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German Pages 329 [330] Year 2021
Katrin Dennerlein Materialien und Medien der Komödiengeschichte
Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur
Herausgegeben von Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Walter Erhart, Gangolf Hübinger, Barbara Picht und Meike Werner
Band 152
Katrin Dennerlein
Materialien und Medien der Komödiengeschichte
Zur Praxeologie der Werkzirkulation zwischen Hamburg und Wien von 1678–1806
Zugleich Habilitationsschrift Julius-Maximilians Universität Würzburg 2018.
ISBN 978-3-11-069118-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-069119-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-069120-7 ISSN 0174-4410 Library of Congress Control Number: 2021945470 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Cover: Bilderbogen zu Figaros Hochzeit (Kupferstiche) Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Signatur: Theatersammlung. Bilder: G 52 Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Danksagung Das vorliegende Buch ist die im konzeptionellen Bereich präzisierte Fassung meiner schriftlichen Habilitationsleistung, die am 28. November 2018 von der Philosophischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität angenommen wurde. Es hätte nicht entstehen können ohne die Frauenförderung der Universität Würzburg, die eine Freistellung von der Lehre für zwei Jahre ermöglicht hat und vor allem nicht ohne die Anregungen aus dem Oberseminar von und Gespräche mit Fotis Jannidis, der die Arbeit auch betreut hat. Bernhard Jahn und Wolfgang Riedel danke ich für Ihre Beratung und Begutachtung der Arbeit und zahlreiche Hinweise zu meinem Forschungsgegenstand. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Norma Jeising für ihre Unterstützung bei der Recherche und der Literaturbesorgung, die nur aufgrund ihrer fundierten Kenntnisse in Literatur- und Musikwissenschaft und Handschriftenkunde möglich war. Bezahlt werden konnte ihre Hilfskrafttätigkeit aus Mitteln, die mir im Rahmen meiner Mitgliedschaft im Jungen Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 2011–2018 zur Verfügung standen. Diese Förderung sowie die Anregungen durch den interdisziplinären Austausch im Kolleg und in der Akademie haben viel zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Ich danke meinen Eltern für die Unterstützung in der Abschlussphase, Christine Knoop für Besprechungen des Konzepts und durchgängige Ermunterung, Andreas Niedermeier und Norma Jeising für die Unterstützung beim Lektorat und bei der Drucklegung dieses Buchs.
https://doi.org/10.1515/9783110691191-202
Inhalt 1
Einleitung | 1
2 2.1 2.2 2.3 2.4
Konzeptionelle Grundlagen | 25 Zirkulation von Werken, Fassungen und sujets | 25 Vergleich von Materialien und Medien | 29 Praxeologische Gattungsgeschichtsschreibung | 36 Komik in der Komödie | 41
3
Beispielanalysen zu Komödien, die sowohl in Hamburg als auch in Wien aufgeführt werden | 57 Wiener Festoper – Hamburger Singspiel – Wanderbühnenstück – Parodie und Lokaloper. Minato/Leopold I.: Creso/Cresus (W 1678) – Bostel/Keiser: Der gestürtzte und Wieder-Erhobene Crœsus (H 1684–1730) – Der stumme Printz Atis (H 1723) – Praetorius/Keiser: Buchhöfer der stumme Printz Atis (H 1726) | 57 Reformkomödie im Hanswurststreit – Singspiel mit Kasperl – Singspielposse. Hafner: Der von dreyen Schwiegersöhnen geplagte Odoardo, oder Hannswurst und Crispin die lächerlichen Schwestern von Prag (W 1762) – Perinet/Müller: Die Schwestern von Prag (W 1794/H 1799) | 105 ‚Wahre‘ Komödie oder Rührendes Lustspiel als passende Form für eine nationale Komödie? Lessing: Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück (H 1767) – Lessing/Weiskern: Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück (W 1767) | 166 Skandalstück, opera buffa, bürgerliche Ehekomödie. Schröder: Figaro’s Heirath (H 1787) – Da Ponte/Mozart: Le Nozze di Figaro (W 1786) – Jünger: Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro (W 1802) | 231
3.1
3.2
3.3
3.4
4
Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick | 271
Bibliographie | 281 Register | 315
1 Einleitung Das Genre der Literaturgeschichtsschreibung steckt seit einiger Zeit in einer Krise. Seit den 1970er Jahren lässt sich beobachten, wie nach und nach viele Selbstverständlichkeiten im Umgang mit literarischen Texten und ihrer Geschichte wegbrechen. Die Konzentration auf einen Kanon, dessen Genese kaum reflektiert wurde, ist durch recht verschiedene Herangehensweisen ersetzt worden. Einige Literaturwissenschaftler*innen bleiben schon aus pragmatischen Gründen beim Kanon, andere beziehen auch nicht-kanonisierte Literatur in ihre Überlegungen mit ein, während noch andere den Literaturbegriff so weit fassen, dass auch Texte der Populär- und Trivialliteratur einbegriffen sind. Für diejenigen, die alle Arten von kulturellen Erzeugnissen zum Untersuchungsgegenstand der Literaturwissenschaft erklären, sind solche Diskussionen sogar gänzlich altmodisch und uninteressant. Aber nicht nur der Gegenstandsbereich der Literaturgeschichte ist in eine Krise geraten, sondern auch die narrative Verknüpfung der literarischen Texte untereinander ist durch eine Skepsis gegenüber den ‚großen Erzählungen‘ in Frage gestellt worden.1 Da zudem alles Gegebene (Fakten, Ereignisse, literarische Texte) sowie alle Verknüpfungen unter Konstruktionsverdacht stehen, scheint der Verzicht auf umfassendere Zusammenhangskonzepte in Literaturgeschichten das beste Rezept, um nicht naiv zu wirken.2 In der von Wellbery hauptverantwortlich herausgegebenen Literaturgeschichte, A New History of German Literature (2005), werden etwa ganz bewusst die vielen kleinen Geschichten nicht zu einer großen integriert.3 Die fast 200 Essays zur deutschen Literatur von 744 bis 2001 tragen Titel, die sich aus einer Kombination von Datum und Schlagzeile zusammensetzen und erst beim
|| 1 Die Formulierung vom ‚Ende der großen Erzählungen‘ prägte der französische Philosoph Jean-François Lyotard in seinem Buch Das postmoderne Wissen (vgl. Lyotard [1979], La Condition postmoderne). Gemeint sind keine literarischen Erzählformen, sondern der Verlust von großen sinnstiftenden Erzählungen einer Gesellschaft. Damit sind Narrative von Fortschritt und Modernisierung, vom Glauben an die Rationalisierung durch Aufklärung, von unbegrenztem Wachstum oder von der Kompetenz der Demokratie soziale Spaltungen zu überwinden gemeint. Weder die Politik noch die Philosophie können, so Lyotard, noch einen verlässlichen Rahmen der Rationalität vorgeben. 2 Vgl. zum Beispiel die Reflexion der Entwicklung seit Perkins’ vieldiskutiertem geschichtswissenschaftlichem Text Is Literary History Possible? (1993) im Sammelband von Buschmann, Erhart und Kauffmann (Perkins [1993], Is Literary History Possible?; Buschmeier/Erhart/Kauffmann [2014], Literaturgeschichte). 3 Wellbery (2004), A New History of German Literature; Blaschke (2018), Auch in der Literatur Exportweltmeister? https://doi.org/10.1515/9783110691191-001
2 | Einleitung
Lesen erschließt sich, welcher literarische Text im Zentrum eines Essays steht. In Richters Weltgeschichte der deutschsprachigen Literatur (2017) wird dann der Rahmen so weit gesteckt, dass eine narrative Verknüpfung der literarischen Texte untereinander nicht mehr nötig ist. Richter nimmt wechselnde Facetten des Weltkonzepts zur Grundlage der Darstellung, so dass ‚Welt‘ als Distributions- und Rezeptionsgebiet von Texten und Diskursen, als Raum der Migration von Autor*innen sowie als Ausdehnung fiktionaler Welten verwendet wird.4 Die neuen Darstellungskonzepte führen sowohl bei Wellbery als auch bei Richter dazu, dass inhaltlich mehr Heterogenität zugelassen werden kann, so dass nicht nur ein einziger theoretischer Ansatz, ein Thema oder eine (Entwicklungs)These verfolgt werden. Zugleich ist allerdings in beiden Literaturgeschichten die Werkauswahl kanonisch, mit der Folge, dass eine Integration des NichtKanonischen weiterhin ein Desiderat bleibt. Während demnach die in der Forschungspraxis zu beobachtende Entgrenzung des Gegenstandsbereichs neue, komplexere Integrationsmuster der Literaturgeschichtsschreibung verlangte, sind die etablierten Muster der Darstellung von Literaturgeschichte diskreditiert und noch nicht durch neue Zusammenhangskonzepte ersetzt worden. Dadurch wird die Luft für eine Literaturgeschichte, die den Anspruch hat, nicht nur das Aufeinanderfolgen, sondern auch das Auseinanderfolgen von Werken zu beschreiben und zu erklären, sehr dünn. Dieser Mangel an Modellen für die Literaturgeschichtsschreibung größerer Zeiträume ist wohl auch der Grund dafür, dass eine neue Geschichte der Komödie im deutschsprachigen Gebiet des 17., 18. und frühen 19. Jahrhunderts bis dato nicht in Angriff genommen wurde, obwohl die Notwendigkeit einer Revision der bisherigen Darstellungen dieser Gattung durch Bibliographien und Einzelstudien der letzten Jahre und Jahrzehnte deutlich als Desiderat hervortritt. Insbesondere im Anschluss an Meyers bibliographisches Großprojekt Bibliographia dramatica et dramaticorum. Kommentierte Bibliographie der im ehemaligen deutschen Reichsgebiet gedruckten und gespielten Dramen des 18. Jahrhunderts nebst deren Bearbeitungen und Übersetzungen und ihrer Rezeption bis in die Gegenwart wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass nur ein Bruchteil der gedruckten und insbesondere der aufgeführten Werke des 18. Jahrhunderts in den Literaturgeschichten der Komödie dieses Zeitraums behandelt wird.5 Mit Meyer kann
|| 4 Richter (2017), Eine Weltgeschichte der deutschsprachigen Literatur. Vgl. auch Blaschke (2018), Auch in der Literatur Exportweltmeister? 5 Vgl. Meyer (1986 ff.), Bibliographia dramatica. Der letzte bisher erschienene Band ist der 34. für die Jahre 1796/97. Bände zu den folgenden Jahren und die Registerbände fehlen und werden voraussichtlich auch nicht mehr erscheinen. Krämer (1998a), Musiktheater; Krämer
Einleitung | 3
man die Zahl der Komödien auf 7.000 schätzen, in Darstellungen zur Komödie des 18. Jahrhunderts werden hingegen zumeist nicht mehr als zwanzig Titel behandelt.6 Ausnahmen stellen lediglich die Arbeiten von Hinck und Lukas dar, die hundert beziehungsweise siebzig Titel berücksichtigen.7 Seit dem Erscheinen der ersten Bände von Meyers Bibliographie sind zudem zahlreiche Repertorien und Datenbanken entstanden, die Meyers chronologische Bände um Zugriffe auf einzelne Theaterspielpläne, Gattungen, Themen, Orte et cetera ergänzen. Zu nennen sind hier Kataloge, Datenbanken und Findbücher, die Handschriften, Drucke, Aufführungsnachweise, Theaterzettel und Theaterschrifttum verzeichnen.8 Darüber hinaus wurden Komödien auch durch Lexika,9 Editionen10
|| (1998b), Rezension; Hollmer/Meier (2001), Dramenlexikon, S. 5; Lukas (2005), Anthropologie, S. 11. 6 Vgl. Meyer (1977), Der Anteil des Trauerspiels, S. 19; Prang (1968), Geschichte des Lustspiels; Steinmetz (1966a), Die Komödie der Aufklärung; Schulz (2007), Einführung in die deutsche Komödie. 7 Vgl. Hinck (1965), Das deutsche Lustspiel; Lukas (2005), Anthropologie. 8 Vgl. zum Beispiel das zentrale Verzeichnis für Musiknoten Répertoire International des Sources Musicales (RISM), http://www.rism.info (zuletzt aufgerufen am 27.07.2021); Sartori (1990–1994), I Libretti Italiani; Schröter (2010), Der historische Notenbestand des Deutschen Nationaltheaters Weimar; Datenbank: Die Oper in Italien und Deutschland zwischen 1770 und 1830, https://www.operndb.uni-mainz.de (zuletzt aufgerufen am 27.07.2021); Bender/Bushuven/Huesmann (1994–2005), Theaterperiodika des 18. Jahrhunderts; Ulrichs Reihe Topographie und Repertoire des Theaters, die seit 2018 bei Hollitzer in Wien erscheint: Ulrich (2018), Wiener Theater (1752–1918); Ulrich (2019), Theater in Tschechien (1777–1918); Ulrich (2019), Theater in Südosteuropa (1773–1918); Ulrich (2019), Theater in Polen (1777–1918); Ulrich (2019), Deutschsprachiges Theater in Berlin (1775–1918); Ulrich (2019), Deutschsprachiges Theater in Nordeuropa (1775–1918); Ulrich (2020), Spielpläne in deutschsprachigen Theater-Almanachen und -Journalen (1763–1918); Ulrich (2020), Bibliographie der Theateralmanache und -journale; Hamburger Stadttheater 1770–1850: Digitaler Spielplan (DBBB), https://www.stadttheater.unihamburg.de (zuletzt aufgerufen am 27.07.2021), die Datenbank zum Weimarer Hoftheater von 1754–1918, http://www.theaterzettel-weimar.de/ (zuletzt aufgerufen am 27.07.2021) und die Datenbank zum Berliner Nationaltheater, http://berlinerklassik.bbaw.de/BK (zuletzt aufgerufen am 27.07.2021); Datenbank „Düsseldorfer Theaterzettel“, http://digital.ub.uniduesseldorf.de/theaterzettel (zuletzt aufgerufen am 27.07.2021). Beiträge zu zahlreichen Projekten der digitalen Erschließung von Theaterzetteln enthält Pernerstorfer (2012–2015), Theater– Zettel–Sammlungen. Vgl. für eine Aufzählung zumeist älterer Publikationen, die Spielpläne einzelner Truppen und Theater in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verzeichnen, Urchueguía (2015), Allerliebste Ungeheuer, S. 162 Fn. 309. 9 Vgl. zum Beispiel Hollmer/Meier (2001), Dramenlexikon; Birgfeld/Bohnengel/Košenina (2011), Kotzebues Dramen; Loster-Schneider/Pailer (2006), Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik.
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und Monographien zu einzelnen Theatern,11 Autoren12 und Genres13 erschlossen und durch die Digitalisierung von Katalogdaten, Drucken und Handschriften zahlreicher Bibliotheks- und Archivbestände ist es nun auch möglich Material in bisher nicht dagewesenem Umfang zu recherchieren und direkt zu lesen. Deutlich wird dabei, dass Komödien, verstanden als Dramen mit gutem Ausgang und komischen Elementen in der Haupthandlung, im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert die zahlenmäßig stärkste literarische Gattung im deutschsprachigen Gebiet sind.14 Für das 17. Jahrhundert kann man von einem „Siegeszug der Komödie“15 über ernste Dramengattungen sprechen und auch im 18. Jahrhundert zeigt sich eine quantitative Dominanz von Komödien über Trauerspiele – wenn man zur besseren Veranschaulichung der Verhältnisse die existierende Gattungsvielfalt einmal nur auf diese Dichotomie reduziert. Dennoch stehen lange Zeit vorwiegend Trauerspiele im Zentrum des Forschungsinteresses der germanistischen Literaturwissenschaft, während die Komödien kaum beforscht sind. Erstmals in größerem Umfang literaturhistoriographisch erschlossen wird die deutschsprachige Komödie in den 1760er Jahren.16 Seit etwa zwei Jahrzehnten lässt sich nun eine zweite, kleine Konjunktur der Komödienforschung beobachten. Dabei ist in all jenen Studien, die komödiengeschichtliche Zusammenhänge über einen längeren Zeitraum hinweg darstellen, eine Konzentration auf den im folgenden beschriebenen Kanon festzustellen. || 10 Vgl. zum Beispiel Brauneck/Noe (1970–2007), Spieltexte der Wanderbühne; BrandnerKapfer (2007), Johann Joseph Felix von Kurz; Hulfeld (2014), Scenari più scelti d’istrioni oder die Edition von Aufführungsmaterialien in der Reihe Theatertexte im Wehrhahn Verlag. 11 Paul (2002), Reichsstadt und Schauspiel; Meixner (2008), Musiktheater in Regensburg; Brandner-Kapfer/Großauer-Zöbinger/Müller-Kampel (2010), Kasperl-La Roche. 12 Vgl. Mansky (2013), Cornelius von Ayrenhoff; Hafner (2001), Komödien; Hafner (2007), Burlesken und Prosa. 13 Vgl. insbesondere Krämer (1998a), Deutschsprachiges Musiktheater; Hartmann (2017), Grundlegung einer Librettologie und Urchueguía (2015), Allerliebste Ungeheuer. 14 Für die hier verwendete Komödiendefinition vgl. Kap. 2.3. 15 Brenner (1999), Das Drama, S. 562. Auch die Aussage von Maurer-Schmoock über die von ihr ausgewerteten Repertoires ist eindeutig: „Die Frage des Verhältnisses von Tragödie und Komödie kann für alle Truppen, für alle Theater, übereinstimmend beantwortet werden: die Präferenz des Publikums aller Schichten lag beim Lustspiel.“ (Maurer-Schmoock [1982], Deutsches Theater im 18. Jahrhundert, S. 132) Urchueguía hat jüngst empirisch belegt, dass das komische Singspiel die beliebteste Gattung auf den deutschsprachigen Bühnen von 1760 bis 1790 ist (vgl. Urchueguía [2015], Allerliebste Ungeheuer, S. 267). 16 Hinck (1965), Das deutsche Lustspiel; Prang (1968), Geschichte des Lustspiels; Steinmetz (1966a), Die Komödie der Aufklärung; Catholy (1969), Das deutsche Lustspiel; Arntzen (1968), Die ernste Komödie. Bereits Martini konstatiert diese erste Konjunktur und schließt an sie an (vgl. Martini [1974a], Lustspiele, S. 259 Fn. 1).
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Für die Zeit bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts behandelt man an deutschsprachigen Komödien lediglich vereinzelte Singspiele, Wanderbühnenstücke im Anschluss an die Englischen Komödianten und deutschsprachige Adaptionen der Commedia dell’arte.17 Für den Zeitraum von 1650 bis 1730 orientiert man sich bei der Werkauswahl letztlich noch immer an der ersten Geschichte der deutschsprachigen Komödie, Johann Christoph Gottscheds wertender Verknüpfung einiger deutschsprachiger Komödien im Rahmen der Critischen Dichtkunst. Gottsched berücksichtigt hier ausschließlich original deutschsprachige Sprechtheaterstücke mit wahrscheinlicher Handlung und erzieherischem Nutzen. Im Anschluss an die Verurteilung von Komödien im Stile des Hans Sachs springt er direkt zu den Komödien von Andreas Gryphius und Christian Weise, um dann die nachfolgenden 30 bis 40 Jahre mit einigen wenigen, abwertenden Sätzen zusammenzufassen: Andreas Gryphius hat es ohne Zweifel in Comödien bei uns am weitesten gebracht. Seine Säug-Amme, sein Horribilicribrifax und Peter Squentz sind sehr wohl gerathen, und stellen solche lächerliche [sic!] Thorheiten vor, die dem Zuschauer viel Vergnügen und Nutzen schaffen können. Christian Weise hat ihm nachfolgen wollen; und kein übel Talent dazu gehabt: Allein, wie ihm überhaupt die Regeln der alten Redekunst und Poesie unbekannt gewesen; so ist er auch bey seinem selbstgewachsenen Witze geblieben, und hat lauter unrichtige Stücke gemacht […] Was sonst von deutschen Comödianten gespielet wird, ist gemeiniglich aus Italiänern und Franzosen übersetzt; aus einem Roman zusammen gestümpelt; oder aus der Ollapatrida entlehnet. Daher ist es kein Wunder, daß man noch nichts gescheidtes vorstellen sieht, dafern es nicht irgend aus Molieren entlehnt, oder ganz übersetzet worden.18
Sehr deutlich wird hier, dass Gottsched nur diejenigen Komödien gelten lässt, die sich an der Regeldramaturgie des französischen Klassizismus orientieren, und denen aufgrund ihrer kritischen Darstellung von moralisch fehlerhaftem Verhalten auch ein aufklärerischer Nutzen zugeschrieben werden kann. Was an solchen Werken zwischen Gryphius und dem Erscheinen seiner Critischen Dichtkunst entstanden ist, hat er aus seiner Perspektive hinlänglich behandelt, so dass er direkt mit seiner Definition der Komödie anschließen kann. Er fasst diese als Nachahmung einer lasterhaften und zugleich lächerlichen Handlung, „die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zu-
|| 17 Vgl. zum Beispiel Catholy (1969), Das deutsche Lustspiel, S. 113–147. 18 Gottsched (1730), Critische Dichtkunst, Kap. 11, § 12, S. 593 f. Vgl. zu einer vergleichenden Analyse der Fassungen des Komödienkapitels in den verschiedenen Auflagen Kraft (2019), Das Lustspiel als Ideal ohne Muster. Der Begriff ‚unrichtig‘ ist hier im Sinne von ‚unregelmäßig‘, das heißt nicht der Regeldramaturgie des französischen Klassizismus folgend, zu verstehen.
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gleich erbauen kann“.19 Die Komödiengeschichten des 20. Jahrhunderts von Holl, Steinmetz, Catholy, Greiner und Schulz behandeln für den Zeitraum von 1650 bis 1730 eine nicht wesentlich erweiterte Auswahl, die maximal die folgenden Autoren umfasst: Andreas Gryphius, Christian Weise, Christian Reuter, Christian Friedrich Henrici, Johann Ulrich König und, selten, Kaspar Stieler.20 Dieser Zeitraum erscheint mit einigen wenigen Werken regelrecht als Latenzzeit der deutschsprachigen Komödie. Teilweise wird er sogar gänzlich und kommentarlos übersprungen. Bartl etwa, die ihre Geschichte der deutschsprachigen Komödie als Geschichte der „Metamorphosen des Harlekin“ anlegt, springt von Gryphius zu Gottsched, ohne die dazwischenliegenden Werke und die zentrale Rolle der komischen Figur(en) in diesem Zeitraum zu erwähnen oder zu charakterisieren.21 Meid gliedert seine herausragende literaturgeschichtliche Darstellung des Dramas vom Späthumanismus bis zur Frühaufklärung (1570–1740) in Kapitel zu Wanderbühnenstücken, Ordensdramen, Schuldramen, Lehrstücken für Schule und Hof, Schäferspielen, Trauerspielen, Komödien, Oratorien, Opern und Festspielen und zeigt eindrucksvoll die Erschließungskraft einer gattungsbezogenen Sicht auf die Dramengeschichte dieses Zeitraums.22 Im Komödienkapitel berücksichtigt er jedoch nur die übliche Auswahl (Gryphius, Stieler, Weise, Reuter, Henrici und König) und geht ansonsten nur im Wanderbühnenkapitel auf Komödien ein, indem er knapp die komischen Figuren und Charakteristika der Commedia dell’arte referiert.23 Im Rahmen seiner umfangreichen Würdigung der Hamburger Gänsemarktoper um 1700 erwähnt er keine einzige Komödie.24 Zuweilen wird jedoch auch summarisch darauf verwiesen, was es an weiterer komischer, dramatischer Produktion im deutschsprachigen Raum gibt. Bereits Steinmetz erwähnt zum Beispiel die Dramen der Wanderbühnen, die komischen Nachspiele und die Bearbeitungen italienischer und französischer Komödien in diesem Zeitraum und gibt sowohl Repertorien als auch Neueditio-
|| 19 A. a. O., S. 594. Kaminski zeigt im Übrigen, dass nicht alle Komödien, die in der Deutschen Schaubühne enthalten sind, diesen Vorgaben folgen (vgl. Kaminski [2015], Nichts zu lachen?). 20 Greiner (2006), Die Komödie, S. 130–186. Ganz in dieser Linie auch Mannack (1985), Lustspiele. Catholy behandelt zudem die Werke von Holonius (vgl. Catholy [1969], Das deutsche Lustspiel). 21 Vgl. Bartl (2009), Die deutsche Komödie, S. 54–59. Vgl. für diese Vorgehensweise auch bereits Holl (1923), Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 117 ff.; Aikin-Sneath (1936), Comedy in Germany, S. 7–12; Catholy (1969), Das deutsche Lustspiel; Catholy (1982), Das deutsche Lustspiel, S. 7–11; Schulz (2007), Einführung, S. 55–64. 22 Vgl. Meid (2009), Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. 23 Vgl. a. a. O., S. 440. 24 Vgl. a. a. O., S. 490–497.
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nen an.25 Ausführlicher behandelt wird der Zeitraum einzig bei Hinck, der nach Einflüssen der Commedia dell’arte auf die deutschsprachige Komödie fragt und deshalb für die Zeit von 1650 bis 1730 auch auf die Komödien der Wanderbühne und des Musiktheaters eingeht. Darüber hinaus kann er aus diesem Blickwinkel auch die neulateinische Komödie Turbo des Andreae und höfische Lustspiele Stielers in das Korpus der von ihm analysierten Werke aufnehmen.26 Bezüglich der Komödienproduktion im 18. Jahrhundert hat man in den letzten 50 Jahren an das Korpus von Werken der sächsischen Typenkomödie, des Rührenden Lustspiels und der Komödien Schlegels, Krügers, Weißes und Lessings angeschlossen, an dem Steinmetz 1966 erstmals im Zusammenhang die Idee der moralischen Erziehung durch die Komödie in der Aufklärung gezeigt hat.27 Lukas’ aufschlussreiche Analysen von Konfliktstrukturen in aufklärerischen Dramen verstehen sich beispielsweise explizit als „Studien zum Moraldiskurs im deutschsprachigen Drama der Aufklärung“, wie im Untertitel bereits verdeutlicht wird.28 Er untersucht diesen Diskurs dramengattungsübergreifend und behandelt fast 100 aufklärerische Komödien. Darunter sind auch einige wenige Werke von Wiener Autoren, die dort uraufgeführt werden, so dass die Konzentration auf den nord- und mitteldeutschen Raum, die andernorts oftmals unhinterfragt von Gottsched und Steinmetz übernommen wird, stellenweise durchbrochen wird. Kindt, der jüngst eine begriffliche Untersuchung zu Komik in der Literatur vorgelegt hat, arbeitet in seinen Beispielanalysen zu Komödien von der Aufklärung bis zur Romantik im Detail heraus, wie die Vermittlung von Komik und Moral in Theorie und Praxis jeweils konzipiert und komödienprak-
|| 25 Vgl. Steinmetz (1966a), Die Komödie der Aufklärung, S. 5–10. Er verwendet zur Kennzeichnung der Werke der Wanderbühnen den Begriff der ‚Haupt- und Staatsaktion‘. Kotte hat erst jüngst nachgewiesen, dass dieser sich allerdings erstmalig 1738 auf einem Theaterzettel findet und auch danach nur sehr vereinzelt als Bezeichnung für ein Dramengenre verwendet wird. Er ist der Meinung, dass es sich nur um einen diskursiven Kampfbegriff handelt, der dazu verwendet wird, die Werke der Wanderbühne zusammenfassend zu charakterisieren und abzuwerten (vgl. Kotte [2013], Theatergeschichte, S. 288–291). Zur Beantwortung dieser Frage wäre weitere Forschung nötig. In der vorliegenden Studie ist jedenfalls ein Theaterzettel von 1727 nachgewiesen, auf dem sich die Gattungsbezeichnung bereits findet (vgl. Kap. 3.1, Fn. 81). Die Geschichte der Beschreibung und die Editionsgeschichte der Gattung „Haupt- und Staatsaktion“ von Gottsched und Löwen über Heine, Flemming und Alewyn mit all ihren Einseitigkeiten und Vorurteilen stellt auch schon Müller dar (vgl. Müller [1990], Die Haupt- und Staatsaktion, S. 10 ff.). 26 Hinck (1965), Das deutsche Lustspiel, S. 65–141. 27 Vgl. Steinmetz (1966a), Die Komödie. 28 Lukas (2005), Anthropologie und Theodizee.
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tisch umgesetzt wird und behandelt neben Lessing und Lenz auch Kotzebue.29 Auch Weiss-Schletterer, die es sich explizit zum Ziel setzt, im aufklärerischen Komödiendiskurs die Abwertung des Lachens, des Körpers und damit die Ausblendung weiter Teile der Theaterproduktion sichtbar zu machen, bleibt in ihren Analysen dem engen aufklärerischen Kanon verpflichtet, wenn sie sich auf Werke des Gottsched-Kreises, Rührende Lustspiele und Lessings Minna von Barnhelm konzentriert. Hinck rekonstruiert die Einflüsse der Commedia dell’arte im 18. Jahrhundert ebenfalls nur für den üblichen aufklärerischen Sprechtheaterkanon ergänzt um Möser, Lenz und Goethe. Die letzte, 2007 erschienene Gattungsgeschichte der deutschsprachigen Komödie von Schulz schließt sich hier an. Eine Art Gegenstück zu dieser Geschichte der Komödie im deutschsprachigen Raum hat Münz 1979 mit seiner Studie Das „andere“ Theater. Studien über ein deutschsprachiges teatro dell’arte der Lessingzeit vorgelegt.30 Ausgehend von Marx’ theatertheoretischen Überlegungen sucht er nach denjenigen Theaterformen, die im Diskurs um ein an Vernunft, Moral und Illusion ausgerichtetes, original deutschsprachiges Theater in der Lessingzeit ausgeblendet wurden. Er behandelt Nicolinis Kinderpantomimen, die Zauber- und Maschinenkomödien des Wieners Joseph Felix von Kurz, den Einfluss der Sammlung von Gherardis Théâtre Italien und der Werke Marivaux’ und die Debatte um eine genuin deutsche komische Figur in den 1760er Jahren. Münz weist auf den ausgeprägten Kunstcharakter breitenwirksamer Theaterformen und -konzepte hin und kann dabei auch die Adaption ausländischer Theaterformen angemessen würdigen. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf den Inszenierungen und dem Nachweis der Wirkung von Pantomime, Ballett, Ausstattungstheater, Effekttheater und Maskenspiel und nicht auf Textanalysen. Dadurch ist die Darstellung vorwiegend in der Theaterwissenschaft rezipiert worden und ihre Ergebnisse wurden bisher nicht in Literaturgeschichten der deutschsprachigen Komödie integriert. Ebenso wie die Arbeit von Hinck liefert sie jedoch wichtige Hinweise auf Werke und Genres, die in der Zeit einflussreich waren, jedoch in die an aufklärerischen Ideen orientierten Darstellungen keinen Eingang gefunden haben. Aus der Kombination der Forschungsergebnisse und Erschließungsprojekte der letzten Jahrzehnte und der Selektivität der Darstellung in den Literaturgeschichten ergeben sich die folgenden Desiderate für eine Geschichte der deutschsprachigen Komödie im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert: 1. Der Mangel an deutschsprachigen Komödien für den Zeitraum von ca. 1650 bis 1730, den alle größeren, literaturgeschichtlichen Darstel-
|| 29 Vgl. Kindt (2011), Literatur und Komik, S. 159–242. 30 Münz (1979), Das andere Theater.
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lungen zur Komödie suggerieren, ergibt sich ausschließlich aus der gewählten Perspektive auf genuin deutschsprachiges, gedrucktes Sprechtheater. Tatsächlich ist zum einen eine rege Übersetzungs- und Adaptionspraxis sowie eine stetige Zunahme an deutschsprachigen Aufführungen in diesem Zeitraum zu verzeichnen.31 Das hat auch damit zu tun, dass man an die zweite Welle englischer Wanderbühnentruppen, die nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ins Reich kommen, nun rasch mit der Gründung eigener Truppen anschließt.32 Dadurch entsteht erstmals deutschsprachiges, professionelles Theater.33 Zudem floriert mit dem katholischen und protestantischen Schultheater das Laientheater im Reich. Zum anderen beginnt man in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erstmals in nennenswertem Umfang Musiktheater in deutscher Sprache aufzuführen.34 Zentren des Musiktheaters sind nicht nur die Höfe, sondern zum Beispiel auch die weithin ausstrahlende, privat finanzierte Hamburger Gänsemarktoper, für die man 60 Jahre lang kontinuierlich Opern schreibt, adaptiert und fast ausschließlich auf Deutsch aufführt. In diesem Zeitraum, wie insgesamt bis 1806, ist Musiktheater stärker vertreten als Sprechtheater.35 Die Komödien des Musiktheaters wären folglich dringend in eine Geschichte der Komödie zu integrieren.36 || 31 Vgl. zum Beispiel Brauneck/Noe (1970–2007), Spieltexte der Wanderbühne; Marx/Schröder (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper, S. 469-507; Jahn (2005), Die Sinne und die Oper. 32 Vgl. Haekel (2004), Die Englischen Komödianten, S. 18. 33 In einer ersten Phase kommen von 1592 bis 1650 englische Wandertruppen nach Deutschland (vgl. hier und im Folgenden Brauneck/Noe [1970–2007], Spieltexte der Wanderbühne, Bd. 6, S. XVI). Das Repertoire ist fast ausschließlich englisch. Es dominiert die Figur des Pikelhäring. In einer zweiten Phase, die, je nach Gebiet, zwischen 1650 und 1670 beginnt, werden eigene deutsche Truppen gegründet, die auch auf Deutsch spielen. Sie adaptieren französische, niederländische und spanische Werke und integrieren deren Spaßmacherfiguren. Erst in der dritten Phase, die in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts beginnt, dominiert dann Hanswurst als Spaßmacherfigur. Eine Hochphase erreicht die Wanderbühne mit den Truppen von Velten und Neuber von ca. 1680 bis 1730. 34 Zur Definition des Musiktheaterbegriffs vgl. Kap. 2.1 der vorliegenden Arbeit. 35 Exemplarisch seien nur zwei Studien genannt, die diesen Umstand belegen und zahlreiche Verweise auf weitere Forschung enthalten: Jahn (1996), Das Libretto als literarische Leitgattung und Urchueguía (2015), Allerliebste Ungeheuer. Für die grundlegende Rolle von Musik für das Sprechtheater bis ca. 1700 vgl. Scheitler (2013–2015), Schauspielmusik. 36 Aufgrund von Fachgrenzen wurde dies bisher nicht getan. Die Ausschlussmechanismen, die hier greifen, beschreiben zum Beispiel Jahn (2005), Die Sinne und die Oper, S. 1–7 und Krämer (1998), Deutschsprachiges Musiktheater, Bd. 1, S. 34–55 sowie Krämer (2019), Musiktheater als Herausforderung.
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Werke, die für die Entwicklung der deutschsprachigen Komödie von Bedeutung sind, werden mitnichten ausschließlich im nord- und mitteldeutschen Raum produziert und die dort geschriebenen Werke werden auch nicht nur im Entstehungsraum rezipiert.37 Der relevante Untersuchungsrahmen für die deutschsprachige Komödie ist das gesamte deutschsprachige Gebiet, in dem wesentlich mehr Verbindungen zwischen Nord und Süd existieren, als bisher angenommen. Die Bedingungen für Theater sind von Ort zu Ort allerdings derart heterogen,38 dass man auf den ersten Blick keinen Ort und keine Theaterinstitution mit der anderen vergleichen kann.39 Es entstehen deshalb sehr häufig lokalspezifische Fassungen, wobei aus Titeln und Untertiteln meist bereits Veränderungen und Gattungswechsel insbesondere zwischen Sprech- und Musiktheater ersichtlich werden. Zu beobachten ist ein ständiger Wechsel zwischen handschriftlichen Fassungen als Aufführungsmaterial, das gedruckt wird, und gedruckten Dramentexten, die wiederum handschriftlich bearbeitet oder abgeschrieben und anschließend zu Soufflier- und Inspektionsbüchern umgearbeitet werden.40 Der größte Teil der im deutschsprachigen Gebiet erscheinenden und aufgeführten Komödien sind Übersetzungen und Bearbeitungen von italienischen und französischen Originalen. Auch wenn die meisten Komödien ursprünglich auf Italienisch oder Französisch, teilweise auch auf Spanisch entstehen, so werden sie doch zumindest zeitgleich übersetzt und auf Deutsch gedruckt und fast immer auch auf Deutsch aufgeführt. Der Anteil fremdsprachiger Aufführungen ist hingegen au-
|| 37 Vgl. auch die Hinweise auf die ausgeblendete Dramatik in Fulda (2005b), Venedig, Wien, Paris, Leipzig. Vgl. grundlegend zur mangelnden Reflexion räumlicher Schwerpunktsetzungen in der Literaturgeschichtsschreibung Böhler (2000), Eindimensionale Literatur. 38 Vgl. zu Hoftheatern zum Beispiel Daniel (1995), Hoftheater; zu Stadt- und Hoftheatern Jahn/Maurer Zenck (2016), Bühne und Bürgertum. 39 Vgl. für eine Literaturgeschichte der Aufklärung, die lokale Heterogenität berücksichtigt, Martus (2015), Aufklärung. 40 Vgl. etwa die Datenbank zum Hamburger Stadttheater (DBBB). Studien, die verschiedene Fassungen von (musik-)dramatischen Texten vergleichen, sind zum Beispiel: Maurer Zenck (2005b), Die Tugend in der Hütte; Eisenhardt (2005), „Diese comische Oper wird dem Hamb. Publikum gefallen…“; Analysekapitel bei Krämer (1998a), Deutschsprachiges Musiktheater, Bd. 1; Greiner (2004), Übersetzung und Literaturwissenschaft; Fulda (2005), Schau-Spiele des Geldes, S. 289–302; Meixner (2008), Musiktheater in Regensburg, S. 191–207, 247–286, 305– 321.
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ßerhalb des lateinischen, katholischen Schultheaters gering.41 Die Übersetzung von Komik und die Veränderungen, die dabei auftreten, wurden für ausgewählte Werke analysiert.42 Lüsebrink macht allerdings auf die fehlende Forschung zu Verlegern und Übersetzern für den Zeitraum von 1770–1815 aufmerksam, die für eine systematische Erschließung der Umgestaltung im Zuge von Übersetzungen und Bearbeitungen notwendig wäre.43 Es ist zu erwarten, dass die Berücksichtigung der Bearbeitungen und Übersetzungen der dominanten ausländischen Dramen zu einem anderen Bild führt als die bisherige Darstellung einflussreicher europäischer Dramentexte.44 Die Analyse derjenigen ausländischen Werke, die man vermehrt und mit Erfolg in bearbeiteter Fassung spielt, dürfte erweisen, dass die Gründe für ihre Auswahl, ihre Funktion und Bedeutung im Bearbeitungskontext oftmals andere waren als im Entstehungskontext. Eine solche Geschichte von Textanalysen müsste zu einem gänzlich anderen Bild führen als eine Folge von jeweils in ihrem Land erfolgreichen Originalfassungen, die in ihrem Originalkontext analysiert werden.45
|| 41 Für das deutschsprachige komische Singspiel vgl. zum Beispiel Urchueguía (2015), Allerliebste Ungeheuer, S. 173. Vgl. aber die Dokumentation von Aufführungen, Text- und Notenfassungen europäischer Opern aus der Zeit von 1740–1780 im Rahmen des DFG-Projekts Die Opera buffa als europäisches Phänomen, von Cordula Knaus an der Universität Bayreuth. 42 Paul (1993), Europäische Komödie; Unger/Schultze/Turk (1995), Differente Lachkulturen? Dass man die Komik in Shakespeares Dramen bei der Übersetzung ins Deutsche stark gekürzt oder verändert hat, so dass Abwertungen, Nonsens und Derbheiten vor allem sexueller Natur verschwinden, hat Greiner gezeigt (vgl. Greiner [1993], The Comic Matrix of Early German Shakespeare Translations; Greiner [2010], Profiles of Drama Translation; vgl. auch Detken [1998], Theaterinstitution und Kulturtransfer; Detken [2017], Schröders Feigenblatt sowie Paul [1993], Europäische Komödie). 43 Lüsebrink (2010), Kulturtransfer und Übersetzung. Vgl. für die kulturstiftende Funktion von Übersetzungen aus dem Englischen Schnitze (2007), Kulturstiftende Funktion der Dramenübersetzungen seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts. 44 Vgl. Dennerlein (2020), Netzwerke medialer Formationen. 45 Ohne Zweifel eignet sich diese Herangehensweise dazu motivisch-thematische Zusammenhänge und je verschiedene Verflechtungen von ökonomischen, gesellschaftlichen und literarischen Bedingungen sichtbar zu machen, wie Fulda in Schau-Spiele des Geldes an 18 Komödien aus der Zeit von 1600 bis 1700 zeigt (vgl. Fulda [2005], Schau-Spiele des Geldes). Er behandelt Werke der Wanderbühne, des Jesuitentheaters sowie schlesische Literaturkomödien – jedoch kein Musiktheater. Es handelt sich um eine dezidiert europäische Geschichte der Komödie, in der neben original-deutschsprachigen auch französische, englische und lateinische Werke in Originalsprache analysiert werden.
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Komik ist ein bedeutender Aspekt der Geschichte der deutschsprachigen Komödie. Auf der Grundlage des bisherigen Kanons hat sich jedoch die Meinung verfestigt, Komik spiele für die deutschsprachige Komödie von 1650 bis 1800 keine Rolle. Gängig ist vielmehr die Ansicht, die deutschsprachige Komödie habe eine Tendenz zum Ernsthaften, die sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts abzeichnet und sich im 18. Jahrhundert voll ausprägt.46 Ganz gleich, ob jene Ernsthaftigkeit nun in einer Verstärkung des Wirklichkeitsbezuges47 oder in einer Zurückdrängung komischer Elemente gesehen wird, festzustehen scheint, dass Komik kein zentrales Element der Komödie im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert darstellt.48 Für das 17. Jahrhundert geht man davon aus, dass die Komik in der Komödie im Dienste des metaphysischen Ernstes, der religiösen Moralität und der Sozialdisziplinierung steht. Verlachkomödien, die für die Vermittlung christlicher Moral oder bürgerlicher Werte funktionalisiert werden, machen allerdings auch im 17. Jahrhundert nur einen kleinen Teil der Werke aus.49 Die Geschichte der Komödie im 18. Jahrhundert scheint bestimmt davon, dass Gottsched den Harlekin von der Bühne verbannt hat und dass man sich seither befleißigt, das Komische in der Komödie auf die Kritik moralisch bedenklicher Eigenschaften wie zum Beispiel Geiz oder Menschenhass zu beschränken. Im Rührenden Lustspiel hat dann nicht einmal mehr diese Spielart des Komischen ihren Platz, weil sie Distanz schafft, anstatt Rührung durch Identifikation zu ermöglichen. Die Ernsthaftigkeit in der Komödie im 18. Jahrhundert wird in einer Zunahme des Wirklichkeitsbezuges gesehen, in einer „Austreibung des Komischen aus der Komödie“50 oder doch zumindest in einer Reduktion des Komischen auf das Lächerliche.51 Eine Beschäftigung mit Komik in der deutschsprachigen Komödie vom letzten Drittel des 17. Jahrhun-
|| 46 Kanonisch für diese These, wenn auch nicht originär, ist die Studie von Arntzen (vgl. Arntzen [1968], Die ernste Komödie). 47 Neuhuber (2003), Das Lustspiel macht Ernst. 48 Weiss-Schletterer (2005), Das Laster des Lachens. 49 Stockhorst (2008), Lachen als Nebenwirkung. 50 Klotz (2013), Intermezzo 6: Ersticktes Lachen, S. 747. Und weiter heißt es: „Das aufklärerische Lustspiel ist tränenselig larmoyant oder gefeiert ernst – und riskiert genau darin seinen Gattungsbezug. Auf diese Weise wird das Lachen schamvoll erschwert oder vertrieben, und die Komödienentwicklung stagniert.“ 51 Arntzen (1968), Die ernste Komödie.
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derts bis zur Wende zum 19. Jahrhundert scheint auf der Grundlage der üblicherweise behandelten Komödien demnach wenig relevant.52 Diesem Narrativ für den nord- und mitteldeutschen Sprachraum steht allerdings schon lange ein zweites zur Seite, das von einer eigenständigen Entwicklung der Komik im süddeutschen Sprachraum ausgeht. Insbesondere für Wien wird die Geschichte einzelner komischer Figurentypen53 und einzelner Theater oder Komödienformen54 beschrieben. Verbindungen zur Komödienproduktion im Norden werden berücksichtigt, umgekehrt werden die Erkenntnisse über den süddeutschen Sprachraum jedoch nicht in die Gattungsgeschichten der deutschsprachigen Komödie integriert. Besonders hervorzuheben ist jedoch Rommels monumentale Studie zur Alt-Wiener Volkskomödie von 1952. Rommel macht durchgängig auf Bezüge zwischen der sogenannten AltWiener Volkskomödie, die lange Zeit mit der komischen deutschsprachigen Sprech- und Musiktheaterproduktion Wiens gleichgesetzt wurde, und verschiedenen anderen Theatern und Werken weiter nördlich im Reich aufmerksam und weist auf Bezüge zur gesamten europäischen Theatertradition hin.55 Seine Erkenntnisse sowie die zuvor genannten Studien zur Komik in Wiener Dramen wurden jedoch bisher nicht in Längsschnittdarstellungen zur Komödie im deutschsprachigen Gebiet integriert. Will man die soeben erwähnten Befunde berücksichtigen, so ergeben sich die folgenden Anforderungen an eine gattungsgeschichtliche Darstellung der Komödie in diesem Zeitraum:56 Sie müsste Werke aus dem gesamten deutschsprachigen Gebiet und nicht nur aus dem heute nord- und mitteldeutschen Raum
|| 52 Und das, obwohl in Einzelstudien immer wieder auf die Bedeutung von Komik auch für diese Tradition hingewiesen wird (vgl. Steinmetz [1966b], Der Harlekin und Schörle [2007], Die Verhöflichung des Lachens). 53 Asper (1980), Studien zum Lustigmacher; Meyer (1990), Hanswurst und Harlekin; MüllerKampel (2003), Hanswurst, Bernardon, Kasperl; Keck (2016), Comical Interventions. 54 Zum Beispiel die Singspielkasperliaden am Leopoldstädter Theater in Wien (vgl. BrandnerKapfer [2010], Kasperls komisches Habit). 55 Für einen Vergleich der komischen Figur der Wiener Hofoper und der Hamburger Gänsemarktoper siehe Rommel (1952), Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 144–152. Die stark wertende Beschreibung Rommels wird im Kapitel zum Crœsus neu perspektiviert. Rommel berücksichtigt im Übrigen auch den Import von Werken, Stoffen und Genres aus den Kulturmetropolen Venedig und Paris. 56 Das Projekt reiht sich damit in die Empirisierungsbemühungen der letzten Jahre in der Neueren deutschen Literaturwissenschaft ein (vgl. etwa Mellmann/Ajouri/Rauen [2013], Empirie in der Literaturwissenschaft).
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umfassen und ein Modell bieten, das sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede hinsichtlich der Komödienform und der Komik zu fassen erlaubte sowie die Berücksichtigung des Musiktheaters und fremdsprachiger Werke und Formen ermöglichte. Für eine solche Geschichte bedürfte es zudem einer Struktur, die nicht thematisch beschränkt wäre und die nach Möglichkeit auch nicht außerliterarischen Ordnungsmustern der Ereignisgeschichte, der politischen Geschichte oder Modellen sozialstrukturellen Wandels folgte, sondern sich an der literarischen Kommunikation und deren Medien und Materialien orientierte. Die vorliegende Arbeit möchte ein Modell erproben, das zu einer gegenstandsangemessenen Darstellung der Gattungsgeschichte der Komödie beiträgt und auch neue Erkenntnisse zu Zusammenhängen und zur Bedeutung von Einzelwerken beisteuert. Ein wichtiger Impuls dazu ergab sich aus der Lektüre von Spielplanverzeichnissen, die auch zugehörige Textfassungen verzeichnen, im Wechsel mit der Lektüre von Stückeinträgen in der Bibliographia dramatica.57 Dabei hat sich die Wichtigkeit von Werkanschlüssen als Organisationsprinzip der Dramengeschichte gezeigt, da immer wieder die gleichen Werke in verschiedenen Fassungen in mehreren Städten mit leicht veränderten Titeln oder Untertiteln auftauchen. Es erschien sinnvoll, jeweils Kapitel zu wichtigen Komödienwerken zu verfassen, die im gesamten Reichsgebiet zirkulieren, und auf diese Weise sowohl eine Auswahl besonders relevanter Werke zu erfassen, als auch die sehr heterogenen institutionellen und kulturellen Bedingungen für Theater an verschiedenen Orten zu berücksichtigen. Die Anzahl der zu behandelnden Orte und Theater mit ihren je spezifischen Bedingungen erwies sich allerdings für besonders weit verbreitete Werke schnell als nicht mehr sinnvoll monographisch darstellbar.58 Aus diesem Grund wurde eine Beschränkung auf die Städte Hamburg und Wien vorgenommen. Die Auswahl dieser beiden Städte begründet sich einerseits empirisch, da es für sie besonders häufig lokalspezifische Fassungen gibt. Die Häufung von Fassungen entspricht andererseits der Stellung der beiden Orte als Kulturmetropolen des späten Alten Reichs. Als freie Reichsstadt beziehungsweise als Kaiserstadt und Regierungssitz der Habsburger sind die Städte verschieden genug, um die Heterogenität von Theaterformen im Reich sichtbar zu machen. Freilich wäre es wünschenswert gewesen, das
|| 57 Meyer (1986 ff.), Bibliographia dramatica. 58 Wie umfangreich sich bereits die Beschreibung des textuellen Materials zu einem einzigen Werk gestaltet, sogar wenn sie auf Informationen zu den Repertoires oder eine Analyse der Fassungen verzichtet, zeigt eine Zusammenstellung der Fassungen und Exemplare der Schwestern von Prag (Perinet/Müller 1794) im deutschsprachigen Gebiet (vgl. Dennerlein [2019], Die Schwestern von Prag).
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Zirkulieren von Werken im gesamten deutschsprachigen Gebiet zu untersuchen.59 Durch die vergleichende Perspektive auf Wien und Hamburg können jedoch bereits sowohl Formen der Komödie und der Komik berücksichtigt werden, die für Komödiensubgattungen und bestimmte Theaterinstitutionen spezifisch sind, als auch bestehende Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. Dadurch soll zwei Gegebenheiten der Geschichte der deutschsprachigen Komödie des 17., 18. und frühen 19. Jahrhunderts Rechnung getragen werden. Zum einen der Tatsache, dass es zunächst kein übergreifendes literarisches Feld gibt, dafür aber regionale Kulturen, die Formen hervorbringen, die häufig sehr speziell an die lokalen Verhältnisse angepasst sind. Zum anderen der Tatsache, dass es sehr wohl Moden, Vorbilder, Zentren und dementsprechend Anschlussprozesse gibt, in denen höfische und städtische Zentren wie Wien und Hamburg, aber auch Leipzig, Dresden beziehungsweise später Berlin, Mannheim, Stuttgart oder Weimar eine große Rolle spielen. Der Vorteil der Auswahl der beiden hier gewählten Metropolen besteht darin, dass man zugleich Annahmen über Wesen und Qualität der Komödie und über die lokale Verteilung von Komik widerlegen kann, die sich in der Vergangenheit durch die Konzentration auf den engen Kanon der nord- und mitteldeutschen moralischen Illusionskomödie ergeben haben. Die Komik- und Komödiengeschichte sowie die Theatergeschichte Hamburgs beziehungsweise Wiens ist in recht unterschiedlichem Ausmaß erschlossen. Obwohl Hamburg eine besonders umfangreiche und für den Untersuchungszeitraum auch ungewöhnlich kontinuierliche Theaterproduktion aufweist, ist das Komödienschaffen dort kaum erforscht und wurde bisher noch nicht historiographisch dargestellt. Lediglich vereinzelte Komödien der Hamburger Gänsemarktoper, die komische Figur als Bestandteil jeder Oper und spezifische komische Formen wie Intermezzi, Musicae Bernescae und Lokalopern werden in Wolffs Monographie zu diesem Theater analysiert und intertextuell verortet. Wolffs problematische Fokussierung auf das ‚Volkstümliche‘ und ‚Deutsche‘ dieser Institution verdeckt zwar einige Zusammenhänge, ist allerdings gerade bei den soeben genannten Themen um wichtige Hinweise auf italienische, spanische und französische Einflüsse ergänzt.60 Der LibrettoKatalog zur Hamburger Gänsemarktoper von Marx/Schröder ermöglicht zudem einen strukturierten Zugriff auf Publikationsinformationen zu den Libretti, zu Fassungen, Exemplaren und Aufführungsbelegen sowie zum Kontext des Spiel-
|| 59 Für das komische Singspiel sind dafür nun die Vorarbeiten in Form von Aufführungsdaten und Übersichtskarten bei Urchueguía zu finden (Urchueguia [2015], Allerliebste Ungeheuer). 60 Vgl. Wolff (1957), Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, Kap. 4 und 5.
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plans, enthält allerdings kein Register nach Gattungen.61 Für die Wanderbühnenaufführungen in Hamburg gibt es keine gemeinsame Quellendokumentation. Schützes Hamburgische Theater-Geschichte bietet hier, wie auch sonst für die Geschichte der Theater und ihrer Dramenproduktion im Hamburg des 17.,18. und frühen 19. Jahrhunderts, Einzelhinweise von stark schwankender Erschließungstiefe und Reichweite, für die leider nur in den seltensten Fällen Quellen angegeben sind. Deshalb lassen sich nur vereinzelt konkrete Textfassungen einer Wanderbühnenaufführung in Hamburg zuordnen. Die Werke des Hamburger Nationaltheaters bespricht Robertson, trennt dabei nach Gattungen und nennt auch aufführungsbegleitend erschienene Drucke.62 Spielpläne und Aufführungsmaterialien des Hamburger Stadttheaters sind seit kurzem in der Datenbank des DFG-Projekts Bühne und Bürgertum für den Zeitraum von 1770–1850 erschlossen.63 Dort finden sich zu jeder Aufführung das Datum mit Wochentag, die Direktion, der Titel laut Quelle, (erschlossene) Autor*innen, Bearbeiter*innen, Librettist*innen, Komponist*innen, Quellen für Aufführungsnachweise und ggf. in Hamburg erhaltene Inspektions- und Soufflierbücher, annotierte Drucke, Partituren und weitere Aufführungsmaterialien. Sofern Theaterzettel vorhanden sind, sind sie als pdf-Dateien verlinkt. Über eine Suchmaske ist die Recherche nach Gattungsbezeichnungen aus den Quellen, wie etwa ‚Komödie‘, ‚Posse‘, ‚komisches Singspiel‘, ‚komische Oper‘ oder ‚opéra comique‘ möglich. Analysen von Komödien aus dem Hamburger Repertoire, die diese im Kontext des Spielplans verorten und/oder sogar die erhaltenen handschriftlichen Fassungen behandeln, finden sich bisher nur in vereinzelten Forschungsbeiträgen der letzten beiden Jahrzehnte.64 Für Wien liegen sowohl Überblicksdarstellungen zur Theatergeschichte65 als auch zahlreiche Spielplanverzeichnisse für einzelne Theater und Genres vor,
|| 61 Vgl. Marx/Schröder (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper. Aufgrund der engen personellen und textuellen Verflechtungen der beiden Städte ist auch der Katalog der Libretti der Braunschweiger Oper unverzichtbar für Analysen von Hamburger Werken (vgl. Thiel/Rohr [1979], Libretti). 62 Vgl. Robertson (1939), Lessings Dramatic Theory, S. 389–400. Eine Studie, die das Repertoire des Hamburger Nationaltheaters entlang dieser Fassungen analysiert, ist mir nicht bekannt. 63 Vgl. Hamburger Stadttheater 1770–1850, Digitaler Spielplan (DBBB). 64 Vgl. zum Beispiel einzelne Beiträge in Maurer Zenck (2005a), Musiktheater um 1800; Jahn/Maurer Zenck (2016), Bühne und Bürgertum und Jahn/Košenina (2017), Friedrich Ludwig Schröders Hamburgische Dramaturgie. 65 Vgl. Keil-Budischowsky (1983), Die Theater Wiens; Hadamowsky (1988), Wien – Theatergeschichte.
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die jeweils mit theatergeschichtlichen Einleitungen versehen sind.66 Die Wiener Komödie ist mit der umfangreichen Opernproduktion für den Wiener Kaiserhof um 1700, den Werken für das Kärntnertortheater, das Burgtheater und die Vorstadttheater in ihrer Ausdifferenziertheit seit Rommels Studie zur Alt-Wiener Volkskomödie nicht literaturgeschichtlich dargestellt worden.67 Seine Studie ist grundlegend, in Details inzwischen allerdings vielfach überholt und wäre insbesondere um spätere Arbeiten zu den Werken des Kärntnertortheaters und Studien zur komischen Figur an diesem Theater und an den Wiener Vorstadttheatern zu ergänzen.68 Einige zentrale Werke des Leopoldstädter Theaters sind editorisch und inhaltlich erschlossen im Projekt Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche.69 Darüber hinaus sind in jüngster Zeit vereinzelt Monographien und Editionen zu einzelnen Komödienautoren entstanden.70 Grundlegende Forschung zu Komödien und Komödienautoren in Wien finden sich allerdings bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Abschlussarbeiten und Dissertationen aus Wien, die als Einzelexemplare in der Wiener Universitätsbibliothek, in || 66 Hadamowsky (1952), Barocktheater; Bauer (1955), Opern und Operetten in Wien; Hadamowsky (1962), Das Theater an der Wien; Zechmeister (1971), Die Wiener Theater; Hadamowsky (1966), Die Wiener Hoftheater; Hadamowsky (1991), Das Theater in den Schulen der Societas Jesu. Die Repertoires der Vorstadttheater sind durch Spielplanverzeichnisse und Monographien erschlossen (vgl. Hadamowsky [1934], Das Theater in der Wiener Leopoldstadt; Eder [1996], Das Theater in der Josefstadt; Spiesberger [1980], Das Freihaus; Krzeszowiak [2009], Freihaustheater in Wien). 67 Rommel (1952), Die Alt-Wiener Volkskomödie. Eine Einschränkung des Blickwinkels ist dadurch gegeben, dass Rommel nach volkstümlichen Elementen sucht und auf diese Weise künstlerische Bezüge überdeckt. Er weist leider zu wenig und zu ungenau auf die Quellen für seine Aussagen hin, so dass Anschlussforschung mühsam ist. Das betrifft die Angabe von Werktiteln, Fassungen und Signaturen, aber auch Titel und Stellennachweise der Forschungsliteratur. In noch größerem Umfang gilt diese Aussage für Kindermanns Theatergeschichte (Kindermann [1957–1977], Theatergeschichte Europas, Bd. 3 und 4). Die Verdienste dieser beiden monumentalen Darstellungen sollen durch diese Anmerkungen gleichwohl nicht geschmälert werden. 68 Spielplaninformationen und Repertoireinformationen bei Schenk (1969), Die Anfänge des Wiener Kärntnertortheaters und Zechmeister (1971), Die Wiener Theater. Textbasis sind die Digitalisate der Teutschen Arien sowie eine Edition der Werke von Kurz und inhaltliche Zugänge durch Lehr (1965), Die szenischen Bemerkungen; Amlinger (1985) Dramaturgische Strukturen; Birbaumer (1971), Das Werk des Joseph Felix von Kurz-Bernardon; Müller-Kampel (2003), Hanswurst, Bernardon, Kasperl; Sonnleitner (1996), Hanswurst, Bernardon, Kasperl und Staberl. 69 Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliadien im Repertoire des ‚Leopoldstädter Theaters‘. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung, http://lithes.unigraz.at/maezene/maezene_startseite.html (zuletzt aufgerufen am 28.07.2021). 70 Vgl. Fn. 10 und Fn. 12 im vorliegenden Kapitel.
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der Österreichischen Nationalbibliothek und in der Bibliothek des Theatermuseums liegen. Dass diese Werke leider nur vor Ort in den Lesesaal entliehen werden können, dürfte auch ein Grund dafür sein, dass die Ergebnisse dieser Forschung bisher keinen Eingang in die Geschichte der deutschsprachigen Komödie außerhalb der Wiener Komödiengeschichte gefunden haben.71 Die Forschung zur Komik in Theatertexten aus dem 17. bis frühen 19. Jahrhundert aus Wien und Hamburg ist vorwiegend auf komische Figurentypen fokussiert. Die komischen Figuren der Wiener Hofoper, der Hamburger Gänsemarktoper und der einzelnen Wiener Theater wurden in den Monographien zu diesen Theaterinstitutionen oder Figurentypen katalogisiert und vereinzelt auch charakterisiert. Handlungskomik wurde dagegen häufig nur am Rande im Zusammenhang mit Lustspielmotiven erwähnt.72 Die Geschichte der Komik in der Wiener Komödie ist in erster Linie eine der komischen Figur, ihrer Darsteller, ihrer Zeugnisse, ihrer Schauspieltechnik, am Rande auch ihrer Texte und Rollen in den Werken. Die jüngste dieser Studien wurde 2003 von Müller-Kampel vorgelegt und trägt den Titel Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert. Müller-Kampel zeigt darin die zunehmende Zähmung und Zivilisierung der komischen Figur im Laufe des 18. Jahrhunderts, die mit einer immer stärkeren syntagmatischen Integration der lustigen Figur als Dienerfigur in die Haupthandlung einhergeht.73 Die Tatsache, dass erst in jüngster Zeit eine Aufarbeitung des Materials der Hamburger Theatergeschichte nach der Zeit der Hamburger Gänsemarktoper in größerem Umfang einsetzt, während die Spielplanverzeichnisse und einzelne Monographien zu den Wiener Bühnen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seit Jahrzehnten vorliegen, weist auf ein Paradox hin: Während die Produktion in Wien schon seit Jahrzehnten gut erschlossen ist, aber in der Dramengeschichte wenig berücksichtigt wird, ist die Produktion Hamburgs in weiten Teilen schlecht erschlossen, wird allerdings, freilich nur sehr punktuell, in jeder Dramengeschichte erwähnt (vgl. zum Beispiel die Erwähnung des Hamburger Nationaltheaters). Diese Gewichtungen korrelieren allerdings weder mit
|| 71 Diese Arbeiten werden jeweils in denjenigen Kapiteln nachgewiesen, in denen sie verwendet werden. 72 Vgl. Weilen (1899), Geschichte des Wiener Theaterwesens, S. 67 ff.; Rommel (1952), Die AltWiener Volkskomödie, S. 108–118; Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 9, 214–216, 218, 221 f., 227, 229, 243, 245 f. 253, 347, 354; Wolff (1957), Die Barockoper, Bd. 1, Kap. 6; Meyer (1990), Hanswurst und Harlekin; Müller-Kampel (2003), Hanswurst, Bernardon, Kasperl; Brandner-Kapfer/Großauer-Zöbinger/Müller-Kampel (2010), Kasperl-La Roche. 73 Vgl. Müller-Kampel (2003), Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Zur Auseinandersetzung mit dieser These vgl. insbesondere Kap. 3.2 der vorliegenden Arbeit.
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der Menge der aufgeführten Werke noch mit der Verbreitung der Textvorlagen und der Einschätzung der Zeitgenossen. Aus dem Fokus auf die beiden Hauptstädte ergibt sich auch der Beginn des Untersuchungszeitraumes. Ungefähr 1650 beginnt in Wien mit der Adaption der Venezianischen Oper am Kaiserhof etwas Neues und ab diesem Zeitpunkt nimmt die Anzahl der Theateraufführungen schnell und kontinuierlich zu. Zudem wird es Usus, die Texte begleitend zu den Aufführungen in Originalsprache und deutscher Übersetzung zu drucken. In Hamburg hingegen gibt es erst seit 1678 ein stehendes Theater. Das erste Kapitel der vorliegenden Studie behandelt mit dem Creso/Cresus eine italienisch gespielte aber auch auf Deutsch gedruckte Wiener Festoper von 1678, die in einer Bearbeitung mit mehreren Fassungen von 1684 bis 1730 an der Hamburger Gänsemarktoper aufgeführt wird. Eine Besonderheit stellt hier die Überlieferung einer handschriftlichen Textfassung für die Wanderbühne von 1723 dar. Anhand dieses Sonderfalls einer erhaltenen textuellen Fassung, die mit größter Wahrscheinlichkeit als Textgrundlage für eine Aufführung einer Wanderbühnentruppe in Hamburg verwendet wurde, lässt sich das hohe Niveau der Aufführungen erkennen. Hafners Odoardo wurde für das zweite Kapitel ausgewählt, weil sich anhand dieser Komödie die als ‚Hanswurststreit‘ bekannte Debatte in Wien über die Möglichkeiten einer Weiterentwicklung der Stegreifburleske mit extemporierenden komischen Figuren zu voll ausformulierten, wahrscheinlich motivierten Komödien zeigen lässt.74 Hafners Text ist ein Beispiel für einen solchen Versuch, der dennoch ausschließlich aus komischen Szenen besteht und Einiges an lokalspezifischer Komik vorsieht. Die Überführung dieser Komödie in ein Singspiel am Leopoldstädter Theater ist zudem ein repräsentatives Beispiel für die Bearbeitungspraxis an diesem Theater: Das Erfolgsstück Die Schwestern von Prag enthält die typische Kasperlkomik, die am Leopoldstädter Theater durch einen neuen, wiederum extemporierenden Darsteller ab der Mitte der 1780er Jahre zur Blüte kommt. Für das Hamburger Stadttheater, dessen Repertoire immer wieder um komisches Musiktheater ergänzt werden muss, um den nötigen Publikumserfolg für seinen finanziellen Erhalt zu erzielen, ist die Übernahme eines komischen Singspiels aus Wien durch Perinet und Müller ebenfalls charakteristisch. Als Singpossenspiel wird es insbesondere wegen seiner komi-
|| 74 Damit wird die übliche Trennung zwischen Barock und Aufklärung nicht reproduziert. Dieses Vorgehen findet sich bereits häufiger in monographischen Studien (vgl. zum Beispiel Fulda [2005], Schauspiele des Geldes; Stöckmann [2001], Vor der Literatur). Zur Diskussion des Barockbegriffs vgl. Dubois (1999), Le Baroque; Niefanger (2000), Barock, S. 8–11; Burgard (2001), Barock. Neue Sichtweisen der Epoche.
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schen Gesangsnummern zu einem Zugstück in Hamburg. Zudem ist es ein reichsweites Erfolgsstück.75 Lessings Minna von Barnhelm wurde deshalb ausgewählt, weil die Komödie als Eröffnungsstück für das erste deutschsprachige Nationaltheater geschrieben wird und noch mehr vor dem Hintergrund der Bemühungen die Sitten der Nation darzustellen und zu formen gelesen werden muss. Es wird die These aufgestellt, dass es für das Verständnis der Handlung entscheidend ist, dass Lessing seine nationale Komödie in einem von französischen Werken dominierten Repertoire Erfolg versprechend platzieren möchte. Gerade die Verbindung mit der Nationaltheaterdebatte macht die Komödie auch für Wien attraktiv, wo man die gleichen Probleme diskutiert, jedoch andere Lösungen findet. Die überraschende Entkomisierung der Bearbeitung der Minna von Barnhelm für das Wiener Kärntnertortheater wurde bisher noch nicht bemerkt und auch nicht aus dem Kontext von Repertoire und Programmatik der dortigen Bemühungen um eine ‚Nationalschaubühne‘ erklärt. Hier liegt zudem ein Druck vor, der – einmalig für Wien – seine eigene Bearbeitungspraxis ausstellt, indem er gestrichenen Text in Anführungszeichen setzt. Im letzten Kapitel geht es um eines der erfolgreichsten Dramen des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Gebiet: Beaumarchais’ La folle journée ou Le mariage de Figaro. Noch im Jahr der französischen Uraufführung wird es siebenundfünfzig Mal im Reich gegeben. Im darauffolgenden Jahr erscheinen zehn deutschsprachige Übersetzungen im Druck. Zu klären ist hier insbesondere die Diskrepanz zwischen den Verboten als adelskritisches Skandalstück und seinem Erfolg in adligen sowie in bürgerlichen, nicht-revolutionären Kreisen. Der Theatermann Schröder kennt die Diskussion um das Skandalstück aus seiner Zeit in Wien und bringt es in Hamburg schnell auf die Bühne. In Wien wird es zunächst verboten, kann aber wenig später als Oper in der Fassung von da Ponte und Mozart aufgeführt werden. Zur italienischen opera buffa Le nozze di Figaro wird in Wien sowohl ein italienisches als auch ein deutsches Libretto gedruckt und auch am Hamburger Stadttheater wird die Oper schnell auf Deutsch aufgeführt. 1802 wird dann Beaumarchais’ Sprechtheaterkomödie schließlich doch noch in einer stark bearbeiteten Fassung in Wien gegeben. Die Bearbeitung ist typisch für die vorauseilend verharmlosende Zensur unter Franz I. und für das Repertoire des Burgtheaters als Nationaltheater. Der Untersuchungszeitraum der vorliegenden Studie endet 1806. In Wien stirbt in diesem Jahr am 8. Juni der weithin berühmte Kasperl-Darsteller Johann Joseph La Roche, für den zahlreiche Komödien, unter anderem die Schwestern || 75 Dennerlein (2019a), Die Schwestern von Prag.
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von Prag, geschrieben beziehungsweise bearbeitet wurden. In Hamburg ändern sich 1807 durch die französische Besatzung die Bedingungen für die Spielplanund Werkgestaltung am Hamburger Stadttheater und durch die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs tritt zudem eine Zäsur in vielen kulturellen Bereichen ein. Dadurch bietet sich das Jahr 1806 als Schlusspunkt an, ohne dass diese Jahreszahl eine absolute Grenze darstellt. Aufführungszahlen und Repertoireentwicklungen werden zumeist nur bis zu diesem Datum berücksichtigt. Während Dramengeschichten zum 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert bisher zumeist fast ausschließlich und ohne Begründung Werke in der Fassung ihres Erstdruckes in Originalsprache behandeln,76 stellt die vorliegende Studie ganz explizit Anschlüsse an erfolgreich aufgeführte (Komödien-)Werke durch neue Fassungen ins Zentrum.77 Zu fragen ist, wie Dramenwerke und ihre Fassungen materiell vorliegen und zirkulieren, wie sie medial umgestaltet, bewertet, vernetzt und vermittelt werden. Gegenstand der vorliegenden Studie sind demnach Werke und Fassungen, die das Ergebnis von lokalen Adaptionen zirkulierender Ausgangswerke sind.78 Zu den Fassungen werden jeweils alle Materialien erfasst und rekonstruiert, welchen Medien sie zuzuordnen und in welche medialen Praktiken sie eingebunden sind.79 Diese Fassungen manifestieren sich in verschiedenen materiellen Formaten und Exemplaren.80 Vergleichend zu erfassen ist folglich eine produktive Rezeption beziehungsweise Anschlusskommunikation. Dabei sind jeweils die spezifischen Bedingungen der Distribution über Sprach- und Kulturraumgrenzen und die möglichen Gründe für einen kommunikativen Anschluss zu beschreiben. Rekonstruiert werden sollen die Akteure, Institutionen und Praktiken, die die Anschlüsse bedingen. In diesem Prozess kommt es zu politisch bedingten Verboten, die die Zirkulation zunächst stoppen können, aber auch zu unerwarteten Publikumserfolgen, die sie beschleunigen. Die Fassungen werden schwerpunktmäßig hinsichtlich der Komödienformen und der Formen der Komik verglichen. Gegenstand der Analyse ist dabei das Komischmeinen und nicht das (historische) Komischfinden. Eine Textstelle oder ein Werk sollen dann als komisch gelten, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Autor/die Autorin intendierte, dass ein deviantes oder zwei || 76 Dies freilich ohne es überhaupt zu thematisieren. 77 Nicht immer sind diese Werke von Anfang an Komödien vgl. dazu Kapitel 2.3 der vorliegenden Arbeit. 78 Zum Werkbegriff vgl. Kap. 2.1 der vorliegenden Arbeit. 79 Die Materialien sind mit ausführlichem Bildmaterial im folgenden Blog dokumentiert: https://diglithist.hypotheses.org/174 (zuletzt aufgerufen am 27.07.2021). 80 Vgl. grundlegend hierzu jüngst Spoerhase (2017), Das Format der Literatur.
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oppositionelle beziehungsweise disparate Skripte von den Rezipient*innen mit einer gewissen Distanz zum Mitfühlen so verarbeitet werden sollten, dass diese Freude über die Inkongruenz empfinden.81 Methodisch soll wie folgt vorgegangen werden: Die Fassungen werden hinsichtlich ihrer Themenwahl, ihrer Schreibstrategien, insbesondere bezüglich der Komik, als kommunikative Positionierung im Repertoire einer Theaterinstitution und/oder eines poetologischen beziehungsweise gesellschaftlichen Diskurses analysiert. Im Zuge dessen werden immer auch zahlreiche weitere Komödien erwähnt und untersucht, damit die bereits besetzten Positionen sowie der Raum des Möglichen skizziert werden können, in dem eine Komödie positioniert ist. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei jeweils auf der Einbettung der Texte in Praktiken der Materialität wie handschriftliches Kopieren und Herstellen von Auszügen, Drucken, Neuauflagen, Formatveränderungen, Bearbeitungen et cetera. Die verschiedenen Praktiken und ihre materiellen, medialen, institutionellen und rollenspezifischen Bedingungen sollen praxeologisch beschrieben werden. Wie im nächsten Kapitel noch näher auszuführen sein wird, wird dazu an einige Grundüberlegungen aus Bourdieus Feldtheorie angeschlossen. Kontexte wie politische, ideengeschichtliche oder sozialstrukturelle Entwicklungen leiten die Darstellung nicht, werden jedoch in die Argumentation einbezogen, wenn sie für die Interpretation der Werke von Bedeutung sind. Die wesentlichen Kontexte der Werke sind die Theater, weil die Dramen jeweils für Aufführungen an bestimmten Institutionen und in Kenntnis der dortigen Theaterpraxis geschrieben oder bearbeitet werden. Die Geschichte der Repertoireund teilweise auch der Ensembleentwicklung der jeweils behandelten Theater wird in ihren wichtigsten Aspekten dargestellt, so dass die Lektüre aller vier Analysekapitel auf diese Weise auch Grundzüge der Theater- und Komödiengeschichte in Hamburg und Wien ergibt. Eine erschöpfende Behandlung der Komödiengeschichte der beiden Städte soll und kann die vorliegende Arbeit jedoch nicht leisten. Die Arbeit verfolgt ein doppeltes Ziel: Zum einen soll ein neues Modell für Literaturgeschichtsschreibung, insbesondere für die Gattungsgeschichte vorgestellt werden, das die überlieferten textuellen Zeugnisse mit einbezieht. Es versteht sich ausdrücklich nicht als umfassend, sondern als eine von mehreren möglichen Zugangsweisen, die um andere zu ergänzen sind. Zu denken ist hier insbesondere an Darstellungen entlang Subgattungsentwicklungen, thematische oder problemgeschichtliche Zugänge und an die kanonisierte Geschichte der Komödie der Aufklärung mit ihren Vorläufern. Zum zweiten soll auch ein || 81 Vgl. zu dieser Definition von Komik Kap. 2.4 der vorliegenden Arbeit.
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substanzieller Beitrag zur Literaturgeschichte der deutschsprachigen Komödie geleistet werden, indem Thesen zu Komödien- und Komikformen im Norden und Süden des deutschsprachigen Gebiets hinterfragt, neue Verbindungen zwischen Nord und Süd aufgezeigt und die Zusammenhänge der (musik-)theatralen Kommunikation nachvollzogen werden.
2 Konzeptionelle Grundlagen 2.1 Zirkulation von Werken, Fassungen und sujets Die vorliegende Arbeit analysiert die Zirkulation von Dramenwerken.1 Die vielfältigen und stets historisch und kulturell spezifizierten Variationen des Begriffs Zirkulation gehören zwei verschiedenen Typen an. Einerseits werden darunter Bewegungen gefasst, bei denen ein Objekt oder Phänomen in irgendeiner Form an den Ort seiner Aufbewahrung oder seines Ursprungs zurückkehrt, so dass sich ein Kreis schließt. In der Literaturgeschichte eignet sich dieses Konzept dazu Bewegungen von Manuskripten oder beschrifteten Objekten zu beschreiben.2 Andererseits werden auch solche Bewegungen als Zirkulation bezeichnet, die eine Verbreitung eines Objektes oder Phänomens beschreiben, die nicht kreisförmig sind. Die Strukturen, die sich hier beobachten lassen, sind Ortswechsel und Verteilungen im geographischen Raum, Stammbäume und Netzwerke.3 Dieses zweite Verständnis von Zirkulation hat den Vorteil, dass sowohl genetische Abhängigkeiten als auch Beziehungen, Austausch und Modifikationen modelliert werden können. Für die Konzeption des Auf- und Auseinanderfolgens von Werken lässt es sich ebenfalls gut nutzen. Der Werkbegriff wurde in der germanistischen Literaturwissenschaft lange ausschließlich editonswissenschaftlich gefasst.4 Er ist genetisch konzipiert und stellt eine Antwort auf die Frage dar, ab wann die textuellen Materialien, die
|| 1 Der Begriff der ‚Zirkulation‘ wird häufig eher unspezifisch verwendet (vgl. zum Beispiel Gängers Analyse für die Darstellung von Weltgeschichte, Gänger [2017], Circulation: reflections on circularity). Das Konzept der Zirkulation hat im Untersuchungszeitraum der vorliegenden Studie auch als Beschreibungskategorie Konjunktur, wird jedoch im Folgenden nur auf der analytischen Ebene verwendet. Zur historischen Begriffsverwendung vgl. etwa die Beiträge in Sandl/Schmidt (2002), Gedächtnis und Zirkulation. Der Band analysiert detailliert Verwendungsweisen des Konzepts in der Physiologie, der Kommunikation, der Psychologie, der Kameralwissenschaft und des kollektiven sowie kulturellen Gedächtnisses. Als Gegenstände, die zirkulieren, werden zum Beispiel Diskurse, Ideen, geistiges Eigentum, Gemeinplätze und die Thesaurierung von Wissen konzipiert. Vgl. auch Vogl (1997), Ökonomie und Zirkulation um 1800. 2 Spoerhase (2014), ‚Manuscript für Freunde‘. 3 Vgl. Morettis Untersuchung von Graphen, Landkarten und Stammbäumen als abstrakte Modelle der Literaturgeschichte, Moretti (2005), Graphs, maps, trees. 4 Vgl. Martínez (1999), Autorschaft, S. 474–479. Vgl. auch die Diskussion der Forschungsliteratur zu dieser Unterscheidung bei Spoerhase (2007), Was ist ein Werk?, S. 290–292 und die neue Konzentration auf den Werkbegriff im Handbuch Medien (Binczek/Dembeck/Schäfer [2013], Einleitung). https://doi.org/10.1515/9783110691191-002
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uns von einem Autor überliefert sind, erstmals als Werk verstanden werden können. Für den Übergang vom Text zum Werk wurden dabei zumeist die folgenden Kriterien angesetzt: Titel (paratextuelles Kriterium), Veröffentlichung (institutionelles Kriterium), Autorabsicht (intentionales Kriterium), strukturelle Geschlossenheit (Anfang und Ende) beziehungsweise Vollendung (ästhetisches Kriterium).5 Zwei dieser vier Aspekte müssen jeweils für einen Dramentext spezifiziert werden, wenn man erfassen will, was geschieht, wenn ein Text zum Werk wird. Zum einen wird ein Dramentext nicht nur durch den Druck veröffentlicht, sondern auch durch eine Aufführung, durch eine Lesung oder durch die Distribution handschriftlicher Textbücher oder Rollen. Hierbei entstehen eigenständige Werke. Zum anderen muss das Autorkonzept dahingehend erweitert werden, dass man neben dem Textproduzenten auch weitere Akteure wie Zensoren, Intendanten oder Drucker und Verleger berücksichtigt, die ein Werkganzes in einer bestimmten Absicht (um)gestalten.6 Obwohl kritische Kollationierungen von Fassungen häufig die Grundlage der Analysen bilden, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit nicht die editionswissenschaftliche Erklärung der Genese eines Werkes eines Autors oder einer Autorin. Vielmehr sollen Prozesse beschrieben werden, die erst nach der Veröffentlichung eines Werkes beobachtet werden können. Im Zentrum der folgenden Analysen stehen die Bedingungen, unter denen Werke zirkulieren und neue Fassungen entstehen. Dieser Ansatz ist theoretisch in der deutschen Literaturwissenschaft noch nicht ausgearbeitet worden.7 Während man in der Forschung zu einzelnen Städten und Theatern Fassungen von Dramenwerken zu berücksichtigen beginnt, werden in der Literaturgeschichtsschreibung des Dramas Werke fast ausschließlich ohne Spezifikation der Fassung oder der Übersetzung behandelt.8 Wie der Werkbegriff wurde || 5 Vgl. Spoerhase (2007), Was ist ein Werk? S. 288. Jüngst wurde der Werkbegriff umfassend theoretisch für einige einzelne Medien ausformuliert (vgl. Danneberg/Gilbert/Spoerhase [2019], Das Werk). 6 Dabei fokussiert man zumeist auf den Autor als Verantwortlichen für die bedeutungstragenden Eigenschaften eines Textes. 7 Eine Book-History, die Fassungen und Exemplare systematisch erforscht, wie sie etwa in der Anglistik etabliert ist, gibt und gab es in der germanistischen Literaturwissenschaft nicht. Ein wichtiges Plädoyer für die Berücksichtigung der Materialität literarischer Texte und den Zusammenhang von Materialität und Semantik hat jetzt Carlos Spoerhase vorgelegt (vgl. Spoerhase [2018], Das Format der Literatur). 8 Gänzlich ohne Rekurs auf Fassungen kommen die folgenden Komödiengeschichten aus: Holl (1923), Geschichte des deutschen Lustspiels; Aikin-Sneath (1936), Comedy in Germany; Hinck (1965), Das deutsche Lustspiel; Steinmetz (1966a), Die Komödie der Aufklärung; Prang (1968), Geschichte des Lustspiels; Catholy (1969), Das deutsche Lustspiel; Catholy (1982), Das
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der Begriff der Fassung ebenfalls vorrangig in der Editionsphilologie diskutiert. Dort steht die Frage im Zentrum, wann eine Vorstufe eines Werkes als Fassung eines Werkes verstanden werden kann. Es gibt eine autorintentionalistische Definition, nach der die Tatsache, dass eine Textproduktion später in die Veröffentlichung eines Werkes mündete, einen Textzeugen zum Träger einer Fassung macht. Nach der entgegengesetzten Auffassung wird ein Text erst durch den Editor zu einer Fassung, indem dieser ihn als Fassung behandelt.9 Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen jedoch Reihen literarischer Kommunikationsereignisse, die mit der Erstveröffentlichung erst beginnen und die fast nie ausschließlich von ihrem Autor stammen.10 Dennoch ist das Kriterium der Varianz, das in der Editionswissenschaft als Definitionskriterium für eine Fassung diskutiert wird, auch hier konstitutiv für die Genese einer Fassung. Die eher formalistische Definition zielt darauf ab, dass sich eine Fassung durch mindestens eine Variante konstituiert und dass diese schon durch die Änderung nur eines Elements zustande kommt, weil sich dadurch auch Bezüge im Text verändern können.11 Scheibe geht davon aus, dass Textfassungen durch „Textidentität [...] aufeinander beziehbar und durch Textvarianz voneinander unterscheidbar“ sind.12 Später hat Gerlach dieses Kriterium umformuliert in das der Textäquivalenz, um auch Eigenübersetzungen als Fassungen behandeln zu können.13 Diese Überlegungen sind dahingehend weiterzuführen, dass man bei gänzlicher Zeichengleichheit zweier Dramentexte dennoch von verschiedenen Fassungen ausgeht, wenn sie in verschiedenen Kontexten als Werk veröffentlicht werden. Veränderungen im Titel, aber ggf. auch nur in der Verlags-, Reihen- oder Spielplanplatzierung führen dazu, dass die Aussagen im Text sowie seine Gesamtbedeutung anders kontextualisiert, das heißt vor dem Hintergrund neuer Sinnzusammenhänge bedeutsam werden. Neue Fassungen entstehen auch dann, wenn derselbe Librettotext neu vertont wird, was aufgrund lokal stark variierender Fähigkeiten der Sänger*innen und Orchestermusiker im Untersuchungszeitraum häufig passiert. Während man einerseits nach einem Minimalkriterium der Unterscheidung von Fassungen suchen kann, ist im Kontext der vorliegenden Ausführungen || deutsche Lustspiel; Mannack (1985), Lustspiele; Schulz (2007), Einführung in die deutsche Komödie. 9 Vgl. Kraft/Schilling/Vonhoff (2001), Editionsphilologie, S. 9–10. 10 Für die Dramen des 17. und 18. Jahrhunderts liegen handschriftliche Autorfassungen im Übrigen nur in den seltensten Fällen vor. 11 Zeller (1975), Struktur und Genese in der Editorik. 12 Scheibe (1982), Zum editorischen Problem des Textes, S. 25. 13 Van Hulle (2005), What Is the Word.
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auch die Frage von Bedeutung, ob ein nachfolgender Text noch als Fassung eines Ursprungswerks zu verstehen ist, oder ob er bereits nicht mehr genug Anteile desselben enthält.14 Dafür ist der Begriff des sujets hilfreich. Im Anschluss an die Russischen Formalisten kann das sujet verstanden werden als „Handlungssubstrat[], das sich an der im Text gegebenen Anordnung und Abfolge des Geschehens orientiert“.15 Schulz weist zu Recht darauf hin, dass das sujet eine Kombination sowohl von Elementen des discours als auch der histoire enthält, weil einerseits die Motivierung und Chronologie der histoire, andererseits die spezielle Verknüpfung und Darstellung im discours Teil des sujets sind. Dadurch unterscheidet es sich vom Stoff, der „eine konkrete in bestimmten Figurenkonstellationen und Handlungszügen geprägte Materialgrundlage für die Handlung“ von Texten darstellt und damit nur Vorgaben für die histoire macht.16 Bei dramatischen Texten entsprechen der Gestaltung im discours die Konfigurationen der Figuren (gemeinsames Auftreten von Figuren) sowie die Reihenfolge der Informationsvergabe.17 Die in dieser Arbeit behandelten Dramentexte eines Kapitels sind fast alle sujetidentisch, wie kurz zusammenfassend anhand des ersten Kapitels gezeigt werden soll. Für den Creso verwendet Minato den Crœsus-Stoff von Herodot und gestaltet ihn als Intrigenlustspiel, das in eine Huldigungsoper mit Balletteinlagen eingebettet ist.18 Bostel übernimmt das sujet bei seiner Bearbeitung des Librettos für die Hamburger Gänsemarktoper von Minato, verändert allerdings die komischen Figuren und gibt ihnen auch eine größere szenische Präsenz. Zusammen mit neuer Musik, die leider nicht erhalten ist, wird das Werk in Hamburg 1784 erstmalig aufgeführt. Die Haupthandlung bleibt dabei mit ihren Konfigurationen und ihren Wissensunterschieden bis auf die Kürzung von wenigen Nebenfiguren gleich, die Balletteinlagen und huldigenden Bestandteile entfallen jedoch. Jahrzehnte später entsteht eine Prosafassung des sujets für die Wanderbühne; sie stellt eine Fassung von Bostels Libretto dar. Daneben wird Bostels Text mit eigener Musik für die Braunschweiger Oper vertont. In allen
|| 14 Auch diese wird in der Editionswissenschaft diskutiert vgl. Nutt-Kofoth (2005), Goethes autobiografische Publikationen, S. 137 f. Vgl. auch Schildt/Zeller (1991), Werk oder Fassung eines Werks?; Kanzog (1991), Strukturierung und Umstrukturierung in der Textgenese. 15 Schulz (2003a), Sujet, S. 544. 16 Schulz (2003b), Stoff, S. 521. 17 Vgl. Pfister (1997), Das Drama, Kap. 3.4. 18 Creso. Drama per Musica, nel felicissimo di’natalizio. Della S.C.R Maesta’ Dell Imperatrice Eleonora, Maddalena, Teresa / Per Commando Della S.C.R. Maesta’ Dell’Imperatore Leopoldo. L'Anno M.DC.LXXVIII. Et alle Med:maM:tà Consacrato In Vienna d’Austria, Per Gio; Christoforo Cosmerovio, Stampatore di S. C. M. [R 999/ ÖNB 407.399-A] . Abgekürzt und zitiert als Creso.
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Fällen bleibt das sujet gleich oder doch fast gleich, indem dieselben Figurenkonfigurationen in derselben Abfolge realisiert werden und dieselben Intrigen dieselben Wissensunterschiede nach sich ziehen. In der Intermezzo-Fassung Buchhöfer Der stumme Printz Atis von 1726 wird dann allerdings nur ein Teil der Arien parodiert und auch nur ein Teil des sujets übernommen, nämlich die Kommunikation eines vermeintlich stummen Liebhabers mit seiner Geliebten mithilfe eines Übersetzers. Zudem wird die Anagnorisis aus dem ursprünglichen sujet parodiert. Darüber hinaus ändern sich jetzt Figuren, Konfigurationen und Themen und es kommt auch zu einer Kombination mit Motiven und Figuren aus einer anderen Oper. Es handelt sich deshalb um den Grenzfall einer Fassung. Dennoch ist das Werk klar in die Nachfolge des Crœsus von Bostel/Keiser gestellt, indem es in der Vorrede als Anschluss an dieses Werk positioniert wird.
2.2 Vergleich von Materialien und Medien Dreißig Jahre nach der programmatischen Tagung Materialität der Kommunikation ist die textuelle Materialitätsforschung als wissenschaftliches Paradigma institutionalisiert und hat die Aufmerksamkeit etwa auf die Spezifika von Handschrift, Druck und digitalen Medien, Werkgenese, Buchgebrauch, Semantiken von Formaten, nicht-biblionome Objekte als Schriftträger und Aspekte wie Bildlichkeit und Performanz von Schrift gelenkt.19 Obwohl das Drama als wichtigste Gattung in Europa nach dem Dreißigjährigen Krieg in besonders zahlreiche Praktiken der theatralen und literarischen Kommunikation eingebunden ist, werden bisher die materiellen Zeugnisse, die im Zuge der Produktion, Distribution, Aufführung und Rezeption entstehen, nicht systematisch in literaturgeschichtliche Darstellungen eingebunden. Es gibt zahlreiche primäre werkbezogene Praktiken, die zur Herstellung von Materialien führen. Neben der Produktion für einen Erstdruck beziehungsweise eine Uraufführung lassen sich der aufführungsbegleitende Verkauf, das Einbinden von unverkauften Exemplaren in Dramensammlungen, das Nachdrucken, die handschriftliche Zensur gedruckter und handschriftlicher Fassungen, das Dokumentieren von Spielfassungen und das Übersetzen, Kopieren, Bearbeiten und Inszenieren von Werken anführen. Als Praktiken, die Teile von Werken extrahieren, sind zum Beispiel || 19 Gumbrecht/Pfeiffer (1988), Materialität der Kommunikation. Genannt seien darüber hinaus nur wenige Publikationen in Auswahl: Wehde (2000), Typographische Kultur; Giuriato/Kammer (2006), Bilder der Handschrift; Lukas/Nutt-Kofoth/Podewski (2014), Text– Material–Medium: zur Relevanz editorischer Dokumentationen; Meier/Ott/Sauer (2015), Materiale Textkulturen; Spoerhase (2018), Das Format der Literatur.
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das Ausziehen von Notenmaterial und Rollen, die Zusammenstellung von Ariensammelbänden und Szenaren zu erwähnen. Hinzu kommen sekundäre Praktiken wie das Ankündigen, Rezensieren, Kritisieren, Erwähnen und Thematisieren in literarischen oder poetologischen Texten und Briefen, das Zusammenstellen von Anthologien, oder das Herausgeben von Ausgaben. Drucke und/oder Inszenierungen werden in Verlagsanzeigen respektive auf Theaterzetteln, in Zeitungen und Zeitschriften angekündigt, Werke in Repertoires und Spielpläne aufgenommen sowie in Zensur- und Bestandslisten aufgezählt. Alle diese Praktiken bringen werkförmige textuelle Materialen wie zum Beispiel Soufflierbücher, Inspektionsbücher, Maschinenmeisterexemplare, Druckvorlagen, Erstdrucke, Nachdrucke, Neuauflagen, handschriftlich kommentierte Druckexemplare, Zensurexemplare und Aufführungsmitschriften hervor. Verschiedene Materialerschließungsprojekte und die Digitalisierungsbemühungen der großen Bibliotheken zeigen, in welcher Diversität und Fülle Materialien zur Dramengeschichte vorliegen.20 Wenn Materialien zwischen Hamburg und Wien zirkulieren und neue mediale Formen annehmen, ist der Ablauf häufig wie folgt: Zunächst wird von einem Werk ausgegangen, das für ein Theater geschrieben wird, das man übersetzt und/oder adaptiert. Teilweise sind Aufführungstexte erhalten, die Streichungen, Änderungen und Zusätze enthalten. Es existiert zum Beispiel ein großes Korpus von Inspektions- und Soufflierbüchern für das Hamburger Stadttheater, aber auch zu Aufführungen am Burgtheater sind Textbücher erhalten, die allerdings bisher nur unzureichend bibliographisch erschlossen sind.21 Textbücher, seien sie handschriftlich oder gedruckt, werden für weitere Aufführungen auch verändert, wenn neue Themen aufgenommen oder Verbote berücksichtigt werden müssen. Häufig wird zur Aufführung auch eine jeweils aktualisierte Strichfassung gedruckt und verkauft. Die Drucke dienen dann als Grundlage für weitere Bearbeitungen im selben Theater oder andernorts. Eine solche Druckpraxis ist für das Kärntnertortheater, für das Burgtheater, aber auch für das Leopoldstädter Theater in Wien nachgewiesen. Für Hamburg ist sie für die Libretti der Hamburger Gänsemarktoper durchgängig zu beobachten. Auch für die Werke des Hamburger Nationaltheaters scheint es eine solche Druckpraxis zu geben, die allerdings bisher nicht aufgearbeitet wurde.22 Manchmal sind freilich nur
|| 20 Vgl. die in der Einleitung genannten Projekte, Kataloge und Bibliographien. 21 Diese liegen in der Bibliothek des Theatermuseums in Wien, sind zum Großteil bei Hadamowsky (1966), Die Wiener Hoftheater (Staatstheater) nachgewiesen und inzwischen über den Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek recherchierbar. 22 Vgl. Robertson (1939), Lessing’s Dramatic Theory, S. 389–400.
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Teile von Werken, zum Beispiel Szenare, oder Hinweise auf Werke erhalten, wie etwa Theaterzettel oder Erwähnungen in Verzeichnissen, die jedoch durch Titelveränderungen, Untertitel oder durch die Kombinationen mit anderen Werken bereits wichtige Hinweise auf die Positionierungsabsicht enthalten können. Dieses Material ist selbstverständlich auch Aufführungsmaterial und es ist daher angebracht ein paar grundsätzliche medienbezogene Überlegungen zum Verhältnis von dramatischem Text und Aufführung und zum Verhältnis von Sprechtheatertext und Musiktheatertext anzustellen. Was das Verhältnis von Text und Aufführung betrifft, so ist zunächst einmal festzustellen, dass es sich um zwei verschiedene Medien der Werkkonstitution handelt. Eine Aufführung kann als nicht-biblionomes Medium verstanden werden, das die Konstitution „einzelner Werke verantworte[t]“.23 Die Aufführungen eines dramatischen Textes sind in der vorliegenden Untersuchung kein eigenständiger Untersuchungsgegenstand, sondern werden als Kontext verstanden, der zum einen die Positionierungsabsicht eines Autors, Bearbeiters oder Zensors bestimmt. Zum anderen wird davon ausgegangen, dass die Aufführung, ihr Erfolg, ihre Beurteilung und die weitere Werkauswahl- und Produktion, die sie anregt, ebenfalls zur Positionierung eines Textes beitragen. Fluchtpunkt bei der Auswertung aller aufführungsbezogenen Informationen ist demnach die Frage nach der Positionierung des Werks. Informationen zu Aufführungen werden nur dann verwendet, wenn sie Schlüsse auf textuell Gemeintes und Mitgemeintes ermöglichen.24 Erkenntnisse der Theatergeschichtsschreibung und der Theaterwissenschaft zu Aufführungspraxis, Schauspielstil, Schauspielern und Spielplangestaltung sind wichtige Quellen der feldanalytischen Kontextualisierung, sind ihrerseits jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, ebenso wenig wie die Inszenierungen selbst.25
|| 23 Binczek/Dembeck/Schäfer (2013), Einleitung, S. 8. Kühnel versteht die Aufführung auch als „Werkmedium zweiter Ordnung“, was jedoch nur dann sinnvoll ist, wenn Texte bereits vor der Aufführung als eigenständige Werke vorliegen (vgl. Kühnel [2013], Theateraufführung, S. 352). 24 Die Begriffe stammen von Polenz, der das Gemeinte respektive Mitgemeinte im Sinne einer erschlossenen Sprecherabsicht vom Bedeuteten im Sinne derjenigen semantischen Aspekte unterscheidet, die im konventionalisierten Sprachwissen existieren (vgl. Polenz [1985], Deutsche Satzsemantik, S. 298–327). 25 Vgl. auch die Diskussion über die Grenzen der Rekonstruktion von Inszenierungen als Gegenstand der Theaterhistoriographie bei Hulfeld/Kotte/Kreuder (2007), Theaterhistoriographie und die Zusammenfassung der erkenntnistheoretischen und -praktischen Herausforderungen bei der Aufführungsanalyse in Roselt/Weiler (2017), Aufführungsanalyse. Eine Einführung, insbes. Kap. 1 und 2. Sehr deutlich wird die Problematik an Kottes Listen von objekt- und metasprachlichen Quellen, die zur Rekonstruktion einer Aufführung aus dem 19. Jahrhundert
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In der Theaterwissenschaft gibt es eine Debatte, in der der Theatertext gegenüber dem Drama privilegiert wird.26 Hier wird die Meinung vertreten, der Dramentext sei ein unvollständiges Werk, eine bloße Vorlage, die ohne Medienwechsel zur Aufführung nicht vollständig sei. Oder der Dramentext wird nur als der verbalsprachliche Anteil einer Aufführung abgetan. Hintergrund dieser definitorischen Abgrenzungsbemühungen waren Vorbehalte gegen eine repräsentationale Ästhetik und der Wunsch, Theater auch theoretisch eigenständig gegenüber Dramentexten als Kunstform zu etablieren.27 Dabei ging es um die Emanzipation vom Dramentext – und wohl vor allem auch von den Philologien – und nicht so sehr um die Begründung eines eigenständigen Status von Regieskripten oder für das Theater montierten Texten, die in ihrem ontologischen Status gar nicht erst begründungsbedürftig erschienen. Sowohl systematisch als auch historisch scheint es hingegen angemessener von der Annahme auszugehen, dass das Drama eine Textgattung ist, welche die Aufführung als eigene Diegese im Normalfall impliziert.28 Erst Aufführungen – und nicht bereits Dramen – sollen hier nun, abweichend von Pfister, als plurimediale „Texte“ verstanden werden.29 Der zentrale Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist das Drama. Aufführungen sind einer Analyse als ephemere Ereignisse nur sehr schwer zugänglich und auch explizit nicht Gegenstand der vorliegenden Analysen. Da Dramen aber Aufführungen als eigene Diegese zumeist mitentwerfen und da sich diese Konzeptionen an einer bestimmten Aufführungspraxis orientieren, sind als Wissenskontext auch all jene Umstände der Aufführungspraxis einzubeziehen, die ein Autor oder Bearbeiter eines Textes im Sinn gehabt haben kann beziehungsweise explizit berücksichtigen musste. Bei Fassungen, die im Anschluss an bereits aufgeführte Texte entstehen, spielt gegebenenfalls auch das (kolportierte) Wissen über die szenische Realisation dieser eigenen Diegese eine zu berücksichtigende Rolle für die Analyse weiterer Fassungen. So weit die Forschung zu überblicken ist, wird in der vorliegenden Arbeit erstmals sowohl Musik- als auch Sprechtheater unter dem Oberbegriff der ‚Komödie‘ in literaturhistoriographischer Absicht behandelt. Im Anschluss an Krämer wird der Begriff ‚Musiktheater‘ als literaturwissenschaftliche Kategorie || herangezogen werden müssten, weil sie auf einen Blick veranschaulichen, wie schlecht die Materiallage oftmals ist (vgl. Kotte [2013], Theatergeschichte, S. 327 f.). 26 Lehmann (1999), Postdramatisches Theater; Poschmann (1997), Der nicht mehr dramatische Theatertext. 27 Poschmann (1997), Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. 29. 28 Vgl. dazu grundlegend Weber (2017), Episierung im Drama. Zur Ausnahme des Lesedramas vgl. Niefanger (2019), Drama als Werk. 29 Pfister (1997), Das Drama, S. 24 f.
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für alle Verbindungen von Dialogtext, Musik und szenischer Aufführung verwendet.30 Der Begriff ‚Singspiel‘ wird zur besseren Verständlichkeit nur für das norddeutsche und das Wiener Singspiel ab 1760 respektive 1780 benutzt, wenn es sich um gesprochene Texte im Wechsel mit Gesangseinlagen handelt. Die Musiktheaterwerke an der Hamburger Gänsemarktoper von 1678 bis 1738 und die auf Deutsch aufgeführten Musiktheaterwerke am Wiener Burgtheater werden in der vorliegenden Arbeit als ‚Opern‘ bezeichnet, auch wenn sie selbst im Paratext andere Gattungsbezeichnungen wie ‚Singspiel‘ oder ‚dram(m)a per musica‘ tragen. Da es sich jeweils um durchkomponierte Werke handelt, scheint die systematische Bezeichnung sinnvoller zu sein. Als ‚Singspiele‘ werden nur diejenigen Werke gefasst, die einen Wechsel von gesprochenem Text und Gesangstexten enthalten. Solche Werke werden ab den 1770ern in Deutschland zu einer sehr populären Gattung.31 Die Bedeutung und die Bewertung von Libretti haben sich im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder gewandelt. Für die Zeitgenossen des Untersuchungszeitraumes hat der Text ästhetisch und genetisch gegenüber der Musik immer Vorrang.32 Libretto-Vorreden der Hamburger Gänsemarktoper enthalten häufig differenzierte poetologische Überlegungen zum Textaufbau33 und die Libretti werden zum Mitlesen während der Vorstellung gedruckt und verkauft. Insbesondere diese Libretti werden von Personen verschiedenen Standes möglichst vollständig gesammelt, weil man sich des kulturellen Wertes einer deutschsprachigen Musiktheaterproduktion auf so hohem Niveau durchaus bewusst ist.34 Etwa zur gleichen Zeit werden auch Libretti des Wiener Hofes zur Vorstellung, gegebenenfalls sowohl in Originalsprache als auch auf Deutsch gedruckt und an andere Höfe versendet.35 Auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts sind Opernund Singspieltexte häufig dramaturgisch und ästhetisch komplex. Von den Philologien wurden sie dennoch lange Zeit pauschal als ästhetisch wenig anspruchsvolle Zweckgattung abgewertet und nicht berücksichtigt.36 Es galt lange die Meinung, dass diese Texte emotional überfrachtete, äußerst konstruierte oder allzu simple Handlungen hätten. In der Lektüre zeigt sich eine eigene Affektdramaturgie, die besonders auf schnelle Wechsel der Emotionen hin konzi|| 30 Vgl. im Folgenden Krämer (1998a), Deutschsprachiges Musiktheater, Bd. 1, S. 30 f. 31 Vgl. Urchueguía (2015), Allerliebste Ungeheuer. 32 Vgl. dazu grundlegend Hartmann (2017), Grundlegung einer Librettologie und Scheitler (2005 ff.), Libretto [Art.], Sp. 882 f. 33 Vgl. Meyer (1980 ff.), Die Hamburger Oper, Bd. 4, S. 111–134. 34 Vgl. Marx/Schröder (1995), Die Libretti der Hamburger Gänsemarktoper, S. 10–15. 35 Vgl. Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof. 36 Borchmeyer (1996), Libretto [Art.], Sp. 1116 f.
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piert ist und es ereignen sich auch unwahrscheinliche Zufälle. Die Handlungsführung im Ganzen, die Wahl von Stoffen, Motive, Themen, die Gestaltung von Intrigen, Verwicklungen, Verstellung und Täuschungen sowie auch die stilistischen Mittel erweisen sich jedoch häufig als künstlerisch sehr durchdacht und genau auf die intendierte Wirkungsabsicht abgestimmt. Dies und der hohe Stellenwert des Librettos in theoretischen Debatten im Untersuchungszeitraum fordern geradezu eine vergleichende Analyse von Sprech- und Musiktheatertexten. Verglichen werden auch Originale mit Übersetzungen und Übersetzungen in beiden Städten, weil sie meist für jede Stadt neu angefertigt werden.37 Greiner diskutiert die Unterschiede in zwei verschiedenen Übersetzungen von George Colmans und David Garricks The Clandestine Marriage, die für Aufführungen in Hamburg und Wien entstanden sind.38 Er hat auch gezeigt, dass man die Komik in Shakespeares Dramen bei der Übersetzung ins Deutsche grundsätzlich stark gekürzt oder verändert hat, so dass Abwertungen, Nonsens und Derbheiten (vor allem sexueller Natur) verschwinden.39 Wie auch bei Greiner soll in der vorliegenden Arbeit ein deskriptiver Ansatz bei der Analyse von Übersetzungen verwendet werden.40 Das bedeutet, dass Nähe zum Original nicht als gut, Ferne nicht als schlecht bewertet wird. Es geht folglich nicht darum, Verluste am Originalwerk zu bemängeln, sondern Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu deuten. Die Begriffe ‚Übersetzung‘ und ‚Bearbeitung‘ werden nach der Definition von Kohlmayer voneinander abgegrenzt.41 Kohlmayer unterscheidet nach dem aus der Rhetorik stammenden Modell zur Verfertigung einer Rede fünf Stufen, auf denen Übersetzer Veränderungen übernehmen können. Dabei geht er davon
|| 37 Greiner (2010), Profiles of Drama Translation; Turk (1988), Soziale und theatralische Konventionen als Problem des Dramas. Zur Übersetzung von Libretti vgl. Kaindl (1995), Die Oper als Textgestalt und Honolka (1987), Opernübersetzungen. Es wurde bereits verschiedentlich berücksichtigt, dass die Sprache eine Bühnensprache ist (vgl. Greiner/Jenkins [2004], Bühnensprache als Übersetzungsproblem; Bigliazzi/Kofler/Ambrosi [2013], Introduction; Bassnett [2002], Translation Studies). Weniger häufig ist man darauf eingegangen, dass Übersetzer*innen vor allem die Kontexte berücksichtigen müssen, für die sie übersetzen (vgl. Mounin [1967], Die Übersetzung für die Bühne; Paul [1993], Europäische Komödie im übersetzerischen Transfer; Unger [1995], Differente Lachkulturen?; Aaltonen [2000], Time-Sharing on Stage; Bachleitner [2019], Translating under Constraints). 38 Greiner (1988), Lach- und Sprachkulturen. 39 Greiner (1993), The Comic Matrix of Early German Shakespeare Translations. 40 Vgl. Toury (1995), Descriptive Translation Studies; Hermans (2004), Translation as an object of reflection. 41 Kohlmayer (2010), Theatrale Infrastruktur und kulturelle Stereotype, S. 148 f.
Vergleich von Materialien und Medien | 35
aus, dass ein Bearbeiter bereits auf der Ebene der inventio und der dispositio eingreift, indem er einerseits „Themen, Realien, Figuren des Originals“ den Gepflogenheiten der Zielkultur entsprechend entfernt, verändert oder neu gewichtet, andererseits Dialoge, Szeneneinteilung, Aktschlüsse und den Schluss eines Dramas neu gewichtet. Eine Übersetzung setze dagegen erst bei der elocutio an und belasse die ersten Ebenen wie sie seien. Verändert werden bei der Übersetzung Versmaße, Satzbau, Stilebenen, Dialekte, Formen der Alltagssprache und die sprachliche Beziehungsgestaltung. Im Bereich der memoria verortet er Veränderungen, die im Hinblick auf die Semiose des Zielmediums (Buch, Theater, Fernsehen, Film et cetera) vorgenommen werden. Abschließend ist nun noch das Konzept des Vergleichens zu präzisieren. Der Vergleich ist eine „Erkenntnismethode, [bei der] durch das Nebeneinanderstellen zweier oder mehrerer Gegenstände oder Sachverhalte (comparata), zum Beispiel literarischer Art, deren Ähnlichkeiten und Unterschiede“ deutlich werden.42 Solche Ähnlichkeiten und Unterschiede können nur dann sichtbar werden, wenn man einen Vergleichsgesichtspunkt hat, der unabhängig von den comparata existiert.43 Als tertium comparationis für den Vergleich von Komödienwerken wird in der vorliegenden Studie die textuelle Komik verwendet. Zur Erklärung der Unterschiede der komischen Themen und Formen werden aber auch Kontexte wie institutionelle Bedingungen, buch- und druckgeschichtliche Aspekte und vor allem die Theaterpraxis sowie Wissen über die Aufführungspraxis verglichen. Diese Kontexte sind räumlich begrenzt, in diesem Fall auf die Ausdehnung der beiden Städte Hamburg und Wien. Es handelt sich folglich um einen Vergleich des zweiten und dritten Typs nach Schmeling. Schmeling unterscheidet im Anschluss an Durišin fünf Vergleichstypen.44 Während der erste Typ die reine Einflussforschung bezeichnet, werden beim zweiten Vergleichstyp auch historische Prozesse als Erklärungkontexte für textuelle Phänomene herangezogen, beim dritten Vergleichstyp werden auch Kontexte mit einbezogen.45 Es wurde in letzter Zeit vor allem in der Geschichtswissenschaft verschiedentlich darauf hingewiesen, dass beim Vergleichen als historische Praxis streng darauf zu achten ist, wer wen vergleicht und wer ein Interesse an solchen
|| 42 Zelle (2013), Vergleich, S. 129. 43 Welskopp (1995), Stolpersteine, S. 358 ff. 44 Schmeling (1981), Vergleichende Literaturwissenschaft, S. 11 f. 45 Der vierte Vergleichstyp zielt auf systematisch-strukturelle Gesichtspunkte ab, der fünfte bezieht sich auf den Vergleich von Literaturkritiken (vgl. ebd.).
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Vergleichen hat.46 In den letzten Jahrzehnten wird immer häufiger betont, dass auch bei der vermeintlich objektiven wissenschaftlichen Methode des Vergleichens die tertia comparationis, die Vergleichshinsichten, ebenso wie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede „in hohem Maße konstruiert und interessegeleitet, gegebenenfalls auch fraglich und manipuliert“ sein können.47 In der vorliegenden Arbeit wurde versucht mit der Komik einen Vergleichsgesichtspunkt zu finden, der besonders zentral für die gewählte Gattung ist. Die These von viel Komik im Süden und wenig Komik im Norden war zwar der Ausgangspunkt der Beschäftigung mit den Komödien, eine eindeutige Widerlegung oder Bestätigung dieser These ist allerdings nicht das Ziel, vielmehr eine je historisch und kontextuell angemessene Diversifizierung der Komödiengeschichte.
2.3 Praxeologische Gattungsgeschichtsschreibung Will man nun Werke und Fassungen nicht nur beschreiben, sondern auch erklären, weshalb bestimmte Komödienformen, Komikformen, sujets und Themen gewählt werden und weshalb an sie angeschlossen wird, so ist es nötig, den diachronen und synchronen Werk- und Gattungsbezug und den Bezug zur außertextuellen und außertheatralen Wirklichkeit auch theoretisch zu modellieren. Dabei ist die Perspektive der kultursoziologischen Feldtheorie nach Bourdieu hilfreich, die in letzter Zeit häufig als vielversprechende Nachfolgerin der Sozialgeschichte der Literatur gehandelt wird.48 Im Anschluss an Bourdieus Theorie, die sich explizit als eine Theorie der Praxis versteht,49 bezeichnet man mit dem Adjektiv ‚praxeologisch‘ Ansätze, die dezidiert auf Praktiken der Kommunikation, mediale Aspekte und den Umgang mit Materialien fokussieren.50
|| 46 Jucquois (1989), La méthode comparative; Werner/Zimmermann (2006), Beyond Comparison; Haupt (2009), Comparative and Transnational History; Welskopp (2010), Vergleichende Geschichte. 47 Epple/Erhart (2015), Die Welt beobachten, S. 15; Hösle (2008), Über den Vergleich von Texten; Haupt (2009), Comparative and Transnational History; Werner/Zimmermann (2006), Beyond Comparison; Zima (2000), Vergleichende Wissenschaften; Jucquois (1989), La méthode comparative. 48 Wegweisend Joch/Wolf (2005), Text und Feld; Wolf (2005), Streitbare Ästhetik. 49 Vgl. Bourdieu (1972), Esquisse d’une theorie de la pratique. 50 Vgl. etwa Hübner (2010), Erzählung und praktischer Sinn; Hübner (2012), Eulenspiegel und die historischen Sinnordnungen; Tommek (2015), Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur; Döring (2018), Hörbuch-Philologie oder Praxeologie kollaborativer Autorschaft? Daneben bezeichnen sich auch Zugänge, die sich mit den Praxisformen der Philologie beschäftigen, als ‚praxeologisch‘ (vgl. Martus/Spoerhase [2013a], Historische Praxeologie; Martus/Spoerhase
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Bourdieu hat seine Überlegungen bekanntlich für das französische Feld der Kunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt, in dem die Herausbildung eines autonomen ästhetischen Feldes zu beobachten ist, die er als Folge häretischer Bestrebungen gegen eine orthodoxe Meinung zur Verfertigung von Literatur versteht. Die Häretiker bilden die Avantgarde, die sich streng gegen das Subfeld der Massenproduktion absetzt und kommerziellen Erfolg ablehnt. Den avantgardistischen, autonomen Teil des Feldes machen diejenigen Autoren aus, die als Häretiker gegen die festgefahrenen Normen der Orthodoxen für die Gestaltung von Kunstwerken rebellieren. Nun ist es möglich nach genau dieser Konstellation in anderen Nationalliteraturen und zu anderen Zeiten zu suchen. Auch in der Germanistik geht man inzwischen davon aus, dass am Ende des 18. Jahrhunderts ein Teil des literarischen Feldes im deutschsprachigen Raum ebenfalls weitgehend autonom funktioniert und dass das Subfeld der eingeschränkten, autonomen Produktion eine eigene Ökonomie und Logik aufweist.51 Der Fokus auf Kunstautonomie als Programm ist allerdings eine recht enge Perspektive und verdeckt, dass man mit einigen Grundkonzepten von Bourdieu auch grundlegender und vor allem bereits in früheren Epochen arbeiten kann.52 Fruchtbarer als die Frage, wann genau für das deutschsprachige literarische Feld eine solche Autonomiesemantik etabliert wird, scheint die Frage zu sein, wann und unter welchen Bedingungen der Bezug zur Gattungsgeschichte und die künstlerische Positionierung in einer ästhetischen Debatte primär die Gestaltung der Komödientexte bedingen und wann eher heteronome Aspekte wie Herrscherbezug, Reichsgeschichte, Unterhaltung oder kommerzieller Erfolg von Bedeutung sind. Übernommen werden soll aus Bourdieus Kultursoziologie deshalb nur die Denkfigur, dass Felder als Menge von relationierten Positionen
|| [2013b], Eine praxeologische Perspektive auf Einführungen; Albrecht/Danneberg/Krämer/Spoerhase [2015], Theorien, Methoden und Praktiken des Interpretierens). 51 Vgl. Wolf (2001), Streitbare Ästhetik; in Ansätzen schon in Bourdieu (1974), Künstlerische Konzeption und intellektuelles Kräftefeld. Dagegen Magerski, die die Entstehung des literarischen Feldes in Deutschland nach 1871 untersucht, diesen Beginn jedoch deshalb wählt, weil sie die Anfänge des – ihrer Meinung nach für die Autonomie des Feldes zentralen – Konzepts des modernen Intellektuellen erst dort sieht (vgl. Magerski [2004], Die Konstituierung des literarischen Feldes). Bourdieu hat seine Theorie am französischen literarischen Feld in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Das deutsche literarische Feld um 1800 kann zwar noch nicht als vollständig ausgebildet bezeichnet werden, insbesondere was die institutionellen Gegebenheiten wie Urheberrecht, Pressefreiheit und die Entwicklung von Konsekrationsinstanzen (Universitäten, Akademien, Schulen et cetera) betrifft; es weist allerdings bereits zu diesem Zeitpunkt eine klar erkennbare Ausdifferenzierung in ein „Subfeld der eingeschränkten Produktion“ sowie in eines der „Massenproduktion“ auf. 52 Vgl. zum Beispiel jüngst Niefanger/Schnabel (2017), Positionierungen.
