Musik und Ästhetik im Berlin Moses Mendelssohns [Reprint 2012 ed.] 9783110945065, 9783484175259

Moses Mendelssohn (1729-1786) stands not only for the new identity achieved by an 'enlightened' Jewish élite b

181 88 9MB

German Pages 274 [276] Year 1999

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Abkürzungen
Vorbemerkung
Einleitung. Die Bedeutung der jüdischen Minderheit für die Musikkultur der Berliner Aufklärung
Verbürgerlichung oder Akkulturation? Zur Situation deutscher Juden zwischen Moses Mendelssohn und David Friedländer
Aaron Halle-Wolfssohn: Ein Leben in drei Sprachen
»Eß- und Theetisch«. Die Polemik gegen das akkulturierte Berliner Judentum im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert
Verwöhnter Geschmack, schauervolles Ergötzen und theatralische Sittlichkeit. Zum Verhältnis von Ethik und Ästhetik in Moses Mendelssohns ästhetischen Schriften
Moses Mendelssohns Theorie der Empfindungen und die Poetik der Mischform
Zwischen Ohr und Verstand: Moses Mendelssohn, Johann Philipp Kirnberger und die Begründung des »reinen Satzes« in der Musik
Moses Mendelssohns Beitrag zur Musikästhetik und Carl Philipp Emanuel Bachs Fantasie-Prinzip
Die Ode in der poetischen Theorie und in der musikalischen Praxis
»Ein förmlicher Sebastian und Philipp Emanuel Bach- Kultus«. Sara Levy, geb. Itzig und ihr literarisch-musikalischer Salon
Die Verfasser der Beiträge
Personenregister
Recommend Papers

Musik und Ästhetik im Berlin Moses Mendelssohns [Reprint 2012 ed.]
 9783110945065, 9783484175259

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung Herausgegeben von der

ΛΤΛίίΊ¥ty" fiïïIiMiainitlÎiiiiliM

Lessing-Akademie

Band 25

Musik und Ästhetik im Berlin Moses Mendelssohns Herausgegeben von Anselm Gerhard

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Musik und Ästhetik im Berlin Moses Mendelssohns / hrsg. von Anselm Gerhard. - Tübingen : Niemeyer, 1999 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung ; Bd. 25) ISBN 3-484-17525-7

ISSN 0342-5940

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen Vorbemerkung ANSELM GERHARD: Einleitung. Die Bedeutung der jüdischen Minderheit für die Musikkultur der Berliner Aufklärung

VII IX

1

MICHAEL MAURER: Verbürgerlichung oder Akkulturation? Zur Situation deutscher Juden zwischen Moses Mendelssohn und David Friedländer

27

JUTTA STRAUSS: Aaron Halle-Wolfssohn: Ein Leben in drei Sprachen . .

57

GUNNAR OCH: »Eß- und Theetisch«. Die Polemik gegen das akkulturierte Berliner Judentum im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert . .

77

CARSTEN ZELLE: Verwöhnter Geschmack, schauervolles Ergötzen und theatralische Sittlichkeit. Zum Verhältnis von Ethik und Ästhetik in Moses Mendelssohns ästhetischen Schriften

97

SVEN GESSE: Moses Mendelssohns Theorie der Empfindungen und die Poetik der Mischform

117

LAURENZ LÜTTEKEN: Zwischen Ohr und Verstand: Moses Mendelssohn, Johann Philipp Kirnberger und die Begründung des »reinen Satzes« in der Musik

135

HARTMUT GRIMM: Moses Mendelssohns Beitrag zur Musikästhetik und Carl Philipp Emanuel Bachs Fantasie-Prinzip

165

ULRICH LEISINGER: D i e O d e in d e r p o e t i s c h e n T h e o r i e u n d in d e r

musikalischen Praxis PETER WOLLNY: »Ein förmlicher Sebastian und Philipp Emanuel BachKultus«. Sara Levy, geb. Itzig und ihr literarisch-musikalischer Salon

187

217

VI

Inhalt

Die Verfasser der Beiträge

257

Personenregister

259

Bibliothek zu Berlin (Königliche Bibliothek Berlin bzw. Preußische Staatsbibliothek Berlin bzw. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin [West] bzw. Deutsche Staatsbibliothek Berlin [DDR]; heute: Staatsbibliothek zu Berlin). Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke von Johann Sebastian Bach. Bach-Werke-Verzeichnis (BWV), hrsg. Wolfgang Schmieder, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1950; Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 2 1990. Thematisches Verzeichnis der Kompositionen Wilhelm Friedemann in: Martin Falck, Wilhelm Friedemann Bach. Sein Leben und seine mit thematischem Verzeichnis seiner Kompositionen (Studien zur geschichte, 1), Leipzig: Kahnt 1913 (Reprint: Hildesheim: Olms Anhang, S. 1-31.

Bachs, Werke Musik1977),

Max Friedlaender, Bibliographie der Liedersammlungen, in: Friedlaender, Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert. Quellen und Studien, Stuttgart/ Berlin: Cotta 1902 (Reprint: Hildesheim: Olms 1962), Band I, Teilband 1, S. 1-62; vgl. auch die ebenfalls nach den Nummern der Bibliographie geordneten erläuternden Anmerkungen im Bericht über die Liedersammlungen, ebd., S. 63-356 und 364-377. E[rnest] Eugene Helm, Thematic catalogue of the works of Carl Philipp Emanuel Bach, New Haven: Yale University Press 1989. Anthony van Hoboken, Joseph Haydn: Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, 3 Bände, Mainz: Schott 1957, 1971 und 1978. Klaus Hortschansky, Katalog der Kieler Musiksammlungen ten zur Musikwissenschaft, 14), Kassel: Bärenreiter 1963.

(Kieler Schrif-

Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, in Gemeinschaft mit Fritz Bamberger, Haim Borodianski, Simon Rawidowicz, Bruno Strauss, Leo Strauss begonnen von Ismar Elbogen, Julius Guttmann, Eugen Mittwoch, fortgesetzt von Alexander Altmann, in Gemeinschaft mit Haim Bar-Dayan, Eva [Johanna] Engel, Leo Strauss, Werner Weinberg, Berlin: Akademie-Verlag 1929-1932, Breslau: Mintz 1938-1939, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 197Iff. [noch nicht abgeschlossen]. Neue Bach-Ausgabe. Johann Sebastian Bach. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, hrsg. vom Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und vom Bach-Archiv Leipzig, Leipzig: Deutscher Verlag für Musik/Kassel: Bärenreiter, 1954ff. [noch nicht abgeschlossen].

VIII

Abkürzungen

RISM

Répertoire international des sources musicales, hrsg. von der Internationalen Gesellschaft für Musikwissenschaft und der Internationalen Vereinigung der Musikbibliotheken.

RISMA/I

RISM. Einzeldrucke vor 1800, Redaktion: Karlheinz Schlager, bisher 13 [von 14 geplanten] Bände, Kassel: Bärenreiter 1971-1998.

RISM B/II

Recueils imprimés. XVIIf burg: Henle 1964.

RISM B/VI

Ecrits imprimés concernant la musique, hrsg. François Lesure, 2 Bände [mit fortlaufender Paginierung], München/Duisburg: Henle 1971.

Wohlfarth

Hans-Dieter Wohlfarth, Neues Verzeichnis der Werke von Johann Christoph Friedrich Bach, in: Wohlfarth, Johann Christoph Friedrich Bach. Ein Komponist im Vorfeld der Klassik (Neue Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft, 4), Bern/München: Francke 1971, S. 218-233.

Wq

Thematisches Verzeichnis der Werke von Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), hrsg. Alfred Wotquenne, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1905 (Reprint: Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 1964).

siècle, hrsg. François Lesure, München/Duis-

Vorbemerkung

Erst am Ende des 20. Jahrhunderts scheint einer breiteren Öffentlichkeit der unermeßliche Verlust bewußt zu werden, den Deutschland durch die willentliche Vertreibung und Ermordung seiner jüdischen Minderheit erlitten hat. In den 1990er Jahren häufen sich - auf nationalgeschichtlicher wie lokalhistorischer Ebene - Veröffentlichungen, die versuchen, das vielfältige jüdische Leben in Deutschland zu rekonstruieren und die genauen Umstände zu erfassen, die mit den unbeschreiblichen Verbrechen der 1930er und 1940er Jahre verknüpft sind. Auch die Musik spielt bei dieser späten Rückbesinnung eine Rolle: Komponisten wie Salomon Sulzer 1 oder Lazarus Lewandowski, die für den Einzug westeuropäischer Kunstmusik in die Synagoge stehen, rücken erstmals ins Blickfeld, und der Versuch, die fast völlig vernichtete Tradition der Klezmorim wiederzubeleben, darf durchaus als ein Anliegen der heutigen Musik- und Filmindustrie bezeichnet werden. Die ersten Berührungspunkte zwischen jüdischer Kultur und artifizieller Kunstmusik im deutschsprachigen Raum liegen dagegen immer noch im Dunkeln. Auch in den jüngsten Überblicksdarstellungen jüdischer Geschichte in Deutschland fehlt entweder das Stichwort Musik ganz 2 oder aber es klafft eine Lücke zwischen Hinweisen auf den »jüdischen Spielmann« des 16., 17. und frühen 18. Jahrhunderts einerseits 3 und der kursorischen Behandlung erfolgreicher Komponisten des 19. Jahrhunderts wie Giacomo Meyerbeer andererseits." Diesem Zustand möchte dieser Band abhelfen, der die Referate im Druck

