Mendelssohns diskrete Religion 9783161533532, 9783161533525

Es gehört zu den faszinierenden Merkmalen des Aufklärungsjahrhunderts, daß sich hier Rationalisierungs- und Selbstreflex

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Vorwort
Siglen
Inhaltsverzeichnis
A. Die Signatur aufgeklärter Religion (J. F. W. Jerusalem)
1. Der Prediger
a) Orthodoxe Spuren
b) Praktische Frömmigkeit
c) Erfahrbare Einfachheit
2. Vornehme Religion – Jerusalems ›Betrachtungen‹
a) Urgeschichte
b) Mosaische Religion
c) Jesus Christus
B. Religion und Ästhetik – Der Empfindungsbegriff
1. Wege zur Empfindung
2. Einflüsse auf Mendelssohns Ästhetik
a) Dubos – Auf den Geschmack gekommene Empfindung
b) Leibniz – Welt als Empfindungsraum
c) Baumgarten – Empfundene Bestimmtheit
d) Sulzer – Beschleunigte Empfindung
3. Mendelssohns Empfindungsbriefe
a) Vollkommene Ästhetik
b) Wendung ins Tragödienproblem
C. Religion und Metaphysik – Glück und Unsterblichkeit
1. Spaldings Anregung
a) Shaftesbury und das glückliche Leben
b) Glück bei Wolff
c) Spaldings Synthese
2. Mendelssohn gegen Abbt
3. Phaidon
a) Entstehungsgeschichte
b) Allgemeine Charakteristik
c) Aneignungsvarianten
d) Beweis
e) Unsterblichkeit und Vollkommenheit
f) Selbstgefühl
D. Mendelssohn und Lavater
1. Nichtdiskursivität des Religiösen
2. Vorurteil und Religion
3. Mendelssohns Brief an den Erbprinzen
4. Mendelssohns ›Gegenbetrachtungen‹
E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)
1. Ausgangsbedingungen
a) Politik
b) Hennings' Kritik
2. Die Staatsphilosophie der Jerusalemschrift
a) Thomas Hobbes
b) John Locke
c) Gegenreformatorisches Kirchenregiment
d) Staat und Kirche
3. Mendelssohns Naturrechtslehre
4. Religion und der Andere
a) Toleranz als Zeichentheorie
5. Konkrete Religion
a) Besonderheit des Judentums
b) Wahrheit in der Jerusalemschrift
c) Funktion der Geschichtsphilosophie
d) Deduktion des Zeremonialgesetzes
F. Religion und Politik
G. Morgenstunden der Metaphysik
1. Der Streit
2. Mendelssohns letztes Wort
a) Geträumter Gemeinsinn
b) Spinozakritik
c) Orientierte Ontologie
Schluß
Literatur
Quellen und Hilfsmittel
Sekundärliteratur
Namenregister
Sachregister
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Mendelssohns diskrete Religion
 9783161533532, 9783161533525

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Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von

Albrecht Beutel

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Björn Pecina

Mendelssohns diskrete Religion

Mohr Siebeck

Björn Pecina, geboren 1967; Studium der Evangelischen Theologie und der Philosophie; Staatsexamen in Evangelischer Theologie; 2002/2003 Promotion; Kirchliches Vikariat in der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg und 2. Theologisches Examen; 2013 Habilitation; derzeit Privatdozent an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-153353-2 ISBN 978-3-16-153352-5 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­­papier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Für Sontje

Vorwort Dieses Buch beruht auf meiner Habilitationsschrift, die im Jahre 2014 von der Theologischen Fakultät (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) unter dem Titel ›Religion im Glück. Variationen zu Moses Mendelssohn‹ angenommen wurde. Für die Druckfassung habe ich meine Studie noch einmal überarbeitet und erweitert. Nun möchte ich ein Dankeschön sagen. Als Stipendiat des heute sogenannten Landesforschungsschwerpunktes ›Aufklärung – Religion – Wissen‹ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hatte ich das Vergnügen, meine Überlegungen in einem interdisziplinären Umfeld zu entwickeln. Die Aura anregender Debatten, Tagungen und Forschungsprojekte, innerhalb derer die Stipendiaten und Stipendiatinnen miteinander gearbeitet haben, war anregend. Professor Ulrich Barth hat mich gefördert und meine Forschungen mit hilfreichen Kommentaren versehen. In die Hallenser Wittekindstraße, wo er sich ein Refugium zwischen Konzertflügel, Schallplattenkolonnen und Büchergebirgen eingerichtet hat, ruft Barth allmonatlich Jung und Alt zusammen, um gemeinsam über den theologischen Papieren zu meditieren. Unaufhörlich steigt Zigarrenrauch auf und läßt die Gestalten aller Anwesenden ins Schemenhafte übergehen. Der persönliche Einsatz, mit dem Ulrich Barth allen seinen Vertrauten die Treue hält, bleibt unvergessen. An der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität wurde ich von Professor Jörg Dierken mit großer Offenheit in den Kreis seiner Doktoranden und Habilitanden aufgenommen. Hier habe ich auch einige Passagen meiner Arbeit präsentiert. Jörg Dierken erstellte das Erstgutachten, und seine große Zwanglosigkeit und Hilfsbereitschaft haben mich immer sehr erfreut. Professor Jan Rohls nahm mich in seinen berühmten Münchener Lesekreisen in Empfang und war freundlich bereit, das Drittgutachten anzufertigen. Als meine Arbeit an den vorliegenden Untersuchungen sich dem Ende zuneigte, hatte ich die Gelegenheit, im akademischen Universum des Lehrstuhls von Professor Friedrich Wilhelm Graf zu arbeiten, der mir eine ungewöhnlich große Konzilianz entgegengebracht hat. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben mir Mirjam Sauer und Professorin Miriam Rose eine Arbeitsatmosphäre bereitet, die es mir möglich machte, mein Buch fertigzuschreiben. Professor Stefan Schorch, weiland Dekan an der MLU, stand mir freundlich mit kompetentem Rat zur Seite und hat zugleich das Verfahren an der Fakultät auf Trab gehalten. Am Beginn meiner Überlegungen zur Aufklärung gaben mir Dr. Marianne Schröter und Professor Roderich Barth

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Vorwort

ihr Wissen um die Geheimnisse des 18. Jahrhunderts in freundschaftlicher Selbstlosigkeit zur Verfügung. Die Literaturangaben hat Dr. Carlo Mathieu noch einmal durchgesehen. Professor Albrecht Beutel nahm das Buch in die ›Beiträge zur historischen Theologie‹ auf. Im Verlag wurde mit großer Langmut und wertvollen Vorschlägen die Betreuung von Dr. Henning Ziebritzki und Ilse König übernommen. Und die VG Wort hat mich durch einen Druckkostenzuschuß unterstützt. Wann immer die Digitaltechnik in den Ausstand trat, war René Colombe meisterlich zur Stelle. Mit Liebe und Wärme ist mir die Familie verbunden. Und meine Frau Rita vermochte die Freude darob, das Buch abgeschlossen zu haben, noch auf nicht mehr einer Steigerung fähiges Lebensglück hin zu übertrumpfen, indem sie Sontje in das Licht dieser Welt brachte. Ich danke allen von Herzen. Berlin, März 2016

Björn Pecina

Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................. Siglen .................................................................................................................

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Einleitung .........................................................................................................

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A. Die Signatur aufgeklärter Religion (J. F. W. Jerusalem) ........................ 1. Der Prediger ........................................................................................... a) Orthodoxe Spuren ........................................................................... b) Praktische Frömmigkeit .................................................................. c) Erfahrbare Einfachheit .................................................................... 2. Vornehme Religion – Jerusalems ›Betrachtungen‹ ........................... a) Urgeschichte ..................................................................................... b) Mosaische Religion .......................................................................... c) Jesus Christus ...................................................................................

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B. Religion und Ästhetik – Der Empfindungsbegriff ................................. 1. Wege zur Empfindung .......................................................................... 2. Einflüsse auf Mendelssohns Ästhetik ................................................. a) Dubos – Auf den Geschmack gekommene Empfindung ........... b) Leibniz – Welt als Empfindungsraum ........................................... c) Baumgarten – Empfundene Bestimmtheit ................................... d) Sulzer – Beschleunigte Empfindung ............................................. 3. Mendelssohns Empfindungsbriefe ...................................................... a) Vollkommene Ästhetik ................................................................... b) Wendung ins Tragödienproblem ...................................................

57 58 65 67 77 89 99 102 104 121

C. Religion und Metaphysik – Glück und Unsterblichkeit ........................ 1. Spaldings Anregung .............................................................................. a) Shaftesbury und das glückliche Leben .......................................... b) Glück bei Wolff ................................................................................. c) Spaldings Synthese ........................................................................... 2. Mendelssohn gegen Abbt ..................................................................... 3. Phaidon .................................................................................................. a) Entstehungsgeschichte .................................................................... b) Allgemeine Charakteristik .............................................................. c) Aneignungsvarianten ...................................................................... d) Beweis ................................................................................................

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Inhaltsverzeichnis

e) Unsterblichkeit und Vollkommenheit .......................................... f) Selbstgefühl .......................................................................................

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D. Mendelssohn und Lavater ......................................................................... 1. Nichtdiskursivität des Religiösen ........................................................ 2. Vorurteil und Religion ......................................................................... 3. Mendelssohns Brief an den Erbprinzen ............................................. 4. Mendelssohns ›Gegenbetrachtungen‹ ................................................

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift) .......................... 1. Ausgangsbedingungen ......................................................................... a) Politik ................................................................................................ b) Hennings’ Kritik ............................................................................... 2. Die Staatsphilosophie der Jerusalemschrift ....................................... a) Thomas Hobbes ................................................................................ b) John Locke ........................................................................................ c) Gegenreformatorisches Kirchenregiment .................................... d) Staat und Kirche ............................................................................... 3. Mendelssohns Naturrechtslehre .......................................................... 4. Religion und der Andere ...................................................................... a) Toleranz als Zeichentheorie ............................................................ 5. Konkrete Religion ................................................................................. a) Besonderheit des Judentums .......................................................... b) Wahrheit in der Jerusalemschrift ................................................... c) Funktion der Geschichtsphilosophie ............................................ d) Deduktion des Zeremonialgesetzes ...............................................

237 237 239 242 244 245 249 250 255 259 264 267 281 281 285 288 293

F. Religion und Politik ...................................................................................

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G. Morgenstunden der Metaphysik .............................................................. 1. Der Streit ................................................................................................ 2. Mendelssohns letztes Wort .................................................................. a) Geträumter Gemeinsinn ................................................................. b) Spinozakritik .................................................................................... c) Orientierte Ontologie ......................................................................

317 317 322 323 330 333

Schluß ...............................................................................................................

337

Literatur ............................................................................................................ Quellen und Hilfsmittel ............................................................................. Sekundärliteratur .......................................................................................

351 351 359

Namenregister ................................................................................................. Sachregister ......................................................................................................

387 391

Siglen A   Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe Ä   Alexander Gottlieb Baumgarten: Ästhetik Aa   Immanuel Kant: Gesammelte Schriften Ae   Moses Mendelssohn: Abhandlung über die Evidenz   in metaphysischen Wissenschaften Äs   Moses Mendelssohn: Ästhetische Schriften (Pollok) Av   Georg Friedrich Meier: Auszug aus der Vernunftlehre Bor   Alexander von Bormann: Vom Laienurteil zum Kunstgefühl Br   Briefe, die neueste Litteratur betreffend Bs   Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche Bt   John Locke: Ein Brief über Toleranz Bü   Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Briefe über die Mosaischen Schriften Bw   Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste Ch   Shaftesbury: Characteristicks Dm   Christian Wolff: Deutsche Metaphysik Ds   Gottfried Wilhelm Leibniz: Deutsche Schriften E   Benedictus de Spinoza: Die Ethik Fwr   Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Fortgesetzte Betrachtungen   über die vornehmsten Wahrheiten der Religion, Braunschweig 51776 Fwrb   Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Fortgesetzte Betrachtungen   über die vornehmsten Wahrheiten der Religion, Braunschweig 1772 Ger   Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophische Schriften. vii Bände Gs   Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Nach den Originaldrucken Gw   Christian Wolff: Gesammelte Werke Hwph   Historisches Wörterbuch der Philosophie J   Moses Mendelssohn: Jerusalem (Martyn) Ja   Friedrich Heinrich Jacobi: Schriften zum Spinozastreit Jac   Friedrich Heinrich Jacobi: Schriften zum Spinozastreit. Anhang Juba   Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe Kb   Jean Baptiste Dubos: Kritische Betrachtungen Krv   Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft Lev   Thomas Hobbes: Leviathan oder Materie Lss   Gotthold Ephraim Lessing: Sämmtliche Schriften Lw   Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe Lwmü   Gotthold Ephraim Lessing: Werke M   Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie Med   Alexander Gottlieb Baumgarten: Meditationes   philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus Met   Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica Metr   Aristoteles: Aristotle’s Metaphysics Metw   Aristoteles: Metaphysik

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Siglen

Ms   Moses Mendelssohn: Morgenstunden N   Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Nachgelassene Schriften. Erster Theil Ns   Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Nachgelassene Schriften   Zweiter und letzter Theil P   Moses Mendelssohn: Phädon Pe   Shaftesbury: Der gesellige Enthusiast Pl   Patrologiae cursus completus Po   Platonis Opera Poppe   Bernhard Poppe: Alexander Gottlieb Baumgarten Ps   Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophische Schriften. iv Bände Psb   Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophische Schriften und Briefe Rc   Jean Baptiste Dubos: Réflexions critiques Schlei   Platon: Sämtliche Werke Schrad   Shaftesbury: Ein Brief über den Enthusiasmus. Die Moralisten Sd   Platon: Sämtliche Dialoge Se   Shaftesbury: Standard Edition Sp   Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Sammlung einiger Predigten Sth   Thomas von Aquin: Summa Theologica Sw   Johann Gottfried Herder: Sämmtliche Werke Tn   Christian Wolff: Theologia naturalis Ttp   Benedictus de Spinoza: Tractatus Theologico-Politicus Vb   Herrmann Meyer [Hg.]: Verzeichnis der auserlesenen Büchersammlung Vj   Christian Conrad Wilhelm von Dohm: Über die bürgerliche   Verbesserung der Juden Vps   Johann Georg Sulzer: Vermischte philosophische Schriften W   Gotthold Ephraim Lessing: Werke in drei Bänden Wr   Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Betrachtungen   über die vornehmsten Wahrheiten der Religion Z   Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universallexicon Zsp   Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Zweyte Sammlung einiger Predigten

Einleitung Das Eigentliche einer Religion kann sich zum Ausdruck bringen, obwohl andere Religionssysteme mit einem je eigenen Wahrheitsanspruch auftreten, der dann dieses Eigentliche hinsichtlich seiner Triftigkeit bestritte. Dies ist eine Selbstverständlichkeit; weniger selbstverständlich ist es, eine Theorie zu erden­ ken, die diese alltägliche Normalität lebendiger Religiosität reflexiv werden läßt. Das getan zu haben, ist Mendelssohns bedeutende Leistung. Es wird sich herausstellen, daß somit ein Religionsbegriff vor unsere Augen tritt, der sich über konfessionelle Schranken prinzipiell hinwegzusetzen vermag. Der Offenheit Mendelssohns gegenüber einer nichtjüdischen Kultur und seinem gleichzeitigen Beharren auf der Kultur und Religion seiner Väter kommt insofern ein paradigmatischer Charakter zu, der auf einen Wesenszug von Religion überhaupt verweist. Wir haben unsere Überlegungen durchgeführt an jenen zentralen Schriften Mendelssohns, die seine Religionsphilosophie in ihrer Fruchtbarkeit auch für das theologische Denken eindrücklich zu belegen vermögen. Im folgenden geben wir einen Hinweis auf die Forschungssituation und den Aufbau unserer Arbeit. a) Wie wichtig ein interdisziplinärer Blick auf die Aufklärung ist, darauf hatte schon Albrecht Beutel am Ende des vergangenen Jahrhunderts in seiner Lichtenberg-Studie hingewiesen.1 Das Interesse am Aufklärungsjahrhundert ist innerhalb der Geisteswissenschaften nämlich stetig gewachsen. Während noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Forschung stark fixiert war auf die deutsche Klassik, den deutschen Idealismus oder die Romantik, begann sich ein Bemühen um die Aufklärung, das es natürlich immer gegeben hat,2 in den 60er 1  Beutel: Lichtenberg, 3. Während etwa Lessing sowohl biographisch als auch nach seiner religionsphilosophischen Dignität in umfangreichen Überblicksdarstellungen erschlossen ist (cf. nur  Nis­bet: Lessing; Fick: Lessing-Handbuch ), wurde Lichtenberg eine eingehende religionstheoretische Erörterung erst durch Albrecht Beutel zuteil. Da­bei konnte kein anderer als Bonhoeffer schon sagen: »Daß intellektuelle Redlichkeit nicht das letzte Wort über die Dinge ist … hebt doch niemals mehr die innere Verpflichtung zum … sauberen Gebrauch der ratio auf. Hinter … Lichtenberg können wir nicht mehr zurück« ( Bonhoeffer: Ethik, 103f     ). 2 Cf. Dilthey: Studien; die Kant-Studien der Kant-Gesellschaft; Bäumler: Das Irratio­ nalitätsproblem, Aner: Die Theologie; Wundt: Die deutsche; die Leibniz-Akademieausgabe oder endlich Cassirers Philosophie der Auf­klärung. Speziell an Cassirers Studie zeigt sich eine symptomatische Problematik, da hier die Aufklärung mit großer Darstellungskunst wie ein Strom beschrieben ist, an dessen Quelle Leibniz steht und dessen Mündung durch die Philosophie Kants gebildet wird. Kritik wurde an dieser Teleologie-These geübt von Boas:

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Einleitung

und 70er Jahren zu verstärken. Spätestens seit dem Aufklärungsbuch von Panajotis Kondylis war die Aufklärungsforschung dann endgültig aus dem Schatten von Idealismus, Klassik, Neuhumanismus und Romantik herausgetreten. Dieses Buch, so Jörn Garber und Ulrich Kronauer in ihrer Vorbemerkung zur Ausgabe von 2002, »hat unsere Vorstellungen über die Aufklärung grundlegend geändert« ( 3). Kondylis nämlich hatte bei konsequenter Überschreitung nationaler Horizonte die verschiedenen Aspekte der Aufklärung in ihrem Wandel von der Orientierung am Descartesschen Dualismus zu einer immer stärkeren – gelegentlich sogar in einen Materialismus oder Sensualismus sich steigernden – Aufwertung der Sinnlichkeit dargestellt, um dabei auf jegliche Teleologie- oder Vereinheitlichungsthese zu verzichten. In den letzten Jahrzehnten ist das Bedürfnis der Forschung nach Darstellungen, die gleichsam Generalthesen des 18. Jahrhunderts anbieten, abgeklungen und einer Pluralisierung der Forschungsperspektiven gewichen. Nachdem 1969 die amerikanische und 1971 die britische Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts gegründet wurde, hat auch die Erforschung der deutschen Aufklärung – durch die Gründung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts im Jahre 1975 – einen Aufschwung erfahren.3 Heute existieren ganz unterschiedliche Themenfelder, die ihre Gemeinsamkeit darin haben, den Blick nicht durch vorschnelle Epochensystematisierungen zu verengen. So schaut man auch auf Mittel- und Osteuropa.4 Mit immer stärker erwachendem Interesse an der Frühaufklärung relativierte sich die Innovationsvalenz des Lockeschen Toleranzgedankens, den man ebenso bei Pufendorf angelegt finden konnte.5 Pufendorf und Thomasius, dessen Werk-Ausgabe unter den Händen des Herausgebers Werner Schneiders weiter anschwillt, können heute deutlicher als Übergangsgestalten vom Barock in die aufgeklärte Kultur des 18. Jahrhunderts ausgemacht werden. Dies hatte auch Konsequenzen für eines der vielleicht aufregendsten Forschungsgebiete zur Literatur und Philosophie im 18. Jahrhundert – die sogenannte Wende ins Anthropologische um die Jahrhundertmitte.6 Man konnte nämlich diese Wende, die man gemeinhin in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts beginnen zu lassen pflegt, nun schon zurückverfolgen bis an den Übergang vom 17. ins 18. Jahrhundert, als Thomasius die barocke FrömmigRezension, 246f und Dieckmann: An Interpretation; ders.: Themen, 4 ff. Der Kantische Kriti­ zismus wurde schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf seine Herausentwicklung aus der vorkritischen Philosophie untersucht bei Tonelli: Elementi u. Campo: La genesi. 3  In den Jahren zuvor hat sich die Erforschung der Aufklärung in Deutschland besonders durch die editorischen Großunternehmen, Wolffs und des Leibniz Werke zu veröffentlichen, her­vorgetan. 4  Reinalter [Hg.]: Gesellschaft. 5  Cf. hier nur Denzer: Moralphilosophie; Palladini  /  Hartung [Hg.]: Samuel. 6  Als zentrales Standardwerk gilt noch immer jener Sammelband (Schings [Hg.]: Der ganze), der anläßlich des Wolfenbütteler DFG-Symposions von 1992 erschienen ist.

Einleitung

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keitskultur in eine weitestgehend aufgeklärte Lebenswelt umzuformen begann. Diese Umformung machte sich zuerst bemerkbar in Leipzig und Jena, um später dann auch auf Halle, Berlin und Hamburg überzugreifen.7 Einen großen Aufschwung nahm auch die Sozietätsforschung – so etwa die Erkundung der Geheimbünde, wofür nicht zuletzt die berühmte Monographie Kosellecks (Kritik ) den Anstoß gegeben hat.8 Aber auch eher abgelegene Forschungsgegenstände finden Verhandlung, wie die vergessene und nicht leicht zugängliche Lyrik aus der Feder afrikanischer Autoren und Autorinnen, die im 18. Jahrhundert nach Europa und Amerika verschleppt worden sind.9 Die Bedeutung eines solchen Verzichtes auf schnelle Bewertungen, die dann beurteilen, welcher Gegenstand begründeten Anspruch darauf erheben könne, in den Blick forschenden Interesses zu treten, und wo sich ein solcher Blick vielleicht nicht lohnt, mag man an einem Beispiel ermessen. Das Verständnis für die Aufklärungsliteratur wurde vertieft und damit zugleich ein Gefühl dafür geweckt, wie diese Literatur zu rezipieren sei. Johann Christoph Gottsched etwa hatte das Schicksal, daß sich schon Lessing begann, über ihn erhaben zu fühlen, und er spätestens seit Goethes biographischen Erinnerungen nur noch dem beißenden Spott ausgeliefert war. Man höre, wie Hermann Hettner, der keineswegs die Leistungen des Leipziger Professors um eine gesamtdeutsche Nationalliteratur schmälert, urteilt: »Wie wäre Gottsched, dem alle dichterische Kraft fehlte, gerade dem Gipfel aller Dichtung, dem Drama, gewachsen gewesen ? Wie entsetzlich ist ›der sterbende Cato‹ … Die ›Correctheit‹, auf welche Gottsched drang, wurde ihm zu plattester Prosa«.10 Wenn Goethe in der durch Gottsched repräsentierten Literatur die Gefahr sah, durch moralistisch-belehrende Außenperspektiven dem Künstler sein eigentliches Handwerk zu verderben, so zeigt sich darin genau jene Sicht, die auch später immer neu die Bedeutung dieser Literatur zu verdunkeln vermochte. Gottsched nämlich als einen Künstler zu verstehen, dessen Kunstwerke in der Herausbildung einer Nationalliteratur unmittelbar darin stehen, mußte unweigerlich zu jenem berühmten Spott Lessings führen, dem man sich auch heute noch nur allzu gern anschließen mag. Verstehen aber kann man dieses Literaturphänomen erst, wenn man den Blick auf die literarischen Produktions- und Transfermechanismen lenkt und dabei zugleich jene Zentren untersucht, zwischen denen ein solcher Transfer stattgefunden. So 7  Grundlegend hierzu die Erforschung der kulturell-intellektuellen Zentren der Auf­k lä­­ rung: Hinske [Hg.]: Zentren; Ischreyt [Hg]: Zentren; Martens [Hg.]: Zentren; Boh­nen  / Jørgensen [Hg.]: Der dänische. 8  Reinalter [Hg.]: Aufklärungsgesellschaften; ders. [Hg.]: Aufklärung; ders. [Hg.]: Lexi­ kon. Das zuletzt aufgeführte Lexikon geht in 88 sozialgeschichtlich orientierten Artikeln über die bloße Sozietätsforschung hinaus, um unsere moderne Demokratie möglichst erschöp­fend auf ihre historischen Voraussetzungen hin zu beleuchten. 9  Debrunner: Weiße. 10  Hettner: Geschichte der deutschen Literatur, 363.

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Einleitung

ist es ebenso entscheidend, daß Gottsched in Leipzig als einem geistigen Ballungszentrum des Buchhandels, Musiklebens und der Gelehrtensozietäten gewirkt hat, um hier die Kenntnisse über das Aufklärungsdenken in Frankreich und England zu befördern, als man in ihm eine der zentralen Vermittlungsgestalten zu sehen hat zwischen Skandinavien und Osteuropa.11 Die breitangelegten Forschungen zum Pietismus endlich sind ebenfalls von interdisziplinärem Interesse, weil sie den Pietismus als eine Begleiterscheinung des Eklektizismus erkennen lassen, um dabei zugleich der Eklektizismusforschung wichtige Impulse zu geben.12 Das ist besonders bemerkenswert, weil dadurch die starre Entgegensetzung des Pietismus zur Orthodoxie überwunden wird, und man immer stärker studieren kann, daß sich Pietismus und Eklektik darin berühren, auf Distanz zu lehramtlichen oder dogmatischen Denkgewohnheiten zu gehen, ein Praxisbezug, der sich in der Neologie auf der Ebene einer Dogmentransformation wiederfindet.13 Hier leistet die Pietismusforschung am Interdisziplinä­ ren Zentrum für Pietismusforschung in Halle a. d. S. wichtige Arbeit.14 Unterliegt also die Aufklärungsforschung weitgehend einer Perspektivenspezialisierung, die unter Einbeziehung der Sozialgeschichte unternimmt, ›kleine Aufklärungen‹ in ihren unterschiedlichen Ausprägungen herauszustel­len, so erscheint es uns umso wichtiger, auf eine bedeutsame Ausnahme, die das große Aufklärungsbuch von Jonathan Israel macht, hinzuweisen, der – vor dem Hintergrund der Vorarbeiten von Paul Vernière (Spinoza), Margaret Jacob (The Radi­ cal Enlightenment), Ira Wade (The Clandestine Organization), Miguel Benítez (La face), Stefano Brogi (Il Cerchio), Vincenzo Ferrone (Scienza), Winfried Schröder (Spinoza; Ursprünge) und Rüdiger Otto (Studien) – in großer Gelehrsamkeit konsequent die These durchführt,15 daß sich in dem Spinozanischen Hinaus11  Cf. als grundlegenden Beitrag Rudersdorf [Hg.]: Johann. Cf. auch Mulsow: Freigeister. Am Beginn einer gerechteren Beurteilung Gottscheds steht Danzel: Gott­sched. 12  Den Standard stellt das Sammelwerk Brecht / Deppermann / Lehmann / Gäbler [Hg.]: Geschichte, dar. Cf. auch Jung: Pietismus; Wallmann: Der Pietismus. Die Eklek­ti­zis­mus­ forschung erhielt wichtige Impulse durch Albrecht: Eklektik. Eine Begriffsgeschichte. Cf. auch schon Schmidt-Biggemann: Topica. 13  Auf diese Transformation weist schon Dorner: Geschichte, 709, hin. 14  Sicher darf man sagen, daß die katholische Forschung von einer stärkeren Reserve gegenüber den Leistungen der Aufklärung geprägt ist, doch liegen auch hier Arbeiten durchaus vor. Cf. Klueting [Hg.]: Katholische; Kovács [Hg.]: Katholische. 15  Israel: Radical, 11f: »[T]he Radical Enlightenment, whether on an atheistic or deistic basis, rejected all compromise with the past and sought to sweep away existing structures entirely, rejecting the Creation as traditionally understood in Judaeo-Christian civilization, and the intervention of a providential God in human affairs, denying the possibility of miracles, and reward and punishment in an afterlife, scorning all forms of ecclesiastical authority, and refusing to accept that there is any God-ordained social hierarchy, concentration of privilege or land-ownership in noble hands, or religious sanction for monarchy. From its origins in the 1650s and 1660s the philosophical radicalism of the European Early Enlightenment characteristically combined immense reverence for science, and for mathematical logic, with some form

Einleitung

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treten über den Cartesianismus der Nukleus einer gegen Kirche und Monarchie gerichteten radikalen Aufklärung findet, der gegenüber das Denken des 18. Jahrhunderts ein Epiphänomen darstellt; so daß dann auch die bekannten Helden der Aufklärung kaum noch mehr als verspätete Redundanzen aufzubieten vermögen.16 Dieses Buch steht in der Forschungslandschaft einzig darin sowohl hinsichtlich seiner in die Extreme überzogenen Radikalität als auch im Blick auf die immense Belesenheit, mit der Israel seine These durchzubringen sucht. b) Die theologische Aufklärungsforschung im engeren Sinn war um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts durchaus ambivalent in ihrem Urteil. Konnte Kurt Dietrich Schmidt in seinem Grundriß der Kirchengeschichte (zuerst 1949) noch »bekennen, daß er zwar Gott auch hinter dieser Phase der Kirchengeschichte am Werke glaubt, aber nicht weiß, wozu sie ihm dienen sollte« (449),17 hat Emanuel Hirsch in seiner Geschichte der neuern evangelischen Theologie (1949) die Aufklärung zu Ehren gebracht und dem Prozeß der europäischen »Umformungskrise«18 eingeschrieben; wobei es ihm besonders darum geht, ein Dankes- und Problembewußtsein jenem Denken zu bewahren, das mit der Aufklärung emporgetreten ist.19 Und auch wenn Hirsch den Überschritt in die frühe Romantik und den Idealismus als einen der an praktischen Reformen ausgerichteten Aufklärung überlegenen Prozeß empfindet, betonte er doch die Kontinuität, in der dieser Aufbruch am Ende des 18. Jahrhunderts stand.20 In den 60er Jahren hat Klaus Scholder den Sondercharakter der deutschen Aufklärung im europäischen Kontext zu betonen versucht, die sich in eine dezidierte Distanz zur religionskritischen Aufklärung Frankreichs und der den Emanzipationsgedanken stark betonenden englischen Variante bringt. Die deutsche Aufklärung wird dabei verstanden als ein Begleitphänomen des Pietismus, das dann zwar in die philosophisch anspruchsvollere Neologie sich wandelte, dies aber erst of non-providential deism, if not outright materialism and atheism along with unmistakably republican, even democratic tendencies«. 16 »Nor, any more than Voltaire or the others, does Rousseau represent a basically new set of concepts and approaches« (l. c. 718). 17  Schmidts Urteil ist umso verwunderlicher, als Karl August Aner seine Theologie der Les­ sing­zeit schon 1929 veröffentlicht hatte. Dergleichen Urteil ist in seiner abweisenden Haltung dann kaum wiederholt worden, aber dennoch hat sich auch noch am Beginn der 90er Jahre der Eindruck, daß der Aufklärungsforschung im theologischen Binnenraum keinesfalls hinlängliche Aufmerksamkeit zuteil geworden sei, halten können. Cf. etwa Haustein: Wo Licht; Schultze: Evangelische, bes. 61. 18 E. Hirsch: Geschichte v 626. 19  L. c. 625  f. 20 E. Hirsch: Geschichte iv 207: »Wir empfinden das, was Herder und Goethe, Kant und Schiller, Fichte und die frühe Romantik unserm Geistesleben gebracht haben, mit Recht als einen Durchbruch durch die Nüchternheit der auf vorsichtige, praktische Reform gerichteten deutschen Aufklärung. Dieser Eindruck darf uns nicht verdunkeln, daß es sich dabei nicht um ein Abbrechen, sondern um ein Ausweiten und Vertiefen der seit langem im Gange befindlichen großen Erneuerung des Denkens und Lebens handelt«.

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unter dem Einfluß der gesamteuropäischen Aufklärung.21 Kanzenbach nimmt eine andere Perspektive ein,22 wenn er unter Rückgriff auf den jungen Wilhelm Dilthey eine Tiefenschau religiöser Phänomene,23 die nicht nur eine bestimmte Denkformation mit sich führen, sondern zugleich eminent existentiell gesättigt sind, vornehmen will.24 Trutz Rendtorff versucht dann, im Rahmen einer Bezugnahme auf Ernst Troeltsch25 und Johann Salomo Semler26 die Aufklärung christentumstheoretisch in Haft zu nehmen. Rendtorffs zentrale These besteht darin, die Selbstbezüglichkeitsmomente binnentheologischer Prinzipienreflexion auf ihre die Neu­zeit betreffende Interpretationskraft hin verstehen zu wollen, um dabei zugleich das theologische Selbstgespräch auf seine durch Politik und Gesellschaft der neuzeitlichen Welt beeinflußten Momente hin durchsichtig zu machen.27 Die Wiederentdeckung Schleiermachers in den 60er und 70er Jahren hat dazu geführt, daß die neologischen Aufklärer und ihre philosophischen Stichwortgeber vor der Ausstrahlung dieses Mannes nurmehr als Vorläufer zu gelten vermochten, die es gut gemeint hatten, denen aber durchweg die genialische Durchschlagkraft gefehlt hatte, Religion so auf den Begriff zu bringen, daß sie sich den Herausforderungen der modernen Welt gegenüber reflexiv zu behaupten vermochte. So urteilt Albrecht Beutel, daß die »Vernachlässigung jener Epoche [sc. der Aufklärung]« innerhalb der theologischen Forschung nicht zuletzt darin ihren Grund hätte, daß die neuprotestantisch-liberal orientierten Theologien »in der überragenden Gestalt F. Schleiermachers den geschichtlichen Ursprungsort ihrer Orientierungssysteme entdeckten und rekonstruierten«.28 21  Scholder: Grundzüge, 485: »Was die deutsche Aufklärungsphilosophie Originelles besaß, das entstammte weitgehend dem Erbe des Pietismus, der sich unter dem Einfluß westeuro­ päischer Strömungen zu Neologie wandelte«. 22  Kanzenbach: Protestantisches. 23  L. c. 13: »Wilhelm Dilthey hegte in seiner Jugend den umfassenden Plan einer Geschichte der ›christlichen Weltansicht‹; das ›Innerste des religiösen Lebens in der Historie‹ gelte es zu er­fassen … [D]ie Intuition Diltheys zählt noch heute zu den wesentlichsten Einsichten weltgeschichtlicher Betrachtungsweise«. 24  L. c. 14: »Wir müssen … zu erkunden suchen, wie im Zeitalter der Aufklärung das religiöse Leben in seiner tatsächlichen Realität ausgelebt worden ist. Wo … Glaubensforderungen und -inhalte geschildert werden, da geschieht dies nur insoweit, als es sich dabei nicht um lebensferne abstrakte Postulate dreht, sondern es sich fraglos um lebendige Wirklichkeit mit echtem existentiellen Bezug handelt«. 25  Troeltsch: Aufklärung, 225, hatte um die Jahrhundertwende programmatisch festgehalten: »Die Aufklärung ist Beginn und Grundlage der eigentlich modernen Periode der euro­ päischen Kultur und Geschichte im Gegensatz zu der bis dahin herrschenden kirchlich und theologisch bestimmten Kultur, gegen die sich bereits seit Ausgang des sog. Mittelalters lebhafte Gegenströmungen erhoben hatten, die sich aber seit Ausbruch der Kirchenspaltung mit verschärftem Nachdrucke wieder verfestigt hatte«. 26  Rendtorff: Kirche, 27ff. 27 Cf. Rendtorff: Theorie, aber auch Graf: Protestantische. 28  Beutel: Kirchengeschichte, 29. Cf. auch Nowak: Vernünftiges, 44 – 47.

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Dennoch blieb die verstärkte Hinwendung besonders auch zum frühen Schleiermacher, der als Student die Atmosphäre der Universität Halle in sich aufgenommen hatte, nicht ohne eine auch der Erforschung der Aufklärung günstige Wirkung.29 Unmittelbar vor der Wende zum 20. Jahrhundert erschien ein Forschungsbericht von Kurt Nowak ( Vernünftiges Christentum), der die Aufklärungsforschung innerhalb der evangelischen Theologie zusammenfaßte. Dieses Buch konnte Wirkung entfalten. Nur zwei Jahre nach dem Erscheinen von Nowaks Bericht institutionalisierte sich die theologische Forschung im von Volker Leppin, Udo Sträter und Albrecht Beutel veranstalteten Arbeitskreis ›Religion und Aufklärung‹. Sodann entstanden nicht zuletzt in einer Reaktion auf No­waks Vernünftiges Christentum Arbeiten zu Schlüsselfiguren und Institutionen der Aufklärung sowie zu kirchen-, konfessions-, traditions- und rezeptionsgeschichtlichen Forschungsproblemen.30 In den vergangenen Jahren sind wichtige theologische Untersuchungen vorgelegt worden. Speziell Albrecht Beutels Œuvre darf als eine kraftvolle Anregung gelten, die der theologischen Aufklärungsforschung maßgebliche Impulse gegeben hat und noch immer gibt.31 Nowak hatte in seinem oben erwähnten Bericht auch auf das Thema ›Judentum‹ Bezug genommen und dabei darauf hingewiesen, daß hier innerhalb der evangelischen Theologie noch erhebliche Desiderate auszumachen sind.32 Wir hoffen, mit den folgenden Überlegungen einen Beitrag dazu leisten zu können, hier Abhilfe zu schaffen. c) Was Moses Mendelssohn anbelangt, so hat sich ein interdisziplinärer Zugang angeboten, weil mit ihm ein Autor in den Mittelpunkt tritt, dessen Denken sich nicht im Horizont einer Disziplin erschließen läßt, da sich für ihn nahezu alle kulturwissenschaftlichen Themenfelder als einschlägig erweisen. Die Werkgruppen seines Œuvre breiten sich über so unterschiedliche Gebiete wie die Philosophie, die Religionsphilosophie, die Literaturkritik, die klassische Metaphysik, die Übersetzungstheorie und die Staatsphilosophie – um nur die wichtigsten zu nennen. Wir wollen hier auf einige Tendenzen hinweisen. Daß Mendelssohn als eine Ausnahmeerscheinung anzusprechen ist, erhellt anschaulich aus Gershom Scholems brennendem Einspruch gegen den ›Mythos des deutsch29 

Cf. etwa Herms: Herkunft u. Meckenstock: Deterministische. Beutel: Kirchengeschichte, 32f, wo sich auch wichtige Literatur in dieser Sache ver­ zeich­net findet. Cf. Schröter: Aufklärung ; R. Barth: Seele; U. Barth: Aufgeklärter u. Fritz: Vom Erhabenen. 31 Cf. Beutel: Kirchengeschichte, aber auch ders.: Jenseits; ders.: Halb; ders.: Aufklärer; ders.: Causa; ders.: Gebessert; ders.: Aufklärung und Pietismus; ders.: Johann; ders.: Spal­ ding; ders.: Herder; ders.: Philipp; ders.: Aufklärung des Geistes; ders.: Frömmigkeit; ders.: Eine Angelegenheit; ders.: Licht. Hinzu tritt die Aus­gabe der Spaldingschen Bestim­ mungsschrift (Beutel /  Kirschkowski /  Prause [Hg.]: Spal­ding ). Cf. zugleich auch Spehr: Auf­k lärung. Für einen Überblick hilfreich ist noch immer Gericke: The­o­logie, in Band iii 2 der ›Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen‹. 32  Nowak: Vernünftiges, 65 – 7 1. 30 So

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jüdischen Gespräches‹. Scholem betont, daß einem jüdisch-deutschen Gespräch schon das Ende beschieden war in dem Moment, da es das Licht des Tages erblickte. Was von den Juden immer wieder neu versucht wurde, fand keine Antwort, und wenn es denn einmal eine Antwort gegeben hat, so nur um den Preis der Verabschiedung jüdischer Identität. Das war gerichtet gegen Manfred Schlössers Behauptung einer »geistige[n] Gemeinsamkeit des deutschen Wesens mit dem jüdischen Wesen«.33 Man wird diese Worte Scholems auch heute noch mit großer Nachdenklichkeit hören. Doch für unseren Zusammenhang ist es interessant, daß Scholem von seinem harten Urteil ausdrücklich Moses Mendelssohn ausnimmt, um das Sterben deutsch-jüdischer Kulturgemeinsamkeiten erst bei dessen Nachfolgern beginnen zu lassen. Mendelssohn nämlich hätte »noch aus irgendeiner, wenn auch von den Begriffen der Aufklärung bestimmten, jüdischen Totalität her argumentiert[]«.34 Ein anderer jüdischer Gelehrter, Martin Buber, urteilt nicht so hart. So findet er in seinem Aufsatz Ende der deutschjüdischen Symbiose (1939) warme Worte für jene Zeit, als diese Symbiose noch aktiv war. Die deutsch-jüdische Kulturleistung stellt Buber der jüdisch-griechischen und jüdisch-spanischen gegenüber. Und während die erstere nur vereinzelte und dann auch nur philosophische Werke hervorbrachte, die letztere zwar von enormer Fruchtbarkeit gewesen sei, was aber auf die Nähe von arabischer und jüdischer Kultur, die geistige Verwandtschaft also zweier Völker, zurückzuführen sei, war der »jüdische Anteil an deutscher Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst ein bauender und bildender«.35 Es ist uns daran gelegen zu demonstrieren, in welch hohem Maße diese symbiotische Beziehung sich im Denken Mendelssohns aufzeigen läßt. Mit Recht hat Friedrich Niewöhner festgehalten: »Philosophen, die Aufklärer waren, gab es viele. Aufklärer, die Juden waren, auch die gab es. Doch einen deutschen Philosophen, der Aufklärer und Jude zugleich war, gab es nur einen: Mendelssohn«.36 Mendelssohns Lebenswerk ist einerseits von einem beeindruckenden Reichtum, wofür die Bewunderung noch wächst, wenn man bedenkt, daß dieser Mann im Hauptberuf als Seidenfabrikdirektor tätig war und dem philosophischen Geschäft nur in wenigen Mußestunden, die sein Brotberuf ihm ließ, nachzugehen vermochte. Zugleich ist es für ihn typisch, sich selten um Originalität bemüht zu haben. Stets hat er es sich zur Ehre angerechnet, fremde Lehre dort zu übernehmen, wo immer sie ihm als zutreffend dargestellt erschienen ist. Wir haben uns deshalb besonders darum bemüht, auch das spezifisch Eigene unseres Denkers herauszuarbeiten. Was einer der vielleicht besten Kenner unseres Philosophen, Michael Albrecht, in seiner Einleitung zur von ihm besorgten Ausgabe der Jerusalemschrift sagte, scheint uns bis 33 

Scholem: Wider den Mythos, 10. Etwas ausführlicher ders.: Noch einmal. Scholem: Wider den Mythos, 8. 35  Buber: Das Ende, 630. 36  Niewöhner: Mendelssohn, 119. 34 

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auf weiteres in Geltung zu bleiben: »Alexander Altmann ist der Riese, auf dessen Schultern die neuere Mendelssohn-Forschung steht, war es doch Altmanns Verdienst, hinter dem sympathischen, aber leichtgewichtigen ›Seichbeutel‹ Mendelssohn endlich den durchaus ernst zu nehmenden Denker von höchstem Niveau zu entdecken«.37 Altmann veröffentlichte 1973 seine Mendelssohnbiographie. Es handelt sich hier um eine der vielleicht wichtigsten Publikationen aus dem Bereich der ›Wissenschaft des Judentums‹ im 20. Jahrhundert, der wohl nur noch ebenbürtig die große Sabbatai-Zwi-Biographie Scholems (SabbataiZwi ) an der Seite steht, dem Altmann seine Biographie bei ihrem Erscheinen mit der Freude darüber, daß beide sich mit ähnlicher Hingabe einem Außenseiter der Forschung zugewandt hätten, zusandte.38 Nimmt man die Mendelssohnbiographie Dominique Bourels (Moses Mendelssohn) hinzu, die sich zentraler noch als Altmann, der sehr genau Mendelssohns Entwicklungsetappen innerhalb des Judentums nachgegangen ist, Mendelssohn als einem Protagonisten der Berliner Aufklärung zuwendet, und die zahlreichen sorgfältigen Studien Ale­xander Altmanns39 und Michael Albrechts,40 so wird man sagen dürfen, daß sich die Mendels­sohnforschung heute auf einem historisch gut bestellten Gelände bewegen kann.41 Gleichwohl läßt sich mit Blick auf die Mendelssohn-Lite­ ratur das Gefühl schwer unterdrücken, daß der verständliche Wille, Mendelssohn in seinem ganzen Reichtum dem Vergessen zu entreißen, zuweilen durch einen Mangel an systematischer Textrekonstruktion erkauft wird, die sich über das historisch ambitionierte Referieren der Mendelssohnschen Signaltexte hinauszubewegen hätte. Zu dieser Einschätzung kommt auch die Mendelssohnforschung neueren Datums.42 Es gibt Ausnahmen. Carola Hilfrich 43 ( Lebendige 37 

Albrecht [Hg.]: Moses Mendelssohn: Jerusalem, xxxviii. Scholem schreibt in einem Dankesbrief (19. 11. 1973) an Altmann über dessen Mendels­ sohn­biographie: »Es scheint mir ein bewunderungswürdiges Stück Arbeit … und wird zweifel­ los grosse Wirkung ausüben … Jedenfalls sind wir beide mit unseren grossen Biographien sozusagen komplementäre Gesellen in der jüdischen Historiographie geworden … Für nachdenkliche Geister werden unsere beiden biographischen Gemälde merkwürdigen Stoff zu Betrachtungen bieten« (Scholem: Briefe, 87 ). 39  Hervorzuheben ist besonders Altmanns Aufsatzband Trostvolle Aufklärung. 40 Eine Übersicht bietet Albrechts Ausstellungskatalog  Moses Mendelssohn. 1729 – 1786. Das Lebenswerk . Cf. auch den sehr kurzen Überblick bei H. Simon: Moses. 41  Und damit sind allein die prominentesten Beiträger und Beiträgerinnen, denen man noch Eva J. Engel hinzufügen muß, benannt. Allein die zwischen 1965 und 1980 erschienene Mendelssohnliteratur in kurzen Überblicksreferaten zu präsentieren, benötigt Albrecht: Mo­ses Mendelssohn. Ein Forschungsbericht, gut 100 Seiten, wobei er darauf hinweist, keinesfalls Vollständigkeit angestrebt zu haben. 42  So schreibt Grit Schorch: Moses, 6: »Selbst der unglaubliche Umfang der am Detail ausgerichteten und auf der Sichtung je neuen Archivmaterials beruhenden Untersuchungen Altmanns und Bourels kann das Fehlen eines theoretischen Ansatzes für die Interpretation des Gesamtwerkes [sc. Mendelssohns] nicht verdecken«. 43  Cf. auch Hilfrich: Making, bes. 282 – 292. 38 

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Schrift) etwa präsentiert unter einer partiell an den Paradigmata von Semiotik und Derridasscher Grammatologie orientierten, aber dennoch im Zugriff eigenständigen Perspektive Mendelssohn als hierarchie- und gewaltdiskurskritischen Zeichenlogiker, dessen disparate Produktionen gerade in ihrer fragilen Fragmentarität interkulturelle Subtexte hervorbringen, die das Eigene im Fremden aufscheinen machen und damit die jüdische Krise von Repräsentation und Bedeutung nicht einfach nur beklagen und hinnehmen, sondern dialektisch transformieren.44 Man muß dieser Lesart nicht zustimmen, um in Hilfrichs Buch einen geistvollen und zugleich scharfsinnigen Beitrag der neueren Mendelssohnforschung zu bewundern. Hinzu tritt, daß bei Hilfrich auch die hebräischen Texte Mendelssohns Berücksichtigung finden,45 ein Desiderat, auf das schon David Sorkin um die Jahrtausendwende programmatisch hingewiesen. Sorkin selbst hatte Mendelssohn in seiner maßgeblichen Untersuchung eingeordnet in die andalusische Philosophietradition des jüdischen Mittelalters.46 Anne Pollok (Facetten) hat eine Studie vorgelegt, die sich der Anthropologie Mendelssohns zuwendet. Der »Betrachtung der Geburtsstunde der Anthropologie« wünscht Pollok »eine interessante – in Hinblick einer Diskussion über menschliche Kultur und Bildung vielleicht sogar fruchtbare – Facette hinzuzufügen« (28). Und es gelingt der Arbeit, nicht nur Mendelssohns Anthropologie eine Darstellung zuteil werden zu lassen, sondern auch die Debatte über ›Kultur und Bildung‹ voranzutreiben. Zugleich gibt das Buch eine gründliche Einführung in Mendelssohns Denken. Dabei kann es allerdings als problematisch erscheinen, daß Pollok eine Perspektive auf Mendelssohn einnimmt, die durch Kant geprägt wirkt,47 wenn sie etwa sagt, daß Mendelssohn »den Weg zu einem 44  So kann es Hilfrich gelingen, Green’s: Moses, Vorbehalte gleichsam als eine innersyste­ matische Pointe Mendelssohnscher Werkproduktion zu interpretieren. Bei Green nämlich heißt es: »However, if what we have reconstructed about Mendelssohn is correct – that he envi­ sioned, and even planned for, a kind of enlightened Jewish denomination – we must finally ask why he would have maintained such a seemingly complete silence concerning these matters, or why he never addressed them directly ? Would it not have been wiser to state his case clearly and distinctly in order to avoid misapprehensions by both sides ?« (53). 45  Sorkin: The Mendelssohn, 7: »For the past century and a half the scholarly interpretation of Moses Mendelssohn has been locked into a mythopoeic method of Germanification. Ever since the 1843 – 45 edition of his works, Mendelssohn has been presented by scholars primarily, if not exclusively, as a German thinker, that is, a prominent figure of the Berlin Auf­ klärung and the preeminent Jewish intellectual of his day who wrote in German. That he also wrote in Hebrew has always been acknowledged, yet scholars have consistently ignored or marginalized those works by failing to take account of their contents. This practice has been fla­grant, albeit excusable among those scholars who wrote about Mendelssohn the ›Aufklärer‹, for they assumed that knowledge of his Hebrew works was irrelevant«. 46 Cf. Sorkin: Moses, xxii f, und dann wieder ders.: The Religious, 168. 47  Die Kritik von Schorch: Moses, 11, daß sich Pollok damit die »kreative Auswertung ihrer sorgfältig ausgeführten Einzelanalysen [verbaut]«, halten wir mithin für überzogen, da Pol­lok diese Lesart ja nicht dem Mendelssohnschen Œuvre am Ende platt appliziert, sondern

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befriedigenden Vernunftbegriff … nicht zu Ende gegangen [ist]« und dies auch in seiner »strikt ontologischen Lesart der zugrundeliegenden Prinzipien [nicht] konnte« (583). Wir wählen eine andere Perspektive, indem wir zuzusehen versuchen, ob es nicht diese ›ontologische Lesart‹ ist, die der Subjekt- oder Transzendentalphilosophie ein bleibender Stachel im Fleisch bleiben muß, den sie aus eigenen Kräften sich nicht zu ziehen vermag. Einen weiteren Versuch hat Grit Schorch unternommen, die ebenfalls hebräische Textkorpora in ihre Untersuchung einbezieht. In sechs Kapiteln, die aufeinander bezogen sind, aber auch als Einzelstudien gelesen werden können, wendet sich Schorch dem Zweisprachen-Problem in Mendelssohns Werk zu, wobei sie sich speziell auf Kohelet Musar (1755/58) und Or la-Netiva (1782) bezieht. Dabei bilden dann im Verlauf der Studie zeichen- und sprachtheoretische Fragestellungen das Zentrum, und es findet das Problem des Verhältnisses von Universal- und Partikularsprache ebenso Verhandlung wie die über den Bereich der Mendelssohnforschung hinausreichende Frage nach einer möglichen Koexistenz von religiöser Sprachform und Logik. Das Buch schließt mit einer Gegenüberstellung von Mendelssohns Jerusalem und dem politischen Nominalismus Hobbes’, um dann gegen die durch Hamann in Golgatha und Scheblimini (1784) unternommene Kritik an der Jerusalemschrift Mendelssohns Zeichentheorie als »skeptische[] Sprachpolitik« mit einem dezidiert »aufklärungskritischen Potential, das – aus minoritärer Perspektive entwickelt – Aufklärung nicht verwirft, sondern auf der Grundlage der Anerkennung ihrer Grenzen verteidigt«, überzeugend in Stellung zu bringen (16). Die große Leistung dieser Untersuchung ist denn auch darin zu erblicken, nicht nur den hebräischen Schriften Mendelssohns eine systematische Rekonstruktion angedeihen zu lassen, sondern einmal mehr die hohe politische Valenz eines Denkens präsentiert zu haben, dessen Begrifflichkeit sich auf die Probe gestellt sah und darin dann nachgerade zu einem sprachlichen Offenheits- und Flexibilitätsprimat finden konnte. Wie schon durch Christoph Schulte48 ist damit auch durch Grit Schorch Mendelssohns politische Bedeutung – nicht im geringsten auch für die heutige philosophische und politische Diskurslandschaft – ins Gespräch gebracht. d) Unsere Untersuchung setzt sich ein anderes Ziel, indem sie sich Mendelssohns Religionsphilosophie innerhalb der Aufklärung zuwendet und vor dem Hintergrund eines aufgeklärten Theologietyps entfaltet. Wir haben Wert darauf gelegt, der Multiperspektivität von Mendelssohns Schriften Rechnung zu tragen und dort, wo es nötig war, jene Theoriehintergründe zu rekonstruieren, aus denen Mendelssohn schöpfte; um dann zu zeigen, in welcher Weise er sich dieses be­gründend zu ihrem Ergebnis kommt, mit dem sie dann auch durchaus – man denke an Cassirer – in einer ehrenvollen Tradition steht. 48 Cf. Schulte: Was heißt, bes. 228, wo auf die bildungs- und kulturpolitische Dig­nität von Ueber die Frage: was heißt aufklären (1784) hingewiesen wird. Cf. auch schon Behm: Mo­ ses, 251ff.

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Denken zu eigen gemacht hat. Darum war es notwendig, aus dem Werke Mendelssohns eine Auswahl zu treffen, um dann den Versuch zu unternehmen, die argumentative Stärke des Mendelssohnschen Denkens herauszuarbeiten. Allüberall begegnet uns im 18. Jahrhundert eine unvoreingenommene Breite des Forschungshorizonts. Dies mag man schon daran ermessen, daß große Historiker wie Ludwig Schlözer und Johann Christoph Gatterer noch ganz selbstverständlich sich um die Darstellung auch jener über das klassische Altertum und nachantike Europa, auf die dann Leopold von Ranke im 19. Jahrhundert seine Weltgeschichte (1881 –  88) konzentrierte, hinausliegenden historischen Räume, wie etwa Asien, bemühten.49 Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß sich in religionsphilosophischer Hinsicht Rationalisierungs- und Selbstreflexionsprozesse hier über konfessionelle Grenzen hinwegzusetzen vermochten, um sich einem höchst integrationsfähigen Religionsbegriff zu öffnen. Dies zu zeigen und damit zugleich einzuführen in die Theologie der Aufklärung, haben wir Mendelssohn einen Theologen vorangestellt, der repräsentativ für das theologische Aufklärungsjahrhundert ist: Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. Er eignet sich gut, die Epoche nach ihrem religionstheoretischen Profil einzuleiten. Wir stellen dann Mendelssohns Ästhetik vor und folgen dem Gedankengang seiner ästhetiktheoretischen Hauptschrift, den Briefen über die Empfindungen, die an ihrem Schluß auf den Tragödiendiskurs führen. Dabei lesen wir die Mendelssohnsche Empfindungstheorie unter einer religions- und vollkommenheitstheoretischen Perspektive. Die Heterogenität der Mendelssohnschen Ästhetik zu präsentieren, liegt nicht im Interesse unserer Studie.50 Friedrich Schiller hatte in seinem Briefwechsel mit Christian Gottfried Körner eine Einteilung der ästhetischen Theorieangebote gegeben, um seine eigene Auffassung vom Schönen davon abzugrenzen. Innerhalb dieser Einteilung läßt er Mendelssohn im Verein mit Baumgarten bei den ›Vollkommenheitsmännern‹ Position beziehen.51 Wir wollen Schillers Einschätzung nicht nur zustimmen, sondern der Frage nachgehen, ob es nicht die ästhetische Vollkommenheitstheorie sei, mit der Mendelssohn einen wichtigen Beitrag geleistet hat, der – stärker noch als seine Wendung ins Psychologische – von bleibendem Wert ist. Daß sich Mendelssohn als ein junger Mann der Ästhetik zuwendet und damit an einem zentralen Gespräch der Berliner Aufklärung teilnimmt, ist historisch bedeutsam. Die Haskala hat nämlich dadurch, daß sie in den religiösen Diskurs das ›Schöne‹ einführte, zu49 

Darauf weist Osterhammel: Die Entzauberung, 20 f, hin. Pollok ist zuzustimmen, wenn sie mitteilt: »Eine einheitliche Position wird sich … kaum finden; charakteristisch ist … ein Reichtum an … Aspekten, die Mendelssohn … aus unterschiedlichen Blickwinkeln zum Gegenstand der Analyse machte« (Äs xiv). 51  Brief v. 25. Jan. 1793; Schiller: Kallias, 5 f: »Entweder man erklärt es [sc. das Schöne] objektiv oder subjektiv; und zwar entweder sinnlich-subjektiv (wie Burke u. a.), oder subjektiv-rational (wie Kant ), oder rational-objektiv (wie Baumgarten, Mendelssohn und die ganze Schar der Vollkommenheitsmänner )«. 50  Anne

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gleich ihre Bereitschaft erklärt, teilzunehmen an jenem Prozeß, innerhalb dessen sich der ›ganze Mensch‹ im Gewande des aufkeimenden Bürgertums seiner selbst besann, um in der Kunst eine Interpretationsinstanz zu finden, die der Bewahrung humaner Ganzheitsperspektiven bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung der Gesellschaft in funktionale Zuständigkeiten entgegenzukommen vermochte.52 Empfindungstheorie und Trauerspieldiskurs empfehlen sich dabei in der Frühzeit Mendelssohns als bevorzugte Interpretationsangebote, den Intensivierungsmomenten des Lebens auf den Grund zu kommen. Im dann folgenden Hauptteil wird ein weiteres Zentralthema der Aufklärungszeit in den Mittelpunkt treten: das Glück. Dabei gehen wir zuerst auf jene Glückskonzeptionen ein, die in einem besonders hohen Maße eingeflossen sind in Mendelssohns Glückstheorie. Die Beziehungen sind interessant: Nachdem Johann Joachim Spalding in seiner Bestimmung des Menschen (1748) das Thema behandelte, entspann sich ein Streit zwischen Mendelssohn und Thomas Abbt um diese Schrift Spaldings. Während nämlich Abbt Spaldings Entwurf einer Kritik unterzog, die durchaus moderne Züge an sich trägt, hat Mendelssohn sich ohne jede Einschränkung an die Seite Spaldings gestellt. Dieser Streit lief dann auf Mendelssohns Phaidon hinaus. Diese Schrift sollte Mendelssohns Ruhm überall in Europa begründen, später dann aber nurmehr noch als ein liebevoller Versuch des jüdischen Aufklärers aufgefaßt werden, es dem Platonischen Genie gleichtun zu wollen, um dabei umso schmerzlicher zu scheitern. Mendelssohn unternimmt hier, und darin liegt sicherlich eine wichtige Initialzündung für die spätere Häme, Platon nicht einfach zu interpretieren oder einfühlsam zu adaptieren, sondern zu verbessern. Und er wußte sich dazu in der Lage, weil er mit der Aufklärungsphilosophie die für so ein Unternehmen erforderlichen Mittel in der Hand zu halten glaubte. Dadurch ist ein eigenwilliges Buch entstanden, das die Interpretation vor eine schwierige Aufgabe stellt, da sich Platons Gedankengänge mit denen Mendelssohns gleichsam zu vermischen scheinen, ohne daß immer sofort klar wird, wo sich Mendelssohn absetzt von seinem literarischen Vorbild. Hinzu kommt, daß Mendelssohn nicht einfach eine eigene Unsterblichkeitsphilosophie bietet, die den Dialog Platons sich nur als Anregung und Vorbild zur Hand genommen hätte, sondern über weite Strecken aus dem Griechischen übersetzt. Es war darum geboten, nicht nur die Unsterblichkeitsbeweise zu rekonstruieren, sondern zugleich den Intentionen unseres Philosophen nachzugehen auch dort, wo sich der Unterschied Platon gegenüber nicht so eindeutig festmachen läßt wie in den Beweisen. Der Streit zwischen Mendelssohn und Lavater gehört zu den bekanntesten Episoden aus Mendelssohns Leben. Ohne Not hatte Lavater Mendelssohn ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt, auf daß er hier seinen Verbleib im Judentum rechtfertigen möge. Das gelehrte Europa hat sich zu diesem 52 

Cf. hierzu Lauer: Die Rückseite, 339 – 351.

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Ansinnen Lavaters geäußert. Wir nehmen auf den Streit Bezug unter der Fragestellung, wo die Grenzen eines Religionsgespräches oder interreligiösen Dialogs liegen, und ob diese Grenzen vielleicht etwas auszusagen vermögen über Fragen, die in die Tiefe religiöser Überzeugungen reichen. Es folgt die Jerusalemschrift, jenes Werk, das als das bedeutendste aus der Feder Mendelssohns wird angesehen werden können. Er hat sich hier der Staatsphilosophie und dem Verhältnis von Staat und Kirche zugewandt. Die Interessen Mendelssohns an staatsphilosophischen Fragen gehen weit zurück. Schon 1762 sagt er,53 daß es sehr zu wünschen wäre, ein Werk zu haben, das die Stärken der Wolff und Montesquieu in ein synthetisches Verhältnis zu setzen verstünde. Mendelssohn präsentiert seine Staatstheorie, indem er sich der Naturrechtslehre zuwendet, die er in einer Kontinuität zu Grotius, Pufendorf, Leibniz und Wolff entfaltet. Die historischen Bezüge dieses auf Mendelssohn führenden Naturrechtsdiskurses sind durch Alexander Altmann aufgearbeitet und miteinander in Beziehung gesetzt worden.54 Unser Fragen ist weniger historisch als systematisch, wobei wir Mendelssohns Argumentationslogik besondere Beachtung schenken. In der konkreten Religionsphilosophie wird sich zeigen, in welch hohem Maße Mendelssohn sein Verständnis von Toleranz zeichentheoretisch vertieft hat. Darauf behandeln wir die Theorie vom Zeremonialgesetz. Der Weltweise gibt hier eine späte Rechtfertigung seines Verbleibens in der jüdischen Religion. Es stellt sich heraus, daß Mendelssohn hier zu einer Religionskonzeption findet, die heute noch ebenso lehrreich und beispielgebend sein kann, wie sie es weiland war. Sodann gehen wir auf das Thema Religion und Politik ein, um uns der Wirkungsgeschichte Mendelssohns zuzuwenden. Ist dessen Eintreten in den europäischen Kulturraum als jene Kultursymbiose zu feiern, wie es durch die großen Mendelssohnbiographen in der Nachfolge von Meir Kayserling inauguriert wird, oder liegt in dieser kultursymbiotischen Leistung nicht vielleicht eine tief in das Wesen der Religion greifende Problematik, die zu bedenken noch viel geduldige Anstrengung wird notwendig machen? In den Morgenstunden haben wir das metaphysische Vermächtnis Mendelssohns vor uns. Nach einem Hinweis auf den Pantheismusstreit interpretieren wir Mendelssohns Ontologie als Voraussetzungsgestalt nicht nur der Transzendentalphilosophie, sondern auch der an Metaphern orientierten Rede von Gott. e) Endlich ein Wort zu den Quellenausgaben: Die umfänglichste Sammlung Mendelssohnscher Schriften liegt in der Jubiläumsausgabe vor.55 Dieses forschungsgeschichtliche Großprojekt nahm seinen Anfang im Jahr 1925, als 53  Gs iv 2, 361: »Ein Werk, das den gründlichen Tiefsinn eines Wolf mit dem scharfsinnigen Beobachtungsgeist eines Montesquieu verbände, wäre … das vollkommenste Meisterstück der menschlichen Vernunft; vielleicht ein Ideal, das die menschlichen Kräfte übersteigt, dem sich aber die größten Genies unsrer Zeit so viel als möglich zu nähern suchen sollten«. 54  Altmann: Moses Mendelssohn über Naturrecht, 169–181. 55  Zur Entstehungsgeschichte der Jubiläumsausgabe cf. Engel: Die Gesammelten, 43 f.

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die Akademie für die Wissenschaft des Judentums und die Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums eine Sammlung aller verfügbaren Schriften Moses Mendelssohns zu planen begann. Ein dazu 1929 gegründeter Ehrenausschuß zählte 31 namhafte Persönlichkeiten und verwies, neben der Unterstützung der Nachkommen und des Bankhauses Mendelssohn & Co., auf die Beteiligung seitens englischer, niederländischer und deutscher Philanthropen. Ihm gehörten Gelehrte wie Ernst Cassirer, Adolf von Harnack, Kurt Hensel, Paul Hensel, Lucien Lévy-Brühl, Henri Lichtenberger, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Claude G. Montefiore und Eduard Spranger an. Die Kommentare der von 1929–1938 erschienenen ersten sieben Bände der Jubiläumsausgabe repräsentieren zwar häufig nicht mehr den neuesten Forschungsstand, sind aber meistens dennoch Kostbarkeiten, da sie von Großmeistern auf dem Gebiet der Philosophie, Philosophiegeschichte und Hebraistik wie Fritz Bamberger, Haim Borodianski, Simon Rawidowicz, Bruno Strauss und Leo Strauss verfaßt wurden. Gleichwohl dürfte diese heute mehr als 30 lieferbare Bände zählende kostspielige Ausgabe, deren Kommentare, Textvarianten und textkritische Apparate ein unerläßliches Hilfsmittel darstellen, in den Händen nur weniger sein, so daß wir – wenn immer es möglich war – Ausgaben zitiert haben, die verläßlich und zugleich leicht zugänglich sind. Eine gute Alternative stellt hier die zwischen 1843 – 1845 erschienene Brockhaus-Ausgabe dar. Sie verdankt ihr Entstehen der Ini­tiative des Enkels unseres Philosophen Felix Mendelssohn-Bartholdy, der sich an Moses Mendelssohns ältesten Sohn Joseph wandte, von dem dann alles weitere veranlaßt wurde. Gleichwohl ist auf drei Schwächen dieser Ausgabe hinzuweisen. Einmal pflegt sie die Fundorte des in ihr überlieferten handschriftlichen Materials nicht mit anzugeben; dann enthält sie, bis auf wenige kurze Hinweise in den Anmerkungen zum Haupttext, keine Kommentare; und endlich ist ihre Orthographie nahezu vollständig an die Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts angepaßt worden. Doch werden diese Schwächen in hohem Maße ausgeglichen durch reichlich gebotene Texte Mendelssohns und Briefe, die zwischen ihm und seinen Zeitgenossen gewechselt wurden. Darüber hinaus spricht die sehr gute Verfügbarkeit dieser Ausgabe dafür, sie, wo immer ihr Text verläßlich ist, zu zitieren. Ebenfalls gut verfügbare und verläßliche Auswahl-Ausgaben bieten Martina Thom,56 Anne Pollok,57 deren Ausgabe der Ästhetischen Schriften Mendelssohns die bis dahin gebräuchliche Edition von Otto F. Best58 abgelöst hat, und Wolfgang Vogt.59 Die Jerusalemschrift zitieren wir nach der Ausgabe von David Martyn.60 56 

Thom [Hg.]: Moses. Pollok [Hg.]: Moses. 58  Best [Hg.]: Moses. 59  Vogt [Hg.]: Moses. 60  Martyn [Hg.]: Moses. 57 

A. Die Signatur aufgeklärter Religion (J. F. W. Jerusalem) Wir schreiben das Jahr 1670, als Baruch Spinoza der Theologie des 18. Jahrhun­ derts einen ihrer maßgebenden Zentralbegriffe vorgab. In seinem Tractatus theologico-politicus, der immerhin so mit exegetischen Brennelementen angefüllt war, daß sein Verfasser ihn nicht nur anonym erscheinen läßt, sondern auch den Veröffentlichungsort, Amsterdam, verschleiert und nach Hamburg ver­legt, schreibt der 14 Jahre zuvor durch die jüdische Gemeinde mit einem Bann Belegte, »daß das offenbarte Wort Gottes … in dem einfachen Begriff des göttlichen Geistes (conceptum simplicem mentis divinae)« besteht.1 Das die neologische Literatur so nachhaltig prägende Signalwort der Simplizität war geboren. Und nur wenige Zeilen später heißt es: »Auch zeige ich, daß die Lehre der Schrift sich nach der Fassungskraft und den Anschauungen derer richtet, denen die Propheten und Apostel das Wort Gottes zu predigen pflegten, und zwar aus dem Grunde, damit die Menschen es ohne Widerstreben und mit ganzem Herzen annehmen möchten«.2 Mit diesem Wort hatte Spinoza dann auch dem kommenden Jahrhundert die hermeneutische Regel vorgegeben, nach der fürderhin die Simplizität der Schrift ausgelegt werden sollte.3 Und in fruchtbarer Weise machten die Theologen neologischer Prägung nicht nur Gebrauch von Spinozas Vorgaben, sondern empfanden sie zugleich als anschlußfähig für weitere Reformprojekte aufgeklärter Religion. War die Deutungshoheit orthodoxer Führungseliten über den tradierten Sinnschatz der Religion einmal in Frage gestellt und die Gotteswissenschaft gedanklich so organisiert, daß sie auch jenseits religiöser Institutionalisierung eingesehen werden konnte, ergaben sich die neologischen Denkfiguren von allein: die Individualisierung des Empfindungslebens, die Wiederentdeckung Gottes in der Natur, eine aus dem frommen Herzen heilsam quellende Beruhigung der Seelen, das 1 

Ttp 18 f (Hhg. v. Vf.). Ttp 19. Spinozas Traktat mußte sich der Aufgabe stellen, nicht nur eine Vernunftgemäßheit der Bibel darzutun, was nämlich dann nicht ins Ziel träfe, wenn die Vernunft selbst unter Generalverdacht gestellt würde, sondern zu zeigen, daß die Bibel Aussagen enthält, die auch mit der natürlichen Vernunft herausgebracht werden können (so Kreimendahl: Frei­heits­ gesetz, 6 f     ). Daß dabei das jedem Menschen unmittelbar zugängliche Gefühl für die Pflicht eine hervorragende Rolle spielt, liegt auf der Hand, und so wurde in der »Zuordnung des Of­ fen­barungsglaubens zu einer Gemütsverfassung« (Krämer: Aberglaube, 387), die der Pflicht zu entsprechen vermag, die bedeutende Leistung des Traktats gesehen. 3  Die große Bedeutung Spinozas liegt nicht so sehr im Innovativen, sondern vielmehr, so Na­dler: Spinoza, 275 f, in der Intensität, mit der er seine Schriftkritik durchführt. 2 

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Erhabene als poetische Balance zwischen Fremdheit und empfindsamer Eigentlichkeit, der Geschmack als eine ästhetische Treffsicherheit, die auch dem Urteil der Laien nicht abzusprechen ist und endlich das Genie, das Gottesnähe sich ereignen läßt, indem es in der Gestalt des begnadeten Künstlers Gott nahekommt.4

1. Der Prediger Der den Neologen gegenüber freundschaftlich gesinnte Matthias Claudius läßt 1779 in Schweifreimen den Mond als ganzen nur halb aufgehen über dem schwei­genden Schwarz-Weiß des nebelnden Waldes, um darin den Menschen in einer aller Gegensätzlichkeit mächtigen Welt das Vertrauen in jene Gegenwart Gottes zu geben, deren Vorläufigkeit im Sichtbaren kompensiert wird durch ›einfältige‹ Aneignung in gottinniger Empfindsamkeit – »Du unser Herr und unser Gott«.5 Fast zeitgleich vernimmt ein begeistertes Lesepublikum auf der Leipziger Buchmesse (1774) den zwischen Lotte und Werther andächtig ausgesprochenen Namen Klopstocks, der in seiner Frühlingsfeier (1759/71) angesichtig wirbelnder Winde, sich beugender Wälder und hebender Ströme ausrief: »Sichtbar, wie du es Sterblichen seyn kannst, / Ja, Das bist du, sichtbar, Unendlicher !«.6 Dem bewegungsreichen Gottkünden der Natur entsprach die ruhige Innerlichkeit frommer Individualität, ein Erbe, das der Erzbischof von Canterbury John Tillotson an die Neologie gegeben,7 die es dann in ihren Schriften zu einer zentralen Bedeutung emporgehoben hat. 4  Schon dieser Hinweis auf zentrale Denkfiguren der Aufklärung läßt Luhmanns These, eine »Abklärung der Aufklärung« müsse »auf ein Reflexivwerden des Aufklärens« zulaufen, um damit in einer Soziologie die »Distanz der Aufklärung zu sich selbst« ins Werk zu set­zen (Soziologische Aufklärung, 53 ), als problematisch erscheinen, da diese Selbstdistanz der Aufklärung ohnehin innewohnt. Von dieser Schwierigkeit war auch schon die berühmte Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno: Dialektik) betroffen. Das nämlich, was sich die Gestalt einer Metaperspektive gibt, ist eher ein strategisches Absehen von der Komplexität des 18. Jahrhunderts. Darnton: George, hat die geläufigen aufklärungs­k ri­tischen Klischees (Universalitätsanspruch, als Rationalität höherer Stufe getarnter Kultur­im­perialismus, moralische Indifferenz, naiver Vernunftoptimismus, Vorreiter des Terrors der Fran­zö­sischen Revolution) auf ihren Argu­men­tationswert hin geprüft und entkräftet. 5  Claudius: Werke, 58. 6  Klopstock: Sämmtliche Werke, 119. Ihre Keimzelle hat diese Verherrlichung der Natur als Gottesvergegenwärtigung in Shaftesburys Naturhymnus (Shaftesbury: Die Moralisten; Schrad iii 1 , 146 f  ). Kaum einer aus den Reihen der deutschen Denker im 18. Jahrhundert, der nicht irgendwie von Shaftesbury beeinflußt war ! Neologischem Denken bildete sich der Graf besonders durch die Vermittlung Johann Joachim Spaldings ein, der nicht nur dessen Moralists und Inquiry concerning Virtue 1745 und 1747 übertragen hat, sondern auch in seiner einflußreichen Bestimmung des Menschen (zuerst 1748) Shaftesbury ein Denkmal setzte. 7  Cf. etwa Tillotson: Auserlesene, 186, 321, 405 u. 417.

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Durch die Empfindung scheinen alle diese Tendenzen wie in einer Anamorphose sichtbar zu werden. Christian Fürchtegott Gellert vermochte eine unmittelbare Linie von den Empfindungen des Herzens zu den Urteilen des frommen Subjektes über die letzten Fragen sittlichen Handelns zu ziehen,8 und Johann Lo­renz Mosheim hauchte dieser Verbindung von Herz und Verstand in seinen Predigten so lebensvollen Ausdruck ein, daß das Auditorium in kaum noch zu bändigende Entzückung zu geraten pflegte und ein massiver Militäreinsatz notwendig wurde, um die Ruhe und Ordnung in den Gotteshäusern wiederherzustellen.9 Johann Adolf Schlegel widmete diesem Meister des Kanzelwortes ein langes Lobgedicht (1745 /88), dem man anzumerken vermag, wie nachhaltig sich die neologische Gleichung von Verstand und Gefühl dem dichtenden Geistlichen ins Herz gebrannt hat.10 So sehr Mosheims Predigtstil außergewöhnlich war und von dem Genie dieses Gelehrten zeugte, zeigte sich darin doch auch die Epochensignatur eines neuen Predigertypus, der die empfindsame Individualisierung auf der Kanzel programmatisch umzusetzen pflegte. Karl Philipp Moritz hat mit seinem berühmten Portrait des Braunschweiger Pastors Johann Ludwig Paulmann (Pastor P…) diesen empfindsam aufgeladenen individualisierten Predigtstil, der Schönheit und Natürlichkeit mit dem fortreißenden Strom empfindsamer Intensität zu verbinden wußte, auf den Punkt gebracht: »Alles war an ihm in Bewegung; sein Ausdruck durch Minen, Stellung und Gebehrden überschritt alle Regeln der Kunst, und war doch natürlich, schön, und unwiderstehlich mit sich fortreißend. Da war kein Aufenthalt in dem mächtigen Erguß seiner Empfindungen und Gedanken; das künftige Wort war immer schon im Begriff hervorzubrechen; ehe das vorhergehende noch völlig ausgesprochen war; wie eine Welle die andere in der strömenden Fluth verschlingt«.11 Das Empfindungsparadigma war in einem so starken Maße für das religiöse Bewußtsein prägend, daß man nicht einmal reflexionslogische Modifizierungen an dieser Denkfigur zulassen wollte: Als Charles Batteux in Les Beaux arts reduits a un même principe (1746) seine zentrale Kategorie der Nachahmung,12 die keinesfalls originell war, son8  Gellert: Moralische, 33f: »Dieses Vermögen, diese Empfindung des Her­zens ist der Grund des Gewissens, das … nur durch den Ausspruch über unsre Handlungen, ob sie gut oder böse sind, sich offenbaret«. 9 Cf. Kanzenbach: Protestantisches, 88 u. Merkel: Gellerts, 406. 10  Schlegel: Vermischte, 76: »Die Kunst, mit Gründlichkeit stets Leben zu verbinden / Ist nicht allein dein Ruhm. Das Herz auch muß empfinden, / Was der Verstand durch dich in klärerm Lichte sieht. / Umsonst ists, daß er hart der Rührung sich entzieht«. 11  Moritz: Anton, 114 f. 12  Wir geben eine schlagende Passage aus dem Traktat des Batteux wieder, da hier die ba­sale Stellung des Nachahmungsparadigmas besonders schön herausspringt. Nachahmung muß, selbst dort noch, wo sie nicht in Anwendung ist, sich den Anschein geben, in Anwendung zu sein: »Warum finden wir … in den heiligen Gesängen … so viel Schönheit ? Rühret es nicht daher, daß wir die Empfindungen darinnen so vollkommen ausgedrücket finden, wie wir sie

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dern ebenfalls zu den Schlüsselparadigmen des 18. Jahrhunderts zählt, auch auf die geistliche, heroische, moralische und anakreontische Poesie anwendete, zog er sich den pünktlichen Widerspruch seines Übersetzers Johann Adolf Schlegel zu, der gegen Batteux auf der Ursprungsqualität des poetischen Empfindungslebens beharrte. Und endlich wollen wir an zwei Begriffe erinnern, die das religiöse Denken zu bereichern vermochten: das Erhabene und das Genie. Beide Kategorien beschrei­ben das spezifisch Religiöse und verweisen aufeinander, denn wie das Erhabene die Transzendenzbewegung zum Ausdruck bringt, Unbeschreibbares, von dem wir ergriffen sind, durch immer neue Beschreibungsversuche dennoch beschreiben zu wollen, so steht das poetische Genie in dieser transzendenten Schaffensbewegung unmittelbar darin, weil es – nach dem berühmten Wort Scaligers – durch ins Sein gebrachte Darstellungen von Noch-nicht-Seiendem Gott gleich schöpferisch ist.13 Und wie kaum eine andere Kategorie eignete sich das Erhabene dafür, kompensatorisch dem klassizistischen Schönheitsideal entge­genzuwirken, indem es auch all jene Phänomene, die dieses Ideal überfordert hatten, das Grauen, das Entsetzliche, das Häßliche oder das Schreckliche, unter ihren die Schönheit immer himmelan tragenden Fittichen versammeln konnte.14 An Jerusalem lassen sich die bisher nur angedeuteten Momente besonders gut studieren, denn mit ihm tritt ein Gelehrter vor uns, dessen Leben … gehabt haben würden, wenn wir in eben den Umständen uns befunden hätten, in denen die Propheten sich befanden ? … Solchergestalt muß man, wenn man den Menschen gefallen will, selbst alsdann, wenn man nicht nachahmet, sich doch anstellen, als ob man nachahmte« (Batteux: Einschränkung, 376 f  ). Dagegen Schlegel: »Sollten wir … nicht auch in den Gesängen der heiligen Propheten die Empfindungen, welche wir nach unserm Bedünken in ihren Umständen gefühlet haben würden, so vollkommen ausgedrückt finden, und dadurch von ihnen gerühret werden können; ohne daß wir uns diese Gesänge eben dadurch, als Nach­ ahmungen, zu denken genöthigt wären ?« ( l. c. 378). 13  Scaliger: Poetices, Lib. i, 6: »Poetica vero quum & speciosius quae sunt, et quae non sunt, eorum speciem ponit: videtur sane res ipsas, non ut alias, quasi Histrio, narrare, sed velut alter deus condere: unde cum eo commune nomen ipsi non a consensu hominum, sed a naturae providentia inditum videatur«. Leibniz wird dann das Genie beschreiben als ein vorgängi­ ges Inne-Sein jener Regeln, die unter anderen Umständen erlernt werden müßten: »Ein guter Ma­ler, der sich durch die Uebung an die rechte Proportion gewöhnet, zeichnet nach der Meßund Sehkunst; und wenn auch solche Künste … ihm nicht ausdrücklich bekannt, so ist doch der Grund in ihm« (Brief an Gabriel Wagner v. 1696; Deutsche Schriften, 387 f     ). Nach wichtigen Vorarbeiten durch William Blake und Samuel Taylor Coleridge konnte sich der Gedanke des Originalgenies dann in Edward Youngs Conjectures On Original Composition (1759), die den deutschen Sturm und Drang maßgeblich beeinflußt haben, William Duffs An Essay on Original Genius and its Various Modes of Exertion in Philosophy and the Fine Arts, particu­ larly in Poetry (1767) und Alexander Gerards An Essay on Genius (1774) durchsetzen. Die 12 zwischen 1751 und 1774 erschienenen Veröffentlichungen in England mit dem Genie in der Titelformulierung werden nur noch übertroffen von den Schriften, die der Natur gewidmet sind (cf. Gelfert: Kleine, 165f    ). 14 Cf. Zelle: Schönheit, 60.

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nahezu das ganze Jahrhundert umspannt. Und als das Jahrhundert sich neigte, war er so berühmt, geachtet und geehrt, daß der junge Alexander von Humboldt in einem Jugendbrief schreiben konnte: »In Braunschweig spricht man von Jerusalem, wie man in Athen mag von Jupiter gesprochen haben. Will man etwas unwiderstreit­lich machen, so sagt man, Jerusalem hat es gesagt, – und alle glauben’s«.15 Ihm wurde die Ehre zuteil, in der Klosterkirche zu Riddagshausen beigesetzt zu werden, und Philippine Charlotte stiftete ein steinenes Andenken. Auf dem von ihr an sein Grab gesetzten Epitaph lesen wir die Zusammenfassung alles dessen, was Jerusalem in den Augen seiner Zeitgenossen zu dem großen Theologen, Kirchenmann und Pädagogen werden ließ, der – wie schon Leibniz – seine Karriere nicht in Kirche oder Universität, sondern bei Hofe gemacht hat.16 Auf der Vorderseite und rechts des Epitaphs bringt sich die Herzogin in ein unauflösbares Verhältnis zu ihrem Lehrmeister, indem sie sein Andenken als durch nachkommende Generationen unaufhebbar setzt.17 Links findet sich Jerusalem nach seinen philosophischen und pädagogischen Leistungen bei Hofe beschrieben, und auf der rechten Seite hebt Philippine Charlotte ihn, der an Verehrung, Verdienst, Talent und Rechtschaffenheit so reich war, über alle anderen Aufklärer hinaus: »Zur Aufklärung legte er den ersten Grund«.18 Jerusalems literarisches Wirken ist zwar vielfältig – hat er doch nicht zuletzt aufgrund seines Wirkens am neugegründeten Collegium Carolinum etwa auch über diese Bildungsstätte geschrieben –,19 läßt sich aber dennoch ohne Zwang in drei Werkunternehmen zusammenfassen:20 1745 und 1752 übergibt er jeweils einen Predigtband der Öffentlichkeit; 1762 erscheinen die Briefe über die Mosaischen Schriften und Philosophie und ab dem Jahre 1768 kommen dann seine unvollendet gebliebenen Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion heraus. Wir werden uns in der nachfolgenden Darstellung an diese Werkgruppen halten 15  Humboldt: Die Jugendbriefe, 54. Jerusalems Bedeutsamkeit spiegelt sich auch in der Auf­merksamkeit, die ihm durch die Presse seiner Zeit zuteil wurde (cf. hierzu P. Albrecht: Jo­hann). 16  Frühsorge: J. F. W. Jerusalem, spricht Jerusalem darum als den gelehrten Hofmann an. 17  »Dem Andenken des seligen und würdigen … Abts Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem … setzt dies Grabmal Philippine Charlotte verwitwete Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg … [S]ein Andenken wird nie verlöschen« ( zit. nach W. E. Müller: Einleitung, 22f). 18 Ib. 19  Die geistige Atmosphäre des Collegium Carolinum ist im Parnaß zu Braunschweig (1854) in der Form des historischen Romans von Hermann Klencke eingefangen worden (cf. Rohse: Abt, 132 – 144), der dann in einem zweiten Roman (Der Braunschweig’sche Hof und der Abt Jerusalem, 1863) stärker Jerusalem selbst zum Gegenstand des Romangeschehens machte (cf. l. c. 144 – 153). 20  Den Forschungsaufwand, der noch zu erbringen ist, um Jerusalem stärker zu kontextua­ lisieren, die Quellenlage zu verbessern und zugleich die Rezeption seiner Schriften gründlich zu untersuchen, beschreibt Sommer: Einleitung, lvii – lxi. Cf. auch das Jerusalemsche Biblio­ theksverzeichnis (Osthövener: Bibliotheksverzeichnis).

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und mit den Predigten beginnen. Karl Aner hat in seiner Theologie der Lessing­ zeit von 1929 den Predigten Jerusalems eine ebenso geistreiche wie forschungsgeschichtlich interessante Interpretation gegeben, wenn er betont, wie stark sie einerseits dem »Bekenntnis zu Inspiration, Trinität, Zweinaturenlehre und dem Satisfaktionsdogma« verpflichtet sind,21 andererseits aber auch zugleich über diese altprotestantisch-orthodoxen Vorgaben hinausführen. Diesen Überschuß der Predigten macht Aner am Erfahrungsbegriff fest, den er in seinem Verhältnis zum traditionellen Dogmenbestand wie folgt charakterisiert: »Noch erweist sich hier das Erfahrungsprinzip als Stütze des Dogmas … Aber es ist doch ein dem Dogma gefährliches Prinzip. Denn in ihm liegt auch die Sprengkraft des Subjektivismus gegenüber dem Traditionellen, das die Erfahrung nicht erlebt hat oder nicht erleben kann«.22 Nachdem Leopold Zscharnack schon 1932 bestritten hatte, daß Jerusalem jene große Bedeutung innerhalb der Neologie zukomme, die Aner ihm zuerken­ nen wollte,23 wurde von Wolfgang Erich Müller, aus dessen Feder eine ausführliche und noch immer wichtige Jerusalem-Studie geflossen ist, vehementer Einspruch gegen die Betonung des Erfahrungsprinzips durch Aner erhoben. Müller bestreitet genau jene Überlegung, mit der Aner der Jerusalem-Forschung einen so wichtigen Impuls gegeben hat, daß nämlich das Erfahrungsprinzip neben die Offenbarungs- und Vernunftwahrheit tritt, um einen affektiv-emotionalen Sonderbereich des Vernunftlebens auszubilden. In bezug auf die Jerusalemsche Predigt, aus der Aner eine wichtige Belegstelle für seine These heranzieht, schreibt Müller: »Die Erfahrung des Menschen mit Gott wird … der Offenbarungswahrheit als Ort der (mangelhaft empfundenen) Evidenz zugeordnet und ist damit … nicht, wie Aner meint, ein neues, zu Vernunft und Offenbarung hinzukommendes Prinzip … Aner überträgt also aus einer Predigt die Aussage der Erfahrung auf die ›Betrachtungen‹, ohne daß der Begriff dort eine wichtige Rolle hat«.24 Müller irrt. In den Betrachtungen kann der Erfahrungsbegriff durchaus eine ›wichtige Rolle‹ spielen, wenn er als Gegenbegriff zum System auftritt, das durch eine einzige neue Erfahrung zu Fall gebracht werden kann ( Wr 59f     ), als ein die Tugend em­p­findbar machendes Moment ( Wr 214), als erkenntnistheoretischer Schlüsselbegriff ( Wr 265; Fwr 7), als durch die Vernunft befragbares Arsenal für Vergleichsoperationen ( Wr 289, 404), als Stütze der Religionsgewißheit ( Wr 404), als Unterscheidungsvermögen zwischen gut und böse (Fwr 178) und als ein Ver­ mögen, das allerdings neben die Vernunft treten kann (Fwr 180). Durch die­ sen Befund sensibilisiert versuchen wir, Aners Hinweis aufzunehmen und durch weitere Textbeobachtungen zu erhärten und weiterzuführen dadurch, daß wir 21 

Theologie, 147. L. c. 148. 23  Theologische Literaturzeitung, 538. 24  Johann, 24. 22 

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nicht nur dem Erfahrungsbegriff uns zuwenden, sondern auch die Empfin­ dungs­dimension des Religiösen in den Blick treten machen. Zwei Aussagestränge lassen sich – wie Aner schon zutreffend beobachtet hat – innerhalb der Predigten recht deutlich voneinander abgrenzen: Einmal ist Jerusalem sehr stark der altprotestantischen Tradition verhaftet, eine Tendenz, die wir exemplarisch an einer Predigt vorstellen, in der von der Verbalinspirationslehre Gebrauch gemacht wird. Dann aber wagt sich unser Prediger zugleich auch schon hinaus über die durch eine altprotestantische Dogmatik gesetzten Grenzen, worauf wir in einem weiteren Kapitel eingehen werden. Wie groß der Eindruck gewesen sein muß, den diese freiere Predigtweise hinterlassen konnte, zeigt sich nicht zum geringsten darin, daß der zu Sankt Petersburg in einem von Katharina der Großen ihm eigens gestifteten Palais an der Newa residierende und allerorten bewunderte Leonard Euler umstandslos zur Veranschaulichung seiner Theorie von der Ausbreitung des Lichts eine Predigt Jerusalems heranzieht. In einem Brief, der seiner einstmaligen Mathematikschülerin, der Markgräfin und Äbtissin des Herforder Stifts Friederike Charlotte Ludovica Luise, die nachgerade ermüdend lange Zeitspanne eines Lichtstrahls auf seinem Weg zum menschlichen Auge veranschaulichen soll, schreibt er: »Wenn also Gott noch tausendmal entferntere Sterne erschaffen hätte, so würden wir sie noch nicht sehen, … weil noch nicht 6000 Jahr seit der Schöpfung verflossen sind. Jerusalem hat diesen Gedanken in einer seiner Predigten vortrefflich genützt«.25 Und in der etwas naiv-selbstgefälligen Geste jener Riesen – um mit einem Bild Nietzsches zu sprechen –, die über die Köpfe der Zwerge hinweg in stiller Übereinkunft sich wähnen, fährt er fort: »Hoheit werden durch diese Stelle weit mehr erbaut werden, als die ganze Gemeinde …, die diesen erhabnen Vergleich wahrscheinlich nicht verstanden haben wird«.26 Eine Darstellung der Theologie Jerusalems mit den Predigten zu beginnen, läßt zunächst einmal die grundsätzliche Feststellung als notwendig erscheinen, daß auch die Predigten nicht herausfallen aus der für Jerusalems Gesamtwerk typischen Tendenz, die Religion in einer Ethik zu fundieren, die alle dogmatischen Aussagen insofern orientiert, als sie sicherstellt, daß die theologische Lehre jenseits einer konkreten Bedeutung für den religiösen Lebensvollzug nicht ein selbstvergessenes reflexives Eigenleben zu führen beginnt. Eng damit zusammen hängt Jerusalems durchgängige Absicht, die Simplizität religiöser Einstellungen hervorzuheben, denn nur dann, wenn Religion in einem Aneignungsprozeß ohne Mühe nachvollzogen werden kann, vermag sie zwanglos einzufließen in das Weltverhältnis. Ethische Religion muß also in genau dem Maße einfach sein, wie diese Einfachheit der Religion dann ermöglicht, innerhalb der sittlichen Lebensführung ihre Wirksamkeit zu entfalten. Ethik und Simplizität beschreiben 25 

Euler: 20ster Brief v. 17. Juni 1760, Briefe, 54.

26 Ib.

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somit eine generelle Tendenz, die sich am Werke Jerusalems durchgängig beobachten läßt. Wenn die Predigten hier unabhängig von den Jerusalem­schen Be­ trachtungen herangezogen werden, so geschieht dies, weil sie unabhängig von diesen Tendenzen auch einen Zungenschlag haben, der sie zugleich an die Dogmatik der altprotestantischen Orthodoxie heranführt,27 und sich somit innerhalb einer konkreten Werkgattung der Umschlag in jene Denkform, für die Jerusalem berühmt geworden ist, beobachten läßt. Im folgenden wollen wir an einer zentralen Predigt ( Von der Person unsers Erlösers) sehen, wie sich im Frühstadium der Theologie Jerusalems orthodoxe Motive zwar noch durchaus zur Geltung bringen, aber zugleich sich auch schon ein der altprotestantischen Orthodoxie gegenüber freier Denkstil zeigt und durchsetzt. Unsere Wahl fällt dabei auf eine Predigt, die wie keine andere den Kernpunkt herauszustellen vermag, da sich hier gut zeigen läßt, wie Jerusalem in einem zentralen Lehrstück der christlichen Religion, der Zwei-Naturen-Lehre, metaphysische Aussagen zwar zu bewahren trachtet, aber zugleich schon den Versuch unternimmt, diese Metaphysik aufklärerischen Denkgewohnheiten beizuordnen. a) Orthodoxe Spuren In keinem Text sieht Jerusalem die Lehre von Christus als dem Erlöser so gut zu­sammengefaßt wie in der Eingangspassage des Johannesevangeliums.28 Er fokussiert die Absicht seiner Predigt auf das ›wahr Mensch und wahrer Gott‹, um unter aufgeklärten Denkvoraussetzungen jene dem Denken immer schon widerständige Gleichzeitigkeit in einer Kanzelrede plausibel zu machen.29 Schon die ersten Worte der eigentlichen Predigt sind bedeutsam, da Jerusalem hier an den kritischen Prüfungsgeist seiner Zuhörer appelliert. Dabei werden die Zuhörer und Zuhörerinnen aufgefordert, die vorgetragenen Lehren jener Prüfung zu unterziehen, die herauszubringen hätte, ob ihnen zumindest die Modalität ›Möglichkeit‹ kann zuerkannt werden.30 Von dieser Möglichkeitsannahme wird 27 

Hierauf wies schon Aner: Theologie, 147, hin. W. E. Müller: Zu den, hat diesen Hin­ weis aufgenommen und im Gegenüber zu den Vornehmsten Wahrheiten weiter entfaltet. Über den zeitlichen Abstand, in dem sich die Predigten zu Jerusalems Hauptwerk befinden, hinaus macht Müller für den Traditionalismus der Predigten Jerusalems eine Rück­sichtnahme auf die durch Orthodoxie geprägte Gemeinde geltend (154  ff     ). 28  Sp 254: »Unter allen Zeugnissen der heiligen Schrift … ist kein einziges, worinn die Lehre von seiner göttlichen Person so deutlich zusammen gefasset wäre«. 29  Sp 256: »Wir müssen … auf zwey besondere Stücke Achtung geben. Das erste ist: Das Christus wahrer Gott von Ewigkeit gewesen. Das zweyte aber: Daß er ein wahrer Mensch gewor­ den«. Eine Übersteigung dieser Fragestellung ist dann der Christologie des 19. Jahrhunderts gelungen, indem sie auf den Bildbegriff fokussierte. Cf. Rohls: Vorbild. 30  Sp 257: »Von euch aber … erfordert die Wichtigkeit der Sache alle mögliche Aufmerk­ samkeit … Findet ihr … daß alles, was uns die Schrift von unserm Erlöser sagt, nach den Grund­lehren der Vernunft, wenigstens möglich ist … so nehmet eure Vernunft unter dem Ge­ hor­sam des Glaubens gefangen«.

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dann noch einmal unterschieden die Intellektion einer solchen Lehre, denn es ist offenbar vorausgesetzt, daß die Vernunft einen Sachverhalt für möglich, gleich­zeitig aber auch für unbegreiflich halten kann. Dort nun, wo Gott selbst als das unbekannte Wesen ins Wort gebracht werden soll, wird dieses Problem be­sonders virulent.31 Nachdrücklich versucht Jerusalem zu beweisen, daß Christus schon vor seiner Geburt war, um daraus abzuleiten, daß er, wenn es denn zutrifft, daß er vor aller Zeit gewesen, keine Kreatur, sondern Gott sei. Dabei beruft sich Jerusalem auf die antiarianische Formel des altkirchlichen Symbols, daß der Sohn nicht geschaffen, aber gleichwohl gezeugt sei. Wäre er nämlich geschaffen, so teilte er das Schicksal aller Geschöpfe, von Gott aus dem Nichts ins Sein gerufen worden zu sein. Anders steht der Begriff der Geburt dafür, daß Christus eines Wesens mit dem Vater sei, aus dem er hervorgegangen. Christus aber ist auch vor der Zeit, denn die Zeit versteht Jerusalem als eine mit Gottes Schöpfung gleichzeitig geschaffene »Ordnung, worinn die erschaffenen Dinge auf einander folgen«.32 Im Zusammenhang damit steht der Kreatur-Begriff, dessen sich Jerusalem bedient, denn es wäre durchaus möglich anzunehmen, daß Christus zwar vor aller Zeit, aber gleichsam als Kreatur existiert habe. Doch beschreibt die Kreatur etwas allererst durch den göttlichen Schöpfungsvorgang Hervorgebrachtes.33 Eine Kreatur ist somit nach dem Willen Gottes aus dem Nichts geschaffen, denn das Nichts ist außerhalb des göttlichen Wesens. Das Kreatürliche ist das wesenhaft Nichtige, solange Gott es nicht ins Sein ruft. Der Sohn Gottes hingegen ist niemals das Nichtige, weil er immer schon bei Gott war – als Ebenbild seines Wesens und von Gott gezeugt.34 Soweit lautet die Jerusalemsche Reformulierung des trinitarischen Dogmas – hier aber kommen wir zu einem entscheidenden Punkt, wenn sich nun nämlich zeigt, daß diese Einsicht von Jerusalem nicht weiter argumentativ begründet wird. Vielmehr führt er Bibelworte ein, die eine immer schon bestehende Gemeinschaft Gottes mit seinem Sohn belegen sollen. Gott hätte alle dem Sohn zukommende Herrlichkeit, Ehre und Ruhm (282f    )35 auch auf den Sohn übertragen, woraus dann zu schließen ist, daß der Sohn keine Kreatur zu sein vermag. Nun geht der Text dazu über, jene Denkfigur zu erläutern. Als Leitfadenbeleg aus der Schrift zitiert Jerusalem das 31  Ibid.: »So bedenket, daß wir von Gott reden, daß wir von einem unendlichen Wesen reden, dessen Natur uns ewig unbegreiflich bleiben wird«. 32  Sp 265. 33  Sp 274: »Wir verstehen aber unter diesen Worten [sc. Kreatur] alles, was jemals ausser dem Wesen Gottes hervorgebracht ist, und welches, ehe es durch die Allmacht Gottes Etwas geworden, Nichts gewesen«. 34  Sp 277: »Er wird beständig der Eingebohrne Sohn Gottes, der in des Vater Schooß sitzet, der Sohn des lebendigen Gottes, das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Glanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens genennet. Alle diese Worte zeigen eine Gemein­ schaft mit dem Wesen Gottes an«. 35  Die hier und im folgenden in den Text gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf Sp.

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auf die Einheit Gottes zielende »Höre Israel, der Herr unser Gott ist ein einiger Gott« (285). Denn wenn, wie Jerusalem zeigen will, es richtig ist, daß Christus vor aller Erscheinung in der Welt bei Gott und darum der Gott unmittelbar widerspiegelnde Sohn ist, so muß natürlich ein Ditheismus ausgeschlossen werden. So zutreffend von Jesus auszusagen ist, daß ihm Göttlichkeit zukommt, so wenig darf die »Gottheit Jesu« eine »besondere Gottheit ausmachen« (285). Jerusalem beruft sich hier auf den aus der stoischen Naturphilosophie stammenden und über Gregor von Nazianz, Maxi­mus Confessor, Pseudo-Cyrill und PseudoMakarios in die trinitarische und christologische Lehrtradition eingegangenen Gedanken der Perichorese: »Christus und der Vater müssen deswegen Eins seyn. Der Vater muß in ihm, und Er im Vater seyn« (285). Da aber vom Sohn und vom Vater, sofern sie einander durchdringen, als von zwei Bestimmtheiten zu reden ist, wenn anders nicht der Ausdruck ›gegen­seitige Durchdringung‹ durch Vergleichzeitigung der innertrinitarischen Personen um seinen belastbaren Sinn gebracht werden soll, muß gefragt werden, wie das Verhältnis von Vater und Sohn zu kennzeichnen ist. Hierbei greift Jerusalem auf den durch Augustin eingebürgerten Begriff der Person zurück: »Lasset uns das … Wort, Person, behalten, und sagen, es sind in dem Einen einfachen göttlichen Wesen drey Personen, … und diese sind ein Gott« (285f  ). Zwar ist auch durch den Personbegriff die Gefahr ditheistischer oder tritheistischer Assoziationen nicht gebannt, aber das macht nach Jerusalem nicht die Einführung eines neuen Terminus notwendig, sondern nur die konsequente Absonderung aller »Begriffe, die uns zu einer Vorstellung von drey besondern Wesen Anlaß geben könnten« (286). Und nun fällt ein bemerkenswerter Satz: »[S]olange wir dieses thun, so wird uns die Dreyeinigkeit zwar allezeit unbegreiflich bleiben, aber nie wird aller Witz der Menschen einen Widerspruch in dieser Lehre zeigen können« (286). Auch wenn die Trinitätslehre nicht darauf zu hoffen vermag, rational nachvollziehbar zu sein, ist Jerusalem dennoch davon überzeugt, daß sie widerspruchsfrei sei. Die argumentative Funktion dieses Satzes wird deutlich, wenn Jerusalem ihn auf die Gegner der Trinität anwendet: Wollte man nämlich behaupten, Gottes Wesen sei durch die Trinität nicht zutreffend gekennzeichnet, so ließe sich diese Behauptung allererst durchführen vor dem Hintergrund eines Gottesbegriffes, von dem man sagen könnte, daß er vollständig und indisputabel sei. Die antitrinitarische Haltung müßte also eine Gegenposition entwickeln, die nicht nur durch Bestimmtheit den trinitarischen Gottesbegriff widerlegte, sondern zugleich auch als durch den trinitarischen Gottesbegriff problematisierbar zu denken ist, um sich dann aber letztlich als überlegen herauszustellen. Das letzte Wort Jerusalems in dieser Sache ist die unübersteigbare Behauptung einer Gleichzeitigkeit von Gottes uneinsehbarem trinitarischen Wesen, und den Grund für diese selbstwidersprüchlich anmutende Gleichzeitigkeit findet Jerusalem in der Heiligen Schrift, die nämlich – nach weiteren Auskünften über Gottes Wesen befragt – schweigt:

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Dieses ist … alles … was wir von diesem … Geheimnisse … sagen können. Bis hierher haben wir die deutlichen Zeugnisse der heiligen Schrift … Aber hier ist dieses Licht aus … Wir möchten uns verirren … wenn wir diese Tiefen der Gottheit noch weiter mit unserer Vernunft ergründen« (286f    ).

Somit schließt der erläuternde Teil dieser Predigt mit dem Verweis auf die Notwendigkeit, alle Lehraussagen in bezug auf das Wesen Gottes an der Schrift zu ori­en­tieren. Diese Orientierung aber endet mit dem Erweis der Einheit zwischen Gott und Mensch in der Person des Erlösers, ohne jedoch diese Einheit noch einmal in eine begrifflich nachvollziehbare Begründung überführen zu können. Hierbei bringt der Verweis auf die Klarheit der Schrift nachgerade das Sinngebungsverfahren hinsichtlich einer nachvollziehbaren Deutung der Trinitätslehre unter Druck, da nicht mehr gedeutet werden muß, was schon vor aller Deutung sicher steht. Hat Jerusalem bis hierher die Absolutheit Gottes in drei Personen aufgezeigt, so kommt er nun zum zweiten großen Problem der Trinitätslehre, daß nämlich Christus wahrer Mensch sei, ein Erweis, der den Zeitgenossen weit weniger engagiert vorgetragen werden muß, da diese Einsicht auf weitgehenden Konsens zu hoffen vermag. Nachdem wir dem Gedanken Jerusalems gefolgt sind, Christi Erlösungswerk rückzukoppeln an die Zwei-Naturen- und Trinitätslehre, bleibt zu fragen, worin der eigentliche Ertrag dieser Predigt liegen mag. Offenbar ist dieser Ertrag weder in Jerusalems Rekonstruktion des trinitarischen Denkschemas noch in seiner Darstellung der Zwei-Naturen-Lehre zu finden, denn hier paraphrasiert er nur den Gehalt des altkirchlichen Dogmas. Vielmehr scheint das Besondere der Predigt in der Bewertung der Trinität als eines notwendigen, aber gleichwohl nicht nachvollziehbaren Denkgebildes zu liegen und darin, wie Jerusalem diesen Sachverhalt begründet. Daß die Trinität unbeschadet ihres Geheimnischarakters unverzichtbar für den christlichen Glauben ist, findet eine finale Argumentationssicherung in der Heiligen Schrift, der eine unbedingte und alle religiösen Deduktionen ihrerseits begründende Beweisfunktion zukommt. Ein solches Schriftverständnis36 führt Jerusalems Aussagen natürlich eng an die Verbalinspirationslehre der altprotestantischen Orthodoxie heran. Anders als die zeitgleiche römische Theologie,37 die dem verschrifteten Wort Gottes immer auch eine Passage ›de verbo Dei non scripto‹ an die Seite stellt, hat die altprotestantische Orthodoxie Gottes Wort mit der Heiligen Schrift identifiziert. Gottes Wille selbst steht dafür ein, daß Propheten, Evangelisten und Aposteln bei der Verschriftung des göttlichen Worts durch diese Verschriftung eine dem Verstehen unmittelbar zugängliche und zugleich vollkommene Darstellung Gottes 36  Einen kurzen Blick über das Schriftprinzip und die mit der Aufklärung massiv einsetzende Kritik an der Verbalinspiration bietet Lauster: Prinzip, 11 – 25. Die zwischen altprotestantischer Orthodoxie und Jerusalem obwaltenden Unterschiede und Übereinstimmungen hat W. E. Müller: Johann, 130 – 159, am Beispiel von Hollaz zusammengetragen. 37 Cf. Bellarmin: Disputationes, Contr. i, Lib. iv, 161 – 208: De verbo Dei non scripto.

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nach seinem Willen und seinem Wesen gelungen sei.38 Somit findet sich jener Begründungszirkel, den wir beobachten konnten, hier vorgebildet, und es sieht so aus, als hätten wir in Jerusalem einen waschechten Orthodoxen oder eben einen nur sehr zurückhaltenden Aufklärer vor uns, der sich wegen seines Publikums als Kanzelredner in das Gewand des frommen Traditionalisten hüllt. Und es ist offensichtlich – um dies zu veranschaulichen, haben wir oben Jerusalems durchaus traditionale Darlegung des altkirchlichen Dogmas wiedergegeben –, daß sich solche Momente in den Predigten finden.39 Gottes dreieiniges Wesen, das sich nach seinem Willen verbalinspirativ der Heiligen Schrift in konkreter Unmittelbarkeit und Suffizienz mitgeteilt hat, scheint allen Selbsterzeugungsaktivitäten des frommen Subjekts den Garaus zu machen. Sieht man aber dem Schriftverständnis Jerusalems weiter zu, so zeigt sich mit­hin, daß in den Predigten zugleich ein Zungenschlag vernehmbar wird, der die empfindende, fromme Subjektivität stark in den Vordergrund rückt. Im Zusammenhang unserer Predigt weist Jerusalem das stete Fortschreiten moralischer Vervollkommnung als Ziel des durch die Heilige Schrift gegebenen Wortes Gottes aus, eine Vervollkommnung, die in der »Heiligung unsers Herzens« ihren »Endzweck« hat (292). Darum wird neben dem konkreten Wort der Heiligen Schrift als einer unmittelbaren Teilgabe des göttlichen Willens zugleich die Vernunftdimension des frommen Subjekts gestärkt, da die Schrift eine Überzeugungsfunktion nur im Zugleich mit den Plausibilisierungsleistungen einer vernünftigen Einstellung des religiösen Menschen zu wahren vermag (cf. 302 u. 330). Und am Ort des Ewigkeitsbewußtseins wird dann deutlich, daß Jerusalems Schriftverständnis neben der Auffassung der Heiligen Schrift, unverfügbares Wort Gottes zu sein, noch an einen weiteren Begriff appelliert, der in den Predigten an zentraler Position auftreten wird: die Empfindung. b) Praktische Frömmigkeit Eine Zugangsreflexion ermöglicht die Predigt Von dem Himmel und der ewigen Seligkeit, in der Jerusalem Gen 28, 10 – 22 auslegt.40 Als eine »der prächtigsten Erscheinungen, die Gott jemals einem sterblichen Menschen von seiner Herrlichkeit zu geben gewürdigt hat« (48), rühmt Jerusalem die Vision des Jakob, 38 Cf. Gerhard: Loci, Tom. 1, Loc. 1, Cap. xxvii: »Definitio Scripturae sacrae pot­est tradi ejusmodi: Sacra scriptura est verbum Dei ejusdem voluntate a prophetis, evangelistis et apostolis in literas redactum, doctrinam de essentia et voluntate Dei perfecta ac per­spicue exponens, ut ex eo homines erudiantur ad vitam aeternam«. 39  Daß der Rückgriff auf traditionelle Positionen keineswegs mit dem Innovationspotential aufgeklärten Denkens in einen Widerspruch treten muß, zeigt etwa Clericus, der zurückverweist auf die humanistische Bibelexegese der Hugo Grotius und Erasmus, dabei aber zugleich typisch aufklärerische Positionen aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts vorwegnimmt. Cf. hier Reventlow: Bibelexegese. Zur Akkomodationstheorie bei Clericus cf. l. c. 12 – 15. 40  Hier und im folgenden beziehen sich die in den Text gesetzten Seitenzahlen auf Zsp.

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dem eine himmelwärts strebende Leiter – möglicherweise die Freitreppe eines meso­­potamischen Hochtempels –  41 träumte, auf der die Engel hinan- und hinuntersteigen; eine Angelologie, deren Suggestionskraft in der Väterliteratur, so etwa bei Cäsarius von Arles, immer wieder Anlaß für staurologische Spekulationen gegeben hat.42 Es ist interessant, wie Jerusalem die Offenbarung einführt. Jakob hätte nämlich, um Gott als seinen Vater zu erkennen, keiner Offenbarung bedurft, da ihm diese Erkenntnis schon gegeben war, so daß der Jakobstraum nur den Zweck hatte, die Gottesgewißheit und das Gottesbewußtsein des Jakob zu intensivieren.43 Diese Intensivierung und Verinnerlichung von Gottesgewißheit ermöglicht Gott dem Jakob durch ein Traumgesicht, das dem Träumenden seine geschichtliche Gegenwart in eine Ewigkeitsperspektive gerückt sein läßt.44 Und nun wird die noch immer innerhalb der Vision verbleibende Deutung, die die Absichten Gottes bei dieser Vision zum Gegenstand hatte, umgebogen auf die affektive Subjektivität des Jakob. Diese Erscheinung machte auch in der Seele Jakobs den lebhaftesten Eindruck. Er erwachte mit einer Erleuchtung, und mit einer Glaubensstärke, die er vorher noch nie empfunden hatte ( 51 ).

Noch – vor dem Erwachen – war es Gott, der durch sein Traumbild Jakobs Seele nachhaltig berührte; nun aber schlägt die Aktivität um, und die Glaubens­stärke des Jakob tritt ins Zentrum, eine Glaubensstärke, die im Bereich des Empfindens loziert wird. Nicht mehr Gott selbst, dessen Weltzeit und Ewigkeit zusammenfassendes Wesen nach seiner Unbedingtheit so überwältigt, daß es dem Bewußtsein entgleitet, um nur noch als traumauslösendes Verklärungsge­ bild symbolisch anwesend zu sein, ist fürderhin Gegenstand der Jerusalemschen Traumauslegung, sondern jene Erkenntnis, die das religiöse Subjekt von sich selbst gewinnt genau dann, wenn seine Empfindungsintensität es zu einer Selbst­deutung zwingt. Und so geht dem religiösen Subjekt auf, daß der wahre Wert der Seele, ihre finale Bestimmung mithin, nur erkannt zu werden vermag, wenn alle innerweltlichen Zusammenhänge in die Perspektive der Ewigkeit gerückt werden und dabei ein anhaltendes Ewigkeitsbewußtsein entsteht.45 Dieses Erkennen jedoch ist unmittelbar mit einer praktischen Dimension verknüpft, indem dem religiösen Subjekt der Vorsatz erwächst, seine ganze Biographie fortan in den Dienst der ihm im Gottesbewußtsein geschenkten Einsicht 41 Cf.

Keel: Die Welt, 100 f. Zur Aufnahme des Motivs in der Väterliteratur cf. Gahbauer: Die Jakobsleiter. 43  Zsp 49: »Aber nunmehr, da sich Jakob als den unmittelbaren Erben dieser großen Vor­ züge ansehen sollte … hielt es die Weisheit Gottes für nöthig, seinen Glauben durch eine nähere Offen­barung voher noch zu stärken, und seine Erkenntnis von der Grösse und Herrlichkeit Gottes, und seines ewigen Reiches noch vollkommener und gewisser zu machen«. 44  Zsp 50: »Und wie hätte ihm Gott … eine vollkommenere Erkenntnis geben können, als in diesem Gesichte; da er gleichsam mit einem Blicke das ganze … Reich der Ewigkeit übersahe«. 45  Zsp 52: »[I]n … unsichtbare[] Wohnungen der Ewigkeit muß der Geist des Menschen hinauf­steigen, wenn er … die Grösse seiner … Bestimmung … erkennen will«. 42 

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zu stellen, ein aktiver Religionsvollzug, der seine Bedeutungskerne vorzüglich in Ehrfurcht, Zuversicht, Freude, Treue, Gehorsam, Gegenliebe und Lobsingen hat.46 Diese von Jerusalem hier in Anschlag gebrachte Terminologie zeigt schon, was einige Zeilen später Bestätigung findet, daß es sich nämlich in all diesen Zuschreibungen um Empfindungen der frommen Subjektivität handelt: »Dieß waren die Empfindungen, die in der Seele des Jakob erregt wurden« ( 52). Nun fährt der Text fort, indem er diese an Jakob sichtbar gemachte empfindungsintensive Urbildkraft anwendet auf die Leser und Leserinnen der Predigt. Die An­verwandlung eines solchen Glaubens, wie er an Jakob dargestellt wurde, soll sich jetzt im Christenmenschen, der in der Erlösung durch Jesus Christus die überbietende und fortschreitende Tat Gottes erblicken darf, erfüllen, wobei die hier durch Gott ausgelöste Empfindung sich näherhin kennzeichnen läßt als Erre­gung eines lebendigen Verlangens nach dem Unendlichen.47 Dabei geht es aber nicht vordringlich um ewigkeitsvergessene Spekulationen, sondern darum, den »Werth der irdischen Güter« und den »Werth der Menschlichkeit« so ins Auge zu fassen ( 54), daß er vor einer stabilen Perspektive auf Dauer gestellt werden kann, einer Perspektive, die in der Ewigkeitsvorstellung gefunden ist. Damit zeigt sich hier ein Überwiegen der affektiven Dimension, der offenkundig eine größere Leistungskraft zugetraut wird als dem Erkennen Gottes im Denken. In einer sich betend an Gott richtenden Passage bringt Jerusalem das zum Ausdruck. Und wenn unsere Sprache zu dürftig ist, und die irrdi­schen Abbildungen unserer Worte zu arm sind, diese Herrlichkeit, die noch kein sterbliches Auge gesehen hat, uns deutlich und lebhaft vorzustellen, so erfülle dafür unsere Herzen mit einem innerlichen Gefühle, welches den Mangel unserer Ausdrücke ersetzet ( 55).

Sowohl die Sprachfähigkeit als auch die Vorstellungskraft, beides Vermögen, die ohne eine bestimmungslogische Operation nicht auszukommen in der Lage sind, können hinsichtlich des Frömmigkeitsbewußtseins an eine Grenze stoßen, die durch die Kraft von Bildern und Symbolen nicht überwunden werden kann. Es ist lehrreich, die Passage durch eine sprachphilosophische Bemerkung Christian Wolffs zu kontrastieren, die der Leistungsfähigkeit von Sprache und Vorstellungskraft gewidmet ist. Das Vorstellungsvermögen ist nach Wolff eine Erkenntnis, die sich in figürliche und anschauende Tätigkeit unterscheiden läßt.48 Während das anschauende Erkennen eine Sache vorstellt durch die Ver46  Zsp 52: »Mit … Erfurcht will ich … Gott … anbeten, mit … Zuversicht … mich seinen Füh­rungen überlassen, mit … Freudigkeit … mein irrdisches Erbtheil jetzt vergessen, nachdem ich die Vollkommenheiten dieses himmlischen Reichs erblickt habe; und mit … Treue, Gehorsam und Gegenliebe … die Liebe meines Gottes preisen, die mich … zu einer solchen Glückseligkeit erwählet hat«. 47  Zsp 53: »Möchte doch, auch in uns … durch den Anblick dieser unvergänglichen Güter, ein lebendiges Verlangen nach denselben erregt werden«. 48  Cf. hierzu Meier-Oeser: Die Spur, 419 f.

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meinung, daß es die ›Sache selbst‹ sei, die hier vorgestellt würde, beruht figürliche Erkenntnis auf der Zunahme an Bestimmtheit durch das Wort-Zeichen, da die ›Sachen selbst‹ nur in die Vorstellung einzutreten vermögen, indem sie durch das Wort in eine vorstellbare Gestalt gebracht werden. Auch ein durch Worte bezeichneter Sachverhalt wird also vorgestellt, aber so, daß in diese Vorstellungstätigkeit schon jene Vermittlung eingegangen ist, der eine Sache als ›bezeichnete Sache‹ ausgesetzt wurde.49 Dabei ist es Wolffs Überzeugung, daß die begrifflich operierende Sprache einen Vorzug gegenüber dem in den Empfindungen verarbeiteten Datenmaterial hat, und genau dieser Vorzug wird von Wolff festgemacht am Bestimmtheitsmoment, das auf einen Verdeutlichungszuwachs des Empfundenen führt.50 Die Gotteserkenntnis – als der finale Spezialfall von Erkennen – kann somit nicht in einer einfachen, sondern nur in jener figürlichen Vorstellung, die vermittelt ist über die Gestaltwerdung des Erkannten im Wort, statthaben.51 Vor diesem Hintergrund gewinnt die Aussage Jerusalems noch einmal an Tie­fen­schärfe, da sie die Empfindungsdimension im Gegensatz zur Schulphilo­so­phie hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Frömmigkeitsbewußtsein stärkt. Dabei wird nicht auf die Differenz von deutlicher und weniger deutlicher Erkenntnis abgehoben, sondern die Lebhaftigkeit des Gottesempfindens steht für die Triftigkeit der Gotteserkenntnis ein, worin zugleich eine praktische Dimension zu liegen scheint, die grundsätzliche Skepsis gegenüber dem bestimmenden und symbolisierenden Gotteserkennen andeutet.52 49 

Dm § 316 : »Es ist nehmlich zu mercken, daß die Worte der Grund von einer besonderen Art der Erkäntniß sind, welche wir die Figürliche nennen. Denn wir stellen uns die Sache entweder selbst, oder durch Wörter, oder andere Zeichen vor. Z. e. wenn ich an einen Menschen gedencke, der abwesend ist und mir sein Bild gleichsam vor Augen schwebet; so stelle ich mir seine Person selbst vor. Wenn ich mir aber von der Tugend diese Worte gedencke: Sie sey eine Fertigkeit seine Handlungen nach dem Gesetze der Natur einzurichten; so stelle ich mir die Tugend durch Worte vor. Die erste Erkäntniß wird die anschauende Erkäntniß genennet: die andere die figürliche Erkäntniß«. 50  Dm  §  319 (Hhg. v. Vf.): »Es hat aber die figürliche Erkäntniß viele Vortheile vor der anschauenden; wenn diese nicht vollständig ist, das ist, alles deutlich gleichsam vor Augen leget, was ein Ding in sich enthält, und wie es mit andern verknüpffet ist, und gegen sie sich verhält. Denn da … unsere Empfindungen größten Theils undeutlich und dunckel sind … so dienen die Wörter und Zeichen zur Deutlichkeit, indem wir durch sie unterscheiden«. 51  Dm  §  1079: »Es ist demnach klar, daß wir in dieser Welt keine anschauende, sondern eine figürliche Erkäntniß Gottes haben«. 52  Die Bedeutsamkeit dieses Schritts wird noch einmal klar, wenn man ein Wort des Aqui­ naten, das allerdings einem anderen Begründungszusammenhang, der visio beatifica, entstammt, mit Jerusalems Reserve gegenüber der Leistungskraft des Erkennens – sowohl durch Bestimmtheiten als auch durch Symbole – vergleicht. Thomas parallelisiert ›spekulativ‹ verfahrende Gotteserkenntnis mit der Reflexivität göttlicher Selbsterfassung, eine Parallele, die jeglicher Praktizität gegenüber als grundlegend sich erweist: Sth i q 1 a 4 (Die deutsche ThomasAusgabe/Textum Leoninum ): »Mag also auch unter den philosophischen Wissenschaften die eine spekulativen, die andere praktischen Charakter tragen: die hl. Lehre begreift beides in

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c) Erfahrbare Einfachheit Um die praktische Subjektivität in der Jerusalemschen Theologie weiter aufzuspüren, wenden wir uns der Predigt Von der seligen Erleuchtung der Welt durch Christum zu, in der die Erfahrung, jener von Aner in den Mittelpunkt seiner Jerusalemdeutung gestellte Begriff, eine exponierte Rolle spielen wird. Die in Rede stehende Predigt legt das tritojesajanische ›Mache dich auf, werde Licht‹ ( Jes 60, 1 – 6) als eine Weissagung auf Christus hin aus und kommt dabei zu wesentlichen Aussagen der Jerusalemschen Religionsbegründung. Es ist zuerst einmal bemerkenswert, daß Jerusalem für die Anwendung der Je­saja-Passage auf Christus ein schlichtes historisches Argument heranzieht, wobei die Triftigkeit des Arguments nicht entscheidend ist, sondern allein die Tatsache, daß es in Jerusalems Interesse liegt, historisch und nicht mit dem sensus mysticus, einer Typologie oder einer Allegorie zu argumentieren. Die Passage, so Jerusalem, sei darum auf Christus anzuwenden, weil die in ihr beschriebene historische Situation nicht in die Zeit des Alten Bundes hineinpaßt, sondern nur verständlich sei, wenn man sie als Hindeutung auf Christus verstünde.53 Es folgt (Sp 10 – 22) eine längere Passage, die von der Finsternis der Welt vor Christus handelt. Dann beginnt der Hauptteil der Predigt, in dem Jerusalem das Eintreten Jesu in die Geschichte darstellt, und es zeigt sich hier eine andere Intention als in der voraufgegangenen Predigt, da Jerusalem nicht abhebt auf die durch Verbalinspiration verbürgte Existenzweise innerhalb der trinitarischen Dynamik Gottes, sondern auf den Einfluß Jesu als eines religiösen Lehrers. Aber seitdem dieses göttliche Licht der Welt aufgegangen ist, sind die seligen Wahrheiten unsers Heils allen Menschen sichtbar geworden. In diesem Lichte sehen wir das Licht. Hier offenbaret sich, ähnlich wie auch Gott mit demselben Wissen sich erkennt und das, was er schafft (sicut et Deus eadem scientia se cognoscit, et ea quae facit). Doch ist die hl. Lehre mehr spekulativ als praktisch, weil sie in erster Linie das Göttliche betrachtet und sich erst in zweiter Linie mit den Handlungen der Menschen befaßt (quia principalius agit de rebus divinis quam de actibus humanis). Diese berücksichtigt sie nämlich nur insoweit, als der Mensch durch seine Akte hin­strebt zur vollkommenen Gotteserkenntnis, in der die ewige Seligkeit besteht (ordinatur homo ad perfectam Dei cognitionem, in qua aeterna beatitudo consistit )«. 53  Sp 6f: »Man müßte … diesen Worten die grösseste Gewalt anthun, wenn man sie von etwas anders, als von der seligen Erleuchtung, erklären wollte, die der Welt durch die Erscheinung des Erlösers wiederfahren ist. Denn wo will man sonst in der ganzen jüdischen Geschichte eine Zeit finden, worauf sich diese Beschreibung … deuten liesse ? … [D]ie Erklärung wird allezeit … gezwungen … bleiben«. Und Sp 8: »Wenn man also nicht sagen will, daß die ganze Rede des Propheten, wovon unser Text ein Stück ist, nichts als eine wilde Ausschweifung einer erhitzten Einbildung gewesen sey, die niemals erfüllet worden; so muß man sie nothwendig von der seligen Erleuchtung erklären, welche der Welt durch die Erscheinung des Erlösers wiederfahren ist«. Zu den Auslegungsprinzipien innerhalb der altprotestantischen Orthodoxie am Beispiel Johann Gerhards und dessen beharrlichem Festhalten am sensus literales sowohl gegen eine allegorisierende Exegese etwa bei Philo oder Origenes als auch gegen die Ra­tio­na­ li­sie­rungstendenzen der Sozinianer cf. Hägglund: Die Heilige, 207 – 241.

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sich Gott in seiner herrlichsten Vollkommenheit. Hier lernen wir den wahren Werth, und die grosse Bestimmung unserer Seele kennen (Sp 22).

Somit wird die Erlösung durch Jesus Christus unmittelbar in Beziehung gesetzt zur Selbsterfahrung des Menschen nach seiner Bestimmung und seinem Wert. Je­sus ist das Licht, indem erkannt wird, daß unsere Natur lichterfüllt und zur Seligkeit nicht nur bestimmt ist, sondern in dieser Bestimmtheit auch unangefochten zu verharren vermag, wenn sie sich an der Unendlichkeit Gottes als einer die Glückseligkeit verbürgenden Orien­tierung ausrichtet.54 Die entscheidende Bedeutung Jesu wird dabei nicht in seiner Göttlichkeit, sondern in jener Lehre gesehen, die über das wahre Wesen Gottes aufklärt, auf daß sich das Gottesbewußtsein an den wahren Begriffen der Gottheit ausrichten möge. Das religiöse Subjekt soll seine Glückseligkeit nicht – das nämlich war die Finsternis, in der die Weltnacht sich vor Christus befunden hat – auf fehlerhafte oder unvollständige Gottesbegriffe bauen, was dann zwangsläufig auch dazu führen müßte, daß die somit erlangte Glückseligkeit mit der Negativität aufgeladen würde, immer wieder neue Glückseligkeiten erstreben zu müssen. Jesu entscheidende Tat besteht darin, von Gott so gelehrt zu haben, daß fortan diese Lehre für unsere Selbstauslegung affektiv nicht ohne Belang bleibt. Gottes »Un­endlichkeit, seine Ewigkeit sind uns jetzo ein Abgrund, worinn wir uns mit Entzückung verlieren, weil wir von unserer eigenen Glückseligkeit darinn weder die Grenzen noch das Ende sehen« (Sp 24). Mit der durch Jesu Lehre installierten unendlichen Glückseligkeitsempfindung hängt die Simplizität der religiösen Lehre zusammen. Wenn nämlich »die allerreinste Begierde, das ganze menschliche Geschlecht glücklich zu machen, das erste Gesetz in der Sittenlehre Jesu [ist]« (Sp 26), und wenn Jesus dieses Gesetz erfüllt durch eine Lehre, die das Frömmigkeitsbewußtsein innerhalb des Gottesbewußtseins zu deutlicher Klarheit bringt, so muß diese Lehre einer prinzipiellen Simplizität genügen. Und nur dann, wenn diese Simplizität der Lehre nicht äußerlich bleibt, sondern zu einem notwendigen Aufbaumoment aller religiösen Aussagen sich erzieht, ist auch derer uneingeschränkte Nachvollziehbarkeit gewährleistet.55 Simplizität kommt also innerhalb der Theologie Jerusalems ein ähnlicher Status zu, wie ihn später die Universalisierbarkeitsforderung der Kantischen Sittenlehre haben wird. Dieser Gedanke sei im folgenden näher ausgeführt. Den sich gegen ein durch Einfachheit geprägtes Verständnis von Religion erhebenden Vorwurf kennt Jerusalem sehr wohl, wenngleich er ihn für unzutreffend hält: »Man kann hiegegen nicht einwenden, daß der Einfältige diese 54  Sp     23:       »Die Liebe zur Vollkommenheit ist die ewige Richtschnur aller seiner [sc. Got­ tes] Werke, und die allgemeine Glückseligkeit seiner Geschöpfe ist sein beständiges Ziel«. Und Sp 25: »Gott kann uns … einer ewigen Glückseligkeit theilhaftig machen«. 55  Sp 33: »Der Einfältige kennet … Gott … so deutlich, als der klügste Weise. Der Einfältige lieset die Sittenlehre Jesu mit derselben Ueberzeugung … tröstet sich mit denselbigen Gründen … Er … erwartet an seinem Ende mit eben der Freudigkeit sein verheissenes Erbe«.

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Wahrheiten zwar glaube, aber dennoch in ihren Zusammenhang keine deutliche Einsicht habe« (Sp 33). Das Bemerkenswerte an Jerusalems Konzeption religiöser Einfachheit besteht darin, daß er sie im Zusammenhang mit allgemeinen Überlegungen zum Status von Wahrheits- und Gewißheitsfragen in der Religion behandelt, Einfachheit also nicht als eine bloße Elementarisierung von religionstheoretischen Sachverhalten auf das für ein Frömmigkeitsleben Nötigste hin entfaltet.56 Die von Jerusalem hier getroffene Unterscheidung bezieht sich auf die Überzeugung von einer Wahrheit und deren Zusammenhang mit anderen Sachverhalten, die in einem induktiven oder deduktiven Verhältnis zu dieser Wahrheit stehen. Während einer simplen Einstellung zum Deutungsangebot der Religion die Mittel fehlen mögen, implikative oder deduktive Schlüsse aus der in Rede stehenden Wahrheit zu ziehen, so vermag diese Einstellung doch problemlos eine unumstößliche Überzeugung hervorzubringen. Damit scheint Jerusalem die Einsicht zum Ausdruck bringen zu wollen, daß das fromme Subjekt durchaus über eine religiöse Gewißheit verfügen kann, ohne dabei zugleich sich der Genesis oder der Verknüpfungen dieser Gewiß­ heit mit anderen Gewißheiten ebenfalls gewiß sein zu müssen. Das muß nicht be­deuten, daß das Bestehen solcher Gewißheitszusammenhänge durch die schlich­tere Einsicht in eine Wahrheitsgewißheit geleugnet wird, sondern es heißt nur, daß diese Gewißheit ihre Stabilität behält auch dann, wenn im Augen­ blick ihres Sich-Einstellens oder Sich-eingestellt-Habens im religiösen Subjekt nicht zugleich alle Gewißheitskontexte mitvollzogen werden. Bis hierher ist die Aneignungsdimension von Gewißheiten am Ort des religiösen Subjekts expliziert. Eng mit dieser Aneignungsdimension hängt zusammen ein zweiter Aspekt, daß Jerusalem nämlich den Gegenstandsbereich religiöser Überzeugungen von anderen Wahrheitssachverhalten absondert. Wahrheiten nämlich, so Jerusalem, »sind nicht alle von einerley Natur. Etliche lassen sich nicht anders als durch ein tiefsinniges Nachdenken erkennen; andere sind unmittelbar durch ihr eigenes Licht begreiflich, oder werden durch Erfahrung und Zeugnisse überzeugend« (Sp 34). Neben jene Wahrheiten, die sich nur in intellektueller Übung und Gewohnheit nachvollziehen lassen, stellt Jerusalem einen anderen Wahrheitstyp, der sich nach seiner Überzeugungskraft beim reli­giösen Subjekt unmittelbar durch Evidenz einstellt. Näherhin handelt es sich um einen Modus von Wahrheit, dessen Wahrheitsmoment vollständig aufgeht im frommen Vollzug des Für-wahr-Haltens, ohne daß das Subjekt noch darüber hinausgehende Reflexionen über den ontologischen Status dieser Wahrheiten und ihr Eingebettetsein in andere Wahrheitsbeziehungen anstellen würde. Diese Wahrheiten zeichnen sich also dadurch aus, unbetroffen von der Aktivität des intelli­gie­renden Subjekts gleichwohl durch das Unmittelbarkeitsmoment ihres 56 Zur Simplizität als einer zentralen Kategorie bei Jerusalem und zugleich der Neologie über­haupt cf. Spehr: Aufklärung, 70f; Schröter: Aufklärung, 214; A. Fischer: Toleranz, 70.

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Sich-Einstellens Gewißheit zu stiften und erkannt zu werden.57 Eine weitere Dimension jener nicht ausschließlich über Intellektion zu verge­gen­wärtigenden Typen besteht darin, durch Erfahrung und Zeugnis zu einer Gewißheit zu gelangen. Diese Erfahrung wäre dann näherhin als eine Erfahrung zu kennzeichnen, die das religiöse Subjekt mit dem von ihm selbst frei gegebenen Vertrauen in die Triftigkeit des Zeugnisses macht. Das Zeugnis nämlich bezeugt – darin ist es wahres Zeugnis –, in es gesetztes Vertrauen nicht zu enttäuschen, und mit genau diesem Sachverhalt macht das religiöse Subjekt eine Erfahrung. Hier ist die eingangs zitierte These Aners wieder aufzunehmen, die besagt, daß die Erfahrung zu den zentralen Kategorien der Jerusalemschen Religionsphilosophie gehört. Um gleichwohl zu einem belastbaren Ergebnis zu kommen, ist es notwendig, alle Zusammenhänge, in denen Jerusalem einen terminologischen Gebrauch von diesem Begriff macht, hinzuzuziehen. Es lassen sich etwa 15 unterschiedliche Konnotationen des Erfahrungsbegriffes in den Predigten ausmachen, die wir im folgenden präsentieren: 1) Erfahrung ist eine Konzeption, die unmittelbar der Intellektion entgegengesetzt ist. Erfahrung bezeichnet neben dem ›Zeugnis‹ die eine Religion prägende Dimension.58 2) Die Erfahrung kann neben die Offenbarung treten, weil sie im konkreten Leben die unmittelbare Rückführbarkeit der Offenbarung auf Gott verbürgt.59 3) Erfahrung ist eine religiöse Kompetenz, die sich im Laufe eines längeren Lebens herausbildet. Die hier gebotene Bedeutung von ›Erfahrung‹ geht schon über in einen auch umgangssprachlich üblichen Gebrauch.60 4) Erfahrung ermöglicht Verstehens- oder Erkenntnisräume, die unabhängig von modallogischer Logizität in Funktion sind, und das in ihnen Erkannte hat einen Beweischarakter.61 5) Die Erfahrung verhindert, daß man sich anmaßt, aus innerweltlichen Zusammenhängen metaphysische Schlüsse zu ziehen, so daß der Erfahrung eine metaphysikkritische Funktion zukommt.62 6) Er57  Es klingt hier das Licht Jesu an. Sp 32: »So göttlich … ist das Licht, welches uns durch die Offenbarung unsers Erlösers aufgegangen; so selig ist die Erkenntniß, wozu die Welt dadurch gekommen ist … Hier … ist alles Licht«. 58  Sp 34: »Sie [sc. die Wahrheiten] sind nicht … einerley Natur. Etliche lassen sich nicht an­ders als durch ein tiefsinniges Nachdenken erkennen; andere sind … durch Erfahrung und Zeugnisse überzeugend«. 59  Sp 35: »Laß seine [sc. des Lichtes] Strahlen bis ins Innerste unserer Seelen dringen, daß nicht allein unser Verstand dadurch erleuchtet, sondern auch unser Herz dadurch gerühret … werde, damit … unsere Erfahrung der größte Beweis seyn mögen, daß dieses Licht von dir seinen Ursprung habe !«. 60  Sp 44: »Gieb den Jüngern die Erfahrung der Väter; und den Vätern die … Kräfte der Jün­gern«. 61  Sp 48: »Aber … daß Menschen … sich selbst zu ihrer Gottheit machen wollen; dieß ist eine Unsinnigkeit, wovon man sich auch die Möglichkeit nicht würde einbilden können, wenn es die Erfahrung nicht bewiese«. 62  Sp 71: »Wie … thöricht klingt es nicht, wenn wir … von dem Zusammenhange der Welt re­den, als wenn wir ihre Urheber wären … Der Schluß … ist … aller Erfahrung zuwider«. Ähn­lich wird die Erfahrung gegen die Annahme von Schutzengeln in Stellung gebracht. Sp

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fahrung hat eine Kombinationsfunktion und lehrt, daß wir nur dann unseren Endzweck durch unsere guten Eigenschaften erfüllen können ( Tugend, Klugheit), wenn wir sie zielführend einzusetzen verstehen.63 7) Es gehört zum Bestand theologischer Weltauslegung, den Geschichtsverlauf deutend unter die Perspektive der göttlichen Providenz zu bringen. Bezüglich dieser deutenden Perspektive kommt der Erfahrung eine Verifizierungsfunktion zu.64 8) Die Erfahrung geht der Überzeugung, zu der sie aber zu führen vermag, voran. Da Jerusalem die Erfahrung eng mit der ›Beruhigung‹ in Verbindung bringt, läßt sie sich zugleich als Kontingenzreduktion beschreiben.65 9) Erfahrung kann auch eine pejorative Bedeutung annehmen, wenn Jerusalem von einer »falschen Erfahrung« (Sp 120) spricht. 10) Die Erfahrung steht in einem engen Verhältnis zur göttlichen Providenz.66 11) Erfahrung ist unmittelbar glückseligkeitsrelevant, wenn sie den Streit zwischen unterschiedlichen Glückseligkeitsstufen zu schlichten vermag.67 12) In der Passage aus Joh 7, 17 (So jemand will des Willen tun, der wird innewerden [gnōsetai], ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede) überträgt Jerusalem ›Erkennen‹ oder ›Innewerden‹ mit »durch seine Erfahrung es entscheiden können« (Sp 164). Zugleich, und das ist vital, wird Erfahrung hier gleichbedeutend mit Empfindung gebraucht. 13) Erfahrung ist ein Moment der Selbstaufklärung sowohl in lebensweltlicher als auch in religiöser Hinsicht.68 14) Erfahrung hat hinsichtlich einer umgreifenden Wahrheit eine 348f: »Es läßt sich … mit der Erfahrung nicht vereinigen … [W]enn Gott die Welt beständig durch Engel hätte regieren lassen wollen, wie überflüßig würden die ordentlichen Mittel seyn, die er zu Erhaltung der Welt in die Natur geleget hat ?«. 63  Sp 72: »Die Erfahrung lehret uns, daß wir durch diese Eigenschaften (sc. Klugheit, Ge­ schick­lichkeit und Fleiß) nur alsdann unsern Endzweck erreichen, wann wir in solchen Um­ stän­den sind, da wir dieselben gehörig anbringen können«. 64  Sp 78: »Nehmet eure eigene Erfahrung … und merket …, wie … thöricht diejenigen schlies­sen, die Gott … deswegen leugnen, weil er ihre Bosheit eine Zeitlang mit … Erbarmen ge­tra­gen hat«. 65  Sp 106 f: »Gott weiß die Mittel, die sich für unsere Wohlfahrt schicken, besser, als wir sel­ber, auszusuchen … Möchte doch die vielfältige Erfahrung, die wir davon schon haben, uns end­lich beruhigen können !«. 66  Sp 129: »Aber wenn Gott … unser Heil nicht besser, als wir, erkannt hätte …; können wir uns ohne Schaudern das Unglück vorstellen, worinn wir jetzt uns befinden würden ? … Hätten wir aber ja von allen diesem die völlige Erfahrung noch nicht; nur Geduld, sie wird nicht ausbleiben«. 67  Sp 133 f: »Unsere Ungewohnheit macht es, daß wir den einen Stand für glücklich, den andern für elend halten … Was kann diesen Streit besser entscheiden, als die Erfahrung«. 68  Zsp  6: »Wer ist unter uns … der diese Erfahrung nicht … mit seinen besten Glückseligkeiten gemacht hätte ?«. Zsp 113: »Wo ist der Heilige, der … dennoch … die Erfahrung machen müßte, daß … auch der lebendige Glaube sein Feuer bis auf einen Funken verlieren könnte ?«. Zsp 198: »Wir können hiervon die Erfahrung an uns selber machen«. Zsp 206: »[S]o werden wir bald zu der … Erfahrung kommen, daß sein Joch … unserer Natur gemässer sey, als die uns so angenehm scheinende Knechtschaft unserer Begierden«.

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Bestätigungsfunktion.69 15) Eine wichtige und von Aner als Hauptbeleg beigebrachte Passage bringt den Beweischarakter der Erfahrung hinsichtlich des religiösen Gefühlslebens zum Ausdruck.70 Versuchen wir, die präsentierten Passagen zusammenzufassen, so lassen sich folgende Bedeutungsstränge ausmachen: Religiöses Glaubensleben hat in der Erfahrung jenes Moment, das es ihm ermöglicht, die Offenbarung nach ihrem Inhalt am Ort der Verlebendigung im Religiösen zu bewähren und nach ihrem Gehalt zu werten. Offenbarung muß sich immer in der Unmittelbarkeit eines Erle­bens als nachvollziehbar erweisen lassen, wenn das durch sie Offenbarte auch wirklich soll empfunden werden können. Mit dieser Option der Erfahrung für den wahren Gehalt der göttlichen Offenbarung steht in Einklang ihre me­taphysikkritische Dimension, daß nämlich das religiöse Subjekt ein prüfendes und kritisches Verhältnis den Offenbarungen gegenüber einnehmen kann. Daraus folgt dann, daß Jerusalem die Erfahrung auch als kritische Instanz bestimmten Aussagen der Heiligen Schrift gegenüberstellt, die einer Historisierung unterworfen werden müssen, wie etwa die Vorstellung des Wirkens von Schutzengeln. Das also, was in der Bibel dem göttlichen Wort zugeschlagen wird, muß sich noch einmal ausweisen vor jener religiösen Empfindung, mit der man Erfahrungen macht. Der sprechende Beleg für die offenbarungskritische Dimension der Erfahrung ist Jerusalems Übertragung von Joh 7, 17, wo das Erkennen dessen, ob eine Offenbarung wirklich als göttliche Offenbarung kann angesprochen werden, übersetzt wird mit ›eine Entscheidung aufgrund einer Erfahrung treffen‹. Nach diesem kurzen Blick über den Gebrauch des Erfahrungsbegriffs können wir wieder einsetzen mit unserer Darstellung der in Rede stehenden Predigt. Jerusalem hatte unterschieden zwischen Wahrheiten, die durch Nachdenken nur herausgebracht zu werden vermögen, und solchen Wahrheiten, die auf ein Zeugnis- oder Erfahrungswissen gehen; wobei der religiöse Bereich allererst durch Zeugnis und Erfahrung angesprochen ist, während die durch schließendes Denken hervorgebrachten Inhalte die Religion nicht betreffen. Fragt man noch einmal nach dem Grund, aus dem heraus Jerusalem das Erfahrungsmoment des religiösen Glaubens so stark hervorhebt, wird man sagen können, daß eine sich auf die Erfahrungen besinnende Religionsphilosophie die unmittelbare Konsequenz aus der Simplizitätsforderung darstellt. Der Nachvollzug belangvoller religiöser Inhalte darf nicht der Kontingenz intellektueller Fähigkeiten zugeschlagen werden. Am deutlichsten spricht sich diese Einsicht Jerusalems in folgender Passage aus: 69 

Zsp 323: »Diese Betrachtung ist so allgemein wahr, daß ein jeder davon die Bestätigung in seiner eigenen Erfahrung findet«. 70  Zsp 242: »Meine Erfahrung ist mein Beweis. Ich fühle eine Beruhigung …, wirkliche Kräfte, meinen Gott zu lieben …, die über das Vermögen meiner Natur gehen«.

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Es forderte … die Weisheit Gottes, daß er den Menschen in ihrer Religion ein leichteres und allgemeineres Mittel der Erkenntniß, als die Schlüsse der Vernunft, gab, und theils solche Wahrheiten zum Grunde unsers Heils legte, die durch … Deutlichkeit … und … Erfahrung sich selbst bestätigen; die andern aber mit … unwidersprechlichen Zeugnissen bekräftigte, daß der Glaube mit eben der Kraft, mit eben der Ueberzeugung, unsern Beyfall wirket, den der schärfste … Beweis aus der Vernunft nur geben kann (Sp 34f    ).

Die der Erfahrung entspringende Glaubensgewißheit hat also nicht nur eine dem finalen Vernunftbeweis, wenn es ihn denn gäbe, ebenbürtige Überzeugungsgewalt, sondern ihr kommt auch gegenüber der Vernunftgewißheit eine größere Verallgemeinerung hinsichtlich der Wahrheitserkenntnis zu. Dies betrifft jedoch ausschließlich religiöse Wahrheiten, die durch das Zeugnis derer, die ebenfalls eine solche Frömmigkeitserfahrung gemacht haben, dem religiösen Subjekt gewiß zu werden vermögen. Wenn es nämlich, so offensichtlich die Meinung Jerusalems, in der Religion um die Glückseligkeit geht, so darf es nicht der Kontingenz bestimmenden Denkens überlassen bleiben, dieser Glückseligkeit dann auch teilhaftig zu werden. Simplizität ist demnach nur eine notwendige Implikation des Sachverhaltes, daß jeder, ohne dafür eine Einübung in begrifflich-schließendes Denken beibringen zu müssen, Überzeugungen ausbilden kann, die glückseligkeitsfest sind und sich – auch ohne Reflexion – gegenüber der beunruhigenden Negativität kritischer Reflexion als widerständig erweisen. Und nicht umsonst sind in ›Ruhe‹ und ›Beruhigung‹ jene Leitfadentermini gefunden, die Jerusalems religionsphilosophisches Hauptwerk, die Be­ trachtungen, über weite Strecken charakterisieren werden.

2. Vornehme Religion – Jerusalems ›Betrachtungen‹ Den umfangreichen Betrachtungen sind bibelwissenschaftliche Über­legungen vor­ausgegangen, die unseren Theologen als Exegeten zeigen, der sich speziell der Religion des Alten Testaments widmet, dabei aber schon sein Verständnis der Bibel als einer ganzen dokumentieren und durchaus das Inter­esse seiner Zeitgenossen zu erringen vermochte. Wenn man auch Jerusalems Beitrag zur Erforschung des Pentateuch heute stärker aus einleitungshistorischen Gründen für bedeutsam halten wird, so liegt doch dessen systematischer Gewinn – dies zeigen die Briefe über die mosaischen Schriften und Philosophie (1762) –  71 in der 71  Lavater etwa hat Jerusalems Briefe nicht nur mit Interesse gelesen, sondern auch exzer­ piert. Cf. hierzu Weigelt: Die Beziehungen, 174. Schon Jerusalems Pochen auf der historischen Kritik ist bemerkenswert, da somit die Interpretationsnotwendigkeit nicht nur der bibli­ schen, sondern auch der dogmatisierten Glaubensaussagen eingestanden ist. Cf. hierzu W. E. Müller: Legitimation, 207 f. Eine Passage zu Beginn der dritten Betrachtung (Daß Gott der aller­­vollkommenste Geist sey) zeigt ebenfalls deutlich die Abwendung von der altprotestanti­ schen Orthodoxie; hier nimmt Jerusalem nämlich Bezug auf die, wie er meint, irrige Lehre

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strikten Abwendung vom Inspirationsdogma altprotestantischer Orthodoxie und der Hinwendung zu einer konsequenten historisch-stilistischen Auslegung der Bibel. Dabei bekommen schon Begriffe eine Leitfadenfunktion, die auch in den Betrachtungen wieder zentral sein werden, und es zeigt sich zugleich, welche immense Bedeutung die mosaische Religion für Jerusalem einnimmt. Wir verweisen hier nur auf einige wichtige Momente, wobei immer zu beach­ten ist, daß Jerusalems Einschätzung der mosaischen Religion hier noch die Funktion hat, eine mosaische Verfasserschaft oder den reflektierten Gebrauch der Quellen durch Moses nachzuweisen, so daß die religionstheoretisch inter­es­santen Aussagen gewissermaßen als syste­matische Nebensätze erscheinen. Wenn etwa Jerusalem bestreitet, daß Esra – wie es prominent von Reimarus angenommen wurde – der Verfasser des Pentateuch gewesen sei,72 so bringt er neben den kompositionskritischen Argumenten auch eine grundsätzliche Einschätzung der jüdischen Religion: »Hergegen finde ich in den Mosaischen Büchern solche Nachrichten, mit denen die ganze Religion steht und fällt« (Bü 9f    ). Eine systematische Interpretation wird also pünktlich darauf zu achten haben, was es mit diesen Nachrichten auf sich hat. Das Interessante der Briefe besteht darin, daß Jerusalem die Verfasserschaft durch Mose unmittelbar verknüpft mit der Bedeutung des Religiösen im Judentum überhaupt. »Wie simpel und edel ist Moses … Wie dürftig und platt ist dagegen der Styl von Esra« (Bü 12). Die von Jerusalem angenommene Verfasserschaft des Moses scheint hier also zugleich eine Funktion jener Kennzeichen zu sein, die der Neologie ihr Profil gegeben haben. Auch bei der Frage nach dem Verfasser der Mose-Bücher fließen nämlich die zentralen Begriffe in Jerusalems Überlegungen ein, die nach seiner Überzeugung für den Wert einer Religion stehen. Nähme man also, so ließe sich hier Jerusalem kommentieren, eine Verfasserschaft des Esra mit seinem sehr viel weniger erhabenen Stil an, so hätte das zu­gleich Folgen für die Religionsauffassung, weil dann nämlich die erhabene Simplizität im Zentrum der Religion übersehen wäre. Es trägt für das Verständvon der Gotteserkenntnis als einem »von der Vernunft unabhängigen angebohrnen Begriff, den Gott unmittelbar in die menschliche Seele gepflanzt habe« ( Wr 43). Wenn er hier auch des Descartes eingeborene Ideen anzusprechen scheint (»[e]inige Weltweise glauben«; ib.), so dürfte doch zugleich auch die altprotestantische Lehre von der notitia naturalis insita vel acquisita gemeint sein. Cf. Gerhard: Loci, Tom. 1, Prooemium, 7 ( 4 ): »Principia menti humanae naturaliter insita, quae docent; esse Deum«. Cf. etwa Brush: Naturwissenschaft, 41 Anm. 43; Hupfeld: Die Ethik, 65f u. 98f. Zur notitia naturalis insita vel acquisita bei Abraham Calov in Frontstellung zum Sozinianismus cf. Reese: Lutherische, 360 –394. 72  Die Verfasserschaft des Pentateuch durch Esra wurde im 18. Jahrhundert prominent vertreten durch Reimarus (cf. hierzu Klein: Hermann, 87f    ). Cf. Reimarus: Apologie i, 914 – 921. L. c. 918: »Esra bleibt uns also allein übrig, den wir für den Verfasser der sogenannten fünf Bücher Mosis ansehen könnten. Denn Esra, der Priester aus dem Geschlechte Aron, war ein fertiger Schreiber im Gesetz Mosis, und hatte schon in Babylon sein Hertz gerichtet zu suchen das Gesetz des Herrn, und zu thun und zu lehren in Israel Sitten und Rechte«.

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nis Jerusalems nichts aus, auf die Zirkularität dieser Argumentation hinzuweisen; entscheidend ist vielmehr zu sehen, wie eng Jerusalem die Stilanalyse hier verzahnt mit einem religions- und empfindungstheoretischen Urteil über die in Rede stehende Religion, wie sich auch gleich noch weiter zeigen wird. Jerusalems Beitrag zur Pentateuchforschung ist darin gesehen worden, daß er die sogenannte ältere Urkundenhypothese vermittelt hat an Johann Gottfried Eichhorn, dessen Einleitung ins alte Testament (1780ff    ) als Gründungsurkunde der Einleitungswissenschaft gilt.73 Daß die verschiedenen Gottesnamen am Beginn der Genesis darauf schließen lassen, Mose hätte sich hier unterschiedlicher Quellen bedient, ist schon am Beginn des 18. Jahrhunderts dem Hildesheimer Pastor Henning Bernhard Witter aufgefallen, doch sollte seine Beobachtung nahezu 40 Jahre ohne Wirkung auf die Gelehrtenwelt bleiben. Erst der Leibarzt Ludwigs XV. Jean Astruc – von dem Verlangen getrieben, die Verfasserschaft des Mose gegen die Kritik der Hobbes, Bolingbroke, de La Peyrère oder Spinoza plausibel zu machen – zerlegte 1753 die Genesis in drei Erzählstränge, die aber nicht die Verfasserschaft des Mose infrage stellen, sondern nur darauf deuten würden, daß Mose sich bei der Abfassung seines ersten Buches verschiedener Quellen bedient hätte.74 In sehr ähnlicher Weise argumentiert auch Jerusalem zehn Jahre später in sei­nen Briefen, beruft sich dabei aber nicht auf Astruc. Die Gene­ sis, so Jerusalem, bediene sich bis zur Sintflut des poetischen Stils, der mit Beginn der Abrahamserzählung in eine Prosa wechselt.75 Wollte man Mose einen solchen Wechsel von Poesie zu Prosa unterstellen, so unterstellte man ihm damit zugleich einen höchst stilunsicheren Auftritt vor dem lesenden Publikum, den er »in Kothurnen anfangen, und in Socken beschließen« würde (Bü 98). Was sich Jerusalem als seine eigene Entdeckung zuschlägt, ist die These, daß die ersten Kapitel der Genesis nicht nur in einem poetischen Stil abgefaßt sind, sondern es sich hier wirklich um Gedichte handeln würde, eine Vermutung, mit der er noch über die bahnbrechende Untersuchung von Lowth hinausgeht.76 73 Cf.

Kaiser: Einleitung, 48 u. Kraus: Geschichte, 152. Cf. zu Witter und Astruc Houtman: Der Pentateuch, 62 – 70. 75  Bü 98: »Ich sehe erstlich in dem Styl … in Vergleichung mit dem folgenden, einen deutlichen Unterschied. In den drey ersten Kapiteln fällt er am klärsten in die Augen; er behält aber seine merklich kennbaren Spuren bis in die Geschichte der Sündfluth und des babylonischen Thurms. Mit … Abraham … wird er auf einmal ganz anders und offenbar prosaisch«. 76  Bü 86: »Vielleicht … kömmt dies … etwas fremder vor, wenn ich behaupte, daß diese Ersten Kapitel nicht allein in einer, in Vergleichung mit den folgenden Kapiteln, sehr verschiedenen und erhabnern Schreibart abgefasset, sondern daß sie selbst eigentliche Gedichte sind. Ich bin, so viel ich weiß, der erste, der diese Muthmassung wagt«. Inwieweit Jerusalem von Astruc beeinflußt ist, stellt eine einleitungsgeschichtliche Frage dar, die wir hier nicht weiter verfolgen. Bei W. E. Müller: Johann, 52 Anm. 129, findet sich die zusammenfassende Feststellung: »Soweit wir sehen, beruft sich Jerusalem nicht explizit auf Astruc. Seine Kenntnis der histo­rischen Kritik am AT ist unbestreitbar«. Ernesti: Theologische, 467, der eine lange Besprechung der Briefe gibt, scheint der Ansicht zu sein, daß Jerusalem zwar nicht hinsichtlich 74 

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Ebenso interessant wie seine einleitungswissenschaftliche These ist die Strategie, mit der Jerusalem diese These zu erhärten sucht. Auch hier wieder ist nämlich das empfindungstheoretische Paradigma in Kraft, wie wir es schon in den Predigten beobachten konnten. »Die Poesie ist nach der Natur in allen Sprachen älter, als die Prosa« (Bü 99). Damit ist scheinbar das entscheidende Argument für eine Behauptung des hohen Alters der Lieder, die dann Mose als Vorlage für die ersten Kapitel der Genesis gedient hätten, genannt. Doch bietet nicht dieses Argument die entscheidenden Figuren, sondern die Art, wie Jerusalem sein Argument wetterfest zu machen unternimmt. Die Lieder oder Gedichte seien nämlich ein Ausdruck der extremsten Empfindungshöhe, auf der sich die Menschheit hier befunden hätte, eine Intensität des Fühlens, die den poetischen Stil hervorgebracht und damit zugleich auch eines probateren Mittels sich bedient hätte, die »Aufmerksamkeit der Zuhörer zu reizen« (Bü 99). Die unmittelbar auf den Anfang Gottes mit Himmel und Erde folgenden Begebenheiten sind von einer so unmittelbaren religiösen Kraft und Bedeutsamkeit, daß das Empfindungsleben hier von alleine in liedhafte Vergegenwärtigungen übergeht.77 Und so ist es auch die menschliche Natur, die Jerusalem unmittelbar mit seinen stilhistorischen Überlegungen verbindet und hier im Bereich der Empfindungen einer Aufklärung entgegenführt.78 Mit der Poesie nämlich, wie Jerusalem sie an den Ursprüngen der jüdischen Religion meint aufgefunden zu haben, ist nichts weniger zum Ausdruck gebracht als die menschliche Natur in ihrer Unmittelbarkeit. Poesie ist also das ewige Selbstgespräch dieser Natur am Ort einer expressiv wer­denden Lebhaftigkeit des Empfindungslebens. Wie bei einem Tanz, der nach Rhythmus und Melodie die korporale Dynamik immer neu in scheinbar cha­otische Bewegungsfolgen bringt, um darin die emotive Widerspiegelung jener Regeln zu sein, die das Musikalische vorgibt, so bilden sich in der Poesie die »lebhaftern Empfindungen« jenen »Worte[n]« ein, die dem Erhabenheits- und

der Urkundenhypothese, wohl aber mit seiner Hervorhebung des Liedcharakters der Quel­len durchaus Originalität für sich beanspruchen darf: »So viel wir wissen, räumen dieses auch andere ein: aber daraus folget doch, dünket uns, noch nicht, daß die Quelle in solchen Lie­dern bestanden habe, und daß dieses die Lieder sind, die im Mose stehen. Doch der Hr. Verf. [sc. Jerusalem] giebt auch die ganze Sache nur für eine Muthmaßung aus«. Zu Jerusalems einleitungswissenschaftlicher Argumentation cf. Seidel: Karl, 123, 127 f, 136 bes. Anm. 10, 187; Bult­ mann: Die biblische, 82 ff; Görg: Menschenwort, 1420. 77  Bü 100; Hhgn. v. Vf.: »Müßte man nicht die ersten Menschen als Thiere ansehen, wenn man sich einbilden wollte, daß die Väter ihren Kindern diese Begebenheiten bey ihren jedesmaligen Zusammenkünften nicht mit den lebhaftesten Empfindungen erzählt; daß die Kin­der ih­ren Vätern nicht mit Entzücken zugehört, und sie sich mit eben den rührenden Vor­stel­lun­ gen eingeprägt hätten«. 78  Bü 100: »Man müßte die Natur der Menschen gar nicht kennen, wenn man nur einen Au­­gen­­blick hieran zweifeln wollte«.