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zu verstehen sind, denen je unterschiedlich viel symbolisches Kapital zugeschrieben wird. Das symbolische Kapital der bereits besetzten Positionen ergibt sich aus den synchronen Relationen sowie der Geschichte der Relationen und Kapitalzuweisungen. Die freien Positionen machen den ‚Raum des Möglichen‘ aus, der für neue Positionierungen zur Verfügung steht. Zu rekonstruieren sind die Strategien und die angestrebten sowie die tatsächlichen Positionierungen. Sie sollen terminologisch als Positionierungsabsichten und Positionierung gefasst werden.53 Letztere sind als die empirisch beschreibbare Position zu verstehen, die ein Text dann tatsächlich im Feld einnimmt beziehungsweise die ihm zugeschrieben wird. Zur Rekonstruktion der Positionierung sind in erster Linie Rezensionen und Einordnungen in der Theaterpublizistik, Aufnahmen in Publikationsreihen und -sammlungen sowie explizite und implizite Anschlüsse durch weitere Werke zu berücksichtigen. Durch den jeweiligen Einsatz von Schreib- und Autorenstrategien gestalten Autoren Texte beziehungsweise versuchen deren Wahrnehmung zu steuern. Durch den Anschluss an oder die Absetzung von bestimmten Werken in textueller oder paratextueller Form streben sie nicht nur selbst Positionen an, sondern weisen den Texten, an die sie anschließen, auch Positionen zu. Bourdieu geht es hauptsächlich um solche Positionierungsstrategien, die auf die jeweils kapitalträchtigste Position im Feld abzielen. Im Folgenden sollen hingegen sowohl Positionierungen in ambitionierter und gattungsrevolutionierender als auch solche in unterhaltender, gattungsfortschreibender oder, wenn man so will, affirmativer Absicht, beschrieben werden. Zudem fasst Bourdieu als Gegenstand von Positionsanalysen vorrangig die Positionierungsabsichten und Positionierungen von Autoren und daneben „literarische oder künstlerische Werke, […] aber auch politische Handlungen und Reden, Manifeste oder polemische Schriften usw.“54 In der Weiterentwicklung von Bourdieus Überlegungen für die konkrete Textanalyse lässt sich der literarische Text als Äußerungsakt konzipieren, der durch Schreib- und Autorenstrategien geprägt ist, die im Einzelnen die Positionierung bestimmen.55 Im Anschluss an Jannidis werden
|| 53 In Böhm/Dennerlein (2016), Der Bildungsroman im literarischen Feld, S. 8, auch als ‚Positionsnahme‘ bezeichnet. 54 Bourdieu (2001), Die Regeln der Kunst, S. 366. 55 Die Modifikation und Anwendung der Bourdieu’schen Feldtheorie für eine Modellierung von Gattungsbeginn und -genese des Bildungsromans wie sie in Böhm/Dennerlein (2016), Der Bildungsroman im literarischen Feld und Dennerlein, Wielands Geschichte des Agathon oder Wilhelm Meisters Lehrjahre skizziert wurde, bildet die Grundlage für die folgenden Überlegungen. Im Band von Niefanger/Schnabel findet sich nun jüngst ebenfalls eine Ausweitung der Fokussierung auf die Positionen von Autoren hin zu Positionen von Werken (vgl. Niefan-
Praxeologische Gattungsgeschichtsschreibung | 39
unter Schreibstrategien formale Aspekte, die Auswahl bestimmter Themen und die Gestaltung der innerliterarischen Kommunikation gefasst. Formale Aspekte sind im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit vor allem genre- und komikspezifische Schreibweisen. Unter Autorenstrategien werden innertextuelle, paratextuelle und habituelle Inszenierungsmöglichkeiten von Autoren verstanden.56 Diese Strategien können dann Differenzen oder Gemeinsamkeiten zu der bereits geschriebenen Literatur, aber auch zu den synchron im Feld präsenten Autoren und zu zeitgenössischen Konzepten aufweisen.57 Als Schreibstrategien im Zusammenhang mit Komödien sind an erster Stelle die Wahl von Komödiengenres wie Verlachkomödie, Intrigenkomödie, Charakterkomödie oder rührendes Lustspiel, Posse, opera buffa et cetera und natürlich die Wahl der komischen Elemente zu nennen. Letztere werden weiter unten noch gesondert ausgeführt.58 Analysiert man nun Werkfassungen mit diesem Ansatz, kann man bereits die Auswahl von Vorlagen für Übersetzungen und Bearbeitungen gut erfassen, indem man sie daraufhin befragt, welche Positionierungsabsicht ein Übersetzer oder Bearbeiter mit der Auswahl, aber auch mit der Spezifik seiner Bearbeitung verfolgt. Bei einer feldsoziologischen Untersuchung stehen so die Normen und Konventionen der Zielinstitution und des Zielgenres, für die sie übersetzt werden und nicht die Frage nach der Authentizität einer Übersetzung oder nach der Texttreue im Vordergrund.59 Herauszufinden ist, inwiefern diese Unterschiede von den Normen und Konventionen der Zielinstitution und des Zielgenres ge-
|| ger/Schnabel [2017], Positionierungen). Niefanger/Schnabel unterscheiden Positionierungen des Autors (auktoriale Positionierungen), von solchen, die durch Herausgeber und Verleger (allographe Positionierungen) vorgenommen werden. Systematisch differenzieren sie zudem zwischen ‚sozialen‘, ‚inszenatorischen‘ und ‚diskursiven‘ Positionierungen. 56 Genette (1987), Paratextes; Maclean (1991), Pretexts and paratexts; Krämer (2008), Text und Paratext im Musiktheater. Habituelle Prägungen spielen bei den Beispielen in der vorliegenden Arbeit nur am Rande eine Rolle, etwa im Selbstverständnis von Lessing als europäischer Gelehrter. Wolf hat am Beispiel Goethes gezeigt, wie entscheidend sie sein können (vgl. Wolf [2005], Gegen den Markt). 57 Bourdieu (2001), Die Regeln der Kunst, S. 368; Bourdieu (1992), Von der Regel zu den Strategien; Bourdieu formuliert das wie folgt: „Jeder Produzent, jeder Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler, konstruiert sein eigenes schöpferisches Projekt in Abhängigkeit von seiner Wahrnehmung der verfügbaren Möglichkeiten […] und in Abhängigkeit von der Neigung, unter diesen Möglichkeiten eine bestimmte zu ergreifen und andere zu verwerfen.“ (Bourdieu [1989], Science-Fiction, S. 65) 58 Für die theoretische Gattungskonzeption im Anschluss an Bourdieu vgl. Michler (2005), Möglichkeiten literarischer Gattungspoetik nach Bourdieu. 59 Vgl. Ranke (2004), Übersetzen für das Theater.
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prägt sind, für die übersetzt wird.60 Gefragt wird jeweils nach der Komik- und Komödienform und der Funktion des Ausgangstextes (in der Terminologie der Übersetzungswissenschaft ‚source text‘ and ‚target text‘). Die Funktion ist verknüpft mit dem Wert, der dem Werk durch das Netzwerk von Relationen verliehen wird, in das es eingefügt wird.61 Es ist demnach keinesfalls von einem einfachen Kulturtransfer eines Werkes von einer Sprache in eine andere oder von einem Land zum anderen auszugehen.62 Zu rekonstruieren ist vielmehr die Positionierungsabsicht, in der erfolgreiche sujets, Schreibstrategien oder ganze Werke übernommen werden. Schreibstrategien finden sich in Paratexten, zum Beispiel in Vorspielen, Titeln, Untertiteln, Widmungen, Anlassbezügen, Vorreden, Prologen und gegebenenfalls in einer Licenza. Paratextuell lassen sich Positionierungsabsichten zum Beispiel anhand der Art und Weise der öffentlichen Ankündigung von Druck oder Aufführung im Wiener Diarium respektive in den Hamburger Adreß-Comptoir-Nachrichten erkennen. Sie lassen sich zudem aus der Erwähnung in Theaterprogrammen, poetologischen oder kulturpolitischen Schriften und der Platzierung im Spielplan rekonstruieren. Zu modellieren ist noch ein zweiter Zusammenhang, nämlich das Zusammenwirken des Gattungsbezuges mit dem außerliterarischen beziehungsweise außertheatralen Kontext.63 Die Komödie gilt bekanntlich als Gattung mit starkem Wirklichkeitsbezug. Situationen, Themen, Figuren(typen) weisen oftmals einen direkten Zeitbezug auf. Der Vorteil einer Verwendung der Bourdieu’schen Überlegungen besteht hier darin, dass die Verknüpfung von Text und außertextueller Realität nicht aufwändig begründet werden muss, sondern als Auswahlentscheidung der Akteure konzipiert werden kann, die nach Maßgabe der Strukturen desjenigen Feldes geschieht, in dem sie sich positionieren wollen. Das bedeutet, dass an keiner Stelle von rein individuellen Entscheidungen ausgegangen wird, sondern dass jeder Inhalt nur nach Maßgabe der Passung zum Feld relevant wird. Dazu zwei Beispiele: In Hamburg ermöglicht das Schema der venezianischen Karnevalsoper in Verknüpfung mit der komischen Figur eine
|| 60 Vgl. a. a. O.; Turk (1990), Konventionen und Traditionen; zusammenfassend historisch Schultze (2004a), Übersetzungen von Drama und Theater und systematisch Schultze (2004b), Übersetzen für das Theater: Redetext und Nebentext. 61 Vgl. Hermans (1991), Translational Norms and Correct Translations, S. 160. 62 Die Theorie des Kulturtransfers wurde vorwiegend in Frankreich und Deutschland in den 1980ern und 1990ern entwickelt (vgl. Lüsebrink [2005], Kulturtransfer). 63 In der sozialgeschichtlichen Literaturwissenschaft wird dieses Problem üblicherweise als ‚Verknüpfungsproblem‘ bezeichnet. Vgl. für eine Auseinandersetzung mit demselben bei der Darstellung der Komödie im 17. und 18. Jahrhundert Fulda (2005a), Schau-Spiele des Geldes, S. 33–50.
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kritische Thematisierung von Verhaltensweisen der Hamburger Großbürger. In der Karnevalsoper sind ab 1707 Lokalbezüge und die Darstellung eines Festes vorgesehen und in Hamburg wird so aus dem venezianischen Karneval der Jahrmarkt beziehungsweise das Schlachtfest.64 Die komische Figur, die typisch für die Hamburger Libretti dieser Zeit ist, und bereits zuvor einige Male als Hamburger Straßenhändler gestaltet wurde, spricht hier nun plattdeutsch, beschwert sich über ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und kann mehrere, lokal spezifizierte Gegenspieler haben. Durch den engen Stadtbezug ist es leicht möglich, die gerade in den ersten moralischen Wochenschriften in Hamburg aufkommenden Diskussionen über Kindererziehung, eheliche Treue und Geldgier anhand der Verhältnisse vor Ort satirisch darzustellen. Erst der Wandel hin zur Lokaloper als einer neuen Gattung macht die Thematisierung der außerkünstlerischen Wirklichkeit möglich. Ein anderes Beispiel ist die Minna von Barnhelm. Indem hier die historischen Ereignisse kurz nach dem Siebenjährigen Krieg mit dem Komödienschema der Heirat mit Hindernissen verknüpft werden können und sich die Versöhnung zweier Konfliktparteien im Krieg als Intrige und die Treueprobe als Reflexion über richtiges und falsches Verhalten in einer Paarbeziehung thematisieren lassen, werden Elemente der Wirklichkeit in der Komödie darstellbar.
2.4 Komik in der Komödie Es ist nicht sicher, ob es einen einzigen klar definierten und systematisch einheitlichen, metasprachlichen Gattungsbegriff der Komödie gibt, der die historische Variabilität des Gegenstands einschließt. Wenn dem so wäre, würde dieser nur ein einziges Definitionskriterium enthalten, und zwar das des guten Ausgangs als Auflösung aller Verwicklungen.65 Ergiebiger scheint allerdings der Anschluss an eine Genredefinition im Sinne Frickes zu sein. Unter ‚Genre‘ versteht er die „ge- und bewußten Normen [, die] die Produktion und Rezeption
|| 64 Vgl. zur Lokaloper hier und im Folgenden Wolff (1957), Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 75–97 und Kap. 3.1 der vorliegenden Arbeit. 65 Dies ist zweifelsohne zentral. Kraft hat die Diskussion des Happy Ends in Poetiken des 17. und 18. Jahrhunderts eingehend analysiert (vgl. Kraft [2011], Zum Ende der Komödie). Vgl. für eine Systematik von ausschließlich komischen Komödientypen Rommel (1975), Komik und Lustspieltheorie. Ein Konzept wie etwa das von Greiner, der vier Kriterien für die Komödie ansetzt, ist als Gegenstandsdefinition einer Gattungsgeschichte im Untersuchungszeitraum zu spezifisch (vgl. Greiner [2006], Die Komödie).
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von Texten bestimmen“.66 Diese Definition lässt sich gut an die soeben skizzierte feldsoziologische Konzeption von Gattung anschließen, weil das Genrewissen als im Feld synchron präsentes und diachron legitimiertes Wissen um eine Schreibstrategie gefasst werden kann. Für Hamburg und Wien ist diese Schreibstrategie als prototypische Vorstellung zu fassen, die außer durch den guten Ausgang auch durch Komik in der Haupthandlung bestimmt ist. Die Zugehörigkeit zum Komödiengenre bestimmt sich allerdings nicht ausschließlich über das positive Vorliegen dieser Merkmale in einem Text, sondern vorwiegend durch den kommunikativen Bezug auf diese Norm. Dies zeigt sich zum Beispiel am Subgenre des Rührenden Lustspiels. Es enthält in der Haupthandlung keine Komik, wird aber in poetologischen Schriften genau in Absetzung von diesem prototypischen Modell der Komödie positioniert und tritt in den Spielplänen an die Stelle der Typen-Verlachkomödie. Die erzieherische Funktion durch identifizierende Nachahmung eines positiven Vorbildes ist auch der Grund, weshalb das Rührende Lustspiel sowohl auf der Wanderbühne der 1750er und 1760er Jahre als auch in den beiden Nationaltheaterrepertoires Ende der 1760er Jahre in Hamburg und Wien so dominant ist. An die Stelle des distanzierenden Verlachens fehlerhafter Verhaltensweisen tritt die gemeinschaftsstiftende Identifikation der Zuschauer mit den tugendhaft handelnden Figuren. Im Übrigen sind Komödienkonzepte ohne Komik in der deutschsprachigen Komödie keine Seltenheit.67 Dennoch sind sie immer auf die prototypische Konzeption von Komödie bezogen und vor diesem Hintergrund ebenfalls signifikant. Für den Beginn des Untersuchungszeitraums, die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, ergibt sich für Hamburg und Wien allerdings noch eine andere Frage in Bezug auf diese prototypische Gattungsvorstellung. Sowohl in Wien als auch in Hamburg gibt es kaum Werke, die ausschließlich die Komödie als Schreibstrategie wählen. Vielmehr sind Komödienhandlungen zunächst fast immer in andere genrebezogene Schreibstrategien eingefügt.68 Die Haupthandlung des ersten Werkbeispiels in der vorliegenden Untersuchung, der Hofoper Creso, enthält zum Beispiel zwar Komik und hat auch ein gutes Ende, sie ist jedoch durch eine doppelte Rahmung im Genre der Festoper positioniert. Der erste Rahmen, der die komischen Intrigen um Crœsus’ Sohn Atis umgibt, sind
|| 66 Während Gattungen in der Definition von Fricke „rein systematische[] literaturwissenschaftliche[] Ordnungsbegriff[e]“ sind, fasst er ‚Genres‘ als „historisch begrenzte[] literarische[] Institution[en]“. (Fricke [1981], Norm und Abweichung, S. 132). 67 Profitlich (1997), Geschichte der Komödie; Profitlich (2001), Komödien-Konzepte. 68 Eine Ausnahme bildet das jesuitische Schultheater, in dem lateinische Originalkomödien aufgeführt werden (vgl. Hadamowsky [1991], Das Theater in den Schulen der Societas Jesu).
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die philosophischen Gespräche über Glückswechsel zwischen Creso und dem Philosophen Solone. Der zweite Rahmen ist der Herrscherbezug. Einmal ist dieser durch das im Titel genannte Geburtstagsfest der dritten Gemahlin von Leopold I. hergestellt, das auch der Anlass für die huldigenden Balletteinlagen ist. Darüber hinaus zeigt er sich in der abschließenden Licenza, die sich auf die Zukunft des Hauses Habsburg und des Heiligen Römischen Reichs bezieht. Die Adaption dieser Oper für die Hamburger Gänsemarktoper ist dann zwar um den huldigenden Rahmen gekürzt, im Vorwort wird jedoch das verbliebene Gespräch zwischen Crœsus und Solon in einen christlich-erbaulichen Kontext gestellt, so dass wiederum die philosophische Lehre die Komödienstruktur rahmt und in Dienst nimmt. In Hamburg sind Komödienstrukturen häufig in andere Handlungen integriert, die insgesamt deutlich erbauliche Zwecke verfolgen. Erst mit der Ausgliederung der komischen Nebenhandlungen um die Wienerische Hanswurstfigur in eigenen Werken nach dem Muster der Commedia dell’arte in Wien am Kärntnertortheater ab ca. 1711 einerseits69 und mit der Adaption venezianischer Karnevalsopern an der Hamburger Gänsemarktoper ab 170770 andererseits scheint man in beiden Städten anschlussfähige Modelle gefunden zu haben, die es erlauben, ausschließlich die Komödie als genrespezifische Schreibstrategie zu verwenden. Hier kann einerseits in Extempores, andererseits in aktuellen, in Hamburg lokalisierten Festen und Ereignissen und mit plattdeutsch sprechenden Dienerfiguren der Wirklichkeitsbezug erstmals inhaltlich hergestellt werden. Andererseits entsteht in Wien mit dem Kärntnertortheater eine neue Institution, die dezidiert keinen Huldigungszwecken dient. In Hamburg entfällt nach überstandenen Auseinandersetzungen der Legitimationsdruck gegenüber der Kirche, so dass der Bezug zu erbaulichen Zielen in den Vorreden verschwindet.71 Komik bietet sich deshalb als tertium comparationis eines Vergleichs von Komödien an, weil bisher die Quantität und die Qualität der Komik als zentrale Differenz vom Norden zum Süden des deutschsprachigen Gebietes angenommen werden. Zu klären ist deshalb, was in der vorliegenden Arbeit gemeint ist, wenn von Komik die Rede ist. Es ließe sich einerseits fragen, was die Zeitgenossen komisch finden. Diese Fragestellung scheitert jedoch an einer ausreichenden Menge komikbezogener Rezeptionsbelege. Alternativ wäre eine Auswertung des semantischen Feldes ‚komisch‘ in Untertiteln, Reihenbezeichnungen
|| 69 Vgl. Schenk (1969), Die Anfänge des Wiener Kärntnertortheaters. 70 Vgl. Wolff (1957), Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, und Kap. 3.1 der vorliegenden Arbeit. 71 Vgl. Gauthier (2010), L’Opéra à Hambourg,
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und Vorworten dramatischer Texte und in Poetiken, Theaterschriften, Briefwechseln et cetera möglich, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht geleistet werden kann. Für die Dramenwerke, die in dieser Monographie behandelt werden, sind komikrelevante Rezeptionsbelege für eine solche Vorgehensweise nicht in ausreichendem Umfang erhalten. Allerdings finden sich auf Theaterzetteln, in Titeln und Figurenbezeichnungen oftmals die Zusätze ‚lächerlich‘, ‚närrisch‘ oder ‚toll‘, die zugleich einen Hinweis darauf geben, dass sie ‚komisch‘ gemeint waren.72 Ausschließlich um diesen zweiten Aspekt, nämlich das Komisch-meinen, soll es im Folgenden gehen.
2.4.1 Inkongruenz, Distanznahme, Freude Nach derzeitigem Forschungsstand wird Komik im 18. Jahrhundert inkongruenztheoretisch verstanden und wir finden die Inkongruenztheorie auch in den poetologischen Ausführungen von Komödienautoren im Untersuchungszeitraum selbst,73 sowie in musiktheoretischen Schriften.74 Für die theoretische Präzisierung bietet es sich an, mit Kindt von der Inkongruenz von Skripten zu sprechen – ein Begriff, der freilich im Untersuchungszeitraum nicht verwendet wird.75 ‚Skript‘ versteht Kindt als Oberbegriff für die wörtliche Bedeutung, an diese angelagerte Konzepte und nicht-wörtlich verankerte Konzepte, die erschlossen werden können. Dabei kann entweder ein deviantes oder es können zwei oppositionelle oder disparate Skripte verwendet werden. Allerdings sind die von Kindt formulierten strukturellen Bedingungen nur notwendige, aber noch keine hinreichenden Bedingungen für das Vorliegen von Komik, da Inkongruenzen auch sehr ernst oder tragisch sein können. Beispiele wären Wissensunterschiede oder Fehlannahmen in der klassischen Tragödie, die dazu führen, dass Verwandte geheiratet oder Geliebte getötet werden. Auch deviante Skripte, wie zum Beispiel besondere Grausamkeit oder extremer Neid
|| 72 Vgl. zum Beispiel den Terminus ‚comique Art‘ im Vorwort des Buchhöfer (Kap. 3.1), das Adjektiv ‚lächerlich‘ im Titel des Odoardo (Kap. 3.2), den Verweis auf das Närrische im Titel La folle journée/Der tolle Tag/Der närrische Tag (Kap 3.4) und zahlreiche weitere Beispiele in den Kapiteln. 73 Etwa bei Lessing und bei Gottsched (vgl. Gaier [1991], Das Lachen des Aufklärers, S. 45 f., Kornbacher-Meyer [2003], Komödientheorie, S. 86f.). Vgl. auch Schwind (2001), Komisch. 74 Vgl. Haberland (1971), The Development of Comic Theory, S. 74–108; MüllerFarguell/Winkler (1998), Art. Komik; Kindt (2011), Literatur und Komik, S. 69 f. Für Nachweise auf musiktheoretischem Gebiet vgl. die Ausführungen weiter unten. 75 Vgl. Kindt (2011), Literatur und Komik.
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sind nicht allein durch Unter- oder Übererfüllung der Norm komisch. Aus diesem Grund finden sich in der Inkongruenztheorie zumeist auch Zusatzbedingungen für das Vorliegen von Komik wie etwa Harmlosigkeit, Plötzlichkeit oder Nicht-Auflösbarkeit von Inkongruenzen. Kindt etwa spezifiziert die Inkongruenztheorie für literarische Texte wie folgt: Eine Textpassage soll dann als ‚komisch‘ gelten, wenn es in ihr durch die Verwendung oder Verbindung von Skripten zu Inkongruenzen kommt, die sich erstens als harmlos wahrnehmen lassen, die zweitens entweder nur scheinbar oder aber gar nicht aufgelöst werden können.76
Die erste Zusatzbedingung, die Harmlosigkeit, scheint entweder zu unspezifisch oder unzutreffend: Entweder geht man davon aus, dass Fiktionalität im Sinne von Nicht-Referenzialisierbarkeit auf die Wirklichkeit per se dafür sorgt, dass Inkongruenzen harmlos sind. Dann aber lassen sich komische Inkongruenzen nicht von solchen unterscheiden, die nicht komisch sind. Oder man fragt nach den Konsequenzen, die sich aus den Inkongruenzen innerhalb der Diegese für die Figuren ergeben. Dann jedoch sind diese häufig genug, insbesondere bei Schadenfreudekomik, alles andere als harmlos, weil sie mit dem Verlust von Chancen, Geld oder Reputation und anderen Nachteilen für die Figuren einhergehen können. Diese Nachteile reichen von finanziellem Ruin und körperlicher Züchtigung von Figuren, die zum Beispiel als moralisch verwerfliche oder stark typisierte Rollenfiguren gestaltet sind, bis hin zum Tod einer Figur, wenn sichergestellt ist, dass die eigene Weltanschauung nicht tangiert wird, oder dass kein Todesfall dargestellt ist, der Mitleid oder andere Formen der emotionalen Involviertheit bedingt. Harmlosigkeit eignet sich als Zusatzkriterium für die Definition von Komik in der Komödie damit nicht. Die zweite Zusatzbedingung, die Plötzlichkeit, wird bereits von Schopenhauer als hinreichende Bedingung für eine komische Wirkung angenommen: Das Lachen entsteht jedesmal aus nichts Anderem, als aus der plötzlich wahrgenommenen Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen Objekten, die durch ihn, in irgend einer Beziehung, gedacht worden waren, und es ist selbst eben nur der Ausdruck dieser Inkongruenz.77
Allein die Tatsache, dass eine Inkongruenz plötzlich wahrgenommen wird, scheint sie jedoch noch nicht als komische zu qualifizieren. Plötzlichkeit tritt
|| 76 A. a. O., S. 137. 77 Schopenhauer (1988), Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 102, Bd. 2, S. 108–118.
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potenziell bei jeder Form der Erkenntnis auf und ist damit kein hinreichendes Kriterium, um Inkongruenzen zu komischen Inkongruenzen zu machen. Eine dritte Zusatzbedingung, die als hinreichendes Kriterium für die Komizität von Inkongruenzen diskutiert wird, ist die Nicht-Auflösbarkeit.78 Kindt spezifiziert es dahingehend, dass die Inkongruenz nicht logisch unauflösbar sein, aber als nicht-auflösbar dargestellt werden muss. Untersucht man allerdings traditionelle Formen der Komik wie etwa übertriebene Fress- und Sauflust, oder das übertrieben geizige oder eifersüchtige Verhalten einer lächerlichen Figur, so gibt es keinen Zweifel, dass diese Übertreibungen deutlich so dargestellt sind, dass sie aufgelöst werden sollten, in Dramen aber nicht aufgelöst werden. Noch deutlicher wird dies bei den sehr häufigen Verkleidungen, Verstellungen und Vertauschungen, die gerade damit spielen, den Moment, an dem die Diskrepanz zwischen Rezipient*innen- und Figurenwissen kunstvoll aufgelöst wird, hinauszuzögern. Auflösbarkeit scheint folglich in diesen Fällen sogar eine Voraussetzung für die komische Wirkung zu sein. Im Folgenden soll als Bedingung für die Komizität von Inkongruenzen eine gewisse Distanzierung vom Mitfühlen, von der Empathie und der Identifikation mit Figuren oder Sachverhalten angenommen werden. Diese Bedingung wird empirisch zur notwendigen Zusatzbedingung für die Rezeption von Inkongruenzen als komische, wie man sich leicht an den zwei Haupteinsatzgebieten von Komik vor Augen führen kann. Zum einen wird sie im Sinne einer künstlerischen Technik verwendet. Dabei spielt es keine Rolle, ob etwas nützlich, wahrscheinlich oder angenehm für eine Figur ist, sondern das Misslingen von Intrigen, die Variation einer komischen Typenfigur, die neue Möglichkeit der Verwandlung einer komischen Figur, eine besonders gesuchte Pointe oder eine Parekbase werden wegen ihrer kunstvollen Gestaltung oder aufgrund ihres Unterhaltungswertes goutiert. Zum anderen setzt der zentrale Kontext für Komik, der moralische, ebenfalls eine Distanzierung der Rezipient*innen vom Dargestellten voraus. Das übertriebene Fehlverhalten einer Figur wird deshalb gezeigt, weil die Rezipient*innen das Wissen um das rechte Verhalten in der Realität zur Grundlage ihres Handelns machen sollen. Dazu dürfen sie sich mit den lasterhaften Figuren gerade nicht identifizieren, sondern müssen ihr übertriebenes Verhalten aus einer gewissen Distanz heraus betrachten. Henri Bergson hat 1924 „Empfindungslosigkeit“79 und „Anästhesie des Herzens“80 als Voraussetzungen für Komik formuliert:
|| 78 Kindt gibt sie beispielsweise als zweite Zusatzbedingung für die Komizität von Inkongruenzen an (vgl. Kindt [2011], Literatur und Komik, S. 137). 79 Bergson (2011), Das Lachen, S. 14.
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Wahrhaft erschüttern kann die Komik offenbar nur unter der Bedingung, daß sie auf einen möglichst unbewegten, glatten seelischen Boden fällt. Gleichgültigkeit ist ihr natürliches Element. Das Lachen hat keinen größeren Feind als die Emotion. Ich will nicht behaupten, daß wir über einen Menschen, für den wir Mitleid oder Zärtlichkeit empfinden, nicht lachen könnten – dann aber müßten wir diese Zärtlichkeit, dieses Mitleid für eine kurze Weile unterdrücken.81
Gleichgültigkeit als emotionale Unbewegtheit wird hier als Voraussetzung für die Rezeption eines Phänomens als komisch angesetzt, während Empathie und Identifikation als derselben abträglich konzipiert werden.82 Plessner hat 1941 in seiner anthropologischen Fundierung der Bergson’schen Vorschläge dessen Konzepte auf das zu Grunde liegende Prinzip reduziert, das heißt auf die Gefühllosigkeit als distanzierte Haltung des Menschen gegenüber einem Phänomen: Eine in seiner [des Menschen, KD] Erscheinung sich dokumentierende Ambivalenz zwingt dazu, daß wir uns vom komischen Gegenstand lösen, den Kontakt des Verstehens und Umgehens mit ihm (wie auch immer) unterbrechen und ihn seiner bloßen Erscheinung überlassen.83
|| 80 A. a. O., S. 15. 81 Ebd. 82 Ähnlich gelagert scheint mir auch Veltens Konzept von Komik als Außerkraftsetzung eines primären, ernsten Referenzrahmens einer Äußerung durch eine zweite Rahmung als konsequenzloses Spiel (vgl. Velten [2008], Scurrilitas, S. 6–8). Die Konsequenz für die Rezipient*innen ist gekappt. Velten führt jedoch als notwendige Zusatzbedingung für Komik ein, dass das Augenmerk nicht auf dem Spiel selbst, sondern auf der Art und Weise der Modulation des primären Rahmens liegt (und zwar nicht nur formal, sondern auch inhaltlich). Gelacht wird seiner Meinung nach über die Art der Modulation, nicht über die Figuren, Handlungen oder Themen an sich. Damit erfasst Velten allerdings nur diejenige Komik, bei der die Metaebene reflektiert werden soll. Diese Art der Metareflexion ist meiner Meinung nach allerdings nur e i n Fall von Komik. 83 Plessner (2005), Ambivalenz, S. 110. Um zu verstehen, weshalb Plessner hier von einer notwendigen Unterbrechung des Kontaktes spricht, muss man zu Plessners Grundannahme der exzentrischen Position des Menschen zurückgehen. Plessner geht davon aus, dass der Mensch zunächst nicht per se mit seiner Umwelt verbunden ist und die Freiheit hat, sich einen Zugang zu ihr jeweils kontingent zu wählen. Weil dem Menschen „als freiem Wesen von Verantwortung und Haltung Normen zugemutet werden können“, gewinnt er einen gewissen Abstand zu sich selbst, den er „überbrücken [muss,] um ein richtiges Verhältnis zu den Dingen zu gewinnen.“ (Ebd.) Mit anderen Worten: Der Mensch muss und kann als Wesen ohne festen Platz in seiner Umwelt ein Verhältnis zu den ihn umgebenden Objekten immer erst neu schaffen und tut dies auch fortwährend. Für die Rezeption als Komik ist es nötig diese Verbindung zu kappen.
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Im Folgenden soll die Voraussetzung für die Rezeption einer Inkongruenz als ‚komisch‘ unter dem Begriff der ‚Distanznahme‘ gefasst werden, weil dieser Begriff sowohl die emotionale Indifferenz gegenüber Figuren als auch die Distanz zu Phänomenen der Wirklichkeit umfasst.84 Auch mit diesen beiden Merkmalen sind jedoch noch keine hinreichenden Kriterien für das Vorliegen von Komik gegeben. Das zeigt sich an Formen wie dem concetto, das als besonders gesuchte Wort- und Gedankenverbindung zwar außergewöhnlich kunst- und effektvolle Inkongruenzen aufweist, die grundlegend darauf ausgelegt sind, dass man sie aus reflexiver Distanz wahrnimmt. Des Weiteren soll davon ausgegangen werden, dass Inkongruenzen erst dann komisch gemeint sind, wenn sie nicht nur auf eine distanzierte Rezeption abzielen, sondern auch darauf ausgerichtet sind, Freude in den Rezipient*innen hervorzurufen. Freude wird auch im 18. Jahrhundert bereits mit Komik in Verbindung gebracht. Georg Friedrich Meier überträgt 1744 in seiner Schrift Gedanken von Schertzen die medizinische Affektlehre in eine ästhetische Affektlehre.85 Er schließt an Wollfs Dreifachunterscheidung von Vorstellung, Empfindung und Einbildungskraft an und beweist anhand des Scherzes, dass diese drei Erkenntnisarten zusammenwirken können.86 Für die Wirkung eines Witzes ist demnach sowohl eine verstandesmäßige Leistung – in heutiger Terminologie die Erkenntnis einer Inkongruenz – als auch eine Empfindung – in heutiger Terminologie eine Emotion – Voraussetzung. Als diese Empfindung setzt er Freude an, die er im Anschluss an Aristoteles definiert. Bei Aristoteles ist die Freude ein Affekt,87 wobei er Affekte als zusammengesetzte Empfindungen aus Lust und Leid definiert. Er zählt zu diesen neben Begierde, Zorn, Furcht, Mut, Neid, Liebe, Hass, Sehnsucht, Eifersucht und Mitleid auch die Freude. Freude ist deswegen eine zusammengesetzte Empfindung, weil man Lust anlässlich der Empfin-
|| 84 Veatch geht davon aus, dass eine Bedingung für das Komischfinden ist, dass man zugleich emotional involviert ist und ein „moral principle“ verletzt sieht und somit Distanz einnimmt (vgl. Veatch [1998], A theory of humor, S. 163). Seine Ausführungen lassen jedoch eine Begründung dafür vermissen, weshalb man zwingend emotional involviert sein muss, um etwas komisch zu finden. Es scheint auch etwas zu kurz zu greifen, die Distanz zu Inkongruenzen ausschließlich als eine moralische Distanzierung zu fassen. 85 Meier (1977), Gedanken von Schertzen. 86 A. a. O., S. 358. 87 Im vorliegenden Kontext soll der Begriff der Emotion als metasprachlicher Begriff verwendet werden, der Bewusstseinszustände von Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt von unterscheidbarer Qualität, Stärke und Dauer bezeichnet (vgl. Meyer/Reisenzein/Schützwohl [2001], Einführung in die Emotionspsychologie, S. 24). Im Untersuchungszeitraum finden sich die Begriffe ‚Affekt’, ‚passio‘ und später auch ‚Gefühl‘ (vgl. Grimm [2010], Affekt).
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dung eines angenehmen Reizes, Leid durch seine Vergänglichkeit empfindet. Bei Freude kommt hinzu, dass man sich sowohl über neutrale und positive als auch über negative Tatsachen freuen kann. Belustigung auf der einen Seite und Schadenfreude auf der anderen können als die beiden Pole herangezogen werden, um die Bandbreite dieser Differenzen zu erfassen. Gerade weil Freude aber an allem Möglichen festgemacht werden kann, finden sich in den Ausführungen zur Komik jeweils ganz verschiedene normative Vorgaben, die die Themen und Einsatzgebiete des Komischen einschränken. Geht man von Freude als Emotion aus, auf die der Einsatz von Komik abzielt, scheint es mindestens zwei Erklärungen dafür zu geben, warum die Definition von Komik oftmals besonders schwierig ist, selbst wenn man sie nur auf das Komischmeinen beschränkt: Zum einen die Tatsache, dass man sich sowohl über neutrale und positive als auch über negative Tatsachen freuen kann. Zum anderen die Tatsache, dass die Erzeugung von Freude wiederum mit weiteren Wirkungsabsichten verbunden sein kann und zum Beispiel auf Superioritätsgefühle, ein Gemeinschaftsgefühl, die Herab- oder Heraufsetzung des Gegenstandes (zum Beispiel des Tugendideals), den Abbau von Anspannung oder Gesellschaftskritik abzielt.88 Freude kann sich zudem in so heterogenen körperlichen Reaktionen wie Schmunzeln, Lächeln, Lachen, hämischem Grinsen et cetera äußern.89 Die Heterogenität und die Komplexität der Funktionalisierung und Rezeption der Emotion der Freude scheinen der Grund für die Existenz so zahlreicher und auf so unterschiedlichen Ebenen ansetzender Überlegungen zu Komik in der Literatur zu sein. Untersuchungen zum Lachtheater und zu Lachgemeinschaften treffen daher sicher ins Zentrum komischer Wirkungsstrukturen, decken sie allerdings weder der Intention noch der Wirkungsstruktur nach zur Gänze ab.90 || 88 Gegen die weit verbreitete Annahme, Komik sei grundsätzlich subversiv, setzt Ellrich im Übrigen die sehr richtige Beobachtung, dass mittels Komik nicht nur Kritik an bestehenden Verhältnissen geübt wird. Komik kann sich auch gegen „reale Störenfriede und Außenseiter, Angehörige von Minderheiten, Deviante und Schwache wenden, die den Status quo durch ihr bloßes Vorhandensein (scheinbar oder de facto) bedrohen. In solchen Fällen beschwört Komik durch ihre höchst effektiven Techniken der Übertreibung, Entstellung und Verzerrung vermeintliche oder echte Gefahren herauf und verteidigt so die herrschenden Zustände.“ (Ellrich [2017], Komik mit theatralen Mitteln, S. 175). 89 Ruch (2001), The Perception of Humor, S. 415. 90 Roecke/Velten (1999), Lachgemeinschaften; Roecke/Neumann (1999), Komische Gegenwelten. Der Gemeinschaft stiftende Aspekt, der mit Komik intendiert und/oder durch sie ausgelöst wird, wird häufig unter dem Begriff der ‚Lachgemeinschaft‘ gefasst. Empfindet man mit anderen zusammen Freude über den gleichen Gegenstand, so entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, wie vermutlich bei allen anderen Affekten, die Aristoteles erwähnt.
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2.4.2 Skriptprovenienz, Bühnenkomik In der vorliegenden Arbeit steht an erster Stelle die genaue Analyse der textuellen Komik, deren Funktion für die Positionierung eines Textes dann je individuell erarbeitet wird. Für die Analyse im Detail stellt sich die Frage nach der Provenienz und nach der Manifestness von Skripten, die inkongruent verwendet werden. Kindt weist darauf hin, dass Skripte lexikalisch manifest oder nur inferentiell erschließbar sein können.91 Mit Letzterem ist gemeint, dass eine Inkongruenz von Rezipient*innen auch ohne textuellen Anhaltspunkt zugeschrieben werden kann, wenn eine Opposition zu oder Devianz von einem außertextuellen Kontext wahrgenommen wird. Hinsichtlich der Provenienz von Skripten können extratextuelle, intertextuelle und intratextuelle Inkongruenzen unterschieden werden.92 Der wichtigste intratextuelle Kontext für Komödien sind Aufführungen weiterer Komödien oder Dramen an der gleichen Bühne oder in der gleichen Stadt. In Wien erzielt man beispielsweise in den 1720ern und 1730ern große Erfolge, indem man bekannte ernste Opern parodiert.93 In Hamburg findet sich insbesondere in den 1720er Jahren die Verwendung von Versatzstücken einiger bestimmter Lokalopern in anderen Werken, so dass es durch die Inkongruenz der beiden dargestellten fiktionalen Welten zu komischen Phänomenen kommt.94 Der wichtigste extratextuelle Kontext für einen Dramentext ist sicherlich die Aufführung. Durch die Inszenierung eines Textes werden die Möglichkeiten für Inkongruenzen um ein Vielfaches potenziert. Gestik, Mimik, Proxemik, Stimme, Beleuchtung, Bühnenbild et cetera können komische Inkongruenzen in sich selbst, im Verhältnis zum Text und untereinander erzeugen.95 Die behandelten Komödien sind zur Aufführung in einem bestimmten Theater und für ein Zielpublikum mit einem bestimmten Vorwissen geschrieben.96 Dennoch sind die Formen der Aufführungskomik nicht primär Gegenstand der vorliegenden Arbeit; sie sind jedoch in denjenigen Fällen von Bedeutung, in denen Texte so geschrieben sind, dass bestimmte Figuren beziehungsweise Schauspieler ihr
|| 91 Vgl. Attardo/Hempelmann/Di Maio (2002), Script Oppositions and Logical Mechanisms, S. 20 f. 92 Vgl. Hühn/Schönert (2002), Zur narratologischen Analyse von Lyrik, S. 293. 93 Haas (1925), Wiener deutsche Parodieopern. 94 Vgl. Kap. 3.1, Abschnitt zu Buchhöfer, Der stumme Printz Atis. 95 Ahnen (2006), Das Komische auf der Bühne; Košenina (1995), Anthropologie und Schauspielkunst. 96 Mit Ausnahme von Philipp Hafners Komödie Odoardo sind sie auch alle auf demjenigen Theater aufgeführt worden, für das sie geschrieben worden sind.
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besonderes, komisches Spiel entfalten können.97 In diesen Fällen wird deutlich, dass zur Aufführung geschriebene Texte in ihrer kulturellen und historischen Bedeutung niemals vollständig erfasst werden können. Weitere extratextuelle Kontexte sind zumeist über aktuelle Themen gesellschaftlicher und tagespolitischer Art, oder über poetologische Debatten gegeben. Sie müssen im Einzelfall eruiert und begründet werden.
2.4.3 Komisches Paradigma und Syntagma Bisher wurden nur sehr grundlegende Aspekte von Komik beleuchtet, jedoch noch nichts dazu gesagt, wie Komik mit der Dramaturgie verbunden ist. Im Folgenden kann es nicht darum gehen, eine weitere oder gar eine vollständige Systematik von komischen Formen in Komödien zu entwerfen. Sinnvoll und analytisch hilfreich scheint jedoch die Unterscheidung von komischem Paradigma und Syntagma zu sein, die Warning vorgeschlagen hat.98 Dabei bezeichnet das Paradigma die Klasse komischer Einfälle. Diese haben nur punktuelle, bestenfalls episodische Wirkung und sind immer im Verhältnis zum Syntagma einer Handlung zu analysieren. Zur Systematisierung der Elemente des komischen Paradigmas gibt es zahlreiche Vorschläge. Zu nennen wären hier etwa die Charaktertypologien des Theophrast und die humores des Hippokrates und zahlreiche spätere Systematiken. Der bekannteste Katalog ist vielleicht der Tractatus coislinianus, der nach Figuren (ethe), Sprachkomik (lexis) und Handlungsversatzstücken (pragmata) vornehmlich produktionsorientiert geordnet ist. Andere Ansätze, die stärker von der Aufführung des Textes her denken, unterscheiden etwa zusätzlich noch lächerliche Mimik, Gestik und Affekte.99 An systematischen Vorschlägen der heutigen Forschung wären der von Kindt für literarische Komik und der von Stille für musikalische Komik zu nennen.100 Kindt schlägt eine Systematisierung komischer Inkongruenzen vor, die in Komik der Darbietung und Komik des Dargebotenen unterteilt ist. Bei der Komik der Darbietung unterscheidet er Sprachkomik (als Form- oder Inhaltskomik) und Vermittlungskomik (als Ebenen- oder Darstellungskomik), bei der Komik des Dargebotenen
|| 97 Vgl. insbesondere Kap. 3.2 und dort den Teil zu den Schwestern von Prag. 98 Vgl. im Folgenden Warning (1976), Elemente einer Pragmasemiotik, S. 285–289. 99 So zum Beispiel Perrucci in seinem wichtigen Werk zur Commedia dell’arte (vgl. Perrucci [1699], Dell arte rappresentativa). 100 Kindt (2011), Literatur und Komik, S. 146–154; Stille (1990), Möglichkeiten des Komischen in der Musik.
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differenziert er zwischen Gegebenheitskomik (als Figuren-, Zustands- oder Situationskomik) und Ereigniskomik (als Verhaltens-, Vorkommnis- oder Handlungskomik). Eine Textstelle kann nach dieser Systematik mehreren Komiktypen zuzurechnen sein. In der vorliegenden Arbeit werden darüber hinaus höher aggregierte Formen der Komik eine Rolle spielen, wie sie insbesondere in komischen Figurentypen – etwa dem miles gloriosus, dem Deutschfranzosen oder den komischen Schauspielerfiguren Prehauser-Hanswurst oder Kurz-Bernardon – gestaltet sind. Zusätzlich tauchen andere typische Elemente häufig auf wie Wiederholung und Kontrastierung des Geschehens der höheren auf niederer Ebene, mimisch-gestische, motivische und stilistische Polarisierung der Figurengruppen, Wortwitz, List, Verstellung, Verkleidung und Vertauschung. Auch Themen und Motive wie Sexualund Fäkalkomik, Völlerei, Gelehrtensatire, Herabsetzung des Helden-, des Liebesund Tugendideals, Moralsatire oder empfindsame Tugendkritik sollten sinnvollerweise als Bestandteile des Paradigmas konzipiert werden. Warning geht davon aus, dass das Ausspielen der Elemente des Paradigmas erst durch die Einbindung in das Syntagma einer Handlung möglich wird. Das Verhältnis von Paradigma und Syntagma kann dabei verschieden gestaltet sein und ist auf einer Skala beschreibbar, an deren einem Pol „die Paradigmatik im Interesse ihrer komischen Wirkungen die Syntagmatik eindeutig dominiert“ und an deren anderem Pol „eben diese Paradigmatik und damit ihre komischen Wirkungen von einer nunmehr dominanten Syntagmatik in Frage gestellt werden.“101 Das bedeutet, dass das Syntagma selbst dominant paradigmatisch organisiert sein kann, wenn es im Grunde nur die Ermöglichungsstruktur für komische Elemente ist. Warning nennt als Beispiele Intrigenkomödien, die zahlreiche Anlässe für Listen, Verkleidungen oder Verstellungen bieten. Zu denken wäre auch an Komödien, die nach dem Muster der ‚verkehrten Welt‘ funktionieren oder im Ganzen beziehungsweise zum Großteil als Parodie eines anderen Stücks konzipiert sind, so dass die Abweichungen von der Vorlage die eigentliche Motiviation darstellen von Situation zu Situation der Handlung zu folgen. Das wichtigste dominant-paradigmatische Handlungsschema in der Komödie des 17. und 18. Jahrhunderts ist vermutlich das Schema der Heirat mit Hindernissen. Es liegt allen behandelten Werken und Fassungen zu Grunde. Am Beispiel der Heirat mit Hindernissen lässt sich dieses dominantparadigmatische Handlungsschema wie folgt erklären: die oppositionellen Skripte Heiratenwollen vs. Nichtheiratenkönnen sind diesem Muster eingeschrieben. In das große Syntagma können kleinere komische Syntagmen eingebaut sein, bei denen mehrfach Intention und Handlungserfolg auseinandertre|| 101 Vgl. Warning (1976), Elemente einer Pragmasemiotik, S. 290.
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ten, etwa bei wiederholten Versuchen der Kontaktaufnahme und der Liebeserklärungen, der Ausschaltung eines Konkurrenten oder einer Konkurrentin oder dem Versuch eine Heiratserlaubnis zu erlangen. Auch Verkleidung, Vertauschung und Verstellung haben dabei ihren Platz.
2.4.4 Komik in der Musik Ein sehr wichtiger intertextueller Kontext für Inkongruenzen zwischen Skripten ist für die Komödien von 1650–1806 der Notentext beziehungsweise die tatsächlich erklungene Musik. Als Musterbeispiele für komische Musik gelten im 18. Jahrhundert die französische opéra comique, italienische Intermezzi, später die opera buffa und das komische Singspiel sowie Francesco Contis Musik zur Oper Don Quixotte.102 Für das 17. Jahrhundert scheint es keine derartigen Beispiele zu geben. Theoretische Ausführungen zur Komik in der Musik liegen offenbar ebenfalls erst im 18. Jahrhundert vor.103 Die Anzahl dieser theoretischen Texte ist allerdings sehr überschaubar und die Aussagen sind oftmals vage.104 Auffällig ist, dass alle diese musiktheoretischen Überlegungen den Text in den Vordergrund stellen und davon ausgehen, dass die Musik die Affekte des Textes zu gestalten habe. Johann Gottfried Walther, der Organist der Stadtkirche in Weimar und Freund Johann Sebastian Bachs, schreibt 1708 ein umfassendes musiktheoretisches Werk mit dem Titel Praecepta der Musicalischen Composition. Walther gibt den Stand der musiktheoretischen Überlegungen seiner Zeit wieder, veröffentlicht das Werk allerdings nicht, sondern verwendet es nur für den eigenen Unterricht.105 Er stellt hier fest, dass die „soni [Töne] eben dieses auszudrücken scheinen, was die Worte bedeuten“,106 ordnet folglich die Musik der Wie-
|| 102 Vgl. Krause (1753), Von der Musikalischen Poesie, S. 67 f. Den Don Quixotte nennt bereits Mattheson in seinem Vollkommenen Capellmeister als besonders komische Oper (vgl. Mattheson [1739], Der Vollkommene Capellmeister, S. 219). 103 Stille (1990), Möglichkeiten des Komischen, S. 24. 104 Vgl. für die folgende Darstellung Stille (1990), Möglichkeiten des Komischen, S. 24–30. 105 Gehrmann (1891), J. G. Walther als Theoretiker. Publiziert hat er dann 1732 das Musicalische Lexicon, das als erstes Musiklexikon in deutscher Sprache gilt (vgl. Walther [1732], Musicalisches Lexicon; Breig [2016 ff.] Walter, Johann Gottfried). Hier verzeichnet er allerdings weder die Begriffe ‚Komik‘, ‚Das Komische‘, ‚opera buffa‘, ‚opéra comique‘ noch ‚Satyre‘ noch ‚Intermezzo‘. 106 Walther (1708), Johann Gottfried Walther, Praecepta der Musicalischen Composition, S. 158.
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dergabe des Textes unter. Er erlaubt in seinem Werk keine Abweichung von diesem Grundsatz. Damit scheint eine Erzeugung von Komik innerhalb dieser Regel nicht selbstständig möglich, sondern sie kann nur im Zusammenwirken mit dem Text mit-erzeugt oder unterstützt werden. Johann Mattheson definiert 1739 in seinem Werk Der vollkommene Capellmeister für die von ihm neu eingeführte Gattung der ‚Satyra‘ eine ebensolche Unterstützung des Textes durch die Musik: „Ist endlich der Inhalt satyrisch […,] so müssen die SangWeisen hie und da etwas lächerlich, poßierlich und stachelicht heraus kommen.“107 Michael Stille will mit dieser Textstelle belegen, dass „der Musik eine eigenständige Funktion bei der Erzeugung komischer Effekte zugesprochen wurde.“108 Das erscheint nicht ganz zutreffend, da aus der Praxis bekannt ist, dass immer zuerst die Librettotexte vorlagen, dass der Komponist in der musikalischen Umsetzung der textuell bereits vorhandenen Komik folgen musste. Johann Adolf Scheibe 1745 fordert im Critischen Musicus, dass die Musik der komischen Oper „ganz anders beschaffen seyn“109 müsse, als die der tragischen und liefert damit den deutlichsten Hinweis darauf, dass die Musik auch kompositionstechnisch an der Komik des Textes teilhaben soll. Johann Joachim Quantz verlangt schließlich in seinem Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, dass ein Musikstück, welches das Lachen und die Kritik zum Ziel habe, […] wenn es seinen Zweck erreichen soll, von den begleitenden Stimmen, zumal in den lächerlichen Arien, nicht, wie eine ernsthafte Oper, sondern auf eine niedrige und ganz gemeine Art acompagniret werden [müsse]. Ein gleiches ist bey einem Ballet von gemeinem Charakter zu beobachten: weil, wie schon gesagt worden, das Accompagnement nicht nur an dem Ernsthaften, sondern auch an dem Komischen, Antheil nehmen muss.110
Hinweise auf spezifische musikalische Techniken zur Erzeugung von Komik finden sich in den bisher genannten Texten nur in Ausnahmefällen. Reichardt führt etwa in seiner Schrift über die Deutsche comische Oper eine übertriebene Tonwiederholung als eindeutiges Beispiel für Komik an.111 Bei der Analyse einer Arie Johann Adam Hillers (1728–1804) weist er darauf hin, dass
|| 107 Johann Mattheson, Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, S. 219. 108 Stille (1990), Möglichkeiten des Komischen, S. 24. 109 Scheibe (1745), Critischer Musicus, S. 616. 110 Quantz (1789), Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung, S. 28. 111 Reichardt (1774), Über die Deutsche comische Oper.
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zu vier und zwanzig Sylben nur ein Ton in der geschwindesten Bewegung immer wiederholt wird; während dessen die Instrumente eine scherzende Begleitung haben. Diese Deklamation ist gewiß schon an sich selbst comisch.112
Eben diese Strategie der Tonwiederholung findet sich immer wieder in Arien der komischen Figur Elcius in der Crœsus-Vertonung von Reinhard Keiser (vgl. Kap. 3.1) und in den Gesangsnummern zu den Schwestern von Prag (vgl. Kap. 3.2). Ergänzend zu den zeitgenössischen Theorien sollen im Folgenden zu heuristischen Zwecken einige technische Mittel zur Erzeugung von Komik vorgestellt werden. Angestrebt wird dabei nur eine Analyse der Gesangsnummern hinsichtlich der Elemente Melodik, Rhythmus, Tempo und Harmonik.113 Dabei geht es um solche Mittel, die sich an einen aufmerksamen und geübten Hörer gerichtet haben könnten, die allerdings kein analytisches Hören im musiktheoretischen Sinne voraussetzen. Es ist anzunehmen, dass die musikalische Affektgestaltung grundsätzlich so angelegt ist, dass sie auch ohne Kenntnisse der Kompositionslehre ihre Wirkung entfalten kann. Die einzige derzeit existierende, systematische Studie zu komischen Mitteln in der Musik, ist Stilles Untersuchung Möglichkeiten des Komischen in der Musik von 1990.114 Stille erstellt einen umfangreichen Katalog musikalisch-komischer Mittel. Er nennt getäuschte musikalische Antizipationen durch unerwartete satztechnische Fortführung, Schlussbildung, dynamische Überraschungseffekte und Unregelmäßigkeiten im Rhythmus. Darüber hinaus führt er an: Kontraste durch die Verknüpfung von Klangschichten, etwa durch kontrastierende Instrumente, Stimmen oder Melodien oder durch die Transposition von Melodien auf ungewöhnliche, ungebräuchliche Instrumente, Kontraste durch Parodien und in Form von Zitaten im Rahmen anderer Melodien, und durch die Karikatur dörflicher oder laienhafter Kompositionen. Neben diesen Formen der immanent musikalischen Komik nennt er Inkongruenzen, die durch die Kombination von Tonmalereien mit programmatischen Zusammenhängen entstehen können, wie
|| 112 A. a. O., S. 51. 113 In der heutigen Musiktheorie wird bezüglich der Instrumentalmusik inzwischen häufig die Position vertreten, dass musikalische Komik gar nicht möglich sei, weil Musik semantisch zu stark unterbestimmt sei, um aus sich heraus zum Beispiel Lächerliches abzubilden (vgl. Dachselt [2017], Komik mit musikalischen Mitteln, S. 220). Diese Aussage bezieht sich jedoch auf Instrumentalmusik, die hier als eigenständiges Untersuchungsgebiet ausgeklammert wird. Zur Konzeptionalisierung komischer Effekte in der Instrumentalmusik im 18. Jahrhundert vgl. Stille (1990), Möglichkeiten des Komischen, S. 30–32. 114 Stille (1990), Möglichkeiten des Komischen.
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etwa Tierstimmenimitationen, oder die Nachahmung von Körper- und Umgebungsgeräuschen. Bei der Gestaltung von Bewegung können seiner Meinung nach komische Effekte durch Nachahmung der Gangart von Tieren und Menschen und anderer Bewegungsformen erzielt werden. Als komische Verfahren im Wort-Ton-Verhältnis behandelt er die Täuschung der Hörererwartung in textbezogenen Kompositionen, die Verknüpfung textlich und musikalisch stark kontrastierender Stimmen sowie Parodien von Opern und anderen Vokalmusikwerken. Komische Effekte können nach Stille zudem entstehen durch sinnentstellende Textvertonung, die komische Verwendung musikalisch-rhetorischer Figuren, Diskrepanzen zwischen Inhalt und Musik, in der Negation des sprachlichen Inhaltes durch die Musik und durch die Vertonung sehr einfacher, unsinniger oder unangemessen derber Texte in kunstvollen musikalischen Formen.
3 Beispielanalysen zu Komödien, die sowohl in Hamburg als auch in Wien aufgeführt werden 3.1 Wiener Festoper – Hamburger Singspiel – Wanderbühnenstück – Parodie und Lokaloper. Minato/Leopold I.: Creso/Cresus (W 1678) – Bostel/Keiser: Der gestürtzte und Wieder-Erhobene Crœsus (H 1684–1730) – Der stumme Printz Atis (H 1723) – Praetorius/Keiser: Buchhöfer der stumme Printz Atis (H 1726) 3.1.1 Wien, Hofoper, Creso/Cresus (1678) Eine im Reich textuell wahrnehmbare Produktion von Komödien beginnt in Wien mit der Drucklegung und Verbreitung von Libretti zu Opern am Wiener Kaiserhof ab der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die erste Oper am Wiener Kaiserhof, die als „commedia in musica“ bezeichnet wird, führt man jedoch bereits 1622 anlässlich der Krönung der zweiten Frau von Ferdinand II. zur Königin von Ungarn auf.1 In den Folgejahrzehnten wird jedes Jahr, unter Ferdinand III. nur noch alle zwei Jahre, eine Oper gegeben. Die Opern machen jedoch nur einen kleinen Teil der Veranstaltungen aus, die am Hof ausgerichtet werden. Den größten Teil bilden Ballette, Konzerte, Serenaden, Turniere, Verlosungen, Feuerwerke, Schlittenfahrten, Bälle und Mahlzeiten.2 Alle Festveranstaltungen dienen der Repräsentation und finden zu bestimmten Anlässen statt, wie zum Beispiel zur Würdigung der Herrscher und Gesandten anderer Höfe oder zur Feier von Geburts- und Namenstagen, von Krönungen, Eheschließungen und Taufen. Auch Sprechtheateraufführungen, in Berichten und Briefen häufig einfach als ‚Komödien‘ bezeichnet, sind immer wieder bezeugt, jedoch fast ausschließlich ohne Spezifikation des Titels. Die Opern haben immer einen großen Anteil an huldigenden Komponenten, in denen die Aufführungsanlässe und Herrscherpersönlichkeiten thematisiert werden.3 Am häufigsten sind die explizite Apostrophe der Herrscher und ihrer
|| 1 Schindler (1997), Von Mantua nach Ödenburg, zit. in Seifert (2006) The Establishment, S. 14. 2 Daneben werden auch zahlreiche Oratorien, Rappresentazioni sacre, Jesuitendramen und Oratorien der Ursulinen am Wiener Kaiserhof aufgeführt. Die ersten beiden Gattungen sind bei Seifert nachgewiesen, weil ihre Inszenierungen vom Hof getragen werden. Die letzten beiden stehen nicht unter der Trägerschaft des Hofes, werden jedoch von dessen Angehörigen besucht (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 10 und 127–164). 3 Vgl. Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 210. https://doi.org/10.1515/9783110691191-003
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Familienangehörigen in den Prologen beziehungsweise in der Licenza, der abschließenden Huldigung durch alle Figuren eines dramatischen Werks. Zudem können Huldigungen im Rahmen der dargestellten Handlung und der Tänze durch allegorische Verweise, personifiziert auftretende gute Eigenschaften und mythologische Figuren inszeniert sein.4 Die Kaiser und ihre Frauen beziehungsweise weitere Mitglieder des Hofstaates beeinflussen die Werke wesentlich, indem sie diese bestellen, selbst komponieren oder persönlich an den Aufführungen mitwirken.5 Das Publikum setzt sich aus der kaiserlichen Familie, dem Hofstaat, hohem und niederem Adel, Vertretern der Geistlichkeit, Botschaftern, Gesandten und weiteren bedeutenden Besuchern aus dem Ausland zusammen.6 Zwar werden die Libretti zum Großteil von Italienern verfasst beziehungsweise überarbeitet und im 17. Jahrhundert auch ausschließlich auf Italienisch verfasst, die Produzenten sind allerdings am Wiener Hof angestellt. Sie passen die Muster und Stoffe zum einen den dort vorherrschenden Gattungen an. Zum anderen werden die Libretti spätestens seit 1652 nicht nur mit italienischem Originaltext, sondern auch in deutscher Übersetzung gedruckt und in beiden Fassungen im dynastischen Einflussgebiet der Habsburger rezipiert.7 Zur Aufla-
|| 4 Darüber hinaus gibt es auch Libretti, die als libretti à chiave gelesen werden können, wobei fehlende Hinweise in den Texten dazu führen, dass bis zu vier verschiedene Schlüssel mit Übersetzungen in aktuelle oder historische Kontexte existieren (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 247–278). 5 Schon Ferdinand III., aber vor allem auch Leopold I. komponieren selbst (vgl. Kaiser Ferdinand III./Leopold I./Joseph I. [1892], Werke; Brosche [1975], Die musikalischen Werke, S. 193); Mitglieder des Hofstaates tanzen im 17. Jahrhundert durchgehend bei den Balletten mit (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 127–164). 6 Dies erschließt sich aus Zeremonialprotokollen und -akten (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 17). Im 17. Jahrhundert gibt es nur eine einzige Aufführung, für die die Anwesenheit von Bürgern belegt ist: das Wiener Roßballett La Contessa dell’Aria e dell’Acqua 1667 (vgl. ebd.). Diener oder weiteres Volk sind hier keinesfalls mitgemeint (vgl. ebd.). 7 Am Wiener Hof werden Texte von Musiktheaterwerken von Anfang an gedruckt, wenn auch bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts nur vereinzelt. Das erste Werk, das aus heutiger Sicht als Musikdrama bezeichnet werden kann, ist ein Ballett mit dramatisierter, gesungener Rahmenhandlung ohne Titel von 1627. Deren Libretto wurde im selben Jahr auf Italienisch gedruckt und zusammen mit einer handschriftlichen deutschen Übersetzung aufbewahrt (vgl. Seifert [1998a], Das erste Musikdrama, und Seifert [1998b], Das erste Libretto). Der Übergang zwischen Ballett, Musikdrama und Oper ist fließend. Der erste (heute noch) erhaltene Druck eines italienischsprachigen Librettos am Wiener Hof, das der Opernform im Sinne eines Wechsels von Rezitativ und Arie entspricht, stammt von 1631 (La Caccia felice. Favola ne boschi, vgl. Seifert [1993], Die ‚Comoedie‘ der ‚Hof-Musici‘ 1625, S. 16, Fn. 24). Der erste Druck eines deutschen Szenariums für eine Oper ist für Aminta (1636) nachgewiesen (vgl. Seifert [2014a], Ergänzungen und Korrekturen, S. 264). Die korrekte Signatur der Bayerischen Staatsbibliothek der Aminta
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genhöhe und zur Distribution der Libretti des Wiener Hofes in diesem Gebiet liegen bislang noch keine eigenen Studien vor.8 Inhaltlich folgt die Oper in Wien zunächst den Pastoraldramen und Stoffen aus Ovids Metamorphosen. Ab den 1660er Jahren werden aber auch Stoffe aus der antiken Geschichte und erfundene Handlungen dramatisiert.9 Auf dem Gebiet der Komödie wird dies dadurch erleichtert, dass mit dem Modell der Intrigenkomödie der venezianischen Oper ein Schema für die Dramatisierung von Stoffen aller Art eingeführt wird.10 Mit der 1653 in Regensburg uraufgeführten und gedruckten Oper L’Inganno d’Amore von Benedetto Ferrari und Antonio Bertalli wird erstmals eine Handlung nach diesem Modell gestaltet.11 In der venezianischen Oper stehen Liebesverwicklungen von drei bis sieben Personen im Mittelpunkt, die einander nach Intrigen, Verkleidungen und Verwechslungen schließlich doch noch finden.12 In diese Intrigenkomödie eingeflochten sind in Venedig komische Nebenfiguren nach dem Modell der Commedia dell’arte. Gerade die komischen Figuren werden jedoch in der Wiener Festoper abgewandelt zu heiteren und harmlosen Figuren, die deutlich weniger komisch sind als die Figuren der Commedia dell’arte, wie weiter unten noch genauer zu erläutern sein wird.13
|| lautet im Übrigen, abweichend von der Angabe bei Seifert: Res/4 P.o.germ 230,21. Das Werk wird im Untertitel als ‚Pastoral‘ bezeichnet, was zu Beginn die gängige Bezeichnung für Opern ist. Der erste deutschsprachige Druck eines Opernlibrettos erfolgt dann 1652 für La Gara, übersetzt als Wett-Streit (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 441 und 443). Ab diesem Zeitpunkt etabliert sich die Praxis die Libretti auf Italienisch und auf Deutsch für den Hof parallel zur Aufführung zu drucken (vgl. a. a. O., S. 441–582). 8 Die Rezeption eines spanischsprachigen Paralleldrucks beschreibt Sommer-Mathis am Beispiel von Sbarras Libretto Pomo d’oro (vgl. Sommer-Mathis [2002], Momo und Truffaldino). 9 Vgl. Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 205–226. 10 Vgl. a. a. O., S. 212–215, 441 und passim. 11 Vgl. a. a. O., S. 41, 212 f. und 441. Der Librettist, Benedetto Ferrari, der an der Gründung des öffentlichen Theaters in Venedig 1637 beteiligt gewesen war und dieses auch geleitet hatte, war seit 1649 Hofkapellmeister in Wien (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 41). In Venedig hatte er bereits Opern komponiert und Libretti geschrieben. 12 Für eine Beschreibung der venezianischen Oper in Venedig vgl. das jüngst überarbeitete Standardwerk von Rosand (Rosand [2013], L’Opera a Venezia, S. 29–64). 13 Vgl. Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 214. Bereits Rommel weist auf diesen Unterschied hin (vgl. Rommel [1952], Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 116). Die These Pirrottas und Ridders, dass der Diener analog zur Dienerfigur der Commedia dell’arte gestaltet sei, lässt sich demnach nicht von der italienischen Oper in Italien auf die italienische Oper in Wien übertragen (vgl. Ridder [1970], Der Anteil der Commedia dell’Arte, S. 223–232; Pirrotta [1955], Commedia dell’arte, S. 319). Anders verhält es sich in der Narrenoper, in der zum Beispiel der Spottgott Momo auftritt, der ganz typisch als Narr gestaltet ist. Beispiele dafür finden sich
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Seit dem Regierungsantritt Leopolds I. im Jahre 1659 spielt man bis zu fünf Opern pro Jahr, die häufig dem Modell der Intrigenkomödie folgen. Eine davon ist die Oper Creso, um die es im Folgenden gehen wird. Sie wird von Leopold I. anlässlich des Geburtstages seiner dritten Gemahlin, Eleonore Magdalena Theresia von Pfalz-Neuburg komponiert.14 Das italienische Libretto stammt von Nicoló Minato,15 dem erfolgreichen venezianischen Librettisten, der 1669 von Kaiser Leopold als Hofpoet nach Wien geholt wird; es ist in mehreren Druckexemplaren erhalten.16 Gedruckt wird es vermutlich einerseits deshalb, um es als Dokumentation der kaiserlichen Feierlichkeiten zu versenden, andererseits aber auch, um den nicht anwesenden Mitgliedern des Hofes in Wien zumindest den Text der Aufführung zugänglich zu machen. Für Letzteres spricht die Tatsache, dass beim Hof-Buchdrucker Cosmerovius in Wien zeitgleich mit dem italienischen Libretto auch eine deutsche Fassung erscheint. Es handelt sich um eine vollständige Prosaübersetzung von Johann Albrecht Rudolph mit gereimten Arientexten.17 Die Druckpraxis an der Wiener Hofoper ist bisher nicht gesondert aufgearbeitet worden und lässt sich nur aus dem Aufführungsverzeichnis von Seifert erschließen.18 Anhand dieser Informationen allgemeine Aussagen über
|| bereits in La Gara (1652), in Mercurio esploratore (1662) und in Pomo d’oro (1668) (vgl. SommerMathis [2002], Momo und Truffaldino). 14 [Leopold I.] Creso. Partitur [ÖNB Mus.Hs.16287/1-3]. 15 Creso. Drama per Musica, nel felicissimo di’natalizio. Della S.C.R Maesta‘ Dell Imperatrice Eleonora, Maddalena, Teresa / Per Commando Della S. C. R. Maesta‘ Dell’Imperatore Leopoldo. L’Anno M.DC.LXXVIII. Et alle Med:maM:tà Consacrato In Vienna d’Austria, Per Gio; Christoforo Cosmerovio, Stampatore di S. C. M. [ÖNB 407.399-A]. Abgekürzt und zitiert als Creso. Die auf zwei Tage verteilte Uraufführung findet am 9. und 10. Januar 1678 statt und wird am 12. und 13. Januar wiederholt (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 85. Hier findet sich auch die detaillierte Beweisführung, weshalb Leopold I. als alleiniger Komponist angenommen werden muss und nicht etwa Antonio Draghi oder Draghi und Leopold I., wie bisher häufig in der Forschungsliteratur und derzeit auch noch im Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek angegeben). Der Hofkapellmeister Johann Heinrich Schmelzer komponiert die Ballettmusiken. Von der Musik Leopolds I. sind der zweite und dritte Akt erhalten, von der Musik Schmelzers vier Ballette und ein Tanz des komischen Dieners Elcio zu dem Vokalquartett La bella Pastorella (vgl. a. a. O., S. 157). 16 Vgl. a. a. O., S. 490. 17 [Nicolò Minato/Leopold I.], Cresus. Gesungene Vorstellung An dem Geburts-Tag Ihrer Mayestett Der Regierenden Römischen Kayserin Eleonora Magdalena Theresia Auff Allergnädigsten Befelch Ihrer Römischen Kayserlichen Mayestett Leopold Deß Ersten In zwey Täge abgetheilter gehalten. Wien: Cosmerovio [1678] [BSB Slg.Her 2651]. Im Folgenden abgekürzt und zitiert als Cresus. 18 Einzelhinweise zur Versendung von Libretti und die dazugehörigen Quellen finden sich bei Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 21, 48, 49. Offenbar werden Libretti von Privat-
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Auflagenhöhe, Verbreitung und Rezeption der Libretti am Wiener Kaiserhof zu treffen, ist leider nicht möglich. Im folgenden Kapitel wird, im Anschluss an eine Analyse der Komik des Creso, die Bearbeitung des italienischen Librettos in Hamburg und, soweit es die Quellenlage zulässt, die des zugehörigen deutschsprachigen Librettos im Reich verfolgt und analysiert.19 Da nicht klar ist, ob das Libretto häufiger auf Deutsch oder häufiger auf Italienisch rezipiert wird, soll es im Folgenden unter dem Doppeltitel Creso/Cresus geführt und in längeren Passagen sowohl italienisch als auch deutsch zitiert werden. Für Textbeschreibungen werden die Figurennamen aus der deutschen Fassung verwendet. Minato ist ein sehr erfolgreicher venezianischer Librettist, der 1669 von Kaiser Leopold I. als Hofpoet nach Wien geholt wird. Er verfasst in Wien bis zu seinem Tod circa 170 Libretti, zumeist zu Stoffen aus der antiken Geschichtsschreibung, wobei er ernste und komische Elemente mischt.20 Auch derjenige Stoff, der dem Libretto des Creso/Cresus zu Grunde liegt, ist bei Herodot in den Historien überliefert:21 Der lydische König, der hier Kroisus heißt, ist sehr mächtig und für seinen unermesslichen Reichtum bekannt. Er unterstützt einen Aufstand gegen den persischen König Kyros, der jedoch misslingt. Bei ihrem Rachefeldzug dringen die Perser schnell bis in die lydische Hauptstadt und den Palast vor. Der stumme Sohn des Kroisus rettet seinen lethargischen Vater, der sich nicht mehr wehrt, als ein Perser in seinem Palast im Begriff ist ihn zu töten. Atis verhindert diese Tat, indem er just in diesem Moment seine Sprechfähigkeit wiedererlangt und dem angreifenden Perser zuruft, dass dieser den König selbst vor sich habe. König Kroisus wird daraufhin gefangen genommen. Der Perserkönig beschließt ihn zu verbrennen, wird allerdings hellhörig, als Kroisus vom Scheiterhaufen nach dem Weisen Solon ruft. Kroisus erzählt dann von dem früheren Disput zwischen ihm und Solon, in dem Solon den Standpunkt vertreten hatte, dass der Mensch sich erst dann wahrhaft glücklich schätzen könne, wenn er bis zu seinem Tod nicht in großes Unglück geraten sei. In diesem Moment wird dem Perserkönig klar, dass auch sein Schicksal sich jeden Augen-
|| aufführungen nicht gedruckt (vgl. a. a. O., S. 49). Drucker sind zunächst Caspar von Rath, ab 1631 Michael Rickhes, vereinzelt auch Matthäus Formica und Gregor Gelbhaar, ab 1642 Matthäus Cosmerovius (vgl. a. a. O., S. 433, 435–437, 439 ff.). 19 Vgl. den Theaterzettel in Anm. 81, der erkennen lässt, dass man bei einer Wanderbühnentruppe die Übersetzung Rudolphs offenbar mit Bostels deutschsprachiger Fassung des italienischen Librettodruckes kombiniert. 20 Hadamowsky (1952), Barocktheater, S. 7–96; vgl. auch die inhaltlichen Beschreibungen derjenigen Libretti, zu denen Antonio Draghi die Musik komponiert, bei Hiltl (1974), Die Oper. 21 Herodot (1963), Historien, Bd. 1, S. 81 f.
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blick wandeln könnte und er begnadigt Kroisus deshalb. Da der Scheiterhaufen allerdings bereits in Flammen steht, verbrennt Kroisus dennoch. Minato fügt diesen Stoff für Wien zu einem sujet nach dem Muster der Venezianischen Oper. Zu diesem Zweck ergänzt er die bei Herodot überlieferte Geschichte um weitere Liebespaare und einige Intrigen und verändert den Schluss dahingehend, dass Creso nicht verbrennt, weil ein Platzregen das Feuer löscht und Kyros, hier Cirus, Creso dann erst begnadigt und sich mit ihm versöhnt. Die verschiedenen Liebesgeschichten werden mit ariosen Liebesbekundungen, Klagen über unerhörte Liebe, Werbungsversuchen und Treueproben ausgestaltet. Sie münden in die Hochzeit Atis’ mit der medischen Prinzessin Elmira sowie in die Hochzeit eines weiteren höfischen Paares. Minato verwendet bei seiner Bearbeitung zwar das Intrigenschema mit komischen Nebenfiguren, er gestaltet dennoch im Ganzen keine Venezianische Oper, sondern eine Wiener Festoper.22 Dazu fügt er Balletteinlagen, Maschinenszenen und vor allem eine Licenza ein, in der allegorische Figuren mit historisch-politischer Bedeutung auftreten. Eine Licenza ist in Wien zu dieser Zeit bei solchen Musiktheaterwerken üblich, die zu Geburts- und Namenstagen, zu Hochzeiten oder anderen besonderen festlichen Anlässen aufgeführt werden.23 Im Fall des Creso/Cresus trägt sie den Titel Anführung des Danzes der Siben Planeten. Als Figuren treten Österreich, das Römische Reich, Böhmen, Ungarn und die zum Haus Österreich gehörenden Stände in Deutschland, das Verhängnis (als weibliche Rolle) und sieben Planeten auf. Österreich, das als „Erz-Haus der Helden“ bezeichnet wird, und auch die Territorien des Reichs, die Kronländer und die Stände befragen zu Beginn das Verhängnis nach Prophezeiungen für ihre Herrscher. Das Verhängnis sagt voraus, dass ein Prinz geboren werden wird. Hier wird eine jahrzehntelange Sorge des Kaiserpaares aufgegriffen, weil bereits die ersten beiden Gemahlinnen des Kaisers nur Töchter geboren hatten. Anschließend fragt das Römische Reich, wie die Kriege, in denen es gerade steht („mit Krigen rings umgeben“), ausgehen werden. Die Antwort lautet: „Du wirst – von Österreich beherrscht – in Frieden leben.“ Diese Aussage setzt die erste Prophezeiung fort, indem sie impliziert, dass der Thronfolger, den Eleonora gebären wird, das Kindesalter überleben und dereinst gekrönt werden wird. Böhmen sagt das Verhängnis „Ehr und Glori“ voraus, wenn es Österreich untergeben bleiben wird, Ungarn dasselbe, wenn es sich wieder dem Kaiser unterstellt. Als Beweis
|| 22 Zu Beginn des Jahrhunderts findet man in Wien noch Venezianische Opern, die offensichtlich nicht ganz den Bedürfnissen des Hofes entsprechen und schnell vom Spielplan verschwinden (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 49). 23 Vgl. Hiltl (1973), Die Oper, S. 381.
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für die Wahrheit des Vorausgesagten prophezeit das Verhängnis das Erscheinen der sieben Planeten, die dann tatsächlich auftreten, sich „vor denen kayserl: Mayestätten“ verneigen und einen Tanz vorführen. Der erwünschte Wechsel vom Unglück ins Glück, der hier vorausgesagt wird, ist in der gerade abgeschlossenen Bühnenhandlung des Creso/Cresus bereits gestaltet. Insbesondere die unvermutete Rettung des Cresus in letzter Sekunde und die Versöhnung der Herrscher passen auf diese Weise zu den aktuellen Bezügen, die in der abschließenden Licenza thematisiert werden. Das Werk ist durch seine Aufführungsdauer über zwei Tage, durch die Wahl der Medien, die Bühnentechnik und die Form der Bezugnahme auf seinen Aufführungsanlass deutlich auf die Repräsentationsbedürfnisse des Hofes zugeschnitten. Wie in allen Wiener Festopern bis in die 1680er Jahre hinein ist Komik durch komische Figuren, aber auch durch Handlungskomik in das Werk integriert.24 Da sich die Komik auch in der Haupthandlung findet, scheint eine Behandlung des Werkes als ‚Komödie‘ im Sinne der Definition dieser Arbeit sinnvoll zu sein.25
|| 24 Vgl. Weilen (1889), S. 67 ff.; Rommel (1952), Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 46 f. Eine Sammlung von Erscheinungsformen der Komik in der höfischen Barockoper am Wiener Kaiserhof des 17. Jahrhunderts bietet Rommel. Er thematisiert Lustspielmotive und komische Figuren als zentrale Elemente der Komik und Schwänke sowie Philosophenlustspiele als Komödienformen. Teilweise zieht er allerdings Libretti heran, für die nach heutigem Forschungsstand keine Aufführungen am Wiener Hof nachweisbar sind (vgl. Rommel [1952], Die AltWiener Volkskomödie, S. 108–118, im Abgleich mit Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 429–585). Dennoch ist Rommel darin zuzustimmen, dass in der Wiener Hofoper des 17. Jahrhunderts „die Komik nur als zusätzliches Ingrediens verwendet[,] in dieser Verwendung aber sehr geschätzt wird, bis der klassizistische Geschmack zum Verzichte darauf zwingt.“ (Rommel [1952], Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 114; vgl. hierzu auch Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 9, 214–216, 218, 221 f., 227, 229, 243, 245 f. 253, 347, 354). Die Titel der Opern mit ihrem Fokus auf die dramaturgisch relevanten Momente in der Handlung zwischen Fürsten, Göttern und Halbgöttern lassen dies selbst bei Faschingsopern nicht vermuten. 25 Seifert verwendet den Begriff ‚Komödie‘ im Sinne einer systematischen Gattungsbezeichnung nur für „komische Sprechstück[e]“ (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 22). Neben solchen komödienhaften Festopern gibt es auch komische Opern zu Karneval, die weder huldigende Elemente noch eine Licenza enthalten (vgl. Hiltl [1974], Die Oper, S. 417– 419). Sie lassen sich in Philosophenlustspiele (zum Beispiel La lanterna die [sic!] Diogene und La patienza di Socrate) und Narrenkomödien (zum Beispiel Die Närrische Abderiter oder La Chimera) unterteilen. Dort sind einerseits starke Dienerrollen möglich – teilweise sogar die Umkehrung des Herr-Knecht-Verhältnisses – andererseits wird Kritik an Missständen am Hof geübt (vgl. Seifert [1985], Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 373–412). Nicht nachweisen lassen sich hingegen Opern mit tragischen Stoffen und tragischem Ende, weil auch tragische Stoffe
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Im Folgenden soll zuerst die Intrigenkomödie der Haupthandlung untersucht werden, weil diese als sujet 50 Jahre lang nahezu unverändert im Reich zirkuliert, während die Szenen um die komischen Nebenfiguren variieren. Von zentraler Bedeutung sind die Wissensunterschiede, die zwischen Figuren untereinander und zwischen Figuren und Rezipient*innen entstehen. Von der Venezianischen Oper übernimmt die Wiener Festoper die Verstellung und Verkleidung adliger Figuren, welche durch Aparte-Repliken eine explizite Wissensgemeinschaft mit dem Publikum herstellen, die sich in der Informiertheit von einer anderen Figur oder Figurengruppe unterscheidet.26 Auch im Creso/Cresus spielen die Wissensunterschiede zwischen Intriganten und getäuschten Figuren eine zentrale Rolle. Die erste Intrige ist die Verschwörung von Orsanes, einem lydischen Fürsten, der anstelle von Atis Nachfolger von Crœsus werden möchte. Die zweite Intrige geht von Atis aus, der als Bauer verkleidet an den elterlichen Hof zurückkehrt, um dort die Loyalität des Hofstaates und die Tugend seiner Geliebten Elmira auf die Probe zu stellen. Während Orsanes sich als Intrigant lächerlich macht, weil er durchschaut und zum Spottgegenstand von Atis wird, ist Atis Herr der Lage und Reflektorfigur der Schadenfreude der Rezipient*innen, wenn er sowohl Orsanes als auch seine Geliebte Elmira an der Nase herumführt. Eingebettet in die Handlung gestaltet sich das wie folgt: Nachdem Atis seine Sprechfähigkeit wiedererlangt hat, flieht er und kehrt als Bauer verkleidet an den lydischen Hof zurück, um sich der Loyalität des Hofstaates zu vergewissern. Dort trifft er auf den lydischen Fürsten Orsanes, der gerne selbst an die Macht kommen würde. Dieser hält Atis tatsächlich für einen Bauern und beauftragt ihn damit, Atis, dessen Rückkehr der verkleidete Atis ankündigt, zu töten. Anschließend soll der Bauer den Prinzen Atis spielen und sich der Regierung unfähig erweisen, damit Orsanes ihn ersetzen kann. Für die Rezipient*innen stellt sich die Situation dadurch folgendermaßen dar: Der als Bauer verkleidete Atis wird von Orsanes dazu angestiftet, sich selbst umzubringen und sich dann selbst zu spielen – wofür er freilich erneut Stummheit vortäuschen muss. Aus diesen Rollenspielen und Vortäuschungen ergeben sich mannigfaltige situationskomische Szenen, da nur die Zuschauer und Atis’ Vertrauter Halimacus das Wissen um dessen Verstellung teilen und mit diesem die komischen Inkongruenzen genießen:
|| immer mit einem lieto fine gestaltet werden (vgl. dazu im größeren Rahmen bereits Mehltretter [1994], Die unmögliche Tragödie). 26 Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 213.
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ELI. ORS.
Ed ecco il Prence. (Ecco il Villano arriua.) Da sè. […] Di Creso nel suo Volto/ Ben risplende il rifflesso. AMI. ORS. (Egli par Atis istesso.) Da sè. Viene Ati, fascendo accoglimenti di Cortesia a Ciascuno. […] Duolmi,/ Prence, del Genitore/ L’auuenimento accerbo. Ati niente risponde ad Orsane: anzi li riuolta le stalle, ond’egli dice da sè. (Vedi, vedi il Villan com’è superbo!) A parte. (Creso III,2)
ELI. ORS.
Sehet den Prinzen. (Mit was Pracht nicht der verstellte Bauer herauß sich begebe.) […] Wiewohl druckte nicht die Natur die Zeichen deß Cresus in sein Angesicht AMIL. ein? ORS. (Er scheinet in Wahrheit Atis selbsten zu sein.) Die Fürsten und Große des Reichs niegen sich alle vor Atis / und er bedankt sich mit Höfligkeit gegen jeden. […] Ich bemitleyde/ O Fürst:/ deines Herrn Vatters unglickseeligen Zuefall. Atis gibet Orsanen keine Antwort/ ja er wend ihm sogar den Rucken. (Mein [sic!] schauet/ schauet doch/ wie nicht der Bauer prall!) (Cresus III,2)
Orsanes, dessen intrigante Absichten und falsche Identitätsannahmen in Kommentaren beiseite verdeutlicht werden, wird der Lächerlichkeit preisgegeben, da er selbst getäuscht wird. Die eingeklammerten Repliken von Orsanes, die für die anderen Figuren nicht hörbar sind, dienen dazu, den Wissensrückstand von Orsanes gegenüber Atis, dessen Vertrautem Halimacus und den Zuschauern zu verdeutlichen. Während Orsanes durch die Kommentare zu erkennen gibt, dass er vermeint, tatsächlich einen Bauern vor sich zu haben, der Atis besonders ähnlich sieht, weiß der Zuschauer, dass Atis diesen Bauern nur spielt. Als die anderen Figuren abgetreten sind, wird dieser Kontrast noch größer, weil Atis die Opposition Atis/Nicht-Atis auf sich selbst anwendet, wenn er behauptet, Atis umgebracht zu haben: ORS. AT. ORS. AT. ORS
E bene, Ermin, come sucesse il fatto? Conforme à i Voti. Seco/ Il Cadauere d’Ati,/ Mentre dormia, Suenato,/ Porta del Fiume la Corrente. O Caro! Con gioconda accoglienza/ Ti stringo al sen. O’la! Men confidenza. Che!
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AT. ORS. AT. ORS. AT.
Non è con il Seruo/ Si domestic il Prence: e così poco/ Non prezza i suoi fauori./ Nè si lascia abracciar da traditori. Come! che parli? insano. Ah! Non mi souenia d’esser Villano. Non vscir de te stesso,/ Perche di spoglie d’or ti miri adorno. Nò, nò. (Creso III,2)
ORS. ATIS ORS. ATIS. Ors. ATIS ORS. ATIS ORS. ATIS
Und wohl/ Ermino/ wie ist die Sach abgangen? Nach Wunsch. Ich hab ihn in dem Schlaf erwürget/ und seinen Leichnam in den vorbeyrinnenden Fluß geworfen. Ich umbarme dich vor Freuden/ Geliebter! Will ihn umbarmen. Hola! nicht so vertreulich! Was? Der Fürst ist nicht so gemein mit seinem Diener/ halt seine Gnaden nicht so gering/ und lasset sich von seinem Verräther umbarmen. Wie? Narr? was redest du so frey? Ich dachte nicht darauff/ daß ich ein Bauer sey. Vergisse nicht deiner selbsten/ umb daß du mit Fürstlicher Klaydung umgeben. Nein/ nein. (Cresus III,2)
Komisch ist diese Textstelle zudem deshalb, weil Atis aus seiner Rolle als Bauer fällt und Orsanes im Affekt zurückweist, als dieser ihn umarmen will. Atis verbittet sich hier, dass Orsanes, der ihm schließlich in Wirklichkeit untergeben ist und noch dazu gerade seine Ermordung in Auftrag gegeben hat, sich ihm so vertraulich nähert. Orsanes versteht dies dann erneut falsch, da er denkt, dass er es mit einem Bauern zu tun hat, der nun auf einmal hochmütig geworden ist und sich tatsächlich für einen Prinzen hält. Zu der beständigen komischen Inkongruenz durch den Wissensrückstand von Orsanes kommt in dieser kurzen Szene demnach noch eine Inkongruenz von Fakten der dramatisierten Geschichte und Lüge hinzu (Atis behauptet gegenüber Orsanes, dass Atis tot sei) und eine Inkongruenz der Rolle des Spiels im Spiel sowie der Figurenidentität (Atis fällt aus seiner Rolle als Bauer und spricht als Prinz). Auch seiner Geliebten Elmira tritt Atis in der Verkleidung als Bauer entgegen:27 ELM.
(Ecco il Villano.)
|| 27 Vgl. zudem Creso und Cresus II,12, II,15, III,12.
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AT. ELM. AT. ELM. At. ELM. AT. ELM. AT. ELM. AT. ELM. AT. ELM. AT. ELM. AT. ELM. AT. ELM. AT. ELM.
(Ecco la Bella). (O come al mio Muto, è simile!/ Testimon, ch’assicura,/ Che gl’Huomini, vn da l’altro,/ Distingue la Virtù, non la Natura.) Prencipessa? Mio Bene – Che? O’quali acenti, inauuertita, mossi!)/ Così risponderei, s’Ati tu fossi. È perche non à mè? Cader dourei/ In sì aperta follia? Che misfatto saria? Offesa di decoro,/ Bassezza di desio,/ Inclinar à vn Villan. Son Huomo anch’Io. Mà de’ Boschi. Dal Loco/ Non si misuran l’Alme:/ Vengon tutte dal Cielo. Mà diferenti. Chi mi diede à vn Prence/ Sembianza così vguale,/ M’haurà forse concessa Alma reale. Troppo di nostre Sorti/ È dispari il tenore. Ogni disuguaglianza vguaglia Amore. Deggio amar vn Villan? reprimi questi/ Sentimenti sfacciati. Ama in me quell, c’hò d’Ati. L’amo; ma non in Tè. […] Sfacciato: Ad Ati/ Vuò acusarti. Non temo/ Perciò da l’ira sua sferze, ò legami:/ Caro haurà, che tu m’ami. Villano; tu deliri. (Creso III,8)
ELM. ATIS ELM. ATIS ELM. ATIS ELM. ATIS ELM. ATIS ELM. ATIS ELM. ATIS ELM. ATIS
(Siehe den Bauren.) (Siehe die Schöne.) (Wie er nicht Stummen so ähnlich? Wohl ein Bewehr-Zeichen/ daß ein Menschen von dem andern nicht die Geburth/ sondern die Tugent entschaide.) Fürstin! Mein Schaz? Was? (Unbedachtsame/ was du erklärest?) Also wurd ich antworten/ so du der Fürst wärest. Warum nicht auch mir? Sollt ich eine so offenbare Torheit begehen? Was wurde dann hierdurch unrechts geschehen? Es wäre eine Verkleinerung meiner Ehre/ eine Niderträchtigkeit meines Verlangen/ einem Bauren anzuhangen. Ich bin ja ein Mensch. Aber ein Wald-Mensch. Die Seelen messet man nicht nach dem Orth ab/ sie komen alle vom Himmel. Dannoch mit Unterschid. Der mein Angesicht jenem eines Fürsten machte so eben/ der hat mir etwann auch ein Fürsten-Seel gegeben?
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ELM. ATIS ELM. ATIS ELM. ATIS ELM.
Augenscheinlich/ daß die Beschaffenheit deines Stands von jener deß meinigen allzusehr abweicht. Die Lieb macht alles gleich. So solt ich einen Bauers-Mann lieben? Weiche mit disem Begehren nur bald ab. Elmira/ lieb an mir/ was ich von Atis hab. Ich lieb ihn/ nicht aber in dir. […] Ich werde dich bey Ati verklagen/ Vermessner. Und was soll mir der Fürst? Es wird ihm lieb sein/ so du mich lieben wirst. Schweig/ du bist toll. (Cresus III,8)
Elmira erkennt Atis spontan bei seinem Erscheinen als ihren Geliebten und glaubt dann, sich getäuscht zu haben. Für die Rezipient*innen ergibt sich dadurch dramatische Ironie,28 da sie schließlich wissen, dass es sich tatsächlich um eine Anagnorisis handelt, weil Elmira mit der Anrede „Mein Schaz“ in Wahrheit ihren Geliebten Atis bezeichnet. Anschließend versucht Elmira die Avancen des vermeintlichen Bauern mit Verweis auf seinen niederen Stand zurückzuweisen. Dass Atis einen Bauern spielt und dies gestisch, mimisch und proxemisch zum Ausdruck bringen kann, führt zu weiteren komischen Inkongruenzen zwischen königlichem Stand und bäurischem Verhalten. Zusätzliche komische Effekte kommen durch Atis’ explizit ausgestaltetes Vergnügen an Elmiras Leid bei der letzten Tugendprobe hinzu. Hier fordert Atis Elmira in einem Brief dazu auf, die Liebe des Bauern Ermin zu erwidern und freut sich anschließend darüber, dass Elmira dieses Ansinnen strikt ablehnt (vgl. Creso und Cresus III,15). Das ist wiederum nur für Atis und den Zuschauer komisch, weil sie wissen, dass es sich bei Atis und Ermin (dem „Bauern“) um dieselbe Person handelt und Elmira grundlos leidet. Im Creso findet sich zudem mit Elcio ein – in den Wiener Opern dieser Zeit zum festen Inventar gehörender – servo ridicolo29 und mit Trigesta eine typische alte Amme. Während letztere in Wien der äquivalenten Rolle in der Venezianischen Oper in Venedig entspricht, findet sich beim männlichen Diener eine spezifische Wiener Variante in den Opern der zweiten Hälfte des
|| 28 Zur Verwendung des Begriffs ‚dramatische Ironie‘ als Oberbegriff für tragische und komische Ironie vgl. Pfister (1997), Das Drama, S. 87. Pfister schlägt vor, immer dann von dramatischer Ironie zu sprechen, wenn die Worte einer Figur für die Rezipient*innen eine Zusatzbedeutung erhalten, die sie für die Figur aufgrund ihres eingeschränkten Wissens nicht haben können. 29 Vgl. Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 214.
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17. Jahrhunderts.30 In der Venezianischen Oper in Venedig stellen sich die Dienerfiguren nur dumm, um daraus Vorteile zu ziehen.31 Der Diener der Wiener Oper hingegen ist tatsächlich ungeschickt und weder in seinen eigenen Angelegenheiten noch in denen seines Herrn erfolgreich. In der Venezianischen Oper üben die Dienerfiguren folgenreiche Handlungen aus. Das passt nicht zur Wiener Hofoper, in der aktive Dienerfiguren mit eigenen Absichten die Aufmerksamkeit zu sehr von den Tugenden der dargestellten Herrscherpersönlichkeiten ablenken würden. Die Dienergestalten der Wiener Festoper sind deshalb eher stereotype Figuren, die durch ihre Einfalt, ihre Furcht, ihre Feigheit und ihr ausgeprägtes Interesse an Essen und Trinken lächerlich wirken. Sie lassen sich einschüchtern und prahlen nur dann, wenn sie sich (allzu) sicher fühlen. Von Beruf sind sie zum Beispiel Kuppler/in, Gefängniswärter, Bauer oder Schiffsknecht, oder sie nehmen die Rolle eines Pedanten oder Scharlatans ein. Ihre Einbindung in und ihre Wirksamkeit für die Handlung sind in Wien sehr schwach ausgeprägt. Zudem entstehen weder durch Handlungen noch durch Themen oder Stil größere Kontraste zur Haupthandlung und deren Figuren. Die Diener sind in Wien im Vergleich mit Venedig demnach recht blass und auch deutlich weniger komisch, weil Inkongruenzen zwischen vorgeblich dummem und tatsächlich listigem Verhalten beispielsweise wegfallen. Im Creso/Cresus tritt Elcio dementsprechend nur dann auf, als er in den Krieg ziehen soll und als er aus diesem zurückkehrt. Elcio macht sich bei seinem ersten Auftritt als hasenfüßiger Diener darüber Gedanken, ob er wohl wieder heil mit seinem Herrn aus dem Krieg zurückkehren wird: Mi chiedon, con quest’armi/ Ou’Jo m’inuij? Rispondo/ A la Guerra, à la Guerra. All’ora poi,/ Ch’Jo ne ritornerò, storpio vna mano;/ Senza vn Occhio; fasciato,/ Per le ferite il Capo,/ Chiesto, dal qual Jo venga/ Clima nemico, ed infelice Terra?/ Torno, risponderò, torno di Guerra./ Ch’importa! Per diffesa/ Del suo Signor, de la sua Patria, belle/ Son le ferite, gloria/ La morte: D’esser chiuso/ Merita de l’Oblio nel cieco fondo/ Chi per bere, e mangiar sol uenne al Mondo. (Creso I,15) So man mich fraget/ wo ich also gewaffneter hinwölle/ so gib ich zur Antwort: In das Feld/ in das Feld. Wann ich aber sodann mit einer lammen Hand/ mit dem Verlust eines
|| 30 Vgl. ebd. Bereits Rommel weist auf diesen Unterschied hin (vgl. Rommel [1952], Die Altwiener Volkskomödie, S. 116). Die These Pirrottas und Ridders, dass der Diener analog zur Dienerfigur der Commedia dell’arte gestaltet sei, lässt sich demnach nicht von der italienischen Oper in Italien auf die italienische Oper in Wien übertragen (vgl. Ridder [1970], Der Anteil der Commedia dell’Arte, S. 223–232; Pirrotta [1955], Commedia dell’arte, S. 319). 31 Vgl. Rosand (2013), L’Opera a Venezia, S. 29–64.
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Aug/ und mit verbundenem Kopff wider zuruckkehre/ und man mich frage/ woher ich kume/ von was einem Orth/ auf was einem unglickseeligen Winckel der Welt? Ich kume/ werd ich dann sagen/ ich kum aus dem Feld. Aber was schad es/ zu Schutz seines Herrn/ seines Vatterlands sein die Wunden ein Zierd/ der Todt eine Glory. Herentgegen soll in den Fluß der ewigen Vergessenheit versinken/ der auff der Welt nur lebt zum essen und zum trincken. (Cresus I,15)
Die Situation, dass der komische Diener aus Feigheit am liebsten nicht seinem Herrn in den Krieg folgen würde, ist typisch für den servo ridiculo in der Wiener Festoper. Er tritt häufig vor Angst zitternd in Rüstung auf, stottert und steht so in Kontrast zum heldenhaften Verhalten seines Herrn.32 In der zitierten Stelle finden sich sowohl ein Kontrast von pathetischem Vokabular und Ängstlichkeit als auch ein Kontrast von Ruhm und körperlichen Bedürfnissen, der zu komischen Effekten führt. Bei seinem zweiten Auftritt anlässlich seiner Heimkehr aus dem Krieg trifft Elcio auf die Alte Trigesta. Dieser Auftritt wird weiter unten vergleichend mit der ersten Hamburger Fassung des Creso/Cresus analysiert, da hier der Inhalt übernommen, jedoch thematisch und sprachlich derber und auch im Replikenwechsel kontrastreicher gestaltet ist, so dass eine direkte Gegenüberstellung aufschlussreich ist.
3.1.2 Hamburg, Gänsemarktoper, Der Hochmüthige, gestürtzte und WiederErhobene Crœsus (1684–1730) Lucas von Bostel, der spätere Hamburger Bürgermeister, macht aus Minatos italienischem Libretto 1684 für die Hamburger Gänsemarktoper eine deutsche Fassung unter dem Titel Der Hochmüthige, gestürtzte und Wieder-Erhobene Crœsus.33 Er verändert dabei die Form der Komik und ihren Anteil an der Haupthandlung in einer für die Hamburger Gänsemarktoper typischen Weise. An der Hamburger Gänsemarktoper werden 60 Jahre lang, von 1678 bis 1738, mit wenigen Unterbrechungen kontinuierlich Opern in deutscher Sprache gegeben.34 Damit ist diese Institution, die finanziell als Aktiengesellschaft von
|| 32 Vgl. Rommel (1952), Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 116. 33 [Lucas von Bostel/Philipp Förtsch], Der Hochmüthige/ Gestürtzte/ und Wieder-Erhobene Crœsus [Hamburg 1684]. [Marx/Schröder, Nr. 160a] [In: Zwanzig Hamburgische Opern und Singspiele, 1708, 1719, SUB 20 in Scrin A/94, n°20], Sigle C 1684a. 34 Die erste Monographie zur Hamburger Gänsemarktoper, die die Produktion in Kapiteln zu Gattungen und Einflüssen gründlich erschließt, stammt von Wolff (vgl. Wolff [1957], Die Barockoper in Hamburg). Meyer hat seinem Neudruck von rund 20 Libretti der Hamburger Gän-
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Hamburger Bürgern organisiert ist, einzigartig im Reich. An keinem Hof und in keiner anderen Stadt des Reichs lässt sich im 17. und 18. Jahrhundert eine ähnlich kontinuierliche und umfangreiche Opernproduktion nachweisen. Für die Hamburger Gänsemarktoper werden in 60 Jahren rund 270 Opern geschrieben. Häufig verwendet man die gedruckt verfügbaren, italienischsprachigen Libretti aus Venedig, Wien, Paris und Braunschweig und bearbeitet sie für die Hamburger Gänsemarktoper. Da diese Bearbeitungen der Libretti in Hamburg zu den Vorstellungen, vermutlich zum Mitlesen, ebenfalls gedruckt werden, ist ein großer Bestand davon bis heute erhalten.35 Marx und Schröder weisen in ihrem Katalog 250 Werke und Fassungen in 2000 Textbüchern in Bibliotheken in Europa und Amerika nach.36 In literarischer Hinsicht sind die Libretti der Hamburger Gänsemarktoper das umfangreichste und vollständigste Korpus dramatischer Texte, das im 17. und 18. Jahrhundert für ein Theater geschrieben und gedruckt wird und erhalten ist. 93 % der Werke und Fassungen sind deutschsprachig, 55 % sind Eigenproduktionen.37 Die sonstigen Werke sind zumeist Adaptionen italienischer Opern. Partituren und anderes Notenmaterial, das nicht gedruckt wird, ist heute nur noch vereinzelt erhalten.38 Eröffnet wird das Opernhaus am 12. Januar 1678.39 Zu verdanken ist die Gründung der Hamburger Gänsemarktoper den langjährigen Bestrebungen des Herzogs Christian Albrecht von Schleswig-Holstein-Gottorf, der aus politischen Gründen in Hamburg im Exil lebt und sich die Aufführung von Opern als Aus-
|| semarktoper ein umfangreiches Nachwort beigegeben, in dem er die Anfänge der Oper und einige sozialgeschichtliche Besonderheiten herausarbeitet und in eigenen Kapiteln die Librettisten und Komponisten sowie die Poetologie der Vorreden rekonstruiert (vgl. Meyer [1980 ff.], Die Hamburger Oper, Bd. IV). Die jüngste Monographie bietet eine chronologische Darstellung mit Einbettung in den sozialgeschichtlichen und künstlerischen Kontext des Reichs und Hamburgs (vgl. Gauthier [2010], L’Opéra à Hambourg). Thematische Monographien widmen sich mythologischen Stoffen und Motiven und den Themen Krieg, Liebe und Ehe (vgl. Haufe [1994], Die Behandlung der antiken Mythologie; Kiupel [2010], Zwischen Krieg, Liebe und Ehe). 35 Vgl. Marx/Schröder (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper, S. 16. 36 Vgl. a.a.O. Am Ende des Katalogs findet sich auch ein Spielplan. Die Libretti wurden im 20. Jahrhundert nur in einer kleinen Auswahl neu gedruckt (vgl. Meyer [1980 ff.], Die Hamburger Oper). Inzwischen sind allerdings fast alle Textbücher digital abfotografiert und online über den Karlsruher Virtuellen Katalog auffindbar und zugänglich. 37 Meyer (1980 ff.), Die Hamburger Oper, Bd. IV, S. 45. 38 Jahn geht davon aus, dass für den gesamten nord- und mitteldeutschen Raum in diesem Zeitraum nur etwa 5 % der Opernpartituren erhalten sind (vgl. Jahn [2005], Die Sinne und die Oper, S. 1). 39 Braun (1987), Vom Remter, S. 15.
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gleich für das fehlende Hofleben wünscht.40 Musikalisch ist die Voraussetzung die ausgeprägte kirchenmusikalische Tradition und Aufführungspraxis in Hamburg, die unter anderem der Grund dafür ist, dass man über ein Orchester für die Opernaufführungen verfügt.41 Jan Adam Reinken und Johann Theile schaffen die Voraussetzungen durch die kompositorische und interpretatorische Weiterentwicklung von Oratorium, Lied und Choral zur Oper. Theile komponiert auch die Musik zum Eröffnungsstück der Hamburger Gänsemarktoper. Die institutionellen Bedingungen und die finanzielle Grundlage schaffen eine Gruppe von Bürgern und Mitgliedern des Collegium Musicum unter der Ägide des Juristen und Ratsmitglieds Gerhard Schott.42 Schott ist sowohl bestrebt das Deutsche als Kunstsprache zu etablieren als auch die kulturelle Positionierung Hamburgs im Reich zu verbessern und die deutschsprachige Opernkunst zu befördern.43 In einer ersten Phase von 1678 bis 1689 werden 35 Opern aufgeführt. 1678 bis 1683 gibt man je vier Werke, einmalig sechs im Jahr 1680. 1684, im Aufführungsjahr des Crœsus, spielt man zwei Opern, 1685 keine.44 1686 läuft der Opernbetrieb wieder an, in diesem Jahr mit zwei, 1687 mit nur einer, 1688 wieder mit zwei Produktionen und erst 1689 spielt man dann wieder fünf Werke.45 34 der 35 Opern werden auf Deutsch gegeben, aber nur 14 Werke werden im Original auf Deutsch geschrieben, zehn davon speziell für Hamburg.46 Die anderen Werke sind zum Großteil von italienischen Librettisten verfasst. Zudem werden französische und spanische Werke bearbeitet. Den Hauptanteil machen biblische Opern aus, die allerdings nicht in der Nachfolge der schlesischen Märtyrerdramen oder der Heiligendramen stehen, sondern erbauliche Stoffe aus dem Alten und Neuen Testament zum Gegenstand haben. Die hohe Präsenz biblischer Stoffe ist dadurch bedingt, dass man den Klerus vom Nutzen der Oper überzeugen will. Das verhindert allerdings nicht, dass sich schnell Widerstand gegen die neue Institution regt, der man vorwirft, die Jugend zu verführen und
|| 40 Ebd. 41 Vgl. für die Rekonstruktion dieser Vorgeschichte Gauthier (2010), L’Opéra à Hambourg, S. 37–154. 42 Vgl. a. a. O., S. 128. 43 Vgl. a. a. O., S. 129 f. 44 Vgl. Marx/Schröder (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper, S. 470. Von 1674 bis 1704 gibt es mehrere heftige Auseinandersetzungen zwischen Senat, Bürgerschaft, lokalen und externen Geistlichen und Gelehrten um die Hamburger Gänsemarktoper, im Zuge derer die Oper auch immer wieder mehrere Monate geschlossen wird (vgl. Gauthier [2010], L’Opéra à Hambourg, S. 227–314). 45 Vgl. Marx/Schröder (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper, S. 469. 46 Vgl. Gauthier (2010), L’Opéra à Hambourg, S. 160–163.
Creso – Croesus – Atis | 73
den Gottesdiensten mit sakralen Musiktheateraufführungen die Besucher abspenstig zu machen. Ab 1682 entspinnt sich eine ausgedehnte publizistische Debatte, in der sich auch Theologen und Philosophen aus anderen Regionen zu Wort melden.47 Pietisten lehnen die Oper grundsätzlich als Werk des Teufels ab, andere Stimmen weisen detailliert das moralische Schadenspotential der dargestellten Verfehlungen und die unmäßige Erregung der Sinne durch Gesang, Bühnenbild und Maschinen nach. Die Librettisten sind dementsprechend bemüht, die Erbauungsfunktion in Titeln, Vorworten und Prologen explizit zu thematisieren und in den Libretti inhaltlich zu gestalten.48 Neben biblischen werden mythologische, historische und pastorale Stoffe dramatisiert.49 Im Aufbau des Titels wird der Crœsus an das Eröffnungsstück angepasst, gemeint ist Richters/Theiles Adam und Eva. Der erschaffene/gefallene und auffgerichtete Mensch (1678). Aus der Wiener Titelformulierung Creso wird Der Hochmüthige, gestürtzte und Wieder-Erhobene Crœsus und die göttliche Fügung der Glückswechsel in Crœsus findet eine Entsprechung im Schicksal des ersten Menschen. Bostel thematisiert in wenigen Sätzen die Anforderungen, denen sein Libretto genügen soll. Er erklärt, er habe es theils nach der aus der Erfahrung verspührten Neigung hiesiger Zuschauer, mit Untermischung einiger Lustbarkeiten, noch mehr auf den Endzweck eingerichtet, daß nebst schicklichen Staats- und Sitten-Lehren, die Tugend zur Liebe und Nachfolge, die Laster zur Vermeidung vorgestellet, am allermeisten aber aus dem Verlauff der an sich im Hauptwerke wahrhafftigen Geschichte die Unbeständigkeit weltlicher Ehre und Reichthums anerkandt werde. (C 1684a Inhalt und Vorbericht)
|| 47 Zum Beispiel Gottfried Wilhelm Leibniz (vgl. Gauthier [2010], L’Opéra à Hambourg, S. 249– 252). Vgl. zu dieser Auseinandersetzung bis einschließlich 1693 a. a. O., S. 227–314. 48 Vgl. für detaillierte Analysen a. a. O., S. 155–226. 49 Im Repertoire finden sich zuvor auch bereits vier Komödien. Von der Eröffnung bis zur Inszenierung des Crœsus sind das Don Pedro (Elmenhorst/Franck 1679), eine Bearbeitung von Molières Le Sicilien, ou l’amour peintre (1667), Sein selbst Gefangener (Matsen/Franck 1680), Floretto (nach Weise/Franck 1683) und Das unmöglichste Ding (Bostel/Förtsch 1684), eine Bearbeitung von Lope de Vegas El mayor impossibile (1690). Die Werke sind allerdings ebenfalls als moralisch lehrreich positioniert. Das erste Werk enthält den Titelzusatz „oder die abgestraffte Eyffersucht“, bei den anderen beiden wird der Bezug zur Lasterkritik in der Vorrede hergestellt. Der Crœsus wird hier eingeordnet, indem im Vorwort auf die Gefahr der Hybris eines reichen und glücklichen Menschen hingewiesen wird. Tragödien im strengen Sinn stehen diesen Werken auch in Hamburg nicht gegenüber, weil alle anderen Werke ein lieto fine und Nebenhandlungen um komische Figuren aufweisen.
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Der Unterhaltungsanspruch („Lustbarkeiten“), die Anpassung an lokale Erwartungen und die moralischen Normen stehen hier unmittelbar nebeneinander und sind im Crœsus auch verwirklicht. Lediglich zwei anstößige Strophen in einer Arie der Elmira aus der zweiten Szene des ersten Aktes werden umgehend von der Kirche moniert und fehlen daher in der Neuauflage des Librettos für die Wiederaufnahme 1692.50 In der ersten Strophe erklärt Elmira, sie könne an den Augen und Gebärden von Atis erkennen, dass er tatsächlich verliebt sei.51 Trigesta merkt an, er könne ihr seine Verliebtheit bald durch Küsse zeigen. In der dritten Strophe rät Elmira den „Messieurs“ die Frauen gleich zu küssen, falls ihnen die richtigen Worte für eine Liebeserklärung fehlen sollten. In Trigestas Strophe wird diese Wendung zum Publikum noch direkter. Durch den Zusatz „leise“ und den Wechsel zum Dialekt sind die Verse als Beiseite markiert, bei denen die Sängerin aus der Rolle tritt und durch die Publikumsansprache Vertraulichkeit mit den Rezipient*innen herstellt. Zudem formuliert sie ihre anschließende Erklärung, dass die jungen Frauen sich nichts anderes wünschen als geküsst zu werden, auf Plattdeutsch (vgl. C 1684a I,2). Gauthier macht darauf aufmerksam, dass dies die ersten plattdeutschen Verse in einer Hamburger Oper sind und dass man damit offenbar besonders die Seeleute und Fischer im Publikum ansprechen wollte.52 Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil hier die für Hamburg spezifische Tradition beginnt, Plattdeutsch sprechende Nebenfiguren auftreten zu lassen. Diese Nebenfiguren bestreiten in der Crœsus-Parodie von 1726 dann alleine die Handlung und nehmen Bezug auf die Geschichte dieses Theaters, ihre Lokalopern und ihre komischen Schauspieler.53 Deshalb ist es durchaus von Bedeutung, dass gerade Trigesta die direktesten Strophen singt und das Plattdeutsche verwendet, was durch das Fehlen der Sprecherangaben im Zitat bei Gauthier nicht mehr zu erkennen ist. Im Vergleich mit dem Creso wird der Crœsus im Gattungscharakter verändert. Dies geschieht insbesondere durch Streichung der rein dekorativen Mitglieder des lydischen Hofstaates, der Maschineneinlagen, der Ballette und der
|| 50 Vgl. Gauthier (2010), L’Opéra à Hambourg, S. 219–221. [Lukas von Bostel/Philipp Förtsch], Der Hochmüthige/ Gestürtzte/ und Wieder-Erhobene Crœsus [Hamburg 1684]. [Marx/Schröder, Nr. 160b] [SUB 25 in MS 639/3: 2] Sigle C 1684b. 51 Zu verschiedenen Liebeskonzepten in den Libretti des nord- und mitteldeutschen Raumes mit vielen Beispielen aus Hamburg vgl. Jahn (2005), Die Sinne und die Oper, S. 275–350. 52 Vgl. Gauthier (2010), L’Opéra à Hambourg, S. 221. 53 Vgl. weiter unten in diesem Kapitel die Ausführungen zum Intermezzo Buchhöfer der Stummte Printz Atis.
