Martin Luther - Band 1: Sein Weg zur Reformation 1483 - 1521 9783766843494

Martin Brecht hat mir seiner Lutherbiographie Maßstäbe gesetzt. Seine Darstellung gewährt erhellende Einblicke in die Pe

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German Pages 527 [543] Year 2014

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Martin Luther - Band 1: Sein Weg zur Reformation 1483 - 1521
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Inhaltsverzeichnis
Aus dem Vorwort
zur ersten Auflage
Personen— und Ortsregister
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Martin Luther - Band 1: Sein Weg zur Reformation 1483 - 1521
 9783766843494

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Martin Brecht

Martin Luther Erster Band

Sein Weg zur Reformation

1483—1521

Calwer Verlag Stuttgart

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7668-4349-4

© 1981 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Unveränderte Sonderausgabe 2013 der 3., durchgesehenen Auflage 1990 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Satz: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart Umschlaggestaltung: Otfried Kegel Druck und Verarbeitung: Beltz Druckpartner GmbH & Co. KG, Hemsbach Internet: www.calwer.com E-mail: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur ersten Auflage .......................... Vorwort zur dritten Auflage .........................

9 11

I.

13

Herkunft, Kindheit, Schule ......................

. . . . . . .

13 15 18 21 24 27 28

Universitätsstudium in Erfurt .....................

33

Erfurt ................................ Die Universität Erfurt ....................... Studienanfang, Leben und Studieren in der Burse .......... Das philosophische Studium .................... Der Erfurter Humanismus und Luther ............... Die Episode des Rechtsstudiums .................. Die Krise ...... . .......................

33 37 39 42 48 53 55

Erste Klosterzeit ............................

59

. Der Orden der Augustinereremiten ................. . Das Erfurter Kloster der Augustinereremiten ............

59 63 65 70 77

“QMAMNi—l

Herkunft .............................. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse ......... Der Sohn und die Eltern ...................... Mansfeld .............................. Die Schule ............................. Magdeburg ............................. Eisenach ..............................

II.

NOUI-ÄUJNH

. . . . . . .

ONUIAMNb—l

III.

. Aufnahme, Noviziat und Profeß ..................

82 88 96 103

Luthers eigentlicher Wirkungsbereich: Wittenberg, Stadt und Universität in Kursachsen .......................

111

DON

. Leben als Mönch .......................... . Messe und Priester ......................... . Die Anfechtungen — der richtende Christus und die Zweifel an der Erwählung .......................... . Die Bibel .............................. . Studium der Theologie ....................... 9. Romfahrt und endgültiger Wechsel nach Wittenberg ........

IV.

5

Eigene Ansätze und kritische Abgrenzungen in Theologie und Frömmigkeit 1512—1517 ........................ ümmämNb—l

. . . . . . .

VI.

Luthers Doktorat .......................... Die ersten Vorlesungen und ihre Demutstheologie ......... Bestätigung durch die Mystik .................... Kirche und Mönchtum in den frühen Vorlesungen ......... Luther wird Prediger ........................ Luther als Mönch und Distriktsvikar seines Ordens ......... Erste Schritte in die wissenschaftliche Öffentlichkeit — Distanzierung vom Humanismus— die Kampfansage an die scholastische Theologie . .

Die doppelte Wende: Der Angriff auf den Ablaß und die reformatorische Entdeckung (Herbst 1517—Sommer 1518) ...... 1. Die Ursachen des Ablaßstreits ................... 2. Luthers Beurteilung des Ablasses vor dem Ausbruch des eigentlichen Konflikts ....................... 3. Der Beginn des Ablaßstreits: Die Briefe an die Bischöfe und die 95 Thesen .......................... 4. Reaktionen auf Luthers Auftreten gegen den Ablaß und die Auswirkung der Thesen ................... 5. Die innere Wende _ die reformatorische Entdeckung ........

VII.

Die ersten Phasen des kirchlichen Prozesses gegen Luther

126 126 129 137 144 150 155

160 173 174 181 187 198 215

bis zum Sommer 1519 .........................

231

1. Der Beginn des Prozesses im Sommer 1518 ............. 2. Das Verhör vor Cajetan in Augsburg ................ 3. Die Mission des päpstlichen Kammerjunkers Karl von Miltitz . . . .

232 237 255

VIII. Universitäts- und Wissenschaftsreform im Bund mit dem Humanismus

264

1. Die Wittenberger Universitätsreform 15184521 .......... 2. Die erste Resonanz der Wittenberger bei den Humanisten ..... 3. Luthers akademisch-theologische Tätigkeit 1518—1521 .......

264 271 275

Die Leipziger Disputation und ihre Folgen ...............

285

1. Vorgeschichte ........................... 2. Das Ereignis der Disputation .................... 3. Nachgeschichte und Folgen der Leipziger Disputation ....... Erste Stimmen .......................... Melanchthons Bericht ...................... Luthers Erklärung der Leipziger Thesen ............. Ecks Denunziation bei Friedrich dem Weisen ........... Der Streit mit den Franziskanern in Jüterbog und seine Folgen . . Der Briefwechsel mit Dungersheim ................ Luther und die Böhmen ..................... Die Auseinandersetzung mit Emser ...............

285 295 307 308 309 309 311 312 3 15 316 317

IX.

6

X.

Oekolampads und Spenglers Eintreten für Luther ........ Staupitz ............................. Das Ausbleiben des Urteils von Erfurt und Paris ......... Die Verurteilung durch Löwen und Köln ............. Neue Initiativen von Miltitz ................... Der Streit mit Alfeld über das Papsttum ............. Eck in Rom ............................

319 321 321 322 325 327 332

Das reformatorische Programm ....................

333

Erste Neugestaltungen der Frömmigkeit .............. Erste Stellungnahmen zu praktischen Lebensfragen ......... Die erste Fassung des neuen Verständnisses der Sakramente . . . . Die neue Ethik ........................... »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes BesserungMartin Luther in der Mitte seines Lebens>Erfurt liegt am besten Ort, da muß eine Stadt stehen, wenn sie gleich wegbrennen würde.« Mit ihren Befestigungen hielt er sie für uneinnehmbar. Sie erschien ihm außerordentlich groß, weshalb er ihre Bevölkerungszahl erheblich überschätztez. Er nahm auch die Fruchtbarkeit der Gegend wahr, weshalb er Erfurt ein Bethlehem, ein Brothaus oder eine Schmalzgrube nennt. Er erinnert

sich, daß dort Wein gedieh, für den es freilich in guten Jahren Absatzprobleme gab. Später zitiert er aus einer Predigt des Erfurter Theologen Sebastian Weimann: >>Gott plagt andere Leute mit Teuerung, uns straft er mit der Fülle.«3 Gewinnreich war der Anbau des Waid, aus dem eine begehrte blaue Farbe gewonnen wurde. Luther war gegen die Wajdkultur anstelle des Getreideanbaus, von der er irrtümlich meinte, sie lauge den Boden aus“. Wohl in Erfurt lernte er den Scherf kennen, eine

Münze im Wert eines halben Pfennigs, dem er durch die Wendung vom >>Seherflein der Witwe « in seiner Bibelübersetzung ein Fortleben in der deutschen Sprache gesi— chert hat. Erfurt war eine der größeren Städte in Deutschland. Sie nannte 89 Dörfer ihr eigen, darunter mit Kapellendorf sogar ein Reichslehen. 1392 hatte sie eine städtische Universität gründen können. Wie auch Luther wußte, war es ihr jedoch nicht

gelungen, sich von fürstlicher Oberhoheit frei zu machen und reichsfrei zu werdens.

Das lag daran, daß die Stadt in einem Bereich lag, in dem sich die Interessen des

Erzbistums Mainz und Sachsens überschnitten. Keine dieser beiden Mächte gestat— tete ihr die Unabhängigkeit. In ihrem Siegel mußte sich Erfurt als die treue Tochter von Mainz bezeichnen, und Sachsen spielte sich als Schutzherr der Stadt auf und hielt sie durch gelegentliche Handelsblockaden in Schach. In der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts war Erfurt unglücklich in die Streitigkeiten um das Mainzer Erzbistum zwischen Adolf von Nassau und Dietrich von Isenburg verwickelt und dadurch finanziell schwer belastet worden. Die Stadt hatte sich gegen Dietrich von Isenburg gestellt und mußte das büßen, als dieser schließlich doch an die Macht kam. Dann schlossen sich zeitweise Mainz und Sachsen gegen Erfurt zusammen. In den Verträgen von Amorbach mit Mainz und von Weimar mit Sachsen 1483 mußte Erfurt die Oberherrschaft von Mainz endgültig anerkennen und wegen der Kontributionen eine riesige Schuldenlast auf sich nehmen, die 1509 schließlich 550000

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Erfurt Holzschnitt aus Hartmann Schedel, Buch der Chroniken und Geschichten (1493)

Gulden betrug und damit trotz nicht geringer Einnahmen den Bankrott der Stadt herbeiführte. Die lange verschleierte Mißwirtschaft und die notwendigen drasti— schen Steuererhöhungen lösten >>im tollen J ahr« 1509 die schweren Unruhen der Bürger gegen den Rat aus, die in der Hinrichtung des bis dahin mächtigsten Mannes der Stadt, des Vierherrn Heinrich Kellner, 1510 gipfelten. Der soziale Konflikt wurde alsbald auch zu einem politischen: Die Unterschichten der Stadt setzten auf Mainz, während die Oberschicht im allgemeinen bei Sachsen Schutz suchte. Auch die Universität wurde durch die Unruhen in Mitleidenschaft gezogen. 1510 kam es infolge eines Krawalls zwischen Studenten und Landsknechten zur Verwüstung des großen Kollegs der Universität. Luther hat, allerdings schon im Kloster, das tolle Jahr zum Teil in Erfurt bewußt miterlebt, nachdem er von seinem ersten Wittenber—

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\..\>Die Papisten haben allezeit die lustigsten ortter innen gehabt. « 1° Ähnlich wie der bettelnde Fürst in Magdeburg haben ihn die durch Wachen und Fasten bleichen, in den besten Jahren am Stock daherkommenden

Kartäuser beeindruckt“. Nicht gut zu sprechen war er auf die sehr exklusiven Insassen des Schottenklosters”. Luther wußte auch von Mißständen unter der Geistlich—

keit, etwa von den Konkubinen, die mit Frau Propst oder Frau Dekan angeredet

wurden, oder von der Buhlschaft des ehemaligen Propsts an der Marienkirche und späteren Konstanzer Bischofs Hugo von Hohenlandenberg mit einer Bürgers— frau13. Insgesamt hatte das kirchliche Leben in Erfurt wie auch sonst seine 36

Licht— und seine Schattenseite. Hervorzuheben ist etwa die beachtliche Predigttradition, getragen u. a. von Johann von Dorsten, Johann von Paltz und Sebastian Weimann. Ihren Predigten gelang es bisweilen, die Starrheit der Seholastik zu durchbrechen; auch kritische Töne fehlten in ihnen nicht. Natürlich gab es auch ärgerliche Zustände. 1498 etwa waren beim bischöflichen Gericht, zuständig für die 157 Stadtgeistlichen, 18 Fälle anhängig: 3 wegen Widerspenstigkeit, 5 we— gen Vergehen gegen den Zölibat, 8 wegen Beleidigung und Körperverletzung, je l wegen Amtsvernachlässigung und Trunksuchtl“. Der Prozentsatz der angeklagten Geistlichen ist gewiß nicht gering, darf aber auch nicht überbewertet werden. Luther ist wegen solcher Mißstände an der Kirche seiner Zeit offensichtlich nicht irre geworden.

2. Die Universität Erfurt Im Sommersemester 1501 wurde Luther an der Universität Erfurt immatrikuliertl. Er wurde damit Mitglied einer Einrichtung, die ein Gemeinwesen eigener Art bildete und ihren Angehörigen ein besonderes Prestige verlieh. Die Institution der Universität ist eine der bedeutsamsten Schöpfungen des Mittelalters. Bis heute ist sie die international anerkannte und angesehene Stätte der Wissenschaften und höheren Ausbildung. Im Raum des deutschen Reiches bestanden die Universitäten noch nicht allzu lange. 1347 war die Prager Universität gegründet worden. Den— noch besaßen die Universitäten bereits feste Formen und Traditionen. Ihre Spitzen-

stellung in Wissenschaft und Bildungswesen einschließlich der dazugehörigen selbständigen Autorität und des entsprechenden Ansehens war gefestigt und nahm

immer noch zu. Die Gesellschaft billigte dem Universitätsgelehrten einen besonde— ren Rang zu und wußte, daß sie ihn benötigte. Die Bedeutung, die den Universitä— ten von politischer Seite beigemessen wurde, kann man an der Welle der Neugrün— dungen in der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts ablesen: Freiburg, Ingolstadt, Trier, Mainz und Tübingen. 1502 kam Wittenberg hinzu. Luther hat von nun an mit einer kurzen Unterbrechung sein Leben lang dieser Institution angehört und vor— nehmlich von ihr aus gewirkt. Er selbst hat nicht wenig zur weiteren Steigerung ihrer Autorität beigetragen. Erfurt war schon 1392 als fünfte deutsche Universität nach Prag, Wien, Heidel-

berg und Köln gegründet worden. Wie Köln war es nicht eine fürstliche, sondern eine städtische Universität, herausgewachsen aus den städtischen Schulen. Die Tat— sache, daß Erfurt, das doch keine Reichsstadt war, sich eine Universität leistete,

spricht für das Selbstbewußtsein und die wirtschaftliche Kraft der Stadt. Abgesehen von den Anfangsinvestitionen unterhielt sich die florierende Universität weithin selbst. Die Stadt hatte lediglich für die acht Magister des Großen Kollegiums aufzu— kommen, ein verhältnismäßig kleiner Posten in ihrem Etat. Zustatten kam es der Universität, daß die Bettelorden der Augustinereremiten, Dominikaner und Fran— ziskaner Generalstudien, d.h. Ordenshochschulen in Erfurt bereits besaßen oder

eröffneten und je einen theologischen Professor stellten. Weitere Professuren der 37

Theologen und Juristen wurden aus geistlichen Pfründen finanziert. Die neue Anstalt blühte schnell auf. Ihr wissenschaftliches Profil hatte sie durch die anfangs an ihr lehrenden Prager Magister erhalten, die stolz auf ihre moderne, von Duns Scotus bestimmte Lehrweise waren. In Erfurt tat man sich seinerseits einiges zugute auf diese Prager Tradition. Erfordia Praga, in dieser damals geläufigen Formel, die auch Luther bekannt war2‚ spricht sich beides aus: die Herkunft Erfurts aus der angesehenen Prager Tradition und das Bewußtsein der Ebenbürtigkeit mit der älte— ren Universität. Die wissenschaftliche Ausrichtung Erfurts war einheitlich, und darüber gab es auch keinen Streit wie anderwärts. Der aufblühenden Universität flos— sen Stiftungen zu, deren wichtigste die Stiftung eines weiteren großen Kollegs durch den ehemaligen Rektor Amplonius von Bercka in den Jahren 1412 / 1433 war, das darum das Amplonianische Kolleg oder nach seinem Hausnamen >>zur Himmelpforte>er behan—

delt die Dinge nichteinst von Anfang an« ein hebräisches Lexikon“. Mit Sicherheit hat Luther auch Johann Jäger von Dornheim gekannt, der sich als Humanist Crotus Rubeanus nannte und zu den Verfassern der berühmten Dunkel— männerbriefe gehörte. Durch ihn wurde später auch die Verbindung Luthers zu Ulrich von Hutten hergestellt. Crotus war etwas älter als Luther und hatte sein Studium 1498 begonnen. Er wohnte in der gleichen Burse wie Luther und verrät Kenntnis über die näheren Umstände von Luthers Klostereintritt und Scheiden aus dem Studentenkreis. U. a. sagt Crotus 1520 von Luther: >>Du warst einst in unserer Burse ein gelehrter Philosoph und Musikus.«9 Als >>Philosophen>als im Lateinischen, Griechischen und Hebräischen bewan—

dert, als ausgezeichneten Philosophen und Theologenphilosophisches Priestcrlcin>Mönchsgezänk>Gebräuche>Reformationen>normalen>observanten>Vikaren>Bezähmet euer Fleisch durch Enthaltsamkeit von Essen und Trinken, soweit es die Gesundheit zuläßt.«

Gefastet wurde jeden Freitag und an den Vortagen großer Feste. In den besonderen Fastenzeiten von Allerheiligen bis Weihnachten und von Quinquagesimae bis Ostern wurde außerdem am Mittwoch und Samstag gefastet. An den Fasttagen wurde nicht nur auf Fleisch verzichtet, sondern die Abendmahlzeit wurde durch

eine >>Kollation«, d.h. Erfrischung ersetzt, bei der es Bier und Wein mit Beilagen wie Pfefferkuchen und Salzbrot gab. Nach Luther war der Tisch auch mit der Fastenspeise recht gut gedeckt. Er berichtet aber auch von sehr strenger Handha— 73

bung und Einschätzung der Fastenvorschriften“. Intensiv gefastet wurde von den im Gewissen Angefochtenen. Das ging bis zur Gefährdung der Gesundheit. Luther hat oft während dreier Tage weder einen Tropfen Wasser noch einen Bissen Brot zu sich genommen. Nicht nur der Besitz, sondern auch der Leib wurde auf diese Weise

geopfert. Er hatte sich die Fastensitte so zu "eigen gemacht, daß es ihm auch später noch schwerfiel, am Freitag Fleisch zu essen. Luther waren die Fastenzeiten lieber als die Festzeiten, denn in ihnen konnte er mehr fromme Leistungen erbringen. Das

Fasten war nämlich nicht in erster Linie Mittel, um den eigenen Leib zu bezähmen,

sondern frommes Werk, mit dem man Verdienste vor Gott, Vertilgung der Sünde, die Gnade und den Himmel erlangen wollte. Auch hier kam es also auf die eigene Leistung an, die damit nach Luthers späterem Urteil in Konkurrenz zum Erlösungs— werk Christi trat“. Für nicht wenige im Kloster war ihre Sexualität ein Problem. Luther hat nicht viel Libido verspürt, gelegentlich hatte er Pollutionen. Mit Frauen hatte er ganz wenig Umgang. In Erfurt hat er nie und in Wittenberg nur dreimal die Beichte einer Frau gehört. Er konnte sich also der Gabe der Keuschheit rühmen. Aber seiner strengen Selbsterforschung entging es nicht, daß auch er voll >>böser Gedanken und Träume « und der >>bösen Brunst« nicht entronnen war". Es gibt jedoch kein Indiz dafür, daß

Luther als Mönch an seiner Sexualität scheiterte. Die anspruchsvolle christliche Lebensform des Mönchtums mit ihren zahlreichen Vorschriften forderte von ihren Gliedern nicht zuletzt eine strenge Selbsterfor— schung. Der Mensch galt als Sünder und unvollkommen in seinen Werken. In der Buße und deren Verwirklichung in der Beichte sollte der Mensch dem verdammenden Urteil Gottes zuvorkommen. Erkannte Sünde war in der Beichte zu bekennen,

dort hatte man sich von ihr absolvieren zu lassen und Genugtuung für sie zu leisten.

Die Beichte war somit eine Mischung aus eigener Leistung und Entlastung durch das zugesprochene Vergebungswort. Ziel der Beichte war es, das Gottesverhältnis

des Menschen in seiner Reinheit wieder herzustellen. Die Mönche sollten in der Woche wenigstens einmal beichten. Da jedoch die innere Reinheit Voraussetzung für die Feier der Messe war, dürfte von manchen häufiger gebeichtet worden sein. Todsünden waren dem Prior zu beichten. Beichtiger und Beichtkinder wurden durch die als Gewissenstrost bezeichneten Beichtbücher wie zum Beispiel die >>Engels—Summe« des Angelo de Clavasio, die die möglichen Beichtfälle kasuistisch erörterten, zur Beichte angeleitet. Luther konnte schon bald nichts mehr mit ihnen anfangen“. Luther hat von der Beichte reichlichen Gebrauch gemacht: >>Ich habe einmal sechs Stunden gebeichtet.«19 Auch später wollte er sich die Privatbeichte um alle Schätze der Welt nicht nehmen lassen. Er verdankte ihr viel Trost und Stärkung in seinen Anfechtungen durch den Teufel, die er sonst nicht überstanden hätte”. Aber die Beichte wurde Luther auch zur Quelle besonderer Schwierigkeiten. Wie die Regel es vorschrieb, legte Luther bei seinem Eintritt ins Kloster vor dem Prior eine Generalbeichte ab, in der er sich ihm völlig entdeckte mit allem, was er von Jugend auf getan hatte. Luther hat diese Generalbeichte in der Erfurter Zeit vor seinem >>PraezeptorIch roch etwas davon.«16 Freilich dauerten auch die Schwierigkeiten mit der Messe an, die sich bei der Primiz bemerkbar gemacht hatten. Luther muß manchmal eine Scheu vor der Kommunion, also dem Empfang des Leibes Christi gehabt haben, daß er lieber zehn Meilen gegangen wäre. Zeitweise fühlte er sich nicht zum Sakrament disponiert und schob die Teilnahme auf". Die als Voraussetzung zur Feier der Messe geforderte Reinheit von Sünden machte ihm schwer zu schaffen. Es fehlte ihm die Gewißheit der Vergebung. Wegen des möglicherweise unreinen Werks erhob sich die Angst vor dem richtenden Christus. Mit Angst und Schrecken ging er zum Altar. Es ist bei Luther, und nicht allein bei ihm, vorgekommen, daß er trotz Beichte und vorbereitender Gebete noch während der Meßfeier einen Priester heranrufen mußte, um noch einmal zu beichten. Es schien ihm unmöglich zu sein, auch nur eine Stunde ungebeichtet zu bleiben. War die Messe dann vollbracht, fehlte doch die Gewißheit,

und die Angst vor dem Richter war immer noch da. Er hätte viel darum gegeben, wenn er von dieser Angst frei gewesen wäre. Luther wäre gerne zum Sakrament gegangen, wenn er nur würdig gewesen wäre‘s. Das eigentliche Problem lag in einer

Grundstruktur mittelalterlicher Theologie und Frömmigkeit. Der Mensch mußte von sich aus eine gewisse Heiligkeit herstellen, um Gott zu begegnen und mit ihm umgehen zu können. Eben dazu aber sah Luther sich nicht in der Lage. Als er um 1514 forderte, kein Priester solle anders als mit bewußtgemachter Trübsal zum Altar treten, meldete sich auch hier etwas Neues”.

Eine weitere Quelle der Angst war die geforderte korrekte Abwicklung der Messe. Es bestand offenbar Anlaß, warum dies gerade auch in Erfurt energisch gefordert und eingeschärft wurde”. Auch Luther berichtet mehrfach von Priestern, die es mit der Meßliturgie nicht genau nahmen. Dabei galt es als Sünde, wenn ein Teil des Ornats fehlte“. Von entscheidender Bedeutung war, daß das Herzstück der Messe, der Kanon, in dem der Priester die Elemente in den Leib und das Blut

Christi wandelte und der darum als besonders heilig galt, korrekt und außerdem ohne Abschweifung der Gedanken gesprochen wurde. Bei den Einsetzungsworten zu stocken und zu stammeln war eine schwere Sünde. Eben dies aber löste bei gewissenhaften Priestern Angst und Schrecken aus, wodurch es dann um so leichter zu Fehlern und Ablenkungen kam. Luther war bekannt, daß nicht nur er, sondern

auch kein Geringerer als Staupitz und sein Prior Wenzeslaus Linck mit dem Meß— gottesdienst Schwierigkeiten hatten. Erst später erfuhr er, daß diese Nöte viel wei— ter verbreitet waren”. Das Loskommen von diesen Ängsten war für ihn eine echte Befreiung. Der überkommenen Ordnung blieb er jedoch erstaunlich lange treu. Noch 1518 verteidigte er die Praxis, daß der Meßkanon vom Priester still gebetet und nicht als Verheißung laut gesprochen wurde”. 80

Weil es bei der Messe wesentlich auf die eigene Heiligkeit und Reinheit mit ankam, war auch sie alsbald wieder den Zweifeln ausgesetzt. Zwar meinte er, mit der Messe und anderen frommen Leistungen den Forderungen des richtenden Christus Genüge getan zu haben. Aber schon beim Ausziehen des Meßgewandes war sich Luther nicht mehr sicher, 0b es wohl oder übel getan war, und ging als Zweifler an sich selbst weg. Trotz aller Vorsätze, fromm zu sein, fühlte er sich nach einer

Stunde böser als vorher. Auch die Messe machte das Gewissen nicht sicher. Auch Staupitz hatte solche verkrampften Vorsätze über die durchzuhaltende Heiligkeit immer wieder gefaßt, bis ihm das unausweichliche jeweilige Scheitern bewußt wurde und er darauf verzichtete“. Einen zusätzlichen Einblick in Luthers Meßfrömmigkeit erhält man durch seine Aussagen über das Fronleichnamsfest, bei dem der im Altarsakrament gegenwärtige Christus gefeiert wurde. An Fronleichnam 1515 nahm Luther als Priester an der Prozession im neugegründeten Kloster Eisleben teil. Die Monstranz mit der Hostie wurde von Staupitz getragen. Dabei überkam Luther ein Erschrecken vor dem Sakrament. Das kann nur so gedeutet werden, daß ihm auf einmal die Gegen— wart des richtenden Christus bewußt wurde, sonst wäre er ja nicht erschrocken. Luther hat das Erlebnis Staupitz gebeichtet, und dieser hat ihn sehr kurz beschie— den: »Eure Gedanken sind nicht ChristusIch kenne einen Menschen, der von sich behauptet hat, häufiger solche Strafen erlitten zu haben, freilich nur einen ganz kurzen Zeitabschnitt lang. Aber sie waren so groß und so höllisch, wie keine Zunge es sagen und keine Feder und kein Unerfahrener glauben kann, so daß, wenn sie nur eine halbe Stunde oder den zehnten Teil einer Stunde gedauert hätten, er völlig zugrundegegangen und alle seine Gebeine zu Asche geworden wären. Hier

erscheint Gott schrecklich erzürnt und mit ihm gleichermaßen die ganze Kreatur.

Da gibt es keine Flucht, keinen Trost, weder innen noch außen, sondern alles klagt

an... Es ist wunderlich zu sagen, daß in einem solchen Augenblick die Seele nicht glauben kann, daß sie je gerettet werden könne. . .«23

Das war die höchste innere Gefährdung, die Luther durchmachte. Man mag das

als krankhafte seelische Zustände diagnostizieren. Luther war zweifellos mit seiner ganzen Person und ihrer Konstitution an diesen Erfahrungen beteiligt, und diese wird wohl auch durch den Druck, unter dem er stand, nicht unbeeinträchtigt geblie— ben sein. Für ihn selber handelte es sich nicht um einen psychischen Defekt, sondern

um den Umgang des lebendigen Gottes mit ihm“. Daß mit einer Krankheitsdia— gnose nicht alles erklärt ist, zeigt sich daran, daß Luther trotz aller dieser Zustände

offenbar unentwegt weitergearbeitet hat. Unzulänglich dürften auch tiefenpsychologische Deutungsversuche sein. Das Ringen mit Gott und dem richtenden Christus läßt sich schon von den Voraussetzungen her kaum als Vaterkomplex begreifen. Es handelte sich um religiöse Erfahrungen, wie sie der Tradition und den Zeitgenossen nicht unbekannt waren und die sich nicht einfach psychologisch deuten lassen. Die Muster dieser Erfahrungen waren in der frommen Umwelt des Klosters vorge— geben.

86

Im Grunde handelte es sich in den Anfechtungen der Gottverlassenheit um das Problem der Erwählung oder Verwerfung durch Gott. Am tiefsten war es von Augustinus durchdacht worden, und einige Augustinertheologen hatten versucht, die durch das Verdienstdenken verlorengegangenen Einsichten zurückzugewinnen. Nun spielt das Prädestinationsproblem in Luthers erster Vorlesung über die Psal— men nur eine untergeordnete Rolle, während es in der Römerbriefvorlesung von 1515/ 16 intensiv erörtert wird. Auch von daher spricht also vieles dafür, daß die Prädestinationsanfechtungen erst um 1515 anzusetzen sind. Eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung dieser Anfechtungen kam erneut Staupitz zu. Im Frühsommer 1515 war Luther zum erstenmal nach fast drei Jahren wieder längere Zeit mit ihm zusammen. Wie er mehrfach erzählt, hat er Staupitz über seine

Anfechtungen berichtet. Dieser brachte ihn damals nicht nur von seiner Fixierung auf den richtenden Christus ab, sondern wies ihm auch einen Ausweg aus den Präde— stinationsängsten. Staupitz selbst hatte sich um jene Zeit mit dem Thema der Erwäh— lung beschäftigt und 1 5 17 darüber sein >>Büchlein über die zeitliche Vollziehung der ewigen Vorsehung>Ich habe meine Theologie nicht auf einmal gelernt, sondern habe immer tiefer und tiefer grübeln müssen, da haben mich meine Anfechtungen hingebracht, denn ohne

(praktischen) Gebrauch kann man nicht lernen.«30 Aber aus der Fixierung auf sich selbst wäre Luther nie mit seinen Problemen fertiggeworden. Dazu bedurfte es auch der schöpferischen Impulse von außen. Luther empfing sie, wie gezeigt, zum Teil von Staupitz und den anderen Ratgebern. Zum Teil verdankte er sie dem Wort und der Bibel, die ihm Christus geöffnet hatte31. Darum muß im folgenden von Luthers Verhältnis zur Bibel und den Anfängen seiner Theologie die Rede sein.

7. Die Bibel Nach Herkunft und Bildungsgang war Luthers Leben zunächst nicht auffällig verlaufen. Dies gilt schon eher für seinen Entschluß, ins Kloster zu gehen. Aber Mönche gab es damals viele. Durch sein gewissenhaftes Leben im Kloster wurde er dann

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der praktischen und theologischen Problematik der herrschenden kirchlichen Frömmigkeit hinsichtlich der Beichte, Messe und des Mönchtums überhaupt ansichtig. Damit war er vor außerordentlich große und tiefe Fragen gestellt. Diese überdimensionale Problemstellung ist eine Voraussetzung für das, was man als die Größe Luthers bezeichnen kann. Ob er der Größe der Probleme gewachsen sein und, was ihre Bewältigung anbetraf, überhaupt etwas ausrichten würde, war zunächst Völlig offen. Nicht wenige seiner Mitmönche laborierten an ähnlichen Schwierigkeiten wie er. Darum muß gefragt werden, von wo ihm die Kraft zukam, das kirchliche System aus den Angeln zu heben. Bekanntlich hat Luther die Auseinandersetzung mit der herkömmlichen Kirche als Doktor der Heiligen Schrift geführt und mit den Mitteln, die ihm dieser Beruf an die Hand gab und die er auf eine ganz neue Weise beherrschte. Es wird später zu zeigen sein, daß Luther diese Laufbahn eines Professors für Bibelauslegung nicht von sich aus anstrebte. Wohl aber fand er — und das war die Voraussetzung — seit 1505 ein ganz besonderes Verhältnis zur Bibel. Man hat gerade in den letzten Jahrzehnten die Anfänge von Luthers Methode der Schriftauslegung und seines Schriftverständnisses intensiv erforscht in der richtigen Annahme, daß man hierbei der theologischen Grundla— genrevolution Luthers auf die Spur kommen könntel. Denn die Bibel ist das Fundament, auf dem die Kirche mit ihrer Geschichte gegründet ist. Merkwürdigerweise ist man dabei meist sofort von Luthers ersten Schriftauslegungen ausgegangen und hat kaum mehr danach gefragt, wie sich Luthers Verhältnis zur Bibel in den allerersten Anfängen entwickelte und welche Bewandtnis es damit hatte. Gerade von einem

Menschen wie Luther kann man aber schwerlich annehmen, daß er einfach am Schreibtisch denkend zu einer neuen Methode der Schriftauslegung und zu neuen Entdeckungen am Text der Bibel kam. Hier gilt es, so weit wie möglich den Zusam— menhängen nachzuspüren, die zwischen der Bibelauslegung und Luthers persönli-

cher Situation und ganzer Existenz bestanden. In der Kirche ist die Bibel zu allen Zeiten ausgelegt worden. Das gilt auch für das späte Mittelalter. Die damalige Schriftauslegung konnte sich einer stattlichen exegetischen Bibliothek bedienen, in der die Bibelkommentare der Kirchenväter

wie Origenes, Hieronymus und Augustin und der Scholastiker wie Nikolaus von Lyra (gest. etwa 1349), Hugo von St. Cher (gest. 1263), die Glossa Ordinaria und viele andere standen. Zu Luthers Zeit wurden dazu eben neue sprachliche Hilfsmittel für die Bibelauslegung angeboten, und er hat sichtlich schon in den ersten Erfur— ter Jahren davon Gebrauch gemacht. Gleichwohl behauptet Luther, in seiner Mönchszeit sei die Bibel verachtet worden. Den Psalter habe niemand verstanden, den Römerbrief habe man für eine Reihe von Disputationen zur Zeit des Paulus gehalten, unbrauchbar für das eigene Zeitalter. Gelesen werden mußten die Schola— stiker Thomas, Duns Scotus und Aristoteles. Der Vorwurf richtet sich eigentlich gegen die Universitäten, an denen die Bibel nicht gelesen wurde, und selbst wenn

dies geschah, dann wurde sie in den ihr fremden und unangemessenen Kategorien des Aristoteles verstanden. Die Namen der Propheten und Apostel wurden nie zitiert. Die Disputationsthesen wurden aus Duns Scotus und Aristoteles genommen und nach scholastischer Methode aufgegliedert. Fazit: Die Heilige Schrift war völlig 89

verdeckt und unbekannt. Das ist nicht nur nachträgliche Kritik. Schon etwa 1514 hat sich Luther gegen die gewandt, die heute die Meinungen der Philosophen, die Fabeln der Poeten und die Streitigkeiten der Juristen versetzen, aber das heilige Evangelium Gottes und das ganze Studium der Schrift verschmähen. Wo die Schrift überhaupt behandelt wurde, sah er sie wegen der Überlagerung durch Scholastik und Philosophie bedroht. Für Luther war das eine ernsthafte Gefahr. Aus Unzufrie— denheit mit dem Evangelium eine neue Lehre aufbringen, das war für ihn Häresie. Ein falsch ausgelegtes Schriftwort kann die größte Verwirrung schaffenZ. l Luthers Kritik dürfte die Zustände an der Erfurter theologischen Fakultät in etwa treffen. Die Schriftauslegung spielte dort keine größere Rolle. Aber Luther hat auch auf das Beispiel seines Wittenberger Kollegen Andreas Bodenstein, der sich nach seinem} Geburtsort Karlstadt nannte, verwiesen, der bei seiner Promotion zum

