldner noch auf dessen Familie Rücksicht nehmen zu müssen. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes komme nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche Existenz der Familie gefährdet werde. Das sei lediglich in den Fällen so, in denen der Gesetzgeber die Familie ausdrücklich im Rahmen der Pfändungsverbote erwähne. In allen anderen Konstellationen gehe es um Sachen, die nicht zu dem „unentbehrlichen materiellen Substrat“ gehörten.106 Im Ergebnis muss die Familie des Schuldners durchgehend in die Pfändungsverbote einbezogen werden. Durch Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG wird das menschenwürdige Dasein des Schuldners auch in familiärer Hinsicht geschützt.107 Art. 6 Abs. 1 GG bringt zum Ausdruck, dass die Familie grundrechtliche Wertschätzung erfährt. Der dem Einzelnen zu gewährende Schutz muss sich nach dieser Wertentscheidung auch auf diejenigen erstrecken, die mit ihm in einer Familie verbunden sind. Eine andere Entscheidung würde im Übrigen dazu führen, dass in einer Zwangsvollstreckungssituation innerfamiliäre Konflikte hervorgerufen werden könnten.108 Dieser so zu gewährende Schutz gerät in eine Kollision mit grundrechtlich geschützten Positionen des Gläubigers. Da die Menschenwürde einer Abwägung entzogen ist, muss sich der grundrechtliche Schutzstatus des Schuldners in familiärer Hinsicht gegenüber konkurrierenden Grundrechten des Gläubigers durchsetzen.109 Dieses Ergebnis erfordert eine verfassungskonforme Auslegung der Pfändungsverbote, die diesem leitenden Gesichtspunkt Rechnung trägt. 105 LG Mühlhausen, Beschl. v. 28.01.2009, 2 T 286/08, juris, Rn. 26; Beetz, VuR 2011, 276, 278; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 164. 106 Müller, Zwangsvollstreckung gegen Ehegatten, 1970, S. 41 f. 107 Vgl. zum Schutz des Familienexistenzminimums im Steuerrecht z. B. BVerfG, Beschl. v. 29.03.2004, 2 BvR 1670/01 (u. a.), NJW-RR 2004, 1225 f.; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 259 ff.; BVerfG, Beschl. v. 29.05.1990, 1 BvL 20/84 (u. a.), BVerfGE 82, 60, 85 f. Vgl. dazu bereits Kapitel 2:§2:A. 108 Vgl. zu diesem Aspekt im Kontext von § 852 ZPO Kapitel 6:§2:N. 109 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§1:A.IV.2.a).
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5. Resümee § 811 ZPO bezieht die Familie des Schuldners teilweise ausdrücklich in den Schutzbereich der Pfändungsverbote ein, teilweise fehlt diese ausdrückliche Einbeziehung der Familie. Dies führt zu der Frage, ob die Familie des Schuldners auch dort geschützt ist, wo sie im Rahmen der Pfändungsverbote nicht expressis verbis erwähnt wird. Da der einfach-rechtliche Pfändungsschutz im Einklang mit höherrangigem Recht stehen muss, ist in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG dahingehend zu entscheiden, dass nur die durchgehende Erstreckung der Pfändungsverbote auf die Familie den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Denn allein auf diese Weise wird das Recht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein im Kreise seiner Familie gewährleistet. II. Vollstreckungsschutz für Haushaltsmitglieder Der Pfändungsschutz von § 811 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 ZPO a. F. bezog sich nicht nur auf den Schuldner und dessen Familie, sondern auch auf Hausangehörige, die ihm im Haushalt helfen. Im GNeuMoP und im PKoFoG war daran gedacht, die Einschränkung zu streichen, dass der Pfändungsschutz nur auf mithelfende Haus angehörige zu erstrecken sei.110 Das GvSchuG sieht nun vor, den Pfändungsschutz auch dann zu gewähren, wenn die Sachen nicht von dem Schuldner selbst benötigt werden, sondern von Personen, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt (§ 811 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 lit. b), Nr. 4, Nr. 6 , Nr. 8 ZPO). Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich die Erweiterung des Pfändungsschutzes auf Personen, mit denen der Schuldner in einem gemeinsamen Haushalt lebt (Hausangehörige) – unabhängig davon, ob sie im Haushalt helfen oder nicht – rechtfertigen lässt. Mit Hausangehörigen sind Personen gemeint, die mit dem Schuldner in Hausgemeinschaft leben, aber nicht zu dessen Familie gehören.111 Wenn der Schuldner solche Personen in seinen Haushalt aufnimmt, soll sich der Bereich des Pfändungsschutzes um weitere Gegenstände erweitern. Damit werden die Zugriffsmöglichkeiten des Gläubigers verringert. Dies stellt einen rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff dar. Der Schutzbereich des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners umfasst zum einen die notwendigen Mittel für den Lebensunterhalt und zum anderen – wegen des Sozialbezugs – die Freiheit zu entscheiden, mit welchen Menschen man in häuslicher Gemeinschaft leben will. Diese Schutz dimensionen sind aber nicht beeinträchtigt, wenn man die Pfändungsverbote nicht mit Blick auf die Bedürfnisse beliebiger Haushaltsangehöriger anpasst. 110
BT-Drs. 19/19850, S. 50 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7. Beetz, VuR 2011, 276; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 17; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 31. 111
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Wenn man das von Haushaltsangehörigen Benötigte nicht in den Pfändungsschutz einbezieht, entsteht keine Situation, die dem Schuldner seine freiheit lichen Entfaltungsmöglichkeiten nehmen würde. Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Schuldner sei gezwungen, den gemeinsamen Haushalt mit den Hausangehörigen aufzukündigen, weil keine ausreichenden Vorräte mehr für alle zur Verfügung stehen. Doch muss der gemeinsame Haushalt nicht mit dieser unzureichenden Versorgung auskommen. Vielmehr können die mitzuversorgenden Haushaltsangehörigen im Bedarfsfalle auf sozialrechtliche Ansprüche zurückgreifen.112 Damit wird nicht der Schuldner in Abhängigkeit vom Staat gebracht, sondern die Haushaltsangehörigen. Diese Betrachtungsweise steht einfach-rechtlich im Übrigen im Einklang mit der Wertung in § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO.113 Dort kann der Schuldner eine Änderung des unpfändbaren Betrages nicht durch Hinweis auf faktische Unterhaltspflichten erreichen. Auch in diesem Kontext muss der verfassungsrechtlich gebotene Schutz der Hausangehörigen im Wege des Sozialrechts gewährt werden. Diese Überlegungen müssen im Rahmen aller Pfändungsverbote gelten. Der Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO darf sich nicht aufgrund der Tatsache erweitern, dass es nicht zur Familie gehörende Haushaltsmitglieder gibt. III. Vollstreckungsschutz für juristische Personen und Personengesellschaften Bei den Pfändungsverboten, die dem Wortlaut nach nicht an Eigenschaften natürlicher Personen anknüpfen, stellt sich die Frage, ob sich juristische Personen bzw. Personengesellschaften auf diesen Vollstreckungsschutz berufen können. Überwiegend wurde diese Diskussion im Kontext von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. geführt. Die Problematik ist aber darüber hinaus noch im Rahmen anderer Tatbestände zu klären. Auffallend ist, dass besonders im Kontext von § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. ohne größere Diskussion angenommen wurde, dass der Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. auch Personengesellschaften zuzubilligen sei.114 112
Vgl. zur notwendigen Korrektur im Sozialrecht noch Kapitel 6:§2:G.I.1. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6:§2:G.I.1. 114 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 47; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 33; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 458; Kotzur, DGVZ 1989, 165, 165 f.; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 14; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 33; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 24. Es kommt nicht auf die Rechtsform des Betriebs an: Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 49. Teilweise wird angenommen, dass der Pfändungsschutz auch dann bestehe, wenn die Apotheke eine juristische Person sei, vgl. Elden/ Frauenknecht, in: Kern/Diehm (Hrsg.), ZPO, 22020, § 811 ZPO Rn. 13; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 24; Hilzinger, in: Dierck/ Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 458; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 14; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 33; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 24; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 113
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1. Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur Zunächst gibt es Stimmen, die eine Anwendung der Vollstreckungsschutzvorschriften auf juristische Personen (grundsätzlich) für möglich115 bzw. nicht für möglich116 halten. Teilweise wurde diese Frage bloß im Zusammenhang mit § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. erörtert. Hier wurde weit überwiegend vertreten, dass die Norm (grundsätzlich) weder auf juristische Personen117 noch auf Per sonengesellschaften118 anwendbar sei. Zur Begründung wurde angeführt, dass diese nicht aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persön2016, § 811 Rn. 18. Nach § 8 S. 1 Hs. 1 ApoG können mehrere Personen zusammen eine Apotheke aber nur in der Rechtsform einer GbR oder einer OHG betreiben. 115 Glenk, ZRP 2013, 232, 234; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 4; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 58 f.; Lack mann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 2; Lauf, Die Arztpraxis in der Insolvenz, 2019, S. 55; Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, 32015, § 19 Rn. 25. Widersprüchlich Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 9, der zunächst feststellt, dass die Pfändungsverbote für alle Schuldner, damit auch für juristische Personen gelten. Im Rahmen von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. vertritt er dann aber, dass die Vorschrift den Erwerb des natürlichen – nicht juristischen – Schuldners schütze (Rn. 35). 116 Empting, ZInsO 2006, 229, 231 f.; Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungsund Insolvenzrechts, 51996, Rn. 232 (Fn. 17). 117 OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.07.1963, 2 W 20/63, NJW 1964, 505; LG Hamburg, Beschl. v. 07.11.1983, 18 T 108/83, DGVZ 1984, 57; AG Steinfurt, Beschl. v. 07.07.1988, 12 M 1356/88, DGVZ 1990, 62, 63; AG Günzburg, Beschl. v. 11.12.1975, M 1567/75, DGVZ 1976, 94; App, ZKF 2004, 41, 43; Brock, DGVZ 1997, 65, 69; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 123; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 18; MüKo- ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 38; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 380 (Fn. 72); Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 26; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 444; Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 151; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 32 Rn. 20; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 21; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 33; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 35; Noack, DB 1977, 195, 196; Paulus, DGVZ 1990, 151; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 91; Roy/Palm, NJW 1995, 690, 696; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 32; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 10; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 18; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 19.1; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 33; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 33; Weimann, DGVZ 1996, 1, 4; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 43. 118 LG Hamburg, Beschl. v. 07.11.1983, 18 T 108/83, DGVZ 1984, 57; AG Günzburg, Beschl. v. 11.12.1975, M 1567/75, DGVZ 1976, 94; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 123; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 18; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 26; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 4 44; Wieczorek/ Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 33; Noack, DB 1977, 195, 196; Paulus, DGVZ 1990, 151; T homas/ Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 18; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 32 (Fn. 50); AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 10; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 19.1; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 33; Weimann, 10
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lichen Leistungen einen Erwerb ziehen können.119 Sie erbrächten keine persönliche Arbeitsleistung.120 Sowohl diejenigen, die grundsätzlich einen Vollstreckungsschutz für juris tische Personen bzw. Personengesellschaften ablehnen als auch diejenigen, die zumindest im Rahmen von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. einen Vollstreckungsschutz für juristische Personen verneinten, erkennen manchmal eine Ausnahme für eine Einmann-GmbH an, deren Gesellschafter-Geschäftsführer seinen Unterhalt durch persönliche Leistung für die GmbH erwirtschaftet.121 In gleicher Weise wird bei Personengesellschaften ausnahmsweise Vollstreckungsschutz angenommen, wenn alle Gesellschafter ihren Erwerb aus der persönlichen Tätigkeit bei der Gesellschaft ziehen.122 2. Stellungnahme Da die Funktion des Pfändungsschutzes im Schutz des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein besteht123, kann man die VollstreckungsschutzvorDGVZ 1996, 1, 4; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 811 ZPO Rn. 43. 119 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 40; Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 151. 120 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 18; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 38; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 21. 121 App, DGVZ 1985, 97, 98; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 40; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 38; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 26; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 444; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 21; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 19.1; Weimann, DGVZ 1996, 1, 4; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 43. A. A. App, ZKF 2004, 41, 43; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 18; Noack, DB 1977, 195, 196; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 18. 122 OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.07.1963, 2 W 20/63, NJW 1964, 505; FG Berlin, Urt. v. 05.08.1983, III 193/83, EFG 1984, 217, 218 (zu § 295 AO i. V. m. § 811 Abs. 1 ZPO); AG Lörrach, Beschl. v. 28.10.1968, 3 M 997/68, DGVZ 1969, 188; App, DGVZ 1985, 97; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 284; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 18; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuld ners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 32, 40; MüKo- ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 38; Heinze, ZInsO 2015, 1117, 1126; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 26; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 4 44; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 21; Wieczorek/ Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 33; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 91; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 19.1; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 33; Weimann, DGVZ 1996, 1, 4; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 811 ZPO Rn. 43. A. A. Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 18. 123 Vgl. Kapitel 3:§4:A.
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schriften auf juristische Personen bzw. Personengesellschaften grundsätzlich nicht anwenden. Sowohl die Regel wie die mögliche Ausnahme hängen mit der Rechtsnatur der juristischen Person zusammen. Nach Art. 19 Abs. 3 GG sind juristische Personen grundrechtsfähig. Unter juristischen Personen im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur voll-, sondern auch teilrechtsfähige Personenmehrheiten zu verstehen.124 Allerdings besteht die Grundrechtsfähigkeit allein hinsichtlich solcher Grundrechte, die ihrem Wesen nach auf die juristische Person anwendbar sind. Eine solche Anwendbarkeit scheidet jedenfalls dort aus, wo der Grundrechtsschutz an Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen anknüpft, die nur natürlichen Personen zukommen können.125 Das ist dann der Fall, wenn der Grundrechtsschutz im Interesse der Menschenwürde gewährt wird. Darauf können sich nur natürliche Personen berufen.126 Folglich steht der Schutz aus dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein grundsätzlich weder juristischen Personen noch Personengesellschaften zu. Bleibt noch zu klären, ob Ausnahmen anerkannt werden können. Nach der sog. Durchgriffstheorie ist eine Einbeziehung juristischer Personen i. S. v. Art. 19 Abs. 3 GG in den Schutzbereich der Grundrechte gerechtfertigt, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen ist, insbesondere, wenn der „Durchgriff“ auf die hinter der juristischen Person stehenden Menschen dies als sinnvoll oder erforderlich erscheinen lässt.127 In diesem Sinne bietet sich bei einer Einmann-GmbH, deren Gesellschafter-Geschäftsführer seinen Unterhalt durch persönliche Leistungen für die GmbH erwirtschaftet, ein „Durchgriff“ auf den Gesellschafter-Geschäftsführer an. Er ist dann die maßgebliche Person, deren Tätigkeit schutzwürdig ist. In gleicher Weise kann bei Personengesellschaften, bei denen alle Gesellschafter ihren Erwerb aus der persönlichen Tätigkeit bei der Gesellschaft ziehen, ein 124 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 32013, Art. 19 III GG Rn. 45 ff.; BeckOK-GG/Enders, Art. 19 GG Rn. 35; Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 94 2021, Art. 19 Abs. 3 GG Rn. 37. Speziell zur OHG und KG: BVerfG, Urt. v. 20.07.1954, 1 BvR 459/52 (u. a.), BVerfGE 4, 7, 12. 125 BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007, 1 BvR 1550/03 (u. a.), BVerfGE 118, 168, 203; BVerfG, Beschl. v. 09.10.2002, 1 BvR 1611/96 (u. a.), BVerfGE 106, 28, 42; BVerfG, Beschl. v. 26.02.1997, 1 BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220, 242. 126 BVerfG, Beschl. v. 13.07.2018, 1 BvR 1474/12 (u. a.), BVerfGE 149, 160, 190; BVerfG, Beschl. v. 26.02.1997, 1 BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220, 242; BeckOK-GG/Enders, Art. 19 GG Rn. 40; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 19 GG Rn. 68; BeckOK-GG/Hill gruber, Art. 1 GG Rn. 6. 127 BVerfG, Beschl. v. 14.04.1987, 1 BvR 775/84, BVerfGE 75, 192, 195 f.; BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984, 1 BvR 35/82 (u. a.), BVerfGE 68, 193, 205 f.; BVerfG, Beschl. v. 02.05.1967, 1 BvR 578/63, BVerfGE 21, 362, 369. Kritisch Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3 2013, Art. 19 III GG Rn. 32 f.; Kingreen, JöR 2017, 1, 19; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, Rn. 59.
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„Durchgriff“ auf die Gesellschafter erfolgen.128 Im Ergebnis ist es also nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar verfassungsrechtlich geboten, in den geschilderten Konstellationen ausnahmsweise Vollstreckungsschutz zu gewähren. IV. Pfändungsschutz bei Vollstreckung aus Duldungstiteln Bei einer Vollstreckung des Anspruchs auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Es ist insofern zu klären, ob sich der Vollstreckungsschuldner (Var. 1) bzw. der Anfechtungsgegner (Var. 2) auf § 811 Abs. 1 ZPO berufen kann. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die erste Variante kein Problem darstellt. Wenn es sich nämlich mit Blick auf die Person des Schuldners um einen unpfändbaren Gegenstand handelt, fehlt es schon an einer Gläubiger benachteiligung, was nach § 1 Abs. 1 AnfG Grundvoraussetzung für eine mögliche Anfechtung ist.129 Für die zweite Variante wird angenommen, dass sich der Anfechtungsgegner bei einer Vollstreckung des Anspruchs auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG nicht auf den Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO berufen könne, wenn die Voraussetzungen für den Pfändungsschutz in seiner Person gegeben sind.130 Diese Betrachtungsweise hält einer Prüfung nicht stand.
128 So im Ergebnis für Frankreich auch Lamoril, Revue trimestrielle des droits de l’Homme 2006, S. 359, 374, 378 („car derrière l’être moral il y a les individues qu’il sousentend“). 129 BGH, Urt. v. 08.07.1993, IX ZR 116/92, NJW 1993, 2876, 2877; OLG Braunschweig, Urt. v. 26.03.1953, 2 U 103/52, MDR 1953, 741; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 4; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 12; Walker/ Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 3. 130 OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827; OLG Braunschweig, Urt. v. 26.03.1953, 2 U 103/52, MDR 1953, 741; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 26.72; Benkendorff, JW 1933, 2505; Böhle-Stamschräder, Gesetz, betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens, 2 1956, § 9 III. 2); Bohnenberg, Anfechtungsgesetz, 41955, § 9 VII.; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 301; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 4; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 12; Huber, Anfechtungsgesetz (AnfG), 122021, § 13 Rn. 16; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 66; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 7; Noack, DGVZ 1969, 113, 114; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 17; Voß, ZZP 40 (1910), 217, 257 f.; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/ Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 3; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 10; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 10; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 102016, § 811 ZPO Rn. 5.
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1. Wortlaut Ausgehend vom Wortlaut einer Vorgängervorschrift zu § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG131 wurde argumentiert, dass der Gläubiger die Rückgewähr des veräußerten Gegenstandes als „noch“ zum Vermögen des Schuldners gehörig vom Anfechtungsgegner beanspruchen könne. Dies mache deutlich, dass sich die Vollstreckung letztlich gegen den Schuldner, nicht aber gegen den Anfechtungsgegner richte. Dann könne sich der Anfechtungsgegner folgerichtig aber auch nicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO stützen.132 Der heutige Wortlaut von § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG lässt eine solche Auslegung nicht mehr zu. Jetzt ist nämlich nicht mehr von „noch“ zu dem Vermögen des Schuldners gehörigen Gegenständen die Rede. 2. Systematik a) Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen Außerdem wird angeführt, dass § 811 ZPO die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen betreffe. Im Falle des § 11 AnfG werde aber beim Anfechtungsgegner nicht wegen einer gegen diesen gerichteten Geldforderung vollstreckt.133 Dagegen wird indes vorgebracht, dass Geldforderungen im vollstreckungsrechtlichen Sinne nicht nur Ansprüche auf Leistung von Geld seien, sondern auch solche auf Haftung für Geldforderungen, wozu insbesondere die Duldung der Zwangsvollstreckung gehöre.134 Um zu begründen, dass es um eine Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen gehe, stellen andere auf das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ab. Der Rückgewähranspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG diene letztlich der Befriedigung des gegen den Schuldner bestehenden Anspruchs, der eine Geldforderung darstellt.135 Dieser Umweg ist nicht gangbar. Die Fragestellung bezieht sich auf das Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Anfechtungsgegner. Der Anfechtungsgegner kann sich in dieser Beziehung auf § 811 Abs. 1 ZPO berufen, weil 131
§ 7 S. 1 AnfG, RGBl. 1898, S. 709, 710. OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827. 133 Noack, DGVZ 1969, 113, 114; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 4; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 3. 134 OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827; Benkendorff, JW 1933, 2505; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 65; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, Grdz. I § 803 ZPO Rn. 2; Wolf, in: Hintzen/ Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.95; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, Vor § 803 ZPO Rn. 3. 135 Jaeger, Die Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkursverfahrens, 21938, § 9 Anm. 2 2. 132
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der Gläubiger wegen einer Geldforderung vollstreckt. Der Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung wird im vollstreckungsrechtlichen Sinne als Geldforderung verstanden. b) Vergleich zur Herausgabevollstreckung Gegen einen Vollstreckungsschutz in der hier einzuordnenden Variante wird außerdem ein Vergleich zur Herausgabevollstreckung gezogen. Im Rahmen der Herausgabevollstreckung sei § 811 ZPO nicht anwendbar. Der hier in die Form eines Duldungsanspruchs gekleidete Rückgewähranspruch sei eigentlich kein Zahlungsanspruch, sondern ein solcher, der auf die Verschaffung einer individuellen Sache zwecks Befriedigung des Anfechtungsgläubigers gerichtet sei.136 Deshalb sei der Anfechtungsanspruch seinem Wesen nach weniger mit einen Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrages vergleichbar als mit einem Anspruch auf Herausgabe einer Sache.137 In der Konsequenz sei der Vollstreckungsschutz nach § 811 Abs. 1 ZPO nicht heranzuziehen. Da es aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend ist, das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein auch bei der Herausgabevollstreckung zu schützen,138 folgt aus dieser Argumenta tion ganz im Gegenteil, dass sich der Anfechtungsgegner ebenfalls auf den Vollstreckungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO berufen kann. c) § 419 BGB a. F. Zur Vermögensübernahme nach § 419 BGB a. F.139 wurde vertreten, dass sich der Übernehmer auf den Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO berufen könne.140 Daraus dürfe indes nicht geschlossen werden, dass dem Anfechtungs gegner in der hier zu beurteilenden Situation Pfändungsschutz zur Seite stehe. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Konstellationen liege darin, dass der Vermögensübernehmer selbst Zahlungsschuldner sei, während gegen den Anfechtungsgegner nur ein Duldungstitel bestünde.141 Diese Argumentation ist schon deswegen nicht haltbar, weil der Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung im vollstreckungsrechtlichen Sinne als Geldforderung zu verstehen ist. Damit entfällt der wesentliche Unterschied, den die Auffassung zwischen einer Vermögensübernahme nach § 419 BGB a. F. und dem Duldungsanspruch machen möchte.
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Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 66. OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827. 138 Vgl. dazu Kapitel 8 . 139 Ersatzlos aufgehoben mit Wirkung vom 31.12.1998 durch Art. 33 Nr. 16 EGInsO, BGBl. I 1994, S. 2911, 2925. 140 OLG Hamm, Beschl. v. 25.03.1954, 15 W 55/54, JMBlNRW 1954, 117, 118. 141 OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827. 137
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3. Telos a) Ratio legis Zusätzlich wird § 811 Abs. 1 ZPO bei der Vollstreckung des Anspruchs auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG für nicht anwendbar gehalten, weil eine Reduktion nach Sinn und Zweck angezeigt sei.142 Durch die Einzelgläubigeranfechtung solle gerade die ursprüngliche Zugriffs lage wiederhergestellt werden. Es sei deshalb mit der Verpflichtung des Anfechtungsgegners zur Duldung der Zwangsvollstreckung nicht vereinbar, wenn sich dieser auf den Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO berufen könnte.143 Damit räumen die Vertreter dieser Auffassung ein, dass sich der Anfechtungsgegner eigentlich auf den Vollstreckungsschutz nach § 811 Abs. 1 ZPO berufen kann. Sie halten indes dieses Ergebnis für untragbar und schlagen deswegen den Ausweg einer teleologischen Reduktion vor. Diese Methode setzt voraus, dass der Anwendungsbereich einer nach dem Wortsinn zu weit gefassten Regel durch die Hinzufügung einer nach Sinn und Zweck gebotenen Einschränkung reduziert wird.144 Diese Verfahrensweise verbietet sich hier aus verfassungsrechtlichen Gründen. Denn man würde so ignorieren, dass dann im Ergebnis dem Anfechtungsgegner ein Gegenstand entzogen wird, den er für sein menschenwürdiges Dasein benötigt. b) Interessenlage Des Weiteren wird argumentiert, dass die Berücksichtigung der Interessen aller involvierten Beteiligten dazu führen müsse, dass der Anfechtungsgegner sich nicht auf den Vollstreckungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO berufen könne. Der Anfechtungsgegner erleide durch die Zwangsvollstreckung schon keinen rechtlichen Nachteil. Vielmehr bliebe ihm sein Anspruch gegen den Schuldner aus dem mit diesem abgeschlossenen Rechtsgeschäft. Dass ihn insofern das Insolvenzrisiko des Schuldners treffe, entspräche allgemein anerkannten rechtlichen Wertungen. Es könne nicht richtig sein, den Anfechtungsgegner auf Kosten des Gläubigers von diesem Risiko zu entlasten. Entscheidend müsse sein, dass der Anfechtungsgegner an dem zur Benachteiligung des Gläubigers vorgenomme nen Rechtsgeschäft wissentlich beteiligt gewesen sei. Dieses unlautere Vorgehen dürfe nicht noch mit der Gewährung von Pfändungsschutz belohnt werden.145 142 MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 12; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 17; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 10. 143 MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 12; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 5; Wieczorek/ Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 7. 144 Brandenburg, Die teleologische Reduktion, 1983, S. 35; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 61991, S. 391; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 112020, Rn. 9 02 f. 145 OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827; so kann auch Jaeger,
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Dieser Ansatz, der von dem pönalen Gedanken getragen ist, ein unlauteres Verhalten des Anfechtungsgegners zu sanktionieren, klammert aus, dass der Vollstreckungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO verfassungsrechtlich geboten ist. Da das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in der Menschenwürde wurzelt und diese nicht verwirkt werden kann,146 scheidet eine Interessenabwägung, die ein unlauteres Verhalten mit einbezieht, prinzipiell aus. c) Folgenbetrachtung Auf die Folgen eines Pfändungsschutzes nach § 811 Abs. 1 ZPO für den Anfechtungsgegner wird mit Blick auf eine denkbare Gefahr ausgeführt, dass der Schuldner versuchen könne, sich durch anfechtbare Übereignungen der ihm gehörenden Gegenstände auf Personen, bei denen die Unpfändbarkeitsvoraussetzungen vorliegen, der Zwangsvollstreckung zu entziehen. Schon deshalb dürfe man dem Anfechtungsgegner keinen Pfändungsschutz einräumen.147 Es kann nicht bestritten werden, dass sich diese Gefahr realisieren kann. Um das Argument aber auf den Kern zurückzuführen, ist klarzustellen, dass nur von Gegenständen die Rede ist, die unter § 811 Abs. 1 ZPO fallen. Es ist also kein Missbrauchsszenario denkbar, bei dem Gegenstände jeglicher Art auf diese Art und Weise der Zwangsvollstreckung entzogen werden könnten. Für die verbleibenden Gegenstände gilt dann, dass sie beim Anfechtungsgegner – unabhängig vom Verhalten der Beteiligten – gegen Pfändung geschützt werden müssen, weil dieser sie für ein menschenwürdiges Dasein benötigt.148 Zusätzlich fällt ins Gewicht, dass aus Sicht des Schuldners auch Argumente dafür sprechen, eine möglichst effektive Zwangsvollstreckung zu ermöglichen. Zum einen droht bei einer Vereitelung der Zwangsvollstreckung eine Strafbarkeit nach § 288 StGB. Zum anderen würde sich die Belastung des Schuldners im Verhältnis zum Gläubiger nicht verringern, wenn der Schuldner Gegenstände beiseite schafft, in die ansonsten vollstreckt werden könnte. Es liegt aber im ureigenen Interesse des Schuldners, schuldenfrei zu werden. 4. Resümee Bei einer Vollstreckung des Anspruchs auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG darf sich der Anfechtungsgegner auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO berufen, wenn die Voraussetzungen in seiner Person gegeben sind. Das hat seinen Grund darin, dass eine ZwangsvollstreckungsDie Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkursverfahrens, 21938, § 9 Anm. 22 verstanden werden, der meint, dass die Verneinung des Pfändungsschutzes der Billigkeit entspreche. 146 Vgl. dazu Kapitel 3:§5. 147 OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827; Benkendorff, JW 1933, 2505. 148 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§5.
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maßnahme nicht in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Anfechtungsgegners eingreifen darf. Die vorgeschlagene teleologische Reduktion von § 811 Abs. 1 ZPO ist deshalb abzulehnen. Dieses Ergebnis steht im Übrigen in Einklang mit der These, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein gleichermaßen im Rahmen der Herausgabevollstreckung zu gewährleisten ist.149 Denn anerkanntermaßen steht der Anfechtungsanspruch seinem Wesen nach weniger einem Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrages als einem Anspruch auf Herausgabe einer Sache gleich.150 Daraus kann freilich nicht geschlossen werden, dass sich der Anfechtungsgegner nicht auf Vollstreckungsschutz berufen kann.151 Ganz im Gegenteil ist vielmehr Vollstreckungsschutz auch bei der Herausgabevollstreckung zu implementieren.
D. Unmittelbarer Pfändungsschutz kraft Verfassung Im Anwendungsbereich von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. wurde unter dem Gesichtspunkt des Pfändungsschutzes für Grabsteine thematisiert, ob ein übergesetzlicher Pfändungsschutz anerkannt werden kann.152 Über diese Fragestellung hinaus ist generell zu klären, ob jenseits des in § 811 Abs. 1 ZPO ausdrücklich gewährten Vollstreckungsschutzes Pfändungsverbote existieren. Insofern liegt – wenn das einfache Recht den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht wird – ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Pfändungsschutz zunächst nahe.153 Die Vollstreckungsorgane sind im Rahmen der Zwangsvollstreckung unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Ein Eingriff in das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein ist ausgeschlossen. Sollte es an einfach-rechtlichen Normen fehlen, die in einem solchen Fall diesen Status des Schuldners sichern, bliebe unter dem Gesichtspunkt eines menschenwürdigen Daseins nur ein Pfändungsverbot unmittelbar aus der Verfassung als denkbarer Ausweg. Dieser Ausweg ist aber verschlossen, weil dadurch nicht berücksichtigt wird, dass auf Seiten des Gläubigers gleichermaßen grundrechtlich geschützte Posi tionen existieren. Beim Gläubiger ist mit jedem Pfändungsverbot ein Grundrechtseingriff zu seinen Lasten verbunden. In Grundrechte darf aber durch die Vollstreckungsorgane nur auf der Grundlage eines Gesetzes eingegriffen wer149
Vgl. dazu Kapitel 8. Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827; Benkendorff, JW 1933, 2505. 151 So aber OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.1962, 15 W 178/62, NJW 1962, 1827; ders., JW 1933, 2505. 152 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.XV.2.h). 153 So z. B. Alisch, Wege zur interessengerechten Auslegung vollstreckungsrechtlicher Normen, 1981, S. 81. 150 OLG
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den (Vorbehalt des Gesetzes).154 Deshalb können Pfändungsverbote nicht unmittelbar aus der Verfassung hergeleitet werden.
E. Konnex zur Eigentumslage I. § 811 Abs. 1 ZPO Rechtsprechung155 und Literatur156 gehen einhellig davon aus, dass der Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO unabhängig von den Eigentumsverhältnissen anwendbar ist. Mit anderen Worten: § 811 Abs. 1 ZPO ist auch dann einschlägig, wenn der Schuldner nicht Eigentümer der streitgegenständlichen Sache bzw. des Tieres ist. Dafür lassen sich verschiedene Begründungen anführen. 1. Wortlaut Dass der Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO unabhängig von der Eigentumslage am pfändungsgeschützten Gegenstand ist, folgt schon aus dem Wortlaut der Norm. An keiner Stelle wird auf die Eigentumslage abgestellt, sondern stets werden nur die betroffenen Gegenstände aufgezählt.157 2. Entstehungsgeschichte Der Gesetzgeber hat bei der Einführung von § 811 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Eigentumsverhältnisse bei den Pfändungsverboten keine Rolle spielen sollen und dass § 811 Abs. 2 ZPO deswegen notwendig sei.158
154 Vgl. zum Vorbehalt des Gesetzes BVerfG, Beschl. v. 20.02.2013, 2 BvR 228/12, BVerfGE 133, 112, 132; BeckOK-GG/Huster/Rux, Art. 20 GG Rn. 172 ff.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 20 GG Rn. 113; Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 20 GG Rn. 273 ff. 155 OLG Hamm, Beschl. v. 01.03.1984, 14 W 253/83, DGVZ 1984, 138, 141; KG, Beschl. v. 24.11.1959, 1 W 1857/59, NJW 1960, 682; OLG Schleswig, Beschl. v. 04.04.1957, 7 W 55/57, SchlHA 1957, 184, 185; LG Heilbronn, Beschl. v. 26.03.1987, 1 b T 89/87 III, NJW 1988, 148, 149; AG Frankfurt, Beschl. v. 04.10.1973, 83 M 5639/73, DGVZ 1974, 26, 27. 156 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 23.3; Brock, DGVZ 1997, 33, 40; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, S. 296; Flockenhaus, in: Musielak/ Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 5; Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 4; Glenk, ZRP 2013, 232, 233; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 7; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 8; Noack, DGVZ 1969, 113, 114; T homas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 4; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 6; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7 2020, § 811 ZPO Rn. 4; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 13. 157 Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.144. 158 BT-Drs. 13/341, S. 23.
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3. Systematik a) Formalisierung der Zwangsvollstreckung Würde man für den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO fordern, dass der Schuldner Eigentümer der schützenswerten Gegenstände ist, müsste der Gerichtsvollzieher bei der Vornahme der Pfändung die Eigentumsverhältnisse prüfen. Dies lässt sich mit der Formalisierung der Zwangsvollstreckung nicht in Einklang bringen.159 b) Argument aus § 811 Abs. 2 ZPO Dass es im Anwendungsbereich von § 811 Abs. 1 ZPO nicht auf die Eigentumsverhältnisse ankommen kann, lässt sich durch ein gesetzgebungsökonomisches Argument stützen. Der Gesetzgeber hat mit § 811 Abs. 2 ZPO für den Fall, dass der Verkäufer wegen einer durch Eigentumsvorbehalt gesicherten Geldforderung aus dem Verkauf einer Sache oder eines Tieres vollstreckt, eine Sonder regelung getroffen. Es geht also in § 811 Abs. 2 ZPO um die Konstellation, dass der Schuldner nicht Eigentümer der Sache bzw. des Tieres ist, weswegen vollstreckt werden soll. Würde man annehmen, dass die Regelung des § 811 Abs. 1 ZPO durchgehend Eigentum des Schuldners an den pfändungsgeschützten Gegenständen voraussetzt, würde sich bereits aus § 811 Abs. 1 ZPO ergeben, dass der Schuldner sich nicht auf Pfändungsschutz berufen kann, wenn er nicht Eigentümer des Gegenstandes ist. Auf der Basis dieser Prämisse würde sich also § 811 Abs. 2 ZPO als überflüssig erweisen. Da man aus systematischen Gründen voraussetzen muss, dass der Gesetzgeber der Gesetzgebungsökonomie wegen keine überflüssigen Normen schafft, erweist sich die Prämisse als nicht haltbar, § 811 Abs. 1 ZPO setze Eigentum des Schuldners voraus. 4. Telos Die Schutzfunktion von § 811 Abs. 1 ZPO zielt darauf ab, dass mit den dort aufgezählten Gegenständen eine menschenwürdige Lebensform aufrechterhalten bleiben kann. Daraus folgt, dass nicht das Eigentum, sondern der Besitz und die damit für den Schuldner verbundenen Benutzungsmöglichkeiten im Vordergrund stehen müssen.160 159
Brock, DGVZ 1997, 33, 40. 13/341, S. 23; OLG Hamm, Beschl. v. 01.03.1984, 14 W 253/83, DGVZ 1984, 138, 141; OLG Schleswig, Beschl. v. 04.04.1957, 7 W 55/57, SchlHA 1957, 184, 185; LG Heilbronn, Beschl. v. 26.03.1987, 1 b T 89/87 III, NJW 1988, 148, 149; AG Frankfurt, Beschl. v. 04.10.1973, 83 M 5639/73, DGVZ 1974, 26, 27; Brock, DGVZ 1997, 33, 40; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 296; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 5; Glenk, ZRP 2013, 232, 233; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 7; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 8; Noack, DGVZ 1969, 113, 114; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 6; Wolf, in: Hintzen/Wolf 160 BT-Drs.
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5. Resümee Der Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO muss schon dann greifen, wenn der Schuldner schützenswerte Gegenstände nutzt, selbst wenn diese nicht in seinem Eigentum stehen. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit allen Auslegungsmethoden und entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein ist gewährleistet, wenn die Gegenstände zur Verfügung stehen, die für ein solches Leben erforderlich sind. Ausreichend ist, dass die betreffenden Gegenstände genutzt werden können. Wenn der Grundrechtsschutz sich somit auf die Gebrauchsmöglichkeit bezieht, darf schon in diese nicht im Wege der Zwangsvollstreckung eingegriffen werden. Diese Sichtweise führt konsequenterweise zu dem Ergebnis, dass im Eigentum des Schuldners stehende und von § 811 Abs. 1 ZPO erfasste Gegenstände dann gepfändet werden können, wenn dem Schuldner funktionsgleiche fremde Sachen zur Nutzung zur Verfügung stehen.161 II. § 811 Abs. 2 ZPO Die Vorschrift des § 811 Abs. 2 ZPO durchbricht den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), lit. b), Nr. 2, Nr. 8 lit. b) ZPO für den Fall, dass eine der betroffenen Sachen bzw. Tiere unter Eigentumsvorbehalt verkauft wurde, und der Verkäufer wegen einer durch diesen Eigentumsvorbehalt gesicherten Geld forderung in diese Sache bzw. dieses Tier vollstreckt. 1. Entstehungskontext § 811 Abs. 2 ZPO ist durch die Zwangsvollstreckungsnovelle vom 17.12.1997 in die ZPO eingefügt worden.162 Anlass war die Streitfrage, ob die Unpfändbarkeitsbestimmungen auch dann zu beachten sind, wenn der Gläubiger dem Schuldner Gegenstände, die der Pfändung nicht unterliegen, unter Eigentumsvorbehalt verkauft hat und diese Gegenstände pfänden will. Nach einer Auffassung sollten die Pfändungsverbote auch in dieser Konstellation gelten.163 § 811 ZPO diene dem Schutz des Besitzes und der Gebrauchs(Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.144; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 13. 161 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 33; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 4. 162 BGBl. I 1997, S. 3039, 3040. 163 OLG Schleswig, Beschl. v. 22.07.1977, 1 W 101/77, DGVZ 1978, 9, 11; OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835 f.; LG Oldenburg, Beschl. v. 10.12.1979, 5 T 328/79, DGVZ 1980, 39, 40; LG Köln, Beschl. v. 28.02.1978, 12 T 449/77, DGVZ 1979, 60, 61; LG Kiel, Beschl. v. 21.04.1977, 13 T 102/77, DGVZ 1978, 9, 10; LG Saarbrücken, Beschl. v. 16.09.1975, 5 T 217/75, DGVZ 1976, 90; LG Berlin, Beschl. v. 26.10.1972, 81 T 475/72, DGVZ
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möglichkeit und nicht dem Schutz des Eigentums.164 Es sei mit dem Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung nicht vereinbar, wenn der Gerichtsvollzieher bei einer Pfändung die Eigentumsverhältnisse zu prüfen habe.165 Es müsse bei dem Grundsatz bleiben, dass der Gerichtsvollzieher lediglich verpflichtet sei, die Gewahrsamsverhältnisse zu berücksichtigen (§ 808 ZPO).166 Ein Dritteigentümer könne sein Eigentum nur im Wege einer Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO geltend machen. In gleicher Weise müsse der Gläubiger seine Eigentumsansprüche durch Klageerhebung verfolgen.167 Man könne dem Schuldner auch kein arglistiges Verhalten vorwerfen, wenn er sich auf die Unpfändbarkeitsbestimmung des § 811 ZPO berufe. Der Gläubiger habe es schließlich in der Hand, eine Herausgabeklage zu erheben und so die Schuldnerschutzvorschrift des § 811 Abs. 1 ZPO auszuschalten.168 Hinzu komme, dass 1973, 71, 72; LG Berlin, Beschl. v. 18.08.1966, 81 T 340/66, JurBüro 1968, 837, 838; LG Landau i. d. Pfalz, Beschl. v. 09.02.1966, T 120/65, DGVZ 1966, 188, 189; LG Hagen, Beschl. v. 19.10.1965, 3 T 258/65, DGVZ 1966, 114; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12.1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; AG Schleswig, Beschl. v. 23.04.1976, 6 M 544/76, DGVZ 1977, 62, 63; AG Fritzlar, Beschl. v. 07.02.1975, 8 M 24/75, DGVZ 1975, 77, 78; AG Achim, Beschl. v. 31.01.1973, M 808/72, DGVZ 1974, 27; AG Darmstadt, Beschl. v. 26.01.1972, 63 M 89/72, DGVZ 1973, 94, 95; AG Melsungen, Beschl. v. 29.07.1969, M 634/69, DGVZ 1970, 31; AG Bocholt, Beschl. v. 10.10.1968, 3 M 1349/68, DGVZ 1969, 135, 136; AG Pegnitz, Beschl. v. 13.06.1968, M 189/68, DGVZ 1968, 126; AG Mosbach, Beschl. v. 03.04.1968, M 399/68, DGVZ 1968, 124; AG Berlin-Neukölln, Beschl. v. 13.05.1966, 31 M 1128/66, DGVZ 1967, 135; AG Germersheim, Beschl. v. 02.11.1965, M 1086/65, DGVZ 1966, 186, 187; AG Lörrach, Beschl. v. 30.04.1964, 2 M 291/64, DGVZ 1965, 11; AG Tempelhof-Kreuzberg, Beschl. v. 28.05.1954, 22 M 1009/54, DGVZ 1955, 123; Bloedhorn, DGVZ 1976, 104, 108; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, § 4 4 III. 2.; David, Die Sachpfändung, 21998, Rn. 100; Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 183; Gottschalk, DGVZ 1988, 35, 37; Kotzur, DGVZ 1989, 165, 169; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 84; Lüke, JZ 1959, 114, 119; Mümmler, DGVZ 1963, 116, 118; Noack, DGVZ 1969, 113, 115; Pardey, DGVZ 1987, 162, 164; AK-ZPO/ Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 1; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivil prozesses, 1994, S. 177; Wacke, JZ 1987, 381, 382; Winterstein, Das Pfändungsverfahren des Gerichtsvollziehers, 1994, Rn. 148. 164 LG Saarbrücken, Beschl. v. 16.09.1975, 5 T 217/75, DGVZ 1976, 90, 91. 165 OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835, 1836; LG Kiel, Beschl. v. 21.04.1977, 13 T 102/77, DGVZ 1978, 9, 11; LG Saarbrücken, Beschl. v. 16.09.1975, 5 T 217/75, DGVZ 1976, 90, 91; LG Berlin, Beschl. v. 18.08.1966, 81 T 340/66, JurBüro 1968, 837, 838; AG Melsungen, Beschl. v. 29.07.1969, M 634/69, DGVZ 1970, 31, 32; AG Lörrach, Beschl. v. 30.04.1964, 2 M 291/64, DGVZ 1965, 11; Bloedhorn, DGVZ 1976, 104, 108; Dillenburger/ Pauly, DGVZ 1994, 180, 183; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 1; Lüke, NJW 1954, 1316; Wacke, JZ 1987, 381, 382. 166 LG Oldenburg, Beschl. v. 10.12.1979, 5 T 328/79, DGVZ 1980, 39, 40; Mümmler, DGVZ 1963, 116, 119. 167 OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835, 1836. 168 OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835, 1836; LG Oldenburg, Beschl. v. 10.12.1979, 5 T 328/79, DGVZ 1980, 39, 40; LG Berlin, Beschl. v. 26.10.1972, 81 T 475/72, DGVZ 1973, 71, 72; LG Berlin, Beschl. v. 18.08.1966, 81 T 340/66, JurBüro 1968, 837, 838 f.; LG Hagen, Beschl. v. 19.10.1965, 3 T 258/65, DGVZ 1966, 114; AG Mönchen gladbach, Beschl. v. 22.12.1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; AG Schleswig, Beschl. v. 23.04.1976, 6 M 544/76, DGVZ 1977, 62, 63; AG Fritzlar, Beschl. v. 07.02.1975, 8 M 24/75,
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die ratio legis von § 811 ZPO dem öffentlichen Interesse diene und deshalb Vorrang gegenüber dem privatrechtlichen Arglisteinwand haben müsse.169 Einer Gegenmeinung zufolge würde der Schuldner gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn er sich gegenüber einem Gläubiger, der wegen einer Kaufpreisforderung in die zu seinem Eigentum gehörende Sache vollstrecke, auf § 811 Abs. 1 ZPO berufe.170 Würde man den Gläubiger auf die Möglichkeit einer Herausgabeklage verweisen, würden bloß unnötige Kosten entstehen. Diese Vorgehensweise sei ein leerer Formalismus.171 Es liefe der Prozessökonomie zuwider, wenn der Gläubiger verpflichtet würde, zwei Prozesse – einen auf Zahlung und einen auf Herausgabe – zu führen.172 Dieser Streit sollte durch die Zwangsvollstreckungsnovelle vom 17.12.1997 beendet werden. Mit § 811 Abs. 2 ZPO wollte der Gesetzgeber das Vollstreckungsverfahren vereinfachen und beschleunigen, ohne den Schuldner oder die öffentlichen Interessen zu beeinträchtigen. Da der Vorbehaltsverkäufer dem Schuldner den nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbaren Gegenstand über den Umweg einer Herausgabeklage und einer anschließenden Vollstreckung nach § 883 ZPO ohnehin entziehen könne, sei ein endgültiger Schuldnerschutz letztlich sowieso nicht erreichbar. Des Weiteren könne das, was als sozialer Schutz für den Schuldner gedacht sei, sogar zu einer sozialen Härte werden, weil durch die Herausgabevollstreckung nach einem erneuten Erkenntnisverfahren weitere Kosten entstünden. Man könne vom Gläubiger nicht verlangen, von vornherein den Weg der Herausgabeklage zu beschreiten. Der Gläubiger werde nämlich an DGVZ 1975, 77, 78; AG Pegnitz, Beschl. v. 13.06.1968, M 189/68, DGVZ 1968, 126; AG Lörrach, Beschl. v. 30.04.1964, 2 M 291/64, DGVZ 1965, 11; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, § 4 4 III. 2.; Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 183. 169 Mümmler, DGVZ 1963, 116, 118. 170 LG Rottweil, Beschl. v. 22.10.1974, 1 T 68/74, DGVZ 1975, 59; LG Verden, Beschl. v. 13.06.1969, 2 T 144/69, DGVZ 1970, 42, 43; LG Lüneburg, Beschl. v. 04.08.1967, 4 T 178/67, DGVZ 1970, 41, 42; AG Offenbach, Beschl. v. 16.01.1986, 61 M 14659/85, NJW 1987, 387, 388; AG Bad Segeberg, Beschl. v. 24.03.1977, 6 M 756/77, DGVZ 1978, 9, 10; AG Siegen, Beschl. v. 07.07.1976, 10 M 1235/76, DGVZ 1977, 29; AG Oldenburg, Beschl. v. 14.10.1975, M 471/15, DGVZ 1976, 142; AG Frankfurt/M., Beschl. v. 24.09.1973, 83 M 6847/73, DGVZ 1975, 76; AG Varel, Beschl. v. 23.07.1969, 2 M 1474/69, DGVZ 1970, 14, 15; AG Frankfurt, Beschl. v. 17.08.1965, 83 M 5233/65, DGVZ 1966, 77; Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht, 31987, 148 ff.; Geißler, DGVZ 1990, 81, 85; Seip, DGVZ 1975, 113, 118; Wangemann, MDR 1953, 593, 594. Münzberg/Brehm/Alisch, DGVZ 1980, 72 halten dieses Ergebnis de lege ferenda für wünschenswert, de lege lata aber nicht für möglich. Ohr, NJW 1954, 787, 788 will § 811 ZPO unabhängig von einem Eigentumsvorbehalt dann nicht zur Anwendung bringen, wenn der Gläubiger seinen Kaufpreis noch nicht erhalten hat und deshalb die verkaufte Sache pfändet. Die Pfändungsverbote sollen dem Schuldner die Grundlagen seiner wirtschaftlichen Existenz erhalten, aber nicht verschaffen. 171 LG Rottweil, Beschl. v. 22.10.1974, 1 T 68/74, DGVZ 1975, 59; AG Siegen, Beschl. v. 07.07.1976, 10 M 1235/76, DGVZ 1977, 29. So auch AG Oldenburg, Beschl. v. 14.10.1975, M 471/15, DGVZ 1976, 142; AG Varel, Beschl. v. 23.07.1969, 2 M 1474/69, DGVZ 1970, 14, 15. 172 LG Lüneburg, Beschl. v. 04.08.1967, 4 T 178/67, DGVZ 1970, 41, 42; AG Offenbach, Beschl. v. 16.01.1986, 61 M 14659/85, NJW 1987, 387, 388.
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der Pfändung seiner eigenen Sachen nur dann interessiert sein, wenn der Zahlungstitel mangels sonstigen verwertbaren Vermögens nicht durchsetzbar sei. Deshalb erscheine es als sinnvoll, dem Gläubiger den Zugriff auf die Vorbehaltssache zu ermöglichen, ohne ihn auf den zeit- und kostenaufwendigen Umweg einer Herausgabeklage zu verweisen.173 2. Stellungnahme In der Reformdiskussion in Deutschland spielte die Frage eine Rolle, ob sich eine Regelung nach „französischem Vorbild“ empfehle.174 In Frankreich war seinerzeit in Art. 592-2 Code de procédure civile175 – heute Art. L112-2 5° Code des procédures civiles d’exécution („si ce n’est pour paiement de leur prix“) – vorgesehen, dass unpfändbaren Sachen wegen solcher Forderungen gepfändet werden dürfen, die dem Hersteller oder Verkäufer geschuldet werden oder demjenigen, welcher für die Herstellung, den Verkauf oder die Reparatur ein Dar lehen gegeben hatte. Indes bestanden damals zu Recht Bedenken, ob sich eine so weitreichende Ausnahme von den Pfändungsverboten mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang bringen lässt.176 Die gesetzgeberischen Überlegungen aus dem Jahre 1997 liefen dann letztlich argumentativ darauf hinaus, dass der Gläubiger auf dem Weg über eine Herausgabevollstreckung die Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 ZPO ausschalten kann, weil diese Pfändungsverbote bei einer Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO keine Anwendung finden. Diese Ausgangsthese ist aber nicht haltbar. In das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein darf weder in der Fahrnisvollstreckung noch in der Herausgabevollstreckung ein gegriffen werden. Deshalb ist es verfassungsrechtlich geboten, auch bei der Herausgabevollstreckung einen entsprechenden Vollstreckungsschutz vorzu sehen.177 Geht man demgemäß davon aus, dass Vollstreckungsschutz sowohl bei der Fahrnisvollstreckung als auch bei der Herausgabevollstreckung existieren muss, entfällt der tragende Grund für eine Norm wie § 811 Abs. 2 ZPO. Aber noch mehr: § 811 Abs. 2 ZPO ermöglicht eine Vollstreckung, die dem Schuldner eine Sache bzw. ein Tier entzieht, sogar dann, wenn diese Sache bzw. dieses Tier für die Lebensführung des Schuldners benötigt wird und diese Lebensnotwendigkeit aufgrund der Nennung in § 811 Abs. 1 ZPO grundsätzlich anerkannt ist. Damit führt § 811 Abs. 2 ZPO zwangsläufig zu einem Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein. Die Norm erweist sich so als verfassungswidrig. 173
BT-Drs. 13/341, S. 24. Münzberg/Brehm/Alisch, DGVZ 1980, 72 ff. 175 Vgl. dazu Wietek/Müssig, DGVZ 1980, 1 ff. 176 Vgl. dazu Münzberg/Brehm/Alisch, DGVZ 1980, 72, 73. 177 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 8 . 174
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III. § 811 Abs. 2 ZPO analog Es war indes nicht nur für den Eigentumsvorbehalt, sondern – unter denselben Vorzeichen – auch für das Sicherungseigentum umstritten, ob dem Schuldner die Pfändungsverbote aus § 811 Abs. 1 ZPO zur Seite stehen.178 1. Entstehungskontext Der Gesetzgeber hat in § 811 Abs. 2 ZPO ausdrücklich nur den Eigentumsvorbehalt, nicht aber das Sicherungseigentum privilegiert. Das überrascht, weil der Gläubiger nach Auffassung des Gesetzgebers auch in dieser Konstellation die Sache letztlich über die Herausgabevollstreckung an sich ziehen kann.179 Den Unterschied sieht der Gesetzgeber darin, dass sich der Gläubiger – anders als beim Eigentumsvorbehalt – zunächst eine dem Schuldner gehörende Sache hat übereignen lassen und damit bereits vorhandenes pfändungsfreies Vermögen des Schuldners berührt hat. Würde man hier eine privilegierte Pfändung zulassen, könnte § 811 Abs. 1 ZPO leicht umgangen werden. Hinzu komme, dass die Sicherungsübereignung wirtschaftlich mit einem Pfandrecht vergleichbar sei. Der Gesetzgeber habe aber in Vorschriften wie §§ 559 S. 3, 592 S. 3, 704 S. 2 BGB die Wertung getroffen, unpfändbare Sachen vom besitzlosen Pfandrecht auszunehmen. Zur Abrundung wird noch angeführt, dass eine Erstreckung der privilegierten Sachpfändung auf das Sicherungseigentum in der Praxis zu Abgren178 So OLG Schleswig, Beschl. v. 04.04.1957, 7 W 55/57, SchlHA 1957, 184, 185; OLG Köln, Beschl. v. 18.01.1956, 2 W 172/55, JMBl NRW 1956, 64; OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.1954, 15 W 96/54, MDR 1954, 427; OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, MDR 1953, 242; OLG Bremen, Beschl. v. 22.11.1951, 2 W 198/1951, MDR 1952, 237; LG Detmold, Beschl. v. 09.02.1979, 3 T 32/79, DGVZ 1979, 59, 60; LG Berlin, Beschl. v. 08.06.1978, 81 T 223/78, DGVZ 1979, 8, 9; LG Freiburg, Beschl. v. 15.10.1973, 9 T 38/73, DGVZ 1974, 85, 86; LG Berlin, Beschl. v. 21.04.1966, 81 T 250/66, DGVZ 1966, 111, 112; LG Braunschweig, Beschl. v. 22.02.1954, 18 T 96/54, DGVZ 1955, 42; AG Fritzlar, Beschl. v. 15.11.1974, 7 M 1865/74, DGVZ 1975, 76, 77; AG Achim, Beschl. v. 31.01.1973, M 808/72, DGVZ 1974, 27; AG Köln, Beschl. v. 21.04.1967, 83 M 2490/67, JMBl NRW 1967, 18; Lüke, NJW 1954, 1316; Mümmler, DGVZ 1963, 116, 118; Noack, DGVZ 1972, 81, 84; Pardey, DGVZ 1987, 162, 164; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 177; Winterstein, Das Pfändungsverfahren des Gerichtsvollziehers, 1994, Rn. 148. A. A. LG Stuttgart, Beschl. v. 04.04.1978, 2 T 165/78, DGVZ 1980, 91; LG Limburg, Beschl. v. 31.12.1974, 3 T 281/74, DGVZ 1975, 121, 123; LG Flensburg, Beschl. v. 13.04.1954, 6 T 123/54, DGVZ 1955, 189, 190; LG Hamburg, Beschl. v. 12.05.1952, 2 T 81/52, MDR 1952, 561; LG Frankfurt, Beschl. v. 29.04.1952, 29 T 407/52, BB 1952, 673; LG Bielefeld, Beschl. v. 07.03.1952, 2 T 139/52, MDR 1952, 433; LG Bremen, Beschl. v. 29.06.1951, 3 T 343/51, MDR 1951, 752; AG Unna, Beschl. v. 19.12.1975, 5 M 2238/75, DGVZ 1976, 95; AG Limburg, Beschl. v. 29.11.1974, 8 M 1704/74, DGVZ 1975, 121, 122; AG Würzburg, Beschl. v. 19.02.1974, M 381/74, DGVZ 1975, 78; AG Werne a. d. Lippe, Beschl. v. 17.01. 1966, 7 M 1733/65, DGVZ 1966, 115, 116; AG Lüneburg, Beschl. v. 13.06.1957, 8 M 262/57, MDR 1957, 557; AG Hamburg, Beschl. v. 13.02.1957, 28 M 187/57, MDR 1957, 427; AG Marburg/Lahn, Beschl. v. 05.03.1952, 7 M 337/52, BB 1952, 673, 674; Wangemann, MDR 1953, 593, 596. 179 BT-Drs. 13/341, S. 25.
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zungs- und Nachweisproblemen führen würde.180 Daran anknüpfend wird § 811 Abs. 2 ZPO bzw. die der Norm zugrundeliegende Wertung heute nicht mehr auf das Sicherungseigentum angewendet.181 2. Stellungnahme Berücksichtigt man, dass Vollstreckungsschutz sowohl bei der Fahrnisvoll streckung als auch bei der Herausgabevollstreckung in gleicher Weise existieren muss, erweist sich die Debatte um eine Privilegierung des Sicherungsnehmers in der Fahrnisvollstreckung als gegenstandslos.
F. Austauschpfändung (§ 811a ZPO) Wenn eine Sache nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbar ist, kommt es auf ihren Wert (bis auf die Konstellation des § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO) nicht an.182 Der Schuldnerschutz hängt grundsätzlich nicht vom Sachwert ab.183 Ausschlaggebend ist nur die Art der Sache.184 Das dient dem Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners. In dieser Hinsicht ist es entscheidend, dass dem Schuldner die Gegenstände zur Verfügung stehen, die er benötigt, um entsprechend diesem Schutzkonzept leben zu können. Insofern besteht kein Raum für materielle Überlegungen. Der Wert der unpfändbaren Sachen spielt jedoch unter dem Blickwinkel einer potenziellen Austauschpfändung eine Rolle.185 Die Austauschpfändung dient dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers, ohne den in § 811 Abs. 1 ZPO geregelten Schuldnerschutz zu beeinträchtigen.186
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BT-Drs. 13/341, S. 25. AG Waldbröhl, Beschl. v. 25.08.2009, 5 a M 1090/09, DGVZ 2010, 135; Baur/Stürner/ Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 23.4; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 300; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 29; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 59; Lackmann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 29; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 14. 182 OLG München, Beschl. v. 15.04.1983, 25 W 1097/83, OLGZ 1983, 325, 326; LG Heilbronn, Beschl. v. 20.07.1992, 1b T 104/92, Rpfleger 1993, 119, 120; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 32 Rn. 13; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/ Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 22; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 10; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 12. Zwar sieht § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO neuerdings eine Wertgrenze vor. Diese Regelung hält aber einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand, vgl. Kapitel 4:§2:A.XII.4. 183 Pardey, DGVZ 1987, 111, 112. 184 Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 6 . 185 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:F. 186 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 288; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 6 4. 181
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I. Historische Entwicklung Die Austauschpfändung ist durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20.08.1953 eingeführt worden.187 Schon im – nicht umgesetzten – Entwurf einer Zivilprozeßordnung des Reichsjustizministeriums von 1931 war in § 955 die Möglichkeit einer Austauschpfändung vorgesehen. Dadurch sollte dem Missstand begegnet werden, „daß dem Schuldner nicht selten ein wertvoller Gegenstand belassen werden mußte, obwohl ihm vom Gläubiger ein minder wertvoller freiwillig zur Verfügung gestellt wurde, dessen Annahme dem Schuldner zumutbar war.“188 Aber auch schon in der Zeit vor einer ausdrücklichen Normierung der Austauschpfändung hat sich in der Literatur189 und in der Rechtsprechung190 die Auffassung durchgesetzt, dass eine Austauschpfändung möglich sein müsse. II. Voraussetzungen Ob eine Austauschpfändung in Betracht kommt, richtet sich nach den in § 811a Abs. 1 ZPO genannten Voraussetzungen. 1. Pfändungsverbot nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), lit. b), Nr. 2 ZPO a) Meinungen in Rechtsprechung und Literatur Dem Wortlaut nach ist eine Austauschpfändung nur bei einem Pfändungsverbot nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), lit. b), Nr. 2 ZPO zulässig. Uneinheitlich wird die Frage beantwortet, ob eine Austauschpfändung darüber hinaus auch bei anderen Pfändungsverboten in § 811 Abs. 1 ZPO vorgenommen werden kann. Teilweise wird eine analoge191 bzw. entsprechen187
BGBl. I 1953, S. 952, 953. Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 543. 189 Goose, ZZP 1937, 37, 41; Leuffen, Die Austauschpfändung, 1939, S. 16; Schloßmann, DJZ 1913, 1439, 1440; Pohle, MDR 1950, 621, 622; Schriever, Rpfleger 1934, 445, 448; Spohr, DGWR 1937, 290. A. A. Hein, Handbuch der Zwangsvollstreckung, 21914, S. 318; Wäsch, JW 1913, 739, 741. Sommer, DGVB 1934, 23 weist darauf hin, dass nur der Gesetzgeber dazu berufen sei, eine entsprechende Regelung zu erlassen. 190 OLG Hamm, Beschl. v. 02.03.1954, 15 W 35/54, JR 1954, 423; OLG Celle, Beschl. v. 26.01.1951, 8 W 26/51, NdsRPflg 1951, 101; OLG Hamm, Beschl. v. 26.01.1951, 7 W 34/51, JZ 1951, 345; OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.12.1949, 1 W 68/49, MDR 1950, 621; KG, Beschl. v. 28.09.1934, 8 W 6747/34, JW 1934, 3296; OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.06.1932, W 422/32, JW 1932, 3191; LG Kassel, Beschl. v. 11.01.1950, 1 T 627/50, MDR 1951, 45, 47; LG Gießen, Beschl. v. 20.08.1949, 1 T 182/49, DRZ 1949, 502; LG Magdeburg, Beschl. v. 13.06.1934, 6 T 241/34, JW 1934, 2179; LG Berlin, Beschl. v. 23.05.1934, 209 T 6644/34, JW 1934, 1438; LG Dresden, Beschl. v. 01.10.1934, 12 BC 991/34, JW 1934, 3307. 191 OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts, 91961, § 191 I. 3.; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 70 f.; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 102016, § 811a ZPO Rn. 1. 188
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de192 Anwendung für möglich gehalten. Überwiegend wird allerdings vertreten, dass eine analoge193 bzw. entsprechende194 oder erweiterte195 Anwendung ausgeschlossen sei. Dafür spreche der unzweideutige Wortlaut der Vorschrift.196 Im Rahmen dieser Begründungsansätze taucht zudem immer wieder die These auf, dass es sich bei der Austauschpfändung um eine Ausnahmevorschrift handele, die eng auszulegen sei.197 Für eine Beschränkung auf die ausdrücklich in § 811a Abs. 1 ZPO genannten Konstellationen wird außerdem häufig auf die enumerative Art der Aufzählung verwiesen.198 Wenn somit de lege lata keine Austauschpfändung möglich sein sollte, wird hin und wieder de lege ferenda eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Austauschpfändung gefordert.199 In diesem Sinne war im GNeuMoP eine gewisse Erweiterung der Austauschpfändung auf Fälle vorgesehen, die vom geltenden § 811a Abs. 1 ZPO nicht ausdrücklich dafür vorgesehen sind.200
192
Pardey, DGVZ 1987, 180, 183. Bremen, Beschl. v. 07.03.1984, 25 M 571/84, DGVZ 1984, 157; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 289; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811a ZPO Rn. 1; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 46, 56; Lackmann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811a ZPO Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811a ZPO Rn. 2; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 97 (Fn. 407); N.N., FoVo 2008, 56, 57. So wohl auch Schilken, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 45. 194 Prütting/Gehrlein/Flury, § 811a ZPO Rn. 2; MüKo-ZPO/Gruber, § 811a ZPO Rn. 2; Zöller/Herget, § 811a ZPO Rn. 2; Keller, in: ders. (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 2013, Kapitel 2: Die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Gegenstände, Rn. 309; Noack, JurBüro 1969, 97, 98; Weimar, DGVZ 1978, 184. So auch Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.273, aber insofern widersprüchlich, als einen Satz später eine analoge Anwendung für möglich gehalten wird. 195 Ziege, NJW 1955, 48. 196 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 46; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 45. 197 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 67; Weimar, DGVZ 1978, 184. 198 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 67; Zöller/Herget, § 811a ZPO Rn. 2. 199 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 67; Schumacher, DGVZ 1955, 2. 200 BT-Drs. 17/2167, S. 7. Nach diesem Entwurf sollte die Austauschpfändung in den Fällen des § 811 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 ZPO [GNeuMoP] möglich sein. Da in § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO [GNeuMoP] die bisherigen Regelungen des § 811 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6 , Nr. 7 und Nr. 9 ZPO zusammengefasst werden sollten, wäre damit der Anwendungsbereich der Austausch pfändung erweitert worden. 193 AG
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b) Stellungnahme Eine Austauschpfändung ist bereits de lege lata auch bei den nicht ausdrücklich in § 811 Abs. 1 ZPO genannten Pfändungsverboten zuzulassen. Die Voraussetzungen für eine Analogie liegen vor.201 Eine planwidrige Regelungslücke ist darin zu sehen, dass in § 811a Abs. 1 ZPO nur einzelne Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 ZPO genannt werden. Der Gesetzgeber wollte die schon seit langem von der Rechtsprechung und Literatur als zulässig erachtete Austauschpfändung gesetzlich normieren.202 Dabei sollten die bisher umstrittenen Gesichtspunkte, nämlich die Voraussetzungen für die Anwendung einer Austauschpfändung (offensichtliches Missverhältnis, besonderer Wert, voraussichtlicher Überschuss bei der Versteigerung), die Art ihrer Durchführung und die Tragung der Kosten der Ersatzbeschaffung geregelt werden. Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber eine „gesunde Fortentwicklung im Vollstreckungsrecht“ erreichen.203 Den Gesetzesmaterialien kann indes nicht entnommen werden, warum der Gesetzgeber am Ende die Möglichkeit der Austauschpfändung auf die ausdrücklich in § 811a Abs. 1 ZPO genannten Pfändungsverbote beschränkt hat.204 Der Gesetzgeber hat auf den Entwurf von 1931 Bezug genommen.205 In diesem war indessen die Möglichkeit einer Austauschpfändung für alle Pfändungsverbote eröffnet.206 Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetz geber die Möglichkeit der Austauschpfändung nicht auf bestimmte Pfändungsverbote beschränken wollte. Vielmehr wollte der Gesetzgeber verhindern, dass dem Schuldner eine wertvolle Sache auch dann belassen werden muss, wenn für den in § 811 Abs. 1 ZPO geschützten Verwendungszweck ein weniger wert volles, aber funktionsäquivalentes Stück ausreichend ist. Ein solches Ergebnis empfand er als unbillig.207 Dieses unbillige Ergebnis droht aber prinzipiell bei allen Pfändungsverboten und nicht nur bei denjenigen, die der Gesetzgeber ausdrücklich in § 811a Abs. 1 ZPO genannt hat. Es besteht zusätzlich die für eine Analogie notwendige hinreichend vergleichbare Interessenlage zwischen dem geregelten und dem nicht-geregelten Fall.208 Nicht nur bei den ausdrücklich in § 811a ZPO genannten Pfändungsverboten ist es vorstellbar, dass dem Schuldner ein wertvoller Gegenstand belassen werden muss, weil er für einen schützenswerten Zweck erforderlich ist. So kann es beispielsweise keinen Unterschied machen, ob ein Auto durch § 811 Abs. 1 201
Vgl. zu den Analogievoraussetzungen bereits Kapitel 4:§1:A.I.2.c). BT-Drs. Nr. I/3284, S. 21; Schneider, MDR 1986, 726, 727. 203 BT-Drs. Nr. I/3284, S. 21. 204 Schneider, MDR 1986, 726, 727. 205 BT-Drs. Nr. I/3284, S. 23. 206 Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 2 24. 207 BT-Drs. Nr. I/3284, S. 21. 208 OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488. 202
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Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO geschützt ist – mit der Folge, dass eine Austauschpfändung in unmittelbarer Anwendung von § 811a ZPO in Betracht kommt – oder durch § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) ZPO – mit der Folge, dass eine Austauschpfändung in unmittelbarer Anwendung von § 811a ZPO nicht in Frage kommt. Ein Auto stellt einen austauschbaren Gegenstand dar. Deshalb kann im Rahmen einer Austauschpfändung nicht danach differenziert werden, durch welches Pfändungsverbot das Auto Schutz erfährt. In allen Fällen entspricht es legitimen Gläubigerinteressen, eine Austauschpfändung zu ermöglichen. Vielmehr noch: Es ist verfassungsrechtlich geboten, bei allen austauschbaren Gegenständen die Möglichkeit einer Austauschpfändung anzuerkennen. Die Ablehnung einer Austauschpfändung stellt nämlich einen Eingriff in Grundrechte des Gläubigers dar. Der vom Staat verfolgte legitime Zweck, der Schutz des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners, lässt sich mit milderen, gleich geeigneten Mitteln als der Konstituierung eines Pfändungsverbotes ohne Möglichkeit einer Austauschpfändung erreichen. Das mildere, gleich geeignete Mittel ist darin zu sehen, dem Gläubiger eine Austauschpfändung zu ermöglichen. Auf diese Weise wird das menschenwürdige Dasein des Schuldners sichergestellt, ohne dass dem Gläubiger die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung vollständig genommen werden muss. Die prinzipiell mögliche Analogie besagt freilich noch nicht, bei welchen Pfändungsverboten des § 811a Abs. 1 ZPO eine Austauschpfändung in Betracht kommt. Voraussetzung muss die Austauschbarkeit des Gegenstandes bei funktionaler Äquivalenz sein. Was die Austauschbarkeit angeht, ist zu berücksichtigen, dass in Sonderfällen bei einer besonderen emotionalen schützenswerten Bindung zum Gegenstand keine funktionale Äquivalenz angenommen werden kann. Diese Sondersituation ist bei den einzelnen Gegenständen in einer auf den jeweiligen Lebensbereich bezogenen Betrachtung zu prüfen. Dies gilt besonders für § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO. Zur Veranschaulichung kann das Beispiel des Traurings dienen. Ein im Wege der Austauschpfändung zur Verfügung gestellter Ring ist, selbst wenn er gleichfalls ein goldener Ring sein sollte, kein Trau-Ring mehr. Ausschlaggebend ist im Ergebnis also jeweils, ob der Schuldner mit dem durch die Austauschpfändung zur Verfügung gestellten Gegenstand gleichermaßen wie mit dem ursprünglich vorhandenen Gegenstand das verwirklichen kann, was sich als schützenswert erweist. 2. Ersatzleistung Der Gläubiger hat dem Schuldner eine Ersatzleistung zur Verfügung zu stellen (§ 811a Abs. 1 ZPO). Dafür existieren drei verschiedene Varianten. Der Gläubiger muss dem Schuldner entweder vor der Wegnahme der gepfändeten Sache ein Ersatzstück, das den geschützten Verwendungszweck genügt (Var. 1),209 oder 209 Der
Entwurf des Reichsjustizministeriums von 1931 sah in § 955 ZPO für eine Aus-
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den zur Beschaffung eines solchen Ersatzstückes erforderlichen Geldbetrag (Var. 2) überlassen. Wenn dem Gläubiger die rechtzeitige Ersatzbeschaffung nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, kann die Pfändung mit der Maßgabe zugelassen werden, dass dem Schuldner der zur Ersatzbeschaffung erforder liche Geldbetrag aus dem Vollstreckungserlös überlassen wird (Var. 3). Es stellt sich die Frage, ob alle drei Varianten mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein im Einklang stehen. Dieses erfordert, dass dem Schuldner die für eine solche Lebensführung nötigen Mittel ohne Unterbrechung zur Verfügung stehen. Es darf also nicht die Situation eintreten, dass der Schuldner – auch nur für kurze Zeit – ohne einen Gegenstand auskommen muss, auf den er in dieser Hinsicht angewiesen ist. a) Zurverfügungstellung eines Ersatzstücks Die Variante 1 genügt der beschriebenen Anforderung. Danach darf dem Schuldner eine Sache nämlich nur weggenommen werden, wenn ihm bereits vor der Wegnahme ein Ersatzstück überlassen wird. Damit ist gewährleistet, dass der Schuldner jederzeit den benötigten Gegenstand nutzen kann. Bildlich gesprochen: Wenn ein hochwertiges Bett abtransportiert werden soll, genügt es, wenn ihm zuvor ein brauchbares Bett zur Verfügung gestellt wird. Der Schuldner muss also keine Nacht ohne Bett auskommen. Erfolgt die Pfändung durch Anlegung von Siegeln (§ 808 Abs. 2 ZPO), verbleibt der entsprechende Gegenstand im Gewahrsam des Schuldners. Dann ist der Schuldner grundsätzlich zur weiteren Nutzung der Sache berechtigt. Dies gilt jedoch nicht, wenn mit der weiteren Nutzung der Sache eine Abnutzung verbunden ist, welche die Befriedigung des Gläubigers in Frage stellen könnte.210 In diesen Fällen, in denen der Schuldner dann den Gegenstand bereits ab der Pfändung nicht mehr weiter nutzen darf, muss ihm schon zu diesem Zeitpunkt ein Ersatzgegenstand gestellt werden. Alternativ ist dem Schuldner trotz der Entstehung von Abnutzungsspuren die weitere Nutzung des gepfändeten Gegenstandes zu gestatten. b) Überlassung des zur Beschaffung eines Ersatzstücks erforderlichen Geldbetrages Die Variante 2, nämlich die Überlassung des zur Beschaffung eines Ersatzstücks erforderlichen Geldbetrages vor Wegnahme der gepfändeten Sache, genügt nicht zwingend den verfassungsrechtlichen Schutzanforderungen. Dies ist nur bei Beachtung der folgenden Verfahrensweise der Fall: Der Gerichtsvollzietauschpfändung nur diese Modalität vor, vgl. Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 224. 210 Prütting/Gehrlein/Flury, § 8 08 ZPO Rn. 32; Zöller/Herget, § 8 08 ZPO Rn. 21; Beck OK-ZPO/Uhl, § 808 ZPO Rn. 31.
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her darf dem Schuldner die gepfändete Sache erst wegnehmen, wenn der Gläubiger dem Schuldner den zur Beschaffung eines Ersatzstückes erforderlichen Geldbetrag überlassen hat und der Schuldner mit diesen Geldmitteln bereits ein Ersatzstück angeschafft hat.211 Bildlich gesprochen: Wenn ein hochwertiges Bett abtransportiert werden soll, muss dem Schuldner nicht nur der zur Beschaffung eines Ersatzbettes erforderliche Geldbetrag überlassen worden sein, sondern das Ersatzbett muss tatsächlich beschafft worden sein. Nur so ist gewährleistet, dass der Schuldner auch von da an in einem Bett schlafen kann. Sollte in dieser Variante der Schuldner den Gegenstand wegen drohender Abnutzungserscheinungen bereits ab der Pfändung nicht mehr nutzen dürfen, ist auch dem Rechnung zu tragen. Damit – um im Beispiel zu bleiben – ein nutzbares Bett zur Verfügung steht, muss die Ersatzbeschaffung schon vor der Pfändung erfolgt sein oder es muss dem Schuldner für die Übergangszeit trotz einer möglichen Abnutzung die weitere Nutzung des gepfändeten Gegenstandes gestattet werden.212 c) Geldbetrag aus Vollstreckungserlös In der Variante 3 soll dem Schuldner eine Sache weggenommen werden, ohne dass zuvor eine Ersatzleistung erfolgt ist.213 Diese Vorgehensweise hielt der Gesetzgeber für notwendig: Es sei nicht vertretbar, die Möglichkeit einer Austauschpfändung zu versagen, weil der Gläubiger den Betrag für das Ersatzstück vor der Wegnahme nicht aufbringen könne.214 Dem Schuldner würde in dieser Konstellation erst aus dem Vollstreckungserlös der zur Ersatzbeschaffung erforderliche Geldbetrag zur Verfügung gestellt. Damit träte die Situation ein, dass der Schuldner eine gewisse Zeit ohne einen Gegenstand auskommen müsste, der zum menschenwürdigen Dasein erforderlich ist. Der Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO würde zeitweise suspendiert.215 Ein solcher Zustand stellt einen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar. Deshalb lässt sich die Variante 3 nicht als verfassungskonform einstufen.216 Bildlich gesprochen: 211 In Österreich wird angenommen, dass die Überlassung des zur Ersatzbeschaffung benötigten Geldbetrages dann nicht ausreicht, wenn sich der Schuldner nicht in angemessener Frist nach Abnahme des Pfandgegenstandes einen Ersatzgegenstand beschaffen kann, vgl. Mohr, in: Angst/Oberhammer (Hrsg.), Kommentar zur Exekutionsordnung, 32015, § 251a EO Rn. 6; Strehl, Der Schuldnerschutz in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Vollstreckung von Geldforderungen in bewegliche und unbewegliche Sachen, 2009, S. 102. 212 Vgl. zu dieser Überlegung bereits Kapitel 4:§1:F.II.2.a). 213 Diese Variante kennt das österreichische Recht – anders als die beiden zuvor genannten – nicht, vgl. § 251a Abs. 3 EO. Im Rahmen des Auswechslungsrechts nach Art. 92 Abs. 3 SchKG ist diese Variante in der Schweiz ebenfalls nicht vorgesehen. 214 BT-Drs. Nr. I/3284, S. 2 2. 215 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811a ZPO Rn. 7. 216 So schon ohne verfassungsrechtliche Überlegungen Goose, ZZP 1937, 37, 61, weil der Schuldner die Gewissheit haben muss, jederzeit den gepfändeten Gegenstand oder den Ersatzgegenstand in Benutzung nehmen zu können. Kritisch auch Schriever, Rpfleger 1934, 445,
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Wenn ein hochwertiges Bett abtransportiert und versteigert werden soll, und der Schuldner erst danach aus dem Versteigerungserlös wieder ein Bett kaufen könnte, müsste er in dieser Zeit gewissermaßen auf dem Boden schlafen. 3. Vorläufige Austauschpfändung (§ 811b ZPO) Um zu verhindern, dass ein böswilliger Schuldner einer Austauschpfändung zuvorkommt, indem er den zu pfändenden Gegenstand veräußert, wird häufig eine vorläufige Austauschpfändung (§ 811b ZPO) als zielführend erachtet.217 Diese erfordert keine vorgängige Entscheidung des Gerichts, § 811b Abs. 1 S. 1 ZPO. Als Verwaltungsvorschrift legt § 75 S. 2 GVGA die einzuhaltende Prozedur wie folgt fest: Der Gerichtsvollzieher nimmt die vorläufige Austauschpfändung dadurch vor, dass er die Sache pfändet, diese aber im Gewahrsam des Schuldners belässt. Eine Wegnahme der gepfändeten Sache ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht zulässig. Damit wird nicht in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein eingegriffen. Erneut ist aber darauf zu achten, dass die Pfändung nur verfassungskonform ist, wenn der Schuldner den gepfändeten Gegenstand weiterhin benutzen darf. Allein so ist sichergestellt, dass keine Situation eintritt, in welcher der Schuldner ohne den benötigten Gegenstand auskommen muss. III. Resümee In weiten Teilen lassen sich mit einer Austauschpfändung die Vollstreckungsinteressen des Gläubigers verwirklichen. Das geltende Recht sieht eine Austauschpfändung aber in einem Umfang vor, der sich mit dem Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein nicht durchgängig in Einklang bringen lässt. Eine Austauschpfändung kommt unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn jederzeit sichergestellt ist, dass der Schuldner die aus Grundrechtsgründen benötigten Gegenstände nutzen kann. Bei § 811a Abs. 1 Hs. 1 Var. 1 ZPO ist dies gewährleistet, weil der Gläubiger dem Schuldner vor der Wegnahme der Sache ein Ersatzstück überlassen muss. § 811a Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 ZPO ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dem Schuldner die Sache erst weggenommen werden darf, wenn der Schuldner mit dem ihm vom Gläubiger überlassenen Geldbetrag ein Ersatzstück angeschafft hat. Die Möglichkeit, dass der Schuldner den zur Ersatzbe450. Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 67 f. hält diese Vorgehensweise nur ausnahmsweise für zulässig, weil der Schuldner ansonsten entgegen dem Schutzgedanken des § 811 ZPO zeitweilig ohne den an sich notwendigen Gegenstand auskommen müsste. 217 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 74; Hartmann, NJW 1953, 1856; Schumacher, DGVZ 1955, 114, 115. Vgl. BT-Drs. Nr. I/3284, S. 22.
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schaffung erforderlichen Geldbetrag erst aus dem Vollstreckungserlös erhält (§ 811a Abs. 1 Hs. 2 ZPO) stellt einen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar. Dadurch entsteht nämlich zeitweise ein Zustand, in dem der Schuldner ohne einen Gegenstand leben muss, der für ein menschenwürdiges Dasein notwendig ist.
G. Verzicht auf Pfändungsschutz Die Frage, ob der Schuldner auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO verzichten kann, gehört zur Thematik der sog. vollstreckungserweiternden Verträge. Denn wenn der Schuldner auf Pfändungsschutz verzichten könnte, würden die Vollstreckungsmöglichkeiten des Gläubigers über das Gesetz hinaus erweitert.218 Ob der Schuldner auf die Pfändungsverbote aus § 811 Abs. 1 ZPO verzichten kann, wird uneinheitlich beurteilt. Insofern wird zwischen einem Verzicht vor der Vollstreckungsmaßnahme und einem solchen während bzw. nach der Vollstreckungsmaßnahme differenziert. I. Verzicht vor der Vollstreckungsmaßnahme Was einen Verzicht auf Pfändungsschutz schon im Vorfeld vor der Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme angeht, wird mit seltener Einhelligkeit angenommen, dass der Schuldner auf die Pfändungsbeschränkungen nicht im 219
218 Bartels, Rpfleger 2008, 397, 399; Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 221; Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 754. 219 BGH, Urt. v. 25.06.2015, IX ZR 199/14, NJW 2015, 3029, 3030; BGH, Urt. v. 20.11.1997, IX ZR 136/97, NJW 1998, 1058; BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697; OLG Stuttgart, Urt. v. 21.10.1970, 1 U 59/70, NJW 1971, 50; KG, Beschl. v. 24.11.1959, 1 W 1857/59, NJW 1960, 682; OLG Schleswig, Beschl. v. 04.04.1957, 7 W 55/57, SchlHA 1957, 184; OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.03.1906, OLGZ 14, 174; LG Heilbronn, Beschl. v. 26.03.1987, 1 b T 89/87 III, NJW 1988, 148, 149; LG Limburg, Beschl. v. 31.12.1974, 3 T 281/74, DGVZ 1975, 121, 123; LG Freiburg, Beschl. v. 15.10.1973, 9 T 38/73, DGVZ 1974, 85, 86; LG Berlin, Beschl. v. 26.10.1972, 81 T 475/72, DGVZ 1973, 71, 72 f.; LG Bonn, Beschl. v. 19.09.1960, 4 T 506/60, NJW 1961, 367; LG Braunschweig, Beschl. v. 22.02.1954, 18 T 96/54, DGVZ 1955, 42, 43; AG Sinzig, Beschl. v. 03.07.1986, 6 M 1194/86, NJW-RR 1987, 757; AG Essen, Beschl. v. 21.10.1977, 31 M 2468/77, DGVZ 1978, 175; AG Fritzlar, Beschl. v. 15.11.1974, 7 M 1865/74, DGVZ 1975, 76, 77; AG Bocholt, Beschl. v. 10.10.1968, 3 M 1349/68, DGVZ 1969, 135, 137; Aichberger, Der Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung nach der Novelle von 1934, 1938, S. 12; Baumann/Brehm, Zwangsvollstreckung, 21982, S. 41; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 10.3; Bechtloff, ZIP 1996, 994, 995; Blomeyer, Zwangsvollstreckung, 21956, S. 89; Brock, DGVZ 1997, 33, 38 f.; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 6 4; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 8; Gerhardt, JuS 1972, 696, 698; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 81; Hein, Handbuch der Zwangsvollstreckung, 2 1914, S. 313; Hellwig/Oertmann, System des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1919, S. 226; Herfs, Im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere in der Zwangs-
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Voraus verzichten könne.219 Nur vereinzelt wird ein solcher Vorausverzicht als zulässig erachtet.220 1. Systematik a) Verfügungsbefugnis Dass dem Schuldner ein Vorausverzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO möglich sein muss, wird damit begründet, dass es insofern in materiell-rechtlicher Hinsicht – anders als bei Forderungen (§§ 394 S. 1, 400, 1274 Abs. 2 BGB) – keine Verfügungsverbote gebe.221 Dagegen wird allerdings vorvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen, 1998, S. 79; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 10; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 411; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungsund Insolvenzrecht, 232010, § 32 Rn. 8; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 25; Saenger/ Kemper, § 811 ZPO Rn. 5; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 61; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 7; Kleffner, DGVZ 1991, 108; Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, Vor § 704 ZPO Rn. 17; Leuffen, Die Austauschpfändung, 1939, S. 2; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 184; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 13; Mohrbut ter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 21974, S. 166; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 34; Mümmler, DGVZ 1963, 116, 120; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 282; Noack, Die Vollstreckungspraxis, 51970, S. 20; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 95; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 16; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 1; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 5; Seuffert, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 121933, S. 486; Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 306; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 177; Wacke, in: Hofmann/Meyer-Cording/ Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, 1986, S. 583, 589; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 15; Weimar, DGVZ 1978, 184, 185; W olber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 50; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.145; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 8; Zimmermann, ZInsO 2011, 2011, 2012. Zum österreichischen Recht Holzhammer, Österreichisches Zwangsvollstreckungsrecht, 41993, S. 264. So auch Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 540 zu den Schuldnerschutzvorschriften der §§ 955 ff. So zu § 715 ZPO schon Gaupp, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen, 1881, S. 278. 220 LG Bonn, Beschl. v. 05.08.1964, 4 T 368/64, MDR 1965, 303, 304 (jedenfalls für § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO); Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 763; Walker/Loyal, in: Schuschke/ Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 15. Differenzierend Emmerich, ZZP 82 (1969), 413, 423, der einen vorherigen Verzicht nur dann als zulässig erachtet, wenn das Pfändungsverbot allein im Interesse des Schuldners aufgestellt wurde; zustimmend Bartels, Rpfleger 2008, 397, 402. 221 LG Bonn, Beschl. v. 05.08.1964, 4 T 368/64, MDR 1965, 303, 304 (jedenfalls für § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F.); Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 15.
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gebracht, dass rechtsgeschäftliche Verfügungen und Vollstreckungsmaßnahmen weder rechtlich noch wirtschaftlich vergleichbar seien.222 Nur weil der Staat in materiell-rechtlicher Hinsicht Verfügungen über unpfändbare Sachen hinnehmen müsse, folge daraus noch nicht, dass er dafür im Vollstreckungsrecht seinen Zwangsapparat zur Verfügung stellen dürfe.223 Dass der Gesetzgeber die Veräußerung unpfändbarer Sachen im Gegensatz zur Verfügung über unpfändbare Forderungen gestattet, beruht auf einem wesentlichen Unterschied zwischen Forderungen und Sachen. Ein materiell-rechtliches Veräußerungsverbot hinsichtlich bestimmter Gegenstände ließe sich kaum mit dem Erfordernis der Verkehrssicherheit in Einklang bringen.224 Nur deshalb hat der Gesetzgeber ein solches Veräußerungsverbot nicht vorgesehen. Daraus kann indes keine Konsequenz für das Zwangsvollstreckungsrecht ge zogen werden. Insofern mangelt es schon an der Vergleichbarkeit der Situation. Während der Staat bei der Ausgestaltung materiell-rechtlicher Normen die Schutzpflichtdimension der Grundrechte berücksichtigen muss, ist er bei der Durchführung einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme unmittelbar an die Grundrechte gebunden, die hier dem Schuldner als Abwehrrechte zur Seite stehen.225 b) Vergleich mit § 1229 BGB Gegen die Möglichkeit eines Vorausverzichts auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO wird ein wertungsmäßiger Vergleich mit § 1229 BGB erwogen.226 Nach § 1229 BGB ist eine vor dem Eintritt der Verkaufsberechtigung getroffene Vereinbarung nichtig, nach welcher dem Pfandgläubiger, falls er nicht oder nicht rechtzeitig befriedigt wird, das Eigentum an der Sache zufallen oder übertragen werden soll. Eine solche Bezugnahme auf einfach-rechtliche Wertungen ist indessen in einem grundrechtlich geprägten Zusammenhang problematisch. Der Gesetzgeber ist bei der Schaffung einfach-rechtlicher Normen, die sich auf das Verhältnis der Bürger untereinander beziehen, nur der Schutzpflichtdimension der Grundrechte unterworfen. Bei der Durchführung einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme hingegen ist er unmittelbar an Grundrechte gebunden. Deshalb verbietet sich eine Übertragung des Rechtsgedankens von § 1229 BGB.
222 OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835; Wolber, Schuldner schutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 49. 223 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 8 . 224 Vgl. Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 187. 225 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 4:§1:G.I.4. 226 Gaul, Rpfleger 1971, 1, 3 (Fn. 27); Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 32 Rn. 8; Wacke, in: Hofmann/Meyer-Cording/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, 1986, S. 583, 590.
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2. Telos Besonders häufig wird gegen die Möglichkeit eines Vorausverzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO das neben den Interessen des Schuldners zu berücksichtigende öffentliche Interesse betont. Da die Pfändungsschutzbestimmungen in § 811 Abs. 1 ZPO nicht zuletzt öffentlichen Interessen dienten, könnten sie vom Schuldner nicht im Voraus für die eigene Person außer Kraft gesetzt werden.227 Gegen diesen Argumentationsansatz wird freilich eingewendet, dass der Schuldner ohnehin in der Lage sei, seine wirtschaftliche Tätigkeit jederzeit aufzugeben und sich so zu einem Sozialfall zu machen. Dies belaste die Allgemeinheit in gleicher Weise.228 Entscheidend gegen eine Berücksichtigung öffentlicher Interessen in diesem Sinne spricht, dass sich der für den Gläubiger mit den Pfändungsverboten verbundene Grundrechtseingriff nicht durch Verweis auf öffentliche Interessen rechtfertigen lässt.229 Würde man nun aber den Gläubiger darauf hinweisen, dass eine Vollstreckungsmaßnahme nicht in Betracht komme, weil der Verzicht des Schuldners auf den Pfändungsschutz wegen entgegenstehender öffentlicher 227 OLG Stuttgart, Urt. v. 21.10.1970, 1 U 59/70, NJW 1971, 50; KG, Beschl. v. 24.11.1959, 1 W 1857/59, NJW 1960, 682; OLG Schleswig, Beschl. v. 04.04.1957, 7 W 55/57, SchlHA 1957, 184, 185; OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835; LG Heilbronn, Beschl. v. 26.03.1987, 1 b T 89/87 III, NJW 1988, 148, 149; LG Limburg, Beschl. v. 31.12.1974, 3 T 281/74, DGVZ 1975, 121, 123; LG Freiburg, Beschl. v. 15.10.1973, 9 T 38/73, DGVZ 1974, 85, 86; AG Sinzig, Beschl. v. 03.07.1986, 6 M 1194/86, NJW-RR 1987, 757; AG Essen, Beschl. v. 21.10.1977, 31 M 2468/77, DGVZ 1978, 175; AG Fritzlar, Beschl. v. 15.11.1974, 7 M 1865/74, DGVZ 1975, 76, 77; Brock, DGVZ 1997, 33, 38; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 11 2018, Rn. 302; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 8; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 14; Herfs, Im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere in der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen, 1998, S. 79 f.; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 10; Hellwig/Oertmann, System des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1919, S. 226; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 411; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 25; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 7; Leuffen, Die Austauschpfändung, 1939, S. 2; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 13; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 21974, S. 166; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 38; Mümmler, DGVZ 1963, 116, 120; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 95; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 5; AK-ZPO/ Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 1; Seuffert, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 121933, S. 486; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 177; Wacke, in: Hofmann/Meyer-Cording/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, 1986, S. 583, 589; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.145; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 8. 228 LG Bonn, Beschl. v. 05.08.1964, 4 T 368/64, MDR 1965, 303, 304 (jedenfalls für § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F.); Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 759; Walker/Loyal, in: Schuschke/ Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 15. 229 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B.
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Interessen unwirksam sei, würde man den daraus resultierenden Grundrechtseingriff auf Seiten des Gläubigers letzten Endes mit öffentlichen Interessen rechtfertigen. Das ist verfassungsrechtlich nicht zulässig. 3. Folgenbetrachtung Dass ein Vorausverzicht auf den Pfändungsschutz nicht zulässig sein könne, wird weiterhin mit den aus einer solchen Verzichtsmöglichkeit resultierenden Gefahren begründet. So befinde sich der Schuldner regelmäßig in einer wirtschaftlichen Notlage, weswegen missbräuchliche Einwirkungen zu befürchten seien.230 Häufig werde sich der Schuldner der Tragweite eines solchen Verzichts nicht bewusst sein.231 Außerdem würde seitens der Gläubiger – wenn ein Vorausverzicht möglich wäre – ein solcher auch immer erwartet werden.232 In praxi würde diese Sichtweise dann dazu führen, dass Vorausverzichtserklärungen standardgemäß Einzug in die Formularpraxis halten würden.233 Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob das AGB-Recht einer solchen Formularpraxis ausreichende Grenzen setzen könnte.234 Ausschlaggebend ist schon außerhalb einer verfassungsrechtlichen Einordnung, dass ein wirksamer Verzicht eine freie Willensbildung voraussetzt. Eine derartige Prüfung lässt sich nicht mit dem Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung in Einklang bringen, weil in dieser Situation diffizile 230 OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 302; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 61; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 95; Wacke, in: Hofmann/Meyer-Cording/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, 1986, S. 583, 589; a. A. LG Bonn, Beschl. v. 05.08.1964, 4 T 368/64, MDR 1965, 303, 304 (jedenfalls für § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F.). 231 BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 282; Brock, DGVZ 1997, 33, 39. So auch Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 221, der allerdings nach einer Prüfung des Einzelfalls keine Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Verzichts hat. 232 Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 25; Kleffner, DGVZ 1991, 108; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 184; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 35. 233 Brock, DGVZ 1997, 33, 38; Gaul, Rpfleger 1971, 1, 3 (Fn. 27); Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 32 Rn. 8; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 25; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 61; Kleffner, DGVZ 1991, 108; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 21974, S. 166; Wacke, in: Hofmann/Meyer-Cording/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, 1986, S. 583, 589. 234 Dafür: Bartels, Rpfleger 2008, 397, 400; Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 760 f.; Walker/ Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 15. Dagegen: Philipp, Rpfleger 2010, 456, 463.
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Feststellungen zur Freiheit der Willensbildung nicht möglich sind.235 In gleicher Weise kann es dem Gerichtsvollzieher nicht zugemutet werden, aufwendige rechtliche Prüfungen dahingehend anzustellen, ob der konkrete Vorausverzicht mit §§ 134, 138, 305 ff. BGB vereinbar ist. Schon deshalb muss einem Vorausverzicht die Wirksamkeit versagt werden. 4. Verfassungsrechtliche Beurteilung Entscheidend gegen die Möglichkeit eines Vorausverzichts auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO sprechen letztlich verfassungsrechtliche Gesichtspunkte. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung ist der Staat an das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins des Schuldners gebunden. Die Menschenwürde ist unverzichtbar. Niemand kann wirksam in eine Beeinträchtigung seiner Menschenwürde einwilligen.236 Deshalb kommt ein Verzicht auf den als Ausprägung der Menschenwürde zu begreifenden Pfändungsschutz nicht in Betracht.237 Allerdings ist der unzulässige Verzicht auf die Menschenwürde vom tatsächlichen Nichtgebrauch einer grundrechtlichen Gewährleistung zu unterscheiden (sog. Ausübungsverzicht). Ein solcher ist auch hinsichtlich von Möglichkeiten gegeben, die man als Ausfluss der Menschenwürde verstehen kann. In diesem Sinne ist beispielsweise niemand verpflichtet, Sozialleistungen des Staates anzunehmen, wenn er dies nicht möchte. Denn die Ablehnung einer derartigen Geldleistung, die der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins dient, lässt sich als Ausübung der für die Menschenwürde konstitutiven Entscheidungsfreiheit begreifen.238 Man könnte in der Weiterführung dieses Gedankens nun meinen, dass gerade der Verzicht auf den Pfändungsschutz Ausdruck der freien Selbstbestimmung des Individuums sei. Jedoch ist nur für den Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde ein Ausübungsverzicht möglich. Für den Abwehrgehalt der Menschenwürde kommt ein Ausübungsverzicht nicht in Betracht.239 Das menschenwürdige Dasein ist ein Zustand, der keiner „Ausübung“ bedarf.240 Im Rahmen der Zwangsvollstreckung geht es aber gerade um einen Eingriff in dieses Da235 Vgl. zu diesem Argument im Rahmen des Verzichts auf Pfändungsschutz während/ nach einer Vollstreckungsmaßnahme Kapitel 4 Fn. 296. 236 BVerfG, Urt. v. 21.06.1977, 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187, 229 („Die Würde des Menschen ist etwas Unverfügbares.“); BSG, Urt. v. 06.05.2009, B 11 AL 11/08 R, NJW 2010, 1627, 1630; BVerwG, Urt. v. 17.10.2000, 2 WD 12/00 (u. a.), NJW 2001, 2343, 2345; BVerwG, Urt. v. 22.10.1998, 2 WD 11–98, NVwZ-RR 1999, 321; BVerwG, Urt. v. 27.11.1990, 2 WD 20/90 (u. a.), juris, Rn. 9; Dürig, AöR 1956, 117, 126. 237 Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 62; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 36. 238 Kemmler, Geldschulden im Öffentlichen Recht, 2015, S. 361 ff. 239 Dies., Geldschulden im Öffentlichen Recht, 2015, S. 361. 240 In diese Richtung dies., Geldschulden im Öffentlichen Recht, 2015, S. 360 f.