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allegorischen Szenen.54 Die thematische Rahmung mit dem Gespräch zwischen Solon und Crœsus wird übernommen, aber der Bezug zu einem bestimmten Herrscher entfällt und ist auch nicht indirekt gegeben, da der Crœsus nicht an einer höfischen Bühne aufgeführt wird. Die Rahmenhandlung erfüllt hauptsächlich die Funktion einen Glückswechsel zu unterfüttern. In beiden Fassungen ist diese jedoch nicht mit den Liebesintrigen verbunden. Die Szenen um Liebe, Begehren, Intrigen und Tugendproben haben keinen kausalen Einfluss auf die Einsichten von Crœsus und Cirus in die Unbeständigkeit des Glücks. Identisch in ihrer Gestaltung in beiden Opern sind die soeben analysierten Intrigen von Orsanes und Atis und alle damit verbundenen komischen Effekte.55 Wesentlich größere Abweichungen vom Creso in Formen und Themen der Komik ergeben sich in Bostels Crœsus durch eine Umgestaltung der Dienerfiguren Elcio und Trigesta. Wie in der Wiener Festoper ist auch die komische Figur der Hamburger Gänsemarktoper zumeist ohne Einfluss auf die Handlung.56 In der Hamburger Gänsemarktoper werden seit ihrer Gründung im Jahre 1678 in fast jede Oper eine, manchmal auch mehrere komische Figuren der gleichen Machart eingefügt.57 Ihre Szenen werden sowohl in Handlungen mit gutem als auch mit schlechtem Ausgang, in historische und biblische ebenso wie in mythologische und zeitgenössische Stoffe und Vorlagen eingebaut. Typischerweise sind sie feige, faul und ungeschickt, von ihren Trieben bestimmt, interessieren sich für Essen, Trinken, körperliches Begehren und Materielles und sprechen häufig niederdeutschen Dialekt.58 Zu ihnen gehört derbe, häufig niederdeutsche Wort-
|| 54 Getilgt sind auch die Figur der Asteria, einer Hofdame, die um Atis wirbt und die Figur von Elmiras Mutter, Amiclea. Da Eliates auf diese Weise bei Bostel kein Paar mit Asteria bildet und Orsanes leer ausgeht, gibt es nun nur noch zwei Liebespaare. 55 Verstärkt wird Atis’ Lust an Elmiras Sehnsucht nach ihrem Geliebten durch Atis’ Arie „Mich vergnüget dieses Höhnen“ in Crœsus III,7, die in der entsprechenden Szene im Creso/Cresus fehlt (vgl. Creso und Cresus III,9). 56 Dies rührt allerdings nicht aus einer Analogie zu ihrer Rolle in der Venezianischen Oper her, sondern ist vielmehr der Herkunft dieser Figur aus der Wanderbühnentradition geschuldet, wie bereits Wolff anmerkt (vgl. Wolff [1957], Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 133). Vergleicht man die komische Figur in schriftlich verfügbaren, gedruckten Texten der Wanderbühne, so erkennt man die strukturellen Ähnlichkeiten sehr gut (vgl. Brauneck/Noe [1970– 2007], Spieltexte der Wanderbühne). 57 Vgl. im Folgenden Wolff (1957), Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 132–182. 58 Später findet sich zunehmend auch Kritik an Verhaltensweisen, die als neumodisch verstanden werden. Dazu gehören Eitelkeit und Oberflächlichkeit, das Teetrinken und Kartenspielen, der angeberische Gebrauch von Fremdwörtern, Romanlektüren, Galanterie, häufiger Partnerwechsel, Betrügereien, Prostitution, philosophische Lehrmeinungen et cetera (vgl.
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komik, außerdem Situations- und Körperkomik. Wo Dienerfiguren bereits vorgesehen sind, werden diese in Hamburg sprachlich und motivisch angepasst, häufig werden allerdings auch eigene Nebenhandlungen, oftmals mit Lokalkolorit, für sie eingefügt. Die komische Figur trägt immer wechselnde Namen und heißt niemals Hanswurst oder Pickelhering.59 Meyers zusammenfassende Charakterisierung dieser Figuren als „selbstbezogen, egoistisch, ohne Relevanz für den Ablauf der Handlung, wenn sie sie auch (unfreiwillig) gelegentlich veränder[n]“,60 trifft ganz auf Elcius und Trigesta zu. Im Creso wie auch im Crœsus tritt Elcio/Elcius in der anderweitigen Handlung gar nicht auf, Trigesta agiert als Dienerin Elmiras, Nerillo/Nerillus als Page und Sprachrohr Atis’. Dramaturgisch würde der Handlung nichts fehlen, wenn sie nicht vorkämen. Die Unterschiede sind in der Gewichtung und in den Themen mit inhaltlicher Kontrastierungsfunktion zu sehen, wobei durch sie wesentlich mehr komische Momente entstehen. Zunächst einmal erhöht sich der Anteil der Komik an der Handlung dadurch, dass im Crœsus die Ballette und Huldigungsszenen wegfallen und dass Elcio und Trigesta je drei zusätzliche Szenen und in weiteren Szenen mehr Text als zuvor haben. In Bostels Crœsus finden wir deshalb die erste komische Passage von Elcio/Elcius nicht nur viel früher, sondern auch ohne die Kriegsthematik und um einige komische Inkongruenzen reicher. Elcius parodiert hier zusammen mit Nerillus, dem Pagen von Atis, die Liebesarie von Atis und Elmira:61
ELM.
NER. ELM.
ARIA. B Geh mein Hertzchen/ doch indessen/ Eh du scheidest/ gib Gehör/ Wiltu meiner auch vergessen? Atis antwortet mit Gebärden. Nein/ Nein/ sagt er nimmermehr. Wirstu einer andern können/ Wans gleich eine Göttin wär/ Hoffnung deiner Liebe gönnen?
|| Wolff [1957], Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 138–146). Auch Kritik am Hof ist häufig zu finden (vgl. a. a. O., Bd. 1, S. 138) und wegen der republikanischen Verfassung Hamburgs gut möglich (vgl. a. a. O., Bd. 1, S. 142). 59 Vgl. a. a. O., Bd. 1, S. 134. 60 Meyer (1990), Hanswurst und Harlekin, S. 19. 61 Unter einer ‚Parodie‘ wird eine Schreibweise verstanden, „bei der konstitutive Merkmale der Ausdrucksebene eines Einzeltextes, mehrerer Texte oder charakteristische Merkmale eines Stils übernommen werden, um die jeweils gewählte(n) Vorlage(n) durch KomisierungsStrategien wie Untererfüllung und/oder Übererfüllung herabzusetzen.“ (Verweyen/Witting [2003], Parodie, S. 24).
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NER.
ELC.
NER. ELC.
NER.
Atis antwortet mit Geberden. Nein/ Nein/ sagt er nimmermehr/ Atis und Elm. gehen ab. Elcius erhascht Nerill, und hält ihn/ daß er folgenden Satz mit ihm singe. Sag/ mein Magen/ sag indessen/ Hungert dich nicht schrecklich sehr? Wiltu wol ein Brätlein essen? Ja/ Ja sagt er/ noch vielmehr. Wirstu einem Stübchen können/ Wans gleich guter Rhein-Wein wehr/ Herberg in dem Bauche gönnen? Ja/ Ja/ sagt er/ noch vielmehr. Nerill entläufft. Ha! bon garçon, der Berenheuter Weiß recht hauptsächlich meinen Sinn/ Daß ich ein guter Schlucker bin/ Und tausendmahl gescheiter/ Als mein Herr Atis ist. Der Tropf ist von der Liebe so besessen/ Daß er dafür das trincken und das Essen Fast gantz und gar vergist. Man wird durch andrer Schaden klug/ Drum bin ich sicher gnug/ Daß Liebe nie bey mir kan hausen/ Ich halte gar zu viel vom schmausen. (C 1684b I,7)
Inhaltlich wird die Arie durch komische Untererfüllung der Erwartungen an eine Arie herabgesetzt, indem anstelle von Elmira, die von ihrem Geliebten wissen will, ob er ihr treu sein wird, nun Elcius tritt, der seinen Magen befragt, ob er einen Braten und ein Glas Wein haben möchte. Anstatt die Gebärden von Atis zu übersetzen, leiht Nerillus Elcius’ Magen seine Stimme. Die verwendeten Reimwörter bleiben dabei fast alle die gleichen wie im Dialog von Atis und Elmira, sodass das genus grande der Vorlage präsent bleibt und der Kontrast zum genus humile der zweiten Arie stärker hervortritt. Anstatt für Atis „Nein“ zur Untreue zu sagen, bejaht Nerillus nun die Gaumenfreuden, so dass auch in der schnellen Abfolge dieser oppositionellen Optionen eine Inkongruenz gegeben ist. Im anschließenden Rezitativ werden die Themen Essen und Trinken noch um die, ebenfalls für die komische Figur der Hamburger Gänsemarktoper typische, Herabsetzung des Liebesideals ergänzt. Bereits zuvor lässt Bostel den weiblichen Gegenpart zu Elcius, die Dienerfigur Trigesta, das Liebesideal des höfischen Personals parodieren, indem er an eine Arie Elmiras eine Strophe von
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Trigesta anhängt, in der diese mutmaßt, Atis werde seine Stummheit durch Küsse zu kompensieren wissen (C 1684b I,2).62 Vor allem aber warnt Trigesta ihre Geschlechtsgenossinnen immer wieder vor der Falschheit der Liebhaber (zum Beispiel Crœsus, C 1684b III,10). Durch diese Warnhinweise wird das hohe Liebesideal der Hauptfiguren mit dem körperlichen Begehren kontrastiert. Durch die Übertreibung von Skripten und durch größere Kontrastierungen ist auch Elcius’ Heimkehr aus dem Krieg stärker komisiert als in Creso/Cresus. Zum Vergleich sei die Stelle hier wiedergeben: ELCIO.
Lontananza, anche breue, Dà la Città, par lunga. Pur à la Reggia finalmente arriuo! Da l’ire di Gradiuo Mi tolse piè fugace:
TRIGESTA.
ELCIO. TRIGESTA. ELCIO.
Bella è la Guerra sì, mà più la Pace. Qui viene la Vecchia. Chi è costui, mal acconcio, e mal vestito! O’ là: doue ne vai? Faccia di fuoruscito! Che? che? Vecchia insensata: A me Vecchia? rafrena ’indiscreta fauella: Nò, che Vecchia non è chi ancora è bella. E tu frena la lingua, Ch’assai trascorre, & erra. Fuoruscito non è chi vien di Guerra.
TRIGESTA.
Di Guerra!
ELCIO.
Sì: Non mi conosci ancora?
Elcio.
son Jo.
Trigesta.
Adesso (Creso III,14)
ELC.
TRI. ELC.
Auch eine kleine Abwesenheit von der Statt geduncket eim lang. Endlichen komm ich wider gen Hoff. Nachdem ich von dem unglickseeligen Treffen noch vor dessen Ende geschiden. Schön ist der Krieg/ ja/ noch schöner aber der Friden. (Wer ist dieser zerlumpte/ zerrissene Mensch?) Hola/ wohin du hergeloffener Kerl? Was sagst du/ du unbesunene Alte?
|| 62 Das Anhängen von Strophen ist ein gängiges Verfahren der Parodie in der Venezianischen Oper und in den Opern der Gänsemarktoper (vgl. Wolff [1957], Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 147).
Creso – Croesus – Atis | 79
TRI. ELC. TRI. ELC. TRI.
Ich eine Alte? Bleibe mit deinen unhöflichen Reden zuruck in der Statt. Nein/ jene ist nicht alt/ die noch ihr Schönheit hat. Höre auch du auff mit deiner unbeschaidenen Zungen zubrumen. Es lauffen nicht daher/ die auß dem Kriege kumen? Du auß dem Krieg? Ich? Ja/ kennst du mich dann nicht mehr? Ich bin Elcio. Nun erkenne ich dich. (Cresus III,14)
Hier wird zunächst das Muster aufgegriffen, dass der Diener nicht mutig und nicht heldenhaft ist. Elcio kehrt vorzeitig abgerissen aus dem Krieg zurück und hat kein Problem damit, keine Heldentaten vollbracht zu haben. Äußerlich weist offenbar nichts auf seinen Einsatz hin, da er sich auch nicht durch Plündern bereichert hat. Trigesta zumindest erkennt ihn nicht. Er wiederum bezeichnet sie als ‚alt‘, was in dem Moment komisch wird, als Trigesta dies abstreitet. In der parallelen Szene aus dem Crœsus steht Elcius dagegen in der Kleidung und mit den Waren des persischen Krämers, den er ausgeraubt hat, vor Trigesta. Die Kriegsheimkehrerthematik spielt hier allerdings keine Rolle. Trigesta wird auf Elcius aufmerksam, als dieser ein obszönes Liedchen singt: ELC.
TRIG. ELC.
TRIG.
Hier/ wey jy dat neye Leed/ Von der olden Courante Margret. Oublis, oublis. Was für ein starcker Bengel Kömmt hier/ und ruffet Lieder aus. Du alte Pulver-Flasche. Mach mir den Kopff nicht kraus/ Sonst kriegstu was auf deine lose Wasche. Du kahler Galgel-Schwengel/ Heistu mich alt/ und siehest nicht/ Wie diß Jungfräulich Angesicht Noch überall mit Schönheit ist geschmückt? (C 1684b III,10)
Durch das derbe Prostituiertenlied wird das Thema der körperlichen Liebe eingeführt. Übertrieben erscheint die gegenseitige Beschimpfung, in der sich beide jeweils in nichts nachstehen. Das Thema ‚Alter‘ wird mit jugendlicher Attraktivität kontrastiert, Trigesta herabgesetzt. Die direkt folgende Wiedererkennungsszene ist durch eine Verstärkung der Inkongruenzen ebenfalls komisch gestaltet: ELC.
Auwe! Ich werd’ in Lieb’ entzückt! Ich muß das schöne Bild doch recht bespecullren.
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TRIG. ELC. TRIG.
Setzt einen Brill auf. Sieh da! Trigesta, find ich dich? Und woher kennstu mich? Solt’ Elcius dich nicht mehr kennen! Was hör’ ich nennen! Mein Elcius! Ich glaube daß ers ist. Du Stock-Narr/ der du bist/ Muß dich der Hencker dann in solche Kleider führen! Was soll es doch bedeuten? (C 1684b III,10)
Während im Creso die Tatsache, dass Trigesta Elcio nicht erkennt, zeigen soll, wie mitgenommen er vom Krieg ist, erkennt sie ihn im Crœsus deshalb nicht, weil er als Kaufmann verkleidet ist. Das Thema Kurzsichtigkeit und die Pointe, dass Elcius damit zugleich die Brillen in seinem Sortiment bewerben kann, sind ebenfalls neu. Die Wiedererkennung ist bei Bostel umfangreicher ausgestaltet, jedoch für den Handlungsfortgang irrelevant. Der Umschlag vom Nichtwissen zum Wissen ist nicht mit einem peripatetischen Handlungsumschwung verbunden, ja die Handlung rund um Elcius und Trigesta endet mit dieser Szene sogar bereits, weil keine der beiden Figuren noch einmal auftritt oder erwähnt wird. Es handelt sich demnach um eine Anagnorisis-Parodie durch untererfüllende Herabsetzung. Vorausgreifend handelt es sich dabei zudem um die Parodie einer ganz konkreten Anagnorisis. Gemeint ist diejenige Szene, in der sich Atis Elmira zu erkennen gibt. Diese ist idealtypisch gestaltet, indem sie mit einem Glückswechsel verbunden ist und das komödientypische gute Ende mit der Hochzeit der Liebenden in Aussicht stellt. In Bostels Fassung kommt es durch die komischen Figuren zu einem maximalen Kontrast zum Herrscher-, Tugend- und Liebesideal, wie er in der barocken Dramatik der Gegensätze besonders beliebt ist. Die starke Übertreibung führt dazu, dass sich wohl niemand aus dem Publikum direkt angesprochen fühlen muss, weil er sich mit den Figuren und ihren Verhaltensweisen identifiziert.63 Eine sittenkritische Funktion dieser Komik liegt demnach nicht vor, vielmehr dient sie dem Affektkontrast, der für die Barockoper so typisch ist. Die Musik zum Libretto von Förtsch, die zu den Aufführungen 1684 und 1692 erklungen ist, ist nicht erhalten. Reinhard Keiser vertont den Bostelschen Text 1711 neu, wobei an der Handlung nichts und im Wortlaut nur Kleinigkeiten
|| 63 Diese These lässt sich vor allem dadurch stützen, dass Komik dieser Art ihren Platz auch in den Huldigungsopern hat, in denen es fehl am Platz gewesen wäre, die Tugenden des zu huldigenden Herrschers in Frage zu stellen.
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verändert werden, aber die Anzahl der Tänze von einem auf sechs erhöht wird.64 1730 überarbeitet Keiser seine eigene Komposition, vertont 37 Arien neu, schreibt eine neue Ouvertüre und fügt ein Ritornell hinzu. In die ursprünglich 80 Blatt Großfolio umfassende Handschrift werden 56 Blatt mit neuem Notenmaterial eingefügt, wobei das alte Material zum Großteil überklebt oder herausgeschnitten wird.65 Die komischen Rezitative und Arien des ersten Aktes sind in der Fassung von 1730 nicht verändert worden, so dass man diese Noten für die Analyse der Musik zur Fassung von 1711 heranziehen kann. Analysiert wird hier deshalb bei den Musiknummern des ersten Aktes die von Schneider als Lesetext edierte Partiturfassung von 1730 (vgl. K S. 1–223). Für die veränderten Musiknummern der komischen Figuren im zweiten und dritten Akt wird der Revisionsbericht von Schneider herangezogen.66 In diesem Teil der Edition hat Schneider unter den Überklebungen die Ursprungsfassungen von 1711 rekonstruiert. Das Verhältnis von Komik in der Musik und im Text kann im Folgenden nur an ausgewählten Stellen aus den Arien der komischen Figuren analysiert werden. Beim ersten Auftritt von Elcius in C 1711 I,7 bei dem er mit Nerillus zusammen die Arienstrophe von Elmira („Du mußt scheiden/ doch indessen“) und Nerillus parodiert („Sag mein Magen/ sag indessen“) ist im Text die Inkongruenz der Inhalte bei Beibehaltung der Form aus der parodierten Arie gestaltet. In der musikalischen Umsetzung ist diese Inkongruenz dadurch verstärkt, dass Elcius die Melodie von Elmira rhythmisch und melodisch stark vereinfacht in durchlaufenden Achteln und in ganzen Notenwerten singt (vgl. K S. 42 f.). Die Begleitung ist ebenfalls nicht die gleiche, sondern wird von Sechzehnteleinwürfen der Oboen und Violinen und drei verschiedenen, auskomponierten Bass|| 64 Crœsus. Drama Musicale in 3 Atti da rappresentarsi nel Teatro Hamburgo Anno 1710. von Reinhard Kaiser auch Rinardo Cesaro genannt. | Zum Theil eigenhändige u. merckwürdige | Partitur des Componisten | aus dem uralten Hamburg. Opern-Archiv her[r]ührend, dessen Besitzerinn eine Mademoiselle Willers, war. Von mir im Jahr 1830 acquiritet. Pölchau [B-Br Ms II 4067 Mus Fétis 2812] Edition: Reinhard Keiser: Der hochmüthige, gestürzte und wieder erhabene [sic!] Crœsus. 1730 (1710). Erlesene Sätze aus L’inganno fedele 1714, hrsg. von Max Schneider und Hans Joachim Moser, Wiesbaden u. a. 1912. Im Folgenden zitiert als K. 65 Vgl. für alle Änderungen den Revisionsbericht von Schneider und Moser in K S. XVII–LXIV. Weitere 6 Blätter enthalten den Neusatz für die männlichen Figuren, deren Stimmlage geändert wurde (vgl. K S. XVII). Crœsus singt 1730 nicht mehr Tenor, sondern Bass, Halimachus und Atis wechseln vom Tenor zum Sopran (vgl. ebd.). 66 [Lukas von Bostel/Reinhard Keiser], Der Hochmüthige/ Gestürtzte/ und Wieder-Erhobene Crœsus [Hamburg 1711]. [Marx/Schröder, Nr. 161] [SBB-PK Berlin ] [Im Folgenden zitiert als C 1711].
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stimmen bei Elmira auf eine einfache Bassbegleitung in Akkorden reduziert, die in den Celli, im Bass und im Cembalo weitgehend parallel geführt ist. Parodistisch ist auch diejenige Szene angelegt, in der Elcius in den Krieg zieht (vgl. C 1711 I,15). An dieser und der darauffolgenden Szene kann gut gezeigt werden, wie die Auftritte komischer Figuren umgesetzt sind und die häufig vorkommenden Schlachten oder die Inszenierung der Größe eines Herrschers musikalisch gestaltet ist. Elcius, närrisch bewaffnet, macht sich im Rezitativ „Seht wie die elementsche Affen“ zunächst über die Harlequine lustig, die mit ihm auftreten und ihn verspotten.67 Er wird nun folglich bereits innerhalb der fiktionalen Welt verlacht, wobei es dazu keinen Text gibt, sondern nur eine Anweisung zur mimisch-tänzerischen Umsetzung: ELCIUS
närrisch gewaffnet/ von vier Harlequins begleitet/ die seiner spotten Seht wie die elementsche Affen Sich kitzeln über meine Waffen! Wie! Seyd ihr närrisch/ oder voll? (C 1711 I,15)
Elcius beginnt sein Rezitativ mit einer Herabsetzung der Harlequine. Anschließend bezeichnet er sie als „Gecken und Affen“, weil sie sich vor dem Krieg fürchten. Er beendet seine Schmähungen mit einer großer Prahlerei, die nicht nur in sich übertrieben ist, sondern auch im Kontrast zu seiner närrischen und damit funktionslosen Bewaffnung steht: ELCIUS
[…] Ich mercke wohl/ beym Schlapperment/ Daß ihr mich noch nicht kennt/ Und wisst nicht daß ich führ Den Caractér vom Officier. Den Persern/ dem Canaille, Mag nur für meine Fäuste grausen/ Wie werd’ ich ihre Peltze lausen/ á la Bataille, á la Bataille. (Ebd.)
|| 67 Eine Durchsicht der Personenverzeichnisse von Libretti der Hamburger Gänsemarktoper hat ergeben, dass die Bezeichnung ‚Harlequin‘ für komische Tänzer seit 1697 verwendet wird.
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Die erwähnten Offiziersqualitäten und Schlachterfolge stehen im Kontrast zur musikalischen Umsetzung, die zwischen zwei Motiven wechselt, die durch Repetitionsnoten und aufsteigende Dreiklänge gekennzeichnet sind. Der abschließende Schlachtruf besteht aus vier Repetitionsnoten und einer absteigenden Quart, beziehungsweise bei der Wiederholung einer Terz. Dadurch wird die motivierende Hebung der Stimme als Aufruf zum Kampf parodiert. Die abschließende Arie mit ihren besonders kurzen Zeilen endet mit der Schlusspointe, dass sich Männlichkeit durch den Einsatz von Komik als Waffe auszeichnet: ELCIUS
Das Blinckern/ Und Flinckern/ Und Klinckern/ Der Waffen/ Kan Schrecken/ Erwecken/ Nur Gecken/ Und Affen. Wer spühret / Und führet/ Ein männliches Hertz / Wird kriegen / Und Siegen/ Mit Lachen/ Und Schertz. (Ebd.)
Die Versgruppen folgen dem Reimschema a a a b c c c b d d e f f x e. Die ersten beiden Versgruppen zeigen Elcius’ Schwierigkeit einen kunstgemäßen Schweifreim oder Paarreim zu bilden, das heißt im dritten Vers einen neuen Reim zu finden. Die genannten Verben „Blinckern/[…] Flinckern/[…] Klinckern” sind zudem lautmalerische Neologismen zum Ausdruck von Sinneseindrücken, die nicht dem Anspruch einer Arie an gehaltvollen Affektausdruck genügen. Sie lassen sich mit Balzter als „Klangexperiment“ beschreiben.68 Ein Klangexperiment liegt seiner Definition nach dann vor, wenn „der Klang [von Sprache] so sehr im Vordergrund steht, dass er die semantische Ebene überlagert oder ganz verdrängt“.69 Im oben beschriebenen Fall wird die semantische Ebene nicht ganz verdrängt, sondern nur überlagert, indem die Klang-Erzeugnisse von Elcius die Erwartung hervorrufen, es werde noch ein Homöonym genannt wer|| 68 Balzter (2013), Wo ist der Witz? S. 141–147. 69 A. a. O., S. 141.
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den, das einen Gesamtsinn erzeugt. Genau aus dieser „Erwartung des Sinns, die […] enttäuscht wird“ besteht laut Balzter die Komik des Klangexperiments.70 Statt im dritten Vers einen neuen Reim einzuführen, stagniert der Reim und die Melodie verharrt, während die drei Reimwörter gesungen werden, sieben Noten lang in Achteln auf d1 (vgl. K S. 66). Der erste Vers wird wiederholt; dabei findet sich nun für jedes Reimwort das Quartfall-Motiv g1 d1 d1 (vgl. ebd.). Dies wirkt wie ein plumper Versuch, den Vers wenigstens durch seine musikalische Gestaltung vom Klang her zu verbessern. Dass er gerade im Wechsel der Quart stecken bleibt, zeugt allerdings ebenfalls von der minderen Qualität der Reime, die nur zur Lautmalerei und nicht zur Sinnstiftung verwendet werden. Die oktavierten Begleitfiguren der Violetten, der Celli und Bässe pendeln bei beiden Versuchen ausschließlich zwischen der gleichen Tonika- und Dominant-Dreiklangsbrechung und verändern sich erst auf „Kann Schrecken //Erwecken//Nur Gecken//Und Affen“. Hier wird dann einfach, aber korrekt über den Leitton zur Dominante aufgelöst. In den letzten beiden Versgruppen wird die Melodieführung von Elcius noch deutlich komplexer und sie scheint, zusammen mit der auffällig erhöhten Wiederholung der einzelnen Verse, ein Formzitat der Rhetorik vom „männliche[n] Herz“ zu sein. In der dritten Versgruppe findet sich ein vollständiger, korrekter Schweifreim, die Begleitung verharrt allerdings weiterhin im Unisono und bleibt bei Dreiklangsbrechungen, so dass man hier nicht wirklich einen Wechsel von Elcius’ Sichtweise vermuten kann.71 Im letzten Vers wird diese kurze pathetische Anwandlung über die Waise „Lachen“ auch zum „Schertz“ aufgelöst. Zu diesem Programm der komischen Figur, durch Komik und Fröhlichkeit zu siegen, passt auch die Wahl des 6/8 Taktes für die als „Arie“ bezeichnete Gesangsnummer, die aber mit der Erwartung an eine Kriegsarie spielt. Die tänzerische Taktart passt allerdings gut zur komischen Figur, die häufig auch tanzt und an der folgenden Entrée der Harlequins nicht unbeteiligt gewesen sein dürfte. An dieser Stelle lässt sich in der nur aus Vierteln und Achteln bestehenden Melodie im 2/4 Takt in G-Dur keine Komik erkennen. Durch die Tanzbewegungen, insbesondere kunstfertige Sprünge und Salti, welche die Kampfhandlungen konterkarieren, ist jedoch Aufführungskomik zu vermuten (vgl. K S. 68). Da die Tänzer nicht als Krieger, sondern als Spaßmach-
|| 70 A. a. O., S. 142. 71 Eine Unisono-Begleitung des Orchesters aus Streichern und Holzbläsern findet sich auch bei Elcius’ Verspottung der Liebenden in ihren Qualen in der Arie Liebes-Schmertzen//Geschossener Herzen (vgl. K S. 68). Hier hat Schneider allerdings fälschlicherweise „geschlossener“ ediert, so dass die Bedeutung der von Cupido mit einem Pfeil getroffenen Herzen verloren geht.
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erfiguren verkleidet sind, ist klar, dass ihre Bewegungen auch nicht als stilisierte Kampfhandlungen gedacht oder zu verstehen sind. In der Parodie werden die Kampfhandlungen also durch Untererfüllung herabgesetzt. Alle Elemente erscheinen auch auf musikalischer Ebene als Parodie einer Kriegsszene in der Oper: Das Rezitativ ist eine Verspottung der Gegner durch eine auf der Bühne bereits ausgelachte Figur, die Gegner sind Harlekine, die Aufforderung zur Schlacht ist entmutigend, und die Kriegsarie aufgrund der einfachen Instrumentierung und schlichten Melodieführung eine deutliche Untererfüllung des Skripts einer Kriegsarie. Das Verfahren, Kämpfe, Morde et cetera vor ihrer eigentlichen Darstellung zunächst einmal in einer komischen Variante zu zeigen, ist in den Libretti der Hamburger Gänsemarktoper häufiger zu finden.72 In der anschließenden Szene wird eine kunstgerechte Kriegsszene dargestellt, die aus einer Kriegsarie des Cirus, einem Aufruf zum Kampf im Rezitativ, einem Chor und einem Ballett der siegreichen Perser besteht. Die Regieanweisung fordert die Anwesenheit zweier Kriegsheere und die Darstellung der siegreichen Schlacht auf der Bühne. Das Skript der Kriegsarie wird zu Beginn bravourös erfüllt, wenn Cirus seine Aria con brio „Laß ich meine siegende Waffen nur sehen“ alla breve begleitet von drei Klarinetten und einer Pauke singt (vgl. K S. 69–73). Hier sind auch die Homöonyme korrekt eingesetzt und bezeichnen im Paarreim Affekte des Krieges. Sie lauten „Erzittern/ Erschüttern/ Erbleichen/ Entweichen“ (vgl. C 1711 I,16). Zudem sind die Harmonien deutlich komplexer. Während eines langen Melismas auf „entweichen“, wechseln sie von D-Dur über A-Dur zu G-Dur. Dabei werden teilweise komplizierte Durchgangsharmonien verwendet (e-moll mit Septime oder G-Dur mit Sexte im Bass) (vgl. K S. 71).73 Cirus’ Rezitativ, mit dem er zum Beginn der Schlacht ruft, wird um Posaunen und Trommeln ergänzt, als Crœsus erscheint (vgl. K S. 74). Die Bässe und die Tenöre stellen jeweils als Gruppe eine Armee dar und singen „Zum Waffen zum Streite“ und es folgt ein Ballett von persischen Soldaten, das musikalisch als Marsch gestaltet ist (vgl. K S. 75 f.). Mit ähnlichen Mitteln wie den eben dargestellten wird auch die Komik der Krämer-Szene gestaltet, in der Elcius im zweiten Akt seine Ware im persischen Lager anpreist (vgl. C 1711 II,13). Er erscheint mit dem folgenden Rezitativ auf der Bühne: ELCIUS
[…] Brill/ Brill/ Feder und Dinte/
|| 72 Vgl. Wolff (1957), Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 146 f. 73 Ich danke Norma Jeising für die Diskussion über diese musikalischen Besonderheiten.
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Hechel und Mäusfall. Brill/ Brill/ Balsam-Sulphuris/ Taback en Poudre, Brill/ Brill. Hier! Wey jy nich dat neye Leet/ Vam olden künstlichen Secret, Tho macken Gold uth Buren-Schweet? Brill/ Brill. (C 1711 II,13)
Elicus spitze, kurze Rufe „Brill“ sind am Anfang, am Ende und auch in den Einwürfen musikalisch als abschließende viermalige Wiederholung mit Achteln auf f1 gefolgt von einer Achtelpause gestaltet (vgl. K S. 141). Der Hinweis auf die Brillen, die er verkauft, wird damit musikalisch in schnelle und penetrante Werberufe umgesetzt, die vermutlich an Marktschreierrufe aus Hamburg erinnern sollen.74 Auch der weitere Text wird mit überdurchschnittlich häufigen Tonwiederholungen gesungen, die das eindringliche Anpreisen der Ware unterstützen. Die „Brill“-Rufe sind außerdem in die nachfolgende Arie „Kommt/ ihr Herren/ kommt zu kaufen“ in B-Dur im 4/4 Takt eingefügt, die ebenfalls sehr viele Tonwiederholungen, ausschließlich ganze Achtel und Sechzehntel und, nach dem auffordernden Quintintervall zu Beginn, nur Tonsprünge bis zur Terz enthält (vgl. K S. 142 f.). Erst als die Angebotsbeschreibung von Alltagsgegenständen zu Luxusgegenständen („Nadel, Mouches, Schmuck und Seifen“ et cetera) wechselt, ist die Melodie wesentlich bewegter und enthält auch größere Intervalle. Während in den eben zitierten Stellen die Komik der Vertonung komische Inkongruenzen im Text unterstützt, dient sie im weiteren Verlauf auch dazu, eine Inkongruenz zwischen Text und Figur herzustellen. Als Trigesta Elcius wiedertrifft, bezeichnet sie ihn nicht nur, wie oben bereits erwähnt, als „kahle[n] Galgel Schwengel“ sondern fragt ihn auch: „siehest nicht// wie diß Jungfräulich Angesicht// Noch überall mit Schönheit ist geschmückt?“ (C 1711 III,8). Durch einige Disharmonien in der Musik wird Trigestas Aussage hier jedoch als falsch entlarvt: Während im Basso Continuo durchgängig ein F-Dur Akkord steht, bewegt sich Trigestas Melodie im Rezitativ vom a1 auf „jungfräulich“ zum b1 (Quart) und wird auf „Angesicht“ über es2 zur kleinen Septime geführt. Auf „überall“ wechselt die Tonart von D-Dur nach g-moll. Auf „Schönheit“ erklingt ein C-Dur Akkord, der allerdings durch eine kleine Septime in der Oberstimme und in der linken Hand des Cembalos disharmonisch wird. Die Häufung von dissonanten Klängen und Harmoniefolgen entlarvt Trigestas Aus-
|| 74 Vgl. Wolff (1957), Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 171.
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sagen als unpassend. Es lässt sich somit annehmen, dass durch die musikalische Gestaltung Schadenfreude bei den Rezipient*innen hervorgerufen werden soll.
3.1.3 Hamburg, Hoffmann’sche Wandertruppe, Der stumme Printz Atis (1723) Mit großer Wahrscheinlichkeit in Hamburg aufgeführt wird eine handschriftlich erhaltene Wanderbühnenfassung des Crœsus mit dem Titel Der stumme Printz Atis, die eindeutig auf Bostels Fassung zurückgeht.75 Die Handschrift ist vom Schreiber auf 1708 datiert, enthält allerdings einen Besitzvermerk des Theaterprinzipals Carl Ludwig Hoffmann und ein Personenverzeichnis, in dem Friederike Caroline Neuber als Darstellerin der Elmira angegeben ist.76 Das lässt darauf schließen, dass es sich bei der Fassung, die sich aus der dritten Textschicht des Manuskripts rekonstruieren lässt, um die Stückvorlage für die Aufführung von 1723 durch die Hoffmann’sche Truppe in Hamburg handelt. Die Texte der Rezitative stehen nun in Prosa und werden ziemlich sicher nicht mehr gesungen. Noten zu den Arien sind nicht erhalten. Das sujet der Haupthandlung entspricht in der Atis-Handlung mit ihren Intrigen und Treueproben inhaltlich und hinsichtlich der komischen Wissensunterschiede noch ganz dem bei Bostel. Durch textuelle Straffungen bei gleichzeitigem Ausbau der komischen Szenen um Elcius und Trigesta und durch Improvisationen, die mit größter Wahrscheinlichkeit Raum für Komik bieten, erhöht sich der Anteil der Komik allerdings erneut. Dies wird im Einzelnen durch die folgenden Veränderungen erreicht: Zunächst einmal hat Elcius wesentlich mehr Repliken, weil er die Partien von Nerillus übernimmt, der als Figur im Ganzen gestrichen ist.77 Dies führt zu einer Zunahme komischer Momente, weil nun Elcius anstelle von Nerillus die Gesten des stummen Atis übersetzt und dies bereits aufgrund seines gegenüber Nerillus niedrigeren Status zur komischen Herabsetzung von Atis’ Aussagen führt. Da alles, was Elcius ansonsten sagt und tut, komisch ist, ist darüber hinaus zu erwarten, dass hier auch komisches Spiel von Elcius mitgemeint ist. Zudem sind viele Passagen, die im Crœsus ausformuliert waren, jetzt weitge|| 75 Sie wurde von Alfred Noe ediert: Brauneck/Noe (1970–2007), Spieltexte der Wanderbühne, Bd. V,1, S. 191–252, Editionsbericht und Kommentar Bd. V,2, S. 1241–1245. Abgekürzt als Atis, zitiert mit der Sigle A. 76 Vgl. Brauneck/Noe (1970–2007), Spieltexte der Wanderbühne, Bd. V,2, S. 1241 und 1243. 77 Vgl. a. a. O., Bd. V,2, S. 1241. Auch die Figur des Olisius wird gestrichen. Mit dieser Figur ist allerdings in keiner Fassung Komik verbunden und ihr Beitrag zum Fortgang der Handlung wurde auf andere Figuren verteilt.
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hend durch Improvisationen ersetzt. Dadurch vermehren sich die Gelegenheiten für sprachliche und schauspielerische Komik quantitativ, aber auch thematisch. Die gesamte erste und dritte Szene des zweiten Aktes sind durch Improvisationen ersetzt (vgl. A II,1 und 3). Ein Einschub in die fünfte Szene des ersten Aktes besteht aus stummem komischem Spiel (A I,5). Die Arie „Brill, Brill“ von Elcius wird nur angedeutet (zum Beispiel A II,14).78 Die erste komische Szene findet sich nun bereits in der fünften und nicht mehr, wie bei Bostel, in der siebten beziehungsweise wie im Creso/Cresus in der 15. Szene. Dabei handelt es sich um diejenige Szene bei Bostel, in der Atis’ Gebärden von Nerillus in eine Liebesarie und einen Dialog zwischen Atis und Elmira übersetzt werden. In der Wanderbühnenfassung übersetzt Halimachus und die Parodie fehlt. Stattdessen findet sich in der Übersetzungsszene der Zusatz „N.B. Arlequin seine Foppereyn“, so dass davon auszugehen ist, dass Arlequin hier den fehlenden parodistischen Part improvisiert, oder die gefühlvollen Liebeserklärungen auf andere Weise durch Worte oder Spiel kontrastiert. Nicht ganz eindeutig aufzulösen ist, ob hier eine zusätzliche Arlequins-Figur eingefügt wird oder ob es sich um eine der Figuren aus dem Personenverzeichnis handelt. Beare meint, dass mit dem „Arlequin“ Nerillus gemeint sei.79 Das erscheint eher unwahrscheinlich, da Nerillus als Figur gestrichen ist und auch im Personenverzeichnis nicht erscheint.80 Da Elcius laut Regieanweisung erst in der darauffolgenden Szene auftritt, ist Arlequin offenbar eine zusätzliche Figur, möglicherweise ein stumme, pantomimisch-tänzerisch agierende, die die komischen Elemente der vier tanzenden Harlequine aus dem Crœsus weiterführt. Die Ersetzung der Dienerfigur Elcius durch einen typisierten Figurennamen in späteren Fassungen gibt in dieser Sache keinen Aufschluss, auch wenn dort die Rollenbezeichnung Arlequin auftaucht. Vielmehr zeigt sie, dass andernorts andere komische Figuren als Publikumsmagneten funktionierten als in Hamburg. Spätere Wanderbühnenfassungen des Werkes, von denen nur die Titel erhalten sind, ersetzen die Figur des Elcius folgendermaßen: Der vor das Wohlsein des Vaterlandes, sich selbst aufopfernde Crœsus. Oder: Der stumme Printz Atis, oder: Arlequin der lächerliche Tablet-Crämer, Der wegen seiner Großmuth gestürzte und wieder erhobene Crœsus, König der Lidier Oder: Der stumm-gebohrne Printz ATIS. Mit Hannß-
|| 78 Vgl. Brauneck/Noe (1970 ff.), Spieltexte der Wanderbühne, Bd. V,2, S. 160 f. 79 Vgl. Beare (1938), The German popular play Atis, S. 49. 80 Vgl. Atis, I,5 und I,6. Zu Beginn von I,5 wird er als auftretende Figur genannt. In I,6 ist ein kurzer Wortwechsel von Elcius und Neryllus wohl aus Versehen stehen geblieben.
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Wurst Dem Spion und lächerlichen Tablet-Krämer.81 ‚Arlequin‘ sowie ‚HannßWurst‘ sind dabei einfach als typisierte Namen für die komische Figur zu verstehen. Wie Meyer gezeigt hat, heißt die komische Figur in Dramentiteln des 18. Jahrhunderts generell häufig Han(n)wurst oder Arlequin, aber auch Crispin et cetera, ohne dass erkennbare Unterschiede zwischen ihnen bestünden. Es ist dabei im Übrigen sehr unwahrscheinlich, dass es sich im Falle des Arlequin um den Arlequin der Commedia dell’arte handelt. Meyer führt als Argumente gegen diese Annahme ins Feld, dass die deutschsprachigen Wanderbühnentruppen weder groß genug sind, um Commedia dell’arte zu spielen, noch für diese Form des Theaterspiels ausgebildet sind.82 Zwischen 1700 und 1741 taucht das Werk unter variierenden Titeln in 12 Wanderbühnen-Verzeichnissen auf und wird sicherlich jeweils mehrmals gespielt.83 Die Erwähnung einer Wanderbühnenfassung im Programm der Truppe von Schübler/Benecke für Nürnberg von 1716 ist ein Beleg dafür, dass man neben Bostels Fassung auch die von Rudolph aus Wien rezipiert und bearbeitet. Dies lässt sich an der Inhaltsangabe erkennen, die im Wortlaut derjenigen aus Rudolphs Cresus folgt. Das Personenverzeichnis entspricht dann allerdings in der Figurenbenennung der Bostel-Fassung und enthält auch noch die Figur des Halimachus, die in der Wanderbühnenfassung Atis fehlt.84 Dass Schübler und Benecke mit ihrer Truppe auf Rudolphs Übersetzung und die Bearbeitung von Bostel zurückgreifen und nicht an die neuere Wanderbühnenfassungen anschließen, ist vermutlich keine künstlerische Entscheidung, sondern dadurch bedingt, dass sie keine schriftliche Fassung des Atis erhalten können. Während die Libretto-Drucke frei verfügbar sind, sind die Spieltexte der einzelnen Wanderbühnentruppen streng gehütetes handschriftliches Material, das im Normalfall nicht weitergegeben wird.
|| 81 Vgl. Brauneck/Noe (1970 ff.), Spieltexte der Wanderbühne, Bd. V,2, S. 1244 f. Das gesegnete und von der himmlischen Providenz beschützte Regenspurg Wurde einem Hoch-Edlen […] Magistrat Des H. Röm. Reichs Freyen Stadt Regenspurg In einem Poetischen Prologo, Nebst einer […] Haupt- und Staat-Action, genannt: Der wegen seiner Großmut gestürtzte und wieder erhobene Crœsus […] dediciret Von den allhier subsistierenden Chur-Pfältzis. HofComödianten. Regenspurg 1727. [Theaterzettel, Prolog und Personenverzeichnis] [R 999/Rat.ep 538b]. 82 Vgl. Meyer (1990), Hanswurst und Harlekin. 83 Vgl. Heine (1889), Das Schauspiel, S. 20. 84 Vgl. Brauneck/Noe (1970 ff.), Spieltexte der Wanderbühne, Bd. V,2, S. 1244.
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Für den 23. April 1723 ist in Augsburg eine Aufführung mit Gottfried Prehauser belegt, die den Titel Die stummen Prinzen trägt.85 Die Titelformulierung deutet darauf hin, dass Atis hier noch mehr ins Zentrum rückt. Zwar kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass diese stummen Prinzen komisch gestaltet sind; es ist aber doch sehr wahrscheinlich, dass eine Vervielfachung der Stummheit und der überraschenden Kontraste, die überraschende pantomimische Aspekte und unerwartete beziehungsweise unpassende Übersetzungen ermöglichen, komisch interpretiert werden. Die Fassung Prehausers ist sicherlich häufiger gespielt worden und könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass bei der Wiederaufnahme der Keiser’schen Fassung 1730 in diese ein Ballett mit vier Harlekinen eingefügt wird. Dafür spricht auch, dass man bereits 1726 die Figur des Atis in Hamburg dazu nutzt, ein Theaterereignis im Zusammenhang mit Gottfried Prehauser zu thematisieren. So lautet zumindest eine meiner Thesen zum Produktions- und Aufführungsanlass eines 1726 an der Hamburger Gänsemarktoper aufgeführten Intermezzos, das an Bostels/Keisers Crœsus von 1711 anschließt. Diese These kann jedoch erst im Anschluss an die folgende gründliche Analyse und Kontextualisierung dieses Werks präzisiert werden.
3.1.4 Hamburg, Gänsemarktoper, Buchhöfer Der Stumme Printz Atis (1726) Das Intermezzo Buchhöfer Der stumme Printz Atis von Johann Philipp Praetorius, das wahrscheinlich im Februar 1726 und vermutlich nur einmal in der Hamburger Gänsemarktoper aufgeführt wird, ist eine Parodie, die mit zentralen Entwicklungen der Komödie und der Komik in Hamburg verknüpft ist.86 Die Wahl des Titels, der
|| 85 Belegt ist diese Aufführung durch die Aufstellung von Drucken zu Aufführungen durch den Augsburger Buchdrucker Abraham Brugger von 1723 (vgl. Baar-de Zwaan [1967], Gottfried Prehauser, S. 25). Erhalten ist der Druck leider nicht. 86 [Johann Philipp Praetorius/Reinhard Keiser], Buchhöfer Der Stumme Printz Atis, In einem Intermezzo Auf dem Hamburger Schau-Platze Vorgestellet Im Jahr 1726 [WRz 218 in 4° 14,5:75] [Marx/Schröder 1995, Nr. 56]. Im Folgenden mit dem Kurztitel Buchhöfer abgekürzt und mit der Sigle B zitiert. Zum einzigen Aufführungsbeleg vgl. Mattheson (1728), Der Musicalische Patriot, S. 194. Die Datierung der Aufführung ist dadurch erschwert, dass Matthesons Verzeichnis nur nach Jahren sortiert ist. Durch die Situierung des Buchhöfer zwischen Werken, deren Aufführungsdaten bekannt sind, kann das Datum einer angenommenen Uraufführung auf Januar oder Februar 1726 geschätzt werden. Neu ediert wurde das Werk 1912 (K S. XIII–XVI). Da Schneider allerdings vor allem wichtige Partituren von Reinhard Keiser präsentieren möchte, interessiert ihn der Text nur als Beleg für die Beliebtheit der Keiser’schen Oper und für den parodistischen Charakter, so dass er ihn ohne weitere Erläuterungen im Anhang abdruckt. Zu beachten ist, dass Schneider die Übersetzungen der jiddischen Wörter als Fußnoten einfügt, so
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Komödienform und der Komik lassen sich nur dann erklären, wenn man die zeitgleich stattfindenden theatergeschichtlichen Ereignisse und die kurz zuvor in Paris und Wien aufgeführten und publizierten Dramen berücksichtigt. Dabei zeigt sich, dass das auf den ersten Blick sehr einfache Intermezzo und die weiteren, mitgemeinten Komödien ästhetisch wesentlich anspruchsvoller sind, als gemeinhin für die Komödienproduktion dieses Zeitraums angenommen.87 Beim Buchhöfer handelt es sich um das kürzeste, inhaltlich simpelste aber zugleich von seiner Informationsvergabe, den Wissensunterschieden und den intertextuellen Bezügen her komplexeste Drama in der hier vorgestellten Werkreihe.88 Parodiert wird nur ein sehr kleiner Teil der Handlung, genau genommen diejenigen Stellen, an denen Atis in Gebärdensprache mit Elmira kommuniziert und die Anagnorisis von Atis und Elmira. Hier sind auch Arien aus dem Crœsus (C 1711) eingefügt. Wie im Vorwort des Intermezzos erklärt, sind die aus dem Libretto von Bostel fast wörtlich übernommenen Arientexte durch Anführungszeichen als Entlehnungen gekennzeichnet.89 Dass sie auf die Musik von Keiser gesungen werden sollen, steht im Vorwort und Mattheson bestätigt es in seinem Verzeichnis durch die Angabe „Music von Hn. Keiser“. Leider sind bis jetzt keine Quellen auf-
|| dass nicht erkennbar wird, dass sie bereits im Originaldruck leserfreundlich direkt neben dem Haupttext stehen. Das lässt darauf schließen, dass man auch beim Hamburger Publikum im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts die Kenntnis dieser Vokabeln nicht voraussetzen konnte. Praetorius besaß offenbar Kenntnisse des Jiddischen, die etwas über die normale Umgangssprache hinausgingen. Die Kenntnis der Hebräischen Wörter, die im Jiddischen verwendet werden, ist dabei besonders ungewöhnlich. Swack äußert die plausible These, dass Praetorius den Fremdheitseindruck steigern und die Andersartigkeit betonen wollte (vgl. Swack [2000], Anti-Semitism at the Opera). In keiner anderen Oper des Hamburger Repertoires tauchen Juden jedenfalls außerhalb biblischer Zusammenhänge auf. Normalerweise sind die Judenfiguren eher als unspezifische Schwindler aus der Unterklasse gestaltet. Es ist anzunehmen, dass die Gestaltung der Judenfiguren als antijüdische Karikaturen auf Keisers Wunsch zurückgeht. Praetorius schreibt zudem auch Libretti für Telemann, die keine jüdischen Figuren enthalten (vgl. a. a. O., S. 404). 87 Gaedertz bemerkt schlicht: „Irgend welche Bedeutung hat die kleine Posse nicht, aber in ihrer Eigenschaft als Parodie ist sie immerhin merkwürdig.“ (Gaedertz [1894], Das niederdeutsche Schauspiel, S. 158). Schneider sieht im Buchhöfer ein Beispiel für eine „tolle, den Geschmack des Hamburger Opernpublikums bezeichnende Farce“, wobei hier sicherlich nicht von einem besonders gehobenen Geschmack die Rede ist. (K S. VII) Wolff konstatiert nur, das Intermezzo sei „heiter“ und nicht satirisch (Wolff [1957], Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 113). 88 Es handelt sich formal um ein typisches Intermezzo, weil nur die komischen Szenen einer erfolgreichen Oper entnommen und parodiert werden (vgl. a. a. O., Bd. 1, S. 309–312). 89 „NB. Die mit Asteriscis bezeichnete [sic!] Passagen, sind aus der Opera Crœsus entlehnet“ (B Vorrede).
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getaucht, die erkennen lassen, in welche Oper das zweiteilige Intermezzo als Zwischenspiel eingebettet wird. Die wesentlichen komischen Elemente des Crœsus – Wissensunterschiede, die zu Situationskomik und komischer Ironie führen, Parodie der Gebärdenübersetzung und komische Figur mit weiblichem Pendant – werden im Buchhöfer noch einmal verdichtet und pointiert. Im Gegensatz zum Crœsus, in dem die komischen Figuren als rangniedrigere die Handlung nur an wenigen Stellen kontrastieren, sind sie im Intermezzo die zentralen Figuren. Atis und Elmira sind hier selbst als komische Figuren analog zu Elcius und Trigesta im Crœsus gestaltet. Thematisch stehen Essen, Trinken, Status, Besitz und körperliches Begehren im Zentrum, die einerseits durch Derbheit und Übertreibung und als variatio der bekannten Figurenstereotype komisch sind, andererseits aber auch in komischem Kontrast zum Verhalten von Atis und Elmira im Crœsus stehen. Wörtlich übernommen werden vier Arien aus der fünften bis siebten Szene des ersten Aktes. Zu Atis und Elmira, hier Elmire, gesellt sich nur eine einzige weitere Figur, der Page von Atis, Nerillo. Er ist hier als Jude dargestellt und übersetzt Gebärden und Verhalten seines Herrn.90 Dabei lässt er zahlreiche jiddischhebräische Vokabeln einfließen, deren hochdeutsche Übersetzung im Libretto jeweils direkt rechts vom Haupttext in derselben Schriftgröße zu finden ist.91 Atis und Elmire haben mit den Figuren der Vorlage nicht mehr viel gemeinsam und interagieren auch auf andere Weise. Während sie im Crœsus zu Beginn der Handlung bereits ein Paar sind, das sich seiner Liebe zunächst versichert und sich dann in einer Tugendprobe beweist, sind sie sich hier zu Beginn fremd und die Kontakte zwischen ihnen sind das Thema des Intermezzos, das ohne klare Aussage zu ihrem Beziehungsstatus endet. Elmire zeigt sich zu Beginn der Handlung verwundert, dass ein Prinz um sie wirbt und zweifelt bei seinem Anblick auch daran, dass sie es mit einem solchen zu tun habe. Diese Bedenken zerstreut Atis durch seine Gebärden und die Arie „Durch der Haare Güldne Stricke“ aus dem Crœsus, die Atis durch Nerillo an sie richten lässt. Allerdings schöpft Elmire kurz darauf erneut Verdacht, als auf das hohe Liebesideal der Arientexte zweideutige Gestik, Mimik und Proxemik von || 90 Vgl. zu den Judenfiguren in der Produktion der Hamburger Gänsemarktoper dieses Zeitraumes: Gutsche (2014), Zwischen Abgrenzung und Annäherung, S. 356–378. 91 Wenn man zudem beachtet, dass die Libretti zu den Vorstellungen verkauft werden und tatsächlich zum Mitlesen gedacht sind, kann man Bernhard Jahn nicht ganz zustimmen, der meint, Nerillos Übersetzung sei „nahezu unverständlich und damit funktionslos, weil er sie mit jiddischen Spezialausdrücken“ durchsetze. (Jahn [2005], Die Sinne und die Oper, S. 111). Auch innerfiktional wird kein Hinweis darauf gegeben, dass man Nerillos Übersetzungen nicht versteht.
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Atis und Nerillo folgen. Als Atis sich schließlich auf ihre Schulter stützt und ihr an das Kinn fasst, ist für Elmire klar, dass sie es nicht mit einem Prinzen zu tun hat und sie ergreift die Flucht. Dabei ist es offenbar die körperliche Annäherung, die sie für unangemessen hält, denn übertriebenes oder ungehobeltes Verhalten ist für sie nicht wirklich problematisch. Die von Atis sicherlich sehr wirkungsvoll ausgespielten Ankündigungen, dass er sich erhängen, ertränken oder erstechen werde, wenn sie ihn nicht erhört, lassen sie beispielsweise kalt. Als Atis Elmire dann auf Anraten von Nerillo im zweiten Teil des Intermezzos erneut aufsucht und in ein Wirtshaus ausführt, wo Atis „begierig isset und trincket, ohne sich an Elmiren zu kehren“, empfindet Elmire das nicht als unangemessen, sondern sieht es vielmehr als Beweis dafür, dass Atis genügend Geld besitzt. Nachdem Atis seine Finanzkraft auf diese Weise im Wirtshaus bewiesen hat, erklärt sie sich bereit eine Beziehung mit ihm einzugehen. Die Einschübe in Klammern in der Arie, die sie aus diesem Anlass singt, offenbaren jedoch, dass es sich von ihrer Seite aus um eine Tauschbeziehung handelt:
ELM.
ARIA. […] Ich liebe dich, mein werthes Leben! (So lang als dir kein Geld gebricht.) Ich will dir Hertz um Hertze geben, (Doch lieb ich dich alleine nicht.) (B Intermezzo I)
Hier wird bereits angedeutet, dass sich die versprochene Hingabe jederzeit in ihr Gegenteil – den Treuebruch – verwandeln kann. Die Liebesarie wird so durch die komische Kontrastierung parodiert. Kurz nach dieser Arie äußert Elmire wieder Zweifel am Stand ihres Liebhabers, die nicht durch einen erkennbaren Grund, aber umso mehr über die stereotypen Handlungen zwischen den Figuren motiviert sind.92 Sie befragt Nerillo nach genaueren Angaben zu Atis. Als sich dieser in Widersprüche verstrickt, äußert sie in einer plattdeutschen Arie die Vermutung, dass sie es hier mit Betrügern zu tun hat. Daran schließt sich die folgende Anagnorisis-Szene an: ELM.
K’ will dy dee Oogen ut den Koppe kleihn. (Will ihn kratzen.)
|| 92 Sieht man sich die Mode der Intermezzi in den 20er Jahren an, erkennt man, dass der Kunstcharakter, Traditions-, Form- und Werkzitate gepaart mit lokalen Bezügen, diese Form prägen (vgl. Wolff [1957], Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 109–132).
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NERILL. ATIS.
NERILL. ELMIRE. Nerill.
ELMIRE.
Oh weih! Gewalt! Es ist ja Schmuel, halt, halt. (Zwinget sich zu reden.) Und kratz ihn nicht. O Krie! der Oerle spricht. […] Wo nu tom kranckt! Schmuel, syn iy wedder da? Kenn ick den Prinsen nich? O ja! Es ist der Springer aus der Opera. Wie aber heisset ihr? Es fällt mir eben ein, Ihr werdet Geesche seyn. Jo wiss! Herr Gerne Groot iß van my afgeloopen, Drüm legg ick my upt Wind=Verkoopen. (B Intermezzo II)
Bereits der unvermittelte Übergang Elmires zum Plattdeutschen, mit dem diese Passage beginnt, weist auf ihre wahre Identität hin, die im Rahmen der Parodie der Anagnorisisszene aus dem Crœsus dann aufgedeckt wird. Während Atis im Crœsus jedoch seine Sprache wiedererlangt, um seinen Vater als König zu identifizieren und dadurch dessen Leben zu retten, enthüllt er hier die Identität des von Elmire bedrohten Schmuel. Komik entsteht zum einen aus der Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Ereignisses und der Ursache: Atis muss nicht etwa einen Mord an seinem Vater verhindern, sondern er identifiziert seinen Pagen, um ihn vor einer Kratz-Attacke zu bewahren.93 Zum anderen wird die Parodie auf diejenige Szene, in der Atis plötzlich wieder sprechen kann, mit einer Anagnorisis-Szene verbunden. Während sie bei Elcius und Trigesta im Crœsus innerfiktional ist, wird hier auf zwei verschiedene Wissensbestände außerhalb der fiktionalen Welt des Buchhöfer (und des Crœsus) Bezug genommen. Zunächst wird Atis als äußerst erfolgreicher komischer Darsteller der Hamburger Gänsemarktoper angesprochen. Als „Springer“ wird er deshalb bezeichnet, weil er vor allem für seine Ballett-Rollen bekannt ist.94 Im Anschluss an diese Anagnorisis
|| 93 Entsprechend reagiert Schmuel auch nicht auf seine „Rettung“, sondern ist damit beschäftigt, das Blutspucken von Atis/Hanswurst zu kommentieren, wobei er ganz aus seiner Rolle fällt und ad spectatores verkündet, dass es sich bei der roten Flüssigkeit, die aus Atis’ Mund kommt, nicht wirklich um Blut handelt, sondern nur um Wein. 94 Zelm (1978), Die Sänger der Hamburger Gänsemarktoper, S. 48 und Marx/Schröder (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper, S. 441. Kurz vor der Aufführung des Buchhöfer hat er zum Beispiel mit einer komischen Entrée im Prolog und einer Baur-Entree im Einakter-Zyklus Critique des Hamburgischen Schau-Platzes reüssiert, der 1725 drei Mal gegeben wird (vgl. Marx/Schröder [1995], Die Hamburger Gänsemarktoper, S. 489).
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erkennen sich Elmire und Nerillo als die Magd Gesche und der Jude Schmuel aus der im Vorjahr sechs Mal gegebenen Oper Der Hamburger Jahr-Marckt oder der glückliche Betrug, die von Johann Philipp Praetorius und Reinhard Keiser stammt.95 Im Crœsus teilen die Rezipient*innen das Wissen von Atis, Nerillo und Halimacus um Atis’ Verstellung als Bauer und haben dadurch einen Wissensvorsprung vor den anderen Figuren des Intermezzos bis kurz vor Schluss. Im Buchhöfer verhält es sich, trotz der einfacheren Handlung und der reduzierten Figurenzahl, komplizierter: Zunächst können die Rezipient*innen durch Titel, Personenverzeichnis und Nebentext von Anfang an wissen, dass hier nicht der lydische Prinz Atis auf der Bühne steht, sondern dass ein Darsteller in der Art der typischen komischen Nebenfigur in der Rolle des Prinzen Atis agieren wird. Bereits im Titel wird schließlich der Name des Schauspielers genannt, der dann auch im Personenverzeichnis mit abgedruckt ist: Buchhöfer, beziehungsweise Johann Adolph Matthias[?] Buchhöfer, der als Tänzer und Schauspieler für komische Rollen bekannt ist.96 Buchhöfer ist tatsächlich der einzige Fall im Korpus der Texte der Hamburger Oper, bei dem der Name eines Darstellers im Titel oder Untertitel einer Oper erwähnt wird. Offenbar ist er am stärksten von allen Darstellern auf ein bestimmtes Rollenfach festgelegt. Zelm schreibt, dass er zumeist „die Figur des tollpatschigen und listigen Dieners, des Harlekins oder des Bauern“ spielt, wobei er häufiger tanzt als singt. Hinzu kommt, dass die Kostüme, die im Nebentext beschrieben sind, vom ersten Auftreten von Atis und Nerillo an signalisieren, dass hier ein Spiel auf zwei Ebenen zu erwarten ist. Bei Atis heißt es im Nebentext zu Beginn des Intermezzos: „Atis kömmt/ im Gesichte halb angeschwärtzet/ unter dem Fürstlichen Kleide raget ein Harlequins Kleid hervor/ an statt des Degens hat er eine Pritsche an der Seiten.“ Während Kleidung und Pritsche verdeutlichen, dass Atis die komische Figur ist, ist Nerillo als Judenfigur kenntlich gemacht: „Nerillo oben als ein Jude/ mit einem langen Barte/ unten als ein Page in [sic!] Römischen Habit.“ Bei Elmire ist der Hinweis auf eine Doppelidentität bereits im Personenverzeichnis gegeben, weil sie dort
|| 95 [Philipp Praetorius/Reinhard Keiser], Der Hamburger Jahr-Marckt Oder der Glückliche Betrug,/ In einem schertzhafften Sing-Spiele Auf dem Hamburgischen Schau-Platze Vorgestellet. Im Jahr 1725. [Marx/Schröder, Nr. 47]. Zur Situierung der Opern von Praetorius und Keiser in der Tradition der Lokaloper vgl. Wolff (1957), Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 75–97. 96 Vgl. Zelm (1978), Die Sänger der Hamburger Gänsemarkt-Oper, S. 48. In einem späteren Intermezzo tritt Buchhöfer dann nur als Tänzer der komischen Entrée auf, nicht als Schauspieler oder Sänger: Praetorius/Telemann (1728), [Johann Philipp Praetorius/Georg Philipp Telemann], Die Ungleiche Heyrath/Oder das Herrsch-süchtige Cammer-Mädgen: In einem schertzhafften Zwischen-Spiele/Auf dem Hamburgischen Schau-Platze Aufgeführet [Hamburg 1728]. [Marx/Schröder, Nr. 273].
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als „praetendierte Medische Printzessin“ bezeichnet wird, sie ist jedoch nicht bereits am Kostüm als Gesche erkennbar. Vermutlich sollen die Rezipient*innen in Kombination mit der materiellen Orientierung und der derben Sprache dieser Figur jedoch von Beginn an denken, dass es sich um eine verstellte Dienerin handelt. Damit entsteht Komik für die Rezipient*innen einerseits deshalb, weil sie die Interferenz der beiden Rollen genießen können. Andererseits ist Komik durch den Wissensvorsprung intendiert, den die Rezipient*innen mit gewissen Figuren teilen. Dieses Element des Wissensvorsprungs ist im Buchhöfer gegenüber den vorangegangenen Dramatisierungen sogar verdoppelt. Zum einen wissen die Rezipient*innen, dass Atis und Nerillo nicht Prinz und Page sind und haben deshalb erneut einen Wissensvorsprung vor Elmire. Zudem ist ihnen klar, dass Elmire keine Prinzessin ist – und damit haben sie einen Wissensvorsprung vor Atis und Nerillo, den sie im Crœsus nicht hatten. Es entsteht Komik, indem komische Figuren mit ihren typischen Eigenschaften und Verhaltensweisen zentrale Motive auf ihre Weise ausfüllen und dabei zugleich herabsetzen. Hinzu kommt eine weitere komische Ebene, wenn sich Atis, Nerillo und Elmire als Figuren aus dem Lokalsingspiel Der Hamburger Jahr-Marckt oder der glückliche Betrug von Philipp Praetorius und Reinhard Keiser zu erkennen geben.97 Die Komödie handelt von den kupplerischen und betrügerischen Umtrieben in einem Hamburger Gasthof. Die Wirte des Kaiserhofs, in dem ein Großteil der Handlung spielt, haben drei Töchter, von denen die ersten beiden im heiratsfähigen Alter sind. Eine Kupplerin wird damit beauftragt, die beiden an den Mann zu bringen, allerdings ist auch bereits die 13-jährige Tochter heiratswütig und sieht sich nach Liebhabern um. Die Handlung dreht sich um die Liebesbeziehungen aller Frauen des Gasthofes, wobei auch die ehebrecherischen Umtriebe der Wirtin ausführlich dargestellt werden. Ein großes und wichtiges Thema ist dementsprechend die Kuppelei. Kritik wird an denjenigen Formen der Liebe geübt, die Begehren durch optische und materielle Reize befördern. Auch Spiel- und Titelsucht werden kritisiert. Die einzige nicht-materielle und nicht primär sexuell motivierte Beziehung eines Liebespaars der Komödie geht in dieser Handlung fast unter. Besonders wichtig für den Erfolg der Komödie ist auch die großteils plattdeutsche Nebenhandlung. Das Zimmermädchen Gesche erhofft sich von der Verbindung mit einem zweiten Gast mit dem sprechenden Namen Gerne-Groß materiellen Gewinn. Sie wird von ihrem Freund Lucas, der zugleich als Zuhälter agiert, dazu aufgefordert, sich um Gerne-Groß zu bemü-
|| 97 [Philipp Praetorius/Reinhard Keiser], Der Hamburger Jahr-Marckt Oder der Glückliche Betrug,/ In einem schertzhafften Sing-Spiele Auf dem Hamburgischen Schau-Platze Vorgestellet. Im Jahr 1725. Vgl. auch Marx/Schröder [1995], Die Hamburger Gänsemarktoper Nr. 47.
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hen, als Lucas herausgefunden hat, dass Gerne-Groß vermögend und leicht zu überlisten ist (vgl. II,8 und IV,7). Da Gerne-Groß auf einen Adelstitel aus ist, macht man ihn betrunken und bringt ihn in diesem Zustand dazu, der als Baronesse verkleideten Gesche ein Heiratsversprechen zu machen, auf das man ihn später verpflichtet. Schmuel ist im Jahr-Marckt ein Jude – erkennbar auch an den jiddischen Einsprengseln – der Gernegroß im Kartenspiel betrügt und dann bestiehlt. Es geht offenbar allerdings nicht so sehr darum, die Juden und die Betrügereien, mit denen man sie ansonsten in den Opern der Hamburger Gänsemarktoper und wohl auch in dieser Zeit stereotyp verbindet, vorzuführen, sondern vielmehr darum zu zeigen, dass Ihnen die Christen in nichts nachstehen.98 Ein gesellschaftskritischer Impetus durch den zeigenden Gestus ist hier klar zu erkennen. Dies zusammen mit der Tatsache, dass Titelsucht, Betrügereien, Geldgier, Ehebruch und Kuppelei nicht systematisch bestraft werden, charakterisiert die Oper. Nachdem der Jahr-Marckt nach seiner Erstaufführung im Juni 1725 im Juli, August, September und Oktober wiederholt wird, schreibt Praetorius bereits im Oktober 1725 mit Die Hamburger Schlacht-Zeit, oder der mißgelungene Betrug (1725) ein weiteres Libretto in dieser Machart, das die Tendenzen des ersten noch verstärkt.99 Den Rahmen der Handlung bildet nun das Hamburger Schlachtfest, bei dem im Herbst betuchte Bürger einen Ochsen schlachten, um ihn für den Winter einzupökeln. Die Ochsen werden üblicherweise in der Diele aufgehängt und von Freunden und Bekannten bewundert, die man bei dieser Gelegenheit reich bewirtete. Die bereits im Jahr-Marckt kritisierten Laster sind auch hier wieder Thema, werden jedoch noch drastischer dargestellt. Zudem sind die Träger dieser Laster nun allesamt Angehörige des Hamburger Großbürgertums. Hinzu kommt, dass die Kritik nicht nur durch Darstellung und Übertreibung geäußert wird, sondern dass auch eine Figur die Sittenkritik formuliert. Diese Figur mit dem Namen Pomponius, die selbst bürgerlich ist, kommentiert die Titelsucht (I,4) und ermahnt anlässlich der Liebestollheit der Dorinde, dass man die Kinder nicht so früh im Tanzen und im Französischen unterrichten und stattdessen lieber in guten Sitten, Fleiß und Wissenschaften unterweisen solle. (II,6). Er verspottet außerdem die betrogenen Ehemänner || 98 In diese Richtung deutet jedenfalls die Arie Schmuels, in der auch die „Goyims“, die Christen Vergehen bezichtigt werden, die typischerweise den Juden zur Last gelegt werden: „Schachereyen, Kuppeleyen, Weiß der Mauschel nicht allein, Jeder will sein Bruder seyn. Ganffen, falsche Waare führen, Beutelschneiden, filoutiren, sind bei Goyims auch gemein.“ (II,8) 99 [Johann Philipp Praetorius/Reinhard Keiser], Die Hamburger Schlacht-Zeit/ Oder Der Mißgelungene Betrug/In einem Singe-Spiel/ Auf dem Hamburgischen Schau-Platze Aufgeführet. Im Jahr 1725. Vgl. auch Marx/Schröder [1995], Die Hamburger Gänsemarktoper Nr. 148.
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(I,8) und beklagt den Mangel an Höflichkeit (IV,5). Zudem kritisiert auch die Magd Gretje in einigen Szenen die Herrschaft (zum Beispiel I,4). In der Vorrede zur Schlacht-Zeit nimmt Praetorius Bezug auf den Erfolg des Jahr-Marckt und erklärt, in diesem Werk auch die Bestrafung der Laster zu zeigen. Wie bereits in der Vorrede zum Jahr-Marckt weist er darauf hin, dass er in seinem Libretto die Laster an sich und nicht bestimmte Einzelpersonen im Sinn gehabt habe. Er führt als Kronzeugen Molière an, dessen Beteuerung, dass er immer nur auf die Sitten im Allgemeinen abziele, er wörtlich zitiert. Diesmal nutzt allerdings auch dieser Hinweis Praetorius nichts und die Schlacht-Zeit wird nach der ersten Aufführung durch den Senat verboten. Ein Exemplar, in dem Streichungen durch den Hamburger Rat vorgenommen werden, ist erhalten, und zeigt recht deutlich, welche Teile Anstoß erregten.100 Gestrichen sind darin Passagen, in denen die Erziehungsmethoden kritisiert, die Faulheit junger Frauen und die mangelnde Höflichkeit gerügt werden; zudem Schimpfwörter in den Arien der Volksfiguren Gretje und Marten sowie ein Chorgesang über gehörnte Ehemänner. Die Erwähnung Hamburgs in Titel und Prolog wird im zensierten Textbuch ebenso getilgt wie die lokalspezifischen Spielorte und die realistische Darstellung des Schlachtfestes im letzten Auftritt. Die solchermaßen beschnittene Fassung wird nicht mehr aufgeführt, aber Praetorius lässt die fiktionale Welt der beiden Lokalopern nur kurze Zeit nach dem Verbot der Schlacht-Zeit im Buchhöfer wieder aufleben. Wohlweislich schickt Praetorius nun jedoch nicht etwa Gretje und Pomponius aus der soeben verbotenen Schlacht-Zeit auf die Bühne, sondern mit Gesche und Schmuel Figuren des unproblematischeren, vorangegangenen Jahr-Marcktes.101 Zur weiteren Entschärfung greift er auf die Komik um die Lustigmacher-Figur der Hamburger Oper zurück, die keine genaue zeitliche und lokale Situierung erfordert und deren traditionell materielle und sexuelle Ausrichtung er geschickt dazu nutzt, um auf die aktuelle Situation in Hamburg zu verweisen, ohne dass er diese explizit darstellt. Durch das Plattdeutsche und die jiddischen Wörter ist allerdings dennoch ausreichend Lokalkolorit vorhanden, um den Schluss zuzulassen, Praetorius meine auch mit diesem Werk die Hamburger Bürger. Kurzgefasst kann man demnach sagen, dass man es hier mit einer Parodie in satirischer Intention zu tun hat.
|| 100 Vgl. im Folgenden van der Haven (2012), Performativ-öffentliche Moraldarstellung im komischen Lokalsingspiel, S. 685–688. 101 In einem weiteren Libretto von Praetorius tritt Gesche erneut auf: Praetorius/Telemann (1728), [Johann Philipp Praetorius/Georg Philipp Telemann], Die verkehrte Welt: In einer Opera Comique auf dem Hamburgischen Schau-Platze vorgestellet. [Hamburg 1728] Marx/Schröders (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper, Nr. 286.
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Im Folgenden soll nun noch genauer auf die Frage eingegangen werden, weshalb im Buchhöfer ein Figurenpersonal in ein anderes übersetzt wird, das aber nicht – wie sonst in den Intermezzi dieser Zeit üblich – aus den Rollentypen der Commedia dell’arte gespeist ist. Zur Rekonstruktion der dahinterliegenden Positionierungsabsicht sind Praetorius’ Aussagen in der Vorrede von Bedeutung: Die Opera Crœsus, welche sich durch ihre artige Verwickelungen/ wolangebrachte Affecten und überall eingestreuete Sitten Lehre beliebt gemacht/ und jederzeit mit ungemeinem Beyfall aufgeführet worden/ hat Anlaß gegeben zu versuchen/ ob dieselbe auch auf eine Comique Arth gefallen möchte. Die berühmte Frantzösische Tichter Le Sage und D’Orneval haben hierinnen ihren Zweck erreichet/ und sind die in ihrem Theatre de la Foire befindliche Pieces Arlequin Thetis, la Ceinture de Venus, und andere mit allgemeiner Approbation aufgenommen worden. Man verspricht sich diese von unpartheyischen Kennern um so viel eher/ da der Character des stummen Printzen Atis, derjenigen Persohn,/ so ihn vorstellen dürffte/ dermassen Convenable, daß man daher fürnehmlich Gelegenheit genommen/ auf dieses Sujet zu gerathen/ welches seinen eintzigen Wehrt von einer gütigen Aufnahme erhalten muß. (B Vorrede)
Praetorius nennt zwei Werke als Kontext seiner Positionierung.102 Wolff identifiziert sie als die Komödien Arlequin Atys (1710) von Dominique und Atys (1726) von Fuzelier und D’Orneval.103 Da diese Titel allerdings nicht mit den in der Vorrede genannten Werktiteln übereinstimmen und da sich auch inhaltlich keine erhellenden Bezüge ergeben, ist es nicht wahrscheinlich, dass Praetorius diese Werke gemeint hat. Im Folgenden sollen deshalb kurz die beiden tatsächlich gemeinten Komödien vorgestellt werden. Ziel ist es herauszuarbeiten, worin die „Comique Arth“ dieser französischen Werke besteht, die Praetorius als Schreibstrategie verwenden möchte, um sein Intermezzo an der Hamburger Gänsemarktoper zu positionieren. Die beiden genannten Komödien erscheinen 1722 im ersten Band der Sammlung, Le Théâtre De La Foire, Ou L'Opéra Comique, die von Alain René Lesage und Jacques-Philippe D’Orneval in neun Bänden von 1722–1738 herausgegeben
|| 102 Marx und Schröder geben in ihrem Katalog der Libretti der Hamburger Gänsemarktoper Johann Philipp Praetorius als Textdichter an und fügen in Klammern den Zusatz „nach Le Sage und D’Orneval“ hinzu, so dass man vermuten könnte, es handle sich um eine Bearbeitung eines Werks dieser Autoren, was inhaltlich nicht der Fall ist (vgl. Marx/Schröder [1995], Die Hamburger Gänsemarktoper Nr. 56). 103 Wolff (1957), Die Barockoper in Hamburg, Bd. 1, S. 113.
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wird.104 Bei Arlequin Thétis handelt es sich um eine einaktige Parodie von Bernard le Bovier de Fontenelles Oper Thétis et Pélée, die am 11. Januar 1689 an der Pariser Académie Royale de Musique uraufgeführt wird. In Boviers Oper werben Jupiter, Neptun und Pélée um die Nymphe Thétis. Jupiter und Neptun verlieren das Interesse an Thétis jedoch in dem Moment, als ein Orakel voraussagt, dass der Ehemann von Thétis einst weniger mächtig sein wird als sein Sohn. Der Verbindung von Thétis und Pélée steht daraufhin nichts mehr im Weg. Die Parodie Arlequin Thétis von Lesage und D’Orneval wird 1713 auf der Foire SaintLaurent aufgeführt. Im Druck werden im Personenverzeichnis die Hauptfiguren aus der parodierten Oper aufgelistet, wobei hinter jeden Namen jeweils ein Figurentyp der Commedia dell’arte gesetzt ist. Die Handlung funktioniert demnach auf zwei Ebenen: Neptune/Docteur nähert sich der schönen Thétis, die von Arlequin dargestellt wird; hinter seinem Rücken turtelt diese mit Pélée/Leandre. Es ist das einzige Mal, dass der Liebhaber von Thétis/Arlequin in Erscheinung tritt, denn diese unproblematische Beziehung ist wenig interessant. Anschließend erscheint Mercure/Pierrot und bringt die Botschaft von Jupiters/Mezzetins Begehren – nicht ohne Thétis selbst Avancen zu machen. Thétis’ Dienerin Doris/Colombine kommentiert jeweils Aussehen und Verhalten der Liebhaber. Schließlich erscheint Jupiter/Mezzetin selbst und lässt zum Beweis seiner Liebe ein Schäferpaar auftreten, das sich gegenseitig Liebeslieder vorsingt. In der letzten Szene treffen Jupiter und Neptun aufeinander und streiten sich, Jupiter erschlägt Neptun mit seinem Blitz; damit endet das Drama. Lesage/D’Orneval parodieren demnach einerseits Boviers Oper Thétis et Pélée, indem sie die Handlung auf das Liebeswerben verkürzen, den Schluss so verändern, dass Jupiter weiterhin der Mächtigste ist und eine Frauenrolle (Thétis) mit einem Mann (Arlequin) besetzen. Von Bedeutung sind hier vor allem überraschende Abweichungen, die man nur dann goutieren kann, wenn man die Ausgangsoper kennt. Andererseits gestalten sie ihre Komödie als typisches Werk der Gattung Commedia dell’arte. Generisches Wissen über die Commedia dell’arte ist nicht zwingend nötig, erhöht jedoch das Vergnügen, wenn erwartbare Handlungsversatzstücke oder für Rollenfiguren typische Verhaltensweisen || 104 Le Théâtre De La Foire (1722–1737). Es wird im Folgenden nicht um die gesamte Tradition des Théâtre de la Foire mit seinen Aufführungsgewohnheiten gehen, sondern nur um das, was Praetorius gekannt haben und demnach mit seiner Bezugnahme gemeint haben könnte. Aus diesem Grund sind nur die ersten drei Bände der Sammlung, die 1722 und 1723, das heißt vor der Fertigstellung des Buchhöfer erschienen sind, als Kontext von Interesse. Zwei Exemplare des Teilbandes I,2, der die beiden Komödien enthält, sind in der Bibliothek in Wolfenbüttel nachgewiesen (vgl. Thiel/Rohr [1970], Libretti, Nr. 209 u. 210). Genaueres zum Théâtre de la Foire bei Martin (vgl. Martin [2002], Le Théâtre de la Foire).
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vorkommen oder überraschend variiert werden. Zudem steht das Verhalten der Commedia dell’arte-Figuren in starkem Kontrast zu den fiktionalen Göttergestalten. Im Buchhöfer finden sich ebenfalls eine parodistische Verkürzung der Handlung nach ähnlichem Muster, die Abwandlung des Handlungsschlusses und die Kontrastierung der höfischen Figuren mit den Dienerfiguren aus einer spezifischen Komödiengattung, der Lokaloper. Zusätzlich finden sich im Buchhöfer eine explizite Thematisierung dieser Doppelidentitäten innerhalb der Handlung im Rahmen einer metaleptischen Anagnorisis und der Bezug zur Hamburger Gänsemarktoper als Institution.105 Das zweite in der Vorrede genannte Werk, der Zweiakter La ceinture de Venus von Claude Elisabeth Jacquet de la Guerre wurde 1715 auf der Foire St. Germain uraufgeführt. In dieser Komödie klagen Arlequin und Mezzetin, die hier auch tatsächlich diese Figurennamen tragen, über die für sie spezifischen Probleme. Mezzetin, eine komische Figur der Commedia dell’arte, die typischerweise etwas kultivierter ist als Arlequino, kündigt zu Beginn an, dass er vor Liebeskummer sterben wird, weil ihn seine Doris nicht liebt. Arlequin meint dagegen in Kürze zu verhungern und ärgert sich darüber, dass seine Kollegen in Paris finanziell wesentlich begünstigter sind als er. Die Liebe und das Schicksal, die als allegorische Figuren auftreten, beschließen sich um Mezzetins und Arlequins Sorgen zu kümmern. Mezzetin erhält den Gürtel der Venus, mit dem er den schönsten Frauen gefällt, Arlequin ein Fortunatus-Säckel, das immer Geld enthält. Da Mezzetin argwöhnt, dass die Liebe und das Schicksal sie nur getäuscht haben könnten, schlägt er in der 4. Szene vor, die Wirkung der magischen Geschenke zu überprüfen. Arlequin stellt fest, dass sich das Säckel tatsächlich immer wieder füllt, Mezzetin lernt die Schäferin Nicole kennen, die sich in ihn verliebt. In der 6. Szene belauscht Pierrot, der bisherige Liebhaber Nicoles, die beiden bei einem Liebesduett. Anschließend streiten sie und Pierrot will sie verlassen, aber Nicole stellt sich ihm in den Weg. Mezzetin leiht Arlequin den Gürtel, den er an einer Comtesse erfolgreich erprobt. In der Folge tauschen sie diesen immer wieder hinter deren Rücken. Anschließend treten Colombine und Marinette in Masken auf und sprechen darüber, dass sie ihre Männer, Arlequin und Mezzetin, vermissen. Mezzetin und Arlequin versuchen die beiden zu umwerben, müssen allerdings feststellen, dass bei ihren eigenen Frauen der Gürtel leider nichts bewirkt. Liebe und Schicksal fordern daraufhin ihre Geschenke von Arlequin und Mezzetin zurück. Zum Schluss setzen Colombine und Marinette ihre Masken ab und werden dadurch für Arlequin und Mezzetin als Colombine und Marinette erkennbar. Das Drama endet mit einer har|| 105 Vgl. zum Begriff der Metalepse Genette (1998), Die Erzählung, S. 152–154.
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monischen Versöhnung aller Figuren. In La ceinture de Venus werden folglich nicht ein eigenständiger Theatertext, sondern die Motive des FortunatusSäckels und des Venus-Gürtels durch die Ausführung in der Commedia dell’arteVariante parodiert. Eine Gemeinsamkeit mit Buchhöfer besteht in der Anagnorisis zum Schluss. In La ceinture de Venus handelt es sich allerdings nur um eine innerfiktionale Anagnorisis, während jene im Buchhöfer zusätzlich auf das Wissen um eine andere Komödie und um die Rollenfächer der Hamburger Gänsemarktoper referiert. Die „Comique Arth“ der in der Vorrede genannten Komödien aus der Sammlung Théâtre de la Foire besteht darin, dass sie die Motive einer bestimmten ernsten Oper beziehungsweise der Romantradition gemäß den Handlungsschemata, Themen und Motiven der Commedia dell’arte verändern und von deren Figuren spielen lassen. Praetorius schließt an dieses Verfahren an, indem er Teile der ernsten Oper in das Figuren- und Handlungsrepertoire der lokalspezifischen komischen Figuren der Hamburger Gänsemarktoper übersetzt. Zudem spricht er die Rezipient*innen auf einer weiteren Ebene an, indem er auf Schauspieler der Hamburger Oper verweist. Der Bezug zum Jahr-Marckt erlaubt es ihm darüber hinaus, unter Zensurbedingungen seine gesellschaftskritischen Aussagen aus den Lokalopern des letzten Jahres noch einmal in Erinnerung zu rufen. Der Aktualitätsbezug der Anagnorisis und der Hamburger Figuren konnte geklärt werden. Offen bleiben muss die Frage, weshalb man den Crœsus, der 1711 zuletzt an der Hamburger Gänsemarktoper gegeben wurde, 1726 noch für so gegenwärtig hält, dass man auf einen Werbeeffekt durch Verweis auf eines seiner Hauptmotive setzt.106 Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe. Zum einen ist der Crœsus auf der nahen Braunschweiger Opernbühne in den Jahren zuvor präsent. Dort vertont Georg Caspar Schürmann Bostels Text 1717 neu.107 1719 wird die Oper wieder auf den Spielplan gesetzt und das Libretto erneut gedruckt.108 Beide Male lautet der Titel Atis, oder Stumme Verliebte.109 Es ist davon
|| 106 Vgl. B Vorrede. Krämer formuliert diesen Sachverhalt als klärungsbedürftige Frage (vgl. Krämer [2008], Text und Paratext im Musiktheater, S. 70). 107 Vgl. Schmidt (1929), Neue Beiträge zur Geschichte der Musik, S. 12 u. 13. Man könnte vermuten, dass die Aufführung einer Oper mit dem Titel Creso von Pietro Pariati, Francesco Conti und Nicola Matteis am 26. Januar 1723 im kleinen Hoftheater in Wien der Anlass für die Parodie an der Hamburger Gänsemarktoper ist (vgl. Bauer [1955], Opern und Operetten in Wien, Nr. 825). Es handelt sich allerdings um einen ganz anderen Stoff, in dem kein Sohn des Krösus vorkommt. 108 Lukas von Bostel/Georg Caspar Schürmann: Atis, Oder Stumme Verliebte. In einer Opera Auf dem grossen Braunschweigischen Theatro vorgestellet. Wolfenbüttel: Christian Bartsch 1717.
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auszugehen, dass Künstler und Publikum der Hamburger Gänsemarktoper über die Produktion in Braunschweig bestens informiert sind, schon deshalb, weil einige Librettisten, Komponisten, Musiker und auch ein Bühnenbildner für beide Opernhäuser tätig sind.110 Zum anderen kommt es, wie oben bereits erwähnt, vermutlich 1723 zur Aufführung der Wanderbühnenfassung Atis durch die Hoffmann’sche Truppe. Diese könnte 1726 wiederholt worden sein, als Hoffmann erneut in Hamburg gastiert.111 Hoffmann hatte den berühmten komischen Schauspieler Kohlhardt in seiner Truppe.112 Die Tatsache, dass mit Atis im Buchhöfer zum einzigen Mal eine komische Figur so derb ist wie der Hanswurst der Wanderbühne, könnte als Anspielung auf die Spieltradition der komischen Figur auf der Wanderbühne gemeint sein. Die Anagnorisis des hanswurstischen Atis als hochgelobter komischer Tänzer und Schauspieler Buchhöfer der Hamburger Gänsemarktoper wäre in dieser Lesart als Versuch zu verstehen, die Produktion der Hamburger Gänsemarktoper als künstlerische Weiterentwicklung des Wanderbühnenspiels zu positionieren. Eine dritte Erklärung für das Auftauchen der Parodie ist ein Theaterereignis in Wien. Nur dieses ist dazu geeignet zu erklären, weshalb im Titel des Intermezzos der Name des Schauspielers Buchhöfer genannt wird. Am 26. August wird Gottfried Prehauser von Stranitzky als sein Nachfolger in der Hanswurst-Rolle am Kärntnertortheater eingeführt.113 Dieses Ereignis wird in der Theaterpublizistik der Zeit vielfach thematisiert.114 Es ist demnach gut möglich, dass man im Karneval 1726 in Hamburg die Gelegenheit ergreift und den ‚Amtswechsel‘ kommentiert, indem man ein Werk auf die Bühne bringt, das einmal auch den berühmtesten komischen Darsteller der Hamburger Gänsemarktoper der Zeit nennt. Einerseits dürfte deutlich geworden sein, inwiefern in den Werken der Hamburger Gänsemarktoper Bezugnahmen auf synchron und diachron existente kommunikative Positionierungen durch Werke und Theaterereignisse vorgenommen werden. Andererseits konnte auch gezeigt werden, wie im Medium der künstlerischen Bezugnahme lokale gesellschaftliche Missstände thematisiert
|| 109 Lukas von Bostel/Georg Caspar Schürmann: Atis, Oder stumme Verliebte. In einer Opera Auf dem grossen Braunschweigischen Theatro vorgestellet. Wolfenbüttel/Druckts Christian Bartsch/Hertzogl. Privil. Hof- und Cantzley Buchdr. o. J. [1719]. Es scheint kein Exemplar dieses Drucks erhalten zu sein, so dass nicht geprüft werden konnte, ob der Text verändert wurde. 110 Vgl. Gauthier (2012), Die Ausstrahlung der Hamburger Oper, S. 64. 111 Mehr als die Information, dass dies der Fall war, ist uns leider nicht überliefert (vgl. Wollrabe [1847], Chronologie der Hamburger Bühnen, S. 40). 112 Vgl. ebd. 113 Vgl. Baar de Zwan (1967), Gottfried Prehauser, S. 42–44. 114 Vgl. ebd.
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werden können. Da die Lokalopern jedoch immer spezifisch auf die Gänsemarktoper und die Verhältnisse in Hamburg Bezug nehmen, können sie andernorts nicht einfach adaptiert werden und das Modell macht nicht Schule. Ein Beleg dafür, dass die Libretti bekannt, allerdings gerade für eine aufklärerische Komödienkonzeption nicht tauglich sind, liefert eine Bemerkung Gottscheds, die sich ziemlich sicher auf die Hamburger Schlacht-Zeit bezieht: Dies ist ein recht edler Gegenstand einer Oper. Man kaufet im Singen einen Ochsen, schlachtet und verzehrt sie auch. So sehr waren um diese Zeit alle Geschichten und Fabeln bereits verbrauchet und erschöpfet: sodass die Opernmacher in dieß tiefe Fach der Haushaltung verfallen mußten.115
|| 115 Gottsched (1757), Nöthiger Vorrat, S. 302. Vgl. auch die Anmerkungen Kopitzschs, das Libretto habe als Lesedrama fortgewirkt (Kopitzsch [1982], Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung, Bd. 1, S. 292 f.).
3.2 Reformkomödie im Hanswurststreit – Singspiel mit Kasperl – Singspielposse. Hafner: Der von dreyen Schwiegersöhnen geplagte Odoardo, oder Hannswurst und Crispin die lächerlichen Schwestern von Prag (W 1762) – Perinet/Müller: Die Schwestern von Prag (W 1794/H 1799) 3.2.1 Wien, Kärntnertortheater, Der von dreyen Schwiegersöhnen geplagte Odoardo, oder Hannswurst und Crispin die lächerlichen Schwestern von Prag (1762) Das Kärntnertortheater in Wien ist seit 1712 das erste stehende, öffentliche Schauspielhaus für ein deutschsprachiges Ensemble im Reich.116 Im Zeitraum ab 1740, der für die Entwicklungen im Folgenden von Bedeutung sein wird, spielen sowohl die Prädominanz und Ausdifferenzierung des Stegreifspiels an diesem Theater eine Rolle, als auch die Bestrebungen der Aufklärer, regelmäßiges deutsches Sprechtheater zu etablieren. Zunächst vergrößert sich dort in den 1740er Jahren das Ensemble für das Stegreifspiel, das ausgehend von den komischen Nebenhandlungen um den Wienerischen Hanswurst, Joseph Anton Stranitzky, seit den Anfängen des Theaters besteht.117 Der Hanswurst, der bereits seit 1726 von Gottfried Prehauser gespielt wird,118 darf auch jetzt in keinem Stück fehlen, wird jedoch Teil des komischen Ensembles und hat nun meist auch einen Beruf.119 Weitere komische Schauspielerfiguren sind ab 1725 Colombine-Nuth,120 ab 1744 Kurz-Bernardon,121 ab 1745 Odoardo-Weiskern,122 ab ca. 1753 Leopoldl-
|| 116 Schenk (1969), Die Anfänge des Wiener Kärntnertortheaters. 117 Den neuesten Forschungsstand zur Person Joseph Anton Stranitzkys, seiner Rolle bei der Gründung und beim Betrieb des Kärntnertortheaters und zu seiner Typenfigur des Wiener Hanswurst enthält Müller-Kampel (2010b), Hanswurst-Stranitzky. 118 Vgl. Baar-de Zwaan (1967), Gottfried Prehauser und seine Zeit, S. 42–44. 119 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 115. 120 Gemeint ist Anna Maria Nuth (1705–1751), die von 1725 bis 1751 am Kärntnertortheater auftritt (vgl. Baar-de Zwaan [1967], Gottfried Prehauser, S. 68–70). 121 Johann Joseph Felix von Kurz (1717–1784). Zur Rollenfigur des Bernardon vgl. Birbaumer (1971), Das Werk des Joseph Felix von Kurz-Bernardon. 122 Friedrich Wilhelm Weiskern (1711–1768). Weiskern spielt den Odoardo von 1745 bis zu seinem Tod (vgl. Devrient [1848–1874], Geschichte der Schauspielkunst, Bd. 2, S. 148 ff. und Müller [1973], Genaue Nachrichten, S. 138 f.). Zur Rollenfigur des Odoardo vgl. Weissengruber (2013), Friedrich Wilhelm Weiskern.
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Huber,123 ab 1755 Burlin-Brenner, ab 1760 Jackerl-Gottlieb.124 Von den frühen Werken kann man sich nur ausgehend von den wenigen erhaltenen Werken und Szenaren und indirekt ausgehend von den Gesangstexten, Szenenanweisungen und vereinzelten Inhaltszusammenfassungen ein Bild machen, die in einer handschriftlichen Sammlung erhalten sind.125 Diese Sammlung, deren Autor(*innen) unbekannt sind, trägt den Titel Teutsche Arien, Welche auf dem Kaÿserlich-privilegirt-Wiennerischen Theatro in unterschiedlich producirten Comoedien, deren Titul hier jedesmahl beÿgerucket, gesungen worden.126 In dieser Dramensammlung befinden sich 1650 Gesangstexte aus 261 verschiedenen Stücken, die von ca. 1737 bis 1757 am Wiener Kärntnertortheater gegeben wurden. Es handelt sich um Arien, Duette, Terzette, Quartette, ‚Vaudevilles‘, Chöre und Rezitative, die ursprünglich aus dramatischen Texten stammen. An Genrebezeichnungen für die dramatischen Ursprungswerke werden in dieser Sammlung die Bezeichnungen ‚Tragoedie‘, ‚Tragi-Comoedie‘, ‚Comoedie‘, ‚Bourlesque‘, ‚Pièce comique‘, ‚Satire‘, ‚Pantomime‘, ‚Maschinen-Comoedie‘ und ‚HauptAktion‘ angegeben, so dass man davon ausgehen kann, dass es sich zum größten Teil um genuin komische Werke handelt. Die Teutschen Arien sind die umfangreichste Sammlung zum populären Theater, die für das 18. Jahrhundert überliefert ist. Von der Handlung der Werke kann man sich folgendes Bild machen: Sie sind zumeist nach dem Modell der Heirat mit Hindernissen aufgebaut und sowohl vom Geschlechterkrieg,127 als auch von einem Kampf der Bewerber um Colombine gekennzeichnet. Nur sie ist in den Werken durchwegs erfolgreich und bekommt am Ende zuverlässig ihren Hanswurst. Die weiteren männlichen komischen Figurentypen treten entweder als erfolglose Mitbewerber oder in eigens für sie geschriebenen Werken auf. Zusammen mit den Liebhabern, die um sie werben, erlebt Colombine die wildesten Abenteuer, die sich aus Versatzstücken des Wanderbühnenrepertoires und aus spanischen, italienischen, französischen und englischen Romanen speisen.128 In Extempores werden Berichten und Verboten zufolge nationale und lokale Missstände dargestellt oder sogar kritisiert, unanständige und derbe Ausdrücke verwendet und mehrdeutige An-
|| 123 Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, gibt 1753 als erstes Auftrittsdatum an. Es findet sich aber auch die Jahreszahl 1743 (vgl. Düringer/Barthels [1841], Sp. 630). 124 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 131 f. 125 Vgl. a. a. O., S. 103–105. 126 Teutsche Arien (o. J.). Eine Edition der Sammlung wird derzeit vom Don-Juan-Archiv in Wien erarbeitet (vgl. http://donjuanarchiv.at/forschung/zentral-europa/quellenundtexte-ii/ ariensammlung.html [zuletzt aufgerufen am 03.07.2021]). 127 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 106. 128 Vgl. a. a. O., S. 113.
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spielungen gemacht.129 Dies ist deshalb möglich, weil die Stegreifburlesken fast nie in Wien spielen, sondern örtlich und zeitlich verlagert werden. Mitunter reisen die Figuren auch ins Jenseits, wie generell die Regeln der Wahrscheinlichkeit bei zahlreichen Zaubereien und Göttererscheinungen keine große Rolle gespielt haben können.130 Unter anderem ist dabei Kurz-Bernardon Gegenspieler von Hanswurst, der wie folgt charakterisiert ist:131 Er ist gewandt, hat gute Manieren, kennt die große Welt, macht kühne Späße, verwendet Wortwitze, hat ein schwarzes Kostüm, einen Degen, eine große Perücke und einen kleinen Hut. Hanswurst ist dagegen deutlich bäurisch, trägt einen grünen Hut, eine rote Jacke, zum Knoten aufgebundene Haare und hat eine Pritsche bei sich. Er betrügt, ist opportunistisch und verkleidet sich häufig, um seine Ziele zu erreichen. Dabei verhält er sich derb und direkt, isst und trinkt gerne übermäßig viel und ist nicht selten betrunken. Seit den 1740ern rezipiert man zeitgleich in Wien allerdings auch die aufklärerischen Ideen aus dem Norden des Reichs, strebt unter Maria Theresia zahlreiche Verwaltungsreformen an und plant in diesem Zusammenhang auch die Einführung regelmäßigen Schauspiels. Das Kärntnertortheater wird als Ort verstanden, an dem es möglich ist, von der Bühne aus in der Volkssprache aufzuklären.132 Diese Bestrebungen gehen von der ersten gelehrten Gesellschaft Wiens aus, der Societas eruditorum incognitorum in terris austriacis, die in engem Austausch mit Gottsched steht. Darsteller komischer Figuren der Stegreifburleske des Kärntnertortheaters wie Friedrich Wilhelm Weiskern und Gottfried Prehauser, sind Teil dieser Gesellschaft beziehungsweise stehen ihr nahe und engagieren sich bei diesen Bestrebungen. Weiskern ist selbst Stegreifschauspieler133 und ab ca. 1750 inoffizieller künstlerischer Direktor des Kärntnertortheaters.134 Er ist insbesondere für das deutschsprachige Ensemble zuständig, stellt
|| 129 Vgl. a. a. O., S. 115. 130 Vgl. a. a. O., S. 117. 131 Vgl. a. a. O., S. 118. 132 Auch Gottsched, die Anhänger Gottscheds in Wien und sogar Maria Theresia selbst besuchten das Deutsche Theater (vgl. Haider-Pregler [1980], Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 294 und S. 304 f.). 133 Weissengruber (2013), Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 18–23. 134 Weiskern wird in Briefen als „Director der deutschen Schauspiele im KärntnerthorTheater“ bezeichnet und unterschreibt auch ein Engagementsangebot als „Director der deutschen Comödien“ (vgl. Schwarzinger [1996], Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 66–69). Er füllte das Amt eines künstlerischen Direktors allerdings ohne jede offizielle Amtsbezeichnung oder Funktion aus. Formal wird das Theater von einem Adligen geleitet, wie Maria Theresia es wünscht.
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den Spielplan zusammen, sorgt für spielbare Texte,135 sucht und engagiert neue Schauspieler und ist als Regisseur tätig.136 Weiskern steht in engem Kontakt mit Franz Christlob Scheyb, dem Anführer derjenigen Gruppe, die Gottsched nach Wien holen will.137 Weiskern pflegt auch selbst eine gelehrte Korrespondenz mit Gottsched, fertigt für diesen Exzerpte in der Wiener Hofbibliothek zur Geschichte der deutschen Literatur an und begleitet ihn bei seinem Wienaufenthalt im September 1749.138 In seiner Critischen Dichtkunst nennt Gottsched Weiskern den „Deutschen Riccoboni“, was gut verdeutlicht, dass man auch jenseits des süddeutschen Raumes sehr wohl Wiener Theaterschaffende als Gelehrte betrachtet.139 Gottsched berät das Kärntnertortheater, wechselt Briefe mit Weiskern und ist am Engagement berühmter, reformbewusster Schauspieler am Kärntnertortheater wie Heinrich Gottfried Koch, Carl Gottlob Heydrich und Christiane Friederike Lorenz als Vermittler beteiligt. Er kommt 1749 auch tatsächlich nach Wien, weil er künstlerischer Berater der Wiener Schauspieler und Erzieher der kaiserlichen Kinder werden möchte.140 Zudem plant er, eine Gelehrtenakademie in Wien zu gründen. Zu mehr als einem Besuch 1749 kommt es allerdings nicht, unter anderem auch deswegen, weil die Erziehung kaiserlicher Kinder fest in jesuitischer Hand ist. Gottsched versucht dann, Berater des Burgtheaters zu werden. Seine Ziele sind die Verwendung von korrektem Deutsch, die Beibehaltung der moralisierenden Textstellen der Vorlagen, die oft gestrichen werden sollten, und die Einhaltung der Wahrscheinlichkeitsregeln. Es kommt allerdings, vermutlich aus diplomatischen Gründen, zu keiner Anstellung Gottscheds und auch nicht zu einer Orientierung an seinen strengen Kriterien auf den Wiener Bühnen. Am Kärntnertortheater spielt man bis 1747 ausschließlich extemporierte Werke. Mit Vitichab und Dankwart von Benjamin Ephraim Krüger führt man
|| 135 Zu Weiskerns Werken, seiner gelehrten und theaterpraktischen Tätigkeit vgl. insgesamt Jagersbacher (1994), Friedrich Wilhelm Weiskern und die Ergänzungen und Korrekturen bei Schwarzinger (1996), Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 86–89. 136 Weiskern engagiert die Neuberin (1753–1754) als Schauspielerin, die Erfahrung mit dem regelmäßigen Schauspiel hat (vgl. Haider-Pregler [1980], Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 274, Fn. 105). Aus dem gleichen Grund versucht er Carolin Schultze-Kummerfeldt zu holen, kann jedoch nur die Henselin verdingen (vgl. Buck [1994], Ein fahrendes Frauenzimmer). Weder die Neuberin noch die Henselin noch die Abts sind jedoch erfolgreich (vgl. Schwarzinger [1996], Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 69 Fn. 10). 137 Vgl. Haider-Pregler [1980], Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 300. 138 Vgl. a. a. O., S. 293. 139 Vgl. a. a. O., S. 342. 140 Vgl. a. a. O., S. 279–281.
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dann das erste regelmäßige Schauspiel auf.141 Ab diesem Zeitpunkt führt dasselbe Ensemble sowohl Stegreifstücke als auch regelmäßige Dramen auf (dienstags und donnerstags).142 In der ersten Phase richten sich die Wiener Gottschedianer nicht gegen komische Typenfiguren, und auch die Aufklärer im Norden des Reichs sind keinesfalls gänzlich gegen eine komische Figur eingestellt, wie es ein lange kolportiertes Narrativ vermuten lässt. Gemäß dieser Erzählung verbündet sich Gottsched zum Zweck der Literarisierung des Theaters mit der reformwilligen Theaterprinzipalin Friederike Caroline Neuber gegen die Figur des Hanswurst, den Gottsched in seiner Critischen Dichtkunst verurteilt hatte. Gottsched wirft diesem vor, dass er nur unflätige Zoten mache, illusionsdurchbrechend interveniere und in regellosen Handlungen agiere. Im Bunde mit der Theaterprinzipalin Neuber vertreibt er 1737 in einer symbolischen Inszenierung diese Figur von der Bühne, um ihr den Garaus zu machen. Seitdem ist die komische Figur bei allen Verfechtern anspruchsvollen Theaters verpönt und weitgehend von der Wanderbühne im nord- und mitteldeutschen Raum verbannt, im süddeutschen Raum bleibt sie jedoch weiter in ihrer ursprünglichen Form erhalten wie im Verlauf dieses Kapitels noch deutlich werden wird.143 Neuere Forschungen ergeben hingegen ein anderes Bild.144 Zum einen handelt es sich bei der Vertreibung des Hanswurst von der Bühne wohl eher um einen theaterpraktisch geschickten, rein medial inszenierten Schachzug als um den Zeitpunkt, nach dem es in den Aufführungen der Neuberin oder gar aller deutschsprachiger Wandertruppen keine komische Figur mehr gibt. Anlass der ‚Vertreibung‘ ist vielmehr die Tatsache, dass der Darsteller der komischen Figur in ihrer Truppe, Joseph Ferdinand Müller, sich kurz zuvor mit einem Konkurrenzunternehmen selbstständig gemacht hat und auch das kursächsische Privileg erhielt. In der Folge ist die Neuberin vor allem deshalb auf der Suche nach Dramen ohne komische Figur, weil sie keinen passenden Darsteller mehr hat. Bei denjenigen Werken mit komischer Zentralfigur, die sie noch im Repertoire hat, spielt sie die komische Figur selbst. Ein Verzicht auf solche Dramen ist erst viel später möglich, als genügend andere erfolgreiche Stücke vorliegen. Zudem ist eine Beteiligung Gottscheds bei der inszenierten Vertreibung, die wohl eine publikumswirksame Ausschlachtung der persönlichen Fehde darstellt, eher
|| 141 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 111 und 399. 142 Haider-Pregler (1983), Der wienerische Weg, S. 24–37. Für die Stücktitel vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 158. 143 Vgl. auch Müller-Kampel (2003), Hanswurst, Bernardon, Kasperl. 144 Vgl. zu einer kritischen Überprüfung dieser Thesen Weiss-Schletterer (2005), Das Laster des Lachens, deren Ausführungen ich hier folge.
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unwahrscheinlich, da der Briefkontakt zwischen Gottsched und der Neuberin bereits ein Jahr zuvor endet und auch sonst keine Kontakte nachgewiesen sind. Gottsched ist auch nicht ganz so strikt gegen eine komische Figur wie gemeinhin überliefert. Zu Beginn redet er sogar einer gemäßigten Variante dieser Figur das Wort. Für Gottsched ist ein regelmäßiges Drama ein Werk, in dem die Einheit von Ort, Zeit und Handlung gewahrt wird, dessen Handlung wahrscheinlich und frei von extemporierten Passagen ist und einen moralischen Nutzen hat. Die Wiener verstehen hingegen unter einem regelmäßigen Drama lediglich ein nichtextemporiertes Werk. Das heißt, dass weiterhin sehr unwahrscheinliche und phantastische Handlungen dramatisiert werden können, so lange sie keine Stellen enthalten, die gegen den Staat, die Religion oder die Sitten sind. In Wien findet die Diskussion um den Spaßmacher mit den Darstellern zusammen statt, die teilweise selbst gelehrte Aufklärer sind und es geht eher um eine Modifikation und Domestizierung dieser Figur als um ihre Eliminierung. In einer ersten Phase der Debatte werden nur zwei Dinge gefordert: Erstens die Abschaffung der komischen Figur in der Rolle des Lustigmachers in ernsten Werken, in denen sie die ernste Handlung und vorbildliche Figuren parodiert beziehungsweise lächerlich macht. Zweitens die Eliminierung inhaltlicher Unflätigkeiten (vor allem Sexual- und Fäkalkomik).145 Man toleriert die komischen Figuren in der Stegreifburleske weiterhin, weil es charakteristisch für sie ist, auf lokale und aktuelle Probleme hinzuweisen. Einer der wenigen erhaltenen, ausformulierten Texte einer Stegreifburleske, das Werk Bernardon/ der dreissigjährige A.B.C. Schütz von 1754 behandelt beispielsweise am Exempel des illiteraten Bernardon satirisch die Nachteile des Analphabetentums.146 Mithilfe der komischen Figur ist es demnach möglich, Handlungsschemata und ausländische Werke für das Kärntnertortheater und dessen Publikum interessant zu machen und auch in aufklärerischer Absicht auf Missstände hinzuweisen. Die Forderung nach regelmäßigen Dramen bezieht sich in Wien bis in die 1760er Jahre ausschließlich auf die Abschaffung des Extempore, das mit seinen Spitzen gegen die Obrigkeit, die Religion und den Staat aufklärerischen Absichten widerspricht. Komödien mit einfallsreich gefügten Handlungen und zahlreichen komischen Situationen und Figuren ohne jeden erzieherischen Anspruch können zunächst weiterhin den Löwenanteil des Repertoires ausmachen. Zum Feindbild werden in diesem
|| 145 Da man zudem die deutsche Sprache fördern will, richtet man sich auch gegen die Verwendung von Dialekt. 146 Kurz (1754), Bernardon / der dreissigjährige A.B.C. Schütz. Vgl. zu diesem Werk auch Brandner-Kapfer (2007), Johann Joseph Felix von Kurz, S. 336–364, 704–707.
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Prozess allerdings mehr und mehr die Komödien von Joseph Felix von Kurz, weil sie den aufklärerischen Bestrebungen widersprechen. Kurz ist ab 1737 zunächst neben Prehauser Hanswurst-Darsteller oder komischer Nebenbuhler am Kärntnertortheater. Von 1744 bis 1753 spielt er dort zudem bereits eigene Komödien mit der Figur des Bernardon, die dann 1754 bis 1760 zu seinen Paradestücken werden.147 In diesen Zauber- und Maschinenkomödien bestimmen das Wunderbare und Sinnliche, gute und böse Geister die Handlung, die nur mehr eine Aneinanderreihung komischer Episoden ist. Die Komödien sind infolge der Zensurschriften zwar schriftlich fixiert, sehen jedoch an zahlreichen Stellen Stegreifspiel vor.148 Die von Kurz selbst als „buntes Misch-Masch“ bezeichneten dramatischen Produkte sind das genaue Gegenteil des regelmäßigen Theaters, weil sie durch die Kombination von Maschinenzauber, Kinderballetten, Gesangseinlagen, Extempore et cetera relativ heterogene, dominant paradigmatisch-episodische Produkte darstellen.149 Das 1752 von Maria Theresia erlassene, später als Norma-Edikt bezeichnete Extemporierverbot150 richtet sich daher vor allem gegen die „Compositionen von dem sogenannten Bernardon“ und ordnet an, man solle keine andere compositionen spillen als die aus den französischen oder wälischen oder spanischen theatris herkommen, alle hiesigen compositionen von Bernardon und andren völlig auffzuheben, wan aber einige gutte doch wären von Weiskern, solle selber ehender noch gelesen werden und keine equivoques noch schmutzige Worte darinnen gestattet werden, auch denen comödianten ohne straffe nicht erlaubet werden sich selber zu gebrauchen.151
|| 147 Vgl. Brandner-Kapfer (2007), Johann Joseph Felix von Kurz, S. 769, 773. 148 Vgl. Birbaumer (1971), Das Werk des Joseph Felix von Kurz-Bernardon und die HistorischKritische Ausgabe seiner Werke bei Brandner-Kapfer (2007), Johann Joseph Felix von Kurz. In gekürzter Form wurde die Ausgabe von Brandner-Kapfer 2010 bei Lehner publiziert. 149 Sonnleitner (1996), Hanswurst, Bernardon, Kasperl und Staberl, S. 351. Vgl. das Dokument einer Aufführung mit Kurz a. a. O., S. 349 f. Kurz spielt keineswegs nur in Wien, sondern ist zum Beispiel auch in Prag, Venedig, Preßburg, Nürnberg, Frankfurt, Mannheim, Köln und Mainz auf Tournee (vgl. Brandner-Kapfer [2007], Johann Joseph Felix von Kurz, Anhang). 150 Die Theaterreform ist im Zusammenhang zu sehen mit der Verwaltungsreform, verschiedenen Bildungsreformen und einer Säkularisierung der Zensurhofkommission, die seit 1749 von Maria Theresia gutgeheißen oder selbst initiiert wurden (vgl. Haider-Pregler [1980], Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 269 f.). Der Name der Verordnung rührt daher, dass hier die Normatage (große Festtage) und alle weiteren Tage genannt werden, an denen das Theater geschlossen bleiben musste. Maria Theresia legte besonders viele solcher Tage fest und verkürzte damit das Theaterjahr von 260 auf 210 Spieltage (vgl. a. a. O., S. 454). 151 Görner (1884), Der Hans Wurst-Streit, S. 4.