Doktor der Theologie und noch Jahre danach keine Bibel besaß und damit offenbar durchaus keine Ausnahme bildete. Umgekehrt beruhte Karlstadts Respekt vor Luther auf dessen stupender Bibelkenntnis3. Auch den Klöstern, die eigentlich Stätten des Bibelstudiums sein sollten, wird Verdunklung und Vergessen der Schrift vorgeworfen. Niemand studierte die Bibel, der nicht wie Luther die besondere

Gabe des Lesens der Schrift besaß“. Ob Luther mit Gabe dabei eine bestimmte Begabung oder einfach seinen akademischen Beruf meint, ist nicht feststellbar. Selbst wo Schriftauslegung getrieben wurde, fehlte es an den angemessenen Kategorien, wie sie später etwa in Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium eine so große Rolle spielen. Umgekehrt hielt er von der Gewöhnung an begriffliches

Denken her das 1.Buch Mose mit seinen Geschichten für ein geschwätziges Buch

und las die Abrahamsgeschichte wie einen Bericht des römischen Schriftstellers

Liviuss. Mit dem Vorwurf gegen die Scholastik, die Bibel sei lediglich zum Zweck intellektueller Erkenntnis eben wie eine historische Schrift gelesen worden, nicht aber zur existentiellen Meditation, erhält die Kritik eine neue Dimension. Um 1514

zitiert Luther den Einwand von Toren, der ihm zu Ohren gekommen ist: >>Was soll ich mit der Bibel und dem Evangelium? Ich weiß das.« Luther hingegen war der Ansicht, daß man die Bibel meditieren und ihre Worte gleichsam wiederkäuen muß, dann erst empfinde man etwas von ihrem eigentlichen Geist. Für ihn ist die Schrift ein Garten voll von Nüssen, wobei zugleich auch die Vorstellung mit— schwingt, daß man diese Nüsse zunächst einmal knacken muß, um an den süßen

Kern zu kommen‘. Von seiner Kritik nahm Luther einen Mönch und Universitätslehrer aus. Das war wiederum Staupitz, der Inhaber der Wittenberger Bibelprofessur, der damit erneut am Punkt einer Weichenstellung für Luther auftaucht. Staupitz habe das Bibelstudium in den Klöstern der Reformkongregation wieder hergestellt und die besten Begabungen zusammengebracht und zum Theologiestudium bestimmt7. Johannes Lang, Wenzeslaus Linck, Luthers Wittenberger Prior, und

einige andere gehörten dazu, und gewiß nicht zuletzt Luther selbst. Schon Staupitz lag an einer neuen Ausrichtung des Theologiestudiums auf die Bibelauslegung hin. Gegen die herkömmliche Streittheologie hatte er eine Abneigung. Luther ist mit biblischen Texten schon während seiner Jugend in der Liturgie und den Lesungen des Gottesdienstes in Berührung gekommen. Nach einer Überliefe— 90

rung8 soll er auch schon als Knabe auf eine Bibel gestoßen sein und die Geschichte von Hanna, der Mutter Samuels, gelesen haben. Wenig später habe er sich eine Postille, also ein Predigtbuch gekauft, an dem ihm besonders gefiel, daß es mehr Evangelientexte enthielt, als in den kirchlichen Lesungen vorkamen. So hübsch diese Geschichte auch ist und so sehr sie in die Frömmigkeit seiner Magdeburger oder Eisenacher Zeit passen könnte, sie ist textlich schlecht bezeugt, indem sie von

den anderen Textzeugen in die Jünglingszeit verlegt wird. Außerdem steht sie in klarem Widerspruch zu anderen Aussagen. Denn noch mit 20 Jahren will Luther keine Bibel je gesehen haben, bis er, und zwar als Magister, in der Erfurter Univer-

sitätsbibliothek auf eine Bibel stieß und als erstes die Samuelgeschichte las. Bis dahin hatte er geglaubt, nur jene Texte stünden in der Bibel, die auch in den Postillen vorkamen. Ob Luther damals schon selber eine Postille besaß oder sie lediglich aus den Lesungen in der Burse kannte, ist nicht festzustellen. Eine weitere Aussage bringt die Bibellektüre des jungen Magisters in der ersten Hälfte des Jahres 1505 mit seinen damaligen Anfechtungen in Verbindung, deretwegen er sich dem Lesen der Bibel hingegeben habe9. Mehr ist nicht zu erfahren. Aus der zufälligen Begegnung des Magisters mit der Bibel scheint schon vor der Klosterzeit ein weitergehen— des Interesse geworden zu sein, dem Luthers späteres Verhalten im Kloster durchaus entspricht. Wer oder was Luther darauf brachte, sich in seinen Anfechtungen

der Bibel zuzuwenden, ist nicht mehr erkennbar. Vielleicht hat er, angeregt durch Bibelzitate im Gottesdienst, schon damals in der Bibel Antworten auf die ihn

umtreibenden Fragen gesucht. Jedenfalls war es eine schicksalhafte Begegnung. Einer der größten Bibelausleger hatte seinen Text gefunden. Die Bibel war abgesehen von der Ordensregel die einzige für die Novizen vorge— sehene Lektüre, und so erhielt Luther alsbald im Kloster eine rot eingebundene

Bibel. Möglicherweise hat er auch sogleich von sich aus um eine solche gebeten. Mit

ihr hat er sich so vertraut gemacht, daß er wußte, was auf jeder Seite und wo jede Stelle stand. Luther hat es wegen seines visuellen Gedächtnisses später bedauert,

daß man ihm diese erste Bibel wieder weggenommen hat. Aus diesem Grund gab er seinen Handpsalter auch dann nicht weg, als er ganz zerlesen war. Dennoch brachte er es zu einer außerordentlichen und phänomenalen Bibelkenntnis. Selbstverständlich handelte es sich dabei nicht um eine oberflächliche Lektüre. Luther meditierte und reflektierte das Gelesene, so daß er die Summe jedes Kapitels behielt. 1533 kann er von sich sagen, daß er seit etlichen Jahren je zweimal die Bibel durchgelesen und alle Ästlein an diesem Baum abgeklopft habe“). Luther war mit dieser Liebe und Leidenschaft für die Bibel eine Ausnahme. Er will als Mönch in Erfurt der einzige gewesen sein, der die Bibel las. Damit zog er, möglicherweise schon 1506, die Bewunderung und das Interesse von Staupitz auf sich“. Das Kloster hat Luther nach der Profeß nicht bei seinem Privatstudium der Bibel gelassen. Nun mußte er scholastische Bücher lesen, wie etwa Biels Meßauslegung. Die Bibel soll ihm weggenommen worden sein, nur in der Freizeit habe er sich in der Bibliothek verbergen und zur Bibel zurückkehren können. Das klingt etwas romanhaft. Fest steht jedoch, daß Luther mindestens seit dem Frühjahr 1 508 in Erfurt und danach in Wittenberg Unterricht als Lektor für Philosophie geben und sich gleich—

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zeitig als Student der Theologie mit der Scholastik abgeben mußte, während er darauf brannte, sich wieder dem Bibelstudium zuwenden zu können. In einem Brief

von 1509 schreibt Luther wohl im Blick auf die nunmehr nach seinem Studienplan bevorstehende Beschäftigung mit der Bibel, daß er liebend gerne die Philosophie mit der Theologie vertauschen würde, wobei es ihm um eine Theologie geht, »die den Kern der Nuß und das Mark des Weizens und der Knochen erforscht>Celifodina> Himmlische Fundgrube>Ergänzung>Sei gegrüßt, du heiliges Rom, wahrhaft heilig von den heiligen Märtyrern, von deren Blut es trieft.« Er kam u. a. auch als Wallfahrer nach Rom, das damals als das bedeutendste Wallfahrtszentrum der Christenheit galt. Der Aufenthalt in der Stadt dauerte etwa vier Wochen. Wo Luther gewohnt hat, ist nicht ganz gesichert3. In Frage kommt das Kloster S. Maria del Popolo der lombardischen Reformkongregation, das gleich bei der Porta del Popolo lag, durch die man von Norden die Stadt betrat. In diesem Fall hätte Luther

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bei seinen reformierten Gesinnungsgenossen gewohnt. Es gibt aber Hinweise und gute. Gründe, daß Luther in S.Agostino‚ dem Sitz des Generals, mit dem die Gesandten zu verhandeln hatten, untergekommen ist. Vom Zweck der Reise her

empfahl sich jedenfalls dieses Kloster. Von dem General Aegidius von Viterbo spricht Luther später respektvoll als einem der Kritiker der römischen Mißstände“. Es ist aber fraglich, ob er ihn selbst als Prediger gehört hat. Hinsichtlich der Appellation der renitenten Klöster, deretwegen die Reise unter— nommen worden war, erreichten die Gesandten nichts. Im Register des Generals heißt es zum Januar 15 11 knapp: >>Den Deutschen wird aufgrund der Gesetze verboten zu appellieren. «5 Die Gesetze unterstellten nämlich die sächsische Kongrega— tion dem Gehorsam des Generals, und darum war eine Berufung an den Papst nicht zulässig. Die Gesandtschaft hatte überhaupt von vornherein kaum Aussicht auf Erfolg, da sie gegen die gemeinsamen Vorstellungen des Generals Aegidius und des Generalvikars Staupitz‘nicht aufkommen konnte. Immerhin sah sich der General veranlaßt, einen deutschen Bruder zu Staupitz zu schicken mit dem Ziel, Gehorsam

und Liebe in der Reformkongregation wieder herzustellen. Bei aller Festigkeit lag dem General doch an einer Verständigung. Luther selbst hat in Rom oder nach der Rückkehr die Vergeblichkeit des Widerstands eingesehen und die Pläne der Ordensleitung akzeptiert. Er selbst berichtet von seinen eigentlichen Geschäften in Rom und deren Erfolg nichts". In Rom war man den Aposteln, Heiligen und Märtyrern, ihren Überresten und den Erinnerungen an sie näher als anderswo. Eine fromme Seele konnte sich hier an vielen Stellen erbauen; mehr noch, sie konnte die Fürbitte der Heiligen und reiche Ablässe erlangen. Nirgendwo konnte man so viel für sein und seiner Mitmenschen

Seelenheil tun wie in Rom. Luther hat von diesen Möglichkeiten intensiv Gebrauch gemacht. Rom war damals noch eine mittelalterliche Stadt, die sich vorwiegend auf die Tibernicderung konzentrierte. Sie hatte, abgesehen von den Banken, ver— gleichsweise wenig Gewerbe und kam mit ihren etwas mehr als 40000 Einwohnern nicht an die Bevölkerung der großen europäischen Handelsplätze heran. Sie lebte im wesentlichen davon, daß sie die Residenz des Papstes war. Der antike aureliani-

sche Mauerring war für die mittelalterliche Stadt viel zu groß. Weite Flächen bestanden aus Ruinenfeldern, in denen das Vieh weidete oder Gärten und Wein-

berge angelegt waren. Es war nicht ganz ungefährlich, sich dort zu bewegen. Die antiken Ruinen hat Luther natürlich gesehen. Für ihn waren sie Zeugen des Strafgerichts Gottes über das Heidentum. Vom Rom der Renaissance war außer vereinzel— ten Kirchen und Gebäuden noch nicht viel zu sehen. Der Neubau des Petersdoms war erst begonnen worden. Luther hätte dafür auch schwerlich ein Auge gehabt. Er verfolgte seine religiösen Interessen. Dazu gehörte vor allem der Plan, in Rom erneut eine Generalbeichte abzulegen, wie er es schon zweimal in Erfurt getan hatte. Für seine komplizierte Seelenlage hätte Luther einen weisen und verständigen Beichtiger benötigt. Aber er geriet an ganz ungelehrte Leute — möglicherweise waren es sogar Ordensbrüder -, die dieser Aufgabe in keiner Weise gewachsen waren. Auch mit der Messe nahm man es in Rom bei weitem nicht so ernst, wie es Luther selbstverständlich war. Die Messe

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wurde üblicherweise >>rips raps>weißer

Berg« oder >>Burg>ernestinische>albertinische>Heillhumsbuch>Gleichgerichtetheit>Wittenberger>Kloake>AusgangHingerissenwerden>Seufzen>ins Dunkel>die uner— sättliche Hölle des Geizes>und auch wider meinen Willen allhier zu predigen erwehlet«. In einer anderen Überlieferung heißt es ausdrücklich, >>daß ich von dem radt zu predigen, wie wol ich mich gewert habe, geruoffen bin>Unsere Aufgabe ist es, die Christen zu erziehen und zur Vollkommenheit zu leiten und sie verdienstliche Werke zu lehren.«20 Gegenüber der äußeren und leiblichen Heiligenverehrung besteht die innerliche darin, daß Gott in den Heiligen verehrt wird mit dem, was er in ihnen wirkt. Diese wahre Verehrung der Heiligen, die etwa auch noch in der berühmten Auslegung des Magnificat von 1521 begegnet, wird sehr vernachlässigt zugunsten des Eigennutzes. Deshalb wird auch die Verehrung bestimmter Heiliger durch einzelne Berufe oder Nationen abgelehnt. Als problematisch werden darum bereits die Bruderschaften empfunden. Ferner hat Luther die Abschaffung der Heiligenfeste und Kirchweihen gefordert, die u. U. Anlaß zur Sittenlosigkeit boten. So berichtet Oldecop“, daß Luther gegen die Tänze an den Festen des Heiligen Ivo und Pantaleon, die die Patrone der juristischen und medizi— 152

nischen Fakultät waren, scharf gepredigt habe, was ihm bei den vornehmsten Bürgern, die für ihre Töchter fürchteten, Anhang verschafft habe. Die Kritik Luthers

richtet sich weiter gegen das neue Fest Mariä Empfängnis mit seinen besonderen Privilegien und Ablässen, ebenso gegen neue Wallfahrtskirchen, in denen beson— dere Bilder verehrt wurden. Die Wallfahrten schädigten die normalen Pfarrkirchen und hatten außerdem Pflichtvergessenheit, Zeit- und Geldverschwendung zur Folge. Besser ist es, zu Hause zu bleiben. In der Richtervorlesung findet sich einmal

die Bemerkung, daß, wer gegen die Wallfahrten polemisiere, den Haß Roms auf sich ziehe”. In Luthers Kritik verbinden sich sozialkritische mit den an sich vorrangigen theologischen Motiven. Insgesamt verstieß die Heiligenverehrung gegen das erste Gebot, sofern in ihr der eigene Vorteil und nicht Gott gesucht wurde und es nicht um die Nachfolge ging. Luther wollte dabei nicht alle Heiligenverehrer ver— dammen, sondern sie über ihr Elend aufklären”. Die frühe Heiligenkritik läßt bereits etwas davon ahnen, daß Luthers tiefernste Theologie zum heftigen Angriff auf bestimmte Zweige der kirchlichen Praxis und Frömmigkeit werden konnte. Neben der Heiligenkritik gab es noch andere konkrete Äußerungen in Luthers Pre— digten. Beim Feiertagsgebot sprach er sich für den Besuch der Messe in der eigeo nen Pfarrkirche aus. Besonderer Wert wird dabei auf das Hören der Predigt gelegt. Messe und Predigt gehören zusammen. Nicht verschwiegen wird in diesem Zusammenhang die Unzulänglichkeit der Predigten, in denen das Evangelium nicht laut wird. Die Entscheidung über die Zulässigkeit von Schützenfesten am Sonntag über— ließ Luther dem Wittenberger Rat. Die Kindererziehung sollte zur Furcht, aber

nicht zur Furchtsamkeit führen. Der Kleiderluxus wird abgelehnt. Über die Faul—

heit der Handwerker wird Klage geführt. Am Schluß des vierten Gebots wird der

Gehorsam gegen die geistliche und weltliche Obrigkeit eingeschärft, selbst wo diese

die Untergebcnen unterdrückt. Diese Auffassung hat sich bei Luther später bekanntlich durchgehalten. Die Auslegung des siebten Gebots beklagt die weite

Verbreitung von Betrug, Spiel und unrechtem Besitz und bringt dabei auch die Sprache auf die Pfründenjägerei unter den Geistlichen sowie auf das Problem der Kapitalgeschäfte (Zinskauf). Das Verbot des falschen Zeugnisses wendet sich auch gegen falsche Lehre, Philosophie und falsche Wunder. Luther ruft an dieser Stelle nach einer >>Reformation>nach evangelischer Weise« an Lang geschickt“. Im Anschluß an die Zehn Gebote legte Luther in der vorösterlichen Fastenzeit 1517 das Vaterunser aus. Diese Auslegung ist allerdings nur in einer Bearbeitung Johann Agricolas von Anfang 1518 erhalten”, die Luther durch eine Neufassung von 1519 verdrängte, weil er nicht oder nicht mehr mit ihr zufrieden war. Luther muß sich bereits 1516 einmal mit dem Vaterunser befaßt haben, denn es gibt aus

dieser Zeit noch eine kurze deutsche und lateinische Auslegung”. Die Akzente werden dabei in bezeichnender Weise gesetzt. Vorrangig geht es um die Heiligung von Gottes Namen. Vom eigenen Vorteil ist im Bewußtsein der im Menschen fortbestehenden Sündigkeit abzusehen. Der Mensch hat sich zu demütigen und Gott großzurnachen. Die Zielsetzung dieser Vaterunserauslegung ist die gleiche wie bei den Zehn Geboten. Das Predigtamt eröffnete Luther einen Anwendungs— und Wir— kungsbereich für seine Theologie, den er alsbald auszufüllen suchte und in dem er seine Theologie praktisch umsetzte. Der Katheder des Professors und die Kanzel des Predigers bildeten dabei keine getrennten Sphären; der Theorie fehlte der Praxisbezug nicht. Der Inhalt der Predigten war zunächst wie der der Vorlesungen bestimmt von dem strengen Geist der Demutstheologie. Als Prediger hat Luther in

Wittenberg die lokale Basis gewonnen. Abgesehen von seinem Freund Meister Peter, dem Barbierer, werden freilich noch keine einzelnen Wittenberger Bürger

greifbar.

Wahrscheinlich mit Luthers Tätigkeit an der Pfarrkirche, vielleicht aber auch mit

seiner Stellung im Augustinerkloster oder mit einer Anfrage von außen könnte eine merkwürdige Schrift über das kirchliche Asylrecht zusammenhängen, die seit 1520 unter Luthers Namen läuft, aber schon 1517 in Landshut erschienen war”. Man meinte, sie Luther absprechen zu müssen, und in der Tat erscheint es zunächst höchst erstaunlich, daß er sich mit einer solchen Materie befaßt haben soll, die nicht

nur biblische, sondern auch Kenntnisse des geistlichen und weltlichen Rechts erfor-

derte, wie man sie bei Luther nicht erwartet. Immerhin ist ein konkreter Anlaß für

eine solche Schrift in Wittenberg erkennbar, Am 21.November 1512 beschwerte

sich nämlich der Bischof von Brandenburg, weil ein aus dem Kerker entflohener

Geistlicher, der in einem Kloster Asyl gesucht hatte, unter Bruch des Asylrechts vorn Wittenberger Rat wieder eingekerkert worden war. Der Bischof forderte seine sofortige Herausgabe und drohte im Weigerungsfall die Verhängung des Interdikts über alle Kirchen der Stadt an30. Der Streit ging bis nach Rom und zog sich bis zum April 15 15 hin; dann leistete der Rat Abbitte. Der Verfasser des Gutachtens ist ein

Augustinermönch. Möglicherweise war das Augustinerkloster auch der Ort des Asylbruchs. Das Gutachten, das einer kirchenrechtlichen Untersuchung bedarf,

stellt die Rechtslage objektiv dar und ergreift für keine Seite Partei. Möglicherweise spielt die Römerbriefvorlesung mit der Bemerkung, daß die Bürger den Schaden für das Vorgehen des Rats mittragen müssen, auf diesen Vorgang an“. 154

6. Luther als Mönch und Distriktsvikar seines Ordens Luther war nicht nur Professor und Prediger. Er war zunächst selbstverständlich Glied seines Ordens und nahm als Leiter des Wittenberger Ordensstudiums in seinem Kloster und darüber hinaus eine bedeutende Stellung ein. Von ihm wurde der theologische Nachwuchs der Reformkongregation der Augustinereremiten in die— sen Jahren zum großen Teil ausgebildet, eine Saat, die ihm und seiner Sache später zugute kommen sollte. Wie schon erwähnt, kamen die Probleme der mönchischen Existenz gerade auch in den Vorlesungen immer wieder zur Sprache. Auf dem Kon— gregationskapitel in Köln 1512 war Luther zudem zum Subprior des Wittenberger Klosters bestellt worden, dessen zweiter Mann er damit warl. Die Vertretung des

Priors wird ihn aber nur wenig beansprucht haben. In den ersten Wittenberger Jah— ren ist Staupitz der Seelsorger Luthers geblieben. Persönlich war er mit ihm nach 1512 zum erstenmal wieder im Mai und Juni 1515 zusammen. Damals müssen die für ihn wichtigen Gespräche wegen der Prädestinations-‚ Gerichts— und Bußanfech— tungen stattgefunden haben, in denen Luther wertvolle Hinweise erhielt und deren Bedeutung man nicht hoch genug veranschlagen kann. Bis 15 15 ist, abgesehen von den Schwierigkeiten mit dem Erfurter Mutterkloster, wenig über Luthers monastische Aktivitäten bekannt. Noch ist die Briefüberlieferung dünn. Vom 29. April bis 1.Mai 1515 fand nach drei Jahren wieder ein Kongregationskapitel, diesmal in Gotha, statt. Luther hielt dort seine scharfe, mit eindringlichen Warnungen verse— hene Predigt über das Laster der üblen N achrede, deren konkreter Anlaß u. a. die Erfurter Verdächtigungen gegen ihn gewesen sein müssen. In Gotha wurde Luther

für die nächsten drei Jahre zum Distriktsvikar über die zehn Konvente der Augusti— nereremiten in Meißen und Thüringen gewählt. Damit rangierte er in Wittenberg vor dem Prior seines eigenen Klosters? Da der Generalvikar Staupitz sich meist in Süddeutschland aufhielt, lag die Aufsicht über die Klöster dieses Bezirks bei Luther. 1515 und vor allem 15 16 war Luther durch diese Aufgabe stark in Anspruch genommen. Einige interessante Dokumente seiner Tätigkeit im Kloster und Orden sind erhalten geblieben. So mußte er etwa bei Geldgeschäften der Klöster mit die Verantwortung tragen3. Besonders instruktiv ist es, wie Luther Dienstli— ches und persönliche Seelsorge in seiner Funktion miteinander verband. Am 8. April 1 5 16 rechnete er mit dem von Wittenberg in das Memminger Kloster übergewechselten Bruder Georg Spenlein wegen dessen zurückgelassener Habe ab“. Alsbald kommt Luther dabei auf ein für ihn sehr bezeichnendes seelsorgerliches Problem zu sprechen. Er will wissen, 0b die Seele Spenleins nicht endlich der

eigenen Gerechtigkeit überdrüssig sei und lerne, sich in der Gerechtigkeit Christi zu erholen und sich auf sie zu verlassen. Die Versuchung der eigenen Überheblichkeit sei nämlich derzeit bei vielen groß, vor allem bei denen, die sich mit allen Kräften

bemühten, gerecht und gut zu sein, und nichts von der Gerechtigkeit Gottes wüß— ten, die uns in Christus reichlich und umsonst gegeben sei. Sie suchten in sich selbst so lange gut zu handeln, bis sie das Vertrauen hätten, vor Gott mit ihren Tugenden und Verdiensten als gerecht bestehen zu können, was unmöglich geschehen könne. Spenlein war in Wittenberg in dieser irrigen Meinung befangen gewesen. Luther 155

gesteht das Gleiche von sich, er kämpfe jetzt gegen diesen Irrtum, sei aber noch nicht mit ihm fertig geworden. Der Brief ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Er zeigt, daß die Frage der Gerechtigkeit alles andere als eine nur akademische oder lediglich ein Privatproblem Luthers war. Er zeigt weiter, daß Luther kritisch geworden war gegen die selbst herzustellende Verdienstgerechtigkeit und daß er deshalb auf die geschenkte Gerechtigkeit Gottes setzen will, was ihm aber gar nicht leicht fiel. Der Kampf mit dem Verdienstdenken hielt noch an. So riet er Spenlein, den gekreuzigten Christus (kennen) zu lernen und an sich selbst verzweifelnd zu sagenr >>Du bist meine Gerechtigkeit, ich deine Sünde. . .« Christus hat also mit dem Sün-

der getauscht. Das klingt in der Tat so, als ob Luther bereits zur frohen Gewißheit der Rechtfertigung durchgestoßen wäre. Aber dann hämmert der Brief es wieder ein: >>Hüte dich, etwas anderes als Sünder zu sein und sein zu wollen. Christus wohnt nur in den Sündern.« Seine Liebe soll bedacht werden, und so wird der süßeste

Trost erfahren. Würden wir mit unseren Mühen und Anfechtungen zur Ruhe des Gewissens kommen, wäre Christus umsonst gestorben. Frieden findet der Mensch nur in der vertrauenden Verzweiflung an sich und seinen Werken, indem er lernt,

daß Christus die Sünde an sich genommen und dafür die Gerechtigkeit geschenkt hat. Hier erscheint die Demutstheologie des Sünderseins in einem ganz hellen Zusammenhang. Für Luther ergeben sich daraus sofort einige praktische Konse— quenzen für das Mönchsleben: Eben der Rechtfertigungsglaube läßt den undiszipli— nierten, irrigen und sündigen Mitmönch ertragen, was offenbar ein akutes Problem war, das auch in den Vorlesungen mehrfach begegnet. Der Glaubende verhält sich

gegenüber dem Mitmenschen wie Christus und entäußert sich entsprechend. Dem Schlechteren sich zu entziehen und ihm nicht mit seinen Gaben zu dienen, wäre eine

unselige Gerechtigkeit. Eine Woche später schrieb Luther dem angefochtenen Pater Georg Leyser in Erfurt, seinem einstigen Mitmönch, einen Trostbriefs, in dem er ihn an seinen alten

Lehrer Usingen verwies. Luther weiß aus derselben Erfahrung wie Leyser, daß die Wurzel aller Unruhe die Klugheit unseres Eigensinns ist. Die daraus sich ergebende falsche Sicht der Dinge ist es, die Luther nach wie vor so große Qualen bereitet und angefochten sein läßt. Jeder hat seinen Teil am Kreuz Christi, und man soll ihn nicht

abwerfen, sondern aufnehmen wie eine heilige Reliquie in das in sanftmütige Liebe eingetauchte Herz. Darin besteht die wahre Reliquienverehrung. Luther bleibt auch weiter im Bild: Wenn schon die Kreuzesreliquien durch die Berührung mit Fleisch und Blut Christi geheiligt werden, um wieviel mehr sind alles Unrecht und Leiden, die wir erfahren, allerheiligste Reliquien, geheiligt und geweiht durch Chri— sti Liebeswillen, durch die der Fluch in Segen, das Unrecht in Billigkeit, das Leiden in Ehre und das Kreuz in Freude gewandelt ist. Die Anfechtung ist noch da, aber sie kann überzeugt bejaht und angenommen werden. Von Ende April bis Anfang Juni 1516 unternahm Luther eine Visitationsreise durch die Klöster seines Distrikts. Sie führte ihn nach Dresden, dann nach Erfurt, wo er Johann Lang als Prior einsetzte, ferner nach Neustadt an der Orla, Gotha, Lan-

gensalza, Eisleben, Nordhausen und Magdeburg. Am Schluß der Reise klagte Luther >>über schlechte Mischung der Säfteirrt, irrt, irrt«. Es bedarf des demütigen Gebets und des frommen Affekts, sich von Gott führen zu lassen. Weil es daran fehlt, leben die Brüder ohne Frieden und ohne Christus. Luther mußte jetzt in Abwesenheit tun, was er bei der Visitationsreise nicht getan

hatte. Er mußte die Ursache des Unfriedens zwischen Prior und Konvent beseitigen. Er befahl Dressel, sein Amt niederzulegen, und setzte ihn feierlich ab. Dressel

soll sich nicht beschweren. Luther anerkennt seinen guten Willen und dankt ihm auch. Aber seine guten Absichten konnten den Frieden nicht schaffen. Die Neuwahl wird angesetzt. Luther dringt auf realistische Kandidatenvorschläge. Die Wahl selbst soll unter Gebet vollzogen werden, sonst wird das Ergebnis neue Qual und Unruhe sein. Schließlich schärft er noch die sorgfältige Unterrichtung der jungen 157

Mönche ein. Luther ist in dem Neustadter Konflikt seelsorgerlich und dann doch fest aufgetreten. Daß er Dressel nicht schon bei der Visitation abgesetzt hatte, spricht nicht gegen seine Führungsqualitäten, die er in dieser Angelegenheit sonst zeigt. Besonders intensive Kontakte bestanden zwischen Luther und seinem Freund Lang, der als Prior in dem großen Erfurter Konvent keinen leichten Stand hatte,

zumal dort auch allerhand Unzuträglichkeiten unter anderem durch die Aufnahme von Gästen entstanden waren. Anders als Gotha und Langensalza konnte Erfurt nicht unbedingt als wohlgeordnetes Kloster gelten. Luther empfahl Lang9, mittels eines Registers die Fluktuation der Gäste genau festzuhalten und dabei vor allem auf die Gäste der Terminierer, d.h. der Mönche, die um Erfurt milde Gaben ein-

sammelten, zu achten. Später versetzte Luther einige Mönche, >>die ungeordneten Sinnes sindMein Leben nähert sich von Tag zu Tag der Hölle, weil ich täglich schlimmer und elender werde.« Er unterschreibt als der im Exil (nicht im Paradies) sich befindende Sohn Adams. Dieses Motiv klingt in einem weiteren Brief an Mascov vom 17. Mai 1 5 1 718 wiederum an, in dem es um die Bestrafung eines gefallenen Mönchs geht. Luther ordnet den Vorgang zunächst theologisch ein: Als die Söhne Adams tun wir dessen Werke. Dennoch sollen wir an Gottes Macht nicht verzweifeln. Konkret soll gegen den gefallenen Mönch die Schärfe der Statuten angewendet werden. Allerdings spricht sich Luther gegen lebenslängliche Haft und eine lebensgefährdende Strafe aus. Mascov soll sich nicht dadurch verunsichern lassen, daß er sich selbst als gleicher oder größerer Sünder fühlt. Das soll er Gott beichten, hier aber seines Amtes

walten, und zwar als Diener der Gläubigen und zu deren Erbauung. Die Demut, die sich über den anderen nicht erhebt, ist Sache des Herzens, aber davon unabhängig ist die von Gott übertragene Macht streng anzuwenden. Vielleicht wirkt Gott gerade durch die öffentliche Strafe. Hier deutet sich bereits Luthers spätere Unter— scheidung von persönlicher Glaubenshaltung und öffentlicher Wahrnehmung eines Amtes an.

In den Zusammenhang dieses Abschnitts fügt sich schließlich der Briefwechsel

mit dem Nürnberger Juristen und früheren Wittenberger Professor Christoph Scheurl ein, den dieser am 2.Januar 1517 mit der Bitte um Luthers Freundschaft begonnen hatte”. Scheurl war Mitglied des Nürnberger Staupitzkreises, über den

er auch berichtet. Dort war Luther gerühmt worden, und Scheurl sprach darum von Luthers Tugend und gefeiertem Ruf. Luther antwortete Scheurl in sehr bezeichnender Weise: Sein Brief sei ihm höchst angenehm und höchst traurig zugleich gewe— sen. Angenehm wegen des Rühmens von Staupitz’ Christuspredigt, bitter wegen der Überhäufung seiner eigenen Person mit Lob. So würde Scheurls Freundschaft für Luther gefährlich. Als Freund müßte sich Scheurl über nichts mehr als über Sünde, Unwissenheit und Schmach verbreiten, mit denen er, Luther, es zu tun habe. Luther wußte zwar, daß Scheurl Christus in Luther bewunderte, aber er hält dem

entgegen: >>Wie könnte Christus die wahre Gerechtigkeit in Sünden und Unwissenheit sein? Es ist die höchste Anmaßung von dir anzunehmen, daß du Christi Woh— nung seist.« So ist das Lob des Freundes gefährlich, die Gunst Gottes könnte deswe— gen weichen. Gott will allein der Freund sein. Der Gipfel der Gefahr wird ausgesprochen skrupulös darin gesehen, daß die Zurückweisung des Lobes neues Lob und Gunst und damit im Grunde neue Gefährdung nach sich zieht. Haß und Tadel gilt als viel heilsamer als Lob und Liebe. Sie werden ängstlich zurückgewiesen. Luther will Scheurls gute Gesinnung nicht in Frage stellen und verachten, sondern markieren, wovor sich der Freund dabei zu hüten hat. Luther muß in dieser Freund—

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schaft der bleiben, der sich selbst verachtet. Nicht der ist ein Christ, der einen Menschen wegen seiner Bildung, Tugend, Heiligkeit und seines Rufes aufnimmt — das ist vielmehr heidnisches Verhalten —, sondern der den armen, schwachen, törichten Sünder und Elenden liebt. Was vor Menschen hoch ist, das ist vor Gott verächtlich,

und diesen Effekt darf die Freundschaft nicht haben. Wenn Christus in Luther zu loben ist, soll sein Name und nicht der Luthers genannt werden. Luther hat es selbst bemerkt, wie ausführlich und fast verletzend er auf die für ihn problematischen

Töne in Scheurls Freundschaftsantrag reagiert hat. Auch in einem folgenden Brief20 stellt man dieselbe Haltung fest. Luther will die hochklingenden Titel beiseite geschoben wissen. Er, der fälschlich ein Theologe genannt wird, bringt nur ein Stammeln heraus. Ganz deutlich wird hier die Demutstheologie in die zwischen— menschliche Beziehung übersetzt. Insgesamt wird an Luthers Tätigkeit in seinem Orden mehr erkennbar als die Aktivitäten eines Funktionärs. Luther hat sein Lei— tungsamt in einem seelsorgerlichen Geist geführt. Ebenso wie seine Lehre als Pro— fessor und seine Verkündigung als Prediger war seine Seelsorge durchdrungen von dem Geist der Demutstheologie und —frömmigkeit. Sie machte die Einheit seiner

Ämter und seiner Existenz aus.