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Lebhaftigkeitsgefühl vernehmbare Substanz verleihen (Bü 87).79 Eingedenk also dieser Natur »fühl[t]« sich Jerusalem von einem starken Entzücken durchdrungen, sich solchermaßen unter die »ersten Stammväter« mischen zu können, mit denen ihn seine Natur ebenso eint wie mit allen Heutigen, von denen anzunehmen ist, daß sie von einer der seinen ganz ähnlichen »Empfindung« sind (110). Hat Jerusalem also auch – ähnlich, wie wir das schon an den Predigten beobachten konnten – innerhalb seiner Briefe der Empfindung eine zentrale Argu­men­ tationsfunktion zugewiesen,80 so verbindet er am Ende des vierten Briefes diesen Basisbegriff der Aufklärung noch mit einem anderen Terminus, der im Sturm und Drang eine epochenkennzeichnende Bedeutung erlangen wird. Jerusalem diskutiert als möglichen Einwurf gegen seine Konzeption, »daß die Poesie dieser Stücke zu erhaben sey, als daß sie so weit in die allerältesten Zeiten zurückversetzt werden könne« (110). Und auf diese Einrede antwortet er mit dem Hinweis auf das Originalgenie, bei dem ein solches Argument nicht verfangen kann, da es gleichsam ›erhaben‹ ist über solche Fixierung auf den Epochenkontext, innerhalb dessen es seine Wirk­samkeit entfaltet. »[W]enn ich das Wesen der Poesie von gewissen äußerlichern Schönheiten absondre, so kann auch schon der erste Mensch der erhabenste Dichter seyn … Es werden noch immer dergleichen Originalgenies geboren« (Bü 110f    ). Unmittelbar vom adamitischen Ursprung der Geschichte her spannt sich also ein Bogen in jene Gegenwart aufgeklärter Religiosität, innerhalb derer und für die Jerusalem schreibt, um hier eine Sprache und Darstellungsform zu finden, die dem Zeitalter gemäß ist und von der sinnstiftenden Kraft der Religion zu künden vermag. Daß er dies hier durch das Zurückverlagern die Epoche kennzeichnender Begriffe in sprachlose Vorzeit tut, ist schon darum ein bemerkenswerter Vorgang, weil es im Zusammenhang mit einer sehr hellsichtigen Einfühlung in bibelwissenschaftliche Probleme geschieht, die Jerusalem auf der Höhe seiner Zeit diskutiert und durch wichtige Anregungen bereichern kann. Leider wurden seine Briefe nicht – wie eigentlich geplant – weitergeführt, sondern mußten einem anderen Projekt weichen, den Betrach­ tungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion. a) Urgeschichte Jerusalems Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion wurden 1768 begonnen und sollten kein Ende finden. Zu sehr geriet dem Meister 79  Bü 87: »Die Ausdrücke sind lebhafter und stärker; die Vorstellungen sind erhabner und abwechselnder; und sie werden mit einem gewissen Tonmaasse oder Takte vorgebracht«. Zu den hier von Jerusalem besonders hervorgehobenen Bildern, die poetisch und »gar nicht historisch« sind, allen voran das Schweben des göttlichen Geistes über dem Wasser, cf. Bü 88. 80  Cf. hier auch den Passus, daß man sich über eine Vorstellung des Empfindungslebens Adams in die Texte am Beginn der Genesis einzufühlen vermag: Bü 99 ( Hhgn. v. Vf.): »Man stelle sich die Empfindungen von Adam vor«.

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des ruhig und feinsinnig dahinfließenden Reflexionsstils der Stoff unter den Hän­den in die Breite – galt es doch nicht nur, die Loci praecipui in einem Werk zu versammeln, sondern zugleich auch mit den Expli­kationsgewohnheiten der hergebrachten Dogmatik zu brechen, um den Bestand deutungswürdiger religiöser Themen in einer den Epochenbedingungen angemessenen Darstellungsform zu präsentieren.81 Schon im ersten Teil seiner Betrachtungen, der einen Band von immerhin 450 Buchseiten füllt, geht Jerusalem aufs Ganze. Mit einer Untersuchung zur Bedeutsamkeit der Gottesfrage hebt er an, um diesen Gott dann zu beweisen. Weiter geht es über die moralische Natur Gottes, die Vorsehung und die Theodizee, den Menschen – nach seinem gegenwärtigen und zukünftigen Leben behandelt –, die Religion und ihr Verhältnis zum Aberglauben. Dann folgt die Darstellung von Urgeschichte und Vätergeschichten – der erste Band des zweiten Teils –, und endlich entwickelt Jerusalem im dritten und den zweiten Teil fortsetzenden Band seine Auffassung von der mosaischen Religion. Es ist interessant zu sehen, daß Jerusalem – schon von der Ahnung heimgesucht, sein großes Werk nicht vollenden zu können – den zweiten Teil mit einer Überlegung zum weiteren Verlauf seiner Untersuchung einleitet, die darauf geht, ob es nicht besser wäre, sich hier schon den dritten Teil vorzunehmen, in dem die christliche Religion verhandelt werden sollte, denn diese Religion sei von »vorzügliche[r] Gemeinnützigkeit«.82 Wenn er dennoch sich dafür entschieden hat, »in der einmal gewählten Ordnung fortzufahren«,83 so liege das daran, daß das Christentum zwar, betrachte man es hinsichtlich seiner sinnstiftenden »Stärke«,84 unabhängig von der jüdischen Religion sei und insofern auch selbständig behandelt werden könne, jedoch da … verschiedne ihrer [sc. der christlichen Religion] Wahrheiten aus dieser ältern Religion ein vorzügliches Licht erhalten, so würden sie an ihrer vollen Aufklärung auch immer etwas verlieren, wenn ich [sc. Jerusalem] bey ihrer Erklärung jenes Licht nicht zu Hülfe nehmen könnte.85

Wir halten diese Passage für bedeutsam, weil sie uns auf ein Anliegen der Hauptschrift Jerusalems führt: Religion ist keinesfalls dann ins Ziel schon gekommen, wenn sie den Weg, der zu diesem Ziel geführt hat, überspringt. So schlicht dieser Satz auch klingen mag – es muß sich im Nachvollzug erweisen, welche reli­ 81  Die sich im Verlauf der Betrachtungen einstellenden Subtilitäten lassen Häckers: Gei­ st­liche, Rede von Jerusalems Intention als einer »didaktischen Reduktion« ( 74, Hhg. v. Vf.) als wenig zutreffend erscheinen. Und überhaupt zeugen die Charakterisierungen Häckers wie »Vollständigkeitswahn« ( 73), »Neigung zur Weitschweifigkeit« ( 74) oder »eine gewisse Un­ kontrollierbarkeit des eigenen Schreibens«, das ihm »entgleitet … weil ihm der Gegenstand, aber auch das Schreiben selbst entgleitet« ( 75) eher von dem mangelnden Willen der Autorin, Je­ru­salems Überlegungen rekonstruktiv zu erschließen. 82  Fwrb viii. 83 Ib. 84  Fwrb ix. 85  Ib. Cf. Osthövener: Johann, 122.

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gi­onstheoretische Leistungskraft ihm innewohnt. Darum begeben wir uns im folgenden auf den Pfad der Nacherzählung, den Jerusalem vorangegangen ist und der seinen Anfang im Schöpfungsbericht als der ersten Offenbarung Gottes nimmt, um dann – durch die mosaische Religion hindurch – auf Jesus Christus hin zu verlaufen. Das Alte Testament wird hier keinesfalls mehr innerhalb der vexatorischen Hermeneutik einer schon im Alten Testament entdeckten und immer neu zu entdeckenden Christologie gelesen, wie sie für die Orthodoxie typisch sein und in des Salomo Glassius Christologia Mosaica (1678) paradigmatischen Ausdruck finden sollte.86 Der Weissagungsbeweis87 – wie auch der Wunderbeweis,88 die apostolischen Zeugnisse, die Inspirationslehre und die unbezweifelbare Autorität der Schrift89 – ist vollständig um seinen Kredit gebracht und auf eine Vorhersage aus der Kenntnis bestimmter historischer Umstände reduzierbar, woraus dann die These folgt, daß das Alte Testament »kein eigentliches Religionsbuch für uns Christen sey« ( N 517). Es nehme darum der christlichen Religion viel von ihrer »eigenthümlichen Simplicität« ( N 519), wenn sie ihr Eigentliches in fremden Symbolen und Bildern ausdrücken würde. Diese konsequente Abkoppelung des Alten Testamentes vom Christusgeschehen erlaubt aber umso mehr, das erste Buch der Bibel nach seinen eigenen Intentionen zu verstehen, um das für uns Heutige »Wesentliche daraus« zu »abstrahiren« (N 519); so daß sich Jerusalem dem Zeugnis des Alten Bundes widmet, ohne seiner nacherzählenden Interpretation den Tonfall christlicher Überbietungsherme­ neu­tik zu geben. Die Metapher zunehmender Erhellung durchzieht die Entwicklung der Reli­ gion in Jerusalems Betrachtungen, was ihn das Alte Testament ins Morgenrot der aufgehenden Sonne gestellt sein läßt; und so steht auch die Sonne am Beginn seiner Betrachtungen zur religiösen Entwicklungsgeschichte des Menschen, 86  So beginnt Glassius seine Mosaische Christologie programmatisch beim ‫ בראשית‬der Ge­ nesis, um festzustellen: »Verum sunt quidam veterum, qui primam illam vocem Filium Dei intelligunt« (Christologia Mosaica, 6). 87  Fwr 519 f: »[D]ie Weißagung, von dem aus Jacob aufgehenden Stern, und von dem aus Israel sich erhebenden Scepter, [ist] genau erfüllet; aber dies vorher zu sagen, dazu war nicht mehr göttliche Eingebung nöthig, als zu hundert andern Delphischen und dergleichen Ora­ keln, deren Erfüllung die Priester, aus Kenntniß der Umstände, allemal mit der größten Wahr­ scheinlichkeit vorher wissen konnten«. 88  Fwr 403: »Denn alle Wunder haben einen natürlichen Verdacht gegen sich, und können nicht strenge genug geprüft werden … und diese [sc. Prüfung] wird … noch so viel nöthiger, je tiefer ihre Geschichte in das Althertum zurück geht … Auch die Wunder, die in der Schrift vor­kommen, sind von dieser Prüfung nicht ausgenommen«. 89  Fwr 597 f: »Aber zu geschweigen, daß eine … durchgängige wörtliche Eingebung [sc. der Heiligen Schrift] keinen hinreichenden Grund hat … so will ich … nur dies sagen, daß die göttliche Autorität … dieser Bücher, nicht von der wörtlichen Eingebung …, sondern vielmehr, außer der innern Glaubwürdigkeit … von dem Charakter … der Verfasser, oder der ihnen von Gott er­t heilten Beglaubigung abhängt«.

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die der Offenbarung gewidmet sind. Sonne und Schöpfung phänomenalisieren sich in jenem zweisinnigen Gestus, den die Untergebenen beim Erscheinen des Herrschers einzunehmen pflegen, indem sie sich ihm entgegenwenden,90 um aber zugleich auch ehrfurchtsvoll das Haupt vor seiner größeren Würde und Erhabenheit niederzuschlagen.91 Gleichwohl aber ist die Sinnlichkeit, mit der das göttliche Erscheinen hier erlebt wird, nicht dazu angetan, diesem Erleben strenge Exklusivität zuzuerkennen. Es wäre nämlich eine Verkennung der Leistungsfähigkeit des visuellen Reizgeschehens, aus dessen Überforderung sogleich auf einen Gott zu schließen. Und so verblendet, was gestrahlt: »Die Ver­ blendung, sich neue Götter zu erschaffen, geht … ins Unendliche fort« (Fwr 19; Hhg. v. Vf.).92 Die ungebremste Sinnlichkeit führt also zu einer Vervielfältigung des Götter­himmels, nicht aber zu einer kritischen Befragung ihrer Produktionen und Ausdrucksgestalten, und so würde gänzlich ein innerweltliches Orientierungswissen fehlen.93 Moralisches Orientierungswissen nämlich bedarf jener Perspektive, von der her oder auf die hin Entschlüsse gefaßt werden, denn würde man das von Vagheit betroffene innerweltliche Mannigfaltige immer wieder einer neuen Gott­heit zuschlagen, so verkümmerte die Bewältigungskompetenz, die »höhere Bestimmung des Menschen« (23), und müßte kapitulieren im Angesicht der Mannig­faltigkeit.94 Damit tritt ins Blickfeld die Notwendigkeit des Gottes, mit dem die Schöpfung ihren Anfang nimmt, einen Anfang, der nicht schon Anfangen, sondern als Anfang des Anfangens diesem Anfangen entzogen ist und vor­ausliegt. Die Geschichte der Religion verläuft nach dieser »vorausgesetzten Grund­ wahr­heit«­(118), dem Anfang der Welt nämlich mit und in Gott. Der in Gott gesetzte Anfang des ersten Wortes der Genesis ist Anfang, der Gott immer schon war, so daß das Anfangen der Welt unmittelbar aus der Identifizierung Gottes mit dem Anfang folgt; und nur unter diesem Gesichtspunkt war dann zu sagen, daß Gott ›geschaffen‹ hat. Gottes erstes Werk aber gehört ebenso zu der in Rede stehenden vorausgesetzten Wahrheit, von der Jerusalem ausgeht, und er schlägt damit einen Bogen zu jenem Geschehen, da die Sonne noch erster Gott war. Daß Gott also spricht und in diesem Sprechen jenes Licht erschafft, von dem der an seine Sinnlichkeit Ausgelieferte glaubte, hier sei schon ein Gott, be90  Fwr 13 ( Hhgn. v. Vf.): »[S]o bald es [sc. das Sonnengestirn] erscheint, frohlocket ihm die ganze Natur entgegen … die Blume richtet sich wieder auf, und öffnet ihm ihren Kelch«. 91  Fwr 13 ( Hhgn. v. Vf.): »Durchdrungen von den Strahlen seiner [sc. des Sonnengottes] Ma­jestät, will er die Augen zu ihm erheben, aber er muß sie vor dem blendenden Glanze desselben verbergen; die Sterne selbst verbergen sich davor«. 92  Die im folgenden in den Text gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf Fwr. 93  Fwr 23: »Dieß ist der natürliche Gang, den die Menschheit in der Religion nehmen würde. Götter genug; aber nie wahre Religion, die den Menschen zur … wahren Tugend führen würde«. 94  Fwr 23: »Vielgötterey kann zu keiner moralischen Vollkommenheit führen … und es ist kein Laster, was darin nicht … noch neue Nahrung und Triebe finde«.

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stätigt Gott als einen Anfang des Anfangens, das diesen Anfang nicht rückbedingt.95 Jerusa­lem überläßt allerdings dieses Geschehen nicht der immanenten Explikation des biblischen Schöpfungsberichtes, sondern verzahnt es unmittelbar mit seiner vernunftreligiösen Perspektive, daß der Beginn der Schöpfung, so wie ihn die Bibel zeichnet, auch Anfangen der Vernunft ist. Um Jerusalems Interpretation der Schöpfung zusammenzufassen: Gottes Erschaffen des Lichtes ist ein Perfor­manzgeschehen, das Jerusalem als Beginn der Vernunftgeschichte mit dem Menschen interpretiert. Der Verfasser der Genesis hat damit aber zugleich einen erhabenen Gedanken gefunden,96 der aus der Vernunft für die Vernunft ein Erleuchtungsgeschehen freisetzt. Lichtwerdung durch Sprache – in diesem ersten Wort Gottes, das alles sichtbar werden macht, liegt eine tiefe und anhaltende Beruhigung für die Vernunft.97 Daß Gott spricht, am Anfang der Schöpfung gesprochen hat, heischt eine Ent­gegnung, und so ist die Sprachwerdung jene große Revolution innerhalb der Schöpfungsgeschichte, die Jerusalem anläßlich seiner Exegese des Anfangs der Genesis bietet; um damit aber gleichzeitig den für das 18. Jahrhundert typischen Sprachursprungstheorien der Étienne Bonnot de Condillac,98 Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder99 oder Jean-Jacques Rousseau100 einen eigenen Entwurf an die Seite zu stellen. Hier fallen Termini, mit denen dann Schleiermacher berühmt werden sollte: Empfindung, Abhängigkeit, Mitteilung und Geselligkeit. Der Mensch ist an der ursprünglichen Religionsstufe auf seine Sinnlichkeit reduziert, was aber nicht ausschließt, daß sein Empfindungsleben ihm das zentrale Moment aller Menschwerdung zugänglich sein läßt, nämlich »seine Abhängigkeit von« Gott ihn »empfinden zu machen« (137). Die Empfindungen aber sind darauf angelegt, zur Darstellung gebracht zu werden, da dem Menschen ein »Trieb« innewohnt, Empfindungen »seines Gleichen mitzutheilen« (140). Und hier ist der Ursprung aller Sprachwerdung erreicht, den Jerusalem zugleich mit der Ursprungsoperation allen Denkens identifiziert, der Bestimmungsfähigkeit oder, wie er sagt, der Empfindung, von der man sich eine Vorstellung zu machen vermag, um sie als eine solche ansprechen zu können.101 Diese Bestimmungsfähigkeit ist aber mit der Sprache keineswegs identisch, sondern geht ihr als eine 95 

Man vergleiche nur etwa die Aussage neueren Datums von Steck: Der Schöpfungsbericht, 162, daß sich V. 3 als »Vorstellung von Gottes selbstschöpferischem Sprechen für die Entstehung des Lichts … von allen anderen Anordnungen in Gen 1 [unterscheidet]«. Cf. auch Schüle: Die Urgeschichte, 36. 96 Fwr 118 (Hhg. v. Vf.): »Gleich zuerst erhebt sich der Verfasser«. 97  Fwr 119: »Denn dies ist der einzige Grund von dem Ursprunge der Dinge, worin die Vernunft ihre Beruhigung findet: Der Allmächtige wollte, und es ward«. 98  Zu Condillac cf. Ricken: Condillac. 99  Zu Hamann und Herder cf. D. Otto: Vom Ursprung. Zu Herder cf. Maengel: Zeichen. 100  Zu Rousseau und Herder cf. Maengel: Zeichen. Zu Rousseau l. c. 377  ff. 101  Fwr 141: »Das Vermögen zu empfinden, und von den empfundenen Dingen sich eine Vorstellung zu machen, ist von aller Sprache der erste wesentliche Grund«.

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»unabhängige Kraft der Seele« (141) vorauf, eine Operation, durch die Jerusalem den Begründungszirkel, daß Sprache jene Vernunft immer schon in Anspruch ge­nommen hat, die Sprache ihrerseits voraussetzt, zu unterlaufen vermag.102 Die Sprachwerdung als ein auf Mitteilung hin angelegtes Geschehen sieht Jerusalem motiviert durch Geselligkeit, eine Anlage, die unmittelbare Gestaltwerdung jener Vollkommenheit ist, die Christian Wolff zur Grundlagenbestimmung nahezu aller von ihm behandelten Großthemen (Ontologie, Psychologie, Ethik, Naturrecht) gemacht hat. In der Vollkommenheit ist »der erste Grundtrieb der vernünftigen Natur« (160) gefunden, der sich im Geselligkeitsstreben auswirkt. Eine Sprache wird gesucht, entwickelt und in Gebrauch genommen. Dieser Geselligkeitstrieb wird näherhin von Jerusalem als jene das Eigenleben über sich selbst hinausführende Initiative gekennzeichnet, in der das Individuum seine selbstbezügliche Affektlatenz kennenzulernen und zu kultivieren vermag. Die individuelle Glückseligkeit dann im Allgemeinen zu finden, bedeutet zugleich, hier nach »höhere[r] Bestimmung« (167) ein Mensch zu werden.103 b) Mosaische Religion Mit der mosaischen Religion ist die Bibel eingetreten in das Zeitalter einer »gottesdienstlichen und bürgerlichen Verfassung« ( 756), die in reiner Gottesliebe und Achtung für das Gesetz sich verwirklicht. Oder anders: Mose hat die jüdische Religion allererst in die Dimension des Politischen geführt, eines Poli­ti­ schen, das den Gedanken der Nation streng an eine endgültige Installation des Monotheismus bindet.104 Doch neben dieser institutionellen Dimension, die mit der mosaischen Religion ihren ersten wichtigen Auftritt hat, besteht die Bedeutung des Mose in dem höheren Grad der Abstraktheit, auf die die Religionsgemeinschaft verwiesen ist. Folgendes Problem mußte nach Jerusalem hier gelöst werden: War die Anbetung des einen allmächtigen Gottes die erste Pflicht im Volke, so mußte diese Anbetung gleichwohl geschehen unter striktem Verzicht auf alle goldenen Kälber, und die Religion mußte in so konsequenter Weise – dies die Einsicht aus der Sinaiperikope – auf Versinnlichun102 

Fwr 140: Jerusalem hält fest, »daß Sprache und Vernunft eine solche Beziehung aufeinander haben, daß sie beydes Ursache und Wirkungen voneinander zu seyn scheinen«. 103  Sehr ähnlich lesen wir in Schleiermachers Geselligkeitsschrift: »[I]m folgenden [wird] die freie Geselligkeit als eine nicht zu umgehende natürliche Tendenz betrachtet« ( Versuch, 53). Und: »Wir gehen aus von der Anschauung der Person, und bedingen das, was sich daraus ergiebt, durch den Endzweck der freien Geselligkeit« ( l. c. 114). 104  Es scheint uns von Interesse zu sein, daß auch Martin Buber: Moses, 121, in seiner Mo­ ses-Darstellung sehr ähnlich auf das Politische abhebt: »[D]er Zeit … war es nicht um ›Re­ ligion‹, sondern um Gott und Volk, also in politischem und sozialem Realismus um Gottesvolk, gleich­sam um einen vorstaatlichen Gottesstaat zu tun«. Entsprechend formuliert auch die alttestamentliche Exegese, daß dem »Dekalog gewiß der Rang … eines ›Grund­gesetzes‹ zugedacht« war (Blum: Studien, 198).

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gen verzichten, daß Unsichtbarkeit jetzt als die basale Eigenschaft der Gottheit eingesehen werden konnte. Wie aber, so Jerusalems Frage, ist dies zu leisten am geschichtlichen Ort eines Menschen, dessen Reflexionsgewohnheiten ein Vorstellungsarsenal zu bemühen pflegen, das sich Gott nur über versinnlichende Hilfs­operationen anzueignen vermag ? 105 Und hier bekommen zwei Kultgegenstände eine besondere Bedeutung, mit denen es gelingt, die Versinnlichung der Gottesgegenwart zu leisten, ohne dabei zugleich gegen das Bilderverbot zu verstoßen: die Bundeslade und das Stiftszelt. Daß Moses die Bundeslade als Aufbewahrungsort für die Gesetzestafeln sich auserkoren hatte, stellt nach Jerusalem das geheime Zentrum der mosaischen Religion dar. Die Bundeslade nämlich dient zur Veranschaulichung des Unsichtbaren in der Sichtbarkeit eines zum Kultgegenstand geformten Symbols. Einmal der Kasten selbst: Seine Funktion besteht darin, das Gesetz zu enthalten, um es dabei zugleich dem visuell-sinnlichen Zugriff zu entziehen, und so bleibt sichtbar, was sich dem Sehen verweigert hat. Daß im Inneren der Lade jenes Gesetz liegt, das durch die Lade wie gleichsam durch ein Zeichen angezeigt wird, weiß der Betrachter, aber er weiß es nur insofern, als in dieses Wissen die grundsätzliche Entzogenheit des Gesetzes schon mit eingegangen ist. Dies verschärft sich noch einmal, wenn der Deckel der Lade in den Blick genommen wird. Die Demutshaltung der zwei Cherubim auf der Lade gilt jenem thronenden Gott, dem – anders als bei den steinenen Gesetzestafeln – nur noch die deutlich sichtbare Unsichtbarkeit entspricht. Der durch die Lade verkörperten mobilen Dynamik sichtbarer Unsichtbarkeit entsprach die kultstatische Topologie des Stiftszeltes, das einen »Versammlungsort … zur Anbetung und Verehrung dieses Gottes« bildete (Fwr 763). Symbolisch sehr genau sortiert führt hier wieder der Gang von einer Versinnlichung – dem das Zelt umgebenden Zaun, dem Brandopferaltar, Vorhof, Wasserkessel, Räucheraltar, Schaubrottisch, Siebenarmigen Leuchter – in den Raum des Heiligen, der die Lade beherbergt. Die allem sinnlichen Zugriff entzogene Gottheit ist damit eingehegt von kultisch fixierten Gesten, die auf das Göttliche verweisen und dessen Gegenwart spürbar werden lassen, und das solchermaßen institutionalisierte Unsichtbare heischt umso stärker die sichtbare Gestalt des Politischen in einem Volksverbund. In dieser politischen Versinnlichung bestand die weltgeschichtliche Tat des Mose, der darin »Gesandte[r] Gottes« (Fwr 532) war.106 An diesem Prädikat zeigt sich zugleich, wie Jerusalem den Übergang vom Al­ten zum Neuen Testament versteht. Wollte man diesen Übergang inner105  Fwr 760: »Gott und König ohne Tempel, … wie wenig würde bey einem rohen Volke, das ohne sichtbare Gegenwart und sinnliche Verehrung sich keinen Gott denken konnte, jene Vorstellung sich erhalten haben«. 106  Nach seiner besonderen Gesandtschaft findet sich Moses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch beschrieben bei Schön: Philosophische, 100; Mayr: Vertheidigung, 610; Moldenhawer: Gründliche, 347 b.

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halb von Weissagung und Erfüllung rekonstruieren, so wäre die geschichtliche Dimension der Religion, um derer Willen Jerusalem sich auf eine so ausführliche Darstellung des Alten Testaments eingelassen hat, nicht angemessen in den Blick gebracht. Die Befestigung des Monotheismus durch Moses ist nämlich jenes Ereignis, das sich nicht noch einmal fortsetzen muß in einen spekulativen Gottesbegriff, sondern es behält seine Gültigkeit auch mit dem Auftritt Jesu in der Weltgeschichte ganz ungebrochen, so daß es Gott ist, durch den Mose gesandt wurde, eine Gesandtschaft, die in der gleichen Weise auch von Jesus ausgesagt zu werden vermag.107 Der Sachverhalt, daß die mosaische mit der christlichen Religion im Modus der Gesandtschaft ihrer Religionsstifter verbunden ist, läßt eine monotheistische Endgültigkeit zum Ausdruck kommen, daß nämlich die religiöse Initiativdynamik ausschließlich bei Gott selbst liegt.108 Trotz aller im folgenden noch näher zu beschreibenden Unterschiede, die das Christentum dem Judentum gegenüber geltend zu machen hat, liegt hierin doch eine denkbar starke Annäherung, die, so die kulturgeschichtliche Vision Jerusalems, immer weiter fortschreiten wird, »bis nach dem Wunsche des Heilandes aus beiden Religionen eins werde« ( N 62). Der Grund dafür, daß eine solche Vereinigung noch nicht stattgefunden habe, bestünde in der »Anhänglichkeit der Juden an ihre Religion« und in dem stark hypothetischen Charakter, den die jüdische Religion nicht nach ihrer monotheistischen Substanz, wohl aber nach den »darin gemischten philosophischen und sophistischen Hypothesen« hätte ( N 62 f    ). Hier fällt auf, wie hellsichtig Jerusalem die Religionsdifferenzen auf sehr schlichte Sachverhalte beschränkt sieht, nämlich die psychologischen Frömmigkeitsgewohnheiten und eine Überformung und damit zugleich Überforderung der ethisch-monotheistischen Essenz des Judentums durch philosophische Spekulation. In dieser Schlichtheit scheint uns gerade das Bedeutsame der Jerusalemschen Religionstheorie zu liegen, da unter der Perspektive einer unaufgeregten religiösen Positionsbestimmung, die sich nicht scheut, einer in fort­schreitender Selbstaufklärung begriffenen Vernunft stets dort die Führung zu überlassen, wo religiöse Steilpassrhetorik meint, das letzte Wort gerade deshalb behalten zu müssen, weil sie sich in ein Jenseits des gesunden Menschenverstandes begeben hat, offenbar den Religionen eine nicht zu übersehende Gleichzeitigkeit innewohnt. Diese Gleichzeitigkeit besteht in der Wertvoraussetzung, die beiden Religionen eigen ist; und wenn eine gewisse Rationalitätsgewohnheit im Umgang mit dieser Wertvoraussetzung einmal sich eingestellt hat, so verblas107  Kurz und unmißverständlich stellt Jerusalem fest: »Ich brauche ihn [sc. Jesus] eigentlich nicht eher zu kennen, bis er als der große göttliche Gesandte auftritt« ( N 71, Hhg. v. Vf.). 108  Osthövener: Johann, 123, weist auf eine Passage bei Jerusalem hin, in der es – und das in einer Predigt, die der Zweinaturenlehre gewidmet ist – heißt: »Es ist … der allergrößte Widerspruch, mehr als Ein göttliches Wesen zu glauben. Höre Israel, der Herr unser Gott ist ein einiger Gott ! Dieses bleibt … der … wesentlichste Grundsatz aller Religionen. Die Gottheit Jesu kann also keine besondere Gottheit ausmachen« (Sp 285).

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sen die Unterschiede. Der maßvoll deutende Umgang mit der eigenen Religion, die sich in einer Ge­schichte gebildet hat, von der nicht sofort behauptet werden muß, daß sie zu dieser Deutung Wesentliches nicht mehr beitragen könne nach Jesu weltgeschichtlichem Auftritt, erlaubt es Jerusalem, ein Religionskonzept vorzuschlagen, das dem Religiösen jenseits aller konfessionellen Differenzen Wert und Bedeutung zu sichern vermag. Dies zeigt sich besonders dort, wo Jerusalem an das Herz seiner eigenen Religion rührt und dabei eine strikte Spekulationsabstinenz zu üben bereit ist. Das nämlich, was nach seiner Auffassung der Vereinigung mit dem Judentum aus christlicher Sicht entgegensteht, das Eintreten hypothetischer Sophismen und Philosopheme ins jüdische Religionssystem, zögert er nicht, mit unverhohlener Schärfe am Christentum ebenfalls zu kritisieren und daranzugeben. Mit feinem Sinn für das Eigentliche im Christentum spürt er ein jedes Sacrificium intellectus auf, das zu glauben sich innerhalb der Christentumsgeschichte als eine normativ unterfütterte Selbstverständlichkeit herausgebildet hat. Wenn wir im folgenden noch einmal einen Abschiedsblick auf Jerusalems Christologie werfen, so wird sich zeigen, wie es ihm gelingt, die christliche Religion über Beschreibungsoperationen einzuführen, die durchaus die konfessionellen Grenzen zu überschreiten pflegen, ohne dabei auf das Proprium der eigenen Religion Verzicht zu tun. c) Jesus Christus Zum Beschluß also wenden wir uns Jerusalems Christologie zu, der Fortsetzung der Betrachtungen also, wie sie sich in den Hinterlaßnen Fragmenten (1792) findet. Dabei können wir anschließen an jene Einsichten, die sich uns schon in den Predigten ausgefaltet hatten. Wir haben gesehen, daß es der Erfahrungsbegriff gewesen ist, der die Christologie hier maßgeblich steuerte.109 Es ist nun darauf zu sehen, inwieweit die Betrachtungen das in den Predigten schon Ausgeführte noch zu ergänzen vermögen. Der entscheidende Schritt, mit dem die christ­liche Religion aus der Morgenröte heraus in das Licht tritt, ist noch darzustellen, wobei wir hier speziell unter der Fragestellung uns dem Text zuwenden wollen, worin genau die durch Jesus in die Geschichte eingetretene Besonder­ heit besteht. Dabei ist erst einmal zu beachten, daß Jerusalem im Kommen Christi keineswegs eine kerygmatische Diskontinuität zu sehen gewillt ist, sondern – seine Leitmetapher der Morgenröte macht das schon deutlich – sehr viel eher eine Aufhellung der Geschichte,110 die durchaus in strenger Kontinui109 Jerusalems Christologie findet sich zusammengefaßt im Glaubensbekenntniß Seiner Durch­laucht des Prinzen Leopold von Braunschweig ( 21769), das auch einen guten Blick über seine Theologie in Gänze bietet. 110  So spricht Jerusalem davon, daß es sich um »dasselbe Licht«, um einen »Plan … der bis an die Ewigkeit unverändert, und nun immer in ausgebreiteter Aufklärung fortgehn soll«, handelt ( N 56 ).

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tät zum performativen Ursprungsgeschehen am Anbeginn der Schöpfung zu denken ist. Insofern gibt auch nicht das chalcedonensische Homoousios den Ausschlag, sondern Jesu Bedeutung als eines finalen Lehrers der Gotteserkenntnis, wobei es wichtig ist zu sehen, wie konsequent Jerusalem auch hier sein religionsgeschichtliches Programm fortführt. Lag der von ihm aufgeführte Grund dafür, sich mit so hingebungsvoller Detailliebe dem Alten Bund zu widmen, darin, das Christentum am Ort der Geschichte selbst zur Sprache bringen zu können, ohne dabei seine Beziehung zum Alten Testament in die Relation von verheißener Erfüllung zu zwingen, so ist dieses Anliegen auch bei der Darstellung der christlichen Religion in Kraft. An einer bemerkenswerten Aussage kann dies besonders eindrücklich gezeigt werden. Jerusalems Christologie hat zu ihrer entscheidenden Voraussetzung Jesu Wort, daß der Vater größer sei,111 worin eine unmißverständliche Selbstzuschreibung Jesu gesehen wird, sich als nicht ineins gesetzt mit Gott zu wissen. Daß Jesus darüber hinaus der Sohn Gottes, eines Wesens auch mit dem Vater, sei, ist nach Jerusalem eine Zuschreibung, die ihre Berechtigung nur insofern hat, als natürlich auch dergleichen Zuschreibungen im Geschichtlichen Ausdruck gewinnen und somit »durch die Zeit, und die veränderte Denkungsart, ihre verschiedenen Bedeutungen haben und bekommen« (144); und diese Geschichtsimprägniertheit aller Religion macht selbst vor dem »Wort Gott« (144) nicht halt, ein Umstand, der Jerusalem umso freier eine Christologie entfalten läßt, die er als genau jener Epoche, in der er spricht, angemessen empfindet.112 Ist nämlich vorausgesetzt, daß die Zuschreibungsfunktion begrifflichen Denkens niemals eindeutig, sondern immer auch ein den jeweiligen Epochenbedingungen unterworfenes Moment ist, so muß eine dies eingestehende Bibelhermeneutik sich umsehen nach anderen sprachlichen Signalen, die ihrerseits der Interpretation in Aussicht zu stellen vermögen, an der intentio recta des Textes nicht vorbeizugehen. Jerusalem erkennt ein solches Signal in der schlichten Tatsache, daß Jesus Gott als seinen Vater bezeichnet, und es ist Jerusalems Überzeugung, hierin ein festes Interpretationskriterium gefunden zu haben. Im Gegensatz zu allen Spekulationen nicänisch-chalcedonensischer Provenienz handelt es sich hier um eine Relation, ein Verhältnis mithin, das zugleich der Natur aller menschlichen Wesen entnommen ist und von Jesus auf seine Beziehung zu Gott angewendet wird. Darin aber zeigt sich sofort, daß die trinitätstheologische These, Einheit über Bestimmtheit erzeugende Negativität aufbauen zu wollen, in die Irre führen muß, da eine solche These die Vater-Sohn-Relation allererst ihrer natürlichen Bedeutung berauben müßte, um sie dann auf einer völlig neuen Reflexionsebene wieder in Kraft setzen zu können. Und genau 111 

Cf. N 144, 156, 168, 569, 577. Jerusalem: Glaubensbekenntniß, 6: »Ich habe schon lange gewünscht, daß wir … einen Unterricht in der Religion haben möchten, der unsern Zeiten eigentlich angemessen wäre«. 112 

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in dieser spekulativen Einklammerung der natürlichen Analogie erkennt Jerusalem ein Abwandern in erdachte Reflexionswelten des Glaubens, die mit der christlichen Religion nicht mehr in einen Einklang zu bringen sind. Jedes Zeitalter hat seine Spekulationsgewohnheiten, die dann wiederum auf dem begriffsgeschichtlichen Fortschritt der entsprechenden Epoche fußen; anders ist dies mit den der Natur entnommenen Vergleichen, die ein sehr viel höheres Maß an Epochenimmunität und folglich auch Bedeutungssicherheit aufweisen und vorzüglich dafür taugen, religiöse Wahrheiten nachvollziehbar zu tradieren.113 Und diese der Natur entnommene Beziehung behält auch dann ihren bedeutungsfesten Gehalt, wenn sie hier sich angewendet findet auf Gott und seinen Sohn, denn diese Anwendung stellt für Jerusalem nur die maximale Steigerung einer Operation, deren Gültigkeit durch den jeweiligen Anwendungszusammenhang gänzlich unbetroffen ist, dar, ein Umstand, der damit zusammenhängt, daß die Relationsfundamente der entsprechenden Relation einer steten Steigerung ausgesetzt sein können, ohne daß sich dadurch der entsprechende Sachverhalt ›Relation‹ änderte.114 Hier hat Jerusalem eine Position erreicht, von der aus er seine späte Christo­ logie zu formulieren vermag, mithin: Wir sehen hier die Christologie vor einen so immens aufgeklärten Reformulierungswillen gebracht, daß der Eindruck entsteht, nichts von dem, was dem Christusgeschehen in den Augen der Alten Kirche, der Reformation und der Orthodoxie seine unantastbare Einzigartigkeit gesichert hat, sei noch übriggeblieben. Ausgesondert werden mit ruhiger, aber gleichwohl harter Hand die Prädestination, die Zweinaturenlehre, Christi Gleichheit mit Gott, die Präexistenz des Gottessohnes, die Communicatio idiomatum, die Satisfaktions-, Dreiämter- und Zweiständelehre und der Ordo salutis.115 Damit hat sich Jerusalem alle Waffen aus der Hand geschlagen, mit denen man die Wahrheit Christi, um es in Worten des 20. Jahrhunderts zu sagen, als eines Geschehens in der Geschichte, dessen Bedeutung aber außerhalb dieser Geschichte liegt, weil die Geschichte in einem prädikativen Abhängigkeitsverhältnis zur Offenbarung ( Karl Barth ) sich befindet, zu verteidigen pflegt. Und er verzichtet zugleich konsequent darauf – wie dann im deutschen Idealismus geschehen – über eine negationstheoretische Operationalisierung des Kreuzestodes die Geschichte, in der Jesus gewirkt hat, durch spekulative Selbstausschöpfung des Absoluten abgelöst sein zu lassen. Was also bleibt, ist das Weitergegangensein der Geschichte, in der Jesus erscheint und wirkt, und auf dieses 113  N 144: »Vergleichungen aus der Natur, behalten, so wie diese unveränderlich ist, auch immer ihre deutliche sichere Bedeutung«. 114  N 144: »Und wo ist in der ganzen Natur ein Verhältniß deutlicher, als das zwischen Va­ ter und Sohn ? Daß der Heiland es von sich in der höchsten Bedeutung nimmt, verändert darin nichts. Man nehme es in der allgemeinen, man nehme es in der allerhöchsten Bedeutung, das Ver­hältniß ist immer dasselbe«. 115  Cf. W. E. Müller: Johann, 146 f.

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Wirken ist der Blick unseres Theologen gerichtet, dem Jesus vor allem ein Lehrer ist.116 Als dieser Lehrer kommt es Jesus in erster Hinsicht zu, zwei grundsätzliche Wahrheiten einzuschärfen: die Erkenntnis des einen Gottes und die rechte Praxis, dieser Erkenntnis in einem erfüllten Leben auch zu entsprechen.117 Wenn Jerusalem Jesus dabei als einen Lehrer anspricht, so ist damit nicht nur die Applikation von Lehren angesprochen, sondern die pädagogische Dimension der Christologie geht darüber hinaus. Jesu Verantwortung als eines Lehrers kann größer kaum gedacht werden, da er sich als Bewahrer der Religion hinsichtlich ihres Wertes erzeigt und zugleich das Gefühl für diese Religion wachhält. Die Aufgabe dieses Lehrers besteht darin, seine Schüler nicht von Einsicht abzuhalten, so daß alles darauf abgestellt sein muß, niemanden abzuschrecken von der die Seele beruhigenden Kraft des Erlernten. Und dies ist hinsichtlich einer Religionslehre umso wichtiger, als sich hier die Einsicht nicht objektbewältigend und unabhängig von affektiven Gestimmtheiten einzustellen pflegt, sondern im Zugleich mit den affektiven Gestimmtheiten emporgetrieben wird. Wenn Jerusalem dabei einen besonderen Wert auf pädagogische Passivität legt, so liegt darin zugleich ein umso stärkeres Vertrauen in die aktiven Einfühlungsmuster des religiösen Subjektes in die Sinnradikalismen der Lehre Jesu. Und nicht nur das. Jerusalem zögert nicht, eine solche Pädagogik auch dort in Anwendung gebracht zu sehen, wo es den zeitgenössischen Lehrern der Religion gelingt, Denken und Fühlen auf religiöse Sachverhalte einzustimmen, was nur möglich ist, wenn der »Lehrer selbst fühlet« und »selbst empfindet« ( Ns 180). Wenn somit in der durch Jesus eingesetzten und von seinen Schülern beibehaltenen Pädagogik es keinen Nebenaspekt darstellt, ob diese Religion auch angenommen und verstanden werden kann, so ist darin eine letzte Konsequenz zu sehen, die Jerusalem aus seiner Leitmetapher des Lichtes zieht, das in der Helle des jesuanischen Tages noch zu künden vermag von seinem Ursprung in Gottes erstem Wort. »Der Lehrer soll den Verstand … erleuchten … Also kein blendender Glanz … auch kein Feuer, sondern Licht« ( Ns 179). Denn keinesfalls darf der Lehrer, wie die Metaphern des Glanzes und Feuers es schon anzudeuten scheinen, »die Wirkungen einer erhitzten Immagination« ( Ns 180) zu erzielen suchen, denn damit trüge er, um es mit den Worten des Dekalogs zu sagen, »Gottes Namen auf das Wahnhafte«.118 116  Cf. zur Kennzeichnung Jesu als eines Lehrers N xxi 91, 121, 123, 127, 166, 190, 395, 438, Ns 412, 444. 117  N 117: »Nichts ist auffallender, als die Absicht Jesu, die Menschen zur wahren Erkenntniß Gottes und zur Tugend zu führen«. 118  So die Übersetzung von Ex 20, 7 in: Buber/Rosenzweig: Die fünf, 205. Hier nimmt Je­ rusalem Einsichten vorweg, die dann durch die Religionspsychologie und Religionspädagogik im Anschluß an die kognitiv-strukturgenetische Entwicklungspsychologie Jean Piagets vielfach variiert wurden. Cf. nur Goldman: Religious, 63 f. Und nicht von ungefähr taucht jene für die Jerusalemsche und überhaupt neologische Bibelhermeneutik, die immer auch eine Lern­

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Wir wollen diesen Aspekt noch einmal unter einem weiteren Gesichtspunkt ansprechen. Es hatte sich gezeigt, was Jerusalem an der jüdischen Religion kritisiert hatte, daß diese nämlich den ethischen Monotheismus zum Schaden seiner religiösen Substanz mit spekulativen Überdehnungen anreichern würde; und er wendet diese Kritik ebenfalls auf das Christentum an, indem Jesus die Aufgabe zukommt, das Zustimmungsverhalten zur eigenen Religion nicht durch schlechte Pädagogik zu zerstören. Die Menschen, so Jerusalems feste Überzeugung, seien für die Lehre des Christentums durchaus aufnahmebereit, wenn nur einige wenige »Bestimmungen« ( N 127) getilgt würden, die dieser Aufnahme­ bereitschaft im Wege stehen.119 Hier kommt dem Lehrer die Aufgabe zu, einer kerygmatischen Überbestimmung seiner Lehre zu wehren, ohne dabei die Religion selbst sich aus der Hand gleiten zu lassen. Die pädagogische Dimension besteht hier ein weiteres mal darin, für Religion ein Gefühl zu wecken oder zu verhindern, daß »das Gefühl für Religion in der Welt immer weniger wird« ( N 128).120 Jesu »[h]ohes Gefühl« von der »herrlichen Größe« Gottes setzt sich fort in jenem Gefühl, das er erwecken will ( N 145). In der fünften Betrachtung der Nachgelassenen Schriften gibt Jerusalem eine sehr genaue Beschreibung davon, wie das Gefühl sich bildet in der Religion. Er legt hier den großen »Endzweck der christlichen Religion« dar, der darin besteht, die Menschen in eine Nähe zu Gott zu bringen, »mit Gott zu verbinden«, ohne daß diese Verbindung eines »Mittler[s]« bedarf ( N 271). Dieser Vermittlungsverzicht heischt zugleich eine Unmittelbarkeit zu Gott. Der »Sieg« christlicher Religion besteht darin, Vermittlungsinstanzen (»Untergötter«) um willen einer Gott-Unmittelbarkeit überflüssig gemacht zu haben ( N 272). Die Religion muß sich in einem unverstellten Gefühl mitteilen und wirken. Dieses Gefühl wird nicht nur dort wichtig, wo sich die christliche Religion in das einsichtige Herz senken soll, sondern ihm kommt auch eine Basisfunktion im Bereich des Praktischen, dem anderen zentralen Prinzip der Jerusalemschen Theologie, zu. Folgt man nämlich der unbedingten Tugendforderung und schickt sich an, das Gute zu tun oder tun zu wollen, so muß in dieses Tun schon immer die erkenntnistheoretische Operation mit eingeflossen sein, was denn genau das Gute in der je konkreten Situation sei; auf daß nicht aktivistische Beliebigkeit Platz greife und der tugendhaft Handelnde etwa »höhere Pflichten darüber versäumen« möge ( N 298), denn sittliches Handeln ist immer auch von Okkasionalität betroffen. Hier schlägt sich das theorie ist, wichtige ›Akkommodation‹ als ein zentraler und theorietragender Terminus bei Pia­get auf. Cf. etwa die kurze Zusammenfassung in Piaget: Meine Theorie, 53 – 62. 119  N 131: »Ja wenn die Wahrheit des Christenthums ohne diese Bestimmungen und Zu­ sätze nicht bestehen könnte …; dann wären wir freilich verbunden, über ihre Erhaltung mit der größten Sorgfalt zu wachen«. 120  Es ist auffällig, daß Jerusalem genau hier, wo er das ›Gefühl für Religion‹ ins Spiel führt, seine Kritik am Deismus unmittelbar anschließt: »Man sage nicht, daß die Deisten, wenn sie nur die natürliche Religion annehmen, nichts verlieren. Da sey Gott vor« ( N 128).

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Gefühl ins Mittel, indem es der Tugend allererst einen Maß-Begriff bereitstellt, nach dem diese sich ausrichten kann.121 Alle diese Wirkungen jedoch vermag das Christentum nur zu entfalten, wenn es sich die religiöse Lehre in einem Modus anverwandelt, der ohne Widerstände angenommen werden kann. Und hier tritt jene Simplizität, deren Prinzipienfunktion wir schon innerhalb der Briefe beobachten konnten, wieder auf. Diese Religion beruht auf keinen metaphysischen Schlüssen, denen der Weise nur folgen kann; sie wird Gefühl … Denn bei dieser Kenntniß ist das Herz unmittelbar interessiert ( N 273; Hhgn. v. Vf.).

Erst im Gefühl ist das Christentum nach seiner entscheidenden Dimension erfaßt, auf das Sittliche hin zu bessern, und dieses Gefühl hat hier eine so basale Funktion, weil es die für eine solche Besserung notwendige Unmittelbarkeit bereitstellt; es trifft den Menschen nämlich dort, wo er bei sich selbst ist, im Herzen. Und jetzt verbindet Jerusalem dieses Gefühl mit der Liebe als jener Verschmelzungsfigur, die sowohl für die Relation zwischen Gott und dem Menschen als auch für die unmittelbare Identifikation des Göttlichen zu stehen vermag. Aber die Liebe – das hohe Gefühl, daß Gott die Quelle aller Vollkommenheit; er selbst die Liebe ist ­– unendlicher ewiger Trieb zur höchsten Vollkommenheit, und diese Vollkommenheit durch alle Stufen der empfindenden Natur zu verbreiten … das freudige Bestreben ihm … ähnlich zu werden; dies ist das allein wahre Principium, das immer zu einer höheren Vollkommenheit führet ( N 284).

In dieser Passage gibt Jerusalem eine Zusammenfassung jener Fundamentalbegriffe, die im 18. Jahrhundert immer neu verhandelt werden – Empfindung, Gefühl, Vollkommenheit und die große Kette aller Wesen122 –, um diese Begriffe alle in der Verähnlichung mit Gott zusammenzuführen. Mit der ὁμοίωσις θεῷ ist jener große Gedanke abgerufen, der nach einem wichtigen Vorspiel bei den Pythagoreern, Empedokles und Pindar dann seine terminologische Festigkeit durch Platon, der in dieser Figur seine Philosophie bündig zusammengefaßt fand, erhielt.123 Über die Stoiker wurde die Vorstellung dann im Gewand einer 121 

N 298: »Das Maaß dieser Wohltäthigkeit … muß allein das Gefühl bestimmen … das Gefühl zeigt mir die Anwendung und das Maaß«. 122  Zur Vorstellung einer Kette des Seins cf. Lovejoy: Die große. Zur Vorläuferfunk­t ion die­ser Vorstellung für das Evolutionsdenken cf. Lier: Das Unsterblichkeitsproblem, I  / 277  ff. Zur Entwicklungsgeschichte der Metapher im 18. Jahrhundert cf. auch Albus: Welt­bild, 183– 191 (hier bes. zu Leibniz) u. 384–399. 123  Zum Ursprung dieser Vorstellung cf. den Platonischen Theätet 176af, Sd / Po: »Aber das Übel kann weder verschwinden […] denn es muß immer etwas dem Guten Entgegengesetztes geben (ὑπεναντίον γάρ τι τῷ ἀγαθῷ ἀεὶ εἶναι ἀνάγκη), noch kann es etwa bei den Göttern seine Unterkunft finden, sondern mit Notwendigkeit umkreist es die sterbliche Natur und unsere irdische Stätte (τὴν δὲ θνητὴν φύσιν καὶ τόνδε τὸν τόπον περιπολεῖ ἐξ ἀνάγκης). Daher gilt es auch zu versuchen, von hier so schnell wie möglich dorthin zu entfliehen. Die Flucht

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Telosformel an die Areios Didymos, Diogenes, Albinos, Apuleius und Stro­baios, also sowohl Platonfreunde als auch Gegner seiner Philosophie, weitergegeben, um dann in Neuplatonismus (vermittelt über Porphyrios und Hiero­kles) und Christentum (vermittelt über Origenes) eine bleibende Heimat zu finden. Paul von Samosata, Irenäus, Basilius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz oder Theo­dor von Mopsuestia – sie alle nehmen den Verähnlichungsgedanken in Besitz und versehen ihn mit einer christologischen Schlagseite.124 Wenn Jerusalem diesen Gedanken ebenfalls an entscheidender Stelle aufnimmt, so ist das bezeichnend. Er schließt sich der Alten Kirche dort an, wo sie sich dermaßen eng an eine platonisch-neuplatonische Denkgewohnheit bindet, »daß es oft schwer wird, den … zweiten Sinn (d. h. den spezifisch christlichen) über­all zu finden«.125 Daß dieser Sinn nicht immer randscharf tranchierbar ist, spricht keinesfalls gegen die Triftigkeit der altkirchlichen Christologie, sondern allenfalls für deren konsequente Entfaltung mit den Mitteln und unter der Perspektive ihres Epochenbewußtseins. Und nicht sehr viel anders verhält es sich bei Jerusalem, der zwar auf alle terminologisch-spekulativen Subtilitäten der alten Christologie Verzicht tut, sich aber nicht scheut, dort zuzugreifen, wo er die Gelegenheit entdeckt, ein Gefühl für das Religiöse zu entfachen. Wenn er dabei ohne Überfremdungsfurcht dem Denken seiner Zeit sich anheim gibt, so ist darin nur ein umso größeres Vertrauen in die sinnprägende und Seelenruhe gebende Kraft des Christentums zu erblicken. Und es macht die religionstheoretische Stärke seines immer neu variierten Basisoperators ›Simplizität‹ aus, diese Anheimgabe nicht durch den Verlust christlicher Eigentlichkeit erkaufen zu müssen. Mit Jerusalem ist uns nicht nur ein repräsentativer Theologe begegnet, sondern es ließen sich auch typische Muster beobachten, die bei Mendelssohn wiederkehren, zugleich aber ganz neuen religionsphilosophischen Entscheidungen dienstbar gemacht werden.

aber besteht in der möglichsten Verähnlichung mit Gott; ihm ähnlich werden heißt aber gerecht und fromm werden auf dem Grunde richtiger Einsicht (φυγὴ δὲ ὁμοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν: ὁμοίωσις δὲ δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι)«. 124  Als klassische Darstellung einer patristischen Aufnahme der Verähnlichungsfigur cf. Merki: Omoiōsis. Geadelt wurde Merkis Darstellung durch eine Rezension, die ihr Jaeger: [Rez.] Hubert, hat zukommen lassen. Cf. auch Zachhuber: Die patristische, 78 – 87. 125 So Jaeger: [Rez.] Hubert, 578.

B. Religion und Ästhetik – Der Empfindungsbegriff Im 16. und dann spätestens 17. Jahrhundert wurde eine Lunte gezündet, die über die Jahrhundertschwelle hinweg brannte, um in der Aufklärung jene explo­siven Epochentendenzen zu erreichen, von denen aus die Moderne weiterarbeiten sollte. Nikolaus Kopernikus schrieb 1514 sein im Jahre 1543 von Andreas Osiander herausgegebenes Werk De revolutionibus orbium coelestium, dessen kultur- und religionsgeschichtliche Bedeutung sich zeigt, indem hier die theologisch-metaphysische Deutungshoheit nicht nur abgelöst wurde von der Naturwissenschaft, sondern durch diese weit übertroffen worden ist darin, Er­klärungspotentiale – auch innerhalb der Religion – freizusetzen. Diese Entwick­lung setzte sich fort bei Giordano Bruno, der dem Gott der Theologie das Unendlichkeitsprädikat nahm, um es dem Kosmos anheimzugeben. Bruno revolutioniert die Unendlichkeitsvorstellung, indem er sie ihrer Fixie­rung auf eine Prädikation Gottes entkleidet und zu sich selbst befreit.1 Mit Johannes Keplers Mysterium cosmo­ graphicum (1596) und endlich Galileo Galileis experimentell verfahrender Naturwissenschaft war die aristotelisch-ptolemäische Physik und Astronomie end­gültig gestürzt und zukunftweisend überwunden, um dann bei Isaac Newton auszulaufen in die Naturwissenschaft moderner Prägung, wie er sie in seinen Philosophiae naturalis principia mathematica (1687) grundgelegt hatte. Auch begannen sich schon im 17. Jahrhundert die Akademien als institutionalisierte Multiplikatoren des immer stärker sich ausbreitenden Forschungsdranges herauszubilden: allen voran in Italien mit der Accademia Nazionale dei Lin­ cei (1603),2 der etwa Galilei, Giambatista della Porta und Francesco Barberini angehörten; dann die Royal Society (1662),3 deren wohl berühmtester Präsident Sir Isaac Newton war (1703 – 27); und schließlich mit Leibniz als Präsidenten die Kurfürstlich-Brandenburgische Societät der Wissenschaften (1700), aus der die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin hervorgegangen ist.4 Von dieser Entwicklung blieben auch die deutschen Universitäten – besonders 1  Bruno: Über die Monas, 24: »Also wird das Unendliche von dem einen Zeichen ausgedrückt dessen Zentrum als überall befindlich gefaßt werden soll. Es zeigt sich gleichsam durch sich selbst als die Vernunft, die Sache und als die Kraft des Namens: Universum. Es allein begegnet gleichsam überall dem Geist und sich selbst. Als die tätige Kraft, die alles zu allem hin, und alles auf sich selbst wenden kann«. 2 Cf. Freedberg: The Eye. 3 Cf. Bryson [Hg.]: Seeing. 4 Cf. Hartkopf  /  Dunken: Von der Brandenburgischen.

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Halle und Göttingen – nicht unberührt. Politisch macht sich die Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit theonomer Erklärungsfiguren in jenen Staatstheorien bemerkbar, die dadurch ausgezeichnet sind, sich von einem im Göttlichen verankerten Naturrechtsdiskurs abzukoppeln. Von Hugo Grotius’ De jure belli ac pacis (1625) über Thomas Hobbes De cive (1642) und Leviathan (1651) zu John Lockes Two Treatises of Government (1689) wird ein Denken spürbar, das immer stärker der Selbstbezüglichkeit von Rechtsdiskurs und Rechtsbegründung und damit auch der tätigen Eigen­vitalität des Menschen Rechnung zu tragen unternimmt. Das theologisch organisierte vorneuzeitliche Naturrecht der Augustin und Thomas von Aquin wird abgelöst durch ein immer stärker an der autonomen Subjektivität des Willens orientiertes Naturrecht, das zugleich darauf hinausläuft, das Zwangsrecht zu legitimieren, ein Problem, das nicht zuletzt durch die blutigen Bürgerkriege Europas dringlich wurde. In Deutschland sind diese staatsrechtsphilosophischen Tendenzen zusammengeführt worden am Jahrhundertübergang durch Samuel Freiherr von Pufendorf und Christian Thomasius.

1. Wege zur Empfindung Kaum irgendwo wird aber der Wandel, für den die Aufklärung steht, sichtbarer als in der Kunst. In Literatur, Musik und Malerei zeigen sich die Umformungsprozesse so besonders deutlich, weil hier die höfische Zweckgebundenheit verlassen wird zugunsten jener bürgerlichen Kunst, die heute noch eine Normalität darstellt. Die schon am Ende des 17. Jahrhunderts ihren Anfang nehmende Auflösung des höfischen Kunstschaffens führte im 18. Jahrhundert zu dessen Niedergang. Im Namen von Individuum, Gefühl, Natur, Schlichtheit im Ausdruck und rationaler Überprüfbarkeit entsteht eine neue Kunst, die aus der Funktionalisierung durch Aristokratie und Hof herausgetreten ist. Eine bürgerliche Kunst, die es im 17. Jahrhundert nur in Holland gegeben hat, wurde im 18. Jahrhundert zu einer gesamteuropäischen Selbstverständlichkeit. In Frankreich findet sich der Abschied vom Barock schon in der Bukolik des Antoine Watteau, die als eine Polemik gegen den Stil der höfischen Kunst zu verstehen ist.5 In den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts darf der Barockklassizismus als abgeschlossen gelten. Philipp von Orléans verlegte seine Residenz von Versailles nach Paris, womit das höfische Leben an sein Ende gekommen und Paris zu einem Zentrum Europas im 18. Jahrhundert geworden war – die Stadt triumphiert über den Hof. Und der glanzvolle Hof zu Sceaux, den die Herzogin von Maine unterhielt, und der typisch war für die Höfe am Beginn des 18. Jahrhunderts, strebte schon zu auf die in den romantischen Salons gepflegte Gesellig5  Endgültig ins Bild getreten ist das Bürgertum bei Jean-Baptiste Greuze und Jean-Baptiste Siméon (cf. Krüger: Das Zeitalter, 140).

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keit.6 Innerhalb der Literatur zeigt sich die Tendenz aufs Individuelle in ganz besonderer Weise; das 18. Jahrhundert bringt jenen Roman hervor, der in steter Analyse der Hauptfiguren sein Wesen hat – die Aufdeckung des Inneren wird zu einem hervorstechenden Merkmal. Wie stark demgegenüber die Situation in Deutschland als verspätet empfunden wurde, verdeutlicht schön Graf von Manteuffel,7 der Erfahrungen am Warschauer und Dresdener Hof als Legationsrat, Kabinettsminister und Geheimer Rat gesammelt hatte und die sächsisch-polnische Außenpolitik leitete, in einem Brief an Christian Wolff aus dem Jahre 1738: »Deutschland wimmelt von Fürsten, von denen drei Viertheile kaum gesunden Menschenverstand haben und die Schmach und Geißel der Gesellschaft sind. So klein ihre Länder, so bilden sie sich doch ein, die Menschheit sei für sie gemacht, um ihren Albernheiten als Gegenstand zu dienen. Ihre oft sehr zweideutige Geburt als Centrum alles Verdienstes betrachtend, halten sie die Mühe, ihren Geist oder ihr Herz zu bilden, für überflüssig … Wenn man sie handeln sieht, sollte man glauben, sie wären nur da, um ihre Mitmenschen zu verthieren (abrutir), indem sie durch die Verkehrtheit ihrer Ansichten und ihrer Handlungen alle Grundsätze zerstören, ohne die der Mensch nicht werth ist, ein Vernunftwesen zu heißen«.8 Wollte man darangehen, sich des menschlichen Wertes zu versichern, so mußte der Mensch einen Weg finden, der ihn an Standesbeschränkungen vorbei zu sich selbst führte. Und wir wollen im folgenden zusehen, wo dieser seinen Ausgang genommen. Suchte man nach einem integralen Motiv, auf das hin die Verdienste der Aufklärung augenfällig abrufbar sind, so stößt man, wie wir schon gesehen haben, auf die Empfindung. So urteilt Johann August Eberhard in seiner Allgemeinen Theorie des Denkens und Empfindens von 1776: »Wenn man … die neueste spekulative Philosophie richtig charakterisiren wollte: so würde man vorzüglich auf ihre Entdeckungen in der Theorie der Empfindungen zu sehen haben«.9 Zwei Jahrhunderthälften wurden durchschritten bis der Em­pfindungsbegriff dann durch Lessings berühmten Vorschlag gegenüber Johann Christoph Bode (1768), ›sentimental‹ mit ›empfindsam‹ zu übersetzen, als Epochensignatur in Gebrauch genommen wurde. Einen ersten Karriereschritt konnte die Empfindung im Jahre 1646 machen, als des Aragonesischen Jesuitenpaters Baltasar Gracián y Morales El Discreto und ein Jahr später das unter Vincencio Juan de Lastanosa ver­öffentlichte Oráculo manual y arte prudentia erschien. Gracián überführt das an der ›sprezzatura‹ orientierte Handlungsideal des Castiglionischen Hofmanns in die monastische Abgeschiedenheit der Literatur des ›aforismo‹.10 Die 6 Cf.

Béguin: Höfe, 62 f. Bronisch: Der Mäzen. 8  Zit. nach Biedermann: Deutschland, 143 f. 9  Eberhard: Allgemeine Theorie, 5. 10  Zum Vergleich vom Castiglione und Gracián cf. Lasinger: Aphoristik, 135–144 u. Hinz: Die menschlichen, 12−29. 7 Grundlegend

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schlichte Ausgangsthese des Weltmanns, daß ein guter Geschmack »uns fähig [macht], in jedem Fall das Beste zu wählen«,11 zeigt schon, das der Hofmann auszuwandern gedenkt aus der höfischen Gesellschaft, um beim dritten Stand neu anzuheuern. Der für Gracian namhaft gemachte Bruch mit dem Bildungsoder Orientierungsideal der Renaissance wird von Gracian selbst zum Ausdruck gebracht,12 wenn er sagt: »Geschmack und Sprache verändern sich von Zeit zu Zeit; wir müssen nicht im alten Style, sondern im Style der heutigen Welt reden. Der Geschmack guter Köpfe dient in allen Fächern den uebrigen zur Richtschnur; nach ihm muß man sich bilden, und bestrebt seyn, sich durch ihn zu vervollkommnen. Der kluge Mann richte sich in Hinsicht seines Aeußern und seines Geistes nach den Sitten seiner Zeit, wenn ihm auch gleich die Sitten der Vorzeit besser scheinen«.13 Von hier aus war es nicht mehr weit zu John Locke, der den Privatier ( private man) und seine Zustimmungsfähigkeit zu allen souverän-religiös verwalte­ten Rechtsgewohnheiten immer stärker in den Mittelpunkt stellt. Am Abend des 17. Jahrhunderts hat Locke die kraftvolle Emanzipationsbewegung des Bürgertums schon wetterleuchten gesehen und ihr zugleich eine Wesensformel gegeben, wenn er den Konsens aller privaten Rechtssubjekte, die sich am gegenseitigen Beurteilungsmuster von Lob und Tadel orientieren, eine unverzichtbare Rolle in der Rechtsfindung spielen läßt.14 Aber auch schon das ganze in Lockes Essay durchgeführte Programm einer Widerlegung angeborener Ideen15 ist unmittelbar geschöpft aus der tiefen Überzeugung, daß jeder nur durch eigene Anschauungsarbeit urteilsfeste Gewißheiten gewinnen kann und auch muß. Durch die Berichte des wohl berühmtesten Englandreisenden nach der Jahrhundertwende, Voltaire, besitzen wir eine genau beobach11 

Gracian: Der Mann, 37. Eine kritische Haltung gegenüber dem Bildungsideal der Renaissance nahm schon der An­dalusische Arzt Juan Huarte de San Juan ein, dessen Überlegungen noch im 18. Jahrhundert in so hohem Ansehen standen, daß man meinte, Montesquieu hätte seine Ausführungen zum kli­matischen Einfluß auf den Esprit de loix (1748) weitgehend von Huartes Examen des inge­ nios para las ciencias (1575) übernommen (cf. Ullersperger: Die Geschichte, 92). Cf. zum Examen Krauss: Graciáns, 52 f u. 87 f. 13  L. c. 94f. Einen Blick über die Geschmacksdebatte im 18. Jahrhundert erhält man durch die Textauswahl bei Bormann [Hg.]: Vom Laienurteil. 14  Locke: Essay ii 28, 12 ( Hhgn. v. Vf.): »If any one shall imagine that I have forgot my own notion of a law, when I make the law whereby men judge of virtue and vice to be nothing else but the consent of private men who have not authority enough to make a law; especially wanting that which is so necessary and essential to a law, a power to enforce it: I think I may say, that he who imagines commendation and disgrace not to be strong motives on men to accommodate themselves to the opinions and rules of those with whom they converse, seems little skilled in the nature or history of mankind«. 15  Für W. Wundt: Beiträge, 90, ist das Programm einer Bestreitung angeborener Ideen von umfassender Bedeutung, und er konzediert Locke, dieses Theorem prägnant beschrieben, dann aber nur inkonsequent durchgeführt zu haben, wie sich etwa an der Diastase von subjektiver und objektiver Realität zeigt. 12 

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tende Beschreibung der englischen Verhältnisse und Philosophie. Voltaire war aufgrund einer Beleidigung gegenüber dem hochadeligen Chevalier de Rohan von Ludwig XV. vor die Wahl zwischen Bastille und Exil gestellt worden und reiste so 1726 nach England. Hier konnte er in schmerzlichem Vergleich mit der Heimat beobachten, zu welch hohem Ansehen die englische Nation ihre Söhne kommen ließ, wenn sie nur über ausreichend geistige Gaben oder gar Genie verfügten. Joseph Addison, Mitbegründer der absatzstarken Wochenschriften Tatler (1709) und The Spectator (1711), hatte es problemlos zum Gouverneuerssekretär und Mitglied des Parlaments gebracht, und anläßlich seiner Einladungen nach Twickenham konnte Voltaire bewundernd sehen, daß Alexander Pope, der Sohn eines Stoffhändlers, in nicht geringerem Stil residierte als seine adeligen Freunde, die ihm einst bei seinem gesellschaftlichen Aufstieg geholfen hatten.16 Aber den stärksten Eindruck wird das Begräbnis Isaac Newtons hinterlassen haben. Ein Jahr nach seiner Ankunft wurde er Zeuge, wie dieser große Sohn Englands mit hohen Ehren in der Londoner Westmünsterabtei zu Grabe getragen wurde, hier, wo die Könige von England ihre Ruhestatt fanden. Der Lordkanzler, zwei Herzöge und drei Grafen trugen sein Leichentuch.17 Und so war dann auch die Größe Englands noch nicht einmal nur dadurch bezeichnet, daß sie Männer wie Locke und Newton hervorgebracht hatte, sondern als weitaus bedeutsamer schätzte Voltaire den Umgang der Nation mit diesen Zeitgenossen ein,18 deren Verehrung durch ganz England ein sinnfälliges Indiz dafür hergab, daß in diesem Land die Aufklärung schon spürbare Realität geworden ist.19 Der Übergang in eine neue Zeit mit England als stolzem Fackelträger wird am Handel besonders augenfällig. Im Aufstieg Englands zu einer bedeutenden Handelsnation hat sich zugleich ein Überlegenheitsgefühl des dritten Standes herausgebildet, das ganz unmittelbar gegründet ist in jenem Effizienzprimat, der das Bürgertum zur Trägerschicht moderner Gesellschaften emporwachsen ließ.20 Während Voltaire nämlich den Adel als in einer Selbstverurteilung zu schleichendem Effizienzschwund befangen empfindet, sieht er die Kaufmanns16  Zu Voltaires Besuch bei Pope cf. Davidson: Voltaire, 64 f. Zu Popes Twicken­hamer An­ we­sen, dessen gartenbauliche Raffinessen gerne ins Verhältnis zu seiner Dichtung gesetzt werden, cf. Ross: What, 55 – 59. 17 Cf. Brewster: Sir, 270. 18  So äußert sich Voltaire 1756 in einem Anhang zu den Philosophischen Briefen von 1734. Cf. Barnouw: Erziehung, 22. 19  Mendelssohn dokumentiert sein Interesse an England durch eine Beschäftigung mit englischer Literatur, die sich durch alle Schaffensphasen hindurch verfolgen läßt. Cf. hierzu Hoor: Moses. 20  Dieser Aufstieg ist weniger darin gelegen, daß das Bürgertum die Aristokratie unterhöhlt oder überholt hätte. Vielmehr handelt es sich um zwei Kulturen, die sich überschneiden, ohne daß sie dabei in ein unmittelbares Konkurrenzverhältnis zueinander getreten wären. Cf. Gelfert: Kleine Kulturgeschichte, 164 f; Müllenbrock: Whigs, 40  f u. Barkhausen: Die Vernunft, 151 – 153.

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zunft in allen Schlüsselbereichen des gesellschaftlichen Lebens die Führung übernehmen, so daß der Eintritt in den Kaufmannsstand auch für den Adeligen eine Ehre sei und keineswegs verbunden ist mit einem Verlust an Prestige.21 Und in der Tat – England hatte noch vor Frankreich dem Absolutismus in der Glo­ rious Revolution (1688/89) den Abschied gegeben und dieses epochale Ereignis 1701 in der Act of Settlement (1701) ratifiziert, indem die Thronfolge nicht mehr von Gottes Gnaden, sondern durch das Parlament für das Haus Oranien geregelt wurde.22 Und mit der Union Act (1707), die England und Schottland vereinigte, besiegelte das Parlament, von dem nun beide Landesteile vertreten wurden, endgültig seine der Monarchie gleichrangige Bedeutung.23 Wenn Daniel Defoe seinen Robinson Crusoe (1719) nach 28 Jahren insularen Exils, in dem er gleichsam eine Ein-Mann-Zivilisationsgeschichte verwirklicht,24 auf englischem Boden zum wohlhabenden Ehemann werden läßt; Altamont in Nicholas Rowes The Fair Penitent (1703) einen selbstbezüglichen Imperativ ungeschminkter Gefühlsexpressivität ausstößt,25 um seiner zuvor geschändeten Ge­liebten Calista eine stellvertretende Verdopplung seines Tränenflusses, falls ihre eigenen Tränen versiegen sollten, vorzuschlagen;26 und schließlich in Samuel Richardsons Clarissa (1774/48) und stärker noch in John Clelands Funny Hill (1749) der Brief   27 Ableitungs- und Transfermedium auch gerade jenes erotischen Empfindungsreichtums wird, der unter der eisernen Hand puritanischer Sitten­strenge ein umso regeres Eigenleben führt; so zeigt sich hier die motivische Gleichzeitigkeit von bürgerlich-puritanischem Effizienzschub in Handel, Fi­nanzwesen und Gewerbe und einer hochgespannt aufmerksamen Selbstbeobachtung des empfindsamen Gemüts. Als endlich Laurence Sterne in seiner Sen­ timentalen Reise (A sentimental journey, 1768) die Summe aus dem englischen Empfindungsdiskurs zog, setzte er damit ein dermaßen hemmungsloses emo21  Voltaire: Lettres, Lettre 10, 43: »Tout cela donne un juste orgueil à un marchand Anglais, & fait qu’il ose se comparer, non sans quelque raison, à un Citoïen romain, aussi le cadet d’un Pair du Roïaume ne dédaigne point le Negoce«. In diesem Zusammenhang weist Voltaire auf Feldmarschall Prinz Eugen von Savoyens siegreiche Schlacht (1706 ) mit den französischen Truppen des Herzogs La Feullade im Spanischen Erbfolgekrieg bei Turin hin. Londoner Kaufleute schickten damals Prinz Eugen, der sich in Geldnot befand, Geld, auf daß er gegen Turin marschieren konnte ( l. c. 42f    ). Cf. auch Saint-Constant: London, 217  f. 22  Cf. J. Hartmann: Westliche, 52; Brünneck: Die Entstehung, 254. 23 Cf. J. Hartmann: Westliche, 52; Carroll: Constitutional and administrative law, 102ff; Bradley/Ewing: Constitutional, 74 f. 24  Hutter: Literatur, 24ff. 25  Rowe: The Fair i   7: »Shew ev’ry tender, ev’ry grateful thought«. 26  L. c. v 53: »I’ll number grone for grone, and tear for tear; / And when the fountain of thy eyes are dry, / Mine shall supply the stream, and weep for both«. Zu den Tränen als einem hohen Ausdruck für das Reflexiv-Werden des Gefühls im 18. Jahrhundert cf. Baasner: Der Begriff, 171ff. 27  Der Brief vermag zeitbedingte Konventionen in der Liebessprache kreativ zu durchbrechen. Cf. Stauf/Simonis/Paulus: Liebesbriefkultur, 17.

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tionales Ausdrucksbedürfnis in Europa frei, daß etwa Johann Joachim Chri­ stoph Bode, der Sternes Reise 1769 übertragen hat, nahezu alle selbstironischen Konnotate des Originals zugunsten tief empfindsamer Übersetzungspassagen tilgte.28 Nicht sehr viel später setzte der Empfindungsdiskurs in Frankreich ein. John Locke hatte dieses Land schon Mitte der 70er Jahre des 17. Jahrhunderts bereist, um dort einen ausgedehnten Freundeskreis um sich zu scharen, und seine latent emanzipatorische Erkenntnislehre wurde hier mit weit geöffneten Armen empfangen. Zur gleichen Zeit, da in England der Stuardkönig Jacob II. fliehen mußte, weil das englische Parlament den niederländischen Statthalter Prinz Wilhelm von Oranien auf den Königsthron berief, macht Le Clerc in seinem Extrait (1688) die französische Öffentlichkeit mit einem Entwurf des Lockeschen Essay, dessen Vorarbeiten bis in die frühen 70er Jahre zurückreichen,29 bekannt.30 Und auch Dubos, der in freundschaftlichem Briefkontakt mit Locke stand, war tief von ihm beeinflußt und zugleich wesentlich an der Verbreitung des Essay, der in der französischen Übersetzung durch Pierre Coste vorlag, in Frankreich beteiligt.31 So kann es nicht verwundern, daß der Geschmack als frei urteilender Bürgersinn in Frankreich einen zweiten Etappensieg zu erringen vermochte – als nämlich nach dem Tod Ludwigs XIV. im September 1715 Philippe II., Herzog von Orleans, die Regentschaft an des noch nicht volljährigen Ludwig XV. statt antrat, eine Regierungsperiode von nur acht Jahren, die aber den Absolutismus in seinen Wurzeln so nachhaltig angriff, daß sich hier schon die große Revolution des Jahrhundertendes anzukündigen begann. Dubos’ großer wirkungsästhetischer Traktat ist eng verknüpft mit dem wechselvollen Schicksal jener Zeit, die als Régence in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Es handelt sich um einen eigenwillig janushäuptigen Abschnitt französischer Geschichte des Ancien Régime, in den die umfassende Herausbildung des Geschmacks als einer Empfindung, über deren Wert allein die durch sie ausgelösten Erregungszustände entscheiden, hineingestellt ist. Auffällig ist schon die Kürze der Regentschaft, die nach den 72 Jahren sonnenköniglicher Herrschaft nicht einmal zehn Jahre dauerte und dennoch Umwälzungen anzustoßen vermochte, die sie zu einer der bedeutendsten Etappen innerhalb der Geschichte Frankreichs vor der Revolution werden ließ. Warum Dubos, wenn er sich gleich zu Beginn seines Traktats als »blosser Bürger (simple citoïen)« zu erkennen gibt und verstanden wissen will,32 zugleich ein neues Zeitgefühl aufgenommen hat, zeigt sich schon am Beginn der Regentschaft, als der Herzog von Orleans seine Amtsgeschäfte nur durch 28 Cf.

Göbel: Über einige, 62. Specht: John, 15 u. 20. 30 Cf. Martino: Geschichte, 54 u. Marshall: John, 479. 31  Zur engen Beziehung zwischen Dubos und Locke cf. Bonno: Une. Zum Ein­fluß Lockes auf Dubos cf. O’Neal: Changing, 28; Funt: Diderot, 29 u. Middleton: In­troduction, 58. 32  Kb i 4 / Rc i 4. 29 Cf.

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weitgehende Zugeständnisse an das Parlament aufzunehmen vermochte, dem er sich mit einschmeichelnden Reden näherte und empfahl, um zugleich dem Parlament jene Rechte wieder zuzuerkennen, die ihm Ludwig XIV. wenn auch nicht genommen, so doch grob verstümmelt hatte, als er 1659 den Parlamentariern wie zur Jagd gewandet erschien, um ihnen fortan Schweigen bei der Einregistrierung seiner Edikte zu gebieten und damit das Recht auf Remonstranz zu rauben.33 Der kritisch beobachtende Saint-Simon, Herzog und Höfling in den letzten Jahren des Sonnenkönigs am Versailler Hof, hatte Ludwig XIV. kurz vor dessen Tod bittere Vorhaltungen gemacht, die zugleich ein Bild Frankreichs am Beginn des neuen Jahrhunderts geben: »[S]o viele Ströme Blut, mit denen ihre Minister Sie haben Europa überschwemmen lassen … so viele Schätze, die Ihre Minister Sie haben zerstreuen lassen … Eure Majestät hat … mit Ihren eigenen Ohren gehört, daß der Stand des Klerus zugrunde gerichtet ist, daß die Besitzer der größten Pfründen sich nicht des vierten Teils ihres Einkommens erfreuen, daß die mittleren nicht den Lebensunterhalt der Inhaber gewähren, daß die kleinen erschöpft sind … Ach, Sire ! Möchten das Wesen, das Blut Ihres Volkes, Ihr eigenes selbst Sie rühren«.34 Mit der Regentschaft sollte eine neue Zeit anbrechen: »[D]ie Krone [tritt] zurück; die Nation tritt hervor«.35 Sicherlich war der Regent ein Mann des Friedens und auch von beachtlicher Bildung und Geisteskultur – hatte ihn doch seine Mutter Liselotte von der Pfalz, die in Herrenhausen bei Hannover zusammen mit Frans Mercurius van Helmont und Leibniz über jüdische Kabbala, Seelenwanderung und Monadologie diskutierte,36 und der Leibniz sogar zugetraut hatte, den Hof Ludwigs XIV. und die französische Gelehrtenwelt für seine Monadologie zu interessieren und einzunehmen,37 mit den geistigen Tiefenströmungen seiner Zeit bekannt gemacht. Doch zugleich wuchs sich die Herrschaft Philippe II. und seines sittlich verkommenen Ratgebers Kardinal Dubois zeitweilig zu einem sinnentaumelnden Bacchanal aus; und das blinde Vertrauen, das der Regent in den an Europas Spieltischen ausgebildeten genialischen Fi­ nanz­­hasardeur John Law setzte,38 der Frankreich mit seiner 1717 gegründeten Mississippi-Kompanie vor einen geldwirtschaftlichen Bankrott brachte, trug wesentlich zu einem wachsenden Mißmut gegenüber Philippe II. bei. So nahm das Bürgertum immer stärker an Fahrt auf, indem es durch Bildung, sittliche Überlegenheit und Handels- und Gewerbefleiß den privilegierten Adel stetig weiter 33 Cf.

Weis: Frankreich, 174. Brief v. April 1712; Langer [Hg.]: Briefe, 199 f. 35  Ranke: Französische, 438. 36 Cf. Dülmen: Gespräche, 128 f. 37  Cf. E. Ch. Hirsch: Der berühmte, 341. 38  Cf. die Darstellung der Lawschen Finanzspekulation bei Treue: Wirtschaftsgeschichte, 91 – 94; Ullmann/Heim: Profit, 88 – 91 u. Bastian: Geld, 289 – 303. 34 

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in den Schatten zu stellen begann.39 Goethe hat am Ende des Jahrhunderts in seinem Bildungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) diesen Wandel auf die Formel gebracht, daß sich der Bürger im Gegensatz zum entgrenzten Selbstdarstellungsbewußtsein des Adels, der »[scheinen] darf und soll«, dem »stille[n] Gefühl der Grenzlinie« überläßt und die Selbstdarstellung vollkommen zurücknimmt in »Einsicht«, »Kenntnis«, »Fähigkeit« und »Vermögen«, um sich in dieser Selbstbeschränkung auf »eine Weise brauchbar zu machen«.40 Hatte er diese Brauchbarkeit in England schon durch den Handel nicht nur mit Indien, sondern auch mit den Ländern Afrikas, Amerikas und Asiens, die Gründung der Bank von England (1694), der Neuen Ostindischen Gesellschaft (1698) und der Harleyschen Südseegesellschaft (1711 ),41 durch Kanalbauprojekte, die diesen Handel mit ermöglichten,42 ja, durch eine umfassende Verbürgerlichung des Berufs- und Bildungslebens nachdrücklich unter Beweis gestellt,43 so wurde von dieser Bewegung nun auch Frankreich ergriffen, wenngleich langsamer und als Kontinentalstaat mit einer schwer abzulegenden Tendenz zu Binnenhandel und Zentralismus behaftet.44 In dieser Atmosphäre bildete sich immer stärker die Empfindung als eine flan­kierende anthropologische Konstante heraus, die den Aufstieg des Bürgertums gleichsam als mitlaufende Selbstinterpre­tationsinstanz begleitet. Und es ist unmittelbar in der Logik des Zeitgeschehens begründet, wenn sich innerhalb der Ästhetik diese Konstante darin zeigt, daß dem Publikum und seinem Urteil nicht nur eine bedeutungsvolle Wertschätzung widerfährt, sondern daß genau diese Wertschätzung nachgerade Ausdruck findet in einer ästhetischen Grund­lagentheorie.

2. Einflüsse auf Mendelssohns Ästhetik Mendelssohns Eingreifen in das Ästhetikgespräch seiner Zeit hat einen Entwurf hervorgebracht, der, wenn Mendelssohn die von ihm gelegten Fäden weitergesponnen hätte, ihn sicher zu einem der größten und tonangebenden Ästhetiker hätte werden lassen. Wenn er sich solchen Ruhm mit Männern wie Sulzer, Meier, Baumgarten, Dubos, Crousaz, Bodmer oder Breitinger wird teilen müssen, so sind doch seine frühen Ausführungen zum Empfindungsdiskurs in der Aufklärung interessant und auch bedeutsam. Gleichwohl sind sie selten vollkommen originär. Der Einfluß etwa durch Wolff, Baumgarten, Meier, Dubos, de Pouilly oder Sulzer – um nur die wichtigsten Namen zu nennen – ist häufig so unmittelbar, daß man kaum noch den spezifisch Mendelssohnschen 39 Cf.

Hettner: Geschichte der französischen Literatur, 65 u. Kimpel: Aufklärung, 61f. Goethe: Werke vii 291 ( Hhg. v. Vf.). 41  Treue: Wirtschaftsgeschichte, 43 f. 42  L. c. 66 f. 43  L. c. 55. 44  L. c. 85 – 88. 40 

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Gedankengang meint erkennen zu können. Die Forschung ist der Ästhetik innerhalb der philosophischen Genese Mendelssohns immer stärker auf die Spur gekommen. Einmal wurde der Versuch unternommen, die Ästhetik unter einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive zu erarbeiten. Für diese Perspektive steht bis heute unerreicht das Werk von Meier, das mit seinen 1000 Seiten sich ein Verdienst um die Erforschung der Ästhetik erworben hat, weil es nicht nur Mendelssohns allgemeine und angewandte Ästhetik zur Darstellung bringt, sondern sich zugleich auch dem ästhetiktheoretischen Ertrag aus zahlreichen Rezensionen, die Mendelssohn besonders in den Jahren 1757 – 1765 verfaßt hatte, zuwendet. Gleichwohl ist hier Mendelssohns Ästhetik mit einer sehr starken Fixierung auf Kant dargestellt, so daß das Mendelssohnsche Billigungsvermögen, wie er es dann in den Morgenstunden nennen wird, als drittes Vermögen neben dem Wolffschen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen zu stehen kommt, was wiederum Kant stark beeinflußt habe, wenn dieser das interesselose Wohlgefallen als die dem Schönen angemessene Erkenntnisform herausstellt.45 Wir erwähnen diesen Beitrag, weil sich darin eine Tendenz zeigt: Mendelssohn ist hier nämlich hineingenommen in jene große geistesgeschichtliche Bewegung, die die ästhetiklogischen Errungenschaften des 18. Jahrhunderts in Kants Kritik der Urteilskraft gipfeln und auch auf diese hin angelegt sein läßt, eine Perspektive, unter die Ernst Cassirer in seinem berühmten Aufklärungsbuch die Ästhetik des 18. Jahrhunderts gebracht hat,46 wobei dann Kant wiede­ rum zur philosophischen Präfiguration des Goetheschen Dichtens wird.47 Meier rekonstruiert einen Entwicklungsgang vom frühen Ästhetiker Mendelssohn, der sich stark an die Schulmetaphysik anlehnt, über den Entdecker Baumgartens hin zum Kant der Kritik der Urteilskraft. Damit ist in der Konsequenz noch einmal die wirkmächtige, aber sicher kaum in ihrer Drastizität zu haltende These Ernst Cassirers, daß nämlich die ganze Aufklärung nur eine final gerichtete Bewegung zwischen Leibniz und Kant sei, auf Mendelssohns Ästhetik abgebildet. Wie so häufig in der Mendelssohnforschung hat aber auch Alexander Altmann Grundlagenarbeit geleistet, indem er die Briefe über die Empfindungen (1755) auf die in ihnen verarbeiteten Traditionen untersuchte und nahezu jede Anspielung auf Referenzautoren im Mendelssohnschen Text zu identifizieren vermochte.48 Die Arbeit Altmanns stellt eine unverzichtbare Grundlage jeder Rekonstruktion von Mendelssohns früher Ästhetik zur Verfügung. Altmann verfährt so, daß gleichsam ein durchgehender Kommentar der Empfindungsbriefe vor dem Erläuterungshintergrund jener Autoren entsteht, die Mendelssohn beeinflußt haben. Dieses Verfahren allerdings erschwert den rekonstruktiven Zugriff sowohl auf Mendelssohn selbst als auch auf jene Theoreme, denen 45 J.-P.

Meier: L’esthétique, 279  ff. Cassirer: Die Philosophie der Aufklärung, 426, 446  f. 47  L. c. 372, 470. 48  Altmann: Moses Mendelssohns Frühschriften, bes. 85 – 138. 46 

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er sich angeschlossen hat, oder die zurückzuweisen er sich genötigt sah. Im folgenden wollen wir darum versuchen, den Empfindungsbriefen eine Kon­tex­ tualisierung zu gewinnen, mithilfe derer die zentralen Theorie- oder De­bat­ten­­ hintergründe der Mendelssohnschen Ästhetik in den Blick treten können. Es geht uns dabei nicht darum, das Vorgehen Altmanns noch einmal zu wiederholen, sondern unser Anliegen besteht vielmehr darin, ein Theorieensemble vorzustellen, das den Hintergrund abzugeben vermag für Mendelssohns Überlegungen, die wir dann nach ihren binnenlogischen Argumentationslinien vorstellen werden. Dieses Verfahren bietet sich schon deshalb an, weil Mendelssohn das Hauptwerk seiner Ästhetik in Briefform gestaltet,49 so daß die Argumentation wenn auch nicht dialogisch so doch in steter Reaktion der jeweiligen Gesprächspartner aufeinander entwickelt wird. Wir wollen kein Panorama des so reichen Gesprächs über ästhetische Fragen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entfalten, sondern konzentrieren unsere Überlegungen auf jene Ästhetiker, mit denen Mendelssohn in seinen Empfindungsbriefen sich auseinandergesetzt hat oder die nachgerade das überall vorausgesetzte, aber nicht immer von ihm benannte Theoriegerüst seiner Gedanken bilden: Gottfried Wilhelm Leibniz, Alexander Gottlieb Baumgarten, Johann Georg Sulzer und Jean-Baptiste Dubos.50 Als theoriesprachliche Stichwortgeber liefern Leibniz und Baumgarten die metaphysischen Armierungen und den kategorialen Stahl, der den Empfindungsbriefen überall eingeschmolzen ist. Johann Georg Sulzer hat eine Mendelssohn scheinbar sehr nahe Theorie vorgestellt, die dieser aber ausdrücklich zurückweist. Dubos endlich nimmt eine besonders interessante Stellung innerhalb der Mendelssohnschen Empfindungslehre ein, weil Mendelssohn in seinen Empfindungsbriefen die Dubossche Lust-Theorie ablehnt, diese Ablehnung dann aber in der Rhapsodie von 1761 einer Revision unterzieht. a) Dubos – Auf den Geschmack gekommene Empfindung Dubos hat mit der Hinwendung zur Wirkungsästhetik einen solchen Paradigmenwechsel herbeigeführt, daß es sinnvoll erscheinen mag, diesen Wechsel genau im Umschlagmoment zu fassen. Als die Regentschaft 1715 beginnt ist auch innerhalb der Poesie ein neues Zeitalter angebrochen, fällt dieser Beginn doch zusammen mit dem Tod Fénelons, der als lichtvolle Hintergrundgestalt für jene Neuerung, die Dubos in der Ästhetik brachte, stehen mag. Fénelon eignet sich 49  Sich in Briefform zu äußern, stellt eine Epochensignatur dar, so daß Essig: Der offene, 116, den Brief als »Leitmedium des Jahrhunderts« bezeichnen kann. 50  Es muß auffallen, daß Shaftesbury fehlt, obwohl er hier gleichberechtigt seinen Ort hätte. Wenn wir dennoch auf ihn Verzicht tun, so liegt das daran, daß das argumenttragende Mo­tiv der Shaftesburyschen Philosophie insofern, als sie hier herangezogen werden könnte, durch die Leibnizsche Theodizee ebenfalls abgerufen ist.

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schon darum so gut, für eine Markierung des Übergangs in den Zeugenstand zu treten,51 weil er in jenen berühmten Literaturquerelen zwischen Anciens und Mo­dernes weder parteilich ist noch zu vermitteln trachtet,52 sondern eine eigen­ ständige Position einnimmt, die – wenn auch noch im Jahrhundert Ludwig XIV. verwurzelt – schon vorausweist auf die wirkungsästhetische Denkrevolution.53 In seiner Lettre à l’Académie von 1714 attackiert Fénelon am Beispiel des zwang­haft genauen (scrupuleux) Fixiertseins auf einen möglichst großen Reimreichtum (rimes riches) schon im Geiste von größerer Abwechselung (variété), unbemühter Gezwungenheit ( facilité) und harmonischer Gestaltung ( harmonie) die Regelpoesie, um diese nämlich der Gefahr ausgesetzt zu sehen, Gedanken- und Empfindungsreichtum ( fond des pensées et des sentiments), begriffliche Klarheit (clarté des termes), die Natürlichkeit der Rede (tours naturels) und expressive Nobilität (noblesse des expressions) zu unterdrücken.54 Aber auch wirkungs­ästhetische Überlegungen sind Fénelon durchaus vertraut, wie seine ebenfalls in der Lettre enthaltenen Ausführungen zur Beredsamkeit zeigen, in denen Fénelon an der geistlichen Rede oder Predigt verdeutlicht, in welches Verhältnis er die Wirkung einer Rede und deren Produktionsbedingungen gesetzt wissen will. So ist es auch schon für Fénelon von entscheidender Bedeutung, daß eine Rede – sie ist hier von dem gleichen Ziel bestimmt wie die Kunst – Gefühle zu erregen vermag, nur sind die Affekterregungen noch keinesfalls das selbstgenügsame und völlig hinreichende Geschäft dieser Rede, die nämlich immer neu eingebunden werden muß in eine höhere Bestimmtheit. Nur dann nämlich, wenn die Leidenschaften einer näheren Bestimmung als edle Gefühle zugänglich werden, ist die Rede in angemessener Form ins Ziel gekommen.55 Und so 51  Dies betrifft natürlich einen Nebenaspekt der Theologie Fénelons, dessen historische Be­deutung, wie Kapp: Der Einfluß, 31, unter Verweis auf Robert Spaemann festhält, darin zu erblicken ist, die contemplatio von »allem gnoseologischen Beiwerk« abgekoppelt und die mystische Erfahrung der kirchlichen Autorität angeschlossen zu haben. 52  Umfassend informiert über die Querelle Rigault: Histoire. Cf. aber auch Geyer: Die Ent­deckung, 129  ff u. Gilby: Sublime, 132 – 142. 53 Cf. Wildt: Tradition, 52. Dubos hat nicht als einziger, aber am prägnantesten das wirkungsästhetische Moment in der Kunst hervorgehoben. Schon 13 Jahre zuvor hatte Lodovico An­tonio Muratori den Geschmack als ein unmittelbar urteilsrelevantes Vermögen herausgestellt, wobei dann die nach Regeln verfahrende Ästhetik schon darum unter Druck gerät, weil die unüberschaubare Mächtigkeit jener Individuen, die ein Urteil fällen, zwangsläufig auch ein­­gehen müßte in die Regelkanones der Kunstproduktion. »[P]oichè il Giudizio è una Virtù, che si fonda sulla considerazione de gl’ Individui, e delle cose particolari; e perchè queste son per così dire innumerabili, perciò innumerabili ancor sono le leggi, e le regole del Giudizio« ( Della perfetta poesia, Lib. ii Cap. x 463). 54  Fénelon: Projet, in: Ders.: Opuscules, 57. 55  Fénelon: Ueber Beredtsamkeit, 155 / Projet de Rhéthorique, in: Ders.: Opuscules, 45: »Die Harmonie ist nur gut, wenn z. B. die Töne des Gesanges den Sinn der Worte ausdrücken (conviennent au sens des paroles), und der Sinn der Worte große, edle Gefühle erreget (inspirent des sentiments vertueux)«.

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zeigt sich genau dort, wo das wirkungsästhetische Paradigma abgerufen ist, auch sogleich, daß diese Wirkung unmittelbar vereinnahmt wird durch übergeordnete Steuerungsinstanzen, wie den Ernst, die Belehrung und sogar die strategische Unterdrückung des Leidenschaftlichen.56 Aber genau die Zurückbiegung des wirkungs- oder affektauslösenden Moments auf den aller Rede innewohnenden Sinn, von dem die einen Affekt auslösende Kunstfertigkeit einer Rede keinesfalls abweichen oder ablenken darf, ist dann doch auch wieder motiviert durch ein wirkungstheoretisches Paradigma, das aber gleichsam in stark abstrakter Form auf den Plan tritt, nämlich so, daß noch nicht von einer wirkungsästhetischen Wende gesprochen werden kann. Fénelon nämlich geht davon aus, daß die Kunst immer dann, wenn sie die Pro­duktionsmomente einer Rede unter die Perspektive der durch sie ausgelösten Wirkung stellt, den Anderen im Eigenen zum Verschwinden bringt. Das Kalkül auf eine Wirkung führt am Orte der Produktion zu jenem kalkulierten Selbstgewinn, der aber dem Künstler dann auch sein eigenes Werk aus den Händen gleiten läßt. Näher­hin besteht dieser Selbstverlust darin, daß der Kunstschaffende oder Redner über den Umweg affektauslösender Wirkung auf das Publikum einen Selbstgewinn zu ziehen sich unterfängt,57 um dadurch gerade die Wirkungsästhetik um ihren guten Sinn gebracht zu haben. Dubos wird hier ansetzen, um auf­zuzeigen, wie eine Ästhetik zu beschaffen sein hat, die ihre vornehmste Aufgabe darin erblickt, sich an den Ort der Rezeption zu versetzen, ohne dabei zugleich den von Fénelon namhaft gemachten Irrungen zu erliegen. Ob man im Einsetzen der Philosophie Dubos’ einen »Staatsstreich des Sensua­ lis­mus … im Bereich der Ästhetik«,58 einen »Aufstand des gesunden Menschenverstandes gegen die Metaphysik«,59 einen Erstling der »Gefühlsästhetik«,60 eine Verwandlung des »Cartesianische[n] ›cogito‹ in ein ›sentio‹«61 oder gar ein Ereignis von »fast revolutionärer Bedeutung«62 zu sehen gewillt ist – es besteht Einigkeit darüber, in welch hohem Maße die Ästhe­tik der Aufklärung beeinflußt ist von Dubos’ Réflexions critiques (1719). Für die deutschsprachige Empfin56  L. c. 154f / ib.: »Man muß der Beredtsamkeit nicht die Schmach anthun, daß man sie für nichts Besseres ansehe, als eine windige Kunst, deren sich ein Schreier bedient, um die schwache Einbildungskraft der Menge zu täuschen, und seine Gewerbe mit Wortspielen zu treiben. Sie ist eine ernste Kunst (art trèssérieux ), und ernst ihre ganze Bestimmung, die Unwissenheit zu belehren (instruire), die Leidenschaften zu unterdrücken (réprimer les passions), die Sitten zu bessern, die Gesetze zu handhaben, die öffentlichen Berathschlagungen zu leiten, und die Men­schen gut und glücklich zu machen«. 57  Ib.: »Den ernsten Mann suche ich, der für mich ( pour moi) spricht, und nicht für sich ( pour lui), der mein Heil will (qui veuille mon salut), nicht seine eitle Glorie«. 58  Krauss: Der Weg, 122. 59  Bäumler: Das Irrationalitätsproblem, 50. 60  Martino: Geschichte, 45. 61  Zelle: Angenehmes, 120. 62  Sauder: Mendelssohns, 238.

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dungslehre, die hier in der Hauptsache mit Blick auf Mendelssohn in Rede steht, ist Dubos’ Ansatz besonders interessant, weil er quer steht zu den in die deutsche und auch gelegentlich französische Ästhetik eingearbeiteten kategorialen Armierungen von Vorstellungs- und Einheits-Mannigfaltigkeitsdialektik (Leibniz, Wolff, Crousaz), um in die Debatte einzusteigen mit einem freimütigen Affront gegen die Vernunft in allen Belangen des Geschmacklichen. Mit der gleichen urteilsfesten Unbefangenheit, die den Gourmet über einen Fleischeintopf urteilen läßt, fällt der Kunstbetrachter sein Urteil über die Schönheit von Malerei und Poesie.63 So zu urteilen ist allerdings nur möglich, wenn das wirkungsästhetische Paradigma dermaßen auf die Spitze getrieben wird, daß sich Fragen nach der Sach- oder Regelgemäßheit der Kunst gar nicht erst einzustellen vermögen. Im Hintergrund dieser Dubosschen Radikalisierung des Geschmacks als ei­nes in sich selbst urteilenden Vollzugs stehen Überlegungen, die Descartes mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor geäußert hatte. Dubos’ Reflexionen stellen nachgerade einen auf die Poesie und Malerei ausgerichteten Kommentar des Descartesschen Briefes vom 6. Oktober 1645 an Elisabeth von Böhmen und dem 94. Artikel aus Les passions de l’âme von 1649 dar. Der Elisabeth-Brief enthält schon die entscheidenden Grundgedanken jener Empfindungslehre, die für Dubos ausschlaggebend werden sollte. Das Vergnügen der Seele wird hier von Descartes unmittelbar mit einer Glückseligkeit verzahnt, die durchaus unterschieden werden muß von jener physischen Selbstübereinstimmung, die durch ein körperliches Wohlbefinden indiziert ist. Es ist nämlich, wie Theateraufführungen oder sportliche Wettkampfsituationen zeigen, durchaus nicht ungewöhnlich, daß unser emotionales Sensorium erschüttert oder unser Körper überanstrengt wurde, wir aber dennoch ein Gefühl der Glückseligkeit,64 eine angenehme Empfindung, haben. Aus dieser schlichten Beobachtung zieht Des63  Kb ii 302 f / Rc ii 324 f: »Der Probierstein der Vernunft (raisonnement) darf … nichts dabey zu thun haben, wenn ein Urtheil über das Ganze eines Gedichtes oder Gemähldes gefällt werden soll … Die Entscheidung solcher Dinge gehört nicht vor den Richterstuhl der Vernunft (n’est point du ressort du raisonnement), die sich hierinnen dem Ausspruche der Empfindung, als der rechtmäßigen Richterin über solche Streitigkeiten, unterwerfen muß ( jugement que le sentiment prononce). Untersucht man wohl nach logikalischen Gründen (raisonne-t-on), ob ein Ragout einen guten oder schlechten Geschmack habe ? Wer hat sich iemals, um einen Ra­gout zu beurtheilen, in den Sinn kommen lassen, erst metaphysische Grundsätze ( principes géometriques) über den Geschmack ( faveur) festzusetzen«. Wir zitieren Dubos nach der Über­setzung des Gottfried Benedict Funk von 1760/61. In den Haupttext gesetzte Seitenzahlen beziehen sich vor dem Schrägstrich auf Kb i und danach auf Rc i. 64  Descartes: Briefe, 319 / Œuvres 199: »Es ist leicht zu beweisen, daß das Vergnügen der Seele ( plaisir de l’ame), in dem die Glückseligkeit (béatitude) besteht, nicht untrennbar von der Fröhlichkeit und dem Behagen des Körpers ist, und zwar ebensowohl durch das Beispiel der Tragödien, die uns umso mehr gefallen, je mehr Traurigkeit sie in uns erregen, als auch durch das der körperlichen Übungen wie Jagd, Ballspiel und Ähnliches, die immer angenehm bleiben, auch wenn sie sehr mühsam sind; und man sieht sogar, daß häufig Müdigkeit und Mühsal das Vergnügen erhöhen«.

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cartes eine weitreichende Konsequenz, wenn er die durch körperlichen Schmerz her­vorgebrachten angenehmen Empfindungen erklärt über das In-BewegungGeraten des psychischen Systems. Immer dann nämlich, wenn dieses System betroffen ist von einem Außen­reiz, wird ein Selbsterhaltungssignal aktiviert, durch das sich das psychische Subjekt gegen den Außeneindruck durchsetzt und sich als selbsterhaltend wahrnimmt. Und genau diese Selbstwahrnehmung in der Selbsterhaltung über das Ausgeliefertsein an einen Außenreiz hinweg empfindet das psychische Subjekt als eine freudige Affektivität. Ineins mit dieser freudigen Affek­tivität befindet sich eine gesunde körperliche Verfaßtheit, denn wäre unser Leib krank, könnte das Subjekt seine Selbstwahrnehmung in der sich durchsetzenden Selbsterhaltung nicht vollziehen und somit auch nicht als Freude empfinden. Der Sachverhalt ›Freude‹ kommt also in genau dem Maße einem Subjekt zu, als dieses sich die selbstsetzende Widerstandsfähigkeit gegen einen Außeneindruck zuzuschreiben und somit in dieser das psychische System in Bewegung versetzenden Impression ein Gut zu erkennen vermag.65 Hier kann Dubos unmittelbar anknüpfen, wobei für ihn ein bei Descartes eben­falls angelegter Gedanke ausschlaggebend ist. Die Rede ist von der Langeweile, einer Figur, die be­sonders durch Pascal dem neuzeitlichen Denken eingestiftet wurde.66 Dubos selbst exponiert die Empfindungstheorie seiner Reflexionen mit den folgenden Worten: »Man hat täglich die Erfahrung, daß Verse und Gemählde ein empfindliches Vergnügen verursachen; und dennoch ist es schwer zu erklären, worinn 65 

Descartes: Die Leidenschaften, Art. 94; 146 f: »Da das Gehirn von Natur aus so beschaf­ fen ist, die gute Verfassung des Körpers und seine Kraft anzuzeigen, stellt sich das, was einen Eindruck im Hirn macht, dann der Seele als ein Gut, das ihr zukommt ( la represente à l’ame comme un bien qui luy apartient), dar, da sie mit dem Körper verbunden ist, und ruft so in ihr Freude hervor«. 66  Pascal: Gedanken, 157: »So verfließt das Leben. Man sucht die Ruhe, indem man einige Hindernisse bekämpft und wenn man sie überstiegen hat, wird die Ruhe unerträglich … Und wenn man sich auch von allen Seiten sicher sähe, so würde doch die Langeweile nicht säu­men in eigner Kraft aus dem Grunde des Herzens, wo sie natürliche Wurzeln hat, hervor zu kommen und den Geist mit ihrem Gift zu erfüllen«. Oder in kurzer Zusammenstellung: »Zu­stand des Menschen: Unbeständigkeit (inconstance), Langeweile (ennui), Unruhe (inquiétude)« (Gedanken, 185 / Pensées, 91). Trotz dieser für das neuzeitliche Denken wirkungsvoll wer­denden Beschreibung der Langeweile, finden wir Pascal zugleich befangen in der theologi­ schen Acedia-Tradition. Cf. hierzu Kessel: Langeweile, 22 u. Grosse: Langeweile, 13ff. Wie stark das Beharrungsvermögen der Langeweile auch dann noch zu sein vermag, wenn den Lei­denschaften eine denkbar hohe Zahl an Sinnen zur Verfügung steht, zeigt eine Passage aus Voltaires Micromégas. Im Streit zwischen Siriusbewohner und Reisendem vom Saturn um die Zahl der Sinne antwortet der Saturnier auf die Frage, wieviele Sinne die Menschen in seinem Weltkörper hätten: »Wir haben 72 und beklagen uns alle Tage, daß es so wenig sind. Unsere Einbildungskraft (imagination) schweift über unsre Bedürfnisse hinaus. Wir fühlen uns … allzu sehr eingeengt; und trotz unsrer Neugier (curiosité) und … Leidenschaften ( Passions) … bleibt uns noch überflüssige Zeit zur Langenweile (nous avons tout le temps de nous ennuyer)« ( Werke, 148 / Le Micromégas, 8).

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dieses Vergnügen bestehe, welches so oft einem Leiden ähnlich ist … Die beyden Künste der Poesie und Mahlerey erhalten niemals mehr Beyfall, als wenn es ihnen gelingt, schmerzhafte Empfindungen in uns zu erregen« ( Kb i 1). Damit ist das Problem der Schrift zusammengefaßt: Die Erregung einer scheinbar paradoxen Empfindung angenehmen Schmerzes, die, wenn sie der Kunst gelingt, sich des Beifalls durch das Publikum sicher sein darf, ist ein immer neu und allüberall zu beobachtender Sachverhalt, der aber gleichwohl noch nichts wirklich erklärt und überhaupt einer Erklärung nur schwerlich zur Verfügung ist. Daß hier der Ausgang genommen wird von Sachverhalten, die der Beobachtung zugänglich sind, und die dann erst durch rationale Interpretationsschritte einer Erklärung zugeführt werden sollen, ist keineswegs selbstverständlich, sondern gehört – wie der unmittelbare Vergleich mit Crousaz zu zeigen vermöchte – unmittelbar hinein in jene empiristische Wende, die Dubos in der Ästhetik herbeigeführt hat. Der nur wenige Jahre vorher veröffentlichte Traité du beau (1715) des Jean-Pierre de Crousaz ist zwar auch schon auf die allen Bestimmungsversuchen beharrlich sich entziehende Fühlbarkeitsgewißheit, jenes ›Je ne sais quoi‹ gestoßen, das schon anzuklingen scheint bei Cicero und Augustin,67 um dann jedoch besonders in der Aufklärungsästhetik wichtig zu werden, läßt aber seine Ästhetik noch unmittelbar der Differenz von Einheit und Mannigfaltigkeit aufruhen.68 Crousaz’ berühmter Satz – auf dessen Zitation zu Recht kaum eine Darstellung der Ästhetik des 18. Jahrhunderts verzichtet –, daß das Denken dem Schönen gegenüber sich verspätet und unser Herz aller Schönheit huldigt, bevor es Rücksprache genommen mit den Reflexionen,69 erhält seine Bedeutung erst darin, daß eine Übereinstimmung von Objekt- und Gefühlsleben vor dem Hintergrund höherer Sphärenharmonie besteht ( harmonie entre la nature des sentiments & la nature des objets),70 die sich wiederum stets rückgebettet weiß 67 In Ciceros Brutus (cap. 46 / 171, 74) findet sich – gewendet auf die urbane Kultur rhetorischer Kunstfertigkeit – die Formel schon wörtlich: »Et Brutus, qui est, inquit, iste tandem urbanitatis color ? Nescio, inquam; tantum esse quendam scio«. Die für eine kontrarationalistische Poesieauffassung im 18. Jahrhundert maßgeblichen Initialformulierungen zum ›Je ne sais quoi‹ stammen aus der Feder des Dominique Bouhours und finden sich in: Les entretiens (1671), 310 – 334. Cf. Köhler: Je ne sais quoi, 646. In den Confessiones des Augustinus heißt es sehr ähnlich mit Blick auf die Zeitlichkeit: »Si nemo ex me quaerat, scio; si quaerenti explicare velim, nescio« ( xi 14). 68  Crousaz: Traité, 12: »Premièrement l’Esprit humain aime, dans ses idées, la varieté … Mais il lui faut aussi de l’uniformité au milieu de la diversité«. Cf. zu Crousaz Coleman: The Aestethic, 6 – 14, der Crousaz’ Ästhetik als konsequenten Cartesianismus interpretiert. »Crou­ saz was the first philosopher in France to attempt to apply Cartesian rigor to aesthetics« ( 7). Doch auch als Logiker stand Crousaz, der die im 18. Jahrhundert nicht allzu weit verbreitete Theorie der Vergleichung von Total- und Partialidee als der entscheidenden Urteilsoperation vertreten hat, hoch im Kurs. Cf. hierzu Franz: Gottfried, 104 f. 69  Crousaz: Traité, 63: »La Beauté … prévient nos reflexions; notre cœur lui rend hommage sans consulter les idées de notre esprit«. 70  L. c. 66.

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in das vorauflaufende Vernunfthandeln Gottes an seinen Kreaturen (Créateur infiniment sage).71 Anders Dubos, für den die Beobachtung des Empfindungslebens Ausgang seiner Gefühlstheorie ist, die auf metaphysische Grundlegungsfiguren verzichtet, um einen rein psychologischen Deutungsversuch aufzustellen. Dubos’ Anliegen ist gut zu fassen, wenn man sich die Art, in der er von einer berühmten Lukrez-Passage Gebrauch macht, vergegenwärtigt. Lukrez schildert hier den Genuß des Zuschauers am Kampf der Schiffsbesatzung mit der tobenden See,72 wobei die perikulose Destruktionsdynamik der Wellen die Seele des Beobachters in genau dem Maße mit hochgespannter Freude erfüllt, als dieser sich in festländischer Gravitation gesichert und zu dem nautico-undischen Unternehmen auf Distanz weiß.73 Für Lukrez ist die Schiffbruchsmetapher nur Ausgang für jene tiefe Zufriedenheit, die der in sich selbst wissend ruhende Weise gegenüber den schiffbrüchig im Irrtum Schweifenden hat.74 Dubos hingegen bricht dem Lukrezschen Gedanken die Spitze ab, um auf das Anschwellmoment seelischer Erregtheit im Angesicht der Gefahr zu setzen. Somit geht es ihm also ausschließlich um die Erregung, in die uns Gefahren hineintreiben – und es ist gerade die Ursprungssituation hoher Affektivität, auf die Dubos den Finger legt, ohne diesen Zustand schon, wie Lukrez, durch eine Erklärungsfigur ermäßigen zu wollen.75 Dies hängt vornehmlich zusammen damit, daß Dubos zum Prinzip seiner Gefühlstheorie weder eine ontologische Einheitsprämisse noch eine moralphilosophische Wertvorstellung, sondern das reine Bedürfnis affektiver Kompensation seelischer Untätigkeit erhebt, ein Prinzip, wie wir gesehen haben, das ausschließlich aus Beobachtung konkreten Weltverhaltens gewonnen wurde. Die zwischen der Empfindung und dem Denken sich dabei einstellende Relation führt Dubos auf seine pathopsychologische Grundthese: Während die Empfindung definiert wird als ein reflexiv ungebändigtes Sich-Überlassen dem An­fluten von Außenreizen, besteht das Reflexionsvermögen darin, diesen Mannigfaltigkeitsandrang noch einmal im kategorial regulierten Selbstgespräch zu ordnen und zu bewerten.76 Diese Dauerreflexion stellt ein mühevolles Unterfangen dar und ist mithin einer zweifachen Gefahr ausgesetzt: Einmal kann 71 

L. c. 64. Lukrez: Von der Natur, Lib. ii 97: »Süß ists, anderer Noth bei tobendem Kampfe der Winde / Auf hochwogigem Meer, vom fernen Ufer zu schauen«. 73  Ib.: »Nicht als könnte man sich am Unfall andrer ergötzen, / sondern dieweil man es sieht, von welcher Bedrängnis man frei ist«. 74  Ib.: »Aber süßer ist nichts, als die wohlbefestigten heitern / Tempel inne zu haben, erbaut durch die Lehre der Weisen: / Wo du hinab kannst sehn auf andere, wie sie im Irrthum / Schwei­fen, immer den Weg des Lebens suchen, und fehlen«. 75  Kb i 14: »Aber das Anzügliche, welches eine heftige Gemüthsbewegung über uns hat, ist für die meisten ein weit stärkerer Sporn, als Ueberlegung und Erfahrung. Man läuft in allen Län­dern haufenweise, diese gräulichen Schauspiele anzusehen«. 76  Kb i 6f: »Die Seele überläßt sich entweder den Eindrücken, welche die äusserlichen Ge­ gen­stände in sie machen; … dieses nennt man empfinden: Oder sie [sinnt] … über allerhand 72 

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das Bemühen, die Flut der Empfindungen reflexiv kommentieren zu wollen, in mentale Erschöpfung führen, so daß die Bestimmungsversuche hinsichtlich des Empfundenen notorisch sich verspäten und in einer unendlichen Reihe dunkler Begriffe leerlaufen.77 Dann aber, und diese Gefahr ist noch folgenschwerer für das Empfindungssubjekt, können irreversible Ermüdungszustände eintreten, die in der Konsequenz zu einem Selbstekel führen. Hier bleibt die Bestimmungsfähigkeit des Menschen dann nicht mehr nur hinter dem Empfindungsangebot zurück, sondern die Kraft der Bestimmung überhaupt kommt gänzlich zum Erliegen. Nun hält zwar die Tradition das Antidot der Einübung in die meditative Selbst­­übereinstimmung bereit – die Fähigkeit, in einem Zimmer verweilen zu kön­nen, dem immer wieder neu entfliehen zu müssen, nach Pascal ein Grunddatum humanen Selbstverlustes darstellt –, aber nur sehr wenige sind mit der Fähigkeit gesegnet, diese selbsttherapeutische Möglichkeit zu nutzen. Hingegen: »[D]ie Empfindung, vermöge deren sich die Seele den Eindrücken überläßt, welche Gegenstände, die ausser ihr sind ( les objets étrangers), in sie machen, ist weit leichter ( beaucoup plus facile)« ( 9f  /9). Droht also der Mensch durch Untätigkeit seelisch zu veröden, so weckt das gleichsam mühelos sich vollziehende Hingegebensein an Außenreize seine Lebensgeister und wird das von ihm bevorzugte Mittel der Selbstbetätigung. Dieses elementare und noch ganz niederstufige Bedürfnis nach Eindrücken, das die Langeweile überwindet oder gar nicht erst aufkommen läßt, führt Dubos auf seine Beobachtung menschlichen Weltverhaltens: Die Leidenschaften sind das Sich-in-Bewegung-Fühlen des psychischen Subjekts, und dieses Sich-lebendig-fühlen-Wollen ist auch dann noch das die Seele entscheidend prägende Moment, wenn das Subjekt zu ruhen vermeint. Dieses Gefühl der ›Lebendigkeit in der Leidenschaft‹ ist darum unverzichtbar, weil man sich nur hier vor Selbstverlust und Nichtig­keitsgefühl in Sicherheit weiß. Somit ist das Subjekt nachgerade stets darauf aus, in einem Schmerzzustand zu verweilen, da dieser Zustand ihm zugleich die höchste Lebendig­keit zu verheißen scheint. Unsere innere Triebschicht drängt uns aus uns selbst immer wieder heraus, um uns neuen Eindrücken zu überlassen, die dann wieder das Triebleben in Bewegung zu setzen vermögen – eine gleichsam pathologische Zwangsver­ anstaltung aus tief gelagerter und unausrottbarer Furcht vor Empfindungslosigkeit.78 Des näheren besteht der durch die so gekennzeichnete Triebschicht im Materien nach[]; dieselben mögen … nützlich seyn, oder nur die Neugier reizen; und dieses heißt man, über eine Sache nachdenken, und Betrachtungen anstellen«. 77 Cf. Kb i 7. 78  Kb i 12 / Rc i 11: »In der That ist die gewaltsame Bewegung ( l ’agitation), in welcher uns die Leidenschaften erhalten (où les passions nous tiennent), auch noch in der Einsamkeit (solitude) so lebhaft, daß jedweder andre Zustand der Seele dagegen sehr schläfrig ist. Ein inner­ licher Trieb (instinct) reizt uns also, nach Gegenständen zu laufen, welche Leidenschaften in uns empören können (qui peuvent exciter nos passions); ob diese Gegenstände gleich solche

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Sub­jekt verursachte Leidenscharakter darin, daß das Aussein-auf-Anderes Eigenes nicht auffindbar werden läßt. Das stets nach hoher Affektivität strebende Subjekt kann seines Selbst-Seins kaum mehr sich gewiß werden, da es auseinandergerissen ist zwischen den Hochzuständen der Leidenschaftlichkeit und dem Bewußtsein, diese Leidenschaftlichkeit nur in einem auf Dauer gestellten Selbstverlust erhalten zu können. Und exakt hier schlägt Dubos’ Theorie der Kunst als einer kompensatorischen Verlängerung von Affektmechanismen durch. Wenn nämlich, so Dubos, mit den »wirklichen und wahrhaften Leidenschaften ( passions réelles & veritables; 25  /25)« immer neu jener ambivalente Seelenzustand einhergeht, der die Hochstimmung nur im Zugleich mit einem darauf folgenden Selbstekel zu beheben vermag, so ist nach einem Mittel zu suchen, das diesen vitiösen Zirkel durchbricht; und in der Kunst ist ein solches Mittel gefunden, da diese ein Zweifaches vollbringt: Einmal nämlich lassen sich durch Poesie und Malerei Affekte erregen, die dem Bedürfnis nach seelischer Bewegung entgegenkommen, dann aber ist die Kunst auch durch ihr spezielles Darstellungsund Nachahmungsverfahren in der Lage, die schmerzhaften Folgeschäden hochfliegender Leidenschaftlichkeit zu vermeiden. Und genau in dieser Doppelfunktion aus Affekterhöhung und Affektfolgevermeidung besteht das Telos allen künstlerischen Schaffens,79 womit Dubos sich unmittelbar in einen Traditionszusammenhang mit der bekannten Tragödiendefinition des Aristoteles bringt,80 der die Tragödie als eine maßvolle Hervorbringung schmerzvoller Erregungszustände zum Zwecke der Reinigung von einem unkontrollierten Auftreten dergleichen Affektivität beschreibt. Ausschlaggebend für Dubos’ Rekonstruktion künstlerischen Schaffens sind der Präsentations- und Nachahmungsbegriff,81 wobei sich die Nachahmung auf jenen Gegenstandsbereich bezieht, der dazu angetan ist, das psychische Subjekt in affektive Erregung zu versetzen, und die Repräsentation jene Relation zwischen Nachahmungsobjekt und Wahrnehmungssubjekt dieser Nachahmung herstellt. Die hier statthabende ästhetisch-erkenntnistheoretische Operation vollzieht sich über affektschwächende Relationen. Da die Kunst den Gegenstand nachahmt, der auf uns einen affektEin­drücke in uns machen, daß dieselben in uns öfters … traurige und schmerzliche Tage (journées douloureuses) verursachen. Doch den Menschen … sind … Martern … wenn sie ganz … ohne Leidenschaften leben sollen, weit unerträglicher, als die Martern, welche die Lei­ den­schaften … erwecken«. 79  Kb i 26 / Rc i 25: »Die Poesie und die Mahlerey erreichen diesen Endzweck ( bout)«. 80  Aristoteles: Poetik, Kap. 6: »Die Tragödie ist Nachahmung (μίμησις) einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache … Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schauern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt (δι’ ἐλέου καὶ φόβου περαίνουσα τὴν τῶν τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν)«. 81  Kb i 26f / Rc i 26: »Die Mahler und Dichter erregen diese künstlichen Leidenschaften dadurch, daß sie uns Nachahmungen (imitations) solcher Gegenstände darstellen ( présentant), welche fähig sind, … Leidenschaften in uns zu erwecken«.

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auslösenden Eindruck macht, so sind wir dem Eindruck der Nachahmung erlegen – gleichwohl: Die durch die Nachahmung installierte Relation schwächt den Eindruck allein dadurch ab, nicht selbst jener Gegenstand zu sein, den Nachahmung nachahmte.82 Diese durch Relation gewirkte Abschwächung geht ein in den solchermaßen ausgelösten Affekt – und es bildet sich hier eine weitere Relation, die Dubos ebenfalls als Nachahmung beschreiben kann, da der durch die Relation zwischen Gegen­stand und Nachahmung in der Kunst hervorgerufene Affekt ebenfalls nur jene Leidenschaft nachahmt,83 die der Gegenstand in seiner nicht durch eine Relation gebrochenen Reinheit ausgeübt hätte. Damit ist das von Dubos angezielte Ausgangstheorem eingeholt, daß sich die Erregungszustände, ohne dem Erregungssubjekt ungünstige Folgen hervorzurufen, sollen auswirken können. Und in diesem Zusammenhang spricht Dubos das Subjekt als ein mit Vernunft ausgezeichnetes an, wobei seine Vernünftigkeit darin ruht, die in der Relationalität gelegene Täuschung einerseits zu erkennen, sie aber andererseits nicht gegen den im Vollzug befindlichen Kunstgenuß auszuspielen,84 so daß die Erregung zwar statthat, aber dann auch wieder vergeht, ohne von lebensmindernder Wirkung auf das Subjekt gewesen zu sein.85 Die Vernunft selbst also ist die Klammer, in der sich der Geschmack, das Gefühl, die Empfindung frei auszuleben vermögen. In der Vernunft ist letztlich der geheime Operator von Dubos’ Wirkungsästhetik zu suchen, da die Vernunft gleichsam eine paßgenaue Entsprechung in jenem Publikum findet, dem das letzte Urteil im Geschmack zugemutet werden soll. Die Kunst kann ihre letz­ten Konstruktionsprinzipien darum so vertrauensvoll abstellen auf die reine durch sie hervorgebrachte Wirkung, weil diese Wirkung in einem Urteil sich beruhigt, das durch das Publikum gefällt wird,86 dieses Publikum aber am Ort 82  Kb i 27: [D]er Eindruck, den die Nachahmung verursacht, [unterscheidet] sich von dem Eindrucke, den der nachgeahmte Gegenstand hervorgebracht haben würde, nicht weiter … als darinnen, daß er nicht so stark ist«. 83  Ib.: »Abbildung des Gegenstandes muß … Abbildung der Leidenschaft hervorbringen«. 84  Kb i 27: Der durch den nachgeahmten Gegenstand hervorgerufene Eindruck »[erstreckt] sich nicht bis auf die Vernunft … die sich in dergleichen sinnlichen Empfindungen nicht hintergehen läßt«. 85  Kb i 27 f: »Da er [sc. der Eindruck] nur auf der Oberfläche der Seele bleibt, so verschwindet er, ohne die dauerhaften Folgen hinter sich zu lassen, welche der Eindruck des von dem Künstler nachgeahmten wirklichen Gegenstandes zurücke gelassen haben würde … Die vollkommenste Nachahmung hat nur ein künstliches Wesen, nur ein erborgtes Leben«. Es liegt in dieser Nachahmungskonzeption auch die Plato-Kritik Dubos’ begründet. Plato hätte nämlich genau jenes Vernunftmoment vernachlässigt, als er seine rigide Kunstkritik vorgebracht und damit zugleich unterstellt hat, daß das Subjekt im Moment der Affektivität den relationalen Charakter des in der Kunst Ausgedrückten nicht mehr wahrzunehmen die Fähigkeit besitzt. Cf. Kb i 42 – 46. 86  Kb ii 298: »Neue Werke finden … Richter …, nämlich die Kunstverwandten und das Publicum. Sie würden … nach ihrem wahren Werthe geschätzt werden, wenn das Publicum sein Urtheil eben so geschickt zu vertheidigen … wüßte, als es dasselbe gut zu treffen weis«.

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von Empfindungen der getreue Platzhalter jener Vernunft ist, die im wirkungs­ ästhetischen Paradigma scheinbar eskamotiert wurde. Die Wirkungsästhetik des Dubos gibt dem Irrationalen nur scheinbar zu großen Kredit; in Wahrheit setzt sie das Rationale aus sich heraus, um es in dem ihm Anderen, dem sicher urteilenden Publikum und seinem guten und ausgebildeten Geschmack anwesend zu wissen.87 Damit spiegelt sich in Dubos’ Ästhetik die oben angedeutete Tendenz wieder, das Bürgertum als tragenden Sachwalter der Aufklärung emportreten zu lassen, indem dem Bürger eine immer stärker auch in den Kunstdiskurs eingebrachte Urteilsfähigkeit unterstellt und zugetraut wird. b) Leibniz – Welt als Empfindungsraum Die Theodizee (1710) stellt des Leibniz einziges großes Werk dar, das zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde. Seine Entstehungsgeschichte ist eng verbunden mit Sophie Charlotte von Braunschweig und Lüneburg, die Leibniz schon als junges Mädchen am Hannoverschen Hof kennengelernt hatte und zeitlebens einen regen geistigen Austausch mit ihm pflegte. Pierre Bayle übte in seinem Historischen und kritischen Wörterbuch (Amsterdam 1692 – 1695) scharfe Kritik an der prästabilierten Harmonie und weckte damit das rege Interesse der Herzogin. Als Sophie Charlotte im September 1700 mit ihrer Mutter eine Badekur in Aachen unternahm, ließ sie es sich nicht nehmen, Bayle in den Niederlanden einen Besuch abzustatten, um sich seine Kritik an ihrem Mentor detailliert erläutern zu lassen.88 Zwei Jahre später im Sommer sollten anläßlich der zweiten Auflage des Bayleschen Wörterbuchs im Lützenburger Schloß philosophische Gespräche stattfinden, die das Theodizee-Problem zum Thema hatten und aus denen Leibniz’ große Abhandlung hervorging. Daß die von Leibniz stets respektvoll gehaltene Auseinandersetzung mit Bayle, dessen Argumente er immer wieder vorträgt, um sie hernach zugunsten seiner Theorie der besten aller möglichen Welten und der prästabilierten Harmonie zu problematisieren, das ganze Werk durchzieht, geht oft auf Kosten eines kontinuierlichen Argumentationszusammenhanges, so daß die harten Argu­mente der Leibnizschen Theodizee immer wieder aufgesucht werden müssen zwischen langen gelehrten Ausflügen in die kirchlich-dogmatische und philosophische Lehrtradition. Im folgenden wollen wir versuchen, den Hauptgedanken herauszuarbeiten, wie er Oder: Kb ii 514: »Man braucht dem Publico über den Unterschied zwischen zwey Gedichten die Augen nicht erst zu öffnen, wie etwa, wenn es den Unterschied zwischen zwey philosophischen Lehrgebäuden betrifft. Es … urtheilt mittelst der Empfindung weit richtiger, als die Kunstrichter mit allen ihren Regeln«. 87  Kb ii 312: »Ich rechne … nicht den … Pöbel unter das Publicum, welches fähig ist, über Gedichte und Gemählde zu urtheilen … [I]ch verstehe unter dem Publico nur diejenigen, so sich … durch Lesen, oder … guten Umgange … Einsichten erworben haben. Diese allein sind es, welche Gedichten und Gemählden ihren Rang anweisen«. 88  Cf. E. Ch. Hirsch: Der berühmte, 429 u. Schmoeckel: Humanität, 173.

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von Mendelssohn übernommen und für seine Philosophie wichtig wurde. In der Scholastik wurde die Frage ›utrum quae facit, possit facere meliora‹ breit diskutiert und auf eine Weise beantwortet, die Leibniz nicht fernsteht, wenngleich er an der mittelalterlichen Lösung dieses Problems eine folgenschwere Modifikation vornimmt. Die Scholastik verfährt nach einem didaktischen Prinzip, das bei manchen Unterschieden im Umgang mit den aus der Antike vorgegebenen Lehrverfahren doch alle Systeme eint und kennzeichnet: Qui bene distinguit, bene docet,89 eine Lehrmethode, die sie auch bei der Behandlung der Frage, ob diese Welt die beste aller möglichen Welten sei, oder ob es Gott möglich gewesen wäre, eine bessere Welt zu erschaffen, zur Anwendung bringt. Wir stellen die Beantwortung dieser Frage in der Form dar, wie sie sich beim Aquinaten findet. Thomas unterscheidet hinsichtlich der Frage ›Utrum quae facit, possit facere meliora‹ zwei Hinsichten:90 Einmal nämlich kommt das Bonitätsprädikat, so führt Thomas unter Bezugnahme auf das Achte Buch der Aristotelischen Meta­ physik aus, dem Wesen eines Sachverhaltes zu, dann aber wird die Bonität auch von akzidentiellen Merkmalen dieses Sachverhaltes ausgesagt. Wenn die Bonität einem Sachverhalt essentiell, also im Zugleich mit ihm gegeben ist, wie etwa, um ein einfaches Exempel zu geben, das Größer-Sein als die Zahl 1 und das Geteilt-werden-Können nur durch sich selbst und die Zahl 1 der Primzahl 2 als 2 zu­kommt, so erfährt dieser Umstand seine Bestimmtheit genau aus jener Bonität, die ihm hier nur in einem – gleichsam nachgängigen – Kennzeichnungsverfahren wird zugesprochen. In bezug hierauf ist es zu denken nicht möglich, daß Gott Besseres hätte erschaffen können, da dies bedeuten müßte, daß dann Gott, um in unserem Beispiel zu bleiben, diese Zahl nicht besser, sondern nur anders – und dies hätte Gott durchaus tun können – hervorgebracht hätte.91 Anders verhält es sich bei einer Bonität, die einem Seienden nur akzidentiell zukommt, weil hier Gott das Gute auch hätte besser schaffen können.92 Um die Position des Thomas auf eine Formel zu bringen: Gott vermag stets auch Besseres zu erschaffen, als er geschaffen hat; dies Bessere ist aber nur besser bezüglich zufälliger Eigenschaften von Seiendem. Seiendes hingegen, dessen Existenz und Bestimmtheit zusammenfallen, würde, wollte Gott es verbessern, immer anderes Seiendes werden. Die Intention des Thomas scheint vorrangig darin zu bestehen, Gottes Freiheit und Allmacht auch gegenüber seiner Schöpfung sicherzustellen: Gott behält, was immer er geschaffen, und wie gut auch immer er es geschaffen 89 

H. F. Meyer: Die Distinktionstechnik, 65. Sth i q 25 a 6: »Respondeo dicendum quod bonitas alicuius rei est duplex«. 91  Ib.: »Una quidem, quae est de essentia rei; sicut esse rationale est de essentia hominis. Et quantum ad hoc bonum, Deus non potest facere aliquam rem meliorem quam ipsa sit, licet possit facere aliquam aliam ea meliorem«. 92  Ib.:  »Alia bonitas est, quae est extra essentiam rei; sicut bonum hominis est esse virtuo­ sum vel sapientem. Et secundum tale bonum, potest Deus res a se factas facere meliores«. 90 

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hat, stets einen kreativen Überschuß, der in keinem kreatürlich ihm Anderen je aufzugehen vermag.93 Leibniz nun, der kein Freund dieser Distinktionsmethode war,94 hat diese Position verlassen, um Gott jegliche kreative Reserve gegenüber seiner Schöpfung zu nehmen mit der bekannten These, daß genau die Welt, die Gott geschaffen hat, er mit Notwendigkeit schaffen mußte, weil sie die beste aller möglichen sei. Mit dieser Annahme lädt sich Leibniz gegenüber der Thomasischen Distinktionsthese eine enorme Begründungslast auf. Gleichwohl ist diese Position keineswegs originell, sondern Leibniz optiert hier für einen Lösungsvorschlag des Theodizeeproblems, der der Segunda Escolástica wohl bekannt war und hier auch immer wieder vertreten wurde, worauf schon der Jesuit Bartholomäus des Bosses in seiner Übersetzung der Leibnizschen Theodizee ins Lateinische ( Tentamina theodicaeae de bonitate Dei, Frankfurt a. M. 1719) hinweist.95 Die spanische Scholastik gründet sich vor allem auf die Denkvoraussetzungen und spirituelle Praxis der Dominikanertradition und der Gesellschaft Jesu, das Armutsideal der Kapuziner, die Gebetsmystik der Karmeliter und den nachtridentinischen Katholizismus.96 Nicht zuletzt durch den beherzten Schulterschluß von spanischen Ordensleuten mit der Pariser Sorbonne gelang es der Schule von Salamanca,97 das scholastische Erbe in einem neuen Gewand aus kre­ativer Spekulation und gleichzeitiger Treue gegenüber der Lehrtradition an die nachtridentinischen Jahrzehnte weiterzugeben. Diese Lehrentwicklung fällt in genau das Siglo de Oro Philipps II., jene zwielichtige Zeit, in der Spanien den Mittelpunkt des Abendlandes bildete und die Konquistadoren – was nur in euphemistischer Weise dadurch abgemildert scheint, daß man seit dem Generalerlaß Philipps II. im Juli 1573 die Bezeichnung Eroberung (conquista) durch Befriedung ( pacificación) ersetzte98 – das Naturrecht in landnehmender Mission in der Neuen Welt zu universalisieren gedachten. Zugleich haben sich unter den Ordensleuten Spaniens immer wieder Männer hervorgetan, die in eine kritische Distanz zu den hemmungslosen Unterwerfungspraktiken der Konquistadoren getreten sind – und, was bedeutender noch ist, diese kritische Distanz wurde vor dem Hintergrund eines universalistisch ausgerichteten Völkerrechts reflektiert. Die bekannteste Gestalt ist hier vielleicht der dominikanische Bischof von Chiapas Bartolomé de Las Casas, der in einer Kombination aus antikem Naturrechtsdenken, römischem Kaiserrecht und Kanonistik die klassischen Themen des Naturrechts (dominium, officium, libertas und bonum hominum) und 93 

Ib.:  »Simpliciter autem loquendo, qualibet re a se facta potest Deus facere aliam meliorem«. Nouveaux Essais, Ps iii 1, 464 f; Ps iii 2, 406 f. 95  Zu den genauen Nachweisen bei Des Bosses cf. Knebel: Necessitas, 4, bes. Anm. 6. 96 Cf. Castellote: Der Beitrag, 17  ff. 97  Am bekanntesten ist hier vielleicht Ignatius von Loyola, der ins Visier der Inquisition geriet und – vormals Student der Universität Salamanca – 1528 nach Frankreich an die Sorbonne wechselte. Cf. Llorente: Kritische, 127. 98  Lemistre: Les origines, 197. Ausführlich hierzu Hanke: The First, 157  ff. 94 Cf.

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seine Idee der Translation entwickelt, die davon ausgeht, daß in dem gleichen Sinne, wie Gott seine Herrschaft den Völkern überträgt, um darin ihre Freiheit zu statuieren, auch diese Freiheit zu übertragen sei auf die Bewohner der Neuen Welt, die bei der Einsetzung des Naturrechts immer schon mitgesetzt und zu einer freien Selbstentfaltung bestimmt waren.99 Und so hat die übergriffige Erschließung des amerikanischen Kontinents zugleich eine Anbahnung so wichtiger Grundsätze des Völkerrechts begründet wie die Abwesenheit von Zwang bei jeglichen Missionsunternehmungen, die sittliche Regulierung der Kriegsführung und Siedlungspolitik, die grundsätzliche Rechtsgleichheit aller staatlich und quasi-staatlich organisierter Gemeinwesen, einen freien und gerechten Warenaustausch und endlich die Unterscheidung zwischen ius gentium intra se et inter se (Suarez).100 In durchaus vergleichbarer Weise hat Francisco Suárez, Jesuit und letzter Vertreter der Schule von Salamanca, vom Völkerrecht als einer umgreifenden und damit alle Völker einschließenden Idee Gebrauch gemacht, wenn er in seinem Tractatus de legibus ac de Deo Legislatore (1613) den ökumenischen Einheitsgedanken über dessen biologische Implikationen hinweg auf die sittengesetzlich geforderte Rechtsgemeinschaft aller Völker unter Gottes Gesetz ausdehnt.101 In dieser geistigen Atmosphäre konnte ein Gedanke reifen, der universale Har­monie so mit der Expansionsbereitschaft Europas zu verbinden vermochte, daß sich das Übersee-Unternehmen wie eine Ratifizierung der Kreativität Gottes bei Erschaffung der Welt, und zwar der besten aller möglichen Welten, ausnahm. Gott hatte die Welt so geschaffen, wie man sie sich unter einer probabilistisch abgefederten Universalisierungsperspektive anzuverwandeln gedachte. Und so taucht das Philosophem dann auch in stets ähnlicher Weise innerhalb der spanischen Spätscholastik auf in genau jener Form, die Leibniz dann übernommen und seinem System eingeschmolzen hat. Doch zugleich übernahm er damit eine nicht unerhebliche Verschärfung der metaphysischen Begründungslast, da die Jesuitenscholastik nicht mehr mit der Distinktionsmethode operiert. Diese Scholastik will der göttlichen Allmacht keine kreative Reserve hinsichtlich der von Gott geschaffenen Welt zuerkennen, sondern den göttlichen Schöpfungsakt unmittelbar an das Prinzip des ›unter allen Umständen Besse99 Cf.

Huser: Vernunft, 53 – 106. Specht: Spanisches, 171 f. 101  »Grundlage dieses Rechtsbereiches [sc. der Gewährung von Waffenruhe und Frieden] ist die Tatsache, daß das Menschengeschlecht, wie sehr es auch in verschiedene Völker und Reiche geteilt ist, doch immer eine gewisse Einheit bildet (semper habet aliquam unitatem), und zwar nicht nur eine biologische Einheit, sondern auch die Einheit einer gleichsam politischen, durch das Sittengesetz geforderten (non solum specificam, sed etiam quasi politicam et moralem) Gemeinschaft. Das geht aus dem natürlichen Gebot (quam iudicat naturale prae­ceptum) der gegenseitigen Liebe und Hilfsbereitschaft hervor, die sich auf alle, auch die Fremden, erstrecken soll« (Suarez: Tractatus de Legibus ii c. 19  / 9; Ausgewählte Texte, 66 f    ). 100 Cf.

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ren‹ binden. Gott will und tut stets das, was mit Blick auf das von ihm geschaffene Universum vernünftiger und damit zugleich besser ist (melius et rationabilius comparatione universitatis);102 daß Gott aber so handelt, ist eine durch das Erkenntnissubjekt gemachte Voraussetzung, die erkenntnistheoretisch eingeholt wird durch ein ethisch-probabilistisches Kalkül: Es käme der Unterstellung eines unmoralischen göttlichen Handelns gleich zu vermuten, daß Gott etwas tun könne und würde, was nicht ein Maximum an sinnhaft-rationaler Sättigung aufzuweisen verspräche. Die Notwendigkeit, mit der Gott die beste Welt erschafft, besteht in einer Selbstbindung Gottes an seine durch ihn bei der Schöpfung getroffene Entscheidung, Gutes zu tun.103 Und so resümiert dann der Schöpfungsbericht den sechsten Tag (Gen 1, 31): Und Gott sah an, was er gemacht hatte. Und siehe, es war sehr gut. Wenn Leibniz das in Rede stehende Theorem mit den Mitteln seiner Metaphysik individueller Substanzen in Verbindung mit einer denkbar universal angelegten Harmonie- und Kompossibilitätstheorie zu lösen unternimmt, zeigt sich darin, daß er die mit der Annahme einer besten aller möglichen Welten einhergehenden Begründungsprobleme sehr viel drängender verspürt hat als die spanischen Jesuiten.104 Nach der metaphysisch-logi102 

Montoya: Commentaria, 98 a. Cf. zur Formel necessitas moralis ad optimum unter der Überschrift »De Necessitate mo­rali Dei ad optimum creaturarum decernendum« bei Ribadeneira SJ: Tractatus, 368 – 421. Die in Rede stehende Formel findet sich etwa l. c. 372 b, 373 a, 374 b, 386 a u. 388 a. Bei Ruiz de Mon­toya findet sie sich dann nahezu exakt in der Form, die Leibniz verwendet: »Deus semper, atque infallibiliter vult illud bonum, quod in ordine universitatem rerum est simpliciter optimum. Huius conclusionis declaratio deducitur ex hac & praecedentibus sectionibus. Est enim intelligenda in eo tantum genere perfectionis, in quo possibile est optimum, quoniam in illo non datur processus in infinitum. In hoc igitur Deus semper elegit optimum finem creatum« (Commentaria, 77 a). Oder l. c. 89 a: »[N]ecessarium esse Deum velle semper & facere quod optimum, & convenientissimum est ad consequendum finem sub eo modo & mensura sub quo fuit a Deo efficaciter intentus«. Cf. aber auch l. c. 91 ab, 98 b, 103 b, 108 b. In l. c. 110 b findet sich der Hinweis auf Platon als eines Urhebers dieser Lehre. Die moralische Necessität wird von Mendoza: Disputationes, Disp ii Sect vi Subsect ii 19, als das genuin Neue gegenüber der Scholastik empfunden. Cf. zur moralischen Necessität auch l. c. die ganze Sect vi 18 ff: Vtrum Theologi sentiant necessitatem moralem Dei   ? oder Sect viii Subsect iii 24. 104  Die wohl auffälligste Nähe besteht zwischen Leibniz und Abälard, der unter Hinweis auf Sap 12, 18, wo es heißt, Gott handele gerade darum, weil er über unbeschränkbare Macht verfügt, mit Milde und Nachsicht an seinen Geschöpfen, sagt, daß Gott nur das zu tun die Möglichkeit hätte, was dann auch tatsächlich getan und damit Wirklichkeit würde: Abälard: In­troductio ad Theologiam, Pl 178, 1096 c: »Ex his itaque tam de ratione quam de scripto collatis, constat id solum posse facere Deum quod aliquando facit«. Im Hintergrund steht der Pla­ tonische Timaios (28 a), aus dem Abälard in diesem Zusammenhang eine Passage zitiert, die auch das für Leibniz so zentrale Theorem des zureichenden Grundes ausführt: »Omne quod gignitur, ex aliqua causa necessaria gignitur; nil enim fit cujus ortum non legitima causa et ra­ tio praecedat« ( l. c. 1094 d ). Ganz im Sinne von Leibniz sagt Abälard: »Hinc est illa Platonis verissima ratio, qua scilicet probat Deum nullatenus mundum meliorem potuisse facere quam fecerit; sic quippe in Timaeo [sc. 29 e] suo ait: Dicendum, inquit, cur conditor fabricatorque ge­ 103 

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schen Dimension des Leibnizschen Gedankens sind mindestens drei von einander abzugrenzende Stadien zu unterscheiden – einmal die modallogische Dimension, jene möglichen Welten also, von denen Gott eine auswählt, um sie ins Sein zu rufen, dann die monadologische Seinsform, also die Weise, in der dieser Welt ein Existenzquantor beigelegt wird, und endlich die konkrete physische Welt, für deren Existenz die sogenannte prästabilierte Harmonie das Basistheorem darstellt.105 a) Das erste Stadium läßt Gott noch ganz bei sich selbst verbleiben in der Be­trachtung möglicher für eine Existenz infrage kommender Welten. In einem Anhang zur Theodizee beschreibt Leibniz das Mögliche wie folgt: »Die Möglich­ keit der Dinge, die nicht wirklich existieren, hat ihre begründete Realität im göttlichen Dasein: denn wenn Gott nicht wäre, gäbe es auch nichts Mögliches (nisi enim Deus existeret, nihil possibile foret). Die Möglichkeiten sind also von Ewigkeit her in den Vorstellungen des göttlichen Verstandes enthalten«.106 Mit dieser Behauptung stehen wir ganz unmittelbar im Zentrum der Leibnizschen Metaphysik, 107 dort wo alle weiteren Ableitungen ihren Ausgang nehmen, dort, wo allererst ein Grund dafür angegeben zu werden vermag, daß überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts ist, dort also, wo die allem Sein voraufgehenden Möglichkeiten einen Ort bekommen. Leibniz schließt hier grundsätzlich einen absolutheitslogisch-spekulativen Schöpfungsidealismus, wie ihn etwa Hegel vorgetragen hat, aus. Solche spekulative Schöpfungsphilosophie ginge nämlich davon aus, daß die Erschaffung der Welt als eine durch bestimmende Negativiniturae omne hoc instituendum putaverit. Optimus erat. Ab optimo porro invidia longe relegata est, itaque consequenter sui similia cuncta, prout cujusque natura capax beatitudinis esse potue­ rit, effici voluit« ( l. c. 1094 a f  ). Auf die Beziehung zwischen Leibniz und Abälard weist schon Deutsch: Peter, 221, hin, der allerdings erst Leibniz zugestehen kann, den Zusammenhang zwi­­­schen möglicher und wirklicher Welt recht erfaßt zu haben, »[d]a … Abälard eine solche Aus­kunft … auch nicht geben konnte, weil er selbst keine klare Vorstellung weder über die Ideal­welt selbst, noch über ihr Verhältnis zu der wirklichen Welt sich zu bilden vermochte« (222). Solche Distanznahme gegenüber Abälard findet sich schon in Deutschs Vorwort ( vi ). 105  Cf. zu den drei Stadien des Leibnizschen Weltverständnisses Mathieu: Die drei, 8 –17. 106  Causa Dei, Ps ii 2, 316 f Nr. 8. 107 Nach Evers: Gott, läßt sich das Programm möglicher Welten theologisch in minde­ stens dreifacher Weise problematisieren, da einmal die Annahme eines vollkommenen und höchsten Wesens, das mit Notwendigkeit handelt, die Freiheit Gottes in Frage stellte (117); zugleich setzt die Schöpfung der Welt als eines Allzusammenhangs die Existenz des Geschöpfs um seiner selbst willen, dessen Individualität, unter Druck (118); und endlich vermag die Durch­bestimmtheit der Welt zwar zu einer »Kontingenzreduzierung« (120), nicht aber zu individueller Gewißheit im Glauben zu führen. Damit ist grundsätzlich darauf hingewiesen, daß Leibniz in seinen Logikkalkül Voraussetzungen einfließen läßt, die nicht mehr formali­sierbar sind. Allerdings scheint uns diese theologische Kritik dafür zu sprechen, daß bestimmte theologische Aussagetypen mit jenen von Leibniz gemachten metaphysischen Vor­aussetzungen in­kom­patibel sind, so daß die vorgetragene Kritik eine Kritik nur insofern ist, als des Leibniz meta­physische Philosopheme zuvor theologisch interpretiert wurden.

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tät progredierende Ausfaltung der absoluten Idee in das raum-zeitlich Andere ihrer selbst geschieht, um sich in diesem Selbstverlust als Vermittlung aller Vermittlungen der Entfremdung ihrerseits auf immer zu entfremden. Eine unverzichtbare Voraussetzung dieser ambitionierten Variante des Apokatastasis-tonpanton-Projekts besteht darin, den Grund gründen, den Ausgang ausgehen zu lassen, auf daß deren Differenz immer schon von dem jeweiligen IneinanderAufgegangensein beider überholt wurde und damit Bestimmungsnegativität als stetig werdendes Gewordensein der Bestimmtheit das Maß vorgibt. Und so behält Negiertes stets den Sieg, da es nie zum Verschwinden gebracht zu werden vermag, sondern sich an dem, das sich der Negation entzogen, rächt, indem es ihm Bestimmtheit verleiht. Oder mit den Worten des Anfangs der Wissenschaft der Logik (1812 – 1816): »Das reine Sein und das reine Nichts ist … dasselbe … Ihre Wahrheit ist also diese Bewegung des unmittelbaren Verschwindens des einen in dem anderen: das Werden«.108 Dies hat eine für die Geschichte der Schöpfungstheologie schwer zu überschätzende Bedeutung, da nun die Schöpfung selbst nur noch in eine hermeneutische Differenz zum Schöpfer zu treten vermag, denn: »Erschaffen« ist hier allein »das Wort der Vorstellung für den Be­ griff selbst nach seiner absoluten Bewegung«,109 und unter dieser Perspektive kann Hegel seine Geschichtsphilosophie durchaus als Theodizee kennzeichnen, »welche Leibnitz metaphysisch auf seine Weise in noch unbestimmten, abstracten Kategorien versucht hat«.110 Des Leibniz Denkfigur hingegen stellt eine dem dialektischen Schöpfungsmodell grundlegend zuwider laufende Konzeption dar, indem sie ihren Ausgang in nicht vermittelbarer Differenz zum Ausgehen nimmt, den Grund mithin wohl grün­den, aber nicht in seiner Gründung aufgehen läßt.111 Tritt das Absolute nach Leibniz in Differenz zum Endlichen, so heißt 108 Werke

v 83. Hegel: Phänomenologie, Werke iii 561. 110  Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 20. 111  Darin liegt u. E. die tiefe Einsicht des Leibniz, von der her sich die Perspektivendifferenz seines Werkes, auf die Schneiders: Leibniz’, hingewiesen hat, erklärt. Schneiders betont die in Leibniz’ Philosophie selbst nicht mehr eingeholte Differenz zwischen der perspektivenlo­ gischen Standpunktlehre und dem mit dieser Lehre in einen Widerspruch tretenden absoluten Standpunkt, den Leibniz in Monadologie und Theodizee einzunehmen bereit war: »Der … absolute Standpunkt rechtfertigt sich selbst durch … Selbstbehauptung – ohne doch damit den relativen Standpunkt endgültig zu überwinden. Es bleibt also bei einem doppelten Standpunkt und einem dadurch bedingten, noch ungeklärten Standpunktwechsel« (190). Wir meinen, daß ein solcher ›Standpunktwechsel‹ sich genau mit jener Notwendigkeit aus der Perspektivität der Standpunkte ergibt, als diese Perspektivität eine Endlichkeit festzuschreiben gezwungen ist, deren Ermöglichung aus ihr selbst nicht mehr zu erhellen vermag, End­ liches aber aus ihm selbst heraus auf eine Absolutheitsvermeinung verweist. Der ›absolute Stand­punkt‹ ist also durch Endliches gefordert und stellt – ganz unabhängig davon, wie man Leibniz’ Lösungsvorschlag dann konkret beurteilen mag – eine Hermeneutik des Endlichen dar, die diesem nicht äußerlich ist, sondern »ins Innere der Dinge eindringt« ( Leibniz: Theo­ di­zee, Ps ii 1, 53; Hhg. v. Vf.). 109 

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das auch, daß das Absolute in sich selbst von der Konstitution sein muß, Endliches zu ermöglichen. Wenn also die Möglichkeiten als Vorstellungen Gottes reklamiert, mithin Gott selbst als die Ermöglichung des ›Möglichen überhaupt‹ gekennzeichnet werden, so bedeutet dies näherhin, daß Gott auch als derjenige anzusprechen ist, der zum einen nicht in Abhängigkeit von Möglichem denkbar sein darf, der aber zugleich jene ontologische Basis dafür bereitstellt, daß Endliches sein kann. Endliches nämlich ist in zweifacher Weise in Gott fundiert, einmal, weil es als Existierendes möglich und darum in Gott war, dann aber auch, da endliches Existierendes endlich ist dahingehend, daß sein Nicht-Sein möglich und folglich in Gott sein muß. Die Aussage also, daß alles Mögliche dem Gedankenreichtum Gottes angehört, ohne den Mögliches nicht zu denken ist, läuft darauf hinaus, Endliches als Endliches und somit der Möglichkeit nach NichtSeiendes so aus Gott hervorgehen zu lassen, daß dieser Hervorgang nicht gleichsam mit dem Begriff des Absoluten als dessen Selbstentfaltung zusammenfällt, sondern gerade darin seine Existenz namhaft macht, vom Absoluten unvermittelt und unvermittelbar unterschieden zu sein.  b) Das Mögliche aber als Mögliches erschöpft sich nicht in einer modal­lo­gi­ schen Operation am Beginn des göttlichen Selbstgespräches über die optimale Schöpfungsinitiative, sondern das Mögliche läßt sich noch näher kennzeichnen als Begriffe bildendes Denken Gottes. Denn die Möglichkeit der Welt besteht näher besehen darin, daß Gott die Welt sich in Begriffen vorstellt; und der Weltaspekt ist hier zum Ausdruck gebracht durch eine aggregative Verdichtung von Begriffen oder genauer: Individualbegriffen, die in ein koexistentes Verhältnis zueinander versetzt zu werden vermögen. Am ersten Schöpfungstag ist die Wahl Gottes auf die beste aller möglichen Welten gefallen, weil diese Welt einen maximalen Umfang an koexistenzfähigen Individualbegriffen darstellt.112 Und damit ist von einer weiteren Ebene des Schöpfungsprozesses zu sprechen, der Mo­ na­dologie. Wenn Leibniz zu Beginn seiner Monadologie Monaden als einfache Substanzen beschreibt, die keine Fenster haben, so ist ihm damit eine absolute Metapher gelungen, die es sogar geschafft hat, im Volksmund eine Heimstatt zu finden. Die Fensterlosigkeit der Monade ist gleichsam die bildhaft gewordene Unterschiedenheit zwischen der Welt und dem Schöpfer dieser Welt, denn, um noch in dem besagten Bild zu verweilen, nicht einmal Gott selbst vermag in das Dunkel der Monade einzudringen. Doch worin besteht genauer dieses Dunkel ? Die Dunkelheit ist der sinnfällige Ausdruck dafür, daß der Monade als Einzelsubstanz, so möchte man vorläufig sagen, Passivität im absoluten Sinne zukommt; und nicht von ungefähr vergleicht Leibniz  113 die Seelenmonade mit dem 112  Auf diese Annahme einer möglichen Welt als eines Zusammenhangs aus Individual­ be­­grif­fen, die hinsichtlich ihrer Kompossibilität nicht mehr steigerbar sind, läuft der Aufsatz von Mates: Leibniz, hinaus. 113  M 119: »Denn wir erfahren in uns selbst einen Zustand, in dem wir uns an nichts erinnern und von dem wir keine deutliche Perzeption haben; wie wenn wir in Ohnmacht oder in

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Zustand eines tiefen, traumlosen Schlummers. Damit sind zweierlei – allerdings nur in einer bestimmten Hinsicht zu unterscheidende – Momente ausgeschlossen. Die Monade darf als eine Einzelheit als solche keine Vielheit enthalten, da Vielheit immer Vielheit von etwas ist, was wiederum, soll ein infiniter Re­greß sich nicht affirmieren, auf die Monade selbst führen würde.114 Somit ist die Monade nicht nur das, von dem her alle Vielheit ist, sondern auch das, von dem her Vielheit überhaupt erst als eine in den Blick tretende Mög­lichkeit angesprochen zu werden vermag. Ist aber solchermaßen – und dies ist das zweite, mit dem ersten aufs engste zusammenhängende Moment – die Monade Voraussetzung dafür, daß überhaupt ›Voraussetzung‹ ist, die dann als durch ihre Setzung nicht rück­bedingt gedacht werden darf, so ist an der Monade auch jegliche Selbstbeziehung, so etwa, als würde sich die Monade in einer wie auch immer gearteten Selbsterfassung selbst setzen, kategorisch auszuschlie­ßen, denn die Monade ist durch die in ihr wirksame Kraft so in sich selbst (inesse),115 daß das Reflexivum dieses Beschreibungsausdrucks sie schon paralysierte. Oder um eine paradoxe Beschreibung zu gebrauchen: Die Monade ist als das unhinterschreitbare Be­züglichkeitsfundament die streng intentionslose Beziehung auf sich selbst. Damit aber, um noch einmal an die oben zitierte Passage aus der Hegelschen Wis­senschaft der Logik zu erinnern, ist sie keinesfalls das jeweils schon Ineinander-Übergegangensein, sondern sie liegt auch jeglicher Dialektik noch als der un­gesetzt-unsetzbare Sachverhalt, der allererst die Aussage, daß Dialektik statthat, ermöglicht, voraus. So ist also die Monade das in allen Vollzügen, seien es Denk- oder Handlungsvollzüge oder beides ineins, Immer-schon-in-An­spruchGenommene. Diese Konzeption der Monade hängt mit einer nicht nur in der Metaphysik zur Anwendung gebrachten Grundannahme unseres Philosophen zusammen, seiner Theorie nämlich von den Individualbegriffen.116 Diese besagt, daß ein Individualbegriff das durch ihn aufgerufene Individuum vollständig bestimmt und jede diesen Individualbegriff ergänzende Bestimmung demgegeneinen gänzlich traumlosen, tiefen Schlaf fallen. In diesem Zustand unterscheidet sich die Seele nicht merkbar von einer einfachen Monade«. 114  Die Kategorie der Vielheit kann allererst in den Blick treten, wenn sie in jener Einheit, die sich konsequent der Interpretation widersetzt, Moment der Vielheit zu sein, gründet oder von dieser freigesetzt wird. M 115: Die »Einzelheit muß in der Einheit oder im Einfachen eine Vielheit enthüllen (envelopper une multitude dans l’unité ou dans le simple) … so muß es … in der einfachen Substanz eine Vielzahl von Affektionen und von Beziehungen geben, auch wenn es in ihr keine Teile gibt«. 115  Cf. den berühmten Passus aus De prima philosophiae emendatione, et de notione sub­ stantiae, in dem Heidegger: Metaphysische, 103, »eine metaphysische Aussage von größter Trag­weite« erkannte: »Et hanc agendi virtutem omni substantiae inesse ajo, semperque aliquam ex ea actionem nasci« (Ger iv 470). 116  Cf. zur Theorie der Individualbegriffe Schütt: Erste, 68 ff. Zu dieser Theorie im Zu­ sam­menhang mit der Frage danach, wie mögliche Welten konstituiert seien, cf. Liske: Leib­ niz’, § 17, hier bes. 80 – 93.