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Hauptargument gegen die einheimischen Werke ist, dass sie nicht zur Etablierung einer „guten Moral“ beitragen. Nach dem Norma-Edikt muss Kurz seine Possen niederschreiben und die Zensur verbietet alle Zweideutigkeiten und groben Scherze. Die mehrfache Erneuerung des Extemporierverbotes bis 1770 ist allerdings ein Indiz dafür, dass es häufig missachtet wird. In einer zweiten Reformphase in der Wiener Theaterdebatte, die mit der Gründung der Deutschen Gesellschaft 1760 verbunden ist, wendet sich die als ‚Reformpartei‘ bezeichnete Fraktion um Joseph von Sonnenfels erneut und diesmal auch programmatisch gegen die komische Figur, weil sie durch das Extempore einen großen Unsicherheitsfaktor für die Wirkung aufklärerischer Dramatik darstellt.152 Es kommt zu einer ausgedehnten publizistischen Debatte, die in der Forschung zumeist als ‚Hanswurststreit‘ bezeichnet wird, obwohl sie sich gegen Kurz und seine Bernardoniaden richtet.153 Der Anfang dieser publizistischen Debatte ist der zentrale Kontext der Positionierung der Komödie, um die es im Folgenden gehen wird. Die Reformpartei um Sonnenfels sorgt 1760 zunächst für den Erlass eines verschärften Extemporierverbotes, das dazu führt, dass Kurz Wien verlässt. 1761 schreibt Philipp Hafner (1735–1764) als Beitrag zu dieser Debatte die Burleske Der von dreyen Schwiegersöhnen geplagte Odoardo, oder Hannswurst und Crispin die lächerlichen Schwestern von Prag (1762).154 Es ist Hafners erste voll ausformu|| 152 Mitglieder sind unter anderem Joseph Anton Riegger, Joseph von Sonnenfels, Franz Christoph von Scheyb, Joseph Heinrich von Engelschall, Joseph Leopold Freiherr von Petrasch, Christian Gottlob Klemm und Johann Joseph Herrl. 153 Vgl. die grundlegende, aus den Quellen gearbeitete Darstellung bei Görner (1884), Der Hans Wurst-Streit. Bereits Urbach hat richtiggestellt, dass diese Debatte einen irreführenden Namen trägt: „Bernardon, nicht Hanswurst, löste in Wien den ‚Hanswurststreit‘ aus. Ohne ihn hätte man sich arrangiert. Nach ihm machte Hafner aus dem Stegreifhanswurst eine literarische Figur, komisch, kritisch, satirisch, aber gezügelt.“ (Urbach [1973], Die Wiener Komödie, S. 46). Ein wenig präziser wäre es zu sagen, dass in dieser Debatte zwei Positionen einander gegenübergestellt werden: Zum einen die aufklärerischen Anforderungen an Dramen bezüglich Regelmäßigkeit und moralischer Stoßrichtung, zum anderen die etablierten, lokalen Formen der Alt-Wiener Volkskomödie, die vor allem von der komischen Wirkung her konzipiert sind. Diese komische Wirkung entsteht durch oftmals punktuelle Situations- und Wortkomik, durch lokale Bezüge, durch eine komische Rollenfigur, durch das Spiel eines Darstellers und durch sich wiederholende Themen und Situationen (sehr gut beschrieben bei Müller-Kampel [2003], Hanswurst, Bernardon, Kasperl). 154 Die reisenden Komödianten, oder der gescheide und dämische Impressario, ein Lustspiel von einer Abhandlung, Verfasset von Philipp Hafner. Wien, gedruckt und zu finden bey Joseph Kurzböken, Univ. Buchd. in der Bognergasse im hofglaserischen Hause. [1762]. 8 [48] [Hofbibliothek Thurn und Taxis Regensburg (Sigle: 76), Beibindung in einem Band mit komischen Schriften ohne eigenen Titel], Wird als Odoardo abgekürzt und mit der Sigle H zitiert.
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lierte Komödie, aber er hat zuvor bereits einige komische Schriften publiziert, die sein Freund Joseph von Kurzböck verlegt. Anstatt sich jedoch mit einer weiteren Stellungnahme in der bisher weitgehend theoretisch-publizistisch geführten Debatte zu Wort zu melden, schreibt er eine Komödie in drei Akten mit einer einaktigen Komödie als Vorspiel. Im Hauptstück gestaltet er eine modellhafte Integration von komischen Figuren in das Syntagma der Handlung, die den Regeln der Wahrscheinlichkeit entspricht, voll ausformulierten Text ohne problematische Themen enthält und dennoch komisch ist. Vermutlich Ende 1761 entstanden, wird das Werk Anfang 1762 in Wien im privaten Kreis zusammen mit einem Vorspiel aufgeführt. Im Januar 1762 wird es ohne eigenes Titelblatt, unter dem Titel Die reisenden Komödianten oder der gescheide und dämische Impressario veröffentlicht. Im Wienerischen Diarium, der Wiener Tageszeitung, wird es am 27. Januar 1762 bei den Buchhandelsanzeigen wie folgt angekündigt: „Bey Joseph Kurzböck, Universitätsbuchdruckern, in der Bognergasse im Hofglaserischen Haus ist zu haben: Das vor einigen Wochen allhier unter guten Freunden aufgeführte Lustspiel unter dem Titul: die reisenden Comedianten, oder der gescheide und Dämische Impressarius, verfasset von Philipp Hafner, 8 ok. à 24 kr.“155 In der Hafner-Forschung ist bisher keine Aufführung dieser Komödie belegt. Tatsächlich findet sie sich aber im Verzeichnis von in Regensburg aufgeführten Werken auf der Deutschen Nationalschaubühne (1778–1784) unter dem Titel Der von drey [sic!] Schwiegersöhnen geplagte Odoardo. L. [Lustspiel, K.D.] für die Spielzeit 1777/1778.156 Das in Regensburg erhaltene Exemplar weist allerdings keine handschriftlichen Eintragungen auf, die es als Aufführungsmaterial kenntlich machen würden. Hafners Odoardo folgt dem dominant paradigmatischen Schema der Heirat mit Hindernissen, bei dem der Vater überlistet wird, sodass das Paar schlussendlich gegen dessen Willen zusammenkommen kann. Odoardos Tochter Mitzerl und der Marquis Kletzenbrod, die sich bereits vor Beginn der Handlung ineinander verliebt haben, stehen jedoch erst in der 17. Szene des zweiten Aktes zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne. Im ersten Akt versuchen insgesamt drei Verehrer von Mitzerl Kontakt zu ihr aufzunehmen: Der Marquis Kletzenbrod, Baron Papendeckel und der als Chevalier verkleidete, verarmte Pariser Perückenmacher Chemise. Gegen Ende des ersten Aktes wird der Besuch von Odoardos Schwester angekündigt, die seit langem in Prag lebt. Odoardo legt
|| 155 Für einen detaillierten Nachweis der Exemplare zu Hafners Werk und Perinets Fassung inkl. Notenmaterial vgl. Dennerlein (2019a), Die Schwestern von Prag. 156 Das von Andreas Schopf 1784 publizierte Verzeichnis ist in einer Monographie zum Musiktheater in Regensburg abgedruckt (vgl. Meixner [2008], Musiktheater in Regensburg, S. 502).
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daraufhin fest, dass er seine Tochter und deren Dienerin mit demjenigen Bewerber verheiraten wolle, den seine Schwester für den besten halte. Den größten Anteil an der Handlung haben allerdings nicht die Bewerber um Mitzerl, sondern deren Diener. Zahlreiche komische Situationen entstehen dadurch, dass sie versuchen, Mitzerl Briefe zuzustellen, dass sie um die Dienerin Mitzerls, Colombine, werben und in der Verkleidung als Schwester aus Prag Odoardos Heiratserlaubnis erschleichen. Als Diener treten auf: Casperle, der Diener Odoardos, Hannswurst, der Diener des Marquis, und Crispin, der Diener des Barons. Angesichts der drei komischen Figuren, die mit ihrer Bühnenpräsenz die Komödie deutlich dominieren, und eines Handlungsgerüstes, das nur dazu geschaffen zu sein scheint, Anlässe für deren Dummheiten, Späße und wiederholte Überlistungs- und Werbungsversuche zu bieten, ist die Aussage erklärungsbedürftig, dass hier eine Verbindung von Komödienform und Komikformen vorliegt, die zur Reform der verrufenen und von den Aufklärern hart bekämpften Stegreifburleske beitragen sollte.157 Um die Wahl der Komikformen im Vorspiel sowie im Hauptstück erklären zu können, sollen Hafners Sicht auf den Raum des Möglichen in der Wiener Theaterdebatte und seine Positionierungsabsicht anhand seines Vorspiels und einer theoretischen Schrift rekonstruiert werden. Vorlage für das Vorspiel mit dem Titel Die reisenden Komödianten oder der gescheide und dämische Impressario ist Carlo Goldonis Dreiakter Il Teatro Comico, der in Wien bereits 1752 in einer Bearbeitung von Joseph Anton Salazar, unter dem Titel Das Theater aufgeführt wird.158 Dort finden sich unter anderem Szenen, in denen sich ein Theaterprinzipal und ein Komödiendichter über mögliche Spielvorlagen unterhalten, wobei deutlich wird, dass das Ansehen der Schauspieler verbessert, die Dramen vernünftiger und die Oper abgeschafft werden sollten. Während diese Forderungen bei Goldoni jedoch explizit und von allen Figuren diskutiert und von der Theatertruppe auch umgesetzt werden, sind bei Hafner weder die Schauspieler so reflektiert noch wird eindeutig klar, wie ein qualitativ hochwertiges Stück aussehen könnte. In Hafners Vorspiel
|| 157 Hafner schreibt später bekanntlich weitere kurze Dramen mit vorwiegend poetologischer Funktion (vgl. zum Beispiel Die bürgerliche Dame oder die bezämmten Ausschweiffungen eines zügellosen Eheweibes, mit Hannswurst und Colombina, zweyen Mustern heutiger Dienstbothen (1763/64) und Neue Bourlesquen betitelt: Etwas zu Lachen im Fasching. Oder: Des Burlins und Hannswursts seltsame Carnevals Zufälle (1764). Vgl. zu einer Einbettung der Dramen in die poetologischen Diskussionen, die Aufführungskontexte und die Positionierung Hafners im Feld der weiteren Theaterproduktion Eyer (1986), Das lyrische und dramatische Werk Philipp Hafners, S. 122–353. 158 Zu Salazar vgl. Oehler (1803), Geschichte des gesamten Theaterwesens zu Wien, S. 143.
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wird eine abgerissene Wandertruppe gezeigt, die vor dem Bürgermeister der Stadt Merlü Proben ihres Repertoires gibt und schlussendlich auch die gewünschte Spielerlaubnis erhält. Zwar tauscht man sich über Gattungsunterschiede aus und die Komödie wird auch als „lebhaftes Gemählde“ charakterisiert, in dem „die guten Sitten eines Menschen mit Belohnung, das Laster aber mit gehöriger Strafe beleget“ werden. In den Proben ihres Könnens, die der Impresario die Wandertruppe anschließend vor dem Bürgermeister der Stadt geben lässt, werden jedoch keine nachahmenswerten Beispiele gezeigt, sondern nur die beliebten dramatischen Genres der Zeit durch zeigende Satire und Parodie der Lächerlichkeit preisgegeben.159 Die Akteure spielen einen Ausschnitt aus Faust, in dem Faust auffällig viele Metaphern aus dem Bildbereich des Essens verwendet, um sich die Sündenstrafen der Hölle auszumalen.160 Darauf folgt eine Parodie auf das Schäferspiel, in der der Schäfer von seiner Geliebten in den Fuß gebissen wird. Die Parodie gipfelt in einer sexuellen Anspielung auf die Gefahren, die von einer Verbindung mit einer Schäferin ausgehen: „Denn nimmst du sie zur Frau, und fühlst die Ehstands Triebe/ So beißt sie dir den Kopf und alle Glieder ab.“161 Die nun folgende Parodie auf die Alexandrinertragödie endet mit einer unvermuteten Verbrüderung der rachgierigen Rivalen, die in einem plötzlichen Anfall von Feigheit lieber zusammen trinken gehen wollen, als sich für die Geliebte zu erstechen. Hier werden folglich die dem genus grande zugehörigen Alexandriner mit niederen Inhalten gefüllt. Zum Abschluss wird ein Übergang zum Ernsten und Moralischen angekündigt, um zu beweisen, dass die Truppe auch Nützliches im Repertoire hat. Die Figur Plato beendet ihren im barock-antithetischen Stil gehaltenen Memento-Mori-Monolog angesichts der Vergänglichkeit alles Irdisch-Diesseitigen dann allerdings mit der derb-komischen und maximal kontrastiven conclusio: „Die Welt ist uns zur Last, die Welt ist uns zur Geisel/ Drum Freund !erwäge dieß, lebt wohl! Ich geh
|| 159 Sulzer definiert ‚Satire‘ in seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste wie folgt: „Man kann also überhaupt sagen, die Satire, in so fern sie als ein Werk des Geschmaks betrachtet wird, sey ein Werk, darin Thorheiten, Laster, Vorurtheile, Mißbräuche und andre der Gesellschaft, darin wir leben, nachtheilige, in einer verkehrten Art zu denken oder zu empfinden gegründete Dinge, auf eine ernsthafte, oder spöttische Weise, aber mit belustigendem Wiz und Laune gerüget, und den Menschen zu ihrer Beschämung und in der Absicht sie zu bessern, vorgehalten werden. [...] Auch ist hier überhaupt zu erinnern, daß die Satire nicht, wie die meisten andern Werke redender Künste, ihre eigene Form habe. Sie zeiget sich in Gestalt eines Gesprächs, eines Briefes, einer Erzählung, einer Geschichte, einer Epopöe, eines Drama, und so gar eines Liedes.“ (Sulzer [1774], Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 2, S. 996 f.) 160 Vgl. Hafner (2007), Burlesken und Prosa, S. 31 f. 161 A. a. O., S. 32.
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aufs H-“, wobei hier das „Heisl“, also das Toilettenhäuschen gemeint ist. Aufs Korn genommen werden in diesem Vorspiel demnach die Künstlichkeit der Schäferkomödie und der Alexandrinertragödie, rhetorischer Schwulst aller Art (überbordende Vergleiche, Pathos), improvisierte Körperkomik, die Aneinanderreihung beliebter Motive ohne zusammenhängende Handlung, Gattungsmischung, Fress-, Sauf-, Fäkal- und Sexualkomik und Körpereinsatz, aber auch die Sittenkomödie wird als problematisch dargestellt, weil sie nicht lustig ist. Damit bleibt das Werk auf der Seite der Kritik des Negativen.162 Konstruktive Vorschläge zur Gestaltung von komischen Dramen und angemessener Komik macht Hafner allerdings in einer Antwort auf die 1760 anonym bei Trattner erschienenen Zufälligen Gedanken über die deutsche Schaubühne zu Wien von einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten. Wie für die anderen Zeitgenossen dürfte es auch für Hafner klar gewesen sein, dass es Josef Heinrich von Engelschall ist, der hier in vielfachen Abwandlungen die Idee ausführt, dass das Theater eine Sittenschule zu sein habe. Joseph Heinrich von Engelschall plädiert zunächst dafür, das Theater neben der religiösen Erziehung, dem Schulsystem und der gesetzgebenden Gewalt zu derjenigen Institution zu machen, in der von staatlicher Seite aufklärerische Inhalte umgesetzt werden können. Dafür eignet es sich deshalb besonders gut, weil hier das Angenehme (was unseren Sinnen und Neigungen entspricht) mit dem Nützlichen (der Vervollkommnung des Menschen) einhergeht. Engelschall fordert eine wahrscheinliche Handlung,163 sowie Regelmäßigkeit der Schauspiele164 und natürlich die Vermittlung von Moral.165 Feindbild sind die extemporierenden, komischen Figurentypen, vor allem Hanswurst und Bernardon, wobei
|| 162 Ähnlich verhält es sich mit dem Brief eines neuen Komödienschreibers, der erst 1764 gedruckt wird, den Hafner allerdings bereits 1755 an Friedrich Wilhelm Weiskern schickt, wie Ernst Baum vermerkt (vgl. Baum [1914], Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 24, diese Angabe lässt sich allerdings nicht verifizieren vgl. Eyer [1986], Das lyrische und dramatische Werk Philipp Hafners, S. 126). Hier liefert Hafner ein Szenar, das zumeist nur aus zwei bis drei Sätzen pro Szene besteht, die inhaltlich kaum spezifiziert sind, etwa „Isabella, Leander und Colombine reden nach Belieben“ oder „Hannswurst und Scapin haben tausend Lustbarkeiten“. Die Handlung folgt dem Schema der Heirat mit Hindernissen: Leander und Hanswurst, die Isabella und Colombine heiraten wollen, schaffen es, ihn zu hintergehen. Zwischendurch kommt es zu Prügeleien, Teufelsbeschwörungen, Versteckspiel und Verwandlungen mit Zauberern und Maschinen. Wie Stücke der Zeit gewöhnlich aufgebaut sind, wird hier pointiert auf wenigen Seiten gezeigt. 163 Engelschall (2007), Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne, S. 261 f. 164 A. a. O., S. 263. 165 Sonnenfels (1988), Briefe über die Wienerische Schaubühne, S. 411.
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die Darsteller dieser Figurentypen ausdrücklich von der Kritik ausgenommen werden. Hafner antwortet mit der Streitschrift Der Freund der Wahrheit (1760), die ebenfalls anonym erscheint.166 Er lässt seinen fiktiven Freund der Wahrheit darin die Produktion der Wiener Bühne verteidigen und entkräftet jedes Argument Engelschalls im Einzelnen, nicht ohne jedoch auch die gängige Praxis an den Wiener Bühnen zu kritisieren. Den guten Geschmack, den Engelschall so sehr betont, hält er für längst nicht so eindeutig fixierbar wie dieser. Die angeprangerte Lasterhaftigkeit der Wiener Bühnen bezeichnet er als maßlos übertrieben. Den Vorwurf, die komischen Figuren würden realitätsfernen Nonsens spielen, entkräftet er durch ein komparatistisches Argument: Im Gegensatz zum Arlequin der Franzosen, für den der Freund der Wahrheit „die wahre Abbildung eines vernunftlosen Affen“167 ohne Pendant in der Wirklichkeit ist, würden Hanswurst und Bernardon, „deren ersterer wenigstens die Rolle eines dummen, aber doch natürlichen Bauren, der zweyte hingegen eines wohlanständig gekleideten Dieners spielen“.168 Auch Skaramutz, Pantalon und Pierrot sind ihm „Abentheurer und ungesittete Theatersklaven“.169 Als großes Vorbild für regelmäßiges Theater mit wenigen Abstrichen führt er dagegen Carlo Goldonis Dramen ins Feld, die in Wien seit den 50er Jahren in Übersetzungen und Bearbeitungen sehr erfolgreich gespielt werden, weil hier die Typen der Stegreifkomödie in regelmäßigen Dramen untergebracht werden können.170 Zudem bringt der Freund der Wahrheit gegen Engelschalls Abwertung der Wiener Produktion vor, dass die Wiener Bühne die besten Schauspieler habe, auf dem Gebiet des Trauerspiels bereits vorzügliche Werke vorweisen könne und auch im Lustspiel so schlecht nicht sei; spiele man doch das Beste der italienischen, französischen und englischen Tradition. Hier weist er darauf hin, dass auch die ausländischen Werke oftmals nicht durchgängig den Ansprüchen an Naturnähe und Wahrscheinlichkeit genügten. Das betreffe insbesondere die Dramen von Molière und die von Gottsched gelobten Lustspiele. Die Scherze des Hanswursts und Bernardons, deren Unanständigkeit er nur ungern einräumt, beschreibt er gekonnt so, dass sie natürlich, kunstvoll und teilweise sogar lehrhaft erscheinen. Er hebt an Hanswurst positiv
|| 166 Hafner (1760), Freund der Wahrheit. 167 A. a. O., S. 18. 168 Ebd. 169 A. a. O., S. 20. 170 Vgl. a. a. O., S. 29.
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seine Anschickungen in der Nachahmung des Natürlichen, seine verstellte Dummheit, seine Forcht, die Ausdrücke seiner Leidenschaften, des Weinens und des Lachens und andere gesunde Vorstellungen und Besitzthümer seiner Natur und besitzenden Geschicklichkeit171
hervor. Bernardon bezeichnet er als Urtyp verschiedener Theaterfiguren: [O]bgleich seine Scherze öfters über das Natürliche und Wahrscheinende schreiten, ja so sehr sie von ihm übertrieben werden, so mangelt es ihm doch auch gewiß nicht an manchen lebhaften Einfällen und gut angebrachten Scherzworten, aus denen sich Kritiken entlehnen lassen, die sogar Gelehrte oft mit Fug treffen und ihnen zum Beyspiel dienen können.172
Vom Lasterhaften grenzt er Erscheinungen ab, die er für überflüssig hält, ohne sie zu tadeln: „Das Schlagen, Singen, Verkleiden, Fliegen und derley kindische Zauberschwänke sind ihm und mir gleich freylich ungefällige, jedoch weder ärgerliche noch lasterhafte Dinge.“173 In seiner abschließenden Forderung, dass gelehrte Männer als staatlich besoldete Theaterdichter an der Verbesserung der Theaterproduktion arbeiten sollten, die es verstünden, sittliche Kritik in tatsächlich lustigen Komödien zu thematisieren, schließt er auch an die Themen der Nationaltheaterdebatte an. Aus diesen Ausführungen wird sehr deutlich, wie sich Hafner, mit dem der fiktive Freund der Wahrheit hier wohl gleichgesetzt werden darf, eine Komödie für das Wiener Publikum vorstellt: regelmäßig, in der Dramaturgie an Goldoni angelehnt und mit mehreren komischen Figuren, die in der Tradition der Wiener Figuren stehen. In der Gestaltung als schnelle Dienerkomödie und mit einem Alten, der seine Tochter vor dem Werben von Liebhabern beschützen will, ist der Odoardo dann auch deutlich an die Handlungsschemata der Komödien Goldonis angelehnt.174 Zentral ist, dass die Dramen regelmäßig sind, Komik aber dennoch gut
|| 171 A. a. O., S. 31. 172 Ebd. 173 A. a. O., S. 33. 174 In der Deutschen Schaubühne zu Wienn finden sich bis 1768 14 Goldoni-Bearbeitungen (vgl. Baar-de Zwann [1967], Gottfried Prehauser, S. 137–139; Bachleitner [2019], Translating under Constraints). Zwei davon stammen von Weiskern, eine davon wurde vor Hafners Schwestern von Prag gespielt und publiziert: Der Leutansetzer oder Die stolze Armuth (ED 1760) (vgl. Baar-de Zwann [1967], Gottfried Prehauser, S. 139). In der Geschichte des Alt-Wiener Volkstheaters gilt Hafner als Parallelfigur zu Goldoni. So bereits Clasen (1995), „Scherzworte, aus denen sich Kriticken entlehnen lassen“, S. 120. Insbesondere scheint Hafner an Weiskerns Goldoni-Bearbeitungen anzuschließen. Davon gibt es insgesamt zwei; hier ist vor allem Die schlaue Wittib (1756/1768) gemeint.
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integrieren können. Regelmäßig im Sinne der doctrine classique ist der Odoardo insofern, als die Handlung an einem einzigen Schauplatz spielt, und zwar vor und im Haus von Odoardo. Die Einheit der Zeit ist dadurch gewährleistet, dass sich das Geschehene innerhalb weniger Stunden abspielt, die Einheit der Handlung durch die Konzentration auf ein einziges Thema, das auf der Dienerebene verdoppelt wird: die Zustimmung Odoardos zur Verheiratung seiner Tochter und deren Dienerin. Die Sprache ist gemäßigt und frei von derben Ausdrücken der Sexual- und Fäkalsprache und von Dialekt. Die typische Situation der Commedia dell’arte, dass der strenge Vater seine Tochter erfolglos von Heiratskandidaten abzuschotten versucht, wird von Hafner um den Einfall ergänzt, dass der Vater die Ankunft seiner Schwester aus Prag abwarten will, die in dieser Sache entscheiden soll. Die Verknüpfung der Szenen führt zum Aufbau von Erwartungen, die erfüllt oder konterkariert werden und dadurch komisch sind. Die erfolglosen Kontaktaufnahmen wiederholen sich zunächst. Die Handlung ist motiviert und enthält keine phantastischen oder sehr unwahrscheinlichen Fügungen und es gibt nur minimalen Freiraum zum Extemporieren. Auch ein Spannungsbogen wird aufgebaut. Im Anschluss an die lange Exposition mit ihrer Wiederholungsstruktur (wiederholtes Einsteigen, wiederholtes Nach-dem-Weg-Fragen Crispins) werden die Liebesverhältnisse zu Beginn des zweiten Aktes geklärt und die Bedingung für die Eheschließungen von Odoardo formuliert. Streitereien zwischen Dienern und Liebhabern und die Verkleidungen zögern das Ende und den Höhepunkt der Komödie hinaus (vgl. H II,26 und 29). Die Komödie ist komisch ohne derb zu sein, Lasterhaftes zu zeigen oder unnatürlich in Handlung oder Sprache zu sein. Gleichwohl haben die paradigmatisch-komischen Elemente einen beträchtlichen Anteil, sowohl thematisch – durch die Wiederholung einzelner Motive wie hineinkriechen, nach-dem-Weg-fragen, den Liebhabern auflauern, als Schwester von Prag erscheinen – als auch dramaturgisch-syntagmatisch. Die Handlung der Komödie ist wahrscheinlich, da sie keine phantastischen Elemente wie Verwandlungen und magische Ortswechsel enthält und die Spielillusion nicht mehr durch Äußerungen ad spectatores durchbrochen wird. Gleichwohl bleibt die Szenenführung der Komödienform der komischen Paradigmatik mit ihren spielerischen und körperlichen Elementen untergeordnet, so dass es zu gehäuften Zufällen kommt.175 Dem spontanen Extemporieren ist durch den Zusam-
|| 175 Behrens führt als Beispiel die Tatsache an, dass Odoardo die als Schwestern verkleideten Diener nicht erkennt und bei keiner noch so großen Übertreibung oder Unwissenheit stutzig werden darf. „Wir treffen hier wieder auf die alte Vorrangstellung des Komikers […] dem die Mitspieler im Grunde nur Stichwortgeber sind. Dieser Primat der stärkeren Wirkung, der auch
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menhang der Handlung und die Ausformulierung einer ausreichenden Anzahl an Späßen vorgebeugt. Zudem ist Stegreifspiel im Text zumindest zwei Mal mimisch vorgesehen. Einmal als stummer Kommentar Hannswursts zu Crispins Heiratsantrag an Colombine („Hw. auf der Seite seine Lazzi“, H II,13), einmal als Prügelei zwischen Casperl und Crispin (H II,14). Im Folgenden soll die Integration der Komik entlang der komischen Figuren in syntagmatischen Zusammenhängen analysiert werden, um Hafners praktischen Reformvorschlag besser nachvollziehen zu können.176 Casperle, die erste komische Figur, die auftritt, ist durch ihre Einfältigkeit gekennzeichnet. Bereits in der Eingangsszene berichtet er zum Beispiel Odoardo, wie er einem französischen Chevalier geholfen hat, mit einer Leiter in das Zimmer von Odoardos Tochter Mitzerl einzusteigen: Gnädiger Herr! weil die Welt steht, so hat noch kein Hausknecht gelogen, ich habs mit Augen gesehen, wie der Franzos hat wollen bey der Nacht in der Freyle Mitzerl ihr Zimmer einsteigen […] Ich habs gar fein gemacht, ich hab geschrien, He! he! der Herr wird sich wohl den Hals brechen, wann der Herr so herum krachselt, was brauchts denn das Halswagen? wann der Herr will einsteigen, so kann ich dem Herrn ja eine Leiter geben, und bin halt hergegangen und hab ihm ein Leiter gebracht; darauf ist er ganz comod hineingestiegen. (H I,1)
Zunächst entsteht hier ein komischer Kontrast zwischen Casperles Sorge um den Eindringling und der Aufgabe, die ihm sein Herr gegeben hat. Als Odoardo ihn deswegen grob beschimpft, wird jedoch deutlich, dass Casperle gar nicht richtig verstanden hat, was er tun soll, weil er die Aufgabe wörtlich genommen hat. Er erklärt, dass er nur die Anweisung erhalten habe, niemanden zur Tür hereinzulassen. Vom Fenster sei nicht die Rede gewesen. Dieses Muster wiederholt sich dann in den folgenden Szenen. Odoardo weist ihn an, das nächste Mal besser aufzupassen und niemanden einzulassen, heiße er „Peter oder Paul, er mag wollen hinein gehen, steigen, laufen, fahren, oder reiten“ (H I,1). Diese Aussage wiederum wörtlich nehmend, fragt Casperle den kurz darauf erscheinenden Marquis, ob er der Peter (vgl. H I,2), den Baron, ob er der Paul sei
|| im naiven Spielgefühl seine Begründung findet, erklärt in der Komödienliteratur viele rationale Ungereimtheiten.“ (Behrens [1963], Mimische Grundformen, S. 87). 176 Die Ergebnisse von Behrens, der die Komik im Odoardo bereits 1961 untersucht hat, sind in die folgenden Ausführungen eingeflossen (vgl. Behrens [1963], Mimische Grundformen). Er gliedert seine Untersuchung nach Formen der Komik und untersucht Wortspiele, Komik der Wiederholung, der Übersteigerung ins Groteske, Komik durch Lokalbezüge und Komik, die aus dem Wechselspiel von Erwartbarkeit und Abweichung in der Szenenführung entsteht.
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(vgl. H I,3) und verweigert ihnen folgerichtig jeweils den Einlass, als sie sich als Peter respektive Paul ausgeben. Dass Casperle in den ersten drei Szenen jeweils Prügel von Odoardo angedroht werden, die er nicht bekommt, ist eine stückinterne Stellungnahme gegen die Häufung von Prügelszenen der Stegreifburleske. Casperle ist in der Hierarchie der Diener der unterste. Dies wird in der Mitte des zweiten Aktes auch szenisch deutlich. Nachdem Hannswurst Crispin über die Falschheit der Frauen aufgeklärt, ihm dabei unbemerkt Colombine entführt, ihn dann im Singen unterwiesen und anschließend verprügelt hat (vgl. H II,13), gibt Crispin die Lektionen und die Prügel an Casperle weiter (vgl. H II,14). Im weiteren Verlauf der Komödie kommt Casperle dann nur noch am Rande vor.177 Die zweite komische Figur, Hannswurst, belauscht Casperle beim Aufzählen der Einlassbedingungen und behauptet anschließend, Odoardo habe ihn geschickt, was man daran erkennen könne, dass dieser ihm eine Einlassart vorgeschlagen habe, die Odoardo nicht verboten habe, das Hineinkriechen. Casperle nimmt einmal mehr die Anweisung Odoardos wörtlich, anstatt sie zu einem grundsätzlichen Einlassverbot zu generalisieren: Schau! was mein Herr für eine feine Kanalie ist; es ist wahr, vom hineinkriechen lassen, hat er mir nichts verbotten. […] No, wann es so ist, so kannst hinein kommen, aber du mußt kriechen, damit ich meine Schuldigkeit recht thu, dann ich bin gern accurat in mein Sachen. (H I,4)
Das Kriechen über die Schwelle enthält durch die Ausstellung der Körperlichkeit, den Anblick von hinten, den diese Position bietet, und die Übertreibungsmöglichkeiten hinsichtlich der Ausführung, der Geschwindigkeit und der akustischen Begleitung besonders viel komisches Potential. Diese Szene zeigt den ersten Erfolg von Hannswurst, der auch im Folgenden der geschickteste, schlaueste und wichtigste der drei Diener ist. Er verweist Crispin, der, wie er selbst, um Colombine wirbt, in seine Schranken und entführt ihm diese geschickt. Die Entführung und die anschließende Prügelszene sind dabei nur in wenigen Sätzen beschrieben und in ihrer Ausführung der extemporierten Darstellung der Schauspieler überlassen: HW. [führt] die Colombine, ohne, [sic!] daß Crispin solches merket in das Haus, und stellt sich neben ihn, Crispin sieht sich um, verwundert sich, wo Colombine hingekommen. Hw. sagt ihm, daß er schlecht singe, wollte ihm Lektion im Singen geben [… w]obey er ihn
|| 177 Er tritt später nur noch in I,17 und I,18 auf, um sich mit den anderen beiden Dienern um Colombine zu prügeln und kündigt in II,23 und 25 jeweils die Schwester aus Prag an.
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prügelt, die Lieb mit Colombine ernsthaft untersagt und abgehet. Crispin allein hierüber seine Verwunderung dazu (H II,13)
In seiner Verkleidung als Schwester aus Prag ist Hannswurst ebenfalls der Erfolgreiche (vgl. H II,26 und 27), obwohl auch er in Bedrängnis gerät, wenn er über Familienverhältnisse oder die Zustände in Prag nicht Bescheid weiß. So behauptet er zunächst, Prag sei ein Dorf, dann ein Weltteil, situiert es am Meer und redet sich auf seinen „zerbeutelt[en]“ Verstand raus, als man sich darüber wundert (H II,26). Im entscheidenden Moment empfiehlt er allerdings den Marquis Kletzenbrod erfolgreich als Heiratskandidaten, indem er behauptet, er, die Schwester, habe diesen in Prag selbst erzogen. Hier ergibt sich eine schöne Pointe, indem das Herr-Diener-Verhältnis umgekehrt wird. Zudem entsteht eine Inkongruenz zwischen der Figuren- und der Rezipient*inneninformiertheit, weil Odoardo denkt, er habe seine Schwester vor sich, der Zuschauer jedoch weiß, dass dieser im Rahmen der Intrige von Hannswurst getäuscht wird. Schließlich gelingt es ihm auch, den Hannswurst als Ehemann für Colombine anzupreisen (vgl. H II,26). Da die Rezipient*innen wissen, dass Hannswurst sich hier selbst verkauft und damit Odoardo wieder einmal über den Tisch zieht, liegt eine komische Inkongruenz vor. Auf die Spitze getrieben wird dieser Effekt, wenn Odoardo in der letzten Szene Hannswurst deshalb verzeiht, weil seine Schwester, das heißt Hannswurst selbst, sich für ihn eingesetzt hat: „So seys, ich will dem Schelm verzeyhen, weil sie für ihn reden.“ (H II,29) Hafner schließt in seiner Gestaltung der Hanswurstfigur an die spezifische Form an, die Gottfried Prehauser ihr gegeben hatte.178 Prehauser ist der Nachfolger Stranitzkys, der den Hanswurst als Salzburger Sauschneider auf die Bühne gebracht hatte. Während Stranitzkys Hanswurst als Diener die Affekte und das Pathos der heroisch-galanten Haupthandlung in Nebenhandlungen parodiert und/oder kontrastiert, wandelt sich Hanswurst unter Prehauser in den 1720er Jahren vom Lustigmacher zum Spielmacher im Ensemble für die Stegreifburleske.179 Hafner schließt bei der Gestaltung der Hannswurst-Figur an die Rolle die-
|| 178 Vgl. für eine konzise Beschreibung mit Angabe aller Literatur, in der sich die Belege finden lassen, Schindler (2001), Gottfried Prehauser. In der einzigen Monographie zu Prehauser liegt der Schwerpunkt auf seinen Rollen im regelmäßigen Schauspiel (vgl. Baar-de Zwaan [1967], Gottfried Prehauser und seine Zeit). Sie gibt auch die beiden Anekdoten über die Einführung Prehausers durch Stranitzky als dessen Nachfolger in der Rolle der komischen Figur auf der Bühne des Kärntnertortheaters im August 1725 wieder und beleuchtet sie quellenkritisch (vgl. ebd., S. 42–44). 179 Vgl. zum Begriff Ernst (2003), Zwischen Lustigmacher und Spielmacher.
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ser Figur aus der Stegreifburleske an, indem er Hanswurst als Liebhaber der Colombine konzipiert, der das klassische Heiratshindernis, den Vater der Geliebten, überwinden muss. Er ist im Odoardo Spielmacher insofern, als er entscheidend für den guten Ausgang zuständig ist, weil er den Kontakt der Liebenden durch die gelungene Briefzustellung aufrechterhält und als Schwester von Prag die beiden Hochzeiten einfädelt. Gerade Verkleidungsrollen sind typisch für Prehausers Hanswurst in der Stegreifburleske sowie auch die Interaktion mit einem Möchtegern-Adligen (Chevalier Chemise) und zwei weiteren komischen Figuren als Nebenbuhler. Die dritte komische Dienerfigur, Crispin, stellt sich in der siebten Szene des ersten Aktes vor. In einem langen Monolog erzählt er von seinem Leben als Schneidergeselle und erfolgloser Kuppler, der nun in Wien sein Glück versuchen will, weil er gehört hat, dass dort außergewöhnlich viele heiratswillige Frauen zu finden seien. Seine Erzählung beginnt er mit einer tautologischen Begründung für den Nutzen seiner Reise: „Das habe ich in meinem Leben gehört, ein Mensch der nicht gereißt ist, ist just so viel, als ein Mensch, der nicht gereißt ist“ (H I,7) und fährt mit einer Anekdote über eine Schlafhaube fort. Diese sei hier deshalb etwas ausführlicher wiedergegeben, weil sie recht gut seine Art des Erzählens illustriert: […] Herr von Brodsitzer, was gibts da, was ist geschehen, daß so viel tausend Leut stehn? So sagt der Brodsitzer, da ist eine Schlafhauben herunter vom vierten Stock gefallen, und da stehn halt die Leut und schauen wie das geschehen ist, da hab ich denn gelacht, und hab mir gedacht, das ist ja nicht gescheid, daß so viel Leut wegen einer Schlafhauben hier stehn, so ists mir aber gleich eingefallen, so viel Leut müssen doch gescheider seyn, als du einfältiger Schneider, und hab mir vorgestellt, es muß halt doch vielleicht der Müh werth seyn, daß man stehn bleibt, wann was solches geschieht, drauf bin ich dann auch stehn geblieben, und hab beständig auf das Fenster geschaut, wo die Schlafhauben herabgefallen ist, endlich sagt der Brodsitzer zu mir: o! mein lieber Herr, sagt er, der Herr ist gewiß hier fremd, weil sich der Herr wundert, daß die Leut wegen der Kleinigkeit so häufig stehn bleiben, allein sagt er, das ist nichts, geh der Herr in vier Wochen vorbey, so wird der Herr noch allzeit Leut stehn sehen, die auf das Fenster hinaufschauen werden von dem die Schlafhauben gefallen ist; drauf hab ich gelacht, und bin daher gegangen, jetzt bin ich da und möchte also mein Glück durch eine Heyrath machen. (H I,7)
Typisch für Crispins Erzählverhalten sind die repetitive Umständlichkeit des Erzählens, die Naivität und die inhaltliche Absurdität. Auch die weiteren Anekdoten, die Crispin erzählt, sind absurd in dem Sinne, dass sie eine Sinnerwartung düpieren, die zum Beispiel im Erklärungs-, Beleg- oder Funktionscharakter
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oder in der Glaubwürdigkeit des Mitgeteilten bestehen.180 Auch bei seinem entscheidenden Auftritt als Schwester aus Prag erzählt Crispin länger und umständlicher als alle anderen Figuren absurde Geschichten von seinen vier Ehemännern und ihren unwahrscheinlichen und an den Haaren herbeigezogenen Todesumständen. So ist zum Beispiel sein vierter Mann angeblich durch ein in die Suppe gefallenes Taschenmesser gestorben, das im Magen aufgegangen ist (vgl. H II,24). Außerdem gibt er an, 85 Kinder geboren zu haben, die nun allerdings verkauft seien (vgl. ebd.). Diese starken Übertreibungen werden von den Figuren nicht kommentiert und sind offenbar nur darauf ausgelegt, von den Rezipient*innen bemerkt zu werden. In starkem Kontrast zu seinen ausführlichen, narrativen Begründungen und Bemühungen steht auch seine Erfolglosigkeit als Diener. In seiner Rolle als Schwester aus Prag kommt er zuletzt nicht einmal dazu, seinen Herrn den Baron, als Heiratskandidaten zu empfehlen. Kaum hat er die Erzählung seiner Lebensgeschichte beendet, kündigt Casperle bereits die Ankunft einer weiteren Person an, die angeblich die Schwester aus Prag sein soll. Crispin, der ganz im Gegensatz zu seiner Großmäuligkeit keineswegs mutig ist, bekommt es sofort mit der Angst zu tun und gesteht Odoardo nur des Papendeckel Diener und somit „keine Schwester, sondern […] ein Bruder“ (H II,25) zu sein. Sein cross-dressing wird damit in einer prägnanten, komischen Inkongruenz aufgelöst, die durch die Unvermitteltheit noch komischer wirkt. Während Crispins Unterscheidungsmerkmale von Hanswurst demnach die Naivität und die Erfolglosigkeit sind, ist er von Casperle dadurch abgegrenzt, dass er viel, umständlich und absurd erzählt. Zudem beruhen seine Kommunikationsprobleme nicht wie bei Casperle auf einer falschen wörtlichen Referenz von exemplarischen Sprachverwendungen, sondern auf akustischen Missverständnissen. So berichtet er beispielsweise seinem Herrn, Odoardo sei niedergekommen (vgl. H II,12) anstatt wiedergekommen und erheitert vor allem durch Fehlinterpretationen der französischen Repliken des Chevalier Chemise. Chemise, der ganz nach dem Figurenstereotyp des Deutschfranzosen181 gestaltet ist, tanzt, singt (vgl. H II,16 und 18) und wirbt beharrlich, chancenlos aber
|| 180 Als ‚absurd‘ wird dasjenige bezeichnet, was „widersinnig; sinnlos“ ist, der Begriff ist allerdings im 18. Jahrhundert noch nicht gebräuchlich (vgl. Frackowiak [1997], Absurd, S. 4). Bei Frackowiak finden sich auch Ausführungen zum existentialistischen Sprachgebrauch und zum Absurden Theater, die hier nicht mitgemeint sind. 181 Florack (2007), Bekannte Fremde, Kap. 5.1.2.; Florack (2014), Capitano und Deutschfranzose, S. 225–240.
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gleichwohl unbekümmert um Mitzerl.182 Vor allem jedoch gibt er Crispin die Möglichkeit, seine französischen Wörter als ähnlich lautende deutsche Wörter misszuverstehen. Da Crispin allein vom Klang der französischen Wörter ausgehend auf ähnlich klingende deutschsprachige Wörter schließt und davon ausgeht, dass der Chevalier über die so bezeichneten Gegenstände spricht, versteht Crispin überhaupt nicht, wovon der Chevalier redet: CHEV. CRISP. CHEV. CRIPS. CHEV. CRISP. CHEV. CRISP.
Je crois, qu’il est fou cette home la, mais, qui soit, ou non; ça m’est egale, je m’en moque. zornig (vor sich) Was – ? Ich glaub gar, er redt vom Bock? […] (zum Chev.) der Herr ist gewiß verliebt? Oui j’aime une charmante Demoiselle, le vieux Odoardo est son pere! Wanns ein Beer ist, wie möchte ichs denn carasieren? Son pere ist sein Vater. Der Vater ist ein Beer? das muß eine zottige Famillie seyn. Oh! Elle est belle, ma fois, elle est belle! Mais, mon chere! Mais – mais – mais – ! zornig (vor sich) was me! wie? du verfluchter Kerl! (zum Chev.) er mag seyn, wer er will, so muß er nicht glauben, daß ein Schneider ein Hund, oder ein Mensch ist, der zum foppen gehört, er ist mir zuvor schon mit der Scherr kommen, ich hab nichts gesagt, nacher kommt er mit dem Bock, ich hab euch nichts gesagt, aber jetzt kommt er mit dem Me, und das leid ich nicht, nur noch eine Stichred, so soll er sehen, was ein Schneider ist. (H I,9)
Hier kommt es zu Inkongruenzen von französischer Wortbedeutung und den Beleidigungen, die Crispin versteht. Eine weitere komische Figur ist Odoardo, der bereits im Titel genannt wird und dem Rollentyp des lächerlichen Vaters aus der Commedia dell’arte entspricht. Ganz gemäß den Erwartungen an diese Figur will er seine Tochter von ihrem Liebhaber fernhalten und wird überlistet. Mitzerl hat Kontakt zu Verehrern, die sie teils im Haus besuchen (Chemise), teils etwas durch ihre Diener ausrichten lassen (Hannswurst). Odoardos Autorität, kraft derer er Kontakte männlicher Verehrer mit seiner Tochter verbieten will, wird im ersten Akt gleich drei Mal untergraben. Zuerst steigt der Chevalier bei Mitzerl ins Zimmer, dann gelangt Hannswurst ins Haus, der einen Brief für Mitzerl bei sich trägt und wenig später verlässt Mitzerl gar das Haus und spricht auf der Gasse, das heißt in der Öffentlichkeit, mit Baron Papendeckel. Odoardo kann durch körperliches
|| 182 Obwohl der Chevalier Chemise Mitzerl lange vor den anderen Bewerbern sprechen kann (H I,1), wird er von Mitzerl bei Hafner (vgl. H II,18) und bei Perinet klar abgewiesen (P 1794 II,15).
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Geschick eine Übergabe des Briefes vom Marquis an Mitzerl verhindern (vgl. H I,14). Odoardo schnellt im entscheidenden Moment aus seinem Versteck zwischen Hannswurst und Colombine hervor und schnappt Hannswurst den Brief so rasch aus der Hand, dass weder dieser noch Colombine etwas davon bemerken. Heiter ist nicht nur dieser überraschende Effekt; Situationskomik entsteht auch dadurch, dass Hannswurst darauf beharrt einen Brief zu übergeben, Colombine hingegen darauf, keinen erhalten zu haben. Dies ist allerdings der einzige Erfolg, den Odoardo in dieser Komödie vorzuweisen hat. Das Missverhältnis zwischen seinem Anspruch als Patriarch und seiner Unfähigkeit, Kontakte der Liebhaber zu verhindern beziehungsweise die Entscheidungsgewalt zu behalten, erzeugt auf diese Weise zahlreiche komische Situationen, die auf Schadenfreude abzielen. Das Ganze gipfelt darin, dass Odoardos Zustimmung zu den beiden Hochzeiten erschlichen wird. Odoardo ist auf dem Titelblatt der Komödie derjenige Name, der am größten gedruckt ist, obwohl er bezüglich der Handlungsfunktionalität hinter Hannswurst zurücktritt. Dieser ist jedoch kleiner gedruckt, wie auch Crispin. Die graphische Markierung Odoardos lässt sich daraus erklären, dass Hafner verdeutlichen will, dass er für die von Weiskern geschaffene und gespielte Vaterfigur Odoardo schreibt.183 Bereits 1746 ist Weiskern als Odoardo-Figur offenbar so stark kanonisiert, dass der von ihm veröffentlichte Canevass Arlekin. Ein NebenBuhler seines Herrn ihn als Verfasser erwähnt: „Verfasset von dem Odoardo“.184 Daneben kümmert sich Weiskern darum, dass regelmäßige Dramen immer häufiger im Repertoire zu finden sind und publiziert sie auch.185 Seit 1749 gibt er die Dramensammlung Die Deutsche Schaubühne zu Wienn nach alten und neuen Mustern heraus, die an Gottscheds Dramensammlung Deutsche Schaubühne anschließt.186 Insgesamt zwölf Bände umfasst diese Sammlung, die später der
|| 183 Vgl. auch Fn. 122 zu Beginn des Kapitels. 184 Arlekin. Ein Neben-Buhler seines Herrn. Ein neues Pantomimisches Lustspiel. Mit Tänzen untermischet und mit verschiedenen sehens-würdigen Verwandlungen ausgezieret. Auf der kaiserlichen- und königlichen privilegirten Schau-Bühne zu Wienn vorgestellet. Im December 1746. Verfasset von dem Odoardo. 185 Bei dieser ersten Sammlung lässt sich belegen, dass Weiskern der Redakteur ist, weil es in einer Rezension erwähnt wird (vgl. Schwarzinger [1996], Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 80). 186 Die Deutsche Schaubühne (1741–1746). Gottscheds Verdienst bestand darin, Texte, die bestimmten Kriterien genügten, gedruckt verfügbar zu machen. Zu den Kriterien für Trauerspiele vgl. Hollmer (1994), Anmut und Nutzen, S. 66–106. Wie Löwen hervorhebt, ist damit auch erstmals eine wichtige Abgrenzung von den Wanderbühnentruppen gegeben, die versuchten das „Comödiendrucken“ zu verhindern, um Stücke exklusiv anbieten zu können (vgl. Löwen [1766], Geschichte des deutschen Theaters).
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Verleger und Buchhändler Johann Paul Krauß herausgibt und die am Kärntnertortheater aufgeführte, regelmäßige Dramen enthält.187 In der Vorrede zum ersten Band der Neuen Sammlung erwähnt Weiskern zwei mögliche Adressatenkreise: begeisterte Zuschauer, die das Gesehene noch einmal nachlesen möchten einerseits und verhinderte Zuschauer andererseits.188 Eine bestimmte Gattung wird nicht bevorzugt, was damit begründet wird, dass man den Geschmack möglichst vieler Leser treffen möchte. Enthalten sind Übersetzungen von Voltaire, Pierre Corneille, Jean Baptiste Racine, aber auch Werke von Justus Möser, Christlob Mylius oder der Gottschedin sowie zwei Metastasianische Opernlibretti.189 Die Sammlung ist eher nicht repräsentativ für den Spielplan, in dem mit größter Wahrscheinlichkeit weiterhin extemporierte und nichtextemporierte Komödien dominieren.190 Sie zeigt in erster Linie das Bild, das Weiskern von seinem Theater vor dem Hof, vor allem vor Maria Theresia, und im Reich verbreiten will. Von den 54 Dramen, die in dieser Sammlung bis 1762 erscheinen, sind nur 19 Komödien (davon noch zwei Schäferspiele, die allerdings im Untertitel als ‚Lustspiele‘ ausgewiesen sind). Das liegt sicherlich auch daran, dass die ersten drei Bände hauptsächlich Trauerspiele enthalten, weil es auf diesem Gebiet offenbar besonders an regelmäßigen Dramen in deutscher Sprache (seien es Originalstücke oder Bearbeitungen) fehlt. Ab dem dritten von insgesamt zwölf Bänden enthält die Sammlung jedoch auch zahlreiche Komödien, unter anderem von Goldoni, der Gottschedin, von Destouches und Gellerts Zärtliche Schwestern. Von den 17 Lustspielen sind neun von Goldoni. Hafners Schreibstrategie, seine Komödie als schnelle Dienerkomödie nach dem Schema der Heirat mit Hindernissen zu gestalten, erscheint vor diesem Kontext als Positionierungsstrategie, die sowohl an die erfolgreichen Strategien der Stegreifbur-
|| 187 Schwarzinger (1996), Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 80. 188 Schwarzinger weist darauf hin, dass selbstverständlich nur das höhere und mittlere Bürgertum sowie der Adel als Käufer in Frage kommen. Nur diese können lesen und sich Bücher leisten (vgl. a. a. O., S. 79). 189 Insbesondere mit der Aufnahme des letzten Dramas entspricht er nicht den Richtlinien Gottscheds, jedoch dem Wiener Geschmack. Vgl. zu einer netzwerkanalytischen Analyse der Sammlung im Kontext großer Dramensammlungen des 18. Jahrhunderts Dennerlein (2020), Netzwerke medialer Formationen der Dramen und Theaterhistoriographie. 190 Diese Aussage beruht auf Zechmeisters Spielplan, der höchstwahrscheinlich sehr unvollständig ist, wenn man ihn mit den Jahren abgleicht, für die durch den ersten Theateralmanach im deutschsprachigen Gebiet ein komplettes Verzeichnis vorliegt (vgl. Repertoire [1752–57], Repertoire des théatres de la ville de Vienne, Kap. „Théatre germanique“ und die handschriftliche Fortsetzung: Repertoire [1759], Repertoire de Tous les Spectacles).
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leske anschließt als auch auf eine Aufnahme in diese Sammlung abzielt. Bedenkt man, dass bereits zwei nicht-extemporierte Komödien mit komischer Zentralfigur hier Aufnahme gefunden haben, kann man sogar von einer Überbietungsstrategie sprechen. Die beiden Werke von Theatralsekretarius Johann Georg Heubel führen einmal Hanswurst im Titel, das andere Mal sogar Hannswurst und Odoardo gemeinsam: Polyphemus oder die Gefahr des Ulysses auf der Cyclopen Insul mit Hannswursts lächerlichen Unglücksfällen und Odoardo der glückliche Erbe, oder Hannswurst ein Galant d’Homme, aus Unverstand.191 Beide sind im achten Band abgedruckt, der 1760 erscheint, also kurz vor oder während Hafner am Odoardo arbeitet. Während diese beiden Komödien unwahrscheinliche Verwandlungen und Zauberei beinhalten, überbietet Hafner sie zudem dadurch, dass er die Einheit von Ort und Zeit wahrt. Dies ist zugleich Hafners zentrales Absetzungsmerkmal von der Stegreifburleske. Sein Odoardo wird dennoch nicht in diese Sammlung aufgenommen, was mit einem Brand am Kärntnertortheater zu tun gehabt haben könnte, infolgedessen in den Jahren 1761 und 1762 kein Band der dezidiert an aufgeführten Werken orientierten Sammlung erscheint. Als 1763 der neunte Band herauskommt, hat sich die Publikationsstrategie Weiskerns bereits geändert: Rührende Lustspiele halten nun vorwiegend Einzug und Werke mit komischen Zentralfiguren, die die typisch wienerischen Namen tragen, finden sich gar nicht mehr, obwohl Weiskern auch zu dieser Zeit jene noch in Dramen einfügt, wenn er sie bearbeitet. Wie bereits dargestellt ist in Wien nur eine private Aufführung des Odoardo im Februar 1762 nachgewiesen und bis heute nur eine öffentliche in Regensburg.192 Bei der weiten Verbreitung zahlreicher Neudrucke im Reich ist es allerdings unwahrscheinlich, dass das Werk am Kärntnertortheater nach der Wiedereröffnung im Juli 1763 oder andernorts in der Hafner-Fassung nicht öffentlich aufgeführt wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Quellenlage äußerst lückenhaft ist.193 Vermutlich gibt es sowohl Aufführungen des Odoardo als auch wesentlich mehr Aufführungen der anderen Hafner-Komödien.194
|| 191 Polyphemus oder die Gefahr des Ulysses auf der Cyclopen Insul mit Hannswursts lächerlichen Unglücksfällen. Ein Lustspiel von drey Aufzügen von Johann Georg Heubel TheatralSecretarius. Zu finden in den Krausischen Buchladen, nächst der Kaiserl. Königl. Burg 1759; Odoardo der glückliche Erbe, oder Hannswurst ein Galant d’Homme, aus Unverstand, ein Lustspiel von Drey Aufzügen. Für die Wienerische deutsche Schaubühne verfertiget von Johann Georg Heubel Theatral-Secretarius 1760. 192 Vgl. Fn. 156. 193 Vgl. Fn. 190. 194 Zechmeister weist darauf hin, dass auch die anderen Werke Hafners am Kärntnertortheater in den 1760er Jahren mit Ausnahme des Furchtsamen kein Erfolg gewesen seien, und dass
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Für eine Aufführung in den 1760er und 1770er Jahren spricht auch die Tatsache, dass der Mangel an regelmäßigen deutschen Originalstücken mit gemäßigter Komik und mehreren Rollen für komische Figuren, die die berühmten komischen Darsteller mimen konnten, auch in den 1760er Jahren noch unvermindert groß ist, ja sogar noch 1770 als eklatant beklagt wird.195 Darüber hinaus sind die Schauspieler des Odoardo und des Hanswurst noch die ganzen 1760er Jahre, genau genommen bis zum Tod Weiskerns am 29. Dezember 1768 und Prehausers am 30. Januar 1769, Teil des Ensembles und gerne in ihren typischen Rollen auf der Bühne gesehen. Prehauser beispielsweise spielt noch in zahlreichen Komödien den Hanswurst, Weiskern den Odoardo.196 Bei der gegenwärtigen Quellen- und Forschungslage muss es allerdings bei der Behauptung bleiben, Hafners Odoardo sei erst in den Bearbeitungen Perinets für das Leopoldstädter Theater in den 1790er Jahren auf der Bühne erfolgreich gewesen.
3.2.2 Wien, Leopoldstädter Theater, Die Schwestern von Prag (1794) Joachim Perinet schreibt 1794 für das Leopoldstädter Theater eine SingspielFassung des Odoardo, die von Wenzel Müller vertont wird und den verkürzten Titel Die Schwestern von Prag trägt.197 Die Voraussetzung für die Entstehung dieser Bearbeitung und die spezifische Um- und Ausgestaltung ihrer Komik ist eine Ausdifferenzierung in der Wiener Theaterlandschaft. Am Beginn dieser Ausdifferenzierung steht paradoxerweise eine Theaterschließung. Joseph II. setzt dem Theaterbetrieb des Kärntnertortheaters aufgrund seiner wirtschaftlich desolaten Lage ein Ende, entlässt das Ensemble des Burgtheaters und übernimmt die meisten Schauspieler des Kärntnertortheaters ans Burgtheater, das er
|| es deshalb fraglich sei, ob man ihn als „Reformator“ des Volksstücks bezeichnen könne, wie es lange Zeit kolportiert wurde (vgl. Zechmeister [1971], Die Wiener Theater, S. 259 f.). 195 Vgl. das Pro Memoria von d’Afflisio, abgedruckt bei Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 296. 196 Vgl. zu Prehausers Rollen Baar-de Zwaan (1967), Gottfried Prehauser und seine Zeit, S. 185–187, zu den Rollen Weiskerns als Odoardo Weissengruber (2013), Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 108. 197 Die Schwestern von Prag: Als Singspiel in 2 Aufz. nach dem Lustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Perinet, Theaterdichter und Mitglied dieser Gesellschaft. Die Musik ist von Wenzel Müller, Kapellmeister dieser Bühne. Wien, gedruckt bey Mathias Andreas Schmidt, kaiserl. königl. Hofbuchdrucker 1794 [ÖNB 2316-AAltMag] Im Folgenden zitiert mit dem Kurztitel Die Schwestern von Prag und der Sigle P 1794.
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zum Nationalhoftheater erhebt.198 Die Presse feiert dieses Ereignis euphorisch: „Diese That muß jeden Deutschen entzücken. Wenn man loben dürfte, Freund wenn man seine Empfindungen sprechen lassen könnte – o Himmel! Schirme den Biedermann, der ein Deutscher ist, und ein Deutscher seyn will.“199 Da die Werke, die am neuen Nationalhoftheater gegeben werden, dazu geeignet sein sollen, die Sitten und den Charakter der Nation zu bilden, müssen auf der Bühne tugendhaft-vorbildliche Figuren zu sehen sein, die siegreich aus Scheinproblemen hervorgehen.200 Das Ihnen vermeintlich drohende Unglück wird häufig durch die Gnade des Landesfürsten in der Rolle eines deus ex machina aufgelöst.201 Komödien machen am Burgtheater 57 %, Schauspiele, die ebenfalls gut enden, weitere 27 % der Aufführungen aus.202 Hauptcharakteristikum des Repertoires ist die Sentimentalität,203 Komik kommt allerdings durch die Konzentration auf Identifikation und Rührung und das Verbot des Extemporierens nur noch im Zusammenhang mit den Nebenfiguren oder überhaupt nicht mehr vor.204 Auch die Singspiele, die man am Nationalhoftheater verstärkt aufführt, da Joseph II. im Winter 1777 im Rahmen des Nationalhoftheaters ein eigenes, deutschsprachiges Singspieltheater gegründet hatte, sind entweder sentimental oder setzen auf die Effekte von exotischen Elementen oder Zauberei. Das führt dazu, dass Werke eines bestimmten Typs von dieser Bühne verschwinden. Dazu gehören solche, die aktuelle Ereignisse im Leben der Wiener || 198 Die Unterstellung des Burgtheaters unter höfische Oberaufsicht ist zunächst einmal finanziell bedingt. Auch Fürst Khevenhüller und Graf Keglevich war es nicht gelungen, die Bühne finanziell zu sanieren. Joseph II. erhebt die deutschen Schauspieler zu Hofschauspielern und Hofbediensteten und die Finanzen werden ab jetzt auch vom Hof geregelt und das Pachtsystem abgeschafft. 199 Realzeitung der Wissenschaften. Wien 1776, 14. Stück, den 2. April, S. 221 f. 200 Vgl. Giller (1966), Die Sentimentalität, S. 252. 201 Vgl. a. a. O., S. 113. 1782 arbeitet Stephanie der Jüngere für eines der ersten Wiener Singspiele ein Libretto von Christoph Friedrich Bretzner sogar explizit so um, dass der Prinz gegenüber dem betrügerischen Fischerpaar Gnade vor Recht walten lassen kann (vgl. Maurer Zenck [2005b], Die Tugend in der Hütte, S. 71). 202 Wachstein (1931), Der literarische Geschmack, S. 175. 203 Giller hat diese Tendenz zur Sentimentalisierung anhand von Analysen der 50 erfolgreichsten Werke des Burgtheaters von 1776–1800 belegt (vgl. Giller [1966], Die Sentimentalität). Um den Beginn solcher Tendenzen und insbesondere um den Erfolg des Soldatenstücks in diesem Zusammenhang wird es im Kapitel zur Minna von Barnhelm gehen. Während Minna von Barnhelm ab 1775 im heutigen bundesdeutschen Gebiet deutlich seltener gespielt wird, wird sie im Burgtheater in der Bearbeitung als Rührendes Lustspiel zum Beispiel zum Repertoirestück. Hadamowsky verzeichnet in der Zeit von 1776 bis 1804 36 Aufführungen (vgl. Hadamowsky [1966], Die Wiener Hoftheater, S. 85). 204 Giller (1966), Die Sentimentalität, S. 147–149.
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thematisieren, die schwerpunktmäßig durch Komik wirken, die eine komische Figur mit eigener Charakteristik ins Zentrum stellen und die vorrangig unterhalten sollen. Sie sind allerdings auf der Wanderbühne zu sehen und werden an den privat finanzierten Vorstadttheatern, die in den 1780er Jahren in Wien gegründet werden, schnell wieder institutionell verankert. Die Gründung dieser Theater wird dadurch ermöglicht, dass Joseph II. 1776 zeitgleich mit der Erhebung des Burgtheaters zum Nationalhoftheater auch Spektakelfreiheit gewährt. Das bedeutet, dass freie Theatergründungen ohne Spielerlaubnis des Hofes in Wien erstmals möglich sind.205 Infolgedessen werden in den Wiener Vorstädten privat geführte, kommerzielle Theater gegründet, die ihre Produktion am Geschmack des Publikums ausrichten. Genau genommen ist das Theater am Weißen Fasan das erste Vorstadttheater. Erst mit der Umwandlung des Leopoldstädter Theaters, das bereits regelmäßig von Marinelli bespielt wird, zu einem stehenden Theater beginnt jedoch ein Theaterbetrieb von größerem Umfang und größerer Bedeutung in den Wiener Vorstädten.206 Die aufklärerischreformerischen Bestrebungen des Nationalhoftheaters sind in den Texten zwar insofern wirksam, als man nicht gegen die moralischen Vorgaben verstößt.207 Ansonsten sind sie inhaltlich jedoch komplementär, weil sie nicht vorbildliches Verhalten darstellen und prämieren, sondern menschliche Schwächen dem Verlachen preisgeben. Sie thematisieren Ehebruch(sversuche) (zum Beispiel Kasperl’ der Mandolettikrämer, Der Tode und seine Hausfreunde, Die Limonadehütte)208 oder kritisieren Stolz, Lügen, Intrigen und Verschwendungssucht
|| 205 Nachdem der Pächter Kohary im März 1776 die Pachtung des Kärntnertortheaters aufgeben muss, wird von der Niederösterreichischen Regierung auch das Privileg des Theaters aufgehoben. Damit steht fest, dass kein „Privativum mehr erteilet werden, sondern einem jeden Frey seyn soll, auf was immer für eine nur erdenkliche Art, sowohl in- als vor der Stadt das Publikum zu unterhalten, und sich einen Nutzen zu verschaffen, gegen alleinige Anmeldung und Erhaltung der Erlaubniß dazu von der hießigen Polizeystelle.“ (Zit in: Hadamowsky [1934], Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 44). 206 Die jüngste Darstellung zu den Anfängen des Leopoldstädter Theaters stammt von Großauer-Zöbinger, die alle Dokumente wiedergibt und konstatiert, dass das Leopoldstädter Theater exakt denjenigen Pol des Feldes einnimmt, der dem Nationalhoftheater entgegengesetzt ist. (vgl. Großauer-Zöbinger [2010], Das Leopoldstädter Theater). 207 Zumindest gilt dies für die schriftlich fixierten Theatertexte, die durch eine vorauseilend harmlose Gestaltung gekennzeichnet sind, weil sie von der Zensurbehörde begutachtet werden. Diese besteht seit dem 14. Oktober 1770 in nur einer Person, Franz Karl Hägelin (vgl. Eisendle [2020], Der einsame Zensor, S. 173). 208 Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. [Wien:] Wallishauser 1789; Ferdinand Eberl: Der Tode und seine Hausfreunde. Posse in einem Aufzug. von Ferdinand Eberl. Wien Bey Meyer und Patzowsky am
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(Männerschwäche und ihre Folgen oder die Krida).209 Nur sehr selten erheben die Texte moralische Ansprüche (zum Beispiel die Werke Ferdinand Eberls und Karl Friedrich Henslers).210 Die Texte ähneln einander oftmals, sind verständlich und eingängig geschrieben und enthalten keine ästhetischen Experimente. Zudem ist der berühmteste Darsteller des Leopoldstädter Theaters, Johann Joseph La Roche insbesondere für seine Extempores bekannt. Im Bereich des stummen Spiels und des Extempore bleibt auch weiterhin Freiraum für Inhalte und Darstellungsweisen, die nicht von der Zensur gebilligt werden, weil die Aufführungen nicht durchgängig kontrolliert werden.211 Während die anderen Vorstadttheater212 auch ernste Schauspiele, Opern und Ballette geben, spielt man am Leopoldstädter Theater, das 1781 unter der Leitung von Karl Marinelli seinen Betrieb aufnimmt, bereits kurz nach Beginn des Spielbetriebs ausschließlich komische Stücke.213 Im ersten Jahrzehnt stehen vor allem lokale Lust- und Singspiele auf dem Spielplan. Daneben gibt es einen kleinen Anteil an Zauberspielen, Maschinenkomödien und hohen Lust- und Schauspielen.214 Die Zeitgenossen betonen gerne das Lachen als eigentlichen Zweck dieses Theaters, das von den Wienern auch „Lachtheater“215 genannt wird. Hier herrscht nur „die unbekümmerte Freude, harmloser Scherz und Spott und oft auch Unsinn dessen ganzer Zweck es ist, die Menschen lachen zu ma-
|| neuen Markte. 1793; Ferdinand Eberl: Die Limonadehütte. Ein Lustspiel in drey Aufzügen von Ferdinand Eberl. Wien Bey Meyer und Patzowsky am neuen Markte. 1793. 209 Karl Friedrich Hensler: Männerschwäche und ihre Folgen oder die Krida. Ein OriginalLustspiel in drey Aufzügen. Wien 1791. 210 Großauer-Zöbinger (2010), Das Leopoldstädter Theater, S. 23–37. 211 Bachleitner (2010), Die Theaterzensur in der Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert. 212 Auf das Leopoldstädter Theater folgt 1787 das Theater an der Wieden (vgl. Österreichisches Musiklexikon, https://musiklexikon.ac.at/ml/musik_F/Freihaustheater.xml, zuletzt aufgerufen am 03.07.2021). 1788 eröffnete ein drittes Wiener Vorstadttheater seine Pforten, das Josefstädter Theater (vgl. Österreichisches Musiklexikon, https://musiklexikon.ac.at/ml/ musik_T/Theater_in_der_Josefstadt.xml, zuletzt aufgerufen am 03.07.2021). Als sozialgeschichtliche Gründe für die Entstehung und den Erfolg dieser Theater lassen sich der wirtschaftliche Aufschwung, das Anwachsen der Vorstädte, die Entstehung eines Mittelstandes, der in deutscher Sprache unterhalten sein wollte, und das neu definierte Verhältnis von Arbeit und Freizeit bei stärker ausgeprägter Gestaltung der letzteren anführen (vgl. Tanzer [1992], Spectacle müssen seyn, S. 133–276). 213 Futter (1970), Die bedeutendsten Schauspielerinnen, S. 1. 214 Vgl. Hadamowsky (1934), Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 51. 215 Holtei (1843/44), 40 Jahre, S. 87.
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chen“216 – oder, anders ausgedrückt, – „Lachen ist sein Endzweck, sein Brot und Ruhm.“217 Johann Friedrich von Schink hat das wie folgt zusammengefasst: 218 Uibrigens giebt sich diese Truppe sichtbare Mühe, sich über den Rang eines Nebentheaters empor zu arbeiten, spielt neben den Faccen [!] auch verschiedene feine Stükke, die ihnen freilich noch blutschlecht gelingen, und nur durch einzelne Rollen, die nicht übel ausfallen, erträglich werden. Ihre Faccen aber fallen meists sehr gut aus, bringen auch brav Geld. Einige dieser Stükke werden oft in einem Monat zehn bis zwölfmal bei immer vollem Hause wiederholt, eine Ehre, die in Wien dem feinsten Stük nicht wiederfärt. Mit einem Wort […], ich halte wenn man nach verdrüslichen Geschäften nichts, als sein Zwergfell erschüttern will, dies Leopoldstädter Theater für eine recht gute Rekreazion. Feine Sachen, wahren pollirten Wiz mus man nicht hier suchen, aber der pollirte, feinere Wiz macht auch nur lächeln, und erschüttert das Zwergfell nicht. Wer seinen Geist nären will, hat überdem die Nazionalbühne, hingegen sind für den, der blos aus vollem Halse lachen will, was doch auch zu weilen gut und nützlich ist, Kasperle und seine Konsorten trefliche Leute.219
In der ersten Phase des Leopoldstädter Theaters von 1781–1806 ist die Komik von einer bestimmten komischen Figur geprägt, dem von Johann La Roche verkörperten Kasperl. Er tritt in Lokalstücken auf, die zumeist Verwechslungs- und Intrigenkomödien sind und Verwandlungsrollen für Kasperl enthalten, wie zum Beispiel Kasperl der lustige Gärtner, Kasperl der lustige Hechel- und Mausefallenkrämer, Der geplagte Vormund, oder Das Feuerexercitium ohne Pulver, ein Lustspiel…. wobei Kasperl bald in der Luft, bald im Arrest, und bald beim Tanz erscheint.220 Die erfolgreichsten Werke mit Kasperl sind die Dramenbearbeitungen Perinets, die Kasperliaden Marinellis und die Opernbearbeitungen Eberls.221 Der Schauspieler und Theaterdirektor Joachim Perinet schreibt seit den 1790ern Singspielbearbeitungen, um seinen Unterhalt zu sichern.222 Diese Singspiele sind sehr beliebt, werden in der Kritik allerdings verrissen.223 Mit Der Fagottist oder die Zauberzither hat er seinen ersten großen Erfolg, der ihn allgemein be-
|| 216 Ebd. 217 Etwas für Kasperls Gönner (1781), S. 88. 218 Schink (1783), Dramatische und andere Skizzen, S. 126–127. 219 Ebd. 220 Hadamowsky (1934), Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 51. 221 Vgl. Hadamowsky (1934), Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 51. Ihre stärkste Ausprägung erfährt die Kasperl-Komik dann in den romantisch-komischen Volksmärchen Friedrich Henslers, einer Gattung, die er mit dem Donauweibchen (1789) und der Teufelsmühle auf dem Wiener Berge (1799) begründet. 222 Vgl. Jordan (2001), Perinet, S. 187. 223 Vgl. ebd.
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kannt macht. Anschließend erscheinen fast jährlich neue Komödien von ihm, die mit großem Beifall aufgenommen werden: Das Glück der Untertanen (1792), Die zween Savoyarden (1792), Raoul, Herr von Crequi (1793), Das Fest der Lazaroni (1794), Kuno von Kyburg (1796). Seine größten Erfolge feiert Perinet als Bearbeiter Philipp Hafners, dessen Werken er, teilweise unter neuen Titeln, zu großer Beliebtheit verhilft: Das Neu-Sonntagskind (1793), Die Schwestern von Prag (1794), Überall und Nirgends (1795), Lustig lebendig (1796).224 Als Perinet 1794 Hafners Odoardo umarbeitet, will er an seine erfolgreiche Bearbeitung von Hafners Komödie Der Furchtsame unter dem Titel Das Neu-Sonntagskind anschließen.225 Dies gelingt ihm. Die am 11. März 1794 uraufgeführte Singspielbearbeitung von Hafners Odoardo wird am Leopoldstädter Theater bis 1828 unter dem Titel Die Schwestern von Prag. Als Singspiel in zwey Aufzügen nach dem Lustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Perinet226 137 Mal gegeben.227 Auch an vielen anderen Orten wird sie mit großem Erfolg aufgeführt und ist als Textbuch und in gedruckten Gesangstexten weit verbreitet.228 Dieser Erfolg ist untrennbar mit der Musik von Wenzel Müller verbunden. Er wird 1786 Kapellmeister und Komponist am Leopoldstädter Theater und schreibt für dieses Theater 221 Werke, der größte Teil davon Singspiele.229 Bei den Singspielen handelt es sich im Leopoldstädter Theater um Prosatexte mit Gesangseinlagen. Müller ist der wichtigste Vertreter dieser Gattung in Wien.230 Darüber hinaus ist er als Komponist von Kirchenmusik, Symphonien || 224 Hadamowsky (1934), Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 52. 225 Vgl. Perinets eigenen Hinweis in der Vorrede der Schwestern; für den Erfolg vgl. Hackl (1925), Die Komödien Philipp Hafners, S. 53–63. Für eine chronologische Beschreibung der Umarbeitung von Hafner zu Perinet, bei der punktuell auch die Komik analysiert wird, vgl. Hackl (1925), Die Komödien Philipp Hafners, S. 63–78. 226 Die Schwestern von Prag: Als Singspiel in 2 Aufz. nach dem Lustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Perinet, Theaterdichter und Mitglied dieser Gesellschaft. Die Musik ist von Wenzel Müller, Kapellmeister dieser Bühne. Wien, gedruckt bey Mathias Andreas Schmidt, kaiserl. königl. Hofbuchdrucker 1794. [ÖNB 2316-AAltMag]. Im Folgenden mit der Sigle P 1794 unter Angabe der Akt- und Szenenzahl im Fließtext zitiert. 227 Vgl. Angermüller (2009), Wenzel Müller, S. 18. 228 Ausschließlich die Texte der Gesangsnummern enthalten die folgenden beiden Drucke: Arien und Gesänge aus dem Singspiel: Die Schwestern von Prag in zwei Aufzügen. Die Musik ist von Herrn Kapellmeister Müller. Berlin 1795. [SUB Gc/Sep A5 73]; Die Schwestern von Prag. Ein Singspiel in zwey Aufzügen. Von Joachim Perinet. Die Musik ist vom Herrn Wenzel Müller. Nürnberg, gedruckt bey Michael Joseph Schmid, 1796. [BSB Slg. Her 192a]. Für Dresden ist Aufführungsmaterial nachgewiesen und digital zugänglich. 229 Vgl. im Folgenden Angermüller (2009), Wenzel Müller, S. 10. 230 Vgl. a. a. O., S.11.
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und Klaviersonaten sehr erfolgreich; seine Werke sind unter anderem auch in Goethes Weimarer Hoftheater gut vertreten. Die unterhaltende Musiktheaterproduktion hat in der Wiener Klassik keine randständige Position, sondern ist ein wichtiges und geschätztes Betätigungsfeld der großen Komponisten der Zeit. Haydns Karriere beginnt beispielsweise mit einem Singspiel für ein Vorstadttheater (Der neue krumme Teufel), Mozart beendet seine Wiener Opernlaufbahn mit der Zauberflöte, die im Freihaustheater aufgeführt wird und Beethoven verfasst später Tänze, Märsche und Variationen über bekannte Tänze und Lieder aus Balletten und Singspielen. Sehr bekannt werden die Variationen Beethovens zu Wenzel Müllers Lied Ich bin der Schneider Kakadu aus den Schwestern von Prag.231 Wichtig ist folglich, dass der Schwerpunkt der Wiener Vorstadttheater auf Musik und Unterhaltung keinesfalls mit einem schlechten Ruf der dortigen Produktion oder einer niedrigen Publikumsschicht korreliert. Immer wieder ist auch der Besuch von Kaiserin Maria Theresia, Joseph II., Kaiser Leopold II. und Franz II./I. mit Familie zu verzeichnen.232 Insbesondere Franz II./I. und seine Familie kommen sehr häufig und adlige Gäste nimmt man auch in dieses Theater mit. Das typische Wiener Singspiel dieser Zeit besteht aus gesprochenem Prosatext, in den Sologesänge, Duette, Terzette und Quartette eingelegt sind. Vereinzelt findet sich auch einmal ein Sextett oder Septett. Die Musik ist häufig an bekannte Opernmelodien, Volkslieder oder Instrumentalwerke der jüngeren Vergangenheit angelehnt, enthält zumeist keine anspruchsvollen Gesangsnummern und ist recht einfach instrumentiert.233 Den Anfang und den Schluss eines Aktes bildet häufig ein Chorgesang mit voller Orchesterbegleitung.234 Die Schwestern von Prag enthalten über 20 Gesangseinlagen für eine bis sechs Figuren. Das Orchester ist mit Streichern, zwei Flöten, zwei Klarinetten, zwei Oboen,
|| 231 Adagio, Variationen und Rondo op. 121a für Klavier, Violine und Violoncello. Vgl. auch Beethovens Einlagearien für Ignaz Umlaufs Libretto Die pücefarbenen Schuhe oder: Die schöne Schusterin. 232 Vgl. die Registereinträge zu diesen Potentaten und auch zu Angehörigen der kaiserlichen Familie in Angermüller (2009), Wenzel Müller. 233 Reichardt führt in seiner Schrift Über die Deutsche comische Oper nebst einem Anhange eines freundschaftlichen Briefes über die musikalische Poesie aus, dass „die langen, weitschweifigen Arien […] fürs Comische unschicklich seien“. (Reichardt [1774], Über die Deutsche comische Oper, S. 7.) Das Lied dagegen sei „sehr anpassend“ (ebd., S. 10), weil es den Komponisten dabei unterstütze, „bey […] schönen Stücken auch leicht [zu] bleiben.“ (ebd., S. 19) 234 Das Orchester besteht aus ca. 20 Musikern, die etwa zur Hälfte Blas- und Schlaginstrumente, zur anderen Hälfte Streichinstrumente spielen (vgl. Hackl [1925], Die Komödien Philipp Hafners, S. 20).
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zwei Fagotten, zwei Hörnern, zwei Trombonen und Pauken besetzt. Durch die Umarbeitung zum Singspiel werden einzelne Aspekte in Gesängen wiederholt und ausgestaltet und dadurch stärker gewichtet. Dabei handelt es sich fast durchweg um komische Effekte. Zudem werden einige inhaltliche Elemente eingefügt. Ähnlich wie einige weitere Werke Perinets kommen die Schwestern von Prag auch in der Umarbeitung ganz ohne belehrende Partien aus.235 Die folgende Analyse konzentriert sich auf die komischen Effekte der von Perinet eingefügten Begebenheiten und Figuren. Betrachtet man auch bei den Schwestern von Prag an erster Stelle die komischen Dienerfiguren, so ist auffällig, dass Casperle, der bei Hafner der rangniedrigste Diener ist, die wenigsten Auftritte, den wenigsten Text und die kleinste Handlungsfunktionalität hat, bei Perinet als Kaspar nun in jeder Hinsicht wichtiger wird. Bevor die Spezifik der Schauspielerfigur Kasperl-La Roche am Leopoldstädter Theater rekonstruiert wird, soll die Gestaltung dieser Figur in Text und Musik bei Perinet analysiert werden. Es werden mehrere komische Handlungsmomente neu hinzugefügt, die jeweils auch gesanglich gestaltet werden. Dadurch erhöhen sich sowohl die Bühnenpräsenz Casperles, der jetzt Kaspar heißt, als auch die Anzahl komischer Situationen, an denen er beteiligt ist. Das komische Singspiel beginnt nun mit einem Duett von Odoardo und Kaspar. Die einfältigen Antworten und Schlussfolgerungen Kaspars werden durch den Text und die Musik des Liedes verdoppelt, die Wut Odoardos wird ebenfalls verstärkt. Das Duett in Es-Dur beginnt mit Odoardos Drohung „Gleich den Augenblick gestehe/ oder Deinem Rücken Wehe!/ Schurke! was hast Du getan?“, die im Tempo Allegro molto in Achteln auf demselben Ton offensichtlich aufgeregt und wütend wirken soll. Sein Part ist damit deutlich im Parlando-Stil der opera buffa gestaltet. Kaspars erste Antwort in Vierteln, fast ausschließlich auf g und nur manchmal auf e wechselnd, wirkt durch die Verlangsamung im Gegensatz zu Odoardo wesentlich einfältiger. Somit wird die Differenz zwischen dem komplexeren Denken Odoardos zu Kaspars einfachem Intellekt musikalisch abgebildet, wenn Odoardo versteht, dass Kaspar seinen Befehlen zuwidergehandelt hat, und das dummerweise sogar noch Schritt für Schritt beschreibt. Auch als || 235 Pizichi, oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten (1792), Megera. Erster Theil (1806), Caro, oder: Megärens zweyter Theil (1795), Das lustige Beylager (1797) und Baron Baarfuß, oder der Wechselthaler (1803), oder eben auch die Schwestern von Prag. Moralische Tendenzen im eigentlichen Sinn finden sich nur in seinen frühen Werken (vgl. Großauer-Zöbinger [2010], Das Leopoldstädter Theater, S. 20). Der Fagottist, oder: die Zauberzither. Ein Singspiel in drey Aufzügen kam von 1791–1819 an die 129 Mal zur Aufführung, Pizichi, oder Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten. Ein Singspiel in drey Aufzügen erlebte von 1792–1795 47 Aufführungen (vgl. Hadamowsky [1934], Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 133 und S. 227).
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beide Stimmen bewegter werden, bleibt das Komplexitätsgefälle von Odoardo zu Kaspar bestehen, weil seine Stimme immer langsamer und melodisch einfacher als Odoardos geführt ist (zum Beispiel ohne Chromatik). Kaspar bekommt bei Perinet in der 14. Szene des ersten Aktes dann noch einen zusätzlichen Auftritt, bei dem er mit einer Hellebarde bewaffnet verhindern will, dass Mitzerl und der Marquis sich in die Arme fallen. Er lässt sich schließlich bestechen, weiß jedoch einen Kuss zu verhindern, als er bemerkt, dass sich die beiden körperlich annähern und kostet dies gesanglich aus („Schau kurios! Reden bloß?“). Neu ist auch, dass Mitzerl sich Kaspars Aufforderung ins Haus zu gehen widersetzt (vgl. P 1794 I,15). Die Schwierigkeiten ein junges Mädchen zu bewachen, illustriert sie mit einer langen Klimax. „[K]ein Riegel, kein Schloß, kein Gitter, kein Eisen, kein Band, kein Kerker, keine List, keine Gewalt, kein Tod und kein Teufel“ (P 1794 I,15) würden helfen ein Mädchen ihres Alters im Haus zu halten. Anschließend singt sie ein grotesk-scherzhaftes Lied: „Es war einst ein Mädel bey Tag und bey Nacht“ (vgl. ebd.). Dieser Gesang lockt dann die Nachtwächter herbei, die Kaspar in Arrest führen. Der zweite Akt beginnt mit seiner Rückkehr aus dem nächtlichen Gewahrsam und einem Lob auf die Inhaftierung, die im komischen Kontrast zum Erwartbaren steht. Er erzählt: Na g’schlafen hab’ ich nicht viel, aber desto mehr g’freßen und g’soffen. Ich hab eine Menge Duzbrüderln angetroffen, und hab mich recht gut unterhalten. Das Ding ist mir lieber als eine Komödie. (P 1794 II,2)
Für Komik sorgt hier einerseits, dass Kaspar den Freiheitsentzug offenbar nicht als Strafe empfunden hat, weil er, im komischen Kontrast zum Erwartbaren, dort in guter Gesellschaft bei Speis und Trank eine fröhliche Nacht verbracht hat. Verstärkt wird die Komik noch durch die Pointe, dass der Arrest sogar unterhaltsamer und angenehmer gewesen sei als eine Komödie. Das nun folgende Lied („Wer niemals eing’sperrt g’wesen war“) gestaltet diesen komischen Kontrast durch einen Wechsel zwischen einer klagenden, getragenen Melodie und einer lebendigen Melodie in fröhlicher C-Dur-Melodik. Einen ganz besonders großen Erfolg hat Kaspar mit seinem Auftritt in einer neu eingefügten Verkleidungsszene. Der Marquis kostümiert sich als Arzt und besucht Mitzerl als „Des Doktor Sassafraß geschickter Substitut“ (vgl. P 1794 II,19). Er erreicht so sein Ziel, einen ungestörten Augenblick mit Mitzerl verbringen zu können. Als der Marquis alle Anwesenden hinausschickt und mit Mitzerl in einem Kabinett verschwindet, nutzt Kaspar die Möglichkeit, den liegen gelassenen Arztkittel anzuprobieren. Bei der Rückkehr von Mitzerls Eltern mimt er den Doktor Sassafraß. Im Libretto von 1794 ist zu lesen, dass er im stummen
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Spiel ein Rezept ausstellt, sein Honorar entgegennimmt und gemessenen Schrittes abgeht. Diese Szene wurde im Leopoldstädter Theater Berichten zufolge größtenteils von La Roche extemporiert und „gehörte zu den am meisten belachten des ganzen Stückes.“236 Im handschriftlichen Textbuch für die Aufführung wird an dieser Stelle der Text eingefügt, den La Roche offenbar bei einer der ersten Aufführungen oder womöglich bereits bei den Proben improvisierte: Kaspar sieht die Perücke und Mantel liegen. He! Herr Docktinger“ Ist ihnen auch übel worden? – Hahaha Das hat sich ausgeschürt. Wenn ich wüsst, dass niemand kommt, ich möchte den Kittel anprobieren. Er schlüpft hinnein [zieht den Mantel an]. Das sind Aermmel, die wärn gut auf einer Hochzeit, da könnte man ein Bschaidessen heimtragen [gestrichen: hineintragen] Die beyde erblickend Daß ist ja ein völiges Laitseil – und (zur Perücke) da hat er ja gar ein ganzes Lampel ausgeschölt. Er setzt sie auf und findet darin die falsche Nase. Was ist denn das? Ein Nasenfutteral? Das ist geschickt, so kann man sichs nicht gefrüren… Wenn nur ein Spiegel da wäre? Saperment! ich höre schon wen? Jetzt wird’s sauber werden! Er setzt sich ängstlich nieder und schreibt.237
In die Wiener Drucke von 1795 und 1806 ist dieser Monolog dann auch aufgenommen worden. Kaspars Bühnenpräsenz ist damit gegenüber Hafners Version stark ausgebaut. Das ist dadurch bedingt, dass seine Figurenrolle des Kaspar, oder Kasperl, gespielt von Johann Joseph La Roche die wichtigste Figur des Leopoldstädter Theaters ist. Nach seiner Figur wird es auch als Kasperltheater bezeichnet.238 La Roche hatte diese Figur zuerst bei der Brunianschen Truppe ab 1764 in Graz gegeben.239 Als Matthias Menninger 1768 mit seiner Kompagnie in Graz gastiert, übernimmt er La Roche in seine Gesellschaft.240 Ab 1770 erzielt Menninger mit dem Kasperl große Erfolge in Wien in ständigen Wintergastspielen im Czerninschen Palais. Seit dem Winter 1777 tritt La Roche in der Leopold-
|| 236 Hackl (1925), Die Komödien Philipp Hafners, S. 66. 237 ‚Laitseil‘ / ‚Leitseil‘ im Sinne eines wegweisend ausgelegten langen Seils; ‚Lampel‘ vermutl. ‚Lamm‘. Die Schwestern von Prag: Als Singspiel in 2 Aufzügen. Nach dem Lustspiel des Weyland Herrn Hafner für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Ferdinand Perinet. Die Musik ist von Herrn Wenzel Müller, Capellmeister eben dieser Bühne. Aufgeführt auf dem k. k. privileg. Marinellischen Theater. [1795] [Textbuch 55 Bl.] [ÖNB Mus.Hs.19906 Mus], II,20. Zu diesem handschriftlichen Textbuch liegen in der Musiksammlung auch noch ein Szenarium (8 Bl.) [vgl. ÖNB Mus.Hs.19907] sowie neun Rollen (78 Bl.) [vgl. ÖNB Mus.Hs.19908]. 238 Zur Beliebtheit und Ausgestaltung der Kasperl-Figur vgl. Brandner-Kapfer (2010), Kasperls komisches Habit. 239 Vgl. Müller (1773), Theatral-Neuigkeiten, S. 193. 240 Im Oktober 1768 kündigt Menninger Kasperl (Casperle) auf einem Theaterzettel für ein Nachspiel zu Ayrenhoffs Aurelius am Brunianschen Theater in Graz an (vgl. Zitzenbacher [1988), Landeschronik Steiermark, S. 179).
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stadt auf, wenn Menningers Truppe gastiert. Der Erfolg ist beachtlich und man integriert in diese Dramen auch all diejenigen komischen Figuren, die man vom Kärntnertor verbannt hatte und die inzwischen auf dem Nationalhoftheater undenkbar geworden waren, wie ein Theaterzettel beweist: Ein auf die Person des Casperle eingerichtetes Lustspiel unter dem Titel: Casperle der unschuldige Missethäter, oder der falsche und ungegründete Verdacht, mit Hanswurst, dem geschickten Narrenfopper und groben Possenträger nebst Colombine und Isabelle, den ungleichen Freundinnen der Mannspersonen. NB. Casperle wird diesen Charakter nach lebhafter Natur spielen.241
Zwischen 1781 und 1806 wird die Truppe wirtschaftlich so erfolgreich, dass Marinelli ein eigenes Haus errichten kann. Es heißt auch Kasperltheater, weil es in seiner ersten Phase von der Komik dieser Kasperlfigur geprägt ist. Obwohl die Komik von Hafner zu Perinet weiter ausgebaut wurde, lässt sich der enorme Erfolg allein über die Dramaturgie und die textuelle Komik wohl nicht erklären. Dies stellt bereits Friedrich Schlögl fest, der verwundert den großen und langanhaltenden Erfolg des Werkes und dessen komische Wirkung bezeugt: Da machten gleich in den nächsten Jahren zwei Perinet’sche Possen Furore, deren Werth uns hochgebildeten Epigonen ein veritables Räthsel, deren ,Witze‘, wenn wir in den Textbüchern geneigtest blättern, uns nur ein mitleidiges Lächeln entlocken, obwohl es historisch verbürgt ist, daß sich unsere geehrten Ahnen dabei ,halbtodt‘ lachten. Ich meine das am 10. October 1793 zum erstenmale gegebene Neusonntagskind und die am 11. März 1794 erschienen Schwestern von Prag, Stücke, die wirklich ,ganz Wien‘ sehen mußte und auch sah, und von deren hinreißender Wirkung noch in den Zwanziger-Jahren mir geistig achtbare Männer leuchtenden Auges erzählten.242
Der Text ist in diesem Fall allerdings nicht allein ausschlaggebend. Es ist davon auszugehen, dass die Autoren des Leopoldstädter Theaters die Texte zunächst so gestalteten, dass sie durch die Bücherzensur kamen. Bereits im Aufführungsmaterial vermerkt man allerdings handschriftlich Zusätze und ExtemporeEinlagen, die zahlreich gewesen sein müssen.243 Glossy etwa berichtet, dass die
|| 241 Theaterzettel vom 25. Oktober 1769 zit. in Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 244–245. 242 Schlögl (1883), Vom Wiener Volkstheater, S. 36. 243 Vgl. Großauer-Zöbinger (2010), Das Leopoldstädter Theater, S. 26. Am Grazer Institut für Germanistik ist unter der Leitung von Müller-Kampel im Rahmen des Forschungsschwerpunktes ‚Literatur- und Theatersoziologie‘ eine Reihe von Projekten ins Leben gerufen worden, die sich mit dem Wiener Theater um 1800 und seinem komischen Figurenrepertoire beschäftigen. Im Projekt Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung werden ausgewählte
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komische Figur von der Zensur bereits verbotene Liedstrophen auf der Bühne dennoch singt,244 dass Kasperl „politische Tagesfragen“245 aus dem Stegreif thematisiert und dass die Bestechung eines Beichtvaters extemporiert wird.246 Spätestens seit 1793 ist bei den Aufführungen eine Theaterpolizei anwesend.247 Die immer wieder belegten Strafen verweisen darauf, dass Extemporieren und Körperkomik offenbar gängige Praxis sind und durch die Strafen allein nicht unterbunden werden. Dass man 1801 Schauspieler, die die Theaterstücke nicht genau so vortragen, wie solche die Zensurbewilligung erhalten haben, sondern vielmehr jene Stellen, welche abgeändert oder durchgestrichen worden sind, beibehalten, nebstdem aber auch mit zweideutigen und sittenwidrigen Zusätzen vermehren
ohne Ankündigung einzusperren drohte, zeigt, wie wichtig die inhaltliche Kontrolle für die Obrigkeit ist.248 Genau diejenigen Verstöße gegen Staat, Religion und Sitten, die man durch die Zensur zu unterbinden sucht, sind demnach offenbar gang und gäbe in den Kasperl-Aufführungstexten und Kasperl-Aufführungen des Leopoldstädter Theaters. Für die komische Wirkung sind zudem die Zeugnisse über das komische Spiel von La Roche hinzuzuziehen: La Roche (Kasperl) war ein gedrungener Mann, mittlerer Statur, mit lebhaften Augen und stark markierten Zügen. Alle seine Bewegungen waren eckig und wurden eben dadurch lächerlich. Sein Dialekt war der gemeine Wiener Dialekt, nur sprach er mehr breit als flüssig und hing oft an einzelne Worte, besonders an das Wort Er, ein a an, worüber man stets lachte. […] Ich möchte La Roche die personifizierte populäre Komik nennen […]249
|| handschriftliche Stückvorlagen des Leopoldstädter Theaters von Ferdinand Eberl, Leopold Huber, Karl Friedrich Hensler, Karl Marinelli und Joachim Perinet ediert, in denen Kasperl auftritt: Universität Graz, http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html (zuletzt aufgerufen am 03.07.2021). 244 Vgl. Glossy (1897), Zur Geschichte der Wiener Theatercensur, S. 253. 245 Vgl. a. a. O., S. 292. 246 Vgl. a. a. O., S. 307–310. 247 Tanzer (1992), Spectacle müssen seyn, S. 165. Bachleitner nennt erst das Jahr 1803 für die Übertragung von Zensuraufgaben an die Polizei (vgl. Bachleitner [2010], Die Theaterzensur in der Habsburgermonarchie, S. 76). 248 Glossy (1915), Zur Geschichte der Theater Wiens, S. 4. 249 Castelli (o. J.), Memoiren meines Lebens, S. 259–262.
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Obwohl er kein besonderes Kostüm trägt,250 signalisiert wohl allein sein Auftreten Komik und das Publikum lacht, noch bevor er etwas sagt, wie Castelli weiter berichtet:251 Manchmal geschah es, daß Kasperl noch nicht angekleidet war, wenn er schon auf die Szene treten sollte. Wenn nun ein Schauspieler schon extemporierte, um statt dessen die Lücke auszufüllen, und der Theaterinspizient in die Garderobe lief und ängstlich rief: ‚Herr Laroche, ich bitte Sie, es ist schon höchste Zeit‘, da antwortete Laroche ganz phlegmatisch: ‚Mach’ die Türe auf!‘ Und nun schrie er aus vollem Halse: ‚Auwedl! Auwedl! Auwedl!‘ und in diesem Augenblick hörte man auch das schallende Gelächter des Publikums, welches an diesen Worten, womit er fast immer aufzutreten pflegte, seinen Liebling erkannte, bis in die Garderobe hinauf.252
Castellis Bericht lässt erkennen, dass die Körperkomik bei der Kasperl-Figur eine besondere Rolle spielt, insbesondere die derb-anzügliche: Laroche war nicht nur ein Kasperl, sondern auch ein guter Schauspieler. Er bewährte den tüchtigen Darsteller, den denkenden Künstler, wenn er einen gut gezeichneten Charakter vorzuführen hatte. Nur wenn er der Kasperl sein mußte, trieb er es bunt, schnitt Gesichter, zappelte mit Händen und Füßen und machte Lazzi. – Wenn das Publikum hinter den Kulissen seine Stimme hörte, geriet es schon außer sich. Wenn er sich dann näherte, seinen Gönnern zuerst einen Fuß, eine Hand, am liebsten das Hinterteil zeigte, konnte man glauben, das Publikum sei von der Tarantel gestochen worden […].253
Es ist nicht verwunderlich, dass sich auch um diese komische Figur eine hitzige Debatte in Flugschriften254 und Theaterzeitschriften255 entspinnt. Man hat an Kasperl auszusetzen, dass er mit sehr dummen Einfällen inszeniert ist und dass die Handlung rund um seine Figur immer auf eine Szene abzielt, in der er sei-
|| 250 Als Kostüm trägt La Roche zuerst Bauernkleidung und einen gemalten Bart. In den 1790er Jahren beginnt er sich mehr der Rolle gemäß zu kleiden. Auf dem Ölgemälde, das ihn in seiner Rolle als Hausknecht in den Schwestern von Prag zeigt, hat er zwar noch Bauernkleidung an, ein Bart ist jedoch nicht zu erkennen (vgl. Gugitz [1920], Der Weiland Kasperl, Abbildung zu Beginn des Bandes). 251 Mehr Zeugnisse zu Kasperls Spiel finden sich bei Brandner-Kapfer (2010), Kasperls komisches Habit, S. 76–78. 252 Castelli (o. J.), Memoiren meines Lebens, S. 262. 253 Ebd. 254 Kasperl das Insekt (1781), Etwas für Kasperls Gönner (1781), Kurze Antwort (1781), Bitte (1789), Antwort (1787), Eberl (1789), Abgedrungene Antwort (o. J.). 255 Kritisches Theaterjournal (1788/89), Schink (1781–1784), Dramaturgische Fragmente, Schink (1790), Dramaturgische Monate, Schink (1783), Dramatische und andere Skizzen.
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nen Herrn verprügelt.256 Man wirft ihm vor, dass er kein sittlicher Charakter und ein schlechtes moralisches Vorbild für das Wiener Publikum ist. Auch dies bezeugt, dass in seinem Spiel viel Unmoralisches gelegen haben muss. Die besondere komische Wirkung dieses Spiels wird allerdings durch den Text nur insoweit ermöglicht, als er genügend Raum für verbale Interaktionen und Teilhabe an der Handlung lässt. Die zweite komische Figur, Krispin, hat ihren ersten Auftritt bei Perinet in der sechsten Szene des ersten Aktes. Im dreistrophigen Lied „Ich bin der Schneider Wetz und Wetz“ bezeichnet er sich selbst als „Biegeleisenheld“ und erzählt davon, wie er in Eipeldau257 hätte Maut bezahlen sollen, man dort allerdings feststellen musste, dass ein Schneider „gar nichts Mauthbar’s ist“ (P 1794 I,6), weil er nichts von Wert bei sich führt.258 Der lange Monolog Crispins bei Hafner (vgl. H I,7) folgt dann zunächst fast wortgleich (vgl. P 1794 I,6), ist jedoch um überflüssige Floskeln gekürzt (etwa „und bin daher gegangen: jetzt bin ich da“). Crispin, der sich jetzt Krispin schreibt, erlebt bei Perinet allerdings nicht nur die Anekdote mit der Schlafhaube am Stock-am-Eisen-Platz, sondern wundert sich auch über die riesigen Theaterzettel, vor denen Menschen zusammenlaufen und absurd lange stehen bleiben. In der anschließenden Szene wird er von Colombine, die jetzt Lorchen heißt, auch nicht mehr nach St. Marx geschickt, sondern zum Narrenturm („nach Alsterbach“).259 Im Zweygesang von
|| 256 Vgl. Etwas für Kasperls Gönner (1781), S. 86–97. Diese Vorwürfe treffen auf Die Schwestern von Prag nicht zu. 257 Heute: Leopoldau. Das alte Eipeldau ist nicht nur wegen seiner Gänsezucht berühmt, sondern erlangt durch den von Joseph Richter in den Jahren 1794–1821 verfassten satirischen Briefroman Briefe eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d'Wienerstadt auch einen Platz in der Literaturgeschichte. 258 Edelmann ist der Meinung, dass ‚wetz‘ nicht nur auf die eilfertige Mobilität von Crispin verweist, sondern auf den ‚Watz‘, das unkastrierte Schwein, und damit eine deutliche sexuelle Anspielung auf Crispins Begehren darstellt (vgl. Edelmann [1990], Wenzel Müllers Lied vom „Schneider Wetz“ und Beethovens Trio-Variationen op. 121a, S. 79). Die spätere Version dieses Liedes mit dem Titel „Ich bin der Schneider Kakadu“ hat dann eine ganz andere Stoßrichtung, weil es von der Polizei handelt, die den Schneider aufgreift, als Spion verdächtigt, ins Feld schickt und ihn dort täglich verprügelt, bis er fliehen kann. Sein Stolz wird hier etwas stärker betont und mit einem nationalistischen Element verbunden: „Denn Monsieur Kakadu entfloh; / Und wanderte mit Fuß und Hand / Ins liebe deutsche Vaterland.“ (Die Schwestern von Prag: Als Singspiel in 2 Aufz. nach dem Lustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Perinet, Theaterdichter und Mitglied dieser Gesellschaft. Die Musik ist von Wenzel Müller, Kapellmeister dieser Bühne. Wien 1800, S. 11–12) 259 In der Alsengasse in Wien sind seit 1784 die psychisch Kranken untergebracht. Da der Turm nur vier Stockwerke, aber einen großen Umfang hat, ist auch das Dach sehr prominent,
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Lorchen und Krispin „Sag‘ mir d’Jungfer“ (I,7) wird der Spaß, dass er dorthin geschickt wird, ausgekostet, indem der Weg zum Vergnügen der Ortskundigen mit einzelnen Wegmarken und Gebäuden geschildert wird. Musikalisch ist sein Lied als Allegretto in B-Dur im 2/4-Takt gestaltet. Die Melodie setzt sich aus drei kurzen Motiven zusammen, die jeweils einmal wiederholt werden. Das erste Motiv beginnt mit einem Quart-, das zweite mit einem Quint-, das dritte mit einem Sextsprung. Die musikalische Begleitung ist ähnlich einfach. Melodisch ist sie fast ausschließlich auf die erste und zweite Violine beschränkt, die in Achteln und Sechzehnteln ohne Punktierungen die Melodie der Singstimme doppeln oder leicht verzieren. In den Zwischenspielen werden die Sechzehntelläufe der ersten Violinen von den anderen Stimmen durch Repetitionsnoten auf einem Ton oder im Terzwechsel begleitet. Hinzu kommt, dass Krispin Tenor singt. Sowohl die musikalische als auch die textliche Gestaltung seiner Lieder mit ihren Wiederholungen und ihrer Sinnferne stehen im starken Kontrast zur Erwartung an diese Stimmlage, die zumeist den jugendlichen Liebhabern vorbehalten ist, die sie virtuos ausfüllen. Krispin soll womöglich durch die höhere Stimmlage eher als jünger, dümmer und unerfahrener markiert werden als Kaspar und Johann, die in Basslage singen. Bei Perinet fleht Papendeckel Mitzerl mehrfach an, sie möge seine Liebe erwidern (vgl. P 1799 I,11). Als sie erklärt, verheiratet zu sein, beklagt er dies in einem längeren Monolog. In der Bühnenanweisung ist nicht nur zu lesen, dass dies „in der größten Verzweiflung“ geschieht, sondern auch, dass Krispin ihm alles nachmacht. Hier ist bei Hafner demnach Raum für improvisierte Körperkomik. Bei Perinet ist es dann so, dass der Baron auf die Dienerin trifft und versucht sie zu bestechen, damit sie ihn mit Mitzerl sprechen lässt (P 1794 I,10). Zu diesem Zweck kniet er nieder und legt sich einen Dukaten auf ein Auge. Als Mitzerl sich wünscht, dass er auf beiden Augen blind sein möge, legt er sich auch noch auf das zweite Auge einen Dukaten. Mitzerl nimmt das Geld schnell weg und erklärt dann, dass ihr Fräulein bereits vergeben sei, bevor sie geschwind abgeht. Die Wirkung der Szene beruht zum einen auf der doppelten Körperkomik. Der Baron tut etwas Lächerliches, weil er sich herabsetzt, indem er vor Lorchen niederkniet und sich Geldstücke auf die Augen legt, Krispin ahmt ihn darin nach, so dass durch Ungeschick oder Übertreibung ein Kontrast entsteht. Zum anderen kommt Papendeckel durch den Geldverlust zu Schaden und erreicht sein Ziel nicht. Da man bereits über Papendeckel gelacht hat, scheint hier nicht Empathie und Mitleid für seine Ablehnung, sondern Komik
|| was die weitere, ausschließlich metonymische Referenz auf dieses Gebäude als „das runde Dach“ erklärt.
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über die Inkongruenz von Aufwand und Ziel intendiert, die auf Schadenfreude über den Geldverlust abzielt. Abgeschlossen wird die Szene durch einen Wechselgesang von Papendeckel und Krispin, der deshalb komisch ist, weil Papendeckel einerseits sich selbst und Lorchen mit übertrieben abwertenden Ausdrücken bezeichnet, andererseits deshalb, weil jede seiner Aussagen noch durch Krispin mit unterstützend gemeinten Beipflichtungen kommentierend dupliziert wird. Da Krispins Kommentare fäkale Anspielungen und Flüche sind, entsteht ein starker Kontrast zur Liebeserklärung des Marquis. Der Reim verstärkt diesen inhaltlichen Effekt durch Inkongruenz zwischen angenehmem Lautgleichklang einerseits und Frechheit, Derbheit und Flüchen andererseits. BARON. KRISPIN. BARON. KRISPIN. BARON. KRISPIN. BARON. KRISPIN.
Und du verstoßest den, der so gelibt dich hat? Du bist recht obstinat! […] Sollt denn kein Donner mehr, will mich kein Blitz erschlagen? Will mich kein Wind nicht plagen? Fort, fort von diesem Haus! Laßt uns nicht lange sinnen. Da wohnt der Teufel drinnen. Fort! fort! Eh’ uns das Haus noch überm Kopfe brennt. Potz Himmel Tausend Saprament! (P 1794 I,10)
Hafners Hannswurst wird von Perinet in Johann Schneck umbenannt. Das Kriechen Johanns über Odoardos Türschwelle ist somit bereits im Namen festgehalten und kann durch Wortspiele mit seinem Namen motivisch über die gesamte Handlung präsent gehalten werden (vgl. P 1794 I,5, I,7, II,11). Eingeführt wird Johann mit dem Sololied Ein Madl und ein Glasl Wein im Kontrast zu Kaspars Langsamkeit mit einem fröhlichen G-Dur-Allegro im 6/8 Takt. Die vielen kleinen Notenwerte geben einen Hinweis auf seine geistige und körperliche Beweglichkeit und erzeugen eine zusätzliche Inkongruenz zu seinem sprechenden Nachnamen „Schneck“. Der Wechsel vom Arco zum Pizzicato soll eventuell Johanns Einfallsreichtum ausdrücken. Wie auch Kaspar singt er Bass und das Lied ist melodisch sehr einfach, da es nur zwei Themen enthält und die Harmonik beruht ausschließlich auf einem Wechsel von Tonika und Dominante. Das Lied endet mit der folgenden conclusio: Ein Mannsbild, das nicht karesiert,/ Und das nicht liebt den Wein,/ Verdient, daß man ihn – stranguliert, Soll gar kein Mensch nicht seyn./ Der ist nichts andres in der That,/ Als ohne Baumöhl ein Sallat. (P 1794 I,4)
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Die übertriebene Bestrafung eines Mannes, der weder an Frauen noch an Alkohol interessiert ist, gipfelt in der drastischen Mordphantasie des Strangulierens, die dann wiederum maximal dadurch kontrastiert wird, dass Johann ihn mit einem Salat ohne Öl vergleicht. Perinet schwenkt damit bezüglich der Themen, die mit dieser Figur verbunden sind, nun doch wieder auf diejenigen Elemente ein, die seit der Wanderbühnenproduktion im 17. Jahrhundert zum Repertoire der Hanswurstfigur gehören. Im Vergleich wird so auch sichtbar, dass Hafner auf diese Elemente verzichtet hatte. Bei Perinet wird die Liebesthematik zur Trias von Wein, Weib und Gesang vervollständigt. Zusätzlich ist Fäkalkomik neu eingefügt, als Johann wieder auftritt. „Patsch! Schlug der Wagen um – o Schande und o Spott!/ Und ich, ich lag gestürzt – sidonc! Gestürzt im Koth.“ (P 1794 II,8) Es folgt die Solonummer mit dem Incipit „Ich läg an deinem Hals viel lieber als im Pfuhl“. Hier entsteht ein starker Kontrast zwischen dem Wunsch nach Nähe zur Geliebten und Pferdedreck auf der Straße. Typisch ist auch Johanns Wechsel von Großmäuligkeit zu Feigheit, von andächtigem Staunen zu Vertraulichkeit und von gespielter Selbstsicherheit zu Verzweiflung. Zunächst rät er allen Ehemännern ihre Frauen zu schlagen und führt aus, was er vorhat: Komm du nur und lasse dich vor mir blicken. Mein Grimm soll dich wie Staub zermalmen, ich will dein Schlangen-Antlitz fliehen, dich böse Jezabel verachten, und dich mit meinem Fluche belegen. (P 1794 II,11)
So übertrieben sein Hass, so übertrieben auch sein plötzliches Selbstmitleid: Weine nicht mein Herz, ermanne dich kraftvoller Jüngling; verlasse diese Syrene, sey ein Schneck und kriech in dich zusammen! (ebd.)
Dass Perinet Lorchen dann „schüchtern“ heraus treten lässt, steht in einer oppositionellen Inkongruenz zur Beschreibung als hinterlistige Schlange oder gefährlich-verführerische Sirene (ebd.). Johann ist zunächst sprachlos „hingerissen“, gleicht diesen Kontrollverlust jedoch durch einen nicht minder komisch wirkenden, unvermittelten Wechsel zur betont lässigen Begrüßung aus (ebd.). „[I]m gutmüthigen Tone“ sagt er „Grüß dich Gott liebe Lorl!“, fällt jedoch im nächsten Moment in Verzweiflung, weil Lorchen nicht sofort antwortet (vgl. ebd.). Bei Perinet überzeugt Johann Kaspar in I,5 singend davon, dass er von Odoardo das Hineinkriechen als Einlassart verraten bekommen habe. Hier passt sich Johann an Kaspar an: Das Tempo wird wieder zum Allegro non molto ge-
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drosselt, der 6/8-Takt wird durch einen geraden Vierteltakt ersetzt und mit B-Dur wird wieder an die B-Tonart des Eingangsduetts von Odoardo und Kaspar (Es-Dur) angeschlossen. Die Streicherbegleitung in nachschlagenden Akkorden, die sich bereits im Orchestervorspiel findet, kehrt wieder, als Johann sich in T. 28–32 zum Schein gegen das Hineinkriechen wehrt. Nachdem er von Kaspar gehört hat, dass niemand zur Türe hineingehen, laufen, reiten oder steigen dürfe, tut er so, als ob das Kriechen absichtlich ausgelassen worden sei. In der Begleitung finden sich an dieser Stelle Nachschläge. Hier lässt sich möglicherweise für eine unterstützende Dopplung des komischen Effektes argumentieren: So, wie die Nachschläge die übliche Betonung am Taktanfang und in der Taktmitte unterwandern, unterwandert auch Johann die Verbote Kaspars. Die Musik enthält im Metrum folglich selbst eine Inkongruenz. Der erste Abschnitt des Liedes endet damit, dass Johann so tut, als ob er gehen wolle: „Damit der sieht, du bist recht fein,/ So sag zu ihm, du kriechst hinein/ So sieht er gleich du kommst von mir,/ Jetzt lebe wohl du dummes Thier.“ (P 1794 I,5) In der letzten Zeile besteht die Melodie nur noch aus Halbtonwechseln zwischen h und c. „[D]u dummes Thier“ wird zudem dreimal wiederholt, so dass die Spannung auf die Auflösung durch die Tonika ähnlich einem symphonischen Schluss komponiert ist. Dadurch entsteht eine zusätzliche, komische Inkongruenz zwischen der einfachen Beschimpfung und der Pathetik der zurückgehaltenen harmonischen Auflösung durch mehrfache Wiederholung. Ebenfalls als symphonisches Formzitat ist die Fermate auf Johanns letztem Wort der Zustimmung „Nun es mag seyn“ gestaltet. Als Johann zu kriechen beginnt, singt er zweistimmig mit Kaspar im Terz- und Quintabstand, so dass die abweichenden Interpretationen im Gesang deutlich werden. Die Rezipient*innen wissen, dass Kaspar sich grundlegend irrt, wenn er Johann als brave Schnecke bezeichnet. Gleichzeitig bezeichnet Johann Kaspar als „dumme[n] Esel“ und verbalisiert so die Perspektive der Rezipient*innen, die wissen, dass Kaspar sich hat übervorteilen lassen. Wie bei Hafner bleibt Johann dennoch der gewitzteste der Diener. Auch bei ihm ist er in seiner Verkleidung als Schwester der Erfolgreiche. Krispin erzählt inhaltlich fast die gleichen absurd übertriebenen Geschichten von seinen vier Ehemännern und 85 Kindern. Es finden sich nur leichte Abänderungen zum Schluss und etwas weniger Umständlichkeiten. Ein wichtiger Unterschied zu Hafner besteht darin, dass die Wissensunterschiede, die hier für Komik sorgen, auch auf der Bühne thematisiert werden. Zum einen dienen Mitzerl und Lorchen als Reflektorfiguren, wenn sie erschrecken, weil sie zusammen mit den Rezipient*innen verwundert bemerken müssen, dass zunächst nicht Johann als Schwester aus Prag erscheint. Anschließend wird mehrfach erwähnt, dass Odoardo und Kunegunde oder auch alle auf der Bühne anwesenden Figuren über
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die absurden Geschichten und die tränenreiche Trauer über die verstorbenen Ehemänner und Kinder lachen müssen. Als Krispin zugibt, dass er sich wohl getäuscht habe, wenn er glaubt, Mitzerl und Lorchen als Säugling auf dem Arm getragen zu haben und außerdem mitteilt, er habe 10 Jahre lang die „schreyende Fraiß“ gehabt, lachen sie „heimlich“ (P 1794 II,21).260 Nach der Erzählung vom Tod aller Ehemänner ist dann eine Bühnenanweisung eingefügt, die besagt, dass sich Figuren das Lachen verkneifen beziehungsweise, dass am Ende alle lachen (vgl. ebd.). Während Krispin als Schwester nur Sprechtext hat, singt Johann mit Falsett-Stimme ein Rezitativ, als er hereinkommt und seinen Bruder begrüßt. Im folgenden Quartett sind die Wissensunterschiede wiederum durch Reflektorfiguren auf der Bühne verdeutlicht: Mitzerl und Lorchen freuen sich darüber, dass nun wirklich Johann als Schwester aus Prag gekommen ist und sie lachen zusammen darüber, dass er so dumm ist, Prag am Roten Meer zu situieren. Die Tatsache, dass die Lächerlichkeit hier bemerkt wird, macht noch einmal den Unterschied zwischen Hafner und Perinet deutlich. Bei Hafner wird deshalb nicht innerfiktional verlacht, weil er noch für eine Theatertradition schreibt, in der die Bühnenfiguren nicht rational oder emotional sondern mehr gemäß künstlerischer Kriterien aufeinander reagieren. Während die Rezipient*innen Hafners die Erfindung bestimmter Figuren oder absurder und plötzlich sich verschränkender Intrigen genießen sollen, richtet sich Perinet an Rezipient*innen, die mimetische Ansprüche an das Figurenpersonal, die Handlungsverknüpfung und die komischen Einfälle haben. Zusätzlich ist bei Hafner ein Mitlachen mit den komischen Figuren und ein Verlachen Odoardos intendiert. Bei Perinet hingegen bildet sich die Lachgemeinschaft gegen die Diener/Schwestern und die Überlistungs-/Handlungskomik wird wichtiger, weil ja auch noch die Verkleidung von Mitzerls Liebhaber Kletzenbrod als Arzt eingefügt ist. Bei Hafner hingegen sind von den drei Bewerbern um Mitzerl sowohl der wiedergeliebte Kletzenbrod als auch Papendeckel ernste Figuren. In deren Unterredungen mit ihren Dienern hat Perinet dadurch Dynamik gebracht, dass er Papendeckel als komische Figur konzipiert hat. Er ist als Parodie auf einen unglücklichen Nebenbuhler aus der Verstragödie gestaltet.261 Er spricht in heroischen Alexandrinern, so dass der hohen Sprache mit Interjektionen, Pathos und
|| 260 Unter „schreyender Fraiß“ werden im 18. Jahrhundert Symptome beschrieben, die heute als Epilepsie gefasst werden. 261 Insofern findet sich hier ein Anschluss an die Parodie auf den Schwulst der barocken Alexandrinertragödien aus Hafners Vorspiel Die Reisenden Komödianten.