7. Erste Schritte in die wissenschaftliche Öffentlichkeit— Distanzierung vom Humanismus — die Kampfansage an die scholastische Theologie Was Luther sich theologisch erarbeitet hatte, war viel zu prinzipiell und gewichtig, um lange auf den begrenzten Kreis der Hörer seiner Vorlesungen und Predigten oder seine Mitmönche beschränkt zu bleiben. Über kurz oder lang mußte er damit

im Kreis seiner Fakultäts- und Universitätskollegen Aufsehen erregen und sich stellen. Dafür war schon durch die wöchentlichen Disputationsübungen und vor allem durch die Disputationen bei feierlichen Graduierungen gesorgt. Außerdem entwikkelte sich allmählich ein Geflecht von Korrespondenzen, durch das auch außerhalb

Wittenbergs Luthers theologische Anschauungen und Urteile verbreitet wurden. Durch Staupitz wurde er herausgestellt, s0 auf dem Kapitel in Gotha, und er rühmte ihn auch in Nürnberg. Dort galt Luther ursprünglich als Staupitzianer. Auf diese Weise entstand 1517 die Beziehung zu Christoph Scheurl in Nürnberg, der dann den Kontakt zu Johann Eck in Ingolstadt vermitteltel. Scheurl sorgte auch für die Verbreitung von Luthers ersten Veröffentlichungen in Nürnberg. Insgesamt wur— den diese Kontakte wenig später sehr wichtig. Fast wie von selbst weitete sich so das Forum für Luther allmählich aus. Das dauerte freilich seine Zeit. Als im Sommer 1 5 14 der Benediktiner Paul Lange Namen für die Neuauflage des Schriftstellerlexi— kons von Trithemius sammelte, wurde der Luthers noch nicht genanntz. Noch hatte er nichts veröffentlicht. Auch in Wittenberg sammelte sich erst nach und nach eine Anhängerschaft um ihn. Anfang 1516 gewann er seinen Landsmann Johann Agricola aus Eisleben für sich, und zwar in einer Beichte. Agricola wurde durch Luthers 160

Predigten beeindruckt, und dieser zog ihn bei seinen Gottesdiensten heran. Ähnlich

berichtet auch Johan Oldecop, daß Luther sein Beichtvater gewesen sei und er ihm bei der Messe ministriert habe3. Agricola wurde durch Luthers Frühtheologie tief geprägt. Er veröffentlichte 1518 Luthers Vaterunser—Auslegung von 1517 und seinen Ehesermon von 1519. Mit beiden Ausgaben war Luther freilich nicht ganz zufrieden. Später wurde Agricola ein schwieriger Kritiker von Luthers und Melanchthons Theologie“. Im Dezember 1514 erfuhr Luther von Spalatin, daß der Kurfürst ihn lobend erwähnt habe, was wahrscheinlich eine Folge seines ersten öffentlichen Hervortretens war. Wie fast zu erwarten, lehnte er das Lob ab: er sei dessen

nicht würdig. Ihm seien die nützlich, die schlecht über ihn denken. Gott soll gelobt werden, nicht der Menschs. Öffentliche Anerkennung interessierte ihn nicht. Es ist zunächst zu zeigen, wie Luther sein Verhältnis zu den Humanisten

bestimmte? Im Februar 15 14 wandte sich Spalatin, offenbar weil er bis dahin noch keinen direkten Kontakt zu ihm hatte, über Lang an Luther mit der Bitte um seine

Stellungnahme zu einer aktuellen Frage7. Der Humanist Johannes Reuchlin hatte sich 1510 gegen die von den Kölner Dominikanern und der dortigen Universität befürwortete Verbrennung jüdischen Schrifttums ausgesprochen und war deshalb in einen Inquisitionsprozeß verwickelt worden, der schließlich 1 520 zur Verurteilung Reuchlins durch den Papst führte. Der Streit erregte über die Gelehrtenwelt hinaus breites Aufsehen. Auch Friedrich der Weise wurde als Schutzherr der Wissenschaft damit befaßt. Die Angelegenheit rief eine öffentliche Auseinandersetzung hervor, die auf seiten Reuchlins vor allem von den Humanisten, nicht zuletzt

von dem Kreis um Mutian, getragen wurde. 1515 und 1517 erschienen die u. a. von Crotus Rubeanus und Ulrich von Hutten verfaßten Dunkelmännerbriefe mit ihrem beißenden Spott über die Kölner Theologen und Mönche. Die erstmals mit den Mitteln der Druckerpresse geführte publizistische Kampagne für Reuchlin wirkt wie ein Vorspiel der Luthersache, wobei die Fronten beidemal sehr ähnlich verlie-

fen. Luther bekundete seine Hochschätzung Reuchlins und bezeichnete sich inso— fern als parteiisch. Er konnte in dessen Gutachten nichts Bedenkliches finden, zumal dieser betont hatte, keine Glaubenssätze, sondern nur Meinungen vorzutra—

gen. Man muß Reuchlin die gute Absicht glauben und darf ihn nicht wie die Kölner zum Ketzer machen. Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Bemerkung: Wenn solche als Meinungen gekennzeichneten Aussagen nicht mehr ohne Gefahr geäu-

ßert werden können, ist zu befürchten, daß die Inquisition willkürlich wegen Häre-

sie denunziert, während sie auf die eigentlichen Häresien gar nicht aufmerksam wird. Die Inquisition hätte sich des viel schlimmeren Götzendienstes und der Got— teslästerung in der Kirche anzunehmen, anstatt sich äußeren Dingen zuzuwenden. Unterschwellig macht sich schon hier eine breite Kritik an Kirche und Theologie bemerkbar. Im übrigen hielt Luther damals den Versuch, die Juden zu Christus zu bekehren, für schriftwidrig. Im August 1514 war er sich mit Spalatin über die enorme Schwäche einer Gegenschrift des Kölners Ortwin Gratius gegen Reuchlin einigs. Als Lichtblick galt es, daß die Sache nunmehr in Rom anstatt von den fleisch— lichen und unverständigen Kölnern entschieden werden sollte. Der übermütigen und sich überschlagenden publizistischen Polemik der Dunkelmännerbriefe gegen 161

die Kölner stand Luther zurückhaltend gegenüber. Das zeigt sein Urteil über eine fingierte Bittschn'ft der Kölner an den Papst, die von der gleichen Seite kam9. So sehr Luther in der Sache mit den Verteidigern Reuchlins einig war, ihr unernsthaf— ter, schmähender Ton paßte ihm nicht. Das klingt merkwürdig im Munde eines Mannes, der wenig später selbst als Polemiker von Format in Erscheinung trat. Aber offenbar empfand er hier einen Unterschied der Geister. In der Römerbrief— vorlesung kritisiert Luther die Parteilichkeit und Eigensucht auf beiden Seitenl". Als er ab 1518 wider Willen selbst in den Konflikt mit Rom geriet, zog er immer wieder die Parallelen zu dem von ihm und von vielen anderen als ungerecht empfundenen Verlauf des Reuchlinprozesses. Stärker als Luther fühlte sich von Anfang an sein Freund Johann Lang Reuchlin verpflichtet. Er galt in Wittenberg im März 1516 als dessen Anhänger“. 1515 hatte Lang zwei Briefe des Hieronymus veröffentlicht und in der Einleitung gegen Ockham, Duns Scotus und den Thomisten Capreolus polemisiert und dage— gen das Studium der Kirchenväter empfohlen”. Auch Luther teilte mit dem Huma— nismus die Ablehnung der Scholastik, und auch er schätzte die Kirchenväter. Aber

seine Ablehnung der Scholastik hatte andere Gründe als die der Humanisten, und seine Distanz zu ihnen ist unübersehbar. Als Luther sich im Mai 1516 auf seiner Visitationsreise in Gotha aufhielt, suchte er Mutian, demgegenüber Lang ihn sehr

gerühmt hatte, angeblich sowohl aus Zeitmangel als auch aus Respekt nicht auf, sondern beließ es bei einem schriftlichen Gruß, dem man anmerkt, daß der

gepflegte Humanismus Mutians nicht Luthers Sache war”. Der Hilfsmittel, die ihm der Humanismus bot, hat sich Luther gleichwohl bedient. Als er z. B. in seiner Pre—

digt vom 24. August 1516 die Bartholomäuslegende kritisierte, stützte er sich dabei auf Hieronymus”. Seit dem Frühjahr 1516 henützte er die Ausgabe des Griechi—

sehen Neuen Testaments des Erasmus von Rotterdam mit ihren Anmerkungen. Gerade dabei aber wurde ihm seine Differenz zu dem berühmtesten unter den damaligen Humanisten bewußt15. Die Anmerkungen zum Neuen Testament gefie-

len ihm zunächst, obwohl Erasmus in ihnen nicht immer offen zu argumentieren

schien“. Luthers Einwände gegen Erasmus verdichteten sich schnell. In einem Brief vom 19. Oktober 1516 brachte er sie gegenüber Spalatin vor": Erasmus versteht unter der Gesetzesgerechtigkeit nicht die Werkgerechtigkeit überhaupt, son— dern nur die jüdische Zeremonialgerechtigkeit. Außerdem hat er die Lehre von der Erbsünde in Röm 5 nicht voll begriffen. Luther wünschte deshalb, daß Erasmus die antipelagianischen Schriften Augustins lesen sollte; so würde er vielleicht nicht nur Paulus recht verstehen, sondern auch eine höhere Meinung von Augustin bekommen. Erasmus und Luther stützten sich offenkundig auf unterschiedliche altkirchli— che Traditionen. Erasmus schätzte Hieronymus, Luther dagegen zog Augustin vor, und zwar nicht nur deswegen, weil dieser sein Ordenstheologe war. Luther gefiel die oberflächliche, nur historische Auslegungsweise des Hieronymus nicht. Für ihn ist alles, was außerhalb des Glaubens an Christus geschieht, Gesetzesgerechtigkeit und damit als Gerechtigkeit nichts wert. Der entscheidende Differenzpunkt zu Erasmus lag also in der zentralen Rechtfertigungslehre. Die gute Person muß vor dem guten Werk da sein. Indem wir gerecht werden und sind, handeln wir gerecht. Luther

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wünschte ausdrücklich, daß Spalatin Erasmus über seine Einwände informierte. Er wollte damit erreichen, daß sich durch die Autorität des Erasmus nicht weiterhin ein

buchstäbliches, totes Verständnis der Gesetzesgerechtigkeit festsetzte, wie es bei allen nach Augustin, selbst bei Faber Stapulensis vorhanden war. Natürlich wußte Luther, daß es vermessen erscheinen mußte, wenn er angesehene Gelehrte wie

Erasmus schulmeisterlich zu seiner Meinung zu bekehren versuchte. Für die Sache der Theologie und das Heil der Brüder, um die es dabei ging, unternahm er trotzdem den Versuch. Spalatin hat dann entsprechend an Erasmus geschrieben, aber dieser gab keine Antwort. Luthers Abneigung gegen Erasmus wuchs. Am 1.März 1517 gesteht er Lang“, daß seine Schätzung des Erasmus ständig abnehme. Zwar gefiel es ihm, wie dieser Mönche und Priester wegen ihrer veralteten und verschlafenen Unwissenheit stän— dig und gescheit kritisierte, aber er befürchtete, daß Erasmus Christus und die Gnade Gottes nicht genug förderte. Darin hielt er ihn für viel unwissender als selbst den Humanisten Faber Stapulensis. Das Menschliche überwiegt bei Erasmus das Göttliche. Luther kritisierte Erasmus nur ungern, aber er wollte den vom Humanismus begeisterten Lang kritisch machen. Die Zeiten seien nämlich gefährlich, und nicht jeder sei deshalb ein wahrhaft weiser Christ, weil er Griechisch oder Hebrä-

isch könne. Das war Luther einmal mehr während der Galaterbriefvorlesung im Vergleich zwischen dem sprachgebildeten Hieronymus und Augustin aufgegangen. Die Verharmlosung der grundsätzlichen Gegensätze bei Hieronymus war für Luther anstößig. Bereits wird der prinzipielle Unterschied benannt, der Luther je länger je mehr von Erasmus trennt: >>Andcrs ist das Urteil dessen, der dem mensch— lichen Willen manches zutraut, als dessen. der außer der Gnade nichts weiß.« Aus—

getragen wurde dieser bis in die Grundfragen des Menschseins reichende Konflikt Luthers mit dem >>Humanismus>Deutsch Theologia>O ihr Törichten, o Sautheologen.« Woher die Erre—

gung? Wenn das Gesetz nämlich von uns, aus unseren Kräften erfüllt wird, bedarf es der Gnade nicht. Das ist für Luther Gotteslästerung. Weder die Sündhaftigkeit des Menschen noch seine Angewiesenheit auf die Gnade ist da recht gesehen. Immer wieder wird die von Aristoteles herrührende Unwissenheit über die Fortdauer der Sünde moniert, die zu der falschen Meinung führt, daß wir von Sünden frei seien,

während doch die lebenslange Buße erst beginnt. Er bezeichnet jene Theologen als Phantasten, die nicht merken, daß der Neubau der christlichen Existenz eben noch

unvollkommen ist. Tugenden wie Fehler haften dem Menschen nicht nur oberflächlich an”. Die Meinung, daß der Mensch durch eigene Vorleistungen sich auf die

Gnade vorbereiten müsse, wozu er doch nicht in der Lage ist, verursachte nach

Luther eine heillosc Verwirrung im Verständnis von Gnade und Gesetz und zeugte

von Vermessenheit und Unkenntnis der Sünde. Ohne die Gnade ist das Gesetz nicht zu erfüllen“. Die von der Scholastik angenommene Kooperation zwischen der Seele und der sie überformenden Gnade hielt Luther für eine verfluchte Ein— sicht. Der Mensch muß in seinen Möglichkeiten destruiert werden, bevor die Liebe

in ihm wirkt. Das Heilsame wird nicht gewußt und statt dessen gelernt, was verdammungswürdig ist, Philosophie anstelle der Schrift”. Das war zugleich der Punkt, an dem Luther in der deutschen Mystik einen Bundesgenossen gegen die Scholastik sah. Luther hat mit dieser Auffassung einen gewissen Widerhall unter den Studenten gefunden. Das wird z.B. sichtbar an der in den ersten Monaten des Jahres 1516 gehaltenen Römerbriefvorlesung von Johann Lang, die im wesentlichen die Gedan— ken Luthers reproduzierte26. Der enge Austausch, in dem Lang mit Luther stand, wird nicht nur alsbald in den Briefen erkennbar, sondern auch von Oldecop bezeugt, der Lang als Luthers >>nächsten Rat>Von der wahren und falschen Buße>Vom Geist und vom Buchstaben>Vom Geist und vom Buchstaben>Unsere Theologie und Augustin schreiten glücklich fort und regieren an unserer Universität durch Gottes Wirken. Aristoteles ist im Abstieg begriffen und wird bald für immer zu einer Ruine zerfallen. Die hergebrachten Sentenzenvorlesungen ekeln die Studenten an. Nie-

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mand kann auf Hörer hoffen, wenn er nicht die neue Theologie, d. h. über die Bibel

oder Augustin oder einen anderen Lehrer von kirchlicher Autorität liest.« Dein entsprach genau das Vorlesungsprogramm vom Wintersemester 1517/18. Karl— stadt las über Augustin, Lupinus über Ambrosius, der Humanist Aesticampian über Hieronymus und Luther über den Hebräerbrief‘”. Damals gratulierte Karlstadt den Studenten dazu, daß die alte Wahrheit der Heiligen Schrift wieder aufleuchtete, die leider durch die philosophischen Blendwerke verfinstert war. Christus wird jetzt in den Schriften gezeigt, gelesen, gepredigt und großgemacht, und zwar nicht wie ihn die Weisen vorgeben, sondern wie ihn die Wahrheit lehrt. Die Studenten haben Grund zur Freude, daß sie die Bibel und die Kirchenväter aus den Quellen selbst, anstatt, wie bisher, aus den Scholastikern hören, verstehen und lernen. Hier kommt eine Erneuerung des Studiums, eine Studienreform in den Blick. Im Mai 1518

konnte Luther Trutfetter berichten, daß er alle Wittenberger Theologen bis auf einen auf seiner Seite hatte. Dazu wurde ihm von angesehenen Geistlichen und Bürgern bezeugt, daß sie vorher Christus und das Evangelium nicht gekannt und gehört hatten“. Als Luther im Juli 1517 sechs bis sieben Augustiner zum Magister— examen vorbereitete, legte er es bewußt darauf an, sie zu Gegnern des Aristoteles auszubilden“. Zum drittenmal war es eine Disputation, mit der die theologische Entwicklung in Wittenberg voranschritt, als Luther am 4.September 1517 über seine >>Stellung— nahmen gegen die scholastische Theologie>orthodox>wohlfeile Kirche« für das aufstrebende Bürgertum gewesen. Es ist gar nicht zu bestreiten, daß der Ablaß zunächst für die Kirche von finanziellem

Interesse war und daß das auch von der Öffentlichkeit der Laien kritisch bemerkt wurde. Aber das Zentrum des Ablaßstreits liegt hier gewiß nicht, auch nicht das der 95 Thesen. Für Luther ging es um bewegendere und wesentlichere Dinge als nur um Geld. Das wird aus den vier letzten Thesen noch einmal hinreichend deutlich: >> Weg mit den falschen Propheten, die dem Volk Christi Frieden ansagen, wo keiner ist. Recht handeln die, die sagen: Kreuz, Kreuz und es ist kein Kreuz.« Damit sollen die

Christen in die Nachfolge Christi gerufen werden, die allerdings durch Strafen, Tod und Hölle führt, aber ihr Ziel im Himmel hat, statt daß sie auf einen falschen siche-

ren Frieden vertrauen. Die Thesen mit ihrer Fülle von Argumenten und Blickrichtungen richtig zu bewerten und einzuordnen, ist nicht ganz einfach. Sie sind nichts als ein Thesenpa— pier, aber ein solches, das Weltgeschichte gemacht hat. Auch das erschwert das Urteil. Der Geist, aus dem sie geschrieben sind, ist noch nicht der spätere evange— lisch-reformatorische, so sehr auch der gängigen kirchlichen Praxis und ihren pro— blematischen Begründungen widersprochen wird. Dies geschieht noch alles vom Boden der Demutstheologie und -frömmigkeit aus. Die Buße lieben, wie Christus es forderte; darum ging es. Luther selbst war sich völlig bewußt, daß nicht alle Aus— sagen durch ein durchgeklärtes Konzept abgedeckt waren. Es waren eben Disputa— tionsthesen für die Diskussion und noch nicht feste dogmatischc Sätze. Manches war da noch zweifelhaft oder dunkel und ungewißs. Unbestreitbar bildeten sie auch so eine unbequeme kritische Anfrage, zumal ihre Aggressivität sichtlich immer

mehr zunimmt. Aber andererseits unterstellt Luther wohl doch aus Überzeugung und nicht aus Taktik immer wieder, daß der Papst seine Auffassung teile. Als Pro— gramm der Auflehnung gegen die Kirche und ihre Führung waren die Thesen sicher

nicht gedacht. Noch 1541 betont Luther glaubhaft9, er habe anfangs nicht gegen den Ablaß, sondern nur gegen dessen Mißbrauch, und schon gar nicht gegen den Papst vorgehen wollen, Vielmehr sei es ihm um die Verteidigung des Papstes gegangen. Von dessen Greueln und krassen Mißbräuchen habe er noch nichts gewußt. Er kam sich als der Beschützer des Papstes vor und wußte sich im Einklang mit ihm, weil das Kirchenrecht die Übergriffe der Ablaßprediger deutlich verdammte”. Zwiespältig war auch der erste Eindruck, den die Thesen machten. Luther hatte nicht nur die Volksstimmung zum Teil auf seiner Seite, sondern auch Personen wie Cochläus, Emser und Herzog Georg, die bald seine Gegner wurden, begrüßten zunächst sein Auftreten. Für andere wie Tetzel, Eck, die Professoren von Mainz

und Leipzig, aber auch für den Wittenberger Schurf stand sofort fest, daß die Thesen sich eigentlich gegen den Papst richteten“. Nicht wegen Geld und Gut hatte Luther sich auf diese Sache eingelassen, sondern weil ihn Tetzel reizte”. Über die Tragweite seines Einspruchs war er sich zunächst überhaupt nicht im klaren. Erst nachträglich erkannte er, daß die kleine Sache die allergrößte war. Hätte er das überschaut, er hätte geschwiegen“. Aus Unklugheit sei er in die Aus— einandersetzung hineingeschlittert“. Wie ein geblendetes Pferd sei er hineinge-

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raten. »Gott führte mich wider meinen Wissen und Willen in das Spiel.«15 Der Ausgang der Sache war für ihn zunächst völlig offen, und er mußte ihn Gott überlassen“. Es besteht kein Grund, Luther diese Darstellung nicht abzuneh— men. Sein Auftreten gegen den Ablaß war nicht von Taktik und Berechnung bestimmt. Nun stellt sich die Frage: Was wollte Luther mit den Thesen?17 Fest steht, daß er

sie dem Brief an den Erzbischof beigelegt hat. Aber sie waren bestimmt nicht pri-

mär für diesen und zu dessen Information geschrieben, sondern Luther verfolgte

mit ihnen vor allem eine andere Absicht. Das geht klar aus der Überschrift der Thesen hervor: >>Aus Liebe und Eifer für die ans Licht zu bringende Wahrheit wer— den die folgenden Sätze in Wittenberg unter dem Vorsitz des verehrlichen Vaters Doktor Martin Luther disputiert werden.« Ausdrücklich werden die auswärtigen Gelehrten, die nicht an der mündlichen Disputation teilnehmen können, aufgefordert, sich brieflich zu äußern, Termin und Ort der Disputation sind zunächst nicht

angegeben. Luther wollte also auch auf der akademischen Ebene eine Klärung des Ablaßproblems herbeiführen, und die angemessene Form dafür war die Disputa— tion aufgrund von Thesen. Thesen waren eigentlich zum Disputieren da, und das gilt auch für die Ablaßthesen. Die Mainzer Fakultät ging im Dezember 15 17 wie selbstverständlich davon aus, daß über die Thesen in Wittenberg disputiert wurde”. Aber

welchen Charakter hatte die geplante Disputation?19 In der Scholastik war durch die Disputationen die Aneignung und die klare Zergliedenlng des Stoffs eingeübt worden. Zu Luthers Zeiten bediente man sich ihrer mehr und mehr auch als eines neuen Mittels zur Wahrheitsfindung. Diese Funktion hatten die gegen die scholasti— sche Theologie gerichteten wichtigen Disputationen Luthers und Karlstadts von 1516 und 1517. Auf den ersten Blick scheint die projektierte Ablaßdisputation ein

weiteres planvolles Glied in dieser Kette zu sein. Aber anders als die Scholastikdisputationen hat Luther die Ablaßdisputation in Wittenberg sichtlich nicht so stark

herausstellen, sondern in sehr kleinem Rahmen halten wollen und sie auch nicht

mit seinen Kollegen und Freunden abgesprochen. Insofern scheint sie ein Vorhaben eigener Art gewesen zu sein. Ganz außergewöhnlich waren solche überraschenden Disputationen nicht. Aus dem Jahr 1522 ist ein ähnlicher Vorgang in Basel bekannt“. Etwas ungewöhnlich war der Rahmen der beabsichtigten Disputa— tion. Es war keine der freitäglichen Zirkulardisputationen, die vor allem zu Übungszwecken für die Studenten dienten. Es war auch keine Promotionsdisputation. Vielmehr sollte es eine außerordentliche Disputation unter Beteiligung auswärtiger Theologen sein, wie sie schon Karlstadt für seine Thesen im April 1517 ähnlich geplant hatte21 und wie sie 15 19 in Leipzig zwischen Eck, Luther und Karl— stadt praktiziert wurde. Auch zu einem solchen Vorgehen war ein Professor, wie Luther sehr wohl wußte, durchaus berechtigt. Die Disputation vermochte mittels der Kombination von festen Aussagen und offenen Anfragen ein Problem sichtbar zu machen und es dann durch die Diskussion seiner Lösung zuzuführen. Dabei konnten die Disputationsthesen durchaus in eine bestimmte Richtung tendieren und zugleich die Offenheit wahren. Eben diesen Eindruck machen die Ablaßthesen. Die übliche Form der Veröffentlichung von Thesen war ihr öffentlicher Anschlag. In

195

Wittenberg diente dazu die Tür der Schloß— und Universitätskirche. Außerdem hat Luther seine Thesen auch diesmal brieflich verschickt. In den letzten Jahren sind Faktum und Zeitpunkt des so berühmten Thesenanschlages angezweifelt worden, und darüber ist es zu einer großen wissenschaftlichen Auseinandersetzung gekommen“. Das hat seinen Grund darin, daß Luther selbst nie ausdrücklich vorn Thesenanschlag spricht, sondern dieser erst nach seinem Tod von Philipp Melanchthon, der 1517 noch gar nicht in Wittenberg war, berichtet wird”: >>Veranlaßt durch Tetzels Ablaßvertrieb gab Luther Thesen über die Ablässe heraus und heftete diese öffentlich an der Allerheiligenkirche am 31. Okto— ber 1517 an.« Diese Aussage bereitet einige Schwierigkeiten und ist nicht ohne weiteres mit Luthers Äußerungen zu vereinen. Luther berichtet später, er sei

zusammen mit Hieronymus Schurf in den Tagen nach Allerheiligen (1 . November) nach Kemberg gegangen, eben in der Zeit, als er sich zuerst vorgenommen hatte, gegen den krassen Irrtum der Ablässe zu schreiben. Schurf widersprach ihm: Man werde es nicht leiden, wenn er gegen den Papst (l) schreibe. Luther ließ sich dadurch freilich nicht davon abbringen“. Interessant ist, daß Schurf damals noch nach Allerheiligen von Luthers Disputationsvorhaben offenbar nichts wußte. In einem Brief,

wohl vom 15. Mai 1518, an den Brandenburger Bischof Hieronymus Schulze25

berichtet Luther zunächst von den kritischen Äußerungen, Diskussionen und

Anfragen an ihn, die durch den Ablaßhandel ausgelöst worden waren. Das geeignetste Mittel, dem zu begegnen, bis die Kirche die noch offene Ablaßlehre festsetzen würde, schien ihm eine Disputation zu sein. Er ließ also Thesen hinausgehen und lud öffentlich dazu ein, außerdem forderte er privat, d. h. wohl in Briefen, einige gelehrte Männer auf, ihm ihre Meinung schriftlich zu eröffnen, zumal er in diesen Dingen weder die Schrift noch die Kirchenlehrer, gemeint sind die Kirchenväter, noch das Kirchenrecht gegen sich sah, einige wenige Kanonisten und Scholastiker ausgenommen, denen aber die notwendigen Texte und Beweise für ihre Meinung

fehlten. Über eine zweifelhafte Sache zu disputieren, daran lag ihm, das hielt er für seine Aufgabe, und dazu war er berechtigt. Luther redet hier nur von seinem Disputationsvorhaben und erwähnt die Briefe an die Bischöfe vom 31. Oktober nicht. Zu der Disputation ist öffentlich eingeladen worden, außerdem hat er die Thesen privat versandt. Unter der öffentlichen Einladung, von der noch ein weiterer Brief berich— tet“, kann eigentlich nur der Anschlag der Thesen verstanden werden. In anderen Schilderungen des Ablaßstreits erwähnt Luther mehrfach nur die geplante Disputation27. Luther verbreitete aber, schon in derselben Zeit, noch eine andere Version. So berichtet er Ende Mai 15 18 dem Papst”, die Anstöße des Ablaßhandels hätten ihn,

der nicht berechtigt war, etwas festzusetzen, zu privaten Mahnschreiben an einige Kirchenfürsten veranlaßt. Sie seien teils akzeptiert, teils verlacht, teils noch anders

aufgenommen worden. Aus Angst vor dem Papst wollte sich niemand der Sache annehmen. Erst daraufhin habe Luther beschlossen, sich der Ablaßlehre vorsichtig

durch die Herausgabe des Zettels mit den Thesen und die Einladung von Gelehrten entgegenzustellen, indem er sie anzweifelte und zu einer Disputation darüber aufrief. Sie sollte in einem kleinen Kreis von Gelehrten stattfinden. Das wird von 196

Luther auch sonst mehrfach betont”. Zu diesem Vorgehen sei er als Magister, der über jedes Thema disputieren darf, aufgrund päpstlicher Autorisierung berechtigt gewesen. Dies aber habe den Brand des Ablaßstreits ausgelöst. Als Luther im November 1518 Friedrich den Weisen von dem Vorwurf entlasten mußte, der

Ablaßstreit sei vom Kurfürsten gegen Brandenburg angezettelt worden”, konnte er, wie auch schon vorher, versichern, daß niemand, auch keiner seiner Freunde,

von der Disputation wußte außer den Bischöfen, die er vor Herausgabe der Disputation in privaten Briefen ermahnt habe. Diese Schilderung des Ablaufs, nach dem

die Briefe an die Bischöfe vor der Veröffentlichung der Thesen liegen, ist dann auch in eine Reihe der wichtigen späteren Berichte Luthers eingegangen“. Zehn Jahre später hat Luther in einem Brief vorn 1.November seinem Freund Amsdorff im Geist feierlich zugetrunken, weil nach seiner Erinnerung dieser Termin der J ahres— tag war, an dem der Ablaß zu Boden getreten wurde“. Deshalb hat Hans Volz33 den Thesenanschlag auf den 1.November umdatieren wollen. Aber da die vortägliche Vigil zum Allerheiligenfest gerechnet werden kann, bleibt das ganz unsicher. Aus den unterschiedlichen Angaben läßt sich nun doch eine begründete Vorstellung von dem tatsächlichen Ablauf der Ereignisse gewinnen. In Luthers Erinnerung haftete der 31.0ktober bzw. Allerheiligen 1517 als der Tag, an dem er sich gegen den Ablaß wandte, und zwar durch die Briefe an die Bischöfe. Insofern ist der

31. Oktober der Beginn der Reformation. Völlig zutreffend vermerkte Luther später auf einem Druck der Thesen: >>Am 31. Oktober 1517, dem Vorabend des Allerheiligenfestes, wurde der Ablaß erstmals bekämpft>Mit derselben Gerechtigkeit ist Gott und sind wir gerecht, so wie Gott mit demselben Wort handelt und wir sind, was er ist, damit wir in ihm seien und sein

Sein unser Sein ist.« Luther hatte seine Identität in Gott gefunden.

Somit besteht das >>Reformatorischedas wir wider den Papst, Teufel und Welt lehren und leben«. Würde man davon abgehen, wäre alles verloren und würden Papst und Teufel den Sieg behalten. Der Glaube an das Evangelium, das nichts anderes als den versöhnenden und rechtferti— genden Christus verkündet, bildete die neue und bleibende Mitte seiner Theologie. Das mag heute als ärgerlich massiv und unmodern empfunden werden, weil hier primär nicht vom Menschen, sondern von Christus die Rede ist, und in der Tat

beinhaltet es eine sehr ernste Anfrage an die heutigen Erben Luthers. Aber jede andere Umschreibung des Reformatorischen würde Luthers neue Erkenntnis ver— kürzen und es unmöglich machen, seinen weiteren Weg und sein reformatorisches Werk im Innersten zu verstehen. Insofern kommt für die Beschreibung seines Lebens und Werks Entscheidendes auf die angemessene Erfassung des Reformatorischen an. Ganz isoliert brauchte sich Luther mit seiner neuen Erkenntnis nicht zu fühlen. Sein Freund und Ordensoberer Johann von Staupitz hatte in seiner Anfang 1517 erschienenen Schrift über die Vollziehung der ewigen Vorsehung24 zur Liebe ge223

gen Gott, zur Erwählung aus Gnaden, zur Rechtfertigung durch Christus, dem Bräutigam der Seele, der seine Gerechtigkeit mit deren Ungerechtigkeit tauscht, Gedanken geäußert, die mit denen Luthers nahezu übereinstimmten. Hier wird

einmal ganz deutlich, daß sich auch einige von Luthers Ordensgenossen auf ähnli— chen Gedankenbahnen bewegten wie er. Von daher wird auch noch einmal verständlich, warum Luther in seinem Einleitungsbrief zu den Resolutionen so stark hervorgehoben hat, was er Staupitz für sein Verständnis der Buße verdankte. Nicht zu übersehen ist freilich, daß die neue Einsicht in Luthers konkreter Situation einen

mächtigen Impuls auslöste, von dem bei Staupitz nichts zu spüren ist. Mitten im Ablaßstreit hatte Luther seinen Standpunkt gefunden, von dem aus er

es vermochte, in den schweren bevorstehenden Auseinandersetzungen zu stehen,

und von dem aus er eine neue Theorie und Praxis der Kirche entwickeln konnte. Das zeichnet sich bereits im Sermon von der doppelten Gerechtigkeit ab. Er behan— delt in seinem zweiten Teil das aus dem Glauben fließende gerechte Handeln des Menschen, bestehend in der Kreuzigung seines Fleisches, der Nächstenliebe und der Gottesfurcht. Hier wird eine christliche Ethik entworfen, die nicht mehr Vorbedingung des Heils, sondern dessen Folge ist. Luther hat sie alsbald ausführlicher

entwickelt. Der Christ ist befreit, gerecht, überlegen über die Sünde und konform mit Christus zugleich der Diener seines Mitmenschen, kritisch gegen Selbstgerechtigkeit und Lieblosigkeit. Bereits wird auch gesehen, daß es sich dabei um eine Existenzweise handelt, die nicht ohne weiteres in den gängigen weltförmigen Ver-

haltensweisen unterzubringen ist. Es muß unterschieden werden zwischen Gesetz und Evangelium, Glauben und Werk, bürgerlicher und christlicher Gerechtigkeit. Hier wird der Ansatz von Luthers theologischer Staatsauffassung und politischer

Ethik erkennbar, die den Bereich der Welt und den Gottes zugleich unterscheidet und doch in Beziehung zueinander setzt. In einer weiteren Predigt Von der dreifa— chen Gerechtigkeit, etwas später aus dem Jahr 1518, hat Luther seine Konzeption

etwas modifiziert nochmals ausgeführt”. Die neue Erkenntnis kommt in Luthers theologischen Arbeiten vom April und Mai 15 18 in verschiedenen Anwendungen deutlich zum Vorschein. Die lateinische Predigt zum würdigen Empfang der Eucharistie26 aus der vorösterlichen Fastenzeit 1518 hebt als Vorbedingung für den Sakramentsempfang vor allem das Bewußtsein der eigenen Bedürftigkeit hervor. Die beste Disposition ist das Leid über die Sünde und nicht die Folter des perfekten Beichtens oder die gefährliche Meinung, gebeichtet zu haben und deshalb sündlos zu sein. Sodann bedarf es vor allem des Glaubens, daß Christus tut, wie er verheißen hat. Ohne ihn wäre das Sakrament tot.

Der Glaube rechtfertigt, reinigt und macht würdig. Der Mensch hat zum Empfang des Abendmahls nicht eine selbstgemachte Heiligkeit zu erzeugen, sondern in seiner erkannten Heillosigkeit und Sünde nur nach Gnade und Barmherzigkeit zu verlangen. Luther geht damit gegen die an, die vor dem Sakrament angst machen. Es ist eine sehr einfache Frömmigkeit der leeren Hände und des angewiesenen Glaubens, an der erstmals etwas sichtbar wird von der Umformung, die in diesem

Bereich in Gang kommt. Auch in der Passionspredigt von 151827 klingen neue Töne an. Sie schärft nicht nur das Mitleid mit Christus ein, auch nicht nur die Ein-

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sieht, daß er unsere Schuld leidet, sondern sie ruft auf zu dem Hinfliehen zu Christus, der meine Schuld übernimmt und zunichte machen kann.