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über tautologisch und ohne jede sinnstiftende Kraft sein müsse. Im Hintergrund steht hier jenes metaphysische Prinzip, das die eingangs von uns zitierte Passage genannt hatte, daß nämlich alles Mögliche, auch die Möglichkeit also des je konkreten In­dividuums, als eben dieses Individuum zu sein, Vorstellungen und also Begriffe in Gott sind; und somit sind die Individuen vor allem, was sie sonst auch noch sein mögen, Gedanken Gottes, die sich in Raum-Zeit-Schnitten als unsetzbar vorausgesetzt vorfinden. Die im binnenlogischen Kontext also höchst kontraintuitive Annahme, daß die den Trojanischen Krieg auslösende Liebe zwischen Paris und Helena kein Beziehungsgeschehen sei, sondern ausschließlich den je singulär-prädikativen Sachverhalt zum Ausdruck brächte, daß Paris liebt und daß ganz unbetroffen von dieser Liebe Helena eo ipso geliebt würde, bekommt ihren Sinn nur in einem sehr viel weniger emotional aufgeheizten Liebesgeschehen.117 Dieses Geschehen formt das Liebeserlebnis um in den Sachverhalt, daß Gott – so wird man es vielleicht fern aller den Liebesdiskurs immer schon symptomatisch begleitenden Lyrik sagen müssen – die Möglichkeiten liebt und daß es sich bei dieser Liebe nicht mehr um einen relationalen Ausdruck, um eine zweistellige Prädikation, sondern um eine streng singuläre prädikative Aussage handelt. Ferner kann uns Gott nicht stehen, um diesen Gedanken des Philosophen ins Theologische zu wenden, als daß er uns gleichsam aus prädikatenlogischen Erwägungen seine Liebe entzieht; uns also, seine Geschöpfe, nicht zu lieben vermag. Zugleich aber vermögen wir uns selbst anders nicht nahezukommen, als daß wir in diesem göttlichen Liebesentzug unsetzbar gesetzt sind, um im Ausgriff auf das Ganze jenes Einzelne zu werden, das das Ganze sich in Verinnerung zu eigen gemacht, um solchermaßen jeglichen Bezug zu tilgen, der unser monadisches Sein stets wieder sich verflüchtigen ließe. Nur aber in einer prästabiliert-harmonischen Welttotalität, die den Zweifel – denn Zweifel ist die Anwesenheit des Möglichen – durch einen auf Dauer gestellten Optimismus kontaminiert, mag solche Existenz überhaupt eine begründete Hoffnung auf erlebbares Leben haben. c) Hier ist das letzte Stadium des Weltentstehungsprozesses anzusprechen, da wir im Bereich jener Konkretion angelangt sind, die innerhalb der zuvor beschriebenen Stadien noch nicht in den Blick zu treten vermochte. Daß die Welt als das Mögliche am Ort der Möglichkeit überhaupt ein Gedanke Gottes war, mochte noch eingesehen werden – die sehr viel größere Begründungslast trägt aber eine Welt, die als die beste aller möglichen Welten außerhalb des göttlichen Denkens auch existiert. Die Möglichkeit der Welt in Gott und die monadische Welt bilden gleichsam die Voraussetzung dafür, auch die Welt in ihrem Vorhandensein entstehen zu lassen. Die durch Leibniz hier zu meisternde Schwierig117 A vi 4, 114 f: »Paris amat et eo ipso Helena amatur. Sunt ergo duae propositiones in unam compendiose collectae. Seu Paris est amator, et eo ipso Helena est amata; cf. hierzu Mug­nai: Bemerkungen, 545.

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keit ist immens: Wenn man noch auf den vorangegangen Stufen von einem in sich konsistenten Zusammenhang sprechen kann, so entwickelt sich hier ein ganz eigener und von dem bisherigen Deduktionszusammenhang abgekoppelter Gedanke. In Rede steht nämlich nachzuweisen, daß die vorfindliche Welt zugleich jene Welt sei, die Gott als die beste aller möglichen Welten erwählt und sich damit an seine eigene Entscheidung gebunden hat. Denn nur, wenn in dieser letzten Konsequenz Endliches rückgebunden wird an den absoluten Grund, vermag Endliches unter jener larvierten Absolutheitsperspektive zu stehen, die eine stete Auf­lösung des Bösen in die Ungewißheit des noch nicht hinlänglich sub specie aeternitatis Verstandenen zu leisten hätte. Damit kommt für die Plausibilität des Theodizee-Gedankens diesem Schritt eine ganz herausragende Bedeutung zu. Das tragende Argument ist darin zu erblicken, daß Leibniz die Notwendigkeit des Absoluten als eines nicht übersteigbaren Ermöglichungsgrundes von Endlichkeit darzutun versucht. Endliches als Endliches hängt zusammen mit dem Absoluten, das als Grund dieses Endlichen gedacht werden muß, ohne dabei gleichzeitig durch dieses Endliche rückbedingt oder – wie wir oben gezeigt haben – als das Bestimmtheit gebende Negative im Vollzug einer Selbstexplikation des Absoluten gedacht zu werden. Die für das Hervorgehen der Welt aus dem absoluten Grund basale Grundannahme besteht darin, Gott Allmacht, Allweisheit und Allgüte zu prädizieren, um damit das jeweilige Maximum aller drei Eigenschaften am Orte des Absoluten zu ankern. Die folgende Passage aus der Theodizee steuert den Gedankengang: Gott ist der erste Grund der Dinge, denn die Dinge, die begrenzt sind … sind zufällig und haben nichts an sich, was ihr Dasein notwendig macht, da es offensichtlich ist, daß Zeit, Raum und Materie, die in sich selbst eins und gleichförmig und gegen alles gleichgültig sind, auch ganz andere Bewegungen und Gestalten in einer ganz anderen Ordnung annehmen konnten (Ps ii 1, 217).

Leibniz argumentiert hier mit seinem Generalprinzip des zureichenden Grundes, den als absoluten Grund anzunehmen nötig ist, wenn das Dasein von Endlichem erklärt werden soll. Endliches nämlich trägt sich mit dem Stigma der Zufälligkeit, so daß es gleichsam bestimmtheitslabil ist – ausgenommen die Bestimmtheit, Endliches zu sein. Unter die modallogische Position der Möglichkeit gerückt vermag Endliches immer auch anderes Endliches und damit am Ort seiner konkreten Bestimmtheit Nichts zu sein, so daß das Nicht-sein-Können allem Endlichen unverlierbar eingeschrieben ist. In der Gleichgültigkeit des Zeitlichen, Räumlichen und Materiellen gegen Anderes zeigt sich, daß die Bestimmtheit des Endlichen als einer Bestimmtheit-durch-anderes-Endliches fragil ist. Endliches aber, das nicht von fester Bestimmtheit gegenüber Anderem durch dieses Andere ist, vermag immer schon Anderes und damit Bestimmtheit in einem völlig veränderten Bestimmtheitsraum zu werden.

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Man muß also den Grund für das Dasein der Welt, die aus dem gesamten Gefüge der zufälligen Dinge besteht, suchen, und zwar muß man ihn suchen in der Substanz, die den Grund ihres Da­ seins in sich selbst trägt und daher notwendig und ewig ist (Ps ii 1, 217.219).

Soll Endliches, das den Charakter des Nicht-sein-Könnens trägt, eine stabile Be­stimm­theit gegenüber anderem Endlichen haben; soll also Endliches in einem kalkulierbaren Bestimmtheitsraum Endlicher bestimmt sein, so kann es den Grund seines Daseins weder aus sich selbst noch aus anderem Endlichen, sondern nur aus dem absoluten Grund, der unanfällig für ein Nicht-sein-Können ist, haben. Nach dieser Überlegung geht Leibniz dazu über, die oben angesprochenen Charakteristika des absoluten Grundes, nämlich Allmacht, Allweisheit und Allgüte, zu entwickeln, wobei sich die Macht Gottes darin zeigt, daß dieser die Möglichkeiten ins Sein ruft, die er zuvor als geeignete Kandidaten aus der Fülle des ebenfalls Möglichen erwählt hat ( Weisheit).118 Der diese solchermaßen ins Sein getretene Welt sowohl hinsichtlich ihrer stabilen Bestimmtheit als auch ihres steten Bezogen-Seins auf das Absolute ermöglichende Generaloperator ist in der prästabilierten Harmonie gefunden. In dieser Harmonie drückt sich in letzter Konsequenz aus, daß die im Absoluten gründende Welt diese Gründung am Ort der Kontingenz zum Ausdruck zu bringen vermag, ohne daß sich darin ein deterministisches Weltverhalten, das Leibniz ausdrücklich als »fatum mahometanum«119 zurückgewiesen hat, affirmierte.120 118  Ps ii 1, 219: »Die Macht geht auf das Sein, die Weisheit oder der Verstand auf das Wahre und der Wille auf das Gute«. 119  Ps ii 1, 293. 120 Die immense Bedeutung der prästabilierten Harmonie, der Leibniz nicht weniger zu­traut denn als Ermöglichungsprinzip einer freien und gleichzeitig im Absoluten stehenden Welt in Geltung zu sein, findet sich in der folgenden Passage schön ausgedrückt: »Ich war überdies vom Prinzip der Harmonie im allgemeinen überzeugt und folglich auch von der Präformation und der prästabilierten Harmonie aller Dinge untereinander, zwischen der Natur und der Gnade, zwischen den Beschlüssen Gottes und unseren vorhergesehenen Handlungen, zwischen allen Teilen der Materie und sogar zwischen der Zukunft und der Vergangenheit – alles in Übereinstimmung mit der höchsten Weisheit Gottes ... [u]nd diese Harmonie fügt der Freiheit nicht nur keinen Schaden zu, sondern ist ihr sogar äußerst günstig« ( Ps ii 1, 299; Hhgn. z. T. v. Vf.). Es ist dabei besonders interessant, daß Leibniz sich auf jenen Philosophen bezieht, der schon Mendelssohns Jugendliebe war: Maimonides. Leibniz hatte ein lebenslanges Interesse an Maimonides. Cf. den Auszug aus Dux perplexorum in A vi 4, 2484 – 2497. Was unseren Zusammenhang anbelangt, so heißt es bei Maimonides: Dalalat: »Sehr häufig steht die Menge in dem Wahn, des Uebels sei mehr in der Welt als des Guten, so daß in vielen Sinnsprüchen und Gedichten der meisten Völker diese Idee niedergelegt ist und behauptet wird, es sei gleichsam ein Wunder, wenn sich in einem Zeitalter etwas Gutes ereigne; während seine Uebel viel und unaufhörlich sind. Dieser Irrthum herrscht aber nicht nur unter dem Pöbel, sondern es theilt ihn auch Mancher, der sich für weise hält« ( iii 12, 48). Gleich­wohl, Leibniz ist dies natürlich nicht entgangen, schlägt bei Maimon die Behauptung, daß das Gute in der Welt das Übel bei weitem überwiege, zu einer Abwertung des Menschen zu­gunsten der Gesamtheit der Schöpfung aus: »Der wahre Gesichtspunkt der Sache aber ist,

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c) Baumgarten – Empfundene Bestimmtheit Von Leibniz auch stammt jene Hintergrundtheorie, die für die Ästhetik des 18. Jahrhunderts von schwer zu überschätzender Maßgeblichkeit werden sollte. Leibniz faßt seine Überlegung zu Beginn der Betrachtungen über die Erkennt­ nis, die Wahrheit und die Ideen von 1684 in dem folgenden Lehrsatz zusammen: Die Erkenntnis ist also entweder dunkel oder klar (vel obscura vel clara) und die klare Erkenntnis wiederum entweder verworren oder deutlich (vel confusa vel distincta), die deutliche Erkenntnis aber entweder inadaequat oder adaequat (vel inadaequata vel adaequata) und gleichfalls entweder symbolisch oder intuitiv (vel symbolica vel intuitiva); wenn aber die Erkenntnis zugleich adaequat und intuitiv ist, so ist sie am vollkommensten ( perfectissima est).121

Der dunkle Begriff ist dadurch gekennzeichnet, daß ihm keine Wiedererkennungs­ qualität kann zugesprochen werden, indem sich hier nämlich das epistemische Subjekt eines sinnlich wahrgenommenen Objekts zwar erinnert, dieser Erinnerung aber keine Bestimmtheit zu verleihen vermag. Das sinnlich Wahrgenommene verschwimmt gleichsam in der Erinnerung mit dem genus pr0ximum, ohne eine differentia specifica herbeiführen zu können (non … ab aliquo vicino discernere passim, 32). Diese Wiedererkennungsqualität aber kommt der klaren Erkenntnis zu, die auseinandertritt in verworrene und deutliche Begriffe. Bei der verworrenen Erkenntnis wird die Bestimmtheit des Wahrnehmungsobjektes dahingehend konkretisiert, daß es nicht von anderen Objekten unterschieden werden kann, da das epistemische Subjekt nicht alle es kennzeichnenden Merkmale mit Bestimmtheit auszusagen vermag. Damit ist durch die verworrene Erkenntnis die Sache als eine solche noch nicht eindeutig bestimmt, in­dem wir zwar verschiedene Sinnesempfindungen voneinander zu unterscheiden vermögen, diese Unterscheidung aber nicht anhand der Merkmale, sondern der vorbegrifflichen Sinneswahrnehmung (simplici sensuum testimonio, 34) treffen, eine Wahrnehmung, die an dem konkreten Erkenntnisobjekt aktualisiert werden muß, wenn sie dem epistemischen Sub­jekt gegenwärtig werden soll. Entsprechend zeichnet sich die deutliche Erkenntnis aus dadurch, daß alle dem Wahrnehmungsobjekt zukommenden Merkmale eindeutig voneinander unterschieden werden können, und das Objekt mithin als ein solches bestimmt wird, wenn wir eine Nominaldefinition von ihm haben ( habemus Definitionem nominalem, 34). Die vollständige Durchbestimmtheit bringt also einen deutlichen Begriff hervor, unabhängig davon, ob dieser inadäquat oder adäquat daß alle Menschen, welche existiren, und um so mehr die Gattungen der übrigen lebendigen Wesen, gar nicht in Anschlag kommen, und in gar keinem Verhältnis stehen zu dem ganzen Inbegriff der Schöpfung« ( iii 12, 50). 121  Ps i 32 f. Die sich auf Ps i beziehenden Seitenzahlen werden in den Text gesetzt. Cf. zu der von Leibniz hier entfalteten Begriffstheorie Andersen: Ideal, 23 – 25; Leisinger: LeibnizRe­flexe, 140 ff. Leibniz nimmt mit seinen Aufstellungen Bezug auf die klare und distinkte Er­ kenntnis des Descartes (cf. Solms: Disciplina, 37  f  ).

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ist. Gleichwohl mag ein Gegenstand erkannt werden nach seinen Merkmalen – Leibniz wählt als Beispiel erkanntes Gold, das aber hinsichtlich seiner Schwere und Farbe nicht eindeutig bestimmt ist –, ohne daß zugleich in die deutliche Erkenntnis mit eingegangen wäre, was diese Merkmale zu Merkmalen an einer möglichen Sache macht (inadäquate Erkenntnis). Die adäquate Erkenntnis oder auch die Realdefinition besteht in der positiven Beantwortung der modal­logischen Frage nach der Möglichkeit einer Sache (definitiones … reales, ex quibus constat rem esse possibilem, 40).122 Anders: Das Definiendum wird durch das Definiens auch dann definiert, wenn in diese Definition unbekannte Bestimmungen eingegangen sind; erst dann aber, wenn alle diese unbekannten Begriffe gleichsam zum Gegenstand von Definitionen zu werden vermögen, kann von einer adäquaten Erkenntnis gesprochen wer­den. In einem letzten Diffe­renzierungsschritt scheidet Leibniz noch einmal die adäquate Erkenntnis in symbolische Begriffe, Begriffe also, deren in sie eingegangene Bestimmungen das epistemische Subjekt sich nicht gleichzeitig vergegenwärtigt (simul cogitare, 36), und intuitive Begriffe, in denen diese Vergegenwärtigung statthat oder als logisch zulässig zu denken möglich ist (ubi tamen hoc licet, 36). Baumgarten nimmt an dieser Kognitionstheorie eine Umstellung vor, die für die Geschichte des ästhetischen Denkens von grundlegender Bedeutung werden sollte, weil sie das erste mal in der Geistesgeschichte eine philosophische Begründung der Ästhetik als einer philosophischen Disziplin enthält.123 Der entscheidende Gedanke findet sich schon in Baumgartens Dissertation, den Philosophischen Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes von 1735. Hier konzipiert 122 Mit Paetzold: Ästhetik, 14, kann auch von einer »Kausaldefinition« gesprochen werden, weil hier der Gegenstand »auf seinen bedingenden Grund hin ›erklärt‹« wird. 123  Cf. schon die Klassiker: Lotze: Geschichte, 13: »Eine Aesthetik …, welche verlangte, … Erkenntniß zu sein, mußte auch in dem Schönen selbst Wahrheit verlangen. Diese Folgerung zog Baumgarten«. Zimmermann: Geschichte, 154: »[N]achdem Logik, Metaphysik und praktische Philosophie … die Philosophie … beherrscht hatten, ward … auch ein Platz für das Auftreten der Philosophie des Schönen und der Kunst als selbständige philosophische Wis­sen­ schaft gewonnen. Das Verdienst dieses Fundes und der Bezeichnung der Aesthetik als besonderer philosophischer Disciplin, gebührt … Baumgarten«. In neueren Darstellungen wird diese Ein­schätzung wiederholt. Cf. nur etwa: E. Müller: Ästhetische, 45; Otabe: Das Exoterische, 70 f ; Stöckmann: Anthropologische, 97 f. Stöckmann weist zugleich auf die Ambivalenz von Baum­gartens Unternehmen hin (ib.), die Sinnlichkeit nicht aus der rationalphilosophischen Bann­meile heraustreten zu machen. Cf. hierzu besonders Welsch: Aisthesis, 22 f. u. Dixon: The Baumgarten, 37f. Natürlich ist Baumgartens Anliegen keineswegs neu und findet sich schon bei Bilfinger im Jahre 1725, der eine Theorie der sensitiven Erkenntniskräfte gefordert hatte, für die des Aristoteles Organon ein Vorbild darstellen sollte. Bilfinger: Dilucidationes § cclxviii: »Vellem existerent, qui circa facultatem sentiendi, imaginandi, attendendi, abstrahendi, & memoriam praestarent, quod bonus ille Aristoteles … praestitit circa intellectum: hoc est, ut in artis formam redigerent, quicquid ad illas in suo usu dirigendas, & juvendas per­ti­net & conducit; quemadmodum Aristoteles in organo Logicam, sive facultatem demonstrandi redegit in ordinem«.

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Baumgarten die Ästhetik vollkommen als eine philosophische Begründung des Poetischen, eine Begründung, die er weder bei Johann Jakob Breitinger und Johann Jakob Bodmer noch innerhalb der französischen Literaturkritik als hinlänglich geleistet empfand.124 Die klaren Erkenntnisse fallen nach Baumgarten – anders als bei Leibniz – auseinander in extensiv und intensiv klare Vorstellungen: »Wenn in der Vorstellung A mehr vorgestellt wird ( plura repraesententur) als in B, C, D usw., dennoch alle verworren sind (omnes confusae), so wird A extensiv klarer (extensive clarior) als die übrigen sein«.125 Die Differenz zwischen verworrener und deutlicher Erkenntnis zieht Baumgarten in ästhetischer Absicht zugunsten einer Näherbestimmung der verworrenen Erkenntnis ein, indem er davon ausgeht, daß die Verworrenheit unterschiedlicher Klarheitsgrade fähig ist. Die Zunahme an Klarheit im Bereich einer verworrenen Erkenntnis wird bedingt durch das Einfließen einer größeren Merkmalsfülle in die in Rede stehende Erkenntnis. Wird also bei einer Vorstellung in bezug auf eine andere Vorstellung mehr vorgestellt,126 so spricht Baumgarten davon, daß dieser Vorstellung ein höherer Grad an extensiver Klarheit zukommt. Diese Zunahme an extensiver Klarheit ließe sich auch im Vergleich zur intensiven Klarheit, die durch einen höheren Grad an Bestimmtheit gekennzeichnet ist, als ein Erkenntnismodus beschreiben, dem eine höhere Dichte an Bestimmbarkeiten, die aber im Vollzug dieser Erkenntnis nicht unmittelbar realisiert werden müssen, zukommt. Eine extensiv klare Erkenntnis hat im Augenblick ihres Vollzugs die Bestimmtheitsmomente zugunsten spontanen Einleuchtens übersprungen. Dies wird deutlich daran, daß Baumgarten dem ›Beispiel‹ einen höheren Grad an extensiver Klarheit zuspricht als jenem Sachverhalt, für den das Beispiel beispielgebend ist. Ein Beispiel nämlich – selbst ein ungelungenes – ist genau dann ins Ziel gekommen, wenn es jenen Sachverhalt, für den es beispielgebend ist, klarer oder verstehbarer gemacht hat. Um dies aber zu erreichen, muß das Beispiel einen möglichst großen Bestimmbarkeitsraum freisetzen, innerhalb dessen dann der Sachverhalt als bestimmter und also in die Form begrifflichen Denkens gebrachter sich bildet. Wurde der Sachverhalt als ein solcher verstanden, dann ist für diesen Verstehensakt nicht die Durchbestimmtheit des Beispiels wichtig gewesen, sondern dessen zur Bestimmtheit hinführendes Moment größerer Merkmalsfülle, die durch eine stärkere Verlebendigung der Vorstellung erreicht werden konnte. Damit ist noch ein weiteres Moment der extensiven Vorstellungen an124 Cf.

Poppe § 1, 70 f; Solms: Disciplina, 19 u. Franke: Kunst, 19 Anm. 9. Med § xvi. 126  In den Philosophischen Betrachtungen führt Baumgarten dies mit Blick auf eine stärkere Poetisierung von Gedichten durch die Zunahme extensiver Klarheit aus: Med § xvii: »In extensiv sehr klaren Vorstellungen wird mehr sensitiv vorgestellt als in weniger klaren … Folglich tragen sie mehr zur Vollkommenheit des Gedichtes bei … Daher sind extensiv klarere Vorstellungen äußerst poetisch (extensive clariores sunt maxime poeticae)«. 125 

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gesprochen: deren Lebhaftigkeit. Im § xxvii der Philosophischen Betrachtun­ gen führt Baum­garten aus, daß ein enger Zusammenhang zwischen Affektivität und Vorstel­lungsfähigkeit besteht. Stärkere Vorstellungen gehen immer einher mit wachsenden Affekten, und diese Affekte werden ausgelöst durch eine Maximalvorstellung (etwa des Schlechtesten oder Besten), an der sich das epistemische Subjekt versucht und dadurch seine Affektivität steigert. Immer also gehört zu einer extensiv klaren Vorstellung auch die affektive Selbsteigerung. In Med § cxiii verschärft Baumgarten den Ausdruck noch, indem er hier die Lebhaftigkeit mit der extensiven Klarheit der Vorstellung vollständig gleichbedeutend verwendet: »[R]epraesentationes … vividissimas … sunt extensive clarae«. Die Ästhetik baut das ihr eigene Wissen auf nach dem Organisationsprinzip des Analogon rationis, ein der Tierpsychologie des 18. Jahrhunderts entnommener Begriff, der ein instinktives an die jeweilige Situation angepaßtes Verhalten zum Ausdruck bringen soll.127 Dabei geht Baumgarten von der Überzeugung aus, daß sich das Analogon rationis keinesfalls als Gegner logischer Erkenntnisse zu positionieren hätte, sondern im Gegenteil die logische Vernunft selbst Schaden nähme, wenn der Bereich klarer, aber gleichwohl verworrener Erkenntnisse unkultiviert bliebe.128 Somit besteht der Nutzen der von Baumgarten ins Werk gesetzten Ästhetik darin, daß sie »die Verbesserung der Erkenntnis auch über den Maueranger der von uns deutlich erkannten Dinge hinaus erweitert« ( Ä § 3). Der Zweck aber – so der berühmte und vielzitierte Eingangsparagraph aus der Theoretischen Ästhetik – allen ästhetischen Erkennens ist in der Vollkommenheit des Erkennens am Ort der Sinnlichkeit gelegen.129 Den Unterschied zur logischen Erkenntnis macht Baumgarten deutlich, indem er die logische Erkenntnis der formalen und die ästhetische Erkenntnis der materialen Vorstellungsgewinnung zuschlägt. Mit einem einfachen Exempel verdeutlicht er dies: Wird aus einem Marmorblock eine Kugel gebildet, so vermag die Form dieser Kugel nur zu entstehen durch den materialen Verlust an jenem Marmor, der den unbehauenen Marmorblock ausmachte.130 Das ästhetische Verfahren setzt sich zum Ziel, diesen Materialverlust zu kompensieren, indem es ausschließlich auf Individuen setzt, deren Individualität darin besteht, Bestimmtheit zu haben durch 127 

Franke: Analogon, 229. § 9: »Ein nicht gepflegtes und … verderbtes Analogon der Vernunft ([i]ncultum et corruptius analogon rationis) ist der Vernunft selbst und der strengen Gründlichkeit … hinderlich«. 129  Ä § 14: »Der Zweck der Ästhetik ( [a]esthetices fines) ist die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher (est perfectio cognitionis sensitivae, qua talis)«. 130  Ä § 560: »Ebenso brächtest du aus einem Marmor von unregelmäßiger Form keine Mar­morkugel heraus, wenn nicht durch wenigstens soviel Einbuße an Material (nisi cum tanto saltim materiae detrimento), in welchem Maße sie der höhere Wert der Rundheit verlan­ gen wird«. Zu diesem Beispiel cf. Paetzold: Ästhetik, 17 f.; Mirbach: Einführung, lxi ff; Ad­ ler: Die Prägnanz, 45. 128  Ä

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eine möglichst hohe Dichte der Merkmalsfülle.131 Im Hintergrund steht hier die Leibnizsche Konzeption der Individualbegriffe, die davon ausgeht, daß eine individuelle Substanz nur in reiner Unaustauschbarkeit Existenz zu haben vermag, und damit nicht nur von allen wirklichen, sondern ebenso auch von allen mög­ lichen anderen Individuen abgrenzbar ist. Diese Unaustauschbarkeit ist durch Leibniz in bestimmtheitstheoretischer Hinsicht dahin charakterisiert, daß der Individualbegriff alle Prädikate enthält, die ihm als kategoriale Bestimmtheit zuzukommen vermögen,132 ein Bestimmtheitsmaximum, das jede weitere an ihn herangetragene kategoriale Bestimmtheit wenn auch nicht als inkonsistent so doch als redundant entschleiert.133 Ein Individuelles vermag somit durch einen Allgemeinbegriff nicht erfaßt zu werden, auch dann nicht, wenn von dem Begriff angenommen wird, daß er auf nur genau ein Individuum zutrifft, denn ein solcher Allgemeinbegriff stellte zwar durch seine Merkmale gleichsam Bedingungen bereit, die dann durch einen Anwendungsfall des Begriffs erfüllt würden; das solchermaßen bestimmte Individuum aber wäre hier nur nach der Hinsicht, Anwendungsfall des Begriffs zu sein, bestimmt.134 Das Bestimmt-Sein des Individuums als Anwendungsfall einer konkreten Bestimmung ist aber nicht das Individuum, so daß durch Individuelles stets ein ontologischer Überschuß bewahrt bleibt, der in einer Allgemeinbegrifflichkeit nicht aufzugehen vermag.135 Diese Überlegungen haben die Auffassungen vom Individuellen im 18. Jahrhundert maßgeblich geprägt; und auch Baumgarten macht sie hier zur Grundlage seiner Beschreibung des Individuellen, dem eine zentrale Rolle bei der Entfaltung der Ästhetik als einer neuen Disziplin zukommt. Im Zusammenhang mit seiner Explikation des Vollkommenheitsbegriffs, der ein weiterer Zentraloperator seiner Ästhetik ist, zeigt Baumgarten genauer, wie er selbst diesen Vorsprung des Indi131  In Ä § 441 stellt Baumgarten die folgende Hierarchisierung der Wahrheitsbetroffenheit vor: »Die ästhetikologische Wahrheit einer Gattung ist die Vorstellung einer großen metaphysischen Wahrheit, die ästhetikologische Wahrheit einer Art ist die Vorstellung einer größeren, die ästhetikologische Wahrheit eines Individuums oder Einzelnen ( veritas individui, seu singularis) ist, ihrer Art nach, die Vorstellung der größten metaphysischen Wahrheit«. 132  M § 8, 19 f: »So muß der Term des Subjekts immer den des Prädikats einschließen, so daß derjenige, der den Begriff des Subjekts vollkommen verstünde, auch urteilen könnte, daß ihm dieses Prädikat zukommt«. Oder: L. c., M 31 § 13: »Wir haben gesagt, der Begriff einer individuellen Substanz schließe ein für allemal alles ein, was ihr jemal widerfahren kann, und daß man, wenn man diesen Begriff betrachtet, alles aus ihm ersehen kann, was von ihr in Wahr­heit ausgesagt werden könne«. 133  Psb 133 ( 72): »Wenn daher by gilt, und der Terminus y als irgendein unbestimmter über­ flüs­sig ist … dann ist b ein Individuum. Es sei angenommen der Terminus ba, und b sei ein In­ di­­v i­duum, dann wird a überflüssig sein, d. h., wenn ba = c, dann wird b = c sein«. 134 Cf. Liske: Gottfried, 70. 135  Es ist, so wird man vielleicht sagen können, jener ontologische Überschuß des Indivi­ du­ellen, der zugleich interpretiert werden kann als ein Grund dafür, daß Baumgarten – worauf Schmitt: Die Entgrenzung, 60 f, hinweist – der Identitätserfahrung des ästhetischen Subjekts zutraut, Schönheit als Einheit im Mannigfaltigen am Ort der Sinneserkenntnis zu fixieren.

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viduellen verstanden wissen will. Hier entwickelt er die Vollkommenheit in der Hinsicht, als sie auf ein Telos bezogen ist. Die Vollkommenheit läßt sich dann in eine formale und materiale Dimension differenzieren, wobei die solchermaßen in ihre Modi auseinandergetretene Vollkommenheit innersystematisch einem »absolute[n] und allgemeine[n] Streben nach Wahrheit (studium veritatis absolutum et universale)« eingeborgen ist ( Ä § 555), ein Ausdruck, der eine Zielorientierung für die Wahrheit, insofern sie ebenfalls auseinandergetreten ist in ihre formale und materiale Dimension, beschreibt. Dabei ist die formale Vollkommenheit durch größere Reichhaltigkeit, Größe und Würdigkeit, Genauigkeit, Klarheit und Deutlichkeit, Gewißheit, Gründlichkeit und endlich durch das stärkere Glühen der »Vorstellung eines Gegenstandes ( perceptio obiecti)« ( Ä § 556 ) gekennzeichnet; die materiale Vollkommenheit hingegen zeichnet sich durch die größere Mannigfaltigkeit, die Größe und die Wichtigkeit, die Festigkeit der Kategorizität und das Zusammenstimmen des in der Vorstellung Enthaltenen aus (ib.). Es ist dabei Baumgartens grundlegende These, daß die formale Vollkommen­ heit aufgrund dessen, daß sie die Erkenntnis eines Individuums durchgängig über logische Bestimmtheitsmomente betreibt, eine Differenz zwischen dem Individuellen und dem formal-logisch als individuell Erkannten setzt, die sich gegenüber der Identifizierung des Individuellen immer schon verspätet. Dieser Verspätung fallen all jene Momente zum Opfer, die in die vollständige formale Vorstellung nicht mit eingegangen sind: Merkmalsfülle, Größe und Wichtigkeit; Sachverhalte, die hinsichtlich einer Wahr-falsch-Opposition keine eindeutige Entscheidung zulassen, sich gegenüber logischer Bestimmtheit als indifferent erweisen und einer klaren Analytizität entziehen (cf. Ä § 559). Am Ort des Individuellen also kommt die extensive Klarheit zum Ziel, weil hier die Fülle der soeben aufgeführten Merkmale und nicht logische Bestimmtheit das identifizierende Moment ausmachen. Es ist nämlich Baumgartens Überzeugung, daß das ästhetische Bewußtsein als sensitive Kognition genau insofern, als es eine Kompensation von bestimmtheitstheoretischem Materialverlust darstellt, Vollkommenheit zu erzielen hätte.136 Im folgenden wollen wir diese These noch einmal betrachten und dabei zusehen, wie Baumgarten seinen Vollkommenheitsbegriff näher entfaltet, denn in der Vollkommenheit besteht nicht nur der zentrale Nerv des Baumgartenschen Systems, sondern Mendelssohn wird sich in seiner Empfindungstheorie mit eigentümlichem Nachdruck auf diesen Operator beziehen. Es scheint uns bemerkenswert zu sein, daß Baumgarten seine Ausführungen zum absoluten ästheti­ schen Streben nach Wahrheit nicht mit einer schulphilosophischen Reminiszenz 136  Daß die Ästhetik »Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher ( perfectio co­g­nitionis sensitivae, qua talis)« zum Zweck hat, ist eine den Entwurf Baumgartens präludierende These ( Ä § 14).

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beginnt, in der der Vollkommenheitsbegriff ebenfalls eine schwer zu überschätzende Rolle gespielt hat, sondern an Shaftesburys Sensus communis. An Essay on the Freedom of Wit and Humor von 1709 erinnert, wo es heißt: »For all Beauty is Truth … In Poetry, which is all Fable, Truth still is the Perfection«.137 Dabei ist es weniger das die ›Vollkommenheit‹ mit sich führende Zitat, das uns als so bedeutsam erscheint. Vielmehr scheint uns die mit dem großen englischen Gentleman aufgerufene Atmosphäre interessant zu sein, in die die nun folgende Vollkommenheitstheorie getaucht wird – darf doch Shaftesbury geradezu als edelster Typus jener Individualität gelten, die hier nach ihren begriffstheoretischen Implikationen in Frage steht. Zugleich nimmt Shaftesbury in einer auffällig häufigen Weise jene Teil-Ganzes-Relation in Anspruch, die wir auch in Mendelssohns Empfindungsbriefen in Anwendung finden werden. Baumgarten konzipiert die Vollkommenheit gleichsam als einen ontologischen Hintergrund für jene Schönheit, die sich im Bereich des Sinnlichen der Vernunft analog offenbart, wobei diese Offenbarung in Baumgartens Terminologie konkret als Erscheinung ( Phänomen ) zu nehmen ist. Dabei ist Schönheit als ein Spezialfall jener Vollkommenheit zu verstehen, die jede beliebige Erkenntnis auszeichnet.138 Die Vollkommenheit einer Erkenntnis besteht darin, daß die un­terschiedlichen eine Erkenntnis stabilisierenden Faktoren ( Reichtum, Größe, Klarheit u. s. f.) in einer Vorstellung zusammengefaßt werden. Betrachtet man diese eine Vollkommenheit ergebende Vorstellung unter der Perspektive des rein sinnlichen Weltzugangs, dann sind diese Faktoren als Erscheinungen anzusprechen, die eine Schönheit ergeben oder anders: Schönheit beschreibt den Umstand, daß alle in Rede stehenden Vollkommenheitsmerkmale am Ort der Erscheinungen durch die Sinnlichkeit vertreten werden (»dant … phaenomena sensitivae pulcritudinem«, Ä § 22); Erscheinungen nämlich sind gerade dadurch definiert, nur in der Erschlossenheit durch die Sinne existent zu sein.139 Gleichwohl hat Baumgarten der Vollkommenheit noch eine weitere Definition zukommen lassen, was in der Baumgartenforschung zu dem Urteil geführt hat, Baumgarten würde mit einem inkonsistenten Vollkommenheitsbegriff ope­rieren. Hans Georg Peters bezeichnete Baumgartens Definitionen, die wir im folgenden noch einmal präsentieren werden, hinsichtlich ihrer scheinbaren Wider-

137  Ch i Part 4  Sect 3; 89. Das Zitat findet sich in Ä § 556. Zu Shaftesburys Absolutheits­ theorie cf. Pecina: Gefühlte, bes. 162 – 169. 138  Ä § 65: »[D]er Ästhetiker [besorgt sich nur] um diejenige Vollkommenheit, die in dem, was schön gedacht werden muß, zur Erscheinung gelangen mag (quae fiat in pulcre meditandis phaenomenon )«. 139  Met § 425: »Observabilia ( phaenomena) dicimus, quae per sensus possumus cognoscere«. Paetzold: Ästhetik, weist hier auf »eine emanzipatorische Distanz von den eingelebten und gesellschaftlich normierten Weltbildern« ( 35) hin, die in der ästhetischen Rationalität dadurch angelegt sei, daß diese »subjektphilosophisch legitimiert« ( 34) ist.

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sprüchlichkeit als »rätselhaft«,140 wogegen die neuere Untersuchung von Dagmar Mirbach auf den »Hintergrund von Baumgartens metaphysisch fundierter Wahrheitstheorie« hinweist, vor dem die Rätselhaftigkeit dann zu verschwinden verspricht.141 Gemeint sind die folgenden Passagen: In der Metaphysik von 1739 heißt es: »Perfectio phaenomenon, s. gustui latius dicto obseruabilis, est pulcritudo« ( Met § 662). Anders hingegen lautet die For­mulierung in der Ästhetik von 1750: »Aesthetices finis est perfectio cognitio­ nis sensitivae, qua talis … Haec autem est pulcritudo« ( Ä § 14, Hhgn. v. Vf.). Es wurde in der Baumgartenforschung schon lange bemerkt, daß beide Aussagen einander zu widersprechen scheinen,142 da die Lozierung der Vollkommenheit innerhalb des phänomenalen Bereichs offenbar nicht zusammenzugehen vermag mit einer Vollkommenheit, die sich nur am Ort der sinnlichen Erkenntnis dingfest machen läßt, so daß angenommen wurde, Baumgarten hätte eine Wendung von der Objektivität zu einem konsequent subjekttheoretischen Standpunkt vorgenommen.143 Nun ist es aber nicht nur so, daß einen Widerspruch in beiden Definitionen zu sehen, einer naiven Subjekt-Objekt-Dichotomie geschuldet ist – als wären eine Erscheinung und die Wahrnehmung solcher Erscheinung nicht in einem identischen Vollzug zu denken –,144 sondern der in Rede stehende Widerspruch besteht nur, wenn man Baumgartens MetaphysikPassage ausschließlich auf den Terminus ›perfectio phaenomenon‹ festnadelt, ohne in Rechnung zu stellen, daß diesem Terminus koordiniert die Explikation, eine solche phänomenale Vollkommenheit sei nichts anderes als ein subjektives Sich-bemerkbar-Machen am Ort des Geschmacks, geboten wird.145 Die zitierten Zentralpassagen also lassen die Differenzierung in ontologische Vollkom140 

Peters: Die Ästhetik, 13. Mirbach: Einführung, liv. 142  Cf. die kurze Dokumentation dieser Debatte bei Mirbach: Einführung, liii f. 143 So Riemann: Die Ästhetik, 37. 144  Darauf hat Mirbach: Einführung, liii – lix, mit aller wünschenswerten Eindring­lich­ keit hingewiesen. Cf. aber auch schon Paetzold: Ästhetik, 34. 145  Vom Text, so, als stünde bei Baumgarten ein ›quatenus‹, entfernt sich Paetzold: Rhe­ torik-Kritik, 11, wenn er stark interpretierend übersetzt: »Die Vollkommenheit, sofern sie als Erscheinung dem Geschmack im weiteren Sinne beobachtbar wird, ist Schönheit«. Nahe am Text bleibt Mirbach: Einführung, liii, die allerdings im Gegensatz zu unserer Interpretation die Passage mit disjunktiv-ausschließendem ›oder‹ übersetzt: »Die Vollkommenheit der Er­ schei­­nung oder diejenige, die vom Geschmack im weiteren Sinne bemerkt werden kann, ist die Schön­heit«. Wenn auch die Partikel ›sive‹ oder ›seu‹ ursprünglich wohl als disjunktive Kon­ junk­tion verwandt worden ist, was sich daran zeigt, daß sie dann, wenn sie gleichbedeutende Aus­drücke verbindet, mit einem – ansonsten tautologischen – ›aliter‹ zusammensteht (cf. C. F. W. Müller: Ueber, 27), kann doch im späteren Latein die Festlegung auf einen disjunktiven Gebrauch nahezu vollständig zurücktreten, so daß ›sive‹ im ausgehenden Spätlatein und Mittellatein nicht selten gleichbedeutend mit ›et‹ verwendet wird (cf. Hofmann: Lateinische, § 272 u. Kühner / Stegmann: Ausführliche, 438). Darum scheint es uns naheliegend zu sein, bin­nen­syntaktisch die mit ›sive‹ eingeleitete Parataxe stilistisch als Correctio zu verstehen (cf. 141 

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menheit und einen Vollkommenheitsbegriff, der an den Vorstellungsvollzug des epistemischen Subjekts gebunden bleibt, nicht zu, so daß wir mit der ›perfectio phaenomenon, s. gustui latius dicto obseruabilis‹ gleichsam keinen anderen Vollkommenheitsmodus haben, als er in der ›perfectio cognitionis sensitivae‹ zum Ausdruck gebracht wird. Dann aber muß eine Vollkommenheit gedacht werden können, die als Differenzierungsprinzip der in ihre Momente auseinandertretenden Vollkommenheit anzusprechen ist. Denn erst dann, wenn diese Vollkommenheit aufzutreten vermag, dürfen auch die ontologischen Implikationen des Vollkommenheitsbegriffes als eingeholt gelten. Schauen wir uns dazu abschließend noch einmal Baumgartens Metaphysik an. Die Metaphysik beschreibt das Vollkommene als eine Übereinstimmung gleich­zeitiger Setzungen,146 die genau darin besteht, in dieser Gleichzeitigkeit hingeordnet zu sein auf jene Einheit, die als zureichender Grund auf die Übereinstimmung kann rückbezogen werden. Metaphysische Vollkommenheit besteht also in einer Einheit, die dadurch qualifiziert ist, das Zusammenstimmen von Mannigfaltigem ohne Rückgriff auf eine epistemische Instanz aus sich selbst heraus erklärbar machen zu können: Endliches Sein kann nicht unmittelbar in der Einheit gründen, da dies dann zugleich bedeuten müßte, daß es diese Einheit mit Negativität auflüde. Dann aber darf Endliches auch nicht unmittelbar im Einheitsgrund ruhend gedacht werden, weil es sich solchermaßen um sein Existenzrecht brächte, das darin besteht, aufhören zu können. Also muß Endliches immer neu auf anderes Endliches bezogen sein, um in dieser Bezogenheit bleiben zu können, was es ist: endlich. Wenn Endliches als ein Enden-Können gedacht werden muß, weil anders Endliches als Endliches gar nicht in den Blick des Denkens treten kann, muß es in einem ontologischen Raum (ordo) gedacht werden, der in der Setzung von Einzelnem (›plura simul sumta‹) nicht mit-gesetzt ist.147 Baumgarten nimmt diesen Sachverhalt als Zusammenstimmung. Diese Zusammenstimmung aber kann den Makel der Unvollkommenheit an sich tragen immer dann, wenn nicht von allen einzelnen Zusammenstimmenden gilt, daß sie einen Grund haben zusammenzustimmen, und dieser Grund auch an ihnen selbst aufgezeigt werden kann. Das grundlos mit dem Zusammenhang Zusammenstimmende verlöre sich hinsichtlich seiner Zugehörigkeit zum in Rede stehenden Bestimmtheitszusammenhang in Unbestimmtheit. Ist Vollkommenheit die alle Erkenntnisse gleichermaßen kennzeichnende Zielbestimmung, und trifft dies für eine ästhetische Rationalität insofern ebenfalls Menge: Lehrbuch, § 445). Formalisiert lautet dann Baumgartens Explikation in unserer Les­ art nicht: p >-< q, sondern: p ⋎ q. 146  Met § 94: »Si plura simul sumta vnius rationem sufficientem constituunt, consentivnt, consensus ipse est perfectio, et vnum, in quod consentitur, ratio perfectionis determinans ( focus perfectionis)«. 147  Met § 95: »In perfectione plura eidem rationi conformiter determinantur … ergo est in perfectione ordo« ( Hhg. v. Vf.).

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zu, als diese im Bereich des Sinnlichen nach Vollkommenheit in individual-materialer Hinsicht strebt, so läßt sich diese Vollkommenheit noch weiter in eine formale und materiale Dimension differenzieren. Über die in seine Differenzierungsmodi auseinandergetretene Vollkommenheit lagert sich innersystematisch die »höchste logische Wahrheit im weiteren Sinne (veritas logicae latius sumtae)«,148 die eine organisierende Zielorientierung sowohl für die formale als auch für die materiale Vollkommenheit darstellt, wie schon angeklungen. Die formale Vollkommenheit setzt sich dabei zusammen aus Reichhaltigkeit, Größe und Würdigkeit, Genauigkeit, Klarheit und Deutlichkeit, Gewißheit und Gründlichkeit und letztlich der Intensität hinsichtlich der Vorstellung eines Gegenstands. Mannigfaltigkeit, Größe und Dignität, Stärke der Bestimmungsgesetze und der Grad der Zusammenstimmung des in der Wahrheit Enthaltenen hingegen sind die Aufbaumomente der materialen Vollkommenheit. Es handelt sich also bei Baumgarten um eine Ästhetik, die durchaus den subjektivitätstheoretischen Bedingungen einer Ästhetik Rechnung zu tragen vermag, ohne aber dabei den metaphysischen Horizont daranzugeben. Es ist vielmehr sogar diese metaphysische Dimension, vor der sich erst das ästhetische Anliegen auf den Begriff bringen läßt. Dabei spielt der Vollkommenheitsbegriff die Rolle eines zentralen Organisationsprinzips, da er die Vermittlung zwischen den ästhetisch materialisierbaren Momenten und deren Einheitsgründung herstellt. Gleichwohl findet diese Vermittlung nicht in der Weise statt, als würde die Vollkommenheit sich gebrochen am Ort der Erscheinungen darstellen. Das Vollkommene ist nur am Ort seiner selbst und insofern auch nur von sich selbst her, ohne daß es über eine Darstellungsrelation in die Erscheinung eintreten könnte. Dialektik hat nicht statt. Vielmehr bildet das Verfahren der Ästhetik kleine Vollkommenheiten ab, die sich in der Vollkommenheit gegründet wissen. Dieses Sich-gegründet-Wissen ist aber kein wie auch immer gearteter spekulativer Gedanke, sondern Ausdruck des Sachverhaltes, den im logisch-begrifflichen Verfahren notwendig erzeugten Materialverlust nicht überkompensieren zu dürfen, indem das Material um seiner Fülle willen gänzlicher Unbestimmtheit ausgeliefert wird. Letztlich handelt es sich bei der metaphysischen Vollkommenheit um die Notwendigkeit ›Bestimmtheit‹. Ist diese Notwendigkeit auch am Ort konkret Bestimmter in kraft, so ist sie doch kein konkret Bestimmtes, sondern das, wovon her Bestimmtheit ist. Daß nämlich Bestimmtheit notwendig ist, ist nicht wiederum Bestimmtheit. Baumgarten beabsichtigt also ein Zweifaches. Das ästhetische Material wird der begrifflichen Bestimmtheit entzogen, um dem künstlerischen Schaffensprozeß und der aisthesiologischen Imagination verfügbar zu sein. Zugleich weiß sich die Kunst dabei einer Notwendigkeit ausgeliefert, die darin besteht, in Vollkommenheit gründende Vollkommenheiten auszubilden. Kunst ist nur darin frei, ›bestimmt‹ frei zu sein. 148 

Ä § 557.

2. Einflüsse auf Mendelssohns Ästhetik

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d) Sulzer – Beschleunigte Empfindung Mit Sulzer tritt ein Mitglied der Akademie vor uns, das zwar von den Vorausset­ zun­gen der Wolffischen Philosophie ausgeht,149 diese aber zugleich partiell hinsichtlich ihrer willens- und lusttheoretischen Implikationen zu überbieten trach­tet. Wir beschränken uns hier auf die Darstellung jenes Gedankens, den Men­delssohn aufnehmen und kritisieren wird. Um hinsichtlich der Abgrenzung Sulzers gegenüber Wolff nicht zu voreiligen Schlüssen zu kommen, ist es vi­tal, auf die Exponierung, die er seinem Thema angedeihen läßt, hinzuweisen.150 Die entscheidende Ausgangsproblematik151 sieht Sulzer ( Untersu­ chung über den Ursprung der angenehmen und unangenehmen Empfindungen, 1751/52) näm­lich in der Frage nach den Glücksmöglichkeiten, die der Mensch in kalkulier­baren Handlungen für sich verwirklichen kann. Hat Sulzer damit eine Tendenz der Aufklärungsphilosophie in ihrer Gesamtheit angesprochen, so nennt er die Hinsicht, 152 unter der er sich tief verwurzelt in der Schulphilosophie sieht, daß nämlich die Seele eine der Repräsentation fähige Einheitskraft ist. Und nun erst zeigt sich, wo er über Wolff hinauszugehen trachtet: Wenn Sulzer nämlich die Wolffische Einheitskraft verstehen möchte als einen »Grundtrieb«, der den »Ursprung aller angenehmen und unangenehmen Empfindungen« darstellt, so ist darin zugleich gelegen, daß die Schulphilosophie genau in diesem lusttheoretischen Bereich nicht weit genug gegangen ist (11).153 Sulzer gibt zwar nicht an, welche Theoriepassagen Descartes’ und Wolffs er hier vor Augen hat, aber man darf vermuten, daß er einen Weg sucht, der zwischen der subjektphilosophischen Rückbindung des im Glücksgefühl repräsentierten

149 

Zu Sulzers Stellung innerhalb der Akademie cf. Zande: Johann, 50 – 55. Die folgenden Zitate aus Vps i beziehen sich auf diese Untersuchung. 151  »Die berühmteste und wich­t igste von allen philosophischen Fragen ist die, welche die Mittel glücklich zu werden betrifft. Sie ist so alt, als die Philosophie selbst« ( Vps i 1). Die Ba­ salität der Glückseligkeit im Zusammenhang der ganzen Untersuchung zeigt sich auch darin, daß Sulzer im »wichtigste[n] … [Abschnitt]« ( Vps i 77) das Glückseligkeitspostulat nochmals aufnimmt: »Die Gegenstände, die moralische Vergnügungen hervorbringen, haben das alle mit einander gemein, daß sie auf die Glückseligkeit irgend eines verständigen Wesens abzielen« ( Vps i 78; Hhg. v. Vf.). 152  »Ich will hier das nicht wiederholen, was unsre neuern Philosophen, nach dem berühm­ ten Herrn von Wolf … gesagt haben: daß die natürliche Tätigkeit der Seele … in Hervor­brin­ gung von Ideen bestehe« ( Vps i 5). In diesem Sinne Wolff: »Vis reprae­sentativa universi est natura animae« ( Psychologia Rationalis, Gw ii 6 § 68). Cf. auch Gw i 2 § 745: »[D]a sie ein einfa­ ches Ding ist … also ist in der Seele nur eine einige Kraft, von der alle ihre Veränderungen herkommen«; u. Gw i 2 § 1077: »Das Wesen der Seele bestehet in der Kraft die Welt vorzustel­ len, nach dem Stande ihres Leibes in der Welt, und denen daher in den Gliedmassen der Sin­ nen sich ereignenden Veränderungen«. 153  Vps i 11: »Denn ich gestehe, daß mir in der Theorie des Vergnügens weder Wolf noch Car­­tesius Genüge leisten«. 150 

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B. Religion und Ästhetik – Der Empfindungsbegriff

Ge­genstandes (  Descartes)154 und der Lozierung des Vergnügens in reiner Vollkommenheitserkenntnis ( Wolff    )155 hindurchführen soll. Zwei Momente sind es, die den Ausschlag geben für Sulzer, das Problem der angenehmen Empfindungen nicht in der einfachen Maxime, Schmerz immer zu vermeiden und Vergnügen stets aufzusuchen, aufgehen zu sehen. Denn einmal sind Vergnügen keineswegs von einer solchen Eindeutigkeit hinsichtlich der Glücksoptimierung, daß sie nicht miteinander »collidiren« (2) könnten, und zum anderen besteht – wir haben dieses Problem bei Dubos schon gefunden – die anhaltende Gefährdung, daß »Vergnügen in Schmerz und Verdruß« (2) sich wandelt. Diese Ambivalenzbeobachtung motiviert Sulzers Abhandlung,156 die dem Sachverhalt, daß der Mensch ein mannigfaltiger Vergnügen fähiges Wesen ist, Rechnung tragen will mit einer dieser Mannigfaltigkeit gemäßen »Wissenschaft der Glückseligkeit« ( 3). Seine Allgemeine Theorie des Vergnügens leitet Sulzer mit einer Näherbestim­mung der Seele als einer »thätige[n] Substanz« ein, deren Tätigkeitsdimension genau darin besteht, »Ideen aufzunehmen und mit einander zu vergleichen; das heißt zu denken« ( 5). Das Denken besteht da­rin, einen Gegenstand vorzustellen, um diesen als Idee der Seele zuzueignen. Dies aber hat Auswirkungen auf das Vergnügen, da man auch die angenehmen Empfindungen nur im Idealen wird antreffen können. Der Vollzug beständiger Ideenaneignung ver­schafft dem Subjekt einen Lustgewinn, der darin besteht, die Anzahl der unter seine Botmäßigkeit gebrachten Ideen stets zu steigern. Die Seele ist also eine Bestimmungskraft,157 die auch dann in Anwendung stehen muß, wenn scheinbar nur das Moment der sinnlichen Lust im Subjekt abgerufen wird.158 Neben die Bestimmtheit tritt als weitere Kennzeichnung der Seele ein kontinuierliches Aussein-auf-Anderes, ein Streben also, das das Moment der Leidenschaft darstellt. Mithin vollzieht die Seele dieses Aussein-auf-Anderes nicht gleichgültig, sondern die Intensität ihres Strebens vergrößert sich in dem Maße,159 als ihr 154  Descartes: Ueber die Leidenschaften, Art. 91 ( Hhgn. v. Vf.): »Die Freude ist eine ange­ nehme Gemüthsbewegung über den Genuss eines Guts, welches die Gehirneindrücke der Seele als das ihrige darstellen«. 155  Dm § 449: »[D]as Vergnügen oder die Lust [bestehet] in einer anschauenden Er­­känt­ niß der Vollkommenheit«. 156  Dabei gliedert sich die Untersuchung in vier Abschnitte – eine Allgemeine Theorie des Ver­gnügens (4 – 23) und eine Theorie der intellektuellen (23–50), sinnlichen ( 50–77) und moralischen Vergnügungen ( 77–98). Den Hauptgedankengang trägt das intellektuelle Vergnügen, das Sulzer auch in allen anderen Vergnügen in Anwendung sieht. »Alle Vergnügungen, auch … die sinnlichen, beziehen sich am Ende … auf die intellektuelle Fähigkeit der Seele« ( Vps i 25). 157  Vps i 8: »[D]as Wesen unsrer Seele … [muß] eine mächtige Bestimmung seyn«. 158  Vps i 7: »[B]loß sinnliche Vergnügungen, wenn es dergleichen giebt, [können] die Be­ dürf­nisse unsrer Natur niemals allein befriedigen … sondern [müssen] nothwendig mit unsrer Kraft zu denken in Verbindung stehen … um nicht … verächtlich zu werden«. 159  Vps i 10: »Auch läßt uns … eine deutliche Vorstellung von einerley Gegenstande mehr, als eine undeutliche erkennen; und befriedigt mithin das Bedürfniß der Seele auch besser«.

2. Einflüsse auf Mendelssohns Ästhetik

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deutliche Vorstellungen zuteil werden. Und spätestens hier zeigt sich, wie eng sich Sulzer der Seelendefinition des Leib­niz anschließt, der die Seele von den einfachen Monaden gerade darin unterschieden sieht, daß ihr eine durch Erinnerung stets neu reaktivierbare deutliche Perzeptivität zukommt.160 Die Hervorbringung der Ideen durch seelische Kraft findet ihre finale Erfüllung in der Vernunft als einem Vermögen der »Urtheile, Schlüsse und ganze[n] Gedankenreihen« (10). Diese triebhafte Tätigkeit wendet Sulzer auf seine Lusttheorie an. Er bringt nämlich das angenehme und unangenehme Empfinden in ein Verhältnis zur Strebestruktur, die die Seele in Gänze auszeichnet. Hierbei greift er zur potamischen Metaphorik, mit der er sich zuerst den angenehmen Empfindungen zuwendet. Sie glichen, so Sulzer, Hindernissen, die den fließenden Strom seelischen Strebens stauten, um die daraus erwachsende Leidenschaft dem Subjekt als Lusthemmung empfindbar werden zu lassen.161 Die angenehme Empfindung hingegen besteht, wie man auf den ersten Blick vermeinen könnte, nicht einfach in einem ungehinderten Fließen des Seelenstroms, da die bloße Abwesenheit eines Hindernisses der Seele zwar Zufriedenheit, aber noch nicht Vergnügen zu bereiten vermöchte. »Bey der bloßen Zufriedenheit ist die Seele gleichsam in Ruhe; bey dem Vergnügen scheint sie in einer angenehmen aber lebhaften Unruhe zu seyn« (13). Wenn ein Gegenstand als schön erkannt wird, so bedeutet dies, daß er einen Schlüsselreiz auf das Subjekt auszuüben in der Lage ist, der eine »Lebhaftigkeit im Geiste« (38) auszulösen vermag. Diese Lebhaftigkeit wird näherhin dadurch veranlaßt, daß das Schöne Einheit in Mannigfaltigkeit darzustellen pflegt, was dem Subjekt ermöglicht, nicht nur Differentes wahrzunehmen, sondern dieses Unterschiedene auch als durch jene Einheitsdimension betroffen vermeint, auf die hin es das Wahrgenommene deutet.162 Das Subjekt macht also eine Einheitserfahrung genau dort, wo seine Bestimmtheit erzeugende Wahrnehmung diese Erfahrung zu verunmöglichen und das Subjekt von Erfahrung zu Erfahrung und letztlich dann auseinanderzutreiben scheint. In höchstem Maß also verschafft die Schönheit dem Subjekt das Empfinden bewältigter Fremderfahrung und damit zugleich gelungener ›Selbstübereinstimmung im Fremdwahrnehmen‹.163 Wir konnten uns bei Sulzer kürzer aufhalten, weil auf seine Überlegung noch einmal im Zusammen160  M § 19, 119: »[W]eil aber die Empfindung etwas mehr als eine einfache Perzeption ist, stimme ich zu, daß der allgemeine Name der Monaden oder Entelechien für die einfachen Sub­stanzen zureicht, die nur dieses haben, und daß man Seele allein diejenigen nennt, deren Per­zeption deutlicher ist und von Gedächtnis begleitet«. 161  Vps i 12: »Die Seele gleicht einem Flusse, der so lange ruhig fortfließt, als sein Lauf durch nichts gestört wird; der aber anschwillt und tobt, sobald man seinem Strome einen Damm entgegen­setze. Dieß ist der Ursprung der unangenehmen Empfindungen«. 162 Cf. Vps i 37 f. 163  Sulzer spricht von einer Bewältigungsgier des Subjekts Anderem ge­gen­­über: »Die Seele … betrachtet den Gegenstand … als eine Beute, die ihren wesentlichen Geschmack befriedigt und stürzt mit voller Begierde darauf zu« ( Vps i 38).

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B. Religion und Ästhetik – Der Empfindungsbegriff

hang mit Mendelssohns Kritik eingegangen wird. Im folgenden wenden wir uns den Mendelssohnschen Empfindungsbriefen zu, die wir nach der ihnen innewohnenden Explikationslogik interpretieren. Gleichwohl wird sich zeigen, wie stark die von uns vorgestellten Konzeptionen Eingang in Mendelssohns Denken gefunden haben.

3. Mendelssohns Empfindungsbriefe Beeindruckend und zugleich anrührend sind die Etappen des jungen Mendelssohn auf seinem Weg zu einem der führenden Ästhetiker seiner Zeit. Als Sohn eines Synagogendieners begab sich der Elfjährige in die Obhut des Landesrabbiners von Anhalt-Dessau David Fränkel, um in dessen Bibliothek den Talmud und den halachischen Kodex des Joseph Karos zu studieren. Entsprechend ist das erste Zeugnis des schreibenden Mendelssohn von rabbinisch eingefärbten Sprachkonventionen geprägt, und es schien ganz selbstverständlich, daß der begabte junge Knabe seine Karriere in der rabbinischen Gelehrsamkeit fortsetzen würde.164 Im Sommer 1743 jedoch trat David Fränkel das Amt eines Gemeinderabbiners in Berlin an, wohin ihm sein erst vierzehn Jahre alter Schüler folgen sollte. Am Stadttor zu Berlin noch hatte er mit einem Wächter zu kämpfen, den er von seiner Absicht, ausschließlich um des Torastudiums willen in die Stadt kommen zu wollen, überzeugen mußte. Dann war Mendelssohn in einer neuen Welt, die ihn immer stärker in ihren Bann zog. Zuerst widmete er sich dem Studium des Maimonides, dessen Führer der Unschlüssigen 1742 eine Neuauflage erfahren hatte, ein Werk, das die Bereitschaft zu religiöser Prinzipienreflexion lebhaft in unserem Talmudschüler weckte.165 Durch die Hilfe des Galizischen Gelehrten Israel Samoscz fand Mendelssohn Zugang zur jüdischen Philosophie des Mittelalters und der sechs Jahre ältere Aaron Gumpertz endlich führte Mendelssohn, der immer stärker sich einleben sollte in die Aufklärungskultur typisch deutscher Spielart, indem er sich mit Locke, Leibniz und Wolff intensiv auseinandersetzte, in die gelehrten Kreise Berlins ein. Als Gumpertz im Jahre 1753 Mendelssohn in eine Berliner Gelehrtengesellschaft mitnahm, wo auch Lessing anwesend war, begann eine lebenslange Freundschaft zwischen dem jüdischen Philosophen und dem deutschen Dichter. Kurz nach dem Freundschaftsschluß mit Mendelssohn konnte Lessing über ihn schreiben: Ich sehe ihn im voraus als eine Ehre seiner Nation an, wenn ihn anders seine eigenen Glaubensgenossen zur Reiffe kommen lassen … Seine Redlichkeit und sein philosophischer Geist läßt

164 Cf.

Feiner: Moses, 28. Fränkel hatte sich Maimonides zugewandt und dessen Wiederholung der Tora neu herausgegeben (cf. Altmann: Moses Mendelssohns Kindheit, 262 f ). 165  Schon

3. Mendelssohns Empfindungsbriefe

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mich ihn im voraus als einen zweyten Spinoza betrachten, dem zur völligen Gleichheit mit dem ersten nichts, als seine Irrthümer, fehlen werden.166

Als Lessing seinem neuen Spinoza die Lektüre des Grafen von Shaftesbury ans Herz legte, eröffnete nach einigen Tagen der jüdische Jüngling dem erstaunten Dichter, daß er – Mendelssohn – durchaus auch sich in der Lage sähe, dergleichen Texte zu verfassen. Als Lessing ihm daraufhin sagte, daß er es dann tun möge, machte sich Mendelssohn umgehend ans Werk und legte kurze Zeit später das Ergebnis seines ersten Versuchs, die literarische Landschaft Berlins zu bereichern, vor. Die Rede ist von jenen Gesprächen, die Lessing 1755 ohne Wissen Mendelssohns veröffentlichte und diesen somit über Nacht der gelehrten Öffentlichkeit als neuen Schriftsteller, mit dem man fortan zu rechnen hatte, bekannt machte. Mendelssohns These: Die Philosophie des Spinoza sei eine notwendige Übergangserscheinung auf dem Weg, der zwischen Descartes und Leibniz hatte zurückgelegt werden müssen, und aus dieser Übergangsgestalt erklärten sich auch jene Irrtümer, denen Spinoza verfallen war. Gleichwohl aber hätte Leibniz den Keimling seiner bahnbrechenden Totalvision dem Spinoza entnommen: Bevor der Uebergang von der Cartesianischen bis zur Leibnitzianischen Weltweisheit geschehen konnte, mußte Jemand in den dazwischen liegenden … Abgrund stürzen. Dieses … Loos traf Spinozen … Er war ein Opfer für den menschlichen Verstand … Ohne ihn hätte die Weltweisheit ihre Grenzen nimmermehr so weit ausdehnen können (Gs i 204).

So respektabel auch die Absicht gewesen war, den gebrandmarkten jüdischen Phi­losophen wieder zu Ehren zu bringen, und so sehr diese Schrift schon den Charakter unseres jüdischen Philosophen zeigt, der diese Ehrenrettung Spinozas unternahm, obwohl er selbst keineswegs dem Spinozanischen System zuneigte – Mendelssohns Überlegungen waren hier noch stark von der Thesenbereitschaft eines Jünglings, der gerade beginnt, die aufkeimende Kraft des produktiven Genies zu verspüren, inspiriert. Völlig anders verhält es sich bei der zweiten Schrift jenes Jahres, den Briefen Über die Empfindungen:167 Hier ist es Mendelssohn erstmals gelungen, sich in das philosophische Gespräch seiner Zeit einzuschalten und in diesem Gespräch eine bedeutsame Stimme zu bilden. Ein Werk von bleibendem Wert für das ästhetische Denken ist entstanden. Im Vorbericht seiner Briefe bietet Mendelssohn folgende Fiktion: Shaftesbury alias Palemon verläßt seine insulane Heimat, um auf germanischem Festland eine Philosophie zu studieren, die sich dem ›richtigen Denken‹ verschrieben 166 

Brief an Michaelis (16. Oktober 1754), Michaelis: Literarischer Briefwechsel, 107 f. Alleinstehende Seitenzahlen beziehen sich auf Gs i. Über die Empfin­dungen ist zuerst 1755 bei Christian Friedrich Voß in Berlin erschienen. Diese Ausgabe findet sich in Äs 9 – 82 ab­gedruckt. Es folgten mit kleinen Änderungen die Ausgaben innerhalb der Philosophischen Schriften (1761, 1771 und 1777). Wir zitieren – mit wenigen Ausnahmen – die Philosophischen Schriften nach Gs. 167 

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hat. Damit wird nicht nur der englischen Philosophie, die bei unserem Emigranten einen zu einbildungskräftig-freischweben­den Eindruck hinterlassen hat, sondern auch der von ihm als leichtfüßig-galant empfundenen Philosophie der französischen Salons der Laufpaß gegeben. An­gekommen im Land der Bestimmung trifft der Weltweise mit einer illustren Schar heller Köpfe zusammen, von denen sich besonders der junge Euphranor hervortut. Mit diesem Euphranor werden die folgenden Briefe Über die Empfindung gewechselt, die um das Thema kreisen, ob sich eine Quelle der an­ge­nehmen Empfindungen ausmachen läßt. Spielte der Vorbericht mit dem Mendelssohn selbst nahestehenden Pro­tagonisten Palemon-Theokles auf Shaftes­bury an, so ist durch den jugendlichen Euphranor jener weitere Gesprächspartner genannt, 168 der in Gottscheds Beiträgen zur kritischen Historie der deutschen Sprache unter dem Titel Versuch einer philosophischen Abhandlung von dem Mit­telmäßigen in der Dichtkunst im Jahre 1741 eine Schrift veröf­fentlichte, die unter anderem eine Theorie des Sinnlichschönen enthält, aus der sich fast wörtliche Definitionen bei Mendelssohn wiederfinden. a) Vollkommene Ästhetik Im ersten Brief wird die Problematik des Vergnügens und der Langeweile unmittelbar hineingenommen in die Empfindungssituation des Briefeschreibers Euphranor, der die Empfindungen der freundschaftlichen Nähe zum Anlaß nimmt, die in den folgenden Briefen thematisierten Denkfiguren anzuzeigen. Unaussprechliches Vergnügen in der Gegenwart des Freundes hat sich gewandelt in schwere Stunden langweiliger Affektarmut.169 Doch das Geständnis der Langeweile treibt zugleich das Bedürfnis empor, sich über sein Tun noch einmal deutlicher vernehmen zu lassen ­– auf daß der abwesende Freund nicht denken möge, ungeschäftige Mußestunden seien die bittere Folge des Sehnsuchtsschmerzes.170 Und damit ist die diskursive Dimension erreicht, innerhalb derer 168  Wer sich hinter Euphranor verbirgt, ist nicht auszumachen. Bergmann: Die Begrün­ dung, hält den Versuch für »Meiers Erstlingsschrift« (43) und führt ihren nach Methode und Stil ähnlichen Umgang mit Baumgartens Gedanken als auch jene Meierschen Lieblingsdichter, die in dieser Schrift schon erscheinen, an (44). Immerhin: Bergmanns Buch hat durch Dessoir: Ernst Bergmann, eine zurückhaltend lobende Besprechung erfahren. Cf. auch das Plädoyer für eine Meiersche Verfasserschaft bei Altmann: Moses Mendelssohns Frühschriften, 112. Berg­manns Vermutung ist jedoch keineswegs als gesichert zu bewerten, da auch Jakob Imma­ nuel Pyra, Johann Peter Uz, Johann Nikolaus Götz oder Paul Jakob Rudnick in Frage kommen als Verfasser – trägt doch der Versuch Einsichten vor, die unter den Schülern Baumgartens bestens bekannt waren (cf. Kertscher / Schenk: Reflexionen, 293 f  ). 169  111: »Schon den vierten Abend bringe ich ohne Theokles Umarmung zu, und die Erin­ ne­rung jenes unaussprechlichen Vergnügens, daß ich in Deiner Gesellschaft genossen, verwandelt meine geschäftigsten Stunden in Langeweile«. 170  111: »Ich bin hier so müßig nicht, als Du etwa glaubst«.

3. Mendelssohns Empfindungsbriefe

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die Erörterung des Vergnügens und der Empfindungen ihren Anfang nimmt. Mit der ersten Definition – Notwendigkeit sei das mit Neigung Strebende – eröffnet Euphranor jene These, die den angenehmen Empfindungen ein möglichst hohes Maß an Autonomie meint sichern zu müssen. Obwohl Euphranor um Positionen streitet, die durch den Briefpartner stets pünktlich widerlegt zu werden pflegen, macht es doch eine auffällige Besonderheit der Briefe aus, daß auch der zu widerlegende Briefpartner keineswegs nur unsinnige Argumente vorträgt – Euphranor variiert hier nämlich ein an Sulzer erinnerndes und auch durchaus triftiges Argument mit seiner Behauptung, die dann im folgenden als unhaltbar sich erweisen wird und erweisen soll. Daß nämlich Glückseligkeit und Genuß einerseits zusammengehören und zugleich der Genuß unmittel­ bar von der Geschwindigkeit abhängig ist, mit der unsere Empfindung aktiv wird, ist jenes Argument von Sulzer, mit dem Euphranor hier ganz offensichtlich eröffnet.171 Daraus wird aber eine problematische Schlußfolgerung gezogen, daß nämlich bestimmendes Aufklären eine negative Auswirkung auf das Lust­empfinden hätte. »Die Lust verschwindet, wenn wir unsere Empfindungen allzu sorgfältig aufzuklären suchen« (112).172 Im folgenden Brief geht Euphranor noch einen Schritt weiter, indem er die dunklen gegen die deutlichen Empfindungen auszuspielen sucht. Als eine angemessene Fortführung des Plädoyers für die begrifflich unaufgeklärte Affektivität wird die dunkle Empfindung  173 ins Spiel gebracht:   Das Glücksempfinden ist genau in dem Maße einer Minderung ausgesetzt, als sich die »undeutliche[] Vorstellung einer Vollkommenheit« (114) über einen Bestimmtheitsgewinn aufklärt. In dieser Überlegung zeigt sich jene vernunftkritische Haltung, die zugleich – und das ist hier auffällig und interessant – das besonders innovative Moment innerhalb der Ästhetik um die Jahrhundertmitte ausmacht, und es sind auch schon genau jene Argumente, die dann innerhalb der folgenden Jahrzehnte so stark an Bedeutung gewinnen sol171  112: »Unsere Glückseligkeit hängt von dem Genusse ab, und der Genuß von der schnellen Empfindung, mit der jede Schönheit unsere Seele überrascht«. 172  Es besteht hier eine gewisse Ähnlichkeit zu dem für das 18. Jahrhundert typischen Dis­ kurs, daß die Vernunft nicht von einer solchen Kraft sei, die Bedürfnisse des Unterbewußten unter ihre Gewalt bringen zu können (cf. zu diesem Diskurs M. Albrecht: Aber ich). 173  Mendelssohns Euphranor argumentiert hier anders als der Eu­phra­nor des Versuchs, in dem es nämlich heißt: »Auch sinnlich wahr zu urtheilen ist seine [sc. des Philosophen] Pflicht, und hierinn wird er die Fertigkeit, durch Verbesserung seines Geschmacks, zu erreichen suchen … Er begnügt sich mit dem Geschmacke, wenn die Einschränkung seiner Seele, und die Geschwindigkeit der Gedankenfolge ihm nicht höhers erlauben. Dem Geschmacke ists möglich, wahr zu urtheilen, der deutlichen Urtheilskraft ists unmöglich zu irren. Jener wird daher mit Recht seine Aussprüche dem Endurtheile dieser letztern unterwerfen müssen« ( Eu­phra­ nor: Versuch, 245). Hier ist also der Geschmack aufgeführt als ein Vermögen, das durch Bil­ dung und Verfeinerung zu richtigem Urteil befähigt ist; doch wird der Geschmack darin vom deut­lichen Urteil allemal übertroffen. Die Argumentationsweise ähnelt also sehr viel stärker dem Mendelssohnschen Theokles.

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len. Darum ist es für den Verlauf der Untersuchung von Bedeutung, wie Mendelssohn gerade diese immer wieder für einen Paradigmenwechsel des ästhetischen Denkens namhaft gemachte Figur zu kommentieren unternimmt. Theokles begegnet den Überlegungen des Euphranor zuerst mit einer vermittelnden Position, und seine Formulierung ist hier sehr genau zu lesen: »Die Wahr­heit stehet fest: kein deutlicher, auch kein völlig dunkler Begriff verträgt sich mit dem Gefühle der Schönheit« (115). Damit fordert Theokles gegen Euphranor eine genaue Differenzierung ganz im Geiste der Leibnizschen Distinktionen ein, indem auch er von den deutlichen Begriffen Abstand nimmt im Zusammenhang mit einer Aufklärung der angenehmen Empfindungen, zugleich aber dadurch keineswegs die dunklen Begriffe ins Recht gesetzt sieht. »Zwischen den Grenzen der Klarheit« (115) muß sich nämlich das Gefühl einstellen, und damit ist genau jener Bereich gemeint, der einerseits begrenzt wird durch die deutlichen und zum anderen durch die verworrenen Begriffe. Spricht Theokles davon, daß eine jeweils größere Klarheit auch zu einem höheren Genuß der Schönheit führte, so ist damit also keineswegs gesagt, daß diese Klarheit den Grad begrifflicher Deutlichkeit erreichen könnte, sondern die zunehmende Klarheit entrinnt immer stärker der Bannmeile des Verworrenen, um dabei aber stets unterhalb der Zuständigkeiten des oberen Begehrungsvermögens zu verbleiben. Der Umschlag vom begrifflichen Erfassen einer Schönheit zu ihrem empfindenden Genuß ist eng verbunden mit dem Aufbau des schönen Gegenstands als einer Einheitsgestalt, die Mannigfaltigkeit in sich trägt.174 Schönheit zu empfinden, ist ein Prozeß, der beim Denken anhebt, um sich von hier aus fortzubewegen zu einem Lustgefühl. Am Beginn dieses Prozesses steht jene Intellektion, die allererst das Was des sich im Gefühl als angenehm Auswirkenden zu erfassen sucht. Hierfür ist das obere Erkenntnisvermögen die notwendige Voraussetzung, die dem Subjekt sicherstellt, in seinem Gefühl nicht mit sich allein zu sein, sondern sich in Referenz zu befinden. Das erzwingt vom Subjekt, die Schönheit nach ihrer Mannigfaltigkeit oder ihren Teilen zu betrachten und also diese Teile als Teile eines Ganzen so zu bestimmen, daß in diese Bestimmung die Ganzheit selbst noch nicht mit eingegangen ist. Und erst jetzt, wo die Bestimmung der Teile als Teile 174  Mendelssohn bedarf des Mannigfaltigkeitsbegriffs, weil dieser – ganz im Sinne Baum­ gar­tens – eine Stabilisierung der Vollkommenheitsfunktion verspricht. Cf. hierzu auch die Rhap­sodie: »Wir nennen aber den Mangel der Mannigfaltigkeit, oder die Mißstimmung derselben, Unvollkommenheit« (239). Cf. aber auch Mendelssohns Ausführungen in den Haupt­ grundsätzen: »In einer zusammengesetzten Voll­kommenheit muß eine einzige Hauptabsicht herr­schen, und die besondern Absichten müssen als Mittel zu derselben übereinstimmen. Wo viele Endzwecke gleichen Antheil an der Einrichtung eines Dinges haben, da wird das Interesse getrennt, die Mannigfaltigkeit ist nicht übereinstimmend, und man findet keinen Grund, warum man diese verschiedenen Endzwecke zusammen genommen hat. Diese Anmerkung gilt so­wohl von Schönheiten als von Vollkommenheiten« (298).

3. Mendelssohns Empfindungsbriefe

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einer solchen Einheit, die in die Bestimmung selbst noch nicht Eingang gefunden hat, durch das Subjekt geleistet wurde, vermag es aufzusteigen zu jener noch unbestimmten Einheit. »[I]ch schwinge mich von den Theilen zum Ganzen« (116), und in dieser Schwungbewegung des anschauenden Subjekts liegt jener Umschlag, der das begriffliche Erfassen ermattet zurückweichen läßt, um nunmehr dem Gefühl das Zepter zu übergeben. Die damit einhergehende Faßlichkeit des Ganzen ist aber nicht so zu denken, als würde die Mannigfaltigkeit der Teile nunmehr bestimmt worden sein als eine von der Einheit umgriffene Mannigfaltigkeit, so also, daß nun auch die Einheitsdimension von der entsprechenden Bestimmtheit erfaßt worden sei. Vielmehr erkauft das Subjekt die aus der Ganzheit oder Einheit erwachsende Empfindung mit einem Verlust an deutlicher Begrifflichkeit und Besonderung.175 Die Teile werden nicht mehr als solche wahrgenommen, sondern es ist nur noch gleichsam die Erinnerung an den Bestimmungsprozeß gegenwärtig, was Theokles dadurch zum Ausdruck bringt, daß er den Teilen hier keine Bestimmtheit, sondern nur noch eine Wirkung auf das empfindende Subjekt zusprechen kann, wobei die Anschauung zugleich gefangen ist in der begrifflich unerfaßbaren Zusammenschau der Teile auf eine Einheit hin, in der sich dem Subjekt ein Relationsgefüge darstellt, dessen Relationsfundamente begrifflich nicht auszumachen sind. Hinter dieser Konzeption verbergen sich zwei Theorietraditionen. a) Zum einen steht im Hintergrund Christian Wolffs Philosophia prima sive Ontologia (1730), in der der Verfasser sich zum Problem der Bestimmtheit äußert, indem er der notio entis ein Kapitel De determinato et indeterminato vorausschickt.176 Bestimmtheit wird hier als Deduktionsprinzip für ein Verständnis der Seienden schlechthin und der Welt im besonderen herausgestellt (notio­ nem entis in genere … mundi notionem in specie ex notione determinationis de­ ducamus; § 104). Wenn aber das Bestimmen solchermaßen die tragende Säule der Ontologie werden soll, so ist es notwendig – wenn anders nicht Bestimmtheit als noch unabgegoltene Setzung in das System Einzug halten soll – Unbestimmtem verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Soll es also belastbar zu einer notio determinationis kommen, so ist allererst zu zeigen, daß Bestimmtheit seiner Funktion zu bestimmen, gerecht geworden ist. Bestimmtheit aber bestimmt Unbestimmtes-Bestimmbares. Und darum ist es nur konsequent, wenn 175 116: »Die besonderen deutlichen Begriffe weichen … wie in Schatten zurück«. Ent­ sprechend formuliert Mendelssohn in den Hauptgrundsätzen der schönen Künste und Wis­sen­ schaften, Gs i 284 f: Wenn die verständliche Vollkommenheit die »Triebfedern des Begehrungs­ vermögens in Bewegung setzen soll, so muß sie sich in eine Schönheit verwandeln; die einzelnen Begriffe der Mannigfaltigkeit müssen ihre ermüdende Deutlichkeit verlieren, damit das Ganze in desto verklärterem Lichte hervorstrahlen könne. Man findet die weite Ausführung hierfon in den Briefen über die Empfindungen«. 176  Cf. zu Wolffs Begriff der Determination Kirsten: Die Kategorienlehre, 26 f u. Hon­ne­ fel­der: Scientia, 339.

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Wolff die Genese der Bestimmtheit dort ansiedelt, wo Unbestimmtes sich darbietet, bestimmt zu werden (entis notio generalis ex indeterminati notione deri­ vanda; § 111 Anm.; Hhg. v. Vf.). Hier ist wieder an Mendelssohns Argumentation anzuschließen, die darauf hinausgelaufen ist, daß vor dem Antlitz des Schönen alle Bestimmtheiten zurückfließen in ihren Ursprung, nämlich unbestimmt zu sein, aber gleichwohl auf das empfindende Subjekt wirken – und diese Wirkung ist durch den von Wolff ausgedrückten Sachverhalt zu beschreiben, daß Unbestimmtes ein Nichts darstellt, da es keiner denkbaren Prädikation zugänglich ist. Dieses Nichts trägt zugleich aber schon das Siegel des Seins auf der Stirn, insofern es gleichsam auf dem Sprung zum Wirklichen ist (quasi nondum sit, fieri tamen possit aliquid; § 109 Anm.). Dieses ›Im-Begriff-Sein zu sein‹ ist der klaren Erkenntnis durch das Subjekt entzogen, mithin nicht bestimmbar durch das Subjekt, aber macht sich gleichwohl – es ist nicht ausschließlich Nichts (a pure nihilo distinguitur; § 109 Anm.) – dem Subjekt empfindbar. Verstehen wir also Mendelssohn vor dem Hin­tergrund der Wolffschen Ontologie richtig, so wendet er hier gegen die Annahme, die Bestimmtheit sei im Bereich der Empfindungen nur dazu angetan, der Lust ihren wahren Erlebnisgehalt zu rauben, ein, daß sich Empfindungen nicht als die Boten der Lust aus einem vernunftfernen Niemandsland einstellen, sondern in der Vernunft unmittelbar darin sind und aus ihr geboren werden. Wir werden im Fortgang der Mendelssohnschen Argumentation beobachten können, daß sich diese Haltung immer mehr verstärkt und vertieft.  b) Wie sehr ihm aber schon hier daran gelegen ist, der ontologischen Dimension innerhalb der Ästhetik Rechnung zu tragen, zeigt sich an einer traditionellen Denkfigur, die Mendelssohn ins Spiel bringt. Genau im Zusammenhang mit dem Einheitsproblem und dessen Lösung, im Gefühl dieser Einheit eine gleichzeitige Verundeutlichung der Begriffe zu postulieren, führt Mendelssohn ein wei­teres Theorem ein. Gegen die Verengungen des Euphranor nämlich bietet hier Theokles jene im 18. Jahrhundert so hoch gepriesene und in immer neuen Variationen vorgetragene Totalvision auf: die große Kette aller Wesen. Dieses von Platon vorformulierte Theorem hat eine verdeutlichende Ausführung bei Aristoteles gefunden, der es durch seine einflußreiche Lehre vom Kontinuum verzahnen konnte mit einer Gesamtschau alles Natürlichen,177 das sprunglos von jenem fast noch dem Nichts benachbarten Sein sich emporentwickelt durch die Gattungsgeschichte zu stetig höheren Organisationsformen. In diesem hier nicht weiter zu verfolgenden Naturprozeß ist immer die Konti­nu­ität (συνέχεια) entscheidend,178 das Übergehen also in stetem Schon-übergegangen177  Zur Weiterentwicklung dieser Aristotelischen Lehre bei Thomas von Aquin, Ockham, Son­cinas und Suárez cf. Beeley: Kontinuität, 41–51. 178  Hier ist eine zentrale Passage aus des Aristoteles Historia animalium zu vergleichen: »So allmählig schreitet … die Natur vom Unbeseelten zu den Thieren fort, daß bei dem Zu­ sam­men­hange die Grenzscheide desselben verborgen bleibt und zu welchem von beiden das

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Sein.179 Hier ist ein weiterer Anschluß zu suchen an Mendelssohns Ausdruck vom Zurückfließen des Einzelnen, das dennoch gleichsam wirkt. Offenkundig installiert Mendelssohn hier neben der Wolffischen eine catenale Ontologie, die im Rücken jenes Erkenntnisprozesses abläuft, der die konkreten Seinsmomente bestimmter Größen zugunsten nicht erschaubarer Einheitsschau aufgeben muß; und damit gibt das ontologische Prinzip neuerlich der Einheitsempfindung im Angesicht des Schönen jenes Vertrauen in sich selbst zurück, das ihr die erkenntnistheoretische Vagheit genommen. Zugleich mithin visualisiert jenes Prinzip der Höherentwicklung genau jenen Prozeß, den die Vorstellungen beim Angesichtigwerden des Schönen durchlaufen sind. Empfindung des Schönen also ist somit eine Ontologie des Erinnerns an den übergangslosen steten Übergang in je neue, höhere Organisationsgestalten der Naturwerdung. Wir stellen den Gedankengang noch einmal modifiziert dar, indem wir auf jene Stelle zurückkommen, wo Mendelssohn Aristoteles einführt. Aristoteles kommt mit dem Maß-Begriff des Schönen ins Spiel und wird eingeführt genau dann, als Theokles gesagt hatte, daß alle Teile »in einem solchen Ebenmaße« wirkten, »daß nur das Ganze aus ihnen hervorstrahlt« (116). Dann entwickelt Theokles die These, daß das »unermeßliche All … für uns« (116) kein Gegenstand der Schönheit zu sein vermag. Für eine Schönheit, die wir aufzufassen vermögen, ist es notwendig, daß sie unmittelbar als eine Ganzheit unseren Sinnen verfügbar ist. Mendelssohn leugnet hier keinesfalls den Reiz des Dunklen und Irrationalen, das auf die Seele eine ganz besondere Anziehung ausübt,180 aber der Begriff ›Schönheit‹ ist gerade jenen Gestalten zuzumessen, deren Teile in einem wohlgeordneten Verhältnis zueinander stehen. Daß es sich bei dieser Ordnung um ein Ganzes wohlgeordneter Teile handelt, erhellt noch einmal daraus, daß dieses Ordnungsprinzip als »außer uns geordnet« (116) beschrieben wird, daß also das Moment des Zusammenhanges nicht etwa zurückverlegt wird in die epistemischen Leistungen des Subjekts. Erst dann nämlich, wenn sichergestellt ist, daß außerhalb der Aktivität des epi­stemischen Subjekts ein Ordnungsgefüge besteht, kann gesagt werden, daß es wiederum dieses Subjekt ist, das das Ganze wahrnimmt als ein Schönes. Schönmitten inne stehende gehört … Der Uebergang … ist aber ein allmählicher ( Ἡ δὲ μετάβασις … συνεχής ἐστιν), wie oben gesagt wurde … Immer … erscheinen die einen den anderen gegen­ über in geringem Grade schon mehr mit Leben und Bewegung begabt« ( Aristoteles: Na­tur­ geschichte, 120 / Historia, 588b). 179  Im fünften Buch der Metaphysik gibt Aristoteles die folgende Definition des Konti­nu­ ums: »Kontinuum (συνεχὲς) aber heißt dasjenige, dessen Bewegung an sich eine einzige ist und sich nicht anders verhalten kann (κίνησις μία καθ’ αὑτὸ καὶ μὴ οἷόν τε ἄλλως); einzig aber ist die Bewegung, wenn sie untrennbar ist, untrennbar nämlich der Zeit nach (ἀδιαίρετος δὲ κατὰ χρόνον)« ( Metw / Metr 1016 a). 180  116:  »[D]as Unermeßliche, dessen Grenzen zu erreichen unsere beflügelte Einbildungs­ kraft ermüdet, [hat] seinen besondern Reiz, der das Vergnügen der abgemessenen Schönheit öf­ters übertrifft«.

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heit nämlich ist ein Ausdruck dafür – hier zeigt sich die Aufnahme Baumgartenscher Überlegungen in Mendelssohns Ästhetik –, daß das Unermeßliche durch die Begrenztheit des epistemischen Subjekts faßbar geworden ist. So erhellt die Bedeutung dessen, daß das Ordnungsgefüge einen sinnvollen Zusammenhang außerhalb des epistemischen Subjekts bilden muß, weil anders am Ort des Subjekts nicht sichergestellt werden könnte, daß es sich wirklich auf ein ihm Anderes bezieht, dessen Schönheit nicht nur jener Stempel ist, der diesem Anderen durch das Wahrnehmungssubjekt aufgedrückt wird. Schönheit – so darf der Gedankengang zusammengefaßt werden – ist ein dem Intellektionsvermögen des Subjekts angemessenes geordnetes Ganzes, dessen ontische Verfaßtheit von diesem Subjekt als geordnet zwar vorausgesetzt, aber nicht erkannt worden ist. Dieses erkenntnistheoretische Moment – und darin scheint uns die Besonderheit Mendelssohns zu bestehen – verzahnt Theokles mit der Vorstellung der großen Kette aller Wesen. Diese Vorstellung gibt gleich­sam den ontologischen Rahmen ab, innerhalb dessen sich die Epistemologie der schönen Empfindung vollzieht. Die Schönheitserkenntnis ereignet sich an der Natur, indem sie diese in Faßlichkeit bringt und zugleich die durch das Subjekt nicht mehr sichergestellte Voraussetzung gestattet, daß ein sinnvolles Ordnungsgefüge jenem an Ganzheit verarmten Ausschnitt, den das Subjekt als schön empfindet, zugrunde liegt. Mendelssohn leitet aus seiner Rehabilitierung der Vernunft den folgenden »Wahlspruch« ab: »[W]ähle, empfinde, überdenke und genieße« (119). Damit sind jene Momente beschrieben, die in ausgewogenem Zusammenspiel eine angenehme Empfindung ermöglichen. Die Wahl bezieht sich dabei auf jenen Abschnitt der Wirklichkeit, der das Glück begünstigt und insofern als empfindungs- und denkwürdig wird angesehen werden können. Das Empfinden ist gekennzeichnet als eine Anreicherung des Subjekts mit all jenen Begriffen und Urteilen, die dem Subjekt ermöglichen, sich dem Gegenstand zuzuwenden. Anschauende Begriffe und Urteile von der Beschaffenheit werden dem Prozeß des Empfindens subsumiert. Die Empfindung ist also der rezeptive Vorgang im Subjekt, der jenes Material zur Verfügung stellt, das dann vom deutlichen Erkennen noch einmal einer Bestimmtheit zugeführt, begriff­lich verdeutlicht wird.181 Diese Verdeutlichung bezieht sich auf jene Teile, die dann zugleich in ein Verhältnis zur Ganzheit gesetzt werden. Im Genuß wird die Ganzheit durch das Subjekt wahrgenommen, und in diese Wahrnehmung darf keinerlei Bestimmtheit einfließen, die sich auf die Verdeutlichung der Teile be­zieht. Insofern wird das Argument, daß ein zu starkes Überdenken der dunklen Empfindungen den Genuß zerstörte, durch Theokles nicht völlig verworfen, aber dem Argument wird der 181  Mit partiellem Recht weist schon Knüfer: Grundzüge, 40, darauf hin, daß die Empfin­ dungen in den Empfindungsbriefen neben den Vorstellungen nur schwerlich eine eigene Stel­ lung einzunehmen vermögen.

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ihm angemessene Ort innerhalb der Genese einer an­genehmen Empfindung zugewiesen. Mendelssohns Argumentation stellt also hinsichtlich der Theorie des Gefühls keine bloße Rehabilitierung des Rationalen dar, sondern sie trägt sehr viel eher den Charakter eines Komplexitätsgewinns. In diesem Zusammenhang kommt Mendelssohn auch auf die Regelpoesie zu sprechen.182 Regeln dürfen, so Theokles, nicht ausgespielt werden gegen einen Reichtum an Phantasie und poetischer Freiheit, da ihre Funktion ganz analog dem Anschauen des Universums als einer Ganzheit darin liegt, eine Propädeutik für den poetischen Schaffens­ prozeß bereitzustellen.183 In dem Moment nun, wo die poetische Schaffensphase einsetzt, sind die Regeln analog den deutlichen Begriffen bei Betrachtung des Ganzen zu behandeln: Der Künstler muß von ihnen absehen, um sich ganz dem Prozeß des Schöpferischen zu überlassen.184 Das bringt Mendelssohn zum Ausdruck dadurch, daß sich der Künstler ganz auf sein Objekt als einem allem durch das schaffende Subjekt Verursachten Entzogenen beziehen muß.185 Den Regeln kommt hier nur die Funktion zu, die Einbildungskraft zu sich selbst zu rufen, um sie vor einem Selbstverlust zu bewahren. Es folgt Mendelssohns Kritik an Sulzer, eine Kritik freilich, die nur zu stechen vermag, wenn man Mendelssohns eigenwillige Sulzer-Interpretation in Rechnung stellt. Mendelssohn bringt den Gedanken, daß nur aus dunklen Begriffen die angenehmen Empfindungen zu fließen vermöchten, in ein Verhältnis zum steten Aufschwung der organischen Natur (Kette aller Wesen). Gerade die Wesen, denen nach dieser Vorstellung ein höher gestalteter Geist zukommen würde, so Mendelssohn, der dann in der Lage wäre, deutliche Begriffe wahrzunehmen, ohne sich darum die Lust an der Welt vergällen zu lassen, würden nach der Voraussetzung, deutliche Begriffe verminderten die Lust, dem Glück nicht teilhaftig werden können. Und mehr noch: Es wäre keine optimistische Verbindung mehr herzustellen zwischen der Aufstiegsbewegung jener natur- und kulturmorphologischen Kette und jenem Glück, das aus dem Gefühl des Universums zu fließen vermöchte. Daß diese ganze Argumentation gegen Sulzer gerichtet ist, zeigt der Satz: »Hierwider hat sich ein neuer Weltweiser vergangen, dessen Gedanken 182 Das regelpoetische Konzept, dem die poetologische Nachahmungstheorie zugrunde liegt, kommt im 18. Jahrhundert zum erliegen. Dies geschieht nicht zuletzt durch medientheoretische Umstellungen, wie wir sie bei Herder und Lessing ( Laokoon) finden, die das Sehen als eines Sinnes, der allen anderen Sinnen zum Leitfaden dient – ut pictura poiesis – entmächtigen, um damit auch anderen Kunstformen zu ihrem Recht zu verhelfen. Cf. hierzu Käuser: Epochenschwelle, 43. 183  119: »Die Regeln sind Vorbereitungen, wodurch der Dichter sich und seinen zu bearbei­ tenden Gegenstand in die Verfassung setzen soll, die Schönheiten in ihrem vorteilhaftesten Licht zu zeigen. Als Vorbereitungen können sie dem Virtuosen ersprießliche Dienste leisten, aber in der Hitze der Ausarbeitung müssen sie ihn nicht stören«. 184  120: »Er hüte sich in diesem Augenblicke seine Regeln allzu deutlich vor Augen zu haben«. 185  120: Die Regeln »sollen die Einbildungskraft nicht im Zügel halten, sondern ihr nur von ferne den Weg zeigen, und nachrufen, wenn sie in Gefahr ist, sich zu verlieren«.

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gleichwohl unsere Aufmerksamkeit verdienen« (121). Auf Mendelssohns Argumentation gegen Sulzer ist hier genau zu achten. In einem kurzen Passus, der hier ganz wiedergegeben wird, faßt er sein Argument zusammen: Wenn diese Erklärung richtig wäre, so müßte es uns zur Schwachheit gereichen, daß wir die Einheit im Mannigfaltigen lieben. Denn wenn uns diese bloße Mannigfaltigkeit nicht allzusehr ermüdete, wenn wir keiner Erleichterung in unserer Beschäftigung bedürften, so würde uns das bloß Mannigfaltige mehr Lust gewähren, als wenn es von der Einheit eingeschränkt wird. Allein warum zieht der weise Schöpfer, den der Gedanke aller möglichen Welten auf einmal nicht ermüden kann, das Vollkommene dem bloß Mannigfaltigen vor  ? (122).

Diese Gedankenfigur scheint auf den ersten Blick wenig überzeugend, denn man vermag keineswegs unmittelbar einzusehen, warum der gegen Sulzer geführte Gedanke, daß die Einheitsschau im Mannigfaltigen ein Zugeständnis an die Rezeptionsbedingungen des epistemischen Subjekts sei, überhaupt Anspruch auf Triftigkeit erheben darf. Eher würde man hier unter modernem Blick einen durchaus weitsichtigen Vorgriff auf die Wende ins Transzendentale sehen. Erst der zweite Passus bringt die Auflösung: Die Restriktion auf einen epistemischen Vorgang kann hier nicht den argumententscheidenden Hieb führen, denn wendeten wir die Voraussetzung auf Gott an, so zeigte sich, daß es in die Irre führte, auch noch das Absolute unter die Bedingung epistemologischer Ermüdungserscheinungen zu stellen. Gott nämlich findet Gefallen am Vollkommenen auch dann, wenn ihm die Lust am Unendlich-Mannigfaltigen mühelos zu einem Ausdruck seines absoluten Wesens werden könnte. Mendelssohn wendet sich hier also dezidiert gegen eine subjektphilosophische Grundlegungsfigur des Ästhetischen, wie sie bei Sulzer – und auch bei Baumgarten – zumindest angelegt scheint.186 Daß Mendelssohn hier sein eigenes Konzept an der Philosophie Sulzers entwickelt, ohne diesen allerdings wirklich aus dem Sattel zu stechen, wird deutlich an der von Sulzer zu unterscheidenden Verwendung des Vollkommenheitsbegriffs. Legt man die klassische Definition des Aristoteles zugrunde, so versteht Mendelssohn unter Vollkommenheit dasjenige, außerhalb dessen nichts anzutreffen ist,187 was dann wiederum die Vollkommen­ heit durch Fremdbestimmung depotenzieren würde, die Vollkommenheit an sich also (καθ’ αὑτὰ λεγόμενα τέλεια),188 während Sulzer überwiegend von der Vollkommen­heit als einer nicht mehr steigerungsfähigen Ausbildung von Tüch186  Es handelt sich eben, wie sich hier zeigt, um eine unterschiedliche Interessenlage beider Denker, während es nämlich Mendelssohn stets um eine Rettung des Vollkommenheitstheo­ rems zu tun ist, will Sulzers Ästhetik der ins Absolute schießenden Vorrangstellung bestimmter Schönheitsformen, »wie etwa« den »Normen des französischen Geschmacks« wehren ( Pross: Meine einzige Absicht, 138). 187  Metw/Metr 1021 b: »Vollkommenheit nennt man einmal das, außerhalb dessen sich auch nicht ein einziger Teil finden läßt (μὴ ἔστιν ἔξω τι λαβεῖν μηδὲ ἓν μόριον)«. Cf. Gs i 114, 121 – 125, 129 f, 136 f, 145 f, 148 – 150, 152, 157, 159, 161, 177 f, 186 – 188. 188  Metr 1021 b.

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tigkeit und Bonität der Arteigenschaften innerhalb einer konkreten Gattung handelt.189 Der fünfte Brief verdeutlicht noch einmal eingehender die SulzerKritik Mendelssohns. Der von Sulzer begangene Fehler wird jetzt darin gesehen, daß er zwischen Vollkommenheit und Schönheit nicht die notwendige Differenz gesetzt hätte, indem er die Einheit, die nur der Schönheit zuerkannt werden muß, auch auf die Vollkommenheit übertragen hätte. Mendelssohn nimmt hier die Vollkommenheit im Sinne der Ganzheit, außerhalb derer, wie die Defi­ ni­tion bei Aristoteles lautete, keine Teile mehr anzutreffen sind. Sulzers Referenztext weist nachgerade keine Passage auf, woselbst sich Vollkommenheit in dieser Weise nachweisen ließe. Hier zeigt sich bei Mendelssohn die schon angesprochene starke Tendenz weg von den subjektphilosophischen Erklärungen der Schönheitsintellektion und hin zu den metaphysischen Grundlagen dieser Auffassung, eine Argumentationstendenz, die Mendelssohn hier in das Gewand der Kritik an Sulzer kleidet. Während Sulzer diese Grundlagen weniger wichtig geworden sind, weil er erklären will, wie Schönheit zustande kommt, so ist es basal für Mendelssohn, gerade diese metaphysischen Grundlagen weiterhin mitzuführen. Einheit in der Mannigfaltigkeit wird somit von Mendelssohn der Schönheit zugeordnet – die schönen Dinge sollen, ganz so, wie bei Sulzer, mit Leich­tigkeit in die Sinne fallen. An Beispielen wird der Sachverhalt behandelt, daß schöne Dinge immer genau dann keine Lust auszulösen vermögen, wenn es für die Sinne zu kompliziert ist, dem Mannigfaltigen zu folgen. Damit wäre aber auch nur Sulzers These bestätigt, daß man mehr zu Kenntnis genommen haben muß, um dementsprechend dann auch mehr zu empfinden. Mendelssohn will aber darauf hinaus, daß es sich hier um eine sinnliche Schönheit handelt, an der wir uns wegen unserer Unzulänglichkeit vergnügen. Gott zieht das Schöne nicht dem Häßlichen vor, wie sich daran zeigt, daß das auf den ersten Augenschein hin Schöne nach eingehenderer Betrachtung durchaus alle Kriterien der Häßlichkeit erfüllt.190 Schönheit also ist eine unmittelbar an den Zuständigkeitsbe189 

Metw / Metr 1021 b: »Ferner heißt vollkommen, was der Tüchtigkeit nach und im Gu­ ten in seinem Geschlecht nicht übertroffen werden kann (μὴ ἔχον ὑπερβολὴν πρὸς τὸ γένος)«. Cf. Vps i 29 – 31, 34. 190 123: »Unter der Haut liegen gräßliche Gestalten verborgen. Alle Gefäße sind ohne scheinbare Ordnung«. Mendelssohns Beobachtung scheint auf Meier zurückzugehen. Wir bieten hier die entsprechende Passage: »Die Wangen einer schönen Person … sind schön, so lange man sie mit blossen Augen betrachtet. Man beschaue sie aber durch ein Vergrösserungsglas. Wo wird die Schönheit geblieben seyn  ? Man wird es kaum glauben, daß eine eckelhafte Fläche …, die voller Berge und Thäler ist, deren Schweislöcher mit Unreinigkeit angefült sind, … der Sitz desjenigen Liebreitzes sey, der die Herzen verwundet … Ist es nicht augenscheinlich, daß die ganze Veränderung in unserer Vorstellung sich zugetragen, indem die undeutliche Vorstellung, durch Hülfe der Vergrösserungsgläser … in eine deutliche verwandelt worden ?« ( G. F. Meier: Anfangsgründe, 39). Kanngiesser: Die Stellung, 35 Anm., hat sich die Men­ dels­sohnsche Fassung dieser Passage, »welche, für sich allein betrachtet, es zweifelhaft machen müßte, ob ihr Verfasser … im Stande sei, sich mit Aesthetik zu befassen«, zum Gegenstand

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reich des sinnlichen Vermögens gebundene Kennzeichnung.191 Es zeigt sich nun, daß Mendelssohns Sulzer-Kritik funktionalisiert ist durch den Wunsch, scharf zu unterscheiden zwischen Schönheit und Vollkommenheit.192 Mendelssohn reißt beide nachgerade auseinander, wenn er noch einmal betont, daß die Schönheit zwar ebenfalls ein Einheitsmoment für sich in Anspruch zu nehmen vermag – dieses Einheitsmoment aber der beschränkenden Rezeptionskraft menschlichen Sinnenlebens geschuldet ist.193 Mendelssohn greift hier auf die dem Platonischen Symposion (180 e) entnommene Vorstellung der zweifachen Aphrodite zurück, der himmlischen Tochter des Uranos nämlich und der irdischen Zeustochter, eine noch in dem für das Quattrocento typischen neuplatonischen Renaissancemotiv der veritas nuda, die sich in ihrer himmlischen Reinheit immer zugleich als nackte Schönheit sinnlicher Begehrlichkeit anheimgibt, anklingende Unterscheidung. Das strenge Insistieren auf der Geschiedenheit von himmlischer und irdischer Venus indiziert zugleich die Bezogenheit beider aufeinander, jedoch nicht in einem dia­lektischen Sinne, sondern so, daß sich ein Abbildungsverhältnis zwischen Schönheit und Vollkommenheit festschreibt. So kann die Schönheit bei Mendelssohn nur die Position einer »sinnlichen Nachahmerinn« (124) jener Einheit einnehmen, die mit der Vollkommenheit zusammenfällt und der irdischen Schönheit das Prinzip vorgibt.194 Diese Vollsei­nes Zorns erkoren. »Ein schlechter Aesthetiker, aber auch ein schlechter Anatom«, so Kanngießer; und hier wird deutlich, daß Kanngießers Interpretation stark von einem Men­ dels­­sohn fernen Vorverständnis dessen, was eine Ästhetik zu leisten habe, geleitet wird. 191  123: »Die Schönheit der menschlichen Bildung, die annehmlichen Farben, die gewundenen Züge, die in seinen Mienen bezaubern, sind nur der äußeren Schale eingeprägt. Sie gehen nicht weiter, als unsere Sinne reichen«. 192  Es ist darum irreführend, wenn Will Jr.: Cognition, 100, unter Hinweis auf Gs i 138 davon spricht, daß Mendelssohn jeglichen »Vollkommenheits-monism« kritisiere, da das zentrale Problem darin besteht, zwischen Vollkommenheit und Schönheit zu unterscheiden. 193  Wir stimmen grundsätzlich Altmann zu, der urteilt, daß Mendelssohn somit in seiner Ästhetik die Grenzen der Schulphilosophie nicht überschritten hätte ( Moses Mendelssohns Frühschriften, 122). Im Hintergrund steht – Altmann weist selbst darauf hin ( l. c. 123) – Cassirer, der schon in Freiheit und Form (1916) sehr hellsichtig auf das Verhältnis von Schön­ heit und Absolutem in Mendelssohns fünftem Empfindungsbrief verwiesen hat: »[D]as Schöne ist an sich, vom Standpunkt des Absoluten, eine bloße Negation; für unsere endliche Bestim­ mung und Aufgabe aber macht eben dieses Negative das eigentlich spezifische Moment aus« (Cassirer: Freiheit, 125). Kanngiesser: Die Stellung, 34, sieht hier Mendelssohn ebenfalls in der »Denkweise seiner Schule« befangen, urteilt aber dann überzogen, wenn er die Ansicht ver­tritt, daß durch die Unterscheidung von Vollkommenheit und Schönheit, wie sie durch Mendelssohn vertreten wird, wir »um keinen Schritt weiter [kommen], weil mit der Art, wie er sie begründet, die Schönheit selbst verloren geht«, denn es ist Mendelssohns Absicht, die Schönheit begrifflich allererst einmal zu fixieren, ohne dabei von einem Vorbegriff dessen, was unter Schönheit zu verstehen sei, auszugehen. 194  124: Man solle »sich hüten, diese himmlische Venus nicht mit der irdischen, mit der Schön­heit, zu verwechseln«. Diese Festlegung des Vollkommenheitsbegriffs als einer nachgerade uneinholbaren Position des Absoluten bleibt auch innerhalb späterer Schriften in Kraft.

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hang, Uebereinstimmung, kommenheit erfordert »vernünftigen Zusammen­ Einhelligkeit« (124), drei Grundbestimmungen, derer letzte die vorangegangenen Bestimmungen gleichsam zusammenführt, denn mit der Einhelligkeit ist das Ineinander-gegründet-Sein der Einheit an­gesprochen,195 in dem also die Einheit sich nicht als das Moment der Vereinigung des Mannigfaltigen darstellt so, als würde sich die Einheit als ein der Mannigfaltigkeit Anderes über die Vielheit der Teile legen. Vielmehr stellt die ›Einhelligkeit der Einheit‹ eine genetische Einheit dar,196 in der die einzelnen Teile in sich selbst auch einen Einheitssinn tragen. Im sechsten Brief baut Mendelssohn die Festung der Vernunft noch weiter aus, indem er gegen die mit der französischen Philosophie identifizierte These,197 daß die Vernunft das Vergnügen eher störte als es zu begünstigen, einen allen Menschen eigenen »Trieb zur Vollkommenheit« beilegt (129). Hier wird der Triebmechanismus dem Denken und Gefühl vorgelagert, so daß die ›Tendenz auf Vollkommenheit‹ allen anderen Bestrebungen und Vermö­gen vorauf­läuft. Alle Bedürfnisse sind unmittelbar auf ihre Zusammenstimmung mit der Vollkommenheitsneigung zu prüfen.198 Das finale Ziel dieser Über­­ legungen besteht darin, zwischen dem Intellektionsvermögen und Gefühl des empfindenden Subjekts eine unverlierbare Verbindung zu stiften. Damit ist so­ wohl Sulzers als auch Dubos’ Fragestellung dem Anliegen untergeordnet, Gefühl und Vernunft zu verbinden, eine Verbindung, die letztlich die Autonomie des Ästhetischen nachhaltig unter Druck geraten läßt. Mendelssohn schwenkt hier unmittelbar ein in die Wolffsche Lehre von der anschauenden Erkenntnis, die von der figürlichen Erkenntnis zu unterscheiden ist. Im Einklang mit Wolff sieht Mendelssohn in der anschauenden Erkenntnis allerhöchste Glückseligkeit versprochen.199 Es paßt mit der Triebstruktur gut zusammen, daß Mendelssohn Cf. die Rhapsodie (1761): »Was für selige Empfindungen überraschen uns, wenn wir an die unermeßliche Vollkommenheit Gottes gedenken ! Unser Unvermögen begleitet uns zwar auf diesem Fluge, und drückt uns in den Staub zurück; aber die Entzückung über jene Unendlichkeit, und das Mißvergnügen über unser eigenes Nichts vermischen sich in eine mehr als wollüstige Empfindung, in ein heiliges Schauern« (252). Sprechender noch einige Zeilen später: »Wenn die Betrachtung der göttlichen Vollkommenheit selbst, die von Seiten des Gegenstandes über alle Mängel unendlich erhaben ist, dennoch in Ansehung unser von der Unlust über unsere eigene Schwäche unzertrennlich ist; so kann man wol sicher schließen, daß es für eingeschränkte Wesen schlechterdings kein reines Vergnügen gebe« (253). 195  125: »Da nun gewiß ist, daß Gott nichts ohne zureichenden Grund verstatten kann, so hat auch Gott Gefallen an Vorstellungen, die in einander gegründet sind«. 196  Cf. hierzu Grimm: Deutsches Wörterbuch iii 199 u. Eberhard / M aass: Versuch, 169. 197  126: »Es hat freilich … Gelehrte … gegeben, welche die Vernunft für die Störerinn unseres Vergnügens gehalten haben; und eben jetzt scheint sich dieser Geist des Leichtsinns aus Frankreich über alle gesittete Völker zu verbreiten«. 198  129: »Ich soll mir Gegenstände erlesen, ohne mich zu fragen: sind sie auch deiner Nei­ gung zur Vollkommenheit gemäß ? Stimmen sie mit dem wahren Bedürfnisse eines vernünftigen Wesens überein ? Wie, wenn sie nur den Anschein einer Vollkommenheit hätten«. 199 Cf. Dm § 1089. Zur figürlichen und anschauenden Erkenntnis cf. Dm § 316.

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das Vergnügen nur graduell200 vom Wollen unterschieden sein läßt. Folgende Elemente kennzeichnen den Willen und das Vergnügen: In einer ersten Stufe wird der Gegenstand als ein solcher betrachtet, eine Betrachtung, die sich nicht nur auf die Teile zu richten hat, sondern auch auf den Zusammenhang der Teile untereinander, denn die finale Bestimmtheit der Teile als Teile besteht darin, in einem sinnvollen Zusammenhang mit allen anderen Teilen zu stehen. Auf diese Betrachtung folgt das Urteil hinsichtlich einer Bonität dieses Gegenstandes; und – damit ist die dritte Stufe beschrieben – wenn dieses Urteil gefällt wurde, entsteht im empfindenden Subjekt der Trieb des Ausseins-auf-diesen-Gegenstand. Im Subjekt besteht das Bedürfnis, sich immer wieder neue Vorstellungen von diesem Gegenstand zu machen. Hier nimmt Mendelssohn jenes Moment auf, das bei Sulzer schon als eine Begierde nach Vorstellungen beschrieben wurde. Und nun folgt eine interessante Formulierung: Alle »Begriffe« nämlich, so Mendelssohn, die die soeben beschriebene Struktur des Verwirklichungsbegehrens hinsichtlich eines mit Bonität ausgezeichneten Gegenstandes auszeichnen, sind jenem Zustand inbegriffen, in dem die Seele sich zur Verwirklichung entschlossen hat, doch sind sie immer als »selbstgefühlt« in der Seele anwesend. (130). Dieses Selbstgefühl wird näher charakterisiert als eine »anschauende Sacherkenntniß, die in allgemeinen Grenzen eingeschlossen, und in Zeichenerkenntniß verwandelt, von uns selbst ohne Aufmerksamkeit nicht wieder erkannt« zu werden vermag (130). Offensichtlich ist also der Terminus ›Selbstgefühl‹ hier von Mendelssohn noch keineswegs als im Gefühl anwesende Selbstbezüglichkeitsstruktur verstanden,201 sondern das Selbstgefühl hat einen Konnotationsraum, der allein die reine Sacherkenntnis umgreift. Selbstgefühlt meint in unserem Zusammenhang einfachhin, daß diese Sacherkenntnis im Moment des Verwirklichungsbegehrens eine von uns hergestellte realistische Einstellung ist.202 Das von Mendelssohn visierte Problem ist also die Selbstherstellung einer Sacherkenntnis, so daß der Akzent nicht vorrangig auf dem – darin natürlich immer auch gelegenen – Selbstbezüglichkeitsmoment liegt, sondern darauf, daß es das Subjekt ist, von dem her die Erkenntnis hergestellt wird. In das in Rede stehende Urteil bezüglich der Bonität eines Sachverhaltes und den auf dieses Urteil folgenden Entschluß des Ausseinsauf-diesen-Sachverhalt gehen unterschiedliche Gefühle ein, die im Moment des Entschließens von dem Subjekt als eine Einheit wahrgenommen werden, eine Einheit mithin, die nur eine Quasi-Bestimmtheit darstellt, da die in diese Einheit einfließenden Momente unerkannt bleiben. Das Ziel nämlich der Mendelssohnschen Argumentation besteht, das muß immer mitgeführt werden, darin, 200  130: »Nur dem Grade nach ist das Begehren, das mit jedem Vergnügen verbunden ist, von dem eigentlichen Wollen unterschieden«. 201  Ein solches Verständnis findet sich dann allerdings im Phaidon. 202  Cf. zu dieser Bedeutung Grimm: Deutsches Wörterbuch xvi Sp   471, wo das ›Selbst­ge­ fühl‹ erklärt wird durch »selbstgemacht« oder »selbstgeschöpft«.

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die Bedeutung und Unverzichtbarkeit der Reflexion in ästhetischen Erkenntniszusammenhängen darzutun. Die Ästhetik des Dubos etwa würde hier keinerlei Schwierigkeit sehen, da das Urteil ›dies gefällt‹ nicht noch einmal dekonstruiert und auf seine rationalen Aufbaumomente hin zu untersuchen ist. Und wenn man nur den rein rezep­tions­ästhetischen Vollzug ins Auge faßt, so scheinen sich hier auch in der Tat keine Probleme zu ergeben. Man kann darum Mendelssohns Überlegung lesen als eine kritische Reflexion auf die Bedingungen, die in jede Kunstwahrnehmung einfließen auch dann, wenn das Subjekt sich die notwendigen Voraussetzungen einer rezeptionsästhetischen Einstellung nicht bewußt macht. Versuchen wir noch einmal die Schritte auf dem Weg zu einem Begehren dessen, was für gut befunden wurde, genauer zu analysieren. Alle drei Bestimmungen sind, wie Mendelssohn sagt, unzertrennlich von Willen und Vergnügen. Betrachtung des Gegenstandes als einer Verknüpfung von Teilen in einem Ganzen, das Bonitätsurteil und das Verwirklichungsbegehren der Vorstellung – all dies sind Sachverhalte, die Mendelssohn als Begriffe kennzeichnet. In dem Augenblick, da wir uns entschließen, sind alle diese Begriffe voneinander nicht differenzierbar in unserer Seele. Wenn wir etwas wollen, weil es in uns eine angenehme Empfindung auslöst, so sind die angesprochenen Sachverhalte alle zugleich in uns wirksam. Wir vermögen nicht zu differenzieren: Die Betrachtung des Gegenstandes als einer Verknüpfung von Teilen, das Bonitätsurteil und das Verwirklichungsbedürfnis sind am Ort des Begehrens alle nebeneinander und nicht zu trennen. Man kann nicht unterscheiden zwischen den Momenten in dem Augenblick, da etwas als schön oder angenehm empfunden wird. Im Moment der angenehmen Empfindung liegen im Subjekt die Erkenntnis, das Urteil und das Verwirklichungsbegehren ineinander, so daß man hier nicht trennen kann zwischen den drei Momenten. Nun jedoch folgt die Einschränkung: Sie liegen in der Seele als selbstgefühlt. Das Subjekt ist hier, in dieser Empfindung, individuell und nicht verallgemeinerbar. Es vermeint einen Gegenstand als gut und begehrenswert, jedoch ist dieser Gegenstand noch ein vom Subjekt selbst erzeugter. Mit dem Umstand einer solchen Selbsterzeugtheit zieht zugleich die Vagheit in den Erkenntnisprozeß ein, hinsichtlich der Gegenstandserkenntnis nicht sicher sein zu können, auch wirklich Gegenständiges, mithin: etwas gefühlt zu haben. Erkenntnislogisch obwaltet bei der ›anschauenden Sacherkenntnis‹ der Umstand, daß die Sachhaltigkeit durch Anschauung allein nicht verbürgt zu werden vermag, da zwischen der reinen Bipolarität von Anschauung und Sache noch kein Ort auszumachen ist, von dem her erhellte, daß hier Anschauung und Sache als das jeweils dem anderen Andere in einem Erkenntniszusammenhang sich befinden. Erst dann, wenn die nur anschauende Erkenntnis übergeht in Zeichenerkenntnis, läßt sich belastbar davon reden, daß hier Erkenntnis statthat, da nun das Zeichen vor die Anschauung und Sache tritt, um sie allererst in ein rechtes Verhältnis zueinander zu bringen. Das Zeichen bezeichnet die Sache nämlich

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nicht in einer unmittelbaren Abspiegelung, sondern es wird durch den Begriff oder die begrifflich erzeugte Bedeutung auf einen Gegenstandssinn festgelegt, so daß die bezeichnete Sache durch diese Vermittlung als eine durch das ästhetische Subjekt – mithin diesem Subjekt andere – intelligierte Gegenständigkeit identifizierbar wird.203 Mit genau dieser Konkretisierung des Gefühlsaktes kann Mendelssohn den rezeptionsästhetischen Ansatz noch einmal genauer beschreiben und damit zugleich zeigen, daß sich die Rezeption der Kunst gerade nicht dadurch auszeichnet, den rationalen Modus verlassen zu können, sondern im Gegenteil: Das ästhetische Empfinden ist angewiesen auf jene Zeichenerkenntnis, in der den Zeichen der rational vermittelte Sinn zukommt, freies Zeichen zu sein. Gerade weil das Zeichen begrifflich dechiffriert wird, kann es bezeichnen. Mithin ist es Mendelssohn hier nicht um eine Entfaltung zeichentheoretischer Operationen oder Theoriemomente zu tun, sondern sein Interesse liegt ausschließlich darin, die Wiedererkennungsmöglichkeit des als angenehm Empfundenen sicherzustellen. Nur wenn das ästhetische Subjekt dazu in der Lage ist, ein als angenehm Empfundenes auch wiederzuerkennen, hat es wirklich empfunden, denn Empfindung setzt die Möglichkeit der Wiederempfindung voraus, wenn sie überhaupt als eine Empfindung, bei der Etwas empfunden wurde, soll angesprochen werden.204 Erst im 11. Brief fühlt sich Mendelssohn dazu in der Lage, die angenehmen Empfindungen nach ihren Quellgründen darzustellen. »Wir sind endlich so weit, daß wir eine dreifache Quelle des Vergnügens entdeckt und ihre ver­ wirrten Grenzen auseinandergesetzt haben: das Einerlei im Mannigfaltigen oder die Schönheit, die Einhelligkeit des Mannigfaltigen oder die verständli­che Vollkommenheit, und endlich der verbesserte Zustand unserer Leibesbe­schaffenheit oder die sinnliche Lust« (148). Zwei Interpretationsmöglichkeiten lassen sich offensichtlich ausmachen. Entweder alle drei Momente für sich ge­nommen können Auslösungsimpulse werden für eine angenehme Empfin­dung, oder erst das Zusammenkommen aller drei Momente kann eine ange­nehme Empfindung emportragen. Die erste Interpretation würde zumindest hinsichtlich der sinnlichen Lust als eines Steigerungsempfindens von Lustbeschaffenheit der Mendelssohnschen Intention, die Vollkommenheits­metaphysik innerhalb der Ästhetik 203  Mendelssohns Überlegungen ließen sich unproblematisch in die neuere Semiotik über­tragen, wobei in unserem Zusammenhang vernachlässigt werden kann, ob das Zeichen als Aus­­druck (  Hjelmslev: Prolegomena, 114) oder Representamen ( Peirce: Vorlesungen, 47 f, 78 – hier bedeutungsgleich mit ›Symbol‹ – u. 92f  ), der Begriff als inneres Bild (Saussure: Grund­ fragen, 77), Intension (Carnap: Meaning, 1– 68) oder Sinn ( Frege: Über Sinn, 41) und endlich der Gegenstand als Bedeutung ( Frege: Ib.), Extension (Carnap: Ib.) oder Denotation ( Morris: Signs, 121ff) angesprochen wird. 204  Wir gehen nicht auf die Selbstmordproblematik ein, da sie nichts beiträgt zu dem von uns entwickelten Gedankengang. Soviel sei nur erwähnt, daß sich Mendelssohn hier dem Selbst­­mord zuwendet, weil dieser der Basalität des Wieder­ho­lungsmomentes in einer prinzipi­ ellen Weise entgegensteht.

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zu stabilisieren, widerraten. Auch kontextu­ell ist es näherliegend, der zweiten Interpretationsmöglichkeit zuzuneigen. Mendelssohn erwähnt hier nämlich die Tonkunst, die alle drei Momente in sich vereinigt. Von hier aus ließe sich dann die angenehme Empfindung als ein Interpretationsgefühl beschreiben, in dem die unterschiedlichen Momente sich gegenseitig auslegen, um in dieser fühlenden Selbstauslegung ein angenehmes Gefühl auszulösen. Einsam angekommen im sublimen Refugium angenehmer Gestimmtheit bleibt die Empfindung doch nicht mit sich allein, sondern spannt sich auf in ihre Vergegenwärtigungsgestalten – Schönheit, verstandene Vollkommenheit und sinnliche Lust, drei endothyme Topoi, die nur im Modus eigenwilliger Wechselinterpretation bestehen. Sinnliche Lust bedarf, um nicht in gemeines Genießen abzugleiten, der Schönheit als eines harmonisierenden Prinzips. Ge­nossenes wird ungenießbar, wenn es im drängenden Zugriff der Lust sich dem Genießenden nicht verschönert. Umgekehrt wird reine Schönheit der Seele schnell zu unbetroffener Versicherung, wenn sich das Schönheitsempfinden nicht immer neu in sinnlicher Lust entzündet und verjüngt. Doch geraten beide Empfindungsmodi schnell in die Gefahr, sich der Beliebigkeit und Selbstverdunklung auszusetzen, wenn ihre wechselseitig-interpretierende Sta­bilisierung nicht orientiert wäre an der verständlichen Vollkommenheit. Gleichwohl bleibt ein Problem noch offen, das besonders durch Dubos den Zeitgenossen aufgegeben wurde. Wenn nämlich allein das reizauslösende Moment für die Intensität des Gefühls steht, so lassen sich an diesem Reizmo­ment keinerlei Differenzierungen mehr vornehmen und ausmachen. Diese Theorie widerspricht natürlich dem Anliegen Mendelssohns, die an­genehmen Empfindungen in einem Bereich zu lozieren, der noch jenseits des Schönen anzusiedeln ist. Zugleich, und aus diesem Grund setzt Mendelssohn in der Rhapsodie sechs Jahre später noch einmal an, Anmerkungen zu den Briefen über die Empfindungen zu schreiben, läßt sich das Phänomen nicht verleugnen, daß das Grauenhafte auf eine geheimnisvolle Weise in den Bann zu ziehen vermag. Gleich zu Beginn der Rhapsodie kommt Mendelssohn auf jene von ihm bislang vorausgesetzte Defi­nition der angenehmen und unangenehmen Empfindungen zu sprechen, eine Definition, die er von Maupertuis übernommen zu haben scheint. Danach handelt es sich bei einer angenehmen Empfindung um eine solche, die man lieber haben als nicht haben will, und bei einer unangenehmen Empfindung um eine Empfindung, die man lieber nicht haben als haben will. Es ist nicht die Schlichtheit dieser Definition, die Mendelssohn aufstößt, son­dern eher ihre Konsequenz, den gemischten Empfindungen innerhalb einer Gefühlsthe­orie keinen angemessenen Topos geben zu können. »Die vermischten Emp­findungen haben die besondere Eigenschaft, daß sie zwar so sanft nicht sind als das reine Vergnügen; hingegen dringen sie tiefer ins Gemüth ein, und schei­nen sich auch länger darinn zu erhalten« (250). Neben Dubos ist Edmund Burke wohl der entscheidende Anlaß gewesen, in Mendelssohn eine stär-

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kere Sensibilisierung für das Thema der gemischten Gefühle auszulösen. Gegenüber Burke, dem er eine sorgfältig referierende Re­zension gewidmet hat, hegt Mendelssohn große Bewunderung. »Als ich die Briefe über die Empfin­dungen schrieb, hatte ich zwar von der Natur der ver­mischten Empfindungen einen leichten Begriff; allein ich sahe die … Wirkungen derselben nur wie im Schimmer, bis ich Gelegenheit hatte … das vortreffliche englische Werk vom Erhabenen und Schönen zu lesen« (254). In Philosophical inquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful von 1756 hat Burke das Erhabene als in sich selbst dif­ferenziertes Phänomen in einen unmittelbaren Vergleich zum Schönen ge­bracht. Das Erhabene entzieht sich erfolgreich allen Dekodierungsversuchen durch den ordnenden und Proportionen wahrnehmenden Verstand, indem es als reizauslösendes ›Dennoch‹ immer anrührt. So stellt es vor­züglich auf das Riesige, Dunkle, Schroffe, Mächtige und Unabgrenzbare ab. Burkes Erhabenes ist so gewissermaßen die Transformation des Dubosschen Reiz-Reaktions-Schemas in einen kategorial nicht entschlüsselbaren Bewandt­niszusammenhang, der aber dennoch effizient ausschlägt zugunsten hoch­schäumender Affekte. Stärker noch als durch die Erfahrbarkeit interesselosen Wohlgefallens an der Schönheit, die das Kleine, Zarte, Helle und Reine zum Gegenstand hat, vermögen uns Gefahr, Angst, dunkler Schauer und Schrecken gefangen zu nehmen. Das Erhabene richtet sich nämlich auf den Trieb nach Selbstkontinuierung und trifft darum das in Erstaunen geratene Subjekt an seiner intimsten Stelle. Das bewundernde Erstaunen wird hier im­mer begleitet von einem Schrecken über die Riskiertheit der eigenen Existenz, die sich vor das unverfügbare ihr Andere gestellt sieht, das sich keinem durch das Subjekt dekodierbaren Zusammenhang einzupassen vermag. Doch hat Mendelssohn bei aller Bewunderung für Burke, auf den er in der Rhapsodie kurz sich bezieht, diesen Erhabenheitsbegriff nicht in seine Empfin­dungslehre theoriebildend zu integrieren vermocht. Zu stark hat das Katego­riendoppel von Vollkommenheit und Ganzheit seine Überlegungen geprägt, und so rät er dann auch dem englischen Ästhetiker, sich eingehender mit den Seelenkundlern der deutschen Schulphilosophie auseinanderzusetzen.205 Dennoch versucht Mendelssohn eine Theorie der gemischten Gefühle zu liefern. Wenn, so die Überlegung, wir wirklich jede unange­nehme Empfindung lieber nicht haben als haben wollten, so »müßten wir jede unange­ nehme Empfindung hassen, aus unserer Seele getilgt und vernichtet zu sehen wünschen« (237). Doch diesem Affekt widerspricht schon eine schlichte Intromission. »Wenn wir … auf uns selbst Achtung geben, so bemerken wir, daß bei einer unangenehmen Empfindung unsere Verabscheuung nicht allezeit auf die 205  Juba i 400: »Er [sc. Burke] häuft Beobachtungen …, die alle ebenso gründlich als scharf­sinnig sind; allein sooft es darauf ankömmt, diese Beobachtungen aus der Natur unserer Seele zu erklären, so zeigt sich seine Schwäche. Man siehet, daß ihm die Seelenlehren der deutschen Weltweisen unbekannt gewesen, und die bloße Erfahrung war nicht hinreichend, ihm diese tiefsinnige Lehren im Zusammenhange sehen zu lassen«.

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Vorstellung, sondern mehrentheils auf den Gegenstand der Vorstellung gerichtet ist« (237). Mendelssohns Kernthese besteht also darin, die gemischten Empfindungen aus dem Gegensatz von Vorstellung und Vorgestelltem zu er­klären. »Eine jede Vorstellung steht in einer doppelten Beziehung: einmal auf die Sache, als den Gegenstand derselben, davon sie ein Bild oder Abdruck ist; und sodann auf die Seele, oder das denkende Subject, davon sie eine Bestim­mung ausmacht« (238). Offensichtlich eignet der vermischten Empfindung die Struktur einer Durchsetzung ihrer selbst im Modus der Negation des in ihr Empfundenen. Dem sie auslösenden Reiz anheimgegeben empfindet sie eine Lebendigkeit, der sie sich, einmal empfunden, nicht mehr zu entziehen ver­mag. Zugleich aber vernimmt sie in dieser Selbstdurchsetzung die Stimme des ihr Gegenstehenden, die sie daran erinnert, ihren Selbstand in der Selbst­durchsetzung nur stabilisieren zu können über ihren Gegen-Stand. Zurückge­worfen auf ihre eigene Verlebendigung empfindet die gemischte Empfin­dung zugleich einen Abscheu vor jenem Faktischen, das sich ihrem edlen »Trieb zur Vollkommenheit« (258) entzieht, um ihr in einem in­kalkulabel-reizauslösenden Eigenleben seine Macht aufzudringen. b) Wendung ins Tragödienproblem In einer Besprechung, die Mendelssohn 1757 Georg Friedrich Meiers gesondert veröffentlichten Auszügen aus den Anfangsgründen aller schönen Künste und Wissenschaften (1748 – 50) zukommen läßt,206 äußert sich Mendelssohn zum um die Jahrhundertmitte erreichten Stand der Ästhetikdebatte und dann auch dazu, wessen die Ästhetik in der Form, wie sie Baumgarten vorgetragen hätte, noch ermangelte. In euphorischem Lob will Mendelssohn die Leistung Baumgartens darin erblicken, daß er mit seiner Ästhetik nicht nur zu einer maßgeblichen Verbesserung der unteren Seelenvermögen, sondern auch aller anderen Wissen­schaften, vornehmlich der Sittenlehre, beigetragen hätte, allein schon deshalb, weil er fixe und überprüfbare Kriterien im Bereich der Vagheit des Empfindungslebens angesiedelt hat; und damit war es möglich, auch über das untere Seelenvermögen mit Gründen zu philosophieren.207 Und nun erst benennt Mendelssohn einen Mangel, den er an Baumgartens Ästhetik meint ausgemacht zu haben – sie genüge nämlich nicht den Bedingungen strenger 206 Cf.

Äs 300. Äs 103: »Man müßte auf die Erfindung dieser Wissenschaft neidisch sein, oder sie nicht verstehen, wenn man an … der Vortrefflichkeit derselben zweifeln wollte. Die Verbesse­rung des Geschmacks und der unteren Kräfte der Seele überhaupt, sind für die schönen Wissen­ schaften, für die Sittenlehre und vielleicht für alle Wissenschaften überhaupt, von allzugroßer Wichtigkeit … Wer … bemerkt, wie seicht … die größten Kunstrichter zu philosophieren pflegen … der kann es unserm Weltweisen [sc. Baumgarten] nicht genug verdanken, daß er den … systematischen Geist in eine Wissenschaft eingeführet hat, in welcher man nur zu schwatzen gewohnt war«. 207 

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Allgemeinheit,208 was man schon daran erkennen möge, daß sie sich ausschließlich auf die Poesie und Beredsamkeit kapriziere, ein Umstand, der sich an den Exempeln zeige, die Baumgarten zur Verdeutlichung seiner Theorieelemente heranzöge. Eine Ästhetik aber sei nur dann wirklich ins Ziel gekommen, wenn sie auf alle Kunstgattungen Anwendung finden könne. Mendelssohn hat sich seinerseits zu verschiedenen Kunstgattungen geäußert. Wir wollen aber hier nur das Tragödienproblem in Augenschein nehmen, weil es unmittelbar in den Zusammenhang mit der dargestellten Empfindungstheorie fällt. Es stellt einen Glücksfall dar, daß Lessing und Nicolai Mendelssohn nur ein Jahr nach der Veröffentlichung seiner Briefe (1755) in einen freundschaftlichen Disput über die Tragödie hineingezogen haben. In dieser Debatte um das bürgerliche Trauerspiel sind Mendelssohns Empfindungsbriefe überhaupt erst in den Rang eines historisch folgenschweren Dokuments getreten. Im Streit der drei Freunde nämlich gehen zwei Stränge der Aufklärungsästhetik auseinander, die nicht nur für die spätere Tragödientheorie, sondern auch die konkrete Trauerspielproduktion von Bedeutung bleiben werden. Während Lessings redundantes Einschärfen der Mitleidsdimension tragischer Dichtung den Bruch mit dem heroischen Trauerspiel des Barock römisch-französischer Prägung strategisch vorbereitet, verbleibt Mendelssohn in dieser Tradition, um sich auf jenen Weg zu machen, der in einer Erhabenheitsästhetik enden wird, die Schiller am Abend des Jahrhunderts ausgesprochen hat und dann in seinen Tragödien und Dramen auch pünktlich umsetzen sollte.209 Wenn es in Schillers Grund des Vergnü­ gens an tragischen Gegenständen (1792) heißt: »Die Lust am Schönen, am Rührenden, am Erhabenen stärkt unsere moralischen Gefühle, wie das Vergnügen am Wohltun, an der Liebe … alle diese Neigungen stärkt«,210 so ist es nicht zuletzt Mendelssohns Vorarbeit zu danken, daß der Dichter so sprechen konnte.211 208  Äs 104: »Betrachtet man die Ästhetik des … Baumgarten … so scheinet es, als wenn man bei der ganzen Einrichtung des Werks, bloß … die Poesie und Beredsamkeit zum Augenmerke gehabt hätte … [W]o die Erklärungen … allgemein sind, da zeigt es sich mehrenteils, daß sie nur in Absicht auf diese Gattung der schönen Erkenntnis, Fruchtbarkeit haben …, in den übrigen schönen Künsten aber von keinen erheblichen Folgen sind«. Daß Mendelssohn Baumgarten hier keineswegs getroffen hat, sondern sich durchaus in Übereinstimmung mit ihm befindet, zeigt vielleicht am deutlichsten die folgende – Mendelssohn nicht bekannte – Pas­sage, in der Baumgarten mit Blick auf des Aristoteles Unterscheidung von Poetik, Rhetorik und Poetik sagt: »Die Einteilung selbst ist unvollkommen. Wenn ich sinnlich schön denken will, warum soll ich bloß in Prosa oder in Versen denken ? Wo bleibt der Maler und der Musikus ? … Deshalb muß die Ästhetik allgemeiner sein; sie muß sagen, was von allem Schö­ nen gilt, und bei jedem muß man die besondere Anwendung der allgemeinen Regeln machen« ( Poppe 69; Hhg. v. Vf.). 209 Cf. Schings: Der mitleidigste, 36. 210  Schiller: Sämmtliche Werke x 96. 211  Dies ist gerade auch in Rechnung zu stellen, wenn man die Rekonstruktion der Schil­ ler­­­schen Tragödientheorie werkgeschichtlich vor dem Hintergrund der Kantischen Erhaben­

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Auf der Suche nach dem Ursprung jenes Briefwechsels der Mendelssohn, Nicolai und Lessing um die Tragödie werden wir in das Leipzig des frühen 18. Jahrhunderts geführt. Die Stadt, in der es anders als in Wien, München oder Dresden keinen Hof gab, so daß hier ein ganz eigenwilliges durch Bürgerstolz geprägtes Gemeinwesen hatte entstehen können, entwickelte sich in den 30 er bis 50er Jahren zu einem Zentrum freigeistiger und religionskritischer Aktivitäten. Bedeutende Männer um Gottsched, wie der Verfasser des ersten deutschen Handelslexikons und verantwortlicher Redakteur für nicht weniger als zwei Drittel von Zedlers monumentalem Universal-Lexikon Carl Günther Ludovici, der Pastor Johann Friedrich May – Senior der Deutschen Gesellschaft nach Gottscheds Austritt –, der Historiker und Rechtsgelehrte Wolf Balthasar Adolf von Steinwehr, der früh verstorbene genialische Mathematiker Friedrich Wilhelm Stübner – um nur einige wichtige Namen zu nennen – bestimmten das intellektuelle Klima; viele von ihnen waren der 1731 von Gottsched neu gegründeten Societas Conferentium assoziiert; und als die zerstörungswütigen Offensiven gegen das Wertheimische Bibelwerk zu rollen begannen, gab es unter den meisten der genannten Männer offen bekundete Sympathie für Johann Lorenz Schmidt.212 In diesem Klima keimte langsam auch die Neuerfindung des Tragischen in der Kunst auf; und es stellt einen gleichsam tragischen Tausch dar, daß der Nestor dieser theatergeschichtlichen Revolution, Gottsched, am Ende selbst zurückverwiesen wurde in die Gefilde des Komischen. Einen Symbolakt inszenierend, hatte er im Jahre 1737 Friederike Caroline Neuber, die legendäre Neuberin, dazu gebracht, in dem Theaterspiel Der alte und der neue Geschmack dem Hanswurst den Garaus zu machen, indem dieser drakonisch der Bühne verwiesen und in die Verbannung geschickt wurde.213 Ob sich darauf auf der Bühne die Verbrennung des Harlekins oder nur seines bunt gewürfelten Jacketts ereignete, oder ob dieses Feuerritual in das legendarische Repertoire der Theatergeschichte gehört – ganz gleich –, hier war etwas geschehen, was die deutsche Bühnenlandschaft für zwei Jahrhunderte prägen sollte: Die deutsche Tragödie hatte vor dem versammelten Publikum die Augen aufgeschlagen. Für Gottsched selbst allerdings wurde es ein Augenaufschlag der Medusa, eine Rolle, die die ihm einst eng vertraute Neuberin übernehmen sollte. Am 14. September 1741 ließ sie ihn in einem von ihr selbst verfaßten Spiel neben der ›Kunst‹, die – als Pilgerin auf die Bühne gebracht – an des Pilgerstabes statt einen Maßstab und Zirkel in Händen hielt, als finstre ›Nacht‹ auftreten, in ein Sternenkleid mit Fledermausflügeln gehüllt, die Blendlaterne in der Hand und das Haupt mit güldener Sonne umkränzt. Doch war dies nur ein Vorspiel für jene heits­ästhetik und Moralphilosophie rekonstruiert. Cf. zu diesem Interpretationstypus Wag­ ner: Ästhetik, 87 – 108, bes. 90. 212 Cf. Mulsow: Freigeister, 11 – 14. Zum Einfluß dieser Übersetzung auf Mendelssohn cf. P. Spalding: Toward a Modern Torah, 68 – 75. 213 Cf. Grell: Theater, 523.

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Generalabrechnung, die von den neuen Führungseliten des Tragödiendiskurses vorgenommen wurde. Von Sulzer an Gleim lesen wir: »Ich bin so leer an Neuigkeiten, als Gottsched an Witz«.214 Und wenn Friedrich der Große es durchaus anerkennend meinte,215 als er Gottsched den Sächsischen Schwan (cygne sa­ xon) nannte, heißt es zwischen denselben Brieffreunden: »Was sagen Sie zu der Ehre, die Friedrich, der größte Held und witzigste Kopf, dem dummsten Dichter (Gottsched) erwiesen ?«.216 Den Rest erledigte Lessing: Nachdem er schon im 16. Literaturbrief sich darüber beschwert hatte, daß sich die Beiträger der Briefe, die neueste Literatur betreffend so manchen Dichter nicht hart genug vorgenommen hätten und besonders auf Gottsched verweist, dem er hier allerdings nur viele »Unterlassungssünden« innerhalb seiner der Absicht nach alle wichtigen Dramen zwischen 1450 und 1760 enthaltenen Dramenkompilation ( Nöthigen Vorrath zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst; 1757 – 65) vorwirft, »die ihm das Lob der Bibliothek sehr streitig machen«,217 führt er im folgenden Brief einen Sperrstoß aus: »›Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek, wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen grossen Theil ihrer ersten Verbesserungen dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.‹ Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sie sind wahre Verschlimmerungen«.218 Den desolaten Zustand der deutschen Bühnen einzusehen, »brauchte man eben nicht der feinste und größte Geist zu seyn. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der es einsahe; er war nur der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen … Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und Oui Monsieur verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen … er legte seinen Fluch auf das extemporiren«.219 War damit das Lebenswerk des professoralen Dichters als »Harlequinade«220 dargestellt, so schritt Lessing in den weiteren Zeilen zur Auslöschung des Professors, indem er den Naturgenius eines Shakespeare auf den Kampfplatz treten läßt,221 um damit zugleich Gottscheds ungeniales Wesen und seine Vorliebe für das Französische Theater zu treffen. Man könnte meinen, es ginge Lessing nur darum, seine eigene 214 

Brief v. 12. Mai 1749 ( Körte [Hg.]: Briefe, 115). Preuss: Friedrich ii 276. 216  Brief Sulzers an Gleim v. 6. Dez. 1757 ( Körte [Hg.]: Briefe, 292). 217  Br. 16 v. 8. Febr. 1759; Lss vi 39. 218  Br. 17 v. 16. Febr. 1759; l. c. 40. 219  L. c. 41. 220 Ibid. 221  Zeydel: Moses, 57 f, hat schon 1930 darauf hingewiesen, wie deutlich Mendelssohn Ende der 50er Jahre, vor Wieland und Schlegel also, das Genie Shakespeares erkannt hatte, um auch selbst Übertragungen vorzulegen. 215 Cf.

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Bedeutung um das deutsche Theater sicherzustellen, indem er strikt zurückweist, daß auch vor ihm die Tragödie schon Einzug gehalten habe in die deutschen Schaubühnen. Und immerhin: Er hätte sich mit einer solchen Sicht der Dinge dann zumindest durchgesetzt.222 Jedoch – in der nicht ganz gerechten Aburteilung Gottscheds schwingt eine zutiefst humane Absicht mit, die allerdings keineswegs unmittelbar ins Auge springt, da Lessing durch seine herabwürdigende Diktion seinen gesamten Literaturbrief auf den falschen Ton stimmt.223 222  So kann man etwa bei Gelfert: Die Tragödie, 84, in kurzer und unkommentierter Prägnanz lesen, »daß die deutsche Tragödie erst mit Lessing beginnt«. 223  Der Blick auf Gottsched wird sofort milder, wenn man sich die Dichtung anschaut, gegen die vorzugehen, er angetreten war. Wir geben einige Exempel aus Lohensteins Ibrahim Sultan (1679), in dem Kiosem, Ibrahims Mutter, spricht: »Ach Himmel ! kan kein Tag bey Hofe zugebracht / Nicht ohne Zittern seyn ? und ohne Furcht verschwinden ? / Ist hier kein RosenBlat nicht ohne Dorn zu finden ? / Muß iede Perle sich in Thränen-Tropfen kehrn ? / Ja iede Morgenröth uns eine Nacht gebährn / Die schwartz von Schrecken ist ? Muß unter güldnen Decken / Sich stets der Sorgen-Wurm / die Kummer-Mutte hecken / Die Seel und Marck außnagt ?« ( Die vierdte Abhandlung, S. 97). Die Schwelgerey hören wir sagen: »So kömmt mir denn das Vorrecht zu / Weil Menschen schon nach meiner Milch gelüsten / Wenn sie in Windeln schöpfen Ruh / Die Zunge noch säugt an den Mutter-Brüsten« ( Die erste Abhandlung, S. 30). Die Schönheit endlich läßt sich wie folgt vernehmen: »Wo Fleisch auß Schnee / Blut ist auß Eis gemachet / Wo Maaße wiegt die Nahrung tropfen-weis’ / Und der Natur ihr Reitz wird außgelachet; / Zerschmeltzt mein Strahl auch Zembla-gleiches Eis. / So bald mein Oel ins Auge wird getröpfet / Fühlts Hertze; wie mein Schwefel brennen kan. / Wenns Alter auch schon Davids Saft abzöpfet; / Steckt Betsabe doch ihn im Wasser an. / Laß einen Blick nur auf mich Sonne schüssen / So wird dein Schnee in Liebes-Oel zerflissen« ( Die andre Abhandlung, 58 f ). Und es ist notwendig, Gottsched auch noch in einer weiteren Hinsicht Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Koselleck: Kritik, hatte schon – in seiner Gesamtschau, daß sich im 18. Jahrhundert jener Umbesetzungsprozeß von einer Geschichtstheologie in planbare Säkularisate göttlicher Heilsteleologie vollzöge, durchaus, worauf er selbst im Vorwort seines berühmten Buches hinweist, von Carl Schmitt beeinflußt (xii) – die Herausentwicklung eines privatbürgerlichen Ge­w issens vorgestellt, das sich in Absetzung von dem souveränitätsaffinen Prinzipienmodell Hobbes’ im Innenleben moralischer Urteilsfindungen zwar manifestiert, um aber zugleich in die Jurisdiktionsräume eines Logen- und Bündewesens abzuwandern, das den absolutistischen Zugriffsinstanzen weitgehend entzogen geblieben war (cf. bes. 61 – 81 u. 105 – 115). Und in der Tat hatten sich Räume aufgeklärter Geselligkeitskultur in den Sprachgesellschaften, der Frei­mau­rerei, den gelehrten Akademien und endlich Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts herausgebildet, in deren Abgeschlossenheit – die Arkandisziplin der Freimaurerlogen plakatiert den Umstand vielleicht am handgreiflichsten – ein bürgerlich-überständisches Ethos freier Gelehrtensozialität gepflegt wurde (cf. Dülmen: Die Gesellschaft). In Deutschland ist die Selbstdurchsetzung des Bürgertums als einer Trägerschicht religiöser, rechtlicher und kultureller Realität am Beginn des 18. Jahrhunderts eng mit Gottsched verbunden. Er war es, der mit seiner Umwandlung der studentischen Gesellschaft zu Leipzig in eine Deutsche Gesellschaft im Jahre 1731, die dann ausstrahlen sollte auf andere Städte, die ebenfalls Sozietätsgründungen erlebten – Jena 1730, Göttingen 1738, Greifswald 1740, Königsberg 1741, Helmstedt 1742, Bremen 1762 oder Altdorf und Erlangen 1756 ( Dülmen: l. c. 48) –, eine Öffentlichkeitskultur zu begründen trachtete, in der sich das bessere Argument frei von allen höfischen, ständischen oder kirchlichen Fixierungen durchsetzen sollte. Eine Verengung fand allerdings hier inso-

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Fern aller polemischen Schärfe nämlich macht Lessing Gottsched eigentlich zum Vorwurf, daß dieser bei seiner Parteinahme für das Französische Theater offenbar gar nicht auf den Gedanken gekommen sei zu untersuchen, ob dieses Theater »der deutschen Denkungsart angemessen sey« (Lss vi 41). Das sehr regelhafte Theater der französischen Klassik mit seinem hohen Tragödienstil, der allein dem Adel die Rolle eines Handlungsträgers zuerkennen wollte, wobei der Komödienstil dem Bürgertum vorbehalten blieb. Dieses sehr eng an höfische Kontinuitäten gebundene Theater war nicht jenes Vorbild, das sich Lessing für Deutschland wünschte; und er nahm darin eine zutiefst rückwärtsgewandte und an den Bedürfnissen der Menschen nicht nur vorbeigehende, sondern diese gar nicht erst in Betracht ziehende Geisteshaltung war. Wenn er Shakes­ peare gegen die von Gottsched bevorzugten Racine und Corneille als das aller Regelhaftigkeit überhobene Ursprungsgenie abruft und der Meinung ist, daß nur ein solches Genie in der Lage sei, geniale Geister im Volke zu erwecken, so tut er das auch, weil ihm am Herzen liegt, daß dem Volk ein Theater vor Augen geführt wird, an dem es Gefallen finden kann. Und – hier ist er mit Dubos einig – das Volk ist durchaus in der Lage, Geniales von Gestümpertem nicht nur zu unterscheiden, sondern auch Vergnügen an ihm zu empfinden. Vor diesem Hintergrund äußert in dem nun zu betrachtenden Briefwechsel Lessing seine berühmte These: »Kurz, ich finde keine einzige Leidenschaft, die das Trauerspiel in dem Zuschauer rege macht, als das Mitleiden«.224 Im Kontext des Trauerspiel-Briefwechsels reagiert Lessing damit unmittelbar auf die These Nicolais, der im Gleichklang mit Dubos die Affekterregung als das finale Ziel des Trauerspiels behauptet.225 Nach Lessing aber ist das Mitleid in der Lage, eine integrierende Funktion hinsichtlich aller Affektregungen bereitzustellen, so daß der Schrecken und die Bewunderung, beides emotionale Zustände, die nicht nur scheinbar für sich selbst einzustehen vermögen, sondern die auch augenscheinlich mit dem Mitleid in keinerlei sinnvolle Beziehung zu bringen sind, zu Vorfern statt, als sich die Deutschen Gesellschaften in ihrem Bekenntnis zu vernunftkritischer Öf­fent­lichkeit noch auf den Typus des Gelehrten, der nun gewissermaßen das Fürstentum oder den Hofadel freier und öffentlicher Vernunft bildete, festlegte. »Die Gelehrten, insoffern man sie nicht als Bürger eines gewissen Landes, sondern nur als Gelehrte betrachtet, sind eben so frey, als die größten Monarchen der Welt« ([Anonymus]: Die Beschaffenheit und Ver­ fassung der Republik der Gelehrten, in: Justi: Scherzhafte und Satyrische Schriften, 342). Die Beschaffenheit und Verfassung der Republik der Gelehrten erscheint zum ersten Mal in den Ergetzungen der Vernünftigen Seele aus der Sittenlehre und der Gelehrsamkeit überhaupt, Bd. 1, Leipzig 1745, einer Zeitschrift, die Justi herausgegeben hat. Der Verfasser ist nicht genau auszu­ ma­chen. Cf. hierzu Klopstock: Die deutsche, 470. 224  Brief v. Nov. 1756; Lwmü iv 161. 225  Brief v. 31. Aug. 1756, l. c. 156: »Ich setze also den Zweck des Trauerspiels in die Erregung der Leidenschaften, und sage: das beste Trauerspiel ist das, welches die Leidenschaften am hef­tigsten erregt, nicht das, welches geschickt ist, die Leidenschaften zu reinigen. Auf diesen Zweck suche ich alle Eigenschaften des Trauerspiels zu vereinigen«.

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läufermomenten jenes Mitleids werden, ohne das diese Affektzustände gar nicht zu verstehen sind: »Die Leiter aber heißt: Mitleid; und Schrecken und Bewunderung sind nichts als die ersten Sprossen, der Anfang und das Ende des Mitleids … Schrecken braucht der Dichter zur Ankündigung des Mitleids, und Bewunderung gleichsam zum Ruhepunkte desselben«.226 Schrecken und Bewunderung werden in dieser Konzeption also zu bloßen Hilfs­affekten, die – im Falle des Schreckens – den Zuhörer in ihren Bann ziehen und gleichsam aufrütteln, damit er sich unmittelbar auf das Mitleidsgefühl auszurichten vermag und nicht etwa von dieser Ausrichtung abweichen möge, und die dann zugleich – so bei der Bewunderung – diesem Mitleid unterhaltsame Phasen der Erholung und Entspannung bieten, auf daß es sich nicht abnutzen und neue Kraft in sich aufnehmen möge, um dem Zuschauer weiterhin fühlbar zu bleiben. Und hier folgen die bekannten Sätze: »Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmut der aufgelegteste. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter, und das Trauerspiel, das jenes tut, tut auch dieses, oder – es tut jenes, um dieses tun zu können«.227 Damit sind sehr kurz genau jene Überlegungen wiedergegeben, gegen die Mendelssohn im weiteren Verlauf des Briefwechsels anrennen sollte. Dabei haben sich die unterschiedlichen Positionen beider innerhalb des Briefwechsels nicht mehr grundlegend geändert, sondern sind dann nur noch einmal jeweils wieder neu mit dem Versuch, sich gegenüber dem Gesprächspartner verständlicher auszudrücken, vorgebracht worden, so daß wir Mendelssohns Position vorstellen können, ohne die entsprechenden Passagen bei Lessing, auf die Mendelssohn reagiert, noch eigens zu präsentieren. Es ist höchst bemerkenswert, daß sich die Mitleidskonzeption, wie Lessing sie vorstellt, bei Mendelssohn vorformuliert findet, der im Beschluß seiner Briefe über die Empfindungen zu einer Interpretation der »schmerzhaftangenehmen Empfindungen« schreitet ( 70).228 Ihren Ausgang nimmt diese Erörterung bei der Ceterum-censeo-Argumentation, daß nämlich nur dann bei einem Gegenstand eine angenehme Empfindung sich einzustellen vermöge, wenn sich dieser Gegenstand der Seele »unter der Gestalt einer Vollkommenheit darstellt« ( 7 1). Damit will Mendelssohn um jeden Preis ausschließen, daß das Interesse an Schrecklichem oder Traurigem etwa dahin gedeutet werde, als würde der Mensch eine ursprüngliche Veranlagung zum Bösen, zum Minderwertigen haben und sich an einer Unvollkommenheit um ihrer selbst willen erfreuen. Zugleich aber ist es nicht zu bestreiten, daß der Bereich des Dunklen, Schauderhaften oder Schrecklichen einen starken Reiz auf die Seele auszuüben vermag, und es steht infrage, ob dieser Reiz ein Argument gegen Mendelssohns Voll226 

Brief v. Nov. 1756; l. c. 162. L. c. 163. 228  Die in den Text gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf Äs. 227 

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kommenheitsthese bereithält oder – dafür wird Mendelssohn plädieren – dieser keinesfalls widerspricht. Mendelssohn geht so vor, daß er an jenen Veranstaltungen, die gemischte Empfindungen hervorrufen, eine Unterscheidung vornimmt, indem er festhält, daß jene Beispiele, die für gemischte Empfindungen stets angeführt werden, einen durchaus unterschiedlichen Charakter haben. Einmal nämlich beziehen sie sich auf Darstellungen, die es notwendig machen, daß das Mitleiden in den Betrachtern abgetötet wird, wenn überhaupt eine angenehme Empfindung soll entstehen können.229 Hier also wird der Empfindungsmischung durch langsame strategische Gewöhnung entgegengewirkt, so daß sich das angenehme Empfinden nur einzustellen vermag, wenn zuvor alles mitleidige Empfinden zum Verschwinden gebracht wurde. Allein, und das ist bedeutsam, selbst die Römer, die Mendelssohn den zarten Griechen als das Beispiel für einen Menschenschlag gegenüberstellt, dem es gelungen ist, alles sanfte Mitfühlen in sich abzutöten um Vergnügen an Gladiatorenspielen empfinden zu können, finden nicht Gefallen an den Grausamkeiten, sondern an der körperlichen Geschicklichkeit und Stärke der Gladiatoren. Bedeutsam ist dies, weil auch hier, wo alles Mitempfinden zum Schweigen gebracht ist, Mendelssohn davon ausgeht, daß dieses Mitempfinden natürlich vorhanden sei und nur durch eine konsequente Gewöhnung und gesellschaftliche Tolerierung gleichsam eingekapselt wurde. Keinesfalls also ist dieser Mensch am Grausamen als einem solchen vergnügt, sondern sein Vergnügen ist immer noch ein Vergnügen an der Vollkommenheit und zugleich durchtränkt von Mitleid, nur daß er dieses Mitleid in sich unfühlbar werden gemacht hat.230 Anders verhält es sich beim Trauerspiel, wo Vergnügen allererst dadurch entsteht, daß das Mitleid im Publikum geweckt wird und damit zu einem Maßbegriff für das entzündete Vergnügen zu werden vermag.231 Damit hat Mendelssohn die gegen seine Vollkommenheitsthese ins Feld ge­­führten Phänomene durch Differenzierung solchermaßen zur Darstellung bringen können, daß entweder, wie im ersten Fall, das Mitleidsgefühl verdrängt wurde, aber dennoch das Vergnügen sich auf Vollkommenheiten bezieht, oder, wie zuletzt beschrieben, die Freude am Schauderhaften als einer gemischten Empfindung sich dechiffrieren läßt als Mitleid. Nun aber wendet sich 229  Äs 71: »Bei einigen blutigen Ergötzlichkeiten muß man … alles Mitleiden … unterdrücken, wenn man Vergnügen daran finden will«. 230  Äs 72: »Es ist wahr; uns würde die Grausamkeit der Handlung mehr Schauer, als das Spiel der Geschicklichkeit, Vergnügen erwecken und eben die Wirkung tat dieses blutige Schauspiel Anfangs auf die zärtlichen Griechen. Allein die Römer hatten sich durch die Ge­ wohnheit … wieder diese zarte Empfindung abgehärtet; sie unterdrückten das sanftere Gefühl der Menschlichkeit, und weideten sich an der Geschicklichkeit der Fechter, und an ihren körperlichen Vollkommenheiten«. 231  Äs 71: »Andere lockende Schauspiele hingegen müssen unser Mitleiden rege machen um uns zu gefallen. Von dieser Art sind die Trauerspiele … Das Vergnügen, das sie uns gewähren, richtet sich nach Maßgebung des Mitleids, das sie bei uns erregen«.