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Versifizierung die banale Situation, derbe Worte, Übertreibungen und misslungene Vergleiche gegenüberstehen: Ha Unglückseliger! Ach Mitzerl, das ist ein Jammer! Mein Herz, das schlagt als wie ein Hammer Wird von der Lieb herumkarbatscht Und ist vor Liebe schon zermatscht. (P 1794 I,9)
Seine Ausführungen enden mit der unfreiwilligen Komik, die durch das gewählte tertium comparationis für seine Liebe entsteht: „Ach Mitzerl! Mitzerl ach! Ich gebe mir den Rest,/ Denn meine Liebe ist wie Papendeckel fest.“ (P 1794 I,9) Selbst als Kaspar Alarm schlägt, weil Papendekel sich mit Gewalt Zutritt zum Haus verschaffen will, hat Papendeckel noch Zeit für ein Verspaar: „Leb wohl geliebtes Haus, leb Wohl geliebte Mitzerl!/ Ich lösche meinen Zorn mit einem Hornerplützerl.“ (P 1794 I,9) – wobei ein Hornerplützerl ein Bierkrug ist. Ebenfalls abweichend von der Hafnerschen Vorlage hat auch der Liebhaber Mitzerls, der Marquis Kletzenbrod, eine komische Szene. Zu dieser kommt es, als er Mitzerl vorschlägt, sie möge sich krank stellen, damit er selbst als Arzt erscheinen und Odoardo mitteilen könne, dass Mitzerls einzige Genesungschance in einer Heirat bestünde. Tatsächlich beeindruckt der Marquis, der als „des Dokotors Sassafras geschickter Substitut“ erscheint, alle mit seiner Gelehrsamkeit, schafft es, die Eltern hinauszuschicken, ein Liebes-Duett mit Mitzerl allein zu singen und mit ihr in einem Kabinett zu verschwinden (vgl. P 1794 II,19). Das Publikum ist hier wiederum direkt involviert, indem die Wissensgemeinschaft mit dem verkleideten Marquis Kletzenbrod beziehungsweise mit Mitzerl und Lorchen auch wörtliche Anhaltspunkte hat. Nur Odoardo und Kunegunde meinen, es mit einem Doktor zu tun zu haben, der, getreu der Vorlage aus Molières L’amour médecin (1665), aus dem das Motiv stammt, Mitzerl sofort heilt. Der Marquis singt als Arzt ein strophisches Lied von deutlich komplexerer Harmonik als alle anderen Figuren in Es-Dur im 4/4-Takt. Das Tempo wechselt, den Inhalten des Textes folgend, mehrfach. Es beginnt mit einem LargoMaestoso, es folgt ein Allegro, dann ein Adagio, das in der Dominanttonart BDur steht. Zusammen mit dem Text muss es wesentlich für die komische Wirkung der Schwestern von Prag verantwortlich gewesen sein: Ich bin des Doktor Sassafraß, Geschickter Substitut. Verstehe auch den Krankenspaß, Durch lange Practik gut. Hund und Katzen,
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Mäus und Ratzen, Gänse, Schöpfe, Kröten, Krebse: Selbst die Gimpel, Heil ich simpel, Küh und Kälber, Menschen selber, Hat schon meine Kunst kuriert. Auf den Freyhof transportirt. Pillen Salben, Koth von Schwalben, Leinöhl und Provanzeröhl, Zwiebel, Knoblauch, Oximell Aufgelegt ein Kuttelkraut, Auf die alte Eselshaut: Sind sie närrisch, Sie besessen, Müßens Album graecum freßen. Ihnen Mädchen fehlt ein Mann. (Auf Mitzerl) Das zeigt das Gesicht mir an. Voll mit Liebe sind die Pori. Mensch, gedenk mementomori. (Zu den Alten.) (P 1794 II,19)
Komische Inkongruenzen entstehen hier beispielsweise dadurch, dass zunächst mehrere Tiere aufgezählt werden, die damals niemand zum Arzt gebracht hätte. Anschließend werden alle Heilungserfolge, auch die am Menschen, durch die folgenden oppositionellen Verse in Frage gestellt: „Hat schon meine Kunst kuriert./ Auf den Freyhof transportirt.“ (P 1794 II,19).262 Melodisch findet sich zunächst dreimal ein gefälliges Achtelmotiv, das mit einer punktierten Viertel mit Achtel beginnt, die von weiteren, in Halbtönen zunächst ab- dann wieder ansteigenden Achteln gefolgt werden, um schließlich mit einem Sextsprung von der letzten zur ersten Note wieder von vorne zu beginnen. Dieses Motiv wird zweimal mit dem Text des ersten Verses gesungen, nahtlos anschließend auch einmal mit dem Text des zweiten. Dann aber wird die zunächst musikalisch übergangene Inkongruenz von heilen und töten auch melodisch gestaltet. Das Tempo wird durch Viertelnoten halbiert und die Melodie steigt ausschließlich in Halb- und Ganztonschritten abwärts. Zudem setzt das Motiv mit einer dramatischen Oktave ein und wird sogar mit einem Nonensprung vom letzten zum ers-
|| 262 Auch die Ansicht, dass ärztliche und medikamentöse Behandlungen häufiger zum Tode führen als jede Krankheit, schreibt sich als Topos aus L’amour médecin her.
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ten Ton wiederholt. Damit wird wiederum das Pathos der opera buffa imitiert, so dass die Komik, die durch die Inkongruenz von Berufsrolle und Scharlatanerie entsteht, besonders deutlich wird. Die Aufzählung von beinahe wirkungslosen Hausmitteln als Arzneien ist textuell durch Untererfüllung eines Skripts komisch. Zudem gipfelt sie in der derb-fäkalen Verordnung von Hundekot, Album graecum, bei der man annehmen kann, dass die Schadenfreude des Arztes jede andere Motivation übertreffen dürfte. Musikalisch wird diese Freude durch eine viermalige Wiederholung des Verses „Müssens Album graecum fressen“ und durch aufgeregte Triolen in den ersten Violinen ausgedrückt. Die Violinen haben bis dahin ausschließlich die Abfolge von einer halben Note mit anschließendem Sechzehntellauf wiederholt, während die Begleitinstrumente, die nun aussetzen, um die Pointe deutlicher hörbar zu machen, Repetitionsnoten spielen. Neu eingefügt ist bei Perinet die Figur der zweiten Frau Odoardos, Kunegunde. Bereits in ihrer Klage, sie habe einen „alten Mann und eine mannbare Stieftochter“ werden die mit ihr verbundenen komischen Elemente der Untreue und der Eifersucht deutlich (vgl. P 1794 I,17). Odoardo hört ihr Lied zur Harfe, das von den Qualen ihrer Ehe mit ihm handelt und singt direkt anschließend selbst ein Lied mit Violon und dem sprechenden Incipit „Mein Weib das plagt mich Nacht und Tag“. Hier klagt er darüber, von ihr ständig um Intimitäten gebeten zu werden (P 1794 I,18). Zuerst lacht man folglich mit Kunegunde über Odoardo, dann mit Odoardo über Kunegunde. Kunegunde hat es auf Papendeckel abgesehen, dem sie in einem Brief ohne Unterschrift ihre Liebe erklärt hat. Odoardo macht sich dagegen an Lorchen heran (vgl. P 1794 I,19). Hier ist reichlich Raum für Schadenfreude, weil beide chancenlos sind und die Begehrten jeweils entsetzt vor den Avancen fliehen. Die Schadenfreude wird weiter ausgekostet, als die Alten durch ihr Werben auch noch erpressbar werden. Ihre unachtsam auf die Straße geworfenen Liebesbriefe (vgl. P 1794 II,16) werden von Johann und dem Marquis Kletzenbrod dazu genutzt, die Zustimmung zur Doppelhochzeit Mitzerl-Kletzenbrod und Johann-Lorchen zu erzwingen. Dass es in Sachen Ehebruch von allen Seiten bei Andeutungen bleibt, ist wohl zu einem Gutteil Resultat der Informationskontrolle durch die Zensur, die eine Darstellung von Unkeuschheit, Lasterhaftigkeit und Betrug auf der Bühne nicht duldet. Den musikalischen Höhepunkt bildet die Überführung der Prügelszene zwischen den Dienern und Liebhabern vom Ende des ersten Aktes bei Hafner (vgl. H II,15–18) in einen Instrumentenstreit (vgl. P 1794 I,20). Die Liebhaber und Diener versuchen sich in ihrem Werben um Mitzerl jeweils musikalisch zu überbieten. Der Marquis kommt mit der Geige, Chemise mit der Flöte, Johan imitiert mit dem Mund eine Posaune, Krispin spielt die Leier, Kaspar hat ein
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„hölzernes Glachter“ – eine Art Xylophon mit Holzstäben auf Strohzöpfen – als Begleitinstrument. Die Liebhaber schlagen sich dann abschließend doch noch mit Degen, die Diener mit den Fäusten, so dass Nachtwächter und Laternenbuben die Ordnung wieder herstellen müssen. Als dann alle drei singen: „Ja sie gibt mir schon ein Zeichen“ ist das deshalb komisch, weil die Situationseinschätzung bei jeweils zwei der drei nicht mit dem übereinstimmt, was die Rezipient*innen wissen. Der Bühnenerfolg dieser Fassung ist groß und anhaltend: Bis 1859 wird die Perinet-Fassung 138 Mal gegeben.263 Bei der 13. Vorstellung am 29. März 1794 sind der Kaiser und die Kaiserin anwesend.264 Die 100. Aufführung findet bereits am 27. April 1801 statt.265 Der Erfolg lässt sich daraus erklären, dass die Komödie Möglichkeiten für La Roche bietet, in seiner Paraderolle des Hausknechts aufzutreten. Zugleich haben aber auch andere Schauspieler Gelegenheit, im komischen Fach sprachlich und gesanglich zu glänzen. Gleichwohl hat MüllerKampel recht, wenn sie schreibt: [P]rotestantisch geprägte ‚Sinnenfeindlichkeit‘ sowie die Tendenz zur Moralisierung kultureller Produkte bedingen eine Sozialisierung, Verbürgerlichung und Versittlichung des Leopoldstädter Kasperls, der um die obszön-derben Charakterattribute des Hanswurst gebracht, nur mehr eine oftmals auf die Nebenhandlung beschränkte Existenz als dessen Diminutiv führt.“266
Wichtig und im Rahmen einer größeren Studie zu untersuchen wäre die Frage, inwieweit die textuell tatsächlich zu konstatierende Verharmlosung der komischen Figuren eine zentrale Bedingung für die Entwicklungen im Bereich der Komödie weiter nördlich im Reich darstellt. Hier wäre insbesondere die These zu untersuchen, ob und inwiefern die durch die Zensur in gewisser Weise verfälschten Drucktexte der für das Leopoldstädter Theater geschriebenen Spielvorlagen eine Rezeption außerhalb Wiens allererst möglich machten und dort als gesittete deutschsprachige Theater- und insbesondere Musiktheaterstücke entscheidend zum erfolgreichen Betrieb stehender Bühnen beitrugen. In der Fassung für das Hamburger Stadttheater, die auf der Druckfassung von 1794 basiert (vgl. P 1794), sind die Schwestern von Prag jedenfalls ein großer Erfolg und wer-
|| 263 Für den Erfolg im Reichsgebiet vgl. schon Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 547. 264 Vgl. Hackl (1925), Die Komödien Philipp Hafners, S. 76; Raab (1928), Wenzel Müller, S. 12. 265 Vgl. Hackl (1925), Die Komödien Philipp Hafners, S. 76 und Angermüller (2009), Wenzel Müller, S. 194. 266 Müller-Kampel (2003), Hanswurst, Bernardon, Kasperl.
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den im dortigen Repertoire als unterhaltendes, nicht-moralisches aber eben auch nicht-anstößiges Musiktheater positioniert.
3.2.3 Hamburg, Hamburger Stadttheater, Die Schwestern von Prag (1799) Perinets Schwestern von Prag werden am 15. November 1799 erstmalig auf dem Hamburger Stadttheater gegeben. Nachdem die Komödie hier bei der Erstaufführung zunächst „ausgepocht“ wird, ist die Wiederholung nur drei Tage später (am 18. November 1799) ein großer Erfolg.267 Die Komödie wird bis zum Jahr 1806 20 Mal wiederholt, bis 1847 noch weitere 41 Mal gegeben. Von 1806 bis 1816 wird sie nicht gespielt, was damit zusammenhängen könnte, dass mit dem Chevalier Chemise ein lächerlicher Franzose vorkommt, so dass das Werk unter der französischen Besatzung nicht aufgeführt werden kann. Zu den Inszenierungen ist Aufführungsmaterial in der Theater-Bibliothek der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky erhalten. Diese Sammlung umfasst rund 3450 Textbücher zu 1700 Sprech- und 400 Musiktheaterwerken, die im Haus des Hamburger Stadttheaters in der Zeit von 1765 bis 1850 aufgeführt wurden.268 Zu einem Werk sind häufig sowohl Inspektions- als auch Soufflierbücher erhalten, manchmal auch mehrere verschiedene Fassungen. Ediert sind sie bisher nur in Einzelfällen.269 Zu den Schwestern von Prag liegen die folgenden Textmaterialien vor: Ein Inspektionsbuch mit zahlreichen Korrekturen, Ergänzungen und Streichungen sowie einer Rollenübersicht, einer Szenenübersicht und einer Komparsenliste,270 ein Soufflierbuch mit zahlreichen Korrekturen und Ergänzungen, Einklebungen und Streichungen sowie einer Rollenübersicht, Papiereliste und Liedtexten;271 zusätzlich ist einiges an Notenmaterial vorhanden, das später noch genauer beschrieben wird. Die Komplexität des Materials ist insgesamt beachtlich und es liegen bisher weder Untersuchungen zu den verschiedenen Fassungen vor, die jeweils in einem Textbuch zu finden sind, noch eine Edition.
|| 267 Wiener Theaterkritik, 2 (1800), S. 54. 268 Vgl. Neubacher (2016), Die Aufführungsmaterialien. 269 Schröder (2016), Figaro’s Heirath und Figaro’s Reue. 270 Die Schwestern von Prag: Komisches Singspiel in 2 Aufzügen; Inspektionsbuch / nach Hafner von Perinet. Die Musik ist vom Herrn Kapellmeister Wenzel Müller. [Hamburg], [um 1799]. [SUB TB 1489a]. 271 Die Schwestern von Prag: komisches Singspiel in 2 Aufzügen; Soufflierbuch / nach Hafner von Perinet. Die Musik ist vom Herrn Kapellmeister Wenzel Müller. [Hamburg], [um 1799]. [SUB TB 1489b] [Im Folgenden zitiert als P 1799].
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Im Folgenden wird nur das Soufflierbuch P 1799 behandelt, da es, wie in den meisten Fällen, in denen sowohl Soufflier- als auch Inspektionsbuch erhalten sind, über das Inspektionsbuch hinausgehende Korrekturen des Textes enthält und offenbar dasjenige Exemplar ist, in dem man die Textfassung für die Aufführung festhält.272 Der mit Tinte geschriebene Grundtext des Soufflierbuchs ist eine Abschrift des Wiener Drucks von 1794 (P 1794). Beim Abschreiben werden wienerische und süddeutsche Formulierungen ersetzt und Dopplungen auf Wortebene gekürzt. Zudem wird aus Odoardo Herr Gerhard mit der Berufsbezeichnung „Kapitalist“, aus Mitzerl wird Bärbchen. Diese Grundschicht ist durch zusätzliche Streichungen und Hinzufügungen verändert, die mit zwei verschiedenen Bleistiften und zusätzlich mit Rötel vorgenommen werden. Die Zusätze sind auch auf eingeklebten und eingelegten Papieren von verschiedenen Papiersorten zu finden.273 Bei der Datierung der Überarbeitungsschichten muss des Weiteren berücksichtigt werden, dass das Textbuch nicht nur am Hamburger Stadttheater verwendet wird, sondern auch in Altona, wie der Gebrauchseintrag erkennen lässt („Altona, den 21. Januar 1859. E. Riedel Souffl.“). Aufgrund dieses Vermerks muss an erster Stelle geklärt werden, ob überhaupt davon auszugehen ist, dass das genannte Textbuch für Aufführungen von 1799 bis 1806 verwendet wird. Das lässt sich zunächst durch die Korrektur der Berufsbezeichnung Krispins im Personenverzeichnis vom Schneidergesellen zum Scheerenschleifer belegen, die auch im weiteren Text vorgenommen wurde. Anhand von Kritiken kann man rekonstruieren, dass diese Änderung auf eine Intervention der Schneiderinnung nach den ersten beiden Aufführungen im November 1799 zurückzuführen ist. Die Innung sieht ihren Stand beleidigt und erwirkt beim Hamburger Magistrat zunächst ein Verbot der Aufführung.274 Am 19. Dezember 1800 nimmt man das Singspiel dann wieder ins Repertoire, nachdem man den Schneider zum Scheerenschleifer gemacht hat.275 Nachdem folglich davon auszugehen ist, dass das Soufflierbuch 1799 verwendet wird, stellt sich nun die Frage, welche der Bleistiftänderungen für die
|| 272 Darin folge ich der Einschätzung von Dominik Stoltz, der im Rahmen des Projekts „Bühne und Bürgertum“ alle Textbücher im Zusammenhang mit der Katalogisierung und Beschreibung begutachtet und mich freundlicherweise beraten hat. 273 Die Markierungen mit Rötel betreffen Auf- und Abtrittsinformationen und sind für die Rekonstruktion einer Fassung nicht von Bedeutung. 274 Wiener Theaterkritik, 2 (1800), S. 54. 275 Vgl. Wollrabe (1847), Chronologie sämmtlicher Hamburger Bühnen, S. 104, der allerdings fälschlicherweise 1801 als Datum der Wiederaufnahme ansetzt. Auf dem Theaterzettel vom 19. Dezember 1800 wird Krispin als „Scheerenschleifer“ bezeichnet (vgl. den Theaterzettel zu diesem Datum in DBBB).
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Aufführungen bis 1806 vorgenommen werden. Diese Frage ist deshalb zentral, weil mit Bleistift insgesamt mindestens ein Drittel des Textes und der Gesangsnummern gestrichen sind. Allerdings lassen sich mindestens zwei verschiedene Bearbeiter sicher unterscheiden. Der eine, der umfangreiche Striche ganzer Textteile vornimmt, schreibt mit einem dickeren, dunkleren Bleistift, der andere, dem nur sehr wenige Änderungen auf Wortebene zugeordnet werden können, mit einem deutlich helleren. Erneut lässt sich anhand der Berufsbezeichnung Krispins eine dieser Bearbeitungsschichten datieren. Derjenige Bearbeiter, der mit einem dicken, dunklen Bleistift zahlreiche Eingriffe vorgenommen hat, hat tatsächlich auch die Bezeichnung „Schneidergeselle“ durch Unterstriche restituiert oder ergänzt. Diese Berufsbezeichnung für Krispin findet sich jedoch erst ab 1816 wieder auf den Theaterzetteln. Das heißt, dass fast alle Streichungen, Zusätze und ein paar Einklebungen nicht zur ersten Fassung gehören, weil sie alle mit dem dicken, dunklen Bleistift geschrieben sind. Nur die Varianten mit hellem Bleistift kommen für eine erste Bearbeitungsschicht in Frage. Es handelt sich dabei allerdings nur um sehr vereinzelte Eingriffe auf Wort- oder Halbsatzebene, die nicht komikrelevant sind, so dass man zu dem überraschenden Befund kommt, dass die Schwestern von Prag bis 1806 am Hamburger Stadttheater ziemlich sicher in einer gegenüber der Wiener Fassung nur minimal veränderten textuellen Gestalt aufgeführt werden. Auch in Bezug auf die Musik ergibt sich ein ähnlicher Befund. Hier sind in Hamburg zwei Partituren erhalten, von denen die eine mit der Signatur TBR 91:1-2 eine Abschrift der Vorlage aus Wien ist,276 die nach dem Kopieren
|| 276 Die Schwestern von Prag: Ein komisches Singspiel in zwey Aufzügen nach dem Lustspiel des Philipp Haffner / neu bearbeitet von Joachim Perinett. Musick von Wenzel Müller. Wien im Februar 1794. [Partitur-Hs] [SUB TBR 91:1-2]. Im Folgenden abgekürzt als Partitur der Schwestern von Prag und zitiert mit der Sigle M 1795. Dieses Manuskript enthält auf dem Titelblatt den Zusatz „Wien, im Februar 1794“ und scheint auch von der Gestaltung und dem Duktus des Schreibers her aus Wien zu stammen. Diese Einschätzung teilt auch Jürgen Neubacher von der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky. Folgende Merkmale, die in der Mozartforschung erarbeitet wurden, erhärten diese These, da die dort herausgearbeiteten Besonderheiten von Wiener Kopisten auch in der Partitur M 1795 zu finden sind: Die Zahl vier wird mit zwei senkrechten Strichen und nicht, wie im Norden üblich mit nur einem geschrieben. Der CSchlüssel trägt in Wien unten einen schrägen Strich, der Bassschlüssel ähnelt einem liegenden C und die Violinschlüssel sind lang nach unten gezogen und enden nicht, wie im Norden, schon innerhalb der Rundung zum G (vgl. Edge [2001], Mozart’s Viennese Copyists, S. 294). Auffällig ist auch die fehlerhafte Schreibung der Namen Perinets und Hafners in M 1795 und M 1799 als Perinett und Haffner. Gestützt werden diese Befunde von Maurer Zencks Untersuchungen zu einem ähnlichen Fall, einer vermutlich von einem Wiener Kopisten stammenden Handschrift von Ignaz Umlaufs Singspiel Das Irrlicht (vgl. Maurer Zenck [2005b], Die Tugend in
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offenbar nicht zurückgeschickt wurde. 23 Gesangsstimmen mit Generalbass sind eindeutig aus dieser Partitur ausgezogen. Zudem wurden die umfangreichen Streichungen der Gesangsnummern im Soufflierbuch mit dem dunklen Bleistift, das heißt später, vorgenommen, so dass anzunehmen ist, dass für die erste Fassung alle Gesangsnummern bis 1806 aus den Rollen einstudiert werden. Da auch davon auszugehen ist, dass Die Schwestern von Prag bis 1806 in einer Textfassung gespielt werden, die dem Erstdruck (P 1794) sehr nahe kommt, können die Ergebnisse der Analyse der Wiener Fassung von Perinet hier vorausgesetzt werden. An die Stelle der Analyse von Veränderungen in der Komik tritt die Frage, weshalb die Schwestern von Prag ohne wesentliche Veränderungen gut ins Repertoire des Hamburger Stadttheaters passen und wie sie dort positioniert sind. Diese Fragestellung erscheint insbesondere auch deswegen sinnvoll, weil es bisher nur sehr wenige spielplanbezogene Untersuchungen zu diesem Theater gibt, die nun mithilfe der Datenbank Bühne und Bürgertum (DBBB) möglich sind.277 Die These der folgenden Ausführungen lautet, dass die Schwestern von Prag deshalb im Spielplan des Hamburger Stadttheaters zu finden sind, weil es sich um komisches Musiktheater handelt, das sowohl unterhaltend ist als auch eine, zumindest rudimentäre, satirische Darstellung von außerehelichen Umtrieben enthält. Zentral für die Aufnahme in den Spielplan ist die Tatsache, dass es sich um komisches Musiktheater handelt. In der Hamburger Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts lässt sich nämlich immer wieder beobachten, dass es für den Erfolg einer Theaterunternehmung entscheidend ist, ob häufig genug Musiktheater auf dem Spielplan steht. Seit dem Ende des regulären Opernbetriebs an der Hamburger Gänsemarktoper 1738 gastiert bis 1754 häufig die Truppe von Angelo Mingotti mit hochkarätigen Opernproduktionen, zum Großteil in italienischer Sprache im Opernhaus, aber eine fest engagierte Musiktheatertruppe gibt es bis in die 1770er Jahre nicht mehr. In den Jahren zwischen 1738 und 1771 finden sich mehrere Versuche dauerhaft mit einem Sprechtheaterrepertoire in Hamburg ausreichende Einnahmen zu erzielen, die alle misslingen.278 Auch
|| der Hütte, S. 67). Ein Vergleich mit der Wiener Partitur M 1799 hat zudem ergeben, dass die Noten identisch sind. Wie die Wiener Abschrift nach Hamburg kam, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. 277 Vgl. Jahn (2017b), Unterhaltung als Metatheater. Beiträge, die einzelne Werke im Spielplan kontextualisieren, finden sich in: Maurer Zenck (2005a), Musiktheater um 1800 und Jahn/Maurer Zenck (2016), Bühne und Bürgertum. 278 Es handelt sich selbstverständlich nicht um ein reines Sprechtheater, weil Intermezzi, Ballette und auch Schauspiele mit Gesangseinlagen gegeben werden (vgl. differenzierter zu diesem Repertoire den ersten Abschnitt von Kapitel 3.3).
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Friedrich Ludwig Schröder unternimmt während seiner ersten Intendanz am Hamburger Stadttheater von 1771–1781 einen solchen Versuch.279 Wie bereits Conrad Ernst Ackermann, der nach dem Scheitern des Hamburger Nationalhoftheaters fünf Singspiele von Johann Adam Hiller ins Programm nimmt,280 setzt auch Schröder nach dem Scheitern des Sprechtheaterversuchs schnell deutsche Singspiele dieses Komponisten auf den Spielplan. Hinzu kommen bald Werke von Georg Anton Benda, Ernst Wilhelm Wolf und Johann André, später auch von Joseph Schuster, Otto Carl Erdmann Freiherr von Kospoth und Ignaz Umlauf, die auch reichsweit in den 1760er bis 1790er Jahren zum Kernrepertoire deutschsprachiger komischer Singspiele gehören.281 Darüber hinaus nimmt Schröder während seiner ersten Intendanz Bearbeitungen französischer Opéras Comiques und etwas später auch italienischer Opere Buffe wie zum Beispiel André-Ernest-Modeste Grétrys/Jean-François Marmontels Zemire und Azor, Pierre-Alexandre Montsignys/Michel-Jean Sedaines Der Deserteur, Paisiellos/ Petrosellinis Der Barbier von Sevilla oder Giovanni Paisiellos/Giovanni Bertatis Die eingebildeten Philosophen in deutschen Fassungen ins Repertoire auf. Auch diese Werke sind im gesamten deutschsprachigen Gebiet Zugstücke und übertreffen die original deutschsprachigen komischen Musiktheaterwerke in ihren Aufführungserfolgen bei weitem.282 In seiner zweiten Intendanz-Zeit von 1786–1798 will Schröder erneut die Idee vom Theater als moralischer Anstalt mit einem reinen Sprechtheaterrepertoire verwirklichen.283 Ende 1794 kommt allerdings eine Theatergesellschaft aus Brüssel nach Hamburg, die dem Hamburger Stadttheater Konkurrenz macht. Sie ist so erfolgreich, dass 1795 sogar eine Zusammenlegung mit dem Hamburger Stadttheater in Betracht gezogen wird. Die unmittelbare räumliche Nähe dieser im komfortablen Palais Potocky am Dammthor spielenden Gesellschaft und || 279 Die drei Intendanzen Schröders am Hamburger Stadttheater dauern von 1771–1781, 1786– 1798 und 1811–1812 (vgl. Jahn [2016], Bühne und Bürgertum, S. 10 Fn. 8). In der ersten Spielzeit versucht er bereits ein anspruchsvolles Sprechtheaterrepertoire zu etablieren, das im Sinne der moralischen Erziehung an die Nationaltheaterdebatte anschließt, und verfolgt diese Idee auch ab 1786 weiter. Vgl. dazu auch das Kapitel 3.4 der vorliegenden Arbeit. 280 Vgl. Maurer Zenck (2005c), Einleitung, S. 16. 281 Urchueguía ermittelt für den Zeitraum von 1760–1790 ein Korpus von gut 44 deutschsprachigen und 48 fremdsprachigen, jedoch auf Deutsch aufgeführten, komischen Musiktheaterwerken, das im deutschsprachigen Gebiet des Reichs zum Kernrepertoire wird (vgl. Urchueguía [2015], Allerliebste Ungeheuer, S. 388–391). Das komische Singspiel ist mit Abstand die beliebteste Gattung auf den Bühnen dieser Zeit (vgl. Urchueguía [2015], Allerliebste Ungeheuer, S. 239, 267–272). 282 Vgl. a. a. O., S. 375–379. 283 Vgl. Maurer Zenck (2005c), Einleitung, S. 21.
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deren reich ausgestattete Sprech- und Musiktheaterproduktionen sowie niveauvolle Konzerte machen dem Hamburger Stadttheater das Publikum streitig, so dass es immer schwieriger wird, einen hohen Sprechtheateranteil im Repertoire aufrechtzuerhalten.284 Deshalb setzt Schröder schon nach einem Jahr wieder vermehrt Musiktheaterstücke aufs Programm. Dabei kommt ihm die Entwicklung zugute, dass seit den 1780er Jahren norddeutsche Musiktheaterwerke in Wien neu vertont werden, weil man dort einen an der französischen und italienischen Oper orientierten Stil bevorzugt. In diesen Neuvertonungen werden sie im Norden des Reichs und eben auch in Hamburg rezipiert und zu Erfolgsstücken.285 Schröder nimmt aus diesem Repertoire die folgenden Werke auf: Johann Gottlieb Stephanie des Jüngeren/Ignaz Umlaufs Das Irrlicht, oder: Endlich fand er Sie. Eine Operette in drey Aufzügen286 und Emanuel Schikaneders/Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte. Eine grosse Oper in zwey Aufzügen,287 beide 1787 in Wien erstaufgeführt, und schließlich Karl Ludwig Gieseckes und Paul Wranitzkys Oberon. König der Elfen. Singspiel in drei Akten,288 das er ab 1791 spielen lässt. Bei der Betrachtung des Kulturtransfers im Musiktheater zwischen Wien und Hamburg standen die Singspiele des Leopoldstädter Theaters bisher nicht im Zentrum des Interesses. Vorrangig hat man in der Forschung untersucht, welche Werke aus dem Nationalhoftheater übernommen wurden und sich dabei schwerpunktmäßig mit Mozarts Opern beschäftigt. Bislang fehlt es an einer Studie zur Übernahme von Singspielen aus den Vorstadttheatern wie zum Beispiel dem Leopoldstädter Theater. Eine solche wäre insbesondere deshalb von Nutzen, weil die unter der Signatur ND VII in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky katalogisierten Aufführungsmaterialien eine der größten Sammlungen von Wiener Singspielen außerhalb Wiens enthalten.289 Bereits Schröder hat einige Werke aus dem Leopoldstädter Theater aufgeführt, vorwiegend Zauberstücke.290 Bis zum Ende der zweiten Intendanz Schröders 1798 finden sich zum Beispiel die nachfolgend genannten Musikthea-
|| 284 Vgl. a. a. O., S. 23 f. 285 Bereits Bauman hat auf dieses Phänomen hingewiesen; in Krämers Studie wird es in den Gattungskontext der Entwicklung des Musiktheaters im Reich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gestellt (vgl. Bauman [1985], North German Opera, S. 261–322, Krämer [1997], Deutschsprachiges Musiktheater, S. 396–464). 286 Maurer Zenck (2005b), Die Tugend in der Hütte. 287 Jahrmärker (2005), Das Wiener Singspiel. 288 Eisenhardt (2005), „Diese comische Oper“. 289 Vorwort in Maurer Zenck (2005c), Einleitung, S. 7. 290 Vgl. DBBB.
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terwerke mit den folgenden Aufführungszahlen im Spielplan: Von Joachim Perinet und Wenzel Müller spielt man seit dem 14. November 1794 Die Zauberzither neun Mal, von Wenzel Müller mit Gustav Friedrich Wilhelm Großmann als Librettist gibt man Eigensinn und Launen der Liebe seit dem 21. Mai 1792 drei Mal in jenem Jahr, und von Wenzel Müller mit Karl Friedrich Hensler als Librettist Das Sonnenfest der Braminen sogar 34 Mal. Dabei handelt es sich um erfolgversprechende Zugstücke in Wien, die eingängige Musiknummern enthalten, die für Schauspieler-Sänger komponiert wurden. Die zumeist strophischen Lieder mit einfacher Instrumentierung und Harmonik benötigen kaum Einstudierungsaufwand und können auf diese Weise gut zusammen mit den musikalisch anspruchsvolleren Werken auf den Spielplan gesetzt werden. Schröder übernimmt bereits die Hafner-Bearbeitung Das Neu-Sonntagskind unter dem Titel Das Sonntagskind, oder: Der Furchtsame erstmalig am 3. Februar 1795 und lässt es bis zum Ende seiner zweiten Intendanz im April 1798 noch sechs Mal wiederholen. In dieser Komödie tyrannisiert der abergläubische Herr von Hasenkopf seinen Hausmeister und seine Tochter Henriette, die er mit dem Gelehrten Heinzenfeld anstatt mit ihrem Geliebten, Hauptmann Valer, verheiraten möchte. Hannswurst kommentiert sowohl die Gespensterfurcht Hasenkopfs als auch die exzessive Verwendung lateinischer Ausdrücke durch Heinzenfeld. Valer plant Henriette zu entführen, fliegt auf und erfährt dabei, dass Henriette seine als Kind vertauschte Schwester ist. Henriette geht daraufhin ins Kloster. Ein Grund für den Erfolg des Werkes dürfte sicherlich die Ehethematik gewesen sein, die gemäß den Ergebnissen der vorliegenden Studie häufig Schröders Auswahl von Werken bestimmt.291 Als Verlachkomödie hat das Stück darüber hinaus einen gewissen moralischen Anspruch. Besonders wirkmächtig an der Singspielbearbeitung ist offenbar die Gestaltung der Rollen des Hannswurst, der auch hier in Johann umbenannt ist, und des betrunkenen Hausmeisters, für die Müller eingängige Lieder dichtet.292 Die fünf langjährigen Ensemble-Mitglieder Gottfried Eule, Johann Karl Löhrs, Karl Daniel Langerhans, Karl David Stegmann und Jakob Herzfeld, die ab dem 11. April 1798 für die Spielplangestaltung verantwortlich sind, verändern das Repertoire nicht wesentlich. Das Musiktheaterprogramm wird weitgehend übernommen, aber der Anteil an deutschen Singspielen bei den Aufführungen erhöht sich.293 Das Neu-Sonntagskind und Die Schwestern von Prag werden jetzt zusammen mit dem Singspiel Das Donauweibchen von Ferdinand Kauer und
|| 291 Vgl. Kap. 3.4 der vorliegenden Arbeit. 292 Vgl. Sonnleitner (1996), Hanswurstiaden, S. 440. 293 Vgl. Maurer Zenck (2005c), Einleitung, S. 25.
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Karl Friedrich Hensler zu den Erfolgsstücken der Intendanz-Zeit des Schauspieler-Direktoriums bis 1806.294 Die Schwestern von Prag werden bis zum Jahr 1806 21 Mal, Das Sonntagskind 22 Mal, Das Donauweibchen gar 52 Mal gegeben.295 Dass man das Donauweibchen in Hamburg spielt, erscheint plausibel, da es zahlreiche der so beliebten Zaubermotive enthält. Erklärungsbedürftig erscheint hingegen die Tatsache, dass man keine weiteren Werke von Müller und Perinet ins Repertoire nimmt. Im Gegensatz zu den anderen Perinet-Bearbeitungen der Werke Hafners, die nicht in Hamburg gegeben werden, weisen Das NeuSonntagskind und Die Schwestern von Prag weder moralisch Problematisches, wie etwa eine diebische bürgerliche Dame in Lustig lebendig auf, noch sind sie als Parodien allzu speziell auf die Wiener Verhältnisse abgestimmt, wie beispielsweise Der alte Überall und nirgends. Dafür sind beide nach dem Modell der Heirat mit Hindernissen gestaltet und enthalten mindestens eine zentrale Dienerrolle. Zwar gibt es in Hamburg keine so ausgeprägte Tradition der komischen Figur wie in Wien und es fehlt auch ein La Roche, Kaspar wird jedoch immerhin durchgängig im hier behandelten Zeitraum vom altbewährtesten und erfolgreichsten komischen Darsteller, Gottfried Eule, gespielt.296 1801 erscheint eine ironisch gemeinte Beschreibung der Anforderungen für ein Erfolgsstück in Hamburg, die Allgemeinen Regeln zur Verfertigung beliebter Opern, Lust-, Schau- und Trauerspiele im jetzigen Geschmack./ Nach dem Englischen. Über die Opern, in dem sich folgende Aussage über die komischen Musiknummern findet: „Die komischen und launichten Arien müssen – baarer Unsinn sein; sie klingen so hübsch und verfehlen zumeist ihr Ancora nicht. Wer lacht nicht bey den Worten: ein Hausknecht ist doch des Teufels sein Ding?“297 Diese Aussage wurde bisher auf Henslers Donauweibchen bezogen, das sicherlich auch mitgemeint ist. Zitiert wird hier allerdings ein Halbvers aus den
|| 294 Insgesamt bis 31. März 1811 ist das Schauspieler-Direktorium verantwortlich für den Spielplan, seit 1802 allerdings nur noch zu dritt, da Langerhans aus Hamburg fortgeht und Löhrs verstirbt. 1801 kommt es zu einem Theaterskandal, als das Publikum wegen mangelnder Investitionen bei Kostümen und Dekorationen und wegen des niedrigen Niveaus der Sänger und Instrumentalisten protestiert (vgl. Schneider [2017], Der Hamburger Theaterskandal). 295 Vgl. DBBB. 296 Gottfried Eule gehört bereits zum ersten Ensemble von Schröder von 1786, in dem er als einziger Komiker engagiert ist (vgl. Wollrabe [1847], Chronologie sämmtlicher Hamburger Bühnen, S. 75). In den beiden ersten Aufführungen werden Johann Schneck von Ritzenfeldt, Crispin von Kirchner, Kaspar von Eule gegeben. Bei der Wiederaufnahme im Dezember 1800 spielt dann Wilhelm Ehlers den Johann Schneck. Ab dem 16. Juli 1802 wird Kirchner durch Carl Ludwig Costenoble ersetzt. 297 Allgemeines deutsches Theater Hamburg, Eilftes stück, 20.03.1801, S. 177 f.
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Schwestern von Prag298 aus der zweiten Szene des ersten Aktes, in die Perinet ein dreistrophiges Lied neu eingefügt hatte, in dem Kaspar seinen Stand lobt. Es ist im Druck von 1794 enthalten (vgl. P 1794), Müller hat es allerdings offenbar nicht vertont, denn es fehlt in der Partitur, die in Wien liegt und auch in der Partitur in Hamburg sowie in der Einzelstimme Kaspars in Hamburg.299 In Hamburg schreibt der Kopist den Druck von 1794300 zwar mit dem Lied Kaspars ab und ersetzt dabei, wie überall im Text, einige wienerische Ausdrücke (zum Beispiel „s’Bettel warm soll seyn“ zu „höllenheiß muß sein“, „hat drin viel Ochsenmark“ zu „eine Kraft und Mark“). Da man die Müller’sche Musik übernimmt und sich auch in der Gesangsrolle Kaspars dieses Lied nicht findet, wird es wohl in Hamburg nicht gesungen. Der Verfasser der soeben zitierten Allgemeinen Regeln nimmt offenbar den Librettodruck von 1794 oder einen Druck der Arien und Gesänge301 zu den Schwestern von Prag zur Hand, als er seine Kritik schreibt. Der Text des Musikstücks lautet wie folgt: Ein Hausknecht wird überall stark honorirt, Weil jeder des Hausknechts sein Faust respectirt. Von Knochen ist er stark, Hat drin eine Kraft und Mark: Denn hohlt auch ein Hausknecht ein einzigsmahl aus, So springt euch das Feuer bey’n Augen heraus. Denn gäb’s keine Hausknecht, ach, daß Gott erbarm! Wer macht’ wohl der Herrschaft die Zimmer so warm? Er heizt hübsch wacker ein, Dass s’Bettel warm soll seyn. Ein Hausknecht, ein Hausknecht ist wohl nicht so gering, Ein Hausknecht, ein Hausknecht ist’s Teufel sein Ding. (P 1794 I,2)
Wie oben bereits beschrieben, ist die Inkongruenz der Verdienste und Fähigkeiten, derer Kaspar sich rühmt und seine offensichtliche Unfähigkeit auch nur
|| 298 Maurer Zenck (2005c), Einleitung, S. 25. 299 Müller vertont das Werk vermutlich deshalb nicht, weil La Roche eine schlechte Singstimme hat (Brandner-Kapfer [2010], Kasperls komisches Habit, S. 93). Zu vermuten ist auch, dass sich La Roche auf seine typische Weise mit extemporierten Geräuschen, stummem Spiel und Bemerkungen vorstellte und nicht mit einem strophischen, gereimten Lied. 300 Dass er nicht den Druck der Strichfassung von 1795 (vgl. Anm. 237) vorliegen hatte, zeigt sich daran, dass der extemporierte und im Textbuch von 1795 in II,20 hinzugesetzte Monolog von Kaspar fehlt, als dieser die Doktorverkleidung ausprobiert. 301 Auf den Theaterzetteln zu den Schwestern von Prag ist zu lesen: „Die Gesänge sind bey dem Cassirer und am Eingange für 6 fl. zu haben“ (vgl. DBBB).
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einen einzigen Auftrag seines Herrn korrekt auszuführen auch ohne dieses Lied in den Schwestern von Prag deutlich gestaltet, sodass die hier konstatierte Beliebtheit der Hausknechte sicherlich wesentlich zum Erfolg des Werkes beiträgt. Ausschlaggebend für den Erfolg ist jedoch vermutlich die Musik Müllers. In einer Kritik der zweiten Aufführung vom 18. November 1799 aus dem Hamburgischen Briefträger werden Krispins Ich bin der Schneider Wetz und Wetz und des Marquis Kletzenbrods Ich bin des Doktor Sassafraß geschickter Substitut (P 1794 II,19) als beste und komischste Gesangseinlagen gelobt und in voller Länge abgedruckt. Allein über diese Lieder könne man „mit der Gallerie“, auf der die Bediensteten saßen, „lachen“; speziell die Arie des Marquis könne man „vor Lachen des Publikums nicht verstehen.“ Diesem Erfolg vor „übervoll[em] Haus“302 stellt der Kritiker Hinweise auf die Unsinnigkeit der Reime in dieser Arie sowie einzelne Sätze gegenüber. Er erwähnt zum Beispiel Johans Behauptung, dass das rote Meer bei Prag vorbeifließe. Angesichts von so viel Nonsens kapituliert er mit den Worten: „Nun dann stehet einem der Verstand totaliter still“. Unsinnigkeit der Handlung und das Fehlen von „feine[m] Witz und [von] Moral“ sind hier die Hauptkritikpunkte und auch in einer anderen Kritik bezeichnet man die Schwestern von Prag als „ein Gemisch von niedrigen Possen und Plattitüden“.303 In dieser Mischung von Abwertung der nicht-zweckgebundenen komischen Elemente in der Kritik und ihrer Rolle als Erfolgsgarant beim Publikum sind die Schwestern von Prag typisch für das deutsche komische Singspiel, das in den 1760er Jahren entsteht und in den beiden Folgejahrzehnten einen überraschenden Aufstieg erlebt.304 In der Kritik wird dieser Aufstieg als Gattungsverfall beschrieben, weil alle Bemühungen zur Hebung des Niveaus und zur Erhöhung des Tragödienanteils im Spielplan durch die Beliebtheit der komischen Singspiele wieder zunichte gemacht würden. In der Gattungshierarchie wird das komische Singspiel ganz unten angesiedelt: Jeder Ort, der noch nie ein Schauspiel gehabt, liebt die Tragödie vor allem. Nicht leicht kann ihm ein Stück heftig genug seyn. Von der stärkeren degeneriert es zur Sentenzentra-
|| 302 Die Pfiffe, die der Kritiker gehört hat und sich nicht erklären kann, stehen möglicherweise in Zusammenhang mit der Kritik der Schneiderinnung an Krispins Berufsbezeichnung. 303 Kritik vom 08.01.1801 (Die Schwestern von Prag). In: AdT Hamburg, Drittes Stück, 23.01.1801, S. 33 304 Vgl. Krämer (1998a), Deutschsprachiges Musiktheater, Urchueguía (2015), Allerliebste Ungeheuer. Zur Abwertung der Komik, insbesondere im Singspiel vgl. im Folgenden ebd. S. 138–149.
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gödie; hierauf zum rührenden Lustspiel, dann zur Komödie; erst Destouches; dann Molière; nun zur komischen Oper, endlich zum Possenspiel – und dann gute Nacht Geschmack und Theater!305
Vor allem die Komik in diesen Singspielen wird abgelehnt, weil sie Distanz schafft, Rührung verhindert und den sowieso kaum vorhandenen Gehalt der Handlung über dem Lachen vergessen macht. Das komische Singspiel wird zum Musterbeispiel für eine rein körperliche Reaktion auf Kunst: Musik und Stoff zum Lachen sind zweierlei Arten des Spiels mit ästhetischen Ideen, oder auch Verstandesvorstellungen, wodurch am Ende nichts gedacht wird, und die bloß durch ihren Wechsel, und dennoch lebhaft vergnügen können; wodurch sie ziemlich klar zu erkennen geben, daß die Belebung in beiden bloß körperlich sei, ob sie gleich von Ideen des Gemüts erregt wird, und daß das Gefühl der Gesundheit, durch eine jenem Spiele korrespondierende Bewegung der Eingeweide, das ganze, für so fein und geistvoll gepriesene, Vergnügen einer aufgeweckten Gesellschaft ausmacht.306
In diesem Kontext ist es zu verstehen, wenn Schütze in seiner Hamburgischen Theater-Geschichte die „Singpossenspiele“ in den 1790er Jahren als „Auswüchse der […] theatralischen Barbarei in Deutschland“307 versteht. Interessanterweise werden nun die Schwestern von Prag auf dem Theaterzettel explizit als Posse angekündigt.308 Schon in der Kritik zur Hamburger Erstaufführung heißt es: „Mit Recht eine Posse, und das ist alles was wir für jetzt von diesem […] Stücke sagen wollen“.309 Nach dem oben Gesagten könnte man meinen, diese Bezeichnung sei rein abwertend zu verstehen. Allerdings wird in der Theaterkritik, die in Hamburg in den 1790er Jahren sehr stark zunimmt,310 auch das Auseinandertreten von Unterhaltungsbedürfnis und Besserungsanspruch gesehen:
|| 305 Johann Christian Koppe: Über die Kochische Schauspielergesellschaft, aus Berlin, an einen Freund. In: Theaterchronick 1772, S. 53–83, hier S. 79. 306 Kant (2006), Werkausgabe, 10 „Kritik der Urteilskraft“, S. 332. 307 Schütze (1794), Hamburgische Theatergeschichte, S. 88. 308 Dass die Schwestern von Prag nicht als ‚Singspiel‘ bezeichnet werden, hat damit zu tun, dass auf den Theaterzetteln des Hamburger Stadttheaters ein Werk bis 1810 nur dann als ‚Singspiel‘ ausgewiesen wird, wenn sich auskomponierte Rezitative mit Gesangseinlagen abwechseln. Die Zusätze „Die Musik ist von Capellmeister Wenzel Müller“ und „Die Gesänge sind bey dem Cassirer und am Eingange für 6 fl. zu haben“, zeigen jedoch an, dass es sich um Musiktheater handelt. 309 Kritik vom 15.11.1799 (Die Schwestern von Prag). In: Hamburgischer Briefträger 23.11.1799, 9 (1799), S. 727. 310 Viele davon müssen ihr Erscheinen bereits nach wenigen Ausgaben einstellen, weil sie sich nicht auf dem Markt halten können (vgl. Reinke [2005] „Ob’s gleich nur eine Posse ist“,
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Wir kennen ja alle den Zweck, warum wir ins Schauspielhaus kommen […] Vergnügen suchen ist der allgemeine Zweck bey Allen, sich besser durch den lebendigen Spiegel machen lassen, der besondere bey Wenigen.311
Die Posse erscheint als geeignetes Medium, um viele Menschen zu erreichen, aber auch den Besserungsanspruch zu verwirklichen. Man versucht einerseits eine auf Unterhaltung ausgerichtete Positionierung durch Anschluss an bekannte Schemata, die durch Situationskomik und Wortwitz variiert werden. Andererseits strebt man an, diese Kunst mit der Kritik moralischer Schwächen zu kombinieren. Deshalb wird Alexandre Louis Bertrand Beaunoirs Jérôme Pointu in den Kritiken als Musterfall einer Posse angeführt. Unter dem Titel Jeder fege vor seiner Thüre, wird es von 1785 bis 1806 am Hamburger Stadttheater einundfünfzigmal aufgeführt (bis 1842 sogar einundachtzigmal).312 Es handelt sich um einen Einakter, der von der Thematik her sehr einfach ist. Der Prokurator Spiz will seinen Schreiber Falk entlassen, weil er ihn dabei überrascht, wie er die Köchin ohne Umstände gegen ihren Willen küsst. Spiz gibt als weitere Kündigungsgründe neben den Nachstellungen von Frauen Falks Trink- und Spielsucht an. Falk kontert mit dem Vorschlag, diese Laster dadurch zu kurieren, dass Spiz ihm seine Kanzlei überlassen und seine Tochter zur Frau geben solle. Spiz lehnt entrüstet ab, nicht ohne in einem Monolog darzulegen, wie sehr ihm der Verfall der Sitten zuwider sei. Im Verlauf der Handlung wird dann deutlich, dass Spiz selbst zum einen äußerst geldgierig ist und dass er es zum anderen auf die Köchin Hanne abgesehen hat, die er zudem gegen ihren Willen zu küssen versucht. Hier für die Rezipient*innen bereits eines Lasters überführt, das er seinerseits Falk vorwirft, wird Spiz durch die nachfolgende Intrige Falks auch als spiel- und trunksüchtig gezeigt. Um sich erneut und erfolgreich als Schwiegersohn in Position zu bringen, verleitet Falk ihn dazu, sein ganzes Geld und seine Prokuratorenstelle im Spiel zu riskieren, wobei Spiz beides verliert. Das kurze Drama enthält sprachliche Komik, Situationskomik und sowohl eine lächerliche komische Figur (Spiz) als auch eine schlau-komische Figur mit längerer Bühnenpräsenz in Verkleidung als englischer Händler. Letzterer agiert bei der ausführlichen Beschreibung seiner Abenteuer zur See auch die Möglichkeit für Körperkomik im Stil eines miles gloriosus, führt Spiz zudem hinters Licht
|| S. 197). In diesem Zeitraum kommt es im ganzen Reich zu einer „inflationären Bühnenkritik“ (vgl. Heßelmann [2002], Gereinigtes Theater, S. 75). 311 Zit. nach Eigenmann (1994), Zwischen ästhetischer Raserei und aufgeklärter Disziplin, S. 177. 312 Der Druck von 1783 aus Wien zur Aufführung durch das Burgtheater (K. u. K. Hoftheater). Die Gattungsbezeichnung ‚Posse‘ wird im Hamburger Spielplan erst ab 1822 verwendet.
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und erreicht die Heiratserlaubnis. Die Komödie zeigt keine moralische Besserung; beide Figuren behalten ihre Fehler. In der Diskussion von moralischer Penibilität ist es jedoch ein aufklärerisches Plädoyer für Selbstreflexion. Jede einzelne Szene hat eine dramaturgische Funktion, die Motivierung ist klar und richtig und der Unterhaltungswert ist nicht zuletzt durch die Engführung auf die drei Themen Wein, Weib und Spiel gegeben, die immer abwechselnd als verwerflich und als verbreitet angesehen und – in ihrer gemäßigten Variante – als durchaus nutzbringend dargestellt werden. Insbesondere das Spiel ermöglicht es Falk, seine Ziele zu erreichen und Spiz zu überführen. Das Gros derjenigen Werke, die auf den Hamburger Theaterzetteln als ‚Posse‘ bezeichnet werden, ist jedoch weniger gut motiviert und weniger lehrreich. Reinke hat induktiv eine Beschreibung des Possenbegriffs aus den Gemeinsamkeiten aller als ‚Posse‘ bezeichneten Werke am Hamburger Stadttheater bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts erstellt: ein bißchen Liebe, die Geldprobleme einer Hauptperson, einige Wirrungen und unvorhersehbare kleinere Episoden, die dann schließlich das zu erwartende und auch erwartete ‚Happy End‘ herbeiführen, Liebe mit Hindernissen, Flucht vor Gläubigern, misslingende Ausbruchsversuche aus dem eigenen sozialen Umfeld.313
Die Schauplätze wie Wirtshäuser, Marktplätze und Volksfeste ermöglichen eine vergleichsweise realistische Motivierung der Gesangseinlagen und oftmals einen Alltags- und/oder Lokalbezug. Die Konflikte in Possen sind typischerweise „nicht sonderlich kunstvoll oder spannend arrangiert, stellen aber dennoch Stoffe dar, die das Publikum immer wieder in noch so holprigen Handlungen zu sehen bereit war. Neues und Innovatives war nicht gefragt“.314 || 313 Reinke (2005), „Ob’s gleich nur eine Posse ist“, S. 217. 314 Ebd. Was Reinke hier beschreibt, entspricht bereits fast der Definition von ‚Posse‘ wie wir sie später bei Klotz finden. Wir befinden uns in einem Zeitraum, der knapp v o r demjenigen liegt, der in den gängigen Studien zur Posse behandelt wird, die zumeist ca. 1813 mit den Possen Adolf Bäuerles, Josef Alois Gleichs und Karl Meisls beginnen. Klotz etwa spricht davon, die Posse habe „vereinzelte Vorläufer“ zum Beispiel bei Goldoni, sei aber räumlich auf die deutschsprachigen Gebiete beschränkt und zeitlich „so gut wie ausschließlich zwischen 1819 und 1870“ angesiedelt (vgl. Klotz [1980], Bürgerliches Lachtheater, S. 89). Eine Posse, synonym verwendet mit dem Begriff ‚Lokalposse‘, ist aus seiner Sicht „ein heiteres Bühnenstück im kleinbürgerlichen Milieu“, das „teils verklärend, teils kritisch vom Alltagsleben der Stadt handelt, in der sie [sic!] spielt und deren Sprache sie verlauten läßt“ (ebd.). Weder Fiktionsdurchbrechung, die Klotz für obligatorisch hält, noch Verklärung oder Kritik sind notwendige oder auch nur häufige Merkmale von Possen im 18. Jahrhundert. In einer induktiven Beschreibung der Charakteristika von Werken, die seit dem 19. Jahrhundert als Possen bezeichnet werden, hat Herbert Herzmann die Gattung wie folgt gefasst: „Ein auf Lachwirkung abzielen-
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Die Schwestern von Prag sind eine typische Posse in dem Sinn, dass sie dem Schema der Heirat mit Hindernissen folgen und auch das Herr-KnechtVerhältnis mit Streitigkeiten zwischen Herr und Diener inklusive Kündigungsund Prügelandrohungen zum Gegenstand haben. Für die Bediensteten, aber auch für die Bürger im Publikum ist dadurch Alltäglichkeit gegeben. Die Gesangseinlagen sind zumindest teilweise als Ständchen, Lieder der Nachtwächter oder Hausmusik motiviert, so wie auch die Handlung insgesamt nicht übertrieben konstruiert ist. Mit der Verkleidungskomik und der Ärztesatire ist zudem auf der Ebene der Komik genug Abwechslung geboten. Durch die Thematisierung von Untreue in der Ehe ist schließlich eine moralische Thematik gegeben, die sich jedoch auf lächerliche Versuche beschränkt und keine weitere Reflexion erfordert oder Verhaltensoptionen aufzeigt.
|| des Theaterstück, das mit Verkleidungen, Verwechslungen, überraschenden Situationen, stereotypen Figuren und Handlungsschemata operiert, eine offene Dramaturgie praktiziert und dazu häufig Bühnenmusik und Gesang einsetzt. Illusionsdurchbrechende Mittel – wie Kontrastierung von klassischer Bühnensprache und lokalem Dialekt, Mischung von Sprach- und Stilebenen, Parodie und Travestie, Aparte-Sprechen, Ad-spectatores-Sprechen, Aus-der-RolleFallen, Einsatz von Zitaten beziehungsweise Anspielungen auf Werke des (Musik-)Theaters wie auf aktuelle Ereignisse – finden sich in Possen regelmäßig.“ (Herzmann [2003], Posse, S. 134).
3.3 ‚Wahre‘ Komödie oder Rührendes Lustspiel als passende Form für eine nationale Komödie? Lessing: Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück (H 1767) – Lessing/Weiskern: Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück (W 1767) 3.3.1 Hamburg, Hamburger Nationaltheater, Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück (1767) Neben dem Opernbetrieb, wie er in Kapitel 3.1 dargestellt wurde, gastieren in Hamburg spätestens seit 1630 Wanderbühnen. Zu nennen sind hier zunächst die Truppen von Michael Daniel Treu, Carl Andreas Paulsen, Johannes Velten (1668, 1688, 1692, 1702, 1719, 1721) und Carl Ludwig Hoffmann (1723, 1726),315 später die der Friederike Caroline Neuber (1728–1748), Conrad Ernst Ackermanns (1754–1764 unregelmäßig, 1764–1767 fest in Hamburg), Johann Friedrich Schönemanns (immer wieder 1739–1749 und 1756), Sophie Charlotte Schröders (1742–1744) und Heinrich Gottfried Kochs (1758–1763). Koch hat auch einen größeren Anteil an Musiktheater im Repertoire,316 die anderen Truppen spielen hingegen nur Sprechtheater und Ballette.317 Versuche dieser Truppen in Hamburg sesshaft zu werden scheitern sowohl an einer fehlenden dauerhaften Spielerlaubnis als auch an mangelnder Nachfrage.318 Erst 1764 erhält Conrad Ernst Ackermann die Erlaubnis ein neues Comödienhaus an der Stelle der Gänsemarktoper zu errichten und bespielt dieses selbst, bis er es wegen mangelnder Einnahmen ab April 1767 verpachten muss.319 Abgelöst wird seine Direktion von derjenigen Theaterunternehmung, die als Hamburger Nationaltheater 24 Monate
|| 315 Vgl. Wollrabe (1847), Chronologie sämmtlicher Hamburger Bühnen, S. 17–39; Schütze nennt nur Michael Daniel Treu und Carl Andreas Paulsen, außerdem erwähnt er einen Herrn von Sonnenhammer als Theaterprinzipal einer Wanderbühnentruppe (vgl. Schütze [1794], Hamburger Theatergeschichte, S. 14). 316 Schütze (1794), Hamburger Theatergeschichte, S. 287, 302–306. 317 Vgl. die Werklisten in Meyer (1819), Friedrich Ludwig Schröder, Bd. II,2, S. 51–61. 318 Die Neuberin bemüht sich zum Beispiel mehrfach mit ihren Hochdeutschen Comödianten eine dauerhafte Spielerlaubnis in Hamburg zu erhalten, bekommt jedoch anstelle des gewünschten exklusiven Privilegs zum Beispiel 1737 vom Rat nur die Möglichkeit zu regelmäßigen Gastspielen bis 1748 (vgl. Brauneck/Müller/Müller-Wesemann [1989], Theaterstadt Hamburg, S. 34, mit Abdruck des Gesuchs in der Fußnote). Johann Friedrich Schönemann versucht im Winter 1741 das Publikum dadurch zu binden, dass er gegen eine einmalige Zahlung den gesamten Winter freien Eintritt gewährt. Diese Idee scheitert an mangelnder Nachfrage (vgl. a. a. O., S. 34). 319 Vgl. a. a. O., S. 37 f. und Gutjahr (2016), Lessings Aufklärungskomödie, S. 445 f.
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lang, genauer von April 1767 bis März 1769, als erstes deutschsprachiges Nationaltheater beachtliches Aufsehen erregt.320 Unter den aufgeführten Werken finden sich im Vergleich etwa mit dem Spielplan der Ackermannschen Gesellschaft signifikant weniger Komödien und bis kurz vor Schluss gar kein Musiktheater. Diese Ausrichtung könnte ein wichtiger Grund dafür gewesen sein, dass die Gewinne fehlten um das Projekt ohne öffentliche Finanzierung am Leben zu erhalten.321 Dennoch hat das Hamburger Nationaltheater durch die Mitwirkung Lessings und als erstes Nationaltheater im Reich eine ganz besondere Sichtbarkeit erreicht. Seine Komödie Minna von Barnhelm wurde als Eröffnungsstück für diese Institution geschrieben, bislang aber noch nicht im Kontext der Nationaldramatik und eines Nationaltheaterrepertoires gelesen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass dieser Kontext für das Verständnis der Komödie ausschlaggebend ist. Deutlich werden wird so, dass Stolz und nicht Ehre oder Patriotismus das zentrale Thema der Minna von Barnhelm sind. Darüber hinaus
|| 320 Im Folgenden wird die Bezeichnung ‚Hamburger Nationaltheater‘ gewählt, obwohl dies nicht der Name der Institution in dieser Zeit ist. Man spricht einfach vom ‚Comödienhaus‘ (vgl. Jahn [2016a], Bühne und Bürgertum). 321 Vgl. zu diesen Gründen für das Scheitern des Hamburger Nationaltheaters Nisbet (2008), Lessing, S. 487–489. Vgl. zum Hamburger Nationaltheater die beiden aus den Quellen gearbeiteten, noch immer nicht überholten Grundlagenwerke: Schlösser (1895), Vom Hamburger Nationaltheater zur Gothaer Hofbühne und Thiele (1895), Die Theaterzettel der sogenannten Hamburger Entreprise. Zum Repertoire und Lessings Analyse desselben in der Hamburgischen Dramaturgie vgl. Robertson (1936), Lessing’s Dramatic Theory. Eine Darstellung verschiedener Forschungspositionen und offener Fragen findet sich im Lessing Handbuch (vgl. Fick [2016], Lessing Handbuch, S. 303–307). Jahn hat zuletzt drei Aspekte angeführt, in denen sich das Konzept des Hamburgischen Nationaltheaters von einem viablen Konzept eines Stadttheaters für Hamburg unterscheidet: Das Repertoire des Hamburger Nationaltheaters ist zwar international ausgerichtet, wie man es im weltoffenen Hamburg liebt, es fehlt jedoch das Musiktheater, das in der Produktion der zuvor erfolgreichen Hamburger Gänsemarktoper und in der nachfolgenden des Hamburger Stadttheaters eine Zentralstellung einnimmt. Es fehlt zudem an Hamburg-Bezug in Prologen und Epilogen sowie in Stoffen und Bühnenbild. An die Stelle der Dialogizität in Pro- und Epilogen und in begleitenden Lokalmedien tritt als dritter Mangel die Monologizität der Hamburgischen Dramaturgie Lessings, in der schon sehr bald die Schauspieler und die tatsächlichen Inszenierungen zugunsten von Werkanalysen zurücktreten. Jahn gibt als Beleg für die Ignoranz der Nationaltheaterunternehmung durch die Hamburger Bürger auch an, dass die hamburgischen Unterhaltungen nicht über das Nationaltheater berichteten (vgl. Jahn [2017], Den Bürgern eine Bühne?, S. 87). Vgl. dagegen Nisbets Position, der meint, die hamburgischen Unterhaltungen hätten sich nur deshalb der Berichterstattung enthalten, weil sie Lessings Projekt der Hamburgischen Dramaturgie Platz machen wollten. Nisbet verweist auch darauf, dass dieses Periodikum die Kritik der schauspielerischen Leistung an Lessings Stelle schnell wieder übernimmt, als Lessing damit aneckt und diese einstellt (vgl. Nisbet [2008], Lessing, S. 485).
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soll durch den Bezug zur europäischen Nationaldramatik auch erklärt werden, weshalb Lessing gerade diese Eigenschaft gewählt hat.322 Insbesondere die Überbietung von Voltaire und seiner im deutschsprachigen Gebiet gespielten Komödien ist dabei von Bedeutung. Analysiert wird im ersten Teil für Hamburg ausschließlich der Erstdruck der Minna von Barnhelm, weil für das 18. Jahrhundert keine Aufführungsmaterialien aus Hamburg vorliegen.323 Im Anschluss wird dann untersucht, wie die Komödie verändert wird, als sie in Wien ebenfalls in ein Projekt eines nationalen Theaters, die ‚Nationalschaubühne‘ eingepasst wird. Die Umarbeitung durch Friedrich Wilhelm Weiskern ist typisch für die Tendenz zum Rührenden Lustspiel, die dieses Projekt kennzeichnet. Eine Debatte über ein musterhaftes nationales Theater nach dem Vorbild von Dänemark, Frankreich oder England gibt es im Reich seit Beginn der 1740er Jahre. Typisch sind die Forderungen nach einer Verbesserung der Ausbildung, der sozialen Absicherung und der Reputation der Schauspieler, nach einer unabhängigen künstlerischen Leitung, nach einer öffentlich abgesicherten Finanzierung, nach einem natürlichen Schauspielstil und vor allem nach der Aufführung regelmäßiger, deutschsprachiger Dramen, die ohne improvisierte Einlagen aufgeführt werden sollen.324 Gefordert werden insbesondere deutschsprachige Originalstücke, die „die Sitten und den besonderen Charakter [der] Nation“325 repräsentieren. Die Debatte ist deshalb so ausgeprägt und über Jahrzehnte präsent, weil es an den grundlegenden Voraussetzungen für ein Nationaltheater – an einer öffentlichen Finanzierung eines stehenden Theaters einerseits und geeigneten deutschen Theaterstücken andererseits – im Reich allerorten fehlt.
|| 322 Hier wird dann eine Auseinandersetzung mit der jüngsten umfangreichen Interpretation von Lessings Minna von Barnhelm stattfinden (Venzl [2019], „Itzt kommen die Soldaten“). Bei Venzl findet sich ein sehr guter Forschungsüberblick, der den bei Fick noch ergänzt (vgl. Venzl [2019] „Itzt kommen die Soldaten“, S. 237–246; Fick [2016] Lessing Handbuch, S. 269–274. 323 Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Verfertiget im Jahre 1763. Lustspiele von Gotthold Ephraim Lessing. Zweyter Theil. Der Freygeist. Der Schatz. Minna von Barnhelm. Berlin bey Christian Friedrich Voss 1767, S. 253–442 [BSB P.o.germ. 834 x-2] Im Folgenden als Minna von Barnhelm abgekürzt und mit der Sigle MvBED zitiert. Ein in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky erhaltener Druck von 1770 mit handschriftlichen Korrekturen, Streichungen, Rollen- und Szenenübersicht wurde mit größter Wahrscheinlichkeit erst im 19. Jahrhundert verwendet: Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen; Inspektionsbuch / von Gotthold Ephraim Lessing. Zweyte Auflage Berlin: bey Christian Friederich Voß, 1770 [SUB Hamburg Theater-Bibliothek: 1985a]. 324 Zum Nationaltheaterkonzept vgl. zum Beispiel Krebs (1989), L’Idée de „Théâtre National“ und Meyer (2012), Schriften, S. 99–162. 325 Schlegel (1764), Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters, S. 265.
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Im Repertoire des Hamburger Nationaltheaters gehört die Minna von Barnhelm dann auch zu den nur rund zwei Dutzend original deutschsprachigen Dramen von insgesamt 120 aufgeführten dramatischen Werken.326 Dass sie nicht als Eröffnungsstück gegeben wird, wie ursprünglich geplant, ist dem vorauseilenden Gehorsam des preußischen Gesandten Johann Julius von Hecht geschuldet, der davon ausgeht, dass Friedrich II. die Kriegsthematik missbilligt.327 Von Hecht legt dem Senat nahe das Werk zu verbieten. Erst als Lessing vom zuständigen Minister in Berlin die Bestätigung vorlegen kann, dass von Seiten der preußischen Regierung keine Einwände bestehen, kann die Komödie am 30. September 1767 in Hamburg uraufgeführt werden.328 Neu und bemerkenswert an der Minna von Barnhelm ist jedenfalls, dass ihre Handlung in der damaligen deutschen Gegenwart verortet ist. Die meisten anderen original deutschsprachigen Komödien nehmen keinen Bezug auf deutschsprachige Gebiete oder zu Ereignissen der jüngeren deutschen Geschichte. Dasjenige Drama, das man als Eröffnungsstück des Hamburger Nationaltheaters anstelle der Minna von Barnhelm gibt, die Märtyrertragödie Olint und Sophronia von Johann Friedrich von Cronegk, spielt beispielsweise im Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge.329 Eine erste nationaltheaterbezogene Schreibstrategie Lessings
|| 326 Sie ist im Übrigen auch das einzige Werk, das an dieser Theaterinstitution uraufgeführt wird. 327 Vgl. Lessing an Nicolai am 4. August 1767. In: LM 17, S. 233–235. 328 Vgl. D, S. 230–232; Hein [1998], Minna von Barnhelm, S. 51. In Berlin verzögert sich die Aufführung durch die Zensur ebenfalls, wobei auch hier kein Zensurexemplar, ja noch nicht einmal Dokumente zur Zensur vorliegen, aus denen hervorginge, was tatsächlich beanstandet wurde (vgl. zu den Hinweisen auf Zensurvorgänge in Briefen und zum Fehlen von Akten in den Archiven Labus [1936], Minna von Barnhelm, S. 37, insbes. Fn. 37). Zu den Zensurbestimmungen in Preußen vgl. Dyck (1981), Minna von Barnhelm, S. 213 ff. Karl Lessing erwähnt lediglich, dass diejenigen Stellen Anstoß erregt hätten, die Überlegungen zur „Regierung“ und zur „Polizei“ enthielten (Lessing [1793–1795], Gotthold Ephraim Lessings Leben, 1. Theil, S. 239). Textliche Veränderungen wurden jedenfalls keine verlangt (vgl. Lessing [1793–1795], Gotthold Ephraim Lessings Leben, 1. Theil, S. 239). Nisbet äußert im Übrigen die plausible These, die Minna von Barnhelm sei nur deswegen nicht gänzlich verboten worden, weil Friedrich der Große sich für die deutschsprachige Literatur schlicht nicht interessierte (vgl. Nisbet [2008], Lessing, S. 446, Griebel [1978], Historische Studien, S. 277 ff.) 329 Vgl. Hollmer/Meier (2001), Dramenlexikon, S. 49 f. und Neuß (1989), Tugend und Toleranz. Es handelt sich um ein Märtyrerdrama aus der Zeit der Kreuzzüge, in dem die Helden bereit sind, ihr Leben zu opfern, um das Leben unschuldiger Glaubensgenossen zu retten und standhaft beim christlichen Glauben bleiben. Sophronia wird vom Muslim Ismenor vergiftet und Olint stirbt im Kampf gegen die Kreuzfahrer. Das Werk erscheint 1760 im Ersten Band der Schriften Cronegks in Leipzig als Fragment. Es bricht dort ab, wo die persische Königin Clorinde auf ihre Liebe zu Olint verzichten will, weil sie von seiner standhaften Weigerung, nicht
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ist demnach die Wahl eines für das damalige Publikum aktuellen, deutschen Stoffes. Diese Tatsache wird bereits von den Rezensenten der Erstausgabe der Minna von Barnhelm hervorgehoben. Johann Joachim Eschenburg bezeichnet die Minna zum Beispiel im September 1767 in seinen Unterhaltungen als „wahres Original, worinn alles deutsch ist, nicht allein die Namen, sondern auch Handlung und Charaktere“.330 Zu lesen ist zudem, dass die Komödie „durch keinen ausländischen Zug verstellt[e]“ und „vollkommene Deutsche“ zeige, bei denen „selbst die kleinste Nuance ihres Charakters […] in den Sitten des Landes gegründet“ ist.331 Goethe bezeichnet sie als „wahrste[] Ausgeburt des Siebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutschem Nationalgehalt“ und „erste, aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt“.332 Der erwähnte aktuelle Zeitbezug ist dadurch gegeben, dass der Siebenjährige Krieg, genauer gesagt die Situation eines Offiziers und seiner Braut kurz nach dem Ende desselben, Thema der Komödie ist. Der äußerst verlustreiche Konflikt innerhalb des Reichs, der diesem Krieg zu Grunde liegt, die Niederlage Österreichs und seiner Verbündeten und insbesondere die Ausbeutung des unterlegenen Sachsens durch Preußen, eignen sich allerdings auf den ersten Blick weder als Stoff für eine Komödie noch dazu, einheitsstiftende Verhaltensweisen und Werte zu propagieren. Lessing thematisiert schließlich die Umstände für verwundete und abgedankte Soldaten, deren starre Fixierung auf Drill und Ehre im preußischen Heer, die übermäßig harten Kontributionsforderungen Preußens an Sachsen, die materiellen Folgen eines verlustreichen Krieges und vor allem einen Konflikt, der das Reich spaltet.333 Möglich wird die komödienhafte Darstellung dieser Sachverhalte erst dadurch, dass Lessing das Schema der
|| zum Christentum zu konvertieren, so gerührt ist. Anlässlich einer in Wien 1765 geplanten Aufführung führt der Archivar Cassian von Roschmann-Hörburg das Fragment, an dessen Ende sich ein lieto fine andeutet, tragisch zu Ende. In dieser Fassung spielt man es in Hamburg. Ein Grund für die Wahl dieses Werkes dürfte auch gewesen sein, dass die aus der Kurz’schen Truppe neu nach Hamburg gekommene Madame Mécourt darin eine große Rolle spielen konnte (vgl. Robertson [1939], Lessing’s Dramatic Theory, S. 40). 330 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 820. 331 Anonymus : Rezension. In: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften. Halle 1767, 2. Stück, zit. in Bd. 6, S. 816, Hervorhebung original. 332 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 829. In der Literaturwissenschaft wird auch heute Lessings Innovationsleistung für die Komödiengeschichte als „Verankerung [der Komödie, KD] im Geschichtlichen“ (Hinck [1965], Das deutsche Lustspiel, S. 256) und als „Zugewinn an Realitätshaltigkeit“ gesehen (Fick [2016], Lessing-Handbuch, S. 262). 333 Das Wissen, das für die Zeitgenossen mit den dargestellten Situationen verbunden ist, beschreiben Griebel (1978), Historische Studien und Dyck (1981), Minna von Barnhelm.
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Heirat mit Hindernissen verwendet, das durch eine Verordnung Friedrichs II. gegen Ende des Siebenjährigen Krieges auch ein Pendant in der historischen Situation hat. Gegen Ende des Krieges ordnete jener explizit an, dass sich so viele Soldaten seiner Armee wie möglich mit Sächsinnen verheiraten sollen.334 Nachdem den Soldaten zuvor nur in seltenen Ausnahmefällen gestattet worden war zu heiraten, um zu vermeiden, dass im Falle ihres Todes mittellose Soldatenwitwen und -familien zurückblieben, solle durch diese Maßnahme die starke Dezimierung der Bevölkerung im Siebenjährigen Krieg nun möglichst schnell ausgeglichen werden. Aus sächsischer Sicht sind mit diesem Heiratserlass allerdings auch problematische Aspekte verbunden, weil neben den Kriegsverwüstungen und den finanziellen Verlusten durch die übermäßigen Kontributionszahlungen zusätzlich der Verlust der Frauen an die siegreiche preußische Kriegspartei droht. Lessing nutzt diesen Erlass Friedrichs des Großen, um im Modell der Heirat mit Hindernissen die Kriegsparteien schlussendlich auf der Bühne in einer Ehe zu vereinen. Selbstverständlich ist die Hauptfigur Tellheim bei ihm kein Frauenräuber, sondern wird von Minna aufgrund ihrer tugendhaften Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft geliebt. In Minna wird ihm eine kommunikativ gewandte Strategin und eine „Amazone“335 zur Seite gestellt, die dem preußischen König einen Offizier entführen möchte.336 Auf diese Weise findet Lessing für den Konflikt innerhalb des Reiches, der auf den ersten Blick wenig für eine Komödie von deutschem Nationalgehalt zu taugen scheint, eine friedliche Lösung, in der die Sächsin in gewisser Weise auch als Siegerin dasteht. Goethe fasst diesen Sachverhalt wie folgt: „Die Anmuth und Liebenswürdigkeit der Sächsinnen überwindet den Werth, die Würde, den Starrsinn der Preußen, und sowohl an den Hauptpersonen als den Subalternen wird eine glückliche Vereinigung bizarrer und widerstrebender Elemente kunstgemäß dargestellt.“337 Der Anfang des Werkes bis zu demjenigen Punkt, an dem sich das Heiratshindernis zeigt, sei kurz skizziert. Der Anlass für die Handlung der Minna von Barnhelm ist die bedauerliche Tatsache, dass der Major von Tellheim sich nach seiner Verlobung nicht mehr bei Minna gemeldet hat, woraufhin sie sich aufmacht ihn zu suchen. Durch Zufall steigen beide im selben Berliner Wirts-
|| 334 Vgl. im Folgenden Nisbet (2008), Lessing, S. 444. 335 Vgl. für diese Bezeichnung Minnas die Rezension des Erstdrucks in der Berlinischen privilegirten Zeitung (vgl. Lessing [1985–2003], Werke und Briefe, Bd. 6, S. 813). 336 Die Prädominanz des militärischen Vokabulars in Minnas Sprache wird bereits bei Lachmann und Muncker herausgearbeitet (vgl. LM II, S. 189). 337 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 830.
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haus ab. Die Handlung beginnt, kurz nachdem Tellheim zugunsten des sächsischen Fräuleins aus seinem Zimmer ausquartiert worden ist. Im ersten Akt bestimmen die Wut des Bediensteten Just und seine Streitigkeiten mit dem Wirt über die schlechte Behandlung sowie die Charakterisierung Tellheims als großzügig und mitleidig die Handlung. In I,9 erfahren die Rezipient*innen gemeinsam mit Just, dass das Fräulein, das nun in Tellheims Zimmer wohnt, ihren Bräutigam sucht. Als ebendieses Fräulein in II,1 von Tellheim als dem gesuchten Bräutigam spricht – Tellheims Name war von Werner in I,12, das heißt in der direkt vorangegangenen Szene erwähnt worden – ist für die Rezipient*innen klar, dass ein Wiedersehen unmittelbar bevorsteht. Minnas quälende Gedanken, Tellheim könnte sehr weit weg sein, sind für die Rezipient*innen komisch, weil sie in Kontrast zu dem Wissen darüber stehen, dass Tellheim eben noch in Minnas Zimmer gewohnt hat und sich auch jetzt in unmittelbarer räumlicher Nähe befindet. Das erste Wiedersehen des Paares ist mit seinem unvermittelten Wechsel von körperlichen und emotionalen Reaktionen situationskomisch gestaltet: TELLHEIM DAS FRÄULEIN TELLHEIM DAS FRÄULEIN.
TELLHEIM. DAS FRÄULEIN TELLHEIM. DAS FRÄULEIN.
(tritt herein, und indem er sie erblickt, flieht er auf sie zu). Ah! meine Minna! (ihm entgegen fliehend). Ah! mein Tellheim! (stutzt auf einmal, und tritt wieder zurück). Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, – das Fräulein von Barnhelm hier zu finden – Kann Ihnen doch so gar unerwartet nicht sein? – (Indem sie ihm näher tritt, und er mehr zurück weicht.) Ich soll Ihnen verzeihen, daß ich noch Ihre Minna bin? Verzeih Ihnen der Himmel, daß ich noch das Fräulein von Barnhelm bin! – Gnädiges Fräulein – (Sieht starr auf den Wirt, und zuckt die Schultern.) (wird den Wirt gewahr, und winkt der Franziska). Mein Herr, Wenn wir uns beiderseits nicht irren – Je, Herr Wirt, wen bringen Sie uns denn da? Geschwind kommen Sie, lassen Sie uns den rechten suchen. (MvBED II,8)
Zunächst steht der Konvergenzbewegung des Paares und der emotionalen Apostrophe Minnas Tellheims kühle Distanzierung auf körperlicher und sprachlicher Ebene gegenüber. Auf Blickwechsel, schnelle Bewegung aufeinander zu und analoge vertraute Anrede („mein“) folgt Bewegungsabbruch, Distanzierung und Übergang zur förmlichen Anrede.338 Minnas erneute Annäherung an Tell|| 338 Die Anzahl der Regieanweisungen hat in der Minna von Barnhelm gegenüber vorigen Dramen signifikant zugenommen (vgl. Nisbet [2008], Gotthold Ephraim Lessing, S. 463). Die Regieanweisungen sind auch Ausdruck eines neuen natürlichen Schauspielstils, den wir heute
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heim wird dann durch sein Zurückweichen komisch kontrastiert. Ebenfalls komisch ist die abrupte Verhaltensänderung Minnas, als sie den Wirt bemerkt, dem sie die Beziehung zu Tellheim verheimlichen möchte. Tellheim weigert sich standhaft und – wie es zu diesem Zeitpunkt aufgrund mangelnder Informationen scheinen muss – ausschließlich aus übertriebenem Stolz, Minna zu heiraten. Damit ist das Schema der Heirat mit Hindernissen aktiviert, das wohl typischste Schema der europäischen Komödie überhaupt. Diesem Schema ist das gute Ende und somit die Überwindung des Heiratshindernisses eingeschrieben. Da es Tellheim selbst ist, der die Hochzeit verhindert, muss man davon ausgehen, dass die Rezipient*innen auf diejenigen Informationen achten sollen, die Tellheims Argumente entkräften. Wie bereits im letzten Kapitel erwähnt, ist eine Wiederholung von Heiratshindernissen in diesem dominant paradigmatischen Handlungsschema erwartbar, in diesem Fall in Gestalt der fortgesetzten Weigerung Tellheims. Minna hingegen ist nicht bereit, Tellheims Argumente als echte Hinderungsgründe anzuerkennen. Als Tellheim sich jedoch weiterhin gegen die Heirat sträubt, kommt es zur Inversion der komischen Situation der Heiratsverweigerung, indem Minna nun vorgibt, von ihrem Onkel enterbt worden zu sein. Solchermaßen ihrer Ehre beraubt, komme sie nicht mehr als Heiratskandidatin für ihn in Frage, wie sie konsequent erklärt. Sie spiegelt nun wörtlich alle seine Argumente gegen eine Verbindung, woraufhin er sie nach dem letzten Argument ebenfalls des Stolzes bezichtigt.339 Als er hört, dass Minna hilfsbedürftig ist, ist er umgehend bereit, sie zu heiraten, glaubt dann jedoch mit einem Mal, Minna habe ihn getäuscht und wolle ihn verlassen. Das macht er daran fest, dass sie ihm ihren Verlobungsring zurückgegeben hat. Erst als Minnas Onkel eintrifft, gelingt es Minna Tellheims Blick auf den Ring zu lenken, ihm zu verdeutlichen, dass es sein eigener ist und dass sie nicht vorhatte sich von ihm zu trennen. Die Schreibstrategie der Heirat mit Hindernissen in einer historisch einmaligen und außerliterarisch aktuellen Situation ist hier verknüpft mit der Schreibstrategie der Intrige aus der sächsischen Typenkomödie. In dieser wird normalerweise eine Figur verlacht, indem sie in ihrem abweichenden Verhalten als komisch vorgeführt wird. || als ‚psychologisierend‘ bezeichnen würden (vgl. Bender [1988], „Mit Feuer und Kälte“; Bender [1989], Eloquentia corporis; Bender [1992], Vom „tollen“ Handwerk; Košenina [1995], Anthropologie und Schauspielkunst, S. 117). 339 Zwar sagt Minna das in IV,6 nicht explizit, aber sie hatte Franziska in III,12 schließlich bereits angekündigt, Tellheim für seinen Stolz zu quälen, wenn er sie diesen zu sehr merken lassen würde. Bevor sie mit der Spiegelung beginnt und genau nachdem Tellheim ihr erklärt hat, er wolle sein Glück niemals einer Frau zu verdanken haben, verständigt sie sich noch einmal mit Franziska darüber, ob Tellheim nun gerade übertreibe.
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In der bisherigen Forschung wird häufig diskutiert, welche Rolle Minna in dieser Intrige spielt und ob auch ihr Verhalten lächerlich-übertriebene Komponenten aufweist. Die bisherigen Positionen in der Forschung sind dazu grob die Folgenden: Wird Tellheims Verhalten als lächerlich und übertrieben dargestellt, wird Minna zum Beispiel als vollkommene Verkörperung der natürlichen Vernunft und des Menschseins340 bezeichnet oder die Komödie wird, weniger abstrakt, als Verständigung über die Grundlagen einer Beziehung gelesen und Minna als Individuum verstanden, das Achtung als gleichberechtigte Partnerin einfordert. So betrachtet ist Minna keine komische Figur; sie heilt Tellheim von seinem lächerlich-übertriebenen Starrsinn und hat demnach mit ihrer StolzLektion Recht.341 Wird Minna hingegen als komische Figur aufgefasst, so geht es vor allem darum nachzuweisen, dass Tellheim im Recht ist, wenn er seinen Standes- und Ehrverlust als schwerwiegend darstellt.342 Unter Verweis auf realhistorische Fakten wird zum Beispiel nachgewiesen, wie prekär Tellheims Situation ist und dass er keinesfalls übertreibt, wenn er auf seine Ehre pocht. So gesehen ist Tellheim keine komische Figur,343 während Minna in der Übertreibung ihres Spiels komisch ist, mit ihrer Verstellung jedoch ernste Konsequenzen riskiert.344 In dieser Lesart wird Minnas Verhalten häufig als wenig komisch und eher problematisch wirklichkeitsfern interpretiert, weil sie etwas zu erreichen sucht, das ihr selbst schaden würde und das ihn quält.345 Aus dieser Sichtweise resultiert die Etikettierung als ‚ernste Komödie‘, an die zuletzt beispielsweise auch Neuhuber wieder angeknüpft hat.346
|| 340 Vgl. Staiger (1982), Lessings Minna von Barnhelm, S. 70, 73–75. 341 Erwähnt seien hier nur: Brüggemann (1926), Lessings Bürgerdramen; Schmitz (1941), S. 97 f., Mann (1961), Lessing, S. 195 ff.; Sanna (1994), Lessings Minna von Barnhelm. 342 So zum Beispiel prominent Fricke (1956), Lessings Minna von Barnhelm, S. 25–46, Wiese (1961), Die deutsche Komödie, S. 658, Saße (1993), Liebe und Ehe. Saße legt durch die Rekonstruktion des sozialgeschichtlichen Hintergrundes (Beziehungs-, Liebes- und Moralvorstellungen, Straf- und Wechselrecht und geldwirtschaftliche Situation der Nachkriegszeit) ausführlich dar, dass der Bestechungsvorwurf gegen Tellheim eine ernsthafte existentielle Bedrohung bedeutet und dass seine Weigerung, Minna zu heiraten bei seinen Zukunftsperspektiven vernünftig und verantwortungsvoll und nicht etwa stolz ist. 343 Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man davon ausgeht, dass Tellheim die ihm zugefügte Beleidigung als unausweichliches „Verhängnis“ hinnimmt und sein „Selbstbewußtsein bereits aufgegeben hat“. (Arntzen [1968], Die ernste Komödie, S. 36) 344 Exemplarisch für diese Position zum Beispiel: Belgardt (1966), Minna von Barnhelm als komischer Charakter. 345 Vgl. zum Beispiel Bartl (2009), Die deutsche Komödie, S. 79 f. 346 Vgl. Arntzen (1968), Die ernste Komödie und Neuhuber (2003), Das Lustspiel macht Ernst.
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Dem Hamburger Publikum bekannt ist Lessing als Autor von Verlachkomödien. In Ackermanns Repertoire finden sich 1754 und 1757 bereits Der Schatz (1757) und Der Freygeist (1757). Der Freygeist ist bei Ackermann in einem Jahr voller Typenkomödien situiert.347 Auch am Hamburger Nationaltheater spielt man dann beide Komödien Lessings, den Freygeist bezeichnenderweise unter dem Titel Der beschämte Freygeist, das heißt mit Hinweis auf das Verlachschema der Typenkomödie. Zudem gibt man Der Misogyn, eine Komödie, die ebenfalls als Verlachkomödie einzustufen ist und auf Schadenfreude abzielt.348 Die meistgespielten Autoren im Komödienbereich sind bei Ackermann und am Hamburger Nationaltheater die Franzosen Destouches, La Chaussée, Molière und Marivaux in deutschen Bearbeitungen. Bei Ackermann sind insgesamt Typenkomödien noch stärker repräsentiert als im Hamburger Nationaltheater,349 aber auch dort sind sie mit ca. 40 Aufführungen noch gut vertreten.350 Dominant sind allerdings in beiden Repertoires die Rührenden Lustspiele, und zwar fast ausschließlich in Übersetzungen beziehungsweise Bearbeitungen aus dem Französischen.351 Da es demnach ungefähr gleich wahrscheinlich ist, dass Lessing an seine bisherige Positionierung anschließen, als auch dass er ein Rührendes Lustspiel schreiben will, soll zunächst eine genaue Analyse der Informationsvergabe und der Komik in der Komödie selbst vorgenommen werden. Sie kann allerdings nur dann adäquat verstanden werden, wenn man Lessings Auseinandersetzung mit der Verlachkomödie in der Nachfolge Gottscheds und mit dem Rührenden Lustspiel rekonstruiert.352
|| 347 Vgl. Meyer (1819), Friedrich Ludwig Schröder, II,2, S. 53. Meyer listet leider nur die Werke auf, die Ackermann in einem Jahr gegeben hat. Aufführungshäufigkeiten und -daten finden sich nicht. 348 Der Schatz wurde zweimal, Der Misogyn fünfmal, Der Freygeist sechsmal gegeben (vgl. Robertson [1936], Lessing’s Dramatic Theory, S. 44 f). Der Median der Aufführungszahlen für die Komödien liegt bei 5, das arithmetische Mittel bei 6,25, so dass man von durchschnittlichen Aufführungszahlen ausgehen kann. 349 Bei Ackermann sind die sächsischen Typenkomödien mit ca. 30 Werken vertreten, Aufführungszahlen der Komödien wurden bisher nicht gesondert erhoben. 350 Es handelt sich um Komödien von Luise Adelgunde Victorie Gottsched, Johann Christian Brandes, Johann Elias Schlegel, Johann Christian Krüger, Christian Felix Weiße (vgl. Robertson [1939], Lessing’s Dramatic Theory, S. 44 f.). 351 Diese Aussage trifft auch für das Repertoire der Wanderbühnen im gesamten mittel- und norddeutschen Sprachraum zu (vgl. Brauneck [1996], Die Welt als Bühne, S. 763 ff. und MaurerSchmoock [1982], Deutsches Theater im 18. Jahrhundert. S. 125 ff.). 352 Die Hamburgische Dramaturgie, in der Lessing seine zentralen wirkungsästhetischen Überlegungen zum Zusammenhang von Komik und Moral niederlegt, behandelt nur die Dramen bis 28. Juli 1768. Die Minna von Barnhelm ist demnach fertig gestellt worden, bevor die
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Lessings Strategie, sich in theoretischen Schriften von Gottscheds Überlegungen aus dessen Regelpoetik Critische Dichtkunst vor die Deutschen353 und den an Gottsched anschließenden sogenannten ‚sächsischen Typenkomödien‘354 abzusetzen, darf nicht davon ablenken, dass beide in einer aufklärerischen Fundierung ihrer Konzeption von Komik vereint sind. Beide wollen das Lustige und das Lachen für erzieherische Zwecke funktionalisieren. Beide verstehen die Komödie nicht schlicht als den Ort der Darstellung des ‚Lustigen‘ im Sinne des Possenreißens, der italienischen Verwechslungs- und Verkleidungsspiele und lustiger Gebärden und Kostüme, sondern sprechen vom ‚Lächerlichen‘ als dem unvernünftig Übertriebenen, das es zu bemerken gilt. Allerdings vertreten sie hinsichtlich der Mittel zur Erreichung dieser Ziele verschiedene Auffassungen. Gottsched definiert in Rückgriff auf Aristoteles die Komödie als die „Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann.“355 Die Wirkungsabsicht des belustigenden Erbauens, die Gottsched von Horaz übernommen hat,356 ist in sein Projekt eingebettet, das Theater „moralisch zu einer Erziehungsanstalt, sozial zu einem Forum bürgerlicher Öffentlichkeit“ zu machen.357 Zur Vernunft erziehen kann das Theater seiner Meinung nach allerdings nur dann, wenn es die Welt als einen vernünftigen, gottgeordneten Kosmos abbildet.358 Unvernünftiges und Unwahrscheinliches, das dieses Weltbild stören könnte, ist Gottsched ein Dorn im Auge. Aus diesem Grund darf Lächerliches in der Komödie nur in einer ganz bestimmten Spielart vorkommen. Die gängige, an Aristoteles angelehnte Definition, dass das Lächerliche, „etwas ungestaltes oder ungereimtes sey, das doch demjenigen, der es an sich hat, keinen Schmerz verursachet“359 schränkt Gottsched deshalb weiter ein: Es ist also wohl zu merken, dass weder das Lasterhafte, noch das Lächerliche für sich allein, in die Komödie gehöret; sondern beydes zusammen, wenn es in einer Handlung verbunden angetroffen wird. Vieles läuft wider die Tugend; ist aber mehr strafbar und wider-
|| ersten Stücke der Hamburgischen Dramaturgie zu Papier gebracht werden, das Werk oder dessen Aufführungen werden aber weder besprochen noch erwähnt (vgl. zur Entstehung der Hamburgischen Dramaturgie Fick [2016], Lessing-Handbuch, S. 303). 353 Gottsched (1730), Versuch einer Critischen Dichtkunst. 354 Vgl. Steinmetz (1978), Die Komödie der Aufklärung. 355 Gottsched (1730), Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 643. 356 Die zweite Auflage der Critischen Dichtkunst von 1737 enthält im Anhang einen vollständigen Abdruck der Poetik des Horaz. 357 Greiner (2006), Die Komödie, S. 144. 358 Die Regeln der Vernunft werden hier demnach mit den Gesetzen der Natur gleichgesetzt. 359 Gottsched (1730), Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 643.
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lich, oder gar abscheulich, als lächerlich. Vieles ist auch lächerlich; wie zum Exempel die Harlekinspossen der Italiener: aber darum ist es doch nicht lasterhaft.360
Weder nur Lächerliches noch nur Lasterhaftes allein darf zur Darstellung kommen, weil das simple Auslachen beziehungsweise die Abscheu es nicht ermöglichen, das Lächerliche als andere Seite der Tugend darzustellen und so den Wert derselben zu bekräftigen.361 Ein Lachen ohne den instrumentellen Bezug zu sozialen Normen wird in der Komödie nicht geduldet: Die erwünschte Einschränkung des Lächerlichen und Lasterhaften kann erreicht werden, indem man es nur als Abweichung von der Vernunft darstellt. Hier treffen sich die allgemeinen Bestimmungen zur Handlung im Drama, die Gottsched im IV. Hauptstück des 1. Teils darlegt, mit der Komödiendefinition, denn das Lächerliche ist dann die Abweichung von einem moralischen Satz, der der Fabel als Lehre zu Grunde liegt. Die erzieherische Wirkung wird demnach erzielt, indem das abweichende und deshalb lächerliche Verhalten möglichst deutlich hervortritt und so dem Verlachen preisgegeben wird. In der Praxis ist es allerdings so, dass die Komödien, die Gottsched in der Critischen Dichtkunst veröffentlicht, nicht nur Verlachkomik, sondern immer auch moralisch nichtfunktionalisierbare Komik enthalten.362 Auch Lessing vertritt in der Hamburgischen Dramaturgie die Meinung, dass das Theater „die Schule der moralischen Welt“ zu sein habe.363 Er setzt dort an, wo Gottsched aufhört. Gemeint ist die Frage, ob das Verlachen des Lächerlichen tatsächlich zu der erwarteten Verhaltensorientierung bei den Rezipient*innen führt. Er konstatiert, „daß der Geizige des Molière nie einen Geizigen, der Spieler des Regnard nie einen Spieler gebessert habe“364 und mutet der Komödie ein solches Reiz-Reaktionsschema auch nicht zu. Stattdessen definiert er den Nutzen der Komödie als Förderung einer Disposition: Ähnlich wie die Tragödie, die die Fähigkeit mitzuleiden als grundlegende Tugend aller anderen Tugenden lehren soll, ist es das Ziel der Komödie, die Fähigkeit zu üben das Lächerliche zu bemerken. Gelernt werden soll, was das Lächerliche im Allgemeinen aus-
|| 360 A. a. O. 361 „Die Komödie will nicht grobe Laster, sondern lächerliche Fehler der Menschen verbessern.“ (Gottsched [1730], Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 645). 362 Für die Komödien Molières und die Destouche-Übersetzungen der Gottschedin hat das Schulze gezeigt, für Das Testament der Gottschedin und für die Bearbeitung von Holbergs Jean de France Kaminski (vgl. Schulze [1992], Hahnrei und verliebter Ehemann, S. 210 ff.; Kaminski [2015], Nichts zu lachen?). 363 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 181–694, hier S. 191. 364 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 323.
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macht: „[...] wo steht es denn geschrieben, dass wir in der Komödie nur über moralische Fehler, nur über verbesserliche Untugenden lachen sollen? Jede Ungereimtheit, jeder Kontrast von Mangel und Realität, ist lächerlich.“365 Um diese Aussage Lessings richtig zu verstehen, muss man berücksichtigen, dass sich die Formulierung vom „Kontrast von Mangel und Realität“ aus einem bestimmten philosophischen Ansatz herleitet.366 Mit der Verwendung des Begriffs ‚Realität‘ schließt Lessing an die Vorstellung an, dass es eine Idealvorstellung gibt, die das eigentliche Wesen von Phänomenen ausmacht. Das empirisch Beobachtbare erscheint als mangelhafte Manifestation dieser Idealvorstellung. Die Begriffe ‚Mangel‘ und ‚Realität‘ lassen sich in den heutigen Sprachgebrauch folglich am besten mit ‚Realität‘ und ‚Idealität‘ übersetzen.367 Dieser Ansatz lässt sich inkongruenztheoretisch als Auseinandertreten eines Skriptes und seiner Umsetzung reformulieren. Die Rezipient*innen sollen in einer Komödie nicht etwa einzelne lächerliche Verhaltensweisen oder einen moralischen Lehrsatz (erkennen) lernen, sondern Lächerlichkeit als Inkongruenz im Allgemeinen: Die Komödie will durch Lachen bessern; aber nicht eben durch Verlachen; nicht gerade diejenigen Unarten, über die sie zu lachen macht, noch weniger bloß und allein die, an welchen sich diese lächerlichen Unarten finden. Ihr wahrer allgemeiner Nutzen liegt in dem Lachen selbst; in der Übung unserer Fähigkeit, das Lächerliche zu bemerken; es unter allen Bemäntelungen der Leidenschaft und der Mode, es in allen Vermischungen mit noch schlimmern oder mit guten Eigenschaften, sogar in den Runzeln des feierlichen Ernstes, leicht und geschwind zu bemerken.368
Lessing arbeitet hier mit einer Definition des Lächerlichen, die vom negativen und distanzierenden Moment befreit ist: Aber lachen und verlachen ist sehr weit auseinander. Wir können über einen Menschen lachen, bei Gelegenheit seiner lachen, ohne ihn im geringsten zu verlachen [...] Der Zerstreute [im gleichnamigen Stück von Regnard, KD] gleichfalls; wir lachen über ihn, aber verachten wir ihn darum? Wir schätzen seine übrige [sic!] guten Eigenschaften, wie wir sie schätzen sollen; ja ohne sie würden wir nicht einmal über seine Zerstreuungen lachen
|| 365 A. a. O., S. 322. 366 Hier wurden insbesondere die Ansätze von Christian Wolff und Gottfried Wilhelm Leibniz als relevante Kontexte herausgearbeitet (vgl. insbes. Gaier [1991], Das Lachen des Aufklärers, S. 45, Fn. 10 und Kornbacher-Meyer [2003], Komödientheorie, S. 87). 367 Zu einer inkongruenztheoretischen Rekonstruktion von Lessings Komikbegriff, den er auch außerhalb der Hamburgischen Dramaturgie entwickelt, vgl. Kindt (2011), Literatur und Komik, S. 169–171. 368 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 323.
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können. Man gebe diese Zerstreuung einem boshaften, nichtswürdigen Mann, und sehe, ob sie noch lächerlich sein wird? Widrig, ekel, hässlich wird sie sein; nicht lächerlich.369
Gerade dieser Punkt ist für die dramaturgische Umsetzung von großer Bedeutung, weil die Figur, die sich lächerlich macht, zugleich auch achtens-, ja sogar schätzenswert sein muss. Belustigung und Anteilnahme können und sollen sich als Rezeptionshaltungen gegenüber einer Figur abwechseln. Die lächerliche Figur muss folglich mit einer Charakterdisposition ausgestattet werden, die an sich wünschenswert ist, die allerdings unter bestimmten Bedingungen zu einer unangemessenen Übertreibung führt, sodass die Idealvorstellung und das tatsächliche Verhalten auseinandertreten. Das Lächerliche wird dann nur in bestimmten Situationen erkennbar. Während die Distanzierung im Auslachen das eine Extrem ist, das Lessing vermeiden möchte, dürfen die Figuren andererseits aber auch nicht so bewundernswert angelegt werden, dass sie nicht mehr lächerlich sind. Dies ist seiner Meinung nach in Rührenden Lustspielen von Destouches, Marivaux, La Chaussée oder Gellert der Fall, die, wie bereits erwähnt, neben der sächsischen Typenkomödie ebenfalls einen großen Teil zeitgenössischer Komödien und zugleich auch einen großen Teil des Repertoires der deutschsprachigen Wanderbühnen in den 40er und 50er Jahren des 18. Jahrhunderts ausmachen. In seinem Aufsatz Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel moniert Lessing, dass im Rührenden Lustspiel diejenigen Abschnitte, die Identifikation verlangten, lediglich mit solchen kontrastiert würden, die zum Verlachen herausforderten.370 Dies berge die Gefahr, dass der Zuschauer bei den rührenden Teilen glaube, die dargestellten Tugenden bereits zu besitzen und deshalb nicht gezwungen sei, die gezeigten Schwächen auch an sich selbst zu suchen: Jeder von ihnen [d.h. die Zuschauer, KD] glaubt der edlen Gesinnungen, und der großmütigen Taten, die er siehet und höret, desto eher fähig zu sein, je weniger er an das Gegenteil zu denken, und sich mit demselben zu vergleichen Gelegenheit findet. Er bleibt, was er ist und bekömmt von den guten Eigenschaften weiter nichts, als die Einbildung, dass er sie schon besitze.371
Lessing meint, dass auf diese Weise sowohl der Nutzen der Tragödie als auch derjenige der Komödie verfehlt werde. Wenn die rührenden Teile nur Einschübe
|| 369 A. a. O., S. 322 f. 370 Lessing (1973), Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung über das rührende Lustspiel. 371 A. a. O., S. 57.
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seien, lösten sie kein Mitleid aus, wenn das Lächerliche nur Nebensache sei, werde man nicht darin gestört, sich mit den edlen Helden eines Dramas zu identifizieren und werde auch nicht auf eigenes Fehlverhalten hingewiesen. Lächerliches muss laut Lessing deshalb Hauptbestandteil der Komödie bleiben – allerdings mit der Einschränkung, dass nicht das Verlachen, sondern die Fähigkeit Lächerliches zu bemerken die Dramaturgie bestimmen. Aus Lessings Konzept in der Hamburgischen Dramaturgie ergeben sich einerseits Implikationen für die Figurenkonzeption, andererseits für den dramaturgischen Aufbau: Diejenige Figur, die sich lächerlich macht, muss auch als bewundernswert dargestellt werden und das Erkennen von Lächerlichkeit muss im Vordergrund stehen. Tellheim ist das Hauptexempel für diese Figurenkonzeption in der Minna von Barnhelm. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass er zugleich gut ist, weil er mitleidig und großzügig ist, aber auch lächerlich, weil er zu stolz ist, um selbst Hilfe anzunehmen. Die Diskussion mit seinem Diener Just in I,8 darüber, wer wem wie viel schuldig bliebe, wenn Tellheim Just nun wie angekündigt entlasse, zeigt ebenfalls Tellheims gutes Herz. Zunächst wird deutlich, dass der Major von Tellheim für einen niedrigen Soldaten Krankenpflege, Kost und Kleidung bezahlt hat. Vor dem Hintergrund, dass Kompaniekommandanten der preußischen Armee in damaliger Zeit für Zwangsrekrutierung, unmenschlichen Drill, härteste Bestrafungen mit Abschreckungscharakter und Ausbeutung ihrer Soldaten bekannt sind, ist dies ein besonders stark abweichendes positives Verhalten.372 Lessing hat mit dem Offiziersstand einen Berufsstand gewählt, bei dem Mitleid kaum zu erwarten ist. Auch gegenüber der Witwe Marloff zeigt sich nur die gute Seite seines Charakters. In I,5 und 6 leugnet Tellheim den Besitz eines Schuldscheines seines verstorbenen Freundes Marloff und weigert sich, Geld von dessen Witwe anzunehmen. Mit dem Hinweis, dass sie damit die Zukunft ihres Sohnes sichern könne, baut er ihr zudem eine Brücke, die es ihr erleichtert, das Geld zu behalten. Gegenüber Just zeigt sich jedoch auch Tellheims Stolz als Motivation für sein Handeln, zum Beispiel wenn er seine Ablehnung des Geldes einzig damit begründet, Just nichts schuldig bleiben zu wollen (vgl. MvBED I,8). Als Minna dann das erste Mal von Tellheim spricht, hebt sie seine Großzügigkeit und seine Hilfsbereitschaft hervor und betont, dass sie ihn vor allem wegen seiner Tugenden liebt. Seit sie gehört hat, dass er den sächsischen Ständen sowohl mutig die niedrigstmöglichen Kontributionen auferlegt, als auch den Betrag aus eigener Tasche vorgeschossen hat, ist es um sie geschehen:
|| 372 Vgl. zu diesem Kontext Dyck (1981), Minna von Barnhelm, S. 45–52 und 107–109.
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Die Tat, die Sie einmal um zweitausend Pistolen bringen sollte, erwarb mich Ihnen. Ohne diese Tat würde ich nie begierig gewesen sein, Sie kennenzulernen. Sie wissen, ich kam uneingeladen in die erste Gesellschaft, wo ich Sie zu finden glaubte. Ich kam bloß Ihrentwegen. Ich kam in dem festen Vorsatze, Sie zu lieben – ich liebte Sie schon! (MvBED IV,6)
Wie oben bereits beschrieben, distanziert sich Tellheim beim Wiedersehen mit Minna jedoch unvermutet von ihr. Er begründet dies damit, sie nicht unglücklich machen zu wollen: […] der Unglückliche muß gar nichts lieben. Er verdient sein Unglück, wenn er diesen Sieg nicht über sich selbst zu erhalten weiß; wenn er es sich gefallen lassen kann, daß die, welche er liebt, an seinem Unglück Anteil nehmen dürfen. [...] Seitdem mir Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen: was für Mühe habe ich angewandt! (MvBED II,9)
Tellheims Verhalten ist hier so sehr von seinem Stolz bestimmt, dass er Minna als Person nicht mehr wahrnehmen kann, sondern nur mit seinem eigenen Unglück, dem Selbstmitleid und seinen Mühen sie zu vergessen beschäftigt ist. Auf Minnas Nachfragen nach den Gründen der Vernunft und Notwendigkeit führt Tellheim noch die sozialen Komponenten an, die ihn für eine Verbindung nachteilig machen würden: „Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner Ehre Gekränkte, der Krüppel, der Bettler.“ (MvBED II,9) Dass Minna anschließend die Entlassung Tellheims aus dem Militärdienst als Glück bezeichnet, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Offiziere der Preußischen Armee normalerweise so früh wie möglich beginnen, Abdankungsgesuche bei Friedrich dem Großen einzureichen, um dem unmenschlichen Dienst in der Preußischen Armee zu entkommen. In den allermeisten Fällen werden diese Gesuche jedoch abgelehnt.373 Minna kann zu diesem Zeitpunkt nur annehmen, dass Tellheims Aussage, er sei „ohne Ehre entlassen“, sich ausschließlich darauf bezieht, dass er offenbar keine Auszeichnung oder Beförderung für seine Verdienste im Krieg bekommen hat. Da dies bei einem Offizier im Majorsrang wohl kein hinreichender Grund für gesellschaftliche Ächtung oder Verarmung sein kann, liegt kein Heiratshindernis vor. Lessing lässt Minna aus Tellheims negativer Selbstbeschreibung als verabschiedeter, ehrverletzter, invalider und verarmter Soldat deshalb nur einen einzigen Aspekt herausgreifen. Es handelt sich um das Argument, das bei Minnas Informationsstand zu diesem Zeitpunkt der einzige Hinderungsgrund für
|| 373 Vgl. Dyck (1981), Minna von Barnhelm, S. 81–85.
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eine Heirat sein kann, und das ist Tellheims fehlendes Vermögen. Zu diesem Zeitpunkt der Handlung ist wohlgemerkt weder Minna noch den Rezipient*innen bekannt, wie schwerwiegend die Ehrverletzung ist, die man Tellheim vorwirft. Die anderen Gründe fallen für einen aus dem Militärdienst entlassenen Adligen tatsächlich nicht sonderlich ins Gewicht. Für einen Adligen wäre es beispielsweise nicht besonders folgenreich, wenn er einen Arm nicht mehr benutzen könnte, da er keiner Erwerbsarbeit nachgehen müsste und trotz einer solchen Behinderung die Verwaltung von Gütern und die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben gut möglich wären. Durch Minnas Reichtum wäre Tellheim durch eine Eheschließung darüber hinaus abgesichert. Minna bittet folglich den „Bettler“ Tellheim ihr die Hand zu reichen, und meint damit, dass sie ihn trotz seiner Mittellosigkeit heiraten möchte. Dass er dadurch in die Rolle eines Hilfsbedürftigen kommt und zum Gegenstand ihres Mitleids wird, trifft ihn sehr empfindlich: TELLHEIM.
FRÄULEIN. TELLHEIM. FRÄULEIN. TELLHEIM. FRÄULEIN. TELLHEIM.
(der die andere Hand mit dem Hute vor das Gesicht schlägt und sich von ihr abwendet). Das ist zu viel! – Wo bin ich? – Lassen Sie mich, Fräulein! Ihre Güte foltert mich! – Lassen Sie mich. Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin? Von Ihnen! – Von mir? (Indem sie seine Hand an ihre Brust zieht.) Träumer! Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Füßen werfen. Von mir? Von Ihnen. – Sie nie, nie wiederzusehen. – Oder doch so entschlossen, so fest entschlossen – keine Niederträchtigkeit zu begehen – Sie keine Unbesonnenheit begehen zu lasen. – Lassen Sie mich, Minna! (Reißt sich los und ab.) (MvBED II,9)
Die körperlichen Reaktionen und die sprachlichen Formulierungen zeigen, dass die Scham ihn umfassend und ausweglos erfasst. Er will nicht gesehen werden und weiß nicht mehr, wo er sich befindet. Er fühlt sich durch Güte ‚gefoltert‘, gerät in ‚Verzweiflung‘, möchte fliehen und tut das auch, indem er sich losreißt. Dieses Verhalten, ebenso wie seine fortgesetzte Weigerung, sie zu heiraten beziehungsweise auch nur ein weiteres Mal zu treffen, erscheinen übertrieben und deshalb lächerlich. Gegenüber seinem Wachtmeister Werner zeigt Tellheim ebenfalls diesen Wechsel von vorbildlich-sympathischem und übertriebenem Verhalten. Die Szenen ihrer Begegnung, die zum Großteil nach dem ersten, aber vor dem zweiten Treffen von Minna und Tellheim situiert sind, haben offenbar die Funktion, einige wichtige Aspekte im Verhalten Tellheims, die auch sein Verhalten Minna gegenüber bestimmen, prägnant zu wiederholen und dadurch zu verstärken.
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Durch die Wiederholung und Verkürzung wird Tellheims Stolz bereits deutlich, wie im Folgenden kurz gezeigt werden soll. In III,7 lehnt Tellheim es ab Geld von Werner anzunehmen, obwohl dieser deutlich macht, dass er es nicht dringend wiederhaben wolle und auch keines Geldes mehr bedürfe, weil er nach Persien in den Krieg zu ziehen gedenke. Tellheim begründet seine Ablehnung sowohl damit nicht zu wissen, wann und ob er das Geld zurückzahlen könne, als auch mit dem Verweis darauf, nicht Werners Schuldner sein zu wollen. Er beschließt seine Argumentation mit der Conclusio: „Es ziemt sich nicht, dass ich dein Schuldner bin“ (MvBED III,7). Werner weist diese Argumente mit dem Hinweis darauf zurück, dass Tellheim bereits in seiner Schuld stehe. Schließlich habe er, Werner, ihm in Gefechten bereits mehrfach das Leben gerettet. Daraufhin macht Tellheim allerdings deutlich, dass er diese Hilfe damals nur deshalb annehmen konnte, weil er die Möglichkeit hatte, Werner jederzeit den gleichen Dienst zu erweisen. Ein tatsächlich einseitiges Geschenk kann er nicht annehmen und seine nächste Replik zeigt, dass es ihm nicht um die Konventionen geht, sondern um sein eigenes Selbstbild: „Ich will dein Schuldner nicht sein“ (MvBED III,7) – verkündet er und bringt Werner damit in Rage.374 Wie Minna wird es auch Werner an dieser Stelle zu viel, da nun deutlich wird, dass Tellheim ihn als Person zurückweist. Tellheim nutzt die Brücken nicht, die Werner ihm baut. Werner versucht sein Geldgeschenk für Tellheim zunächst als Aufbewahrungsdienst, dann als Schuldentilgung der Witwe Marloff und zuletzt vergeblich als Wechselgeschäft mit Zins zu tarnen.375 Tellheims Weigerung von Werner Geld anzunehmen ist damit, im Kontrast zum vermeintlich selbstlosen Verzicht gegenüber Minna, nicht durch Rücksicht auf andere, sondern einzig durch seinen Stolz begründet. Lessing gestaltet den Wechsel von tugendhaftem und übertriebenem Verhalten auch bei vielen weiteren Figuren in seiner Komödie. Er zeigt selbst bei Minna die Vermischung von guten mit übertrieben-lächerlichen Verhaltenswei-
|| 374 Dyck hat nachgewiesen, dass es den oftmals verschuldeten Offizieren verboten war, Geld anzunehmen (vgl. Dyck [1981], Minna von Barnhelm, S. 109). Damit erschiene Tellheims Verhalten als situationsadäquat. Hätte Lessing hier jedoch ein angemessenes Verhalten darstellen wollen, hätte er Tellheim schlicht auf dieses Verbot Bezug nehmen lassen können. Stattdessen wird jedoch aus Tellheims wiederholten Repliken und Verhaltensweisen deutlich, dass es ihm unabhängig von seinem Stand darum geht, nicht in der Schuld von jemand anderem zu stehen. 375 Der Unterschied zur Witwe Marloff liegt hier wohlgemerkt nicht darin, dass diese die Hilfestellung nicht bemerkt hätte, Tellheim jedoch Werners Argumentation durchschaute. Die Witwe erkennt Tellheims mildtätige Absichten und konstatiert, dass sein Vorgehen sehr klug sei, weil sie als sorgende Mutter das Geld viel leichter annehmen könne als in der Rolle der Witwe eines Schuldners.