Besonderes Interesse verdient, wie Luther in der Heidelberger Disputation Ende April seine neuen Einsichten zur Geltung brachte”. Luther ließ die Ablaßproble— matik völlig beiseite und führte erneut eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der scholastischen Theologie. Was er dabei nach sorgfältiger Vorbereitung mit seinen paradoxen Sätzen — und sie waren es — vorlegen wollte, war nichts anderes als die Gedanken des Paulus und seines treuen Interpreten Augustin. Von den 40 The— sen bezogen sich 28 auf die Theologie und 12 auf die Philosophie. Dabei bilden die theologischen Thesen eine sorgfältig durchgegliederte Einheit. Sie waren nicht nur glänzend in ihrer kontrastreichen Schärfe formuliert, sondern gingen eigentlich über den Rahmen einer schulmäßigen Disputation über Sünde und Gnade hinaus und wurden zur existentiellen Aussage und Verkündigung. Die ersten zwölf Thesen handeln von den Werken der Menschen und Gottes. In der kritischen Beurteilung des menschlichen Handelns kehren bekannte Gedanken wieder. Das Gesetz kann den Menschen nicht zur Gerechtigkeit befördern, sondern hindert ihn eher daran. Es dient zum Aufweis der Sünde und tötet. Daraus ergibt sich sofort der zweite Satz: Noch viel weniger als das Gesetz vermögen die aus dem natürlichen Antrieb des Menschen getanen Werke. So kommt Luther zu den beiden folgenden Spannungs— reichen Thesen: >>Die Werke des Menschen, so ansehnlich sie auch sein und so gut sie auch scheinen mögen, sind aller Wahrscheinlichkeit nach Todsünden. Wie alles, was außer der Gnade und dem Glauben geschieht, sind sie vor Gott verflucht.« Die

Leistungsmöglichkeiten des Menschen werden radikal verworfen. Dem stellt Luther die Werke Gottes gegenüber. Sie erscheinen deformiert und schlecht und sind trotzdem unsterbliche Verdienste. Luther redet in eigenartiger Verschlingung von der unter dem Gegenteil verborgenen Handlungsweise Gottes, die erst destruiert und dann erhöht. In diese Handlungsweise sind auch die Gläubigen einbezogen. Selbstverständlich sind die toten Werke der Menschen nicht kriminell, aber den— noch schlecht vor Gott. Umgekehrt sind die Werke, die Gott in uns wirkt, in dem Sinn Verdienst, daß ihnen keine Sünde mehr anhaftet. Auch die Werke der Gläubi—

gen bleiben immer unvollkommen. Die Gerechten halten sie in ihrer Gottesfurcht für tote Werke, das gilt darum noch viel mehr von den ohne Gottesfurcht in Selbstsi—

cherheit vollbrachten Werken. Es wäre Vermessenheit und würde von der Hoffnung des Heils ausschließen, nicht in jedem Werk das Verdammungsurteil zu fürch— ten. Nur die Sünden sind läßlich vor Gott, von denen der Mensch fürchtet, daß sie

Todsünden sind. Nie hat Luther radikaler die Wirkungsmöglichkeit des Menschen in bezug auf sein Heil destruiert als hier. Das alles erscheint als die äußerste Zuspitzung der Demutstheologie. Nur die totale Selbstpreisgabe scheint eine verborgene Bejahung Gottes erwarten zu können. Die zweite Thesengruppe (13—18) treibt die Radikalisierung insofern noch weiter, als sie die anthropologischen Grundlagen des Handelns des Menschen untersucht: »Der freie Wille nach dem Sündenfall ist ein leerer Titel; wenn er tut, was an ihm selbst ist, sündigt er tödlich.« Er ist der Sklave der Sünde. Das berühmte >>tun,

was an einem selbst ist« als minimaler positiver Beitrag des Menschen zum Heils225

prozeß fällt dahin. Zwar mag sich der freie Wille subjektiv auf das Gute richten, tatsächlich intendiert er immer das Böse. Die Meinung, aus sich tun zu können, was an einem ist, ist nichts als zusätzliche Sünde und Unklarheit über die wirkliche

Situation. Damit ist nichts gegen das Tun gesagt. Nur kommt es darauf nicht an,

sondern darauf, sich aus der Erkenntnis der Sünde zu Christus hinzuwenden und Gnade zu begehren. Das Gesetz führt zur Erkenntnis der Sünde, diese bewirkt Demut, durch die Demut wird die Gnade erworben. Luther will nicht in die Ver—

zweiflung treiben, indem er die Handlungsmöglichkeit des Menschen bestreitet, sondern anreizen zum demütigen Suchen der Gnade. Darin liegt der einzige Ausweg und die einzige Hoffnung. Der Mensch muß an sich verzweifeln, um fähig zu werden, die Gnade zu erlangen. Aus eigener Kraft darf er nichts tun wollen. Auch in dieser Thesengmppe ist die Sphäre der Kritik und der bisherigen negativen Theolo— gie noch nicht verlassen. Bedeutsam ist sie insofern, als sich hier erstmals Luthers

Position in der großen Auseinandersetzung um die Willensfreiheit ganz klar abzeichnet. Berühmt ist der dritte Thesenblock (19—24). Er lenkt wieder auf das Handeln Gottes und dessen Verständnis zurück. >>Nicht der heißt mit Recht Theologe, der das Unsichtbare Gottes, begriffen an den Schöpfungswerken, erschaut, sondern der das Sichtbare und die Rückseite Gottes als das in Leiden und Kreuz Angeschaute

begreift.« Die Schau von Gottes Kraft, Weisheit, Gerechtigkeit und Güte macht nicht würdig und weise. Sichtbar sind von Gott seine Menschlichkeit, Schwäche und

Torheit. Da die Menschen die Gotteserkenntnis aus den Werken mißbraucht haben, wollte Gott aus den Leiden erkannt werden, d. h. durch die Weisheit dessen, was man von Gott sieht unter Verwerfung der Weisheit des Unsichtbaren. Gott läßt

sich nur noch in der Torheit und Niedrigkeit des Kreuzes erkennen, die Erkenntnis seiner Herrlichkeit und Majestät nützt nichts. In dem gekreuzigten Christus besteht

die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes. Das wird nun sofort kritisch gehand— habt: >>Der Theologe der Herrlichkeit nennt das Böse gut und das Gute böse, der Theologe des Kreuzes sagt, wie es sich wirklich verhält.« Der Theologe der Herrlichkeit kennt ja nicht das Prinzip des unter dem Kreuz verborgenen Handelns Gottes. Er setzt auf Werke statt Leiden, Herrlichkeit statt Kreuz, Kraft statt Schwach— heit, Weisheit statt Torheit. Diese Theologen sind die Feinde des Kreuzes Christi.

Sie halten das Gute des Kreuzes für ein Übel. Aber Gott läßt sich nur in Kreuz und Leiden finden. Die Freunde des Kreuzes Christi nennen das Kreuz gut und die Werke böse; sie kreuzigen den Alten Adam. Jene Weisheit, die die Unsichtbarkeit Gottes aus den Werken betrachtet, bläht auf, blendet und verhärtet. Sie hat die falschen Maßstäbe, und die rechten aus der Torheit des Kreuzes'fehlen ihr. Das Gesetz schafft Zorn, tötet, verflucht, macht schuldig, richtet, verdammt, was nicht in Christus ist, d. h. alle Werke. Trotzdem ist es keine schlechte Weisheit und nicht

zu fliehen. Sie wird nur ohne die Theologie des Kreuzes falsch gebraucht. Das Gesetz mit seiner richtenden und tötenden Funktion, die den Tod gegenwärtig füh— len läßt, ist die Voraussetzung für die Wiedergeburt. Das berühmt gewordene Begriffspaar Theologie der Herrlichkeit — Theologie des i Kreuzes29 hat Luther im Frühjahr 1518 einige Male gebraucht, wobei diese

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Schlagworte sicher nicht einfach ein theologisches Prinzip bedeuten. Was Luther damit gegen seine Gegner sicherstellen wollte, war der sachgemäße Zugang zur Theologie, der in Kreuz und Leiden und nicht in Werken und Leistungen liegt. Luther hat etwa Eck wegen seiner Behauptung, daß die Seelen im Fegfeuer ihres Heils gewiß seien, vorgeworfen, nichts von der Theologie des Kreuzes zu verste— hen30. Die Hebräerbriefvorlesung31 versteht unter der anstößigen Theologie des Kreuzes Gottes Handeln durch Trübsal und Prüfungen, das zur festen Hoffnung führt. Weil die scholastische Theologie nichts mehr von dem fremden (richtenden) Werk Gottes weiß, macht Luther ihr in den Resolutionen” den Vorwurf, ihr fehle

die Theologie des Kreuzes. Denn nur diese hält Strafe und Kreuz für einen durch Christi Willen geheiligten Schatz, der wertvoller als alle Reliquien ist. Der vorn Sichtbaren ausgehende Theologe der Herrlichkeit tritt für den Erlaß und die Lösung der Strafen aus dem Kirchenschatz ein und läßt sich dafür bezahlen. Der Theologe des Kreuzes hält eben die Strafe für einen kostbaren Schatz. Luther wußte im Frühjahr 1518 schon, daß die Rechtfertigung Gottes eigentliches Werk ist, aber er wachte kritisch und eifersüchtig über dem durch das Kreuz Christi bestimmten sachgemäßen Zugang, der zugleich der Weg von seiner Demutstheologie zur reformatorischen Erkenntnis war. Insofern hat die Theologie des Kreuzes kein selbstän— diges Programm zum Inhalt, sondern bildet lediglich eine kritische Absicherung. Zusammengefaßt erscheint das noch einmal in der Psalmenauslegung von 151933. Glaube, Liebe und Hoffnung sind nicht Aktivitäten des Menschen, sondern Passivi—

tät, ganz gottgewirkt. Sie reißen den Menschen aus allem Eigenen heraus, und inso— fern sind sie Leiden. Nicht durch selbsterwählte Akte kommt der Mensch zu Gott, sondern durch Kreuz, Tod, Hölle und Leiden. «Das Kreuz allein ist unsere Theo—

logie!«

Bis zu diesem Punkt bietet die Heidelberger Disputation eigentlich nur noch ein—

mal cinc Zusammenfassung der kritischen Demutstheologie. Das Neue kann man allenfalls ahnen. Erst mit der vierten Thesengruppe (25—27), die das Verhältnis von Glauben und Werken behandelt, wird das anders: »Nicht der ist gerecht, der viel wirkt, sondern der ohne Werke viel an Christus glaubt.« Die Gerechtigkeit konstituiert sich nicht aus dem Handeln wie bei Aristoteles; man kommt zu ihr nur

durch den Glauben an Christus. Die Werke sind nur Folge des Glaubens, und sie sind eigentlich gar nicht die Werke des Glaubenden, sondern die Gottes, und inso— fern kann sich der Glaubende ihrer auch gar nicht rühmen. »Das Gesetz sagt: Tu das, und es geschieht niemals; die Gnade sagt: Glaube an Christus, und schon ist

alles geschehen.« Hier wird wieder die Identität von Christus und dem Glaubenden

beschrieben. Christus wirkt in ihm, und sein Werk ist ein durch Christus gewirktes, und so gefällt es Gott. So wird hier im Blick auf das Handeln des Menschen, das das

Thema der Disputation war, die neue Rechtfertigungslehre angewandt. Wunder— voll ist die letzte der theologischen Thesen: »Die Liebe Gottes findet ihr Liebens-

wertes nicht vor, sondern schafft es. Die Liebe des Menschen entsteht aus seinem

Liebenswerten.« Gegen die menschliche Selbstsucht wird die schöpferische göttli-

che Liebe gestellt, die aus Sündern, Bösen, Törichten und Schwachen Gerechte, Gute, Weise und Starke macht. Die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt

227

werden, nicht umgekehrt. Die Liebe des Menschen flieht die Sünder, Christus ruft sie zu sich. Das ist die Liebe des Kreuzes, aus dem Kreuz geboren, die sich dahin

begibt, nicht wo sie das Gute findet und genießt, sondern wo sie das Gute den Bösen und Bedürftigen zuwendet. Es handelt sich um ein ganz anderes Vorgehen als das des menschlichen Verstandes. Neben der kritischen Abgrenzung gegen seine theologischen Gegner ist das die Skizze der eigenen neuen Position Luthers. Die philosophischen Thesen34 kommen an die Bedeutung der theologischen nicht heran. Sie sollten einmal das falsche Aristoteles—Verständnis der Scholastiker aufweisen, zugleich aber deutlich machen, daß aus Aristoteles weder eine Unterstützung für die Theologie noch für die natürliche Philosophie bezogen werden kann. Wer über Aristoteles philosophieren will, muß zuerst in Christus töricht geworden sein. Alles Wissen außer Christus ist nichts. Eine Philosophie ohne die Gnade Christi ist eine perverse Leidenschaft des Wissens. Am Rande bekundet Luther nunmehr eine Vorliebe für Plato gegenüber Aristoteles. Diese philo— sophisch interessanten Ansätze scheinen von ihm aber nicht weiterverfolgt worden zu sein. An zwei nicht genau datierbaren Texten von 1518 wird schließlich noch einmal das Ergebnis ablesbar, zu dem Luthers innere Geschichte nun für seine Auffassung der Buße, dem Kernstück des Ablaßstreits, geführt hat. Der lateinische Sermon von

der Buße35 spricht wie der Brief an Staupitz am Anfang der Resolutionen von der Unmöglichkeit der Reue aus Verachtung der Sünden. Sie muß aus der Liebe zur Gerechtigkeit kommen. Die beste Buße besteht im neuen Leben und im— Nimmer—

tun. Echte Buße und Beichte ist nicht machbar, sondern gottgewirkt und muß erbetcn werden. Die Reue kommt aus der Gnade Gottes und nicht aus uns, darum müssen wir an uns verzweifeln und zur Gnade hinfliehen. Der Mensch kann von sich aus nicht einmal bekennnen, recht bereut zu haben, er kann nur darum bitten. Bei der Beichte kommt es nicht auf dic‘vollständige Aufzählung der Sünden an, sondern

darauf, daß der Mensch sich ganz als Sünder weiß und um Vergebung bittet. Wegen etwaiger nicht gebeichteter einzelner Sünden soll man sich auch im Tod nicht schrecken lassen. Auch darf man sein Vertrauen nicht auf die Vollkommenheit der Beichte setzen, das wäre auf Sand gebaut, sondern muß es gründen auf das Vergebungswort des Priesters aufgrund der Lösevollmacht von Mt 1 6. Diesem Wort ist zu glauben. Der Glaube an dieses Wort absolviert. Glaube und Wort Christi sind das,

was ganz wahr, sicher und genug ist. Auf den Glauben kommt im Sakrament alles an. Er und nicht das Sakrament rechtfertigt. Wohl im Sommersemester 1518 bei einer der üblichen freitäglichen Zirkulardisputationen ließ Luther über 50 Thesen >>zur Erforschung der Wahrheit und zum Trost für die geängsteten Gewissen« disputieren“. Erneut ging es um das Bußsakrament. Zuerst wird nochmals das Verhältnis von Erlaß der Schuld und Erlaß der Strafe klargestellt. Auf den Erlaß der Schuld kommt es an; ist er erfolgt, ist die Strafe eigentlich belanglos. Damit wendet sich Luther der Vergebung der Schuld zu. Sie gründet sich weder auf die Reue des Sünders noch auf Amt und Gewalt des Priesters, sondern auf den Glauben an das Absolutionswort. Das Sakrament recht-

fertigt, nicht weil es vollzogen, sondern weil es geglaubt wird. Der Glaube ist vom 228

Wort Christi abhängig, der das Heil des Menschen nicht in die Hand eines anderen Menschen legen wollte. Die Vergebung der Schuld ist gewiß und darf nicht ungewiß gemacht werden. Sie hängt nicht von der Ungewißheit der perfekten Reue ab. Die Sünden sind gewiß erlassen, wenn man glaubt, denn die Verheißung des Heilands ist gewiß. Daran ist für den Absolvierten kein Zweifel zulässig, denn das wäre Zweifel an Christi Wort. Die neue durch das Wort zukommende Vergebungsgewißheit, die Luther zuvor nicht hatte, war für ihn gleichsam der archimedische Punkt, von dem

aus er seine eigenen Anfechtungen bewältigen konnte, von dem er aber auch das ganze hergebrachte System der Buße aus den Angeln zu heben vermochte. Insofern ist es nicht unrichtig, wenn gesagt wird, daß die reformatorische Entdeckung formal in der Entdeckung des vergebenden und gewißmachenden Verheißungswortes bestand”. Die praktischen Auswirkungen des neuen Verständnisses der Buße melden sich sofort. Die Priester sind nicht die Urheber der Vergebung, sondern Diener des Worts zum Glauben an die Vergebung. Die Schlüsselgewalt bewirkt durch Wort und Auftrag Gottes ein festes und unfehlbares Werk. Für den Priester wird die Reue daran ersichtlich, wenn einer sich als Sünder fühlt und die Vergebung glaubt. Er hat nach diesem Glauben zu fragen, nicht nach der Echtheit der Tränen über die Sünde. Die Menschen dürfen nicht glauben, sie würden wegen ihrer Reue absol— viert. Vielmehr ist der Glaube an das Vergebungswort einzuprägen und nicht die Würdigkeit des Beichtenden zu erforschen. Dem äußeren Handeln des Priesters im Sakrament geht innerlich ein solches des Geistes parallel. Der Priester dient dem Wort Christi und übt damit zugleich den Glauben, durch den der Sünder innerlich gerechtfertigt wird. So ist alles auf die Beziehung von Wort und Glauben konzen— triert. Die Sakramente wirken nicht automatisch, sofern der Mensch ihnen nur kein

Hindernis entgegensetzt. Sie haben den Glauben des Empfängers zur Voraussetzung. Ohne ihn sind Reue und Beichte nichts, ja sogar schädlich. Unter diese The-

senreihe hat Luther noch den Satz gestellt: >>Der Gerechte wird nicht aus Werken oder Gesetzen, sondern aus dem Glauben leben.« Röm 1,17, die Zentralstelle der

reformatorischen Entdeckung, erscheint hier als das Fazit der neuen Überlegungen zum Bußsakrament. Zwischen den Ablaßthesen vom Herbst 1517 und den Bußthesen vom Sommer 1518 liegt eine Welt. Luthers Blickrichtung hatte sich entscheidend gewandelt.

Nicht mehr die wahre Buße, der Erlaß oder das Annehmen der Strafe, nicht mehr

das Fegfeuer und die Kompetenz des Papstes darüber oder der Kirchenschatz ste-

hen im Zentrum des Interesses, sondern die Vergebung der Schuld durch das Wort

des Priesters, dem geglaubt wird. Es kommt nicht mehr auf das Handeln des Men-

schen, des Büßenden oder des Priesters an, sondern auf das Handeln Gottes durch

sein Wort und dessen Annahme im Glauben. Der ganze Apparat des Beichtinsti— tuts, des Ablaßwesens, der Hierarchie reduziert und vereinfacht sich enorm, nach-

dem das eine Notwendige klar erfaßt ist: die dem Glauben an das Wort verheißene Vergebung der Sünden. Vom menschlichen Verhalten ist nur noch die Einstellung auf Gottes gnädiges Verhalten wichtig; alles andere ergibt sich daraus. Luthers eigene Probleme hatten so eine neue Lösung erfahren, die noch einmal ganz anders 229

aussah als die Zwischenlösung der Demutsfrömmigkeit und —theologie mit dem Akzeptieren des richtenden Gottes, wiewohl Luther die Vorstellung von dem frem— den richtenden Werk Gottes in seine Rechtfertigungstheologie übernahm und an deren Eingang unterbrachte. Insofern wurden die früheren Einsichten nicht ganz aufgegeben, sondern nur anders lokalisiert und bewertet. Denn Luther war nunmehr durchgedrungen zu dem verheißenden, erbarmenden, freimachenden Gott

und hatte dabei das Leistungssystem der damaligen Theologie und Frömmigkeit zerbrochen. Er war durch das Wissen, Gott nicht gegen sich zu haben, sondern in Christus mit ihm verbunden zu sein, innerlich frei, stark und überlegen geworden. Welche Dynamik und verändernde Kraft der neuen Gewißheit, zu der seine innere Geschichte in diesen Monaten geführt hatte, innewohnte, sollte sich alsbald im

äußeren kirchlichen und weltlichen Geschehen zeigen. Die Konsequenzen für Theologie und kirchliche Praxis lassen sich erst ahnen. Luther war bereits weit hin— ausgewachsen über seine Anfragen an das kirchliche Bußwesen von 1 5 1 7 und damit in der Sache ungleich stärker geworden als zu Beginn des Ablaßstreits. Zweierlei stand ihm nunmehr bevor: die schwere, ja fast aussichtslose Auseinandersetzung

mit dem kirchlichen System und seiner Spitze, die er mehr und mehr in Frage gestellt hatte, und der Ausbau und die Anwendung seiner neuen Erkenntnis in Theorie und Praxis, eine Aufgabe, deren ungeahnte Größe und Reichweite über-

haupt noch nicht abzusehen war.

230

VII. Die ersten Phasen des kirchlichen Prozesses

gegen Luther bis zum Sommer 1 5 1 9

Im Sommer 1518 wurde in Rom offiziell der Prozeß gegen Luther eröffnet. Er schleppte sich durch verschiedene Stadien, Verwicklungen und Zwischenspiele lange hin, bis er durch die Bannbulle vom 3.Januar 1521 und Luthers etwa gleich— zeitige Lossagung von Rom durch die Verbrennung der Bannandrohungsbulle und des Kirchenrechts mit seiner Ausstoßung aus der römischen Kirche sein definitives Ende fand. Nicht nur wegen seiner langen Dauer, sondern auch wegen der von außen einwirkenden Faktoren der großen Politik ist der Prozeß schwer zu überblik— ken. Kurfürsten, Kaiser, Ritter, Bischöfe, Universitäten, Städte und andere Perso-

nen und Institutionen waren neben dem Papst beteiligt. Die Schauplätze und Ver— handlungsebenen wechselten immer wieder. Es ging aber nicht allein um Anklage, Angriff und Verteidigung auf der juristischen oder politischen Ebene. Luthers eigene Anschauungen entwickelten sich während des Prozesses wiederum weiter. Er kämpfte ja mindestens nicht in erster Linie um sich und seine Person, sondern um die ihm aufgetragene Sache. Er war in diesen Jahren auch nicht nur Angeklagter, sondern weiterhin Professor, Theologe, Prediger, Seelsorger, Publizist und Schrift— steller. Während des Konflikts entwickelte er Alternativen und weiterreichende,

aber realisierbare Reformvorschläge etwa in bezug auf die Theologie, die Theolo-

genausbildung, die Amts— und Rechtsstruktur der Kirche, die Heilsvcrmittlung, den Gottesdienst und die Sakramente, die politische, soziale und wirtschaftliche Ord—

nung und die christliche Ethik und Lebensgestaltung. Die Auseinandersetzungen und die alternativen Programme lassen sich dabei äußerlich nur schwer und sachlich meist überhaupt nicht trennen. In der Auseinandersetzung wurden oft Alternativen entdeckt, und diese wurden zum Ansatz neuer grundsätzlicher Kritik. Eben das

macht den Rang des Geschehens aus. Luther stellte mehr und mehr die Normen und l Autoritäten des damaligen Christentums revolutionär in Frage. Aber diese wurden nicht nur bestritten, sondern an ihrer Stelle begründete Alternativen angeboten, und insofern blieb es nicht beim Protest, sondern es ergaben sich neue konstruktive

Möglichkeiten. Ohne die solide Basis einer festen und immer breiter fundierten Überzeugung und eines guten Gewissens hätte der Wittenberger Mönch den Kon— flikt nicht durchstehen können und nicht den Rückhalt bei anderen gefunden, auf

die er bei seinem Auftreten angewiesen war. Als der Prozeß begann, war Luther nicht mehr allein. Seine Sache wurde von anderen mitgetragen. Er hatte zuneh— mend Resonanz unter Kollegen, Humanisten, Politikern und nach und nach auch im

Volk gefunden. Eben an dieser Stelle war die Gegenseite trotz ihrer Übermacht in der schlechteren Position wegen der offenkundigen Mißstände und der weitgehen231

den Unfähigkeit und Unwilligkeit zur Erneuerung in der Kirche. Darum fanden Luthers radikale Alternativen Gehör. In den folgenden Kapiteln wird versucht, den komplexen Zusammenhang des Konflikts mit der Papstkirche und den reformatorischen Alternativen in überschaubaren Abschnitten darzustellen, wobei aber ständig die Einheitlichkeit des Geschehens im Auge zu behalten ist.

1. Der Beginn des Prozesses im Sommer 1518 Die Atmosphäre, in der sich Luther im Sommer 1518 bewegte, war eigentümlich gespannt. Der Ablaßstreit und die Auseinandersetzung über die scholastische Theologie schwelten um Kursachsen etwa im Herzogtum Sachsen und in Kurbran— denburg weiter. Irgendwann mußte die Stellungnahme Roms erfolgen. Außerdem hatte Luther sofort nach der Rückkehr aus Heidelberg am 16. Mai mit einer Predigt über den Bann erneut erheblichen Staub aufgewirbeltl. Schon in der Fastenzeit 1518 hatte er dieses Thema einmal gestreift? Dabei ging es nicht um den Luther selbst drohenden Bann, sondern um die Bannpraxis der Bischöfe und um die Tyrannei und Unwissenheit ihrer Beamten, die mit dem Bann schnell bei der Hand waren, wenn es galt, kirchliche Interessen rechtlicher oder finanzieller Art durchzusetzen. In Wittenberg konnte man ein Lied davon singen. So fand die Predigt die Zustimmung

der dortigen Theologen und Juristen. Luthers freimütige Kritik erregte Aufsehen,

und man rechnete damit, daß ihm daraus neue Schwierigkeiten entstehen würden. Auch er selbst war sich bewußt, daß er ein neues Feuer angezündet hatte, aber

seiner Meinung nach mußte das Wort der Wahrheit nun einmal Ärgernis erregen. Er hatte außerdem beabsichtigt, über das Problem öffentlich zu disputieren. Als jedoch der in dieser Sache durchaus betroffene Bischof von Brandenburg davon erfuhr, ließ er Luther durch einen Boten auffordern, die Disputation aufzuschieben,

was dieser auf den Rat seiner Freunde hin auch befolgte. Dennoch zog die Angele— genheit Kreise. Ubelwollende Zuhörer hatten Luthers Aussagen festgehalten, in verzerrter Weise zu Artikeln zusammengestellt und verbreitet, um ihm damit zu

schaden. Als Luther zusammen mit Johann Lang am 25.Juli das Augustinerkloster in Dresden besuchte, wurde er von Hieronymus Emser, der damals Geistlicher am

Hof Herzog Georgs war, zu einem angeblich freundschaftlichen Abendessen eingeladen, beidem auch einer der Leipziger Thomisten anwesend war. In Wirklichkeit sollte Luther bei dieser Gelegenheit ausgehorcht werden. Ein Dominikaner lauschte an der Tür. Luther wurden seine Artikel über den Bann vorgehalten. Fer— ner drehte sich die polemische Auseinandersetzung um Thomas und Aristoteles, wobei später noch lange darüber gestritten wurde, wer gesiegt habe. Außerdem wurde Luthers damalige Predigt im Schloß auseinandergenommen3. Der Vorgang zeigt, wie verdächtig Luther damals im Herzogtum Sachsen schon war. Bereits am 10.Juli hatte der Graf Albrecht von Mansfeld Luther warnen lassen, sich wegen

etwaiger Nachstellungen nicht aus Wittenberg hinauszubegeben. Er war mit seiner >>wahren Theologie>Es lebe Christus, es sterbe Martinus . . .«23, schrieb er an die Wittenberger

Freunde. Friedrich der Weise hatte gewünscht, daß der Nürnberger Jurist Chri— stoph Scheurl Luther als Rechtsbeistand nach Augsburg begleiten sollte. Aber Scheurl war in Diensten der Stadt von Nürnberg abwesend“. Von den Nürnberger Ordensbrüdern zog Luthers Freund Wenzeslaus Linck mit nach Augsburg. Er stellte Luther auch eine neue Kutte zur Verfügung“. Am 7. Oktober, genau sechzig Tage nach der Zitation, kam Luther erschöpft und durch eine Magenverstimmung angegriffen in Augsburg an. Der letzte Teil der Reise hatte mit einem Wagen zurückgelegt werden müssen. Luther erholte sich aber wieder“. Gewohnt hat Luther im Kameliterkloster St.Anna‚ dessen Prior Johann Frosch Wittenberger Lizentiat war. Auch hier hatte der Kurfürst vorgesorgt. Frosch war als Gegenlei—

stung für die Unterbringung die Übernahme der Kosten seiner bevorstehenden Doktorpromotion in Wittenberg durch den Kurfürsten zugesagt worden”. Luther hat den Kardinal alsbald von seiner Ankunft informiert, ihn aber nicht

sofort aufgesucht. Er ist zunächst auch nicht vorgefordert worden. Leonhard Beier mußte sofort zu Staupitz weiterreisen, der sich vermutlich schon in Ramsau (Obb.) aufhielt. Staupitz war nach der Vorladung in echter Solidarität äußerst besorgt über Luthers Schicksal. Am 14. September hatte er ihm vorgeschlagen, nach Salzburg zu kommen, um mit ihm zu leben und zu sterben”. Auf jeden Fall wollte er dem von ihm hochgeschätzten Ordensbruder und seiner Sache bei dem Verhör beistehen. Nicht zuletzt dank Spalatins Vorsorge und Propaganda fand Luther in Augsburg Freunde, die sich seiner zunächst angenommen haben. Zu ihnen gehörte der Freisinger Domherr Christoph Langenmantel und die Augsburger Domherren Konrad und Bernhard Adelmann sowie der Benediktiner Veit Bild”. Ihre Fürsorge war Luther zeitweilig sogar lästig. Die Augsburger Freunde zeigten sich hoch verwun— dert, daß Luther ohne kaiserliches Geleit nach Augsburg gekommen war, und machten Spalatin deswegen später Vorhaltungen”. Sie wußten offensichtlich nichts von den Abmachungen zwischen dem Kurfürsten und dem Kardinal, aufgrund deren

ein Geleit überflüssig erscheinen mochte. So bemühten sie sich ihrerseits bei den kaiserlichen Räten um ein solches Geleit, ohne das ihrer Meinung nach Luther nicht vor dem ihm im Grunde nicht gut gesonnenen Kardinal erscheinen sollte. Die kaiserlichen Räte, denen Luther von seinem Kurfürsten gleichfalls empfohlen war, haben ihm, übrigens mit Wissen Cajetans, der freilich über dieses Mißtrauen etwas

242

pikiert war, das Geleit dann auch verschafft“. In der Stadt selbst fand Luther gute Aufnahme und gleichfalls echte Hilfsbereitschaft. Er war Gast des Stadtschreibers Conrad Peutinger. Auch sonst interessierte man sich für den Mann, der einen sol— chen Brand entzündet hatte”. Noch ein weiteres Intermezzo vor dem eigentlichen Verhör ist zu erwähnen. Am 9. Oktober ließ Urban von Serralonga, der Gesandte des Markgrafen von Montferrat, Luther wissen, er solle nicht vor dem Legaten erscheinen, ohne vorher mit ihm

geredet zu haben”. Auch das war wohl von Friedrich dem Weisen arrangiert wor— den. Zugleich aber war Serralonga auch ein Vertrauensmann Cajetans, dem Luther mißtrauisch gegenüberstand. Serralonga sollte offenbar zwischen beiden Seiten vermitteln und das Terrain für die Verhandlungen mit Cajetan ebnen, was freilich nicht gelang. Seine guten Worte und Ratschläge gingen dahin, daß Luther dem Legaten einfach zustimmen, in den Schoß der Kirche zurückkehren und seine bösen

Behauptungen widerrufen sollte. Als Beispiel hielt Serralonga Luther den Abt J0a— chim von Fiore (gest. 1202) vor, der trotz ketzerischer Behauptungen der persönlichen Verurteilung durch die Kirche sich hatte entziehen können. Luther sollte nicht Rechenschaft über seine Aussagen geben wollen. Ein akademisches Lanzenstechen vor dem Kardinal hielt er für unangebracht. Diese Vorschläge des >>Italieners>übersüßen Menschen« machten Luther nur noch mißtrauischer. Auf diese Weise ließ sich die Angelegenheit für ihn nicht bereinigen. Er wollte widerrufen, wenn er belehrt werden konnte, anderes gesagt zu haben, als die heilige römische Kirche

weiß. Als Schwierigkeit in den bevorstehenden Verhandlungen sah Luther richtig voraus, daß der Thomist Cajetan sich auf Thomas als Autorität berufen würde, den er selbst als Kirchenlehrer nicht akzeptierte. Serralonga versuchte von vornherein, einigen Anfragen Luthers die Spitze zu nehmen. Zu einem guten Zweck, etwa zum Füllen der kirchlichen Kassen, dürfen seiner Meinung nach auch falsche Thesen vorgebracht werden. Die Papstautorität stand für ihn außer Diskussion. Er hielt den

Papst für berechtigt, alles aufzuheben, was den Glauben betrifft. Serralonga ver— suchte, Luther auch seine konkrete Situation klarzumachen. Der Kurfürst werde Luther nicht schützen, und so stellte er die Frage, wo er dann bleiben wolle. >>Unter dem Himmelkönnen wir ruhig schlafen>Aus der Revokation wird nichts.« So ging man zunächst zum Nachdenken auseinander. Luthers vorgesehenes Entschuldigungsschreiben an den Papst, das dann freilich

doch nicht abgesandt wurde, ist erhalten”. Er bedauerte, daß seine in der ureigen-

sten Wahrnehmung seines Amtes zum Schutze der Lehre der Kirche unternommenen Bemühungen ihn unglücklicherweise in den Verdacht der Unehrerbietigkeit und allen Übels gebracht hatten. So fragte er auch hier wieder; >>Was soll ich tun?« Den Zorn des Papstes konnte er nicht ertragen, wußte aber nicht, wie er ihm entgehen sollte. Die Ablaßthesen widerrufen konnte er schon wegen deren Verbreitung auch nicht. Gerade indem er nicht widerrief, meinte er, die Kirche zu ehren, denn

anders würde diese anfechtbar sein. Die Ablaßprediger, die Luther angegriffen hatten, sind es, die der Kirche Unrecht zugefügt und überdies ihn jetzt noch beim Papst verklagt haben. Feierlich erklärte er, daß er die Macht der römischen Kirche nicht habe antasten wollen, steht sie ihm doch über allem auf Erden und im Himmel, außer dem Herrn Jesus Christus. Luther beteuerte, daß es ihm immer nur darum

gegangen sei, daß die Kirche nicht durch fremden Schmutz befieckt und das Volk nicht dahingehend verführt werde, daß die Liebestätigkeit den Ablässen nachzu-

ordnen sei. Das Ergebnis23 der Verhandlungen sah dann ein Verbot an beide Seiten vor, die Ablaßmaterie zu erörtern. Miltitz selbst und nicht Luther wollte den Papst informieren und die Übertragung der Luthersache an einen deutschen Bischof 258

betreiben, der Luther anzeigen sollte, was er zu widerrufen hätte. Am 6. Januar lud