2

3

4

Vgl. Kantor Salomon Sulzer und seine Zeit. Eine Dokumentation, hrsg. Hanoch Avenary, Walther Pass und Nikolaus Vielmetti, Sigmaringen: Thorbecke 1985; Salomon Sulzer Kantor, Komponist, Reformer. Katalog zur Ausstellung des Landes Vorarlberg, hrsg. Bernhard Purin, Bregenz: Land Voralberg 1991; und zuletzt: Alexander L. Ringer, Salomon Sulzer - Zwischen Emanzipation und Exotik, in: Festschrift Christoph-Hellmut Mahlingzum 65. Geburtstag, hrsg. Axel Beer, Kristina Pfarr und Wolfgang Ruf (Mainzer Studien zur Musikwissenschaft, 37), Tutzing: Schneider 1997, Band II, S. 1135-1142. Vgl. Shulamit Volkov, Die Juden in Deutschland 1780-1918 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 16), München: Oldenbourg 1994; Arno Herzig, Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (Beck'sche Reihe, 1196), München: Beck 1997. Mordechai Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Mordechai Breuer und Michael Graetz, Tradition und Aufklärung 1600-1780 (Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, 1), München: Beck 1996, S. 85-247; hierS. 173-174. Vgl. Michael A. Meyer, Deutsch werden, jüdisch bleiben, in: Michael Brenner, Stefi Jersch-Wenzel und Michael A. Meyer, Emanzipation und Akkulturation (Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, 2), München: Beck 1996, S. 208-259; hier S. 255-259.

χ

Anselm Gerhard

vorlegt, die anläßlich eines Forschungskolloquiums mit dem Titel »Jüdische Aufklärung, ästhetische Bildung und musikalische Praxis im Berlin des späten 18. Jahrhunderts am 30. November, 1. und 2. Dezember 1992« in Wolfenbüttel gehalten wurden. Daß es auch ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht möglich ist, unbefangen über die Geschichte der jüdischen Minderheit in Deutschland zu sprechen, ist dem Herausgeber wie den Beiträgern - allesamt nach 1945 mit der »zweiten Schuld« geborene Deutsche 5 - wohl bewußt. Der Antisemitismus hat sich in seiner fast zweitausendjährigen Geschichte so tief in das kollektive Bewußtsein der europäischen Völker und der Judenheit eingeschrieben, daß das Ziel einer möglichst vorurteilsfreien und objektiven Darstellung - ganz besonders in Deutschland - noch schwerer zu erreichen ist als bei anderen Themen, zumal die Gefahr eines angestrengten Philosemitismus, also einer bedingten Negation des antisemitischen Ressentiments, bei jeder intensiven Beschäftigung mit jüdischer Kultur auf den Forscher lauert.6 Zu diesen Schwierigkeiten tritt noch das Problem hinzu, daß ein kultureller Einfluß nicht quantifizierbar ist, und so setzt sich jede Perspektive, die einen bestimmten Faktor in den Vordergrund rückt, der Gefahr aus, diesen zu überzeichnen. Aber angesichts der sträflichen Vernachlässigung der Rolle der jüdischen Minderheit in der Berliner Musikkultur des 18. Jahrhunderts gab es bei diesem Unternehmen gar keine andere Wahl, als den Fokus auf die Berührungspunkte zwischen jüdischer Aufklärung, musikästhetischer Diskussion und Musikleben zu richten. Der Herausgeber wäre glücklich, wenn diese erste Auseinandersetzung mit einer diffizilen Fragestellung weitere Untersuchungen anregen könnte, die die hier zur Diskussion gestellten Thesen nuancieren werden. Gleichzeitig bleibt er aber überzeugt davon, daß die auf den folgenden Seiten dokumentierten und wesentlich von der jüdischen Minderheit mitgetragenen Erschütterungen der überkommenen Traditionen in der weitgehend noch feudal geprägten Musikkultur des deutschen Sprachraums eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben bei dem tiefgreifenden Umbruch, dem eben auch Musik, Musikästhetik und Musikleben im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert unterworfen waren. Im Lichte einer solchen historischen Perspektive erscheint der Verlust, den die Musikkultur in Deutschland und Österreich durch die brachiale Selbstamputation im 20. Jahrhundert erlitten hat, noch bedrückender und das fürchterliche Scheitern der jüdischen Akkulturation noch verzweifelter. Im vollen Bewußtsein der unabänderlichen historischen Tatsachen mag aber immerhin der Hinweis erlaubt sein, daß das Neben- und Miteinander von jüdischer Aufklärung, ästhetischer Bildung und musikalischer Praxis im Berlin des 18. Jahrhun-

6

Vgl. Ralph Giordano, Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein, Hamburg: Rasch und Röhring 1987. Vgl. Roderich Fuhrmann, Mozart und die Juden. Eine Ausstellung im Haus der Bremischen Bürgerschaft vom 12. Oktober bis 11. November 1994, Bremen: Hauschild 1994, und die Rezension von Volkmar Braunbehrens, in: Die Musikforschung 48 (1995), S. 314-315, der den Katalog als »Machwerk des Philosemitismus« qualifiziert.

Vorbemerkung

XI

derts nicht nur >vergangene< Geschichte darstellt: manche ästhetische Grundvoraussetzungen eines Musiklebens, das ostentativ vergangene Musik bevorzugt und einem emphatischen Begriff des musikalischen Kunstwerks huldigt, wie er sich im ausgehenden 20. Jahrhundert in fast allen Ländern der sogenannten »westlichen« Welt durchgesetzt hat, sind ohne einen Blick auf das Berlin Moses Mendelssohns und Sara Levys nicht zu begreifen. * * *

Es ist dem Herausgeber eine angenehme Pflicht, allen Institutionen und Personen zu danken, die zum Erscheinen des Bandes beigetragen haben. Die Studienstiftung des Deutschen Volkes e. V. (Bonn-Bad Godesberg) hat unter Federführung von Herrn Dr. Hans-Ottmar Weyand das Kolloquium von 1992 großzügig finanziert. Die Herzog August Bibliothek (Wolfenbüttel), insbesondere der Leiter der Abteilung Forschungsförderung, Herr Prof. Dr. Friedrich Niewöhner, und die damalige Verantwortliche für die Durchführung der Forschungsförderung, Frau Dr. Sabine Solf, stellten für die Referate und Diskussionen den schönen Bibelsaal der Bibliotheca Augusta zur Verfügung. Die 1992 im Bibelsaal anwesenden >passiven< Teilnehmer - Frau Dr. Petra Fischer (Luzern), Herr Prof. Dr. Peter Cahn (Frankfurt am Main), Herr Adalbert Osterried, M. A. (Köln), und Herr Claus Ritterhoff, bis zu seinem Tod im September 1997 Geschäftsführer der Lessing-Akademie Wolfenbüttel, - trugen als höchst aktive Diskussionsteilnehmer wesentlich zum lebhaften und intensiven Gedankenaustausch bei, der sich in unzähligen Veränderungen der Referate für die Druckfassung niedergeschlagen hat, Balthasar Müller (Bäriswil) war ein immer anregender Gesprächspartner bei der Verfassung der Einleitung. Ohne die tatkräftige Hilfe der Mitarbeiter des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Bern hätte der Band nicht erscheinen können: Christine Fischer, Μ. Α., leistete unschätzbare Unterstützung bei der redaktionellen Einrichtung einiger diffiziler Beiträge, David Schwarb besorgte das Lesen der Korrekturen und die Einrichtung des Namenregisters, Gerda Templin nahm die Erfassung der nicht im kompatiblen EDV-Format vorliegenden Beiträge vor. Der Lessing-Akademie Wolfenbüttel unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Ernst Hinrichs danke ich sehr für die Aufnahme des Bandes in ihre Schriftenreihe, dem Max Niemeyer Verlag, insbesondere Frau Birgitta Zeller-Ebert und Frau Mechtild Hasse-Riedesel, für die engagierte verlegerische Betreuung. Der größte Dank gebührt aber den Beiträgern für ihre mehr als überstrapazierte Geduld anläßlich der langen Verzögerung, mit der der Band schließlich erscheint und für die der Herausgeber alleine die Verantwortung zu übernehmen hat. Bern, im April 1999

Anselm Gerhard

Anselm

Gerhard

Einleitung Die Bedeutung der jüdischen Minderheit für die Musikkultur der Berliner Aufklärung

Jüdische Aufklärung, ästhetische Bildung und musikalische Kultur für die Stadt Berlin im späten 18. Jahrhundert in einem Atemzug zu nennen, mag wie eine willkürliche Aufzählung zwar gleichzeitiger, aber doch disparater Tendenzen wirken. Zwar ist auch heute noch jedem gebildeten Deutschen der Name Moses Mendelssohns vertraut, wenn auch meist nur aus der Perspektive der LessingBiographie und in seiner >Funktion< als Vorbild fur dessen Drama Nathan der Weise. Und auch wenn allgemein bekannt sein sollte, daß im Umkreis Moses Mendelssohns die Entwicklung ihren Ausgang nahm, die zur mühsamen juristischen Emanzipation der deutschen Judenheit und zur weitgehenden Akkulturation zahlreicher deutscher Juden fuhren sollte, so ist das Wissen um die reiche literarische, philosophische und theologische Produktion der jüdischen Aufklärung bisher kaum über die engen Kreise der Spezialisten für deutsch-jüdische Geschichte hinausgegangen, während die rege Beteiligung der in Berlin lebenden jüdischen Elite am zeitgenössischen Musikleben fast völlig unbeachtet geblieben ist.