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
sein, sodass dieses Grundrecht in seiner Ausprägung als Abwehrrecht in Erscheinung tritt und deswegen für einen Ausübungsverzicht nicht offen ist. Bleibt noch zu klären, inwiefern sich diese verfassungsrechtlichen Parameter mit den einfach-rechtlichen Entscheidungen des Gesetzgebers in Einklang bringen lassen. Damit ist gemeint, dass ein Schuldner unpfändbare Sachen veräußern darf, gegen unpfändbare Forderungen hingegen nicht aufrechnen darf (§ 394 S. 1 BGB) und diese auch nicht abtreten (§ 400 BGB) oder verpfänden kann (§ 1274 Abs. 2 BGB). Insofern muss Ausgangspunkt der Überlegungen sein, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein hier – anders als im Rahmen der Zwangsvollstreckung – nicht in seiner abwehrrechtlichen Dimension in Rede steht. Vielmehr geht es bei Normen, die sich auf privatrecht liche Verhältnisse beziehen, um die Schutzpflichtdimension dieses Grundrechts. Das gebietet eine Ausgestaltung rechtlicher Regelungen in der Form, dass die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt.241 Aus dieser Schutzpflicht des Gesetzgebers folgt die Verpflichtung, die Bedingungen für ein menschenwürdiges Dasein zu sichern.242 Insofern bieten sich dem Gesetzgeber in materiell-rechtlicher Hinsicht zwei Vorgehensweisen an. Zum einen kann der Gesetzgeber – so wie er es in Bezug auf Forderungen angeordnet hat – ein Aufrechnungsverbot, ein Abtretungsverbot und ein Verpfändungsverbot hinsichtlich unpfändbarer Forderungen normieren. Dadurch wird verhindert, dass der Schuldner aufgrund einer solchen Verfügung nicht mehr menschenwürdig leben kann. Zum anderen kann der Gesetzgeber den gewünschten Zweck erreichen, indem er – so wie er es in Bezug auf Sachen angeordnet hat – die Veräußerung unpfändbarer Sachen erlaubt, gleichzeitig aber durch sozialrechtliche Ansprüche das menschenwürdige Dasein des Schuldners gewährleistet. Anerkanntermaßen kommt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung von Schutzpflichten ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, der auch Raum lässt, konkurrierende öffentliche bzw. private Interessen einzubeziehen.243 Insofern ist dem Gesetzgeber zuzugestehen, dass sich materiell- rechtliche Veräußerungsverbote hinsichtlich bestimmter Gegenstände kaum mit dem Erfordernis der Verkehrssicherheit in Einklang bringen ließen.244 Deshalb konnte sich der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang dafür entscheiden, das menschenwürdige Dasein nicht durch ein Veräußerungsverbot zu sichern. So lässt sich das vermeintliche Spannungsverhältnis zwischen Verfügungen 241 BVerfG, Beschl. v. 04.05.2011, 1 BvR 1502/08, NVwZ 2011, 991, 993; BVerfG, Beschl. v. 29.07.2009, 1 BvR 1606/08, NVwZ 2009, 1494, 1495; BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89, 142. 242 Herdegen, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 942021, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 78. 243 BVerfG, Beschl. v. 17.02.2017, 1 BvR 781/15, NJW 2017, 1593, 1594; BVerfG, Beschl. v. 04.05.2011, 1 BvR 1502/08, NVwZ 2011, 991, 993; BVerfG, Beschl. v. 28.02.2002, 1 BvR 1676/01, NJW 2002, 1638, 1639. 244 Vgl. Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 187.
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hinsichtlich unpfändbarer Forderungen und hinsichtlich unpfändbarer Sachen widerspruchsfrei auflösen. 5. Resümee Verfassungsrechtliche Erwägungen gebieten es, einen Verzicht auf den Vollstreckungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO im Vorfeld einer konkreten Vollstreckungsmaßnahme als unzulässig und mithin nichtig einzustufen. Der Staat, der im Rahmen der Zwangsvollstreckung an die Grundrechte gebunden ist, verletzt das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein, wenn er Vollstreckungsmaßnahmen hinsichtlich unpfändbarer Sachen vornimmt. Daran kann ein Verzicht des Schuldners nichts ändern, weil die Menschenwürde in ihrer abwehrrechtlichen Dimension sich jeglichem Verzicht entzieht. II. Verzicht während/nach der Vollstreckungsmaßnahme Ob ein wirksamer Verzicht auf Pfändungsschutz während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme erklärt werden kann, wird nicht einheitlich beurteilt. 1. Zulässigkeit Teilweise wird ein Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme als zulässig erachtet.245 a) Wortlaut Dafür, dass ein Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme zulässig sein muss, wird zunächst der Wortlaut von § 811 Abs. 1 ZPO genannt. Die Norm schließe die Möglichkeit eines Verzichts nicht ausdrücklich aus.246
245 KG, Beschl. v. 19.05.1952, 1 W 1131/52, JR 1952, 281, 282; OLG Celle, Beschl. v. 02.11. 1907, OLGZ 17, 196; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.03.1906, OLGZ 14, 174; AG Essen, Beschl. v. 21.10.1977, 31 M 2468/77, DGVZ 1978, 175; Alisch, Wege zur interessengerechten Auslegung vollstreckungsrechtlicher Normen, 1981, S. 71; Bartels, Rpfleger 2008, 397, 402; Bechtloff, ZIP 1996, 994, 996; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 245 f. (Fn. 327); Hein, Handbuch der Zwangsvollstreckung, 21914, S. 313; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 337 (Fn. 92); Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 23 2010, § 32 Rn. 8; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 2 1974, S. 167; Scherf, Vollstreckungsverträge, 1971, S. 82; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 17; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 1; Voß, ZZP 40 (1910), 217, 257 (Fn. 55); Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 763. So zu § 715 CPO schon Gaupp, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen, 1881, S. 278 f. 246 KG, Beschl. v. 19.05.1952, 1 W 1131/52, JR 1952, 281, 282.
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Diese Sichtweise lässt sich aber auch umkehren. Die Norm schließt nämlich weder die Möglichkeit eines Verzichts ausdrücklich aus noch lässt sie die Möglichkeit eines Verzichts ausdrücklich zu. Insofern lässt der Wortlaut beide Auslegungsergebnisse zu. b) Historie Es wird darauf hingewiesen, dass es in der Justizkommission bei der Beratung des Entwurfs zur CPO Stimmen gab, die äußerten, die Pfändungsbeschränkungen gälten dann nicht, wenn der Schuldner der Pfändung zustimme.247 Daraus wird teilweise gefolgert, dass der Gesetzgeber einen Verzicht auf Pfändungsschutz für möglich erachtet habe.248 Andererseits wird aber auch betont, dass Meinungen einzelner Mitarbeiter bei der Gesetzgebung über die Tragweite von Entwurfsbestimmungen nicht dazu zu führen können, ein Gesetz in bestimmter Weise auszulegen. Dies gelte besonders in der vorliegenden Konstellation, weil die Meinungen der Mitarbeiter in dem Gesetz zum einen keinen Ausdruck gefunden haben und das Gesetz zum anderen seitdem noch geändert worden ist.249 Die Bedeutung der Einschätzung von Akteuren im Gesetzgebungsprozess verliert bei lange zurückliegenden legislativen Akten mit nachgehenden Gesetzesänderungen ständig an Relevanz. Im Grunde sind sie nur noch verwertbar, wenn darin Argumente enthalten sind, die weiterhin als entscheidungsrelevant erachtet werden können. Dies ist bei der vorliegenden Konstellation deswegen nicht der Fall, weil die Kommissionsmitglieder über das Grundprinzip einig waren, dass eine Gestattung des Schuldners den Pfändungsschutz entfallen lassen kann. Aus welchen Gründen sich diese Gestattung rechtfertigen lässt, war nicht Gegenstand der Erörterung. c) Systematik Besondere argumentative Berücksichtigung haben Auslegungsansätze erfahren, die aufgrund systematischer Überlegungen zu dem Ergebnis kommen, dass ein Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme zulässig sein muss. aa) Umkehrschluss zu § 49 Abs. 1 S. 1 MSchG Noch 1952 hat das Kammergericht einen Umkehrschluss zum Mieterschutzgesetz i. d. F. v. 15.12.1942250 gezogen, um zu begründen, dass während bzw. nach 247 Kleffner, DGVZ 1991, 108, 109 unter Bezugnahme auf Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 21881, S. 1119. 248 Kleffner, DGVZ 1991, 108, 109. 249 RG, Urt. v. 19.11.1909, III 566/08, RGZ 72, 181, 184. 250 RGBl. I 1942, S. 712, 722.
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einer Vollstreckungsmaßnahme auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO verzichtet werden könne. Im dortigen § 49 Abs. 1 S. 1 sei ausdrücklich festgehalten, dass die Beteiligten auf die ihnen kraft dieses Gesetzes zustehenden Rechte nicht verzichten könnten.251 Daraus wird im Wege eines argumentum e contra rio gefolgert, dass ein Verzicht nur in den Fällen unwirksam ist, in denen der Gesetzgeber einen solchen expressis verbis ausgeschlossen hat. Ansonsten sei er möglich. Ein Umkehrschluss dieser Art vom Mieterschutzgesetz zur Zivilprozessordnung ließe sich aber lediglich dann ziehen, wenn der Gesetzgeber damit zum Ausdruck gebracht hätte, dass ein Verzicht auf Rechte immer dann möglich ist, wenn ein Verzicht nicht expressis verbis ausgeschlossen wurde. Dem ist aber nicht so. Ein Verzicht auf Rechte kann auch ausgeschlossen sein, wenn dies im Wortlaut einer Norm keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat. Vielmehr ist anhand weiterer Auslegungsmethoden festzustellen, ob ein Verzicht in Betracht kommt. In diesem Sinne kann beispielsweise das Recht zur fristlosen Kündigung i. S. v. § 626 BGB nicht von vornherein für bestimmte Tatsachen völlig ausgeschlossen werden, die an sich einen wichtigen Grund darstellen.252 Dieses Ergebnis ist unbestritten, obwohl § 626 BGB dem Wortlaut nach kein Verbot eines solchen Verzichts entnommen werden kann. Mit anderen Worten: Das Argument des Kammergerichts mit Bezug auf § 49 Abs. 1 S. 1 MSchG scheitert daran, dass das Gesetz eine Aussage über Verzichtskonstellationen in anderen Gesetzen nicht trifft. bb) Vergleich mit §§ 113–116 UrhG Dafür, dass während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme auf den Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO verzichtet werden könne, wird zudem ein Vergleich zu §§ 113–116 UrhG gezogen. Daraus, dass die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das Urheberrecht nur mit Einwilligung des Urhebers zulässig ist, sei abzuleiten, dass eine Disponibilität für den Schuldner möglich sein müsse.253 Dieser Vergleich wird den urheberrechtlichen Besonderheiten nicht gerecht. Der tragende Grund für das Einwilligungserfordernisses in den §§ 113–116 UrhG ist der Schutz des höchstpersönlichen Charakters des Urheberrechts.254 Darauf bezieht sich das Einwilligungserfordernis. Dies schließt es aus, das ur251
KG, Beschl. v. 19.05.1952, 1 W 1131/52, JR 1952, 281, 282. Urt. v. 19.11.2015, 2 AZR 217/15, NZA 2016, 540, 542; BAG, Urt. v. 19.12.1974, 2 AZR 565/73, NJW 1975, 1531, 1532; BAG, Urt. v. 28.10.1971, 2 AZR 15/71, AP BGB § 626 Nr. 62. 253 Kleffner, DGVZ 1991, 108, 109; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 1. 254 Boddien, in: Nordemann/Nordemann/Czychowski (Hrsg.), Urheberrecht, 122018, § 113 UrhG Rn. 1; HK-ZV/Onderka, 5. Zwangsvollstreckung in Immaterialgüterrechte Rn. 4; Schulze, in: Dreier/Schulze (Hrsg.), Urheberrechtsgesetz, 62018, § 113 UrhG Rn. 1. 252 BAG,
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heberrechtliche Prinzip mit Blick auf den Verzicht bezüglich des in § 811 Abs. 1 ZPO normierten Pfändungsschutzes zu verallgemeinern. cc) Verfügungsbefugnis Wie schon für die Frage, ob vor einer Vollstreckungsmaßnahme auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO verzichtet werden kann, wird auch hinsichtlich der Möglichkeit eines Verzichts während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme auf die Existenz der materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis abgestellt. Weil der Schuldner über unpfändbare Sachen – anders als über unpfändbare Forderungen (§§ 394 S. 1, 400, 1274 Abs. 2 BGB) – materiell-rechtlich wirksam verfügen könne, sei dem Schuldner eine Verfügungsbefugnis zuzugestehen, auf die er sich auch im Rahmen der Zwangsvollstreckung berufen könne.255 Mit diesem Begründungsansatz müsste man auch einen Verzicht auf Pfändungsschutz im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme zulassen.256 Das ist ein Schluss, der überwiegend nicht gezogen wird und auch nicht gezogen werden darf.257 Außerdem wird erneut die mangelnde rechtliche und wirtschaftliche Vergleichbarkeit zwischen einer freiwilligen rechtsgeschäftlichen Verfügung und einer Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung hervorgehoben.258 So kann ein Schuldner, der seinem Gläubiger freiwillig unpfändbare Gegenstände überlässt, durch vertragliche Vereinbarungen – wie beispielsweise eine Anrechnung des vollen Wertes – sicherstellen, dass seine eigenen Interessen Berücksichtigung finden.259 Anders sieht es bei einer Einwilligung in die Pfändung der Sache aus. Der Schuldner kann dann keinen Einfluss auf die wirtschaftlichen Folgen nehmen.260 255 KG, Beschl. v. 19.05.1952, 1 W 1131/52, JR 1952, 281, 282; OLG Celle, Beschl. v. 02.11. 1907, OLGZ 17, 196; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.03.1906, OLGZ 14, 174; AG Essen, Beschl. v. 21.10.1977, 31 M 2468/77, DGVZ 1978, 175; Bartels, Rpfleger 2008, 397, 402; Hein, Handbuch der Zwangsvollstreckung, 21914, S. 313; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 337 (Fn. 92); Kleffner, DGVZ 1991, 108, 110; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 13; Mohrbutter, Handbuch des gesamten Vollstreckungs- und Insolvenzrechts, 21974, S. 167; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 1; a. A. Blomeyer, Zwangsvollstreckung, 2 1956, S. 89. So schon zu § 715 CPO Gaupp, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen, 1881, S. 278 f. 256 Brock, DGVZ 1997, 33, 39; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 303; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 187; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 96; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 49. 257 Vgl. Kapitel 4 Fn. 219. 258 BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698; in diese Richtung schon RG, Urt. v. 19.11.1909, III 566/08, RGZ 72, 181, 183 f. 259 BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698; a. A. Scherf, Voll streckungsverträge, 1971, S. 80, der diese Vorgehensweise aufgrund der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Schuldners für wenig erfolgsversprechend hält. 260 BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698.
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Die hier referierte vergleichende Betrachtungsweise ist allerdings genauso wenig tragfähig wie die entsprechende Argumentation zur Frage nach einem Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme.261 d) Interessen des Schuldners Eine verbreitete Meinung hält einen Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme schon deshalb für möglich, weil der Schuldner am besten einschätzen könne, ob er auf diesen Schutz angewiesen ist.262 Ein Verzicht auf Pfändungsschutz sei für den Schuldner nämlich nicht nur mit Nachteilen verbunden. So könne er ein berechtigtes Interesse daran haben, dass Vollstreckungsschutzvorschriften nicht zur Anwendung kommen, weil er sich so beispielsweise eine Stundung durch seine Gläubiger erhoffe.263 Außerdem sei es einem Schuldner möglicherweise nützlich, eher eine Vollstreckungsmaßnahme hinzunehmen als eine Vermögensauskunft (§ 807 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO) abzugeben.264 Gegen diesen argumentativen Ansatz wird freilich vorgebracht, dass es sich immer nur um kurzfristige Lösungen handeln könne. Letztlich werde der Schuldner die Abgabe einer Vermögensauskunft doch nicht verhindern können.265 Diese einfach-rechtlichen Überlegungen können nur dann ausschlaggebend sein, wenn sie sich mit verfassungsrechtlichen Wertungen in Einklang bringen lassen. Das ist aber so nicht der Fall.266 Der Staat muss im Rahmen der Zwangsvollstreckung das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners seinem abwehrrechtlichen Gehalt nach berücksichtigen. Unabhängig von etwaigen Erwägungen des Schuldners, die ihn dazu verleiten könnten, eine Verzichtserklärung abzugeben, ist in dieser Konstellation aus verfassungsrecht licher Sicht ein Verzicht auf dieses Grundrecht nicht möglich. Es darf nicht sein, dass der Staat durch hoheitliches Handeln „die eigene Existenzvernichtung des Schuldners noch fördert“.267 261
Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:G.I.1.a). Hein, Handbuch der Zwangsvollstreckung, 21914, S. 314; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 13; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 16. A. A. Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 79 unter Hinweis auf die psychisch äußerst belastende Situation des Schuldners. 263 Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 186. 264 So noch zum Offenbarungsverfahren KG, Beschl. v. 19.05.1952, 1 W 1131/52, JR 1952, 281, 282; AG Essen, Beschl. v. 21.10.1977, 31 M 2468/77, DGVZ 1978, 175; Alisch, Wege zur interessengerechten Auslegung vollstreckungsrechtlicher Normen, 1981, S. 71; Bartels, Rpfleger 2008, 397, 402; Brock, DGVZ 1997, 33, 40; Kleffner, DGVZ 1991, 108, 111; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 186. 265 Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 186. 266 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:G.I.4. 267 AG Sinzig, Beschl. v. 03.07.1986, 6 M 1194/86, NJW-RR 1987, 757, 758. In diese Rich262
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e) Verhalten des Schuldners Der Schuldner ist nicht verpflichtet, einen Rechtsbehelf zu erheben, wenn entgegen § 811 Abs. 1 ZPO eine an sich unpfändbare Sache bei ihm gepfändet wird.268 Daraus wird hergeleitet, dass dann auch ein Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme möglich sein müsse. Dagegen wird vorgebracht, dass die Frage des Verzichts nicht mit der Befugnis des Schuldners verwechselt werden dürfe, einen Verstoß gegen § 811 Abs. 1 ZPO mit einem Rechtsbehelf geltend zu machen.269 Vielmehr sei zwischen einem Verzicht und dem Nichtberufen auf Vollstreckungsschutz zu differenzieren.270 Daraus, dass Parteien über einen Rechtsbehelf disponieren können, folge nicht, dass die Parteien gleichermaßen über den Streitgegenstand verfügen können.271 Im Übrigen hinke der Vergleich, weil eine Erinnerung bis zum Ende der Vollstreckung eingelegt werden kann, während ein Verzicht, wenn er denn zulässig wäre, eine Bindungswirkung entfalten würde.272 In der Tat folgt aus dem Faktum, dass sich ein Schuldner gegen eine rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahme nicht wehren muss, sondern lediglich wehren darf, nicht, dass die Pfändungsverbote aus § 811 Abs. 1 ZPO disponibel sind. Dass der Schuldner sich im Wege der Erinnerung nach § 766 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO gegen das vom Gerichtsvollzieher bei der Zwangsvollstreckung zu beobachtende Verfahren wenden kann, ist verfassungsrechtlich geboten.273 Nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG muss jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen stehen. Das Handeln eines Gerichtsvollziehers ist ein Akt der öffentlichen Gewalt.274 Aus dieser Rechtsweggarantie kann freilich nicht geschlossen werden, dass die dem Schuldnerschutz dienenden Vorschriften während des Vollstreckungsverfahrens disponibel sind. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
tung auch Brock, DGVZ 1997, 33, 39; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 9; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 283; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 49. 268 KG, Beschl. v. 19.05.1952, 1 W 1131/52, JR 1952, 281, 282; Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 221; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 337 (Fn. 92); Kleffner, DGVZ 1991, 108, 109 f.; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 16. 269 Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 96. 270 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 10.4. 271 Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 187. 272 Philipp, Rpfleger 2010, 456, 463 f. 273 Bettermann, in: Bökelmann/Henckel/Jahr (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Weber zum 70. Geburtstag, 1975, S. 87, 98. 274 Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 402021, Einl. VwGO Rn. 16.
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2. Unzulässigkeit Nach einer weitergehenden Auffassung ist der Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO generell ausgeschlossen, also nicht nur im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme, sondern auch während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme.275 a) Wortlaut Ausgehend vom Wortlaut wird argumentiert, dass eine wirksame Pfändung der in § 811 Abs. 1 ZPO genannten Sachen ausgeschlossen sein soll. Dann könne aber auch die einseitige Verzichtserklärung des Schuldners die Pfändbarkeit nicht begründen.276 Bei genauerer Betrachtung des Wortlauts besagt dieser jedoch nur, dass die dort genannten Sachen der Pfändung nicht unterworfen sind. Dazu, ob bzw. inwiefern ein Verzicht auf diesen Pfändungsschutz möglich ist, verhält sich der Wortlaut nicht.
275 Aus der Rechtsprechung: BGH, Urt. v. 20.11.1997, IX ZR 136/97, NJW 1998, 1058; OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.12.1952, 6 W 581/52, NJW 1953, 1835; LG Oldenburg, Beschl. v. 10.12.1979, 5 T 328/79, DGVZ 1980, 39, 41; AG Sinzig, Beschl. v. 03.07.1986, 6 M 1194/86, NJW-RR 1987, 757; AG Bocholt, Beschl. v. 10.10.1968, 3 M 1349/68, DGVZ 1969, 135, 137. Für § 811 Nr. 1 ZPO a. F.: RG, Urt. v. 19.11.1909, III 566/08, RGZ 72, 181, 183. Für § 811 Nr. 5 ZPO a. F.: BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698. Aus der Literatur: Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, S. 188; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 69; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 9; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 81; Hellwig/Oertmann, System des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1919, S. 226; Herfs, Im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere in der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen, 1998, S. 79; Hergenröder, DGVZ 2013, 145, 148; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 10; Hilzinger, in: Dierck/ Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 3. Kapitel, Rn. 411; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 5; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 62 f.; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 7; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 107; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 184; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 37; Mümmler, DGVZ 1963, 116, 120; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 283; Philipp, Rpfleger 2010, 456, 463; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 96; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 ZPO Rn. 5; Seuffert, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 12 1933, S. 486; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 177; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 50; Wolf, in: Hintzen/ Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.145; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 8. Zum österreichischen Recht Holzhammer, Österreichisches Zwangsvollstreckungsrecht, 41993, S. 264. So auch Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 540 zu den Schuldnerschutzvorschriften der §§ 955 ff. 276 Hergenröder, DGVZ 2013, 145, 148; Kleffner, DGVZ 1991, 108, 109.
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
b) Historie In historischer Hinsicht werden verschiedene Argumente genannt, um die Unzulässigkeit eines Verzichts auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme zu begründen. aa) § 58 der preußischen Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher In historischer Hinsicht 277 wurde noch 1991 § 58 der preußischen Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher herangezogen, der besagte, dass damals – auch während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme – auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO nicht verzichtet werden konnte.278 Dort wurde nämlich betont, dass die in § 811 ZPO bezeichneten Sachen „niemals, auch nicht mit Zustimmung des Schuldners“ gepfändet werden dürften.279 Freilich ist diese Bestimmung für die Auslegung des geltenden Bundesrechts irrelevant.280 Gleiches gilt für den heutigen § 120 GVGA, der dem damaligen § 58 der preußischen Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher entspricht. Diese Verwaltungsvorschrift äußert sich zu einer Verzichtsmöglichkeit nicht.281 bb) Entwurf einer Zivilprozeßordnung von 1931 Gleichfalls historisch wird argumentiert, wenn auf den im Jahre 1931 vom Reichsministerium der Justiz veröffentlichten Entwurf einer Zivilprozeßordnung Bezug genommen wird, um die Möglichkeit eines Verzichts auf den Pfändungsschutz des § 811 ZPO auszuschließen.282 In der dortigen Begründung wird ausgeführt, dass die „Vollstreckungsorgane wie bisher ohne Rücksicht darauf an die Schutzvorschriften gebunden [sind], ob der Schuldner den Schutz genießen will oder nicht.“283 Allerdings bezieht sich die Äußerung des Gesetzgebers – abgesehen davon, dass sie fast 100 Jahre alt ist und damit durch den Zeitablauf an Gewicht ver loren hat – lediglich auf einen nicht umgesetzten Entwurf und kann schon aus diesem Grunde in der aktuellen Debatte nicht von Belang sein.
277 So
Hergenröder, DGVZ 2013, 145, 148, allerdings ohne nähere Begründung. Kleffner, DGVZ 1991, 108, 110. 279 Exner, Der Gerichtsvollzieherdienst in Preußen, 1904, S. 134. 280 Blomeyer, Zwangsvollstreckung, 21956, S. 89 f.; Kleffner, DGVZ 1991, 108, 110. 281 Vgl. Kleffner, DGVZ 1991, 108, 110. Im Übrigen wäre die GVGA wegen ihres Charakters als bloße Verwaltungsvorschrift ohne Gesetzeskraft zur Ausfüllung von Gesetzeslücken ohnehin ungeeignet, vgl. dazu z. B. Gaul, in: Lüke/Mikami/Prütting (Hrsg.), Festschrift für Akira Ishikawa zum 70. Geburtstag am 27. November 2001, 2001, S. 87, 118. 282 BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698. 283 Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 5 40. 278
§ 1: Dogmatische Grundlagen
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c) Systematik Dass während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO nicht verzichtet werden könne, wird außerdem aus einem Bezug zum Restschuldbefreiungsverfahren hergeleitet. Nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist die Restschuldbefreiung u. a. zu versagen, wenn der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat. Würde man einen Verzicht auf den Pfändungsschutz als wirksam ansehen, könnte dieser Verzicht einzelne Gläubiger von der Beantragung eines Insolvenzverfahrens abhalten. Deshalb liege es sowohl im Interesse des Schuldners selbst als auch im Interesse potenzieller anderer Insolvenzgläubiger, eine solche Verzichtsmöglichkeit auf den Pfändungsschutz zu verneinen.284 Gegen diese Betrachtungsweise spricht, dass nicht jeder Vollstreckungsmaßnahme ein Insolvenzverfahren folgen muss. Vielmehr kann es – gerade durch den im Argument als möglich vorausgesetzten Verzicht auf Pfändungsschutz – gelingen, die bestehenden Verbindlichkeiten zu bedienen und damit ein Insolvenzverfahren zu vermeiden. Deshalb kann nicht mit den Wertungen eines Verfahrens argumentiert werden, das auf Vollstreckungsmaßnahmen folgen kann, aber nicht folgen muss.285 d) Telos Gegen die Zulässigkeit eines Verzichts auf den Pfändungsschutz während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme wird – wie bereits bei der Frage eines Verzichts auf Pfändungsschutz im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme – vorgebracht, dass die Pfändungsverbote nicht nur dem Schutze des Schuldners, sondern gleichermaßen Belangen der Allgemeinheit dienten.286 Es müsse verhindert werden, dass der Schuldner auf Gegenstände verzichte, die ihm der Staat 284 MüKo-ZPO/Gruber,
§ 811 ZPO Rn. 15. Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 12 2010, § 52 Rn. 17. 286 RG, Urt. v. 19.11.1909, III 566/08, RGZ 72, 181, 183; BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, S. 188; Brock, DGVZ 1997, 33, 39; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 303; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 68; Hellwig/Oertmann, System des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1919, S. 226; Herfs, Im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere in der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen, 1998, S. 79 f.; Zöller/ Herget, § 811 ZPO Rn. 10; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 411; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 7; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 38; Mümmler, DGVZ 1963, 116, 120; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 96; Thomas/Putzo/ Seiler, § 811 ZPO Rn. 5; Seuffert, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 121933, S. 486; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 177; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.145; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 8. 285
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
später aufgrund sozialrechtlicher Ansprüche wieder zur Verfügung stellen müsse.287 Wenn mit diesem Argument eine Verzichtsmöglichkeit auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme abgelehnt werde, dann müsse dies auch bei einem solchen Verzicht im Zu sammenhang mit einer Vollstreckungsmaßnahme gelten, weil das öffentliche Interesse nicht im Augenblick der Pfändung auf einmal erlöschen könne.288 In der sozialrechtlichen Perspektive wird dieser Argumentation entgegengehalten, dass nach einem Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO nicht notwendigerweise sozialrechtliche Ansprüche entstehen. So können Leistungen der Sozialhilfe nach § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden, wenn Leistungsberechtigte trotz Belehrung ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzten.289 Außerdem ist derjenige, der die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat, nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB XII zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet.290 Auf die sozialrechtlichen Konsequenzen und eine mögliche Entlastung des Staates kann es aber nicht ankommen. Entscheidend ist, dass in verfassungsrechtlicher Hinsicht § 811 ZPO nicht der Zweck zugeschrieben werden kann, die öffentliche Hand zu entlasten. Mit diesem Argument lässt sich nämlich der Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG auf Seiten des Gläubigers nicht rechtfertigen.291 Dann kann diese Betrachtungsweise auch bei der Frage nach der Möglichkeit auf einen Verzicht auf Pfändungsschutz nicht richtungsweisend sein.292 e) Folgenbetrachtung Zu den Folgen eines Verzichts auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme wird auf ein Problem hingewiesen: Wenn der Schuldner aufgefordert werden könnte, auf den Vollstreckungsschutz zu verzichten, würde er einem starken Druck ausgesetzt.293 Es bestünde die Gefahr, dass in missbräuchlicher Weise auf ihn eingewirkt würde.294 287 MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 14; Wacke, in: Hofmann/Meyer-Cording/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, 1986, S. 583, 589. 288 Scherf, Vollstreckungsverträge, 1971, S. 78. 289 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 13; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/ Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 16. Noch zu § 25 BSHG Bechtloff, ZIP 1996, 994, 995; Kleffner, DGVZ 1991, 108, 110. 290 Noch zu §§ 92, 92a BSHG Kleffner, DGVZ 1991, 108, 110. 291 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B. 292 So bereits im Kontext des Verzichts auf den Pfändungsschutz des § 811 ZPO im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme Kapitel 4:§1:G.I.2. 293 BayObLG, Beschl. v. 19.06.1950, II a 2/1950, NJW 1950, 697, 698. 294 RG, Urt. v. 19.11.1909, III 566/08, RGZ 72, 181, 184; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, S. 188.
§ 1: Dogmatische Grundlagen
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Wie schon beim Verzicht auf Pfändungsschutz im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme gilt: Die Folgenbetrachtung muss gar nicht erst angestellt werden. Würde man eine Verzichtsmöglichkeit eröffnen, müsste selbstverständlich die Wirksamkeit des Verzichts in jedem Einzelfall untersucht werden. Dies würde zu praktischen Schwierigkeiten führen.295 Letztlich lässt sich eine solche Prüfvoraussetzung nicht mit dem Prinzip der Formalisierung der Zwangsvollstreckung in Einklang bringen.296 f) Verfassungsrechtliche Beurteilung Teilweise wird mit verfassungsrechtlichen Überlegungen begründet, dass während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO nicht verzichtet werden könne. Der Staat sei verpflichtet, das Existenzminimum des Schuldners zu gewährleisten. Die Menschenwürde gebiete es, einen Verzicht auf den Vollstreckungsschutz für unzulässig zu halten.297 Dagegen wird allerdings eingewendet, dass der Staat ja gerade mit Zustimmung des Schuldners handele, was dessen Menschenwürde nicht verletzen könne.298 Die verfassungsrechtlichen Erwägungen, die im Zusammenhang mit einem Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme angeführt wurden, müssen auch bei einem solchen Verzicht während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme gelten.299 Da ein solcher Verzicht auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO im Ergebnis dazu führen würde, dass das gesetzlich abgesicherte Schutzniveau für die Menschenwürde unterschritten würde, kommt ein solcher Verzicht nicht in Betracht. Der Menschenwürdeschutz muss in seinem abwehrrechtlichen Gehalt auch hier voll aufrechterhalten bleiben. g) Resümee Ein Verzicht auf den Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO während bzw. nach einer Vollstreckungsmaßnahme ist ausgeschlossen.
295 LG Oldenburg, Beschl. v. 10.12.1979, 5 T 328/79, DGVZ 1980, 39, 41; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 8. 296 Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 69 f.; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 62 f. 297 Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 68; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 185; Wacke, in: Hofmann/Meyer-Cording/Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, 1986, S. 583, 589; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 49 f. 298 Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 760. 299 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:G.I.4.
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
III. Fazit Aus übergeordneten verfassungsrechtlichen Überlegungen scheidet ein Verzicht auf den Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 ZPO aus. Eine Differenzierung, die auf den Zeitpunkt des Verzichts abstellt, kommt nicht in Betracht. Es kann keinen Unterschied machen, ob ein Schuldner vor, während oder nach einer Vollstreckungsmaßnahme auf sein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in seinem abwehrrechtlichen Gehalt „verzichten“ will.
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen A. § 811 Abs. 1 ZPO In § 811 Abs. 1 ZPO findet sich eine Liste300 von Pfändungsverboten. Hier hat das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (sog. GvSchuG) eine grund legende Neuorientierung vorgenommen. Im Folgenden soll zuerst die Genese von § 811 Abs. 1 ZPO betrachtet werden, um dann die Abkehr davon darzustellen und zu bewerten. Denn auch dort, wo der Gesetzgeber keine ausführliche Begründung für seine Reformtätigkeit gibt, bezieht er sich – in stillschweigender Zustimmung oder Abkehr – implizit auf die Entstehungszusammenhänge und lässt sich damit auch auf die früheren Argumentationen aus dem GNeuMoP und dem PKoFoG ein. Es gibt auf diese Weise eine unterschwellig weiter wirkende Vorgeschichte, die sich zum Verständnis des geltenden Rechts als nach wie vor relevant erweist. I. § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a. F. Während § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. die dem persönlichen Gebrauch oder dem Haushalt des Schuldners dienenden Sachen schützte, erfuhren Wohn zwecken dienende Einrichtungen durch § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F. Schutz. 1. § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. Die in § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. exemplarisch genannten Gegenstände fanden sich – bis auf die Wäsche, die 1898 ergänzt wurde301 – schon in § 715 Nr. 1 CPO i. d. F. von 1877.302 Weil es insoweit um einen alten Bestand geht, stellte sich die Frage, ob diese Zusammenstellung sich auch unter den heutigen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen als kohärent rechtfertigen lässt. 300
Vgl. zu der Frage, ob es übergesetzliche Pfändungsverbote geben kann, Kapitel 4:§1:D. RGBl. 1898, S. 256, 305. 302 RGBl. 1877, S. 213. 301
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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a) Normzweck Das Vollstreckungsverbot aus § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. nahm die „Verbrauchsseite“ des Schuldners in den Blick, indem es unter Nennung von Beispielen die dem persönlichen Gebrauch bzw. dem Haushalt des Schuldners dienenden Sachen der Pfändung entzog. Damit war in erster Linie der Schutz des menschenwürdigen Daseins in sächlicher Hinsicht angesprochen. b) Anwendungsbereich Welche Gegenstände nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. unter Pfändungsschutz standen, war schon damals im Einklang mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen zu beantworten. Dies zeigt sich exemplarisch an der Entwicklung der Diskussion zum Pfändungsschutz für Fernsehgeräte. Ursprünglich gingen sowohl Rechtsprechung als auch Literatur davon aus, dass ein Fernsehgerät keinen Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. genießt.303 Später wurde vertreten, dass ein Fernsehgerät lediglich pfändbar sei, wenn dem Schuldner noch ein Rundfunkgerät zur Verfügung stünde. Nur dann, wenn ein Schuldner kein Rundfunkgerät nutzen konnte, wurde der Fernseher weiterhin als unpfändbar angesehen.304 Schließlich hat sich jedoch in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung durchgesetzt, dass Fernsehgeräte generell unpfändbar sind.305 Diese Sichtweise steht im Einklang mit der durch Art. 5 Abs. 1
303 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.1965, 3 W 302/65, DGVZ 1967, 24, 25; KG, Beschl. v. 26.04.1965, 1 W 846/65, DGVZ 1965, 106; LG Münster, Beschl. v. 19.08.1990, 5 T 394/80, JurBüro 1980, 1901; LG Coburg, Beschl. v. 02.04.1970, 1 T 1/70, DGVZ 1970, 118; LG Berlin, Beschl. v. 23.01.1970, 81 T 7/70, DGVZ 1970, 91, 93; LG Hamburg, Beschl. v. 31.08.1967, 17 T 155/67, MDR 1968, 57; LG Münster, Beschl. v. 07.07.1966, 5 T 343/66, DGVZ 1967, 87; LG Aurich, Beschl. v. 06.07.1962, 3 T 126/62, NJW 1962, 1779; AG Melsungen, Beschl. v. 19.07. 1968, M 509/68, DGVZ 1969, 157; AG Friesoythe, Beschl. v. 20.10.1966, M 968/66, DGVZ 1967, 76; AG Werne a. d. Lippe, Beschl. v. 18.05.1966, 7 M 1204/66, DGVZ 1968, 43, 44; AG Lörrach, Beschl. v. 30.04.1964, 2 M 291/64, DGVZ 1965, 11; Blumenthal, NJW 1970, 570; Schumacher, DGVZ 1955, 52. 304 OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.10.1969, 15 W 98/69, NJW 1970, 152; OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.02.1967, 8 W 32/67, DGVZ 1968, 78, 79; LG Hannover, Beschl. v. 12.06.1989, 11 T 169/89, DGVZ 1990, 60; LG Bremen, Beschl. v. 05.05.1987, 2 T 284/87, DGVZ 1988, 12, 13; LG Köln, Beschl. v. 13.08.1981, 12 T 159/81, DGVZ 1982, 62; LG Limburg, Beschl. v. 30.03. 1973, 3 T 32/73, DGVZ 1973, 119; LG Berlin, Beschl. v. 02.02.1973, 81 T 40/73, DGVZ 1973, 156 f.; LG Berlin, Beschl. v. 12.12.1972, 81 T 512/72, DGVZ 1973, 73; LG Essen, Beschl. v. 10.03.1969, 11 T 95/69, NJW 1970, 153; LG Hildesheim, Beschl. v. 24.09.1965, 5 T 320/65, DGVZ 1966, 10; LG Berlin, Beschl. v. 25.02.1965, 81 T 13/65, DGVZ 1965, 73, 74; AG Landau, Beschl. v. 18.05.1990, M 339/90, DGVZ 1991, 14; AG Düren, Beschl. v. 26.06.1987, 3 M 1009/87, DGVZ 1988, 12, 13; AG Bremerhaven, Beschl. v. 03.12.1986, 9 M 8421/86 (b), DGVZ 1988, 12 f.; AG Borken, Beschl. v. 11.02.1986, 7 M 2119/85, DGVZ 1988, 12; AG Ibbenbüren, Beschl. v. 24.12.1980, 9 M 1021/80, DGVZ 1981, 175; AG Fritzlar, Beschl. v. 07.02.1975, 8 M 24/75, DGVZ 1975, 77; Pardey, DGVZ 1978, 102, 104; Rößler, DStZ 1990, 128. 305 BFH, Urt. v. 30.01.1990, VII R 97/89, NJW 1990, 1871, 1872; OLG Stuttgart, Beschl. v.
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S. 1 Var. 2 GG gewährleisteten Informationsfreiheit.306 In diesem Sinne gehört es zum menschenwürdigen Dasein in kultureller Hinsicht, dass ein Schuldner nicht von Informationen abgeschnitten werden darf.307 Dem kann nicht ent gegengehalten werden, dass Informationen auch in ausreichender Weise durch Radionutzung gewonnen werden könnten. Denn beispielsweise sind Visuali sierungen von Informationen in Form von Diagrammen und Tabellen auf rein akustische Weise nicht adäquat darstellbar. Des Weiteren gibt es bildliche In formationen über das aktuelle politische Tagesgeschehen in Form von Videos, die sich gleichfalls einer rein akustischen Vermittlung entziehen. Der Gedanke „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ ist auch hier einschlägig. c) Reformbestrebungen Verschiedene Reformvorschläge machten deutlich, dass die geltende Rechtslage als verbesserungsbedürftig angesehen wurde. Änderungsbedarf wurde hauptsächlich hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs angenommen. aa) Hausrat § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. erfasste in sachlicher Hinsicht die dem per sönlichen Gebrauch oder dem Haushalt dienenden Sachen. In den Reformvorschlägen des GNeuMoP und des PKoFoG wird von „Hausrat“ gesprochen. Die bisherigen Beispiele sollten entfallen. Es war nicht beabsichtigt, dadurch den Regelungsgehalt der Norm zu verändern. Vielmehr wollte man die Vorschrift lediglich straffen, um sie übersichtlicher zu gestalten.308
09.04.1986, 8 W 357/85, NJW 1987, 196; LG Detmold, Beschl. v. 30.11.1989, 2 T 400/89, DGVZ 1990, 26; LG Bonn, Beschl. v. 16.07.1986, 4 T 333/86, DGVZ 1988, 11, 12; LG Itzehoe, Beschl. v. 14.07.1986, 7 T 84/86, DGVZ 1988, 11; LG Bochum, Beschl. v. 18.05.1982, 7 T 555/81, DGVZ 1983, 12; LG Lahn-Gießen, Beschl. v. 10.11.1978, 7 T 318/78, NJW 1979, 769; LG Fürth, Beschl. v. 27.05.1977, 11 T 3824/77, DGVZ 1977, 171, 172; FG Münster, Urt. v. 19.05. 1989, XVI 8287/88 (u. a.), DGVZ 1990, 31; AG Heidelberg, Beschl. v. 26.06.2014, 1 M 9/14, DGVZ 2015, 59, 60; AG Wuppertal, Beschl. 15.05.2008, 44 M 6516/08, juris, Rn. 6; AG Wetzlar, Beschl. v. 25.11.1986, 3 M 4514/86, DGVZ 1987, 174; AG München, Beschl. v. 12.12.1980, 33 M 2598/80, DGVZ 1981, 94, 95; AG Weilburg, Beschl. v. 02.02.1973, 5 M 55/73, DGVZ 1973, 78, 79; Bohn, DGVZ 1973, 167, 168; Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht, 31987, S. 144; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, 21982, S. 82; Kaiser, DGVZ 1966, 17, 20; Münzberg, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 222002, § 811 ZPO Rn. 28; Schneider/Becher, DGVZ 1980, 177, 183; Winterstein, Das Pfändungsverfahren des Gerichtsvollziehers, 1994, Rn. 149. 306 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 27 f. 307 Däubler, in: Bub/Knieper/Metz u. a. (Hrsg.), Zivilrecht im Sozialstaat, 2005, S. 39, 45. Zur Weiterführung dieses Gedankens mit Blick auf für die Internetnutzung notwendige Geräte vgl. Lewinski, RW 2011, 70, 75 f. 308 BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 15.
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bb) Der Verschuldung angemessen § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. erstreckte den Schutzbereich nur auf diejenigen Sachen, die der Schuldner zu einer seiner Berufstätigkeit und seiner Ver schuldung angemessenen, bescheidenen Lebens- und Haushaltsführung benötigt. Dieses einschränkende Kriterium sollte nach dem GNeuMoP und nach dem PKoFoG aufgegeben werden.309 d) Aktuelle Rechtslage aa) Hausrat Das GvSchuG folgt den Reformvorschlägen insofern, als auf die Aufzählung einzelner Beispiele verzichtet wird. Stattdessen bezieht sich der Pfändungsschutz ganz generell auf „Sachen“, die für eine bescheidene Lebens- und Haushaltsführung benötigt werden. bb) Der Verschuldung angemessen Das GvSchuG schließt sich den Reformvorschlägen an. Das einschränkende Kriterium „Verschuldung angemessen“ ist weggefallen. e) Stellungnahme aa) Persönlicher Schutzbereich Es empfiehlt sich, die Familie des Schuldners expressis verbis in den Schutzbereich zu integrieren. Allerdings wird der Schutzbereich überdehnt, wenn man alle Personen einbezieht, mit denen der Schuldner in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt.310 Die Pfändungsverbote müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen – unabhängig von einer ausdrücklichen Erwähnung – neben dem Schuldner auch dessen Familie schützen (Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG).311 Durch eine explizite Erwähnung der Familie lässt sich vermeiden, dass vertreten wird, die Familie des Schuldners dürfe im Kontext bestimmter Vollstreckungsverbote keine Berücksichtigung finden. Aus diesem Grunde haben beispielsweise die Schweiz und Österreich eine die Familie einbeziehende Gesetzesformulierung gewählt. Dort heißt es im Falle der Schweiz „die dem Schuldner und seiner Familie zum persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände“ (Art. 92 S. 1 Nr. 1 SchKG) und in Österreich „die dem persönlichen Gebrauch oder dem Haushalt dienenden Gegenstände, soweit sie einer bescheide-
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BT-Drs. 19/19850, S. 50 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7. Vgl. dazu Kapitel 4:§1:C.II. 311 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:C.I. 310
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nen Lebensführung des Verpflichteten und der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitglieder entsprechen“ (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 EO). bb) Sachlicher Schutzbereich (1) Hausrat Das GvSchuG folgt dem im GNeuMoP und im PKoFoG vorgeschlagenen Straffungsansatz. Das ist zu befürworten. Die bisherige Regel-Beispiel-Technik war unzweckmäßig, weil ein geeigneter Oberbegriff für alle schützenswerten Gegenstände gefunden werden kann.312 Mit der Regel-Beispiel-Technik ist nämlich die Gefahr verbunden, dass hinsichtlich weiterer möglicherweise zu schützender Gegenstände eine Ähnlichkeit mit den aufgezählten konkreten Schutzobjekten verlangt werden könnte. Außerdem bilden sich in den genannten Beispielen soziale und wirtschaftliche Verhältnisse ab, die ständigen Änderungen unterworfen sind. Der Gesetzgeber steht dann immer wieder vor dem Dilemma, durch Änderung der Beispielsaufzählungen den aktuellen Situationen Rechnung tragen zu müssen. Als Oberbegriff wurde „Hausrat“ diskutiert. So lautete der Vorschlag im GNeuMoP und im PKoFoG. Dieser Begriff bedarf einer systematischen Betrachtung.313 Im Kontext der Sicherung des physischen Existenzminimums spricht das Bundesverfassungsgericht ebenfalls von Hausrat.314 Im Sozialrecht arbeitet der Gesetzgeber gleichfalls mit dem Begriff des Hausrats (vgl. z. B. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII). Möglicherweise hat man bei den Reformvorschlägen an diese Terminologie anknüpfen wollen. Allerdings verwendet der Gesetzgeber mittlerweile im BGB – anders als früher in der HausratsVO – nicht mehr dem Terminus „Hausrat“, sondern den der Haushaltsgegenstände (§§ 1361a, 1568b BGB; vgl. auch § 200 Abs. 2 FamFG). Darunter werden im Wege einer Analogie auch Nahrungsmittel und Heizmaterial subsumiert.315 Im Versicherungsrecht ist die Bezeichnung „Hausrat“ wei312 Auch in anderen europäischen Ländern werden bislang die unpfändbaren Haushaltsgegenstände im Wege einer Aufzählung genannt, vgl. z. B. für Luxemburg Art. 728 Abs. 1 Nr. 2 Nouveau Code de procédure civile, für Polen Art. 829 Nr. 1 Kodeks postępowania cywilnego, für die Schweiz Art. 92 Nr. 1 SchKG und für die Slowakei § 115 Abs. 2 lit. b) Exekučný poriadok. Anders der Ansatz in Österreich, wo mit einem Oberbegriff gearbeitet wird („die dem persönlichen Gebrauch oder dem Haushalt dienenden Gegenstände“), vgl. § 250 Abs. 1 Nr. 1 EO. 313 Kritisch auch Sternal, VIA 2010, 41, 43. 314 BVerfG, Urt. v. 18.07.2012, 1 BvL 10/10 (u. a.), BVerfGE 132, 134, 160; BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 223. 315 Kloster-Harz/Schönberger, in: Grandel/Stockmann (Hrsg.), StichwortKommentar Familienrecht, 22014, Haushaltssachen Rn. 3; Kunz/Heiß, in: Heiß/Heiß/Kunz u. a. (Hrsg.), FormularBibliothek Zivilprozess – Familienrecht, 32016, § 13 Haushaltsauseinandersetzung Rn. 18; Weinreich, in: Staudinger (Hrsg.), J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 2018, § 1568b BGB Rn. 12.
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terhin üblich, beispielsweise bei der Hausratsversicherung. Der Versicherungsumfang erstreckt sich auch auf Lebensmittel.316 Fest steht somit, dass der Gesetzgeber den Begriff des Hausrats nicht ein heitlich verwendet. Naheliegend ist es, dass das GNeuMoP und das PKoFoG an die sozialrechtliche Terminologie anknüpfen wollten. Im Sozialrecht geht es dem Gesetzgeber nämlich – wie bei den Vollstreckungsverboten – um den Schutz des menschenwürdigen Daseins. Wie beispielsweise § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II entnommen werden kann, differenziert der Gesetzgeber zwischen Ernährung, Hausrat und Haushaltsenergie. Diese Einteilung weist eine Parallelität zu dem vorgeschlagenen § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO i. d. F. durch das GNeuMoP bzw. das PKoFoG (Hausrat) und § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. (Nahrungs-, Feue rungs- und Beleuchtungsmittel) auf. Wegen des auch ansonsten engen Kon nexes zwischen Sozialrecht und Pfändungsschutz im Hinblick auf den staat licherseits zu gewährenden Mindestschutzes wäre der Begriff „Hausrat“ systematisch stimmig. Indes könnte darüber nachgedacht werden, die Pfändungsverbote in komprimierter Form zu generalisieren, indem mit Oberbegriffen gearbeitet wird, die den Schutzumfang mehrerer bisher in § 811 Abs. 1 ZPO separat formulierter Pfändungsverbote zusammenfassen. Das GvSchuG beschreitet diesen Weg, indem ganz generell von „Sachen“ gesprochen wird. Diese Formulierung schließt dann nicht nur den Hausrat ein, sondern integriert auch den Schutzumfang von § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. Der Ansatz des GvSchuG erweist sich so als begrüßenswerter Beitrag zur Straffung der Pfändungsverbote, ohne dass eine Schutzreduktion eintritt. (2) Verschuldung angemessen § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. erstreckte den Schutzbereich nur auf diejenigen Sachen, die der Schuldner zu einer seiner Berufstätigkeit und seiner Ver schuldung angemessenen, bescheidenen Lebens- und Haushaltsführung benötigt. Da die Norm das menschenwürdige Dasein des Schuldners schützen will, kann das Maß der Verschuldung des Schuldners aber keine Rolle spielen. Das Grundrecht fragt nicht danach, was sich jemand nach dem Grad seiner Verschuldung noch leisten darf.317 Anders ausgedrückt: Was man zum Leben braucht, ist unabhängig von der Verschuldung. Es handelt sich um inkommensurable Bezugspunkte. Deshalb ist es begrüßenswert, dass sich der Reform gesetzgeber des GNeuMoP und des PKoFoG von diesem einschränkenden Kriterium verabschieden wollte. Diesen Schritt hat das GvSchuG nunmehr voll zogen. 316 Jula, in: ders. (Hrsg.), Sachversicherungsrecht, 42018, E. Einzelne versicherte Gefahren 4. Blitzschlag. 317 Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 188.
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2. § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F. § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F. entsprach inhaltlich exakt § 19b der Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechts pflege und Verwaltung vom 14.06.1932.318 Schon vor der Einführung von § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F. war umstritten, ob der für erforderlich gehaltene Pfändungsschutz nicht bereits mit Hilfe von § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. gewonnen werden kann.319 Durch § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F. wurde Wohnzwecken dienenden Einrichtungen, wie Gartenhäusern und Wohnlauben, im Anwendungsbereich der Mobiliarvollstreckung Vollstreckungsschutz vermittelt, wenn der Schuldner oder seine Familie ihrer zur ständigen Unterkunft bedürfen. Überwiegend wurde diese Vorschrift kritisch beurteilt.320 Im Rahmen der Immobiliarvollstreckung existiert kein vergleichbarer Vollstreckungsschutz.321 Diese unterschiedliche Behandlung von Wohnraum wird vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft.322 Trotzdem wurde an dieser Vorschrift im GNeuMoP und im PKoFoG festgehalten. Gestrichen werden sollten nur die beiden Beispiele für Wohnzwecken dienende Einrichtungen (Gartenhäuser und Wohnlauben).323 Das GvSchuG behält das Pfändungsverbot in der bisherigen Form bei und ist damit den dagegen geäußerten Bedenken weiterhin ausgesetzt.324 a) Normzweck Fest steht, dass der Gesetzgeber das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein sowohl bei der Mobiliarvollstreckung als auch bei der Immobiliarvollstreckung und bei der Herausgabevollstreckung gewährleisten muss. Was zur ständigen Unterkunft benötigt wird, sichert das menschenwürdige Dasein. Ein unfreiwilliges Leben in Obdachlosigkeit ist nicht menschenwürdig. aa) Grundrechtliche Herleitung Allerdings lässt sich der Schutz nicht mit Art. 13 Abs. 1 GG begründen. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung schützt nicht das Besitzrecht 318 RGBl. I 1932, S. 285, 294. So dann auch in § 19c der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 26.05.1933, vgl. RGBl. I 1933, S. 302, 308. 319 Dagegen KG, Beschl. v. 01.06.1928, 8 W 5121/28, JW 1930, 723. Dafür Jonas, JW 1930, 723. 320 Duckstein/Timmerbeil, DGVZ 2009, 10, 12. Vgl. auch Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 32. Zimmermann, ZInsO 2011, 2011 hält die Vorschrift bei richtiger Anwendung kaum jemals für einschlägig. 321 Duckstein/Timmerbeil, DGVZ 2009, 10. 322 Dies., DGVZ 2009, 10, 12. 323 BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7. 324 BR-Drs. 62/21, S. 4.
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an einer Wohnung, sondern deren Privatheit. Deshalb umfasst der Schutzbereich nicht das Interesse, eine bestimmte Wohnung zum Lebensmittelpunkt zu erklären und diese zu diesem Zwecke zu behalten.325 Im Falle unfreiwilliger Obdachlosigkeit ist aber vor allem der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Leben und körperliche Unversehrtheit) eröffnet,326 und zusätzlich der von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht), Art. 6 Abs. 1 GG (Ehe, Familie) und ggf. Art. 14 GG (Schutz von Vermögens gegenständen).327 bb) Vergleich mit Herausgabevollstreckung und Immobiliarvollstreckung Klärungsbedürftig ist, warum der Gesetzgeber es nur in der Mobiliarvollstreckung für notwendig hielt, konkrete Pfändungsverbote zu normieren. Wenn nämlich das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in Bezug auf Wohnraum in der Immobiliarvollstreckung und in der Herausgabevollstreckung nicht geschützt sein sollte, bestünde eine verfassungswidrige Lage. Zugleich wäre die Normierung eines speziellen Pfändungsverbots für die Mobiliarvollstreckung systematisch überflüssig, wenn das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in der Herausgabevollstreckung und in der Immobiliarvollstreckung auf einem anderen Wege ausreichend geschützt wäre, der auch für die Mobiliarvollstreckung gangbar wäre. In diesem Fall hätte man schon früher auf § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F. verzichten können. Diese Problemlage existiert immer noch mit Blick auf § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. (1) Vollstreckungsschutz durch § 765a ZPO Im Rahmen der Herausgabevollstreckung wird Vollstreckungsschutz u. a. durch § 765a ZPO garantiert.328 Bei der Immobiliarvollstreckung kann aus dem Zuschlagsbeschluss gegen den Besitzer des Grundstücks die Zwangsvollstreckung auf Räumung und Herausgabe betrieben werden (§ 93 Abs. 1 S. 1 ZVG). Der bisherige Eigentümer kann über § 765a ZPO Vollstreckungsschutz geltend machen.329
325
BVerfG, Beschl. v. 26.05.1993, 1 BvR 208/93, BVerfGE 89, 1, 12. OVG Lüneburg, Beschl. v. 14.12.2009, 11 ME 316/09, NZM 2011, 371, 372; VGH München, Beschl. v. 24.09.1999, 4 ZS 99.2753, juris, Rn. 4. 327 Ruder, NVwZ 2012, 1283, 1284. 328 Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 765a ZPO Rn. 15; Schuschke, NZM 2015, 233, 237; Thomas/Putzo/Seiler, § 765a ZPO Rn. 11a. 329 BGH, Beschl. v. 02.03.2017, I ZB 66/16, NZM 2017, 473, 475; Böttcher, in: ders. (Hrsg.), ZVG, 62016, § 93 ZVG Rn. 15; BeckOK-Mietrecht/Fleindl, Zwangsvollstreckung Rn. 161. 326
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(2) § 765a ZPO bei drohender Obdachlosigkeit Allerdings ist umstritten, ob der Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO erfolgreich auf eine drohende Obdachlosigkeit gestützt werden kann. Insofern darf sich die Diskussion nicht um die Frage drehen, ob die Lasten der Obdachlosenfürsorge dem Gläubiger überbürdet werden dürfen.330 Diese Betrachtungsweise ist disparat zu dem punctum saliens, nämlich dem Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners und kann insofern in diesem Kontext nicht argumentationsrelevant sein. Teilweise wird vertreten, dass ein Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO nicht auf eine drohende Obdachlosigkeit gestützt werden könne.331 Zur Begründung wird angeführt, dass die drohende Obdachlosigkeit eine vom Gesetzgeber gebilligte Folge jeder Räumung sei und deswegen keine sittenwidrige Härte darstelle.332 Die Ordnungsbehörden seien verpflichtet, die Obdachlosigkeit des Schuldners zu vermeiden.333 Überzeugender ist die Auffassung, die im Falle einer drohenden Obdach losigkeit eine sittenwidrige Härte annimmt.334 Die Vollstreckungsschutzvorschriften müssen im Einklang mit den grundrechtlichen Wertentscheidungen ausgelegt werden. Deshalb darf keine Vollstreckungsmaßnahme zugelassen werden, die in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners eingreift. Allerdings wird in praxi häufig keine unfreiwillige Obdachlosigkeit drohen, weil die Ordnungsbehörden gehalten sind, einen solchen Zustand zu vermeiden.335 § 765a ZPO dient – so gesehen – dann lediglich der Überbrückung eines kurzen Zeitraums, bis die Ordnungsbehörde reagieren kann. Sollte die Ordnungsbehörde aber noch keinen Ersatzwohnraum beschafft haben, darf die Räumungsvollstreckung aus dem genannten Grunde nicht durchgeführt werden. 330 So aber z. B. BGH, Beschl. v. 21.01.2016, I ZB 12/15, NJW-RR 2016, 583, 585; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 43 Rn. 19; HK-ZV/Kindl, § 765a ZPO Rn. 4. 331 OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.09.1961, 2 W 112/61, NJW 1961, 2119; LG Limburg, Beschl. v. 23.07.2020, 7 T 116/20, juris, Rn. 19; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30.04.2020, 2-11 T 43/20, juris, Rn. 6; AG Düsseldorf, Beschl. v. 19.03.1997, 64 M 1397/97, NJWE-MietR 1997, 223, 224; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 58; BeckOK-ZPO/Ulrici, § 765a ZPO Rn. 17.3. 332 AG Düsseldorf, Beschl. v. 19.03.1997, 64 M 1397/97, NJWE-MietR 1997, 223, 224. 333 OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.09.1961, 2 W 112/61, NJW 1961, 2119; LG Limburg, Beschl. v. 23.07.2020, 7 T 116/20, juris, Rn. 19; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30.04.2020, 2-11 T 43/20, juris, Rn. 6; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 58; Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 765a ZPO Rn. 15; BeckOK-ZPO/Ulrici, § 765a ZPO Rn. 17.3. 334 LG Hamburg, Beschl. v. 22.02.1991, 311 T 12/91, juris, Rn. 5; AG Aachen, Beschl. v. 23.07.2012, 903 M 1236/12, juris, Rn. 9; Lehmann-Richter, in: Schmidt-Futterer (Hrsg.), Mietrecht, 142019, § 765a ZPO Rn. 25; Zöller/Seibel, § 765a ZPO Rn. 12. 335 Vgl. Lehmann-Richter, in: Schmidt-Futterer (Hrsg.), Mietrecht, 142019, § 765a ZPO Rn. 25.
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b) Stellungnahme Ein Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO reicht aus, um das menschenwürdige Dasein in Bezug auf den Wohnraum des Schuldners zu sichern, sofern er prozessual adäquat umgesetzt wird.336 Dass der Gesetzgeber in Bezug auf Wohnraum, welcher der Mobiliarvoll streckung unterliegt, nach wie vor, und zwar in § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, ein eigenständiges Pfändungsverbot normiert hat, führt zu einem stärkeren Schutz als in § 765a ZPO. Diese Situation erklärt sich aus der Entwicklung der betreffenden Vorschriften. Während ein mit § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vergleichbarer Pfändungsschutz schon durch die Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung vom 14.06.1932 kodifiziert worden war,337 ist eine mit § 765a ZPO vergleichbare Vorschrift erst durch das Gesetz zur Verhütung mißbräuchlicher Ausnutzung von Vollstreckungsmöglichkeiten vom 13.12.1934 eingeführt geworden.338 Mit dem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20.08.1953 hat der Gesetzgeber dann beide Vorschriften in die ZPO eingefügt.339 Er scheint dabei übersehen zu haben, dass auf diese Weise der Pfändungsschutz für Wohnraum im Bereich der Mobiliarvollstreckung anders ausgestaltet wurde als der Pfändungsschutz für Wohnraum in der Herausgabe- bzw. Immobiliarvollstreckung. Das führt dazu, dass sowohl Schuldner als auch Gläubiger in den genannten Situationen unterschiedlich behandelt werden. Es sind keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht ersichtlich, welche diese ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.340 Es fehlt schon an einem legitimen Zweck, der die geschilderte Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte.341 Damit erweist sich § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (wie auch schon § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F.) als verfassungswidrig.342 Die Norm greift in Grundrechte des Gläubigers in einer Weise ein, die zum Schutz des Schuldners nicht erforderlich ist. Der legitime Zweck – nämlich den Schuldner vor entwürdigender Obdachlosigkeit zu schützen – kann durch das mildere und gleich geeignete Mittel des Vollstreckungsschutzantrags nach § 765a ZPO verwirklicht werden. 336 Vgl. zum Problem der adäquaten prozessualen Umsetzung bereits Steinmeier, Bürger ohne Obdach – Zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum, 1992, S. 74 f. 337 RGBl. I 1932, S. 285, 294. 338 RGBl. I 1934, S. 1234. 339 BGBl. I 1953, S. 952 f. 340 Vgl. zur sog. „neuen Formel“ bei personenbezogenen Ungleichbehandlungen BVerfG, Beschl. v. 07.02.2012, 1 BvL 14/07, BVerfGE 130, 240, 253; BVerfG, Urt. v. 20.04.2004, 1 BvR 1748/99 (u. a.), BVerfGE 110, 274, 291; BVerfG, Beschl. v. 26.01.1993, 1 BvL 38/92 (u. a.), BVerfGE 88, 87, 97. 341 So auch Duckstein, Der Schutz des Eigenheims in der Insolvenz, 2008, S. 241. 342 In diese Richtung auch ders., Der Schutz des Eigenheims in der Insolvenz, 2008, S. 241 („zumindest verfassungsrechtlich bedenklich“).
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II. § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. Schon in § 715 Nr. 2 CPO i. d. F. von 1877 waren die für den Schuldner, seine Familie und sein Gesinde auf zwei Wochen erforderlichen Nahrungs- und Feuer ungsmittel geschützt.343 Durch die CPO-Novelle von 1898 wurde der Schutz in zeitlicher Hinsicht auf vier Wochen ausgedehnt. Fernerhin wurden Beleuchtungsmittel in den sachlichen Schutzbereich einbezogen. Hinzu kam weiterhin der Schutz für einen zur Beschaffung erforderlichen Geldbetrag.344 1. Normzweck Durch § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. wurden auf der Verbrauchsseite des Schuldners die für vier Wochen erforderlichen Nahrungs-, Feuerungs- und Beleuchtungsmittel bzw. der für ihre Beschaffung erforderliche Geldbetrag geschützt. Es ging also primär um den Schutz des menschenwürdigen Daseins in physischer Hinsicht. 2. Reformbestrebungen a) Persönlicher Schutzbereich Anders als vorher sollten nach den Reformvorschlägen des GNeuMoP und des PKoFoG neben dem Schuldner und seiner Familie auch die Hausangehörigen in den Schutzbereich einbezogen werden, die nicht im Haushalt helfen.345 b) Sachlicher Schutzbereich § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. nannte neben Nahrungs- und Feuermitteln auch Beleuchtungsmittel. Der Schutz von Beleuchtungsmitteln wurde kritisch gesehen. Da es heute nur noch um Strom und Energie gehen könne, wurde vorgeschlagen, die Beleuchtungsmittel aus dem Katalog des § 811 Abs. 1 ZPO zu streichen.346 Dem folgten die Vorschläge des GNeuMoP und des PKoFoG.347 c) Zeitliche Beschränkung Weiterhin wurde kritisiert, dass es unangemessen sei, dem Schuldner Vorräte lediglich für einen Zeitraum von vier Wochen zu belassen. Gerade bei Feuerungsmitteln sei es üblich, diese in solchen Mengen zu erwerben, dass sie für ein halbes oder sogar für ein ganzes Jahr ausreichten. Im Falle einer teilweisen Pfändung sei der Schuldner gezwungen, Feuerungsmittel zu deutlich ungünsti343
RGBl. 1877, S. 213. RGBl. 1898, S. 256, 305; zustimmend Stein, ZZP 24 (1898), 209, 249. 345 BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 15 f. 346 Glenk, ZRP 2013, 232, 234. 347 BT-Drs. 19/19850, S. 50 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7. 344
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geren Konditionen neu zu erwerben.348 Außerdem sei die Pfändung von Feuerungsmitteln wirtschaftlich nicht sinnvoll, da die Kosten der Verwertung außer Verhältnis zu dem erzielbaren Erlös stünden.349 Gleichermaßen sollten Nahrungsmittel ausnahmslos unpfändbar sein. Es könne nicht angehen, dass der Gerichtsvollzieher schätzen müsse, inwieweit die vorhandenen Lebensmittelvorräte für mehr als vier Wochen ausreichten.350 Vor diesem Hintergrund wollten das GNeuMoP und das PKoFoG die Beschränkung des vorhandenen Vorrats auf vier Wochen entfallen lassen. Für den Fall, dass der Schuldner nicht über die erforderlichen Vorräte verfügt und ihre Beschaffung auf anderem Wege nicht gesichert ist, sollte ihm nach dem GNeuMoP und dem PKoFoG der für einen Zeitraum von einem Monat erforderliche Geldbetrag belassen werden.351 3. Aktuelle Rechtslage a) Persönlicher Schutzbereich Das GvSchuG sieht vor, beim Pfändungsschutz generell die Personen zu berücksichtigen, mit denen der Schuldner in einem gemeinsamen Haushalt lebt. b) Sachlicher Schutzbereich Das GvSchuG hat § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. gänzlich gestrichen. Der erforderliche Schutz soll – so der Gesetzgeber – über § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) ZPO gewährt werden, indem dort ganz generell Sachen geschützt werden, die für eine bescheidene Lebens- und Haushaltsführung benötigt werden. c) Zeitliche Beschränkung Das GvSchuG folgt den Reformvorschlägen aus dem GNeuMoP und dem PKoFoG. Die Beschränkung des geschützten Vorrats auf vier Wochen ist entfallen. Allerdings wird für den Fall, dass der Schuldner nicht über die erforderlichen Vorräte verfügt und ihre Beschaffung auf anderem Wege nicht gesichert ist, kein schützenswerter Geldbetrag vorgesehen.
348
BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 15 f. BT-Drs. 17/2167, S. 15 f. 350 Glenk, ZRP 2013, 232, 234. 351 BT-Drs. 19/19850, S. 50, 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7, 15. ders., ZRP 2013, 232, 234 schlägt einen Zeitraum von drei Monaten vor. 349
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4. Stellungnahme a) Persönlicher Schutzbereich Die grundrechtlichen Vorgaben gebieten es, neben dem Schuldner auch dessen Familie352 in den Schutzbereich der Pfändungsverbote einzubeziehen. Dies kann aber nicht für beliebige sonstige Hausangehörige gelten.353 Deshalb gingen schon die Reformideen des GNeuMoP und des PKoFoG zu weit. Gleiches gilt nun für die Regelung durch das GvSchuG. b) Sachlicher Schutzbereich Angesichts der unterschiedlichen Reformansätze im GNeuMoP und im PKoFoG einerseits und der jetzt im GvSchuG getroffenen Gestaltung andererseits gilt es, diese Alternativen gegeneinander abzuwägen. aa) Beleuchtungsmittel In der Tat ist der Schutz von Beleuchtungsmitteln in § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. nicht erforderlich. Selbstverständlich gehört es zu einem menschenwürdigen Dasein des Schuldners, nicht in Dunkelheit leben zu müssen. Lampen waren jedoch schon durch § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. geschützt („dem Haushalt dienenden Sachen“). Bei diesem Schutz bleibt es auch in § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) ZPO („Sachen, die für eine bescheidene Lebens- und Haushaltsführung benötigt werden“). bb) Feuerungsmittel Der Begriff „Feuerungsmittel“ mag antiquiert erscheinen. Sucht man nach einer Alternative, könnte man an einen Rückgriff auf den Terminus „Haushalts energie“ aus dem Sozialrecht (vgl. z. B. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II) denken. Das ist aber nicht möglich, da Haushaltsenergie keine körperliche Sache ist, auf die in der Mobiliarvollstreckung zugegriffen werden könnte. Das Sozialrecht spricht von Haushaltsenergie deshalb auch im Zusammenhang mit dem Regelbedarf. Die im GvSchuG vorgesehene Lösung, auf eine explizite Erwähnung von Feuerungsmitteln zu verzichten, ist der Fokussierung wegen empfehlenswert. Man kann die Feuerungsmittel der dort gewählten Formulierung nach unter das subsumieren, was für die Lebens- und Haushaltsführung notwendig ist (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) ZPO).
352 353
Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:C.I. Kapitel 4:§1:C.II.
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c) Zeitliche Beschränkung Steht dem Grunde nach der Schutz bestimmter Gegenstände fest, bleibt immer noch die Frage nach der zeitlichen Dimension dieses Schutzes offen. Wie das bisher geltende deutsche Recht kennen auch andere Rechtsordnungen eine zeitliche Beschränkung. In Art. 92 S. 1 Nr. 5 SchKG sieht der schweizerische Gesetzgeber eine Beschränkung auf die zwei auf die Pfändung folgenden Monate vor. In Polen erstreckt sich der Schutz auf einen Zeitraum von einem Monat (Art. 829 Nr. 2 Kodeks postępowania cywilnego). Der österreichische Gesetzgeber beschränkt das entsprechende Pfändungsverbot in § 250 Abs. 1 Nr. 3 EO auf vier Wochen. Die im GNeuMoP, im PKoFoG und im GvSchuG vorgesehene Aufhebung einer zeitlichen Beschränkung verstärkt den Schutz in wünschenswerter Weise.354 Zugleich wird dadurch die Praktikabilität der Vorschrift erhöht, weil der Gerichtsvollzieher keine komplizierten Berechnungen mehr anstellen muss. Die Feinjustierung bezüglich der Dauer des Schutzes liegt verfassungsrechtlich betrachtet in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, da der notwendige Schutz des menschenwürdigen Daseins insofern keine quantitativen Ableitungen zulässt. d) Surrogate Der Gesetzgeber verwies den Schuldner für den Fall, dass er über die nötigen Vorräte nicht verfügt, zunächst auf eine Beschaffung auf anderem Wege (§ 811 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 ZPO a. F.). Dabei kann es sich etwa um eine anstehende Lohnzahlung handeln, die dann die Anschaffung der entsprechenden Vorräte erlaubt.355 Das ist gleichfalls so, wenn der erforderliche Betrag dem Schuldner auf einem Pfändungsschutzkonto (§ 850k ZPO) pfändungsfrei zur Verfügung steht.356 Falls ein solch anderer Weg nicht gangbar ist, sollte der zur Beschaffung erforderliche Geldbetrag geschützt werden. Diese Variante wurde 1898 eingefügt.357 Später, nämlich 1934, wurde in § 811 ZPO ein Pfändungsschutz für „wiederkehrende Einkünfte“ (Nr. 8) vorgesehen.358 Dadurch entstand ein Abstimmungsbedarf zwischen § 811 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 ZPO a. F. und § 811 Abs. 1 Nr. 8 354 So auch die Vorgesehensweise des niederländischen Gesetzgebers in Art. 447 Abs. 1 lit. c. Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering bezüglich des Schutzes von Lebensmitteln. 355 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 13; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 22; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 33. 356 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 13; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 26; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 28. 357 RGBl. 1898, S. 256, 305. 358 RGBl. I 1934, S. 1070.
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ZPO a. F. Denn wiederkehrende Einkünfte können dafür eingesetzt werden, schutzwürdige Vorräte zu besorgen. Im GNeuMoP wurde dieser Zusammenhang gesehen. Der Vorschlag sah vor, einen nach § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. zu belassenden Geldbetrag auf den von § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. geschützten Geldbetrag anzurechnen. Diese Lösung ist aber nicht notwendig, wenn man annimmt, dass die durch § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. geschützten Geldbeträge teilweise als Anschaffungsmittel für die in § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. genannten Vorräte verwendet werden können. Nur unter dieser Voraussetzung war ein Verzicht auf die besondere Schutz modalität in § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. vertretbar, dann aber auch – wegen der nötigen Berücksichtigung der grundrechtlichen Positionen des Gläubigers – geboten. Folglich war es konsequent, § 811 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 ZPO a. F. zu streichen, wie es das GvSchuG getan hat. III. § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F. Die Wurzeln von § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F. liegen in § 715 Nr. 3 CPO (1877).359 Während sich der Schutz in zeitlicher Hinsicht zunächst auf Futter und Stroh für zwei Wochen beschränkte, sah die CPO-Novelle von 1898 einen Zeitraum von vier Wochen vor. Außerdem wurde der Schutz um die Geldbeträge ergänzt, die zur Beschaffung entsprechender Vorräte für zwei Wochen erforderlich sind.360 Diese Erweiterungen lassen den pragmatischen Geist erkennen, auf praktische Bedürfnisse des Alltags Rücksicht zu nehmen. 1. Normzweck § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F. sicherte einen Mindestbestand an Vieh, welcher der Ernährung des Schuldners, seiner Familie bzw. seiner Hausangehörigen dient. Die Vorschrift hatte ersichtlich eine ältere, heute nicht mehr dominant anzutreffende Wirtschaftsweise im Blick. Das ändert aber nichts daran, dass dort, wo diese Wirtschaftsweise noch anzutreffen ist – und sei es auch nur vereinzelt – diese Wirtschaftsweise nach wie Schutz verdient, weil sie das menschenwürdige Dasein in physischer Hinsicht absichert. 2. Reformbestrebungen a) Persönlicher Schutzbereich Wie schon bei § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. sollte der Schutz auch hier nach dem GNeuMoP und nach dem PKoFoG nicht mehr nur auf Hausangehörige erstreckt werden, die dem Schuldner helfen, sondern auf alle Hausangehörigen. 359
360
RGBl. 1877, S. 213. RGBl. 1898, S. 256, 306.
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b) Sachlicher Schutzbereich Durch das GNeuMoP und durch das PKoFoG sollte der Regelungsgehalt von § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F. beibehalten werden. Allerdings wurde zu Zwecken der Übersichtlichkeit eine Straffung der Norm als notwendig angesehen. Deshalb wurde vorgeschlagen, die genaue Auflistung der Tiere entfallen zu lassen.361 c) Zeitliche Beschränkung Das GNeuMoP und das PKoFoG wollten an der zeitlichen Beschränkung beim Schutz der Vorräte zur Fütterung und zur Streu grundsätzlich festhalten. Zur Vereinheitlichung der Angabe von Zeiträumen im Zwangsvollstreckungsrecht sollte nicht mehr von „vier Wochen“ die Rede sein, sondern von einem vollen Monat.362 3. Aktuelle Rechtslage a) Persönlicher Schutzbereich Nach dem GvSchuG ist Bezugspunkt des Schutzes der Schuldner oder eine Person, mit der er in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt (§ 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO). b) Sachlicher Schutzbereich Das GvSchuG geht über die Reformvorschläge des GNeuMoP und des P KoFoG hinaus. Es erweitert den Pfändungsschutz für Tiere in dem Sinne, dass sowohl Tiere geschützt sind, die nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden als auch Tiere, die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt werden (§ 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO). c) Zeitliche Beschränkung § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO i. d. F. durch das GvSchuG schützt umfassend – ohne zeitliche Beschränkung – das für die Tiere erforderliche Futter und die erforderliche Streu. 4. Stellungnahme a) Persönlicher Schutzbereich Was die Erwägungen zum persönlichen Schutzbereich angeht, gilt: Die Erstreckung des Schutzes auf den Kreis der Familie des Schuldners ist verfassungs361
362
BT-Drs. 17/2167, S. 16. BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 16.
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rechtlich geboten. Für eine Ausweitung des Schutzes auf sonstige Haushalts angehörige besteht kein verfassungsrechtlicher Grund. Die Reformideen des GNeuMoP und des PKoFoG sowie die Umsetzung im GvSchuG gehen insofern zu weit und berücksichtigen die Gläubigerinteressen nicht in adäquater Weise.363 b) Sachlicher Schutzbereich Die Aufzählung von Tieren in § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F. war schon immer problematisch. So waren ursprünglich Schweine nicht ausdrücklich geschützt. Trotzdem wurde es im Wege einer „ausdehnenden Anwendung“ für notwendig erachtet, die Norm auch auf Schweine anzuwenden.364 Erst durch die Verordnung zur Ergänzung der Vorschriften über den Pfändungsschutz bei der Fahrnisvollstreckung vom 17.07.1939 wurde ein ausdrückliches Pfändungsverbot für Schweine geschaffen.365 Das Beispiel zeigt, dass die Aufzählung einzelner Tierarten sich ständig als ergänzungsbedürftig erweisen kann. Deswegen ist eine Gesetzgebungstechnik vorzuziehen, die einen aussagekräftigen Oberbegriff vorgibt, der die Einbeziehung von Tierarten erlaubt, wenn sich diese in eigenwirtschaftlicher Hinsicht als relevant erweisen. Um ein Beispiel zu nennen: Bienen sind keine Kleintiere (so § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F.), können aber wegen des mit ihrer Hilfe zu gewinnenden Honigs (wie die Milch der Kuh) der Ernährung dienen. In dieser Hinsicht ist der Ansatz im GvSchuG geeignet, der den Pfändungsschutz generell auf nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere bezieht (§ 811 Abs. 1 Nr. 8 lit. a) ZPO). Auch wenn der Normzweck von § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F. bisher auf eine Versorgungskomponente abzielt, darf nicht übersehen werden, dass Tiere auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt werden können. In dieser Hinsicht ist der bisherige Pfändungsschutz nicht ausreichend präzise geformt. Bei Personen, die Landwirtschaft betreiben, ergab sich der erforderliche Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. Bei Personen hingegen, die einer sonstigen Erwerbstätigkeit nachgehen, konnte der Pfändungsschutz nur mit Hilfe von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. gewonnen werden.366 Insofern war es jedoch problematisch, dass die Norm ausdrücklich von Gegenständen – nicht aber von Tieren 363 Die Erwägungen sind insofern parallel zu § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F., vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.II.4.a). 364 LG Hannover, Beschl. v. 26.02.1936, 1 T 156/36, JW 1936, 1484; Jonas, DJ 1936, 116; Pohle, JW 1936, 1222, 1223. A. A. OLG Hamburg, Beschl. v. 02.03.1936, 1 W 80/36, JW 1936, 1222. 365 RGBl. I 1939, S. 1313. 366 AG Itzehoe, Beschl. v. 15.11.1995, 24 M 4020/95, DGVZ 1996, 44. So auch Heuser, ZKF 2013, 44; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 25; Meller-Hannich, MDR 2019, 713, 714; Schmid, JR 2013, 245, 246; Stolting II/Zoebe, Das Tier im Recht, 1962, S. 122 f.; Tuma-Koch, Die Sonderstellung von Tieren im Zivilrecht, 2021, S. 330. Dietz, DGVZ 2003, 81, 83 rechnete die Tiere den Betriebsmitteln zu.
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– sprach. Da der Gesetzgeber in § 811 Abs. 1 ZPO a. F. zwischen Gegenständen und Tieren differenzierte, war der Umkehrschluss nicht fernliegend, dass § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. gerade nicht auf Tiere anwendbar sei. Freilich kann § 90a S. 3 BGB die Wertung entnommen werden, dass – soweit passend – auf Tiere auch die für Gegenstände maßgeblichen Vorschriften anwendbar sind. Da die erwerbswirtschaftliche Betätigung – sei es mit, sei es ohne Tiere – verfassungsrechtlichen Schutz genießt 367, ist der Ansatz im GvSchuG zu befürworten, ausdrücklich Pfändungsschutz für Tiere zu normieren, die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt werden (§ 811 Abs. 1 Nr. 8 lit. b) ZPO). c) Zeitliche Beschränkung § 811 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 ZPO a. F. war parallel zu § 811 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 ZPO a. F. gestaltet. Das GNeuMoP und das PKoFoG schienen aber davon auszu gehen, dass die Interessenlage des Schuldners hinsichtlich der zur Fütterung und zur Streu erforderlichen Vorräte nicht mit derjenigen hinsichtlich der Nahrungsund Feuerungsmittel vergleichbar sei. So erklärt es sich, dass bei den Nahrungsund Feuerungsmitteln keine zeitliche Vorgabe mehr existieren sollte, während für die zur Fütterung und zur Streu erforderlichen Vorräte eine Monatsbegrenzung vorgesehen war. Auch in diesem Punkt ist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schweizer Recht und dem österreichischen Recht feststellbar. Die Schweiz gewährt Schutz für vier Monate (Art. 92 S. 1 Nr. 4 SchKG). In Österreich sind es vier Wochen (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 EO). Erneut gilt: Dem Gesetzgeber steht hier ein gestalterisches Auswahlermessen zur Verfügung. Der notwendige Schutz des menschenwürdigen Daseins sagt nur etwas zu dem prinzipiell erforderlichen Schutz, ohne in zeitlicher Hinsicht genaue Vorgaben zu erlauben. Eine kohärente Lösung sollte aber die parallele Interessenlage zwischen § 811 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 ZPO a. F. und § 811 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 ZPO a. F. berücksichtigen. Deshalb ist es positiv zu bewerten, dass das GvSchuG die zeitliche Begrenzung für den Schutz des erforderlichen Futters und der erforderlichen Streu aufgegeben hat. Dies dient auch der Vereinfachung in der Praxis. Es ist nicht immer leicht feststellbar, welche Menge Futter in einem bestimmten Zeitraum benötigt wird. Hier führt der Gedanke, die Arbeit des Gerichtsvollziehers zu vereinfachen in dieselbe Richtung wie die hier verfochtene Zielidee.368 d) Surrogate Der Schutz des Geldbetrages, der für die Beschaffung eines Fütterungs- und Streuvorrats gewährt wird, entsprach dem, der in § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. 367
Vgl. dazu noch Kapitel 4:§2:A.VI.1. zu der Überlegung, die Arbeit des Gerichtsvollziehers zu vereinfachen, BR-Drs. 62/21, S. 18, 31. 368 Vgl.
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für Vorräte an Nahrungs-, Feuerungs- und Beleuchtungsmittel vorgesehen war. Hier wie dort traf den Gesetzgeber die Pflicht, das menschenwürdige Dasein des Schuldners zu schützen. Dies ist hinsichtlich der für die Beschaffung erforderlichen Geldmittel aber schon durch § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (bisher: § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F.) gewährleistet.369 § 811 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 Var. 2 ZPO a. F. ist also zu Recht durch das GvSchuG gestrichen worden. IV. § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. geht auf § 715 Nr. 5 CPO i. d. F. von 1877 zurück. Indes war seinerzeit noch nicht der Aspekt der „Sicherung des Unterhalts des Schuldners, seiner Familie und seiner Arbeitnehmer“ enthalten.370 Die bis dahin maßgebliche Fokussierung der Norm auf zur landwirtschaftlichen Tätigkeit benötigte Gegenstände wurde durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20.08.1953 mit Blick auf die Subsistenzbedürfnisse des Schuldners in der Landwirtschaft ausgeweitet,371 indem in der Begründung von „einer gesicherten Mindestlebenshaltung des Landwirtes“ als notwendige Bedingung für eine „geordnete Wirtschaftsführung“ gesprochen wurde. Dadurch galt dieser personale Aspekt als maßgeblich.372 1. Normzweck a) Versorgungsinteresse der Allgemeinheit Ursprünglich wurde angenommen, dass durch § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. eine für die Allgemeinheit besonders wichtige Betriebsart geschützt werden solle.373 Im Vordergrund stand demnach das Versorgungsinteresse der Allgemeinheit.374 In Übereinstimmung damit ist der Gesetzgeber in § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. von dem Grundprinzip abgewichen, dass Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse gehören (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO). § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. verfolgte das Ziel, eine Fortführung des Betriebs – trotz Insolvenz – zu ermöglichen.375 Dieser systematische Zusammen369 Vgl. zu diesem Aspekt bereits ausführlich im Kontext von § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. Kapitel 4:§2:A.II.4.d). Vgl. zur Kritik an § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO aber noch Kapitel 4:§2:A. IX.5. 370 RGBl. 1877, S. 214. 371 BGBl. I 1953, S. 952, 953. 372 BT-Drs. I/3284, S. 19. 373 Falkmann/Mugdan, Die Zwangsvollstreckung mit Ausschluß der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, 1914, S. 686. So schon zu § 715 CPO Gaupp, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen, 1881, S. 280. 374 Bugger, Der Selbständige in der Insolvenz, 2015, S. 50. 375 Leithaus, in: Andres/Leithaus/Dahl (Hrsg.), Insolvenzordnung (InsO), 42018, § 36 InsO Rn. 5.
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hang könnte dafür sprechen, dass § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. darauf abzielte, die Allgemeinheit angemessen zu versorgen. Allerdings stand dieser Zweck zuschreibung die Tatsache entgegen, dass die Bevölkerung in der heutigen Zeit nicht mehr so existentiell auf einzelne landwirtschaftliche Betriebe angewiesen ist wie in der Entstehungszeit der CPO. Deshalb wurde dieser teleologische Ansatz überwiegend als überholt bezeichnet.376 Man muss aber gar nicht auf die Veränderung der Wirtschaftsverhältnisse rekurrieren, um die dominante Zweckzuschreibung „Versorgungsinteresse der Allgemeinheit“ zu verwerfen. Nachdem die Sicherung des Unterhalts des Schuldners 1953 in die Vorschrift eingefügt worden war, rückte der Schuldner als Person mit den für seine Landwirtschaft nötigen Geräten in den Mittelpunkt. Wenn er so geschützt war – und darin lag der eigentliche Zweck der Vorschrift – diente dies mittelbar im Übrigen auch dem Versorgungsinteresse der Allgemeinheit. Das war aber nur eine Folge des sinnvollen Schutzes und nicht der primäre Zweck der Regelung. b) Sicherung der Arbeitsmöglichkeit Da § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. verfassungsrechtlich nur Bestand haben konnte, wenn die Norm einen legitimen Zweck verfolgte, wurde als solcher – parallel zu § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. – die Sicherung der Arbeitsmöglichkeit für den Landwirt in den Vordergrund gerückt.377 Dieser Zweckvorschlag traf das Wesentliche. Zum menschenwürdigen Dasein eines Landwirts gehört es, dass er seinen landwirtschaftlichen Betrieb führen kann, um sich und seine Familie zu versorgen.378 Dies darf ihm durch Pfändungsmaßnahmen nicht über Gebühr erschwert werden. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass er seine landwirtschaftliche Tätigkeit nicht mehr wirtschaftlich fortsetzen könnte. Bei diesem Zweckvorschlag kam es freilich in der Insolvenz auf Seiten des Landwirts zu einem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff. Die Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 ZPO a. F., die Individualinteressen des Schuldners dienten, setzten sich auch in der Insolvenz durch (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO a. F.). Die von § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. geschützten Gegenstände gehörten indes zur Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F.). Sie konnten dem Landwirt also entzogen werden mit der Konsequenz, dass der landwirtschaft 376 Jilek/Kirchner, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert (Hrsg.), BeckOK InsO, 232021, § 36 InsO Rn. 30; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 38. Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 25 spricht davon, dass diese Zweck zuschreibung zumindest „in den Hintergrund getreten“ sei. 377 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 15; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 361; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 25; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 31; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 38. 378 In diese Richtung auch Weimar, MDR 1973, 197, 198.
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liche Betrieb nicht mehr in der bisherigen Weise fortgeführt werden konnte. Ein solcher Grundrechtseingriff darf jedoch nicht erfolgen. Diese Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass die im Rahmen von § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. angenommene Zweckzuschreibung „Schutz des menschenwürdigen Daseins des Landwirts“ mit § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. im Konflikt stand, der nicht das Individualinteresse des Landwirts im Blick hat.379 Es wäre aber verfehlt, daraus den Schluss zu ziehen, dass § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. nicht Individualinteressen des Schuldners schützen darf. Vielmehr erweist sich § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. als verfassungswidrig.380 2. Reformbestrebungen Durch das GNeuMoP bzw. das PKoFoG sollte § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. – bei sprachlicher Straffung – in § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. aufgehen und damit als Spezialfall einer wirtschaftlichen Tätigkeit entfallen.381 3. Aktuelle Rechtslage Das GvSchuG folgt dem Ansatz des GNeuMoP bzw. des PKoFoG. Geschützt werden nunmehr alle Sachen, die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt werden (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO). 4. Stellungnahme Ob sich der Wegfall von § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. rechtfertigen lässt, ist im Rahmen der Auslegung von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. zu beurteilen, da die Reformvorschläge des GNeuMoP und des PKoFoG dieser Vorschrift eine Auffangrolle zuweisen.382 Gleiches gilt jetzt auch für den Ansatz im GvSchuG.
379 Leithaus, in: Andres/Leithaus/Dahl (Hrsg.), Insolvenzordnung (InsO), 42018, § 36 InsO Rn. 5; Nerlich, in: Nerlich/Kreplin (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, 32019, § 24, Rn. 82; MüKo-InsO/Peters, § 36 InsO Rn. 111. 380 Vgl. Heinze, ZInsO 2015, 1117, 1119, der Zweifel an der Wirksamkeit der Vorschrift äußert. Bugger, Der Selbständige in der Insolvenz, 2015, S. 50 hält es – wenn man den Gesichtspunkt des Versorgungsinteresses als nicht überzeugend ablehnt – für möglich, de lege ferenda die nicht zu rechtfertigende Benachteiligung von Landwirten durch Streichung der Norm zu beseitigen. Maier, Die Insolvenz des Rechtsanwalts, 2008, S. 34 will den zwingend gebotenen Schutz des Landwirts über § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. i. V. m. § 36 Abs. 1 S. 1 InsO a. F. gewährleisten. Vgl. zu den parallelen Überlegungen bei § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. Kapitel 4:§2:A.X.1.d). 381 BR-Drs. 62/21, S. 4; BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 16. 382 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.VI.5.a).
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V. § 811 Abs. 1 Nr. 4a ZPO a. F. Eine Schutzbestimmung wie § 811 Abs. 1 Nr. 4a ZPO a. F. fand sich noch nicht in § 715 CPO von 1877 bzw. 1898.383 § 811 Abs. 1 Nr. 4a ZPO a. F. geht zurück auf Art. I der Verordnung des Reichspräsidenten zur Ergänzung der Vorschriften über die Zwangsvollstreckung bei landwirtschaftlichen Betrieben und über das Sicherungsverfahren vom 19.02.1932.384 Durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20.08.1953 ist das Pfändungsverbot dann zu Dauerrecht geworden.385 1. Normzweck § 811 Abs. 1 Nr. 4a ZPO a. F. schützte landwirtschaftliche Arbeiter in Bezug auf die ihnen als Vergütung gelieferten Naturalien und fügte sich damit in den Zweckkontext der Sicherung einer menschenwürdigen Lebensweise in physischer Hinsicht ein. 2. Reformbestrebungen Das GNeuMoP und auch das PKoFoG sahen vor, § 811 Abs. 1 Nr. 4a ZPO a. F. wegfallen zu lassen, weil ein solcher Schutz nicht mehr zeitgemäß sei. Sollte diesbezüglich im Einzelfall doch einmal ein Schutzbedürfnis bestehen, seien § 811 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 ZPO a. F. ausreichend.386 3. Aktuelle Rechtslage Ein § 811 Abs. 1 Nr. 4a ZPO a. F. entsprechendes Pfändungsverbot ist im GvSchuG nicht mehr vorgesehen. 4. Stellungnahme Durch den Wegfall von § 811 Abs. 1 Nr. 4a ZPO a. F. ist keine Schutzlücke zu befürchten.387 Es ist möglich, dass einem landwirtschaftlichen Arbeitnehmer zumindest ein Teil von dessen Vergütung in Naturalien ausgezahlt wird. Zwar darf der Mindestlohn nach § 1 Abs. 1 MiLoG nur in Geld ausgezahlt werden. Außerhalb des Anwendungsbereichs des MiLoG bzw. über den Mindestlohn 383
RGBl. 1877, S. 213 f.; RGBl. 1898, S. 256, 305 f. RGBl. I 1932, S. 71. 385 BGBl. I 1953, S. 952, 953; vgl. auch BT-Drs. I/3284, S. 19. 386 BT-Drs. 19/19850, S. 52 f. (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 14, 16. Zustimmend Dieker/Remmert, NZI 2009, 708, 710. 387 So auch Henke, Pfändungsschutz für Landwirte – eine heute noch zeitgemäße Privilegierung?, 2018 (https://opus.bsz-bw.de/hsf/frontdoor/deliver/index/docId/222/file/Henke,+ Helene+-+Diplomarbeit.pdf), S. 25 (geprüft am 12.09.2021). In diese Richtung wohl auch D ieker/Remmert, NZI 2009, 708, 710. 384
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hinaus sind aber Naturallöhne unter den in § 107 Abs. 2 GewO näher genannten Voraussetzungen zulässig. Zutreffend war schon die Einschätzung in den Reformvorschlägen des GNeuMoP und des PKoFoG, dass die einem landwirtschaftlichen Arbeitnehmer zur Verfügung gestellten Naturalien bereits durch § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. geschützt werden.388 Dies trifft allerdings nur zu, wenn man gleichzeitig – wie im GNeuMoP, im PKoFoG und jetzt im GvSchuG vorgesehen – die Zeitgrenze in § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. hinsichtlich der Nahrungsmittel entfallen lässt. Dann ist ein Sonderschutz für Arbeitnehmer in landwirtschaftlichen Betrieben, denen ein Teil des Lohnes in Naturalien gewährt wird, gesetzgebungsökonomisch nicht mehr notwendig. VI. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. Die Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. normierte Pfändungsschutz für diejenigen Gegenstände, die zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit durch persönliche Leistungen erforderlich sind. Damit ist die Erwerbsseite der Pfändungsverbote angesprochen. In § 715 Nr. 4 CPO i. d. F. von 1877 waren die zur persönlichen Ausübung des Berufs unentbehrlichen Gegenstände lediglich in Bezug auf bestimmte, ausdrücklich genannte Personengruppen geschützt (Künstler, Hand- und Fabrikarbeiter sowie Hebammen).389 Durch die CPO-Novelle von 1898 wurde der Schutz dann auch „anderen Personen, welche aus Handarbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen“ zugeschrieben.390 Der Wortlaut von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. beruhte auf dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Zwangsvollstreckung vom 24.10.1934.391 1. Normzweck § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. stellte sicher, dass der Schuldner, der seinen Lebensunterhalt durch persönliche Arbeit sichert, auch künftig in der Lage ist, dies zu tun.392 Es gehört zum menschenwürdigen Dasein, dass der Schuldner nicht gegen seinen Willen in eine Abhängigkeitssituation zum Staat gedrängt wird, son388 Ob Fälle denkbar sind, in denen der erforderliche Schutz für Naturalien über § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 ZPO a. F. sicherzustellen ist, erscheint fraglich. 389 RGBl. 1877, S. 214. 390 RGBl. 1898, S. 256, 306. 391 RGBl. I 1934, S. 1070. 392 App, DGVZ 1985, 97; Brock, DGVZ 1997, 65, 69; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 20; Schmidt/Warken, in: Buschbell-Steeger/Schmidt/Jansen u. a. (Hrsg.), Festschrift für Karl Eichele, 2013, S. 355, 368; Sievers, Die Insolvenz der Arztpraxis, 2020, S. 25; Weyland, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, 1987, S. 171. So jetzt auch zu § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO Waldschmidt, JurBüro 2021, 286, 289.
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dern vielmehr eigenverantwortlich für sich sorgen kann. Ohne die Möglichkeit ist eine Selbstverwirklichung durch Arbeit nicht mehr möglich. Damit war Normzweck von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. – parallel zu § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. – die Sicherung dieser Entfaltungsmöglichkeit.393 2. Anwendungsbereich Auffallend ist, dass durch § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. nicht generell Pfändungsschutz für die zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände normiert wurde. Vielmehr setzte die Vorschrift voraus, dass der Schuldner seinen Erwerb aus persönlicher Leistung bezieht. Als Beispiele wurden körperliche und geistige Arbeit genannt. Keinen Pfändungsschutz erhielt allgemeiner Meinung nach, wer einer sog. kapitalistischen Arbeitsweise nachging.394 Im Rahmen der Erwerbstätigkeit durfte demnach also weder die Ausnutzung fremder Arbeitskraft noch der Einsatz von Sach- und Kapitalmitteln die persönliche Leistung überwiegen.395 Unselbständige Tätigkeiten genossen immer Pfändungsschutz, weil bei diesen die persönliche Arbeitsleistung zwangsläufig überwiegt.396 Bei selbständigen Tätigkeiten kam es dieser Sicht der Dinge nach darauf an, ob die persönlichen Leistungen überwiegen.397 Dass dieser Schutz nicht weit genug ging, hat Noack erkannt. Deshalb schlug er vor, bei einem kapitalistisch arbeitenden Schuldner zumindest so viele Hilfsmittel für unpfändbar zu erklären, dass dieser in einem verkleinerten Betrieb eine rein persönliche Tätigkeit fortsetzen kann.398
393 Harlfinger, Der Freiberufler in der Insolvenz, 2004, S. 42; Walker, in: Althammer/ Schärtl (Hrsg.), Dogmatik als Fundament für Forschung und Lehre, 2021, S. 6 43; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 38. 394 BFH, Beschl. v. 17.07.1957, II 166/56 U, juris, Rn. 12; OLG Frankfurt, Urt. v. 16.08.2000, 7 U 139/99, OLGR Frankfurt 2001, 27; AG Lörrach, Beschl. v. 28.10.1968, 3 M 997/68, DGVZ 1969, 188; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 23.7; MüKo-ZPO/ Gruber, § 811 ZPO Rn. 34; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 18; Strehl, Der Schuldnerschutz in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Vollstreckung von Geldforderungen in bewegliche und unbewegliche Sachen, 2009, S. 75. 395 AG Sinzig, Beschl. v. 03.07.1986, 6 M 1194/86, NJW-RR 1987, 757; Lippross, Grund lagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 164; Noack, BB 1966, 1007, 1008; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 42. 396 LG Heilbronn, Beschl. v. 17.02.1994, 1b T 379/93, NJW-RR 1995, 255, 256; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 17a; Thomas/Putzo/ Seiler, § 811 ZPO Rn. 19; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 4 4. 397 Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 21 f.; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 32; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.161. 398 Noack, JurBüro 1978, 971, 975.