Miltitz Luther zum Abendessen und verabschiedete sich rührselig von ihm mit Kuß und Tränen. Vordergründig schien sich die Situation erheblich gewandelt zu haben. Aber Luther ließ sich durch den >>Judaskuß>Krokodilstränen>Unterricht auf etlich Artikel, die ihm von seinen Abgönnern auf— gelegt und zugemessen werden«31 den versprochenen Zettel mit der Mahnung, der römischen Kirche zu folgen und seine Schriften nicht als Schmach gegen dieselbe zu verstehen. Er empfahl die Verehrung und Anrufung der Heiligen. Man soll sie aber mehr in geistlichen Anliegen als wegen leiblicher Vorteile angehen. Die Heiligen sind auch nur Fürbitter, die eigentliche Gewalt liegt bei Gott. Fest steht für Luther,

daß die armen Seelen im Fegfeuer leiden und man ihnen mit Beten, Fasten und Almosen zu Hilfe kommen soll. Was der Zweck des Fegfeuers sei, bekennt er, nicht zu wissen, und empfiehlt, das Gott zu überlassen. Daß der Ablaß sich auch auf das

Fegfeuer erstrecke, glaubt Luther nicht. Der Ablaß selbst ist für ihn die Entledigung von den Genugtuungsleistungen und insofern weniger wert als die empfohlenen guten Werke. Er ist freigestellt und darf nicht zur Konkurrenz für die Liebestätigkeit werden. Das Übrige überlasse man den Gelehrten. Die Gebote der Kirche sind den Geboten Gottes untergeordnet. So steht der Dekalog über den Fastengeboten. Mit dieser Relativierung der Papstgebote will Luther aber nicht der Kirche zu nahe treten. Auch sie sind zu befolgen, obwohl die Gerechtigkeit davon nicht abhängt. Ohne Gottes Gebot ist das der Kirche nur ein Schanddeckel. Die Kirchengebote sollen reduziert werden, daß man die Hauptsache wieder sieht. Gute Werke kann nur der Gerechtfertigte tun. Alle Werke, auch die besten, die nicht aus der Gnade fließen, sind Sünde. Sie bringen zwar Ansehen und irdische Wohlfahrt, aber nicht das ewige Leben. Gott will, daß wir an unseren guten Werken verzweifeln und erkennen, daß wir vor ihm damit nicht bestehen können, und allein auf die Gnade

vertrauen. Gott hat an den Demütigen Gefallen, nicht an den Sieheren. Luther hat also die guten Werke nicht verboten. Die römische Kirche mit ihren Märtyrern ist trotz aller Mißstände zu ehren. Gerade angesichts der Mißstände soll man sie nicht verachten, sondern ihr anhänglich bleiben. Fremde Sünde soll nicht von der Einig— keit abbringen. Die Frage nach der Reichweite der Gewalt der römischen Kirche ist nicht heilsnotwendig. Die Kirche ist nicht auf äußere, zeitliche Obrigkeit und Gewalt gegründet, sondern auf innere Liebe, Demut und Einigkeit. Die Einigkeit mit Rom ist zu bewahren, und den päpstlichen Geboten soll nicht widerstrebt werden. Luther will also der römischen Kirche nichts nehmen, den Heuchlem soll man allerdings nicht glauben. In der Hauptsache klar und positiv, aber so behutsam und konzis, wie es ihm irgend möglich war, hat Luther hier seinen Standpunkt formuliert. Seine Gegner dürfte er mit den von ihm gesetzten Prioritäten schwerlich zufriedengestellt haben. Ungewollt zeichnet sich in diesem >>Unterricht>geliebten Sohn>Sohn des Verderbens>das Wachstum des Evangeliums>Dieser kleine Grieche überragt mich auch in der Theologie selbst.der seinen Mose nicht verstehtin der Schweiz, am Rhein bis zum OzeanLuther du bis wahrhaft

luther>unsere Zierde und Hoffnung>Handbüchleins des christlichen Streiters>liebenswerten>unglücklichen Unwissen—

heit« vor den Gelehrten auftrete. Der Brief trägt in Lob und Selbstherabsetzung dick auf. Luther wollte offensichtlich schreiben, was Erasmus gerne hörte. Am 14.April 1519 hat Erasmus gegenüber Friedrich dem Weisen zwar nicht zu Luthers Theologie Stellung genommen — die Frobenausgabe habe er nur stellen—

weise gelesen —, aber ihm die persönliche Integrität bei seinem Auftreten, das frei von Habsucht und Ehrgeiz sei, bescheinigt und sich damit von Luthers Gegnern abgesetzt. In Wittenberg freute man sich darüber natürlich und hielt das schon fast für zuviel des Lobes“. Der Antwortbrief des Erasmus an Luther vom 30.Mai“ wurde wieder von Jonas überbracht. Erasmus kam in bezeichnender Weise gleich zur Sache: Die Frobenausgabe habe in Löwen unsagbare Tragödien ausgelöst. Man verdächtigte Erasmus, bei der Abfassung der Schriften Luthers assistiert zu haben

und der Bannerträger von dessen Partei zu sein. Das wurde zum Anlaß für die Unterdrückung der verhaßten humanistischen Wissenschaften genommen, die angeblich die Majestät der Theologie antasteten. Mit unglaublichem Geschrei, Frechheit, Anschuldigungen und Heuchelei agitierten gerade die Theologen und steckten die ganze Universität Löwen damit an. Auch gegenüber diesen Gegnern zog sich Erasmus darauf zurück, die Bücher Luthers nicht zu kennen und über sie

darum nicht urteilen zu können. Er mahnte allerdings, diese nicht ungelesen haßvoll anzugreifen. Die Sache sollte besser nicht unters Volk gebracht, sondern von den Gelehrten disputiert werden. Erfolg hatte er damit nicht. Für Erasmus disqualifi— zierten sich die Theologen selbst mit ihrem Vorgehen. Die Bischöfe hingegen wuß— 273

te er auf seiner Seite. Unter ihnen und in England waren Leute bekannt, die hoch von Luthers Schriften dachten. Aufgrund all dessen riet Erasmus Luther zur Mäßigung, mit der man mehr erreiche als mit stürmischem Angriff, wie das Beispiel von Christus und Paulus zeige. Luther solle die angreifen, die die päpstliche Macht mißbrauchten, und nicht den Papst selbst. Die Schulwissenschaft solle Luther nicht verachten, sondern zum gesunden Studium zurückführen. Erasmus wollte Refor—

men, keine Revolution. Luther sollte lieber disputieren als Behauptungen aufstel— len, sich nicht auf jeden Streit einlassen, nicht arrogant oder parteiisch sein, sondern entsprechend dem Geist Christi reden und handeln und sich hüten vor der Korrum— pierung durch Zorn, Haß oder Ehrsucht. Zu Luthers Bedauern und vor allem zum großen Unbehagen des Erasmus, der sich so gerade von Luther hatte distanzieren wollen, ist dieser Brief dann im Zusam— menhang mit der Disputation in Leipzig veröffentlicht worden. Erasmus hatte nicht Partei ergreifen wollen, das zeigen alle seine diesbezüglichen Äußerungen in der Folgezeit, aber seine positiven Äußerungen über Luther wurden in diesem Sinne gedeutet. Darum markierte er in einem Brief an Erzbischof Albrecht von Mainz im Oktober 1519 noch einmal seinen Standpunkt“: Über Luthers Geist wagte er nicht zu urteilen. Sympathien empfand er für ihn als einen guten Menschen, Angeklagten und Unterdrückten. Diese Haltung galt ihm als christlich. Er wollte im Gegensatz zu Luthers Gegnern, daß dieser zurechtgebracht werde. Er bestritt erneut, Luthers Bücher gelesen zu haben, bezeichnete aber z. B. dessen Kritik an der Beichtpraxis

als richtig. Luther, dessen Leben von allen gebilligt wird — das war für Erasmus immer viel wichtiger als die Lehre —‚ sollte nicht vorschnell verurteilt werden. Erasmus wollte keinen Tumult. Die Ursachen des Konflikts sah er in der von allen beklagten Überlastung mit toten Dogmen und Gesetzen, in der Geldgier und Tyrannei der Bettelorden, die das Evangelium schwach machen, und in den erstarr—

ten Zeremonien. Dagegen, gegen Thomas und einige kirchliche Dekrete sowie gegen die Unterdrückung des Evangeliums, ist Luther aufgestanden und hat Anfragen gestellt. Wer aber gegen die Dogmen murrt, wird verfolgt, und der Papst wehrt dem nicht. Luthers Gegner haben den Geist Christi nicht, stellte Erasmus freimütig als einer fest, der mit dem Reuchlin- oder Lutherhandel nichts zu tun hatte, sondern

dem es um die humanistischen Wissenschaften und die alten Autoren ging. An den Irrtümern von Cajetan und Prieiias stößt man sich nicht, aber Luther wirft man vor,

daß er von Thomas nicht viel hält. Früher ging man mit den Häretikern angemesse— ner um als heute. Erasmus blieb so genau auf seiner Linie, die bestimmt war durch den Respekt vor Luthers Person, dem fast völligen Verzicht auf eine Stellungnahme zu seiner Sache und der Kritik an dem unchristlichen Verhalten der Gegner Luthers. Nein, er war kein Parteigänger der Wittenberger, von denen ihn theolo— gisch Entscheidendes trennte. Aber in der damaligen Situation mußte es bereits viel bedeuten, daß ein Mann wie Erasmus die Verurteilung Luthers nicht mitmachte. Den Wittenbergern kam das zunächst zugute.

274

3 . Luthers akademisch-theologische Tätigkeit] 51 8 —1 521 Die Organisation der Studienreform hat Luther zwar Zeit und Mühe gekostet, aber

aufgegangen ist er darin nicht. Einen großen Teil seiner Kraft verwendete der Bibelprofessor nach wie vor auf die theologisch-exegetische Arbeit und die Lehrtätigkeit. Das bildete zugleich die Grundlagenforschung, auf die Luther nunmehr, als seine Auseinandersetzungen immer prinzipieller wurden, unbedingt angewiesen war. Luther hat sich seine neuen Konzeptionen vielfach konsequent auf seine Weise, nämlich im Zusammenhang mit seiner Bibelauslegung, erarbeitet. Seit Ende 1518 plante er die Umarbeitung seiner Galaterbriefvorlesung von 1516/17 zu einem Kommentarl. Gerade dieser Paulusbrief bot ihm die Möglichkeit, seine neue Position von ihrem Zentrum her zu entfalten. Faktisch ist der Kom—

mentar dann auch eine der ersten größeren Darstellungen seiner Theologie nach der Auseinandersetzung mit Cajetan geworden. Wie schon die Widmung an die Kollegen Lupinus und Karlstadt von Anfang Februar 15 19 zeigtz, bildete der Kon— flikt mit Rom den >>Sitz im LebenMein Philipp Melanchthon, ein Jüngling dem Leib nach, ein Greis nach der ehrwürdigen Weisheit des Geistes, der mir im Griechischen als Lehrer dient, hat mir nicht erlaubt, so zu denken« , heißt es einmalö. Wo Luther auf Erasmus fußte, stellte Melanchthon das deutlich und

lobend heraus; gelegentliche Differenzen mit dem Humanistenfürsten wurden hin275

gegen verschleiert. Luthers Polemik scheint Melanchthon nicht abgemildert zu haben; auch an dessen theologischer Position änderte er nichts7. Der Kommentar bot eine kontinuierliche Auslegung. Die Methode des vierfa— chen Schriftsinns wurde wegen der Willkürlichkeit des Verfahrens abgelehnt und kaum mehr gebraucht. Die großen Themen sind die evangelische Autorität des Apostels, die durch das Wort vermittelte existentielle Rechtfertigung durch Christus und sein Werk, die Heiligung im Hören auf Christus und die Problematik des Gesetzes einschließlich dessen Erfüllung in Glauben und Liebes. Die aktuelle Profiliemng des Kommentars wird vor allem an den gegenüber der Vorlesung vorgenommenen Zufügungen sichtbar9. Die Zusätze stellen vielfach klare Kontraste heraus. Sie reden von der Gnade und dem Frieden Gottes im Gegensatz zur Welt. Das Evangelium ist die Predigt der Vergebung durch den Namen Christi, die gute Botschaft des Friedens von dem menschgewordenen, leidenden und auferstandenen

Christus. Darum besteht der Auftrag der Kirche in der Wortverkündigung und nicht in Rechtssprüchen oder Liturgien. Gegen die scholastische Lehre vom freien Willen und der Heilsungewißheit wird das für mich geschehene Werk Christi betont. Anders als in der judaisierenden aristotelischen Ethik und Anthropologie wird der Mensch radikal als Lügner begriffen. Einen neutralen Zustand zwischen Sünde und Gerechtigkeit gibt es nicht. Die gesetzliche, aristotelische Rechtfertigung gilt als löchrige Zisterne, hingegen entsteht durch das Wort Christi Freiheit. Unsere Gerechtigkeit kommt aus dem Him— mel, die Gesetzesgerechtigkeit will dagegen zum Himmel aufsteigen. Gerechtigkeit wird nicht mehr als Vergeltung, sondern als Glaube gefaßt. Wer nicht unter der Gnade ist, der ist unter dem Fluch. Das konkrete Leben des Glaubcnden ist ein

Prozeß, noch von der Sünde umfangen und zugleich schon ausgestreckt auf die vollkommene Gerechtigkeit. Die Nächstenliebe fließt aus der im Glauben erfahre— nen Liebe Christi. Ihr Prüfstein ist das Kreuz. Unter den Christen herrscht Gleichheit. Kleriker und Mönche haben den Laien nichts voraus. Die Vorstellung vorn allgemeinen Priestertum kündigt sich an. Die äußeren weltlichen Unterschiede werden damit jedoch nicht aufgehoben. Unentwegt wird der Vergesetzlichung der Kirche durch die römischen Anordnungen widersprochen. Paulus lehrt gegen die heutige Unterdrückung die notwendige Freiheit vom Gesetz und seinen Werken. Von daher wird der Machtanspruch des Papstes und der Hierarchie kritisch hinterfragt. Die quälenden Beichtauflagen und Ablässe und die belastenden Kirchengesetze, die nur Heuchler machen, sind

nichts als Menschengebot. Sie werden mit den ägyptischen Plagen verglichen. Not— gedrungen soll man sie wie die Tyrannei des Türken akzeptieren, aber nichts davon halten. Durch das Meer der päpstlichen Gesetze wird noch nicht einmal Erkenntnis der Sünde bewirkt, darum muß die Kirche an ihnen zugrunde gehen. Der wegen seiner Kritik als Häretiker geltende Luther bezeichnet die kirchlichen Hirten und Päpste mit ihrer Herrschsucht als die Herolde des Antichrists. Diese Kirchenkritik steht in engem Zusammenhang mit der aus Paulus entwickelten Rechtfertigungs— lehre. Sie spiegelt zugleich Luthers damalige Vorbereitung auf die Leipziger Dispu— tation, die sich vor allem auf das Papstproblem konzentrierte. Einmal entschuldigt 276

er sich ausdrücklich wegen dieser ständigen Angriffe auf Rom“. Er nimmt mit der Kritik seine Aufgabe als Sehriftausleger, der Christus dient, wahr. Diese Schriftaus— legung darf nicht antiquarisch tot, sondern muß aktuell sein. Das Wort Gottes schafft Ärgernis. Eben mit dieser Kritik will er sich aber nicht von der Kirche schei— den, sondern ihre Lasten mittragen. Am Schluß macht er deutlich, daß er sich gerne

mit den Schimpfnamen eines Rebellen und Ketzers belegen lassen würde, wenn nur die Kirche abgesehen von ihm auf Paulus hörte. Dabei wird er noch einmal ein— dringlich: Wegen der menschlichen Traditionen, z. B. der Versagung der Priester— ehe, gehen täglich Seelen zugrunde. Sie dürfen jedoch der römischen Willkür nicht geopfert werden. Das mündet ein in den aus Jes 63 und 64 entnommenen eindrücklichen Gebetsschrei um das Eingreifen Gottes, in dem Luther die heutige Not der Kirche abgemalt sieht“. Im September 1519 konnte Luther seinen >>salzgewürzten>unvernünftigen>Verteidigung>Zweikampf>weltliche

Verderbnis der heiligen SchriftenzogDaß die römische Kirche über die anderen gestellt sei, wird bewiesen aus den ganz kalten Dekreten der römischen Päpste, die in den letzten 400 Jahren entstanden

sind. Gegen sie stehen die anerkannte Geschichtsdarstellung von 1100 Jahren, der

Text der Schrift und das Dekret des für alle heiligen Konzils von Nicaea.« Dieses

Konzil hatte die Gleichberechtigung der Patriarchate festgelegt. Die Verwirklichung von Luthers Gegenvorstoß hing ab von der Lösung zweier offener Probleme, nämlich ob man auch ihn in Leipzig zur Disputation zulassen

würde und von der Reaktion Ecks. Außerdem mußte sich zeigen, wie Luthers Freunde auf die Ausweitung und Verschärfung des Konflikts mit der Kirche reagie-

ren würden. Ungeschickterweise hatte Luther in seiner Ausgabe der Thesen schon angekündigt, er werde mit Eck in Leipzig disputieren, ohne sich vorher mit Leipzig abzustimmen. Am 15.Februar 1519 beschwerte sich die Universität Leipzig bei Herzog Georg einmal wegen Luthers nunmehr überholter Behauptung, die Dispu— tation werde nicht stattfinden, und noch mehr über die Ankündigung seines eigenen Auftretens in Leipzig”. Als Luther seinen Lapsus erkannt hatte, entschuldigte er sich bei der Universität Leipzig und bat nachträglich um Zulassung zur Disputation. Ein gleichlautendes Schreiben richtete er am 19. Februar an Herzog Georg, in dem er erklärte, daß er davon ausgegangen war, automatisch zur Disputation zugelassen zu sein, nachdem Eck mit seinen Thesen sich eigentlich gegen ihn gewandt hatte”. Die Universität Leipzig, die inzwischen auch über Ecks Wunsch, mit Luther zu disputieren, informiert war, wollte zwar Luthers Entschuldigung annehmen, über— ließ aber die Entscheidung über seine Zulassung zur Disputation Herzog Georg”. Dieser aber ließ Luther offenkundig absichtlich bis unmittelbar vor der Disputation im Unklaren. Der Herzog machte Luthers Teilnahme von dem Vorliegen von Ecks Einwilligung abhängig“. Dieser bezeichnete zwar Luther im März öffentlich als weiteren Disputationspartner, machte aber davon dem Herzog keine Mitteilung. Am 5. Apn'l mahnte Luther Eck in einem barschen Brief noch einmal wegen dieser

289

Einwilligung. Am 28.April lag sie noch nicht vor, und Luther konnte nur darauf hinweisen, daß Eck ihn nunmehr in seinen Thesen als Disputationspartner benannt hatte“. Das aber genügte Herzog Georg nicht. Luther konnte sich das Hinauszögern der Zulassung zur Disputation jetzt nur noch s0 erklären, daß er sich irgendwie die Ungnade des Herzogs zugezogen hatte. Das stellte Georg zwar in Abrede, er zeigte sich auch an einem persönlichen Gespräch mit Luther interessiert, aber er bestand nach wie vor auf der formalen Einwilligung Ecks”. Am 6.Juni wußte Luther immer noch nicht, ob er zugelassen werden würde. Er wollte aber jedenfalls in Leipzig anwesend sein und sich erbieten zu antworten. Noch bei der Ankunft in Leipzig war seine Beteiligung an der Disputation offen. Erst danach erwirkte Eck ihm die Zulassung und das sichere Geleit Herzog Georgs”. Nicht nur in dem den Gegenthesen beigegebenen offenen Brief an Karlstadt, sondern auch in einem scharf gehaltenen direkten Schreiben an Eck vom 18.Februar äußerte Luther sich über dessen Vorgehen“. Er bestritt, daß es Eck in

seinem blinden Haß gegen ihn und mit seiner Ehrsucht um die Ehre Gottes, die Wahrheit, das Heil der Seelen und das Wachstum des Glaubens ging. Eck habe es sich selbst zuzuschreiben, wenn er als Possenreißer und Sophist ausgeschrieen werde. Mit diesem Brief hatte sich ein solcher von Eck vom 19.Februar überkreuzt35, in dem Eck bereits auf Luthers Einschaltung in die Disputation einging. Er akzeptierte dessen Beteiligung als Hauptfigur des Streits und gab zu, daß sich seine Thesen eher gegen ihn als gegen Karlstadt richteten. Im übrigen ermahnte er

Luther, seine Meinung abzulegen und sich dem römischen Stuhl gehorsam zu unter— werfen, auf den Papst als Vertreter Christi zu hören und nieht auf der eigenen Mei—

nung zu heharren, sondern sich den Kirchenlehrern zuzugesellen, weil Christus die

Kirche gewiß nicht 400 Jahre lang im Irrtum belassen habe. Eck hielt den Gehor— sam gegen den Papst tatsächlich für das entscheidende Problem bei Luther. Öffent—

lieh trug Eck Luthers Gegenthesen Rechnung, indem er am 14.März seine Thesen, nunmehr gegen Luther und Karlstadt gerichtet, erneut herausgab, vermehrt um eine These über die Willensfreiheit, die sich deutlich auf seine vorausgegangene literarische Auseinandersetzung mit Karlstadt bezog. Ein beigefügter Brief36 sollte klarstellen, daß sich Eck schon von vornherein auch gegen Luther gewendet hatte. Die sich gegen Karlstadt richtende neue These habe er ursprünglich nur aus Zeit— druck vergessen. Mit einem Rücktritt Karlstadts von der Disputation erklärte er sich nach dem vorausgegangenen literarischen Schlagabtausch nicht einverstanden. Immerhin richteten sich sechs bzw. sieben der Thesen auch gegen ihn. Die Auswei— tung der Thematik auf die Papstfrage hielt er wegen Luthers ungeheuerlicher Aus— sagen für notwendig. Auf den Vorwurf, die Freundschaft mit Luther gebrochen zu haben, reagierte er sehr hart: Wer sich außerhalb der Gemeinschaft der Kirche stellt, ist kein Freund. Pflichtgemäß stellt sich Eck vor die Wahrheit und den Papst.

Von dem Mann in der schwarzen Mönchskutte hätte er größere Nüchternheit und Geduld erwartet. Ecks Engagement für die Kirche in ihrer damaligen Gestalt war sicher echt. Luther mußte entlarvt und zum Widerruf gezwungen werden. Luther seinerseits war tief verletzt über den Bruch der Freundschaft und die Untreue Ecks. Er sah in ihm außerdem lediglich einen Sophisten, aber keinen Theologen”. An

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einen Ausgleich war darum in Leipzig von vornherein nicht zu denken. In einer Redeschlacht sollte eine Entscheidung gesucht werden. Luther hatte Ecks erweiterte Thesenreihe am 13.April in Händen“. Damals erfuhr er auch, daß die Leipziger Theologen gegen ihn Stimmung machten und die Bevölkerung mahnten, nicht dem neuen Häretiker anzuhängen. Wegen des Hasses des Volkes und der Furcht vor dem Papst befürchtete Luther, von der Disputation ausgeschlossen zu werden. Johann Tetzel soll auf die Nachricht, daß die Disputation vor sich gehen werde,

geäußert haben: »Das walt der Teufel.« Ende April veröffentlichte Karlstadt seine Gegenthesen”. Er bezeichnete sich dabei betont als Verehrer des Papstes und gehorsames Glied der Kirche. Er warnte vor Ecks bekanntem italienischen Disputationsstil, dem jedes Mittel recht war, um zu gewinnen, und stellte diesen als einen problematischen Beschützer der Kirche hin. Auf die von Eck berührte Papstfrage ging er nicht ein. Mitte Mai gab auch Luther noch einmal seine Gegenthesen heraus, die nunmehr durch eine solche

gegen die Willensfreiheit vermehrt waren“. Ecks Vorwurf gegen ihn, ein Feind der Kirche zu sein, wies er zurück: Er sei kein Verächter der Monarchie des römischen

Papstes. Der freie Wille darf freilich nicht trügen'sch an die Stelle Christi gesetzt werden. Auch herrscht der Papst nicht in den orientalischen christlichen Kirchen. Luther wagte sich noch weiter vor: In einem der verworfenen Artikel des Johann

Huß werde gesagt, daß der Papst seine Stellung dem römischen Kaiser verdanke. Luther weist darauf hin, daß auch der Historiker Bartholomäus Platina

(14214481) und selbst eine Inschrift an der Laterankirche diese Ansicht vertreten. Eck wird darum vorgeworfen, aus der Disputation der Wahrheit eine Tragödie der Nachstellungen zu machen. Im übrigen vertraut Luther darauf, daß der Papst gegen Christus nichts will noch kann. Er fürchtet in dieser Sache auch >>weder Papst noch Puppen«. Selbst um den Preis, daß er den Christennamen verliert, darf die reine Lehre Christi nicht aufgehoben werden. An dieser Stelle soll niemand von Luther

Geduld und mönchische Bescheidenheit erwarten. Hier wird er seine Gegner wie Cajetan, Prierias und Eck, die Bestreiter der christlichen Gnade, nicht nur beißen,

sondern verschlingen. Für seine Gegner hat er trotz ihrer Drohungen nur Verachtung übrig. Er hofft, daß Gott aus der Disputation das Gute hervorgehen lasse, das Eck mit so viel bösem Neid und übler Nachrede beschmutzt. Der eigentlich kritische Punkt der Disputation war das Problem der Oberherrschaft des Papstes über die Kirche, das Luther in seiner letzten Gegenthese höchst verfänglich mit der Behauptung zugespitzt hatte, daß diese Vorherrschaft erst seit 400 Jahren rechtlich fixiert sei. Selbst Luthers Freunde waren darüber stark beun— ruhigt. Karlstadt ließ Spalatin wissen, er würde Luther von dieser These abgeraten haben. Luther sei hier im Unrecht. Karlstadts resignierende Bemerkung, »ein scharfsinniger Geist lasse sich von einem Dummkopf nicht ratenIch weiß nicht, ob der Papst der Antichrist selbst oder sein Apo— stel ist, so elend wird Christus, d.h. die Wahrheit von ihm in den Dekreten verdor—

ben und gekreuzigt.«“'5 Er litt unter der Einsicht, wie unter dem Schein der Gesetze 292

und des christlichen Namens das Volk Christi verspottet wurde. Die päpstlichen Gesetze erkannte er als Ausfluß ehrgeiziger Tyrannei, wobei die Schrift hintangesetzt wurde. Für ihre Verteidigung wuchs ihm bei seinen Studien immer mehr Mate— rial zu. Während also Luthers Freunde vermuteten, daß er in der Papstfrage eine unhaltbare Position eingenommen hatte, erwartete Luther zwar nicht, Eck wirklich

in den Griff zu bekommen, aber doch die Verlogenheit der Papstgesetze entlarven zu können“. Weil Luther jedoch immer noch nicht sicher war, ob er in Leipzig zugelassen würde, traf er seinerseits seine Gegenmaßnahmen und veröffentlichte noch vor Beginn der Disputation als Frucht seiner einschlägigen Studien eine ausführliche Erklärung über seine These von der >>Gewalt des PapstesZettel>löwischem>Ob göttlichen oder menschlichen Rechts, der Papst bleibt doch der Papst.« Noch vor der Disputation bat Hieronymus Emser, offenbar aus ähnlichen Motiven wie Herzog Georg, dem armen Volk kein Ärgernis zu geben. Luther reagierte sehr schroff und geradezu mißverständlich: >>Da schlag der Teufel zu!« Da die falsche kirchliche Praxis nicht in Gottes Namen begonnen worden sei, könne er jetzt nicht aus from-

men Rücksichten von seiner Kritik ablassenö. Die Dominikaner behandelten Luther bereits wie einen Ketzer. Als er in ihre Kirche kam, während gerade Messen gefeiert wurden, brachten die Mönche das Allerheiligste eilig in Sicherheit7. Eck 296

machte Luther später den Vorwurf, in Leipzig nicht eine einzige Messe gehalten zu haben“. Am 26. Juni wurden vor den herzoglichen Beamten zunächst zwischen Eck und Karlstadt die Vereinbarungen über die Disputation ausgehandelt9. In Abänderung der früheren Abmachungen versuchte Eck doch noch die >>italienische>Von der Art zu disputieren sonderlich in theologischen SachenKomm heiliger Geist« an. Über all dem war der erste Vormittag vergangen. Ein ähnliches Zeremoniell fand übri— gens am 15. oder 16.Juli auch zum Abschluß statt mit einer weiteren Rede und einem Te Deum15. Luther hat daran wahrscheinlich nicht mehr teilgenommen, da

er zu einem Treffen mit Staupitz abgereist war. Die Hauptakteure der Disputation hat Mosellan mit seiner Feder eindrucksvoll porträtiert“. >>Martin ist von mittlerer Leibeslänge, hager von Sorgen und Studiren, so daß

man fast die Knochen durch die Haut zählen könnte, noch in männlichem und frischem Alter, und klarer, durchdringender Stimme. Er ist aber voller Gelehrsamkeit und vortrefflicher Kenntnis der Schrift, so daß er gleichsam alles an den Fingern herzählen kann. Griechisch und Hebräisch weiß er so viel, daß er über die Ausle—

gungen urteilen kann. Es fehlt ihm auch nicht an Sachen, denn es ist ein großer Wald 298

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oder Vorrat von Worten und Sachen bei ihm zu finden. Seinem Leben und seinen Sitten nach ist er sehr höflich und freundlich, und hat nichts Sauertöpfisches noch

Strenges an sich; ja, er kann sich in alle Zeiten schicken. In Gesellschaft ist er lustig,

scherzhaft, lebhaft, und immer freudig, immer muntern und fröhlichen Gesichts, ob ihm die Widersacher noch so sehr drohen, daß man schwerlich denken kann, daß

der Mann ohne Gott solche wichtigen Dinge vornehme. Aber den einzigen Fehler

tadeln alle an ihm, daß er im Bestrafen etwas zu frech und beißig sei, mehr als

einem, der in der Theologie einen neuen Weg geht, sicher, oder einem Gottesgelehrten anständig ist. Diesen Fehler haben wohl alle, die etwas spät gelehrt worden sind, an sich.

Das ist alles an Carlstadt ebenso, nur in etwas geringerm Grad, außer daß er noch kleinerer Statur und schwarzbraunen, verbrannten Gesichtes, unvernehmlicher und unangenehmer Stimme, schwächer an Gedächtnis und rascher zum Zorn ist.

Eck hingegen ist groß und lang, von starkem und vierschrötigem Leibe, voller und

recht deutscher Stimme, die von einer sehr starken Brust unterstützt ist, daß er nicht

nur zu einem Tragödienspieler, sondern auch zu einem Herold taugte, jedoch daß sie mehr rauh als deutlich ist; daher er nichts weniger als den lieblichen Klang des ciceronianischen Mundes, den man so an Fabius und Cicero lobt, an sich hat. Sein ganzes Gesicht, Augen und Anblick ist auch so beschaffen, daß man eher einen

Fleischer oder carischen Soldaten als einen Theologen aus ihm machen sollte (Tafel XV). Seinen Witz und Kopf belangend, so hat er ein vortreffliches Gedächtnis, und wenn ein gleicher Verstand dabei wäre, so wäre er ein rechtes Meisterstück der Natur gewesen. Allein, er hat nicht ein großes Vermögen, etwas rasch einzusehen oder recht scharf zu beurteilen, ohne welches es doch mit allen andern Gaben nichts ist. Und das ist die Ursache, daß, wenn er disputiert, er einen solchen Haufen Gründe, Zeugnisse der Schrift, Sprüche von Gewährsmännern ganz ohne rechte Auswahl durch einander anführt, und nicht merkt, wie das Meiste sich gar nicht reimt, wie es, an seinem Orte recht verstanden, nicht zur Sache dient, und wie vieles nicht echt oder sophistisch ist. Denn das ist nur seine Sache, daß er einen Haufen

Zeugnisse vorbringe, und den Zuhörern, die meistens nicht so scharfsinnig sind, ein Blendwerk vormache und ihnen die Meinung beibringe, daß er gesiegt habe. Dabei ist er voller unglaublicher Frechheit, die er aber auf die allerverschmitzteste Art bergen kann. Denn, wenn er sieht, daß er sich bisweilen in die Stricke der Widersa-

cher verfangen hat, lenkt er die Disputation bald auf etwas Anderes. Bisweilen aber braucht er gar des Widersachers Meinung mit andern Worten als die seinige, und heftet dagegen seine ungereimte dem Gegentheil auf eine erzlistige Art auf, daß Socrates nicht weiser scheinen möchte als er, außer, daß jener sich dafür ausgab, er

sei unwissend, und nichts als gewiß beschloß, dieser hingegen die peripatetische Zuversicht im Wissen von sich ausgibt und die Schmeichelkunst dabei treibt.« Diese Schilderung der Kontrahenten ist nicht ganz unparteiisch, Eck kommt schlechter weg als seine Gegner, sie spiegelt aber wohl einigermaßen getreu, wie die Disputatoren auf das Publikum gewirkt haben. Luthers Schriftkenntnis, Argumentationskraft, Umgänglichkeit und Polemik sind in ganz ähnlicher Weise auch seinen Studenten aufgefallen. Nimmt man Mosellans Beschreibung mit den frühesten

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Zeichnungen von Luther zusammen, so kann man sich von seiner äußeren Erscheinungsweise ein anschauliches Bild machen. Selbst die Berichte, die die Lichter etwas anders setzen, stimmen in den wesentlichen Zügen mit Mosellan überein".