Die Anfänge der Emanzipation und die jüdische Aufklärung Dabei steht die widersprüchliche und damals höchst umstrittene Entwicklung, in deren Verlauf sich eine Elite der in Preußen lebenden Juden von der rabbinisch geprägten und auf die jiddische und hebräische Sprache beschränkten Kultur ihrer Vorfahren ab- und dafür der deutschsprachigen Kultur ihrer nichtjüdischen Umwelt zuwandte, bereits seit einigen Jahrzehnten im Zentrum einer Forschung, die fur diese »jüdische Aufklärung« den hebräischen Begriff der »Haskalah« übernommen hat. Moses Mendelssohns aus dem Geist der zeitgenössischen deutschen Popularphilosophie entwickelte Interpretation der jüdischen Religion als rationalistisch erklärbarer Triumph der Vernunft war dabei von entscheidender Bedeutung für die rapide Auflösung der überkommenen religiösen, sozialen und pädagogischen Strukturen einer bis dahin weitgehend in sich geschlossenen Judenheit. Dennoch ist es aber eine allzu pauschale Verkürzung, diese Entwicklung allein aus der Person und dem Werk dieses wirkungsmächtigen Philosophen zu begreifen. Denn so sehr in der Forschung die Bewertung der »Haskalah« umstritten ist, so unbestritten ist doch die Tatsache,

2

Anselm Gerhard

daß sich »noch vor dem Auftreten Mendelssohns« in der Mitte des 18. Jahrhunderts »Einzelne wie Gomperz, Kisch oder die Eltern Lazarus Bendavids [...] in einem bis dahin noch nicht erlebten Maße der Kultur und Sprache ihrer Umwelt angenähert« hatten. 1 Und während es keinem anderen Vertreter der »Haskalah« gelang, eine derartige Resonanz unter der nichtjüdischen Bevölkerung zu finden wie Moses Mendelssohn, waren doch für die innerhalb der Judenheit ausgetragenen Konflikte andere Figuren nicht minder wichtig - von Isaak Daniel Itzig und David Friedländer, die als fuhrende Vertreter der jüdischen Finanzmagnaten in Berlin in der Auseinandersetzung mit orthodoxen Rabbinern eindeutig Partei ergriffen, über den Pädagogen Aaron Halle-Wolfssohn, der im Beitrag von Jutta Strauss für diesen Band ausfuhrlicher vorgestellt wird, 2 bis hin zu dem zunächst eher konservativ orientierten Reformer Naphtaly Herz Wessely, der 1782 soweit ging, die Tatsache zu beklagen, »seit einer langen Reihe von Jahrhunderten« scheine das »Volk« seiner »MitbrUder [...] mit einer großen Sorglosigkeit alles vernachlässigt zu haben, was zur Kultur des Menschen und dessen Verfeinerung beitragen kann«. 3 Eine genauere Darstellung der Kämpfe, die schließlich zur weitgehenden Isolation der jüdischen Orthodoxie und zur mißtrauischen Duldung des wirtschaftlichen und sozialen Erfolgs zahlreicher Juden im Deutschland des 19. Jahrhunderts führen sollte, ist hier weder möglich noch sinnvoll, wurde diese Entwicklung doch in drei neueren Arbeiten in eindrücklicher Weise zusammengefaßt, einerseits mit der Akzentuierung der Auseinandersetzungen innerhalb der jüdischen Intelligenz, 4 andererseits als Überblick über die historischen Rahmenbedingungen und die Reaktion der nichtjüdischen Bevölkerung, 5 und schließlich unter besonderer Berücksichtigung des sozialhistorischen Hintergrunds. 6 Hervorgehoben werden sollen an dieser Stelle - ohne Michael Maurers fundamentalem Beitrag in diesem Band vorzugreifen 7 - nur zwei Einzelheiten: So zeichnete sich die preußische Politik gegenüber den ungeliebten Juden unter der Regierung Friedrichs II. entgegen immer noch weit verbreiteten Vorurteilen keineswegs durch Toleranz aus, sondern durch gnadenlose Härte und zynisches Kalkül. Und zweitens ist darauf hinzuweisen, daß der Siebenjährige Krieg eine entscheidende Zäsur in der Geschichte der Juden in Preußen darstellte, hatte sich doch die friderizianische Kriegspolitik durch waghalsige Währungsmani-

1

2 3

4

5 6

7

Albert A. Bruer, Geschichte der Juden in Preußen (1750-1820), Frankfurt [am Main]/ New York: Campus 1991, S. 118. Siehe unten, S. 57-75. Naphtali Herz Wessely, Worte der Wahrheit und des Friedens an die gesammte jüdische Nation [deutsche Übersetzung des hebräischen Originals durch David Friedlander], Wien 1782, S. 11 und 23. Vgl. David Sorkin, The transformation of German Jewry, 1780-1840, Oxford: Oxford University Press 1987. Vgl. Bmer, Geschichte der Juden in Preußen (wie Anm. 1). Steven M. Lowenstein, The Berlin Jewish comunity: Enlightenment, family, and crisis, 1770-1830, New York/Oxford: Oxford University Press 1994. Siehe unten, S. 27-56.

Einleitung

3

pulationen und ihren enormen Finanzbedarf in einem Maße von jüdischen Bankiers abhängig gemacht, daß auch nach dem Kriegsende von 1763 ein Verzicht auf diese Elite von Finanziers weder möglich noch opportun war. Durch ihre entscheidende Mitwirkung an der Finanzierung dieses Kriegs waren aber andererseits die vorher in Preußen nur geduldeten Hoffaktoren und Bankiers zu einem relativen Einfluß und zu einem erheblichen Reichtum gelangt, der ihnen zwar nicht sofort eine uneingeschränkte Akzeptanz sicherte, aber in einer ständischen Gesellschaft doch eine unabdingbare Voraussetzung für jegliches kulturelle Engagement bedeutete. Mit diesem neuen Gewicht einer zahlenmäßig kleinen, aber hoch vermögenden jüdischen Elite war aber eine wesentliche Vorbedingung für die Entwicklung gegeben, die heute meist mit einem seit Anfang der 1820er Jahre eingeführten Begriff 8 als »Emanzipation« bezeichnet wird, und die im Lauf des 19. Jahrhunderts dann endlich zur - freilich nur mit erheblichen Einschränkungen in die Praxis umgesetzten - rechtlichen Gleichstellung der jüdischen Minderheit führen sollte. Für das Resultat dieser einzigartigen Entwicklung werden bis heute unreflektiert zwei Begriffe gebraucht, die »schon fast unlösbar mit dem Begriff deutsches Judentum< verbunden« scheinen: deutsch-jüdische Symbiose und Assimilation.9 Dabei ist der eine für eine angemessene historische Interpretation so ungeignet wie der andere - das verbreitete Gerede von einer Symbiose irritiert nicht nur durch die kaum hinterfragte biologische Herkunft des Begriffs, sondern überspielt alle notwendigen Differenzierungen durch den Rekurs auf »die angeblich unzerstörbare geistige Gemeinsamkeit des deutschen Wesens mit dem jüdischen Wesen, die niemals etwas anderes als eine Fiktion« gewesen ist.10 Aber auch der scheinbar weniger problematische Begriff der Assimilation ist aus mehreren Gründen »analytisch unsauber. Erstens bezieht« er sich »auf soziale, kulturelle und psychische Prozesse als ob sie ein und dasselbe wären; zweitens tendiert er dazu, die diesen Prozessen innewohnenden Wechselwirkungen zu verschleiern; und drittens bezeichnet er zugleich einen Prozeß und seine Ergebnisse«.11 Aus diesen und vielen anderen Gründen ist einem neuesten Forschungsbericht zuzustimmen, der überzeugend für die Verwen-

9

10

11

Vgl. Julius H[ans] Schoeps, Aufklärung, Judentum und Emanzipation, in: Judentum im Zeitalter der Aufklärung, hrsg. Günter Schulz (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, 4), Bremen/Wolfenbüttel: Jacobi 1977, S. 75-102; hier S. 100, Anm. 38. Trade Maurer, Die Entwicklung der jüdischen Minderheit in Deutschland (1780-1933). Neuere Forschungen und offene Fragen (Internationales Archiv fllr Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 4. Sonderheft), Tübingen: Niemeyer 1992, S. 171. (Der Autorin möchte ich auch an dieser Stelle ganz herzlich dafür danken, daß sie mir schon in der Vorbereitungsphase der Tagung einer Kopie ihres Manuskripts überließ.) Gerschom Scholem, Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch, in: Auf gespaltenem Pfad. Zum neunzigsten Geburtstag von Margarete Susman, hrsg. Manfred Schlösser, Darmstadt: Erato 1964, S. 229-232; hier S. 229; auch in: Scholem, Judaica II, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 7-11 ; hier S. 7; vgl. auch Maurer, Die Entwicklung der jüdischen Minderheit (wie Anm. 9), S. 168-169. Shulamit Volkov, Jüdische Assimilation und Eigenart im Kaiserreich, in: Volkov, Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays, München: Beck 1990, S. 131-145; hierS. 132.