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3. Reformbestrebungen Das GNeuMoP und das PKoFoG wollten grundsätzlich an dem Pfändungsverbot des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. festhalten. Allerdings sollte eine sprachliche Straffung durch Zusammenfassung von § 811 Abs. 1 Nr. 4 a. F. [Landwirtschaft], Nr. 5 a. F. [Persönliche Leistungen], Nr. 6 a. F. [Witwen und minderjährigen Erben] und Nr. 7 a. F. [Dienstkleidungsstücke] vorgenommen werden. Praktisch wollte man das dadurch umsetzen, dass an die Formulierung von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. ein zweiter Halbsatz angefügt werden sollte. Dieser hätte dem § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. weitgehend entsprochen. Die Reformvorschläge sahen vor, statt von Witwen von überlebenden Ehegatten oder Lebenspartnern zu sprechen. Die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft sei – auch wenn zwischenzeitlich keine neuen Lebenspartnerschaften mehr begründet werden könnten – zum Schutz der bereits begründeten Lebenspartnerschaften angezeigt.399 4. Aktuelle Rechtslage Das GvSchuG hat die entsprechenden Pfändungsverbote noch weitgehender reformiert als im GNeuMoP und im PKoFoG angedacht. Pfändungsschutz wird generell für Sachen normiert, die der Schuldner oder eine Person, mit der er in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt, für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO). Die bisherigen Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 6, Nr. 7 ZPO a. F. sind gänzlich entfallen. 5. Stellungnahme a) § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. Durch die Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. wurden bisher Personen geschützt, die Landwirtschaft betreiben. Ihnen sollten zum einen das zum Wirtschaftsbetrieb erforderliche Gerät und Vieh nebst dem nötigen Dünger (Var. 1) und zum anderen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse verbleiben, die zur Sicherung des Unterhalts des Schuldners, seiner Familie und seiner Arbeitnehmer bzw. zur Fortführung der Wirtschaft bis zur nächsten Ernte gleicher oder ähnlicher Erzeugnisse erforderlich sind (Var. 2). Die Vorstellung im GNeuMoP und im PKoFoG, dass der Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. künftig durch § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO i. d. F. durch das GNeuMoP bzw. das PKoFoG garantiert würde und man deswegen auf § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. verzichten könne, erscheint zweifelhaft.400 Anders sieht das beim GvSchuG aus. 399
400
BT-Drs. 19/19850, S. 50, 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7, 14, 16. So auch Henke, Pfändungsschutz für Landwirte – eine heute noch zeitgemäße Privile-
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§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. gewährte nach herrschender Auffassung nur Pfändungsschutz, wenn die persönliche Arbeitsleistung den Einsatz von Sachund Kapitalmitteln überwiegt. § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. hingegen schützte Landwirte unabhängig davon, ob das Einkommen aus der Nutzung von Kapital oder aus persönlicher Leistung herrührt. Damit führt der im GNeuMoP und im PKoFoG vorgesehene Weg zu einer Schutzlücke.401 Der Pfändungsschutz von § 811 Abs. 1 Nr. 4 Var. 2 ZPO a. F. hingegen wird weitgehend von § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. [Nahrungsmittel] umfasst. Trotzdem würde auch hier eine Schutzlücke entstehen, wenn es um den Schutz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse geht, die zur Fortführung der Wirtschaft erforderlich sind. § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. bezog sich nämlich nur auf die Nahrungsmittel, die Versorgungszwecken dienen. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. konnte – folgte man der herrschenden Auffassung – den erforderlichen Schutz nur dann gewährleisten, wenn die Erwerbstätigkeit des Landwirts überwiegend auf seiner persönlichen Tätigkeit beruht. Da § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. das menschenwürdige Dasein des Landwirts zu schützen bestimmt sein muss, indem die Vorschrift einem Landwirt ermöglicht, unabhängig von staatlicher Unterstützung für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, würden die dargestellten Schutzlücken einen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff darstellen. Ein Lösungsweg kann nur darin gefunden werden, dass man § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. – wie hier vorgeschlagen – im Wege einer Analogie auf jegliche Erwerbstätigkeit anwendet. Der Gesetzgeber ist diesen Weg nun gegangen und hat in § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO eine entsprechende Lösung gewählt.402 b) § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. Verfassungsrechtlich ist es geboten, einem Schuldner die Möglichkeit zu lassen, unabhängig von staatlicher Unterstützung selbst für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Eine solche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit ist Aus prägung eines menschenwürdigen Daseins. Dies kann auch durch Einsatz von Kapital realisiert werden. Deshalb war es rechtfertigungsbedürftig, dass § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. lediglich Pfändungsschutz für Erwerbstätigkeiten zur Verfügung stellte, bei denen die persönliche Leistung im Vordergrund steht.
gierung?, 2018 (https://opus.bsz-bw.de/hsf/frontdoor/deliver/index/docId/222/file/Henke,+ Helene+-+Diplomarbeit.pdf), S. 24 (geprüft am 12.09.2021), allerdings vor dem Hintergrund des vermeintlichen Wegfalls des Pfändungsschutzes für juristische Personen und Handels gesellschaften. 401 Z. B. wurde ein Mähdrescher nicht von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. erfasst, vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.06.1967, 3 W 168/67, DGVZ 1968, 73. A. A. wohl Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1055. 402 Dazu sogleich Kapitel 4:§2:A.VI.5.b).
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Begründungsansätze dafür, dass der Gesetzgeber bei kapitalistischer Arbeitsweise keinen Pfändungsschutz gewährte, finden sich nur selten. Letztlich sind es die Gedanken von Lent403 aus dem Jahre 1936, die aufgegriffen werden. Zunächst werden die technischen Schwierigkeiten genannt, die mit einem solchen Pfändungsschutz einhergehen würden. Gerade ein Pfändungsschutz für Forderungen müsse an der praktischen Umsetzbarkeit scheitern.404 Der Staat könne Selbständigen das wirtschaftliche Risiko nicht abnehmen. Wer die Chancen wirtschaftlichen Aufstiegs durch selbständige Tätigkeiten nutzen wolle, müsse auch das damit verbundene Risiko tragen.405 Problematisch sei weiterhin, dass ein solches Pfändungsverbot bei konsequenter Anwendung zur Unpfändbarkeit fast der gesamten Betriebsmittel führen würde.406 Gläubiger würden dann gezwungen, bereits frühzeitig die Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen.407 Außerdem wird einem Pfändungsschutz entgegengehalten, dass dieser nicht mehr lebensfähige und erhaltenswerte Betriebe nur kurzzeitig über Wasser halten könne. Letztlich sei der Zusammenbruch solcher Betriebe nämlich nicht aufzuhalten.408 Brox/Walker halten die Beschränkung auf die persönliche Erwerbstätigkeit für zutreffend, weil das Interesse eines Schuldners, unternehmerisch tätig zu werden, nicht Bestandteil seines geschützten Existenzminimums sei.409 Diese Begründungen sind nicht haltbar. Soweit sie auf Hypothesen zu der Überlebensfähigkeit eines Unternehmens beruhen, sind sie spekulativ. Soweit die praktische Umsetzbarkeit eines Pfändungsschutzes in Frage gestellt wird, der nicht an die persönliche Erwerbstätigkeit anknüpft, ist auf die geltende Gesetzeslage zu verweisen. Der Gesetzgeber hat gezeigt, dass Pfändungsschutz für Selbständige – auch wenn ihre Erwerbstätigkeit auf kapitalistischer Arbeits weise beruht – technisch umsetzbar ist. So schützt er mit § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO i. d. F. v. 07.07.2009 nicht mehr nur Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste, sondern auch sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind. Mit der zuletzt genannten Variante sind kapitalistische Tätigkeiten gemeint.410 Aber noch mehr: Das menschenwürdige Dasein des Schuldners muss 403
Lent, DJ 1936, 513 ff. Ders., DJ 1936, 513, 514. 405 Lent, DJ 1936, 513, 514; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 163. 406 Lent, DJ 1936, 513, 515; Weyland, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, 1987, S. 175. 407 Lent, DJ 1936, 513, 515. 408 Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 59; Lent, DJ 1936, 513, 515; Lippross, Grund lagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 163. 409 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 284. 410 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, NJW-RR 2014, 1197; Ahrens, NJW-Spezial 2011, 341; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850i ZPO Rn. 2; Meller-Hannich, WM 2011, 529, 530; 404
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unabhängig von der Charakterisierung der Erwerbstätigkeit des Schuldners gesichert werden. Deshalb hielt es der Gesetzgeber für geboten, den Pfändungsschutz des § 850i ZPO nicht mehr nur auf Ansprüche aus persönlich erbrachten Dienstleistungen zu beziehen, sondern darüber hinaus auf alle Einkunftsarten zu erstrecken.411 Diese gesetzgeberische Entscheidung bei der Forderungsvollstreckung muss aus verfassungsrechtlichen Gründen und wegen der Einheit der Rechtsordnung gleichermaßen im Rahmen der Fahrnisvollstreckung gelten.412 Bereits in der Vergangenheit musste deshalb § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. analog auf Schuldner angewendet werden, die einer kapitalistischen Erwerbstätigkeit nachgehen.413 Die Regelungslücke war darin zu sehen, dass ihnen bei der Fahrnisvollstreckung kein Pfändungsschutz zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins gewährt wurde. Diese Regelungslücke war auch planwidrig. Wie die gesetzgeberischen Ausführungen zu § 850i ZPO zeigen, wollte sich der Gesetzgeber verfassungsgemäß verhalten.414 Allerdings hat er übersehen, dass der Pfändungsschutz nicht nur im Bereich der Forderungsvollstreckung, sondern auch im Bereich der Fahrnisvollstreckung insofern unzureichend war. In beiden Kontexten war die Interessenlage vergleichbar. Aus verfassungsrecht lichen Gründen blieb dem Gesetzgeber kein Entscheidungsspielraum. Seine gesetzgeberische Entscheidung hätte bei der Fahrnisvollstreckung nicht anders als bei der Forderungsvollstreckung ausfallen können. Des Umwegs über eine Analogie bedarf es nun nicht mehr. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. wurde durch das GvSchuG weiter gefasst. Das einschränkende Tatbestandsmerkmal („bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen“) ist entfallen. Nunmehr bezieht sich der Pfändungsschutz generell auf Sachen, die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt werden (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO).415
Walker, in: Althammer/Schärtl (Hrsg.), Dogmatik als Fundament für Forschung und Lehre, 2021, S. 6 43, 645; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 850i ZPO Rn. 11. 411 BT-Drs. 16/7615, S. 12. 412 In praxi bestand bislang der unbefriedigende Zustand, dass der Schutz des § 850i ZPO weitgehend wirkungslos bleibt, weil uneingeschränkt in die Sachsubstanz des Unternehmens vollstreckt werden kann, vgl. Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 229 f. 413 Dies., Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 230 hält eine Analogie für problematisch. 414 Vgl. BT-Drs. 16/7615, S. 12. 415 Vgl. ebenso die Forderung in der Schweiz, in Art. 92 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG das Kriterium des Kapitaleinsatzes aufzugeben, Meier/Zweifel/Zaborowski u. a., Lohnpfändung – Optimales Existenzminimum und Neuanfang?, 1999, S. 39.
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c) § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. Durch § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. wurde der Schutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. auf weitere Personengruppen erstreckt, nämlich auf Witwen und minderjährige Erben, die eine Erwerbstätigkeit für ihre Rechnung durch einen Stellvertreter fortführen. Die Norm entsprach – bis auf sprachliche Anpassungen – § 715 Nr. 6 CPO i. d. F. von 1898.416 Daraus resultierte wegen der zwischenzeitlichen Veränderung der Lebensbedingungen Reformbedarf. Das wurde schon im GNeuMoG und im PKoFoG erkannt. Der bisher in § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. [Witwen und minderjährigen Erben] normierte Pfändungsschutz sollte beibehalten bleiben. Der Schutz, der auf Witwen und minder jährige Erben beschränkt war, sollte neben den minderjährigen Erben zusätzlich den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner erfassen.417 Das GvSchuG sieht keine mit § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. vergleichbare Schutzvorschrift mehr vor. aa) Normzweck § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. war nur für die Hinterbliebenen von vormals selbständig Tätigen relevant.418 Für abhängig Beschäftigte gilt, dass das Arbeitsverhältnis mit deren Tod erlischt, vgl. § 613 S. 1 BGB. Da § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. den Schutz von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. auf weitere Personen ausdehnen will, ist der Schutzzweck derjenige des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. Erneut soll eine Kahlpfändung – diesmal bei den Hinterbliebenen – verhindert werden.419 Es ging um die Existenzsicherung der Hinterbliebenen.420 Durch § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. sollte das menschenwürdige Dasein der dort genannten Personengruppen gewährleistet werden. bb) Anwendungsbereich (1) § 4 6 GewO als Hintergrund Der Gesetzgeber hat sich mit § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. anscheinend an gewerberechtlichen Vorschriften orientiert. So normierte bereits § 46 GewO i. d. F. v. 01.07.1883421 ein Hinterbliebenenprivileg für Witwen und minderjährige Erben. Der Leitgedanke der Vorschrift ist noch heute in § 46 GewO zu finden. Durch 416 RGBl. 1898, S. 256, 306. Den heutigen Wortlaut erhielt die Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Zwangsvollstreckung vom 24.10.1934, vgl. RGBl. I 1934, S. 1070. 417 BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 16. 418 Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 26. 419 Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 56. 420 Plenarprotokoll 16/73, S. 7363 (B). 421 RGBl. 1883, S. 177, 193.
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die Vorschrift sollen persönliche Härten abgemildert werden, welche die Hinterbliebenen treffen.422 Allerdings hat der Gesetzgeber § 46 GewO schon durch das Vierte Bundesgesetz zur Änderung der Gewerbeordnung vom 05.02.1960 erweitert, indem die Norm ganz generell auf den überlebenden Ehegatten für anwendbar erklärt wurde.423 Das Dritte Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften vom 24.08.2002 führte dann zur Ergänzung von § 46 Abs. 1 GewO um den überlebenden Lebenspartner.424 Mit den im GNeuMoG und im PKoFoG vorgesehenen Änderungen hätte § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. also letztlich wieder seine Parallele zu § 46 Abs. 1 S. 1 GewO gefunden. (2) Erstreckung auf Witwer und überlebende Lebenspartner Bisher wurde vertreten, dass es verfassungsrechtlich geboten sei, § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. über den Wortlaut hinaus („Witwen“) auf Witwer analog425 bzw. entsprechend426 anzuwenden. Im gleichen Sinne müsse die Vorschrift für den überlebenden Lebenspartner analog427 bzw. entsprechend428 gelten. Es liegt auf der Hand, dass sich eine Ungleichbehandlung von Witwe und Witwer verfassungsrechtlich nicht begründen lässt. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verbietet eine geschlechterbezogene Ungleichbehandlung. Die für Witwer entstehende Schutzlücke im Pfändungsschutzrecht war bisher im Wege der Analogie zu schließen. Es entsprach auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, Lebenspartnerschaften, die durch das LPartG einer Ehe u. a. hinsichtlich der Versorgungsfunktion gleichgestellt werden sollten, im Rahmen der Pfändungsverbote anders als Ehegatten zu behandeln.429 Das galt zwischenzeitlich umso mehr, als gleichgeschlechtlichen Paare nunmehr ebenfalls eine Ehe eingehen können (§ 1353 Abs. 1 S. 1 BGB). Warum den – weiterhin existierenden – Lebenspartnerschaf422 Ennuschat, in: Ennuschat/Wank/Winkler (Hrsg.), Gewerbeordnung, 92020, § 46 GewO Rn. 1; Marcks, in: Landmann/Rohmer (Hrsg.), Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften: GewO, 852021, § 46 GewO Rn. 2; Wormit, in: Pielow (Hrsg.), BeckOK GewO, 54 2020, § 46 GewO Vorbem. 423 BGBl. I 1960, S. 61, 67. 424 BGBl. I 2002, S. 3412, 3413. 425 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 57; Zimmermann, in: Praxiskommentar Erbrechtliche Nebengesetze, 2017, § 811 ZPO, Rn. 15a. 426 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 21; Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 36; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 42; Lack mann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 21. 427 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 57. 428 MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 42. 429 BT-Drs. 17/2167, S. 16.
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ten der Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. nicht zur Seite stehen sollte, ließ sich nicht erklären. Deshalb musste § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. ebenfalls analog auf Lebenspartnerschaften angewendet werden. Vor diesem Hintergrund war der Reformvorschlag aus dem GNeuMoG und dem PKoFoG zu begrüßen. Er hätte zur Rechtsklarheit beigetragen. Außerdem hätte er zu einer im Sinne der Kohärenz der Rechtsordnung wünschenswerten Angleichung an gewerberechtliche Vorschriften wie z. B. § 46 Abs. 1 GewO und § 4 Abs. 1 S. 1 HandwO geführt. Dort werden schon bisher Ehegatten oder Lebenspartner durch ein Hinterbliebenenprivileg geschützt. Allerdings hätte diese Ausweitung des geschützten Personenkreises zu kurz gegriffen, weswegen Erweiterungen unabdingbar sind. (3) Erstreckung auf volljährige Erben Problematisch war die Beschränkung auf minderjährige Erben. Ein mit § 46 GewO vergleichbares Privileg fand sich bis zum 31.12.2003 in § 4 HandwO. Seit dem 01.01.2004 bezieht sich § 4 HandwO aber auf alle Erben – und nicht mehr nur wie bisher – auf Erben bis zur Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres. Vergegenwärtigt man sich den Zweck von § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F., dann gibt es keinen Grund, die Norm auf minderjährige Erben zu beschränken. Schon bisher war es geboten, § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. im Wege einer Analogie auf volljährige Erben anzuwenden. (4) Wegfall der personenbezogenen Beschränkung Die Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit zu gestalten, kann schließlich nicht nur überlebenden Ehegatten, Lebenspartnern und Erben eingeräumt werden. Jeder Schuldner muss frei sein, einer Erwerbstätigkeit auch in der Form nachzugehen, dass er einen Stellvertreter für sich tätig werden lässt. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein umfasst die Freiheit, das eigene Erwerbsleben eigenverantwortlich zu gestalten. Die Beschränkung nach Personengruppen bildet das nicht adäquat ab. Sie spiegelt frühere typische Formen der Fortführung von Erwerbstätigkeit, die – gemessen am hier postulierten Schutzzweck – nicht mehr maßgeblich sein können. Diese Betrachtungsweise führte zu einem systematischen Folgeproblem beim Verständnis von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. Diese Vorschrift wurde nur für einschlägig gehalten, wenn der Schuldner selbst einer Erwerbstätigkeit nachgeht.430 Dies implizierte die Frage, ob der Schutz auch für den Fall gewährt werden muss, dass der Schuldner sich eines Stellvertreters bedient. Ausdrücklich wird die Stellvertretungsmöglichkeit nur für die Personengruppen der Wit430 Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 30; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 39; Würdin ger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 57.
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wen und minderjährigen Erben in § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. angesprochen. Dies konnte den Umkehrschluss nahelegen, dass die Stellvertretungsmöglichkeit von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. nicht erfasst sei. Indessen steht einem solchen Umkehrschluss die Erwägung entgegen, dass sich vom übergeordneten Schutzzweck der Pfändungsvorschriften her eine solche Engführung nicht begründen lässt. Es kann nicht ausschlaggebend sein, ob die Erwerbstätigkeit persönlich oder durch einen anderen durchgeführt wird, weil beide Varianten der schützenswerten Daseinssicherung dienen. Diese Überlegung lässt sich einfach-rechtlich durch das Rechtsinstitut der Stellvertretung dogmatisch absichern. Wenn eine Erwerbstätigkeit durch einen Stellvertreter ausgeübt wird, entspricht es gerade dem Wesen der Stellvertretung, dass die Rechtsfolgen den Vertretenen treffen (vgl. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB). Auch wenn die Erwerbstätigkeit also durch den Schuldner nicht „höchstpersönlich“ ausgeübt wird, muss man doch konstatieren, dass dieser im Wege der Stellvertretung einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Dieses Ergebnis wird im Übrigen zusätzlich durch die Gesetzesgenese gestützt. In der Fassung von 1898 bezog sich die § 715 Nr. 5 CPO auf die „zur persönlichen Fortsetzung der Erwerbsthätigkeit unentbehrlichen Gegenstände“.431 Das Differenzierungsmerkmal „persönliche Fortsetzung“ fand sich in § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. nicht mehr. Es kann dann nicht richtig sein, ein Kriterium, von dem der Gesetzgeber sich verabschiedet hat, dennoch in den Gesetzestext hineinzuinterpretieren. Begrüßenswerterweise hat der Gesetzgeber dieses Auslegungsergebnis nunmehr von Unsicherheiten befreit. Der Schutz bezieht sich jetzt generell auf die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO). Durch die allgemeine Formulierung „Erwerbstätigkeit“ ist nun klargestellt, dass diese nicht höchstpersönlich ausgeübt werden muss. Auf der Grundlage dieser Erwägungen konnte § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. gänzlich entfallen, ohne dass eine Schutzlücke entsteht. Vielmehr wurde der bisherige Schutz von § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. ausgeweitet, indem jeder, der einer Erwerbstätigkeit nachgeht – sei es in persona oder durch einen Dritten im Wege der Stellvertretung – Pfändungsschutz genießt. (5) Anwendbarkeit auf erlaubnispflichtige und nicht-erlaubnispflichtige Gewerbe § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. konnte als Parallelvorschrift zu § 46 GewO ange sehen werden.432 Es ist in der gewerberechtlichen Literatur umstritten, ob § 46 GewO nur für erlaubnispflichtige Gewerbe gilt.433 Wer dies bejaht, konnte die431
RGBl. 1898, S. 256, 306. Vgl. Kapitel 4:§2:A.VI.5.c)bb)(1). 433 So Ambs/Lutz, in: Erbs/Kohlhaas (Hrsg.), Strafrechtliche Nebengesetze, 432
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se Einschränkung möglicherweise auch für § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. postulieren. Allerdings erlaubte die Zweckrichtung von § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. keine Differenzierung zwischen einem erlaubnispflichtigen und einem nicht- erlaubnispflichtigen Gewerbe. d) § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. Durch die Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. wurden Dienstkleidungsstücke sowie Dienstausrüstungsgegenstände (Var. 1) und bei bestimmten Per sonengruppen die zur Ausübung des Berufes erforderlichen Gegenstände einschließlich angemessener Kleidung (Var. 2) geschützt. Nach der Vorstellung im GNeuMoP und im PKoFoG würde durch einen Fortfall dieser Vorschrift keine Schutzlücke entstehen.434 Auch das GvSchuG sieht dieses Pfändungsverbot nicht mehr vor.435 In der Tat ließ sich § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. nur noch als genauere Inhaltsbestimmung436 bzw. Konkretisierung437 zu § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. verstehen.438 Die Lösung im GvSchuG ist systematisch konsequent. Es war nicht vertretbar anzunehmen, dass die in § 811 Abs. 1 Nr. 7 Var. 2 ZPO a. F. genannten Personengruppen keine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit im wirtschaftlichen Sinne ausüben.439 Beide Vorschriften – also § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. und § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. – verfolgten den Zweck, dem Schuldner die Gegenstände zu belassen, die er zur Fortsetzung seiner vom Zweck der Pfändungsschutzvorschriften erfassten Erwerbstätigkeit benötigt. Die bei diesem Verständnis entstehende inhaltliche Doppelung ließ sich vor dem historischen Hintergrund der Norm erklären.
GewO Rn. 1; Fröhler/Kormann, Kommentar zur Gewerbeordnung, 1978, § 46 GewO Rn. 2. A. A. Marcks, in: ders. (Hrsg.), Makler- und Bauträgerverordnung, 102019, § 46 GewO Rn. 2; Wormit, in: Pielow (Hrsg.), BeckOK GewO, 542020, § 46 GewO Rn. 2. 434 BT-Drs. 19/19850, S. 50, 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7, 16. 435 BR-Drs. 62/12, S. 4, 27. 436 Kühne, Die Insolvenz des selbständig tätigen Schuldners, 2013, S. 30; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 162; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 58. AG Berlin-Schöneberg, Beschl. v. 06.02.1984, 31 M 7067/83, DGVZ 1985, 142 spricht von einer „im sachlichen Regelungsgehalt identischen Vorschrift“; so auch LG Berlin, Beschl. v. 20.02.1984, 81 T 136/84, DGVZ 1985, 142. 437 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 287; Flockenhaus, in: Musielak/ Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 22; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 43; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 25; Kühne, Die Insolvenz des selbständig tätigen Schuldners, 2013, S. 30; Lackmann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 22; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 40; Maier, Die Insolvenz des Rechtsanwalts, 2008, S. 33; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 22. 438 Vgl. daher zur Zweckzuschreibung dort Kapitel 4:§2:A.VI.1. 439 So aber Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 9 0.
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Im Jahre 1877 wurden durch § 715 Nr. 4 CPO nur Künstler, Handwerker, Hand- und Fabrikarbeiter sowie Hebammen geschützt.440 Offiziere, Deckoffiziere, Beamte, Geistliche, Lehrer an öffentlichen Unterrichtsanstalten, Rechtsanwälte, Notare und Ärzten erhielten durch § 715 Nr. 6 CPO Schutz für die zur Verwaltung des Dienstes oder Ausübung des Berufs erforderlichen Gegenstände sowie anständige Kleidung.441 Bei der CPO-Novelle 1898 statuierte § 715 Nr. 4 CPO den Schutz dann für Künstler, Handwerker, gewerbliche Arbeiter und andere Personen, die aus Handarbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen.442 Weiterhin wurde durch § 715 Nr. 7 CPO Offizieren, Deckoffizieren, Beamten, Geistlichen, Lehrern an öffentlichen Unterrichtsanstalten, Rechtsanwälten, Notaren sowie Ärzten und Hebammen Pfändungsschutz hinsichtlich der zur Verwaltung des Dienstes oder der Ausübung des Berufs erforderlichen Gegenstände sowie hinsichtlich anständiger Kleidung gewährt. Mit der Klausel „sonstige persönliche Leistung“ in § 715 Nr. 4 CPO waren gesetzgebungstechnisch nicht mehr nur die bisher genannten Personengruppen gemeint, sondern es wurde eine Erweiterung auf alle vergleichbar persönlich arbeitenden Personengruppen vorgenommen. Die konkret genannten Personengruppen waren damit nur noch Beispiele für die allgemeinere Regel. Auf diese Weise stellte sich die Frage, ob die in § 715 Nr. 7 CPO genannten Personengruppen eine sonstige persönliche Leistung i. S. v. § 715 Nr. 5 CPO erbringen und damit bereits Schutz unter dieser Vorschrift erhalten können. Unabhängig davon, wie diese Frage in der damaligen Zeit zu beantworten war, erklärt sich wegen der strukturell gleichgebliebenen Situation zwischen § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. und § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F., warum man mit der Frage einer Doppelung in dem Sinne konfrontiert war, dass § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. als Spezialfall von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. begriffen werden konnte. Gegen diese Spezialitätsthese wurde eingewandt, dass zwischen den beiden Pfändungsverboten ein bedeutender Unterschied bestehe: Während im Anwendungsbereich von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. eine Austauschpfändung (§ 811a Abs. 1 ZPO a. F.) in Betracht komme, scheide sie bei § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. aus. Dieser Logik nach hatte § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. nach wie vor eine eigenständige Bedeutung.443 Allerdings konnte gezeigt werden, dass eine Aus440
RGBl. 1877, S. 83, 214. RGBl. 1877, S. 83, 214. 442 RGBl. 1898, S. 256, 306. 443 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 2 2; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 45; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 25; Wieczorek/Schütze/ Lüke, § 811 ZPO Rn. 40; Mai, Die Insolvenz des Freiberuflers, 2008, S. 17; Gottwald/Mock/ Mock, § 811 ZPO Rn. 57; Schildt, Die Insolvenz des Freiberuflers, 2005, S. 30; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 36; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 22; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. 441
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tauschpfändung auch bei nicht ausdrücklich für eine Austauschpfändung geöffneten Pfändungsverboten im Wege einer Analogie möglich sein muss.444 Damit stand der gesetzesökonomisch angezeigten Streichung von § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. nichts entgegen. Eine Schutzlücke ist nicht entstanden. Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz ist jetzt über § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO gesichert. e) Resümee Es hat sich gezeigt, dass die Reformideen aus dem GNeuMoP und dem P KoFoG grundsätzlich tauglich waren. Dennoch konnten Bereiche herausgearbeitet werden, in denen bei Verwirklichung dieser Vorschläge – im Vergleich zum bisherigen Schutzniveau – Lücken entstanden wären. Dieser Erkenntnis trägt die Regelung im GvSchuG Rechnung, indem sie ohne weitere Differenzierungen den Schutzbereich auf die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände bezieht (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO). Auf diese Weise kommt der erforderliche Schutz auch denjenigen Schuldnern zugute, die einer auf kapitalistischer Arbeitsweise beruhenden Erwerbstätigkeit nachgehen. Außerdem wurde deutlich, dass der in § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. angelegte Gedanke vor dem grundrechtlichen Hintergrund der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins für eine weitere Schutzdimension geöffnet werden musste. Dies ist dadurch gelungen, dass das GvSchuG jegliche Erwerbstätigkeit als schützenswert einstuft. Gleichzeitig konnte so § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. gestrichen werden, weil der dort angeordnete Schutz nunmehr in einem noch weitergehenden Umfang von § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO gewährleistet wird. VII. § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. Durch § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO a. F. wurde der Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. auf Witwen und minderjährige Erben erstreckt, welche die Erwerbstätigkeit des Verstorbenen für ihre Rechnung durch einen Stellvertreter fortführen. Durch das GNeuMoP bzw. das PKoFoG sollte diese Norm bei sprachlicher Straffung und Erweiterung um Lebenspartnerschaften in § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO i. d. F. durch das GNeuMoP bzw. PKoFoG aufgehen.445 Daher wurde die(Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 48; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 59. Allerdings wird diese Differenzierung als kaum mehr zu rechtfertigen angesehen, Wieczorek/ Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 40; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 59. 444 Vgl. Kapitel 4:§1:F.II.1. 445 BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 16.
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se Norm im dortigen Kontext analysiert.446 Das GvSchuG hat die Norm jetzt zu Recht gestrichen.447 VIII. § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. Die Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a. F. erstreckte den Pfändungsschutz auf Dienstkleidungsstücke sowie Dienstausrüstungsgegenstände sowie bei bestimmten Personengruppen auf die zur Ausübung des Berufes erforderlichen Gegenstände. Durch das GNeuMoP bzw. das PKoFoG sollte diese Norm bei sprachlicher Straffung in § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO i. d. F. durch das GNeuMoP bzw. PKoFoG aufgehen.448 Daher ist die Analyse der Norm in diesem Kontext vorgenommen worden.449 Das GvSchuG führt die früheren Reformüberlegungen fort und verfolgt den gleichen Ansatz.450 IX. § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. Der Regelungsgedanke von § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. wurde durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Zwangsvollstreckung vom 24.10.1934 in den Katalog des § 811 ZPO aufgenommen.451 Durch § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. wurden bar ausgezahlte Leistungen geschützt. Für Kontenguthaben gilt seit 1978 ein besonderer Pfändungsschutz in § 850k ZPO.452 § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. hatte aufgrund der weiten Verbreitung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs immer mehr an Bedeutung verloren.453 Trotzdem gab (und gibt) es Schuldner, die über kein Konto verfügen454 , obwohl mittlerweile nach § 31 ZKG ein Anspruch auf ein Basiskonto besteht. Gerade für Schuldner ohne Konto ist die Norm von existentieller Bedeutung.455 Die Vorschrift schließt gewissermaßen die ursprüngliche Lücke zwischen den Pfändungsverboten des § 811 Abs. 1 ZPO und denen der §§ 850 ff. ZPO.456 Ohne eine 446
Kapitel 4:§2:A.VI.5.c). BR-Drs. 62/21, S. 4. 448 BT-Drs. 19/19850, S. 52 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 16. 449 Vgl. Kapitel 4:§2:A.VI.5.d). 450 BR-Drs. 62/21, S. 4. 451 RGBl. I 1934, S. 1070. 452 BGBl. I 1978, S. 333, 334; vgl. auch BT-Drs. 8/693, S. 45. Vgl. zur parallelen Interessen lage zwischen § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. und § 850k ZPO: Gilleßen/Jakobs, DGVZ 1978, 129, 133. 453 BT-Drs. 19/19850, S. 53 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 16. So auch Grote, ZInsO 2020, 2630, 2631. 454 BT-Drs. 19/19850, S. 53 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 16. 455 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 61. 456 Ders., in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 61. Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 42 spricht von einer Ergänzungsfunktion. 447
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solche Vorschrift bestünde die Gefahr, dass die Lohnpfändungsschranken umgangen würden.457 1. Normzweck § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. stellte sicher, dass einem Schuldner der Betrag be lassen wird, den er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt.458 2. Anwendungsbereich § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. bezog sich dem Wortlaut nach lediglich auf wiederkehrende Einkünfte der in §§ 850 bis 850b ZPO oder § 54 Abs. 3 bis 5 SGB I genannten Art bzw. auf laufende Kindergeldleistungen. Mit anderen Worten: § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. verwies nicht auf alle Vorschriften zum Pfändungsschutz für Forderungen. Der Pfändungsschutz auf einem Pfändungsschutz konto endete auch nicht bei den von § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. aufgezählten Pfändungsschutzvorschriften.459 Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass der Pfändungsschutz für bar ausgezahlte Leistungen weniger weit reichen sollte als der Pfändungsschutz für Forderungen an der Quelle bzw. auf einem Pfändungsschutzkonto. Diese planwidrige Regelungslücke war dahingehend zu schließen, dass der Pfändungsschutz von § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. dem Anwendungsbereich nach auf § 850i ZPO und §§ 851c, 851d ZPO zu erweitern ist, weil die Interessenlage in allen Fällen identisch ist: Es geht um den Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners.460 3. Reformbestrebungen Das GNeuMoP und das PKoFoG hielten an § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. weitgehend fest. Allerdings sollte ein zweiter Satz angefügt werden, um die Wirksamkeit von § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. sicherzustellen. In diesem Sinne sollte normiert werden, dass ein nach § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. zu belassener Geldbetrag auf den von § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. anzurechnen sei.461 457
Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 92. 17/2167, S. 16; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 32; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 42; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 48; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 61. Kritisch Hofmann, Rpfleger 2001, 113. 459 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:J.II.2. 460 Für § 851c ZPO auch Stöber, NJW 2007, 1242, 1245; für eine teleologische Extension vgl. Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851c ZPO Rn. 5 (mit dem Argument des umgekehrten Verweisungsgedankens). So auch Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 76 f. A. A. für § 850i ZPO Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 32. 461 BT-Drs. 17/2167, S. 7; BT-Drs. 19/19850, S. 50 (Stellungnahme des Bundesrats). 458 BT-Drs.
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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Der Referentenentwurf zum GvSchuG wählte einen pauschalierenden Ansatz. Bargeld sollte grundsätzlich bis zu einem Betrag von 300 Euro Pfändungsschutz genießen. Zusätzlich war Pfändungsschutz für einen 300 Euro über steigenden Betrag vorgesehen, soweit dieser Betrag nach den glaubhaften Angaben des Schuldners über bundes- oder landesrechtliche Vorschriften nicht der Pfändung unterliege und nicht auf einem Pfändungsschutzkonto pfändungs geschützt sei.462 Dieser Ansatz ist in den Stellungnahmen zum Referentenentwurf von allen Seiten kritisiert worden. Aus der Perspektive des Schuldnerschutzes wurde eingewandt, dass ein Betrag von 300 Euro für eine Familie mit sechs Kindern etwas vollkommen anderes bedeute als für eine alleinstehende Person.463 Aus der Perspektive der Gläubiger wurde zu bedenken gegeben, dass die bedingungslose Pfändungsfreistellung von 300 Euro die Erledigung kleinerer Forderungen erheblich erschwere.464 4. Aktuelle Rechtslage Das GvSchuG hat von dem im Referentenentwurf ursprünglich vorgesehenen Ansatz Abstand genommen. Nunmehr verbleibt dem Schuldner nach § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Bargeld grundsätzlich in Höhe von einem Fünftel (für jede weitere Person, mit welcher der Schuldner in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt, in Höhe von einem Zehntel) des täglichen Freibetrages nach § 850c Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 Nr. 1 ZPO für jeden Kalendertag ab dem Zeitpunkt der Pfändung bis zu dem Ende des Monats, in dem die Pfändung bewirkt wird. 462 www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Gerichts vollzieherschutz.pdf?__blob=publicationFile&v=2, S. 7 (geprüft am 12.09.2021). In diese Richtung auch Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften (Gerichtsvollzieherschutzgesetz – GvSchuG) (https://www.agsbv.de/wp-cont ent/uploads/2020/12/AG-SBV-Stellungnahme_Ref-E_GvSchuG_20201214.pdf), S. 6 (geprüft am 12.09.2021). 463 Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V., Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften (Gerichtsvollzieherschutzgesetz – GvSchuG) (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/121420_Stellungnahme_BAG-SB_RefE_GvSchuG. pdf;jsessionid=ABD14ADE321F55120FBA1F760D027C45.2_cid334?__blob=publicationFile &v=2), S. 2 (geprüft am 12.09.2021). 464 Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V., Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften (Gerichtsvollzie herschutzgesetz – GvSchuG) (https://www.inkasso.de/sites/default/files/downloads/2020_12 _14_BDIU_Stellungnahme_RefE_Gerichtsvollzieherschutzgesetz.pdf), S. 3 (geprüft am 12.09. 2021).
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
Der Gerichtsvollzieher setzt im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen einen abweichenden Betrag fest. 5. Stellungnahme Auf eine Vorschrift wie § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. kann nicht verzichtet werden. Sie stellt sicher, dass einem Schuldner, der über kein Bankkonto verfügt, dennoch der Geldbetrag verbleibt, der für ein menschenwürdiges Dasein erforderlich ist. De lege ferenda sollte die Verweisungskette in § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. um § 850i ZPO sowie §§ 851c, 851d ZPO erweitert werden, damit ausreichender Pfändungsschutz auch ohne die Notwendigkeit einer Analogie zur Verfügung steht. Eine Anrechnungsvorschrift, wie sie im GNeuMoP und im PKoFoG vorgesehen war, ist nicht erforderlich. Die nötige Abstimmung zwischen § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. und § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. ist in der Form vorzunehmen, dass der Schutz für den zur Beschaffung erforderlichen Geldbetrag in § 811 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a. F. gestrichen wird.465 Der Ansatz im GvSchuG ist hinsichtlich der Höhe des Pfändungsschutzes nicht nachvollziehbar. Im Rahmen der Stellungnahmen wurde zu Recht gefordert, an § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. festzuhalten.466 Es lässt sich nicht verstehen, warum Bargeld weniger Pfändungsschutz erfahren soll als beispielsweise Geld auf einem Pfändungsschutzkonto.467 Es ist allerdings darauf zu achten, dass der schützenswerte Betrag nicht doppelt abgesichert wird. Zu einer solchen doppelten Absicherung ist es dadurch gekommen, dass 1978 Pfändungsschutz für Kontenguthaben in Gestalt von § 850k ZPO eingeführt wurde.468 Dieser Schutz trat damit neben den Schutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. Man kann also geschütztes Geld in Form von Bargeld haben und gleichzeitig geschütztes Geld auf dem Konto. Der Schutz des menschenwürdigen Daseins gebietet eine solche Doppelung nicht. Deshalb ist sicherzustellen, dass sich der Pfändungsschutz nicht sowohl auf das Barguthaben als auch auf das Guthaben auf dem Pfändungsschutzkonto erstreckt, wenn beide Beträge zusammen den nötigen Bedarf übersteigen. Diese Abstimmungsnotwendigkeit wurde im Referentenentwurf zum GvSchuG gesehen, aber an465
Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§2:A.II.4.d). Deutscher Gerichtsvollzieher Bund e.V., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften (Gerichtsvollzieherschutzgesetz – GvSchuG) (https://dgvb.de/wp-content/uploads/2020/12/2020-1207-Ma-Stellungnahme-zum-RefE-GvSchG.pdf), S. 8 (geprüft am 12.09.2021). 467 Kritisch mit Blick auf die Situation, die sich für Personen ohne Kontoverbindung ergibt: Ahrens, NZI 2021, 531, 532. 468 BGBl. I 1978, S. 333, 334. 466
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schließend im Regierungsentwurf zu Unrecht nicht weiterverfolgt. Diese Ausnahme ist de lege ferenda vorzusehen. Dass der Gerichtsvollzieher im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen einen abweichenden Betrag festsetzen kann (§ 811 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 ZPO) lässt sich mit Blick auf die damit verbundenen Grundrechtseingriffe nicht als hinreichend bestimmte Regelung ansehen. Anders ausgedrückt: Das Regelungsprogramm ist für den Gerichtsvollzieher nicht präzise genug formuliert. X. § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. Die Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. statuierte Pfändungsverbote für die zum Betrieb einer Apotheke unentbehrlichen Geräte, Gefäße und Waren. Ein identisches Pfändungsverbot fand sich schon in § 715 Nr. 8 CPO.469 Der österreichische Gesetzgeber hat in § 250 Abs. 1 Nr. 7 EO ein vergleichbares Pfändungsverbot normiert. 1. Normzweck Der Zweck von § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. war umstritten. Folgende Ansichten sind zu verzeichnen. a) Schutz vor Veräußerung durch Unkundige Einer Meinung zufolge sollte durch die Vorschrift der Verkauf von Arznei mitteln und Apothekenware durch Unkundige verhindert werden, weil das – so diese Auffassung – nach der Pfändung und Verwertung möglich wäre.470 Gegen diese Deutung spricht bereits, dass § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. nur die zum Betrieb einer Apotheke unentbehrlichen Geräte, Gefäße und Waren einer Pfändung entzog. Größere Warenvorräte waren also pfändbar.471 Die Gefahr, dass Arzneimittel und Apothekenware in die Hände von Nicht-Fachkundigen fallen konnten, ließ sich damit durch § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. nicht ausschließen. Des Weiteren stand dieser Auslegung entgegen, dass sich die vorgeschlagene Zweckzuschreibung in erster Linie auf Medikamente bezog, während § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. Geräte, Gefäße und Waren schützte.472 469
RGBl. 1877, S. 214.
470 MüKo-ZPO/Gruber,
§ 811 ZPO Rn. 45; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 361 f.; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 106; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 4 4; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 92. 471 HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 27; Strehl, Der Schuldnerschutz in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Vollstreckung von Geldforderungen in bewegliche und unbewegliche Sachen, 2009, S. 78; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozess ordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 65. 472 Kotzur, DGVZ 1989, 165, 168.
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Hinzu kam, dass die in § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. genannten Gegenstände nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. zur Insolvenzmasse gehörten. Wenn es dem Gesetzgeber tatsächlich darum gegangen wäre, einen Verkauf von Arzneimitteln und Apothekenware durch Unkundige zu verhindern, hätte er diese nicht zur Insolvenzmasse rechnen dürfen.473 Dass Arzneimittel und Apothekenware nicht durch Unkundige verkauft werde dürfen, ist ein berechtigtes Anliegen, das sich aber nicht in § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. hineinlesen ließ, sondern durch spezialgesetzliche Regelungen des Arzneimittelrechts zu verfolgen ist.474 b) Gesundheitsschutz für die Allgemeinheit Nach einer anderen Auffassung war Schutzgut von § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. die Sicherung der Volksgesundheit durch eine ausreichende Versorgung der Allgemeinheit mit Arzneimitteln.475 Insofern wurde an § 1 Abs. 1 ApoG angeknüpft, der den Apotheken die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung aufgibt.476 In diesem Sinne wurde in den Gesetzesmaterialien zur CPO (1877) zugunsten der Vorschrift geltend gemacht, dass es viele Städte mit nur einer Apotheke gebe.477 Gegen diese Zweckzuschreibung wurde eingewandt, dass sie nur noch in ländlichen Gebieten eine Rolle spielen könne.478 Damit gab die Kritik aber selbst zu erkennen, dass die kritisierte teleologische Erwägung jedenfalls für bestimmte Regionen immer noch einschlägig war. Überdies konnte es selbst in Städten mit einer hohen Apothekendichte für Teile der Bevölkerung beschwerlich sein, eine weiter entfernt liegende Apotheke aufsuchen zu müssen. Insofern konnte auch der Verweis auf Online-Apotheken nur bedingt helfen. Zum einen 473 Strehl, Der Schuldnerschutz in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Vollstreckung von Geldforderungen in bewegliche und unbewegliche Sachen, 2009, S. 78 (Fn. 303); Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 65. 474 BT-Drs. 17/2167, S. 16; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 196. 475 OLG Köln, Beschl. v. 01.02.1961, NJW 1961, 975; Bruckmann, Die Praxis der Zwangsvollstreckung, 42002, § 2 Rn. 143; Bugger, Der Selbständige in der Insolvenz, 2015, S. 50; Uhlenbruck/Hirte/Praß, § 36 InsO Rn. 296; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 16 1954, S. 63, 94; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 31; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 166; Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1054 (Fn. 13). Schildt, Die Insolvenz des Freiberuflers, 2005, S. 43 hält diesen Schutzzweck für überholt. 476 Herzig, JurBüro 1967, 631, 636. 477 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30. Januar 1877, 21881, S. 841. 478 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 4 4; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 65. Ähnlich Kotzur, DGVZ 1989, 165. Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 195 sieht aufgrund der gestiegenen Mo bilität der Bevölkerung auch für den ländlichen Bereich keinen verbleibenden Anwendungsbereich.
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waren (und sind) nicht alle Menschen in der Lage, Bestellungen über das Internet aufzugeben. Zum anderen gab (und gibt) es Medikamente, die Betroffene möglichst sofort benötigen, sodass eine Lieferung auf eine Online-Bestellung hin zu spät käme. Wenn man auf den Lieferservice einzelner Apotheken abstellen will, ist diese nützliche Praxis nicht notwendigerweise ein dauerhaft zur Verfügung stehender Belieferungsweg. Fest steht also, dass eine zuweilen hohe Apothekendichte nicht als Argument ins Feld geführt werden konnte, um einer Rechtfertigung von § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. durch den Gedanken der Versorgungssicherheit entgegenzutreten. Weiter wurde gegen die Versorgung der Allgemeinheit mit Arzneimitteln als denkbarem Zweck vorgebracht, dass der Schuldner seine Tätigkeit als Apotheker jederzeit beenden könne. Deswegen sei dieser Zweck gesetzgeberisch nicht realisierbar.479 Richtig ist, dass der Staat den einzelnen Apotheker nicht zwingen kann, seine Apotheke weiter zu betreiben, wenn er dies nicht möchte. Zwischen dieser Sachlage und einem auf den Schutz von Allgemeininteressen abzielenden gesetzgeberischen Handeln besteht aber keine Beziehung. Deswegen ist es aus diesem Grunde nicht ausgeschlossen, im Pfändungsschutz auf Allgemeininteressen Rücksicht zu nehmen. c) Doppelzweck Manchmal wurden im Sinne eines Doppelzwecks auch beide Gesichtspunkte „Schutz vor Veräußerung durch Sachunkundige“ und „Versorgungssicherheit der Allgemeinheit“ kombiniert.480 Allerdings war die Zweckzuschreibung – Schutz vor Veräußerung durch Sachunkundige – wie dargelegt nicht haltbar. Folglich ließ sich dieser Zweck mit dem Zweck der Versorgungssicherheit nicht sinnvoll kombinieren. d) Menschenwürdiges Dasein Es fragt sich, ob § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. nicht vielmehr dem Schutz des Apothekers selbst zu dienen bestimmt war. Vor dem Hintergrund der bislang genannten Zweckvorschläge wurde vertreten, dass die Norm nicht primär dem Schuldnerschutz diene.481 Nur Emmerich nahm an, dass durch § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. der Arbeitsplatz des Apothekers geschützt werden solle.482 479
Emmerich, ZZP 82 (1969), 413, 427. BT-Drs. 17/2167, S. 16; Duru, Der grundrechtskonforme Pfändungsschutz für den Verlobungsring, 2017, S. 73; Maier, Die Insolvenz des Rechtsanwalts, 2008, S. 34; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7 2020, § 811 ZPO Rn. 51. 481 OLG Köln, Beschl. v. 01.02.1961, 1W119/60, NJW 1961, 975; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 51. 482 Emmerich, ZZP 82 (1969), 413, 427. 480
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Dagegen wurde vorgebracht, dass so eine nicht begründbare Bevorzugung eines einzelnen Berufsstandes eintreten würde.483 Gesamtsystematisch konnte außerdem § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. ins Feld geführt werden. Die Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 ZPO a. F., die Individualinteressen des Schuldners dienen, setzten sich auch in der Insolvenz durch (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO a. F.). Die von § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. geschützten Gegenstände gehören indes zur Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F.). Sie konnten dem Apotheker also ent zogen werden, mit der Konsequenz, dass er seine Apotheke nicht mehr eigenverantwortlich fortführen konnte. Ein solcher Grundrechtseingriff durfte aber nicht erfolgen. Es gehört zum menschenwürdigen Dasein eines Schuldners, dass er seine Erwerbstätigkeit eigenverantwortlich fortsetzen darf. Es wäre aber verfehlt, aus § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. den Schluss zu ziehen, dass § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. nicht Individualinteressen des Schuldners schützte. Vielmehr erwies sich § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. als verfassungswidrig.484 Legt man die vorgenannte Prämisse zum Zweck von § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. zugrunde, dann ist es ausgeschlossen, von einer nicht begründbaren Be vorzugung eines einzelnen Berufsstandes zu sprechen. Vielmehr gebietet das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein, dass einem Schuldner die zur Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände im Wege der Zwangsvollstreckung nicht entzogen werden dürfen. Trotzdem war § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. gesetzessystematisch nicht gelungen. Zwar konnte sich ein Apotheker nach bisher herrschendem Verständnis nicht auf den Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. berufen. Überwiegend arbeiten Apotheker – damals wie heute – nämlich kapitalistisch.485 Im Vordergrund steht der Warenumsatz. Die persönliche Arbeitsleistung des Apothekers in Form von Beratungs- und Informationspflichten (§ 20 ApBetrO) begleitet den Warenumsatz, dominiert diesen jedoch nicht.486 Nach richtigem Verständnis musste § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. – im Wege einer Analogie – aber auf jegliche Erwerbstätigkeit anwendbar sein.487 Dann ist es überflüssig, für einen einzelnen Berufsstand – wie den des Apothekers – ein eigenes Pfändungsverbot zu normieren. 483
Kotzur, DGVZ 1989, 165, 168. Heinze, ZInsO 2015, 1117, 1119, der Zweifel an der Wirksamkeit der Vorschrift äußert. Bugger, Der Selbständige in der Insolvenz, 2015, S. 50 hält es – wenn man den Gesichtspunkt des Versorgungsinteresses als nicht überzeugend ablehnt – für möglich, de lege ferenda die nicht zu rechtfertigende Benachteiligung von Apothekern durch Streichung der Norm zu beseitigen. Kühne, Die Insolvenz des selbständig tätigen Schuldners, 2013, S. 43 sieht „keine wirklich überzeugende Begründung für die Aufnahme des § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO in § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO“. Maier, Die Insolvenz des Rechtsanwalts, 2008, S. 34 will den zwingend gebotenen Schutz des Apothekers über § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. i. V. m. § 36 Abs. 1 S. 1 InsO a. F. gewährleisten. Vgl. außerdem zu den parallelen Überlegungen bei § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. bereits Kapitel 4:§2:A.IV.1.b). 485 Kotzur, DGVZ 1989, 165, 168; a. A. Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1055. 486 Kotzur, DGVZ 1989, 165, 168. 487 Vgl. Kapitel 4:§2:A.VI.5.b). 484 Vgl.
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e) Resümee Der Gesetzgeber kam mit § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. primär seiner Verpflichtung nach, das menschenwürdige Dasein des Apothekers in seiner Berufstätigkeit zu sichern. Dass damit Gesundheitsschutz für die Allgemeinheit einherging, war ein positiver Nebeneffekt, aber nicht primärer Grund für die Vorschrift. Wäre der originäre Zweck von § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. im Versorgungsinteresse der Allgemeinheit zu sehen gewesen, hätten keine Bedenken bestanden, die von § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. erfassten Gegenstände zur Insolvenzmasse zu ziehen (so der Gesetzgeber in § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F.). Damit wäre aber ein Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners verbunden gewesen. Diese grundrechtliche Gewährleistung umfasst die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, ob bzw. wie eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit fortgesetzt wird. Das hat der Gesetzgeber bisher in § 36 Abs. 1 S. 1 InsO a. F. berücksichtigt, indem er dem Schuldner solche Gegenstände (insbesondere die von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. erfassten) beließ.488 Unter diesem verfassungsrechtlichen Vorzeichen diente § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. demnach dem Individualschutz des Apothekers. 2. Reformbestrebungen Durch das GNeuMoP und das PKoFoG sollte § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. gestrichen werden.489 Damit folgten die Entwürfe einer schon länger in der Literatur geäußerten Kritik, welche die Vorschrift als nicht mehr zeitgemäß beurteilte.490 488 § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO i. d. F. durch den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum GvSchuG zieht die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit notwendigen Sachen zur Insolvenzmasse (vgl. BT-Drs. 19/27636, S. 11). Dies ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Wenn es unter dem Gesichtspunkt des menschenwürdigen Daseins geboten ist, einem Schuldner die Fort setzung einer selbständigen Tätigkeit zu ermöglichen, dürfen ihm die dafür erforderlichen Sachen nicht entzogen werden. In diesem Sinne gleichfalls Ahrens, NZI 2021, 57, 66. Zu Recht kritisch deshalb auch Verband Insolvenzverwalter Deutschlands, Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften (https://www. vid.de/wp-content/uploads/2020/12/VID-Stellungnahme-zum-Referentenentwurf-des-Ge richtsvollzieherschutzgesetzes.pdf), S. 1 f. (geprüft am 12.09.2021). In § 36 Abs. 2 Nr. 2 InsO i. d. F. durch das GvSchuG wurden zwar nun die Sachen ausgenommen, die für die Fort setzung einer Erwerbstätigkeit erforderlich sind, welche in der Erbringung persönlicher Leistungen besteht. Dies ist aber nicht weitreichend genug. Wie im Kontext von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. dargelegt, ist die Differenzierung zwischen persönlicher und kapitalistischer Arbeitsweise verfassungsrechtlich nicht haltbar, vgl. Kapitel 4:§2:A.VI.5.b). 489 BT-Drs. 19/19850, S. 53 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 16. Zustimmend Dieker/Remmert, NZI 2009, 708, 710. 490 Baumann/Brehm, Zwangsvollstreckung, 21982, S. 40; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 196; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 47; Grau, Die Insolvenz des selbständigen Freiberuflers aus der Sicht des Verwalters, 2010, S. 28 f.; Kotzur, DGVZ 1989, 165,
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3. Aktuelle Rechtslage Durch das GvSchuG wurde nunmehr § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. gestrichen. 4. Stellungnahme Die verfassungsrechtlichen Erwägungen zum Normzweck haben deutlich gemacht, dass der Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. unverzichtbar ist. Indes ist es systematisch nicht gelungen, für einzelne Berufungsgruppen eigenständige Pfändungsverbote zu normieren, wenn dem Schuldner aus verfassungsrechtlichen Gründen die zur Fortsetzung seiner jeweiligen Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände zu belassen sind. Allerdings bestand die Gefahr, dass der Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. auf Apotheker nicht unmittelbar angewendet werden konnte, weil deren Tätigkeit auf einer kapitalistischen Arbeitsweise beruht.491 Zwar war richtigem Verständnis nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. analog auf kapitalistische Erwerbstätigkeiten anzuwenden. Dieses Ergebnis hat der Gesetzgeber nunmehr durch das GvSchuG unstreitig gestellt. Es bedarf keiner Analogie mehr. Nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO werden alle Sachen geschützt, die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt werden. Dies erstreckt sich auf jegliche Erwerbstätigkeit, also auch auf die des Apothekers. XI. § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F. Bis zum 30.11.2021 bezog sich der Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F. auf Bücher, die dem Schuldner und seiner Familie zu Bildungszwecken bzw. religiösen Zwecken dienen. Die Vorschrift hat ihren Ursprung in § 715 Nr. 10 CPO i. d. F. von 1877.492 Mittlerweile ist erkannt worden, dass auf diese Weise in einer Vorschrift auf zwei Zwecke abgestellt wurde, die voneinander getrennt zu betrachten sind. Deshalb wurde der bisherige § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO mit dem PKoFoG zunächst in § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO i. d. F. durch das PKoFoG und § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO i. d. F. durch das PKoFoG aufgeteilt. § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO i. d. F. durch das PKoFoG sollte vom 01.12.2021 bis zum 31.12.2021 die Bücher schüt169; Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1054 (Fn. 13); Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 65 (abgesehen von apothekenarmen Gebieten). 491 Weniger Bedenken hat insofern Schildt, Die Insolvenz des Freiberuflers, 2005, S. 4 4. Die Anwendbarkeit des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. sei als lex generalis durch § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO a. F. weder verdrängt noch ausgeschlossen. Gleichzeitig stellt sie aber fest: „Da der Beruf des Apothekers regelmäßig nicht durch eine persönliche Arbeitsleistung geprägt ist […]“. Maier, Die Insolvenz des Rechtsanwalts, 2008, S. 34 schließt sich diesen Ausführungen an. 492 RGBl. 1877, S. 214.
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zen, die zum Gebrauch des Schuldners und seiner Familie in der Schule oder einer sonstigen Unterrichtsanstalt bestimmt sind. 1. Normzweck Für § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO in der Fassung bis zum 30.11.2021 wurde angenommen, dass die Norm den Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners in kultureller Hinsicht bezwecke.493 Nach der Fokussierung auf den schulischen Kontext in § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO (vom 01.12.2021 bis 31.12.2021; im Folgenden: Übergangsfassung) blieb der Grundgedanke erhalten, dass die Selbstverwirklichung in einem bestimmten sozialen Bereich – hier der Schule oder einer sonstigen Unterrichtsanstalt – der Anknüpfungspunkt für den Schutz sein sollte. 2. Anwendungsbereich Problematisch an der beschriebenen Übergangsfassung von § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO war die Beschränkung auf Bücher.494 Da neben Büchern mittlerweile vielfältige weitere Lehrmedien existieren, wurde bereits für § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F. die Ansicht verfochten, das Pfändungsverbot müsse in einem erweiterten Sinne verstanden werden.495 Ob man § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO in der Übergangsfassung weiterhin auf andere Lehrmedien als Bücher anwenden konnte, war zweifelhaft. Es bestand zwar eine Regelungslücke, weil für solche Lehrmedien kein Pfändungsschutz existierte. Problematisch war aber, ob diese Regelungslücke als planwidrig eingestuft werden konnte. Dies war im Ergebnis zu bejahen. Der Versuch einer analogen Erstreckung auf Lehrmedien, die nicht Bücher sind, sah sich allerdings mit einem Problem konfrontiert. Der Gesetzgeber kannte die Diskussion rund um eine potenzielle Erweiterung des Pfändungsverbotes von § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F. Während er den Pfändungsschutz mit dem GNeuMoP noch auf andere Lehrmedien als Bücher erstrecken wollte, hat er von diesem Plan mit dem PKoFoG Abstand genommen. Erweitert wurde der auf Bücher beschränkte Schutz nur für den religiösen Bereich (§ 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO in der Übergangsfassung). Damit scheint angesichts der so rekon493 Zu § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F.: Goose, ZZP 1937, 37, 41; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 82; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 51. 494 So auch der schweizerische Gesetzgeber in Art. 92 S. 1 Nr. 3 SchKG. 495 Breidenbach, CR 1989, 873, 879; Duru, Der grundrechtskonforme Pfändungsschutz für den Verlobungsring, 2017, S. 74; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 46; Paulus, DGVZ 1990, 151, 152; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 811 ZPO Rn. 66. Schon § 955 Nr. 10 des Entwurfs des Reichsjustizministerium für eine Zivilprozeßordnung wollte den Schutz neben Büchern auf andere Gegenstände erstrecken, vgl. Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 224.
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struierbaren Informationslage für das Handeln des Gesetzgebers eine planwidrige Regelungslücke nicht mehr existiert zu haben. Man musste aber berücksichtigen, dass der dann eintretende Zustand – gemessen an dem von der Verfassung gebotenen Zweck – verfassungswidrig gewesen wäre. Die schützenswerte Möglichkeit, sich durch Lernen in der Schule oder sonstigen Unterrichtsanstalten selbst in immer fortschreitendem Maße zu vervollkommnen, kann nicht auf die Annahme gestützt werden, dass dies allein mit Büchern im traditionellen Sinne möglich sei. Durch die Ausklammerung von bücher-äquivalenten Medien wäre hier eine nicht zu rechtfertigende Engführung der Entfaltungsmöglichkeiten des Schuldners bzw. von dessen Familie erzwungen worden. Die Auslegungsmaxime, dass dem Gesetzgeber der Wille zu verfassungsmäßigem Handeln zu unterstellen ist, musste auch hier dazu führen, dass – gemessen an den verfassungsrechtlichen Vorgaben – die Ausklammerung der Medien, die nicht Bücher sind, sich als planwidrige Regelungslücke erweist.496 Die hinreichend vergleichbare Interessenlage in Bezug auf den Pfändungsschutz zwischen Büchern einerseits und anderen Lehrmedien andererseits war offensichtlich. Für die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins in Form der Selbstverwirklichung durch Bildung gibt es auch keine andere Möglichkeit, die Lücke adäquat zu füllen, als die, funktional bücher-äquivalente Lernmedien den Büchern gleichzustellen.497 3. Reformbestrebungen Während das GNeuMoP den Pfändungsschutz von Bildungszwecken dienenden Büchern auf jegliche Lehrmittel erweitern wollte,498 hatte sich der Gesetzgeber mit dem PKoFoG (wie sich jetzt herausgestellt hat, nur für einen kurzen Übergangszeitraum) dafür entschieden, an einem auf Bücher beschränkten Pfändungsschutz festzuhalten.499 4. Aktuelle Rechtslage Das GvSchuG bezieht sich nunmehr in § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 2 ZPO nicht nur auf „Bücher“, sondern generell auf „Sachen“, die Aus- bzw. Fortbildungszwecken in Verbindung mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit dienen.
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Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:A.I.2.c)aa). ZPO bezieht sich unmittelbar nur auf die Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen. Unter § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F. fielen vielfältige moderne Lehrmedien, insbesondere im Bereich von Lernspielzeugen, die sich als körperliche Sachen begreifen lassen. Darüber hinaus existieren indes auch elektronische Medien, deren Pfändung sich nach § 857 ZPO richtet. Im Kontext von § 857 ZPO ist § 811 Abs. 1 ZPO analog anzuwenden, vgl. Kapitel 7:§2. 498 BT-Drs. 17/2167, S. 16. 499 BT-Drs. 19/19850, S. 26 (Stellungnahme des Bundesrats). 497 § 811
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5. Stellungnahme Es war angezeigt, den nicht weit genug reichenden Begriff „Bücher“ zu ersetzen.500 Zur Verfügung gestanden hätte z. B. der Begriff „Lehrmittel“. Dann hätte es zur Erreichung des nötigen Schutzumfangs nicht mehr des Umwegs über eine Analogie bedurft. Eine Anlehnung an die österreichische Lösung, die von „Lernbehelfen“ spricht (§ 250 Abs. 1 Nr. 6 EO), deutet zwar in die richtige Richtung, erscheint aber nicht empfehlenswert, weil dieser Begriff in Deutschland nicht üblich ist. Die vorgeschlagene Formulierung „Lehrmittel“ scheint auch passender als die im französischen Recht in Article R. 112-2 11° Code des procédures civiles d’exécution vorgesehene, die von Büchern und anderen notwendigen Gegenständen spricht („Les livres et autres objets nécessaires à la poursuite des études ou à la formation professionnelle“).501 Die Verallgemeinerung mit Hilfe des Begriffs „Lehrmittel“ erscheint im Vergleich dazu ökonomischer. Es drohen keine Auslegungsschwierigkeiten, wenn bloß von Lehrmitteln gesprochen wird, ohne Bücher als einen Anwendungsfall zu nennen, weil Bücher selbstverständlich Lehrmittel sind. Der Ansatz im GvSchuG, den erforderlichen Schutz in § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 2 ZPO dadurch zu gewähren, dass Sachen geschützt werden, die zu Ausbildungs- und Fortbildungszwecken im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit benötigt werden, kann im Ergebnis nicht überzeugen. Die Formulierung legt nicht nahe, dass der Pfändungsschutz sich auch auf Sachen bezieht, die für die schulische Bildung benötigt werden.502 Denn die in dieser Norm pfändungsfrei gestellten Sachen dienen sämtlich ausschließlich der Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Der alternativ hinzugefügte Bezugspunkt „Aus- oder Fortbildung“ wird ausdrücklich durch die Wendung „damit [d. h. mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit] im Zusammenhang stehend“ auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit beschränkt. Somit erlaubt es der Wortlaut – anders als dies die Begründung annimmt – nicht, die für eine Aus- oder Fortbildung notwendigen Sachen, welche der Vorbereitung einer künftigen Erwerbs tätigkeit dienen, zweifelsfrei einzubeziehen. Hinzu kommt, dass so die verfassungsrechtlichen Vorgaben in unsystematischer Art und Weise umgesetzt worden sind. Der Pfändungsschutz für Sachen, die zu Zwecken der Erwerbstätigkeit benötigt werden, dient einer anderen Ausprägung des menschenwürdigen Daseins als der Pfändungsschutz für Lehrmit500 So zu Recht z. B. in Frankreich Art. R. 112-2 11° Code des procédures civiles d’exécution, in Luxemburg Art. 728 Abs. 1 Nr. 3 Nouveau Code de procédure civile, in den Niederlanden Art. 4 47 Abs. 1 lit. e. Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering und in Österreich § 250 Abs. 1 Nr. 6 EO. 501 So auch die Formulierung im Luxemburger Recht (Art. 728 Abs. 1 Nr. 3 Nouveau Code de procédure civile). 502 So aber BR-Drs. 21/62, S. 28.
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tel. Der Pfändungsschutz im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit soll sicherstellen, dass der Schuldner seinen Lebensunterhalt eigenverantwortlich erarbeiten kann. Der Pfändungsschutz für Lehrmittel hingegen bezieht sich auf das menschenwürdige Dasein in kultureller Hinsicht. Dieser Unterschied sollte dadurch zum Ausdruck kommen, dass die entsprechenden Pfändungsverbote getrennt voneinander normiert werden. XII. § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO i. d. F. vom 01.12.2021 bis zum 31.12.2021 Mit dieser übergangsweise durch das PKoFoG eingeführten Vorschrift wurden vom 01.12.2021 bis zum 31.12.2021 (im Folgenden: Übergangsfassung) Kultusgegenstände geschützt, die dem Schuldner und seiner Familie zur Ausübung ihrer Religion oder Weltanschauung dienen oder für sie Gegenstand religiöser oder weltanschaulicher Verehrung sind, wenn ihr Wert 500 Euro nicht übersteigt. 1. Normzweck Der von § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO in der Übergangsfassung statuierte Pfändungsschutz diente in Anknüpfung an Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG der Verwirk lichung und Sicherung des menschenwürdigen Daseins des Schuldners in reli giöser bzw. weltanschaulicher Hinsicht. 2. Anwendungsbereich Vor dem PKoFoG bezog sich der Pfändungsschutz nur auf Bücher, die zum Gebrauch des Schuldners und seiner Familie in der Kirche oder bei der häus lichen Andacht bestimmt waren (§ 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F.). Das führte zu Auseinandersetzungen hinsichtlich der Frage, ob auch andere nicht genannte religiöse Gegenstände einen entsprechenden Pfändungsschutz erfahren sollten. Diese Diskussion war dann Anlass für die Übergangsregelung, die den zur bisherigen Fassung vorgebrachten Argumenten Rechnung tragen sollte. Das Nachzeichnen der Entstehungsgeschichte ist damit hilfreich für das Verständnis der gesetzgeberischen Überlegungen. Diese Betrachtung der Genese ist auch deswegen weiterhin von Belang, weil sich das GvSchuG in § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO noch in diesen gedanklichen Bahnen bewegt. a) § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 Insbesondere im Kontext der häuslichen Andacht, also einer Form der Verwirklichung des menschenwürdigen Daseins in religiöser Hinsicht, wurde uneinheitlich beurteilt, wie weit die Norm ausgelegt werden konnte.503 So wurde 503
Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811
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diskutiert, ob ein Kruzifix dem Schutzbereich von § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 zuzuordnen ist.504 In gleicher Weise war umstritten, ob ein Gebetsteppich Pfändungsschutz genießt.505 Ebenfalls wurde uneinheitlich beurteilt, ob § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 auf die Menora angewendet werden konnte.506 Ein Kruzifix, ein Gebetsteppich und auch eine Menora sind keine Bücher, sondern sonstigen religiösen Zwecken dienende Gegenstände. Der Wortlaut als äußerste Grenze der Auslegung507 erlaubte es deshalb nicht, § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 auf diese Gegenstände unmittelbar anzuwenden. Der mögliche Wortsinn einer Norm grenzt aber lediglich die Auslegung von der Rechtsfortbildung ab.508 Da die Voraussetzungen einer Analogie vorliegen,509 konnte § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 analog auf ein Kruzifix, einen Gebetsteppich bzw. eine Menora angewendet werden. Die Regelungslücke war darin zu sehen, dass der Gesetzgeber sonstige nicht als Bücher einzustufende, aber trotzdem religiösen Zwecken dienende Gegenstände nicht durch ein Pfändungsverbot geschützt hatte. Diese Regelungslücke war planwidrig. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber
ZPO Rn. 66 hält eine vorsichtige Ausdehnung für möglich. Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 46 nimmt eine vorsichtige Analogie an. HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 28 sieht eine analoge Anwendung als nicht von vornherein ausgeschlossen an. 504 So Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 181 f.; Flockenhaus, in: Musielak/ Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 25; Lackmann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 25; Wacke, DGVZ 1986, 161, 164. A. A. Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 42; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 46; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 25. Nicht von vornherein ausgeschlossen: HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 28. 505 So Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 183; Flockenhaus, in: Musielak/ Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 25; Huken, KKZ 1990, 11; Lack mann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 25; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 46; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 23; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 66 (Fn. 363). A. A. AG Hannover, Beschl. v. 15.10.1986, 738 M 5371/86, DGVZ 1987, 31; Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 42; Glenk, ZRP 2013, 232, 235 (Fn. 4 4). Nicht von vornherein ausgeschlossen: HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 28. 506 Dafür Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 183; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 25; Wieczorek/Schütze/ Lüke, § 811 ZPO Rn. 46; Pentz, DRiZ 1966, 400, 401; Wacke, DGVZ 1986, 161, 164; Würdin ger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 66 (Fn. 363). A. A. Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 42. Nicht von vornherein ausgeschlossen: HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 28. 507 Vgl. dazu Kapitel 4 Fn. 4 4. 508 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 21983, S. 20 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 4 Rn. 42; Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, 42019, S. 29; Schoppmeyer, Juristische Methode als Lebensaufgabe, 2001, S. 283. 509 Vgl. zu den Analogievoraussetzungen bereits Kapitel 4:§1:A.I.2.b).
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verfassungskonform verhalten will.510 Ein über Bücher hinausgehender Pfändungsschutz für sonstige religiöse Gegenstände wäre vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG) geboten gewesen. Der Gesetzgeber muss Vorschriften schaffen, die verhindern, dass in das menschenwürdige Dasein des Schuldners in religiöser Hinsicht eingegriffen wird. Die Religionsfreiheit umfasst nicht nur die Religionsausübung im häuslich- privaten Bereich (forum internum), sondern auch die Möglichkeit zum Sprechen über den eigenen Glauben und zum religiösen Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich, wie schließlich das Gebet und den Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen (forum externum).511 Zu den genannten Zwecken werden beispielsweise ein Kruzifix, ein Gebetsteppich bzw. eine Menora benötigt. Die Interessenlage beim Gebrauch von religiösen Zwecken dienenden Büchern und sonstigen religiösen Zwecken dienenden Gegenständen ist hinreichend vergleichbar, wenn nicht gar identisch. Der Gesetzgeber, der die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen zu berücksichtigen hat, hätte das Pfändungsverbot auch auf sonstige religiösen Zwecken dienende Gegenstände erweitern müssen. b) § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO i. d. F. ab dem 01.12.2021 bis zum 31.12.2021 Mit dem PKoFoG hat der Gesetzgeber den Pfändungsschutz von religiösen Zwecken dienenden Büchern auf Kultusgegenstände ausgedehnt, die dem Schuldner und seiner Familie zur Ausübung ihrer Religion oder Weltanschauung dienen oder für sie Gegenstand religiöser oder weltanschaulicher Verehrung sind.512 Es bedurfte also unter dieser Regelung keiner Analogie mehr, um Pfändungsschutz für ein Kruzifix, einen Gebetsteppich bzw. eine Menora zu erreichen. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber aber angeordnet, dass dieser Pfändungsschutz nur eingreift, wenn der Wert des Kultusgegenstandes 500 Euro nicht übersteigt.513 3. Aktuelle Rechtslage Das GvSchuG hält grundsätzlich an § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO i. d. F. durch das PKoFoG fest. Es entfiel lediglich das Wort „Kultusgegenstände“, ohne dass damit inhaltliche Änderungen verbunden sein sollten.514
510
BVerfG, Beschl. v. 23.10.1958, 1 BvL 45/56, BVerfGE 8, 210, 220. Vgl. zum sog. religiösen Existenzminimum Kapitel 2 Fn. 33. 512 BT-Drs. 19/19850, S. 51 (Stellungnahme des Bundesrats). 513 BT-Drs. 19/19850, S. 51 (Stellungnahme des Bundesrats). 514 BR-Drs. 62/21, S. 4, S. 28. 511
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4. Stellungnahme Die ausdrückliche Erstreckung des Pfändungsschutzes auf vorher nicht explizit genannte Kultusgegenstände durch das PKoFoG wird den verfassungsrecht lichen Anforderungen des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG gerecht. Auch wenn sich ein so weitgehender Schutz vorher schon im Wege einer Analogie begründen ließ, ist es im Hinblick auf die Rechtsklarheit doch begrüßenswert, dass der Gesetzgeber die Vorschrift ausdrücklich erweitert hat.515 Befremdlich ist indes, dass der Gesetzgeber mit dem PKoFoG eine Wertgrenze eingeführt hatte und daran jetzt auch im GvSchuG festhält.516 Der Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO besteht in allen anderen Nummern unabhängig von dem Wert der dort genannten Gegenstände.517 Eine überzeugende Begründung dafür, weswegen allein bei § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO i. d. F. vom 01.12.2021 bis zum 31.12.2021518 bzw. beim jetzigen § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO519 eine Wertgrenze für notwendig erachtet wird, findet sich nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen nur hier – so die nicht weiter substantiierte gesetzgeberische Befürchtung – möglichen Missbräuchen entgegenzuwirken sei.520 Im Vergleich mit den Vorschriften, bei denen Wertgesichtspunkte eine Rolle spielen, kann systematische Stimmigkeit nicht gefunden werden. Die Vorschriften erinnern an § 811 Nr. 14 ZPO i. d. F. v. 20.08.1953, wonach nicht zur Veräußerung bestimmte Hunde unpfändbar waren, deren Wert 200 Deutsche Mark nicht übersteigt.521 Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht hat der Gesetzgeber im Jahre 1990 das Pfändungsverbot für im häuslichen Bereich gehaltene Tiere nach § 811c ZPO verschoben und sie – unabhängig vom Wert – für unpfändbar erklärt. Der Gesetzgeber hat lediglich für Härtefälle eine Pfändungsmöglichkeit geschaffen, die indes einen Antrag des Gläubigers voraussetzt,522 insofern also eine feste Wertgrenze vermieden. Es ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine Regelung schaffen wollte, die nicht einseitig bloß die Interessen des Schuldners berücksichtigt. Allerdings 515 Auch andere europäische Länder formulieren diesen Pfändungsschutz in ähnlicher Weise, vgl. z. B. für Italien Art. 514 Nr. 1 Codice di procedura civile („le cose sacre e quelle che servono all’esercizio del culto“), für Luxemburg Art. 728 Abs. 1 Nr. 5 des Nouveau Code de procédure civile („les objets servant à l’exercice du culte“), für die Schweiz Art. 92 S. 1 Nr. 2 SchKG („die religiösen Erbauungsbücher und Kultusgegenstände“) und für Spanien Art. 606 Nr. 3.° Ley de Enjuiciamiento Civil ejecución („Los bienes sacros y los dedicados al culto de las religiones legalmente registradas“). 516 Vgl. zu dem zusätzlichen Aufwand für Gerichtsvollzieher z. B. Lissner, KKZ 2019, 265, 267. 517 Vgl. Kapitel 4:§1:F. 518 Vgl. BT-Drs. 19/19850, S. 27. 519 BR-Drs. 62/21, S. 28. 520 Vgl. BT-Drs. 19/19850, S. 21. Zustimmend Waldschmidt, JurBüro 2019, 63. 521 BGBl. I 1953, S. 952, 953. 522 BGBl. I 1990, S. 1762.
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steht eine fixe Wertgrenze nicht im Einklang mit dem Zweck der Norm, das menschenwürdige Dasein des Schuldners in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zu schützen. Dies darf nicht von Wertbetrachtungen zu den für diese Praxis benötigten Gegenständen abhängig gemacht werden. Eine Überlegung zum Wert kann ihren Platz lediglich bei der Austauschpfändung finden. Dort wird nämlich eine Wertdifferenz zwischen dem für die Pfändung in Aussicht genommenen Gegenstand und einem funktional-äquivalenten Gegenstand geringeren Wertes vorausgesetzt. Bezogen auf Kultusgegenstände führt dies aber nicht dazu, dass generell eine Austauschpfändung als möglich erachtet werden kann. Zwar sind Fälle vorstellbar, in denen eine Austauschpfändung in Betracht kommt, nämlich dann, wenn der an die Stelle des Kultusgegenstandes tretende Ersatzgegenstand äquivalent ist. Beispielsweise könnte eine Bibel gegen eine andere Bibel ausgetauscht werden, wenn die Bibel allein der Lektüre des Textes dient.523 Eine Austauschbarkeit wäre aber dann auszuschließen, wenn es etwa um eine Familienbibel geht, die nicht nur der Textlektüre dient, sondern gleichzeitig als Traditionsgegenstand den Familienmitgliedern besonders am Herzen liegt. Im Ergebnis ist der vom Gesetzgeber gewählte Weg, Kultusgegenstände nur bis zum Wert von 500 Euro zu schützen, deswegen verfassungswidrig, weil sich das menschenwürdige Dasein in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht einer generellen betragsmäßigen „Deckelung“ entzieht. De lege ferenda ist es folglich geboten, in § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO auf eine Wertgrenze zu verzichten. Dass hingegen der Gesetzgeber im GvSchuG nicht mehr von „Kultusgegenständen“ spricht, ist folgenlos, weil damit keine Veränderung der Reichweite des Schutzbereichs verbunden ist.524 XIII. § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. Mit § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. statuierte der Gesetzgeber für eine sehr heterogene Gruppe von Gegenständen Pfändungsschutz, nämlich für Haushaltungsund Geschäftsbücher, aber auch für Familienpapiere, Trauringe, Orden und Ehrenzeichen. 1. Normzweck Im Rahmen von § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. war wegen der Heterogenität der aufgezählten Gegenstände eine pauschale Zweckzuschreibung unmöglich. 523 In diese Richtung auch Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 185; a. A. AG Bremen, Beschl. v. 07.03.1984, 25 M 571/84, DGVZ 1984, 157, allerdings mit der Begründung, dass § 811a ZPO nicht analog herangezogen werden könne. Generell zu einer fehlenden Austauschbarkeit bei § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO: Tschentscher, Die Austauschpfändung, 1953, S. 23 (noch zu § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F.). 524 So auch der Gesetzgeber in BR-Drs. 62/21, S. 28.
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Vielmehr musste zwischen dem Pfändungsschutz für Haushaltungs- und Geschäftsbücher (Var. 1) auf der einen Seite und Familienpapieren, Trauringen, Orden und Ehrenzeichen (Var. 2) auf der anderen Seite differenziert werden. Während sich der Schutz für Orden und Ehrenzeichen bereits in § 715 Nr. 9 CPO von 1877 fand,525 ist der Pfändungsschutz für Haushaltungs- und Geschäftsbücher sowie Familienpapiere und Trauringe durch die CPO-Novelle von 1898 eingeführt worden. Von da an befand sich dieses Konglomerat von Schutzgegenständen in § 715 Nr. 11 CPO.526 Es handelte sich also wiederum um zwei ältere Schichten, die hinsichtlich ihrer Konsistenz mit Blick auf die heutigen Rahmenbedingungen auf den Prüfstand zu stellen sind. a) § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 1 ZPO a. F. Die Pfändungsverbote für Haushaltungs- und Geschäftsbücher beruhten auf einem gemeinsamen Grundgedanken, nämlich darauf, dass diese Bücher für bestimmte Formen des wirtschaftlichen Handelns erforderlich sind. Anders ausgedrückt: Ohne solche Bücher ist wirtschaftliches Handeln nicht sinnvoll möglich. aa) Haushaltungsbücher Was die Haushaltungsbücher betrifft, wurde mit dem Pfändungsschutz der gesetzgeberische Gedanke fortgeführt, dass dem Schuldner trotz Pfändung die Haushaltsführung prinzipiell weiter möglich bleiben muss (vgl. § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a. F.). Haushaltungsbücher sind dafür ein geeignetes Mittel. Somit besteht zwischen dem Schutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a. F. und dem Schutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 1 ZPO a. F. eine Zweck-Mittel-Relation. bb) Geschäftsbücher Für die Geschäftsbücher ließ sich – wie bei den Haushaltungsbüchern – eine Zweck-Mittel-Relation zu an anderer Stelle in § 811 Abs. 1 ZPO a. F. erkenn baren Prinzipien herstellen. Die dort angesprochene Notwendigkeit, die berufliche Tätigkeit (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a. F.) bzw. die Erwerbstätigkeit (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F.) weiterführen zu können, erfordert die Nutzung von Geschäftsbüchern. Die vielfältigen Aufbewahrungspflichten für Geschäftsbücher zeigen, dass diese „Compliance“ notwendiger Teil der wirtschaftlichen Betätigung ist.
525 526
RGBl. 1877, S. 214. RGBl. 1898, S. 256, 306.
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
cc) Resümee Der Pfändungsschutz für Haushaltungs- und Geschäftsbücher zielte darauf ab, dass der Schuldner auf für ihn relevanten wirtschaftlichen Aktionsfeldern weiterhin effektiv agieren kann. Insofern fügte sich die Regelung in das Schutz konzept „Sicherung des menschenwürdigen Daseins“ ein. b) § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 2 ZPO a. F. Der Pfändungsschutz für Familienpapiere, Trauringe, Orden und Ehrenzeichen vereinte heterogene Gegenstände. Deshalb stellte sich die Frage, ob sich diese Zusammenstellung von einem einheitlichen Zweck her verstehen ließ. Die geschützten Gegenstände gehören zu der persönlichen Lebenssphäre des Schuldners.527 Dieses Charakteristikum ist aber nicht ausreichend um zu erklären, warum gerade diese Gegenstände geschützt sein sollen. Das „einigende Band“ lag darin, dass der Schuldner zu diesen Gegenständen eine emotionale Bindung hat. Dies leuchtet für Familienpapiere und Trauringe528 unmittelbar ein, gilt aber auch für Orden und Ehrenzeichen. Denn Orden und Ehrenzeichen werden für besondere Verdienste verliehen, sind also ein Zeichen der Anerkennung.529 Der Schuldner sieht damit in diesen Orden und Ehrenzeichen gewissermaßen die Verkörperung dieser Anerkennung und würde sich bei deren Entzug schmerzlich verletzt fühlen. Dies steht im Einklang mit der Ansicht, dass es um den Schutz der Persönlichkeit des Schuldners geht.530 In dem hier zugrunde gelegten Deutungsraster wird die Beziehung des Schuldners zum möglichen Objekt der Pfändung in den Mittelpunkt gerückt. Es geht also um eine spezifische Ausprägung des menschenwürdigen Daseins, die sich als ideelle Dimension begreifen lässt, und Konsequenzen für den sachlichen Schutzbereich hat.531 527 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 26; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 48; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 73. 528 Der Pfändungsschutz für Trauringe findet sich auch in anderen europäischen Rechtsordnungen wieder, vgl. z. B. für Italien Art. 514 Nr. 2 Codice di procedura civile, für Österreich § 250 Nr. 9 EO und für die Slowakei § 115 Abs. 2 lit. h) Exekučný poriadok. 529 Der österreichische Gesetzgeber hat den Pfändungsschutz für Orden und Ehren zeichen, der zuvor in § 251 Ziff. 12 EO platziert war, im Zuge der EO-Novelle 1995 in den Katalog des § 250 EO nicht mehr aufgenommen. Warum man sich von diesem Pfändungs verbot verabschiedet hat, kann den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnommen werden. Der grundlegende Ansatz bei der Überarbeitung des Katalogs der unpfändbaren Sachen war es, den Pfändungsschutz den heutigen Gegebenheiten anzupassen, vgl. EO-Nov. 1995, 195, BlgNR XIX. GP, S. 40, dazu Mohr, in: Angst/Oberhammer (Hrsg.), Kommentar zur Exekutionsordnung, 32015, § 250 EO Rn. 37. 530 Däubler, in: Bub/Knieper/Metz u. a. (Hrsg.), Zivilrecht im Sozialstaat, 2005, S. 39, 45; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 27 f. 531 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 33.
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2. Anwendungsbereich a) Haushaltungs- und Geschäftsbücher Durch den Terminus „Haushaltungs- und Geschäftsbücher“ wurde für alle Aufzeichnungen des Schuldners über seine geschäftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten Pfändungsschutz gewährt.532 Umstritten war, ob auch Datenträger, auf denen solche Aufzeichnungen gespeichert sind, als unpfändbar eingestuft werden konnten. Dies wurde überwiegend bejaht.533 Ein Begründungsproblem bestand indessen darin, dass Datenträger dem Wortsinn nach nicht als „Bücher“ bezeichnet werden können. Es steht aber fest, dass sie unter dem angenommenen praktischen Zweck, die Fortführung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen, ein funktionales Äquivalent zu den früheren Büchern sind. Der Gesetzgeber konnte diese Sachlage ursprünglich nicht kennen, da es elektronische Haushaltungs- und Geschäftsbücher nicht gab. Seit dem Aufkommen dieser Technologie hat er sich allerdings mehrfach mit der zweckmäßigen Ausgestaltung der Pfändungsschutzvorschriften befasst. Sowohl in dem GNeuMoP als auch in dem PKoFoG sollte Pfändungsschutz für die in Gebrauch genommenen „Unterlagen“ normiert werden, zu deren Aufbewahrung der Schuldner nach den Vorschriften des § 257 HGB und des § 147 AO verpflichtet ist. Damit wäre der Weg offen gewesen, über ein weites Verständnis von „Unterlagen“ elektronische Datenträger mit als erfasst anzusehen. Allerdings hat der Gesetzgeber seinerzeit diese Überlegung nicht weiter verfolgt und es bei der Gesetzesfassung belassen, die von „Büchern“ spricht. Insofern bestand eine gewisse Vergleichbarkeit zu dem Regelungskontext von § 811 Abs. 1 Nr. 10 ZPO a. F. (Bücher für Schule und Kirche). Während dort allerdings eine Regelung getroffen wurde, die aus den erörterten Gründen verfassungsrechtlich keinen Bestand haben konnte534 , hat der Gesetzgeber hier da532 Prütting/Gehrlein/Flury,
§ 811 ZPO Rn. 4 4. Andres, in: Nerlich/Römermann (Hrsg.), Insolvenzordnung (InsO), 422021, § 36 InsO Rn. 40; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 26; Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 4 4; Graf-Schlicker/Kexel, in: Graf-Schlicker (Hrsg.), InsO, 52020, § 36 InsO Rn. 11; Henckel, in: Jaeger/Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Kommentar zur Insolvenzordnung, 2004, § 36 InsO Rn. 10; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 35; Uhlenbruck/Hirte/Praß, § 36 InsO Rn. 47; Lackmann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 26; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 75; Müller- Eiselt, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler (Hrsg.), Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 263 2021, § 295 AO Rn. 63; Paulus/Berg, ZIP 2019, 2133, 2136; MüKo-InsO/Peters, § 36 InsO Rn. 101; Steinrötter/Bohlsen, ZZP 2020, 459, 469; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/ Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 55; Weimann, DGVZ 1996, 1, 6; Wimmer, in: Gottwald/Haas (Hrsg.), Insolvenzrechts-Handbuch, 62020, § 26: Zuordnung und Ausgrenzung der Massegegenstände in Sonderfällen Rn. 7. A. A. Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 50; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 67. 534 Vgl. Kapitel 4:§2:A.XI.5. 533
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mals mit dem PKoFoG nichts modifiziert. Hätte man unter dieser Gesetzeslage elektronische Datenträger mit Geschäftsinformationen wegen ihrer „Nicht- Buch“-Eigenschaft ausgeschlossen, hätte man den Zweck der Vorschrift, eine Weiterführung der Geschäfte zu ermöglichen, konterkariert. Dem Zweck konnte nur Genüge getan werden, wenn eine Auslegung für „Bücher“ gefunden wurde, die zweckkompatibel ist. Dies ist die Konstellation, die eine Analogie verlangt.535 Im Ergebnis waren damit Datenträger vom Schutzbereich des § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 1 ZPO a. F. erfasst, sofern sie Informationen enthalten, die für Haushaltungs- und Geschäftsbücher charakteristisch sind. b) Familienpapiere Was den Schutz der Familienpapiere betrifft, tauchte unter der alten Gesetzeslage wiederum die Frage auf, welche Konsequenzen aus der älteren papierbezogenen Terminologie zu ziehen waren. Unstreitig war, dass der Schutz der Familienpapiere sich neben öffentlichen Urkunden auf alle privaten Aufzeichnungen bezog, die persönliche Verhältnisse des Schuldners betreffen.536 Sobald die Papiereigenschaft dem Wortsinn nach problematisch wurde, entstanden Meinungsdivergenzen. Das bisherige Leitbeispiel waren die Familienfotos, denen überwiegend Pfändungsschutz zugesprochen wurde.537 Hier ist immerhin eine Anknüpfung an das Merkmal „Papier“ möglich, weil Fotos als „Papierabzug“ auf Papier existieren können. Sobald aber nicht mehr Fotoalben in Papierform geführt werden, sondern beispielsweise als Foto-CD-ROMs aufbewahrt werden, stellte sich die Frage der Wortlautgrenze neu. Es war auch hier schwerlich möglich, diesen Sachverhalt als Speicherung in Papierform anzusehen. Allerdings konnte erneut der Gedanke fruchtbar gemacht werden, dass vom Zweck her angesichts der neuen technologischen Möglichkeiten nur eine extensive Auslegung die Zweckrealisierung sicherstellen konnte. Dementsprechend waren Datenträger mit einem Inhalt, der Familienpapieren äquivalent ist, dem Pfändungszugriff zu entziehen. Dafür sprach im Übrigen noch folgende Überlegung: Auf Familienfotos sind Personen abgebildet, deren Persönlichkeitsrechte zu schützen sind. Würde man diese Datenträ535 Die Situation ist vergleichbar mit der vom BGH für das Urheberrecht postulierten Möglichkeit, einer extensiven Auslegung von Schrankenbestimmungen im Falle technischer Innovationen, vgl. BGH, Urt. v. 11.07.2002, I ZR 255/00, NJW 2002, 3393, 3395. 536 Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 45. 537 Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 45; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 26; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 56; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 51. A. A. Falkmann/Mugdan, Die Zwangsvollstreckung mit Ausschluß der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, 1914, S. 697. Vgl. auch den Entwurf einer Zivilprozeßordnung von 1931, der in § 955 Nr. 11 ausdrücklich Pfändungsschutz für Familienbilder vorgesehen hat, Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 224.
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ger über die Pfändung einer Versteigerung zuführen, würden diese Persönlichkeitsrechte verletzt.538 c) Trauringe Zu Trauringen besteht eine besondere emotionale Beziehung, weil sie als Zeichen der ehelichen Verbundenheit empfunden werden. Dies kommt beispielsweise auch darin zum Ausdruck, dass vielfach der Trauring des verstorbenen Ehegatten weiterhin vom überlebenden Ehegatten zusätzlich zu seinem eigenen Ehering getragen wird. Trauringe müssen deswegen Pfändungsschutz genießen, weil ansonsten im Empfinden des von der Pfändung betroffenen Schuldners die innere Bindung an die Ehe und die Erinnerung an den verstorbenen Ehegatten schmerzlich zerstört würde. Konsequenterweise genießen Eheringe nicht nur während der Ehe Pfändungsschutz. Trauringe wurden durch das Pfändungsverbot des § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. selbst dann geschützt, wenn die Ehe nicht mehr besteht.539 Dies lässt sich zusätzlich damit begründen, dass Art. 6 Abs. 1 GG auch dann anwendbar ist, wenn die Ehe durch Tod oder Scheidung aufgelöst worden ist.540 Bleibt die Streitfrage, ob auch für Verlobungsringe Pfändungsschutz besteht.541 Überwiegend wurde zur alten Rechtslage vertreten, dass Verlobungsringe von § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. nicht erfasst seien.542 Wenn dieses Ergeb538 Vgl. zum Anwendungsbereich von § 857 ZPO auch noch Kapitel 7, zum Schutz von Persönlichkeitsrechten jetzt auch § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (dazu BR-Drs. 62/21, S. 4, 30). 539 Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 46; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 51; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 68. 540 BVerfG, Beschl. v. 07.10.2003, 1 BvR 246/93 (u. a.), BVerfGE 108, 351, 364; BVerfG, Urt. v. 28.02.1980, 1 BvL 17/77 (u. a.), BVerfGE 53, 257, 296; BVerfG, Beschl. v. 21.12.1977, 1 BvR 820/76 (u. a.), BVerfGE 47, 85, 100; Leibholz/Rinck/Hesselberger, in: Leibholz/Rinck (Hrsg.), Grundgesetz, 832021, Art. 6 GG Rn. 4 4. 541 Vgl. dazu ausführlich Duru, Der grundrechtskonforme Pfändungsschutz für den Verlobungsring, 2017, S. 79; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 95; Müller- Eiselt, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler (Hrsg.), Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 263 2021, § 295 AO Rn. 65; Münzberg, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 222002, § 811 ZPO Rn. 68. 542 LG Berlin, Beschl. v. 23.08.2012, 51 T 569/12, unveröffentlicht; AG Schöneberg, Beschl. v. 13.07.2012, 30 M 8034/12, DGVZ 2012, 227; Elden/Frauenknecht, in: Kern/Diehm (Hrsg.), ZPO, 22020, § 811 ZPO Rn. 15; Falkmann/Mugdan, Die Zwangsvollstreckung mit Ausschluß der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, 1914, S. 698; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 26; Goebel, in: ders. (Hrsg.), AnwaltFormulare Zwangsvollstreckung, 52020, § 6: Die Pfändung und Verwertung körperlicher Sachen durch den Gerichtsvollzieher (Sachpfändung) Rn. 331; MüKo-ZPO/ Gruber, § 811 ZPO Rn. 47; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 35; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 29; Lackmann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 26; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 52; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 73; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 26; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 57; Vogt-
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nis begründet wurde – was nur selten geschehen ist – sollte der Wortlaut von § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. ausschlaggebend sein.543 In der Tat wurden Verlobungsringe in § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. – anders als im Entwurf einer Zivilprozeßordnung durch das Reichsjustizministerium von 1931 – nicht ausdrücklich genannt.544 Außerdem wurde angeführt, es widerspreche der Vollstreckungssicherheit, einen Verlobungsring für unpfändbar zu erachten, weil die Existenz eines Verlöbnisses für das Vollstreckungsorgan nicht überprüfbar sei.545 Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, dass mit einem Pfändungsschutz für Verlobungsringe Manipulationsmöglichkeiten einhergehen könnten.546 Einer analogen Anwendung von § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. auf Verlobungsringe stehe schon das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke entgegen, weil der Gesetzgeber den Verlobungsring bewusst nicht unter Pfändungsschutz gestellt habe.547 Hinzu komme überdies, dass es an einer vergleichbaren Interessenlage mit dem Trauring fehle, weil der Verlobungsring – anders als ein Trauring – mit Rückforderungsansprüchen (§ 1301 S. 1 BGB) behaftet sein könne.548 Ob Verlobungsringe Pfändungsschutz genießen können, hängt von maßgeblichen verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen ab. In erster Linie ist hier an Art. 6 Abs. 1 GG zu denken. Geschützt ist dort aber nur die Ehe, nicht das Verlöbnis. Die Vorwirkungen beschränken sich auf die Eheschließungsfreiheit.549 Deshalb kommt Verlobten der Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu, selbst dann nicht, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht.550 Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 51; Würdin ger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 68; Zimmermann, in: Praxiskommentar Erbrechtliche Nebengesetze, 2017, § 811 ZPO Rn. 20. 543 AG Schöneberg, Beschl. v. 13.07.2012, 30 M 8034/12, DGVZ 2012, 227. 544 Vgl. § 955 Nr. 11 dieses Entwurfes, Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 224. 545 AG Schöneberg, Beschl. v. 13.07.2012, 30 M 8034/12, DGVZ 2012, 227. 546 Becker, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 152018, § 811 ZPO Rn. 26; Walker/L oyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 57. 547 AG Schöneberg, Beschl. v. 13.07.2012, 30 M 8034/12, DGVZ 2012, 227. 548 AG Schöneberg, Beschl. v. 13.07.2012, 30 M 8034/12, DGVZ 2012, 227; Goebel, in: ders. (Hrsg.), AnwaltFormulare Zwangsvollstreckung, 52020, § 6: Die Pfändung und Verwertung körperlicher Sachen durch den Gerichtsvollzieher (Sachpfändung) Rn. 331; Gottwald/Mock/ Mock, § 811 ZPO Rn. 73. 549 BVerfG, Beschl. v. 09.11.2004, 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, 65 mit Verweis auf BVerfG, Beschl. v. 14.11.1973, 1 BvR 719/69, BVerfGE 36, 146. Vgl. auch Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 32013, Art. 6 GG Rn. 71; Leibholz/Rinck/Hessel berger, in: Leibholz/Rinck (Hrsg.), Grundgesetz, 832021, Art. 6 GG Rn. 47; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 72020, § 6 Ehe und Familie, Rn. 15. A. A. Dammer, Verlöbnis als Einrichtungsgarantie, 2017, S. 104; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 132020, § 7 AufenthG Rn. 36; Duru, Der grundrechtskonforme Pfändungsschutz für den Verlobungsring, 2017, S. 79. 550 So aber VGH München, Beschl. v. 24.10.2012, 10 CE 12.2125, juris, Rn. 3; VG Stuttgart, Urt. v. 12.07.2018, 9 K 12142/17, juris, Rn. 61; VG München, Urt. v. 04.02.2016, M 10 K 15.4237, juris, Rn. 22; VG Saarlouis, Beschl. v. 03.03.2011, 10 L 175/11, juris, Rn. 4.
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Allerdings gebietet das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein, das Affektionsinteresse zu schützen.551 Damit ist eine positive Beziehung zu dem gemeint, was der Mensch außerhalb seiner Selbst in der Welt antrifft.552 Eine solche Beziehung kann nicht nur zu anderen Menschen bestehen, sondern auch zu Objekten. Würde man einen Menschen von diesen Beziehungen abschneiden, würde man ihn isolieren, ihn in seinem Wesenskern treffen und ihn als Subjekt wesentlicher Selbstverwirklichungsmöglichkeiten berauben. Vor diesem Hintergrund erscheint es verfassungsrechtlich geboten, den Pfändungsschutz für Trauringe im Wege einer Analogie gleichermaßen auf Verlobungs ringe anzuwenden. Die Regelungslücke ist darin zu sehen, dass – ohne eine solche Analogie – eine Situation entstehen würde, die im Ergebnis verfassungswidrig wäre. Da aber ein Wille des Gesetzgebers, verfassungsgemäß zu handeln, anzunehmen ist, entspräche diese Situation nicht dem normativen Plan, der dem Gesetzgeber zugerechnet werden muss. Auch wenn die Interessenlage hinsichtlich von Trauringen und Verlobungsringen in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 GG nicht vergleichbar ist, geht es doch in beiden Fällen um das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners, das den Schutz eines ausreichend gewichtigen Affektionsinteresses einschließt. Deshalb hätte der Gesetzgeber, einem verfassungsgemäßen Plan folgend, den Pfändungsschutz auf Verlobungsringe ausdehnen müssen. Die emotionale Bindung ist beim Verlobungsring ähnlich wie beim Ehering. d) Orden und Ehrenzeichen Ursprünglich wurde der Pfändungsschutz für Orden und Ehrenzeichen damit begründet, dass diese „kein zur Wegnahme oder Zwangsveräußerung geeigneter Gegenstand“ seien.553 Dies ist eine Behauptung ohne Begründung. Man darf annehmen, dass in der Zeit der Entstehung der CPO ein diesbezüglicher Konsens bestand und dass deswegen keine Begründungsanstrengung unternommen werden musste. Heute kann ein derartiger Konsens nicht mehr ohne weiteres unterstellt werden, sodass ein tragbarer Rechtfertigungsgrund gefunden werden muss, wenn dieser Pfändungsschutz aufrechterhalten werden soll. Staatliche Orden und Ehrenzeichen sind Ausdruck der Anerkennung für besondere Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland (§ 1 Abs. 1 OrdenG554). 551 Ähnlich Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 32 f. (Fn. 131), der insofern auf die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht rekurriert. 552 Vgl. Lamoril, Revue trimestrielle des droits de l’Homme 2006, S. 359, 387. 553 So Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30. Januar 1877, 21881, S. 454; zustimmend Gaupp, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen, 1881, S. 282. 554 Daneben besteht die Befugnis der Länder, Orden und Ehrenzeichen zu verleihen (§ 1 Abs. 2 OrdenG).