3. Mendelssohns Empfindungsbriefe

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Mendelssohn noch einmal dem Schrecken im Trauerspiel als der »einzige[n] unangenehme[n] Empfindung, die uns reizet«, zu, um folgende Erklärung zu geben: »[W]as in den Trauerspielen unter dem Namen des Schreckens bekannt ist, ist nichts als ein Mitleiden, das uns schnell überrascht« ( 72). Diese Definition ist interessant, weil Lessing sie im Trauerspiel-Briefwechsel nahezu wörtlich übernommen hat und offenkundig für geeignet hält, seine Mitleidstheorie nachhaltig zu stützen.232 Gleichwohl nimmt Lessing Mendelssohns Definition dafür in Anspruch, dem Mitleid im Trauerspiel einen finalen Zweck zuweisen zu können, um dadurch der bekannten und oben schon zitierten Ansicht, daß der mitleidigste der beste Mensch sei, Nachdruck zu verleihen. Mendelssohns Interesse liegt aber sehr viel stärker in einer genauen Aufhellung des Mitleids als einer gemischten Empfindung, und so treffen wir hier in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem guten Freund auf einen sehr charakteristischen Zug der Mendelssohnschen Ästhetik: Sie kümmert sich weniger um das größere Projekt, ist auch keineswegs an den Konsequenzen für eine neue, dem Deutschland der Mitte des 18. Jahrhunderts entsprechende Tragödientheorie sehr interessiert, sondern ihre Blickrichtung ist eher rückwärtsgewandt, wenn sie den Vollkommenheitsbegriff so, wie er Mendelssohn durch Leibniz, Wolff und Baumgarten vorgegeben war, auch innerhalb des Gefühls zu retten sucht. An dieser Haltung nehmen zwar die materialästhetischen Überlegungen partielle Modifikationen vor, ohne dabei aber an der grundsätzlichen metaphysischen Tendenz etwas zu verändern. Daraus folgt dann auch Mendelssohns Bemühen um eine sehr genaue Charakterisierung der konkreten Empfindungen, die einerseits nicht herausfallen sollen aus der Vollkommenheit, aber andererseits den starken Begrifflichkeiten metaphysischer Denkgewohnheiten nicht zum Opfer werden dürfen. Mendelssohns Zugangsbeschreibung des Mitleids in den Empfindungsbriefen nimmt eine einschränkende Identifizierung des Mitleids mit der Liebe vor. Das ästhetische Subjekt nimmt mit seiner Liebe zu einer Person ein gleichsam hochaffektives Interesse an ihr, und dieses als Liebe gekennzeichnete InteresseNehmen erfährt daraus seinen Unbedingtheitscharakter, daß es ausgeht auf die den geliebten Menschen kennzeichnenden Vollkommenheiten.233 Zum Mitleid aber wird diese Liebe – und darin liegt die Einschränkung – allererst dann, wenn der geliebten Person ein unverschuldetes Leid oder Unglück widerfahren ist, weil dann nämlich der Wert dieser Person, der uns in unserer Liebe zu ihr fühlbar geworden ist, mit dem Unglücksgeschehen, von dem der betreffende Mensch heimgesucht wurde, in einen spürbaren Kontrast zu treten scheint – und das, was hier konkret dem ästhetischen Subjekt fühlbar wird, ist als Mitleid 232 So

heißt es in Lessings Novemberbrief an Nicolai von 1756, Lwmü iv 162: »Das Schrecken in der Tragödie ist weiter nichts als die plötzliche Überraschung des Mitleides … die­ses überraschte Mitleid heißt Schrecken«. 233  Äs 73: »Die Liebe stützt sich auf Vollkommenheiten, und muß uns Lust gewähren«.

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B. Religion und Ästhetik – Der Empfindungsbegriff

anzusprechen.234 Was aber Mendelssohn hier als eine nähere Kennzeichnung des Mitleids beschreibt, wird unmittelbar im folgenden Satz für eine Wesensbestimmung der Empfindungen überhaupt vereinnahmt: »Dieses ist die Natur unsrer Empfindungen. Wenn sich einige bittere Tropfen in die honigsüße Schale des Vergnügens mischen; so erhöhen sie den Geschmack des Vergnügens und verdoppeln seine Süßigkeiten« ( 73; Hhg. v. Vf.). Damit hat Mendelssohn eine für die Ästhetik des 18. Jahrhunderts schwer zu überschätzende Näherbestimmung der Empfindung vorgenommen. Es ist wohlbekannt, daß sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine affekttheoretische Revolution ereignet hat, in deren Verlauf die fest gefügte Relation der Affekte – prominent etwa bei Athanasius Kircher das Affektoktett aus Liebe, Leid, Freude, Zorn, Klagen, Traurigkeit, Stolz und Verzweiflung – transformiert wurde in einen freien Umgang des Gefühlssubjekts mit solcherlei affektiven Zuständen. Hiervon gibt die Flötenschule des Johann Joachim Quantz nahezu zeitgleich mit der Jahrhundertmitte (1752) ein beredtes Exempel, wenn sie von der »zärtlichen Empfindung«235 als dem »Singen der Seele, oder [der] innerlichen Empfindung«236 spricht. Ähnliches finden wir wenig später bei Carl Philipp Emanuel Bach und Christian Friedrich Daniel Schubart.237 Bei der theoretischen Aufhellung affektiven Empfindungslebens, das sich mit dem Arsenal barocker Affektenlehre nicht mehr dechiffrieren läßt, spielt Mendelssohn keine geringe Rolle.238 Gehen wir davon aus, daß sich die Empfindung vom Affekt dadurch unterscheidet, daß der Affekt autoreferentiell, eine emotionale Zustandsbeschreibung also des sich selbst als fühlend wahrnehmenden Subjekts ist, wobei in den Empfindungen immer auch die Dimension des diesem Subjekt Anderen hinzutritt, dann beschreibt hier Mendelssohn am Paradigma des Mitleids noch einmal genauer, wodurch eine solche Empfindung sich auszeichnet. Offensichtlich läßt sich das Wesen der Empfindungen wirklich aufklären nur dann, wenn der gemischten Empfindung Rechnung getragen wird. Nur wenn die Empfindung einer Mischung fähig und zugänglich ist, wird sie als auf den Begriff gebracht gelten dürfen. Das Mischungsverhältnis ist nämlich nicht so vorzustellen, als würden in einem identischen Subjekt zwei sich unterscheidende Empfindungen zugleich empfunden werden. Vielmehr handelt es sich bei der 234  Ib.: Das Mitleid »ist nichts als die Liebe zu einem Gegenstande, mit dem Begriffe eines Unglücks … verbunden, das ihm unverschuldet zugestoßen … [D]er Begriff eines unverdienten Unglücks, macht uns den unschuldigen Geliebten schätzbarer und erhöhet den Wert seiner Vortrefflichkeiten«. 235  Quantz: Versuch, Einleitung § 4. 236  L. c. Hauptst. x § 22. 237  Cf. hierzu Pecina: Singende, 111f. 238  Terminologisch mithin ist dies in Mendelssohns ästhetischen Schriften nicht konse­ quent zur Anwendung gebracht, so daß ›Affekt‹ und ›Empfindung‹ häufig promiscue Verwen­ dung finden. Cf. etwa Äs 83, 89 f, 95, 97 – 100, 111, 137 – 141, 158, 178, 232, 249, 255.

3. Mendelssohns Empfindungsbriefe

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gemischten Empfindung um einen Kunstbegriff, der nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß es genau eine Empfindung, nämlich die Liebe, ist, die durch das ästhetische Subjekt empfunden wird. Erscheint dem Empfindungsleben dieses Subjekts die Liebe als Mitleid, weil das geliebte Gegenüber von einem Leid oder Unglück betroffen ist, so bleibt es immer noch die Liebe, die durch das mitleidende Subjekt empfunden wird, jedoch, die Liebe in einer ›erhöhten‹ Intensitätsform. Und so läßt sich als Ergebnis zu Mendelssohns Empfindungstheorie festhalten, daß er an der Mitleidsempfindung einen anthropologischen Grundsachverhalt aufdeckt: Der Sachverhalt, daß die Empfindung sich dadurch auszeichnet, stets einer Zunahme an Intensitätsgraden fähig zu sein, spricht dafür, daß das Empfindungsleben in herausgehobener Weise dazu geeignet erscheint, Selbsteigerungsphänomene zu erfahren und wahrzunehmen, und es führt somit zugleich schon hinüber in die Gefilde der Religion. Im folgenden werden wir uns dem Thema der Religion weiter zuwenden und dabei zwei weitere Schlüsselbegriffe des 18. Jahrhunderts präsentieren: Unsterblichkeit und Glück.

C. Religion und Metaphysik – Glück und Unsterblichkeit Mit dem Glück sind zwei den Menschen gleichzeitig auszeichnende Grundsach­ verhalte angesprochen: das schlichte Bedürfnis, ein gelungenes Leben zu führen, und die dem Geist zuwachsende Herausforderung, diesem Bedürfnis ein selbst­reflexives Klima zu schaffen. Einer Theorieabsicht gegenüber, die dieser Selbstreflexivität nachgeht, wurde die provozierende Diagnose gestellt, sich durch unangebrachte Abstraktion notorisch zu überfordern: Des Menschen Glück oder gutes Leben kann nicht am Ort eines diesem konkreten Menschen An­deren formuliert werden, auch dann nicht, wenn dieser Ort eine ausgefeilte philosophische Theorie ist.1 Martin Seel sieht in dieser Provokation nur ein Informationsdefizit hinsichtlich der philosophischen Glücks-Literatur des 20. Jahrhunderts.2 Das mag zutreffen.3 Für unseren Zusammenhang aber ist es wichtiger, darauf hinzuweisen, daß die Glückstheorie, mit der wir uns im folgenden beschäftigen wollen, alles daran setzt, gegen die namhaft gemachte Gefahr, der eine jede theoretische Auseinan­dersetzung mit dem Glück ausgesetzt ist, zu argumentieren.4 Immer wieder führt Mendelssohn den Gedanken aus, daß man sich hinsichtlich der Suche nach Glückseligkeit in einem so ausgeprägt eigenen Herzensbereich befindet, daß Fremdperspektiven auf das eigene Glück nicht nur ganz unangebracht sind, sondern man aus Achtung vor dem anderen, diesem solche andemonstrierten Perspektiven stets zu ersparen versuchen sollte. Wenn Günther Bien in seinem einfühlsamen Buch über das Glück am Schluß resümiert, das Lebensglück würde darin bestehen, »daß die vernünftigen und als sinnvoll begriffenen Pläne vorankommen und gelingen, und daß 1  Habermas: Eine genealogische, 44: »Die Beteiligten müßten vor jeder mo­ ra­lischen Über­legung bereits wissen, was … das für alle gleichermaßen Gute ist – wenigstens müßten sie sich … einen Begriff des formalen Guten entleihen. Aber niemand kann aus der Beobachter­ per­spektive … feststellen, was eine ›beliebige‹ Person für gut halten soll«. 2 M. Seel: Wege, 113 f. 3  Cf. zum Unterschied von eudaimonistischer und ethischer Reflexion Wolf: Die Philo­so­ phie, 205: »Die philosophische Reflexion auf die existentielle Schicht der Frage nach dem guten Leben und die ethische auf diese fallen nicht zusammen … Die philosophische Reflexion bleibt an die Person, welche in ihrer Existenz Aporien erfährt, gebunden, abstrahiert aber vom ur­sprüng­lichen Kontext konkreter Entscheidungsfragen, während die ethische Reflexion auf diese bezogen bleibt«. 4  Thomä: Vom Glück, 11f, weist am Beispiel von Scheler: Vom Verrat (1922), darauf hin, wie leicht man durch die Einnahme von einer der Glücksproblematik äußeren Perspektive zum Gegner jenes Glücks wird, das zu verteidigen man sich vorgenommen hat.

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C. Religion und Metaphysik – Glück und Unsterblichkeit

man einigermaßen sicher ist, daß sie sich ausführen lassen, und daß dieser gute Zustand fortdauern wird«,5 so zeigt sich hier, daß das Potential jener Glückstheorien, die wir nun vorstellen, als durchaus modern empfunden wird.

1. Spaldings Anregung Unsere Einschätzung, daß Mendelssohns Überlegungen aus der Zeit vor der Jerusalemschrift ein völlig eigenständiges religionsphilosophisches Profil haben, wird in der Forschung nicht immer geteilt. Dies hängt damit zusammen, daß Mendelssohns Überlegungen aus dieser Zeit häufig als bloße Vorarbeiten der Jerusalemschrift oder des Phaidon eingeschätzt werden. Mendelssohns Schrift Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum von 1783 gilt mit Recht als sein wichtigstes Werk. Hier hat er Staats- und Religionstheorie, Verfassungspro­ bleme und historische Soziologie eng und eindrücklich miteinander verbunden. »Erst die Anverwandlung dieser Komplexe«, so legt C.-F. Berghahn in seiner Untersuchung zu Mendelssohns Jerusalemschrift und ihrer Vorgeschichte dar, »setzen Mendelssohn in die Lage, eine vollständige Darstellung der jüdischen National-Religion zu verfassen«.6 In den ersten religionsphilosophischen Äußerungen zum Lavaterstreit – wir werden später ausführlich auf ihn zurückkommen – am Ende der 60er Jahre, »liegt der Schwerpunkt seiner Argumentation noch auf dem logisch-kritischem Gebiet«.7 Mit dieser Einschätzung Berghahns ist sicherlich ein Charakterzug von Mendelssohns philosophischen Äußerungen aus der Zeit des Lavaterstreits zutreffend benannt worden. Schon die klassische Einleitung der Gesammelten Schriften von Simon Rawidowicz resümiert den Streit als eine »historische Episode«, die zwar einen »Markstein in Mendelssohns jüdisch-philosophischer Entwicklung« darstellte, aber im inhaltlichen Kernbestand »keine philosophischen oder religionsphilosophischen literarischen Resultate gezeitigt hat«.8 Ähnlich stellt David Martyn fest, daß »sich Mendelssohn im wesentlichen damit [begnügte], die Gründe darzutun, warum er jede Auseinandersetzung über Religionsprinzipien grundsätzlich ablehne«.9 Dieses Urteil hat Gewicht – kann es sich doch auf die Analyse des Lavaterstreits durch den Nestoren der neueren Mendelssohnforschung Alexander Altmann berufen.10 Julius H. Schoeps dagegen will durchaus ein eigenes Profil in Men5 

Bien: Glück, 139. Ähnlich Leiber: Glück, 409 – 416 Berghahn: Moses, 53. 7  Ib. Anders Sorkin: The Case, 132. 8  Juba lxxx. 9  Martyn: Nachwort, 144. 10  In seiner Men­dels­sohnbiographie interpretiert Altmann Mendelssohns Re­a ktion auf La­­­va­ter in unmittelbarem Zusammenhang mit Bonnets Theorie über die Beweiskraft der Wun­der für den christlichen Glauben. Altmann: Moses Mendelssohn. A biographical Study, 214 ( Hhgn. z. T. v. Vf.): »He [sc. Mendelssohn] could not accept Christianity and … he would 6 

1. Spaldings Anregung

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delssohns Äußerungen erkennen, sieht dieses Profil aber hauptsächlich in der Abgrenzung dem Christentum gegenüber, dem »Vorzug des Judentums vor der christlichen Religion«.11 Dagegen betont einer der besten Kenner Mendelssohns im deutschsprachigen Raum, Michael Albrecht, daß sich in Bezug auf eine Apologie des Judentums gegenüber dem Christentum keinerlei Hinweise bei Mendelssohn finden ließen. »Weder griff Mendelssohn das Christentum an, noch rechtfertigte er argumentativ das Judentum, zu dem er sich bekannte«.12 Unsere Untersuchung wird zeigen, daß auch die frühe Religionsphilosophie Mendelssohns – über die logisch-rationale Dimension hinaus – eine ganz eigenständige Position aufweist.13 Im Vordergrund stehen dabei einerseits jene Dokumente aus dem Lavaterstreit. Zugleich aber wollen wir die Religionsphilosophie aus der Zeit dieses Streits in ihrer Genese darstellen, so daß auch frühere Äußerungen Mendelssohns, soweit sie religionsphilosophisch relevant sind, zu Worte kommen sollen. Daß Mendelssohn sich in den folgenden Texten der Glücksthematik zuwendet, kommt nicht von ungefähr, sondern darf als ein Epochenindiz an­gesprochen werden. Das an der Objektivität des Glücks orientierte philosophische Denken des 18. Jahrhunderts hat sich herausentwickelt aus der von Thomasius in seiner Introductio ad philosophiam aulicam (1688) schon am Ende des 17. Jahrhunderts getroffenen Unterscheidung von zeitlicher und ewiger Glückseligkeit.14 Eine Schlüsselstellung hat der Glücksbegriff nicht nur in der philosophischen Literatur, sondern auch in der Theologie. Schon am Beginn des 18. Jahrhunderts hatte Nikolaus Ludwig Graf von Zinzen­dorf das motivische Syndrom treffend auf den Punkt gebracht, wenn er im Teutschen Socrates von 1732 programmatisch postulierte: »Nicht bestehet darinnen das Wesen des Christentums, dass man fromm sei, sondern dass man glückselig sei«.15 Variiert wird das Thema dann in unterschiedlichen Werken aufgeklärter Theologen, wie Spaldings Bestimmung des Menschen (1748), auf die wir noch eingehen werden, August Friedrich Wilnot refute Bonnet’s arguments for it. All that was left for him to do was to state his reasons for not attempting a refutation. This should be enough to persuade Lavater to retract the step he had taken so rashly. Having decided to assume a philosophical stance, Mendelssohn rightly felt that the historical question of the facticity of miracles lay altogether outside his province. There­fore, he shifted his ground to a discussion of his reasons for refraining from any kind of re­ligious controversy«. 11  Moses Mendelssohn, 105. Im Hintergrund steht bei Schoeps allerdings nicht Men­dels­ sohns Antwort auf Lavater, sondern Mendelssohns privater Brief an den Erb­prinzen von Braun­schweig-Wolfenbüttel. 12 Einleitung, viii. 13  Insofern scheint uns die Perspektive M. Albrechts: Überlegungen, bes. 46, die von einer steten Weiterentwicklung der Mendelssohnschen Philosophie ausgeht, nur ein partielles Recht beanspruchen zu können. 14 Cf. Grunert: Die Objektivität. 15  Zinzendorf: Der Teutsche, 32.

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C. Religion und Metaphysik – Glück und Unsterblichkeit

helm Sacks Vertheidigter Glaube der Christen (1748 – 51), Johann Friedrich Wilhelm Jerusalems Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion (1768), Johann Samuel Dite­richs Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu (1776), Gotthelf Samuel Stein­barts System der reinen Philosophie oder Glück­ seligkeitslehre des Christenthums (1778) und – aus katholischer Feder – Johann Michael Sailers Glückseligkeitslehre aus Vernunftgründen, mit Rücksicht auf das Christenthum (1787). Wir konzentrieren uns im folgenden auf jene Variationen, die besonders stark auf Mendelssohn ge­wirkt haben. Gemeint sind hier die Wolffische Philosophie, die das Glücks­thema aus einer Verschmelzung Descartesscher und vor allem Leibnizscher Motive entwickelt, und Spaldings immer wieder neu auf­gelegter Bestseller, der die Frage nach dem Glück zusammenschmilzt mit einer introspektiven Bestimmungshermeneutik des menschlichen Seins schlechthin. Spaldings Bestimmungsschrift eignet sich schon darum ausgezeichnet dazu, der Thematik Kolorit zu geben, weil hier Leibniz-Wolffische und Shaftesburysche Gedankenfiguren solchermaßen ineinanderlaufen, daß die Forschung bis auf den Tag keine Einigkeit hat darüber erzielen können, ob Spaldings Buch herausgewachsen ist aus der Wolffischen Philosophie, oder ob Spaldings frühe Wolfflektüre sehr viel weniger einflußreich war als seine Shaftesburyrezep­tion.16 Alle genannten Positi­ onen aber sind eingeflossen in Mendelssohns Überlegungen, wie er sie anläßlich der Spaldingschen Bestimmungsschrift in Auseinandersetzung mit Abbt niedergelegt hat. Wir wollen im folgenden einige Grundgedanken nachzeichnen. Dabei ist der Fokus auf Moses Mendelssohns Religionstheorie gerichtet, so daß jene Stimmen insofern zu Wort kommen sollen, als sie einen gedanklichen Einfluß auf diese Religionstheorie genommen haben. Es ergibt sich darum für unser Kapitel der folgende Aufbau: Ausgehend von dem Sachverhalt, daß Mendelssohn in der Auseinandersetzung mit Abbt am Beginn der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts um Spaldings Bestimmung des Men­ schen ein erstes mal seine Religionsphilosophie profiliert, stellen wir zuerst den ge­danklichen Gehalt von Spaldings Schrift dar und zeigen zugleich, welche Einflüsse auf Spalding gewirkt haben. Diese Einflüsse (Shaftesbury, Leibniz, Wolff) wurden Mendelssohn nicht nur über die Spaldingsche Bestimmungsschrift vermittelt, sondern haben auch dadurch, daß Mendelssohn sie unabhängig von Spalding rezipiert hat, Eingang in Mendelssohns Denken gefunden. Für Mendelssohn gerät das Thema ›Glück‹ in den Mittelpunkt seiner Religionsphilosophie. Wir wenden dem ersten Dokument aus der Zeit des Lavaterstreits, Mendelssohns Antwort auf Lavater, besondere Aufmerksamkeit zu. Den Abschluß unserer Überlegungen bildet eine Interpretation des Mendelssohnschen Briefs 16  Altmann plädiert für eine Beeinflussung Spaldings besonders durch Leibniz und Wolff (Moses Mendelssohn. A biographical Study, 132). Cf. dagegen Schollmeier: Johann, 16 ff u. Schwaiger: Zur Frage, 16 f.

1. Spaldings Anregung

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an den Erbprinzen von Braunschweig-Wolfenbüttel und der Gegenbetrachtun­ gen zu Bonnets Palingenesieschrift, die ungewollt den Lavaterstreit ausgelöst hat. Spaldings Bestimmung des Menschen ist eines der einflußreichen Werke des 18. Jahrhunderts; umso erstaunlicher, daß es hinsichtlich der Theorietraditionen, die in ihm verarbeitet wurden, bis auf den Tag nur unzureichend erforscht wurde. In seinem kurzen, aber instruktiven Aufsatz zu diesem Thema stellt Clemens Schwaiger fest: »Während die Wirkungsgeschichte von Spaldings Bestseller zumindest in jüngster Zeit eine etwas stärkere Beachtung in der Forschung gefunden hat, sind die Quellengeschichte und der Entstehungshintergrund dieser Schrift und damit die Gründe für das Aufkommen dieser anthropologischen Fragerichtung noch weithin unerhellt«.17 Als die entscheidenden Kandidaten für den Entstehungshintergrund der Spaldingschen Schrift kommen Christian Wolff und Shaftesbury in Frage. Schwaiger selbst plädiert für eine Verteilung dieser beiden Einflüsse auf den ethischen und religiösen Teil der Bestimmung des Menschen. Während sich der religiöse Teil stärker an Leibniz und Wolff anlehnt, kommen hinsichtlich der moralphilo­ sophischen Passagen Shaftesburysche Einflüsse mehr zum tragen.18 Alexander Altmann hatte den Schwerpunkt stärker auf die Leibniz-Wolffische Philosophie verlegt, um darin den Grund dafür zu vermuten, daß Mendelssohn in Spalding einen Geistesverwandten gesehen hat.19 Anders urteilt Joseph Schollmeier, der den Einfluß Wolffs auf Spalding stark gegenüber Shaftesbury zurücktreten läßt.20 Schon Hans Nordmann hatte auf die manchmal nahezu wörtlichen Anleihen Spaldings bei Shaftesbury hingewiesen.21 Für unseren Zusammenhang ist es nicht notwendig, diese Frage endgültig zu entscheiden, da unser Interesse darin besteht, die in Mendelssohns Denken wirksamen Motive aufzuarbeiten. a) Shaftesbury und das glückliche Leben Wie Spalding es ihm später gleichtun wird, heißt es in Shaftesburys Vermisch­ ten Betrachtungen mit einem Wort des Persius: ›Was sind wir ? Zu welcher Art Le­ben wurden wir geboren ?‹ Damit formuliert Shaftesbury einen Appell an das Selbstdenken, in dem sich ein Subjekt Klarheit darüber verschaffen soll, was 17 

Schwaiger: Zur Frage, 8. Cf. aber jetzt Raatz: Aufklärung. c. 17: Es kann »festgehalten werden, daß die literarisch-phi­lo­sophische Grundidee und der erste, mehr ethische Teil … am stärksten von Shaftesbury geprägt sind, während die zweite ausdrücklich religiöse Hälfte eher auf der Leibniz-Wolffschen Traditionslinie aufruht«. 19  Altmann: Moses Mendelssohn. A biographical Study, 132: »Spalding’s meditation was a faithful mirror of the Leibniz/Wolffian philosophy, which saw in this world the best of all possible worlds an felt justified in declaring what was and what was not compatible with the notion of God. Mendelssohn felt in complete agreement with the tenor of Spalding’s work«. 20  Schollmeier: Johann, 16 ff. 21  Nordmann: Johann, 41. Cf. die Zusammenstellung der Motive, in denen Spalding mit Shaftes­bury übereinstimmt, in N. Müller: Selbstbestimmung, 61. 18  L.

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C. Religion und Metaphysik – Glück und Unsterblichkeit

seinem Leben Wert und Sinn gibt. »Es ist in der Tat merkwürdig (admirable), sich vorzustellen, daß ein Mensch schon seit langem in der Welt ist, seine Vernunft und seinen Verstand (Reason and Sense) mit sich herumgetragen hat und sich dennoch niemals ernsthaft diese eine Frage gestellt hat« (194f).22 Sich diese Frage zu stellen, bedeutete nämlich, sich dem innersten Bereich des Lebens zuzuwenden, dem Verhältnis, das der Mensch zu sich selbst einnehmen muß (what relates more immediately to our-selves, 194) und das ihn darum auch ganz besonders angeht. Eine Antwort auf diese entscheidende Frage zu finden, darf niemals anderen überlassen werden. Diese Selbsterforschung hat zwar eine epistemische Dimension, die sich an dem Hinweis zeigt, man müsse einen bestmöglichen Gebrauch von den Verstandeskräften machen (imploy … Understanding to the best purpose, 192), doch liegt auf der Episteme nicht das Augenmerk Shaftesburys. Vielmehr geht es ihm darum, den Lebensfragen auf die Spur zu kommen. Der Mensch muß wissen, woher er kommt, was ihn gründet in seinem Dasein. Wenn dies begriffen ist, kann er sich seinem Lebensziel zuwenden (to what End he was design’d, ib.), das in kontinuierlicher Sinngebung des Lebens besteht. Man darf nicht dabei stehen bleiben, das Leben nur als verdankt oder geschaffen zu wissen, sondern muß auch beginnen, auf den Zweck des Daseins hin zu leben, um diesen aktiv zu gestalten. Diese Gestaltung ist das eigentliche Ziel der Selbsterforschung und Selbstprüfung. Der Mensch sollte während dieser Selbstprüfung auf eine ihm gemäße Lebensführung stoßen, die ihn zu immer neuer Aktivität (Course of Action, ib.) anregt. Versichert dessen zu sein, diesen nur ihm selbst eigenen existentiellen Kern ge­funden zu haben, kann er nur, wenn dieser Kern nicht als ein fremdes Ideal oder eine bei anderen abgeschaute Seinsweise übernommen wurde. Hier kommt das immer wieder von Shaftesbury betonte Moment der Selbsterforschung ins Spiel. Es ist notwendig, diese Selbsterforschung solange zu betreiben, bis man sich hinsichtlich seiner Handlungsziele in Übereinstimmung mit seiner Natur weiß. Das Ziel besteht also darin, natürliche Anlagen so freizulegen, daß man bei der Verwirklichung dieser Anlagen in Übereinstimmung mit sich selbst als eines unvergleichlichen Individuums lebt und dieses Leben zum Besten aller einrichtet. Darum ist es wichtig zu wissen, »zu welcher Handlungsweise er (sc. der Mensch) kraft seiner natürlichen Beschaffenheit und Veranlagung bestimmt ist (  he is by his natural Frame and Constitution destin’d)« (192f  ). In Selbstgespräch oder Ratschlag an einen Autor von 1709 werden diese Überlegungen darauf konzentriert, durch Selbsterkenntnis und Selbstkritik aufgeklärtes Lebensglück abzubilden. Das Selbstgespräch wird zu einer Lebensform.23 Dieses Selbstgespräch ist so aufgebaut – und darin liegt ein wichtiges Einflußmoment auf Spalding, das 22  23 

Die in den Text gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf Se i 2. So ein Titel von A. Assmann: Der tönende. Cf. hier auch Griffin: Shaftesbury’s.

1. Spaldings Anregung

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dieser übernommen und weitergebildet hat in seiner Bestimmungsschrift –, daß es bis zu einem letzten Gewißheitskern vordringt, wobei schrittweise bestimmte Einstellungen als zur Erreichung dieser letzten Gewißheit untauglich erwiesen werden. Shaftesbury geht von einem vorbestimmten Interesse aus,24 dem noch nicht näher bestimmten Aussein-auf. Doch ist dieses Interesse rational nur belastbar, wenn gleichzeitig gesagt wird, worauf es aus ist. Darum stellt sich das Subjekt, während es in einem Selbstgespräch dem letzten Daseinssinn nachspürt, sofort die Frage: »Aber was ist Interesse« (233). Mit dieser Frage ist unmittelbar das Problem der konkreten Bestimmtheit des Interesses berührt. Wodurch, so fragt Shaftesbury, wird das Interesse vorrangig beherrscht (  how govern’d, 233). Und nun folgt eine Aufzählung der Momente, die zwar das Interesse beherrschen, aber zugleich auch hinsichtlich des wirklichen Zwecks zu täuschen vermögen. Meinung und Einbildungskraft (Opinion and Fancy, ib.) sind dafür verantwortlich, sich einem konkreten Gegenstand hinzugeben, von dem erhofft wird, das Aussein-auf-Etwas in privilegiertem Sinn zu befördern. Doch kann die Einbildungskraft in hohem Maße störanfällig und täuschend sein – sie reicht nicht hin, diesen Gegenstand wirklich zu bestimmen. »Ist deshalb alles mein Interesse, was ich dafür halte ? Oder kann sich die Einbildung irren ( Fancy possibly be wrong) ? Das kann sie« (232f). Damit aber ist die Selbstprüfung auf eine neue Stufe der Selbsterforschung gestiegen, weil davon auszugehen ist, daß die Mittel der Selbsterforschung in die Irre führen können. Die Selbsterforschung wurde zwar bis an den Punkt getrieben, wo ein Interesse als ›konkret bestimmtes Interesse‹ sichtbar wurde, doch ist diese Bestimmtheit mit Vagheit aufgeladen, da die epistemischen Operationen, über die man auf dieses Interesse gestoßen ist, nicht angemessen waren. Wenn man aber hinsichtlich eigener Interessen keine Sicherheit zu erzielen vermag, ist es auch nicht möglich, sich über ein Lebensziel endgültig zu verständi­ gen.25 Und nun stellt Shaftesbury die These auf, daß in der Glückseligkeit ein Lebensmittelpunkt und Lebenssinn gefunden ist, der es dann ermöglicht, auch alle anderen Lebensformen in diesen Lebenssinn zu integrieren oder nach diesem Lebenssinn auszurichten. »Mein hauptsächliches Bemühen … muß es sein, … mit Gewißheit (certainly) erkennen zu lernen, wo meine Glückseligkeit und mein Vorteil (my Happiness and Advantage) liegen« (234 f    ). Wer Glückseligkeit in nachhaltiger Selbstprüfung als das Ziel von Selbstsuche erkannt hat, erlebt einen affektiven Zustand, der sich förderlich auch auf alle anderen Lebensumstände auswirkt, und der es mithin möglich zu machen scheint, auch andere Le24  »[Ich] müßte, sollte ich mich je fragen: Was beherrscht mich ? Sogleich antworten: mein Interesse ( I shou’d answer readily, My Interest)« (Se i 1, 232 f    ). Die in den Text gesetzten Sei­ ten­zahlen beziehen sich auf Se i 1. 25  »Wenn mein Dafürhalten in bezug auf mein Interesse folglich falsch ist, kann dann mein Ziel oder Zweck richtig sein ? Kaum. Kann … ich … treffen, wenn ich in Wahrheit nicht ein­mal zu zielen verstehe ?« (  l. c. 233 ff    ).

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benssituationen zu befördern und mit einem höheren Sinn zu versehen. Dieser höhere Sinn besteht aber nicht darin, daß natürliche Bedürfnisse unterdrückt werden zugunsten einer in dieser Bedürfnisbefriedigung noch nicht empfunde­ nen Glückseligkeit. Dergleichen Sublimierungs- oder Kompensationsfiguren sind Shaftesbury fremd. Vielmehr läuft sein Vorschlag darauf hinaus, daß der Mensch, wenn er sein Leben nach der Glückseligkeit einrichtet, sich in einem affektiven Zustand befindet, der es ihm erlaubt, auch seine anderen Bedürfnisse in Kultivierung und Verfeinerung zu befriedigen. So sollen natürliche Bedürfnisse nicht verleugnet, sondern in einen harmonischen Gleichklang und in eine wohlklingende Harmonie gebracht werden (cf. 237 ff ). Wie aber ist die Glückse­ ligkeit beschaffen, in der ein Zustand erzeugt werden kann, der in friedlicher Zusammenstimmung mit allen anderen Bedürfnissen bestehen würde ?26 Wir zitieren die entscheidende Passage: Wenn daher das einzige Vergnügen (only Pleasure), dem ich mich frei und ohne Einschränkung überlassen kann ( I can freely and without reserve indulge), von rechtschaffener und tugendhafter Art (  honest and moral kind) ist; wenn der vernünftige und gesellige Genuß (rational and social Enjoyment) an und für sich so stetig (constant in it-self) und für die Glückseligkeit so wesentlich ist (essential to Happiness); warum sollte ich dann nicht meine anderen Vergnügen in Übereinstimmung und Harmonie damit bringen, anstatt mir andere Vergnügen (other Pleasures) zu schaffen, die diese Grundlage zerstören (which are destructive of this Foundation) und in keiner Weise miteinander in Verbindung und Übereinstimmung ( manner of Correspondency) stehen ? (236 – 239).

Wenn wir bewußt das Gute tun und tugendhaft unser Leben zubringen, vermö­ gen wir eine Glückseligkeit von sehr viel höherer Intensität als die unreflektierte Hörigkeit unseren natürlichen Neigungen gegenüber zu empfinden. Dies hängt damit zusammen, daß die mit der Tugend verbundene Glückseligkeit das ›einzige Vergnügen‹ ist, das den Affekthaushalt angenehm zu erregen vermag, ohne daß fürderhin zuzusehen ist, ob diese angenehmen Empfindungen noch in Übereinstimmung mit dem Wohl anderer sich befinden. Das eigene Vergnügen aber in Verbindung zu bringen mit dem Vergnügen anderer bedeutet immer, daß das eigene Vergnügen gewissen Begrenzungen oder Einschränkungen unterliegt. Diesen Einschränkungen aber unterliegt ein Genuß, der – ohne Universalisierungstest – schon im Modus des Genießens dieses Genießen mit Tugend und Rechtschaffenheit verbindet, weil hier eine, so möchte man paradox sagen, moralische Affektivität empfunden wird – Shaftesburys ›moral sense‹. Moralische Affektivität ist im Genuß schon angelegt auf Geselligkeit. Ein solcher Genuß aber hat gegenüber allen der unmittelbaren natürlichen Neigung folgenden Genüssen den Vorzug, mit sehr viel stärkerer Nachhaltigkeit auf Dauer gestellt zu sein; es ist nämlich kein Bedürfnis denkbar, das diesen Genuß zum Stillstand zu bringen vermöchte. Darum kann Shaftesbury auch sa26  Cf. den Überblick von Libby: Influence, 490 f, der die Symmetrien dieses Gedankens mit Shaftesburys Ethik, Schönheits- und Harmonielehre zusammenfaßt.

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gen, dieser Genuß sei von einem so essentiellen Wert für die Glückseligkeit, daß seine Stetigkeit nicht durch äußere Einflüsse stets wieder neu stabilisiert werden müsse, sondern vielmehr ›in sich selbst‹ stets angenehme Affekte auslösen würde. Diese sich in sich selbst kontinuierende Affektivität ist dann auch als ein vernünftiges Genießen zu kennzeichnen. In dieser Vernünftigkeit eines auf Geselligkeit und Stetigkeit hin angelegten Genießens liegt aber auch die Har­monisierungsfunktion im Blick auf alle anderen Genüsse, Vergnügungen und Neigungen. Den Gedanken der Kultivierung aller Neigungen und einer Indienstnahme dieser Neigungen durch ein nur innerhalb des sozialen Lebens zu verwirklichendes Glück hat Shaftesbury immer neu variiert.27 Diese Verwirklichung zu deduzieren, gelingt Shaftesbury durch eine Analyse der affektiven Momente des Selbstverhältnisses, ohne daß dabei notwendig auf den Gottesgedanken zurückgegriffen werden müßte.28 b) Glück bei Wolff Shaftesbury, so haben wir gesehen, hatte vornehmlich die Erlangung des Glücks an zwei Momenten deutlich gemacht: Der Mensch muß seine natürlichen Anlagen erkennen und selbst erforschen, um dann auf eine Weise der Lebensführung zu stoßen, die es ihm ermöglicht, diese natürlichen Anlagen zu kultivieren. Mit diesem ersten Moment ist ein zweites eng verbunden: Die Verwirklichung seiner natürlichen Anlagen zu seinem eigenen Lebensglück gelingt dem Menschen am besten, wenn er seine eigensüchtigen Interessen überwogen sein läßt von den Interessen für das allgemeine Wohl jener Gemeinschaft, in der er lebt. Leibniz, der Shaftesbury so sehr schätzte, daß er seine eigene Metaphysik als bei 27  Cf. Shaftesburys Zusammenfassungen in An Inquiry concerning Virtue or Merit: »That to have the Natural, Kindly, or Generous Affections strong and powerful towards the Good of the Publick, is to have the chief Means and Power of Self-enjoyment. And, That to want them, is certain Misery and Ill … That to have Private or Self-Affections too strong, or beyond their degree of subordinacy to the kindly and natural, is also miserable« (Ch ii 57). 28  Damit wird nicht behauptet, der Gottesgedanke sei für eine Inter­pretation Shaftesburys entbehrlich. Daß sich ähnliche Gedankenfiguren ausgearbeitet finden mit Blick auf einen metaphysischen Gottesbegriff, der dann im Zusammenhang mit der Teil-Ganzes-Relation einen Bewandtnishorizont der Bestimmbarkeit aller Teilrelationen bereitstellt, ließe sich an den Moralisten zeigen (cf. hierzu Pecina: Gefühlte). Wie stark Shaftesbury hinsichtlich seiner Gottesvorstellung schon auf eine transzendentale Einstellung vorausdeutet, haben Glau­ ser  / Savile: Aesthetic, 73 ( Hhgn. z. T. v. Vf.), gezeigt: »The situation is rather that if there is an aesthetic pleasure in the contemplation of God it is a pleasure not so much in God’s beauty but in the thought of God and its beauty, the beauty of a thought about God that you or Shaftesbury might share with me«. In dem hier von uns dargestellten Zusammenhang kommt es auf die Ent­w icklung des Shaftesburyschen Gedankens vor dem Hintergrund seiner Gotteslehre zwar nicht an, man vergleiche aber immerhin die Abschlußsentenz des ersten Buchs von An Inquiry concerning Virtue or Merit: »And thus the Perfection and Height of Virtue must be owing to the Belief of a God« (Ch ii 44).

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Shaftesbury vorgebildet und teilweise sogar besser formuliert empfunden hat, entwickelt eine etwas stärker auf den Gottesbegriff fokussierte Glückstheorie, der wir uns nun zuwenden wollen, weil sich Wolff, der, worauf wir oben hingewiesen haben, neben Shaftesbury ebenfalls stark auf Spalding gewirkt hat, unmittelbar durch Leibniz hat anregen lassen. Leibniz hatte seinen Glücksbegriff entwickelt vor dem Hinter­grund des Begriffs der Lust und der Freude, die beide gleichsam als Vorformen dessen verstanden werden können, was dann von ihm als Glück oder Glückse­ligkeit entfaltet wird. Schon im Brief vom 4. April 1705, dem ersten Brief an Wolff, fand sich die Realdefinition der Lust als eines Voll­kommenheitssinns.29 So heißt es dann auch in der Theodizee, die in langen Passagen von Wolff für die Druckfassung in Reinschrift gebracht wurde: »Der Wille strebt im allgemeinen nach dem Guten; er soll der Voll­kommenheit zustreben, die sich für uns ziemt, und die höchste Vollkommen­heit (suprême perfection) ist in Gott. Alle Genüsse haben in sich ein gewisses Gefühl der Vollkommenheit (quelque sentiment de perfection)«.30 Von dieser Defi­nition aber geht Leibniz nicht unmittelbar zur Entfaltung des Glücks über, sondern er schaltet, wie es Wolff ihm dann gleichtun wird, noch ein zweites Moment dazwischen: die Freude. Im Brief an Wolff vom 18. Mai 1715 findet sich die folgende Definition: »Laetitiam definio praedominium insigne voluptatum«.31 Die Kennzeichnung der Freude als eines Überwiegens der Lust ist sicherlich die von Leibniz am häufigsten verwandte Definition, wenngleich mit dieser Definition natürlich nicht das ganze Bedeutungsfeld dessen abge­deckt ist, was Leibniz unter Freude versteht.32 Im Begriff des Glücks flie­ßen die Bedeutungsstränge der Lust und des Glücks zusammen, ohne daß das Glück selbst nur als deren Synthese verstanden werden kann. Zwischen den Jahren 1688 und 1714 besuchte Leibniz mehrmals Wien, um sich besonders bei seinem letzten Aufenthalt für die Gründung einer Kaiserli­ chen Akademie der Wissenschaften in der Donaumetropole einzusetzen. Seit 1708 pflegte er eine Bekanntschaft mit dem österreichischen Feldherren, Kunstmäzen und Präsidenten des Hofkriegsrates Prinz Eugen Franz von Sa­voyen, ein reger Geist, von dessen bibliophilen Neigungen noch heute die gewaltige Büchersammlung im Prunksaal der österreichischen Nationalbiblio­thek zeugt. Der Prinz hatte zugleich ein lebhaftes Interesse an der Philo­sophie des Hannoveraner Universalgelehrten und regte bei diesem an, sein System in einer leicht faß29  Briefwechsel, 18: »Voluptas definitionem nominalem dare non possumus, nec notior est suavitas quam voluptas; realem tamen definitionem voluptas recipit, et puto nihil aliud esse quam sensum perfectionis«. Zum Lustbegriff bei Leibniz cf. Grua: La justice, 47 ff; Jalabert: La psychologie, 459f, Heinekamp: Das Problem, 173 u. Schiedermair: Das Phänomen, 35 ff. 30  Theodizee § 33, Ps ii 1, 258. Cf. auch Theodizee § 278, Ps ii 2, 58 f. 31  Briefwechsel, 171. 32  Zu den Bedeutungsabweichungen von der zitierten Definition und einer Zusammenstel­ lung der einschlägigen Leibnizpassagen cf. Schwaiger: Das Problem, 153 ff.

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lichen Form darzulegen. Dies tat Leibniz dann auch 1714 mit der vier Jahre später veröffentlichten Schrift Auf Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade,33 ein biographisches Detail, das insofern von Interesse ist, als es schon zeigt, daß Leibniz, der sich hier an einen Laien richtet, mit seiner Schrift weniger eine deduktionslogische Metaphysik vor dem Hintergrund monadologischer Onto­logie im Auge hat als vielmehr die eindringliche Werbung für eine Geistes­ haltung, die dem metaphysisch Gesinnten einen Zustand der See­lenruhe und Glückseligkeit verspricht. Wir können für unseren Zusammenhang die monadologischen Argumentationsfiguren übergehen, die ohnehin in anderen Schriften elaborierter entfaltet sind,34 um uns gleich der von Leibniz am Ende seiner Schrift entwickelten Glücksfigur zuzuwenden. Der Charme der Prinzipienschrift ist darin zu erblicken, daß Leibniz die rationalistisch-prinzipientheoretischen Motive seiner Philosophie hier gänzlich funktionalisiert sein läßt durch den Endzweck des Lebens. Die Vernunft wird da­bei im Vertrauen auf eine umgreifende Kompossi­bilitätsharmonie zurückgenommen hinter die Unverfügbarkeit der Offenba­rung. »Auch wenn die Vernunft uns die große Zukunft nicht im einzelnen lehren kann, welche der Offenbarung vorbehalten bleibt (reservé à la revelation), können wir durch dieselbe Vernunft ( par cette même Raison) versichert bleiben, daß die Dinge auf eine Weise gemacht sind, die unseren Wünschen ent­spricht« ( M § 16, 170 f    ). Und jetzt wird abgestellt auf eine Variante der Spinozisti­schen Amor-intellectualis-Dei-Figur: Der göttlichen Substanz kommen Voll­kommenheit und Glück zu insofern, als beide einen Modus von Selbstgenuß darstellen. Das ebenfalls auf Selbstgenuß ausseiende Subjekt findet folglich in der göttlichen Substanz eine finale Sinnorientierung. Hat sich die Erkenntnis Gottes verdichtet zur Einsicht in das Zugleich von Vollkommenheit und Glück in der Position gött­lichen Selbstgenusses, ist die Liebe zu Gott eine leichte und hindernislose Sinnrichtung des menschlichen Seins. »[E]s ist leicht (aisé), ihn geziehmend zu lieben, wenn wir ihn erkennen« ( M § 17, ib.). Die Er­kenntnis der Einheit von Glück und Vollkommenheit in Gott selbst macht Gott liebenswert, wobei die solchermaßen empfundene Liebe als »gegenwärtige Zufriedenheit (contentement present)« ( M § 18, 172 f ) fühlbar wird. Diese Zufriedenheit aber ist keine reine Selbstzufriedenheit, sondern es stellt sich hier nur darum der Zustand höchsten Glücks ein, weil dieses Glück Angeld des zukünftigen Glücks in Gott selbst ist (bonheur futur, ib). So ist die Zukunftsdimension des Glücks zwar offen im Blick auf ihre Entwicklungsmöglichkeiten, doch ist diese Offenheit nicht prinzipiell. Jede auf Zukunft gerichtete Glückseligkeit ist nur als Abschattung jenes Glücks, das in Gott schon zu höchster Vollkommenheit gelangt ist, möglich. 33 Zur Überlieferungsgeschichte cf. die Mitteilung von U. J. Schnei­der: Einleitung, xxvii.

34  Daß es Leibniz nicht – oder wenigstens nicht in erster Hinsicht – um eine absolutheitslogische Darlegung der Monadenlehre geht, zeigen unseres Erachtens schon die §§ 16 und 17, in denen sich Spitzenformulierungen finden, die an einen spinozistischen Holismus erinnern.

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Daß diese Glückseligkeit strebend niemals erreicht werden kann, mit­hin der Selbstgenuß in Gott auch nicht gefunden zu werden vermag in einer visio beatifica, da diese die Notwendigkeit eines beständigen Fortschritts kon­terte, deutet zwar auf eine Unabgeschlossenheit. Dennoch aber ist dieses Fort­schreiten eine der Kompossibilitätsharmonie eingeborgene Bewegung, die ih­ren finalen Richtungssinn im Göttlichen hat. Diese Spitze der Leibnizschen Glückstheorie gilt es im Auge zu behalten, wenn wir uns Wolff zuwen­den, der zwar stark von seinem Mentor – neben Descartes – beeinflußt ist, ihn aber in einem wichtigen Punkt abwandelt. Wie sehr das Glück, wenn es einmal eingekehrt ist in die Reflexion, bis in die Kommunikations­gewohnheiten hinein den prinzipienlogischen Grundlagendiskurs zu verdrän­gen vermag, zeigt schön eine auf Leibniz und Wolff gemünzte Beschreibung von Gottsched in der Historischen Lobschrift von 1755: »Und was meynet man wohl, was diese großen Weltweisen mit einander gesprochen haben ? Sollten wir hier Spötter fragen, so würden sie höhnisch nichts anders, als eine Unterredung von Monaden, von der vorherbestimmten Harmonie, oder von möglichen Welten vermuthen … Allein weit gefehlet ! Die wahre Weisheit ist, nach Leibnitzens Begriffen, eine Wissenschaft der Glückse­ ligkeit … Eben davon re­deten nun auch diese Philosophen mit einander«.35 Daß Wolff es nicht bei anregenden Gesprächen mit seinem weltweisen Mentor belassen hat, zeigen die Deutsche Ethik (1720) und Deutsche Politik (1721), die sich der ›Beförderung der Glückseligkeit‹ verschreiben. Und in seinem letzten größeren Werk, der Philosophia moralis sive ethica (1750), er­klärt Wolff so kurz wie aufschlußreich: »Finis Ethica est felicitas hominis«.36 Wir gehen auf Wolffs Glücksbegriff im folgenden ein, indem wir zuerst sehen, wie er innerhalb seiner Metaphysik verankert ist, um ihn dann als Erfüllung seiner praktischen Philosophie darzustellen.37 In Wolffs Deutscher Metaphysik findet sich die Seligkeit am Ende des De-DeoTraktats, das wiederum den Abschluß des ganzen Buchs bildet. »Es ist nichts mehr übrig, als daß ich auch noch etwas von der Seeligkeit Gottes hinzu setze«.38 Eine Zugangsüberlegung unterscheidet die Seligkeit Gottes von der Seligkeit des Menschen, insofern die göttliche Vollkommenheit keine Steige­rungshinsichten zu denken eine Möglichkeit bereithält. Vollkommenheit und Gott befinden sich als miteinander Identifizierte in einem possesiven Verhältnis. »Derowegen, da er [sc. Gott] die höchste Vollkommenheit besitzet … so muß er auch dieselbe beständig behalten«.39 Das bleibende Besitzrecht Gottes an der Vollkommenheit besteht darin, daß keine dieser Vollkommenheit andere Dimension diese Voll35 

Gw i 10, 40 f ( Hhg. v. Vf.). Gw ii 12 ( Ethica i) § 8, 5. 37  Eine ausführliche Darstellung zu diesem Thema bietet Schwaiger: Das Problem. 38 Gw i 2 § 1085, 670. 39  L. c. § 1085, 671.

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kommenheit zu relativieren vermag.40 Gottes Seligkeit besteht in seiner nicht zu vermitteln­den und auch nicht zu veräußerlichenden Selbsthabe, was nach Wolff auf den Begriff der Gottesruhe führt.41 Diese Ruhe unterscheidet Menschliches von Göttli­chem. »Keine Kreatur kann den grösten Grad der Vollkommenheit errei­chen«.42 Die auf Dauer gestellte Seligkeit Gottes am Ort seiner Voll­kommen­heit führt zugleich zu einem anhaltenden Vergnügen. Denn auch dieses Vergnügen ist hineingenommen in die nicht mehr zu steigernde Einheit von Vollkommenheit, Seligkeit und Gottesruhe. Schauen wir nach dieser kurzen Explikation von Wolffs metaphysischer Grund­legung des Glücks noch einmal zurück, um Wolffs Sprachgebrauch zu beobachten, so gibt schon dieser einen Fingerzeig auf die Differenz zu Leibniz’ Glückstheorie. Stand bei Leibniz das Glück als vermittlungslogische Konstante zwischen Gott und dem Geschöpf, die den Unterschied von Gott und Mensch gleichsam durch die Figur eines unabschließbaren Strebens zu kompensieren schien, so schärft Wolff den Sphärenschnitt zwischen menschlicher und göttli­ cher Vollkommenheit nachhaltig ein. Der Seligkeitsbeg­riff bleibt für die göttliche Vollkommenheit reserviert. Der Mensch dagegen strebt nach Glückseligkeit. Zwischen göttlicher Vollkommenheit, und darin zeigt sich die Abwandlung des Leibnizschen Glücksmotivs, die in einer Umjustierung der Betonung liegt, und dem Glücksstreben ist der Zusammenhang zerrissen. »Quamobrem nec Deus dici potest summum hominis bonum«.43 Es gehört zum Innenraum göttlicher Vollkommenheit, in den Bereich des Kre­a­türlichen nicht transmissibel zu sein. Innerhalb des Kreatürlichen besteht die Vollkommenheit vielmehr in Steige­rungsfiguren, die eine immanente Finalität aufweisen. »Constat tamen expe­rientia, hominem indies majores perfectiones acquirere posse«.44 Die Glückseligkeit wird also innerhalb der Steigerung von Vollkommenheitserfahrungen gesucht. Und dies wird nicht mit Blick auf die göttliche Vollkommenheit ausgesagt. Darum gilt, daß die »letzte Absicht aller freyen Handlun­gen« eine Vollkommenheit ist, die wir nur dadurch erzeugen können, daß wir unsere »natürliche[n] Kräffte« in Anschlag bringen.45 Die finale Motivation des nach seiner Glückseligkeit Strebenden besteht auch nicht in ei­ner Variante des Augustinischen Motivs, die cordale Ruhe unanfechtbarer Gottinnigkeit zu erlangen, sondern vielmehr darin, alles Augenmerk auf die kontinuierliche Verbesserung der Lebensumstände und der da­mit in Ver40  Gott »ist über dieses von allen Dingen independent … und also kann ihn niemand in dem richtigen Besitze seiner größten Vollkommenheit hindern« (Gw I 2 § 1085, 771). 41  »Derowegen bestehet seine [sc. Gottes] Seeligkeit in einem ruhigen Besitze der allerhö­ ch­­sten Vollkommenheit« (Gw i 2 § 1085, 771). 42  L. c. § 1088, 671. 43  Wolff: Philosophia practica § 374, 162. 44 Ib. 45  Deutsche Ethik, Gw iv 3 § 139, 78.

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bindung stehenden Zuständlichkeiten zu legen.46 Wolff entwirft hier eine konkrete Technik, die der Kultivierung des Glücksstre­bens dient. Dabei geht er zuerst auf die rationalen Momente ein, die dem Glücksstreben dienen, um darauf die affektive Dimen­sion zu behandeln. Wolffs Aus­gangsthese besteht darin, das Han­deln in seiner ganzen Komplexität auszurichten auf die Glückseligkeit, was nur gelingen kann, wenn die freien Handlungen immer neu einer Prüfung unterworfen werden. So muß bei einer jeden freien Handlung die Absicht einer Handlung mit der Handlung selbst so verbunden werden, daß diese besondere Handlung zu einem Mittel einer neuen beson­deren Handlung werde. Dergleichen Zweck-Mittel-Relationen sind das kontinuierli­che Verbindungsglied zwischen allen konkreten Handlungen. Alle Handlun­gen stimmen so in einer Sinnausrichtung auf den letzten Hauptzweck des Handelns überein. Das Handeln als ein solches, so kann man sagen, be­kommt einen einheitsstiftenden Richtungs­ sinn in der Glückseligkeit.47 Dieser Hand­lungszusammenhang wird noch einmal fundiert in ei­nem Grund-Folge-Verhältnis aller einzelnen Handlungen. Jede einzelne Handlung zeichnet sich durch strenge Observanz des allen Handlungen ge­meinsamen Endziels aus. Dadurch gewinnt eine einzelne Handlung eine Grundfunktion für jede weitere Handlung. Die Grundfunktion besteht des nä­­heren darin, daß der Mensch eine Vertrautheit mit seinem aktiven Weltum­ gang erzeugt insofern, als er bei jeder Handlung vermeinen kann, diese Hand­ lung vor einem letzten Horizont von Handlungssinn durchzuführen. Solchen Hand­lungssinn nennt Wolff ›ordentlichen Wandel‹. Der Vollkommenheitsbegriff, den Wolff entfaltet, ist völlig abgestellt auf dieses sinnvolle Zusammenstimmen aller Handlungen. Die von dem nach seinem Glück Strebenden gesuchte Vollkommenheit ist nicht die Vollkommenheit Gottes, wie wir gesehen haben, nach der man, ohne sie je erreichen zu können, strebt. Vielmehr ist die Übereinstimmungsrelatio­nalität in bezug auf Mannigfal­tiges das die Vollkommenheit auszeichnende Moment: »Derowegen da die Übereinstimmung des Mannigfaltigen die Voll­kommenheit ausmachet … so ist in diesem Falle der Wandel des Menschen vollkommen«.48 Daß die rationalistische Dimension bei der Einrichtung dieses Lebenswandels eine Führungsfunktion übernimmt, zeigt sich daran, daß Wolff ein ganzes Ensemble jener epistemischen Steuerungsfunktionen entwirft, die einen nach Glück strebenden Lebenswandel möglich machen. Hier steht an erster Stelle das Urteil. 46  »[Z]ur letzten Absicht aller seiner freyen Handlungen die Vollkommenheit seines innerlichen und äußerlichen Zustandes machen … das ist, was ein Mittel ist diese Absicht zu erreichen« ( l. c. § 139, 78f  ). 47  L. c. § 140, 79: »[S]o muß er nicht … eine gewisse Absicht haben, sondern auch alle besonderen Absichten dergestalt mit einander verbinden, daß immer eine ein Mittel zur andern und endlich alle insgesammt ein Mittel zur Hauptabsicht wird«. 48  L. c. § 144, 80.

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Man soll seine Urteilsfähigkeit auf »jede[n] vorkommenden Fall«49 anzuwenden wissen und auch anwenden, weil die fi­nale Ausrichtung der Handlung auf Vollkommenheit in dem dargelegten Sinn immer neu geprüft werden muß. Die Wiederholung solcher Urteilsprüfungen führt zu Regeln, die den Handlungsvollzug strukturieren.50 Erfordert werden hierzu Scharfsinn,51 Witz, Kunst- und Schlußfertigkeit,52 Sprach­kompetenz53 und die zur Sprache notwendige Deutlichkeit und Vollstän­digkeit von Begriffen.54 Nun wäre aber eine Darstellung der Glücksthematik defizitär, wenn sie ausschließlich sich den rationalen Ermöglichungsbedingungen eines glückseli­gen Lebenswandels zuwenden würde. Wolff sieht deutlich, daß die rationale Einstellung notorisch in der Gefahr ist, von rational nicht justierbaren Affekten hintergangen zu werden. Wir zitieren die entscheidende affektkritische Passage aus der Deutschen Ethik: »Weil endlich die Affecten den Menschen hinreissen, daß er dieses und jenes thut, was er sonst nicht thun würde, oder auch unter­lässet was er sonst nicht unterlassen würde … und die Vorstellung der Ver­nunft bey Seite setzet … so ist auch klar, daß die Affecten die Beobachtung des Gesetzes der Natur hindern«.55 Gegen die urteilstrübende Macht der Affekte kann die Vernunft nicht fürderhin in Anschlag gebracht werden, so daß in Frage steht, »wie der Mensch die Herrschaft über die Sinnen, Einbildungs-Krafft und Affecten erhält«.56 In zweifacher Weise kontern die Affekte ein ver­nunftgeleitetes Handeln: Sie täuschen, indem sie dazu ver­leiten, die Symmetrie zwischen dem Guten und dem Bösen umzukehren. Insofern bewirken sie eine Verunsicherung der Urteilskraft. Zugleich – und darin besteht vielleicht eine noch gefährlichere Wirkung, weil sie subtiler den Vernunftgebrauch beeinflußt – »stöhren uns« die Affekte »an der Aufmercksamkeit«.57 Darum ist es notwendig, eine Kraft oder gewissermaßen einen Gegenaffekt zu installieren, der einen in die Lage versetzt, un­gestört im ›ordentlichen Wandel‹ des Lebens zu verbleiben. Denn führt der ordentliche Wandel zu einer höchsten Glückseligkeit, bildet die Glückse­ligkeit den Fluchtpunkt allen Handelns, so ist es notwendig, daß sich das Glück auch in den konkreten Handlungen abschattet, da die Rationalität keine hin­längliche Affektabwehr bereithält. Diese Motivation kann nur ausgelöst wer­den durch eine »hefftige Begierde«.58 Damit sich 49 

L. c. § 46, 81. »[D]aß durch die Regel ein Satz verstanden wird, darnach man sich in seinem Thun und Lassen richtet« ( L . c. § 146, 82). 51  L. c. § 147. 52  L. c. § 148. 53  L. c. § 149. 54  L. c. § 153. 55  L. c. § 182, 112. 56  L. c. § 186, 114. 57 Ib. 58  L. c. § 164, 98 pass. 50 

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jedoch diese Begierde pünkt­lich einstellt, ist es erforderlich, einen »BewegungsGrund«59 zu finden, der kontrolliert diese Begierde zu erregen vermag. Die­ser Bewegungsgrund liegt in einer genauen Beobachtung des Grund-Folge-Verhältnisses insofern, als das Gute zu tun, immer zugleich eine Lustempfin­dung nach sich zieht. Diese Beobachtung muß im Leben stets eingeübt werden, damit sich die ›heftige Begierde‹ nach diesseitiger Vollkommenheit zwanglos und selbstverständlich einstellt. Wolffs Glückslehre hat darin ihre Spitze, mentale und affektive Möglich­keiten darauf zu verpflichten, einem Lebenssinn zu dienen, der im Variations­reichtum des Lebens, das sich seiner Stei­gerungsmöglichkeiten besinnt, Erfüllung findet. Und diese Erfüllung muß begleitet sein von einer anhaltenden Glücksgestimmtheit. Obwohl Wolff dabei auch der affektiven Dimension, eine solche Glücksge­stimmtheit zu erreichen, Rechnung trägt, zeigt sich doch deutlich ein Über­wiegen der rationalen Steuerungselemente. c) Spaldings Synthese Es ist zu untersuchen, wie Spalding die soeben behandelten Traditionen in seine Überlegungen aufnimmt. Dabei zeigt sich, daß eine strenge Trennung zwi­­schen den Theorieeinflüssen (Shaftesbury, Leibniz, Wolff), die in seiner Bestimmungsschrift wirksam sind, vorzunehmen kaum möglich ist. Noch immer bewahrheitet sich der schon am Beginn des 20. Jahrhunderts von Oskar Walzel festgestellte Eindruck, daß schon unter streng philologischen Gesichtspunkten eine Scheidung der Quellen schwer, wenn nicht gar unmöglich sei.60 Inso­fern ist auch das Ergebnis der Untersuchung von Clemens Schwaiger, daß die moralphilosophische und zum Selbstdenken anregende Einflußdimension in Spaldings Bestimmungsschrift stärker auf Shaftesbury zurückginge, wobei die theologisch-metaphysischen Einflüsse eher Christian Wolff zuzuschlagen seien, nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit, da sich, wie wir gesehen haben, auch bei Shaftesbury diese metaphysische Dimension ausgearbeitet findet, wobei wiederum Wolff durchaus die Glücksthematik von einer metaphysischen Prinzipienreflexion abzugrenzen verstand. Im folgenden werden wir sehen, wie es Spalding gelingt, die von uns dargestellten Glückstheorien zusammenzubringen. Spaldings Bestimmung des Menschen hat insgesamt 11 Auflagen erfahren. Für unseren Zusammenhang einschlägig ist die 7. Auflage aus dem Jahre 1763. Diese Auflage, die gegenüber den Auflagen seit dem ersten Erscheinen des Buchs im Jahre 1748 besonders starke Erweiterungen aufweist, ist das Exemplar gewesen, anläßlich dessen Thomas Abbt seine intensivere Beschäftigung mit Spalding aufgenommen hat. Da uns die Darstellung der Spaldingschen Schrift hier im Hinblick auf die Genese der Mendelssohnschen Religionsphilosophie interessiert, wie sie sich im Gedankenaustausch mit Abbt entwickelt hat, legen 59 

60 

L. c. § 165, 99. Walzel: Shaftesbury, 419 ff.

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wir die 7. Auflage der Bestimmungsschrift, auf die sich Abbts Kritik an Spalding bezieht, zugrunde.61 Spalding unternimmt, eine Stufigkeit von Grundhaltungen zu konzipieren, wobei die Übergänge zwischen den Stufen nicht dadurch erfolgen, daß eine Telosannahme den Menschen in seiner Entwicklung immer weiter antreibt. Viel­mehr scheinen im Durchreflektieren einer bestimmten Geisteshaltung an dieser selbst Defizite oder Aporien auf, die das Betreten einer höheren Stufe notwendig werden machen.62 Dabei wird ausgegangen von dem schlichten Sachverhalt, daß man glücklich sein will in diesem Leben und dabei Lebensumstände zu verwirklichen sucht, die diesem Bedürfnis umfänglich entsprechen. Die Introspektion des Ich, ein Gedanke, den Spalding bei Shaftesbury vorgebildet fand, treibt den Gedankenfortschritt der Bestimmungsschrift an. Spalding legt sich die schlichte Frage vor, wie der Mensch sein Leben zu führen habe, und welche Mittel er sich für diese Lebensführung erwählen müsse: »Da ich unläugbar eine Fähigkeit zu wählen … an mir finde: so muß ich … auszumachen suchen, welcher Weg für mich der sicherste, anständigste und vortheilhafteste sey« (43). Diese Wahl aber soll sich nicht auf beliebige Momente des Lebens beziehen, sondern Spalding trachtet zu eruieren, welches der »eigentliche Werth« (ib.) im Leben ist. Darum exponiert er programmatisch die Grundfrage der Bestimmungsschrift: »Es ist doch einmal der Mühe werth, zu wissen, warum ich da bin, und was ich vernünftiger Weise seyn soll« (45). Die »bloße einfältige Natur« (45) soll dabei eine Leitfadenfunktion übernehmen.63 Selbstprüfung führt Spalding auf den Sachverhalt, daß das sinnliche Vergnügen eine Gestimmtheit bewirkt, die es als sinnvoll erscheinen läßt, diesem Vergnügen mit aller Kraft nachzustreben. Beim sinnlichen Vergnügen handelt es sich nämlich um einen »gewaltigen Reiz« (47), der auf das Gemüt ausgeübt wird. Doch ist der sinnliche Genuß dadurch gekennzeichnet, daß er immer weiter gesteigert oder zumindest auf dem anhaltend gleichen affektiven Niveau gehalten werden muß. Wenn dies nicht gelingt, stellt sich ein »Ekel« (49) ein. Um diesen Ekel zu kompensieren, muß ein Verfahren ersonnen werden, das ein Leben in 61  Gut zugänglich ist die 7. Auflage der Bestimmung des Menschen im 1. Band der Kritischen Ausgabe von Spaldings Werken. Die Ausgabe druckt den Text der 7. Auflage als Leitauflage syn­optisch neben der 1. Auflage von 1748 ab. Wir zitieren diese Ausgabe, auf die sich im folgen­ den alle alleinstehenden Seitenzahlen beziehen, und geben die Paginierung im Haupttext. 62  »So lange also noch etwas Wesentlicheres, das meine Neigung rege machen kann, in der Natur vorhanden ist, kann ich mich vor mir selbst nicht entschuldigen, wenn ich mich bey Träumen aufhalte« (47). 63  Diese Aussage findet sich in Spaldings Erweiterungen zur 7. Auflage seiner Bestimmungs­ schrift. Folgende Passage hat Spalding innerhalb der 7. Auflage hinzugefügt: »In einer Sache von dieser Erheblichkeit ist mir sehr daran gelegen, daß weder eine erhitzte Einbildungskraft mich mit glänzenden poetischen Bildern täusche; noch eine trockene Spitzfindigkeit mich von der Wahrheit weg, in philosophische Labyrinthe verleite. Die bloße einfältige Natur mag bey mir reden; ihre Entscheidungen sind ohne Zweifel die zuverlässigsten« (45).

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der kontinuierlichen Fortsetzung von Genüssen ermöglicht,64 ein »neue[s] System« ( 55), in dem man in kontrollierbarem Genuß leben kann. Doch kann auch dieses ausgeklügelte Genußsystem Defiziterfahrungen nicht verhindern. »Und nichts desto weniger finden sich gewisse Augenblicke, da mir ist, als wenn mir etwas fehlete« (ib.). Diese Defiziterfahrung macht sich in einem noch nicht aussprechbaren präreflexiven Moment bemerkbar, das Spalding als ein »dunkles Gefühl der Sehnsucht« ( 57) bezeichnet. In diesem Sehnsuchtsgefühl ist die treibende Kraft gelegen, auf eine höhere Stufe zu gelangen. Dieses Gefühl beginnt, reflexiv zu werden. Hierbei wird bemerkt, daß sich innerhalb des sinnlichen Genusses, der immer erneuert werden muß, weil die einzelnen sinnlichen Genüsse keine lange Wirkung haben, Genüsse zeigen, die länger aktiv sind als andere. Es sind dies die Momente, die etwas zu genießen geben, die länger eine frohe und vergnügte Aufmerksamkeit auslösen. So entsteht eine »Art von höherer und edlerer Lust … bei welcher meine Ueberlegungen länger aushalten können« (65). Diese Lust ist anhaltender und der Natur entsprechender, weil sich hier die menschlichen Anlagen besser verwirklichen lassen.65 Die vielleicht schönste und aufschlußreichste Formulierung für die Haltung auf dem Standpunkt des geistigen Genusses lautet, daß eine »schätzbare Sättigung meines Geistes« (  7 1) statthat. Doch auch wenn diese Sättigung sich auswirkt, spürt man auf diesem Standpunkt, ein soziales Wesen zu sein. Im Zugleich mit diesem Gespür stellt sich die Überlegung ein, daß die geistigen Genüsse dem Menschen zukommen, ohne daß er sie in eine sinnvolle Verbindung mit seiner sozialen Natur bringen müßte. Das läßt ihn fragen: »Bin ich mir alles, und allen andern Wesen für sich nichts schuldig ?« (  73). Diese Frage führt über die Selbstzufriedenheit in einem geistigen Lustgewinn hinaus zu den anderen. Die Verwirklichung des Besten schafft das Bedürfnis, immer im Zugleich mit allen anderen vollzogen zu werden.66 Mit der Einsicht darein, daß die eigene Glückseligkeit einhergeht mit einem »Ergetzen an der Glückseligkeit meiner lebendigen Nebengeschöpfe« ( 79), hebt die Gestimmtheit der Tugendhaftigkeit an. Daß es sich auf diesem Standpunkt um eine Gestimmtheit handelt, macht Spalding an »Empfindungen des Rechts und der Güte« (81, Hhg. v. Vf.) deutlich, die sich hier einstellen. So beschreibt er 64  »Und was würde mir mangeln, … wenn ich meiner Seele durch Gewährung dessen, was sie selbst fodert, beständig zu thun gäbe; und wenn ich immer ein Vergnügen so an das andere knüpfe« (49). 65  »[D]ieß alles giebt mir, viel reinere Entzückungen, als das, was ich vorhin, in der Knecht­­ schaft des körperlichen Gefühls, das einzige und größte Vergnügen des Lebens nannte. Da­ rüber vergesse ich auch dieses letztere so viel leichter, weil meine Empfindung mir sagt, daß je­nes noch weit mehr für meine Natur gehöret« (67, Hhgn. v. Vf.). »Eben so offenbar spüre ich, daß überhaupt zur Erforschung des Wahren eine natürliche Anlage in meinem Geiste ist« (69). 66  »Ich sehe andere Wesen um mich, und ich frage mich dabey: … Findet zwischen mir und ihnen kein anderes Verhältnis statt, als daß ich, gleich einem Mittelpuncte, alles andere auf mich ziehen darf  ?« (  71 f   ).

1. Spaldings Anregung

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dann auch die Haltung im Zustand der Moral nicht als eine höhere Erkenntnis, sondern vielmehr als ein natürlich empfundenes Bedürfnis, eine »reine Emp­ findung dessen, was sich schickt« (113, Hhg. v. Vf.). Die immer ernstere Einkehr des Menschen bei sich selbst läßt ihn eine Empfindlichkeit für das Unglück der anderen spüren, das er abschaffen möchte.67 So verschiebt sich die Perspektive: Die Suche nach dem eigenen Lebensglück universalisiert sich zu dem Bestreben, die »Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts« (107) zu verwirklichen. Diese Universalisierung ist auch dahin interpretierbar, daß man sich als Teil eines Ganzen betrachtet (cf. 129). Und hier ist für Spalding der Absprung getätigt für die letzte und höchste Stufe: die religiöse Einstellung. »Indem ich diesen Gedanken, die mich so hoch führen, immer weiter folge, so gerathe ich auf einen Begriff, der mich zu einer noch weit erhabenern Bewunderung hinreißt« (135). Indem wir uns als ein Teil des Ganzen betrachten, werden wir dessen gewahr, daß schon in den »Theilen und ihrer zufälligen Verbindung so viel Richtigkeit« (ib.) liegt, diese Teile also in ihrem sinnvollen Zusammenhang als ein »Ganzes voll Ordnung« (ib.) anzusprechen sind. Über diesen Gedanken der Bewunderung der Schöpfungsharmonie wird Spalding auf die Vorstellung eines Schöpfers als dem »Urbilde der Vollkommenheiten« (ib.) geführt. Wenn Spalding vom Urbild spricht, auf das hin die Nachbilder orientiert sind,68 verzahnt er den ethischen mit dem religiösen Motivkomplex, indem er in die Position des Lebens ein immer weiter fortschreitendes Gott-ähnlich-Werden setzt.69 Im Glauben an göttliche Vorsehung und Unsterblichkeit liegt für Spalding das christliche Motiv, in dem er die sinnvolle Entsprechung des Glückseligkeitsstrebens in immer größerer Verähnlichung mit dem Göttlichen erkennt. Wir gehen abschließend auf diese Vorstellungen ein und finden damit zugleich einen Anschluß an die Debatte zwischen Abbt und Mendelssohn, in der sich zeigen wird, daß es der Vorsehungs- und Unsterblichkeitsgedanke ist, der die Pointe von Mendelssohns Religionsphilosophie in diesem Streit darstellt. Den Vorsehungsglauben interpretiert Spalding konsequent als einen Abbau von innerweltlicher Verunsicherung gegenüber den Zufälligkeiten, die bei der Suche nach dem Lebensglück auftreten. Somit stellt der Vorsehungsgedanke jene Ge67  »Wie sollte ich wünschen, glücklich zu seyn, und doch bey den Angelegenheiten dererjenigen unempfindlich bleiben, die es eben so wohl wünschen, als ich« (107 f     ). 68  Zum darin gelegenen Funktionalisierungsaspekt des Urbildes cf. Claussen: Glück, 291. 69  »[E]s gehöret mit zu der großen Kunst, mich recht zu vergnügen, daß ich jederzeit mit allen meinen Gedanken und Empfindungen ihm, der Quelle des Guten, so nahe, als möglich, zu bleiben suche« (139, Hhgn. v. Vf.). Oder noch deutlicher: »Da ich nun einen … Gesetzgeber an meinem Gewissen habe, so bin ich …gewiß, daß die unwandelbare Redlichkeit … der richtige Weg ist, jenem Urbilde der Ordnung nach meiner Fähigkeit ähnlich zu werden« (155, Hhgn. v. Vf.). Zu diesem Platonischen Motiv in der Bestimmungsschrift, das Spalding wahrscheinlich über den Einfluß Shaftesburys vermittelt wurde, cf. ebenfalls Claussen: Glück, 292. Zur Rekonstruktion dieser Vorstellung bei Platon cf. U. Barth: Gott ähnlich.

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wißheit dar, in der Beobachtung einer harmonischen Ordnung des Weltgeschehens nicht geirrt zu haben. Diese Bewältigung von Kontingenz bringt dann das religiöse Subjekt in einen Zustand von Selbsterhebung und gleichzeitiger Seelenruhe. »So wie mich aber dieß groß macht, so macht es mich auch ruhig« (165). Das Weltgeschehen, das ein »Räthsel« (ib.) ist, schlägt unter der Perspektive des Vorsehungsgedankens nicht als eine Hemmung seiner affektiven und intellektuellen Kräfte aus, weil man eine Gewißheit dessen hat, daß der »Geist, der über alles wachet … nichts geschehen lassen [wird], davon das Ende ihm nicht anständig, und seinen Geschöpfen nicht heilsam sey« (ib.). Der Unsterblichkeitsglaube, auf den Spalding am Ende seiner Bestimmungsschrift eingeht, löst diesen Gedanken am Ort der härtesten Verunsicherungsund Hemmungserfahrung ein: dem Tod. Aus dem Gedanken heraus, daß der Tod der Sinnhaltigkeit des Lebens keine Grenze zu setzen vermag, erfährt dieses Leben einen letzten und nicht mehr steigerbaren »Werth« (181). Darin liegt für Spalding die Wahrheit der Unsterblichkeit, daß dieser Wert vor der Perspektive der Unendlichkeit eingeübt wird. In dieser Einübung lernt man sein Leben »recht zu schätzen« (ib.). Und so weitet sich die innerweltliche Harmonieerfahrung zu einer Ganzheitsgewißheit, die das ewige Leben nicht als die finale und postmortale Abspaltung einer Unendlichkeitsdimension von dem bewußten und empfundenen Leben in der Welt festschreibt. Doch ist dies nicht nur ein tröstender Gedanke, den man spekulierend sich zusagt. Dieser Gedanke hätte nämlich keinerlei Kraft, wenn man sich nicht in steter Einübung in Ewigkeitsreflexion an ihn gewöhnte. »Ich will mich also gewöhnen, die Ewigkeit und das gegenwärtige Leben beständig als ein Ganzes zu betrachten, dieses in allen meinen Handlungen mit jener zu verknüpfen« (185).

2. Mendelssohn gegen Abbt Wir wenden uns jener religionsphilosophischen Entwicklungsstufe Mendelssohns zu, die werkgeschichtlich in die Vorgeschichte des Phaidon gehört. Am Phaidon jedoch vermögen bestimmte Motive der Mendelssohnschen Religionstheorie nicht so deutlich zu werden wie in den hier von uns auf ihren religionsphilosophischen Gehalt untersuchten Vorarbeiten. Es wird sich zeigen, daß Mendelssohns Auseinandersetzung mit Abbt, die sich um die oben dargestellten Theoreme dreht, von einem eigenen religionsphilosophischen Profil ist, das hinüberführt in die Religionsphilosophie aus der Zeit des Lavaterstreits. In der Vorrede des Phaidon gibt Mendelssohn einen wichtigen Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Buchs. »Folgende Gespräche des So­krates mit seinen Freunden, über die Unsterblichkeit der Seele, sollten meinem Freunde Thomas Abbt gewidmet werden. Er war es der mich aufgemuntert hatte, diese vor eini-

2. Mendelssohn gegen Abbt

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gen Jahren angefangene und weggelegte Arbeit wieder vorzunehmen«.70 Abbt hätte Mendelssohn nämlich in »freundschaftlichen Briefen, seine Gedanken über Spaldings Bestimmung des Menschen zu erkennen« gegeben.71 Aus diesen Briefen sei Mendelssohns Schrift Zweifel und Orakel, die Bestimmung des Men­ schen betreffend hervorgegangen. Was waren das für Gespräche, die Mendelssohn mit dem Rintelner Professor führte, und worin lag das Thema dieser Auseinandersetzung mit Abbt, auf die sich Mendelssohn bezieht ? Offenkundig hat das Gespräch mit Thomas Abbt Mendelssohns Gedanken so ordnen können, daß er sich danach in der Lage sah, den Phaidon zu verfassen. Schon darin liegt ein Hinweis auf die Bedeutung der im folgenden dargestellten Auseinandersetzung. Thomas Abbt studierte bei Siegmund Jacob Baumgarten, Johann Salomo Sem­ler, Georg Friedrich Meier und Johann Andreas von Segner. An der Universität von Rinteln hatte er eine Professur für Mathematik und Philosophie inne. Im Sommer des Jahres 1761, bevor er seine Professur in Rinteln antrat, war Abbt in Berlin, wo er auch mit Mendelssohn und Friedrich Nicolai zusammengetroffen ist. Die akademische Lehrtätigkeit aber konnte Abbt nicht befriedigen, und so nimmt er 1765, ein Jahr vor seinem frühen Tod, die Stelle eines Hof- und Konsistorialrats beim Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe an. Abbt hatte sich schon – bevor er mit Mendelssohn in einen Briefwechsel über Spaldings Bestim­ mung des Menschen eingetreten ist – mit dem Thema der Theodizee und der gött­lichen Vorsehung kritisch auseinandergesetzt. Veranlaßt war diese Auseinandersetzung durch Johann Peter Süßmilchs Die göttliche Ordnung in den Ver­ änderungen des menschlichen Geschlechts von 11741 und 21761.72 Süßmilch unternimmt es, demographische Untersuchungen, die er aus ganz Preu­ßen zusammenträgt, zu verbinden mit dem Plan der göttlichen Vorsehung. Was Gott in seinem Schöpfungsplan vorgesehen hat, soll durch statistische Untersuchungen und deren praktische Anwendung zum Wohl des Staatswesens durchgesetzt werden. In der Vorrede zur zweiten Auflage von 1761 schreibt Süßmilch: »Kann es mir aber wol zur Sünde ausgelegt werden, daß ich Wahrheiten nicht habe weggelassen, welche mit der Betrachtung über die Ordnung der göttlichen Weißheit in einer nothwendigen Verbindung stunden ? Ist es für einen Theologen unanständig, daß ich die wahre Politic … aus dem ersten … Befehl des Schöpfers: Seyd fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde … herzuleiten mich bemühet, und daß ich gezeiget habe, daß kein Regent glücklich regieren könne, der nicht dieses göttliche Gesetz allezeit … vernünftig befolget ?«.73 Abbts Auseinandersetzung mit Süßmilchs Buch deutet voraus auf den gedanklichen Austausch, den er mit Mendelssohn über die Bestimmung des Men­schen 70 

Juba iii 1, 7. Ib. 72  Zu Süßmilch cf. Hauser: Die Wurzeln, 212 f; Birg [Hg.]: Ursprünge. 73  Süssmilch: Die göttliche, x f. 71 

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von Spalding führen sollte. Die Kritik an Süßmilch entzündet sich an einem konkreten Problem der Theodizee, dem frühzeitigen Tod von Kindern. »Jedem fällt sogleich die Frage ein, warum läßt der Schöpfer so viele Kinder, ehe sie noch die Absichten eines eigenen Lebens erreicht haben, so frühe vom Schauplatze wieder abtreten ?«.74 Süßmilchs Lösung des Theodizeeproblems, die Augen auf die göttliche Offenbarung zu richten, um nicht »blos bey dieser Welt … stehen[zu]bleiben« (125), meistert das Problem nicht. »Mit einem Worte: es bleibt uns nichts übrig, als in tiefer Demut anzubeten, sobald von den Absichten des Schöpfers die Rede ist« (126). Und nun äußert Abbt seinen Hauptgedanken, den er auch gegen Spalding an­führen wird. Auch nach Abbt ist der Mensch zur Vollkommenheit bestimmt. Nur kann er diese Bestimmung nicht so konkret festlegen, daß er sie stets als göttlichen Vollendungswillen im diesseitigen Weltgeschehen auslegt, um damit alle Kontingenzen in Notwendigkeiten sub specie aeternitatis umzudeuten. »Unsere Vernunft sieht die Verbindungen; fast niemals das Warum dererselben« (128). Die Bestimmung auf Erden besteht nicht in der »Vollkommenheit überhaupt« (126). Vollkommenheit ist immer eine soziale Größe, zu der der Einzelne stets nur ein »Quantum« (ib.) beitragen kann. In diesem Beitrag aber besteht die »Würde« (ib.) des Menschen. Im Hochhalten dieser Würde gegen seine Vereinnahmung durch einen vermeintlichen Schöpferplan richtet sich die Hauptintention Abbts. Jegliche Theodizeespekulation wird abgebogen auf das sittliche Wesen, durch »tugendhafte Handlungen« (128) der Gemeinschaft und dem göttlichen Endzweck zu dienen, ohne daß dieser Endzweck einginge in Mutmaßungen und somit eine konkrete Motivationsfunktion für das Handeln bekäme. »[N]ur der unendliche Geist schwebt auf dem Wasser, und weis, warum … da Menschen wohnen, wo erst Fische schwammen« (128). Als im Jahre 1763 die 7. Auflage von Spaldings Bestimmung des Menschen erschien, verfaßte Thomas Abbt eine Rezension, die in den Briefen, die neueste Litteratur betreffend erscheinen sollte. Da eine solche Rezension aber schon eingereicht worden war von Friedrich Gabriel Resewitz, wurde Abbts Rezension zurückgestellt.75 Sie erschien dann am 21./28. Juni und 5. Juni im 287. Literaturbrief. Abbts Reaktion auf Spaldings Bestimmung des Menschen zeigt eine tiefe Übereinstimmung mit Spalding darin, als letzte Dimension eines erfüllten und tugendhaften Lebens die Erlangung des Glücks in diesem Leben zu erreichen.76 Abbt bezweifelt nur, daß die von Spalding bereitgestellten Mittel dazu angetan sind, der Glückseligkeit teilhaftig zu werden. 74 

Br 250, 125. Die folgenden in den Text gesetzten Seitenangaben beziehen sich auf Br 250. Die folgenden in den Text gesetzten Seitenangaben beziehen sich auf Juba vi 1. 76  Cf. zu der Debatte zwischen Abbt und Mendelssohn Lorenz: Skeptizismus; Sommer: Sinn­stiftung, 167 f u. D’Alessandro: Die Wiederkehr. Hinske: Das stillschweigende, hat die De­batte zwischen Abbt und Mendelssohn rekonstruiert hinsichtlich ihres Einflusses auf Kant und eine individualistische Geschichtstheorie bei Mendelssohn ausgemacht (155). 75 

2. Mendelssohn gegen Abbt

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Dies hängt besonders damit zusammen, daß Spalding, wie wir gesehen haben, auf ein bestimmtes Reflexionsniveau setzt. Nur vor dem Hintergrund eines solchen geistigen Vermögens ist es nämlich möglich, die von Spalding namhaft gemachten Übergänge zum Religiösen hin auch wirklich zu vollziehen. Abbts Argumentation ist von einer sympathischen und tiefen Menschlichkeit geprägt. »Die ganze Schrift [sc. Spaldings Bestimmungsschrift] ist die Monologe eines unterrichteten und denkenden Mannes. Daher passet sie keineswegs auf die ungeheure Menge von Menschen, die fast allein durch die äussern Gegenstände zu ihrer Glückseligkeit, oder zu dem Gegentheile bestimmt werden« (12). Dieses Argument verdeutlicht Abbt noch einmal, indem er drei Dimensionen der Soziabilität unterscheidet: die Neigung, einem anderen Geschöpf »nicht schaden zu wollen«, die Neigung, andere Geschöpfe »zu erhalten« und endlich die »Neigung und den Eifer, sich allenthalben zur Beförderung des allgemeinen Besten, zum Dienste aller Nebengeschöpfe anzugeben« (13f). Die beiden ersten Formen eines Sozialverhaltens findet Abbt bei allen menschlichen Wesen, aber die dritte Form setzt eine gewisse reflexive Gewohnheit, »Nachdenken und Ueberlegung« voraus (14). Abbts Argumentation erinnert an seine Einrede gegen Süßmilch, wenn er wiederum gegen Spalding die Unmöglichkeit, einen Endzweck zu erkennen, ins Feld führt. Es ist aber wichtig zu sehen, daß Abbt seine Kritik an Spalding nicht als Grundsatzkritik an der Vorsehung Gottes oder der Unsterblichkeit der Seele vorführt. Abbt befragt nämlich diese christlichen Lehren nur insofern, als sie dazu taugen, dem Menschen seine Bestimmung in der Welt darzutun, und geht dabei davon aus, daß der Gedanke der Teleologie durchaus sein Recht hat. Doch sei diese teleologische Struktur ein das Weltgeschehen im ganzen kennzeichnendes Moment. Insofern ist die Bestimmung des Menschen nicht exklusiv, sondern eine Bestimmung, die der Mensch mit der Natur teilt. Davon zu unterscheiden freilich bleibt die Bestimmung als Wesens- und Stellenbestimmtheit in der Welt.77 Und genau hinsichtlich dieser Bestimmtheit muß man davon ausgehen, keinen offenbarten Aufschluß zu bekommen. Hier meldet sich wiederum jenes Argument, das Abbt schon gegen Süßmilch vorgebracht hat: Die Bestimmung des Menschen kann nur provisorisch gefunden und vollzogen werden, indem man sich tugendhaft verhält. Dieses Argument wird hier in der Auseinandersetzung mit Spalding noch einmal konkretisiert. Die göttliche Offenbarung, so Abbt, ist die einzige Instanz, die uns zu belehren vermag über unsere individuelle Bestimmtheit in dieser Welt. Wenn aber diese Offenbarung ausbleibt, so müssen wir davon ausgehen, »daß Gott für dienlich erachtet, uns von diesem besondern Zwecke nicht zu belehren; folglich vieles vor unsern Augen in Wol77  »Man unterscheide … die Bestimmung des Menschen, die er mit allen andern Dingen … ge­meinschaftlich hat, von derjenigen, die ihm als einer besondern Gattung von Wesen, an einer besondern Stelle, eigen ist« ( Juba vi 1, 15, Hhgn. v. Vf.).

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ken eingehüllet zu lassen« (15). Und jetzt kommt Abbt auf jene Pointe, die seine Theorie der provisorischen Moralität beinhaltet: »Dieses würde aber nicht hindern, sich aus dem allgemeinen Endzwecke aller geschaf­fenen Dinge Lebensregeln zu bilden, die auch richtig und zur Erreichung meiner höchsten Glückseligkeit hinlänglich wären« (ib.). Abbt vertritt also eine ethikotheologische Position, die mit einem deutlich abgeschwächten Begriff von Offenbarung operiert. Zwar kann der Mensch über seine Bestimmung keine letzte offenbarte Sicherheit erwarten, aber dennoch ist er in der Lage, durch tugendhaftes Handeln dem allgemeinen Endzweck zu dienen, denn er hat »Licht genug … für den Weg, den er wandeln soll (ib.). Im Zusammenhang mit dem Unsterblichkeitsglauben kommt Abbt noch einmal auf die Tugend zu sprechen. Nicht der pure Gedanke des Unvernichtetseins ist das an der Unsterblichkeitsvorstellung Wesentliche, sondern das Gestellt-Sein unter eine Unendlichkeitsperspektive immer dann, wenn nach tugendhafter Gesinnung gehandelt wird.78 Sehen wir, wie Mendelssohn auf Abbts Zweifel an der Bestimmung des Men­ schen reagiert. Sein Orakel, die Bestimmung des Menschen betreffend erschien ebenfalls im 287. Literaturbrief am 5. und 12. Juli 1764. Mendelssohns Text schwört Leser und Leserin unmittelbar auf ein gedankliches Klima ein, in dem die populären Assoziationen einer ›Leibnizwelt‹ emporgetragen werden. »O Geist des grossen Leibniz  ! Der du die Zweifel des Vielschreibers und die Gespenster seiner Foliobogen durch unansehnliche Octavseiten, wie die Morgensterne die Schatten zerstiebest; ich fühle das Säuseln deiner Gegenwart. Komm, führe mich in den Saal des ewigen Schicksals. Zeige mir die unvollendeten Myriaden möglicher Welten und die vollendete Eine, auf daß ich sehe, wozu die Geister in jenen hatten bestimmt sein können, in dieser sind  !« (21). Unter der Perspektive einer unausdenklichen Zahl möglicher Welten also will Mendelssohn die Bestimmung dieser Welt denken und darum zugleich die Bestimmung des Menschen. Es gibt einen Zusammenhang im »Geisterreiche« (22), der noch oberhalb der Gattungsbestimmtheit liegt, wie Abbt sie im Auge hat. So nimmt Mendelssohn auch unmittelbar Kurs auf die Unsterblichkeit, wenn er auf Sokrates als das Urbild eines »glückselige[n] Geist[s]« (23) verweist. Sechs Momente führt Mendelssohn an, um sie gegen Abbt einzuwenden. Zuerst nennt er die Leitthese aller anderen Ausführungen. »Welches ist die Bestimmung des Menschen ? … In dem Zustande vernünftiger Erkenntniß die Absichten Gottes zu erfüllen, fortzudauren, vollkommener zu werden, und in dieser Vollkommenheit glückselig zu seyn« (23). In der Glückseligkeit besteht folglich die Zielidee des Daseins. Diese Idee ist nur zu erreichen, wenn man, gemäß den Absichten Gottes, in dieser Welt immer mehr nach Vollkommenheit strebt. Doch setzt das 78 

»[T]röstlicher Gedanke der Unsterblichkeit ! wir können dich nicht missen: zwar so, wie dich etwa der trockene Verstand in dem Worte: unvernichtet, hervorbringt; so können wir dich missen: aber nicht so, wie ihn jede tugendhafte Empfindung mit ihr verbunden hervor­ ge­hen läßt« ( Juba vi  1, 18).

2. Mendelssohn gegen Abbt

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Erfüllen der Absichten Gottes vernünftige Erkenntnis voraus, so daß sich die Frage ergibt, wie es um jene bestellt sei, die über nur geringe geistige Kräfte verfügten. Dies war, wie wir gesehen haben, einer der Haupteinwände Abbts gegen Spalding. »Worin sollen die Tausende ihre Bestimmung setzen, die sie durchs Denken nicht erforschen können ?« (23). Hier geht Mendelssohn davon aus, daß diese Menschen ihre Bestimmung, auch ohne über sie nachdenken zu können, erfüllen. Die erste These, daß vernünftige Erkenntnis nötig sei, um Gottes Absichten zu erkennen, scheint gewissermaßen zurückgenommen zugunsten der Erfüllung von Gottes Heilsplan. Es ist nicht denkbar, so Mendelssohns Argumentation, daß Gott die Erfüllung seiner Endzwecke abhängig macht davon, daß sie erkannt werden. Als Beispiel dafür dienen ihm die vitalen Bedürfnisse ( Hunger), deren funktionierende Befriedigung nicht abhängig ist davon, daß man sie denkend erwägt. Doch ist in dieser These zugleich ein natürliches Vertrauen darein gelegen, daß man den Weg eines erfüllten Lebens auf der Ebene möglicher Vollkommenheit finden wird – ganz unbetroffen davon, die Erfüllungsbedingungen dieser Vervollkommnung nicht thematisieren zu können. Darin bewahrheitet sich noch einmal die Telosbestimmtheit in der Glückseligkeit, auf die man zu stoßen vermag, ohne sie diskursiv erzeugen zu müssen. Nun nimmt Mendelssohn zum Theodizeeproblem Stellung, zu der Unerklär­ lichkeit des Leidens in der Welt, das er hier ebenfalls am Beispiel des Sterbens von Säuglingen entfaltet. Leben, so Mendelssohns These,79 hat seinen Sinn immer ganz unmittelbar in sich selbst und erfüllt so die Absichten des Schöpfers. In­sofern ist dieser Sinn keineswegs abhängig von der Zeitspanne, die dieses Leben währt.80 Wollte man eine Perspektive einnehmen, die die Länge eines Lebens zum Kriterium des Lebenssinns macht, wäre diese Perspektive dem Leben gegenüber äußerlich. Nur wenn man eine dem Lebensvollzug innerliche Per­spektive einnimmt, kann man sehen, daß dieses Leben immer im Einklang mit dem göttlichen Heilsplan sich befindet. In Gottes Heilsplan ist nämlich der Sinn eines jeden Lebens inbegriffen. Unter Punkt 4 und 5 stellt Mendelssohn die Frage nach dem Leid in der Welt noch einmal in einer abstrakten Form dar, indem er das Leid als ein Nicht-zur-Verwirklichung-Kommen von Möglichkeiten deutet.81 Auch dieses Problem der Theodizee löst sich auf, wenn man es unter dem Gesichtspunkt des göttlichen Heilsplans betrachtet. Dieser ist als eine letzte Orientierung des Lebenssinns anzunehmen, als eine »allgemeine Anordnung« (24). In dieser allgemeinen Anordnung aber hat das einzelne Leben immer eine Position inne, die durch anderes Leben, das in dieser Anordnung sich 79  »Jedes Saamenkörnlein, das nicht zur Befruchtung kömmt, muß … tüchtiger geworden seyn, in der darauf folgenden Organisationen die Absichten Gottes zu erfüllen« (  Juba vi 1, 24). 80  »Es sterben Säuglinge ? … Nicht ohne irgend eine Fertigkeit ihrer Seele ausgebildet zu haben, wäre es auch nur das Vermögen zu fühlen« (  Juba vi 1, 24). 81  »Woher kommt es, daß so viele … Fähigkeiten hier auf Erden nicht einmal zu dem … hier möglichen Grade der Entwicklung kommen« (  Juba vi 1, 24).

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befindet, mit bestimmt wird. Und so dient der gemeinsame Zusammenhang dieses Lebens der Verwirklichung der »göttlichen Absichten« (ib.). Wenn man annehmen wollte, daß eine Möglichkeit in diesem Heilsplan nicht zur Ausbildung oder zur Verwirklichung kam, so liegt das nur daran, daß die multiple Perspektivität des Lebens nicht zu überschauen ist. Diesen Sachverhalt macht Mendelssohn noch einmal deutlich, indem er ihn im Zusammenhang mit der Relation, die zwischen einem Ganzen und seinen Teilen besteht, interpretiert. »[D]ie Einheit der Absicht erfordert Mannigfaltigkeit in den Bestimmungen der Theile« (ib.). In dieser Aussage ist der Sachverhalt ausgedrückt, daß die Teile nicht sich anheischig machen dürfen, allein für sich die Perspektive des Ganzen darstellen zu können. Nur dann nämlich, wenn in dem Bereich der Teile das Ganze dargestellt werden könnte, wäre es sinnvoll zu sagen, daß die Teile eine gemeinsame Bestimmung hätten. Da aber im Bereich der Teile die Absicht Gottes nicht repräsentiert zu werden vermag, müssen, wie Mendelssohn ausführt, diese Teile alle von einer unterschiedlichen Bestimmung sein, um solchermaßen zur Verwirklichung des Ganzen als der Einheit in der Absicht Gottes beizutragen. Man kann nicht Einspruch erheben – wie es die Bestreiter des göttlichen Heilsplans tun – gegen die Einheit der göttlichen Absicht, solange man gezwungen ist, diesen Einspruch aus einer Perspektive heraus zu formulieren, die sich innerhalb der Teile befindet. Innerhalb der Teile sieht man zwar unterschiedliche Bestimmungen, aber ob diese Bestimmungen wirklich einem einheitlichen Heilsplan Gottes widerraten, kann nicht gesagt werden. Darum stellt Mendelssohn gegen die Zweifel seines Freundes Abbt fest: »Wo ist nunmehr das ganze Heer von Zweifeln, das sie wider Hrn. Spalding zu Felde geschickt haben ? … Wo sind sie ? … Verschwunden« (24). Mendelssohn nimmt noch einmal Bezug auf die Neigungstheorie von Abbt. Wir hatten gesehen, daß Abbt eine Dreistufigkeit der Neigungen angenommen hatte, wobei er davon ausgegangen war, daß die Neigung dazu, das allgemeine Beste zu befördern, nur jenem Teil des menschlichen Geschlechts eigen sei, der einen reflexiven Umgang mit seinen Neigungen auszuüben gewohnt ist. Dieser These widerspricht Mendelssohn noch einmal, wenn er die Glückseligkeitsbestimmtheit in den Mittelpunkt seiner Überlegung stellt. Dabei interpretiert er die Abbtsche Neigungstheorie so um, daß er alle drei Neigungen als Modi einer Grundneigung annimmt. »Die drey Neigungen, die Sie [sc. Abbt] unterscheiden, haben alle dieselbe Grundlage, die Lust an unsers Nebenmenschen Glückseligkeit, und die Unlust über das Gegentheil« (25). Mendelssohn konstruiert also alle Neigungen aus der Grundneigung einer Lust-Unlust-Empfindung heraus. Diese Empfindung aber ist konkret ausgerichtet an der Glückseligkeit. Das Lustempfinden steigert sich immer in dem Maße, als die Glückseligkeit des Mitmenschen eine Steigerung erfährt. Wenn sich eine Einschränkung im Zusammenhang mit der Lust des anderen zeigt, so stellt sich unmittelbar eine Unlustempfindung ein. Diesen alle Neigungen konstituierenden Zusammenhang sieht

3. Phaidon

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Mendelssohn bei allen gegeben.82 Abbt hatte unterschieden zwischen dem allgemeinen Besten, der Neigung, seinem Nächsten nicht zu schaden, und der Absicht, das allgemeine Beste zu befördern. Für Mendelssohn besteht hier kein prinzipieller Unterschied, sondern nur ein Unterschied dem Grad nach. Wenn auch der Gebildete durch geistige Übung die der geselligen Neigung widerstrebenden Neigungen bekämpft, so handelt es sich doch auch bei ihm um den gleichen Urtrieb, wie er bei einem ›rohen Menschen‹ etwa anzunehmen ist. In diesem Urtrieb ist ein das Leben unmittelbar identifizierendes Grundmoment gegeben. Dieser Grundtrieb lebt sich gewissermaßen im Menschen aus, leitet und motiviert sein Leben, ohne in diesem Leben selbst thematisch zum Ausdruck kommen zu müssen. Damit liegt in der scheinbar nebenläufigen Diskussion zwischen Mendelssohn und Abbt, ob auch jemand zur Glückseligkeit befähigt ist, der nicht über den geistigen und kulturellen Hintergrund verfügt, im Denken seine Glückseligkeit zu erlangen, eine Pointe. Natürlich kann man durch Übung und geistige Bewältigung nach Vollkommenheit streben, doch ist damit das Eigentliche dessen, der in diesem Streben befangen ist, noch gar nicht berührt. Dieses Eigentliche besteht nämlich in einem Grundtrieb, der nicht aufzugehen vermag in seiner diskursiven Thematisierung. Wenn also Mendelssohn auf die Seite von Spalding tritt, um den Gedanken zu verteidigen, daß die Erlangung der Glückseligkeit ein telosbestimmendes Merkmal sei auch dann, wenn man sich dessen nicht in allen Vollzügen bewußt ist, so liegt darin offenbar zugleich: Man kann die Konstitutionsbedingungen der Glückseligkeit nicht selbst erzeugen. Darin mag auch der letzte Grund dafür liegen, daß Mendelssohn gegen Abbt auf die Seite der Leibnizschen Vorstellung einer besten aller möglichen Welten tritt. Im Phaidon wird Mendelssohn die Glücksgewißheit noch weiter zu vertiefen suchen.

3. Phaidon Mendelssohn bezeichnet seinen Phaidon als »Mittelding zwischen einer Übersetzung und eigenen Ausarbeitung« (175).83 Das erschwert die Interpretation die­ses Werkes erheblich, da sich Eigenleistung und Übersetzung hier stark ge82  »Sobald wir … wahrnehmen, daß der ausgebildete … Mensch nur einigen Eifer … ver­ spü­ret, das allgemeine Beste zu befördern; so muß die Grundlage, das Angebohrne dieser aus­ gebildeten Neigung, bey dem rohesten Menschen anzutreffen seyn« (  Juba vi 1, 25). 83  Im folgenden bezieht sich die Paginierung auf P. Mendelssohns Phaidon erschien in drei Auflagen 1767 / 68 / 69, wobei er die zweite und dritte Auflage mit Veränderungen versehen hat, von denen die wichtigsten darin bestehen, daß er 1768 und 1769 einen Anhang beigege­ ben hat, wobei der Anhang von 1768 in den Anhang der dritten Ausgabe sich eingearbeitet findet. P ist – abgesehen von einigen sehr diplomatisch vorgenommenen orthographischen Mo­ der­nisierungen – textgleich mit der in Juba iii 1, 11 – 128 abgedruckten ersten Auflage (cf. Juba iii 1, 358).

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genseitig durchdringen und sehr darauf zu sehen ist, wo eine einfach nur sehr freie Übersetzungsvariante beginnt, Mendelssohns eigene Interpretation oder Religionsphilosophie zu werden. Werkgeschichtlich ist Mendelssohns Phaidon von 1767 unmittelbar der Debatte mit Thomas Abbt um Johann Joachim Spaldings Bestimmungsschrift (1748) zuzuordnen und damit zugleich eine konsequente Fortführung jener Glückseligkeitsthematik, die einen Zentralnerv der Religionsphilosophie Mendelssohns ausmacht.84 Etwas überspitzt formuliert handelt es sich also beim Phaidon um einen aufgeklärten Traktat über Glückseligkeit und Unsterblichkeit, in dem Theorieelemente der Plotin, Descartes, Leibniz, Wolff, Baumgarten und Reimarus geschickt kompiliert wurden.85 Zugleich aber ist die Tatsache bemerkenswert, daß Mendelssohn nicht in Gänze eine Neuschreibung des Platonischen Phaidon vornimmt, sondern in weiten Teilen eine wortgetreue Übersetzung bietet. Nicht unähnlich jener Überlieferungssituation, die uns etwa pythagoreischen Gedankenguts in Platons Dialogen, der mittelstoischen Pflichtenlehre des Panaitios von Rhodos in Ciceros De officiis oder der sogenannten Valentinianischen, Simonianischen oder Basilidianischen Gnosis in den Texten der Justin, Tertullian, Irenäus, Clemens von Alexandrien, Hippolyt von Rom, Origenes oder Epiphanius habhaft werden läßt, hat sich auch in Mendelssohns Phaidon trotz aller Überarbeitung viel von der Platonischen Originalität erhalten. Dessen in Anbetracht urteilt Klaus Reich mit Blick auf Kants Verhältnis zu Platon, daß wir »fragen dürfen, ob in Mendelssohns Phaidon die Weisheit des platonischen Phaidon Kants skeptische Haltung gegenüber dem Rationalismus gegen Ende des 7. Jahrzehnts des Jahrhunderts besiegt habe«.86 Nicht minder interessant als die einzelnen Beweisschritte scheinen uns Mendelssohns Überlegungen zu sein, die sich um diese Beweise einstellen und Zeugnis geben von der Aneignungsstrategie unseres Philosophen. Seinen Phaidon einleitend weist uns Mendelssohn darauf hin, daß seine Beweise von der Unsterblichkeit der Seele sich zwar noch im ersten Beweis »näher an« das Platonische »Muster« gehalten haben, »[i]n der Folge« aber sich schon genötigt sahen, »den Platon völlig zu verlassen« (174). Bevor wir uns also den Beweisgängen Mendelssohns im einzelnen zuwenden, suchen wir anhand seiner Übersetzungspraxis jene Anliegen des Autors zu ermitteln, die er nicht unmit84  Cf. hierzu Bourel: Moses, 236 – 249 u. Altmann: Die Entstehung, 217 – 232. Die hebrä­ ische Fassung ( Sefer Hanefesh) der im Phaidon behandelten Unsterblichkeitsproblematik hat Friedländer nach Mendelssohns Tod ins Deutsche übertragen. Mendelssohn befürchtete die Be­kanntmachung im hebräischen Leserkreis. Cf. Rosenbloom: Theo­logical, 59 ff. 85  Es sind dies jene Namen, die Mendelssohn selbst in der Vorrede seines Phaidon nennt (175 / 9). Was den zuletzt Genannten anbelangt, so sind es besonders die Vornehmsten Wahr­ heiten der natürlichen Religion, derer wegen Reimarus, der sich »zwischen Wolff und Kant« ( Hinske: Reimarus; cf. auch Engfer: Die Urteilstheorie) einordnen ließe, eine lebenslange hohe Wertschätzung durch Mendelssohn erfahren hat (cf. Alexander: Der Einfluß, 19). 86  Reich: Kant, 121. Ähnlich Leonard: Sokrates, 40, die das stark aufbrechende Bedürfnis nach einem neuen Ethik-Diskurs diagnostiziert.

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telbar in seiner Vorrede schon mitteilt. Dabei hoffen wir, zeigen zu können, daß Mendelssohns Phaidon noch sehr viel mehr ist, als ein schulphilosophischer Unsterblichkeitstraktat im Gewande des Platon. a) Entstehungsgeschichte Die Entstehung des Phaidon fällt auseinander in zwei Etappen, deren Übergang bezeichnet ist durch Mendelssohns Schulterschluß mit Spalding. Der Beginn des Phaidonprojekts wird durch zwei Ereignisse in Mendelssohns Leben markiert – die stilistische Abwendung von Shaftesbury und die Sokrates-Rezensionen in den Literaturbriefen. a) Die Rezensionen fallen in den Sommer des Jahres 1760. Im 113. Literaturbrief besprach Mendelssohn die ein Jahr zuvor anonym zu Amsterdam erschienenen Sokratischen Denkwürdigkeiten Hamanns, eine kleine Schrift, die als Hamanns Erstling gilt und der Mendelssohn eine sehr wohlwollende Besprechung zukommen ließ, an deren Ende er schreibt: »Ich wünsche, daß unser Verf. sein Miniaturgemälde ins Große bringen wolle, damit die edlen Züge desto deutlicher werden, die er jetzt kaum hat anzeigen können«.87 Jacob Wegelins Die letzten Gespräche Sokrates und seiner Freunde (1760) sind Gegenstand der zweiten Rezension, die eine tiefe Unzufriedenheit mit der Darstellung des Sokrates durch Wegelin zum Ausdruck bringt.88 In der letzten hier in Rede stehenden Rezension widmet sich Mendelssohn Diderots Plan, ein Trauerspiel über den sterbenden Sokrates zu verfassen, und er beschließt seine Besprechung mit den durchaus selbstbewußten Worten: »Überzeugt Sokrates seine Schüler durch philosophische Gründe, so gähnt der größte Theil der Zuschauer; rührt er die Zuschauer durch seine Beredsamkeit, so bleiben die Philosophen unbefriedigt. Ich sage … ›wer will, versuche diese Scene. Ich eile zu meinem Zwecke‹«.89 Mit diesem ›Zweck‹ deutet Mendelssohn seinen eigenen Versuch an, dem Sokrates ein Andenken zu setzen; und man darf erwarten, daß es genau jene zwei von ihm beschriebenen ›Klippen‹ sind, die er in seinem Phaidon umschiffen will. Neben den Rezensionen führt ein weiteres Ereignis auf den Weg zum Phaidon – die Abwendung von Shaftesbury als eines unhinterfragten Stilvorbildes. In den Empfindungsbriefen ist Shaftesburys Stil noch so stark präsent, daß diese sich wie eine Neuschreibung der Moralisten ausnehmen. Dieses Buch hatte er in der Spalding-Übersetzung für seine Braut von Nicolai erbeten, die sich auch wirklich ans Werk machte und Spaldings Übersetzung unter der Anleitung von Aron Gumpertz mehrmals fleißig durcharbeitete.90 Während also die Gattin den Lord aus zweiter Hand kennenlernte, versorgte sich unser Philosoph mit dem Dictio­ 87 

Gs iv 2, 105. L. c. 106 ff. 89  L. c. 129. 90 Cf. Dehrmann: Das Orakel, 243. 88 

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nary of the English Language aus der Feder Samuel Johnsons, um sich seinerseits an den Originaltext zu machen.91 Einem schon erwartungsvollen Thomas Abbt konnte er am 3. November 1761 vermelden: »Ich habe angefangen den Shaftes­ bury zu übersetzen. Diese Arbeit vergnügt mich ungemein, der Schwierigkeiten ungeachtet, die, wie Sie wissen, nicht geringe sind«.92 Jedoch – die ShaftesburyÜbersetzung versandete, ohne daß sich ein genauer Grund ausmachen ließe, warum Mendelssohn das so begeistert begonnene Projekt abgebrochen. Für unseren Zusammenhang wichtiger ist, daß dieser Abbruch einher­geht mit einer Distanznahme gegenüber Shaftesbury und einer gleich­­zeitigen Begei­ ste­rung für den Platonischen Darstellungsstil. Am 4. Juni 1762 schreibt er an Abbt über Shaftesbury: »Der Lord schreibt etwas schwerfällig … Ich glaube nicht, daß er in diesem Stücke nachgeahmt zu werden verdiene«.93 Und nun folgt der ganz andere, der nicht nur nachgeahmt, sondern auch in neuem gedank­lichen Ge­wande wie­der­holt werden soll: »Plato hat eine Manier die mit allen Vorzügen der Shaf­tes­bury’schen Schreibart noch … Leichtigkeit in der Wendung verbindet … Ich fühle es, wie sehr der Mann gearbeitet haben muß, seinen … Gedanken … die … sanfte Rundung zu geben«.94 Man mag aus die­sen Zeilen er­­messen, welch hohen Anspruch Mendelssohn an sich selbst bei sei­ner Neuschrei­bung des Phaidon hatte, und wie stark er die damit verbundene Her­aus­for­derung empfunden hat. Als Mendelssohn anläßlich seiner Lektüre der Ro­bin­sonade Abu Dschasar Ebn Tofails an Lessing schreibt, lobt er den »Araber«, weil er in dessen Gotteslehre »die Denkungsart und das ganze System« der »he­bräischen Weltweisen« wie­dererkennen könne, jedoch er tadelt ihn zugleich we­gen seiner Auffassung von Welt, Seele und Moral, die er für »höchst elend« ausgibt.95 Interessant ist dabei, wie Mendelssohn sich diese nach seiner Auffassung ›höchst elende‹ Moral- und Seelenlehre zu erklären versucht bzw. welche Erklärung er ausgeschlossen wissen will: »[D]ie Zeit kann unmöglich an dieser Unwissenheit schuld seyn; denn Plato und Aristoteles hatten schon weit geläutertere Begriffe«.96 Platon ist hier also schon als überlegener Welt-, Moral- und Seelenlehrer von Mendelssohn ins Spiel gebracht, und wir befinden uns kurz vor dem Erscheinen des Mendelssohnschen Phaidon.

91 

Cf. l. c. 244. Gs v 245. 93  Gs v 259. 94  Gs v 259 f. 95  Brief v. Mai bis Juli 1763; Gs v 172. Das Buch wurde 1783 in einer Übersetzung von Jo­hann Gottfried Eichhorn unter dem Titel Der Naturmensch oder Geschichte des Hai Ebn Joktan herausgegeben, zwanzig Jahre also nach Mendelssohns Brief an Lessing. Mendelssohn wird die lateinische Übersetzung des Edward Pocock aus dem Jahre 1671 vorgelegen haben (cf. Gs v 171  f Anm.). 96  Gs v 172. 92 

3. Phaidon

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Noch im gleichen Jahr, da der Schriftsteller und Historiker Vincenz Bernhard Tscharner zusammen mit dem Rechtsprofessor Daniel Fellenberg und den Theologieprofessoren Johannes Stapfer und Samuel Anton Wilhelmi 1762 die Patriotische Gesellschaft (société des citoyens) gründete, hatte Isaac Iselin, Mitglied der Gesellschaft und Ratschreiber zu Basel, an Moses Mendelssohn das schmeichelhafte Einladungsschreiben gesandt, ebenfalls der Gesellschaft beizutreten. Nach anfänglichem Zögern schreibt Mendelssohn am 5. Juli 1763 zustimmend zurück, daß er eine Übersetzung des Platonischen Staates begonnen hätte und drei Bücher schon in seiner Übersetzung vorlägen. Doch diese Übersetzungen hält er nicht für tauglich, bei der Patriotischen Gesellschaft eingereicht zu werden. Darum kommt er auf ein weiteres Projekt zu sprechen, den Phaidon. Dieser läge schon vor in der ersten Hälfte, »in welcher die Beweise für die Unverweslichkeit der Seele vorgetragen werden«,97 und so bezeichnet dieses Schreiben den Abschluß der ersten Etappe, die zur Entstehung seines Phaidon führt.  b) Bei der zweiten Etappe brauchen wir uns nur kurz aufzuhalten – sie ist bezeichnet durch die von uns oben schon dargestellte Debatte Mendelssohns und Abbts um Spaldings Bestimmungsschrift.98 Es ist nicht mit letzter Sicherheit festzustellen, ob Mendelssohn, der die Arbeit am Phaidon für eine Weile unterbrochen hatte, zum Zeitpunkt, da er das Buch an die Patriotische Gesellschaft senden wollte, die ersten beiden oder nur das erste Gespräch vollendet hatte. Sicher hingegen scheint, daß die Vollendung seines Werkes, das dritte Gespräch also, dem Eintreten für Spalding geschuldet ist, das auch seine Arbeit am Phaidon wieder neu beflügelte. Im Zusammenhang dieses Gespräches findet sich in dem Brief Mendelssohns an Abbt vom 22. Juli 1766 ein solcher Hinweis: »Ihre [sc. Abbts] Fragen haben mich aufgemuntert, eine Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele … auszuarbeiten … [U]nd da ich weiß, daß auch Sie, mein Freund ! die Tugend erst in Sicherheit gebracht haben, bevor Sie die Bestimmung des Men­ schen zu bezweifeln anfangen, so glaube ich, daß ähnliche Überzeugungsgründe auf uns ähnliche Wirkung thun werden«.99 Mendelssohn ist sich also seiner Sache hier durchaus sicher, weil er meint, davon ausgehen zu können, daß das uneingeschränkte Bekenntnis zur Moral, dem sich auch Abbt anschließt, es dem Gesprächspartner bei genauem Durchdenken der Moralphilosophie unmög97  Zit. nach Keller: Zur Geschichte, 688, wo sich dieser Brief Mendelssohns vollständig abgedruckt (687 f ) und zugleich eine Darstellung der Entstehungsgeschichte des ersten Teils von Mendelssohns Phaidon findet. Auch enthält Kellers Zusammenstellung die wichtigen Briefe Mendelssohns in dieser Sache. 98  Bourel: Moses, 240 – 249, hat vor dem Hintergrund der Streits zwischen Mendelssohn und Abbt um die Spaldingsche Bestimmungsschrift seine Darstellung des Phaidon vorgenommen. Dieser Streit hat nach Bourel gerade darum eine so große Bedeutung für den Phaidon, weil sich hier zeige, »daß die Folgen der … Entwertungen der Metaphysik und … Theodizee nicht auf Voltaire und die Clique von Sanssouci beschränkt bleiben werden« (249). So auch schon Strauss: Phaidon, xvii. 99 Gs v 366 f.

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lich machen wird, die Unsterblichkeitslehre zu bestreiten. Wollte man die kurz geschilderte Entstehungsgeschichte des Phaidon noch einmal zusammenfassen, so ist dieser entstanden aus der Abwendung vom Stilideal Shaftesburys und der gleichzeitigen Hinwendung zum platonischen Sokrates als eines Protagonisten, der ohne offenbarungstheologische Vorannahmen die Lehre von der Unsterblichkeit entwickelt;100 und das Werk hat seine Vollendung gefunden als glühendes Bekenntnis zu Spaldings Bestimmungsschrift. b) Allgemeine Charakteristik Mendelssohns Adaption des Phaidon war ein Ereignis, das nationales und inter­ nationales Aufsehen erregte. Er wurde ins Englische, Dänische, Französische, Hebräische, Holländische, Italienische, Polnische, Russische, Serbische und Ungarische übersetzt, und nach vier Monaten schon war die erste Auflage vergriffen.101 Mit einem Schlag machte es unseren Weltweisen so berühmt und auch geliebt, daß er sich im Anhang zur dritten Auflage seines Werkes (1769) in der ihm eigenen Bescheidenheit zu sagen genötigt fühlte: »Überhaupt muß ich bekennen, daß die Kunstrichter in Ansehung meiner eher nachsichtsvoll als strenge gewesen sind. Ich habe mich … zu beschweren … eher über unbilliges Lob« (291). Für die zeitgenössische Wirkung des Buchs mögen die Sätze von Friedrich Gabriel Resewitz sprechen: »Sein Vortrag ist so gefällig …, seine Auflösungen so scharfsinnig, er breitet ein so helles Licht über den Weg den er geht, sein Ton ist dabei so bescheiden, und seine Materie begeistert ihn dann und wann zu einer so ungesuchten Beredsamkeit des Herzens, daß nicht leicht ein Zweifler an seiner Unsterblichkeit sich mit irgend jemand lieber auf die Untersuchung einlassen wird als mit ihm«.102 Spätere haben nicht mehr so begeistert geurteilt.103 Das hängt sicherlich einmal damit zusammen, daß Mendelssohn zwar den wohl bis dahin radikalsten Versuch, mit dem Selbstdenken im Ethischen und Metaphysischen ernst zu machen,104 unternommen hat, zugleich jedoch 100  Im Brief vom 22. Juli 1766 an Abbt schreibt Mendelssohn (Gs v 366; Hhgn. v. Vf.): »Ich laufe Gefahr, meinen Socrates vielleicht zum Leibnitzianer zu machen. Allein, das thut nichts. Ich muß einen Heiden haben, um mich auf die Offenbarung nicht einlassen zu dürfen«. 101 Cf. Bourel: Nachwort, 170. 102  Resewitz: Moses, 128 f. 103  Die bissigste Abwertung findet sich bei Mauthner: Der Atheismus, 485, der urteilt: »Was Mendelssohn … zu Platons Beweisen … hinzugefügt hat, scheint uns heute ebenso seicht und grillenhaft, wie Platons Beweise Mendelssohn dünkten«. Aber auch Schneiders: Auf­ klä­rung als memento, veranschlagt die Bedeutung des Phaidon eher gering, wenn er ausführt, daß es sich hier um ein Werk handelte, »dessen heute kaum noch verständlicher großer Er­folg sich fast nur – außer durch die gefällige Schreibart – durch das Bedürfnis der Zeit nach Un­ sterb­­lichkeitsbeweisen erklären läßt« (89). 104 So Mauser: Prussorum, der darum den Phaidon als »eine der fortschrittlichsten Posi­ ti­onen, die bis dahin in Deutschland erreicht worden waren« (140), einschätzt.

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sich schon in dem Jahrzehnt, da Mendelssohn seinen Phaidon veröffentlichte, das zeitgenössische Denken (etwa Johann Gottlob Krüger, Johann Caspar Lavater, Georg Christoph Lichtenberg, Karl Philipp Moritz) wegzubewegen begann von einer so geschlossenen Systematik, wie sie Mendelssohn, indem er Antike, Ju­dentum, Christentum und die Wolffsche Vollkommenheitsphilosophie noch einmal zusammenschmolz, hier vorlegte.105 Dann aber ist es natürlich auch die bannende Genialität des Platon, von der die Wirkung ausging, daß alle Adaption nur – wenn überhaupt – matter Abglanz sein könne. So sieht ein Großmeister der Philosophiegeschichtsschreibung, Kuno Fischer,106 in Mendelssohns Phaidon das unhistorische Abgleiten in eine zwar gutgemeinte Popularisierung Platons, die sich aber eines Eklektizismus schuldig machte, der das Original nahezu bis zur Unkenntlichkeit verzerrte. Prima facie mag sich ein solcher Verdacht einstellen. Doch wirkt Fischers Urteil schnell mehr beckmesserisch als historisch gerecht, wenn man genauer zusieht. Schon in der Vorrede weist Mendelssohn selbst darauf hin, was hier im Geist eines pfad­treuen Platonismus gegen ihn eingewandt wird, daß er nämlich dort, wo er deutlicher vom Original abweicht, »völlig zu den Neuern« seine »Zuflucht nehmen und … Sokrates fast wie einen Weltweisen aus dem achtzehnten Jahrhundert sprechen lassen [mußte]« (175). Aber auch dann, wenn man den Mendelssohnschen Text nach seiner Treue zum Original durchgeht, ergibt sich ein anderes Bild, als es Fischers Einschätzung suggeriert. Die Handlung des Platonischen Phaidon verläuft zusammengefaßt folgendermaßen: Das Gespräch findet statt zwischen Sokrates und den zwei Pythagoreern Simmias und Cebes und setzt ein mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit des Selbstmordes, dessen Verbot fest verankert ist in der Lehre des Pythagoras. Simmias und Cebes, die für eine Aufklärung mit den Mitteln der exakten Wissenschaft, besonders der Mathematik, stehen, haben wohl durch Phi-

105 

So ebenfalls l. c. 146. Fischer: Geschichte, 779 f: »Unter dem Namen des griechischen Weltweisen hören wir … einen deutschen Kathederphilosophen des achzehnten Jahrhunderts … seinen Vor­trag über die Unsterblichkeit halten. Nichts ist charakteristischer für Mendelssohn … als diese unbekümmerte Übertragung der platonischen Metaphysik in die wolfische … als dieser unächte … Charakter … So … leer war bei der Verstandesaufklärung der … Sinn für die geschichtliche Wahr­heit«. J. Pieper: Tod, 318, spricht sogar von einer »Platon-Fälschung« durch Mendelssohn. Und selbst der Mendelssohn sehr gewogene Leo Strauss will in seiner Einleitung zum Phaidon ( Juba iii 1 xxx) Mendelssohn vor einem Vergleich mit Platon bewahren: Mendelssohns »Kunst wird der nicht erkennen, der … das Werk mit seiner Vorlage vergleicht. Billiger … urteilt …, wer … einen Blick in die … deutsche Unsterblichkeitsliteratur des 18. Jahr­hun­derts wirft«. Freilich läßt sich die ›geschichtliche Wahrheit‹ Sokratischen Philosophierens gegen die durch Mendelssohn inszenierte Neuschreibung ebensowenig ins Feld führen, als eine sol­che Perspektive etwa gegen Nietzsche, der in Sokrates den modernen faustischen Theorie-Men­ schen zu entdecken glaubte (cf. hierzu V. Gerhardt: Die Moderne), aussichtsreich wäre. 106 K.

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lolaos, Pythagoreer der dritten Generation107 nach Pythagoras und Anführer der pythagoreischen Bruderschaft in Theben, von diesem Selbstmordverbot gehört, aber wis­sen von dessen religiöser Bedeutung kaum noch etwas zu berichten (61e). Ist also die Heilsbedeutung der Vorstellung einer Seelenwanderung ins Jenseits Simmias und Cebes keinesfalls mehr gegenwärtig, so schärft Sokrates diese Bedeutung neuerlich ein, indem er das Selbstmordverbot seiner kultischen Dimension bei Pythagoras entkleidet und im Bereich der Selbsterkenntnis neu ansiedelt. Nun folgen die Beweise aus dem Kreislauf der Natur und der Wiedererinnerung. Auf den Einwand hin, daß die Wiedererinnerung wohl die Präexistenz der Seele zu beweisen ermöglicht, nicht aber das Weiterleben der Seele nach dem Tode, rät Sokrates dazu, beide Beweise in einen zusammen zu nehmen (  77 c ff    ). Es folgt ein weiterer Beweis aus der Einfachheit der Seele, durch den herausgestellt wird, daß die Seele unmöglich vergehen kann und nach dem Tod in die Gemeinschaft der Götter eingeht. Hier erreicht der Dialog einen dramatischen Höhepunkt: Ein tiefes andächtiges Schweigen legt sich über alle Gesprächsteilnehmer, die des Sokrates Worte in sich nachklingen lassen, der Meister selbst versinkt in Kontemplation angesichts jener Worte, die er gesprochen. Unterbro­ chen nur wird dieses Schweigen durch einige Wortfetzen, die wie fernes Wellenrauschen die Stille nur umso fühlbarer werden machen. Es sind Cebes und Simmias, die in unverständlichen Flüsterlauten einander kundgeben, daß des Sokrates Rede sie noch nicht vollständig befriedigt hat (84cff). Platon zeigt, wie wenig Sokrates um seiner Beweise willen, sondern vielmehr aufgrund seiner verzaubernden und alles apologetische Schließen gleißend überstrahlenden Persönlichkeit sich dem Gedächtnis der Schüler eingeprägt. Die Situation kann gespannter kaum gedacht werden. Der schon dem tödlichen Becher gefleckten Schierlings angesichtige Delinquent nimmt noch einmal vor seinen Schülern das Wort, um es dem Tod zu entreißen. Er führt die Rede edel und tief, auf daß alle Umstehenden ergriffen sind und zugleich auch zu spüren vermeinen, wie aus dieser Rede Trost dem Todgeweihten fließt – ein naheliegendes, aber grundsätzliches Mißverständnis, das sich im leisen Flüstern der Simmias und Cebes ausdrückt. Beide befürchten nämlich, durch kritische Intervention dem Sokrates einen letzten heiligen Trost zu nehmen. Sokrates jedoch kann hier nur milde lächeln und sieht sich im Gefieder jener Singschwäne, die vom hyperboreischen Wind getragen die Wagen des Apoll ziehen und im Angesicht des Todes ihr schönstes Lied singen. Phaidon berichtet: [W]as ich an ihm [sc. Sokrates] besonders bewunderte war …, wie … wohlwollend … er die Ausführungen der Jünglinge aufnahm, sodann wie scharf er herausfühlte, welchen verstimmenden Eindruck diese Ausführungen auf uns gemacht hatten, ferne wie trefflich er uns heilte und

107 Cf.

Gadamer: Die Unsterblichkeitsbeweise, 32 Anm. 3.

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uns, die wir die Sache schon für verloren hielten, … ermunterte ihm zu folgen und die Untersuchung mit ihm weiter zu führen (88ef).

Die Einwände der Simmias und Cebes – Seele und Leib seien nur in Harmonie zu denken, und die Seele, durch wieviele Leiber auch sie gehen mag, kann noch immer als vergänglich gedacht werden – bilden eine Aposiopese vor dem finalen Schlußakkord des Dialoges, der zweitbesten Fahrt. Sokrates’ Argument, der letzte Beweis: Die Seele als Prinzip des Lebens kann nicht untergehen, wie sich Feuer nicht mit dem Kalten verbinden kann, wenn Feuer es bleiben soll (106d ff ). Duldet aber die Unsterblichkeit der Seele keinen Zweifel mehr, so wird eine Sorge um die Seele und ihre Pflege fortan zur vornehmsten Aufgabe. Dann folgt zum Beschluß ein Totengerichtsmythos. Mendelssohn folgt Platon, wenn er einsetzt bei der berühmten Szene, in der Echekrates den Phaidon nach dem Tod des Sokrates fragt,108 um dem Original bis zum ersten Beweis des Platon treu zu bleiben ( 57a – 70c). Hier (  70cff    ), wo jetzt Mendelssohn den Beweis aus der Unveränderlichkeit vorträgt, weicht er zwar vom Original ab, um aber trotzdem seinen Beweis in den Dienst des Platonischen Beweisziels zu stellen. Nach dem Ende des ersten Gesprächs beginnt Mendelssohn wieder mit einer wortgenauen Übertragung des Platon (84c – 85d), um dann invasiver in die Platonische Argumentation einzugreifen. Den Übergang (88c – 91c), da Sokrates sich nach betroffenem Schweigen neuerlich und ein letztes mal grundsätzlich den Nachfragen der Simmias und Cebes ausgesetzt sieht, übernimmt Mendelssohn wiederum wörtlich aus dem Platon und führt dann selbständig einen dritten Beweis. Der Schluß des Platonischen Dialogs (114e ff    ) findet sich wieder bei Mendelssohn, wobei er aber den Totengerichtsmythos ebenso wegläßt wie innerhalb seiner Beweisführung die Wiedererinnerungslehre. Zählt man 108  Voran stellt Mendelssohn seinem Phaidon das Leben und Charakter des Sokrates, eine Einleitung, für die er auf John Gilbert Cooper zurückgreift, dabei aber die stark metaphysik­ kritische Haltung Coopers nicht übernimmt. Mendelssohn benutzte die dritte 1750 in London er­schienene Auflage. Wir geben hier den vollständigen Titel des Buches wieder, weil dieser dessen Inhalt zusammenfaßt: »The Life of Socrates, collected from the Memorabilia of Xeno­ phon and the dialogues of Plato, and illustrated farther by Aristotle, Diodorus Siculus, Cicero, Proclus, Apuleius, maximus Tyrius, Boethius, Diogenes Laertius, Aulus Gellius, and others. In which the Doctrines of that Philosopher and the Academic Sect are vindicated from the mis­ representations of Aristophanes, Aristoxenes, Lucian, Plutarch, Athenaeus, Suidas, and Lac­ tantius; the Origin, Progreß and Design of pagan Theology, Mythology, and Mysteries, explaine’d; Natural Religion defended from Atheism on one hand, and Superstition on the other, and the destructive Tendency of both to Society demonstrated; Moral and Natural Beauty ana­logously compar’d; and the present Happiness of Mankind shewn to consist in, and the fu­ture to be acquire’d by, Virtue only derived from the true Knowledge of God. Herein the different Sentiments of La Mothe Le Vayer, Cudworth, Stanley, Dacier, Charpentier, Voltaire, Rollin Warburton, and others on these Subjects, are occasionally considered« (zit. nach Juba iii 1, 392). Leo Strauss hat ( l. c. 392 – 399) einen detaillierten Vergleich der Mendelssohnschen Ver­sion mit der englischen Vorlage gegeben.

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die von Mendelssohn aus dem Original wortgetreu oder zumindest sehr wortnah übernommenen Passagen nach Stephanusseiten zusammen, so ergibt sich, daß Mendelssohn gut ein Drittel des Platonischen Textes übernommen hat.109 Unser Durchgang ergibt weiter, daß Mendelssohn immer wieder zum Platonischen Original zurückkehrt, wenn es gilt, die Platonische Darstellungsform zu wahren. Allein dort, wo ihm der Platonische Beweisgang als nicht mehr zeitgemäß erscheint, greift Mendelssohn stärker in den Platonischen Text ein. Diese Vorgehensweise bringt es mit sich, daß Mendelssohn ganz von der in der Platonforschung immer wieder diskutierten Frage absieht, ob es sich im Phai­ don tatsächlich um drei und nicht vielmehr um vier Beweise handelt,110 wenn man den Beweisen aus den das Werden stiftenden Gegensätzen ( 70c – 72d), der Wiedererinnerung ( 72e – 77e) und Seelenähnlichkeit mit den Ideen ( 78b – 84b) jene ursachentheoretische Überlegung, die von den Ideen auf die wesenhaften Eigenschaften der Dinge stößt, um von hier dann wieder auf die Unvergänglichkeit der Seele zu schließen (102a – 107b), als ›letzten Beweis‹ hinzufügt. Worin liegt das Charakteristische in Mendelssohns Umgang mit Platon ? Ein Moment, in dem Mendelssohn von Platon abweicht, liegt in der Struktur seiner Beweise und dem Verlassen des Dialogs als elenktischer Ausdrucksform.111 Für Platon steht das Dialogische, eine Tropologie des Methodischen, wie er es nennt ( Phaid 97b), stark im Vordergrund, so daß man den Eindruck gewinnen mag, die Argumente würden selbst zu handelnden Dialogpartnern sich verlebendigen,112 auf daß die Beweise dann auch nicht die Funktion zu haben scheinen, schließend zu überzeugen. Platons Beweise sind dadurch ausgezeichnet,113 die Dialogpartner sehr stark mit einzubeziehen in das sich entwickelnde dialogische Geschehen. 109  Auch J. Pieper: Tod, 318, weist darauf hin, daß Mendelssohn viele Passagen des Platon wort­getreu wiedergegeben habe, sieht aber darin, daß er nicht den Unterschied zu anderen Pas­sagen markiert hat, die aus eigener und nicht aus Platons Hand stammen, das Pro­ble­ma­ti­ sche der Mendelssohnschen Adaption. 110  Cf. etwa Patzig: Platon, 37 – 45; Steiner: Psyche, 58 – 76; Rapp: Thomas, 126; M. Wundt: Platons Leben, 47. Anders hingegen Beck: Platons, 160; Schönberger: Von der, 723 u. Erbse: Philologische, 364, der den »dritten« als »letzten … Beweis für die Unsterblichkeit der Seele« ausgibt. 111  Dies hängt auch damit zusammen, daß Mendelssohn weniger eine mäeutische Per­spek­­ tive im Sinn hat, sondern die Gesprächsform darum wählt, weil er – wie Holzhey: Die Ber­ liner, 211, beobachtet hat – auf ein »Medium des Einverständnisses« setzt. 112 Cf. Natorp: Platos, 133. Mendelssohn hebt die Verlebendigung in der Per­son des Sokra­ tes nicht nur ganz besonders hervor, sondern wertet diesen lebendigen Zug in seinem Wesen als sehr viel eindrücklicher, denn seine Fähigkeit, Einwände zu parieren. 113  Gadamer: Die Unsterblichkeitsbeweise, 9 u. 15 f. Gadamers Interpretationsabsicht (cf. bes. l. c. 28 ff ) besteht darin, den Beweisen nicht ihre Beweiskraft abzusprechen – das wird in der Platonliteratur so oft wiederholt, daß es keine Pointe mehr darstellt –, sondern in der logischen Anfälligkeit der Beweise Platons Intention zu erblicken, über diese Fragen nur im Exi­ stenzvollzug, keineswegs aber durch Beweise ins Reine kommen zu können. Ähnlich plädiert auch schon Otto Apelt (Sd ii 4 u. 12).

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Bei Platon ist das Ziel der dialogischen Argumentation die zweitbeste Fahrt,114 nachdem die mit den Schriften des Anaxagoras und anderer Philosophen unternommene naturphilosophische erste Fahrt nicht zu den gesuchten Ursachen, sondern in ein Niemandsland geführt hatte. Die Erhebung der Seele hienieden durch dialektisch-methodische Betrachtung des ganz von sich selbst her Seienden, das aber nur auf dem über die Logoi genommenen Umweg angeschaut zu werden vermag, ist die eigentliche Absicht Platons, dessen gewaltige These lautet: »[I]ch leugne auf das bestimmteste, daß der, welcher die Dinge begrifflich betrachtet, sich in höherem Grade einer bildlichen Betrachtungsweise bediene, als der, welcher sich unmittelbar an die gegebenen Dinge wendet«.115 Sicher ist dieses Moment auch noch bei Mendelssohn zu finden. Doch herr­ scht hier stärker das Bedürfnis, der irdischen Glückseligkeit zu dienen, indem die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele wirklich schließen und durch einen Vernunftschluß dann auch überzeugen sollen. So tritt das dialektische Moment stark zurück zugunsten einer eher lehrhaften Struktur der Beweise, die Mendelssohn auch zu diesem Zweck ›verbessert‹ hat, wie er sagt. Sicherlich wird man festhalten dürfen, daß Mendelssohn trotz aller Veränderungen, die er an Platons Dialog vorgenommen, dennoch den Geist Sokratischer Weisheit dem aufkommenden Kritizismus entgegengesetzt hat. Doch verschlösse man sich einer gerechten Würdigung des Mendelssohnschen Anliegens, wenn man die pünktliche Aufnahme Platonischer Implikationen zum Schibboleth des Verständnisses von Mendelssohns Phaidon machte. Erst dann, wenn gesehen wird, daß an Mendelssohns Phaidon gar nicht mehr das Platonische Anliegen selbst, sondern vielmehr die konsequente Transformation dialektischen Denkens in neue Denkstile das Aufregende ist, weil eine solche Transformation am Ort der Übertragung eines der großartigsten Texte griechischen Denkens statthat, wird man einen angemessenen Zugang zu diesem Bestseller Mendelssohns bekommen. Im Brief an Raphael Levi vom Ende des Jahres 1767 gibt Mendelssohn einen Hinweis darauf, wie er seine Beweise verstanden wissen will. Wegen der von ihm ins Auge gefaßten Adressaten habe er sich »auf kein System berufen können«. Er »habe auch Leser voraussetzen müssen, die keine Metaphysiker sind, aber gesunden Menschenverstand besitzen und nachdenken wollen; diese habe« Mendelssohn »in dem ersten Gespräch nach und nach mit metaphysischen Begriffen bekannt 114  Ob es sich bei der durch Platon gebrauchten Metapher der ›zweiten Fahrt‹ um eine gegenüber der von Sokrates gewünschten teleologischen Erklärung minderwertige oder vielmehr höherwertige Fahrt handelt – die Metapher läßt beide Erklärungen zu –, ist vor dem Hintergrund der Platon-Forschung nicht mit Sicherheit auszumachen. Cf. hierzu Ebert [Hg.]: Platon, 349 f Anm. 10, woselbst sich auch die wichtigsten Forschungsansätze zu dieser Frage versammelt finden. 115  Phaid 100 a, Sd ii 102. Cf. Rehn: Sprache, 37  ff; Prauss: Platon, 105 – 111 ( im Zu­sam­men­ hang mit Platons Prädikationstheorie und Anamnesislehre) u. W. Hirsch: Platons Weg, 66 ff.

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machen müssen«.116 Dieses Bekanntmachen erfolgt schrittweise – zunächst empirisch eingeführte Begriffe werden immer hochstufiger präzisiert, ohne daß es dabei schon zu Realdefinitionen kommen müßte.117 Zwei hermeneutische Prinzipien benennt Mendelssohn, die seine Phaidonbe­arbeitung ausmachen: Alle popularphilosophischen Aussagen müssen ihrem Wahrheitsgehalt nach erstens transformierbar sein in die Begrifflichkeit philosophischen Systemdenkens, und zweitens ist hinsichtlich aller Aussagen, die Beweischarakter haben, auf die Gutwilligkeit der Leser und Leserinnen zu rechnen.118 Mit einer solchen Hermeneutik, die sich aus der Übereinkunft aller in Gutwilligkeit Mitdenkenden speist, spielt Mendelssohn auf das aus dem Rechtsdenken stammende Billigkeitsprinzip an, das sich bei Aristoteles (ἐπιείκεια) herausbildet, um dann im römischen Recht (aequitas), bei den byzantinischen Kommentatoren (ἰδιότης als Übersetzung von aequitas), den Glossatoren (aequitas rudis et primaeva als Gegenbegriff zu aequitas scripta) und im angelsächsischen Recht (equity, charity principle) fortzubestehen.119 In rechtspraktischer Hinsicht hat schon Aristoteles den maßgeblichen Gedanken formuliert, wenn er unter der Billigkeit jenes Rechtshandeln versteht, das sich dem durch das allgemeine Recht nicht hinlänglich erfaßbaren Einzelfall zuwendet.120 Im 18. Jahrhundert wurde der Terminus einem tiefgreifenden Wandel unterworfen, indem Billigkeit zu einem sozialethischen Hauptwort sich entwickelte, dessen sich Lessing innerhalb seiner kritischen Literatur bediente,121 das in Herders Geschichtsphilosophie besonderes Kennzeichen jener Humanität ist, die den Zweck der Menschheitsgeschichte bildet,122 und das bei Meier, Alexander Gottlieb Baumgarten oder Lambert als hermeneutische Grundregel in Gebrauch war.123 Das pädagogische Mittel, dessen sich Mendelssohn dafür bedient, diese Billigkeit positiv zu beeinflussen, besteht in einer der Alltagswelt 116 

Juba xii 1, 149.

117 Ib.: »So lange ich nicht weiß, zu welchem System er sich bekennt, müssen wir die Sprache

der Erscheinungen reden: … in dieser verstehen wir … einander am sichersten«. 118  Juba xii 1, 151: »Meine Gründe müssen sich in die Sprache der abstracten Wahrheit über­setzen lassen und richtig bleiben … Ich begnüge mich aber, sie so vorzutragen, wie sie, unabhängig von allen Systemen, durch den bloßen bon-sens begriffen werden können«. 119 So Sladeczek: Billigkeit, 941. 120  Aristoteles: Rhetorik, 1374 a: »Was sich gehört, scheint nämlich gerecht zu sein, das aber ist, was unabhängig vom geschriebenen Gesetz gerecht ist«. Cf. Höffe: Gerechtigkeit, 58 f u. ders.: Aristoteles, 233 f. 121 Cf. Mauser: Billigkeit, 164 – 186. 122  Cf. l. c. 186–208. 123  Cf. unter hermeneutischer Perspektive Madonna: Die unzeitgemäße, 39–42, bes. 41 f, u. mit Blick speziell auf Meier Lau: Erzählen, 84–92, bes. 88 ff. In Anwendung auf die moderne Literaturtheorie wird die Billigkeit behandelt bei Tepe: Kognitive, 153–159. Wie sich mit diesem Begriff als Leitfaden eine zusammenfassende Epochensignatur des 18. Jahrhunderts geben läßt, zeigt schön Mauser: Billigkeit.

3. Phaidon

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entnommenen Begrifflichkeit. Denn dadurch, daß er eine solche Begrifflichkeit wählt, ermöglicht er den Lesern und Leserinnen, sich nicht auf eine feststehende philosophische Terminologie festnadeln zu müssen, wodurch metaphysische Vorannahmen weitestgehend in Klammern gesetzt sind. Das von Mendelssohn hier in Anschlag gebrachte popularphilosophische Vorgehen kann noch einmal deutlicher hervortreten, wenn wir als Erläuterungstext die zeitnahe Philal­ ethie Basedows von 1764 heranziehen.124 Nach Basedow läßt sich die von Mendelssohn in Anschlag gebrachte popularphilosophische Regel, nur Worte aus der Alltagswelt zu benutzen, aus der Sprachverwendung selbst erklären und ist nicht einfach nur ein Mittel, dessen sich der Philosoph bedient, um Verständlichkeit zu erzeugen. Basedow geht aus von dem Zusammengang, der zwischen natürlichsprachlichen Ausdrücken – bei Basedow Universalbegriff – und ihren philosophischen Definitionen besteht. Daher ist es … eine falsche Definition, wenn man in den Universalbegriff von einem Körper dieses hineinzwingt, daß er zusammen gesetzet sey, und Theile habe.125

Unbeschadet dessen nämlich, daß eine solche Definition auf alle Körper zutrifft, spricht diese Erklärung doch nicht das an, was das Denken zuerst mit der Vorstellung eines Körpers assoziiert, nämlich eine Ausgedehntheit. Das philosophische Definieren also, so Basedow, muß streng der natürlichsprachlichen Bedeutung eines Ausdruckes nachgeordnet werden; und dieser Bedeutung wird man dann inne, wenn man sich an einen Sprachgebrauch hält, in den noch möglichst wenig abstraktive Momente eingegangen sind. Offenkundig unterstellt Basedow, daß es eine grundsätzliche Unterschiedenheit zwischen dem ›Begriff eines Dinges‹ und der Definitheit seiner Merkmale gibt.126 Basedow will also gegen eine allzu voraussetzungsreiche Fachterminologie auf die Unhintergehbarkeit der Umgangssprache hinaus.127 Das Votum für eine popularphilosophische 124  Für gewöhnlich sieht man die Option für den popularphilosophischen Vortrag der deut­schen Aufklärung einsetzen mit Johann August Ernestis Prolusio de philosophia populari (1754), der unter Inanspruchnahme antiker Vorbilder wie Pythagoras, Sokrates und besonders Cicero für eine populare Darstellungsform votiert, in der sich die antiken Lebensideale der Urbanität und Humanität (urbanitas atque humanitas) zum Ausdruck bringen sollen ( Ernesti: Prolusio, 284). »Quodsi philosophia loqui posset, haud dubie ipsa se popularem esse cupere profiteretur« ( l. c. 281 f ). 125  Basedow: Philalethie, 154 (im Orig. hervorg.). 126  L. c. 155: »Der Begriff von einem Körper setzt eine Zusammensetzung nicht voraus, er enthält nicht den Begriff, von einer geschehenen Zusammensetzung, nicht den Begriff von einer bevorstehenden Theilung, oder von einer jetzigen Theilbarkeit«. 127  Basedows Sprachüberlegungen scheinen uns anschlußfähig in erster Hinsicht an die Sprach­philosophie des Erlanger Konstruktivismus, dann aber auch ganz allgemein an jene Ent­ würfe, die von einem Sprach-Apriori ausgehen. Wenn nämlich, wie es Basedow vorauszuset­ zen scheint, Begriffe eine Bedeutung haben, die unmittelbar in ihnen liegt, dann ist auch da­von auszugehen, daß Sprechakteure, die sich dieser Begriffe bedienen, ein Vorverständnis be­sitzen, das es ihnen erlaubt, sich in der Welt zu orientieren; ein Vorverständnis, das un­hin­tergehbar

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Begriffspraxis, wie Mendelssohn es im Sinne hat bei der Abfassung seines Phai­ don, zeigt sich hier bei Basedow gefordert durch die sprachlogische Notwendigkeit begrifflicher Intensionalität. Die Popularphilosophie ist durch diese sprachphilosophische Erwägung Basedows allerdings nur hinsichtlich einer – nämlich der für uns hier entscheidenden – Dimension charakterisiert. Drei Jahrzehnte nach Basedows Philalethie finden wir aus der Feder von Christian Garve ( Von der Popularität des Vortrages, 1793) Erwägungen, für die die Popularphilosophie gemeinhin zu stehen pflegt. Für Garve haben die philosophischen Ideen gerade dann den höchsten Grad der Vollendung erreicht, wenn eine Mitteilungsform gefunden ist, die den philosophischen Gedankengang ohne einen Verlust seines sachlichen Gehaltes in populärer Darstellungsform darzubieten versteht: Man kann also mit Recht sagen, daß der höchste Grad der Vollkommenheit und Ausarbeitung philosophischer Ideen dann erst erreicht ist, wenn sie sich allen Menschen von gebildetem Verstande, auf eine leichte Art, mittheilen lassen (  350).

Darin aber ist zugleich vorausgesetzt, daß die Darstellungsform eines philosophischen Gedankens immer dann, wenn sie sich nicht auch unmittelbar volksist. Es handelt sich um jenen ›methodischen Solipsismus‹ ( Husserl: Car­te­si­a­nische, 32), der – bei allen bestehenden Unterschieden – den Ansätzen von Sprachhermeneutik (Gadamer), Sprachspieltheorie ( Wittgenstein), Sprechakttheorie ( Austin, Searle), konstruktivistischer Sprachpragmatik ( Lorenzen) und pragmatizistischer Semiotik (Peirce) gemeinsam ist (cf. Apel: Pragmatische, 40 f ). Wenn es dem philosophischen Lehrer gelingt, die Begriffe zu »rein­ igen« von jeglichem »fremden Zusatze, welchen man durch Definitionen hineingeschmol­zen hat« ( Basedow: Philalethie, 155), dann ist ihm damit die Befreiung des Hörers von stra­te­ gischen oder auch unter der Hand aufgetretenen Mißverständnissen, die eine systemimmanent verfahrende Philosophie – als Beispiel führt Basedow hier die Leibnizsche Mo­na­do­lo­ gie an – häufig mit sich bringt, gelungen. Der Sprechakteur ist dann nämlich in der Lage, nur aus sich selbst heraus und bei sich selbst bleibend in einem sprachlichen Kontext von Ak­ teu­ren, die ebenso handeln, zu verstehen und sinnvolle Sprachwelten zu erzeugen. Basedow würde unter diesem Gesichtspunkt dann die Möglichkeit, sich solchem ›Vorverständnis in Hin­­sicht auf sinnproduzierende Akte des Sprechsubjekts‹ anzuvertrauen, darum so vehement ver­treten, weil er in seiner Begriffstheorie davon ausginge, daß eine streng extensionale Be­ stimmung jener Relation, die durch einen Begriff gesetzt ist, diesen Begriff um seine bedeutungsvolle Expressivität bringt, die formal besehen darin besteht, daß – so die prädika­ten­ logische Vorausannahme aller Substanzontologie, die der Unsterblichkeitslehre durch die Fassung der Seele als Substanz allererst eine Möglichkeit gibt, begrifflich zu verfahren (cf. hierzu Kristeller: Die Philosophie, 320) – durch das Prädikat ein Attribut designiert wird. Dem­gegenüber würde das, was nach Basedow einen ›fremden Definitionszusatz‹ darstellt, ein rein extensionales Begriffsverständnis festschreiben, so daß das Prädikat keiner Designation fä­hig wäre, sondern nur eine Extension hätte, die in der Menge jener Objekte bestünde, auf die das Prädikat zuzutreffen vermag (cf. Puntel: Struktur, 219). Hierin erkennen wir die Base­ dowsche Aussage wieder, daß der ›Begriff von einem Körper seine Zusammensetzung nicht voraussetzt‹, die extensionale Annahme also, daß die prädikative Designation des Attri­buts der Zusammengesetztheit bei allen Körpern anzutreffen ist, den Körper noch keines­wegs hinlänglich beschrieben hat.

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tümlich mitteilen läßt, nur ein Vehikel ist, dessen sich der jeweilige philosophische Denker nur in Ermangelung besserer Ausdrucksformen bedient: Das Durchdenken einer Reihe alter Begriffe, unter einer … neuen Form, die von den persönlichen Eigenthumlichkeiten des denkenden Mannes herrührt …, führt gewiß auf ungewöhnliche … Ideenverknüpfungen, und ist insofern ein Weg zur Erfindung. Es ist aber die individuelle neue Form, immer nur als Vehikel, oder als ein neuer Gesichtspunct nützlich, unter welchem bekannte Gegenstände eine neue Absicht darstellen (  351).

Daß sich diese Ausdrucksformen aber noch nicht gefunden haben, so Garve, ergibt sich nicht zwingend aus der Sache, sondern ist immer kontingent. Bei längerem Umgang mit den philosophischen Ideen in theoriesprachlichem Gewande wird sich der Gehalt dieser Ideen auch dem philosophisch nicht Geschulten mitteilen, der nur ein genügend Maß an Aufmerksamkeit auf diese Ideen verwenden muß: »Ist diese Ansicht nicht ein bloßer Schein; so wird sie sich gewiß … auch denen zeigen, welche die Sache aus andern Standorten nur aufmerksam genug betrachten« ( 351 f ). Sollte sich aber bei aller Aufmerksamkeit herausstellen, daß die Transformation philosophischer Gehalte in eine leicht verständliche Sprache nicht gelingt, so wirft das ein Licht auf die philosophischen Ideen selbst, die in diesem Fall nachgerade als überflüssig zu behandeln wären. Somit stellt sich als Spitzenthese Garves heraus, daß der Inhalt philosophischer Aussagen niemals formgebunden ist und auch nicht sein darf, da die solchermaßen fixierte Wahrheit »niemals der Natur aller Menschen angemessen seyn kann« ( 352, Hhg. v. Vf.) und durch die Fesselung an eine singuläre Form auch keinen allgemeinen Nutzen bringt. Erst dann, wenn eine philosophische Einsicht den Raum ihrer systematischen Explikationslogik verlassen hat, erlangt sie den Status einer objektiven Erkenntnis und wird somit allgemein anwendbar: »[S]o wird … die technische Sprache … mit der gemein verständlichen vertauscht … Dann erst wird … Philosophie … objective Kenntniß, … bekömmt … mit ihrer größern Brauchbarkeit, auch die Ge­schmeidigkeit, populär vorgetragen werden zu können« (  352). Man kann leicht sehen, wie Mendelssohn und Basedow sich abheben von einem solchen Ansatz, der in der letzten Konsequenz Nützlich­keitserwägungen der Triftigkeit systematischer Deduktionen entgegensetzt. Da­mit ist der Gefahr schwer zu begegnen, daß philosophische Ableitungszusammen­hänge allgemeiner Verständlichkeit, so sehr diese auch zu begrüßen ist, geopfert werden.128 Daß mit der Entscheidung für die populäre Dar­stellung keinesfalls eine Ermäßigung des systematisch-philosophischen An128  Sehr wohlwollend wird die Popularphilosophie Garves dargestellt bei Kuhn: Religion, 165 – 168, der u. E. zutreffend bemerkt, daß Garve »trotz aller Krisenerscheinungen konsequent an der Aufklärung als einer allgemeinen Ausbildung der Vernunft festhielt« (165). Wenn Kuhn dann aber von einer »von der Volksaufklärung zu differenzierenden Popularphilosophie, als de­ren Hauptvertreter Garve und Mendelssohn gelten« (165), spricht, so scheint uns darin gerade jenen Differenzierungen, die auch innerhalb der Popularphilosophie vorgenommen werden müssen, nicht ausreichend Rechnung getragen worden zu sein.