4

Anselm

Gerhard

dung des Terminus »Akkulturation« bei der Darstellung dieser diffizilen Zusammenhänge plädiert, da dieser »beschreibende Begriff [...] Werturteile ebenso vermeidet wie die im Assimilationsbegriff implizierte Unterordnung eines kulturellen Stranges unter den anderen«.12

Moses Mendelssohn und die »ästhetische Bildung« Die Betonung kultureller Aspekte in dem anscheinend erstmals in den 1880er Jahren gebrauchten Akkulturations-Begriff13 erscheint der historischen Realität aber auch deshalb besonders angemessen, weil sie auf ein Konzept verweist, das fur die Ausprägung der bürgerlichen deutschen Kultur im späten 18. Jahrhundert ebenso zentral gewesen war wie für das Selbstverständnis des deutschen Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert, und für das es in der englischen Sprache auffälligerweise ebensowenig eine wirkliche Entsprechung gibt wie in den romanischen Sprachen. Gemeint ist das Wort »Bildung«, das Moses Mendelssohn im Jahre 1784 noch als »vor der Hand bloß zur Buchersprache« gehörenden »neue[n] Ankömmling« in »unsrer Sprache« qualifizierte,14 obwohl dieses alte deutsche Wort schon in der pietistischen Literatur der ersten Jahrhundert-Hälfte auf intellektuelle und moralische Formungs-Prozesse übertragen worden war. Seine »neue platonisierende und ästhetisch-humanistische Bedeutung« prägte dieses Wort dann aber erst unter »dem eminenten Einfluß Shaftesburys auf das deutsche Geistesleben« aus. So wird in einer Shaftesbury-Übersetzung von 1738 dessen Leitbegriff »inward form« mit »innere Bildung« wiedergegeben und damit der Idee eine neue Nuance hinzugefügt.15 In Konkurrenz zu dem zunächst noch vorherrschenden Begriff der »Erziehung« avancierte »Bildung« dann bald zu einem Schlüsselwort »der noch nicht selbstkritisch gewordenen Aufklärung«, die in der selbstverständlichen Überzeugung, daß Bildung »den Menschen besser und glücklicher mache und daß von der Zahl solcher Menschen der Grad der Glückseligkeit der Gesellschaft abhänge«,16 davon ausging, daß dieser Weg jedem vernunftbegabten Wesen offensteht. Aus der Perspektive des späten 20. Jahrhunderts fällt es freilich nicht ganz leicht, diese ursprüngliche, dynamische Bedeutung des »Bildungs«-Begriffes ernstzunehmen, nachdem das originale Konzept der »Bildung« seit dem Zweiten Kaiserreich von einer Funktionselite, die sich als »Bildungsbürgertum«

12 13 14

15

16

Maurer, Die Entwicklung der jüdischen Minderheit (wie Anm. 9), S. 172. Vgl. ebd. Moses Mendelssohn, Ueber die Frage: was heißt aufklären? [1784], in: JubA VI/1 (1981), S. 113-119; hierS. 115. E[rnst] Lichtenstein, Bildung, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. Joachim Ritter, Band I, Basel: Schwabe 1971, Sp. 921-937; hier Sp. 923. Rudolf Vierhaus, Bildung, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Band I, Stuttgart/Basel: Klett 1972, S. 508-551; hier S. 512.

Einleitung

5

verstand, bis zur Unkenntlichkeit verfälscht worden war: 17 »With the passage of time, Bildung [...] was transformed into a kind of religion - the worship of the true, the good, and the beautiful«. 18 Dabei wurde dieses religiös verbrämte Wissen um das Wahre, Gute und Schöne mehr und mehr als exklusiver Besitzstand betrachtet und entsprechend als Abgrenzungskriterium gegen die vermeintlich oder tatsächlich »ungebildeten« Klassen verwendet, während es gleichzeitig einem martialischen Patriotismus einverleibt wurde - von Ludwig Marcuse in das Aperçu gefaßt, seine Lehrer am humanistischen Gymnasium der Jahrhundertwende seien nicht »boshafte Quäler«, sondern - weit schlimmer noch - »Verehrer preußischer Kasernen mit dorischen Säulen und korinthischem Kapitell« gewesen. 19 Noch schwerer ist es angesichts dieser Entwicklung allerdings, die philanthropischen und ethischen Qualitäten des originalen »Bildungs«-Begriffs zu rekonstruieren, kann man doch nach dem grausamen Scheitern der jüdischen Akkulturation in Deutschland kaum von der bitteren Wahrheit abstrahieren, daß in den Händen der deutschen Funktionseliten das überkommene Konzept der Bildung so weit seiner humanitären und zivilisatorischen Qualitäten entleert worden war, daß das deutsche »Bildungsbürgertum« dem nackten Terror und schließlich dem organisierten Massenmord so gut wie keinen Widerstand entgegensetzte. 20 Im Kontext der absolutistischen Staatsform des späten 18. Jahrhunderts hatte der Bildungs-Gedanke dagegen eine jede Ausgrenzung ausschließende antihierarchische, um nicht zu sagen egalitäre Schlagkraft, die kaum Uberschätzt werden kann. In einer noch weitgehend nach den Konventionen des Feudalismus organisierten Gesellschaft bedeutete die Akzentuierung der Bildung, daß jedem Individuum unabhängig von seiner sozialen, ethnischen oder religiösen Herkunft der Zugang zur Kultur offenstand. Mehr noch als für die nicht-aristokratischen Schichten der christlichen Bevölkerung mußte daher dieses Konzept für die Judenheit eine ungewöhnliche Akttraktivität entfalten, und so ist die deutsche »Haskalah« ohne das Konzept der Bildung schlechterdings nicht vorstellbar. Zwar war das - meist noch in hebräischer Sprache publizierte - deutschjüdische Schrifttum des späten 18. Jahrhunderts weitgehend von philosophischen und religionstheoretischen Auseinandersetzungen um die Rolle der Juden in einer fremden Kultur geprägt - eine Frage, die für die Thematik dieses Sam-

17

18 19

20

Vgl. George L[achmann] Mosse, German Jews beyond Judaism, Bloomington: Indiana University Press/Cincinnati: Hebrew Union College Press 1985, S. 4. Ebd., S . l l . Ludwig Marcuse, Unhumaner Humanismus, in: Tagebuch 12 (1931), S. 1525-1528; hier S. 1526. Zum Konservativismus der staatstragenden Eliten in der nachfeudalen Gesellschaft vgl. Arno J. Mayer, The persistence of the Old Regime, New York: Pantheon 1981; deutsch: Adelsmacht und Bürgertum. Die Krise der europäischen Gesellschaft 1848-1914, München: Beck 1984, S. 221-235; zur latenten Gewaltbereitschaft der Funktionseliten im wilhelminischen Kaiserreich vgl. Norbert Elias, Die satisfaktionsfähige Gesellschaft, in: Elias, Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 61-158.

6

Anselm Gerhard

melbands gewiß von zentraler Bedeutung ist, deren Einbeziehung aber bedauerlicherweise an der Absage potentieller Referenten scheiterte. Aber trotz dieses vitalen Interesses an der eigenen Religion spielte also auch das Konzept der »Bildung« eine entscheidende Rolle für die jüdische Aufklärung. Moses Mendelssohn war wie viele seiner Zeitgenossen überzeugt davon, daß eine Emanzipation des Einzelnen im weitesten Sinne nur dann möglich sein würde, wenn die in Deutschland lebenden Juden von der Umgangssprache ihrer Eltern, dem damals kaum als Schriftsprache verwendbaren Jiddisch, Abstand nähmen und dafììr alles daran setzten, die deutsche Hochsprache als Kultursprache - neben dem für den religiösen Kontext unverzichtbaren Hebräischen - zu beherrschen. Welche überragende Bedeutung dabei dem Begriff der »Bildung« zukam, wird noch aus dem Rückblick über zwei Jahrhunderte deutsch-jüdischer Geschichte von den Anfängen der jüdischen Emanzipation bis zum Zusammenbruch der deutschen Zivilisation deutlich - zu nennen ist hierfür nicht nur David Sorkins scharfsinnige Darstellung21 der Ursprünge einer Entwicklung, in der eine »auf dem Menschenideal der Aufklärung« beruhende und von radikalen Vertretern der »Haskalah« formulierte »Ideologie« später »von einer neuen sozialen Gruppe innerhalb der Judenheit, dem jüdischen Bürgertum übernommen wurde, das die Gebildeten als Modell und Ziel seiner Integrationsbemühungen ansah«.22 Auch eine neuere Veröffentlichung des aus Berlin gebürtigen George Lachmann Mosse zeugt von der zentralen Bedeutung der »Bildung«, wenn dort der schillernde Terminus als Leitmotiv eines >tour d'horizon< über die moderne deutsch-jüdische Geisteswelt verwendet und als gemeinsame Grundlage so unterschiedlicher kultureller Leistungen wie der Siegmund Freuds, Martin Bubers, Stefan Zweigs, der sogenannten »Frankfurter Schule« und des Kreises um Aby Warburg abstrahiert wird.23 Aber auch im 18. Jahrhundert selbst können die wesentlichen Voraussetzungen der »Aufklärung«, und zwar der jüdischen ebenso wie der nicht-jüdischen, auf das Konzept zurückgefílhrt werden, das im Deutschen mit dem Begriff »Bildung« bezeichnet wurde, wie er erstmals in der Popularphilosophie der Jahre um 1750 formuliert worden war: »the optimism about the potential of human nature and the autonomy of man; the belief that acquired knowledge would activate the moral imperative; and, last but not least, the belief that all who were willing to use and develop their reason could attain this ideal«.24 In der spezifischen ökonomischen Situation Preußens, die sich durch das weitgehende Fehlen eines historisch gewachsenen städtischen Bürgertums auszeichnete, blieb aber ein solches Ideal in erstaunlicher Ausschließlichkeit auf die Personen beschränkt, die in unmittelbarem Kontakt zur protestantischen Theologie erzogen wurden. Bis auf wenige Ausnahmen entstammten die nichtjüdischen Vertreter der deutschen »Aufklärung« dem protestantischen Pfarrhaus. 21 22 23 24

Vgl. Sorkin, The transformation of German Jewry (wie Anm. 4). Maurer, Die Entwicklung derjüdischen Minderheit (wie Anm. 9), S. 158. Mosse, German Jews beyond Judaism (wie Anm. 17). Vgl. ebd., S. 6.