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Der Geehrte versteht diese Orden und Ehrenzeichen als symbolischen Ausdruck dieser Anerkennung. Die Pfändung solcher symbolischer Gegenstände wird als Angriff auf die dadurch symbolisierte Wertschätzung empfunden. Insofern ist der darauf bezogene Pfändungsschutz unter dem Aspekt der Personenintegrität konsequent, wenn man diese Art der Achtung im sozialen Umfeld als schützenswert ansieht. aa) Staatliche vs. private Auszeichnungen Es ist nicht zu verkennen, dass die bereits in § 715 Nr. 9 CPO v. 1877 anzutreffende Formulierung „Orden und Ehrenzeichen“ von einem seinerzeit vor herrschenden Staatsverständnis gekennzeichnet ist.555 Deswegen stellt sich die Frage, ob unter heutigen Bedingungen auch private Auszeichnungen, die nicht auf einem staatlichen Anerkennungsvorgang beruhen, vor Pfändung geschützt sein sollen. Für solche privaten Auszeichnungen wurde zur Rechtslage vor dem G vSchuG allgemein verfochten, dass kein Pfändungsschutz bestehe.556 Sprachgebrauch und Praxis zeigen, dass es in weiten Bereichen nicht-staatlicher Art Orden und Ehrenzeichen gibt. Hinzu kommt, dass vielfach die Verleihung dieser Orden und Ehrenzeichen als wesentlicher Ausdruck sozialer Anerkennung empfunden wird. Wählt man unter dem Aspekt der Normenverständlichkeit die gegenwärtige Praxis und den gegenwärtigen Sprachgebrauch als relevante Bezugs größe für die Wortlautinterpretation, kommt man nicht umhin, diesen Gesichtspunkt argumentativ zum Tragen zu bringen. Das zu berücksichtigende Phänomen ist dadurch gekennzeichnet, dass die soziale Praxis und das soziale Verständnis den Bedeutungsgehalt einer ursprünglich von älteren Vorstellungen geprägten Formulierung „überholt“ haben und damit diesen zeitgemäßen Bedeutungsgehalt für die heutige Rechtsanwendung als maßgeblich erscheinen lassen. Deswegen gilt das für staatliche Orden und Ehrenzeichen Gesagte gleichfalls für „private“ Orden und Ehrenzeichen. In äußerster Zuspitzung lässt sich diese These beispielsweise auch an dem im Rheinischen üblichen Karnevalsorden illustrieren. Für einen Jecken, der wirklich im Karneval lebt, ist die emotionale Beziehung zu einem Karnevalsorden möglicherweise genauso stark, wie die zu einem staatlichen Orden. Unter Umständen wird sie sogar noch als stärker empfunden, weil man sich hier dem eigenen Verein stärker verbunden fühlt als dem Staat. Eine solche Wirklichkeit kann für das Verständnis der Bedeutung von „Orden und Ehrenzeichen“ nicht ignoriert werden. Es sei hinzugefügt, 555
Vgl. RGBl. 1877, S. 199, 214. § 811 ZPO Rn. 29; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 26; Walker/ Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 58; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 51; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 69. 556 HK-ZV/Kindl,
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dass die bloße Behauptung, es bestehe eine affektive Bindung nicht ausreicht. Diese muss vielmehr nachvollziehbar dargetan sein. bb) Duplikate Umstritten war, ob das Pfändungsverbot für Orden und Ehrenzeichen nur das Original meint.557 Teilweise wurde angenommen, dass Nachbildungen ebenfalls geschützt seien, wenn sich der ideelle Wert darin widerspiegele.558 Manchmal wurde einschränkend formuliert, dass ein Duplikat nur dann unpfändbar sei, wenn das Originalehrenzeichen verloren gegangen ist.559 Vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund von § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. kann der Pfändungsschutz nicht auf Duplikate erweitert werden. Die besondere ideelle Beziehung zu einem Orden oder Ehrenzeichen besteht nämlich nur dann, wenn es sich um das Original handelt. Das Duplikat erinnert zwar an das Original, steht aber nicht dem Original gleich. Deswegen wird auch der Verlust eines Duplikats als weniger schmerzlich empfunden als der Verlust eines Originals. 3. Reformbestrebungen Der Reformgesetzgeber wollte die Norm sowohl im Rahmen des GNeuMoP als auch im Rahmen des PKoFoG aufspalten. In § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO i. d. F. durch das GNeuMoP bzw. das PKoFoG sollte Pfändungsschutz für die in Gebrauch genommenen Unterlagen normiert werden, zu deren Aufbewahrung der Schuldner nach den Vorschriften des § 257 HGB und des § 147 AO verpflichtet ist.560 Getrennt davon sollten Familienpapiere sowie Orden, Ehrenzeichen und Trauringe durch § 811 Abs. 1 Nr. 9 ZPO i. d. F. durch das GNeuMoP bzw. das PKoFoG geschützt werden.561 4. Aktuelle Rechtslage Das GvSchuG hat eine noch weitergehende Aufspaltung vorgenommen. Der bisher in einer Vorschrift normierte Schutz wird nunmehr auf vier Vorschriften verteilt. In § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO werden Unterlagen geschützt, zu deren Auf557 So Falkmann/Mugdan, Die Zwangsvollstreckung mit Ausschluß der Zwangsvoll streckung in das unbewegliche Vermögen, 1914, S. 698; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 35; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 51. 558 MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 47. 559 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 26; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 95; Walker/Loyal, in: Schuschke/ Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 58; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 69. 560 BT-Drs. 19/19850, S. 51 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7. 561 BT-Drs. 19/19850, S. 51 (Stellungnahme des Bundesrats); BT-Drs. 17/2167, S. 7.
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bewahrung eine gesetzliche Verpflichtung besteht oder die zu Buchführungsbzw. Dokumentationszwecken benötigt werden. Nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO genießen private Aufzeichnungen, durch deren Verwertung in Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird, Pfändungsschutz. Öffentliche Urkunden, die für Beweisführungszwecke benötigt werden, werden durch § 811 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geschützt. Der Pfändungsschutz für Trauringe, Orden und Ehrenzeichen hat seinen Platz in § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO gefunden. 5. Stellungnahme Das GNeuMoP und das PKoFoG hatten erkannt, dass § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO a. F. zwei unterschiedliche Gruppen von geschützten Gegenständen enthält. Die deshalb ins Auge gefasste „Trennungslösung“ ist systematisch stringent, bedarf aber einer weiteren Differenzierung. a) § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 1 ZPO a. F. aa) Geschäftsbücher Das GNeuMoP und des PKoFoG wollten nicht mehr generell von Geschäftsbüchern sprechen, sondern stattdessen auf die nach § 257 HGB und § 147 AO aufzubewahrenden Unterlagen verweisen. Dadurch wäre der Anwendungsbereich der Norm gleichzeitig reduziert und präzisiert worden. Allerdings empfiehlt es sich – auch auf der Grundlage der von GNeuMoP und PKoFoG vorausgesetzten Regelungslogik – nicht, auf die Aufbewahrungspflichten nach § 257 HGB und § 147 AO Bezug zu nehmen. Denn über die Aufbewahrungspflichten nach § 257 HGB und § 147 AO hinaus existieren vielfältige weitere gesetzliche Verpflichtungen. Auch können jederzeit neue gesetzliche Verpflichtungen hinzukommen. Das GvSchuG hat insofern die in dieser Betrachtungsweise richtige Konsequenz gezogen, indem es allgemein von „Unterlagen“ spricht, für deren Aufbewahrung eine gesetzliche Verpflichtung besteht (§ 811 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 ZPO). bb) Haushaltungsbücher Die Ausklammerung der Haushaltungsbücher durch das GNeuMoP und das PKoFoG ist abzulehnen. Denn dadurch würde der verfassungsrechtlich gebotene Pfändungsschutz verloren gehen. Diese Frage darf nicht mit der Frage verwechselt werden, ob Haushaltungsbücher noch eine große Rolle spielen. Es gibt sie noch – wenn auch häufiger digital als analog. Zudem werden sie im Rahmen der Schuldnerberatung empfohlen.562 Deshalb ist dem GvSchuG zuzustimmen, das den Pfändungsschutz auf Unterlagen bezieht, die zu Buchführungs- oder Dokumentationszwecken benötigt werden (§ 811 Abs. 1 Nr. 4 Var. 2 ZPO). 562
Vgl. www.schuldnerberatung.de/haushaltsplan (geprüft am 12.09.2021).
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b) § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 2 ZPO a. F. De lege ferenda sollte der ursprünglich in § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 2 ZPO a. F. grundgelegte Pfändungsschutz erweitert werden. Der Ansatz des GvSchuG geht nicht weit genug. Familienpapiere genießen zwar nach § 811 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 6 ZPO Pfändungsschutz. Trauringe, Orden und Ehrenzeichen werden nach § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO vor einer Pfändung geschützt. Ein sinnvoll verstandener Schutz von Familienpapieren, Trauringen sowie Orden und Ehrenzeichen muss allerdings die Tatsache berücksichtigen, dass besondere ideelle Beziehungen zu den genannten Gegenständen die Grundlage für den notwendigen Schutz sind. Dieser in den zitierten Normen enthaltene Gedanke ist tragfähig und muss in einem weiteren Sinne auch für andere als die bisher genannten Gegenstände entfaltet werden. Ein Beispiel ist geeignet, dies zu veranschaulichen. In seiner Bewerbungsrede für den CDU-Vorsitz am 16.01.2021 hat Armin Laschet damit geschlossen, dass er die Bergmannsmarke seines Vaters zeigte und sagte, sein Vater habe ihm diese Marke als Glücksbringer mitgegeben. Die implizite Botschaft dabei war die, dass diese Bergmannsmarke für ihn etwas Besonderes bedeutet. Auch wenn kein geschriebenes Pfändungsverbot für diese Art von Gegenständen in § 811 Abs. 1 ZPO existiert, müssen solche Gegenstände unter dem Aspekt der ideellen Verbundenheit Pfändungsschutz genießen. Die damit einhergehende weitgehende Veränderung des Pfändungsschutzes bedarf einer vertieften Begründung. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein gebietet es, das ideelle Interesse – oder auch Affektionsinteresse – zu schützen.563 Auf diese Weise sind nicht mehr die isolierten Gegenstände für die Anknüpfung maßgeblich, sondern die Beziehung zu diesen Gegenständen. Die Affektion ist eine positive Beziehung zu dem, was der Mensch außerhalb seiner selbst in der Welt antrifft.564 Eine solche Beziehung kann nicht nur zu anderen Menschen bestehen, sondern auch zu Objekten. Würde man einen Menschen von diesen Beziehungen abschneiden, würde man ihn isolieren, ihn in seinem Wesenskern treffen und ihn wesentlicher emotionaler Selbstverwirklichungsmöglichkeiten berauben. Das betont auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es bei der Definition für Existenzminimum hervorhebt, dass der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert.565 Zwar meint das Bundesverfassungsgericht damit die Beziehung zu anderen Menschen. Der Gedanke muss aber konsequent weitergedacht werden. Die schützenswerten Gegenstände hat 563 Ähnlich Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 32 f. (Fn. 131), der insofern auf die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht rekurriert. 564 Lamoril, Revue trimestrielle des droits de l’Homme 2006, S. 359, 387. 565 BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (u. a.), BVerfGE 125, 175, 223; BVerfG, Urt. v. 03.03.2004, 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 319; BVerfG, Beschl. v. 14.09.1989, 2 BvR 1062/87, BVerfGE 80, 367, 374.
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man von anderen Menschen erhalten und darauf gründet sich der Erinnerungswert, der in die Schutzbetrachtung miteinbezogen werden muss. Eine sehr parallele Denkweise kann man beispielsweise beim französischen Pfändungsschutz für „les souvenirs à caractère personnel ou familial“ (Article R. 112-2 13° Code des procédures civiles d’exécution) beobachten.566 Zum Verständnis dieser Formel wird dargelegt, dass der Schutz der genannten Gegenstände gegen Pfändung sich mit Blick auf den Schuldner rechtfertigt. Auf diese Weise soll beim Schuldner eine sich sonst einstellende innere Verbitterung („amertume“) verhindert werden.567 In gleicher Weise kann das Pfändungsverbot in den Niederlanden für „zaken van hoogstpersoonlijke aard“ (Art. 447 Nr. 3 lit. f. Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering) verstanden werden. Wenn man beim Pfändungsschutz die emotionale Beziehung des Schuldners zu Gegenständen für grundsätzlich beachtenswert erklärt, wird dies leicht als überzogen erachtet. Die Betrachtungsweise ist schnell dem Vorwurf ausgesetzt, dass hier aus letztlich bloß sentimentalen Gründen eine Überdehnung des Pfändungsschutzes stattfinde und die Interessen des Gläubigers allzu sehr aus dem Blick geraten würden. So wird beispielsweise in ironischer Weise im Sinne eines argumentum ad absurdum der Gartenzwerg ins Feld geführt.568 Das wirkt rhetorisch zunächst überzeugend. Bei näherer nüchterner Betrachtung erweist sich allerdings, dass man damit die grundsätzliche Berücksichtigung der Beziehungen des Schuldners zum Gegenstand nicht in Frage stellen kann. Dies wird deutlich, wenn man einen fiktiven Gartenzwerg-Fall folgender Art bildet: Dem Sohn wurde vom Vater ein über mehrere Generationen in der Familie vererbter Gartenzwerg mit dem Hinweis geschenkt, dass dadurch diese Familientradition fortgesetzt werden solle. Hier wird man nicht ernsthaft bestreiten können, dass eine schutzwürdige gefühlsmäßige Beziehung des Sohnes zu diesem Gartenzwerg besteht. Das ist gewiss kein typischer Fall. Er ist aber geeignet zu demon strieren, dass eine isolierte Betrachtung des Gegenstandes „Gartenzwerg“ einen wesentlichen Beurteilungsfaktor außer Acht lassen würde. Wenn dies dargetan ist, muss sogleich darauf hingewiesen werden, dass damit nicht ein Pfändungsschutz für Gartenzwerge schlechthin postuliert wird. Vielmehr besteht der Pfändungsschutz nur, wenn sich ernsthaft dartun lässt, dass man es mit einer besonders schützenswerten Konstellation der beschriebenen Art zu tun hat. Mit Blick auf die Praxis sind insofern zwei unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden. Erstens: Der Gerichtsvollzieher sieht wegen eines solchen Arguments von der Pfändung ab. Dann hat der Gläubiger die Möglichkeit der Erinnerung, mit der 566 Zur Erläuterung vgl. Leborgne/Brenner, Droit de l’exécution, 2019, Rn. 623 („biens de caractère sentimental“). 567 Perrot/Théry, Procédures civiles d’exécution, 32013, S. 219. Zur Begründung dieser Überlegung vgl. auch Lamoril, Revue trimestrielle des droits de l’Homme 2006, S. 359, 387. 568 Wieser, NJW 1990, 1971 f.
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Folge, dass gerichtlich überprüft wird, ob mehr als eine bloß oberflächliche, sentimentale Bindung vorliegt. Zweitens: Der Gerichtsvollzieher ignoriert entsprechende Hinweise durch den Schuldner und nimmt die Pfändung vor. Dann hat der Schuldner die Möglichkeit der Erinnerung, um eine gerichtliche Prüfung herbeizuführen. Damit ist dem notwendigen Postulat Rechnung getragen, dass die ernsthaften Schutzsituationen im Verfahren von den nicht-ernsthaften abgegrenzt werden. De lege ferenda erscheint die Formulierung im französischen Recht (les sou venirs à caractère personnel ou familial) als empfehlenswerte Grundlage. Bereits das Wort „souvenir“ meint nicht nur die Gegenstände, sondern lässt zugleich erkennen, dass diese Gegenstände der Erinnerung wert sind. Eine Formulierung mit gleichem Regelungsgehalt könnte auf „Erinnerungsstücke von persönlichem oder familiärem Wert“ abstellen.569 Dadurch werden zwanglos auch die meisten der bisher aufgezählten Gegenstände (Familienpapiere i. S. v. privaten Aufzeichnungen [§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO], Trauringe, Orden und Ehrenzeichen [§ 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO]) erfasst. Zugleich besteht Offenheit für die Berücksichtigung weiterer Gegenstände, sofern mit Bezug darauf der besondere Erinnerungswert für den Schuldner dargetan werden kann. Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage droht keine Schutzlücke. Denn für die Familienpapiere, die in Form von öffentlichen Urkunden existieren, hat das GvSchuG in § 811 Abs. 1 Nr. 6 Var. 2 ZPO ein eigenes Pfändungsverbot normiert (öffentliche Urkunden, die für Beweisführungszwecke benötigt werden). XIV. § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. Durch § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. nahm der Gesetzgeber wegen körperlicher Gebrechen notwendige Hilfsmittel von der Pfändung aus. Die Vorschrift entsprach wörtlich § 715 Nr. 12 CPO i. d. F. von 1898.570 In der damaligen Begründung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Pfändungsschutz „durch das öffentliche Rechtsbewußtsein dringend geboten sei und sich tatsächlich bereits Anerkennung verschafft habe.“571 Diese Fundierung ist deswegen bemerkenswert, weil sie andeutungsweise erkennen lässt, dass die Bildung von Gewohnheitsrecht im Pfändungsschutz für möglich erachtet wird.
569 In diese Richtung auch Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 202, wenn auch enger. 570 RGBl. 1898, S. 307. 571 Zitiert nach Conrad, Die Pfändungsbeschränkungen zum Schutze des schwachen Schuldners, 1906, S. 360.
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1. Methodische Parameter Es ist auffallend, dass immer wieder postuliert wurde, das Pfändungsverbot des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. müsse großzügig572 bzw. weit573 ausgelegt werden. Teilweise waren es die gleichen Autoren, die an anderer Stelle vertreten, § 811 Abs. 1 ZPO müsse als Ausnahmevorschrift eng ausgelegt werden.574 Beide Argumente lassen sich nicht widerspruchsfrei vereinbaren. Da aber ohnehin der argumentative Ausgangspunkt, dass Ausnahmevorschriften einer eigenen besonderen Gesetzmäßigkeit unterliegen würden, nicht tragfähig ist, kommt es auf die Dissonanz in dieser Argumentation nicht an.575 2. Normzweck Der deutlich erkennbare und unumstrittene Normzweck knüpfte stillschweigend an folgenden Gedanken an: Das körperliche Gebrechen schränkt den davon betroffenen Menschen so ein, dass ein möglichst hilfreicher Ausgleich notwendig ist. Würde man dem Schuldner diese Ausgleichsmittel entziehen, würde man ihn auf den Zustand zurückwerfen, für den er selbst aus guten Gründen eine Kompensation als notwendig erachtet. Ohne Pfändungsschutz würde seine Selbstbestimmung gegen seinen Willen im Kern getroffen. Das ist mit dem Gedanken der eigenbestimmten Verwirklichung der Menschenwürde nicht vereinbar. Der Sache nach hat dies Conrad bereits im Jahre 1906 dadurch erkannt, dass er diese Vorschrift als eine die „Existenz unmittelbar schützende Bestimmung“576 qualifizierte. 3. Anwendungsbereich Die Reichweite von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. war in sachlicher Hinsicht nicht unumstritten. Ein Leit- und Testfall war dabei stets die Frage nach der Pfändungsmöglichkeit für einen Pkw. Es wurde zuletzt überwiegend vertreten, dass ein Pkw ein anderes wegen körperlicher Gebrechen notwendiges Hilfs mittel i. S. v. § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. sein kann.577 Zuvor wurde aber auch 572 Saenger/Kemper,
§ 811 ZPO Rn. 34. Mannheim, Beschl. v. 20.02.1958, 1 T 62/57, DAR 1961, 219; Heinz, ZFSH SGB 2016, 7, 13; Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 2. Teil, 3. Kapitel, Rn. 466. 574 Vgl. z. B. Hilzinger, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer (Hrsg.), Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 22016, 3. Kapitel, Rn. 426; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 1. 575 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:A.I.1. 576 Conrad, Die Pfändungsbeschränkungen zum Schutze des schwachen Schuldners, 1906, S. 360. 577 BGH, Beschl. v. 16.06.2011, VII ZB 12/09, NJW-RR 2011, 1367; BGH, Beschl. v. 19.03. 2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; LG Berlin, Beschl. v. 15.04.2013, 51 T 227/13, DGVZ 2013, 183; LG Göttingen, Beschl. v. 07.03.2013, 10 T 18/13, juris, Rn. 9; LG Hannover, Beschl. v. 11.01.1985, 11 T 14/85, DGVZ 1985, 121; LG Lübeck, Beschl. v. 25.09.1978, 7 T 573 LG
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häufig angenommen, dass ein Pkw insofern keinen Pfändungsschutz genießen könne.578 Letzten Endes musste wieder entscheidend sein, ob der leitende Gedanke, nämlich der Schutz des menschenwürdigen Daseins, eine Orientierung in dem vielstimmigen Meinungsbild erlaubt. a) Wortlaut Zur Klärung der Frage, ob Kraftfahrzeuge von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. umfasst sein können, standen dem Wortlaut nach zwei Anknüpfungspunkte zur Debatte. Zum einen wurde auf den Terminus „Hilfsmittel“ verwiesen, zum anderen auf den Bestimmungszweck („zum Gebrauch des Schuldners und seiner Familie bestimmt“). aa) Hilfsmittel Ausgehend von dem Begriff des Hilfsmittels wurde vertreten, dass ein Pkw ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand sei. Ein derartiger Gegenstand könne nicht als Hilfsmittel eingestuft werden, weil er nach seiner Beschaffenheit typischer-
589/78, DGVZ 1979, 25; LG Köln, Beschl. v. 16.03.1964, 12 T 37/64, MDR 1964, 604; LG Mannheim, Beschl. v. 20.02.1958, 1 T 62/57, DAR 1961, 219; AG Germersheim, Beschl. v. 30.03.1979, M 361/78, DGVZ 1980, 127; AG Lübeck, Beschl. v. 14.08.1978, 18 M 4219/78, DGVZ 1979, 25; AG Waldbröl, Beschl. v. 20.06.1972, 5 M 1169/72, DGVZ 1973, 61; Ahrens, NJW-Spezial 2012, 725; Däubler, in: Bub/Knieper/Metz u. a. (Hrsg.), Zivilrecht im Sozialstaat, 2005, S. 39, 45; Duchstein, Zwangsvollstreckungsrecht, 2020, Rn. 933; Elden/Frauen knecht, in: Kern/Diehm (Hrsg.), ZPO, 22020, § 811 ZPO Rn. 16; Flockenhaus, in: Musielak/ Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 27; Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 48; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 55; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 48; Heiderhoff/Skamel, Zwangsvollstreckungsrecht, 32017, Rn. 320; Zöller/Herget, § 811 ZPO Rn. 36; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 34; Kiesow, VuR 2012, 273; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 30; Lackmann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 27; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 55; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 80; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 396; Noack, Die Vollstreckungspraxis, 51970, S. 317; Pardey, DGVZ 1987, 162, 171; Schmidt-Futterer, DAR 1961, 219; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 811 ZPO Rn. 17; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 41; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 27; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 59; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 52; Wipperfürth, SVR 2015, 321, 324; Wolf, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 4.170; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 811 ZPO Rn. 70; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 102016, § 811 ZPO Rn. 21. 578 OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488; OLG Celle, Beschl. v. 11.07.1967, 8 W 127/67, JurBüro 1967, 768; LG Köln, Beschl. v. 18.11.2003, 19 T 218/03, unveröffentlicht; LG Waldbröl, Beschl. v. 10.04.1991, 5 a M 417/91, DGVZ 1991, 119, 120; LG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.1988, 25 T 600/88, DGVZ 1989, 14; AG Neuwied, Beschl. v. 29.07.1997, 5 M 2808/97, DGVZ 1998, 31; Schneider, MDR 1986, 726, 727.
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weise kein solches sei.579 Es leuchtet nicht ein, warum dem Sprachgebrauch nach ein Alltagsgegenstand nicht als Hilfsmittel in Frage kommen sollte. bb) Bestimmungszweck Weiterhin wurde darauf abgestellt, dass die von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. umfassten Gegenstände zum Gebrauch des Schuldners „bestimmt“ sein müssten. Irrelevant sei es also, ob ein Pkw für den Schuldner unentbehrlich sei.580 Das sei schon allein deswegen nicht der Fall, weil es dem Schuldner freistehe, öffentliche Verkehrsmittel oder Taxis zu nutzen.581 Dieser Gedanke war zutreffend, weil allgemein die Bestimmung eines Gegenstandes für einen bestimmten Gebrauch keinerlei Aussage darüber trifft, ob diese Gegenstände unentbehrlich sind oder nicht. Es gibt auch für einen Gebrauch bestimmte Gegenstände, die entbehrlich sein können. Zwischen der Bestimmung eines Gegenstandes für einen bestimmten Gebrauch und der Frage der Entbehrlichkeit dieses Gegenstandes besteht keinerlei notwendige Beziehung. cc) Resümee Dem Wortlaut nach ließen sich Pkws dem Schutz von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. unterstellen. b) Entstehungsgeschichte Gegen eine Einbeziehung von Pkws in den Schutzbereich des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. wurde noch 1985 auf eine Diskussion hingewiesen, die bei der Ent stehung von § 715 Nr. 12 CPO geführt wurde.582 Seinerzeit ging es um die Frage, „ob auch Fahr- oder Rollstühle, die einem Kranken dienten, unter diese Vorschrift fielen, was insofern zweifelhaft erscheinen könnte, als die beispielsweise aufgeführten ‚nothwendigen Hülfsmittel‘ (künstliche Gliedmaßen, Brillen) solche seien, die man am Körper trage“583. Man einigte sich darauf, dass 579 LG Waldbröl, Beschl. v. 10.04.1991, 5 a M 417/91, DGVZ 1991, 119, 120; AG Neuwied, Beschl. v. 29.07.1997, 5 M 2808/97, DGVZ 1998, 31. 580 BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; LG Hannover, Beschl. v. 11.01.1985, 11 T 14/85, DGVZ 1985, 121; LG Mannheim, Beschl. v. 20.02.1958, 1 T 62/57, DAR 1961, 219; Ahrens, NJW-Spezial 2012, 725; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 80; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 59. 581 BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; so aber AG Neuwied, Beschl. v. 29.07.1997, 5 M 2808/97, DGVZ 1998, 31; Schneider, MDR 1986, 726, 727; für die Taxi-Nutzung auch OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488; LG Waldbröl, Beschl. v. 10.04.1991, 5 a M 417/91, DGVZ 1991, 119, 120; LG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.1988, 25 T 600/88, DGVZ 1989, 14. 582 OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488. 583 Hahn/Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 1898, S. 409.
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„derartige, einem Gebrechlichen dienende Stühle der Pfändung entzogen sein sollten.“584 Der Entstehungsgeschichte von § 811 ZPO und älterer Rechtsprechung kommen für die Frage, ob ein Pkw nach § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. geschützt werden kann, indes nur untergeordnete Bedeutung zu. Die Auslegung der Pfändungsverbote muss sich an den jeweils relevanten sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten orientieren.585 c) Systematik In systematischer Hinsicht wurden – mit unterschiedlichen Ergebnissen – neben § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. und § 811a ZPO a. F. Wertungen aus dem So zialrecht herangezogen. Außerdem wurde auf das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verwiesen. aa) § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. Gegen eine Einbeziehung von Kraftfahrzeugen in den Anwendungsbereich von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. wurde § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. ins Feld geführt.586 Soweit der Schuldner seinen Pkw zur Berufsausübung brauche, werde er durch § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. geschützt. Darüber hinaus sei es nicht angebracht, dem Schuldner durch den Pkw die Erledigung seiner alltäglichen Angelegenheiten oder gar Urlaubsreisen zu ermöglichen.587 Soweit der Schuldner keiner beruflichen Tätigkeit nachgehe, benötige er keinen Pkw zur Linderung seiner körperlichen Gebrechen.588 Der Gedanke greift indessen zu kurz. Schon wenn man den Fall betrachtet, dass ein nicht berufstätiger Schuldner mit seinem Pkw einen Arztbesuch absolvieren will, wird erkennbar, dass über die Berufstätigkeit hinaus aus gesundheitlichen Gründen berechtigte Interessen an einer Pkw-Nutzung existieren können. bb) § 811a ZPO a. F. Dass ein Pkw nicht unter § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. subsumiert werden könnte, wurde zusätzlich aus § 811a Abs. 1 ZPO a. F. hergeleitet.589 Für den An584 Dies., Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 1898, S. 409. Vgl. auch Falkmann/Mugdan, Die Zwangsvollstreckung mit Ausschluß der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, 1914, S. 698. 585 BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; Kiesow, VuR 2012, 273, 274. 586 OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488; Schneider, MDR 1986, 726, 727. 587 OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488; so auch ders., MDR 1986, 726, 727. 588 Ders., MDR 1986, 726, 727. 589 Vgl. zu dieser Überlegung ders., MDR 1986, 726.
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
wendungsbereich des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. wäre eine Austauschpfändung nämlich nicht möglich. Für einen von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. erfassten Pkw komme hingegen eine Austauschpfändung in Betracht. Diese Unstimmigkeit ließe sich vermeiden, wenn man ein Kraftfahrzeug schon a limine nicht § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. zuordne.590 Bei dieser Betrachtungsweise wird von einer Rechtsfolge her (Austauschpfändung möglich, Nr. 5 a. F., oder nicht möglich, Nr. 12 a. F.) auf die vorgelagerte Frage der Unpfändbarkeit rückgeschlossen. Das ist deswegen nicht zwingend, weil man die hier als nötig empfundene Korrektur auch auf der Rechtsfolgenseite vornehmen konnte.591 Bei richtigem Verständnis von § 811a Abs. 1 ZPO a. F. musste auch im Anwendungsbereich von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. eine Austauschpfändung möglich sein.592 cc) Sozialrecht In systematischer Hinsicht konnten verschiedene Regelungskomplexe aus dem Sozialrecht heuristisch fruchtbar gemacht werden. (1) SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen), Behindertengleichstellungsgesetz Aus dem SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen) und aus dem Behindertengleichstellungsgesetz lasse sich – so der BGH – entnehmen, dass Menschen mit Behinderung – soweit dies durch medizinische und technische Maßnahmen möglich ist – in das gesellschaftliche Leben integriert und die mit ihrer Behinderung verbundenen Nachteile so weit wie möglich verringert werden sollen. Je nach Behinderung eröffne erst die Benutzung eines Pkw die Chance, die mit der Behinderung verbundenen Nachteile auszugleichen bzw. zu verringern, um angemessen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.593 (2) §§ 9 Abs. 1, 27a Abs. 1 S. 2 , 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII Eine Orientierung an §§ 9 Abs. 1, 27a Abs. 1 S. 2, 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII deutete nach dem BGH gleichfalls in die Richtung, dass ein Pkw unter § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. falle.594 Ausgangspunkt der Überlegungen war insofern das 590
Ders., MDR 1986, 726, 727. So z. B. OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488. 592 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:F.II.1. 593 BGH, Beschl. v. 16.06.2011, VII ZB 12/09, NJW-RR 2011, 1367; BGH, Beschl. v. 19.03. 2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 80; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 70. 594 Noch zu §§ 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 S. 2 , 88 Abs. 3 S. 1 BSHG: BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790. 591
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sog. Schonvermögen.595 Nach § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. In diesem Zusammenhang wurden §§ 9 Abs. 1, 27a Abs. 1 S. 2 SGB XII herangezogen. Nach § 9 Abs. 1 SGB XII richten sich die Leistungen der Sozialhilfe nach den Besonderheiten des Einzelfalles. § 27a Abs. 1 S. 2 SGB XII legt fest, dass zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens in vertretbarem Umfang eine Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft gehört. Vor diesem Hintergrund fällt ein Pkw, auf den ein Mensch mit Behinderung angewiesen ist, nicht unter das Vermögen, das vor Erhalt von Sozialhilfe eingesetzt werden muss.596 (3) §§ 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7, 114 SGB IX i. V. m. § 83 SGB IX Als zusätzliches Argument wurde angeführt, dass einem Behinderten im Einzelfall sogar ein Anspruch auf die Mittel zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs zustehen könne. Im Rahmen der Leistungen zur Sozialen Teilhabe (§ 113 SGB IX) können u. a. Leistungen zur Mobilität in Anspruch genommen werden (§ 113 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX). Nach § 114 SGB IX i. V. m. § 83 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX umfassen Leistungen zur Mobilität auch Leistungen für ein Kraftfahrzeug. Dazu gehören die Leistungen, die für die Beschaffung eines Kraftfahrzeuges erforderlich sind (§ 83 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB IX).597 Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass dem Antragsteller als einem Menschen mit Behinderung die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und Schwere der Behinderung nicht zumutbar ist (§ 83 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Außerdem muss der Leistungsberechtigte zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ständig auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sein (§ 114 Nr. 1 SGB IX). (4) Resümee Die genannten sozialrechtlichen Vorschriften sind so zu verstehen, dass die Verweigerung eines Pfändungsschutzes für Pkws im Anwendungsbereich von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. damit nicht im Einklang stehen konnte.
595 So auch Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 58. Noch zum BSHG: Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 396. 596 Vgl. jurisPK-SGB XII/Mecke, § 9 0 SGB XII Rn. 122. Noch zu § 88 Abs. 3 S. 1 BSHG: OVG Münster, Urt. v. 30.09.1997, 24 A 2749/94, juris, Rn. 25; OVG Hamburg, Beschl. v. 20.12. 1994, Bs IV 196/94, MDR 1995, 863, 864. 597 Noch zu §§ 39, 40 BSHG i. V. m. § 8 Eingliederungshilfe-Verordnung: BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, Rn. 396.
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dd) Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Außerdem wurde noch mit dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen argumentiert. Nach dessen Art. 1 ist es Zweck des Übereinkommens, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten, sowie die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Durch Art. 19 soll die unabhängige Lebensführung und die Einbeziehung in die Gemeinschaft gewährleistet werden. Art. 20 fordert die Vertragsstaaten auf, wirksame Maßnahmen zu treffen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen. Würde man eine Pfändungsmöglichkeit für den vorhandenen Pkw annehmen, wäre die persönliche Bewegungsfreiheit beeinträchtigt.598 Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat in Deutschland Gesetzeskraft (Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG).599 Es steht also im gleichen Rang wie die Zivilprozessordnung. Unbeschadet dieser Gleichrangigkeit ist anerkannt, dass der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit gebietet, die nationalen Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. 600 Deshalb muss das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Rahmen der Auslegung der ZPO systematische Berücksichtigung finden. ee) Resümee Die systematische Betrachtungsweise sprach insgesamt dafür, den Pkw in den Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. einzubeziehen. d) Telos In teleologischer Hinsicht wurde neben der ratio legis eine Interessenabwägung ins Feld geführt. aa) Ratio legis Vom Zweck her wurde angenommen, dass dem Schuldner durch die Pfändungsverbote seine wirtschaftliche Existenz erhalten bleiben solle, damit er – unab598
Heinz, SRa 2014, 189 ff. zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13.12.2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21.12.2008, BGBl. II 2008, S. 1419 ff. 600 BVerfG, Beschl. v. 30.01.2020, 2 BvR 1005/18, NJW 2020, 1282, 1283; BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, 29. 599 Gesetz
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hängig von staatlicher Unterstützung – ein bescheidenes, der Würde des Menschen entsprechendes Leben führen kann.601 Diese teleologische Betrachtung rückte das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in den Vordergrund, dies verbunden mit der Frage, ob es grundrechtlich geboten ist, Menschen mit Behinderung ihr Kraftfahrzeug zu belassen. Das ist zu bejahen, weil das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein eine soziokulturelle Komponente umfasst. Dazu gehört die Möglichkeit der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und – in einem Mindestmaß – die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.602 Diese Aktivitäten setzen alle Bewegungsmöglichkeiten voraus. In diese Richtung deutete gleichermaßen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.603 Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Ohne ein Kraftfahrzeug wäre ein Mensch mit Behinderung in seiner Lebensführung stark eingeschränkt, was ihn – im Vergleich zu einem Menschen ohne Behinderung – entscheidend benachteiligen würde. 604 Man konnte dagegen nicht vortragen, dass es dem Schuldner freistehe, öffentliche Verkehrsmittel oder Taxis zu nutzen. 605 Das Pfändungsverbot musste bei einer verfassungsrechtlichen Betrachtung bereits dann angenommen werden, wenn die Benutzung des Pkw dazu geeignet war, eine Behinderung auch nur teilweise zu kompensieren und eine Eingliederung in das öffentliche Leben wesentlich zu erleichtern. 606 In diesem Sinne besteht zwischen einem Pkw und öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. Ta601 BGH, Beschl. v. 16.06.2011, VII ZB 12/09, NJW-RR 2011, 1367; BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790. In diese Richtung auch Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 57; Heinz, Sozialrecht+Praxis 2013, 635, 640; BeckOK-ZPO/Uhl, § 811 ZPO Rn. 27. 602 Vgl. dazu bereits Kapitel 2:§2:A. 603 BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; Kiesow, VuR 2012, 273, 274; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 57; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 70. So wohl auch Sauer, KTS 2004, 417, 418 f., die allerdings von Art. 3 Abs. 1 GG spricht. 604 BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; LG Göttingen, Beschl. v. 07.03.2013, 10 T 18/13, juris, Rn. 9; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 59. 605 BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; so aber AG Neuwied, Beschl. v. 29.07.1997, 5 M 2808/97, DGVZ 1998, 31; Schneider, MDR 1986, 726, 727; für die Taxi-Nutzung auch OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488; LG Köln, Beschl. v. 18.11.2003, 19 T 218/03, unveröffentlicht; LG Waldbröl, Beschl. v. 10.04.1991, 5 a M 417/91, DGVZ 1991, 119, 120; LG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.1988, 25 T 600/88, DGVZ 1989, 14. 606 BGH, Beschl. v. 16.06.2011, VII ZB 12/09, NJW-RR 2011, 1367, 1368; BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; LG Berlin, Beschl. v. 15.04.2013, 51 T 227/13, DGVZ 2013, 183; Ahrens, NJW-Spezial 2012, 725; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 27; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 48; Kiesow, VuR 2012, 273; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 59; Wipperfürth, SVR
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xis häufig keine hinreichende Vergleichbarkeit. Zunächst muss der Weg bis hin zum Einstieg in das öffentliche Verkehrsmittel zurückgelegt werden. Gegebenenfalls sind sogar mehrere öffentliche Verkehrsmittel erforderlich, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Dann gilt es umzusteigen. Denkbar ist weiterhin, dass mit dem Umstieg längere Wartezeiten verbunden sind. Hinzu kommt, dass nach wie vor viele öffentliche Verkehrsmittel noch nicht behindertengerecht ausgestattet sind. Die regelmäßige Nutzung eines Taxis war schon deshalb nicht zumutbar, weil damit erhebliche finanzielle Belastungen verbunden sind. 607 Zwar wurde diskutiert, dass insoweit im Einzelfall eine Kostenübernahme durch die Krankenversicherung oder die Sozialhilfe möglich sei. 608 Es konnte hier indessen auf die Kostenübernahme im Einzelfall nicht ankommen, weil es um die Sicherung der allgemeinen Mobilität geht. Diese war nur als gewährleistet anzusehen, wenn der dafür erforderliche Pkw der Pfändung entzogen ist. bb) Interessenabwägung Im Rahmen einer Interessenabwägung wurde zum einen vertreten, dass diese zugunsten des Gläubigers ausfallen müsse, weil der Gläubiger ansonsten auf die Befriedigung seiner titulierten Forderung verzichten müsste, nur um dem Schuldner die Erledigung alltäglicher Angelegenheiten zu erleichtern. 609 Zum anderen wurde aber auch angenommen, dass die Interessenabwägung zugunsten des Schuldners auszugehen habe, weil das Schutzinteresse des Schuldners aus sozialen Gründen überwiege. 610 Die Interessenabwägung bezog sich letztlich auf die grundrechtlich geschützten Positionen des Schuldners bzw. des Gläubigers. Da auf Seiten des Schuldners der Schutz seines menschenwürdigen Daseins in Frage stand und dazu die Nutzung eines Pkws gehört, war für eine Abwägung kein Raum.
2015, 321, 324; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 811 ZPO Rn. 70. 607 BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 57 f.; Kiesow, VuR 2012, 273, 274. 608 BGH, Beschl. v. 19.03.2004, IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789, 790; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvoll streckung, 2016, S. 57 f.; OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488; LG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.1988, 25 T 600/88, DGVZ 1989, 14 halten diese Belastung der Allgemeinheit für unbedenklich. So auch Schneider, MDR 1986, 726, 727. 609 OLG Köln, Beschl. v. 28.10.1985, 2 W 153/85, NJW-RR 1986, 488. So auch LG Waldbröl, Beschl. v. 10.04.1991, 5 a M 417/91, DGVZ 1991, 119, 120; AG Neuwied, Beschl. v. 29.07. 1997, 5 M 2808/97, DGVZ 1998, 31. 610 Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 8 0.
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cc) Resümee Die teleologische Betrachtung hatte zur Konsequenz, dass der Pkw des Schuldners, wenn er notwendig ist, um die Folgen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder einer Behinderung zu kompensieren, der Pfändung entzogen zu sein hatte. Lässt man die den heutigen sozialen Umständen nicht mehr gerecht werdende historische Betrachtungsweise beiseite, so führten alle Auslegungsmethoden zu dem Ergebnis, dass sich der Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. auf Pkws zu erstrecken hatte. 4. Reformbestrebungen Das GNeuMoP und das PKoFoG wollten unverändert an § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. festhalten. 5. Aktuelle Rechtslage § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. ist durch das GvSchuG dahingehend umformuliert worden, dass sich der Pfändungsschutz auf die Sachen bezieht, die aus gesundheitlichen Gründen benötigt werden (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) ZPO). 6. Stellungnahme Es ist erstaunlich, dass das GNeuMoP und das PKoFoG § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. nicht verändern wollten. Ein Leitmotiv im Rahmen der geplanten Reformen war es nämlich, die Pfändungsverbote zu straffen, um sie übersichtlicher zu gestalten. Dazu gehörte z. B. bei § 811 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO a. F. und § 811 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 1 ZPO a. F., dass die Regelbeispiele gestrichen werden sollten. Im Kontext von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. sollte indes an den Regelbeispielen (künstliche Gliedmaßen und Brillen) festgehalten werden, obwohl gerade diese – wie sich bei der Frage nach Pfändungsschutz für einen Pkw gezeigt hat – im Rahmen der Auslegung zu Schwierigkeiten führen. Hinzu kommt, dass nach § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. das Pfändungsverbot auf Hilfsmittel beschränkt war, die auf körperliche Gebrechen bezogen sind. Wie § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX entnommen werden kann, sind neben körperlichen Beeinträchtigungen auch seelische, geistige und Sinnesbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Hilfsmittel, die bei solchen Beeinträchtigungen einen gewissen Ausgleich schaffen können, müssen ebenfalls Pfändungsschutz genießen. Wenn man es insofern nicht auf eine Analogie ankommen lassen will, zeichnete sich die Konsequenz als unausweichlich ab, im Interesse der Rechtsklarheit das Pfändungsverbot weiter zu fassen. Insofern bot sich z. B. eine Orientierung an dem entsprechenden Pfändungsverbot in Österreich an. Dort werden in § 250 Abs. 1 Nr. 8 EO u. a. Hilfsmittel
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zum Ausgleich einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung geschützt. Wenn man diese Formulierung wählt, knüpft man aber an § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX an, wodurch der Anwendungsbereich auf „Menschen mit Behinderungen“ beschränkt würde. Deshalb müsste der Gesetzgeber diesem Ansatz nach – wie in § 250 Abs. 1 Nr. 8 EO – zusätzlich Therapeutika und Hilfsgeräte einbeziehen, die im Rahmen einer medizinischen Therapie benötigt werden. Es käme aber auch eine Anlehnung an L. 112-2 7° des französischen Code des procédures civiles d’exécution in Betracht („Les objets indispensables aux personnes handicapées ou destinés aux soins des personnes malades“).611 Dann wäre zu formulieren, dass sich der Pfändungsschutz auf Gegenstände bezieht, die für Menschen mit Behinderung oder für die Pflege kranker Menschen unverzichtbar sind. Da sich der Begriff „unverzichtbar“612 nicht nahtlos in das Konzept von § 811 Abs. 1 ZPO a. F. einfügt, sollte insofern an der bisherigen Voraussetzung „bestimmt“ festgehalten werden. Führt man sich aber vor Augen, dass es immer ein Reformtrend war, die Pfändungsverbote zu straffen, sollte dementsprechend eine Formulierung gewählt werden, die einerseits die erforderliche Reichweite aufweist, andererseits aber als Oberbegriff ohne weitere Präzisierungen auskommt. Dieser Zielsetzung wird der österreichische und französische Ansatz nicht gerecht. Die Formulierung im GvSchuG ist gelungen: Dadurch, dass Pfändungsschutz für all diejenigen Sachen gewährt wird, die aus gesundheitlichen Gründen benötigt werden (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) ZPO), entfällt die kritikwürdige Beschränkung auf körperliche Leiden. XV. § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. entsprach wörtlich § 715 Nr. 13 CPO i. d. F. v. 1898. 613 Wie schon im Falle von § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. (Hilfsmittel bei körperlichen Gebrechen) lag der Vorschrift die Überlegung zugrunde, dass ein solcher Pfändungsschutz „durch das öffentliche Rechtsbewußtsein dringend geboten sei und sich tatsächlich bereits Anerkennung verschafft habe.“614 Das GvSchuG hat den durch § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. bestehenden Schutz für die zur unmittelbaren Verwendung für die Bestattung bestimmten Gegenstände beseitigt. Es gab zur alten Rechtslage eine ausgedehnte Debatte über den 611 In Luxemburg bezieht sich der Pfändungsschutz nach Art. 728 Abs. 1 Nr. 2 Nouveau Code de procédure civile auf „les objets nécessaires aux membres handicapés de la famille“. 612 Während der Gesetzgeber in § 715 CPO noch den Terminus „unentbehrlich“ verwendet hat, ist an dessen Stelle in § 811 ZPO zunächst ein Erforderlichkeitskriterium und jetzt durch das GvSchuG das Kriterium „benötigt“ getreten. 613 RGBl. 1898, S. 256, 307. 614 Zitiert nach Conrad, Die Pfändungsbeschränkungen zum Schutze des schwachen Schuldners, 1906, S. 360.
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von dieser Vorschrift verfolgten Zweck. Diese gilt es nachzuzeichnen, um einschätzen zu können, ob – auch unter Berücksichtigung der seinerzeit vorgetragenen Argumente – durch die Streichung von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. eine nicht tragbare Schutzlücke entstanden ist. 1. Normzweck Über die Zweckrichtung von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. herrschte keine Einigkeit. Es standen sich im Wesentlichen drei Ansichten gegenüber. a) Schutz der Totenruhe Als möglicher Zweck von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. wurde der Schutz der Totenruhe ins Feld geführt. 615 Dagegen wurde vorgetragen, dass dieses Verständnis zu eng sei. Die Norm sei nämlich auch dann einschlägig, wenn sich jemand schon zu Lebzeiten einen Sarg oder ein Leichenhemd gekauft habe.616 In diesen Fällen trete eine Störung der Totenruhe durch Pfändung nicht ein. Bei dieser Betrachtungsweise wurde übersehen, dass gerade die Frage des lebzeitigen Schutzes von vorbeugend für die Bestattung erworbenen Gegenständen keinesfalls unstreitig war. 617 Überwiegend wurde ein solcher Pfändungsschutz sogar abgelehnt. Letzten Endes konnte nur eine geeignete Zweckzuschreibung darüber entscheiden, wie weit der Schutzbereich reicht. Die Zweckzuschreibung galt es aber gerade zu bestimmen. Insofern war es zirkulär, die vermeintliche Reichweite der Norm gegen eine Zweckzuschreibung ins Feld zu führen. Die Zweckzuschreibung „Schutz der Totenruhe“ erinnerte an den Straftatbestand „Störung der Totenruhe“, § 168 StGB. Der Zweck dieser Strafnorm bezieht sich zum einen auf die Menschenwürde des Verstorbenen.618 Zum anderen soll auch das Pietätsgefühl von Angehörigen des Verstorbenen geschützt wer615 LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42; LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12. 1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; AG Walsrode, Beschl. v. 28.09.1989, 8 M 869/89, DGVZ 1989, 188; AG Kaiserslautern, Beschl. v. 05.01.1987, 3 M 4885/86, DGVZ 1987, 77, 78; Dillen burger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182. 616 Christmann, DGVZ 1986, 56, 57 f. 617 Dafür: KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072; ders., DGVZ 1986, 56, 57 f. Dagegen: Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 28; Prütting/Gehrlein/Flury, § 811 ZPO Rn. 49; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 49; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 31; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 57; Walker/L oyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 60; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 71. 618 BGH, Beschl. v. 30.06.2015, 5 StR 71/15, NJW 2015, 2901, 2903; BGH, Urt. v. 22.04. 2005, 2 StR 310/04, NJW 2005, 1876, 1878; BeckOK-StGB/Heuchemer, § 168 StGB Rn. 1; MüKo-StGB/Hörnle, § 168 StGB Rn. 2.
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den. 619 Damit erfasst der Gedanke „Schutz der Totenruhe“ zwei Schutzrichtungen. Dies ist der strafrechtliche Kontext. Im Rahmen von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. war aber zu klären, welches Telos dieser zwangsvollstreckungsrechtlichen Norm zugrunde liegen konnte. Strafrechtliche Überlegungen waren dabei nur begrenzt hilfreich. Es war zwangsvollstreckungsrechtlich relevant, dass der Schuldner auch dann schutz würdig ist, wenn er nicht Angehöriger des Verstorbenen ist. Eine solche einschränkende Voraussetzung sah § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. nämlich nicht vor. Berücksichtigt man, dass die Pfändungsverbote Schuldnerschutzvorschriften sind, musste die Perspektive des Schuldners in den Vordergrund gerückt werden. Bei der notwendigen teleologischen Betrachtung war zu klären, ob sich das Pfändungsverbot aus § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. mit dem Leitgedanken – Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners – in Einklang bringen ließ. 620 b) Schutz vor Störung der Bestattungshandlung Anzutreffen war noch die Ansicht, dass § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. den Zweck verfolge, die Bestattungshandlung vor Störungen zu schützen. 621 Dieser Zweck musste sich allerdings bei genauerer Betrachtung als nur partikulär erweisen. Er knüpfte nicht an die übergeordneten Prinzipien an, die auf die Beziehung der von dem Trauerfall Betroffenen zu dem Bestattungsgeschehen abstellten. Insofern erwies sich diese Zweckperspektive als unvollständig. c) Schutz des Pietätsgefühls Als weiterer Normzweck wurde neben dem Schutz des Pietätsgefühls des Schuldners622 , der Angehörigen und Trauernden623 auch das der Bevölkerung allgemein624 genannt. Die notwendige Fokussierung auf den zwangsvollstre619 OLG München, Beschl. v. 31.05.1976, 1 Ws 1540/75, NJW 1976, 1805, 1806; OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.11.1974, 2 Ws 239/74, NJW 1975, 271, 272; BeckOK-StGB/Heuche mer, § 168 StGB Rn. 1. Es wird auch das Pietätsgefühl der Allgemeinheit genannt, vgl. BGH, Beschl. v. 30.06.2015, 5 StR 71/15, NJW 2015, 2901, 2903; BGH, Urt. v. 22.04.2005, 2 StR 310/04, NJW 2005, 1876, 1878. 620 Vgl. dazu Kapitel 3:§4:A. 621 KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072; Christmann, DGVZ 1986, 56, 58. 622 LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42; LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12. 1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; AG Walsrode, Beschl. v. 28.09.1989, 8 M 869/89, DGVZ 1989, 188; AG Kaiserslautern, Beschl. v. 05.01.1987, 3 M 4885/86, DGVZ 1987, 77, 78; Dillen burger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 60. 623 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 57. 624 LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42; LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12. 1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; AG Walsrode, Beschl. v. 28.09.1989, 8 M 869/89, DGVZ
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ckungsrechtlichen Kontext ließ allerdings erkennen, dass dort das Pietätsgefühl beliebiger Trauernder und der Bevölkerung allgemein keine Rolle spielen konnte, sondern lediglich das Pietätsgefühl des Schuldners. Nur wenn man den Schutz des Pietätsgefühls in dieser personalen Hinsicht fokussiert hätte, wäre eine zutreffende Richtung für die Zweckzuschreibung gefunden worden. Erneut erweist sich: Entscheidend ist, dass das menschenwürdige Dasein des Schuldners geschützt werden muss. Im Falle des Schuldners besteht in der zu beurteilenden Konstellation eine Beziehung zu dem Verstorbenen. In einer älteren Terminologie wurde diese Beziehung als schützenswertes Pietätsgefühl beschrieben.625 Dieser richtige Grundgedanke kann fundamentaler dadurch ausgedrückt werden, dass man das menschenwürdige Dasein relational versteht: Es erschöpft sich nicht in dem eigenen Dasein, sondern schließt die Beziehungen ein, die als so wesentlich empfunden werden, dass man bei deren Zerstörung das eigene Dasein als verletzt ansehen würde.626 Dies gilt auch im Verhältnis zu Toten. d) Resümee § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. bezweckte, Eingriffe in das schützenswerte Pietätsgefühl des Schuldners bei einem Trauerfall zu verhindern. Die Norm lässt sich auf diese Weise nahtlos in ein Konzept zum Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners einfügen. Dadurch, dass das GvSchuG dieses Pfändungsverbot aufgehoben hat, ist – gemessen an dieser Zielsetzung – eine Schutzlücke entstanden, ohne dass für diesen weitreichenden Schritt ausreichende Gründe vorgetragen worden wären. 2. Anwendungsbereich Um zu klären, wie ein der übergeordneten Zielvorgabe entsprechendes Pfändungsverbot de lege ferenda formuliert werden könnte, ist zu analysieren, ob § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. geeignet war, den erforderlichen Schutz zu gewährleisten. Dies war mit Blick auf die Frage nach der Pfändbarkeit des Grabsteins problematisch. Ein Lösungsvorschlag muss sich an den dazu ausgetauschten Argumenten messen lassen. Diese gilt es daher, methodisch zu rekonstruieren. a) Wortlaut Der Wortlaut wurde sowohl für als auch gegen eine Einbeziehung von Grabsteinen in den Pfändungsschutz in Stellung gebracht. 1989, 188; AG Kaiserslautern, Beschl. v. 05.01.1987, 3 M 4885/86, DGVZ 1987, 77, 78; Dillen burger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 60. 625 Vgl. dazu Kapitel 4 Fn. 622. 626 So mit umfänglicher Begründung für das französische Recht schon Lamoril, Revue trimestrielle des droits de l’Homme 2006, S. 359, 387 („la vie relationelle“).
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aa) Unmittelbarkeitskriterium Gegen eine Einbeziehung von Grabsteinen in den Anwendungsbereich von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. wurde angeführt, dass der Wortlaut der Norm die unmittelbare Verwendung für die Bestattung fordere.627 Damit seien in erster Linie Sarg und Leichenhemd gemeint. 628 Ein Grabstein hingegen diene nicht der Beisetzung, sondern dem Andenken an den Verstorbenen. 629 Ein solcher bloß mittelbarer Zusammenhang könne nicht genügen. 630 Ein anderes Verständnis der Unmittelbarkeit lag der Argumentation zugrunde, die aufgrund der konkreten Herrichtung des Grabes und des Widmungszweckes für das Grab den Grabstein als Gegenstand einstufte, der „unmittelbar“ der Bestattung diene. 631 Nach diesem Verständnis genügte zur Bejahung des Unmittelbarkeitskriteriums bereits ein aktueller Trauerfall. 632 Gegen diese Betrachtungsweise wurde kritisch eingewandt, dass sie sich zu sehr vom Wortlaut der Norm entferne. 633 Entscheidend ist, dass man sich bei der Auslegung nach dem Wortlaut nicht bloß auf das Kriterium der Unmittelbarkeit beschränken darf. Vielmehr sprach 627 BGH, Beschl. v. 20.12.2005, VII ZB 48/05, NJW-RR 2006, 570, 571; OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703; KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072; LG Hamburg, Beschl. v. 24.11.1989, 17 T 171/89, DGVZ 1990, 90, 91; LG Weiden, Beschl. v. 29.09.1989, 2 T 579/90, DGVZ 1990, 142; LG Wiesbaden, Beschl. v. 30.12.1988, 4 T 535/88, NJW-RR 1989, 575, 576; AG Wiesbaden, Beschl. v. 20.07.1984, 66 M 4402/84, DGVZ 1985, 79; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 178; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 31; Koch, JA 2011, 749, 754; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158; Looff, Rpfleger 2008, 53, 54; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 57; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 87; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 49; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 71. 628 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703; KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072; LG Weiden, Beschl. v. 29.09.1989, 2 T 579/90, DGVZ 1990, 142; LG Wiesbaden, Beschl. v. 30.12.1988, 4 T 535/88, NJW-RR 1989, 575, 576; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 178; HK-ZV/Kindl, § 811 ZPO Rn. 31; Koch, JA 2011, 749, 754; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 86; Walker/Loyal, in: Schuschke/ Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 60; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 71. 629 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703, 1704; Duchstein, Zwangsvollstreckungsrecht, 2020, Rn. 934; Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 178 f.; Koch, JA 2011, 749, 754; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 ZPO Rn. 57. 630 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703, 1704. 631 LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42; LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12. 1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 181. 632 Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 181; Wacke, DGVZ 1986, 161, 163; a. A. Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 178; Koch, JA 2011, 749, 754; Looff, Rpfleger 2008, 53, 54. 633 BGH, Beschl. v. 20.12.2005, VII ZB 48/05, NJW-RR 2006, 570, 571.
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der Gesetzgeber von einer „unmittelbaren Verwendung für die Bestattung“. Der so hergestellte Zusammenhang zwischen „Unmittelbarkeit“ und „Verwendung“ darf nicht aufgelöst werden, indem lediglich auf die Unmittelbarkeit abgestellt wird. bb) Vorgang des Bestattens Im Rahmen der Auslegung nach dem Wortlaut wurde außerdem auf den Terminus „Bestattung“ rekurriert. Damit sei die Bestattungshandlung, der Bestattungsvorgang, nicht aber der Zustand des Bestattet-Seins gemeint. 634 Es würde natürlicher Anschauung widersprechen, wenn man eine Bestattung nur deswegen als noch nicht beendet ansehen würde, weil der Grabstein noch nicht aufgestellt worden ist.635 Wenn ein Grabstein aufgestellt würde, dann passiere dies häufig erst lange Zeit nach der eigentlichen Beisetzung. 636 Außerdem gäbe es viele Gräber ohne Grabstein, was dafür spräche, das Aufstellen eines Grabsteins nicht zum Bestattungsvorgang zu rechnen. 637 Hinzu komme, dass ein Grabstein nicht der Bestattung diene, sondern dem Andenken an den Verstorbenen. 638 An dieser Betrachtungsweise wurde die Unterscheidung zwischen dem Vorgang des Bestattens und dem Zustand des Bestattet-Seins kritisiert. 639 Es handele sich um einen einheitlichen Lebensvorgang, 640 sodass die Differenzierung unnatürlich und gezwungen wirke641. Die Aufspaltung in den Bestattungsvorgang und den Zustand des Bestattet-Seins sei vernachlässigbar, wenn bei einer natürlichen Anschauung eine Handlungseinheit in dem Sinne vorliege, dass erst 634 BGH, Beschl. v. 20.12.2005, VII ZB 48/05, NJW-RR 2006, 570, 571; OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703; KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072; LG Weiden, Beschl. v. 29.09.1989, 2 T 579/90, DGVZ 1990, 142; Christmann, DGVZ 1986, 56, 57; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 28; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 50; Koch, JA 2011, 749, 754; Lang/ Rauch, ZJS 2009, 154, 158; Looff, Rpfleger 2008, 53, 54; Gottwald/Mock/Mock, § 811 ZPO Rn. 87; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 71. 635 Christmann, DGVZ 1986, 56, 57. 636 BGH, Beschl. v. 20.12.2005, VII ZB 48/05, NJW-RR 2006, 570, 571; OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703; LG Hamburg, Beschl. v. 24.11.1989, 17 T 171/89, DGVZ 1990, 90, 91; Koch, JA 2011, 749, 754; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158; Looff, Rpfleger 2008, 53, 54. 637 LG Hamburg, Beschl. v. 24.11.1989, 17 T 171/89, DGVZ 1990, 90, 91; LG Wiesbaden, Beschl. v. 30.12.1988, 4 T 535/88, NJW-RR 1989, 575, 576; Christmann, DGVZ 1986, 56, 57; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158; Staudinger/Heinze, Jura 2003, 581, 583. 638 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 28; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 157. 639 LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123; Wacke, DGVZ 1986, 161, 163. 640 Staudinger/Heinze, Jura 2003, 581, 583. 641 Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 181; Wacke, DGVZ 1986, 161, 163.
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mit der Aufstellung des Grabsteins das Grab wirklich hergerichtet sei.642 Deshalb könne es nicht richtig sein, nur in der Zeit vor bzw. während der Bestattungshandlung Pfändungsschutz zu gewähren. 643 Würde man dies tun, wäre dies eine „schlechte Auslegung des Gesetzeswortlauts“. 644 Es sei im Übrigen auch unerheblich, dass es viele Gräber ohne Grabsteine gäbe. Vielmehr sei auf die konkrete Herrichtung des individuellen Grabes abzustellen.645 Im Ergebnis dürfe der Begriff der Bestattung nicht zu eng verstanden werden. Zu einer Bestattung sei als Abschluss auch das Aufstellen eines Grabsteins zu zählen. 646 Wiederum ist anzumerken: Das Wort „Bestattung“ darf nicht isoliert verstanden werden. Denn der Gesetzgeber hat durch die Formulierung der „unmittelbaren Verwendung für die Bestattung“ den Anwendungsbereich der Norm weiter konkretisiert. Bemüht man sich um ein Verständnis des Wortlauts in seiner Gesamtheit, so zeigt sich, dass der Gesetzgeber einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Gegenständen und der Bestattung gesehen hat. Gleichzeitig hat er durch das Unmittelbarkeitskriterium eine gewisse Einschränkung vorgenommen. Ausreichend ist also nicht, dass die schützenswerten Gegenstände nur mittelbar der Bestattung dienen. Damit ließ der Wortlaut zwei Auslegungsergebnisse zu: Zum einen könnte das Unmittelbarkeitskriterium dazu dienen, vor einem konkreten Todesfall vorgenommene Anschaffungen auszuklammern. In diesem Sinne würde sich der Pfändungsschutz nicht auf Gegenstände erstrecken, die bereits zu Lebzeiten zu Bestattungszwecken, also vor dem Todesfall angeschafft wurden. Ein Grabstein, der nach einem Todesfall erworben wird, würde nach dieser Betrachtungsweise Pfändungsschutz genießen. Zum anderen könnte das Unmittelbarkeitskriterium aber auch auf ein enges Verständnis des Merkmals „Bestattung“ abzielen. Es würde dann nicht genügen, dass Gegenstände nur in einem weiten Verständnis der Bestattung dienen. Vielmehr müssten die Gegenstände eng mit der Bestattungshandlung an sich verbunden sein. Konsequenterweise wäre dann Pfändungsschutz für Grabsteine abzulehnen. cc) Resümee Die Wortlautauslegung führte zu keinem klaren Ergebnis. Dem Wortlaut von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. ließ sich nicht entnehmen, ob Grabsteine Pfändungsschutz genießen. 642 LG Oldenburg, Beschl. v. 21.08.1990, 6 T 504/90, JurBüro 1990, 1680; Wacke, DGVZ 1986, 161, 163. 643 AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12.1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78. 644 Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 53. So auch Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 181. 645 LG Oldenburg, Beschl. v. 21.08.1990, 6 T 504/90, JurBüro 1990, 1680. 646 LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42.
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b) Systematik Dass ein Grabstein zur unmittelbaren Verwendung für die Bestattung bestimmt sei, wurde häufig mit systematischen Überlegungen begründet, die auf Regelungen in unterschiedlichen Rechtsgebieten verwiesen. aa) § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG Zunächst wurde vorgebracht, dass nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG die Kosten für ein angemessenes Grabmal zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten gehörten. 647 Gegen diese Betrachtungsweise war freilich einzuwenden, dass in § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG ausdrücklich neben der „Kosten der Bestattung des Erb lassers“ die „Kosten für ein angemessenes Grabdenkmal“ genannt werden, insofern also differenziert wird. Damit ließ sich die Betrachtungsweise im Kontext von § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG nicht auf § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. übertragen, weil es dort an einer derartigen Differenzierung fehlte. bb) § 844 Abs. 1 BGB Weiter wurde ein systematischer Vergleich mit § 844 Abs. 1 BGB ins Feld geführt. 648 Nach dieser Norm hat ein Ersatzpflichtiger im Falle einer Tötung die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, dem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen. Anerkanntermaßen gehören zu den „Kosten der Beerdigung“ die Kosten für einen Grabstein.649 Dabei wird „Beerdigung“ als Synonym für „Bestattung“ aufgefasst.650 Die Kostentragungspflicht beziehe sich auf das, was für die Beerdigung bzw. Bestattung, also für den Beerdigungsakt selbst erforderlich sei. Seinen Abschluss finde der Beerdigungsakt mit der Herrichtung der Grabstätte. 651 Dieser systematische Vergleich ließ indes außer Acht, dass bei § 844 Abs. 1 BGB – anders als in § 811 Abs. 1 Nr. 13 a. F. ZPO – kein Unmittelbarkeitskriterium enthalten ist. cc) § 1968 BGB Außerdem wurde für den Pfändungsschutz von Grabsteinen § 1968 BGB als systematisch-relevant herangezogen. 652 Nach § 1968 BGB trägt der Erbe die 647
Wacke, DGVZ 1986, 161, 165. Ders., DGVZ 1986, 161, 165. 649 So schon RG, Urt. v. 09.02.1933, VI 359/32, RGZ 139, 393, 394. Heute unstreitig, vgl. z. B. BGH, Urt. v. 20.09.1973, III ZR 148/71, NJW 1973, 2103, 2104; LG Wiesbaden, Urt. v. 03.11.1969, 1 S 270/69, VersR 1970, 1140; Staudinger/Röthel, § 844 BGB Rn. 60; jurisPK-BGB/ Rüßmann, § 844 BGB Rn. 4; BeckOK-BGB/Spindler, § 844 BGB Rn. 6. 650 BGH, Urt. v. 20.09.1973, III ZR 148/71, NJW 1973, 2103, 2104. 651 BGH, Urt. v. 20.09.1973, III ZR 148/71, NJW 1973, 2103, 2104. 652 Wacke, DGVZ 1986, 161, 165. 648
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
Kosten der Beerdigung des Erblassers. Zu den „Kosten der Beerdigung“ werden die Kosten für einen Grabstein gerechnet. 653 Dieser systematische Vergleich ließ unberücksichtigt, dass § 1968 BGB weiter formuliert ist als § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. Wie schon bei der Betrachtung von § 844 Abs. 1 BGB zeigt sich, dass das einschränkende Unmittelbarkeitskriterium in § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. ein Charakteristikum dieser Vorschrift ist, das sie von weiter gefassten Vorschriften mit Bestattungsbezug unterscheidet. dd) § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO Zusätzlich wurde noch mit § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO argumentiert.654 Nach dieser Vorschrift sind die Kosten der Beerdigung des Erblassers Masseverbindlichkeiten. Zu den „Kosten der Beerdigung“ werden auch die Kosten für einen Grabstein gezählt. 655 Masseverbindlichkeiten sind aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigen (§ 53 InsO). Insofern hat die Masse die Beerdigungskosten – einschließlich der Kosten für den Grabstein – zu tragen. Diese Kosten mindern die Masse, ohne dass der Grabstein als Surrogat verwertet werden dürfte, weil grundsätzlich nur das pfändbare Vermögen in die Masse fällt (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO). Daraus wurde geschlossen: Wenn den Gläubigern im Rahmen eines Insolvenzverfahrens eine Verwertung des Grabsteins versagt ist, kann sie einem Gläubiger in der Einzelzwangsvollstreckung nicht erlaubt sein. 656 Diese Argumentation war folgendem Einwand ausgesetzt: Es gilt zu ermitteln, ob ein Grabstein Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. genießt. Das hätte zur Konsequenz, dass er nicht in die Masse fällt (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO). Wenn man nun bei der Begründung der These, dass der Grabstein nicht in die Masse fällt, darauf rekurriert, dass er Pfändungsschutz genieße, wird die zu beweisende These für die Begründung eingesetzt. Eine solche petitio princi pii ist für eine Begründung ungeeignet. ee) § 74 SGB XII Denkbar wäre weiterhin eine Orientierung an § 74 SGB XII gewesen.657 Danach werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den 653 So schon RG, Urt. v. 09.02.1933, VI 359/32, RGZ 139, 393, 394. Heute unstreitig BGH, Urt. v. 20.09.1973, III ZR 148/71, NJW 1973, 2103, 2104; OVG Lüneburg, Beschl. v. 04.07.2017, 5 LA 192/16, juris, Rn. 35; OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.07.2009, 5 U 472/08, juris, Rn. 23; jurisPK-BGB/Ehm, § 1968 BGB Rn. 10; Staudinger/Kunz, § 1968 BGB Rn. 14; MüKo-BGB/ Küpper, § 1968 BGB Rn. 4. 654 Noch zu § 2 24 Abs. 1 Nr. 2 KO: Wacke, DGVZ 1986, 161, 165. 655 Jünemann, in: Zimmermann (Hrsg.), Praxiskommentar Erbrechtliche Nebengesetze, 2017, § 324 InsO Rn. 8; Uhlenbruck/Lüer/Weidmüller, § 324 InsO Rn. 3; Windel, in: Jaeger/ Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Kommentar zur Insolvenzordnung, 22020, § 324 InsO Rn. 10. 656 Wacke, DGVZ 1986, 161, 165. 657 Auch Bezieher von Leistungen nach dem SGB II können sich auf § 74 SGB XII berufen,
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Zu „Kosten einer Bestattung“ in diesem Sinne werden häufig die Aufwendungen für einen Grabstein gezählt. 658 Diese sozialrechtliche Einschätzung könnte als gewisses Indiz dafür verstanden werden, dass ein Grabstein Pfändungsschutz genießen muss. Zweifel mussten aber aufkommen, wenn man den Normzweck von § 74 SGB XII mit dem vom § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. vergleicht. Denn Normzweck von § 74 SGB XII ist es, eine der Würde des Verstorbenen entsprechende Bestattung zu ermöglichen.659 Damit wird – anders als im Kontext von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. – der Verstorbene in den Mittelpunkt gerückt. Folglich konnte aus § 74 SGB XII kein systematisches Argument für die Einstufung des Grabsteins im Zwangsvollstreckungsrecht gewonnen werden. Denn dort richtete sich der Blick auf die Hinterbliebenen. ff) Ausnahmevorschrift In systematischer Hinsicht wurde weiterhin argumentiert, dass es sich bei § 811 Abs. 1 ZPO um eine Ausnahmevorschrift handele, die eng660 ausgelegt werden müsse bzw. nicht extensiv661 ausgelegt werden dürfe. Jedenfalls fehle es an einem Grund für eine erweiternde Auslegung. 662 Dass dieser Auslegungstopos für Ausnahmevorschriften verfehlt ist, wurde bereits dargelegt. 663 gg) Resümee Die Versuche, aus systematischen Erwägungen heraus zur Pfändbarkeit eines Grabsteins zu argumentieren, erwiesen sich letzten Endes als nicht tragfähig. Dies hing u. a. damit zusammen, dass die herangezogenen Vorschriften das im Pfändungsverbot des § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. enthaltene Unmittelbarkeitskriterium nicht aufweisen. Darüber hinaus wurden die für systematisch releweil sich die Vorschrift nicht mehr im Kapitel über Hilfe zum Lebensunterhalt, sondern im Neunten Kapitel des SGB XII (Hilfe in anderen Lebenslagen) befindet, vgl. jurisPK-SGB XII/Siefert, § 74 SGB XII Rn. 4. 658 Nicht unstreitig, so aber z. B. BSG, Urt. v. 25.08.2011, B 8 SO 20/10 R, NVwZ-RR 2012, 352, 355; SG Mainz, Urt. v. 19.06.2018, S 11 SO 33/15, juris, Rn. 32; Berlit, in: Bieritz-Harder/ Conradis/Thie (Hrsg.), Sozialgesetzbuch XII, 122020, § 74 SGB XII Rn. 17; Busse, in: Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber (Hrsg.), Gesamtkommentar Sozialrechtsberatung, 22018, § 74 SGB XII Rn. 8; BeckOK-Sozialrecht/Kaiser, § 74 SGB XII Rn. 10. 659 Berlit, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie (Hrsg.), Sozialgesetzbuch XII, 122020, § 74 SGB XII Rn. 1; Deckers, in: Flint (Hrsg.), SGB XII, 72020, § 74 SGB XII Rn. 1; Strnischa, in: Oestreicher/Decker (Hrsg.), SGB II/SGB XII, 932021, § 74 SGB XII Rn. 3. So noch zu § 15 BSHG: BVerwG, Urt. v. 29.01.2004, 5 C 2/03, NJW 2004, 1969. 660 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703; Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182; a. A. Wacke, DGVZ 1986, 161, 164. 661 LG Weiden, Beschl. v. 29.09.1989, 2 T 579/90, DGVZ 1990, 142. 662 KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072. 663 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 4:§1:A.I.1.
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vant erklärten Vergleichsvorschriften funktionsdifferenten Zusammenhängen entnommen. 664 Abgesehen von den Einwänden im Einzelnen wurde an den genannten systematischen Ansätzen insgesamt kritisiert, dass es sich um eine erweiternde Auslegung handele, für die in jedem Einzelfall ein tragfähiger Grund erforderlich sei. Für § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. sei ein solcher Grund indes nicht ersichtlich. 665 Diese Kritik verkannte, dass es unter teleologischen Gesichtspunkten gute – nämlich verfassungsrechtlich gebotene – Gründe gab, die für eine Einbeziehung von Grabsteinen in den Pfändungsschutz sprachen. c) Telos Je nachdem, welche Zweckzuschreibung man im Rahmen von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. für zutreffend hielt, ergaben sich unterschiedliche Konsequenzen für die Frage, ob ein Grabstein in den Schutzbereich einbezogen werden konnte. aa) Ratio legis Was die ratio legis angeht, kamen sowohl die Vertreter der Ansicht, die den Schutz des Pietätsgefühls in den Vordergrund rücken, als auch diejenigen, die den Schutz der Totenruhe als Zweck herangezogen haben, zu dem Ergebnis, dass Grabsteine Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. genießen müssen. Nur die Stimmen, die den Schutz der Bestattungshandlung in den Fokus der Betrachtung stellten, erachteten einen Pfändungsschutz für Grabsteine als zu weitgehend. Hinsichtlich der Zwecksetzung „Schutz des Pietätsgefühls“ wurde argumentiert, dass ein Grabstein von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. erfasst sein müsse, 666 weil der in § 811 Abs. 1 Nr. 10 bis Nr. 13 ZPO a. F. enthaltene Gedanke der Pietät entfaltungsfähig sei.667 Der Ruf bzw. das Andenken an den Verstorbenen werde geschädigt, wenn man ein Pfandsiegel an einem Grabstein anbringe. 668 Dagegen wurde freilich vorgebracht, dass die Friedhofsverwaltung auch mit Zetteln an 664
355.
665
So die Einstufung des BSG, Urt. v. 25.08.2011, B 8 SO 20/10 R, NVwZ-RR 2012, 352,
KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072. LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42; LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123; LG Wiesbaden, Beschl. v. 09.01.1984, 4 T 13/84, DGVZ 1984, 119; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12.1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; AG Walsrode, Beschl. v. 28.09.1989, 8 M 869/89, DGVZ 1989, 188; AG Kaiserslautern, Beschl. v. 05.01.1987, 3 M 4885/86, DGVZ 1987, 77, 78; Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182. 667 Wacke, DGVZ 1986, 161, 164. 668 AG Walsrode, Beschl. v. 28.09.1989, 8 M 869/89, DGVZ 1989, 188; Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158; Wacke, DGVZ 1986, 161, 166. 666
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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den Grabsteinen beispielsweise auf eine mangelnde Standsicherheit des Grabsteins hinweise. 669 Weiterhin wurde kritisch angemerkt, dass das Pietätsgefühl durch § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. nicht umfassend geschützt werde, wie sich dem Unmittelbarkeitserfordernis entnehmen ließe. 670 In die gleiche Richtung war die Stellungnahme zu verstehen, die meinte, man könne den Gedanken der Pietät nicht zur Auslegung heranziehen. Selbst wenn die Vorschrift diesen Zweck verfolgen sollte, stelle die Norm nicht auf diesen Gedanken ab, sondern allein auf einen bestimmten Verwendungszweck. 671 Aus der Zweckzuschreibung „Schutz vor Störung der Totenruhe“ wurde gleichfalls gefolgert, dass ein Grabstein unter das Pfändungsverbot zu subsumieren sei. 672 Gegen diesen Ansatz wurde kritisch angemerkt, dass die Entfernung eines Grabsteins nicht stets den Tatbestand der Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) erfülle. 673 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die Zweckzuschreibung „Schutz vor Störung der Totenruhe“ gar nicht auf § 168 StGB abstellt, sondern die faktischen Gegebenheiten in den Blick nimmt. In diesem Sinne ist eine Störung der Totenruhe durch die Entfernung eines Grabsteins vom Friedhof nicht zu befürchten. Es gibt vielfältige Gründe, weswegen Grabsteine immer wieder vom Friedhof abtransportiert werden. So kann es beispielsweise erforderlich sein, eine neue Aufschrift auf dem Grabstein anzubringen. Auch ist denkbar, dass die Frist für die Benutzung der Grabstelle abgelaufen ist.674 Indessen wird insofern zu berücksichtigen sein, dass bei der Pfändung eines Grabsteins ein dem Willen der Angehörigen widersprechendes dauerhaftes Entfernen des Grabsteins zu beurteilen ist. Darin wird eine Störung der Totenruhe gesehen.675 Zu einem anderen Ergebnis kamen diejenigen, die unter einer teleologischen Betrachtungsweise den Schutz der Bestattungshandlung vor Störungen in den Vordergrund rückten. Durch die Pfändung eines Grabsteins drohe keine Störung der Bestattungshandlung, weil das Aufstellen eines Grabsteines nicht zur Bestattungshandlung zu zählen sei. 676
669
Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158. § 811 ZPO Rn. 57. 671 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703, 1704. 672 LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42; LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123; LG Oldenburg, Beschl. v. 21.08.1990, 6 T 504/90, JurBüro 1990, 1680; LG Wiesbaden, Beschl. v. 09.01.1984, 4 T 13/84, DGVZ 1984, 119; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12.1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; AG Walsrode, Beschl. v. 28.09.1989, 8 M 869/89, DGVZ 1989, 188; AG Kaiserslautern, Beschl. v. 05.01.1987, 3 M 4885/86, DGVZ 1987, 77, 78; Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182. 673 LG Koblenz, Beschl. v. 26.06.1987, 4 T 251/86, DGVZ 1988, 11. 674 KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158. 675 LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123. 676 KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072; Christmann, DGVZ 1986, 56, 58. 670 Wieczorek/Schütze/Lüke,
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Entscheidend ist unter dem gewählten leitenden Gesichtspunkt, dass § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. dem Zweck diente, dem Schuldner ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Die sonstigen Argumente können schon deshalb nicht durchschlagend sein, weil § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. gerade nicht die Zwecke „Schutz der Totenruhe“ bzw. „Schutz der Bestattungshandlung“ verfolgte. 677 Ausschlaggebend für die Beurteilung kann nicht sein, ob das Anbringen eines Pfandsiegels oder eines Zettels an den Grabstein als pietätslos empfunden wird. Es geht nämlich bei dem Schutz des Pietätsgefühls nicht um ein äußerlich sichtbares Geschehen, sondern um eine vom Schuldner „im Inneren“ empfundene Verbindung zum Verstorbenen. Auch das Unmittelbarkeitserfordernis des § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. kann nicht dafür in Stellung gebracht werden, dass das Pietätsgefühl des Schuldners nicht umfassenden Schutz erfahren dürfe. Die Wortlautauslegung lässt ein Verständnis der Unmittelbarkeitseinschränkung in unterschiedlicher Richtung zu. So kann das Unmittelbarkeitserfordernis beispielsweise auch lediglich darauf bezogen werden, dass zu Lebzeiten angeschaffte Gegenstände ohne Bezug zu einem aktuellen Trauerfall keinen Pfändungsschutz genießen sollen. Gerade wenn die Auslegung nach dem Wortlaut mehrere Auslegungsergebnisse zulässt, ist der Zweck der Norm entscheidend. Mit Blick darauf, dass allgemeiner Normzweck von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. der Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners in seiner Pietätsbeziehung zu dem Verstorbenen war, lautet die Frage, ob hinsichtlich eines Grabsteins auf Seiten des Schuldners eine entsprechende mentale Befindlichkeit angenommen werden kann. Wer sich einem Verstorbenen verbunden fühlt, sieht in der Bestattungshandlung nicht das Ende der Beziehung zu dem Verstorbenen. Vielmehr weiß er sich darüber hinaus dem Verstorbenen so verbunden, dass er das Grab in einer Weise herrichten will, die des Verstorbenen würdig und seinem eigenen Gedenken beim Besuch des Grabes angemessen ist. Ein Grab ohne Grabstein würde vor diesem Hintergrund als unvollendet empfunden werden. Der Gedanke, dass es Gräber ohne Grabstein gibt, steht dieser Überlegung nicht entgegen. Denn die Pfändungsfrage stellt sich nur, wenn ein Grabstein vorhanden ist. Man hat es also mit der Situation zu tun, dass der Grabstein als wesentlich empfunden wird und entzogen werden soll. Damit bleibt es bei dem Ergebnis, dass die ratio legis von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. die Einbeziehung des Grabsteins in den Pfändungsschutz gebot. bb) Folgenbetrachtung Aus einer Folgenbetrachtung wurde geschlossen, dass ein Grabstein Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. genießen müsse. An eine Pfändung würde sich nämlich nach § 814 ZPO eine öffentliche Versteigerung anschließen. Eine solche Versteigerung würde das Andenken an den Verstorbenen beein677
Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§2:A.XV.1.
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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trächtigen. 678 Hinzu komme, dass der Stein wegen der Namensgravierung kaum anderweitig verwendbar sei. 679 Eine Beseitigung der Gravur sei kostspielig, ein starkes Abschleifen könnte außerdem die Standsicherheit beeinträchtigen. 680 Auch wenn eine Folgenbetrachtung generell bei der Suche nach einem zutreffenden Auslegungsergebnis helfen kann, darf eine solche nicht spekulativ ausfallen. In diese Richtung droht man jedoch abzudriften, wenn man über die Standsicherheit eines abgeschliffenen Grabsteins nachdenkt. Hinzu kommt, dass es – wenn man eine Beeinträchtigung des Andenkens des Verstorbenen durch die Versteigerung von dessen Grabstein befürchtet – mildere Mittel gibt, um diese Beeinträchtigung zu vermeiden. Insofern könnte die Gravur auf dem Grabstein schon vor der Versteigerung entfernt werden, sodass der Grabstein einem konkreten Verstorbenen nicht mehr individualisiert zugeordnet werden könnte. Da also bei der Betrachtung der Folgen ganz unterschiedliche Varianten denkbar sind, kann man von einer generalisierten Folgenbetrachtung in dem Sinne, dass bestimmte Folgen aufgrund der Norm stets oder überwiegend eintreten würden, nicht ausgehen. cc) Resümee Die teleologische Auslegung führte zu dem Ergebnis, dass Grabsteine in den Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. einzubeziehen waren. Das Pietätsgefühl des Schuldners und damit sein zu respektierendes Selbstverständnis vom eigenen menschenwürdigen Dasein würden verletzt, wenn Grabsteine keinen Pfändungsschutz genießen würden. d) Verfassungskonforme Auslegung Angesichts der anzutreffenden Hinweise auf eine nötige verfassungskonforme Auslegung von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. ist zu untersuchen, ob sich daraus die Notwendigkeit eines bestimmten Verständnisses ergibt. Die Frage, ob ein Grabstein bei einer verfassungskonformen Auslegung von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. Pfändungsschutz genießen muss, wurde unter verschiedenen verfassungsrechtlichen Perspektiven mit unterschiedlichen Ergebnissen betrachtet. Diese verfassungsrechtlichen Ansatzpunkte hingen eng mit den für § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. vertretenen Zweckzuschreibungen zusammen. aa) Schutz des Verstorbenen Zum einen wurde – wie im Rahmen der Zweckvorschläge für § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. – auf die Person des Verstorbenen abgestellt. Da der Schutz der Men678
Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182; Wacke, DGVZ 1986, 161, 166. Wacke, DGVZ 1986, 161, 166. 680 Ders., DGVZ 1986, 161, 166. 679
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schenwürde postmortal weiterwirke,681 müsse dieser dem Verstorbenen auch gegenüber Vollstreckungsgläubigern zugebilligt werden. 682 Dagegen wurde erneut vorgebracht, dass es viele Gräber ohne Grabsteine gäbe, weswegen man nicht sagen könne, dass bei der Entfernung eines Grabsteins die Würde des Verstorbenen in unverhältnismäßiger Weise betroffen sei. 683 Ausschlaggebend muss sein, dass die verfassungsrechtlichen Überlegungen im Einklang mit dem Regelungsgehalt von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. zu erfolgen hatten. Da § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. nicht dem Schutz des Verstorbenen diente, sondern dem Schutz des Pietätsgefühls des Schuldners, mussten verfassungsrechtliche Überlegungen unberücksichtigt bleiben, die sich auf den Schutz des Verstorbenen bezogen. Dieser verfassungsrechtlich notwendige Schutz der fortdauernden Menschenwürde des Verstorbenen wurde durch das Recht an anderen Stellen gewährleistet. Das Zwangsvollstreckungsrecht ist nicht der Ort für diesen Schutz. bb) Schutz des Schuldners Zum anderen wurde das Interesse des Schuldners in den Vordergrund gerückt. 684 Damit wurde an die Zweckzuschreibung „Schutz des Pietätsgefühls des Schuldners“ angeknüpft. Bei der Subsumtion unter diese These wurde aber – ohne weitere Argumente – behauptet, dass das Interesse des Schuldners, einen Grabstein für den Verstorbenen aufzustellen, vom Schutzbereich der Menschenwürde nicht mehr gedeckt sei. 685 Damit war die Frage im richtigen Bezugskontext formuliert. Allerdings kann der dann gegebenen Antwort nicht zugestimmt werden. Wie bereits im Rahmen der teleologischen Auslegung dargelegt, gehört es zu einem menschenwürdigen Dasein des Schuldners, das Andenken an den Verstorbenen so pflegen zu dürfen, wie es seine Beziehung zu dem Verstorbenen verlangt. Dies schließt Pfändungsschutz für Grabsteine ein. cc) Resümee Angesichts der verbleibenden Auslegungskontroversen rund um den Pfändungsschutz von Grabsteinen führt die verfassungskonforme Auslegung in ihrer „Schiedsrichterrolle“ zu dem Ergebnis, dass Pfändungsschutz für Grabsteine notwendig ist. Nur so lässt sich sicherstellen, dass der verfassungsrechtlich 681 BVerfG, Beschl. v. 09.05.2016, 1 BvR 2202/13, NVwZ 2016, 1804, 1806; BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971, 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 194. 682 Dillenburger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 185; Duru, Der grundrechtskonforme Pfändungsschutz für den Verlobungsring, 2017, S. 76; Looff, Rpfleger 2008, 53, 55 f. 683 Staudinger/Heinze, Jura 2003, 581, 583. In diese Richtung wohl auch Erbe, Das Recht der unpfändbaren Sachen, 2013, S. 179. 684 Looff, Rpfleger 2008, 53, 55. 685 Dies., Rpfleger 2008, 53, 55.
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verankerte Schutz des Pietätsgefühls des Schuldners zum Tragen kommt. Darin darf dieser einen wesentlichen Teil seines menschenwürdigen Daseins sehen. e) Pfändungsschutz durch Veräußerungsverbot Weiterhin wurde diskutiert, ob sich Pfändungsschutz für Grabsteine unter dem Gesichtspunkt eines Veräußerungsverbotes herleiten ließ. Gegenstände, deren Veräußerung durch den Gerichtsvollzieher ausgeschlossen ist, können einer Pfändung nicht zugänglich sein. 686 Es war damit die Frage zu beantworten, ob Grabsteine durch einen Gerichtsvollzieher veräußert werden dürfen. Ein insoweit einschlägiges Veräußerungsverbot wurde teilweise § 168 StGB (Störung der Totenruhe) entnommen. 687 Grabsteine werden von § 168 Abs. 2 StGB durch den Schutz von Beisetzungsstätten erfasst. 688 Indes kann in der Veräußerung eines Grabsteins keine taugliche Tathandlung in Form von Zerstörung, Beschädigung oder beschimpfendem Unfug gesehen werden. Durch die Versteigerung eines Grabsteins – und das ist der maßgebliche Anknüpfungspunkt für ein Veräußerungsverbot – verübt der Gerichtsvollzieher weder beschimpfenden Unfug noch zerstört oder beschädigt er den Grabstein. Dass mit der Versteigerung eines Grabsteins keine Substanzverletzung bzw. Beeinträchtigung der Brauchbarkeit als Grabstein verbunden ist, liegt auf der Hand. 689 Es wurde im Rahmen einer Folgenbetrachtung bereits dargelegt, dass mit der Versteigerung eines Grabsteins durch den Gerichtsvollzieher keine Beeinträchtigung des Andenkens des Verstorbenen einhergehen muss. 690 Hinzu kommt, dass die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Verübung beschimpfenden Unfugs mehr als bloß eine Pietätsverletzung erfordert. 691 Der Begriff setzt eine unernsthafte, missbräuchliche Haltung voraus. 692 Davon kann bei der Versteigerung eines Grabsteins durch einen Gerichtsvollzieher in einem gesetzlich vorgesehenen Rahmen keine Rede sein.
686 Zöller/Herget,
§ 811 ZPO Rn. 43. Looff, Rpfleger 2008, 53, 55; so im Ergebnis auch, allerdings ohne Begründung, AG Kaiserslautern, Beschl. v. 05.01.1987, 3 M 4885/86, DGVZ 1987, 77, 78. Jonas, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Die Zivilprozeßordnung für das Deutsche Reich, 141929, § 811 ZPO V. und Stein, in: Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, 81908, V. gehen ebenfalls von einem Ver äußerungsverbot aus. 688 Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 168 StGB Rn. 12; BeckOK-StGB/Heuchemer, § 168 StGB Rn. 17; Stübinger, in: Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 52017, § 168 StGB Rn. 16. 689 Vgl. zu diesen beiden Tatbestandsmerkmalen z. B. BeckOK-StGB/Heuchemer, § 168 StGB Rn. 13. 690 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§2:A.XV.2.c)bb). 691 Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 168 StGB Rn. 10 („besonderes Maß an Pietätlosigkeit“); BeckOK-StGB/Heuchemer, § 168 StGB Rn. 10. 692 BeckOK-StGB/Heuchemer, § 168 StGB Rn. 10. 687
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
f) Vollstreckung durch Steinmetz Einige derjenigen, die einen Grabstein für unter § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. subsumierbar hielten, sahen bei einer Vollstreckung durch einen Steinmetz, der einen Grabstein unter Eigentumsvorbehalt geliefert hat und nun wegen seines Zahlungsanspruchs vollstreckt, eine besondere Problemlage. aa) Vergleichende Betrachtung hinsichtlich der Herausgabevollstreckung Da sich der Schuldner im Rahmen der Herausgabevollstreckung nach § 883 Abs. 1 ZPO nicht auf Vollstreckungsschutz berufen könne, stelle sich die Frage, inwiefern dies Auswirkungen auf die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen des Schuldners habe. Auf der einen Seite wurde betont, dass sich der Vollstreckungsschutz des Schuldners nicht durch § 811 Abs. 2 ZPO a. F. 693 ausschalten ließe, weil diese Norm § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. nicht nenne. 694 Das stand im Einklang damit, dass sich die Wirkung der Pietät nicht aufspalten lässt.695 Im Übrigen sei ein Steinmetz auch nicht sonderlich schutzwürdig, weil er ja seinen Herausgabeanspruch bezüglich des Grabsteins im Wege der Herausgabevollstreckung geltend machen könne. 696 Auf der anderen Seite wurde aber auch vertreten, dass es einen Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) darstellen würde, wenn sich ein Schuldner bei der Vollstreckung aus einem Zahlungstitel auf § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. berufen würde, weil er diesen Einwand im Rahmen der Herausgabevollstreckung ohnehin nicht habe. 697 bb) Stellungnahme In der Diskussion über die Frage, ob ein Vollstreckungsprivileg für Steinmetze anerkannt werden kann, wurde darauf rekurriert, dass dem Steinmetz im Rah693 § 811 Abs. 2 ZPO ist durch die 2. Zwangsvollstreckungsnovelle (BGBl. I 1997, S. 3039, 3040) eingeführt worden. Aufgrund dieser Änderung der Rechtslage können ältere Gerichtsentscheidungen bzw. Stellungnahmen innerhalb der Literatur nicht mehr herangezogen werden. 694 LG München, Beschl. v. 28.03.2002, 20 T 4693/02, DGVZ 2003, 122, 123; LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42; Baukelmann, jurisPR-BGHZivilR 7/2006 Anm. 2; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 23.7; Dillenburger/ Pauly, DGVZ 1994, 180, 184; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158; Looff, Rpfleger 2008, 53, 56 f. 695 AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12.1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; Dillen burger/Pauly, DGVZ 1994, 180, 182. 696 LG Kassel, Beschl. v. 13.01.2005, 3 T 699/04, DGVZ 2005, 41, 42; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.12.1995, 22 M 4024/95, DGVZ 1996, 78; Baukelmann, jurisPR-BGHZivilR 7/2006 Anm. 2; Wacke, DGVZ 1986, 161, 167. 697 LG Braunschweig, Beschl. v. 18.07.2000, 8 T 666/00 (426), NJW-RR 2001, 715; LG Braunschweig, Beschl. v. 18.07.2000, 8 T 665/00, Rpfleger 2000, 462. So im Ergebnis auch AG Nürtingen, Beschl. v. 29.01.2002, 1 a M 138/02, JurBüro 2002, 495.
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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men der Herausgabevollstreckung kein Vollstreckungsschutz entgegengehalten werden könne. Dieser zentralen Prämisse ist entgegenzuhalten, dass es verfassungsrechtlich geboten ist, auch im Rahmen der Herausgabevollstreckung Vollstreckungsschutz vorzusehen. 698 § 811 Abs. 1 ZPO dient dem Schutz eines menschenwürdigen Daseins des Schuldners. Dieses muss vor jeglichem staatlichen Eingriff geschützt werden. Eine Differenzierung nach der Art der Vollstreckung ist daher nicht zielführend. Konsequenterweise kann sich die Frage nicht stellen, ob dem Steinmetz, dem ggf. der Weg über die Herausgabevollstreckung eröffnet ist, besondere Vollstreckungsprivilegien im Rahmen der Fahrnisvollstreckung einzuräumen sind. g) Analogie Diejenigen, die eine unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. auf Grabsteine nicht für möglich hielten, mussten konsequenterweise darüber nachdenken, ob sich die Norm analog auf Grabsteine anwenden ließ.699 Dagegen wurde angeführt, dass es sich um eine Ausnahmeregelung handele, die einer Analogie nicht zugänglich sei.700 Außerdem spreche die im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommende Beschränkung gegen eine analoge Anwendung.701 Die These, dass Ausnahmevorschriften nicht analogiefähig sind, ist nicht haltbar.702 Es konnte zusätzlich gezeigt werden, dass die im Wortlaut von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. vorgesehene Beschränkung in Form des Unmittelbarkeitskriteriums auf unterschiedliche Weise interpretierbar ist. Fernerhin erübrigt sich die Prüfung der Analogievoraussetzungen in Bezug auf Grabsteine schon deshalb, weil diese bereits im Wege der Auslegung § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. zuzuordnen sind. h) Übergesetzlicher Pfändungsschutz Um für Grabsteine Pfändungsschutz zur Verfügung zu stellen, wurde zuweilen ein ungeschriebenes Pfändungsverbot aus Pietätsgründen postuliert. Ob generell ein ungeschriebenes Pfändungsverbot unter dem Gesichtspunkt der Pietät anerkannt werden kann, wurde unterschiedlich beurteilt. Teilweise bestanden keine Bedenken gegen einen solchen Pfändungsschutz.703 Die Ge698
Vgl. dazu noch Kapitel 8:§2:C. für das österreichische Recht Mohr, in: Angst/Oberhammer (Hrsg.), Kommentar zur Exekutionsordnung, 32015, § 251 ZPO Rn. 3. 700 Looff, Rpfleger 2008, 53, 54. 701 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703, 1704. 702 Vgl. dazu bereits umfangreich Kapitel 4:§1:A.I.2.a). 703 KG, Beschl. v. 05.02.1935, 8 W 7567/34, JW 1935, 2072; LG Mönchengladbach, Beschl. v. 26.02.1996, 5 T 74/96, DGVZ 1996, 139; LG Weiden, Beschl. v. 29.09.1989, 2 T 579/90, DGVZ 1990, 142; AG Walsrode, Beschl. v. 28.09.1989, 8 M 869/89, DGVZ 1989, 188; AG Wiesbaden, Beschl. v. 20.07.1984, 66 M 4402/84, DGVZ 1985, 79; AG Bad Schwalbach, Be699 So
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Kapitel 4: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen
genauffassung hielt einen derartigen Pfändungsschutz für ausgeschlossen.704 Die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) verbiete es dem Richter, den Katalog des § 811 Abs. 1 ZPO a. F. um weitere ungeschriebene Tatbestände zu erweitern.705 Der erforderliche Schutz könne über § 765a ZPO gewährt werden.706 Häufig wurde die Frage nach einem übergesetzlichen Pfändungsschutz aber auch ausdrücklich offengelassen.707 Wenn ein übergesetzliches Pfändungsverbot anerkannt wurde bzw. die Frage, ob übergesetzlicher Pfändungsschutz in Betracht kommt, offen gelassen wurde, spielte die Konstellation der Vollstreckung durch einen Steinmetz erneut häufig eine Rolle. Insofern wurde immer wieder betont, dass übergesetz licher Pfändungsschutz jedenfalls dann nicht anzuerkennen sei, wenn der Steinmetz in den von ihm gelieferten Grabstein wegen der Kaufpreisforderung für den Grabstein vollstrecke.708 Da der Steinmetz ohnehin den Weg der Heraus gabevollstreckung nach § 883 Abs. 1 ZPO gehen könne, sei im Kontext der Fahrnisvollstreckung ein besonderer übergesetzlicher Pfändungsschutz nicht erforderlich.709 Unabhängig von der Ausgestaltung im Detail kann ein übergesetzliches Pfändungsverbot – aus welchen verfassungsrechtlichen Gründen auch immer – nicht anerkannt werden.710 Jedes Pfändungsverbot ist mit einem Eingriff in Grundrechte des Gläubigers verbunden. Damit ist der Gesetzesvorbehalt (Art. 20 Abs. 3 GG) entscheidend. Es bedarf eines Gesetzes, um den Eingriff zu schl. v. 16.12.1983, 4 M 2817/83, DGVZ 1984, 61, 62; AG Miesbach, Beschl. v. 02.03.1983, M 95/83, MDR 1983, 499; Lackmann, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 811 ZPO Rn. 28; Lang/Rauch, ZJS 2009, 154, 158; Warneyer, Die Zivilprozeßordnung, 7 1937, § 811 ZPO XIII.; Zimmermann, Zivilprozessordnung, 102016, § 811 ZPO Rn. 22. 704 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703; Baukelmann, juris PR-BGHZivilR 7/2006 Anm. 2; Christmann, DGVZ 1986, 56, 58; MüKo-ZPO/Gruber, § 811 ZPO Rn. 5, Rn. 50. 705 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703, 1704. 706 OLG Köln, Beschl. v. 17.07.1991, 2 W 193/90, JurBüro 1991, 1703, 1704 f.; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 110; Röder, DGVZ 2007, 17, 18; Staudinger/Heinze, Jura 2003, 581, 583; kritisch Looff, Rpfleger 2008, 53, 57. 707 BGH, Beschl. v. 20.12.2005, VII ZB 48/05, NJW-RR 2006, 570, 571; LG Hamburg, Beschl. v. 24.11.1989, 17 T 171/89, DGVZ 1990, 90, 91; LG Wiesbaden, Beschl. v. 30.12.1988, 4 T 535/88, NJW-RR 1989, 575, 576; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 28; Koch, JA 2011, 749, 755; Walker/Loyal, in: Schuschke/Walker/ Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 811 ZPO Rn. 49. 708 BGH, Beschl. v. 20.12.2005, VII ZB 48/05, NJW-RR 2006, 570, 571; LG Mönchengladbach, Beschl. v. 26.02.1996, 5 T 74/96, DGVZ 1996, 139; LG Hamburg, Beschl. v. 24.11.1989, 17 T 171/89, DGVZ 1990, 90, 91; LG Weiden, Beschl. v. 29.09.1989, 2 T 579/90, DGVZ 1990, 142; LG Wiesbaden, Beschl. v. 30.12.1988, 4 T 535/88, NJW-RR 1989, 575, 576; AG Wiesbaden, Beschl. v. 20.07.1984, 66 M 4402/84, DGVZ 1985, 79; AG Miesbach, Beschl. v. 02.03.1983, M 95/83, MDR 1983, 499; Christmann, DGVZ 1986, 56, 58; Koch, JA 2011, 749, 755; Lang/ Rauch, ZJS 2009, 154, 158. So wohl auch Röder, KKZ 2006, 145, 146. 709 BGH, Beschl. v. 20.12.2005, VII ZB 48/05, NJW-RR 2006, 570, 571. 710 Vgl. dazu bereits ausführlich Kapitel 4:§1:D.