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spruchs verbunden ist, zeigt sich in der anderen Grundannahme, die jede Aussage darauf verpflichtet, in die Begrifflichkeit philosophischen Systemdenkens überführt werden zu können. Auch hier liefert Basedows Philalethie eine Regel, unter Zuhilfenahme derer sich leicht plausibel machen läßt, wie Mendelssohns Transformationshermeneutik zu verstehen ist. Um auf das in einem Prädikat designierte Attribut stoßen zu können, schlägt Basedow vor, sich streng an den natürlichen Sprachgebrauch zu halten, denn da die »Freundschaft« der in Rede stehenden »Worte mit ihren Bedeutungen unauflöslich [ist]«,129 kann davon ausgegangen werden, daß sich in einem – durch die stets neu auftretende Herausforderung des Fremdverstehens operationalisierten – Verständigungshorizont natürlichsprachlicher Produktionen130 das Verständnis der Bedeutung eines Begriffs zwanglos einzustellen pflegt. Und wenn dies zutrifft, so ist eine nachfolgend statthabende Definition, wie Mendelssohn sie als möglich im Auge zu haben scheint, in der vorteilhaften Situation, auf ein nicht verunreinigtes Bedeutungsmaterial zurückgreifen zu können, das nur noch konkretisierenden Näherbestimmungen zugänglich zu machen ist. Mendelssohn ist es um die Verständlichkeit seiner Einsichten über alle Bildungsgrenzen hinweg zu tun. Doch legt er dieser Allgemeinverständlichkeit keine Kriterienfunktion hinsichtlich der von ihm formulierten Philosophie bei, sondern stellt seine Philosophie unter den stets mitgeführten Vorbehalt, in einen innersystematischen Deduktionszusammenhang übersetzbar zu sein; und damit weitet sich der Horizont seines religionsphilosophischen Denkens. So stark immer auch seine Bemühungen sind, umfassende Verständlichkeit zu erzielen – immer sind diese Bemühungen ausschließlich davon bestimmt, einer gewaltfreien Applikation der von ihm entwickelten philosophischen Deduktionen zu dienen. Daß diese Deduktionen immer auch in einem anderen systema­tischen Zusammenhang in Gültigkeit bleiben müssen, um triftig zu sein, ist eine Einsicht, die er dem Rezipienten seiner Texte zwar ersparen mag, ohne damit aber zugleich diese Einsicht und ihre Folgen für seine eigene Religionsphilosophie zu übersehen. c) Aneignungsvarianten Einen ersten Zugang zu Mendelssohns Aneignung des Originals nehmen wir über Vergleiche zwischen exemplarischen Texten Platons und Mendelssohns, die noch nicht unmittelbar eingebunden sind in die Unsterblichkeitsbeweise.131 129 

Basedow: Philalethie, 156. L. c. 156: »[E]s [ist] ein methodischer Hauptsatz, daß die Definitionen gemeiner Worte und Redensarten, ihnen keine andere Bedeutung geben müssen, als welche sie in dem gemeinen Sprachgebrauche haben«. 131  Diese Betrachtungen den Beweisen Mendelssohns voranzuschicken ist wichtig, weil die Unsterblichkeitsvermeinung schon feststeht, bevor die Beweise beginnen. Cf. dazu Strauss: Phädon, xviii  f u. xxiv. 130 

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Der Vergleich zweier Schlüsselzitate zeigt, wie fundamental sich die Fragestellung Mendelssohns gegenüber dem Platonischen Phaidon verändert hat: In einem rückblickend erinnerten Zwischengespräch, das Sokrates mit Phaidon führt, wird die Frage thematisch, inwieweit die Form philosophischer Rede dem Charakter des philosophischen Gegenstands überhaupt gerecht zu werden vermag. Sokrates wendet sich in einem antisophistischen Plädoyer gegen einen Zweifel, der sich auswächst zu einer methodischen Abneigung gegen philosophische Prinzipienreflexionen. Nun beginnt im 40. Kapitel des Phaidon eine Passage, die Mendelssohn so variiert, daß sich in dieser Variation in nuce das ganze Programm der Transformation zeigt, die ihre Besonderheit darin hat, von Platon an entscheidender Stelle abzuweichen. Sokrates sagt hier, daß er es für eine Täuschung hält, wenn man die Logoi (  90e) dafür verantwortlich machte zu schaden. Vielmehr sei der Mensch selbst noch nicht ganz im Zustand geistiger Gesundheit, wenn ihm die Logoi als krankmachend erscheinen, eine Täuschung, der er in ununterbrochenem Bemühen um die eigene seelische Gesundheit zu widerstehen hätte. Dieses Interesse an der seelischen Gesundheit nimmt der Platonische Sokrates im Phaidon ganz vorzüglich deshalb, weil er in seinen Mitmenschen keine Angst vor der Leere des Todes aufkommen lassen will und sie so zugleich dahin bringen möchte, den eigenen Tod friedlicher zu erwarten. Sokrates, dem Todesangst fremd ist, stellt hier in hypothetischer Rede den Gedanken vor, daß sich mit der Unsterblichkeitsvorstellung auch für ihn selbst ein Trost verbinden könnte. Diese unmittelbare Betroffenheitssituation des Sokrates, der in Erwartung seines Todes plötzlich spürt, nicht ausschließen zu können, daß auch er von einem Verlangen nach Trost geleitet ist, würde die Gefahr mitbringen, die dialektische Wahrheitssuche auszustechen. Und es sind darum gerade dieser aus der Unsterblichkeitsvorstellung fließende Trost und der dem Philosophen in der Todesstunde daraus erwachsende Vorteil, die den Sokrates mißtrauisch gegen sich selbst werden lassen und ihn befürchten machen, gar nicht mehr als Dialektiker, sondern als ein Mensch im Ausnahmezustand, den die Todesfurcht nach gedanklicher Entlastung suchen läßt, zu reagieren.132 Nach dieser Zwischenüberlegung geht dann Sokrates wieder unmittelbar ans Werk dialektischen Denkens ( Kap 41). Anders der Mendelssohnsche Sokrates. Mendelssohn folgt dem Original bis zu der von uns zitierten Passage. Dann aber bringt er eine Reflexion, die sich nicht nur bei Platon nicht findet, sondern auch unmittelbar in das Zentrum der eigensten Absichten Mendelssohns führt. Während nämlich der Platonische So132  »Denn ich fürchte fast«, sagt er nämlich, »daß ich eben in Beziehung hierauf … mich nicht als wahren Philosophen zeige (ὡς κινδυνεύω ἔγωγε ἐν τῷ παρόντι περὶ αὐτοῦ τούτου οὐ φιλοσόφως ἔχειν) … [W]enn, was ich sage, wahr ist, so ist es gut, davon überzeugt zu sein; hat aber der Verstorbene nicht mehr zu erwarten, so falle ich doch wenigstens diese letzten Stunden vor dem Tode den Anwesenden nicht durch Klagen zur Last« (  91 ab). Übersetzungen Platons entnehmen wir, wenn nicht anders angegeben, Sd.

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krates nach dem Eingeständnis, seine Unsterblichkeitsreflexionen wären auch interessegeleitet, die Kameraden vor sich selbst warnt, um sich dann unmittelbar der philosophischen Rede wieder zuzuwenden, führt der Mendelssohnsche Sokrates jenen Gedanken breit aus, den es für Platon abzuweisen gilt. Wir zitieren die entscheidende Passage (250, Hhgn. v. Vf.): 133 Ich ergetze mich … an dem Gedanken, daß alles, was dem … menschlichen Geschlechte wahren Trost und Vorteil bringen würde, wenn es wahr wäre, schon deswegen viel Wahrscheinlichkeit … habe … Wenn die Zweifelsüchtigen wider die Lehre von Gott und der Tugend vorwenden, sie sei eine bloße politische Erfindung … so möchte ich ihnen … zurufen: … [E]rdenket einen Lehrbegriff, welcher der menschlichen Gesellschaft so unentbehrlich ist, und ich wette, daß er wahr sei.

Als Variante der Pascalschen Wette führt hier der Gedanke, daß es sich bei der Un­sterblichkeitsvorstellung nicht um eine reine Denknotwendigkeit, sondern um eine interessegeleitete Vorstellung handelt, bei Mendelssohns Sokrates zu einem Ergötzen; Trost und Vorteil lösen den Platonischen Methodentropos ab.134 In dem Maße nämlich, so Mendelssohn, als die Wahrheit eines Gedankens als trost- oder hilfreich vorgestellt wird, nimmt auch die Wahrscheinlichkeit dessen zu, daß dieser Gedanke für sich beanspruchen kann, wahr zu sein. Dabei ist es vital, daß die Wahrscheinlichkeit dieses Gedankens seiner Prinzipienprüfung immer schon vorausgeht. Damit legt Mendelssohn dem Sokrates genau jenen Gedanken in den Mund, der ihn auch gegen Thomas Abbt an die Seite Johann Joachim Spaldings treten ließ: die deutliche Parteinahme für den Glückseligkeitsoptimismus der Leibnizwelt gegenüber einem kritischen Plädoyer für die nichthintergehbare Kontingenz des Weltenlaufes. Doch Mendelssohns Überlegung geht, wie wir dem Zitat entnehmen, noch weiter, indem sie auf den sich sofort einstellenden Kompensationsvorwurf reagiert. Wenn sich die Wahrheit einer Aussage daran bemißt, wie stark die in ihr enthaltene Annahme auf das Glücksstreben zu wirken vermag, liegt der Einwand nahe, daß 133  Man kann die folgende Passage auch (so L. Schneider: Die Unsterblichkeitsidee, 761) als den bekannten ›Beweis ex consensu gentium‹ ansprechen. Daß dieser Beweis, so schwach er prima facie sich darstellt, keineswegs zu unterschätzen ist, hängt einmal mit seinem Bezug da­ rauf zusammen, daß die Gotteslehre immer in Traditionszusammenhängen steht, dann aber auch damit, daß die Argumentationsstrategie dieses Beweises nicht getragen ist von ontolo­ gisch-metaphysischen Wesensaussagen über Gott. Cf. hierzu Rosenau: Vom Warten, 45 – 52, bes. 46f. Doch ist damit über Mendelssohns Gebrauch, den er hier von diesem Beweis macht, noch nichts ausgesagt, zumal Mendelssohn sich durchaus in seinen Unsterblichkeitsbeweisen me­­ta­physisch-ontologischer Operatoren bedienen wird. 134  Schlagend bestätigt Mendelssohn diese seinem Sokrates in den Mund gelegte Aussage, wenn er in einem Brief vom 1. Mai 1764 an Abbt anläßlich des frühen Todes seiner Tochter schreibt: »Sie werden über meine Einfalt lachen, und in diesem Räsonnement die Schwachheit eines Menschen erkennen, der Trost sucht, und ihn nirgend findet als in seiner Einbildung. Es kann seyn ! Ich besitze Eigenliebe genug, eine jede Lehre zu adoptiren, die meine Gemüthsruhe befördert … Ich kann nicht glauben, daß uns Gott auf seine Erde etwa wie den Schaum auf die Welle gesetzt hat« (Gs v 315).

3. Phaidon

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dieses Glücksstreben eine solche Annahme aus sich selbst hervorgebracht habe. Auf diese Hervorbringung ließe sich dann pünktlich mit dem ideologiekritischen Einwand reagieren, ein solcher Glaube wäre ›erdacht‹ worden, um das Volk ruhig zu stellen und am Selbstdenken zu hindern. Die ›Unentbehrlichkeit‹ eines solchen Glaubens im Volksdenken wäre geradezu die nichtkompensierbare Affirmation dessen, autoritäre Diskursgewohnheiten auf Dauer zu stellen. Mendelssohn aber ist offensichtlich der genau anderen Auffassung, daß nämlich die Unentbehrlichkeit einer Überzeugung, für ihre Wahrheit einzustehen vermöchte. Wenn Sokrates dies im Sinne einer Wette gegen die Zweifler ins Spiel bringt, so liegt darin auf den ersten Blick der Verzicht auf eine schlüssige Argumentation. Dieser Verzicht aber scheint beabsichtigt zu sein. Offensichtlich nämlich drückt sich darin die von Mendelssohn vorausgesetzte Überzeugung aus, daß die Menschheit genau dann, wenn sich ihr ein bestimmter Glaube innerhalb unterschiedlicher kultureller Entwicklungsstufen als unverzichtbar herausgebildet hat, gar nicht fehlgehen kann. Mendelssohn trägt hier in das Wissen eine Differenz ein, die sich für seine Exposition der Unsterblichkeitsbeweise als maßgeblich herausstellen wird. Einen vorläufigen Aufschluß über diese Differenz im Wissen mag Mendelssohns Evidenzschrift geben, deren Entstehungszeit in die Ausarbeitung des Phaidon fällt. Mendelssohn äußert sich zu den unterschiedlichen Weisen, etwas zu wissen, am Ende des zweiten – der Metaphysik gewidmeten – Abschnitts der Abhand­ lung über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften von 1764. Dabei entwickelt er seine Überlegung in unmittelbarer Nähe zum Autoritätsproblem. Hier stellt er zuerst nüchtern fest, daß zwar in den mathematischen Wissenschaften, der Kunst und selbst im Handwerk immer auf das Urteil der Fachleute Wert gelegt wird, aber »in der Weltweisheit, in der Sittenlehre, in der Politik ist jedes Menschen Gesicht dreist genug, das Richteramt zu übernehmen« ( Ae 137). Nun aber folgt ein brennendes Plädoyer für die Denkfreiheit des Bürgers jenseits einer jeden Autorität. Die Anarchie der Meinungen also erscheint ihm sehr viel weniger gefährlich als eine autoritäre Einschränkung der Denkfreiheit, ein »Despotismus mit allen seiner gefährlichen Folgen« ( Ae 135). Der »Geist des Widerspruchs« ist nicht nur eine notgedrungen hinzunehmende Folge liberaler Lebensbedingungen, sondern auch eine notwendige und »heilsame Stütze der Freiheit« ( Ae 135). Es ist nämlich eine die Freiheit immer begleitende Implikation, »daß jeder Mann seine Meinung sage, so ungereimt sie auch sei, damit sich niemand einkommen lasse, seinen Eigenwillen … seinen Mitbürgern aufzudringen« ( Ae 135). Und was der politischen Freiheit recht ist, das ist der philosophischen Freiheit billig. Jetzt fällt ein Satz, der für die Interpretation und das Verständnis des Phaidon sehr aufschlußreich ist ( Ae 135): Da nicht jeder die Fähigkeit hat, die Lehrsätze der Weltweisen zu prüfen, so ist es besser, daß er seinen geringen Einsichten gemäß urteile, als daß er einen philosophischen Papst erkenne

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… Wer sich über diese Freiheit beklagt … ist ein gefährlicher Bürger in der Republik der Weltweisheit.

Ein zumindest Dreifaches liegt in dieser Überlegung:135 Einmal ist die philosophische Freiheit in einem Gespräch dann wirklich ernstgenommen und gewahrt, wenn nicht erst die ausreichende Professionalität der Diskurspartner über ihre Teilnahme an dem Diskurs entscheidet. Zum anderen scheint in Mendelssohns Aussage die schon ausdrücklich gewordene Voraussetzung mitzuschwingen, daß immer dann, wenn sich eine philosophische Meinung durch ganz unterschiedliche kulturelle Entwicklungsstufen hindurch als notwendig und immer wiederkehrend herausgestellt hat, auch damit zu rechnen ist, daß es sich hier um eine Einsicht handelt, die Anspruch darauf erheben kann, wahr zu sein. Eine dritte Implikation der Überlegung Mendelssohns führt unmittelbar hinüber zum Phaidon und der Organisation, die Mendelssohn dem Zusammenhang von theoretischer Demonstration und praktisch-religiösem Wissen gibt. Mendelssohn bringt seine Differenzierung von theoretischem und praktischem Wissen am Ende des dritten Abschnitts der Evidenzschrift über die Anfangsgründe der natürlichen Gottesgelehrtheit, und er stellt hier die demonstrative Kraft von Gottesbeweisen der praktisch-religiösen Erkenntnis gegenüber. Dabei ist es bedeutsam, daß die praktische Erkenntnis keine gleichsam assoziativ-intuitive Vorstufe der theoretisch-deduktiven Erkenntnisform darstellt, die dann praktische Vorannahmen entweder reflexiv bestätigt oder korrigiert. Im Gegenteil besteht die religiöse Dimension philosophischen Denkens darin, sehr viel anspruchsvoller zu sein, als daß ihm theoretische Demonstrationen genügen könnten. Denn da die Lehre von Gott nicht nur überzeugen, sondern auch rühren, das Gemüt bewegen und zu einem dieser Lehre gemäßen Wandel antreiben soll, so ist es mit den bloß demonstrativen Beweisgründen nicht genug, sondern das Leben der Erkenntnis muß durch eine Menge von überführenden Gründen angefeuert werden ( Ae 150).

Daraus geht hervor, daß religiöses Erkennen niemals nur der bejahende Nachvollzug zuvor plausibel demonstrierten Wissens ist, sondern spezifisch darüber hinausgeht. Im religiösen Wissen ist nämlich immer auch jener Lebensvollzug mitgesetzt, aus dem dieses Denken geboren wurde. Man darf vielleicht sogar kommentieren, daß dieses Wesen der Erkenntnis immer nur im Zugleich mit dem religiösen Weltverhältnis hervorgebracht wird. Darum reicht Diskursi­ vität auch nicht zu, sondern es bedarf anderer Gründe, solcher nämlich, die 135  Altmann: Moses Mendelssohns Frühschriften, 303, bezieht diese Passage auf den in der Aufklärung lebhaft geführten Vorurteilsdiskurs: »Hier spricht der Aufklärer, der sich im Besitz der metaphysischen Wahrheiten weiß und den Mangel ihrer Überzeugungskraft dem Vorurteil und der Rechthaberei zur Last legt«. Ein solches Verständnis soll durch unsere In­ ter­pretation nicht ausgeschlossen werden. Cf. zu dieser Passage auch Goetschel: Men­dels­ sohn, 492.

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diesem Denken durch affektentfachende Darstellungsformen gemäß sind. Im Gegenüber zu der von Mendelssohn als ›theoretisch‹ gekennzeichneten Erkenntnis, die sich mit »trockensten Demonstrationen, mit der bloß deutlichen Erkenntnis« ( Ae 150) befaßt, geht die religiöse Erkenntnis über Deutlichkeitsund Durchsichtigkeitsreflexionen hinaus. Worin besteht der generische Unterschied religiösen Denkens ? Offensichtlich besteht die Besonderheit vornehmlich darin, einen »starken und lebhaften Eindruck in das Gemüt« zu machen ( Ae 150f),136 und mit diesem lebendigen Eindruck ist dann darüber hinaus ein hand­lungsbefördernder Einfluß verbunden ( Ae 151). Ist hiermit, so scheint uns, ein entscheidender Gesichtspunkt für die Interpretationsabsichten der Mendelssohnschen Platonadaption gewonnen, so muß noch auf die Frage eingegangen werden, wie die Modifikation der Platonischen Beweise durch Mendelssohn einzuschätzen sei – gerade auch vor dem Hintergrund jener Absicht Mendelssohns, Platon hinsichtlich der Schlußkraft seiner Beweise übertreffen zu wollen. Offenbar bedeutet diese Verstärkung der Beweiskraft nicht eine gleichzeitige Vertiefung des Vertrauens in die Zuständigkeit solcher Beweise mit Blick auf das religiöse Leben, sondern die Beweise sind in den Dienst genommen, die Urteilskompetenz zu stärken, von der wir gesehen hatten, daß sie stets in Anspruch genommen werden soll. Dieser Absicht dient am besten eine Darstellungsweise, die zwar einerseits sehr gefällig und populär ist, dann aber trotzdem den Leser in den Stand setzt, auf der Höhe des Epochenbewußtseins zu reflektieren und somit eine eigene Urteilskompetenz zu erwerben. Und genau darin ist Mendelssohns erklärtes Ziel seiner Phaidonbearbeitung zu erblicken. Dies zeigt sich auch in der Weiterführung der zitierten Passage ( ib.): Das menschliche Geschlecht ist zur Geselligkeit, so wie jedes Glied zur Glückseligkeit, berufen. Alles, was … zu diesem Endzwecke führen kann, ist … von dem weisesten Urheber als ein Mittel gewählt … Diese … Vorstellungen haben … viel Tröstliches und zeigen uns das Verhältnis zwischen dem Schöpfer und dem Menschen …: daher ich … wünsche, … mich von der Wahrheit derselben zu überzeugen.

Geselligkeit also und Glückseligkeit finden sich in diesen Zeilen miteinander ver­bunden und aufeinander verwiesen, so nämlich, daß – wie es sich schön in dem begeisterten Schreiben eines englischen Besuchers über den Wiener Salon der Maria Wilhelmine von Thun liest – die gelungene Geselligkeit »kleine System[e] von Glückseligkeit« ausbildet.137 Die tröstende Funktion des Endzwecks der Schöpfung als einer Vorstellung, die zugleich höchste Glückseligkeit jedem einzelnen verheißt, ist nur zu verwirklichen im menschlichen Geschlecht 136  Mit nahezu der gleichen Formulierung hat am Beginn des Neukantianismus Friedrich A. Lange: Geschichte, 539, die Religion mit der Kunst in Verwandtschaft gesehen: »Die Religion ist … stets von der Kunst unzertrennlich gewesen«. Der »wahre Werth der Vorstellungen« in Religion und Kunst liege nämlich in dem »Stil der Vorstellungs-Architektur und in dem Eindruck dieser Vorstellungs-Architektur auf das Gemüth«. 137  Zit. nach Im Hof: Das Europa, 105.

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als eines ganzen. Damit ist aber auch die jedem einzelnen zukommende Glückseligkeit auf das engste verknüpft mit jener Geselligkeit,138 die das MiteinanderHandeln trägt; und wenn Mendelssohn die Geselligkeit hier im Zusammenhang mit der religiösen Gewißheitsproblematik in das Spiel bringt, so liegt es nahe, daß er offenkundig in seiner popularen Philosophie nichts anderes gesehen hat als die notwendige Hinführung seiner Leser und Leserinnen auf reine Menschlichkeit als die notwendige Voraussetzung für jeden geselligen Umgang. Welche Frage hätte wohl größeres Anrecht darauf, in hoher Geselligkeit behandelt zu werden, als die Frage nach dem Tod ? Das eigene Sterben-Müssen und die Geselligkeit gleichen sich nämlich hinsichtlich der starken Tendenz zu einer Vergleichgültigung jener Unterschiede, die außerhalb beider von individuellem Bedeutungswert sind. Wie stark dieses popularphilosophische Vorgehen – final in der Geselligkeit ausgetragen – sich bei Mendelssohn zeigt, wird an einem Detail deutlich. Platons Sokrates entwickelt im 57. Kap. (Sd ii 107c f ) die konjunktivische These, daß in dem Fall, da man die Seele als sterblich annähme, zugleich die Bosheit der Bösen, die dergleichen nur begrüßen könnten, mitstürbe. Das Ziel dieser Argu­ men­tation besteht darin, noch einmal einzuschärfen, wie er einen sorgsamen Umgang mit der Seele verstanden wissen will: Erst in der Ewigkeitshoffnung wird der Mensch seines Seins so angesichtig, wie es sich über alle Kontingenzen und Neigungen in jenem irdischen Leben, dessen Denken und Tun der Tod vollständig auslöscht, erhebt, um es selbst zu werden; und darum ist die Pflege der Seele nur dann angemessen betrieben, wenn sie sich nicht nur auf das irdische Leben bezieht oder anders,139 wenn sie sich nicht unter der Perspektive auf das irdische Leben bezieht, daß der Tod dann auch eine Vergleichgültigung allen sittlichen Tuns sein wird.140 Mendelssohn übernimmt diesen Gedanken Platons, indem er ihn dort zu Gehör bringt, wo sich im Platonischen Phaidon die dramatische Zäsur einstellt, von der oben schon die Rede war, daß nämlich Sokrates selbst in tiefes Schweigen versinkt, während Simmias und Cebes leise flüsternd ihre Unzufriedenheit über die Rede des Sokrates zum Ausdruck bringen (84cf). Wenn Mendelssohn auch diese Szene am Beginn seines zweiten Gesprä138  Diese

Verknüpfung von Geselligkeit und Glückseligkeit findet sich schon als De­fi­ni­ tion im Zedler 1735 auf den Begriff gebracht: »[D]ie Geselligkeit zum Zwecke unserer eigenen Glückseligkeit erfordert, daß wir einander vernünfftig lieben, und also die Pflichten, die wir andern aus vernünfftiger Liebe zu erweisen schuldig sind, uns zu unsern selbst eigenen Besten als unumgängliche Mittel desselben von Gott und Natur auferleget sind« ( Z 10, 1260). 139  »Folgendes nun aber, meine Freunde, tut man gut, sich in Gedanken gegenwärtig zu hal­ten. Wenn anders die Seele unsterblich ist, so bedarf sie sorgsamer Pflege nicht nur für diese Spanne von Zeit, für die wir den Ausdruck ›leben‹ gebrauchen, sondern für die gesamte Zeit, und sollte jemand sich dieser Sorge entschlagen, so dürfte nunmehr die Gefahr für ihn als keine geringe erscheinen« (Sd ii 107 c). 140  »Denn wäre der Tod eine Trennung von allem und jedem, so wäre es für die Bösen, wenn sie sterben, ein willkommenes Geschenk« ( ib.).

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ches bringt, so verändert er doch Platons Intention beträchtlich. Der mit Cebes tuschelnde Simmias trägt zwar ebenfalls seine Einrede wider den Sokrates vor, aber diese Einrede enthält schon jene Überlegung, die Platon dem Sokrates in den Mund gelegt hatte, daß nämlich das sittliche Leben ohne jede Bewandtnis sei, wenn der Tod alles sittliche Tun durch Auslöschung vergleichgültigen würde. Der Mensch wäre dann »wie das Vieh, hieher gesetzt worden, Futter zu suchen und zu sterben« und es »hat der verworfenste Sterbliche sogar die Macht, sich der Herrschaft Gottes zu entziehen, und ein Dolch kann das Band auflösen, welches den Menschen mit Gott verbindet« (241). Indem somit Simmias hier zentrales Sokratisches Gedankengut in einem Einwand gegen den Sokrates vorträgt, scheint sich jene popularphilosophische Absicht, auf geselligkeitsstiftende Billigkeit zu setzen, im Dialog selbst schon verwirklicht zu haben. Der Lehrer verliert den durch seine alles überstrahlende Persönlichkeit noch bekräftigten Anspruch auf Expertentum hinsichtlich der Seelenführung, und der Schüler kann in der zwangfreien Geselligkeit mit dem Lehrer jene Einsichten vortragen, die an die letzten Intentionen des Sokrates rühren. Simmias verbindet hier seine feste Überzeugung von der Unsterblichkeitslehre mit dem Selbstmordverbot; doch dieses Verbot hat hier schon die unerschütterliche Form einer nicht mehr des Beweises bedürfenden Gewißheit angenommen.141 Das sittliche Handeln nämlich, so Mendelssohn, die Bestimmung hienieden, darf nicht sinnlos werden; es würde aber sinnlos, wenn der Mensch nicht mehr genötigt wäre, Rechenschaft zu geben, weil er sich durch Selbstauslöschung jeder Rechtfertigung entziehen kann: Als hätte sich »das gesamte menschliche Geschlecht … gleichsam verabredet, eine Unwahrheit zu hegen und die Betrüger zu verehren« (241). In diesem Ton fährt Simmias noch eine Weile fort, wobei er kaum eine drastische Formulierung ausläßt, um seiner Einsicht Nachdruck zu verleihen, daß Zweifel an der Unsterblichkeit den Menschen auf die Stufe des »elendeste[n] Tier[s] auf Erden« (241) zurücksinken ließen. Gehen wir an das Ende des zweiten Gespräches, so stoßen wir auf die wohl interessanteste Abweichung von der Platonischen Vorlage. Der Beweis ist hier ans Ende gekommen, und Sokrates resümiert den Gedankengang, wobei uns zugleich ein Blick in die Beweisintention erlaubt wird. Wir halten diese Passage aus zwei Gründen für bedeutsam: Einmal setzt sich Mendelssohn hier ins Verhält141  Anders nämlich findet sich das Selbstmordverbot bei Mendelssohn aufgenommen am Beginn des Phaidon, wo er es in einer den Briefen über die Empfindungen sehr ähnlichen Weise aus der Nichtunterbrechung stetiger Vervollkommnung motiviert sieht. »Als treugesinnten Leibeigenen also muß es uns eine heilige Pflicht sein, die Absichten unsers Eigentumsherrn zu ihrer Reife gedeihen zu lassen, sie nicht gewaltsamerweise in ihrem Laufe zu hemmen, sondern vielmehr alle unsere freiwilligen Handlungen mit denselben auf das Vollkommenste über­einstimmen zu lassen« ( P 208). Zu dem Problem, daß die Annahme einer Unsterblichkeit der Seele für eine Selbstaufopferung und zugleich gegen den Selbstmord einzustehen vermag, cf. Bähr: Der Richter, 97 ff, bes. 100 f.

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nis zum Herzstück des Platonischen Phaidon, der zweiten Seefahrt; dann aber ist das Ende des zweiten Gespräches zugleich der Beschluß einer Argumentationsfigur, die Mendelssohn wohl noch abgeschlossen hat, bevor er sich dann im dritten Gespräch an die Seite Spaldings begibt, um seinen Phaidon als einen philosophischen Kommentar der Bestimmung des Menschen fortzuführen, wobei er entscheidende Argumentationsfiguren aus dieser Schrift übernehmen wird. Sokrates berichtet hier von seinen Erfahrungen mit der Naturphilosophie, wobei er mit Blick auf Anaxagoras von seiner anfänglichen Begeisterung und dann folgenden Ernüchterung erzählt. Die von der göttlichen Vernunft durchwohnte und aus rotationswirbelnder Expansivität entstehende Natur übte auf Sokrates durchaus eine große Faszination aus, jedoch empfand er bald die mechanistische Schwäche dieses Modells.142 Die Absage an eine solche Naturphilosophie hat Sokrates empfunden als Abwendung von einem Dogmatismus, der an Gegebenem nur die in infinitum gehende Redundanz, gegeben zu sein, erkennen kann: »[I]ch [hatte] mich also daraufhin von der Betrachtung der gegebenen Dinge losgesagt« (  99d).143 Es ist genau dieser Gedanke, den Mendelssohn aus dem naturphilosophischen Erfahrungsbericht des Platon übernimmt: »Das erste, davon wir versichert zu sein glauben, ist der Körper und seine Veränderungen; diese bemeistern sich so sehr aller unserer Sinne, daß wir eine Zeitlang das materielle Dasein für das einzige und alles übrige für Eigenschaften desselben halten« (263; Hhgn. v. Vf.). Dann folgt aber nicht die eidetische Methodologie des Platon, sondern eine Zwischenbemerkung des Simmias, bevor der Mendelssohnsche Sokrates zur zweiten Fahrt sich rüstet: »Mich freut es … daß du selbst, wie du nicht undeutlich zu verstehen gibst, diesen verkehrten Weg gegangen bist« (263). Darauf dann Sokrates: »Allerdings, mein Lieber ! … Die ersten Meinungen aller Sterblichen sind … einander ähnlich« (263). Mendelssohn implementiert also dem Dialog des Sokrates mit seinem Schüler jenes popularphilosophische Anliegen, von dem wir gesehen hatten, daß es die Exposition des Phaidon, nach Mendelssohns Aussage gegenüber Raphael Levi, bestimmt. Die Strahlkraft des Sokrates bleibt bestehen, doch wird sie partiell ihrer Exklusivität beraubt, wenn der Meister nun auftritt wie jener Popularphilosoph, der nicht nur in den Worten seiner Schüler spricht, sondern auch zu verstehen gibt, sie bei ihren epistemologischen Pannen begleitet zu haben. Auch Platons Sokrates gab ja Bericht von seiner anfänglich naiv-realistischen Einstellung den Dingen gegenüber, doch besteht sein Anliegen darin, genau diese realistische Einstellung aufzuklären, um dann erst zu sagen von dem, was ist, daß es sei, wenn das Umschlagen-Können von Unterschiedenem in ›Unterschiedenes an ihm selbst‹ ( μηδέποτε ἐναντίον ἑαυτῷ τὸ ἐναντίον ἔσεσθαι; 103 c) streng 142 Cf.

Natorp: Platos, 153 u. Barth: Die Geburt, 7. übersetzt hier zutreffend, aber nicht wörtlich, wie Schleiermacher, bei dem es heißt »aufgegeben die Dinge zu betrachten (ἀπειρήκη τὰ ὄντα σκοπῶν)« (Schlei iv 301). 143  Apelt

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ausgeschlossen wurde. Daß Mendelssohn hier einen anderen Weg nimmt, wird an einer verblüffenden Umbesetzung des Platonischen Sprachgebrauchs deutlich. Der Platonische Sokrates beginnt die Schilderung der zweiten Fahrt gleich zweimal mit dem Signal, sich im Bereich des noch vermeinenden Herantastens zu bewegen, dies aber im Zusammenhang mit jenen Sentenzen,144 die durchaus seine finale Intention wiedergeben. Doch dieses meinende Wissen ist es nun, dem Mendelssohn die Fähigkeit, wahrheitsbetroffene Aussagen zu treffen, entreißt. Und mehr noch: Das Vermeinen, mit dem der Platonische Sokrates schon die ersten Eindrücke seiner zweitbesten Seefahrt mitteilt, wird durch den Mendelssohnschen Sokrates ausschließlich pejorativ besetzt: »Sie irren, die Wahrheit suchend, auf dem Meere der Meinungen auf und nieder« (263). An die Stelle jener Meinungen treten »Vernunft und Nachdenken«, die den herumirrenden Wahrheitssuchern »in die Segel leuchten und eine glückliche Anlandung verkündigen« (263). Letztlich wird das durch die Segel der Vernunft auf Tempo gebrachte Schiff einlaufen in den Heimathafen – das »Reich der denkenden Wesen« ( ib.). Dabei findet eine Einsichtsstufung statt, an deren Ende die Erhebung zu Gott steht. Doch ist die vorletzte Stufe ebenfalls von Interesse. Mendelssohn geht nämlich davon aus, daß der nunmehr mit Vernunft ausgestattete Geist zuerst unter »seinesgleichen« ( ib.) sich aufhalten wird, daß also eine erste, aber nur vorläufige, Erkenntnisstufe ihn in die Lage versetzt, das ihm Gleiche zu erkennen. Eine solche Erkenntnis wird dem denkenden Geist durch die Endlichkeit ihm gleicher Wesen ermöglicht, weil das Denken hier im Vollzug des Bestimmens und also der Endlichkeitssetzung ist.145 Doch ist dieses Denken-von-Endlichem nur ein Durchgang zu der »Urquelle des Denkenden und Gedenkbaren, zu jenem alles begreifenden, aber allen unbegreiflichen Wesen« ( ib.). Hier ist der Platonsche Phaidon, der genau an dieser Stelle den Finger auf das Begreifen-von-Endlichem legt, weil allererst letzte Sicherheit darüber erlangt werden soll, daß ein Indikativ-Sinn ist und bleibe, durch Mendelssohn verlassen zugunsten des unbegreiflichen Wesens. Diesem Wesen kommen zwei Funktionen zu: Einmal – und damit bringt Mendelssohn zwei Motive in das Spiel, die zur eisernen Ration aller Aufklärung gehören –, weil allein dieses Wesen »Beruhigung« und »Glückseligkeit« zu geben vermag ( ib.).

144 »Nachdem ich mich … von der Betrachtung der gegebenen Dinge losgesagt hatte, schien (ἔδοξε) mir alle Vorsicht geboten, mich vor dem Schicksal derjenigen zu bewahren, die die Sonne bei ihrer Verfinsterung anschauen und beobachten; büßen doch manche das Au­ gen­licht ein, wenn sie nicht das Bild derselben im Wasser … betrachten« (Sd ii 99 d f ). Und im darauf folgenden Satz heißt es: »Es schien (ἔδοξε) mir demnach notwendig, zu den Begriffen meine Zuflucht zu nehmen und an ihrer Hand das wahre Wesen der Dinge zu erforschen (εἰς τοὺς λόγους καταφυγόντα ἐν ἐκείνοις σκοπεῖν τῶν ὄντων τὴν ἀλήθειαν)« (Sd ii 99 e). 145  »[E]rschaffene[] Wesen [können] … ihrer Endlichkeit halber … gedacht und deutlich be­griffen werden« ( P 263).

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Die zweite Funktion jedoch mag noch sehr viel schwerer wiegen, sie besteht nämlich darin, »daß alles, was in der Körperwelt und in der Geisterwelt gut, schön und vollkommen ist, von ihm seine Wirklichkeit hat« ( ib.). Nicht also besteht der Zentralnerv darin, bestimmt von Bonität, Schönheit und Vollkommenheit reden zu können, sondern das Bestimmbarkeitsinteresse ist jener ganz anderen Einsicht gewichen, daß nämlich all unser Wissen nur den Anspruch auf schattenvolle Vorläufigkeit wird beanspruchen können, wenn es sich nicht im Wissen Gottes weiß. Damit jedoch fällt Mendelssohn keineswegs in einen epistemologischen Dogmatismus zurück, wie man vermeinen könnte, wenn man ihn nur, wie wir das bis hierher getan haben, in unmittelbarem Vergleich zu seiner Vorlage liest. Um zu erfahren, wie er die solchermaßen exponierten Beruhigung und Glückseligkeit, die in der reinen Abkünftigkeit vom höchsten Wesen bestehen, verstanden wissen will, muß noch einmal der Beginn seines zweiten Gesprächs in Augenschein genommen werden. Hier nämlich formuliert Simmias seinen Einwand gegen Sokrates, und er schickt seinem Einwand eine längere Erinnerung voran, auf die wir oben schon hingewiesen haben. Diese Erinnerung bestand darin, daß Simmias hier die bei Platon sehr viel später auftauchende Einsicht des Sokrates vorträgt, ohne die Unsterblichkeitslehre bestünde kein sinngebender Anreiz, das Gute zu tun. Zuvor jedoch macht Simmias eine Bemerkung, die als unmittelbare Aufhellung der in Rede stehenden Frage, wie Mendelssohn seine von Platon abweichende Epistemologie verstanden wissen will, dienen kann. Ich fühle … daß ich der Lehre von der Unsterblichkeit … nicht widersprechen kann … Ist unsere Seele sterblich, so ist unsere Vernunft ein Traum, den uns Jupiter geschickt hat, uns Elende zu hintergehen; so fehlet der Tugend aller Glanz, die sie in unsern Augen göttlich macht; so ist das Schöne und Erhabene, das Sittliche … kein Abdruck göttlicher Vollkommenheiten (241).

Die Vernunft hat ihr Gesetz darin, vernünftig zu sein und darin nicht enden zu können. Wollte man ihr ein Ende verheißen, so würde sie sich – vernünftig – darüber hinweg-setzen. Denn: Vernunft, die sich nicht über ihr Ende hinweg-setzte, bliebe nicht bei sich, wäre nie bei sich selbst gewesen. Auf diesen Sachverhalt deutet Mendelssohn durch den Traum des Jupiter. Als Jupiter einen Traumgott geheißen, Agamemnon einzuflüstern, er könne siegreich gegen die Trojaner ziehen, hätte Agamemnon sich mit Vernunft über diesen Traum hinwegsetzen müssen. Er tat es nicht, die Sache ging schief, und Agamemnon erlitt eine bittere Niederlage. Mendelssohn setzt an die Stelle des Traumgottes die ›Vernunft selbst‹.146 Doch auch hier wieder werden jene Ausdrücke, denen 146  Der aufklärerische Traumdiskurs ist selbst in einem hohen Maße an der Aufklärung be­­tei­ligt, insofern er schon um die Mitte des Jahrhunderts implizit Stellung gegen den Aber­ glauben und eine voraufgeklärte Offenbarungsreligion bezieht. Verbunden ist diese Neu­orien­ tierung der Traumlehre mit einer immer stärker werdenden Distanznahme zur mantischen Traumdeutung, die durch Artemidors Traumbuch aus der zweiten Hälfte des 2. nachchrist-

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nach Platon allererst einmal Bestimmtheit zu geben wäre, in eine kategoriale Abkünftigkeit von der göttlichen Vollkommenheit gebracht. Mendelssohn sagt aber auch sehr deutlich, daß er damit gar nicht im Bereich eines Wissens sich befindet, das kategorial begreifen will. Denn alles, was in dieser Passage ausgesagt ist, wird gesteuert von einer Operation, die begreifendes Denken zwar begleiten oder ihm ein Ziel vorgeben kann, selbst aber stets dort, wo Denken seine Macht behauptet, sich entzieht: dem Fühlen. d) Beweis Wir hatten gesehen, welche Intentionen Mendelssohn noch ganz unabhängig vom Verlauf der konkreten Beweise in seinem Phaidon dazu veranlaßt haben, sich von Platon abzusetzen. Diese Abkehrbewegung zeigt die Entwicklung seiner Beweise von der sehr dicht am Original verfahrenden Argumentation hin zu einer nahezu völlig eigenständigen Konzeption. Die Rezeptionsgeschichte des Mendelssohnschen Beweises legt nahe, hier einen Höhepunkt abendländischer Unsterblichkeitsbeweise zu erblicken. Als Kant in der transzendenta­ len Dialektik seiner zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft daranging, den Paralogismus der Seelenlehre zu enttarnen, tat er dies in einer Widerlegung des Mendelssohnschen Beweises der Beharrlichkeit der Seele ( B 413ff ); und er hat damit zugleich der Überzeugung Ausdruck verliehen, in Mendelssohn den »scharfsinnigen«147 und bedeutendsten Vertreter der dogmatischen Metaphysik vor sich zu wissen. Bis in die heutige Forschungsliteratur hinein wird seither der Eindruck tradiert, 148 Kant hätte damit den Unsterblichkeitsbeweis nicht nur lichen Jahrhunderts repräsentativ verwaltet wurde. Dieses Buch ist durch Walter Hermann Ryff 1540 ins Deutsche übertragen worden und erlebte eine letzte Neuauflage 1753 (cf. Alt: Der Schlaf, 58). Der Zedler dokumentiert 1745 diese Abkehr vom übernatürlichen Traum dadurch, daß er neben dem übernatürlichen gleichberechtigt auch den natürlichen Traum, nämlich als »entweder in der Natur unsers Körpers, oder in der Natur der Seele gegründet«, erklärt ( Z 45, 177). Ab der Jahrhundertmitte dann wurde die Traumdeutung hauptsächlich verwaltet durch die ›philosophischen Ärzte‹, die den Traum als ein Denken niederer Ordnung charakterisierten, in dem allein die Einbildungskraft das Regiment hat. Dies stimmt durchaus mit der Wolffschen These vom Traum als einer »Unordnung in den Veränderungen der Dinge« zusammen ( Dm § 142; cf. aber auch Dm §§ 803, 805). Umso bemerkenswerter scheint es uns, daß Mendelssohn hier offenbar auf die voraufklärerische übernatürliche Traumvorstellung zurückgreift. Gantet: Der Traum, 434 ff, weist darauf hin, daß solche übernatürlichen Träume auch durch Wolff nicht ausgeschlossen wurden und es in dieser Frage durchaus auch unterschiedliche Meinungen um die Mitte des 18. Jahrhunderts gegeben hat. Bei aller Ausdifferenziertheit der Traumlehren und mantischen Praktiken in der griechisch-rö­mischen Antike scheint doch ein Deutungszwang ( Walde: Traum, 21) das übergreifende Kenn­zeichen gewesen zu sein. Cf. zu Artemidor Walde: L. c. 33ff. 147  Krv b 412. 148  Engelhard: Das Einfache, 270f; Asmuth: Von der, 174; H. Ebeling: Das andere, 24; Holzhey: Die Berliner, 214; Giordanetti: Kant, 48; Paimann: Formale, 144.

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widerlegt, sondern auch jegliche Rückkehr zu der in diesem Beweis versuchten Ableitung als dogmatischen Schlummer dargetan. Die schlichte Logik Epikurs, der Tod hätte mit unserem Leben nachgerade so wenig zu tun, daß die Furcht vor ihm gänzlich gegenstandslos wäre, hat einen gewissen Reiz: Leben wir, ist kein Tod, ist er aber, so sind wir, die wir ihn fürchten, nicht mehr. Doch gibt das Leben wenig Gelegenheit, diesem Reiz nachzugeben, da sich der Tod immer schon ins Leben hineinschiebt, um sich dort als Angst bemerkbar zu machen. Das verflossene Jahrhundert hat sich dem Tod zugewandt unter so unterschiedlichen Problemtiteln wie dem vermittlungslosen Selbst-sein-Können im Vorlaufen der Todesgewißheit ( Martin Heidegger), der Verwandlungsfähigkeit des Todes im Existenzvollzug ( Karl Jaspers), dem mahnenden Hinweis auf das Sterben des Anderen (Dolf Sternberger), der Sinnübergabe meines Selbst-Seins an den Anderen ( Jean-Paul Sartre), der Todesverachtung des roten Helden, der – im Herzensschrein der Arbeiterklasse aufbewahrt – im Tod das kommunistische Wir bestätigt ( Ernst Bloch), einem Tod, der als Daseinshorizont selbst zum Absoluten wird, um sich nur zu gut mit militärischen Hochrüstungsphantasien zu vertragen ( Theodor W. Adorno) oder – wie bei Horkheimer – dem umgreifend gewordenen Tod auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, dessen radikale Perfektion die weniger als ein Jahrzehnt nach Beendigung des Krieges erscheinende Thanatologie Heideggers erst möglich gemacht habe. In einem kalten Bonmot Horkheimers: »Ludendorff habe es doch bedeutend besser verstanden, die Menschen wieder vor den Tod zu stellen, als Heidegger«.149 Alle diese Positionen eint nun, dem Tod oder seiner Analyse jene Bedeutung zurückzugewinnen, die der Unsterblichkeitsglaube ihm genommen. »Unsterblichkeit und Fortleben [sind] dazu verdammt, kein Thema der Philosophie mehr zu sein, sondern nur noch Sache erbaulicher Konventikel und schöner Kränzchen«.150 Und man bedenke zugleich, daß der philosophische Vorstoß in das Herz des Unsterblichkeitsglaubens eine Flankensicherung von ganz anderer Seite bekommen hat. Wort-Gottes-Theologen wie Karl Barth und Emil Brunner waren es, die der Unsterblichkeitsvorstellung mit kerygmatischen Letztversicherungen den Garaus machten, zu sehr nämlich schien diese Vorstellung in unschlichtbarem Streit zu liegen mit dem Paulinischen Diktum, daß man verweslich nur gesät, unverweslich aber auferstehen wird (1 Kor 15, 42).151 Trägt man solche und ähnliche Zeitdiagnosen im Ohr, mag man versucht sein, in Mendelssohns Unsterblichkeitstraktat nicht viel mehr zu sehen als ein hervorragendes Exempel jener überholten Substanzontologie, die spätestens seit Kant obsolet ist. Doch wie so häufig bei hochmotivierten Brüchen mit klassischen Denktraditionen funktionieren diese Abkehrbewegungen immer nur 149 

Zit. nach: H. Ebeling: Einleitung, 12.

150 Ib.

151 Cf.

Trillhaas: Einige Bemerkungen, 146.

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dann, wenn strategisch Nebentöne oder sogar Pointen des als überwunden gewähnten Denkens übergangen werden. Wir hoffen, zeigen zu können, daß jener mit der kritischen Philosophie anhebende neue Denkstil noch keinesfalls alle Probleme erledigt, die durch die dogmatische Metaphysik gestellt wurden. Hinsichtlich der Beweise des Phaidon sind wir in der Lage, die Argumentationsentwicklung überblicken zu können.152 Es ist, vergleicht man den Mendelssohnschen Entwurf, der sich in der Campe-Sammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg gefunden hat, mit dem ausgearbeiteten Phaidon, gut zu sehen, wie Mendelssohn sich immer stärker löste von den Voraussetzungen der Platonischen Beweisführung, die er ursprünglich beizubehalten gedachte.153 So führt der Entwurf den Beweis für die Unsterblichkeit der Seele unter der Prämisse, alles Natürliche sei veränderlich.154 Es gibt wohl Veränderung, wie Mendelssohn – hier ganz Platon folgend – schließt, aber keinen Sprung in einen exklusiv neuen Zustand, weil dies dann auch ein Sprung aus der Kontinuität ›Veränderung‹ wäre, die eine basale Voraussetzung des Beweises bildet. Daraus folgt für die Unsterblichkeit der Seele: »Der Tod ist keine wirkliche Zernichtung, denn alle Kräfte in der Natur reichen nicht zu, ein Ding zu zernichten, indem kein Übergang vom Sein zum Nichtsein möglich ist, und also ein wahrer Sprung geschehen müßte«.155 Am Ende dieses Beweises weist Mendelssohn ausdrücklich auf das 17. Kapitel des Platonischen Phaidon hin. Hier sagt Platon, daß der Tod nicht der Veränderung entnommen sein darf oder anders, daß der Tod selbst auch immer noch als ein Moment von Veränderung muß angesprochen werden, weil sonst die finale Perspektive des Natürlichen darin bestünde, daß alles stürbe (πάντα καταναλωθῆναι εἰς τὸ τεθνάναι, Phaid 72d).156 Der zweite Beweis, den Platon auf die Wiedererinnerungslehre baut, wird von Mendelssohn zwar geringfügig modifiziert, indem er 152  Unsere Untersuchung geht hier auf die Entwicklung der Argumentation ein, die vom Ent­w urf des Phaidon zur ausgearbeiteten Fassung führt. Die historische Entstehungsgeschichte findet sich minutiös nachgezeichnet bei Altmann: Die Entstehung. Cf. auch hierzu Bourel: Nachwort; Moses, 225 – 251. 153 Die Campe-Sammlung besteht aus etwa 5000 Autographen und 600 Porträts, die Elisabeth Campe und deren Pflegetochter Elise Campe-Reclam gesammelt haben. Katalogisiert findet sich die Sammlung auf http://www.sub.uni-hamburg.de/recherche/hans/uebersichtcam­pe-sammlung.html (abger. 17. Juli 2012). 154  Juba iii 1, 3: »Alle natürlichen Dinge sind einer immerwährenden Veränderung unterworfen«. 155 Ib. 156  Griechische Platonzitate entnehmen wir Schlei. Zur Arbeit mit dem griechischen Text benutzte Mendelssohn Johann Friedrich Fischers 1760 in Leipzig erschienene Platonausgabe, die neben dem Phaidon noch den Euthyphron, die Apologie und den Kriton enthielt (cf. Vb 38 Nr. 345). Darüber hinaus besaß er die 1602 von den französischen Glaubensflüchtlingen Claude de Marne und Jean Aubry in Frankfurt a. M. (cf. Strohm: Calvinismus, 422) herausgebrachten Divini Platonis opera omnia quae exstant des Marsilio Ficino ( Vb 5 Nr. 78) und Jean Nicolas Grous Platonübersetzungen von 1763 (cf. Vb 35 Nr. 305) und 1770 (cf. Vb 32 Nr. 258).

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die Lehre des Leibniz von den dunklen Begriffen mit der Wiedererinnerungslehre Platons verzahnt, ist aber noch immer sehr eng am Original entwickelt. Den dritten Beweis, der bei Platon aus der Unveränderlichkeit der Seele als des Unsichtbar-immer-sich-gleich-Bleibenden geführt wird, übernimmt Mendelssohn ebenfalls, allerdings in einer vorstellungstheoretischen Modifikation.157 Ein anderes Bild zeigt sich in der endgültigen Fassung des Phaidon, der schon durch den Zusammenhang der Beweise untereinander das Original vollkommen verlassen hat. Die Beweise Mendelssohns stehen, noch unabhängig von ihrer immanenten Beweislogik, in folgendem Verhältnis zueinander. Während die ersten beiden Beweise – worauf Leo Strauss hingewiesen hat – sich zueinander ver­halten wie ein schlichter Syllogismus, fällt der dritte Beweis ausdrücklich heraus aus diesem Zusammenhang.158 Es ergibt sich der folgende Schluß: Im Gegensatz zu allem Zusammengesetzten, das, insofern es zusammengesetzt ist, auch immer notwendig durch Vergänglichkeit gekennzeichnet wird, ist das Unzusammengesetzte – und nur das Unzusammengesetzte allein – unvergänglich. Diese Unzusammengesetztheit aber kommt ausschließlich der Seele zu. Aus diesem Ober- und Untersatz folgt dann konklusiv, daß die Seele unvergänglich sei. Nicht folgt hingegen – und hier beginnt der dritte Beweis, der nicht mehr Bestandteil des Syllogismus ist – die Unsterblichkeit der Seele. Die Unsterblichkeit – Mendelssohn nimmt hier eine Unterscheidung der Theodizee des Leibniz auf – verlangt nämlich über die Unvergänglichkeit hinaus, »daß nicht nur die Seele, sondern auch die Persönlichkeit fortbestehe, d. h., wenn man sagt, die Seele des Menschen ist unsterblich, so läßt man dasjenige fortbestehen, was eben diese Person ausmacht, die dadurch, daß sie das Bewußtsein oder das innere reflektierende Gefühl (sentiment réflexif interne) auf das, was sie ist, behält, ihre moralischen Eigenschaften bewahrt, das, was sie für Lohn und Strafe empfänglich macht«.159 Über den reinen Sachverhalt hinaus also, von der Seele nicht denken zu können, daß ihr ein Ende sei, haben die Unsterblichkeitsbeweise auch noch das Überdauern aller konkret individuierenden Eigenschaften plausibel zu machen.160 a) Mendelssohn exponiert seinen ersten Beweisgang, indem er die Frage des Cebes an Sokrates, »was Veränderung sei« (223), beantwortet. Eine Veränderung 157  Juba iii 1, 4: »Daß die Seele kein zusammen gesetztes Ding sei erhellet … aus dem Vermögen, sich die Realitäten ohne ihre Schranken vorzustellen« ( Hhg. v. Vf.). 158  Strauss: Phädon, xxv  f. 159  Theodizee 89; Ps ii 1, 338f. 160  Die Unterscheidung von Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit findet sich auch bei Wolff aufgenommen, der ebenfalls das Person-Sein nach dem Tod betont. Deutsche Meta­phy­ sik § 926, Gw i 2: »Da nun die Seele des Menschen erkennet, sie sey eben diejenige, die vorher in diesem Zustande gewesen, und demnach den Zustand ihrer Person auch nach dem Tode des Leibes; so ist sie unsterblich. Denn das unverweßliche ist unsterblich, wenn es den Zu­ stand einer Person beständig behält«.

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nämlich zeichnet sich dadurch aus, immer Veränderung von ›etwas‹ (»einem Dinge« 224) zu sein. Das, wovon gesagt werden kann, es verändere sich, wechselt in dieser Veränderung seine Bestimmungen. Soll dieser Wechsel an Bestimmungen eines Dinges aber wirklich etwas über dieses Ding aussagen, so wird ein Dreifaches gefordert. Es muß ein Identisch-sich-Durchhaltendes vorausgesetzt werden als Fundament, an dem eine Veränderung geschehen kann, weil anders der Begriff der Veränderung sinnlos würde. Diesem Zustand muß ein weiterer Zustand entgegengesetzt werden, der sich dem als Fundament angenommenen Zustand gegenüber als Anderes darstellt. Beide Sachverhalte aber dürfen nicht so gedacht werden, daß sie sich gegeneinander fremd verhalten. Es muß an dem Zustand, der sich als Veränderung des als Fundament angenommenen Zustandes ausgibt, noch feststellbar sein, daß er aus dem vorangegangenen Zustand hervorgetreten; anders würde die Veränderung dem ›etwas‹, an dem es Veränderung ist, äußerlich. Um diesen Gedanken zu stabilisieren, setzt Mendelssohn zwischen dem ersten und zweiten Zustand eine Mittelursache an, »einen Übergang oder die zwischen beiden liegenden Zustände, die der Natur von einem auf den anderen gleichsam den Weg bahnen« (225). Mit dieser Bestimmung der Veränderlichkeit als eines kontinuierlichen Übergehens von Zuständen an einem Ding ergibt sich für Mendelssohn die Folgerung, daß ein in vollständiger Unveränderlichkeit verharrendes Substrat nicht gedacht zu werden vermag, denn eine aktuell eintretende Veränderung muß potentiell in ihm angelegt sein. In dem Moment also, da von einem Substrat gesagt werden kann, daß ihm Veränderlichkeit zukommt, ist zugleich mit ausgesagt, daß es nicht in Unveränderlichkeit verharren darf. Mendelssohn bedient sich hier nach seiner eigenen Aussage der Überlegungen zur Stetigkeit bei dem in Rom lebenden Pater Roger Joseph Boscovich ( De continuitatis lege et ejus consectariis pertinentibus ad prima materiae elementa eorumque vires dissertatio, 1754 u. Theoria philosophiae naturalis, 1758/1763 ).161 Boscovich – der kroatische Leibniz, wie Heisenberg ihn nennt – war ein naturphilosophisches Wunder seiner Zeit, dessen universaler Geist bedeutende Schriften nicht nur im Bereich von Mathematik und Physik, sondern auch in Poesie, Optik, Astronomie, Archäologie und Landeskunde hervorgebracht hat.162 Die größte Wirkung erzielte er allerdings durch seinen Versuch, ein universal gültiges Gesetz des mikrokosmischen Weltaufbaus anzugeben. In welcher Weise Mendelssohn des Jesuiten Einsichten für sich fruchtbar macht, ist im 42. Literaturbrief vom 7. Juni 1759 bezeugt. Für Mendelssohn ist Bos­covich wichtig deshalb, da er – so versteht ihn jedenfalls Mendelssohn – seine, Mendelssohns, metaphysische Überzeugung von dem in immer neue Zu161 

Cf. den Anhang zur dritten Auflage des Phaidon von 1769, P 297: »Hierüber verdienet der Pater Boscovich nachgelesen zu werden, welcher das Gesetz der Stetigkeit in ein vortreffliches Licht gesetzt hat«. 162 Cf. Ullmaier: Puncta, 31.

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stände kontinuierlich übergehenden Naturstreben einsichtig zu machen vermag. Das ist für Mendelssohn mit Boscovich besonders ansprechend zu lösen, weil dieser seine Überlegungen ohne substanzmetaphysische Vorannahmen als mathematisch-naturwissenschaftliche Einsichten entwickelt, indem er die Leibnizsche Conatus-Lehre mit der Newtonschen Gravitation verbindet. So geht er aus von monadenähnlichen Partikeln, die sich als mathematische Punkte beschreiben lassen und nur durch eine Wechselwirkung zwischen den Partikeln auslösende Kräfte ausgezeichnet sind.163 Die Größe dieser Kraft hängt davon ab, wie weit die Partikel voneinander entfernt sind, so daß die zwischen ihnen wirkende Kraft eine Funktion der Partikel-Distanz bildet. Ist der Abstand infinitesimal klein, so wird eine ins Unendliche gehende Repulsion wirksam, die eine Berührung der Partikel verhindert (attractio repulsionibus interferatur)164, weil ein Kontakt der Partikel ausgeschlossen werden muß,165 wenn nicht der quasi-monadologische Grundsatz aufgegeben werden soll.166 In dem Maße, wie der Abstand sich vergrößert, gestaltet sich die Kraft zwischen den Teilchen repulsiv und attraktiv, um dann bei makroskopischen Körpern überzugehen in eine Attraktion, die sich Boscovich sehr ähnlich der Newtonschen Gravitation denkt.167 Mendelssohn interessiert diese Theorie weniger mit Blick auf ihre gravitationsgesetzliche Assonanz, sondern es ist das Leibnizsche Stetigkeitsprinzip, das er hier in exakter und auf seine Unsterblichkeitsbeweise gut anwendbarer Form dargestellt findet. »In währender Veränderung«, so Mendelssohn, »kommt jedem Augenblicke der Zeit ein bestimmter Zustand zu, der sowohl von dem vorhergehenden als von dem folgenden unterschieden ist«.168 Ganz analog also der Zeit, die nur so beschreibbar wird, daß man keinen konkreten Zeit-Punkt als Bestimmtheit ausgibt, sondern die Augenblicke nur als Grenzbegriffe eines Vorher und Nachher identifiziert, verhält es sich auch mit dem »Zustand, welcher jedem Augenblicke zukommt, nur als die gemeinschaftliche Gränze zwischen vorigen und der folgenden Größe«.169 Mendelssohn leitet daraus ab, daß es sich bei dem Stetigkeitsprinzip nicht allein um eine metaphysische Voraussetzung seiner Beweise handelt, sondern man dieses Prinzip überall in der Natur antrifft. Wenn dieses Gesetz aber überall in der wahrnehmbaren Natur wirksam ist, so wird man auch einen stetigen Übergang von der sichtbaren in die 163  Zum Aufbau der Materiestruktur durch die ausdehnungslosen und abstandsabhängigen Kraft-Punkte cf. Ullmaier: Puncta, 70 – 103. 164  Boscovich: Theoria, 139. 165 Cf. Ullmaier: Puncta, 54 u. Abel: Nietzsche, 85 – 88. Cf. Mendelssohns Ausführungen in Juba v 1, 58ff / Gs iv 1, 539 ff. 166  G. T. Fechner: Ueber, 229, bezeichnet Boscovich darum als den »Urheber der physikalischen einfachen Atomistik mit räumlich discreten Atomen«. 167 Cf. Mainzer: Materie, 24. 168 Gs iv 1, 539. 169 Ib.

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unsichtbare Welt annehmen wollen, mithin, sich nicht vorzustellen vermögen, daß ein kontinuitätsunbetroffener Sprung in das Reich der Unsichtbarkeit führt. Mit dieser Theorie der Stetigkeit im Hintergrund – »in der Wirklichkeit ist die Folge der Veränderungen stetig« (227) – sucht Mendelssohn zu beweisen, daß ein Ende der Seele zu denken gar nicht möglich ist, weil ein solcher Zustand innerhalb des vorausgesetzten Kontinuums nicht einzutreten vermag.170 »Untergehen kann die Seele in Ewigkeit nicht; denn der letzte Schritt, man mag ihn noch so weit hinaus schieben, wäre immer noch vom Dasein zum Nichts ein Sprung, der weder in dem Wesen eines einzelnen Dinges noch in dem ganzen Zusammenhang gegründet sein kann. Sie wird also fortdauern, ewig vorhanden sein« (235). Als das nicht zusammengesetzte Einfache nämlich ist die Seele zusammengesetzt nur mit der Stetigkeit selbst, die aber den Sachverhalt, daß die Seele einfach ist, nur noch einmal als ›Mit-sich-selbst-identisch-Sein der Seele‹ wiederholt. Im stetigen Streben nach der Glückseligkeit – so die das ganze religionsphilosophische Werk Mendelssohns durchziehende Einsicht – besteht die Bestimmung des Menschen. Diese Einsicht wird hier angewandt auf das dieses Leben in seiner Wurzel bedrohende Problem der Sterblichkeit. Da nämlich die Seele mit sich selbst im Streben identisch ist, kann diese Bedrohung sie – und nur sie – nicht treffen, weil ein Tod der Stetigkeit nicht die einfache Kraft, nach dem Glück zu streben, entziehen kann:   171 »Erwäget aber dieses … wenn unsere Seele nach dem Tode ihres Leichnams noch lebet und denkt, wird sie nicht auch alsdann, so wie in diesem Leben, nach der Glückseligkeit streben« (237). b) Jetzt beginnt Mendelssohn – sich wieder der Platonischen Vorlage bedienend – damit, den Sokrates spüren zu machen, daß dieser erste Beweis nicht hinlänglich überzeugen konnte. An einem kleinen Detail wird deutlich, inwiefern Mendelssohn die Platonische Dialogik zugunsten eigener Intentionen verläßt. Der Platonische Sokrates beruhigt seine Schüler, die gegen ihn im Angesicht seines nahen Todes scharfsinnige Einwände gegen ein Weiterleben der Seele im Hades nach ihrem Abscheiden vom Leib für unpassend halten, mit einem Gleichnis. Es sei nämlich mit dem Sterben so wie mit den Schwänen des Apoll, die vor ihrem Tod ihr schönstes Lied sängen – ein Klagelied im Angesicht des Todes, so die landläufige Meinung. Doch diese Meinung scheint dem Sokra170 Wenn Vogt: Moses, 97ff, von vier beweistragenden Ax­i­o­men spricht, die in den Vor­ aus­setzungen für eine natürliche Bewegung, der Faktizität des Verändert-Werdens bei An­ nahme einer Veränderlichkeit, der Stetigkeit der Zeit und der Übereinstimmung von Zeitund Veränderungsfolge bestehen (cf. P 228), so handelt es sich letztlich nur um einen aus Bos­ covich zu entnehmenden Gedankengang. 171  Was also Scheler: Tod, 47, for­muliert hatte, daß nämlich in »der unmittelbaren Erfah­ rung des ›Überschusses‹ aller geistigen Akte der Person, ja des Wesens ›geistiger Akt‹ – über ihre Leibzustände, ja das Wesen ›Leibzustand‹, und im Akte des Sterbens in der Erfahrung des Über­schusses der Person über die Leibeinheit … das intuitive Wesensdatum, das die Idee des Fortlebens in all ihren tausendfachen Gestaltungen … erfüllt«, gegeben sei, findet sich hier bei Mendelssohn am Ort der Glücksproblematik vorformuliert.

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tes unzutreffend zu sein. Er versteht nämlich jenen Schwanengesang als eine Melodie in der Todesstunde, die die Vorfreude auf ein Leben, das sich der Fessel des Leibes entledigt hat, zum erklingen bringt. Platon installiert hier eine pädagogische Dialektik, die das berichtete Gleichnis hineinwebt in die zwischen Sokrates und seinen Freunden sich einstellende Gesprächssituation. Simmias und Cebes nämlich befinden sich in einer emotionalen Zwangslage. Hat sie des Sokrates Beweis von der Unsterblichkeit der Seele keineswegs überzeugt, und brennt ihnen die fällige Einrede auf den Zungen, so schrecken sie doch pietätvoll davor zurück, ihre Einwände vorzutragen. Was sie als Philosophen vorzubringen hätten, daß nämlich des Sokrates Beweis für die Unsterblichkeit keineswegs sticht, geht ihnen als empathischen Sterbebegleitern nicht über die Lippen; denn immerhin befindet sich der geliebte Lehrer in der unglücklichen Lage – so glauben sie –, über den Tod nicht nur zu philosophieren, sondern ihn auch unmittelbar vor sich zu wissen. Damit aber widerlegen sie des Sokrates Unsterblichkeitsbeweis in einer ganz anderen Weise, als sie es – noch ungesagt – zu tun meinen. Sie glauben nämlich, daß der über Sokrates beschlossene Tod diesen in eine angstvoll-traurige Stimmung versetzt, die er durch seine Suche nach Beweisen dafür, daß der Tod ihn nicht auszulöschen vermag, zu kompensieren trachtet. Doch weit gefehlt. Sokrates erzählt von dem Volksglauben, daß die Schwäne vor dem Tod ihr schönstes Lied sängen, dessen mitreißende Schönheit Ausdruck einer Trauer sei, in die sich das dunkle Bewußtsein, dieser Gesang sei ihr letztes Lied auf Erden, gemischt hat. Doch Sokrates kann diesem Volksglauben nichts abgewinnen, sondern glaubt den Gesang der Schwäne darauf zurückführen zu können, daß sie Anverwandte des Apoll seien. Dieser hatte nämlich seinen Sohn Kyknos (der Schwan) und dessen Mutter verwandelt in Schwäne, nachdem Kyknos aus Trauer um seinen Freund Phylius, gefolgt von seiner Mutter, sich in einen See gestürzt hatte.172 Mit dem Hinweis auf Apoll verbindet Platon einmal die Assoziation, daß der Gesang der Schwäne, die ein klares Bewußtsein davon hätten, von der Unterwelt nichts als Glückseligkeit erwarten zu können, ein Freudengesang sei. Zugleich aber auch sollen in diese Zunahme an geistiger Klarheit – Apoll ist ein Gott klaren Bewußtseins –173 die Freunde hineingenommen werden, auf daß Sokrates an seinen Freunden jene Verwandlung wiederhole, die einst Apoll an seiner Verwandtschaft vorgenommen. Sehr anders der Mendelssohn­ sche Sokrates. Ihm ist die Verschränkung von dialogischer Situation und inhaltlicher Sättigung fremd. Das Verlassen der Vorlage zeigt sich in dem Detail, daß Mendelssohn das Gleichnis von den Schwänen des Apoll zwar übernimmt, aber gleichwohl kürzt, und diese Kürzung offenkundig als eine Konzentration auf das Wesentliche in Platons Gleichnis versteht. Mendelssohn hebt nämlich aus172 Cf. 173 

Zehnpfennig [Hg.]: Platon, 190 Anm. 100. Cf. dazu Krummen: Schön, 111.

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schließlich ab auf das Vergleichsmoment zu Sokrates, daß nämlich die Schwäne – gleich dem Sokrates – in Vorfreude auf den bevorstehenden Tod sängen. Ist die Rede des Sokrates als dergleichen Freude zu verstehen, so werden die Freunde jetzt aufgefordert, lebhaft Einspruch zu halten. Ein solcher Einspruch erfolgt zuerst durch Simmias, wobei sich Mendelssohn wieder an das Platonische Vorbild hält. Nun folgt Mendelssohn dem Platonischen Vorbild, indem er ebenso wie Platon den Simmias gegen den Unsterblichkeitsbeweis des Sokrates einen Einwand erheben läßt. Ein Vergleich mit Platons Dialog auf der Ebene des konkreten Beweisganges im zweiten Gespräch ist wenig aufschlußreich. Hier nämlich ist Mendelssohns Gedankengang schon deutlich eigenständig und auch als eigenständiger Beweis darzustellen. Lehrreich hingegen ist es, bevor wir uns diesem Beweis zuwenden, auf die Einleitung des Beweises einzugehen, in bezug auf die der Vergleich Mendelssohns mit der Vorlage interessant ist. Dies wird sich konkret zeigen, indem wir das Platonische Textstück der Mendelssohnschen Übertragung gegenüberstellen. Sowohl bei Platon als auch bei Mendelssohn leitet Simmias seinen logischen Einwand mit einer allgemeinen Überlegung zu den Unsterblichkeitsbeweisen ein. Folgendermaßen lautet die Passage bei Platon. [D]ie volle Gewißheit in dem jetzigen Leben darüber zu gewinnen ist entweder unmöglich oder eine sehr schwere Sache; andererseits aber wäre es feig … das, was darüber gesagt wird, nicht auf jede Weise zu prüfen … Denn man muß in bezug darauf wenigstens eine von folgenden Möglichkeiten durchsetzen: entweder sich belehren lassen, wie es sich damit verhält, oder es selbst finden, oder … wenigstens des besten und unwiderstehlichen menschlichen Beweises sich versichern und auf diesem wie auf einem Floße der Gefahr trotzend durch das Leben hindurchsteuern; 85cf.

Dagegen der Mendelssohnsche Simmias: Wenn ich Zweifel wider die Unsterblichkeit der Seele errege, so geschieht es nicht wider die Wahrheit dieser göttlichen Lehre, sondern wider ihre vernunftmäßige Erweislichkeit oder vielmehr wider den Weg, welchen du, o Sokrates ! gewählt hast, uns durch die Vernunft davon zu über­zeugen. Im übrigen nehme ich diese trostvolle Lehre von ganzem Herzen … an. Wo unsere Seele keinen Grund der Gewißheit findet, da trauet sie sich den beruhigenden Meinungen wie Fahrzeugen auf dem bodenlosen Meere an, die sie bei heiterm Himmel sicher durch die Wellen dieses Lebens hindurchführen; 240f.

Platons Argumentation ist wie folgt aufgebaut: Aufgrund der Differenz zwischen Erscheinungs- und Ideenkosmos läßt sich im Bereich der Erscheinungen, wo die Seele noch an den Körper festgenagelt ist (προσηλοῖ, 85d), keine Wissenssicherheit hinsichtlich der Frage nach einem Leben nach dem Tod erzielen. Daraus aber, keine Gewißheit gewinnen zu können, sollte man nicht schlußfolgern, daß es ganz überflüssig sei, sich gleichwohl um eine solche Gewißheit zu bemühen. Diese Bemühung muß dann zumindest eine der drei folgenden Möglichkeiten durchsetzen: Entweder man läßt sich von außen überzeugen oder kommt auf eigenem Weg zu dieser Überzeugung oder – und diesen Gedanken nimmt Mendelssohn auf, um ihn abzuwandeln – es läßt sich ein Beweis

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finden, der zwar nicht in der Lage ist, alle Zweifel auszuräumen, aber dennoch hinlängliche Plausibilität besitzt, um dem weltlichen Lebensweg eine zuverlässige Sicherheit zu geben. Ganz anders Mendelssohn ! Beginnen wir beim letzten Gedanken: Daß die Seele sich jenen Meinungen anvertraut, die sie beruhigen, ist nur ein Ausdruck da­für, keine Gewißheit gefunden zu haben. Hat aber die Seele ihre Gewißheit dann in einer bloßen Meinung gefunden, die keine beweiskräftige Sicherheit, sondern nur Beruhigung zu geben vermag, so ist dieses Lebensfloß nur tauglich bei heiterem Wetter, wenn man nicht einer letzten Gebrochenheit und Kontingenz angesichtig wird. Und hier liegt die durch Mendelssohn vorgenommene Neu­erung. Der Beweis wird nicht nur von der Unsterblichkeitsüberzeugung getrennt, sondern eine solche Überzeugtheit oder Gewißheit ist in diesem Leben – anders als es der Platonische Simmias annahm – durchaus zu erreichen. Somit ist die Situation am Ausgang des zweiten Gespräches diese, daß die Gewißheit von der Unsterblichkeit der Seele unanzweifelbar feststeht. Wenn dem aber so ist, wirft das auch einen Blick auf den Beweisgang, der nun von Sokrates vorgetragen wird, insofern, als dieser Beweis gar nicht die Absicht haben soll, Gewißheit zu erzeugen. Mendelssohns Beweis wird also geführt vor dem Hintergrund einer Gewißheit, die schon vor einem gelungenen Beweisschluß feststeht. Offenbar, so wird man vorläufig sagen wollen, verbessert Mendelssohn nach eigener Aussage zwar die von Platon vorgelegten Beweise, tut dies aber vor dem Hintergrund, daß die Beweisabsicht nicht darin gelegen sein kann, die rationale Gewißheit zu verstärken. Und dies hängt damit zusammen, daß Mendelssohn abstellt auf das Gefühl als der basalen Gewißheitsinstanz, die vor den rational nachvollziehbaren Beweisen schon immer in Kraft ist. »Ich fühle es, daß ich der Lehre von der Unsterblichkeit … nicht widersprechen kann« (241). Im Verlauf des Beweises wird dieses Gefühl von Mendelssohn noch näher bestimmt.174 Wir zitieren die in diesem Zusammenhang entscheidende Passage aus dem Phaidon (245, Hhgn. v. Vf.): Wenn das, was [uns] nach dem Tode widerfährt, uns angehen und schon hienieden Furcht oder Hoffnung in uns erregen soll: so müssen wir selbst, die wir uns allhier unser bewußt sind, noch in jenem Leben dieses Selbstgefühl behalten und uns des Gegenwärtigen erinnern können. Wir müssen das, was wir sein werden, mit dem, was wir jetzt sind, vergleichen und darüber urteilen können.

Den Ausgang der ganzen Reflexion bildet die schlichte Frage, warum uns, die wir leben, das, was sich in einem Zustand ereignet, innerhalb dessen wir nicht mehr leben, überhaupt angeht. Soll diese Frage nicht beantwortet werden mit einer vollständigen Gleichgültigkeit alles Irdischen gegenüber einem möglichen 174  Auf

die »Kombination von Empfindsamkeit und Metaphysik« in Mendelssohns Phai­ don weist auch hin Schmidt-Biggemann: Sokrates, 141, wobei ders.: Lessings, 148, dieses Appellieren ans Gefühl so bewertet, daß sich hier nur »der erbauliche Teil« innerhalb der Men­ dels­sohnschen Argumentation zeigen würde.

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Leben nach dem Tode, so ist es notwendig, daß ein Modus zu denken möglich ist, durch den wir eine Kontinuität zwischen prä- und postmortalem Leben herstellen können, denn sollte dies nicht denkbar sein, ist der Ausdruck ›unser postmortales Leben‹ performativ selbstwidersprüchlich. Um diese Kontinuität kennzeichnen zu können, verzahnt Mendelssohn eine modifizierte Anamnesislehre mit gefühls- und bewußtseinstheoretischen Überlegungen.175 Bemerkenswert daran ist, daß für Mendelssohn Selbstbewußtsein und Selbstgefühl prima facie bedeutungsgleichen Inhalts zu sein scheinen. Darauf deutet die Deixis der zitierten Passage, in der Mendelssohn den Sachverhalt, daß ›wir uns allhier unser bewußt sind‹ als ›dieses Selbstgefühl‹ bezeichnet. Näher besehen aber handelt es sich hier nicht um zwei identische Sachverhalte unserer Selbstwahrnehmung, sondern das, was sich als ein Bewußtsein unserer selbst einstellt, ist offenkundig eine – wenn auch vielleicht nicht die einzige – Weise von Selbstgefühl. Dies aber gilt nur in dem konkreten Fall, da sich das intramundane Selbstbewußtsein als ein Bewußtsein zum Ausdruck bringt, dem auch noch das Bewußtsein des Subjekts, mit sich selbst identisch zu sein nach dem Tod, bewußt ist.176 Doch genau diesen Umstand kann das Subjekt über den kognitiven Selbstbezug nicht mehr zum Ausdruck bringen, so daß ein Bewußtsein von ihm selbst sich sub specie aeternitatis als eine Gefühlstatsache darstellt. Die Vergleichsoperation also – jenes Thema, dem sich der Beweis explizit zuwenden wird –, innerhalb derer geurteilt zu werden vermag, daß präund postmortales Leben einem identischen Subjekt angehörig sind, ruht auf der Grundlage eines Gefühls, das dem Subjekt schon vor dem Eintritt des Todes diese Identität fühlbar werden läßt. Die Anamnesislehre wird in den Gedankengang eingetragen, indem aus der Perspektive des postmortalen Seins sich dieses Gefühl als ein Erinnern kundgibt. Während also die Seele vor dem Tod des Leibes ihre Unendlichkeit fühlt, erinnert sie sich dieses Selbstgefühls nach dem Tod, um in dieser Erinnerung ihre Unendlichkeit mit dem endlichen Sein zu verschmelzen. Wenn aber – damit ist wieder zurückzukehren zu der behandelten Einlassung des Simmias, die er seinem logischen Einwand gegen die Unsterblichkeitslehre vorschaltet – die Lehre von der Unsterblichkeit keinesfalls nach ihrem sachlichen Gehalt, sondern einzig nach jener Form, die Sokrates seinem Unsterblichkeitsbeweis gegeben hat, problematisch ist, und wenn die Unsterblichkeit ohnehin schon vor dem Auftreten des Beweises unverrückbar feststeht, warum ist es dann nicht möglich, überhaupt auf Beweise zu verzichten ? Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß das sich in der Person des Simmias dartuende Ge175  Demgegenüber – so Erler: Selbstfindung, 155f – stehen bei Platon Theoria, moralisches Handeln und Religiosität bei der »Pflege des unsterblichen Selbst« (155), die dann zu einer Verähnlichung mit Gott führen soll, im Vordergrund. 176  Damit ist der Terminus ›Selbstgefühl‹ nicht mehr identisch mit dem Gebrauch, den Men­delssohn in den Empfindungsbriefen von ihm gemacht hat.

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wißheitsgefühl gleichwohl immer wieder reflexiv auch auszulegen pflegt. Der ganze folgende Beweisgang kann insofern gelesen werden als das sich reflexiv in Anwendung bringende Gewißheitsgefühl, das in den logischen Einwänden der Simmias und Cebes zum Ausdruck gebracht wird. Damit steht die Situation der folgenden Beweisgänge so: Hinsichtlich der grundlegenden Gewißheit über die Unsterblichkeit besteht Einvernehmen. Dies hat die Einlassung des Simmias vor seinem logischen Einwand gezeigt. Daß aber die Gesprächspartner dennoch Einreden gegen Sokrates vorbringen, hängt damit zusammen, daß die Gewißheit nicht nur aller Reflexion vorgeordnet ist, sondern auch diese Reflexion nicht zum Stillstand zu bringen vermag. Darin liegt zugleich, daß die hier vorgestellten Beweise zwar auf neue Plausibilisierungserfordernisse eingestellt sind, aber zugleich darum wissen, nichts ausrichten zu können, wenn sie nicht auf ein Subjekt treffen, das schon in einem gefühlten Einverständnis mit der Unsterblichkeitsannahme sich befindet. »Eine Lehre«, so Mendelssohns Simmias, »die mit so vielen bekannten … Wahrheiten in Harmonie stehet und durch welche wir … eine Menge von Schwierigkeiten gehoben sehen … bedarf beinahe keines fernern Beweises« (242). Und so zeigt sich im folgenden auch, wie der Beweisgang beschaffen zu sein hätte, der trotz bestehender Gewißheit geführt werden sollte. In erster Hinsicht wäre zu fordern ein Beweis aus Beweisen,  177 von denen »keiner den höchsten Grad der Gewißheit« (242) mit sich zu führen braucht, da diese Gewißheit vorgängig im Gefühl schon festgestellt ist, und eine Mehrzahl von Beweisen dann nur die Aufgabe hätte, diese schon vorhandene Gewißheit zu stabilisieren. Wenden wir uns also dem Beweis in der Gestalt, die Mendelssohn ihm gegeben hat, zu. Zwei Einwände sind es, die Mendelssohn seinen Beweis innerhalb des zweiten Gespräches entwickeln lassen. Zum einen wendet Simmias ein, daß man die Seele nur in der Zusammengehörigkeit mit dem Leib hat. Es steht darum nach Simmias noch immer in Frage, warum man nicht annehmen dürfe, daß die Seele eine Harmonie mit dem Leib bilde.178 Einen anderen Einwand trägt Cebes vor, der das Problem der Individuation des seelischen Lebens nach dem Tod aufwirft. Wenn nämlich die Annahme triftig ist, daß es ein Fortdauern der Seele nach dem Tod gäbe, so muß damit die Seele noch darüber hinaus einem konkreten Menschen als Individuationsbedingung zugeschrieben werden können und zwar, was die Zuschreibung vor eine 177  P 243: »Eine Kette deutlicher Schlüsse läßt sich leichter in die Gedanken zurückbringen als jene Übereinstimmung der Wahrheiten, die … ihre eigene Gemütsbeschaffenheit erfordert«. 178  P 244: »Du siehst, mein lieber Sokrates ! was deinen Schülern zur völligen unwankenden Überzeugung noch fehlet. Ist die Seele beim Leben etwas, das der Allmächtige außer dem Körper und seiner Bildung geschaffen und mit ihm verbunden hat: so hat es seine Richtigkeit, daß die Seele auch nach dem Tode fortdauren und Vorstellungen haben müsse; allein wer leistet für jenes die Gewähr ? Die Erfahrung scheinet vielmehr das Gegenteil auszusagen«.

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intrikate Herausforderung stellt, dem Menschen, der nicht mehr unter den Lebenden weilt. Nur so nämlich ist sicherzustellen, daß die Unsterblichkeit der Seele auch Unsterblichkeit an einem ganz konkreten Individuum ist. Wenn das nämlich nicht gesagt werden kann, mag man, so Cebes, zwar Unsterblichkeit denken, doch ist dieser Gedanke gänzlich ohne eine relevante Folge für unser Leben gedacht. Hier zeigt sich in bemerkenswerter Weise, wie jenes Argument, das eine sich selbstverständlich gebende Kritik gegen die klassische Unsterblichkeitsidee vorzubringen pflegt, daß nämlich die Unsterblichkeit der Seele, ihre ewige Fortdauer, dem Menschen, sieht man einmal von der Unerweislichkeit einer solchen Fortdauer ab, gar keinen Trost und keine Hoffnung zu geben vermag, da dergleichen Ewigkeit ein nicht minder Schaudern machendes Rätsel sei als der endgültige Tod, von Mendelssohn als einem Hauptvertreter der vorkritischen Metaphysik und Psychologie mit Klarheit schon gesehen wurde.179 Folgende, von Simmias dann autorisierte, Fassung des Einwurfes reformuliert Sokrates: »Aber dieses befürchtet Simmias: Vielleicht ist unser Vermögen zu empfinden und zu denken kein für sich erschaffenes Wesen, sondern, wie die Harmonie, wie die Gesundheit oder wie das Leben der Pflanzen und der Tiere, die Eigenschaft eines künstlich gebildeten Körpers« (251). Sokrates führt sein Gegenargument unter Anwendung der Teil-Ganzes-Relation. Ein Zusammengesetztes verweist trivialerweise auf Teile, aus denen es zusammengesetzt ist, wobei diese Teile selbst noch nicht das Zusammengesetzte ausmachen. Die »Art und Weise“ (251) der Zusammensetzung ist unterschiedlicher Grade der Vollkommenheit fähig in dem Sinne, daß das Zusammengeordnetsein der Teile von höherer oder geringerer Harmonie zu sein vermag. Unabhängig vom Vollkommenheitsgrad dieser Harmonie ist es notwendig, daß die verschiedenen Teile aufeinander wirken, wobei von ihnen eine Eigenkraft auszugehen hat. Ein bewegungsloses Beieinander der Dinge würde nicht das har­ monische Beieinander stiften, sondern brächte gar keine Struktur hervor, die im Zusammenwirken der Teile ein Ganzes ausmachen würde.180 Oder in den Worten Mendelssohns: »[A]us unwirksamen Teilen kann wohl kein wirksames Ganzes zusammengesetzt werden« (252). Dennoch, so Sokrates weiter, besteht das Ganze in einer Harmonie, die in den Teilen selbst nicht angetroffen zu werden vermag. Im Sachverhalt der ›Zusammengesetztheit aus Teilen‹ ist also eine Zu179  Präzise hat Wittgenstein:  Tractatus, 6. 4312; 87, am Beginn des 20. Jahrhunderts diesen Gedanken auf den Punkt gebracht: »Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, das heißt also ihr ewiges Fortleben auch nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch ein Rätsel gelöst, daß ich ewig fortlebe ? Ist denn dieses ewige Le­ben dann nicht ebenso rätselhaft wie das gegenwärtige ?«. 180  P 252: »Wenn alle Teile der Materie ohne Wirkung und Widerstand in einer toten Ruhe nebeneinander lägen, würde die künstlichste Ordnung und Versetzung derselben im Ganzen irgendeine Bewegung, einen Widerstand, überhaupt eine Kraft hervorbringen können ?«.

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nahme an Komplexität gelegen, die in den einzelnen Teilen dieser Struktur nicht angelegt sein kann.181 »Kein einzelner Laut ist harmonisch: und gleichwohl machen viele zusammen eine Harmonie aus« (252). Ordnungs- und Harmoniestrukturen lassen sich also an einem Ganzen ausmachen, wenn diesem Ganzen ein Relationsgefüge aus Teilen zugrunde liegt. Diesen rein formalen Sachverhalt aber interpretiert Mendelssohn nach seiner Bedeutung. »Ebenmaß, Harmonie, Regelmäßigkeit, Ordnung … bedeuten das Verhältnis verschiedener Eindrücke« (252). Das also, was unter ontologischer Perspektive beschreibbar wurde als eine Relation, die zwischen einem Ganzen und seinen Teilen besteht, wird dem erkenntnistheoretischen Zugriff als eine multiple Gesamtheit von Eindrücken, die sich unserem Gemüt einprägen, zugänglich. Dabei gilt: »Jeder Teil muß in das Auge wirken, wenn aus vielen das, was wir Ebenmaß nennen, entstehen soll« (253, Hhg. v. Vf.). Es ist notwendig, daß das Teil für sich eine Wirkung ausübt, weil sonst zu denken nicht möglich ist, wieso die Gesamtheit der Teile etwas bewirken kann, was in den Teilen nicht angelegt ist. Der Gedankengang Mendelssohns läuft darauf hinaus, das Einzelne hinsichtlich seiner Voraussetzungsfunktion für das Ganze zu kennzeichnen. Es führt also das Zusammengesetzte immer wieder zurück auf das Einzelne, von dem ebenfalls eine Wirkung auf das Ganze ausgeht. Zusammenfassung und Vergleichung sind dabei jene Operationen, die das Subjekt vorzunehmen genötigt ist, um eine Struktur der Ganzheit erfassen zu können, denn ohne eine solche Operation ist von Ganzheit gar nicht zu sprechen. Damit stößt Mendelssohn in das Zentrum seines Beweises vor. Was nach seiner ontologischen Beschreibung sich als eine Teil-Ganzes-Relation ausnahm, verengt den darin zum Ausdruck gebrachten ontologischen Sachverhalt auf eine bloße Versicherung, die ihr Konto immer dann überzieht, wenn sie von der epistemischen Instanz, der das Zusammengesetzte eine Ganzheit ist, absieht. Das Ganze als ein aus Teilen Zusammengesetztes also ist ein solches Zusammengesetztes immer nur für den zusammensetzenden Verstand, der Unterscheidungs- und Vergleichsoperationen vornimmt. Die »Teile haben ein jedes sein eignes Dasein, und sie müssen gegeneinandergehalten, verglichen und in Verbindung betrachtet werden, wenn sie ein Ganzes ausmachen sollen. Das denkende Vermögen, und dieses allein in der ganzen Natur, ist fähig, durch eine innerliche Tätigkeit Vergleichungen, Verbindungen und Gegeneinanderhaltung wirklich zu machen« (254 f ). Ist aber ein Denkungsvermögen die Ursache aller Ordnung und Harmonie der Ganzheit, so ist diese Ursache nicht mehr Bestandteil jener Struktur, die von diesem Denkungsvermögen allererst wahrgenommen wird als ein Zusammengesetztes. Das Zusammengesetzte verweist also aus sich selbst heraus noch nicht 181 Diese Ganzheitsharmonie, mit der Mendelssohn das Problem von Differenz erklären will, ist jenes Theoriestück, das schon im Jahrzehnt des Erscheinens seines Phaidon nicht mehr auf allgemeinen Konsens zu treffen, sich erhoffen konnte. Cf. hierzu Mauser: Konzepte, 432 f.

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auf Teile, aus denen es zusammengesetzt ist, da diese Teile auch ein völlig kooperationsloses Beieinander bilden können. Erst dann, wenn diese Teile als ein Zusammengesetztes interpretiert werden, findet die Mannigfaltigkeit der Teile in Ordnung und Harmonie zusammen. Die hier obwaltende erkenntnistheoretische Operation lautet folgendermaßen: Eine rein formale Beschreibung der Teile, die ein zusammengesetztes Gan­zes bilden, läßt keine Erklärung mehr zu dafür, wann die Teil-Anzahl oder Teil-Konfiguration so ausgebildet ist, daß von einem zusammengesetzten Ganzen gesprochen werden kann.182 In Frage steht nämlich, inwiefern denn unter einer ontologischen Perspektive ausgesagt zu werden vermag, daß es sich um ein wohlgeordnetes oder harmonisch Zusammengesetztes und nicht vielmehr um ein kooperationsloses Aggregat handelt. Es gibt aus der Position der Teile nicht die Möglichkeit, sich als ein Ganzes zu verstehen, da ein solches Ganzes dann nicht mehr wäre als die ins Unendliche voranschreitende Wiederholung des Sachverhaltes ›Teil‹. Erst dann, wenn die aggregative Zusammenkunft der Teile durch das Erkenntnissubjekt gedeutet wird als eine Ordnung oder Harmonie, kann sie auch als eine solche Harmonie dem Erkenntnissubjekt etwas bedeuteten. Anders: Die Ordnung des Zusammengesetzten ist diese Ordnung immer nur für ein Erkenntnissubjekt, das sie als eine solche Ordnung vermeint. Für die Beweisabsicht Mendelssohns aber folgt hieraus, daß die Seele weder ein Zusammengesetztes noch das Resultat von Zusammensetzungen zu sein vermag, da sie die voraussetzende Kraft ist dafür, daß überhaupt die Unterscheidung zwischen den Teilen als Aggregat und den Teilen als eines wohlgeordneten Ganzen statthat. Das »Vermögen zu denken« kann »in keinem Ganzen, das aus vielen besteht, seinen Ursprung haben« (257f). Mit dem Schluß auf die Einfachheit der Seele als einer Voraussetzung für alle Vorstellungsakte endet das zweite Gespräch und damit ist auch zugleich ein gewisser Abschluß in Mendelssohns Beweisschritten gegeben. Das dritte Gespräch wird noch einmal neu ansetzen. e) Unsterblichkeit und Vollkommenheit Sind die beiden letzten Gespräche des Mendelssohnschen Phaidon noch mit ei­nem verhaltenen Bezug auf das Platonische Original konzipiert worden, so verläßt Mendelssohn nun seine Vorlage vollständig, was diesem Gespräch eine ganz besondere Bedeutung zukommen läßt.183 »In dem dritten Gespräche«, so sagt er in der Vorrede, »mußte ich völlig zu den Neuern meine Zuflucht nehmen und meinen Sokrates fast wie einen Weltweisen aus dem achzehnten Jahrhundert sprechen lassen. Ich wollte lieber einen Anachronismus begehen, als 182  Der

Hinweis von Beiser: Mendelssohn, 242, darauf, daß das ganze zweite Gespräch durch­zogen wird von einem Leib-Seele-Dualismus, ist vor dem Hintergrund dieser erkenntnis­ the­oretischen Operation zu verstehen. 183  So auch Arkush: Moses, 56 u. Bock: Mendelssohns, 29.

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Gründe auslassen, die zur Überzeugung etwas beitragen können« (175). Mendelssohns Verfahren beschränkt sich hier nicht darauf, einen weiteren Beweis für die Unsterblichkeit der Seele vorzutragen, sondern es handelt sich um mehrere Beweisschritte, die alle zusammengenommen erst den von ihm beabsichtigten Plausibilitätsschub besitzen. So findet sich am Ende des Gespräches die folgende Aussage: »Aus allen diesen Beweisgründen zusammengenommen … erwächst die zuverlässigste Versicherung von einem zukünftigen Leben« (286). Wir haben oben schon darauf verwiesen, daß das nun zu verhandelnde Gespräch seine Keimzelle in Mendelssohns Verteidigung der Spaldingschen Bestimmungsschrift gegenüber seinem Freund Thomas Abbt hat;184 und die Dignität dieses Gespräches wird nicht zuletzt noch einmal dadurch unterstrichen, daß Mendelssohn es von den vorangegangenen Gesprächen abhebt als den ›zweiten Teil‹ aller drei Gespräche.185 Das ganze Gespräch wird von der folgenden These gesteuert: Wir wollen diesen Satz … daß uns Gott nicht zum ewigen Elende bestimmt, zum Maßstabe für die Gewißheit unserer Erkenntnis annehmen, sooft von zukünftigen Dingen die Rede ist, die einzig und allein vom Willen des Allerhöchsten abhängen (264).

Damit nimmt Mendelssohn Bezug auf die Unterscheidung zwischen dem Willen und dem Verstand in Gott, wie er sie bei Leibniz vorgebildet fand. Leibniz nämlich unterscheidet zwischen den in sich selbst notwendigen und in diesem Sinne ewigen Wahrheiten, die sich auf den Verstand Gottes beziehen, und den kontingenten Wahrheiten, die dem göttlichen Willen einbegriffen sind, eine Unterscheidung, die Leibniz in Abgrenzung von der Willenstheorie des Descartes und Pierre Poiret trifft. Während nämlich bei Leibniz der Wille Gottes sich gerade darin unterscheidet vom göttlichen Verstand, daß der letztere die Quelle für die ewigen auch durch Gott nicht zu ändernden Wahrheiten darstellt, sind diese notwendigen Wahrheiten für Descartes und seinen Schüler Poiret ebenfalls vom göttlichen Willen geschaffen.186 184  P

173: »Folgende Gespräche des Sokrates … sollten meinem Freund Abbt gewidmet wer­den. Er war es, der mich aufgemuntert hatte, diese vor einigen Jahren … weggelegte Arbeit wieder vorzunehmen. Als er noch zu Rinteln Professor war, gab er mir, in einem von seinen … Brie­fen, seine Gedanken über Spaldings Bestimmung des Menschen zu erkennen … Ich hatte das Glück, über eine der wichtigsten Punkte meines Freundes Einstimmung zu erhalten, ob ich ihm gleich nicht in allem genüge leisten konnte«. 185  Brief an Thomas Abbt vom 16. Februar 1765, Juba xii 1, 76: »Da ich … ein Werkchen über die Unsterblichkeit der Seele unter der Feder habe; so bin ich willens den zweyten Theil desselben mit Betrachtungen über unsere Bestimmung anzufüllen« ( Hhgn. v. Vf.). Cf. hierzu Altmann: Die Entstehung, 217 ff u. ders.: Moses Mendelssohn. A biographical study, 147. 186  Cf. zu dieser Unterscheidung bei Leibniz M § 46: »Dennoch sollte man sich nicht mit ein­igen einbilden, daß die ewigen Wahrheiten, welche abhängig von Gott sind, willkürlich seien und von seinem Willen abhängen, wie es anscheinend Descartes genommen zu haben scheint und dann Poiret: Das gilt wahrhaftig nur von kontingenten Wahrheiten, deren Prin­ zip die Übereinstimmung oder die Wahl des Besten ist; die notwendigen Wahrheiten statt des­

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Mendelssohn schließt sich hier Leibniz an, weil sich seine Beweisabsicht nicht erfüllen kann, wenn von den logischen oder ewigen Wahrheiten etwa geschlossen wird auf die weisen Absichten Gottes. Diese logischen oder ewigen Wahrheiten nämlich können, insofern sie Gottes Verstand einbegriffen sind, über die Absichten des Schöpfers gar keine Aussage zu treffen ermöglichen.187 Der für den Beweis einzunehmende Standpunkt aber muß sich auf den Standpunkt des göttlichen Willens stellen, der den Quellgrund kontingenter Wahrheiten bildet. Neben der das gesamte dritte Gespräch antreibenden Hintergrundthese, die inspiriert ist von Spaldings Bestimmungsschrift, besteht noch eine Beweisabsicht, die sich auf den internen Beweisgang von Mendelssohns Phaidon bezieht. Durch die beiden ersten Gespräche wurden die Einzigkeit und Unvergänglichkeit der Seele bewiesen. Hier, im dritten und letzten Beweisgang, steht das folgende Problem an: Aber nunmehro entstehen Zweifel über das zukünftige Schicksal des menschlichen Geistes, das … allein von dem Willen und von dem Gutfinden des Allerhöchsten abhängt (265).

Man sieht an dieser Passage, wie Mendelssohn die durch Leibniz vertretene These vom Willen Gottes als der Quelle der kontingenten Wahrheiten mit seiner internen Beweisabsicht verzahnt. Die konkrete Frage, der Mendelssohn sich zuwendet, lautet, wie sich zeigen lassen könne, daß die Seele nach dem Tod des Leibes nicht einer »ewigen Vergessenheit« (267) anheimfällt. Als Ausgang seines Beweises wählt Mendelssohn die Beobachtung, daß alle Geschöpfe auf Erden die Tendenz haben, durch Anwendung und Ausübung ihrer Fähigkeiten sich zu größerer Vollkommenheit zu entwickeln.188 Und diese Vervollkommsen hängen einzig von Gottes Verstand ab und sind dessen innerer Gegenstand«. Aber auch M 7: »Deshalb finde ich auch die Aussage einiger Philosophen befremdlich, daß die ewigen Wahrheiten der Metaphysik oder Geometrie (und folglich auch die Regeln der Güte, der Ge­ rechtigkeit und der Vollkommenheit) nichts als Wirkungen des göttlichen Willens seien; statt dessen scheint mir, daß sie Folgen seines Verstandes sind, der sicherlich ebensowenig wie sein Wesen von seinem Willen abhängt«. Zu dieser Unterscheidung zwischen göttlichem Willen und Verstand bei Leibniz cf.: Otte: Konstruktion, 185; Holze: Gott, 82 – 84; Hellwig: Alles, 17 – 31. Cf. zu Descartes etwa ders: Gespräch, Meditation 3, 32f: »Vielmehr sind die Willens­ beschlüsse Willensakte, ebenso wie die Schöpfung, da sie lediglich der Wille Gottes ist (sit solum voluntas Dei). Denn wäre sie etwas anderes, so würde Gott bei der Schöp­f ung etwas neues wider­fahren«. Ähnlich spricht Pierre Poiret vom »concept arbitraire de Dieu« ( L’œconomie, 73, 89, 207, 255, 264, 266, 360, 496, 527, 545, 551, 553, 559, 582, 621). Cf. zur Abgren­zung Poirets von seinem Lehrer Descartes Krieg: Der mystische, 85. 187  P 264: »Aus der Natur und den Eigenschaften erschaffener Dinge läßt sich in diesem Falle nichts mit Gewißheit schließen: denn aus diesen folgen nur diejenigen Sätze, die an und für sich unveränderlich sind und also von der Erkenntnis des Allerhöchsten, nicht von seinem Gut­finden, abhängen«. 188  P 267: »Alle endlichen Geister haben anerschaffene Fähigkeiten, die sie durch Übung ent­w ickeln und vollkommener machen. Der Mensch bearbeitet sein angebornes Vermögen zu empfinden und zu denken mit einer erstaunenswerten Geschwindigkeit«.

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nung steht unter dem Gesetz der Beschleunigung, insofern die in den Menschen eingehenden Empfindungen von diesem durch ganz unterschiedliche kognitive Operationen so verarbeitet werden, daß sich die Primärempfindungen als verarbeitete Empfindungen erhalten und zugleich multiplizieren. Dabei zählt Mendelssohn die sich in diesem Prozeß herausbildenden »Vollkommenheiten« auf, die in »Witz, Verstand, Vernunft, Empfindungskraft, Empfindung des Schönen und Guten, Großmut, Menschenliebe« und »Geselligkeit« bestehen (267). Mit dieser Fassung der Vollkommenheit als einer die Menschheit auf eine immer höhere Stufe von Kultur und Moral hebenden Qualität verwendet Mendelssohn einen zentralen Begriff aus dem zweiten Diskurs Jean Jacques Rousseaus, aber so, daß er die Perfektibilität Rousseaus gegen diesen in Stellung bringt.189 Mendelssohn hatte etwa ein Jahrzehnt vor dem Phaidon mit seiner Übersetzung der Rousseauschen Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1755), die erste Übersetzung des zweiten Diskurses ins Deutsche, den Begriff der Perfektibilität in Deutschland heimisch gemacht.190 Als ›Vollkommenheit‹ spielt dieser Begriff schon in Mendelssohns Briefen über die Empfindungen (1755) eine zentrale Rolle, um hier im dritten Gespräch des Phaidon einen Beweisschritt anzutreiben, der die Vervollkommnungsfähigkeit nicht nur uneingeschränkt positiv beurteilt, sondern der von dieser Fähigkeit ausgehend im weiteren Beweisverlauf auch den Schluß auf die Unsterblichkeit der Seele zu ziehen gedenkt. Die Verschiebung gegenüber dem zweiten Diskurs besteht dabei darin, daß Rousseau zwar auch die Perfektibilität als eine den Menschen genuin auszeichnende Eigenschaft herausstellt, aufgrund derer er sich zu den von Mendelssohn in Anschlag gebrachten Kulturleistungen emporzuentwickeln vermag, doch bleibt es bei Rousseau gänzlich unausgemacht, wie diese Entwicklung hinein in einen Kulturzustand zu bewerten sei, da der Komplexitäts- und Strukturierungsgewinn menschheitsgeschichtlicher Vervollkommnungen immer von der Ambivalenz ist, Kontingenzen eintreten zu lassen, »welche die menschliche Vernunft vervollkommnen konnten, indem sie die Gattung verdarben, die ein We189  Innerhalb des Phaidon weist Mendelssohn auf Rousseau nicht hin; daß dieser aber trotz­dem implizit als Negativfolie im Hintergrund steht, erhellt schon aus dem explikationslo­ gi­­schen Kontext, innerhalb dessen hier vom Vollkommenheitsbegriff Gebrauch gemacht wird. Cf. Behm: Moses, 106ff. Mendelssohn hat Rousseau schon in seinem Sendschreiben an den Herrn Magister Lessing in Leipzig (1756) kritisiert und in einer Passage, die in unseren Zu­ sam­menhang paßt, gesagt: »[I]ch bin völlig überzeugt, der Augenblick selbst, in welchem sich Rousseau über die Geselligkeit beschwert hat, war ihm angenehmer, als ganze Jahre, die er als ein Bewohner der Gebüsche zugebracht hätte« (Gs i 389). Cf. auch Dane: Lessing, 197, die Mendelssohn bei seiner Kritik an Rousseau zugleich in der Tradition der deutschen Schul­phi­ losophie sieht. 190 Cf. Behm: Moses, 104.

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sen böse werden lassen konnten, indem sie es gesellig machten«.191 Mit dem letzteren Stichwort kehren wir zurück zu dem unterbrochenen Beweisgang bei Mendelssohn, der mit der Geselligkeit seine Aufzählung menschlicher Höherentwicklungen abgeschlossen hatte, um sie, wie wir gleich weiter sehen werden, als Ausdruck des göttlichen Handelns am Menschen zu verstehen. Dabei besteht jenes von Rousseau beobachtete Phänomen einer Janushäuptigkeit des menschheitsgeschichtlichen Fortschritts insofern, als sich auf allen Entwicklungsstufen auch immer mit dem Komplexitätszuwachs einhergehende Pervertierungen einstellen können, nach Mendelssohn zwar auch, aber in einer von Rousseau grundlegend unterschiedenen Weise: Tritt nämlich ein solcher Fall von Pervertierung auf, so hängt das keinesfalls damit zusammen, daß geschichtliche Vervollkommnungsschritte immer schon durch Kontingenz ambivalenzbetroffen wären, sondern mit anzunehmenden Hemmungen, die den Kulturfortschritt langsamer sich entwickeln machen. Potentialiter sind die einer Höherentwicklung günstigen Momente in jedem angelegt, und Pervertierungen dieses Entwicklungsprozesses hängen nur damit zusammen, daß nicht jeder sein Potential auszuschöpfen in der Lage sich zeigt,192 wenngleich ohne eine auch nur denkbare Ausnahme auf eines jeden Menschen Antlitz Gottes Handeln widerstrahlt, denn »noch hat kein Dummkopf gelebt, der nicht einige Merkmale des Verstandes von sich gegeben« (268). Gottes Schöpfung hat »zwei Klassen« (270) hervorgebracht, die durch Lebendigkeit ausgezeichnet sind: die Tiere als »sinnlich empfindende« und die Menschen als »denkende Naturen« ( ib.). Sowohl die Menschen als auch die Tiere sind dadurch gekennzeichnet, »daß sie von fortdaurendem Wesen sind, eine immer für sich bestehende Vollkommenheit besitzen und genießen können« ( ib.). Der Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht in der – um eine heute geläufige Kategorie zu verwenden – exzentrischen Positionalität des Menschen ( Helmut Plessner),193 der schon durch sein frühkindlich-instinktarmes Nicht-festgestellt-Sein auf seine Umwelt prinzipielle Offenheit im Weltumgang indiziert ( Arnold Gehlen).194 Mendelssohn charakte191  Rousseau: Abhandlung, 72. Cf. in diesem Zusammenhang das Urteil von Sturma: Jean-Jacques, 82, Rousseau ginge davon aus, »daß der faktisch durch die Menschen vollzogene Über­gang von Natur zur Kultur in moralpsychologischer wie ethischer Hinsicht als mißlungen zu betrachten ist«. 192  P 268: »Wir erwerben alle dieselben Vollkommenheiten, und der Unterschied bestehet nur in dem Mehr und Weniger«. 193  Plessner: Elemente, 181 – 187. 194  Gehlen: Vom Wesen, 11f. Cf. die Ausführung bei Mendelssohn in P 272 f: »Wollt ihr« des Menschen »Bestimmung hienieden wissen: so sehet nur, was er hienieden verrichtet: Er … erscheinet bei seinem ersten Auftritte dürftiger und hülfsloser als das vernünftige Tier. Aber die … Fähigkeit, sich vollkommner zu machen, diese erhabensten Geschenke, deren eine erschaffene Natur fähig ist, ersetzen vielfältig den Abgang jener viehischen … Fer­tig­ keiten, die … keines höhern Grades der Vollkommenheit je fähig werden könnten«. In sei­ ner Darstellung des tierischen Lebens ist Mendelssohn unmittelbar beeinflußt von Her­mann

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risiert den neugeborenen Menschen in einem Adolf Portmann vergleichbaren Sinn als sekundären Nesthocker195 ohne eine schon ausgebildete Bewältigungskompetenz hinsichtlich der ihn umgebenden Umwelt, eine Eigenschaft, die den Menschen nach seiner Triebnatur hier noch dem »unvernünftige[n] Tier« unterlegen sein läßt (273). Doch wird dieses anfängliche Eintreten des Menschen in die Welt unmittelbar hinfortgerissen in dem Strom der Vervollkommnungsereignisse, die seiner harren. Einbildungskraft, Gedächtnis, Geschmack und die ihn über alles Endliche hinweghebende Bewunderung für das Erhabene setzen einen mächtig fortströmenden Evolutionismus frei, der sich bald schon in die ruhigeren Gewässer zwischenmenschlicher Geselligkeit ergießt,196 um dann in eine Verähnlichung mit Gott einzumünden. »Kaum genießt er das Licht der Sonnen, so arbeitet schon die gesamte Natur, ihn vollkommener zu machen« (273). Wie erklärt sich dieser Beschleunigungsnarrativ in einem Text, der die Unsterblichkeit der Seele nach dem Tod plausibel machen möchte ? Es wird sich im folgenden zeigen, daß das dritte Gespräch nicht noch einmal einen neuen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele präsentiert, sondern zwei sehr unterschiedliche Beweisverfahren zur Anwendung bringt, indem es einheitstheoretische Erwägungen neben ein probabilistisches Schlußverfahren stellt. Damit erreicht Mendelssohn eine Verdichtung, denn man ist nicht mehr darauf angewiesen, anhand nur eines Beweises sich von der Unsterblichkeit überzeugen zu lassen, sondern kann die Beweisebenen innerhalb des Gespräches wechseln. Weniger metaphysisch gestimmte Geister können sich der eher weicheren Argumentationskraft probabilistischer Figuren anvertrauen, die wiederum dort verzichtbar sind, wo das metaphysische Argument schon seinen Dienst getan hat. a) Das probabilistische Argument läßt sich aus dem zuvor Gesagten leicht erkennen. Wenn die Entwicklungsschritte, die dem Menschen eine natürliche Sonderstellung in der Welt sichern, von einer so radikalen Tempoverfaßtheit Samuel Reimarus, auf den er eigens im Vorwort zu seinem Phaidon hinweist ( P 175). Die intensive Beschäftigung mit Reimarus in diesem Zusammenhang geht zurück bis auf das Jahr 1760. Reimarus’ Allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Thiere, hauptsächlich über ihre Kunsttriebe von 1760 hatte Mendelssohn nämlich im gleichen Jahr rezensiert in den Literaturbriefen ( Br 8. Th. 1760, 233 – 256). Da um diese Rezension ein Streit mit Reimarus entstand, weil Mendelssohn sich kritisch äußerte, ist mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß er im Phaidon nicht die einige Jahre vorher kritisierten Allgemeinen Betrachtungen des Rei­ marus, sondern dessen Vornehmste Wahrheiten der natürlichen Religion (1766) benutzte, in der sich Reimarus ebenfalls ausführlich zur Natur der Tiere äußert, und die sich auch in Men­ dels­sohns Privatbibliothek finden ( Vb 23, 111). Cf. hierzu auch G. Alexander: Moses, 189 – 196; Bourel: Moses, 260 f. 195  Portmann: Zoologie, 55: Es ist der »neugeborene Mensch in der Sonderart seiner Hal­ tung: ein ›sekundärer‹ Nesthocker mit wachen Sinnesorganen«. 196  P 273: »Bald tritt er mit seinesgleichen in Gesellschaft, um sich wechselweise die Mittel zur Glückseligkeit zu erleichtern«.

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sind, daß es den Anschein haben mag, die ganze Natur sei nur um des Menschen willen da, dann ist nicht damit zu rechnen, daß dieser Prozeß final ins Nichts ausläuft. Daß die vernünftigen Wesen »sämtlich mitten auf dem Wege stillestehen« und »auf einmal in den Abgrund zurückgestoßen werden und alle Früchte ihres Bemühens verlieren sollten, dieses kann das allerhöchste Wesen unmöglich beliebet … haben« (276). Wenn also Mendelssohn über eine induzierte Prognose auf das Fortleben der Seele nach dem Tod des Leibes schließt, so wurzelt er damit tief in der probabilistischen Tradition der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, für die besonders Christian Thomasius, Andreas Rüdiger, August Friedrich Müller, Adolph Friedrich Hoffmann und Christian August Crusius stehen.197 b) In metaphysischer Absicht wendet sich Mendelssohn nun der Unsterblich­ keitsvergessenheit zu, welche er über eine Phänomenologie der Angst, die einsetzt beim ganz unmittelbaren Lebensglück des Menschen als dessen vorzüglicher Telosbestimmtheit seines In-der-Welt-Seins, erschließt. Dieses In-der-Welt-Sein erlebt man als jenen auf Dauer gestellten Überschuß des Lebens, das den Augenblick zur Vollkommenheit steigert, die sich am Ort des Subjekts in hoffnungsgefüllter Einsichtsgestimmtheit zum Austrag bringt darin, durch die Integration von Welt eine Vergangenheit zu besitzen, aus der heraus die Welt sich immer neu und besser bewältigen läßt. Die Angst macht sich breit, wenn man das selbstverständliche Vertrauen auf Welt-Besitz verliert. Dabei deutet Mendelssohn die Angst vor Weltverlust als eine Angst vor Zeitlosigkeit: »Was ist eine Dauer von gestern und heute, die morgen nicht mehr sein wird ?« (278). Hier zeigt sich, daß Mendelssohn die im ersten Beweis und Gespräch vertretene These von der abbruchlosen Kontinuität noch einmal aufnimmt und zugleich deutlicher verbunden hat mit dem Zeitproblem. Das sich mit Blick auf die Zeit stellende Paradox wurde schon immer in jenen Zeit-Rissen ›Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft‹ gesehen, die doch nur vor dem Hintergrund der einen Zeit sich einstellen können, diese eine Zeit aber ohne ihr Zerspringen in jene perspektivische Dreiheit unansprechbar bleibt. Immer nur zur Un-Zeit gibt Zeit uns Zeit. Aristoteles hatte dieses Paradox, daß nämlich die Zeit zeithaft uns wird nur durch Bewegung, die Bewegung jedoch nur durch Zeit sich bewegt, gültig formuliert. Μετρεῖται δ᾽ ὥσπερ εἴπομεν, ὅ τε χρόνος κινήσει καὶ ἡ κίνησις χρόνῳ.198 Und noch das 17. und 18. Jahrhundert hat sich um die Lösung des durch den Stagiriten gestellten Rätsels bemüht.199 Selbst Kants Philosophie der Zeit, die für die Folgejahrhunderte so einflußreich und prägend sein sollte, 197  Cf. zu dieser Wahrscheinlichkeitsphilosophie W. Alexander: Pluraque. Alexander spricht im Zusammenhang mit dem oben in Rede stehenden induktionslogischen Verfahren von einem »negative[n] Voraussageschluß« (143). Hermeneutischen Fragestellungen des Wahrscheinlichkeitsproblems wendet sich Danneberg: Probabilitas, zu. 198  Aristoteles: Acht Bücher iv 14, 223 b; 226. 199 Cf. Hühn /  Waschkies: Zeit, 1227.

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ratifiziert das Aristotelische Urwort, wenn er die Zeit als Anschauungsform alles Erfahrbaren transzendental ästhetisiert, zugleich aber zu Beginn des dritten Abschnittes seiner Deduktion der reinen Verstandesbegriffe im Zusammenhang mit der reinen Apperzeption als eines Synthesisprinzips der Mannigfaltigkeit darauf hinweist: »Alles empirische Bewußtsein hat aber eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales (vor aller besondern Erfahrung vorhergehen­ des) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner Selbst, als die ursprüngliche Apperzeption«.200 Auch die kritische Philosophie also vermag Zeit nicht in das Joch der Anschauungsformalität zu schirren, ohne dabei von dem Immer-Schon zeitigenden Sich-Gebens zu zehren. Es ist genau jenes Immer-Schon, an dem sich für Mendelssohn das Gelingen des Lebens entscheidet, das er als ein nach Glückseligkeit strebendes Zeit-Leben entfaltet. Der »entsetzliche Gedanke vom Nichtsein, der sich »wie eine Schlange zwischen Blumen [schleicht], und … den Genuß des Lebens [vergiftet]« (277), bleibt nicht ohne Folgen für das gesellige In-der-Welt-Stehen. Was sich nämlich ausnimmt als eine bloße Angst vor Vergänglichkeit, die – wenn das Vertrauen in die Ewigkeit nicht ausgehärtet zu werden vermag – keine Kompensationsanker mehr besitzt, setzt einen Angst-Egotismus frei, der immer stärker fortfließt, um sich endlich in eine grausame Negation alles dem Selbstgenuß Entgegenstehenden zu ergießen: Der seines Glaubens an die Unsterblichkeit, seines ZeitLebens, verlustig gegangene Mensch schnellt mit idiosynkratischer Verliebtheit in den Augenblick immer neu auf sich selbst zurück, »seine Liebe zum Leben« kann »schlechterdings von nichts überwunden werden« (278). Der Charme von Mendelssohns Überlegung liegt hier darin, sich nicht in subtilen Verheißungsradikalismen postmortaler Glückseligkeiten zu ergehen, um dadurch der Kritik am Unsterblichkeitsglauben zu begegnen – dieses Amt überträgt Mendelssohn den Dichtern (286) –, sondern eine Beweislastverschiebung vorzunehmen: Das Bestreiten der Unsterblichkeit darf sich nicht einbilden, nur einfachhin mit dem Verlassen des Unsterblichkeitsglaubens eine metaphysisch-dogmatische Überdehnung unserer Erkenntnisfähigkeit wieder entspannt zu haben, sondern mit diesem Bestreiten verbinden sich weitläufige Konsequenzen, die, langfristig alle Kulturleistungen infrage zu stellen, geeignet sind. Hat der Mensch nämlich – wie wir oben gesehen haben – sich als instinktarme Frühgeburt sogleich mit schnell wachsender Weltvertrautheit dem reinen Instinktleben überhoben, so droht ihm der Rückwurf auf eine nur noch instinktgesteuerte ›Selbstverliebtheit im Augenblick‹, die das Geselligkeitsverhalten umschlagen läßt in Barbarei. Damit hätte der Mensch dann auch keine Aussicht mehr darauf, den Ernstfall der Humanität, nämlich seine Selbsthingabe um des anderen Willen, bestehen zu können. Das kommt in dem folgenden Spitzensatz zum Ausdruck: »Es betrifft das Wohl seiner Kinder, seiner Freunde, seines Vater­ 200 

Krv a 117 Anm.; Hhgn v. Vf.

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landes ? – und wenn es das Wohl des ganzen menschlichen Geschlechts wäre, ihm ist der armseligste Genuß weniger Augenblicke alles … und daher von unendlicher Wichtigkeit« (278; Hhgn. z. T. v. Vf.).201 Gegen einen solchen Endlichkeitsenthusiasmus, der dem Tod keinen anderen Sinn zu geben vermag als das Zuendegehen allen Selbstgenusses, bringt Mendelssohn ein Ewigkeitsgefühl in Stellung,202 das sich näherhin als Bewußtsein der Zeit, die Leben ist, herausstellt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dürfen nur dann als eine angemessene Beschreibung der Zeit angesprochen werden, wenn ihnen die Zeit nicht ausgeht: Noch einmal: ›Was ist eine Dauer von gestern und heute, die morgen nicht mehr sein wird ?‹. Die im dritten Gespräch durch Mendelssohn abgerufenen Figuren – das Glückseligkeitsstreben, die Vervollkommnung und die hohe Ge­schwindigkeit dieses Prozesses – tragen den Charakter einer Hinweisfunktion auf Ewigkeit. Es sind Zeitigungen im Leben, die auf das Zeit-Rätsel führen. Die Bestreitung des Unsterblichkeitsglaubens deutet Mendelssohn insofern als Angst vor Zeitverlust. Es ist aber des Sokrates feste Überzeugung, daß Zeit nur ist, wenn sie bleibt. Damit schließt dieser Beweis an den Kontinuitätsgedanken des ersten Gespräches an. Dort wurde am Paradigma der Kontinuität gezeigt, daß ein Sprung aus dem Sein in das Nichts – mag man die Zeitreihe, in der dieser Sprung erfolgt, noch so weit hinausdehnen – nicht erfolgen kann; und auch wenn wir sagen wollten, er erfolgt, so geschähe der Sprung im Sein, denn dieses Nichts müßte sein. Der Mensch kann nicht aus der Zeit fallen. f) Selbstgefühl Zum Abschluß wollen wir noch auf eine Kategorie eingehen, die Mendelssohn an zwei zentralen Passagen in seinem Text führt: das Selbstgefühl. Einmal nämlich findet das Selbstgefühl Erwähnung im Zusammenhang mit der Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen,203 und ein weiteres mal trägt es den Gedanken des Cebes, der gegen Sokrates eingewandt hatte, daß eine Unsterblichkeit sich nur dann als Trost für den Menschen herausstellen könnte, wenn 201  Mendelssohn hat hier Abbt: Vom Tode, vor Augen. Abbt hatte dort als finale Unsterb­ lich­keitsperspektive allerdings den Unsterblichkeitsgedanken ins Nationale transformiert und dabei nicht mit drastischer Metaphorik gegeizt: Ein Tod, der für die Verteidigung des Va­ ter­landes erlitten wird, riefe »unsre Seele, gleich einer Königin, aus dem Gefängnisse … und [erdrosselt] sie nicht gleich einer Sklavin darin«. Ein solcher Tod »[tränkt] mit dem Blut, das aus unsern Adern quillt, das ächzende Vaterland« ( 32). 202  P 284  f; Hhg. v. Vf.: »Das Schicksal eines … Menschen in seinem gehörigen Lichte zu betrachten, müßten wir es in seiner ganzen Ewigkeit übersehen können«. 203  P 268: Solange die Menschen »mit Selbstgefühl empfinden, denken, wollen, begehren, verabscheuen, so bilden sie die ihnen anerschaffenen Fähigkeiten immer mehr aus; je länger sie geschäftig sind, desto wirksamer werden ihre Kräfte, desto fertiger, schneller, unaufhaltsamer werden ihre Wirkungen, desto fähiger werden sie, in der Beschauung des wahren Schönen und Vollkommenen ihre Seligkeit zu finden«.

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sich eine identifizierende Anknüpfung unseres Seins nach dem Tod an unser Welt-Sein denken ließe. Offenbar ist das Selbstgefühl als eine Seelenkraft zu verstehen, die nicht nur verantwortlich ist, wie man anzunehmen geneigt sein könnte, für das Empfinden des Menschen, da auch Wollen und Denken im Zugleich mit dem Selbstbewußtsein vollzogen werden. Damit ist das Selbstgefühl allen affektiven und epistemologischen Operationen konkomitant. Somit wird die Frage drängend, wie dieser offensichtliche Schlüsselbegriff bei Mendelssohn genau zu verstehen ist oder auf welchen Konnotationsraum das Selbstgefühl verweist. Wir gehen auf die Begriffsgeschichte etwas genauer ein, weil es uns von nicht geringer Bedeutung zu sein scheint, daß Mendelssohn sich hier, wo er alle Geschütze der rationalen Metaphysik und Ontologie in Stellung zu bringen scheint, zugleich als Theoretiker eines Operators erweist, dessen »systematische Behandlung« in Deutschland man erst 1772, also mit dem Erscheinen von Michael Ignaz Schmidts Geschichte des Selbstgefühls,204 anzusetzen pflegt. Ein Blick in die Begriffsgeschichte des 18. Jahrhunderts zeigt, daß der Ausdruck zehn Jahre später in Johann Gottfried Herders Vom Erkennen und Emp­ finden der menschlichen Seele. Bemerkungen und Träume (1778) schon eine feste Bedeutung angenommen hat als apperzeptive Seelenkraft, die gemeinsam mit Selbsttätigkeit das bewußte Leben der Seele auszumachen scheint,205 um zugleich auch schon moralisch eingefärbt zu sein,206 wenn nämlich Selbstgefühl als das Empathogen der Goldenen Regel auftritt. Dieser Herdersche Gebrauch zeigt kaum noch Spuren jener Verwendung, die Mendelssohn von Selbstgefühl macht. Woher also, so ist zu fragen, hat Mendelssohn den Ausdruck ? In terminologischer Verwendung findet sich der Begriff ein erstes mal in Johann Bernhard Basedows Philalethie (1763/64). Bei Basedow hat Selbstgefühl eine deutlich vom Bewußtsein unterschiedene Bedeutung, indem es den inneren als 204  Drüe: Selbstgefühl, 445. In der Begriffsgeschichte von Drüe: Selbstgefühl, 445f, fehlen Hinweise auf Mendelssohn. Cf. auch ders.: Die Entwicklung, 285 ff. Selbst die engagierte Studie von Frank: Selbstgefühl, die den Begriff zurückverfolgt in seine weit verzweigte Geschichte im 18. Jahrhundert, läßt jeglichen Hinweis auf den Beitrag Mendelssohns vermissen. 205  Herder: Schriften, 355f: »Man ist gewohnt, der Seele eine Menge Unterkräfte zu geben, Einbildung und Voraussicht, Dichtungsgabe und Gedächtnis; indessen zeigen viele Erfahrungen, daß, was in ihnen nicht Apperzeption, Bewußtsein des Selbstgefühls und der Selbsttätigkeit sei, nur zu dem Meer zuströmender Sinnlichkeit, das sie regt, das ihr Materialien liefert, nicht aber zu ihr selbst gehöre«. 206  L. c. 361: »Im Grad der Tiefe unsres Selbstgefühls liegt auch der Grad des Mitgefühls mit andern: denn nur uns selbst können wir in andre gleichsam hinein fühlen«. Diese moralische Einfärbung findet sich am Jahrhundertende dann in Adelung: Grammatisch, 49: »Das Selbstgefühl … das Gefühl, die lebhafte, anschauende Erkenntniß, seines eigenen Zustandes, besonders seines moralischen«. In Grimm: Deutsches Wörterbuch xvi, 471, oszilliert Selbstgefühl zwischen den Bedeutungen von Selbstbewußtsein (»gefühl seiner selbst, seines zustandes«), Selbstwertgefühl (»gewöhnlich gefühl des eignen wertes u. ähnl.«) und Maßlosigkeit in der Selbstbewertung (»maszloses selbstgefühl schwellte den führern der neuen republik die seele«).

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eines vorbewußten Sinns meint.207 Kann Mendelssohn den Begriff von Basedow übernommen haben ? Ausgeschlossen scheint dies zumindest nicht, da sicher ist, daß Mendelssohn an Basedows Philosophie Interesse nahm. So schreibt er am 20. November 1763 an seinen Freund Thomas Abbt: »Was dünkt Ihnen von Basedow’s Philalethie ? oder ist Ihnen diese neue Philosophie noch gar nicht zu Gesichte gekommen«.208 Zugleich scheint uns aber noch eine andere Quelle einschlägig zu sein, die zwar den Begriff nicht als Kompositum führt, ihm aber sehr nahe kommt: des Leibniz Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Für die Nähe zu Leibniz in der Mendelssohnschen Verwendung des Begriffs sprechen unseres Erachtens zwei Indizien. Zum einen ist davon auszugehen, daß Mendelssohn die Neuen Abhandlungen gekannt hat. Dieses Werk von 1703 – 05 ist der Öffentlichkeit erst bekannt geworden durch die französisch-lateinische Edition (1765) Rudolf Erich Raspes, eine Ausgabe, die Mendelssohn besessen hat.209 Dann aber, und dieses Argument ist uns noch wichtiger, behandelt Leibniz das Selbstgefühl in einem nahezu gleichen Kontext, wie er sich bei Mendelssohn findet. Hier wie dort wird Selbstgefühl nämlich als das den Menschen vom Tier unterscheidende Moment und in unmittelbarem Zusammenhang mit der Unsterblichkeit der Seele eingeführt.210 Während nämlich, so Leibniz, der Tierseele nur Unvergänglichkeit ( l’incessabilité) zukommt, ist die menschliche Seele unsterblich ( l’immortalité).211 Darauf folgt dann die für unseren Zusammenhang wichtige Passage: Auch bin ich der Meinung, daß das Bewußtsein (conscienciosité) oder das Ich-Empfinden (sentiment du moy) eine … Identität beweist … [N]ach der Ordnung der Dinge … setzt die der Person selbst, die sich als dieselbe fühlt ( la persone même, qui se sent la même) offenbare Identität die wirkliche Identität zu jedem nächsten Schritt voraus, der von Reflexion oder Ich-Empfinden (sentiment du moy) begleitet ist (accompagné).212 207  Darauf, daß sich der Terminus zum ersten mal bei Basedow findet, hat Thiel: Varieties, 62 Anm. 12, hingewiesen. In den Fragen zur Wiederholung des Vortrags im zweyten Bande der Philalethie ( Basedow: Philalethie, 422) zeigt sich das Interesse, mit ›Selbstgefühl‹ einen prägnanten Begriff für die innere Empfindung zu finden: »Wie kann man die innerliche Empfindung kürzer nennen ? Antwort: Das Selbstgefühl«. Cf. aber auch l. c.: 1. Betrachtung § 70, 112: »Es ist daher, wofern ich das Wort, Bewußtseyn, recht verstehe, diese so genannte Verstandeskraft unterschieden von dem bloßen Selbstgefühle, oder innerm Sinne. Der innere Sinn wirkt sehr früh; sein Gegenstand sind unsere Vorstellungen. Das Bewußtseyn kömmt viel später; sein Gegenstand ist – Ich selbst. Ich selbst, Ich selbst bin sein Gegenstand«. Cf. auch l. c. 5f, 10 ff, 16, 21, 31 f, 91, 114, 127f, 131 u. 135. 208  Gs v 279. Diese Aussage kann sich allerdings nur auf den ersten Teil der Philalethie beziehen, der 1763 von David Iversen in Lübeck herausgegeben wurde. 209  Des Leibniz Œuvre findet sich in Mendelssohns Büchersammlung ( Vb 19, 307). 210 Cf. Leibniz: Neue Abhandlungen, Ps iii 1, 404 – 409. 211  Ps iii 1, 404. 212  L. c. 404 – 407.

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Die zitierte Passage hat in zweifacher Weise eine starke Ähnlichkeit mit dem Gebrauch, den Mendelssohn von Selbstgefühl macht. Einmal nämlich bezieht Leibniz Ich-Empfindung und Selbstbewußtsein adjunktiv aufeinander, eine Adjunktion, die sich ebenfalls im Phaidon findet,213 zugleich aber ist es genau das Selbstgefühl (sentiment du moy), das alle die Identität einer Person zum Ausdruck bringenden Operationen begleitet. Fassen wir unsere begriffsgeschichtlichen Beobachtungen zusammen, so liegt offenbar im Herderschen Selbstgefühl ein Ad-quem-Terminus vor, der zumindest soviel deutlich macht, daß hier das Gefühlsmoment schon umgriffen ist von einer – wie auch immer näher zu kennzeichnenden – Dimension von Bewußtsein. Der Terminus a quo, den wir festmachen durften in dem Gebrauch, den nur vier Jahre vor dem Phaidon Basedow von ›Selbstgefühl‹ macht, stellt gegenüber Mendelssohn eine offensichtliche Unterbestimmung des Begriffs dar, da Basedow das Selbstgefühl dem Bewußtsein nicht adjungiert, sondern deutlich vorordnet, indem er dieses Gefühl mit dem inneren Sinn gleichsetzt, dem gegenüber das Bewußtsein ›viel später kömmt‹. Als die Mendelssohn naheliegende Quelle scheint also Leibniz in Frage zu kommen, dessen Text, wenn sich in ihm auch nicht das kongruente Kompositum findet, explikationslogisch auf der gleichen Ebene wie Mendelssohn das Selbstgefühl in Anschlag bringt. Leibniz bestimmt das Selbstgefühl so, daß es ein unwegdenkbares Begleitmoment aller affektiven und epistemischen Operationen der Person ist und diese somit am Ort des Sich-Selbst (soy même) identifiziert.214 Mit dieser Überlegung können wir wieder zurückkehren zu Mendelssohns Text, der unter Selbstgefühl of213  P 245 ( Hhgn. v. Vf.): »Wenn das, was« uns »nach dem Tode widerfährt, uns angehen und schon hienieden Furcht oder Hoffnung in uns erregen soll: so müssen wir selbst, die wir uns allhier unser bewußt sind, noch in jenem Leben dieses Selbstgefühl behalten und uns des Gegenwärtigen erinnern können«. 214  Ps iii 1, 404. Indem Leibniz diese Identität der Person nicht unmittelbar auf eine die personalen Identitätszustände verknüpfende Erinnerung festnadelt, geht er auf Distanz zu der bekannten These von Locke: Versuch ii 366 /An Essay ii 229: »Dasselbe gilt auch für eine stofflose Substanz, die des Bewusstseins entbehrt, durch welches ich selbst bei mir selbst bin; kann ich irgend einen Theil ihres Daseins nicht durch Wiedererinnerung mit meinem gegenwärtigen Bewusstsein verbinden ( I cannot upon recollection join with that present consciousness), wodurch ich jetzt Ich-selbst bin ( I am now myself     ), so ist in diesem Theil ihres Daseins so wenig wie in irgend einem andern stofflosen Wesen mein Selbst (no more myself) enthalten. Denn was ich von dem Denken einer Substanz nicht zurückrufen (which I cannot recollect) und durch mein Bewusstsein zu meinem Gedanken und Handeln machen kann, das gehört nicht zu mir, wenn auch ein Theil von mir es gedacht oder gethan hat. Es ist ebenso, als hätte es irgend ein anderes stoffloses Wesen irgendwo gedacht oder gethan«. Zu einem Vergleich der Identitätskonzeptionen von Locke und Leibniz cf. ausführlich Zarnow: Iden­tität, 59 – 127; aber auch Wunderlich: Kant, 7 – 12. Zu Lockes Konstruktion personaler Iden­­tität cf. Ch. Hoffmann: Die Konstitution, 21ff; Landwehr / Stockhorst: Einführung, 205 – 208; Ausborn-Brinker: Person, 225 – 236. Cf. dagegen zu Leibniz Blank: Der logische, 62 – 65; Buchheim: Eins, 72 ff; Liske: Gottfried, 49 ff; ders.: Leibniz’, 90 f.

3. Phaidon

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fenbar eine dem Selbstbewußtsein ähnliche Konstante des identischen PersonSeins versteht und damit durchaus in der Nachfolge des Leibniz steht. Dieser Befund erscheint uns nicht unerheblich zu sein, da Mendelssohns Konzeption doch einen bemerkenswerten Bestimmtheitszuwachs – und dies nur drei oder vier Jahre später – im Vergleich zu der Basedowschen Verwendung des Terminus darstellt, so daß es sicher nicht übertrieben ist, davon auszugehen, daß auch die Mendelssohnsche Fassung von ›Selbstgefühl‹ nicht nur elementarer Bestandteil der Geschichte dieses Begriffs im 18. Jahrhundert ist, sondern gleichsam am Beginn dieser Begriffsgeschichte steht und diese nachhaltig vorangetrieben hat. Der Ertrag des Gesagten für den Mendelssohnschen Vollkommenheits- und Identitätsgedanken läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Anders als die Vervollkommnung in der Rousseauschen Fassung ist die Fähigkeit des Menschen, immer vollkommenere Entwicklungsformen anzunehmen, nicht abzukoppeln von jener Teleologie, innerhalb derer die menschliche Vervollkommnung statthat. Damit schließt der Phaidon nahtlos an die Konzeption der Briefe über die Empfindungen an. Gleichzeitig ist aber über Mendelssohns frühe Vollkommenheitskonzeption hinaus hier im Selbstgefühl ein konkreter Operator gefunden, der eine Trägerfunktion sowohl für die affektiven als auch epistemischen Vervollkommnungsleistungen des Menschen einzunehmen vermag. Diesem Operator scheint Mendelssohn auch zuzutrauen, jene religiöse Leistung zu erbringen, die notwendig ist dafür, sich schon im Binnenraum der Kontingenz unsterblich zu fühlen und zugleich endlich zu wissen.

D. Mendelssohn und Lavater Der Lavaterstreit war eine Affäre, die gesamteuropäische Aufmerksamkeit erregt hat und deren Hauptakteure Moses Mendelssohn, Johann Caspar Lavater und Charles Bonnet sind: Moses Mendelssohn, weil er der Leidtragende des Streits gewesen ist, Johann Caspar Lavater, weil er den Streit auf den Weg gebracht hat und Charles Bonnet, weil er der ungewollte Auslöser der Lavateraffäre ist und zugleich zum Adressaten jener letzten Darlegungen von Mendelssohn über seine Religionsphilosophie innerhalb dieser Auseinandersetzung wurde. Bonnet hatte 1769 ein Buch über die Entwicklung der Keime veröffentlicht: La palingénésie philosophique ou idées sur l’état passé et sur l’état futur des êtres vivants. Das philosophische Thema dieses Werks ist die Einheit zwischen Leib und Seele und die postmortale Fortexistenz einer solchen Einheit. Wenn es ein Weiterleben des Menschen nach dem Tod gibt, und wenn der Mensch eine Einheit aus Leib und Seele ist, dann kann sich die Fortexistenz nicht allein auf die Seele beziehen. Genau das will Bonnet plausibel machen, wenn er seine Theorie der Ursprungskeime ( germe), die er als Identitätskerne interpretiert, entwirft. Diese kleinsten Kerne menschlicher Identität sollen es nach Bonnet ermöglichen, auch nach dem Tod ein Fortleben des Leibes denkbar zu machen.1 Diese Theorie war noch nicht das den Streit auslösende Moment. Doch Bonnet hatte seine naturphilosophischen Überlegungen mit der theologischen Annahme einer Offenbarung und creatio continua Gottes in Wundern verbunden. Und genau diese Verbindung einer Naturphilosophie, die ein gleichwohl natur­wissenschaftlich experimentierender Denker entworfen hatte, mit dem Glauben an Gottes Offenbarung in seinen Wundern, übte eine magische Anziehung aus auf Johann Caspar Lavater, der den Anstoß zu dem nach ihm benannten Streit geben sollte. Ursprünglich hatte Lavater eine ganz auf die ethische Dimension religiöser Aussagen konzentrierte Theologie vertreten.2 Die Bibel galt 1 »Des germes indestructibles peuvent être dispersés sans inconvénient dans tous les corps particuliers qui nous environnent. Ils peuvent séjourner dans tel ou tel corps jusqu’au moment de sa décomposition; passer ensuite sans la moindre altération dans un autre corps« ( La palingénésie, 157). Mit dieser Keimtheorie stellt sich Bonnet noch einmal ausdrücklich in den Tra­ di­tionszusammenhang der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts schon einigermaßen in die Jahre gekommenen Theorie der ›großen Kette der Wesen‹. Cf. Lovejoy: Die große. Cf. auch zur Keimtheorie Bonnets Cheung: Omnis, 81– 92. Bonnet schließt hier an die seit 1750 – besonders durch Albrecht von Haller – verstärkt geführte Debatte über die Eigenaktivität von Fasern in organisierten Körpern an (cf. Cheung: System, 183). 2 Cf. Weigelt: Johann, 14.

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D. Mendelssohn und Lavater

ihm vornehmlich als ein Buch, das eine Tugendgesinnung befördern sollte, um solchermaßen zu einem Christentum beizutragen, das in der tugendhaften Tat sein eigentliches Zentrum hat. Im Jahre 1767 aber begann Lavaters Denken eine deutliche Wende zu nehmen. Immer stärker trat der Gedanke in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, daß man Jesus Christus als Sohn Gottes die Kraft zuerkennen müsse, auch auf das gegenwärtige Geschehen in der Welt einen heilsamen Einfluß auszuüben.3 Diesen heilsamen Einfluß Christi auf das Wohl des Menschen könne der Mensch durch Gebete befördern. Der Tod seines geliebten Freundes Felix Heß am 3. März 1767 gab den entscheidenden Anlaß für Lavater, sich immer tiefer in das Bewußtsein einer wirksamen Gegenwart Christi auf Erden zu versenken. An das Krankenbett gerufen hatte Lavater in intensiven Gebeten darum gerungen, daß der an Lungentuberkulose erkrankte Freund wieder genesen möge. Und auch der Tod von Felix Heß konnte Lavater nicht davon abbringen, weiterhin für ihn zu beten, weil er fest überzeugt war, Gott könne den Toten ins Leben zurückrufen. Sogar mit Emanuel Swedenborg nahm Lavater brieflichen Kontakt auf, um von diesem zu erfahren, wie Heß in der Ewigkeit nun sein neues Dasein führen würde. Im Jahre 1768 nahm die Beschäftigung Lavaters mit eschatologischen Fragen immer schärfere Konturen an. Weiterhin blieb dabei die Einsicht leitend, schon in diesem Leben durch das Gebet an den Kräften der Ewigkeit teilzuhaben. In der Welt gäbe es deutliche Beweise davon, daß Jesus Christus nicht aufgehört habe, heilsam und tröstend zu wirken. Allein ein schwacher Glaube verstelle den Menschen den Blick dafür, diese Beweise zu erkennen.

1. Nichtdiskursivität des Religiösen Es ist nicht verwunderlich, daß diese Überzeugungen Lavaters auf heftige Kritik gestoßen sind. Vertrauten und Freunden, wie dem Kopenhagener Pastor Friedrich Gabriel Resewitz, Johann Bernhard Basedow oder dem einstigen Lehrer Lavaters Johann Jacob Bodmer, stand dieser Wunderglaube zu sehr in der Gefahr, die Hoffnung auf die wunderwirkende Kraft des Gebets fanatisch zu überziehen. Man mag ermessen, was in Lavater vorgegangen sein muß, als er bei Bonnet lesen konnte, daß Wunder keineswegs der Vernunft widersprächen, sondern nur mangelnde menschliche Erkenntnis dazu führen würde, einen solchen Widerspruch anzunehmen. Umgehend übersetzte Lavater den Teil aus Bonnets Palingenesie, der eine Verteidigung des christlichen Offenbarungsglaubens enthielt, aus dem Französischen ins Deutsche. Noch bevor seine Teilübersetzung des Bonnetschen Werks unter dem Titel Herrn Carl Bonnets, ver­ schiedener Akademien Mitglieds, philosophische Untersuchung der Beweise für das Christentum. Samt desselben Ideen von der künftigen Glückselig­keit der Men­ 3 Cf.

Weigelt: Lavater, 16 ff; ders.: Johann, 14 ff u. G. Ebeling: Genie, 26 ff.

1. Nichtdiskursivität des Religiösen

215

schen erschien, übersandte er am 25. August 1769 Mendelssohn ein ungebundenes Exemplar. Eine beigelegte Widmung enthielt das folgende Ansinnen: »[I]ch [darf] es wagen, Sie zu bitten … Nicht, diese Schrift mit philosophischer Unpartheylichkeit zu lesen; denn das werden Sie gewiß, ohne mein Bitten sonst thun: Sondern, dieselbe öffentlich zu widerlegen, wofern Sie diese wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finden: Dafern Sie aber dieselben richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit Sie thun heissen; – was Socrates gethan hätte, wenn er diese Schrift gelesen, und unwiderleglich gefunden hätte«.4 Der in ganz Europa bewunderte Autor des Phaidon (1767), den man in einem Atemzug mit Sokrates zu nennen pflegte, wird, und das gerade mit dem Hinweis auf eine sokratische Vorgehensweise, aufgefordert, den christlichen Glauben anzunehmen oder seinen jüdischen Glauben in aller Öffentlichkeit zu verteidigen. Lichtenberg reagierte mit »unbeschreibliche[m] Unwillen«5 auf Lavater, der auch auf Goethe »nicht die beste Wirkung [tat]«.6 Mendelssohn fühlte sich 4  Juba vii 3. Es ist viel gerätselt worden, wie man Lavaters Schreiben an Mendelssohn ein­zu­schätzen habe. Katz: Aus dem Ghetto, 64 u. Schoeps: Moses, 92, vermuten, daß La­ va­ters Bekehrungsversuch nicht nur der Berliner Neologie bekannt war, sondern von dieser auch begrüßt wurde. Lugenbühl-Weber, der wir eine gelehrte Edition (  Johann i u. ii) des Briefwechsels zwischen Bonnet und Lavater verdanken, meint, daß es Lavater, der ursprünglich andere Briefpartner als Mendelssohn vorgesehen hatte, keineswegs um einen Be­keh­rungsversuch Mendelssohns zu tun war. »Mit seiner [sc. Lavaters] … Einbeziehung Mendelssohns wurde Lavaters epistolares Wissenschaftssymposion … interdisziplinär: der Briefwechsel mit einem Philosophen, noch dazu mit einem nichtchristlichen, hätte garantieren können, daß die Diskussion nicht zur Polemik um theologische Streitpunkte ausarte … Denn es ging Lavater um einen breit angelegten Feldzug für Gott und Unsterblichkeit und kontra die materialistischen Tendenzen der Epoche, nicht um einen verspäteten Bekehrungsversuch im Zeitalter der Aufklärung« ([Z]u thun, 125). Faßt man aber die von uns dargestellte Wendung Lavaters zu einem ambitionierten Christusglauben (1767/68) ins Auge, scheint noch immer viel dafür zu sprechen, daß Lavater durchaus die Absicht und Hoffnung hatte, Mendelssohn von der Vernünftigkeit der christlichen Religion zu überzeugen. Cf. auch Bourel: Moses, 290 f. 5  So Lichtenberg anläßlich des Antwortschreibens Lavaters an Mendelssohn, der empört Lavaters Bekehrungsversuch zurückgewiesen hatte ( Lichtenberg: Sudelbücher i Heft C 39). Lichtenbergs Verhältnis gegenüber Mendelssohn war dann auch stets von großer Verehrung ge­prägt (cf. F. Schäfer: Lichtenberg, 85 ff ). 6  Goethe: Dichtung und Wahrheit xiv, Werke x 16. Und natürlich reagierte auch Mendels­ sohns Freund Lessing. Am 9. Januar 1771 schreibt er aus Wolfenbüttel an Mendelssohn mit der Bitte, auf den neuesten Stand gebracht zu werden. Zugleich aber äußert er auch fast ein wenig wehmütig, daß Mendelssohn als Jude in dieser Sache durchaus mit der größten Offen­ heit zu sprechen vermag: »[I]ch [bitte] Sie, wenn Sie darauf [sc. auf Lavaters Aufforderung an Mendelssohn] antworten, es mit aller möglichen Freiheit, mit allem … Nachdrucke zu thun. Sie allein dürfen und können in dieser Sache so sprechen und schreiben; und sind daher unendlich glücklicher, als andre ehrliche Leute, die den Umsturz des abscheulichsten Gebäudes von Unsinn nicht anders, als unter dem Vorwande, es neu zu unterbauen, befördern können« (Gs v 189). Cf. zu dieser Briefpassage ausführlich Flajole SJ: Lessing’s, 202 – 214.

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D. Mendelssohn und Lavater

arg in die Enge getrieben: Mit seinem Schweigen hätte er möglicherweise den Verdacht auf sich gezogen, mangelnde reflexive Kompetenz in Fragen der Religion oder gar schlichter Opportunismus würden ihn dazu bewegen, weiterhin dem jüdischen Glauben anzuhängen. Und so entschloß er sich zu reagieren. Ein Vierteljahr nach Lavaters Aufforderung zieht Mendelssohn die Klinge. In seinem Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater vom 12. Dezember äußert er sich mit verwunderter Überlegenheit. »Ich darf sagen, daß ich meine Religion nicht erst seit gestern zu untersuchen angefangen« (8).7 Zuerst holt Mendelssohn aus zu einem Schlag gegen die Indiskretion Lavaters, der wissen dürfte, daß Mendelssohn, wie er immer wieder betonen wird, kei­nerlei Neigung jemals verspürt hat, in Fragen der Religion sich öffentlich in ein Streitgespräch einzulassen. Weil in den folgenden Sätzen nicht nur die Gemütsart Mendelssohns, sondern zugleich eine Eigenart religiöser Haltung zum Aus­druck kommt, zitieren wir die längere Passage: Da Sie sich der vertraulichen Unterredung noch erinnern, die ich das Vergnügen gehabt, mit Ihnen und Ihren würdigen Freunden auf meiner Stube zu halten, so können Sie unmög­lich vergessen haben, wie oft ich das Gespräch von Religionssachen ab und auf gleichgültigere Materien zu lenken gesucht habe; wie sehr Sie und Ihre Freunde in mich dringen mußten, bevor ich es wagte in einer Angelegenheit, die dem Herzen so wichtig ist, meine Gesinnung zu äußern … Was hat Sie also bewegen können, mich wider meine Neigung, die Ihnen bekannt war, aus dem Haufen hervorzuziehen und auf einen öffentlichen Kampfplatz zu führen, den ich so sehr gewünscht, nie betreten zu dürfen (  7 f    ).

Auf einer Bildungsreise nach Deutschland nämlich hatte sich Lavater zweimal, vom 27. März bis 29. April 1763 und vom 29. Januar bis 1. März 1764, nach Berlin begeben. Bei seinem ersten Berliner Aufenthalt hat er mehrfach auch Mendelssohn aufgesucht. Auf diese Besuche und die in diesem Zusammenhang mit Lavater geführten Gespräche spielt Mendelssohn an. Mendelssohns Abneigung, sich über seine Religion zu äußern, rührt nicht daher, daß er als ein im Berlin Fried­richs des Großen nur geduldeter Jude Schwierigkeiten bekommen konnte; wenngleich dies natürlich auch im Hintergrund gestanden hat.8 Eine solche Argumentation wäre unmittelbar verständlich. Nicht so verständlich hingegen ist es, wenn Mendelssohn hier daran erinnert, es auch als eine unangebrachte Zumutung erachtet zu haben, in einem intimen und privaten Gespräch seine religiösen Überzeugungen zum Thema zu machen. 7 

Die im folgenden in den Text gesetzte Paginierung bezieht sich auf Juba vii. Mendelssohn betont dies am Ende seines Schreibens an Lavater ausdrücklich: »Welche Erkenntlichkeit sind meine Glaubensbrüder also nicht der herrschenden Nation schuldig, die sie in der allgemeinen Menschenliebe mit einschließt, und sie ungehindert den Allmächtigen nach ihrer Väter Weise anbeten läßt ! Sie genießen in dem Staate, in welchem ich lebe, hierin die anständigste Freyheit, und ihre Mitglieder sollten sich nicht scheuen, die Religion des herrschenden Theils zu bestreiten, daß heißt, ihre Beschützer von der Seite anzufallen, die tugendhaften Menschen die empfindlichste seyn muß ?« (  Juba vii 15). 8 

1. Nichtdiskursivität des Religiösen

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Hinter dieser offensichtlichen Scheu Mendelssohns, über seinen jüdischen Glauben zu sprechen, scheint sich ein prinzipielles Problem zu verbergen. Angelegenheiten der ›Gesinnung‹, die dem ›Herzen wichtig‹ sind, sind nicht dazu angetan, innerhalb einer kommunikativen Situation auf den Punkt gebracht zu werden. Das unterscheidet sie von ›gleichgültigeren Materien‹, Problemen nämlich, die diskursiv werden können, ohne daß sich der Mensch mit der Inwendigkeit seines Gesinnungslebens investieren muß. Diese Gesinnung ist nicht angesiedelt am Ort diskursiver Auseinandersetzungen, sondern im frommen Innenleben. Und kein Moment läßt sich an diesem Innenleben entdecken, das es dazu antreiben würde, in eine dialogische Situation überzugehen. Eine dialogische Situation, wie Mendelssohn sie selbst dargestellt hat in seinen Briefen über die Empfindungen und seiner Phaidonadaption, ist dadurch gekennzeichnet, daß die Dialogpartner die Wahrheit ihrer Überzeugungen nicht affirmativ setzen können, sondern in gegenseitigem Gespräch diese Wahrheit erwerben, die Wahrheit also gleichsam im Dialog geschehen lassen. Anders verhält es sich aber mit den religiösen Überzeugungen. Sie sind, wie Mendelssohn schreibt, dem Herzen weitaus wichtiger. Darum sind sie ein unveräußerlicher Besitz des religiösen Herzens, ein Besitz, der weder zur Debatte steht noch auch in einer solchen Debatte überhaupt davon künden kann, was er dem Menschen bedeutet. Anders steht es, wenn die Überzeugung des Menschen dahin gelangt ist, die Religion wechseln zu wollen. Hier muß in der Form eines öffentlichen Bekenntnisse nach außen dringen, was vorher dem religiösen Innenleben des Menschen angehört hat. »Sie sehen also, daß ohne aufrichtige Überzeugung von meiner Religion der Erfolg meiner Untersuchung sich in einer öffentlichen Thathandlung hätte zeigen müssen« (  9). Mendelssohn spricht hier von der Untersuchung seiner Religion, der er, wie er einen Satz zuvor betont hat, den »größten Theil« seines »Lebens« gewidmet hat ( ib.). Dann also, wenn die Überzeugung gebrochen, wenn das enge Band zwischen dem Menschen und seiner Religion zerschnitten ist, tritt in einer öffentlichen Tathandlung ans Licht, was vorher sogar in ein Gespräch einzugehen, sich scheute. Und nun bestätigt Mendelssohn noch einmal, daß der Besitz der eigenen Religion und die Überzeugung von ihrem Wert für das eigene Leben nicht an die Öffentlichkeit und in ein Gespräch gehört. »Da sie mich aber in dem bestärkte, was meiner Väter ist, so konnte ich meinen Weg im Stillen fortwandeln, ohne der Welt von meiner Überzeugung Rechenschaft ablegen zu dürfen« ( ib.). Denn das Rechenschaftgeben von der eigenen Religion ist ein bestimmter Vorgang, den mindestens zwei Merkmale kennzeichnen. Der, der Rechenschaft gibt, hat ein Interesse daran, das, wovon er Rechenschaft gibt, seinem Gegenüber anzudemonstrieren. Der Rechenschaftgebende will darin zugleich seinem Gegenüber die eigene Überzeugung weitergeben. Zugleich ist in diesem apologetischen Bedürfnis der Gedanke gelegen, daß man die eigene religiöse Überzeugung gegen Falsifikationen absichern will, während man sie zugleich diesen

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D. Mendelssohn und Lavater

Falsifikationen aussetzt. Beide Merkmale sind aber für die religiöse Überzeugung nicht kennzeichnend. Das Interesse daran, seine religiöse Überzeugung einem anderen aufzudringen und anzudemonstrieren, widerspricht dem Grundsatz der Nichtdiskursivität. Wenn der Fromme seine religiösen Überzeugungen nicht gegen Falsifizierbarkeit abzusichern sucht, ist dies ein Ausdruck von Achtung vor der Religion. Der Wert des Religiösen nämlich speist sich nicht aus einer Absicherung gegen Argumente. Mendelssohn gebraucht hier einen Begriff, der uns in den Gegenbetrachtungen wieder begegnen wird: das Zeugnis. Allein von dem Wesentlichen meiner Religion bin ich so fest, so unwiderleglich versichert, als Sie … nur immer von der Ihrigen sein können, und ich bezeuge hiermit vor dem Gott der Wahrheit, Ihrem und meinem Schöpfer und Erhalter … daß ich bei meinen Grundsätzen bleiben werde, so lange meine … Seele nicht eine andere Natur annimmt (10).

Können also religiöse Überzeugungen nicht apologetisch vertreten werden, so ist es doch möglich, sie zu bezeugen. Dieses Zeugnis aber geht weit hinaus über eine diskursive Rechtfertigung von Glaubensinhalten. Im Bezeugen seines Glaubens investiert sich der Zeuge als ganzer Mensch. Hier steht die Seele auf dem Spiel. Die Überzeugung von der Religionswahrheit wird in der von uns zitierten Passage ineins gesetzt mit der Seelennatur. Es ist also die den Menschen un­mittelbar individuierende Natur, denn dafür steht die Seele, mit der sein religiöses Bewußtsein verbunden ist. Diese Einheit von seelischer Individualität und religiöser Überzeugung kann nicht auseinandergerissen werden. Darum kann auch im frommen Lebenswandel nicht ein Moment ohne das andere zum Ausdruck kommen. Die Weise aber, in der sich die Einheit von seelischer Natur und religiöser Überzeugung zum Ausdruck bringen, beschreibt Mendelssohn als Tugend.9 Er faßt noch einmal alle Momente zusammen, die gegen eine Öffentlichkeit von Religionsstreitigkeiten sprechen: Meine Religion, meine Philosophie und mein Stand … geben mir die wichtigsten Gründe an die Hand, alle Religionsstreitigkeiten zu vermeiden und in öffentlichen Schriften nur von denen Warheiten zu sprechen, die allen Religionen gleich wichtig seyn müssen (10).

Offensichtlich, so ist aus dieser Passage zu schließen, ist an Religionen zu unterscheiden zwischen einem Wahrheitsmoment, das diskursiv werden darf, und einem Moment, das der von uns eben dargestellten Innendimension des Menschen angehört. Das also, was allen Religionen gleich wichtig ist, darf auch diskursiv werden. Betrachtet man Mendelssohns immer wiederkehrende Ablehnung der Mission im Zusammenhang mit dem nichtübertragbaren religiösen Wahrheitsmoment, so gewinnt die strikte Ablehnung, den jüdischen Glauben missionarisch zu verbreiten, prinzipiellen Charakter. Das prinzipielle Moment seiner Ablehnung einer jeglichen Übertragung religiöser Glaubenswahrheit in 9  »Die verächtliche Meinung, die man von einem Juden hat, wünschte ich durch Tugend und nicht durch Streitigkeiten widerlegen zu können« (  Juba vii 10).

2. Vorurteil und Religion

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missionarischer Form vertieft Mendelssohn noch einmal in einer Abschlußreflexion. Die diese Reflexion leitende Frage lautet, unter welchen Bedingungen man die Religionsmeinungen anderer Religionsgemeinschaften bestreiten dürfte.

2. Vorurteil und Religion Mendelssohn antwortet auf die Frage, indem er eine differenzierte Theorie des Vorurteilsbegriffs in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt. Damit ist ein bedeutsamer Epochenbegriff gefallen, der vielleicht eine Keimzelle in den Lec­ tiones de praeiudiciis des Christian Thomasius von 1689 hat.10 Die stufenweise Ab­tragung aller Prätentionen, die durch Vorurteile immer neu in einer Diskussion tradiert werden, darf sicherlich als ein genuines Interesse vieler Debatten des Aufklärungszeitalters angesehen werden. Damit ist aber nur eine Dimen­ sion des Vorurteilsdiskurses berührt. Diese Bedeutungsdimension legt das Vor­urteil einseitig auf seine innerhalb philosophischer Erkenntnistheorie auftretenden Definitionen fest. Wie eine solche Auffassung konkret aussieht, dokumentiert der Lexikonartikel von 1746 aus Zedlers Universallexikon. Das Vorurteil wird hier als ein Urteilsprinzip vorgestellt, aus dem besondere Urteile und Schlüsse folgen. Dieses Prinzip aber ist hinsichtlich seiner Triftigkeit unzulänglich durchdacht worden. Und daraus wiederum folgt nun: »Ein jegliches Vorurteil ist ein Irthum«.11 Einige Spalten später resümiert derselbe Artikel, nachdem er die besondere Anfälligkeit der Juden für das Vorurteil betont hat, noch einmal mit Blick auf die zentrale Aufklärungsmetapher: »Denn das Licht der Vernunfft wird von denen Vorurtheilen vornehmlich des menschlichen Ansehens und der Uebereilung … bedecket und verdunckelt«.12 Nachdem innerhalb der jüngeren Aufklärungsforschung etwa durch Michel Delon13 und Karl Menges14 überzeugend nachgewiesen wurde, wie eine Abkopp­ lung von jenem erkenntnistheoretischen Vorurteilsbegriff, der Vorurteil und Irrtum ineins setzt, zu einer Rehabilitierung des Vorurteils führt, macht die materialreiche Studie von Rainer Godel plausibel, daß es sich beim Vorurteilsbegriff um ein »modale[s] … Definitionsmerkmal von Aufklärung« handelt.15 Dabei unternimmt es Godel zu zeigen, »inwieweit das ›Vorurteil‹ als Innovations- und Abgrenzungsmerkmal des Selbstverständnisses von ›Aufklärung‹ in 10  Cf. zur Genese von Thomasius’ Vorurteilstheorie und ihrer Einordnung in den Aufklä­ rungs­diskurs Engfer: Christian; Beetz: Transparent, 13ff; Schnei­ders: Aufklärung und Vorurteilskritik, 94 ff und Godel: Vorurteil, 94 ff. 11  Z 50, 1331. 12  L. c. 1335. Zu dieser Metapher cf. Albus: Weltbild, 123, 153, 160, 170 f, 214–220, 266 f, 345. 13  Delon: Réhabilitation. 14  Menges: Vom Vorteil. 15  Godel: Vorurteil, 5.