Einleitung

7

Genau hier ist aber auch ein Grund für die große Wirksamkeit der von Moses Mendelssohn vorgetragenen Gedanken zu vermuten. Denn so wie eine wirtschaftshistorische Analyse der Situation Preußens auf die inzwischen unumstrittene These führt, dort seien ethnische Randgruppen wie Hugenotten und Juden vor allem deshalb mit mehr oder weniger großzügigen Privilegien ausgestattet worden, damit sie zum Wohle des Staats ihre Funktion als »importiertes Ersatzbürgertum« entfalten konnten, 25 spricht auch einiges für die Hypothese, daß den in Brandenburg angesiedelten Hugenotten, mehr aber noch der kulturell aktiveren, juristisch freilich weit schlechter gestellten preußischen Judenheit eine vergleichbare Rolle im geistesgeschichtlichen Kontext der Berliner »Aufklärung« zukam. Die Tatsache, daß die 1700 in Berlin gegründete »Societät der Wissenschaften« wie die spätere Akademie zu etwa einem Drittel aus hugenottischem Wissenschaftlern bestand, 26 verblüfft noch heute, und auch wenn Friedrich II. aus grundsätzlicher Abneigung gegen alles Religiöse und wohl auch aus ungebrochenem Antisemitismus den Vorschlag, Moses Mendelssohn in die Akademie aufzunehmen, nicht einmal zur Kenntnis nahm, blieb diese außergewöhnliche Figur doch ideeller Bezugspunkt für alle in Berlin tätigen Literaten bis hin zu Karl Wilhelm Ramler und Johann Jakob Engel, die zum unmittelbaren Freundeskreis des aus Dessau zugewanderten Philosophen gehörten. Erst die publizistischen Aktivitäten der jüdischen Elite im friderizianischen Berlin hätten der hier formulierten Hypothese zufolge also die emanzipatorischen Gedanken der »Aufklärung« aus der exklusiven Bindung an das protestantische Pfarrhaus befreit. Dennoch blieb in einem von der beginnenden Industrialisierung und den Vorboten der Französischen Revolution verstörten Deutschland der BildungsGedanke mit einem tiefgründigen Harmonie-Bedürfnis verknüpft, das merkwürdig vom Frankreich der »Lumières« mit seinen scharf geführten publizistischen Auseinandersetzungen absticht und noch im Deutschland des ausgehenden 20. Jahrhunderts die Bereitschaft zum offenen Streit über gesellschaftliche und politische Grundfragen zu lähmen scheint. Als Schlüssel zu dieser idealen Harmonie erschien aber die Ästhetik als eine intellektuelle und moralische Fragen zusammenfassende Denkform, 27 wie sie in den Beiträgen Carsten Zelles und Sven Gesses in diesem Band an den Beispielen des »schauervollen Ergötzens« und der »Poetik der Mischform« aufgezeigt wird; 28 nur so läßt sich das starke Interesse der jüdischen Elite an der Theorie und der Praxis der Schönen Künste begreifen, das die folgenden zwei Jahrhunderte der deutsch-jüdischen Geschichte so entscheidend prägen sollte. 25

26

27 28

Vgl. Stefi Jersch-Wenzel, Juden und »Franzosen« in der Wirtschaft des Raumes Berlin/ Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 23), Berlin: de Gruyter 1978, S. 240 und 244. Vgl. Frédéric Hartweg, Die Hugenotten in der Berliner Akademie, in: Humanismus und Naturrecht in Berlin-Brandenburg-Preußen. Ein Tagungsbericht, hrsg. Hans Thieme (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 48), Berlin/New York: de Gruyter 1979, S. 189-205; hier S. 202. Mosse, German Jews beyond Judaism (wie Anm. 17), S. 6. Siehe unten, S. 97-115 und S. 117-134.

8

Anselm Gerhard

Die solche Entwicklungen geradezu in idealer Weise zusammenfassende und hier als Leitbegriff gewählte Wortverbindung der »ästhetischen Bildung«, für die sich bei einer genauen Recherche sicher auch schon frühere Nachweise beibringen ließen, findet sich schließlich sogar in der fränkischen Provinz: In einem 1810 mit dem Titel Kultur auf dem Dorfe erschienenen Bericht aus dem - zwischen Lichtenfels und Kulmbach gelegenen - Altenkunstadt lobt ein Korrespondent der jüdischen Zeitschrift Sulamith die vielfältigen Aktivitäten der jüdischen Bürger und insbesondere »eine Gesellschaft verheiratheter junger Leute, deren Tendenz eben so mannichfaltig, als gut und edel ist. Zur intellektuellen und ästhetischen Bildung hat sie sich eine Bibliothek verschiedener schöner und geistreicher Werke der neuesten Literatur angeschafft, welche jedem Liebhaber der Lektüre offensteht«.29 Weist bereits die Ineinssetzung von Ethik und Ästhetik auf einen der wirkungsmächtigsten Denker des 18. Jahrhunderts, den englischen Lord Shaftesbury, so gilt dies noch mehr für den Entwicklungsprozeß, den Goethe seinen Wilhelm Meister »mit einem Worte« umreißen ließ: Mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht. 30

»Such self-education was an inward process of development through which the inherent abilities of the individual were developed and realized«.31 Obwohl mit diesem Verweis auf die »inward forms« Shaftesburys die bereits erwähnte andere wesentliche Wurzel des deutschen Bildungs-Gedanken bezeichnet ist, wurde die Verwurzelung dieser Entwicklung in der englischen Moralistik des frühen 18. Jahrhundert wenig später kaum noch wahrgenommen - Shaftesbury war im 18. Jahrhundert ebensoviel gelesen wie wenig explizit zitiert worden. So dürfte aber die Frage, wann und wo das Konzept einer »inwärtigen Selbsterziehung« in die deutsche Diskussion eingeführt wurde, zu noch überraschenderen Ergebnissen fuhren. Denn auch wenn eine genauere Beweisführung im Rahmen dieser einleitenden Ausführungen nicht möglich ist, so spricht doch vieles für die These, daß es kein anderer als Moses Mendelssohn war, der Shaftesburys Gedankenwelt in Deutschland populär machte. Jedenfalls erschienen Mendelssohns Betrachtungen über die Quellen und die Verbindungen der schönen Künste und Wissenschaften (1757) lange vor Lessings Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780), den volksbildnerischen Versuchen Herders oder etwa Schillers Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts von 1795. Und wie kaum ein anderer Denker des 18. Jahr29

30

31

M. L. Kohn, Die Kultur im Dorfe oder Die Israeliten zu Altenkunstadt und Burgkunstadt, in: Sulamith, eine Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation 3 (1810), Heft 1, S. 31-37; hier S. 33; vgl. auch Gunnar Och, Jüdische Leser und jüdisches Lesepublikum im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Akkulturationsgeschichte des deutschen Judentums, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte [2] (1991), S. 298-336; hier S. 324. Johann Wolfgang (von) Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre [1795-1796], in: Goethe, Romane und Novellen, Band II, hrsg. Erich Trunz (Goethe, Werke. Hamburger Ausgabe, 7), Hamburg: Wegner 1950, S. 290. Mosse, German Jews beyond Judaism (wie Anm. 17), S. 3.

Einleitung

9

hunderts akzentuierte Mendelssohn - wieder im unmittelbaren Anschluß an Shaftesbury - die Ästhetik, für die der englische Autor am Beginn des Jahrhunderts zwar noch nicht den von Baumgarten im Jahre 1735 erstmals in die Diskussion geworfenen Begriff gefunden hatte, obwohl sie in seinen Characteristicks zweifellos der Sache nach geprägt worden war. Damit soll nicht bestritten werden, daß Mendelssohns Philosophie auch zu einem wesentlichen Teil auf den Gedanken des - gerade in jüdischen Kreisen viel gelesenen 32 - Philosophen Christian Wolff sowie auf den Schriften Baumgartens und Meiers aufbaut - im Gegenteil: Es ist zu hoffen, daß in Zukunft auch diese Wurzeln von Mendelssohns Denken genauer bestimmt werden können. Gerade mit seinen ästhetischen Ideen steht Mendelssohn aber allem Anschein nach dem rhapsodischen Gestus Shaftesburys um einiges näher als der von der Rhetorik geprägten Lehrbuch-Ästhetik seiner deutschen Vorgänger - und es sind nicht zuletzt diese Ideen, die die These rechtfertigen, daß Moses Mendelssohn eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die Berliner Musikkultur des 18. Jahrhunderts zukommt.