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sen, wenn auch recht abgeschwächt. Ihre Risikobereitschaft ist beispielsweise der ausschlaggebende, gute Grund dafür, dass sie sich überhaupt aufmacht, um ihren Bräutigam zu suchen. Allerdings neigt sie auch dazu, Dinge zu leicht zu nehmen. Zum Beispiel erfährt sie früher als die Rezipient*innen, welche Vorwürfe gegen Tellheim im Raum stehen, weil sie seinen Brief liest. Sie scheint jedoch voller Optimismus daran zu glauben, dass sich die Vorwürfe gegen ihn auflösen werden. Zudem zeigt sich in ihrem Verhalten gegenüber Riccaut, dass sie gerne an einen guten Ausgang glaubt. Dass sie alles für wahr hält, was Riccaut ihr erzählt, wird dadurch plausibilisiert, dass Riccaut ihr aufgrund der gemeinsamen Vorliebe für risikobehaftete Spiele sympathisch und glaubwürdig erscheint. Minnas Spielleidenschaft wird besonders deutlich in der Intrige gegen Tellheim, in der sie die Verbindung mit ihm aufs Spiel setzt, ohne das Risiko ihrer Verstellung vorher abzuwägen. In diesem Verhalten manifestiert sich einerseits ein situationsgebundener Kontrast von Realität und idealer, vernünftiger Besonnenheit. Andererseits ermöglicht diese Eigenschaft es Minna auch, Tellheims Stolz zu erkennen, der sich als wahrer Grund für seine Weigerung entpuppt, als ihm keine Gefahr mehr droht. Bei Minnas Neigung zum Spiel handelt es sich jedoch keinesfalls um diejenige Übertreibung, die im Zentrum dieser Komödie steht, sondern vielmehr um eine solche übertriebene Eigenschaft, die dazu dient, das Fehlverhalten der Hauptfigur zu illustrieren. Steinmetz verwendet bei der Charakterisierung der sächsischen Typenkomödie dafür den Begriff des „Funktionslasters“, der hier ebenfalls gut zu passen scheint.376 Auch einige komische Nebenfiguren sind als gemischte Charaktere gestaltet. Zwar wird an ihnen nicht die Fähigkeit geschult, das Lächerliche zu bemerken, weil sie von Anfang an etwas Lächerliches an sich haben.377 Dennoch tragen sie dazu bei, das Wesen und die Umstände zu spezifizieren, unter denen sich Menschen lächerlich verhalten. Just beispielsweise, mit dem die Komödie beginnt, wird zunächst als typische komische Dienerfigur aus dem Soldatenstand eingeführt, die streitsüchtig, grob und aufschneiderisch ist. Später wird er jedoch auch mit seinen guten Seiten gezeigt, die es ermöglichen, sich mit ihm zu identifizieren. Die Komödie beginnt mit einer ersten Inkongruenz zwischen Wunsch und Tat: Just will den Wirt dafür verprügeln, dass dieser das Zimmer
|| 376 Vgl. Steinmetz (1978), Die Komödie der Aufklärung, S. 43. 377 Kindt bezeichnet die Komik im Zusammenhang mit dem Wirt, Riccaut, Just und Werner als ‚Komik ohne Moral‘, die nicht ‚komödienkonstitutiv‘ im Sinne von Lessings Vorstellungen von einer echten Komödie ist (vgl. Kindt [2011], Literatur und Komik, S. 177). Dies scheint nicht ganz zutreffend zu sein, weil die Anlage dieser Nebenfiguren ebenso die Fähigkeit der Rezipient*innen schult, lächerliches Verhalten als situationsabhängig zu identifizieren.
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des Majors von Tellheim vergeben hat und kündigt dies verbal und gestisch an – allerdings spricht und agiert er im Schlaf (vgl. MvBED I,1). Justs übertriebene Wut über die demütigende Ausquartierung seines Herrn und die Inkongruenz von verbalisierten Rachegelüsten und der Hemmung in der Umsetzung begleitet fast alle seine folgenden Auftritte. Schon in den ersten beiden Szenen wird ein Muster etabliert, nach dem die Auftritte Justs erfolgen. Syntagmatisch ist es durch den Kontrast von Gewaltankündigung und Folgenlosigkeit bestimmt, paradigmatisch durch Streitsucht, Derbheit und Grobheit. JUST. WIRT.
JUST. WIRT. JUST. WIRT. JUST. WIRT. JUST. WIRT. JUST.
Mache Er sich keine Mühe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift werden, den – Doch ich will nicht schwören; ich bin noch nüchtern! (zu dem Jungen, der eine Flasche Likör und ein Glas bringt). Gib her; geh! – Nun, Herr Just, was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, gesund. (Er füllt und reicht ihm zu.) Das kann einen überwachten Magen wieder in Ordnung bringen! Bald dürfte ich nicht! – Doch warum soll ich meiner Gesundheit seine Grobheit entgelten lassen? – (Er nimmt und trinkt.) Wohl bekomm‘s, Herr Just! (indem er das Gläschen wieder zurückgibt). Nicht übel! – Aber, Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian! Nicht doch, nicht doch! – Geschwind noch eins; auf einem Beine ist nicht gut stehen. (nachdem er getrunken). Das muß ich sagen: gut, sehr gut! – Selbst gemacht, Herr Wirt? – Behüte! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs! Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln könnte, so würde ich für so was heucheln; aber ich kann nicht; es muß raus: – Er ist doch ein Grobian, Herr Wirt! In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt. – Noch eins, Herr Just; aller guten Dinge sind drei! Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding! – Aber auch die Wahrheit ist gut Ding. – Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian! (MvBED I,2)
Der Likör vereinnahmt Just, darin ganz der typische trinksüchtige Diener, sowohl optisch als auch gustatorisch so sehr, dass er immer wieder kurz aus seiner Rolle fällt. Allerdings besinnt er sich nach jedem Glas unvermittelt wieder auf seine Absicht und macht seinem Ärger Luft. Dies jedoch nicht ohne sofort anschließend für ein weiteres Glas zu sorgen. Dabei wirkt der häufige und schnelle Wechsel von Komplimenten und Beschimpfung auf inhaltlicher Ebene höchst komisch. Justs Groll über die Ausquartierung zieht sich als Charakteristikum durch seine weiteren Auftritte, indem er ihn zunächst gegenüber Tellheim (MvBED I,3), anschließend gegenüber Werner äußert, mit dem er gemeinsam Rachepläne schmiedet. Er lässt ihn Franziska spüren, indem er sich
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weigert, seinem Herrn eine Botschaft des fremden Fräuleins zu überbringen und er händigt später den Brief seines Herrn an Minna auch nur sehr widerwillig aus. Sein Verhalten wirkt übertrieben. Intendiert ist sowohl Belustigung als auch ein Verlachen der übertriebenen Verhaltensweise durch die Rezipient*innen. Auf der anderen Seite ist seine Bereitschaft sich mit seinem Herrn zu identifizieren jedoch von einer ehrlichen Treue geprägt, die durch die Dankbarkeit für erwiesene Wohltaten bedingt ist. Im Kontrast zum typisierten Verhalten einer komischen Dienerfigur, die aufschneiderisch und streitlustig ist, steht Justs Trauer darüber, dass Tellheim ihn nicht weiterbeschäftigen möchte. Er beweist Tellheim, dass nicht dieser ihm einen halben Monatslohn schulde, sondern vielmehr er, Just, Tellheim weiter dienen müsse, da Tellheim bereits eine beträchtliche Summe in seine Ausstattung, Verpflegung und ärztliche Betreuung investiert habe (vgl. MvBED I,8).378 Mit der Pudel-Szene wird die gefühlvollgutherzige Seite Justs noch stärker hervorgehoben (vgl. ebd.). Just erzählt hier davon wie er einen Pudel vor dem Ertrinken gerettet und später liebgewonnen hat. Deutlich wird dabei eine Parallele zwischen Justs Mildtätigkeit und dem Verhalten Tellheims.379 Mitleid und übertriebener Stolz sind allerdings auch hier in einer Figur vereint und wechseln sich beständig ab. Kurz nach der Erzählung vom Pudel zeigt sich nämlich erneut Justs gekränkter Stolz, wenn er Werner vorschlägt, den Wirt zu zweit zu verprügeln, ihm das Haus anzuzünden oder dessen Tochter zu vergewaltigen, um sich für die Ausquartierung zu rächen (vgl. MvBED I,12). Justs gute Seiten werden von den Rezensenten überdurchschnittlich häufig erwähnt, insbesondere sein Mitleid mit dem Pudel, dem er das Leben rettet. Dies verweist darauf, wie stark der Erwartungsbruch von der üblicherweise ganz auf den eigenen Vorteil bedachten, komischen Dienerfigur zur Empathiefähigkeit Justs ist. Tellheims Wachtmeister Werner wird zu Beginn als kampfeslustiger Soldat eingeführt, der, vom Frieden brot- und arbeitslos geworden, nach Persien in den Krieg ziehen möchte (vgl. MvBED I,11). Mit seinem Eifer übertreibt Werner, nicht zuletzt dann, wenn er einen Kriegszug als ‚lustig‘ beschreibt und seiner Hoffnung Ausdruck verleiht Berlin baldigst zu entkommen. Die Rezeptionslenkung ist hier so gestaltet, dass man meinen könnte, Werner entspräche dem
|| 378 Seine Ehrlichkeit wird auch von einem Rezensenten hervorgehoben (vgl. Lessing [1985– 2003], Werke und Briefe, Bd. 6, S. 815). 379 Selbst die Pudelepisode zeigt jedoch, dass Just ständig zwischen den Extremen schwankt. Er berichtet hier, dass er den Pudel zunächst verprügelt und getreten habe, um diesem seine unerwartete Anhänglichkeit nach der Rettungsaktion auszutreiben (vgl. MvBED I,8).
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Figurenmodell des miles gloriosus.380 Abweichend davon ist Werner allerdings nicht feige und er prahlt auch nicht.381 Vielmehr wird er im weiteren Verlauf vor allem als guter Freund Tellheims charakterisiert, der sich darum bemüht, dem Major zu helfen und ihm seine Zurückweisungen immer wieder verzeiht. Sowohl im wechselhaften Verhalten Tellheims gegenüber Werner als auch in den Strategien, die Werner anwendet, um den Major zur Annahme von Wohltaten zu bewegen, finden sich Parallelen zur Minna-Tellheim-Handlung. Auch Werner bemüht sich Tellheim zu überlisten, indem er etwas erfindet. Als er erfährt, dass Tellheim Geld braucht, versucht er nicht einfach es ihm zu schenken, sondern gibt vor, die von der Witwe Marloff bezahlten Schulden zu bringen. Die Rezipient*innen haben jedoch wenige Szenen zuvor gesehen, dass die Witwe Marloff bereits versucht hat, ihre Schulden bei Tellheim zu bezahlen und können sich so darauf freuen, Werner mit diesem Vorhaben scheitern zu sehen. Auch Werner versucht Tellheim durch Argumente davon zu überzeugen, dass sein Verhalten im Grunde selbstbezogen ist und dass er keine Rücksicht auf die Gefühle seiner Mitmenschen nimmt. Er bringt dies auf den Punkt, wenn er sagt: „Aber der, der mich so zu lügen zwingt, was sollte der? Sollte der sich nicht auch schämen?“ (MvBED III,7) Zwar geht Tellheim anerkennend auf ihn ein („Ich erkenne dein Herz und deine Liebe zu mir“ ebd.), beharrt jedoch bekanntlich darauf, dass er sich nicht vorstellen kann, jemandem dauerhaft etwas schuldig zu bleiben („Ich will Dein Schuldner nicht sein“ ebd.). Werner probiert es schließlich mit einer Erpressung, wenn er sagt: „Wer von mir nichts nehmen will, wenn er’s bedarf, und ich’s habe, der will mir auch nichts geben, wenn er’s hat, und ich’s bedarf.“ (ebd.) Indem er Tellheim unterstellt, dass er ihn für einen schlechten Menschen hält, bringt er ihn dazu, ihm zu versprechen, dass er sich Geld bei ihm leihen wird, wenn er es benötigt. An den Figuren Minna, Tellheim, Just und Werner wird folglich die Fähigkeit geschult, Lächerliches zu bemerken. Zugleich wird jedoch bei allen Figuren gezeigt, dass sie treu sind, Mitleid empfinden und Hilfe anbieten. Die Mischung von komischen und rührenden Effekten wird auch von Zeitgenossen wahrgenommen. Ein Rezensent merkt etwa an: „Die Wirkung des Stücks ist, daß es oft zum Lachen, weit öfter zum Lächeln, und nicht selten zu Thränen bewegt.“382
|| 380 Bohnens Hinweis Werner halte die „Erinnerung an den bramarbasierenden Soldaten von Plautus’ Miles gloriosus wach“, kann nicht als Textbeschreibung verstanden werden, sondern höchstens als Erwartung, die die damaligen Rezipient*innen nach den ersten Repliken haben sollten (vgl. Lessing [1985–2003], Werke und Briefe, Bd. 6, S. 806). 381 Vgl. dazu zum Beispiel auch Kornbacher-Meyer (2003), Komödientheorie, S. 277. 382 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 813.
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Im weiteren Verlauf der Handlung wird Tellheim zum Gegenstand einer Intrige, die analog zur Intrige der sächsischen Typenkomödie konstruiert ist, in der das lächerliche Verhalten einer Figur vorgeführt wird. In der Intrige Minnas werden die Charakterkomik und das Schema der Heirat mit Hindernissen enggeführt. Tellheims Weigerungsgründe wiederholen sich bei Minna in einer für die Rezipient*innen komischen Inversion. Minna erwähnt alle typischen Merkmale einer solchen Intrige, wenn sie bereits vor dem zweiten Wiedersehen davon spricht, dass Tellheim einen ‚Fehler‘ habe und dass sie den Plan habe, diesen Fehler zu spiegeln, um Gleiches mit Gleichem zu heilen: Bloß ein wenig zu viel Stolz, Franziska, scheint mir in seiner Aufführung zu sein. Denn auch seiner Geliebten sein Glück nicht wollen zu danken haben, ist Stolz, unverzeihlicher Stolz! Wenn er mir diesen zu stark merken läßt, Franziska – […] [E]in Streich ist mir beigefallen, ihn wegen dieses Stolzes mit ähnlichem Stolze ein wenig zu martern. (MvBED III,12)
Zweck ihrer Intrige ist es, Tellheim eine ähnliche Erfahrung machen zu lassen, wie sie selbst sie gemacht hat, und dadurch Gleichheit zwischen ihnen beiden herzustellen. Da er sie mit seinem übertriebenen Selbstbezug gequält hat, möchte sie ihn nun erleben lassen, wie sich ein solches Verhalten anfühlt. Nicht das Martern selbst, sondern die Analogie der Erfahrung steht im Vordergrund. Zugleich kann Minna dadurch erreichen, dass Tellheim wieder bereit ist sie zu heiraten. Deutlich wird, dass es ihr um die Voraussetzungen für eine Beziehung und nicht um eine Besserung Tellheims geht.383 In der Forschungsliteratur findet man zuweilen die Behauptung, dass Minna die Lage gänzlich falsch einschätze, wenn sie Tellheims Verhalten als stolz bezeichne, da sie offensichtlich ignoriere, was man Tellheim vorwerfe. Um diesen Vorwurf zu entkräften, muss etwas ausgeholt werden. Die politischen und sozialen Hintergründe seien hier kurz skizziert.384 Friedrich II. verlangt von den besetzten Staaten im Siebenjährigen Krieg hohe Kontributionszahlungen, um seine immensen Kriegsausgaben zu finanzieren. Sachsen ist dasjenige Land, das zuerst besetzt wird und ist am Ende des Krieges völlig ausgeblutet. Die Offiziere haben dennoch Ordre, die Zahlungen mit größter Strenge einzutreiben. Bei der Höhe der Zahlungen gibt es jedoch einen gewissen Spielraum. Tellheim
|| 383 Ich stimme folglich Eibl zu, der davon ausgeht, dass Minna und Tellheim letztlich über die Grundlage für ihre Beziehung streiten (Eibl [1995], Die Entstehung der Poesie, S. 92). 384 Im Folgenden vgl. die Zusammenfassung der Forschungsergebnisse in Fick (2016), Lessing-Handbuch, S. 264.
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verlangt nun zum einen die niedrigstmögliche Zahlung,385 zum anderen schießt er denjenigen Anteil, den die sächsischen Stände nicht bezahlen können, aus eigener Tasche vor. Den Schuldschein (Wechsel), den er dafür erhält, könnte er gemäß den Vereinbarungen im Hubertusburger Frieden bei der Kriegskasse einlösen.386 Allerdings bringen „Verleumder“ den Verdacht gegen ihn auf, er habe den Schuldschein als Bestechung dafür erhalten, dass er die Kontributionszahlungen so niedrig angesetzt habe. Des Weiteren unterstellt man ihm, dass er das Geld keineswegs ausgelegt habe, es nun jedoch bei der Kriegskasse einstreichen wolle. Saße erklärt, dass Tellheim im Falle einer Verurteilung für diesen Betrug eine mehrjährige Gefängnisstrafe, seiner eventuellen Ehefrau „gesellschaftliche Ächtung […], unter Umständen sogar die Konfiszierung ihres Vermögens“ drohen.387 Zuletzt hat auch Venzl wieder dafür argumentiert, dass Tellheim keineswegs zu stolz ist und dass Minna den Brief offenbar falsch gelesen hat.388 Dementsprechend geht er davon aus, „dass Tellheims Ehranspruch, den er bis zum Ende durchhält, im kulturhistorischen Zusammenhang, ebenso wie seine Heiratsverweigerung, nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten ist.“389 Juristisch verhält es sich tatsächlich so, dass es Tellheim unter diesen Bedingungen nicht möglich wäre, eine Ehe mit Minna einzugehen.390 Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass Minna den Ernst der Lage nach der Lektüre des Briefes, die in der zehnten Szene des dritten Aktes bereits bestätigt wird, nicht versteht. Sie erkennt die Schwere der Vorwürfe, glaubt nur einfach fest daran, dass die Sächsischen Stände bei Friedrich II. notfalls bezeugen würden, dass Tellheim nicht bestochen wurde, so dass eine Gefängnisstrafe abgewendet wäre. Für sie reduziert sich das Problem folglich auf das persönliche Ehrproblem zwischen Tellheim und dem König. In dieser Sache möchte sie erreichen, dass Tellheim sie, ihre Verwandten und ihre adligen Kreise und nicht den preußischen König zum Gradmesser für die Ehrenhaftigkeit seines Tuns macht.
|| 385 Tatsächlich gab es einen Freiherrn von Dyn, den Lessing und einige Rezipient*innen im Sinn gehabt haben mögen, der tatsächlich den sächsischen Ständen die Kontributionen ermäßigte. 386 Den Schuldschein unter die „zu ratihabierenden Schulden“ eintragen lassen bedeutet, dass Tellheim sein Geld von der Kriegsbehörde bekommt, die für ihn an die Stelle des Gläubigers tritt. 387 Saße (1993a), Liebe und Ehe, S. 78. 388 Vgl. Venzl (2019), „Itzt kommen die Soldaten“, S. 272. 389 Vgl. a. a. O., S. 241. 390 Vgl. zuerst Michelsen (1990), Die Verbergung der Kunst, später zum Beispiel Saße (1993a), Liebe und Ehe oder Ott (2001), Das ungeschriebene Gesetz, S. 168; Fick (2016), LessingHandbuch, S. 276.
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Minna ist über diese Zusammenhänge durch Tellheims Brief aufgeklärt worden. Die Rezipient*innen erfahren von der bedrohlichen Schwere der Vorwürfe jedoch erst in IV,6. Zu diesem Zeitpunkt stehen die Vorwürfe gegenüber Tellheim jedoch bereits nicht mehr im Raum.391 Die für die Rezipient*innen ausgehend von IV,6 erst nachträglich zu rekonstruierende Faktenlage und Tellheims Wissensstand für die ersten drei Akte legitimieren tatsächlich auf einer Sachebene Tellheims Weigerung Minna zu heiraten. Der entscheidende Punkt ist allerdings, dass die Rezipient*innen diese Vorwürfe nicht kennen. Genau genommen erfahren die Rezipient*innen von der Entkräftung der Vorwürfe, bevor sie deren Inhalt kennenlernen. Bereits vor dem zweiten Zusammentreffen von Minna und Tellheim ist für sie und die Rezipient*innen klar, dass die Lage für Tellheim keine wirklich bedrohliche sein kann.392 Diese Information überbringt der verarmte Rittmeister Riccaut de la Marlinière, der Minna anstelle des gesuchten Tellheim von seinem Treffen mit dem Kriegsminister erzählt:393 Se. Exzellenz, will ik sag, haben mir vertrau, daß die Sak von unserm Major sei auf den Point zu enden und gutt zu enden. Er habe gemakt ein Rapport an den Könik, und der Könik habe darauf resolvier, tout-a-fait en faveur du Major. (MvBED IV,2)
Tellheim erwähnt in IV,6 selbst, dass er den Kriegszahlmeister getroffen habe und dass er nun wisse, dass er juristisch nicht mehr verfolgt werde. Bezeichnend ist nun, dass dies für ihn keine Rolle spielt. „Etwas zwar muß in meiner Sache geschehen sein. Denn nur jetzt erklärte mir der Kriegszahlmeister, daß
|| 391 Saße berücksichtigt die Reihenfolge der Informationsvergabe nicht, wenn er behauptet, dass Minna Tellheims Verhalten hier generell falsch beurteilt, wenn sie es als „stolz“ bezeichnet. Zu dieser Einschätzung kommt sie seiner Meinung nur deshalb, weil sie nicht sehen will, „daß es die Kriminalisierung seines mitmenschlichen Handelns ist, das Tellheim in eine emotionale Verhärtung gegen sich und andere treibt“ (Saße [1993b], Der Streit um die rechte Beziehung, S. 47). So kommt es, dass sie „Ursache und Wirkung verkehrt und zu einem Charakterfehler erklärt, was Resultat der Umstände ist“ (ebd.). Saße legt weiterhin ausführlich dar, dass der Bestechungsvorwurf gegen Tellheim eine ernsthafte existentielle Bedrohung darstellt, und dass seine Weigerung, Minna zu heiraten bei seinen Zukunftsperspektiven vernünftig und verantwortungsvoll und nicht etwa stolz ist (vgl. Saße [1993b], Der Streit um die rechte Beziehung, S. 42–46). 392 Vermutet wird das bereits von Werner („oder morgen muß Ihre Sache aus sein. Sie müssen Geld die Menge bekommen“ MvBED III,7; Lessing [1985–2003], Werke und Briefe, Bd. 6, S. 62). 393 Die zentrale Funktion Riccauts für die Dramaturgie und den Fortgang der Handlung wurde bereits von Martini herausgearbeitet (vgl. Martini [1974b], Riccaut, die Sprache und das Spiel).
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der König alles niedergeschlagen habe, was wider mich urgieret worden“, gesteht Tellheim ein, besteht aber in seinem übertriebenen Selbstwertgefühl trotzdem auf „vollkommenste[r] Genugtuung“:394 Man wird mich wollen laufen lassen. Allein man irrt sich; ich werde nicht laufen, Eher soll mich hier das äußerste Elend vor den Augen meiner Verleumder verzehren [...] Ich brauche keine Gnade, ich will Gerechtigkeit. Meine Ehre – (Ebd.)
Minna weist ihn nun darauf hin, dass Riccaut auch die Ankunft eines persönlichen Briefes vom König an Tellheim angekündigt hat. Sie habe von Riccaut erfahren „daß ihm, ich weiß nicht welcher Minister, vertrauet habe, Ihre Sache sei dem glücklichsten Ausgange nahe. Es müsse ein königliches Handschreiben an Sie unterwegens sein“ (ED IV,6).395 Tellheim stellt jedoch die Glaubwürdigkeit Riccauts in Frage. Da Riccaut als komische Figur gezeichnet ist, die Anleihen bei den Figurentypen des radebrechenden Franzosen und des miles gloriosus nimmt, sollen vermutlich auch die Rezipient*innen an dieser Stelle unsicher werden, ob dieser Information Glauben zu schenken ist. Hier wird sehr deutlich, was das eigentliche Problem für Tellheim ist. Es geht ihm nicht um das Geld und er befürchtet auch keine Verurteilung mehr, sondern er beharrt auf der Wiederherstellung seiner Ehre in einem ganz besonderen Sinn. Dies macht ihn blind und taub für die Frau, die ihm nachgereist ist, um ihn zu heiraten. Das Konzept von Ehre, auf das der Offizier Tellheim hier rekurriert, wird als ‚höfische Ehre‘ bezeichnet.396 Diese Ehre unterscheidet sich von der ständischen Ehre dadurch, dass die individuelle Integrität des Einzelnen und die persönliche Beziehung zum Fürsten und nicht bestimmte Normen zentral sind. Der historische Hintergrund dazu ist, dass Friedrich II. die Identifikation des preußischen Adels mit dem Offiziersstand dadurch festigt, dass er
|| 394 MvBED IV,6. Der Rezensent in den Neuen Critischen Nachrichten bezeichnet Tellheims Auffassung von Ehre nur als „fast übertrieben“. Zu dieser Einschätzung kommt er ganz offensichtlich dadurch, dass er die Wissensunterschiede und Tellheims Taubheit für die guten Nachrichten nicht berücksichtigt. Seine Skizze der Handlung jedenfalls kommt ohne sie aus (vgl. Lessing [1985–2003], Werke und Briefe, Bd. 6, S. 815). 395 Riccaut kündigt den Brief gegenüber Minna wie folgt an: „Ah que Son Excellence a le cœur bien placé! Er hat mir au reste versiker, wenn der Major nit schon bekommen habe une Lettre de la main – eine Könikliken Handbrief, daß er heut infailliblement müsse bekommen einen.“ (MvBED IV,2). 396 Im Folgenden vgl. Fick (2016), Lessing-Handbuch, S. 265.
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tatsächlich selbst mit den Offizieren korrespondiert.397 Titel, Ämter und Auszeichnungen durch den Fürsten sind die Zeichen dieser Ehre. Lassen sich die Werte eines Offiziers nicht mit den Befehlen des Königs vereinbaren, so ist der Offizier nicht verpflichtet, diesen Befehlen Folge zu leisten, da seine persönliche Integrität Vorrang hat. Auch im Siebenjährigen Krieg berufen sich einige preußische Offiziere auf ihre Integrität und weigern sich deshalb Kontributionen einzutreiben.398 Lessing lässt in dem Brief des Königs, der Tellheim rehabilitiert, auch den Bruder des Königs, Prinz Heinrich, zu Wort kommen, der eine Gruppierung im Heer vertritt, die eine andere Besatzungspolitik in Sachsen durchzusetzen versucht. Tellheim ist es wichtig, dass der König anerkennt, dass er seinen Befehlen grundsätzlich gehorcht, in deren Ausgestaltung allerdings seiner eigenen Einschätzung gefolgt ist und nach seinen eigenen Grundsätzen gehandelt hat. Telleim hat eingesehen, dass die sächsischen Stände die Abgaben nicht leisten können und darum einen Teil des Geldes vorgeschossen. Er wartet deshalb darauf, dass der König ihn persönlich vom Vorwurf der Bestechung, der Unterschlagung und des Betrugs freispricht, mithin Tellheims Handeln als durchweg ehrenhaft anerkennt. Minnas Liebe ist für Tellheim gegenüber der Fokussierung auf die Anerkennung seiner persönlichen Integrität durch den König zweitrangig. Dies ist es, was Minna als zu starke Konzentration auf den eigenen Selbstwert, mithin als ‚stolz‘, bezeichnet. Minna scheut sich nicht, Tellheim klar zu sagen, dass seine Argumente ihrer Meinung nach lächerlich wirken, weil sie übertrieben sind und den Mangel, den Tellheim vorgibt, nicht ausreichend begründen können: Weil Sie verabschiedet sind, nennen Sie sich an ihrer Ehre gekränkt; weil Sie einen Schuß in dem Arme haben, machen Sie sich zu einem Krüppel: Ist das so recht? Ist das keine Übertreibung? Und ist es meine Einrichtung, dass alle Übertreibungen des Lächerlichen so fähig sind? Ich wette, wenn ich Ihren Bettler nun vornehme, dass auch dieser ebenso wenig Stand halten wird. (MvBED IV,6)
Hier findet sich Lessings komödientheoretische Aussage wieder: Es geht nicht um das Auslachen, sondern um ein Lachen, das helfen soll, die Vernunft wieder in ihr Recht zu setzen und zu erkennen, dass man etwas übertrieben beurteilt
|| 397 Vgl. Dyck (1981), Minna von Barnhelm, S. 99-106; wenngleich in der Realität auch in den meisten Fällen leistungsbezogenen und persönlichen Anliegen gegenüber zumeist ablehnend (vgl. Dyck [1981], Minna von Barnhelm, S. 81 f.). 398 Vgl. Griebel (1978), Historische Studien; Dyck (1981), Minna von Barnhelm, S. 73–77; Dombrowski (1997), Geschichte und Zeitkritik.
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hat. Dieser Aussage gehen noch zwei Sätze Minnas voran, die rechtfertigen sollen, warum Minna an dieser Stelle lachen kann: Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man nicht auch lachend sehr ernsthaft sein? Lieber Major, das Lachen erhält uns vernünftiger als der Verdruß. Der Beweis liegt vor uns. Ihre lachende Freundin beurteilet ihre Umstände weit richtiger als Sie selbst. (MvBED IV,6)
Auch auf der Ebene der körperlichen Darstellung ist wiederum ein Indiz dafür gegeben, dass Tellheim übertreibt: FRÄULEIN.
TELLHEIM
FRÄULEIN
TELLHEIM
[…] Oh, über die wilden, unbiegsamen Männer, die nur immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! für alles andere Gefühl sich verhärten! – Hierher Ihr Auge! auf mich, Tellheim! (Der indes vertieft und unbeweglich mit starren Augen immer auf eine Stelle gesehen.) Woran denken Sie? Sie hören mich nicht? (zerstreut). O ja! Aber sagen Sie mir doch, mein Fräulein: wie kam der Mohr in venetianische Dienste? Hatte der Mohr kein Vaterland? Warum vermietete er seinen Arm und sein Blut einem fremden Staate? – (erschrocken). Wo sind Sie, Tellheim? – Nun ist es Zeit, daß wir abbrechen. – Kommen Sie! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.) – Franziska, laß den Wagen vorfahren. (der sich von dem Fräulein losreißt und der Franziska nachgeht). (MvBED IV,6)
Aus dieser körperlichen Abwehrreaktion flüchtet er sich erneut in die rationale Darlegung der ehrverletzenden Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen – diesmal nicht schriftlich, sondern mündlich. Er fasst seine Ablehnung von Hilfe in scharfe Worte: Kurz, mein Fräulein – Sie haben mich nicht ausreden lassen. – Ich wollte sagen: wenn man mir das Meinige so schimpflich vorenthält, wenn meiner Ehre nicht die vollkommenste Genugtuung geschieht, so kann ich, mein Fräulein, der Ihrige nicht sein. Denn ich bin es in den Augen der Welt nicht wert zu sein. Das Fräulein von Barnhelm verdienet einen unbescholtenen Mann. Es ist eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken trägt, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. Es ist ein nichtswürdiger Mann, der sich nicht schämet, sein ganzes Glück einem Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zärtlichkeit – (MvBED IV,6)
Tellheims körperliche Starrheit und die Unfähigkeit die eigenen Sinne zu gebrauchen zeigen seine abwehrende Haltung gegenüber seiner Umwelt, aus der heraus er auch Minna ablehnt. Er ist ausschließlich auf seine eigene Anerkennung und Würdigung fokussiert und macht unmissverständlich klar, dass diese
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ihm wichtiger ist als eine Verbindung mit Minna. Damit aber lässt er Minna seinen Stolz „zu stark merken“ und sie beginnt, wie am Ende des dritten Aktes angekündigt, mit ihrer Verstellung (MvBED III,12). Just in dem Moment, als sie im Grunde nur noch aufgeben kann, nimmt sie selbst die Rolle des Heiratshindernisses ein. Im Folgenden wird der Rollentausch analysiert, der in Szene IV,6 beginnt und erst in V,12 aufgelöst wird, weil er komische Effekte erzeugt: zum einen entstehen sie daraus, dass es nun Tellheim ist, der sich Minna nähern möchte und dass sie ihn jetzt zurückweist. Dadurch kehrt sich die bisherige Situation um. Zum anderen entsteht eine Inkongruenz zwischen denjenigen Argumenten, die man von Minna erwarten könnte und denen, die sie tatsächlich vorbringt. Minna stellt sich zunächst als mittel- und ehrlos dar. Analog zur Situation Tellheims lassen sich diese äußeren Ablehnungsgründe leicht entkräften: Tellheim hätte an Minnas Seite ein standesgemäßes Leben führen können, lehnt diese Hilfe jedoch ab. Minna könnte sich durch eine Heirat mit Tellheim vor der vorgeblich drohenden Enterbung und Verstoßung leicht bewahren lassen. Tellheim ist umgehend bereit zu helfen. Ebenso wie Minna auf Geld und Ansehen für ihn verzichtet und einen armen und abgedankten Offizier geheiratet hätte, ist Tellheim bereit die vermeintlich enterbte und gesellschaftlich verstoßene Minna zu heiraten. Diese Reaktion Tellheims ist zu erwarten, da er ausführlich als mitleidiger und hilfsbereiter Mensch eingeführt wird. Sein Verzicht auf weitere Dienste nach dem tatsächlichen Eintreffen des königlichen Briefes ist eine Steigerung dieser Geste, da nun etwas auf dem Spiel steht, das er zuvor als entscheidend markiert hatte. Er verzichtet auf die Ehre und die Plötzlichkeit dieser Entscheidung steht im Kontrast zum wiederholten starren Beharren zuvor: Und Sie kennen mich nicht besser? – Nein, da mir das Glück so viel zurückgibt, als genug ist, die Wünsche eines vernünftigen Mannes zu befriedigen, soll es einzig von meiner Minna abhangen, ob ich sonst noch jemanden wieder zugehören soll als ihr. Ihrem Dienste allein sei mein ganzes Leben gewidmet! Die Dienste der Großen sind gefährlich und lohnen der Mühe, des Zwanges, der Erniedrigung nicht, die sie kosten. Minna ist keine von den Eiteln, die in ihren Männern nichts als den Titel und die Ehrenstelle lieben. Sie wird mich um mich selbst lieben; und ich werde um sie die ganze Welt vergessen. Ich ward Soldat aus Parteilichkeit, ich weiß selbst nicht für welche politische Grundsätze; und aus der Grille, daß es für jeden ehrlichen Mann gut sei, sich in diesem Stande eine Zeitlang zu versuchen, um sich mit allem, was Gefahr heißt, vertraulich zu machen und Kälte und Entschlossenheit zu lernen. Nur die äußerste Not hätte mich zwingen können, aus diesem Versuche eine Bestimmung, aus dieser gelegentlichen Beschäftigung ein Handwerk zu machen. Aber nun, da mich nichts mehr zwingt, nun ist mein ganzer Ehrgeiz wiederum einzig und allein, ein ruhiger und zufriedener Mensch zu sein. Der werde ich mit Ihnen, liebste Minna, unfehlbar werden; der werde ich in Ihrer Gesellschaft unveränderlich bleiben. – Morgen verbinde uns das heiligste Band; und sodann wollen wir um
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uns sehen und wollen in der ganzen weiten bewohnten Welt den stillsten, heitersten, lachendsten Winkel suchen, dem zum Paradiese nichts fehlt als ein glückliches Paar. Da wollen wir wohnen; da soll jeder unserer Tage – Was ist Ihnen, mein Fräulein? (Die sich unruhig hin und her wendet und ihre Rührung zu verbergen sucht.) (MvBED IV,6)
Auf einmal schränkt Tellheim den Geltungsbereich des Ehrbegriffs auf den Bereich der Dienste in der Armee ein. Er beruft sich plötzlich darauf, dass er niemals vorgehabt habe, weiter zu dienen und deshalb keine offizielle Bestätigung seiner Ehre mehr benötige. Ganz offensichtlich sieht er in der Rolle als Minnas Retter eine neue Möglichkeit zur Selbstbestätigung. Auf eine solche Reaktion muss Minna spekuliert haben und es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass sie mit ihrer Spiegelung seiner Argumente fortfährt. So wie Tellheim nicht zulassen kann, dass er jemand anderem sein Glück verdankt, lehnt nun auch Minna dies ab. Nun kann Minna die gleiche Rücksicht auf ihren Ruf vortäuschen wie Tellheim zuvor und ihren Edelmut und ihre Selbstachtung in den Mittelpunkt rücken: Als er selbst überlegen konnte, hörte ich ihn sagen, es sei eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken trage, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. – Recht, aber ich bestrebe mich einer ebenso reinen und edlen Liebe als er. – Jetzt, da ihn die Ehre ruft, da sich ein großer Monarch um ihn bewirbt, sollte ich zugeben, daß er sich verliebten Träumereien mit mir überließe? [...] Tellheim [braucht] eine unbescholtene Gattin [...] Es ist eine nichtswürdige Kreatur, die sich nicht schämet, ihr ganzes Glück der blinden Zärtlichkeit eines Mannes zu verdanken! (MvBED V, 9)
Tellheims Argument wiederholend gibt sie nun vor, dass es ihr wichtiger sei, ihren Stolz zu behalten, als mit Tellheim zu leben. Sie beendet ihre Verstellung erst in dem Moment, als sie dasjenige Argument wiederholt hat, mit dem Tellheim jegliche Hilfe von Minna abgelehnt hat. In IV,6 war für Minna an dieser Stelle Tellheims Stolz so dominant, dass sie beschließt, mit ihrer angekündigten Stolz-Lektion zu beginnen. Ganz analog dazu ist auch für Tellheim nach der Spiegelung dieses letzten Argumentes der Stolz zu offensichtlich, sodass er nicht mehr umhinkommt, ihn zu benennen und zu äußersten Druckmitteln zu greifen: Überall, an Bekannte und Unbekannte, will ich es erzählen, in Ihrer Gegenwart des Tages hundertmal erzählen, welche Bande Sie an mich verknüpfen, aus welchem grausamen Eigensinne Sie diese Bande trennen wollen – (MvBED V,9)
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Für die Analyse des komischen Wirkungspotentials ist es noch wichtig zu erwähnen, dass Minna nicht nur Tellheims Argumente und teilweise seine Worte, sondern auch seine körperlichen Reaktionen wiederholt. In II,9 etwa weicht Tellheim zu Beginn der Begegnung zurück, als Minna mit offenen Armen auf ihn zugeht. Als sie anbietet, ihn auch verarmt zu heiraten, ergreift sie seine Hand und zieht diese an ihre Brust. Er reißt sich, gemartert von der Erniedrigung durch das Hilfsangebot, los und geht ab. Sie will ihm nach. In V,5 ergreift Tellheim Minnas Hand, um ihr den Ring, den er für ihren hält, wieder anzustecken. Er lässt diese jedoch sogleich wieder los, weil ihm plötzlich bewusst wird, dass Minna ihm fremd ist, weil sie in einem anderen – in einer Regieanweisung als „höhnisch“ bezeichneten Ton – mit ihm spricht. Sie geht ab und er will ihr nach. Da die Rezipient*innen wissen, dass Minna sich nur verstellt, können sie nun die Umkehrung des Verhaltens auch visuell genießen. Die Tatsache, dass Tellheim den Ringtausch nicht erkennt, dient dazu zu zeigen, dass er blind und taub wird, wenn ihm Ablehnung durch Minna droht. Dadurch ist er nun in einer analogen Position zu der Minnas zu Beginn des Spiels. Während Minna durch ihre Intrige die Beziehung zu ihm aufrechterhalten und ihm Gelegenheit gegeben hatte, sich ihr ebenbürtig zu fühlen, ist er nun bereit sie zu heiraten, um sie vor ihrem Onkel und vor der Verstoßung zu retten, obwohl sie ihn gerade abgelehnt hat. In beiden Fällen wirkt demnach Mitleid beziehungsstiftend. Seine Verzweiflung angesichts des drohenden Verlusts ist ein wichtiger Beweis seiner Liebe. Aus diesem Grund kann Minna ausrufen, sie habe sich den „Anblick [seines, KD] ganzen Herzens verschafft“ (MvBED V,12). Tatsächlich stellt die Ankunft des Onkels für Minnas Lage eine Deus-exmachina-Lösung dar. Die Situation ist verfahren, weil Minna Tellheim nicht dazu bringen kann, den Ring als den seinigen und Minnas wahre Absichten zu erkennen. Er beschimpft sie, glaubt, dass sie sich trennen wolle und eine Heirat erscheint ganz unwahrscheinlich. Erst die Ankunft des Onkels reißt Tellheim aus seiner Lethargie und gibt ihm die Möglichkeit zu einer neuen, selbstbestimmten, altruistischen Tat. Nun ist er auch in der Lage, Minnas Auflösung von Spiel und Ringvertauschung anzuhören. Minnas abschließende Bezeichnung ihres Spiels als „Streich“ und die Ankündigung, dass sie sich auch in Zukunft nichts von Tellheim gefallen lassen werde, stellen eine Rückbindung von Minnas Strategie an die typischen Beziehungsspiele von Komödien her. „Dieses zur Probe, mein lieber Gemahl, daß Sie mir nie einen Streich spielen sollen, ohne daß ich Ihnen nicht gleich darauf wieder einen spiele. – Denken Sie, daß Sie mich nicht auch gequälet hatten?“ (V,12). Das Spiel Minnas unterscheidet sich hinsichtlich der komischen Wirkung
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allerdings wesentlich von der Intrige vorangegangener Komödien, die auf die Reaktion der Schadenfreude abzielen. Anders als etwa beim Menschenfeind oder dem eingebildeten Kranken Molières, beim Geheimniskrämer, beim zänkischen Richter oder bei der geldgierigen Frömmlerin der sächsischen Typenkomödie und auch anders als beim Frauenfeind, beim egozentrischen Gelehrten oder beim übertriebenen Freigeist aus Lessings Jugendkomödien ist es nicht das Ziel, die Hauptfigur bloßzustellen. Vielmehr soll eine Art Ausgleich hergestellt werden, für den das Wort Rache vielleicht etwas zu stark gewählt ist. Lessing hatte die Meinung geäußert, dass eine Veränderung des Helden in einer Komödie schädlich sei, dass es lediglich auf die Veränderung der Umstände und eine entsprechende Verhaltensmodifikation ankäme. Folgt man der Annahme, dass das übertriebene Verhalten ein stolzes sein soll, so kann man nicht sagen, dass Tellheim sich ändert. Fick hat zuletzt vorgeschlagen, davon auszugehen, dass Tellheim von einer Konzentration auf die Ehre zu einer Konzentration auf die Erfüllung im Anderen kommt.399 Als Beleg dafür führt sie diejenige Stelle an, an der er auf die Dienste des Königs und weitere höfische Ehre verzichten und ein zurückgezogenes Leben mit Minna führen will. Dieser Aussage ist mit einer kleinen Modifikation zuzustimmen: Tellheim handelt weiterhin nach seinen eigenen Prinzipien wie Gerechtigkeit, Mitleid und Hilfsbereitschaft. Er ändert nur diejenige Instanz, die das Ehrenhafte seines Tuns anerkennen soll. Dies ist ein Beleg dafür, dass nicht die Ehre und der Patriotismus im Vordergrund stehen, jedoch keiner dafür, dass er die Konzentration auf den Stolz aufgegeben hat. Der König erklärt in einem persönlichen Brief, dass er davon überzeugt ist, dass Tellheim unschuldig ist und würdigt seine selbstständige Entscheidung in Sachen Kontributionszahlungen sogar, indem er davon spricht, dass er ihn besonders wegen seiner „Denkungsart“ schätze (MvBED V,9). Damit hat sich die persönliche Kränkung in Wertschätzung verwandelt. Tellheims Stolz ist damit befriedigt und er bekommt, was er an erster Stelle sucht: Anerkennung. Nun sein Augenmerk auf Minna zur richten, ist folglich kein Opfer, sondern im Gegenteil, da er als großer Retter auftreten kann, eine weitere Gelegenheit etwas Großartiges zu tun und in einer Beziehung der Gebende und Großzügige zu sein, mithin auf das eigene Verhalten stolz sein zu können. Man erkennt hier sehr deutlich, dass die Konzentration auf die höfische Ehre nur eine bestimmte Ausprägung seines Stolzes ist.400 Durch eine sehr geschickte Informationsver-
|| 399 Vgl. Fick (2016), Lessing-Handbuch. 400 Vgl. zu einer entsprechenden Interpretation der Figur etwa Alewyn (1962), „Tellheims Erziehung“; Staiger (1982), Lessing: Minna von Barnhelm; Guthke (1991), Poetik der Tragikomödie oder auch Hinck (1965), Das deutsche Lustspiel.
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gabe kann Lessing auf diese Weise Stolz und Ehre voneinander trennen und zeigen, dass ein übertriebener Stolz zu einem übertriebenen Beharren auf die Ehre führen kann, ohne dass der Ehrbegriff an sich, die Bindung an den König und die Größe der gnädigen Geste durch den Herrscher in Frage gestellt werden. Die Minna von Barnhelm wurde hier bisher als eine Komödie beschrieben, in der ein aktueller, nationaler Konflikt komödienhaft und komisch behandelt wird und versöhnlich endet. Es wurde gezeigt, dass sie sich sowohl als Anschluss als auch als Absetzung vom deutschsprachigen poetologischen Diskurs über die Aufklärungskomödie positioniert und die folgenden Elemente der Komik aufweist: gemischte Charaktere, die in Marivaux’scher Kontrastierungstechnik abwechselnd als schätzenswert und lächerlich dargestellt werden, und eine Intrige, die dazu dient, eine übertriebene Verhaltensweise, hier den Stolz, in ihrem Schadpotential darzustellen. Damit sind zwei Anforderungen an ein Drama für eine Nationaltheaterbühne erfüllt: die Darstellung eines aktuellen, nationalen Themas und die erzieherische Funktion für die Bildung einer Nation. Figuren- und Situationskomik sowie Intrigenkomik haben dienende Funktion für diese Wirkungsabsicht. Die Minna von Barnhelm ist darüber hinaus als Positionierung im Diskurs der Nationaldramatik und als Überbietung der bisherigen Größen im Feld der deutschen Bühne zu lesen. Hier bestimmt maßgeblich die Dominanz der Franzosen im Repertoire der Wandertruppen in Nord- und Mitteldeutschland Lessings Blick auf den Raum des Möglichen, wie es im Folgenden zu zeigen gilt. Die Wahl seiner Schreibstrategien (vor allem Komödienform, Komik, Stolz als Zentraleigenschaft) und der Autorenstrategien (vor allem in der Hamburgischen Dramaturgie) bekommen in diesem Positionsgeflecht noch einmal einen neuen Sinn. Die seinerzeit meistgespielten Autoren der Komödie in deutscher Sprache sind die Franzosen Destouches, La Chaussée, Molière und Marivaux.401 Anklänge an die Typenkomödie, an Molières Misanthrope im Speziellen, an die Dramentechnik Marivaux’ und an die tugendhaft-vorbildlichen Figuren des Rührenden Lustspiels, die sich in der Minna von Barnhelm finden, erweisen sich vor dem Hintergrund dieses Repertoires als Kombination von anschließenden und Erfolg versprechenden Schreibstrategien. Der insgesamt und gattungsübergreifend am häufigsten gespielte Autor, dessen Komödien auch den wichtigsten Positionierungskontext für die Minna von Barnhelm konstitutieren, ist allerdings
|| 401 Diese Aussage trifft auch für das Repertoire der Wanderbühnen im gesamten mittel- und norddeutschen Sprachraum zu (vgl. Brauneck [1996], Die Welt als Bühne, S. 763 ff. und MaurerSchmoock [1982], Deutsches Theater im 18. Jahrhundert, S. 125–135).
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ein anderer. Gemeint ist Voltaire, der bis Ende der 1760er Jahre der am häufigsten gespielte Sprechtheaterautor im deutschsprachigen Gebiet ist.402 Am ersten Nationaltheater im Reich gilt es aus Lessings Perspektive demnach vor allem Voltaire zu überbieten und den von ihm gewählten Komödien- und Komikformen und seiner Positionierung in pazifistischen und französisch-aufklärerischen Diskursen spezifisch deutsche entgegenzusetzen – so die These im Folgenden.403 Es ist bekannt, dass Lessing in seiner Berliner Zeit Voltaires Schriften rezipiert, auch dessen Publikationen in Zeitschriften ankündigt und in Berlin sogar für ihn übersetzt. Als Lessing 1750 nach Berlin kommt, verehrt er Voltaire sehr, der aus seiner Sicht zuweilen sogar Destouches überragt, und äußert sich verwundert darüber, dass Voltaires Dramen nicht in Berlin gespielt werden.404 Noch 1756 und 1757 zitieren Mendelssohn, Nicolai und Lessing in ihrem Briefwechsel über das Trauerspiel Dramen Voltaires als Beispiele für herausragende dramaturgische Gestaltung405 und noch bis Ende der 1750er Jahre finden sich keine abwertenden Kommentare Lessings über Voltaire.406 In seinen Briefen, die neueste Litteratur betreffend wendet sich Lessing dann entschieden gegen Voltaire und zeigt dessen Unterlegenheit gegenüber Shakespeare.407 Die in den 1760er Jahren einsetzende Kritik Lessings an Voltaire kann allerdings durchaus
|| 402 Vgl. Maurer-Schmoock (1982), Deutsches Theater im 18. Jahrhundert, S. 130, 133. 403 Die Minna von Barnhelm wurde bereits in den Hamburger Bemühungen um ein stehendes Theater und in der Nationaltheaterunternehmung kontextualisiert, allerdings ohne Berücksichtigung der Komik und nicht im Hinblick auf die Positionierung im Repertoire (vgl. Gutjahr [2016], Lessings Aufklärungskomödie). Vgl. dagegen Kindt (2011), Literatur und Komik, S. 168, Fn. 40, der die Auffassung vertritt, dass der Nationaltheaterkontext keine Rolle für die Analyse der Komik in dieser Komödie spielt. 404 Korff (1917), Voltaire im literarischen Deutschland, S. 91. 405 Lessing/Mendelssohn/Nicolai (1972), Briefwechsel über das Trauerspiel. 406 Vgl. Robertson (1939), Lessing’s Dramatic Theory, S. 204 f. Im Folgenden wird es nur um Lessings Einstellung zu Voltaires dramatischem Schaffen gehen. Diese ist bisher in der Forschung nur hinsichtlich der Tragödien ausgewertet worden (vgl. Fn. 411). Vgl. zur VoltaireRezeption in Deutschland im 18. Jahrhundert ausführlich Korff (1917), Voltaire im literarischen Deutschland und Brockmeier/Desné/Voss (1979), Voltaire und Deutschland. 407 Dass auch diese Abwertung des einen und Aufwertungen des anderen Vorbildes eher im Rahmen einer Positionierung im Feld zu verstehen ist als im Sinne des tatsächlichen Einflusses oder tatsächlicher Nähe, erscheint plausibler, wenn man berücksichtigt, dass Lessings Nathan der Weise nicht unerheblich von Voltaires Zaïre inspiriert ist, Shakespeare hingegen fast nichts verdankt (vgl. Robertson [1939], Lessing’s Dramatic Theory, S. 206). Zur Rezeption von Shakespeares Tragödienpoetik in der Vermittlung durch Voltaire vgl. Golawski-Braungart (2008), Shakespeare via Voltaire.
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ebenfalls als Beweis für Interesse, für Satisfaktionsfähigkeit und für die Nähe zu eigenen Überlegungen gesehen werden. Als Lessing am 4. November 1766 von Nicolai, der als Vermittler des Nationaltheaterinitiators Löwen an ihn herantritt, gefragt wird, ob er als Theaterdichter beim Hamburger Nationaltheater mitwirken möchte, hat er bereits sechs Lustspiele, ein bürgerliches Trauerspiel und ein Trauerspiel publiziert und ist der „bekannteste Dramatiker [und] der am meisten gefürchtete und geschätzte Kritiker [deutscher Sprache] seiner Zeit“.408 Lessing hat zu diesem Zeitpunkt schon lange kein großes erfolgreiches Drama mehr publiziert. Von 1755 bis 1767 erscheint von ihm lediglich der Einakter Philotas. Dies ist unter anderem dadurch bedingt, dass er als Sekretär des General Tauentzien mit Kriegsgeschäften betraut ist und keine direkte Anbindung mehr an ein Theater hat.409 Nachdem sich die Aussichten auf eine Anstellung zum Beispiel als Bibliothekar der königlichen Bibliothek in Berlin oder als Angestellter der Dresdner Gemäldegalerie zerschlagen haben, arbeitet Lessing den Entwurf der Minna von Barnhelm von 1764 erst im Winter 1766/67 aus, als er die Komödie als Eröffnungsstück für das Hamburger Nationaltheater mitbringen möchte.410 Da es als erstes deutschsprachiges Nationaltheater Modellcharakter für das Reich hat, verspricht es besonders viel symbolisches Kapital, Voltaire an diesem Theater als Dramenautor und Kritiker zu überbieten. Nicht von ungefähr holt Lessing, der am Hamburger Nationaltheater die Rolle des Kritikers mit der Möglichkeit der Positionszuweisung im Feld innehat, in der Hamburgischen Dramaturgie gut sichtbar zu einem großen Schlag gegen Voltaire aus. Er kritisiert vor allem die Trauerspiele Voltaires, weist ihm als Kritiker und Historiker zahlreiche Fehler nach und schließt daran nicht selten ausführliche eigene theoretische Positionierungen an.411 Während Lessing sich in der Hamburgischen Dramaturgie mit den Tragö|| 408 Nisbet (2008), Lessing, S. 472. Damon (ED 1747), Der junge Gelehrte (ED 1754/UA durch Neuber in Leipzig 1748), Die Juden (entstanden 1749/ED 1754/UA 1766 in Nürnberg), Der Freygeist (entstanden 1749, ED 1755), Der Misogyn (entstanden 1749), Der Schatz (UA 1750/ED 1755) Miß Sara Sampson (entstanden 1755, ED 1755, UA durch Ackermann am 10. Juli 1755 in Frankfurt/Oder) Philotas (entstanden 1758, ED 1759, UA am 24. Januar 1772 durch Koch in Berlin). 409 Bekanntlich schreibt er den Jungen Gelehrten für die Truppe der Neuberin, Miß Sara Sampson für die Ackermann’sche Truppe. 410 Vgl. Nisbet (2008), Lessing, S. 442 und 481. Vgl. zum praktischen Theaterbezug Lessings a. a. O., S. 485. 411 Man vergleiche beispielsweise Lessings Nachweis, dass Voltaire das Ende der Brüder von Romanus falsch verstanden habe, der sich über insgesamt neun Stücke der Hamburgischen Dramaturgie zieht. Bei Korff findet sich eine Auswertung der Hamburgischen Dramaturgie in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Voltaire (vgl. Korff [1917], Voltaire im literarischen
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dien Voltaires so kritisch und ausführlich auseinandersetzt wie mit den Werken keines anderen Autors, geht die Berücksichtigung seiner Komödien allerdings kaum über die Erwähnung der Stücktitel hinaus.412 Dies darf allerdings keineswegs mit Desinteresse gleichgesetzt werden. Vielmehr wählt Lessing offenbar auf seinem eigenen literarischen Paradegebiet, der Komödie, nur eben nicht das Mittel der theoretischen Auseinandersetzung, sondern das der praktischen Überbietung. So verfährt er im Übrigen auch mit den Komödien Molières und Marivaux’, die in der Hamburgischen Dramaturgie ebenfalls nur am Rande erwähnt werden.413 Im Folgenden soll erstmals untersucht werden, wie sich Lessing zu den Komödien Voltaires positioniert.414 Für die Auswahl der relevanten Komödien erscheint es zunächst sinnvoll zu eruieren, welche Komödien Ackermann bereits im Repertoire hatte, da die Ackermann’sche Truppe bis zur Eröffnung des
|| Deutschland, S. 89–123, zum akribischen Nachweis einzelner Fehler vgl. insbes. S. 101–107). Glaser analysiert die Verrisse der Tragödien Voltaires (vgl. Glaser [1979], Lessings Streit mit Voltaire). Vgl. für die Auseinandersetzung Lessings mit Voltaires Tragödien Merope Mugnolo (1992), Die Merope-Tragödien und Zeller (1997), Die Rezeption des antiken Dramas im 18. Jahrhundert, mit der Rodogune Mugnolo (1995), Ambizione di regina o gelosia di donna? 412 Voltaires Nanine erwähnt Lessing im 21. Stück der Hamburgischen Dramaturgie, als er die Frage diskutiert, wie aussagekräftig der Titel einer Komödie sein soll. Hier spricht er sich interessanterweise gegen Figurentypen im Titel aus, weil diese fast alle bereits behandelt wurden und plädiert stattdessen für die Kombination eines Eigennamens mit einem Untertitel, der das Thema näher spezifiziert. Die Frau, welche Recht hat (La Femme qui a raison) bezeichnet Lessing als „schlecht[es]“ Stück und begründet das damit, dass es keine richtigen Charaktere und keinen wirklichen Konflikt („Interesse“) enthalte (vgl. Lessing [1985–2003], Werke und Briefe, Bd. 6, S. 598 f. [83. Stück]. Die Komik bezeichnet er als sehr wirkungsvoll, aber „vom allergemeinsten Fache“, weil sie sich nur aus Verkleidungen, Verkennungen und Missverständnissen speise. Die zwei Aufführungen des Verlorenen Sohns (L’Enfant prodigue, 1736) und die vier des Herrenrechts (Le Droit du Seigneur, 1763), finden keine Erwähnung (vgl. Robertson [1939], Lessing’s Dramatic Theory, S. 225–228). Le Café ou L’Ecossaise (Die Schottländerin, 1760) behandelt Lessing im 12. Stück der Hamburgischen Dramaturgie, verwechselt dabei allerdings die Namen der Figuren und schreibt auch die Bemühungen um die Begnadigung Monroses der falschen Figur zu. 413 Vgl. Robertson (1939), Lessing’s Dramatic Theory, S. 175–180 zu Molière und S. 202–204 zu Marivaux. 414 Reininger hat lediglich auf motivische Ähnlichkeiten zwischen Lessings Minna von Barnhelm und Voltaires Le Café ou l’Ecossaise hingewiesen. Er geht jedoch davon aus, dass Tellheim in seinem Beharren auf der Ehre recht hat, so dass weder der Stolz noch das Verhältnis von Komik und Rührung in den Blick kommen, die wichtige Aspekte bei den jeweiligen Positionierungsabsichten von Voltaire und Lessing darstellen (vgl. Reininger [2004], Lessings Minna von Barnhelm). Zudem kontextualisiert er weder Voltaires noch Lessings Komödie in der Debatte um die Nationaldramatik.
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Hamburger Nationaltheaters in Hamburg spielt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Schauspieltruppe von der Direktion des Nationaltheaters übernommen wird. Lessing ist Theaterpraktiker genug, um zu wissen, dass auf den Spielplan kommen würde, was den Schauspielern das Auftreten in bereits erfolgreichen Rollen ermöglichte und volle Kassen erwarten ließe.415 Tatsächlich werden dann 32 % des Repertoires der Ackermann’schen Truppe auch am Nationaltheater gespielt und die Auswahl an Voltaires Komödien ist dieselbe wie bei Ackermann.416 Interessant ist nun, dass alle diese Komödien eine spezifische Kombination des Zentralkonflikts (l’intérêt) aus der comédie larmoyante beziehungsweise dem drame bourgeois mit komischen Elementen aufweisen und die Begründung dafür teilweise auch paratextuell thematisieren.417 Im Vorwort von L’enfant prodigue (1738) verweist Voltaire zum Beispiel darauf, dass die Darstellung der menschlichen Sitten beständig zu wechselhaften Situationen führe, die in der dramatischen Darstellung eine Mischung von ernsten und gefälligen, von komischen und rührenden Elementen notwendig mache.418 Er flicht deshalb komische Charaktere und komische Missverständnisse in die ernsten Konflikte rund um eine Zwangsheirat und abtrünnige Söhne ein.419 Zudem verwendet er in L’Enfant prodigue erstmals den Decasillabo, der bis zu diesem Zeitpunkt von ihm oder anderen Autoren nicht für Komödien genutzt wurde.420 Voltaire setzt
|| 415 Es lässt sich klar erkennen, dass man im Hamburger Nationaltheater versucht nur sichere Erfolgsstücke zu spielen: „[M]an setzte auf den Spielplan, was mit Sicherheit ankam; Experimente wurden nicht riskiert; Kasse ging vor Kunst“ (Maurer-Schmoock [1982], Deutsches Theater im 18. Jahrhundert, S. 131). 416 Vgl. Nisbet (2008), Lessing, S. 486. Von einem Einfluss Lessings auf den Spielplan ist im Übrigen weder im Vorfeld noch im Verlauf der Unternehmung etwas bekannt. MaurerSchmoock schätzt das Verhältnis von Theaterleitung und hauseigenem Dramaturg wie folgt ein: „der Dramaturg und Konsulent Lessing konnte allenfalls mit beratender Stimme Einfluß nehmen, Entscheidungsgewalt und Vetorecht gestanden die Kaufleute dem Kenner nicht zu.“ (Maurer-Schmoock [1982], Deutsches Theater im 18. Jahrhundert, S. 131). 417 Im Folgenden werden sehr verkürzt die Forschungsergebnisse von Russell Goulbourne wiedergegeben, der seine Thesen jeweils durch briefliche Äußerungen Voltaires, akribische Untersuchungen der komischen und rührenden Elemente und durch Kontextualisierungen in literarischen, politischen und philosophischen Debatten der Zeit untermauert (vgl. Goulbourne [2006], Voltaire comic dramatist). Sehr wünschenswert wäre eine Untersuchung zu den deutschsprachigen Bearbeitungen von Voltaires Komödien im 18. Jahrhundert. 418 „Si la comédie doit être la représentation des mœurs, cette pièce semble être assez de ce caractère. On y voit un mélange de sérieux et de plaisanterie, de comique et de touchant“ (Voltaire [1968 ff.], The Complete Works of Voltaire / Les Œuvres complètes de Voltaire [OCV], Bd. 16, S. 94). 419 Goulbourne (2006), Voltaire comic dramatist, S. 67. 420 Vgl. a. a. O., S. 65.
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dieses ungewöhnliche Versmaß allerdings bereits zuvor des Öfteren in Satiren ein, so dass anzunehmen ist, dass er die Komödien damit als satirische Textsorte kennzeichnen möchte. Damit hebt er sich deutlich von der Identifikation mit den Charakteren ab, wie sie für das drame sérieux von Diderot gefordert wird.421 Die Nanine (1747), in der Voltaire den Pamela-Stoff aufgreift, scheint auf den ersten Blick tatsächlich eine comédie larmoyante zu sein, in der die tugendhafte Hauptfigur dem heimlich von ihr wiedergeliebten Comte d’Alban keine Mesalliance zumuten möchte. Goulbourne zeigt jedoch, dass die Nanine gerade nicht als einfache comédie larmoyante konzipiert ist, sondern eine Antwort Voltaires auf die Mode ist, aus englischen, rührenden Romanen rührende Komödien zu machen. Voltaire hält diese Mode nicht nur für langweilig, sondern auch für eine Verfallserscheinung der Komödie, insbesondere der Komik in der Komödie.422 In der Nanine markiert Voltaire diese Distanz zur comédie larmoyante dadurch, dass sich das Personal nicht einfach in empfindsame und komische Figuren teilt, sondern dass die Figuren je nach Situation verschiedene Töne anschlagen.423 Der begeisterte Voltaire-Leser Friedrich II. erfasst diese Differenz zur rührenden Komödie offenbar nicht und beschwert sich bei Voltaire darüber, dass dieser eine langweilige comédie larmoyante geschrieben habe, der es an Komik mangle.424 Diesen Vorwurf kann Voltaire selbstverständlich nicht auf sich sitzen lassen, hat er doch in seinem Vorwort zu L’Enfant prodigue gerade besonders betont, dass das Langweilige das Einzige sei, was im Drama unter allen Umständen zu vermeiden sei.425 Deshalb schreibt er als Antwort eine weitere Komödie: La Femme qui a raison (1757). Nanine und La Femme qui a raison handeln beide von Frauenfiguren, die Heiratshindernisse überwinden. In La Femme qui a raison ist das Heiratshindernis ein klassischer lächerlicher Vater in der Tradition Molières. Voltaire zeigt Friedrich II. mit dieser Komödie, dass er sehr wohl in der Lage ist, das Thema als Lach- und Verlachkomödie mit zahlreichen karnevalistischen und satirischen Momenten zu gestalten.426 Er macht damit auch indirekt darauf aufmerksam, dass er in der Nanine bewusst die Form
|| 421 Vgl. a. a. O., S. 217. 422 Vgl. a. a. O., S. 162–165. 423 Vgl. a. a. O., S. 162–181. 424 Vgl. a. a. O., S. 149. 425 „Il ne faut donner l’exclusion à aucun genre: et si l’on me demandait, quel genre est le meilleur, je répondrais: Celui qui es le mieux traité. […] tous les genres sont bons, hors le genre ennuyeux.“ OCV, 16, S. 95. 426 Vgl. Goulbourne (2006), Voltaire comic dramatist, S. 148 f.
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der comédie larmoyante gewählt hat und dass es sich lohnen könnte danach zu suchen, wo er diese Form durch Komik durchbrochen haben könnte.427 In Le Droit du Seigneur (1763), das im Übrigen wie L’Enfant prodigue und Nanine wiederum durch die Verwendung von Decasillabi als satirisch-komisch markiert ist, wechselt Voltaire dann aktweise zwischen dem Komischen und dem Rührend-Ernsten.428 Die ersten beiden Akte sind im Stil italienischer und französischer Farcen gestaltet und deutlich satirisch. Acante wird von dem lächerlichen Bauern Maturin umworben und weigert sich standhaft ihn zu heiraten. Nur ihr Vormund weiß von Ihrer aristokratischen Herkunft. Die letzten drei Akte handeln von den Schwierigkeiten des Marquis und Acantes, die durch den Konflikt von Liebe und Mesalliance entstehen. Die letzten beiden Akte sind sentimental, der mittlere Akt wechselt beständig zwischen dem Ernsten und dem Komischen. Wie oben dargelegt, strebt auch Lessing danach eine eigene, spezifische Kombination von rührenden und komischen Elementen und eine neue Form der Komödie, die ‚wahre Komödie‘ zu schaffen. Es erscheint plausibel zu sagen, dass Lessing in der Minna von Barnhelm drei Elemente verwendet, um die comédie larmoyante und das drame komisch aufzubrechen, die auch bei Voltaire zu finden sind.429 Zum Ersten gestaltet er einen Wechsel von komischen und rührenden beziehungsweise ernsten Aspekten, und zwar sowohl bei der gleichen Figur als auch innerhalb von Situationen. Zum Zweiten wählt auch Lessing eine ungewöhnliche Liebeskonstellation – die Frau, die um den Mann kämpft. Zum Dritten entscheidet er sich für die Betonung der satirischen und burlesk-komischen Elemente: Lessing lässt seine Komödie in den ersten fünf Szenen als Dienerkomödie mit einer komischen Figur in der Tradition des Hanswurst beginnen. Neben dieser Gemeinsamkeit in der gattungsbezogenen Positionierung scheint eine bestimmte Komödie Voltaires ein besonders wichtiger Kontext der Absetzung zu sein. Gemeint ist Le Café ou L’Ecossaise (1760), mit der sich Voltaire auch in der Debatte um eine nationale Dramatik in Frankreich verortet, so
|| 427 Über ein Verständnis Friedrichs II. für diese Zusammenhänge ist nichts bekannt. 428 Vgl. Goulbourne (2006), Voltaire comic dramatist, S. 216–227. 429 Interessant ist auch, dass Lessing die Positionen Voltaires in der Hamburgischen Dramaturgie stark verkürzt darstellt, wenn er Voltaires Auffassung tadelt, dass man keine reinen Rührstücke schreiben solle. Lessing weist Voltaire auf die sehr gelungenen Werke Cénie und Le Père de famille hin. Dies liest sich wie ein Ablenkungsmanöver, da Voltaire, wie oben dargestellt, theoretisch und praktisch eine komische Durchsetzung und Durchbrechung von rührenden Handlungen und Konflikten propagierte (B 6, S. 287 f. [21. Stück], Goulbourne [2006], Voltaire comic dramatist, S. 204 und 208–216).
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dass auch darin eine gewisse Nähe zur Minna von Barnhelm besteht.430 Hier probiert Voltaire eine weitere Variante der Kombination eines rührenden Konflikts mit komischen Elementen aus. Einerseits ist da die Liebesgeschichte des Sohnes und der Tochter zweier verfeindeter Familien, bei der die Tochter für den zufällig wiedergefundenen Vater auf ihren Geliebten verzichten will. Auch die Figuren des herzlichen Wirts Fabrice und des großzügigen Kaufmanns Freeport sind an den rührenden und tränenreichen Handlungssträngen rund um Leiden, Wiedererkennung und Wohltätigkeit beteiligt. Diese tugendhaft-ernsten Figuren sind allerdings auch komisch, zum Beispiel, wenn sie die Angriffe der ebenfalls vorkommenden komischen Intriganten immer wieder mit witzigen, geistreichen und sarkastischen Antworten kontern.431 Umgekehrt sind die komischen Figuren der Mätresse Lady Altons und ihres Helfers, des Journalisten Frélon, nicht ausschließlich komisch. Durch ihr recht aggressives Vorgehen sind sie sogar hart an der Grenze zu abstoßenden Bösewichten, wenn sie versuchen die Wiedervereinigung von Vater und Tochter beziehungsweise die Vereinigung der Liebenden zu verhindern. Es gibt komische (I,1, I,4, I,7, II,1, II,3, II,4, III,1, IV,1) und rührend-ernste Szenen (I,6, II,8, III,4–6, III,8, IV,3, IV,5–7, V,3– 4). Weitere sechzehn Szenen verwenden beide Schreibstrategien. Einige Aspekte deuten darauf hin, dass sich Lessing speziell von Voltaires Le Café ou L’Ecossaise absetzt, und es gibt Belege dafür, dass Lessing diese Komödie bereits vor seiner Zeit am Hamburger Nationaltheater rezipiert. Lessing hat vermutlich auch Kenntnis davon, dass Ackermann die Komödie im Comödienhaus am Gänsemarkt unter dem Titel Das Kaffeehaus am 27. September und am 11. Oktober 1764 gegeben hat.432 Das ist deshalb plausibel, da Lessing bereits mit Ackermann zusammengearbeitet hat. Ackermann hatte 1754 und 1755 in Frankfurt an der Oder die ersten englischen Trauerspiele uraufgeführt. Lessing reist dorthin, um mit ihm und dessen Truppe die Miß Sara Sampson einzustudieren, die dann am 10. Juli 1755 uraufgeführt wird. Bürgerliche Trauerspiele sind auch danach gut in Ackermanns Spielplan repräsentiert.433 Man kann da-
|| 430 Die Komödie wird im Mai 1760 gedruckt und am 26. Juli 1760 am Théâtre de la rue des Fossés à Saint-Germain uraufgeführt (vgl. Goulbourne [2006], Voltaire comic dramatist, S. 203 f.). Im Jahr des Erstdrucks erscheinen zehn Buchausgaben und die Komödie wird zu einem außergewöhnlichen Bühnenerfolg Voltaires in Frankreich, aber eben auch in Deutschland, Großbritannien und Italien (vgl. André [1994], L’Écossaise, S. 66). 431 Goulbourne erkennt in der Verwendung unvermittelter Verhaltensänderungen der Figuren eine Anlehnung an die dramaturgischen Kniffe Marivaux’ (vgl. Goulbourne [2006], Voltaire comic dramatist, S. 214 f.). 432 Vgl. Eichhorn (1965), Konrad Ernst Ackermann, S. 237 f. 433 Vgl. a. a. O., S. 228.
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von ausgehen, dass Lessing auch später bestens darüber informiert ist, was Ackermann in Hamburg spielt, weil er mit dem Schauspieler Conrad Ekhof befreundet ist. Ekhof hat 1756 dort in der Miß Sara Sampson den Mellefont mit großem Erfolg gespielt.434 1757 lernt Lessing Ekhof in Hamburg kennen. Seitdem stehen die beiden in Kontakt.435 Voltaires Le Café ou L’Ecossaise hat zudem in Hamburg einige Aufmerksamkeit erregt. Moses Mendelssohn berichtet in seinem Brief an Lessing vom 11. Februar 1761, dass die Zuschauer in Hamburg von Anfang an Voltaire als Autor des anonym aufgeführten Werkes vermuten und Nachforschungen anstellen: Das Publikum bestehet noch immer darauf, Voltaire sey der Verfasser des Coffé, so wenig die Anlage des Stücks auch Voltairen ähnlich siehet. Meine Freunde melden mir aus Hamburg, es hatten verschiedene Kaufleute von da, nach England geschrieben, und die Urschrift verlangt, man hatte ihnen aber geantwortet, es sey kein englisches Stück unter diesem Namen bekannt. Ist das Stück anders von Voltairen, so muss die Luft der republikanischen Freyheit, die er itzt athmet, seine ganze Denkungsart verändert haben.436
Lessing kennt zudem ziemlich sicher auch die Übersetzung des in Hamburg lebenden Buchhändlers Johann Joachim Christoph Bode, die 1760 bereits in Hamburg und im gleichen Jahr auch in Berlin erscheint.437 Zudem kann er Le Café ou L’Ecossaise natürlich auch im Original gelesen haben. Lessing konnte auch damit rechnen, dass die Komödie im Hamburger Nationaltheater gespielt
|| 434 Vgl. Brauneck [1996], Die Welt als Bühne, Bd. 2, S. 759. 435 Ekhof spielte seit 1764 bei Ackermann, war bekanntlich dann auch während der Zeit des Hamburger Nationaltheaters Teil des Ensembles und verlässt Hamburg 1769. 436 Schriften XIX, S. 167. 437 J. J. C. Bode: Das Caffeehaus, ein Rührendes Lustspiel Aus dem Französischen übersetzt von B***. Gedruckt bey Nicolaus Conrad Wörtner, Hamburg 1760; Das Café-Haus oder die Schottländerin. Ein Lustspiel, Berlin, Stettin und Leipzig 1760. Diese Übersetzung erscheint übrigens 1761 auch in Wien, doch dazu weiter unten mehr (vgl. Das Café-Haus oder die Schottländerin. Ein Lustspiel, aufgeführet in dem K K privilegirten Stadt-Theater Wien 1761). Vgl. auch die Inhaltsangabe, die Aufführungsbelege und die Beschreibung der Drucke in Robertson (1939), Lessing’s Dramatic Theory, S. 63 f. Lessing lernt Bode nicht später als 1766 kennen und berät ihn bei seinen Übersetzungen, sodass es sehr wahrscheinlich ist, dass er dessen Übersetzung von L’Ecossaise spätestens anlässlich der Überarbeitung der Minna von Barnhelm rezipiert (vgl. Nisbet [2008], Lessing, S. 498). Bei Bode erscheint dann auch die Hamburgische Dramaturgie. Das Projekt einer gemeinsamen Druckerei von Lessing und Bode in der Hamburger Zeit scheitert (vgl. Nisbet [2008], Lessing, S. 500 f.).
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werden würde. Tatsächlich wird sie unter dem Titel Das Caffeehaus oder die Schottländerinn dort dann auch vier Mal aufgeführt.438 Der Vergleich von Le Café ou L’Ecossaise und der Minna von Barnhelm hinsichtlich der Komik ist recht aufschlussreich. Wie oben bereits dargestellt, verbindet Lessing in der Minna von Barnhelm Rührung und Komik, indem er an den komisch-lächerlichen Figuren die tugendhaften und rührenden Züge darstellt und die tugendhaften durch Übertreibungen in bestimmten Situationen lächerlich zeichnet. In Voltaires Le Café ou L’Ecossaise sind jedoch die komischen Figuren zugleich erfolglos und böse, die ernsten Figuren tugendhaft und witzig. Man lacht sie nicht aus, sondern man lacht über ihre Witze, die sie auf Kosten der komischen Figuren machen. So tragen sie zur Verstärkung der Schadenfreude bei, auf die auch die andere Komik im Drama abzielt. Am Beginn der Komödien wird zudem noch ein weiterer Unterschied in der Intention deutlich, mit der Komik eingesetzt wird. Lessing lässt seine Komödie, ebenso wie Voltaire, mit den Szenen rund um eine komische Figur beginnen. Bei Voltaire ist es der komische Journalist Frélon, der in den ersten fünf Szenen im Gasthaus sitzt. Bei Lessing ist es der Diener Just, der in I,1–4 komisch agiert, in I,8–12 abwechselnd rührend und komisch dargestellt ist. Während bei Voltaire die Komik durch das Pasquill auf den Pariser Journalisten Fréron erzeugt wird und Schadenfreude hervorrufen soll, wird Just als typischer komischer Diener eingeführt, über den man zum Zweck der Erheiterung lachen soll, um dann überraschend eine ehrenwerte Facette dieses Charakters kennen zu lernen.439 Auch wenn Lessing später in der Figur des Wirts die Berliner Gastwirte satirisch kritisiert, tut er das doch im Allgemeinen und im Vergleich mit der Bloßstellung Frérons eher harmlos. Voltaire gibt dem Wirt des Cafés, das im heutigen Sinn ein Wirtshaus ist, die meiste Bühnenpräsenz. Der Wirt Fabrice begrüßt jeden Gast mit großer Herzlichkeit und ist mitleidig und hilfsbereit, das heißt ein tugendhaftes Vorbild. Lessings Berliner Wirt ist vor dieser Folie signifikant. Er handelt geldgierig und eigennützig und ist nicht von ungefähr ort- und zeittypisch gestaltet, indem er der preußischen Polizei als Spitzel dient und vermutlich auch mit dem Kuppeleiwesen der Berliner Wirte assoziiert werden soll. Er artikuliert als Einziger
|| 438 1. Mai 1767, 8. April 1768 in Hannover, 23. September 1768, 25. Januar 1769, vgl. Robertson (1939), Lessing’s Dramatic Theory, S. 45. 439 Gemeint ist Élie Catherine Fréron, der Herausgeber der berühmten, religiös und monarchistisch ausgerichteten Zeitschrift L’Année littéraire, der kurz zuvor eine schlechte Rezension von Voltaires vorausgehender Komödie La Femme qui a raison veröffentlicht hatte (vgl. Goulbourne [2006], Voltaire comic dramatist, S. 203 f. und 209).
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deutlich die Differenz zu den Sachsen und ist als einzige Figur ausschließlich komisch gestaltet. Neben dem Problem der Verbindung von komischen und ernsten Elementen ist den beiden Komödien auch die Wahl des Motivs der Versöhnung zweier Kriegsparteien als Strategie der Positionierung in einer politischen Debatte gemeinsam. Voltaires Komödie spielt 1746 am Ende der Kämpfe der englischen Regierung gegen die aufständischen Jakobiten, die die Thronfolge der Stuarts wieder etablieren wollen. Der Schotte und Jakobit Monrose ist auf der Flucht, seit er vom englischen König unschuldig zum Tode verurteilt wurde. Lord Murray ist schuld daran, dass seine Familie auseinandergerissen wurde. Monrose weiß nicht, wo sich seine Tochter Lindane befindet und muss glauben, dass sie nicht mehr am Leben ist. Tatsächlich ist sie jedoch in jenem Wirtshaus abgestiegen, in dem nun auch er unterkommt. Der Sohn der Familie Murray hat sich inzwischen in die, unter falschem Namen reisende, Lindane verliebt. Die verschmähte Mätresse Murrays, Lady Alton, versucht in der zentralen Intrige des Dramas die Polizei und das allgemeine Misstrauen der Engländer gegen die besiegten Schotten taktisch einzusetzen, um die Heirat Lindanes mit Murray zu verhindern. Der Journalist Frélon will ihr bei dem Plan helfen, Lindane einzusperren, um sie an einem Treffen mit Murray zu hindern. Lindane gelingt es allerdings dennoch Murray zu treffen. In einer Anagnorisis erkennen sich auch Vater und Tochter wieder und Lindane beschließt auf Murray zu verzichten, als sie erfährt, dass er für das Unglück der Familie verantwortlich ist. Monrose bereitet sich gerade darauf vor Murray aus Rache zu töten, als dieser ihm berichtet, dass er die Rehabilitation von Monrose beim König erwirkt habe. Einer Hochzeit von Lindane und Murray steht nun nichts mehr im Weg. Mit dieser Konfliktlösung positioniert Voltaire sich in der Nähe der pazifistischen Positionen Diderots, welche dieser in Le Fils naturel (1757) vertritt. Diderot prangert dort die grausame Behandlung von Franzosen in englischer Gefangenschaft im gerade ausgebrochenen Siebenjährigen Krieg an und vertritt zudem einen „engagierten Pazifismus“, der der Verrohung der Sitten durch Kriege entgegenwirken soll.440 Voltaire gerät durch sein Lob Diderots jedoch ins Kreuzfeuer der Kritik und man bezichtigt ihn proenglischer Positionen.441 Offensicht-
|| 440 Krebs (2007), Die Wirkung des Siebenjährigen Krieges, S. 283. 441 Im Siebenjährigen Krieg hatte Marschall Richelieu die bis dahin unter englischer Herrschaft stehende Insel Menorca im Juni 1756 unter französische Herrschaft gebracht. Man bezichtigte im Jahr 1757 Voltaire, der diese Eroberung 1756 zunächst gefeiert hatte, der Vernachlässigung patriotischer Gefühle zugunsten kosmopolitischer Einstellungen und proenglischer Positionen.
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lich wählt er deshalb in L’Ecosaisse eine Auseinandersetzung, die in England spielt. Voltaire kann anhand dieses, dort seit vielen Jahrzehnten um die Thronfolge und die Versöhnungsfähigkeit der beiden Parteien schwelenden Konflikts zeigen, wie Versöhnung seiner Meinung nach möglich ist. So wie sich der Engländer Murray für den Schotten Monrose einsetzt und eine Versöhnung von Schotten und Jakobiten ermöglicht, wäre auch eine friedliche Lösung für die in Frankreich gerade aktuelle Gegnerschaft zu England möglich. Gerade an England, Frankreichs erbittertem Gegner, zeigt Voltaire, wie eine gute Konfliktlösung aussehen kann. Man darf diese Komödie Voltaires folglich mit hoher Wahrscheinlichkeit als Diskussionsbeitrag zur Pazifismusdebatte bezeichnen, da es zu den etabliertesten Mitteln der Satire im 17. und 18. Jahrhundert überhaupt gehört, Aussagen über die aktuellen lokalen Verhältnisse in zeitlich und räumlich entfernten Zusammenhängen allegorisch darzustellen. Gerade bei Voltaire, der mit diesem Verfahren im Candide berühmt wurde, kann man vermuten, dass er hier ebenfalls diese Schreibstrategie verwendet. Zudem liefert Voltaire mit der lächerlichen Darstellung des Journalisten Frélon unter dem nur notdürftig verfremdeten Namen Fréron im Komödientext selbst einen Hinweis auf den Bezug zu den publizistischen Angriffen auf Pazifisten und Philanthropen in Frankreich. Anstatt jedoch den Vorwurf der Presse, er sei proenglisch, argumentativ zu widerlegen, reizt Voltaire mit der Komödie seine Gegner noch ein wenig mehr, indem er die Versöhnungsfähigkeit der Engländer dramatisiert. Es ist seine Art, seinen französischen Landsleuten zu zeigen, dass sie auf Versöhnung setzen sollten. Dazu gehört auch die Finte, die Komödie zunächst als Übersetzung aus dem Englischen auszugeben. Voltaire kann annehmen, dass man dies schnell und leicht durschauen würde, da er selbst als Herausgeber firmiert und zudem einen fiktiven Autorennamen angibt. Zusammenfassend kann man sagen, dass Voltaire eine dramatische Form mit gutem Ausgang deshalb braucht, um einen versöhnlichen Schluss zu gestalten, eine Einzelperson aufs Korn nehmen zu können und sich mit einer pazifistischen und proenglischen Position gegen den engstirnigen Nationalismus in Frankreich zu positionieren. Während Voltaire folglich seine Gegner reizen möchte und einen von ihnen auch direkt angreift, will Lessing seinem Publikum zeigen, dass eine Versöhnung im Reich möglich ist und es für die sittliche Bildung der Nation zentral ist, lächerliche Übertreibungen zu erkennen und als situationsgebunden zu verstehen. Lessing zeigt die Gefahren der Übertreibung insbesondere an der Eigenschaft des Stolzes. Er will folglich nicht nur darauf aufmerksam machen, welche Probleme durch Patriotismus entstehen können, sondern er möchte eine grundlegende Eigenschaft hervorheben, die einer Vereinigung beziehungsweise nationalen Einheit im Weg stehen kann. Gemeint ist
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der Stolz als übertriebenes Selbstwertgefühl, das zur Versteifung auf das äußere Ansehen und die eigenen Vorzüge führt. Die Wahl dieser Eigenschaft lässt sich ebenfalls durch den Nationaltheaterbezug erklären, insbesondere durch eine Positionierung in der Debatte um ein nationales Drama. Vor allem in der Nationaltheaterdebatte rekurriert man in Deutschland an erster Stelle auf Frankreich. Zum einen deshalb, weil man dort mit der Comédie Française in Paris eine national repräsentative, öffentlich finanzierte Institution besitzt, zum anderen deshalb, weil es dort eine ausgeprägte Debatte um eine Nationaldramatik gibt. Wichtig und im Reich bekannt ist vor allem Le siège de Calais, mit dem de Belloy 1765 einen sehr großen Erfolg feiert und der Gattung ‚Nationaltragödie‘ in Frankreich zum Durchbruch verhilft.442 Das Drama handelt von fünf französischen Bürgern, die sich bei der Belagerung von Calais im Hundertjährigen Krieg (1337–1453) stellvertretend für ihr Land opfern wollen. In diesem Krieg ringen die Könige Englands und Frankreichs um die französische Krone. Trotz des dargestellten spezifisch französischen Patriotismus’ ist das Stück ein europäischer Erfolg.443 Auch im Reich wird es häufig gespielt und sehr positiv rezensiert, unter anderem in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, die Lessing sehr gut bekannt ist.444 Eine Bemerkung aus dem 19. Stück der Hamburgischen Dramaturgie lässt sich auf Le siège de Calais beziehen, dessen großen Erfolg Lessing im 18. Stück anlässlich der Besprechung von de Belloys Zelmire erwähnt.445 Lessing äußert sich ablehnend über die Darstellung von Nationalstolz:
|| 442 Krebs (2007), Die Wirkung des Siebenjährigen Krieges, S. 289. 443 Es wird auch ins Englische und Holländische übersetzt (vgl. Krebs [2007], Die Wirkung des Siebenjährigen Krieges, S. 289). Eine deutsche Übersetzung von Johann Joseph Eberle erscheint noch im Jahr des französischen Erstdrucks in Hamburg: Die Belagerung von Calais, ein Trauspiel in fünf Handlungen aus dem französischen des Herrn von Belloy ins Teutsche übersetzt Hamburg, bey Mich. Lud. Meiners 1765 und wird im gleichen Jahr in Hamburg nachgedruckt. Aufführungen sind außerdem für Dresden (1765) und Kopenhagen (1767) nachgewiesen. In Hamburg wurde es mindestens am 1. und 4. April und am 24. September 1766 von Ackermann auf die Bühne gebracht (vgl. Eichhorn [1965], Konrad Ernst Ackermann S. 247 und 250). 444 Vgl. Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, Bd. 1, St. 1, S. 201; Unterhaltungen Bd. 1, St. 4, April 1766, S. 370 f. und Bd. 2. St. 1, Juli 1766, S. 80 f. 445 Vgl. für diese Verbindung auch Krebs (2007), Die Wirkung des Siebenjährigen Krieges, S. 290.
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[D]ie Absicht der Tragödie ist weit philosophischer, als die Absicht der Geschichte; und es heißt sie von ihrer wahren Würde herabsetzen, wenn man sie zu einem bloßen Panegyrikus berühmter Männer macht, oder sie gar den Nationalstolz zu nähren mißbraucht.446
Bemerkenswert ist zudem, dass die Belagerung von Calais vermutlich das einzige Beispiel für ein französisches Erfolgsstück ist, das die Schauspieler der Ackermann’schen Truppe bereits im Repertoire hatten, das aber dann im Hamburger Nationaltheater nicht aufgeführt wird. Gerade diese Leerstelle ist allerdings signifikant für eine Konturierung des Repertoires als Nationaltheaterrepertoire. Da in der Debatte um ein deutsches Nationaltheater topisch die Präponderanz ausländischer Stücke im Repertoire, insbesondere solcher aus Frankreich, moniert wurde, war es folgerichtig hier nun ein so ein wichtiges, erfolgreiches und aktuelles Beispiel für französische Nationaldramatik auszulassen. Hinzu kommt, dass Lessing eben seine ganz eigene Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalstolz gewählt hat, indem er einen preußischen Soldaten und ein sächsisches Fräulein über das Thema Stolz verhandeln lässt und den Stolz auch als zentrales Hindernis der Verbindung, beziehungsweise der nationalen Einheit darstellt. An dieser Stelle ist auf die jüngste ausführliche Deutung der Minna von Barnhelm von Venzl einzugehen. Er ist der Ansicht, dass die Komödie als ein Werk gelesen werden müsse, „das den preußischen Patriotismus zur Zeit des Siebenjährigen Krieges problematisier[e]“,447 weil es „die intrikaten seelischen Folgen patriotischer Enttäuschung ins Zentrum“ stelle.448 Venzl macht das daran fest, dass Tellheim dem Freikorps der ‚Grünen Dragoner‘ angehört, so dass für Tellheim ein besonderes Rechtfertigungsproblem aus der Diskrepanz zwischen der außergewöhnlichen Gewalttätigkeit dieser Truppen gegenüber der Bevölkerung und Tellheims großer Menschlichkeit entsteht.449 Anstelle der Anerkennung seiner besonderen menschlichen Qualitäten durch den König sieht er sich Betrugsvorwürfen ausgesetzt und ist in seiner Existenz bedroht. Minna versteht die Schwere der Vorwürfe, die man gegen Tellheim erhebt, angeblich nicht und beginnt aus dem Missverständnis heraus, er sei nur zu stolz, ihre Intrige. Gegen diese Deutung spricht einerseits die oben dargelegte Reihenfolge der Informationsvergabe. Andererseits erscheint es vor dem Hintergrund des Diskurses über Nationaldramatik auch nicht plausibel, dass Lessing ausgerech-
|| 446 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 276. 447 Tilmann Venzl (2019), „Itzt kommen die Soldaten“, S. 211. 448 A. a. O., S. 269. 449 A. a. O., S. 248.
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net größerer Würdigung patriotischer Gefühle in nur einem Land des deutschsprachigen Gebietes das Wort reden will.
3.3.2 Wien, Kärntnertortheater, Minna von Barnhelm, Oder das Soldatenglück In Wien hat man von Lessing in den 1750er und 60er Jahren am Kärntnertortheater vor der Minna von Barnhelm bereits Der Schatz, Der Misogyn und Der junge Gelehrte inszeniert und die bearbeiteten Fassungen auch aufführungsbegleitend publiziert.450 Lessings Der Schatz wird 1754 in Wien mit sehr kleinen Veränderungen gedruckt, die keine besondere Positionierungsabsicht erkennen lassen. Eine Aufführung ist nur für den 21. Juli 1771 sicher nachgewiesen, hat allerdings vermutlich bereits früher stattgefunden.451 Der Misogyn wird 1762 unter dem Titel Der Misogyn oder Der Feind des weiblichen Geschlechts am Kärntnertortheater aufgeführt, am 12. Februar 1764 dort einmalig wiederholt und 1762 in einer Bearbeitung von Stephanie dem Älteren gedruckt.452 Wumshäter ist in Odoardo umbenannt und Weiskern, der ja die Typenfigur des Wiener Odoardo ins Leben gerufen hat, spielt diese Rolle auch.453 Einige Stellen werden hinzugefügt, die die Frauenfeindlichkeit noch verstärken. Ein Beispiel dafür findet sich am Ende der Komödie, wenn Wumshäter alias Odoardo bei Stephanie die Frauen als „Schlangen“ und „giftige Geschöpfe“ bezeichnet und schwört, dass niemals eine Frau über seine Schwelle treten werde. Zudem kündigt er an, sein Haus „zum Zufluchtsort aller braven Männer“ zu machen, die „ein Geschlecht lieben, das zur Qual der Mannspersonen auf die Welt gekom-
|| 450 Spielvorlagen sind nicht erhalten, weshalb hier nur von den Drucken ausgegangen werden kann, die jeweils anlässlich der Aufführungen erscheinen. 451 Vgl. Weilen (1904), Lessingsche Dramen, S. 3 und Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 529. 452 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 481. Der Misogyn; oder der Feind des weiblichen Geschlechts. Ein Lustspiel in zwei Aufzügen, aus den beliebten Schriften des berühmten Herrn G. Lessings entlehnt. Aufgeführt in dem kaiserl. königl. priv. Theater. Wien: Kraus 1762. Vgl. auch Weilen (1904), Lessingsche Dramen, S. 3. Dass Stephanie der Ältere und nicht Weiskern der Bearbeiter ist, stellt Schwarzinger klar (vgl. Schwarzinger [1996], Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 87). 453 Vgl. Weissengruber (2013), Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 83–86 und Kap. 3.2 der vorliegenden Arbeit.
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men ist.“454 Gestrichen wurden jedoch sexuelle Anspielungen und allzu derbe und stark abwertende Ausdrücke.455 Der junge Gelehrte wird am 12. Februar 1764 am Kärntnertortheater aufgeführt und am 21. Juni 1766 einmalig wiederholt.456 Wiederum von Stephanie dem Älteren bearbeitet457 erscheint der Druck unter dem Titel Der junge Gelehrte in der Einbildung und im Untertitel wird darauf hingewiesen, dass es sich um ein Werk „des berühmten Herrn Leßing“ handelt.458 Den Diener Anton spielt hier erneut Prehauser. Seine Rolle ist stark ausgeweitet und das hanswurstische Paradgima der Ess-, Trink- und Gierkomik sowie der Bauernschläue ist ebenfalls realisiert.459 Ein Beispiel ist Antons Antwort auf Chrysanders Frage, ob er schweigen könne: „O wenn ich etwas weiß und sag’ es nicht weiter, so ist es bei mir so viel als geschwiegen, besonders wenn sie mich durch eine kleine Erkenntlichkeit herausfordern.“460 Prehauser-Anton wird selbst zum Gelehrten, allerdings in seiner eigenen Logik, wenn er schließt: „was unmöglich ist, Herr Chrysander, das ist unmöglich und zwar aus der Hauptursache, dass es nicht möglich ist.“461 In II,14 beschließt er dann auch explizit, den Beruf des Gelehrten zu ergreifen: „Ich küße ihnen die Hand, ich will mich gleich um einen schwarzen Rock und eine große Perrücke umsehen, denn ich merke schon wirklich, daß die Gelehrsamkeit bey mir anrückt.“ Zum Schluss wünscht PrehauserAnton Damis: „der Himmel gebe seinen Segen, daß sie bald gescheiter werden“. Die Komödie endet in dieser Fassung damit, dass Anton Damis als „gelehrt[en] Esel“ bezeichnet. So behält bei Stephanie nicht Damis, sondern der Diener Anton und damit Prehauser auf der Bühne das letzte Wort. Zusätzlich komisiert ist die Fassung dadurch, dass Damis ihm nicht nur ein, sondern gleich mehrere Bücher hinterherwirft. Auf diese Weise ist das Potential der Dienerfigur, das bei Lessing angelegt ist, verstärkt. Es kommt zu einer tatsächlichen Spiegelung der Thematik des Herren durch den Diener. Der Misogyn und Der junge Gelehrte
|| 454 Vgl. a. a. O., S. 7 f. 455 Vgl. a. a. O., S. 5. Bei der Wiederaufnahme 1767 wird der Text hingegen weitgehend im Original belassen (vgl. a. a. O., S. 8). 456 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 491. 457 Vgl. Weilen (1904), Lessingsche Dramen, S. 8. 458 Der Junge Gelehrte in der Einbildung, ein Lustspiel in drey Aufzügen, des berühmten Herrn Leßing. Auf der Wiener K.K. priv. deutschen Schaubühne zu Wien aufgeführet im Jahr 1764. Wien, gedruckt und zu finden in dem von Ghelischen Zeitungsladen im neuen Michaelerhaus. [s.a.]. 459 Vgl. a. a. O., S. 8. 460 Vgl. a. a. O., S. 26. 461 A. a. O., S. 19.
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wirken demnach beide durch die Zuspitzung deutlich lächerlicher. Im Jungen Gelehrten ist zudem die Figur des Anton an die Hanswurst-Komik eines Prehauser angepasst. Selbst in Miß Sara Sampson komisiert man die Dienerrolle und führt sie 1763 unter folgendem Titel auf: Neues bürgerliches Trauerspiel von fünf Handlungen, aus dem Englischen gezogen, betitelt Missara und Sirsampson. Mit Hanswurst des Mellefont getreuen Bedienten. Eibl beschreibt die Veränderung der Dienerrolle hier wie folgt: „Norton wurde also zum Hanswurst umgemodelt und durfte nun die Marwood als ‚rechtes Hinterviertel vom Teufel‘ charakterisieren.“462 Zudem berichtet Eva König von der Inszenierung der Emilia Galotti in Wien, dass man über den verliebt-verwirrten Prinzen zu Beginn lacht und dass Odoardo, gespielt von Stephanie dem Jüngeren, nach der Ermordung der Emilia den Dolch mit grotesk weit herausgestreckter Zunge ableckt. Somit findet sich in Wien bei allen Lessing-Bearbeitungen entweder eine Tendenz zur Komisierung durch Ergänzung typisch wienerischer Figuren oder Beibehaltung des Originals. Bei der Minna von Barnhelm verhält es sich etwas anders, weil sie nicht in dieser Weise komisiert wird. Zunächst einmal wird die ursprünglich für den August 1767 geplante Aufführung verboten.463 Quellen zu den Zensurvorgängen in Zusammenhang mit der Minna sind nicht erhalten, so dass nicht herauszufinden ist, ob eine bereits bearbeitete Fassung gemeint ist, oder ob man annehmen muss, dass die Originalfassung nicht durch die Zensur gekommen ist. Die Uraufführung findet jedenfalls am 14. November 1767 im Kärntnertortheater statt und die zugehörige, durch Friedrich Wilhelm Weiskern bearbeitete Fassung, erscheint noch im selben Jahr im Druck.464 Am Ende dieses Drucks findet sich ein Bearbeitungsvermerk Weiskerns, dessen Vorhandensein für die Thea-
|| 462 Eibl (1971), Miss Sara Sampson, S. 162. 463 Vgl. Müller (1772), Genaue Nachrichten, S. 36. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass es eine organisierte Zensur vor 1770 im Grunde nicht gibt. J. H. G. Justi, der am Theresianum Professor ist, schlägt vermutlich als Erster eine Theaterzensur vor, welche die bereits praktizierte Bücherzensur ergänzen soll (vgl. hier und im Folgenden Giller [1966], Die Sentimentalität, S. 82). Die Gelehrten Ludwig Jacob Heyden, Joseph Heinrich von Engelschall, Christian Gottlob Klemm und Joseph von Sonnenfels bereiten der Idee einer Zensur durch ihre Einzelschriften und Publikationen in moralischen Wochenschriften den Boden. Erst am 15. März 1770 wird dann jedoch Sonnenfels als erster Theatralzensor eingesetzt. Schon am 13. Oktober 1770 wird er in dieser Rolle von Regierungsrat Franz Karl Hägelin abgelöst. Zur Zensur vgl. auch die Ausführungen in Kap. 3.4 der vorliegenden Arbeit. 464 Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Aufgeführet auf der Kais. Königl. Privilegierten deutschen Schaubühne in Wien im Jahre 1767. Gedruckt mit v. Ghelischen Schriften. [ÖNB Alt Mag 3.409-A], im Folgenden zitiert als MvBW1 mit Angabe der Seitenzahl im Fließtext.
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terdrucke der Zeit einzigartig ist.465 Weiskern begründet darin die Kürzungen in Lessings Text: Selbst der Verfasser dieses Stückes wird es nicht mißbilligen können, daß wir dasselbe hier etwas verändert abdrucken lassen. Einige Stellen, die anstößig – wenigstens für uns – sind, mußten wegbleiben, und weil es sehr lang ist: so wurde es hin und wieder, so viel notwendig schien, abgekürzt. Ohne diese Veränderung war es für unser Theater unbrauchbar: sollten wir aber deswegen ein so vortreffliches Stück verliehren, welches im eigentlichen Verstande ein deutsches Originalstück heißen kann? (MvBW1, Bearbeitungsvermerk)
Weiskern fügt diesen Vermerk vermutlich deshalb ein, weil Lessing sich bereits darüber beschwert hat, dass man seine Komödien in Wien verändert und Weiskern sich seinerseits dafür rechtfertigen will, dass man auch diese Komödie Lessings nicht im Original auf die Bühne bringt.466 Der Hinweis zeigt, dass Weiskern entweder mit Lessing als Leser seiner Bearbeitung rechnet, oder doch mit Lesern, die Lessings Text sehr gut kennen. Die genaue Beobachtung der aufklärerischen Dramenproduktion im nördlichen Teil des Reichs, die bereits im Kapitel zu den Schwestern von Prag dargestellt wurde, wird hier noch einmal sichtbar. In der Fassungsgeschichte schlägt sie sich in einem weiteren Unikum in der Geschichte der Drucke von Dramenbearbeitungen im Wien des 18. Jahrhunderts nieder. In einer rasch erfolgten zweiten Auflage wird der vollständige Text des Erstdrucks der Minna von Barnhelm bis auf wenige Zeilen wiedergegeben, wobei diejenigen Stellen, die in der Fassung Weiskerns und auch in der Aufführung weggelassen werden, durch Anführungszeichen gekennzeichnet sind.467 Diese Fassung wird 1769 und 1775 nachgedruckt.468 Zumindest für den
|| 465 Auch Jagersbacher meint, dass es sich bei Minna von Barnhelm um den einzigen erhaltenen Text aus dem 18. Jahrhundert handelt, der einen solchen Vermerk des Bearbeiters enthält (vgl. Jagersbacher [1994], Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 87). 466 Vgl. Labus (1936), Minna von Barnhelm, S. 29, Fn. 63. 467 Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen von dem Herrn Leßing. Zweyte Auflage. Wien, zu finden bey dem Logenmeister. [ÖNB Alt Mag 392620-A.3,7] Im Folgenden zitiert als MvBW2. 468 Auf diese Weise wird auch in den späteren Fassungen von 1769 und 1775 verfahren: Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, ein Lustspiel in fünf Aufzügen von dem Herrn Lessing. Aufgeführt in dem Kaiserl. Königl. Privilegirten Theater in Wien. 1768. In: Neues Theater in Wien. Bd. 3. Wien 1969, [9824630 P.o.germ 1445-3,1/4] Im Folgenden zitiert mit der Sigle MvBW3; Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen von dem Herrn Lessing. Aufgeführt in dem kais. königl. privilegierten Theater in Wien im Jahre 1775. [UBErl H00/SCH.L-II 14 b]. Im Folgenden zitiert mit der Sigle MvBW4. Aufführungsmaterial für
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Zeitraum von 1768 bis 1775 kann man demnach davon ausgehen, dass es wichtig und angebracht scheint, sowohl die Wertschätzung Lessings als auch die kulturelle Differenz abzubilden. Die wichtigsten Kürzungen, die Weiskern vorgenommen hat, sind bereits von Labus vor Jahrzehnten aufgelistet und mit kurzen Vermutungen versehen worden.469 Eine Analyse der Auswirkungen dieser Kürzungen fehlt hier allerdings und soll im Folgenden versucht werden. Weiskern nennt als ersten Kürzungsgrund die Entfernung von Anstößigem. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass in der zweiten Auflage des Textes nur eine einzige Textstelle des Erstdrucks tatsächlich getilgt ist, indem Wörter durch Querstriche ersetzt sind. Folglich musste nur diese Textstelle tatsächlich zensiert werden. Es handelt sich um den Vorschlag Justs, sich an der Tochter des Wirts zu vergehen, den Werner im Erstdruck nicht ablehnt, sondern in einer schadenfrohen und abfälligen Äußerung über deren Aussehen und mit der Unterstellung einer bereits erfolgten Entehrung der Tochter für wirkungslos erklärt.470 Der komische Effekt – Justs maßlose Wut auf den Wirt, der seinen Herrn ausquartiert hat – entfaltet sich ansonsten im gleichen Umfang. Das liegt daran, dass seine Vorschläge, den Wirt zu zweit zu verprügeln beziehungsweise ihm das Dach über dem Kopf anzuzünden, erhalten bleiben. Andere Stellen sind, in Anführungsstriche gesetzt, zwar lesbar, jedoch als problematisch gekennzeichnet. Dazu gehören Minnas Charakterisierung junger Mädchen als zugleich „wollüstig und fromm“ (MvBED II,7) und Franziskas Angst vor der „Gefährlichkeit“ (MvBED III,4) des Wirtes. Franziskas offenherzige Bemerkung über Werner „Ich glaube, der Mann gefällt mir!“ (MvBED III,11) wird zu einem unverfänglicheren „Auf baldiges Wiedersehen“ abgeändert. Weiskern führt zusätzlich die Länge des Dramas als Kürzungsgrund ins Feld. Tatsächlich ist jede Wiederholung von Informationen konsequent gestrichen. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, haben diese Streichungen jedoch erhebliche inhaltliche Auswirkungen, insbesondere auf die Komik. Gestrichen sind Stellen, an denen Lessing das komische Paradigma des neugierigen Wirts ausgestaltet hat. Zum einen sagt der preußische Wirt „Aus Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen, gnädiges Fräulein? aus Sachsen?“ Minna antwortet daraufhin schnip|| die Minna von Barnhelm, das auf das 18. Jahrhundert datierbar ist, ist auch für Wien nicht erhalten. 469 Vgl. Labus (1936), Minna von Barnhelm, S. 29–32. 470 Es handelt sich um die folgenden beiden Repliken: „JUST. Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar verdammt häßlich – WERNER. Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du auch hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt’s denn?“ (MvBED I,12; MvBW1 I,12).
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pisch: „Nun? Warum nicht? Es ist doch wohl hier zu Lande keine Sünde, aus Sachsen zu sein?“ Der Wirt antwortet: „Eine Sünde, behüte! das wäre ja eine ganz neue Sünde! – Aus Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen! – Aber wo mir recht ist, gnädiges Fräulein […]“ (MvBED II,2). Lessing gestaltet die expositorische Information zu Minnas Herkunft demnach breit, kostet den Moment aus, in dem klar wird, dass ein aktueller und durchaus brisanter Konflikt Thema der Komödie sein wird. In Weiskerns Bearbeitung fehlt diese Emphase, indem der Text von der ersten Erwähnung Sachsens („Aus Sachsen!“) gleich zu „Aber wo mir recht ist…“ springt. Zum anderen fehlt auch diejenige Szene, in der der Wirt erzählt, wie er Minna und Tellheim bei ihrer ersten Begegnung beobachtet hat (vgl. MvBED III,3). Durch die Aufmerksamkeit des Wirts auf die sächsische Herkunft in MvBED II,2 ist die Neugierde des Wirts in dieser späteren Szene bei Lessing ein Beweis für seine Tätigkeit als Spitzel. Lessing übt hier satirisch Kritik an den Berliner Wirten, die sich als Spitzel für die preußische Polizei betätigen. Bei dieser Szene meint Labus, dass es sich nur um eine „ausschmückende[] Charakteristik“ handle, der ein „moralischer Sinn“ fehle, so dass sie nur der Belustigung diene.471 Es ist richtig, dass der Wirt bei Weiskern nur eine blasse Nebenfigur ist. Nimmt man allerdings hinzu, dass die Rekurrenz auf das spezifisch Preußische an Tellheims Ehrbegriff gänzlich gestrichen ist, indem vor allem die Starrheit sowie die Betonung der persönlichen Anerkennung der Ehrenhaftigkeit durch den König entfallen, so kann man darin auch die Absicht Weiskerns sehen, die Bezüge zum spezifisch Preußischen und Sächsischen so weit wie möglich zu tilgen. Weiskern wählt zudem nicht die Option die Handlung lokal oder historisch zu verlagern. Sein Hinweis im Bearbeitungsvermerk, es handle sich „im eigentlichen Verstande“ um ein „deutsches Originalstück“, gründet vermutlich in dem Bewusstsein, dass mit der Minna von Barnhelm erstmals ein Drama vorliegt, das aktuelle deutsche Verhältnisse abbildet. Etwas abgemildert scheint der Bezug zu einem Konflikt, der für Österreich mit einer Niederlage endet, auch auf einer Wiener Bühne gut darstellbar zu sein. Mit Tellheim und seiner Mildtä|| 471 Labus (1936), Minna von Barnhelm, S. 31. Ganz offensichtlich soll gezeigt werden, dass Minna verzweifelt ist, weil Tellheim sich weigert sie zu heiraten. Auch Minna ist, ähnlich wie Tellheim, nicht mehr fähig, die Wirklichkeit adäquat einzuschätzen, da sie den Wirt im Vorbeilaufen für Franziska hält. Damit kann erklärt werden, warum sie eine Intrige plant (MvBED III,12), obwohl sie aus Tellheims Brief zu diesem Zeitpunkt bereits erfahren hat, welch gravierende Vorwürfe gegen ihn im Raum stehen. So wie sie den Wirt nicht erkennt, ist sie aufgrund ihrer eigenen Verlustangst teilweise blind gegenüber der Schwere der Vorwürfe. Minna erscheint bei Lessing weniger leichtfertig als vielmehr blind vor Emotionen.
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tigkeit wird zudem ein ganz außergewöhnlicher und eben nicht typisch preußischer Offizier dargestellt, der sich gerade nicht an der Ausbeutung der Sachsen beteiligt. Im Vordergrund stehen die Probleme eines abgedankten Soldaten der preußischen Armee und die Versöhnung der beiden Parteien durch die Doppelhochzeit. Man wird später genau an diese Aspekte mit Nachfolgestücken anschließen, wie unten noch zu zeigen sein wird. Darüber hinaus gibt es weitere größere Kürzungen, die auf den ersten Blick nicht zusammenzugehören scheinen, die die Informationsvergabe und die Dramaturgie jedoch entscheidend verändern. Insbesondere diese lassen die Komödie deutlich weniger komisch erscheinen. Besonders auffällig ist die Streichung der Figur des Riccaut. Joseph von Sonnenfels erwähnt in seiner Besprechung einzig diese Streichung und triumphiert angesichts des Geschmacks der Wiener, der doch besser sei, als man meinen könne, weil man gerade auf eine Stelle verzichtet habe, die seiner Meinung nach reine „Risade“ sei.472 Dies zeigt, dass er die Funktion dieser Szene für die Informationsvergabe und für spätere Bezugnahmen nicht berücksichtigt. Die Funktion der Riccaut-Szene in der Originalfassung sei hier kurz in Erinnerung gerufen. Riccaut ist als Franzose konzipiert, damit die Rezipient*innen ihn und seine Informationen bezüglich der Vorwürfe gegenüber Tellheim zunächst für unzuverlässig und Minna für leichtgläubig halten können. Bereits in MvBED IV,6 erfahren allerdings Minna und die Rezipient*innen von Tellheim selbst, dass die juristischen Vorwürfe tatsächlich fallen gelassen wurden. Dadurch wird die Richtigkeit von Riccauts Bericht in MvBED IV,3 bestätigt.473 Die zweite Information Riccauts aus dieser Szene, die Nachricht von einem Brief des Königs an Tellheim, wird hingegen bei Lessing zunächst nicht bestätigt, sondern sogar ausdrücklich von Tellheim bezweifelt.474 Die Versteifung Tellheims auf die persönliche Rehabilitation durch den König gibt Lessing die Möglichkeit, Tellheims selektive Wirklichkeitskonstruktion zu zeigen. Entfällt nun diese Stelle, hat Tellheim keine Gelegenheit, den Wegfall der juristischen Vorwürfe für nebensächlich zu erklären und sich auf die Rekonstitution einer davon unabhängigen Ehre zu versteifen, wie er es im Original tut (vgl. MvBED IV,6).
|| 472 Lessing (1985–2003), Werke und Briefe, Bd. 6, S. 825. 473 Tellheim berichtet, der Kriegszahlmeister habe ihm gesagt, „daß der König alles niedergeschlagen habe, was wider [ihn] urgieret worden“ (MvBED IV,6). 474 Prägnant zusammengefasst wird das in Tellheims rhetorischer Frage „Wie kämen Riccaut und ein Minister zusammen?“ (MvBED IV,6).