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D. Mendelssohn und Lavater

literarischen und paraliterarischen Genres verwendet wird«.16 Im Durchgang durch diese Genres entfaltet die Studie dann in aller wünschenswerten Gründlichkeit die These, daß nicht die Kritik am Vorurteil, sondern gerade der produktive Umgang mit der Vorurteilsthematik als einer in jeweils verschiedenen Kontexten unterschiedlich ausfallender und unterschiedlich zu bewertender Urteilsform »die Aufklärung in ihrer Selbsteinschätzung zur Aufklärung« macht.17 Faßt man vor diesem Hintergrund Mendelssohns Überlegungen ins Auge, so zeigt sich, daß sich an Mendelssohns Umgang mit dem Vorurteilsbegriff nicht nur ein Epochenindiz spiegelt, sondern daß Mendelssohn einen eigenständigen Beitrag zu einer Theorie des Vorurteils zu liefern vermag.18 Im folgenden analysieren wir die entsprechende Passage. Mendelssohn stellt fest, daß es die »natürliche Verbindlichkeit« des Menschen sei, »Erkenntnis und Tugend« zu befördern und »Vorurtheile und Irrthümer« (13) abzubauen. Vorurteile und Irrtümer lassen sich, so ist hier schon zu beobachten, also nicht nur auf kognitive Defizite beziehen, sondern greifen auch aus auf den Bereich der Tugend. Wenn dies aber so ist, dann entsteht auf den ersten Blick die Konsequenz, daß die Gesamtheit aller Vorurteile und Irrtümer zu beseitigen sei. Gegen diese Konsequenz erhebt Mendelssohn Einspruch. Allein, nicht alle Vorurtheile sind von gleicher Schädlichkeit, und daher müssen auch nicht alle Vorurteile, die wir bei unseren Nebenmenschen wahrzunehmen glauben, auf einerlei Weise behandelt werden ( ib.).

Mendelssohn plädiert also dafür, die Vorurteile nach ihrer Schädlichkeit zu bewerten. Eine solche Bewertung aber ergibt den Befund, daß Vorurteile von einer ge­stuften Schädlichkeit sind. Aus diesem Sachverhalt folgert Mendelssohn, daß ein differenzierter Umgang mit Vorurteilen geboten ist. Und noch eine weitere Unterscheidung nimmt er vor. Nicht nur, daß eine unterschiedliche Schädlichkeit von Vorurteilen einen in sich differenzierten Umgang mit ihnen notwendig macht, sondern es ist dem menschlichen Erkennen gar nicht unmittelbar möglich, das Vorurteil als ein Vorurteil beim anderen festzustellen. Wir ›glauben zu erkennen‹, daß unser Gegenüber einem Vorurteil aufsitzt, aber wir müssen bei einer solchen Vermutung immer auch den Sachverhalt mit bedenken, daß wir uns irren können. Das Urteil über ein Vorurteil kann nie die letzte Vagheit, selbst ein Vorurteil sein zu können, nachhaltig ausräumen. Letzte Sicherheit darüber, ob es sich um ein Vorurteil handelt, erzielt der Mensch nur, wenn er ein konkretes Kriterium beachtet. »Einige [sc. Vorurteile] sind der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechts unmittelbar zuwider« (13). Steht also die Glückseligkeit auf dem Spiel, so ist es geboten, die ihr zuwiderlaufenden Vor16 Ib.

17 Ib.

18  Einschlägig zu Mendelssohns Vorurteilstheorie: M. Albrecht: Moses Mendelssohn über Vorurteile u. Godel: Eine unendliche, 565 ff.

2. Vorurteil und Religion

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urteile zu destruieren. Der Grund dafür, daß diese Destruktion statthaben darf, ist von Mendelssohn noch einmal modallogisch formuliert. Nur dann nämlich, wenn noch nicht einmal ein möglicher Nutzen bei dem Vorurteil zu denken ist, muß es der Vernichtung anheimfallen. Bei allen anderen Vorurteilen, so wird man indirekt aus Mendelssohns Überlegung schließen dürfen, besteht zumindest die Möglichkeit, der Glückseligkeit des Menschen dienlich zu sein. Mendelssohn gibt genau an, welche Vorurteile er im Auge hat. Zuerst formuliert er eine grundsätzliche Beschreibung. Zu bekämpfen sind Vorurteile, die die Ruhe und Zufriedenheit des Menschen stören und »jeden Keim des Wahren und Guten in dem Menschen töten bevor er zum Ausbruch kommen kann« ( ib.). Konkret handelt es sich dabei um »Fanatismus, Menschenhaß, Verfolgungsgeist« einerseits und um »Leichtsinn, Ueppigkeit und unsittliche Freygeisterey« ( ib.) andererseits. Dagegen steht ein anderer Typus von Vorurteilen, der die praktische Dimension gar nicht tangiert, theoretische Grundsätze also, die einen hohen Grad an Allgemeinheit aufweisen. Dieser Allgemeinheitsgrad ist dafür verantwortlich, daß dergleichen Vorurteile im praktischen Bereich unterschiedlich ausschlagen können: Sie können auf einen praktischen Nutzen führen, können aber zugleich auch praktische Folgen zeitigen, die zu bekämpfen sind. Vorurteile, die von einem so hohen Allgemeinheitsgrad sind, können durchaus Grundlagen für die Sittlichkeit eines Volks werden. Offenkundig kann ein »Principium der Sittlichkeit (14)« durchaus fehlerbehaftet sein, ohne daß dadurch sittliches Handeln schon hinfällig würde. Und mehr noch: Auch hier gebraucht Mendelssohn wieder die konjunktivische Wendung, daß uns dergleichen Vorurteile Vorurteile zu sein nur »dünken« (13). In einer eigenwilligen Argumentation ad hominem schließt Mendelssohn seine Betrachtung über das Vorurteil ab. Lavater hatte ja Mendelssohn aufgefordert, seine eigene Religion entweder zu verteidigen oder das Christentum anzunehmen. Dies schien Lavater umso lei­chter möglich, als er die Bonnetschen Aussagen für beweiskräftig hielt. Mendelssohn ist der Ansicht, daß die angeblichen Beweise nur eine stabilisierende Funktion haben für den, der das, was in diesen Beweisen bewiesen werden soll, ohnehin schon als wahr anerkannt hat.19 Diesen Sachverhalt nicht vor Augen gehabt zu haben, wirft Mendelssohn Lavater vor. Und er endet seine Argumentation mit den an Lavater gerichteten Worten: Haben sie diesen Sachverhalt aber vor Augen »und glauben dennoch, wie Sie zu verstehen geben, daß ein Sokrates selbst die Beweisgründe des Hr. Bonnet unwiderleglich finden müsse, so ist einer von uns sicherlich ein merkwürdiges Beispiel von der Gewalt der Vorurteile und der Erziehung, selbst über solche, die mit aufrichtigem Herzen die Wahrheit suchen (16).

19  »Er [sc. Bonnet] kann nur für solche Leser geschrieben haben, die, wie er, überzeugt sind und nur lesen, um sich in ihrem Glauben zu bestärken« (  Juba vii 16).

222

D. Mendelssohn und Lavater

Oberflächlich betrachtet gebraucht Mendelssohn den Vorurteilsbegriff hier ne­gativ. Seine Bemerkung wäre dann etwa folgendermaßen zu reformulieren: Wenn Lavater wirklich glaubt, daß ein Jude, der eine vollkommen andere religiöse Überzeugung besitzt, durch Beweise, die ein christlicher Schriftsteller für christliche Leser und Leserinnen formuliert hat, vom Gegenteil seiner jüdischen Religion zu überzeugen ist, dann sitzt er einem Vorurteil auf. Doch Mendelssohn formuliert so, daß diese Paraphrase nicht zwingend ist, wenn er nämlich offen läßt, wer von den beiden Gesprächspartnern, Lavater oder er selbst, hier zum Opfer eines Vorurteils geworden ist. Das führt uns unter die Oberfläche dieser Aussage Mendelssohns, der offensichtlich die Beweisfunktion religiöser Aussagen nach beiden Seiten hin bestreitet. Weder der christliche Beweis für die Religion ist triftig noch auch der jüdische Beweis, wenn er denn, wie gefordert, geführt würde. Auf der Ebene apologetischer Diskursivität, wie Lavater sie inauguriert, ist niemals auszuschließen, daß die Logik des Vorurteils nicht Gewalt über einen der Diskurspartner bekommt. Fassen wir unsere Beobachtungen zusammen, so ergibt sich ein schillernder Gebrauch, den Mendelssohn vom Vorurteilsbegriff macht. 1) Das Vorurteil ist eine unbedingt abzuschaffende Fehlsteuerung des menschlichen Denkens. Ein solches Vorurteil muß aber in einem so hohen Maße definitorisch dingfest gemacht werden, daß diejenige epistemische Instanz, die es als Vorurteil kennzeichnet, vollständige Sicherheit hinsichtlich einer solchen Kennzeichnung haben muß. Sonst liefe man Gefahr, ein Vorurteil mit einem Vorurteil zu kontern. Eine solche Sicherheit ist nur hinsichtlich weniger Vorurteile zu erzielen. 2) Zugleich gibt es – so möchte man sagen ­– am Bösen desinteressierte Vorurteile. Daß solche Vorurteile der Glückseligkeit des Menschen dienen, ist zwar kontin­ gent, jedoch niemals auszuschließen. 3) Jedes Urteil über ein Vorurteil muß im Urteilen den Sachverhalt gegenwärtig halten, nur eine Vermeinung zu sein. 4) Vorurteile können nationale oder allgemein gruppenspezifische Stabilisierungsfunktionen übernehmen. 5) Es ist ein Vorurteil, auf religiöse Apologetik und darauf, daß diese Apologetik gewißheitsstiftend sein könne, zu vertrauen. Inwieweit vermag diese Vorurteilsanalyse zurückgebunden zu werden an die Religion ? Um hier eine Antwort zu finden, empfiehlt es sich, noch einmal zurückzuschauen auf den Kontext, in dem Mendelssohn das Vorurteil eingeführt hatte. Wir hatten gesehen, daß er das Thema des Vorurteils einführte im Zusammenhang mit dem Problem, ob man eben jene Vorurteile zu bekämpfen habe. Dieser Kampf aber sollte in Bezug auf ein konkretes Thema geführt werden: die Religion. Dies ist in zweierlei Hinsicht kommentierbar. Mendelssohn könnte einem Vorurteil aufsitzen im Blick auf seine eigene Religion. Oder: Mendelssohn enttarnt das Vorurteil derer, die der christlichen Religion anhängen. Doch genau diese Alternative wird von Mendelssohn unterlaufen, indem der nach seiner Religion Befragte hinter die Frage zurücktritt, um statt dessen eine Theorie der ›Frage schlechthin‹ zu entwerfen. Denn: Eine Theorie des Vorurteils ist

2. Vorurteil und Religion

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immer auch eine Theorie der Selbstbefragung hinsichtlich eigener Urteilskompetenz. Und diese Urteilskompetenz kann nur stabil gehalten werden, wenn in sie schon der Gedanke aufgenommen ist, vor-urteilend urteilen zu können. Genau darum zieht Mendelssohn die schlichte Lösung, daß Urteilskompetenz immer bedeutet, ein Vorurteil zu vernichten, in Frage. Nur im Fall eines solchen Vorurteils, bei dem die Möglichkeit von Nützlichkeitsfolgen auszuschließen ist, kann von einem Vorurteil als einem Vorurteil gesprochen werden. Exakt auszuschließen aber ist dies nur bei solchen Urteilen, die der Glückseligkeit des Menschen widerraten. Doch Glückseligkeit ist nicht nur ein Telos, sondern immer auch ein Zustand. Dieser Zustand aber ist das Moment, was jeder religiöse Mensch als den Gehalt seines Glaubens angeben würde. Dieses Moment besteht in einer affektiven Selbsteigerung, die immer schon eingegangen ist in den Diskurs, ohne zugleich in ihm thematisch zu werden. Eine Apologie des Glaubens oder ein Glaubensstreit sind ohne solche affektive Selbsteigerung nicht denkbar. Beziehen wir diese Vorurteilsproblematik zurück auf die Religion, so scheint sich das Spezifikum des Religiösen im Vorurteilsdiskurs widerzuspiegeln. Mendelssohns Vorurteilstheorie, wie sie im Schreiben Lavaters niedergelegt ist, ist der Anwendungsfall seiner Religionstheorie, einer Religionstheorie, die in diesem Schreiben nicht explizit werden durfte. Wir hatten gesehen, daß Mendelssohns implizite Religionstheorie sich in einer Herzensregion abspielte, in der die affektive heilige Erregtheit des Seelischen nicht dazu neigt, öffentlich und dis­kursiv zu werden. Behalten wir dieses Ergebnis unserer Überlegungen im Auge, dann zeigt die Urteilstheorie indirekt, warum dies so ist. Religion ist ein Gewißheitsempfinden, das durch Urteile nicht eingeholt werden kann. Nimmt man hinzu, daß Mendelssohn sich immer auch als Aufklärer versteht, so darf man vielleicht sagen, daß Religion einen spezifischen Beitrag zu diesem Urteilsdiskurs zu leisten vermag. Mendelssohn entwirft eine Vorurteilstheorie, die im Kern auf ein reflexives Selbstverhältnis des Aufklärungsdiskurses hinaus will, womit nicht nur eine Integration der Defizitdimension des Vorurteils in die Aufklärung als Prozeß stattfindet, sondern die Vorurteile hinsichtlich ihrer Widerständigkeit sogar als eine unverzichtbare Bedingung eines solchen Prozesses erkannt sind.20 Zugleich aber gilt: In die selbstreflexive Prozessualität fließt immer auch jene Selbstvoraussetzungsstruktur ein, die jegliche Selbstreflexion auszeichnet: Die Reflexion wandelt das Subjekt zu einem Selbst, das sich als selbstreflexives Subjekt zugleich immer schon vorausgesetzt hat. Exakt dieses Geschehen wird auch abgebildet, wenn im Vorurteilsdiskurs die Reflexion zwischen in der Reflexion selbst nicht mehr ausweisbarer Selbstvoraussetzung ( Rückschritt innerhalb der Perfektibilitätsprozessualität) und dem Fortschreiten der Selbstreflexion über diese Selbstvoraussetzung hinweg oszilliert. Um in diesem Oszillieren affektiv 20 So

Godel: Eine unendliche, 574 f.

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D. Mendelssohn und Lavater

nicht mit sich selbst auseinanderzutreten, seiner selbst nicht unsicher zu werden, bedarf der Mensch bestimmter Gewißheitsmomente, solcher Momente also, die ihm innerhalb des Geschehens zwischen seiner Selbstvoraussetzung und dem reflexiven Fortschreiten, das aber gleichwohl die Selbstvoraussetzungslogik nicht zu verlassen vermag, eine affektive Sicherheit in der Selbstübereinstimmung geben. Solche ›affektive Sicherheit in der Selbstübereinstimmung‹ vermag die Religion zu verleihen. Sie geht in den eben dargestellten Prozeß der Selbstreflexion nicht ein und darf somit als die Innenseite des Vorurteilsdiskurses angesprochen werden. Als spezifisches Gewißheitsmoment sichert sie eine rationale Stabilität im Prozeß zwischen Selbstaufklärung und Selbstvoraussetzung. Darin aber liegt zugleich auch die von uns angesprochene affektive Dimension: Der Mensch darf im Prozeß seiner Selbstaufklärung seiner selbst nicht unsicher werden. Die religiöse Einstellung aber erlaubt ihm genau jene affektive Übereinstimmung mit sich selbst, die er in Diskursivität und Selbstreflexion niemals zu erreichen vermöchte. Dieser affektive Kern des Religiösen hatte, so haben wir gesehen, seine Telosbestimmtheit in jenem Glück, das in der gelebten Religion immer zugleich auch eine momenthafte Zuständlichkeit ist, eine Einsicht, die Mendelssohn innerhalb der Religionsphilosophie vor der Jerusalemschrift nicht mehr überschreiten wird. Aber er wird diese Einsicht ausweiten zu einer Näherbestimmung der jüdischen Religion.

3. Mendelssohns Brief an den Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel-Lüneburg, Sohn des Herzogs Karl von Braunschweig-Wolfenbüttel-Lüneburg und der Prinzessin Philippine Charlotte von Preußen wurde im Oktober 1735 zu Wolfenbüttel geboren. Der Infanteriegeneral und Oberbefehlshaber Preußens gegen die französischen Truppen von 1792 – 94, dessen militärisch-politisches Schicksal sich in der legendären Schlacht von Auerstedt erfüllte, ist schon zu Lebzeiten ob seiner Tap­ferkeit und politischen Durchsetzungskraft auf eine Stufe mit seinem berühm­ten Oheim Friedrich dem Großen gestellt worden. Zwar verband ihn mit Friedrich ebenfalls eine lebhafte Aufgeschlossenheit für die geistigen Tendenzen seiner Zeit, doch waren diese Interessen, anders als am Hof von Sanssouci, nicht auf Frankreich nur ausgerichtet, sondern der Erbprinz nahm auch reges Interesse an den Entwicklungen innerhalb des deutschen Sprachraums. Groß geworden war er in einem Klima hochgesinnter Bildung und aufgeklärter Christlichkeit, denn der Vater Herzog Karl hatte keinem geringeren als dem berühmten Abt Johannes Friedrich Wilhelm Jerusalem die Erziehung des erst siebenjährigen Karl Wilhelm Ferdinand übertragen. Drei Jahre – und an dieser Briefäußerung mag man das geistige Klima bei Hofe ermessen – nachdem

3. Mendelssohns Brief an den Erbprinzen

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er das Amt eines Hofprediger und Erziehers bei der fürstlichen Familie angetreten hatte, schreibt Jerusalem an Gottsched: »Ich habe das seltene Glück, daß ich an einem Hofe bin, wovon der größte und edelste Teil Gottlob vernünftig und rechtschaffen denkt und wo der Unglaube sowenig für einen Beweis der Scharfsinnigkeit als der Aberglaube für ein Kennzeichen des Christentums gehalten wird«.21 Diese Briefäußerung führt uns zurück zu Moses Mendelssohn, denn es ist genau dieses aufgeklärt-religiöse Ambiente, durch das Mendelssohn sich ermutigt fühlt, offener als man das von seinen öffentlichen Äußerungen her gewohnt ist, nicht nur zu Fragen des Judentums, sondern auch zu dem, was seine Religion vom Christentum unterscheidet, Stellung zu nehmen. Am 2. Januar 1770 kündet der Erbprinz in einem kurzen Schreiben Men­delssohn davon, daß er nicht nur mit großem Interesse in der dritten Auflage des Phaidon gelesen hätte, sondern daß ihm auch der beginnende Lavaterstreit zur Kenntnis gebracht worden sei, und er die Mendelssohnsche Antwort auf Lavater gelesen habe. Doch bleibt es nicht bei dieser Sympathieadresse an die »von göttlichen Wahrheiten so durchdrungene[] Seele« Mendelssohns,22 sondern der Prinz trachtet auch zu wissen, wie sich der jüdische Weltweise zu der Aussage des Neuen Testaments verhält, daß nicht die Aufhebung, sondern die Erfüllung des Gesetzes und der Propheten ( Mt 5, 17) die Basis des christlichen Glaubens bilde. [N]ichts kann Einem unsers Glaubens wichtiger sein, als zu bemerken, wie ein unter dem Mosaischen Gesetz lebender Philo­soph den historischen Beweis von Moses führt, in welchem wir mit ihm ein­stimmig sind, und wie zugleich denen historischen Beweisen ausgewichen wird, auf welchen der christliche Glaube sich gründet (299).

Dieses Interesse gewinnt noch einmal eine besondere Brisanz, wenn man bedenkt, daß der Prinz Widmungsträger von Jerusalems Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion (1768) ist. Und mehr noch: Jerusalems Betrachtungen sind entstanden auf den ausdrücklichen Wunsch des Prinzen hin, einen ge­schlossenen Entwurf der christlichen Religion zu verfassen. Reagiert Men­delssohn also in seinem Antwortbrief auf die Fragen des Erbprinzen, so reagiert er damit zugleich auf eine Konstellation aufgeklärten Christentums, für die das Hauptwerk Jerusalems ebenso beispielhaft wie typisch ist. Betrachtet man Mendelssohns Antwortschreiben vor diesem Hintergrund, so wird man das Aufregende seiner Aussagen weniger darin erblicken, daß ein jüdischer Philo­soph hier im privaten Briefwechsel mit einem aufgeklärten Prinzen sich get­raut, sehr offen jene Lehren des christlichen Glaubens aufs Korn zu nehmen, die ihm widervernünftig scheinen. Sehr viel bedeutsamer ist, daß Mendels­sohns Einreden auf der Linie jener Religion liegen, die Jerusalem dem Prinzen in seinem Fürstenspiegel ausgebreitet hatte. Wir legen im folgen­den die 21 

22 

Brief vom 8. Nov. 1745, zit. nach Aner: Die Theologie, 69. Juba vii 1, 299. Die in den Text gesetzte Paginierung bezieht sich auf Juba vii 1.

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D. Mendelssohn und Lavater

zentrale These Mendelssohns in seinem Schreiben dar, das in zwei Se­quenzen dem Prinzen antwortet: 1) »Was hat ein unter dem Mosaischen Gesetz lebender Weltweise für Grund, die historischen Beweise des A. T. anzunehmen und des Neuen zu verwerfen ?« ( 300). Es sind vor allem vier Glaubenssätze, die nach Mendelssohn von den Anhängern der christlichen Religion angenommen werden müssen: die Trinitäts-, Inkarnations-, Kenosis- und Satisfaktionslehre ( ib.). Nun be­streitet er diese loci praecipui des christlichen Glaubens aber keineswegs unter Bezugnahme auf die Autorität des biblischen Zeugnisses. »Wenn ich diese Lehren im A. T. fände, so würde ich auch das A. T. verwerfen müssen« ( 301). Vielmehr liegt für Mendelssohn das eine Religion wahrheitsbetroffen auszeich­nende Kriterium in einer Harmonisierungsleistung, die darin besteht, reli­giöse Wesensaussagen mit den Prinzipien der Vernunft in einen Einklang zu bringen.23 Diese Harmonisierungsleistung ist dann auch ausschlaggebend für die Einschätzung des Alten Testaments als einer Sammlung von Glaubenszeugnis­sen, die »harmoniren« mit der »philosophischen Ueberzeugung« (  301). Die Transformationsfähigkeit reli­ giöser Einstellungen in vernünftige Aussagen ist dabei entscheidender als der Religionsstifter. »Ich kann es nicht genug wiederholen, es kömmt Alles auf die logische Wahrheit der Lehre, nicht auf die historische Wahrheit der Gesandt­ schaft an« (  303). Religion ist von ihrer intimsten Veranlagung her auf eine Vielfalt nicht nur religiöser Ausdrucksformen, Darstellungen und Handlungen, sondern auch Glaubenssätze, Überzeugungen und Gewißheitsreflexionen an­gelegt. Eine Fixierung der Religion in indisputablen Glaubenssätzen ließe der religiösen Vernunft keinen Raum mehr, sich auszutragen. Darum hält Men­delssohn auch in seinem Brief an den Erbprinzen ein Reformprogramm bereit, das ein Ensemble von Überzeugungen aufgeklärter Vernunft zusammenfaßt. Präludiert wird dieses religiöse Reformprogramm mit der Forderung, den Sachverhalt anzuerkennen, daß eine Vielzahl an Religionen möglich sein muß. Mit der Anerkennung dieser grundsätzlichen Möglichkeit soll mit­hin die notwendige Unterscheidung in Religionssachen nicht hinfällig werden. Mendelssohns Überlegung läuft vielmehr darauf hinaus, die Differenz­behauptungen einer Religion nicht gegen ihren Ewigkeitsbezug auszuspielen. Eine Religion aber, die den tradierten Gehalt ihrer Lehraussagen exklusiv setzt, zerstört ein das Religiöse als solches basal kennzeichnendes Merkmal: die prin­zipielle Offenheit eines seligkeitsbetroffenen Ewigkeitsbezugs. »Da die Men­schen alle … zur ewigen Glückseligkeit bestimmt sein müssen, so kann eine ausschließende Religion nicht die wahre sein. Diesen Satz getraue ich mir als Criterium der Wahrheit in Religionssachen anzugeben« (  302). Der Glückse­ligkeitsfunktion religiöser Pro23  »Ich kann sie [sc. die angeführten Sätze] meiner Ueberzeugung nach mit Dem, was mich Vernunft und Nachdenken von dem Wesen der Gottheit und ihrer Eigenschaften gelehrt hat, nicht in Harmonie bringen, und bin also gezwungen, sie zu verwerfen« (  Juba vii 1, 301).

3. Mendelssohns Brief an den Erbprinzen

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positionen sind auch Mendelssohns weitere Forderun­gen an eine Religion eingeborgen. Die Strafvorstel­lung kann nur insoweit Gültigkeit behaupten, als sie »dem Sünder selbst zum Besten gereicht« (  302), die Stellvertretungsvorstellung streitet mit der Vorstel­lung Gottes als eines »allergerechtesten Wesen[s]« ( 302), die Erbsündenvor­stellung lehnt Mendelssohn in breitem Konsens mit dem aufgeklärten Epo­chenbewußtsein ab,24 und schließlich faßt er noch einmal zusammen, wie der jüdische Glaube bei allen Unterschieden in den einzelnen Lehraussagen durchaus zusammenbestehen kann mit der christlichen Religion, die das Neue Testament nur streng nach der Prämisse einer Erfüllung des Al­ten Bundes zu exegesieren hätte. »Man räume mir also ein, daß es für mich kein Mittel gibt, mich vom Mosaischen Gesetz zu befreien« (  303).25 Mendels­sohns Plädoyer für eine Religionstheorie des Judentums verschreibt sich also einer ethisch-monotheistisch gesteuerten Offenheit religiöser Unterschiede, die dann eine »Religion, daran Christen und Juden gleichen Antheil nehmen können« (  303) hervorzubringen, die Chance bereithält. So läßt sich Mendelssohns Abgren­zung gegen das Christentum dahin zusammenfassen, daß die aufgeführten christlichen Lehrvorstellungen eine Eintrübung monotheistischer Grundsätzlichkeit bedeuten und damit zugleich jene logischen Minimalbedingungen wahrheits­betroffener Religionsphilosophie verlassen, vor deren Hintergrund allererst ein Religionsgespräch als aussichtsreich zu erscheinen vermag: »Ich kann es nicht genug wiederholen, es kömmt Alles auf die logische Wahrheit der Lehre, nicht auf die historische Wahrheit der Gesandtschaft an« (303). 2) Der zweite Schritt, in dem Mendelssohn auf die Anfrage des Erbprinzen eingeht, bezieht sich auf die Auslegung jener Schriftstellen des Alten Testa­ments, die den christlichen Glauben gleichsam mit zu begründen scheinen: »Aus welchen Gründen derselbe die Zeugnisse für den Glauben der Christen ver­werfe, die in dem A. T. vorkommen und unter den Mosaischen Gesetzen selbst als göttliche Eingebungen angenommen werden« (304). Mendelssohns Reaktion enthält in all ihrer Kürze den Hinweis auf eine Bibelhermeneutik, die sich jeglicher 24  Schon im 17. Jahrhundert lehnten Hugo Grotius, die niederländischen Arminianer und die Platoniker von Cambridge die Erbsündenlehre ab. Im 18. Jahrhundert wird die Kritik an der Erbsündenlehre zu einem klassischen Schibboleth aufgeklärten Denkens, worin sich auch unterschiedliche Denkertypen und Denktraditionen einig sind ( Hume, englischer Deismus, Voltaire, Rousseau). Wenn Mendelssohn diesen Locus classicus christlicher Tradition kritisiert, fließen hier eine bis in die Texte des Alten Testaments hineinreichende Konstante jüdischen Denkens ( Tat-Folge-Zusammenhang) und aufgeklärte Gesinnung zusammen. 25  Wie offen und weit Mendelssohns Religionsbegriff angelegt ist, ersieht man auch aus dem Brief, den er am 9. Februar 1770 an Charles Bonnet verfaßt: »Wenn wir die Masse unserer Erkenntnis zergliedern; so werden wir … in so vielen wichtigen Warheiten übereinstimmen, daß … wenig Individua von Einer Religion harmonischer denken können. Die wenigen Punkte, die uns etwa noch trennen, können, der Glükseeligkeit des menschlichen Geschlechts unbeschadet, noch Jahrhunderte unerörtert bleiben« (  Juba vii 1, 317).

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D. Mendelssohn und Lavater

allegorischen Auslegung enthält und schon gar nicht einen Schriftbeweis zu führen beabsichtigt, sondern ausschließlich auf den affektaus­lösenden Charakter der Schriften des Alten Testaments abstellt. Ich meines Theils nehme mir die Freiheit, diese Streitigkeiten über die Auslegung man­cher Schriftstellen als ein gelehrtes Spielwerk zu betrachten … [I]ch kann mir den Grund meiner ewi­gen Seligkeit unmöglich aus den räthselhaften Träumen Daniels herausziffern, oder aus der erhabenen Poesie eines Propheten herauscommentieren (304).

Der religiöse Seligkeitsgrund liegt also in der Herzenstiefe einer Gesin­nung, die eben genau in dieser Seligkeitsausrichtung ihre affektive Gewißheit verspürt. Demzufolge können die biblischen Texte keinerlei dogmatischen In­halt fixieren, der nicht wiederum eine Funktion dieser religiösen Seligkeitsge­wißheit sein würde. Zugleich können aber auch logische Plausibilisierungs­versuche den affekterweckenden Gehalt dieser Texte nicht einholen. »Diese Schriften sind zur Erweckung des Herzens, aber nicht zur Belehrung des Verstandes geschrieben« (304). Damit verzahnt Mendelssohn im Erbprinzen­brief die ethisch-monotheistische Vernunftreligion mit jener affektiven Herzensfrömmigkeit, die immer neu in Gang gehalten werden muß, um sich der religiösen Gehalte in einem Leben, das in Gänze durchdrungen ist von Glückseligkeit, be­wußt zu werden.26

4. Mendelssohns ›Gegenbetrachtungen‹ Mendelssohn begann umgehend nachdem er die ihm von Lavater zugesandte Teilübersetzung Bonnets mit jenem berühmten Zueignungsschreiben erhalten hatte, auf die sichere Seite zu treten. Um gegen eine Situation abgesichert zu 26  Wenn die Untersuchung von Berghahn: Moses, 53, zur Religionstheorie des Erbprin­ zen­­briefs grundsätzlich zutreffend ausführt, daß hier »der Schwerpunkt seiner [sc. Men­ delssohns] Argumentation noch auf dem logisch-kritischen Gebiet [liegt]«, so ist darin die Verschmelzung jener rationalen Komponente mit dem affektiven Moment des Religiösen unterschlagen. Gerade das Verständnis der Bibel als einer affekterweckenden Kraft in diesem frühen Stadium seiner Religionstheorie deutet schon voraus auf zumindest eine entscheidende Komponente der Jerusalemschrift und zeigt, daß durchaus von einer konstanten Entwicklung in Mendelssohns Religionsphilosophie ausgegangen werden kann. Berghahns Urteil, daß ein »Interessenkonflikt zwischen dem Aufklärer, dessen philosophisch-ästhetische Werke der natürlichen Religion verpflichtet waren, und dem Anhänger der Gesetzesreligion des Judentums in seinen (deutschsprachigen) Schriften« (30) bestünde, ist somit zumindest einzuschränken. Zur Annahme »einer durchgängigen Linie« der Entwicklung von Men­dels­ sohns Religionsphilosophie seit der Lavateraffäre cf. Bourel: Moses, 383. Cf. auch Vogt: Mo­ses, 17, und das Urteil von Cassirer: Die Philosophie Moses Mendelssohns, 116: »[A]lle Arbeiten Mendelssohns auf dem Gebiete der Metaphysik und der Logik, der Psychologie und der Erkenntnislehre, der Ästhetik und der Religionsphilosophie sind von einem einheitlichen Geiste beseelt und beruhen auf der Durchführung ein und desselben systematischen Grundprinzips«.

4. Mendelssohns ›Gegenbetrachtungen‹

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sein, die ihn zwingen würde, ganz gegen seine persönliche Neigung aus der Reserve treten und dann doch einen apologetischen Schlag gegen die Bonnetsche Theologie der Wunderoffenbarung im Christentum führen zu müssen, sam­melte und konzipierte er Material, das er zu einer öffentlichen Antwort auf Bonnet verwenden wollte. Diese Überlegungen Mendelssohns kamen nicht zur Veröffentlichung. Durch einen Brief von Friedrich Nicolai an Lessing erhalten wir eine Ahnung von der Wirkung, die Mendelssohns Gegenbetrachtungen bei ihrer Veröffentlichung gehabt hätten.27 Mendelssohn selbst war nicht der Meinung, daß seine Überlegungen dazu angetan seien, sich den Augen der Öffentlichkeit präsentieren zu können.28 Man wird aber davon auszugehen haben, daß er seine Arbeit an den Gegenbetrachtungen im Jahre 1770 abgeschlossen hat.29 Mendelssohns Überlegungen enthalten im ersten Teil eine Auseinandersetzung mit Bonnets Thesen, die für unseren Zusammenhang nicht von Interesse ist. Unsere folgenden Ausführungen beziehen sich auf den zweiten Teil der Mendelssohnschen Gegenbetrachtungen, der sich sehr viel stärker mit der Philosophie des Judentums beschäftigt. Diese Ausführungen über die Philosophie des Judentums nehmen zum einen Überlegungen auf, die Mendelssohn in seinem Schreiben an Lavater und den Erbprinzen von Braunschweig-Wolfenbüttel geäußert hat. Zugleich aber deuten die Gegenbetrachtungen schon voraus auf Mendelssohns Religionsphilosophie, wie sie in der Jerusalemschrift niedergelegt wurde. Simon Rawidowicz geht sogar so weit zu behaupten, daß Mendelssohns Gegenbetrachtungen »umgearbeitet und weiter ausgebaut, das jüdisch-religionsphilosophische Werk Mendelssohns geworden wäre«.30 Mendelssohn setzt ein mit einer Interpretation des religiösen Zeugnisses. Das Zeugnis ersetzt eine Apologetik. Dabei geht er aus von einer schlichten, aber schlagenden Beobachtung, die auf die Bonnetsche Verteidigung des christlichen Offenbarungsglaubens angewendet wird. Logisch begründbare Urteile, die zur Verteidigung einer bestimmten Religion verwandt werden, können ohne Bedeutungsverlust auch von einer anderen Religion dafür eingesetzt werden, den religiösen Gegenbe27  Am 23. Juni 1770 schreibt Nicolai an Lessing: »Sie bekommen hierbei die Stücke, die zu Moses Lavaterschen Streitigkeit gehören, welche nunmehr geendigt ist. Moses hat sich Ehre dabei erworben, ohne daß es ihm sonderlich viel Mühe gekostet hat. So viel sehe ich aber auch wohl, wenn er seine Gegenbetrachtungen herausgegeben hätte, so würde er … ein Wespennest gestört, und viele schmerzliche Stiche davon getragen haben« (Lw ii 2, 25). 28  So äußert sich Mendelssohn in einem Brief an Elkan Herz, der Mendelssohn darum ersucht hatte, die Gegenbetrachtungen zu erhalten, vom 15. November 1771: »Sie verlangen in Ihrem letzten Schreiben meine Handschrift gegen die christliche Religion. Ich muß Ihnen … sagen, daß erstlich Solches nicht im Stand ist, von einem Andern gelesen zu werden. So unordentlich und unzusammenhängend steht noch Alles darin. Zweitens muß ich auch dieses gestehen, daß ich den festen Vorsatz habe, Solches niemals aus meinen Händen zu geben, geschweige über Land zu schicken« (zit. nach Juba vii, xciv). 29 Cf. Juba vii, xciii f. 30  Juba vii, xcv.

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D. Mendelssohn und Lavater

weis zu führen.31 Wollte sich der Mensch hinsichtlich seiner religiösen Überzeugungen nur auf die Triftigkeit logischer Urteilswahrheiten verlassen, müßte ihn genau der Sachverhalt, daß diese Urteile in verschiedenen Kontexten unterschiedliche religiöse Grundsachverhalte verteidigen können, in einen nicht mehr diskursiv kompensierbaren Zweifel führen.32 Mit dem Zweifel aber an seiner religiösen Überzeugung ist für den religiösen Menschen immer zugleich ein Selbstzweifel verbunden, so daß er aus »Liebe für die Religion seiner Väter« (83) seine Religion einer Prüfung unterzieht. Auch hier vertritt Mendelssohn wieder die schon bekannte Ansicht, daß des Menschen »Glückseeligkeit … von dieser Untersuchung abhängen [soll]« (85). Indem Mendelssohn die Untersuchung der tragenden Gründe seiner eigenen Religion beginnt, bedient er sich einer Kategorie, die eine diskursive Überprüfung der religiösen Grundüberzeugungen mit dem Mittel logischer Urteilswahrheit zugunsten eines sehr viel geschmeidigeren Kriteriums in den Hintergrund treten läßt: dem Zeugnis. Im Zeugnis treffen für Mendelssohn gleichsam religiöse Kriterienfunktion und Gemeinschaftsfunktion zusammen. Im Zeugnis, das angenommen wird, kommt der Sinn einer religiösen Gemeinschaft zum Aus­druck. Die Wahrheit einer Religion kann nicht in der Einsamkeit reflexiver Vollzüge Gestalt gewinnen, sondern ist angewiesen auf eine Tradition der Glaubenszeugen und die stets neue Verlebendigung einer solchen Tradition. Nur in dieser gemeinschaftlichen Kommunikationssituation findet religiöses Leben statt. »Es würde … Thorheit … seyn, wenn ich … nichts anders … glauben wollte, als wovon mich meine Sinne, oder meine Überlegung überführen. Ich werde mich … auf das Zeugnis anderer verlassen müssen« (83). Religiöse Gemeinschaft bedeutet also nicht zuletzt auch immer das Vertrauen in die Zeugnisfähigkeit derer, die dieser Religionsgemeinschaft angehören. Damit ist aber nur eine Dimension des Zeugnisses angesprochen. Mendelssohn führt zugleich aus, inwiefern dem Zeugnis eine Kriterienfunktion zukommt. Um als Kriterium für eine wahrheitsfähige religiöse Überlieferung einzustehen, müssen die Zeugen der religiösen Überlieferung »gehörig unterrichtet« sein und »keinen Beweggrund haben die Warheit zu verschweigen« (84). Davon, daß die »Menschen … keinen Grund [haben] die Wahrheit zu verstellen« (ib.), wird man unmittel31  Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf Juba vii. »Wenn der christl. Leser den festen Glauben an seine Religion mitbringet, und nur durch philosophische Gründe darin bestärkt zu seyn wünschet; so werden ihm die philosophischen Betrachtungen des HE. B. [sc. Bonnet] … so überzeugend … scheinen, daß er nicht begreifen wird, wie es möglich ist, an­derer Meynung zu sein. Ein Unchrist hingegen … wie ich [sc. Mendelssohn] bin, siehet mit Verwunderung, wie dieselben Grundsätze, dieselbe Logik, die ihm jederzeit gedient, die Zeugnisse für seine Religion ausser Zweiffel zu setzen, zum Behuf einer Religion angeführt werden, die mit der Seinigen streitet« (83). 32  »Diese seltsame Unsicherheit in dem Gebrauch … der einfachsten Logischen Wahrheiten, macht ihn bestürzt, und würde ihn zum unglüklichen Zweifler machen« (83).

4. Mendelssohns ›Gegenbetrachtungen‹

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bar ausgehen können. Nicht so unproblematisch ist es, davon auszugehen, daß die Zeugen dabei auch immer ›gut unterrichtet‹ sind. Um hier letzte Sicherheit zu erreichen, müssen die Zeugen mit gesunden Sinnen zeitlich gegenwärtig und frei von solchen Affekten sein, die eine ungetrübte Übernahme des Bezeugten verhindern könnten (84). Mendelssohn wendet sich zuerst dem Offenbarungsbegriff zu. Daß irgendwo in der Welt eine göttliche Offenbarung sich ereignet hat, ist ein Sachverhalt, den man nicht ableiten kann, sondern voraussetzen muß. Für diese Voraussetzung, so sagt er, bestünden gute Gründe. Diese Gründe sind näherhin darin gelegen, daß es eine Vielzahl an Zeugen gibt, von denen nicht sinn­voll zu unterstellen sei, sie würden bewußt täuschen. Gleichwohl ist dennoch nicht auszuschließen, daß aufgrund eines »Vorurtheil[s] für den Glauben« der »Väter« (85) die Urteilsfähigkeit im Blick auf die Zeugnisse getrübt ist. Dieses Problem verschärft sich zudem, wenn bestimmte Zeugnisse einander widersprechen. Vor dem Hintergrund dieses Problems kommt Mendelssohn auf jene Zeugnisse zu sprechen, denen man vorurteilsfrei eine hohe Wahrheitsfähigkeit zuerkennen kann, und die zugleich den Grundbestand des jüdischen Zeugnisses ausmachen: [S]o sehr die Zeugnisse … einander widersprechen; so kommen sie darin überein, daß einst … Mose von Gott unmittelbar den Auftrag gehabt, ein gewisses Volk aus der Sclaverey zu befreyen, daß dieser Gesandte Gottes dieses Vorhaben, vor den Augen und wider den Dank einer großen und mächtigen Nation ausgeführt, und dabey Wunder verrichtet, die alle menschliche Begriffe übersteigen, daß der Gesetzgeber der Natur diesem ganzen, an einem Ort versammelten, Volke öffentlich in seiner ganzen Majestät erschienen, und ihnen Gesetze gegeben hat (86).

Es existiert also ein Mittler, der Gottes Auftrag ausgeführt hat. Dieser Auftrag konstituiert eine Grundtatsache der jüdischen Geschichte, die Befreiung aus Ägyp­ten. Wichtig dabei ist, daß Mose sein Mittleramt vor den Augen des ganzen Volks ausgeübt hat. Seine Tat liegt also nicht in einer mythischen Vorzeit, sondern ist unmittelbar auf die mögliche Sukzession der Zeugenschaft hin angelegt. Diese Zeugenschaft ist notwendig, weil die Wunder, die Moses dabei vollführt hat, das menschliche Urteils- und Begriffsvermögen weit übersteigen. Und wiederum in einer Situation der Öffentlichkeit, da das ganze Volk zusammengekommen ist, hat Gott diesem Volk die Gesetze, nach denen es leben soll, übergeben. Die »große öffentliche Erscheinung« (89) des von der gesamten Nation Gesehenen scheint für Mendelssohn das entscheidende Moment zu sein, das eine Zeugenschaft konstituiert. Dies zeigt auch die folgende Passage: »Viele tausend Augenzeugen haben diese göttliche Erscheinung mit Augen … gesehen, und haben es ihren Kindern erzehlt« (ib.). Aus dieser in einer konkreten Geschichte geschehenen Tatsache schließt Mendelssohn auf die Unverbrüchlichkeit der seinem Volk durch Gott gegebenen Gesetze. Mit dieser Beschreibung seines Glaubens hat Mendelssohn aber noch keineswegs, wie er einräumt, das Proprium seiner Religion hinlänglich beschrieben. Auch das Christentum

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D. Mendelssohn und Lavater

»rühmt sich zuverläßiger Zeugnisse« (90), und Mendelssohn will die Triftigkeit dieser Zeugnisse gar nicht bestreiten. Wieder führt er das in der Glückseligkeit liegende Kriterium an. Insoweit dieser Glauben die Versicherung enthält, daß dem M[enschlichen] G[eschlecht] eine glükseelige Zukunft bevorstehe, stimmet sie auch mit der Vernunfft so wohl, als mit der von G[ott] geoffenbarten Glaubenslehre vollkommen überein, und ich sehe nicht ab, was mich hindern sollte, ein Zeugnis anzunehmen, daß dem menschlichen Geschlechte so ersprieslich, so wohltätig, so erfreylich ist (90).

Auch die christliche Religion, die die ›von Gott geoffenbarte Glaubenslehre‹ nicht aufheben will, wäre folglich geeignet mit der jüdischen Religion auf einer Stufe zu stehen, wenn sie denn den vernünftigen Kriterien des Denkens nicht wider­spricht und – was weitaus wichtiger ist – den Menschen seiner zukünftigen Glückseligkeit zu versichern vermag. Für Mendelssohn besteht nämlich die Lehre des jüdischen Glaubens aus nur drei Grundsätzen: Monotheismus, Vorsehung (Strafen des Bösen, Belohnen des Guten) und Gesetzgebung. Man sieht gleich, das dies Grundsätze sind, denen auch das Christentum zustimmen kann. Erst dann erhebt Mendelssohn Einspruch gegen die christliche Religion, wenn sie behauptet, daß eine Exklusivität ihres Glaubenszeugnisses bestünde, wenn also die Glückseligkeit vom Stifter der christlichen Religion abhängt insofern, als dieser eine historische Person ist.33 »Diese Idee widerstehet« (90). Mendelssohn gibt deutlich an, worin nach seiner Ansicht das Problem der christlichen Religion besteht: Durch die Einschränkung der universalen Glückseligkeitsverheißung an nur eine bestimmte Religionsgemeinschaft, die sich ihrem Religionsstifter als eines historischen Datums verschrieben hat, »wird dieser Glaube nicht mehr eine Wohltat für das menschliche Geschlecht; sondern eine Last, darunter die menschliche Vernunft zu Boden liegt« (ib.). Die Glückseligkeitsverheißung des Christentums, so können wir Mendelssohns Gedanken wiedergeben, steht sich gewissermaßen selbst im Weg, indem sie die affektiven Lebensmomente mit einem sacrificium intellectus belastet. Dies ist näherhin so zu verstehen, daß die Glückseligkeitsempfindung sich nur dann als im religiösen Menschen fühlbar erweisen kann, wenn sie in einem Gleichklang mit der Vernunft sich befindet. Dieser Gleichklang aber ist nachhaltig in Gefahr, wenn die Vernunft überfordert wird mit religiösen Speziallehren, die ihr zumindest nicht unmittelbar einzuleuchten vermögen. Über die von Mendelssohn namhaft gemachten Überzeugungen des Monotheismus, der Vorsehung und der Gesetzgebung hinaus ist es für die Seligkeit des Menschen völlig hinreichend, wenn er 33  »Ich sehe …, daß die Lehrer dieses Glaubens nicht eigentlich … dem menschlichen Geschlechte eine glückseel. Ewigkeit versichern; sondern nur denen, die ihr historisches Zeugnis annehmen, und dem Ueberreste vielmehr eine ewige Verdamnis androhen. Wir sollen nicht nur glauben, daß die Menschen seelig werden; sondern wir müssen auch dieses glauben, daß der Stifter ihres Glaubens ihnen die Versicherung davon gegeben, wenn uns nicht, statt der ewigen Glückseeligkeit, ein ewiges Elend erwarten soll« (90).

4. Mendelssohns ›Gegenbetrachtungen‹

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nach dem Gesetz der Vernunft lebt, was konkret bedeutet, daß der Mensch die »Tugend ausüben« (91) solle. »[L]asset uns nur in den Sätzen selbst übereinstim­ men, der Streit, ob wir sie diesem, oder jenem Lehrer zu verdanken haben, kann auf unsere Glückseeligkeit keinen wichtigen Einfluß haben« (102). Der jüdischen Religion seien zwar besondere »Glaubens und Handlungspflichten aufgelegt« (ib.), aber diese Pflichten sind nur Ausdruck des göttlichen Sonderwegs mit einer Religion. Mendelssohns Variante eines strengen Monotheismus verortet gerade das Problem dieses religiös-nationalen Unterschiedenseins der jüdischen Religion von allen anderen Religionen im unerfindlichen Willen Gottes. Daß Gottes Wille dem jüdischen Volk besondere Glaubenspflichten und Gesetze gegeben hat, kann darum für das Heil jener Menschen, die nicht der jüdischen Religion angehören, nichts aussagen.34 Mendelssohn führt noch einmal alle Lehren des Christentums auf, die seiner stren­gen Verknüpfung von Vernunft und Monotheismus widersprechen: Trinität, ewige Zeugung des Sohns, Erbsünde, Erlösung durch den Sohn, Kenosis, stellvertretender Kreuzestod und Vergegenwärtigung Jesu Christi im Abendmahl. Diese Lehren erregen bei Mendelssohn Anstoß, weil sie ein feines und subtil durchgliedertes System von Lehrmeinungen entwerfen, das als Voraussetzung für die Erlangung der ewigen Seligkeit dargestellt wird. Dieses christliche Lehrsystem greift tief ein in die Rationalität des Monotheismus, die Mendelssohn, wie wir schon gesehen haben, für ein Spezifikum der jüdischen Religion hält. So gibt das Christentum zwar vor, den Menschen zur ewigen Glückseligkeit zu führen, aber gleichzeitig verändert es den vernünftigen Gottesbegriff. Von diesem neuen Begriffssystem hinsichtlich der göttlichen Eigenschaften ist die Glückseligkeitsverheißung des Christentums nicht zu trennen. »Alle diese Sätze machen mit der Versich. von einer glückseel. Ewigkeit ein fest verbundenes Ganzes aus« (93). Das Argument aber, in dem alle anderen Einreden Mendelssohns gegen das Christentum zusammenfließen, ist gegen die Vorstellung gerichtet, daß Jesus Christus als Mittler des Willens und Handelns Gottes zu denken wäre. Dies hängt damit zusammen, daß es nach Mendelssohn mit den Grundsätzen der Vernunft nicht zu vereinbaren ist, wenn die Sünden des Menschen von einem durch Gott gesandten Menschen stellvertretend übernommen werden, und dieser Mensch für die Sünden aller Menschen büßt, indem er in den Tod geht. Für Mendelssohn ist diese Christologie eng verbunden mit der Satisfaktionsvorstellung: »Wir wissen von keiner beleidigten Majestät, die sich rächen will, oder soll, von keiner Strafgerechtigkeit, die ausgeübt werden muß, wo nicht an dem Schuldigen, allenfalls an einem Unschuldigen, der die Leiden gutwillig übernimt« 34 

Darum scheint die Einschätzung von Engel: Ars, 267 f, die Verschmelzung von Affekt und Begriff, Gefühl und Vernunft sei bei Mendelssohn so stark vorangetrieben, daß man ihn als Vorläufer des Monotheismus der Vernunft und des Herzens ansehen könne, wie er sich im Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus finde, über das Ziel hinauszugehen.

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D. Mendelssohn und Lavater

(96). Diese Vorstellung streitet nämlich mit der Gerechtigkeit Gottes, die Strafen und Wohltaten unmittelbar zurechnet und nicht über die Vermittlung eines Unschuldigen, dem gegenüber diese Zurechnung gar keine sinnvolle Initiative Gottes wäre. Diese vermittelte Zurechnung würde nämlich die Unmittelbarkeit eines vernünftigen Gegenübers von Gott und Mensch um ihren Sinn bringen, da eine Strafvorstellung, die den zu Bestrafenden verschont, um an seiner statt einen Unschuldigen leiden zu lassen, das Verhältnis des je konkreten und einzelnen Menschen zu seinem Gott verunsicherte.35 Der individuelle Mensch wüßte nicht mehr, daß er es sei, der durch Gottes Handeln an ihm gemeint ist: »Von einer Mittelperson, die zwischen Gott und dem Menschen Frieden stiften soll, ist uns nichts bekannt« (97). Damit sind die Gegenbetrachtungen an einem Punkt angelangt, wo Mendelssohn sein Prinzip eines ethischen Monotheismus, in dem der Mensch als einzelnes Individuum vor seinem Gott steht, scharf gegenüber der christlichen Religion abgegrenzt hat. Er betont, daß in einer messianischen Perspektive jene Religionsunterschiede aufgehoben wären, die innerhalb der Menschheitsgeschichte immer vorhanden sein werden. »Nun stimmen alle Propheten des A. T. darin überein … daß die Verschiedenheit der Religionen nicht von ewiger Dauer seyn wird … Diese Vorstellung ist der menschlichen Seele so ergötzend, daß sie … die Glückseeligkeit … genießt, die dem menschlichen Geschlechte, nach einer so heilsamen Revolution bevorstünde« (98). Und nun schließt sich der Kreis, indem Mendelssohn noch einmal auf den besonderen Affektüberschuß der Religion eingeht. Mit dieser Reflexion enden die Gegenbetrachtungen. Die messianische Perspektive ist eine genußvolle »Einbildung« (ib.), ein Traum gleichsam, der sich immer an der konkreten Realität des Diesseits stößt. »Welche Angst überfällt sie [sc. die menschliche Seele] hingegen, wenn sie aus diesem Traume erwachet, und das Elend der Menschen in ihrer jetzigen Trennung betrachtet« (ib.). Wollte die Religion gegen diese affektive Verunsicherung mit den Mitteln vernünftiger Diskursivität ankämpfen, stünde sie auf verlo­re­ nem Posten. »In einer Materie, die so verwickelt ist, und … das Herz so sehr angehet«, so drückt sich Mendelssohn anschaulich aus, »kann die Vernunft durch den leichtesten Schwung aus dem Gleise gehoben werden« (99). Dem Affektüberschuß der religiösen Gesinnung gegenüber ist die vernünftige Diskursivität also immer in der Gefahr, sich selbst zu überfordern. Darum soll gerade auch dann, wenn der religiöse Mensch eine philosophische Haltung zu seiner Religion einnimmt, seine Gesinnung in einem diesem Affektüberschuß gemäßen Zustand siedeln. »Er muß … in seine Ueberzeugung nicht immer Zweiffel setzen« (ib.). In diese Freiheit von jedem Zweifel, die ein basales Aufbaumoment 35 

»Nach unsern Begriffen ist es ungerecht, wenn der Schuldige verschont wird, und noch ungerechter, wenn der Unschuldige leidet … Gott strafet, wenn das Sündenübel nicht anders als durch Strafübel gehoben werden kann. Aber alsdenn muß auch der Sünder leiden, nicht ein anderer für seine Rechnung« (96).

4. Mendelssohns ›Gegenbetrachtungen‹

235

des Religiösen ist, muß allerdings immer der Sachverhalt aufgenommen sein, daß auch alle anderen Religionen von einer gleichen Gewißheit hinsichtlich ihrer religiösen Inhalte sein können und dürfen. Über dergleichen Gewißheiten muß aber eben kein Religionsstreit ausbrechen, da – und hier schließt Mendelssohn an seine Einsicht im Schreiben an Lavater an – dieser Streit die affektive Überschußqualität und Selbsteigerung, wie wir gesehen hatten, in einer nur ungemäßen Weise zum Ausdruck bringt. »Diese Fragen gehen unsere Glükseeligkeit so nahe an, daß ich [sc. Mendelssohn] immer glaube, in dem Eingeweide meines Nächsten zu wühlen, wenn ich ihn von dieser Seite angreiffe« (99).36 Ob sich vor dem Hintergrund einer so starken Selbstzurücknahme der Diskursivität dennoch die Religion rational belastbar weiterbestimmen läßt, ist eine Frage, die wir in einem weiteren Teil unserer Überlegungen mit Blick auf Mendelssohns Hauptschrift zu beantworten trachten.

36 

Berghahn: Moses, der eine Rekonstruktion der Gegenbetrachtungen vorlegt, ist gelei­ tet von der durchgängigen Interpretationsperspektive, alle religionsphilosophischen Texte Men­delssohns vor der Jerusalemschrift auf diese hin zu deuten. Das zwingt Berghahn dann dazu, die entsprechenden Texte hinsichtlich ihrer argumentativen Stringenz abzuwerten. So macht er »immanente Aporien« (63) in den Gegenbetrachtungen aus, die sich vor allem darin zeigten, daß »ein nach vernünftigen Prinzipien handelnder Gott« nicht einem bestimmten Volk besondere Gesetze geben würde, und daß das Christentum allein darum, weil es sich »nicht als National-Religion versteht«, im Gegensatz zur jüdischen Toleranz missionarisch wirksam sei (62). Nun ist es aber gerade Mendelssohns ausdrückliches Anliegen, die Gesetze des Judentums hinsichtlich der Affektivität des religiösen Lebens zu verstehen, ohne dabei selbst die Perspektive Gottes einzunehmen. Und daß das Christentum einen »universalen Grundcharakter« (ib.) hat, während sich die jüdische Religion als ›National-Religion‹ versteht, ist zwar richtig, aber Mendelssohns Argument der jüdischen Toleranz läuft ja gerade darauf hinaus, daß Diskursivität den Grundcharakter des Religiösen nicht einzuholen vermag und darum eine Mission abzulehnen sei.

E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift) Mendelssohns Jerusalemschrift ist in zwei Teile gegliedert. Während der erste Teil sich mit Fragen der Unterscheidung von Kirche und Staat, des Naturrechts und der Staatsphilosophie auseinandersetzt, beinhaltet der zweite Teil Mendelssohns Verständnis des Judentums. Schon diese Gliederung zeigt, daß es Mendelssohn um eine Begründung der jüdischen Religion zu tun ist, die in engem Zusammenhang mit konkreter politischer Philosophie geleistet werden soll. Die Gründe dafür, als philosophischer Aufklärer zugleich überzeugter Anhänger der jüdischen Religion zu bleiben, will Mendelssohn offensichtlich nicht allein in einer Darstellung seiner Religion suchen. Es ist ihm nicht minder wichtig, diese Prinzipien eng zu verzahnen mit einer Staatskonzeption, vor deren Hinter­grund auch politisch die Toleranz gegenüber dem Judentum plausibel zu machen ist. Die Möglich­keit eines auch in gesellschaftlicher Hinsicht gedeihlichen Zusammenlebens mit den Menschen jüdischen Glaubens sollte erwiesen werden, so daß die politische Philosophie Mendelssohns im Dienst der Plausibilisie­rung solchen Zusammenlebens steht. Darin kommt mit Blick auf eine konkrete Religion das für die politische Philosophie des 18. Jahrhunderts typische Problem zum tragen, die Prinzipien des Staatsdenkens hinsichtlich ihrer Applikation auf konkrete soziale Verhältnisse zu erproben und zu bewähren.1 Die beiden Teile der Jerusalemschrift scheinen einander also unmittelbar zu widersprechen.2

1. Ausgangsbedingungen Schon oft wurde diese Gegenläufigkeit als drückend empfunden, wenngleich ihre Interpretation jeweils sehr verschieden ausgefallen ist. Beson­ders kritisch hat sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Hermann Cohen geäußert, der gerade den biographischen Anlaß des Werks als Korsett für die freie Ent­wicklung seiner religiösen und philosophischen Gedanken angesehen hat. »Schon daß persönliche Anstöße bei der Abfassung dieser Schrift mit im Spiele waren, ist ein Symptom von einer nicht völligen Bewegungsfreiheit der Spekulation, von ei1  Cassirer: Der Mythus, 232, sieht in dieser Anwendungsproblematik ein das politische Denken des 18. Jahrhunderts prägendes Moment. Die politischen Denker des 18. Jahr­hunderts »beschäftigen sich … mit politischem Leben als mit politischer Lehre. Sie wollten die Grund­ prinzipien des sozialen Lebens … nicht beweisen, sondern bestätigen und anwenden«. 2 So Krochmalnik: Der Streit, 25 f.

238

E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

ner Verschleierung des eigentlichen Problems, von einer Ausweichung vor der letzten Konsequenz der Gedanken«.3 So hätte sich Mendelssohn, um dem Zeitgeist Genüge zu tun, »wie in einen Panzer in die aufgeklärte Weisheit seines Zeitalters« gehüllt, um dann im zweiten Teil seiner Schrift zu einer »fal­schen Begründung des Judentums« überzugehen.4 Fritz Bamberger ist weniger kritisch, wenngleich in der Konsequenz ebenfalls skeptisch gegenüber der Lei­stungsfähigkeit des Mendelssohnschen Entwurfs, wenn er vermutet, daß Men­delssohn in beiden Teilen als ein jeweils unterschiedlicher Denkertyp argumen­tiert. »Deshalb also fällt der ›Jerusalem‹ in zwei Teile auseinander; im ersten spricht der ›Aufklärer‹ … im zweiten der ›Stockjude‹. Die Paradoxie aber liegt darin, daß der entschiedene Rationalist, als er die Religion, das Judentum, phi­losophisch begründen wollte, für dieses nur die nichtrationalen Elemente zu­rückbehielt«.5 Anders Amos Funkenstein, der versucht, genau dem Wi­der­spruch beider Teile einen Sinn zu geben, indem er den ersten Teil als hypothe­tisch liest, dem im zwei­ten Teil ein ganz anderer, nämlich göttlicher Gründungsakt eines Gemein­wesens gegenübertritt. »But whatever the merits or flaws of Mendelssohn’s theorie may be, even if accepted, it seems to contradict his later characterization of Judaism as a legal system – unless we read the first chapter hypothetically, that is: as an if-then proposition … if man generates the political state himself out of the state of nature, then the civil state so generated must be seperate from religion toto caelo. But another origin of political states is also possible. God rather than man may institute the state in an act of revela­tion«.6 Marianne Awerbuch hingegen sieht in dieser Widersprüchlichkeit eine notwendige Konsequenz jenes Aufklärers, der sich auf die Suche nach der Wahrheit gemacht habe, die er in der natürlichen Religion zu finden hoffte, eine Wahrheit freilich, die ihn nur hinsichtlich der Wahrheit seiner eigenen Religion zu interessieren vermochte. »Hier liegt das tragische Element des Phi­losophen und Aufklärers Mendelssohn; konsequent zu Ende gedacht, hätte seine Philosophie sein Selbstverständnis als Jude, sein eigentliches Ich, erschüttern müssen«.7 Dieser Blick in die Forschungspositionen, dem es nicht um Vollständigkeit, sondern um eine repräsentative Problemanzeige zu tun war,8 zeigt schon, daß sich hinsichtlich des Problems der oben angesprochenen Gegenläufigkeit im Aufbau der Jerusalemschrift kein einheitlicher Lösungsvorschlag abzuzeichnen vermag. Unsere Beurteilung dessen, ob es sich hier wirklich um einen Wider­ spruch in der konzeptionellen Anlage der Jerusalemschrift handelt, können wir 3 

Cohen: Deutschtum, 22. L. c. 22 f. 5  Bamberger: Mendelssohns, 536. 6  Funkenstein: The Political, 17 f. 7  Awerbuch: Moses, 39. 8  Eine Zusammenstellung bis zum Anfang der 80er Jahre findet sich bei M. Albrecht: Mo­ses Mendelssohn. Ein Forschungsbericht, 134 –143. 4 

1. Ausgangsbedingungen

239

aufschieben. Eines aber wird durch das angedeutete Interpretationsproblem un­mittelbar deutlich. Es geht nicht an, der Versuchung zu erliegen, Mendelssohns religionstheoretische Überlegungen des zweiten Teils isoliert zu behandeln, um dann den ersten Teil nur als reine Konvention und Anpas­sung an den naturrechtlichen Diskurs des Zeitgeistes beiseite zu legen. Denn offensichtlich hat Mendelssohn den Verdacht eines Widerspruchs zwischen den Teilen seines Hauptwerkes nicht nur bewußt in Kauf genommen, sondern seine naturrechtlichen Überlegungen sind geradezu als basales Aufbaumoment der Religionsphilosophie anzusehen. So will er zwei Aufgaben gleich­zeitig gerecht werden. Einmal soll seine Religionslehre das Proprium jüdischer Spiritualität und Frömmigkeit umfassend auf den Punkt bringen. Dann aber auch, und dies ist Mendelssohn nicht weniger wichtig, soll diese Religionstheo­rie sich als tauglich erweisen für eine religiöse Minderheit, die im Preußen Friedrichs II. noch immer gegen Vorurteile um Toleranz ringen muß.9 Das Werben um Toleranz der jüdischen Religion gegenüber muß also als Ostinato in allen Ableitungen inner­halb der Jerusalemschrift mitgehört werden.10 Aus dieser Problemanzeige ergibt sich folgendes Verfahren. Zuerst ist ein Blick zu richten auf den sozialgeschichtlichen und biographischen Kontext, in den Mendelssohns Hauptschrift hineingestellt ist. Hier wird noch weiter verständlich, warum er seinem Werk den oben beschriebenen Aufbau gege­ben hat. Sodann ist die Staats- und Naturrechtslehre darzustellen, die Mendelssohn im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Staat und Kirche entwickelt. Erst vor diesem Hintergrund wird die materiale Religi­onstheorie entfaltet und dabei zugleich darauf gesehen, inwieweit sich ein Gesichtspunkt dafür ergeben könnte, daß sich Staats- und Religionsphilosophie gegenseitig fordern und bedingen. a) Politik Ein flüchtiger Blick auf die Situation in Preußen macht glauben, daß Men­dels­ sohns Schrift in einem Klima wachsender Höherschätzung der Juden geschrieben ist. Die Darstellung des guten Juden in Christian Fürchtegott Gel­lerts Leben der schwedischen Gräfin von G *** (1745) und Lessings Die Juden (1749) oder Na­ 9  Friedrichs persönliche Haltung ist nicht immer leicht auszumachen, was sich besonders an seiner Kirchenpolitik zeigt, die weniger von seinen eigenen religiösen Überzeugungen als von den »traditionelle[n] Prinzipien der Staatsraison« (P. Weber: Der Berliner, 102) bestimmt wurde, wobei die libertas philosophandi, darauf weist C. Weber: Von der Freyheit, 23, hin, aufgrund ihres Entspringens am Ort der Vernunft keine Gefahr für den Staat darstellte. 10  Der Vorschlag von Twellmann: Von der Beratung, 499, auch auf die »Wirkungsstrategie« zu achten, ist wertvoll. »Um auf die Regierungsdiskurse einzuwirken … mußte ›das Jüdische‹ sich in der Sprache der Administration artikulieren« (ib.). Auf eine weitere Strategie, die darin besteht zu zeigen, daß das Judentum sehr viel besser mit den Grundsätzen der Aufklärung zu harmonieren vermag als das Christentum, hat M. A. Meyer: Modernity, 156, hingewiesen.

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

than (1779) sind nur die bekanntesten Äußerungen dieser Toleranz.11 In patri­ otischen Gesellschaften, Lesezirkeln, Geheimbünden und politischen Diskussi­ onsgemeinschaften existierten Plattformen, auf denen sich Juden und Christen miteinander austauschen konnten. Große Bekanntheit haben der Berliner Montagsclub und die Berliner Mittwochsgesellschaft erlangt,12 der Ernst Ferdinand Klein, Karl Gottlieb Svarez, Johann Joachim Spal­ding, Wilhelm Abraham Teller, Christian Konrad Wilhelm Dohm, Friedrich Nicolai, Johann Erich Biester, Friedrich Gedicke, Johann Carl Wilhelm Moeh­sen und auch Mendelssohn, als Ehrenmitglied, angehörten. Dem gegenüber stand jedoch die Politik des preußischen Staates. Schon Frie­drich Wilhelm I. hatte die Juden aus dem Erwerbsleben ver­drängt. Im General-Reglement von 1730 wurde die Zahl jüdischer Familien auf 100 begrenzt. Verschärft wurden diese Diskriminierungen durch den Erlaß eines Revidierten General-Privilegiums und Reglements für die Judenschaft in Preußen von 1750, zu dessen bedrückendsten Bestimmungen gehörte, daß die ordentli­chen Schutz­juden ihr Aufenthaltsrecht auf nur ein Kind und dessen Familie übertragen durften. In dieser Situation schrieb Dohm seine bekannte Schrift über die Eman­zipation der Juden, die von Friedrich II. zwar höflich, aber keineswegs mit gro­ßem Interesse aufgenommen wurde.13 Autoren aber, bei denen Dohms Emanzi­pationsschrift stärkeres Interesse fand, stim11  Literatur

zur Toleranz von 1695 –1790 hat Schulze: Lessings, 130  –172, bibliographiert. Cf. auch zum Toleranzbegriff Lessings Ritzel: Lessing, 152 u. 280 f u. Ko­pitzsch: Gott­ hold, 29 – 60. Zum Toleranzproblem innerhalb der Aufklärung in Verbindung mit den Ver­ hält­nisbestimmungen von Staat und Kirche cf. Fritsch: Religiöse; hier zu Mendelssohn 87−97. Liebeschütz: Von Georg, 248, weist darauf hin, daß Mendelssohn am Anfang jener Judenemanzipation, die eine kontinuierliche Linie bis zur Vernichtung des europäischen Ju­ dentums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschreibt, und die schon zuvor in Deutsch­ land auf besondere Hindernisse gestoßen ist, steht – eine mit der industriellen Revolution und dem Aufstieg des europäischen Bürgertums eng zusammenhängende Ent­w icklung, die noch immer einer gründlichen und einfühlsamen Gesamtschau harrt. Zu Gellerts Leben der schwe­ dischen Gräfin von G *** cf. J. U. Fechner: Vergesellschaftete, 71ff. 12 Zur Mittwochsgesellschaft cf. Hinske: Öffentlichkeit, 64 – 70 u. J. Schmidt: The Que­ stion, 284 – 291. Zum Selbstverständnis der Berliner Monatsschrift cf. Hinske: l. c. 71 f. 13 Zur Widersprüchlichkeit von Friedrichs II. Judenpolitik cf. Bruer: Aufstieg, 19 ff u. 65–92. Zur Situation der Juden und den Schwierigkeiten der Judenemanzipation am Ende des 18. Jahrhunderts cf. Erb / Bergmann: Die Nachtseite, 15 ff und 111ff. Toury: Emanzipation, 19, hat darauf aufmerksam gemacht, daß auch bei den Denkern, denen es um eine Ver­bes­se­ rung der Situation der Juden ging, Nützlichkeitserwägungen für das Staatswesen und Kolo­ nisationsvorschläge im Vordergrund standen. Dabei sollten die sogenannten negativen Eigen­ schaften der Juden durch Integration abgebaut werden. Cf. auch Rüllmann: Adolph, 170 – 179. Dohms Staatskonzeption deutete auf den Frühliberalismus voraus, wenn sie ein Gemeinwesen religiöser Offenheit und politischer Toleranz im Sinn hatte, blieb allerdings immer dem friderizianischen Preußen als des nicht in Zweifel gestellten Vorbildes verhaftet (cf. Kirn: Deutsche, 268). Zu Dohm cf. auch Berghahn: Moses, 175 ff; Dambacher: Christian; Risse: Christian; Möller: Aufklärung. Den Einfluß von Dohm und Mendelssohn aufFrankreichs Debatte um die Judenemanzipation betont Schmale: Archäologie, 26.

1. Ausgangsbedingungen

241

men den Leser kaum optimi­stischer. So attestiert ein anonymer Autor 1781 im Teutschen Merkur Dohm zwar, ein »der Aufklärung und Menschlichkeit unserer Zeiten würdige[s] Buch« ge­­schrieben zu haben,14 um dann aber seine Rezension mit der Frage zu enden, ob es nicht doch für Juden wie Christen das »Wünschenswürdigste« sei, wenn »alle in der Christenheit zerstreuten Söhne Abrahams … nach Palästina zö­gen«.15 Der Kammergerichtsassessor und spätere Departmentchef der städtischen Verwaltung des gesamten Königreichs Preu­ßen Kaspar Friedrich Freiherr von Schuckmann schreibt an Dohm 1785, daß auch für ihn »Menschenliebe und wahres Staatsinteresse … die bürgerliche Verbesserung der Juden fordern«.16 Doch dann stellt er fest, daß es »[s]o lange … das Ganze der Nation die Juden noch für eine schlechtere Menschenart, und sich durch ihre Gleichmachung beleidigt hält, so lange das Vorurtheil wider sie noch in den Herzen des größten Theils der christlichen Obrigkeiten und der das Volk lenkenden Geistlichkeit herrscht … es unmöglich [ist], sie durch Gesetze allgemein vor Unterdrükkung zu schützen«.17 Darum schlägt er vorerst die Einrichtung von Judenstädten und Judendörfern vor, in denen die jüdische Bevölkerung sukzessive ihre Tauglich­keit für eine Gleichstellung mit den Bürgern Preußens unter Beweis stellen könne. Michaelis, dessen Rezension Dohm im zweiten Teil seiner Emanzipations­schrift abgedruckt hat, erhebt Einwände. Den Juden gleiche Bür­ger­­rechte zu geben, hält er schon darum für falsch, weil die Juden nicht un­ein­geschränkt (Sabbat) der Landesverteidigung zur Verfügung stünden.18 Auch gegen die Möglichkeit, Ackerland zu erwerben, wendet sich Michaelis. Wenn man nämlich den Juden dieses Recht einräumte, »so würden sie unseren Deut­schen auskaufen, und dann hätten wir den … verächtlichsten Ju­denstaat«.19 Man sieht also, daß die Ausgangssituation für eine Schrift, die um bedin­ gungs­lose Toleranz dem Judentum gegenüber wirbt, denkbar ungünstig ist.20 Diese Ausgangslage soll im folgenden noch weiter an Plastizität gewinnen, wenn wir eine Position darstellen, die nicht nur von den Gegnern des Judentums stark 14 [Anonym]:

Dohm, C. W. v.: Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden, 280. L. c. 280f. 16  Schuckmann: Ueber Judenkolonien, 51. 17  L. c. 55. 18  Michaelis: Hr. Ritter, 43 f u. 48 f. Bertrams: Der ›innere Jude‹, 118 – 126, stellt Michaelis’ Positionen zum Judentum dar. 19  L. c. 46. 20  Daß dies aber nicht nur die Ausgangssituation betrifft, zeigen die Kronprinzenvorträge des protestantischen Justiz- und Tribunalrats Carl Gottlieb Svarez von 1791 / 92, in denen man lesen kann: »Wenn eine Religionspartei Lehrsätze hat, die zwar an sich nicht gegen die bürgerliche Ruhe und Ordnung sind, aber doch ihre Bekenner hindern, an den Pflichten der bürgerlichen Gesellschaft teilzunehmen, so kann eine solche Religionspartei sich nicht beschweren, wenn ihr auch nur eine eingeschränkte Teilnahme an den Rechten der Gesellschaft gestattet wird; z. B. Juden« (Svarez: Über das Recht der Oberaufsicht, in: ders: Vorträge, 510). 15 

242

E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

gemacht wird, sondern aus Freundesmund kommt. Der dänisch-holsteinische Staats­mann und Bruder der Sophie Reimarus August von Hennings, ein enger Vertrauter Mendelssohns, hat sich wohlwollend-kritisch mit Mendelssohns Überlegungen im Anschluß an die Neuherausgabe von Me­nasseh Ben Israels Rettung der Juden auseinandergesetzt. Hennings’ maßvolle Kritik an Mendelssohn darf dabei als eine weitere Herausforderung verstanden werden, die Toleranzdiskussion auf ein breiteres und stabileres Fundament zu stellen.21 b) Hennings’ Kritik Mendelssohns Versuch, sich mit einer im April 1782 erschienenen Überset­zung der Rettung der Juden (11656) Menasseh Ben Israels22 und dem darin enthal­tenen Vorwort publizistisch in das Programm der Judenemanzipation einzu­schalten,23 wurde von Freunden und anderen Zeitgenossen als zu kurz gegriffen empfunden. Es waren vor allem zwei Argumente, die gegen Mendelssohns Adap­tion der Rettung der Juden ins Feld geführt wurden. Zum einen konnte eine Schrift wie die Rettung der Juden, die im 17. Jahrhundert als Schutzschrift für die Juden gegenüber dem englischen Lordprotektor gedient hatte, den Anforderun­gen einer Toleranzschrift im Preußen des 18. Jahrhunderts nicht genügen. Sie ist, um es schlicht zu sagen, nicht aufgeklärt genug. Das zweite Argument hängt mit dem ersten eng zusammen. August von Hennings trägt es vor, wenn er in einem Brief an Mendelssohn vom 27. April 1782 den Rückgriff auf die historische Gestalt des Judentums für ungeeignet hält, Tole­ranz und Aufgeklärtheit der jüdischen Religion den Zeitgenossen nahezubrin­gen. Dabei legt er den Finger in jene Wunde, deren Heilung Men­delssohn als eine seiner vordringlichsten Aufgaben empfunden haben wird: die Isolierung des jüdischen Menschen als eines Staatsbürgers von eben demselben Menschen in seiner religiösen Lebenswelt: »Um bei den Juden ste­hen zu bleiben, so ist es wohl offenbar, daß ihre Vorrechte, als Menschen … größer sind, als ihre Vorrechte, als Juden«.24 Und nachdem diese Unterschei­dung vollzogen ist, beantwortet er die Frage, welche Toleranz dem jüdischen Menschen als eines religiösen Subjekts zuzuerkennen wäre, dezidiert kritisch: »Insonderheit scheinen mir die Gründe sehr schwach, welche man aus dem Ju­denthum für ihre Toleranz nimmt«.25 Solange also der Fo21  Belke: Religion, 130 f, beschränkt ihre Deutung der Toleranz auf biographische Mo­t ive: »Moses Mendelssohn erhob … das Postulat der Toleranz, weil er die … Verkehrtheiten … des Denkens … oft erfahren hatte. Hier urteilte … der Empiriker, nicht der Rationalist«. Dieses Urteil ist wohl hinsichtlich seiner Ausschließlichkeit einzuschränken. 22  Klassisch zu Menasseh Ben Israel Kayserling: Sephardim, 197 ff. Cf. aber auch Rau­ schen­bach: Judentum, 228 – 237. 23  Zur Aufnahme Menassehs in der Haskala und in Mendelssohns Vorwort cf. Schapkow: Vorbild, 101ff. 24  Juba xiii 36. 25 Ib.

1. Ausgangsbedingungen

243

kus einer Verteidigung des Judentums auf dessen historische Gestalt gelegt wird, stehen die Chancen für eine gesellschaftliche Akzeptanz dieser Apologetik ungünstig. Hennings begründet diese Einschätzung zum einen mit dem Hinweis auf jene Passagen des Alten Testamentes, in denen Gott seine Macht souverän zur An­wendung bringt, ohne daß diese Anwendung fürderhin mit den Prinzipien des Naturrechts in Übereinstimmung zu bringen wären. »Ich weiß nicht ein­ mal, welches Organon die Gottheit hat, etwas anzubefehlen, das wider die er­sten Grundgesetze der Natur, wider Tugend und Rechtschaffenheit ist«.26 Mit dieser Argumentation hat Hennings das Mittel in der Hand, dem Judentum als Religion gänzlich das Wasser abzugraben, indem er die Position stark macht, daß Juden wie Christen »einen Gott kennen dessen Bund älter ist, als der alte und neue Bund, dem wir aber für beyde danken«.27 Und so dreht er gegenüber einer jüdischen Religion, die am Abend der Aufklärung in Deutschland um Toleranz und Anerkennung wirbt, den Spieß um: Wenn eine Religion aus­sichtsreich um mehr Toleranz werben will, sollte sie nicht auf ihre eigene Religionsgeschichte verweisen, besonders dann nicht, wenn diese eine Fülle von Beispielen religiöser Intoleranz bereithält.28 Im Gegenteil muß sich eine solche Religion auf die allgemeinen Grundsätze des Naturrechts besinnen und zugleich daran mitarbeiten, daß diese Grundsätze breitere Anerkennung finden. Ansonsten bleibt immer die Gefahr, daß in die Toleranz einer Religion gegenüber Gründe einfließen, die einem parti­kularen Interesse und nicht dem Geist aufgeklärter Vernunft geschuldet sind.29 Letztlich sei es Men­delssohn nur sehr unzulänglich gelungen, politische und naturrechtliche Prinzi­pien auf die Grundüberzeugungen der jüdischen Religion anzuwenden, was dann seinem Versuch, Toleranz gegenüber dem Judentum im preußischen Staat Friedrichs II. einzuklagen, einen großen Teil seiner Überzeugungskraft raubt. Hennings’ Kritik macht aber zugleich plausibel, warum Mendelssohn nicht mit einer materialen Religionsphilosophie einsetzt, sondern 26 Ib. 27 

L. c. 39 f. L. c. 37: »Das demütige Bezeigen der Hohenpriester gegen Alexander und gegen die rö­ mi­schen Kaiser beweiset eben so wenig die Liebe der Juden für fremde Nationen. Der unpartheiische Mann siehet hier nichts als die Unterwürfigkeit des Schwächeren, der verfolgen würde, wenn er herrschte«. Und l. c. 38: »In unseren Zeiten sind die Juden … nicht duldsamer und verträglicher geworden, als in der Wüste und in Palästina … Sie empfehlen sich also so wenig itzt, als in ihrer Geschichte, durch sich selbst, sondern thun es nur durch die allgemeinen Grundsätze der Menschlichkeit«. 29  L. c. 38: »Und wozu brauchen wir … des Judenthums oder des Christenthums  ? Wir haben Lehren, die allen Lehren gemeinsam sind, und die die gesunde Vernunft … anerkennen muß. Jemehr wir diese … Lehren ausbreiten, desto sicherer befestigen wir die Duldung, welche ohne diese allgemeine Aufklärung immer in Gefahr bleibt, von dem Gifte der Partheilichkeit angesteckt zu werden, und mehr Thorheit als Wahrheit zu beweisen«. 28 

244

E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

dieser eine staats- und naturrechtliche Besinnung voranschaltet, um dann zu verdeutlichen, daß das Naturrecht gerade nicht die Bedeutung seiner eigenen Religion hinfällig werden macht.

2. Die Staatsphilosophie der Jerusalemschrift Mendelssohns staatsphilosophische und naturrechtliche Überlegungen weisen eine Vielzahl von mittelbaren und unmittelbaren Beziehungen etwa zu Francis­ cus Suarez’ De legibus ac Deo legislatore (1619), Samuel Pufendorfs De jure na­ turae et gentium libri octo (1688), Hugo Grotius’ De jure belli ac pacis libri tres (1625), John Seldons De jure naturali et gentium (1695), Richard Cumberlands De legibus naturae (1672), der Leibnizschen Theodizee und natürlich – Mendelssohn weist selbst darauf hin, daß es sich hier um das wichtigste Werk, das in diesem Zu­sammenhang gelesen werden muß, handelt – der monumentalen Zusammen­schau und Systematisierung naturrechtlicher Traditionen im Naturrecht Chri­stian Wolffs auf. In den Mendelssohnstudien von Alexander Altmann30 und Michael Albrecht31 sind diese Traditionen weitgehend präsentiert. Ein Desiderat der Mendelssohnforschung besteht mithin darin, die systematischen Pointen der Jerusalemschrift an der unmittelbaren Argu­mentationslogik des Textes zu erarbeiten. Im folgenden wollen wir versuchen, uns auf diese Argumentationsfiguren zu konzentrieren. Daß wir innerhalb der Religionsphilosophie, die der Jerusalemschrift voran­gegangen ist, nicht zu Unrecht den Fokus auf die im 18. Jahrhundert breit ver­handelte Eudaimonismusdiskussion gerichtet haben, zeigt eine Passage, in der deutlich wird, daß Mendelssohn auch hier in der Glückseligkeit des Menschen ein zentrales Thema sieht. Liegen sie [sc. Staat und Religion] gegen einander zu Felde, so ist das menschliche Ge­schlecht Opfer ihrer Zwietracht; und vertragen sie sich, ist es gethan, um das edelste Kleinod der menschlichen Glückseligkeit; denn sie vertragen sich selten anders, als um ein drittes moralisches Wesen, die Freyheit des Gewissens, die von ihrer Uneinigkeit einigen Vorteil zu ziehen weis, aus ihrem Reiche zu verbannen (32).32 30  Cf. nur: Moses Mendelssohn on Leibniz; Moses Mendelssohn über Naturrecht; Prin­zi­ pien politischer Theorie. 31 M. Albrecht: Nunmehr, 26, knüpft ausdrücklich an die Vorarbeiten A. Altmanns an. 32  Die in den Text gesetzten Zitate beziehen sich auf J. Wenn Mendelssohn gleich zu Be­ ginn das Verhältnis von Staat und Religion in den Mittelpunkt seiner Überlegung stellt, so liegen darin schon Verallgemeinerung und Komplexitätsgewinn gegenüber den Vorarbeiten zu seiner Jerusalemschrift, in denen er noch von dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche gehandelt hatte (cf. J 135). Wie sehr Mendelssohn hinsichtlich solcher staatspolitischen Fragen als Autorität angesehen war, mag allein schon daraus erhellen, daß der Revolutionär Francisco de Miranda während seines Europaaufenthaltes 1785 auch Mendelssohn aufsuchte, um mit ihm über dergleichen Fragen zu sprechen. Cf. Popkin: Moses. Auch wird man annehmen dürfen, daß Mendelssohn ein Vorläufer der Politik Thomas Jeffersons gewesen ist. Cf. Mendes-Flor: Jüdische, 34 Anm. 68 u. Konvitz: Religious, bes. 122 f.

2. Die Staatsphilosophie der Jerusalemschrift

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Wie also, so läßt sich die von Mendelssohn hier exponierte Thematik reformulieren, kann ein Zusammenbestehen von Staat und Religion gedacht werden, wenn dabei zugleich in Anschlag gebracht werden muß, daß in diese Vereinigung immer auch der Sachverhalt von der Notwendigkeit eines freien Gewissens schon eingegangen ist. Ist ein Gemeinwesen nämlich nicht in der Lage, dies zu gewährleisten, wird der Mensch seiner basalen Telosperspektive, der Glückseligkeit, beraubt. Zugleich bringt Mendelssohn hier eine entscheidende Kategorie ins Spiel, mit der er die dezisionistische Staatstheorie von Hobbes verlassen hat: das Gewissen. Hobbes nämlich hatte die Gewissensinstanz gleich am Beginn seines Leviathan stark abgewertet und als Modus eines bloßen Meinens gedeutet. Gewissen sei demnach nur das Meinen oder Fürwahrhalten eines Sachverhalts, dem dadurch, daß er als Gewissensäußerung gekennzeichnet wird, größerer Nachdruck verliehen werden soll.33 a) Thomas Hobbes Mendelssohn stellt nun die Staatstheorien dar, von denen er sich abgrenzen will. Wenn er sowohl Hobbes als auch Locke beleuchtet hinsichtlich ihrer Ein­ schät­zung dessen, was die höchste Glückseligkeit ausmachte, so zeigt das, wie sehr seine Beschäftigung mit den Positionen beider Denker zugleich einen Aufschluß über Mendelssohns eigene Theoriebildung zu geben vermag. Wir beginnen mit Hobbes: Hobbes setzte »die höchste Glückseligkeit in Ruhe und Sicherheit, sie mochte kommen, woher sie wollte; und diese fand er nirgend, als in der Einheit und Unzertrennlichkeit der höchsten Gewalt im Staate. Der öffentlichen Wohlfahrth … sey am besten geraten, wenn alles, sogar unser Urtheil über Recht und Unrecht, der höchsten Gewalt der bürgerlichen Obrigkeit unterworfen würde« (33).

Die höchste Glückseligkeit, die durch ein Staatswesen gesichert scheint, an dessen Souverän die Bürger alle Rechte durch freiwillige Übertragung abgegeben haben, ist folglich teuer erkauft: Auch das moralische Urteil des Einzelnen gehört zu jenem Opfer, das der Bürger dem Staat darzubringen hat, um seine eigene Rechtssicherheit gewährleistet zu wissen. Mit einer Übertragung der Urteilskompetenzen an den Souverän durch die Bürger als einer Einheit findet eine Rückübertragung statt insofern, als der Bür­ger die Urteile und Entscheidungen des Souveräns für seine eigenen Urteile und Entscheidungen nimmt.34 33  »Und Leute, die in ihre eigenen – wenn auch noch so absurden – Meinungen … verliebt und hartnäckig darauf versessen waren, sie beizubehalten, gaben diesen … den respekterheischenden Namen ›Gewissen‹ – als wollten sie den Anschein erwecken, es sei unrechtmäßig, sie zu ändern oder was dagegen zu sagen« (Lev i 7, 56). Cf. hierzu Koselleck: Kritik, 19ff. 34 »Ein Gemeinwesen wird als eingesetzt bezeichnet, wenn bei einer Menge von Menschen jeder mit jedem übereinstimmt und vertraglich übereinkommt, daß jedermann, sowohl wer da­für als auch wer dagegen stimmte, alle Handlungen und Urteile jedes Menschen oder jeder

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

Daß in diese Übertragung ausdrücklich auch das moralische Urteil hineinzunehmen ist, darauf weist Hobbes im 29. Kapitel des Leviathan hin, wo er die Momente aufzählt, die das Gemeinwesen schwächen oder sogar zerstören können. An erster Stelle steht die »unvollkom­mene Einsetzung« (I, 29, 273), die Gefahr also, daß die Machtübertragung an den Souverän keine umgreifende Grundlage in den Menschen hat, die das Ge­meinwesen ausmachen. Im Fall einer solchen unvollkommenen Einsetzung der Macht durch die Bürger ist der Staat immer dann besonders bedroht, wenn die Bürger des Staates sich seinem Anspruch auf Rechtserzeugung entfremden.35 Die Kritik Mendelssohns an der Hobbesschen Staatskonzeption findet auf zwei Ebenen statt.36 Zum einen wird Hobbes kritisiert hin­sichtlich seiner Theorie von der Ursprungskontraktionalität aller menschlichen Grundverhältnisse, daß sich also die Menschen hinsichtlich ihrer personalen Identität nur als freie Subjekte verstehen können, wenn sie in vertraglichen Verhältnissen sich befinden. Die Vertraglichkeit aller menschlichen Sozialität ist nach Hobbes selbst dort noch anzusiedeln, wo man intuitiv geneigt wäre, von natürlichen Verhältnissen zu sprechen, wie das klassisch auch die Aristotelische Philosophie exerziert hatte. Und mit der Freiwilligkeit der Machtübertragung an eine höchste staatliche Instanz transformiert dann Hobbes den Gedanken des christlichen Naturrechts, daß die Vernünftigkeit der den Menschen vorzuschreibenden Gesetze aus ihrer Herkunft aus dem göttlichen Willen unmittelbar folge, wie etwa am Beginn des 17. Jahrhunderts Francisco Suárez das christliche Naturrechtsdenken des Mittelalters in De Legibus ac Deo Legislatore (1612) zusammengefaßt hatte. Mendelssohn kritisiert den metaintuitiven Charakter dieser Position. Selbst dann, wenn es zutreffen mag, daß der personale Freiheitscharakter des Men­ schen nur unter der Perspektive seiner Vertragsgebundenheit gesichert werden kann, so ist doch der Sachverhalt, sich an diese Verträge gebunden zu fühlen, nicht noch einmal jene Vertragsgebundenheit. Dieser Sachverhalt näm­lich muß in einer unmittelbar den Menschen individuierenden Gegebenheit seinen Versammlung von Menschen, denen durch die Mehrheit das Recht gegeben wird, die Person aller zu vertreten … in derselben Weise autorisieren soll, als wären sie seine eigenen, und dies zum Zweck eines friedlichen Zusammenlebens … Von dieser Einsetzung eines Gemeinwesens werden alle Rechte und Befugnisse dessen oder derer abgeleitet, denen die souveräne Gewalt durch die Übereinstimmung des versammelten Volkes übertragen worden ist« (Lev II 18, 150). 35 J. Schröder: Politische, 20, hat gezeigt, wie stark das Naturrechtsdenken an der Herausbildung des positiven Rechts beteiligt gewesen ist, insofern es ein »staatliches Rechtserzeugungsmonopol« begründet. Cf. hierzu auch ders: Naturrecht. 36 Wir argumentieren hier nach der Explikationslogik des Mendelssohnschen Textes. Altmann: Moses Mendelssohn über Naturrecht (Stuttgart-Bad Cannstatt 1982) 190, weist darauf hin, daß philosophiegeschichtlich die Mendelssohnsche Kritik an Hobbes in großer Nähe zu Richard Cumberland und James Tyrell formuliert ist, »ohne jedoch im einzelnen Anleihen bei den Engländern zu machen«.

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Ort haben und wird von Mendelssohn als die menschliche Natur be­schrieben.37 »Sind die Menschen von Natur an keine Pflicht gebunden, so liegt ihnen auch nicht einmal die Pflicht ob, ihre Verträge zu halten« (35). Die Gül­tigkeit der Verträge ist also angewiesen immer auch darauf, daß der ­›Mensch von Natur‹ aus darauf angelegt ist, sie zu erfüllen. Und so fällt von hier aus zugleich auch Mendelssohns kritischer Blick auf Hobbes’ Beschreibung des Naturzustands überhaupt. Die messerscharfe Konsequenz des Hobbesschen Denkens, aus dem vorvertraglichen Zustand, wie er sich Hobbes in der in den Bürgerkriegen konkret gewordenen Unmenschlichkeit darstellt, auf die Staatsgründung als einer gleichsam menschheitsgeschichtlich notwendi­gen zweiten Schöpfung zu schließen, bezieht ihre Überzeugungskraft nicht zuletzt aus der Darstellung des Naturzustandes als einer aus sich selbst unüber­windbaren Rechtlosigkeit. Die affektiven Momente, durch die der Mensch in einen Zustand der Vergesellschaftung getrieben wird, sind in ihrer Wurzel von Furcht bestimmt.38 Und genau gegen diese Motivierung des Staatsgedankens durch Hobbes wendet sich Mendelssohn: Findet im Stande der Natur keine andre Verbind­lichkeit Statt, als die sich auf Furcht und Ohnmacht gründet; so dauert die Gül­tigkeit der Verträge auch nur so lange, als sie von Furcht und Ohnmacht unter­stützt wird (35).

Damit kritisiert Mendelssohn nicht die von ihm grundsätzlich geteilte Hobbessche Auffassung einer Erzeugung von Rechtssicherheit. Aber die Herstellung einer kontraktuellen Situation muß noch auf einem anderen Grund ruhen, als nur auf der abstrakten Setzung eines durch Furcht motivierten Vertrages. Es müs­sen eben, wie das in der heutigen kon­traktionalistischen Rechtsphilosophie nicht anders ist, auch Bedingungen ange­geben sein, unter denen zu sagen ist, daß das Einhalten von Verträgen als ein von jedem Bürger anerkannter Sachverhalt erwartet zu werden vermag. Und diese Einsicht formuliert Mendelssohn unter Rückgriff auf das Na­turrecht, das auch im vorkontraktuellen Zustand Gül37 Mit Schorch: Moses, 234, ließe sich auch von einer Kritik an den »anthropologischen Prämissen« des Hobbes sprechen. 38  Hobbes: Vom Menschen i 79: »Zwar können die Annehmlichkeiten dieses Lebens durch gegenseitige Unterstützung vermehrt werden; allein dies kann viel besser durch die Herrschaft über andere als durch die Verbindung mit ihnen erreicht werden; daher würde unzweifelhaft jedes Menschen Natur, wenn die Furcht ihn nicht hinderte, stärker zur Herrschaft als zur Gesellschaft treiben. Deshalb muß man anerkennen, daß der Ursprung der großen und dauernden Verbindungen der Menschen nicht von gegenseitigem Wohlwollen, sondern von gegenseitiger Furcht ausgegangen ist«. Und bei der Aufzählung jener Affekte, die eine Friedensgeneigtheit des Menschen auszulösen vermögen, steht die Furcht an erster Stelle: Lev i 13, 109: »Die Leidenschaften, die die Menschen friedfertig machen, sind Todesfurcht, das Verlangen nach Dingen, die zu einem angenehmen Leben notwendig sind, und die Hoffnung, sie durch Fleiß erlangen zu können«. Daß es sich hier nicht um eine Interpretationsmarotte Mendelssohns handelt, sondern auch die heutigen Hobbes-Interpretationen eine Mendelssohn sehr nahe Perspektive einnehmen, zeigen B. Willms: Die Angst, bes. 83 – 88 u. Röd: Geome­ tri­scher, 31.

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tigkeit besitzt. Und mehr noch: Wenn davon ausgegangen wird, wie Hobbes behauptet, daß die Furcht das anthropologische Grunddatum des menschlichen Affektle­bens ist, und wenn weiterhin dieses Grunddatum die Voraussetzung für die Herstellung staatlich institutionalisierten Rechts ist, so ist das Recht rück­ bedingt durch die Furcht. Das Recht ist dann in der Gefahr, sich nur solange als Statthalter der Sicherheit eines Staates behaupten zu können, als die Furcht seiner Bürger in Kraft ist. Dann aber, so Mendelssohn, »haben die Menschen durch Verträge keinen Schritt näher zu ihrer Sicherheit gethan, und befinden sich noch immer in ihrem primitiven Zustande des allgemeinen Krieges« (35). Eine weitere Kritik richtet sich gegen die finale Perspektive der Hobbesschen Staatstheorie, eine Ähnlichkeitsrelation (resemble) zwischen der göttlichen Schöp­fung und den zwischenmenschlichen Verträgen auszusagen.39 Eine solche Relation vorauszusetzen, ist für Hobbes notwendig, da es basal für das Funktionieren eines Staatsgebildes ist, daß sich kein Konflikt einstellt zwischen dem von Gott und dem von den Staatslenkern Befohlenen.40 Oberflächlich zieht Hobbes hier die lex aeterna vollständig in eine vertragliche Unterwerfung der Staatsbürger unter den Souverän hi­nein. Doch ist diese Perspektive, wie die erwähnte Re­lation zeigt, nur einzunehmen, wenn sich der Souverän seinerseits unter eine höhere Macht gestellt weiß, die er durch eigene Machtbefugnis nicht gänz­lich selbst in der Hand hat. Ob diese Interpretation der Hobbesschen Staatsphi­losophie zutreffend ist, kann dahingestellt bleiben, Mendelssohn jedenfalls ver­steht Hobbes solchermaßen und setzt darum auch genau hier mit seiner Kritik ein. Wenn die »Furcht vor der Allmacht« (35) den Souverän davor bewahrt, in seiner Machtausübung die Grenzen der freiwilligen Machtübergabe der Un­tertanen an ihn nicht selbstherrlich zu überschreiten, so sieht Mendelssohn darin ein Indiz dafür, daß die ausschließlich kontraktuelle Auslegung sozialer Grundverhältnisse nicht zwangsläufig das letzte Wort behalten muß. Erklärte man nämlich die Furcht zum anthropologischen Grund des Übergangs vom Naturzustand in ein staatliches Gemeinwesen,41 so machte diese Furcht sich noch grundsätzlicher bemerkbar, 39 

Hobbes: Lev, Einl. 7 /  Leviathan, 9: »Endlich aber gleichen (resemble) die Verträge (Pacts) und Übereinkommen (Covenants), durch welche die Teile dieses politischen Körpers zuerst geschaffen, zusammengesetzt und vereint wurden, jenem ›Fiat‹ oder ›Lasset uns Menschen machen‹, das Gott bei der Schöpfung aussprach«. 40  Hobbes: Vom Menschen xv 235: »Denn sonst kann man nicht wissen, ob die Gebote der höchsten Staatsgewalt mit den Gesetzen Gottes übereinstimmen oder nicht, woraus folgen würde, daß man entweder aus übertriebenem Gehorsam gegen den Staat widerspenstig gegen die göttliche Majestät wird, oder aus Furcht, gegen Gott zu sündigen, in Widerspenstigkeit gegen den Staat gerät. Um diesen beiden Klippen zu entgehen, ist die Kenntnis der göttlichen Gesetze nötig«. 41  »Allein … diese Furcht vor der Allmacht, welche die Könige … an gewisse Pflichten gegen ihre Unterthanen binden soll, kann … auch im Stande der Natur für jeden einzelnen

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als es der Hobbesschen Absicht entspräche, indem sie als Verantwortungsgefühl des Souveräns ge­genüber der göttlichen Allmacht in Kraft bliebe. b) John Locke Eine weitere Konzeption, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche be­ schreibt, stammt aus der Feder John Lockes, der in seinem Brief über Toleranz von 1689 auf den Streit zwischen Krone und Parlament, der immer neue Auf­lö­ sun­gen des Parlaments durch Karl II. nach sich zog, und die Absicht Karls, seinem katholischen Bruder Jakob die Thronfolge zu sichern, reagierte.42 Die Sicherung und Monopolisierung der Macht im souveränen Herrscher tritt bei Locke zurück zugunsten einer sehr viel stärkeren Funktionalisierung staatlicher Sicherungsfunktionen im Blick auf die bürgerlichen Interessen (civil in­ ter­ests).43 Diese Interessen werden näher bestimmt als »Leben, Freiheit, Ge­ sund­heit, Schmerzlosigkeit des Körpers und … Besitz äußerer Dinge wie Geld, Ländereien … und dergleichen«.44 Daß dabei der Schutz des Eigentums einen besonderen Platz einnimmt, macht Locke gleich im nächsten Satz deutlich. »Es ist die Pflicht der staatlichen Obrig­keit … dem ganzen Volke … den gerechten Besitz dieser Dinge, die zu seinem Leben gehören, zu sichern«.45 Der Staat hat also eine Gewährleistungs- und Schutzfunktion mit Blick auf die Gütererzeugung und das private Eigentum. In der Lesart Mendelssohns bedeutet dies, daß der Staat nur die Summe jener Menschen sei, »die sich vereinigen, um ihre zeitliche Wohlfahrt gemeinschaft­lich zu befördern« (36). Entscheidend dabei ist das Staatsziel der Locke­schen The­o­rie, das nach Mendelssohn nur in der formalen Aufrechterhal­tung des Status quo von Lebenserhaltung und Eigentumssicherung liegt.46 Lo­ckes Kirchenbe­griff demgegenüber hat schlichter noch in der Freiwilligkeit (a voluntary society) jener Menschen, die sich in einer sich selbst Menschen eine Quelle der Obliegenheiten werden, und so haben wir abermals ein solennes Recht der Natur« (J 35 f ). 42  Zur Einordnung des Briefs in die politischen Verhältnisse Englands cf. Ebbinghaus: Einleitung, xiii – xxii. Zur Toleranzvorstellung bei Locke cf. Schärer: John, 207 – 212. 43  Bt  12 f:  »Das gemeine Wesen (commenwealth) scheint mir eine Gesellschaft von Men­ schen (society of men) zu sein, deren Verfassung lediglich die Befriedigung, Wahrung und Beförderung ihrer bürgerlichen Interessen (civil interests) bezweckt«. So wird auch der Naturzustand bei Locke nicht als vollkommen amoralisch begriffen. Cf. Locke im Vergleich zu Hobbes Lowe: Locke, 168 ff. Zu der damit einhergehenden Frage, ob es sich bei dem Lockeschen Naturzustand um eine empiriegesättigte Größe oder um eine reine Fiktion handelt, cf. Held: Eigentum, 50 – 54. 44 Ib. 45 Ib. 46  J 36:  »Hieraus folgt alsdann … daß der Staat sich um die Gesinnungen der Bürger, ihre ewige Glückseligkeit betreffend, gar nicht zu bekümmern, sondern jeden zu dulden habe, der sich bürgerlich gut aufführt, das heißt seinen Mitbürgern, in Absicht ihrer zeitlichen Glückseligkeit, nicht hinderlich ist. Der Staat, als Staat, hat auf keine Verschiedenheit der

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gegebenen Ver­bindlichkeit (their own accord) zu gemeinschaftlicher Gottesverehrung zusam­menfinden, ihr Zentrum.47 Lockes Staats- und Kirchenmodell ist in dem Sinne modern und liberal, daß die Trennung von Staat und Kirche ohne kooperative Zwischenstufen kon­stru­iert wird. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche besteht darin, die jeweils beiden zugeordnete Handlungssphäre autark zu gestalten. Diese scharfe Sphärentren­nung aber verkürzt nach Mendelssohn eine angemessene Verhältnisbestimmung aus zwei Gründen. Das erste gegen Locke spre­chende Argument bezieht sich auf die konkrete geschichtliche Situation im England des 17. Jahrhunderts, die Locke dazu veranlaßt hatte, seine Tole­ranzbriefe zu schreiben. 1683, dem gleichen Jahr als Shaftesbury im Exil stirbt, geht auch Locke ins Niederländische Exil, um dann abwechselnd in Utrecht, Amsterdam, Rotterdam und Kleve unter falschem Namen zu leben. Locke wird die Mitgliedschaft am Christ Church College aberkannt, Utrecht stempelt ihn zur persona non grata und die englische Regierung stellt ein Auslieferungsbe­gehren, kurz: Ließe sich der Zwist durch eine Worterklärung entscheiden; so wüßte ich keine bequemere, und wenn sich die unruhigen Köpfe seiner Zeit hiemit hätten die Intoleranz ausreden lassen; so würde der gute Locke nicht nöthig gehabt haben, so oft ins Elend zu wandern (36).

Bevor wir uns dem wichtigeren Teil der Mendelssohn­schen Lockedarstellung zu­wenden, der über eine Kritik hinausgeht und unmit­telbar in Mendelssohns eigenes Staatskonzept führt, folgen wir noch dem Men­delssohnschen Text, wenn er auf den Kontroverstheologen Robert Bellarmin hinweist. c) Gegenreformatorisches Kirchenregiment Eine bloße Scheidung von Staat und Kirche in der Weise, daß die Zustän­digkeit des Staates »blos auf das Zeitliche einzuschränken« (36) wäre – so die von Mendelssohn in Lockes Staatsdenken diagnostizierte Konsequenz –, führt auf die Frage, wer für die ewige Glückseligkeit der Menschen zuständig ist. Und diesen blinden Fleck würde dann die Kirche einzunehmen haben. Das nicht zu unterdrückende Problem bei einer solchen Sphärenscheidung aber er­gibt sich daraus, daß diese Scheidung auch einen scharfen Wertantagonismus mit sich führt: Bürgerliche und kirchliche Autorität verhalten sich zueinander »wie die Wichtigkeit des Zeitlichen zur Wich­tigkeit des Ewigen« (36). Wenn Mendelssohn vor diesem Hintergrund zum Modell eines Erziehungsstaats zurückkehrt, liegt die Gefahr auf der Hand, daß sich hier eine Rückkehr zur hierokratischen mittelalterlichen Theorie von der Überordnung des sacerdotium über die weltliche Gewalt an­kündigt. Dies deutet Mendelssohn durch seine Anspielung auf Religionen zu sehen; denn Religion hat an und für sich auf das Zeitliche keinen nothwendigen Einfluß, und stehet blos durch die Willkühr der Menschen mit demselben in Verbindung«. 47  Bt 18 f.

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den Jesuiten Roberto Bellarmin an, dessen Kirchenlehre von Mendelssohn hier darum geboten wird, weil sie ihm als eine ernstzunehmende, aber gleichwohl falsche Alternative erscheint. Bellarmins Kirchenverständnis nimmt zwischen dem die Mittelalterliche Kirchengeschichte prägenden Mit- und Gegeneinander von reg­­num und sacerdotium und der neuzeitlichen Fragestellung nach dem Verhältnis von Staat und Kirche eine Zwischenstellung ein. Bellarmin steht noch in der kanonistischen Tradition, doch versucht er zugleich, der neuzeitlichen durch die Glaubensspaltung entstandenen Situation zu entsprechen. Sicherlich hatte das Papsttum des ausgehenden Mittelalters in Bellarmin einen seiner engagiertesten und scharfsinnigsten Apologeten. Der erste Band seiner Disputationes (1586 bis 1593) aber wurde dennoch durch Sixtus V. 1590 indiziert, und nur der Tod des Papstes verschonte Bellarmin vor einer Anklage.48 Bellarmins Überlegungen sind zu verstehen vor dem Hintergrund einer Vorordnung der geistlichen vor die weltliche Macht und der Zwei-Schwerter-Lehre. Nach der Konstantinischen Wende hatte das Christentum eine Funk­tion über­­ nommen, die in der Antike der Polisreligion zukam.49 Von Karl dem Großen bis Heinrich III. hatte die potestas regalis der auctoritas pontificalis die Stellung, Funktion und Bedeutung innerhalb der christlichen Gesellschaft zu­ge­wie­sen. Germanische und römisch-antike Herrschervorstellungen gingen eine Verbindung ein, die dem Kaiser oder König eine sakrale Würde zukommen ließ,50 und sie sollten diese Würde erst einbüßen in der auf die Gregorianische Reform folgenden Zeit. Eindrückliche Zeugnisse einer Vorordnung der potestas regalis finden sich beim Normannischen Anonymus, der dieses Zuordnungs­verhältnis christologisch motiviert: Die Weltherrschaft Christi wird seiner prie­sterlichen Gewalt übergeordnet.51 Im Verlauf des 12. Jahrhunderts änderte sich dann dieses Zuordnungsverhältnis dahingehend, daß die Papstkirche ihren Leitungsanspruch über die weltliche Macht stärker geltend machte, indem sie sich zugleich aus der heiligen Allianz zwischen sacerdotium und regnum herauslöste, um eine selbständige und auch selbständig agierende Größe zu werden. Mit dieser Verschiebung des Zuständigkeitsverhältnisses geht zugleich die scharfe Trennung von regnum und sacerdotium einher. Die Kirche als Verwalterin des Geistlichen löste sich somit heraus aus dem christlich-universalen Reichsganzen. Die Theorie kirchli48 Cf.

Wildgen: Religiöse, 170. Böckenförde: Die Entstehung, 216. 50  I. W. Frank: Kirchengeschichte, 67. 51  So heißt es programmatisch in De consecratione pontificum et regum (um 1100): »Sancta ecclesia sponsa Christi est, qui est verus rex et sacerdos; sed non secundum hoc, quod sacerdos est, sponsa eius dicitur, sed secundum hoc, quod rex est« (Pellens: Die Texte, 196). Kritisch bis vernichtend übrigens gegenüber der Edition von Pellens: W. Hartmann: Beziehungen, 110  –113 u. Ullmann [Rez.]: K. Pellens. Cf. zur Stellung des Anonymos in der Investiturfrage Mohr: Anselm, 212 ff; Kölmel: Regimen, 124ff u. Bornkamm: Christus, 40 ff. 49 Cf.

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cher Vorherr­schaft wird prominent im Dictatus Papae vom März 1075 vertreten. Hier finden sich jene berühmten Sätze, die auch noch in der Kirchenlehre des Ballarmin einen – wenngleich durch die Glaubensspaltung, das Trienter Konzil und das konfessionelle Zeitalter ge­dämpften – Widerhall finden sollten. Die entscheidenden Sätze lauten: Dem Papst »allein ist es gestattet, Kaiser abzusetzen (illi liceat imperatores deponere)«. Und: Des Papstes »Urteilsspruch (sententia) darf niemand nochmals zur Erörte­rung stellen (retractare), und er allein kann aller Entscheidungen anfechten«.52 Den zweiten Schritt stellt die Zwei-Schwerter-Lehre dar, die Bonifatius VIII. nach Vorüberlegungen der Gelasius I., Alkuin von York, Petrus Damiani, Bernhard von Clairvaux, Johannes von Salisbury und Gregor VII. in seiner Unamsanctam-Bulle vom 18. November 1302 entwickelt hat. Eine interessante Variante allegorischer Schriftauslegung wird hier unter Beweis gestellt. Das klassische dictum probans der Papstkirche – Weide meine Schafe (Joh 21, 7) – wird von der Bulle so gedeutet, daß der tragende Ton des Logions auf dem Possesivpronomen liegt. Christus hätte hier zu Petrus von allen Menschen, die eine homogene Einheit also bilden, gesprochen.53 Daraus ist für Bonifatius die Folgerung zu ziehen, daß die Zugehörigkeit zur Gemeinde Christi in unmittelbarer Verbindung mit der Zugehörigkeit zum römischen Bischof steht, denn der Einheit der Herde entspricht unmittelbar die Einzigkeit des Hirten.54 Ihre Zwei-Schwerter-Lehre entwickelt die Bulle aus einer Kombination zweier Schriftworte. Das erste Logion entstammt dem bei Lukas überlieferten Ver­mächtnis Jesu an seine Jünger, die zuvor in einen Streit darüber verfallen sind, wer von ihnen als der Größte vor dem Herrn zu gelten hätte. Jesus antwortet mit der evangelischen Imperativ-Dialektik, daß der Hochstehende wieder niedrig werden möge (Lk 22, 26). In der Abschiedsrede gibt Jesus dann seinen Jüngern den folgenreichen Rat, daß sie sich in Erwartung seiner bevorstehenden Passion auf Zeiten der Anfechtung einzurichten hätten, da jetzt die Zeit der wandernden Missionare vorüber sein und durch eine Atmosphäre starker Anfeindungen abgelöst würde: Wer kein Schwert hat, verkaufe seinen Mantel – das unver52  Obermann / R itter  / K rumwiede [Hg.]: Kirchen, 90 (12) u. (18). Böckenförde weist darauf hin, daß sich in diesem Prozeß nicht nur die »Entsakralisierung des Kaisers« vollzogen hätte, sondern das Politische sich vielmehr damit zugleich »in der unaufhebbaren Dialektik geschichtlicher Vor­gänge« emanzipiert hat, um einem eigenständigen Bereich von Funktions­ zuschreibungen zugänglich zu werden (217). 53  »Diese eine Kirche hat nur einen Leib [und] ein Haupt, nicht wie ein Ungeheuer zwei Häupter: Christus nämlich und Christi Stellvertreter Petrus und den Nachfolger des Petrus, sagt doch der Herr zu Petrus selbst: ›Weide meine Schafe‹ … ›Meine‹ sagt er und [meint das] ganz allgemein, nicht nur im einzelnen diese oder jene. Daraus ersieht man, daß er ihm alle anvertraut hat« (zit. nach Obermann / R itter / Krumwiede [Hg.]: Kirchen, 179). 54  Ib.: »Wenn die Griechen oder andere sagen, sie seien Petrus und seinen Nachfolgern nicht anvertraut, so müssen sie zugeben, daß sie nicht zu den Schafen Christi gehören; denn der Herr sagt bei Johannes: ›Es gibt nur eine Herde und einen Hirten‹ (Joh 10, 6)«.

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zichtbare Utensil des Missionsreisenden – und kaufe eins (Lk 22, 36). Die Jünger glauben, Jesus recht zu verstehen, wenn sie den scheidenden Meister auf ihre Doppelbewaffnung hinweisen: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter (Lk 22, 38). Darauf jedoch Jesus: Es ist genug (ib.). Auf genau diese Szene bezieht sich Bonifatius, indem er Jesu Antwort als willkommenen Hinweis auf die Zwei-Schwerter-Lehre deutet: Jesus hätte nämlich nicht gesagt, daß zwei Schwerter zuviel seien, sondern er hätte sie im Gegenteil für ausreichend und genau angemessen gehalten. Befinden sich nach dieser Exegese also zwei Schwerter in kirchlicher Gewalt, so wird diese Gewalt in der folgenden Funktionszuweisung ausgeübt. Während das geistliche Schwert von der Kirche direkt geführt wird, liegt die weltliche Macht in den Händen nichtklerikaler Funktionseliten, was aber an drei Bedingungen geknüpft ist. Einmal muß die weltliche Macht immer ausgeübt werden zugunsten der Kirche, dann führen Könige und Fürsten das Schwert nur genau dann, wenn die Kirche es will, und endlich ist die weltliche Macht der geistlichen unbedingt untergeordnet. Das somit auch das weltliche Schwert in der Gewalt der Kirche ist, begründet Bonifatius mit dem zweiten oben angesprochenen Schriftwort, das Jesus, wie das Johannesevangelium vermutet, an Petrus richtet: Stecke dein Schwert in die Scheide (Joh 18, 10).55 Vor diesem Hintergrund ist es bedeutsam, wenn Ballarmin die Lehre von den zwei Schwertern fallenläßt, um an ihrer statt der päpstlichen Gewalt nur noch eine indirekte Machtbefugnis im nichtgeistlichen Rechtsuniversum zuzubil­ li­gen.56 In der Zeit Bellarmins ist es nämlich durchaus noch natürlich, davon auszuge­hen, daß der päpstlichen Herrschaft königlicher Macht gegenüber ein Vor­rang eingeräumt werden muß. Das zeigen sowohl das Vorgehen Pius V. gegen Elisabeth I., die der Papst, nachdem sie die 39 Artikel verabschiedet und damit dem Katholizismus in England den Todesstoß versetzt hatte, 1570 durch die Bulle Regnans in Excelsis exkommunizierte und ihre Un­tertanen und die Adligen vom Treueeid entband, als auch der Versuch Sixtus V., durch Exkommunizierung Heinrich von Navarra auszuschließen von der Thronfolge. Es ist also ein bemerkenswertes Plädoyer für die Trennung von Kirche und Staat in zwei selb55  Ib.: »Wer nun bestreitet, daß das weltliche Schwert in der Gewalt des Petrus ist, achtet nicht genug auf das Wort des Herrn, der sagt: ›Stecke dein Schwert in die Scheide !‹ … Beide [Schwerter] sind also in der Gewalt der Kirche, nämlich das geistliche und das weltliche (spiritualis scilicet gladius et materialis). Dieses [Schwert] ist aber für die Kirche zu führen, jenes hingegen von der Kirche (sed is quidem pro ecclesia, ille vero ab ecclesia exercendus). Jenes gehört dem Priester, dieses liegt in der Hand der Könige und Ritter, aber nur wenn und solange der Priester es will. Es gehört sich aber, daß das eine Schwert dem anderen untergeordnet ist, daß also die weltliche Autorität der geistlichen untergeordnet ist«. Cf. zur ZweiSchwerter-Lehre Schliesky: Souveränität, 62ff; Llanque: Politische, 104ff; Scattola: Eine interkonfessionelle, 142 –151. Mit Blick auf die Zugangsreflexionen bei Bernhard von Clairvaux cf. Fuhrmann: Deutsche, 125 f. 56  Nach Bellarmins eigenem Zeugnis sind seine Disputationes wegen dieser These indiziert worden. Cf. Bellarmins Autobiographie (Döllinger / R eusch: Die Selbstbiographie, 62).

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ständig operierende Größen, wenn Bellarmin die auf Aristoteles zurückgehende Thomasische Lehre von der communitas perfecta anwendet auf den Staat und die Kirche als von­einander unabhängige und souverän existierende Gemeinwesen.57 Indem aber, und das ist der Grund, warum Mendelssohn in der Staatslehre des Kardinals eine erwähnenswerte Herausforderung erblickt, Bellarmin einerseits dem schon neu­zeitlichen Verständnis der Staatslehre gerecht wird, zugleich aber noch die mit­telalterliche Vorstellung eines päpstlichen Vorrangs der weltlichen Macht gegenüber beibehält, entwickelt er seine Lehre von der indirekten Ge­walt der Kirche über den Staat,58 von der Mendelssohn sagt: Nun widerstehe, wer da kann, dem Kardinal Bellarmin … Alles, was man den Trugschlüssen des Cardinals in sehr weitläufigen Werken entgegengesetzt hat, scheint nicht zum Ziel zu treffen, sobald der Staat die Sorge für die Ewigkeit ganz aus den Händen giebt (37).

Mendelssohn möchte durch seinen Rückgriff auf Bellarmin also, wenn er sich von den für die Aufklärungsphilosophie so einflußreichen Staats­theoretikern wie Hobbes und Locke abgrenzt, den Eindruck nicht auf­k ommen lassen, daß er durch die Hintertür eine Zuordnungsgewohnheit von Kirche und Staat wieder installiert wissen will, die zwar die strikte Tren­nung zwischen Staat und Kirche vor­aussetzt, aber zugleich noch mit einem Bein in der mittelalterlichen Theologie einer Wertüberordnung der papalisch orientierten Kirche über die Institution des Staates steht. Wenn aber der Staat jeg­lichen Ewigkeitsbezug aus seinen Rechtsvorstellungen entläßt, so wäre der von Bellarmin vertretene indirekte Überordnungsanspruch der Kirche unausweich­lich. Wir wollen im folgenden sehen, wie sich Mendelssohns eigene Theo­rie des Erziehungsstaates herausentwickelt aus seiner Kritik an Locke. 57  Die klassische Passage findet sich in der Politik des Aristoteles: »Die aus mehreren Dör­ fern sich bildende vollendete Gemeinschaft ist … der Staat, welcher … das Endziel völliger Selbstgenügsamkeit (autárkeia) erreicht hat, indem er zwar entsteht um des bloßen Lebens, aber besteht um des vollendeten Lebens willen. Drum, wenn schon jene ersten Gemeinschaften naturgemäße Bildungen sind, so gilt dies erst recht von jedem Staat, denn dieser ist Endziel (télos) von jenen … Auch ist das Ziel und der Endzweck das Beste, die Selbstgenügsamkeit ist aber der Endzweck und das Beste« (1252 b). Entsprechend heißt es bei Thomas in Summa Theologiae i – ii q 90 a 3: »Ad tertium dicendum, quod, sicut homo est pars domus, ita domus est pars civitatis; civitas autem est communitas perfecta, ut dicitur. Et ideo sicut bonum unius hominis nomen est ultimus finis, sed ad commune bonum ordinatur; ita etiam bonum unius domus ordinatur ad bonum unius civitatis, quae est communitas perfecta«. 58  Die zentrale Passage lautet bei Bellarmin: »Superest nunc, vt demonstremus, Papam directe nullius loci esse Dominum temporalem iure diuino … Id vero hac ratione manifeste probatur Christus, vt homo, dum in terris vixit, non accepit, nec voluit ullum temporale temporale dominium: summus autem Pontifex Christi vicarius est, & Christum nobis repraesentat; qualis erat dum hic inter homines viueret: igitur summus Pontifex, vt Christi vicarius, atque adeo vt summus Pontifex est, nullum habet temporale dominium« {Disputationes (De Romano Pont., Lib. v Cap. iv) 790}. Cf. hier Dietrich: Die Theologie, bes. 325 ff. Zum gesamten Zusammenhang cf. l. c. 325 – 350. Cf. auch Gosselin: Die Macht, 444 ff.

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d) Staat und Kirche Gegenüber der Lockeschen Position bringt Mendelssohn die These in Stellung, daß der Staat nicht eingeschränkt werden darf auf seine reine Schutzfunktion. Die von Locke eingeschärfte Unterscheidung zwischen Staat und Kirche muß nach Mendelssohn nicht darauf hinauslaufen, daß diese Sphä­rentrennung zur völligen Aufgabe einer Wechselwirkung führt. Mendels­sohns Jerusalemschrift läßt sich verstehen als der Versuch, einen Mittelweg zwischen den Positionen der Hobbes und Locke zu finden: Wie ist der Einfluß des Staates auf das seelische Wohler­gehen der Menschen so zu bestimmen, daß der Staat nicht zugleich zu einem dezisionistischen Willkürstaat entartet? Die Ausgangsthese, mit der sich Mendelssohn im Argumentationszusam­ menhang der Jerusalemschrift nach eigener Aussage von Lockes Kirchen- und Staatsverständnis abgrenzt, die aber zugleich unmittelbar hineinführt in sein ei­genes Programm, lautet: [I]m genauesten Verstande [ist es] weder der Wahr­heit gemäß, noch dem Besten der Menschen zuträglich, daß man das Zeitliche von dem Ewigen so scharf abscheide (37).

Das Problem ›Zeitlichkeit‹ ist also der Ausgangspunkt für die Exposition einer Staatstheorie. Die sich bei der Trennung zwischen Zeit und Ewigkeit ein­stel­ lende Schwierigkeit wird von Mendelssohn nach zwei Seiten problemati­siert. Ei­nerseits nämlich läßt sich diese Trennung nicht rational dingfest machen, da sich im Zeitlichen kein Moment angeben ließe, das nicht wiederum zeitlich wäre. Zeitliches aber kann sich nicht auf Ewiges hin übersteigen, ein Umstand, der der Glückseligkeit des Menschen nicht zu­träglich ist. Daß die Glückseligkeit des Menschen von der »Verwirrung der Begriffe« (37) hinsichtlich des Zeitlichen mit betroffen ist, liegt an den »prakti­sche[n] Folgen« (37) des Zeitverständnisses. Ausgehend von dieser Kennzeichnung bestimmt Mendelssohn das Ver­hältnis von Staat und Kirche so, daß Glückseligkeit und Vollkommenheit zu einem organisierenden Prinzip seiner Staatstheorie sich herausbilden. Die Kirche wird von Mendelssohn dabei nicht in einem konfessionellen Sinn verstanden, sondern sehr allgemein als »[o]effentliche Anstalt[] zur Bildung des Menschen, die sich auf Verhältnisse des Menschen zu Gott« bezieht (39). Kirche und Staat wirken nicht nur wechselseitig aufeinander, sondern beide nehmen ge­meinsam Einfluß auf die »Glückseligkeit des bürgerlichen Lebens« (38). Der Mensch im Zustand der Vergesellschaftung steht in einer dreifachen Pflichtbeziehung: Die Pflicht sich selbst gegenüber geht einher mit der Pflicht, die er in bezug auf Gott und seinen Nächsten hat. Nur in dieser dreifachen Relation kann man innerhalb der ganzen Menschheit das »gemeinsame[] Beste« (38) beför­dern, welches die schlechte Alter­native zwischen Zeitlichkeit und Ewigkeit unterläuft.59 Eine 59  J 38: »Ihr gemeinsames Bestes aber begreift das Gegenwärtige sowohl als das Zukünftige, das Geistliche sowohl als das Irdische, in sich«.

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

Beförderung der gemeinsamen Wohlfahrt ist nämlich nur dann zu ermöglichen, wenn ein Ewigkeitsbezug nicht ausgespielt wird gegen die zeitliche Glückselig­ keit. Denn die ewige Glückseligkeit würde eine nur leere Erwartung bleiben, wenn der Mensch nicht schon in der Endlichkeit darauf aus wäre, sich mit die­ ser Glückseligkeit in Verbindung zu bringen. Anders ist nämlich nicht zu den­ ken, daß es dieser konkrete und endliche Mensch ist, der dann auch der ewigen Glückseligkeit teilhaftig wird. Die Erwartung also des geschenkten Glücks im Unendlichen ist gebunden an jenes Glück, das schon in der End­lichkeit zu verwirklichen ist. Wäre die endliche Glückseligkeit gegen eine noch ganz an­ dere Glückseligkeit oder Ewigkeit in einen Gegensatz ge­bracht, zerbräche darüber auch das glückliche Selbstgefühl in der Lebensführung.60 Die Verwirklichung des Glücks ist gebunden an eine »Erfüllung unserer Pflich­ten« (38), die im tätigen Handeln und der Gesinnung be­stehen. Dabei bezieht sich der Handlungsaspekt auf den reinen Geschehenscha­rakter dessen, was durch den Menschen von dem durch die Pflicht Gebotenen verwirklicht wird. Doch, und das ist ein immer wiederkehrendes Motiv der po­litischen Theorie Mendelssohns, beschränkt er die Pflichterfüllung nicht auf den reinen Tatcharakter. Vielmehr ist es ein Aufbaumoment der Pflichterfüllung, daß diese aus »äch­ten Bewegungsgründen geschehe« (39). Dabei sind den Handlungen »Be­we­gungs­gründe« und den Gesinnungen »Wahrheitsgründe« zu­ge­ordnet (39). Ein Ge­meinwesen muß die Übereinstimmung und Kooperation beider Momente ge­währleisten. In einem nächsten Argumentationsschritt stellt Mendelssohn die Bedingung heraus, unter der Handlungen und Gesinnungen zum Gegenstand einer bürger­ lichen Verfassung werden können. Immer dann nämlich, wenn die Gesinnun­ gen und Handlungen der Menschen in der Form »gemeinnützig« sind, daß für diese Gemeinnützigkeit »Gründe« angegeben wer­den können, müssen sie auch Eingang in die bürgerliche Verfassung finden (39). Verhältnisse hingegen, die begründbar bezogen sind auf die Beziehung zwischen Gott und den Menschen, sind Gegenstand des Kirchenrechts. Im weiteren expliziert Mendelssohn noch näher den Staat und die Kirche hinsichtlich des beide Gemeinwesen kennzeichnenden Hauptmerkmals.61 Dabei stellt er auf die institutionelle Bildung des Men­schen ab, die Mendelssohn nach seinem geläufigen Schema differenziert in institutionelle Gebilde, die Verhältnisse zwischen den Menschen 60  Ib.: »Aber nun hütet euch auch, dieses Leben mit der Zukunft weiter in Gegensatz zu bringen, und die Menschen auf die Gedanken zu führen: ihre wahre Wohlfarth in diesem Leben sey nicht einerley mit ihrer ewigen Glückseligkeit in der Zukunft; ein anderes wäre es für ihr zeitliches, ein anderes für ihr ewiges Wohl sorgen, und es sey möglich, eines zu erhalten, und das andre zu vernachläßigen. Dem Blödsichtigen, der auf schmalem Steige wandeln soll, werden durch dergleichen Vorspiegelungen Standpunkt und Gesichtskreis verrückt, und er ist in Gefahr schwindlicht zu werden, und auf ebenem Wege zu stolpern«. 61  J 41: »Öffentliche Anstalten zur Bildung des Menschen, die sich auf Verhältnisse des Menschen zu Gott beziehen, nenne ich Kirche … zum Menschen Staat«.

2. Die Staatsphilosophie der Jerusalemschrift

257

(Staat) und solche, die das Verhältnis des Menschen zu Gott regeln. ›Bildung‹ ist somit die Kategorie, unter der sich Kirche und Staat zusammenfassen lassen nach ihrer essentiellen Bestimmung, wenn sie auch differieren hinsichtlich ihrer konkreten Wir­kungsbereiche. Das zeigt sich in der Definition, die Mendelssohn dem Bildungsbegriff gibt: »Unter Bildung des Menschen verstehe ich die Bemühung, beides, Gesinnungen und Handlungen so einzurichten, daß sie zur Glückseligkeit übereinstimmen; die Menschen erziehen und regieren« (39). Mendelssohns Rückgriff auf den Erziehungsstaat ist also von der Perspek­tive getragen, in allen Handlungen des Menschen eine Überein­stimmungsrelation mit seinen Gesinnungen herzustellen durch Erziehung und Regierung. Diese Übereinstimmungsrelation muß so eingerichtet sein, daß sie zur Glückseligkeit des Menschen beiträgt. Das Minimalkriterium gesellschaftlichen Zusammenlebens besteht darin, daß der Mensch seine Rechte zugunsten der Gemeinschaft einschränkt. Dieses Mini­ malkriterium aber bekommt seine eigenwillige Dynamik erst da­durch, daß diese Einschränkung des Eigeninteresses nicht ausschließlich nach ihrer staatspolitischen Notwendigkeit betrachtet wird, sondern auch nach den affek­tiven Momenten oder genauer danach, wie diese sich auf die Glückseligkeit auswirken. Die Einschränkung des Eigeninteresses bestehe in einer »Aufopferung« des »Nutzens« dem »Wohl­wollen« gegenüber (40). Nun ist diese Aufopferung des eigenen Nutzens ge­genüber dem Allgemeinen nur dann noch immer in eine positive Beziehung zur Glückseligkeit zu bringen, wenn der Mensch dieses Opfer mit seinem inneren Antrieb übereinstimmen macht. Ansonsten bleibt zwar die Erkenntnis, daß die Einschränkung des Eigeninteresses notwendig ist um der Allgemeinheit willen, aber diese Erkenntnis vermag nicht glücklich zu machen. »Wohlwollen macht im Grunde glücklicher, als Eigennutz, aber wir müssen uns selbst und die Aeußerung unserer Kräfte dabey empfinden« (40). Die Erfüllung der Pflicht ist also immer gebunden an ein positives Selbstgefühl, das dem Menschen anzeigt, mit sich selbst in Übereinstimmung zu sein, weil seine pflichtgemäße Handlung aus ei­genem »freie[n] Triebe des Wohlwollenden fließet« (40). Die Aufopferung des eigenen Nutzens um des Nutzens anderer willen läßt, so betrachtet, das Maß der Glückseligkeit des Menschen zunehmen. Indem Mendelssohn argumentiert, daß der Mensch bei wachsender Glückseligkeit zugleich seine »wahre Vollkommenheit« (41) vermehrt, schließt er an ein die Naturrechtslehre Wolffs prägendes Theorem an, der Vollkommenheit versteht als eine Übereinstimmungsbeziehung aller menschlichen Hand­ lungen.62 »Das Gesetz der Natur verbindet uns, uns vollkommener zu machen … folglich auch einen übereinstimmenden Gebrauch aller Kräffte bey den Hand­ 62 

Gw i 19 § 36: »[D]urch die Natur wird der Mensch verbunden, die Handlungen zu begehen, welche seine und seines Zustandes Vollkommenheit befördern«. Cf. Bachmann: Zur Wolffschen, 161ff. Eine Zusammenfassung der Wolffschen Naturrechtslehre bietet Hartung: Die Naturrechtsdebatte, 126 –148.

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

lungen zu erhalten«.63 Doch dieser Perfektibilitätsgedanke wird von Mendels­ sohn auf eine spezifische Weise wertphilosophisch modifiziert. Mendelssohn expliziert im folgenden den Zusammenhang zwischen Pflicht­erfüllung und Gesinnung, indem er deutlich zu machen vermag, warum die Gesinnung als das basale Aufbaumoment der Pflicht anzusprechen ist. Der Zu­sammenhang zwischen der Pflichterfüllung und einer diese Pflichterfüllung er­mög­lichenden Gesinnung wird durch ein Fühlen zum Aus­druck gebracht, von dem gezeigt wird, wie es sich aufbaut: Der Mensch fühlt seinen Werth, wenn er Mildthätigkeit ausübt; wenn er anschauend wahrnimmt, wie er durch seine Gabe die Noth seines Nebenmenschen erleichtert; wenn er giebt, weil er will. Giebt er aber, weil er muß; so fühlt er nur seine Fesseln (41).

Die sittliche Handlung wird innerhalb eines affektiven Bereichs angesiedelt, in dem der Mensch sich selbst als eines Wertes fühlt: Wenn der Mensch das sittlich Gute im Modus eines Wertfühlens (Max Scheler) wahrnimmt, um Gutes dann auch aus eigenem Antrieb zu tun, so vermag er sich darin am stärksten werthaft selbst zu fühlen. Sittlichkeit wird von Mendelssohn also in einen Bereich verlegt, der vor der Einsicht in die Universalisierungsnotwendigkeit sittlicher Handlungen liegt. Der Einsicht in die Notwendigkeit einer sittlichen Tat als einer Reflexion dar­auf, daß jeder andere in gleicher Weise handeln können muß (Immanuel Kant), gehen noch davon zu unterscheidende Motivationsmomente vorauf, die aus dem Ei­genwertgefühl des Handelnden und der Affinität dieses Gefühls zum Wert des sittlich Guten stammen. Sein Eigenwert wird dem Menschen offensichtlich immer dann fühlbar, wenn er im Zugleich mit diesem Gefühl die am anderen gewirkte Tat als lebensfördernd ›wahrnimmt‹. Die Beförderung der Glückselig­keit als einer auf die Vervollkommnung aller Lebensbereiche gehenden Tat läßt den Menschen in seiner Tat am anderen fühlen, daß der Wert des eigenen Le­bens immer zugleich in der Anerkennung jenes Wertes besteht, durch den der andere gekennzeichnet ist. Darum muß am anderen mildtätig gehandelt werden. Eine alternative Weise des Handelns liefe darauf hinaus, sich selbst in seinem Eigenwert nicht mehr fühlen zu können. Beziehen wir Mendelssohns Überlegungen abschließend noch einmal zurück auf die Ausgangsproblematik, durch eine angemessene Beschreibung des Zu­ordnungsverhältnisses von Kirche und Staat den Toleranzgedanken in Deutsch­land mit konkretem Blick auf die jüdische Religion voranzubringen ! Folgende Passage bringt das Konzept des Erziehungsstaats zusammenfassend auf den Punkt: Heil dem Staate, dem es gelinget, das Volk durch die Erziehung selbst zu regieren; das heißt, ihm solche Sitten und Gesinnungen einzuflößen, die von selbst zu gemeinnützigen Handlungen führen, und nicht immer durch den Sporn der Gesetze angetrieben zu werden brauchen (39f).

63 

L. c. § 52.

3. Mendelssohns Naturrechtslehre

259

Indem Men­delssohn in sich zwangfrei einstellender Sittlichkeit und Gesin­nung das Heil des Staates erblickt, kann er zugleich die Religion dem Staat als kooperierende und gleichsam unverzichtbare Instanz empfehlen. Wenn nämlich die »Haupt­bemühung« des Staates darin besteht, »die Menschen durch Sitten und Ge­sinnungen zu regieren«, bedeutet das im Blick auf das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, daß die Rolle der Religion innerhalb des Staates kaum überschätzt werden kann (41). Sitten und Gesinnungen sind nämlich adä­quat nur zu be­einflussen durch »Ueberzeugung« (41), und diese Über­zeugungen hervorzubringen, ist eine Domäne der Reli­gion. Mendelssohns scheinbar rückwärts gewandtes Modell des Erziehungsstaats, das einer Einebnung der strikten Unterscheidung von Recht und Moral, wie sie dann seit Kant bis auf den Tag üblich ist, vorzuarbeiten scheint, ist getragen von einer Reinstallierung der Moralität schon diesseits des Rechts am Ort eines wertfühlenden Gesinnungshandelns.

3. Mendelssohns Naturrechtslehre Mendelssohn setzt ein mit einem naturrechtlichen Exkurs, der zwar noch immer vom Generalthema der Unterscheidung zwischen Staat und Kirche an­ge­ trieben ist, aber sich nun speziell der Unterscheidung zwischen vollkomme­nen und unvollkommenen Rechten zuwendet. Wie ist es zu verstehen, daß der Staat im Gegensatz zur Kirche über Zwangs­rechte verfügt? Oder genauer: Vor welcher naturrechtlich zu reformulierenden Alternative ist diese Unterscheidung belastbar? 64 Mendelssohn nähert sich der Unterscheidung von vollkommenen und unvollkommenen Rechten über Zu­gangsdefinitionen, die das Recht, die Pflicht und die Gerechtigkeit umfassen. Dabei nimmt das Recht eine übergeordnete Position ein, indem Mendels­sohn es mit seinem staatsphilosophischen Schlüsselbegriff, der Glückseligkeit, verzahnt. Recht 65 ist verstanden als die »Befugniß« (43), etwas dem Streben so zu vermitteln, daß es vollständig durch die Glückseligkeit funktionalisiert ist, und die solchermaßen funktionalisierten Mittel nennt Mendelssohn »Güter« (44). Diese Befugnis zur Funktionalisierung wird auch gefaßt als ein »sittliche[s] Ver­mögen« (43). Mendelssohns hier in Anschlag gebrachter Begriff der Sittlichkeit ist näher bestimmt durch »Weisheit« und »Güte« (44). Das Recht des Men­schen wird also dadurch ermittelt, daß es sich nicht in einem Widerspruch zur Sittlichkeit oder zur Weisheit und 64  Grundlegend zu Mendelssohns Naturrechtslehre Altmann: Moses Mendelssohn über Naturrecht, Hamburg 1981. Altmann bietet hier eine vergleichende Übersicht über Naturrecht (53 – 71) und Naturzustand (71 – 84) bei Mendelssohn, indem er zugleich sorgfältig auf die Traditionen, die Mendelssohns Konzeption zugrunde liegen, eingeht. Eine Zusammenfassung der Entwicklung des katholischen Naturrechts findet sich bei Bruch: Ethik, 57 – 296. 65  J 46: »Die Befugnis (das sittliche Vermögen) sich eines Dinges als Mittels zu seiner Glückseligkeit zu bedienen, heißt ein Recht«.

260

E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

Güte befindet. In einem weiteren Definitionsschritt reichert Mendelssohn seine Begriffsbe­stimmungen mit einer modalen Operation an, um den Pflichtbegriff zu er­läutern. Pflicht ist die »sittliche Nothwendigkeit … etwas zu tun, oder zu unter­lassen« (44). Immer dann also, wenn Weisheit und Güte dem Subjekt eine Handlung dergestalt vorschreiben, daß diese Handlung geschehen »muß« (44), weil deren Gegenteil einen Widerspruch implizierte, ist von einer Pflicht zu sprechen. Einzelne Pflichten aber, das macht ihren Pflichtcharakter aus, stehen zueinander im Verhältnis schlechthinniger Widerspruchsunfähigkeit. Ist das Notwendigkeitsmoment der Pflicht also dadurch bedingt, daß das Gegenteil der als Pflicht zu bezeichnenden Handlung einen Widerspruch impliziert, so folgt zugleich, daß die einzelnen so bestimmten Pflichten nicht zueinander in ein wi­dersprüchliches Verhältnis treten können. Mit dieser Rekonstruktion des Pflichtbegriffes ist der Übergang geschaffen zu einer Unter­scheidung von vollkommenen und unvollkommenen Rechten. Das Gesetz der Gerechtigkeit hat folglich eine Grundfunktion für das Recht, das dann dem jeweiligen Rechtssubjekt zukommt in vollkommener und un­ vollkommener Gestalt. Vollkommen ist der Sachverhalt, ein Recht zu haben, dem Subjekt immer dann prädiziert, wenn keine Situation denkbar ist, in der diese Prädikation einer Einschränkung unterliegt. Alle folgenden Aus­führungen zum Naturrecht und der Unterscheidung von Staat und Kirche sind getragen von der Grundunterscheidung in vollkommene und unvollkom­mene Rechte, die Mendelssohn der Tradition entnimmt (Grotius, Pufendorf, Wolff), wobei er dann diese Unterscheidung auch immer wieder abwandelt. Das Gesetz der Gerechtigkeit, auf welches ein Recht sich gründet, ist entweder von der Beschaffenheit, daß alle Bedingungen, unter welchen das Prädikat dem Subjekte zukommt, dem Rechthabenden gegeben sind, oder nicht (44).

Mendelssohn differenziert die vollkommenen Rechte gütertheoretisch in Güter, die sich auf die »eigenen Fähig­keiten«, das, »was er [sc. der Mensch] durch diesselben hervorbringet«, beziehen, und »Güter der Natur, die er mit den Produkten seines Fleißes so verbunden, daß sie von denselben ohne Zerstörung nicht mehr getrennt werden können« (45). Der Umgang mit den Gütern wird bei Mendelssohn nach dem naturrecht­lichen und kontraktualistischen Zustand der Gesellschaft differenziert, wobei der Fokus dabei auf den unvollkommenen Rechten und Pflichten liegt. Am Umgang mit diesen ist nämlich die moralische Entwick­lungsstufe und Gesinnung des Menschen zu erkennen. Und so zeigt sich, daß Mendelssohns Glückstheorie auch innerhalb des Naturzustands die zentrale Position einnimmt. »Der Mensch kann ohne Wohlthun nicht glücklich seyn« (45), eine These, die sowohl den aktiven als auch passiven Bereich des menschlichen Weltverhältnisses betrifft. Und dieses Glücklichsein geschieht zur Vervollkommnung, die in der gegenseitigen Beförderung der Glückseligkeit besteht, wobei zugleich die Gegenseitigkeit des Aufeinander­angewiesenseins zum

3. Mendelssohns Naturrechtslehre

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Ausdruck kommt. Darum ist der Mensch verpflichtet, jene Güter, die nicht zu seiner Selbsterhaltung notwendig sind, der Allgemein­heit zu opfern.66 Wenn sich aber auch der Mensch in der Verpflichtung des Wohltuns für andere weiß, und wenn es sich bei diesem Wohltun immer zugleich um eine nur unvollkommene Pflicht handelt, so ist zu fragen, wem die finale Entscheidung zukommt darüber, ob der Mensch der unvollkommenen Pflicht nachkommen möge oder nicht.67 Mendelssohn legt darum dar, wie diese Frage für den Naturzustand zu be­ant­worten sei. Im Naturzustand ist es nämlich das Handlungssubjekt allein, dem eine Entscheidung über die Veräußerlichung seiner Güter zum allgemei­ nen Besten zukommt. Die entscheidende These zum Recht innerhalb des Na­ turzustands lautet: Im Stande der Natur sind alle positiven Pflichten der Men­schen gegeneinander blos unvollkom­ mene Pflichten; so wie ihre positiven Rechte aufeinander blos unvollkommene Rechte, keine Pflichten, die erpreßt werden können, keine Rechte, die Zwang erlauben (46f).

Daraus folgt dann, daß Mendelssohn für den Naturzustand nur das ›neminem laede‹, das ius strictum also, als ein vollkommenes Recht, eine vollkommene Pflicht ansieht. Alle sich im Naturzustand einstellenden positiven Rechte und Pflich­­ten interpretiert Mendelssohn als defiziente Modi des ›neminem laede‹, weil es im vorkontrak­tuellen Zustand des menschlichen Zusammenlebens weder ein Recht auf das Wohltun des anderen gibt noch eine Pflicht dazu, der bittenden Forderung des anderen zu entsprechen.68 Es scheint in der natürlichen Lo­gik des von Mendelssohn entfalteten Gedan­kenganges zu liegen, daß sich die rechtlichen Verhältnisse zwischen den Men­schen anders darstellen, wenn der Na­turstand verlassen wird. Das trifft auch zu, aber es liegt in der Va­r­iation, die Mendelssohn an der traditionellen Lehre von den vollkommenen und unvollkommen Rech­ten vornimmt, daß er auch noch in den Naturzu­stand eine weitere Differen­zierung einträgt, die wiederum zusammenhängt mit der Glückseligkeitslehre. Wir zitieren die entscheidende Passage im Zusammenhang: Alle seine [sc. des Menschen] Nebenmenschen haben blos auf seinen Ueberfluß ein unvollkommenes Recht, ein Recht zu bitten, und er, der unumschränkte Herr trägt die Gewissenspflicht, einen Theil seiner Güter dem Wohlwollen zu widmen; ja bisweilen ist er verbunden, seinen Ei­ gengebrauch so­gar dem Wohlwollen aufzuopfern; in so weit die Ausübung des Wohlwollens 66  »Wenn also der Mensch Güter besitzet, oder Mittel zur Glückseligkeit in seinem Vermö­ gen hat, die … nicht notwendig zu seinem Dasein erforderlich sind … so ist er verpflichtet, solche … zum Besten seines Nebenmenschen … anzuwenden« ( J 47 f  ). 67  »[S]o kömmt es auf die Auswahl und nähere Bestimmung an, wieviel von dem Mei­ni­ gen ich zum Wohlwollen bestimmen soll ? Gegen wen ? zu welcher Zeit, und unter welchen Um­ständen ?« ( J 48). 68  »Auch die Entschädigungspflicht macht also keine Ausnahme von der Regel, daß der Mensch im Stande der Natur unabhängig, d. h. niemandem positive verpflichtet sei. Niemand hat ein Zwangsrecht mir vorzuschreiben, wie viel ich von meinen Kräften zum Besten anderer anwenden, und wem ich die Wohltat davon angedeien lassen soll« ( J 49).

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

glücklicher macht, als Eigennutz. Nur muß diese Aufopferung eigenes Willens und aus freiem Triebe geschehen (51, Hhgn. z. T. v. Vf.).

Der Gedankengang betont noch einmal, daß jene Güter also, die nicht notwen­ dig der Selbsterhaltung dienen, zwar durchaus dazu an­getan sind, der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt zu werden, die Allge­meinheit aber keinen sanktionierbaren Anspruch darauf hat. Das kommt darin zum Ausdruck, daß der Mensch in uneinschränkbarer Autonomie im Bereich der unvollkommenen Pflich­ten zu handeln vermag. Die Rechtsdi­mension scheint also vollständig hineingezogen in die unhinterfragbare Selbst­verantwortung des Menschen. Doch modifiziert Mendelssohn diese unvoll­kommene Pflicht, indem er das Gewissen in diesem Zusammenhang noch ein­mal als basale Instanz verstärkt. Unter der Perspektive, daß aus der unvollkommenen eine das Gewis­sen betreffende Pflicht wird, ist man ›ver­bunden‹, der in sich unvollkommenen Pflicht nachzukommen, dies aber nur insofern, als die universale Perspektive der Rechtstheorie durch das Glück beschrieben ist. Das Glücksstreben wird also ein weiteres mal als jener Modus ausge­wiesen, in dem der Mensch in gelungener Selbstübereinstimmung sich befindet, Übereinstimmung darum, weil im Zustand des Glücks kein neuer Zustand mehr denkbar ist, den zu erstreben ein Moti­vationsgrund vorliegt. Das aber bedeutet, daß Mendelssohn am Ort des Glücks die nur unvollkommene Pflicht als eine Selbstverpflichtung deutet, die zu erfüllen das Subjekt in einen Zustand versetzt, der nichts mehr erstrebt. Das Bedürfnis, in solchen Zustand zu treten, ist bedeutungsgleich mit einer positiven Pflicht. Mendelssohns Abwandlung der traditionellen Lehre von den vollkommenen und unvollkommenen Pflichten liegt darin, daß er positive Verbindlichkeiten schon im vorkontraktuellen Zustand ansiedelt, in­dem die Glückskategorie auch im Bereich des Rechts installiert wird. Dem Glücksstreben des Menschen kommt also ein solcher Verläßlichkeitsstatus zu, daß das ›Glück selbst‹ eine Deduktionsleistung hinsichtlich positiven Rechts zu vollbringen vermag. Sicherheit aber darüber, wann der Zustand einer solchen positiven Verbindlichkeit eingetreten ist, läßt sich nur im Gewissen erlangen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Vertragsrecht ist gegangen, wenn Mendelssohn jetzt eine kurze Darstellung des Obligationsrechts gibt. Ein Gut wird zu einem Gut des anderen genau dann, wenn der Besitzende durch ein »Zeichen der hinlänglichen Willenserklärung« (52) deutlich gemacht hat, daß er das Gut dem anderen übertragen möchte.69 Ist dies geschehen, so ist das Gut an den anderen in der Weise übergegangen, daß der vormalig dieses Gut Besit­zende es nun demjenigen schuldet, dem er es übertragen hat.70 Der Augenblick, mit dem 69 Die

Obligationslehre von Pufendorf bis auf Wolff und die Wolff-Schule ist umfassend auf­gearbeitet bei Hartung: Die Naturrechtsdebatte, 30 – 166. 70  »Was ich … zu dem Meinigen gemacht, wird durch abtreten zum Gut eines Andern, das ich … nicht wieder nehmen kann, ohne … Ungerechtigkeit« (J 55).

3. Mendelssohns Naturrechtslehre

263

der Mensch aus dem Naturzustand heraustritt, ist genau dadurch be­zeichnet, daß der andere, dem das Gut durch eine Zeichenhandlung übergeben wird, in diese Übergabe ebenfalls durch eine Zeichenhandlung einwilligt.71 Mendelssohn bezieht diesen durch Obligation bezeichneten Ursprungs­akt der Gründung eines Gemeinwesens noch einmal zurück auf den Unter­schied zwischen Staat und Kirche, indem er darauf abhebt, daß es keinen grundlegenden kategorialen Unterschied zwischen den Pflichten gegen Gott und den Pflichten gegen den Menschen gibt.72 Das liegt darin begründet, daß der Pflichtenlehre noch einmal das Liebesgebot voran­gestellt ist, in dem aus der Liebe zu Gott die Liebe – Mendelssohn nennt sie »vernünftige[]« (57) Liebe – als der intimste Ausdruck menschlichen Sich-Füh­lens abgeleitet wird. Im Modus der Anerkennung des Anderen als eines ihm Gleichen vollendet der Mensch die Liebe im Modus des Selbstgefühls als Liebe zu seinem »Nebenmenschen« (57).73 Diese Gedankenfigur wird noch durch eine weitere gestützt, die das gesamte Naturgeschehen als ein durch den göttlichen Willen hervorgebrachtes versteht, woraus dann folgt, daß die in diesem Naturgeschehen erkannten Pflichten widerspruchsfrei mit den Pflichten gegenüber Gott nicht in einen Konflikt geraten können. Der Gottes­begriff fügt also dem Recht keine neue Verbindlichkeitsdimension hinzu, son­dern gibt ihm nur eine »erhabenere Sanction« (57). Damit schließt sich ein Kreis: Hat Mendelssohn durch seinen Rückgriff auf die erzieherische und gewissensstärkende Funktion des Staates diesem Staat eine Beschreibung gegeben, die zugleich einsehbar werden läßt, daß der Religion gerade hier eine unverzichtbare Rolle zuwachsen muß, so hat er nun gezeigt, daß die Religion genau dann, wenn Recht und Sittlichkeit in einen Gleich­klang gebracht werden, nur die erhabenere Wiederholung politischer Tugend ist. Inter­essant bleibt freilich, daß Mendelssohns Argumentation, die davon ausging, eine starke Differenz zwischen Kirche und Staat herauszustellen,74 im folgenden beide Sphären sehr eng zusammenrücken läßt unter dem Gesichtspunkt der Gesin­nung. Unter der Gesinnungsperspektive treten Staat und Kirche darum zusammen, 71  »Durch Verabredungen dieser Art verläßt der Mensch den Stand der Natur und tritt in den Stand der gesellschaftlichen Verbindung; und seine eigene Natur treibet ihn an, Ver­bin­ dungen mancherlei Art einzugehen, um seine schwankenden Rechte und Pflichten in etwas Be­stimm­tes zu verwandeln« ( J 57). 72  »Im Grunde machen in dem Sy­stem der menschlichen Pflichten, die gegen Gott keine besondere Abtheilung; sondern alle Pflichten … sind Obliegenheiten gegen Gott« (J 57). 73  »Wir sollen aus Liebe zu Gott, uns selbst vernünftig lieben, seine Geschöpfe lieben; so wie wir aus vernünftiger Liebe zu uns selbst verbunden sind, unsere Nebenmenschen zu lie­ben« ( J 59f    ). Die in diesem Zitat deutlich zum Ausdruck kommende Assonanz an den Spino­zanischen Amor Dei intellectualis ist ein Textbeleg für die Spinozanische Ten­denz der Jerusalemschrift, wie sie durch Goldenbaum: Mendelssohns, 291 – 299, dargelegt wurde. 74  Der Begriff ›Kirche‹, darauf weist Schorch: Moses, 235 Anm. 85, hin, steht bei Mendels­ sohn für Institutionalität religiöser Natur.

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

weil sie sich hier beide einem Raum gegenübersehen, in den sie nicht verpflichtend einzudringen vermögen. Weder Staat noch Kirche sind in Religionssachen befugte Richter; denn die Glieder der Gesellschaft haben ihnen durch keinen Vertrag dieses Recht einräumen können« (61).

Und hier verlagert Mendelssohn sein Ausgangsproblem der Toleranz des Staates gegenüber seiner Religion auf die prinzipielle Ebene der rechtlich und kontraktuell nicht einholbaren Entzogenheit von Religion überhaupt, die ausschließlich im Bereich der Gesinnung ihr verborgenes Leben führt. Diesen Sachverhalt führt er unter Anschluß an seine Religionstheorie aus dem Erbprinzen- und Lavater­brief – der Apologie des Nichtapologetischen – aus. Wir erinnern uns der These Mendelssohns gegenüber Lavater, daß nämlich Religion sich in einem seelischen Innenraum einstellt, der sich gegen ein diskursives Rechtfertigungsgebaren stemmt. Indem er das Thema des Religionseides aufnimmt, der grundsätzlich abzulehnen sei, überträgt Mendelssohn das Problem aus dem Bereich des Privaten in das Verhältnis zwischen Staat und Staatsbürger. Wie früher gegenüber Lavater geltend gemacht wurde, so heißt es nun gegenüber dem Staat: »[W]as hat der Staat für ein Recht in das Innerste des Menschen so zu wühlen, und sie zu Geständnissen zu zwingen« (62). Anhand des von Mendelssohn abgelehnten Religionseides entwickelt er eine Theorie des religiösen Bezeichnens schlechthin.75

4. Religion und der Andere Wir hatten gesehen, daß Mendelssohn im ersten Teil seiner Jerusalemschrift das Religionsthema entfaltet anhand einer allgemeinen Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche, von Gesellschaft und Religion. Diese Verhältnisbe­stim­ mung, der Mendelssohn auch seine Naturrechtslehre eingeschrieben hat, wurde von einem allgemeinen Vernunftprinzip gesteuert, denn es galt zu zei­gen, daß die längst fällige Toleranz gegenüber der jüdischen Religion eine For­derung ist, der nicht zuletzt darum nachzukommen war, weil der ethische Mo­notheismus nachgerade als Platzhalter aufgeklärter Vernunft anzusprechen sei. Das hat auf die Pointe geführt, daß die Religion nur die erhabenere Wieder­ho­lung der politischen Tugend sei. Damit aber haben die das jüdische Glaubensle­ben wesenhaft kennzeichnenden Aufbaumomente noch gar nicht in den Blick kom­men können. Und es wird die Aufgabe des zweiten Teils der Jerusa­lem­schrift sein, 75  Ein Jahr nach dem Erscheinen der Jerusalemschrift faßt Mendelssohn seine Über­ le­ gungen aus Jerusalem in einem Artikel der Berlinischen Monatsschrift zusammen: »Der Inhalt meiner Schrift, ersten Abschnitts, gehet völlig dahin, zu beweisen, daß in Absicht auf Glauben und Nichtglauben … keine Beeidigung schlechterdings statt finde; daß die Freiheit zu denken, und das Recht, seine Meinungen zu ändern, auf keine Weise veräußert und einem andern übertragen werden könne« (Ueber die 39 Artikel, 36).

4. Religion und der Andere

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die spezifische Differenz des Judentums herauszubringen. Dabei ist es bemerkenswert, daß Mendelssohn seiner Darstellung des Wesens der jüdischen Religion eine Theorie des ›Bezeichnens schlechthin‹ vorschaltet. Allerdings hat gerade diese Zeichentheorie unterschiedliche Beurteilungen durch die Forschung erfahren. Einer der wohl besten Kenner Mendelssohnscher Texte, Alexander Altmann, kann in Mendelssohns Zeichentheorie keinen plausiblen Zusammenhang mit den religionstheoretischen Themen der Jerusalemschrift erblicken.76 Amos Funkenstein dagegen sieht in der Schrifttheorie Mendelssohns »den originellsten und fruchtbarsten Teil« der Schrift,77 und Arnold Eisen78 liest Mendelssohns Semiotik ritualtheoretisch und bringt sie in einen Vergleich mit den religionsethnologischen Untersuchungen über Reinheit und Unreinheit von Mary Douglas (Purity), den Überlegungen zur symbolischen und rituellen Einstimmung auf Weltvertrautheit im Angesicht des Ungewissen bei Victor Turner79 und den stark semiotisch und deutungsinteressiert orientierten Feldforschungen von Clifford Geertz.80 So sehr wir davon überzeugt sind, daß Alexander Altmann die Bedeutung der Mendelssohnschen Zeichentheorie unterschätzt, was sicherlich nicht zum geringsten damit zusammenhängt, daß seine groß angelegte Biographie nahezu alle Theorieperspektiven Mendelssohns weniger rekonstruktiv als in einer paraphrasierenden Kommentierung erschließt, so wenig scheint uns die perspektivenreichere Gleichschaltung der Mendelssohnschen Zeichentheorie mit den ethnosemiothischen Entwürfen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die interpretative Schwäche Altmanns wirklich zu kompensieren. Daß Mendelssohns Zeichentheorie nicht durchgängig originell ist, sondern unmittelbar auf die Theoriestränge der Aufklärungssemiotik Bezug nimmt, liegt auf der Hand. In einer sorgfältigen und nahezu alle relevanten Belege zusammentragenden Studie hat Daniel Krochmalnik diese begriffsgeschichtliche Kontextualisierung Mendelssohns geleistet.81 Unsere Überlegungen suchen nun, eine möglichst 76 

Altmann: Moses Mendelssohn. A Biographical Study, 545f: »Mendelssohn … tried to show ... how first from misunderstanding and later through abuse and priestly fraud the signs and symbols, especially those of hieroglyphic script, gave rise to mythological beliefs and, eventually, to various idolatrous practices … It cannot be said that he made a very plausible case for the idea that abuses of script led to idolatry«. 77  Funkenstein: Die Schwelle, 160. 78  Divine Legislation, 264 f: »Mendelssohn, however, stood in a second tradition – the ›secular‹ or philosophical investigation of ritual and religion – and here too his heirs in that tradition, now found in the disciplines of the social sciences, can be seen to walk the path which he discerned … [T]hree lines of inquiry [sc. Mary Douglas, Victor Turner u. Clifford Geertz] … seem to me particularly useful and particularly relevant to the reading of Jerusalem«. 79  Eisen: Divine, 265 Anm. 72, verweist auf Turner: Process. Cf. aber auch: ders.: The Forest; The Ritual; Dramas. 80  The Interpretation. 81  Das Zeremoniell.