Auch die Disputatoren sahen sich selbst und ihre Partner mit ihren Stärken und Schwächen ganz ähnlich. Besonderes Aufsehen erregte Luther dadurch, daß er zeitweise ein Blumensträußchen in der Hand hielt, was das Publikum irgendwie irritiertels. Den Stil ihres Disputierens beurteilten die Kontrahenten natürlich unterschied— lich. Eck war sich seiner Stärke im freien Disputieren bewußt und tat sich auf seine laute Schlagfertigkeit und sein Gedächtnis etwas zugute. Gerade an diesen Punkten war ihm Karlstadt unbestreitbar unterlegen, und das machte sich auch da bemerkbar, wo Karlstadt die besseren Argumente hatte“. Eck nützte die Schwäche Karl—

stadts aus, indem er ihm das langatmige Zitieren aus Büchern verbieten ließ. Frei— lich stand sich Eck gerade auch mit seinen Stärken im Weg. Seine Gewandtheit, mit der er sich nicht fassen ließ, aber manchmal auch nicht beim Thema blieb, die unbe—

denkliche Wahl seiner Argumente und Zitate und seine Polemik erbitterten nicht

nur seine Gegner, sondern mißfielen auch im Publikum, weil es ihm eher um Ehre

und Sieg als um die Sache zu gehen schien”. Die Wittenberger machten ihm vor allem den nicht unberechtigten Vorwurf, daß er immer das letzte Wort behalten

wolle“. Eck gab das natürlich nicht zu und rühmte sich seiner Geduld”. Aber zwei— fellos war ihm nicht an einer Verständigung mit den Wittenbergern gelegen, son— dern an der vollständigen Widerlegung aller ihrer Positionen. Beide Seiten ließen sich gelegentlich von ihren Anhängern mit der Munition neuer Argumente versor—

gen, was sie nicht davon abhielt, die gleiche Praxis beim Gegner zu kritisieren”. Einige Male war es notwendig, daß der herzogliche Kommissar steuernd in die Disputation eingriff. Meist geschah es aqntrag Ecks und meist zu dessen Vorteil. Obwohl es vertretbare Entscheidungen waren, empörten sich die Wittenberger dar— über, weil ihnen die Neutralität nicht mehr gewahrt schien. Aber die Leipziger waren nun einmal nicht die Freunde der Wittenbergerz“. Durch die gewählte Prozedur der notariellen Fixierung der Diskussionsbeiträge ging die Disputation sehr schwerfällig vor sich. Lange Erklärungen und Gegenerklärungen, auf die dann erneut erwidert werden mußte, wechselten sich ab. Immer wieder ging es um dieselben Argumente und Gegenargumente, Bibelstellen, Väterzitate und scholastischen Aussagen. Der Prozeß der Auseinandersetzung kam so nur mühsam voran. Ein echtes Gespräch fand kaum statt. Jede Seite wollte die Stärke ihrer Position und die Schwäche der gegnerischen Auffassung nicht nur für die Zuhörer, sondern auch für das Protokoll, aufgrund dessen dann die Richter später entscheiden sollten, doku—

mentieren. Die Disputation25 zerfiel in drei Gesprächsgänge. Am 27., 28. und vom 30. Juni bis 3.Juli disputierten zunächst Eck und Karlstadt, vom 4. bis 13. (mit Ausnahme

des 10.) Juli Eck und Luther. Am 14. und 15.Juli trafen dann noch einmal Eck und Karlstadt aufeinander. Die 17 Verhandlungstage reichten weder aus, alle strittigen Themen zu behandeln, noch die angeschnittenen Probleme auszudiskutieren. Der Schluß der Redeschlacht wurde durch den äußeren Umstand erzwungen, daß sich

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der Kurfürst Joachim von Brandenburg auf der Rückreise von der Kaiserwahl bei Herzog Georg zu Gast angesagt hatte und die Pleißenburg zu diesem Zweck benötigt wurde. Vor Eintritt in die Disputation gaben die Disputanten, wie üblich, feierliche

Erklärungen (Protestationen) über ihre reehtgläubige Einstellung ab. Karlstadt

bekundete auch hier ausdrücklich seinen Willen, in nichts von der katholischen

Lehre abzuweichen. Eck betonte seine Bereitschaft, sich vom päpstlichen Stuhl und den vereinbarten Richtern korrigieren zu lassen. Luther schloß sich den Äußerun— gen seiner Vorredner an und fügte lediglich hinzu, daß ihm das Papstthema gegen seinen Willen von Eck aufgedrängt worden sei. Zunächst stritten Eck und Karlstadt miteinander über den freien Willen. Eck hielt ihn für von Natur aus kooperationsfähig mit der Gnade, Karlstadt bestritt das. Zeitenweise räumte Eck seine Position und erkannte die Angewiesenheit des freien Willens auf die Gnade beim verdienstlichen Handeln an, kam aber später auf seinen

alten Standpunkt zurück. Es gelang Karlstadt jedoch nicht, Eck bei der Wider— sprüchlichkeit seiner Aussagen zu behaften. In der nicht allzu komplizierten Diskussion um die primären und sekundären Ursachen des guten Handelns versagte Karlstadt. Auch in der Schlußrunde ging es wieder um die Gnade als Voraussetzung des guten Handelns. Hierbei setzte Karlstadt Eck sehr zu, und unter diesem Druck

blieb Eck wiederum nicht bei seinem ursprünglichen Standpunkt, da er nicht als

Pelagianer dastehen wollte. Das gelang ihm, weil er Karlstadt durch Differenzie— rungen in der Gnadenlehre zu verwirren vermochte, auf die dieser sich nicht hätte einlassen dürfen. In der von ihm vertretenen Sache war Karlstadt Eck also keines— wegs unterlegen. Seine Kraft reichte allerdings nicht aus, die Schwächen von Ecks

Position auszunutzen. Aber ein offenkundiges Desaster war diese Auseinanderset—

zung für die Wittenberger gewiß nicht”). Die Stärke der Gnadenlehre der Witten— berger gegenüber der Scholastik hatte sich durchaus gezeigt; eine Entscheidung war

hier nicht gefallen. Eck selbst signalisierte Karlstadt während der Disputation die Möglichkeit einer Verständigung über die zwischen ihnen strittigen Fragen. Den eigentlichen und unüberbrückbaren Gegensatz sah er nunmehr in der zwischen ihm und Luther strittigen Papstfrage”. In der Auseinandersetzung über den päpstlichen Primat, die es bis dahin in der Geschichte des Christentums in diesem Ausmaß nicht gegeben hatte, liegt die epo— chale Bedeutung der Leipziger Disputationzs. Durch die kritische Infragestellung des Primats erfolgte ein wichtiger Schritt hin zur Bildung einer eigenen Reformationskirche. Schon vor Beginn der Debatte zwischen Luther und Eck hatte es ein Vorspiel gegeben. Am Peter— und Paulstag (29.Juni) hatte Luther auf Bitten des Herzogs Barnim von Pommern in der Schloßkirche predigen wollen. Wegen Überfüllung mußte die Predigt in den Disputationssaal verlegt werden. An sich hatte man eine Predigt Luthers in Leipzig verhindern wollen; aber den Wunsch des Her— zogs von Pommern konnte man nicht gut abschlagen. Das Evangelium des Tages war ausgerechnet das Petrusbekenntnis Mt 16, 13—19. Es bot Luther Gelegenheit, vorweg seine Auffassung über die Gesamtthematik der Disputation, d. h. den Zusammenhang von Reehtfertigungs- und Kirchenlehre, vorzutragen. Später ver—

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Ältestes Bild Luthers aufdem Titelblatt der von Wolfgang Stöcke] in Leipzig gedruckten Predigt vom Peter— und Paulstag 1 51 9 mit der spiegelverkeh rt geschnittenen Umschrift

öffentlichte Luther diese Predigt in einer abgemilderten und zugleich vertieften Fassung”. Luther stellte die für ihn zentrale Frage: Wie soll man gerecht werden? Antwort: Nicht aus sich selbst oder aus dem freien Willen. An sich selbst soll man verzweifeln und auf die Gnade vertrauen, die den Menschen gottförmig macht. Das ist die lebenslang gebotene Haltung. Gott versagt denen, die ihn demütig um seine Gnade bitten, diese nicht. Begabt mit der Gnade hat der Mensch den freien Willen zu den guten Werken. Das ist zu predigen. Die Leute sind frei zu machen von ihrem falschen Selbstvertrauen. Vor den Werken ist die Gnade zu lehren, aus der dann die

Werke fließen. Über das Schlüsselamt ist nicht viel zu disputieren, eher über seinen 303

rechten Gebrauch. Es ist zunächst dem Petrus gegeben worden, der dabei aber die Kirche vertrat, d. h. im Grunde ist es jedem Christen gegeben. Die Priester sind die Diener der Schlüsselgewalt. Die Schlüssel werden recht gebraucht durch den Emp— fang der Gnade, und alles kommt dabei auf die Gnadengewißheit an. Soll nämlich das Gewissen fröhlich sein, muß es wissen, wie es mit Gott dran ist. Die Gewißheit,

einen gnädigen Gott zu haben, ist notwendig, denn anders hat man ihn nicht. Sie kommt aus dem Glauben, den die Gnade durch die vom Schlüsselamt zugesprochene Sündenvergebung wirkt. Der Glaube ist froh, getrost und befähigt zu den guten Werken, ohne ihn muß man hingegen verderben. Luther ist es in dieser Predigt in wenigen Sätzen gelungen, die Rechtfertigung als das Wesentliche herauszu— stellen, demgegenüber das kirchliche Amt lediglich funktionale Bedeutung hat. Eck hielt diese Predigt für >> ganz böhmisch>Das walt die Sucht!«32 Gegen die böhmische Häresie war man in Sachsen sehr empfindlich. Selbstverständlich nahm Eck die willkommene Gelegenheit wahr, Luther selbst als Ketzer

festzunageln: Luther nenne unchristlich die hussitischen Artikel ganz christlich. Wie ein unerfahrener Koch vermische er die griechischen Väter mit den Schismati— kern und Häretikern und beschütze unter diesem Vorwand deren Treulosigkeit. Sofort protestierte Luther gegen diese >>schamlose Verleumdung>Über die Kirche«. Nach Rozdalowskys Meinung ist Luther jetzt in Sachsen, was Huß einst in Böhmen war. Luthers Antworten an die Böhmen sind nicht erhalten. Aber seit dem Herbst 1519 trat vollends ein

Umschwung in seiner Beurteilung von Huß und den Böhmen ein, von denen er sich bis dahin immer distanziert hatte. Im November ließ er Eck wissen, daß er noch Viel

mehr Artikel von Huß für christlich hielt als in Leipzig”. Ende 1519 erfolgte die faktische Annäherung an die Böhmen in der Frage dcs Laienkelchs. Einen Höhe— punkt erreichte die Identifizierung mit Huß im Februar 1520. Damals ließ Luther Spalatin wissen: >>Ich habe bisher unbewußt alles von Johannes Huß gelehrt und gehalten.>Kurz, wir sind alle unwissend Hussiten«‚

einschließlich Paulus und Augustin. Luther war über diese Einsicht betroffen und hielt es für ein schreckliches Gericht Gottes, daß die offenbare evangelische Wahr—

heit schon mehr als hundert Jahre für verdammt gehalten wurde“. Bei der Lektüre der von Huß verfaßten Schrift >>Von der Kirche« im März gefiel ihm zwar nicht alles, aber er bewunderte dessen Geist und Bildung und äußerte sich in der Vorle-

sung positiv über das Werk”. Trotz punktueller Übereinstimmungen war Luther freilich nie ein >>Hussit>Bekehrung« zu Luther. Er hatte selber zwölf Jahre als Skotist gelehrt und sich auf die Sirenenklänge des scholastischen Denkens eingelassen. Der die anderen Universitätslehrer überragende Luther hatte keinen Gefallen an den Diskussionen der Philosophie und Theologie. Deswe— gen zog er sich anfänglich auch in Wittenberg Gegnerschaft zu, an der sich zunächst auch Doelsch beteiligte. Luther vermochte sich jedoch zu behaupten und bei der Disputation über Bernhardis Thesen im Jahr 1516 den Durchbruch zu erzielen und die Theologie wieder herzustellen. Ausdrücklich wird Luthers Härte im Disputie— ren, wo es um das Wort Gottes geht, erwähnt. Seine Kollegen gingen von der Scho— lastik zu den Kirchenvätern und der Bibel über. Als einer der letzten wurde auch Doelsch von der neuen Bewegung ergriffen und widmete sich dem Bibelstudium. Mit seiner Verteidigungsschrift wollte Doelsch nach Jahren des Dissenses seine

Übereinstimmung mit Luther und seinen Übergang zur biblischen Theologie doku— mentieren. Sie schloß mit einer Empfehlung Wittenbergs, wo die Studien recht getrieben werden und das Göttliche dem Menschlichen vorgezogen wird. Neue Initiativen von Miltitz

Wegen der Leipziger Disputation hatte Luther das in den Verhandlungen mit Miltitz projektierte Verhör vor dem Erzbischof von Trier, in dem über seine Sache entschieden werden sollte, abgesagt. Nachdem die Disputation offensichtlich zunächst ein greifbares Ergebnis nicht gebracht hatte, schaltete sich Miltitz von neuem in die Luthersache ein73. Im September 1519 kam es endlich zur Übergabe der goldenen Tugendrose, die Friedrich der Weise allerdings von seinem Rat Fabian von Feilitzsch in Vertretung entgegennehmen ließ. Bei dieser Gelegenheit prahlte Miltitz— wie er später behauptete, scherzweise —, er werde gegen Luther mit Strafen und Bann vorgehen. Als er deswegen näher befragt wurde, erklärte er, daß er nach wie vor zu dem in Altenburg geplanten Verhör Luthers durch den Erzbischof von Trier stehe. Er wolle sich darüber mit Luther in Liebenwerda besprechen und dann an den Erzbischof schreiben, um die Sache so ohne Nachteil für Luther

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beizulegen". Der Kurfürst war für diese Besprechung, und so wurde sie auf den 9. Oktober festgesetzt. Was Miltitz eigentlich beabsichtigte, war Luther nicht ganz klar75. Über das Ergebnis der Besprechung gab es nachträglich zwei Versionen. Nach Luther hatte Miltitz, abgesehen von unqualifizierten Plaudereien, lediglich gefragt, ob Luther noch zu dem geplanten Verhör durch den Erzbischof von Trier stehe, und darauf seine eigene Kommission für beendigt erklärt und seine Rückkehr nach Rom angekündigt”. Miltitz hingegen berichtete Friedrich dem Weisen, Luther habe zugestimmt, mit ihm nach Koblenz zum Verhör zu reisen, und darüber

habe er den Trierer Erzbischof informiert". Auf Rückfragen hin blieben beide Partner bei ihren Versionen. Die Verhandlungen in Liebenwerda müssen also min— destens sehr vage geführt worden sein. Luther sah in dem ganzen Vorgehen von

Miltitz nunmehr lediglich Wichtigtuerei, mit der dieser in Rom seine Aktivität unter

Beweis stellen wollte78. Diese abschätzigere Beurteilung von Miltitz war verursacht durch Informationen über dessen Geprahle, in Rom, wo Miltitz mehr oder weniger

für eine Witzfigur gehalten wurde. Luther ging davon aus, daß es bei der Verabre— dung zwischen Friedrich dem Weisen und dem Erzbischof von Trier bleiben würde,

nach der das Verhör während des nächsten Reichstags stattfinden sollte, jetzt wollte er schon wegen der Gefährlichkeit nicht reisen, und dementsprechend wurde der

Erzbischof vom Kurfürsten informiert".

Am 8.De7‚ember 1519 wandte sich Miltitz erneut an Friedrich den Weisen80, nachdem ihm von Rom bedeutet worden war, die Luthersache ziehe sich zu lange

hin und solle zu einem Ende gebracht werden. Miltitz vermutete, daß sich einige Bischöfe wegen der Verführung des Volks durch Luther an den Papst gewandt hät— ten und dieser deshalb schärfer als bisher gegen Luther vorzugehen beabsichtigte. Es sei zu befürchten, daß die Sache einem anderen übertragen werde, und das

würde für Luther ungünstiger sein. Sachsen selbst drohe das lnterdikt und andere Strafen. Die sächsischen Räte rieten ihrem Kurfürsten darauf, bei seiner alten Linie zu bleiben, sich für unzuständig zu erklären und auf die Bereitschaft Luthers zum

Verhör durch den Erzbischof von Trier während des nächsten Reichstags hinzuwei—

sen81. Immerhin rechnete Luther Mitte Dezember damit, daß es alsbald zu einem

Verhör in Trier kommen würde. Er war auch bereit, sich in die Hände seiner Gegner zu begeben, hatte allerdings Sorge um das Wort Gottes und die kleine Herde in Wittenbergsz. Das Verhör unterblieb vorerst dann doch. Auch der Erzbischof von Trier war damit einverstanden, daß es im Zusammenhang mit dem nächsten Reichstag stattfinden sollte“. Aber Anfang 1520 scheint man Luther vom Hof Zurückhaltung nahegelegt zu haben. Luther erklärte sich erneut bereit, Lehren und Predigen aufzugeben. Theologie zu lehren, ohne dabei den Papst zu beleidigen, war ihm allerdings unmöglich. Die Schrift verfolgt Mißbräuche kräftig, und das war es, was die Gegner nicht ertragen konnten. Was ihm Menschen anzutun vermochten, war im Vergleich mit Christi Leiden nichts. Luther hatte sich dazu durchgerungen, nichts zu fürchten, sondern alles zu verachten und die Angriffe seiner Gegner zu verlachen. Hielte ihn die Rücksicht auf den Kurfürsten nicht davon ab, würde er

eine neue Apologie veröffentlichen, voll Gottvertrauen und — voll neuer Provokationen“. Wie nach dem Augsburger Verhör und vor der Leipziger Disputation rea326

gierte Luther auf die drohende Gefahr wieder mit der entschlossenen Bereitschaft zur sachlichen Zuspitzung des Konflikts. Im Januar 1520 sondierte Miltitz, möglicherweise in kursächsischem Auftrag,

beim Bischof von Merseburg. Vermutlich sollte er in Erfahrung bringen, ob sich dieser wegen der Luthersache beim Papst beschwert hatte“. Offenbar als Folge davon wurde Luther vom Hof veranlaßt, in Briefen an den Bischof Adolf von Merse-

burg und den Erzbischof Albrecht von Mainz den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen entgegenzutreten“. Das war nicht ganz einfach, denn bereits verursachte Luthers Abendmahlssermon von Ende 1519 neues Aufsehen bei den sächsischen Bischöfen. Der Bischof von Merseburg ließ sich denn auch kaum beschwichtigen”. Etwas verbindlicher reagierte Albrecht von Mainz“: Er freute sich über Luthers Bereitschaft, sich belehren zu lassen. Luthers Schriften hatte er freilich aus Zeitman-

gel nicht gelesen und mußte das Urteil darüber anderen überlassen. Er warnte ihn jedoch vor Zänkereien über den Primat des Papstes, den freien Willen und beiderlei Gestalt im Abendmahl. Theologische Fragen sollte er nicht öffentlich verhandeln. Wenn er fromm und ohne Angriff auf die kirchliche Autorität die Schriftwahrheit lehre, werde sich sein Werk als aus Gott erweisen. Hier hatte Luthers Brief also

seinen unmittelbaren Zweck erreicht. Daß der Primas von Deutschland dem Gewicht der Sache angemessen reagiert hätte, wird man nicht behaupten können. DerStreit mitAlfeld übcr das Papsttum Im Januar 1520 hatte Miltitz sich auch in Leipzig aufgehalten. Wohl damals hat ihm

der Lektor des dortigen Franziskanerklosters Augustin Alfeld (geb. 1480) eine Schrift gegen Luther versprochen, obwohl dessen Vorgesetzten an einer Auseinan— dersetzung mit Luther nicht gelegen war. Wegen des vielen Chordienstes war Alfeld aber nicht zur Fertigstellung gekommen”. Am 7.April kündigte cr Luther seine Schrift >>Über den apostolischen Stuhl, ob er göttlichen Rechts sei oder nicht>gegen Alfeld, den Anhänger Roms, Lektor der biblischen Bücher und Peiniger derselben> allerbesten Umschlag (malagma), bereitet gegen die schreckliche Schwäche Lonicers und Luthers«. Er wies die aufgelisteten Beschimpfungen zurück und stellte die Wittenberger seinerseits mit Huß, Wyclif und der spätmittel— alterlichen Sekte der thüringischen Kryptoflagellanten zusammen. Das alles aber wurde dadurch in den Schatten gestellt, daß Luther dann doch selbst gegen Alfeld schrieb. Es dürfte die unkritisch—positivistische, kirchenfromme Argumentationsweise Alfelds gewesen sein, an der Luther so sehr Anstoß nahm. Er mußte aber zur

Kenntnis nehmen, daß dessen Schrift selbst manche unter den Wittenberger Professoren beeindruckte”. Noch im Mai schob Alfeld eine deutsche Fassung seiner Schrift nach. In ihr wurde behauptet, Christus habe nur eine Kirche gestiftet und ihr in Petrus das sichtbare Oberhaupt gegeben. Die Anerkennung des Petrusamtes ist Voraussetzung für die Gliedschaft in der wahren Kirche. Sie ist durch Wunderzeichen ausgewiesen, besitzt das rein erhaltene Glaubensgut und die unverfälschte Schrift sowie die rechte Ordnung mit der Ausspendung der Gnadenschätze durch die sieben Sakramente. In ihr werden die Gebote und die Räte Gottes treu befolgt. Die sektiererischen Sammlungen außerhalb der römischen Kirche befinden sich hingegen in einem traurigen Zustand. Darauf sah sich Luther Ende Mai doch her— ausgefordert, auf die beiden Schriften des Alfeldschen Esels auch selbst zu erwi— dern. Er hielt es an der Zeit, die Geheimnisse des Antichrists endlich zu offenbaren, die Gegenseite wolle es nicht anders”. In seinen Predigten äußerte er sich damals drastisch über die Gegner: >>Wir müssen unserm Herrgott diese Mastschwein mästen, bis er kommt und schlacht sie.« Die Wahrheit durfte nicht verschwiegen werden, man mußte den Hals für sie wagen”. Ende Juni lag dann die deutsch abge— faßte Schrift >>Von dem Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten (Anhänger Roms) zu Leipzig« gedruckt vor”. Luther porträtiert zunächst die komische Erscheinung seiner streitbaren Leipzi— ger Gegner: Den Eisenhut haben sie an den Füßen, das Schwert auf dem Kopf, Schild und Panzer hängen auf dem Rücken, den Spieß halten sie an der Schneide.

Aber trotz allem Spott ist die Schrift >>aus einem Herzen gesprochen, das sich hat müssen mit großem Wehe brechen und Ernst in Schimpf wandelnvon der Christenheit>monarchistisch« dachte. Dann erklärt Luther, was er unter >>Christenheit>wie ein rotziges Kind«. Nach wie vor anerkennt Luther für sich den Papst als irdische Obrigkeit, jedoch darf dieser keine Glaubensartikel setzen, und alle seine Bestimmungen sind aufgrund der Schrift zu beurteilen. Entgegenzutreten ist allerdings der Geldgier Roms; hier sind Könige, Fürsten und Adel zum Einschreiten aufgefordert; an diesem Punkt fordert Luther nunmehr Aktio—

nen. Mit seinen ganz radikalen Einsichten über das Papsttum hält er sich auch in dieser Schrift zurück. Nachdem er im Februar die von Ulrich von Hutten veranstaltete Ausgabe der >>Konstantinischen Schenkung>Wenn wir die Diebe mit dem Galgen, die Räuber mit dem Schwert, die Häretiker mit dem Feuer strafen, warum greifen wir nicht vie1 mehr diese Magister des Verderbens,

diese Kardinäle, diese Päpste und diese ganze Dreckansammlung des römischen Sodom, die die Kirche Gottes ohne Ende zerstört, mit allen Waffen an und waschen

unsere Hände in ihrem Blut, so wie wir uns und die unsern von einem allgemeinen und für alle höchst gefährlichen Brand befreien?«1°2 Mindestens in der Formulie— rung ist das eine der schlimmsten, kaum mehr zu rechtfertigenden Aussagen gegen das Papsttum, auch wenn sie im Zusammenhang mit der Regulierung eines Notstandes fällt und sich an eine Wendung aus Ps 58,11 anlehnt. In der Fortsetzung fordert das Nachwort ein ordentliches Kirchenzuchtverfahren gegen den Papst aufgrund von Mt 18, 15ff., weil er nach dem Zeugnis des Petrus selbst (2 Petr 1 ff.) ein falscher Lehrer ist. Wie schon erwähnt, hat Luther damals das Einschreiten der

christlichen politischen Gewalten gegen die Kirche für notwendig gehalten. Ob aber die von der Ausrichtung seiner Vorrede abweichende furchtbare Strafforderung des Nachworts auf sein Konto geht, ist keineswegs sicher. Mit großer Wahrschein— lichkeit war nämlich Melanchthon an dieser Edition mitbeteiligt, und von ihm stammt vermutlich das Nachwort. Luther wurde die böse Formulierung prompt von Emser und Eck mehrfach vorgehalten, in vergröberter Form zitierte sie später selbst das Wormser Edikt. Er hat seine Verfasserschaft darauf zwar nicht dementiert, aber versucht, die Wendung als polemisch—rhetorisch bedingte Rede zu ent—

schärfen. Schon damals war Luther eigentlich gegen die Verbrennung von Ketzern. Im Juni 1520 hatte sein Verhältnis zum Papsttum allerdings den Punkt erreicht, an dem er nicht mehr an Ausgleich, sondern an Scheidung dachte. Wie sich zeigen wird, verfolgte die Gegenseite damals gleiche Tendenzen. Im Juni 1520 erhielt Luther von Zachan'as Ferreri, dem päpstlichen Nuntius in Polen, wo sich offenbar Luthers Gedanken auch schon bemerkbar machten, eine

Mahnung, umzukehren und andere nicht durch seine deutschen Bücher mit seiner Ketzerei zu vergiften“)? Einen Monat später erreichte ihn eine noch 15 19 entstandene Schrift des aus Mailand stammenden, damals in Cremona lehrenden Domini—

kaners Isidor Isolani, der ihn zum Heiligen Stuhl zurückrufen wollten)“. Sie bezog sich auf den Ablaßstreit und das Verhör vor Cajetan. Für Luther zeigte sich an Isolani nur, >>daß auch Italien nicht ohne Esel ist«. In beiden Fällen verzichtete er

auf eine direkte Erwiderung.

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Eck in Rom

Die letzte unausweichliche Konsequenz der Disputation in Leipzig über den Pri— mat des Papstes mußte endlich das Einschreiten Roms gegen Luther sein. Keiner sah das schärfer als Johannes Eck‚ Wohl im Oktober 1519 traf ein Brief von ihm beim Papst ein, in dem er sich seines Sieges in Leipzig rühmte und dem Papst Vor— schläge für das Vorgehen gegen Luther wegen hussitischer Häresie machte. Der Papst sollte keine Zeit verlieren und Erfurt und Paris zur Abgabe ihres Urteils zwingen. Thüringen, Meißen und die Mark Brandenburg drohten Luther zuzufallen. Für sich forderte Eck das Amt des Inquisitors in den Bistümern dieses Bereichs, dazu als Belohnung eine Pfarrpfründe in Ingolstadt105. Am 10. Februar 1 520 brach Eck dann selbst nach Rom auf. Nach Luther war das Ziel des >>wütenden Ebers« die Verurteilung seines Gegners, sein Motiv Chrysos (Gold), nicht Christus. In Witten— berg vertraute man jedoch darauf, daß Christus auch in Rom mächtig ist106. Am 1.April widmete Eck dem Papst seine >>Drei Bücher vom Primat des PetrusO daß sie sich lecken, anspucken, beißen!«1°8 Luther war sich seit Anfang 1520 wohl völlig im Klaren darüber, daß in Rom

seine Exkommunikation vorbereitet wurde. Da er sich selber von Rom innerlich distanziert hatte, focht ihn das in seinem Glauben auch nicht mehr an. Das monate-

lange Warten auf das Eintreten der Entscheidung kostete freilich Nerven. Am 10.Juli äußerte er: >>Ich wünsche beinahe, daß jene berüchtigte, gegen meine Lehre wütende Bulle aus Rom käme_«"’9

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X. Das reformatorische Programm

Luther war der Öffentlichkeit seit 15 17/ 1 8 zunächst vor allem als Kritiker der scho— lastischen Theologie, der kirchlichen Ablaßpraxis und des Papsttums bekannt geworden. Mit all dem war er aber noch nicht der Reformator, obwohl mit der Kritik ein neues Verständnis der Normen und Autoritäten, des Heils, der Bußfröm-

migkeit und der Kirche engstens verbunden war. Zunächst standen die Negationen im Vordergrund. Unmittelbar richtete Luther damit wenig aus, da sich Kirche und Theologie in der Breite der Kritik versagten. Die bereits in Gang gekommene Reform des Theologiestudiums und der Universität mochte zwar langfristig außerordentlich folgenreich sein, aber sie betraf vorerst nur einen schmalen Sektor des kirchlichen Lebens. Es ist hier noch einmal daran zu erinnern, daß der Mönch Luther in eine schwere, umfassende Krise geraten war, die er zunächst nicht zu überwinden, sondern nur auszuhalten vermocht hatte. Sie betraf seine ganze Exi— stenz vor Gott, seinen Glauben, seine Frömmigkeit, sein Beten, Beichten, die Meß—

praxis, die ganze Ethik. Grundsätzlich löste sich diese Krise durch die reformatorische Entdeckung des gnädigen, rechtfertigenden Gottes, die Luthers Gottesverhältnis radikal veränderte. Über kurz odcr lang mußte dies zu einschneidenden Veränderungen des ganzen religiösen Lebens und zu neuartigen konstruktiven Lösungen in der Praxis der Frömmigkeit führen, zumal es der Theologe Luther nicht bei einer privaten Bewältigung seiner persönlichen Probleme bewenden ließ und die Kirche auf seine Reformforderungen nicht einging. So kam es, daß Luther Schritt für Schritt seine neue Einsicht auf immer weitere Bereiche anwandte und in konkrete Vorschläge und Lösungen umsetzte. Dies geschah nicht einfach vom Schreibtisch aus, sondern in einer engen Verbindung von Theorie und Praxis, wie sie sich für Luther als Professor, Prediger und Seelsorger ergab. Erst mit der Vorlage und beginnenden Verwirklichung seiner Vorschläge zur Erneuerung der Frömmigkeit und des kirchlichen Lebens, die sich alsbald als geschlossenes und konsequentes Programm darstellten, wurde Luther zum Reformator. So kommt

dem Verständnis der Eigenart und des Gewichts dieses Programms neben der reformatorischen Entdeckung eine Schlüsselrolle für die Deutung des Lebens und Werks Luthers zu. Vorgelegt wurde das Programm zwischen 1519 und 1521, vor allem von Ende 1 5 1 9 bis 1 520. Dabei ist nur die Schrift >> An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung>An den Adel« durch die Papalisten und >>De Captivitate>Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi>Kurzen Erklärung der Zehn Gebote>für mich>Sermon von dem Gebet und Prozession in der KreuzwocheKrankenbesuch>Vierzehn Trostgründe für die Mühseligcn und BeladcncnVon der Bereitung zum SterbenAntwort>Ich bin hitzig und führe eine nicht ganz stumpfe FederAntwort>AntwortAntwort>Sermon von den guten Werken«. Luther zögerte: Er habe schon so viel herausgegeben, daß er befürchte, die Käufer zu ermüden. Wenig später jedoch versprach er in einer Predigt einen derartigen Sermon. Dieser wuchs ihm aber unter den Händen zu einem Büchlein. Er hielt es für das Beste, was er geschrieben habe, war sich aber bewußt, daß das, was ihm gefiel, nicht unbedingt auch bei anderen Zustimmung

fand. Erst Mitte Mai kam Luther zum Abschluß. Anfang Juni lag die stattliche Schrift dann gedruckt vorl. Er widmete sie Herzog Johann, dem Bruder des Kurfür-

sten. Die grundlegenden Vorarbeiten hatte er in der zweiten Psalmenvorlesung geleistet? Der Sermon setzte sich vordergründig mit einem schweren Einwand auseinander, der Luthers neuer Theologie immer wieder gemacht wurde: Er verbiete die guten Werke und tröste die Leute allein auf Glauben, Taufe und Absolution hin,

ohne Guttat und Genugtuung zu fordern. Er mußte also eine Anweisung geben, wie die guten Werke getan werden und wie sie zu erkennen seien3. In vertiefter Fragestellung ging es darum, worin die Güte der guten Werke liegt. Die Grundlegung seiner neuen Ethik bot Luther in der Auslegung des ersten Gebots: >>Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir

haben.« Darin waren für ihn eigentlich alle anderen Gebote bereits enthalten. Sofort am Anfang erfolgen zwei wesentliche Feststellungen: Es gibt keine guten Werke außer denen, die Gott geboten hat. Das mußte sich reduzierend auf alle

Sonderleistungen auswirken. Als das erste gute Werk wird höchst paradox der Glaube bezeichnet. Außerhalb des Glaubens gibt es kein gutes Werk. Sofort wird nun vorgeführt, was das praktisch bedeutet. Bisher galten als gute Werke Beten, Fasten und Almosengeben, nicht hingegen die Arbeit, das alltägliche Handeln oder gar das Schlafen. Aber Luther widersprach: Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde. Im Glauben jedoch, der Liebe und Freude und Hoffnung bei sich hat, sind

alle Werke gleich. Der Glaube tut, was vor die Hand kommt. Als anschauliches Beispiel wird das Handeln der Hausfrau angeführt, das schon damals nicht hoch im Kurs stand. Abgelehnt wird alles Schielen auf Verdienste. Nur außerhalb des Glau— bens wird die besondere Leistung gesucht. Der Glaube ist das Vorzeichen, das alle Werke gut macht, der >>Hauptmann>Gehorsam und Dienst gegen alle ObrigkeitMutter Kirche« geboten. Wegen Luthers eigenen Verhaltens war dies ein heikles Thema.

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Er wich ihm darum jedoch nicht aus, sondern stellte sich ihm in bemerkenswerter Weise. Offen wird das Versagen der kirchlichen Oberen und das Fehlen guter geistlicher Regierung zur Sprache gebracht. Das ist der Grund, warum ihnen die schuldige Ehre nicht erwiesen wird. Die kirchliche Obrigkeit mißbraucht ihre Gewalt und erhebt falsche Forderungen, die den Geboten Gottes widersprechen. Luther sah hier die Situation gegeben, wo die Kinder gegen ihre unsinnig gewordenen Eltern handeln müssen. So forderte er an dieser Stelle die Durchführung der Kir— chenreform durch Adel und Fürsten. Das diesbezügliche Programm legte er dann kurz nach dem >>Sermon von den guten Werken« vor. Dabei war ihm durchaus bewußt, daß es auch im Bereich der weltlichen Obrigkeit Mißbräuche gab, aber er hielt sie für nicht so gravierend wie die der geistlichen. Das Unrecht der Weltlichen kann man ertragen. Der Obrigkeit wird geraten, nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen zu wollen, etwa beim Sich—Einlassen in einen kriegerischen Konflikt. Erinnert wird an fällige Reformaufgaben wie das Abstellen von Fressen, Saufen und Kleiderluxus. Die Obrigkeit sollte gegen den wucherischen Zinskauf ebenso einschreiten wie gegen die Übergriffe der bischöflichen Offiziale. Luther klagte über die Unbotmäßigkeit und fehlende Zucht des Gesindes gegenüber seinen Mei— stern und Frauen, forderte aber auch das gerechte Verhalten der Arbeitgeber. Die Frau hat sich selbstverständlich dem Mann gehorsam unterzuordnen. Seine Grenze findet jeder Gehorsam an Gottes Gebot. Es fällt auf, daß Luther bei der Auslegung dieses Gebots sich weithin gar nicht an die Untergeordneten, sondern an die Oberen wandte. Von ihnen forderte er sachgemäßes Verhalten und die Abstellung von Miß— Ständen. Mehr als um die Akzeptierung gesellschaftlicher Verhältnisse ging es ihm damals um deren Reform. Die übrigen Gebote werden im Sermon wesentlich kürzer behandelt. Auch hier fällt immer wieder die positive Artikulierung auf. Das Tötungsverbot beinhaltet auch die Forderung nach leidendcr Sanftmut, die nur da ihre Grenze findet, wo

Gottes Ehre angetastet wird. Von der Rechtfertigungslehre her weitet sich der an sich negative Aspekt des Verbots noch einmal: Der Glaube an den gnädigen Gott läßt auch gegen den Nächsten gnädig sein. Entsprechend ist beim Verbot des Diebstahls von der Mildigkeit aus Gottvertrauen die Rede. Über das Verbot des falschen Zeugnisses hinaus wird der Einsatz für die Wahrheit, auch die des Evangeliums,

selbst gegen Papst, Bischof, Fürsten und Könige gefordert, ein Verhalten, das freilich nur aus dem Glauben möglich ist. Luther ist mit dem >>Sermon von den guten Werken« der Entwurf einer in sich weithin stimmigen Ethik aus dem Glauben gelungen, deren Vermittlung in der Breite, vor allem hinsichtlich ihrer Begründung, freilich eine nicht einfache Auf-

gabe war und später auch Schwierigkeiten bereitete. Zwar kam es durch Luther in nicht wenigen Bereichen zu einer Veränderung des sittlichen Verhaltens, aber die Radikalität seines Ansatzes wurde dabei nicht überall durchgehalten.