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Lasten des Gläubigers zu rechtfertigen. Ohne ein Gesetz kommt eine Rechtfertigung für diesen Grundrechtseingriffs nicht in Betracht. Folglich kann einem Schuldner übergesetzlicher Pfändungsschutz nicht eingeräumt werden.711 3. Reformbestrebungen Im Rahmen der Reformbestrebungen durch das GNeuMoP und das PKoFoG sollte § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. mit identischem Wortlaut aufrechterhalten werden.712 4. Aktuelle Rechtslage Das GvSchuG hat § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. – wie bereits hervorgehoben – gestrichen, ohne dass dies irgendwie begründet wurde.713 5. Stellungnahme Die zur unmittelbaren Verwendung für die Bestattung bestimmten Gegenstände müssen – anders als dies das GvSchuG vorsieht – Pfändungsschutz genießen. Andernfalls würde sich der Schuldner zutiefst in seinem Pietätsempfinden verletzt fühlen. Der Gedanke, dass diese Emotionalität zu dem Erleben gehört, das als menschenwürdiges Dasein empfunden wird, darf deshalb nicht ausgeklammert werden. Man stelle sich etwa vor, dass Sarg oder Leichenhemd gepfändet würden.714 Diese Schutzdimension bezieht sich auch auf Grabsteine. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein gebietet es, einen Grabstein für nahestehende Personen zu deren Erinnerung aufstellen zu dürfen. So wie die Beziehung des Schuldners zu Gegenständen, Tieren und lebenden Menschen zu schützen ist, muss auch seine Beziehung zu Verstorbenen geachtet werden. Für die zu einer würdigen Bestattung benötigten Sachen (so ansonsten die Terminologie des GvSchuG) ist de lege ferenda zwingend ein Pfändungsverbot zu normieren. Um die frühere Kontroverse rund um den Pfändungsschutz für Grabsteine nicht wieder aufleben zu lassen, sollten Grabsteine explizit genannt 711 A. A. wohl Bouza da Costa, Dominik Manuel, Das Existenzminimum im Zivilrecht, 2018, S. 273. 712 BT-Drs. 17/2167, S. 7, S. 17. 713 Eine Begründung ist aus BR-Drs. 62/21, S. 4 nicht ersichtlich. 714 Dass dies nicht gewollt sein konnte, war schon 1912 klar. Der Abgeordnete Hoffmann berichtete am 20. März 1912 im Preußischen Haus der Abgeordneten vom Pfändungsversuch eines gnadenlosen Gläubigers, der auf einen Sarg abzielte: „So bliebe nichts anderes übrig, als auf die Pfändung zu verzichten, oder man hätte die Tote aus dem Grab herausnehmen und den Sarg pfänden müssen, denn weiter besaß sie ja nichts mehr.“ Das Protokoll vermerkt: „Heiterkeit“. (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 3. Band, Sp. 3179 f.).
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werden.715 Insofern bietet es sich an, § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG als Inspiration zu nutzen. Dort werden die Kosten der Bestattung des Erblassers und die Kosten für ein angemessenes Grabdenkmal genannt. Es könnte also an geeigneter Stelle in § 811 Abs. 1 ZPO beispielsweise formuliert werden, dass die zur unmittelbaren Verwendung für die Bestattung bestimmten Gegenstände Pfändungsschutz genießen, einschließlich des Grabsteins. Auf diese Weise würde zum Ausdruck gebracht, dass sich das Unmittelbarkeitskriterium auf einen aktuellen Trauerfall bezieht, nicht aber die Reichweite des Terminus „Bestattung“ einschränken soll.
B. § 811c ZPO a. F. Durch § 811c Abs. 1 ZPO a. F. wurde für Tiere, die im häuslichen Bereich nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden, ein Pfändungsverbot statuiert.716 § 811c Abs. 2 ZPO a. F. sah eine Ausnahme für besonders wertvolle Tiere vor. I. Entstehungskontext Im Jahre 1953 hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung den Pfändungsverboten in § 811 ZPO eine Nummer 14 hinzugefügt, um dem Halter von nicht zur Veräußerung bestimmten Hunden mit einem Wert von nicht über 200 DM, Vollstreckungsschutz zukommen zu lassen.717 Es entspreche nicht einem geläuterten Rechtsempfinden, wenn wegen einer privatrechtlichen Geldforderung Hunde der Zwangsvollstreckung unterworfen würden. Der Gesetzgeber hielt es für denkbar, diesen Schutz auf andere Tiere auszudehnen, zu denen ein ähnlich nahes Verhältnis besteht. Es mangele insofern aber an praktischen Gründen, weil diese Tiere sich aufgrund ihres verhältnismäßig geringen Marktwertes ohnehin nicht zur Pfändung eigneten.718 Aufgrund gestiegener Kaufpreise für Tiere und veränderter Haltergewohnheiten hat der Gesetzgeber dann 1984 durch das Fünfte Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen reagiert.719 Der Pfändungsschutz wurde in zweierlei Hinsicht erweitert. Zum einen galt er nicht mehr nur für nicht zur Veräußerung bestimmte im häuslichen Bereich gehaltene Hunde, sondern auch für andere Tiere. Zum anderen wurde die Wertgrenze bei 500 DM gesetzt.720 715 So auch schon Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 145. 716 Vgl. zu einer ähnlichen Vorschrift in der Schweiz Art. 92 Nr. 1a SchKG. 717 BGBl. I 1953, S. 952, 953. 718 BT-Drs. I/3284, S. 19; kritisch Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 151. 719 BT-Drs. 10/819, S. 14. 720 BGBl. I 1984, S. 364.
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§ 811c ZPO a. F. ist schließlich durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht vom 20.08.1990 eingeführt worden.721 Hintergrund war die gesetzgeberische Überlegung, dass Tiere ein Mitgeschöpf des Menschen und schmerzempfindende Lebewesen sind, dem gegenüber der Mensch zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist.722 Es sei nicht gerechtfertigt, in die Beziehung zwischen dem Schuldner und seinem Tier deshalb einzugreifen, weil der Wert des Tieres einen bestimmten Betrag übersteige. Wenn Tiere im häuslichen Bereich gehalten würden, könne man davon ausgehen, dass eine schützenswerte enge Beziehung zwischen dem Schuldner und seinem Tier bestehe.723 Allerdings wurde auch das Risiko eines Missbrauchs angesprochen. Es bestünde die Gefahr, dass der Schuldner Vermögenswerte dem Zugriff seiner Gläubiger entziehe, indem er wertvolle Tiere erwerbe, zu denen er keine enge emotionale Beziehung pflege. In einem solchen Fall seien weder schutzwürdige Interessen des Schuldners noch Belange des Tierschutzes erkennbar, die einer Pfändung entgegenstehen könnten. Deshalb sei es notwendig, dass das Vollstreckungsgericht in Ausnahmefällen die Pfändbarkeit eines solchen Tieres anordnen könne.724 Durch das GvSchuG wurde § 811c ZPO a. F. – unter Aufhebung der Beschränkung auf die Tierhaltung im häuslichen Bereich – zu § 811 Abs. 1 Nr. 8 lit. a) ZPO. II. Normzweck Was den Normzweck von § 811c ZPO a. F. angeht, bestand keine Einigkeit. Im Folgenden werden die Ansichten zu § 811c ZPO a. F. referiert, weil diese in der Literatur zu § 811c ZPO a. F. entwickelt wurden. Es spricht aber viel dafür, dass die jeweiligen Ansichten auch künftig noch zu § 811 Abs. 1 Nr. 8 lit. a) ZPO einschlägig sein werden. 1. Tierschutz Ausgehend von der gesetzgeberischen Überlegung zur Natur der Tiere und der Schutz- und Fürsorgepflicht des Halters725 wurde die ratio legis im Tierschutz gesehen.726 Gegen diese Zweckzuschreibung wurde eingewendet, dass insofern nicht nachvollziehbar sei, warum der Gesetzgeber nicht alle Tiere schütze, sondern 721
BGBl. I 1990, S. 1762. BT-Drs. 11/5463, S. 1. 723 BT-Drs. 11/5463, S. 7. 724 BT-Drs. 11/5463, S. 7. 725 BT-Drs. 11/5463, S. 1. 726 Zöller/Herget, § 811c ZPO Rn. 1; Gergen, NuR 2012, 96, 101; Gottwald/Mock/Mock, § 811c ZPO Rn. 1. 722
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nur diejenigen, die im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden.727 Diese Kritik lässt unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber sich bewusst dafür entschieden hat, den Schutz des § 811c ZPO a. F. lediglich auf nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere zu beschränken, weil für zu Erwerbs zwecken gehaltene Tiere schon eine andere Schutzmöglichkeit in Gestalt von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. bestünde (jetzt: § 811 Abs. 1 Nr. 8 lit. b) ZPO).728 Er hielt es deswegen nicht für notwendig, den Schutz auf zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere auszudehnen.729 In dieser Hinsicht ist der Gedanke des Tierschutzes also vollständig verwirklicht. Damit entfällt – dieser Begründungslogik nach – das Argument, der Tierschutz komme als Zweck nicht in Betracht, weil dieser Gedanke im Pfändungsschutzrecht nicht vollständig verwirklicht sei. Weiter wurde vorgetragen, dass der Gesetzgeber – wenn es ihm tatsächlich um den Tierschutz gegangen wäre – in § 811c Abs. 2 ZPO a. F. (jetzt: § 811 Abs. 3 ZPO) keine wertabhängige Ausnahme hätte zulassen dürfen, weil der Schutz des Tieres nicht von dessen Marktwert abhängen dürfe.730 Betrachtet man freilich die Voraussetzungen von § 811c Abs. 2 ZPO a. F., so wird deutlich, dass der Gesetzgeber auch hier ausdrücklich eine Beachtung der Belange des Tierschutzes forderte. Die Zulassung von Ausnahmen gegenüber § 811c Abs. 1 ZPO a. F. bedeutete also nicht, dass der Gesetzgeber den Gedanken des Tierschutzes aus den Augen verloren hätte. Dass die Zweckzuschreibung „Tierschutz“ nicht überzeugen könne, wurde weiter damit begründet, dass der Gesetzgeber nicht jede Veräußerung eines Tieres verhindert habe, sondern nur diejenige durch den Gerichtsvollzieher.731 Daraus folgt indes nicht, dass der Gesetzgeber mit § 811c ZPO a. F. keinen Tierschutz verwirklichen wollte. Vielmehr lässt sich dem lediglich entnehmen, dass der Gesetzgeber den Tierschutz noch effektiver hätte verwirklichen können, wenn er weitere rechtsgeschäftliche Veräußerungsverbote statuiert hätte. Wenn der Gesetzgeber mit § 811c ZPO a. F. tatsächlich auf den Tierschutz hätte abzielen wollen, dann hätte er – so ein weiterer Kritikpunkt – zwischen 727 Brüninghaus, Die Stellung des Tieres im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1993, S. 96 f.; Grun sky, in: Töpper (Hrsg.), Wie würden Sie entscheiden?, 1990, S. 93, 101. So auch Herfs, Im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere in der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen, 1998, S. 33 f., der daraus allerdings lediglich folgert, dass der Tierschutz nicht alleiniger Zweck von § 811c ZPO sein kann. 728 Vgl. zu der Frage, ob sich Tiere § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. zuordnen ließen, schon Kapitel 4:§2:A.III.4.b). 729 BT-Drs. 11/5463, S. 7. 730 Brüninghaus, Die Stellung des Tieres im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1993, S. 97. So auch Herfs, Im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere in der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen, 1998, S. 33 f., der daraus allerdings lediglich folgert, dass der Tierschutz nicht alleiniger Zweck von § 811c ZPO sein kann. So wohl auch Dietz, DGVZ 2003, 81, 82. 731 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811c ZPO Rn. 1.
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der Situation des Tieres beim Schuldner auf der einen Seite und der Situation des Tieres bei Pfändung mit anschließender Verwertung auf der anderen Seite differenzieren müssen.732 Sicherlich würde eine solche individualisierte Betrachtungsweise dem Tierschutz besser Rechnung tragen als die gesetzliche Regelung.733 Aus der Annahme einer suboptimalen Verwirklichung des Tierschutzes folgt aber nicht, dass der Gesetzgeber den Tierschutzgedanken überhaupt nicht verfolgen wollte. Wer meinte, dass § 811c ZPO a. F. dem Tierschutz diene, musste konsequenterweise unterstellen, dass der Schutz des Tieres beim Schuldner immer besser gewährleistet sei als nach Pfändung und Verwertung bei einem Dritten. Nicht auszuschließen sind aber auf dieser generellen Ebene Fälle, in denen das Tier beim Schuldner einer Vernachlässigung ausgesetzt ist oder gar nicht mehr gewollt wird. Dieser Gedanke zieht die Überlegung nach sich, dass nicht der Schutz des Tieres leitend sein konnte, sondern eine besondere Beziehung des Schuldners zum Tier. Diese Beziehung sorgt dann für den Tierschutz, der auf diese Weise indirekt mit verwirklicht wird. 2. Affektionsinteresse Häufig wurde im Sinne des eben entwickelten Gedankens der Schutz der engen emotionalen Beziehung zwischen einem Menschen und dem in seinem häus lichen Bereich gehaltenen Tier als Zweck von § 811c ZPO a. F. genannt.734 Insofern ist zwar zu konstatieren, dass ein so verstandenes Affektionsinteresse ansonsten bei den Pfändungsverboten – de lege lata – noch eine untergeordnete Rolle spielt.735 Die Frage ist aber, ob diese untergeordnete Rolle verstärkt werden muss, wenn man den Gedanken des Affektionsinteresses konsequent weiterverfolgen will. Wie bereits im Kontext von § 811 Abs. 1 Nr. 11 Var. 2 ZPO a. F. dargelegt, soll als leitender Gedanke beim Pfändungsschutz die ideelle Beziehung des Schuldners zu dem für die Pfändung in Aussicht genommenen Gegenstand maßgeblich 732
Grunsky, in: Töpper (Hrsg.), Wie würden Sie entscheiden?, 1990, S. 93, 100. darf aber nicht übersehen werden, dass eine solche Regelung kaum zu praktizieren wäre, weil sich nicht vorhersehen lässt, wer das Tier ersteigert und wie es dem Tier dort künftig gehen wird. Eine solche Verfahrensweise ist mit dem Formalisierungsgrundsatz der Zwangsvollstreckung nicht vereinbar. 734 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 23.7; Bechtloff, ZIP 1996, 994, 995; Elden/Frauenknecht, in: Kern/Diehm (Hrsg.), ZPO, 22020, § 811c ZPO Rn. 1; MüKo-ZPO/Gruber, § 811c ZPO Rn. 1; Grunsky, in: Töpper (Hrsg.), Wie würden Sie entscheiden?, 1990, S. 93, 100; Saenger/Kemper, § 811c ZPO Rn. 1; HK-ZV/Kindl, § 811c ZPO Rn. 1; Münzberg, ZRP 1990, 215, 216; Schaal, Tiere in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 74; Straub/Biller-Bomhardt, NJW 2021, 118, 121; Tuma-Koch, Die Sonderstellung von Tieren im Zivilrecht, 2021, S. 348; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811c ZPO Rn. 1. 735 Grunsky, in: Töpper (Hrsg.), Wie würden Sie entscheiden?, 1990, S. 93, 101. 733 Es
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sein.736 Ging es dort um die Beziehung zu Objekten, so geht es hier um die üblicherweise noch stärkere emotionale Zuneigung zum Tier. Gerade in Corona- Zeiten wird wegen der unter diesen Umständen nötigen Isolierung deutlich, wie wesentlich das Leben in Beziehungen für die menschliche Existenz ist. Tiere werden sehr oft als Wegbegleiter und Gesprächspartner gesehen.737 Die Pfändung darf solche Beziehungen nicht zerstören. Natürlich kann es Fälle geben, in denen eine derartige emotionale Beziehung zwischen Mensch und Tier nicht existiert. Das ist beispielsweise vorstellbar, wenn es sich um ein im Wege der Erbfolge erlangtes Tier handelt. Es kann auch sein, dass das Tier lediglich auf Drängen der Kinder angeschafft wurde, die zwischenzeitlich das Interesse an dem Tier verloren haben. In solchen Fällen schießt das Pfändungsverbot also weit über das Ziel hinaus.738 Deswegen hat der österreichische Gesetzgeber den Pfändungsschutz in § 250 Abs. 1 Nr. 4 EO auf nicht zur Veräußerung bestimmte Haustiere bezogen, zu denen „eine gefühlsmäßige Bindung“ besteht. Freilich lässt sich aus dem weitergehenden Pfändungsschutz in § 811c ZPO a. F. nicht schließen, dass dieser nicht den Zweck verfolgen konnte, das Affektionsinteresse zu schützen. Vielmehr drängt sich die Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion auf, wenn der Schuldner keine emotionale Beziehung zu dem zur Pfändung stehenden Tier pflegt. Gegen eine solche Konstruktion spricht nicht, dass auf die Pfändungsschutzvorschriften generell nicht verzichtet werden kann.739 Es geht insofern nämlich nicht um die Frage, ob der Pfändungsschutz des § 811c ZPO a. F. für den Schuldner disponibel ist. Entscheidend ist, dass eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit bestand, weil der Gesetzgeber typisierend vorausgesetzt hatte, dass unter den gewählten Anknüpfungspunkten („häuslicher Bereich“, „nicht zu Erwerbszwecken gehalten“) immer eine besondere emotionale Beziehung zwischen Mensch und Tier bestehe. Das ist aber nicht immer notwendigerweise der Fall. Damit war die ratio legis von § 811c ZPO a. F. nicht einschlägig, wenn der Schuldner kein Affektionsinteresse hat. Eine teleologische Reduktion ermöglichte es dann, die nach dem Wortsinn zu weit gefasste Regel durch Hinzufügung einer nach deren Sinn und Zweck gebotenen Ausnahme einzuschränken.740 Diese hatte darin zu bestehen, dass das Pfändungsverbot des § 811c ZPO a. F. nicht als einschlägig angesehen werden durfte, wenn zwischen dem Schuldner und dem zur Pfändung stehenden Tier erwiesenermaßen keine besondere Beziehung existiert. 736
Vgl. Kapitel 4:§2:A.XIII.5.b). weist der Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats ausdrücklich hin: „Die Bedeutung, die ein Tier für Menschen haben kann, die von Vereinsamung bedroht sind, wird zunehmend erkannt, beispielsweise in Altersheimen oder bei kranken Menschen.“ (vgl. BBl. 2002, 4164, 4173 zu Art. 92 Ziff. 1a [neu] SchKG). 738 Grunsky, in: Töpper (Hrsg.), Wie würden Sie entscheiden?, 1990, S. 93, 101 f. 739 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:G.III. 740 Vgl. zu den Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion Kapitel 4 Fn. 144. 737 Darauf
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3. Tierschutz und Affektionsinteresse Als Kombination aus den bisher genannten Zweckzuschreibungen wurde vertreten, dass § 811c ZPO a. F. sowohl dem Tierschutz diene als auch dem Schutz der engen emotionalen Beziehung zwischen Menschen und im häuslichen Bereich gehaltenen Tieren.741 Dieser Betrachtungsweise ist entgegenzuhalten, dass § 811c ZPO a. F. dem Tierschutz nicht dienen konnte. Die Verfolgung dieses Zweckes würde nämlich voraussetzen, dass ein Vergleich der Lage des Tieres beim Schuldner mit der nach einer Pfändung und Verwertung eine Verschlechterung der Situation des Tieres ergeben würde. Diese These lässt sich aber nicht begründen. Es ist vielmehr offen, ob es dem Tier beim Schuldner oder aber bei einem Dritten insgesamt besser geht. Da auf diese Weise eine Komponente des Doppelzwecks wegfällt, lässt sich diese Kombinationsthese nicht halten. 4. Resümee Durch § 811c ZPO a. F. sollte die enge emotionale Beziehung zwischen Menschen und den im häuslichen Bereich gehaltenen Tieren geschützt werden. Ein solches Pfändungsverbot ist verfassungsrechtlich geboten, weil die Pflege der artiger Beziehungen zu einem menschenwürdigen Dasein gehört. Vor diesem Hintergrund war die gesetzgeberische Entscheidung, das Pfändungsverbot wertunabhängig auszugestalten, die einzig richtige. III. Anwendungsbereich Dem Wortlaut nach beschränkte sich der Pfändungsschutz nach § 811c ZPO a. F. auf Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden. In einem ähnlichen Sinne werden in Frankreich durch Art. R112-2 Nr. 14 Code des procédures civiles d’exécution „Les animaux d’appartement ou de garde“, in Luxemburg durch Art. 728 Abs. 1 Nr. 2 Nouveau Code de procédure civile „les animaux de compagnie“, in Portugal durch Art. 736 lit. g) Código de Processo Civil „Os animais de companhia“, in Spanien durch Art. 605 Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil „Los animales de compañía“ und in der Schweiz 741 Dietz, DGVZ 2003, 81, 82; Duru, Der grundrechtskonforme Pfändungsschutz für den Verlobungsring, 2017, S. 77; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 18 2021, § 811c ZPO Rn. 1; Prütting/Gehrlein/Flury, § 811c ZPO Rn. 1; Herfs, Im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere in der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen, 1998, S. 33; Knapp, Die Räumungsvollstreckung nach dem Berliner Modell, 2009, S. 40; Lorz, MDR 1990, 1057, 1060 (Fn. 35); Wieczorek/ Schütze/Lüke, § 811c ZPO Rn. 1; Meller-Hannich, MDR 2019, 713, 715 f.; Schmid, JR 2013, 245; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811c ZPO Rn. 2. In diese Richtung auch der österreichische Gesetzgeber, vgl. EO-Nov. 1995, 195, BlgNR XIX. GP, S. 41.
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durch Art. 92 S. 1 Nr. 1a SchKG „Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden“742 geschützt. Wenn man die Zweckzuschreibung, nämlich den Schutz der engen emotionalen Beziehung zwischen Menschen und Tieren ernst nimmt, ist nicht nachvollziehbar, warum eine solche Beziehung nur dann angenommen werden kann, wenn das Tier im häuslichen Bereich gehalten wird. Aus Sicht des Schuldners kann beispielsweise die Beziehung zu dem eigenen Pferd auf der Koppel genauso stark ausgeprägt sein wie die zu dem eigenen Hund oder zu der eigenen Katze in Haus oder Wohnung. Das erfordert einen Pfändungsschutz, der sich nicht auf die Tiere im häuslichen Bereich beschränkt. Der Gesetzgeber nannte als Leitidee den Gedanken, dass enge Beziehungen zwischen Schuldner und Tier bestehen, wenn „das Tier im häuslichen Bereich, also in räumlicher Nähe zum Schuldner gehalten wird“.743 Er hat dabei übersehen, dass die Leitidee der engen Beziehung nicht auf Tiere im häuslichen Bereich beschränkt werden darf. Denn – wie gesagt – ist die enge Beziehung zu einem Tier nicht notwendigerweise auf den häuslichen Bereich beschränkt. Weil dieser Umstand übersehen wurde, hat der Gesetzgeber seinen Plan nicht vollständig umgesetzt. Diese planwidrige Regelungslücke war nur dadurch auszugleichen, dass der Pfändungsschutz aus § 811c ZPO analog auf alle Tiere erstreckt wurde, bei denen sich eine enge emotionale Beziehung des Schuldners zum Tier konstatieren lässt. Insgesamt betrachtet ergaben sich auf der Grundlage der dargelegten Beurteilungsparameter folgende Konstellationen: – Der Tatbestand von § 811c Abs. 1 ZPO a. F. ist seinem Wortlaut nach erfüllt. Das Affektionsinteresse liegt vor. Dies führt zu Pfändungsschutz. Das Tier ist nicht pfändbar. – Der Tatbestand von § 811c Abs. 1 ZPO a. F. ist seinem Wortlaut nach erfüllt. Das Affektionsinteresse liegt nicht vor. Dann ist das Pfändungsverbot teleologisch zu reduzieren mit der Folge, dass das Tier pfändbar ist. – Der Tatbestand von § 811c Abs. 1 ZPO a. F. ist seinem Wortlaut nach nicht erfüllt. Das Affektionsinteresse liegt aber vor. Dies führt zur analogen Anwendung von § 811c Abs. 1 ZPO a. F. – Der Tatbestand von § 811c Abs. 1 ZPO a. F. ist seinem Wortlaut nach nicht erfüllt. Das Affektionsinteresse liegt nicht vor. Das Tier ist pfändbar.
742 Dieses Pfändungsverbot ist erst durch Ziff. IV des BG vom 04.10.2002 (Grundsatzartikel Tiere) in das SchKG eingefügt worden. 743 BT-Drs. 11/5463, S. 7.
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IV. Aktuelle Rechtslage Der Pfändungsschutz für Tiere ist durch das GvSchuG erweitert worden. Der dort vorgesehene Pfändungsschutz bezieht sich jetzt auf alle Tiere, die nicht zu Erwerbszwecken gehalten (lit. a) oder für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt werden (lit. b).744 Die Variante, dass Pfändungsschutz für Tiere gewährt wird, die nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden (lit. a), tritt an die Stelle von § 811c ZPO a. F. Anders als nach bisherigem Recht werden dann also nicht mehr nur sog. Heimtiere gegen Pfändung geschützt. Darüber hinaus bezieht sich die Norm nunmehr auch auf Tiere, die außerhalb des häuslichen Bereichs gehalten werden.745 In der Konsequenz verschiebt das GvSchuG den Pfändungsschutz für Tiere von § 811c ZPO a. F. in § 811 ZPO und stellt damit in systematischer Hinsicht den Zustand von 1953 wieder her. V. Stellungnahme Die Lösung des GvSchuG ist zu begrüßen. Dadurch, dass nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere nunmehr generell Pfändungsschutz genießen, wird – ohne explizite Nennung des Affektions interesses zum Tier – die Lösung erreicht, die de lege lata nur im Wege der Analogie begründet werden konnte. Indes bietet dieser Ansatz keine Lösung für die Konstellationen, in denen der Schuldner keine besonders schützenswerte emotionale Beziehung zum Tier hat. Hier wird weiterhin eine teleologische Reduktion notwendig sein. Man käme sonst nämlich zu einem Pfändungsschutz für nicht zu Erwerbszwecken gehaltene Tiere, zu denen keine Affektionsbeziehung besteht. De lege ferenda sollte konsequenterweise – wie in Österreich (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 EO) – der eigentlich tragende Grund für den Pfändungsschutz genannt werden, nämlich die „gefühlsmäßige Bindung“ zum Tier. Die ausdrückliche Erwähnung von für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigten Tieren führt dazu, dass solche Tiere nicht mehr als „Gegenstände“ angesehen werden müssen, um den erforderlichen Schutz zu gewährleisten (bisher: § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F.).746 Dies bringt jenseits aller juristischen Begrifflichkeit in gelungener Weise zum Ausdruck, dass Tiere nicht beliebige Gegenstände sind. Systematisch stringent ist es auch, die Pfändungsverbote in einer Norm zusammenzufassen und deswegen den Pfändungsschutz für Tiere insgesamt in § 811 ZPO zu regeln. Dies dient der Übersichtlichkeit. Die besondere Stellung
744
BR-Drs. 62/21, S. 4. BR-Drs. 62/21, S. 31. 746 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.III.4.b). 745
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der Tiere kommt dadurch zum Ausdruck, dass in der amtlichen Überschrift von unpfändbaren Sachen und Tieren die Rede ist. VI. Wertgrenze Um der Gefahr zu begegnen, die den Gesetzgeber beschäftigt hat, dass der Schuldner Vermögenswerte dem Zugriff seiner Gläubiger entziehen könne, indem er mit diesen Vermögenswerten wertvolle Tiere erwirbt, zu denen er keine enge emotionale Beziehung pflegt, hat der Gesetzgeber in § 811c Abs. 2 ZPO a. F. eine Ausnahme von dem Pfändungsverbot des § 811c Abs. 1 ZPO a. F. vorgesehen. An dieser Ausnahme hält das GvSchuG fest (jetzt in § 811 Abs. 3 ZPO).747 Voraussetzung dafür ist u. a. ein hoher Wert des Tieres. Vergegenwärtigt man sich, dass § 811c ZPO a. F. bzw. § 811 Abs. 1 Nr. 8 lit. a) ZPO vor dem Hintergrund eines menschenwürdigen Daseins des Schuldners dessen Affek tionsinteresse zu seinen Tieren schützt, kann der Wert des Tieres keine Rolle spielen. Indessen zeigt die Begründung des Gesetzgebers, dass es ihm im Grunde auf einen gänzlich anderen Aspekt ankam. Er wollte den Pfändungsschutz für die Fälle ausklammern, in denen „keine engen emotionalen Beziehungen“ zwischen dem Schuldner und dem zur Pfändung stehenden Tier bestehen.748 Dieser Wille ist im Wortlaut von § 811c Abs. 2 ZPO a. F. bzw. § 811 Abs. 3 ZPO aber nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen. Eine Lösung kann dadurch gefunden werden, dass bei hohem Wert und fehlender emotionaler Beziehung zwischen dem Schuldner und dem Tier eine Härte für den Gläubiger angenommen wird (§ 811c Abs. 2 ZPO a. F. bzw. jetzt § 811 Abs. 3 ZPO). Dieser ist nämlich in dieser Situation damit konfrontiert, dass ihm ein Tier von hohem Wert vorenthalten wird, obwohl der Schuldner keine emotionale Beziehung dazu hat. Stuft man dies als besondere Härte für ihn ein, trägt man der gesetzgeberischen Zielsetzung Rechnung, dass eigentlich Fälle ausgeklammert sein sollten, in denen „keine emotionalen Beziehungen“ zu dem für die Pfändung in Aussicht genommenen Tier bestehen. Methodisch betrachtet ist die auf „Härte“ bezogene Generalklausel hier das Einfallstor für die Berücksichtigung der schützenswerten Grundrechte des Gläubigers. Da also eine Wertgrenze nicht die primäre Motivation des Gesetzgebers war, sollte eine solche de lege ferenda nicht mehr vorgesehen werden. Insbesondere empfiehlt es sich nicht, die Pfändung grundsätzlich zu verbieten und in Ausnahmefällen eine Austauschpfändung nach § 811a ZPO für zulässig zu erklären. Besteht nämlich eine emotionale Beziehung zwischen dem Schuldner und dem Tier ist der Gedanke der Stellung eines „Ersatztiers“ mit dem Telos der Norm 747
748
715.
BR-Drs. 62/21, S. 5. BT-Drs. 11/5463, S. 7. Kritisch zu dieser Überlegung Meller-Hannich, MDR 2019, 713,
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(Schutz der emotionalen Beziehung) nicht verträglich. Wenn aber keine emotio nale Beziehung zwischen dem Schuldner und dem Tier besteht, ist kein Grund dafür ersichtlich, dem Schuldner ein „Ersatztier“ zur Verfügung zu stellen. De lege ferenda sollte deswegen schon auf Tatbestandsebene explizit die gefühlsmäßige Bindung zwischen Schuldner und Tier als hinreichende Bedingung für den Pfändungsschutz genannt werden. Eine Ausnahmevorschrift wie derzeit § 811 Abs. 3 ZPO ist dann nicht mehr vertretbar. In die gefühlsmäßige Bindung zwischen Mensch und Tier darf unter keinen Umständen eingegriffen werden.
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Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung beweglicher körperlicher Sachen (§ 847 ZPO) Nach § 847 ZPO kann wegen einer Geldforderung in Ansprüche auf Heraus gabe oder Leistung beweglicher körperlicher Sachen vollstreckt werden. Dieser Ausgangspunkt erzwingt die Entscheidung, inwiefern hier Pfändungsschutz zu gewähren ist. Demzufolge ist der Blick auf die Situation des Vollstreckungsschuldners und des Drittschuldners zu richten.
§ 1: Vollstreckungsschutz für den Vollstreckungsschuldner Was den Schutz des Vollstreckungsschuldners angeht, wird vertreten, dass Ansprüche, deren Gegenstand eine nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbare Sache ist, unpfändbar seien.1 Es wird aber – wenn auch selten – gesagt, dass § 811 ZPO auf die Pfändung eines Herausgabeanspruchs nicht anwendbar sei.2 Die Gesamtbetrachtung der denkbaren Auslegungsergebnisse lässt die Waagschale in die Richtung sinken, dass Pfändungsschutz zu gewähren ist.
A. Systematik In systematischer Hinsicht werden § 847 Abs. 2 ZPO und § 851 Abs. 2 ZPO ins Feld geführt. Außerdem wird eine vergleichende Betrachtung zur Herausgabevollstreckung nach §§ 883 ff. ZPO angestellt. 1 OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.11.1940, 5 U 2/40, DR 1941, 639, 640; OLG Celle, Beschl. v. 28.02.1935, 5 W 71/35, JW 1935, 1718; KG, Beschl. v. 26.04.1918, OLGZ 37 (1918), 202; AG Flensburg, Beschl. v. 16.09.1952, 5 M 1652/52, DGVZ 1953, 124; Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 847 ZPO Rn. 3; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 847 ZPO Rn. 1; Hein, Handbuch der Zwangsvollstreckung, 21914, S. 318; Zöller/Herget, § 847 ZPO Rn. 1; Hintzen, in: Hintzen/Wolf (Hrsg.), Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 2006, Rn. 6.272; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 847 ZPO Rn. 4; Pohle, ZZP 68 (1955), 260, 269; BeckOK-ZPO/Riedel, § 847 ZPO Rn. 2; MüKo-ZPO/Smid, § 847 ZPO Rn. 2; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 847 ZPO Rn. 2. So auch zu § 865 ZPO: KG, Beschl. v. 26.04.1918, OLGZ 37 (1918), 202. 2 LG Lübeck, Beschl. v. 16.07.1969, 7 T 148/69, SchlHA 1970, 116; Saenger/Kemper, § 811 ZPO Rn. 6; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 811 ZPO Rn. 10.
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Kapitel 5: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen (§ 8 47 ZPO)
I. § 847 Abs. 2 ZPO Dass die Pfändung eines Herausgabeanspruchs nur in Betracht kommen soll, wenn sich der Herausgabeanspruch auf eine Sache bezieht, die beim Schuldner selbst pfändbar wäre, wird § 847 Abs. 2 ZPO entnommen. Wenn auf die Verwertung der Sache die Vorschriften über die Verwertung gepfändeter Sachen anzuwenden seien, müsse dies bereits bei der Pfändung und Überweisung des Herausgabeanspruchs berücksichtigt werden, weil damit die Vollstreckung in die Sache selbst vorbereitet wird.3 Es wäre zu spät, den Schuldnerschutz erst eingreifen zu lassen, wenn der Drittschuldner den Gegenstand schon an den Gerichtsvollzieher herausgegeben hat.4 II. Umkehrschluss zu § 851 Abs. 2 ZPO Außerdem wird mit einem Umkehrschluss zu § 851 Abs. 2 ZPO argumentiert.5 Nach § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung grundsätzlich nur insoweit pfändbar, als sie übertragbar ist. In § 851 Abs. 2 ZPO hat der Gesetzgeber geregelt, dass eine nach § 399 BGB nicht übertragbare Forderung insoweit gepfändet und zur Einziehung überwiesen werden kann, als der geschuldete Gegenstand der Pfändung unterworfen ist. Nach § 399 BGB ist die Abtretung bei sich dadurch ergebender Inhaltsänderung oder bei einem Ausschluss durch Vereinbarung mit dem Schuldner nicht möglich. Der Wortlaut von § 851 Abs. 2 ZPO ist in seiner Bezugnahme auf § 399 BGB aber zu weit geraten. Er kann sich nur auf § 399 Var. 2 BGB beziehen, wonach die Parteien die Abtretbarkeit einer Forderung durch Vereinbarung ausschließen können.6 Hinter § 851 Abs. 2 ZPO steht der Gedanke, dass der Schuldner vermögenswerte Ansprüche nicht durch eine Vereinbarung mit einem Drittschuldner der Zwangsvollstreckung entziehen darf.7 Wenn also z. B. ein Schuldner mit seinem Arbeitgeber vereinbart, dass der Anspruch auf das Arbeitsentgelt nicht übertragbar sein solle, kann der Gläubiger trotzdem den Anspruch des Schuldners pfänden. Er muss lediglich die Pfändungsfreigrenzen beachten.8 Denn Geld als geschuldeter Gegenstand unterliegt der Pfändung.9 3 AG Flensburg, Beschl. v. 16.09.1952, 5 M 1652/52, DGVZ 1953, 124; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 847 ZPO Rn. 1; Würdinger, in: Stein/ Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 847 ZPO Rn. 2. 4 Küls, Die Zwangsvollstreckung nach §§ 846, 847 ZPO in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung einer beweglichen Sache, 1996, S. 43. So aber LG Lübeck, Beschl. v. 16.07.1969, 7 T 148/69, SchlHA 1970, 116. 5 Dies., Die Zwangsvollstreckung nach §§ 846, 847 ZPO in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung einer beweglichen Sache, 1996, S. 43. 6 BGH, Urt. v. 17.03.2016, IX ZR 303/14, NJW 2016, 1451, 1453. 7 BGH, Urt. v. 01.12.2011, IX ZR 79/11, NJW 2012, 678, 681; BGH, Urt. v. 21.06.1985, V ZR 37/84, NJW 1985, 2827, 2827 f. 8 BeckOK-ZPO/Riedel, § 851 ZPO Rn. 21. 9 BGH, Urt. v. 15.05.1985, IV b ZR 33/84, NJW 1985, 2263, 2264.
§ 1: Vollstreckungsschutz für den Vollstreckungsschuldner
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Mit § 851 Abs. 2 ZPO bringt der Gesetzgeber also zum Ausdruck, dass maßgeblich ist, ob der geschuldete Gegenstand der Pfändung unterworfen ist. Dieser Gedanke lässt sich auf die Vollstreckung nach § 847 ZPO übertragen. Die Vollstreckung soll nur dann möglich sein, wenn der geschuldete Gegenstand überhaupt der Pfändung unterworfen ist. Demnach sind Ansprüche unpfändbar, die sich auf eine beim Vollstreckungsschuldner nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbare Sache beziehen. III. Herausgabevollstreckung (§§ 883 ff. ZPO) Um zu begründen, dass dem Vollstreckungsschuldner bei einer Vollstreckung nach § 847 ZPO kein Vollstreckungsschutz nach § 811 Abs. 1 ZPO zugutekommen kann, wird ein vergleichender Blick auf die Herausgabevollstreckung nach §§ 883 ff. ZPO geworfen. Einem Schuldner sei es möglich, eine nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbare Sache sicherungshalber zu übereignen. In dieser Konstella tion sei es dem Sicherungsnehmer nicht nach § 811 Abs. 1 ZPO verwehrt aufgrund eines vollstreckbaren Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB bei dem Schuldner in diese Sache zum Zwecke der Wegnahme zu vollstrecken. Dann bestünde aber auch kein Grund, einem Geldschuldgläubiger des Schuldners die Pfändung eines Anspruchs auf Rückübereignung einer sicherungsübereigneten Sache zu verwehren.10 Gegen diese Sichtweise ist indes einzuwenden, dass bei richtigem Verständnis der Vollstreckungsschutz nach § 811 Abs. 1 ZPO auch im Kontext der Herausgabevollstreckung anzuwenden ist.11 Damit entfällt die entscheidende Prämisse für die vergleichende Betrachtung.
B. Teleologie Unter teleologischen Gesichtspunkten wird zum einen die ratio legis von § 811 Abs. 1 ZPO herangezogen. Zusätzlich wird eine Folgenbetrachtung angestellt. I. Ratio legis Unter dem Zweckgesichtspunkt wird argumentiert: Die im Schutz des menschenwürdigen Daseins liegende Zielrichtung von § 811 Abs. 1 ZPO würde konterkariert, wenn man im Rahmen der Pfändung eines Herausgabeanspruchs nach § 847 ZPO diese Vorschrift nicht anwenden würde.12 Wegen der verfas-
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LG Lübeck, Beschl. v. 16.07.1969, 7 T 148/69, SchlHA 1970, 116 f. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 8. 12 Küls, Die Zwangsvollstreckung nach §§ 846, 847 ZPO in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung einer beweglichen Sache, 1996, S. 43. 11
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Kapitel 5: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen (§ 8 47 ZPO)
sungsrechtlichen Bezüge dieser Argumentation wird auf das Telos bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung zurückzukommen sein.13 II. Folgenbetrachtung Dass auch bei der Pfändung eines Herausgabeanspruchs nach § 847 ZPO der Vollstreckungsschutz des § 811 Abs. 1 ZPO einbezogen werden müsse, wird weiter damit begründet, dass ansonsten widersinnige Ergebnisse eintreten würden.14 Wenn die Milchkuh beim Schuldner unpfändbar sei, diese aber vorübergehend im Stall des Nachbarn eingestellt sei, dürfe der Herausgabeanspruch nicht pfändbar sein.15 Oder mit einem anderen Beispiel: Wenn ein Fernseher beim Schuldner unpfändbar sei, dieser sich aber vorübergehend in Reparatur befinde, dürfe der Herausgabeanspruch nicht pfändbar sein.16 Diese Folgen betrachtung stützt sich letztlich auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für den Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 ZPO.
C. Verfassungsrechtliche Beurteilung Bei der Pfändung eines Herausgabeanspruchs nach § 847 ZPO muss das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners geschützt werden. Fest steht, dass bei einer Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen nicht in unpfändbare Sachen i. S. v. § 811 Abs. 1 ZPO vollstreckt werden darf. Es fragt sich, wie es sich auswirkt, wenn sich der an sich unpfändbare Gegenstand im Moment der Zwangsvollstreckung nicht beim Schuldner, sondern bei einem Dritten befindet, weswegen der Herausgabeanspruch gegen diesen gepfändet werden soll. Es sind verschiedene Gründe denkbar, die dazu führen können, dass sich der Gegenstand nicht beim Schuldner befindet. Möglicherweise muss die Sache repariert werden. Vorstellbar ist auch, dass der Schuldner den Gegenstand einem Dritten vermietet oder verliehen hat. In allen diesen Konstellationen muss ausschlaggebend sein, dass der Gläubiger auf diese Gegenstände nicht zugreifen könnte, wenn sie sich beim Schuldner selbst befinden würden. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein muss es dem Schuldner aber auch ermög lichen, mit diesen Gegenständen im eigenen Interesse zu verfahren. Durch die Pfändung des Herausgabeanspruchs wird dem Drittschuldner verboten, den Gegenstand an den Schuldner herauszugeben (§ 846 ZPO i. V. m. § 829 Abs. 1 13
Vgl. dazu sogleich Kapitel 5:§1:C. OLG Celle, Beschl. v. 28.02.1935, 5 W 71/35, JW 1935, 1718; Küls, Die Zwangsvollstreckung nach §§ 846, 847 ZPO in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung einer beweglichen Sache, 1996, S. 43. 15 OLG Celle, Beschl. v. 28.02.1935, 5 W 71/35, JW 1935, 1718. 16 Küls, Die Zwangsvollstreckung nach §§ 846, 847 ZPO in Ansprüche auf Herausgabe oder Leistung einer beweglichen Sache, 1996, S. 43. 14
§ 2: Vollstreckungsschutz für den Drittschuldner
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S. 1 ZPO). Würde man eine derartige Pfändung ermöglichen, könnte der Schuldner nicht mehr auf die Sachen zugreifen, die er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt. Unerheblich ist, dass sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Pfändung nicht im Gewahrsam des Schuldners befinden. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass durch die Vollstreckungsmaßnahme kein Eingriff mehr in das dem Schuldner zur Seite stehende Grundrecht erfolgen würde. Vielmehr ist es Ausprägung des Grundrechts selbst darüber befinden zu können, wie mit pfändungsgeschützten Gegenständen zu verfahren ist.
D. Resümee Ansprüche, deren Gegenstand eine in der Person des Schuldners nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbare Sache bildet, sind auch im Rahmen von § 847 ZPO unpfändbar. Würde man nämlich eine Vollstreckungsmaßnahme zulassen, würde dem Schuldner ein Gegenstand entzogen, den er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt.
§ 2: Vollstreckungsschutz für den Drittschuldner Die Frage, ob sich der Drittschuldner im Rahmen der Vollstreckung nach § 847 ZPO auf Pfändungsschutz berufen kann, wird kaum erörtert. Wenn die Problematik angesprochen wird, ist das Ergebnis eine Ablehnung des Pfändungsschutzes.17 Dieser Sichtweise ist im Ergebnis zuzustimmen, wenn auch mit einer anderen Begründung.
A. Vergleich mit der Anfechtungssituation Die ablehnende Haltung gegenüber Pfändungsschutz für den Drittschuldner bei § 847 ZPO steht im Einklang mit der herrschenden Auffassung, die dem Anfechtungsgegner im Kontext des Anfechtungsgesetzes eine Berufung auf § 811 Abs. 1 ZPO verwehrt.18 Allerdings wurde schon dort dargelegt, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein auch in dieser Konstellation Schutz erfahren muss. Gleiches muss im Ergebnis hier gelten: Die unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Vollstreckungsorgane haben die Grundrechte zu respektieren. Eine Vollstreckungsmaßnahme darf nicht dazu führen, dass eine an der Vollstreckung beteiligte Person nicht mehr menschenwürdig leben kann. Allerdings zeigt die konkrete Ausgestaltung der Vollstreckung nach § 847 ZPO, dass in das 17 18
Pardey, DGVZ 1987, 180, 183. Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:C.IV.
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Kapitel 5: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen (§ 8 47 ZPO)
Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein im Rahmen der Pfändung des Herausgabeanspruchs nicht eingegriffen wird. Vielmehr droht ein Eingriff in dieses Grundrecht erst bei der Vollstreckung der Herausgabeverpflichtung.
B. Verfahren der Vollstreckung nach § 847 ZPO Der Pfändungsbeschluss ordnet im Falle von § 847 Abs. 1 ZPO an, dass die Sache an einen vom Gläubiger zu beauftragenden Gerichtsvollzieher herauszu geben ist. Das führt indes nicht dazu, dass der Gerichtsvollzieher dem Drittschuldner den schützenswerten Gegenstand wegnehmen darf.19 Die Heraus gabeanordnung ist kein Vollstreckungstitel, weil lediglich die angebliche Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner gepfändet wird.20 Der Drittschuldner darf den Gegenstand weiter nutzen.21 Die Pfändung des Anspruchs auf Herausgabe einer Sache bewirkt noch nicht einmal die Pfändung der Sache selbst.22 Wenn der Drittschuldner der Verpflichtung zur Herausgabe nicht nachkommt, muss der Gläubiger den Anspruch klageweise geltend machen. Die Vollstreckung richtet sich dann nach § 883 ZPO.23 Im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach § 883 ZPO muss nach richtiger Auffassung Vollstreckungsschutz gewährt werden.24
C. Resümee Der Drittschuldner kann sich bei der Pfändung eines Herausgabeanspruchs auf eine bewegliche körperliche Sache (§ 847 ZPO) nicht auf Pfändungsschutz in seiner Person berufen. Mit einer solchen Pfändung ist noch kein Eingriff in sein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein verbunden. Erst im Rahmen der gegen ihn gerichteten Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO besteht die Gefahr eines Grundrechtseingriffs. Deshalb muss dort der Grundrechtsschutz einsetzen. Es ist dann bei der Vollstreckung nach § 883 ZPO gegebenenfalls Vollstreckungsschutz zu gewähren.25 19 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 847 ZPO Rn. 10; Zöller/Herget, § 847 ZPO Rn. 4; Würdin ger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 847 ZPO Rn. 11. 20 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 847 ZPO Rn. 4. 21 Seip, DGVZ 1975, 113, 115. 22 BGH, Urt. v. 20.11.1978, VIII ZR 201/77, NJW 1979, 373; BGH, Urt. v. 08.12.1976, VIII ZR 108/75, NJW 1977, 384, 385; RG, Urt. v. 30.10.1884, II 237/84, RGZ 13, 343, 344; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 847 ZPO Rn. 11; BeckOK-ZPO/Riedel, § 847 ZPO Rn. 15; MüKo-ZPO/ Smid, § 847 ZPO Rn. 8. 23 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 847 ZPO Rn. 4; Zöller/Herget, § 847 ZPO Rn. 4; Saenger/Kemper, § 847 ZPO Rn. 7; Würdinger, in: Stein/ Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 847 ZPO Rn. 11. 24 Vgl. dazu Kapitel 8 . 25 Vgl. dazu Kapitel 8 .
Kapitel 6
Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen (§§ 828 ff. ZPO) Für die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen finden sich Pfändungsverbote in §§ 850 ff. ZPO.
§ 1: Dogmatische Grundlagen Bei der Einzelanalyse der Pfändungsverbote in der Forderungsvollstreckung werden immer wieder zwei Grundfragen entscheidungsrelevant, nämlich die Möglichkeit des Verzichts auf Pfändungsschutz und die Bedeutung der Herkunft des Einkommens.
A. Verzicht auf Pfändungsschutz Anders als beim Verzicht auf Pfändungsschutz im Rahmen der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen wird ein solcher Verzicht auf den Pfändungsschutz nach §§ 850 ff. ZPO bei der Zwangsvollstreckung in Forderungen einhellig, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung, als unzulässig angesehen.1 I. Öffentliche Interessen Gegen eine Verzichtsmöglichkeit auf den Pfändungsschutz aus §§ 850 ff. ZPO wird vorgebracht, dass die Beschränkungen auch im öffentlichen Interesse aufgestellt seien.2 Die Anerkennung einer Verzichtsmöglichkeit für den Schuldner 1 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850 ZPO Rn. 2 ; Saenger/Kemper, § 850 ZPO Rn. 3; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 155; Gottwald/Mock/Mock, § 850 ZPO Rn. 3; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein, § 850 ZPO Rn. 6; MüKo-ZPO/Smid, § 850 ZPO Rn. 3; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 48. So auch Bartels, Rpfleger 2008, 397, 403, der allerdings unter Bezugnahme auf den BGH (Urt. v. 10.02.1994, IX ZR 55/93, NJW 1994, 1057, 1059) feststellt, dass nicht generell jede unpfändbare Forderung dem Abtretungsverbot unterliege, sondern nur solche, deren Unpfändbarkeit auf ähnlichen Erwägungen wie §§ 850 ff. ZPO beruhe. Vgl. auch die folgenden Fußnoten. 2 HK-ZV/Meller-Hannich, § 850 ZPO Rn. 30; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850 ZPO Rn. 17.
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Kapitel 6: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen
würde bedeuten, dass private Gläubigerrechte zulasten der öffentlichen Hand verwirklicht würden.3 Deshalb komme ein Verzicht seitens des Schuldners nicht in Betracht.4 Dieser Ansatz kann – genauso wie im Kontext des Verzichts auf den Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO – unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht überzeugen.5 Der in einem Ausschluss der Verzichtsmöglichkeit liegende Eingriff in das Eigentumsrecht des Gläubigers aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG lässt sich nämlich nicht mit fiskalischen Interessen rechtfertigen. 6 II. Fehlende Verfügungsbefugnis Zur Begründung wird weiter vorgetragen, dass der Schuldner schon deshalb nicht auf den Pfändungsschutz verzichten könne, weil unpfändbare Forderungen weder aufrechenbar (§ 394 S. 1 BGB), abtretbar (§ 400 BGB) noch verpfändbar (§ 1274 Abs. 2 BGB) seien.7 Es fehle dem Schuldner also bereits materiell- rechtlich an der Verfügungsbefugnis.8 Wenn schon der Schuldner selbst solche Forderungen nicht freiwillig rechtsgeschäftlich auf seine Gläubiger übertragen könne, dann könne er diese auch nicht zur Haftungsgrundlage innerhalb der Zwangsvollstreckung machen.9 III. Verfassungsrechtliche Beurteilung Dass der Gesetzgeber die Verfügungsbefugnis des Schuldners hinsichtlich unpfändbarer Forderungen einschränkt, beruht auf verfassungsrechtlichen Überlegungen. Insofern kommt der Gesetzgeber seiner Schutzpflicht nach. Es schützt gewissermaßen den Schuldner vor sich selbst. Dieser Gesichtspunkt ist in der Zwangsvollstreckung noch stärker ausgeprägt. Denn in der Zwangsvollstreckung werden nicht nur die Rahmenbedingungen für den Rechtsverkehr 3
Ahrens, NJW-Spezial 2017, 725. § 850 ZPO Rn. 30; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850 ZPO Rn. 17. 5 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:G. 6 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B. 7 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 10.4; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 142; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 283; Philipp, Rpfleger 2010, 456, 462; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 56 Rn. 69; Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 756; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 48. 8 HK-ZV/Meller-Hannich, § 850 ZPO Rn. 30; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 125 f. 9 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850 ZPO Rn. 1; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850 ZPO Rn. 5. 4 HK-ZV/Meller-Hannich,
§ 1: Dogmatische Grundlagen
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unter Privaten gesetzt. Vielmehr findet ein staatlicher Zwangseingriff statt. Deswegen ist die für §§ 394 S. 1, 400, 1274 Abs. 2 BGB vorgetragene Argumentation erst recht einschlägig und führt zu dem Ergebnis, dass in der Zwangsvollstreckung ein Verzicht auf den Pfändungsschutz aus §§ 850 ff. ZPO ausgeschlossen sein muss. Die verfassungsrechtliche Dimension führt noch zu einer vertieften Begründung für dieses Ergebnis. Es wird argumentiert, dass der Zweck des Pfändungsschutzes im Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Schuldners zu sehen sei. Dieses könnte für den Schuldner nicht disponibel sein.10 Insofern muss – entsprechend zur parallelen Fragestellung beim Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 ZPO – gelten: Da ein Verzicht auf die Menschenwürde ihrem abwehrrechtlichen Gehalt nach nicht in Betracht kommt,11 ist ein Verzicht auf den darauf beruhenden Pfändungsschutz aus §§ 850 ff. ZPO generell ausgeschlossen. IV. Resümee Der einhelligen Meinung, dass auf den Pfändungsschutz aus §§ 850 ff. ZPO generell – also unabhängig vom Zeitpunkt einer Verzichtserklärung – nicht verzichtet werden kann, ist zuzustimmen. Allerdings erscheinen die insofern vertretenen Begründungsansätze nicht durchgehend überzeugend. Entscheidend fällt ins Gewicht, dass ein Verzicht auf den Pfändungsschutz der §§ 850 ff. ZPO zu einer Verletzung des Grundrechts des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein führen würde, welches in seiner abwehrrechtlichen Dimension nicht disponibel ist.
B. Herkunft des Einkommens Der Schutz des menschenwürdigen Daseins kann nicht davon abhängen, aus welcher Quelle das dafür benötigte Einkommen herrührt.12 Deshalb wurde mit dem Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 07.07.2009 der Pfändungsschutz unter diesem Gesichtspunkt erweitert.13 Neben dem Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO) ist ein erweiterter Pfändungsschutz für Selbständige getreten (§ 850i ZPO). Auf diese Weise wurde das Schutzniveau für Selbständige in vollem Umfang demjenigen abhängig Beschäftigter angeglichen.14 10 Smid, NJW 1992, 1935, der den Schutz eines menschenwürdigen Lebens im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankert sehen will. 11 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:G.I.4. 12 BT-Drs. 16/7615, S. 12. 13 BGBl. I 2009, S. 1707, 1708. 14 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, NJW-RR 2014, 1198, 1199 f.; Flockenhaus, in:
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Kapitel 6: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen A. Methodische Parameter So wie die Pfändungsverbote aus § 811 Abs. 1 ZPO sind auch die aus §§ 850 ff. ZPO Ausnahmen von dem Grundsatz des unbeschränkten Vollstreckungszugriffs. Trotzdem wird immer wieder betont, dass der Terminus des Arbeitseinkommens i. S. v. § 850 ZPO weit auszulegen sei.15 Gleiches gilt für den Anwendungsbereich des § 850i ZPO.16 Damit wird die Formel „Ausnahmen sind eng auszulegen“ gerade nicht praktiziert. Dieser Widerspruch belegt, dass in der Logik dieser Argumentation mit Blick auf die Notwendigkeit in der Realität die Ausgangsprämisse nicht durchgehalten werden kann. Aus der Prämisse, dass Ausnahmen eng auszulegen seien, wird methodisch geschlossen, dass § 850a ZPO nicht ausdehnend ausgelegt werden dürfe.17 Dies kontrastiert mit der Rechtsprechungstendenz, § 850a ZPO im Wege einer entsprechenden Anwendung auch auf nicht ausdrücklich erfasste Konstellationen zu erstrecken.18 Dahinter steht die aus der Praxis erwachsende Erkenntnis, dass ohne analoge Erweiterungen eine zeitgemäße Handhabung von § 850a ZPO nicht möglich ist. Entscheidend ist aber der Umstand, dass die These, Ausnahmevorschriften dürften nicht ausdehnend ausgelegt werden, methodisch nicht haltbar ist.19
B. Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen (§ 850 ZPO) Was unter Arbeitseinkommen zu verstehen ist, legt § 850 Abs. 2, Abs. 3 ZPO fest. Der Anwendungsbereich ist weit zu verstehen.20 Vor dem grundrechtlichen Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850i ZPO Rn. 1; HK-ZV/Meller-Han nich, § 850i ZPO Rn. 3; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850i ZPO Rn. 6. 15 Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1975, S. 246; Deppe, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 850 ZPO Rn. 2; Goldbach, KKZ 2015, 126; Hexel, in: Moll (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 52021, § 22: Abwicklung und Durchsetzung der Entgeltzahlung Rn. 59; Koch, in: Schaub (Hrsg.), Arbeitsrechts-Handbuch, 182019, § 89. Der Pfändungsschutz des Arbeitnehmers Rn. 14; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850 ZPO Rn. 3; Walker, JZ 1994, 990, 994; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850 ZPO Rn. 19. 16 LG Gera, Beschl. v. 12.11.2013, 5 T 248/13, juris, Rn. 12; LG Bonn, Beschl. v. 30.08.2012, 6 T 140/12, juris, Rn. 4; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850i ZPO Rn. 1 ff. 17 VG Wiesbaden, Urt. v. 09.12.2013, 3 K 503/13.WI, juris, Rn. 30; ArbG Dortmund, Urt. v. 24.04.2013, 8 Ca 228/13, VuR 2014, 474, 475; Zöller/Herget, § 850a ZPO Rn. 1; Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 850a ZPO Rn. 1; Sibben, DGVZ 1988, 4, 8; MüKo-ZPO/Smid, § 850a ZPO Rn. 2. 18 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, MDR 2014, 1111; LG Münster, Beschl. v. 21.02.1994, 5 T 930/93, Rpfleger 1994, 473. 19 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:A.I.1. 20 Vgl. Kapitel 6 Fn. 15.
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Hintergrund muss es dem Vollstreckungsschuldner freigestellt sein, selbst zu entscheiden, wie er seinen Lebensunterhalt sichert. Damit steht die Existenz sicherung des Schuldners im Vordergrund.21 Es überrascht, dass die Behandlung von Nebeneinkommen uneinheitlich beurteilt wird. Unbestritten ist, dass ein Vollstreckungsschuldner, der nur über eine Einnahmequelle verfügt, Vollstreckungsschutz genießt.22 Nebeneinkünfte aus vereinzelter, unregelmäßiger Arbeitsverrichtung sollen hingegen unbeschränkt pfändbar sein.23 In der Tat werden sonstige Vergütungen für Dienstleistungen von § 850 Abs. 2 ZPO nur erfasst, wenn sie die Erwerbstätigkeit des Schuldners zumindest zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen. Allerdings ist es nicht richtig, die Nebentätigkeit bloß quantitativ zu beurteilen. Eine solche Betrachtung würde nicht nur zufällige Ergebnisse produzieren, sondern insbesondere auch den jenigen benachteiligen, der seine Arbeitskraft diversifiziert in vielen gering honorierten Tätigkeiten einsetzt.24 Ausschlaggebend muss sein, ob der Schuldner durch die Tätigkeit Einnahmen erzielt, die zur Sicherung seines menschenwürdigen Daseins notwendig sind.25 Deshalb genießen auch Nebeneinkünfte in diesem Umfang Pfändungsschutz, es sei denn, der Hobby-Charakter26 der Tätigkeit steht im Vordergrund. Das Schutzkonzept von § 850 ZPO basiert auf dem Begriff des Arbeitseinkommens. Daneben existiert Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte in § 850i ZPO. Es wird sich im Kontext der Erörterung dieser Schutzdimension zeigen, dass keine überzeugenden Gründe mehr für eine Sonderbehandlung von Arbeitseinkommen existieren, wie sie § 850 ZPO vornimmt.27
C. Unpfändbare Bezüge (§ 850a ZPO) Die in § 850a ZPO genannten Bezüge sind absolut unpfändbar. Das bedeutet, dass diese nicht als selbständige Lohnbestandteile gepfändet werden können. Außerdem dürfen sie bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens keine Berücksichtigung finden (§ 850e Nr. 1 S. 1 ZPO). Innerhalb von § 850a 21
BGH, Urt. v. 08.12.1977, II ZR 219/75, NJW 1978, 756. § 850 ZPO Rn. 55; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17 2020, Rn. C .19; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 850 ZPO Rn. 42. 23 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850 ZPO Rn. 11; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 172020, Rn. C .19; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850 ZPO Rn. 41. 24 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850 ZPO Rn. 14. 25 So mit dem Terminus „Existenzgrundlage“: BGH, Beschl. v. 12.12.2003, IXa ZB 165/03, NJW-RR 2004, 644; Prütting/Gehrlein/ders., § 850 ZPO Rn. 14. 26 Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850 ZPO Rn. 14. 27 Vgl. Kapitel 6:§2:I.V. 22 HK-ZV/Meller-Hannich,
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ZPO ist nicht einheitlich geregelt, in welcher Höhe und unter welchen Voraussetzungen die dort genannten Bezüge unpfändbar sind. Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern die von § 850a ZPO geschützten Einkommen für das menschenwürdige Dasein des Schuldners benötigt werden. Dabei können gesetzgeberische Wertentscheidungen aus dem Arbeits-, Steuer- und Sozialrecht helfen, eine kohärente Lösung zu finden. I. § 850a Nr. 1 ZPO Durch § 850a Nr. 1 ZPO wird die Hälfte des für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teils des Arbeitseinkommens für unpfändbar erklärt. Diese Vorschrift entspricht inhaltlich immer noch wörtlich § 3 Nr. 1 der Lohnpfändungsverordnung von 1940.28 1. Normzweck Die in § 850a Nr. 1 ZPO vorgesehene Einschränkung der Pfändungsmöglichkeit soll Schuldner im eigenen und im Gläubigerinteresse zu überobligationsmäßigen Leistungen anregen.29 Ein Schuldner, der die Vergütung für von ihm erbrachte Mehrarbeit vollständig an seine Gläubiger weiterreichen müsste, hätte keinen Anreiz mehr, solche Leistungen zu erbringen. Bei einer hälftigen Aufteilung dieser schuldnerischen Einnahmen profitieren beide Seiten von der Mehrarbeit des Schuldners.30 Diese auf Motivation abzielende Zweckzuschreibung lässt sich vom Gedanken der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins her plausibel erklären. Dieses Grundrecht verbietet es, dem Schuldner jegliche Selbstentfaltungsmöglichkeit zu nehmen. Dies wäre dann der Fall, wenn man ihm alle Einkünfte aus Mehrarbeit entziehen würde. Insofern treffen die Hinweise auf die Aufrechterhaltung der Motivation und die Schaffung von Anreizen genau den grundrechtlich relevanten Punkt. 2. Anwendungsbereich Unter Mehrarbeitsstunden ist im vollstreckungsrechtlichen Sinne die Arbeit zu verstehen, die über den üblichen Umfang hinaus geleistet wird.31 Unerheblich 28
RGBl. I 1940, S. 1451. Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, MDR 2014, 1111, 1112; Prütting/Gehrlein/ Ahrens, § 850a ZPO Rn. 3; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 18 2021, § 850a ZPO Rn. 1; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850a ZPO Rn. 2. 30 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, MDR 2014, 1111, 1112. 31 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, NJW-RR 2014, 1198, 1199; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 13.12.2018, 3 f IK 378/18 LU, juris, Rn. 10; Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850a ZPO Rn. 2; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850a ZPO Rn. 2; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850a ZPO Rn. 4. 29 BGH,
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ist, ob die Mehrarbeit bei demselben oder bei einem anderen Arbeitgeber in Form einer Nebentätigkeit außerhalb der üblichen Arbeitszeit erbracht wird.32 Bei Selbständigen, auf die § 850a ZPO über § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO anwendbar ist, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 850a Nr. 1 ZPO regelmäßig nicht vor, weil deren Arbeitszeit weder durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag, Dienstordnung oder auf sonstige Weise geregelt ist, sodass sich ein üblicher Arbeitsumfang nicht bestimmen lässt.33 Wenn allerdings ein Schuldner auf Grund seines Alters nicht mehr erwerbspflichtig ist und trotzdem einer Erwerbstätigkeit nachgeht, ist der Rechtsgedanke des § 850a Nr. 1 ZPO einschlägig. Der Schuldner wird dann motiviert, zusätzlich zu seiner Rente eigene Einnahmen zu generieren. Der BGH hat dies für schutzwürdig angesehen und eine „entsprechende Anwendung“ von § 850a Nr. 1 ZPO auf diesen Sachverhalt vorgenommen. Dabei stellt der BGH primär auf den Gesichtspunkt ab, dass die Motivation zu fördern sei.34 Führt man diesen Gedanken methodisch weiter, lässt sich sagen, dass ein Außerachtlassen dieses Motivationsaspektes der ver fassungsrechtlichen Vorgabe, die Entfaltungsmöglichkeiten des Schuldners am Leben zu erhalten, nicht entsprechen würde. Darin ist dann eine planwidrige Regelungslücke zu sehen, weil der Gesetzgeber einen verfassungsrechtlich gebotenen Schutz nicht vorgesehen hat. Die Interessenlage zwischen abhängig Beschäftigten und Selbständigen im Rentenalter ist – was den Aspekt der Motivation zu überobligatorischen Leistungen angeht – hinreichend vergleichbar, was einen Analogieschluss erlaubt. 3. Reformbestrebungen Das GNeuMoP wollte Mehrarbeitsstunden weiterhin privilegieren. Allerdings sollte der Pfändungsschutz systematisch nicht mehr in § 850a ZPO verortet werden. Vielmehr wollte dieser Vorschlag Mehreinkommen in § 850c Abs. 4 ZPO i. d. F. durch das GNeuMoP generell bevorzugen, sodass dann eine eigenständige Regelung für Bezüge aus Mehrarbeitsstunden entbehrlich wäre.35 Während die für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teile des Arbeitseinkommens bisher zur Hälfte unpfändbar sind (§ 850a Nr. 1 ZPO), sah das GNeuMoP für die ersten 400 Euro, welche die Pfändungsfreigrenze des § 850c Abs. 1 ZPO übersteigen, einen hälftigen Pfändungsschutz (§ 850c Abs. 4 Nr. 1 ZPO) und für weitere 1.600 Euro Pfändungsschutz für ein Viertel des 32 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, NJW-RR 2014, 1198, 1199; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 13.12.2018, 3 f IK 378/18 LU, juris, Rn. 10; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850a ZPO Rn. 5; Kohte, VuR 2020, 354, 355; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850a ZPO Rn. 4. A. A. Bischoff/Roch litz/Walter/Wittmann, in: Die Lohnpfändung, 31965, S. 138. 33 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, NJW-RR 2014, 1198, 1199. 34 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, NJW-RR 2014, 1198, 1199 („entsprechende Anwendung“). 35 BR-Drs. 139/10, S. 33.
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überschießenden Betrages vor (§ 850c Abs. 4 Nr. 2 ZPO).36 Momentan bleiben einem Schuldner in § 850c Abs. 3 Satz 1 ZPO (vorbehaltlich § 850 Abs. 3 Satz 2 ZPO) vom Überschuss des Arbeitseinkommens über den unpfändbaren Betrag nach § 850c Abs. 1 ZPO hinaus drei Zehntel, wenn der Schuldner keiner der in § 850c Abs. 2 ZPO genannten Personen Unterhalt gewährt. Aus Sicht des GNeuMoP ist ein Grund für eine differenzierende Behandlung zwischen Pfändungsschutz für Einkommen aus Mehrarbeitsstunden und Pfändungsschutz für Mehreinkommen nicht ersichtlich. Insbesondere sei es nicht gerechtfertigt, ein zusätzliches Einkommen aus – arbeitsmarktpolitisch prob lematischen – Mehrarbeitsstunden gegenüber anderen Zusatzeinkommen wie beispielsweise einer Nebentätigkeit zu privilegieren.37 In allen Fällen stehe die Motivation des Schuldners im Vordergrund, zusätzliches Einkommen zu erzielen. Diese Motivationswirkung werde einheitlich durch den zusätzlichen Pfändungsschutz in § 850c Abs. 4 ZPO des Reformvorschlags bewirkt.38 Weil für zahlreiche Schuldner ein die Beträge i. S. v. § 850c Abs. 1 ZPO übersteigendes Mehreinkommen nur durch erhöhte Anstrengungen erzielt werden kann, wollte das GNeuMoP einen ersten Mehrbetrag in Höhe von 400 Euro privilegiert behandeln. Außerdem sollte Berücksichtigung finden, dass die Erzielung von Mehreinkommen häufig mit Mehraufwendungen verbunden ist, die sich unabhängig von der Höhe des Mehreinkommens in der Regel auf einen gewissen Grundbetrag beschränken, der nicht proportional mit der Höhe des erzielten Mehreinkommens steigt.39 Für darüber hinaus erzielte Mehreinkommen hielt das GNeuMoP hingegen einen Bonus in Höhe eines Viertels für ausreichend. 4. Stellungnahme Um das menschenwürdige Dasein des Schuldners zu schützen, ist es notwendig, ihm nicht die Arbeitsmotivation zu nehmen. Deshalb muss grundsätzlich jegliches zusätzliche Einkommen des Schuldners privilegiert werden. Da kein einleuchtender Grund für eine Differenzierung zwischen der Vergütung für Mehrarbeitsstunden und sonstigen Zusatzeinkommen ersichtlich ist, erweist sich der Ansatz im GNeuMoP insofern als stimmig. Indes ist der Pfändungsschutz für die Vergütung von Mehrarbeitsstunden bisher ungedeckelt. Nach § 850a Nr. 1 ZPO genießen die für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teile des Arbeitseinkommens – unabhängig von der Höhe – zur Hälfte Pfändungsschutz. Durch den Reformvorschlag des GNeuMoP sollte nur noch für die ersten 400 Euro und weitere 1.600 Euro, die 36 BR-Drs. 139/10, S. 6. Die Höhe dieses Vollstreckungsschutzes befürwortend Strunk, Rbeistand 2008, 34, 37. 37 BR-Drs. 139/10, S. 33. Vgl. auch Bauckhage-Hoffer/Umnuß, NZI 2011, 745, 749; Dieker/ Remmert, NZI 2009, 708, 712 f. 38 BR-Drs. 139/10, S. 33. 39 BR-Drs. 139/10, S. 51.
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den pfändungsfreien Grundbetrag überschreiten, Pfändungsschutz zur Verfügung stehen. Damit wurde der Pfändungsschutz mit absoluten Zahlen begrenzt. Diese damals vorgeschlagene Beschränkung des Pfändungsschutzes lässt sich nicht mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein in Einklang bringen. Eine solche Art der Begrenzung nimmt nicht darauf Rücksicht, dass die Motivation zur Erzielung von Einkommen nur bestehen bleibt, wenn dem Schuldner von jedem mehr verdienten Euro etwas verbleibt. Dies ist bei der gewählten Kappungsmethode nicht der Fall. Berücksichtigt man den leitenden Gesichtspunkt, dass die Erhaltung und Förderung der Motivation der Menschenwürde geschuldet wird, ist es ausgeschlossen, ab einem gewissen zusätzlich erzielten Einkommen jeglichen Pfändungsschutz zu verwehren.40 Vielmehr muss eine Regelungsform gefunden werden, bei der in diesem Bereich von jedem zusätzlichen verdienten Euro dem Schuldner ein Teil verbleibt, während der Gläubiger auf den anderen Teil zugreifen kann. Auf diese Weise profitieren beide Seiten von der zusätzlichen Erwerbstätigkeit des Schuldners. II. § 850a Nr. 2 ZPO Nach § 850a Nr. 2 ZPO sind Urlaubsgelder, Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses sowie Treugelder unpfändbar, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Das Gesetz wiederholt damit die inhaltsgleiche Vorschrift von § 3 Nr. 2 der Lohnpfändungsverordnung (1940).41 1. Anwendungsbereich a) Urlaubsgelder Unter „Urlaubsgeld“ ist zunächst die Sonderzuwendung mit Gratifikationscharakter zu verstehen, die ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber über sein gewöhnliches Einkommen hinaus als Zuschuss zur Ermöglichung der Erholung erhält.42 Davon zu unterscheiden ist das sog. Urlaubsentgelt, also der während des Urlaubs weitergezahlte Lohn, der im Rahmen des § 850c ZPO der Pfändung zugänglich ist.43 Der Urlaubsabgeltungsanspruch wird überwiegend dem Urlaubsentgelt gleichgestellt, mit der Konsequenz, dass er nach Maßgabe von § 850c ZPO pfändbar ist.44 40 Vgl. zu dieser Überlegung auch noch im Kontext von § 850c Abs. 3 S. 3 ZPO Kapitel 6:§2:E.II.2.b). 41 RGBl. I 1940, S. 1451. 42 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850a ZPO Rn. 3; Zöller/Herget, § 850a ZPO Rn. 3; MüKo-ZPO/Smid, § 850a ZPO Rn. 8. 43 BAG, Urt. v. 20.06.2000, 9 AZR 405/99, NZA 2001, 460, 461; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850a ZPO Rn. 3; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850a ZPO Rn. 8; Pfeifer, NZA 1996, 738, 741. 44 BAG, Beschl. v. 28.08.2001, 9 AZR 611/99, NZA 2002, 323, 324; LG Leipzig, Beschl. v. 25.11.2002, 12 T 3864/02, JurBüro 2003, 215; AG Montabaur, Beschl. v. 13.07.2010, 14 IN
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b) Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses Zu den „Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses“ zählen Sonderleistungen, die ein Arbeitgeber nicht regelmäßig, sondern aus einem bestimmten, besonderen Anlass (z. B. Betriebsjubiläum) zahlt.45 c) Treugelder Treugelder sind Zuwendungen, die aufgrund einer langjährigen Zugehörigkeit des Schuldners zu einem bestimmten Betrieb gezahlt werden.46 2. Normzweck Es findet sich kein Gesichtspunkt, der in der Teleologie des Menschenwürdeschutzes ein Pfändungsverbot für Urlaubsgelder, Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses und Treugelder tragen kann. a) Urlaubsgelder Dass Urlaubsgeld unpfändbar ist, wird auf soziale Gründe und die Zweckgebundenheit der Leistung zurückgeführt.47 Da das Urlaubsgeld aus besonderem Anlass gewährt wird, solle es dem Arbeitnehmer höchstpersönlich zukommen.48 Versucht man den Pfändungsschutz auf das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein zu beziehen, so wird deutlich, dass der Zweck des Urlaubs im Mittelpunkt stehen muss. Zweck des Erholungsurlaubs ist zum einen die Regeneration. Zum anderen soll aber auch Gelegenheit zu selbstbestimmter Freizeit verschafft werden.49 Damit dient der Erholungsurlaub neben dem Gesundheitsschutz auch einer Persönlichkeitsdimension 50 und steht damit in einem Bezug zur Menschenwürde. 411/08, BeckRS 2012, 10790; Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850a ZPO Rn. 6; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 551; Deppe, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 850a ZPO Rn. 6; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/ Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850a ZPO Rn. 3; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850a ZPO Rn. 8; Gottwald/Mock/Mock, § 850a ZPO Rn. 8; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850a ZPO Rn. 10; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850a ZPO Rn. 14. 45 BAG, Urt. v. 30.07.2008, 10 AZR 459/07, NJW 2009, 167, 170; Zöller/Herget, § 850a ZPO Rn. 4; Sibben, DGVZ 1988, 4, 7 f. 46 Sibben, DGVZ 1988, 4, 8. 47 BGH, Beschl. v. 26.04. 2012, IX ZB 239/10, NJW-RR 2012, 825. 48 BGH, Beschl. v. 26.04. 2012, IX ZB 239/10, NJW-RR 2012, 825; vgl. auch Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850a ZPO Rn. 12. 49 EuGH, Urt. v. 04.06.2020, C-588/18, curia, Rn. 33; EuGH, Urt. v. 29.11.2017, C-214/16, curia, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 20.01.2009, C-350/06 (u. a.), curia, Rn. 25. 50 ArbG Berlin, Urt. v. 27.03.2013, 28 Ca 1960/13, juris, Rn. 18.
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Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass Urlaubsgeld nicht der Pfändung unterworfen werden darf. Essenziell ist bloß, dass dem Schuldner an sich Urlaub zur Verfügung steht (vgl. § 1 BUrlG). Dadurch, dass während des Urlaubs die gewöhnliche Vergütung fortzuzahlen ist (sog. Urlaubsentgelt, vgl. § 11 BUrlG), die nach § 850c ZPO Pfändungsschutz genießt, ist der Urlaub grundsätzlich in finanzieller Hinsicht gesichert. Sieht man das Urlaubsgeld als pfändbar an, stellt dies also keinen unzulässigen Grundrechtseingriff dar. Diese Betrachtungsweise fügt sich im Übrigen in die weiteren materiell-rechtlichen Wertungen ein. Es besteht kein gesetzlicher Anspruch auf Urlaubsgeld. Das BUrlG beinhaltet nämlich keine Anspruchsgrundlage dafür. Würde Urlaubsgeld zum menschenwürdigen Dasein erforderlich sein, wäre dieser Zustand unhaltbar. Im Ergebnis lässt sich § 850a Nr. 2 ZPO im Hinblick auf Urlaubsgelder teleologisch nicht auf das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners beziehen. Die Vorschrift beruht auf Erwägungen, die sich in das hier postulierte Schutzkonzept nicht einfügen lassen. b) Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses Dass Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses unpfändbar sind, wird mit sozialen Erwägungen begründet.51 Das Pfändungsverbot lässt sich mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein nicht erklären. Es ist nicht nachvollziehbar, warum derartige mehr oder weniger zufällige Zahlungen dem Gläubigerzugriff entzogen sein sollen. c) Treugelder Durch den Pfändungsschutz für Treugelder soll der Vollstreckungsschuldner zum Festhalten am Arbeitsverhältnis bewegt werden.52 Damit ist für den Arbeitgeber der positive Nebeneffekt verbunden, dass Fluktuationsproblemen in seiner Arbeitnehmerschaft entgegengewirkt wird.53 Die Überlegungen, die zum Pfändungsschutz für Treugelder ins Feld geführt werden, fügen sie nicht in das hier zugrunde gelegte Schutzkonzept ein. Vor diesem grundrechtlichen Hintergrund ist nicht zu erklären, warum der Arbeitnehmer motiviert werden soll, gerade an dem konkret bestehenden Arbeitsverhältnis festzuhalten. Durch den Pfändungsschutz des § 850c ZPO wird bereits 51 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850a ZPO Rn. 1; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850a ZPO Rn. 1. 52 BAG, Urt. v. 30.07.2008, 10 AZR 459/07, NJW 2009, 167, 170; BAG, Urt. v. 18.01.1990, 6 AZR 485/88, juris, Rn. 24; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850a ZPO Rn. 4. 53 BAG, Urt. v. 30.07.2008, 10 AZR 459/07, NJW 2009, 167, 170; BAG, Urt. v. 18.01.1990, 6 AZR 485/88, juris, Rn. 24.
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auf die Motivation des Arbeitnehmers Rücksicht genommen. Es geht deshalb vielmehr um Interessen des Arbeitgebers, der den Schuldner als Arbeitnehmer nicht verlieren will. Damit kann aber nicht begründet werden, dass dem Gläubiger die Vollstreckungsmöglichkeit zu nehmen ist. 3. Reformbestrebungen Das GNeuMoP sah eine Streichung des besonderen Pfändungsschutzes für Urlaubsgelder, Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses sowie Treugelder vor.54 Es sei nicht gerechtfertigt, z. B. Mehraufwendungen für Urlaub des Schuldners in Form von Urlaubsgeld pfändungsrechtlich zu privilegieren. Ausreichend sei, dass der Schuldner aus seinem Einkommen einen Betrag ansparen könne,55 den er dann für anlassbezogene Mehraufwendungen einsetzen kann. Auf diese Weise sei gewährleistet, dass dem Schuldner in dem gebotenen bescheidenen Rahmen Urlaubsaufwendungen möglich sind.56 Hinzu trete, dass das Urlaubsgeld steuer- und sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt sei, weswegen der das Urlaubsgeld umfassende Pfändungsschutz des § 850a Nr. 2 ZPO Gläubiger im Verhältnis zu Fiskus und Sozialversicherungsträgern ungerechtfertigt schlechterstelle.57 4. Stellungnahme Die Begründung des GNeuMoP bezieht sich primär auf den besonderen Pfändungsschutz für Urlaubsgelder. In Bezug auf dieses Pfändungsverbot hat auch der BGH Bedenken angemeldet, die Frage aber als rechtspolitisch deklariert und dem Gesetzgeber „den Ball zugespielt“.58 Die Überlegung, dass Urlaubsgeld steuer- und sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt sei, ist richtig, aber nicht zielführend. Urlaubsgeld ist – da es nicht zum laufenden Arbeitslohn gehört – ein sonstiger Bezug i. S. v. § 38a Abs. 1 S. 3 EStG und damit steuerpflichtiges Einkommen.59 Nach § 23a Abs. 1 S. 1 SGB IV ist einmalig bezahltes Arbeitsentgelt als beitragspflichtige Einnahme anzusehen. Dazu zählt das Urlaubsgeld.60 Der Vergleich zwischen Pfändungsrecht auf der einen Seite und Steuer- bzw. Sozialversicherungsrecht auf der an54 BR-Drs. 139/10, S. 34. Zustimmend Dieker/Remmert, NZI 2009, 708, 713; Jäger, ZVI 2008, 409, 411. 55 Vgl. zu diesem Aspekt im Hinblick auf das Pfändungsschutzkonto noch Kapitel 6:§2:J. II.3. 56 BR-Drs. 139/10, S. 34. 57 BR-Drs. 139/10, S. 34. So auch BGH, Beschl. v. 26.04.2012, IX ZB 239/10, NJW-RR 2012, 825, 826. 58 BGH, Beschl. v. 26.04.2012, IX ZB 239/10, NJW-RR 2012, 825, 826. 59 Vgl. R 39b.2 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 LStR. 60 KassKomm/Zieglmeier, § 23a SGB IV Rn. 8 .
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deren Seite trifft aber die Sachlage nicht. Während § 850a Nr. 2 ZPO dafür sorgt, dass der Gläubiger in das Urlaubsgeld, soweit es den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt, überhaupt nicht vollstrecken kann, führt die steuer- bzw. sozialversicherungspflichtige Einordnung lediglich dazu, dass auf einen Teil des Urlaubsgelds zugegriffen wird.61 Zutreffend ist indes, dass dem Schuldner – auch ohne ausdrückliches Pfändungsverbot für Urlaubsgelder – zugemutet werden kann, aus seinem Einkommen einen Betrag für urlaubsbezogene Mehraufwendungen anzusparen. Wie bereits dargelegt, gebietet das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein NeuMoP nicht, Urlaubsgeld für unpfändbar zu erklären. 62 Die durch die vom G vorgesehene Streichung entstehende Rechtslage würde dazu beitragen, die Erklärung der Pfändungsverbote aus einem einheitlichen Zweck zu ermöglichen. Gleiches gilt im Ergebnis für den im GNeuMoP vorgeschlagenen Verzicht auf die Pfändungsschutzvorschriften für Zuwendungen aus Anlass eines besonderen Betriebsereignisses und für Treuegelder. Auch diese Pfändungsverbote lassen sich nicht mit dem Gedanken begründen, dass das menschenwürdige Dasein zu schützen sei. III. § 850a Nr. 3 ZPO Durch § 850a Nr. 3 ZPO werden Aufwandsentschädigungen, soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen wie z. B. Auslösungsgelder, das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen als absolut unpfändbar eingestuft, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. aa) Historie Schon die Lohnpfändungsverordnung von 1940 sah Pfändungsschutz für Aufwandsentschädigungen, soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen wie z. B. Auslösungsgelder, das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial, Gefahrenzulagen und ähnliche, vom Reichsminister der Justiz zu bezeichnende Bezüge vor, soweit sie durch Gesetz oder Tarif-, Betriebs- oder Dienstordnung festgesetzt sind oder den Rahmen des Üblich nicht übersteigen. 63 Elf Jahre später hat der Rechtsausschuss des Bundesrates mit Blick auf diese Regelung diskutiert, ob nicht auch den sog. Schmutz- und Erschwerniszulagen, die im Gegensatz zu Gefahrenzulagen nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen nicht pfändungsfrei sein sollten, ebenfalls Pfändungsschutz zukommen solle. Er hat die Frage dann dem Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik vorgelegt. Dieser hat daraufhin empfohlen, sowohl die Schmutz- wie auch die Erschwerniszulage 61
Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§3:B.I. Vgl. Kapitel 6:§2:C.II.2.a). 63 RGBl. I 1940, S. 1451. 62
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in den Kreis der pfändungsfreien Bezüge einzubeziehen. Dem lag die Über legung zugrunde, dass solche Zulagen – ebenso wie die übrigen erwähnten Bezüge – „kein Äquivalent für geleistete Arbeit darstellen, sondern nur einen Ausgleich bedeuten, der für übernormale Belastungen des Arbeitnehmers gewährt“ werde. 64 Dieses Argument zielt auf einen noch heute tragfähigen Zweck ab. 1. Normzweck § 850a Nr. 3 ZPO zählt auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinende Einkommenszuflüsse auf. Deren Schutz lässt sich trotzdem insgesamt mit dem Gedanken „Schutz des menschenwürdigen Daseins“ rechtfertigen. a) Aufwandsentschädigungen Da Aufwandsentschädigungen kein Entgelt für eine Arbeitsleistung darstellen, sondern tatsächlich entstandene Auslagen ausgleichen sollen, hat der Gesetz geber für diese einen gesonderten Pfändungsschutz normiert. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass dem Schuldner der Gegenwert für seine tatsäch lichen Aufwendungen durch die Pfändung entzogen wird. Dadurch wird vermieden, dass dem Schuldner die Fortführung seiner Tätigkeit unmöglich wird, weil er die dafür erforderlichen Auslagen nicht mehr aufbringen kann. 65 Dieser Gedanke lässt sich in Einklang mit grundrechtlichen Wertungen bringen. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein gebietet es, einem Schuldner zu ermöglichen, wirtschaftlich tätig zu werden, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ohne Pfändungsschutz für die Aufwandsentschädigungen besteht die Gefahr, dass der Schuldner der Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann, weil die dafür notwendigen Auslagen seine finanziellen Möglichkeiten übersteigen. b) Soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen Als Beispiel für soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen nennt der Gesetzgeber Auslösungsgelder. Es geht also um eine Vergütung, welche die durch die auswärtige Beschäftigung entstandenen Unannehmlichkeiten und Mehrkosten ausgleichen soll. 66 Erneut gilt: Ohne einen solchen Pfändungsschutz wäre der Schuldner möglicherweise überfordert und nicht in der Lage, seine Tätigkeit fortzuführen.
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BR-Prot. 69/1951, S. 668. BGH, Beschl. v. 06.04.2017, IX ZB 40/16, NZI 2017, 461, 462; LG Würzburg, Beschl. v. 12.02.2010, 9 T 2517/09, BeckRS 2012, 3608, Rn. 9; VG Ansbach, Gerichtsbescheid v. 30.03. 2006, AN 1 K 04.00729, juris, Rn. 75; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850a ZPO Rn. 13a. 66 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850a ZPO Rn. 5. 65
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c) Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial Das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial soll die mit der Zurverfügung stellung dieses Arbeitsmaterials verbundenen Unannehmlichkeiten und Mehrkosten ausgleichen. 67 Wiederum liegt die Überlegung zugrunde, dass dem Schuldner die Fortsetzung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nicht unmöglich gemacht werden darf. d) Gefahren-, Schmutz- sowie Erschwerniszulagen Der Pfändungsschutz für Gefahren-, Schmutz- sowie Erschwerniszulagen bezieht sich auf eine heterogene Gruppe von Zulagen. Auf der einen Seite stehen die Schmutzzulagen, auf der anderen Seite die Gefahren- und Erschwernis zulagen. aa) Schmutzzulagen Mit Schmutzzulagen soll der erhöhte Reinigungsaufwand und Kleiderverschleiß abgegolten werden. 68 Damit fügt sich dieses Pfändungsverbot in die schon bisher postulierte Zweckzuschreibung ein: Es soll vermieden werden, dass dem Schuldner die Fortführung seiner Tätigkeit über Gebühr erschwert wird, weil er die mit dem erhöhten Reinigungsaufwand bzw. Kleiderverschleiß verbundenen Kosten nicht mehr decken kann. bb) Gefahren- und Erschwerniszulagen Unter Gefahrenzulagen fallen Vergütungen für ein besonderes Risiko des Arbeitnehmers.69 Der Pfändungsschutz für Erschwerniszulagen bezieht sich auf die Abgeltung einer durch die Eigentümlichkeit der Arbeit verursachten Mehrbelastung.70 Beiden Zulagen ist gemeinsam, dass sie sich auf besondere Belastungen beziehen, die mit der gewählten Arbeit verbunden sind. Dieser Gesichtspunkt ist in der steuerrechtlichen Rechtsprechung gesehen worden. Dort wird die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit nach § 3b EStG als finanzieller Ausgleich für die besonderen Erschwernisse und Belastungen der mit Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit verbundenen Arbeits zeiten verstanden, die den biologischen und kulturellen Lebensrhythmus stö-
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Dies., in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850a ZPO Rn. 5. § 611a BGB Rn. 286. Vgl. für § 290 Abs. 1 Nr. 1 EO auch Angst/Oberhammer, in: Kommentar zur Exekutionsordnung, 32015, § 290 EO Rn. 3. 69 Mock, VersR 2020, 98, 99. 70 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850a ZPO Rn. 24. 68 BeckOK-Arbeitsrecht/Joussen,
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ren.71 Daneben werden aber auch wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Gründe als Motiv für § 3b EStG genannt.72 Allerdings wurde diese Wertung nicht auf Gefahrenzuschläge erstreckt.73 Aus dieser steuerrechtlichen Betrach tungsweise lässt sich indes keine Schlussfolgerung für den Pfändungsschutz ziehen. Die Besteuerung führt nämlich nicht zu einem vollständigen Entzug dieser Bezüge, sondern lediglich zu einem anteiligen in Höhe des jeweiligen Steuersatzes.74 Für den Pfändungsschutz stellt sich die Frage, ob sich ein Aspekt dieser steuerrechtlichen Gedanken im Rahmen der Zweckzuschreibung im Zwangsvollstreckungsrecht fruchtbar machen lässt. Dies ist bei dem Hinweis auf die Störung des biologischen und kulturellen Lebensrhythmus der Fall. Es ist anerkannt, dass das menschenwürdige Dasein zur notwendigen Voraussetzung die Sicherung der physischen Existenz und die Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben hat. Mit anderen Worten: Die Würde des Menschen gebietet, dass nicht nur das schiere physische Überleben gesichert wird, sondern dass über die bloße Existenz hinaus auch die soziale Teilhabe als Mitglied der Gesellschaft gewährleistet wird.75 Zieht man nun in Betracht, dass die Gewährung von Erschwernis- oder Gefahrenzulagen für bestimmte Berufstätigkeiten seinen Grund darin hat, dass diese Berufstätigkeiten mit stark nachteiligen Auswirkungen auf die eigene Lebensführung im sozialen Kontext oder gar mit Gefahren für die physische Existenz (man denke nur an den Kampfmittelräumdienst) verbunden sind, erweist sich der vom Bundesverfassungsgericht formulierte Leitgedanke als einschlägig. So kann dann auch erklärt werden, warum dieser Pfändungsschutz zu Recht auf Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ausgedehnt wird.76 Nachtarbeit hat nicht nur negative gesundheitliche Auswirkungen, sondern erschwert auch die Teilhabe am sozialen Leben.77 Sonntage und staatlich anerkannte Feiertage sind – so auch die verfassungsrechtliche Wertung von Art. 140 GG i. V. m. 71 BFH, Urt. v. 15.09.2011, VI R 6/09, DStRE 2012, 3, 4; vgl. auch BFH, Urt. v. 22.10.2009, VI R 16/08, DStRE 2010, 143; BFH, Beschl. v. 27.05.2009, VI B 69/08, DStRE 2009, 835. 72 BFH, Urt. v. 15.09.2011, VI R 6/09, DStRE 2012, 3, 4; BFH, Urt. v. 17.06.2010, VI R 50/09, DStR 2010, 1886; so auch BT-Drs. 7/419, S. 13, S. 16. 73 BFH, Urt. v. 15.09.2011, VI R 6/09, DStRE 2012, 3. 74 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§3:B.I. 75 BVerfG, Urt. v. 05.11.2019, 1 BvL 7/16, BVerfGE 152, 68, 113. 76 BGH, Beschl. v. 20.09.2018, IX ZB 41/16, NJW 2018, 3461, 3462; BAG, Urt. v. 23.08.2017, 10 AZR 859/16, NZA 2017, 1548, 1549 f.; LG Trier, Beschl. v. 12.05.2016, 5 T 33/16, NZI 2016, 844; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850a ZPO Rn. 5a; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850a ZPO Rn. 21; Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 850a ZPO Rn. 10. 77 BAG, Urt. v. 15.07.2020, 10 AZR 123/19, AP ArbZG § 6 Nr. 19; BAG, Urt. v. 09.12.2015, 10 AZR 156/15, NZA 2016, 1021, 1023; BAG, Urt. v. 05.09.2002, 9 AZR 202/01, NZA 2003, 563, 566.
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Art. 139 WRV – Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung, weswegen eine Arbeit an diesen Tagen als besondere Erschwernis anzusehen ist. 2. Reformbestrebungen Im GNeuMoP wurde sinngemäß an § 850a Nr. 3 ZPO festgehalten.78 Im Rahmen des Üblichen sollte das Einkommen unpfändbar sein, das dafür gewährt wird, einen durch die Art der Berufstätigkeit bedingten Mehraufwand auszugleichen. Exemplarisch werden Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen, sowie das Entgelt für selbst gestelltes Arbeitsmaterial, die Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen genannt.79 Zur Begründung wurde angeführt, dass es sich insofern um Leistungen handele, die zweckgebunden zur Abgeltung erschwerter Arbeitsbedingungen gewährt würden. Diese müssten dem Arbeitnehmer deshalb ungekürzt zur Deckung seiner Mehraufwendungen zur Verfügung stehen. Von einem sachgerechten Interessenausgleich könne keine Rede sein, wenn der Gläubiger auf Forderungen zugreifen könnte, die dem Schuldner zur Abdeckung konkreter berufsbedingter Aufwendungen zustehen. Es geht dabei nämlich um durchlaufende Posten, die das Einkommen des Schuldners tatsächlich nicht erhöhen. 80 Eine Ausnahme von dem Pfändungsschutz sollte aber für den Fall vorgesehen werden, dass die Vollstreckung in diese Einkommensbestandteile wegen Ansprüchen betrieben wird, die zu dem auszugleichenden Mehraufwand geführt haben.81 Diese Bestandteile des Einkommens sollten gegenüber demjenigen keinen besonderen Schutz genießen, der Ansprüche gegen den Schuldner wegen dieses Mehraufwands geltend macht.82 3. Stellungnahme Es ist grundrechtlich geboten, an dem Pfändungsschutz für berufsbedingten Mehraufwand festzuhalten. Würde man einem Schuldner Aufwandsentschädigungen, soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen bzw. das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial entziehen, bestünde die Gefahr, dass er sich seine wirtschaftliche Tätigkeit dann nicht mehr leisten kann. Gleiches gilt für Schmutzzulagen, die ja mit der Anschaffung bzw. Reinigung von Kleidung zusammenhängen. Dieser Rechtsgedanke wird beispielsweise auch in Österreich anerkannt. Dort werden durch § 290 Abs. 1 Nr. 1 EO Aufwandsentschädigungen geschützt, 78
BR-Drs. 139/10, S. 35. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. BR-Drs. 139/10, S. 4. 80 BR-Drs. 139/10, S. 35. 81 BR-Drs. 139/10, S. 4. 82 BR-Drs. 139/10, S. 37. 79
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„soweit sie den in Ausübung der Berufstätigkeit tatsächlich erwachsenden Mehraufwand abgelten, insbesondere für auswärtige Arbeiten, für Arbeits material und Arbeitsgerät, das vom Arbeitnehmer selbst beigestellt wird, sowie für Kauf und Reinigen typischer Arbeitskleidung“. Was Gefahren- und Erschwerniszulagen angeht, kann die Erwägung in der Begründung zum GNeuMoP, die auf die Abdeckung konkreter berufsbedingter Aufwendungen abzielt, nicht tragend sein. Im Ergebnis ist aber die Beibe haltung des Pfändungsschutzes verfassungsrechtlich fundiert. In der konkreten Umsetzung sollte man wegen der Heterogenität der erfassten Bezüge insoweit eine Trennung vornehmen und die Gefahren- und Erschwerniszulagen in einer eigenen Vorschrift berücksichtigen. Indes geht der Pfändungsschutz in den Fällen zu weit, in denen ein Gläubiger wegen Ansprüchen aus Rechtsgeschäften vollstreckt, die mit der Entstehung des Mehraufwands zusammenhängen. Deshalb ist die vom GNeuMoP für diese Konstellation vorgesehene Einschränkung des Pfändungsschutzes stringent. Umgesetzt ist der Gedanke bereits in Österreich und liegt dort § 290 Abs. 2 EO zugrunde: „Die Unpfändbarkeit gilt nicht, wenn die Exekution wegen einer Forderung geführt wird, zu deren Begleichung die Leistung widmungsgemäß bestimmt ist.“83 De lege lata erfordert dieses verfassungsrechtlich notwendige Ergebnis eine teleologische Reduktion. Diese ist deswegen möglich, weil der Gesetzgeber nur eine Möglichkeit hat, einen verfassungskonformen Zustand herzustellen, nämlich die Aufnahme einer Ausnahmevorschrift wie der des § 850a Nr. 5 ZPO aE. IV. § 850a Nr. 4 ZPO Unpfändbar sind nach § 850a Nr. 4 ZPO i. d. F. durch das GvSchuG Weihnachtsvergütungen bis zur Hälfte des Betrages, dessen Höhe sich nach Aufrundung des monatlichen Freibetrages nach § 850c Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 auf den nächsten vollen 10-Euro-Betrag ergibt. Bis zur Änderung durch das GvSchuG waren Weihnachtsvergütungen bis zum Betrag der Hälfte des monatlichen Arbeitseinkommens unpfändbar, höchstens aber bis zum Betrag von 500 Euro. Diese Vorschrift entsprach inhaltlich – mit Ausnahme des genannten Geldbetrages – noch exakt § 3 Nr. 4 der Lohnpfändungsverordnung von 1940.84 1. Normzweck Unter Weihnachtsvergütung wird nicht nur die klassische Weihnachtsgratifikation verstanden, die ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Beitrag zu dessen 83 Angst/Oberhammer, in: Kommentar zur Exekutionsordnung, 32015, § 290 EO Rn. 1 („Durchgangsposten“). 84 RGBl. I 1940, S. 1451.