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Bei Weiskern fehlen Tellheims Replik, in der er Minna die Kompetenz in Sachen Ehre abspricht und diejenigen Repliken, in denen er erklärt, dass sein eigenes Gewissen oder die Anerkennung durch „wenige[] Rechtschaffne[] [gemeint sind die sächsischen Stände, KD]“ nicht ausreichen, um seine Ehre wiederherzustellen. Folgerichtig insistiert er bei Weiskern auch nicht auf der persönlichen Rehabilitation durch den König. Auf der Oberfläche ist zwar bei Weiskern nur eine wiederholte Rekurrenz auf die Ehre gestrichen; inhaltlich wirkt sich das jedoch weitreichend aus: Dadurch, dass in der Weiskern-Fassung die Riccaut-Szene und alle Repliken aus MvBED IV,3 und 6, die sich auf Riccaut beziehen, entfallen, wissen weder die Rezipient*innen noch Minna von der juristischen Entlastung Tellheims. Aus diesem Grund kann man nicht annehmen, dass man in MvBW1 IV,4 bereits von einer vollständigen Erledigung der Ehrproblematik ausgehen soll. Bei Weiskern ist Tellheims Lage tatsächlich ernst und bedrohlich. Auch muss man bis zum Eintreffen des königlichen Briefes glauben, dass Tellheims Ehre nicht wiederhergestellt ist, dass der Heirat in Wahrheit eine Ehrcausa im Wege steht und dass Minna einfach nicht versteht, worum es geht. Im Original wird der Ernst von Tellheims Lage zudem dadurch entschärft, dass Minna die Ankunft des Onkels ankündigt, was bei Weiskern ebenfalls entfällt. Tellheims fortgesetzte Weigerung Minna zu heiraten wird auf diese Weise zu einem verantwortungsvollen Handeln umgemünzt. Zusätzlich ist die Szene gestrichen, in der Franziska ihn vergeblich darauf aufmerksam zu machen sucht, dass Minna ihm seinen eigenen Ring zurückgegeben hat (vgl. MvBED V,3). Im Original soll diese Szene zeigen, dass Tellheim durch die Möglichkeiten, als handlungsfähiger Mensch einer hilfsbedürftigen Person zur Seite springen zu können, ebenso blind für seine Umgebung ist wie durch die Ehrfixierung. In beiden Fällen ist er im Original ganz auf seinen Selbstwert und auf seine Rolle konzentriert und damit als stolz charakterisiert. Da beide Aspekte in der Weiskern-Fassung fehlen, scheint nicht Tellheim ein übertriebenes Verhalten an den Tag zu legen, sondern Minna ein realitätsfernes. Minna verkennt hier den Ernst der Lage und ihre Stolz-Diagnose ist falsch. Diese Einschätzung bleibt jedoch die Begründung für die Intrige, weil zentrale Informationen aus der bei Weiskern gestrichenen Szene MvBED III,12 zu Beginn des vierten Aktes eingefügt sind.475 Dadurch erscheint Minnas Handeln fehlerhaft. Sie wirkt insgesamt
|| 475 Da ist zunächst die Ankündigung der Intrige. Weiskern hat die diesbezüglichen Informationen, die bei Lessing auf zwei nicht zusammenhängende Szenen verteilt sind (MvBED III,12 und IV,3), zu einer Szene zusammengezogen (MVBW1 IV,1). Auch bei Weiskern gibt Minna Franziska gegenüber zu, dass sie Tellheims Brief gelesen hat. Inhaltlich sind Motivierung und Ankündigung nur ganz leicht modifiziert, indem Minna nicht ankündigt, ihr sei ein „Streich“
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weniger sicher und gewandt, weil ihre Analysen und Appelle im zweiten gemeinsamen Gespräch mit Tellheim im vierten Akt entfallen. Tellheims Verhalten wird von Minna während der Spiegelung nicht als übertrieben und lächerlich bezeichnet. Sie spricht auch nicht davon lachend sehr ernsthaft zu sein und der Vergleich Tellheims mit Othello entfällt. Das zieht nach sich, dass Tellheim auch nicht der Klasse derjenigen Männer zugeordnet wird, die starr auf die Ehre fixiert sind und deshalb keine Gefühle mehr zulassen. Ebenso gestrichen ist der anschließende Appell sich stattdessen auf sie als Person zu konzentrieren (vgl. MvBED IV,6).476 Minnas Überlegenheit ist zusätzlich dadurch reduziert, dass sie nicht scherzt477 und dass ihr Optimismus bezüglich einer positiven Aufnahme Tellheims durch die sächsischen Stände gestrichen ist, so dass sie der preußischen Offiziersehre kein alternatives Konzept entgegenzusetzen hat. Damit ist klar, dass Tellheim bei Weiskern nicht übertreibt und dass Minna nicht aus einer distanzierteren Position heraus Tellheims Lächerlichkeit erkennt und lachend eine Erkenntnis bei ihm herbeiführen möchte. Die Spiegelung von Tellheims Argumenten durch Minna wirkt auf diese Weise retardierend in einer ernsten Lage, die sich erst kurz vor Schluss zum Guten wendet. Zwar ist auch bei Weiskern das Schema der Heirat mit Hindernissen von Anfang an aktiviert, aber die Distanz zu Tellheim fehlt. Da man sich mit Tellheim in Weiskerns Fassung viel leichter identifizieren kann, ist die „Anästhesie des Herzens“ und mithin eine Rezeption dieser Figur als komisch recht unwahrscheinlich. Eher scheint die Umarbeitung darauf abzuzielen, dass die Rezipient*innen von Tellheims Schicksal gerührt sein sollen. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Streichungen sich auf die Informationsvergabe und indirekt auch auf die Komik viel stärker auswirken, als bisher berücksichtigt. In der Bearbeitung durch Weiskern werden Lessings spezifische Figurenpsychologie, die sowohl Einfühlung und Identifikation als auch kritische Distanz ermöglichen soll sowie die Dramaturgie der Intrige mit ihrer Schulung der Fähigkeit, das Lächerliche zu bemerken, entscheidend verändert.
|| eingefallen, Tellheim „wegen dieses Stolzes mit ähnlichem Stolze ein wenig zu martern“ (MvBED III,12), sondern von einer „Lection“ spricht, die ihn „wegen dieses Stolzes ein wenig martern“ soll. Das ist eventuell dadurch bedingt, dass sie beispielsweise das letzte Argument Tellheims nicht spiegelt. Er selbst bezeichnet sein eigenes Verhalten, als Minna es ihm vormacht, als ‚eigensinnig‘ (vgl. MvBED V,9; MvBW1 V,7). 476 Wenn Labus annimmt, die Streichungen in MvBED IV,6 (MvBW1 IV,4) seien allein dadurch motiviert „die Lösung der Intrigue zu beschleunigen“ berücksichtigt sie nicht genau genug, welche Inhalte ausgelassen werden (Labus [1932], Minna von Barnhelm, S. 33). 477 Wie zum Beispiel ihr Hinweis, sie sei durch Tellheims Schussverletzung am Arm vor seinen Schlägen sicher (vgl. MvBED IV,6).
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Tellheims lächerlich-übertriebener Stolz fehlt und damit auch die Benennung eines wichtigen Hinderungsgrundes für ein gemeinsames Nationalbewusstsein der deutschen Territorialstaaten im Reich. Die Möglichkeit die Deutschen darauf hinzuweisen, dass das bewusste mitleidige Handeln Standes- und Ländergrenzen überwinden kann, entfällt somit. Vor allem aber fehlt der Hinweis, dass die allzu starke Fixierung auf das eigene, positive Selbstbild und die persönliche Anerkennung durch einen bestimmten Herrscher ein Hinderungsgrund für nationale Einheit sein kann. Um die Stoßrichtung der Weiskernschen Bearbeitung erklären zu können, ist zunächst zu fragen, ob sie typisch für seine Umarbeitungspraxis ist. Weiskern schreibt und übersetzt zu Beginn seiner Tätigkeit für das Kärntnertortheater Stegreifcanevasse. Spätestens seit dem Ende der 1750er Jahre finden sich dann auch Bearbeitungen regelmäßiger Dramen.478 Darunter sind einige Trauerspiele, ansonsten zumeist Komödien, die ganz verschiedenen Subgenres angehören. Von Rührenden Lustspielen über Verlachkomödien, einer opéra comique mit Geistern und Zauberern bis zur Minna von Barnhelm sind viele Genres vertreten. Die Wirkungsästhetik wird den Gegebenheiten des Kärntnertortheaters angepasst, indem zum Beispiel fast immer typische komische Figurentypen wie Harlekin, Hanswurst oder Bernadon in die Handlung eingefügt werden.479 Noch 1766 bearbeitet Weiskern eine Bernadoniade von Joseph Felix von Kurz für das Kärntnertortheater.480 Aus den Beispielen, die Jagersbacher anführt, geht hervor, dass Weiskern die Art der Bearbeitung immer am jeweiligen Repertoire des Kärntnertortheaters ausrichtet.481 Da die dritte Auflage der Minna von Barnhelm 1769 in den dritten Band der Sammlung Neues Theater in Wien aufgenommen wird (vgl. MvBW3), ist diese Sammlung ein wichtiger Kontext, um die Positionierungsabsicht zu rekonstruieren, die Weiskern mit seiner Bearbeitung verfolgt. Es handelt sich bei der Sammlung um die Fortsetzung der Dramensamm-
|| 478 Vgl. Schwarzinger (1996), Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 65. 479 Auch die beiden Komödienbearbeitungen, die Weiskern in seine Sammlung aufnimmt, sind je ein Rührendes Lustspiel und eine Verlachkomödie mit einem komischen Figurentyp. 480 Herr von Eselbank der dreissig-jährige A.B.C. Schütz, Und glückliche Liebhaber von der schönen Haubenhefterin in Wien. Ein Lustspiel von drey Aufzügen auf dem K. K. Theater aufgeführet. Wien, gedrukt und zu finden bey Joseph Kurzböken Universitäts-Buchdruckern auf dem Hofe 1766. 481 Die folgenden Aussagen können sich nur auf denjenigen Bruchteil von Werken und Bearbeitungen Weiskerns beziehen, die bisher aufgefunden wurden. Zu allen Werken Weiskerns und zu seinen Bearbeitungen vgl. die Beschreibungen bei Jagersbacher (1994), Friedrich Wilhelm Weiskern sowie die kleinen Ergänzungen und Korrekturen bei Schwarzinger (1996), Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 86–89.
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lung Die Deutsche Schaubühne zu Wienn nach alten und neuen Mustern, die von 1749–1764 erschienen ist.482 Die Sammlung Neues Theater in Wien setzt deren Anliegen fort, jeweils die erfolgreichen, aber auch die für die Theatermacher wichtigen Dramen dem Publikum als Ersatz für eine Komödienaufführung zugänglich zu machen, zugleich im Reich Akzente zu setzen und im Ausland mit spezifischer und niveauvoller Dramatik sichtbar zu werden.483 1758 findet sich in dieser Sammlung auch zum ersten Mal ein Rührendes Lustspiel. Es handelt sich um die Engelländische Pamela, eine Goldoni-Bearbeitung von Friedrich Wilhelm Weiskern, zugleich das erste Rührende Lustspiel, das nachweislich für Wien bearbeitet wird.484 Ab 1766 ist das Rührende Lustspiel das einzige Komödiengenre, das noch Eingang in die Sammlung findet, und von da an wird auch keine zusätzliche komische Figur mehr in die Handlung dieses Genres eingefügt. Die Komik nimmt bis 1774 in dieser Sammlung, die wohlgemerkt nicht mit dem Repertoire oder gar mit den Erfolgsstücken gleichgesetzt werden darf, ebenfalls stetig ab. Wie lässt sich nun wiederum die Ausrichtung der Sammlung erklären? Der grundsätzliche Trend zur Entkomisierung und zur Verstärkung der rührenden Elemente erklärt sich durch den Kontext der Nationaltheaterdebatte in Wien. Für den vorliegenden Zusammenhang seien hier einige Eckpunkte herausgegriffen. Das Theater wird im Rahmen der mariatheresianischen und josephinischen Reformen dieser Zeit, wie alle anderen Lebensbereiche auch, einer Nützlichkeitsprüfung und Disziplinierung unterzogen.485 Wie im Kapitel zu den Schwestern von Prag bereits dargestellt, ist Weiskern Mitglied der damit betrauten Literatengruppe. Bereits in der Vorrede zum ersten Band der Deutschen Schaubühne zu Wienn hebt Weiskern den Beitrag hervor, „den die Sprache des Vaterlandes auf der Schaubühne leisten kann, wenn man jener emporhilft, und
|| 482 Die Deutsche Schaubühne zu Wienn, nach Alten und Neuen Mustern, [Erster bis Zwölfter Theil.] Wienn 1749 [bis 1764]. 483 Ein Bewusstsein dafür, dass man in Wien eigene Dramenformen pflegt, die ihre Berechtigung und Qualität haben, auch wenn man sie andernorts im Reich möglicherweise negativ beurteilt, wird in der Vorrede zum ersten Band der Deutschen Schaubühne zu Wienn artikuliert. 484 Die Weigerung der überaus tugendhaften und zärtlichen Pamela eine Mesalliance mit dem Adligen Milord Bonfil einzugehen, soll den Zuschauer rühren und ihn selbst zu tugendhaftem Handeln bewegen. In dieses Rührende Lustspiel fügt Weiskern allerdings doch noch eine komische Figur ein (vgl. Jagersbacher [1994], Friedrich Wilhelm Weiskern, S. 65–69). 485 Gerhard Tanzer hat für die Wiener Gesellschaft unter Maria Theresia und Joseph II. im Detail die Auswirkungen der aufklärerischen Reformen auf den Alltag gezeigt (vgl. Tanzer [1992], Spectacle müssen sein).
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diese in den Stand setzet, eine Schule der Sitten zu seyn.“486 1754 betont er in der Vorrede zum fünften Band, dass mit der Darstellung auf dem Theater auch eine vernünftige Erziehung derjenigen Menschen möglich ist, die sich nicht mit der Wissenschaft beschäftigen und die hauptsächlich Vergnügen suchen. Sie können seiner Meinung nach „unmöglich auf eine andere Weise zu einer vernünftigen Betrachtung ihrer Thorheiten gebracht werden, als durch solche sinnreiche Fürstellungen, welche ohnvermerckter Weise eine verzuckerte Arzney der Seele werden können.“487 Seit den 1760er Jahren werden diese Ideen in der Kameralistik und in den moralischen Wochenschriften verstärkt formuliert488 und die Einrichtung eines Nationaltheaters wird von den Wiener Aufklärern seit 1760 der Sache nach immer wieder gefordert.489 Joseph Heinrich von Engelschall verwendet in seinen Zufälligen Gedanken über die Schaubühne zu Wien (1760) den Terminus zwar noch nicht, fordert jedoch ein öffentlich subventioniertes Theater, das die Bildung des guten Geschmacks fördern soll, der seiner Meinung nach die Grundlage für das Gemeinwohl des Staates ist.490 Dafür sei es allerdings notwendig, auf der Bühne sittlich korrektes Verhalten positiv darzustellen. Joseph von Sonnenfels führt diese Ideen fünf Jahre später recht konkret aus: Wenn die Schauspiele eine Schule der Sitten werden sollen, so ist darauf zusehen [sic!], daß solche Stücke aufgeführt werden, die diesem Endzwecke zusagen. Das Laster muß also in seiner scheuslichen Gestalt und mit der Strafe als einer unabsönderlichen Folge, die Tugend mit allen ihren Reizungen, in ihrer liebenswürdigsten Gestalt, und wenigstens am Ende siegend, erscheinen. […] Man könnte die tragischen Empfindungen, die des Dichters Mühe krönen, durch das Stück hindurch herrschen, und den Ausgang für die Tugend glücklich seyn lassen.491
Aus diesen Ausführungen ergibt sich die Bevorzugung von Dramenformen mit tugendhaften Figuren und gutem Ende. Eine komische Distanz zur Hauptfigur ist nicht mehr gefragt und das Rührende Lustspiel, in dem Komik nur noch bei || 486 Die deutsche Schaubühne zu Wienn, nach alten und neuen Mustern. Theil 1, Wien 1749, Vorrede, S. 1 ff. 487 Die deutsche Schaubühne zu Wienn, nach alten und neuen Mustern. Theil 5, Wien 1754, Vorrede, S. 3. 488 Vgl. die Rekonstruktion der Debatten über eine aufklärerische Theaterreform in den Periodika der Zeit bei Haider-Pregler (1980), Des sittlichen Bürgers Abendschule. 489 Vgl. Haider-Pregler (1974), Wien probiert seine National-Schaubühne, S. 287. 490 [Joseph Heinrich von Engelschall:] Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne zu Wien, von einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten. Wien: Trattner 1760. 491 [Joseph von Sonnenfels:] Sätze aus der Polizey-, Handlungs- und Finanz-Wissenschaft. Zum Leitfaden der akademischen Vorlesungen. Wien: Trattner 1765, S. 76 f.
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den Nebenfiguren denkbar ist, wird zur präferierten Gattung.492 Im zwölften Teil der Sammlung von 1764 erörtert Weiskern in seiner Vorrede die Theorien Diderots und Gellerts und publiziert auch Diderots Hausvater in der Übersetzung Lessings. Vor diesem Hintergrund ist besser zu verstehen, warum Tellheim als Hauptfigur kein lächerliches Verhalten an den Tag legen soll und weshalb die identifikatorisch-rührenden Momente hervorgehoben werden. Kurz nach der Premiere der Minna von Barnhelm in Wien taucht der Begriff ‚Nationalschaubühne‘ dann auch zum ersten Mal in einem Wiener Text auf. Joseph von Sonnenfels verwendet ihn 1768 in der zweiten Auflage seiner erstmals 1765 erschienenen Einführung einer Policey, Handels- und Finanzwissenschaft. Er bezeichnet damit ein Theater, das inhaltlich den Sitten und dem Geschmack einer „ethnische[n] und sprachliche[n] Gemeinschaft“ entspricht. Die Sitten einer Nation sollen in einer eigenen Dramenproduktion dargestellt und geformt werden, die aber im Austausch mit derjenigen anderer Nationen steht.493 In diesem Kontext wird nun sinnfällig, dass Weiskern die Minna von Barnhelm so bearbeitet, dass Tellheim als Hauptfigur nur noch vorbildlich, aber nicht mehr verlachenswert ist. 1769 wird Franz von Heufeld künstlerischer Direktor, Christian Gottlob Klemm Theatersekretär des Kärntnertortheaters und man erklärt das Kärntnertortheater zur Nationalschaubühne. Unter der Direktion von Heufeld/Klemm scheint dies erstmals künstlerisch möglich zu sein.494 Finanziert wird das Ganze durch den Bankier Joseph Carl Bender, das heißt gleichfalls privat wie in Hamburg. Wie Heufeld im Februar 1769 in seiner Nachricht an das Publikum mitteilt, plant man ab sofort vorrangig deutsche Originaldramen zu geben.495 Deutlich hebt Bender in seiner Ankündigung des neuen Theaterprojekts hervor, dass ein „Nationaltheater“ nur in Wien, der „Hauptstadt Deutschlands“ und dem „Sitz[] des Kaisers“ zur erforderlichen „Höhe“ sich erheben könne.496 Das Ziel dieser Unternehmung sei es „ein Nationaltheater zu gründen, und dadurch die Nation
|| 492 Mansky verweist auf den Einfluss Diderots und Beaumarchais’ auf die Überlegungen Sonnenfels’ und nennt auch weitere Forschung (vgl. Mansky [2013], Cornelius von Ayrenhoff, S. 70 f.). 493 Vgl. Haider-Pregler (1983), Der wienerische Weg, S. 32. Auch Haider-Pregler weist darauf hin, dass „national“ bei Sonnenfels „nichts weniger als nationalistisch“ bedeutet (vgl. ebd.). 494 Vgl. Haider-Pregler (1974), Wien probiert seine National-Schaubühne, S. 287. 495 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 311. 496 Zitate hier und im Folgenden: „Nachricht an das Publikum“ von der „Direction des deutschen Theaters“, ausgegeben am 25. Hornung 1769. Zit. in: Joseph von Sonnenfels, Briefe über die Wienerische Schaubühne, Wien 1768 f. (Wiener Neudrucke 7, hg. von August Sauer, Wien 1884), S. 344 ff.
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zu verherrlichen“. Gespielt werden auch Dramen von Johann Elias Schlegel, Johann Christian Brandes, Johann Christian Krüger, Christian Felix Weisse, Karl Franz Romanus, Christian Gottlob Klemm und Franz von Heufeld, das heißt Typenkomödien, in denen die lächerlichen Figuren nur noch abgeschwächt lasterhaft sind und am Ende in die Ehe oder die Familie reintegriert werden. Zudem gibt man jedoch Rührende Lustspiele, in denen nur noch die Nebenfiguren komisch sind. 1769 gehört dann die große Mehrheit der Stücke im Spielplan dieser Gattung an.497 Die Konzentration auf das Rührende Lustspiel orientiert sich an der theoretisch postulierten idealen Verquickung von identifikationsermöglichenden, tugendhaften Protagonisten und gutem Ausgang. Damit trifft man allerdings nicht den Geschmack der Menge. Auch das Wiener Nationaltheaterexperiment muss abgebrochen werden, weil es nicht rentabel ist.498 Die Minna von Barnhelm passt in der bearbeiteten Fassung gut zu diesem Projekt und bei Klemm findet sich in seiner Schrift Dramaturgie der Literatur und der Sitten ein täglicher Spielplan der Nationalschaubühne, in dem jeweils am 2. März 1769, am 12. April 1769, am 8. Februar 1770 und am 17. Februar 1770 Aufführungen verzeichnet sind.499 Mit größter Wahrscheinlichkeit fehlt es für den Zeitraum von 1771 bis 1776 an Aufführungsbelegen.500 Gegen die Annahme, die Minna von Barnhelm sei in diesem Zeitraum nicht mehr aufgeführt worden, spricht allerdings die zweite Auflage von Weiskerns Fassung, die im Untertitel den Vermerk enthält, die Komödie sei 1775 gegeben worden.501 Zudem ist ein enormer Erfolg der Minna von Barnhelm im gesamten deutschsprachigen Gebiet belegt, so dass es nicht plausibel erscheint, dass die Komödie ausgerechnet in Wien abgesetzt wird.502 Unstrittig ist auch, dass es einige Werke gibt, die sehr klar an die Minna von Barnhelm anschließen, die alle ebenfalls in Wien aufgeführt werden. Es handelt sich um Dramen mit gutem Ausgang, die das rührende
|| 497 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 310. 498 Vgl. Haider-Pregler (1974), Wien probiert seine National-Schaubühne, S. 288. 499 Die Wiederholungsdaten hat Haider-Pregler im Anschluss an ihre Auswertung von Klemms täglicher Besprechung des Spielplans aufgelistet (vgl. Haider-Pregler [1974], Wien probiert seine National-Schaubühne, S. 332). 500 Weilen (1904), Lessingsche Dramen auf dem Burgtheater; Labus (1936), Minna von Barnhelm auf der deutschen Bühne; Eybl (2001), Die Lessing-Rezeption im Wien des 18. Jahrhunderts. 501 Vgl. den Zusatz „Aufgeführt in dem kais. königl. privilegierten Theater in Wien im Jahre 1775“ auf dem Titelblatt von MvBW4. 502 Vgl. Labus (1936), Minna von Barnhelm auf der deutschen Bühne und Ritter (1984), Minna von Barnhelm auf dem aufklärerischen deutschen Theater, S. 100 f. Ein genaues Verzeichnis der Aufführungsorte findet sich in Schulz (1977), Lessing auf der Bühne, S. 201 ff.
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Schicksal eines – fast immer höherrangigen – Soldaten in den Mittelpunkt stellen und empfindsam-rührende Konflikte zwischen den Hauptfiguren gestalten. Schon in der Zeit der Nationalschaubühne läuft zum Beispiel Brandes’ Graf von Olsbach (1768) mit elf Aufführungen gegenüber den vier der Minna von Barnhelm den Rang ab. Wie gleich zu zeigen sein wird, sind die von Weiskern bearbeitete Minna von Barnhelm und der Graf von Olsbach in Thematik und Wirkung einander sehr ähnlich. Zusammengenommen sind diese beiden Komödien die meistgespielten auf dieser Bühne. In der Komödie Der Graf von Olsbach, oder die Bekennung der Rechtschaffenheit (ED 1768) von Johann Christian Brandes, die im April 1769 in Wien erstaufgeführt wird, glaubt Graf Olsbach, der gegen bestehendes Kriegsrecht die Tochter eines gegnerischen Obristen geheiratet hat, dass seine Gattin bei einem Feuer während einer Belagerung durch seine Schuld umgekommen ist. Dies entspricht jedoch nicht der Realität, da seine Frau noch lebt. Da Olsbach den Grund für seine Niedergeschlagenheit nicht nennt, weiß sein Umfeld nicht, was mit ihm los ist. Bis zur Wiedervereinigung der Liebenden gilt es jedoch den höfischen Intriganten Kulpel auszuschalten, Missverständnisse aufzuklären und Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die adligen Militärs bekommen ausreichend Gelegenheit ihre Ehren- und Standhaftigkeit sowie Mut und Vorurteilsfreiheit zu beweisen. Olsbachs Schwester versucht ihm durch gespielte Heiterkeit das Leben leichter zu machen. Die Gestaltung ihrer Rolle ist im spielerischen Zug an Minna angelehnt. Am Ende des Grafen von Olsbach wird das Paar schließlich unerwartet wieder vereint, als ein Onkel eintrifft und die wahren Identitäten aufgedeckt werden. Die Stimmung wandelt sich durch eine Doppelhochzeit unvermittelt vom Schwermütigen zum Heiteren. Zudem ist ein alter Freund Olsbachs der Figur des Paul Werner nachempfunden und heißt von Wernin. Eine große Nähe zur Minna von Barnhelm lässt sich auch in Stephanie des Jüngeren Die abgedankten Officiers (1770) erkennen.503 Hauptfigur ist der abgedankte Offizier Freaugeville, der mit Tellheim das Beharren auf einem Standpunkt gemeinsam hat. Seine Geliebte ist ihrem Vater davongelaufen und will mit dem mitgebrachten Geld mit Freaugeville durchbrennen. Freaugeville weigert sich jedoch das Geld anzunehmen, bringt seine Geliebte zu ihrem Vater zurück und bekommt als Belohnung für seine Standhaftigkeit die Erlaubnis sie zu heiraten. Ein anderer abgedankter Offizier ist eine Kombination aus Werner und Riccaut, wenn er sowohl poltert als auch aus Not zum Spieler wird. Diese Komödie wird am 2. Mai 1770 im Kärntnertortheater gegeben und am 13. Ok|| 503 Vgl. Stockmayer (1898), Das deutsche Soldatenstück, S. 12–14.
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tober 1772 im Burgtheater wiederholt.504 Obwohl es auch Elemente gibt, die von der Minna von Barnhelm abweichen, ist die Ähnlichkeit zu dieser doch so offensichtlich, dass das Werk auch als ‚Wiener Minna‘ bezeichnet wird.505 In den Jahren von 1767 bis 1776 finden sich dann im Spielplan des Burgtheaters zahlreiche weitere Werke, die man unter dem Genrebegriff des ‚Soldatenstücks‘ oder des ‚Militärdramas‘ fassen kann.506 In diesen Komödien treten sowohl vorbildliche, höherrangige als auch an Werner oder Riccaut angelehnte Soldaten auf. Zentrale Motive sind oftmals rührend-tugendhaftes Verhalten von Offizieren und Rehabilitationen durch den Landesfürsten. Gibt es Subordinationsvergehen, so sind sie, wie in der Minna von Barnhelm, zumeist nur unterstellter oder fälschlich angenommener Natur. Die soldatische Zentralfigur ist dabei jedoch niemals komisch, sondern immer tugendhaft, rechtschaffen und eindeutig vorbildlich.507 Stephanie der Jüngere, der den Graf von Olsbach auch als Schauspieler kennen gelernt hatte, hat als freie Bearbeitung von Farquhars The Recruiting Officer das Lustspiel Die Werber (ED 1769) geschrieben, das man erstmalig am 4. November 1769 auf den Spielplan des Kärntnertortheaters setzt.508 Die Soldaten sind hier zwar alle ausschließlich als Typen dargestellt, aber Treue, Gehorsam, Ehrgefühl und Standesbewusstsein haben sie mit den Soldaten der Minna von Barnhelm gemein. Typen und Ereignisse des Soldatenlebens wie Werbung und Subordinationsvergehen sind allerdings nicht nur in Berichten präsent, sondern bestimmen bei Stephanie die Handlung. Als rührendes Element kann die Begnadigung des betrügerischen Werbers Lord Bratzen verstanden werden und auch hier finden zwei Liebesgeschichten zu einem glücklichen Ausgang. Weitere Werke, die Soldaten als rührend dankbare Söhne zeigen, kombinieren Familienszenen mit zentralen soldatischen Themen wie Werbung oder De-
|| 504 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 519. 505 Vgl. Gottlieb Stephanie der Jüngere: Die abgedankten Officiers oder Standhaftigkeit und Verzweiflung: Ein Lustspiel von fünf Aufzügen. Hg. von Matthias Mansky. Hannover 2019 und für die absetzende Überbietungsstrategie in der Gattungsgeschichte: Dennerlein (2016), Wielands Geschichte des Agathon oder Wilhelm Meisters Lehrjahre. 506 Feuchter-Feler (2002), Le Drame militaire; zwar veraltet, für die motivische Aufschlüsselung aber noch immer hilfreich ist auch Stockmayer (1898), Das deutsche Soldatenstück. 507 Eine Ausnahme stellt Kotzebues Armut und Edelsinn (1795) dar, in dem der Protagonist pedantisch einen Ehrbegriff vertritt, den er im Grunde gar nicht versteht und sich dabei äußerst lächerlich macht. Soldaten, die nicht die Hauptrolle spielen, sind dagegen durchaus häufig komisch dargestellt in diesen Werken. 508 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 516. Wiederholt wurde es am 12. Februar 1771 im Kärntnertortheater und am 27. Juli 1774 im Burgtheater.
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sertion. Sie sind in der Gestaltung dieser Soldatenfiguren eventuell noch von der Minna von Barnhelm inspiriert, allerdings kommt auch Sedaines Le Deserteur von 1769 in Betracht.509 Sie gehören jedoch einem eigenen Subgenre an, das durch Johann Jakob Engels Der dankbare Sohn begründet wird.510 Dieses Subgenre hat vermutlich dieselbe Funktion im Spielplan, weil wiederum die Elemente Soldaten, Soldatenleben, Patriotismus und rührende Motive darin vorkommen. Johann Jakob Engels Der dankbare Sohn wird am 4. Mai 1771 erstmalig am Kärntnertortheater gegeben, am 27. Juni 1771 in Laxenburg und am 28. Januar 1773 am Burgtheater wiederholt.511 Stephanie des Jüngeren Der Deserteur aus Kindesliebe wird erstmalig am 31. Juli 1773 am Kärntnertortheater aufgeführt und am 25. April 1774 am Burgtheater wiederholt.512 Daneben gibt es Dramen, in denen Friedrich II. (Der Volontär von Karl Martin Plümicke,513 Der Chargenverkauf von Joseph Fellner) oder Joseph II. die Rolle des gnädigen Landesvaters innehaben, die den tugendhaften Soldaten aus der Patsche helfen (Der abgedankte Offizier, oder Joseph der Gute komische Oper mit Musik von Joseph Lederer zwischen 1774 und 1776 erschienen, Die Waise von Ch. P. F. König, Das grosse Beispiel oder welch’ ein Mensch! von Franz Joseph Fischer und Der Rechtschafne darf nicht immer darben, oder: Wenns der Fürst nur weiß, er hilft gewis von Johann Prothke).514 Des Weiteren finden sich Dramen, die einzelne motivische Ähnlichkeiten aufweisen, wie zum Beispiel Kriegskontributionen,515 andere Verdachtsmomente gegen Soldaten,516 einen berechnenden Wirt,517 ein Verhältnis von Major und Wachtmeister, das dem von
|| 509 Während der Soldat bei Sedaine aus Liebe zu einer Frau tatsächlich desertiert, bieten die Söhne bei Engel und Stephanie ihren Eltern an, sie als Deserteure anzuzeigen, damit sie sich mit der Belohnung von ihren Schulden freikaufen können. 510 Stockmayer spricht hier vom „ländlichen Genre, das seines Festspielcharakters wegen beliebt wurde und zahlreiche Nachahmer fand“ (Stockmayer [1898], Das deutsche Soldatenstück, S. 9 und 19–27). 511 Vgl. Zechmeister (1971), Die Wiener Theater, S. 516. 512 Vgl. a. a. O., S. 544. 513 In diesem Stück heißt eine Figur sogar ‚Tellheim‘. 514 Stockmayer (1898), Das deutsche Soldatenstück, S. 46–50. Nicht immer treten Friedrich II. oder Joseph II. als Figuren auf, aber sie sind in Erzählungen oder in ihrer Wirkung sehr präsent und es ist immer klar, welcher Fürst gemeint ist, auch wenn der Name nicht genannt wird. Daneben gibt es offenbar in anderen Soldatenstücken eine „Schar von Königen, Fürsten und Prinzen“, die den Helden gnädig verzeihen und/oder großmütig helfen (Stockmayer [1898], Das deutsche Soldatenstück, S. 46). 515 A. a. O., S. 61. 516 Ebd. 517 A. a. O., S. 62.
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Tellheim und Werner gleicht,518 das Motiv, als Mann der Ehefrau nicht sein Glück verdanken zu wollen,519 teilweise kombiniert mit dem Thema einer Versteifung auf die soldatische Ehre, die einer Liebesbeziehung im Weg steht.520 Einerseits schließen demnach Komödien mehr oder weniger deutlich an die Minna von Barnhelm an, andererseits gibt es Komödien, die zwar mit der Minna von Barnhelm nicht in der Handlungskonstellation, in Figuren oder genau spezifizierten Motiven übereinstimmen, deren Personal aber zum Großteil aus Soldaten besteht und die das Soldatenleben thematisieren. Damit ist eine Menge von Texten gegeben, die durch Familienähnlichkeit verbunden sind und die vor allem im Spielplan weitgehend als Äquivalente fungieren können.521 Venzl hat jüngst die These aufgestellt, dass die Hochkonjunktur von Werken mit Soldaten und militärbezogene Themen wie Werbung, Desertion und Subordinationsvergehen nicht einer literaturgeschichtsimmanenten Entwicklung zuzuschreiben seien. Nicht der Bezug zur Minna von Barnhelm als gattungsbegründender Prototyp, sondern die Bedeutung des militärischen Diskurses in der Gesellschaft sei ausschlaggebend. Stockmayer hat 1898 in seiner Monographie zum Soldatenstück eine solche Subgattungsgeschichte mit der Minna von Barnhelm als häufig nachgeahmtem und zitiertem Protoypen prominent erzählt und dutzende von Werken dieser Gattung zugeschlagen.522 Venzl ist der Meinung, dass Stockmayer übergeneralisiert, wenn er alle Dramen, die motivische und dramaturgische Parallelen aufweisen, in die Nachfolge der Minna von Barnhelm stellt. Er zeigt in seiner Arbeit, dass es sowohl in Dramen vor als auch in solchen nach der Minna von Barnhelm Problemstellungen gibt, die sich aus der „Integration von Militär und Gesellschaft“ ergeben.523 Venzl nennt nur die folgenden Werke als direkte Nachfolger der Minna von Barnhelm: Der Graf von Olsbach, Die abgedanckten Officiers, und, als Gegenstück zur Minna von Barnhelm, Jakob Engels Der dankbare Sohn.524 Er vertritt die Ansicht, dass die ausufernde Produktion von Soldatenstücken beziehungsweise Militärdramen in den 1770er bis 1790er Jahren dann eher an Werke wie Möllers Der Graf von Walltron,525 an Dramen Stephanies
|| 518 A. a. O., S. 63. 519 Stockmayer (1898), Das deutsche Soldatenstück, S. 64–66. 520 A. a. O., S. 61–73. 521 Vgl. zum Beispiel Schmidt (1885), ‚Möller, Heinrich Ferdinand‘, Hauffen (1889), Das Drama der klassischen Periode. 522 Vgl. Stockmayer (1898), Das deutsche Soldatenstück. 523 Tilmann Venzl (2019), „Itzt kommen die Soldaten“, S. 328. 524 A. a. O., S. 332–335. 525 Die Handlung sei kurz skizziert: Der Capitain Graf von Walltron ist bescheiden, kameradschaftlich, ordentlich und pflichtbewusst. Aufgrund seines sanguinischen Temperaments
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des Jüngeren und Sedaines Le Deserteur anschließt. Eine Klärung in dieser Einflussfrage müsste letztlich auswerten, zu welchen Werken die sogenannten Soldatenstücke in Rezeptionszeugnissen häufiger in Beziehung gesetzt werden. Die Rezeption lässt sich inzwischen über die Verzeichnisse bei Bender/Bushuven/Huesmann sehr gut erfassen, zahlreiche dort nachgewiesene Periodika sind mittlerweile auch digitalisiert.526
|| unterläuft ihm dennoch eine Insubordination gegenüber seinem Vorgesetzten und Schwager Bembrock. Unglücklicherweise hat der König kurz zuvor erlassen, dass alle Subordinationsvergehen ohne Ausnahme und umgehend standrechtlich zu bestrafen sind. Die Situation ist besonders problematisch, weil der Graf wenige Tage zuvor den Sohn des Königs aus den Händen des Feindes befreit hat. Der Graf und alle Beteiligten fügen sich jedoch widerstandslos in ihr Schicksal. Kurz vor der Vollstreckung der Hinrichtung trifft die bereits Tage zuvor unterschriebene Beförderung des Grafen ein, die das Insubordinationsvergehen gegenstandslos macht. Durch die Versuche der Gräfin – Schwester Bembrocks und Gattin Walltrons – die Hinrichtung zu verhindern, kommt ein retardierendes Moment sowie eine Konfliktlinie zwischen zwei Emotionskonzepten hinzu: Während die Soldaten stoisch und entsagend sind, ist die Gräfin mit ihrem unbedingten Anspruch auf ihr persönliches Glück pathetisch und schwärmerisch (vgl. zum Erfolg dieses Stücks Schmidt [1885], Möller, Heinrich Ferdinand). 526 Vgl. Bender/Bushuven/Huesmann (1994–2005), Theaterperiodika des 18. Jahrhunderts.
3.4 Skandalstück, opera buffa, bürgerliche Ehekomödie. Schröder: Figaro’s Heirath (H 1787) – Da Ponte/Mozart: Le Nozze di Figaro (W 1786) – Jünger: Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro (W 1802) 3.4.1 Hamburg, Stadttheater, Figaro’s Heirath (1787) Ab Mitte der 1780er Jahre ist im Reich ein Pariser Skandalstück in aller Munde: Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais’ Komödie La folle journée ou Le mariage de Figaro. In Frankreich konnte das 1778 fertiggestellte Werk erst am 27. April 1784 nach jahrelangen Streitereien und Skandalen um Aufführungsversuche und Zensurmaßnahmen öffentlich im Pariser Théâtre de L’Odéon aufgeführt werden. Drei Monate nach der französischen Uraufführung von La folle journée sind bereits siebenundfünfzig Aufführungen an deutschen Theatern nachgewiesen.527 1785 kann die Komödie in Beaumarchais’ eigener Druckerei in Kehl dann auch auf Französisch und Deutsch gedruckt werden.528 1785 erscheinen neun weitere deutschsprachige Drucke.529 Diese Popularität trägt sicher auch
|| 527 Heinrich August Ottokar Reichards Theater-Kalender zit. in Seligmann (1909), Figaros Hochzeit, S. 7 ff. 528 Die französischsprachige Ausgabe erscheint bei Ruault: La folle journée, ou le mariage de Figaro, Comédie en cinq Actes, en Prose, par M. d. Beaumarchais, Représentée pour la première fois, par les comédiens françois ordinaires du Roi, le mardi 27 avril 1784. Chez Ruault Amsterdam, M.DCC.LXXXV. [Im Folgenden abgekürzt als La folle journée und zitiert mit der Sigle B]; Der lustige Tag, oder Figaro’s Hochzeit: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Aus dem Französischen des Herrn Caron von Beaumarchais übersezt; Aechte, vom Herrn Verfasser einzig und allein genehmigte, vollständige Ausgabe. Kehl: Müller 1785. [BSB 821807 P.o.gall. 211] 529 Der lustige Tag, oder Figaro’s Hochzeit: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Aus dem Französischen des Herrn Caron von Beaumarchais übersezt; Aechte, vom Herrn Verfasser einzig und allein genehmigte, vollständige Ausgabe. Kehl: Müller 1785; Der tolle Tag oder Figaro’s Hochzeit; ein Lustspiel in fünf Aufzügen Nach d. ächten Ausg. übers. [v. Ludwig Ferdinand Huber] Dessau, Leipzig ; Göschen: 1785; Der lustige Tag oder: Figaro’s Hochzeit: Ein Lustspiel in 5 Aufzügen. Nach der Originalausgabe übersetzt [von Friederike Helene Unger]. Berlin: Unger, 1785; Der lustige Tag oder die Hochzeit des Figaro: ein Lustspiel in fünf Aufzügen. München: Strobl 1785; Der lustige Tag oder die Hochzeit des Figaro: ein Schauspiel in fünf Aufzügen; die erste Vorstellung geschah zu Paris von der gewöhnlichen Schauspielergesellschaft den 27. April 1784. Aus dem Franz. frey übers. [S.l.], 1785; Die Heurath des Figaro; ein Lustspiel in drey Aufzügen. Nürnberg: Grattenauer, 1785; Der närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro; ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Wien: 1785; Der lustige Tag oder die Hochzeit des Figaro: ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Leipzig: Kummer 1785. Der hier an erster Stelle genannte deutsch-
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dazu bei, dass man einmal mehr ein französisches Drama schnell für das Hamburger Stadttheater530 verfügbar macht.531 Unter der Leitung von Johann Christian Brandes wird das Werk unter dem Titel Der lustige Tag, oder: Figaro’s Hochzeit in den Jahren 1785 und 1786 18 Mal am Hamburger Stadttheater gegeben und mit „großem und gerechtem Beifall“ aufgenommen.532 Der zu Grunde liegende Text ist nicht erhalten, der Titel und das Personenverzeichnis legen jedoch eine Orientierung an der ersten Kehler-Übersetzung nahe.533 Zurück am Hamburger Stadttheater gibt Schröder die Komödie ab 9. Juli 1787 in einer fünfaktigen, von ihm selbst übersetzten Fassung.534 Schröders Bearbeitung trägt den Titel Figaro's Heirath und wird unter folgendem Titel auf dem Theaterzettel angekündigt: „Figaro’s Heyrath, ein Lustspiel in fünf Aufzügen, nach dem Französischen des Beaumarchais, übersezt von Schröder“.535 Gedruckt wird Schröders Fassung im 18. Jahrhundert nicht, in der Sammlung TheaterBibliothek der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky liegen aber sowohl ein handschriftliches Inspektionsbuch mit Korrekturen und
|| sprachige Erstdruck muss im gleichen Jahr sieben Mal neu aufgelegt werden: Der lustige Tag, oder Figaro’s Hochzeit: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. 8. Ausgabe. Kehl: Müller 1785. 530 Im Folgenden wird durchgängig die Bezeichnung Hamburger Stadttheater verwendet, weil dies in der Forschung so üblich ist (vgl. Jahn [2016], Bühne und Bürgertum, S. 9, Fn. 1]. Tatsächlich löst sie erst um 1800 die Bezeichnung ‚Comödien-Haus‘ ab. Analog zur Bezeichnung Hamburger Nationaltheater, die auch eine spätere ist, erfüllt sie jedoch den Zweck die Institution mitsamt ihrer Stoßrichtung prägnant zu bezeichnen und zugleich den mentalitätsgeschichtlichen Gehalt zu repräsentieren. 531 Damit ist das Werk auch repräsentativ für die Dominanz der Übersetzungen aus dem Französischen in Schröders zweiter Spielzeit (vgl. Maurer Zenck [2006], Theaterdirektor Friedrich Ludwig Schröder, S. 7). Themen, dramaturgische Konzepte und Rollenfächer sind in dieser Zeit stark französisch beeinflusst. Die Dominanz französischer Stücke wiederum ist bekanntlich generell repräsentativ für die Verhältnisse im deutschsprachigen Raum (zum Beispiel bereits Meyer [1981], Der Anteil des Singspiels). 532 Meyer [1819], Friedrich Ludwig Schröder, II,1, S. 2 beziehungsweise DBBB. 533 Vgl. Schröder (2016), Figaro’s Heirath und Figaro’s Reue, S. 166. Die in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek erhaltene Partitur der Schauspielmusik zu Brandes’ Inszenierung von Carl Hanke lässt erkennen, dass drei der fünf Musiknummern textlich der Fassung von Bernhard Christoph d’Arien aus der deutschsprachigen Erstausgabe (vgl. Fn. 529) folgen (vgl. Zur Hochzeit des Figaro del Sigr C: Hanke. Partitur. Lustspiel in 5 Aufzügen. 1785 Komp. Herrn Johann Christian Brandes zum Andencken. Vom Verfaßer 1786. [SUB ND VII 167] und Kramer [2016], Shakespeare, Kotzebue, Beaumarchais, S. 566–569). 534 Am 20. Dezember 1787, am 17. August 1789 und am 9. September 1789 wurde der Figaro in Hamburg in der Schröder’schen Fassung dann erneut gegeben. 535 Theaterzettel, https://www.stadttheater.uni-hamburg.de/system/files/1787-07-09.pdf (zuletzt aufgerufen am 14. August 2021).
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Ergänzungen536 als auch ein handschriftliches Soufflierbuch mit Korrekturen und Streichungen vor.537 Das Inspektionsbuch beinhaltet eine vieraktige Fassung, die Schröder zuvor in Altona gegeben hatte. Auf diese Fassung wird später noch einzugehen sein. Das Soufflierbuch enthält die fünfaktige Fassung, die am Hamburger Stadttheater zu sehen war. Friedrich Ludwig Meyer berichtet, beide Fassungen hätten auf der Bühne „Sensation“ gemacht.538 Dies bezieht sich jedoch nicht auf eine politische Rezeption wie sich überhaupt im Reich im 18. Jahrhundert kaum politische Anschlüsse finden lassen. Betont wird vielmehr zumeist der Unterhaltungswert der Komödie. Eine Ausnahme bildet hier Wien, wo die Komödie ebenfalls zunächst verboten wird – allerdings aus anderen Gründen als in Paris. Auffällig ist, dass der Inhalt der Komödie in den ersten Übersetzungen für Hamburg und Wien zunächst nur marginal verändert wird. Zu untersuchen ist demnach an erster Stelle, wie es dennoch zu so verschiedenen Rezeptionsphänomenen kommen kann. Anschließend werden stärker bearbeitete Fassungen von Beaumarchais’ Komödie in Wien analysiert. Zunächst soll nun gefragt werden, welche Aspekte zum Verbot der Aufführung von La folle journée ou le mariage de Figaro in Paris führen und es soll gezeigt werden, worin das satirisch-kritische Potential des Textes besteht.539 Ende 1781 liest Beaumarchais die angeblich in einem Zuge 1778 niedergeschriebene Komödie Schauspielern der Comédie Française vor, die sie gerne umgehend zur Aufführung bringen möchten, weil sie lohnende Rollen enthält und eine unterhaltsame, kunstvolle Handlungsfügung aufweist.540 Der erste Zensor nimmt nur geringfügige Änderungen vor und lässt das Werk passieren.541 Von einer Lesung vor Marie-Antoinette und Louis XVI. berichtet die Hofdame Mme de Campan in ihren Memoiren dann allerdings, dass der König die Lesung sowohl mit zustimmenden als auch mit kritischen Äußerungen kommentiert, im || 536 Figaro’s Heirath: ein Lustspiel in vier Aufzügen; Nach dem Französischen des Beaumarchais von Herrn Schröder; Inspektions Buch, [Mai 1785], [SUB Theater-Bibliothek 210a]. 537 Figaro’s Heirath: Lustspiel in fünf Aufzügen. Nach dem Französischen des Beaumarchais von Schröder; Soufflierbuch, [1787], [SUB Theater-Bibliothek 210b]. Neu ediert in Schröder (2016), Figaro’s Heirath und Figaro’s Reue, im Folgenden mit dem Kurztitel Figaro’s Heirath und der Sigle S zitiert. Diese Edition enthält auch die erste, vieraktige Fassung. 538 Meyer (1819), Friedrich Ludwig Schröder, 2. Theil, 1. Abt, S. 2. Eine übersichtliche, konzise chronologische Darstellung aller hier erwähnten Inszenierungen des Barbier, des Figaro und von Le Nozze di Figaro in Altona und Hamburg findet sich bei Reininghaus (2006), Le Nozze di Figaro. 539 Zur Zensur und zum Aufführungsverbot in Paris vgl. Schroeder-Angermund (1993), Von der Zensur zur Pressefreiheit, S. 63 ff. und Beaumarchais (1988), Œuvres, S. 1355–1363. 540 Vgl. Beaumarchais (1988), Œuvres, S. 1356. 541 Vgl. ebd.
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Verlauf des Stückes dann allerdings zunehmend ablehnender wird. Bei Figaros Monolog in der dritten Szene des fünften Aktes schließlich springt er von seinem Stuhl auf und ruft: „C'est détestable, cela ne sera jamais joué: il faudrait détruire la Bastille pour que la représentation de cette pièce ne fût pas une inconséquence dangereuse.“542 Anschließend verhindert er jahrelang die öffentliche Aufführung der Komödie, zuletzt auch noch kurzfristig die Premiere in der Comédie Française.543 Ein adliger Unterstützer von Beaumarchais, der Graf von Vaudreuil, engagiert schließlich einige Schauspieler der Comédie Française und lässt das Werk in seinem Landhaus in Gennevilliers bei sich zu Hause zu Ehren des königlichen Bruders Charles Philippe am 26. September 1783 vor ca. 300 Zuschauer*innen aufführen. Die erste Aufführung in einem Theater, dem Théâtre de L’Odéon findet am 27. April 1784 statt und ist ein fulminanter Erfolg – ganz entgegen der Erwartung des Königs, der die öffentliche Aufführung nur in der Hoffnung erlaubt, die Komödie werde beim Publikum durchfallen. Die fingierten Angriffe gegen die Komödie, die Beaumarchais selbst unters Volk bringt, tragen das Ihrige zur anhaltenden großen Popularität derselben bei.544 Beaumarchais befeuert diese Gerüchte mit einer Autorenstrategie, in der er sich selbst im Vorwort als Umstürzler darstellt: „Beim Barbier von Sevilla hatte ich das Staatsgefüge nur erschüttert. Mit meinem neuen Werk, das noch unverschämter und noch aufsässiger war, brachte ich den Staat offenbar völlig zum Einsturz. Wenn man dieses Stück erlaubte, so war nichts mehr heilig.“545 (Ainsi dans Le Barbier de Séville je n’avais qu’ébranlé l’État; dans ce nouvel essai, plus infâme et plus séditieux, je le renversais de fond en comble. Il n’y avait plus rien de sacré si l’on permettait cet ouvrage.”546) Zugleich versucht Beaumarchais die Adelskritik abzuschwächen, wenn er schreibt, er habe nur die Fehler „eines jeden Standes“ zeigen wollen. Die von Beaumarchais verwendeten Schreibstrategien hingegen stellen die adlige Hauptfigur der Komödie, den Grafen Almaviva, eindeutig als eine Figur dar, die ihre Macht missbraucht, um Frauen, die ihr untergeben sind, zu sexuellen Beziehungen zu überreden beziehungsweise zu
|| 542 Campan (1823), Mémoires, Bd. I, S. 278. 543 Vgl. Schroeder-Angermund (1993), Von der Zensur zur Pressefreiheit, S. 62 ff. und Beaumarchais (1988), S. 1356–1363. 544 Da nicht vorrangig der französische Kontext der Aufführung dieser Komödie und ihrer Bedeutung in Paris untersucht wird, soll die Darstellung der französischen Verhältnisse immer nur im Rahmen der Argumentation zur Komik in den Hamburger oder Wiener Fassungen erfolgen. Die Vorlage selbst wird nur dann herangezogen, wenn im Abgleich Veränderungsabsichten verdeutlicht werden sollen. 545 Petersen (1965), Die Hochzeit des Figaro, S. 139. 546 Beaumarchais (1988), Œuvres, S. 360.
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zwingen. Bei Figaros Verlobter Suzanne versucht der Graf etwa vom Herrenrecht, dem Recht des Herren auf die erste Nacht mit den Bräuten seiner Untergebenen, Gebrauch zu machen.547 Für den Widerstand von Suzanne und Figaro will er sich rächen, indem er die Heiratsansprüche einer anderen Frau an Figaro unterstützt. Die Richter, vor denen dieser Fall verhandelt wird, werden als korrupt und unwissend dargestellt. Der Graf versucht darüber hinaus Figaro mit Aufgaben zu betrauen, die ihn vom Hof entfernen, um Suzanne in dessen Abwesenheit dann doch noch zu seiner Geliebten zu machen. In einem langen Monolog anlässlich der vermuteten Untreue Suzannes holt Figaro zu einer generellen Klage darüber aus, dass er es trotz seiner Verdienste niemals zu etwas bringen werde, der Graf hingegen ohne alle Mühen schalten und walten könne, wie er wolle (vgl. B V,3). Hier gibt es einzelne Stellen, die als satirische Kritik am Ständesystem und an adligem Machtmissbrauch zu verstehen sind. Explizit beklagt Figaro zum Beispiel seine untergebene Position und die bedrohliche Situation, die sich dadurch für seine Ehe mit Suzanne ergibt. Zudem weist er darauf hin, dass es für einen Nichtadeligen unmöglich sei, es durch Verdienste zu etwas zu bringen, die Adligen jedoch alles ohne ihr Zutun erreichten. Für die Rezeption ab 1790 in Frankreich ist auch tatsächlich belegt, dass man einzelne Aspekte gesellschaftskritisch rezipiert, weil zum Beispiel die letzte Zeile des Abschlussliedes von „Tout finit par des chansons“ als „Tout finit par des canons“ gesungen wird.548 Dennoch muss man wohl doch eher davon ausgehen, dass die Revolutionäre die Komödie durch punktuelle Rezeption für die Revolu-
|| 547 Das ius/jus primae noctis bezeichnet das Recht, eines Gerichtsherrn bei der Heirat von Personen, die ihm unterstehen, die erste Nacht mit der Braut zu verbringen beziehungsweise für den Verzicht Geld zu verlangen. Es ist unzweifelhaft ein Topos in Kunst und Literatur und wird sowohl erotisch als auch politisch gestaltet. Unklar ist, in welchem Umfang dieses Recht jemals ausgeübt wurde, da die Quellenlage jenseits literarischer Texte spärlich ist (vgl. Wettlaufer [1999], Das Herrenrecht der ersten Nacht; Boureau [2000], Das Recht der Ersten Nacht). Besonders in der Aufklärung wird es zum Symbol für eine überkommene feudalistische Rechtsordnung. Es ist anzunehmen, dass Beaumarchais anstrebt, Voltaire in der Behandlung des Topos des Herrenrechts zu übertreffen, indem er statt einer identifikatorisch-rührenden eine satirische Darstellung mit einer Häufung komischer Elemente wählt. Voltaires besonders einflussreichen Essai sur les mœurs kennt Beaumarchais sicherlich ebenso wie dessen empfindsame Komödie Le Droit du Seigneur (ED 1763), da er ab 1778 selbst eine Gesamtausgabe der Werke Voltaires besorgt, die dann von 1783–1789 erscheint. 548 Insgesamt ist die Kanonisierung als Revolutionskomödie jedoch erst seit dem 19. Jahrhundert zu beobachten (vgl. für eine solche Lesart beispielsweise Petitfrère [1989], Le scandale du Mariage de Figaro). Ein Nachweis von Forschung und Literaturgeschichten aus dem 19. Jahrhundert, die das Werk auf diese Weise positionieren, findet sich in Birkner (2016a), Herr und Knecht, S. 137 und Birkner (2016b), Bürgerliches Theater? S. 473, Fn. 3.
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tion in Dienst nehmen, als dass das Stück die Französische Revolution herbeigeführt hätte. Interessanterweise ist die Frage nach dem gesellschaftskritischen Inhalt respektive nach dem Kunstcharakter oder dem Unterhaltungswert zentral damit verknüpft, welche Stellen als komisch verstanden werden und welche Wirkungsabsichten man ansetzt. Dadurch verschiebt sich die Frage nach dem satirisch-komischen Potential des Textes hin zu der Frage des Verhältnisses dieser Elemente zu den zahlreichen Formen der Komik und komisch behandelten Themen. Um herauszufinden, wie groß das satirische Potential tatsächlich ist, werden in der Forschung analytisch verschiedene Aspekte der Komik und der Komödienform unterschieden, die dann ins Verhältnis zu möglichen satirischen Aspekten gesetzt werden. Wolf sieht bei Beaumarchais zum Beispiel sowohl die „Intention einer Restauration der Molièreschen Lachkomödie“, als auch eine „Stilisierung zum empfindsamen Drama“.549 Die Verflechtung dieser beiden Komödienformen steht für ihn im Zentrum der Wirkungsstruktur, weil dasjenige, was „nach Abzug der moralischen und komödiantisch-karnevalesken Elemente an dieser, vor allem um den Comte zentrierten Kritik an Politischem“ übrig bleibe, so diffus sei, dass von einer „bürgerlichen Opposition gegen Aristokratie und Ständesystem“ in dieser Komödie nicht die Rede sein könne.550 Birkner hat jüngst die Komik im Figaro entlang der Achse von moralisch funktionalisierbarer und moralisch nicht funktionalisierbarer Komik unterteilt, wenn sie zum Beispiel die „Sprach-, Figuren-, Verhaltens- und Situationskomik rund um die Figuren Antonio und Bazile und die Wiederholungskomik“ als „karnevalesk[]“ im bachtinschen Sinne bezeichnet und die These vertritt, dass diese die „subversive Textintention“ der moralischen Adelskritik untergrabe.551 Warning geht davon aus, dass man es mit einer Ambiguität von „satirische[m] Angriff und moralische[r] Indifferenz“ zu tun hat.552 Er unterscheidet drei Ebenen der Handlung. Erstens das Schema der Heirat mit Hindernissen, in welchem es die Umkehrung des Herr-Knecht-Verhältnisses erlaubt Sozialkritik zu äußern, die allerdings nur sehr punktuell vorkommt und auch nur mit der Rolle des Grafen als Heiratshindernis verknüpft ist. Zweitens die Ehebruchskomik rund um den Grafen, der die adlige Libertinage gerade nicht leben kann, sondern als frustrierter Ehemann „ziemlich umständlich nach einer passenden Gelegenheit
|| 549 Wolf (1984), Ursprünge und Formen der Empfindsamkeit, S. 314. 550 A. a. O., S. 340. 551 Vgl. Schröder (2016), Figaro’s Heirath und Figaro’s Reue , S. 177. 552 Vgl. Warning (1980), Komödie und Satire, S. 547.
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sucht“, die bürgerliche Ehemoral zu umgehen.553 Drittens die karnevaleske Komik des komischen Tages, die sich in sexueller Anarchie ausdrückt, die durch die Figur des Cherubin metonymisiert wird. Während in all diesen Ansätzen die Heterogenität der Phänomene betont wird, soll in der folgenden Analyse die vorkommende Komik in einer integrativen Lesart vom Topos des Tollen Tages her rekonstruiert werden.554 Diese hat den Vorteil, dass man nicht zwischen einer eigentlich gemeinten und einer subversiven Intention oder von drei voneinander getrennten Wirkmechanismen ausgehen muss. Die Möglichkeit dieser Lesart ist durch die übergreifende komische Wirkungsstruktur gegeben, die im Folgenden entlang des Soufflierbuchs der fünfaktigen Schröder’schen Fassung rekonstruiert werden soll.555 Dabei soll auch gezeigt werden, dass es bereits für die französische Fassung möglich gewesen sein muss, die kritischen Elemente weniger wirklichkeitsreferentiell zu lesen und mehr in ihrer komödiendramaturgischen Funktion zu verstehen. Bereits durch den Titel der Komödie Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro wird eine Umkehrung der Verhältnisse gegenüber dem Vorgängerstück, dem Barbier von Sevilla angekündigt:556 War es dort um die Hochzeit des Herrn, des Grafen von Almaviva, gegangen, steht nun die Hochzeit des Dieners Figaro an. Der Graf, dem Figaro geholfen hat, das Heiratshindernis Bartholo zu bekämpfen, wird nun selbst zum Heiratshindernis:557 Der Diener Figaro möchte die Kammerjungfer Susanne heiraten, zu Beginn der Komödie erfährt er jedoch, dass sein Herr, der Graf, von Susanne das Recht der ersten Nacht zu erkaufen versucht, das er bei seiner eigenen Hochzeit abgeschafft hatte. Die Komödie beginnt damit, dass in den ersten Repliken Susannes Jungfräulichkeit und direkt anschließend die drohende Ausübung des Herrenrechts durch den Grafen thematisiert werden. Schröder lässt Figaro – anders als bei Beaumarchais – auch explizit von einem „jungfräulichen“ Kopfschmuck Susannes sprechen.558
|| 553 Vgl. a. a. O., S. 555. 554 Dieser steht zwar schon bei Beaumarchais an erster Stelle im Titel, wird jedoch nicht verwendet, wenn über diese Komödie im Kurztitel gesprochen wird. Sie firmiert dann als Der Mariage oder Die Hochzeit des Figaro. 555 Vgl. Schröder (2016), Figaro’s Heirath und Figaro’s Reue. 556 Le barbier de Séville ou La précaution inutile (1775). 557 In Le barbier de Séville ou La précaution inutile hatte Figaro bekanntlich dem Grafen dabei geholfen, Bartholos Pflegekind Rosine zu treffen und die beiden in letzter Minute mithilfe desjenigen Richters zu verheiraten, den Bartholo für seine eigene Hochzeit mit Rosine herbeibestellt hatte. 558 „Ach! so ein jungfräulicher Straus auf dem Kopfe eines schönen Mädchens ist am Hochzeitmorgen dem verliebten Auge des Bräutigams ein entzückender Anblick.“ (S I,1) Bei
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Durch diese Ausgangskonstellation ist das Schema der Heirat mit Hindernissen vorgegeben, das allerdings bereits närrisch verkehrt ist. Nicht nur nimmt der Graf, ein Adliger, die typischerweise komische Rolle des Widersachers559 ein und wird somit zum Objekt der Schadenfreude, während die Sympathieträger die Diener sind. Es gibt darüber hinaus noch zwei weitere komische Figuren, die sich einer Vereinigung von Figaro und Suzanne entgegenstellen: Die Alte Marcelline fordert von Figaro die Einlösung eines Eheversprechens als Gegenleistung für einen früheren Kredit, den dieser nun nicht zurückzahlen kann. Zudem unterstützt der Doktor Bartholo die Forderungen Marcellines, weil er sich an Figaro rächen möchte. Auch im Handlungsstrang um juristische Themen wird das Herr-Knecht-Verhältnis verkehrt, als Figaro versucht den Grafen durch eine öffentliche Bekräftigungszeremonie dazu zu bringen, dass er am Verbot des Herrenrechts, also des Rechtes auf die erste Nacht, festhält. Der Graf entzieht sich dem jedoch geschickt, trifft Anstalten Figaro nach seiner Hochzeit im Ausland zu beschäftigen, um bei Susanne wenigstens dann freie Bahn zu haben (vgl. S III,5) und will am liebsten auch die Hochzeit verhindern. Im Folgenden gelingt es jedoch dem Grafen weder die Hochzeit weiter hinauszuschieben, noch Susanne für sich zu gewinnen. Dies liegt an den Intrigen, die zuerst von Figaro, dann von seiner eigenen Frau gegen ihn gesponnen werden. Im Zuge dieser Intrigen entstehen syntagmatisch-komische Effekte durch die Wissensvorsprünge Figaros, Susannes und der Gräfin gegenüber dem Grafen, die ihn immer wieder zu Fehleinschätzungen der Situation führen. Um die Gefahr der Verführung auf lange Sicht zu bannen, ist es nötig, das Interesse des Grafen von Susanne ab- und wieder auf seine Frau, die Gräfin, hinzulenken. Diese klagt sehr über die Vernachlässigung durch den Grafen und Figaro ersinnt den Plan, dem Grafen den Wert seiner Frau wieder in Erinnerung zu rufen. Zu diesem Zweck spielt Figaro dem Grafen einen fingierten Brief in die Hände, in dem ein Liebhaber der Gräfin diese um ein Rendezvous bittet (vgl. S II,2). Es gelingt, den Grafen eifersüchtig zu machen, weil er bis zum Schluss den vermeintlichen Liebhaber immer am Werk vermutet. Gleichzeitig soll Susanne den Grafen zur Dämmerstunde in den Park bestellen, dort allerdings nicht selbst erscheinen, sondern an ihrer Stelle der in Susannes Kleidern steckende Page Cherubin (vgl. S II,1). Dieser Plan Figaros misslingt jedoch, weil der Graf die Gräfin und Susanne beim Verkleiden des Pagen Cherubin überrascht. Cherubin kann sich gerade noch in ein Kabinett retten, aus dessen Fens-
|| Beaumarchais hingegen ist nur die Rede von einem ‚bräutlichen Kopfschmuck‘ („chapeau de la mariée“, B I,1]. 559 Vgl. für diesen Hinweis bereits Warning (1980), Komödie und Satire, S. 552.
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ter er auf Anraten Susannes springt. Der Graf bricht kurz darauf die Tür zu diesem Raum auf, findet dort allerdings nicht den vermuteten Liebhaber, sondern nur Susanne. Das beruhigt die Eifersucht des Grafen jedoch keineswegs, sondern bestärkt seine Vermutung, man habe ihn an der Nase herumgeführt. Ein komischer Langzeiteffekt entsteht dann daraus, dass sich der Graf im Verlauf der Handlung immer wieder fragt, wer sich nun eigentlich in dem Kabinett verborgen gehalten hat. Dies geschieht auch im Rahmen von Monologen, in denen er sein Wissen zusammenfasst, das nicht kongruent mit dem Wissen der Rezipient*innen ist. Die Verkleinerung der Wissensdifferenz erzeugt zusätzlich Spannung. Auch diejenigen Stellen, an denen Figaro behauptet, er selbst sei in dem Kabinett versteckt gewesen, und in denen er sich in die lächerlichsten Widersprüche verstrickt, enthalten viel Sprach- und Situationskomik. Im Verlauf der Komödie werden die Heiratshindernisse für Susanne und Figaro aus dem Weg geräumt. Der wichtigste Schritt in diese Richtung ist Figaros rhetorisch geschickter Versuch sich in seinem Prozess gegen Marcelline von seiner Heiratsverpflichtung ihr gegenüber freizukaufen. Der Graf als oberster Gerichtsherr kann dagegen nichts unternehmen und als Susanne mit Geld erscheint, das sie von der Gräfin geschenkt bekommen hat, steht der Hochzeit nichts mehr im Weg. Der Gerichtsprozess ist komisch, weil die Wortklaubereien von Juristen auf die Schippe genommen werden und das Gericht aus einem käuflichen Gerichtsschreiber und einem stotternden Richter ohne jeden Durchblick besteht, der alles nachplappert. An diesem tollen Tag ist aber nicht nur der Diener der geschickteste Redner vor Gericht, sondern der Erfolg Figaros wird auch durch eine sehr konstruierte Familienzusammenführung direkt anschließend gleich wieder zunichte gemacht. Diese ist als „Parodie einer empfindsamen Anagnorisis“ aus dem Rührstück gestaltet.560 Figaro erfährt überraschend, dass Marcelline, die ihn zur Heirat mit sich zwingen möchte, seine Mutter ist und Doktor Bartholo sein Vater (vgl. S III,12). Figaro muss vor Rührung weinen, und kommentiert diese Tränen auch (vgl. S III,14). Soweit die typischen Ingredienzien eines Familienidylls, doch es zeigt sich schnell, dass auch dieses an den entscheidenden Stellen gebrochen ist. Zunächst geschieht das dadurch, dass Figaro eben gerade nicht die Natur sprechen hört und kein Glück empfindet: BARTHOLO. Das ist deine Mutter. Amme? FIGARO. BARTHOLO. Deine leibliche Mutter. […] MARCELLINE. (auf Bartholo zeigend). Das ist dein Vater. Mein Vater? – Au weh! Au weh! FIGARO.
|| 560 Wolf (1984), Ursprünge und Formen der Empfindsamkeit, S. 327.
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MARCELLINE. Die Natur muß es dir mehr als tausendmal gesagt haben. FIGARO. Nicht ein einzigesmal. (S III,12)
Darüber hinaus bleibt die Beziehung Figaros aus dem Vorgängerdrama präsent, da die Figur Bartholo dem Publikum aus dem Barbier von Sevilla in der Rolle des dottore bekannt ist. In dieser Rolle hatte er versucht die Heirat des Grafen mit seinem Mündel Rosine zu hintertreiben, weil er Rosine selbst begehrte. Figaro war in diesem Stück sein Gegner, der wesentlich dazu beigetragen hatte, dass Bartholo Rosine zuletzt doch nicht heiraten konnte. Bartholos Rachegelüste zeigen sich in La folle journée deutlich bereits bei seinem ersten Auftritt deutlich, als er Marcellines Heiratsansprüche gegenüber Figaro unterstützt (vgl. S III,4). Figaro spielt auf diese Relationen an, wenn er resumiert: War ich nicht um lumpigter hundert Thaler willen mehr als zwanzigmal im Begriff, den Herrn, der mein Vater seyn soll, tüchtig durchzuprügeln? Da aber der Himmel meine Tugend aus dieser Gefahr rettete, so vergeben Sie mir, mein lieber Vater! – Und Sie, meine Mutter, umarmen Sie Ihren Emanuel Figaro – so mütterlich als Sie können. (S III,12)
Gebrochen ist diese Familienzusammenführung auch deshalb, weil sich Bartholo keineswegs glücklich zeigt, seinen Sohn wiedergefunden zu haben und auch dessen Mutter nicht heiraten möchte. Figaro kommentiert seine Weigerung, indem er ihn als „Narr“ betitelt („Ich glaube, alle Narren von Andalousien sind gegen meine arme Heirath los!“ S III,15). Bartholo ist zwar kurz „gerührt“, als er von Marcelline und Susanne als „lieber, guter Papa“ angesprochen wird, spricht dann jedoch davon, dass er „seinen Nacken ins Joch beugen“ will und bezeichnet sich als „Dummkopf“, weil er selbst in die Verbindung mit Marcelline einwilligt (S III,15). Wolf, der zuerst auf die Anleihen Beaumarchais’ beim genre serieux verwiesen hat, sieht in diesen Szenen einen ständigen Wechsel von rührenden und belustigenden Elementen vorliegen. Die rührenden Elemente werden jedoch für die parodistische Intention funktionalisiert, so dass die Rührung durch die Inkongruenzen und die distanzierenden Verweise auf die Figurenrollen permanent durch Komik verhindert wird.561 Nachdem sich die Geldforderungen Marcellines erübrigt haben, steht der Hochzeit endlich nichts mehr im Weg. Die Gefahr, dass der Graf Suanne zu seiner Geliebten machen könnte, ist durch die Hochzeit allerdings noch nicht gebannt; zudem ist auch die Gräfin noch nicht wieder zu ihrem Recht gekommen.
|| 561 Vgl. Wolf (1984), Ursprünge und Formen der Empfindsamkeit, S. 329.
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Zwar ist der Graf jetzt eifersüchtig, aber er interessiert sich dennoch hauptsächlich für andere Frauen. Deshalb schmieden nun die Gräfin und Susanne einen Plan ohne Figaro einzuweihen (vgl. S II,19). Susanne soll den Grafen zu einem Rendezvous bitten, zu dem sich dann allerdings die Gräfin selbst, verkleidet als Susanne, einfindet, um den Grafen persönlich seiner Untreue zu überführen. Der Graf erklärt bei diesem Treffen der als Susanne verkleideten Gräfin, dass er die Gräfin noch liebt und sich nur etwas gelangweilt habe und macht der vermeintlichen Susanne Komplimente für ihr Aussehen. Die Gräfin gibt sich zu erkennen und zeigt dem Grafen, dass die Schönheit, die er verehrt, die ihre ist. Sie verzeiht ihm zum Schluss großmütig, als er sich für seine amourösen Abenteuer entschuldigt. Sowohl die Intrige Figaros als auch die der Gräfin zielen demnach darauf ab, den Grafen zu täuschen und nicht wenige komische Effekte resultieren daraus, dass er die Intrigen nicht durchschaut oder dass er sich mit seinen Vermutungen lächerlich macht. Immer wieder wird er zum Anlass für Schadenfreudekomik, weil er weder seine Triebe noch seine Eifersucht im Griff hat, nichts erreicht und zudem ständig zu manipulativen Zwecken von den anderen Figuren hintergangen wird. Eine Umkehrung der Verhältnisse an diesem Tag liegt demnach auch insofern vor, als der Graf, ein hoher Adliger, als verlachenswerter, erfolgloser Mari suborneur [gehörnter Ehemann] charakterisiert wird, der in erotischen Belangen hinter seinen Untergebenen zurückbleibt.562 Darüber hinaus wird er als Herrscher ohne Verfügungsgewalt und Durchblick dargestellt, der weder über seinen Diener noch über dessen Frau erfolgreich bestimmen kann, weil ihn das Rechtssystem an der Ausübung seiner Verfügungsgewalt als absoluter Herrscher hindert. Zu den Intimitäten, die er auch im Hinblick auf ein späteres Mätressendasein Susannes anzubahnen sucht, kommt es im Verlauf der Handlung nicht (vgl. zum Beispiel S I,8). Der Graf verliert nicht nur gegen Figaro, sondern bleibt hinsichtlich der erotischen Beziehungen sogar hinter dem pubertierenden Pagen Cherubin zurück. In zahlreichen Situationen, an denen Cherubin beteiligt ist, wird der Graf in seiner Position geschwächt, indem er hinters Licht geführt, in seiner Eifersucht vorgeführt oder übervorteilt wird. Durch diese Übertreibung und im Kontrast zu den herrschenden Normen ist Cherubin ausschließlich komisch. Tatsächlich geraten bei fast allen Figuren der Komödie die Empfindungen des Begehrens und der Eifersucht außer Rand und Band. Der eben bereits erwähnte Cherubin ist zum Beispiel fast ausschließlich mit seinem Begehren be-
|| 562 Der ursprüngliche Titel der Komödie sollte bekanntlich L'Epoux suborneur lauten (B, Préface).
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schäftigt und löst auf vielfältige Weise Eifersucht aus. Anfangs soll er vom Grafen fortgejagt werden, weil er mit seiner jungen Cousine Fanchette angebandelt hat, die auch der Graf begehrt (vgl. S I,7). Cherubin erzählt Susanne von dieser Szene des Begehrens, schwärmt aber zugleich für seine Patin, die Gräfin, und macht auch Susanne Komplimente.563 Sein sprechender Name, der auf den Cherubim als Zwitterwesen aus Engel und Mensch verweist, soll im übertragenen Sinn offensichtlich einen Zustand zwischen Kind und Erwachsenem kennzeichnen, den pubertären Zustand, in dem man sowohl hinsichtlich der eigenen Identität als auch hinsichtlich des eigenen Begehrens verwirrt ist. Cherubin gesteht: [I]ch weiß selbst nicht mehr, was ich bin. Seit einiger Zeit ist meine Brust so beklommen. Mein Herz schlägt ungewöhnlich bei dem bloßen Anblick eines Frauenzimmers; und die Nothwendigkeit, jemandem zu sagen: ich liebe dich! Ist bei mir so dringend geworden, daß ichs laut und überall sage. Fanchetten, meiner Pathe, dir, den Bäumen, den Wolken, den Winden, die meine verlorenen Worte fortführen. Sieh! Neulich begegnete ich Marcellinen. (S I,7)
Dass sich Cherubins Begehren auf alle weiblichen Wesen, ja sogar auf die Natur ausweitet, wirkt komisch durch die Übertreibung. Hinzu kommt die Pointe, dass er zum Schluss sogar Marcelline, die Alte, begehrt, und dies wie folgt begründet: „Nun, sie ist ein Frauenzimmer, ein Mädchen!“ (ebd.). Cherubin reiht sie hier, in Opposition zu den erwartbaren abfälligen Bemerkungen über ihre mangelnde Attraktivität als alternde Frau, mit der Bezeichnung „Mädchen“ in die Reihe der begehrenswerten jungen Frauen ein. Nach dieser Zuspitzung seiner Schwärmerei in dieser Pointe, die durch die Inkongruenz zwischen Objekt und Begehren gekennzeichnet ist, wechselt er wieder zu einem allgemeinen Schwärmen: „Ein Frauenzimmer! Ein Mädchen! Ach wie süß und interessant sind diese Namen!“ (ebd.) Susanne quittiert dies mit der Bemerkung, er sei nun wohl „närrisch“. Cherubin wechselt jedoch nicht nur zwischen kindlichen und erwachsenen Verhaltensweisen, sondern auch zwischen weiblicher und männlicher Rolle, zwischen begehrtem und begehrendem Objekt. Dadurch schafft er beständig neue Begehrens- und Konkurrenzrelationen. Anlässlich seiner Verkleidung zum Beispiel wird Cherubin, der kurz zuvor noch erklärt hatte, alle Frauen zu begehren, nun selbst in ein Objekt des Begehrens verwandelt, das
|| 563 Susanne fasst das wie folgt zusammen: „Nicht übel! Man überrascht ihn bei ihr; er seufzt für die Gräfin, und um das Kleeblatt voll zu machen, stellt er sich auch in mich verliebt.“ (S I,26).
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den Grafen in die Irre führen soll. Susanne reagiert darauf – zum einzigen Mal im Stück – eindeutig maskulin, indem sie ihrem Wunsch, er möge nun die Romanze für die Gräfin singen, durch Erpressung und eine aggressive Geste Ausdruck verleiht und sich damit in die Rolle des überlegenen Mannes begibt, der einen unterlegenen zu etwas zwingt: „Susanne (ihm die Faust unter die Nase haltend). Ich sag’ alles wieder, Taugenichts.“ (S II,4) Kaum sind jedoch durch die Verkleidung Cherubins weibliche Züge betont, erscheint er Susanne prompt als weibliche Konkurrentin und sie wird eifersüchtig auf ihn: Sehn Sie nur den kleinen Wechselbalg – Was er für ein hübsches Mädchen ist. Ich könnt’ ihn beneiden, ich! (ihm unter das Kinn greifend) Will er wohl die Güte haben, weniger hübsch zu seyn? (S II,6)
Trotz ihrer Rolle als weibliche Konkurrentin verhält sich Susanne erneut männlich ihm gegenüber, indem sie ihm ans Kinn greift und ihm droht. Sie weist ihn auch darauf hin, dass sie beinahe so stark ist wie er. Kurz darauf wechselt Cherubin dann allerdings zur Rolle des vorwitzigen jugendlichen Liebhabers und küsst Susanne rasch, so dass dieser nun die Rolle der Begehrten zukommt (vgl. S II,12). Auch die Gräfin ist für die Reize Cherubins empfänglich und findet ihn in verschiedenen Rollen interessant. Wenn sie ihn beim Verkleiden berührt, schweigend genießt, dass er lange vor ihr kniet und wenn sie seine Wunde verbindet, erscheint er ihr als begehrenswerter junger Mann (vgl. S II,6; 6–9). Anschließend tröstet sie ihn dann allerdings wie ein Kind und trocknet seine Tränen (vgl. S II,9). Als er später, von Fanchette in ihre Riege junger Mädchen eingegliedert, zur Gräfin kommt, hält sie ihn für das schönste der Mädchen, erkennt ihn nicht und küsst ihn auf die Stirn. Cherubin errötet und interpretiert die Begegnung erotisch, indem er den Kuss als etwas beschreibt, das in ihn eindringt: „Ach, der Kuß drang tief.“ (S IV,4) Indem Cherubin und nicht der Graf bei den Frauen erfolgreich ist, kommt es auch hier zu einer komischen Umkehrung der Verhältnisse zwischen Graf und Pagen, zwischen Herr und Knecht, zwischen Erwachsenem und Jungendlichem: Susanne, Fanchette und die Gräfin zeigen Interesse an Cherubin, die Gräfin küsst ihn und Cherubin gelingt es, Susanne zu küssen. Noch dazu kann er mit Fanchette diejenige Frau heiraten, für die der Graf neben Susanne ebenfalls ein starkes Interesse bekundet hatte. Der Graf wird hingegen nur von seiner eigenen Frau begehrt. Der einzige Kuss, den er im Stück bekommt, ist ironischerweise einer von Cherubin. Er empfängt ihn stellvertretend für Susanne, als er beim nächtlichen Rendezvous am Ende der Komödie durch unvermitteltes Dazwischentreten einen Kuss Cherubins abfängt, der eigentlich für Susanne gedacht
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war. Verbal gipfelt die Umkehrung der Verhältnisse zwischen Herr und Knecht darin, dass Cherubin imaginiert an der Stelle des Grafen zu stehen. Als er glaubt, Susanne beim Warten auf ein Rendezvous mit dem Grafen erwischt zu haben, schlägt auch er, ganz Hofmann, eine Vertauschung zu erotischen Zwecken vor: „Du nimmst der Gräfin Platz beim Grafen; ich des Grafen Platz bei dir. Niemand kommt schlecht weg, als Figaro.“ (S V,2) Dazu kommt es zwar nicht, der Graf wird jedoch vor allem am Schluss in seinem Begehren vorgeführt, weil man ihn zu einem Rendezvous mit Susanne lockt, zu dem stattdessen die Gräfin erscheint. Neben der Verkehrung der Verhältnisse, ist ein weiteres tolles Element die Eifersucht, die außer Rand und Band geraten ist. Figaro weckt die Eifersucht des Grafen mit seiner ersten Intrige, indem er einen Liebhaber erfindet und einen Brief von diesem an die Gräfin fingiert. Der Graf vermutet daraufhin während der gesamten Komödie einen Liebhaber der Gräfin, findet allerdings wiederholt nur Cherubin in ihrer Nähe vor. Lange Zeit beschäftigt ihn die Frage, wer sich im Kabinett versteckt hat und er glaubt auch dann nicht, dass es nur Cherubin war, als man ihm das endlich gesteht. Zum Schluss meint er dann in Figaro den Liebhaber der Gräfin gefunden zu haben, als er diesen dabei belauscht, wie er Susanne in den Kleidern der Gräfin eine Liebeserklärung macht. Dies ist übrigens die einzige Stelle, an der sich Figaro tatsächlich selbst verstellt, um den Grafen hinters Licht zu führen. Ansonsten überlässt er die Verstellung den Frauen. Darüber hinaus machen sich auch Susanne und Figaro durch ihre Eifersucht lächerlich. Bei Susanne geschieht dies mithilfe von Situationskomik, weil sie just in dem Moment hinzukommt, als Figaro seine wiedergefundene Mutter Marcelline umarmt. Sie ohrfeigt Figaro wütend für den Betrug, den sie hier zu sehen glaubt, ist allerdings zuvor und anschließend nicht eifersüchtig. Figaros Eifersucht wird hingegen bereits zu Beginn der Handlung geweckt und er schmiedet schon in der zweiten Szene Pläne, um seine Frau zu verteidigen und dem Grafen eins auszuwischen. Er beschließt die Hochzeit zu beschleunigen und „die Leidenschaften des Grafen bei der Nase herum[zuführen]“ und sein Geld und Silber zu bekommen – was ihm übrigens zum Schluss alles gelungen sein wird, obwohl es zwischenzeitlich nicht danach aussieht (S I,2). Als er zu seinem zweiten, langen Monolog ansetzt, hat er dann tatsächlich einen Anlass für seine Eifersucht, weil er meint, dass Susanne eingewilligt hat sich mit dem Grafen zu treffen. Nach einem kurzen Lamento über Susanne setzt er zum Angriff gegen den Grafen an. „Wenn man ein großer Herr ist, ist man noch lange kein großer Geist.“, schleudert er dem imaginierten Grafen entgegen und wirft ihm dann vor, dass er sich nichts von dem, was er habe, also weder „Vermögen,
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[noch] Rang, [noch] Würde“ verdient habe, dass es ihm vielmehr bereits qua Geburt zugekommen sei. Er schließt mit den Worten: „[Sie] sind übrigens ein ganz gewöhnlicher Mensch“. Entschärft werden die Vorwürfe allerdings umgehend dadurch, dass Figaro entschlossen versucht den Grafen als Liebhaber seiner Frau schlecht zu machen und sich selbst einredet, ihn durch seine außergewöhnliche Klugheit ausschalten zu können. Figaro fährt fort: „unterdessen ich […] zur bloßen Subsistenz mehr Wissenschaft und Berechnung anwenden mußte, als man seit hundert Jahren nöthig hatte, alle Königreiche Spaniens zu regieren – Und sie wollen es mit mir aufnehmen, mit mir?“ Der Hinweis auf Figaros eigene Kenntnisse und taktische Fähigkeiten wirkt allein schon deshalb komisch, weil Figaro mit seinen Intrigen bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts erreicht hat. Die folgende, überlange Erzählung der Lebensgeschichte Figaros trägt in ihrer Abenteuerlichkeit, in ihren Übertreibungen und in ihren schnellen Glückswechseln deutlich pikareske Züge. Seine Versuche das große Geld zu machen, scheitern nach seiner Darstellung immer an der Gewinnsucht der anderen oder an politischen Vorgaben. Als Arzt am Hungertuch nagend, versucht er sich zunächst als Komödienschreiber, dann als Verfasser volkswirtschaftlicher Schriften, als Herausgeber eines Journals, das von der Zensur grotesk gegängelt wird, später als Croupier. Reüssieren kann er schließlich nur in seinem ursprünglichen handwerklichen Beruf als Barbier. Der Monolog ist als Rede einer lächerlichen Narrenfigur gestaltet, die gesellschaftliche Missstände zwar benennt, vor allem jedoch in ihrem Scheitern, ihrem jammernden Aufbegehren gegen die herrschenden Verhältnisse und nicht zuletzt in ihrer Eifersucht komisch ist. Figaros Ausführungen enden mit einer selbstmitleidigen, pathetischen Klage über Susannes Betrug. An dieser Stelle der Komödie scheint das ursprüngliche Verhältnis von Herr und Knecht wiederhergestellt zu sein, weil Figaro glaubt, der Graf sei bereits heimlich mit Susanne intim gewesen. Um die tolle Verkehrung über die gesamte Handlung hinweg aufrechtzuerhalten, muss Beaumarchais demnach in dem Moment, als Figaro glaubt, seine Verlobte an seinen Herrn verloren zu haben und nicht mehr handlungsfähig zu sein, die Umkehrung des Herr-KnechtVerhältnisses auf verbaler Ebene durch Abwertung des Grafen und Erhöhung Figaros durch Größenwahn und Angeberei gestalten. Letzteres geschieht in Figaros Monolog. Auf diesen Monolog zu verzichten, würde zum einen bedeuten, dass die Thematik der Tollheit nicht lückenlos gestaltet ist. Zum anderen entfielen einige besonders komische Stellen, die sowohl mit Übertreibungen als auch mit der ständigen, inkongruenten Verkehrung der Verhältnisse von Herr und Knecht arbeiten. Schröder behält den Monolog künstlerisch folgerichtig
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sowohl in der vieraktigen Fassung für Altona als auch in der fünfaktigen für Hamburg bei und schätzt die adelskritischen Stellen adäquat als unproblematisch ein. Im dänischen Altona herrscht eine weitgehende Presse- und Publikationsfreiheit und es ist bekannt für sein tolerantes Klima, in dem zahlreiche politische und religiöse Flüchtlinge Unterschlupf finden.564 In Hamburg lässt sich die Toleranz gegenüber adelskritischen Positionen wohl damit begründen, dass Hamburg als freie Reichsstadt nicht um einen Hof zentriert ist. Adelig zu sein ist hier sogar ein Grund, um von der politischen Partizipation ausgeschlossen zu werden, weil Adlige in Hamburg nicht in den Senat gewählt werden können, da man Interessenkonflikte befürchtet.565 Gut begründen lässt sich deshalb die durchgängige Präsenz von Komödien im Hamburger Spielplan, die die Adelssucht von Bürgern thematisieren, die sich Titel erkaufen (wollen) und auf lächerliche Weise bestimmte Aspekte des adeligen Lebens kopieren.566 Adelskritik ist demnach kein Problem, aber offenbar auch nichts Bemerkenswertes, weil man in den Rezensionen darauf nicht eingeht und ausschließlich den Unterhaltungswert der Komödie betont.567 Schröders Gestaltung des Spielplanes in Hamburg lässt zudem erkennen, dass die Positionierung im Spielplan, die Akzentuierung bestimmter Themen und die Wahl der Formen der Komik die entscheidenden Auswahlkriterien sind, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Schröder übernimmt 1786 zum zweiten Mal die Direktion des Comödienhauses am Gänsemarkt. Nach dem Tod seines Stiefvaters, der das Theater 1765 gebaut hatte, hat er das Theater bereits von 1771 bis 1780 zusammen mit seiner Mutter, Sophie Charlotte Ackermann, geleitet.568 Zwischen 1780 und 1785 ist er in Wien am Burgtheater als Schauspieler, Autor, Bearbeiter und Berater bei der Spielplangestaltung tätig. Aus der Analyse seiner Tätigkeit in Wien wissen wir, dass sich die Beurteilung fremder dramatischer Werke und seine eigenen Bearbeitungen fast ausschließlich an dramaturgischen und wirkungsästhetischen Kriterien orientieren, so dass man davon ausgehen kann, dass er Komik, die er
|| 564 Altona hat sich immer als offene Stadt verstanden. Auch Angehörige von Minderheiten, die aus wirtschaftlichen Gründen von anderen Orten vertrieben wurden, siedeln sich in Altona an (etwa holländische Reformierte, Hugenotten, Mennoniten, Juden und unzünftige Handwerker). 565 Vgl. Kopitzsch (1982), Grundzüge einer Sozialgeschichte, S. 122. 566 In diesem Zusammenhang werden übrigens auch die Kaufmannshäuser thematisiert, die ansonsten nicht gerade gehäuft vorkommen. 567 Vgl. Birkner (2016b), ‚Bürgerliches‘ Theater in Hamburg, S. 482. 568 Die drei Intendanzen Schröders am Hamburger Stadttheater umfassen die Jahre 1771– 1781, 1786–1798 und 1811–1812 (vgl. Jahn [2016], Bühne und Bürgertum, S. 10, Fn. 8).
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nicht streicht, für zentral hält.569 Bei der Eröffnung seiner zweiten Spielzeit am Hamburger Stadttheater 1786 ist er bestens darüber informiert, was man in Hamburg während seiner Abwesenheit mit Erfolg gespielt hat.570 Es ist sein Wunsch, an das Nationaltheaterexperiment von 1767 bis 1769 anzuknüpfen und das Theater zu einer ‚moralischen Anstalt‘ zu machen. Aus diesem Grund plant er, sich aufs Sprechtheater zu konzentrieren, muss aber schon im Herbst 1786 auch Singspiele ins Programm aufnehmen.571 Hier greift er geschickt auf Erfolgsnummern aus Wien von hoher Qualität zurück, wie weiter unten im Zusammenhang mit der Aufführung von Le nozze di Figaro in Hamburg noch zu erläutern sein wird. Für die Auswahl von Beaumarchais’ La folle journée spricht sicherlich auch, dass die Komödie Gelegenheit für einige Musiknummern bietet, die in der damaligen Vertonung bereits zu seinem Ruhm beitragen. Dies beweist unter anderem der kontinuierlich auf allen Theaterzetteln zu Brandes’ Fassung seit der fünften Aufführung (am 14. Juni 1786) zu findende Hinweis auf das käuflich erwerbbare Notenmaterial zur Romanze Cherubins.572 Insgesamt lässt sich in Schröders Repertoiregestaltung und Bearbeitungspraxis eine eigene Strategie erkennen, die theaterpraktische Notwendigkeiten geschickt mit einer bestimmten Kombination von prodesse und delectare verbindet.573 Beim Vergnügen setzt er auf Freude an der Wiedererkennung von künstlerischen Elementen. Auf diese Akzentsetzung hat bereits Schröders erster Biograph, Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer, hingewiesen. Meyer erwähnt zunächst die theaterpraktischen Bedingungen, die Schröder dazu bewegen, nur wenige Stücke mit vielen und/oder wechselnden Dekorationen in einer Spielzeit zu geben, erwähnt anschließend aber auch ästhetische Kriterien:
|| 569 Vgl. Hadamczik (1961), Friedrich Ludwig Schröder. 570 Schröder hat seine Mutter während seiner Wiener Zeit mindestens drei Mal besucht und auch Gastspiele in Hamburg gegeben (vgl. Maurer Zenck [2005a], Musiktheater um 1800, S. 21). 571 Vgl. Maurer Zenck (2006), Theaterdirektor Friedrich Ludwig Schröder, S. 7. 572 „Die so beliebte Romanze aus Figaro’s Hochzeit ist im Original-Clavier-Auszug, einzeln, auf Schreibpapier gedruckt bey Herrn Hanke im Opernhof und bey der Casse für acht Schillinge zu haben.“ (http://www.stadttheater.uni-hamburg.de/system/files/1785-06-14.pdf [zuletzt aufgerufen am 27.07.2021]). 573 Die Forschung zu Schröder hat sich mit seiner Spielplangestaltung lange Zeit nur punktuell beschäftigt. Der Schwerpunkt lag bisher vor allem auf Schröders Verdienst, Shakespeare auf der deutschen Bühne etabliert zu haben (vgl. Häublein [2005], Die Entdeckung Shakespeares, S. 56–93; Malchow [2016], Der Hamburger Kaufmann von Venedig). Vgl. nun jedoch jüngst für Hamburg Košenina/Jahn (2017), Friedrich Ludwig Schröders Hamburgische Dramaturgie, S. 139–206). Für die Zeit am Wiener Burgtheater bietet Hadamczik ([1961], Friedrich Ludwig Schröder einen Ausgangspunkt.
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Aber Schröder bezweckte, bei der Ordnung der Stücke, die er wohl für ein ganzes Jahr im Voraus entwarf, und von der er ungern abwich, außerdem noch eine ästhetische Absicht, die Zuschauer ins Auge faßte, welche das Theater häufig besuchen. Er wollte Schauspielen, auf die er Wert legte, dadurch zu Statten kommen.574
Jahn zeigt am Beispiel von Schröders eigenen Werken aus der Zeit in Wien und aus seiner zweiten und dritten Intendanz am Hamburger Stadttheater, wie wichtig es für Schröder ist, explizit oder implizit auf die Theatertradition anzuspielen.575 Im Portrait der Mutter oder die Privatkomödie (1786) tut Schröder dies beispielsweise explizit, indem er in einem Spiel im Spiel eine Komödie in Anlehnung an die Handwerkerkomödie aus Shakespeares A Midsummernight’s Dream geben lässt. In anderen Komödien gestaltet Schröder Reflektorfiguren, die die Wirkungen etwa von Elementen des Rührenden Lustspiels oder das Verlachen exemplarisch und stellvertretend für den Zuschauer erleben. Mit Figaro’s Heirath kann Schröder dann an eine Komödie anschließen, deren fiktionale Welt bereits bekannt ist:576 Beaumarchais Vorgängerstück Le barbier de Séville ou La précaution inutile (1775). Diese Komödie setzt Schröder in der Übersetzung von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann mit Musik von Friedrich Ludwig Benda unter dem Titel Der Barbier von Sevilla, oder die unnütze Vorsicht 1777 auf den Spielplan. Sie wird bis zur Premiere von Figaro’s Heirath im Juli des Jahres 1787 31 Mal unter Schröder, weitere fünf Mal unter anderen Direktoren gegeben. Schröder setzt sie dann bei seiner Rückkehr aus Wien 1786 umgehend für den 23. und 28. November 1786 und auch drei Monate vor der Premiere seiner Figaro-Fassung am 16. April 1787 erneut auf den Spielplan.577 Für die letztgenannte Aufführung ist ein Theaterzettel erhalten, der belegt, dass er selbst den Bartholo spielt.578 Der Graf Almaviva ist in dieser Komödie in Rosina, die Adoptivtochter Doktor Bartolos, verliebt und möchte zu Beginn um ihre Hand anhalten. Aus diesem
|| 574 Meyer (1819), Friedrich Ludwig Schröder, Bd. II, S. 402 f. 575 Jahn (2017b), Unterhaltung als Metatheater. 576 Er selbst versucht sich 1783 mit der Adelheid von Salisbury in einer Fortsetzung der Emilia Galotti (vgl. Jahn [2017b], Unterhaltung als Metatheater, S. 30–33). 577 Vgl. DBBB. Diese Komödie wird – immer in dieser Fassung und niemals in der Musiktheaterfassung – bis 1814 insgesamt 70 Mal gegeben (vgl. DBBB). Der Barbier scheint damit in Hamburg auf den ersten Blick wesentlich erfolgreicher gewesen zu sein als der Figaro. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass die Mozart-Oper den Sprechtheater-Figaro schnell verdrängte, ist der Figaro-Stoff der erfolgreichere: Von 1791–1814 wurde Knigges Fassung von Le Nozze di Figaro, Figaro’s Heyrath 64 Mal gegeben, bis 1850 sogar insgesamt 148 Mal (vgl. DBBB). 578 Vgl. DBBB, Einträge vom 16. April 1787 und vom 11. Oktober 1787.
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Grund reist er nach Sevilla und bittet seinen ehemaligen Diener Figaro, der dort jetzt als Barbier arbeitet, um Hilfe. Allerdings drängt die Zeit, da Bartolo Rosina selbst bereits am nächsten Tag ehelichen möchte. Mit Figaros Hilfe gelingt es dem Grafen, Rosina als Musiklehrer verkleidet zu besuchen und sie auch dann von seinen ehrlichen Absichten zu überzeugen, als man ihr weismachen möchte, er habe sie entführen lassen. Figaro ist darüber hinaus entscheidend daran beteiligt, dass die Hochzeit noch kurz vor der Rückkehr Bartolos vollzogen werden kann. Wie bereits erwähnt, treten die Figuren der Rosina, des Grafen, Figaros und Bartholos in Figaro’s Heirath dann erneut auf. Figaro kümmert sich auch hier um die Beziehung des Grafen zu Rosina, die jetzt die Gräfin Almaviva ist. Wie oben bereits dargestellt, wird der Graf nun allerdings auch selbst zum Heiratshindernis. Verbunden sind die beiden Komödien demnach durch das Thema der Heirat mit Hindernissen und die Bedrohung der ehelichen Verbindung. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Schröder bei seiner Übersetzung von La folle journée die Darstellung des Grafen als übervorteilter, verführerischer und eifersüchtiger Ehemann beibehält und auch den Monolog von Figaro nicht weglässt, da dieser ebenfalls auf die Vorgeschichte aus dem Barbier anspielt. Zudem ist zu beachten, dass Schröder den Monolog etwas weiter vorne platziert als in La folle journée. Bei Schröder folgt er nun direkt auf eine Unterhaltung mit Marcelline, die Figaro daran erinnert, dass er behauptet habe, vor Eifersucht gefeit zu sein. „Eifersucht ist eine Krankheit der Narren. In dem Punkte hab ich eine unerschütterliche Philosophie. Sollte mich Susanne hintergehn, so vergeb ich ihr –“ (vgl. S IV,15 beziehungsweise zuvor in IV,13) – so zitiert Marcelline Figaro, der gerade erkannt zu haben meint, dass sich seine Braut während der Trauungszeremonie zu einem nächtlichen Rendezvous mit dem Grafen verabredet hat. Bei Beaumarchais hält Figaro seinen Monolog etwas später, und zwar nachdem er fast alle anderen Figuren herbeizitiert hat, damit sie als Zeugen der Verführung Susannes durch den Grafen anwesend sind. Im Vordergrund steht deutlich seine Absicht den Grafen vorzuführen. Schröder hingegen stellt Figaro ins Zentrum und zwar als lächerlich-eifersüchtigen Verlobten. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Thematisierung von Untreue und Eifersucht ein Schwerpunkt von Schröders Gestaltung des prodesse, des moralischen Nutzens der gespielten Werke ist. Um diese Intention nicht zu stören, kürzt Schröder zudem einige Anzüglichkeiten in Figaro’s Heirath. Gestrichen hat Schröder beispielsweise Stellen mit sexuellen Anspielungen: Nach Cherubins Beichte, dass er jedes Frauenzimmer begehre, hat Schröder einen Satz von Cherubin getilgt, der klar sagt, dass es Lust ist, die Cherubin verwirrt: „les mots amour et volupté le font tressaillir et le troublent“ („Die Worte ‚Liebe‘ und ‚Wollust‘ allein ma-
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chen mich schaudern und bringen mich außer mir“) (S I,7). Auch spricht Cherubin bei Beaumarchais nicht von einer beklommenen, sondern von einer – möglicherweise vom erregten Atem – bewegten Brust („poitrine agitée“) (Seit einiger Zeit fühle ich mich ganz seltsam erregt) (ebd.). Im zweiten Akt fehlt bei Schröder eine kleine Flirterei von Susanne mit Cherubin, für die Susanne von der Gräfin kühl zurechtgewiesen wird. (S II,6) Die Tendenzen der Moralisierung sind charakteristisch für die Schröder’schen Bearbeitungen französischer Dramen. Die Schicklichkeit des Bühnengeschehens ist für ihn zentral. Er ändert erotische oder zweideutige Passagen häufig ab oder tilgt sie gänzlich wie zum Beispiel Hinweise auf tatsächlich gehörnte Ehemänner.579 Eifersüchtige Ehemänner finden sich zum Beispiel auch noch in anderen Komödien, die im Jahr zuvor oder im selben Jahr auf dem Spielplan zu finden sind. Zu nennen ist etwa Benjamin Hoadleys The Suspicious Husband (ED 1747), das Schröder in der Bearbeitung Friedrich Wilhelm Gotters unter dem Titel Der argwöhnische Ehemann (ED 1778) am 24. April 1786 und am 16. Mai 1786 spielen lässt.580 Zudem wird am 5. Juli 1787 Arthur Murphys All in the wrong bearbeitet von Schröder selbst unter dem Titel Die Eifersüchtigen, oder: Keiner hat Recht gegeben.581 Neun Tage nach Figaro’s Heirath setzt Schröder die Komödie Der eifersüchtige Ungetreue, seine Bearbeitung von Le jaloux sans amour von Barthélemy Imbert auf den Spielplan.582 Die Komödie war zuletzt vier Mal 1782 gegeben worden und Schröder lässt sie nun am 18. Juli 1787 erneut spielen. In diesem Werk hat Graf Sternheim eine Mätresse, in die er verliebt ist und eine Ehefrau, auf die er eifersüchtig ist. Sternheim verdächtigt seine Ehefrau ein Verhältnis mit einem anderen Mann zu haben. Als er sie dann tatsächlich mit einem Mann ertappt, sieht er sich bestätigt. Es stellt sich allerdings heraus, dass die amouröse Begegnung Teil einer heimlichen Komödienprobe für den Geburtstag ihres Mannes war. Die moralische Belehrung des Publikums ist explizit gestaltet, da der Graf am Ende einsieht, dass er nicht aus Liebe eifersüchtig war. Das Thema der Eifersucht wird auf der Ebene des – ausnahmsweise bereits verheirateten – Dienerpaars auch komisch gespiegelt. Dadurch ergibt sich eine Parallele zum Figaro. Schröder nimmt zudem durch die Titelverschiebung eine Umakzentuierung in der Thematik vor, die die Nähe zum Figaro ebenfalls ver-
|| 579 Vgl. Detken (2017), Schröders Feigenblatt, S. 124 oder auch Schmaus (2017) Ökonomie und Familie zu dieser Vorgehensweise bei anderen Bearbeitungen. 580 Vgl. DBBB. Es ist bereits 1777 mit Erfolg in Hamburg zu sehen. 581 Zuerst gegeben am 12. Mai 1786, danach noch drei Mal bis zu Figaro's Hochzeit. 582 Erstmals aufgeführt am 15. Juli 1782, dann erneut am 18. Juli 1782, am 4. September 1782, am 1. November 1782 und dann wieder am 18. Juli 1787.
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deutlicht. Er wählt nicht den Titel Der Eifersüchtige ohne Liebe, sondern Der eifersüchtige Ungetreue. Während es bei Imbert um eine Unterscheidung von richtiger, das heißt liebesbedingter, und falscher Eifersucht ‚sans amour‘ geht, stehen bei Schröder Untreue und Eifersucht gleichermaßen im Fokus, wie auch später in Figaro’s Heirath.583 Durch einige Streichungen und Hinzufügungen Schröders ist auch eine klare Umakzentuierung vom Konversationsstück mit hohem Komikanteil, als das sich das französische Original präsentiert, zu einer moralischen Rührkomödie gegeben.584 Dazu gehört vor allem der Versuch den Grafen Sternheim durch eine Intrige zu bessern und ihn von Untreue und Eifersucht zu kurieren. In der Bearbeitung Schröders wird ferner die Dienerin von der kokettierenden Soubrette zur moralischen Wächterin. Zugleich ist die Mätresse deutlicher als käuflich dargestellt, was zu einer stärkeren Kontrastierung der beiden führt. Nimmt man noch ein drittes Werk hinzu, so wird noch deutlicher, dass Schröder durch diese Spielplankontextualisierung auch in Figaro’s Heirath den untreuen und eifersüchtigen Ehemann akzentuieren will. Gemeint ist das Nachspiel Le repentir de Figaro (1785) von Pierre-Germain Parisau, das Schröder unter dem Titel Figaro’s Reue übersetzt.585 Es handelt von einem Ehemann, der von seiner Eifersucht geheilt ist, enthält somit diejenige moralische Besserung, die Figaro’s Heirath gerade nicht zeigt. In diesem Nachspiel ist Figaro rasend vor Eifersucht und möchte die Heirat mit Susanne bereits wieder auflösen. Er erkennt jedoch auch hier am Ende des Dramas, dass Susanne ihm ausnahmslos treu war. Der Einakter beginnt damit, dass Cherubin der seit zwei Jahren mit Figaro verheirateten Susanne einen Besuch abstattet und versucht sie zu verführen. Er wird prompt bereits in der ersten Szene erneut in ein Kabinett gesperrt, springt wiederum aus dem Fenster und ist auf diese Weise auch diesmal nicht gefangen, als Figaro den Schlüssel von außen abzieht. Nachdem er zu einem Fenster wieder hineingeklettert ist, versteckt er sich von der zweiten bis
|| 583 Vgl. zu Schröders Imbert-Bearbeitung hier und im Folgenden: Detken (2017), Schröders Feigenblatt. 584 Vgl. Bohnengel (2017), „Das hohe, das wahre Tragische“ und Detken (2017), Schröders Feigenblatt. 585 Schröder spielte darin übrigens auch selbst den Figaro. Zum Original von Parisau vgl. Wilhelm (2007), Figaro im Dutzend, S. 77–86. Die Schrödersche Übersetzung ist als Soufflierbuch erhalten. Parisau, Pierre Germain de: Figaro’s Reue. Lustspiel in einem Aufzuge / nach dem Französischen des Parisau, von F. L. Schröder. o. O., [nach] 10. Decembr 1785. [Ms. mit eigenh. Erg. Schröders und Streichungen sowie mit einer Rollenübersicht] [SUB TheaterBibliothek 237]; neu ediert in Schröder (2016), Figaro’s Heirath und Figaro’s Reue, S. 145–162; zur Beschreibung der Handschrift vgl. a. a. O., S. 8–11.
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zur elften Szene in einem riesigen Koffer auf der Bühne vor Figaro. Susanne fordert von Figaro, der sie mit seiner Eifersucht quält, „Vertrauen, Achtung und Zuneigung“ ein (2. Szene). Diesmal verteidigt sie sich gegen seine Vorwürfe allerdings mit einer Flucht nach vorn: Sie fordert Figaro auf, im Kabinett nach dem vermuteten, versteckten Liebhaber zu suchen. Der anschließend herbeigerufene Graf wird von Susanne und Figaro einvernehmlich um die Scheidung gebeten. Figaro wirft Susanne „Eigensucht, Bosheit, Herrschsucht, Unverschämtheit und Loquetterie“ vor (8. Szene), „Liebeshändel“ schließt er hingegen explizit aus. Susanne begründet ihren Scheidungswunsch damit, dass Figaro ihr mit seinen Launen und seiner Eifersucht beschwerlich falle. Als die Scheidung vollzogen werden soll, erfährt der Graf durch einen Brief, dass Cherubin mit seiner Frau, der Gräfin, in einem Pavillon bei Mondschein gesichtet wurde. Kurz darauf erscheint Antonio, der sich darüber beschwert, dass Cherubin seiner Tochter Fanchette im Wald nachgestellt habe, und wenig später tritt Bartholo auf, der von einem Verhältnis Marcellines mit dem Pagen berichtet. Der Graf fragt auch in diesem Einakter einmal mehr: „Hör’ ich denn nur immer von dem verdammten Cherubin sprechen?“ (12. Szene). Als Figaro Cherubin im Koffer entdeckt, versichert Susanne man habe dies aus „Furcht, [s]eine Zärtlichkeit zu entrüsten“ getan und es sei nur „eine Spielerey“ gewesen (13. Szene). Figaro glaubt ihr und sagt „Vergieb! Nimm mein Herz wieder, und gieb mir deins zurück.“ (13. Szene) Diese empfindsame Rückbesinnung auf die Liebe wird jedoch dadurch in Frage gestellt, dass Figaro mit einem Mal von der Eifersucht ins andere Extrem verfällt und dass Figaro den Pagen dazu einlädt, bei ihnen zu wohnen: [I]ch will dich ohne Furcht aufnehmen. Bin ich gleich vor dir nicht sicher du Spitzbube, so bin ich es doch vom Herzen meiner Susanne, das ist genug zu meiner Beruhigung. Laß uns eins durch das andre glücklich seyn, damit man überall sage: des Vergnügens, des Verstandes, der Munterkeit, der Originalität wegen – es lebe Figaro’s Heyrath! (13. Szene)
Aus dem komischen Paradigma werden hier die folgenden Themen wiederholt und akzentuiert: Cherubins entgrenztes Begehren, das eheliche Verbindungen bedroht; der Witz, dass der Ehemann einen versteckten Verehrer findet (Cherubin ist nicht nur die ganze Zeit in Figaros Nähe verborgen, es wird zudem berichtet, dass er auch schon bei Bartholo im Kontrabassfuteral Unterschlupf gesucht habe); die Treue Susannes; der Graf als eifersüchtiger Ehemann. Die Verstärkung von Figaros Eifersucht ist ein weiterer Hinweis darauf, dass vor allem das Lächerlichmachen des übertrieben eifersüchtigen Ehemannes in Hamburg anschlussfähig ist. Auch in dieser Komödie äußert sich Figaro wieder
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gesellschaftskritisch, seine Sichtweise wird jedoch deutlich als Privatphilosophie gekennzeichnet. Als Weisheit verkündet Figaro beispielsweise die folgende Erkenntnis: „Die Protektion der Grossen – unser Verdienst und die Liebe einer Ehefrau sind drey Dinge, von denen man immer weniger hat, als man sich einbildet.“ (8. Szene) Der Graf antwortet darauf mit der Frage, ob Figaro noch immer Philosoph sei und dieser erwidert: „Nur ein bisschen Philosophie kann mich trösten, ein Narr, unglücklich und lächerlich zu seyn.“ (8. Szene) Figaro bezeichnet sich selbst als Narr, was nun umso mehr Gewicht hat, als er tatsächlich lächerlich ist mit seiner Eifersucht. Wie auch in seinem Monolog in Figaro’s Heirath (vgl. S IV,15) ist die Kritik an der Abhängigkeit in den feudalen Strukturen verknüpft mit seinen Ohnmachtsgefühlen angesichts des drohenden Kontrollverlustes über die Ehefrau. Zusammenfassend kann man sagen, dass bereits die kunstvolle Dramaturgie und insbesondere die Häufung und Verschlungenheit der Komik in La folle journée es ermöglichen, die gesellschaftskritischen Aspekte weniger wirklichkeitsreferentiell zu lesen und die Komödie als virtuoses Kunstwerk zu rezipieren. Im französischen Original erlaubt der Topos der Tollheit und Narrheit, einen Adligen für einen Tag als schwach und fehlbar darzustellen, die Rollen zu verkehren. Fehlender Durchblick, mangelnde Verfügungsgewalt, erotische Erfolglosigkeit des Grafen und Anspielungen auf gesellschaftliche Missstände sind hier in eine fiktionale Lizenz eingebettet, die freilich von einigen, insbesondere revolutionären und nachrevolutionären Rezipient*innen außer Kraft gesetzt wird. Für die fünfaktige Hamburger Fassung lässt sich hingegen sagen, dass die Wahl des Titels, eine kleine dramaturgische Umstellung und der Kontext der zuvor und als Nachspiel gegebenen Werke darauf hindeuten, dass Schröder eine moralische Funktionalisierung von Figaro’s Heirath für die Thematisierung der Aspekte Ehe, Treue und Eifersucht beabsichtigte. In Hamburg sind die Kritik am Ständesystem und an adeligem Machtmissbrauch keine wichtigen lokalen Probleme, sicherlich auch deshalb, weil Hamburg keinen eigenen Adel hat.
3.4.2 Wien, Hofoper, Le Nozze di Figaro (1786) Für Wien muss die Geschichte des sujets von La folle journée als eine Abfolge von Verbot, Opernbearbeitung und späterer, stark gekürzter Sprechtheaterfassung für das Burgtheater rekonstruiert werden. Das Aufführungsverbot der deutschsprachigen Erstaufführung in Wien ist ähnlich bekannt wie der Skandal um die Uraufführung von La folle journée. Es zählt „zu den bekanntesten Thea-
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tral-Verboten des josephinischen Jahrzehnts“.586 Die Umstände der kurzfristigen Absage der Premiere konnten erst in jüngster Zeit geklärt werden. In Wien fertigt Rautenstrauch bereits um die Jahreswende 1784/85 eine Übersetzung von La folle journée an, die das Ensemble des Kärntnertortheaters für eine Premiere am 3. Februar 1785 unter Schikaneder und Kumpf einzustudieren beginnt, vermutlich bevor der Text im Ganzen vorliegt.587 Die Aufführung selbst wird dann allerdings durch ein kaiserliches Handbillet am 31. Januar verboten.588 Die Verbotsnachricht erreicht die Truppe vermutlich am gleichen oder nächsten Tag. Dass die Premiere dennoch am 2. Februar 1785 im Wienerblättchen angekündigt wird und das Verbot daselbst am 4. Februar 1785, dem Tag nach der geplanten Premiere, publik gemacht wird, kann möglicherweise als ein Versuch gesehen werden, das Werk interessanter zu positionieren und so die Verkaufszahlen der gedruckten Übersetzung zu erhöhen.589 Im Druck spielt dann auch der erste Paratext nach dem Titel „Dem Andenken von zweyhundert Dukaten gewidmet“, direkt auf das Verbot und die dadurch ausbleibende Bezahlung Rautenstrauchs für die Übersetzungsarbeit an.590 Bezüglich des gesellschaftskritischen Potentials verhält es sich so, dass die Druckfassung von Rautenstrauch alle Stellen enthält, die Kritik am Ständesystem, an Adelsprivilegien, an der Zensur und Gerichtsbarkeit beinhalten sowie auch die anzüglichen Anspielungen auf weiblichen und männlichen Ehebruch.591 Auch der Monolog Figaros in V,3 ist nur leicht gekürzt. Gestrichen wurden hier nur diejenigen Stellen, die sich auf die Begünstigung bei Hof, Verstellung in der Politik und auf die Diplomatie beziehen.592 In dieser Fassung kann die Komödie demnach gedruckt werden und es gibt nun Indizien dafür, dass die gängige Erklärung, der Kaiser habe das Werk verboten, weil es ihm zu adelskritisch ist, nicht belegt werden kann.593 Eisendle hat vielmehr jüngst gezeigt, dass das Verbot mit einem
|| 586 Vgl. Eisendle (2020), Der einsame Zensor, S. 492. 587 Das Kärntnertortheater wird seit der Schauspielfreiheit, die am 23. März 1774 gewährt wurde, von verschiedenen Theatertruppen gepachtet und ab dem 6. August mit vereinzelten Vorstellungen, durchgängig dann wieder ab dem 16. Oktober 1785 unter der Oberaufsicht und Verwaltung des Hofes bespielt. 588 Vgl. Eisendle (2020), Der einsame Zensor, S. 494. 589 Vgl. a. a. O., S. 494 f. 590 Der närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro; ein Lustspiel in fünf Aufzügen, aus dem Französischen des Herrn Caron von Beaumarchais, Wien 1785. 591 Vgl. Eisendle (2020), Der einsame Zensor, S. 505–507. 592 Vgl. a. a. O., S. 506 f. 593 So zum Beispiel Finscher (1991), Le Nozze di Figaro, S. 306. Belege dafür werden nicht angeführt.