Der jüdische Salon und die musikalische Praxis Dabei erscheint das skizzierte Konzept einer »ästhetischen Bildung« auch als ideologische Grundlage einer historischen Entwicklung, in der die bisher weitgehend aristokratisch dominierte Musikkultur sich allmählich neuen, bürgerlichem Schichten der Bevölkerung öffnete. Aus der Perspektive des späten 20. Jahrhunderts mag die Vorstellung, gut situierte bürgerliche Schichten hätten sich den Zugang zu einem bis dahin exklusiven Kulturgut wie der artifiziellen Musik erst erkämpfen müssen, seltsam erscheinen. Aber bei einer Betrachtung der europäischen Musikgeschichte kann nicht übersehen werden, daß die Musik und vor allem das Musikverständnis auch noch im Zeitalter der »Aufklärung« weitgehend von deren repräsentativen Funktion in höfischer Gesellschaft und kirchlichem Kontext bestimmt war. Zwar war schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein nicht ganz unbedeutender Markt für gedruckte Instrumentalmusik entstanden, im Schatten der übermächtigen Mimesis-Theorie wurde rein instrumentale Musik aber noch am Ende des Jahrhunderts als ästhetisch minderwertig verachtet. So wurde selbst in der 1774 erschienenen und noch 1793 nachgedruckten Allgemeinen Theorie der Schönen Künste »die Anwendung der Musik auf Concerte, die blos zum Zeitvertreib und etwa zur Uebung im Spielen angestellt werden in die letzte Stelle« gesetzt, wobei ausdrücklich hervorgehoben wurde, zu diesem Anwendungsbereich gehörten »die Concerte, die Symphonien, die Sonaten, die Solo, die insgemein ein lebhaftes und nicht unangenehmes Geräusch, oder ein artiges und unterhaltendes, aber das Herz nicht

32

Vgl. Och, Jüdische Leser undjüdisches

Lesepublikum (wie Anm. 29), S. 304.

10

Anselm Gerhard

beschäftigendes Geschwätz vorstellen«. 33 Ganz im Gegensatz zu einer Literatur, die auf die individuelle Lektüre abzielte, und vergleichbar allenfalls dem repräsentativen Trauerspiel, stand der Musik um 1750 der langwierige und widersprüchliche Emanzipationsprozeß noch bevor, der schließlich zu der romantischen Anschauung fuhren sollte, »reine« Musik sei als nicht funktionalisierbare Kunstform allen anderen Künsten vorzuziehen, und der von Richard Wagner in die griffige Formel von der »absoluten« Musik gefaßt wurde. 34 Gerade in Berlin war in der Mitte des 18. Jahrhunderts das Musikleben noch weitgehend durch die höfische Musikpflege geprägt, wobei der persönliche Geschmack Friedrichs II. dessen wesentliche Tendenzen von der italienischen Oper bis zur Bevorzugung gering besetzter Kammermusik mitbestimmte. Zwar gelang es dem auf der Traversflöte dilettierenden König immer wieder, hervorragende Musiker für seine Hofkapelle zu gewinnen - vom Flötisten und Musiktheoretiker Johann Joachim Quantz (seit 1741 bis zu seinem Tod 1773 in Berlin tätig) über die Violinisten Johann Gottlieb Graun (Kammermusikus und später Konzertmeister von 1736 bis 1771) und Franz Benda (der schon 1736 in Rheinsberg eingestellt worden war und bis zu seinem Tod 1786 in Berlin blieb, während dessen Bruder Georg Anton Benda Berlin im Jahre 1750 - nach nur acht Jahren - wieder verließ) bis zu den Cembalisten Christoph Nichelmann (Kammercembalist von 1745 bis 1756) und Carl Philipp Emanuel Bach (Kammercembalist von 1738 bis 1767). Aber so wie es dem König nicht glückte, den genialen Musikdramatiker Georg Anton Benda und den herausragenden Carl Philipp Emanuel Bach auf Dauer an Berlin zu binden - der erste ging nach Gotha, der zweite als Nachfolger Telemanns nach Hamburg - , so war auch das Amt des Hofkapellmeisters nicht immer mit Komponisten von überragender Bedeutung besetzt. Zwar kann Carl Heinrich Graun (1740-1759) als einer der führenden italienischen Opernkomponisten nördlich der Alpen bezeichnet werden, und Johann Friedrich Reichardt (1776-1794, danach wirkte er zunächst als Privatier und dann als Salinendirektor in Halle an der Saale) war sicher einer der vielseitigsten deutschen Intellektuellen seiner Zeit, Johann Friedrich Agricola hingegen, der von 1759 bis 1774 die Hofkapelle ohne den Titel eines Kapellmeisters leitete, konnte auch unter Zeitgenossen schwerlich als erstrangiger Musiker gelten. Andere Komponisten schließlich, die das norddeutsche Musikleben ihrer Zeit mitprägten, wie der später nach Kopenhagen abgewanderte Johann Abraham Peter Schulz (1747-1800) und der Bach-Schüler Johann Philipp Kirnberger (1721-1783) hatten ihr Auskommen als Hofmusiker des Prinzen

33

34

Artikel Musik [1774], in: Johann George Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt, Band HI, Leipzig: Weidmann 2 1793, S. 421—483; hier S. 431^132; vgl. hierzu auch Anselm Gerhard, »Man hat noch kein System von der Theorie der Musik«. Die Bedeutung von Johann George Sulzers »Allgemeiner Theorie der Schönen Künste« für die Musikästhetik des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in: Schweizer im Berlin des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Martin Fontius und Helmut Holzhey (Aufklärung und Europa. Beiträge zum 18. Jahrhundert, 1), Berlin: Akademie Verlag 1996, S. 341-353. Vgl. Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, Kassel: Bärenreiter/München: Deutscher Taschenbuch 1978, S. 24.

Einleitung

11

Heinrich beziehungsweise der Prinzessin Anna Amalie, während die neben Carl Philipp Emanuel Bach, Kimberger und Quantz wichtigsten Musiktheoretiker Christian Gottfried Krause (1719-1770) und Friedrich Wilhelm Marpurg (1718-1795) Berufen nachgingen, die mit Musik nichts zu tun hatten - Krause als Advokat und Justizrat, Marpurg als Mitarbeiter und später Direktor der Königlichen Lotterie-Verwaltung. Vor diesem Hintergrund lassen sich einige Indizien für die These finden, daß die Ausprägung einer spezifischen und immer stärker von nicht-höfischen Aktivitäten bestimmten Berliner Musikkultur des späten 18. Jahrhunderts ohne die engagierte Beteiligung von führenden Vertretern der »Haskalah« so nicht möglich gewesen wäre. Zwar ist bekannt, daß die beiden - neben Jacques Offenbach - bedeutendsten Komponisten jüdischer Herkunft des 19. Jahrhunderts auf enge Weise mit diesem Kreis verbunden waren; Felix Mendelssohn Bartholdy als Enkel von Moses Mendelssohn und mütterlicherseits als Großneffe der im folgenden noch zu erwähnenden Sara Itzig, Giacomo Meyerbeer als Privat-Schüler von Aaron Halle-Wolfssohn. Und in der Literatur zur deutsch-jüdischen Geschichte finden sich immerhin Hinweise auf den erstaunlichen Umstand, daß der Münz-Entrepreneur Daniel Itzig in seinem Privathaus neben einer Synagoge und einem rituellen Baderaum ebenso eine Gemäldegalerie eingerichtet hatte3S wie Benjamin Ephraim und der im folgenden noch zu erwähnende Joseph Moses Fließ.36 Im Gegensatz zu diesen Schlaglichtern auf das Interesse führender Berliner Juden an Bildender Kunst ist die musikgeschichtliche Bedeutung des Salons von Daniel Itzigs Tochter Sara Levy bisher ebensowenig kritisch dokumentiert worden wie die anderer Vertreter der Berliner Judenheit. Dabei sind in allen diesen Fällen erstaunliche Ergebnisse zu erwarten, wie Peter Wollnys Beitrag in diesem Band auf eindrucksvolle Weise zeigt.37 Bereits ein flüchtiger Blick auf die Pränumeranten-Listen der ästhetisch und kompositorisch ambitioniertesten Publikation im Bereich der Klaviermusik der 1780er Jahre läßt erkennen, daß das große Interesse an dieser Musik nicht auf die Familie Itzig beschränkt blieb, sondern große Teile der jüdischen Elite Berlins umfaßte - in den entsprechenden Verzeichnissen, die Carl Philipp Emanuel Bach seinen sechs Sammlungen von Sonaten, freien Fantasien und Rondos »für Kenner und Liebhaber« vorausschickte, sind mit »Madame Cohen«, »Mad[ame] Flies«, »Benjamin Itzig«, »Mademoiselle] Sara Itzig« (später »Madame Sara Lewy«), »Mademoiselle] Levi«, »Madame Jeannette Marcuse«, »Mademoiselle] Mayer«, »Madame Salomon«, »Madame Zippora Wolf« 35

36

Vgl. Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809-1851. Mit Ergänzungen für die Jahre 1791-1809, hrsg. Jacob Jacobson (Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, 4), Berlin: de Gruyter 1962, S. 5. Vgl. Steven M. Lowenstein, Jewish upper crust and Berlin Jewish Enlightenment: the family of Daniel Itzig, in: From East and West: Jews in a changing Europe, hrsg. Frances Malino und David Sorkin, Oxford: Blackwell 1990, S. 182-201; hier S. 186 und Anm.

11. 37

Siehe unten, S. 217-255.