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erhöhten Aufwendungen leistet, sondern auch eine Sondervergütung für erbrachte Arbeit, vorausgesetzt, sie wird aus Anlass des Weihnachtsfestes gezahlt.85 Dass eine nur aus Anlass von Weihnachten geleistete Zahlung Pfändungsschutz genießen kann, steht im Einklang mit dem Normzweck, einen bestimmten Aufwand des Arbeitnehmers zu decken, nämlich den typischerweise erhöhten Aufwand zu Weihnachten. 86 Die Vergütung soll ihm besondere Anschaffungen ermöglichen und ersetzt ein Naturalgeschenk. 87 2. Reformbestrebungen Aus Sicht des Reformgesetzgebers des GNeuMoP erschien eine uneingeschränkte Privilegierung der Weihnachtsvergütung bei der gebotenen Abwägung von Gläubiger- und Schuldnerinteressen nicht als angemessen. 88 Deshalb war vorgesehen, dieses Pfändungsverbot entfallen zu lassen. Die Interessen des Schuldners seien schon dadurch ausreichend berücksichtigt, dass er aus seinem laufenden Einkommen einen Betrag ansparen könne, um anlassbezogene Mehraufwendungen zu Weihnachten zu ermöglichen.89 3. Stellungnahme Der Einschätzung des Reformgesetzgebers des GNeuMoP ist zuzustimmen. Für die Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins ist Weihnachtsgeld aus den in der Begründung zum GNeuMoP genannten Erwägungen nicht erforderlich. Es genügt, dass ein Schuldner Mehraufwendungen zu Weihnachten durch Ersparnisse aus dem laufenden Einkommen decken kann. Dass ein Arbeitnehmer dennoch von der Weihnachtsvergütung profitiert, insbesondere, wenn sie auch eine Sondervergütung für erbrachte Arbeit darstellt, ist durch die allgemeinen Pfändungsfreibeträge sichergestellt. Diese Einschätzung steht im Übrigen im Einklang mit den einfach-recht lichen Wertungen. Arbeitsrechtlich besteht grundsätzlich keine Verpflichtung für den Arbeitgeber, Weihnachtsgeld zu zahlen. Folglich gibt es Arbeitnehmer, 85 BAG, Urt. v. 18.05.2016, 10 AZR 233/15, NZA 2016, 840, 841; BAG, Urt. v. 14.03.2012, 10 AZR 778/10, NZA 2012, 1246, 1247; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850a ZPO Rn. 6; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850a ZPO Rn. 23; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850a ZPO Rn. 26. 86 BAG, Urt. v. 18.05.2016, 10 AZR 233/15, NZA 2016, 840, 841; BAG, Urt. v. 14.03.2012, 10 AZR 778/10, NZA 2012, 1246, 1247; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850a ZPO Rn. 23; MüKo- ZPO/Smid, § 850a ZPO Rn. 16; Waldschmidt, JurBüro 2021, 286, 289. 87 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850a ZPO Rn. 26. 88 BR-Drs. 139/10, S. 34. Zustimmend Dieker/Remmert, NZI 2009, 708, 713; Jäger, ZVI 2008, 409, 411. 89 BR-Drs. 139/10, S. 34. Vgl. zu diesem Aspekt im Kontext des Pfändungsschutzkontos Kapitel 6:§2:J.II.3.
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die ohnehin kein Weihnachtsgeld erhalten. Auch das Sozialrecht sieht insofern keinen Anspruch vor. V. § 850a Nr. 5 ZPO § 850a Nr. 5 ZPO erklärt Geburtsbeihilfen sowie Beihilfen aus Anlass der Eingehung einer Ehe oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft für absolut unpfändbar, sofern die Vollstreckung wegen anderer als der aus Anlass der Geburt, der Eingehung einer Ehe oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft entstandenen Ansprüche betrieben wird. Dass die Beihilfen nur dann unpfändbar sind, wenn die Vollstreckung wegen anderer als der in der Vorschrift genannten Anlässe betrieben wird, steht im Einklang mit der Zweckbindung der Beihilfe.90 Wiederum bildet im Kern die Lohnpfändungsverordnung von 1940 die Vorlage, die Pfändungsschutz für Heirats- und Geburtsbeihilfen normierte.91 1. Normzweck Die gesetzgeberische Intention hinter diesem Pfändungsverbot ist die Unterstützung des Arbeitnehmers bei Geburt und Eheschließung.92 In einfach-rechtlicher Hinsicht werden Geburtsbeihilfen privilegiert behandelt. Es existieren sozialrechtliche Wertungen, die für Geburtsbeihilfen – anders als für Heiratsbeihilfen – auf eine besondere Schutzbedürftigkeit hindeuten. Nach § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II sind Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt nicht vom Regelbedarf nach § 20 SGB II erfasst, sondern werden gesondert erbracht (§ 24 Abs. 3 S. 2 SGB II). § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII legt fest, dass Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt gesondert gewährt werden. Daraus lässt sich einfach-rechtlich folgern: Wenn schon sozialrechtlich ein Leistungsanspruch in Bezug auf Geburtsbeihilfen besteht, darf dem Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung eine Geburtsbeihilfe nicht entzogen werden, es sei denn, die Vollstreckung erfolgt gerade zweckgebunden. Da das menschenwürdige Dasein das Leben in der Familie umfasst und da sich bei der Geburt Familienzuwachs einstellt, fallen Geburtsbeihilfen in diesen Schutzbereich. Dieser Gedanke lässt sich nicht auf Heiratsbeihilfen übertragen. Zwar steht außer Frage, dass die Eheschließung grundrechtlich geschützt ist (Art. 6 Abs. 1 GG). Daraus folgt indes nicht, dass Heiratsbeihilfen – die arbeitsrechtlich und 90 LG Münster, Beschl. v. 21.02.1994, 5 T 930/93, Rpfleger 1994, 473; HK-ZV/Meller- Hannich, § 850a ZPO Rn. 26; MüKo-ZPO/Smid, § 850a ZPO Rn. 17; Würdinger, in: Stein/ Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850a ZPO Rn. 30. 91 RGBl. I 1940, S. 1451. 92 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 850a ZPO Rn. 32; MüKo-ZPO/Smid, § 850a ZPO Rn. 17.
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sozialrechtlich ohnehin nicht generell verpflichtend vorgesehen sind – sich als notwendige Voraussetzung für eine Eheschließung begreifen ließen. 2. Reformbestrebungen Das GNeuMoP sah vor, das Pfändungsverbot lediglich für Einkommen aufrechtzuerhalten, das im Rahmen des Üblichen für den durch eine Geburt bedingten Mehraufwand gezahlt wird.93 Die Privilegierung von Heiratsbeihilfen sei schon deshalb nicht mehr sachgerecht, weil diese in der Regel nicht mehr für die Einrichtung eines ersten Hausstandes der Eheleute notwendig seien, sondern in aller Regel für die Finanzierung der Hochzeitsfeier eingesetzt würden. Es sei unbillig, dem Schuldner zu Lasten des Gläubigers eine seine Vermögensverhältnisse übersteigende Hochzeitsfeier zuzugestehen. Die Interessen des Schuldners ließen sich schon dadurch wahren, dass er aus seinem laufenden Einkommen Ersparnisse bilden könne, um voraussehbare anlassbezogene Mehraufwendungen zu finanzieren.94 3. Stellungnahme Das GNeuMoP differenziert in zutreffender Weise. Zwar wird der Schuldnerschutz durch die Ausklammerung der Heiratsbeihilfen reduziert, bleibt aber in dem für Geburtsbeihilfen grundrechtlich gebotenen Umfang aufrechterhalten. Da sich nur die Geburtsbeihilfen dem Schutzbereich des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein zuordnen lassen, ist die Reformidee tragfähig. Weitergehend schlug das GNeuMoP vor, den Pfändungsschutz der Höhe nach nur noch im Rahmen des Üblichen zu gewähren. Dadurch würde der Pfändungsschutz im Vergleich zur geltenden Rechtslage eingeschränkt. Dem Vorschlag lag die Vorstellung zugrunde, dass der Begriff des Mehraufwands ausfüllungsbedürftig sei, weswegen es in Einzelfällen zu einem Einkommen des Schuldners kommen könne, das weder einer bescheidenen Lebensführung noch dem zu erwartenden üblichen Ausgleich in vergleichbaren Fällen entspreche.95 Eine solche Beschränkung auf den Rahmen des Üblichen ist schon dem geltenden Recht nicht fremd. So wird der Pfändungsschutz in § 850a Nr. 2, Nr. 3 ZPO in gleichem Sinne beschränkt. Der Pfändungsschutz wird in diesem Kontext allerdings deswegen begrenzt, weil verhindert werden soll, dass ein zu niedriges festes Einkommen vereinbart wird (§ 850c ZPO) und daneben absolut unpfändbare Bezüge ausgezahlt werden.96 93
BR-Drs. 139/10, S. 4. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. 139/10, S. 34. Zustimmend Dieker/Remmert, NZI 2009, 708, 713 Vgl. zu dem Ansparschutz auf einem Pfändungsschutzkonto Kapitel 6:§2:J.II.3. 95 BT-Drs. 17/2167, S. 19. 96 Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 172020, C.155; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850a ZPO Rn. 13. 94 BR-Drs.
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Diese auf Verhinderung von Missbrauch abzielende Überlegung lässt sich nicht auf Einkommen übertragen, die dafür gewährt werden, den durch eine Geburt bedingten Mehraufwand auszugleichen. Trotzdem ist dem Gesetzgeber darin Recht zu geben, dass der dem Grunde nach gebotene Pfändungsschutz der Höhe nach beschränkt werden muss. Ansonsten würden die berechtigten Interessen des Gläubigers vernachlässigt. Der Anknüpfungspunkt des menschenwürdigen Daseins gibt insofern nur die Richtung vor. Aus ihm lässt sich jedoch zur genauen Höhe nichts deduzieren. VI. § 850a Nr. 6 ZPO Nach § 850a Nr. 6 ZPO sind Erziehungsgelder, Studienbeihilfen und ähnliche Bezüge absolut unpfändbar. Die Vorschrift entspricht wörtlich § 3 Nr. 8 der Lohnpfändungsverordnung von 1940.97 1. Normzweck Hintergrund für die Pfändungsverbote von § 850a Nr. 6 ZPO ist, dass solche Bezüge keine Lohnersatzfunktion haben, sondern unmittelbar der Erziehung bzw. der Ausbildung dienen.98 Normzweck ist demnach die Förderung von Erziehung und Ausbildung. 2. Reformbestrebungen Das GNeuMoP sah vor, den Pfändungsschutz aus § 850a Nr. 6 ZPO entfallen zu lassen. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb Gläubiger von Schuldnern, die ein Einkommen aus Erziehungsgeldern, Studienbeihilfen oder ähnlichen Bezügen erzielten, gegenüber Gläubigern von Schuldnern, die ein Einkommen aus Arbeits-, Beamten- und Versorgungsverhältnissen beziehen, benachteiligt werden sollten. Der dafür erforderliche Schutz würde über § 850c ZPO gewährt.99 Dies sei im Großen und Ganzen unschädlich, weil das diesem Vorschlag nach nun von der Pfändung betroffene Einkommen in der Regel ohnehin unterhalb des Grundfreibetrages liege.100 3. Stellungnahme Auf den ersten Blick ist der Vorschlag erstaunlich, Erziehungsgelder, Studienbeihilfen und ähnliche Bezüge wie Einkommen aus Arbeits-, Beamten- und 97
RGBl. I 1940, S. 1451, 1452. BGH, Beschl. v. 04.10.2005, VII ZB 13/05, NJW-RR 2006, 5; Deppe, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 850a ZPO Rn. 25; Flockenhaus, in: Musielak/ Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850a ZPO Rn. 8. 99 BR-Drs. 139/10, S. 35. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. 100 BR-Drs. 139/10, S. 5 4. 98
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Versorgungsverhältnissen zu behandeln, haben diese zuerst genannten Bezüge doch gerade keine Lohnersatzfunktion. Indes regelt § 54 Abs. 4 SGB I, dass Ansprüche auf laufende Geldleistungen – vorbehaltlich § 54 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 SGB I – wie Arbeitseinkommen gepfändet werden können. Solche Geldleistungen haben regelmäßig, aber nicht immer Lohnersatzfunktion.101 Ausbildungsförderung nach dem BAföG unterliegt gemäß § 54 Abs. 4 SGB I der Pfändung.102 Warum Erziehungsgelder, Studienbeihilfen und ähnliche Bezüge intensiver geschützt werden sollen, leuchtet nicht ein. Was sich so einfach-rechtlich feststellen lässt, kann auch vor dem hier postulierten Erklärungshintergrund Bestand haben. Dem Schuldner ist ein menschenwürdiges Dasein auch dann möglich, wenn Erziehungsgelder etc. nach § 850c ZPO geschützt sind. Entweder liegen diese Beträge ohnehin schon unterhalb des Grundfreibetrages und sind deshalb der Pfändung entzogen. Oder sie liegen oberhalb des Grundfreibetrags. Dann ist der trotz Pfändung verbleibende Betrag ausreichend. VII. § 850a Nr. 7 ZPO Sterbe- und Gnadenbezüge aus Arbeits- oder Dienstverhältnissen sind nach § 850a Nr. 7 ZPO unpfändbar. Damit sind die Hinterbliebenenbezüge von Beamten oder Arbeitnehmern gemeint.103 Die Hinterbliebenen, denen diese Bezüge gewährt werden und den der Pfändungsschutz zukommt, müssen nicht Erben sein.104 Es handelt sich dabei um das Aufgreifen der Regelung für Sterbeund Gnadenbezüge in § 3 Nr. 9 der Lohnpfändungsverordnung von 1940.105 1. Normzweck Was den Normzweck angeht, ist zwischen Sterbe- und Gnadenbezügen zu differenzieren. a) Sterbebezüge Arbeitsrechtlich besteht für einen Arbeitgeber keine gesetzliche Pflicht, an die Hinterbliebenen eines verstorbenen Arbeitnehmers Sterbegeld zu zahlen.106 Sterbebezüge dienen – wenn sie denn gezahlt werden – dazu, die durch den Tod 101 Mock, Die Praxis der Forderungsvollstreckung, 2019, § 9 Die Pfändung von Sozialleistungen, Rn. 29. 102 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 553; Lilge, in: Lilge/Gutzler (Hrsg.), SGB I, 52019, § 54 SGB I Rn. 91. 103 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850a ZPO Rn. 2 2; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 553; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 850a ZPO Rn. 36. 104 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 553; Deppe, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 850a ZPO Rn. 26; Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 850a ZPO Rn. 15. 105 RGBl. I 1940, S. 1451, 1452. 106 Griese, in: Röller (Hrsg.), Personalbuch, 282021, Sterbegeld, A. Arbeitsrecht Rn. 1.
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des Arbeitnehmers entstehenden finanziellen Belastungen für die Hinterbliebenen aufzufangen.107 Dabei wird Sterbebezügen eine doppelte Funktion zugeschrieben. Zum einen soll übergangsweise der Ausfall von Einkünften infolge des Todes ausgeglichen werden. Zum anderen soll zur Deckung der mit dem Tod verbundenen besondere Aufwendungen beigetragen werden (insbesondere Bestattungskosten).108 Beide Konstellationen weisen einen Bezug zum menschenwürdigen Dasein auf, das im Todesfall mit allen sich einstellenden Notwendigkeiten besonderen Belastungen ausgesetzt ist. Was die Versorgungsfunktion des Sterbegeldes angeht, soll sichergestellt werden, dass der Schuldner in dieser Situation über die notwendigen Mittel verfügen kann. Dass besonderer Pfändungsschutz angeordnet ist, um die mit einem Todesfall verbundenen Aufwendungen tragen zu können, fügt sich gleichfalls in das Konzept des Schuldnerschutzes ein. Mit einem Todesfall sind primär die Bestattungskosten verbunden. Nach § 74 SGB XII werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.109 Normzweck ist die Ermöglichung einer würdigen Bestattung.110 Der hier angesprochene Gedanke der Würde verdeutlicht den Hintergrund dieser sozialrechtlichen Regelung. Es gehört zur Menschenwürde, einen Toten angemessen bestatten zu können. Die Bestattung wird als eine vordringliche Pflicht empfunden. Deswegen muss man einem Schuldner die Mittel belassen, die er benötigt, um die Bestattungskosten tragen zu können. Wie schon im Kontext von § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. hervor gehoben, erschöpft sich ein menschenwürdiges Dasein nicht in dem eigenen Dasein, sondern schließt die Beziehungen ein, die als so wesentlich empfunden werden, dass man bei deren Zerstörung das eigene Dasein als verletzt ansehen würde.111 b) Gnadenbezüge Durch Gnadenbezüge soll das menschenwürdige Dasein der Hinterbliebenen im Sinne einer Versorgungsfunktion gesichert werden. Da sich dieser verfassungsrechtliche Schutz nicht nur auf den Schuldner, sondern gleichermaßen auf 107
BAG, Urt. v. 10.08.1993, 3 AZR 185/93, NZA 1994, 515, 516. BAG, Beschl. v. 19.09.2006, 1 ABR 58/05, NJOZ 2007, 4855, 4860. Diller/Herr mann, NZA 2020, 1525. 109 Auch Bezieher von Leistungen nach dem SGB II können sich auf § 74 SGB XII berufen, weil sich die Vorschrift nicht mehr im Kapitel über Hilfe zum Lebensunterhalt, sondern im Neunten Kapitel des SGB XII (Hilfe in anderen Lebenslagen) befindet, vgl. jurisPK-SGB XII/Siefert, § 74 SGB XII Rn. 4. 110 Deckers, in: Flint (Hrsg.), SGB XII, 72020, § 74 SGB XII Rn. 12. 111 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§2:A.XV.1.c). 108 Vgl.
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dessen Familie bezieht,112 ist konsequenterweise insoweit Pfändungsschutz für Hinterbliebene verfassungsrechtlich geboten.113 2. Reformbestrebungen Das GNeuMoP sah Einkommen als unpfändbar an, das in dem Rahmen des Üblichen dafür gewährt wird, den durch einen Todesfall bedingten Mehraufwand auszugleichen. Pfändungsschutz sollte nicht bestehen, wenn die Vollstreckung in diese Einkommensbestandteile wegen Ansprüchen betrieben wird, die zu dem auszugleichenden Mehraufwand geführt haben. Ein gesonderter Pfändungsschutz für Gnadenbezüge war nicht mehr vorgesehen.114 3. Stellungnahme a) Sterbebezüge Der im GNeuMoP vorgesehene Pfändungsschutz ist zweckgebunden, indem der durch einen Todesfall bedingte Mehraufwand ausgeglichen werden soll. Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber nicht mehr an den Terminus der Sterbebezüge anknüpften will. Da Sterbebezüge unterschiedlichen Zwecken dienen können, nämlich einerseits der Versorgung und andererseits der Deckung von Mehraufwendungen ist beim Pfändungsschutz zu differenzieren. In Bezug auf die Versorgungszwecke kann nämlich nicht einleuchten, weswegen insofern ein intensiverer Schutz als der für Arbeitseinkommen angezeigt sein sollte. Mit anderen Worten: Das Pfändungsverbot des § 850a Nr. 7 ZPO lässt sich im Hinblick auf Sterbegeld mit Versorgungsfunktion verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Deshalb ist dem GNeuMoP zuzustimmen, das diesen Pfändungsschutz streichen wollte. Der erforderliche Pfändungsschutz wird durch §§ 850, 850c ZPO gewährleistet. Was indes den durch einen Todesfall bedingten Mehraufwand angeht, erscheint Pfändungsschutz notwendig, um dem Schuldner diese Aufwendungen zu ermöglichen. Das sieht auch der österreichische Gesetzgeber so, der in § 290 Abs. 1 Nr. 5 EO Beiträge für Bestattungskosten für unpfändbar erklärt. Pfändungsschutz ist aber im verfassungsrechtlichen Sinne nur dann erforderlich, wenn tatsächlich Mehraufwendungen auszugleichen sind. Deshalb bezieht das GNeuMoP den Pfändungsschutz zu Recht bloß auf den durch einen „Todesfall bedingten Mehraufwand“. Der Pfändungsschutz steht demnach nur einem Schuldner zur Seite, der tatsächlich Mehraufwendungen hat. Das bedeutet beispielsweise, dass die Aufwendungen für eine Bestattung nur in Bezug auf 112
Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:C.I. Hasse, VersR 2007, 870; a. A. Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 22. 114 BR-Drs. 139/10, S. 4. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. 113 So
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den Schuldner zu berücksichtigen sind, den die Verpflichtung zur Tragung der Beerdigungskosten trifft (§ 1968 BGB). De lege lata ist deswegen eine teleologische Reduktion von § 850a Nr. 7 ZPO angezeigt, um den Pfändungsschutz so einzuschränken. Die Norm ist dem Wortlaut nach zu weit gefasst. Während es bisher – anders als bei § 850a Nr. 5 ZPO – keine Privilegierung für Ansprüche von Bestattern etc. gibt, sieht das GNeuMoP eine solche vor. Das ist konsequent, weil dem Schuldner durch den Pfändungsschutz ermöglicht werden soll, einen bestimmten Mehraufwand zu erfüllen. Wenn die Vollstreckung aber gerade wegen Zahlungsansprüchen erfolgt, die der Deckung dieses Mehraufwandes dienen, besteht kein nachvollziehbarer Grund mehr für Pfändungsschutz. Dieser Betrag ist im Grunde genommen ein „durchlaufender Posten“, der dem Gläubiger direkt zugutekommen kann, weil mit diesem Geld betrag die von ihm erbrachte Leistung vergütet wird. Damit hat der Schuldner das erhalten, was er benötigt. Zugleich hat der Gläubiger das erhalten, was ihm zusteht. Der so verstandenen Sachlage hat der österreichische Gesetzgeber mit § 290 Abs. 2 EO Rechnung getragen: „Die Unpfändbarkeit gilt nicht, wenn die Exekution wegen einer Forderung geführt wird, zu deren Begleichung die Leistung widmungsgemäß bestimmt ist.“115 De lege lata kann dieses verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis durch eine teleologische Reduktion erreicht werden. Der Gesetzgeber hat nur eine Möglichkeit, einen verfassungskonformen Zustand herzustellen, nämlich durch Hinzufügung einer Ausnahmevorschrift wie der des § 850a Nr. 5 ZPO aE. Weitergehend schlägt das GNeuMoP vor, den Pfändungsschutz für Einkommen, das dem Ausgleich für den todesfallbedingten Mehraufwand dient, der Höhe nach nur noch im Rahmen des Üblichen zu gewähren. Dadurch würde der Pfändungsschutz im Vergleich zur geltenden Rechtslage eingeschränkt. Dem Reformgesetzgeber ist aus den bereits im Kontext der Geburtsbeihilfen vorgetragenen Argumenten zuzustimmen.116 Der dem Grunde nach erforderliche Pfändungsschutz muss der Höhe nach gedeckelt werden, weil nur so die berechtigten Gläubigerinteressen hinreichenden Schutz erfahren. Wiederum gibt das leitende Prinzip des Schutzes menschenwürdigen Daseins die für eine Regelung unverzichtbare Richtung vor, erlaubt jedoch nicht eine genaue Aus tarierung der notwendigen Begrenzung. b) Gnadenbezüge Aus der Perspektive des Vollstreckungsrechts ist keine pfändungsschutzrecht liche Privilegierung von Gnadenbezügen gegenüber sonstigem Einkommen an115 Angst/Oberhammer, in: Kommentar zur Exekutionsordnung, 32015, § 290 EO Rn. 1 („Durchgangsposten“). 116 Vgl. dazu bereits Kapitel 6:§2:C.V.3.
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gezeigt. Insofern gelten die gleichen Überlegungen wie zum Sterbegeld in seiner Versorgungsfunktion. Wenn Gnadenbezügen eine Versorgungsfunktion zukommt, ist kein Grund für einen absoluten Pfändungsschutz ersichtlich. Vielmehr erscheint ein Pfändungsschutz wie bei Arbeitseinkommen ausreichend, um dem Schuldner die Mittel zu belassen, die er für ein menschenwürdiges Leben benötigt. Die notwendigen Überlegungen zur Höhe des Pfändungsschutzes sind bereits in § 850c ZPO getroffen worden. De lege lata lässt sich das Pfändungsverbot des § 850a Nr. 7 ZPO deshalb in Bezug auf Gnadenbezüge nicht verfassungsrechtlich rechtfertigen. Es dient – besonders unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Positionen auf Seiten des Gläubigers – keinem legitimen Zweck. Deshalb ist dem Reformvorschlag aus dem GNeuMoP zuzustimmen, der diesen Pfändungsschutz fallen lassen wollte. VIII. § 850a Nr. 8 ZPO Die Vorschrift des § 850a Nr. 8 ZPO statuiert Pfändungsschutz für Blindenzulagen. Allerdings ist die Norm im Sinne des lex-specialis-Gedankens nur anwendbar, wenn kein spezielleres Pfändungsverbot einschlägig ist. Deshalb wird der Anwendungsbereich der Vorschrift als gering eingeschätzt.117 Blindenzulagen i. S. v. § 35 BVG genießen nach § 54 SGB I Pfändungsschutz. Blindenhilfe i. S. v. § 72 SGB XII ist nach § 17 Abs. 1 S. 2 SGB XII unpfändbar. Damit bezieht sich § 850a Nr. 8 ZPO auf die zusätzlichen Blindenhilfen nach Landesrecht, soweit die Landesgesetze nicht auf § 54 SGB I verweisen (so Art. 7 Abs. 1 BayBlindG) oder selbst die Unpfändbarkeit normieren (so § 4 S. 1 BlindGeldG ND). Anwendbar ist § 850a Nr. 8 ZPO also beispielsweise auf Zulagen nach dem Gesetz über Hilfen für Blinde und Gehörlose in Nordrhein-Westfalen.118 1. Normzweck Durch § 850a Nr. 8 ZPO wird das menschenwürdige Dasein des Schuldners in gesundheitlicher Hinsicht geschützt.119 2. Reformbestrebungen Der Vorschlag im GNeuMoP sah vor, das Einkommen für unpfändbar zu erklären, welches im Rahmen des Üblichen dafür gewährt wird, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen.120 117 Saenger/Kemper,
§ 850a ZPO Rn. 10. BeckOK-ZPO/Riedel, § 850a ZPO Rn. 26.1. 119 Vgl. zu diesem Aspekt im Rahmen der Fahrnisvollstreckung bereits bei § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a. F. bzw. § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) ZPO: Kapitel 4:§2:A.XIV.2. 120 BR-Drs. 139/10, S. 4. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. 118 So
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Damit sollten zwei Vorschriften zusammengeführt werden, nämlich der Pfändungsschutz für Renten, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind (§ 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und der Pfändungsschutz für Blindenzulagen (§ 850a Nr. 8 ZPO). In der Begründung zum GNeuMoP- Entwurf heißt es ausdrücklich, dass unter § 850a Nr. 2 des Reformvorschlags nunmehr auch Blindenzulagen fallen sollten.121 3. Stellungnahme Es wird schon jetzt vertreten, dass § 850a Nr. 8 ZPO bloß klarstellenden Charakter habe, weil die Unpfändbarkeit bereits aus § 851 ZPO folge.122 Dem ist zuzustimmen. Nach § 851 ZPO ist eine Forderung der Pfändung grundsätzlich nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist. § 400 BGB legt fest, dass eine Forderung nicht abgetreten, also nicht übertragen werden kann, soweit sie der Pfändung nicht unterworfen ist. Ohne § 850a Nr. 8 ZPO wäre § 400 BGB aber nicht anwendbar, sodass der Begründungsansatz anders verlaufen muss. Einschlägig ist § 399 Var. 1 BGB, wonach eine Forderung nicht abgetreten werden kann, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts möglich ist. Typischerweise sind staatliche Leistungsansprüche zweckgebunden.123 Diese Betrachtungsweise führt dazu, dass Blindenzulagen generell unpfändbar sind. Der Vorschlag des Reformgesetzgebers würde zu einer widersprüchlichen Rechtslage führen. Nach § 851 ZPO i. V. m. § 399 Var. 1 BGB sind Blindenzu lagen generell unpfändbar. In § 850a Nr. 2 ZPO des Reformvorschlags soll aber angeordnet werden, dass Einkommen nur insoweit unpfändbar sind, als sie im Rahmen des Üblichen dafür gewährt werden, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen. Die einschränkende Formulierung „im Rahmen des Üblichen“ führt also dazu, dass Blindenzulagen nicht generell unpfändbar sind, sondern nur in einem bestimmten Maße. Wegen des sich so einstellenden Widerspruchs steht der Reformvorschlag im Gegensatz zu dem Postulat einer kohärenten, widerspruchsfreien Rechtsordnung. De lege ferenda kann der ausdrückliche Pfändungsschutz für Blindenzulagen entfallen. Ein solches Pfändungsverbot, das zum Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners in gesundheitlicher Hinsicht geboten ist, ergibt sich bereits aus § 851 ZPO i. V. m. § 399 Var. 1 BGB.
121
BR-Drs. 139/10, S. 36.
122 Wieczorek/Schütze/Lüke,
§ 850a ZPO Rn. 37; Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 850a ZPO Rn. 16. 123 BeckOGK/Lieder, § 399 BGB Rn. 72.1.
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D. Bedingt pfändbare Bezüge (§ 850b ZPO) § 850b ZPO nennt Bezüge, die bedingt pfändbar sind. Das bedeutet, dass solche Bezüge einer Pfändung grundsätzlich nicht zugänglich sind (§ 850b Abs. 1 ZPO). Wenn indes die Vollstreckung in das sonstige bewegliche Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt hat bzw. voraussichtlich nicht führen wird und die Pfändung der Billigkeit entspricht, können diese Bezüge nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden (§ 850b Abs. 2 ZPO). Es wird vertreten, dass die in § 850b ZPO aufgeführten Leistungen der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins für den Schuldner dienen bzw. dazu bestimmt sind, unbedingt notwendige Aufwendungen abzudecken.124 Sollte dem so sein, ist für § 850b Abs. 2 ZPO kein Raum, weil sich Eingriffe in das menschenwürdige Dasein des Schuldners nicht rechtfertigen lassen. I. § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO Durch § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird Pfändungsschutz für Renten normiert, die wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind. Wiederum handelt es sich um ein Aufgreifen der Lohnpfändungsverordnung von 1940 (§ 4 Abs. 1 Nr. 1).125 1. Normzweck Der Pfändungsschutz in Bezug auf Geldrenten, die wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten sind, dient der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins des Schuldners. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Existenzgrundlage des Schuldners gefährdet wird.126 Indes sind verschiedene Ausprägungen dieses Grundrechts angesprochen. Die von § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfassten Renten dienen zum einen dazu, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen. Zum anderen treten diese Renten aber auch an die Stelle des bisherigen Einkommens des Schuldners.
124 BGH, Beschl. v. 04.07.2007, VII ZB 86/06, NJW-RR 2007, 1390, 1391; BeckOK-ZPO/ Riedel, § 850b ZPO Rn. 1. So auch Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 554; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850b ZPO Rn. 1; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850b ZPO Rn. 1. 125 RGBl. I 1940, S. 1451, 1452. 126 BGH, Urt. v. 15.07.2010, IX ZR 132/09, NZI 2010, 777, 780; BGH, Urt. v. 25.01.1978, VIII ZR 137/76, NJW 1978, 950, 951; vgl. auch Hülsmann, MDR 1994, 537; Müller, Die Lebensversicherung in der Zwangsvollstreckung, 2005, S. 107; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850b ZPO Rn. 1.
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2. Reformbestrebungen Das GNeuMoP sah vor, § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in § 850a Nr. 2 des Reformvorschlags zu überführen.127 Es sollte aber nicht bei einer bloßen Transformation bleiben. Die pfändungsschutzrechtliche Behandlung von Verletztenrenten sei nämlich nicht vollständig nachvollziehbar. Derzeit würden Verletztenrenten der Höhe nach uneingeschränkt durch § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO geschützt. Eine nähere Betrachtung von Verletztenrenten zeige jedoch, dass sich diese häufig aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammensetzten. Deshalb sei eine differenzierte Beurteilung erforderlich, die den pfändungsrechtlichen Schutz der Verletztenrente an den Umfang ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit anpasse. Soweit die Renten einen durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand ausgleichen sollen, sei die Rente pfändungsrechtlich uneingeschränkt zu schützen. Es seien aber auch Fälle vorstellbar, in denen die Rente an Stelle eines Einkommens trete, welches der Verletzte aufgrund des erlittenen Körper- oder Gesundheitsschadens nicht mehr erzielen könne. Dann lasse sich nicht plausibel machen, warum die Rente nicht in gleicher Höhe pfändbar sein solle wie das frühere Einkommen vor der Verletzung.128 Zusätzlich sieht der Reformvorschlag vor, den Pfändungsschutz nur noch „im Rahmen des Üblichen“ zu gewähren. Weil ein Schuldner einem Gläubiger gegenüber nicht schutzwürdig sei, der wegen Ansprüchen vollstreckt, die inhaltlich den dem Schuldner entstehenden Mehraufwand betreffen, sieht § 850a Nr. 2 ZPO des Reformvorschlags insofern auch noch eine Ausnahme vor.129 3. Stellungnahme Dem differenzierenden Ansatz des Reformvorschlags ist zuzustimmen. Erneut gilt: Sofern die Versorgungsfunktion einer Geldrente im Vordergrund steht, ist kein Grund für eine privilegierte Behandlung gegenüber Arbeitseinkommen ersichtlich. Wenn indes der durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingte Mehraufwand ausgeglichen werden soll, ist es verfassungsrechtlich geboten, dem Schuldner die Mittel zu belassen, die er für diesen Ausgleich benötigt. Der dem Grunde nach gebotene Pfändungsschutz soll zu Recht der Höhe nach („im Rahmen des Üblichen“) gedeckelt werden. Wenn man Pfändungsschutz jenseits „des Üblichen“ gewähren würde, wären die berechtigten Interessen des Gläubigers nicht mehr ausreichend berücksichtigt. Da ein Schuldner gegenüber einem Gläubiger, der ihm die erforderliche Ausgleichsleistung erbracht hat, nicht schutzwürdig ist, ist insofern kein Pfändungsschutz angezeigt. 127
BR-Drs. 139/10, S. 39. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. BR-Drs. 139/10, S. 36 f. 129 BR-Drs. 139/10, S. 37. 128
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II. § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO gewährt Pfändungsschutz für Unterhaltsrenten, die auf gesetzlicher Vorschrift beruhen, sowie die wegen Entziehung einer solchen Forderung zu entrichtenden Renten. Erneut bildet die insoweit inhaltsgleiche Lohnpfändungsverordnung von 1940 mit § 4 Abs. 1 Nr. 2 die Folie.130 1. Normzweck Unterhaltsansprüche sichern die Existenz derjenigen, denen Unterhalt zu gewähren ist und dienen damit der Versorgung für ein menschenwürdiges Dasein. 2. Reformbestrebungen Das GNeuMoP wollte die Privilegierung der von § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO erfassten Unterhaltsrenten aufheben. Solche Renten seien als Einkommensersatz anzusehen und dienten dazu, den Lebensunterhalt des Schuldners zu sichern. Damit werde dem Schutzzweck aber schon durch § 850c ZPO Genüge getan. Warum für die von § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO genannten Unterhaltsrenten eine Besserstellung gegenüber Einkünften aus Berufstätigkeit angezeigt sei, lasse sich nicht mehr erklären. Deshalb wird vorgeschlagen, diese Unterhaltsrenten dem Anwendungsbereich von § 850c ZPO zuzuordnen.131 3. Stellungnahme In der Tat ist nicht nachvollziehbar, warum § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO Unterhaltsrenten besonderen Pfändungsschutz zuspricht. Da diese – wie Einkommen – der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins dienen, erscheint die bisherige Lösung teleologisch nicht kohärent. Der Ansatz des GNeuMoP ist folglich sachgerecht. III. § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO Fortlaufende Einkünfte, die ein Schuldner aus Stiftungen oder sonst auf Grund der Fürsorge und Freigebigkeit eines Dritten oder auf Grund eines Altenteils oder Auszugsvertrags bezieht, sind nach § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO unpfändbar. Der Pfändungsschutz nach § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO lässt sich insofern auf einen Nenner bringen: Allen Gründen für den Pfändungsschutz ist gemein, dass zwischen dem Leistungspflichtigen und dem Schuldner eine bestimmte persönliche Beziehung besteht.132 Erneut handelt es sich um die Wiederholung eines inhalts-
130
RGBl. I 1940, S. 1451, 1452. BR-Drs. 139/10, S. 39. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. 132 Saenger/Kemper, § 850b ZPO Rn. 6 . 131
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gleichen Pfändungsverbots aus § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Lohnpfändungsverordnung von 1940.133 1. Normzweck Zweck von § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist es, den Lebensunterhalt des Schuldners zu sichern.134 Insofern geht es um den Schutz von Bezügen, die – wie Arbeitseinkommen – der Versorgung des Schuldners dienen.135 2. Reformbestrebungen Mit dem GNeuMoP sollte der Pfändungsschutz von § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO entfallen. Stattdessen sollte der allgemeine Pfändungsschutz für Einkommen gelten, weil sich – wie schon bei § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO – nicht erschließe, warum solches Einkommen gegenüber den von § 850c ZPO geschützten Ansprüchen privilegiert werden müsste.136 3. Stellungnahme Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein gebietet keinen besonderen Pfändungsschutz für die in § 850b Abs. 1 Nr. 3 ZPO genannten Einkünfte. Ganz im Gegenteil lässt sich nicht erklären, warum diese Einkünfte besonders privilegiert werden sollen. Systematisch stimmig ist der Vorschlag des GNeuMoP, der insofern den allgemeinen Pfändungsschutz für Einkommen für maßgeblich erklären will. IV. § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO Der Pfändungsschutz aus § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezieht sich auf Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden (Var. 1), ferner auf Ansprüche aus Lebensversicherungen, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen sind, vorausgesetzt, die Versicherungssumme übersteigt 5.400 Euro nicht (Var. 2). 1. Normzweck Was den Normzweck angeht, ist zwischen den beiden von § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO genannten Alternativen zu differenzieren.
133
RGBl. I 1940, S. 1451, 1452. BGH, Urt. v. 04.12.2009, V ZR 9/09, NJW-RR 2010, 1235, 1236. 135 Vgl. BGH, Urt. v. 04.07.2007, VII ZB 86/06, NJW-RR 2007, 1390, 1391. 136 BR-Drs. 139/10, S. 39 f. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. 134
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a) Unterstützungsleistungen Bezüge aus Witwen-, Waisen-, Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden (§ 850b Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 ZPO), dienen der Versorgung des Schuldners.137 Normzweck ist also, dem Schuldner ein menschenwürdiges Dasein mit Blick auf die nötige Subsistenz zu ermöglichen. b) Kleinlebensversicherung auf den Todesfall Mit den von § 850b Abs. 1 Nr. 4 Var. 2 ZPO genannten Lebensversicherungen sollen in der Regel die aus Anlass des Todes des Versicherungsnehmers entstandenen Aufwendungen wie z. B. die Beerdigungskosten abgedeckt werden.138 Daraus wird teilweise gefolgert, dass Normzweck die Entlastung derjenigen sei, welche die Beerdigungskosten zu tragen haben (§ 1968 BGB).139 Zusätzlich bzw. alternativ wird als Normzweck die Verhinderung der Armenbestattungen aus öffentlichen Mitteln ins Feld geführt.140 Wenn mit einer Kleinlebensversicherung auf den Todesfall Vorsorge getroffen wird, darf der Zweck des Pfändungsverbots nicht in der Entlastung der öffentlichen Hand gesehen werden. Der damit verbundene Eingriff in Grundrechtspositionen des Gläubigers lässt sich so nämlich nicht rechtfertigen.141 Indes gebietet es das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein, einem Schuldner die Mittel zu belassen, die er benötigt, um seiner Verpflichtung zur Tragung von Bestattungskosten nachzukommen.142 2. Reformbestrebungen Der Reformgesetzgeber des GNeuMoP wollte § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufspalten. 137 HK-ZV/Meller-Hannich,
§ 850b ZPO Rn. 22. BVerfG, Beschl. v. 03.05.2004, 1 BvR 479/04, NJW 2004, 2585; BGH, Beschl. v. 12.12. 2007, VII ZB 47/07, NJW-RR 2008, 412, 413; BFH, Urt. v. 12.06.1991, VII R 54/90, NJW 1992, 527, 528; Menzel, Vollstreckungsschutz zugunsten privater Altersvorsorge, 2011, S. 74; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850b ZPO Rn. 35; Wall, Das Valutaverhältnis des Vertrags zugun sten Dritter auf den Todesfall – ein Forderungsvermächtnis, 2010, S. 405; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850b ZPO Rn. 21. 139 BGH, Beschl. v. 19.03.2009, IX ZA 2/09, juris, Rn. 5; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850b ZPO Rn. 8; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850b ZPO Rn. 17; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850b ZPO Rn. 22. 140 BGH, Beschl. v. 19.03.2009, IX ZA 2/09, juris, Rn. 5; LG Mainz, Urt. v. 05.11.1971, 8 T 177/71, VersR 1972, 142; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850b ZPO Rn. 8; MüKo-ZPO/Smid, § 850b ZPO Rn. 13. 141 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B. 142 Vgl. dazu bereits Kapitel 6:§2:C.VII.1.a). 138
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Der Pfändungsschutz nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 ZPO sollte entfallen. Es wurde vorgeschlagen, an dessen Stelle den Pfändungsschutz aus § 850c ZPO treten zu lassen, weil insofern eine Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen sei.143 Ansprüche nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 Var. 2 ZPO hingegen dienten dem Ausgleich des durch einen Todesfall entstehenden Mehraufwandes. Insofern sei das Pfändungsverbot des § 850a Nr. 2 ZPO in der vom GNeuMoP vorgeschlagenen Fassung einschlägig, das sich auf Einkommen bezieht, welches im Rahmen des Üblichen dafür gewährt wird, den durch einen Todesfall bedingten Mehraufwand auszugleichen.144 3. Stellungnahme Der differenzierende Ansatz des GNeuMoP schafft eine stringente Lösung, weil er den Fall der Unterstützungsleistungen (Var. 1) und den der Kleinlebensversicherungen auf den Todesfall (Var. 2) unterscheidet. Unterstützungsleistungen (Var. 1) beziehen sich darauf, dem Schuldner die erforderlichen Mittel zur Lebensführung zu gewähren. Folglich ist der allgemeine Pfändungsschutz nach § 850c ZPO sedes materiae. Anders ist die Sachlage bei den Kleinlebensversicherungen auf den Todesfall (Var. 2). Wenn diese Möglichkeit gewählt wurde, kann es keinen Unterschied machen, ob dem Schuldner die nötigen Mittel aus einem Arbeits- bzw. Dienstverhältnis oder einer Versicherung zufließen. Deshalb ist mit Bezug auf diese beiden Quellen ein gleichlaufender Pfändungsschutz angezeigt, der die bei einem Todesfall entstehenden Mehraufwendungen abdeckt. V. § 850b Abs. 2 ZPO § 850b Abs. 2 ZPO statuiert für bestimmte Konstellationen eine generelle Ausnahme von den Pfändungsverboten des § 850b Abs. 1 ZPO. Sofern die Pfändungsverbote des § 850b Abs. 1 ZPO sich auf arbeitseinkommensäquivalente Bezüge beziehen, bestehen keine Bedenken verfassungsrechtlicher Art. Dass derartige Bezüge nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden können, entspricht dem hier vorgeschlagenen Ansatz, de lege ferenda arbeitseinkommensäquivalente Bezüge dem Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen gleichzustellen. Dies hat allerdings die Konsequenz, dass die weiteren in § 850b Abs. 2 ZPO genannten Voraussetzungen de lege ferenda gegenstandslos werden. Soweit sich die Pfändungsverbote des § 850b Abs. 1 ZPO hingegen auf Bezüge beziehen, die nicht als arbeitseinkommensäquivalent eingestuft werden können, verbietet es sich, eine Ausnahmemöglichkeit vorzusehen, die zur Pfändung füh143
144
BR-Drs. 139/10, S. 39 f. Zustimmend Jäger, ZVI 2008, 409, 411. BR-Drs. 139/10, S. 40. Zustimmend ders., ZVI 2008, 409, 411.
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ren kann. Da sich gezeigt hat, dass diese in § 850b Abs. 1 ZPO genannten Forderungen aus verfassungsrechtlichen Gründen Pfändungsschutz genießen, um dem Schuldner bestimmte Aufwendungen zu ermöglichen, kann § 850b Abs. 2 ZPO als generelle Ausnahme nicht als verfassungsgemäß anerkannt werden. Deshalb ist dem Vorschlag des GNeuMoP zuzustimmen, der den bisherigen Pfändungsschutz des § 850b Abs. 1 ZPO – soweit er aufrechterhalten werden sollte – in § 850a ZPO (GNeuMoP) für unpfändbar erklärt hat, ohne eine mit § 850b Abs. 2 ZPO vergleichbare Ausnahmevorschrift aufzunehmen.
E. Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO) Vollstreckungsschutzvorschriften dienen dem Schutz des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins.145 Dem Schuldner muss ein Teil seines Arbeitseinkommens belassen werden, damit er aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Wie viel von dem Arbeitseinkommen dem Schuldner verbleiben muss, regelt grundsätzlich § 850c ZPO.146 I. Pfandfreie Grundbeträge (§ 850c Abs. 1 ZPO) Nicht nur die Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen generell, sondern auch der pfandfreie Grundbetrag nach § 850c Abs. 1 ZPO soll jedem Schuldner ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen.147 Dies gebietet es, dem Vollstreckungsschuldner, der sein Dasein selbst finanziert, mehr zu belassen, als der Sozialstaat dem Bürger gewähren würde.148 Folgerichtigerweise wird immer wieder konstatiert, dass die Pfändungsfreigrenzen deutlich über den Beträgen liegen müssen, die ein erwerbsfähiger Schuldner regelmäßig als Arbeitslosengeld II erhält.149 Durch dieses sog. Lohnabstandsgebot soll dem Vollstreckungsschuldner ein Anreiz bleiben, seine Arbeit nicht aufzugeben.150 Mit den Worten des Gesetzgebers bedeutet dies, dass „dem Schuldner über das Existenzminimum und über den durchschnittlichen Bedarf nach dem Bundessozialhilfege145
Vgl. dazu Kapitel 3:§4:A. Vgl. bezüglich bevorrechtigter Gläubiger §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO. 147 Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 130; Würdinger, in: Stein/ Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850c ZPO Rn. 1. 148 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§3:A.II. 149 BGH, Beschl. v. 25.10.2012, VII ZB 31/12, NZI 2013, 194, 196; BGH, Beschl. v. 25.10. 2012, VII ZB 47/11, NZS 2013, 315, 317; Rein, NZI 2013, 172, 175. Vgl. auch BT-Drs. 15/1516, S. 68. 150 BT-Drs. 14/6812, S. 11; BGH, Beschl. v. 09.07.2020, IX ZB 38/19, NZI 2020, 896, Rn. 15; BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, NZI 2014, 772, 773; Bouza da Costa, Dominik Manuel, Das Existenzminimum im Zivilrecht, 2018, S. 279; Meller-Hannich, WM 2011, 529, 530. Ob die Beträge, mit denen Arbeit honoriert wird, tatsächlich einen effektiven Anreiz setzen, ist eine andere Frage, kritisch insofern bereits Brehm, in: Gerhardt/Diederichsen/ Rimmelspacher u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Henckel zum 70. Geburtstag am 21. April 1995, 1995, S. 41, 51 (Fn. 29). 146
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setz151 hinaus ein gewisser Selbstbehalt verbleiben muss, um die Sinnhaftigkeit der Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit gegenüber der Sozialhilfe auch wirtschaftlich noch erkennbar sein zu lassen“.152 Deshalb kann der Reformvorschlag des GNeuMoP nicht überzeugen, der darauf abzielt, die Grundfreibeträge des § 850c ZPO dem Sozial- und Wohngeldrecht anzupassen.153 Die in § 850c Abs. 2 ZPO vorgesehenen Erhöhungsbeträge für die Personen, denen der Schuldner aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung Unterhalt leistet, erweitern den Pfändungsschutz zugunsten der Familie des Schuldners.154 Damit ist über die Schutzperspektive für den Schuldner auch die für die Familie angesprochen, was sich aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG als notwendig erweist.155 Konsequenterweise besteht der Pfändungsschutz des § 850c Abs. 2 ZPO – schon dem Wortlaut nach („gewährt“) – nur dann, wenn der Schuldner seiner gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung auch tatsächlich nachkommt.156 Die pauschale Erhöhung des Pfändungsfreibetrages ist dann nicht angezeigt, wenn die Person, welcher der Schuldner auf Grund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, über eigene Einkünfte verfügt. Deshalb kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt (§ 850c Abs. 6 Hs. 1 ZPO).157 Denn in dieser Konstellation reichen die insgesamt zur Verfügung stehenden Einkünfte für die Familie aus.158 Es lässt sich nicht rechtfertigen, den Pfändungsschutz nur an fünf Unterhaltsberechtigten auszurichten (§ 850c Abs. 2 S. 2 ZPO).159 Einige begründen dies 151 Das BSHG ist zu unterschiedlichen Zeitpunkten durch Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 und Art. 70 Abs. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 außer Kraft gesetzt worden, vgl. BGBl. I 2003, S. 3022, 3070 f. 152 BT-Drs. 14/6812, S. 8 . 153 BR-Drs. 139/10, S. 3. Kritisch auch Ahrens, NZI 2011, 265, 267; Meller-Hannich, WM 2011, 529, 533 f.; Priebe, ZInsO 2011, 11, 13; Richter, ZVI 2010, 180, 183. Bigge, WzS 2010, 198, 203 kritisiert die Praktikabilität. Im Kontext des P-Kontos ablehnend Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 16; vor diesem Hintergrund auch kritisch Bitter, ZIP 2011, 149, 152. Zustimmend indes Dieker/Remmert, NZI 2009, 708, 711; Hess, DGVZ 2010, 7, 9 (Fn. 32); Jäger, ZVI 2008, 409, 413; Sternal, VIA 2010, 41, 43. 154 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850c ZPO Rn. 1. 155 Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 78. 156 BeckOK-ZPO/Riedel, § 850c ZPO Rn. 20.1; Sturm, JurBüro 2002, 345, 346; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850c ZPO Rn. 16. 157 Strunk, Rbeistand 2008, 34, 39 fordert de lege ferenda eine konkrete Berechnungsregel. Vgl. zu dem Aspekt des Arbeitsanreizes in diesem Kontext Meller-Hannich/Hundertmark, NZI 2020, 898. 158 In diese Richtung HK-ZV/Meller-Hannich, § 850c ZPO Rn. 20. Vgl. auch die Rechenbeispiele bei Sturm, JurBüro 2002, 345, 345 f. 159 So aber für Österreich auch § 291a Abs. 2 Nr. 2 EO (i. V. m. § 292a Nr. 5 EO). Der Reformgesetzgeber im PKoFoG hält gleichfalls an der Berücksichtigung von lediglich fünf Unterhaltsberechtigten fest.
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mit Art. 6 Abs. 1 GG160 , andere mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG161. Zwar können Unterhaltslasten für mehr als fünf Personen über einen Antrag nach § 850f Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausgeglichen werden. Dadurch wird aber lediglich Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung getragen. Ein plausibler Grund für die vorgenommene Differenzierung innerhalb des Pfändungsschutzes ist damit jedoch nicht ersichtlich. Insbesondere kann zur Rechtfertigung nicht der Gedanke herangezogen werden, die Kreditfähigkeit des Schuldners zu erhalten.162 Wenn nämlich durch die Hintertür des § 850f Abs. 1 Nr. 3 ZPO anerkannt wird, dass der Pfändungsschutz auch mehr als fünf Unterhaltsberechtigte berücksichtigen muss, kann die Kreditfähigkeit des Schuldners nicht gefördert werden. Denn selbstverständlich sind diese Umstände potenziellen Kreditgebern bekannt. Es macht für den Wirtschaftsverkehr deswegen keinen Unterschied, ob der Pfändungsschutz auf § 850c Abs. 2 ZPO oder aber auf § 850f Abs. 1 Nr. 3 ZPO beruht. In beiden Fällen wird die Kreditfähigkeit des Schuldners eingeschränkt. II. Pfandfreie Mehrbeträge (§ 850c Abs. 3 ZPO) Wenn das Arbeitseinkommen den pfandfreien Grundbetrag nach § 850c Abs. 1 ZPO übersteigt, so ist es hinsichtlich des überschießenden Betrages nicht vollständig der Pfändung ausgesetzt. § 850c Abs. 3 ZPO legt fest, inwiefern das über den pfandfreien Grundbetrag hinausgehende Arbeitseinkommen gepfändet werden kann. Jedenfalls bleibt der Teil des Arbeitseinkommens, der einen bestimmten Höchstbetrag monatlich übersteigt, bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages unberücksichtigt (§ 850c Abs. 3 S. 3 ZPO). 1. Normzweck Dass über den pfandfreien Grundbetrag hinausgehendes Arbeitseinkommen nicht unbeschränkt pfändbar ist, soll dem Schuldner einen Anreiz schaffen, seine Bezüge zu steigern und damit seine Teilnahme am Erwerbsleben sichern.163 160 So Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850c ZPO Rn. 1; Mrozynski, in: ders. (Hrsg.), SGB I, 2019, § 54 SGB I Rn. 22. 161 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 850c ZPO Rn. 20. 162 So die Zweckzuschreibung von Zöller/Herget, § 850c ZPO Rn. 4a. Vgl. zu dem Aspekt der Verhaltenssteuerung schon Kapitel 3:§2:C. 163 Bouza da Costa, Dominik Manuel, Das Existenzminimum im Zivilrecht, 2018, S. 279; Honold, Die Pfändung des Arbeitseinkommens, 1998, S. 173; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850c ZPO Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 850c ZPO Rn. 28; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850c ZPO Rn. 5.1; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 172020, C.241; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850c ZPO Rn. 1. Eine vergleichbare Regelung existiert auch in Österreich mit identischen Zahlen und gleichen Einschränkungen (§ 291a Abs. 3 EO). In Frankreich liegt der Motivationsgedanke Art. R 3252-2 Code du travail zugrunde, in Luxemburg Art. 4 n° 2-4 Loi du 11 novembre 1970 sur les cessions et saisies des rémunérations de travail ainsi que des pensions et rentes. 6
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Erneut ist es also die Überlegung, dass die Motivation zu wirtschaftlichen Tätigkeiten für die Gestaltung eines menschenwürdigen Daseins nötig ist. Ein Schuldner, dem von einem dem Grundfreibetrag übersteigenden Einkommen nichts verbleibt, hat keinen Anreiz mehr, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, die zu einem solchen höheren Einkommen führt. 2. Quantifizierung In welcher Höhe ein pfandfreier Mehrbetrag geschützt wird, hängt zum einen davon ab, ob der Schuldner einer in § 850c Abs. 2 ZPO genannten Person Unterhalt gewährt und zum anderen von einem Höchstbetrag, über den hinaus grundsätzlich kein Pfändungsschutz mehr zur Verfügung steht. a) Unterhaltsgewährung § 850c Abs. 3 S. 1 ZPO legt fest, dass das Arbeitseinkommen, welches den pfandfreien Grundbetrag übersteigt, in Höhe von drei Zehnteln unpfändbar ist, wenn der Schuldner keiner der in § 850c Abs. 2 ZPO genannten Personen Unterhalt gewährt bzw. in Höhe von zwei weiteren Zehnteln für die erste Person, der Unterhalt gewährt wird und in Höhe von je einem weiteren Zehntel für die zweite bis fünfte Person. Diese Regelung hat ihre Wurzeln in § 5 der Lohn pfändungsverordnung von 1940, wobei dort der Pfändungsfreibetrag für jede Person, der Unterhalt gewährt wird, um ein Zehntel erhöht wurde.164 aa) Normzweck Es wird vertreten, dass dem Schuldner durch § 850c Abs. 3 S. 1, S. 2 ZPO zum einen ein menschenwürdiges Dasein ermöglich werden soll.165 Zum anderen müsse der Schuldner befähigt bleiben, seine gesetzlichen Unterhaltspflichten zu erfüllen.166 Diese Zweckzuschreibung überzeugt hinsichtlich ihrer zweiten Komponente nicht. Es ist zwar zutreffend, dass der Gesetzgeber die Höhe des Pfändungsschutzes für Mehreinkommen davon abhängig gemacht hat, ob der Schuldner Unterhalt gewährt. Dieser Beurteilungsgesichtspunkt ist aber im Kontext des Pfändungsschutzes für Mehrbeträge systemfremd. Es geht darum, den Schuldner zu motivieren, erwerbswirtschaftlich tätig zu werden. Dem Schuldner darf der Erwerbsanreiz nicht dadurch genommen werden, dass es sich für ihn wirtschaftlich nicht auswirkt, wie stark er seine Arbeitskraft einsetzt. Folglich geht es nicht um die Ausprägung der Existenzsicherung, wie bei dem pfandfreien 164
RGBl. I 1940, S. 1451, 1452. Goldbach, KKZ 2015, 126, 127. 166 BGH, Beschl. v. 19.05.2004, IXa ZB 310/03, NJW-RR 2004, 1370, 1371; ders., KKZ 2015, 126, 127. 165
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Grundbetrag nach § 850c Abs. 1 ZPO. Vielmehr steht der Aspekt der Motivierung des Schuldners im Vordergrund, weil es um einen Geldbetrag geht, der das zur Existenzsicherung Nötige übersteigt. Deshalb reicht der Pfändungsschutz des § 850c Abs. 3 S. 2 ZPO zu weit, indem er einen Schuldner aufgrund von Unterhaltsverpflichtungen privilegiert. Daraus ergibt sich ein Grundrechtseingriff zu Lasten des Gläubigers, der nicht zu rechtfertigen ist. bb) Reformbestrebungen Das GNeuMoP wollte seinerzeit etwaige Unterhaltspflichten des Schuldners bei der Bemessung der Freibeträge für Mehreinkommen nicht mehr berücksichtigen, weil die zwangsvollstreckungsrechtliche Honorierung der Erzielung von Mehreinkommen allein mit der durch das Mehreinkommen möglichen besseren Befriedigung der Forderung des Gläubigers zu rechtfertigen sei. Nur deshalb solle dem Schuldner ein zur Erzielung des Mehreinkommens motivierender Mehrbetrag belassen werden. Unterhaltspflichten spielten bei der Bemessung von Pfändungsfreibeträgen nur dann eine Rolle, wenn das menschenwürdige Dasein des Schuldners bzw. von dessen Familie geschützt werden solle. Beide Schutzrichtungen seien aber schon durch den Grundfreibetrag ausreichend berücksichtigt. Mit anderen Worten: Die Motivation des Schuldners zur Erzielung von Mehreinkommen und die Höhe der damit verbundenen Aufwendungen stehen in keinem Zusammenhang zur Anzahl unterhaltsberechtigter Personen.167 Das PKoFoG hingegen hält an der geltenden Regelungsidee fest. cc) Stellungnahme Der Ansatz des GNeuMoP war zutreffend. So erübrigt sich gleichzeitig die verfassungsrechtliche Problematik, dass sich die in § 850c Abs. 3 S. 2 ZPO vor zufindende Beschränkung auf fünf unterhaltsberechtigte Personen nicht rechtfertigen lässt.168 Insofern gelten die Ausführungen zu § 850c Abs. 2 S. 2 ZPO entsprechend.169 b) Höchstbetrag Nach § 850c Abs. 3 S. 3 ZPO bleibt der Teil des Arbeitseinkommens, der einen bestimmten Höchstbetrag übersteigt, bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages unberücksichtigt.170 167
BR-Drs. 139/10, S. 52. So auch Dieker/Remmert, NZI 2009, 708, 712. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken Wieczorek/Schütze/Lüke, § 850c ZPO Rn. 20; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850c ZPO Rn. 1. 169 Vgl. Kapitel 6:§2:E.I. 170 Auch Österreich (§ 291a Abs. 3 S. 2 EO), Frankreich (Art. R3252-2 7° Code du travail) 168 Vgl.
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aa) Normzweck Der Gesetzgeber scheint der Auffassung gewesen zu sein, dass ein den angespro chenen Höchstbetrag übersteigendes monatliches Einkommen zum Grund recht auf ein menschenwürdiges Dasein in keiner Relation mehr stehe, weswegen der Pfändungsschutz an dieser Grenze gekappt werden könne. bb) Reformbestrebungen Das GNeuMoP sah – in etwas differenzierterer Ausgestaltung – an anderer Stelle ebenfalls eine Höchstgrenze für den Pfändungsschutz vor. Das Einkommen, das den pfandfreien Grundbetrag um mehr als 2.000 Euro (400 Euro + 1.600 Euro) übersteigt, sollte keinen Pfändungsschutz mehr genießen (§ 850c Abs. 4 des Reformvorschlags).171 Das PKoFoG hingegen hält – wenn auch mit aktualisierten Zahlen – an dem geltenden Deckelungsmodell fest. cc) Stellungnahme Der Pfändungsschutz darf nicht fix nach oben gedeckelt werden, weil dann für den Schuldner ab einem gewissen Betrag kein Erwerbsanreiz mehr gegeben wäre.172 Arbeitseinkommen in diesem Bereich würde also nur erwirtschaftet, um es – gewissermaßen als durchlaufenden Posten – an den Gläubiger weiterzureichen. Einem jeden Schuldner muss ein Erwerbsanreiz verbleiben. Deshalb ist § 850c Abs. 3 S. 3 ZPO verfassungswidrig. Damit ist freilich nicht gesagt, wie viel von diesem Arbeitseinkommen dem Schuldner verbleiben muss. Schon ein angemessener Bruchteil von jedem mehrverdienten Euro kann genügen, um den notwendigen Erwerbsanreiz zu setzen. Was die genaue Motivationswirkung von in verschiedener Form pfändungsfrei gestellter Mehreinkommen angeht, bedarf es empirischer Untersuchungen.173 Erst dann steht fest, auf welche Weise sich die normative Grundüberlegung am besten umsetzen lässt.
und Luxemburg (Art. 4 n° 5 Loi du 11 novembre 1970 sur les cessions et saisies des rémunérations de travail ainsi que des pensions et rentes) sehen einen Höchstbetrag vor, ab dem eine Pfändung ohne Beschränkungen möglich ist. 171 BR-Drs. 139/10, S. 6 . Vgl. dazu bereits Kapitel 6:§2:C.I. 172 In diese Richtung schon Medicus, in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute – Der moderne Schuldturm?, 1993, S. 87, 96. Vgl. zum Verlust eines Arbeitsanreizes in der österreichischen Diskussion Burgstaller, DRdA 1989, 143; Burgstaller, JAP 1991/92, 252, 253; Markowetz, in: Deixler-Hübner (Hrsg.), Exekutionsordnung: Kommentar, 2020, § 291a EO Rn. 28. 173 Dieser erweiterte Debattenkontext betrifft die Frage der Verhaltenssteuerung durch Recht (dazu grundlegend Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, passim; Wagner, AcP 2006, 352, 352 ff.) und berührt gleichzeitig die von der ökonomischen Analyse des Rechts behandelnden Fragestellungen.
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F. Pfändbarkeit bei familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen (§ 850d ZPO) Für die Pfändbarkeit von familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen sieht § 850d ZPO erweiterte Vollstreckungsmöglichkeiten vor. Wird wegen solcher Ansprüche vollstreckt, sind das Arbeitseinkommen und die in § 850a Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 ZPO genannten Bezüge ohne die in § 850c ZPO bezeichneten Beschränkungen pfändbar, § 850d Abs. 1 S. 1 ZPO. Freilich dürfen einem Schuldner auch hier nicht alle Einkünfte genommen werden. Deshalb ordnet § 850d Abs. 1 S. 2 Hs. 1 ZPO an, dass dem Schuldner so viel zu belassen ist, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf. Dabei ist darauf zu achten, dass dem Schuldner von den in § 850a Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 ZPO genannten Bezügen mindestens die Hälfte des nach § 850a ZPO unpfändbaren Betrages zu verbleiben hat, § 850d Abs. 1 S. 2 Hs. 2 ZPO. Der Betrag, der Pfändungsschutz genießt, darf den Betrag nicht übersteigen, der dem Schuldner nach § 850c ZPO gegenüber nicht bevorrechtigten Gläubigern zu verbleiben hätte (§ 850d Abs. 1 S. 3 ZPO). Dies stellt erneut eine Anknüpfung an die Regelungsideen aus § 6 der Lohnpfändungsverordnung von 1940 dar.174 I. Normzweck Die Zweckzuschreibung von § 850d ZPO muss mit dem Schutzumfang der Vorschrift korrelieren. Wenn die Vollstreckung wegen familienrechtlicher Unterhaltsansprüche erfolgt, ist dem Schuldner das zu belassen, was er für seinen notwendigen Unterhalt benötigt. Insofern sollte ein Gleichlauf mit dem notwendigen Lebensunterhalt i. S. d. Abschnitte 2 und 4 des BSHG bestehen.175 Wie der notwendige Unterhalt seit Außerkrafttreten des BSHG zu bestimmen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Nach der überwiegenden Auffassung sollen nunmehr die Regeln des SGB XII maßgeblich sein.176 Es wird aber auch eine Orientierung an den Vorschriften des SGB II postuliert.177 Im Sinne einer differenzierenden Betrach174
RGBl. I 1940, S. 1451, 1452. BGH, Beschl. v. 18.07.2003, IXa ZB 151/03, NJW 2003, 2918, 2919. 176 BGH, Beschl. v. 15.01.2020, VII ZB 5/19, NJW 2020, 1371; BGH, Beschl. v. 05.07.2018, VII ZB 40/17, NJW-RR 2018, 1272, 1273; BGH, Beschl. v. 12.12.2007, VII ZB 38/07, NJW-RR 2008, 733 f.; Zöller/Herget, § 850d ZPO Rn. 7; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/ Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850d ZPO Rn. 7; Meller-Hannich, DGVZ 2009, 85, 91; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850d ZPO Rn. 13; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 172020, C.311; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850d ZPO Rn. 21. 177 Behr, Rpfleger 2005, 498, 499. 175
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tungsweise wird daneben vertreten, dass der Unterhalt für erwerbsfähige Schuldner nach dem SGB II und für nicht erwerbsfähige Schuldner nach dem SGB XII zu bemessen sei.178 Folglich soll § 850d ZPO dem Schuldner – unabhängig davon, welche Auffassung man für zutreffend erachtet – ein menschenwürdiges Dasein im sozialrechtlichen Sinne ermöglichen. Der zwangsvollstreckungsrechtliche Kontext bleibt also ausgeklammert. Dieses Pfändungsprivileg wird gewährt, um der Bedürftigkeit und der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Unterhaltsgläubigers vom Schuldner und dem engen familiären Band zwischen beiden Rechnung zu tragen.179 Ein Unterhaltsgläubiger, der nicht für sich selbst sorgen kann, soll nicht auf die staatliche Sozialfürsorge verwiesen werden.180 II. Reformbestrebungen Das GNeuMoP wollte an dem Regelungsinhalt von § 850d ZPO grundsätzlich festhalten. Die in der Norm vorgesehenen Veränderungen beschränkten sich auf notwendige redaktionelle Anpassungen.181 Das PKoFoG sah hinsichtlich § 850d ZPO keine Änderungen vor. III. Stellungnahme Dass § 850d ZPO die staatliche Sozialfürsorge durch Privilegierung der Unterhaltsgläubiger entlasten soll, kann kein legitimer Zweck für den Eingriff in die Schuldnerrechte sein.182 Mit dieser Begründung darf nicht in das menschenwürdige Dasein des Schuldners eingegriffen werden. Dass § 850d ZPO Schutz nur in sozialrechtlicher Hinsicht gewähren will, ist nicht verfassungskonform. Durch die Pfändungsverbote soll das menschenwürdige Dasein des Schuldners in der Ausprägung geschützt werden, auf die 178 LG Aschaffenburg, Beschl. v. 16.04.2007, 4 T 191/06, juris, Rn. 17; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.08.2005, 13 T 12331/04, FamRZ 2006, 436; Ahrens, NJW-Spezial 2009, 485; Neugebauer, MDR 2005, 911, 914; Schürmann, jurisPR-FamR 23/2007 Anm. 2; Zimmer mann/Freeman, ZVI 2008, 374, 375. 179 Bethke, FamRZ 1991, 397, 399. So auch Frisinger, Privilegierte Forderungen in der Zwangsvollstreckung und bei der Aufrechnung, 1967, S. 62; Honold, Die Pfändung des Arbeitseinkommens, 1998, S. 174; Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 191; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 80. 180 BGH, Beschl. v. 10.03.2011, VII ZB 70/08, NJW-RR 2011, 791, 792; Honold, Die Pfändung des Arbeitseinkommens, 1998, S. 174; Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 191; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 80. Kritisch Bethke, FamRZ 1991, 397, 398. 181 BR-Drs. 139/10, S. 7. 182 So auch Bethke, FamRZ 1991, 397, 398.
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zwangsvollstreckungsrechtlich Rücksicht zu nehmen ist. Die Pfändungsgrenzen müssen den sozialrechtlichen Schutz übersteigen, um dem Schuldner die Motivation zu belassen, sich über dieses Niveau hinaus um zusätzliche Einkünfte zu bemühen. Wenn nun eine Vorschrift wie § 850d ZPO diesen verfassungsrechtlich maßgeblich zu berücksichtigenden Anreiz beseitigt, kann der darin liegende Eingriff nicht gerechtfertigt werden.183 Diese weitreichende Konsequenz ist unausweichlich, wenn man den Leitgedanken „Schutz des menschenwürdigen Daseins in der Zwangsvollstreckung“ einschließlich des notwendigen Motivationselements konsequent ernst nimmt. Folglich ist § 850d ZPO de lege ferenda zu streichen.
G. Härteklausel (§ 850f Abs. 1 ZPO) § 850f Abs. 1 ZPO sieht vor, dass das Vollstreckungsgericht einem Schuldner auf dessen Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d, 850i ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens unter gewissen Voraussetzungen einen Teil belassen kann. § 850f Abs. 1 ZPO findet sich – wenn auch nicht wörtlich, so doch sinngemäß – schon in § 8 der Lohnpfändungsverordnung von 1940, an die erneut angeknüpft wird.184 Eine Erhöhung des unpfändbaren Freibeitrags ist für besondere Umstände auch in Österreich vorgesehen (§ 292a EO). I. Normzweck § 850f Abs. 1 ZPO normiert drei verschiedene Konstellationen, in denen eine Anpassung der Pfändungsgrenzen in Betracht kommt. 1. Sozialleistungssätze Während die Pfändungsverbote allgemein festlegen, inwieweit eine Pfändung zum Schutz des menschenwürdigen Daseins des Schuldners ausscheiden muss, nimmt der sozialrechtliche Schutz dieses Grundrechts auf individuelle Besonderheiten des Bedürftigen Rücksicht.185 Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht 183 So zumindest ansatzweise auch Strunk, Rbeistand 2008, 34, 39 (allerdings im Kontext des GNeuMoP). Deshalb kann der Vorschlag von Behr, KJ 1980, 156, 163 nicht überzeugen, der fordert, die erweiterte Zugriffsmöglichkeit de lege ferenda auf andere vergleichbare Gläubiger zu übertragen. In Österreich sieht § 291b Abs. 2 EO ebenfalls eine Reduktion des grundsätzlich nach § 291a EO unpfändbaren Freibetrags um 25 % vor. In Frankreich konnten bis zur Reform 1991/1992 Unterhaltsgläubiger uneingeschränkt in das gesamte Arbeitseinkommen des Schuldners vollstrecken, vgl. Honold, Die Pfändung des Arbeitseinkommens, 1998, S. 174 f.; Traichel, Die Reform des französischen Zwangsvollstreckungsrechts (loi n° 91–650 vom 9. Juli 1991; décret n° 92–755 vom 31. Juli 1992), 1995, S. 164. Jetzt werden zwar Unterhaltsgläubiger durch Art. L3252-5 Code du travail weiterhin gegenüber sonstigen Gläubigern privilegiert. Indes muss dem Schuldner das sog. aktive Solidaritätseinkommen verbleiben, vgl. Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 105 f. 184 RGBl. I 1940, S. 1451, 1453. 185 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§3:A.I.
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ausschließen, dass eine Pfändungsmaßnahme einem Schuldner weniger belassen würde, als ihm sozialrechtlich zusteht. Es war umstritten, ob ein Härtefall nach seinerzeit § 850f Abs. 1 lit. a) ZPO (heute: § 850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO) angenommen werden kann, wenn eine Pfändung dazu führt, dass der Schuldner von Sozialhilfe abhängig wird.186 Diesen Streit hat der Gesetzgeber durch den heutigen § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO entschieden.187 § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO stellt darauf ab, dass der notwendige Lebensbedarf eines Schuldners im Sinne des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII oder nach Kapitel 3 Abschnitt 2 des SGB II für sich und für die Personen, denen er gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen nicht gedeckt wäre. Hier liegt auf jeden Fall ein Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein vor, weil anerkannt ist, dass das sozialrechtlich Gewährleistete die absolute Untergrenze dessen bildet, was der Schuldner benötigt. Erneut darf der Zweck der Vorschrift nicht in der Entlastung der öffentlichen Hand gesehen werden.188 Mit dieser Zweckzuschreibung ließe sich der mit dem Pfändungsschutz verbundene Eingriff auf Seiten des Gläubigers nicht rechtfertigen.189 Entscheidend ist wie auch sonst, dass eine Pfändungsmaßnahme unzulässig ist, die zu einem Eingriff in das menschenwürdige Dasein des Schuldners führt. Es war umstritten, ob sich der Schuldner im Anwendungsbereich von § 850f Abs. 1 lit. a) ZPO a. F. neben gesetzlichen Unterhaltspflichten auch auf faktische Unterhaltspflichten190 berufen konnte.191 Damit war die Frage angesprochen, 186 So z. B. OLG Köln, Beschl. v. 16.05.1989, 2 W 80/89, FamRZ 1989, 996; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.01.1987, 8 W 406/86, NJW-RR 1987, 758; LG Hannover, Beschl. v. 03.12.1984, 11 T 280/84, Rpfleger 1985, 154; Christmann, JurBüro 1990, 425, 428; Kohte, Rpfleger 1990, 9, 10; a. A. LG Berlin, Beschl. v. 13.01.1992, 81 T 878/91, JurBüro 1992, 704; LG Duisburg, Beschl. v. 18.03.1991, 4 T 30/91, JurBüro 1991, 868, 869. 187 BGBl. I 1992, S. 745; vgl. dazu BT-Drs. 12/1754, S. 17. 188 So aber Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850f ZPO Rn. 6. 189 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B. 190 Der Begriff „faktische Unterhaltspflichten“ ist unglücklich gewählt, weil Pflichten etwas Normatives und nicht etwas Faktisches sind. Allerdings hat sich die Terminologie so eingebürgert, dass sie hier beibehalten wird. 191 Dafür: OLG Frankfurt, Urt. v. 04.07.2008, 24 U 146/07, juris, Rn. 10 („analoge Anwendung“); LG Braunschweig, Beschl. v. 13.12.2016, 6 T 691/16, juris, Rn. 11 f. („entsprechende Anwendung des § 850f ZPO“); LG Essen, Beschl. v. 04.09.2014, 7 T 285/14, juris, Rn. 7 f.; LG Darmstadt, Urt. v. 27.09.2007, 10 O 421/07, juris, Rn. 19 („entsprechende Anwendung“); AG Dorsten, Beschl. v. 18.01.2018, 6 M 457/17, ZVI 2018, 162, 163; SG Lübeck, Beschl. v. 22.03. 2011, S 21 AS 198/11 ER, NZS 2012, 195 („erweiternde Auslegung“); Prütting/Gehrlein/ Ahrens, § 850f ZPO Rn. 21; Kluth, VIA 2015, 29; Lackmann, ZVI 2017, 409, 413; Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 850f ZPO Rn. 3; Rein, NZI 2018, 308, 310; Zimmermann/Zipf, ZVI 2008, 378, 379. Dagegen: LG Münster, Beschl. v. 31.01.2017, 5 T 30/17, NJOZ 2019, 440, 441; LG Mosbach, Beschl. v. 23.03.2012, 5 T 31/12, juris, Rn. 12; LG Heilbronn, Beschl. v. 28.11.2011, 1 T 327/11 Hn, juris, Rn. 6; OVG Lüneburg, Beschl. v. 08.03. 2011, 5 LA 215/10, juris, Rn. 6; VG Düsseldorf, Urt. v. 08.01.2015, 13 K 4433/14, juris, Rn. 20;
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ob auch die Verpflichtung des Schuldners anzuerkennen ist, im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft sein Einkommen und Vermögen zur Deckung des Bedarfes der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen (vgl. § 9 Abs. 2 S. 1, S. 2 SGB II, § 27 Abs. 2 S. 2, S. 3 SGB XII). Im Gesetzgebungsverfahren zum PKoFoG war zunächst vorgesehen, den Pfändungsschutz ausdrücklich auf Personen zu erstrecken, denen der Schuldner gesetzlichen Unterhalt zu gewähren hat oder denen gegenüber er gemäß § 9 Abs. 2 S. 1, S. 2 SGB II oder §§ 27 Abs. 2 S. 2, 39 SGB XII einstandspflichtig ist.192 Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber Sozial- und Zwangsvollstreckungsrecht harmonisieren. Es sollte verhindert werden, dass einer Familie durch eine Pfändung existenzsichernde Mittel entzogen werden.193 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat dann darüber diskutiert, auf welche Weise Bedarfsgemeinschaften in den Anwendungsbereich von § 850f Abs. 1 lit. a) ZPO a. F. integriert werden könnten. Im Ergebnis wurde konstatiert, dass die Problematik über das Zwangsvollstreckungsrecht hinaus insbesondere im Zusammenhang mit den Regelungen im Sozialrecht gesehen werden muss. Dem Vorschlag des Ausschusses folgend hat der Gesetzgeber mit dem PKoFoG festgelegt, dass bei § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO i. d. F. durch das PKoFoG lediglich Personen zu berücksichtigen sind, denen der Schuldner ge setzlich zum Unterhalt verpflichtet ist. Es bleibt trotzdem zu klären, ob die Berücksichtigung von faktischen Unterhaltspflichten nicht verfassungsrechtlich geboten ist. Fest steht, dass dem Schuldner nicht die Mittel entzogen werden dürfen, die er für sein menschenwürdiges Dasein benötigt. Es liegt auch auf der Hand, dass dem Schuldner – unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von Beziehungen – nicht zugemutet werden darf, die Bedarfsgemeinschaft zu beenden.194 Allerdings ist es nicht zwingend geboten, den nötigen Schutz im Zwangsvollstreckungsrecht zu verankern. Zwar würde der durch das PKoFoG veränderte VG Hannover, Beschl. v. 15.06.2009, 2 B 1717/09, juris, Rn. 17 f.; Flockenhaus, in: Musielak/ Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850f ZPO Rn. 2b; Goebel, ZVI 2008, 513, 514; Zöller/Herget, § 850f ZPO Rn. 2b; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850f ZPO Rn. 8; Kraft/ Tkotsch, DGVZ 2020, 109, 115; Gottwald/Mock/Mock, § 850f ZPO Rn. 9; BeckOK-ZPO/ Riedel, § 850f ZPO Rn. 19.1; Schmidt, ZVI 2018, 1, 2; Wiedemann, ZVI 2010, 291, 297; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850f ZPO Rn. 3. Offen gelassen: BGH, Beschl. v. 19.10.2017, IX ZB 100/16, NZI 2017, 931, 932. 192 BT-Drs. 19/19850, S. 5 4 (Stellungnahme des Bundesrats). So auch die Forderung der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (PKoFoG), 2019 (https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2019/Downloads/111919_Stellungnahme_AG- Schuldner_RefE_PKoFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=2), S. 5 f. (geprüft am 12.09.2021). 193 BT-Drs. 19/19850, S. 5 4 (Stellungnahme des Bundesrats). 194 LG Essen, Beschl. v. 04.09.2014, 7 T 285/14, juris, Rn. 8 .
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Wortlaut von § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO („gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet“), ein solches Auslegungsergebnis nach wie vor rechtfertigen. Eine sozialrecht liche Einstandspflicht kann bei weiter Auslegung195 nämlich auch als gesetzliche Unterhaltspflicht verstanden werden.196 Indes ist zu berücksichtigen, dass der mit dem Schuldner in Bedarfsgemeinschaft lebenden Person grundsätzlich sozialrechtliche Ansprüche zustehen. Da insofern nicht der Schuldner selbst auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, sind seine Grundrechte nicht berührt. In Bezug auf die mit dem Schuldner in Bedarfsgemeinschaft lebende Person ist kein Grund ersichtlich, warum eine Verweisung auf sozialrechtliche Ansprüche verfassungsrechtlich problematisch sein könnte. Dies erhellt aus Folgendem: Wenn diese Person mit dem Schuldner in keiner Bedarfsgemeinschaft leben würde, wäre sie ebenfalls von staatlichen Leistungen abhängig. Deshalb käme als Alternative zur Berücksichtigung von Bedarfsgemeinschaften in § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Betracht, das Einkommen des Schuldners bei der Festsetzung der Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII nicht zu berücksichtigen, soweit es dem Vollstreckungszugriff unterliegt.197 Die Entscheidung, ob eine Lösung über das Zwangsvollstreckungsrecht oder über das Sozialrecht erfolgen soll, kann nicht ohne Einbeziehung der Grundrechte des Gläubigers entschieden werden. Werden faktische Unterhaltsleistungen in § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO integriert, stellt dies auf Seiten des Gläubigers einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff dar.198 Es ist aber kein legitimer Zweck dafür ersichtlich, dass ein Gläubiger eine Forderung nicht vollstrecken können sollte, weil der Schuldner in einer Bedarfsgemeinschaft lebt.199 Damit ist die Lösung im Sozialrecht zu finden. Folglich darf das Einkommen des Schuldners bei der Festsetzung der sozialrechtlichen Leistungen nur berücksichtigt werden, soweit es dem Vollstreckungszugriff unterliegt.200 Aus der Sicht des Zwangsvollstreckungsrecht bedeutet dies, dass faktische Unterhaltspflichten bei § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO als Kriterium ausscheiden.
195 Wie bereits dargelegt [vgl. Kapitel 4:§1:A.I.1] sind Pfändungsverbote als Ausnahme vorschriften nicht zwingend eng auszulegen, so aber im hiesigen Kontext LG Münster, Beschl. v. 31.01.2017, 5 T 30/17, juris, Rn. 14; Schmidt, ZVI 2018, 1, 2. 196 Rein, ZVI 2018, 129; Lackmann, ZVI 2017, 409, 410 f. 197 So als eine denkbare Alternative schon Wiedemann, ZVI 2010, 291, 295. 198 Goebel, ZVI 2008, 513, 514. Dies übersieht die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (PKoFoG), 2019 (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnah men/2 019/Downloads/111919_ Stellungnahme_AG-Schuldner_RefE _PKoFoG.pdf?__ blob=publicationFile&v=2), S. 6 (geprüft am 12.09.2021), die meint, die Situation sei mit der im Rahmen von Prozesskostenhilfe vergleichbar (§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 ZPO, vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 28.04.2015, 5 WF 107/15, NZS 2015, 589). 199 So auch Goebel, ZVI 2008, 513, 514. 200 So als eine Alternative, aber offen gelassen: Wiedemann, ZVI 2010, 291, 295.
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2. Besondere Bedürfnisse des Schuldners Auch bei besonderen Bedürfnissen des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen können die Pfändungsgrenzen individuell angepasst werden, § 850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Auf diese Weise soll ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass der individuelle Bedarf durch die pauschal unpfändbaren Einkommensteile – auf Grund besonderer Umstände – nicht gedeckt werden kann.201 Insofern geht es also um besondere Ausprägungen des menschenwürdigen Daseins, die in pauschalen Pfändungsfreibeträgen nicht adäquat abgebildet werden können. Damit werden z. B. besondere gesundheitliche Situationen berücksichtigt, in denen ein Schuldner wegen einer medizinischen Behandlung zu Aufwendungen gezwungen ist.202 3. Gesetzliche Unterhaltspflichten Eine Anpassung der Pfändungsgrenzen ist schließlich möglich, wenn der besondere Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners, insbesondere die Zahl der Unterhaltsberechtigten, dies erfordern, § 850f Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Damit ist insbesondere der Fall gemeint, dass ein Schuldner mehr als fünf Personen zum Unterhalt verpflichtet ist, weil solche Unterhaltspflichten in § 850c ZPO nicht berücksichtigt werden.203 Außerdem können es besondere Bedürfnisse eines Unterhaltsberechtigten sein, die hier ins Gewicht fallen.204 Damit bezieht sich die Vorschrift auf das menschenwürdige Dasein des Schuldners und seiner Familie. II. Anwendungsbereich Wenn die Voraussetzungen der Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 erfüllt sind, ist weiterhin ein Antrag des Schuldners notwendig, § 850f Abs. 1 ZPO. 1. Antragserfordernis Das schon in der Lohnpfändungsverordnung von 1940 verankerte Antrags erfordernis205 wird in § 850f Abs. 1 ZPO übernommen. Dies wurde kritisiert, insbesondere mit Blick darauf, dass vielen Schuldnern diese Schutzmöglichkeit 201
BGH, Beschl. v. 23.04.2009, IX ZB 35/08, NJW 2009, 2313, 2314. zu den strengen Voraussetzungen z. B. BGH, Beschl. v. 23.04.2009, IX ZB 35/08, NJW 2009, 2313, 2314. 203 Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850f ZPO Rn. 8; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850f ZPO Rn. 24; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850f ZPO Rn. 5. 204 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850f ZPO Rn. 6; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850f ZPO Rn. 8; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850f ZPO Rn. 25. 205 Vgl. RGBl. I 1940, S. 1451, 1453. 202 Vgl.
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unbekannt sei.206 Gegen diese Kritik wird eingewandt, dass auch staatliche Unterstützung nicht von Amts wegen gewährt werde.207 Eine solche vergleichende Betrachtungsweise ist aber deshalb unangebracht, weil es im Zwangsvollstreckungsrecht – anders als im Sozialrecht – nicht um die leistungsrechtliche, sondern um die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte geht.208 Praxisnah, im Ergebnis aber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht haltbar, ist die Argumentation, die das Antragserfordernis damit rechtfertigt, dass das Tatbestandsmerkmal „Sozialhilfebedürftigkeit“ nicht von Amts wegen geprüft werden könne, ohne die Funktionsfähigkeit des Vollstreckungsverfahrens zu beeinträchtigen.209 Zwar war eine solche Prüfung bis zum 17.06.1994 in § 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I ausdrücklich vorgesehen („und der Leistungsberechtigte dadurch, nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird“). Es darf aber nicht verkannt werden, dass sich die Sonderbestimmungen zur Pfändung laufender Sozialleistungen aus Sicht des Gesetzgebers „als kaum praktikabel erwiesen“210 haben. Um das Pfändungsverfahren von schwierigen Einzelfallprüfungen zu entlasten, hat sich der Gesetzgeber deshalb davon verabschiedet.211 Die bloße Praktikabilität kann aber einer verfassungsrechtlich gebotenen Regelung nicht entgegengehalten werden. Wenn etwas verfassungsrechtlich geboten ist, muss eine entsprechende Praxis organisiert werden. In diesem Sinne ist gesamtsystematisch zu berücksichtigen, dass § 319 AO auf § 850f Abs. 1 ZPO verweist. In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass das Vorliegen der Voraussetzungen von § 850f Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen ist.212 Folglich sind nach wie vor solche „schwierigen Einzelfallprüfungen“ in der dortigen Vollstreckung durchzuführen. Selbst innerhalb der Pfändungsverbote ist die Berechnung des „notwendigen Unterhalts“ von Amts wegen vorgesehen (vgl. z. B. §§ 850d Abs. 1 S. 1, 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO). Das generelle Argument, derartige Einzelfallprüfungen seien in Vollstreckungskontexten praktisch dysfunktional, kann also nicht aufrechterhalten werden. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich bei dem Antragserfordernis um eine Frage des Informationsmanagements in der Zwangsvollstreckung. 206
Kohte, Rpfleger 1990, 9, 10. Christmann, Rpfleger 1990, 403, 404; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 133. 208 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§3:A.I. 209 Christmann, Rpfleger 1990, 403, 404; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 133. 210 BT-Drs. 12/5187, S. 29. 211 BT-Drs. 12/5187, S. 29. 212 VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 31.01.2017, 1 S 2547/16, juris, Rn. 10; Beermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler (Hrsg.), Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 2632021, § 319 AO Rn. 71; Klüger, in: Koenig (Hrsg.), Abgabenordnung, 42021, § 319 AO Rn. 26; Werth, in: Klein (Hrsg.), Abgabenordnung, 152020, § 319 AO Rn. 19. 207
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Wenn dem Vollstreckungsgericht die nötigen Informationen vorliegen, die zu einer Änderung des unpfändbaren Betrages bei § 850f Abs. 1 ZPO führen müssen, ist nicht nachvollziehbar, warum zusätzlich ein Antrag des Schuldners erforderlich sein soll. Wie § 851a Abs. 2 ZPO entnommen werden kann, ist ein Antragserfordernis überflüssig, wenn dem Gericht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen bekannt ist. Sollte das Vollstreckungsgericht hingegen nicht über die relevanten Informationen verfügen, ist der Schuldner zu involvieren, um die nötigen Informationen von ihm zu erhalten. So lässt sich das Antragserfordernis erklären. Freilich wird man den Schuldner auf die Antragsmöglichkeit hinweisen müssen. Nur so ist der erforderliche Schutz effektiv ausgestaltet.213 2. Überwiegende Belange des Gläubigers § 850f Abs. 1 ZPO sieht vor, dass bei der Entscheidung, ob dem Schuldner von dem pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens ein Teil belassen werden kann, überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen dürfen. Dieser Aspekt entstammt noch der Lohnpfändungsverordnung von 1940.214 Indes kann eine solche Tatbestandsvoraussetzung mit dem Zweck der Norm, dem Schuldner ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, nicht vereinbart werden. Dieses Grundrecht ist einer Abwägung nicht zugänglich. Wenn der Schutzbereich des Grundrechts eröffnet ist, darf – unabhängig von etwaigen Belangen des Gläubigers – kein Eingriff erfolgen.215 III. Rechtsfolge § 850f Abs. 1 ZPO ordnet an, dass das Vollstreckungsgericht dem Schuldner, wenn einer der Tatbestände des § 850f Abs. 1 ZPO erfüllt ist, von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d, 850i ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen kann. 1. Dem Grunde nach Umstritten ist, was unter dem zu belassenden Teil zu verstehen ist. Wiederum ist zu betonen: Diese Formulierung befand sich schon 1940 in § 8 der Lohnpfändungsverordnung.216 Es wird vertreten, dass eine vollständige Freistellung von der Pfändung nicht in Betracht komme, sondern dem Gläubiger stets ein pfänd213
Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S. 222. Vgl. RGBl. I 1940, S. 1451, 1453. 215 Sartorius, Das Existenzminimum im Recht, 2000, S. 2 21. So auch Kohte/Zimmermann, NDV 2000, 245, 251, allerdings unter Bezugnahme auf die Grundwertung des Zwangsvollstreckungsrechts, das sozialhilferechtliche Existenzminimum des Schuldners grundsätzlich pfändungsfrei zu stellen. 216 Vgl. RGBl. I 1940, S. 1451, 1453. 214
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barer Teil verbleiben müsse.217 Es wird aber auch angenommen, dass eine vollständige Freistellung des Einkommens des Schuldners möglich sei.218 Dafür, dass dem Gläubiger immer ein pfändbarer Teil zur Verfügung stehen muss, wird der Wortlaut „Teil“ ins Feld geführt.219 Allerdings deutet die Entstehungsgeschichte der Norm in die andere Richtung: In der Begründung zum Regierungsentwurf für das Sechste Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen heißt es, dass dem Schuldner die Möglichkeit gegeben werden soll, durch einen Antrag an das Vollstreckungsgericht zu verhindern, dass das ihm nach der Pfändung verbleibende Einkommen unter seinen Sozialhilfebedarf absinkt.220 Damit entspricht es dem Willen den Gesetzgebers, im Einzelfall auch das vollständige Arbeitseinkommen des Schuldners pfändungsfrei zu stellen.221 Dieses Auslegungsergebnis lässt sich mit dem Telos der Norm stützen: Dem Schuldner soll ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht werden. Dieses Ziel kann in manchen Fällen nur dadurch erreicht werden, dass dem Gläubiger der Pfändungszugriff gänzlich verwehrt wird.222 Damit ist das Telos verfassungsrechtlich „aufgeladen“, und zwar mit folgender Konsequenz: Wenn die abstrakt- generellen Pfändungsverbote den erforderlichen Schutz im Einzelfall nicht gewährleisten können, muss § 850f Abs. 1 ZPO die Schutzlücke schließen. Aufgrund des klaren Wortlauts von § 850f Abs. 1 ZPO lässt sich dieses Ergebnis nur im Wege einer Analogie begründen. Die planwidrige Regelungslücke ist darin zu sehen, dass der Gesetzgeber nicht alle denkbaren Konstellationen ge217 OLG Koblenz, Beschl. v. 15.09.1986, 4 W 602/86, JurBüro 1987, 306, 307; LG Berlin, Beschl. v. 13.01.1992, 81 T 878/91, JurBüro 1992, 704; LG Aachen, Beschl. v. 13.07.1989, 5 T 188/89, JurBüro 1990, 121, 122; Behr, JurBüro 1994, 521, 522; Hornung, Rpfleger 1992, 331, 334; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850f ZPO Rn. 5; MüKo-ZPO/Smid, § 850f ZPO Rn. 14. 218 BGH, Beschl. v. 12.12.2003, IXa ZB 209/03, NJOZ 2004, 1205, 1207; OLG Zwei brücken, Beschl. v. 14.02.2002, 3 W 6/02, NJW-RR 2002, 1664, 1665; LG Duisburg, Beschl. v. 18.03.1998, 24 T 285/97, Rpfleger 1998, 355; LG Gießen, Beschl. v. 26.07.1995, 7 T 134/95, Rpfleger 1996, 118, 119; LG Köln, Beschl. v. 21.02.1994, 6 T 15/94, JurBüro 1995, 103; Flocken haus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850f ZPO Rn. 3; Zöller/Her get, § 850f ZPO Rn. 6; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 83; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850f ZPO Rn. 13; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 172020, C.441; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850f ZPO Rn. 3 (Fn. 14). 219 LG Duisburg, Beschl. v. 18.03.1998, 24 T 285/97, Rpfleger 1998, 355; LG Gießen, Beschl. v. 26.07.1995, 7 T 134/95, Rpfleger 1996, 118; Behr, JurBüro 1994, 521, 522; Stöber/Reller meyer, Forderungspfändung, 172020, C.441. 220 BT-Drs. 12/1754, S. 17. 221 LG Duisburg, Beschl. v. 18.03.1998, 24 T 285/97, Rpfleger 1998, 355, 356; LG Gießen, Beschl. v. 26.07.1995, 7 T 134/95, Rpfleger 1996, 118, 119. 222 LG Duisburg, Beschl. v. 18.03.1998, 24 T 285/97, Rpfleger 1998, 355, 356; LG Gießen, Beschl. v. 26.07.1995, 7 T 134/95, Rpfleger 1996, 118, 119; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 84; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 172020, C.441.
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regelt hat. Dementsprechend bezieht sich § 850f Abs. 1 ZPO nur auf die Fälle, in denen dem Schuldner bloß ein Teil seines Arbeitseinkommens belassen werden soll. Der Gesetzgeber hat übersehen, dass es auch Situationen geben kann, in denen dem Schuldner sein vollständiges Einkommen zur Existenzsicherung verbleiben muss. Die Interessenlage zwischen beiden Konstellationen ist hinreichend vergleichbar. 2. Der Höhe nach Der erweiterte pfändungsfreie Teil nach § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO soll sich an dem fiktiv zu bestimmenden Arbeitslosengeld II oder der fiktiven Sozialhilfe orientieren.223 Damit fungiert die Bezugnahme auf das Arbeitslosengeld II bzw. die Sozialhilfe als Begrenzung für das zu Belassende. Diese Betrachtungsweise differenziert aber nicht hinreichend zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen und der Rechtsfolge der Norm. Damit der Anwendungsbereich von § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO eröffnet ist, muss der Schuldner nachweisen, dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen der notwendige Lebensunterhalt nicht mehr gedeckt ist. Als Rechtsfolge ordnet § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO dann lediglich an, dass dem Schuldner in diesem Falle von dem pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens ein Teil zu belassen ist. Der Höhe nach muss dem Schuldner so viel verbleiben, dass ihm ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Insofern muss dem Schuldner ein Betrag zur Verfügung stehen, der höher als die entsprechenden sozialrechtlichen Leistungen ausfällt. Nur auf diese Weise wird beim Schuldner die verfassungsrechtlich gebotene Arbeitsmotivation erhalten. IV. Reformbestrebungen Das GNeuMoP sah seinerzeit keine Veränderungen in Bezug auf § 850f Abs. 1 ZPO vor.224 V. Stellungnahme An § 850f Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich festzuhalten. Der abstrakt-generelle Pfändungsschutz kann nicht gewährleisten, dass einem Schuldner in jedem Einzelfall die Mittel für ein menschenwürdiges Dasein zur Verfügung stehen. Deshalb dient § 850f Abs. 1 ZPO als Korrektiv, um den dann erforderlichen Schutz zu gewähren. Allerdings muss § 850f Abs. 1 ZPO de lege ferenda modifiziert werden, um dem Schutzzweck gerecht zu werden, den die Norm verfolgt.
223 BGH, Beschl. v. 19.10.2017, IX ZB 100/16, NJW 2018, 954, 955; BGH, Beschl. v. 23.07. 2009, VII ZB 105/08, juris, Rn. 23; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850f ZPO Rn. 12. 224 Vgl. BR-Drs. 139/10, S. 7.
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Kapitel 6: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen
Der Schutz nach § 850f Abs. 1 ZPO darf nicht nur antragsabhängig ausgestaltet sein. Wenn dem Vollstreckungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen von § 850f Abs. 1 ZPO bekannt ist, muss – in Anlehnung an § 851a Abs. 2 ZPO – von Amts wegen gehandelt werden. Außerdem sollte der Gesetzgeber die Beschränkung des Pfändungsschutzes auf „einen Teil“ des pfändbaren Arbeitseinkommens aufheben und ausdrücklich klarstellen, dass dem Schuldner der pfändbare Teil seines Einkommens ganz oder teilweise belassen werden kann.225 Weiterhin dürfen im Anwendungsbereich von § 850f Abs. 1 ZPO Belange des Gläubigers keine Berücksichtigung finden, denn das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein ist einer Abwägung nicht zugänglich.226
H. Pfändbarkeit bei Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (§ 850f Abs. 2 ZPO) § 850f Abs. 2 ZPO ist erst durch das Gesetz zur Änderung der Pfändungs freigrenzen vom 26.02.1959 in die ZPO eingefügt worden.227 Nach § 850f Abs. 2 Hs. 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehenen Beschränkungen bestimmen, wenn die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben wird. Indes ist dem Schuldner so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf (§ 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO). § 850f Abs. 2 ZPO ist gewissermaßen eine – wenn auch jüngere – Parallelnorm zu § 850d ZPO. Der Deliktsgläubiger wird – ähnlich wie der Unterhaltsgläubiger – privilegiert. Es gelten die gleichen Grundsätze wie im Falle des § 850d ZPO.228 I. Normzweck Der Normzweck für § 850f Abs. 2 ZPO schien so auf der Hand zu liegen, dass sich der Bericht des Rechtsausschusses auf die Feststellung beschränkte, die Erweiterung des Gläubigerschutzes entspreche „unserer heutigen Rechtsauf fassung“.229 Nunmehr wird angenommen, dass durch § 850f Abs. 2 Hs. 1 ZPO unbillige Härten zu Lasten des vorsätzlich verletzten Gläubigers verhindert werden sollen.230 Ein Schuldner, der einen Gläubiger vorsätzlich durch eine un225
So schon Kohte/Zimmermann, NDV 2000, 245, 252. So zumindest für § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO schon dies., NDV 2000, 245, 252. 227 BGBl. I 1959, S. 49, 50. 228 BeckOK-ZPO/Riedel, § 850f ZPO Rn. 31; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850f ZPO Rn. 17. 229 BT-Drs. 768 (3. Wahlperiode), S. 2. 230 HK-ZV/Meller-Hannich, § 850f ZPO Rn. 13. 226
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erlaubte Handlung geschädigt hat, müsse erhöhte Entbehrungen hinnehmen, um den Schaden so schnell wie möglich wieder gut zu machen.231 Im Mittelpunkt der Betrachtung steht mithin das durch den besonderen Unrechtsgehalt der Tat begründete Ausgleichsinteresse.232 § 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO soll sicherstellen, dass dem Schuldner trotz der gegen ihn gerichteten Ansprüche aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung ein menschenwürdiges Dasein möglich bleibt. Gleichzeitig versucht die Norm zu verhindern, dass dem Schuldner ein solches Leben auf Kosten der Allgemeinheit finanziert werden muss.233 II. Reformbestrebungen Das GNeuMoP wollte an § 850f Abs. 2 ZPO unverändert festhalten.234 Gleiches galt für das PKoFoG.235 III. Stellungnahme Wie schon bei § 850d ZPO dargelegt,236 ist es unzulässig, in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners einzugreifen. § 850f Abs. 2 ZPO kann also nicht verfassungsgemäß sein, weil so eine Unterschreitung der Pfändungsgrenzen aus § 850c ZPO ermöglicht wird, die dazu bestimmt sind, das menschenwürdige Dasein des Schuldners zu sichern. Von Verfassungs wegen kann es keine Rolle spielen, dass der Gläubiger wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vollstreckt. Die Menschenwürde ist unverfügbar.237 Man kann gerade nicht sagen, dass derjenige, der selbst unsozial gehandelt hat, sein Recht verwirkt,238 sich auf verfassungsrechtliche Gewährleistungen zu berufen. § 850f Abs. 2 ZPO ist im Grunde genommen eine Sanktionsnorm mit pönalem Charakter. Dem Vollstreckungszweck ist es indes fremd, eine Bestrafung des Schuldners als maßgeblichen Bestimmungsgrund zu berücksichtigen.239
231 Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850f ZPO Rn. 10. 232 BGH, Beschl. v. 10.03.2011, VII ZB 70/08, NJW-RR 2011, 791, 792; Prütting/Gehrlein/ Ahrens, § 850f ZPO Rn. 37. 233 BGH, Beschl. v. 25.10.2012, VII ZB 12/10, NJW 2013, 1370, 1371; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 579. 234 Vgl. BR-Drs. 139/10, S. 7. 235 BT-Drs. 19/19850, S. 10. 236 Vgl. Kapitel 6:§2:F. 237 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§5. 238 Mit dem Verwirkungsgedanken operiert Grunau, NJW 1959, 1515, 1517. So wie hier in einem sozialrechtlichen Zusammenhang Kanalan, NZS 2018, 641, 646. 239 So im Kontext von § 811 ZPO: Raisch, Die Bedeutung des Anspruchsgrundes in der Zwangsvollstreckung, 1954, S. 139.