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5. >>An den christlichen Adel deutscher Nation von des

christlichen Standes Besserung>An den Adel« ein reformerisches Programm. Unter den sonstigen Veröffentlichungen Luthers nimmt sie damit in vieler Hinsicht einen eigenartigen Platz ein. Angesichts der für ihn unerträglichen Rechtfertigung und Verteidigung des Papsttums durch Alfeld und Prierias faßte Luther Anfang Juni 1 520 den Plan, einen Zettel an Karl V. und den deutschen Adel herauszugeben gegen die Tyrannei und Bosheit der römischen Kurie? Ansätze dazu finden sich schon in dem damals gerade veröffentlichten >>Sermon von den guten Werken« und in >>Vom Papsttum zu RomVom Papsttum zu Rom« mit der herrschenden Verachtung Von Christi Wort begründet. In der zweiten Widmung an Karl V.

rechtfertigt er seine Verlautbarung mit der Not der deutschen Nation. Über die Risikenund Dimensionen der fälligen Reform war sich Luther im klaren. Dieses Unternehmen konnte nicht im Vertrauen auf die eigene Vernunft begonnen wer— den, denn hier hatte man es nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit dem Teufel zu

tun. Auffallend ist, daß Luther seinen programmatischen Appell nicht an die politischen Obrigkeiten richtete, was präziser gewesen wäre und auch die Städte mitum— faßt hätte, sondern (in der Widmung) an den Kaiser und an den deutschen Adel. Auf Karl V., >>das junge edle BlutRächen wir die gemeinsame Freiheit, befreien wir das schon lange unterdrückte Vaterland.«6 Zum echten Anhänger Luthers ist Hutten eigentlich nie geworden, dazu fehlte ihm das Sensorium für des— sen religiöses Fragen, obwohl er sich darum bemühte. Aber über Aufreihungen von Bibelzitaten kamen seine Briefe, mit denen er auf Luther eingehen wollte, nicht

wesentlich hinaus. Nichtsdestoweniger kam der Beziehung Luthers zu diesem Bundesgenossen von 1520 an in mancher Hinsicht erhebliche Bedeutung zu. Ende Februar übermittelte Hutten durch Melanchthon Luther ein Schutzangebot Franz von Sickingens, des mächtigsten unter den deutschen Rittern, das Anfang Juni wiederholt wurde. Eine gleichartige Offerte erhielt Luther auch von dem fränkischen Ritter Silvester von Schaumberg. Das gab ihm das Bewußtsein, auch außerhalb Kursachsens nicht ohne politischen Rückhalt zu sein. Dieses Wissen hat ihn bei der Veröffentlichung der Adelsschn'ft sichtlich ermutigt7. Die sachliche Gemeinsamkeit zwischen Hutten und Luther lag in der Kritik am römischen Papsttum und an der Forderung seiner Reform. Hutten hatte darüber Anfang 1520 seinen ebenso scharfen wie eindrücklichen Dialog >>Vadiscus oder Trias Romana« veröffentlicht, der in nicht enden wollenden Dreiergruppen die 353

Mißstände in Rom anprangertes. Das war aber nur der Ausdruck einer auch sonst weit verbreiteten Stimmung. In Deutschland fühlte man sich seit dem Anfang des 15.Jahrhunderts durch die finanzielle Ausbeutung durch Rom beschwert und for— derte deren Abstellung. Die entsprechenden Beschwerden (Gravamina) waren zuletzt auf dem Augsburger Reichstag 1518 vorgebracht worden; von daher waren sie auch Luther bekannt. Zusätzliche Informationen aus Rom hatte er von dem Bremer Syndikus Johann van der Wyck erhalteng. Diesen einer breiten Öffentlichkeit bewußten Mißständen verdankte er es nicht zuletzt, daß er sich trotz seiner

Ablaß— und Kirchenkritik hatte halten können, und auch in den folgenden Jahren kam die Mentalität der Romkritik der beginnenden Reformation vielfach zugute. Luther seinerseits übernahm in der Adelsschrift zu einem großen Teil die Forderungen der Gravaminabewegung und machte sich zu ihrem Sprecher. Man hat darum immer wieder nach direkten Quellen und Abhängigkeiten der Adelsschrift gesucht, konnte aber nur punktuelle Übereinstimmungen nachweisen. Das dürfte folgen— dermaßen zu erklären sein: Luther war in seiner Auseinandersetzung mit Theologie, Kirche und Papsttum und in seinen praktischen Erfahrungen als Prediger und Mönch selbständig auf viele bestehende Mißstände aufmerksam geworden. Eige— nes Nachdenken und Erfahrung verbanden sich mit der herrschenden Stimmung. Das Resultat war das eigenständig begründete und formulierte Programm. Die große Schwierigkeit einer Kirchenrefonn lag darin, daß die Romanisten, d. h. die Anhänger des Papsttums, dieses gegenüber einer Reform immunisiert hatten. Luther veranschaulicht das mit dem eindrücklichen Bild, daß Rom wie der höllische Tartarus von einer dreifachen Mauer umgeben sei, indem es die Oberherrschaft

über die weltlichen Obrigkeiten, das Monopol der normativen Sehriftauslegung und die Oberherrsehaft über das Konzil beanspruchte. Damit gab es keine Instanz, von der aus das Papsttum angegriffen werden konnte. Diese prinzipiellen Ansprüche

mußten also vorweg bestritten werden. Gegen die politische Oberherrschaft Roms entfaltete Luther seine Theorie des allgemeinen Priestertums. Der Gedanke war in früheren Schriften Luthers gelegentlich schon berührt worden. Nach 1 Petr 2, 9 sind alle Christen zu Königen und Priestern erwählt. Die aus ihrer Mitte bestellten kirchlichen Amtsträger sind lediglich ihre Diener und haben ihnen keine besondere Qualität voraus. Das bedeutete nicht nur die Aufhebung des Unterschieds zwischen Klerikern und Laien und deren außerordentliche Aufwertung, sondern zugleich die Abschaffung jeder Hierarchie in der Kirche. Damit zerbrach Luther die Rangord— nung der mittelalterlichen Kirchengesellschaft, ein Vorgang von enormer emanzipatorischer Bedeutung. Luther war ursprünglich und noch lange bis in den Ablaß— streit der Gehorsam gegen die kirchlichen Oberen eine Selbstverständlichkeit gewesen. Er hat auch zeitlebens nie daran gedacht, die ständische Ordnung der weltlichen Gesellschaft in Frage zu stellen. So war es kein antiautoritärer Demokra— tismus, aus dem er zur Formulierung des allgemeinen Priestertums kam, sondern

eine theologisch—exegetische Entscheidung. Wenn es aber unter den Christen prin— zipiell keine Unterschiede gab, dann unterstanden alle gleichem Recht und konnten bei Fehlverhalten kritisiert und gerichtet werden; dann konnten die, die über die entsprechenden Machtmittel verfügten, d. h. die christlichen Obrigkeiten, eine

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Geistlichkeit und Hierarchie, die ihren Aufgaben nicht mehr gerecht wurden, zur

Verantwortung ziehen und die Kirchenreform in ihre Hand nehmen. Es sollte sich später zeigen, daß diese aus dem allgemeinen Priestertum abgeleitete Konsequenz nicht unproblematisch war, indem so möglicherweise die Eigeninteressen der politi— schen Gewalt Einfluß auf die Kirche bekamen, aber damals war dies die einzige

Möglichkeit für eine Verwirklichung der Kirchenreform. Vorn allgemeinen Priestertum her ließ sich auch das normative Schriftausle— gungsmonopol des Papstes aus den Angeln heben. Das bessere Argument, d. h. die Sachautorität, hatte in der Gemeinde zu gelten. Die Schlüsselgewalt, das Herzstück kirchlicher Vollmacht, war nach Luthers Ansicht der ganzen Gemeinde und nicht dem Papst allein verliehen. Zudem gehörte die autoritative Auslegung der Schrift nicht zu dieser Vollmacht. Schließlich galt auch der Papst als irrtumsfähig. In diesem Fall konnte er entsprechend der Gemeindezuchtordnung von Mt 18 gerichtet wer— den. Notfalls konnte die christliche Obrigkeit zu diesem Zweck ein Konzil einberu— fen, da in der Situation des Notstands jeder zur Abhilfe verpflichtet ist. Gewaltbesitz in der Kirche als Selbstzweck erkannte Luther nicht an. In der Kirche hat Gewalt immer der Besserung zu dienen und darf nicht gegen Christus eingesetzt werden. Darum untersteht auch der Papst der richtenden Instanz etwa eines Kon— zils. Angesichts dieser neuen Beurteilung der kirchlichen Rechtslage forderte Luther seine >>lieben Deutschem auf, aufzuwachen und den Papst nicht mehr zu

fürchten. Auf einem Konzil sollte über unchristlichc Prachtentfaltung des Papstes, über die Kardinäle, die mit ihren angehäuften Pfründen auch Deutschland aussaugten, und über die übergroße päpstliche Hofhaltung verhandelt werden. 3 000 Schreiber beschäftigte die Kurie, und Deutschland hatte für die immensen Kosten mit aufzu— kommcn. Diesem Apparat wurde überdies zum Vorwurf gemacht, cr halte sich weder an göttliches noch menschliches Recht noch an die Vernunft, ja nicht einmal an sein eigenes geistliches Recht. Die angeblich für den Türkenkreuzzug bestimm— ten Abgaben neu eingesetzter Amtsträger (Annaten) und die Ablaßgelder wurden in Rom selbst verbraucht. Die deutsche Nation sollte die Zahlung der Annaten nach Rom abschaffen. Dasselbe sollte für die zahllosen Machenschaften gelten, mit denen Rom über die Besetzung deutscher Pfründen verfügte und Ämterhäufungen zuließ. Luther versäumte nicht, auf die Beteiligung der Fugger am Ämter- und Ablaßhandel hinzuweisen. Für ihn war das Räuberei, Betrug und Tyrannei, die die

Christenheit an Leib und Seele verderbten. Allenfalls bei strittigen Ämterbesetzun— gen sollte der Papst als Schiedsinstanz fungieren, im übrigen aber Zeit für das Stu— dium der Bibel haben. Unterbleiben sollte die Einmischung der Kurie und auch der bischöflichen Offiziale in weltliche Gerichtsverfahren. Jeder Priester sollte von allen heimlichen Sünden absolvieren, nur von wenigen öffentlichen Sünden allein der Papst lossprechen können. Die Bindung der Bischöfe an den Papst durch beson— dere Eide sollte es nicht mehr geben. Selbstverständlich wurde die Oberherrschaft des Papstes über den Kaiser abgelehnt. Nur im Predigen und Absolvieren steht der Papst über dem Kaiser. Abgelehnt wurde die weltliche Herrschaft des Papstes im Kirchenstaat und seine Lehnsherrschaft über das Königreich beider Sizilien. Unter-

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bleiben sollte das unterwürfige römische Hofzeremoniell mit dem Küssen der Füße des Papstes. Schließlich sollten auch die Wallfahrten nach Rom unterbleiben, da sie keine gute Frucht bringen, es sei denn, sie werden aus dem Interesse an fremden

Gegenden unternommen. Insgesamt ging es Luther um eine energische Dezentralisierung in der Kirche, verbunden mit einer kräftigen Reduktion der römischen Zentrale und einer daraus resultierenden Entlastung und größeren Unabhängigkeit der deutschen Kirche. Das eigentliche Ziel war bei all dem die strukturelle und religiöse Reform der Gesamtkirche durch ein allgemeines Konzil. Luther ließ es nicht bei einem Programm der Reform des Papsttums bewenden, sondern fügte dem gewichtige und weitreichende Vorschläge zur Kirchenreform hinzu. So sollten keine neuen Bettelklöster mehr gegründet und die vorhandenen zusammengelegt werden. Die Aufspaltung der Orden in verschiedene Sekten wie z. B. die observanten Richtungen sollte abgeschafft werden. Das Beichthören und Predigen der Bettelmönche empfand Luther als problematisch. Das war nicht weni— ger als eine prinzipielle Revokation seiner eigenen Entscheidung für das Mönchstum. Ganz überraschend kam sie nicht. Schon in der Leipziger Disputation hatte Luther etwas Ähnliches angedeutet. Der Grund dafür lag in Luthers Einsicht: Die Möncherei ist zur Abgötterei geworden. Das Mönchsein sollte wieder freigegeben werden. Vorstellen konnte sich Luther die Klöster als Schulen, in denen die Schrift

studiert wurde. Schlagartig wird nunmehr sichtbar, welche einschneidenden Konse—

quenzen für das kirchliche Leben aus seiner neuen Einsicht zu ziehen waren und von ihm nunmehr auch gezogen wurden. Er war aus dem Kloster hinausgewachsen.

Auf der Wartburg lieferte er dann dafür mit der Schrift >>Von den Mönchsgelüb— dcn>Großen Sermon vom Wucher«11 schlug er vor, daß jede Stadt ihre eigenen Armen versorgen sollte. Die fahrenden Bettler und bettelnden Pilger einschließlich der bettelnden Mönche sollten nicht mehr bedacht werden, sondern möglichst jeder Mensch durch Arbeit für seinen eigenen Lebensunterhalt sorgen. Der Bettler ist hier seiner frommen Qualität als Objekt des Almosengebens entkleidet. In Wittenberg ist bereits Ende 1520 oder Anfang 1521 Luthers Vorschlag in die Tat umgesetzt worden, indem auf seine Empfehlung hin eine Beutelordnung durch den Rat geschaffen wurde, die er selbst durchkorrigiert hat. Die Liebesgaben wurden in der Kirche gesammelt und an die ortsansässigen Armen ausgeteilt. Womöglich sollte ein Vorrat an Korn und Holz zur Austeilung in Notzeiten angesammelt werden. Die Umstellung der Liebestätigkeit scheint in Wittcnbcrg auch sofort funktioniert zu haben”. So dürfte schon Luther und nicht, wie meist behauptet, Karlstadts Kasten— ordnung von 1522, in der die Beutelordnung weithin übernommen worden ist, das

Verdienst zukommen, die erste reformatorische Armenfürsorgc initiiert und das Modell für die späteren evangelischen Kastenordnungen entwickelt zu haben. Nach dem Abendmahlssermon verwundert es nicht, daß Luther die Bruderschaf—

ten ebenso auflieben wollte wie den Vertrieb der Ablaßbn'efe. Die Ablaßagenten sollten aus Deutschland verjagt werden. An der Ablaßpraxis wurde es offenbar, daß der Papst der Antichrist war, und Luther titulierte ihn darum nicht mehr als den

>>AllerheiligstenAllersündigstenKriegstrompete>Sie enthält Freiheit. « Von der Schrift her konnte man nichts gegen sie sagen. Bucer ‚war gewiß, daß der Geist Christi Luther treibe. Dagegen war Capito zunächst entsetzt über das Aufsehen, das die Adelsschrift erregte, trat aber nach der Lektüre für

sie ein”. Für den Organisten Hans Kotter in Freiburg im Üchtland (Schweiz) war die Adelsschrift ein Büchlein, dergleichen er nie gelesen noch gehört hatte. Sie hatte in seiner Umgebung große Verwunderung ausgelöst. Einige meinten, der Teufel, andere, der Heilige Geist rede daraus. Der Bodensatz werde darin so aufgerührt,

daß es dem Papst und den Römern nicht gefallen würde. Aber Kotter schließt mit den Reimen: >>Eß mag in die leng nit bestan, ein reformatz missen sie han, Carolus wird das fahen an.«18 Interessant ist die etwa Mitte Oktober erfolgte Reaktion Herzog Georgs auf die Adelsschrift. Er wünschte zwar nicht ihren Nachdruck in seinem Gebiet — der aber dann doch zweimal erfolgte ——, aber er hielt weder alles, was in ihr stand, für unwahr

noch für unnötig, daß es an den Tag komme. Ärgernisse müssen sein. Notfalls reden die Steine. Die Ursache der Adelsschrift sah er in Roms Geldgier, zu deren Kumpanen sich die Fürsten machen ließen. Auch er hielt eine Besserung der Kirche durch ein Konzil für nötig“. Offensichtlich war so etwas wie die Adelsschrift damals fällig, und ihrer Berechtigung konnten sich sogar die Gegner schwer verschließen. Dieses

Klima mußte der Sache Luthers zugute kommen. Der literarische Widerspruch auf die Adelsschrift blieb freilich nicht aus. Eck

griff Anfang Oktober Luther wegen seines Eintretens für Huß an und verteidigte das Konstanzer Konzil. Dann meldete sich der als Schriftsteller bedeutende Straß— burger Franziskaner Thomas Murner (1475—1 53 7) zu Wort. Er veröffentlichte zunächst im November und Dezember 1520 eine Reihe von Schriften gegen Luthers >>Sermon vom Neuen Testament« (s. u.), >>Von dem Papsttum zu Rom« und dann einen Appell an den deutschen Adel gegen Luther, den Zerstörer des Glaubens, Verführer der einfältigen Christen, den neuen Catilina, der die bestehenden

Ordnungen in Kirche und Welt umstürzen will”. Diese Schrift gilt zwar als das beste Prosaerzeugnis Murners, aber auch sie ist wie die ganze Polemik Mumers gegen Luther recht schwerfällig und hat offenbar kaum Resonanz gefunden. Im Januar 1521 konnte es Luther bei der Bemerkung bewenden lassen: >>Murner verachte ich.«21 Erst später setzte er sich nebenbei mit ihm auseinander. Hingegen gab es zwischen Emser und Luther wegen der Adelsschrift einen durch das ganze Jahr 1521 sich hinziehenden Schlagabtausch. Anders als in den früheren Schriften trat Emser nunmehr als kompromißloser Gegner auf. Luther vermutete,

daß Herzog Georg Emser dazu veranlaßt hatte”. Vom 21. Dezember 1520 datiert das Vorwort von Emsers >>Wider das unchristenliche Buch Martini Luthers Augustiners, an den deutschen Adel ausgangen>allerfreiester Knecht—

schaft>ein Christus wird«. Hier erfüllt der Glaube alle irdische Gerechtigkeit einschließlich des Gehorsams gegen die Obrigkeit. In diesem Sinne geht er mit den kirchlichen und weltlichen Gesetzen um. Was nicht zur eigenen Kasteiung oder dem Nächsten dient, gilt als eigennützige kirchli— che Forderung, die die Freiheit bedroht. Der Christ hat seine Existenz nicht in sich selbst, sondern im Glauben in Christus und in der Liebe im Nächsten. So lebt er in

der Gemeinschaft mit Gott. Das ist das Grundmodell von Luthers Ethik. Die lateinische Fassung bemüht sich im Blick auf die Zeremonialisten einerseits und die Schwachen andererseits am Schluß noch einmal um eine Differenzierung des Verhältnisses zu den Kirchengesetzen. Gegenüber jeglicher Tyrannei ist festzubleiben. Den Pfarrern wird ein besonnener Umgang mit den Zeremonien und Werken angeraten, da der Glaube durch diese gefährdet werden kann, zumal die Natur ohnedies zu Gesetzen und Zeremonien hinneigt. Zeremonien besitzen keinen Ewigkeitswert. Gott muß die Menschen lehren und gelehrig machen, sonst wird die Freiheit wie von der päpstlichen Gegenseite für häretisch gehalten. Bei der Beurteilung der Freiheitsschrift darf man nicht aus den Augen verlieren, daß sie streng von der christlichen Freiheit, die aus der Rechtfertigung resultiert, spricht. Sie argumentierte dabei konkret gegenüber einer kirchlichen Gesetzlichkeit, und hierin lag ihre außerordentliche emanzipatorische Bedeutung, von der man sich heute kaum mehr eine Vorstellung macht. In unseren Tagen ist etwa von Herbert Marcuse gegen sie der Vorwurf einer Verengung des Freiheitsinteresses auf die Innerlichkeit erhoben worden, wodurch die Deutschen von ihren wahren Freiheitsbedürfnissen abgelenkt worden seien. Abgesehen davon, daß damals in weiten Kreisen die bestehende Kirche als die repressive Macht empfunden wurde,

gegen die sich die Freiheitsforderung erhob, die dann keineswegs auf die Innerlich—

keit beschränkt blieb, stellt sich hier die grundsätzliche Frage, wodurch Freiheit

ermöglicht wird. Luthers Antwort lautete: aus geschenkter Befreiung und nicht durch aktivistische Selbstverwirklichung. Sie wurde gegeben aus einem Verständnis des Menschseins, das tiefer reichte und umfassender war als die Sektoren des Politi—

sehen oder Sozialen, nämlich aus der Bestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott. Dieses Verständnis. stand zur damals herkömmlichen Auffassung des Menschen ebenso im Widerspruch wie zu den modernen Ansichten über die menschlichen Möglichkeiten. Daß eine seiner Konsequenzen in einem höchst humanen Engagement für das umfassende Heil des Mitmenschen liegt, sollte von der Kritik nicht übersehen werden. Parallel zum Sendbrief und Freiheitstraktat verfaßte Luther die Schrift »Adversus execrabilem (verfluchenswürdige) Antichristi bullam«, deren deutsche Fassung » Wider die Bulle des Endchrists>ohne Hand« vernich— tet werde 13. Von Köln aus versprach Franz von Sickingen Luther erneut, ihn bei der

Verteidigung der christlichen Wahrheit zu unterstützen. Als er wenig später wegen angeblicher ungeheuerlicher Aussagen Luthers in dieser Haltung unsicher wurde, hielt ihn Hutten bei der Stange. Umgekehrt brachte Sickingen Hutten zunächst von gewaltsamen Aktionen ab”. Auf Öffentlichkeitswirkung waren gerade auch die Bücherverbrennungen ausge-

richtet, wie sie Aleander in Köln am 12. und in Mainz am 28. bzw. 29.November

durchführen ließ. Aleander meinte, daß das nützlich und überzeugend sei und das Volk sich dadurch »bessere«. Freilich, in Mainz ging die Aktion nicht ganz glatt vonstatten. Aleander wurde dabei bedroht, und der Henker weigerte sich zunächst, die nach der Meinung des Publikums nicht verurteilten Bücher zu verbrennen. Erst

am folgenden Tag ließ sich das Unternehmen durchführen. Gerade diese Maßnah— men forderten aber den Widerstand der Publizisten auf der Gegenseite heraus”. Hutten, nach dessen Aussage sich die Leute wegen der Verbrennungen keineswegs von Luther abwandten, dichtete seine >>Klage über den lutherischen Brand zu Mainz« mit ihren einprägsamen Fragen und Aussagen: Soll das göttliche Wort, die göttliche Lehre, die Luther vertritt, vergehen? Soll der Papst geehrt und das Gute unterdrückt werden? Ein Leo (Löwe) ist Hirte geworden. Dem Gottesknecht tut man Gewalt“. Ähnlich wie Erasmus waren auch manche der humanistischen Freunde Luthers eher besorgt als erfreut über die Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit. Capito in Mainz bezweifelte Anfang Dezember, ob aus dem gewaltsamen Konflikt eine neue Religion kommen oder nicht vielmehr die Fröm— migkeit in Vergessenheit geraten würde. Er riet Luther, sich gütlieh zu vergleichen und den Konflikt nicht zu schüren, sondern zu dämpfen. Auch Crotus Rubeanus

in Erfurt mahnte damals bei aller Bewunderung für Luthers Unerschrockenheit diesen zur Behutsamkeit. Ihn dürfte dabei angesichts der Heftigkeit der Auseinandersetzungen nicht zuletzt die Sorge um die Sicherheit von Luthers Person bewegt haben”. Auch für die altgläubige Seite engagierten sich einige Leute publizistisch. Vom 6. November datiert die >>Rede gegen Luther« des aus Mailand stammenden Aloi— sius Marlianus, der damals Bischof von Tuy in Spanien und zugleich kaiserlicher

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Sekretär war. Marlianus verspottete das Selbstbewußtsein der (lutherischen) Deutschen. Er warnte vor den vehementen Angriffen auf die Kirche, deren Sünden

barmherzig zu tragen und deren Anweisungen gehorsam auszuführen seien. Wenn Luther die Gesetze der Kirche aufhebt, hebt er alles auf, stellt mit dem Papsttum

auch das römische Reich in Frage und zerstört die Religion. Marlianus bewegt die Sorge um die bestehende Ordnung der Welt. Die schon Anfang Oktober in Rom gedruckte >>Rede an Kaiser Karl gegen Martin Luther« des Johannes Antonius Modestus ist wohl erst durch ihren Straßburger Nachdruck im Februar 1521 in Deutschland bekannt geworden. Modestus stellte aufgrund der Adelsschrift Luther als Reichsfeind hin und forderte den Kaiser auf, dieser Seuche zu wehren”. Ob und wie sich Kaiser und Reich mit der Luthersache befassen sollten, war in

Köln offengeblieben. Nach seiner Abreise aus Köln brachte Friedrich der Weise hier die Entwicklung in Gang, indem er in einem (nicht erhaltenen) Brief Karl V. oder seine Räte bat, Luther im Zusammenhang mit dem Wormser Reichstag verhö— ren zu lassen. Dazu hatte sich Luther mehrfach erboten, und deshalb sollte gegen ihn nicht einfach mit Gewalt vorgegangen werden. Die kaiserlichen Räte Chievres und Nassau sagteariedrich am 17. November zu, sich für dieses Verlangen beim Kaiser einzusetzen, und meinten, mit einem derartigen Vermittlungsversuch könnte der Konflikt zum Einschlafen und nahezu zum Erlöschen gebracht werden“. Am 28. November, während Aleander nicht am kaiserlichen Hof war, informierte Karl V. Friedrich den Weisen einerseits über die von den päpstlichen Nuntien beantragten Bücherverbrennungen, andererseits forderte er ihn auf, zur

Abstellung der Sache, aus der Viel Zerrüttung und Irrung entstehen könnte, Luther auf den Wormser Reichstag mitzubringen. Der Kaiser sagte zu, daß Luther dort von gelehrten und hochverständigen Personen genugsam verhört werden und ihm kein Unrecht geschehen sollte. Zur Verhütung weiteren Ärgers sollte Luther mittler— weile aber nichts gegen den Papst und die Kurie veröffentlichen”. Es dauerte mehrere Wochen, bis dieser Brief Friedrich den Weisen erreichte. Inzwischen hatten

sich die Dinge jedoch weiter entwickelt. Wider Erwarten Friedrichs war es zu den Bücherverbrennungen in Köln und Mainz gekommen. Mitte Dezember deutete er den kaiserlichen Räten darum an, daß er mögliche Gegenaktionen Luthers — diese waren bereits erfolgt — nicht ausschließen könne, und bat dafür beim Kaiser um Verständnis”. Fast gleichzeitig änderten dann sowohl Friedrich der Weise als auch Karl V. ihre Absichten in bezug auf Luther. Am 20.Dezember ließ Friedrich die kaiserlichen Räte wissen, daß er angesichts der vor einem Verhör erfolgten Bücherverbrennungen es für problematisch hielt, Luther nach Worms zu bringen, zumal dieser seinerseits inzwischen die päpstlichen Rechtsbücher und die Bulle verbrannt hatte. Der Kaiser sollte den Kurfürsten darum nicht damit belasten, Luther nach Worms mit-

zubringen. Friedrich erklärte sich aber bereit, was zur Stärkung und Mehrung des katholischen Glaubens dient und den christlichen Staat betrifft, treu zu fördern”.

Möglicherweise machte sich damals bei Friedrich eine gewisse Resignation hin— sichtlich einer möglichen Lösung der Luthersache bemerkbar. Gelegentliche Äuße— rungen Luthers weisen daraufhin, daß sich damals der Bruder des Kurfürsten, Her-

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zog Johann, und dessen Sohn, Herzog Johann Friedrich, für seine Sache eingesetzt

haben. Der schärfste Gegner des Verhörprojekts war natürlich Aleander. Er hielt am 14. Dezember eine Rede über Luthers Irrtümer vor dem deutschen Hofrat, bei der

auch andere Fürsten anwesend waren, und forderte ein kaiserliches Mandat gegen Luther. Er prangerte es an, daß in Worms Lutherbilder vertrieben wurden, die diesen mit der Taube, dem Symbol des Heiligen Geistes, über seinem Haupt oder in einem Heiligenschein zeigten. Die Kupferstichporträts Lukas Cranachs und deren Kopien erwiesen sich als wirksames Propagandamaterial. Aleander warnte davor, die Luthersache als Druckmittel gegen den Papst in anderen politischen Fragen auszunützen. Die Ansichten am Hof waren geteilt. Der Großkanzler Gattinara war dennoch für ein Verhör. Chievres wollte Luther nur zum Widerruf nach Worms kommen lassen”. Am 17.Dezember machte Karl V. in einem Brief an Friedrich den Weisen die Einladung Luthers rückgängig, da dieser, nachdem die Widerrufs— frist abgelaufen war, sich im Bann befinde und das Interdikt all den Orten drohe, wo

er sich aufhalte. Diese etwas fadenscheinige Begründung stammte von Aleander. Falls Luther allerdings widerrufe, sollte ihn Friedrich zunächst bis Frankfurt mitbringen”. Außerdem wurde eine kaiserliche Gesandtschaft an den sächsischen Kurfürsten vorbereitet, die nach den Vorstellungen Aleanders die Verbrennung von Luthers Büchern und dessen Gefangensetzung erreichen sollte. Diese Gesandtschaft unterblieb aber, nachdem Friedrich der Weise den Kaiser am 28. Dezember nochmals wissen ließ, er werde Luther nicht mitbringen, und weitere mündliche

Verhandlungen in Aussicht stellte”. Damit schien das Verhörprojekt zunächst aufgegeben. Merkwürdigerweise hat aber etwa gleichzeitig Spalatin bei Luther angefragt, was dieser zu tun gedenke, wenn er abgesehen von Gefahr für das Evangelium und das öffentliche Wohl vom Kaiser berufen würde. Luther antwortete mit einem seiner großen Briefe. Er sei bereit, einem solchen Ruf Folge zu leisten, selbst wenn er krank sein sollte. Für ihn stand fest, daß ein solcher Ruf vom Herrn kam. Sollte, was

bei einer von der Gegenseite betriebenen Berufung wahrscheinlich war, Gewalt gegen ihn gebraucht werden, mußte man die Sache Gott befehlen. Wenn er nicht bewahren will, ist Luthers Leben etwas Geringes, wie das schmähliche Sterben

Christi beweist. >>Hier darf weder auf Gefahr noch auf Heil Rücksicht genommen werden, es ist im Gegenteil darauf zu achten, daß wir nicht das Evangelium, das wir einmal begonnen haben, dem Spott der Gottlosen überlassen und den Gegnern Anlaß geben, sich gegen uns zu rühmen, weil wir nicht zu bekennen wagen, was wir gelehrt haben, und fürchten, unser Blut dafür zu vergießen. Eine solche Feigheit von uns und den Ruhm der andern verhüte der barmherzige Christus, Amen.«

Luther tröstet sich mit dem zweiten Psalm: Angesichts der Machenschaften der

Mächtigen ist auf den Herrn zu vertrauen. >> Wir haben nicht zu entscheiden, ob aus

meinem Leben oder Tod mehr oder weniger Gefahr für das Evangelium und das öffentliche Wohl entstehen wird.« Die einzige Aufgabe ist das Gebet zu Gott, daß die ersten Aktionen der Herrschaft Karls V. nicht wegen des Schutzes für die Gottlosigkeit mit Blut befleckt werden. Luther will deshalb lieber in den Händen der 402

Romanisten umkommen. Ihm standen dabei die Strafen vor Augen, die nach dama-

liger Ansicht das Haus Kaiser Sigismunds wegen der Verbrennung von Huß hatte erleiden müssen. Spalatin sollte alles von Luther erwarten außer Flucht oder Wider— ruf. Beides kann Luther ohne Gefahr für die Frömmigkeit und das Heil vieler nicht tun31. Luther rechnete damals also damit, daß er unter für ihn sehr riskanten Bedin-

gungen doch nach Worms berufen werden würde, und er war bereit, dem Folge zu leisten.