12

Anselm Gerhard

(später auch »Wulff«), »Mademoiselle] Sara Wolf« (später auch »Wulff«) teilweise mehr als die Hälfte der für Berlin genannten Pränumeranten der jüdischen Minderheit zuzurechnen,38 während in zahlreichen anderen Listen Mitglieder der Königsberger Familie Friedländer ebenso wie der nach Berlin übergesiedelte David Friedländer als Pränumeranten von Musikalien aufscheinen.39 Und wie Gunnar Och in seinem Beitrag zeigt, gehörte die polemische Überzeichnung des musikalischen Engagements von vor allem weiblichen Vertretern der jüdischen Elite um die Jahrhundertwende zu den Stereotypen einer antisemitischen Satire,40 die das Paradox der jüdischen Beteiligung an Konzertaufführungen eindeutig christlich konnotierter Vokalmusik - neben Grauns Der Tod Jesu wäre hier vor allem die von Johann Adam Hiller geleitete Berliner Aufführung von Händeis Messias im Jahre 1786 zu nennen41 - unbarmherzig zur Zielscheibe einer Polemik machte, die Anpassung als Überanpassung denunzierte. Mit dem Namen Fließ, der sich unter den genannten Pränumeranten von Musikalien findet, verbindet sich aber nicht nur der tatsächliche Komponist des lange Zeit Mozart zugeschriebenen und noch heute populären Lieds »Schlafe, mein Prinzchen«42 sowie einer dreiaktigen Oper Die Regata zu Venedig oder Die Liebe unter den Gondolieren 43 Vielmehr klärt uns ein Lexikon-Artikel zu diesem pianistisch und kompositorisch tätigen Arzt Isaac Beer Fließ (17701829), der dort unter dem Vornamen Bernhard aufgeführt wird, obwohl er sich nach seiner Taufe im Jahr 1798 Carl Eduard nannte, über eine intensive Konzert-Tätigkeit im Berliner Haus dieser Familie auf: In seines Vaters Hause bestand seit einer ganzen Reihe von Jahren wöchentlich ein öffentliches Konzert, worin bey einem vollständigen Orchester mehrere angehende und vollendete Virtuosen und Sänger des kunstreichen Berlins auftraten. [...] Der alte würdige 38

39 40 41

42

43

Vgl. den Faksimile-Reprint der Verzeichnisse in: Carl Philipp Emanuel Bach, The collected works for solo keyboard, hrsg. Darrel! Berg, Band I, New York/London: Garland 1985, S. 124, bzw. Band II, ebd. 1985, S. 243, 293, 329, 371 und 413; weiterreichende Aufschlüsse zu dieser Frage sind von einer systematischen Auswertung der Pränumeranten- und Subskribenten-Verzeichnisse in Musikdrucken des 18. Jahrhunderts zu erwarten, die Klaus Hortschansky vorbereitet. Freundliche Mitteilung von Klaus Hortschansky (Münster). Siehe unten, S. 77-96; insbesondere S. 81-82. Vgl. hierzu nun auch Anselm Gerhard, Auf dem Weg zur »Kantate des ganzen Menschengeschlechts«. Voraussetzungen und Folgen der Rezeption von Händeis Chören, in: Händel-Rezeption der frühen Goethe-Zeit. Bericht von der Tagung vom 17. bis zum 20. September 1997 im Goethe-Museum Düsseldorf, hrsg. von Gudrun Busch und Laurenz Lütteken, Kassel: Bärenreiter, im Druck. Vgl. Max Friedlaender, Mozarts Wiegenlied, in: Jahrbuch der Musikbibliothek Peters fur 1896, hrsg. Emil Vogel, Leipzig: Peters 1897. S. 69-71; vgl. auch Ludwig Ritter von Köchel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amadé Mozarts nebst Angabe der verlorengegangenen, angefangenen, von fremder Hand bearbeiteten, zweifelhaften und unterschobenen Kompositionen. Sechste Auflage, hrsg. Franz Giegling, Alexander Weinmann und Gerd Sievers, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 1964, S. 847. Vgl. Thomas Bauman, North German opera in the age of Goethe, Cambridge: Cambridge University Press 1985, S. 401; vgl. auch VI. Deutsches Theater, in: Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks 5 (Julius-December 1798), S. 294-308; hier S. 308.

Einleitung

13

Vater des Hrn. Doktors, der Herr des Hauses und eigentliche Entrepreneur des Konzerts, behauptete seinen Platz als Ripienist bey der Bratsche vom Anfange bis zum Ende. 44

Isaac Beer Fließ' Vater Baer Fließ (1753-1821) war in der Tat gebürtiger Berliner, kehrte aber erst im Jahre 1788 nach einem längeren Aufenthalt in Den Haag nach Preußen zurück,45 so daß einiges für die Vermutung spricht, daß es sich bei dem »eigentlichen Entrepreneur des Konzerts« in Wirklichkeit um dessen Bruder und damit den Onkel des jungen Komponisten handelt - um den Arzt Joseph Moses Fließ (1745-1822), der ebenfalls mit einer Tochter von Daniel Itzig verheiratet war und sich nach seiner Taufe im Jahr 1804 Carl Ferdinand Fließ nannte.46 Denn während der Name Baer Fließ erstmals 1786 in einer Pränumeranten-Liste von Musikaliendrucken nachgewiesen werden kann, findet sich ein »Doktor Fließ« und eine »Madame Moses Fließ« dort schon erheblich früher und wesentlich häufiger.47 In diesem Zusammenhang ist aber vor allem auch der 1768 in Berlin geborene Carl Bernhard Wessely zu nennen, der als Neffe des hebräischen Schriftstellers Naphtaly Herz Wessely ebenfalls im Zentrum der »Haskalah« heranwuchs und sich unter anderem auch »als braver Klavierspieler [...] 1793 durch die Ausführung eines der schwierigsten Mozartischen Konzerte (aus G dur) im Fließischen Konzerte bewies«.48 Sein Vater, der in Kopenhagen geborene Textilfabrikant Aron Behrend Wessely (ca. 1740—1812)49 war zwar nicht durch eigene publizistische Beiträge an die Öffentlichkeit getreten, hatte aber reiche Gelegenheiten zum Kontakt mit den führenden Vertretern der jüdischen Aufklärung, denn offensichtlich waren die Verbindungen zwischen den Familien Wessely und Mendelssohn sehr herzlich. So verewigte Moses Mendelssohn in einem seiner letzten Werke, den 1785 erschienenen Morgenstunden, den heranwachsenden Carl Bernhard Wessely unter dem Sigel »W.« als einen der drei jugendlichen Diskussionspartner seiner morgendlichen Unterredungen,50 und ein Jahr später kam dem erst achtzehnjährigen Komponisten die Ehre zu, Karl

44

45

46 47 48

49

50

Ernst Ludwig Gerber, Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler, welches Nachrichten von dem Leben und den Werken musikalischer Schriftsteller, berühmter Komponisten, Sänger, Meister auf der Instrumenten, kunstvoller Dilettanten, Musikverleger, auch Orgel- und Instrumentenmacher älterer und netterer Zeit aus allen Nationen enthält, Zweiter Theil, Leipzig: KUhnel 1812 (Reprint: Graz: Akademische Druckund Verlagsanstalt 1966), Sp. 147-148; hier Sp. 148. Vgl. Jüdische Trauungen in Berlin 1759-1813. Mit Ergänzungen fur die Jahre von 1723 bis 1759, hrsg. Jacob Jacobson (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, 28), Berlin: de Gruyter 1968, S. 345-346 (Nr. 628). Vgl. ebd., S. 157 (Nr. 229). Freundliche Mitteilung von Klaus Hortschansky (Münster). Gerber, Neues historisch-biographisches Lexikon (wie Anm. 44), Vierter Theil, Leipzig: KUhnel 1814 (Reprint: Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1966), Sp. 553. Vgl. Jüdische Trauungen in Berlin (wie Anm. 45), S. 149 (Nr. 206 mit Anm.); Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin (wie Anm. 35), S. 65 (Nr. 77). Vgl. Moses Mendelssohn, Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes, Berlin: Voß 1785, in: JubA III/2 (1974), S. 1-175; hier S. 4 und 278 (Anmerkung des Herausgebers).