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I. Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte (§ 850i ZPO) § 850i ZPO sieht Pfändungsschutz für nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste oder sonstige Einkünfte vor, die kein Arbeitseinkommen sind. Dieser weite Pfändungsschutz ist erst durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 07.07.2009 eingeführt worden.240 Zuvor war der Schutzbereich – im Gefolge von § 11 der Lohnpfändungsverordnung von 241 1940 – auf nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste beschränkt.242 Der Pfändungsschutz bezog sich also beispielsweise nicht auf Vergütungsansprüche von selbstständig tätigen Schuldnern, die nicht von diesen persönlich, sondern etwa von deren Personal erbracht wurden.243 Damit war – wie bei § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. – zwischen persönlicher und kapitalistischer Erwerbstätigkeit zu unterscheiden. D iese Differenzierung ist nicht kompatibel mit dem Schutz eines menschenwürdigen Daseins für den Schuldner.244 Im Ausgangspunkt lag den Pfändungsverboten noch die Vorstellung zugrunde, dass die Existenz des privaten Schuldners ausschließlich auf dem Bezug von Einkommen beruhe. Existenzgrundlage sei die Arbeitskraft, nicht das Vermögen.245 Dass die Existenz eines Schuldners nicht nur durch Einkommen, sondern gleichermaßen durch Vermögen gesichert werden kann, hat der Gesetz geber beispielsweise im Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensergänzungsgesetz – AVmEG) erkannt.246 So werden seitdem in § 18a Abs. 1 S. 1 SGB IV bei Renten wegen Todes als Einkommen nicht nur Erwerbseinkommen (Nr. 1) und Erwerbsersatzeinkommen (Nr. 2), sondern auch Vermögenseinkommen (Nr. 3) berücksichtigt. § 18a Abs. 4 Nr. 2 SGB IV bezieht ausdrücklich Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung ein. Hintergrund dieser Normierungen ist die gesetzgebe rische Erkenntnis, dass die bisherige Beschränkung auf Einkommen aus Erwerbstätigkeit sowie Erwerbsersatzeinkommen ungerecht und sozialpolitisch unbefriedigend ist.247 Die Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 850i ZPO steht mit diesen Überlegungen im Einklang. Pfändungsschutz ist nunmehr für sämtliche Arten von Einkünften vorgesehen.248 240
BGBl. I 2009, S. 1707, 1708. RGBl. I 1940, S. 1451, 1453. 242 So immer noch § 291e Abs. 1 EO für Österreich. 243 BT-Drs. 16/7615, S. 11 f. 244 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§2:A.VI.5.b). 245 Erkelenz/Leopold/Marhöfer, ZRP 2007, 48, 49. 246 BGBl. I 2001, S. 403 ff. 247 BT-Drs. 14/4595, S. 59. 248 BT-Drs. 16/7615, S. 12; BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, NZI 2014, 772. 241
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I. Normzweck Durch § 850i ZPO soll dem Schuldner ermöglicht werden, die Mittel zu erwirtschaften, die er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt.249 Damit verbunden ist auch der Gedanke, der Schuldner solle dazu motiviert werden, die eigene Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und auszuschöpfen.250 Folglich entspricht der Normzweck dem bereits beim Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen herausgearbeiteten.251 Der BGH hingegen vertritt, dass in Bezug auf von § 850i Abs. 1 ZPO erfasste sonstige Einkünfte, die kein Erwerbseinkommen darstellen, der Normzweck allein in der Entlastung der öffentlichen Haushalte von ansonsten notwendig werdenden Transferleistungen zu sehen sei.252 Erneut muss gelten: Mit dieser Zweckzuschreibung lässt sich der aus dem Pfändungsverbot resultierende Grundrechtseingriff auf Seiten des Gläubigers nicht rechtfertigen.253 II. Anwendungsbereich Wie weit der Anwendungsbereich von § 850i ZPO reicht, wird uneinheitlich beurteilt. 1. Nebentätigkeit in der Freizeit Nach Ansicht des BGH zu § 850i ZPO a. F. sind Vergütungen für Dienste, die ein vollbeschäftigter Schuldner in seiner Freizeit erbringt, pfändbar.254 Nunmehr hat der BGH zu der aktuell geltenden Fassung von § 850i ZPO judiziert, dass für derartige Dienste Pfändungsschutz bestehen kann.255 Dieser gewandelten Einschätzung ist zuzustimmen. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein gebietet es, Pfändungsschutz unabhängig von der Quelle der Vergütung zur Verfügung zu stellen. 249 BT-Drs. 16/7615, S. 12; vgl. auch Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850i ZPO Rn. 1; Deppe, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 850i ZPO Rn. 1; Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 850i ZPO Rn. 2. 250 BGH, Beschl. v. 23.04.2015, VII ZB 65/12, NJW-RR 2015, 895, 896; Meller-Hannich, WM 2011, 529, 533; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 850i ZPO Rn. 11. 251 In diese Richtung auch Weiß, Das Pfändungsschutzkonto de lege lata et ferenda, 2014, S. 125. 252 BGH, Beschl. v. 07.04.2016, IX ZB 69/15, NJW-RR 2016, 761 mit Verweis auf BT-Drs. 16/7615, S. 12, 30. 253 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B. 254 BGH, Urt. v. 10.07.2008, IX ZB 116/07, juris, Rn. 6 . 255 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 87/13, NJW-RR 2014, 1198, 1200; so auch Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2359; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850i ZPO Rn. 2; Gottwald/Mock/Mock, § 850i ZPO Rn. 4. A. A. immer noch Saenger/Kem per, § 850i ZPO Rn. 5; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850i ZPO Rn. 2; MüKo-ZPO/Smid, § 850i ZPO Rn. 9.
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2. Miet- und Pachteinnahmen Zu § 850i ZPO a. F. hat der BGH entschieden, dass Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung außerhalb des von § 851b ZPO umfassten Bereichs grundsätzlich uneingeschränkt pfändbar sind. Insofern könne es nicht darauf ankommen, ob der Schuldner wegen einer solchen Pfändung staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen müsse.256 Als Ursache für den an dieser Stelle fehlenden Pfändungsschutz hat Brehm konstatiert, dass die Schuldnerschutzvorschriften der ZPO eben unsystematisch seien und das Merkmal historischer Zufälligkeit in sich trügen.257 Bei § 850i ZPO n. F. wurde teilweise angenommen, dass Erträge aus Vermögen dem Pfändungsschutz nicht unterfallen könnten. § 850i ZPO meine nur Einkommen Erwerbstätiger. Begründet wurde dieser Ansatz mit einer systematischen Betrachtungsweise: § 850 ZPO befasse sich mit dem Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen und §§ 850a bis § 850i ZPO enthielten Einzel heiten zu dessen Pfändbarkeit. §§ 851 ff. ZPO hingegen bezögen sich auf nicht pfändbare Forderungen, die kein Arbeitseinkommen sind.258 Der BGH hingegen hat festgestellt, dass auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von § 850i ZPO erfasst sind. Dafür stehe nicht nur der Wortlaut der Vorschrift. Ein solches Auslegungsergebnis entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers und sei systemgerecht.259 Damit rückt der BGH das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein in den Vordergrund. Diese grundrechtliche Prägung gebietet es, dem Schuldner selbst zu überlassen, auf welche Weise er seinen Lebensunterhalt finanzieren will. Dafür kommt neben Erwerbseinkommen eben auch der Einsatz von Vermögen – beispielsweise durch Vermietung oder Verpachtung – in Betracht. 3. Schenkungen Der Wortlaut von § 850i ZPO würde es hergeben, den Pfändungsschutz auch auf Schenkungen zu erstrecken.260 Indes wird insofern überwiegend ein Pfändungsschutz abgelehnt.261 Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass der 256 BGH, Beschl. v. 21.12.2004, IXa ZB 228/03, NJW 2005, 681, 682; zustimmend Gieseler, JR 2006, 26, 27 f. 257 Brehm, JZ 2005, 525, 527. 258 LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 07.06.2012, L 5 AS 193/12 B ER, juris, Rn. 17; LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 22.05.2012, L 5 AS 114/12 B ER, juris, Rn. 125. 259 BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, NJW-RR 2014, 1197 f. 260 So auch Meller-Hannich, WM 2011, 529, 530; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850i ZPO Rn. 12. 261 BGH, Beschl. v. 27.09.2018, IX ZB 19/18, NZI 2018, 899, 900; Gössl, NJW 2020, 545; Zöller/Herget, § 850i ZPO Rn. 1b; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850i ZPO Rn. 2; Meller- Hannich, WM 2011, 529, 530; Walker, in: Althammer/Schärtl (Hrsg.), Dogmatik als Funda-
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Gesetzgeber an den eigenständig erwirtschafteten Gehalt einer Forderung anknüpfen wollte.262 Eine solche Beschränkung des Pfändungsschutzes kann nicht überzeugen.263 Eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme, die zu einem Eingriff in das menschenwürdige Dasein des Schuldners führt, darf nicht stattfinden. Man erkennt dies, wenn man den Grenzfall betrachtet, dass der ansonsten erwerbslose Schuldner lediglich über den wirtschaftlichen Wert der Schenkung verfügt. Würde man diesem Schuldner Pfändungsschutz verwehren, würde in nicht zu rechtfertigender Weise in das menschenwürdige Dasein eingegriffen. Er würde dann nämlich nicht mehr über die Mittel verfügen, die er benötigt, um unabhängig vom Staat zu leben. Im Übrigen würde es zu einem nicht auflösbaren Widerspruch führen, wenn man Schenkungen auf einem Pfändungsschutzkonto Pfändungsschutz einräumt,264 bei der Pfändung an der Quelle hingegen nicht. Problematisch ist im Ergebnis weniger die tatbestandliche Erfassung von Schenkungen als die Rechtsfolgenanordnung. Der Pfändungsschutz nach § 850i ZPO lehnt sich nämlich an den für Arbeitseinkommen an und bezieht damit einen Erwerbsanreiz ein. Dieser Gedanke passt für Schenkungen nicht. Das führt indes weder dazu, dass Schenkungen aus dem Anwendungsbereich von § 850i ZPO auszuscheiden sind, noch dazu, dass die Rechtsfolgenanordnung zu korrigieren wäre. Vielmehr ist der insofern teilweise überschießende Pfändungsschutz mit dem Gedanken der Typisierung zu rechtfertigen. Jede gesetzliche Vorschrift muss verallgemeinern.265 Dabei darf sich der Gesetzgeber am Regelfall orientieren.266 Wichtig ist aber, dass die gesetzlichen Verallgemeinerungen auf einer möglichst weiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung beruhen.267 Gerade bei der Ordnung und Abwicklung von Massenerscheinungen wird dem Gesetzgeber ein Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen eingeräumt.268 § 850i ment für Forschung und Lehre, 2021, S. 6 43, 646 f.; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850i ZPO Rn. 12. 262 Meller-Hannich, WM 2011, 529, 530 mit Verweis auf BT-Drucks. 16/7615, S. 2 , 12, 18. 263 So für unterhaltssicherende Schenkungen Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 850i ZPO Rn. 20; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850i ZPO Rn. 1. 264 So z. B. HK-ZV/Meller-Hannich, § 850k ZPO Rn. 9; Remmert, NZI 2008, 70, 72; Weiß, Das Pfändungsschutzkonto de lege lata et ferenda, 2014, S. 125. 265 BVerfG, Beschl. v. 12.10.2010, 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, 257; BVerfG, Beschl. v. 10.04.1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, 6; BVerfG, Beschl. v. 30.05.1990, 1 BvL 2/83 (u. a.), 126, 151. 266 BVerfG, Beschl. v. 19.11.2019, 2 BvL 22/14 (u. a.), BVerfGE 152, 274, 314; BVerfG, Beschl. v. 07.05.2013, 2 BvR 909/07, BVerfGE 133, 377, 412; BVerfG, Beschl. v. 10.04.1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, 6. 267 BVerfG, Beschl. v. 19.11.2019, 2 BvL 22/14 (u. a.), BVerfGE 152, 274, 314; BVerfG, Beschl. v. 06.07.2010, 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, 279; BVerfG, Beschl. v. 10.04.1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, 6. 268 BVerfG, Beschl. v. 19.11.2019, 2 BvL 22/14 (u. a.), BVerfGE 152, 274, 314; BVerfG, Be-
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Kapitel 6: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen
ZPO bezieht sich primär auf selbst erwirtschaftete Einkünfte, für die eine Anknüpfung an den Pfändungsschutz nach § 850c ZPO angezeigt ist. Wenn die Vorschrift ausnahmsweise auch auf Forderungen angewendet wird, die nicht eigenständig erwirtschaftet wurden, handelt es sich um ein vernachlässigbares Randphänomen.269 Dass für Schenkungen Pfändungsschutz nach § 850i ZPO besteht, führt freilich nicht dazu, dass dem Schuldner mehr verbliebe, als er bei einer eigenen Erwerbstätigkeit als Arbeitseinkommen behalten dürfte. 4. Antragserfordernis Der Pfändungsschutz nach § 850i Abs. 1 ZPO wird nur auf Antrag des Schuldners gewährt. Das ist zunächst nachvollziehbar, weil sich die Norm auf nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste bzw. sonstige Einkünfte bezieht, die kein Arbeitseinkommen sind. In solchen Fällen erfolgen die Zahlungen häufig unregelmäßig, in unterschied licher Höhe und von unterschiedlichen Drittschuldnern, weswegen Vollstreckungsschutz „sinnvollerweise“ nur auf Antrag für jede einzelne Forderung gewährt werden kann.270 Mit anderen Worten: Pfändungsschutz von Amts wegen wäre praktisch undurchführbar.271 Indes zeigt § 851a Abs. 2 ZPO mit dem Pfändungsschutz für Landwirte, dass Konstellationen vorstellbar sind, in denen das Gericht erkennen kann, dass die Voraussetzungen für den grundsätzlich nur auf Antrag zu gewährenden Pfändungsschutz vorliegen. Dann sollte die Pfändung auch ohne Antrag des Schuldners von Amts wegen unterbleiben. Dadurch wird verhindert, dass bei fehlendem Antrag des Schuldners dann, wenn die Voraussetzungen für Pfändungsschutz vorliegen und für das Gericht erkennbar sind, das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein tangiert wird. Im Anwendungsbereich von § 850i ZPO ist § 851a Abs. 2 ZPO analog anzuwenden. Der Gesetzgeber hat bei § 850i ZPO keine Vorsorge für den Fall getroffen, dass das Gericht „sehenden Auges“ eine Pfändung durchführt, die einen Eingriff in das menschenwürdige Dasein des Schuldners darstellt. Da so ein vom Gesetzgeber nicht gewollter verfassungswidriger Zustand droht, besteht eine planwidrige Regelungslücke. Diese kann – in Anlehnung an § 851a Abs. 2 schl. v. 06.07.2010, 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, 278; BVerfG, Beschl. v. 10.04.1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, 6. 269 So im Kontext des Pfändungsschutzkontos auch HK-ZV/Meller-Hannich, § 850k ZPO Rn. 9. 270 Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 189. In diese Richtung auch Honold, Die Pfändung des Arbeitseinkommens, 1998, S. 122; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 61; Rick, Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung, 2002, S. 130 f. 271 So zu § 291e EO: Angst/Oberhammer, in: Kommentar zur Exekutionsordnung, 32015, § 291e EO, Rn. 4.
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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ZPO – nur in der Form geschlossen werden, dass ausnahmsweise Pfändungsschutz von Amts wegen gewährt wird.272 An dem Pfändungsschutz nach § 850i ZPO ist ursprünglich kritisiert worden, dass das Antragserfordernis den Pfändungsschutz häufig ins Leere laufen lasse. Problematisch sei besonders, dass das Zahlungsmoratorium aus § 835 Abs. 3 S. 2 ZPO hier nicht gelte.273 Auf diesen Missstand hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 07.07.2009 reagiert und ein Zahlungsmoratorium für den Pfändungsschutz nach § 850i ZPO normiert.274 Dieses findet sich heute in § 835 Abs. 5 ZPO. Sinn und Zweck dieser Leistungssperre ist es, dem Schuldner die Möglichkeit zu eröffnen, einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 850i ZPO stellen zu können.275 Ein solcher Antrag wäre nämlich unzulässig, wenn der Drittschuldner nach der Pfändung und Überweisung der Forderung bereits an den Gläubiger geleistet hat.276 5. Überwiegende Belange des Gläubigers Nach § 850i Abs. 3 S. 3 ZPO ist der Antrag des Schuldners auf Pfändungsschutz abzulehnen, wenn überwiegende Belange des Gläubigers entgegenstehen. Diese einschränkende Voraussetzung, die schon in § 11 Abs. 1 S. 4 der Lohnpfändungsverordnung von 1940 enthalten war277, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar.278 Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners, das durch § 850i ZPO geschützt werden soll, ist einer Abwägung nicht zugänglich.279 Wollte man das anders sehen, würde man „die Folge einer Kahlpfändung des Schuldners“ sehenden Auges in Kauf nehmen.280 III. Rechtsfolgen Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO gegeben sind, setzt das Gericht den individuellen Pfändungsfreibetrag in Anlehnung an 272
So auch schon im Kontext von § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO: Kapitel 6:§ 2:G.II.1. Büchel, BKR 2009, 358, 359; Remmert, NZI 2008, 70, 71. 274 BGBl. I 2009, S. 1707 f. 275 Vgl. BT-Drs. 16/7615, S. 17; so auch HK-ZV/Bendtsen, § 835 ZPO Rn. 31; Saenger/ Kemper, § 835 ZPO Rn. 9.3; BeckOK-ZPO/Riedel, § 835 ZPO Rn. 32. 276 BT-Drs. 16/7615, S. 15; MüKo-ZPO/Smid, § 835 ZPO Rn. 41; in diese Richtung auch Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 835 ZPO Rn. 15b. 277 RGBl. I 1940, S. 1451, 1453. 278 Vgl. zu diesem Tatbestandsmerkmal im Kontext von § 850f Abs. 1 ZPO bereits Kapitel 6:§2:G.II.2. 279 Für die österreichische Verfassungslage wird mit Blick auf die vergleichbare Vorschrift in § 291e Abs. 1 S. 4 EO („Der Antrag des Verpflichteten ist insoweit abzuweisen, als die Gefahr besteht, daß der betreibende Gläubiger dadurch schwer geschädigt werden könnte.“) gleichfalls Verfassungswidrigkeit konstatiert, siehe Angst/Oberhammer, in: Kommentar zur Exekutionsordnung, 32015, § 291e EO, Rn. 4 („Abs 1 letzter Satz ist daher mE verfassungswidrig.“). 280 So Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850i ZPO Rn. 5. 273
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Kapitel 6: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen
§ 850c ZPO fest.281 Bei unregelmäßigen Einkünften scheint dies die einzig mögliche Vorgehensweise zu sein. Es darf aber nicht übersehen werden, dass sich § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO gleichermaßen auf regelmäßige Einkünfte bezieht. Für solche Konstellationen ist in Anlehnung an § 850c ZPO ein Blankettbeschluss der angemessene Weg.282 Was die Höhe des Pfändungsschutzes angeht, differenziert der BGH zwischen Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste einerseits und sonstigen Einkünften andererseits. Während das Erwerbseinkommen eines Selbständigen (also die erste Variante) entsprechend den für das Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften pfändungsfrei sein soll, sei für die sonstigen Einkünfte (also die zweite Variante) lediglich ein dem Grundfreibetrag aus § 850c Abs. 1 ZPO entsprechender Betrag unpfändbar. Der BGH begründet die Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien damit, dass das Lohnabstandsgebot und der damit verbundene Motivationsgedanke keine zusätzliche Freistellung derjenigen Einkünfte fordere, die nicht auf Erwerbstätigkeit beruhen. Insofern könne nur der Gedanke der Entlastung des öffentlichen Haushaltes ausschlaggebend sein.283 Die vom BGH vorgenommene Differenzierung zwischen Erwerbseinkommen und sonstigen Einkünften ist mit der gegebenen Begründung nicht haltbar.284 Es wird verkannt, dass jegliche Motivation des Schuldners schützenswert ist. Dem Schuldner muss ein Anreiz verbleiben, eigenständig für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Dabei kann es vom Grundgedanken her keinen Unterschied machen, ob der Schuldner diese Einkünfte durch eine selbständige Erwerbstätigkeit oder beispielsweise durch Miete oder Pacht erzielt.285 Dies kann dann dazu führen, dass „durch eine gute Verwaltung von Miet- und Pachteinnahmen die Einkünfte und damit die Vorteile für alle Beteiligten gesteigert werden.“286 IV. Reformbestrebungen Das GNeuMoP sah eine Reform von § 850 ZPO vor. Danach sollte unter der amtlichen Überschrift „Pfändungsschutz für Einkommen“ Pfändungsschutz 281 BGH, Beschl. v. 07.04.2016, IX ZB 69/15, NZI 2016, 457, 458; Zöller/Herget, § 850i ZPO Rn. 2; Trams, NJW-Spezial 2020, 597. A. A. LG Bamberg, Beschl. v. 27.01.2009, 3 T 164/08, Rpfleger 2009, 327, 328 („notwendiger Unterhalt“). 282 Meller-Hannich, ZZP 130 (2017), 303, 315. 283 BGH, Beschl. v. 07.04.2016, IX ZB 69/15, NZI 2016, 457, 458; zustimmend dies., WuB 2016, 574, 577 f. 284 So auch Ahrens, NJW-Spezial 2020, 85, 86. 285 Vgl. zu Pfändungsschutz für Einkünfte aus Miete und Pacht z. B. BGH, Beschl. v. 01.03.2018, IX ZB 95/15, NJW-RR 2018, 625; BGH, Beschl. v. 26.06.2014, IX ZB 88/13, NJW-RR 2014, 1197. So auch für Untervermietung BGH, Beschl. v. 23.04.2015, VII ZB 65/12, NJW-RR 2015, 895, 896. 286 Ahrens, EWiR 2016, 471, 472.
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für das in Geld zahlbare Einkommen natürlicher Personen, in der Form implementiert werden, dass dieses nur nach Maßgabe der §§ 850a bis § 850i ZPO gepfändet werden kann.287 In § 850c ZPO sollte dann Pfändungsschutz für Einkommen aus Arbeits-, Dienst-, Beamten- und Versorgungsverhältnissen und in § 850i ZPO Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte in einer sprachlich über arbeiteten Form normiert werden. V. Stellungnahme Die gesetzgeberische Gestaltung des Pfändungsschutzes ist systematisch kritikwürdig. Der Gesetzgeber verwendet in § 850 Abs. 1 ZPO den Terminus „Arbeitseinkommen“ mit Bezug zu §§ 850a bis 850i ZPO. § 850i ZPO behandelt aber nicht „Arbeitseinkommen“, sondern „sonstige Einkünfte“. Diese terminologische Dissonanz wäre durch das GNeuMoP behoben worden. Stringenter wäre allerdings eine radikalere Lösung.288 Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein gebietet es, einem jeden Schuldner im erforder lichen Umfang die Mittel zu belassen, die er erwirtschaftet hat. Deshalb leuchtet die vorgeschlagene Differenzierung zwischen Einkommen aus Arbeits-, Dienst-, Beamten- und Versorgungsverhältnissen auf der einen Seite (§ 850c GNeuMoP) und sonstigen Einkünften auf der anderen Seite (§ 850i GNeuMoP) nicht ein. Ausgangspunkt muss vor dem grundrechtlichen Hintergrund sein, dass alle Einkünfte des Schuldners Pfändungsschutz genießen müssen. Da die Pfändungsverbote auf Rechtsfolgenseite aber – wie schon de lege lata die unterschiedliche Ausformung von § 850c ZPO (Pfändungsschutz von Amts wegen) und § 850i ZPO (Pfändungsschutz auf Antrag) zeigen – eine unterschiedliche Ausgestaltung erfordern, kann der Pfändungsschutz nicht ohne eine gewisse Differenzierung auskommen. Im Ergebnis bietet es sich an, mit Meller-Hannich zwischen wiederkehrenden und nicht-wiederkehrenden Einkünften zu unterscheiden.289 Während für wiederkehrende Einkünfte automatisch Pfändungsschutz besteht, sind nicht- wiederkehrende Einkünfte grundsätzlich erst auf Antrag durch das Vollstreckungsgericht freizugeben.290 Zusätzlich ist – in Anlehnung an § 851a Abs. 2 ZPO – ausnahmsweise auch Pfändungsschutz von Amts wegen vorzusehen, um zu verhindern, dass das Gericht sehenden Auges eine Pfändung zulassen muss, die zu einem Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein führt. § 850i Abs. 3 S. 3 ZPO, der die Einbeziehung von entgegenstehenden Gläubigerinteressen anordnet, ist zu streichen, weil sich eine solche Abwägung mit 287
BR-Drs. 139/10, S. 3. So auch Goebel, ZVI 2007, 294, 299; Meller-Hannich, WM 2011, 529, 534. 289 So auch Meller-Hannich, WM 2011, 529, 534. 290 So schon dies., WM 2011, 529, 534. 288
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dem auf Seiten des Schuldners in der Waagschale liegenden Grundrecht nicht vereinbaren lässt.
J. Pfändungsschutzkonto (§ 850k ZPO) § 850k ZPO komplettiert den Schuldnerschutz bei der Forderungspfändung, indem der Schutz auf das Kontoguthaben – also den bargeldlosen Zahlungsverkehr – erstreckt wird.291 Pfändungsschutz besteht demnach auch dann, wenn die an der Quelle pfändungsgeschützte Forderung seitens des Drittschuldners auf das Konto des Schuldners überwiesen wurde und der Betrag vom Schuldner von dort noch nicht abgehoben wurde.292 Es geht also um einen Gleichlauf des Pfändungsschutzes auf dem Pfändungsschutzkonto mit dem allgemeinen Pfändungsschutz für Forderungen.293 Dem Schuldner soll trotz Kontopfändung das uneingeschränkte Verfügungsrecht über Guthaben aus Einkünften verbleiben, die der Sicherung seines menschenwürdigen Daseins dienen.294 § 850k ZPO verwirklicht auf diese Weise zugleich den verfassungsrechtlich gebotenen Teilhabegedanken, indem es dem Schuldner ermöglicht wird – trotz Kontopfändung – weiterhin am modernen Wirtschaftsleben teilzunehmen, weil ihm auf dem Pfändungsschutzkonto ein disponibler Betrag verbleibt.295 Das Pfändungsschutzkonto wurde erst durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 07.07.2009 geschaffen.296 Zuvor war in § 850k ZPO nur ein Pfändungsschutz für Kontoguthaben aus Arbeitseinkommen vorgesehen, welcher indes einen Antrag297 des Schuldners voraussetzte.298 Es war also eine Aktivität des Schuldners erforderlich. Bei diesem nachgelagerten Pfändungsschutz 291 Für den Fall der Pfändung von Guthaben auf einem Gemeinschaftskonto ist ab dem 01.12.2021 in § 850l ZPO der verfassungsrechtlich gebotene Schutz vorgesehen, vgl. dazu Els, Rpfleger 2021, 326, 327; Kraft/Tkotsch, DGVZ 2020, 109, 111; Lissner, KKZ 2020, 169, 171; Salten, MDR 2021, 11, 12. 292 Vgl. zum Pfändungsschutz für Bargeld (§ 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO a. F. bzw. nunmehr § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) bereits Kapitel 4:§2:A.IX. 293 BGH, Beschl. v. 24.01.2018, VII ZB 27/17, NJW-RR 2018, 504, 505. 294 Busch, VuR 2007, 138, 140. Damit geht es gerade nicht nur um eine rechtspolitische Frage, so aber Jungmann, ZVI 2009, 1, 2. 295 Würdinger, Insolvenzanfechtung im bargeldlosen Zahlungsverkehr, 2012, S. 15 („Ohne Girokonto, keine Teilhabe am modernen Wirtschaftsleben […]“). 296 BGBl. I 2009, S. 1707, 1708 f. 297 Das Antragserfordernis wurde damit begründet, dass das Geldinstitut in der Regel nicht in der Lage sein dürfte, den pfändungsfreien Betrag von sich aus zu berechnen, vgl. BTDrs. 8/693, S. 49. Die Richtervorlage des AG Passau zu der Frage, ob das Antragserfordernis verfassungsgemäß ist, wurde als unzulässig verworfen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.06.2002, 1 BvL 9/01, NJW 2003, 279 f. Österreich knüpft den Kontenpfändungsschutz nach § 292i EO weiterhin an ein Antragserfordernis. Das erklärt sich daraus, dass Österreich sich im Rahmen der EO-Novelle 1991 am damals geltenden deutschen Recht orientiert hat und die zwischenzeitliche Änderung im deutschen Recht nicht nachvollzogen hat, vgl. Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung, 2016, S. 421 (Fn. 415). 298 BGBl. I 1978, S. 333, 334.
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führte die Kontopfändung zunächst zu einer „Blockadewirkung“299, die erst auf Initiative des Schuldners durch Beantragung einer Freigabeentscheidung vom Vollstreckungsgericht aufgehoben werden konnte. Dadurch, dass nunmehr auf einem Pfändungsschutzkonto automatisch Pfändungsschutz besteht, wurde die Situation des Vollstreckungsschuldners verbessert.300 Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz – PKoFoG) vom 22.11.2020 wollte der Gesetzgeber, nachdem sich das P-Konto grundsätzlich bewährt hatte, den Kontopfändungsschutz in Bezug auf in der Praxis auftretenden Probleme verbessern und gleichzeitig transparenter gestalten.301 I. Normzweck Das Pfändungsschutzkonto dient dazu, dem Schuldner die Mittel zu belassen, die er für seinen Lebensunterhalt benötigt302 und die Lücke zu schließen, die entstehen würde, wenn man die entsprechenden Geldmittel zwar an der Quelle vor einer Pfändung schützen würde, auf dem Konto hingegen nicht mehr. Dies wäre nicht nur inkonsequent, sondern würde auch den nötigen Schutz von dem Zufall abhängig machen, an welcher Stelle zugegriffen wird. II. Anwendungsbereich 1. Personell Der Pfändungsschutz nach § 850k ZPO kommt allein natürlichen Personen zugute.303 Dafür spricht nicht nur der klare Wortlaut von § 850k Abs. 1 S. 1 ZPO, sondern gleichermaßen das Telos der Norm.304
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BR-Drs. 663/07, S. 1. Knobloch, VuR 2008, 364, 366; Rumma, BKR 2007, 215, 216; Schumacher, ZVI 2007, 455, 462; Sudergat, ZVI 2010, 445, 457 f.; Zimmermann/Zipf, ZVI 2006, 275, 280. 301 BR-Drs. 166/20, S. 1; vgl. BGBl. I 2020, S. 2466 ff. Dieses Gesetz trat hinsichtlich des P-Kontos am 01.12.2021 in Kraft. 302 Bitter/Grote/Sudergat, ZIP 2019, 2283; Busch, VuR 2007, 138, 140; Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 76; Riebold, Die Europäische Kontopfändung, 2014, S. 226; Walker, in: Dammann/Grunsky/Pfeiffer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Manfred Wolf, 2011, S. 561, 566; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 51. 303 Ahrens, NJW 2010, 2001, 2002; Busch, VIA 2010, 57; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 6. So auch schon zum Konto pfändungsschutz in Zeiten vor dem P-Konto Arnold, BB 1978, 1314, 1320. Insbesondere steht die Möglichkeit, ein P-Konto zu errichten, nicht nur Verbrauchern zur Verfügung, vgl. Lissner, ZVI 2017, 222, 223. 304 Vgl. zu dem Aspekt, dass sich der Pfändungsschutz lediglich auf natürliche Personen bezieht bereits Kapitel 4:§1:C.III. 300
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2. Art der Einkünfte Der Pfändungsschutz nach § 850k ZPO knüpft nicht an die Art der Einkünfte auf dem Pfändungsschutzkonto an. Vielmehr bezieht § 899 Abs. 1 ZPO den Pfändungsschutz ganz generell auf „das Guthaben auf dem Pfändungsschutzkonto“, ohne nach der Einkunftsart zu differenzieren. Insofern kann man von einer Einheitslösung sprechen.305 Ausschlaggebend ist einzig und allein, dass der Schuldner das Kontoguthaben für seine Subsistenzsicherung benötigt.306 Damit geht der Pfändungsschutz weiter als der in § 850k ZPO i. d. F. bis zum 30.06.2010. Danach war der Schutz auf wiederkehrende Einkünfte der in den § 850 bis § 850b oder § 851c ZPO bezeichneten Art beschränkt. Seinerzeit waren also Selbständige unzureichend geschützt.307 3. Ansparschutz Seit jeher ist umstritten, ob und inwieweit einem Schuldner ermöglicht werden muss, Beträge pfändungsgeschützt anzusparen. Einer verfassungsrechtlichen Prüfung hält das Argument nicht stand, dass ein Ansparschutz erforderlich sei, um die öffentliche Hand zu entlasten.308 Im Pfändungsrecht geht es um das grundrechtliche Spannungsverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger. Je weiter der Ansparschutz reicht, desto intensiver wird in Grundrechte des Gläubigers eingegriffen. Ein solcher Grundrechtseingriff lässt sich nicht mit den Interessen der öffentlichen Hand rechtfertigen.309 Indes kann das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners es gebieten, einen gewissen Ansparschutz zur Verfügung zu stellen. a) § 850k Abs. 1 S. 3 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 § 850k Abs. 1 S. 3 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 sah vor, dass einem Schuldner, der in dem jeweiligen Kalendermonat nicht über Guthaben in Höhe des pfändungsfreien Betrages verfügt hat, dieses Guthaben in dem folgenden Kalendermonat zusätzlich zu dem geschützten Guthaben pfändungsfrei verbleibt. Es war umstritten, wie diese Vorschrift zu verstehen war. Überwiegend wurde angenommen, dass auf diese Weise nur eine einmalige Übertragung in den Folgemonat möglich sei.310 Eine gewisse Korrektur wurde
305 So Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 3. 306 Vgl. MüKo-ZPO/Smid, § 850k ZPO Rn. 2. 307 Jaquemoth/Zimmermann, ZVI 2010, 113, 114; Schumacher, ZVI 2007, 455, 458. 308 So aber Schumacher, ZVI 2007, 455, 459. 309 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B. 310 BGH, Beschl. v. 10.11.2011, VII ZB 64/10, NJW 2012, 79, 80 f.; Bitter, ZIP 2011, 149, 153; Dörndorfer, JurBüro 2009, 626, 628; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozess-
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aber dadurch erreicht, dass Verfügungen des Schuldners immer zuerst auf das noch nicht verbrauchte übertragene, also das älteste pfändungsfreie Restguthaben angerechnet wurden (sog. first in, first out-Prinzip).311 Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass dieses Auslegungsergebnis weniger überzeugend war als das Auslegungsergebnis, das einen unbeschränkten Ansparschutz annahm.312 aa) Wortlaut Der Wortlaut deutete nicht klar in die Richtung eines beschränkten Pfändungsschutzes.313 Vielmehr sprach der Wortlaut „in dem jeweiligen Kalendermonat“ für eine unbeschränkte Übertragungsmöglichkeit.314 bb) Wille des Gesetzgebers Gegen eine unbeschränkte Übertragungsmöglichkeit wurde immer wieder der Wille des Gesetzgebers ins Feld geführt.315 Denn in den Gesetzgebungsmate rialien wird festgestellt, dass übertragenes Guthaben, das auch im Folgemonat nicht verbraucht wird, dem Gläubiger zur Verfügung stehen soll.316 Damit entstand ein Spannungsverhältnis zwischen Wortlautverständnis und Betrachtung der Gesetzesmaterialien.
ordnung, 182021, § 850k ZPO Rn. 2b; Goebel, Kontopfändung unter veränderten Rahmenbedingungen, 2010, Rn. 349 ff.; Günther/Sudergat, Pfändungsschutzkonto, 2010, Rn. 62; Zöller/ Herget, § 850k ZPO Rn. 5; Homann, ZVI 2010, 365, 366 f.; Saenger/Kemper, § 850k ZPO Rn. 12; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850k ZPO Rn. 11; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850k ZPO Rn. 15; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850k ZPO Rn. 11; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 18. 311 Vgl. nur Bitter, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 52017, § 33 Rn. 34b; Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 850k ZPO Rn. 2b; Homann, ZVI 2012, 37; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 18. A. A. wohl nur Goebel, Kontopfändung unter veränderten Rahmenbedingungen, 2010, Rn. 349 ff. 312 So im Ergebnis auch der Vorschlag de lege ferenda von Jungmann, ZVI 2009, 1, 5. 313 Vgl. LG Saarbrücken, Beschl. v. 22.01.2013, 5 T 376/12, juris, Rn. 13 („lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht zweifelsfrei entnehmen“); Bitter, ZIP 2011, 149, 153 („trotz des nicht vollständig klaren Wortlauts der Vorschrift“); Goebel, Kontopfändung unter veränderten Rahmenbedingungen, 2010, Rn. 349 („Spielraum für eine Auslegung“). A. A. Saenger/ Kemper, § 850k ZPO Rn. 12 („der ausdrückliche Wortlaut“). 314 Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 850k ZPO Rn. 16. So auch Ahrens, VuR 2012, 300, 302. 315 So z. B. Goebel, Kontopfändung unter veränderten Rahmenbedingungen, 2010, Rn. 356; Zöller/Herget, § 850k ZPO Rn. 5; Homann, ZVI 2010, 365, 366. 316 BT-Drs. 16/12714, S. 19; so auch die Bundesregierung in einer Gegenäußerung, vgl. BTDrs. 16/7615, S. 31.
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cc) Telos Der Gesetzeszweck deutete in die Richtung, dass eine mehrmalige Übertragung möglich sein müsse.317 Mit dem Ansparschutz sollte wirtschaftliches Handeln in der Form der Vorsorge durch Sparen („Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“) belohnt werden.318 Diese Überlegung ließ sich mit dem Leitmotiv des Pfändungsschutzrechts in Einklang bringen, dem Schuldner ein menschen würdiges Leben zu ermöglichen. Wenn somit einmal aus einem guten Grunde Pfändungsschutz besteht, ist nicht nachvollziehbar, warum dieser nachträglich durch Zeitablauf entfallen sollte.319 Für die Notwendigkeit eines zeitnahen nachträglichen Wegfalls des Pfändungsschutzes wurde indes vorgebracht, dass der Schuldner durch das Nichtverbrauchen des Geldes gerade zum Ausdruck gebracht habe, auf diese Mittel nicht existenziell angewiesen zu sein.320 Diese Betrachtungsweise griff aber zu kurz. Wenn jemand aus Gründen der vorsorgenden Planung regelmäßig eine kleine Summe beiseitelegt, spart er sich diese gewissermaßen „vom Munde ab“. Diese Dispositionsfreiheit ist Bestandteil der Selbstverwirklichung in wirtschaftlicher Hinsicht. Zusätzlich darf nicht aus den Augen verloren werden, dass es Ausgaben gibt, die nicht monatlich, sondern z. B. jährlich anfallen (etwa Versicherungsbeiträge).321 Außerdem entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass jederzeit mit ungeplanten Ausgaben zu rechnen ist. Es ist vernünftig, dafür Vorsorge zu treffen. Hinzu kommt, dass ein Schuldner gerade größere Anschaffungen nicht aus seinem laufenden pfändungsfreien Einkommen bestreiten kann, sondern darauf hinsparen muss. Für solche Zwecke muss die Möglichkeit existieren, Rücklagen zu bilden. Ansonsten würde der Schuldner sehenden Auges in eine Situation geraten, in der es ihm nicht mehr möglich ist, selbstbestimmt und unabhängig von staatlicher Unterstützung zu leben.322
317 LG Saarbrücken, Beschl. v. 22.01.2013, 5 T 376/12, juris, Rn. 15; Ahrens, VuR 2012, 300, 302. Kritisch zu Recht auch Weiß, Das Pfändungsschutzkonto de lege lata et ferenda, 2014, S. 182. 318 Ahrens, NJW 2010, 2001, 2005; Ganter, NZI 2013, 969; Schultheiß, ZBB/JBB 2013, 114, 120. 319 In diese Richtung Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (PKoFoG), 2019 (https://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2019/Downloads/111919_ Stellungnahme_AG-Schuldner_RefE_PKoFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=2), S. 12 (geprüft am 12.09.2021) („einmal unpfändbar, immer unpfändbar“). 320 Ähnlich Graf-Schlicker/Linder, ZIP 2009, 989, 994; Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 850k ZPO Rn. 15; Wiederhold, BKR 2011, 272, 274. 321 So zu Recht Jungmann, ZVI 2009, 1, 8. 322 So auch Weiß, Das Pfändungsschutzkonto de lege lata et ferenda, 2014, S. 185.
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Wenn gesagt wurde, dass die pfändungsrechtliche Privilegierung vorausschauenden Wirtschaftens nur für beschränkte Zeit gelten könne,323 fehlte es an einer Begründung. Nachhaltiges Sparen als anerkannter Wert erlaubt eine solche Sichtweise nicht. dd) Folgenbetrachtung Für einen unbeschränkten Ansparschutz sprach weiterhin eine Folgenbetrachtung. Sollte insofern kein Pfändungsschutz auf dem Pfändungsschutzkonto möglich sein, müsste der Schuldner die angesparten Beträge gewissermaßen „unter dem Kopfkissen“ verstauen.324 Das alternative Szenario, dass der Gläubiger im Falle der Verweigerung eines weiteren Ansparens einen höheren Betrag pfänden kann, erscheint lebensfremd. Vielmehr ist es naheliegend, dass ein Schuldner, dem ein Ansparen nicht ermöglicht wird, den pfändungsfreien Betrag monatlich komplett ausschöpfen würde.325 ee) Verfassungsrechtliche Beurteilung Ausschlaggebend musste letztlich die verfassungsrechtliche Beurteilung sein. In dem Moment, in dem ein Guthaben auf dem Pfändungsschutzkonto Schutz erfährt, erfolgt ein Eingriff in grundrechtliche Positionen des Gläubigers. Dieser lässt sich rechtfertigen.326 Wenn nun lediglich ein beschränkter Ansparschutz besteht, erfolgt nicht auf Seiten des Gläubigers, sondern auf Seiten des Schuldners ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff.327 Nimmt man an, dass die Bildung von Rücklagen zu einem selbstbestimmten Leben gehört, scheiterte eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für den Zugriff darauf. Selbst wenn man auf Seiten des Schuldners lediglich den Eigentumsschutz berücksichtigt, kam eine Rechtfertigung wegen der grundrechtlich geschützten Interessen des Gläubigers nicht in Betracht. Bei lebensnaher Sichtweise führt ein beschränkter Ansparschutz nämlich nicht dazu, dass dem Gläubiger tatsächlich Mittel zufließen. Ganz im Gegenteil wird der Schuldner dann darauf achten, das pfändungsfreie Einkommen vollständig zu verbrauchen.328 Folglich war der Ansparschutz im verfassungsrechtlichen Sinne schon nicht geeignet, den angestrebten Zweck zumindest zu fördern.
323
Ganter, NZI 2013, 969. Kohte, VuR 2014, 121, 122. 325 Jungmann, ZVI 2009, 1, 8; Weiß, Das Pfändungsschutzkonto de lege lata et ferenda, 2014, S. 185. 326 Vgl. dazu bereits Kapitel 6:§2:J.I. 327 In diese Richtung schon Ahrens, VuR 2012, 300, 302. 328 Den dafür notwendigen Überblick erhält der Schuldner durch eine Information seines Kreditinstituts, vgl. § 9 08 Abs. 2 Nr. 2 ZPO i. d. F. ab 01.12.2021. 324 So
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ff) Resümee Die dem Wortlaut und dem Gesetzeszweck nach mögliche Auslegung, dass der Ansparschutz ohne zeitliche Beschränkung zu verstehen sein musste, harmonierte mit den maßgeblichen verfassungsrechtlichen Wertungen. Dahinter hatte der Wille des Gesetzgebers zurückzutreten, nur einen beschränkten Ansparschutz zur Verfügung stellen zu wollen. b) § 8 99 Abs. 2 ZPO i. d. F. ab dem 01.12.2021 Zum 01.12.2021 wurde der Ansparschutz neu geregelt. Wenn ein Schuldner in dem jeweiligen Kalendermonat nicht über Guthaben in Höhe des gesamten nach § 899 Abs. 1 ZPO pfändungsfreien Betrages verfügt, wird dieses nicht verbrauchte Guthaben nach § 899 Abs. 2 S. 1 ZPO in den drei nachfolgenden Kalendermonaten 329 zusätzlich zu dem nach Absatz 1 geschützten Guthaben nicht von der Pfändung erfasst. Diese Modifikation des Ansparschutzes wird kritisiert. Die einen halten sie für zu weit gehend330 , die anderen für nicht weit gehend genug331. Es gibt aber auch Zustimmung.332 329 Vgl. dazu schon die Forderung von Schultheiß, ZBB/JBB 2013, 114, 121 („zwei- bis dreimalige Übertragungsmöglichkeit“). 330 Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V., Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz – PKoFoG), 2019 (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2019/Down loads/111519_Stellungnahme_BDIU_RefE_PKoFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=2), S. 5 (geprüft am 12.09.2021); Sächsische Industrie- und Handelskammer, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (PkoFoG), 2019 (https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2019/Downloads/ 110619_Stellungnahme_S%C3%A4chsIHK_RefE_PKoFoG.pdf?__blob=publicationFile& v=2), S. 6 (geprüft am 12.09.2021); Sudergat, WM 2019, 1196, 1202. 331 Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (PKoFoG), 2019 (https://www.bmjv.de/Shar edDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2019/Downloads/111919_Stellungnahme _AG-Schuldner_RefE_PKoFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=2), S. 12 (geprüft am 12.09. 2021). 332 Bund Deutscher Rechtspfleger, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz – PKoFoG), 2019 (https://www. bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2019/Downloads/111519_ Stellungnahme_BDR_RefE_PKoFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=2), S. 3 (geprüft am 12.09.2021); Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz), 2019 (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnah men/2019/Downloads/111319_Stellungnahme_BAG-SB_RefE_PKoFoG.pdf?__blob=publi
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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Auf der Grundlage des eben entwickelten Standpunktes, dass dem Schuldner bisher ein unbeschränkter Ansparschutz zur Seite stand, erscheint die Neuregelung nicht nachvollziehbar. Macht man sich nämlich bewusst, dass der Gesetzgeber davon ausging, den Ansparschutz zuvor auf den folgenden Kalendermonat beschränkt zu haben, handelt es sich – aus Sicht des Gesetzgebers – um eine Erweiterung des Pfändungsschutzes.333 In diesem Sinne normiert der Gesetzgeber in § 899 Abs. 2 S. 2 ZPO nun auch ausdrücklich das first in, first out-Prinzip. Er hat sich für den Schutz eines vermeintlich längeren Ansparzeitraums entschieden, um dem Schuldner zu ermöglichen, „einen Teil des unpfändbaren Guthabens für größere Anschaffungen und höhere Forderungsbeträge anzusparen“.334 Tatsächlich schränkt der Gesetzgeber den Pfändungsschutz für Ersparnisse aber ein. Ein abweichendes Auslegungsergebnis kommt aufgrund des klaren gesetzgeberischen Wortlauts nicht mehr in Betracht. Damit stellt sich § 899 Abs. 2 S. 1 ZPO als verfassungswidrig dar. Die Beschränkung des Ansparschutzes lässt sich – wie bereits im Kontext von § 850k Abs. 1 S. 3 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 dargestellt – verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Die gesetzgeberisch vorgesehene Beschränkung des Ansparschutzes lässt sich nicht – wie noch zu § 850k Abs. 1 S. 3 ZPO i. d. F. bis zum 30.11.2021 – im Wege einer verfassungskonformen Auslegung aus dem Weg räumen. Die eindeutig formulierte Vorschrift des § 899 Abs. 2 S. 1 ZPO erweist sich als verfassungswidrig, weil der mit der Beschränkung des Ansparschutzes einhergehende Eingriff in die Grundrechte des Schuldners nicht zu rechtfertigen ist. 4. Debitorische Konten Bisher war umstritten, ob bei debitorischen Konten ein Anspruch auf Umwandlung in ein Pfändungsschutzkonto besteht.335 Der fehlende Pfändungsschutz wurde als Schutzlücke und Fehljustierung kritisiert.336 Nunmehr ist in § 850k Abs. 1 S. 2 ZPO expressis verbis festgelegt, dass auch derjenige, der bei cationFile&v=2), S. 3 (geprüft am 12.09.2021); Busch, ZVI 2019, 127, 130; Kraft/Tkotsch, DGVZ 2020, 109, 112; Neiseke, jurisPR-BKR 2/2021 Anm. 1. 333 In diesem Sinne auch die Einschätzung von Goebel, FoVo, 6/2020; Lissner, KKZ 2020, 169; Waldschmidt, JurBüro 2020, 232, 233. 334 BT-Drs. 19/19850, S. 35. 335 Dafür: LG Stralsund, Urt. v. 26.02.2014, 1 S 87/13, BeckRS 2014, 14768; Ehlenz/Hell, ZVI 2013, 340, 340 f.; Homann, DGVZ 2015, 45, 48; Kessal-Wulf/Lorenz/Els, in: Schuschke/ Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 850k ZPO Rn. 4; HK-ZV/Meller-Hannich, § 850k ZPO Rn. 56; BeckOK-ZPO/Riedel, § 850k ZPO Rn. 4a; Weiß, Das Pfändungsschutzkonto de lege lata et ferenda, 2014, S. 172. Dagegen: AG Bergen (Rügen), Urt. v. 25.03.2013, 23 C 432/12, juris, Rn. 14; Bitter, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 52017, § 33 Rn. 33d; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 15. 336 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 15.
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einem Kreditinstitut über ein Zahlungskonto mit negativem Saldo verfügt, einen Anspruch auf Umwandlung in ein Pfändungsschutzkonto hat. Diese ausdrückliche gesetzgeberische Entscheidung ist zu begrüßen. Denn das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein gebietet es, auch denjenigen Schutz zu gewähren, die lediglich über ein debitorisches Konto verfügen.337 III. Rechtsfolge 1. Grundsätzlich pfändungsfreier Betrag Der Höhe nach bezieht sich der Pfändungsschutz grundsätzlich auf einen Betrag, der sich nach Aufrundung des monatlichen Freibetrages nach § 850c Abs. 1, Abs. 4 ZPO auf den nächsten vollen 10-Euro-Betrag ergibt (§ 899 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 ZPO). Damit knüpft der Pfändungsschutz an denjenigen für Arbeitseinkommen an. § 850c ZPO soll einem Schuldner – trotz Vollstreckung – ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen. Diese Pfändungsfreibeträge liegen über dem, was der Sozialstaat einem Schuldner zur Verfügung stellen würde, um menschenwürdig leben zu können. Dies beruht auf der Überlegung, dass dem Schuldner ein Anreiz verbleiben muss, erwerbswirtschaftlich tätig zu werden.338 Diese Reichweite des Pfändungsschutzes könnte als problematisch erachtet werden, wenn man berücksichtigt, dass sich der Pfändungsschutz auf dem Pfändungsschutzkonto auf jegliche Einkünfte bezieht, die auf dem Konto eingehen, also auch auf Einkommen, die mit der Anreizorientierung in keinem Konnex stehen.339 Zur Rechtfertigung eines so weitgehenden Pfändungsschutzes wird vorgebracht, dass ohne eine solche Typisierung kein automatischer und pauschalierter Pfändungsschutz unabhängig von der Herkunft der Mittel möglich wäre.340 Im Vordergrund stehen demnach die Effizienzvorteile einer standardisierten Regelung.341 Wie bereits bei § 850i ZPO dargelegt, lässt sich ein teilweise überschießender Pfändungsschutz mit dem Gedanken der Typisierung rechtfertigen.342
337
So zu Recht Weiß, Das Pfändungsschutzkonto de lege lata et ferenda, 2014, S. 170. Vgl. dazu bereits Kapitel 6:§2:E.I. 339 Vgl. Dieker/Remmert, NZI 2009, 708, 709; Fölsch/Janca/Marcus, ZRP 2007, 253; Goebel, Kontopfändung unter veränderten Rahmenbedingungen, 2010, Rn. 325; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 16. So auch ausdrücklich im Gesetzgebungsverfahren der Bundesrat, vgl. BT-Drs. 16/7615, S. 25 f. 340 Kohte, in: Zypries (Hrsg.), Die Renaissance der Rechtspolitik, 2008, S. 97, 101; Würdin ger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 850k ZPO Rn. 16. 341 Ahrens, NJW 2010, 2001, 2003. So auch Graf-Schlicker/Linder, ZIP 2009, 989, 990; Schumacher, ZVI 2007, 455, 458; Weiß, Das Pfändungsschutzkonto de lege lata et ferenda, 2014, S. 125 f. Kritisch Remmert, NZI 2008, 70, 72. 342 Vgl. dazu bereits Kapitel 6:§2:I.II.3. 338
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2. Abweichender pfändungsfreier Betrag § 906 ZPO legt fest, in welchen Fällen durch das Vollstreckungsgericht ein individuellen Gegebenheiten Rechnung tragender abweichender pfändungsfreier Betrag festgesetzt werden kann. Nach § 906 Abs. 1 ZPO tritt in den Fällen, in denen Guthaben wegen einer der in § 850d ZPO oder § 850f Abs. 2 ZPO bezeichneten Forderungen gepfändet wird, an die Stelle des grundsätzlich nach § 899 Abs. 1 ZPO und § 902 S. 1 ZPO pfändungsfreien Betrages der vom Vollstreckungsgericht im Pfändungsbeschluss belassene Betrag. Da sich allerdings die in § 850d ZPO und § 850f Abs. 2 ZPO vorgesehene Unterschreitung der Pfändungsgrenzen als verfassungswidrig erwiesen hat, muss konsequenterweise auch § 906 Abs. 1 ZPO als verfassungswidrig eingestuft werden.343 Überzeugend ist hingegen, dass das Vollstreckungsgericht auf Antrag einen von § 899 Abs. 1 ZPO und § 902 S. 1 ZPO abweichenden pfändungsfreien Betrag festlegt, wenn sich aus einer bundes- oder landesrechtlichen Vorschrift eine solche Abweichung ergibt. Auf diese Weise wird der Pfändungsschutz an der Quelle systematisch plausibel auf die Kontenpfändung übertragen.
K. Pfändungsschutz für Landwirte (§ 851a ZPO) Der Pfändungsschutz für Landwirte in § 851a ZPO wurde 1953 durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung eingeführt.344 Durch § 851a ZPO soll die Pfändung von Forderungen, die einem die Landwirtschaft betreibenden Schuldner aus dem Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zustehen, insoweit verhindert werden, als die Einkünfte zum Unterhalt des Schuldners, seiner Familie und seiner Arbeitnehmer oder zur Aufrechterhaltung einer geordneten Wirtschaftsführung unentbehrlich sind. Damit knüpfte § 851a ZPO an den Vollstreckungsschutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 4 ZPO a. F. an. § 811 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO a. F. schützten den Bestand des landwirtschaftlichen Betriebs durch den Erhalt seiner Erzeugnisse, während sich § 851a ZPO auf Forderungen aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse bezieht.345 I. Normzweck Was den Normzweck von § 851a ZPO angeht, herrscht keine Einigkeit. Teilweise wird vertreten, dass die Norm im öffentlichen Interesse an der Stützung der 343
Vgl. zu § 850d ZPO: Kapitel 6:§2:F.III. Vgl. zu § 850f Abs. 2 ZPO: Kapitel 6:§2:H.III. BGBl. I 1953, S. 952, 957. 345 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851a ZPO Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 851a ZPO Rn. 2; Nober, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 851a ZPO Rn. 1. 344
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landwirtschaftlichen Betriebe deren Belastungen minimieren soll.346 Es wird § 851a ZPO aber auch ein Doppelzweck zugeschrieben: Zum einen solle den Landwirten ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht werden. Zum anderen diene die Vorschrift aber gleichzeitig dem öffentlichen Interesse, die Belastungen für landwirtschaftliche Betriebe zu reduzieren.347 Auf der Suche nach einem Zweck für § 851a ZPO ist in systematischer Hinsicht zu berücksichtigen, dass der Pfändungsschutz nach § 850 ZPO bis § 850c ZPO einem Landwirt nicht helfen kann, weil die von § 851a ZPO geschützten Forderungen nicht als Arbeitseinkommen qualifiziert werden können.348 Allerdings kann sich ein Landwirt – wie alle anderen Selbständigen – auf den Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte nach § 850i ZPO berufen.349 Der Pfändungsschutz nach § 850i ZPO ist der Höhe nach weitgehender als der aus § 851a ZPO, weil er sich an § 850c ZPO anlehnt und die Einkünfte nicht nur – wie § 851a ZPO – schützt, wenn sie „unentbehrlich“ sind. Insofern verdrängt § 850i ZPO den Pfändungsschutz nach § 851a ZPO, weil kein Grund dafür ersichtlich ist, einen Landwirt gegenüber anderen Selbständigen zu benachteiligen.350 Damit erweist sich, dass § 851a ZPO letzten Endes demselben Zweck dient wie § 850i ZPO.351 II. Reformvorschlag Es wird in der Literatur vorgeschlagen, de lege ferenda über die Streichung von § 851a ZPO nachzudenken, da diese Vorschrift „obsolet“ geworden sei.352 Zur Begründung werden die Veränderungen in der Gesellschaft ins Feld geführt.353 III. Stellungnahme Ausschlaggebend für eine Streichung spricht, dass der von § 851a ZPO vorge sehene Schutz Landwirten schon durch § 850i ZPO – sogar weitergehend als § 851a ZPO – zur Verfügung gestellt wird.354 346 MüKo-ZPO/Smid, § 851a ZPO Rn. 1. In diese Richtung auch Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 167. 347 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851a ZPO Rn. 1; Deppe, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 851a ZPO Rn. 1 f.; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 851a ZPO Rn. 1. 348 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851a ZPO Rn. 1. 349 Prütting/Gehrlein/ders., § 851a ZPO Rn. 4. 350 Prütting/Gehrlein/ders., § 851a ZPO Rn. 4. 351 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:I.I. 352 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 851a ZPO Rn. 1. Ähnlich Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851a ZPO Rn. 1. 353 Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 851a ZPO Rn. 1. 354 Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851a ZPO Rn. 1; Deppe, in: Henning/Lackmann/Rein (Hrsg.), Privatinsolvenz, 2020, § 851a ZPO Rn. 1; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 851a ZPO Rn. 1.
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Gleichzeitig mit der Streichung von § 851a ZPO sollte aber eine mit § 851a Abs. 2 ZPO vergleichbare Vorschrift in § 850i ZPO aufgenommen werden.355 Nur so ist gewährleistet, dass der ausnahmsweise von Amts wegen zu gewährende Pfändungsschutz erhalten bleibt, was verfassungsrechtlich geboten ist.
L. Pfändungsschutz bei Miet- und Pachtzinsen (§ 851b ZPO) Wenn ein Schuldner Miet- bzw. Pachtzinsen benötigt, um davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, greift der Pfändungsschutz nach § 850i ZPO ein.356 Daneben tritt der Pfändungsschutz aus § 851b ZPO, der die Aufhebung der Pfändung von Miete und Pacht betrifft, wenn diese Einkünfte vom Schuldner zur laufenden Unterhaltung des Grundstücks, zur Vornahme notwendiger Instandsetzungsarbeiten und zur Befriedigung von Ansprüchen unentbehrlich sind, die bei einer Zwangsvollstreckung dem Anspruch des Pfändungsgläubigers nach § 10 ZVG vorgehen würden. Damit bezweckt die Norm den Erhalt des Grundstücks und gerade nicht die Existenzsicherung des Schuldners.357
M. Pfändungsschutz bei Altersrenten und steuerlich gefördertem Altersvorsorgevermögen (§§ 851c, 851d ZPO) Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung (sog. erste Säule der Altersvorsorge) genießen nach § 54 Abs. 4 SGB I i. V. m. §§ 850 ff. ZPO Pfändungsschutz.358 Gleiches gilt – unabhängig davon, ob in den einschlägigen Landesgesetzen ausdrücklich die entsprechende Anwendung von § 54 SGB I angeordnet wurde – für die Rentenansprüche gegen berufsständische Versorgungseinrichtungen (sog. zweite Säule der Altersvorsorge).359 Vertragliche Rentenansprüche von Arbeitnehmern aus der betrieblichen Altersversorgung sind nach § 850 Abs. 2 ZPO bzw. § 850 Abs. 3 lit. b) ZPO Arbeitseinkommen und damit pfändungsgeschützt. Einkünfte selbständig Tätiger waren lange Zeit nicht in gleicher Weise vor Pfändungen geschützt.360 Hier sah der Gesetzgeber Handlungsbedarf und hat deswegen mit dem Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge vom 355
Vgl. dazu bereits Kapitel 6:§2:I.II.4. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6:§2:I.II.2. 357 Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 157; HK-ZV/ Meller-Hannich, § 851b ZPO Rn. 2. 358 Vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 10.12.2004, IXa ZB 152/04, FamRZ 2005, 438; BGH, Beschl. v. 25.08.2004, IXa ZB 271/03, NJW 2004, 3770, 3771; Busch, VuR 2011, 371; Kessal-Wulf/ Lorenz, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 851c ZPO Rn. 1; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 851c ZPO Rn. 2. 359 BGH, Beschl. v. 10.12.2004, IXa ZB 152/04, FamRZ 2005, 438; Prütting/Gehrlein/ Ahrens, § 851c ZPO Rn. 1; Smid, FPR 2007, 443; Stöber, NJW 2007, 1242, 1242 f. 360 Vgl. zu diesem Befund BT-Drs. 16/886, S. 1. 356
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26.03.2007 die Vorschriften der § 851c ZPO und § 851d ZPO in die ZPO eingefügt.361 §§ 851c, 851d ZPO gelten nicht nur für Selbständige, sondern für alle, die privat für ihr Alter vorsorgen (sog. dritte Säule der Altersvorsorge).362 I. Normzweck § 851c ZPO und § 851d ZPO liegen vielfältige Motive zugrunde. Zunächst ist es erklärtes Ziel, dass auch einem auf private Altersvorsorge angewiesenen Schuldner das belassen wird, was er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass der Schuldner aufgrund einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme sozialhilfebedürftig wird und auf staatliche Sozialleistungen angewiesen ist. Hinzu kommt, dass durch §§ 851c, 851d ZPO die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern bzw. einem Versorgungswerk angehörenden Freiberuflern auf der einen Seite und selbständigen Gewerbetreibenden auf der anderen Seite beseitigt werden sollte. Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber einen Anreiz für private Altersvorsorge schaffen.363 Versucht man aus diesen gesetzgeberischen Motiven Zweckzuschreibungen für §§ 851c, 851d ZPO zu formulieren, so bleiben primär der Schutz eines menschenwürdigen Daseins des Schuldners und die Entlastung der öffentlichen Hand.364 Indes könnte letzterer Zweck allein den Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG auf Seiten des Gläubigers nicht rechtfertigen.365 Da aber die auf das menschenwürdige Dasein bezogene Schutzrichtung gleichfalls vorhanden ist, lässt sich der Eingriff zu Lasten des Gläubigers rechtfertigen.366 II. Anwendungsbereich 1. § 851c ZPO Pfändungsschutz bei Altersrenten wird nur hinsichtlich bestimmter Verträge gewährt. Diese müssen die in § 851c Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 ZPO genannten Voraussetzungen erfüllen. Hintergrund ist – im Einklang mit dem Normzweck – die gesetzgeberische Überlegung, dass dem Schuldner im Alter ein menschenwürdiges Leben möglich sein soll.367 361
BGBl. I 2007, S. 368.
362 Prütting/Gehrlein/Ahrens,
§ 851c ZPO Rn. 4; Ernst, JurBüro 2012, 405; Stöber, NJW 2007, 1242, 1244. 363 BT-Drs. 16/886, S. 7; vgl. dazu auch Stöber, NJW 2007, 1242, 1243 f. 364 BT-Drs. 16/886, S. 7; BGH, Beschl. v. 25.11.2010, VII ZB 5/08, NZI 2011, 67, 69; HKZV/Meller-Hannich, § 851c ZPO Rn. 1. 365 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§4:B. 366 In diese Richtung auch Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 3; Gleichenstein, ZVI 2004, 149, 151 (Fn. 17); Helwich, JurBüro 2007, 286, 287. Diesen Zweck hebt auch Wimmer, ZInsO 2007, 281 – wenn auch neben anderen Zwecken – besonders hervor. Vgl. auch Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851c ZPO Rn. 2 („vorrangiges Ziel“). 367 BT-Drs. 16/886, S. 7 f.
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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a) Voraussetzungen des Pfändungsschutzes Die Leistungen müssen dem Schuldner im Alter tatsächlich zur Verfügung stehen.368 Deshalb kann nur dasjenige Vermögen Pfändungsschutz genießen, welches der Schuldner endgültig und unwiderruflich für seine Altersvorsorge anlegt.369 Folglich dürfen die Leistungen erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres oder Eintritt der Berufsunfähigkeit gewährt werden und auch nur anteilig periodisch, also nicht in einer Summe (Nr. 1). Abgesehen von einer Zahlung für den Todesfall muss auch ansonsten die Zahlung einer Kapitalleistung ausgeschlossen sein (Nr. 4). So lässt sich gewährleisten, dass das Vorsorgekapital nicht missbräuchlich anderen Zwecken zugeführt werden kann.370 Dass für den Todesfall eine Kapitalleistung vereinbart werden darf, beruhte ursprünglich auf der Überlegung, dass diese Kapitalleistung auf den Todesfall in den Nachlass fällt und damit den Gläubigern des Versicherungsnehmers als Befriedigungsobjekt zur Verfügung steht.371 Außerdem darf über Ansprüche aus dem Vertrag nicht verfügt werden (Nr. 2). Ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, dass der Schuldner einen ursprünglich zu Versorgungszwecken abgeschlossenen Vertrag nachträglich umwidmet.372 Dann stünden ihm die Leistungen aber nicht mehr zur Verfügung, um im Alter menschenwürdig zu leben.373 Schließlich ist die Bestimmung von Dritten – mit Ausnahme von Hinterbliebenen – als Berechtigte ausgeschlossen (Nr. 3). Nach dem Regierungsentwurf sollte sogar die Bestimmung von Hinterbliebenen als Bezugsberechtigte unzulässig sein.374 Der Rechtsausschuss schlug indes eine Erweiterung auf Hinterbliebene vor.375 Dieser Ansatz lässt sich mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein vereinbaren, bezieht sich der Versorgungsgedanke doch nicht nur auf den Schuldner, sondern auch auf dessen Hinterbliebene.376 Indes führt diese Erweiterung dazu, dass die Kapitalleistung nicht mehr – wie ursprünglich vorgesehen – zwingend in den Nachlass fällt, sondern mögli368 Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 33; Müller, Die Lebensversicherung in der Zwangsvollstreckung, 2005, S. 109; Wall, Das Valutaverhältnis des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall – ein Forderungsvermächtnis, 2010, S. 412 f. 369 BT-Drs. 16/886, S. 8 . 370 BT-Drs. 16/886, S. 8 . 371 BT-Drs. 16/886, S. 10. 372 BT-Drs. 16/886, S. 8; Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 57 f.; Müller, Die Lebensversicherung in der Zwangsvollstreckung, 2005, S. 109. 373 So unter Hervorhebung der Versorgungsfunktion auch Holzer, DStR 2007, 767, 769. 374 BT-Drs. 16/886, S. 5. 375 BT-Drs. 16/3844, S. 12. 376 So auch Hasse, VersR 2007, 870; a. A. Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 22.
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cherweise dritten Personen in ihrer Rolle als Hinterbliebene zugutekommt.377 Dies gilt es zu vermeiden. Das menschenwürdige Dasein der Hinterbliebenen wird schon durch eine pfändungsgeschützte Rentenzahlung gesichert. Vor dem Hintergrund dieses Versorgungsgedankens ist es im verfassungsrechtlichen Sinne nicht erforderlich, Hinterbliebenen eine Kapitalleistung zuzuwenden.378 Würde man alternativ eine Kapitalleistung zulassen, dafür aber keinen Pfändungsschutz gewähren, wäre damit sogar die Gefahr verbunden, dass nicht nur den Gläubigern des Versicherungsnehmers eine Verwertung des Deckungskapitals verweigert würde, sondern auch die Versorgung der Hinterbliebenen gefährdet wäre, weil Gläubiger des Hinterbliebenen in die Kapitalleistung vollstrecken könnten.379 § 851c ZPO ist im Ergebnis dahingehend zu verstehen, dass die Vereinbarung einer Kapitalleistung für den Todesfall dem Pfändungsschutz nur dann nicht entgegensteht, wenn die Kapitalleistung in den Nachlass fällt.380 b) Reichweite des Pfändungsschutzes Bleibt noch zu klären, wie weit der Vollstreckungsschutz für private Altersvorsorge reicht. aa) Auszahlungsphase Ansprüche auf laufende Rentenzahlungen aus Verträgen, welche die Voraussetzungen von § 851c Abs. 1 ZPO erfüllen, dürfen nur wie Arbeitseinkommen gepfändet werden, § 851c Abs. 1 ZPO. bb) Ansparphase Der Schutz wäre aber unvollkommen, wenn der Zeitraum des Ansparens unberücksichtigt bliebe. Deshalb regelt § 851c Abs. 2 ZPO, dass auch das so entstehende Kapital in einem gewissen Umfang Pfändungsschutz genießt. Für die Höhe des Pfändungsschutzes ist eine zweistufige progressive Staffelung vorgesehen. Dabei ließ sich der Gesetzgeber von dem Normzweck leiten, dem Schuldner eine Vorsorge für das Alter zu ermöglichen. So erklärt sich die Anknüpfung 377
Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 43. Ders., Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 46; ähnlich auch Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 66 f. 379 Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 46. 380 Ders., Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 46. In diese Richtung auch Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 66 f.; Hasse, VersR 2007, 870, 884, 886; Wall, Das Valutaverhältnis des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall – ein Forderungsvermächtnis, 2010, S. 413. A. A. Prütting/ Gehrlein/Ahrens, § 851c ZPO Rn. 27; Holzer, DStR 2007, 767, 770. 378
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an das Lebensalter des Schuldners: Einem jüngeren Schuldner bleibt noch mehr Zeit als einem älteren Schuldner, sich finanziell auf das Alter vorzubereiten.381 Wenn der Rückkaufwert der Alterssicherung den unpfändbaren Betrag übersteigt, sind drei Zehntel des überschießenden Betrags unpfändbar, § 851c Abs. 2 S. 3 ZPO. Diese Beschränkung der Pfändbarkeit gilt nach § 851c Abs. 2 S. 4 ZPO nicht für den Teil des Rückkaufwerts, der den dreifachen Wert des in § 851c Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO genannten Betrags übersteigt. Bei diesen Vorschriften handelt es sich quasi um eine Parallelüberlegung zu § 850c Abs. 3 S. 1, S. 3 Nr. 1 ZPO. Nach § 850c Abs. 3 S. 1 ZPO ist Arbeitseinkommen, das die Pfändungsfreibeträge nach § 850c Abs. 1 ZPO übersteigt, hinsichtlich des überschießenden Teils in Höhe von drei Zehnteln unpfändbar, wobei der Teil des Arbeitseinkommens, der 3.613,08 Euro monatlich übersteigt, bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages unberücksichtigt bleibt (§ 850c Abs. 3 S. 3 Nr. 1 ZPO). Durch § 851c Abs. 2 S. 3, S. 4 ZPO wollte der Gesetzgeber dem Versicherten einen Anreiz geben, für eine finanzielle Absicherung im Alter zu sorgen.382 Es ist also erneut die Motivationswirkung, die den Gesetzgeber zu dieser Normierung bewegt hat.383 Dem Schuldner soll ermöglicht werden, so viel finanzielle Vorsorge zu treffen, dass er im Alter menschenwürdig leben kann. Durch die Einräumung von Pfändungsschutz wird er motiviert, seine Finanzplanung in diese Richtung zu orientieren. So hängt der Motivationsanreiz mit dem übergeordneten Zweck „Schutz des menschenwürdigen Daseins“ zusammen. Die vorgesehene Deckelung in § 851c Abs. 2 S. 4 ZPO steht dazu nicht in Widerspruch. Denn es geht um den Anreiz, sich eine ausreichende Altersversorgung zu schaffen und nicht darum, darüber hinaus für das Alter anzusparen. cc) Erwerbsphase Uneinheitlich wird beurteilt, ob sich der Pfändungsschutz auch auf das Einkommen des Schuldners erstreckt, das zum Aufbau der privaten Altersversorgung eingesetzt werden soll. Ein so weitreichender Pfändungsschutz wird nur selten angenommen.384 Überwiegend wird vertreten, dass ausschließlich bereits eingezahlte Beiträge Pfändungsschutz genießen können.385 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. 381
BT-Drs. 16/886, S. 10. BT-Drs. 16/886, S. 10. 383 Ernst, JurBüro 2012, 405, 406; Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 94. Flitsch, ZVI 2007, 161, 163 zieht aus diesem Pfändungsschutz die Schlussfolgerung, dass die „Intention des Gesetzgebers doch recht stark vom Ziel der künftigen Entlastung öffentlicher Kassen geprägt war“. 384 Busch, VuR 2011, 371, 375. 385 BGH, Urt. v. 30.01.2013, XII ZR 158/10, NJW 2013, 1005, 1006; BGH, Beschl. v. 12.05. 2011, IX ZB 181/10, NJW-RR 2011, 1617 f.; LG Traunstein, Beschl. v. 16.07.2010, 4 T 2077/10, BeckRS 2011, 14970, Rn. 12; AG Rosenheim, Beschl. v. 28.05.2010, 601 IK 334/09, BeckRS 2011, 14971; Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 851c ZPO Rn. 40; Flitsch, ZVI 2007, 161, 163; 382
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Der Wortlaut der Norm kann zwar dahingehend verstanden werden, dass der Schutz sich schon auf das Einkommen des Schuldners erstrecken soll, welches er zum Aufbau der privaten Altersversorgung vorgesehen hat. § 851c Abs. 2 S. 1, S. 2 ZPO a. F. sprachen von „ansammeln“, § 851c Abs. 2 S. 1 ZPO i. d. F. durch das GvSchuG spricht nunmehr von „anspart“. Damit ist ein aktiver Vorgang und nicht bloß ein passives Aufbewahren („angesammelt“, „angespart“) angesprochen.386 In systematischer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber Pfändungsschutz schon für zur Einzahlung vorgesehene Beiträge nicht fremd ist.387 Denn nach § 97 EStG i. V. m. § 851 Abs. 1 ZPO sind Beiträge eines Arbeitnehmers aus seinem Netto-Arbeitsentgelt auf einen von der Norm erfassten Altersvorsorgevertrag unpfändbar.388 Rechtssystematisch ließe sich aber gegen einen Pfändungsschutz einwenden, dass ein solcher – wie für die gesetzliche Rentenversicherung – in § 850e ZPO zu verorten gewesen wäre.389 Was die rechnerische Ausgestaltung des Pfändungsschutzes angeht, fällt auf, dass die der Pfändung nicht unterliegenden Beträge in § 851c Abs. 2 ZPO mit einem Jahresbetrag angegeben sind, während die Pfändungsschutzvorschriften ansonsten eine monatliche Berechnungsgrundlage wählen (vgl. z. B. § 850c ZPO). Wenn Pfändungsschutz schon für die Erwerbsphase hätte gewährt werden sollen, hätte der Gesetzgeber systematisch-kohärent einen monatlich pfändungsfreien Betrag nennen müssen.390 Für einen Pfändungsschutz spricht freilich eine teleologische Auslegung.391 § 851c ZPO verfolgt den Zweck, dem Schuldner im Alter ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Dieses Ziel lässt sich erreichen, wenn schon im Zeitpunkt des Ansparvorgangs Pfändungsschutz gewährt wird. Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 851c ZPO Rn. 4a; öller/Herget, § 851c ZPO Rn. 9; Saenger/Kemper, § 851c ZPO Rn. 13; Kessal-Wulf/Lorenz, Z in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7 2020, § 851c ZPO Rn. 2; BeckOK-ZPO/Riedel, § 851c ZPO Rn. 14; Tavakoli, NJW 2008, 3259, 3262; Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 237; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 851c ZPO Rn. 4. 386 Zu § 851c ZPO a. F.: BGH, Beschl. v. 12.05.2011, IX ZB 181/10, NJW-RR 2011, 1617; LG Traunstein, Beschl. v. 16.07.2010, 4 T 2077/10, BeckRS 2011, 14970, Rn. 13; Tavakoli, NJW 2008, 3259, 3261. Teilweise wird der Wortlaut aber auch für offen gehalten, vgl. z. B. Schwarz/Facius, ZVI 2009, 188, 191; Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 235. 387 Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 236. 388 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 03.11.2006, 3 Sa 414/06, VuR 2007, 395 f.; zustimmend Busch/Kohte, VuR 2007, 396, 397. 389 Tavakoli, NJW 2008, 3259, 3262. So auch der BGH, Beschl. v. 12.05.2011, IX ZB 181/10, NJW-RR 2011, 1617 und das LG Traunstein als Vorinstanz, Beschl. v. 16.07.2010, 4 T 2077/10, BeckRS 2011, 14970, Rn. 15, allerdings mit einer Verortung in § 850f Abs. 1 ZPO. 390 LG Traunstein, Beschl. v. 16.07.2010, 4 T 2077/10, BeckRS 2011, 14970, Rn. 15. 391 LG Traunstein, Beschl. v. 16.07.2010, 4 T 2077/10, BeckRS 2011, 14970, Rn. 14; Tavakoli, NJW 2008, 3259, 3262; a. A. BGH, Beschl. v. 12.05.2011, IX ZB 181/10, NJW-RR 2011, 1617.
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Indes wird der Wille des Gesetzgebers maßgeblich dafür ins Feld geführt, dass nur bereits eingezahlte Beiträge pfändungsgeschützt sind.392 So ist in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung in der Tat von einem „zweifachen Pfändungsschutz“393 die Rede. Gemeint ist dabei die Anspar- und die Auszahlungsphase. Dieser auf Anspar- und Auszahlungsphase beschränkte Pfändungsschutz wird außerdem besonders in der Formulierung deutlich, dass das „angesammelte Deckungskapital“394 geschützt werden soll. Hinzu kommt, dass die Frage nach der Reichweite des Pfändungsschutzes im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich diskutiert wurde. So regte der Bundesrat an, aus Gründen der Rechtssicherheit expressis verbis zu regeln, „dass sich die Unpfändbarkeit nur auf tatsächlich eingezahlte Beträge und nicht auf Bargeld, Sparguthaben etc. erstreckt, das nach dem Vortrag des Schuldners lediglich zur Einzahlung bestimmt war.“395 Aus Sicht der Bundesregierung war eine solche Klarstellung nicht angezeigt, weil das Gewollte schon hinreichend deutlich zum Ausdruck komme.396 Ausschlaggebend muss eine verfassungskonforme Betrachtung sein.397 Wenn der Pfändungsschutz des § 851c ZPO auf den Ansparvorgang ausgedehnt wird, besteht zwar die Chance, dass der Schuldner diese finanziellen Mittel zur Altersvorsorge einsetzt. Indes ist dieser Einsatz nicht zwingend. Vielmehr kann der Schuldner über diese Mittel frei verfügen.398 Vor diesem Hintergrund kann man nicht sagen, dass eine Erstreckung des Pfändungsschutzes von § 851c ZPO auf den Ansparvorgang einen ausreichenden Bezug zu dem Zweck aufweist, dem Schuldner im Alter ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.399 Anders ausgedrückt: Wegen der verbleibenden Disponibilität auf Seiten des Schuldners fehlt es am kausalen Nexus zur sicherzustellenden Altersvorsorge. Damit ist nicht gesagt, dass es einem Schuldner in dieser Situation nicht möglich ist, Vorsorge für sein Alter zu treffen. Vielmehr gibt es neben der Abführung bestimmter Beträge aus dem Einkommen noch vielfältige andere Möglich-
392 BGH, Beschl. v. 12.05.2011, IX ZB 181/10, NJW-RR 2011, 1617; LG Traunstein, Beschl. v. 16.07.2010, 4 T 2077/10, BeckRS 2011, 14970, Rn. 14; Tavakoli, NJW 2008, 3259, 3262; Woll mann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 237. 393 BT-Drs. 16/886, S. 7. 394 BT-Drs. 16/886, S. 10. 395 BT-Drs. 16/886, S. 16. 396 BT-Drs. 16/886, S. 19. 397 So auch Tavakoli, NJW 2008, 3259, 3262, allerdings unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG; vgl. zu diesem Aspekt auch BGH, Beschl. v. 12.05.2011, IX ZB 181/10, NJW-RR 2011, 1617, 1618. 398 So auch LG Traunstein, Beschl. v. 16.07.2010, 4 T 2077/10, BeckRS 2011, 14970, Rn. 14. 399 A. A. Ernst, JurBüro 2012, 405, 407 unter Verweis auf Art. 3 Abs. 1 GG.
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keiten, um schon im Erwerbsleben die Mittel zur Seite zu legen, die im Alter benötigt werden.400 2. § 851d ZPO Der Pfändungsschutz nach § 851d ZPO ist notwendig, weil Renten aus steuerlich gefördertem Altersvorsorgevermögen in der Regel nicht dem Pfändungsschutz aus § 851c ZPO unterfallen. Zwar genießt der überwiegende Teil dieser steuerlich geförderten Verträge Pfändungsschutz nach § 850 Abs. 3 lit. b) ZPO. Indessen können Selbständige, Freiberufliche und Nichterwerbstätige diesen Pfändungsschutz nicht in Anspruch nehmen. Diese Lücke wollte der Gesetz geber durch § 851d ZPO schließen.401 Laufende Leistungen aus steuerlich gefördertem Einkommen dienen dem Zweck, den Schuldner im Alter finanziell abzusichern.402 Der Anwendungs bereich ist demgemäß auf monatliche Leistungen bzw. monatliche Ratenzahlungen beschränkt. Das lässt sich mit dem Versorgungsgedanken rechtfertigen, der hinter der Norm steht. Es soll möglichst effektiv gewährleistet werden, dass die vom Schuldner erbrachten Einzahlungen dem Zweck dienen, im Alter menschenwürdig leben zu können. Das angesparte Kapital selbst wird durch § 851d ZPO vor einem Vollstreckungszugriff nicht geschützt. Entsprechender Pfändungsschutz findet sich jedoch in spezialgesetzlichen Vorschriften. Für das nach § 10a EStG und Abschnitt XI EStG geförderte Altersvorsorgevermögen ergibt sich der Pfändungsschutz für das angesparte Kapitel aus der in § 97 S. 1 EStG normierten Unübertragbarkeit i. V. m. § 851 ZPO. Für die nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) EStG geförderte „Rürup-Rente“ regelt § 168 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 VVG, dass eine Kündigung vor dem Eintritt in den Ruhestand nicht in Betracht kommt. Das führt dazu, dass der Gläubiger selbst nach einer Pfändung des Ansparguthabens darauf nicht zugreifen kann.403 Somit besteht zwar kein unmittelbarer Pfändungsschutz, aber doch ein mittelbarer Schutz durch den Kündigungsausschluss.404
400 Vgl. zu diesen Überlegungen auch BGH, Beschl. v. 12.05.2011, IX ZB 181/10, NJW-RR 2011, 1617, 1618. 401 BT-Drs. 16/886, S. 10. 402 BT-Drs. 16/886, S. 10. 403 BeckOK-ZPO/Riedel, § 851d ZPO Rn. 5. Für eine Ausweitung und Gleichstellung de lege ferenda vgl. Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 851d ZPO Rn. 4. 404 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 851d ZPO Rn. 3a; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 851d ZPO Rn. 6; Stöber, NJW 2007, 1242, 1246; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 851d ZPO Rn. 4 (Fn. 15).
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III. Rechtsfolge Wenn die Voraussetzungen von §§ 851c, 851d ZPO vorliegen, werden die Ansprüche wie Arbeitseinkommen geschützt.405 Dies erscheint auf den ersten Blick merkwürdig, weil die Pfändungsfreibeträge nach § 850c ZPO einen Erwerbsanreiz beinhalten, der sich auf Altersrenten bzw. Altersvorsorgevermögen nicht ohne weiteres übertragen lässt. Bei näherer Betrachtung erweist sich dieser weitgehende Pfändungsschutz aber als gerechtfertigt. Dem Schuldner muss nämlich die Möglichkeit eröffnet werden, für sein Alter vorzusorgen. Es gehört zu einem menschenwürdigen Dasein, Vorsorge dafür zu treffen, dauerhaft selbständig und ohne Unterstützung des Staates leben zu können. Das setzt aber auch voraus, dass dem Schuldner im Alter mehr verbleibt, als ihm sozialrechtlich zur Verfügung gestellt w ürde. Ansonsten entfällt die Motivationswirkung, für das eigene Alter vorzusorgen. IV. Stellungnahme Der Pfändungsschutz aus §§ 851c, 851d ZPO ist verfassungsrechtlich geboten. Er gewährleistet, dass einem Schuldner auch im Alter ein menschenwürdiges Leben möglich ist. In systematischer Hinsicht ist indes zu berücksichtigen, dass der Pfändungsschutz nach §§ 851c, 851d ZPO aus dem Jahr 2007 stammt. Im Jahr 2010 hat der Gesetzgeber dann den Pfändungsschutz des § 850i ZPO um „sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind“ erweitert.406 Damit fallen Ansprüche auf laufende Rentenzahlungen dem Wortlaut nach sowohl in den Anwendungsbereich von § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO als auch in den Anwendungsbereich von §§ 851c, 851d ZPO.407 Selbst wenn die engeren Voraussetzungen von § 851c Abs. 1 ZPO bzw. § 851d ZPO nicht erfüllt sein sollten, bliebe dennoch der Pfändungsschutz nach § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO.408 Hinzu kommt, dass der Pfändungsschutz nach §§ 851c, 851d ZPO von Amts wegen gewährt wird, der Pfändungsschutz nach § 850i ZPO jedoch nur auf Antrag. Diese Ausgangslage lässt sich nicht widerspruchsfrei auflösen.409
405 Die Reichweite der Verweisung ist umstritten, vgl. Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 75. 406 BGBl. I 2009, S. 1707, 1708; vgl. dazu bereits Kapitel 6:§2:I. 407 Meller-Hannich, ZZP 130 (2017), 303, 315 spricht von „Doppelungen des Pfändungsschutzes“. In diese Richtung auch Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 229. 408 Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 124. 409 Rupprecht, Zwangsvollstreckung in Altersvorsorgeansprüche, 2014, S. 132; Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 123.
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In der Literatur wird der Versuch einer Abgrenzung dergestalt unternommen, dass sich § 850i ZPO lediglich auf Forderungen beziehe, die aus einer selbständigen Tätigkeit herrührten.410 Indes wird gleichzeitig anerkannt, dass sich § 851c ZPO auf Leistungen beziehe, die letztlich in der Regel aus selbständigen Einkünften erwachsen sind.411 Deshalb wird als zusätzliches einschränkendes Kriterium vorgeschlagen, § 850i ZPO bloß auf Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit anzuwenden.412 Von den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen her scheint stattdessen ein anderes Ergebnis als angezeigt: Der Pfändungsschutz nach § 851c Abs. 1 ZPO und § 851d ZPO erweist sich für die Auszahlungsphase der Rentenzahlungen als überflüssig, weil der gebotene Schutz in dieser Phase schon bei wortgetreuem Verständnis von § 850i ZPO gewährleistet ist.413 Über dieses Verständnis dem Wortlaut nach besteht Einigkeit mit der Ansicht, die anschließend eine einengende Auslegung für notwendig erachtet, um die im Alter ausgezahlten Beträge, die nicht von § 851c Abs. 1 ZPO erfasst werden, aus dem Schutz von § 850i ZPO auszunehmen. Eine solche einengende Auslegung kollidiert mit der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass auch im Alter ein menschenwürdiges Dasein möglich sein muss. Denn die einengende Auslegung würde im Ergebnis dazu führen, dass für aus Vorsorge herrührende Zahlungen im Alter aufgrund von Verträgen, die nicht den Voraussetzungen von § 851c Abs. 1 ZPO genügen, kein Pfändungsschutz gewährt würde. Der Verlust der aus eigener Ansparleistung resultierenden Versorgungszahlungen beraubt den Schuldner eines wesentlichen Teils der Eigenständigkeit, die er sich durch eigene Vorsorgeleistungen für das Alter gesichert hat und die er nun benötigt, um unabhängig von staatlicher Unterstützung leben zu können. Im Ergebnis ist zur Klarstellung und zur Aufhebung der durch die nachträgliche Erweiterung von § 850i ZPO entstandenen Spannungslage mit § 851c ZPO eine Streichung des speziellen, einschränkenden Pfändungsschutzes in § 851c Abs. 1 ZPO für die Auszahlungsphase naheliegend. Der Binnenlogik von § 851c ZPO nach sollten sich die einschränkenden Voraussetzungen lediglich auf die Ansparphase beziehen, wo sie die gegenläufigen Interessen von Schuldner und Gläubiger adäquat austarieren. Konsequenterweise ist dann auch § 851d ZPO zu streichen.
410 HK-ZV/Meller-Hannich,
§ 850i ZPO Rn. 11. § 850i ZPO Rn. 11. 412 Dietzel, Der Pfändungsschutz der privaten Altersvorsorge nach den §§ 851c und 851d ZPO, 2013, S. 78. 413 Diese Betrachtungsweise lässt sich mit dem Vorschlag von Menzel, Vollstreckungsschutz zugunsten privater Altersvorsorge, 2011, S. 163 in Einklang bringen. Er empfiehlt aufgrund der vielfältigen Struktur der Altersvorsorge grundsätzlich einen antragsbedingten individuellen Vollstreckungsschutz im Sinne von § 850i ZPO. 411 HK-ZV/dies.,
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In diesem Zusammenhang sollte klargestellt werden, dass sich der Pfändungsschutz nach § 851c Abs. 2 ZPO nur auf die Ansparphase, nicht aber schon auf die Erwerbsphase bezieht. Was den Anwendungsbereich von § 851c Abs. 1 ZPO angeht, darf der Pfändungsschutz bei Vereinbarung einer Kapitalleistung nur dann eingreifen, wenn die Kapitalleistung in den Nachlass fällt. Dies sollte de lege ferenda außer Streit gestellt werden.414
N. Beschränkt pfändbare Forderungen (§ 852 ZPO) Ob der Pflichtteilsanspruch (§ 852 Abs. 1 ZPO), der schenkungsrechtliche Rückgabeanspruch nach § 528 BGB bzw. der Anspruch auf Zugewinnausgleich (§ 852 Abs. 2 ZPO) der Pfändung unterworfen sind, steht zur Disposition des Schuldners. Die genannten Ansprüche sind der Pfändung nämlich nur dann zugänglich, wenn sie durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden sind. § 852 ZPO geht im Hinblick auf den Pfändungsschutz für den Pflichtteilsanspruch und für den Rückforderungsanspruch des Schenkers auf § 749b CPO von 1898 zurück.415 Durch das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts vom 18.06.1957 ist der Pfändungsschutz um den Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns erweitert worden.416 I. Normzweck Den in § 852 ZPO bezeichneten Forderungen ist grundsätzlich gemeinsam, dass sie mit einer familiären bzw. persönlichen Bindung in Beziehung stehen.417 Als Zweckzuschreibung wird formuliert, dass die Entscheidungsfreiheit des Schuldners geschützt werden solle, diese Ansprüche durchzusetzen oder dies zu unterlassen.418 Es sei zu vermeiden, dass ein solcher Anspruch gegen den Willen des Berechtigten gelten gemacht werden könnte.419 Dies sei notwendig, um zu ver414 Vgl. zu einem Formulierungsvorschlag Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubigerschutz, 2010, S. 160. 415 Vgl. RGBl. 1898, S. 256, 310. 416 Vgl. BGBl. I 1957, S. 609, 634. 417 OLG München, Beschl. v. 13.05.2009, 34 Wx 026/09, RNotZ 2009, 480, 482; Greve, ZIP 1996, 699; Hannich, Die Pfändungsbeschränkung des § 852 ZPO, 1998, S. 32. 418 OLG München, Beschl. v. 13.05.2009, 34 Wx 026/09, RNotZ 2009, 480, 482; Harder, WuB VI E. § 852 ZPO 1.94, 220, 222; Kessal-Wulf/Lorenz, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 852 ZPO Rn. 1; Lüke, in: Bengel/ Limmer/Reimann u. a. (Hrsg.), Festschrift für Rainer Kanzleiter zum 70. Geburtstag am 17. Juni 2010, 2010, S. 271, 273; Olzen, in: Henssler/Joussen/Maties u. a. (Hrsg.), Festschrift für Rolf Wank zum 70. Geburtstag, 2014, S. 397, 407. Kritisch Frank, in: Stürner/Matsumoto/ Lüke u. a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, 2009, S. 983, 993. 419 Hannich, Die Pfändungsbeschränkung des § 852 ZPO, 1998, S. 11; Zöller/Herget, § 852 ZPO Rn. 1; Weber, FamRZ 2019, 420, 421; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 852 ZPO Rn. 1 f.
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Kapitel 6: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen
hindern, dass die persönlichen Beziehungen des Schuldners zu ihm nahestehenden Personen durch die Einflussnahme Dritter beeinträchtigt würden.420 II. Stellungnahme Bereits einfach-rechtlich wird klar, dass der Gesetzgeber nicht durchgehend den Gedanken verfolgt hat, den Schutz des innerfamiliären Friedens in den Vordergrund zu stellen. So ist z. B. anerkannt, dass der Pflichtteilsanspruch, wenn er auf einen Sozialhilfeträger übergeleitet worden ist (§ 93 Abs. 1 Satz 4 SGB XII), von diesem auch geltend gemacht werden kann, ohne dass es insoweit auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankäme.421 In Bezug auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II enthält § 33 Abs. 1 S. 3 SGB II eine § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII vergleichbare Regelung, wobei die Überleitung hier nicht durch Verwaltungsakt erfolgt, sondern als gesetzlicher Anspruchsübergang ausgestaltet ist. Auch in diesem Zusammenhang ist der Pflichtteilsanspruch dem Zugriff des Sozialleistungsträgers ausgesetzt, ohne dass dem Pflichtteils berechtigten eine Entscheidungsfreiheit verbleibt.422 Im Zwangsvollstreckungsrecht zeigt sich, dass der Gesetzgeber das unterstellte Konzept „Schutz persönlicher Beziehungen“ jedenfalls nicht durchgängig umgesetzt hat. Nimmt man den Schutzaspekt nämlich ernst, lässt sich nicht erklären, warum ein vergleichbarer Pfändungsschutz nicht für die Fälle normiert ist, in denen es um die Geltendmachung von Ansprüchen geht, die gleichfalls in persönlichen Beziehungen wurzeln (z. B. die Pfändung eines im Verhältnis der Eheleute zueinander bestehenden Schmerzensgeldanspruchs).423 Das Problem ist in der Schweiz erkannt worden. Dort werden Forderungen des Schuldners gegen seinen Ehegatten, seine eingetragene Partnerin oder seinen eingetragenen Partner durch Art. 95a SchKG besonders geschützt. Die für das deutsche Recht festgestellte dissonante Wertung hinsichtlich der Vollstreckung von Ansprüchen, die ihren Grund in persönlichen Beziehungen haben, ließe sich auf zwei Wegen auflösen. Zum einen könnte man die Zweckzuschreibung „Schutz persönlicher Beziehungen“ ablehnen. Zum anderen
420 Saenger/Kemper, § 852 ZPO Rn. 1; BeckOK-ZPO/Riedel, § 852 ZPO Vorbem. So zu § 852 Abs. 1 ZPO auch Ponzer, Streitschrift für einen effektiven Gläubigerschutz beim Pflichtteil, 2018, S. 54; Scheuing, Der Pflichtteilsanspruch in Zwangsvollstreckung und Insolvenz, 2017, S. 61 f. 421 BGH, Urt. v. 19.10.2005, IV ZR 235/03, ZEV 2006, 76; BGH, Urt. v. 08.12.2004, IV ZR 223/03, ZEV 2005, 117, 118; Menzel, MittBayNot 2013, 289, 291; Olzen, in: Henssler/Joussen/ Maties u. a. (Hrsg.), Festschrift für Rolf Wank zum 70. Geburtstag, 2014, S. 397, 403; Pflieger, MittBayNot 2018, 196, 198; Ponzer, Rpfleger 2019, 673, 678. 422 Doering-Striening/Horn, NJW 2013, 1276; Pflieger, MittBayNot 2018, 196, 198; Proff, RNotZ 2012, 272, 275 f. 423 Frank, in: Stürner/Matsumoto/Lüke u. a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, 2009, S. 983, 993.
§ 2: Analyse der relevanten Strukturfragen
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könnte man diese Zweckzuschreibung auf andere gleichgelagerte Fallgestaltungen erweitern. Allgemeiner Meinung nach ist es der teleologische Ausgangspunkt für die Regelung in § 852 ZPO, einem Anspruchsinhaber bei Ansprüchen, die enge familiäre Beziehungen betreffen, die Entscheidungsfreiheit darüber zu belassen, ob er den Anspruch geltend machen möchte oder nicht.424 Die Einräumung dieser Entscheidungsfreiheit führt zwangsläufig dazu, dass Gläubiger ihre Ansprüche nicht vollstrecken können.425 Auch wenn nachvollziehbar ist, dass die persönliche Geltendmachung von Ansprüchen in familiären Beziehungen zu Konflikten führen kann, gilt dies doch nicht, wenn außenstehende Dritte Ansprüche verfolgen, die in familiären Beziehungen wurzeln. Es macht emotional durchaus einen Unterschied, ob der Pflichtteilsberechtigte aus freien Stücken einen Anspruch verfolgt – dann droht möglicherweise eine Verschlechterung des innerfamiliären Klimas – oder ob der Anspruch durch Dritte geltend gemacht wird.426 Zwar wird die Geltendmachung des Anspruchs durch Dritte natürlich als unangenehm empfunden werden. Eine daraus resultierende Aversion kann sich aber nicht gegen den Familienangehörigen richten, da dieser an der als unangenehm empfundenen Lage gewissermaßen „unschuldig“ ist. Deshalb trägt im Ergebnis der Gedanke, den innerfamiliären Frieden zu sichern, einen Eingriff in die Gläubigerrechte nicht.427 § 852 ZPO erweist sich so gesehen als verfassungswidrig.