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

textnahe Rekonstruktion des Mendelssohnschen Gedankenganges zu erarbeiten. Dabei sehen wir besonders zu, wie Mendelssohn das zeichentheoretische Lehrstück mit seinen Ausführungen zu den Besonderheiten der jüdischen Religion verbindet und welche Funktion dabei den Zeichen für den Aufbau von Religion zukommt. Mendelssohn läßt Kirche und Staat, um deren Differenz es ihm im ersten Teil der Jerusalemschrift ging, unter einer vereinheitlichenden Perspektive zusammenrücken: der Gesinnung. »In Absicht auf Gesinnungen treten« Staat und Kirche »näher zu­sammen; denn hier hat der Staat keine andere Wirkungsmittel, als die Kirche«.82 Unter der Gesinnungsperspektive also finden Staat und Kirche darum zusammen, weil sie sich hier beide einem Raum gegenübersehen, in den sie nicht verpflichtend einzudringen vermögen. Und selbst dann, wenn sie mit einer Verpflichtung dennoch in den Bereich der Gewissensentscheidun­gen ein­drängen, wären diese Verpflichtungen keinesfalls sanktionierbar. Damit verlagert sich das Problem der Toleranz des Staates gegenüber der jüdischen Religion auf die rechtlich und kontraktuell nicht einholba­re Entzogenheit von Religion überhaupt, die ausschließlich im Bereich der Gesin­nung lebt. So gelingt es Men­delssohn, seinen persönlichen Abscheu davor, die eigene Frömmig­keit in einem Coram-publico-Diskurs zu verteidigen, zu verbinden mit dem Toleranzthema. Toleranz ge­genüber anderen Religionen ist schon da­ rum eine unhintergehbare Selbstver­ständlichkeit, weil sich religiöse Gesinnungen dem wertenden Urteil der Vernunft entziehen.83 Doch läßt es Mendelssohn nicht bei dieser Feststellung be­wenden, sondern er zieht diese These weiter aus zu einer Theorie des Be­zeich­nens. Eingeleitet wird diese Theorie durch die Frage nach der Legitimität des Religionseides.84 In Deutschland spielte der Religions82 

J 59. Die in den Text gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf J. Kant: Brief an Mendelssohn vom 16. August 1783, Aa x 347, hat diese Tendenz der Mendelssohnschen Schrift gesehen und zugleich gespürt, daß hier eine überraschende Vertei­ digung des jüdischen Glaubens vorliegt, wenn er schreibt: »Ich halte dieses Buch vor die Ver­ kündigung einer großen … Reform … Sie haben Ihre Religion mit einem solchen Grade von Gewissensfreyheit zu vereinigen gewußt, … dergleichen sich keine andere rühmen kan. Sie haben zugleich die Nothwendigkeit einer unbeschränkten Gewissensfreyheit zu jeder Religion … gründlich … vorgetragen, … welches endlich die Menschen in Ansehung der wesentlichen Religionspuncte vereinigen muß; denn alle das Gewissen belästigende Religionssätze kommen uns von der Geschichte, wenn man den Glauben an deren Warheit zur Bedingung der Seeligkeit macht«. 84  Die Theorie des Religionseids findet sich beschrieben bei Stäudlin: Ge­schichte, 105 – 112. Zu Mendelssohns Kritik am Religionseid cf.  l. c. 151 ff. Twellmann: Von der Beratung, 521, weist darauf hin, daß der Glaubenseid eine Beschwörung dessen, was der Staat immer nur voraussetzen kann, bedeuten würde. »Er [sc. Staat] könnte sich der Voraussetzung des Schwörens, die er selbst nicht schaffen kann, nur versichern, indem er den Schwörenden seinen Glauben beschwören läßt, müßte sich also auf Schwüre schon verlassen, um ihre Zuverlässigkeit sicherzustellen. Mit dem Religionseid wird also … jener Eid in Frage gestellt, an dem die Aporie des Schwörens überhaupt offenbar wird«. 83 

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eid eine Rolle, weil Lehrer und Geistliche in vielen lutherischen Staaten den Eid auf das Konkor­dien­buch (1580) abzulegen hatten. Ähnlich war die Situation in England, wo die Ordination von Geistlichen die Beeidigung der 39 Artikel, die 1563 eine Mehr­heit im Unterhaus erfahren hatten, um dann 1571 von Elisabeth I. ver­bindlich eingeführt zu werden, vorsah.85 Wir besitzen ein Zeugnis von Men­ delssohn, in dem er ein Jahr nach dem Erscheinen der Jerusalemschrift seine dort vertretene Eid-Theorie wie folgt charakterisiert: Der Inhalt meiner Schrift, ersten Ab­schnitts, gehet völlig dahin, zu beweisen, daß in Absicht auf Glauben und Nicht­glauben, keine Verbindlichkeit, kein Kontrakt, und folglich keine Beeidigung schlechterdings statt finde; daß die Freiheit zu denken, und das Recht, seine Meinungen zu ändern, auf keine Weise veräußert und einem an­dern übertragen werden könne.86

Indem Mendelssohn das Thema des Religionseides aufnimmt, wird das Problem der Diskursivität religiöser Überzeugungen vom Be­reich des Privaten in das Verhältnis zwischen Staat und Staatsbürger übertragen. Und wieder heißt es, daß der Staat keinerlei Recht habe, ins »Innerste des Menschen … zu wühlen« (65) – eine Ausdrucksweise, die auch hier wieder anzeigt, in welch hohem Maße das Innenleben als Ort der Hochachtung vor dem Heiligen eine Verbergungs­ ten­denz aufweist, so daß hier ein außenperspektivisches Eindringen stets als schmerzvoll empfunden werden muß. Der Religionseid stellt aber für Mendelssohn nur den Anlaß dar, seine Theorie noch einmal zeichentheoretisch zu vertiefen. Diese Über­legun­gen am Ende des ersten Teils der Jerusalemschrift können als Prole­gomena des zweiten Teils gelesen werden, jenes Teils also, der sich der Bestimmung des Eigentlichen der jüdi­schen Religion widmet. a) Toleranz als Zeichentheorie Präludiert wird die Zeichentheorie87 durch die Anwendung der traditionsbeladenen Unterscheidung von äuße­rem und innerem Sinn auf das Problem einer geforderten Beeidigung von religiösen Überzeugungen. Es »dünkt mich … daß man die Men­schen nur über Dinge beschwören müsse, die in die äusseren Sinne fal­len; da­von sie mit der Ueberzeugung, welche die Evidenz der äusseren Sinne mit sich führet, die Wahrheit behaupten und aussagen können: ich habe gehört, gesehen, gesprochen, empfangen, gegeben, oder nicht gehört u. s. w. Man bringet aber ihr Gewissen auf eine grausame Folter, wenn man sie über Dinge befragt, die blos für den innern Sinn gehören« (64).

85 

Cf. hierzu Thönissen: 64. Arbeitstagung, 76 ff. die 39 Artikel der englischen Kirche und deren Beschwörung, in: Berlinische Mo­nats­schrift, Berlin 1784, 24 – 41, 36. 87  Schorch: Moses, 12, hat angemerkt, daß es Rawidowicz war, der schon vor Funken­ stein: Die Schwelle, 155 – 165, bes. 160ff und Hilfrich: Lebendige, auf die Bedeutung der Zeichentheorie hingewiesen hat. Mufti: Enlightenment, 56 ff, hat dann besonders den Zusam­ men­hang von Zeichen und Emanzipation betont. 86  Ueber

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

Die damit angesprochene Lehre von den Wahrnehmungen des Menschen durch die inneren und äußeren Sinne oder die Unterscheidung von innerem und äußerem Sinn ist – nach einem Vorspiel bei den Vorsokratikern – durch Platon und dann besonders Aristoteles geprägt worden.88 Klassisch wurde die Sokratische Einrede gegen eine durch Theaitetos vorgenommene Gleichsetzung von Erkenntnis und Wahrnehmung. Die äußeren Sinne sind Werkzeuge, durch die das Subjekt eine Erkenntnis vollzieht, aber so, daß die Sinne in diesem Erkenntnisvollzug nicht – wie noch bei den Vorsokratikern – autonome Erkenntnismittel sind, sondern durch das stets bei sich bleibende Selbst des Erkenntnissubjektes ausgerichtet werden.89 Bei Aristoteles dann ist das durch die äußeren Sinne Wahrgenommene streng unterschieden von der Erkenntnis als eines seelischen Vermögens. Während nämlich das Wahrnehmen auf Wahrnehmbares festgenadelt ist, so daß die Wahrnehmung nicht allein in die Initiative des Wahrnehmungssubjekts fällt, vollzieht dieses Subjekt die Erkenntnis als eine auf das Allgemeine gehende Operation selbsttätig.90 Wir übergehen hier die Modifikationen der Lehre von den fünf Sinnen innerhalb der Stoa, die auf eine efferenztheore88  Eine gute Zusammenfassung der Lehre von den Sinneswahrnehmungen bei den Vorso­ kratikern und in der indischen und chinesischen Philosophie findet sich bei Scheerer: [Art.] Sinne, 824 – 830. Zur vorsokratischen Wahrnehmungslehre cf. Rapp: Vorsokratiker, 170 ff. 89  Theait 184 c f, Sd 4  /  Po 1: »Denn bedenke: Welche Antwort ist richtiger: ›Womit (ᾧ) wir sehen, das seien die Augen‹ oder ›wodurch (δι’ οὗ) wir sehen‹ … ›Wodurch‹ ist für alle Wahrnehmungen, wie mir scheint, zutreffender als ›Womit‹. Es wäre doch auch schlimm … wenn, wie im hölzernen Pferde, viele Wahrnehmungen sich befänden, ohne sich insge­ samt in eine Form der Auffassung (εἰς μίαν τινὰ ἰδέαν) zusammenzufügen, mag man es nun Seele nennen oder wie sonst, mit der wir vermittelst jener, gewissermaßen als ihre Werkzeuge, alles Wahrnehmbare wahrnehmen  (διὰ τούτων οἷον ὀργάνων αἰσθανόμεθα ὅσα αἰσθητά)«. Unsere Wahrnehmungen geschehen also durch ein unserm Selbst unmittelbar zugehöriges Wahrnehmungsmoment (τινι ἡμῶν αὐτῶν τῷ αὐτῷ). Eine im Stil ambitionierter Sonntagspredigt gehaltene Auslegung des Theaitet findet sich bei Heidegger: Vom Wesen, 149 –157, der das Problem der Episteme auf die Frage zuspitzt, »wie der Mensch selbst in seinem Grundverhalten, dem Sich-auskennen in den Dingen, sich selbst nehmen will und soll, wie es um ihn in dieser Hinsicht bestellt sein will und muß, wenn er ein Wissender sein soll« (156). Cf. auch die auf das Selbst des Erkenntnissubjekts abstellende Auslegung bei Gadamer: Vorgestalten, 123. Weniger auf das Selbst des Wahrnehmungssubjekts als vielmehr auf die »begriffliche Einheit« des Wahrnehmungsmoments hebt die klassische Auslegung Natorps: Platos, 70, ab. Cf. auch Apelt: Wahrheit, 37 f. Zum Kontext der von uns zitierten Passage cf. Hardy: Platons, 135 – 142. 90  Aristoteles: Über die Seele, 417 b: »Es besteht aber ein Unterschied , weil von der ersteren das, was (ihre) wirkliche Tätig­ keit bewirkt, außerhalb liegt, nämlich das Sichtbare und Hörbare, und ebenso die übrigen wahr­nehmbaren Objekte. Der Grund davon ist der, daß die wirkliche Wahrnehmung auf das Einzelne geht, die Wissenschaft dagegen auf das Allgemeine (αἴτιον δ’ ὅτι τῶν καθ’ ἕκαστον ἡ κατ’ ἐνέργειαν αἴσθησις, ἡ δ’ ἐπιστήμη τῶν καθόλου). Dieses aber ist in gewisser Weise in der Seele. Daher liegt das vernünftige Erfassen beim Subjekt selbst, während das Wahrnehmen nicht bei ihm liegt; denn es ist notwendig, daß das Wahrnehmbare vorliegt (διὸ νοῆσαι μὲν ἐπ’

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tische Beschreibung der Sinnlichkeit umstellt,91 die aszendente Epistemologie des Augustinus, der zufolge der innere Sinn die Außenwahrnehmungen ordnend bewacht,92 um sie im Gang durch die Selbstvergewisserungen des Geistes für die Schau des Seienden zu bereiten,93 und die Verknüpfung von menschlicher Sündenanfälligkeit und äußerem Sinn94 in einer fenestrinen Hamartiologie bei Origenes, die noch im Hochmittelalter unverändert bestehen bleiben sollte.95 In unmittelbarem Hintergrund des Mendelssohnschen Sprachgebrauchs wird man John Locke und Gottfried Wilhelm Leibniz vermuten dürfen. Locke macht einen scharfen Sphärenschnitt zwischen sinnlicher Wahrnehmung des Fremden und Selbstwahrnehmung. Dabei ist der äußere Sinn dadurch gekennzeichnet, daß das Wahrnehmungssubjekt ein ihm sinnlich vermitteltes Anderes vorstellt, wobei die Vermittlung nach dem Modus der Erregungsintensität statthat.96 Die vorstellende Tätigkeit der Seele ist dabei den αὐτῷ, ὁπόταν βούληται, αἰσθάνεσθαι δ’ οὐκ ἐπ’ αὐτῷ· ἀναγκαῖον γὰρ ὑπάρχειν τὸ αἰσθητόν)«. Cf. zu dieser Passage Figal: Gegenständlichkeit, 383 ff. u. G. Seel: Die Aristotelische, 435f. 91 Cf. Pohlenz: Die Stoa, 54 – 63. 92 Confessiones i 20 (Hofmann, A. [Übers.] / Confessiones): »Denn auch damals lebte ich und existierte und empfand und trug Sorge für die Unversehrtheit meines Herzens, des Nach­­bildes der geheimnisvollen Einheit (vestigium secretissimae unitatis), die mich geschaffen. Mein inneres Empfinden wachte über die Gesundheit meiner Sinne (custodiebam interiore sensu integritatem sensuum meorum), und selbst bei geringfügigen Ursachen und beim Nach­denken über Unbedeutendes hatte ich meine Freude an der Wahrheit«. 93  L. c. vii 17: »Und so erhob Ich mich stufenweise von der Körperwelt zu der vermittelst des Körpers empfindenden Seele (ad sentientem per corpus animam) und von da zu ihrem inneren Vermögen, dem die Sinne des Körpers die äusseren Wahrnehmungen mitteilen (ad eius interiorem vim, cui sensus corporis exteriora nuntiaret), von hier wieder – so weit reicht auch die Fähigkeit der Tiere – zu vernünftiger Denkkraft (ad ratiocinantem potentiam), deren Urteil alles unterworfen ist, was die Sinne des Körpers in sich aufnehmen (ad quam refertur iudicandum, quod sumitur a sensibus corporis). Da aber auch diese sich in mir selbst als veränderlich erkannte, so erhob sie sich zur Erkenntnis ihrer selbst (ad intellegentiam suam), lenkte ihre Gedanken ab von der Gewohnheit, entzog sich dem Schwarm widerspruchsvoller Trugbilder, um das Licht zu finden, welches uns bestrahle, wenn wir mit voller Gewissheit behaupten, das Unveränderliche sei dem Veränderlichen vorzuziehen, woher wir also das Unveränderliche selbst kannten – denn kennten wir es nicht irgendwie, so könnten wir es auf keine Weise dem Veränderlichen vorziehen –, und gelangte so in einem Momente angstvollen Aufblickes zu dem, was da ist (et pervenit ad id, quod est in ictu trepidantis aspectus)«. 94  Origenes: Werke, Comm. in Cant. 2, 9. 95  Dies zeigt eine Passage des Heiligen Bernhard: Seelenblicke, 159 (Hhg. v. Vf.): »Hilf mir, o Herr, mein Gott ! denn Feinde haben meine Seele umgeben: der Körper nähmlich, die Welt und der Teufel … Die Welt umzingelt und belagert mich von allen Seiten, und durch fünf Thore, nähmlich durch die fünf Sinne, durch das Gesicht, das Gehör, den Geschmack, den Geruch und das Gefühl verwundet sie mich mit ihren Pfeilen, und durch die Fenster kommt der Tod in meine Seele«. Zu den Anfechtungen durch die Sinne in Bernhards Schriften cf. Köpf: Religiöse, 63 – 68. 96  Locke: Versuch i / A n essay ii 1 § 3: »Zunächst führen die Sinne in Berührung mit einzelnen sinnlichen Gegenständen verschiedene Vorstellungen von Dingen der Seele zu (our

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

die Sinne affizierenden Außenreizen direkt proportioniert,97 wodurch diese Vorstellungen von den äußeren Sinnen abhängen und darum als Sensationen bezeichnet werden.98 Entgegen steht den Sensationen bei Locke die Reflexion als das Vermögen der Seele, ein Selbstgespräch zu führen, an dem die dem Subjekt nicht von außen zugeführten Erfahrungen und der Verstand sich beteiligen.99 Daraus entsteht der Seele durch die inneren Empfindungen ein vollständig anderes Vorstellungsset, das neben epistemologischen und voluntativen Momenten auch das gesamte Arsenal religiöser Innerlichkeit abruft.100 Jedoch, und Locke weist hierauf selbst hin, wendet er damit das sensualistische Paradigma nur nach innen, um zwar durch die Reflexion ganz andere Sachverhalte angesprochen sein zu lassen, als sie der Sinneswahrnehmung zugänglich sind, zugleich aber an der Differenzsetzungsoperation, wie sie für die Sinnlichkeit in Anschlag gebracht wurde, festhält und einen internalen Sensualismus installiert, der als die Reflexions- oder Selbstbewußtseinsfähigkeit einer Person 101 angesprochen werden darf. Es ist genau jene Parallelschaltung – wenn auch auf un­ Senses, conversant about particular sensible objects, do convey into the mind several distinct perceptions of things), je nach dem Wege, auf dem diese Gegenstände die Sinne erregen. So gelangen wir zu den Vorstellungen des Gelben, Weissen, Heissen, Kalten, Weichen, Harten, Bittern, Süssen und allen sogenannten sinnlichen Eigenschaften (thus we come by those Ideas we have of yellow, white, heat, cold, soft, hard, bitter, sweet, and all those which we call sensible qualities)«. 97  Ib.: »Mit diesem ›Zuführen‹ meine ich, dass die Sinne von äussern Gegenständen das der Seele zuführen (from external objects convey into the mind), was die Vorstellung in ihr hervorbringt (what produces there those perceptions)«. 98  Ib.: »Diese grosse Quelle unserer meisten Vorstellungen, die ganz von unsern Sinnen ab­hängen und durch sie in den Verstand übergeführt werden, nenne ich die Sinnes-Wahrneh­ mung (sensation)«. 99  L. c. § 4: »Zweitens ist die andere Quelle, aus der die Erfahrung den Verstand mit Vorstel­ lungen versieht (experience furnisheth the understanding with ideas), die Wahrnehmung der Vorgänge in unserer eigenen Seele, wenn sie sich mit den erlangten Vorstellungen beschäftigt (the perception of the operations of our own mind within us)«. 100  Ib.: »Wenn die Seele auf diese Vorgänge blickt und sie betrachtet, so versehen sie den Verstand mit einer andern Art von Vorstellungen (another set of ideas), die von Aussendingen (things without) nicht erlangt werden können; dahin gehören das Wahrnehmen, das Denken, Zweifeln, Glauben, Begründen, Wissen, Wollen und alle jene verschiedenen Thätigkeiten der eigenen Seele (thinking, doubting, believing, reasoning, knowing, willing, and all the different actings of our own minds)«. 101 Ib.: »Indem wir uns deren bewusst sind und sie in uns betrachten (conscious of, and observing in ourselves), so empfängt unser Verstand dadurch ebenso bestimmte Vorstellungen, wie von den unsere Sinne erregenden Körpern. Diese Quelle von Vorstellungen hat Jeder ganz in sich selbst (wholly in himself), und obgleich hier von keinem Sinn gesprochen werden kann, da sie mit äusserlichen Gegenständen nichts zu thun hat, so ist sie doch den Sinnen sehr ähnlich und könnte ganz richtig innerer Sinn (internal sense) genannt werden. Allein da ich jene Quelle schon Sinneswahrnehmung (sensation) nenne, so nenne ich diese: Selbstwahrnehmung (reflection)«.

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ter­­schied­lichen Ebenen – zwischen innerem und äußerem Sinn, die den Widerspruch des Leibniz hervorrufen sollte.102 Leibniz reagiert auf die Lockesche Beschreibung der Reflexion als eines inneren Sinns, indem er das monadologische Paradigma in Stellung bringt und zugleich mit der Substanz einen neuen Operator einführt.103 Damit ist jeder Versuch, den inneren Sinn nach Analogie einer Fremdwahrnehmung konstruiert zu sehen, obsolet geworden. Der monadologischen Totalvision muß eine solche Analogie weichen, weil sie noch in Differenz denkt, was Grund der Differenz ist: die Substanz. Locke und Leibniz haben mit ihren Konzeptionen der Schulphilosophie vorgearbeitet. Alexander Gottlieb Baumgarten prägt mit seinen Zuordnungen das Aufklärungsjahrhundert nachhaltig, wenn er in seiner Metaphysik (1739) die Empfindungen (sensationes, apparitiones) als durch die Seele gewirkte »Vorstellungen des gegenwärtigen Zustandes der Welt … wodurch sie [sc. die Seele] sich die Welt nach der Lage ihres Körpers vorstellt«, beschreibt.104 Diese ›Selbstvorstellung in der Weltvorstellung‹ differenziert sich aus nach den seelischen Empfindungen,105 die gegenüber dem Sachverhalt des In-der-Welt-Seins eine Epoché übt, und den Körperempfindungen, für die es basal ist, sich über die durch den Weltbezug ausgelösten Reize aufzubauen. Der Sensualismus französischer Prägung versucht nun mit Condillac – in der Absicht, über Locke hinauszugreifen, Leibniz gar nicht unähnlich –, einen Transformationssensualismus zu entwickeln,106 der im Tastsinn den wichtigsten und alle anderen Sinne organisierenden Brückenschlag des Subjekts zu seiner Außenwelt gefunden zu haben meint. Wie auch John Locke, George Berkeley, David Hume, Adam Smith, Voltaire, GeorgesLouis Buffon, Denis Diderot, Jean-Jacques Rousseau und Gotthold Ephraim 102  Die Schlagkraft der Leibnizschen Erwiderung wird je nach forschungsstrategischer Neigung als schwach oder grundstürzend empfunden. Jolley: Leibniz, ist der Ansicht, daß Leibniz seine Einrede gegen Locke bei geflissentlichem Übergehen der Intentionen Lockes vorbringt: »Leibniz makes little or no attempt to come to grips with Lockes’s assumptions or even with the announced goals of the Essay« (25). Cf. auch ders.: Locke, 13 – 23. Anders etwa Blank: Der logische, 54 – 58 u. Schüssler: Leibniz’, 84 ff. 103  »Il est tres vray que nos perceptions des idées viennent ou des sens exterieurs ou du sens interne qu’on peut appeller reflexion; mais cette reflexion ne se borne pas aux seules operations de l’esprit … elle va jusqu’à l’esprit luy même, et c’est en s’appercevant de luy, que nous nous appercevons de la substance« (Echantillon; Ger v 2, 23). 104  Metaphysica (lat.), Halle a. d. S. 61768 / Metaphysik (dt.), übers. v. G. F. Meier, Halle a. d. S. 1766: Von dem Sinne i 3. 105  Ib.: Die Vorstellungen »sind entweder Vorstellungen des gegenwärtigen Zustandes meiner Seele, oder meines Körpers. Jene sind die innerlichen Empfindungen (sensation interna, con­scientia strictus dicta), diese die äusserlichen (sensation externa). Ich habe ein Vermögen zu empfinden … das ist, den Sinn (sensus), welcher entweder ein innerlicher ist (sensus internus) das Vermögen innerlicher, oder ein äusserlicher (sensus externus) das Vermögen äusserlicher Empfindungen«. 106  Condillac: Traité, 7 f: »Le jugement, la réflexion, les désirs, les passions, etc. ne sont que la sensation même qui se transforme différemment«.

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

Lessing, um nur die wichtigsten Namen zu nennen, nimmt er dabei Bezug auf die 1688 beginnende Molyneux-Debatte um den Sinnesprimat von Sehen und Tasten,107 die einen vorläufigen Abschluß in Herders Plastik (1778) gefunden hat: »Im Gesicht ist Traum, im Gefühl Wahrheit«.108 Wenn Men­delssohn auf die Unterscheidung von innerem und äußerem Sinn gleich zu Beginn seiner Darstellung der jüdischen Religion zu sprechen kommt, so will er dieser Begriffsgeschichte offenkundig keine eigene originelle Variante an die Seite stellen, aber er macht einen durchaus freien Gebrauch von ihr, wenn er sie anwendet auf die Frage nach einer möglichen Beeidigung religiöser Überzeugungen und dabei zugleich auf die Mitteilungsdimension dieses Geschehens abhebt. Zugleich ist bei Mendelssohns Interesse an diesem Thema auch mitzuhören die berühmte Rezension der Dohmschen Schrift über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781) durch Johann David Michaelis,109 der eine Rechtsfestigkeit jüdischer Eide grundsätzlich in Zweifel gezogen hat. Mendelssohn, der schon in einer unmittelbaren Reaktion auf Michaelis sich gegen diese Einschätzung gewehrt hatte,110 stellt das Problem des Religionseides 111 in den neuen Zusammenhang einer Theorie des Bezeichnens religiöser Überzeugungen. Fragt man, worin konkret der religionstheoretische Gewinn einer Verbindung der Unterscheidung von innerem und äußerem Sinn mit der Problematik des Religionseides liegt, so scheint sich uns die folgende Vermutung nahezulegen. Überzeugungen, die dem Subjekt durch die äußeren Sinne vermittelt werden, lassen sich darum beeidigen, weil sie einen ungleich höheren Grad an Kontrollierbarkeit und Nachweisbarkeitstauglichkeit aufweisen und in einem Diskurs bestritten oder vertei107 Cf. zum Molyneux-Problem Mülder-Bach: Kommunizierende, 43  ff; Hop­mann: Die Organisation, 42 – 50. Zu Lockes Auseinandersetzung mit dem Molyneux-Pro­blem cf. Waxman: Kant, 157 – 167. 108  Herder: Plastik, 14. 109  Die Rezension findet sich u. a. in Michaelis: Johann, 1 – 40: »[W]enn ich einen Juden, wol eigentlich zum Affront seiner Religion, Schweinefleisch essen sehe, so ist es mir, der ich nicht in sein Herz blicken kann, unmöglich, mich auf seinen Eid zu verlassen … wenn er aber nicht einmal die Jüdische Religion glaubt, und dies, wo es niemand zu wissen verlangt, öffentlich ausruft, wie kann man wissen, was er vom Eide denkt ? ob er überhaupt glaubt, daß Gott den Eid annimt, und irgend in einer Welt, dieser oder jener, den Meineid straft ?« (8). Solange die Juden »noch die Gesetze von reinen und unreinen Speisen haben, ist es doch kaum möglich, sie unter unsere Regimenter zu mischen: besondere Regimenter aber aus ihnen zu machen, wird wol niemand anrathen, sonderlich da der Judeneid noch immer die häcklichste Sa­ che von der Welt ist«. Man kann »viel Zweifel haben … ob der Jude das, was in unsern Au­gen Eid ist, für Eid hält oder nicht« (21). Des Michaelis (Mosaisches Recht) Auffassung vom Eid ist dann allerdings der Mendelssohnschen Auffassung durchaus nicht unähnlich, wenn sie zum einen als Instanzen, vor denen der Eid Bestand haben soll, nur Gott und das Gewissen zuläßt (§ 70, 16) und zum anderen hart mit der auch von Mendelssohn kritisierten Eid-Praxis der christlichen Religionsgemeinschaften ins Gericht geht (§ 70, 14 f    ). 110 Cf. Juba viii 327. 111  Hilfrich: Lebendige, 59 u. dies.: Making, 286  f.

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digt werden können. Der Referenz­gegenstand des äußeren Sin­nes ist näm­lich durch jedes Subjekt, das ebenfalls auf diesen Gegenstand referiert, unmittelbar intelligierbar; aber auch wenn er nicht unmittelbar intelli­gierbar ist, lassen sich Kriterien für diese Intellektion angeben, die von al­len Diskursteilneh­mern akzeptiert werden. Damit geht es also bei der Erkennt­nis von Sachverhal­ten des äußeren Sinns immer nur um ein Mehr oder Weni­ger an Genauigkeit und Gemäßheit hinsichtlich des Erfassens dieser Sachverhalte. Dies wird schlagartig anders, wenn der Bereich des inneren Sinns betreten wird, innerhalb dessen sich das Glaubens- und Gewißheitsleben des Menschen zum Austrag bringen. Zwar können auch die Momente des inneren Sinns über eine Repräsentation diskursfähig gemacht werden, doch hinterlassen dergleichen Repräsentationen immer jenen Vagheitsrest, der dann entsteht, wenn sich keine dem Repräsentationsverhältnis übergeordnete Kate­gorie mehr angeben läßt, von der aus zu sagen wäre, ob die in sprachliche Mitteilung übergehenden Abbildungen des inneren Sinns adäquat oder inadäquat sind. Mithin geht die Problematik des Religionseides über das mögliche Mißlingen adäquater Repräsentationsleistungen hinaus. Hier nimmt Mendelssohn erneut den schon bekannten Gedanken seiner frühen Re­ligions­lehre auf, daß Religion als Ausdrucksform frommer Innerlichkeit eine prinzipi­elle Diskursresistenz aufweist, und genau darum bringe man der Frommen »Ge­wissen auf eine grausame Folter, wenn man sie über Dinge befragt, die blos für den innern Sinn gehören« (64). Die Grausamkeit dieser Gewis­ sensfolter besteht darin, daß der Befragte bei keiner noch so ehr­lich gemeinten Antwort zugleich mit beantworten kann, ob seine Antwort auch wirklich dem von ihm Empfundenen und Geglaubten adäquat ist. In Rede steht damit eine über die oblique Intention noch hinausgreifende Schwierigkeit. Denn während dort die Intention nur im Zugleich mit der Einsicht, Intention zu sein, ihr Anderes intendiert und damit reflexiv wird, steht hier darüber hinaus auch noch in Frage, ob Versprachlichungen überhaupt ein angemessenes Medium zu sein vermögen, diese Intentionsintentionen ausdrücklich und mitteilbar werden zu machen. Immer also scheint das fromme religiöse Gewißheitserleben den Preis der reflexiven Vereinsamung, nicht mitteilsam vor sich selbst treten zu können, zahlen zu müssen. Folglich ist mindestens ebenso belangvoll eine damit verbundene Schwierig­keit, die stärker die rein affektive Dimension des inneren Sinns betrifft. Al­lein schon die Nötigung nämlich, sich hinsichtlich seiner religiösen Überzeu­ gungen innerhalb eines Diskurses äußern zu müssen, wie es in Mendelssohns Rede von der Gewißheitsfolter zum Ausdruck kommt, bedeutet eine affektive Selbst­entfremdung, die näherhin darin besteht, daß das Vor-sich-selbst-Bringen religiöser Gewißheiten in einer apologie- und diskursfähigen Repräsentation dem religiösen Menschen eine Leistung abverlangt, die zu erbringen, ihm nur um den Preis der Opferung jener Lebenskraft, die er aus der Unmittelbarkeit seiner religiösen Gewißheiten zieht, gelingen kann. Denn warum sollte das,

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

was nicht von der Welt ist, darin ein wesentliches Aufbaumoment haben, vor die Welt getragen zu werden?  112 Der erkenntnistheo­retische Sachverhalt also, daß sich hinsichtlich der Momente des inneren Sinns niemals genau sagen läßt, ob sie ad­äquat repräsentiert worden sind, geht also in die Gestimmtheiten des religiösen Affektlebens unmittelbar mit ein. Im folgenden analysiert Mendelssohn die Repräsentationsvorgänge des in­ ne­­ren Sinns genauer. Dabei differenziert er zwischen einer Repräsentations­ form, die vor dem Zeichengebrauch statthat und dem Zeichengebrauch selbst. Von den Wahrnehmungen des ›inneren Sinns vor dem Zeichengebrauch‹ gilt, daß sie »an und für sich selbst selten so handgreiflich [sind], daß der Geist sie mit Sicherheit feste halten, und so oft es verlangt wird, von sich geben könne« (64). Noch bevor ein Sachverhalt des inneren Sinns zei­chenhaft repräsentiert ist, wird er gleichsam vor-zeichenhaft wahrgenommen, was Mendelssohn durch das An-und-für-sich-Selbst der Wahrnehmungen zum Aus­druck bringt. Etwas formaler wäre dieser Sachverhalt so zu verdeutlichen, daß ein Zeichen immer Zeichen eines zu Bezeichnenden sein muß. Dieses zu Be­zeichnende aber wäre anzusprechen als ein dem Zeichen Anderes, wenn nicht eine infinite Iteration von Bezeichnungsbezeichnungen stattha­ben soll. Zu Bezeichnendes muß also notwendig vorliegen, wenn es sich bei der Bezeichnung nicht um eine tautologische Selbstwiederholung handelt. Die Tatsachen der zu bezeichnenden Innerlichkeit des Menschen sind aber fragil, flüchtig und durch Intellektion nicht immer dingfest zu machen. Sie entschlüpfen ihm zuweilen, indem er sie zu fassen glaubt. Wovon ich itzt ver­sichert zu seyn glaube, darüber schleichet oder stielt sich in dem nächsten Augen­bli­cke ein kleiner Zweifel ein, und lauert in einer Falte meiner Seele, ohne daß ich ihn gewahr geworden (64).

Die zitierte Passage zeigt, daß es keineswegs nur das Wissen um den Sach­ver­ halt unzulänglicher Adäquation bei einem jeden Repräsentationsvorgang ist, der das religiöse Subjekt hinsichtlich seiner vor sich selbst gebrachten in­neren Über­zeugungen in einen Zweifel geraten läßt. Auch dann nämlich, wenn sich diese Adäquation eingestellt zu haben scheint, hat sich in Wahrheit der Ge­gen­ stand des durch den inneren Sinn Abgebildeten verflüchtigt. Die Selbstbe­wußt­ machung innerer, das Gewißheits- und Glaubensleben betreffender Tatsa­chen erleidet gegenüber der wirkenden Lebendigkeit nicht selten eine Verspätung. Innere Grundhaltungen und religiöse Werte sind jene Mo­mente im menschli112  Es war eine sinnvolle Umkehrung der traditionellen Fragerichtung, als Mat­thes: Auf der, aus religionssoziologischer Perspektive vorgeschlagen hat, die Suche nach Religion auszusetzen, um nach den Umständen und Bedingungen dieser Suche zu fragen, da es im Bereich des Religiösen Sachverhalte gibt, die sich erst dann konstituieren, wenn sie einem Diskurs einverleibt werden (cf. l. c. 129). Diese Religionsformen stünden dann der Religion, wie sie Mendelssohn vertritt, entgegen. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, anhand dieser Fragestellung noch einmal einen neuen Blick auf die Auseinandersetzung zwischen Men­delssohn und Lavater zu gewinnen.

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chen Leben, von denen her es lebt, und die nicht völlig eingeholt werden können in Akten der Selbstbewußtmachung. Hinzu tritt die notorische Zeitgebundenheit religiöser Überzeugungen und Gesinnun­gen (itzt – im nächsten Augenblicke), die durch die Notwendigkeit, eigene Ge­sinnungen immer neu einer Selbstinterpretation unterwerfen zu müssen, indi­ziert wird. Der dabei auftretende Zweifel macht sich in einem vorreflexiven Gefühl bemerkbar, das eine religiöse Überzeugung immer begleitet, weil in Frage steht, ob diese Überzeugung den sich ändernden Außenbedingungen der religiösen Welt noch gemäß ist. Weder statisch noch von neuer In­terpretation durch das religiöse Subjekt unbetroffen zu sein, zeichnet die Le­bendigkeit religiöser Über­zeugungen aus. Und so ist die Wechsel­bewegung zwischen Zweifel und Gewißheit ein wesentliches Aufbaumoment von Religion, ein Zweifel, der so tief in den Innenraum des Religionserlebens gehört, daß das reli­giöse Subjekt ihn häufig gar nicht wahr­zunehmen vermag.113 In der voraufgegangenen Überlegung hat Mendelssohn auf die Verunsiche­rung abgestellt, die dem religiösen Menschen hinsichtlich seiner Überzeugun­gen schon dann widerfährt, wenn diese noch gar nicht einge­gangen sind in ein fixes Verweissystem von Bezeichnungen. Kommt aber der Be­zeichnungsvorgang hinzu, so verschärfen sich die Vagheitsmomente. Soll ich diese innern Wahrnehmungen gar durch Worte und Zeichen von mir ge­ben oder auf Worte und Zeichen schwören, die andere Menschen mir vorle­gen; so ist die Unsicherheit noch weit größer (ib.).

Ist es dem Men­schen nämlich schon versagt, die Gehalte des inneren Sinns zu fi­xieren, so kann er noch sehr viel weniger darauf hoffen, diese in einem dis­ kur­siven Kontext ›von sich zu geben‹.114 Die Gehalte, von denen her dem Men­ 113  Die Bedeutsamkeit des religiösen Zweifels im modernen Protestantismus – was Men­ delssohns Ausführungen durchaus an diesen anschlußfähig macht –, hat in einer Aus­ein­an­ der­setzung mit Paul Tillich Dierken: Über Gewißheit, gezeigt, indem er nicht nur abhebt auf die Notwendigkeit dieses Zweifels für eine sich selbst nicht mehr im Gang durch das in sie eingehende Andere negationsdialektisch bestimmende Unmittelbarkeitsreflexion, sondern auch mit Blick auf die den religiösen Optimismus allererst stabil installierende Dimension einer den Zweifel nicht anzweifelnden Gewißheit darauf hinweist, daß diese »in dem Negativen das­ je­nige, was das Innerste des Lebens ins Wissen hebt«, hat (185). Diese In­terpretation des Zwei­ fels als eines um sein Anderes bereicherten religiösen Wissens kann mit Mendelssohn noch um den Gedanken ergänzt werden, daß das Wissen selbst es ist, welches hinsichtlich seiner Di­ffe­renzlogik durch das religiöse Empfinden auf das Spiel gestellt wird. 114  Genau das aber gehört zum zentralen Aufbaumoment zeichenvermittelter Kommuni­ kation nach der Schultradition. Cf. etwa Wolff: Deutsche Logik ii § 1, 60: »Durch die Wörter pfle­gen wir andern unsere Gedancken zu erkennen zu geben. Und also sind sie … Zeichen unserer Gedancken, daraus nemlich ein anderer dieselbe erkennen kann. Z. E. Wenn mich einer fraget, an was ich gedencke, und ich antworte, an die Sonne; so gebe ich durch dieses Wort zu verstehen, was ich mir jetzund in meinen Gedancken für eine Sache vorstelle«. Dann stellt Wolff Kriterien auf, die immer in Kraft sein müssen, wenn ein gegenseitiges Verständnis soll statthaben (l. c. 60 f   ): »Wenn also zwey Personen mit einander reden und

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schen eine letzte Sicherheit zuwächst, sind in hohem Maß, wie wir ge­sehen haben, zugleich anfällig für einen sich immer neu einstellenden Zweifel, da wir in der religiösen Haltung auf letzte Gewißheitseinstellungen nur zu stoßen vermö­ gen, ohne sie jedoch deskriptiv erzeugen zu können. Diese Verunsiche­rung be­kommt eine neue Qualität, wenn die Gehalte des inneren Sinns durch Zeichen repräsentiert werden sollen: Worte und Zeichen tragen nämlich in den Selbst­interpretationsprozeß des inneren Sinnes noch ein weiteres Relati­onsmo­ ment ein, von dem zu sagen ist, daß die Relationsglieder der durch die­ses Re­ lationsmoment in Kraft tretenden Relation keineswegs Eindeu­tigkeit be­sitzen. Das Zeichen bezeichnet nämlich hier ein zu Bezeichnendes, das selbst wieder in einen vor-zeichenhaften Interpretationsprozeß schon eingegan­gen und insofern gar nicht eindeutig zu bezeichnen ist. Mit dieser Überlegung bewegt sich Mendelssohn noch innerhalb der aufklärungshermeneutischen Schultradition, wie aus einem Vergleich mit Georg Friedrich Meiers Zeichenverständnis erhellen mag. Auch Meier, den wir hier pars pro toto anführen dürfen, weil er sehr viel stärker in der Zusammenfassung des semiotischen Erkenntnisstandes als in der Präsentation origineller Eigenschöpfungen seine Aufgabe gesehen hat, beschreibt das über Zeichen vermittelte Verstehen eines Dinges als das Verstehen der Zeichenbedeutung genau dann, wenn erkannt ist, daß ein Ding immer nur als bezeichnetes Ding verstanden werden kann.115 Durch Zeichen ein Ding zu verstehen bedeutet, durch Zeichen ein Ding nicht verstehen zu können, denn: Aus dem Zeichen heraus kommt man nur aus dem Zeichen heraus.116 Mendelssohn hätte dann diese zeichenlogische Einsicht in einen Zusammenhang gebracht mit seinen Überlegungen zum Religionseid. einer den anderen verstehen soll; so wird erfordert 1. daß der, so da redet, bey einem jeden Worte sich etwas gedencken könne: 2. daß der, so ihn reden höret, eben dasjenige sich bey einem jeden Worte gedencken kan, was der andere dencket«. Dies hat dann zu jener von Leibniz’ Zeichentheorie angeregten Hoffnung in Lamberts Hermeneutik geführt, daß sich in einem universalen Bezeichnungsgewebe die Totalität der Wirklichkeit einfangen ließe. Wir zitieren Lamberts Diktum im Zusammenhang: Lambert: Neues Organon § 40 (Hhgn. v. Vf.): »Ohne aber auf diese Vergleichung zu sehen, so läßt sich sowohl die allgemeine Zeichenkunst, als die Verbindungskunst der Zeichen an sich betrachten … Hier merken wir nur an, daß man im Nachdenken und in Verbindung mehrerer Schlüsse, zuweilen auf Definitionen verfällt, deren Definita bereits unter gewissen Namen bekannt sind. Die Wörter, wodurch die Definition ausgedrückt wird, geben diese Namen nicht an. Sie sollten es aber thun, wenn unsere Sprachen weniger willkührlich und mehr charakteristisch wären. Denn dieses hieße die Theorie der Sache auf die Theorie der Zeichen reduciren«. 115  Versuch § 7 (Hhgn. z. T. v. Vf.): »Ein Ding, insofern seine Wirklichkeit aus einem Zei­ chen erkannt wird, wird eine bezeichnete Sache (signatum) genannt; und sie heißt die Bedeutung des Zeichens (significatus), insofern ihre Wirklichkeit aus dem Zeichen erkannt werden kann. Folglich ist die Bedeutung die Absicht des Zeichens«. Zu Meiers Semiotik cf. die Untersuchung von Scholz: Die allgemeine, bes. 172 –189 u. Kubik: Die Symboltheorie, 26 – 39. 116  Zum Zusammenhang von Meiers Semiotik mit der Zeichenlehre der Jerusalemschrift cf. Pecina: Offenbarte.

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Eine darüber hinausführende Interpretation würde Mendelssohns Überlegung in die Nähe der acht Jahre später von Kant in der Kritik der Urteilskraft (1790) vorgelegten Analyse des ästhetischen Urteils führen. Kant unterscheidet dort in § 36 (Von der Aufgabe einer Deduction der Geschmacksurtheile) von einem Erkenntnisurteil, in dem die Objektwahrnehmung eine kategoriale Bestimmtheit des Wahrnehmungsobjektes erzeugen kann, weil alle dem Objekt zukommenden empirischen Prädikate in der Wahrnehmungsinitiative enthalten sind,117 das ästhetische Urteil, das den Ort, der innerhalb eines Erkenntnisurteils durch ein Prädikat vertreten wird, nicht durch eine begriffliche Bestimmtheit, sondern durch ein Gefühl besetzt: Mit einer Wahrnehmung kann aber auch unmittelbar ein Gefühl der Lust (oder Unlust) und ein Wohlgefallen verbunden werden, welches die Vorstellung des Objects begleitet und derselben statt Prädicats dient, und so ein ästhetisches Urtheil, welches kein Erkenntnißurtheil ist, entspringen (Aa v 288).

Diese Überlegung 118 ist natürlich von Mendelssohns Aussage unterschieden, da es sich beim Kantischen Geschmacksurteil um eine nicht begrifflich vermittelte Reflexion handelt, die das im Bereich des Sinnlichen Wahrgenommene verbindet.119 Mendelssohn hingegen stellt auf die innere Empfindung, die nur um das Risiko einer sinnentfremdenden Operation in Zeichen ausgedrückt zu werden vermag, ab. Dennoch scheint uns eine Analogie zu der Kantischen Überlegung zu bestehen, weil die von Mendelssohn angesprochenen Sachverhalte des Gewißheitslebens durch den religiösen Menschen auch in ein Urteil einfließen, und dieses Urteil ebenfalls den Ort des Urteilsprädikats durch ein Gefühl besetzt. Zu dieser Interpretation paßt auch, daß Mendelssohn auf die strikte Okkasionalität der in Rede stehenden Glaubensüberzeugungen als Gewißheiten hinweist. Im folgenden kommt das kommunikative Gegenüber in das Spiel. Ich und mein Nächster, wir können unmöglich mit eben denselben Worten eben dieselben innern Empfindungen verbinden, denn wir können diese nicht anders ge­gen einanderhalten, miteinander vergleichen und berichtigen, als wie­derum durch Worte (ib.).

Der Zeichengebrauch in gegenseitiger Mitteilung also hebt die Problematik der Repräsentation auf eine neue Stufe. War die erste Stufe dadurch gekennzeichnet, daß dem religiösen Menschen das zu Bezeichnende des inneren Sinns hinsichtlich seiner gehaltli­chen Stabilität von notorischem Zweifel bedroht war, so 117 Aa v 287 f: »Mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes kann unmittelbar der Begriff von einem Objecte überhaupt, von welchem jene die empirischen Prädicate enthält, zu einem Erkenntnißurtheile verbunden und dadurch ein Erfahrungsurtheil erzeugt werden. Diesem liegen nun Begriffe a priori von der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, um es als Bestimmung eines Objects zu denken, zum Grunde«. 118 Cf. hier Wieland: Urteil, 204  – 221; U. Barth: Religion, 240 – 255; Wenzel: Das Problem, bes. 155 – 167 u. H.-J. Pieper: Geschmacksurteil, 135 –194, bes. 135 ff. 119 So Wieland: Urteil, 207.

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potenziert sich diese Verun­sicherung auf der Ebene des Bezeichnungsprozesses noch einmal. Am subjekti­ven Ort des Zeichengebrauchs ist das Repräsentationsverhältnis zwar in einer Gemäßheitsrelation, weil das seinen inneren Zustand bezeich­nende Subjekt sich im Augenblick der Bezeichnung in Übereinstimmung mit seinem religiö­sen Zustand vermeint, doch ist dieser Bezeichnungsvorgang in höchstem Maß indi­viduell eingefärbt. Aus der zitierten Passage erhellt aber nicht nur die Unsicherheit von Reprä­sentationsverhältnissen im Modus des Zeichengebrauchs, sondern es zeigt sich zugleich, wie Mendelssohn hier seine frühe Empfindungstheorie aufnimmt und modifiziert. Die Empfindungsschrift hatte die Empfindung in der Ablösung vom klassischen Affektenschema als ein Selbstinterpretationsvermögen beschrieben und damit eine unhintergehbare Subjektivierung der Empfindung bekräftigt. Es ist bedeutsam zu sehen, daß diese Empfindungstheorie nicht erinnerungslos vergangen ist, sondern daß die frühe Ästhetik in der reifen Religionsphilosophie zeichenlogisch wieder auftritt. Daß zwei nicht identische Subjekte, wie Mendelssohn ausführt, mit einer identischen Bezeichnung nicht eine identische Empfindung zu verbinden ver­ mö­gen, ist natürlich zum einen als ein zeichentheoretischer Sachverhalt zu kom­ mentieren. Der zwischen dem Zeichen und dem durch es Bezeichneten auftre­ tende Hiat ist prinzipiell nicht zu kompensieren. Natürlich ist es denkbar, daß zwei Subjekte mit dem identischen Zeichen einen Empfindungssachverhalt be­ zeichnen. Dann aber bleibt noch immer vage, ob die durch das Zeichen be­ zeich­nete Empfindung ebenfalls dieselbe ist; dies aber nicht nur in einem trivi­ alen Sinn: Lebensweltlich ist es sicher nicht zu bestreiten, daß unterschiedliche Sub­jekte sich auch hinsichtlich ihrer Empfindungswelt sinnvoll über gleichen Zei­chengebrauch oder Konventionen des Zeichengebrauchs zu verständigen vermö­gen; dann aber sind Intensität, Stellenwert, emotionale Tiefe oder Umfangslogik dieser Empfindungen in das Zeichen noch nicht eingegangen. Diese Zeichenlogik hat zugleich eine toleranztheoretische Dimension. Für Mendelssohn steht die hier präsentierte Semiotik nämlich auch für ein Pro­blem, das vital für die Ausübung der eigenen Religion ist, ein Um­stand, der noch an Schwere gewinnt dadurch, daß diese Religion im Ver­dacht, politisch gefährlich und geistig arm zu sein, steht.120 Vor dem Hintergrund der darge­stellten Zeichenlogik ergibt sich die Toleranzforderung offensichtlich schon deshalb, weil von keiner Position aus mit letzter Sicherheit gesagt zu werden vermag, auf welchen konkreten Gehalt eine religiöse Äußerung wirklich zielt, oder wie diese Äußerung nach ihrem entscheidenden Sinn zu verstehen sei. Es ist aber auch noch ein weiterer Grund dafür anzugeben, warum zwei ver­schiedene Subjekte begrifflich keine Identität hinsichtlich ihrer Empfin­dun­gen dingfest machen kön120  Cf. zum Toleranzdiskurs in der Literatur des 18. Jahrhunderts unter spezieller Berück­ sich­tigung der Toleranz gegenüber dem Judentum Kougblenou: Studien, 43 ff.

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nen. Die Empfindung ist nämlich schon durch den Be­zeich­nungs­vorgang trivialer Weise eine bezeichnete Empfindung, und so ergäbe sich, sollte die identische Bedeutung der Empfindung festgestellt werden, eine Iteration in infinitum der Relation ›Bezeichnung – Empfindung‹. Wollte man nämlich Klarheit darüber erzielen, ob zwei identische Bezeichnungen auch eine Identität hinsichtlich der bezeichneten Empfindung hergestellt haben, so wäre man ge­zwungen, in einem infiniten Regreß wiederum auf ›Zeichen und Worte‹ zurück­zugreifen. Das Aufklärungsverhältnis hinsichtlich der inneren Empfindungen fin­det also nicht statt über einen Modus der Dinglichkeit: »Wir können die Worte nicht durch Sachen erläutern« (67). Darum wird in einer kommunikativen Situa­tion, in der innere Empfindungen thematisch sind, die Relation von Empfindung und bezeichneter Empfindung transformiert in ein prinzipiell unendliches Rela­tionsgefüge von Bezeichnungen und Bezeichnungs­bezeichnungen. Und genau dieses Relationsgefüge behält das letzte Wort dar­über, worum es sich in der Empfindung tatsächlich handelt. Die Empfindung ist somit in einer zweifachen Weise näher zu kennzeich­nen. Zum einen läßt sie sich nur bestimmen in einem unabschließbaren Prozeß zei­chengebender Repräsentationen, die die Empfindung als einen auf sich selbst be­zogenen Sachverhalt schon durch die Bezeichnungsrelation drangegeben ha­ ben. Andererseits aber bleibt eine Empfindung, die ihrer Bezeichnung gegenübersteht, stets bezeichnungsoffen, indem sie als das, was sie ist, was aber zugleich nicht zeichenhaft adäquat repräsentiert werden kann, sich jedem neuen Bezeichnungsversuch zur Verfügung hält.121 Ähnlich schon hatte darum Leibniz darauf hingewiesen, daß man auf einen adäquaten Begriff nur zu stoßen vermag, indem man auf Zeichen zurückgreift, die unmit­telbar klar sein müssen oder deren Klärung zumindest zugunsten einer vorläufi­gen Erkenntnis ausgesetzt wird.122 Dieses Zeichenproblem nimmt noch einmal hin­sichtlich seiner Brisanz zu, wenn die Bezeichnungsvorgänge sich über län­gere traditionsbildende Zeiträume hinziehen.123 Daß Mendelssohn mit dieser Überle­gung eine wenig optimistische Erkenntnistheorie vertritt, ist ihm sehr be­wußt. »Wer du auch seiest, lieber Leser ! So beschuldige mich hier nicht der Zweifelsucht, oder der bösen List, 121  Wie sehr Mendelssohn mit dieser Überlegung der Kritik etwa in Goethes Farbenlehre oder in Hegels Anfang seiner Wissenschaft der Logik an einer bezeichnungsresistenten Bedeu­ tungs­t heorie vorgearbeitet hat, zeigen die zeichenphilosophischen Überlegungen bei J. Simon: Von Zeichen, 26−35. 122  Ps i 37: »Meistens aber, zumal bei längerer Analyse, sehen wir nicht das ganze Wesen der Sache zugleich ein, sondern bedienen uns an Stelle der Dinge der Zeichen, deren Erklärung wir beim augenblicklichen Denken der Abkürzung wegen aussetzen, da wir wissen oder glauben, daß wir sie zur Verfügung haben«. 123  J 68: »[W]ie sehr müssen die Ideen verschieden sein, die verschiedene Menschen, in verschiedenen Zeiten und Jahrhunderten, mit denselben äußerlichen Zeichen und Worten verbinden«.

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dich zum Skeptizisten machen zu wollen« (68). Denn gerade dieser Skeptizismus liegt keineswegs in der Ab­sicht Men­delssohns. Seine zeichentheoretischen Überlegungen sind nicht als eine prinzi­pi­elle Kritik am erkennenden Verstehen verfaßt, sondern vielmehr an der Er­fah­rung orientiert, daß der Prozeß des Zeichenverstehens nicht vorschnell zugun­sten einer vermeinten Identität von Zeichen und Bedeutung zum Abschluß ge­bracht werden darf. Wenn vertraute Freunde in einer kommunika­tiven Situation sich befinden, die religiöse Empfindungen oder philosophische Überlegungen zum Gegenstand hat, kann dennoch nicht davon ausge­gangen werden, daß Ei­nigkeit hinsichtlich des Vermeinten zwanglos er­zielt wird, weil mit »denselben Worten jeder andere Begriffe« (68) ver­bindet. Doch auch dann, wenn eine Übereinkunft hinsichtlich des Vermeinten sich ergeben hat, ist diese nicht mit letzter Sicherheit festzulegen, sondern stellt nur einen vorläu­figen Abbruch der Kommunikation dar, ein Ab­bruch, in den aber immer das Bewußtsein davon, daß die Kommunikation zu einem an­deren Zeitpunkt neu wird aufgenommen werden müssen, eingeht. Abschließend kann gesagt werden, daß Mendelssohn eine plausible zeichentheoretische Begründung des Toleranzgedankens gelingt.124 Intoleranz ist damit als jener zei­chenlogische Irrtum entlarvt, der vorschnell und gewaltsam aus­ bricht aus dem Diskurs des Zeichenverstehens. Dieses Zeichenverstehen ist in dem Maß unabschließbar, als sich in den Zeichenversionen Momente eines Erlebens mani­festieren, von dem gefühlt werden kann, daß es im Zeichen nicht aufge­gangen ist und – gewissermaßen abwartend – verweilt, um neuer­lich be­ zeichnet zu werden. Mendelssohns Konzept religiöser Toleranz stellt hier nach­ haltig darauf ab, in dieses unabschließbare Gespräch einzutreten und die »Begriffe lange Zeit aneinander [zu] reiben, bevor sie ineinander sich wollten fügen lassen« (68). Dieser Prozeß muß solange betrieben werden, bis eine Übereinkunft »mit eini­ger Zuverlässigkeit« (68) ausgesagt werden kann. Daß diese Übereinkunft als vorläufig sich gestaltet, ist vor dem Hinter­grund religiö­ser Überzeu­gungen kein Mangel, sondern beredter Ausdruck da­für, daß religiö­ses Verstehen zugleich das Inkognito religiösen Ge­fühlserlebens zu achten hat. Und es ist Men­dels­sohns Leistung, gezeigt zu haben, daß diese Achtung vor der Religion nicht nur die notwendige Forde­rung innerhalb eines jeden funktio­nierenden Gemeinwesens zu sein hat, sondern daß diese Forderung aus der se­miotischen Logik des Religionsdiskurses unmittelbar folgt: »[W]er diese Erfah­rung in sei­nem Leben gehabt hat, und noch intolerant sein, noch seinen Näch­sten hassen kann, weil dieser in Religionssachen nicht denkt, oder sich nicht aus­drückt wie er, den möchte ich nie zum Freunde ha­ben, denn er hat alle Menschlichkeit ausge­zogen« (68). 124  Zum Toleranzgedanken, wie er sich schon in Jehuda Halevis Buch Kusari findet, über Lessing bis hinein ins 20. Jahrhundert cf. die Aufsatzsammlung Zielke [Hg.]: Beiträge.

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5. Konkrete Religion Mendelssohn wendet sich seiner kon­kreten Entfaltung der Religionstheorie zu. Nachdem er noch einmal seine Naturrechtslehre wiederholt hat und kurz auf einige Rezensionen seiner Vorrede zur Rettung der Juden (1782) eingegangen ist, kommt er auf jenen Rezensenten zu sprechen, der in der kleinen Schrift Das Forschen nach Licht und Recht (1782) – mit der Nachschrift des Feldpredigers eines Berliner Infanterieregimentes Daniel Ernst Mörschel versehen (Juba viii 91f ) – eine Kritik an unserem Philosophen äußerte, die Mendelssohns Loyalitätsempfinden gegenüber seiner eigenen Religion öffentlich in Frage stellte: August Friedrich Cranz.125 Den von Cranz erhobenen Vorwurf hält Mendelssohn nicht nur für bedeutsam, sondern er geht ihm auch persönlich »an das Herz« (82). Durch die Cranzsche Einrede hat sich Mendelssohn dazu anregen lassen, seine Dar­stellung der jüdischen Religion in der Jerusalemschrift zu entwickeln. a) Besonderheit des Judentums Mendelssohn geht die Kritik des Forschers so sehr unter die Haut, weil dieser äußerst geschickt nicht etwa das Mendelssohnsche Naturrechtsdenken oder seine Toleranzforderung angreift – diese Überlegungen Mendelssohns läßt er vielmehr als durchaus vernunftgemäß gelten. Die Attacke von Cranz richtet sich viel­mehr – darin den Erwägungen Hennings’ nicht unähnlich – gegen die Argumentationsstrategie Mendelssohns, im Namen von Vernunft und Naturrecht Toleranz für die eigene Religion einzufordern, weil ein Zwangsrecht dem religiösen Erleben nicht gemäß sei. [S]o ver­nunftgemäß dieses alles sein mag, was Sie darüber sagen«, reagiert Cranz auf Mendelssohn, »so geradezu widerspricht es dem Glauben ihrer Väter im engern Verstande … Nach der gesunden Vernunft findet … kein Gottesdienst ohne Überzeugung statt, und jede erzwungene gottesdienstliche Handlung hört das auf zu sein … Indessen ist es wahr, daß Moses Zwang und positive Strafen an Nichtbeobachtung gottesdienstlicher Pflichten bindet« (85).

Mit anderen Worten: Mendelssohns Religionsverständnis sei zwar ehrfurchtgebietend, und man könne ihm auch durchaus darin zustimmen, daß eine Religion ihren Erlebnishorizont in freien und frei gewählten Überzeugungen habe, die mit einem staatlichen Zwangsrecht nicht zu vereinen sind, jedoch: Mit einem solchen Religionsverständnis ist der Boden des Judentums längst verlassen. Der Stich hatte gesessen, ja, er war, wie Mendelssohn sagt, sogar ›ans Herz gedrungen‹. Doch stößt Cranz noch einmal nach und deutet diese scheinbare Mißachtung des jüdischen Glaubens durch Mendelssohn als dessen längst fällige Konversion zum christlichen Glauben; dies umso mehr, als die Lavaterschen Zeilen 125  Cf. J 81. Cranz findet sich in nahezu jeder mit Mendelssohn befaßten Arbeit besprochen. Cf. pars pro toto Pollok: Facetten, 490ff, aber auch schon Preuss: Friedrich. iii, 434.

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E. Das Wesen der jüdischen Religion (Jerusalemschrift)

– so Cranz – den jüdischen Weltweisen, sofern er ein ernster Wahrheitsforscher ist, zweifellos zum Nachdenken gebracht und von der Wahrheit der christlichen Religion überzeugt haben werden. Es ist die bemerkenswerte Abschlußvermutung von Cranz,126 daß Mendelssohns vehementes Einsprechen gegen den Religionseid von der Einsicht getragen sei, daß es wohl gelte, einer Kirche, die die Gläubigen unter eine Gewissensfolter bringt, in den Arm zu fallen, daß aber das wahre Christentum, zu dem sich Mendelssohn nun offenbar durchgerungen hätte, als Religion der Freiheit Gott im Geist und in der Wahrheit anbetete. Wie stark diese Argumentation auf Mendelssohn gewirkt haben wird, merkt man seiner Antwort unmittelbar an, und man meint sogar eine gewisse Unsicherheit zu spüren. Er holt zwar aus zu einem Gegenschlag, doch wirkt seine Riposte eher wie eine nicht gelungene Battuta. Folgen wir der Explikationslogik des Textes, so pariert Mendelssohn mit dem Gleichnis der zwei Stockwerke eines Hauses, dessen oberes Stockwerk fallen müsse, wenn das untere morsch sei, ein Bild für das Verhältnis zwischen Juden und Christen, das von Lessing prominent drei Jahre zuvor im Nathan (1779) verwandt wurde, seine Wurzeln aber wohl schon im Sephardischen Judentum des 12. Jahrhunderts hat: Nun ist das Christentum, wie Sie wissen, auf dem Judentume gebauet, und muß nothwendig, wenn dieses fällt, mit ihm über einen Hauffen stürzen. Sie … bieten mir die Sicherheit ihres obersten Stokwerkes an; muß ich nicht glauben, daß Sie meiner spotten ? (83).

Doch Cranz hatte keineswegs gespottet, und man muß ihm durchaus bescheinigen, eine ansprechende Beschreibung der christlichen Religion gegeben zu haben, die durch Mendelssohns Gleichnis keineswegs aus dem Sattel zu stechen war.127 Wenn Mendelssohn einige Zeilen später seine Argumentation einen »Winkelzug« nennt (84), so macht er damit deutlich, daß ihm selbst ganz klar ist, wie wenig diese zwar anschauliche, aber doch allzu metaphorische Anwendung bauhandwerklicher Zimmermannskunst auf das Zuordnungsverhältnis von Christen- und Judentum hinreichen kann, um das Gespräch zwischen beiden Religionen in den Griff zu bekommen und abzuschließen. Denn das ist Mendelssohns Absicht bei der Abfassung seiner Jerusalemschrift: Das durch den Lavaterstreit emporgetragene und latent noch immer bestehende Lauern der geistigen christlichen Elite in Europa auf ein durchschlagendes Wort des be­rühmten jüdischen Philosophen zur Verteidigung seiner Religion mit einem Handstreich zu beenden.128 Und nun folgt hier nahezu beschwörend, wie schon 126  J 83: »Sollte der jetzt von ihnen gethane … Schritt … ein Schritt zur Erfüllung der … Lavaterschen Wünsche seyn ? … Vielleicht sind Sie jetzt dem Glauben der Christen näher getreten, indem Sie … das Freyheitssystem des vernünftigern Gottesdienstes nunmehr selbst lehren, welches das eigentliche Gepräge der christlichen Gottesverehrung ausmacht, nach welchem wir dem Zwange und lästigen Zeremonien entronnen sind«. 127 Anders Bourel: Moses, 420. 128  Mendelssohn zitiert Mörschel, der sich nicht veranlaßt sieht, Mendelssohn aufzufordern, die »Religion zu bekennen, die er bekennt, oder sie zu widerlegen, wofern ich ihr nicht

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so oft in Mendelssohns Auseinandersetzung um dieses Thema, seine Ceterumcenseo-Parade: [I]ch habe die christliche Religion niemals bestritten, und werde mich auch mit wahren Anhängern derselben niemalen in Streit einlassen … Es ist einmal Zeit … die Akten zu schließen … wer Vernunft hat, der prüfe, und lebe nach seiner Ueberzeugung. Was nützt es, daß die Rüstigen am Wege stehen, und jedem Vorübergehenden den Kampf anbieten ! (85).

Damit hat Mendelssohn hier, wo er sich dem Proprium der konkreten jüdischen Religion zuwendet, noch einmal deutlich gemacht, worum es ihm keineswegs zu tun ist: Die Darstellung, die er zu geben gedenkt, ist allenfalls veranlaßt worden durch die dazumal durch den Lavaterstreit aufgebrochene Streitfrage um die Richtigkeit einer Religion und wurde jetzt verlängert durch die CranzMörschelsche Eingabe, aber keinesfalls darf sie mißverstanden werden als ein unter dem Tarnmantel der Prinzipienreflexion auf die eigenen religiösen Voraussetzungen durchgeführter Angriff auf das Christentum. Man darf Mendelssohn wohl so interpretieren, daß die Auseinandersetzung um die Wahrheit ei­ner Religion nicht geführt zu werden vermag in einer Aura wertender Überbietungsabsichten, sondern nur in der konsequenten Besinnung auf die Grundüberzeugungen der eigenen Religion bestehen kann, einer Besinnung freilich, die in den vielfältigen Äußerungen des religiösen Lebens ein organisierendes Grundprinzip zu entdecken sucht. Es ist die sympathische und auch noch unter modernen Denkgewohnheiten durchaus nachvollziehbare Praxis Mendelssohns, daß er ein Religionsgespräch trotz alledem nicht abschneidet. Wohl aber beschränkt er die in ein solches Gespräch eingehenden Elemente auf Aussagen, die den Wahrheits- und Überzeugungsraum verstehender Vernünftigkeit be-

bey­zutreten im Stande bin; sondern mich im Namen aller, denen Wahrheit am Herzen liegt, zu bitten, mich in Ansehung dessen, was immer dem Menschen das Wichtigste seyn muß, deutlich und bestimmt zu erklären« (J 84). Mendelssohn kommt damit nicht zuletzt einer Bitte nach, die Herder in einem Brief vom 1. Dezember 1769 an ihn im Zusammenhang mit dem Lavaterstreit gerichtet hatte. »[M]ein Herr, wenn ein Dritter … Sie … um etwas bitten dürfte: so wäre es, nicht blos auf Bonneten zu antworten …, sondern … ja nicht blos zu sagen, wozu Sie kein Christ werden, sondern warum Sie ein Jude bleiben. Eine philosophische Wider­ legung eines Beweises für die christliche Religion … ist nur ein halbes Werk: ein philoso­ phischer Beweis von der Wahrheit der jüdischen Religion wäre was mehr, und ich wünschte, diesen nicht als Axiom vorausgesetzt … sondern … bewiesen zu lesen« (Herder: Johann, 115). Nach der Lektüre der Jerusalemschrift scheint Herder mit den religionsphilosophischen Äußerungen Mendelssohns durchaus zufrieden und bezieht seinen kritischen Einwand nur auf das von Mendelssohn im ersten Teil seiner Schrift entwickelte Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Nach Herder hat Mendelssohn hier die Vorstellung eines Idealstaates zugrunde ge­legt und dabei der Vorläufigkeit aller staatspolitischen Institutionen zu wenig Rechnung getra­gen. »Den Staat setzen Sie so vollkommen, als er sein sollte … Im Jerusalem droben oder im zukünftigen – freilich da wird niemand an Ihrer Theorie zweifeln« (Herder an Mendelssohn am 4. Mai 1784; Herder: Aus Herders, 231).

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treffen, denn es kann keinen Zweifel leiden, daß die Religion auf solche Wahrheiten immer auch zurückgreift und mit ihnen einen reflexiven Umgang pflegt: Es ist wahr: ich erkenne keine andere ewige Wahrheiten, als die der menschlichen Vernunft nicht nur begreiflich, sondern durch menschliche Kräfte dargethan und bewährt werden können (86).

Wenn Mendelssohn aber dann darauf verweist, daß die praktischen Regularien, »um zur zeitlichen und ewigen Glükseligkeit zu gelangen«, den Juden »durch Mosen auf eine wunderbare und übernatürliche Weise geof­fenbaret worden« sind, scheint dies prima facie Mendelssohns Vernunftreli­gion diametral entge­ genzustehen (86). Es ist also genau darauf zu achten, wie Men­delssohn den Unterschied zwischen geoffenbarter Religion und allgemeiner Ver­nunftreligion differenziert, da er beide Religionsformen offenkundig als ver­träg­lich nebeneinander stehen lassen kann. Das Wortfeld, mit dem Mendelssohn die Spezial­ offenbarung der Juden umschreibt, lautet: »Gesetze, Gebote, Befehle, Le­bens­ regeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie sie sich zu verhalten haben, um zur zeit­lichen und ewigen Glükseligkeit zu gelangen« (86). Von dieser Spezial­ offen­barung werden »Lehrmeinungen«, »Heilswahrheiten«, und »allge­meine Vernunft­sätze« (86) abgesondert; diese nämlich »offenbart der Ewige uns, wie al­len üb­rigen Menschen, allezeit durch Natur und Sache, nicht durch Wort und Schriftzei­chen« (86). Allein also Sachverhalte, die eine präskriptive Dimension aufweisen, gehören in den engeren Kreis jener Spezialoffenbarung, die das Judentum von anderen Religionen unterscheidet. Mendelssohn will jeden Verdacht fernhalten, als sei das Judentum seiner religiösen Substanz nach nur eine frühere und unvoll­ständigere Offenbarung im Vergleich mit dem Christentum.129 Wenn nämlich das Judentum allein als Vorgänger des Christentums bestimmt wäre, würde nicht nur seine religiöse Substanz verkannt werden, sondern es wäre auch ein unzureichendes Differenzkriterium dem Christentum gegenüber angege­ben. Wort und Schriftzeichen nämlich, die Differenzkriterien, die nach Mendelssohn einzig das Judentum vom Christentum unterscheiden, sind nach ihrem prinzipiellen Aussagesinn auf Ge­setze gerichtet, die das Judentum absondern. Das Judentum existiert also unmittelbar in seiner Unterschiedenheit vom Christentum und auch anderen Religionen, indem es sich gerade im Vollzug der Gesetze mit diesen Gesetzen identifiziert.130 Doch stellt Mendelssohn diese Dimension seines Religionsbegriffs vorerst zu­rück, um Religion 129  J 86: »Man hat auf diesen Unterschied immer wenig Acht gehabt; man hat übernatür­ liche Gesetzgebung für übernatürliche Religionsoffenbarung genommen, und vom Judentume so gesprochen, als sey es blos eine frühere Offenbarung religiöser Sätze und Lehren, die zum Heile des Menschen nothwendig sind«. 130  Ein Sammelband unserer Tage (Rothschild [Hg.]: Christentum) zeigt, daß – bei allen bedenkenswerten Modifikationen – auch im 20. Jahrhundert kaum über das von Mendelssohn erreichte Reflexionsniveau hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Christentum und Ju­ den­tum hinausgegangen wurde.

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einem weitläufigeren Kontext einzuschreiben. Er ist sich des­sen bewußt, hier eine These zu vertreten, die nicht von selbst verständlich ist und »manchem Leser … neu und hart scheinen dürfte« (86). Darum schaltet er seiner Religionsphilosophie eine Theorie der Wahrheit vor, die dazu dienen soll, das konkret Jüdische seiner Überlegungen einem rational kontrollierba­ren Rahmen einzuzeichnen. Es geht ihm nämlich nicht nur um die Entfaltung des jüdischen Glaubens nach seiner spezifischen Differenz, sondern auch darum, bei dieser Entfaltung »nicht misverstanden zu werden« und mit dem »Leser aus demselben Stand­punkte auszugehen« (86). b) Wahrheit in der Jerusalemschrift Mendelssohn beginnt seine Explikation der konkreten Religion, indem er un­ ter­schiedliche Wahrheitsbegriffe vorstellt.131 »Man nennet ewige Wahrheiten diejenigen Sätze, welche der Zeit nicht unterworfen sind, und in Ewigkeit die­ selben bleiben« (86).132 Näherhin unterscheidet Mendelssohn in einer mo­dal­ logischen Operation diese nicht der Zeit unterworfenen und gleichbleiben­den Wahrheiten in notwendige und kontingente Wahrheiten. Sätze, Lemmata oder Ko­­rollare der Mathematik etwa wären als notwendige und Sätze der Phy­sik, die experimentell sich als richtig erweisen lassen müssen, als kontingente Wahrhei­ ten anzusprechen.133 Notwendige Wahrheiten haben ihr Wesen darin, »so und 131 

Cf. hierzu sehr kurz E. Weber: Fending, 527. Kennzeichnung ist nahezu identisch mit einer Wahrheitsdefinition Spinozas, nach dem ewigen Wahrheiten eine strikte Fiktions- und Negationsresistenz zukommen. Cf. Spinoza: Abhandlung, 46 f Anm. 1: »Ich werde … zeigen, daß es hinsichtlich ewiger Wahr­ heiten keine Fiktion geben kann (nulla fictio versetur circa aeternas veritates). Unter einer ewigen Wahrheit verstehe ich eine solche, die in ihrer Affirmation niemals verneint werden kann (si est affirmativa, nunquam poterit esse negativa)«. 133  J 87: »Beyspiele der ersteren Gattung sind die Sätze der reinen Mathematik und der Vernunftkunst; Beyspiele der letzteren die allgemeinen Sätze der Physik und Geisterlehre, die Gesetze der Natur, nach welchen dieses Weltall, Körper und Geisterwelt regiert wird«. Die Notwendigkeit mathematischer Aussagen bezieht sich hierbei allerdings nur auf die formal­ logischen Konsequenzen aus einem immer vorauszusetzenden Axiomsystem, so daß Men­ dels­ sohns Zuordnung mathematischer Sätze als bestimmter Ausdrucksgestalten ewiger Wahr­heiten heute mißverständlich klingen dürfte. Cf. Kleinert: Mathematik, 19: »Jede mathematische Aussage ist … hypothetisch, und die mathematische Gewißheit bezieht sich nicht auf die Inhalte, sondern auf die Art und Weise, in der sie aus dem Vorgegebenen gewonnen werden. Mathematisches Wissen ist nicht Wissen von Gegenständen, sondern Wissen davon, was wir über diese Gegenstände denken müssen, wenn wir bestimmte Voraussetzungen über sie akzeptieren«. Dabei ist die Objektivierbarkeitsdimension der Mathematik durchaus strittig. Optimistisch äußert sich hier Volk: Mathematik, 25f: »Es wird die Zeit kommen, in der eine strenge mathematische Weltanschauung entsteht, welche nicht ein bloßes Werk unse­ res Geistes sein wird, sondern reale, von uns unabhängige Naturerscheinungen widerspie­ gelt … Das Ziel der mathematischen Naturbetrachtungen darf nicht eine Anpassung an unsere Gedanken, unsere Empfindungen sein, sondern es muß ein Sich-Zurückziehen sein, 132  Diese

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nicht anders wahr« (86) sein zu können, weil das Denken sie auch nur in genau dieser Form zu denken vermag, ein Umstand, der auch für das Den­ken Gottes zutrifft. Insofern kann Mendelssohn sagen, daß sie aus dem »Verstande … Got­ tes« (87) zu folgern sind, weil Gott sie »so und nicht anders« (87) sich vor­stellen würde. Neben diesem Wahrheitstyp gibt es nach Mendelssohn einen zweiten, der sich auf Geschichtswahrheiten oder, wie Mendelssohn auch sagt, zeitliche Wahrhei­ten bezieht. Dabei handelt es sich um Dinge, die sich zu Einer Zeit zugetragen, und vielleicht niemals wiederkommen; Sätze, die durch einen Zusammenfluß von Ursachen und Wirkungen in einem Punkte der Zeit und des Raumes wahr geworden, und also von diesem Punkte der Zeit und des Raumes nur als wahr gedacht werden können (87).

Diese Wahrheit hat also mit dem vorangegange­nen Wahrheitstyp nichts mehr gemein, da sie keinerlei fixes Kriterium an­zugeben vermag dafür, als bestimmte Wahrheit angesprochen zu werden. Die Zeitgebundenheit setzt zwei Implikationen fest. Zum einen ist diese Wahr­heit eines Ursache-Wirkungszusammenhangs nur in einem konkreten Raum-Zeit-Moment als wahr anzusprechen. Sodann aber ist diese Bestimmung auch anzuwenden auf die jeweiligen Rezipienten und Rezipientinnen, die diese Wahrheit als Wahrheit unter der Perspek­tive ansprechen, nur augenblickshaft wahr sein zu können. Darum wird sie als wahr vermeint. »Von dieser Art sind alle Wahrheiten der Geschichte« (87). Auf diese Geschichtswahrheiten will Mendelssohn final hinaus, wobei sich gleich zeigt, daß es weniger die erkenntnistheoretische Dimension des Wahrheitstypus ist, die Mendelssohn interessiert. Vielmehr geht es ihm um die Tradierung durch Zeugenschaft. Geschichtswahrheiten nämlich »können nur von denenjeni­gen vermittelst der Sinne wahrgenommen werden, die zu der Zeit und an dem Orte zugegen gewesen, als sie sich in der Natur zugetragen« (89). Dies zeigt, daß der erkenntnistheoretische Sachverhalt einer notwendigen Sinnenwahrneh­mung dieser Wahrheit unmittelbar daraufhin ausgelegt wird, die Notwendig­keit einer Zeu­gen­schaft, die uns in anderen Zusammenhängen schon begegnet ist, zu betonen. Das »Bezeugte ist nicht mehr … Ohne Zeugniß können wir von keiner Geschichtswahrheit überführt werden« (89). Darum ist es auch nicht der beeine absolute Loslösung des Weltbildes … von der Individualität der menschlichen Seele, d. h. eine Befreiung von anthropomorphen Elementen«. Demgegenüber faßte Heidegger: Die Grundprobleme, 315, mathematische Sätze als wahrheitsneutrale Aussagen auf, die ihren Wahrheitsgehalt nur durch die Bezugnahme auf den tätigen Geist geltend machen können, »weil Entdecktheit von etwas als Wahrheit nur existieren kann mit dem entdeckenden existierenden Dasein«. Den modernen Denkgepflogenheiten der Physik kommt Men­ delssohn offenbar durchaus näher. Cf. Reichenbach: Die philosophische, 224, nimmt das folgende Zuordnungsverhältnis von mathematischen und physikalischen Sätzen vor: »Für den mathematischen Satz bedeutet Wahrheit eine innere Beziehung seiner Glieder, für den physikalischen Satz aber heißt Wahrheit eine Beziehung auf etwas Äußeres, ein bestimmter Zusammenhang mit der Erfahrung«.

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grifflich bestimmbare und insofern ge­danklich ins Unendliche identisch wiederholbare Gehalt, von dem her dieser Wahrheit ihre Evi­denz widerfährt, sondern vielmehr das »Ansehen des Erzählers« und seine ihm daraus erwachsene »Autorität«, die der historischen Wahrheit Stabilität verlei­hen (89). Mendelssohns Kernthese lautet: [S]oll eine Geschichtswahrheit der Nachwelt aufbehalten werden, so bestätigt« die göttliche Weisheit »ihre historische Gewißheit, und setzet die Glaubwürdigkeit der Erzähler über allen Zweifel hinweg (89).

Damit steht es so: Die zur Glückseligkeit des Menschen notwendigen Wahrhei­ ten offenbart Gott in der Weise, daß sie durch aufmerksame Inanspruchnahme der menschlichen Vernunft und unabhängig von der speziellen Religion oder dem konkreten Gottesbewußtsein erkannt werden können. Mendelssohn begründet dies mit folgendem Argument: Wenn Gottes Güte den Menschen Wahr­heiten offenbarte, die ihrer Glückseligkeit förderlich sind, so ist es mit die­ ser Güte nicht in Einklang zu bringen, daß er als Schöpfer die menschliche Vernunft dessen unfähig, diese Offenbarung auch zu erkennen, ausgerüstet hätte.134 Zudem, und dieses Argument ist vielleicht noch weitreichender, würde die Behauptung einer grundsätzlichen Inkongruenz von Offenbarung und Vernunft den Offenbarungsbegriff modallogisch überdehnen.135 Von einer Notwendigkeit der Offenbarung jenseits ihrer vernünftigen Nachvollziehbarkeit durch das Be­­wußtsein kann nämlich nicht die Rede sein. Anders wäre schwerlich zu erklären, warum es besiedelte Erdteile gibt, die allererst auf die missionarische Initiative derer warten müssen, denen diese Offenbarung zuteil geworden ist.136 Damit wertet Mendelssohn die natürliche Religion deutlich auf, indem er das menschliche Vernunftvermögen als für die Erkenntnis der für die Glückseligkeit relevanten Wahrheiten grundsätzlich suffizient erklärt und damit zugleich uni­versalisiert.137 Und er fügt hinzu, daß das Judentum streng ausgerichtet ist nach der Vorstellung, alle Menschen seien nicht nur »zur Glückseligkeit beru134  J 90: »Die dieses behaupten, sprechen der Allmacht oder der Güte Gottes auf der andern Seite ab, was sie auf der einen Seite seiner Güte zu zulegen glauben. Er war, nach ihrer Mei­nung gütig genug, den Menschen diejenigen Wahrheiten zu offenbaren, von welchen ihre Glückseligkeit abhänget; aber nicht allmächtig, oder nicht gütig genug, ihnen selbst die Kräfte zu verleihen, solche zu entdecken«. 135  J 90: »Zudem macht man durch diese Behauptung die Nothwendigkeit einer übernatürlichen Offenbarung allgemeiner, als die Offenbarung selbst«. 136  J 90: »Wenn denn das menschliche Geschlecht ohne Offenbarung … elend seyn müßte; warum hat denn der … größere Theil desselben von je her ohne wahre Offenbarung gelebet, oder warum müssen beide Indien warten, bis es den Europäern gefällt, ihnen einige Tröster zu zusenden, die ihnen Bothschaft bringen sollen, ohne welche sie, dieser Meinung nach, weder tugendhaft, noch glückselig leben können ?«. 137  Wie sich die natürliche Religion in der Poesie Ausdruck zu verschaffen suchte, zeigt Kemper: Norddeutsche. Cf. etwa zu Brockes l. c. 79.

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fen« (90), sondern würden auch naturhaft dazu befähigt sein, dieser Glückselig­ keit teilhaf­tig zu werden. Dabei lenkt er das Problem einer universalen Offen­ ba­rung um auf den Sachverhalt der menschlichen Vermögen. So zeigt sich auch hier in Mendelssohns Argumentation die Tendenz, den Offenbarungsbegriff der spezifischen Differenz, die durch eine bestimmte Religion beschrieben wird, vor­­zubehalten. Der Unter­schied hinsichtlich des menschlichen Glücksstrebens fällt demgegenüber in die unterschiedlichen Rezeptionsformen der göttlichen Offen­barung. So gibt es auf einfacheren Kulturstufen ein ›innerliches Empfinden‹ (90), in dem sich der Mensch Gott vergegenwärtigt. Diese innere Empfindung aber tritt nicht hinaus in ein konkret tradierbares Zeichensystem, sondern verbleibt in der Unmittelbarkeit des Empfindens als eines solchen. In einem hö­ he­ren Stadium der kulturgeschichtlichen Entwicklung tritt immer stärker die Tendenz einer auf Tradierbarkeit angelegten Strukturierung der Empfindungs­ tatsachen auf. Das durch den ›inneren Sinn‹ Empfundene wird in Zeichenund Symbol­systeme überführt, die hinsichtlich des religiös Empfundenen eine »deutliche Zeichenerkenntnis« (90) zulassen.138 c) Funktion der Geschichtsphilosophie Die soeben benannte Beobachtung veranlaßt Mendelssohn, eine kulturgeschicht­ liche Typisierung des Denkens über Gott vorzunehmen, die zugleich sein eindringlichstes Wort zur Geschichtsphilosophie darstellt. Dabei bringt er sein Ver­ständnis von Geschichte explizit in Stellung gegenüber Lessing (cf. 92) und kontert zugleich implizit Kants ein Jahr nach dem Erscheinen der Jerusalemschrift geschriebene Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Ab­ sicht von 1784. Doch sehen wir zunächst zu, in welchem Zusammenhang Mendelssohn seine geschichtsphilosophischen Überlegungen entfaltet, die durchaus anschlußfähig zu sein scheinen an moderne Konzeptionen und etwa in der Geschichtsphilosophie Walter Benjamins eine Fortschreibung erfahren haben.139 Mendelssohn geht davon aus, daß sich das Gottesbewußtsein der Menschen nicht auf jeder kulturgeschichtlichen Entwicklungsstufe gleich ausgebildet findet, daß aber zugleich sich eine zwischen den Stufen bestehende Kontinuität ausmachen ließe. Eine erste Stufe ist betreten durch jenen Menschen, der sich in einem noch sehr unmittelbaren Verhältnis zu der ihn umgebenden Natur befindet. Diese Unmittelbarkeit kommt darin zum Ausdruck, daß er die Natur als ein buntes und vielgestaltiges Gefäß göttlicher Mitteilungsbedürfnisse versteht, das sich noch nicht zu einer mit der Gottesvorstellung konkurrierenden 138  J 90: »Hier der rohen Natur überlassen … und gleichsam stammelnd … dort durch Wissenschaft und Kunst unterstützt, hellglänzend durch Worte, Bilder und Gleichnisse, durch welche die Wahrnehmungen des inneren Sinnes in deutliche Zeichenerkenntniß verwandelt«. 139  Cf. besonders Benjamin: Über den Begriff der Geschichte; Illuminationen, 251 – 261 u. ders.: Theologisch-politisches Fragment; Illuminationen, 262 f.

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Größe auszubilden vermocht hat.140 Das »fehlerhafte« (91) dieser Vorstellung besteht darin, daß hinsichtlich aller Naturerscheinungen von einem unmittelbar-kausalen Wirken Gottes ausgegangen wird, wodurch der Mensch dann eine pantheistische Denkgewohnheit auszubilden in der Gefahr ist, die keine randscharfe Trennung zwischen Natur und Gott mehr vorzunehmen vermag und somit zugleich die Figur, daß Gott sich in der Natur mitteilte, um ihren Sinn brächte. Demgegenüber steht ein überspannter Naturbegriff, wie ihn – so Mendelssohn – die Epikur, Lukrez, Helvetius und Hume repräsentieren, indem sie mit dem »Worte Natur ein täuschendes Spiel treiben« (91). Durch zunehmende Verfeinerung der Begriffssysteme aber werden diese Reflexionsdefizite immer neu korrigiert und kompensiert, so daß eine kontinuierliche Destruktion des Vorurteils nach seinem die Wahrheitsfindung hemmenden Moment bei gleichzeitiger Bewahrung der wahrheitsförderlichen Implikationen dieses Vorurteils statthat.141 Entscheidend aber ist es zu sehen, daß zwischen dem Zustand der rohen und sehr viel höherstufigen Gottesvorstellungen eine Kontinuität herrscht, die es verbietet, die zunehmende Ausdifferenzierung der Gottesvorstellung in ein einsinniges Entwicklungsgeschehen auslaufen zu lassen.142 Fragt man nach dem Grund, der Mendelssohn eine solche Kontinuität annehmen läßt, so wird man ihn wohl darin zu suchen haben, daß er eine Unterscheidung zwischen der Form und dem Inhaltsmoment einer geschichtlichen Entwicklung vornimmt (cf. J 91). Während nämlich die Form der Gottesanschauung und der Naturbetrachtung einer Verfeinerung und Höherstufigkeit reflexiver und affektiver Wahrnehmungsvollzüge unterliegt, bleibt doch der allen diesen Wahrnehmungsvollzügen innewohnende subjektive Trägerkern identisch, eine Überlegung, die zeigt, wie stark die Aufklärung einer Suche nach unerwarteter Harmonie (Claude Lévi-Strauss) innerhalb der strukturalistischen Ethnologie vorgearbeitet hat. Das Thun und … die Sittlichkeit … hat sich von jener rohen Vorstellungsart … vielleicht eben so gute Folgen zu versprechen, als von diesen verfeinerten und gereinigten Begriffen (91). 140  J 91: Dem einfältig lebenden Menschen »ist das Wort Natur, der blosse Schall, noch nicht zu einem Wesen geworden, das die Gottheit verdrengen will. Er weis so gar noch wenig von dem Unterschiede zwischen mittelbarer und unmittelbarer Wirkung, und hört und siehet vielmehr die alles belebende kraft der Gottheit überall«. 141  J 91: »[S]o erweckt die Vorsehung wiederum andere Männer im Volke, die Vorurtheil von Wahrheit trennen … und zeigen, daß die Wahrheit Bestand habe, wenn auch das Vor­ur­ theil verworfen wird«. 142 Zur Geschichtsphilosophie der Aufklärung cf. den Überblick bei Cassirer: Die Phi­lo­ so­phie der Aufklärung, 244 – 262, dessen Verdienst nicht zum wenigsten darin besteht, enga­ giert mit dem latenten Vorurteil mangelnden geschichtsphilosophischen Bewußtseins in der Aufklärung aufgeräumt zu haben. Cf. zu Mendelssohns Jerusalemschrift l. c. 260 f. Die breite Diskussion um den Ursprung der Geschichte im 18. Jahrhundert ist aufgearbeitet von Zedelmeier: Der Anfang. Zur durch Giambattista Vico maßgeblich bestimmten Ge­schichts­ phi­losophie in Italien cf.: Formigari: Geschichtsphilosophie, bes. 366 f.

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Die in allen religiösen Kultivierungs- und Verfeinerungsstufen menschlicher Entwicklung sich durchhaltende Kontinuität besteht also näher besehen nur unter der von Mendelssohn gemachten Voraussetzung, jegliches Werturteil über eine menschheitsgeschichtliche Entwicklungsstufe unmittelbar abhängig zu machen davon, inwieweit sie die Sittlichkeit vermehrt oder ihr entspricht. Damit ist der von uns so bezeichnete identische Trägerkern allen kulturgeschichtlichen Fortschreitens der Menschheit in Wahrheit ein Quasi-Träger, der Gültigkeit allein in dem Sachverhalt hat, jeglichen Entwicklungsfortschritt nach seiner Wertdimension auf das Paradigma der Versittlichung festgenadelt sein zu lassen. Und unter diesem Blickwinkel bleibt das »Maaß« der »Sittlichkeit« auf jedem neuen Fortschrittsplateau »ungefähr dasselbe« (91). Es liegt auf der Hand, daß von diesem Maßbegriff     143 auch Mendelssohns konkrete Einschätzung der Geschichte betroffen ist, was sich sogleich darin zeigt, daß er geschichtsphilosophisch vollständig abrückt von seinem Freund Lessing, der in seiner Erzie­ hung des Menschengeschlechts (1780) ausgegangen war von einer immanenten Geschichtsteleologie, die durch apokalyptisch-pädagogische Wechselinitiativen in Gang gehalten wird. Dabei hatte Lessing das Verhältnis von Individual- und Uni­versalgeschichte in einer mechanistischen Metapher als eine trochisch ineinandergreifende Telosbewegung darzustellen versucht: [W]enn es nun gar so gut als ausgemacht wäre, daß das große langsame Rad, welches das Geschlecht seiner Vollkommenheit näher bringt, nur durch kleinere schnellere Räder in Bewegung gesetzt würde, deren jedes sein Einzelnes eben dahin liefert ?  144 143  Die hier in Anschlag gebrachte Maß-Logik findet sich auch in Ueber die Frage: was heißt aufklären (1784), wo sie Mendelssohn gestattet, eine Kants berühmt gewordener Formu­ lie­rung durchaus ebenbürtige Beschreibung der Aufklärung zu geben, indem er durch den Ge­brauch des Maß-Begriffes sein Aufklärungsverständnis für Näherbestimmungen offenhält, es aber zugleich vor dem Hintergrund eines das 18. Jahrhundert zentral kennzeichnenden Titels expliziert, der Bestimmung des Menschen. Wenn ›Aufklärung‹ als eine progressive Perfektionierungstendenz von Erkenntnissen und Erkenntnisfertigkeiten der Menschen be­ grif­fen werden kann, so stellt die Bestimmung des Menschen stets jenes Maß bereit, vor dessen Hin­tergrund die entsprechenden Progressionen zu bewerten sind; und genau darin liegt dann auch die von Kant betonte Aufklärungstendenz, Selbstverlust abzuwehren. »Ich setze allezeit die Bestimmung des Menschen als Maaß und Ziel aller unsrer Bestrebungen und Be­ mühungen, als einen Punkt, worauf wir unsere Augen richten müssen, wenn wir uns nicht ver­lieren wollen« (Gs iii 400). Schulte: Was heißt, 228, vertritt die These, daß »Mendelssohns Auf­klärungsverständnis … aktueller als dasjenige Kants« sei, weil »Mendelssohn [sich] weigert, Aufklärung von Kultur und Bildung zu trennen. Das ist aktuell … etwa für die Debatten über Bildungspolitik in einem modernen Staat«. Über den Bildungsbegriff stellt Goetschel: Men­delssohn, 481, eine Analogie zwischen der Jerusalemschrift und dem Aufklärungsaufsatz Men­delssohns her. 144  Erziehung des Menschengeschlechts §   92,   W   iii   657. Zur bestimmtheitslogischen Di­ men­sion der Lessingschen Teleologie cf. auch § 82, l. c. 655 (Hhgn. z. T. v. Vf.), der Erziehungs­ schrift: »Die Erziehung hat ihr Ziel; bei dem Geschlechte nicht weniger als bei dem Einzelnen. Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen«.

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Hierzu nimmt Mendelssohn ausdrücklich eine Gegenposition ein: »Ich für mein Theil habe keinen Begriff von der Erziehung des Menschengeschlechts, die sich mein verewigter Freund Lessing … hat einbilden lassen« (92). Nach Mendelssohn nämlich schreitet das menschliche Geschlecht keineswegs voran auf dem Weg einer kontinuierlichen Besserung und Kultivierung der Sitten, und so widerspricht er der Annahme eines kollektiven Menschheitsfortschritts,145 der von Lessing mit der Metapher des durch eine apokalyptische Universalpädagogik vom Kind über die Adoleszenz zum Manne reifenden Menschen einprägsam in die Anschauung gebracht wurde. Mendelssohns Gedanke impliziert zumindest zwei Thesen: Das geschichtsphilosophische Implikat dieser Überlegung ist darin zu erblicken, daß von einem Fortschritt des Menschen insofern, als ein Erkenntniszuwachs auch eine Veredlung der Sittlichkeit zwangsläufig mit sich bringt, nicht die Rede sein kann. Mendelssohn faßt die Menschheit nicht als ein Kollektivum auf, sondern nach der Analogie eines Individuums, »wie eine einzige Person« (92). Damit ist für ihn aber nicht nur eine Metapher verbunden, sondern auch die kulturgeschichtliche These, daß die Menschheitsgeschichte nicht am Ende einer universalen Kultur- und Bildungsgeschichte, sondern innerhalb einer jeden Epoche an ihr Ziel kommt. Darin liegt einmal, daß eine jede Epoche nicht nur bei sich selbst ihr Anfangen hat, sondern zugleich auch ihre eigene Vollendungsgestalt in sich trägt. Zugleich kann auch nicht von einer kontinuierlichen Entwicklung der Menschheit ausgegangen werden, weil keine Position zu denken möglich ist, von der aus triftig der Schluß auf eine solche Kontinuität als gerechtfertigt erscheinen könnte,146 zumal auch der nüchterne Blick in die Geschichte lehrt, daß eine stete Versittlichung der Gesellschaft nicht stattgefunden habe. Wenn aber eine solche Position einzunehmen keine Möglichkeit besteht, so liegt es nahe – und dies ist auch Mendelssohns These –, jeglicher Geschichtsphilosophie den Abschied zu geben, die historische Tatsachenbefunde in das spekulative Korsett hypothetischer Sinnvermeinungen schnürt und dabei gezwungen ist, diese Sinnbehauptungen in dauerreflexiver Parallelität zur Ereigniskomplexität des Historischen zu beschwören.147 145 

Cf. hier Breuer: Of Miracles, 46f. so scheint uns Erlins: Reluctant, 102, Beschreibung der Mendelssohn­schen Ge­ schichts­t heorie als »cyclical framework« nicht zutreffend zu sein. 147  J 92 f: »Ihr wollt errathen, was für Absichten die Vorsehung mit der Menschheit hat ? Schmiedet keine Hypothesen, schauet … auf das, was wirklich geschiehet … Dieses ist That­ sa­che, dieses … muß in dem Plane der Weisheit genehmigt … worden seyn. Die Vorse­hung ver­fehlt ihres Endzweckes nie … Nun findet ihr, in Absicht auf das gesammte Men­schen­ ge­schlecht, keinen beständigen Fortschritt …, der sich der Vollkommenheit immer näherte. Vielmehr sehen wir das Menschengeschlecht im Ganzen kleine Schwingungen machen, und es that nie einige Schritte vorwärts, ohne bald nachher … in seinen vorigen Stand zurück zu glei­ten«. Lebhaft hat Kant gerade an dieser Passage Anstoß genommen, wenn er sagt: »Ich bin anderer Meinung. – Wenn es ein einer Gottheit würdiger Anblick ist, einen tugendhaften 146  Und

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Hier endet Mendelssohns geschichtsphilosophischer Exkurs, dem man allerdings in der dargelegten Form kaum anzusehen vermag, in welchem Zusammenhang er mit der beabsichtigten Darstellung konkreter jüdischer Religiosität steht. Darum wollen wir abschließend der Frage nachgehen, wie genau der explikationslogische Ort zu bestimmen sei, den diese kurze geschichtsphilosophische Überlegung innerhalb jenes Textsinns, der final auf die Entfaltung des Zeremonialgesetzes gerichtet ist, einnimmt. Offenkundig nämlich hängt die Entfaltung des Spezifikums jüdischen Glaubens eng zusammen mit der Einsicht darein, daß es wohl eine individualgeschichtliche Entwicklung Einzelner gibt, damit aber noch nicht zugleich auf einen Fortschritt der Menschheitsgeschichte geschlossen werden darf; und dieser Schluß hätte offenbar auch eine Konsequenz für die Auffassung vom Judentum. Wenn nämlich von der Menschheit ein universaler Kulturaufstieg mit immer neuen Versittlichungsschüben angenommen wird, dann ist dieser Aufstieg nicht zuletzt auch anzunehmen für jene Entwicklung des Menschen, die sein religiöses Leben betrifft. Und dies beträfe dann nicht nur den im allgemein-theologischen Sinn angenommenen Zusammenhang zwischen Verheißung und Erfüllung, sondern auch die konkrete Situation, in der sich Mendelssohn als Jude befand. Nur zu gut würde nämlich die Annahme einer steten Perfektionierung menschlicher Sittlichkeitsentwicklung in der Gestalt des Religiösen mit jener Konversionsverdächtigung gegenüber dem Juden Mendelssohn, die den schmerzvollen Auslöserreiz der Jerusalemschrift gebildet hat, zusammengehen. Nach neologischer Einfärbung der christlichen Lehrtradition gäbe es nämlich für eine jüdische Gesetzesreligion nur noch wenig Anlaß – zumal dann, wenn sich ihre Anhänger als aufgeklärt verstünden –, nicht zum christlichen Glauben überzulaufen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Konsequenz für Mendelssohn nicht hinnehmbar war. Und so darf vermutet werden, daß Mendelssohn seinen geschichtsphilosophischen Exkurs genau in den Zusammenhang dieser von ihm immer neu vorgetragenen Abweisung religiöser Übergriffigkeiten stellt und diese Abweisung hier noch einmal geschichtsphilosophisch positioniert: Das Vollendungsgeschehen der geschichtlich-kulturellen Entwicklung liegt jeder Epoche selbst inbegriffen, ohne daß sich hier eine Höherentwicklung dingfest machen ließe, die dann eine vorangegangene geschichtliche und kulturelle Entwicklungsstufe depotenzieren oder als einen notwendigen Entwicklungsschritt auszeichnen würde. Wenn Mendelssohns wahrheitstheoretische Erörterungen deutlich gemacht haben, daß gerade die begründungslogisch fragilen Geschichtswahrheiten es sind, die allein einzustehen vermögen für religiMann mit Widerwärtigkeiten und Versuchungen zum Bösen ringen und ihn dennoch dagegen Stand halten zu sehen: so ist es ein … des … wohldenkenden Menschen höchst unwürdiger Anblick, das menschliche Geschlecht … zur Tugend hinauf Schritte thun und bald darauf … zurückfallen zu sehen« (Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, Aa viii 308).

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öse Erörterungszusammenhänge, und wenn weiters gerade die Religion im folgenden nach ihren konkreten Implikationen soll dargestellt werden, dann hängt alles davon ab, das Eigentliche der Religion nicht Opfer einer übergeordneten Entwicklungsperspektive werden zu lassen. Vielmehr muß die religiöse Wahrheit unbetroffen davon, daß auch andere Religionen diese Wahrheit anders und mit anderen Sinnergebnissen für sich beanspruchen, vertreten werden können. d) Deduktion des Zeremonialgesetzes Nähert man sich weiter einer Beschreibung der jüdischen Religion, so ist zuerst zu sagen, daß ihr Zentrum weder in einer Spezialoffenbarung148 besteht, die anderen Religionen nicht zuteil geworden sei, noch in allgemein gültigen Absolutheitsprätentionen. Vielmehr sind alle religiösen Prinzipien der jüdischen Religion streng aus der sinaitisch-theophanen Ursprungsvokalität herzuleiten: »Ich bin der ewige, dein Gott ! der dich aus dem Lande Mizraim geführt, aus der Sklaverey befreit hat« (94). Das ewige, allmächtige und in der Zukunft vergeltende Von-sich-selbst-her-Sein Gottes ist zwar »allgemeine Menschenre­ ligion« (93) als einer notwendigen Voraussetzung für ein sittlich-glückseliges Leben, aber es ist eben damit nicht jene Offenbarung, die das Judentum von allen anderen Religionen unterscheidet.149 Zwar sind auch innerhalb des Judentums diese Momente einer allgemeinen Menschheitsreligion vorausgesetzt, da sie allererst die notwendigen Rezeptionsbedingungen für eine speziellere Offenbarung bereitstellen, aber die das Judentum unterscheidend ausmachende Offenbarung hat einen anderen Ort, eine andere Zeit: den »großen Tag« nämlich »auf Sinai« (93). Hier ward gesagt, was innerhalb allgemeingültiger Ewig148  J 93: »Das Judentum rühmet sich keiner ausschließenden Offenbarung ewiger Wahrhei­ ten, die zur Seligkeit unentbehrlich sind; keiner geoffenbarten Religion, in dem Verstande, in wel­chem man dieses Wort zu nehmen gewohnt ist … Die Stimme, die sich an jenem großen Tage, auf Sinai hören ließ, rief nicht: ›Ich bin der Ewige, dein Gott ! das nothwendige, selbstständige Wesen, das allmächtig ist und allwissend, das den Menschen in einem zukünftigen Leben vergilt, nach ihrem Thun‹«. Cf. hierzu Arkush: The Questionable, 33f. Arkush betont zu­­gleich die schwer zu überschätzende Bedeutung der Mendelssohnschen Konzeption: »He [sc. Mendelssohn] intended … to show that its practitioners were in every way worthy of parti­ ci­pating in the society the thinkers of the Enlightenment were trying to summon into being. He could do so effectively, however, only if he excised Judaism’s theocratic dimension … Men­delssohn introduced a radical new conception of the nature of the Mosaic Law. Without any real biblical or rabbinical authorization, without … genuinely caring whether he had any such authorization, he sought to dissolve what we might call the coercive, collectivist dimension of the Jewish religion, and to render the practice of Judaism entirely a matter of individual choice« (l. c. 40). 149  J 94: »Wer … von diesen zur menschlichen Glückseligkeit unentbehrlichen Wahrheiten nicht durchdrungen … zum heiligen Berge hintrat, den konnten die großen … Anstalten betäuben …, aber nicht eines bessern belehren. – Nein ! alles dieses ward vorausgesetzt, … in den Vor­bereitungstagen gelehrt … und durch menschliche Gründe ausser Zweifel gesetzt«.

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keits- und Unbedingtheits­kennzeichnungen verschwiegen werden mußte, daß nämlich der sich Israel offenbarende Gott in dem schlichten Gewand der Kontingenz kommt, die ihr Spezifikum darin hat, Gesetze zu offenbaren, die nur für dieses Volk in Geltung stehen. Alles dieses sind Geschichtswahrheiten, die ihrer Natur nach, auf historischer Evidenz beruhen, durch Autorität bewährt werden müssen, und durch Wunder bekräftigt werden können (94).

Wie schon zuvor herausgearbeitet, hat die jüdische Religion in der Autorität des Zeugnisses ihr tragendes Kennzeichen, zu dem das Wunder zwar hinzutreten kann, ohne aber gleichsam eine Bedingung für die Plausibilität des Glaubens zu sein.150 Zwei Gründe lassen sich angeben, warum Mendelssohn den Autoritätsglauben ins Zentrum seiner Wesensbestimmung stellt. Zum einen ist der Wun150 Es

scheint uns bedeutsam, wenn der Mendelssohns Jerusalemschrift durchaus mit Sympathie gegenüberstehende Johann David Michaelis: [Rez.] M. Mendelssohn, gerade hinsichtlich des Wunderverständnisses Mendelssohn so sehr im Irrtum sieht, daß er sagt: »Lieber wollte ich als Philosoph alle in der Bibel erzählten Wunder für Unwahrheiten halten, und die Bücher Mosis als untergeschoben verwerfen … als ihnen einen solchen letzten Endzweck geben« (83 f ). Dabei hatte Michaelis die folgende Stelle der Jerusalemschrift vor Augen: »[H]istorische Nachrichten enthielten den Grund der Nationalverbindung, und als Geschichtswarheiten können sie, ihrer Natur nach, nicht anders, als auf Glauben angenommen werden. Autorität allein giebt ihnen die erforderliche Evidenz; auch wurden diese Nachrichten der Nation durch Wunder bestätigt, und durch eine Autorität unterstützt, die hinreichend war, den Glauben über alle Zweifel und Bedenklichkeit hinweg zu setzen« (J 122, Hhgn. z. T. v. Vf.). Dagegen wendet sich Michaelis mit dem Argument, daß »diese Absicht« viel »zu klein für das weiseste Wesen, Wunder zu thun«, sei (l. c. 82). Offenkundig liest Michaelis Mendelssohn so, als wollte dieser behaupten, daß Wunder ein notwendiges Implikat der göttlichen Spezialoffenbarung an sein Volk Israel seien, hingegen aber bei der Offenbarung universalisierbarer Vernunftwahrheiten keine Rolle spielten. Und wenn diese Lesart den entscheidenden Punkt treffen würde, wäre Mi­chaelis vollkommen darin zuzustimmen, wenn er schließt: »[D]as Gott, um historische Facta, die nur ein so ungemein kleines … Volk angehen, statt menschlicher Zeugnisse Wunder gebrauchen, um dieser Kleinigkeit Willen … das Uhrwerk der Welt umstellen sollte, kann ich nicht glauben« (83). Bedeutsam scheint uns diese Gedankenfigur des Michaelis darum, weil sich hier eine Reserve gegenüber dem Judentum zu zeigen scheint, die sich darin zum Ausdruck bringt, daß der von Mendelssohn intendierte Aussagesinn bewußt oder unbewußt gegen den Strich gebürstet wird. Während nämlich Mendelssohn es gerade um die modallogi­ sche Auszeichnung der Wunder als kontingenter und die Autorität der Zeugen nur stützen­der Gottesereignisse zu tun ist, deutet Michaelis Mendelssohns Wunderverständnis als eine Über­ dehnung des Exklusivitäts- und Bedeutsamkeitsanspruchs eines Juden gegenüber der Welt­ geschichte. Solche Passagen, in die die latent antijüdische Haltung des Michaelis bei der Be­ sprechung der Jerusalemschrift gleichsam unter der Hand eingegangen ist, scheinen uns für eine Analyse judenfeindlicher Tendenzen ebenso wichtig wie die Herausstellung der offensichtlichen Angriffe auf die jüdische Religion. Cf. zu den letzteren bei Michaelis Löwenbrück: Johann; zur Jerusalemschrift bes. l. c. 329 ff. Es sei hier nur angemerkt, daß Ha­mann gerade umgekehrt Mendelssohn meint vorwerfen zu müssen, die heilsgeschichtliche Dimension des Judentums verleugnet zu haben zugunsten einer unbiblischen Festlegung des Judentums auf eine Kategorie wie das Recht. Cf. hierzu Gründer: Hamann, 123 –129.

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derglaube an eine Autorität fest gekoppelt. Wenn nämlich allgemeine Vernunftund Religionswahrheiten nicht das Kriterium für die Triftigkeit der Wunder bilden können, bleibt nur noch eine Autorität von konkreten Menschen innerhalb eines Überlieferungsprozesses übrig, die garantieren, daß ein Wunder auch ein­steht für den Sinn, den es transportieren soll. Zugleich aber kommt in dem Um­stand, daß Autorität das Zentrum des Tradierungsprozesses bildet, der konkrete Bezug auf das unveräußerlich Eigene der Religion zum Ausdruck. Diese Unveräußerlichkeit besteht darin, zwar bedingungslos der Autorität zu glauben, diese Bedingungslosigkeit aber niemals als einen dahingehend universalisierbaren Charakter zu verstehen, daß er auch allen anderen Religionen könnte andemonstriert werden. Die bewußt eingegangene Positivität eines Glaubens hin auf Autorität trägt in sich zugleich die Einsicht darein, es hier nurmehr mit einem individuellen Glaubensgrund zu tun zu haben, der gerade nicht für andere nachvollziehbar sein muß. Mendelssohn stellt so eine Differenzierung zwischen allgemeiner Religionswahrheit und religiöser Geschichtswahrheit noch einmal deutlicher unter die Differenz von Glauben und Wissen: »Im Grunde kömmt hier alles auf den Unterschied zwischen Glauben und Wissen, Religionslehren und Religionsgeboten, an« (97). Wissen nämlich ist nicht ausschließlich zu haben in einem konkreten Religionsverband, da es als Wissen seinen Sinn gerade darin hat, durch andere, die dieser Religion nicht angehören, ebenfalls gewußt werden zu können. Dies trifft zwar für das Wissen von bestimmtheitslogisch eindeutig fixierbaren Sachverhalten in einer besonderen Weise zu, läßt sich aber auch vom religiösen Wissen behaupten. Zuerst wäre von diesem Wissen zu sagen, daß es immer auch als eine Folgerungsmenge aus bestimmten Prämissen oder Fundamentalsätzen zu definieren ist. Das bedeutet aber auch, daß man die differenten Wissensformen zurückführen kann auf einige wenige Fundamentalsachverhalte, aus denen die Wissensformen dann wiederum als hervorgegangen gedacht werden können. Unter dieser Perspektive wäre eine Komplexitätsreduktion immer auch ein Ausdruck dafür, daß das religiöse Wissen fest in diesen Fundamentalsätzen stünde. »Alles menschliche Wissen läßt sich allerdings auf wenige Fundamental­ be­griffe einschränken, die zum Grunde gelegt werden. Je weniger, desto fester stehet das Gebäude« (97). Je mehr Sätze des religiösen Wissens sich als Folgesätze aus Prinzipiensätzen verstehen lassen, desto einspruchsresistenter ist das religiöse System. Wissen auf Gründe zurückführen zu können, um dadurch den Wissens­vollzug einspruchsfest zu gestalten, ist aber nicht das tragende Moment der Religionsgesetze. »Gesetze leiden« nicht nur »keine Abkürzung« (97), sondern sie sind auch nicht einfach ableitbar aus Fundamentalgesetzen. Darum gibt es auch gegen solche Gesetze keine denkbaren Einwände, weil eine freie Übereinkunft ausreicht, um ihnen Gültigkeit zuzuerkennen. So ist an den religiösen Gesetzen »alles fundamental« (97). Diese Fundamentalität rührt in erster Hinsicht daher, daß die Gesetze auf Handlungen ausgerichtet sind, und diese Aus-

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richtung bedingt, daß das Gesetz als ganzes Gesetz zu erfüllen ist.151 Zugleich ist das Gesetz auf Handlungen aus, die sich nur durch ihren Vollzug in die Wahrheit bringen. Sie sind keine lauernde Reserve, auf die man zu jeder Zeit zurückgreifen kann, sondern sie sind allererst dadurch wahr, daß man sie tut. Der Sinn dieses Tuns setzt sich immer wieder neu frei bei jedem Nachvollzug und läßt sich somit nicht festlegen. Da­rum muß es das ganze Gesetz sein, das in Gültigkeit steht, da nicht auszumachen ist jenseits des Vollzuges, an welcher Stelle genau jene Sinnstiftung in Kraft tritt. Mendelssohn stellt hier offenkundig auf eine weichere Form des Lernens ab, die darin Gestalt gewinnt, daß in einem Aneignungsprozeß der Nachahmung das Überlieferungsgut nicht nur weitergegeben und rezipiert wird, sondern sich aus diesem Vorgang neue und eigene Weisen ergeben, mit diesem Traditionsmaterial umzugehen.152 Daß sich in diesem Überlieferungsgut ein religiöser Sinn angelegt findet, den es stets neu zu erschließen gilt, wird in einem Erzeugen von Wirklichkeitswelten zum Ausdruck gebracht. Darum auch vermag die Autorität der Tradenten jenen prinzipiellen Rang zu beanspruchen, den Mendelssohn ihr zuerkennt. Die Prinzipiendimension besteht nämlich nicht darin, eine konkrete Wirklichkeit an den Schüler weiterzugeben, sondern vielmehr in dem Sachverhalt, im Umgang mit den überlieferten Geboten sich selbst eine eigene und individuelle Wirklichkeit erzeugt zu haben. Und es ist dieses Erzeugen von religiösen Wirklichkeitswelten am konkreten Ort eines jeden individuellen Umgangs mit dem Überlieferungsgut, für das die Autorität des religiösen Lebens stellvertretend steht. Damit ist genau der Durchschlagpunkt für Mendelssohns Theorie des Zeremonialgesetzes benannt. Das Zeremonialgesetz ist eine lebendige, Geist und Herz erweckende Art von Schrift die bedeutungsvoll ist, und ohne Unterlaß zu Betrachtungen erweckt, und zum mündlichen Unterrichte Anlaß und Gelegenheit giebt (98).

Mit dieser Definition präludiert Mendelssohn seine Schriftkritik, die das Plädoyer für einen nicht fixierbaren, lebendigen Überlieferungsprozeß darstellt. Das Zeremonialgesetz ist ausgezeichnet durch jene Lebendigkeit, die den Vollzug von Religion als Nachvollzug zu ermöglichen verspricht. Seine These des Vorrangs der lebendigen Tradition vor jeder Form schriftlicher Fixierung sucht Mendelssohn plausibel zu machen, indem er eine Kulturgeschichte der Zeichen ent­wirft. Dabei geht er davon aus, daß ein unmittelbares Wechselwirkungsverhältnis besteht zwischen der Entwicklung von kulturellem Erkenntniszuwachs

151  Treffend weist Stegmaier: Das Gute, 130 ff, darauf hin, daß das Zeremonialgesetz dem Einzelnen hilft, jene Verantwortung zu übernehmen, die er in einem unendlichen Sinne gegenüber der Thora hat. Zur Bedeutung des Handlungsaspekts cf. Breuer: Rabbinic, 314. 152  Es zeigt sich in dieser ›weicheren‹ Form des Lernens immer auch die Absicht – worauf Behm: Moses, 249 f, hinweist –, Vereinheitlichungstendenzen einer Schrift- und Zeichenkultur, die das Judentum um seine religiösen Eigenheiten zu bringen drohten, entgegenzuwirken.

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und jenen Zeichensystemen,153 in denen dieser Erkenntniszuwachs repräsentiert wird.154 Im folgenden sollen die Entwicklungsschritte der Mendelssohnschen Schrifttheorie nachgezeichnet werden. Kaum höret der Mensch auf, sich mit den ersten Eindrücken der äussern Sinne zu begnügen … [k]aum fühlet er den seiner Seele eingesenkten Sporn, aus diesen äussern Eindrücken sich Begriffe zu bilden, so wird er die Nothwendigkeit gewahr, sie an sinnliche Zeichen zu binden; nicht nur, um sie andern mittheilen, sondern um sie für sich selbst festhalten, und so oft als nöthig ist, wieder beachten zu können (100).

Die erste Initiative zur Verschriftlichung liegt in dem Rezeptionsbedürfnis von äußeren Eindrücken. Es genügt dem Menschen nicht mehr, innerhalb wechselnder Eindrücke als ein von Eindruck zu Eindruck schwankendes Wesen sich zu verändern. Diesem Zustand abzuhelfen, nimmt der Mensch Zuflucht zu seinem Begriffsvermögen. Begriffliche Bestimmtheit strukturiert die Eindrücke nicht nur und ermöglicht dem Subjekt damit die Wiedererkennung identischer Eindrücklichkeiten, sondern sie versichert das Subjekt zugleich auch jener Identität, die ihm jenseits seiner Rezeptionsvollzüge zukommt. Begriffliche Strukturierung der Eindrucksmannigfaltigkeit ist für das Subjekt immer zugleich auch verbunden mit einem Zuwachs an Identitätsbewußtsein. Um sich Begriffe immer neu vergegenwärtigen zu können, ist es notwendig, die Begriffe mit einem Merkmal zu versehen. Dadurch wird eine kontrollierbare Wiederer­kennung des in einem Begriff Begriffenen ermöglicht. Der Zeichenbildungspro­zeß geht dabei wie folgt vor sich: Die ersten Schritte zur Absonderung allgemeiner Merkmale wird er zwar ohne Zeichen thun können, und thun müssen; denn noch itzt müssen alle neue abstrakte Begriffe ohne Hülfe der Zeichen gebildet, und sodann erst mit einem Namen belegt werden (100).

Bei der Merkmalsetzung kann sich das Subjekt nicht eines Zeichens bedienen. Das abgesonderte Merkmal ist also noch kein Zeichen, da sonst in Anspruch genommen würde, was allererst innerhalb des zeichengenetischen Prozesses erzeugt werden soll. Die Merkmalbildung geht offenbar den Zeichen vorauf. Das gemeinsame Merkmal muß zuvörderst, durch die Kraft der Aufmerksamkeit, aus dem Gewebe, in welchem es verflochten ist, herausgehoben, und hervorstechend gemacht werden (100).

153  Ricken: Probleme, 44 ff, weist darauf hin, daß die innerhalb des 18. Jahrhunderts stark untersuchte Arbitrarität der Zeichen, der Unterschied zwischen Lautzeichen und Bedeutung also, darauf aus ist, einen Systemcharakter der Sprache zu stiften. Weil die Zeichen arbiträr sind, ist nur innerhalb eines universalen Zeichensystems zu kompensieren, daß am Ort von Laut­gestalt und Zeichenbedeutung eine Zeichenverstehbarkeit entsteht. 154  J 100: »Mich dünkt, die Veränderung, die in … der Cultur mit den Schriftzeichen vorgegangen, habe von jeher an den Revolutionen der menschlichen Erkenntnis … und … den … Ab­änderungen ihrer … Begriffe in Religionssachen sehr wichtigen Antheil, und wenn sie dieselben nicht völlig allein verursacht, doch … auf … merkliche Weise mitgewirkt«.

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Die Merkmale also befinden sich, wenn überhaupt von ihnen gelten soll, daß sie Bestimmtheit haben, in einem Bedeutungsgewebe, das jedem Merkmal seine je eigene Bestimmtheit durch Unterschiedenheit von anderen Merkmalen zumißt. Dabei richtet das Subjekt seine ›Kraft der Aufmerksamkeit‹ auf die Textur des Mannigfaltigen, um intentional zu forcieren, daß ein Unterschiedenes als unterscheidbar allererst einer Bezeichnung zugänglich wird. Hierzu verhilft von der einen Seite die objektive Gewalt des Eindruks, den dieses Merkmal auf uns zu machen fähig ist; so wie von unserer Seite, das subjektive Interesse, das wir an demselben haben (101).

Das Subjekt überläßt sich also dem Eindruck, den das Merkmal als Unterscheidbares in ihm auslöst. Dieses präsignifikatorische Moment bringt Mendelssohn als eine Außenwirkung auf den Begriff, die sich gewaltvoll dem Subjekt einprägt. In dieser Merkmalseinprägung aber liegt noch keinerlei zeichenhafte Bestimmtheit. Wenn nämlich von der Position des Subjekts aus ein anhaltendes Interesse auf das Merkmal notwendig ist, so zeigt sich darin, daß die Merkmalseinprägung nur die vorläufig als objektiv zu kennzeichnende Dimension eines Interesses ist, das das Subjekt an einem bestimmten Merkmal der Außenwelt nimmt. Darin hat sich aber nur ein Modus von Intentionalität und noch nicht die objektive Bestimmtheit gezeigt. Aber dieses Herausheben und Beachten des gemeinsamen Merkmals kostet der Seele einige Anstrengung (101).

Wie stark in diesem Stadium der Bezeichnungsgenesis noch das präsignifikatorische Moment ist, zeigt sich in jener Anstrengung, die eine immer neue Intentionalitätsinitiative dem Subjekt abverlangt. Nicht lange, so verschwindet das Licht wieder, das die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt des Gegenstandes gesammelt hatte, und er verliert sich in den Schatten der ganzen Masse, mit welcher er vereinigt ist (101).

Ein Nachlassen subjektiver Intentionalität hat also unmittelbar zur Folge, daß sich das durch Aufmerksamkeit der Textur entrissene Merkmal wieder verschleiert. Die Initiative der subjektiven Aufmerksamkeit macht das Bewußtsein an jenem Objekt ermüden, das ihm nicht bewußt zu werden vermag. Das Bewußtsein hat zwar »angefangen abzusondern; aber« es »kann nicht denken« (101, Hhg. v. Vf.). Denken kann das Subjekt mithin die ›Merkmalsetzung im Modus der Unterscheidung‹ erst dann, wenn das Merkmal in der Weise signifi­ kant wird, daß es dem Objekt jene Dimension von Objektivität verbürgt, die der subjektiven Intentionalität zurückspiegelt, auch unabhängig von der bezugnehmenden intentionalen Initiative vorhanden zu sein. Darum »heftet« das Bewußtsein »das abgezogene Merkmal, entweder durch eine natürliche, oder willkürliche Ideenverbindung entweder an ein sinnliches Zeichen, das, so oft sein Eindruck

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erneuert wird, auch zugleich dieses Merkmal, rein und unvermischt, wieder hervorbringt und beleuchtet« (101).

Der Ursprungsakt zeichenbezogenen Denkens besteht also darin, über eine Verbindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem anhand eines bestimmten Zeichens die Wiederholung eines Merkmals erkennen zu können. Das Merkmal muß folglich aus der umwelthaften Sinntextur nicht mehr durch Dauer- oder Wiederholungsintentionalität herausgelesen werden, sondern beim Erkennen des Zeichens zugleich mit-gelesen. Mit diesem Schritt hat sich der Mensch, so Mendelssohn, endgültig entfernt »vom sinnlichen« (101), indem er über den Bezeichnungsvorgang einen Strukturierungsschub hinsichtlich seiner Außenwelt erzielt. Das entscheidende Moment eines solchen Fortschritts von der sinnenhaften Merkmalerkennung zu zeichenvermitteltem Denken liegt nach Mendelssohn in einem Zweifachen: Einmal emanzipiert sich das Subjekt endgültig von seinem vormaligen Hineingezogen-Sein in das Umgreifende, indem es bewußt den Orientierungsgewinn durch Zeichen zu nutzen versteht. Dabei stehen die Zeichen für den auf Dauer gestellten Sachverhalt, daß das Subjekt zu denken vermag.155 Zum anderen ist es genau diese Fähigkeit des Menschen, die immer dann in Anspruch genommen werden muß, wenn er sich mitteilen möchte. Zwischenmenschliche Kommunikationsvollzüge sind nämlich nur dann möglich, wenn eine Übereinkunft bezüglich dessen, was mitgeteilt wird, getroffen werden kann. Diese Übereinkunft innerhalb wechselnder sinnlicher Eindrucksmannigfaltigkeit bei gleichzeitig unterschiedlichen Subjekten ist nur dann zu erreichen, wenn ein Sprach- oder Schriftzeichen für einen Sachverhalt steht, der – über dieses Zeichen vermittelt – von mindestens zwei Subjekten zugleich als ein solcher gedacht wird. Über die Hieroglyphenschrift156 nahm diese Bezeichnungsentwicklung ihren Fortgang zur alphabetischen Schrift, die sich durch einen höheren Grad an Abstraktheit auszeichnet. Und damit kehrt Mendelssohn von der Bezeichnungstheorie zurück zu kulturtheoretischen Erwägungen, wenn er nun dem Einfluß dieser Verschriftlichungsgenese auf den menschlichen Fortschritt nachgeht.

155  J 102: »Die Bezeichnung der Begriffe ist also doppelt nothwendig: einmal für uns selbst, gleichsam als ein Gefäß, worinnen sie verwahrt, und zum Gebrauch bey der Hand bleiben mögen, und sodann um unsere Gedanken anderen mittheilen zu können«. 156 Die Hieroglyphenschrift kann eine Zwischenstellung einnehmen, weil sie zwar einen Ab­bild­charakter hat, über den sie aber zugleich auch immer hinausgehen kann, um sich zu verselbständigen (D’Aprile: Die schöne, 36). Interessant ist die Lesart J. Assmanns: Hieroglyphen, 719, der die Hieroglyphenschrift in Mendelssohns und Warburtons Darstellung als ein mnemotechnisches System, ein »Medium des Gedächtnisses«, interpretiert (719). Daß Zeichensysteme von jener Ambivalenz sind, Kommunikationsvorgänge ermöglichen, zugleich aber auch Fetischcharakter annehmen zu können, bemerkt Breuer: Politics, 380. Cf. hier­zu auch Erlin: Reluctant, 95; Gottlieb: Mendelssohn’s, 220 ff.

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Alle diese verschiedenen Modifikationen der Schrift und Bezeichnungsarten müssen auch auf den Fortgang und Verbesserung der Begriffe, Meinungen und Kenntnisse verschiedentlich gewirkt haben (105).

Damit ist zum einen gesagt, daß Begriffe, Meinungen, Kenntnisse, Unterscheidungen, Dafürhalten und gesichertes Wissen nicht noch einmal in Distanz zum Bezeichnungsvorgang sich befinden, sondern durch Bezeichnungen auch berührt sind. Das läßt den Bezeichnungsprozeß prima facie ausschließlich zugunsten eines positiven Menschheitsfortschritts ausschlagen. Doch diese Einschätzung ist ambivalent. Denn einerseits ist es nicht von der Hand zu weisen, daß sich hier ein sehr hohes Potential an Kulturfortschritt zeigt; und diesen kulturellen Fortschritt sieht Mendelssohn besonders darin, daß sich kulturelle Tradierung nur denken läßt über zeichenvermittelte Prozesse (cf. J 106). Doch auch hier, wie Mendelssohn schon bezüglich seines geschichtsphilosophischen Diskurses analysiert hatte, ist das Fortschrittsmoment nicht eindeutig, sondern eingetrübt durch unproduktive und verfälschende Fehlentwicklungen.157 Das entscheidende Problem eines zeichenhaft vermittelten Kulturtransfers besteht in der Möglichkeit, Zeichen unterschiedlich zu deuten, eine Möglichkeit, die zu Mißbrauch und Götzendienst führen kann. Diese Interpretationsoffenheit von Zeichensystemen kann nicht nur zu Mißverständlichkeit, sondern auch zu massivem Mißbrauch führen. Mit folgender These werden die Überlegungen, die eine zeichenvermittelte Religion zugunsten des Zeremonialgesetzes verabschieden, zusammengefaßt: Wir haben gesehen, was für Schwierigkeit es hat, die abgesonderten Begriffe der Religion unter den Menschen durch fortdauernde Zeichen zu erhalten. Bilder und Bilderschrift führen zu Aberglauben und Götzendienst, und unsere alphabetische Schreiberey macht den Menschen zu spekulativ. Sie legt die symbolische Erkenntniß der Dinge und ihrer Verhältnisse gar zu offen auf der Oberfläche aus, überhebt uns der Mühe des Eindringens und Forschens, und macht zwischen Lehr und Leben eine gar zu weite Trennung (114).

Wie ist der Gedanke zu verstehen, daß symbolische Erkenntnisse durch Zeichentradition zu sehr auf der Oberfläche ausgelegt werden? Daß die Verwechslung von symbolischer Bedeutung einer Bilderschrift mit ihrer im Bildinhalt dargestellten Gegenständlichkeit ein Aberglaube ist, der zu Götzendienst führen kann, leuchtet unmittelbar ein. Ebenso plausibel mag die in der Schriftlichkeit gelegene Tendenz zur Spekulativität sein, da das Gelesene immer die Gefahr mit sich bringt, es beim Verstehen des Gelesenen bewenden zu lassen. Ein religiöser Aneignungsprozeß aber, der sich ausschließlich auf Verstehensprozesse kapriziert, läßt nicht hervortreten, daß religiöse Inhalte ihre Bedeutsamkeit immer auch darin haben, sich in die Lebendigkeit einer Biographie hinein zu transformieren. Wie aber ist es zu verstehen, daß die Schriftlichkeit der Tradition die symbolischen Erkenntnisse zu oberflächlich auslegt, da doch offen157 

Mendelssohn denkt an Mißverstand, Götzendienst u. s. f. Cf. 106 ff.

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sichtlich andere Auslegungsmodi zu denken gar nicht möglich sind ? Und wenn die zeichenhafte Auslegung zu sehr an der Oberfläche verbleibt, wie muß man sich dann den tieferen Sinn dessen, was symbolische Erkenntnis in Religionsfragen bedeutet, vorstellen ? Offenbar hat Mendelssohn dabei im Auge, daß die Auslegung in Zeichen eine Fixierung dessen vornimmt, was nach seiner Bedeutungstiefe in Zeichen nur unzureichend zum Ausdruck zu kommen scheint. Und dieser Mangel läßt sich auch nicht durch neue Interpretationen kompensieren. Man darf vermuten, daß Mendelssohn den entsprechenden Mangel in dem Vermeinen sieht, überhaupt eine bestimmte Erkenntnis von symbolisch Intendiertem haben zu können. Dabei soll nicht der triviale Sachverhalt, daß alle Symbole nicht weniger zeichenvermittelt werden müssen als genau auch die Kritik an dieser Zeichenvermitteltheit, bestritten werden. Vielmehr kritisiert Mendelssohn die der schriftlichen Zeichenvermitteltheit innewohnende Tendenz zu Abschließbarkeit und Fixierbarkeit, wohingegen eine mündliche Weitergabe symbolischer Traditionen immer sich offen zu halten vermag gegen Befragung durch den Lernenden, der in einen lebendigen Traditionsprozeß hineingenommen werden soll, ohne dabei die Möglichkeit zu haben, allein für sich selbst mit dem Geschriebenen zur Ruhe zu kommen.158 Darum spricht Mendelssohn auch in der zitierten Passage von tieferem Eindringen und Forschen. Eindringen und Forschen nämlich sind Modi des Vertiefens in eine Tiefe, die nicht von anderwärts her dem Deuten oder Begriffe-Bilden zugänglich ist. Gott kann mit dem Menschen nur dann handeln, wenn Gott und der Mensch durch Zeichen nicht schon vorgängig vermittelt sind. Dies aber führt auf den ursprünglichen Sinn des Zeremonialgesetzes: Mit dem täglichen Tun und Lassen der Menschen sollten religiöse und sittliche Erkenntnisse verbunden seyn (114).

Alltag und religiöse Erkenntnis, tägliches Tun und sittliche Einsicht – diese Momente fließen zusammen im Zeremonialgesetz, das die ursprüngliche Aufgabe hatte, allein durch Vorhandensein und Gebotscharakter als Symbol des Handelns mit Gott zu gelten. Wenn Mendelssohn ausführt, daß die Menschen »zu Handlungen getrieben und zum Nachdenken nur veranlasset werden« müssen (114), so steht natürlich dahinter die Überzeugung, daß das zeremoniale Tun

158  Eisen: Divine, 243, steuert die Textbeobachtung bei, daß sich diese emphatische Beto­ nung der Mündlichkeit schon in Mendelssohns Hobbes-Kritik findet. Mendelssohn sagt hier: »[M]an hat physisches Vermögen von sittlichem Vermögen, Gewalt von Befugniß rich­ ti­ger unterscheiden gelernt, und diese Unterscheidungen so innigst mit der Sprache verbun­ den, daß nunmehr die Widerlegung des hobbesischen Systems schon in dem gesunden Men­ schenverstande, … in der Sprache zu liegen scheinet. Dieses ist die Eigen­schaft aller sittlichen Wahr­heiten. Sobald sie ins Licht gesetzt sind, vereinigen sie sich so sehr mit der Sprache … daß sie dem gemeinen Menschenverstande einleuchten« (J 34 f; Hhgn. z. T. v. Vf.).

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auch einen Erkenntnisfortschritt auslöst,159 der so zu beschreiben ist, daß sich mit dem Vollzug des religiösen Tuns auch eine bestimmte Einstellung zu diesem Tun verbindet. Der Mensch verhält sich zu seinem Tun geistig. Und wenn das Tun innerhalb der Aura göttlicher Gebote statthat, so stellt sich eine Gewohnheit ein, über die Gesetze nachzudenken. Dieses Nachdenken ist das im täglichen Leben selbst Mitgegebene. Und in diesem Nachsinnen über dem Gesetz steckt der letzte Sinn religiösen Lebens. Das Denken ist frei in seinen Deutungen – hier schließt Mendelssohn an seine frühe Empfindungstheorie an –, und es ist zugleich gebunden an den Gegenstand, über den es nachdenkt. Dieser Gegenstand ist aber kein statisches Gegenüber im Sinne eines erkenntnistheoretisch zu dechiffrierenden Erkenntnisobjektes, sondern das Offene an jenen Einsichten, die sich in einem bestimmten heiligen Tun einstellen. Und hier wäre die zeichenhafte Tradierung dysfunktional, wenn die skripturale Textur ein abgeschlossenes Gegenüber, das verstanden werden kann, imaginiert. Der Text als solcher ist somit eine Ausdrucksgestalt jenes Bildes, das als Abbild Abgebildetes auf das Abbild festlegt und insofern sich selbst entfremdet. Und so heischt das Zeremonialgesetz eine in das religiöse Leben hineingewebte Wiederholung der dekalogischen Forderung: Du sollst dir kein Bildnis machen !

159  Cf. aber mit einem anderen Akzent Schorch: Moses, 231, die die »über das Judentum hinausreichende Bedeutung der jüdischen Gesetzestradition« ausschließlich im Politischen festmachen will. Anders Eisenstein-Barzilay: Moses, 80.

F. Religion und Politik Wenn man Mendelssohns Schrift unabhängig von der durch uns versuchten De­­ tail­­analyse noch einmal betrachtet, so fällt besonders in die Augen, wie stark hier das Judentum um Selbstzurücknahme bemüht ist. Liest man die Theorie des Zeremonialgesetzes nicht nach ihrer erklärten Absicht, eine Wesensbestim­mung des Judentums zu leisten, so ergibt sich das Bild eines Philosophen, der die Unangreifbarkeit seiner Religion auf preußischem Boden teuer – nach dem Urteil Späterer zu teuer – erkauft. Dem, was sich als die unpo­li­tische und zu keinem Zeitpunkt zur Einmischung in die Glaubensüber­zeugungen anderer gewillte Einstellung eines nur in Bescheidenheit aufklären­den Religions­gentlemans ausnimmt, merkt man doch zugleich die bedrückende Tatsache an, daß solche Einstellung auch die einzige Position ist, mit der ein Jude im Preu­ßen Friedrichs des Großen an die Öffentlichkeit treten konnte. Darin also, was das Judentum nach der lebenslangen Forscherarbeit Mendelssohns in seinen lebendigen Wesensfasern sei, schwingt zugleich die Bitterkeit darüber mit, was das Judentum auch nur sein durfte, wenn es sich nicht auch noch um die letzten Räume, in denen es die Luft der Freiheit atmete, gebracht wissen wollte. Es bedurfte weder der demütigenden Reaktion des Michaelis auf Lessings Juden, noch der von Zeitgenossen wie Lichtenberg und Goethe als zutiefst widerwärtig empfundenen missionarischen Unverschämtheiten eines Lavater, um Mendelssohn über die Lage seines Volkes ins rechte Licht zu setzen. Hier handelte es sich ja noch um Angriffe mit den Waffen des Geistes, die Mendelssohn ebenfalls zur Verfügung standen, so daß er wehrhaft auf den Kampfplatz zu treten vermochte. Und die Reaktionen der Öffentlichkeit auf den Lavaterstreit, wie sie uns in der kommentierten Quellensammlung Gisela Luginbühl-Webers (Jo­ hann Kaspar Lavater) gegenwärtig gemacht sind, zeigen dann auch, wie breit die Zustimmung und Verehrung gegenüber der geistigen Gestalt unseres jüdischen Gelehrten war. Die tief in das persönliche Leben reichenden Erfahrungen mit einer Umwelt, der der Jude als Repräsentant einer minderwertigen Religion und Volksgemeinschaft galt, waren es vielmehr, die Mendelssohn tagtäglich zu spüren bekam und die sehr viel stärker noch auf seine Seele gewirkt haben mögen, als jene öffentlichen Auseinandersetzungen, in denen er sich nicht in so hohem Maße als ein Ausgelieferter fühlen mußte. Wie kaum ein anderes Dokument bringt ein Brief, den unser Philosoph sechs Jahre vor seinem Tod an den Benediktinermönch Frater Maurus Winkopp geschrie­ben hat, jene Situation vor Augen, in der der jüdische Gelehrte zu leben hatte:

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Allhier in diesem sogenannten duldsamen Lande lebe ich … durch wahre Intoleranz … von allen Seiten beschränkt … Ich ergehe mich zuweilen des Abends mit meiner Frau und meinen Kindern. Papa ! fragt die Unschuld, was ruft uns jener Bursche dort nach ? warum werfen sie mit Steinen hinter uns her ? … Ja, lieber Papa ! spricht ein anderes, sie verfolgen uns immer in den Straßen, und schimpfen: Juden ! Juden ! Ist denn dieses so ein Schimpf bei den Leuten, ein Jude zu seyn ? und was hindert dieses andere Leute ? – Ach ! ich schlage die Augen unter, und seufze mit mir selber: Menschen ! Menschen ! wohin habt ihr es endlich kommen lassen ? (Gs v 567).

Unmittelbar bringt diese Schilderung zu Bewußtsein, wie sehr die Ruhe häuslicher Studien sich konfrontiert sehen mußte mit einer Realität, die in Mendelssohn das Gefühl von Einengung und Ausgeliefertsein wach werden ließ; in diesem Bericht verdichtet sich in der Erfahrung eines Betroffenen jene Situation, durch die die politische Lage der Juden gekennzeichnet war. Und nichts konnte hier näherliegen, als die Welt beharrlich der politischen Harmlosigkeit des jüdischen Volkslebens zu versichern, um gleichzeitig alles dafür zu tun, dort, wo es möglich schien, als Gleicher unter Gleichen wahrgenommen zu werden. Wir haben die Jerusalemschrift nach ihren theoretischen Implikationen verfolgt. Zum Beschluß wollen wir Mendelssohns Religionsphilosophie hineinstellen in die große Debatte des jüdischen Volkes um Toleranz, Assimilation und deutsch-jüdische Kultursymbiose. Schon bei der Rezeption dieser Schrift im 18. Jahrhundert wurden kritische Fragen laut. Kritischer mithin wurde dann im 19. Jahrhundert geurteilt, und nach der Mitte des 20. Jahrhunderts schien sich Mendelssohns in der Jerusalemschrift geäußertes Programm dann nicht nur erledigt zu haben, sondern es hatte auch den Anschein, als würde gerade das von Mendelssohn gepredigte Judentum das jüdische Volk in eine Lage vollständiger Wehr- und Reaktionslosigkeit gegenüber seiner Vernichtung gebracht haben. Wir wollen die Stationen dieser Rezeptionsgeschichte nachzeichnen und dabei fragen, inwieweit Mendelssohns Wesensbestimmung des Judentums noch in der heutigen Debatte eine Rolle zu spielen vermöchte. Mendelssohns Jerusalem war innerhalb der Aufklärungsliteratur ein origineller religionsgeschichtlicher Beitrag, der um Toleranz warb, die Denkgewohnheiten und religiösen Einsichten der Aufklärung hochhielt, um dabei aber dennoch zugleich die Grundlagen seines Judentums nicht aufzugeben. Gleichwohl erkaufte er diese Augenhöhe mit den edelsten Aufklärern seiner Zeit durch eine religionstheoretische Reduktion jüdischer Glaubensüberzeugungen. Die von Mendelssohns Schrift ausgehende Faszination liegt darin, daß ihr eine Sprengkraft innewohnt, die gleich zweimal sich den Zorn eines rechtgläubigen Judentums zuzuziehen vermochte – einmal im 18. Jahrhundert und dann am Ende des 19. Jahrhunderts. Doch dazu später ! Schauen wir uns zuerst die geistige Atmosphäre des Judentums zu Zeiten Mendelssohns an. Das Judentum Europas war sehr unterschiedlichen Kräften und Situationen ausgesetzt. Da war einmal die Prager Dolchstoßlegende. Nachdem Prag 1744 durch Preußen erobert wurde, es daraufhin zu einer Pogromstimmung gegen die Juden gekommen war, und der

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kaiserliche Befehlshaber die Entsendung von Truppen zum Schutze der Juden mit der Begründung abgelehnt hatte, daß die Stadt bereits an Preußen gegeben sei, wandten sich die Juden Prags an Friedrich II., der 200 Soldaten nach Prag kommandierte. Das besiegelte das Schicksal der ansässigen Juden. Der Legende, die Juden hätten Prag an die Preußen verraten, willig Glauben schenkend, beschloß Maria Theresia am 18. Dezember 1744 die Ausweisung aller Juden aus dem Erb-Königreich Böhmen und dem Markgrafentum Mähren. Auch als sich dann herausgestellt hatte, daß das Gerücht des Verrats eine Lüge gewesen war, wurde der Ausweisungsbefehl aufrechterhalten und zumindest die Juden Prags mußten die Stadt verlassen.1 Anders war die Situation am Ende des Jahrhunderts in Frankreich, wo im Sep­ tember 1791 nach längeren vorausgegangenen Debatten die Nationalversammlung den Juden die Bürgerrechte zuerkannte, vorausgesetzt, sie hätten zuvor den Bürgereid geleistet.2 Innerhalb des Judentums war die Situation ebenfalls keineswegs homogen – hier wirkten so unterschiedliche Kräfte wie Sabbatianismus, Chassidismus, Orthodoxie und eben auch Haskala. Im folgenden konzentrieren wir uns auf die Auseinandersetzung zwischen Haskala und orthodoxem Judentum. Die frühere Haskala ist zuerst eine Bewegung des aschkenasischen Judentums, wenn auch sephardische Juden wie Moses Chaim Luzzatto oder David Franco-Mendes sich ihr zugehörig fühlten und sie beeinflußt haben.3 Das allgemeine Kennzeichen dieser Bewegung ist durch schlichten Wissensdurst und das intensive Bedürfnis, in die gelehrten Kreise des Aufklärungsjahrhunderts aufzuschließen, gekennzeichnet; wobei der Zeitgeist dem Judentum weder durch die politischen Bedingungen noch durch dessen innere Organisationsform günstig gewesen ist. Während nämlich Christian Wolff die rationale Behandlung theologischer Traditionen und die Autonomie philosophischer Grundlagenforschung durch ein kaum zu überblickendes Anschwellen lateinischer und deutschsprachiger Abhandlungen gleichsam visualisierte, gelehrte Zeit­schriften und moralische Wochenschriften das lesende und anspruchsvoller werdende Pu­bli­kum immer neu zu befriedigen suchten, war den Juden der Zugang zu akademischer Lehrtätigkeit verschlossen, so daß es ihnen nachgerade unmöglich wurde, eine intellektuelle Elite heranzubilden, die auf Augenhöhe mit dem frühen Aufklärungsjahrhundert sich befunden hätte. Ebenso wichtig waren die inneren Anfeindungen, derer sich die Maskilim erster und zweiter Stunde ausgesetzt sehen mußten. Von besonderer Bedeutung ist hier die Affäre um Hartwig Wessely und sein Programm zur Erneuerung des jüdischen Schulunterrichts. Im Winter 1782 hatte Wessely seine Worte des Frie­ dens und der Wahrheit in Berlin erscheinen lassen, die ein moderates Reform1 

Schubert: Die Geschichte, 58 f. Wyrwa: Juden, 147 f. 3 Cf. Feiner: Haskala, 50. 2 

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programm für jüdische Schulen enthielten, das eine stärkere Hinwendung zu den Wissenschaften vorschlug. Dabei sollte keinesfalls dem Thorastudium der Laufpaß gegeben werden – vielmehr lag Wesselys Absicht darin, die Ausbildung nicht auf die Thora zu beschränken.4 Man beginnt, die Leistungen der Haskala allein schon dann zu erkennen, wenn man sich den Sturm, den diese harmlos reformierende Schrift ausgelöst hat, vergegenwärtigt. Angeführt wurde die Offensive vom Rabbiner David Tewele, aus dessen Hand wir eine Predigt gegen Wessely besitzen.5 David Teweles Predigt, dies muß vorausgeschickt werden, ist nicht einfach das bornierte Schreiben eines Orthodoxen, der nicht auf der Höhe der Zeit war. Im Gegenteil galt der Talmudinterpret als »Wunder seiner Zeit«, »Grosser in Israel« und »Schmuck, gewunden um das Haupt der Lissaer Gemeinde«, mithin: »gross unter den Geistesriesen«.6 An seiner Seite standen in diesem Kulturkampf um die rechte Weise schulischer Ausbildung Jecheskel Landau aus Prag, Pinkas Hurwitz aus Frankfurt am Main, Hirschel Lewin aus Berlin, Josef Hazaddik aus Posen und endlich der Gaon von Wilna Rabbi Elia. Das Schreiben des Rabbiners gibt ein gutes Bild der Situation, in der sich die Gelehrten der Haskala befunden haben. Nachdem der Rabbiner Wesselys Reformprogramm mit scharfen Worten zurückgewiesen hatte, glühend die Vorrangstellung von Thora- und Talmudstudium in den Schulen einforderte und dabei nicht geizte mit ärgsten Flüchen und Beschimpfungen gegen Wessely,7 berichtet er von einer Begebenheit in Vilna, die ihn mit tiefer Genugtuung erfüllt habe. Hier hätte man nämlich im Synagogenvorhof Wesselys Buch an einer eisernen Kette hängend zur Schau gestellt, um es danach in den Straßen der Stadt zu ver4  Es geht Wessely darum, den Unterricht nicht unabhängig von den durch die Schüler mitgebrachten Re­zep­tionsbedin­gungen – eine Überlegung, die uns schon bei Jerusalem und Abbt be­gegnete – zu gestalten (cf. Wessely: Worte, 1). Dabei ist es für Wessely selbstverständlich, daß »[a]lle Wissenschaften … zum Wohl des Menschengeschlechts bey[tragen]« (3). Wir geben die zentrale Passage wieder: »Die große Verschiedenheit im menschlichen Geist ist schon al­lein ein einleuchtender Beweis, daß wir nicht alle zum Studio des Talmuds bestimmt sind, jede Seele hat ihre eigenthümlichen Kräfte, durch welche sie sich ihrer Vollkommenheit nähert … Warum wollten wir also aus verkehrtem Sinn, Knaben durch Anstrengung zu einem nicht für sie bestimmten Studium, auch zu den gewöhnlichen Kenntnissen unfähig machen ?« (41). 5  Teweles Predigt gehörte als Handschrift ursprünglich dem Berliner Gelehrten Leiser Landshuth, um dann in den Besitz des Berliner Sanitätsrats Neumann überzugehen, der sie Louis Lewin geliehen hat, durch den die Handschrift 1918 veröffentlicht wurde. In hebräischer Sprache findet sich der Text in: Lewin: Aus dem, 182 – 194. Wir zitieren aus der englischen Übersetzung dieses Textes. 6  Lewin: Aus dem, 173. 7 David (Tevele) Ben Nathan of Lissa. A Sermon Contra Wessely (1782), in: MendesFlohr / R einharz [Hg.]: The Jew, 74 – 76. Folgendermaßen eröffnet Tewele: »We speak of an act by a sycophant, and evil man, a man poor in understanding, the most mediocre of mediocre men« (74a). Und ähnlich geht es weiter: »Beware ! This man, Wessely, is an impious man. Be­ware, do not draw near to him !« (75a). Oder endlich: »You, Wessely, are a despicable man. Shame on you ! May you be mocked by man ! Woe to him who does not reprove you !« (76 b).

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brennen.8 Man fühlt sich an das nahezu zeitgleiche Ettersburger Autodafé von 1779 erinnert, da Goethe Jacobis Woldemer an einen Eichbaum nagelte, auf daß der verwunderte Spaziergänger sich am langsamen Tod des verhaßten Machwerks, dessen Seiten der Wind mit sich nahm, erfreuen sollte.9 Das Buch verleiblicht sich und wird zum Auslöserreiz vehementer Verachtung und zugleich zärtlichster Begierde. So berichtet der Rabbiner Juda Leib Margolis von einem Glaubensgenossen, der ein verbotenes Buch zu seinem Erstaunen des Einbandes entkleidet im Schmutz liegen ließ. Auf sein Nachfragen, wie es zu solcher Nachlässigkeit bibliophiler Gewohnheiten hat kommen können, antwortet der Freund, daß er das Buch gleich einer Frau, die ihn verführt hätte, der Schande ausliefern würde, um fortan ihren Verlockungen gegenüber standhafter bleiben zu können. Hier wird der altbekannte Topos des Buches als einer Hure, die den Mann in sinnenverwirrenden Nachstellungen um Verstand und rechten Glauben bringt, abgerufen. Man sieht, gegenüber welch starkem Bedrohungspotential die Haskala sich befand, so daß man umso mehr geneigt sein mag, die Geschichte dieser jüdischen Bewegung als eine wirkliche Revolution zu verstehen.10 Es ist dies die geistige Atmosphäre, in der auch Mendelssohns Jerusalem erschien. Daß es von Reaktionen, wie sie Wesselys Reformschrift zuteil wurden, ver­schont blieb, muß Mendelssohn selbst verwundert haben, der – wie aus einem Schreiben an Herz Homberg hervorgeht – offenbar eine harte Auseinandersetzung mit Spannung erwartet hatte, zugleich aber auch eine schelmische Freude darüber zum Ausdruck bringt, sich jeglichen Religionsstreites erfolgreich enthalten zu haben.11 Dennoch blieb natürlich auch Mendelssohns Schrift von kritischen Einwürfen durch die Orthodoxie nicht verschont, wobei sich die Kritik anfänglich noch nicht durch öffentliche Angriffe kundtat.12 Es sollte einige Jahre dauern, bis dann der polnische Rabbiner Juda Leib Margolis sich auch öffentlich zu Wort meldete. Margolis’ Kritikpunkte konzentrieren sich auf Mendelssohns Verhältnisbestimmung von Staat und Religion und dessen Einschätzung der Sinaioffenbarung, um letztlich in der Jerusalemschrift kaum mehr als einen bloßen Deismus diagnostizieren zu können.13 So greift Margolis einmal 8 

Cf. l. c. 76 b. berichtet der höchst indignierte Jacobi in einem Brief an Johanna Schlosser am 10. 11. 1779, Grumach / Grumach [Hg.]: Goethe, 127 f. 10 So Feiner: Haskala, 456 ff. 11  Brief v. 14. Juni 1783; Gs v 665: »Jerusalem ist ein Büchlein von einer besondern Art … wie es weder Orthodoxe noch Heterodoxe … erwartet haben. Denn alle erwarteten Religionszank; und ich sehe mich … nach speculativen Materien um … und lasse den Streitkolben darüber aus den Händen fallen«. 12 Zur späteren Debatte um Mendelssohns Pentateuchübersetzung cf. Hildesheimer: Mo­­ses, 117 –133. Die Haltung der Orthodoxie in Gegnerschaft zu Mendelssohn zeigt am Bei­ spiel des Hatam Sofer ders.: The Attitude, bes. 145 u. 162. 13  Zu Deismus und jüdischer Philosophie im 18. Jahrhundert cf. Pelli: The Impact; zu Men­delssohn bes. l. c. 45 – 51. 9  So

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die zentrale These Mendelssohns an, daß am Sinai dem Volke keine ewigen Vernunftwahrheiten offenbart wurden. Mit dieser These würde Mendelssohn die Gefahr einer Zerstörung der jüdischen Religion heraufbeschwören, »deren ganzes Gebäude fest auf dem fußt, was wir überliefert bekamen, und was uns mit Donner, Blitz und Wunderzeichen und nicht auf dem Wege der Natur geoffenbart wurde«.14 Margolis betont also gegenüber Mendelssohn den unverfügbaren Charakter der Sinaioffenbarung, so nämlich, daß dieses Geschehen nicht nachträglich in den Dienst einer bestimmten Aufklärungsphilosophie genommen zu werden vermag, die dann die Offenbarungsgehalte auf einen ausgesonderten religiösen Restbestand einschränkt.15 Ein weiterer Kritikpunkt aber ist noch wichtiger, weil Margolis hier in einer schein­bar eher nebensächlichen Streitsache Dohm beispringt, den Mendelssohn kritisiert hatte. Dohm hatte sich nämlich in seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781 / 83) für eine autonome Gerichtsbarkeit der jüdischen Gemeinden (Vj i 125 f ), die notfalls auch das Bannrecht verhängen können, ausgesprochen. Mendelssohn argumentierte dagegen mit der liberalen Haltung, daß religiöse Gemeinschaften ihren Zweck, der in einer Erbauung der Seelen bestünde, durch Handhabung des Bannes verfeh­len würden. Zugleich weist er den gut gemeinten Vorschlag Dohms, Juden eine rechtliche Autonomie einzuräumen, zurück mit dem Argument, daß Juden als Rechtssubjekte eines Staates auch der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegen sollten.16 Es ist interessant zu sehen, daß Margolis gerade hier mit ganzer Schärfe widerspricht, um sich Dohms Vorschlag anzuschließen und sowohl das Bannrecht jüdischer Gemeinden als auch ihre Rechtsautonomie zu befürworten. Die strikte Trennung also zwischen Religion und staatlicher Gewalt, die eine der wich­tigen Pointen in Mendels­sohns Schrift ausmacht und sie dadurch bis auf den Tag frisch und unver­braucht wirken macht, wird also hier zum Gegenstand einer Verwerfung, die mit der Furcht ein­hergeht, durch solche liberale Haltung den jüdischen Glauben der Zerstörung anheim zu geben. Es liegt auf der Hand, daß Mendelssohns Ausführungen sehr viel eher für sich in Anspruch nehmen können, den historischen Entwicklungstendenzen zu entsprechen, denn allein schon durch die territorialen Verschiebungen in Europa, die die Schlesischen 14 

Zit. nach Feiner: Haskala, 223. natürlich besteht hier tatsächlich ein Problem, weil Mendelssohns Interpretation in einer orthodoxen Lesart die Gefahr mit sich bringt, das Gesetz letztlich preiszugeben, worauf Morgan: Jewish, 41, hingewiesen hat. 16  So die bekannte Formulierung Mendelssohns in dieser Sache aus der Vorrede zu Rabbi Manasseh Ben Israels Rettung der Juden (Gs iii 193f ): »Soll Entscheidung von jüdischen oder christlichen Richtern geschehen ? Ich antworte: von obrigkeitlichen Richtern, gleichviel, ob sie der jüdischen, oder einer andern Religion anhängen. Sobald die Glieder des Staates … gleiche Rechte … genießen, so kann auf diesen Unterscheid nichts ankommen. Der Richter soll ein gewissenhafter Mann sein, und die Rechte verstehen, nach welchen er … Recht sprechen soll«. 15  Und

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Kriege, die Teilungen Polens und schließlich dann die Napoleonischen Kriege mit sich gebracht haben, entstand unter dem Dach der Staaten ein Religionsgemisch, das einen paritätischen Umgang mit den Religionsgemeinschaften und auf lange Sicht dann auch einen immer stärker werdenden Rückzug der staatlichen Gewalt aus Religionsangelegenheiten nötig machte.17 In den Staatsentwürfen der Bodin und Hobbes, die beide vom permanenten Bürgerkrieg her dachten, übernimmt der Souverän das Szepter Gottes, um jene, die um Gottes Sache blutig stritten, zu befrieden. Bodin steht unmittelbar unter dem Eindruck der Hugenottenkriege, die zwischen 1562 –1598 in Frankreich tobten. Er knüpft in seiner Staatslehre an im Mittelalter vorbereitete Vorstellungen an, hat diese aber so stark systematisiert, daß man ihn als Erstling einer moder­nen Staatstheorie zu nennen pflegt. Bei Bodin beginnt das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in eine wichtige Phase einzutreten, wenn er nämlich das Souve­ränitätsverhältnis zwischen beiden nicht mehr relational organisiert, sondern so aufbaut, daß der Herrscher nun selbst mit den Insignien göttlicher Majestät ausgestattet wird, wie Bodin es in seiner gegen die Monarchomachen gerichteten Schrift über den Staat (1576) darstellt.18 Sich der göttlichen Macht des Herrschers bewußt zu werden, um ihm dann die entsprechende Ehrerbietung zukommen zu lassen, muß nach Bodin als die erste staatsbürgerliche Pflicht angesprochen werden.19 Der Ton liegt dabei stark auf dem Gewaltmonopol, das am besten in der Einheitsgestalt fürstlicher Alleinherrschaft sich verwirklichen läßt, deren entscheidendes Kennzeichen in der nicht auf Zustimmung angewiesenen Gesetzgebung liegt, die als ein vollkommen autarker Akt zu erfolgen habe.20 Die Schwäche dieses Entwurfes lag mithin darin, nicht – oder nur mit dem Hinweis auf Geschichte und Tradition – erklären zu können, welchen Rechtfertigungsgrund es für eine solche gottähnliche Gesetzesmacht des Fürsten gebe; eine Frage, auf die erst der Staatsentwurf des Hobbes antworten sollte. Der hier vorgetragene Diskurs findet sich dann verwirklicht im Staat absolutistischer Prägung, dem auch die bekannten Merkmale wie ein stehendes Heer, die Selbstinszenierung des Herrschers als eines 17 Cf.