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Gerücht zusammenhängt, das dem Kaiser zu Ohren kommt. Gemäß einer späteren Erinnerung des Zensors Hägelin hat der Kaiser offenbar gehört, dass die Komödie eine problematische Anspielung auf eine seiner Schwestern, die Königin von Frankreich, enthält.594 Auf Angriffe gegen Marie-Antoinette hatte dieser von jeher äußerst empfindlich reagiert und Beaumarchais war ihm bereits bei dessen Besuch am Wiener Hof 1774 verdächtig geworden. Damals war Beaumarchais, dem gerade in Paris wegen diverser Prozesse seine Bürgerrechte aberkannt worden waren, bei Maria Theresia vorstellig geworden. Er hatte angegeben, er sei auf der Suche nach dem Druck einer Schrift, die sich angeblich gegen Marie-Antoinette richtete und die man ihm im Kampf entwunden habe.595 In Wien vermutete man, Beaumarchais habe diese Schrift selbst verfasst, um einen Grund zu haben, sich in Wien als Spitzel Zugang zu höfischen Kreisen zu verschaffen. Man versuchte Beaumarchais einzusperren, aber er kehrte bald auf Intervention des französischen Hofes wieder nach Frankreich zurück. Der Sachverhalt wurde offenbar niemals aufgeklärt. Dieser Kontext kann das Aufführungsverbot erklären, das für die Regierungszeit Joseph II. nach bisheriger Quellenlage singulär ist. Dieser verfolgte ansonsten die Politik, ein dramatisches Werk erst dann zu verbieten, wenn es sich bei der ersten Aufführung als problematisch erwiesen hatte.596 Bereits 1785 schlägt Mozart, der sich zu dieser Zeit in Wien aufhält, Lorenzo Da Ponte (1749–1838) vor Beaumarchais’ Komödie La folle journée ou Le Mariage de Figaro zu einem Opernlibretto umzuarbeiten, das er vertonen wollte.597 Es liegt nahe anzunehmen, dass Mozart den Text in der Fassung von Rautenstrauch gelesen hat. Nachweisen lässt sich in einer Liste seiner Buchbestände aus dieser Zeit jedoch nur die Kehler Übersetzung,598 die zeitgleich mit dem französischen Erstdruck in Beaumarchais’ eigener Druckerei am 7. April 1785 in Kehl erscheint.599 Ein wichtiger Grund für die Auswahl des Werks ist für Mozart und Da Ponte möglicherweise die Bekanntheit des Textes aufgrund der Skandale. Jedenfalls berichtet Da Ponte, Mozart habe ihm die Umarbeitung zum Libret-
|| 594 Vgl. Eisendle (2020), Der einsame Zensor, S. 497. Allerdings handelt es sich um eine Angabe, die Hägelin erst anlässlich der Aufführung des Jüngerschen Textes, das heißt fast zwei Jahrzehnte später, macht. 595 Vgl. a. a. O., S. 498. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage lässt sich nicht überprüfen. 596 Vgl. a. a. O., S. 496. 597 Vgl. Krämer (2007), Le Nozze di Figaro, S. 280. 598 Vgl. Lütteken (2017), The Depoliticized Drama, S. 207. 599 Beaumarchais (1988), Œuvres, S. 1358. Im März 1784 erhält Beaumarchais die Druckgenehmigung für den Komödientext, im Januar 1785 für das Vorwort. Es wäre dennoch möglich, dass Mozart die Rautenstrauch’sche Fassung im Februar oder März gelesen hat.
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to „wenige Tage“ nach dem Skandal um die Rautenstrauch’sche Fassung vorgeschlagen: Was Mozart anbelangt, so war mir klar, dass sein unermessliches Genie einen vielseitigen, erhabenen Stoff brauchte. Als ich mich eines Tages mit ihm darüber unterhielt, fragte er mich, ob ich nicht vielleicht ohne zu große Mühe die Komödie „Hochzeit des Figaro“ von Beaumarchais zu einem Opernlibretto umarbeiten könne. Dieser Vorschlag gefiel mir sehr, und ich versprach ihm, dies zu tun. Es war dabei aber eine große Schwierigkeit zu überwinden. Wenige Tage zuvor hatte nämlich der Kaiser der Gesellschaft des deutschen Theaters die Aufführung dieser Komödie untersagt, weil sie nach seiner Meinung nicht ganz anständig war.600
Feldsoziologisch betrachtet scheint zudem die sehr erfolgreiche Vertonung von Beaumarchais’ erster Komödie als Barbiere di Seviglia durch Giovanni Paisiello und Giuseppe Petrosellini für das Wiener Burgtheater ein wichtiger Absetzungskontext zu sein. Diese Oper wurde seit 1783 bis zur UA von Le Nozze di Figaro 1786 bereits 37 Mal am Wiener Burgtheater gespielt601 und ist eines der großen Erfolgsstücke im Repertoire.602 Darüber hinaus ist es zwischen 1760 und 1790 reichsweit das zweitbeliebteste komische Singspiel, so dass hier eine Positionierung besteht, die Anschluss und gleichzeitige Überbietung für Mozart und Da Ponte äußerst attraktiv erscheinen lassen muss.603 Mozart war mit der Entführung aus dem Serail selbst bereits ein großer, reichsweiter Erfolg gelungen. Nach derzeitigem Forschungsstand rangiert er damit auf dem vierten Platz der im Reich am häufigsten aufgeführten komischen Singspiele.604 Diese Platzierung bezieht sich auf die Anzahl der Aufführungen von komischen Singspielen in deutscher Sprache und nicht in Originalsprache, weil die Aufführungen in Originalsprache auch bei den genuin französischen und italienischen Werken im Reich eine Seltenheit darstellen.605 Mozart konnte demnach damit rechnen, dass man eine neue Oper, die nach dem Geschmack des Wiener Hofes italienisch zu sein hatte, im Reich bald auf Deutsch aufführen würde, was dann auch geschah.606 || 600 Da Ponte (2005), Geschichte meines Lebens, S. 121. 601 Vgl. Hadamowsky (1966), Die Wiener Hoftheater, S. 119. 602 Krämer (2007), Le Nozze di Figaro, S. 281. 603 Urchueguía (2015), Allerliebste Ungeheuer, S. 375. Im deutschsprachigen Gebiet wurde es allerdings auf Deutsch gespielt. 604 Vgl. a. a. O., S. 375–379 und 388–391. 605 Vgl. a. a. O., S. 207. 606 Vgl. zur Darstellung des Erfolgs der Oper in deutscher Übersetzung und Bearbeitung ab 1787 Krämer (2007), Le Nozze di Figaro, S. 300. Auch in Hamburg ersetzt eine deutschsprachige Fassung der Oper schnell die Aufführungen des Sprechtheaterstücks. Schröder bearbeitet das
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Von Mitte Oktober 1785 bis Ende April 1786 arbeitet Mozart an der Vertonung von Da Pontes Librettofassung.607 Die Uraufführung von Le Nozze di Figaro findet am 1. Mai 1786 an der Wiener Hofoper statt. Zur italienischsprachigen Aufführung wird im gleichen Jahr auch eine deutschsprachige Fassung gedruckt.608 Von einer Zensur ist weder für die italienische noch für die deutsche Fassung auszugehen. Während nämlich Franz Karl Hägelin offenbar seit 1770 alleine für die gesamte Schauspielzensur zuständig ist und sein Vorgehen von ihm selbst und durch zensierte Exemplare bestens dokumentiert ist, gibt es keine offiziellen Dokumente zur Zensur von Opern im Wien des 18. Jahrhunderts.609 Dies ist vermutlich dadurch bedingt, dass Joseph II., der selbst an der Auswahl von Schauspielern, Sängern und Werken für sein Theater beteiligt ist, sich insbesondere für die Oper interessiert und hier am stärksten an der Werkauswahl beteiligt ist. Zudem wird Da Ponte von Joseph II. eigenhändig als Poeta dei teatri imperiali berufen, so dass der Kaiser davon ausgehen kann, dass Da Ponte Werke, die Gravierendes wider Staat, Religion und Sitten enthalten, aussortiert oder bearbeitet.610 Wenn Da Ponte für sich reklamiert, die Genehmi-
|| Libretto nicht selbst, sondern verwendet die Übersetzung Adolph Freiherrn von Knigges und seiner Tochter, die seit 1788 zirkuliert. Sie wurde zuerst für eine Aufführung durch die Großmannsche Wandertruppe in Lübeck 1788 angefertigt. Seine Tochter Philippine Eregine hat einige Dialoge besonders wortgetreu aus dem Italienischen übersetzt (vgl. Oehl [1997], Mozarts Figaro, S. 1044–1046). Bei der Übersetzung werden die Rezitative durch Sprechtexte ersetzt, wie es in den Hamburger Singspielbearbeitungen üblich ist und dabei wird auch ein Dialog aus Beaumarchais’ Komödientext eingefügt. Es handelt sich um den Dialog aus III,4 der im Soufflierbuch wieder durchgestrichen ist, wobei nicht zu ermitteln ist, welcher Aufführung diese Streichung zuzuordnen ist (vgl. Oehl [1997], Mozarts Figaro, S. 1054). Knigges Text ist in einem Soufflierbuch für das Hamburger Stadttheater erhalten, das leider für die vorliegende Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden konnte: Wolfgang Amadeus Mozart: Figaro’s Heyrath: Oper in 4 A.; Soufflierbuch / Music v Mozart. aus dem Italiänischen übersetzt Hambourg, [1803?, Zensurdatum:] 6. X. 1811. [Ms. mit zahlr. Korr., Erg. und Streichungen sowie einer Rollenübersicht, Papiereliste und frz. Zensurvermerk] [SUB Theaterbibliothek 1995]. 607 Vgl. Krämer (2007), Le Nozze di Figaro, S. 282. 608 Deutsche Singspiele und italienische Buffo-Opern beziehungsweise Opéras Comiques in deutschen Bearbeitungen spielt man am Burgtheater seit 1778. Mozarts Entführung aus dem Serail feiert nach Startschwierigkeiten 1782 große Erfolge (vgl. auch Krämer [1998], Deutschsprachiges Musiktheater, Bd. 1, S. 396–464 und Bd. 2, S. 864). Als jedoch 1782 bis 1783 deutschsprachige Singspiele beim Wiener Publikum keinen Anklang mehr finden, wird das deutsche Gesangsensemble aufgelöst und durch ein italienisches ersetzt. Die italienischen Opern erfreuen sich größter Beliebtheit, vor allem beim Adel. Dies ist der Grund, weshalb Le Nozze di Figaro auf Italienisch gegeben wird (vgl. Kindermann [1977], Das Publikum, S. 111–114). 609 Vgl. Eisendle (2020), Der einsame Zensor, S. 508. 610 Vgl. ebd.
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gung der Opernfassung von Beaumarchais’ gerade verbotener Komödie auch gegen die Widerstände von Orsini-Rosenberg beim Kaiser erwirkt zu haben, könnte es sich durchaus um eine wahrheitsgetreue Beschreibung handeln.611 Im Folgenden soll die vorauseilende Entschärfung der textuellen Komik in Le Nozze di Figaro beschrieben werden. Dabei wird allerdings auch deutlich werden, weshalb die Komödie trotz der Streichung von explizit satirischen Passagen noch immer durch die Intrigenführung, durch die szenische Präsenz und Absenz Almavivas und das Zusammenwirken von Text und Musik einen beinahe übervorteilten und über weite Strecken hintergangenen und unwissenden Grafen auf der Bühne zeigt. In einer Kritik der Uraufführung in der Wiener Realzeitung vom 11. Juli 1786, die sonst nur äußerst selten Aufführungen bespricht, wird das Werk mit dem folgenden freien Zitat aus dem Barbier von Sevilla kommentiert: „Was in unsern Zeiten nicht erlaubt ist, gesagt zu werden, wird gesungen“. Die Oper wird folglich analog zum verbotenen Sprechtheaterstück positioniert. Aus diesem Grund erscheint es auch plausibel, dass berichtet wird, der Wiener Adel sei Mozart seit der Uraufführung von Le Nozze di Figaro mit merklich spürbarer Distanz gegenübergestanden.612 Musik und Text der Uraufführung am 1. Mai 1786 am Burgtheater lassen sich recht gut rekonstruieren. Der Text des Librettos, der zur Uraufführung gedruckt wird, wird nicht in derjenigen Fassung aufgeführt, wie sie im autographen Notenmaterial zu finden ist und auch nicht ganz in der Fassung des LibrettoErstdrucks.613 Nach dem Druck, aber vor der Premiere werden noch Änderungen, zumeist Streichungen, in ein italienisches Druckexemplar des Librettos eingetragen.614 Die textliche Fassung der Uraufführung stellt sich wie folgt dar: Gestrichen sind einige Nebenhandlungen, aber vor allem der Gerichtsprozess und der eben erwähnte lange Monolog von Figaro sowie zahlreiche Einzelstel-
|| 611 Vgl. Krämer (2007), Le Nozze di Figaro, S. 282. 612 Vgl. a. a. O., S. 300. Intrigen gegen weitere Aufführung des Werkes sind ebenfalls belegt (vgl. a. a. O., S. 282). 613 Finscher (2007), Kritische Berichte, S. 281–289. 614 Le nozze di Figaro. comedia per musica tratta dal francese in quattro atti: da rappresentarsi nel Teatro di corte l'anno 1786. In Vienna: Presso Giuseppe Nob. de Kurzbek, stampatore di S.M.I.R. [Washington DC, Library of Congress ML48 [S6826] ]. Zur Beschreibung der Textbücher vgl. Finscher (2007), Kritische Berichte, S. 90. In den erhaltenen Exemplaren der deutschen Prosafassung finden sich diese Abänderungen allerdings nicht. Die Hochzeit des Figaro. Ein Schauspiel in Musik in 4. Aufzügen aus dem Französischen herausgezogen. Aufgeführet in dem k. k. Nazionalhoftheater. Im Jahre 1786. Wien, bei Joseph Edlen v. Kurzbeck, k. k. Hofbuchdrucker, Groß= und Buch-händler. [Stadt- und Landesbibliothek Wien, Signatur: A 13.604] Im Folgenden zitiert mit der Sigle DPD.
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len, nicht aber das Interesse des Conte an einer Liebschaft mit Susanna, alle seine Annäherungsversuche und das Ansinnen, Figaro so bald wie möglich vom Hof zu entfernen. Vollumfänglich erhalten sind die beiden Intrigen, mit denen man den Conte zu seiner Frau zurück- und von Susanna wegführen möchte. Die dramaturgische Benachteiligung des hintergangenen Conte, der stets nur auf die Situationen reagiert, die er gerade vorfindet, drückt sich auch musikalisch aus, weil die Dienerfiguren als Träger der Intrigen die Hauptfiguren sind: Susanna hat vierzehn Musikstücke, davon zwei Arien. Figaro folgt ihr an zweiter Stelle mit neun Musikstücken. Damit hat er ein Musikstück mehr als der Conte und zwei mehr als die Contessa. Allerdings hat die Contessa zwei Arien, während der Graf nur eine einzige singt. Er ist damit den Nebenfiguren gleichgestellt. Die Tatsache, dass er kein Tenor, sondern ein Bariton ist, zeigt auch in der Stimmlage an, dass er nicht die Attraktivität besitzt, die er gerne hätte. Seine einzige Solo-Arie, Vedrò mentre io sospiro (Nr. 18, Allegro maestoso, 2/2-Takt), steht in der traditionellen Herrscher-Tonart D-Dur. Zahlreiche Unisono-Stellen und die Instrumentierung mit Trompeten unterstützen den Herrscher-Gestus. Der Conte singt davon, dass er Susannas Intrige durchschaut hat und er wird darüber im Verlauf der Arie immer wütender. Das aber bedeutet, dass er in seiner einzigen Arie seine Ohnmacht und Erfolglosigkeit thematisiert, die im Kontrast zur erwartbaren Verfügungsgewalt und erotischen Erfolgsquote des Conte stehen. Allerdings gibt es auch ein paar Elemente, welche die Lächerlichkeit des Grafen abmildern. Dazu gehört, dass der Conte keinen attraktiven Tenorhelden zum Gegner hat. Figaro singt Bass und Cherubino ist als Hosenrolle in Sopranlage gestaltet, was seine prinzipielle Ungefährlichkeit auch musikalisch signalisiert. Die Rolle des jungen, im Zentrum der Handlung stehenden Tenorhelden,615 bleibt in dieser Oper insgesamt unbesetzt und die vorkommenden Tenöre, der Richter Don Curzio und der Musiklehrer Basilio, sind zudem lächerliche Randfiguren. Darüber hinaus wurden auch in der Figurenzeichnung Susannas kleine Veränderungen vorgenommen, die dazu führen, dass sie nicht mehr ganz so untadelig standhaft und treu erscheint wie bei Beaumarchais und Schröder, sondern dem Conte auch nicht ganz abgeneigt ist. Dies hat wiederum zur Folge, dass der Conte attraktiver wirkt und auch nicht mehr so sehr in der Rolle desjenigen ist, der seine Verfügungsgewalt nutzen muss, um eine Untergebene zu erpressen. Zugleich ist dadurch das Attraktivitätsgefälle zwischen ihm und Cherubino verkleinert. Musikalisch kommt dies vor allem darin zum Ausdruck, dass Susanna sich im Duettino mit dem Conte (Nr. 17, Andante, 2/2-Takt, a-
|| 615 Mozarts eigene, vor Le Nozze di Figaro komponierte Opern haben zum Beispiel alle einen Tenorhelden.
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Moll/A-Dur) immer mehr der Melodie des Conte annähert, wenn sie sich vermeintlich zum Rendezvous im Park mit ihm verabredet. Durch die musikalische Übereinstimmung endet der Zweigesang in Harmonie und kommt damit einem Duett eines echten Liebespaares sehr nahe, so dass nicht mehr ganz klar ist, ob Susanna sich nicht doch eigentlich eine Beziehung zum Conte wünscht.616 Gefühle Susannas für den Grafen sollen möglicherweise auch im Duettino Nr. 21, dem Allegretto im 6/8-Takt in B-Dur von Susanna und der Gräfin ausgedrückt werden. Thema ist der Brief an den Conte, den die Contessa Susanna diktiert. Susanna soll vortäuschen, dass sie sich mit ihm treffen möchte. Der lyrische Charakter der Kanzone und die pastoralen Klänge von Fagott und Oboe sowie die Harmonie im Terzabstand zum Schluss zeigen die beiden vereint in – zumindest musikalisch echten – Liebesgefühlen. Indem folglich Susanna in beiden Gesangsnummern weniger gewitzt und der Conte im Duettino etwas erfolgreicher gezeichnet ist als bei Beaumarchais und Schröder, sind auch die Kontraste kleiner und die Komik ist an diesen Stellen reduziert. Entscheidend für die Darstellung des Grafen ist auch die Veränderung des Schlusses: Als der Graf bei Beaumarchais und auch in der Fassung Schröders in V,19 beziehungsweise V,16 die Gräfin um Verzeihung dafür bittet, dass er Susanne nachgestellt hat, verzeihen ihm nacheinander die Gräfin, Susanne und Marcelline. Es wird deutlich, dass sein Verhalten der Entschuldigung bedarf. Bei Da Ponte und Mozart dagegen knien im Finale alle anderen Figuren nieder und bitten ihren Herrn um Verzeihung für das Spiel, das sie mit ihm getrieben haben. Dieser weigert sich mit einem entschiedenen „No!“ diese Verzeihung zu gewähren. Erst als die Gräfin selbst vor ihm niederknien will, lässt er sich erweichen. Die Hierarchie zwischen dem Grafen und seinen Untergebenen sowie seiner Frau ist dadurch wiederhergestellt. Der Graf ist nicht mehr der lächerliche, verführerische Ehemann, sondern wird wieder als Herr angesprochen, der gnädig Verzeihung gewährt. Daneben hat die Figur des Cherubin die meisten Veränderungen erfahren. Bei Da Ponte und Mozart heißt er Cherubino und sein Begehren ist weniger entfesselt und sprunghaft. Vor allem aber ist der Bezug zur Contessa abgeschwächt und enterotisiert. Zum Vergleich kann hier der oben bereits zitierte erste Auftritt Cherubins herangezogen werden, in dem dieser von seinem Begehren spricht. Es handelt sich bei Da Ponte und Mozart um Cherubinos Arie Non sò più cosa son, cosa facio (Nr. 6, Allegro Vivace, 2/2 Takt, Es-Dur). Das Allegro Vivace und die bewegte Melodie drücken die Bewegtheit von Cherubinos Gefühlen aus. Wie bei Beaumarchais und Schröder ist Cherubino verstört || 616 Krämer (2007), Le Nozze di Figaro, S. 295.
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von der Unruhe des eigenen Herzens, die ihn beim Anblick jedes Frauenzimmers überkommt. Die Objekte seines Begehrens werden jedoch nicht wörtlich benannt. Die bei Beaumarchais angeführte Reihe von Frauen, die er liebt, nämlich seine Cousine Fanchette, die Gräfin, Susanna und dann eben, als Pointe, sogar Marcellina, ist hier gestrichen. Stattdessen heißt es deutlich abgemildert „Ogni donna cangiar di colore, ogni donna mi fa palpitar“ („Jedes Frauenzimmer verursacht eine Veränderung der Farbe, jede ein Herzklopfen in mir“) und „parlo d’amor vegliando, parlo d’amor sognando“ (Ich spreche von Liebe wachend, spreche von ihr schlafend).617 Weiter ausgeführt wird hingegen Beaumarchais’ Einfall, dass Cherubin seine Liebe auch den Bäumen, Wolken und Winden gesteht, indem Da Ponte die Reihe um Wasser, Schatten, Berge, Blumen, Kräuter und Quellen erweitert. Die Zeile, die bei Schröder lautet: „Ich weiß selbst nicht mehr, was ich bin. Seit einiger Zeit ist meine Brust so beklommen“ (vgl. S I,7) wird hier sublimiert durch petrarkisierende Gegensatzpaare, wie zum Beispiel: „Träum ich, red ich von Liebe, wach ich, red ich von Liebe“ und „Glut und Eis wechseln Jäh ohne Ruhe“. Eine Schlusspointe gibt es auch hier, indem das Allegro Vivace nach einer Fermate für die kurze Reflexion „und mag mich niemand hören“ („E se non ho chi m’oda es se non ho chi m’oda“) zum langsamsten Tempo, dem Adagio, wechselt und mit der unvermuteten Wendung „red ich von Lieb zu mir“ („parlo d’amor con me, con me“) wieder zum ersten Tempo zurückkehrt. Durch kontrastive Tempi und inhaltlich überraschende oder kontrastive Inkongruenzen wird Cherubino demnach durchaus lächerlich gemacht in seinem Leiden. Insgesamt ist er allerdings klassisch liebeskrank und deutlich weniger auf seine Sexualität reduziert als bei Beaumarchais oder Schröder. Auch die Canzonetta Voi che sapete che cosa è amor (Nr. 12, Andante, 2/4Takt, B-Dur), die Cherubino wenig später singt, ist bei Da Ponte ganz im petrarkisierenden Stil gestaltet und zudem von den inhaltlichen Elementen einer Liebeserklärung an die Gräfin gänzlich befreit. Thematisiert werden ausschließlich die extremen und konträren Gefühle, die das Verliebtsein auslösen kann.618 Eine weitere Veränderung Cherubinos besteht darin, dass er hier nicht, wie bei Beaumarchais, als verwöhnter Knabe dargestellt wird, der auf seiner Reise die Süßigkeiten und die Kinderspiele bei der Gräfin vermissen wird, sondern als attraktiver junger Mann, als „Narcisetto“ und „Andoncino“. Musikalisch ist die
|| 617 DPD I,5. 618 Vgl. auch Stackelberg (1990), Cherubino d’amore, S. 141, der darauf aufmerksam macht, dass die Metaphern und Vergleiche, die Cherubino verwendet, sich nur auf diesen selbst beziehen.
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kleine Arie als begleitetes, strophisches Lied gestaltet. Während hier der Gesang also der tatsächliche Gesang der Figur Cherubino sein könnte und das Pizzicato der Streicher die Gitarre imitiert, übersteigen die literarischen Anspielungen aus Nr. 6 den Horizont dieser Figur und die Musik dient der auktorialen Charakterisierung Cherubinos durch die Wahl betont affektiv-aufgewühlter Motive. Von Stackelberg zeigt, dass die Anspielungen auf Dante, Petrarka und die griechische Mythologie dadurch auf einer Metaebene angesiedelt sind.619 Das führt dazu, dass die dargestellten Gefühlsbewegungen nicht auf Cherubino als Figur gemünzt sind, sondern vor allem als kunstvoller Traditionsbezug rezipiert werden sollen. Zusammenfassend kann man sagen, dass in Le Nozze di Figaro die dramatische Lächerlichkeit und Übervorteilung beibehalten und an einigen Stellen sogar noch musikalisch betont wird. Die Überführung in die Gattung der opera buffa ermöglicht eine musiktheaterdramaturgisch äquivalente Gestaltung der Tollheitsthematik als Umkehrung der Hierarchien, die allerdings zum Schluss wieder aufgehoben wird.620 Die direkten satirischen Stellen werden jedoch stark gekürzt, wobei erstaunlicherweise die Erwähnung des Herrenrechts weiterhin enthalten ist. Offenbar ist dessen Ausübung so fern jeder Realität oder so stark als komödientypisches Heiratshindernis konventionalisiert, dass es im Text beibehalten werden kann.621 Der Graf erscheint dadurch erotisch weniger erfolglos, dass Susanna vor seinen Reizen offenbar nicht ganz gefeit ist, während es keine Zeichen des Erfolges von Cherubino bei der Gräfin gibt. Das übertriebene und sprunghaft wechselnde Begehren Cherubinos ist zudem durch Anspielungen auf Kunst und Literatur sublimiert. Die Veränderungen in Bezug auf Cherubino entziehen dem Vorwurf, die Gräfin, und damit indirekt die Schwester des Königs, würde als untreu dargestellt, gänzlich die Grundlage. Auf diese Weise ist es leicht zu erklären, weshalb Joseph II. der Aufführung der Oper zustimmt und der Bericht Da Pontes scheint vor diesem Hintergrund realistisch.
|| 619 Vgl. a. a. O., S. 140–143. 620 Mozart selbst trägt das Werk als ‚opera buffa‘ in sein eigenes Werkverzeichnis ein, bei der Uraufführung in Wien wird es als „italiänisches Singspiel“ angekündigt und auf dem Erstdruck des Librettos findet sich die Gattungsbezeichnung „Comedia per musica“ (vgl. Krämer [2007], Le nozze, S. 283) 621 Vgl. Warning (1980), Komödie und Satire, S. 554.
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3.4.3 Wien, Burgtheater, Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro (1802) Schon ab November 1786 macht sich Da Ponte mit seinem neuen Werk Una cosa rara selbst Konkurrenz, so dass die Erfolgsgeschichte der Oper in Wien erst mit der zweiten Fassung der Oper beginnt, die ab dem 29. August 1789 bis Mozarts Tod 26 Mal gespielt wird.622 Die Komödie als Sprechtheaterstück kann in Wien dann erst am 14. September 1802 am Wiener Burgtheater in einer stärker veränderten Fassung aufgeführt werden. Die Bearbeitung stammt von Johann Friedrich Jünger (1759–1797), dem Leipziger Theaterdichter, der seit 1787 Hoftheaterdichter am Wiener Burgtheater ist. Seine Bearbeitung wird dort 1802 und 1803 fünf Mal gegeben.623 Jünger hat in Leipzig in Jura promoviert und zudem Literaturwissenschaft und Pädagogik studiert.624 Er lernt den Verleger Georg Joachim Göschen kennen und verbringt den Sommer 1785 mit Friedrich Schiller und Christian Gottfried Körner in Gohlis. 1787 geht Jünger nach Wien und arbeitet dort zunächst als Komödienautor, Romanschriftsteller und Übersetzer, bis er 1789 sein Ziel erreicht, am Burgtheater angestellt zu werden. Dort arbeitet er bis zu seiner Entlassung aufgrund der allgemeinen Finanzprobleme des Theaters im Jahre 1794 als k. u. k. Hoftheaterdichter. Es ist überliefert, dass seine Lustspiele „in Wien gerne gesehen“ werden. 625 An einer Arbeit, die sein Theaterschaffen, die Aufführungszahlen seiner Werke und die zeitgenössische Rezeption aufarbeitet, fehlt es allerdings bislang. Wann genau Jünger seine FigaroFassung erstellt hat, ist bisher nicht bekannt, publiziert wird sie jedenfalls zunächst im Theatralischen Nachlaß, der von 1803 bis 1804 in Regensburg erscheint, später dann als Einzeldruck bei Wallishauser in Wien. Da Jünger bereits am 25. Februar 1797 in Wien verstirbt, muss die Bearbeitung weit vor der Aufführung 1802 angefertigt worden sein. In seinen eigenen Komödien widmet sich Jünger Modetorheiten – wie etwa der Adelssucht, der Unbeständigkeit in der Liebe oder der Franzosensucht. Kontrastbedingte Situationskomik, die im Stil an Marivaux erinnert, ist sein Markenzeichen sowohl in seinen eigenen Werken
|| 622 Vgl. Krämer (2007), Le Nozze di Figaro, S. 284. 623 Johann Friedrich Jünger, Der tolle Tag, oder Die Hochzeit des Figaro. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen, frey nach Beaumarchais von J. F. Jünger. Wien: Wallishauser 1805. Abgekürzt als Der tolle Tag zitiert mit der Sigle J. 624 Vgl. zum Leben von Jünger Fischer (1974), Jünger, Johann Friedrich und zu seinem Werk Wedekind (1921), Johann Friedrich Jünger. 625 Minor (1881), Jünger, Johann Friedrich. Neben dem Figaro finden offenbar vor allem Jüngers Stolz und Liebe, Die Charlatans, Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht, Die beiden Figaro, Das Recidiv, und Der Ton unserer Zeit Anklang. (vgl. Wlassack [1876], Chronik des k. k. Hof-Burgtheaters, S. 93).
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als auch in Bearbeitungen.626 In letzteren entschärft er zumeist die Konflikte und schwächt die Komik ab. Seine Lustspiele und seine Bearbeitungen liegen ganz auf der Linie der Repertoireentwicklung des Burgtheaters, die vor allem seit dem Ende des Josephinismus durch die Verstärkung sentimentaler Tendenzen geprägt ist. Nachdem Joseph II. gestorben ist, werden per Hofdekret am 1. September 1790 bereits die meisten Freiheiten, die er gewährt hatte, wieder eingeschränkt. Franz Karl Hägelin bleibt zwar Zensor, aber er hat sich an verschärfte Bedingungen zu halten, die er in einer Schrift mit dem Titel Gutachten für das ‚Directorium in politicis et cameralibus’ über Angelegenheiten der Theaterzensur am 22. Februar 1795 niederlegt.627 Diese Bestimmungen sind inhaltlich in vielerlei Hinsicht konträr zu dem, was Joseph II. erlaubt hatte. Sie sollen hier im Wortlaut wiedergegeben werden, weil sich Jüngers Bearbeitung des Figaro recht genau entlang der einzelnen Bestimmungen beschreiben lässt: Nach der Hauptregel soll das Theater eine Schule der Sitten und des Geschmackes sein […] Die Zensur muß überall auf das Sittliche sehen, der Geschmack gehet die Kritik an… Überhaupt gilt die Regel, daß die Tugend allzeit liebenswürdig, das Laster aber allezeit verabscheuungswürdig erscheinen muß. Die erstere kann mit Hindernissen und Drangsalen kämpfen, darf aber nie scheitern oder sincken, so wie das letztere nie triumphieren darf, sondern vielmehr bestraft werden muß. […] Wenn der Stoff eines Stücks oder die Moral desselben wider die Religion, wider die Staatsverfassung oder wider die Sitten sich verstößt, mithin im Grunde fehlerhaft ist, so kann es für die Ausführung nicht zugelassen werden, sondern es muß verworfen werden […] Ueberhaupt können die Religion und religiöse Gegenstände nie ein Stoff theatralischer Vorstellungen werden. Die Religion ist zu erhaben und zu ehrwürdig, als daß sie durch das profane, besonders das komische Theater abgewürdiget werden dürfte […] Es können in einem monarchischen Staate keine Stücke aufgeführt werden deren Inhalt auf die Abwürdigung der monarchischen Regierungsform abziele der der demokratischen oder einer andern den Vorzug vor der monarchischen einräumte […] Auch sind solche Stücke nicht zu passiren, worin die Regenten besonders aber die vaterländischen in nachtheiligen oder herabwürdigenden Karackteren geschildert werden […] Stoffe oder Karacktere, wodurch ganze Nationen, besonders die freundschaftlichen, gemißhandelt werden. Nie muß der Tadel auf ganze Nationen, auf ganze Stände, besonders auf die vornehmeren und obrigkeitlichen Stand überhaupt fallen […] Auch ist nichts zu passiren, was den gemeinen Mann vom Militärdienste oder der Rekrutenstellung abschrecken könnte […] Noch ist zu erinnern, daß gräßliche, unnatürliche und schauderhafte Verbrechen nie aufzuführen seyn […] Personen männlichen Geschlechtes können der Tugend Schlingen legen, Versuche und sträfliche Anträge machen; allein ein Frauenzimmer kann nie, wäre es auch nur zum Scheine ein-
|| 626 Vgl. Giller (1966), Die Sentimentalität, S. 134. 627 Zur Entstehung dieser Schrift und zur Diskussion ihrer Inhalte vgl. ausführlich Eisendle (2020), Der einsame Zensor, S. 191–252.
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willigen. Wenn ein Frauenzimmer zum Scheine in den Antrag des Liebhabers einwilligte oder dem sträflichen Liebhaber zum Scheine einen rendevous gibt, um ihn zum Beispiel zu beschämen, so muß es das Publikum wissen und keinen Augenblick wegen der erlaubten Absicht im Zweifel stehen, welches oft dadurch geschiehet, daß das Frauenzimmer die Absicht ihrer Verstellung ihren Freundinnen entdeckt […] Karacktere von Ehebrecherinnen können ebensowenig auf das Theater gebracht werden […] Die Zensur hat auch darauf zu sehen, daß nie zwey verliebte Personen miteinander allein vom Theater abtreten.628
Für die Figur des Grafen bedeuten diese Bestimmungen, dass es zwar möglich ist, ihn als Mann in einem gewissen Umfang dabei zu zeigen, wie er der „Tugend Schlingen [legt], Versuche und sträfliche Anträge“ macht, die sexuellen Anspielungen auf den Beinahe-Ehebruch allerdings entweder getilgt oder verharmlost werden müssen.629 Der Tatbestand, dass der Graf Susanne verführen und seine Frau hintergehen will, bleibt hingegen dramaturgisch vollständig erhalten. Auch seine Versuche sich Fanchette zu nähern, sind darstellbar. Er erscheint fast ebenso lächerlich wie in den vorangegangenen Versionen, weil er durch die verschiedenen Intrigen und seine Wissensrückstände und mangelnde szenische Präsenz ebenso vorgeführt wird. Der Topos des Tollen Tages mit seiner Umkehrung der Verhältnisse ist noch immer bei der Aufführung und im Druck der erste Titelbestandteil. Er lizenziert auch hier die Darstellung des Herrschers in einer närrischen, das heißt seiner Position entgegengesetzten, Weise und die Umkehrung des Verhältnisses von Herr und Diener. Da alle Bezüge zum Herrenrecht gestrichen sind (vgl. J I,1 und J I,10) und da der Graf in seinen Monologen seine Bindung an Gesetze und Anstand bedauert, kommt er zudem weniger als Herrscher denn als Ehemann mit typischer Schwäche in den Blick. Klar umgesetzt in der Bearbeitung Jüngers ist die Streichung solcher Stellen, die sich gegen die Staatsverfassung richten, indem sie die Ständeordnung kritisieren. Im langen Monolog Figaros fehlen diejenigen Aussagen, in denen
|| 628 Franz Karl Högelin [Hägelin], Gutachten für das ‚Directorium in politicis et cameralibus’ über Angelegenheiten der Theaterzensur, ÖNB Sammlung von Handschriften und alten Drucken Cod. Ser. n. 4012 Han, f. 8v. 629 Ein weiteres Beispiel einer Bearbeitung nach Hägelins Regeln und in Zusammenarbeit mit demselben ist Kotzebues Die Sonnenjungfrau (vgl. dazu Eisendle [2020], Der einsame Zensor, S. 530 ff.). Hier hat Hägelin Aspekte beanstandet, Jünger hat umgearbeitet und Hägelin hat diese Fassung erneut begutachtet, weiter zensiert und zum Druck und für die Aufführungen ab 1791 freigegeben. Der Druck gibt die letzte Überarbeitungsschicht dieses Manuskripts wieder. Es ist anzunehmen, dass Jünger die Bearbeitung des Figaro später und auf der Grundlage dieser Erfahrungen anfertigte, da von Hägelins Seite im Figaro-Manuskript keine Eingriffe mehr zu finden sind.
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sich Figaro mit dem Grafen misst und in denen er die Vorzüge, die Geburt und Vermögen gewähren, bürgerlichen Verdiensten gegenüberstellt. In der Erzählung von Figaros Lebensgeschichte sind Momente der öffentlichen Verfolgung und der Zensur durch harmlose Probleme ersetzt. Am Ende der Komödie wird die Variante von Da Ponte verwendet, nach der sich die Gräfin und die Untergebenen beim Grafen für Ihre Verstellungen und Intrigen entschuldigen, und nicht der Graf für die seinen. Die Szenen um den lächerlichen Gerichtsprozess sind allerdings wieder mit hineingenommen. Die Unfähigkeit der beiden Gerichtsdiener wird einfach dadurch weniger brisant gestaltet, dass deutlich gesagt wird, dass hier Verhältnisse in Spanien vorgeführt werden (vgl. J III,6).630 Der Graf selbst handelt in diesem Prozess bereits bei Beaumarchais und Schröder nicht widerrechtlich, sondern akzeptiert Figaros Beweisführung, dass er entweder die Heirat vollziehen oder die Kreditrückzahlung leisten muss. Insofern kann der Gerichtsprozess unverändert dargestellt werden, auch wenn man von einer Rezeption ausgehen muss, die den Grafen mit dem Kaiser gleichsetzt. Sprachlich ist der Graf insgesamt wesentlich zurückhaltender und auch weniger explizit von Rache oder Eifersucht getrieben. Zum Beispiel erpresst er Susanne nicht und diese erscheint wiederum weniger schlagfertig. Bei Schröder spricht der Graf etwa schon in I,8 davon, dass er Susanne viel Geld für das Recht der ersten Nacht bieten würde, bei Jünger redet er hier nur davon, wie gerne er Susanne sieht, hört und um sich hat. Später werden die Erpressungsversuche des Grafen bei Schröder noch direkter. Er sagt etwa: „Damit wir uns verstehen – Giebt es kein Rendezvous, so gibt es keinen Brautschatz und keine Heirat.“ Und Susanne erwidert: „Sehr wohl, Ihr Excellenz – aber, giebt’s keine Heirath, so giebt es auch kein Herrenrecht.“ (S III,5) Bei Jünger fehlen beide Repliken, der Graf äußert nur sein Entzücken darüber, dass er glaubt, Susanne habe einem Rendezvous mit ihm zugestimmt (vgl. J III,4). Dementsprechend erinnert Susanne den Grafen auch nicht öffentlich und im Beisein seiner Frau daran, dass er ihr versprochen hat, an der Aufhebung des Herrenrechts festzuhalten und es fehlt Susannes Eröffnung gegenüber der Gräfin, der Graf habe ihre Liebe kaufen wollen (vgl. S II,1 und J II,1). Auf gedanklichen Abwegen von der Tugend dürfen allerdings nur Männer gezeigt werden, „allein ein Frauenzimmer kann nie, wäre es auch nur zum Scheine einwilligen.“ Die Gräfin ist in ihrem Begehren deshalb stark abgemildert. Die Intrigen der Gräfin und Susannes sind jedoch möglich, weil jederzeit klar ist, dass Susanne sich nur vorgeblich auf ein
|| 630 Die Komödie spielt in allen Fassungen in Spanien, aber bei Jünger ist das stärker explizit gemacht.
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Rendezvous mit dem Grafen einlässt, nicht selbst erscheinen wird und ihm auf keine Weise verfällt. Stark verändert ist auch in dieser Fassung die Rolle Cherubinos, wobei vor allem moralisch Bedenkliches gestrichen wurde. Die oben vergleichend bei Schröder und Da Ponte analysierte Szene, in der Cherubino seiner Liebesverwirrung Ausdruck verleiht, ist gestrichen und es entfällt auch die Romanze beziehungsweise Canzone, in der Cherubino vor der Gräfin von seiner großen Liebe zu ihr singt (vgl. S. II,4). Darüber hinaus fehlen nun all jene Stellen, an denen die Gräfin die Attraktivität des Pagen hervorhebt, zum Beispiel wenn sie sich für ihn schön macht oder viel Zeit mit ihm verbringt. Gestrichen sind weiter diejenigen Stellen, an denen Susanne Cherubino damit aufzieht, dass er ebenfalls in sie verliebt ist oder an denen sie sich mit ihm misst. Cherubino gibt ihr zudem keinen Kuss, bevor er aus dem Fenster springt (vgl. J II,5). Damit entfällt die zusätzliche symbolische Ebene, auf der das Begehren des Herren lächerlich gemacht wird. Auf diese Weise bearbeitet, passiert das Werk die Zensur ohne Anmerkungen des Zensors, wie man an dem erhaltenen handschriftlichen Exemplar sehen kann, das die Aufführungsbewilligung Hägelins enthält.631 Was zunächst im Vergleich mit der Originalfassung als großer Verlust an Komik erscheint, erweist sich im Kontext des Repertoires des Burgtheaters als überdurchschnittlich komisch. Dort gibt man zwar von 1776–1800 67 % Lustspielpremieren mit einem Anteil von 57 % an der Gesamtzahl der Aufführungen. Dazu kommen noch 20 % Schauspiele mit zumeist gutem Ausgang mit einem Aufführungsanteil am Gesamtrepertoire von 27 %.632 Der hohe Lustspielanteil geht jedoch nicht mit einem hohen Anteil an Komik einher. Giller hat für die 50 erfolgreichsten Dramen des Burgtheaters für den Zeitraum bis 1800 gezeigt, dass sie inhaltlich vor allem von Sentimentalität geprägt sind.633 „Will man […] über den Humor unter dem Einfluß der Sentimentalität schreiben, steht man praktisch vor dem Nichts“634 – so das Ergebnis Gillers. Zwar bezieht sich ihre Aussage nur auf die fünfzig erfolgreichsten Stücke und es ist möglich, dass die anderen Werke mehr Komik enthalten. Sollte dies der Fall sein, war allerdings Komik kein ausschlaggebendes Moment für Erfolg. Das häufigste Motiv in diesen Werken ist das der Entsagung. Komik und Tragik werden nivelliert und treten ge-
|| 631 Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen frey nach Beaumarchais. Von J. F. Jünger für das k. k. National Hoftheater. 1802 [Handschrift, Zensurbuch, Österreichisches Theatermuseum, Signatur: 186 Ser. Nov. 5195] 632 Wachstein (1931), Der Geschmack des Wiener Publikums, S. 175. 633 Giller (1966), Die Sentimentalität. 634 A. a. O., S. 147.
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genüber rührenden Momenten zurück. Die Rührung wird motivisch durch Tränen, Freundschafts- und Liebesbeteuerungen und konfliktlösende Gnadenakte der Herrscher hervorgerufen. Die Hochzeit des Figaro kann möglicherweise deshalb so stark komisch bleiben, weil die enthaltene Komik das rührende Moment des sich auf seine Gattin besinnenden Ehemanns nicht stört. Die erhaltenen komischen Szenen zielen zum Großteil auf Schadenfreude über Figaro ab und schwächen weder die Stellung des Grafen noch der Gräfin. Gemeint sind die Streitereien Figaros mit Antonio, Basilio und Bartholo und die mit Ohrfeigen gewürzten Betrugsvermutungen Susannes. Andere Stellen sind wort- und situationskomisch, wie zum Beispiel die Untererfüllung des Skripts ‚Englische Sprachkenntnisse‘ in einer Beweisführung Figaros: GRAF.
FIGARO. GRAF. FIGARO. GRAF. FIGARO. GRAF. FIGARO.
GRAF. FIGARO.
(besänftigt). Das war es denn doch nicht, was ich dir sagen wolte, also genug davon. – Ich war – ja, ich war einigermaßen gesonnen, dich als Kabinetskourier nach London mitzunehmen – aber nach reiflicher Ueberlegung – Ihro Excellenz habe Ihre Meinung geändert? Fürs erste weißt du kein Englisch Ich weiß God damn! Was willst du damit sagen? Ich sage, ich weiß God damn! Sonst nichts? O daß ist eine vortrefliche Sprache, die englische, in der man mit sehr wenigen Worten weit kommen kann. Mit God damn geht einem in England nichts ab. Hat man Appetit zu einem fetten Huhne – man geht ins Wirtshaus, macht diese Pantomime – (des Bratenwenders) und sagt: God damn! wie der Blitz hat man einen gesalznen Ochsenfuß ohne Brod. Gelüstet einem nach vortreflichen Burgunder oder Clairet – [72] man giebt dies Zeichen (des Aufmachens) und sagt God damn! schnaps hat man einen zinnernen Krug mit schäumenden Biere. Begegnet man einem von den niedlichen Geschöpfen, die mit niedergeschlagnen Augen, zurückgeschobnen Ellbogen, trippelnd mit den Hüften wirbeln – man lege nur die fünf gespitzten Finger auf den Mund und rufe: Ah God damn! schnaps hat man die vollwichtigste Ohrfeige weg. Ein Beweis, daß sie’s verstanden hat. Freilich setzen die Engländer dann und wann auch ein paar andre Worte hinzu - aber das ist doch klar, daß God damn das wesentliche der Sprache ist; und wenn Ihro Excellenz keine andre Ursache haben, mich zurückzulassen – (für sich). Er will mit; sie hat ihm nichts gesagt. (für sich). Er denkt, ich weiß von nichts. – Wart, ich will dich in deinem eignen Netze fangen. (J III,3)
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Die Stelle ist ein hervorragendes Beispiel für eine Figurenkomik, deren Inkongruenz fiktionsintern nicht bemerkt wird, sondern sich nur an die Rezipient*innen richtet. Als erstes sollen sie die Inkongruenz zwischen der Absicht Figaros und der Beweisführung erkennen. Figaro möchte den Grafen davon überzeugen, dass er gewillt ist, mit ihm fortzugehen. Seine Englischkenntnisse sollen dafür als Beweis dienen. Seine Ausführungen zeigen jedoch, dass er kein Englisch kann. Die Beispiele, in denen er bei seinen Verständigungsversuchen nicht das Gewünschte oder das Gegenteil erreicht, zeigen, dass er jedoch im Grunde das Modell des Beweises ad absurdum führt. Dadurch entlarvt er sich selbst, weil er schließlich erreichen will, dass der Graf ihn zu Hause lässt. Der Graf scheint weder zu durchschauen, dass Figaro kein Englisch kann, noch dass er nicht mitmöchte. Da demnach mindestens zwei Drittel der Aufführungen am Burgtheater gut enden, könnte man meinen, dass die Idee einer sittlichen Bildung der Nation durch die Bühne auf diese Weise gewährleistet sei. Dies ist jedoch nur zum Teil der Fall, da die strengeren Zensurbedingungen die Möglichkeiten durch das Theater zu bilden auch stark einschränken. Unterhaltung durch Ritter, Gespenster und Phantastik tritt stattdessen in den Vordergrund. Bezieht man sich auf die These, dass das deutschsprachige Lustspiel in Nord- und Mitteldeutschland immer ernster wird, sich dagegen im Süden, speziell in Wien, die Komizität der Komödien durch die lokalspezifischen komischen Figuren auf gleichem Niveau erhält, so muss man aufgrund der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit Folgendes festhalten: Für Hamburg lässt sich um 1800 ein großer Anteil an Komödien ausmachen, die alle Komik enthalten. In Wien scheint es hingegen eine starke Tendenz zur ernsten, insbesondere rührenden Komödie beziehungsweise zum Schauspiel zu geben. Allerdings betrifft diese Entwicklung nur das Burgtheater. Gleichzeitig mit der Sentimentalisierung des Burgtheater-Repertoires kommt es zur Etablierung einer eigenen komischen Tradition an den Vorstadttheatern, insbesondere am Leopoldstädter Theater.
4 Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick Aus der vergleichenden Analyse von Werken, die zwischen 1678 und 1806 sowohl in Hamburg als auch in Wien veröffentlicht wurden, ergeben sich einige Einsichten zur Gattungsgeschichte der Komödie in Hamburg und Wien. Diese sollen hier als Thesen formuliert werden, die bei der weiteren Untersuchung der Geschichte der Komödie im deutschsprachigen Raum als Ausgangshypothesen oder auch als Kontrastfolie zur Entwicklung von ortsspezifischen Gegenthesen leitend sein können. Dort, wo auf weiteres Material verwiesen wird, das in den Kapiteln aus darstellungstechnischen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte, finden sich im folgenden Abschnitt entsprechende Fußnoten. 1. Komödienspezifische Handlungsschemata sind maßgeblich für die Adaptierbarkeit von Werken in heterogenen Kontexten im deutschsprachigen Gebiet. In den Untersuchungen haben sich einige komödienspezifische Handlungsschemata herauskristallisiert, die von Vorteil für die Adaptierbarkeit eines Werks in der jeweils anderen Stadt sind. Bei den Komödiengenres und -schemata handelt es sich um Elemente des komischen Paradigmas, die allerdings in sich syntagmatisch aufgebaut sind. Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes ist die Intrigenkomödie ein solches Schema, das bereits 1652 aus der Venezianischen Oper in die Wiener Festoper übernommen wird. Das Intrigenschema mit mehreren Liebespaaren, Verkleidungen und Verstellungen kann als Sujet aus diesen Festopern herausgelöst werden und hat dann an der Hamburger Gänsemarktoper in verschiedenen Fassungen Erfolg. Das ist auch deshalb möglich, weil es sich sowohl mit erbaulichen (Crœsus) als auch mit lokalspezifischen Elementen (Lokalopern) und mit institutionellen und selbstreferentiellen Bezügen (Buchhöfer) kombinieren lässt. Ein weiteres, künftig zu untersuchendes Schema ist das Wiener Philosophenlustspiel, in dem ein Philosoph in verschiedenen Begegnungsszenen aktuelle Missstände aufdeckt und thematisiert. In Wien entsteht beispielsweise 1674 unter der Lizenz des Karnevals La lanterna di Diogene von Minato, Draghi und Schmelzer. Hier weist die Philosophenfigur Diogenes in verschiedenen Stationen den Kaiser Alexander auf Intrigen und Missstände an seinem Hof hin. Die Oper ist in Wien als Schlüssellibretto mit Anspielungen auf einzelne Personen am Wiener Kaiserhof konzipiert und wird in vier verschiedenen Übersetzungs-
https://doi.org/10.1515/9783110691191-004
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schlüsseln im Anschluss an die Aufführung ausgelegt.1 In Hamburg wird die Handlung 1691 in der Fassung von Postel/Conradi unter dem Titel Diogenes cynicus für die Hamburger Gänsemarktoper inhaltlich stark verändert, folgt aber weiterhin der Schreibstrategie der Beleuchtung problematischer Verhaltensweisen in Stationen.2 Hier begegnet Diogenes verschiedenen Vertretern törichter beziehungsweise unmoralischer Verhaltensweisen. Auf diese Weise werden das Proselytenmachen, modische Kleidung, Kosmetik, das Weintrinken, das Rauchen sowie die Geldgier der Kaufleute satirisch kritisiert.3 Eine weitere, eher form- als handlungsbezogen organisierte Schreibstrategie ist die Parodierpraxis am Pariser Théâtre de la Foire, wie sie in der Sammlung von Gherardi festgehalten ist. Diese ermöglicht es in Wien aus verfügbaren Drucken ernster Opern Hamburger Provenienz die so dringend benötigten deutschsprachigen Komödien zu machen, indem die Handlung von den typisch Wienerischen Figuren des Kärntnertortheaters gespielt und an die dort gängigen Handlungen angepasst wird. Ein Beispiel hierfür ist Feinds/Keisers Die kleinmüthige Selbstmörderin Lucretia (1705/06),4 die in Wien als Die Römische Lucretia in der Librettobearbeitung von Heinrich Rademin vermutlich mit gesprochenen Dialogen und Gesangseinlagen nach Wiener Kompositionen aufgeführt wurde.5 An der Hamburger Gänsemarktoper setzt man diese parodistische Schreibstrategie auch zur Referenz auf die Produktion der eigenen Theaterinstitution ein, wie am Intermezzo Buchhöfer gezeigt werden konnte. Die flexibelste und am häufigsten verwendete Schreibstrategie ist das Schema der Heirat mit Hindernissen. Dieses ermöglicht zum Beispiel, eine Reformkomödie als Beitrag im sogenannten Hanswurststreit mit mehreren gemäßigten, nicht-extemporierten komischen Figuren in ei-
|| 1 Vgl. Seifert (1985), Die Oper am Wiener Kaiserhof, S. 248–268. 2 Vgl. Marx/Schröder (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper, Nr. 76; Wolff (1957), Die Barockoper, Bd. 1, S. 68–70. 3 Für eine vergleichende Analyse der beiden Fassungen siehe Dennerlein (2019b), Philosophenlustspiele über Diogenes und Socrates. 4 [Barthold Feind/Reinhard Keiser], Die Kleinmühtige Selbst-Mörderin Lucretia. Oder: Die Staats-Thorheit des Brutus Musicalisches Trauer-Spiel/ Auf dem Hamburgischen Schau-Platz aufgeführet [Hamburg 1705]. [Marx/Schröder, Nr. 181] [SLUB Lit.Germ.rec.B.197.m,57]; Marx/Schröder (1995), Die Hamburger Gänsemarktoper, Nr. 178. 5 Rademin (1731), Die Römische Lucretia. Vgl. zur Beschreibung dieses heute verschollenen Librettos Haas (1925), Wiener deutsche Parodieopern und zu Rademin Rudin (2002), Heinrich Rademin.
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2.
ner wahrscheinlichen und motivierten Handlung zu schreiben (Odoardo). Es erlaubt allerdings ebenso, das Werk zum komischen Singspiel mit Randbemerkungen zur Ehemoral umzugestalten (Die Schwestern von Prag). Im Falle der Minna von Barnhelm dient dieses Schema sowohl im preußisch orientierten Hamburg als auch in Österreich dazu, den aktuellen Krieg innerhalb des Reichs für beide Konfliktparteien so darstellbar zu machen, dass er national einende Werte vermittelt. Beaumarchais’ La folle journée enthält zwei komödienspezifische Schreibstrategien, von denen jeweils eine den Anschluss in Hamburg respektive Wien ermöglicht. In Schröders Sprechtheaterfassung Figaro’s Heirath sind die Heirat mit Hindernissen und der eifersüchtige und untreue Ehemann zentral für die Passung zum Spielplan, in Wien macht es der Topos der verkehrten Welt an einem tollen Tag möglich aus dem Sprechtheaterstück eine opera buffa zu machen, in der üblicherweise das Herr-Knecht-Verhältnis umgedreht wird. Obwohl dies kein Auswahlkriterium für die analysierten Fallbeispiele war, folgen im Übrigen alle in der vorliegenden Arbeit behandelten Fassungen auch dem Schema der Heirat mit Hindernissen. Alle Fassungen werden in den beiden Städten hinsichtlich der Komik an die lokalen Bedingungen angepasst. Die Einpassung neuer komischer Elemente in die verschiedenen Werkfassungen erfolgt dabei immer nach der Maßgabe der Wirkungsabsicht des jeweils in der rezipierenden Stadt gewählten Komödiensubgenres. Welches Genre als Schreibstrategie gewählt wird, ist dabei durch die reichsspezifischen Strukturen bedingt. Die Grenze des Komisierbaren wird jeweils durch Verbote und Restriktionen von außen sichtbar. In der Wiener Festoper sind durch den repräsentativen und huldigenden Charakter zum Beispiel keine Situationen möglich, in denen komische Diener ihre Herren kritisieren oder übervorteilen. Außerhalb von Karnevalsopern, in denen durch die Narrenfreiheit andere Regeln herrschen, findet sich deshalb nur eine sehr abgeschwächte Komik bei den Dienerfiguren. Adlige Hauptfiguren können hingegen als Intriganten im Rahmen von Liebes- und Treueproben oder im Rahmen der Überführung von Intriganten Auslöser und Genießer von Schadenfreudekomik sein (beispielsweise im Crœsus). In den komischen Opern des gleichen Zeitraums ist es hingegen in der freien Reichsstadt Hamburg sehr wohl möglich, das Tugend-, Liebes- und Heldenideal der adligen Figuren der Haupthandlung durch komische Figuren zu kontrastieren, weil dort keine Herrscher im Publikum sitzen. Die Figuren der ab 1707
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entstehenden Lokalopern sind jedoch Hamburger Patrizier, so dass die satirisch überspitzte Darstellung von unmoralischem und unvernünftigem Verhalten der Hamburger Patrizier zum Verbot von Opern durch den Magistrat führt (vgl. die Hamburger Schlachtzeit). Die Minna von Barnhelm wird von Lessing als Weiterentwicklung der aufklärerischen Verlachkomödie gestaltet. Aus diesem Grund können auch die vorbildlichen Figuren zeitweise lächerlich dargestellt werden und umgekehrt. Die vorauseilende Zensur in Wien richtet sich gegen die Darstellung von Berliner Polizeispitzeln sowie einer kritischen Reflexion auf den Ehrbegriff der preußischen Offiziere. Die Umgestaltung der Minna von Barnhelm in Wien zum Rührenden Lustspiel ist dadurch bedingt, dass man die Loyalität von Soldaten zu ihren Herrschern nicht in Frage stellen möchte. Dass dies ein im Reich sehr anschlussfähiges Modell ist, weil sich die Untertanen jeweils durch ihre Treue zum jeweiligen Landesfürsten definieren, beweist der Erfolg des Soldatenstücks als Komödiengenre. Komik ist hier jedoch nur bei den Nebenfiguren erlaubt, um die Identifikation mit den vorbildlichen Soldaten beziehungsweise Vätern, Söhnen, Müttern und Töchtern und die Verehrung des gnädigen Landesherrn nicht zu beeinträchtigen. In der Hanswurstkomödie nach dem Schema der Heirat mit Hindernissen ist hingegen durch die Multiplikation von Bewerbern und Dienern eine Aneinanderreihung von ausschließlich komischen Szenen möglich (vgl. Odoardo). Die Verlagerung des Bewerber- und Dienerwettstreits und der ehelichen Auseinandersetzung auf die musikalische Ebene durch instrumentale Kontrastierung und Instrumentenwettstreit in der Perinet’schen Singspielbearbeitung am Leopoldstädter Theater ermöglicht zusätzliche komische Effekte. An zahlreichen Stellen werden zudem komische Übertreibungen oder Kontraste aus dem Text durch melodische, rhythmische oder harmonische Mittel oder durch Formzitate verstärkt. Der extemporierenden Ergänzung um aktuelle Bezüge, die in den Kasperl-Stücken am Leopoldstädter Theater üblich ist, wird hingegen zunehmend ein Riegel vorgeschoben, so dass die Komödiendrucke der Kasperlstücke in dieser Hinsicht eine harmlose Variante der tatsächlich gesprochenen Texte darstellen. In der Druckvariante aber, mit der Originalmusik der eingängigen Gesangsnummern von Wenzel Müller aus Wien, kann das Singspiel fast unbearbeitet am Hamburger Stadttheater gegeben werden. Nach den ersten beiden Aufführungen muss jedoch auf Einspruch der Schneiderinnung eine komische Figur den Berufsstand vom Schneider zum Scherenschleifer wech-
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seln. Es ist evident, dass die Aufführungspraxis der Komödien gesellschaftlichen Einflüssen und Korrekturen unterworfen ist. Beaumarchais’ La folle journée wird in Hamburg vor und nach der Erstaufführung als Komödie um eifersüchtige Ehemänner und treue Ehefrauen akzentuiert; dies geschieht durch eine kleine Umstellung in der Dramaturgie und durch die Verbindung mit dem Nachspiel Figaro’s Reue sowie weitere thematisch ähnlich gelagerte Komödien. Allzu direkte sexuelle Anspielungen tilgt Friedrich Ludwig Schröder für seine 1787 uraufgeführte Fassung mit dem Titel Figaro’s Heirath deshalb, weil deren moralische Anstößigkeit nicht in sein Konzept des Theaters als moralische Anstalt passt. In Wien verbietet man jedoch die für Februar 1786 geplante Aufführung am Kärntnertortheater – wahrscheinlich ungelesen – weil man dem Kaiser suggeriert hat, dass das Werk nicht statthafte Anspielungen auf die Schwester des Kaisers enthält. In der opera buffa Le Nozze di Figaro ist dann die Darstellung eines übervorteilten Adeligen auch an einem Hoftheater möglich, unter anderem vermutlich deshalb, weil die Umkehrung der Verhältnisse nicht bis zum Schluss durchgehalten, sondern durch die Entschuldigung der Untergebenen bei ihrem Herrn wieder aufgehoben wird. Mit musikalischen Mitteln wird die von ihm begehrte Susanne interessierter am Grafen, der Graf indes weniger erfolglos dargestellt. Zudem entfällt Figaros adels- und standeskritischer Monolog. Die Zensur unter Franz I. führt dann dazu, dass in der Bearbeitung Jüngers für das Burgtheater unter dem Titel Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro von 1802 all die Stellen abgemildert sind, die sich gegen Staat und Sitten richten. Als Folge davon ist der dargestellte Graf Almaviva weder offensiv auf Abwegen noch hat er tatsächlichen Grund zur Eifersucht. Die Komödie wird dadurch deutlich weniger komisch. Moralisch funktionalisierte Verlachkomik, die im Dienste eines ernsthaften Zwecks wie der Vermittlung christlicher Moral oder bürgerlicher Werte steht, macht nur einen kleinen Teil des Phänomenbereichs der Komödienproduktion in den beiden Städten aus. Sächsische Typenkomödien und vor allem Bearbeitungen von Destouches’ Komödien, die nach diesem Muster funktionieren, finden sich in der Mitte des Jahrhunderts zwar im Repertoire der Wanderbühnen, die in Hamburg auftreten, und sie werden auch in das Repertoire des Kärntnertortheaters integriert; als zugkräftig erweisen sie sich jedoch nicht.
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3.
4.
Die Vorstellung, dass im Norden im Laufe des 18. Jahrhunderts die Ernsthaftigkeit zunehme, im Süden dagegen die Komik prädominiere, ist zu modifizieren. Die Analysen der vorliegenden Untersuchung lassen erkennen, dass die gängige These von der zunehmenden Ernsthaftigkeit der deutschsprachigen Komödie im Norden und der durchgängigen Prädominanz von Komik in Komödien aus dem Süden wie folgt zu modifizieren ist: Der Anteil an Komik und ihre je spezifische Ausprägung in einer Komödienfassung korreliert weniger mit der Provenienz einer Fassung aus dem Norden respektive Süden, sondern sie ist vielmehr davon abhängig, in welchem Umfang das Theater, für das sie entsteht, sich durch eigene Einnahmen finanziert und inwieweit es institutionell etabliert ist. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Komisierung, der Institutionalisierung und der Etablierung stehender Theater. In der höfischen Festoper Creso/Cresus lässt beispielsweise die Einbindung in höfische Festivitäten zunächst nur wenig Komik zu. In den Bearbeitungen dieser Oper für die Hamburger Gänsemarktoper steigert sich zunächst die Komik, soweit es die erbauliche Rechtfertigung der Opernproduktion zu Beginn erlaubt. In den Fassungen von 1711 und 1730 wird sie jedoch für die inzwischen kommerzialisierte Bühne um zusätzliche komische Elemente ergänzt. In der Wanderbühnenfassung kommen Extempore-Passagen der typischen komischen Figur hinzu und das Intermezzo Buchhöfer ist durch den Bezug zu anderen Werken der Gänsemarktoper und anderen Formen komischen Spiels durchgängig komisiert. Mit der Gründung des Kärntnertortheaters 1707 wird in Wien die Tradition des Wiener Hanswursts etabliert, um den sich schon bald ein Ensemble komischer Figuren bildet; sie führt schnell zum Ausbau komischer Nebenhandlungen in eigenen, durchgängig komischen Werken. Über viele Jahrzehnte kann sich das Theater wegen dieser komischen Figuren halten, die insbesondere für ihre Extempores bekannt sind, in denen sie auf zeit- und ortsspezifische Besonderheiten Bezug nehmen.6 Hanswurst und Colombine, später auch Bernardon, Leopoldl, Burlin und Jackerl spielen vorwiegend in Musiktheaterstücken, in denen sich gesprochene Passagen mit komischen Gesangsnummern abwechseln. An der Hamburger Gänsemarktoper nehmen die Anzahl der Aufführun-
|| 6 Vgl. Lehr (1965), Die szenischen Bemerkungen.
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gen pro Jahr und die Zuschauerzahlen ab dem Zeitpunkt zu, als man mehr komische Lokalbezüge in die Opern einzubauen beginnt. Lokale Feste und niederdeutsch und jiddisch sprechende Dienerfiguren erhöhen den Anteil komischer Szenen. Weitere komische Elemente kommen durch die Bezüge zur Produktion der Hamburger Gänsemarktoper in Musicae Bernescae, komisch-parodistischen Intermezzi und VerkehrteWelt-Komödien hinzu. In Prologen finden sich zunehmend Paragonen, die die Oper als Kunstform von der Bühne aus verteidigen. Ein Teil der Komik im Intermezzo Buchhöfer ist vermutlich auch der Intention geschuldet, einen Diskussionsbeitrag zu einem solchen Kunstwettstreit zu leisten, indem Formen der Wanderbühne parodiert werden und auf eigene komische Figuren verwiesen wird.7 In Hamburg erwächst daraus eine Bereicherung des Repertoires ab 1707 für ein paar Jahrzehnte. Die Bedingung für die Entwicklung eigener, auch selbstbezüglicher Operngenres ist eine eigene feste Schauspielbelegschaft. Deshalb bricht die Tradition mit dem Ende einer festen Truppe ab. In Wien entstehen die komischen deutschsprachigen Musiktheaterwerke mit lokalspezifischen komischen Figuren am 1707 neu gegründeten Kärntnertortheater. Dass man an der Hofoper seit dem Regierungsantritt Karl VI. im Jahr 1706 schnell auf eine fast ausschließlich ernste Opernproduktion umstellt, ist sicher auch eine Bedingung für den Erfolg der Produktion des Kärntnertortheaters. Wie eng die Komisierung mit der musikalischen Gestaltung zusammenhängt und welche Rolle letztere für den Erfolg von Komödienformen spielt, wird erst in dem Moment deutlich, als Mitte des Jahrhunderts die Bedingungen für das deutschsprachige Musiktheater schlechter werden beziehungsweise nicht mehr gegeben sind. Zwar ist bekannt, dass Rührende Lustspiele in der Mitte des Jahrhunderts im Repertoire der in Hamburg gastierenden Wanderbühnentruppen das meistgespielte Genre sind. Es ist allerdings zu beachten, dass es den Wanderbühnen mit diesem Repertoire gerade nicht gelingt, sich in Hamburg dauerhaft niederzulassen, was im Übrigen auch sonst nirgends im Reich möglich ist. Konkret scheitern damit in Hamburg der Prinzipal Ackermann und das Hamburger Nationaltheater, im Wien der 1760er Jahre das Projekt einer Nationalschaubühne. Rührende und Sen-
|| 7 Vgl. für solche Formen an der Hamburger Gänsemarktoper insbesondere auch die EinakterZyklen Critique des Hamburgischen Schau-Platzes und Der Beschluss des Carnevals von 1725 (vgl. Marx/Schröder [1995], Die Hamburger Gänsemarktoper, Nr. 69 und Nr. 42).
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timentale Komödien können in Wien dann erst in den 1780er und 90er Jahren am höfisch getragenen Burgtheater als Nationaltheater dominant werden. Die Auswahl sentimentaler Werke ohne große Konflikte, vorauseilende Selbstzensur und Zensureingriffe in die Spielvorlagen sorgen für eine weitgehende Entkomisierung des Repertoires. Möglich und erfolgreich ist diese Repertoireausrichtung sicher durch mentalitätsgeschichtliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Entstehung eines Bürgertums, vermutlich aber auch deshalb, weil gleichzeitig an derselben Institution kunstvolle Opern, häufig nach dem Modell der komischen opera buffa, gegeben werden und sich die Vorstadttheater auf komische Singspiele spezialisieren. Durch die zeitgleich mit der Erhebung des Burgtheaters zum Nationaltheater erlassene Spektakelfreiheit kommt es in Wien zur Gründung der Vorstadttheater, die den entgegengesetzten Pol zur ernsten Sprechtheaterproduktion am Nationaltheater besetzen, indem sie komische Singspiele geben. Am Leopoldstädter Theater, das sich mit großem Erfolg über Jahrzehnte selbst trägt, wird mit dem Kasperl nun wieder eine eigene lokale komische Figur fest institutionalisiert, die dafür sorgt, dass Komik – auch mit Bezug auf tagesaktuelles Geschehen – breiten Raum einnimmt. Am Hamburger Stadttheater, das als einzige stehende Institution alle Bedürfnisse des Publikums erfüllen muss, spielt im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bezeichnenderweise das rührende Sprechtheater kaum eine Rolle. Vielmehr florieren Werke mit hohem Komikanteil wie komische Opern, Singpossenspiele und Sprechtheaterkomödien. Über Bezüge zum Spielplan und die Fortsetzung fiktionaler Welten über Werkgrenzen hinweg sorgt der Selbstbezug für zusätzliche Komisierung. Im Umkehrschluss lassen sich aus den Zusammenhängen von Komisierung und Institutionalisierung einige Bedingungen für die Etablierung stehender, finanziell selbständiger Theaterinstitutionen extrahieren.8 Das Vorhandensein eigener komischer Figuren und eigener oder doch typischer Komödienformen, Lokalbezug, Bezug zum Feld der Komödie oder zur eigenen Theaterinstitution und vor allem die Gestaltung als komische Musiktheaterwerke. Die Bedingungen sind zwar nicht repräsentativ für das Reich, da nicht überall die Voraussetzungen für stehende Theater gegeben sind. Möglicherweise lässt sich jedoch im An-
|| 8 Ähnliche Erfolgskriterien für ein Stadttheater in Hamburg formuliert bereits Jahn (vgl. Jahn [2017a], Den Bürgern eine Bühne?).
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schluss an diese Überlegungen erklären, weshalb sich an manchen Orten keine eigenen komischen Formen und vielleicht deshalb auch keine kontinuierlichen Theaterunternehmungen etablieren konnten. Zum Ende des Untersuchungszeitraums der vorliegenden Arbeit lässt sich im Übrigen eine Konvergenzbewegung hinsichtlich der KomikBearbeitung in den beiden Städten beobachten. Während zu Beginn die Komik für Hamburg beziehungsweise Wien immer adaptiert wird, können gegen Ende des Zeitraums auch Werke unverändert in beiden Städten auf die Bühne gebracht werden. Das betrifft die hier behandelten Schwestern von Prag, aber auch weitere Singspiele des Leopoldstädter Theaters, Komödien von Kotzebue, aber auch ein reichsweit so erfolgreiches Stück wie Babos Komödie Bürgerglück von 1792. Die vergleichende, feldsoziologische Analyse von Fassungen ist ein geeignetes Mittel für die Darstellung literaturgeschichtlicher Zusammenhänge. Sie sollte in digitaler Form fortgeführt werden, um die Bedingungen der Gattungen und des Reichs genauer erfassen zu können. Zur methodischen Vorgehensweise der Arbeit lässt sich sagen, dass die vergleichende Analyse von Fassungen eines Werks in verschiedenen Städten sich als probates Mittel erwiesen hat, literaturgeschichtliche Zusammenhänge im Reich darzustellen. Es erscheint wünschenswert sowohl weitere Werke zu berücksichtigen als auch andere Orte einzubeziehen. Die Fülle der heranzuziehenden Text- und Notenfassungen sowie die Menge der jeweils zu rekonstruierenden lokalspezifischen Bedingungen würde in Buchform zu großer Unübersichtlichkeit führen. Dem ließe sich beikommen, indem man eine digitale Präsentationsform wählte. Die Abschnitte zu einer Fassung müssten so in sich geschlossen sein, dass sie auch einzeln, beispielsweise als Geschichte der Komödie einer Stadt lesbar wären. Ein Anfang für eine solche Darstellung wurde in der vorliegenden Arbeit bereits gemacht. Auf diese Weise sollten sich dann Kapitel sowohl entlang von Werken zusammenstellen lassen als auch nach Städten beziehungsweise einzelnen Theatern. Die Kapitel könnten Links zu Autoren, Theaterschaffenden, Stückinhalten, Noten, Texten, Besetzungslisten, Kritiken und Ähnlichem enthalten, die den Lesefluss nicht stören, bei Bedarf allerdings auch den Zugriff auf Materialien beziehungsweise deren Analyse ermöglichen würden. Eine Verschlagwortung der modular verwendbaren Abschnitte nach Komödiengenres und weiteren (komischen) Schreibstrategien würde zusätzliche inhaltliche Zugriffe auf die Komödien erlauben, die quer zur Ordnung der Kapitelstrukturen nach Städten, Theaterinstitutionen oder Werken
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stehen. Damit ließe sich der Tatsache Rechnung tragen, dass die Geschichte der deutschsprachigen Komödie sich nicht als kontinuierliche oder gar teleologische Entwicklung präsentiert, aber eigene Charakteristika und Zusammenhänge aufweist. Im Falle der Komödie würde eine digitale Darstellung nicht nur das Problem der Verfügbarkeit, der Aktualisierbarkeit und der Materialfülle lösen, sondern auch der Plurimedialität der Aufführung Rechnung tragen können, auf die hin die Texte konzipiert sind. Hörbeispiele, Bildmaterial zu Aufführungen, Schauspielern, Rollenfächern, Theaterzeichnungen und Tanztheater sowie Versuche der Rekonstruktion von Aufführungen zu Forschungszwecken könnten auf diese Weise einfach und gewinnbringend eingebunden werden.9
|| 9 Vgl. für Letzteres die Forschungsprojekte von Wagner, http://performingpremodernity.com (zuletzt aufgerufen am 15.09.2021).
Bibliographie Liste der Bibliothekssiglen: B-Br Bibliothèque royale de Belgique BSB Bayerische Staaatsbibliothek München F-BNF Bibliothèque nationale de France R Staatliche Bibliothek Regensburg SBB-PK Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz SUB Staats und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky Hamburg ÖNB Österreichische Nationalbibliothek Wien WRz Stiftung Weimarer Klassik, Herzogin Anna Amalia Bibliothek
Komödienfassungen (Texte und Noten) Kapitel 3.1. [Nicolò Minato/Leopold I.], Creso. Drama per Musica, nel felicissimo di’natalizio. Della S.C.R Maesta’ Dell Imperatrice Eleonora, Maddalena, Teresa / Per Commando Della S. C. R. Maesta’ Dell’Imperatore Leopoldo. L’Anno M.DC.LXXVIII. Et alle Med:maM:tà Consacrato In Vienna d’Austria, Per Gio; Christoforo Cosmerovio, Stampatore di S. C. M. [ÖNB 407.399A]. Abgekürzt und zitiert als Creso. [Nicolò Minato/Leopold I.], Cresus. Gesungene Vorstellung An dem Geburts-Tag Ihrer Mayestett Der Regierenden Römischen Kayserin Eleonora Magdalena Theresia Auff Allergnädigsten Befelch Ihrer Römischen Kayserlichen Mayestett Leopold Deß Ersten In zwey Täge abgetheilter gehalten. Wien: Cosmerovio [1678]. [BSB Slg.Her 2651] Abgekürzt und zitiert als Cresus. [Leopold I] Creso. [Partitur] [ÖNB Mus.Hs.16287/1-3]. [Lukas von Bostel/Philipp Förtsch], Der Hochmüthige/ Gestürtzte/ und Wieder-Erhobene Crœsus [Hamburg 1684]. [Marx/Schröder, Nr. 160a] [In: Zwanzig Hamburgische Opern und Singspiele, 1708, 1719, SUB 20 in Scrin A/94, n°20]. Zitiert mit der Sigle C 1684a [Lukas von Bostel/Philipp Förtsch], Der Hochmüthige/ Gestürtzte/ und Wieder-Erhobene Crœsus [Hamburg 1684]. [Marx/Schröder, Nr. 160b] [SUB 25 in MS 639/3: 2]. Zitiert mit der Sigle C 1684b. Croesus. Drama Musicale in 3 Atti da rappresentarsi nel Teatro Hamburgo Anno 1710. von Reinhard Kaiser auch Rinardo Cesaro genannt. | Zum Theil eigenhändige u. merckwürdige | Partitur des Componisten | aus dem uralten Hamburg. Opern-Archiv her[r]ührend, dessen Besitzerinn eine Mademoiselle Willers, war. Von mir im Jahr 1830 acquiritet. Pölchau [Partitur] [B-Br Ms II 4067 Mus Fétis 2812] Edition: Reinhard Keiser: Der hochmüthige, gestürzte und wieder erhabene Croesus. 1730 (1710). Erlesene Sätze aus L’inganno fedele 1714.
https://doi.org/10.1515/9783110691191-005
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Hg. von Max Schneider und Hans Joachim Moser, Wiesbaden u. a. 1912. Zitiert mit der Sigle K. Der stumme Printz Atis [1708] [Hs.] [ÖNB Cod. 13.107]. Ediert In: Brauneck/Noe (1970–2007), Spieltexte der Wanderbühne, Bd. V,1, S. 191–252. Abgekürzt als Atis und zitiert mit der Sigle A. [Lukas von Bostel/Reinhard Keiser], Der Hochmüthige/ Gestürtzte/ und wieder erhabene Crœsus. In einem Singe-Spiele vor vielen Jahren auff dem Grossen Hamburgischen SchauPlatze vorgesellet. Jetzo von neuem wieder auffgeführte. Im Jahr 1711. [SBB-PK Berlin ] [Marx/Schröder, Nr. 161a]. Zitiert mit der Sigle C 1711. [Johann Philipp Praetorius/Reinhard Keiser], Buchhöfer Der Stumme Printz Atis, In einem Intermezzo Auf dem Hamburger Schau-Platze Vorgestellet Im Jahr 1726. [Marx/Schröder 1995, Nr. 56] [WRz 218 in 4°14,5:75g] . Abgekürzt als Buchhöfer und zitiert mit der Sigle B. Das gesegnete und von der himmlischen Providenz beschützte Regenspurg Wurde einem Hoch-Edlen […] Magistrat Des H. Röm. Reichs Freyen Stadt Regenspurg In einem Poetischen Prologo, Nebst einer […] Haupt- und Staat-Action, genannt: Der wegen seiner Großmut gestürtzte und wieder erhobene Crœsus […] dediciret Von den allhier. Regenspurg 1727. [Theaterzettel, Prolog und Personenverzeichnis] [R 999/Rat.ep 538b]. [Lukas von Bostel/Reinhard Keiser], Der Hochmüthige/ Gestürtzte/ und wieder erhabene Crœsus. In einem Musicalischen Schau-Spiele auf dem Hamburgischen Schau-Platze vorgestellet Im Jahr 1730. [SBB-PK Berlin ] [Marx/Schröder, Nr. 161b]. Zitiert mit der Sigle C 1730.
Kapitel 3.2 Die reisenden Komödianten, oder der gescheide und dämische Impressario, ein Lustspiel von einer Abhandlung, Verfasset von Philipp Hafner. Wien, gedruckt und zu finden bey Joseph Kurzböken, Univ. Buchd. in der Bognergasse im hofglaserischen Hause. [1762]. [Hofbibliothek Thurn und Taxis Regensburg (Sigle: 76), Beibindung in einem Band mit komischen Schriften ohne eigenen Titel]. Abgekürzt als Odoardo und zitiert mit der Sigle H. Die Schwestern von Prag: Als Singspiel in 2 Aufz. nach dem Lustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Perinet, Theaterdichter und Mitglied dieser Gesellschaft. Die Musik ist von Wenzel Müller, Kapellmeister dieser Bühne. Wien, gedruckt bey Mathias Andreas Schmidt, kaiserl. königl. Hofbuchdrucker 1794. [ÖNB 2316-A-AltMag] . Abgekürzt als Schwestern von Prag und zitiert mit der Sigle P 1794. Die Schwestern von Prag: Als Singspiel in 2 Aufzügen. Nach dem Lustspiel des Weyland Herrn Hafner für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Ferdinand Perinet. Die Musik ist von Herrn Wenzel Müller, Capellmeister eben dieser Bühne. Aufgeführt auf dem k. k. privileg. Marinellischen Theater. [1795] [Textbuch 55 Bl.] [ÖNB Mus.Hs.19906 Mus], II,20. Zu diesem handschriftlichen Textbuch liegt in der Musiksammlung auch noch ein Szenarium (8 Bl.) vor [ vgl. ÖNB Mus.Hs.19907] sowie neun Rollen (78 Bl.) [vgl. ÖNB Mus.Hs.19908]. Die Schwestern von Prag. Als Singspiel in zwei Aufzügen nach dem Lustspiel des Weyland Herrn Hafner für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Ferdinand Perinet. Die Musik
Bibliographie | 283
ist von Herrn Wenzel Müller, Chapellmeister eben dieser Bühne. Aufgeführt auf dem k. k. privileg. Marinellischen Theater, Textbuch handschriftlich [ÖNB Mus.Hs.19906 Mus] [ÖNB Mus.Hs.19907 Mus (Szenarium)]. Die Schwestern von Prag: Ein Lustspiel von Philip Haffner, übersetzt von Joachim Perinett. Die Musik ist von H. Wenzel Müller, Kapellmeister. Wien im Februar 1794. [Partitur-Hs] [ÖNB Mus.Hs.19904] [ÖNB Mus.Hs.19908 (9 handschriftl. Rollen)]. Arien und Gesänge aus dem Singspiel: Die Schwestern von Prag in zwei Aufzügen. Die Musik ist von Herrn Kapellmeister Müller. Berlin 1795. [SUB Gc/Sep A5 73]. Die Schwestern von Prag. Ein Singspiel in zwey Aufzügen. Von Joachim Perinet. Die Musik ist vom Herrn Wenzel Müller. Nürnberg, gedruckt bey Michael Joseph Schmid, 1796. [BSB Slg. Her 192a]. Die Schwestern von Prag: Komisches Singspiel in 2 Aufzügen; Inspektionsbuch / nach Hafner von Perinet. Die Musik ist vom Herrn Kapellmeister Wenzel Müller. [Hamburg], [um 1799]. [Hs] [SUB TB 1489a]. Die Schwestern von Prag: komisches Singspiel in 2 Aufzügen; Soufflierbuch / nach Hafner von Perinet. Die Musik ist vom Herrn Kapellmeister Wenzel Müller. [Hamburg], [um 1799]. [Hs] [SUB TB 1489b]. Abgekürzt als Schwestern von Prag und zitiert mit der Sigle P 1799. Die Schwestern von Prag: Ein komisches Singspiel in zwey Aufzügen nach dem Lustspiel des Philipp Haffner / neu bearbeitet von Joachim Perinett. Musick von Wenzel Müller. Wien im Februar 1794. [Partitur-Hs] [SUB TBR 91:1-2]. Abgekürzt als Partitur der Schwestern von Prag und zitiert mit der Sigle M 1799 Die Schwestern von Prag: Als Singspiel in 2 Aufz. nach dem Lustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses Theater neu bearbeitet von Joachim Perinet, Theaterdichter und Mitglied dieser Gesellschaft. Die Musik ist von Wenzel Müller, Kapellmeister dieser Bühne. Wien 1800.
Kapitel 3.3 Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Verfertiget im Jahre 1763. Lustspiele von Gotthold Ephraim Lessing. Zweyter Theil. Der Freygeist. Der Schatz. Minna von Barnhelm. Berlin bey Christian Friedrich Voss 1767, S. 253–442 [BSB, P.o.germ.834x-2]. Abgekürzt als Minna von Barnhelm und zitiert mit der Sigle MvBED. Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen; Inspektionsbuch/von Gotthold Ephraim Lessing. Zweyte Auflage Berlin: bey Christian Friederich Voß, 1770. [Inspektionsbuch, Druck mit zahlreichen hs. Korr. und Streichungen sowie mit einer Rollenübersicht mit hs. Schauspielernamen und Szenenübersicht] [SUB Hamburg TheaterBibliothek: 1985a]. Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Aufgeführet auf der Kais. Königl. Privilegierten deutschen Schaubühne in Wien im Jahre 1767. Gedruckt mit v. Ghelischen Schriften. [ÖNB Alt Mag 3.409-A]. Abgekürzt als Minna von Barnhelm und zitiert mit der Sigle MvBW1. Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen von dem Herrn Leßing. Zweyte Auflage. Wien, zu finden bey dem Logenmeister. [ÖNB Alt Mag 392620-
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A.3,7]. Abgekürzt als Minna von Barnhelm und zitiert mit der Sigle MvBW2. Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, ein Lustspiel in fünf Aufzügen von dem Herrn Lessing. Aufgeführt in dem Kaiserl. Königl. Privilegirten Theater in Wien. 1768. In: Neues Theater in Wien. Bd. 3. Wien 1969. [BSB 9824630 P.o.germ 1445-3,1/4]. Abgekürzt als Minna von Barnhelm und zitiert mit der Sigle MvBW3. Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen von dem Herrn Lessing. Aufgeführt in dem kais. königl. privilegierten Theater in Wien im Jahre 1775. [ÖNB 625480-A]. Abgekürzt als Minna von Barnhelm und zitiert mit der Sigle MvBW4.
Kapitel 3.4 La folle journée, ou le mariage de Figaro, Comédie en cinq Actes, en Prose, par M. d. Beaumarchais, Représentée pour la première fois, par les comédiens françois ordinaires du Roi, le mardi 27avril 1784. Chez Ruault Amsterdam, M.DCC.LXXXV Abgekürzt als La folle journée und zitiert mit der Sigle B. [F-BNF 8-YTH-7405]. Der lustige Tag, oder Figaro’s Hochzeit: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Aus dem Französischen des Herrn Caron von Beaumarchais übersezt; Aechte, vom Herrn Verfasser einzig und allein genehmigte, vollständige Ausgabe. Kehl: Müller 1785. [BSB 821807 P.o.gall. 211] Der närrische Tag, oder die Hochzeit des Figaro; ein Lustspiel in fünf Aufzügen, aus dem Französischen des Herrn Caron von Beaumarchais, Wien 1785. [Übersetzt und bearbeitet von Johann Rautenstrauch]. Figaro’s Heirath: ein Lustspiel in vier Aufzügen; Nach dem Französischen des Beaumarchais von Herrn Schröder; Inspektions Buch, [Mai 1785], [SUB Theater-Bibliothek 210a]. Figaro’s Heirath: Lustspiel in fünf Aufzügen. Nach dem Französischen des Beaumarchais von Schröder; Soufflierbuch, [1787], [SUB Theater-Bibliothek 210b]. Neu ediert in Schröder (2016), Figaro’s Heirath. Abgekürzt als Figaro’s Heirath zitiert mit der Sigle S. Parisau (1785): Pierre Germain de Parisau, Figaro’s Reue. Lustspiel in einem Aufzuge / nach dem Französischen des Parisau, von F. L. Schröder. o. O., [nach] 10. Decembr 1785. [Ms. mit eigenh. Erg. Schröders und Streichungen sowie mit einer Rollenübersicht] [SUB Theater-Bibliothek 237]. Neu ediert in Schröder (2016), Figaro’s Heirath. Zur Hochzeit des Figaro del Sigr C: Hanke. Partitur. Lustspiel in 5 Aufzügen. 1785 Komp. Herrn Johann Christian Brandes zum Andencken. Vom Verfaßer 1786. [Hs. Partitur] [SUB ND VII 167]. Le nozze di Figaro. comedia per musica tratta dal francese in quattro atti: da rappresentarsi nel Teatro di corte l’anno 1786. In Vienna: Presso Giuseppe Nob. de Kurzbek, stampatore di S.M.I.R. [Washington DC, Library of Congress ML48 [S6826]]. Die Hochzeit des Figaro. Ein Schauspiel in Musik in 4. Aufzügen aus dem Französischen herausgezogen. Aufgeführet in dem k. k. Nazionalhoftheater. Im Jahre 1786. Wien, bei Joseph Edlen v. Kurzbeck, k. k. Hofbuchdrucker, Groß= und Buch-händler. [Stadt- und Landesbibliothek Wien, Signatur: A 13.604]. Im Folgenden zitiert mit der Sigle DPD.
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Primärliteratur Im Folgenden werden nur diejenigen Primärtexte angeführt, aus denen auch zitiert wurde. Eine Übersicht über alle dramatischen Werke, die im Text erwähnt werden, bietet das Werkregister.
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Register Institutionen für Musik und Theater
Personen
– Hamburg Comödienhaus am Gänsemarkt 166, 167, 205, 246 Gänsemarktoper 6, 9, 15, 18, 19, 28, 30, 33, 43, 70, 71, 72, 75, 77, 78, 82, 85, 90, 92, 94, 96, 98, 99, 101, 102, 103, 104, 155, 166, 167, 271, 272, 276, 277 Hamburger Nationaltheater 30, 166, 167, 169, 175, 200, 202, 205, 206, 211, 232, 277 Hamburger Stadttheater 10, 19, 20, 21, 30, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 162, 163, 164, 231, 232, 233, 246, 247, 248, 257, 274, 278 – Paris Académie Royale de Musique 100 Comédie Française 210, 233, 234 Théâtre de L’Odéon 231, 234 Théâtre de la Foire Saint-Laurent 100 Théâtre de la Foire St. Germain 101 Théâtre de la rue des Fossés à SaintGermain 205 – Wien Burgtheater/Hoftheater 17, 20, 30, 33, 60, 108, 129, 130, 131, 139, 157, 163, 225, 227, 228, 246, 247, 253, 256, 257, 258, 263, 264, 267, 269, 275, 278 Freihaustheater 135 Kärntnertortheater 17, 20, 30, 43, 103, 105, 106, 107, 108, 110, 111, 122, 127, 128, 129, 131, 139, 212, 213, 214, 221, 224, 226, 227, 228, 253, 254, 272, 275, 276, 277 Leopoldstädter Theater 13, 17, 19, 30, 129, 131, 132, 133, 134, 136, 138, 139, 140, 151, 157, 269, 274, 278, 279 Theater am Weißen Fasan 131
– Ackermann, Conrad Ernst 156, 166, 167, 175, 200, 201, 202, 205, 206, 210, 211 – Ackermann, Sophie Charlotte 246, 247 – André, Johann 156 – Aristoteles 176 – Ayrenhoff, Cornelius Hermann von 138 – Babo, Joseph Marius von 279 – Bäuerle, Adolf 164 – Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron de 20, 224, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 240, 245, 247, 248, 249, 250, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 263, 266, 267, 273, 275 – Beaunoir, Alexandre Louis Bertrand 163 – Beethoven, Ludwig van 135, 142 – Belloy, Pierre-Laurent Buirette de 210 – Benda, Friedrich Ludwig 248 – Benda, Georg Anton 156 – Bender, Joseph Carl 224 – Benecke, Victoria Clara 89 – Bernard le Bovier de Fontenelles 100 – Bertalli, Antonio 59 – Bertati, Giovanni 156 – Biancolleli, Pierre François (Dominique) 99 – Bode, Johann Joachim Christoph 206 – Bostel, Lucas von 28, 29, 57, 61, 70, 73, 75, 76, 77, 80, 87, 88, 89, 90, 91, 102, 103 – Brandes, Johann Christian 175, 225, 226, 232, 247 – Brenner, Anton Jakob 106 – Bretzner, Christoph Friedrich 130 – Brugger, Abraham 90 – Buchhöfer, Johann Adolph Matthias 95, 103 – Charles Philippe, Graf von Artois, später König Karl X. 234 – Chaussée, Pierre Claude Nivelle de La 175, 179, 198
https://doi.org/10.1515/9783110691191-006
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– Christian Albrecht von SchleswigHolstein-Gottorf 71 – Colman, George 34 – Conradi, Johann Georg 272 – Conti, Francesco 53, 102 – Corneille, Pierre 127 – Cosmerovius, Matthäus 61 – Costenoble, Carl Ludwig 159 – Cronegk, Johann Friedrich von 169 – D’Orneval, Jacques-Philippe 99, 100 – Da Ponte, Lorenzo 231, 255, 256, 257, 260, 261, 263, 266, 267 – Dante Alighieri 262 – Destouches, Philippe Néricault 127, 162, 175, 177, 179, 198, 199, 275 – Diderot, Denis 208, 224 – Draghi, Antonio 60, 61 – Eberl, Ferdinand 131, 132, 133, 140, 141 – Eberle, Johann Joseph 210 – Ehlers, Wilhelm 159 – Ekhof, Hans Conrad Dietrich 206 – Eleonora I. Gonzaga 57 – Eleonore Magdalena Theresia von PfalzNeuburg 60 – Elmenhorst, Heinrich 73 – Engel, Johann Jakob 228, 229 – Engelschall, Joseph Heinrich von 112, 116, 117, 214, 223 – Eschenburg, Johann Joachim 170 – Eule, Gottfried 158, 159 – Farquhar, George 227 – Feind, Barthold 272 – Fellner, Joseph 228 – Ferdinand II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 57 – Ferdinand III., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 57, 58 – Ferrari, Benedetto 59 – Fischer, Franz Joseph 228 – Formica, Matthäus 61 – Förtsch, Johann Philipp 70, 73, 80 – Franck, Johann Wolfgang 73 – Franz II./I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches/Kaiser von Österreich 20, 135, 275 – Fréron, Élie Catherine 207, 209
– Friedrich Heinrich Ludwig von Preußen 192 – Friedrich II., König von Preußen 169, 171, 181, 188, 189, 191, 203, 204, 228 – Fuzelier, Louis 99 – Garrick, David 34 – Gelbhaar, Gregor 61 – Gellert, Christian Fürchtegott 127, 179, 224 – Giesecke, Karl Ludwig 157 – Gleich, Josef Alois 164 – Goethe, Johann Wolfgang von 135, 170, 171 – Goldoni, Carlo 114, 117, 118, 127, 164, 222 – Göschen, Georg Joachim 231, 263 – Gotter, Friedrich Wilhelm 250 – Gottlieb, Johann Christoph 106 – Gottsched, Johann Christoph 5, 6, 7, 8, 12, 104, 107, 108, 109, 110, 117, 126, 127, 175, 176, 177 – Gottsched, Luise Adelgunde Victorie 127, 175, 177 – Grétry, André-Ernest-Modeste 156 – Großmann, Gustav Friedrich Wilhelm 158, 248 – Gryphius, Andreas 5, 6 – Hafner, Philipp 19, 105, 112, 113, 114, 116, 117, 118, 119, 120, 122, 125, 126, 127, 128, 129, 134, 136, 138, 139, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 150, 151, 154, 158, 159 – Hägelin, Franz Karl 131, 214, 255, 257, 264, 265, 267 – Hanke, Carl 232, 247 – Haydn, Franz Joseph 135 – Hecht, Johann Julius von 169 – Henrici, Christian Friedrich 6 – Henselin, die (Friederike Sophie Seyler) 108 – Hensler, Karl Friedrich 132, 133, 140, 158, 159 – Herodot 28, 61, 62 – Herrl, Johann Joseph 112 – Herzfeld, Jakob 158 – Heubel, Johann Georg 128 – Heufeld, Franz 224, 225
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– Heyden, Ludwig Jacob 214 – Heydrich, Carl Gottlob 108 – Hiller, Johann Adam 156 – Hoadley, Benjamin 250 – Hoffmann, Carl Ludwig 87, 103, 166 – Holberg, Ludwig 177 – Huber, Joseph Karl 106, 140 – Huber, Ludwig Ferdinand 231 – Imbert, Barthélemy 250, 251 – Jacquet de la Guerre, Claude Elisabeth 101 – Joseph II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 129, 130, 131, 222, 228, 255, 257, 258, 262, 264 – Jünger, Johann Friedrich 231, 263, 264, 265, 266, 267, 275 – Karl VI., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 277 – Kauer, Ferdinand 158 – Keiser, Reinhard 29, 57, 80, 81, 90, 91, 95, 96, 272 – Klemm, Christian Gottlob 112, 214, 224, 225 – Knigge, Adolph 257 – Knigge, Philippine Eregine 257 – Koch, Heinrich Gottfried 108, 166, 200 – Kohlhardt, Friedrich 103 – König, Eva 214 – König, Johann Ulrich 6 – Körner, Christian Gottfried 263 – Kospoth, Otto Carl Erdmann, Freiherr von 156 – Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von 8, 227, 279 – Krauß, Johann Paul 127 – Krüger, Benjamin Ephraim 108 – Krüger, Johann Christian 7, 175, 225 – Kumpf, Hubert Ludwig 254 – Kurz, Johann Joseph Felix (von) 4, 8, 17, 105, 107, 111, 112 – Kurzböck, Joseph von 113 – La Roche, Johann Joseph 132, 133, 136, 138, 139, 140, 141, 151, 159, 160 – Langerhans, Karl Daniel 158, 159 – Lederer, Joseph 228
– Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 43, 57, 58, 60, 61 – Leopold II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 135 – Lesage, Alain René 99, 100 – Lessing, Gotthold Ephraim 7, 8 – Lessing, Karl Gotthelf 169 – Löhrs, Johann Karl 158, 159 – Lorenz, Christiane Friederike 108 – Louis XVI., König von Frankreich 233 – Löwen, Johann Friedrich 7, 200 – Lyotard, Jean-François 1 – Maria Theresia von Österreich 107, 111, 127, 135, 222, 255 – Marie-Antoinette von ÖsterreichLothringen, Königin von Frankreich 233, 255 – Marinelli, Karl (von) 131, 132, 133, 139, 140 – Marivaux, Pierre Carlet de 8, 175, 179, 198, 201 – Marmontel, Jean-François 156 – Matteis, Nicola 102 – Meier, Georg Friedrich 48 – Meisl, Karl 164 – Mendelssohn, Moses 199, 206 – Menninger, Matthias 138, 139 – Meyer, Friedrich Ludwig 232, 233, 247 – Minato, Nicoló 28, 57, 60, 61, 62, 70 – Mingotti, Angelo 155 – Molière (Jean-Baptiste Poquelin) 73, 117, 148, 162, 175, 177, 197, 198, 201, 203, 236 – Möller, Heinrich Ferdinand 229 – Montsigny, Pierre-Alexandre 156 – Möser, Justus 127 – Mozart, Wolfgang Amadeus 135, 154, 157, 231, 248, 255, 256, 257, 258, 260, 262 – Müller, Wenzel 4, 7, 14, 19, 105, 109, 129, 134, 135, 142, 151, 158, 159, 160, 161, 162 – Murphy, Arthur 250 – Mylius, Christlob 127
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– Neuber, Friederike Caroline (die Neuberin) 9, 87, 108, 109, 110, 166, 200 – Nicolai, Christoph Friedrich 169, 199, 200 – Nicolini, Filippo 8 – Nuth, Anna Maria 105 – Orsini-Rosenberg, Franz Xaver 258 – Paisiello, Giovanni 156, 256 – Pariati, Pietro 102 – Parisau, Pierre-Germain 251 – Perinet, Joachim 19, 105, 113, 125, 129, 133, 134, 136, 137, 139, 140, 142, 143, 144, 145, 147, 150, 151, 152, 154, 155, 158, 159, 160, 274 – Petrarka, Francesco 262 – Petrasch, Joseph Leopold Freiherr von 112 – Petrosellini, Giuseppe 156, 256 – Plümicke, Karl Martin 228 – Postel, Christian Heinrich 272 – Praetorius, Johann Philipp 57, 90, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 102 – Prehauser, Gottfried 90, 103, 105, 107, 111, 118, 122, 123, 129 – Prothke, Johann 228 – Racine, Jean Baptiste 127 – Rademin, Heinrich 272 – Rath, Caspar von 61 – Rautenstrauch, Johann 254, 255, 256 – Regnard, Jean François 177, 178 – Reinken, Jan Adam 72 – Reuter, Christian 6 – Richter, Christian 73 – Richter, Joseph 142 – Rickhes, Michael 61 – Riegger, Joseph Anton 112 – Romanus, Karl Franz 200, 225 – Roschmann-Hörburg, Cassian Anton von 170 – Rudolph, Johann Albrecht 60, 89 – Sachs, Hans 5 – Scheyb, Franz Christoph von 108, 112 – Schikaneder, Emanuel 157, 254 – Schiller, Friedrich 263 – Schink, Johann Friedrich von 133 – Schlegel, Johann Elias 168, 175, 225
– Schlegel, Karl Wilhelm Friedrich 7 – Schlögl, Friedrich 139 – Schmelzer, Johann Heinrich 60 – Schönemann, Johann Friedrich 166 – Schott, Gerhard 72 – Schröder, Friedrich Ludwig 152, 156, 157, 158, 159, 231, 232, 233, 236, 237, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 253, 256, 259, 260, 261, 266, 267, 272, 273, 275 – Schröder, Sophie Charlotte (die Schröderin) 166 – Schübler, Johann Jacob 89 – Schultze-Kummerfeldt, Carolin 108 – Schürmann, Georg Caspar 102, 103 – Schuster, Joseph 156 – Sedaine, Michel-Jean 156, 228, 230 – Shakespeare, William 34, 199, 232, 247 – Sonnenfels, Joseph von 112, 116, 214, 218, 223, 224 – Stegmann, Karl David 158 – Stephanie, Christian Gottlob Stephanie (der Ältere) 212, 213 – Stephanie, Johann Gottlieb (der Jüngere) 130, 157, 214, 226, 227, 228 – Stieler, Kaspar von 6 – Stranitzky, Joseph Anton 103, 105, 122 – Theile, Johann 72, 73 – Trattner, Johann Thomas 116 – Treu, Michael Daniel 166 – Umlauf, Ignaz 135, 154, 156, 157 – Vaudreuil, Comte de 234 – Vegas, Lope de 73 – Velten, Catharina Elisabeth 9 – Velten, Johannes 166 – Voltaire (François-Marie Arouet) 127, 168, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 235 – Weise, Christian 5, 6, 73 – Weiskern, Friedrich Wilhelm 105, 107, 108, 111, 116, 118, 126, 127, 128, 129, 166, 212, 214, 215, 216, 217, 219, 220, 221, 222, 224, 226 – Weiße, Christian Felix 7, 175, 225 – Wolf, Ernst Wilhelm 156 – Wranitzky, Paul 157
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Werke – Amalteo, Aurelio / Sances, Giovanni Felice Mercurio esploratore 60 – Ayrenhoff, Cornelius Hermann von Aurelius 138 – Babo, Joseph Marius von Bürgerglück 279 – Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron de La folle journée ou Le mariage de Figaro 20, 231, 233, 247, 249, 253–55, 255, 273, 275 Le barbier de Séville 233, 234, 237, 240, 245, 249 – Beaunoir, Alexandre Louis Bertrand Jérôme Pointu 163 – Belloy, Pierre-Laurent Buirette de Le siège de Calais 210, 211 Zelmire 210 – Bernard le Bovier de Fontenelles Thétis et Pélée 100 – Bertati, Giovanni / Paisiello, Giovanni Gli astrologi immaginari 156 – Biancolleli, Pierre François (Dominique) Arlequin Atys 99 – Bode, Johann Joachim Das Caffeehaus oder die Schottländerinn (Übers.) 207 – Bostel, Lucas von / Förtsch, Johann Philipp Das unmöglichste Ding 73 – Bostel, Lucas von / Keiser, Reinhard Der Hochmüthige, gestürtzte und WiederErhobene Crœsus 57, 64, 70–87, 87, 88, 90, 91, 92, 94, 95, 96, 99, 102, 271, 273 – Bostel, Lucas von / Schürmann, Georg Caspar Atis, oder Stumme Verliebte 102 – Brandes, Johann Christian Der Graf von Olsbach 226, 227, 229 – Colman, George / Garrick, David The Clandestine Marriage 34 – Cronegk, Johann Friedrich von Olint und Sophronia 169
– Da Ponte, Lorenzo / Martín y Soler, Vicente Una cosa rara o sia Bellezza ed onestà 263 – Da Ponte, Lorenzo / Mozart, Wolfgang Amadeus Le Nozze di Figaro 20, 231, 233, 257, 255– 62, 275 – Diderot, Denis Le Fils naturel 208 Le Père de famille 204, 224 – Eberl, Ferdinand Der Tode und seine Hausfreunde 131 Die Limonadehütte 131 Kasperl' der Mandolettikrämer, oder Jedes bleib bey seiner Portion 131 – Elmenhorst, Heinrich/ Franck, Johann Wolfgang Don Pedro oder Die abgestraffte Eyffersucht 73 – Engel, Johann Jakob Der dankbare Sohn 228, 229 – Engelschall, Joseph Heinrich von Zufällige Gedanken über die Schaubühne zu Wien 223 – Farquhar, George The Recruiting Officer 227 – Feind, Barthold / Keiser, Reinhard Die kleinmüthige Selbstmörderin Lucretia 272 – Fellner, Joseph Der Chargenverkauf 228 – Ferrari, Benedetto / Bertalli, Antonio L’Inganno d’Amore 59 – Fischer, Franz Joseph Das grosse Beispiel oder welch’ ein Mensch! 228 – Gellert, Christian Fürchtegott Zärtliche Schwestern 127 – Giesecke, Karl Ludwig / Wranitzky, Paul Oberon. König der Elfen 157 – Goethe, Johann Wolfgang von Faust 115 – Goldoni, Carlo Il Teatro Comico 114 Pamela 222 – Gotter, Friedrich Wilhelm
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Der argwöhnische Ehemann (Übers.) 250 – Gottsched, Johann Christoph Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst 104 Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen 5, 108, 109 – Gottsched, Luise Adelgunde Victorie Das Testament 177 – Graffigny, Françoise du Cénie 204 – Großmann, Gustav Friedrich Wilhelm Der Barbier von Sevilla, oder die unnütze Vorsicht (Übers.) 248 Eigensinn und Launen der Liebe 158 – Hafner, Philipp Das Neu-Sonntagskind 134 Der Freund der Wahrheit 117 Der Furchtsame 128, 134, 158 Der von dreyen Schwiegersöhnen geplagte Odoardo, oder Hannswurst und Crispin die lächerlichen Schwestern von Prag 19, 105–29, 129, 134, 273 Die reisenden Komödianten oder der gescheide und dämische Impressario 113, 114, 147 Überall und Nirgends 134 – Hensler, Karl Friedrich Das Sonnenfest der Braminen 158 Teufelsmühle auf dem Wiener Berge 133 – Hensler, Karl Friedrich / Kauer, Ferdinand Das Donauweibchen 133, 158, 159 – Heubel, Johann Georg Odoardo der glückliche Erbe, oder Hannswurst ein Galant d’Homme, aus Unverstand 128 Polyphemus oder die Gefahr des Ulysses auf der Cyclopen Insul mit Hannswursts lächerlichen Unglücksfällen 128 – Hoadley, Benjamin The Suspicious Husband 250 – Holberg, Ludwig Jean de France oder Hans Franzen 177 – Imbert, Barthélemy
Le jaloux sans amour 250 – Jacquet de la Guerre, Claude Elisabeth La ceinture de Vénus 101, 102 – Jünger, Johann Friedrich Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro 231, 237, 263–69, 275 – Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von Armut und Edelsinn (1795) 227 – Krüger, Benjamin Ephraim Vitichab und Dankwart 108 – Kurz, Johann Joseph Felix (von) / Haydn, Franz Joseph Der neue krumme Teufel 135 – Lesage, Alain René Arlequin Thétis 100 – Lesage, Alain René (Hrsg.) / D’Orneval, Jacques-Philippe (Hrsg.) Le Théâtre De La Foire, Ou L'Opéra Comique 99, 102 – Lesage, Alain René / D’Orneval, Jacques-Philippe Arlequin Thétis 100 – Lessing, Gotthold Ephraim Damon 200 Der Freygeist 168, 175, 200 Der junge Gelehrte 200, 212, 213, 214 Der Misogyn 175, 200, 212, 213 Der Schatz 168, 175, 200, 212 Die Juden 200 Emilia Galotti 214, 248 Hamburgische Dramaturgie 167, 175, 176, 177, 178, 180, 198, 200, 201, 204, 206 Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück 8, 20, 41, 130, 166– 230, 273, 274 Miß Sara Sampson 200, 205, 206, 214 Nathan der Weise 199 – Marmontel, Jean-François / Grétry, André-Ernest-Modeste Zemire et Azor 156 – Matsen / Franck, Johann Wolfgang Sein selbst Gefangener 73 – Minato, Nicoló / Draghi, Antonio Die Närrische Abderiter 63 La Chimera 63
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La lanterna di Diogene 63, 271 La patienza di Socrate. Con Due Mogli 63 – Minato, Nicoló / Leopold I. Creso 19, 28, 42, 57–70, 60, 73, 74, 75, 76, 78, 80, 88, 276 – Molière L’amour médecin 148, 149 L'Avare 177 Le Sicilien, ou l’amour peintre 73 Misanthrope 198 – Möller, Heinrich Ferdinand Der Graf von Walltron 229 – Murphy, Arthur All in the wrong 250 – Parisau, Pierre-Germain Le repentir de Figaro 251 – Perinet, Joachim Baron Baarfuß, oder der Wechselthaler 136 Caro, oder Megärens zweyter Theil 136 Das Fest der Lazaroni 134 Das Glück der Untertanen 134 Das lustige Beylager 136 Das Neu-Sonntagskind (Bearb.) 134, 158, 159 Der Fagottist oder die Zauberzither 133, 136, 158 Die zween Savoyarden 134 Kuno von Kyburg 134 Lustig lebendig (Bearb.) 134, 159 Megera. Erster Theil 136 Pizichi, oder Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten 136 Raoul, Herr von Crequi 134 Überall und Nirgends (Bearb.) 134 – Perinet, Joachim / Müller, Wenzel Die Schwestern von Prag 14, 129–65, 273, 279 – Petrosellini, Giuseppe / Paisiello, Giovanni Il Barbiere di Siviglia, ovvero La precauzione inutile 156, 256 – Plümicke, Karl Martin Der Volontär 228 – Postel, Christian Heinrich/Conradi, Johann Georg Diogenes cynicus 272
– Praetorius, Johann Philipp Buchhöfer Der stumme Printz Atis 29, 57, 90–104, 271, 272, 276, 277 – Praetorius, Johann Philipp / Keiser, Reinhard Der Hamburger Jahr-Marckt oder der glückliche Betrug 95, 96, 97, 98, 102 Die Hamburger Schlacht-Zeit, oder der mißgelungene Betrug 97, 98, 104, 274 – Praetorius, Johann Philipp / Telemann, Georg Philipp Die Ungleiche Heyrath / Oder das Herrsch-süchtige Cammer-Mädgen 95 – Prehauser, Gottfried Die stummen Prinzen 90 – Prothke, Johann Der Rechtschafne darf nicht immer darben, oder Wenns der Fürst nur weiß, er hilft gewis 228 – Rademin, Heinrich Die Römische Lucretia (Bearb.) 272 – Regnard, Jean François Le Joueur 177 – Richter, Christian / Theile, Johann Adam und Eva. Der erschaffene/gefallene und auffgerichtete Mensch 73 – Richter, Joseph Briefe eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d'Wienerstadt 142 – Romanus, Karl Franz Die Brüder 200 – Sbarra, Francesco / Cesti, Antonio Il pomo d'oro 59, 60 – Schikaneder, Emanuel / Mozart, Wolfgang Amadeus Die Zauberflöte 135, 157 – Schröder, Friedrich Ludwig Adelheid von Salisbury 248 Der eifersüchtige Ungetreue (Übers.) 250, 251 Die Eifersüchtigen, oder Keiner hat Recht (Übers.) 250 Figaro’s Heirath 231, 232, 233, 236, 248, 249, 250, 251, 253, 231–53, 273, 275
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Figaro’s Reue (Übers.) 251, 275 Portrait der Mutter oder die Privatkomödie 248 – Sedaine, Michel-Jean Le Deserteur (1769) 228, 230 – Sedaine, Michel-Jean / Montsigny, Pierre-Alexandre Il déserteur 156 – Shakespeare, William A Midsummernight's Dream 248 – Spieß, Christian Heinrich Der alte Überall und nirgends 159 – Stephanie, Johann Gottlieb (der Jüngere) Deserteur aus Kindesliebe 228 Die abgedanckten Officiers 226, 227, 229 Die Werber 227 – Stephanie, Johann Gottlieb / Mozart, Wolfgang Amadeus Die Entführung aus dem Serail 256, 257 – Sterbini, Cesare / Rossini, Giacomo Il barbiere di Siviglia 258 – Timme, Christian Friedrich / Lederer, Joseph Der abgedankte Offizier, oder Joseph der Gute 228 – Umlauf, Ignaz Das Irrlicht oder Endlich fand er Sie 154, 157
Die pücefarbenen Schuhe oder: Die schöne Schusterin 135 – Unbekannt Der stumme Printz Atis 87–90 – Vegas, Lope de El mayor impossibile 73 – Vilmina, Alberto / Bertali, Antonio La Gara 59, 60 – Voltaire (François-Marie Arouet) Candide 209 Essai sur les mœurs 235 La Femme qui a raison 201, 203, 207 Le Café ou L’Ecossaise 201, 204, 205, 206, 207, 209 Le Droit du Seigneur 201, 204, 235 L'Enfant prodigue 201, 202, 203, 204 Nanine 201, 203, 204 Zaïre 199 – Weise, Christian / Franck, Johann Wolfgang Floretto 73 – Weiskern, Friedrich Wilhelm Canevass Arlekin. Ein Neben-Buhler seines Herrn 126 Der Leutansetzer oder Die stolze Armuth (Übers.) 118 Die Engelländische Pamela (Übers.) 222 Die schlaue Wittib (Übers.) 118