424 Vgl. Scheuing, Der Pflichtteilsanspruch in Zwangsvollstreckung und Insolvenz, 2017, S. 40. 425 Frank, in: Stürner/Matsumoto/Lüke u. a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, 2009, S. 983, 984; Ponzer, Streitschrift für einen effektiven Gläubigerschutz beim Pflichtteil, 2018, S. 213. 426 Pflieger, MittBayNot 2018, 196, 198. 427 In diese Richtung auch Frank, in: Stürner/Matsumoto/Lüke u. a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, 2009, S. 983, 984; Ponzer, Streitschrift für einen effektiven Gläubigerschutz beim Pflichtteil, 2018, S. 213.
Kapitel 7
Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in andere Vermögensrechte (§ 857 ZPO) Bei der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte steht unstreitig der Pfändungsschutz nach § 765a ZPO zur Verfügung.1 Darüber hinaus kommt Pfändungsschutz nach §§ 850 ff. ZPO in Betracht, weil § 857 ZPO auf die „vorstehenden Vorschriften“ verweist.2 Umstritten ist aber, ob daneben auf § 811 ZPO zurückgegriffen werden kann. Teilweise wird – ohne Begründung – allgemein formuliert, dass eine Zwangsvollstreckung nach § 857 ZPO in Rechte an nach § 811 Abs. 1 ZPO unpfändbaren Gegenständen ausscheiden muss.3 Die Frage ist zuletzt intensiv speziell in Bezug auf die Domainpfändung4 diskutiert worden. In diesem Bereich wurde überwiegend – wenn auch hier zumeist ohne nähere Begründung – angenommen, dass § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. analog heranzuziehen sei.5 Indes hat 1 BGH, Beschl. v. 20.12.2006, VII ZB 92/05, NJW-RR 2007, 1219, 1221; MüKo-ZPO/ Heßler, § 765a ZPO Rn. 10; Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 18 2021, § 765a ZPO Rn. 2; Münzberg, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 222002, § 765a ZPO Rn. 3. Vgl. zu § 765a ZPO auch noch Kapitel 9. 2 So Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 857 ZPO Rn. 27 mit dem Beispiel der Lizenzgebühren. 3 Vgl. z. B. Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 857 ZPO Rn. 8; Lorenz, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 857 ZPO Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 857 ZPO Rn. 33; Schmidt, NJW 1974, 323; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2017, § 857 ZPO Rn. 13. Vgl. aber auch Hellwig/Oertmann, System des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1919, S. 368 f. („§ 811 muß wegen Gleichheit des Grundes angewendet werden“). 4 Zwar ist die Domain als solche kein anderes Vermögensrecht i. S. v. § 857 Abs. 1 ZPO. Gegenstand einer Pfändung nach § 857 Abs. 1 ZPO kann aber die Gesamtheit der schuldrecht lichen Ansprüche sein, die dem Inhaber einer Domain gegenüber der Vergabestelle aus dem der Domainregistrierung zu Grunde liegenden Vertragsverhältnis zustehen, vgl. BGH, Beschl. v. 05.07.2005, VII ZB 5/05, NJW 2005, 3353 f. 5 LG Mühlhausen, Beschl. v. 13.12.2012, 2 T 222/12, DGVZ 2013, 56, 57; LG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.09.2004, 5 T 445/04, juris, Rn. 11; Prütting/Gehrlein/Ahrens, § 857 ZPO Rn. 67; Berger, Rpfleger 2002, 181, 185; Berger/Tunze, ZIP 2020, 52, 60; Birner, Die Internet-Domain als Vermögensrecht, 2005, S. 119; Boecker, MDR 2007, 1234, 1235; Empting, ZInsO 2006, 229, 231 f.; Engelbert, Pfändung ausgewählter Immaterial-güterrechte, 2007 (https://www.hwr-berlin.de/fileadmin/portal/Dokumente/Fachbereiche-Institute/FB4/ Forschung/FB-4-Heft-2007-64.pdf), S. 47 (geprüft am 12.09.2021); Flockenhaus, in: Musielak/ Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 17a; Gravenreuth, JurPC Web-Dok. 66/2006, Abs. 12; Zöller/Herget, § 857 ZPO Rn. 12c; Hombrecher, MMR 2005, 647, 652; HK-ZV/ Koch, § 857 ZPO Rn. 31; HK-ZV/Krone/Vierkötter, Zwangsvollstreckung in IT-Güter
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Kapitel 7: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in andere Vermögensrechte
der BGH die Anwendung von § 811 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a. F. im Kontext von § 857 ZPO in einem Fall verneint, in dem es um die Pfändbarkeit der Anlieferungs- Referenzmenge eines Milcherzeugers ging. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass § 811 ZPO für den Bereich der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in bewegliche Sachen für bestimmte Gegenstände ausnahmsweise ein Verbot der grundsätzlich statthaften Pfändbarkeit normiere. Es handele sich aber um eine Ausnahmevorschrift, weswegen eine analoge Anwendung grundsätzlich nicht in Betracht komme. Außerdem beruhe § 811 ZPO nicht auf einem verallgemeinerungsfähigen Prinzip. 6
§ 1: Unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO Einer unmittelbaren Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO steht schon der Wortlaut von § 811 Abs. 1 ZPO entgegen („Sachen“).7 Gleiches gilt für die Syste matik.8 Während sich § 811 ZPO auf die Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen bezieht, steht § 857 ZPO im Untertitel zur Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte. Teilweise wird zwar vertreten, dass der Verweis in § 857 Abs. 1 ZPO auf die „vorstehenden Vorschriften“ auch die Anwendung von § 811 ZPO ermögliche.9 Die systematische Stellung von § 857 ZPO im Untertitel 3 „Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte“ (§§ 828–863 ZPO) spricht aber dafür, die Verweisung nur mit §§ 828 ff. ZPO in Verbindung zu bringen.10 Rn. 30; Rössel, ITRB 2005, 270, 271; Schörnig, MDR 2019, 338, 339; Ulmer, ITRB 2005, 112, 114; Viefhues, in: Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, 562021, Teil 6 , Rn. 412; Völzmann-Stickelbrock, MarkenR 2006, 2, 6; Welzel, MMR 2001, 131, 135 (Fn. 70); Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 51. So für Daten auch Steinrötter/Bohlsen, ZZP 2020, 459, 469 (Fn. 35). Teilweise wird auch eine unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO für möglich gehalten, vgl. Schmittmann, DGVZ 2001, 177, 179. 6 BGH, Beschl. v. 20.12.2006, VII ZB 92/05, NJW-RR 2007, 1219, 1221. Zu dem Aspekt des fehlenden verallgemeinerungsfähigen Gedankens auch Völzmann-Stickelbrock, in: Specht-Riemenschneider/Buchner/Heinze u. a. (Hrsg.), IT-Recht in Wissenschaft und Praxis, 2020, S. 749, 761. 7 LG Mönchengladbach, Beschl. v. 22.09.2004, 5 T 445/04, juris, Rn. 11; Birner, Die Internet-Domain als Vermögensrecht, 2005, S. 117; Hombrecher, MMR 2005, 647, 652. 8 Birner, Die Internet-Domain als Vermögensrecht, 2005, S. 117; Völzmann-Stickelbrock, in: Specht-Riemenschneider/Buchner/Heinze u. a. (Hrsg.), IT-Recht in Wissenschaft und Praxis, 2020, S. 749, 761. 9 Wieczorek/Schütze/Lüke, § 857 ZPO Rn. 33. In diese Richtung auch Lorenz, in: Schuschke/Walker/Kessen u. a. (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 72020, § 857 ZPO Rn. 7. 10 So auch Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 857 ZPO Rn. 1; Saenger/Kemper, § 857 ZPO Rn. 1; Schnekenburger, Agrar- und Umweltrecht 2003, 133, 137; MüKo-ZPO/Smid, § 857 ZPO Rn. 1 f.
§ 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO
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§ 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO Da eine unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO ausscheidet, wird in Literatur und Rechtsprechung zwar zu Recht eine analoge Anwendung diskutiert, dies aber mit zu kurz greifenden Begründungen.11 Die These des BGH, dass eine Analogie an der mangelnden Analogiefähigkeit von Ausnahmevorschriften scheiterte,12 steht nicht entgegen. Auch Ausnahmevorschriften sind analogiefähig.13
A. Planwidrige Regelungslücke Die für eine Analogie notwendige planwidrige Regelungslücke14 liegt darin, dass für die Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte kein mit § 811 Abs. 1 ZPO vergleichbarer Vollstreckungsschutz besteht.15 Diese Problematik hat Feldhahn bereits 1907 gesehen und am Beispiel der Pfändung eines Miteigentumsanteils an einem Fischerkahn demonstriert: „Es bleibt also bei dem auffälligen Ergebnisse, daß dem Schuldner zwar der halbe, aber nicht der ganze Kahn genommen werden kann […]“. Deswegen hielt er eine analoge Anwendung von § 811 ZPO im Kontext von § 857 ZPO für angezeigt, wollte eine entsprechende Lösung aber dem Gesetzgeber vorbehalten.16 Der Gesetzgeber war 1950 im Vereinheitlichungsgesetz gehalten, die ZPO in Einklang mit den grundrechtlichen Anforderungen zu bringen.17 Der fehlen-
11 Empting, ZInsO 2006, 229, 231 (Fn. 20) stellt fest, dass „das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke des Gesetzes bzgl. der Vermögensrechte an der Domain und das Vorliegen vergleichbarer Interessenlagen zumindest nicht offensichtlich ausgeschlossen zu sein scheinen.“. Birner, Die Internet-Domain als Vermögensrecht, 2005, S. 117 f.: „Dass die aus den sozialen Strukturen des 19. Jahrhunderts basierende Schuldnerschutzvorschrift des § 811 ZPO keine Regelung im Hinblick auf Internet-Domains bereithält und es sich insoweit um eine unbeabsichtigte Regelungslücke handelt, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. […] Der Normzweck des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO lässt sich aber ebenso auf die Pfändung sonstiger Vermögensrechte übertragen, da der Schuldner in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gleichsam auf ein Arbeitsmittel immaterieller Natur angewiesen sein kann.“. Welzel, MMR 2001, 131, 135 (Fn. 70) konstatiert: „die dafür erforderliche unbeabsichtigte Regelungslücke ist hinsichtlich einer Domain sicherlich gegeben, und auch von der Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte wird man prinzipiell auszugehen haben.“ 12 So für den hiesigen Kontext BGH, Beschl. v. 20.12.2006, VII ZB 92/05, NJW-RR 2007, 1219, 1221. 13 Vgl. dazu bereits Kapitel 4:§1:A.I.2.a). 14 Vgl. zu den Voraussetzungen für eine Analogie Kapitel 4:§1:A.I.2.b). 15 So auch Schnekenburger, Agrar- und Umweltrecht 2003, 133, 137. 16 Feldhahn, Das Recht 1907, 564. 17 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:A.I.2.c)aa). § 857 ZPO geht auf § 754 CPO i. d. F. v. 1877 zurück, vgl. RGBl. 1877, S. 222.
320 Kapitel 7: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in andere Vermögensrechte de Pfändungsschutz bei der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte ist aber nicht grundrechtskonform. Der Gesetzgeber hätte die Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte in einer Weise regeln müssen, die einen Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein ausschließt. Denn ohne Vollstreckungsschutz kann eine Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte dazu führen, dass einem Schuldner Vermögensrechte entzogen werden, die er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt. Die Existenz von § 765a ZPO spricht nicht gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Zwar ist der Vollstreckungsschutz aus § 765a ZPO bei der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte zum Schutze des Schuldners anwendbar.18 Allerdings hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen zu erkennen gegeben, dass er den Schutz durch § 765a ZPO allein nicht für ausreichend erachtet. § 765a ZPO ist jünger als § 811 ZPO. Dem Plan des Gesetzgebers kann es nicht entsprechen, die Konstellationen, die im Rahmen der Fahrnisvollstreckung über § 811 ZPO behandelt werden, bei der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte § 765a ZPO zu unterwerfen. Bei einer solchen Sichtweise würde § 811 ZPO bei der Fahrnisvollstreckung praktisch bedeutungslos, weil man bei diesen Fällen dann ebenfalls § 765a ZPO anwenden könnte. Will man § 811 ZPO einen eigenständigen Anwendungsbereich sichern – und das will der Gesetzgeber, der § 765a ZPO zeitlich nach § 811 ZPO in die ZPO eingefügt hat, ohne § 811 ZPO aufzuheben – darf man den erforderlichen Vollstreckungsschutz nicht allein aus § 765a ZPO herleiten. Hinzu kommt, dass der parlamentarische Gesetzgeber nach dem Wesentlichkeitsgrundsatz verpflichtet ist, wesentliche, für die Grundrechtsverwirklichung maßgebliche Regelungen selbst zu treffen.19 Deshalb müssen die Voraussetzungen und Grenzen besonders grundrechtsrelevanter Maßnahmen durch den Gesetzgeber selbst festgelegt werden. Damit betrifft der Wesentlichkeitsgrundsatz nicht nur das „Ob“ eines parlamentarischen Gesetzes, sondern bestimmt gleichzeitig die im Gesetz erforderliche Regelungsdichte.20 Bei Pfändungsver-
18 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 110; Noack, DGVZ 1969, 113, 114; BeckOK-ZPO/ Ulrici, § 765a ZPO Rn. 1.1. 19 BVerfG, Urt. v. 19.12.2017, 1 BvL 3/14 (u. a.), BVerfGE 147, 253, 309 f.; BVerfG, Urt. v. 12.05.1988, 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218, 251; BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89, 126 f. 20 BVerfG, Urt. v. 13.04.1999, 2 BvF 3/90, BVerfGE 101, 1, 34; BVerfG, Beschl. v. 27.11. 1990, 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130, 152; BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89, 126 f.
§ 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO
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boten kollidieren die Grundrechte von Schuldner und Gläubiger. In solchen Fällen genügen Generalklauseln wie § 765a ZPO nicht. Der Gesetzgeber ist gehalten, die Reichweite des Pfändungsschutzes möglichst präzise festzulegen. Es lässt sich folglich verfassungsrechtlich nicht vertreten, den Vollstreckungsschutz im Rahmen der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte lediglich über die Generalklausel des § 765a ZPO zu gewähren.
B. Vergleichbare Interessenlage Es besteht auch die für eine Analogie notwendige hinreichend vergleichbare Interessenlage zwischen dem geregelten und dem nicht-geregelten Fall.21 Bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen wird das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein durch § 811 Abs. 1 ZPO geschützt. Damit liegt § 811 Abs. 1 ZPO – anders als der BGH meint 22 – ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip zu Grunde. Es ist kein Argument dafür ersichtlich, dass dieses Grundrecht bei der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte keinen vergleichbaren Schutz erfahren soll.
C. Resümee Der Gesetzgeber hat bei der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte keinen Vollstreckungsschutz normiert, der einen mit § 811 Abs. 1 ZPO vergleichbaren Schutz gewährleisten könnte. Um den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz auch in diesem Bereich der Zwangsvollstreckung zu garantieren, ist § 811 Abs. 1 ZPO analog anzuwenden. Diese Anwendung setzt dann allerdings voraus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Pfändungsverbots aus § 811 Abs. 1 ZPO im jeweiligen Einzelfall erfüllt sind.
21 Vgl. zu den Analogievoraussetzungen Kapitel 4:§1:A.I.2.b). So zumindest für eine Domain auch Völzmann-Stickelbrock, in: Specht-Riemenschneider/Buchner/Heinze u. a. (Hrsg.), IT-Recht in Wissenschaft und Praxis, 2020, S. 749, 761 mit dem Argument, dass das Prinzip der Einmalvergabe einer Domain faktisch zu einer Annäherung an Sachen führt. So auch für den Bereich der Domainpfändung Birner, Die Internet-Domain als Vermögensrecht, 2005, S. 118, „da der Schuldner in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gleichsam auf ein Arbeitsmittel immaterieller Natur angewiesen sein kann“. Für Pfändungsschutz bezüglich einer Milchreferenzmenge Schnekenburger, Agrar- und Umweltrecht 2003, 133, 137. 22 BGH, Beschl. v. 20.12.2006, VII ZB 92/05, NJW-RR 2007, 1219, 1221.
322 Kapitel 7: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in andere Vermögensrechte Zur Klarstellung sollte de lege ferenda § 857 ZPO ein weiterer Absatz angefügt werden, in dem § 811 Abs. 1 ZPO ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt wird.23
23 Den Bedenken von Steinrötter/Bohlsen, ZZP 2020, 459, 469, dass der Katalog aus § 811 Abs. 1 ZPO im Falle von Daten als Vollstreckungsobjekten keine überzeugende Antwort liefert, kann durch die hier vorgeschlagene Anordnung einer „entsprechenden Anwendung“ begegnet werden. Eine Schutzlücke erblicken Steinrötter/Bohlsen darin, dass selbst „bei dem weitreichendsten Verständnis durch die Nummern 5, 7 und 11 personenbezogene Daten immer nur im Kontext wirtschaftlichen Handelns geschützt“ werden. Durch den hier vorgeschlagenen zusätzlichen Pfändungsschutz in § 811 Abs. 1 ZPO für Erinnerungsstücke (vgl. Kapitel 4:§2:A.XIII.5.b)) lässt sich der Gedanke einer besonders engen Beziehung des Schuldners zu bestimmten Daten (z. B. Bildern) ebenfalls adäquat abbilden. Daten sind zwar keine „Erinnerungsstücke“. Mit der hier zu Grunde gelegten sog. Verweisungsanalogie (Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 21983, S. 24) ist aber klargestellt, dass § 811 Abs. 1 ZPO nur unter Berücksichtigung der Eigentümlichkeiten der anderen Vermögensrechte anwendbar ist. Der von Steinrötter/Bohlsen vermisste Schutz klingt nunmehr auch in § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO an („private Aufzeichnungen, durch deren Verwertung in Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird“). Vgl. für einen Unpfändbarkeitstatbestand aufgrund datenschutzrechtlicher Wertungen Völzmann-Stickelbrock, in: Specht-Riemenschneider/Buchner/Heinze u. a. (Hrsg.), IT-Recht in Wissenschaft und Praxis, 2020, S. 749, 766. Vgl. generell zu der Frage, wie personenbezogene Daten in der Zwangsvollstreckung zu behandeln sind, schon Koch, KTS 1988, 49, 77.
Kapitel 8
Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen (§§ 883 ff. ZPO) Während für die Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen und in Forderungen ausdrücklich Vollstreckungsverbote vorgesehen sind, finden sich solche für die Herausgabevollstreckung i. S. v. § 883 ff. ZPO nicht. Es existiert auch keine Norm, die auf Pfändungsverbote in einem anderen Kontext verweist. Das führt zu der Frage, ob der in § 811 Abs. 1 ZPO vorgesehene Pfändungsschutz trotzdem Anwendung finden muss, wenn es um den Entzug von Gegenständen geht, die für die menschenwürdige Lebensführung eines Schuldners notwendig sind.
§ 1: Unmittelbare Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO Die Pfändungsverbote aus § 811 Abs. 1 ZPO lassen sich bei der Herausgabevollstreckung schon aus systematischen Gründen nicht direkt anwenden, weil sich diese im Abschnitt 2 über die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen befinden, die Herausgabevollstreckung hingegen in Abschnitt 3 geregelt ist.1 Hinzu kommt, dass sich § 811 Abs. 1 ZPO auf einen Pfändungsvorgang bezieht. Bei der Herausgabevollstreckung wird aber nicht gepfändet.2 Dieser Weg ist also verschlossen.
§ 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO Da eine direkte Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht kommt, ist eine analoge Anwendung zu erwägen. 1 Bartels, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 883 ZPO Rn. 17; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 39.5; Duchstein, Zwangs vollstreckungsrecht, 2020, Rn. 913; Gerhardt, JuS 1972, 696, 697; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 26 Rn. 3; Hein, ZZP 69 (1956), 231, 235; Lack mann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 388; Mümmler, JurBüro 1974, 1481, 1485; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 811 ZPO Rn. 10. 2 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 811 ZPO Rn. 5; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 232010, § 26 Rn. 3; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 52 Rn. 16.
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Kapitel 8: Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen
A. Planwidrige Regelungslücke Die für eine Analogie notwendige planwidrige Regelungslücke liegt vor.3 Dass im Rahmen der Herausgabevollstreckung kein mit § 811 Abs. 1 ZPO vergleichbarer Vollstreckungsschutz vorgesehen ist, stellt eine solche Unvollständigkeit dar. Wie bereits im Kontext der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte dargelegt, war der Gesetzgeber 1950 im Vereinheitlichungsgesetz gehalten, die ZPO in Einklang mit den grundrechtlichen Anforderungen zu bringen.4 Dass kein spezieller Pfändungsschutz im Rahmen der Herausgabevollstreckung vorgesehen wurde, genügt diesem Anspruch aber nicht. Der Gesetzgeber hätte eine Regelung treffen müssen, die einen Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein ausschließt. Denn ohne einen derartigen Vollstreckungsschutz kann eine Herausgabevollstreckung dazu führen, dass einem Schuldner Gegenstände entzogen werden, die er für ein menschenwürdiges Dasein be nötigt. Die Existenz von § 765a ZPO, die bei der Herausgabevollstreckung zum Schutze des Schuldners anwendbar ist,5 spricht – wie schon im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte erläutert – nicht gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke. 6
B. Vergleichbare Interessenlage Die Interessenlage zwischen dem geregelten und dem nicht-geregelten Fall ist hinreichend vergleichbar.7 Bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen wird das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein durch § 811 Abs. 1 ZPO geschützt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dieses Grundrecht bei der Herausgabevollstreckung keinen vergleichbaren Schutz erfahren soll. 8 Gegen dieses Ergebnis wird argumentiert, dass es bei der Herausgabevollstreckung nicht um einen Zugriff auf das Vermögen des Schuldners schlechthin gehe, sondern nur um den Zugriff auf bestimmte Gegenstände.9 Wegen der Spezialität müsse der direkte Zwang zur Durchsetzung des materiellen Rechts dominieren. Mit der positiven Entscheidung über das materielle Recht stehe 3
Vgl. zu den Voraussetzungen für eine Analogie Kapitel 4:§1:A.I.2.b). Vgl. dazu Kapitel 4:§1:A.I.2.c)aa). 5 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 110; Noack, DGVZ 1969, 113, 114; BeckOK-ZPO/ Ulrici, § 765a ZPO Rn. 1.1. 6 Vgl. dazu bereits Kapitel 7:§2:A. 7 Vgl. zu den Analogievoraussetzungen Kapitel 4:§1:A.I.2.b). 8 So auch Merold, Freiheit durch den Staat, 2016, S. 393. 9 Gerhardt, JuS 1972, 696, 697; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 388. 4
§ 2: Analoge Anwendung von § 811 Abs. 1 ZPO
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gleichzeitig fest, dass diese Rechtsposition sozial gerechtfertigt sei.10 Diese Situation sei nicht mit der von § 811 ZPO vergleichbar, die der Aufrechterhaltung der Lebensgrundlage für den Schuldner diene.11 Hinzu komme, dass im Kontext von § 811 ZPO die Grundrechte des Gläubigers und diejenigen des Schuldners kollidierten. Dies sei bei der Herausgabevollstreckung anders. Hier diene die Vollstreckungsmaßnahme unmittelbar der Realisierung des Eigentums anspruchs des Gläubigers an der Sache, in die vollstreckt wird, während dem Schuldner keine grundrechtlich geschützte Position zur Seite stehe.12 Wenn man im Rahmen der Herausgabevollstreckung Vollstreckungsschutz anerkennen würde, käme dies einer entschädigungslosen Enteignung gleich.13 Die These, dass mit der positiven Entscheidung über das materielle Recht gleichzeitig feststehe, dass diese Rechtsposition sozial gerechtfertigt sei, übersieht einen wesentlichen Umstand. Die materiell-rechtliche Prüfung garantiert keine Untersuchung der sozialen Rechtfertigung. Abgesehen davon führt ein Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO ebenfalls dazu, dass auf die zunächst positive Entscheidung über das materielle Recht aufgrund besonderer Umstände, die in der Vollstreckung zu erblicken sind, eingewirkt werden kann. Nicht anders ist die Lage, wenn die Herausgabevollstreckung im Einzelfall zum Schutz des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein ausgeschlossen wird. Man kann des Weiteren nicht sagen, dass sich der Schuldner bei der Herausgabevollstreckung nicht auf Grundrechte berufen kann. Vielmehr steht ihm stets das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein zur Seite, in das nicht eingegriffen werden darf. Würde ihm aber ein in diesem Schutzbereich liegender Gegenstand – und nur darum geht es hier – weggenommen, läge darin ein derartiger verbotener Grundrechtseingriff. Vollstreckungsschutz für die Herausgabevollstreckung anzuerkennen, kommt schließlich nicht einer entschädigungslosen Enteignung gleich. Pfändungsverbote sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen und keine Enteignung.14 Außerdem führt die Anerkennung von Vollstreckungsschutz nicht dazu, dass der Gläubiger sein Eigentum dauerhaft nicht durchsetzen kann. Sollte sich nämlich die Situation des Schuldners verbessern, entfällt der Vollstreckungsschutz. Dies wird verkannt, wenn lediglich eine Momentaufnahme – nämlich der Zeitpunkt eines bestimmten Vollstreckungsversuchs – betrachtet wird. Hinzu tritt für den Gläubiger die Möglichkeit, nicht mehr seinem konkreten Sachinteresse nachzugehen, sondern sich mit der Befriedigung seines allgemeinen Vermögensinteres10
Gerhardt, JuS 1972, 696, 697. Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 388. 12 Mrozynski, Verschuldung und sozialer Schutz, 1989, S. 29. 13 Stamm, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, 2007, S. 80. 14 Vgl. dazu bereits Kapitel 3:§1:A.IV.2.b). 11
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Kapitel 8: Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen
ses zu begnügen.15 Insofern stellt § 893 Abs. 1 ZPO klar, dass die Möglichkeit einer Individualvollstreckung es dem Gläubiger nicht verwehrt, stattdessen „die Leistung des Interesses zu verlangen“. Damit ist ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Individualverpflichtung aus §§ 883 ff. ZPO gemeint.16 So kann der Gläubiger – eine entsprechende Solvenz des Schuldners vorausgesetzt – den Weg über die Geldvollstreckung beschreiten.
C. Resümee Der Gesetzgeber hat bei der Herausgabevollstreckung keinen mit § 811 ZPO vergleichbaren Vollstreckungsschutz geschaffen. § 811 ZPO ist jedoch bei der Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO analog anzuwenden. Auch in der Herausgabevollstreckung muss das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein geschützt sein, sofern der herauszugebende Gegenstand zu dem dafür erforderlichen Grundbestand gehört. Für die von der Herausgabevollstreckung Betroffenen besteht eine vergleichbare Interessenlage wie für diejenigen, die der Fahrnisvollstreckung ausgesetzt sind. Zur Klarstellung sollte de lege ferenda § 883 ZPO – parallel zu den Überlegungen im Kontext von § 857 ZPO – um einen weiteren Absatz ergänzt werden, in dem § 811 Abs. 1 ZPO ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt wird.17
15 Vgl. dazu z. B. Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, 132006, Rn. 39.1; S chilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken u. a. (Hrsg.), Zwangsvollstreckungsrecht, 122010, § 70 Rn. 1. 16 HK-ZV/Bendtsen, § 893 ZPO Rn. 1; MüKo-ZPO/Gruber, § 893 ZPO Rn. 4; Prütting/ Gehrlein/Hilbig-Lugani, § 893 ZPO Rn. 1. 17 Scholtz, Naturalexekution in skandinavischen Rechten, 1995, S. 128 hält zwar den Inhalt des geltenden deutschen Rechts im Hinblick auf den fehlenden Schuldnerschutz bei der Herausgabevollstreckung nicht für fraglich, konstatiert aber, dass „wünschenswerte Zwecke einer Gesetzesänderung“ denkbar sind.
Kapitel 9
Generalklausel des § 765a ZPO Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn diese unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.
§ 1: Dogmatische Grundlagen A. Historische Entwicklung Schon der Entwurf einer Zivilprozeßordnung des Reichsjustizministeriums von 1931 hatte in § 872 ZPO eine solche Härteklausel vorgesehen.1 Aber erst durch das Gesetz zur Verhütung mißbräuchlicher Ausnutzung von Vollstreckungsmöglichkeiten vom 13.12.1934 wurde diese Regelung geschaffen.2 Später fand sich eine entsprechende Norm in Art. 6 der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerlichen Streitverfahrens und der Zwangsvollstreckung (Schutzverordnung) vom 04.12.1943.3 § 765a ZPO wurde dann durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20.08.1953 in die ZPO eingefügt.4 Der ZPO-Gesetzgeber hielt wegen der Eigenart des Vollstreckungszwangs eine ausdrückliche Ausnahmebestimmung in besonderen Fällen für notwendig.5
B. Qualifikation als Ausnahmevorschrift § 765a ZPO wird als Ausnahmevorschrift qualifiziert, weil der Grundsatz die Haftung des Schuldners mit seinem gesamten Vermögen sei. 6 Daraus wird ge-
1
Reichsjustizministerium, Entwurf einer Zivilprozeßordnung, 1931, S. 201. RGBl. I 1934, S. 1234. 3 RGBl. I 1943, S. 666, 668. 4 BGBl. I 1953, S. 952. 5 BT-Drs. I/3284, S. 13. 6 Alisch, Rpfleger 1979, 290, 291. 2
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Kapitel 9: Generalklausel des § 765a ZPO
folgert, dass die Vorschrift eng ausgelegt werden müsse.7 Dass diese Auslegungsmaxime methodisch nicht haltbar ist, wurde bereits dargelegt.8
C. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen § 765a ZPO ist eine Generalklausel.9 Generalklauseln sind Einbruchstellen für die Verwirklichung grundrechtlicher Wertentscheidungen. Deshalb müssen bei der Prüfung der Voraussetzungen von § 765a ZPO die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und damit auch die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung zur Seite stehenden Grundrechte einbezogen werden.10 Dies ist in erster Linie das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein.
7 BVerfG, Beschl. v. 29.05.2015, 1 BvR 163/15, NJW 2015, 3083, 3084; BGH, Beschl. v. 19.10.2017, IX ZB 100/16, NZI 2017, 931, 933; BGH, Beschl. v. 16.10.2008, IX ZB 77/08, MDR 2009, 226, 227; BGH, Beschl. v. 25.10.2006, VII ZB 38/06, MDR 2007, 551, 552; BGH, Beschl. v. 21.12.2004, IXa ZB 228/03, WM 2005, 288, 289; LG Lübeck, Beschl. v. 22.02.2010, 7 T 7/10, DGVZ 2010, 173, 174; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 10.03.2017, 3cp M 948/12, juris, Rn. 7; AG Hannover, Beschl. v. 27.01.2011, 711 M 116359/08, juris, Rn. 13; Arens, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, 1983, S. 287, 290; Brox/ Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 1471; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 84; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 7; Keller, in: Stöber (Hrsg.), Zwangsversteigerungs gesetz, 222019, § 765a ZPO Rn. 226; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 118; Lackmann, ZVI 2017, 409, 412; Zöller/ Seibel, § 765a ZPO Rn. 5; Thomas/Putzo/Seiler, § 765a ZPO Rn. 2; Scholz, ZMR 1986, 227; Strehl, Der Schuldnerschutz in Deutschland, Österreich und der Schweiz bei der Vollstreckung von Geldforderungen in bewegliche und unbewegliche Sachen, 2009, S. 81; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gemäß § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle, 2001, S. 179; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 54 f.; Wollmann, Private Altersvorsorge und Gläubiger schutz, 2010, S. 10. 8 Vgl. Kapitel 4:§1:A.I.1. 9 Drischler, Rpfleger 1956, 91, 94; Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts, 51996, Rn. 231; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 378; Hoppe, Recht auf Existenz, 2005, S. 156; Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, S. 173; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 45. Gaul, JZ 2013, 1081, 1081 ff. vertritt die Auffassung, dass § 765a ZPO nicht verfassungsgemäß sei. Diese Kritik betrifft aber nur die Zuständigkeit des Rechtspflegers anstelle einer Richterzuständigkeit. Die Überlegungen zum Inhalt der Norm sind davon ansonsten nicht betroffen. 10 Speziell zu § 765a ZPO: BVerfG, Beschl. v. 06.08.2014, 2 BvR 1340/14, juris, Rn. 11; BVerfG, Beschl. v. 08.09.1997, 1 BvR 1147/97, NJW 1998, 295, 296; Fenge, in: Beys (Hrsg.), Grundrechtsverletzungen bei der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 63, 72; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 2; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gemäß § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle, 2001, S. 181.
§ 1: Dogmatische Grundlagen
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D. Verzicht Allgemein erörtert wird bei § 765a ZPO die Frage, ob und ggf. in welcher Form ein Verzicht möglich ist. Die Frage eines möglichen Verzichts auf den Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO im Kontext einer Vollstreckungsmaßnahme (sog. Simultanverzicht) bedarf keiner Klärung. Diesem Verzicht kommt keine praktische Bedeutung zu. Kein Schuldner wird Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO beantragen und gleichzeitig auf diesen Schutz verzichten. Ähnlich unvorstellbar ist ein Verzicht ohne vorherigen Antrag auf Vollstreckungsschutz. Im Ergebnis stellt sich die Frage nach einem Verzicht auf den Vollstreckungsschutz im Rahmen von § 765a ZPO nur für einen Vorausverzicht.11 Ein solcher Verzicht wird – zu Recht – für unwirksam erachtet.12 I. Wortlaut Der Wortlaut von § 765a Abs. 1 S. 1 ZPO stellt das Antragserfordernis in den Vordergrund. Dem Antragserfordernis kann entnommen werden, dass der Schutz nicht zwingend zu gewähren ist, sondern nur dann, wenn der Schuldner ihn begehrt. Indes folgt daraus nicht, dass ein Verzicht auf den Vollstreckungsschutz des § 765a ZPO möglich ist. Die Dispositionsmöglichkeit des Schuldners hinsichtlich einer potenziellen Antragstellung ist mit einem endgültig wirkenden Verzicht nicht vergleichbar.13 Der Wortlaut spricht demgemäß nicht für eine Verzichtsmöglichkeit. II. Systematik Mit Blick darauf, dass § 765a ZPO auf alle Arten der Zwangsvollstreckung anwendbar ist und ein Verzicht auf Vollstreckungsschutz im Bereich der Forderungspfändung ausnahmslos unwirksam ist, wird vertreten, dass dann auch zwingend im Kontext von § 765a ZPO ein Verzicht ausgeschlossen sein müsse. 11 Bartels, Rpfleger 2008, 397, 404. Ähnlich Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 117. 12 LG Mannheim, Beschl. v. 17.10.1960, 5 T 150/60, MDR 1963, 226; Bartels, Rpfleger 2008, 397, 404; HK-ZV/Bendtsen, § 765a ZPO Rn. 36; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 117; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 97; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 161954, S. 4 4; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 53; HK-ZV/Kindl, § 765a ZPO Rn. 1; Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 765a ZPO Rn. 3; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 188; Münzberg, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 222002, § 765a ZPO Rn. 4; Scherf, Vollstreckungsverträge, 1971, S. 100; Schmidt-Futterer, MDR 1960, 267, 268. 13 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 118.
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Kapitel 9: Generalklausel des § 765a ZPO
Es könne nicht angehen, die Verzichtsmöglichkeit im Anwendungsbereich von § 765a ZPO von der Art der Zwangsvollstreckung abhängig zu machen.14 Diese Betrachtungsweise ist indes nicht zwingend. Dadurch, dass § 765a ZPO auf ganz unterschiedliche Vollstreckungsmaßnahmen anwendbar ist, muss vielmehr den jeweiligen bereichsspezifischen Besonderheiten Rechnung getragen werden. III. Telos Weiterhin wird darauf verwiesen, dass § 765a ZPO das öffentliche Interesse an einer sozialpolitisch vertretbaren Zwangsvollstreckung im Auge habe.15 Da der Schuldner über öffentliche Interessen nicht verfügen könne, komme ein Verzicht auf den Vollstreckungsschutz des § 765a ZPO nicht in Betracht. Zuzugeben ist, dass auch ein öffentliches Interesse daran besteht, eine Zwangsvollstreckung nicht in unbilliger Weise durchzuführen. Darauf stellt aber § 765a ZPO nicht ab, wie die Verknüpfung der ganz besonderen Umstände im Einzelfall mit dem Prüfprinzip der guten Sitten verdeutlicht. Es geht primär darum, den einzelnen Menschen in seiner jeweils besonderen Situation vor unbilligen Härten zu bewahren. Außerdem wird gegen eine Verzichtsmöglichkeit angeführt, dass dem Schuld ner die Tragweite des von ihm erklärten Verzichts regelmäßig erst mit Vollstreckungsbeginn bewusst werde.16 § 765a ZPO beziehe sich nämlich auf außergewöhnliche Härtefälle, die jederzeit und völlig unerwartet eintreten könnten.17 Damit wird dem Prinzip Rechnung getragen, dass niemand in eine Situation gebracht werden darf, in der er nicht in der Lage ist, die eintretenden Folgen adäquat einzuschätzen. IV. Verfassungsrechtliche Beurteilung Gegen eine Verzichtsmöglichkeit auf den Vollstreckungsschutz des § 765a ZPO wird die Grundrechtsrelevanz der Vorschrift ins Feld geführt.18 Diese Betrach14 Dies., Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 118. 15 LG Mannheim, Beschl. v. 17.10.1960, 5 T 150/60, MDR 1963, 226; Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 118; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 53; Schmidt-Futterer, MDR 1960, 267, 268. 16 Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Billigkeitsnormen, 2000, S. 53 f. 17 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 118. 18 Goldenberg, Das bewegliche Vermögen des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtvollstreckung, 2016, S. 118; Lippross, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, 1983, S. 188.
§ 2: Tatbestandsvoraussetzungen
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tungsweise ist im Ansatz richtig, stellt sich aber als allzu generalisierend dar. Denn es ist allgemein anerkannt, dass sich Grundrechtseingriffe durch eine Einwilligung des Grundrechtsträgers rechtfertigen lassen.19 Allerdings liegen bei einem Vorausverzicht auf den Vollstreckungsschutz des § 765a ZPO in der Regel die Voraussetzungen für einen wirksamen Grundrechtsverzicht nicht vor. Eine Einwilligung des Grundrechtsträgers muss sich nämlich auf einen konkreten Eingriff beziehen.20 Wenn im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme auf den Vollstreckungsschutz des § 765a ZPO verzichtet wird, weiß der Grundrechtsträger aber noch gar nicht, in welchen Eingriff in welches Grundrecht er einwilligen würde. V. Resümee Ein wirksamer Verzicht auf den Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO ist im Voraus nicht möglich. Dieses Ergebnis kann dem Wortlaut von § 765a ZPO und dem systematischen Kontext nicht zwingend entnommen werden. Entscheidend ist der Gesichtspunkt, dass im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme noch nicht erkennbar ist, welche Grundrechte in concreto betroffen sein werden. Deshalb liegen die Voraussetzungen für eine wirksame Einwilligung in einen Grundrechtseingriff nicht vor.
§ 2: Tatbestandsvoraussetzungen A. Antragserfordernis Der Vollstreckungsschutz aus § 765a ZPO wird nur auf Antrag des Schuldners gewährt. Das Bundesverfassungsgericht hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen dieses Antragserfordernis geäußert. Von einem Eingriff in die Menschenwürde könne keine Rede sein. Dadurch, dass § 765a ZPO dem Schuldner die Entscheidung überlasse, ob er Vollstreckungsschutz in Anspruch nehmen möchte oder nicht, werde seine Menschenwürde nicht berührt. Es sei ihm zuzumuten, einen Antrag zu stellen. Wenn er dies nicht tue, nehme er das damit verbundene Risiko bewusst in Kauf. Das Bundesverfassungsgericht ist vor dem Hintergrund der Selbstverantwortlichkeit des Schuldners sogar der Auffassung, dass man sagen könne, das Antragserfordernis entspreche der Menschen19 BVerfG, Beschl. v. 16.06.2009, 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43, 58; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 55. 20 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, 942021, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 229; Fischinger, JuS 2007, 808; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 1 GG Rn. 301. Vgl. zum schweizerischen Recht auch Malacrida, Der Grundrechtsverzicht, 1992, S. 13.
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Kapitel 9: Generalklausel des § 765a ZPO
würde eher als ein von Amts wegen zu gewährender Schutz. Gerade die Entscheidungsfreiheit des Schuldners vermeide, dass er mehr als notwendig zum Objekt werde. Die staatliche Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG reiche – jedenfalls in Fällen dieser Art – nicht so weit, dass sie gegen den Willen des Schuldners wahrgenommen werden müsste.21 Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts trifft einen entscheidenden Punkt. Sie kann indes fortgeführt und ergänzt werden. Mit dem Verzicht auf einen Antrag lässt der Schuldner erkennen, dass er die streitgegenständliche Sache nicht als unbedingt lebensnotwendig erachtet. Berücksichtigt man zusätzlich, dass der Schuldner auf die Antragsmöglichkeit nach § 765a ZPO hingewiesen werden muss,22 erweist sich der Verzicht auf die Antragstellung als eine auf Informationen beruhende Entscheidung, die zu respektieren ist.
B. Sittenwidrige Härte Zu der Frage, was unter einer sittenwidrigen Härte zu verstehen ist, hat sich eine umfangreiche Kasuistik gebildet. Im Folgenden ist eine Konstellation zu betrachten, die mit dem Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein in einem besonders engen Zusammenhang steht. Es handelt sich um die Konsequenz, dass eine Vollstreckungsmaßnahme dem Schuldner die Grundlage für ein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen entziehen würde. Ob darin eine sittenwidrige Härte i. S. v. § 765a Abs. 1 S. 1 ZPO zu sehen ist, wird uneinheitlich beantwortet. I. Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur Überwiegend wird angenommen, dass der Umstand, dass ein Schuldner infolge einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme Sozialhilfe beantragen müsse, keine sittenwidrige Härte begründe.23 21 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1982, 1 BvL 34/80 (u. a.), BVerfGE 61, 126, 137 f. Zustimmend Bittmann, Rpfleger 1983, 261; Kim, Prozeßrechtlicher Schutz des Schuldners bei privatautonom begründeter Überschuldung, 1998, S. 117; Weyland, Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung, 1987, S. 127. In diese Richtung auch schon Brehm, Rpfleger 1982, 125, 127. Zu dem Antragserfordernis des § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO: Hornung, Rpfleger 1992, 331, 332. Bartels, Rpfleger 2008, 397, 398 bezeichnet das Antragserfordernis als heikel. Das AG Bensheim hat entschieden, dass der Gerichtsvollzieher ausnahmsweise auch von Amts wegen analog § 765a ZPO die weitere Vollstreckung einstellen kann, vgl. AG Bensheim, Beschl. v. 15.11.2003, 6 M 2642/03, DGVZ 2004, 76. Schwieren, Die Kostenbelastung des Gläubigers bei der Räumungsvollstreckung, 2010, S. 105 hält Ausnahmen vom Antragserfordernis ebenfalls für möglich. 22 So z. B. Schuschke, NJW 2006, 874, 876. 23 BGH, Beschl. v. 19.10.2017, IX ZB 100/16, NZI 2017, 931, 933; BGH, Beschl. v. 02.12. 2010, IX ZB 120/10, MDR 2011, 195; BGH, Beschl. v. 21.12.2004, IXa ZB 228/03, NJW 2005, 681, 682; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.02.2002, 3 W 6/02, NJW-RR 2002, 1664; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.1986, 3 W 449/85, NJW-RR 1986, 1512; LG Koblenz, Beschl. v.
§ 2: Tatbestandsvoraussetzungen
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Für die Anwendung von § 765a ZPO seien weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte ausreichend.24 Insbesondere sei es nicht Sache des Gläubigers, die Aufgaben der Sozialhilfebehörden zu übernehmen und der Allgemeinheit die Kosten der Sozialhilfe abzunehmen.25 Man könne auch nicht sagen, dass es dem Schuldner nicht zumutbar sei, staatliche Unterstützung zu beantragen. Der Schuldner habe nach § 17 Abs. 1 S. 1 SGB XII einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt.26 Nur selten wird vertreten, dass eine Vollstreckungsmaßnahme, die dem Schuldner das „Existenzminimum“ entzieht, als sittenwidrige Härte einzustufen sei.27 Das wird damit begründet, dass sich nur so die mittelbare Tilgung privater Schulden mit öffentlichen Geldern verhindern ließe. Würde man nämlich den Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO ablehnen und den Schuldner auf sozialrechtliche Ansprüche verweisen, würden die privaten Schulden des Schuldners letzten Endes mittelbar mit öffentlichen Geldern gezahlt.28 II. Stellungnahme Erneut ist das leitende Prinzip entscheidend, dass der Staat nicht in das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein eingreifen darf. Deshalb 07.07.2003, 2 T 279/03, NJOZ 2004, 367; LG Duisburg, Beschl. v. 18.03.1991, 4 T 30/91, Rpfleger 1991, 514; HK-ZV/Bendtsen, § 765a ZPO Rn. 40; Brehm, JZ 2005, 525, 527; Brox/ Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 1483; Gieseler, JR 2006, 26, 27; Ising, Pfändungsschutz für Arbeitsmittel und Vergütungsforderungen bei selbständiger Erwerbstätigkeit nach § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7 ZPO und § 850i Abs. 1 ZPO, 2007, S. 59 f.; HK-ZV/Kindl, § 765a ZPO Rn. 4; Lackmann, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 765a ZPO Rn. 14; Menzel, Vollstreckungsschutz zugunsten privater Altersvorsorge, 2011, S. 83; Münzberg, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 222002, § 765a ZPO Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Scheuch, § 765a ZPO Rn. 17; Schumacher, DGVZ 1963, 81, 82; Schuschke, LMK 2005, 64; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 79 2021, § 765a ZPO Rn. 10. 24 OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.02.2002, 3 W 6/02, NJW-RR 2002, 1664; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.1986, 3 W 449/85, NJW-RR 1986, 1512. 25 OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.02.2002, 3 W 6/02, NJW-RR 2002, 1664; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.1986, 3 W 449/85, NJW-RR 1986, 1512; LG Duisburg, Beschl. v. 18.03. 1991, 4 T 30/91, Rpfleger 1991, 514; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 112018, Rn. 1483; Münzberg, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 222002, § 765a ZPO Rn. 7; Prütting/Gehrlein/Scheuch, § 765a ZPO Rn. 17; Vogt-Beheim, in: Anders/ Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 765a ZPO Rn. 10. 26 BGH, Beschl. v. 02.12.2010, IX ZB 120/10, MDR 2011, 195; Schuschke, LMK 2005, 64. Noch zum BSHG: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.1986, 3 W 449/85, NJW-RR 1986, 1512. 27 LG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 29.08.2001, 6 (a) T 174/00, Rpfleger 2002, 322, 323; LG Braunschweig, Beschl. v. 08.10.1997, 8 T 566/97, NJW-RR 1998, 1690, 1691; LG Berlin, Beschl. v. 19.12.1978, 81 T 476/78, DGVZ 1979, 43, 45; AG Lemgo, Beschl. v. 17.01.2007, 14 M 0916/0 6, juris, Rn. 8; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 36. So wohl auch Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, 2007, S. 185 f. Dazu scheint auch BGH, Beschl. v. 13.02.2014, IX ZB 91/12, NZI 2014, 415 zu neigen. 28 MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 36.
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Kapitel 9: Generalklausel des § 765a ZPO
ist dem Schuldner in solchen Konstellationen Vollstreckungsschutz zu gewähren. § 765a ZPO ist als Auffangtatbestand dahin auszulegen, dass eine sittenwidrige Härte vorliegt, wenn eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme zu einem Eingriff in das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein führen würde und kein vorrangiges Pfändungsverbot eingreift. Der Schuldner kann nicht darauf verwiesen werden, sozialrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Entscheidend ist, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein ausgeschlossen ist. Eine nachträgliche Kompensation in Form sozialrechtlicher Ansprüche ändert nichts daran, dass der vorhergehende Grundrechtseingriff unzulässig war. Dies steht im Übrigen systematisch-kohärent im Einklang mit der gesetz geberischen Wertung in § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO, wonach eine Änderung des unpfändbaren Betrages möglich ist, wenn ein Schuldner nachweist, dass sein notwendiger Lebensunterhalt bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen nicht mehr gedeckt ist.
§ 3: Anwendbarkeit von § 765a Abs. 2 ZPO im Rahmen von § 811 Abs. 1 ZPO Bei der Fahrnisvollstreckung kann die Situation auftreten, dass der Gerichtsvollzieher eine Sache pfänden möchte, die nach Auffassung des Schuldners Pfändungsschutz genießt. Dadurch kann das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein betroffen sein.
A. Kenntlichmachung durch Pfandsiegel oder in sonstiger Weise Wenn der Gerichtsvollzieher Gegenstände in der Weise pfändet, dass er diese beim Schuldner belässt und die Pfändung ersichtlich macht (§ 808 Abs. 2 ZPO), besteht die Gefahr eines Eingriffs in das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein nicht. Der Schuldner darf den gepfändeten Gegenstand grundsätzlich weiter verwenden.29 Um zu verhindern, dass das Vollstreckungsverfahren seinen Fortgang nimmt, steht ihm die Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO zur Verfügung. Insofern besteht also keine Schutzlücke.
B. Wegschaffung der Sachen Der Gerichtsvollzieher kann die Pfändung hingegen auch dadurch bewirken, dass er die Sachen in Besitz nimmt (§ 808 Abs. 1 ZPO). Aus einem Umkehr29
Vgl. Kapitel 4 Fn. 210.
§ 3: Anwendbarkeit von § 765a Abs. 2 ZPO im Rahmen von § 811 Abs. 1 ZPO
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schluss zu § 808 Abs. 2 S. 1 ZPO ergibt sich, dass diese Vorgehensweise für Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere vorgesehen ist. Diese Sachen werden dem Schuldner also entzogen. Mit einer derartigen Maßnahme kann ein Eingriff in das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein verbunden sein. Ein solcher Eingriff wäre nämlich gegeben, wenn der Gerichtsvollzieher ein Pfändungsverbot des § 811 Abs. 1 ZPO in einer Weise auslegt, die nicht mit grundrechtlichen Wertungen im Einklang steht. Würde man den Schuldner insofern lediglich auf eine Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO verweisen, wäre der Schutz nicht ausreichend gewährleistet. Dieser Schutz könnte nämlich nicht verhindern, dass der Schuldner zeitweise ohne den schützenswerten Gegenstand leben müsste. Damit würde aber in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein eingegriffen. Primär wird der Gerichtsvollzieher deshalb auf die Pfändung durch Anlegung von Siegeln (§ 808 Abs. 2 ZPO) zu verweisen sein. In Literatur und Rechtsprechung besteht dahingehend Einigkeit, dass auch bei Geld, Kostbarkeiten und Wertpapieren ausnahmsweise auf eine Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher verzichtet werden kann. Anerkannt ist, dass der zu pfändende Gegenstand beim Schuldner verbleiben darf, wenn Schuldner und Gläubiger dieser Vorgehensweise zustimmen.30 Außerdem darf der zu pfändende Gegenstand beim Schuldner gelassen werden, wenn der Abtransport schwierig, insbeson dere risikoreich wäre.31 Weitergehend wird formuliert, dass der zu pfändende Gegenstand zusätzlich dann im Gewahrsam des Schuldners belassen werden darf, wenn eine Fortschaffung untunlich wäre.32 Der notwendige verfassungsrechtliche Schutz des Schuldners gebietet es, auch dann auf eine Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher zu verzichten, wenn ein Gegenstand zur Pfändung vorgesehen ist, hinsichtlich dessen der Schuldner sich auf Pfändungsschutz berufen kann. Je nach Beurteilung der Situation kann der Gerichtsvollzieher die Pfändung dann ganz unterlassen, mit der Folge, dass dem Gläubiger die Erinnerung (§ 766 Abs. 2 ZPO) zur Verfügung steht. Sollte sich der Gerichtsvollzieher indes für eine Pfändung entscheiden, muss er diese durch Anlegung von Siegeln bewirken. Dadurch ist gewährleistet, dass dem Schuldner der Gegenstand nicht unmittelbar entzogen wird und er Gelegenheit hat, seine Rechte im Wege der Erinnerung (§ 766 Abs. 1 S. 1 ZPO) geltend zu machen. Wenn der Gerichtsvollzieher aber an einer Pfändung durch Wegschaffen der Sachen festhält, muss dem Schuldner effektiver Rechtsschutz möglich sein. Die30 Offen gelassen von BGH, Urt. v. 09.04.1953, III ZR 45/52, NJW 1953, 902, 903. Flocken haus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 808 ZPO Rn. 14a. 31 Flockenhaus, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 182021, § 808 ZPO Rn. 14a; HK-ZV/Kindl, § 808 ZPO Rn. 13; Würdinger, in: Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232017, § 808 ZPO Rn. 34. Offen gelassen von BGH, Urt. v. 09.04. 1953, III ZR 45/52, NJW 1953, 902. 32 MüKo-ZPO/Gruber, § 8 08 ZPO Rn. 31.
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Kapitel 9: Generalklausel des § 765a ZPO
ser kann mit der Vollstreckungserinnerung wegen der damit verbundenen Zeitverzögerung nicht bewirkt werden. Angesichts dieser Sachlage ist umstritten, ob § 765a Abs. 2 ZPO über seinen originären Anwendungsbereich (Absicherung von § 765a Abs. 1 ZPO) hinaus, gleichermaßen die Sicherung anderweitiger Rechtsbehelfe ermöglichen kann.33 Der BGH hat entschieden, dass der Gerichtsvollzieher bei einer Vollstreckungserinnerung gegen die Herausgabe von Kontoauszügen nach §§ 836 Abs. 3 S. 5, 883 ZPO in „entsprechender Anwendung des § 765a Abs. 2 ZPO die Herausgabe der Kontounterlagen an den Gläubiger um bis zu eine Woche aufschieben“ könne.34 An dieser Betrachtungsweise hat Ulrici kritisiert, dass die Befugnisse aus § 765a Abs. 2 ZPO bezüglich der glaubhaft zu machenden Voraussetzungen § 765a Abs. 1 ZPO als Bezugspunkt nennen und damit nicht mit anderen Rechtsbehelfen abgestimmt sind. In diesem Sinne macht er des Weiteren darauf aufmerksam, dass Gegenstand einer Vollstreckungserinnerung die Rechtmäßigkeit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme sei, nicht aber eine Interessen abwägung.35 Hinzu komme, dass man das gleiche Ergebnis wie der BGH auf eine Weise erreichen könne, in der § 765a Abs. 2 ZPO direkt anwendbar wäre. Es sei nämlich davon auszugehen, dass § 836 Abs. 3 S. 5 ZPO die Anordnung der Herausgabe von Kontoauszügen generell legitimiere. Eine übermäßige Be einträchtigung der informationellen Selbstbestimmung des Schuldners, welche sich erst durch die Vollstreckung dieser Anordnung ergebe, könne dann über § 765a Abs. 2 ZPO eingewendet werden.36 Es ist zutreffend, dass es in dem vom BGH entschiedenen Fall nicht notwendig gewesen wäre, § 765a Abs. 2 ZPO analog heranzuziehen. Stattdessen muss der Blick darauf gerichtet werden, in welchem Stadium ein Grundrechtseingriff droht. Allein die Anordnung der Herausgabe von Kontoauszügen ist noch kein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Erst die Vollstreckung dieser Anordnung stellt möglicherweise einen Grundrechtseingriff dar. Eine solche Betrachtungsweise kann auch im Kontext von § 811 Abs. 1 ZPO weiterhelfen. Es geht um die Frage, ob verhindert werden kann, dass dem Schuldner ein Gegenstand entzogen wird, den er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt. Die Grundrechtsverletzung tritt bereits in dem Moment ein, 33 Dafür: BGH, Beschl. v. 09.02.2012, VII ZB 49/10, NJW 2012, 1081 ff. Dagegen diejenigen Autoren, die § 765a Abs. 2 ZPO bei der Geldvollstreckung generell nicht für anwendbar halten, vgl. HK-ZV/Bendtsen, § 765a ZPO Rn. 87; MüKo-ZPO/Heßler, § 765a ZPO Rn. 105; Prütting/Gehrlein/Scheuch, § 765a ZPO Rn. 50; Zöller/Seibel, § 765a ZPO Rn. 29; Thomas/ Putzo/Seiler, § 765a ZPO Rn. 19; Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 792021, § 765a ZPO Rn. 38. 34 BGH, Beschl. v. 09.02.2012, VII ZB 49/10, NJW 2012, 1081. 35 BeckOK-ZPO/Ulrici, § 765a ZPO Rn. 25.1. 36 BeckOK-ZPO/ders., § 765a ZPO Rn. 25.1.
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in welchem dem Schuldner der möglicherweise schützenswerte Gegenstand entzogen wird. Insofern bleibt der Einwand, dass die durch den Verweis von § 765a Abs. 2 ZPO auf § 765a Abs. 1 ZPO vorgesehene Interessenabwägung im Anwendungsbereich einer Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO verfehlt sei. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Anwendung von § 765a Abs. 2 ZPO im Zusammenhang mit einer Vollstreckungserinnerung die Sicherung dieses Rechtsbehelfs bezweckt. Folglich entspricht das Prüfprogramm im Rahmen von § 765a Abs. 2 ZPO demjenigen des Vollstreckungsgerichts bei § 766 Abs. 1 S. 1 ZPO. Mit anderen Worten: Der Gerichtsvollzieher prüft im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 765a Abs. 2 ZPO die Voraussetzungen von § 765a Abs. 1 ZPO, weil der Schuldner nicht rechtzeitig das Vollstreckungsgericht anrufen konnte. Überträgt man diesen Gedanken auf die Vollstreckungserinnerung, dann muss der Gerichtsvollzieher im Anwendungsbereich von § 765a Abs. 2 ZPO die Voraussetzungen des Rechtsbehelfs überprüfen, dessen Absicherung § 765a Abs. 2 ZPO dient. Damit richtet sich der Prüfungsmaßstab nach § 766 Abs. 1 S. 1 ZPO. § 765a Abs. 2 ZPO muss analog herangezogen werden, um die Schutzlücke zu schließen, die bei einer Pfändung nach § 808 Abs. 1 ZPO entstehen kann, wenn der Gerichtsvollzieher eine Sache pfänden und wegnehmen möchte, die bei richtigem Verständnis unpfändbar wäre. Der Gesetzgeber hat übersehen, dass die Situation, die er für die Herausgabevollstreckung verhindern wollte, gleichermaßen im Kontext der Fahrnisvollstreckung bei § 811 Abs. 1 ZPO auftreten kann. Die hinreichend vergleichbare Interessenlage ist darin zu sehen, dass es sowohl bei der Herausgabevollstreckung als auch bei der Fahrnisvollstreckung zu Eingriffen in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein kommen kann.
C. Resümee § 765a Abs. 2 ZPO sichert in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich die Effektivität des Vollstreckungsschutzes nach § 765a Abs. 1 ZPO. Über diesen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus muss man § 765a Abs. 2 ZPO aber analog anwenden, um die Vollstreckungserinnerung zur Geltendmachung von Verstößen gegen § 811 Abs. 1 ZPO effektiv auszugestalten. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass der Gerichtsvollzieher durch Wegschaffung an sich unpfändbarer Sachen in das Grundrecht des Schuldners auf ein menschenwürdiges Dasein eingreifen kann, wenn es dem Schuldner nicht rechtzeitig möglich ist, seine Rechte geltend zu machen. De lege ferenda ist es aus Klarstellungsgründen und zum Zwecke der Rechtssicherheit angezeigt, eine mit § 765a Abs. 2 ZPO vergleichbare Schutzmöglichkeit unmittelbar in § 811 ZPO zu implementieren.
Kapitel 10
Thesen Der Schutz des menschenwürdigen Daseins kann als Leitprinzip das Pfändungsschutzrecht tragen. Dieses Prinzip ist sowohl als Erklärungs- wie auch als Ausschlusskriterium für vorgeschlagene Lösungsansätze tauglich, um die Kohärenz des Systems „Pfändungsschutzrecht“ zu sichern. 1. Die gebräuchliche Bezeichnung „Existenzminimum“ weckt Assoziationen der Minimalisierung, die es zu vermeiden gilt. Deshalb sollte besser vom Schutz des menschenwürdigen Daseins gesprochen werden.1 2. Nur die Zweckzuschreibung „Schutz des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins des Schuldners“ ist geeignet, die mit den Pfändungsverboten einhergehenden Kollisionen zwischen den Grundrechten auf Seiten des Schuldners und des Gläubigers in verfassungskonformer Weise aufzulösen.2 3. Pfändungsverbote sind Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz der Haftung mit dem gesamten Vermögen. Indes ist es methodisch verfehlt, daraus auf die Notwendigkeit einer engen Auslegung bzw. auf eine fehlende Analogiefähigkeit zu schließen.3 4. Die Menschenwürde ist in ihrer abwehrrechtlichen Dimension einem Ausübungsverzicht nicht zugänglich.4 Ein Vollstreckungsschuldner kann demgemäß – unabhängig vom Zeitpunkt der Verzichtserklärung – nicht wirksam auf den Pfändungsschutz nach §§ 765a, 811, 850 ff. ZPO verzichten.5 5. Das menschenwürdige Dasein hat vielfältige Ausprägungen, die ihre Fundierung aus speziellen Grundrechten erfahren. Jedes dieser relevanten Grundrechte hat einen Menschenwürdekern, der absoluten Schutz verdient. 6
1
Vgl. dazu und zur weiteren terminologischen Kritik Kapitel 2:§5:A. Vgl. dazu Kapitel 3:§4:A. 3 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:A.I. 4 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:G.I.4. 5 Vgl. für § 811 ZPO: Kapitel 4:§1:G, für §§ 850 ff. ZPO: Kapitel 6:§1:A und für § 765a ZPO: Kapitel 9:§1:D. 6 Vgl. dazu Kapitel 2:§5:B. 2
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Kapitel 10: Thesen
So hat z. B. der Pfändungsschutz für Kultusgegenstände aus § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO seine Wurzel in Art. 4 Abs. 1 GG („Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“).7 Dass für die Informationsversorgung nötige Gegenstände Pfändungsschutz aus § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) ZPO genießen müssen, ist durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 2 GG (Informationsfreiheit) begründet.8 Art. 6 Abs. 1 GG fordert, den Pfändungsschutz auch auf Familienangehörige des Schuldners zu erstrecken.9 6. Vollstreckungsschutzvorschriften sind auf juristische Personen bzw. Personengesellschaften grundsätzlich nicht anwendbar, weil ihnen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein seinem Wesen nach nicht zur Seite steht (Art. 19 Abs. 3 GG). Eine Ausnahme ist aber für die Einmann-GmbH anzuerkennen, deren Gesellschafter-Geschäftsführer seinen Unterhalt durch persönliche Leistungen für die GmbH erwirtschaftet. Insofern ist ein „Durchgriff“ auf den Gesellschafter-Geschäftsführer möglich. Gleiches gilt für Personen gesellschaften, bei denen alle Gesellschafter ihren Erwerb aus einer persön lichen Tätigkeit in der Gesellschaft ziehen. Auch dann ist ein „Durchgriff“ auf die Gesellschafter möglich.10 7. Unmittelbarer Pfändungsschutz kraft Verfassung kann wegen des Vorbehalts des Gesetzes nicht anerkannt werden, weil mit jedem Pfändungsverbot ein Eingriff in Grundrechte des Gläubigers verbunden ist.11 8. Wenn durch eine Vollstreckungsmaßnahme ein Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein droht, darf die Vollstreckungsmaßnahme nicht durchgeführt werden. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein ist einer Abwägung nicht zugänglich. Jeder Grundrechtseingriff ist eine Grundrechtsverletzung. Konsequenterweise sind Vollstreckungsschutzvorschriften, die neben dem menschenwürdigen Dasein des Schuldners zu dessen Lasten weitere Gesichtspunkte berücksichtigt wissen wollen, insoweit verfassungswidrig. Es kann also z. B. im Rahmen von § 850f Abs. 1 ZPO bzw. § 850i Abs. 1 S. 3 ZPO nicht auf „überwiegende Belange des Gläubigers“ ankommen.12 Einem Schuldner kommen die Pfändungsverbote sogar dann zugute, wenn er die Unpfändbarkeit rechtsmissbräuchlich herbeigeführt hat. Eine auf dieses Vorverhalten gestützte Einschränkung des Pfändungsschutzes würde dazu
7
Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.XII.1. Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.I.1.b). 9 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:C.I. Im Hinblick auf Haushaltsmitglieder ist dieser Ansatz nicht übertragbar, vgl. Kapitel 4:§1:C.II. 10 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:C.III. 11 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:D. 12 Zu § 850f Abs. 1 ZPO: Kapitel 6:§2:G.II.2. Zu § 850i Abs. 1 S. 3 ZPO: Kapitel 6:§2:I.II.5. 8
Kapitel 10: Thesen
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führen, sehenden Auges Eingriffe in die nicht zur Disposition stehende Menschenwürde zuzulassen.13 In diesem Sinne sind auch Regelungen pönalen Charakters mit dem Grundprinzip des Schutzes für das menschenwürdige Dasein unvereinbar. Selbst bei der Zwangsvollstreckung wegen Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen muss ein Unterschreiten der Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO ausgeschlossen sein. § 850f Abs. 2 ZPO ist verfassungswidrig.14 Der Versuch, Eingriffe in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein durch Hinweis auf mögliche nachträgliche staatliche Kompensationen zu rechtfertigen, ist fehl am Platz. Selbst wenn man solche Leistungen als Kompensation gelten lässt, folgen sie doch dem Eingriff nach und können ihn deswegen nicht retroaktiv ungeschehen machen.15 Folgerichtigerweise muss es im Rahmen von § 765a Abs. 1 ZPO als sittenwidrige Härte angesehen werden, wenn der Vollstreckungsschuldner durch eine Vollstreckungsmaßnahme von staatlichen Leistungen abhängig wird. 9. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Dasein ist nicht von der Eigentumslage der für die Pfändung in Aussicht genommenen Gegenstände abhängig. Entscheidend ist lediglich, dass dem Schuldner die Gegenstände verbleiben, die er benötigt, um dementsprechend leben zu können.16 Wenn dem Schuldner Gegenstände entzogen werden, die er für ein menschenwürdiges Dasein benötigt, liegt bereits darin ein Grundrechtseingriff. Eine Austauschpfändung (§ 811a ZPO) ist nur dann gestattet, wenn der Gläubiger dem Schuldner vor der Wegnahme der Sache ein dem geschützten Verwendungszweck genügendes Ersatzstück zukommen lässt (§ 811a Abs. 1 Var. 1 ZPO) bzw. dem Schuldner den zur Beschaffung eines solchen Ersatzstückes erforderlichen Geldbetrag überlässt (§ 811a Abs. 1 Var. 2 ZPO) und der Schuldner im Zeitpunkt der Wegnahme die Ersatzbeschaffung vorgenommen hat. Andere Modalitäten der Austauschpfändung, die dazu führen, dass der Schuldner zeitweise ohne den pfändungsgeschützten Gegenstand auskommen muss, sind verfassungswidrig.17 10. Relevanter Beurteilungszeitpunkt für die Pfändbarkeit ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Pfändung. Sollte ein zunächst unpfändbarer Gegenstand anschließend pfändbar werden, ist eine Heilung ex nunc anzunehmen. Das Grund recht auf ein menschenwürdiges Dasein gebietet dann keinen Vollstreckungsschutz mehr. Wenn ein zunächst pfändbarer Gegenstand nach der Pfändung unpfändbar wird, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Rechtsbehelf 13
Vgl. dazu Kapitel 3:§5. Vgl. dazu Kapitel 6:§2:H. 15 Vgl. dazu Kapitel 3:§2:D. 16 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:E. 17 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:F.II.2. 14
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ausschlaggebend. Nur so lässt sich verhindern, dass der Schuldner auf staatliche Unterstützung angewiesen wäre, was mit Blick auf den in Rede stehenden Gegenstand nicht als gleichwertig angesehen werden kann.18 11. Der Schutz des menschenwürdigen Daseins gebietet auf einer elementaren Stufe zunächst die Sicherung des „schieren Überlebens“, ohne sich allerdings darin zu erschöpfen. Deshalb muss beispielsweise auf einer ersten Ebene Pfändungsschutz für Nahrungsmittel (§ 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) ZPO)19 und – in der nötigen Höhe – für Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO)20 gewährt werden. Jenseits des „schieren Überlebens“ sind weitere Dimensionen der Existenz schutzbedürftig. Diese Erkenntnis hat ihren Ausdruck in § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) ZPO („aus gesundheitlichen Gründen“) gefunden.21 12. Das menschenwürdige Dasein realisiert sich nicht nur im Dasein einer isolierten Person, sondern schließt die Beziehungen zu Menschen (dazu a.), Tieren (dazu b.) und Sachen (dazu c.) als schützenswert ein. a. Der relationale Aspekt des menschenwürdigen Daseins findet seinen Ausdruck im Schutz soziokultureller Entfaltungsmöglichkeiten. Dazu gehört die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und die Teilhabe am gesellschaft lichen, kulturellen und politischen Leben. Das menschenwürdige Dasein hat auch Bezug zu Verstorbenen aus dem eigenen Lebenskreis. Dem trug der Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 13 ZPO a. F. Rechnung, wonach die zur unmittelbaren Verwendung für die Bestattung bestimmten Gegenstände geschützt waren.22 Dass das GvSchuG dieses Pfändungsverbot ersatzlos hat entfallen lassen, ist nicht damit vereinbar, dass die Beziehung zu Verstorbenen in der Ausprägung einer würdigen Bestattung zu schützen ist. Der grundsätzlich gebotene Schutz persönlicher Beziehungen darf allerdings nicht ohne nähere Analyse der tangierten Beziehungen als Topos aufgerufen werden. Beispielsweise erweist sich die Überlegung im Rahmen von § 852 ZPO letztlich nicht als einschlägig. Es macht emotional durchaus einen Unterschied, ob z. B. der Pflichtteilsberechtigte aus freien Stücken einen Anspruch verfolgt – dann droht möglicherweise eine Verschlechterung des innerfamiliären Klimas – oder ob der Anspruch durch Dritte geltend gemacht wird.23 b. Weil Menschen in schützenwerten Beziehungen zu Tieren leben können, ist die Erstreckung des Pfändungsschutzes auf Tiere des Schuldners verfas18
Vgl. dazu Kapitel 4:§1:B. Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.II. 20 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:E. 21 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.XIV.6. 22 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.XV. 23 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:N.II. 19
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sungsrechtlich geboten (§ 811 Abs. 1 Nr. 8 lit. a) ZPO). Dieser Schutz darf nicht durch einschränkende Erwägungen zum Wert des Tieres begrenzt werden. Ein solcher Anknüpfungspunkt verfehlt den für den Schutz maßgeblichen Gesichtspunkt der Beziehung des Menschen zum Tier.24 c. Ideelle Beziehungen zu Sachen sind integraler Bestandteil der Selbstwahrnehmung. Das geltende Pfändungsschutzrecht erkennt bereits ansatzweise ideelle Beziehungen zu Sachen als schützenswert an. Nur so lässt sich beispiels weise der Schutz von Orden und Ehrenzeichen erklären (vgl. § 811 Abs. 1 Nr. 7 ZPO). Jedoch wird dieser Ansatz schon auf Auslegungsebene nicht konsequent weitergeführt, wenn eine Limitierung auf staatliche Auszeichnungen vorgenommen wird.25 De lege ferenda ist der Gesetzgeber gehalten, diese Schutz dimension in den Pfändungsverboten durchgehend zu berücksichtigen. Es geht um den Schutz aller „souvenirs à caractère personnel ou familial“.26 Die prinzipielle Anerkennung der relationalen Schutzdimension impliziert indes nicht, dass jegliche in diese Richtung zielende Behauptung des Schuldners zu berücksichtigen ist. Vielmehr ist diesbezüglich – auch im schützenswerten Interesse des Gläubigers – eine nachvollziehbare Begründung erforderlich.27 13. Das menschenwürdige Dasein entfaltet sich in der Zeit. Der Schuldner muss die Chance haben, noch positiv in die Zukunft blicken zu können. Diese Perspektive darf dem Schuldner nicht genommen werden. Er muss die Hoffnung behalten dürfen, selbstbestimmt und unabhängig vom Staat für seinen eigenen Lebensunterhalt sorgen zu können. Dazu muss ihm ein Anreiz verbleiben. Eine „Kahlpfändung“ ist deshalb ausgeschlossen, weil sie jegliche Motivation zerstören würde.28 Folglich muss z. B. der Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen nach § 850c ZPO so ausgestaltet sein, dass er dem Schuldner einen Erwerbsanreiz belässt.29 Deshalb sind Vorschriften verfassungswidrig, die eine Deckelung nach oben vorsehen.30 Gleiches gilt für § 850d ZPO, weil dieser in der Konsequenz die verfassungsrechtlich zu respektierende Anreizorientierung beseitigt.31 Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund müssen auch Nebeneinkünf te (§ 850 Abs. 2 ZPO) Pfändungsschutz genießen, wenn der Schuldner durch solche Tätigkeiten Einnahmen erzielt, die zur Sicherung seines menschenwürdigen Daseins notwendig sind.32 24
Vgl. dazu Kapitel 4:§2:B. Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.XIII.2.d)aa). 26 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.XIII.5.b). 27 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.XIII.5.b). 28 Vgl. dazu Kapitel 6:§2. 29 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:E. 30 Vgl. dazu z. B. Kapitel 6:§2:E.II.2.b). 31 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:F.III. 32 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:B. 25
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Da der Schuldner selbst entscheiden darf, auf welche Weise er seinen Lebensunterhalt sichern will, konnte es schon im Rahmen von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. nicht darauf ankommen, ob der Schuldner persönlich oder kapitalistisch arbeitet. Bei richtigem Verständnis schützte schon § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO a. F. jegliche Erwerbstätigkeit.33 Das GvSchuG hat dies mit § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) Var. 1 ZPO klargestellt. Im Bereich der Forderungspfändung gilt, dass nicht nur Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO), sondern auch sonstige Einkünfte (§ 850i ZPO) Pfändungsschutz genießen. Indessen ist die Umsetzung im Gesetz nicht gelungen. Stringenter wäre de lege ferenda eine Lösung, die zwischen wiederkehrenden und nicht- wiederkehrenden Einkünften unterscheidet.34 Die Zukunftsorientierung im Handeln ist gefährdet, wenn es dem Schuldner nicht möglich ist, in angemessenem Maße pfändungsgeschützt für das Alter vorzusorgen. Insofern ist der Pfändungsschutz in §§ 851c, 851d ZPO verfassungsrechtlich geboten. Dadurch, dass der Gesetzgeber den sachlichen Anwendungsbereich von § 850i ZPO im Jahre 2010 um „sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind“ erweitert hat, entstand allerdings eine Spannungslage zu dem 2007 eingefügten Pfändungsschutz nach §§ 851c, 851d ZPO. Der Pfändungsschutz nach § 851c Abs. 1 ZPO und § 851d ZPO erweist sich somit für die Auszahlungsphase der Rentenzahlungen als überflüssig, weil der gebotene Schutz in dieser Phase schon von § 850i ZPO gewährleistet ist. 14. Über Geldmittel verfügen zu können, ist eine notwendige Grundlage der selbstbestimmten Lebensführung. In diesem Sinne ist der Pfändungsschutz für Bargeld in § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich verfassungsrechtlich geboten. Gleiches gilt für den Kontenpfändungsschutz nach § 850k ZPO. Ein bloßer Pfändungsschutz für Einkommen an der Quelle wäre nicht ausreichend, um das menschenwürdige Dasein des Schuldners umfassend zu sichern. Indes sind der Pfändungsschutz an der Quelle, der Pfändungsschutz für Bargeld und der Pfändungsschutz für Beträge auf dem Pfändungsschutzkonto nicht ausreichend aufeinander abgestimmt. Insofern gilt es einerseits, § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu erweitern. Andererseits darf der Schutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 3 ZPO aber nicht eingreifen, wenn ein ausreichender Schutz bereits besteht. Das ist z. B. dann der Fall, wenn ein entsprechender Geldbetrag schon auf dem Pfändungsschutzkonto vorhanden ist.35 Dies ist de lege ferenda entsprechend zu harmonisieren. Geld, das auf einem Pfändungsschutzkonto Pfändungsschutz genießt, darf diesen Pfändungsschutz nicht verlieren. Ansparschutz ist verfassungsrechtlich 33
Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.VI.5.b). dazu Kapitel 6:§2:I.V in Anlehnung an den Vorschlag von Meller-Hannich, WM 2011, 529, 534. 35 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.IX.5. 34 Vgl.
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geboten. Denn die Möglichkeit, Rücklagen zu bilden, gehört zu dem schützenswerten Sicherheitsgefühl in einem selbstbestimmten und damit menschenwürdigen Leben.36 Weil § 899 Abs. 2 ZPO dieser Notwendigkeit nicht Rechnung trägt, erweist sich die Vorschrift als verfassungswidrig.37 15. Der Schutz der Menschenwürde verträgt keine wertmäßige Begrenzung. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung können Wertüberlegungen nur bei der Austauschpfändung (§ 811a ZPO) eine Rolle spielen. Diese kommt hinsichtlich aller Gegenstände in Betracht, wenn der zum Austausch angebotene Gegenstand in der Relation einer funktionalen Äquivalenz zu dem für die Pfändung in Aussicht genommenen Gegenstand steht. Das Potential der Austauschpfändung wird damit erweitert.38 Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass der Pfändungsschutz für Kultusgegenstände in § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO39 nicht auf den Wert von 500 Euro limitiert werden darf. Der richtige Ansatzpunkt für derartige Wertüberlegungen ist § 811a ZPO.40 16. Der Schutz des menschenwürdigen Daseins muss in der Zwangsvollstreckung in allen Vollstreckungsvarianten gesichert werden. Es kommt nicht auf die Art der Zwangsvollstreckung an. Vollstreckungsschutz ist somit über die Fahrnis- und Forderungsvollstreckung hinaus beispielsweise auch in der Zwangsvollstreckung wegen anderer Vermögensrechte (§ 857 ZPO) und in der Herausgabevollstreckung (§§ 883 ff. ZPO) einzuräumen, wenn sich der Anspruch auf einen pfändungsgeschützten Gegenstand bezieht.41 Folgerichtigerweise ist der vom Gesetzgeber aufgerufene Rechtfertigungsansatz für § 811 Abs. 2 ZPO nicht haltbar.42 Bei der Vollstreckung aus Duldungstiteln ist Vollstreckungsschutz zu gewähren, wenn in der Person des Anfechtungsgegners die Voraussetzungen von § 811 Abs. 1 ZPO realisiert sind. Falls im Hinblick auf den Vollstreckungsschuldner schon die Voraussetzungen von § 811 Abs. 1 ZPO erfüllt sind, existiert bereits keine Gläubigerbenachteiligung i. S. v. § 1 Abs. 1 AnfG, sodass es an der Grundvoraussetzung für eine mögliche Anfechtung fehlt.43 Im Rahmen einer Vollstreckung nach § 847 ZPO ist dem Vollstreckungsschuldner Vollstreckungsschutz nach § 811 Abs. 1 ZPO zuzubilligen. Nur so wird gewährleistet, dass der Vollstreckungsschuldner weiterhin darüber befin36
Vgl. dazu Kapitel 6:§2:J.II.3.a)ee). Vgl. dazu Kapitel 6:§2:J.II.3.b). 38 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:F. 39 So in der Fassung durch das PKoFoG ab dem 01.12.2021 in § 811 Abs. 1 Nr. 10a ZPO vorgesehen. 40 Vgl. dazu Kapitel 4:§2:A.XII.4. 41 Vgl. dazu Kapitel 7 und Kapitel 8 . 42 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:E.II. 43 Vgl. dazu Kapitel 4:§1:C.IV. 37
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den kann, wie mit seinen pfändungsgeschützten Gegenständen zu verfahren ist. Der Drittschuldner hingegen kann sich in diesem Stadium noch nicht auf Vollstreckungsschutz berufen, weil mit einer solchen Pfändung zu diesem Zeitpunkt kein Eingriff in sein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein verbunden ist.44 17. Der Schutz des menschenwürdigen Daseins muss auf die Lebenssituationen zugeschnitten sein, in denen ein besonderer Bedarf entsteht. Dem tragen einige Vollstreckungsschutzvorschriften Rechnung (vgl. v. a. §§ 850a, 850b ZPO). Nicht alle diese Mehraufwendungen sind aber mit Blick auf den Schutz des menschenwürdigen Daseins unter Vollstreckungsschutz zu stellen. Deshalb ist de lege ferenda z. B. der Vollstreckungsschutz für Weihnachtsgeld nach § 850a Nr. 4 ZPO zu streichen.45 Beizubehalten ist hingegen beispielsweise der Pfändungsschutz für Aufwandsentschädigungen etc. nach § 850a Nr. 3 ZPO.46 Der dem Grunde nach gerechtfertigte Pfändungsschutz geht teilweise der Höhe nach zu weit. Wenn der Versorgungsgedanke im Vordergrund steht, ist es nicht zu rechtfertigen, dass ein höherer Schutz als bei Arbeitseinkommen gewährt wird. De lege ferenda ist deswegen das Schutzniveau insofern dem für Arbeitseinkommen anzugleichen (so z. B. für § 850a Nr. 6 ZPO47 oder für § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO48). Wenn indes schützenswerte Mehraufwendungen zu decken sind, die nicht auf dem Versorgungsgedanken beruhen, ist ein spezieller darauf bezogener situationsgerechter Pfändungsschutz angezeigt (vgl. dazu z. B. § 850b Nr. 1 ZPO). Die sich so ergebende Grenze darf unter keinen Umständen unterschritten werden. Deshalb ist § 850b Abs. 2 ZPO teilweise verfassungswidrig.49 18. Nicht alle Schutzparameter für das menschenwürdige Dasein lassen sich auf einer abstrakt-generellen Ebene vollständig prädeterminieren. Es bedarf des wegen ergänzender Vorschriften, die einen prozeduralen Weg eröffnen, der es erlaubt, darauf Rücksicht zu nehmen. Dies ist beispielsweise durch § 850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO gewährleistet, wonach besonderen Bedürfnissen des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen Rechnung zu tragen ist.50
44
Vgl. dazu Kapitel 5. Vgl. dazu Kapitel 6:§2:C.IV. 46 Vgl. zu den Einzelheiten Kapitel 6:§2:C.III. 47 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:C.VI. 48 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:D.II. 49 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:D.V. 50 Vgl. dazu Kapitel 6:§2:G.I.2. 45
Kapitel 11
Epilog Die Durchmusterung des geltenden Vollstreckungsschutzrechts hat ergeben, dass sich dieses unter dem Gesichtspunkt „Schutz des menschenwürdigen Daseins“ in wesentlichen Teilen systematisch kohärent rekonstruieren lässt. Damit bestätigt sich in dem betrachteten Ausschnitt die allgemeine Diagnose einer Konstitutionalisierung des Verfahrensrechts im Sinne einer Ausstrahlungswirkung des Verfassungsrechts,1 die Schumann wie folgt auf den Punkt gebracht hat: „So tiefgreifend wie das Grundgesetz hat noch keine deutsche Verfassung auf das Prozeß- und Gerichtsverfassungsrecht eingewirkt.“2
Das Verfahrensrecht kann demgemäß nicht adäquat verstanden werden, wenn die verfassungsrechtliche Tiefendimension ausgeblendet bleibt. Der Blick auch auf Alltagsdetails im Zwangsvollstreckungsrecht bestätigt diese Grundannahme und macht gleichzeitig deutlich, dass die These von der Konstitutionalisierung des Verfahrensrechts nicht nur als allgemeines theoretisches Verständnisprinzip von Belang ist, sondern gleichzeitig geeignet ist, eine „Bodenhaftung“ im einzelnen Detail zu gewährleisten. Stellt man den Schutz des menschenwürdigen Daseins in den Mittelpunkt, weitet sich zugleich die Perspektive über den nationalen Rahmen hinaus.3 So kann der Anschluss an die Reformdebatte in anderen europäischen Ländern gefunden werden.4
1 Althammer, ZZP 126 (2013), 3, 10; Gaier, NJW 2013, 2871; Kehrberger, Die Materialisierung des Zivilprozessrechts, 2019, S. 72; Roth, ZZP 131 (2018), 3; Stürner, ZZP 127 (2014), 271, 307 ff.; Stürner, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 359, 366 f. Vgl. zur Konstitutionalisierung des europäischen Prozessrechts Düsterhaus, ZEuP 2018, 10, 10 ff.; Heinze, JZ 2011, 709, 715; Hess, JZ 2005, 540 ff. 2 Schumann, in: Canaris/Heldrich/Hopt u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 3, 4. 3 Leipold, in: Stürner/Bruns (Hrsg.), Globalisierung und Sozialstaatsprinzip, 2014, S. 235, 254 hofft darauf, dass eine solche „an verfassungsrechtlichen Grundwerten orientierte Sicht des Zivilprozesses dazu beitragen“ könne, „dem deutschen Prozessrecht auch im internationalen Vergleich weiterhin Beachtung zu verschaffen.“ 4 Vgl. z. B. für die Niederlande Schwabe, Das niederländische Zwangsvollstreckungsrecht mit vergleichenden Bezügen zum deutschen Recht, 2010, S. 143; vgl. für Österreich den Ministerialentwurf zur Gesamtreform des Exekutionsrechts v. 27.11.2020 (77/ME XXVII. GP).
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Noch weitergehend gewinnt auf diese Weise der Pfändungsschutz eine menschenrechtliche Dimension und ist damit über die nationalen Grenzen hinaus Gegenstand der Debatte. Es werden so Gemeinsamkeiten sichtbar, die zeigen, dass auch anderwärts ein derart fundamentaler Rechtfertigungsansatz aufgerufen wird. So wurde beispielsweise in Frankreich die Unpfändbarkeit von Gütern mit dem notwendigen Schutz der „dignité de la personne humaine“ begründet.5 In Spanien judizierte das Verfassungsgericht, dass aus der Achtung der Menschenwürde („la dignidad de la persona“) die Pflicht für den Gesetz geber folge, eine gegen Zwangsvollstreckung „immune“ Sphäre zu schaffen. 6 Eine solche Perspektivenerweiterung ist auch in anderen Rechtsordnungen zu beobachten.7 Im Unionsrecht bildet der Schutz der Menschenwürde in Art. 1 GRCh den Ausgangspunkt für Überlegungen zur Sicherung des menschenwürdigen Daseins im Zwangsvollstreckungsrecht.8 Dazu gehört anerkanntermaßen das Recht auf ein Existenzminimum.9 Der EuGH hat dieses Prinzip in seine Rechtsprechung integriert und aus Art. 1 GRCh abgeleitet, dass „der Betroffene nicht in eine Situation extremer materieller Not“ geraten dürfe, „die es ihm nicht erlaubt, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie etwa eine Unterkunft zu finden, sich zu ernähren, zu kleiden und zu waschen, und die seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.“10 Bereits 2011 zeichnete sich im Vorschlag für die Verordnung zur Einführung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung ab, dass Pfändungsschutz und Menschenwürde in einem Konnex zu sehen sind. Dies kam dadurch zum Ausdruck, dass in Erwägungsgrund 20 als ein Ziel der Verord5
Lamoril, Revue trimestrielle des droits de l’Homme 2006, S. 359. Tribunal Constitucional de España, 06.05.1993, 158/1993, BOE núm. 127 v. 28.05.1993. 7 Vgl. z. B. Constitutional Court of South Africa, Jaftha v Schoeman and Others, 08.10. 2004 (Case CCT 74/03), Rn. 23, 36, 39 (www.saflii.org/za/cases/ZACC/2004/25.html, geprüft am 12.09.2021) und die Nachweise in Kapitel 11 Fn. 23. 8 Art. 1 GRCh ist nach Art. 51 Abs. 1 GRCh in grenzüberschreitenden Vollstreckungs sachen anwendbar, weil durch das europäische Zivilprozessrecht der nötige Bezug zum europäischen Recht gegeben ist, vgl. dazu Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 212. 9 Borowsky, in: Meyer/Hölscheidt (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 52019, Art. 1 GRCh Rn. 29; Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 211. Vgl. auch Berlth, Artikel 1 GRCh – Die Menschenwürde im Unionsrecht, 2012, S. 164 ff., die indes auf die leistungsrechtliche Dimension fokussiert und Art. 34 GRCh in den Vordergrund stellt. Schwarzburg, Die Menschenwürde im Recht der Europäischen Union, 2012, S. 145 sieht in Art. 1 GRCh auch die materielle Existenzsicherung garantiert. Zum Verhältnis von Art. 1 GRCh und Art. 34 GRCh vgl. Bührer, Das Menschenwürdekonzept der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2020, S. 164 f. 10 EuGH, Urt. v. 12.11.2019, C-233/18, curia, Rn. 46; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.03.2019, C-163/17, curia, Rn. 92. 6
Kapitel 11: Epilog
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nung die „uneingeschränkte Achtung der Menschenwürde“ hervorgehoben wurde.11 Über die europäische Union hinaus wird in Dokumenten des Europarats mehrfach die Menschenwürde als notwendiges Gestaltungsprinzip für ein System des Pfändungsschutzes herangezogen. Dies beginnt mit der Empfehlung Rec(2003)17,12 in der unter Bezug auf Art. 6 und Art. 8 EMRK Pfändungsschutz für „certain essential assets and income […], such as basic household goods, basic social allowances, monies for essential medical needs and necessary working tools“ als notwendig deklariert wird. In dieser Empfehlung wird die Menschenwürde noch nicht explizit als Motiv für den Schutzgedanken genannt. Das ändert sich mit der Empfehlung Rec(2007)8 zum Thema „Legal solutions to debt problems“. Dort wird für die Zwangsvollstreckung festgehalten: „the debtors´ rights and human dignity should be duly safeguarded“.13 Der Gedanke wird dann mit den „Guidelines for a better implementation of the existing council of Europe’s Recommendation on enforcement“ weitergeführt,14 indem als leitendes Prinzip „respect of all human rights (human dignity […])“ zugrunde gelegt wird.15 Diese Argumentation steht im Einklang mit der EMRK, obwohl diese die Menschenwürde nicht ausdrücklich erwähnt. Trotzdem existiert in zweierlei Hinsicht bei allen Einzelregelungen der EMRK ein Menschenwürdebezug. Dies ergibt sich daraus, dass die EMRK in ihrer Präambel zu Beginn die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Fundament benennt. Dort wird die Anerken11 KOM/2011/0445 endgültig – 2011/0204 (COD). In der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 vom 15.05.2014 griff Erwägungsgrund 44 diesen Gedanken auf, allerdings ohne explizite Erwähnung des Menschenwürdeschutzes. Man wird darin aber keine Abkehr von diesem Gedanken sehen können. 12 Recommendation Rec(2003)17 of the Committee of Ministers to member states on enforcement, Nr. III.1.h., https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectID=09000 016805df135 (geprüft am 12.09.2021). Vgl. dazu Nguyen, International Standards on the Enforcement of Civil Judgments: Current Situation and Possible Solutions for Vietnam, 2020 (www.researchgate.net/publication/343125186_Internationale_Standards_fur_die_Vollstre ckung_von_Zivilurteilen_Aktuelle_Situation_und_mogliche_Losungen_fur_Vietnam/full text/5f17d1c092851cd5fa3bf44a/Internationale-Standards-fuer-die-Vollstreckung-von-Zivil urteilen-Aktuelle-Situation-und-moegliche-Loesungen-fuer-Vietnam.pdf), S. 156 (geprüft am 12.09.2021). 13 Recommendation Rec(2007)8 and explanatory memorandum, Nr. 27, https://rm.coe.int/ 16807096bb (geprüft am 12.09.2021). Diese Empfehlung wird von der irischen Law Reform Commission in ihrem Consultation Paper von 2009 mehrfach unter dem Stichwort „human dignity“ aufgegriffen (Nr. 142 ff., Nr. 992), www.lawreform.ie/_fileupload/consultation%20 papers/cp56.htm (geprüft am 12.09.2021). 14 CEPEJ(2009)11REV2, https://rm.coe.int/16807473cd (geprüft am 12.09.2021). Aufgenommen und systematisch fortgeführt wird dieser Ansatz dann in CEPEJ(2015)10, https:// rm.coe.int/european-commission-for-the-efficiency-of-justice-cepej-good-practice-/168074 77bf (geprüft am 12.09.2021) unter 3.1.2.1.1.3. („Securing decent living conditions for debtors and their families“). 15 Vgl. Kapitel 11 Fn. 14 unter III.1.c.
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nung der angeborenen Würde aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen an den Anfang gestellt.16 Wegen dieses Bezugs lässt sich die anerkannte Auffassung rechtfertigen, dass das Gebot, die Menschenwürde zu achten, allen Konventionsgarantien zugrunde liegt.17 Mit den Worten des EGMR: „The very essence of the Convention is respect for human dignity and human freedom.“18 Betritt man über den Rechtsraum des Europarats hinaus die globale Bühne, so wird auch dort die Frage des Pfändungsschutzes im Zwangsvollstreckungsrecht thematisiert. Der Global Code of Enforcement19 bestimmt in Art. 25: „All goods can be seized subject to the exclusion of those goods considered immune from seizure by national law. In the event of a seizure of bank assets, a sum must be left at the disposal of the debtor sufficient to ensure his and his family’s subsistence, the amount whereof is determined by law.“20
Artikel 29 legt ergänzend fest: „States must organize their enforcement systems by adapting them to the interests of the creditor and the economic and social situation of the debtor. For this reason, they must diversify the enforcement measures so that the judicial officer or enforcement agent may choose among them in keeping with the circumstances.“21
Damit wird die „Subsistenz“ des Schuldners und seiner Familie zusammen mit den ökonomischen und sozialen Begleitumständen ein maßgeblicher oberster Orientierungspunkt.22 16 Resolution der UN-Generalversammlung vom 10.12.1948, 217 A (III). Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 17 Meyer-Ladewig, NJW 2004, 981, 982. Vgl. z. B. zu Art. 3 EMRK: EGMR, Urt. v. 15.07. 2002, 47095/99, NVwZ 2005, 303, 304; EGMR, Urt. v. 29.04.2002, 2346/02, NJW 2002, 2851, 2853; zu Art. 6 EMRK: Schorn, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und ihr Zusatzprotokoll in Einwirkung auf das deutsche Recht, 1965, S. 72; zu Art. 8 EMRK: EGMR, Urt. v. 11.07.2002, 28957/95, hudoc; Hess, in: Andenas/ Hess/Oberhammer (Hrsg.), Enforcement agency practice in Europe, 2005, S. 25, 30. 18 EGMR, Urt. v. 29.04.2002, 2346/02, NJW 2002, 2851, 2854. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 08.12.2009, 49151/07, BeckRS 2010, 6571. Kritisch Schwichow, Die Menschenwürde in der EMRK, 2016, S. 151, der anmerkt, dass sich diese Annahme in der Rechtsprechung nur ungenügend widerspiegele. Beim EGMR hat sich noch keine gefestigte Rechtsprechung zum Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung herausgebildet, vgl. dazu die Analyse bei Wolber, Schuldnerschutz im Europäischen Zwangsvollstreckungsrecht, 2015, S. 211. 19 International Union of Judicial Officers, Global Code of Enforcement, 2015 (www.uihj. com/downloads/global-code-of-enforcement) (geprüft am 12.09.2021). Dieser Code ist zwar nicht verbindlich. Er bildet aber angesichts der Vielfalt der beteiligten Akteure und der anschließenden Rezeption einen umfassenden Konsens ab und verdient deswegen als programmatisches Leitdokument Beachtung, wenn es auf die Analyse der Meinungsbildung zur Zwangsvollstreckung im globalen Kontext ankommt. 20 Vgl. dazu mit Blick auf Entsprechungen im französischen Recht Ferrand, ZZPInt 20 (2015), 27, 50 f. 21 Vgl. dazu mit Blick auf Entsprechungen im französischen Recht dies., ZZPInt 20 (2015), 27, 54. 22 Nguyen, International Standards on the Enforcement of Civil Judgments: Current Situation and Possible Solutions for Vietnam, 2020 (www.researchgate.net/publication/3431251
Kapitel 11: Epilog
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Auf den ersten Blick scheint hier die Menschenwürde nicht als tragender Begründungsgesichtspunkt ins Feld geführt zu werden. Doch dieser Schein trügt. Denn im Hintergrund steht eine neue Terminologie, die an den Gedanken der Subsistenzsicherung für den Schuldner anknüpft und das Schutzziel darin sieht, eine dignified subsistence zu sichern.23 Nimmt man diese Redeweise ernst, so zeigt sich, dass der internationale Diskurs mit der Formel dignified subsistence das zum Ausdruck bringt, was mit „menschenwürdiges Dasein“ gemeint ist. Bleibt ein letzter Einwand auszuräumen. Es wird oft gesagt, die Menschenwürde dürfe nicht im Alltag gewissermaßen als kleine Münze ausgegeben werden.24 Im Vollstreckungsschutzrecht ist die Menschenwürde aber schon seit langem im Alltag angekommen. Man darf sie selbst dann nicht außer Acht lassen, wenn es um scheinbare Kleinigkeiten geht. Denn diese kleinen Dinge sind für das Lebensschicksal der betroffenen Schuldner, die oft genug „kleine Leute“ sind, existentiell. Wenn man das berücksichtigt, erschließen sich bestimmte Schutznotwendigkeiten in evidenter Weise. Aharon Barak brachte eine solche Sicht als Präsident des Supreme Court of Israel – in einem zwangsvollstreckungsrechtlichen Kontext – so zum Ausdruck, dass seine Worte hier als Schlusswort stehen können: „Human dignity includes… protection of a minimum level of human subsistence… a person who lives in the streets and has no accommodation is a person whose dignity as a human being has been violated; a person who is hungry for food is a person whose dignity as a human being has been violated; a person who has no access to elementary medical treatment is a person whose dignity as a human being has been violated; a person whose is compelled to live in degrading physical conditions is a person whose dignity as a human being has been violated.“25 86_Internationale_Standards_fur_die_Vollstreckung_von_Zivilurteilen_Aktuelle_Situation _und_mogliche_Losungen_fur_Vietnam/fulltext/5f17d1c092851cd5fa3bf44a/Internationale- Standards-fuer-die-Vollstreckung-von-Zivilurteilen-Aktuelle-Situation-und-moegliche- Loesungen-fuer-Vietnam.pdf), S. 155 f. (geprüft am 12.09.2021). 23 Vgl. zu diesem Sprachgebrauch Chatzipanagiotou, Practicing the law of human dignity: A story of ’something missing’, 2015 (https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/181 11/chatzipanagiotou.pdf?sequence=1), S. 417, 419, 421, 427, 436 (geprüft am 12.09.2021) (allerdings stets mit dem Zusatz „minimum“). Zu einem äquivalenten Sprachgebrauch beispielsweise auf Portugiesisch („subsistência digna“) siehe Tribunal da Relação de Guimarães, 20.01. 2011, Az. 475-A / 1996.G1, I 4, I 5, I 10, III 3 (www.dgsi.pt/jtrg.nsf/c3fb530030ea1c61802568d 9005cd5bb/c62d45092fcdd7d88025785c004cf661, geprüft am 12.09.2021) und für Brasilien, Tribunal de Justiça Rio de Janeiro, 10.11.2020, Az. 0038327-60.2010.8.19.0001, S. 110 (www. conjur.com.br/dl/possivel-penhorar-pensao-medida-nao.pdf, geprüft am 12.09.2021). Zur brasilianischen Rechtslage in Sachen Pfändungsschutz und „subsistência digna“ umfassend Cardoso Ricardo, A mitigação da regra da impenhorabilidade salarial: Um estudio de caso sob o enfoque da teoria do minimo existencial e do princípio da satisfação executiva, 2018, S. 60, 62, 69, 75, 79. 24 In diesem Sinne etwa Papier, in: Grote/Härtel/Hain u. a. (Hrsg.), Die Ordnung der Freiheit, 2007, S. 371. 25 Supreme Court of Israel, Commitment to Peace and Social Justice v. Minister of Finance, Entsch. v. 12.12.2005, HCJ 366/03, S. 104, 125.
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