14

Anselm

Gerhard

Wilhelm Ramlers Trauerkantate auf den Tod des Philosophen mit dem programmatischen Titel Sulamith und Eusebia in Musik zu setzen. 51 Zwar reichte auch später Wesselys Ruhm kaum über die preußische Hauptstadt hinaus, 52 aber immerhin gehörte er zu den erfolgreichsten Berliner Komponisten der Jahre um 1800 und wirkte ab 1788 zusammen mit Johann Jakob Engel und Karl Wilhelm Ramler als Direktor des Königlichen Theaters, bevor er sich anscheinend mit Engel überwarf, der ihm verbittert »ungemäßigte[n] Stolz und [...] Widerwillen gegen Amtsarbeiten« vorhielt. 53 Mitte der 1790er Jahre gehörte er zum engsten Kreis um die Schriftsteller Wackenroder und Tieck 54 und besorgte dann auch die Übersetzung eines »englischen Moderomans«, die lange Zeit Tieck selbst zugeschrieben wurde. 55 1796 wurde Wessely von Prinz Heinrich von Preußen, dem jüngeren Bruder Friedrichs II., als Kapellmeister nach Rheinsberg berufen, aber auch diese Stellung behielt er nicht auf Dauer; nach dem Tod seines Dienstherren im Jahre 1802 mußte er vielmehr eine Anstellung in der Verwaltung übernehmen und arbeitete zunächst beim Berliner Magistrat und dann bei der Churmärkischen Kammer, der Bezirksregierung, mit der er von Berlin nach Potsdam wechselte. Obwohl er somit beruflich keine Beziehung mehr zur Musik hatte und in »subalterner Stellung« als Regierungssekretär sein Leben fristete, 56 engagierte er sich nach der Entlassung aus der feudalen Musikpflege umso mehr in der entstehenden bürgerlichen Musikkultur und leitete von 1814 bis zu seinem Tod im Jahr 1826 den von ihm gegründeten Verein für klassische Musik in Potsdam, der seit 51

52

53

54

55 56

Erhalten hat sich nur das Libretto, das als achtseitiger Einzeldruck mit dem Titel Sulamith und Eusebia. Eine Trauerkantate auf den Tod Moses Mendelssohns ohne Ort und ohne Jahr erschien (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: Lo 6266/16) und mit vielen »gelehrten« Fußnoten gespickt ist, in denen unter anderem auf Moses Mendelssohns Phädon verwiesen wird. Nachdrucke erschienen in: Berlinische Monatsschrift 7 (Januar-Juni 1786). S. 481-489, und in: Karl Wilhelm Ramler, Poetische Werke, Band II, Berlin: Sander 1800, S. 35-42. Vgl. aber [Johann Nikolaus Forkel], V. Litterarische Anzeigen und musikalische Nachrichten, theils aus Journalen, theils aus Briefen, in: [Forkel], Musikalischer Almanach für Deutschland auf das Jahr 1789, Leipzig: Schwickert [1788] (Reprint: Hildesheim/New York: Olms 1974), S. 108-145; hier S. 127. Vgl. den Brief Johann Jakob Engels an Karl Wilhelm Ramler vom 7. Dezember 1792, in: A[lbert] E[mil] Brachvogel, Geschichte des Königlichen Theaters zu Berlin. Nach Archivalien des König!. Geh. Staats-Archivs und des Königl. Theaters, Band II (Die Königl. Oper unter Freiherrn von der Reck und Das National-Theater bis zu Iffland. Ein Beitrag zur Geschichte Berlins und des deutschen Theaters. Nach Originalquellen), Berlin: Janke 1878, S. 312-313; zur gespannten atmosphärischen Situation am Theater vgl. auch den Brief Rahel Levins an David Veit vom 26. Januar 1795, in: Aus dem Nachlaß Varnhagen 's von Ense. Briefwechsel zwischen Rahel und David Veit, Erster Theil, Leipzig: Brockhaus 1861 (Reprint als Rahel-Bibliothek, Band VII: München: Matthes & Seitz 1983), S. 126-128. Vgl. etwa den Brief Wilhelm Heinrich Wackenroders an Ludwig Tieck vom 26. Juli 1795, in: Wilhelm Heinrich Wackenroder, Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. Silvio Vietta und Richard Littlejohns, Band II, Heidelberg: Winter 1991, S. 154. Vgl. ebd., S. 438 und 635. Vgl. Friedrich von Klöden, Jugenderinnerungen [1874], hrsg. von Karl Koetschau, Leipzig: Insel 1911, S. 423-427; hier S. 426.

15

Einleitung

s e i n e m e r s t e n g r o ß e n K o n z e r t a m K a r f r e i t a g 1815 bis ins a u s g e h e n d e 19. J a h r h u n d e r t alljährlich a m h ö c h s t e n p r o t e s t a n t i s c h e n Feiertag G r a u n s O r a t o r i u m Der Tod Jesu z u r A u f f u h r u n g brachte. 5 7 E s w ä r e v o n h ö c h s t e m Interesse, d i e K o m p o s i t i o n e n d i e s e s o f f e n b a r s e h r b e g a b t e n u n d a u c h schriftstellerisch tätigen 5 8 M u s i k e r s , der nicht n u r bei J o h a n n A b r a h a m Peter S c h u l z , s o n d e r n a n s c h e i n e n d a u c h bei J o h a n n P h i l i p p K i r n b e r g e r a u s g e b i l d e t w o r d e n war, 5 9 einer z u s a m m e n f a s s e n d e n U n t e r s u c h u n g z u u n t e r z i e h e n ; allein: v o n s e i n e m m u s i k a l i s c h e n W e r k hat sich m i t w e n i g e n A u s n a h m e n n i c h t s e r h a l t e n . A l s v e r s c h o l l e n gelten m u ß nicht n u r seine K a n t a t e a u f d e n T o d M e n d e l s s o h n s , d i e in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g b e s o n d e r s interessieren w ü r d e , s o n d e r n a u c h e i n e K a n t a t e mit d e m Titel Mozarts

Urne a u s d e m J a h r e

1791, 6 0 d e r z w e i t e A k t e i n e s n u r t e i l w e i s e e r h a l t e n e n S i n g s p i e l s Psyche

(1789) 6 1

s o w i e d i e S c h a u s p i e l m u s i k zu L u d w i g T i e c k s B e a r b e i t u n g v o n S h a k e s p e a r e s The Tempest

( 1 7 9 6 ) . 6 2 O b d a g e g e n seine h a n d s c h r i f t l i c h ü b e r l i e f e r t e K a n t a t e

auf den Tod seines Dienstherren Heinrich von Preußen mit deutlichen Anlehn u n g e n a n d e n Stil d e r f r a n z ö s i s c h e n O p e r in d e r N a c h f o l g e G l u c k s u n d P i c c i n nis 6 3 r e p r ä s e n t a t i v f ü r sein Œ u v r e ist, m u ß als z w e i f e l h a f t g e l t e n , w e n n m a n bedenkt, daß ihm von Zeitgenossen

s c h o n f ü r diese Zeit e i n H a n g

zum

» M ü ß i g g a n g « unterstellt w u r d e , d e r d a n n in d e n P o t s d a m e r J a h r e n d a r i n g e g i p -

57 58

59 60

61 62

63

Vgl. Vera Grützner, Potsdamer Musikgeschichte, Berlin: Arani 1993, S. 111-114. Dem Schriftenverzeichnis im nach wie vor einschlägigen Artikel von Dieter Hartwig, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, hrsg. Friedrich Blume, Band XIV, Kassel: Bärenreiter 1968, Sp. 506-507, wären neben den genannten Aufsätzen im Berlinischen Archiv der Zeit und ihres Geschmacks sowie in der Allgemeinen musikalischen Zeitung mindestens hinzuzufügen die mit »W.« gezeichneten Beiträge in: Studien fur Tonkünstler und Musikfreunde. Eine historisch-kritische Zeitschrift mit neun und dreißig Musikstücken von verschiedenen Meistern für das Jahr 1792, hrsg. Friedrich Ludwig] Ae[milius] Kunzen und J[ohann] Friedrich] Reichardt, Berlin: Neue Musikhandlung 1793 (Reprint: Hildesheim: Olms 1992), wo auf S. [II] unter den »Nahmen der Mitarbeiter dieser Werke« auch »Herr Musikdirektor Wessely in Berlin« genannt, und im Ersten Theil (Musikalisches Wochenblatt) mehrere Auffilhrungsberichte (Nachrichten von musikalischen Schauspielen, S. 5-6; Nationaltheater in Berlin, S. 1819, 30-31, 37-38 und 54) sowie eine kleine Abhandlung Über den Gebrauch der Blasinstrumente für angehende Komponisten (S. 78-79) und im Zweiten Theil (Musikalische Monathsschrift) eine Rezension von Mozarts Cosi fan tutte (S. 137) mit dem Sigei »W.« gezeichnet sind; vgl. auch Hartmut Grimm, Berlin auf dem Wege zu Mozart und Haydn. Der Paradigmenwechsel in der ästhetischen Reflexion der Wiener Klassik zwischen 1791 und 1806, in: Beiträge zur Musikwissenschaft 33 (1991), S. 126-134; hier S. 126 und 133, Anm. 1. Vgl. Klöden, Jugenderinnerungen (wie Anm. 55), S. 425. Vgl. jedoch die Besprechung in: C[arl] S[pazier], 4. Öffentliche Musik in Berlin, in: Studien für Tonkünstler und Musikfreunde (wie Anm. 57), Erster Theil (Musikalisches Wochenblatt), S. 190-191; hier S. 191. Vgl. Bauman, North German opera (wie Anm. 43), S. 229-230 und 401. Vgl. Richard Littlejohns, Der Briefwechsel [Erläuterungen], in: Wackenroder, Sämtliche Werke und Briefe, Band II (wie Anm. 54), S. 453-548; hier S. 548. Vgl. das Autograph mit dem Titel Trauercantate auf den Tod des Prinzen Heinrich von Preußen, verfertigt und in Musik gesetzt von Wessely, Kapellmeister des Hochseeligen Prinzen, in Dresden, Sächsische Landesbibliothek: Mus 4174-D-l (144 S.); vgl, auch das Libretto mit identischem Titel, Berlin: Rellstab [1802],

16

Anselm

Gerhard

felt haben soll, daß er »überaus bequem« war und »ungern arbeitete«64 - eine nicht überprüfbare Einschätzung in einem ansonsten sehr freundlichen Bericht, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit aus dem Umstand gewinnen mag, daß Wessely nach 1802 weder komponierte noch musikjournalistisch tätig war.

Musik als Vehikel der >Emanzipation