Zippelius: Staat, 110. Zu Bodin cf. Llanque: Politische, 181ff; Schliesky: Souveränität, 69ff. 19  Im Kapitel über die wahren Merkmale der Souveränität steht die berühmte Passage zu lesen: »Da es auf Erden nächst Gott nichts Höheres gibt als die souveränen Fürsten und weil sie von Gott als seine Stellvertreter dazu berufen sind, den übrigen Menschen zu gebieten, muß man sich ihres Ranges bewußt sein, um ihrer Majestät … jegliche Ehrerbietung entgegenzubringen. Wer nämlich seinen … Fürsten schmäht, der schmäht Gott, dessen Ebenbild auf Erden er ist. Deshalb sprach Gott zu Samuel, von dem das Volk einen neuen Fürsten gefordert hatte: ›Nicht dich haben sie verstoßen, sondern mich verwerfen sie‹« (Bodin: Sechs Bücher i Kap. 10, 284). 20  »[D]as Hauptmerkmal des souveränen Fürsten besteht darin, der Gesamtheit und den einzelnen das Gesetz vorschreiben zu können und zwar … ohne auf die Zustimmung eines Höheren oder Gleichberechtigten oder gar Niedrigeren angewiesen zu sein« (l. c. 294). 18 

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gottgleichen Souveräns, Gewalt über Leben und Tod, der Aufbau einer funktionierenden und hierarchisch geordneten Bürokratie und das Durchbrechen von Ständeschranken, was zu einer Erhöhung der Steuereinnahmen zu führen vermochte, zukommen.21 In dem Maße, wie konfessionell-religiöse Gewißheiten zum Anlaß der immer neu ausbrechenden Bürgerkriege im 16. und 17. Jahrhundert wurden, hatte auch die kirchliche Macht als Sachwalter dieser Gewißheiten sich dessen verdächtig gemacht, nicht nur Anlaß, sondern vielmehr auch Grund für die langen leidbringenden Waffengänge zu sein. Das auf preußischen Kanonen zu lesende ›ultima ratio regis‹ zeigte, daß eine Umorientierung erfolgt war, die zumindest das Gewaltmonopol eindeutig geregelt hatte. Und in dem gleichen Maße, wie sich das kirchlich verwaltete Heilige immer stärker aus den politischen Wirklichkeiten zurückzog, war der Mensch angehalten, sich der Urteilskompetenz des eigenen Gewissens zu überlassen. Unsere moderne Vorstellung einer Trennung zwischen Staat und Kirche hatte ihren Anfang genommen bei den demokratisch-republikanischen Levellern, die mit Agreement of the People (1647) noch während des Englischen Bürgerkrieges schon einen Entwurf – ohne, daß dieser allerdings Verfassungskraft erlangt hätte – vorlegten, der vorsah, jegliche staatliche Gewalt aus Religionsangelegenheiten herauszuhalten. Dabei wird das Recht auf freie Wahl der Gottesverehrung weder aus dem englischen Bürgerrecht noch aus dem Naturrecht,22 sondern allein aus dem Gewissen der Gläubigen deduziert,23 und dieses ›Gewissensdiktat‹, von dem in Agreement die Rede ist, wird dann als Vorzugsformulierung in den Verfassungsentwürfen der nordamerikanischen Kolonien, so etwa in Rhode Island, Pennsylvania oder New Plymouth (General Fundamentals von 1671), wieder in Gebrauch genommen.24 In dieser Tradition stand auch Locke mit seinem Toleranzbrief von 1689 und Two Treatises of Government (1689), Schriften, die dann 1776 im 16. Artikel der Bill of Rights of Virginia eine verfassungsgebende Form erhielten. Und 1791 war im ersten Zusatzartikel der nordamerikanischen Bundesverfassung zu lesen, daß es dem Kongreß strikt untersagt sei, Gesetze zu erlassen, die eine Staatsreligion einführen. Schauen wir nochmals auf die unterschiedlichen Auffassungen Mendelssohns und Margolis’ in dieser Sache zurück, so kann es keinen Zweifel leiden, daß Mendelssohns Staatsmodell nicht nur liberaler ist, sondern auch sehr viel zwangloser jener Logik sich einschmiegt, die den modernen Staatsdiskurs begleitet hat. Dennoch kann Margolis mit seinen Einreden in Anspruch nehmen, 21 Cf.

Schieder: Wandlungen, 275f. Scholler: Die Freiheit, 35. 23  Agreement of the people, IV (1); zit. nach Brailsford: The Levellers, 262: »That matters of religion and the ways of God’s worship are not to be entrusted by us to any human power, because therein we cannot remit or exceed a title of what our consciences dictate to be the mind of God without wilful sin«. 24 Cf. Scholler: Die Freiheit, 35. 22 Cf.

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auf ein Problem hingewiesen zu haben, dem Mendelssohns Wesensbestimmung des Judentums nicht hinlänglich Rechnung zu tragen vermochte. So stark nämlich Mendelssohn einer modernitätsaffinen Wesensbestimmung der Religion im Staate entgegenkam, so wenig schien es ihm gelungen zu sein, damit auch der Einzigartigkeit, die speziell das Judentum innerhalb der europäischen Geschichte auszeichnete, Genüge zu tun. Und genau diese von Mendelssohn keineswegs nur strategisch aufgegebene Sonderstellung des jüdischen Volkes in politischen Fragen, wurde bei Margolis nicht ein letztes Mal zum Gegenstand bitterer Kritik.25 Doch vor dieser Kritik lag eine Suchbewegung nach demjenigen, der Mendelssohns Erbe angemessen zu verwalten vermochte. Als nämlich Mendelssohn am Morgen des 4. Januar 1786 starb, wurde dem deutschen Judentum sehr schnell bewußt, daß sich ein Nachfolger des Weltweisen nicht so leicht finden ließ. Diejenigen, denen dieses Amt nach ihren Geistesgaben hätte zufallen können, Salomon Maimon, Lazarus Bendavid und Marcus Herz, zeigten wenig Neigung, eine solche Nachfolge anzutreten, und waren mithin alle schon dem intellektuellen Magnetismus Immanuel Kants verfallen; wobei sich der erstere als von Kant bewunderter Kritiker und die beiden letzteren als Popularisatoren der Transzendentalphilosophie betätigten.26 Entschieden wurde die Suche nach einem Erbwalter Mendelssohns in den Reihen des preußischen Militärs. Generalmajor und Chef des späteren Altpreußischen Infanterieregiments No. 8, der einstigen Elitegarde im Siebenjährigen Krieg, Johann Andreas Anton von Scholten schrieb im Gedenken an den von ihm hochverehrten Mendelssohn einen Brief an David Friedländer, dessen Veröffentlichung in der Märzausgabe der Berlinischen Monatsschrift der solchermaßen Angeschriebene selbst veranlaßte.27 Der Inhalt des Briefes dokumentiert wenige Monate nach Mendelssohns Tod den Totalumschlag in eine neue, von Mendelssohn scharf abrückende Phase der Haskala: »Fahren Sie fort«, so schreibt von Scholten Friedländer, »die Wissenschaften zu kultivieren, wozu sie bisher an der Hand eines so großen Meisters angeführt worden sind … Sein [sc. Mendelssohns] Geist wird auf Ihnen ruhen, und mit ihm auch sein Ruhm, und der Beifall der Welt !«.28 Und Friedländer hat nicht gezögert, sich um diesen Beifall zu bemühen. Mendelssohns Übersetzungen hatten die Absicht, den deutschen Juden die Schönheiten und Sinntiefen der heiligen Schriften nahezubringen, Friedländer, der das traditionelle Gebetbuch 25  Die Frage, wie sich das Judentum zwischen Partikularismus und Universalismus zu positionieren hätte, ist dann auch, so Fox: Law, 12, ein hervorstechendes Merkmal modernen jüdischen Denkens geworden, das mit Mendelssohn seinen Beginn gefunden hat. 26  Es ist aber wichtig, gleichzeitig zu bemerken, daß Mendelssohn seine Musterfunktion dadurch keinesfalls einbüßte (Schulte: Die jüdische, 205). Zum Wandel, den Kants Philosophie im Denken der Haskala herbeigeführt hat, cf. Schulte: Kant. 27  So die Annahme von M. A. Meyer: Die Anfänge, 68. 28  Scholten: Ueber Moses, 406.

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der Juden ins Deutsche übersetzte und damit auch in den Bereich des liturgischen Handelns vordrang, erklärte nun den Rabbinern, die heftigen Einspruch erhoben, daß solche Übersetzung die Frommen in den Stand setzen würde, der Sinnleere bestimmter liturgischer Elemente angesichtig werden zu können. Als ihm sein Freund Meir Eger aus Glogau 1789 davon berichtete, daß bei einem verheerenden Feuer in der Stadt wie durch Gottes Hand die Synagoge verschont geblieben sei, belächelte der deistisch gesinnte Friedländer nicht nur das fromme Vertrauen des Freundes in die göttliche Vorsehung, sondern hätte es auch durchaus begrüßt, wenn die Synagoge Opfer der Flammen geworden wäre, da in ihr ohnehin zumeist nur gotteslästerliche und götzendienerische Gebete verrichtet würden.29 Und was bei Mendelssohn noch Anlaß für eine subtile Religionstheorie gewesen war, die Zeremonialgesetze, wurde durch Friedländer gänzlich zum alten Eisen jüdischer Religionsgeschichte getan. So sehr nämlich das Zeremonialgesetz bei dem noch sehr stark im Sinnlichen befangenen Volk, dem sich Moses gegenüber wußte, die Neigung zu strenger Befolgung der göttlichen Gebote befördern konnte,30 so wenig war es unter den Bedingungen aufgeklärten Denkens fürderhin beizubehalten und würde nur das Mißtrauen in die Modernitätsund Assimilationstauglichkeit der Juden verstärken. Am Ende zog Friedländer eine Konsequenz, die unter den Bedingungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts vielleicht seinen eigenwilligsten Vorstoß zu mehr Anerkennung der Juden im Staate darstellt;31 die aber zugleich von einer nachdenklich stimmenden Symboltiefe ist: Die Juden sollten fortan keine Juden mehr sein. Gleich einem Schinuj-ha-Schem-Manöver, mit dem Juden den Todesengel von sich abzulenken pflegten,32 sollte der Name ›Jude‹ zuerst in amtlichen Schreiben und Urkunden nicht mehr auftauchen, um dann schließlich aus dem Bewußtsein der die Juden umgebenden Christenheit erinnerungslos zu verschwinden. Ein neues Jahrhundert war angebrochen. Und man spürte, wie wenig Friedländers Namenstilgung Aussicht auf Erfolg versprechen konnte. Am 7. Februar 1832 schreibt Ludwig Börne aus Paris: »Es ist wie ein Wunder ! Tausendmale habe ich es erfahren, und doch bleibt es mir ewig neu. Die Ei­nen werfen mir vor, daß ich ein Jude sei; die Anderen verzeihen es mir; der dritte lobt mich gar dafür; aber Alle denken daran. Sie sind wie gebannt in diesem magischen Judenkreise, es kann keiner hinaus«.33 Und wenn es nicht die Außen­welt war, die den Juden auch nach seiner vollständigen Integration in die europäische Gesellschaft weiterhin signifikatorisch dingfest zu machen suchte, so übernahm die psychoanalytische Introspektion diesen Part: Ein Jahrhundert nach Börne schreibt der 80jährige Freud in einem Brief an Barbara Low von je29 

Cf. M. A. Meyer: Die Anfänge, 73. L. c. 83 31  So urteilt M. A. Meyer: l. c. 80. 32 Cf. Feuchtwanger: Ein Vorkämpfer, 24. 33  Börne: Briefe, 93. 30 

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nem »miraculous thing in common, which – inaccessible to any analysis so far – makes the Jew«.34 Es kann nicht verwundern, daß nun in einer Neuauflage jener Fragen, die Margolis bald nach dem Erscheinen von Mendelssohns Ausführungen zum Verhältnis von Judentum und Staat an diese Konzeption stellte, der Finger ein weiteres mal in Mendelssohns Wesensbestimmung des Judentums gelegt wurde, die man immer stärker als eine dem jüdischen Selbstverständnis geschlagene klaffende Wunde empfunden hat. So lesen wir bei dem Zionisten Simon Bernstein von bitteren Vorwürfen gegenüber einem Judentum, das im 19. Jahrhundert seine Emanzipation weitgehend durch Anpassung erkauft hatte – prominenteste Zeugen sind hier Ludwig Börne und Heinrich Heine –, um damit aber zugleich den jüdischen Nationalgeist unwiederbringlich daranzugeben, ein Selbstzerstörungsprozeß, der genau jener Auffassung vom Judentum angelastet wurde, wie sie Mendelssohn vertreten hatte.35 Was aber bei Bernstein noch anklingt in den ruhigen Bahnen einer zwar sehr kritischen, aber noch immer maßvollen Kritik, schlug bei dem russisch-jüdischen Publizisten Peretz Smolenskin in blanken Haß um.36 In der Morgenröte (Haschachar), einer Zeitschrift, die Smolenskin in Wien herausgab, attackierte er Mendelssohn als den Erzvater der »Berliner Lügenaufklärung«, die durch eine Umprägung des jüdischen Glaubens in ein Judentum der »Tat« und zugleich durch den notorischen und auf devote Anpassung gehenden Gebrauch der deutschen Sprache das Judentum um seine Seelenkraft gebracht habe.37 Mendelssohn sei es, der die Schuld daran trägt, daß das »Haus Israel völlig eingestürzt sei«.38 Daß solche Anwürfe die Mendelssohnverehrung unter den Juden nicht zu trüben vermochte, zeigen 34 

Freud: Briefe, 421. »Zwei Schichten waren es besonders, die an dieser nationalen Selbstzerstückelung tätig waren: die jüdische Bourgeoisie, das durch die Emanzipation emporgekommene Geldju­den­ tum, und die jüdische Intelligenz. Es ist bezeichnend für das ethische Niveau dieser Ge­ne­ra­ tion, daß diese beiden Schichten … ohne weiteres die christliche Religion annahmen, einzig und allein aus Gründen materiell-sozialer Zweckmäßigkeit. Es waren dies die Folgen des von Mo­ses Mendelssohn gepredigten Judentums« ( Der Zionismus, 13 f   ). 36  Natürlich beschränkt sich die innerjüdische Kritik an Mendelssohn nicht auf die von uns herausgestellten Perspektiven. Man vergleiche Salomon Ludwig Steinheim und Hermann Cohen, die Mendelssohn aus ganz unterschiedlicher Perspektive eine Fehleinschätzung vor­ wer­fen. Während nämlich Steinheim Mendelssohns Bemühen um philosophische Plausi­bi­­­li­­ sierung, die »Gott … außerhalb der heiligen Schrift« (Steinheim: Moses, 23) sucht (zu Stein­ heim cf. Dick   / Schoeps [Hg.]: Salomon), für verfehlt hält, liegt für Cohen (cf. ders: Religion, 415) der entscheidende Fehler Mendelssohns darin, die jüdische Religion an das kontingente Mo­ment des Zeremonialgesetzes zu heften und damit dem vernunfttheoretischen Gehalt des Ju­dentums nicht gerecht zu werden. 37  Zit. aus Meisl: Haskalah, 184. 38  Schoeps: Assimilant, 363. Man möge jedoch die historischen Umstände, wie etwa das Ju­denpogrom von Odessa (1871), bedenken, vor deren Hintergrund Smolenskin seine Kritik for­mulierte. Cf. Barzilay: Smolenskin’s, 14 f. Barzilay kommt zu der folgenden Einschätzung: »It was Smolenskin’s major efford to counteract the haskalah psychologie and restore Jewish 35 

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die Auflagenzahlen der Morgenröte, die sich nach so vehementer Kritik am Vater des modernen Judentums halbierten, zumal man sich den Haß Smolenskins nicht anders meinte erklären zu können als durch ein nahezu vollständiges Abgleiten ins Psychopathische.39 So sehr aber auch die Urteile Smolenskins historisch ungerecht waren, weil sie keinerlei Einfühlung in Leben, Werk und unbestreitbare Bedeutung Mendelssohns für den Modernisierungsprozeß innerhalb des Judentums zeigten, weisen sie doch – freilich in ganz unverhältnismäßig gehaltener Rhetorik – auf ein Problem hin, das, wie wir gesehen hatten, schon in der zeitgenössischen Kritik an Mendelssohns Jerusalemschrift laut wurde: Wenn sich das Judentum gegenüber dem Staat durch immer neue Assimilationsvorstöße zu empfehlen unternimmt, sich selbst jegliche politische Autonomie mutwillig aus der Hand schlägt, wenn es dabei zugleich die Sprache der Thora verläßt, um in der Sprache des jeweiligen Landes, in dem die Assimilation gelingen soll, zu denken, ja, wenn es zuletzt auch noch alles Eigentliche seiner Religion nur noch erblicken will in jenen Zeremonialgesetzen, die gerade ihre Triftigkeit darin haben, nicht in die Sprache rationaler Sinnvollzüge übersetzbar zu sein, und ohnehin nur in Gel­tung sind genau dort, wo sie getan werden, wie soll sich eine solche Religion dann als sichtbares Gegenüber des Staates erweisen können. Und dieses Problem nimmt noch einmal an Fahrt auf, wenn man jene in unmittelbaren Anschluß an Mendelssohns Wesensbestimmung des Judentums gegenüber dem Staat geäußerte Bitte Friedländers sich vor Augen führt, das Unsichtbarwerden sei­ner Religion noch zu beschleunigen. Und so scheint sich eine intrikate Dialektik aufzubauen. Das sich auf Unsichtbarkeit verpflichtende Judentum will nur noch erkannt werden nach seiner Eigenschaft, ein vollwertiges und patriotisches Rechtssubjekt im Staat zu sein, in dem es als Gleiches unter Gleichen lebt und zu dessen Wert- und Normensemble es sich bekennt. Doch es geschieht mit furchtbarer und immer wiederkehrender Logik das dennoch stets neu Überraschende, von dem Börne gesprochen: Die Zuschauer der sich um fortschreitende Assimilation bemühenden Juden verbleiben in anhaltender Bannung durch den ›Judenkreis‹ und meinen, im Jüdischen das Wesen derjenigen zu erkennen, die in dramatischer Verspätung alles daransetzen, dieses Wesen abzuschütteln, aber gerade darin nicht erkannt werden zu wollen. Das, was sich auf sein Anderes so eingelassen hat, daß es diesem unkenntlich geworden ist, treibt die Wissensgier dieses Anderen danach empor, es immer neu dort erkennen zu wollen, wo es schon unkenntlich geworden ist. Und so führt Mendelssohns Wesensbestimmung in aller Schärfe auf eine Konstellation der Moderne, wie sie auch noch heute kontrovers verhandelt wird. Infrage steht hierbei, wie sich die Moderne und dabei speziell die Entself-confidence and pride. I have no doubt that Smolenskin himself was all-aware of the many weaknesses, logical and historical, of his polemic« (47 f  ). 39  Schoeps: Assimilant, 364 Anm. 3.

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wicklung des modernen Staates mit Blick auf die Assimilation des Judentums angemessen beschreiben läßt. War die durch Mendelssohn gelebte und theoretisch ausgeführte Assimilation ein historisch durchaus richtiger Ansatz, der nur darum zum Scheitern verurteilt war, weil diese Assimilation eben nicht konsequent genug durch das Judentum verwirklicht wurde ?40 Den sprechendsten historischen Ausdruck hätte ein solches Judentum dann in der berühmten Rede des Grafen Clermont-Tonnerre vor der französischen Nationalversammlung bekommen: »Man soll alles den Juden verweigern, und alles ihnen als Individuen gewähren; sie dürfen im Staate weder eine politische Körperschaft noch einen Orden bilden; sie sollen individuell Staatsbürger sein. Man behauptet, daß sie das nicht sein wollen. So mögen sie es [klar] sagen und man verbanne sie dann ! Es darf keine Nation in der Nation geben«.41 Dann hätte nicht der Nationalismus und noch weniger der Nationalstaat versagt, sondern der Antisemitismus allein und als ein solcher war Schuld an der mißlingenden Assimilation – und unter dieser Perspektive widerführe Mendelssohn eine späte Rechtfertigung, wobei die orthodoxen Beiträger um Mendelssohn, wie Tewele und Margolis, und dann wieder die jüdisch-national orientierten Smolenskins in einem katastrophalen Mißverstehen des Assimilationsanliegens dem Scheitern dieser Bewegung vorgearbeitet hätten. Dagegen aber steht als ein bleibender Stachel im Fleisch der Assimilation die Analyse Zygmunt Baumans, der sehr wohl den modernen Staat für das Scheitern der jüdisch-europäischen Kulturverschmelzung in Haft zu nehmen gedenkt, weil sich nach Bauman die Assimilation nur erklären läßt als jene in die Katastrophe führende Reaktion auf einen Staat, der als seinen gefährlichsten Feind die Ambivalenz, in welcher Form auch immer, ausgemacht hat, wodurch dann das Drängen auf Einheitlichkeit zu einem Dauerzustand wird. Damit träte der assimilierungswillige Jude ein in eine Welt, »die gegenüber der Differenz indifferent … ist«.42 Es war dieses ›Drängen auf Einheitlichkeit‹, das Mendelssohn dazu veranlaßte, Stellung zum Religionseid zu nehmen, wie wir oben gesehen haben. Im Zusammenhang damit hat er dann eine Zeichentheorie entworfen, die dem Verfahren entfremdenden Bezeichnens das Bilderverbot entgegensetzte. Dort endete unsere Darstellung der Jerusalemschrift. Vor dem Hintergrund der gerade geschilderten Problemkonstellation ist noch einmal ein Abschiedsblick 40  So etwa hat Arendt: Elemente, votiert, indem sie von einer Wechselwirkung zwischen dem Interesse der Nationalstaaten daran, die Sonderstellung des Judentums aus finanzpolitischem Kalkül zu erhalten, und dem Beharren des Judentums auf eben dieser Sonderstellung um willen der Selbsterhaltung, ausging. »Was in der Geschichte des Kapitalismus in die Augen springt, ist nicht der Einfluß der Juden, sondern die Hartnäckigkeit, mit der Juden sich weigerten, sich in diese Entwicklung verstricken zu lassen, die ohne Zweifel mit einer wirklichen Assimilation … geendet hätte« (37 f  ). 41  Sitzung vom 21.– 24. 12. 1789. Zit. nach Berger: Deutschland, 489 Anm. 14. 42  Bauman: Moderne, 198.

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auf Mendelssohns Jerusalem zu werfen. Es zeigt sich nämlich, daß die von Mendelssohn entwickelte Zeichentheorie keineswegs in einer bezeichnungsskeptischen Theorie aufgeht, sondern diese Theorie ist nur eine Konsequenz aus jenem Sachverhalt, daß Menschen einander unkenntlich bleiben hinsichtlich ihrer letzten Gewissens- oder Religionsvollzüge. Am Ende der Jerusalemschrift faßt Mendelssohn diesen Gedanken noch einmal zusammen; und er setzt damit jene Überlegungen fort, die ihn schon im Lavaterstreit dazu veranlaßt haben, das Problem der Konversion zu transformieren in eine Reflexion auf die Möglichkeit von Fremdverstehen. Brüder ! ist es euch um wahre Gottseligkeit zu thun; so lasset uns keine Uebereinstimmung lügen, wo Mannigfaltigkeit offenbar Plan und Endzweck der Vorsehung ist. Keiner von uns denkt und empfindet vollkommen so, wie sein Nebenmensch (J 133).

Diese Passage zeigt, daß Mendelssohn den Finger auf Differenz legt, eine Differenz, die keinem Vereinheitlichungsdruck sich beugen soll.43 Diese Differenz findet ihren Ausdruck in jener Mannigfaltigkeit, die dem weisen Plan der Vorsehung angehört. Daraus folgt dann aber eine These über den Anderen schlechthin: Wir können einander nicht anders verstehen als nach Maßgabe jener Bestimmtheitsvermeinungen, die immer schon vorausgesetzt wurden. Verstehen des Anderen jedoch kann nicht über eine Bestimmung geschehen, sondern es ist der praktisch-sittliche Umgang mit ihm, innerhalb dessen wir uns in eine auf Dauer gestellte Bestimmungsbereitschaft versetzt wissen, eine Bereitschaft auch dazu, neue Bestimmungen zu suchen und getroffene Bestimmtheitsentscheidungen fahren zu lassen. Der Andere darf uns niemals Anderer sein, sondern muß es uns stets werden. Insofern unterläuft Mendelssohn das oben geschilderte Problem – ob Assimilationsverweigerung eher ein kritisch zu beurteilendes Phänomen sei, das dann letztlich zur Vernichtung derer führt, die sich vereinzeln, oder ob diese Assimilationsverweigerung stets das Gebot für eine Gemeinschaft ist, die sich einer tödlichen Entdifferenzierungswut des Staates ausgesetzt weiß –, indem er schon beim ›Anderen an ihm selbst‹ ansetzt und damit jeglicher Gruppenidentität kritisch gegenübersteht. Wenn Mendelssohn die Bedeutungsverborgenheit im zwischenmenschlichen Mitteilungsgeschehen betont, formuliert er damit eine Individualisierungsthese, wie sie sich eminenter schwer denken läßt. Die monadologische Existenz des Menschen hat ihre leitende Metapher aber nicht in der Fensterlosigkeit, sondern im Antlitz. Hier allein öffnet sich, was stets verborgen bleibt, »da Gott einem jeden nicht umsonst seine eigenen Gesichtszüge eingeprägt hat« (J 133). 43  Daß dieses Beharren auf Differenz – von Altmann: The Philosophical, 199, als religiöser Pluralismus herausgestellt (ähnlich Goetschel: Mendelssohn, 479 u. Gottlieb: Men­dels­­ sohn’s) – auch mit Gewinn unter der Perspektive eines Gender­dis­kurses gelesen werden kann, zeigt Shapiro: The Status, bes. 386 f. Green: Moses, 42, hebt darauf ab, daß Jerusalem keineswegs nur eine in die Zukunft gerichtete Utopie ist.

G. Morgenstunden der Metaphysik Der Pantheismusstreit, durch den Mendelssohns letzte Jahre verdunkelt wurden, ver­anlaßte unseren Weltweisen dazu, noch einmal einen Bei­trag zur traditio­ nellen Metaphysik beizusteuern. Mendelssohn selbst dachte über sein letztes großes Werk wenig hoffnungsvoll und teilt mit, daß die Philosophie ihn schon überholt hat. Ich weiß, daß meine Philosophie … noch allzusehr den Geruch jener Schule [hat], in welcher ich mich gebildet habe … Das Ansehen dieser Schule ist … gar sehr gesunken, und hat das Ansehen der spekulativen Philosophie überhaupt mit in seinen Verfall gezogen. Die besten Köpfe Deutschlands sprechen … von aller Spekulation mit … Wegwerfung« (Ms 92f).

Unsere Darstellung der Morgenstunden wird sich darauf kon­­zentrieren, diese Selbst­­­einschätzung Mendelssohns einer Prüfung zu unterzie­hen. Religionsphilo­ so­­phisch wäre es nämlich von Interesse, wenn gezeigt werden könnte, daß Mendelssohn keineswegs einen kurz vor dem Jahrhundertwechsel schon überholten Ty­pus metaphysischer Theologie vertreten hat, sondern sehr viel mehr ein The­ o­riebewußtsein entwickelt, das kritisches Potential gegenüber der Transzenden­ tal­­philosophie in sich bereithält. Hält es ein solches Potential bereit? Um hier zu ant­­worten, ist der Spinozastreit in seinen histo­rischen Kontext zu stellen, um dann Mendelssohns Haltung in dieser Sache darzulegen.

1. Der Streit Wie tief der Stachel von Spinozas Philosophie in das Fleisch orthodoxer Denkund Frömmigkeitsgewohnheiten gestochen haben muß, zeigt sich an dem Umstand, daß die Wunde auch heute noch nicht geschlossen ist. Ein verblüffender Befund aus dem vergangenen Jahrhundert möge dies verdeutlichen. David Ben-Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, war zeitlebens ein Verehrer Spi­nozas gewesen. Unmittelbar nachdem er 1953 in den Ruhestand gewechselt ist, verlieh er seiner Begeisterung für den Philosophen in einem langen Artikel Aus­druck und nutzte dafür die Freitagsausgabe der Davar, einer der Einheitsgewerkschaft Histadrut nahen Tageszeitung, die im Israel der 50er Jahre als Leitmedium fungierte. In diesem Artikel hielt es Ben-Gurion für notwendig,1 darauf hinzuweisen, daß die Zeit gekommen sei, den Amsterdamer Bannspruch 1 

Dunkhase: Spinoza, 91 ff.

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G. Morgenstunden der Metaphysik

zu historisieren und Spinoza einen Ehrenplatz innerhalb der jüdischen Geistesgeschichte einzuräumen. Als im gleichen Jahr der Präsident des Spinozaeum in Haifa Georg Herz Shikmoni beim Oberrabbiner Isaak Halevy Herzog anfragte, ob der Bann gegen Spinoza auch heute noch in Kraft sei, hielt sich Herzog bedeckt, wenn er auch den Bann nicht auf die Schriften des Spinoza ausgedehnt wis­sen wollte.2 Diese Auseinandersetzung um Spinoza steht in einer ver­trauten Kontinuität. Man muß nur in der Selbstbiographie des Spinozisten erster Stunde Johann Christian Edelmann nachlesen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie belastet einerseits der Amsterdamer Philosoph gewesen ist, und welche Faszination dennoch von ihm ausging. Edelmann schreibt über seine Lektüre des Tractatus theologico-politicus: Ich nahm … Spinozam, deßen bloßer Name mir in meinen Universitätsjahren schon ein Schaudern verursachte, … in die Hände … Und … so fand ich … wie wenig Spinoza … widerlegt war3 … [E]s [ging] mir damals … wie den Kindern …, die den Knecht Ruprecht in Verdacht … ziehen … und … noch zu furchtsam sind, demselben hertzhaft nach der Larve zu greifen.4

Und es genügt, sich die Schriften der Jacob Thomasius,5 der schon 1670 auf den Trac­tatus reagiert hat, François Fénelon,6 Pierre-Daniel Huet,7 Henry More,8 Albert Burgh9 und Niels Stensen10 zu vergegenwärtigen, um diese Furcht als sehr ver­ständlich zu empfinden. Andere haben weniger vernichtend geurteilt. So schreibt der preußische Gesandte und Orientalist Heinrich Friedrich Diez 1783 über den der Gottesleugnung Geziehenen: So sehr verblendet … Religionseyfer, daß er nie weiß, wo er aufhören soll. Vermuthlich würde es niemandem eingefallen seyn, Spinoza Gottesläugner zu nennen, wenn er nicht unter Juden und Christen gelebt hätte.11 2 

Yovel: Why Spinoza, 51 f. Edelmann bezieht sich hier auf Adversus anonymum theologico-politicum liber singula­ ris aus dem Opus postumum, 1674, des Regnerus van Mansveld 4  Edelmann: Selbstbiographie, 350. 5  Thomasius sieht Spinoza dem Atheismus nahe und von Herbert von Cherbury, Thomas Hobbes, Isaac de La Peyrère beeinflußt (Thomasius: Dissertationes, 573 f. 6 »N’est-ce pas ainsi que Spinosa, sous prétexte de raisonner avec l’exactitude géométrique sur le principes évidents de la métaphysique, a écrit des rêveries qui sont le comble de l’extravagance et de l’impiété?« (Fénelon: Réfutation du système du Père Malebranche sur la nature et la grâce (Œuvres ii 265 b). 7  So in Demonstratio evangelica ad serenissimum Delphinum (1679). 8  Epistola altera ad V. C. and Demonstrationum duarum Propositionum against Spinoza (1677/78). 9  Der aus einer angesehenen Amsterdamer calvinistischen Familie kommende Konvertit Burgh rät Spinoza in einem Brief vom 11. September 1675 zur Konversion zum Katholizismus (Spino­za: Briefwechsel, 253 ff    ). 10  Des Naturforschers und ebenfalls katholischen Konvertiten Stensens Brief votiert ganz im Sinne von Burgh (l. c. 396 ff   ). 11  Diez: Benedikt, 41. 3 

1. Der Streit

319

Bei Mosheim, Siegmund Jacob Baumgarten und Reimarus finden sich in ge­ druckten Verzeichnissen Spinozas und der frühen Spinozisten Schriften,12 Goethe kannte Spinoza schon seit den 70er Jahren seiner Straßburger Zeit,13 Friedrich Wilhelm Stosch, Theodor Ludwig Lau, Jacob Wachter, Johann Christian Edelmann, Karl von Knoblauch, Johann Konrad Dippel und Martin Knutzen haben aufmerksam und mit Gewinn Spinoza gelesen,14 dem auch Mendelssohn in seinen Philosophischen Gesprächen (1755) eine Ehrenrettung hatte zuteil werden lassen, um sich danach immer wieder und an seinem Lebensende noch einmal besonders öffentlichkeitswirksam mit ihm auseinanderzusetzen. Im Pantheismusstreit kurz vor dem Jahrhundertwechsel fließen alle diese Ten­denzen zusammen und lassen eine Debatte von der Leine, die sich nachhaltige Aufmerksamkeit allein darum zu sichern vermochte, weil sie das Erbe Lessings zum Gegenstand hatte.15 Der Streit setzt unmittelbar jene Bilder frei, die sich auf die am besten bekannten Protagonisten beziehen: Lessing, der vor seinem Lebensende den verwunderten Jacobi in ein Gespräch über das Hen kai Pan des Spinoza verwickelt und darin die unüberbietbare Totalvision spekulativer Gotteswissenschaft zu erkennen meint; Gleim, dessen Gartenhaustapete dieses Hen kai Pan der Nachwelt aus Lessings Dichterhand aufbewahrt;16 Jacobi, der vor dem offenbar unbelehrbaren Spinozismus Lessings nicht in die Knie geht, sondern mit einem fideistischen Kalkül gerade in der Konsequenz Spinozanischen Denkens sich zu einem Salto mortale in den Offenbarungsglauben herausgefordert sieht, um im Zugleich damit die Freiheit zu retten,17 die der Spinozanischen Vision zum Opfer fällt; Elise Reimarus, die den Briefverkehr zwischen Jacobi und Mendelssohn in dieser Sache organisiert und durch nicht immer genaue Wiedergaben mancherlei Verwirrung stiftet; und endlich Mendelssohn, der das Andenken seines Freundes Lessing retten will und über dieser Ausein12 So

Goldenbaum: Spinozismus, 60. Cf. die Belege l. c. 58 Anm. 65. Bollacher: Der junge, 50 ff; Lindner: Das Problem, 73 ff 14 R. Otto: Studien, 58–119. 15 Aus der Literatur zu dem immer wieder dargestellten Streit seien nur erwähnt: Scholz: Die Hauptschriften; Altmann: Lessing und Jacobi (Lessing Yearbook 3); Timm: Gott; Bollacher: Der junge; Bell: Spinoza; Hammacher: Über Friedrich; Beiser: The Fate; Christ: Jacobi; Schmidt-Neubauer: Der Pantheismusstreit; Hong: Spinoza; Zac: Spinoza; Mor­fino: La Spinoza-Renaissance. 16  Schmidt berichtet, daß er im Besitz eines Stammbuchblatt-Faksimiles aus der Hand Al­ bert Kösters sei, auf dem sich der Lessingsche Eintrag ›Hen ego kai panta‹ (14. Oktober 1780) findet (E. Schmidt: Lessing ii 646). 17  Ja 30: »Leßing. Gut, sehr gut! Ich kann das alles auch gebrauchen; aber ich kann nicht dasselbe damit machen. Ueberhaupt gefällt Ihr Salto mortale mir nicht übel, und ich begreife, wie ein Mann von Kopf auf diese Art Kopf-unter machen kann, um von der Stelle zu kommen. Nehmen Sie mich mit, wenn es angeht. Ich [sc. Jacobi]: Wenn Sie nur auf die elastische Stelle treten wollen, die mich fortschwingt, so gehts von selbst. Leßing: Auch dazu gehörte schon ein Sprung, den ich meinen alten Beinen und meinem schweren Kopfe nicht mehr zumuthen darf«. 13 

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G. Morgenstunden der Metaphysik

andersetzung sein Grab findet.18 Der Verlauf des Streits wurde immer wieder erzählt, so daß hier nur die entscheidenden Sentenzen in Erinnerung gerufen werden sollen. Im Sommer 1780 ist Jacobi bei Lessing in Wolfenbüttel zu Gast. Am Morgen des sechsten Juli tritt Lessing in Jacobis Zimmer, findet ihn beim Siegeln seiner Briefe und bekommt von diesem Goethes Prometheus überreicht. Lessing gefällt das Gedicht, wenngleich er es keineswegs für spektakulär hält, da es ihm »schon lange aus der ersten Hand« vorliegt,19 wobei nicht genau zu ermitteln ist, ob diese Hand Aischylos, wie Hamann glaubte, oder Lukian, was von Jacobi vermutet wurde, gehört.20 Jedenfalls schloß sich nun jenes berühmt gewordene Gespräch an, innerhalb dessen Lessing gesagt haben soll: Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich, ich kann sie nicht genießen. En kai pan! Ich weiß nichts anders … Wenn ich mich nach jemand nennen soll, so weiß ich keinen andern [sc. als Spinoza] (Ja 16 f   ).

Eines anderen Tages fand Jacobi Lessing bei der Lektüre des Aristée ou de la di­ vi­nité (1779) von Hemsterhuis dermaßen in Begeisterung versetzt, daß er eine Übersetzung anzufertigen gedachte, eine Begeisterung, die nicht zum geringsten dadurch ausgelöst scheint, daß es sich hier um einen verhüllten Spinozismus handelte.21 Mendelssohn war als Freund Lessings natürlich aufgefor­dert, das Andenken des großen Dichters nicht vagen – möglicherweise in launiger Streit­ lust gegenüber Jacobi geäußerten – Spekulationen über dessen Spätphiloso­phie zu überlassen. Wichtiger aber ist für unseren Zusammenhang Mendelssohns 18  Goethe

resümiert den Streit mit folgenden Worten: »Der Riß war so gewaltsam, daß wir darüber, bei eintretenden Zufälligkeiten, einen unserer würdigsten Männer, Mendelssohn, verloren« (Goethe: Dichtung und Wahrheit iii 15, Werke xxvi 315). 19  Ja 16. 20 Cf. Jac 392. 21 Cf. Ja 36. Lessing mag Aussagen vor Augen gehabt haben, wie die folgende: »[E]s ist … wahr, daß es vernünftiger seyn würde, anzunehmen, daß dieses Wesen [sc. Gott] das Uni­ver­ sum ist, wovon wir etwas sehen, als wenn wir annehmen, daß es ein schaffender Gott ist, von welchem wir nichts sehen« (Hemsterhuis: Aristäus, oder von der Gottheit, Vermischte Phi­ losophische Schriften ii 127f   ). Hemsterhuis scheint genau das durch die Spinozanische Phi­lo­ so­phie gestellte Problem intensiv gespürt zu haben, daß nämlich zwischen einem Sub­stanz­mo­ nismus und der Annahme von dieser Substanz Anderem nicht einfach zu einer Lösung übergegangen werden kann, die diesen Substanzmonismus auflöst, sondern sich das Denken in der Schwebe einer nur schwer ausräumbaren Widersinnigkeit halten müsse. »In Wahrheit Alles, was für uns sichtbar ist, strebt zur Einigung, oder zur Einheit. Indessen ist doch Alles aus Ein­ zel­heiten zusammengesetzt, die völlig isoliert sind; und, des schönen Anscheins von einer Kette äusserstverbundener Wesen ungeachtet, ist es doch klar, daß jedes Einzelne nur existirt, da­mit es, – nicht, damit ein anderes existire. Hieraus schließe ich, daß das ganze sichtbare, oder sinnliche Universum sich itzt in einem erzwungenen Zustande befindet, in welchem es ewig nach Vereinigung strebt, und doch immer in dem Zustande einer Zusammensetzung aus vielen, isolirten Einzelheiten beharrt. Die Natur des Ganzen bleibt also in einem ewigen Wi­ der­spruch zu sich selbst« (Hemsterhuis: Ueber das Verlangen. Ein Brief an H. Theodor von Smeth, Paris 1770, Vermischte Philosophische Schriften i, 100 ff ).

1. Der Streit

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ei­gene philosophische Reaktion. Diese Reaktion entwickelte sich vor dem Hintergrund der Absicht Jacobis, Zeitgenossinnen und Zeitgenossen in eine Alter­ native hineinzutreiben: Entweder demonstrierende Philosophie – dann wird eine so verfahrende Philosophie sich stets nolens volens beim System des Spinoza wiederfinden. Oder: Man begibt sich mit einem Salto mortale in die Arme der geoffenbarten Religion, die nur durch den Glauben erfahren werden kann. Daß Jacobi auf genau diese Differenz hinaus will, zeigt schon seine Wiedergabe des mit Lessing geführten Gespräches. »Ich helfe mir durch ei­nen Salto mortale aus der Sache, und Sie [sc. Lessing] pflegen am Kopf-unter … keine sonderliche Lust zu finden«.22 Dann kommt Jacobi auf das für ihn zentrale Problem zu sprechen: Wir glauben nur, daß wir aus Zorn, Liebe, Großmuth, oder aus vernünftigem Entschlusse handelten. Bloßer Wahn! In allen diesen Fällen ist … das was uns bewegt ein Etwas, das von allem dem nichts weiß, und das … von Empfindung und Gedanke … entblößt ist … Wer nun dieses annehmen kann, dessen Meynung weiß ich nicht zu widerlegen. Wer es aber nicht annehmen kann, der muß der Antipode von Spinoza werden (Ja 21).

Damit hat Jacobi deutlich gemacht, wie er Spinoza zu verstehen gedenkt, und was ihn davon abhält, seiner Totalvision zu folgen. Dabei ist entscheidend das um­greifende Grundverhältnis, das durch die Substanz gestiftet wird und alle Frei­heit zu einem bloßen Narren degradiert, der den Handelnden vorgaukelt, ihnen zu Diensten zu sein, tatsächlich aber in einem viel tiefer greifenden Loyalitäts­verhältnis zur Substanz sich befindet. Die durch die Wählenden angenommene unmittelbare Relation hinsichtlich ihrer Wahl verkennt das zwischen Einheit und Einheitsgrund obwaltende Relationsverhältnis. Um seine Ab­sicht, in die angesprochene Entscheidung zwischen philosophischem Fatalis­ mus und Glaubenssprung hineinzumanövrieren, durchführen zu können, war es notwen­dig, keinen Zweifel daran zurückzulassen, daß es sich bei Spinoza und der ihm folgenden Philosophie um einen Theorietyp handelt, der keinen Weg zurück zu einem – wie auch immer konkret organisierten – Gottesbewußtsein mehr zuläßt.23 Und so mußte Spinoza nicht nur nach seinen eigenen Lehrsät­zen beurteilt, sondern zugleich typisiert werden. Dies leistet Jacobi, indem er ein­mal – sich hier auf Wachter und Helmont beziehend – feststellt, daß es sich schon bei der Kabbala um nichts anderes als um »verworrene[n] Spinozismus« (Ja 122) handelt, Spinoza selbst also nur der philosophische Vollen22 

Ja 20. Ja 120: »Spinozismus ist Atheismus«. Und in einer Anmerkung zu dieser These wird er noch deutlicher: Ja 120 Anm. 1: »Ich bin weit entfernt, alle Spinozisten für Gottesläugner zu er­k lären. Gerade deswegen scheint mir der Erweis nicht überflüßig, daß die rechtverstandene Lehre des Spinoza keine Art von Religion zulasse. Ein … Schaum von Spinozismus ist hingegen … verträglich mit allen Gattungen des Aberglaubens und der Schwärmerey, und man kann … Blasen damit werfen. Der entschiedene Gottesläugner soll sich unter diesem Schaume nicht verbergen; die anderen müssen nicht sich selbst damit betrügen«. 23 

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G. Morgenstunden der Metaphysik

der wohlbekannter theosophischer Abseitigkeiten ist. Zugleich aber kann Jacobi auch die Philosophie eines Leibniz und Wolff nicht als gelungene Versuche ansehen, über Spinoza hinauszugehen, sondern diagnostiziert, daß diese Philosophie noch immer ein nur ganz notdürftig maskierter Spinozismus sei.24 Damit ist der Weg frei für Jacobis These vom Prinzipien-Überschuß des Glaubens und der Offenbarung gegenüber demonstrierendem Denken.25 Dieses Denken nämlich denkt bestimmte Sachverhalte als bestimmt genau dadurch, daß diese Sachverhalte Anderes, das Bestimmtheit hat, ausschließen und damit voraussetzen – ein Bestimmungsgeschehen, das den Erkenntnisvorgang in eine erkenntnistheoretisch unbefriedigende Unendlichkeit abschieben würde, wenn nicht das Prinzip der Offenbarung dieser Unendlichkeit vorausliefe.26 Um dies aber zu erkennen und die Offenbarung im Prozeß des Erkennens auch dauerhaft heimisch zu machen, bedarf es einer Operation, die nicht wieder Denken, sondern – so Jacobis Überzeugung – Glauben ist.27 Im folgenden werden wir sehen, wie Mendelssohn die Debatte aufgreifen wird, ohne sich dabei auf die von Jacobi vorgeschlagene Alternative einzulassen. Im Gegenteil: Die Morgenstun­ den verhandeln die durch den Streit aufgeworfenen Probleme innerhalb der rationalen Metaphysik und gewinnen dieser in einem abschließenden Gottesbeweis Perspektiven ab, die durchaus den Anspruch erheben können, gegenüber der transzendentalphilosophischen Option mit kritischem Potential aufzuwarten, ohne dabei in Offenbarung und Glauben ihr Refugium suchen zu müssen.

2. Mendelssohns letztes Wort Mendelssohn hat schon in den Philosophischen Gesprächen von 1755 Spinoza eine anerkennende Darstellung zuteil werden lassen, anläßlich derer er darauf hinweist, daß dessen Lehrsätze weniger falsch als unvollständig sind. Ausdrücklich hebt er hier Wolff hervor, der – anders als Bayle –28 auf polemische 24  iii, Ja 123: »Die Leibnitz-Wolfische Philosophie, ist nicht minder Fatalistisch, als die Spi­ no­zanische, und führt den unabläßigen Forscher, zu den Grundsätzen der letzteren zurück«. 25  iv, Ja 123: »Jeder Weg der Demonstration geht in den Fatalismus aus«. 26  v, Ja 124: »Wie können nur Aehnlichkeiten demonstriren; und jeder Erweis setzt etwas schon Erwiesenes zum voraus, wovon das Prinzipium Offenbarung ist«. 27  vi, Ja 125: »Das Element aller … Erkenntniß und Würksamkeit, ist Glaube«. 28  Bayle: Dictionnaire, 418: »Il est moins facile de satisfaire à toutes les difficultés de cet ouvrage que de ruiner de fond en comble le système qui a paru dans ses Opera posthuma; car c’est la plus monstrueuse hypothèse qui se puisse imaginer, la plus absurde et la plus diamétralement opposée aux notions les plus évidentes de notre esprit (N). On dirait que la Providence a puni d’une façon particulière l’audace de cet auteur, en l’aveuglant de telle sorte, que, pour fuir des difficultés qui peuvent faire de la peine à un philosophe, il se soit jeté dans des embarras infiniment plus inexplicables, et si sensibles que jamais un esprit droit ne sera capable de les méconnaître«.

2. Mendelssohns letztes Wort

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Nebentöne verzichtet und ein einzigartiges Zeugnis kritischer Spinozalektüre beibringt,29 die Spinozas Ethik beim Wort nimmt und ihr auf Augenhöhe begegnet.30 Innerhalb der Morgenstunden dann begnügt sich Mendelssohn nicht mit einer Diskussion absolutheitslogischer Probleme des Spinoza­streits, sondern entwickelt eine Genese der erkenntnistheoretischen Grundlagen, mithilfe derer der Streit geführt und auch beurteilt werden kann. Im operativen Zentrum dieser Grundlagen stehen Gemeinsinn, Orientierung und Vernunft als die erkenntnistheoretischen Vermögen, deren sinnvolles Zusammenwirken gewährleistet sein muß, wenn sich eine Auseinandersetzung um die zentralen Fragen begründbarer Metaphysik nicht als bloße Wortstreitigkeiten herausstellen sollen. Doch hat die Auseinandersetzung mit Spinoza nur die Funktion, noch einmal die religiöse Bezeichnungstheorie im Raum der Metaphysik in den Blick zu rücken, um eine Ontologie vorzustellen, die selbst dann noch in Geltung stehen muß, wenn sich die Finalbeschreibungen des Absoluten dazu herbeigefunden haben, nur noch in Metaphern wirksam zu sein. a) Geträumter Gemeinsinn Wenn Mendelssohn sich auf den Gemeinsinn beruft, handelt es sich dabei um ein Wissen, das von einer prinzipiellen Zustimmungsgeneigtheit betroffen ist, die als ein positives Hingeordnet-Sein der epistemischen Instanz auf diskursiven Nachvollzug ihre Karte nicht nur ausspielt, wenn dieses Subjekt auf ihm fremde oder neue Theorien stößt. Gerade auch dem Subjekt eigene Gehalte nämlich sind von dieser Geneigtheit betroffen. Der zuletzt benannte Umstand wird unmittelbar durch die Darstellungstechnik deutlich, mit der Mendelssohn Zugang zum Pantheismusstreit gewinnt. Die Morgenstunden bedienen sich hierbei der Allegorie, die einen Traum zum Anlaß nimmt, ›Kontemplation‹, ›Gemeinsinn‹ und ›Vernunft‹ einzuführen. Die Gedanken von Vernunft und Menschenverstand … verwickelten sich mit der Erzählung von einer Reise im Schweizergebürge, mit welcher wir Abends von unsern Gästen unterhalten wurden, und bildeten sich in meiner Einbildung zu einem Traume aus (Ms 169).

Vernunft und Menschenverstand oder Gemeinsinn treten nicht einfachhin in einem Bewußtsein auf, um impulsu suo tätig zu werden und ihren Zuständigkeits­ bereich zu finden, sondern das Subjekt hat diese Operatoren immer nur in seinen Gedanken. Gedanken, welche wir uns von den in Gebrauch befindlichen 29 

Dies stellt mit kraftvoller Scharfsinnigkeit Cramer: Christian, heraus. Gs i 205: »Dieser große Weltweise [sc. Wolff] setzt den Spinozismus, bevor er ihn widerlegt, in sein gehöriges Licht. Er zeigt ihn von seiner stärksten Seite, und eben dadurch hat er seine Schwäche am besten entdeckt«. Und Gs i 206: Wolff »leistet alles, was Bayle verabsäumt hat, und auch bei dem möglichsten Fleiße vielleicht würde verabsäumt haben. Er beweist, daß Spi­noza geglaubt habe, es könne aus einer unendlichen Menge endlicher Vollkommenheiten eine unendliche gleichsam zusammengesetzt werden«. 30 

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G. Morgenstunden der Metaphysik

Ver­mögen machen, deuten schon an, daß wir hier eine Zuständigkeits- oder Reich­weite-Reflexion in Anschlag zu bringen haben, die darauf sich richtet, inwieweit man einem der Vermögen zuerkennen kann, als letzte Instanz auftreten zu können. Solche Gedanken denken aber niemals unmittelbar das Zu-Denkende, was schon allein dadurch ausgeschlossen ist, daß die Gegenstände der in Rede stehenden Gedanken bei einem solchen Denken immer auch im Vollzug sind, also eine, wie auch immer näher zu beschreibende, Selbstbezüglichkeit der Vermögen, von denen Denken sich Gedanken macht, vorauszusetzen ist. Dadurch, daß Vernunft und Menschenverstand in einer Traumsequenz sich finden, ist festgeschrieben, daß die im folgenden dargelegte Verhältnisbestimmung zwischen diesen beiden Vermögen auf einer intradiegetischen (Gérard Genette) Ebene verhandelt werden, von der noch aussteht, ob das epistemische Subjekt sich von dieser im Traum erzeugten Meistererzählung wird überzeugen lassen. Mendelssohn geht dazu über, die in seinem Traum anwesenden Protagonisten, einen robusten Schweizer Wanderer und eine flügelbewehrte in sich verschlossene Dame, »Gemeinsinn (sensus communis) und Beschauung (contemplatio)« (169), vorzustellen. Beide geleiten den Träumenden solange, bis sie sich nicht mehr auf einen gemeinsamen Weg zu einigen vermögen und in unterschiedlichen Richtungen auseinanderstreben. Dies ist der Moment, in dem die Vernunft als Matrone auftritt und die Traumreisenden darüber belehrt, daß sich Gemeinsinn und Kontemplation zuweilen voneinander trennten, aber auch immer wieder zueinander finden würden. Indem Mendelssohn dem Gemeinsinn eine derart zentrale Stellung innerhalb seiner Metaphysik einräumt, stellt er sich in eine Tradition, die sich spekulationskritisch einem Vermögen zuwendet, das verstärkt auf eine pädagogisch-handlungstheoretische Dimension verweist, die ihren Charme zugleich darin besitzt, nahezu ohne metaphysische Vorannahmen auszukommen, um ausschließlich auf die freie Zustimmungsfähigkeit des gesunden Menschenverstandes zu setzen. Daß bei der hier erfolgenden Zustimmung immer auch von einer Voraussetzungsreflexivität auszugehen ist, bleibt vorerst außer Betracht. Der Gemeinsinn, dessen Karriere in der schottischen Philosophie31 ihren Höhepunkt hatte, tritt gut ins Bild, wenn man die Entwicklung dieses Zentralbegriffs vor dem Hintergrund der Philosophie des Descartes sich verdeutlicht. Descartes nämlich hatte den Gemeinsinn innerhalb einer epiphytischen Kooperationslogik angesiedelt, die darin ihre Pointe hat, daß sich über diesen Sinn jene Bilderwelt formt,32 die reiz-reaktions-schematisch 31 

Kuehn: Scottish. »Weiterhin bemerke ich, daß der Geist nicht von allen Teilen des Körpers unmittelbar Ein­drücke empfängt, sondern nur vom Gehirn, vielleicht sogar nur von einem ganz kleinen Teil desselben, nämlich von dem, welcher Sitz des Gemeinsinns sein soll (ab ea in qua dicitur esse sensus communis). Sooft in diesem dieselben Zustände auftreten, stellt er dem Geist dasselbe dar (menti idem exhibet)« (Descartes: Meditationes vi 20, 206 f    ). 32 

2. Mendelssohns letztes Wort

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dem Bewußtsein zu finaler Interpretation zugeführt wird, wobei der Gemeinsinn vor dieser Interpretationsleistung aber durchaus fallibel ist.33 Wenn dann Claude Buffier die durch den Gemeinsinn überprüfbaren Wahrheiten aufzählt, beginnt er bezeichnender Weise unmittelbar mit einer Außendimension, die allererst durch eine Innerlichkeit des Zweifels sichergestellt ist bei Descartes.34 Bei John Toland kann der Gemeinsinn dann schon verstanden werden als reason in general, insofern die Vernunft in dieser Hinsicht die Funktion der Ideen- und Perzeptionsformung hat.35 So ist es naheliegend, daß der Begriff immer auch eine religionsphilosophische Spitze gegen rational unkontrollierbare Offenbarungserwartungen36 hatte und neben dem Licht der Vernunft einzustehen vermochte für die Suffizienz natürlicher Gotteserkenntnis.37 Cherbury verdeutlicht den Erkenntnisvollzug über eine Naturanalogie und versteht den Gemeinsinn als Naturinstinkt, der seine Besonderheit darin hat, daß ihm die allgemeingültigen Erkenntnisse entspringen, ohne dabei zugleich diskursive Denkoperationen vollziehen zu müssen.38 Und – um noch ein Beispiel deutscher Zunge beizubringen – die nahezu zeitgleich mit den Morgenstunden erscheinenden Philosophi­ schen Unterhaltungen (1786) Gotthelf Samuel Steinbarts votieren für den Gemeinsinn allein schon wegen der sittlichen Folgenlosigkeit, die eine spekulative Überdehnung mit sich brächte, und der Erwägung, daß eine dem Gemeinsinn widersprechende tiefsinnige Gedankenübung ohnehin nur einigen wenigen möglich sei und darum kaum Anspruch auf Letztgeltung haben könne.39 Die 33 

Es »ergibt sich nun ganz klar, daß trotz der unermeßlichen Güte Gottes die aus Geist und Körper zusammengesetzte Natur des Menschen doch zuweilen trügen kann (non posse non aliquando esse fallacem)« (l. c. vi 23, 210 f    ). 34  Von den »exemples de jugemens qui se vérifient principalement par la régle & par la force du sens comun« listet Buffier zuerst auf: »II y a d’autres êtres, & d’autres hommes que moi au monde« (Buffier: Traité, 25). 35  Toland: Christianity, 9: »Every one experiences in himself a Power or Faculty of forming various Ideas or Perceptions of Things … The right Use of all these Faculties is what we call Common Sense, or Reason in general«. 36  Cf. etwa Locke: An Essay iv 18, 11: »For men, having been principled with an opinion that they must not consult reason in the things of religion, however apparently contradictory to common sense and the very principles of all their knowledge, have let loose their fancies and natural superstition; and have been by them led into … strange opinions and extravagant practices in religion«. 37  Bentley: A Confutation, 5: »God hath endu’d Mankind with Powers and Abilities, which we call Natural Light, and Reason, and Common Sense; by the due use of which we cannot miss of the Discovery of his Being; and this is sufficient«. 38  Cherbury: De Veritate, 44: »Instinctus naturales sunt actus facultatum illarum in omni homine sano et integro existentium, a quibus communes illae notitiae circa Analogiam rerum internam (cujus modi sunt quae circa causam, medium et finem rerum, bonum, malum, pulchrum …) … per se etiam sine discursu conformantur«. Cf. Fénelon: Œuvres i 55). 39  Steinbart: Philosophische, 47: »[D]ie wahren Principien … für menschliche Weisheit [können] weder durch ein innres Licht …, was nur einigen Menschen eigen ist … noch durch

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angeführten Beispiele zeigen, daß der Gemeinsinn keineswegs nur in pragmatischer Hinsicht bevorzugt wird, sondern durchaus auch erkenntnistheoretische Überlegungen für seine zentrale Stellung innerhalb der Philosophie des 18. Jahrhunderts sprechen. Warum aber, so ist jetzt zu fragen, geht dem Auftritt des Gemeinsinns innerhalb der Morgenstunden der Traum voraus. Oder anders gefragt: Welche systematische Funktion hat der Traum? Zur Beantwortung dieser Frage sprechen wir zuerst die mit dem Traum abgerufenen Theorie-Assoziationen an, um dann noch einmal genauer den systematischen Status des Traums zu bestimmen. Mit dem Traum ist jene subjektlogische Einstellung angesprochen, in der das Subjekt sich auf sich selbst zurückzieht, und diese Selbstbezüglichkeit auf eine passive Dauer gestellt wird. Das Ich taucht träumend in einen Bildraum ein, von dem her es sich hat und identifizierend hält, ohne sich gehalten zu wissen. So wird im Traum absolute Passivität am Ort endlicher Subjektivität erfahrbar, deren Absolutheitscharakter sich darin zu behaupten vermag, daß das seinen Traum deutende Subjekt den Trauminhalten an ihnen selbst kein Ende zu setzen vermag. Diese auf Unbedingtes hinweisende Unabschließbarkeit hat in der Antike dazu geführt, im Traum Chiffren des Zukünftigen erkennen zu wollen, wie die Onei­ rokritika des Artemidor von Daldis zeigen.40 Sodann ist in Rechnung zu ziehen, daß im Hintergrund des Mendelssohnschen Traumverständnisses Wolffs ›Deutsche Metaphysik‹ gestanden hat. Wolff führt aus, daß der Traum als ein Zwischen von Wachheit und Schlaf zu verstehen ist, wobei von den Traumbildern gar nicht leicht gesagt zu werden ver­mag, inwieweit sie sich vom Wachzustand abheben. Wenn man ein belastba­ res Kriterium dafür angeben wollte, wodurch sich das Träumen vom Wachbe­ wußtsein unterscheidet, dann ist es nach Wolff das Ineinander-gegründetund-geordnet-Sein,41 eine Definition, die durchaus hinsichtlich ihres formalen Aspekts von der modernen Traumforschung geteilt wird, wenn diese etwa annimmt, daß der Traum eine epiphänomenale Interpretationsleistung gegenüber kontingenten Regenerationsimpulsen ist, 42 die auf das Gehirn im Schlafzustand tiefsinnige Spekulation, wozu nur wenige Köpfe aufgeleget find, gefunden werden … sondern [müs­sen] in demjenigen liegen … was allen Menschen gemein ist. Die Erfahrung lehret auch, daß alle Theorien, worin die gemeinen Erfahrungsbegriffe … verworfen und dafür gelehrte Hy­pothesen oder dem Gemeinsinn widersprechende Orakel und Glaubenslehren … angenommen sind, … unfruchtbar für das praktische Leben und … die sittliche Denkungsart … gewesen sind«. 40 Cf. Böhme: Vergangenheit. 41  »[I]n der Wahrheit [ist] alles in einander gegründet … im Traume nicht, und daher [haben] im ersten Falle die Veränderungen der Dinge eine Ordnung … im Traume hingegen [ist] lauter Unordnung« (Dm § 143). Cf. auch: »Da wir im Traume zwar klare und deutliche … aber nicht ordentliche Empfindungen haben … so ist der Traum in Ansehung der Seele ein Zustand klarer und deutlicher, aber unordentlicher Gedancken« (l. c. § 803). 42  Hippmann: Wenn man, 96.

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ungeordnet einwirken. Damit kann man noch einmal stärker darauf sehen, warum Mendelssohn überhaupt mit einem Traum in die Verhandlung einsteigt; und hier scheint uns der Grund in genau dieser ›unordentlichen‹ Interpretationsleistung zu liegen, durch die Wolff den Traum bestimmt sein läßt, der als das Reich der Unordnung anzusehen ist, aus dem jene Ordnung erwachsen möge, durch die das wache Subjekt ausgezeichnet ist. Als das Zwischenreich bestimmter Unbestimmbarkeit ist der Traum offenbar notwendig. Nur in diesem Zwischenreich können sich die Momente des Bestimmens herausbilden, ohne daß sie ihrerseits wieder von einer schon bestimmten Instanz auszugehen hätten. Es handelt sich hier gleichsam um die Bildung erster Bestimmtheiten, die dann in Anwendung gebracht werden durch die Vermögen von Gemeinsinn, Kontemplation und Vernunft. Die Antwort darauf, wie die systematische Stellung des Traums innerhalb der Morgenstunden einzuschätzen ist, läßt sich geben, wenn man auf die Schwierigkeit sieht, die eine selbstbewußtseinstheoretische Rekonstruktion von Selbstbewußtsein und damit auch Gegenstandsbewußtsein und Gemeinsinn mit sich bringt. Mendelssohn möchte offensichtlich den Gemeinsinn nicht als dialogisch-soziale Synthese erzeugt sehen, so als würde er sich herausbilden aus den kommunikativen Vollzügen, in die der Mensch gestellt ist. Gemeinsinn oder Selbstbewußtsein würden sich dann aufbauen als eine Funktion von Sozialität und in letzter Konsequenz als Selbsteinstellung in sozial eingeübter Übernahme von Fremdeinstellungen zu beschreiben sein.43 Die systematische Funktion des Traumes besteht darin, eine solche Übernahme gerade hinsichtlich der prinzipientheoretischen Dignität des selbstbewußten Gemeinsinns auszuschließen. Mit dem Abweis einer sozialphilosophischen Vermittlungsoperation von Selbst­bewußtsein verbindet sich bei Mendelssohn also folgende Pointe: Soll der Gemeinsinn wirklich dafür einstehen, wahrheitsfähige Aussagen zu formulieren, die gerade auch innerhalb der religiösen Letztheitsformulierungen von belastbarer Plausibilität sind, dann muß er unmittelbarer mit dem Selbstbewußtsein in Verbindung stehen als nur durch sozialpsychologische Vermittlungsprozesse. Dies zeigt sich darin, daß Mendelssohn bei seiner Darstellung des Traums jenes berühmte Diktum Heraklits zitiert, wonach der Traum anders als der Wachzustand den Übergang in eine beziehungslos gewordene Ich-Welt darstellt.44 Diese Ich-Welt, und damit schließen wir wieder an die Selbstbewußtseinsproblematik an, ist erst einmal nicht mehr als eine Konsequenz aus dem Problem des Selbstverhältnisses. Es ist eine bekannte Schwierigkeit selbstbewußtseinstheoretischer 43 Cf.

Zarnow: Identität, 185–220. Diels [Hg.]: Die Fragmente, 12 B 89: »Die Wachenden haben eine gemeinsame Welt (ἕνα καὶ κοινὸν κόσμον εἷναι), [doch jeder Schlummernde wendet sich nur an seine eigene (εἰς ἴδιον ἀποστρέφεσθαι)]«. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, 320, in seiner Darstellung Heraklits: »Das Träumen ist ein Wissen von Etwas, wovon nur ich weiß; das Einbilden und dergleichen ist eben solches Träumen«. 44 

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Ansätze, daß sich hier ein Selbst dessen bewußt werden soll, selbstbewußt schon zu sein; wobei die Kennzeichnung ›Selbst-Bewußtsein‹ künstlich auseinandertreten läßt, was am Ort des Selbst immer schon als identisch gesetzt ist. Selbstbewußtsein ist insofern eine Selbstvoraussetzung, der man in künstlicher Einklammerung dieses Sachverhaltes noch einmal zumutet, sich ihrer bewußt zu werden. Selbstbewußtseinstheoretische Reflexion kann also schwerlich umhin, eine Dublette dessen zu erzeugen, daß das Bewußtsein bei sich selbst immer schon war. Wie aber ist dann dieses Immer-schon-bei-sich-Sein zu beschreiben, wenn man nicht neuerlich in den Zirkel von Selbstvoraussetzung und Selbstkennzeichnung eintreten will? Es ist also gefordert, daß der in Rede stehende Zirkel verlassen wird auf seinen Ermöglichungsgrund hin. Mendelssohn versucht diese Schwierigkeit durch den Traum zu lösen, indem er nämlich die zentralen epistemischen Operatoren genetisiert dadurch, daß sie im Traum sich geben, um dann im Wachzustand auf ein Vergegenwärtigungsfeld zu treffen, in dem sich das Subjekt orientiert.45 Im Traum ist jene präreflexive Bild-Werdung von Selbstbewußtsein beschrieben, innerhalb derer das Subjekt so weit auf sich selbst zurückgegangen ist, daß es selbst-bewußt nicht mehr vor sich selbst zu treten vermag.46 Die in diesem Traum sich zeigenden Traumbilder stehen für den Gemeinsinn und die Spekulation, die auseinandertreten und das Subjekt führungslos am Scheidewege zurücklassen. Als selbstbewußtseinsgenetisches Geschehen drängt der Traum in einen Vergegenwärtigungsraum, innerhalb dessen das Subjekt die Erfahrung macht, sich entscheiden zu müssen. Diese Entscheidung aber kann es nicht über ein Gegenstandsbewußtsein fällen, denn wäre Gegenstandsbewußtsein ein belastbares Kriterium, so würde die Spekulation, wie sie Mendelssohn als alternative Möglichkeit einräumt, keine Option. Darum führt Mendelssohn hier die Orientierung als jene Operationsbasis ein, mithilfe derer das Subjekt seine Entscheidung trifft, die häufig zugunsten des Gemeinsinns auszufallen pflegt. So oft mich meine Spekulation zu weit von der Heerstraße des Gemeinsinns abzuführen scheinet, so stehe ich still und suche mich zu orientieren. Ich sehe auf den Punkt zurück, von welchem wir ausgegangen, und suche meine beide Wegweiser zu vergleichen. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß in den mehresten Fällen, das Recht auf Seiten des Gemeinsinns zu sein pfleget, und die Vernunft muß sehr entscheidend für die Spekulation sprechen, wenn ich jenen verlassen und dieser folgen soll. Ja sie muss mir deutlich vor Augen legen, wie der Gemeinsinn hat 45  Cf. etwa Florenskij: Die Ikonostase, 46: »Also eilt im Traum die Zeit … und zwar beschleunigt – der Gegenwart entgegen, gegen die Bewegung der Zeit des Wachbewußtseins«. 46 Bei Lichtenberg: Sudelbücher ii K 76, 412, findet sich diese Präreflexivität wie folgt beschrieben: »Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht von uns abhängen; andere glauben, wir wenigstens hängen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zusagen cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis«.

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von der Wahrheit abkommen und auf Irrwege geraten können, um mich zu überführen, daß seine Beharrlichkeit bloß ungelehriger Eigensinn sei (Ms 170).

Wenn hier die Orientierung als entscheidungssteuernde Operation eingeführt wird, die das Treffen einer Wahl zwischen Spekulation und Gemeinsinn allererst ermöglicht, so ist damit zugleich auch der erkenntnistheoretisch höhere Rang der Orientierung festgeschrieben. Als erstes Moment legt Mendelssohn das Still-Stehen fest, womit schon auf die Begriffsgeschichte des Orientierungsoperators hingewiesen ist. Orientierung nämlich verlangt zu ihrer erfolgreichen Durchführung einen Ruhestand, der dann die Basis für alle mit dieser Orientierung verbundenen Unternehmungen darstellt. Innerhalb der Sprachgewohnheiten französischer Bootsleute ist das Verb (orientieren, orientare, orienter) schon seit dem 15. Jahrhundert belegt und hält seit dem 17. Jahrhundert Einzug in den deutschen Sprachraum.47 Ex oriente lux. Wie schon die meisten griechischen Tempel ihre Längsachse westöstlich ausgerichtet hatten, wobei das bei Sonnen­aufgang erstrahlende Antlitz der Götterbilder nach Osten blickte, so hiel­ten es auch die Kirchen. Christus sol et deus verus. Aber es bedurfte nicht unbedingt einer religiösen Aufheizung. Auch auf Landund Seekarten fand sich bis in die Neuzeit hinein am oberen Rand der Osten verzeichnet.48 Allerdings ist die kartographische Orientierung noch nicht reflexiv, sondern eine Karte wird den Himmelsrichtungen zuordenbar, indem man sie unter Zuhilfenahme eines Kompasses ausrichtet oder orientiert.49 In Diderots und d’Alemberts Encyclopédie findet sich 1765 neben dem transitiven auch ein reflexiver Gebrauch des Verbs,50 der dann vier Jahre später sich auch innerhalb des Deutschen identifizieren läßt. Johann Gottlieb Tielke, kursächsischer Artilleriehauptmann, in ganz Europa geschätzter Militärschriftsteller und Briefpartner Scharnhorsts, verwendet den Begriff im Zusammenhang mit Militäroperationen im Felde, die ein Sich-Orientieren dadurch ermöglichen, daß man fixe ›Richtungs-Punkte‹ nutzt.51 Diese ›Punkte‹ werden auch von Mendelssohn in Anspruch genommen, indem er von einer festen Position aus weitere Positionen fixiert, um innerhalb dieses Koordinatensystems Orientierung zu suchen.

47 

Orth: Orientierung, 170. Stegmaier: Philosophie, 48f. 49  L. c. 50. 50 Cf. Encyclopédie (1765) xi, 644. 51  Tielke: Unterricht § 540: »Die am Wege stehenden Kreuze, Säulen, ja so gar einzelne Bäume, muß man gleichfalls mit anmerken, weil solche zu Richtungs-Punkten dienen, und vor einem, der dahin commandirt oder postirt wird, von Nutzen sind, um sich orientiren zu können«. Stegmaier: Philosophie, 57, macht für das Auftreten des reflexiven Begriffsgebrauchs um 1774 die Sudelbücher Lichtenbergs namhaft, der von punkthaften Stellenbestimmtheiten spricht, die ein Sich-Orientieren ermöglichen. Unser Zitat belegt eine entsprechende Verwen­ dung schon fünf Jahre zuvor. 48 

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Im Zusammenhang mit Spinoza zeigt sich, daß um der Rettung dieser Orientierungs-Punkte willen Spinoza einer Kritik unterzogen wird. b) Spinozakritik Bis auf den Tag wird ein Standardproblem durch die Spinozainterpretation wahr­genommen: Wie ist es um die Bestimmtheit von Endlichem bestellt, wenn alles Endliche in unauflöslicher modaler Verbindung zur göttlichen Substanz besteht, wenn also jegliche Selbstbestimmtheit Endlicher rückbedingt ist durch die Bestimmungsaktivität göttlicher Selbstursächlichkeit? Man hat diesem Problem unterschiedliche Interpretationen zukommen lassen, indem man die neuplatonische Emanationslehre,52 multiple Kraftquanten als Ausdrucksmasse der einen Substanz,53 die intelligible Durchkonstruktion einer Welt, in der davon ausgegangen werden muß, daß nur substantielle Gebilde Substanzen zu konstruieren vermögen,54 oder feldmetaphysische oder -theoretische Entwürfe55 als Erklärungsleitfäden empfohlen hat. Schon Mendelssohn war sich sehr bewußt dessen, daß es sich hier um ein nicht einfach zu lösendes Problem handelt, das durchaus unterschiedlichen Interpretationen zugänglich ist; und so beginnt er seine Darstellung mit dem Hinweis darauf, daß zu prüfen sei, ob es sich nicht um bloße Wortstreitigkeiten handele, da durch das Unterlassen einer solchen Prüfung schnell die Gefahr besteht, in einem Strudel von Bezeichnungen und Bezeichnungsbezeichnungen fortgerissen zu werden und dabei die Prinzipienmomente aus den Augen zu verlieren, hinsichtlich derer möglicherweise durchaus Übereinstimmung herrscht.56 Seinen entscheidenden Einwand gegen Spinoza bringt Mendelssohn auf den folgenden schlichten Merksatz: 52 

Wolfson: The Philosophy, bes. 331–369. Bove: La stratégie, cf. etwa 243–280; Klassisch Deleuze: Spinoza. 54  Guéroult: Spinoza i, 161. 55  Bennet: A Study, 103ff; Rohs: Feld. Rohs unternimmt eine interessante Verbindung Spinozas mit der Kantischen Transzendentalphilosophie. 56  »Sie wissen, wie sehr ich geneigt bin, alle Streitigkeiten der philosophischen Schulen für bloße Wortstreitigkeiten zu erklären, oder doch wenigstens ursprünglich von Wortstreitigkeiten herzuleiten … Die kleinste Abweichung in der Bestimmung eines Grundwortes führt am Ende zu ganz entgegengesetzten Folgen, und wenn man den Punkt aus den Augen verloren, von welchem man gemeinschaftlich ausgegangen ist; so streitet man am Ende nicht mehr um Worte, sondern um die wichtigsten Sachen« (Ms 193). Kant hat diese Argumentationsfigur Men­delssohns übrigens pünktlich bemerkt und für nicht triftig gehalten, indem er davon ausgegangen ist, daß ein Streit um Worte eigentlich immer nur dann erfolgen würde, wenn im Hin­tergrund dieses Streites wirklich auch ein prinzipielles Problem angesiedelt sei; und wenn ein solches Problem vorhanden ist, pendele sich auch der Gebrauch einer diesem Problem an­ gemessenen Terminologie ein. Kant: Einige Bemerkungen zu Ludwig Heinrich Jakobs Prü­ fung der Mendelssohnschen Morgenstunden, Aa viii 152: »Ich bin hingegen einer ganz entgegengesetzten Meinung und behaupte, daß in Dingen, worüber man, vornehmlich in der Philosophie, eine geraume Zeit hindurch gestritten hat, niemals eine Wortstreitigkeit zum 53 

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Wir trennen also Gott von der Natur, schreiben jenem ein außerweltliches, sowie der Welt ein außergöttliches Wesen zu. Der Anhänger des … Pantheismus hingegen … nimmt an: Es gäbe überall kein außergöttliches Dasein; sondern die Vorstellungen des Unendlichen erlangten durch ihre Notwendigkeit eine Art von Dasein in Gott selbst, das im Grunde mit seinem Wesen auf das innigste vereint sei (Ms 212).

Um dieser schlichten Alternative einen vertiefenden Sinn abzugewinnen, der über die bloße Prima-facie-Plausibilität hinausreicht, ist es notwendig, sich der Wolffschen Einrede gegen Spinoza zuzuwenden.57 Wolffs Spino­za­interpretation hat zwar ihre Grenzen dort, wo es darum geht, die antiaristotelische Intuition Spi­no­zas zu würdigen, dafür vermag Wolff aber umso wirkungsvoller sein Potential auszuspielen, wenn er Spinozas Definitionen und Ab­leitungen peniblen begriffs­analytischen Streßtests unterzieht,58 um dann seine eigene Ontologie in Stellung zu bringen. Diese Ontologie steht im Hintergrund des Mendels­sohn­ schen Eingreifens in den Streit um Spinoza. Dabei konzentriert sich Wolff zu Be­ginn seiner Analyse auf die Hauptopera­to­ren der Spinozanischen Ethik: Substanz, Attribut und Modus. In der vierten Definition stellt Spinoza heraus, daß er unter einem Attribut den As­pekt der Substanz versteht, der durch den Verstand als zum Wesen der Substanz gehörig begriffen wird (intellectus de substan­tia per­cipit, tanquam ejusdem essentiam constituens; E I Def 4). Gegen diese Option votiert Wolff mit seinem Hinweis da­rauf, daß Spinoza kontingent existierende Entitäten, die in einer Ana­logie zu ari­stotelischen Einzeldingen konzipiert sind, gar nicht in den Blick zu bringen ver­mag. Diese Entitäten hätten dann einen essentialen Bestimmbarkeitsnukleus und zugleich veränderliche Eigenschaften, die Wolff als Modi auffaßt. Spinoza hingegen hat die Modi als Substanz-Affektionen beschrieben, die nicht aus dem absoluten Verursachungszusammenhang heraustreten können.59 Grunde gelegen habe, sondern immer eine wahrhafte Streitigkeit über Sachen. Denn obgleich in jeder Sprache einige Worte in mehrerer und verschiedener Bedeutung gebraucht werden, so kann es doch gar nicht lange währen, bis die, so sich im Gebrauche desselben Anfangs veruneinigt haben, den Mißverstand bemerken und sich an deren Statt anderer bedienen«. 57  Mendelssohn weist selbst auf Wolffs ersten Teil seiner Natürlichen Theologie (Ms 199f). Jo­hann Lorenz Schmidt hat nicht nur die Wolffsche Spinozakritik aus dem zweiten Teil der Theologia naturalis herausgegeben, sondern dieser auch eine Übersetzung der Ethik vorange­ stellt, bei der es sich um die erste deutsche Ethik-Übersetzung handelt (B. V. S. Sittenlehre wi­der­leget von dem berühmten Weltweisen unserer Zeit Herrn Christian Wolf, aus dem Lateinischen übersetzet, Frankfurt . Leipzig 1744), von der auch Mendelssohn Gebrauch machte (U. Goldenbaum: Die erste, 121). 58 So Cramer: Christian, 68 f. 59  § 683: »Spinosa substantiam non sumit in significatu recepto. Etinem si substantia sumitur in significtu recepto, in vocabulo hoc denotatur subjectum determinationum constantium & variabilium … in quo nempe manentibus quibusdam iisdem, scilicet essentialibus atque attributis, cetera successive variant, nimirum modi«.

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Ge­nauer besehen bemängelt Wolff, daß Spinoza in seiner Beschreibung der Attribute das unerklärt läßt, was definiert sein muß, wenn man dieser Definition einen belastbaren Sinn in bezug auf Entitäten will abgewinnen können: die Essenz.60 Diese Einrede trägt sich hinsichtlich der Attribute folgenderma­ßen aus: Spinoza, so lautet zusammengefaßt die These, verwechsele das, was er un­ter einem Attribut versteht, mit den Bestimmtheitsmomenten, die das Wesen eines Etwas ausmachen.61 Dieser Vorwurf hat nach Wolff die weitreichende Konsequenz, daß es Spinoza innerhalb des ersten Teils seiner Ethik nicht gelingt, ein konsistentes Verständnis davon zu entwickeln, was als Entität bestimmbarer Gegenstand jener Ableitungen zu werden vermag, die diese Entität rückgebunden sein lassen an den durch das Absolute gestifteten Verursachungszusammenhang. Wolffs Ontologie legt darum das Verhältnis zwischen wesenhaftem Bestimmtheitsmoment und dem Etwas-Sein, das von dieser Bestimmtheit betroffen ist, in der folgenden Weise fest. Per se autem concipitur id, cujus cognitio non indiget cognitione rei alterius, … hoc est, nostra phrasi, cujus nulla datur ratio, cur insit, sed primum est, quod de re concipitur. Enimvero primum, quod de ente concipitur, essentia est … & cur essentialia seu determinationes essentiales, quae essentiam constituunt …, insit, ratio intrinseca nulla datur … Attributum igitur cum deter­mi­nationibus essentialibus confundit (Tn § 679).

Wenn eine Entität als eine solche soll angesprochen werden können, so muß sie Bestimmtheiten haben, die keine abgeleiteten Bestimmtheiten sein dürfen. Abgeleitete Bestimmtheiten wären sie dann, wenn ein bestimmtes Sein vorausgesetzt würde, das dann von Bestimmungen ist, die aber nur vorgeben, erste Bestimmungen zu sein. Dieses vorausgesetzte Bestimmt-Sein wäre dann nämlich von einer Bestimmtheit, die durch die wesenhaften Bestimmtheiten allererst festgesetzt werden kann. Die gesuchten Bestimmtheiten also müssen solche sein, die eine Entität aus ihrer bestimmtheitslogisch indifferenten Nachbarschaft zum Nichts herausrufen in das Sein und damit die Entität in eine Nähe zu sich selbst treten machen. Diese Nähe aber muß so intensiv beschaffen sein, daß sie dem ›Selbst im Selbstbezug‹ immer noch voraus ist. Erste oder wesenhafte Bestimmungen des Seins bestehen also im Voraus-Sein in Bezug auf jegliche abgeleiteten Bestimmungen. Sie sind in einem strengen Sinn grund-los, da die Voraussetzung eines Grundes die in Rede stehenden Bestimmungen zu abgeleiteten Bestimmungen werden machte, was aber gerade auszuschließen ist. Daraus nun folgt, daß Spinoza nach der Wolffschen Terminologie-Regelung das ein Attribut nennt, was richtiger als Essenz anzusprechen wäre. Doch diese Verwechslung steuert noch einen weiteren Tatvorwurf: Da Spinoza das Wesen 60  »Neque enim Spinosa definit, quid per essentiam intelligi velit, sed in notione confusa acquiescit« (Tn § 672). Oder: »Supponit … significatum vocabuli essentiae« (Tn § 673). 61  »Spinosa attributum cum determinationibus essentialibus confundit« (Tn § 679).

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als Attribut auffaßte, hat er die Möglichkeit verspielt, nachweisen zu können, daß es sich bei den Attributen, die das Intellektionsmoment am Absoluten ausmachen sollen, um Entitäten handelt. Es muß sich aber um Entitäten handeln, wenn das System des Spinoza sich nicht in Gänze dem Verdacht aussetzen will, nur ein Bestimmen ohne Bestimmbares zu betreiben, um dann letztlich nichts Bestimmtes mehr erhalten zu können: »Etinem notionum, adeoque etiam definitionum … demonstranda realitas est« (Tn § 679). Wolff bezieht sich auf den Lehrsatz 10 der Ethik, daß jedes Attribut einer Substanz für sich begriffen werden muß (per se concipi debet; E I Prop 10). Was aber für sich gedacht wird, muß gedacht werden als Bestimmtheit eines Etwas, die dieses Etwas in der Weise bestimmt, daß es zu dieser Bestimmtheit keines anderen bedarf, das ebenfalls bestimmt ist. Das durch sich selbst Begriffene ist nicht in der Weise bestimmt, daß seine Bestimmtheit es abgrenzte von anderen Bestimmten. Es ist durch sich selbst als es selbst, und so trägt es das eine jede Bestimmtheit kennzeichnende Differenz-Moment dergestalt in sich, daß es sich nur in Differenz zu dem Sachverhalt ›Bestimmtheit‹ als es selbst bestimmt. Diese Beschreibung eines Etwas erlaubt es erst, von einer ersten Bestimmtheit zu sprechen, die nicht von Gnaden anderer gesetzt ist. Damit ist aber noch erst die Bestimmtheit von Etwas gesetzt, es muß aber das Etwas selbst sichergestellt werden. Es muß eine Bestimmtheit sein, die unbestimmt von anderen Bestimmtheiten und zugleich in einem Etwas ist (insit; Tn § 679). Die durch Bestimmtheit gesetzte Differenz ist dort anzusiedeln, wo Bestimmtheit von Etwas in einem Sein ist. Es bedarf einer entitativen Voraussetzung für die In-Existenz von Bestimmtheit, wobei die entitative Ursprungsbergung der Bestimmtheit ursprüngliche Bestimmtheit wiederum voraussetzt. Die ursprüngliche Bestimmtheit eines Etwas ist aber nicht ein bestimmtes Etwas, sondern der Sachverhalt, daß Bestimmen immer nur Bestimmen von Etwas sein kann. Und diesem Sein, das durch Bestimmtheit nicht gesetzt, sondern unproduziert bestimmbar ist, hat Spinoza nach der Einschätzung Wolffs keinen systematischen Ort innerhalb der Ethik anzuweisen vermocht.62 c) Orientierte Ontologie Kehren wir nach dem kurzen Ausflug in die Wolffsche Spinoza-Darstellung wieder zurück zu Mendelssohn, so wird deutlich, warum dieser ebenfalls auf der Existenz von nicht setzbarem Endlichen beharren mußte. Diese Entitäten sind nämlich genau jene Endlichkeitsmomente, an denen die Orientierung sich zu fixieren vermag. Rufen wir uns noch einmal den Zusammenhang von Orientierung und Traum in Erinnerung! Orientierung ist ein Phänomen des traumlo62  Cf. Tn § 679: »Hinc & Spinosa parum sollicitus de definitionum suarum realitate evincenda«; oder Tn § 680: »Notio substantiae minus recte ingreditur notionem attributi in defini­ tione Spinozae«.

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sen Wachzustandes. Während das den Träumenden einhüllende Dunkel  zu einer Horizont-Verschleierung führt, die keine Orientierung mehr erlaubt,63 reißt die Wachheit den vormals Schlafenden in eine Welt hinein, die Orientierung ermöglicht. Wir haben gesehen, daß der Traum die Funktion hatte, dem Selbstbewußtsein eine genetische Stabilisierung jenseits der Selbstvermittlung über sozial-intersubjektive Fremd-Mitteilungen zu geben. Der Traum transformiert somit die Selbstvoraussetzungsstruktur des Selbstbewußtseins in eine Entstehungsgeschichte, die über eine Reihe von Traumbildern hineingeboren wird in die Helle des Welttages. Hier orientiert sich das Subjekt, indem ihm ›nicht gesetz­tes Endliches‹ einen Horizont-Blick ermöglicht. Doch ist mit dieser Überlegung Mendelssohns Analyse Spinozas noch nicht zum Abschluß gekommen. Dieser Abschluß ist vielmehr dadurch bezeichnet, daß Mendelssohn gar keine endgültige Aussage darüber treffen will, ob eine entsprechende Orientie­rung nicht auch mit den Theorieelementen der Spinozanischen Philosophie möglich ist. Und so empfindet er in letzter Konsequenz den Streit um Spinozas Gottesbegriff als einen Streit, der um die richtige Verwendung von Metaphern geführt wird. [D]enn diese Subtilität läßt sich kaum anders, als durch Bilder beschreiben … ob er [sc. Gott] das Licht hat von sich wegblitzen, oder nur innerlich leuchten lassen? Ob es bloß Quelle geblieben, oder ob die Quelle sich in einen Strom ergossen habe? … [U]nd im Grunde ist es Mißdeutung derselben Metapher, die bald Gott zu bildlich in die Welt, bald die Welt zu bildlich in Gott versetzt (Ms 214f).

Nur metaphorisch kann also der Streit um den Gottesbegriff, der durch Spino­ zas Holismus Nahrung bekommt, entschieden werden. Doch kann diese Entscheidung immer nur vorläufig fallen, indem pünktlich darauf geachtet wird, daß der Metapherngebrauch nicht in Extreme führt, die das Absolute aus dem Blick geraten lassen. Unter prinzipieller Perspektive aber ist an diesem Streit um den angemessenen Gottesbegriff nur auszumachen, »daß man sich bloß in Worten verwickelt habe« (Ms 215). Dadurch nun, daß Mendelssohn die Absolutheitsbegriffe auf angemessene Metaphern reduziert, macht er auf ein genuines Kennzeichnen metaphorischer Rede schlechthin aufmerksam. Die Metapher hat als fremde Rede eine Voraussetzung, die nicht mehr metaphorisch ist. In jede metaphorische Kennzeichnung ist nämlich die Vermeinung eingegangen, daß eine eigentliche Bedeutung existent ist. Die Metapher bringt in uneigentlicher Rede also immer auch Eigentlichkeit als in dieser Rede verschwiegene Voraussetzung zum Ausdruck. Kann aber Eigentlichkeit des Absoluten in der Metapher nicht mehr angemessen zur Darstellung kommen, so ist es umso vitaler, daß eine diese Eigentlichkeit innerhalb subjektiver Gewiß63  Gs i 140: »Sobald aber die Nacht ihren finstern Schleier um unsern Horizont wälzt und die geschäftige Hand der Natur vor unsern Augen verbirgt, so sieht man den größten Haufen sich nach der Hülfe des Schlafes sehnen«.

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heit sicherstellende Gedankenfigur in den Blick tritt. Und hier stellt Mendelssohn einen Gottesbeweis vor. Es ist bemerkenswert, daß er diesen Beweis mit einer Grundintuition der Transzendentalphilosophie einführt, um dann darauf zu schließen, daß der Transzendentalismus auf jene Metaphysik, die er überwunden zu haben glaubte, zurückführt. Also muß alles Wirkliche nicht nur denkbar sein; sondern auch von irgend einem Wesen gedacht werden. Jeder Realexistenz entspricht in irgend einem Subjekte eine Idealexistenz; jeder Sache eine Vorstellung. Ohne erkannt zu werden, ist nichts Erkennbares; ohne bemerkt zu werden, kein Merkmal; ohne Begriff kein Gegenstand wirklich vorhanden (Ms 237).

Es gibt keine Denkformen unabhängig von jenem epistemischen Subjekt, das diese Denkformen in Anwendung bringt. Man setze hypothetisch, es würde gedacht werden ganz unabhängig von einer epistemischen Trägersubstanz. Dann wäre zu argumentieren, daß sich darin eine Einsicht ausdrückt, die Einsicht nämlich, subjektloses Denken des dem Denken Anderen spiegelte nur den Sachverhalt, daß Denken-des-dem-Denken-Anderen selbst noch betroffen ist von der ontologischen Voraussetzung, sein zu müssen, um sich denkend in An­­wendung bringen zu können. Dieses ontologische Voraus-Sein träte einem Sub­jekt entgegen, das gerade im Begriff ist, sich selbst als Voraussetzung zu inszenieren. Und hier geht Mendelssohn dazu über, seinen Gottesbegriff zu etablieren. Meine eigene Existenz ist mir unleugbar. Eben so unleugbar ist mir, daß zu meinem wirklichen Dasein Merkmale und Beschaffenheiten gehören, die ich nicht mit Bewußtsein erkenne, und daß selbst diejenigen, deren ich mir bewußt bin, in meinem Begriffe … die Vollkommenheit nicht haben, die ihnen … zukommt … Zwischen Begriff und Sache ist, wenn ich bloß auf meine Erkenntnis von mir selbst sehe, die vollkommenste Harmonie nicht anzutreffen … Es muß also notwenig ein denkendes Wesen, einen Verstand geben, der nicht nur mich, samt allen meinen Beschaffenheiten …, sondern den Inbegriff aller Möglichkeiten, als möglich, den Inbegriff aller Wirklichkeiten, als wirklich … sich vorstellet (Ms 238f).

Darin, daß das Subjekt in der Position seines Anderen als es selbst gesetzt ist, da­rin also, daß das Subjekt die Differenz aus sich selbst heraus erzeugt, wird eine Spitze des Transzendentalismus angesprochen. Dies führt zu der Aussage, daß ich mir meiner selbst unbezweifelbar gewiß bin. Doch ist diese Selbstgewißheit eine uneigentliche. Uneigentlich ist sie, weil das Subjekt zwar den Satz ›alles, was ist, kann nur als Begriffenes Existenz haben‹ an sich selbst zur Darstellung gebracht hat, damit aber noch nicht in einen Zustand konkreter Selbstbestimmtheit übergegangen ist. Das erhellt daraus, daß ein Subjekt hinsichtlich der es kennzeichnenden Möglichkeiten bestimmtheitsoffen ist. Zugleich greifen die Möglichkeiten immer auch über in den Bereich der Verwirklichung, ein notorisch ineinander übergehendes Kontinuum von Möglichkeit und Wirklichkeit, das Wirklichkeiten ebenfalls nicht einer Abschlußbestimmtheit zuführt, da alle das Subjekt konstituierenden Wirklichkeiten möglichkeitsberührt

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sind. Gleichzeitig ist aber nicht davon abzugehen, daß alles, was ist, nur sein kann, wenn es als ein solches erkannt wird. Und hier transformiert der Gottesgedanke das modallogische Dilemma des Selbstverhältnisses. Erst unter der Position ›Absolutheit‹ kann hinsichtlich von Möglichkeit und Wirklichkeit gesagt werden, daß diese Bestimmtheit haben. Was von Unterschiedenheit nicht mehr betroffen ist, kann den Unterschied aus sich heraussetzen, und sei es die Unterscheidung zwischen Differenz und Indifferenz. Insofern ist der Absolutheitsgedanke, wie ihn Mendelssohn vorstellt, das in allen Setzungen der Transzendentalphilosophie Mit-Gesetzte.

Schluß Mendelssohns Religionsphilosophie hat sich uns in ihren verschiedenen Facetten als eine an den spekulativen Voraussetzungen der durch Leibniz, stärker aber noch durch Christian Wolff, geprägten Denkgewohnheiten festhaltende Philosophie erwiesen. Schon seine Ästhetik, die beharrlich am Organisationsprin­ zip der Vollkommenheit festhielt, zeigte dies, und auch im Phaidon und in den Morgenstunden argumentiert Mendelssohn als Vertreter der klassischen Metaphysik. Damit stellt sich die Frage, ob Mendelssohns Philosophie durch den Kritizismus Kants zu einem überwundenen Vorgängermodell depotenziert wurde, oder ob es noch ein Gespräch zwischen jener durch Mendelssohn repräsentierten Theorietradition und der mit Kant anbrechenden philosophischen Kursänderung gegeben hat. Daß diese Frage an die Philosophie Mendelssohns interessant ist, zeigt sich allein schon an der zeitlebens einander entgegengebrachten Wertschätzung beider Philosophen, der Hoffnung, die Kant auf eine kritische Lektüre seiner ersten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft durch Mendelssohn gesetzt hat und jener berühmten Widerlegung des Mendelssohnschen Be­ weises der Beharrlichkeit der Seele (Krv b 413ff), die Kant Mendelssohns erstem Gespräch des Phaidon zuteil werden ließ, was eben zeigt, daß er gerade Mendelssohn als den würdigsten Vertreter der dogmatischen Metaphysik empfunden haben wird. Wenn von Mendelssohns Verhältnis zu Kant gesprochen wird, kommt häufig die berühmte Formulierung unseres Weltweisen von Kant als dem Alleszermalmer vor. Mendelssohn gibt im Vorbericht zu seinen Morgenstunden (1785) an: »Ich kenne … die Schriften der großen Männer … die Werke Lamberts, Te­ tens, Platners und selbst des Alles zermalmenden Kants, nur aus unzulänglichen Berichten meiner Freunde … Für mich stehet also diese Wissenschaft noch auf dem Punkte, auf welchem sie etwa um das fünf und siebenzigste Jahr dieses Jahrhunderts gestanden hat; denn so lange ist es her, daß ich genöthiget bin, mich von ihr zu entfernen« (Gs ii 235, Hhgn. z. T. v. Vf.). Auch Mendelssohn hat also offenkundig in Kant nicht einen unter anderen, sondern die größte Herausforderung des sich neigenden Jahrhunderts gesehen. Damit bietet es sich an, zum Beschluß unserer Betrachtungen Mendelssohn jenem großen Vertreter einer neuen Zeit gegenüberzustellen. Am Ende des Verhältnisses zwischen Kant und Mendelssohn steht eine Medaille,1 die am 4. März 1784 Kant im Beisein seiner 1 Cf.

Vaihinger: Die Kantmedaille, 113.

338

Schluß

Studenten feierlich übergeben wurde. So warmherzig dieses Geschenk von seinen Studenten gemeint war, so wenig konnte es den Meister vollkommen überzeugen, da sich in die Prägung des Talers Fehler eingeschlichen hatten, die dem Königsberger Philosophen allzu sehr die Freude an der ihm erwiesenen Ehre versauerten. Er fand sich schlecht getroffen, das Geburtsjahr war falsch angegeben, die Umschrift lautete Emanuel statt Immanuel Kant und der Revers zeigte einen von der Sphinx bewachten Turm – mithin hatte offenbar die Sphinx ihren Dienst nicht ordentlich versehen, da der Turm in eine auffällige Schieflage geraten war. Diese Fehler wurden verursacht durch den Künstler Abraham Abrahamson, der sich seinerseits auf die Collinsche Paste verlassen hatte, derer er sich als Vorlage bediente.2 Mit einer Ausnahme: Die Darstellung des schiefen Turms war beabsichtigt und ging zurück auf Moses Mendelssohn. Dieser nämlich war von Marcus Herz gefragt worden, ob er nicht einen zündenden Einfall für die Gestaltung der Gedenkmünze zu Kants 60. Geburtstag hätte. Und Mendelssohn hatte einen Einfall: Die Rückseite der Medaille sollte den schiefen Turm zu Pisa darstellen, von dem herunter ein Senkblei zur Erde geht, das die »Perpendicularität des Thurmes anzeiget. Am Fuße des Thurmes sieht man etwas Erde und Stein aufgerüffelt, um den Grund zu untersuchen. Die Umschrift: Drohet, aber fällt nicht. Im Abschnitte: Kritik der reinen Vernunft«.3 Bei der Ausführung der Medaille wurde dann der Hinweis auf die Kritik der reinen Vernunft fortgelassen – um satirische Nebentöne zu vermeiden –, und statt des von Mendelssohn vorgeschlagenen ›Drohet, aber fällt nicht‹ findet sich die Mendelssohns Vorschlag aufnehmende Umschrift: Perscrutatis fundamentis stabilitur veritas. Dies zeigt, wie Mendelssohn das Großereignis der Kantischen Philosophie sich vorgestellt hat, keinesfalls nämlich so, daß durch diese die dogmatische Metaphysik zerstört worden wäre. Im Gegenteil – Mendelssohn hing dieser Metaphysik so fest an, daß er in Kants Kritik nichts anderes gesehen hat als eine Reinstallation der von ihm geteilten metaphysischen Grundannahmen, die er nämlich auch ohne das Kantische Werk schon in Verruf gekommen empfand.4 Aufgerüffelte Erde, ein Bleilot und der schiefe Turm dienten ihm dabei als leitende Veranschaulichungen. Zeigte nämlich das Senkblei die Richtschnur für alle Wahrheit der Philosophie an, so verdeutlicht der schiefe Turm, wie weit schon von dieser Wahrheit der Zeitgeist abgewichen sei, was wiederum eine genaue Untersuchung seiner Fundamente nötig machte. Diese Untersuchung 2 

Cf. l. c. 109 Anm. 2. Gs V 614. 4  So schreibt er im Brief an Johann Christoph Schwab vom 26. April 1785 (Gs V 631f ): »Ich freue mich, in Deutschland einen Philosophen zu finden, der sich nicht schämt, Wolfianer zu seyn. Den Schriften dieses Weltweisen habe ich meine erste Bildung zur Philosophie zu verdanken; daher ich eine Art von Vorliebe für ihn jederzeit behalte, und mir ein Vergnügen machen werde, alles zu retten, was aus seiner Feder geflossen ist«. 3 

Schluß

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aber hätte Kant vorgenommen, indem er – nach seiner eigenen Aussage gegenüber Mendelssohn –5 den Grund, auf dem alle Metaphysik aufbaut, zu untersuchen sich anschickte. Und nach Mendelssohns Auffassung zeitigte diese Untersuchung nicht den Umsturz des Turmes, nein, der Turm steht schief, aber stehet gleichwohl fest, worauf es Mendelssohn vornehmlich ankam. Hier zeigt sich, daß unser Philosoph ganz unangefochten durch jene Philosophie, die schon zu seinen Lebzeiten ein neues Kapitel der Ideengeschichte aufschlagen sollte, das Anliegen dieser Philosophie durchaus noch zu würdigen vermochte. Damit repräsentiert Mendelssohn also nicht einen bloßen Wolffianismus, der dem mit Kant anbrechenden neuen Denkstil mit schwindenden Kräften und verständnislos gegenüberstand, sondern sehr viel eher den Vertreter einer Ontologie, die das Prämissengefüge der klassischen Metaphysik durch den Kritizismus zwar einer Prüfung, aber keineswegs der Zerstörung ausgesetzt sieht. Die Morgenstun­ den haben gezeigt, warum Mendelssohn so denken konnte. Und auch ein Blick in die Geschichte der Metaphysik zeigt das Beharrungsvermögen dieser Denkunternehmung. Als Jürgen Habermas Mitte der 80er Jahre im Merkur seine Parole des Nachmetaphysischen Denkens ausrief, mußte im Verlauf der sich daraus entspinnenden Debatte einer verdutzten Öffentlichkeit schlagartig klar werden, daß Totgesagte länger leben, es hingegen dem Schicksalskünder noch nicht einmal gelungen war, sich mit der Metaphysik, wie sein weiser Lehrer Adorno einst geraten, im Augenblick ihres vermeintlichen Sturzes solidarisch zu machen. Die Leistung der Habermasschen Attacke ist darin zu sehen, daß öffentlichkeitswirksam ins Bewußtsein gebracht wurde, wie frisch die alten Fragen der Metaphysik, wie alt hingegen die frisch gewagten Diagnosen ihres Endes sind. Der Huma­ nismus schon brachte die bleibende Metapher ins Spiel, als durch Erasmus von Rotterdam verlautete, daß die metaphysischen Spekulationen der Schola­stik nur noch durch einen Lynkeus zu bewältigen seien, wobei nicht unerheblich ist, daß der Sohn des Aphareus seine Sehkraft damit unter Beweis zu stellen pflegte, durch Gestein, Gemäuer und sogar die Erdschichten hindurchzublicken. Das hat Schule gemacht, nicht zuletzt bei den Reformatoren. Als Melanchthon zur Wittenberger Universitätsreform schritt, wurde dann auch die aristotelische Me5  Am 16. August 1783 hatte Kant an Mendelssohn geschrieben: »Daß Sie sich der Metaphysik gleichsam vor abgestorben ansehen, da ihr beynahe die ganze klügere Welt abgestorben zu seyn scheint, befremdet mich nicht, ohne einmal jene Nervenschwäche (davon man doch im Ierusalem nicht die mindeste Spuhr antrifft) hiebey in Betracht zu ziehen. Daß aber an deren Stelle Critik, die nur damit umgeht, den Boden zu jenem Gebäude zu untersuchen, Ihre scharfsinnige Aufmerksamkeit nicht auf sich ziehen kan, oder sie alsbald wieder von sich stößt, dauert mich sehr, befremdet mich aber auch nicht« (Aa x 344 f; Hhgn. v. Vf.). ›Scharfsinn‹ ist dann auch die Kennzeichnung, mit der Kant Mendelssohns Idee für die Prägung der in Rede stehenden Medaille beschreibt, wenn am 4. März 1784 in einem Brief an Johann Schultz schreibt: »Mendelssohn hat, wie ich höre, das Sinnbild und Umschrift dazu ausgedacht und sie macht, wie mich dünckt seinem Scharfsinne Ehre« (Aa x 369).

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taphysik aus dem Lehrprogramm der Artistenfakultät ausgeschieden: Aristoteles – und schon gar in seiner Überformung durch Averroes – paßte weder zur reformatorischen Gnadenlehre, noch taugte er dazu, die angestammten Themen der Gotteswissenschaft fürderhin angemessen zur Darstellung zu bringen. Doch schon am Übergang zum 17. Jahrhundert wendete sich das Blatt, und an der 1576 gegründeten Julius-Universität Helmstedt – einer einflußreichen Universität innerhalb des deutschsprachigen Luthertums – lehrte Cornelius Martini Metaphysik in aristotelischem Stil. Der Hinweis ist uns darum wichtig, weil diese Neubelebung metaphysischen Denkens innerhalb einer protestantischen Universität ausdrücklich um willen gezielter Professionalisierung des accuratus theologus vorgenommen wurde. Es ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, auf die interessante Geschichte der Metaphysikkritik einzugehen; soviel aber sei doch vermerkt: Als 1678 die zweite metaphysikkritische Jahrhundertoffensive anzurollen begann, um dann von Skeptikern, Sensualisten und Empiristen vorangetrieben zu werden, empfand es dennoch d’Alembert keineswegs als anstößig, Locke in der Einleitung zur Enzyklopädie (1751) als einen neuen Metaphysiker zu feiern; Voltaire schreibt 1734 eine Metaphysische Abhandlung und sieht nichts Problematisches darin, daß ihn der Preußenkönig als bedeutenden Metaphysiker bezeichnet. Kant endlich, dessen Philosophie man bis auf den Tag wohl die schärfsten Waffen im Kampf gegen die Metaphysik meinte, entnehmen zu können, empfand sich gegenüber der Metaphysik als ein romantisch Liebender, dessen Liebe jedoch nur sehr zurückhaltend erwidert wurde. Und wie ein heimlich Liebender nicht aufhört zu lieben, solange die Geliebte ihm noch vielsagende Blicke zuwirft, so hören nach Kant auch die metaphysischen Fragen nicht auf, darin, wie er sagt, dem Atmen des Menschen vergleichbar, das nicht deshalb aussetzen würde, weil die Luft einmal schlecht sei. Pünktlich zum Jahrhundertende jedoch mußte die Metaphysik dann wirklich eine Niederlage hinnehmen, diesmal subtil: In seinen Reden hatte Schleiermacher die folgenschwere Entscheidung getroffen, der Metaphysik neuerlich einen Abschied zu geben, aber nicht so, daß sie totgesagt oder angegriffen worden sei, sondern die Religion zog sich von ihr zurück, um die solchermaßen Verschmähte ihrem Selbstgenuß zu überlassen und sich anzusiedeln in einer eigenen Gemütsprovinz, ein Ort, den die Religion immer mehr zu schätzen lernte, und an dem sie bis auf den Tag sich gerne aufzuhalten pflegt. Wir können den darauf anbrechenden Marsch der Metaphysik durch alle Institutionen der Subjektphilosophie und Absolutheitstheorie, wie ihn die deutschen Idealisten dann gegangen sind, außer Betracht lassen, um stattdessen unmittelbar bei dieser Metaphysik, wie sie durch Mendelssohn Prägung fand, einzusetzen. Mendelssohn hat im Vollkommenheitsbegriff die bündige Formulierung seiner metaphysischen Perspektive gefunden, die sein Denken auf jeder Ebene, die es eingenommen hat, durchzieht. Dies wird bemerkenswert beson-

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ders dort, wo er sich Themen zuwandte, die sich einer solchen Metaperspektive prinzipiell hätten entschlagen können, wie wir noch weiter unten am Exempel der Ästhetik zu zeigen haben. Mit dieser Einheits-Mannigfaltigkeit von nicht mehr steigerbarer Komplexität und Integration reiht Mendelssohn sich ein in eine Tradition abendländischen Denkens, die wechselweise im Guten (Platon), im Einen (Plotin), im höchsten Seienden (Aristoteles) oder – christlich variiert – in der Wahrheit (Augustin) das Göttliche anzusprechen wußte. Die damit aufgenommene Hypothek ist nicht unerheblich, muß doch eine solche Metaphysik sich stets vor die Herausforderung gestellt wissen, mit jener Frage fertig zu werden, wie ein letztes Prinzip – wir nennen es nach der Gewohnheit des 18. Jahrhunderts Vollkommenheit – Grund sein kann für Endliches, ohne daß ineins mit diesem Grundsein die Differenz ihm zum Grund wird, und es sich selbst entglitte. Und weiter: Wenn das Vollkommene in eminentem Sinn gekennzeichnet ist dadurch, Differenz allererst aus sich zu entlassen, wie ist dann noch zu sagen, daß das solchermaßen Entlassene nicht das Vollkommene ist – eine Aussage, in der Differenz sich behauptet. Wie hoch immer man die Begründungslast einschätzen mag, die mit einer solchen Ausgangsthese einhergeht – es ist nicht zu sehen, daß Religion sich solcher Fragen entledigen könnte, ohne dabei eine in ihr immer auch angelegte Kernkompetenz zu vernachlässigen: die Reflexion auf das Unbedingte, sei es nun gesucht in sinnverschmelzenden Letzthinsichten, in den in sich selbst zurücklaufenden Konstitutionsleistungen des Subjekts oder in jener Differenzenthobenheit, die sich noch als eine Voraussetzung der Frage nach dem Ursprung von Differenz muß erweisen können. Und selbst dann, wenn alle diese Alternativen sollten ausgeschlossen werden, so behauptete sich die Metaphysik doch gewiß noch darin – diese Aufgabe hat ihr Kant zugewiesen –, das Erkennen-Wollen selbstbewußter Subjekte nicht nur auf den Weg zu bringen, sondern auch dauerhaft auf diesem Weg zu belassen und voranzutreiben. Unter dieser Perspektive ist die hinsichtlich ihrer religionstheoretischen Bedeutung schwer zu überschätzende Großtat Schleiermachers, von der wir oben sprachen, allzu voreilig gewesen. Der Rückzug des Religiösen in das Refugium autonom gefühlten und gedeuteten Erlebens vermöchte weder anzugeben, was diesen Rückzug veranlaßt hätte – sei es denn, er würde wieder Metaphysik –, noch stünde er an, metaphysisches Denken erfolgreich daran zu hindern, diesen Rückzug seinerseits noch einmal am Ort religiöser Reflexion anzusiedeln und kritisch zu kommentieren. Und: Nicht von ungefähr spricht Schleiermacher von dem ›scharfen Gegensatz‹, in dem sich die Religion gegenüber der Metaphysik befinde und den es hervorzuheben gelte – die Differenz beherrscht die Szene, bevor auch nur angegeben ward, nach welchem Prinzip sie als Differenz-in-Einheit zu denken wäre. Die Wissenschaftstheoretiker des Wiener Kreises machten im 20. Jahrhundert eine ähnliche Erfahrung. Angetreten, die durch Metaphysik gestellten Probleme als Schein zu enttarnen, stellte sich bald Ernüchterung ein,

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da ein empirisches Kriterium nicht gut zu finden war, von dem aus dann zu sagen gewesen wäre, wie ein Scheinproblem exakt von erörterungswürdigen Problemen zu unterscheiden sei. Daß Religion dort, wo sie sich nicht nur der rituellen Wiederholung jener Überzeugungen überläßt, die für sie konfessionell prägend sind, sondern den Menschen in seiner Ganzheit ernst zu nehmen gewillt ist, immer auch auf ästhetische Weltzugänge und Auslegungsmuster stößt, ist eine Einsicht, die wir glauben, Mendelssohns Ästhetik entnehmen zu dürfen. Wie aber ist diese von Mendelssohn präsentierte Ästhetik einzuschätzen ? Wir antworten hier ausführlicher, um uns bei den Interpretationsgängen dieser Arbeit, deren religionstheoretische Tendenz unmittelbar in das Auge fällt, sehr kurz zu fassen. Ein Anfang des abendländischen Denkens über Kunst findet sich im mimetisch gesteuerten Werturteil. Auf Platon geht das berühmte Projekt zurück, Kunst abzuwerten im Dienst einer Aufwertung des in der Kunst dargestellten Wesens der Dinge. Dieses Wesen nämlich könne Kunst nur in einer Darstellung des schon Dargestellten darstellen – eine mimetische Entkräftung, die innerhalb denkbarer Kunstproduktionen nicht mehr kompensierbar ist. Anders positionierte sich Aristoteles, der die Wirkung auslösenden Momente von Kunst stärker in den Mittelpunkt seines Interesses stellte, um der Darstellung nicht des Wesens der Dinge, sondern des wesenhaft Unmöglichen die Pointe abgewinnen zu können, daß so der Mensch in eine kathartische Ursprungssituation hineingetrieben würde, die ihn lebensfähiger macht. Das spätantik-mittelalterliche Ars-imitatur-naturam-Konzept, wie es sich etwa bei Thomas und dem Cusaner findet, vermag die durch Platon der Kunst zugefügte Wunde zu heilen, indem es nicht allein den Nachahmungscharakter der Kunst betont, sondern sie darin geadelt sein läßt, es der Natur gleichzutun, die das Göttliche in sich zum Aufschein bringt. Diese Theorie vermochte sich zu behaupten bis ins 18. Jahrhundert hinein, an dessen Beginn (1710) mit Shaftesburys second maker das Signalwort gegeben ist, von dem aus die Genieästhetik dann ihren Anfang nehmen sollte. Mendelssohns Ästhetik befindet sich am Übergang beider Bewegungen, so daß wohl das Gedankengut der Genieepoche sich bei ihm angelegt findet, er aber zugleich auch noch der Nachahmungstheorie anhängt. Diese Ästhetik steht eigenwillig sperrig in dem darin, was wir heute unter Kunst zu verstehen gewöhnt sind. Kant schon hatte – die ästhetische Urteilskraft in den Vordergrund rückend – dem Vollkommenheitsbegriff endgültig den Abschied gegeben. Indem Mendelssohn bei der Ergründung dessen, was eine angenehme Empfindung ausmacht, am Prinzip ›Vollkommenheit‹ festhält, scheint sich seine Kunsttheorie so modernitätsfeindlich zu gestalten, wie kaum ein anderer Topos seines Œuvre. Fast möchte man sagen, daß er unmittelbar in dem Augenblick, da für ihn die Entdeckung des Subjekts und dessen Produktionsgeschehens in greifbare Nähe gerückt war, sich ängstlich abgewandt hat, um sich dann den Voraussetzungen einer zu diesem Zeitpunkt schon obsolet gewordenen Metaphysik anheimzugeben. Und noch mehr: Mendelssohn hat die ›Voll-

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kommenheit‹ keineswegs radikal etwa eingepaßt – wie Baumgarten das vorgegeben hatte – in die Kunstwahrnehmung, auf daß diese nun, totalitätsbetroffen, zum Spiegel göttlicher Vollkommenheiten würde. Diese Konsequenz wurde später durch Schelling gezogen, von dem aus eine Linie über Heidegger zu Adorno führt. Während Hegel nämlich die Platonische Kunstauffassung negationslogisch variierte, indem er die durch Kunst bereitgestellten Deutungsmuster an ein Ende gekommen und durch die Angebote christlich-spekulativer Philosophie überboten diagnostizierte, hat Schelling sich Gewaltiges erhofft von der Kunst, daß sie nämlich jener ›Ozean sei, in den Philosophie nach ihrer Vollendung zurückfließen würde‹. In dieser Tradition stehen noch Heidegger und Adorno, wenn sie einmal die Kunst als Entbergungspoiesis, die an genau jener ›offenen Stelle des Seienden‹ durch die Zugeworfenheit des Seins alles Unsein enttarnt, um stattdessen das ›Sein als Maß‹ zu erhalten, oder in einem ganz ähnlichen Überbietungsradikalismus das Überraschende in der Kunst als eine Vergegenständlichung vorweltlichen Schauers konzipieren, so daß den Kunstwerken eine Vorwegnahme dessen, was ›jenseits des Chorismos seinen Ort hat‹, zuwächst. Angelegt schienen diese Figuren durchaus schon bei Mendelssohn, und er hat auch das Material für die Konzeption einer solchen Ästhetik in der Hand gehalten, jedoch – es aus Ehrfurcht vor der himmlischen Venus wieder aus der Hand gelegt. Es zeigt sich also, daß Mendelssohn Konsequenzen, wie sie in Weiterentwicklung der Ansätze von Sulzer, Baumgarten und Dubos hätten gezogen werden können, durchaus vermieden hat. Die Vollkommenheit am Ort des Schönen nämlich zu entdecken, hätte eine eminente Gefährdung des vollkommenheitslogischen Ansatzes bedeutet. Für Mendelssohn fällt die Schönheit in den Zuständigkeitsbereich einer Sinnlichkeit, die durch reflexives Zusehen dechiffriert zu werden vermag, um dann sogar als häßlich sich neuerlich dem aufgeklärten Beobachter darzustellen. Das aber läßt sich mit heutigen Tendenzen der Ästhetik, wie wir jetzt kurz zeigen wollen, in Beziehung setzen: Hinsichtlich der angedeuteten Vollkommenheitsthese steht Mendelssohn in der spätantik-mittelalterlichen Tradition. Daß er nicht den Weg zu einer konsequenten Autonomisierung des Schönen geht, welche dann die Bahn freigemacht hätte zu der Selbstfindungsoption des Kunstwerks, Fremdes hier so anwesend sein zu lassen, daß daraus gleichsam über eine Wirklichkeitsverdopplung wir der Gebrochenheit alles Wirklichen innewerden, muß nicht als Mangel beanstandet werden. Die Zurückweisung einer wie auch immer gearteten Vollkommenheitsschicht beraubte nämlich die Interpretation von Kunst der Möglichkeit, unter einer Letztperspektive das in der Kunst Dargestellte zu thematisieren, eine Perspektive die reserviert bleiben muß. Eine solche Position scheint uns nicht zuletzt dann sinnvoll zu sein, wenn die Kunst sich gleichsam – wie es sich im heutigen Kunstbetrieb allüberall zeigt – von ihrem Werkcharakter losgesagt hat.

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Befragen wir Mendelssohns Ästhetik nach ihrer modernitätsvalenten Bedeutung, so scheint diese darin zu liegen, daß das Ästhetische in einer strengen Abhängigkeit von den intentionalen Aktivitäten jener Vernunft betrachtet wird, die eben Einheit in der Mannigfaltigkeit als das Kondensat mangelnder Überblicksintellektion erschaut. Es ist die Einheitsschau des ästhetischen Subjekts, das Schönheit sieht. Und es ist die Begrenztheit, in der dieses Subjekt sich immer befindet, die jene Wahrnehmungsdistanz nur aufrechtzuerhalten vermag, in der uns etwas als schön erscheint. Darin lag der Gewinn der Sulzer-Kritik, innerhalb derer Mendelssohn auf dem Gedanken beharrte, daß Gott der Mannigfaltigkeit durchaus jenen Über-Blick angedeihen zu lassen vermöchte, der uns endlichen Subjekten verschlossen bleibt. Schönes zu sehen, ist also ein Defizienzereignis epistemologischer Mangelkonstitution im Angesicht göttlicher Vollkommenheit. Daß Schönheit aber eine Prädikation ist, die das ästhetische Subjekt nur aufgrund defizitärer epistemologischer Voraussetzungen vorzunehmen pflegt, scheint uns durchaus eine moderne Pointe zu bergen. Heute gewahren wir, Zeugen zu werden einer Ästhetisierung, die den Alltag durchdringt sehr viel schneller, als es uns möglich scheint, Gleichschritt mit diesem Stilwandel aufzunehmen und unsere kategorialen Waffenkammern nachzurüsten. Die bornierte Beharrungsthese, daß das, was wir dort sehen, keine Kunst sei, ist selbst schon eingegangen in Installationen multimedialen Typs. Daß auf die Frage, was denn das Schöne sei, nach Mendelssohn geantwortet werden muß, es sei eben das, was der Mensch in seiner Unvollkommenheit und Beschränkung als ein wohlgeordnetes Ganzes wahrnimmt, ein Ganzes mithin, das aus einem anderen Blickwinkel durchaus alle Kriterien der Häßlichkeit zu erfüllen vermag, entspricht der modernen Situation von Kunstproduktion überhaupt. Konnten am Beginn des letzten Jahrhunderts ready mades wie die Duchampschen Flaschentrockner und Urinale als skandalös erscheinen, so war die Warholsche Brillo-Box in den 60er Jahren schon ein eminenter Publikumsmagnet, der sogar Philosophen in seinen Bann zu ziehen vermochte und zu dem Unternehmen inspirierte, Hegels berühmte These vom Ende der Kunst in einer PopArt-Variante neu aufzulegen (Arthur C. Danto). Heute sind dergleichen Provokationen in die Jahre gekommen. Die Hole-inSpace-Installation von Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz setzte am Beginn der 80er Jahre ganz neue Maßstäbe, indem telepräsente Vergleichzeitigungen von Distanz und Nähe in unmittelbarer Plötzlichkeit erfahrbar gemacht wurden, und Fred Forests und Mario Costas L’esthétique de la communication implantierte der Kunstlandschaft 1983 eine Herausforderung, der gegenüber klassische Beschreibungsmuster längst überfordert sind. Herders Metaphysik des Tastsinns wird inzwischen digital über sich hinausgetrieben, wenn sich in der medial vermittelten Cyberspace-Welt Interaktivitätsereignisse erzeugen lassen, die das Sichtbare und Hörbare durch die Beschleunigung und Sensibilisierung taktiler Kompetenzen ablösen. Ist man nach den Prämissen der klassischen Äs-

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thetik schnell geneigt, dergleichen in eine Protoästhetik auszulagern, weil die der konservativen Ästhetik innewohnenden Distanzvoraussetzungen nicht gewahrt sind, so lassen sich mit einem Kriterium, wie Mendelssohn es vorschlägt, durchaus auch solche neuesten Kunstunternehmungen integrieren. Und es geht dabei keineswegs um eine Vergleichgültigung von ästhetischen Standards, sondern um jenes Unmittelbarkeitsgefühl eines Kunstgenusses, das durch die Entlastung von Letztbedeutungen zu sich selbst befreit wird. In Mendelssohns Ästhetik liegt keine Abwertung der Kunst, sondern allein eine Einschränkung des durch sie Erreichbaren. Damit ist eine Nähe zum religiösen Weg des Menschen hergestellt, in seine Unmittelbarkeitserfahrungen stets die Negativität mit aufgenommen sein zu lassen, daß der letzten begrifflichen Durchdringung des göttlichen Geheimnisses gerecht werden zu müssen, eine Forderung ist, die an der Glückseligkeitsempfindung zwar nicht vergeht, aber gleichwohl an ihr kraftlos wird. Die Beziehung zwischen Ästhetik und Religion ist beschrieben worden als ein Näheverhältnis, das aufgrund der in beiden vorkommenden Unterbrechungs-, Transzendenz-, Sinnerfüllungs- und Widerfahrniserfahrungen zwar einen sehr nahen Verwandtschaftsgrad aufweist, aber gleichwohl sich hinsichtlich der Religion ein Komplexitätszuwachs aufweisen läßt, der innerhalb der ästhetischen Erfahrung nicht angetroffen wird, weil hier das Stimmigkeitserleben gleichsam unmittelbarer ist (Ulrich Barth). In dieser Beschreibung liegt eine wertvolle Interpretationshilfe auch für die Ästhetik Mendelssohnschen Typs, denn was ist es anderes als eine notorisch vorausgesetzte Komplexitätsvermeinung, die Mendelssohn dazu angehalten sein läßt, zwischen irdischer und himmlischer Venus streng zu unterscheiden, ohne dabei deren vertraute Nähe zu verkennen. Jedoch, wenn die angenehme Empfindung sich einstellt, wenn hier die Tönung unserer Stimmungslagen längst schon uns mit uns selbst in affektive Übereinstimmung gebracht hat, und wenn endlich der ›ganze Mensch‹ sich zu spüren beginnt vor dem Erhabenen der Kunst, dann steht das religiöse Subjekt erst am Anfang und gibt sich dem tiefen Ernst der Letztreflexionen anheim. Man will nicht zwangsläufig um die schmerzformelhafte Pathopoesie des Halbtonschrittes am Beginn des 17. Jahrhunderts wissen und kann dennoch von Monteverdis Lamento d’Arianna tief ergriffen sein; sehr wohl aber wird man wissen wollen, welche Reflexionsleistungen zu erbringen sind, um der Überzeugung nicht enden wollenden Glücklichseins sich anvertrauen zu können. Dies aber führt uns in den Binnenbereich religiösen Fragens. Immer ist die Ästhetik zugleich begleitet von einer anderen Dimension, der durchgängigen Selbstinterpretation emotischer Zustände nämlich, in denen das Einhelligkeitserlebnis zustande kommt im Zugleich mit einer gesteigerten Integration körperlicher Gegebenheiten in den Gesamtzusammenhang menschlicher Stimmungslagen. Und von diesem Moment aus führt die Ästhetik hinüber zu einem neuen anthropologischen Grundsachverhalt – dem Glück. So wie Mendelssohn aus dem Bereich des Ästhetischen das Göttliche strikt herausge-

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halten wissen wollte, implantiert er es hier nachhaltig. Seine These: Das Glücksverlangen des Menschen kann nur im Bewußtsein des Nicht-enden-Könnens unseres seelischen Lebens Frieden finden. Auch hier scheint es so, als würden dem heutigen Menschen Überlegungen näher stehen, wie sie im ausgehenden 19. und dann im 20. Jahrhundert gebildet wurden, daß etwa das Glück in Mangelbewältigung im Kampf gegen die Langeweile (Schopenhauer), in einer Fülle von Machtempfindungen, die zugleich eine Selbsteigerung mit sich bringen (Nietzsche), im wohlkalkulierten Hedonismus (Bentham), einer gut organisierten Libidoökonomie (Freud) oder einfach in der Privatisierung subjektiver Glücksprädikationen (Wittgenstein) besteht. Alle diese Glücksvorstellungen beziehen ihre Plausibilität aus einer Ereignishaftigkeit gelingenden Lebens, die nicht mehr zu fragen braucht nach dem, worin das Leben seinerseits gegründet ist. Denn: Es waren, so Nietzsches Zarathustra, die letzten Menschen, die das Glück erfunden hatten, um dann zu blinzeln. Und man sagt, daß die Menge daraufhin Zarathustra anging mit der Bitte, sie zu diesen letzten Menschen zu machen; woraufhin der Perser traurig ward und sich mißverstanden fühlte. Mit der Einnahme einer universalen Perspektive im Denken Mendelssohns hängt der folgenschwere Gedanke zusammen, daß das Glück keinerlei Angriffen mehr ausgesetzt ist durch entgegenstehende Erfahrungen, die ebenfalls Eingang in das Leben finden können, um hier quälendes Mißtrauen gegen denjenigen zu sähen, der in der ›Übereinstimmung mit sich selbst‹ schon die ganze Wahrheit des eigenen Lebens in der Hand zu halten wähnt. Glück tritt nicht ein in Zuständen gelingenden Lebens – wie kostbar uns diese Zustände auch immer zu sein vermögen –, sondern in der virtuellen Verlängung dieser Zustände. Der wahrhaft Glückliche spricht nicht aus, daß dem momenthaften Erleben Zustände zu folgen vermögen, die dieses Erleben dann wieder kontern würden. Wer glücklich ist, scheidet die Möglichkeit, wieder unglücklich werden zu können, von sich ab wie ein lästiges Geräusch, das wir im Zustand von Gewöhnung oder selbstvergessener Konzentration gar nicht mehr wahrzunehmen meinen. Imgleichen gilt auch das Umgekehrte: Wahres Unglück erfahren wir nicht, wenn wir den Gedanken zuzulassen vermögen, es könne auch alles wieder besser werden, sondern wenn uns das Unglück jenen Blick auf Wandel verstellt, und wir vor der Unmöglichkeit, unserem Leben eine notbefreite Interpretation zu geben, das Leben selbst nur noch als eine Abfolge von stets uns entgleitenden Augenblicken empfinden, die wir keinem Entwurf mehr zu integrieren vermögen. Damit ist gesagt, daß Glück, wo immer man es auch ansiedeln mag, eine Interpretation von Leben unter dem Deutungsblick von Dauerhaftigkeit darstellt. So ist es erreicht, wenn dessen Störanfälligkeit verbannt ist aus der Selbstinterpretation gelingenden Lebens, ein das Wesen des Glücks selbst betreffender Ausschluß, der in bloßen Gestimmtheiten nicht zu finden ist – haben dergleichen Stimmungen doch immer an sich, einmal stärker zu werden, dann wieder

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in wechselhaftes Auf und Ab zu geraten oder endlich uns wie Wasser durch die Finger zu gleiten. Dies bringt es zugleich mit sich, daß wir uns dem Glück gegen­ über stets in einer hilflosen Aporie zu befinden scheinen: Wir können nicht umhin, es zu wollen, aber wir können doch zugleich nicht an der Tatsache vorbeisehen, das solchermaßen Gewollte über die Instanz unseres Willens nicht zu erreichen. Angelegt war dieses Verständnis schon bei Aristoteles, um dann später bei Hutcheson zu stärkerer Klarheit zu gelangen. Das Glück ist ein Konkomitanzgefühl, das sich – wenn es sich denn eingestellt hat – sowohl im Wollen als auch in allen bewußten Vollzügen eines Lebens bemerkbar macht. Es geht auf den ›ganzen Menschen‹, und somit kehrt das große Thema der Ästhetik folgerichtig wieder innerhalb des Glücksproblems. Mendelssohn hat dieser Frage sein wichtiges Vermächtnis des Phaidon gewidmet, mit dem er sich dem Menschen dort zuwendet, wo dessen integrierte Ganzheit immer schon gesucht wurde, der Seele. Die religionsphilosophische Leistung des Phaidon ist darin zu erblicken, an die Ästhetik anzuschließen und zugleich eine in ihr noch nicht thematisch gewordene Schwierigkeit einer Lösung entgegenzuführen. Im angenehmen Empfinden hatte die Ästhetik einen anthropologischen Grundsachverhalt zu entdecken vermocht, der sich dem ästhetischen Subjekt als ein Angeld des Glücks hätte empfehlen können. Doch vermochte die Empfindung innerhalb der ästhetischen Einstellung noch keine Selbst- und Weltfestigkeit zu gewinnen. Dies zeigte sich einmal daran, daß jene Stimmigkeitserlebnisse, die durch ›angenehme Empfindungen angesichtig des Schönen‹ ausgelöst werden, uns nur in fragile, veränderungsanfällige Zustände zu versetzen vermögen. Stimmungen pflegen, wie der Volksmund es sagt, stets einen schwanken Gang. Doch läßt sich dies noch einmal weiter an der subjektiven Verfaßtheit des ästhetischen Subjekts aufweisen. Und hier hatten wir gesehen, daß Mendelssohn in seiner Ästhetik von einem Selbstverhältnis zu handeln schien, als er das Selbstgefühl thematisch werden ließ. Es hatte sich bei unserer Analyse der Empfindungsbriefe gezeigt, daß ein Selbstverhältnis hier, wo es um die ästhetische Welteinstellung ging, noch nicht in den Blick gekommen ist. Dies hing zusammen damit, daß der metaphysische Letztstandpunkt es gleichsam dem ästhetischen Subjekt versagte, sich im Angesicht des Schönen mit sich selbst zu vermitteln. Wann immer sich dem Subjekt ein solches Vermittlungsangebot dartat, mußte es mit dem Mendelssohnschen Theokles ausrufen: ›Ich komme zu dir, himmlische Vollkommenheit‹. Die Vollkommenheit aber konnte durch das ästhetische Subjekt noch nicht aufgenommen werden in jenen Vorgang, innerhalb dessen ihm die Tönung seines Empfindungslebens durch das Schöne widerfuhr. Dies wird dort anders, wo es um die Seele geht. Hier nämlich wird sichtbar, daß die Selbstvermittlungsforderung des Menschen nicht mehr abgedrängt zu werden vermag. Dies heißt konkret, daß die maßgebenden Operatoren zur Verfügung gehalten werden müssen, die es erlauben, Seelentätigkeit (ψυχής ενέργεια) auf

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indisputable Dauer zu stellen, denn, wie Aristoteles sagt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Diese Operatoren sind darin gefunden, daß Mendelssohn jene Forderung, die wir auch am Ruhe-Versprechen innerhalb der Neologie beobachten konnten, in seine Philosophie aufnimmt, um sie zugleich mit einem Plausibilisierungsverfahren zu verbinden, das sich in den Beweisen des Phaidon findet. Jene Beweise nämlich, die wir dort dargestellt sehen, und denen es durchweg nur sehr schwer gelingt, den Eindruck zu vermeiden, daß ihre engagierten Ableitungen in letzter Konsequenz Erschleichungen darstellen, sind in Wahrheit rationale Sedimentierungen eines Bewußtseins, dem es unter den Bedingungen der klassischen Metaphysik noch nicht gelingen sollte, sich so an sich selbst zu wenden, daß es darin all der Operationen angesichtig wird, die es ihm dann erlauben würden, am Ort seiner Selbstexplikationsradikalität jene Ruhe zu finden, die das Glück ihm verheißt. Mendelssohn hat die Selbstvermittlung hinausgedrängt in den rationalen Vollzug eines Beweisverfahrens, innerhalb dessen sich das Subjekt auf jenen Weg machte, an dessen Ende die Übereinstimmung mit seinem Glücksverlangen stünde. Damit gehen wir hinüber zur gelebten Religion. Es macht die finale Einsicht der konkreten Religionsphilosophie aus, daß Religion nur dann, wenn sie sich des Bildes enthält, um eine Religion ohne Zeichen zu werden, erfolgreich ihre Vitalität zu bewahren vermag. Gott ist nicht ins Bild zu bringen; und dies gilt in einem ganz besonderen Maße für jenes Bild, das als Text Sprache geworden ist. Texte nämlich sind religionstheoretisch für Mendelssohn Gebilde, die einen nicht mehr zwanglos überschreitbaren Abgrund zwischen das Leben und die Lehre innerhalb einer Religion reißen. So hat er ernst gemacht mit der Einsicht, daß es ohne eine konsequente und in die Religion mit aufgenommene Reflexion auf die Medialität des Transfers religiösen Wissen schlecht bestellt sei um die kultivierten Formen religiösen Lebens. Wenn sich aber das Bilderverbot so strikt gestaltet, wie Mendelssohn es in seiner konkreten Religionsphilosophie zum Ausdruck bringt, dann liegt darin noch ein Weiteres. Was sich als eine schlichte Zurückführung des innerhalb einer Religion tradierbaren Wissens in die dem Gespräch nur sich anvertrauende Lehrer-Schüler-Beziehung ausnimmt, ist zugleich eine religiöse Intersubjektivitätstheorie, mit­hin eine Theorie des Fremdverstehens. Wenn ein Text zu viele Festlegungsgewaltsamkeiten in sich trägt, dann muß das für gewöhnlich durch diesen Text Vermittelte in die flexiblere und kategorial weichere Form einer Sprache überführt werden, die den Austausch sucht. Damit hat Mendelssohn seine Religions­ philosophie mit einem Motiv geendet, das den Anderen in das Zentrum treten läßt. Den Menschen in seiner religiösen Überzeugung zu verstehen bedeutet, ihn nicht so verstehen zu können, daß er in einer Bedeutung aufzugehen vermag. Zusammen hängt diese Überlegung mit jener Zeichentheorie Mendelssohns, die das Zeichen nicht mehr in der vexatorischen Pflicht stehen sieht, bezeichnen zu müssen. Vielmehr zeichnet sich das Zeichen dadurch aus, ohne Wahrheitsangeld oder Bedeutungszwang stets neu einleuchten zu müssen und

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Neues zu schaffen, von dem dann nur sehr vorläufig gelten muß, bezeichnungswürdig zu sein. Nur dann nämlich, wenn der Andere keine Bedeutung hat für uns, vermag er uns etwas zu bedeuten. Die Achtung vor dem religiösen Gegenüber erzwingt den konsequenten Verzicht auf eine Bedeutungsfestlegung seines We­sens. So nur – wie die Schlußmetapher der Jerusalemschrift lautete – können wir des menschlichen Antlitzes angesichtig werden. Dennoch legen wir natürlich Bedeutungen des Anderen fest. Doch tun wir dies nur, indem wir in diese Festlegungen schon den Gedanken eintragen, mit diesen unseren Festlegungen nicht an ein Ende gelangen zu können. Damit ist Mendelssohns letztes Wort zugleich eine Auskunft über die Aufklärung. Aufklärung hat zu ihrem Maß, daß das Maß, die Bestimmung des Menschen nämlich, im religiösen Dialog stets unerreicht bleibt. Wie sich die Aufklärung immer auch gegen Bedeutung stemmen wird dort, wo das Antlitz des Anderen diese Bedeutung in konkretem Mit-Sein über­strahlt, so richtet sie sich auch gegen vorschnelles Reflexiv-Werden, um eine pragmatische Ratifizierung des Sachverhaltes zu sein, im Vorläufigen bleiben zu wollen und auch zu müssen. Die Bleibe aber im Vorläufigen fordert in allen Setzungen nicht setzbares Orientierungs-Sein und jenen Gottesgedanken, von dem her Sein nach diesem unsetzbaren Moment allererst begriffen werden kann. Denn nur dieser Gottesgedanke kann Differenz setzen, ohne seinerseits durch Differenz setzbar zu sein.

Literatur Die Literatur wird zitiert unter Nennung des ersten Worts oder der ersten Worte im Buchtitel.

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Namenregister Abbt, Th. 13, 136, 148–164, 176, 200, 207, 209, 306 Abraham 40, 241 Agamemnon 184 Alkuin von York 252 Anaxagoras 169, 182 Aphrodite 114 Apoll 166, 191f Aristoteles 75, 90, 108f, 113, 122, 162, 170, 205, 254, 268, 341f, 347 Artemidor 184f, 326 Astruc, J. 40 Aubry, J. 187 Augustinus 72, 269 Barberini, F. 57 Basedow, J. B. 171–174, 208–214 Basilius 56 Batteux, Ch. 19f Baumgarten, A. G. 12, 65ff, 89–98, 104, 110, 112, 121f, 129, 153, 160, 170, 271, 319, 343 Bayle, P. 77, 322f Bellarmin, R. 27, 250–254 Biester, J. E. 240 Bilfinger, G. B. 90 Bode, J. Ch. 59, 63 Bodin, J. 309 Bodmer, J. J. 65, 91, 214 Bolingbroke (H. St. John) 40 Bonifatius VIII. 252f Bonnet, Ch. 134–137, 213ff, 221, 227–230, 283 Börne, L. 312ff Boscovich, R. J. 189f Bouhours, D. 72 Breitinger, J. J. 65

Buffon, G.-L. 271 Burke, E. 12, 119f Cäsarius von Arles 29 Cicero, M. T. 72, 160, 167, 171 Clairvaux, B. v. 252f Claudius, M. 18 Clemens von Alexandrien 160 Clericus, J. 28 Cohen, H. 237f, 313 Coleridge, S. T. 20 Condillac, É. B. de 46, 271 Corneille, P. 126 Coste, P. 63 Cranz, A. F. 281ff Crousaz, J.-P. de 65, 70, 72 Crusius, Ch. A. 205 Cumberland, R. 244, 246 Damiani, P. 252 Defoe, D. 62 Derridas, J. 10 Descartes, R. 2, 39, 70f, 99, 100, 136, 144, 160, 201, 325 Dessoir, M. 104 Diderot, D. 161, 271 Dohm 240f, 272, 308 Dubois, G. 64 Dubos, J.-B. 63–77, 100, 115–120, 343 Eberhard, J. A. 59 Eichhorn, J. G. 162 Elisabeth v. Böhmen 70 Epikur 186, 289 Epiphanius 160 Erasmus v. Rotterdam 28, 339 Ernesti, J. A. 40, 171

388

Namenregister

Esra 39 Eugen v. Savoyen 62, 142 Euler, L. 23 Euphranor 104–108

Irenäus 56, 160 Jerusalem, J. F. W. 17–56 Juan Huarte de San Juan 60 Justin 160

Fénelon 67ff, 318, 325 Frege, G. 118 Freud, S. 313 Friedrich II. 216, 224, 240 Friedrich Wilhelm I. 240

Kant, I. 1f, 5, 10, 12, 33, 66, 122, 154, 160, 185f, 205, 258f, 266, 277, 288–291, 311, 330, 337–342 Karl II. 249 Katharina d. Gr. 23 Kepler, J. 57 Kircher, A. 130 Klopstock, F. G. 18, 126 Kopernikus, N. 57 Körner, Ch. G. 12

Galilei, G. 57 Garve, Ch. 172f Gatterer, J. Ch. 12 Gedicke, F. 240 Gelasius I. 252 Gellert, Ch. F. 239f Giambatista della Porta 57 Glassius, S. 44 Goethe, J. W. v. 3, 5, 65f, 215, 279, 303, 307, 320 Gottsched, J. Ch. 3f, 104, 123–126, 144, 225 Gracián y Morales, B. 59f Gregor VII. 252 Gregor von Nazianz 26, 56 Gregor von Nyssa 56 Greuze, J.-B. 58 Grotius, H. 14, 28, 58, 227, 244, 260 Gumpertz, A. 102, 161 Halevi, J. 280 Hamann, J. G. 161 Harnack, A. v. 15 Hegel, G. W. F. 82f, 85, 279, 327, 343f Heidegger, M. 85, 186, 268, 286, 343 Heinrich v. Navarra 253 Hennings, A. v. 242f, 281 Herder, J. G. 5, 7, 46, 111, 170, 208, 210, 272, 283, 344 Heß, F. 214 Hippolyt v. Rom 160 Hobbes, Th. 11, 40, 58, 125, 245–249, 255, 301, 309, 318 Hollaz, D. 27 Humboldt, A. v. 21 Hume, D. 227, 271, 289

Lambert, J. H. 276, 337 La Peyrère, I. d. 40, 318 Las Casas, B. de 79 Lavater, J. K. 13f, 38, 134–137, 152, 213–235, 264, 274, 281ff, 303, 316 Law, J. 64 Leibniz, G. W. 1f, 14, 20f, 55, 57, 64, 66f, 70, 77–93, 101–106, 129, 136f, 141–148, 156, 159f, 172, 176, 188–190, 200f, 209ff, 244, 269ff, 276, 322, 337 Leopold v. Braunschweig 50 Lessing, G. E. 1, 3, 59, 103, 111, 122–129, 162, 170, 194, 229, 239f, 272, 280, 282, 288, 303, 320ff Lichtenberg, G. Ch. 1, 165, 215, 303, 328f Liselotte v. d. Pfalz 64 Locke, J. 2, 60–63, 102, 210, 245, 249f, 254f, 269ff, 310, 325, 340 Lohenstein, D. C. v. 125 Ludwig XIV. 64, 68 Ludwig XV. 40 Lukrez 73, 289 Maimonides, M. 88, 102 Margolis, J. L. 307–313 Maximus Confessor 26 Meier, G. F. 65f, 104, 113, 121, 153, 170, 276 Mendelssohn-Bartholdy, F. 15 Mendoza SJ, P. H. d. 81 Michaelis, J. D. 103, 241, 272, 294, 303

Namenregister Miranda, F. d. 244 Moehsen, J. C. W. 240 Molyneux, W. 272 Montesquieu, Ch-L. d, 14, 60 Montoya, R. d. 81 Moritz, K. Ph. 19, 165 Mörschel, D. E. 281f, 283 Mosheim, J. L. 19, 319 Muratori, L. A. 68 Neuber, F. C. 123 Newton, I. 57, 61, 190 Nicolai, F. 122–129, 153, 161, 229, 240 Nietzsche, F. 23, 165, 190, 346 Origenes 32, 56, 160, 269 Osiander, A. 57 Panaitios von Rhodos 160 Pascal, B. 71, 74, 176 Paulmann, J. L. 19 Paul von Samosata 56 Philippe II. 63f Philippine Charlotte v. Preußen 21, 224 Philo v. Alexandrien 32 Philolaos 165f Phylius 192 Pindar 55 Pius V. 253 Platon 13f, 55f, 81, 108, 114, 151, 160–169, 174–199, 227, 268, 330, 341ff Plotin 160, 341 Poiret, P. 200f Portmann, A. 204 Pseudo-Cyrill 26 Pseudo-Makarios 26 Pufendorf, S. F. v. 2, 14, 58, 244, 26, 262 Pouilly, K. d. 65 Pyra, J. I. 104 Pythagoras 166, 171 Quantz, J. J. 130 Racine, J. 126 Ranke, L. v. 12, 64 Raspe, R. E. 209

389

Reimarus, H. S. 160, 204, 242, 319 Resewitz, F. G. 154, 164, 214 Ribadeneira SJ, G. d. 81 Richardson, S. 62 Rohan, Ch. d. 61 Rousseau, J.-J. 5, 46, 202f, 211, 227, 271 Sabbatai-Zwi 9 Sack, A. F. W. 136 Sailer, J. M. 136 Saint-Constant, J. L. F. d. 62 Saint-Simon, H. d. 64 Salisbury, J. v. 252 Samoscz, I. 102 Scaliger, I. C. 20 Scheler, M. 133, 191, 258 Schiller, F. 5, 12, 122 Schlegel, J. A. 19f Schleiermacher, F. D. E 6, 47, 182, 340f Scholem, G. 7ff Schön, A. 48 Schuckmann, K. F. F. v. 241 Seldon, J. 244 Semler, J. S. 6, 153 Shaftesbury 18, 67, 95, 103f, 136–151, 161– 164, 250, 342 Shakespeare, W. 124 Siméon, J.-B. 58 Sixtus V. 251, 253 Smith, A. 271 Sokrates 152, 160–184, 188–200, 207, 215, 221 Sophie Charlotte v. Braunschweig u. Lüneburg 77 Spalding, J. J. 7, 13, 18, 134–164, 176, 182, 200f Spinoza, B. d. 4, 17, 40, 103, 263, 285, 317–323, 331–334 Stapfer, J. 163 Steinbart, G. S. 136, 325 Steinheim, S. L. 313 Sterne, L. 63 Suarez, F. 80, 244, 246 Sulzer, J. G. 65, 67, 99ff, 105, 111–116, 124, 343f Süßmilch, J. P. 153ff

390

Namenregister

Svarez, K. G. 240f Tertullian 160 Tewele, D. 306, 315 Thomas v. Aquin 58, 79, 108 Thomasius, Ch. 2, 58, 135, 205, 219 Thomasius, J. 318 Tillotson, J. 18 Troeltsch, E. 6

Wessely, H. 305ff Wilhelmi, S. A. 163 Witter, H. B. 40 Wittgenstein, L. 172, 197, 346 Wolff, Ch. 2, 14, 30f, 47, 59, 65f, 70, 99ff, 107ff, 115, 129, 136f, 141–148, 160, 165, 185, 188, 244, 257, 260, 262, 275, 305, 322f, 326f, 331ff, 337, 339

Uranos 114

Young. E. 20

Voltaire 5, 60ff, 71, 163, 167, 227, 271, 340 Voß, Ch. F. 103

Zinzendorf, N. L. Graf v. 135

Wagner, G. 20 Wegelin, J. 161

Sachregister Aberglauben 43, 300, 321 Absolutismus 62f Affekt 22, 29f, 33, 47, 53, 68–76, 85, 92, 104f, 120, 126–130, 139ff, 146–152, 179, 208, 210f, 223f, 228–235, 247f, 257f, 273f, 289, 331, 345 Affekterhöhung u. -vermeidung 75 Affekterregung 126 Affektlatenz 47 Afrika 65 Allegorie 32, 323 Amerika 65 Amor-intellectualis-Dei 143, 263 Amsterdam 17, 161, 250, 317f Anakreontik 20 Analogon rationis 92 Anamnesislehre 169, 195 Ancien Régime 63 Angelologie 29 Anthropologie 10 Antike 12, 78, 165, 171, 185, 251, 326 Apokatastasis 83 Apologie 223, 264, 273 Apostel 17, 27 Ärzte, philosophische 185 Asien 12, 65, 186 Ästhetik 12, 57–130, 228, 278, 337, 341–347 Astronomie 57, 189 Aufklärungssemiotik 265 Begehrungsvermögens 66, 106 Berlin 3, 9f, 12, 57, 102f, 153, 185, 215f, 239f, 264, 267, 281, 306, 311, 313 Beruhigung 17, 36ff, 46, 183f, 194 Bibelhermeneutik 53, 227 Bilderverbot 48, 315, 348 Billigkeit 170, 181 Brandopferaltar 48

Braunschweig 19, 21, 50, 77, 135, 137, 224, 229 Bundeslade 48 Bürgerkrieg 58, 247, 310 Bürgertum 13, 58, 60f, 64f, 77, 125f, 240 Cambridge 227 Campe-Sammlung 187 Cherubim 48 Christentum 43, 49ff, 54ff, 135, 165, 214, 221, 225, 227, 229, 231ff, 239, 251, 282ff Christologie 24, 44, 50ff, 56, 233 Christus 24–27, 30–33, 44, 50, 52, 214f, 233, 251f, 254, 329 Deismus 54, 227, 307 Dekalog 53 Denotation 118 Designation 172 Dictatus papae 252 Dogma 22–28, 38f, 43, 182–187, 206, 228, 338 Dogmatik 23, 43 Einbildungskraft 69, 71, 104, 111, 139, 149, 185, 204 Ekel 74f, 149 Eklektizismus 4, 165 Empfindung 28ff, 40ff, 55–131, 148–161 England 4, 20, 60–65, 246, 249f, 253, 267 Erbsündenlehre 227 Erfahrung 22f, 32–38, 50, 59, 68, 71ff, 93, 101, 120, 145, 150, 152, 182, 191, 196, 206, 208, 270, 277, 280, 286, 303f, 326ff, 345f Erhabene 7, 18, 20, 39, 46, 120ff, 151, 184, 204, 228, 263f Erlangen 125

392

Sachregister

Erlöser 24, 27, 32, 35 Europa 2ff, 12ff, 58, 63f, 80, 213ff, 282, 308 Evangelisten 27 Evolutionismus 204 Ewigkeit 24, 28ff, 33, 50, 82, 152, 180, 191, 197, 206f, 214, 226, 232f, 254ff, 285 Extension 118, 172 Frankreich 4f, 58, 62ff, 79, 115, 224, 240, 305 Freimaurer 125 Frühaufklärung 2 Genie 13f, 18ff, 42, 61, 103, 126, 342 Geschmack 18, 60, 63, 67ff, 76f, 96, 101, 105, 112, 121ff, 130, 204, 269, 277 Geselligkeit 47, 125, 140f, 179ff, 202ff, 206 Gesinnung 214, 216f, 227f, 234, 249, 256–266, 275 Gewissen 19, 151, 244f, 261–267, 272f, 282, 310, 316 Gladiatoren 128 Glossatoren 170 Glück 13, 30, 33, 36ff, 47, 69f, 99–105, 110f, 115, 122, 129–210, 214f, 220–234, 244f, 249f, 255–262, 287f, 293, 345ff Gnosis 160 Gott-ähnlich-Werden 55f, 151, 195, 204 Göttingen 58, 125 Gravitation 73, 190 Greifswald 125 Hades 191 Halle 3f, 7, 58 Hamburg 3, 17, 187 Harmonie 78, 72, 77, 80ff, 88, 140, 143f, 152, 196–199, 226, 289, 335 Haskala 12, 242, 305–313 Hebraistik 15 Helmstedt 125, 340 Holismus 143, 334 Individualbegriff 84f, 93 Individuation 196 Israel 26, 39, 44, 49, 294, 317 Je ne sais quoi 72 Judendörfer 241

Judenemanzipation 240ff Judenkolonien 241 Kanonistik 79 Katholizismus 79, 253, 318 Kenosis 226, 233 Kette 55, 108, 110f, 213, 320 Kirchenrecht 256 Königsberg 125 Konkordienbuch 267 Konquistadoren 79 kontraktionalistisch 247 Kultursymbiose 14, 304 Lade 48 Langeweile 71, 74, 104, 346 Lavaterstreit 134–137, 152, 213, 225, 282f, 303, 316 Malerei 58, 70, 75 Mannigfaltigkeit 45, 70ff, 94, 98, 106f, 115, 206, 297ff, 316, 341, 344 Mathematik 165, 189, 285 Metaphysik 317–344 Mitleid 122, 126–131 Mittelalter 6, 10, 78, 102, 246, 251, 254, 269, 309, 343 Mittwochsgesellschaft 240 Monade 84f, 101, 143f, 190 Monotheismus 47ff, 54, 232ff, 264 Montagsclub 240 Mythos 167 Nachahmung 19, 75ff, 111, 296, 342 Nationalliteratur 3 Naturrecht 14, 47, 58, 79f, 237, 239, 243–247, 259–264, 281, 310 Negativität 33, 38, 51, 83, 97, 345 Neologie 4, 5f, 18, 22, 34, 39, 215, 348 Neuhumanismus 2 Nichtdiskursivität 214–218 Obligationsrecht 262 Offenbarungsreligion 184 Okkasionalität 54, 277 Ontologie 14, 47, 107ff, 143, 172, 186, 208, 323, 331ff, 339 Originalgenie 20, 42

Sachregister orthodox 4, 17, 22, 24, 27f, 32, 38f, 305ff, 315, 317, 320 Osteuropa 2, 4 Pädagogik 53f, 291 Palästina 241, 243 Papstkirche 251f Parlament 61–64, 249 Partikularsprache 11 Pentateuch 38ff, 307 Pentateuchforschung 40 Perfektibilität 202, 223, 258 Perichorese 26 Pietismus 4ff Poesie 20, 40ff, 67–75, 111, 122, 189, 228, 287, 345 Preußen 153, 224, 239–242, 303ff, 340 Probabilismus 80f, 204f Propheten 17, 20, 287, 32, 225, 228, 234 Psychologie 47, 53, 92, 142, 197, 228, 313 Quattrocento 114 Reformation 52 Régence 63 Religionseid 264, 266f, 272f, 276, 315 Romantik 1f, 5 Rotterdam 250, 339 Sabbat 241 sacerdotium 250f Salamanca 79f Sanssouci 163 Satisfaktionsdogma 22 Satisfaktionslehre 226 Scholastik 78ff, 339 Schönheit 19f, 42, 70, 72, 93ff, 101, 105–125, 184, 192, 311, 343f Schöpfungsbericht 44, 46 Schreckliches 20, 127 Schulphilosophie 31, 99, 114, 120, 271 Seele 7, 17, 29f, 33, 35, 39, 47, 53, 56, 70–76, 84f, 99ff, 105, 109, 116f, 119ff, 126f, 130, 143, 150, 152, 155, 157, 160, 162–169,   172, 180f, 184–209, 213, 218, 225, 234, 268ff 274, 286, 297ff, 303, 306, 308, 313, 326, 337, 347 Selbstgefühl 116f, 194f, 207–211, 256 Selbstgenuß 143f, 206f, 340

393

Selbstmord 118, 165f, 181 Simplizität 17, 23, 33f, 37ff, 55f Sinaiperikope 47 Solipsismus 172 Sorbonne 79 Sozialgeschichte 4 Sozietätsforschung 3 Spanien 79 Spätscholastik 80 Sprachgesellschaften 125 Sprachhermeneutik 172 Sprachphilosophie 171 Sprachpragmatik 172 Sprachspieltheorie 172 Sprechakttheorie 172 Sprechsubjekt 172 Staat 47, 58, 65, 69, 80, 134, 153, 163, 216, 237–267, 281ff, 290, 307–316 Staatsphilosophie 7, 237, 244–257 Stiftszelt 48 Stoa 269 Stoiker 55 Substanz 42, 49, 54, 81, 84f, 88, 93, 100, 143, 172, 186, 190, 210, 271, 284, 320f, 330f, 333ff Substanzontologie 172, 186 Syllogismus 188 Teil-Ganzes-Relation 95, 141, 197f Teleologie 1f, 125, 155, 211, 290 Thanatologie 186 Theodizee 43, 67, 77–87, 142, 153f, 157, 163, 188, 244 Tier 181, 197, 203f, 209 Tierpsychologie 92 Tierseele 209 Tod 152ff, 166ff, 175f, 180f, 186–197, 201–214, 312 Toleranz 2, 14, 235–250, 258, 264–267, 278–281, 304 Tragödie 12, 70, 75, 121–126, 129 Transzendentalphilosophie 311, 330, 335 Trauerspiel 13, 122, 126–129, 161 Traum 29, 85, 184f, 234, 272, 323–328, 333 Trinität 22, 26f, 51, 226 Tugend 22, 31, 36, 45, 53ff, 127, 1420, 150, 154ff, 176, 184, 214, 218, 220, 233, 243, 263f, 287, 291f Turin 62

394 Übersetzungstheorie 7 Unam-sanctam-Bulle 252 Universalisierbarkeitsforderung 33 Unsterblichkeit 13, 55, 131–215 Unsterblichkeitsbeweise 13, 166ff, 174ff, 185, 188, 190, 193 Urbild 30, 151, 156 Urgeschichte 42f, 46, 61, 296 Urkundenhypthese 40f Utrecht 250 Verbalinspiration 23, 27f veritas nuda 114 visio beatifica 31 Vollkommenheit 12, 30, 33, 45, 47, 55, 91–100, 105ff, 112–115, 118–121, 127ff, 142–148, 151–159, 165, 172, 184f, 297– 205, 211, 255, 257, 290f, 306, 323, 335, 337, 340–347

Sachregister Vorsehung 151–155, 232, 289, 291, 312, 316 Vorsokratiker 268 Vorurteil 178, 219–224, 231, 239, 289 Wahrnehmungssubjekt 268f Wertantagonismus 250 Westmünsterabtei 61 Wiedererinnerung 166ff, 188, 210 Wiedererinnerungslehre 167 Wiener Kreis 341 Wunderglaube 214 Wunderoffenbarung 229 Zeichentheorie 11, 265ff, 276, 315f, 348 Zeremonialgesetz 14, 292–314 Zweinaturenlehre 49, 52 Zwei-Schwerter-Lehre 251ff Zweiständelehre 52