5. Die Verbrennung des päpstlichen Rechts und der Bannandrohungsbulle durch Luther1 Nachdem Luther im Juli 1520 bekannt geworden war, daß die Bulle gegen ihn unterwegs war, hatte er innerlich die Lösung von Rom vollzogen und legte keinen Wert mehr auf Aussöhnung oder Gemeinschaft mit der Kurie. Sollte seine Auffassung verdammt oder verbrannt werden, war er im Gegenzug dazu entschlossen, das päpstliche Recht als den Pfuhl der Häresie zu verbrennen und damit die bisher vergeblich eingenommene demütige Haltung aufzugeben? Zum demonstrativen Bruch kam es aber erst im Dezember. Am 3. Dezember machte Spalatin Friedrich dem Weisen Mitteilung, daß Luther beabsichtige, das päpstliche Recht zu verbren—

nen, sobald in Leipzig seine Bücher verbrannt würden. Der Plan hatte aber noch keine festen Formen angenommen. Spalatin vermutete, daß Luther die Bannandro-

hungsbulle auf der Kanzel verbrennen würde? Möglicherweise sollte damit zu— gleich der römische Brauch des Auslöschens von Fackeln nach einer ausgesproche—

nen Damnation imitiert werden. Spalatin scheint Luther übrigens nicht von seinem Vorhaben abgehalten zu haben. Die Verbrennung von Luthers Büchern in Leipzig erfolgte damals nicht und unterblieb dann ganz. Wahrscheinlich veranlaßten aber die Nachrichten von den Verbrennungen in Köln und Mainz Luther, dennoch sein Vorhaben auszuführen. Am 10. Dezember, genau 60 Tage nachdem die Bulle nach Wittenberg übermittelt worden war, lud Melanchthon durch einen Anschlag an der Stadtkirche alle die, denen es um die evangelische Wahrheit ging, ein, sich um neun Uhr bei der außer—

halb des Elstertors gelegenen Heiligkreuzkapelle einzufinden. Dort, wo sich der Schindanger befand, sollten gemäß altem apostolischem Brauch die gottlosen Bücher des päpstlichen Rechts und der scholastischen Theologie verbrannt werden, weil die Frechheit der Feinde des Evangeliums so weit gegangen war, Luthers fromme und evangelische Bücher zu verbrennen. Die fromme Studierende Jugend sollte zu diesem frommen Schauspiel kommen, weil vielleicht jetzt der Zeitpunkt da war, an dem der Antichrist offenbar werden mußte“. Eingeladen waren also die Mitglieder der Universität, und nur sie haben an dem Akt teilgenommen. Die Ver— brennungsaktion wurde von Johann Agricola organisiert. Er bemühte sich noch am Morgen des 10.Dezembers bei den Wittenberger Theologen, die Summe des Tho— mas von Aquino und den Sentenzenkommentar des Duns Scotus zu erhalten, aber

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diese mochten sich nicht davon trennen, und so unterblieb das Feuergericht an der scholastischen Theologie. Agricola war es wahrscheinlich auch, der den Scheiterhaufen aufrichtete und anzündete. Verbrannt wurden mehrere Ausgaben des Kanonischen Rechts und die Summa angelica des Angelus de Clavasio, jenes Beichthandbuch, das nach Luthers Meinung mit verantwortlich war für die großen Anfechtungen, die die damalige Beichtpraxis bereitete. Außerdem flogen auch einige der kleinen Schriften der Lutherfeinde Eck und Emser ins Feuer. Schließlich trat Luther selbst, >>zitternd und betendWeil du die Wahrheit (oder:

den Heiligen) Gottes verderbt hast, verderbe dich heute der Herr. Hinein damit ins

Feuer!« Möglicherweise wußten nur wenige der Umstehenden, was Luther selbst verbrannt hatte. Ungleich bedeutsamer als die Verbrennung der Bulle war in der Tat die des Kanonischen Rechts, denn dieser Akt stellte das gesamte kirchliche

Rechtssystem, das die durch die Bulle drohende Verurteilung überhaupt erst ermöglichte, in Frage. Der ganze Vorgang hatte nur kurze Zeit gedauert, und danach kehrte Luther mit den Professoren sogleich in die Stadt zurück. Erst im Anschluß daran veranstalteten die Studenten eine richtige Leichenfeier für das päpstliche Recht mit einem Aufzug, weiteren Verbrennungen und den entsprechenden Gesängen". Noch am selben Tag informierte Luther Spalatin über die Neuigkeit der Verbrennungsaktion: Die päpstlichen Brandstifter sollten sehen, daß es nicht vieler Kraft bedarf, Bücher zu verbrennen, die sie nicht widerlegen können7. Angesichts der Verdorbenheit der päpstlichen Bücher freute sich Luther nachträglich über diese Tat mehr als über jede andere seines Lebens". Das Gerücht bauschte die Aktion alsbald auf und machte den Brand größer, als er tatsächlich

gewesen war. Der Bischof von Brandenburg wußte etwa zu vermelden, der Kurfürst habe nach der Verbrennung Luther ehrenvoll durch Reiter und Fußvolk in die Stadt zurückgeleiten lasseng. Das Urteil über die Verbrennungsaktion blieb geteilt. Friedrich der Weise brachte mindestens ein gewisses Verständnis dafür auf. Der Jurist Henning Goede reagierte auf die Vernichtung einer bestehenden Rechts— grundlage bezeichnenderweise mit der indignierten Frage: >>Was beginnt dieser räudige Mönch?« Für die Konservativen — bis hin zu dem Neulutheraner Vilmar — blieb der revolutionäre Akt i11egitim, für die Progressiven, etwa die Studenten des Wartburgfests 1817, war er ein Fanall". Fraglich ist, ob von beiden Seiten dabei

jeweils verstanden worden ist, was Luther eigentlich gewollt hat. Luther selbst ging auf die Bedeutung des Vorgangs mit einer ausnahmsweise deutsch gehaltenen Ansprache in seiner Vorlesung am 11.Dezember ein“. Er mahnte, sich vor den päpstlichen Statuten zu hüten. Die Verbrennung am Vortag bezeichnete er als etwas Geringes. Eigentlich müßte der päpstliche Stuhl verbrannt werden. Mit großem Ernst wies er seine Hörer darauf hin: Wenn ihr euch nicht von der Herrschaft des Papstes distanziert, könnt ihr nicht selig werden; so sehr unterscheidet sich diese von dem Reich Christi und dem christlichen Leben. Man hüte sich, Christus zu verleugnen, indem man den Papisten zustimmt. Den Studenten als

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künftigen Amtsträgern in der Kirche machte Luther klar, daß sie entweder ihr ewi— ges Leben aufs Spiel setzen, wenn sie dem Irrtum nicht widersprechen, oder ihr

irdisches Leben riskieren müssen. Luther selber wollte lieber seine irdische Existenz gefährden, als die Verantwortung vor Gott für ein Schweigen auf sein Gewissen nehmen. Die Situation war nicht mehr zum Spaßen. Sie forderte Entscheidung. Das Heil lag nunmehr in einer Umkehr, die die radikale Abwendung vom Papst bedeutete. Dem Berichterstatter stand dabei zweifelsfrei fest, daß Luther der in

Offb 14,6 verheißene Engel des lebendigen Gottes ist, der die Schafe Christi allein mit dem Wort der Wahrheit weidet, während die eigentlichen Hirten schlafen. Die Schafe Christi aber können nicht anders, als die Stimme ihres Herrn durch diesen

Boten zu erkennen. Für eine weitere Öffentlichkeit begründete Luther seine Aktion mit der Schrift >>Warum des Papsts und seiner Jünger Bücher von Doctor Martino Luther verbrannt sein>Wie sie mir, so habe ich ihnen getan.« Die Kenntnisse, auf denen Luthers Kritik des Kanonischen Rechts basierte, waren vergleichs—

weise schmal und zumeist durch den spätmittelalterlichen Konziliarismus vermit— telt. Neu hingegen war die kritische Überprüfung des Kirchenrechts anhand der Bibel. Luther beabsichtigte nicht weniger als die Eliminierung des Kanonischen Rechts aus der Kirche. Im reformatorischen Bereich ist ihm dies dann weithin,

obgleich auch hier nicht völlig gelungen“. Ein anonymer Anhänger Luthers veröffentlichte >>Das deutsche Requiem der verbrannten Bulle und päpstlichen Bücher« 14, das ihm freilich zum Freudengesang geriet. Den Grund zum Jubel bot die empfundene Befreiung von der päpstlichen Gesetzgebung, bedeutsam selbst für die Seelen der Verstorbenen. Waren doch das Fegfeuer samt der Einflußnahme des Papstes auf diesen Bereich und die Ablässe mit der Vernichtung des päpstlichen Rechts gegenstandslos geworden. Thomas Murner trat im Februar 1521 mit einer eigenen Schrift Luthers Angriff auf das geistliche Recht entgegen“. Teils versuchte er, Luthers Kritik abzuschwächen und die Probleme zu verharmlosen, teils verstand er den Reformator nicht oder ging

nicht richtig auf ihn ein. Schief war gewiß der Vorwurf, Luther wolle dem Papst seine Obrigkeit entziehen und ihn dem Kaiser unterwürfig machen, wobei Murner hoffte, daß Karl V. sich darauf nicht einlassen würde. Als am 6.Februar 152l

Leo X. in einem Konsistorium Gutachten zur Erstellung einer Instruktion für eine erneute Botschaft an den Kaiser erbat, setzte sich Aegidius von Viterbo, Luthers

ehemaliger Ordensgeneral, auf sehr gelehrte und subtile Weise auch mit Luthers Schrift gegen das päpstliche Recht auseinander. Er hatte keine Zweifel an der Stellung des Papstes, und die kirchlichen Rechtssätze galten ihm als etwas Heiliges. Sie hatten ihren Grund in der Schrift und den Kirchenvätem. Wer sie ablehnt, ist selbst-

verständlich ein Häretiker. Gegen einen solchen hat der Kaiser einzuschreitenlö.

6. Luther im Bann Die Frage, ab wann Luther sich eigentlich im Bann befand, ist gar nicht einfach zu

beantwortenl. Karl V. argumentierte — beraten von Aleander — schon im Dezember 1520, Luther befinde sich im Bann und könne deshalb nicht auf den Reichstag kommen. Luther verbrannte die Bulle genau nach Ablauf der Widerrufsfrist am 10.Dezember und verstand sich damit wohl als gebannt. Ein eindeutiges Datum scheint der Erlaß der eigentlichen Bannbulle Decet Romanum Pontificem vom

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3.Januar 1521 zu bieten2. Sie wurde am 28.Januar ausgefertigt. Das Breve, in dem

sie Karl V. mitgeteilt wurde, stammt vom 18. Januar. Aleander erhielt die Bulle am 10.Februar in Worms. Er machte auch von ihrem Inhalt Gebrauch, aber er veröf— fentlichte sie nicht, weil er die Nennung weiterer Namen, wie den Huttens, im Bei— schreiben zur Bulle für problematisch hielt, mußte er doch dessen Rache fürchten.

Überdies paßten auch die Angriffe der Bannbulle auf die Person Friedrichs des Weisen nicht in die politische Landschaft des Wormser Reichstags3. Eigentlich war die Bulle überhaupt erst rechtskräftig vollzogen, wenn sie Luther eröffnet war. Ihre Veröffentlichung durch Aleander erfolgte erst im Oktober 1521. Außer Zweifel steht dennoch, daß Rom sich am 3.Januar 1521 von Luther endgültig getrennt hat. Die Bannbulle stellte zunächst das Recht des Papstes zur Strafe fest. Während einige der mit dem Bann Bedrohten sich auch bekehrt haben und die Bücher Luthers an manchen Orten verbrannt worden sind, hat Luther nicht widerrufen und

ist auch nicht in Rom erschienen, sondern hat wie bisher weitergemacht. Deswegen ist er ein erklärter Häretiker. Andere haben ihm Schutz geboten und die Veröffent— lichung der Bulle verhindert und sind deshalb für Häretiker zu halten. Das bezog sich nicht zuletzt auf Friedrich den Weisen. Über Luther und seine Beschützer werden alle Strafen des Banns und des Interdikts ausgesprochen. Davon betroffen sind alle Kirchen, Länder und Städte, in denen sie sich aufhalten. Die Bannverkündi-

gung ist in allen Kirchen feierlich zu vollziehen. Gegen die Gebannten soll gepredigt werden, und die Geistlichen werden zu Veröffentlichungen gegen sie aufgefordert. Da man Schwierigkeiten bei der Zustellung der Bullc an Luther selbst voraussah, sollte sie durch Anschlag an der Domtür eines Erzbistums in Deutschland als veröf— fentlicht gelten. Ein Begleitschreiben an Erzbischof Albrecht von Mainz und die Nuntien in Deutschland wies darauf hin, daß Luther nicht nur nicht widerrufen, sondern weitere Bücher, schlimmer als die früheren mit der böhmischen Häresie gegen den Papst, herausgegeben habe. Als Anhänger Luthers werden Pirckheimer,

Hutten und Spengler genannt. Albrecht von Mainz wird zum Inquisitor der häreti— sehen Bosheit bestimmt, und es wird erwartet, daß er gegen sie vorgeht. Die Abso-

lution der Gebannten wird dem Papst vorbehalten, ihre Anhänger hingegen kann Albrecht absolvieren. Gegebenenfalls soll der Kaiser um die Hilfe des weltlichen Arms gebeten werden“. Was Luther selbst etwa seit Dezember 1520 verstärkt zu spüren bekam, war die Durchführung der Bannandrohungsbulle. Er erfuhr, daß Staupitz als sein Gönner von dem Salzburger Kardinal Lang aufgefordert worden war, seine Artikel zu widerrufen. Staupitz wies darauf hin, daß er die Artikel nicht behauptet habe, und bat deshalb, ihm einen solchen Widerruf nicht zuzumuten. Aber der Druck, unter

den er wegen Luther geraten war, ging über seine Kräfte und machte ihn verzagt: >>Martinus hat Gefährliches angefangen und führt es mit hohem Geiste von Gott erleuchtet aus; ich aber stammele, bin ein Kind, das der Milch bedarf. « Ausdrück—

lich erkannte er den Papst als Richter an5. Luther erinnerte daraufhin Staupitz an die von diesem einst selbst ausgesprochene Gewißheit, daß die Sache im Herrn begonnen worden sei. Gerade jetzt, als es ernst wurde, stand für ihn fest: Gott muß es vollenden, in seiner Hand steht alles“. Im Februar 1521 tadelte Luther dann

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Staupitz, daß er dem Wolf, gemeint ist der Papst, zuviel zugegeben habe, wodurch der Eindruck entstand, als ob er Luther und alles von ihm verleugne. Er machte Staupitz unerbittlich klar, daß die Bannandrohungsbulle alles verleugne, was dieser selbst über die Barmherzigkeit Gottes gewußt und gelehrt habe. Er erkenne den Feind Christi als Richter an, anstatt ihn seiner Gottlosigkeit zu überführen. Da Christus verdammt und geschmäht wird, ist jetzt nicht die Zeit zu fürchten, sondern zu schreien. Staupitz’ Mahnung zur Demut erwidert Luther mit einer solchen zum Stolz. >>Du bist zu demütig, wie ich zu hochmütig. Aber die Sache ist ernst: Wir sehen Christus leiden.« Wenn bisher Schweigen und Demut angebracht waren, so

gilt es jetzt, nachdem der Heiland, der sich für uns dahingegeben hat, dem Gespött preisgegeben wird, zu streiten. Die Bekenntnissituation ist gegeben. Luther macht es nichts aus, daß er als hochmütig, geizig, Ehebrecher, Mörder, Antipapst usw. gilt. Er hofft, absolviert zu sein, wenn er nur des gottlosen Schweigens nicht überführt wird. Deshalb stellt er mit Zuversicht die Hörner gegen den römischen Götzen und wahren Antichrist. Christi Wort ist nicht ein Wort des Friedens, sondern des Schwerts. Luther fürchtet, daß sich Staupitz mitten in dem unversöhnlichen Gegen—

satz zwischen Christus und dem Papst befindet. Wenn Staupitz ihm nicht folgen will,

soll er zulassen, daß Luther seinen Weg geht und, wie es bezeichnend heißt, auf der

eingeschlagenen Bahn hingerissen wird: Luther wird über die Ungeheuerlichkeiten des Papstes nicht schweigen. Die teilweise Unterwerfung von Staupitz hatte Luther betrübt und ihm einen anderen Staupitz gezeigt als den Prediger der Gnade und des Kreuzes”. Unter dem kirchlichen Druck endete die für Luther so wertvolle Wegge—

meinschaft mit seinem ehemaligen Ordensoberen schmerzlich. In der ersten Dezembcrhälfte war es zum Verbot von Luthers Büchern in Magde— burg und zu deren Verbrennung in Halberstadt gekommen; außerdem wußte Luther damals von der Verbrennung in Mainz. Als dem Propst Nikolaus Demut aus Halle bekannt wurde, daß Luther sich dagegen in einer Schrift wenden wollte, reiste er nach Wittenberg und erreichte es in Verhandlungen zunächst mit dem ihm bekannten Karlstadt und dann auch mit Luther, daß von einer solchen Veröffentli-

chung Abstand genommen wurdes. Offenbar legten beide Seiten nicht unbedingt Wert auf eine Verschärfung der Situation. Mitte Januar mußte man in Wittenberg

befürchten, daß der Bischof von Brandenburg, der damals auf der Durchreise zum

Wormser Reichstag gemeinsam mit dem Kurfürsten von Brandenburg durch Wit— tenberg kam, die Gelegenheit zum Anschlag der Bannandrohungsbulle in der Stadt benützen würde. Ein derartiges Ansinnen sollte mit Hinweis auf die Abwesenheit Friedrichs des Weisen und die Gefährdung der öffentlichen Ruhe vorläufig abgebloekt werden unter der vagen Zusicherung, daß sich Friedrich nach seiner Rückkehr >>als christlicher Fürst>Ein Unterricht der Beichtkinder über die ver-

botenen Bücher>Verteidigung der Wahrheit katholischen und apostolischen Glaubens und Lehre gegen die gottlosen und sehr pestbringenden Lehrsätze Luthers>Antwort auf das Buch unseres ausgezeichneten Magisters Ambrosius 409

Luther als Hercules Germanieus, der gegen die hergebmchten Autoritäten wütet Holzschnitt von Hans Holbein d. J. (ca. 1520)

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Catharinus, des scharfen Verteidigers von Silvester Prierias mit einer Auslegung über die Vision vom Antichrist, Daniel 8«13 doch zu einer größeren Schrift. Sie war am ersten April vollendet, wurde aber erst später gedruckt. Die Widmung an Linck bezeichnet die Schrift des Catharinus als langweilig und ihre Lektüre als Zeitver— schwendung. Ausdrücklich wird übrigens festgestellt, daß Luther sich mit dieser Widmung nicht wieder unter den Gehorsam des Ordensoberen begibt, damit dieser

nicht in die Zwangslage kommt, Luthers Blut auf Befehl des Papstes vergießen zu müssen. Seinem Kontrahenten Catharinus bleibt Luther nichts schuldig und erklärt den Thomisten seinerseits zum Häretiker. Im Grunde kommt Catharinus zu spät, denn mit der Verbrennung des päpstlichen Rechts ist dessen Verurteilung bereits erfolgt. Aber Luther läßt sich noch einmal auf eine Auseinandersetzung ein. Sie beschäftigte sich vor allem mit dem Verständnis der Kirche und war insofern auch eine Antwort auf die inzwischen vollständig erschienene Verteidigung des Papsttums durch Prierias, auf die Luther nicht mehr besonders eingehen wollte. Nur die unsichtbare Kirche Christi, nicht die des Papstes, ist der Macht der Sünde entnom— men. Der fundamentale Fehler des Catharinus besteht darin, daß er sich auf die Kirchenväter anstatt auf die Schrift allein verläßt. Für Luther steht alles darauf, daß

Christus seine Kirche auf den Glauben baut, und damit wird dann das ganze Papsttum hinfällig. Die Kennzeichen der Kirche sind Taufe, Abendmahl und als Wichtigstes das mündliche Evangelium. >>Wer das Evangelium lehrt, ist der PapstVorspiels von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche« und damit als den zweiten Teil seines >>WiderrufsPassional Christi und AntichristiSchmachbüchlein>Mein Bruder (Petzensteiner) will gelehrter sein als wir alle, namentlich, wenn er tüchtig getrunken hat.« Das folgende Gespräch handelte u. a. von der Transsubstantiation und beiderlei Gestalt, wobei Cochläus sich als der Ver—

teidiger des katholischen Glaubens präsentierte. Er machte Luther einen Vorschlag, an dem ihm wahrscheinlich sehr lag und bei dem man ihm nicht ohne weiteres böse Hintergedanken unterstellen darf: Luther sollte sein Geleit aufsagen und mit Cochläus bis aufs Feuer und Schwert disputieren. Dagegen protestierte der um Luthers Sicherheit besorgte Philipp von Feilitzsch selbstverständlich sofort. Rudolf von Watzdorf wollte deshalb gegen den Gast sogar tätlich werden7. In einer Unterredung allein zwischen Cochläus und Luther8 in dessen Schlafgemach soll Luther zugegeben haben, gegen den Papst zu scharf gewesen zu sein. Unter Berufung auf die Nuntien ließ Cochläus Luther wissen, man erwarte von ihm nur den Widerruf

dessen, was offensichtlich gegen den Glauben und die Kirche sei, im übrigen solle er seine Bücher dem Urteil von Kaiser und Ständen anvertrauen. Falls er sich vor seinen eigenen Anhängern fürchte, würden der Kaiser und der Erzbischof von Trier ihm einen sicheren Platz, gedacht war wohl an das Augustinereremitenkloster Mühlheim bei Koblenz, anweisen, wo er noch Viel Gutes wirken könne. Nach Coch—

läus soll das Gespräch in herzlicher Atmosphäre verlaufen sein, wobei Luther sogar Tränen vergossen habe, was dieser aber später energisch bestritt? Auf jeden Fall hat Luther darauf hingewiesen, daß ein Widerruf von ihm nichts nützen würde, da

er nur der Geringste in dieser Sache wäre und andere nicht schweigen würden.

Cochläus äußerte seine Absicht, gegen Luther zu schreiben, und dieser erklärte sich

bereit zu antworten. Am folgenden Tag kritisierte Jonas noch einmal Cochläus wegen der Zumutung, daß Luther sein Geleit aufgeben sollte. Er behaftete Coch— läus bei seinem Humanismus. Er könne doch unmöglich gegen tausend Gelehrte für

die Barbarei eintreten, und von daher warnte er ihn auch, gegen Luther zu schrei— ben. Cochläus’ Reaktion war bezeichnend: >>Ich kann kein Hussit werden.« Cochläus bewegten bei seinen Verhandlungen mit Luther gewiß die besten Absichten. Aber ihm fehlten zum Unterhändler in dieser Sache doch das Geschick und Format. Für seine Bemühungen erntete er keinen Dank, sondern Spottverse auf den >>Schneck>. . ‚du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen. . .« In Eisenach ließ Luther am 3. Mai Schurf, Jonas und Suaven allein wei-

terreisen, da er seine Verwandten in Möhra besuchen wollte. In seiner Begleitung befanden sich nur noch Petzensteiner und Amsdorff. Nachdem er sich am folgenden Tag von seinen Verwandten wieder verabschiedet hatte, wurde die Reisegesellschaft bei der Burg Altenstein in einem Hohlweg überfallen. Petzensteiner sprang sofort vom Wagen und flüchtete zu Fuß. Mit vorgehaltener Armbrust zwangen die Reiter den Fuhrmann anzugeben, wen er mit sich führe. Luther konnte gerade noch das Neue Testament und die Hebräische Bibel an sich nehmen, dann wurde er unter

Flüchen vom Wagen gezogen. Der eingeweihte Amsdorff beschwerte sich echtheitshalber lauthals über dieses ungestüme Vorgehen. Luther mußte zunächst ne-

ben den Reitern herlaufen, bis man außer Sichtweite war, dann wurde er auf ein

Pferd gesetzt. Auf weiten Umwegen, die etwaige Verfolger täuschen sollten, wurde er dann abends um elf Uhr auf die Wartburg gebracht’. Die Öffentlichkeit vermutete einen Bruch des Geleits, wobei zunächst angenom-

men wurde, daß Luther bei dem Überfall umgekommen sei. Auf den Vorgang wurde ein Lied gedichtet. Der in den Niederlanden weilende Albrecht Dürer hielt in seinem Tagebuch fest: >>O Gott, ist der Luther tot, wer wird uns hinfort das heilige

Evangelium so klar vortragen! Ach Gott, was hätte er uns noch in zehn oder zwanzig Jahren schreiben mögen! O ihr alle fromme Christenmenschen, helft mir fleißig beweinen diesen gottgeistigen Menschen und ihn bitten, daß er uns einen andern erleuchteten Mann sende.«8 Luther war nicht tot, sondern nur für die nächsten zehn

Monate aus dem Verkehr gezogen. Er verstummte auch nicht. Während der Wartburgzeit schuf er neben bedeutenden Einzelschriften den ersten Teil der Kirchenpo— stille mit ihren so wirksam gewordenen Musterpredigten und vor allem die Übersetzung des Neuen Testaments, die das Evangelium in neuer Weise zugänglich machte. Was sich alsbald einschneidend veränderte, war Luthers kirchlicher und politischer Status. Die Papstkirche hatte ihn ausgeschlossen. Eben in jenen Tagen folgte die Reichsacht. Wie es dazu kam, davon ist nun abschließend zu berichten.

Am 30. April ‘ließ der Kaiser die Reichsstände wissen, daß er als Vogt der Kirche gegen Luther vorgehen wolle, und befragte sie um ihren Rat. Die Stände waren damit einverstanden, daß der Kaiser ein Mandat gegen Luther erstellen ließ, und wollten dazu Stellung nehmen. Mit dem Entwurf des Mandats wurde Aleander betraut, der sich dieser umfänglichen Aufgabe in einer Nacht entledigte, wobei er vom Resultat sehr überzeugt war. Am 8. Mai lag das Mandat bereits lateinisch und in deutscher Übersetzung vor. Es mußte sich aber noch gewisse Änderungen zugunsten der kaiserlichen und auf Kosten der päpstlichen Macht gefallen lassen, und seine Veröffentlichung verzögerte sich zum Leidwesen Aleanders9. Während ein 450

vom Nuntius beauftragter Buchdrucker bereits mit dem Satz begonnen hatte, teilte der Großkanzler Gattinara Aleander am 12.Mai mit, daß das Mandat noch den

Reichsständen vorgelegt werden müsse, weil es von diesen sonst nicht befolgt werde 1°. Am 21.Mai hatten die Reichsstände dem Reichstagsabschied zugestimmt. Die Schlußsitzung des Reichstags fand am 25.Mai statt. Schon am 23.Mai waren der von der Gicht geplagte Friedrich der Weise und Kurfürst Ludwig von der Pfalz abgereist. Erst nach der offiziellen Beendigung des Reichstags eröffnete der Kaiser gleichfalls am 25. Mai den noch anwesenden Reichsständen das Mandat oder, wie es nunmehr bezeichnet wurde, das Edikt gegen Luther. Ohne weitere Diskussion und Änderungen erklärte Kurfürst Joachim von Brandenburg die Zustimmung der Reichsstände. Schon am folgenden Tag erreichte Aleander die Ausfertigung. Befriedigt konnte er feststellen, daß damit seine Sendung eigentlich erfüllt war“. Das Edikt trägt das Datum des 8. Mai, des ursprünglichen Termins seiner Fertigstellung. Damit erweckte es den Anschein, es sei noch während des Reichstags verabschiedet worden. Man darf diesen Umstand aber nicht überbewerten. Die Reichsstände hatten dem Kaiser das Edikt zugestanden, und dieser hätte es auch aus eigener Machtvollkommenheit erlassen können. Das Edikt ist auf jeden Fall rechtens zustande gekommen. Das Wormser Edikt12 beruft sich auf das Vogt— und Schutzamt des Kaisers gegen— über der Kirche, wobei Formulierungen aus der Rede Karls V. anklingen. Deshalb wollte der Kaiser gegen die seit drei Jahren aufgekommene Häresie Luthers vorge— hen. Sie einvmrzeln zu lassen, wäre ein Makel für seine Regierung gewesen. Aus—

führlich wird über die Bannandrohungsbulle und ihre Exekution berichtet, wo— durch sich Luther aber nicht zur Umkehr bewegen ließ. Bei der Aufzählung der Häresien Luthers und seiner >>unzähligen, in einer stinkenden Pfütze versammelten

Bosheiten>verstopfter, verkehrter, offenbarer Ket—

zer«. Das Edikt erging angeblich >>mit einhelligem Rat und Willen>Theologia Deutsch« (1516—1961). Ein Beitrag zur Lutherbibliographie, Bibliotheca Bibliographica Aureliana 8, Baden Baden 1963. W 1; 153.

W 1; 379f. B l; 90,22—25. B 1; 96,8 ff. und 23 ff.

W 4; 646,26—32. Vgl. Martin Brecht, Randbemerkungen in Luthers Ausgaben der »Deutsch Theologlam LuJ 47, 1980. S. 10—32 (= W 59; 1—21). 24 Vgl. Baring (wie Anm. l7) und Steven E. Ozment, Mysticism and Dissent. Religious Ideo— logy and Social Protest in the Sixteenth Century, New Haven and London 1973. 25 W 1; 158—220. Vgl. dazu Theobald Süß, Über Luthers »Sieben Bußpsalmen>Bekehrung>Tuus sum, salvum me fac>We are all

36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Hussites«? ARG 65, 1974, S. 134—161. B 1; 417—420. W 2; 702,2 f. B 2; 42,22—29. B 2; 72,9—11.— W 5; 455,2—9. Corp. Cath. 4,25—41. W 2; 658—679. B 1; 534,11—13. W 2; 672,28—39. Corp. Cath. 4,19. Walch 18, 910—931. B 1; 600,5—9.

Corp. Cath. 4, 44—99. B 1; 555,18f.; 556, 19—557,25; 597,28—31. EA lat. var. arg. 4,61—70.

494

Anmerkungen zu Seite 320—327 50 Theodor Pressel, Lazarus Spengler, Leben und ausgew. Schriften der Väter und Begrün— der der luth. Kirche Bd.8, Elberfeld 1862, 16—26.

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

B 2; 36,8—14; 48,10—12. B 2; 59. Scheurls Briefbuch 2, 112—114. B 1; 344,4ff. B 1; 514,49—53. B 1; 597,37—39. B 2; 96, 23—26; 101,8f. B 1; 506,4—8. B 1; 539,4—12. B 1; 565,27—29; 597,20—27. Geß, Nr. 149. Geß, Nr. 151. B 1; 597,14f. EA lat. var. arg‚3, 476—479. Geß, Nr. 134 und 145. Geß, Nr. 182. Vgl. dazu Karel Blockx, De Veroordeling van Maarten Luther door de theologische

Faculteit te Leuven in 1519, Verhandelingen van de Koninklijke Vlaamse Academie voor Wettenschappen, Letteren en schone Kunsten van Belgie, Klasse der Letteren 31, Brüssel 1958. — Ders, The Faculty of 'I‘heology in conflict with Erasmus und Luther, Louvain—

Studies, 1975, 353—363.



67 Jean Rott (Hg.)‚ Correspondance de Martin Bucer, T.l, Leiden 1979, S. 80,24—27. 68 W 6; 174—195. 69 B 2; 72,8f.; 75,18f. 70 B 2; 76,5—9; 77,4——78‚6. 7l B 2; 87—91. 72 CR 1, 206. 73 B 1; 506,22—24. 74 Tentzel—Cyprian I, 414—419. — B 1; 510. 75 Tentzel-Cyprian II, 129f.— B 1; 512; 513,11—15. 76 B 1; 525. 77 B 1; 525 f. 78 B l; 529,6—39. 79 B 1; 535f. — Tentzel-Cyprian II, 151 f. 80 Tentzel-Cyprian I, 408—411. 81 Tentzel—Cyprian I, 411—414. II, 142—150. 82 B 1;572,11—13;597,32—36. 83 Tentzel-Cyprian I, 393—397. 84 B 1; 611,33—53. 85 Tentzel-Cyprian II, 153L 86 B 2; 25—29. 87 B 2; 52f. 88 B 2; 53—55. 89 Tentzel-Cyprian II, 160—162. 90 B 2; 79f.

495

Anmerkungen zu Seite 327—339

91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101

B 2; 98,6—12; 103,5—10. CR 1, 167—190. B 2; 104,10—14. B 2; 120,10—13. W 9; 459,1 f. und 469,31 f. B 2; 130,21. — W 6; 285—324. B 2; 48,20—49‚29. W 6; 323,15—22. B 2; 133. B 2; 182,2—34. W 6; 328—348. — Vgl. Martin Brecht, Curavimus enim Babylonem, et non est sanata, in: Remigius Bäumer (Hg‚), Reformatio Ecclesiae, Festgabe Erwin Iserloh, Paderborn usw. 1980, 581—595. W 6; 347,22—28. B 2; 105—109. B 1; 559—561, B 2; 150,8—151,11. B 1; 545,1—546,38; 530,67—71. B 2; 33, 37——39; 55,6—11; 74,6—8. B 2; 83,18f.

102 103 104 105 106 107 108 B 2; 118,7—14. 109 B 2; 137,6f.

MANN—

X. Das reformatorische Programm Scheurls Briefbuch 2,86.

B 2; 124. Vgl. dazu die Predigtsammlungen W 9; 329—676. Vgl. dazu Wilhelm Maurer, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Göttingen 1949.

B 2; 36,27—36.

NHN

. Erste Neugestaltungen der Frömmigkeit

W 2; 136—142. B 1; 434,3—5; 503,30H39; 504,7—505‚22. —— Vgl. Friedrich Israel, Das Wittenberger Uni—

versitätsarchiv, seine Geschichte und Bestände, Forschungen zur Thüringisch-Sächsischen OOONOUI-äm

Geschichte H.4‚ Halle 1913, 91.

w 2; 30—130. w 9; 223-225. _ B 1; 326,12; 359,21—24; 367,9f. w 6; 11—19. w 7; 204—229. w 2; 175479. w 6; 104—134. B 1; 568,16—18. w 2; 685—697. B 1; 548.341.

Nv—IN

. Erste Stellungnahmen zu praktischen Lebensfragen W 2; 166-—171. W 9; 213—219. W 6; 3—8.

496

Anmerkungen zu Seite 340—352

. Die erste Fassung des neuen Verständnisses der Sakramente

OO—ombq—x

W

B 1; 597,13f. W 6; 36—60. B 1; 604,4—15. B 1; 555; 570,12—22; 600,11—14. B 2; 31—36; 47,45—57; 96,16—22. W4; 610, 31—37; vgl. W 9; 354,7—12;

W 2; 713. W 2; 646,10—15.

w 2; 714—723.

W 2; 59—65. Vgl. W 6; 157. W 6; 157—169. W 2; 727—737. B 1; 311,9—15. W 2; 742—758. — Vilmos Vajta, Die Kirche als geistlich-sakramentale Communio mit Chri— stus und seinen Heiligen in der Theologie Luthers, LuJ 51, 1984, S. 10—62. Geß, Nr. 146.

10 Geß, Nr. 147. 11 Geß, Nr. 154. B 1;600.12—14‚ 13 B 1; 608.6—12; 6103—61132. 14 W 6; 78—83. 15 B l; 619,6—10.

w 2; 758.

16

l7 W 6; 151—153,

W 6; 137—141.— B 2; 30,8—12.

l9 20 21 22 23 24 25

B 2; 38.

B 2; 39. B 2; 43—45. B 2; 46—47, 45. W 6; 144—153. B 2; 48,4—6; vgl. B 2; 40 Anm.3.

B 1; 594,19—595,24. . Die neue Ethik

W 6; 202—276; vgl.W 9; 229—301.— B 2; 48,8—10; 55,11—56,12; 75,8—12; 101,20f.; 103,10f. ‘ W 5; 392—407. — Vgl. Wilhelm Maurer, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Göt-

tingen 1949 (Inhaltsverzeichnis). . >>An den christlichen Adel deutscher Nation von des Christlichen Standes Besserung> Vorspiel von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche